Noch nicht genug der Vorrede: Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts [Reprint 2013 ed.] 9783110239614, 9783484365285

The present study takes a close look at prefaces to 16th century vernacular compilations and inquires into the subject m

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German Pages 251 [252] Year 1996

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Table of contents :
Abkürzungen
An den Leser
1. Halte dich nicht so lang mit der Vorrede auf
1.1 Grundlegendes zur Vorrede
1.2. Die Funktion der Vorrede
1.3. Stand und Möglichkeiten der Vorreden-Forschung
1.4. Textgrundlage
2. Mit ander Leute Schaden wird man klug
2.1. Die protestantische Exempelsammlung
2.2. Quellen
3. Betriegen zur Warheit
3.1. Die Fabelsammlungen
3.2. Heinrich Steinhöwel
3.3. Martin Luther
3.4. Erasmus Alberus
3.5. Nathanael Chytraeus
3.6. Burkard Waldis
3.7. Die Cyrillischen Fabelsammlungen von B.S.M. und Daniel Holzmann
3.8. Resümee: Die Vorreden der Fabelsammlungen
3.9. Exkurs: Georg Rollenhagens Tierepos Froschmeuseler
4. Gesetze und rechte ynn kurtze wort verfasset
4.1. Die Sprichwörtersammlungen
4.2. Johannes Agricola
4.3. Sebastian Franck und seine Nachfolger
4.4. Eucharius Eyring
5. Wer kan allwegen weiß seyn
5.1. Die Schwanksammlungen
5.2. Vorredenthematik
5.3. Resümee: Die Vorreden der Schwanksammlungen
6. Vom Helden der liegen und triegen anvienc
6.1. Der Schwankroman
6.2. Der Pfaffe Amis
6.3. Salomon und Markolf
6.4. Der Kalenberger
6.5. Till Eulenspiegel
6.6. Peter Lewen
6.7. Claus Narr
6.8. Hans Clawert
6.9. Die Geschichte des Schwankromans im Spiegel seiner Vorreden
7. Till Eulenspiegels poetisch Flilgel
7.1. Johann Fischart: Eulenspiegel Reimensweiß
7.2. Der Eulenspiegel zum Leser
7.3. Ein abred an die Eulenspiegler
7.4. Vorrede auff den Eulenspiegel
7.5. Fischarts Eulenspiegel-Vorreden
8. Vorreden sind besser als Nachreden – Schlußwort
Textanhang
Andreas Hondorff
Promptuarium Exemplorum 1568
Promptuarium Exemplorum 1576
Wolfgang Bütner
Epitome Historiarum
Zacharias Rivander
Der Ander Theil Promptuarii Exemplorum
Job Fincel
Wunderzeichen
Caspar Goltwurm
Wunderzeichen
Kirchen Calender
Nathan Cyträus
Hundert Fabeln aus Esopo
Eucharius Eyring
Proverbiorum Copia
Ander Theil Copiae Proverbiorum
Dritter und letzter Theil Copiae Proverbiorum
Literaturverzeichnis
1. Quellen
2. Forschungsliteratur
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Noch nicht genug der Vorrede: Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts [Reprint 2013 ed.]
 9783110239614, 9783484365285

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FRÜHE NEUZEIT Band 28

Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext In Verbindung mit der Forschungsstelle „Literatur der Frühen Neuzeit" an der Universität Osnabrück Herausgegeben von Jörg Jochen Berns, Klaus Garber, Wilhelm Kühlmann, Jan-Dirk Müller und Friedrich Vollhardt

Bärbel Schwitzgebel

Noch nicht genug der Vorrede Zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1996

Für meine Eltern und

Gottfried

D 77 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schwitzgebel,

Bärbel:

Noch nicht genug der Vorrede : zur Vorrede volkssprachiger Sammlungen von Exempeln, Fabeln, Sprichwörtern und Schwänken des 16. Jahrhunderts / Bärbel Schwitzgebel. Tübingen : Niemeyer, 1996 (Frühe Neuzeit; Bd. 28) NE: GT ISBN 3-484-36528-5

ISSN 0934-5531

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1996 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck: Guide-Druck, Tübingen Buchbinderei: Heinrich Koch, Tübingen

Inhalt

Abkürzungen An den Leser 1. Halte dich nicht so lang mit der Vorrede auf 1.1 1.2. 1.3. 1.4.

Grundlegendes zur Vorrede Die Funktion der Vorrede Stand und Möglichkeiten der Vorreden-Forschung Textgrundlage

2. Mit ander Leute Schaden wird man klug 2.1. Die protestantische Exempelsammlung 2.2. Quellen 2.2.1. Exempelliteratur 2.2.2. Prodigienliteratur 2.2.3. Kirchen- und Heiligenkalender 2.3. Vorredenthematik 2.3.1. Vom Nutzen der Exempel 2.3.2 Bedeutung der Wunderzeichen 2.3.3. Wahrheitsanspruch der Historien und Exempel 2.3.4. Inhalt und Ordnung der Sammlungen 2.3.5 Entstehung der Sammlung 2.3.6. Intention der Autoren 2.3.7. Theologische Abhandlungen 2.3.8. Zur Widmung 3. Betriegen zur Warheit 3.1. 3.2. 3.3. 3.4. 3.5. 3.6. 3.7.

Die Fabelsammlungen Heinrich Steinhöwel Martin Luther Erasmus Alberus Nathanael Chytraeus Burkard Waldis Die Cyrillischen Fabelsammlungen von B.S.M. und Daniel Holzmann

VIII XI 1 1 3 6 8 11 11 15 15 17 17 18 18 31 36 39 46 47 52 55 57 57 59 63 69 76 79 81

VI 3.8. Resümee: Die Vorreden der Fabelsammlungen 3.9. Exkurs: Georg Rollenhagens Tierepos Froschmeuseler 4. Gesetze und rechte ynn kurtze wort verfasset 4.1. 4.2. 4.3. 4.4.

Die Sprichwörtersammlungen Johannes Agricola Sebastian Franck und seine Nachfolger Eucharius Eyring

5. Wer kan allwegen weiß seyn 5.1. Die Schwanksammlungen 5.2. Vorredenthematik 5.2.1. Zum Inhalt der Sammlungen 5.2.2. Rezipienten und Rezeptionssituation 5.2.3 Entstehung der Sammlung 5.2.4 Auseinandersetzung mit anderen Werken 5.2.5. Intentionen der Verfasser Erwartungen der Rezipienten 5.2.6. Vorwegnahme: Auseinandersetzung mit den Kritikern . . . 5.3. Resümee: Die Vorreden der Schwanksammlungen 6. Vom Helden der liegen und triegen anvienc 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. 6.6. 6.7. 6.8. 6.9.

Der Schwankroman Der Pfaffe Amis Salomon und Markolf Der Kalenberger Till Eulenspiegel Peter Lewen Claus Narr Hans Ciawert Die Geschichte des Schwankromans im Spiegel seiner Vorreden

7. Till Eulenspiegels poetisch Flügel 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5.

Johann Fischart: Eulenspiegel Reimensweiß Der Eulenspiegel zum Leser Ein abred an die Eulenspiegler Vorrede auff den Eulenspiegel Fischarts Eulenspiegel-Vorreden

Vorreden sind besser als Nachreden - Schlußwort

86 92 98 98 100 110 113 118 118 120 120 123 125 127 129 138 141 142 142 146 149 151 152 161 163 167 170 174 174 175 181 187 189 191

VII Textanhang

197

Andreas Hondorff

197

Promptuarium Exemplorum 1568 Promptuarium Exemplorum 1576 Wolfgang Bütner Epitome Historiarum Zacharias Rivander Der Ander Theil Promptuarii Exemplorum Job Fincel Wunderzeichen Caspar Goltwurm Wunderzeichen Kirchen Calender Nathan Cyträus Hundert Fabeln aus Esopo Eucharius Eyring Proverbiorum Copia Ander Theil Copiae Proverbiorum Dritter und letzter Theil Copiae Proverbiorum

197 200 203 203 206 206 211 211 216 216 217 221 221 223 223 225 226

Literaturverzeichnis

229

1. Quellen 2. Forschungsliteratur

229 232

Abkürzungen

DVjs DNL EM Fs GAG HAB Lili MTU NDL PBB RL RU SM StVL WA WdF ZfdA ZfdPh

Deutsche Viertesjahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Deutsche National-Litteratur Enzyklopädie des Märchens Festschrift Göppinger Arbeiten zur Germanistik Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel Zeitschrift für Linguistik und Literaturwissenschaft Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts Beiträge zur Geschichte der deutschen Literatur Reallexikon der Literaturgeschichte Reclams Universal-Bibliothek Sammlung Metzler Bibliothek des Litterarischen Vereins Stuttgart D. Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe Wege der Forschung Zeitschrift für deutsches Altertum Zeitschrift für deutsche Philologie

Eine gute Vorrede muß zugleich die Wurzel und das Quadrat ihres Buchs sein. Friedrich Schlegel Wer nun nicht versteht, will nicht, - oder befindet sich im Falle des ehrlichen Mannes, der alle Brillen eines ganzen Ladens probirte, ohne einen Buchstaben dadurch lesen zu können; am Ende zeigte sich's, daß der Mann weder mit noch ohne Brille lesen konnte. Schaffe mir Kinder, oder ich sterbe, sagte Rahel zu Jakob, ihrem Manne. Bin ich denn Gott? antwortete der Erzvater. - Dieß ist gerade der Fall eines ehrlichen Autors, den unverständige Leser zwingen wollen, ihnen Verstand zu geben. Licht ist nur Licht für den Sehenden: der Blinde wandelt im Sonnenschein und dünkt sich im Finstern. Also keine Vorrede! Christoph Martin Wieland

An den Leser Wissenschaftliche Arbeiten des ausgehenden 20. Jahrhunderts werden nur selten mit einer >Vorrede< eingeleitet. Doch eine Arbeit, die diese Textsorte zum Gegenstand einer eigenen Untersuchung gemacht hat, darf sich diesen Anachronismus leisten, zumal die Versuchung, nach der Lektüre zahlloser Vorreden sich selbst an einer zu versuchen, denn doch zu groß war. Auch verführt die Aussicht, daß der Verfasserin hier, ganz der Funktion der Vorreden verpflichtet, die Möglichkeit eingeräumt werden soll, ihr Werk zur Lektüre zu empfehlen und zugleich all denen zu danken, die diese Arbeit auf die eine oder andere Weise ermöglicht oder gefördert haben. Sei es aus Überzeugung, sei es aus (vorgegebener) Bescheidenheit - mit Vorliebe pflegen die Verfasser in den Vorreden für ihr Werk zu werben, indem sie ein Loblied auf dessen Gegenstand oder Thema anstimmen. Dieser Tradition will ich mich gerne anschließen. Tatsache ist, daß die Literatur des 16. Jahrhunderts, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht gerade im Brennpunkt literaturwissenschaftlichen Interesses steht. In den Literaturgeschichten und Handbüchern, vor allem der älteren Forschung, wird sie oftmals zwischen >Spätmittelalter< und >Barock< eingeschoben oder als >Literatur der Reformationszeit und des Humanismus< knapp umrissen. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, daß ich während meiner Beschäftigung mit dieser Epoche gelegentlich auf erstaunte Fragen stieß: Um welche Literatur handelt es sich da eigentlich? Das mag zum einen damit zusammenhängen, daß es nur wenige >herausragende< Autoren gibt, die über ihre Zeit hinaus Bedeutung erlangt haben, zum anderen damit, daß uns heute viele der Schriften zu derb und grobianisch, zu tendenziös, zeitgebunden oder zu aufdringlich pädagogisch erscheinen. Doch man sollte einmal die Kategorien der Allgemeingültigkeit und der stilistischen Ansprüche beiseite lassen, um die Bedeutung dieser Literatur für die Kultur- und Geistesgeschichte wahrzunehmen. Das 16. Jahrhundert stellt sich dar als eine Phase des Umbruchs auf dem Weg in die Neuzeit, während der die Menschen massiv verunsichert und auf allen Gebieten und Ebenen vor schwierige Fragen gestellt wurden. In dieser Situation entfaltet sich eine Prosa- und Kompilationsliteratur, die sich in besonderer Weise den Rezipienten zuwendet und auf die Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten nach Unterhaltung, Belehrung und Erbauung reagiert. Sie nimmt konkret zu den Problemen und Themen ihrer Zeit Stellung und verleiht mit viel Eifer, didaktischem Impetus und missionarischem Anspruch den Über-

XII Zeugungen ihrer Autoren Ausdruck. Sie bringt darüber hinaus eine Flut komischer, satirischer und polemischer Texte hervor, die auf ihre Art die sozialen Gegebenheiten verarbeiten und zur Kompensation und Entladung gesellschaftlicher Spannungen beitragen wollen. In Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte, Kirche und Gesellschaft trägt sie wie alle engagierte Literatur wesentlich zur öffentlichen Meinungsbildung und Lebensbewältigung bei. Die Texte werden dadurch literarisch nicht wertvoller, dafür aber kulturhistorisch umso interessanter. Die Vorreden aus dem 16. Jahrhundert erweisen sich als außerordentlich erhellend für das Verständnis dieser Literatur: Sie geben Aufschluß über die Intentionen der schriftstellerisch Tätigen und über die Erwartungen der Rezipienten und verraten, wenn man sie richtig liest, sehr viel über das literarische Leben im weitesten Sinn und auch über die gesellschaftlich relevanten Fragestellungen. All diesem nachzugehen ist Ziel der vorliegenden Arbeit. Es entspricht der fehlenden Wertschätzung, die der Literatur der Frühen Neuzeit entgegengebracht wird, daß bisher (die Bibliothek Deutscher Klassiker ist dabei, hier Abhilfe zu schaffen!) ein wesentlicher Teil ihrer Texte, vor allem der zahlreichen Sammelwerke, entweder gar nicht oder zuletzt im 19. Jahrhundert ediert ist. Deshalb konnte in dieser Arbeit nicht auf ausführliche Zitate verzichtet werden. Zusätzlich findet sich im Anhang die Zusammenstellung einiger wichtiger Vorreden, die ausschließlich in Drucken aus dem 16. Jahrhundert zugänglich sind. Die Verfasserin hält nicht zuletzt diese auszugsweise Edition für einen wesentlichen Bestandteil ihrer Forschung. Entstanden ist die vorliegende Untersuchung aufgrund eigenen Interesses an der Literatur des 16. Jahrhunderts, vor allem aber auf Anregung von Herrn Professor Dr. Uwe Ruberg und hinsichtlich seines Interesses an Werkanfängen und Initialkonstruktionen mittelalterlicher Literatur. Er hat sie >auf den Weg gebracht und begleitet und mich durch seine kontinuierliche Aufmerksamkeit motiviert. Dank sagen möchte ich auch allen, die mich bei inhaltlichen und formalen Fragen beraten oder durch Anteilnahme meine Arbeitsmoral gefördert haben. Ihre endgültige Form hätte diese Arbeit nicht finden können ohne die Hilfe meiner Eltern und meines Bruders, denen ich zu besonderem Dank verpflichtet bin. Für die freundliche Aufnahme in die Reihe >Frühe Neuzeit< und weitere wertvolle Hilfe danke ich Herrn Professor Dr. Jan-Dirk Müller. Zuletzt sei in guter Vorredenweise dem Leser Glück und Heil, dem Werk freundliche Aufnahme und der Verfasserin nur wohlwollende Kritik gewünscht. Wiesbaden, im März 1995

1. Halte dich nicht so lang mit der Vorrede auf

1.1. Grundlegendes zur Vorrede »Paratexte« hat Gerard Genette alle »Anhängsel« eines Textes genannt, durch die dieser zum Buch wird und sich als solches der Öffentlichkeit präsentiert. 1 Er hat ihnen eine eingehende Untersuchung gewidmet und damit dem Phänomen Rechnung getragen, daß ein Text immer auch durch seinen Kontext definiert ist. 2 Zu diesen Paratexten gehört das Vorwort bzw. die Vorrede. Dabei handelt es sich um »auktoriale oder allographe [d.h., nicht vom Autor stammende] Texte, [...] die aus einem Diskurs bestehen, der anläßlich eines nachgestellten [...] Textes produziert wurde.« 3 Die Vorreden, mit denen wir es im Zusammenhang dieser Arbeit zu tun haben werden, sind mit Genette als authentische, auktoriale oder allographe Vorworte zu bezeichnen. Es sind Originalvorworte oder, wenn sie für eine spätere Auflage geschrieben wurden, nachträgliche Vorworte. Diese Vorworttypen sind nicht nur für das 16. Jahrhundert die einzig realisierte Form, sondern bleiben auch später neben den fiktiven Vorworten die geläufigste Fassung. Ihre Absicht ist es, im weitesten Sinne >eine gute Lektüre des Textes zu gewährleisten, wobei es prinzipiell darum geht, Antworten zu geben auf die Fragen: warum zu lesen sei und wie zu lesen sei. 4 Genette hat mittels struktureller und funktionaler Analyse, die den Zusammenhang zwischen Vorwort und Werk weitgehend unberücksichtigt läßt, das Vorwort in seinen potentiellen Realisationen beschrieben. Im Unterschied dazu soll im Rahmen der hier vorgelegten Arbeit, konkret auf die Vorrede des

1 2

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Gerard Genette, Paratexte. Frankfurt 1990. S. 10. Genette hat diesen Begriff äußerst weit gefaßt und zählt zu den Paratexten u.a.: Name des Autors, Titel, Untertitel, Motti, Widmungen, Kapitelüberschriften, Anmerkungen, Verlagsreihe, Klappentexte und die außerliterarischen Äußerungen über das Werk wie Selbstaussagen des Autors oder Werbung des Verlags. Überwiegend anhand von Beispielen aus der französischen Literatur geht er auf alle diese Elemente ein und untersucht sie hinsichtlich ihrer Ausprägung und Funktion. Ebd., S. 157. Genette analysiert auch die verschiedenen Realisationsmöglichkeiten des Vorworts in authentischen oder fiktiven, auktorialen, allographen oder aktorialen (eine Figur des Werkes spricht) Strukturen, wie sie sich in der Geschichte des Romans seit dem 17. Jahrhundert manifestieren. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, im einzelnen darauf einzugehen. Ebd., S. 190-263.

2 16. Jahrhunderts bezogen, gezeigt werden, wie diese sich darstellt und welche Funktionen sie im einzelnen auch im Hinblick auf die Werke, denen sie vorangestellt ist, übernimmt. Im Zentrum der Überlegungen wird dabei immer die Frage stehen: Warum und mit welchem Erkenntnisgewinn las bzw. liest man Vorreden? Daß die Vorreden einen solchen Erkenntnisgewinn bringen, ist im öffentlichen Bewußtsein nicht unbedingt präsent. Das Mißtrauen gegenüber der Vorrede drückt sich aus in Redensarten wie: »Halte dich nicht so lange bei der Vorrede auf«, »Genug der Vorrede« oder »Mach keine langen Vorreden«. Wer eine zu lange Vorrede macht, kommt vermeintlich nicht zur Sache, macht Umschweife, langweilt seine Zuhörer. Die so verstandene Vör-Rede betrifft noch nicht das Wesentliche und scheint von daher überflüssig. In der Tat ist die Romanvorrede spätestens im 18. Jahrhundert in Mißkredit geraten. 5 Widmungsunwesen, stereotype Wiederholung bekannter Topoi und das Bewußtsein der Autoren, daß ihr Werk für sich selber sprechen solle und keiner Vorrede bedürfe, hat zu ihrem Verfall und schließlich zu ihrem Untergang geführt. Der Vorrede der Frühen Neuzeit wird man jedoch mit solchen Wertungen nicht gerecht. Zwar lassen sich auch hier Texte finden, die sich überwiegend auf Topoi beschränken, übertriebene und schmeichlerische Widmungsanreden enthalten, die beliebig austauschbar wären und deren Aussagegehalt nur gering ist, doch bleibt insgesamt Karl Schottenloher zu folgen: »Wer sich mit dem Schrifttum des 16. Jahrhunderts beschäftigt, begegnet auf Schritt und Tritt der Widmungsvorrede, die in den meisten Schriften der eigentlichen Veröffentlichung wie ein Herold vorausgeht und diese in Gestalt eines erläuternden Briefes ankündigt, darüber aber hinaus mit allen möglichen Mitteilungen ihre eigenen Wege geht und damit eine gewisse Selbständigkeit erlangt. Sie kehrt so häufig wieder und hat so ausgeprägte Formen, daß sie als ständige Zugabe des damaligen Buches, ja mit ihrem häufig recht bedeutsamen Inhalt als selbständige literarische Erscheinung des 16. Jahrhunderts mit eigenen Lebensgesetzen bezeichnet werden kann und damit unsere volle Aufmerksamkeit verdient.« 6 Was hier für die Widmungsvorrede reklamiert wird, trifft auch für die anderen Formen der Vorrede zu: für die Vorrede >An den Leser< oder die einfache >VorredeVorläufer< der Romanvorrede sind das Prooemium der Gerichtsrede, die Invocatio antiker Epen, die christianisierten Bitten um Inspiration und der weltliche mittelalterliche Prolog. 8 Schon in diesen Prologen wird häufig ein Gönner genannt oder direkt angesprochen.9 Die ersten Widmungsvorreden im engeren Sinne, in Briefform verfaßt und an den Papst gerichtet, stammen von dem italienischen Humanisten Giovanni Andera de' Bussi, veröffentlicht 1467-1472 in den Textausgaben von Klassikern und Kirchenvätern. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wird auch in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus die (Widmungs-) Vorrede zum festen Bestandteil des Schrifttums. War sie ursprünglich primär auf »Geltungswille, Ehrung, Gunsterwartung und Werbung auf dem Büchermarkt« 10 hin konzipiert, entwickelte sie sich doch rasch zu dem selbständigen und bedeutungstragenden Element des Buches, als welches sie oben beschrieben wurde.

1.2. Die Funktion der Vorrede Zur Annäherung an ihre wesentlichen Funktionen sei auf die systematische Gliederung Ehrenzellers und seine Kategorien: Werkfunktion, Leserfunktion und Autorfunktion verwiesen. 11 Was unter diesen drei Punkten als »Aufgaben und Möglichkeiten der Vorrede« subsumiert wird, erweist sich auch für die Vorreden des 16. Jahrhunderts prinzipiell als brauchbares Grundgerüst. Es wird jedoch zu zeigen sein, daß damit allein die Bedeutung der Vorreden von Kompilationsliteratur dieser Zeit nicht erfaßt werden kann. Zu den »Werkfunktionen« rechnet Ehrenzeller die inhaltlichen Aussagen über Gegenstand und Thema des Werkes sowie seine Entstehung, die Berufung auf Quellen und Vorgänger und die Erläuterung des Titels, ferner den Komplex

7

Dazu wegweisend Hennig Brinkmann, Der Prolog im Mittelalter als literarische Erscheinung. In: Wirkendes Wort 14 (1964). S. 1 - 2 1 ; Walter Haug, Literaturtheorie im deutschen Mittelalter. Darmstadt 1985.

8

Dazu Ehrenzeller, S. 25.

9

U.a. bei Ulrich Boner, Der Edelstein oder im Prolog zu Wolframs Willehalm. Schottenloher, S. 2. Ehrenzeller, S. 35ff.

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4 der Rechtfertigungsargumentation, »all jene Formeln, die der Verteidigung des Werkes gegen Feinde und Widerwärtigkeiten dienen« und die »rein kommerziellen Empfehlungen, Ankündigungen und Reklameformeln«. 12 Der »Leserfunktion« ordnet er den gesamten Bereich der Kontaktaufnahme mit dem Rezipienten zu: Anrede, >Bitte um günstige Aufnahme^ Demuts- und Bescheidenheitsformeln, Widmung, Publikumsauswahl und Leseanleitung. Schließlich gibt seiner Ansicht nach die »Autorfunktion« dem Verfasser die Gelegenheit, »sich über seine eigene Person zu äußern [...] und sich überhaupt seinem Leserkreis vorzustellen«. 13 Erfüllt ein Text alle diese Funktionen, so entspricht er den Erwartungen an eine Vorrede als orientierende Einführung in ein Werk: der Leser ist darüber informiert, >wer< >was< >warum< und für >wen< geschrieben hat. Die primär sachliche Unterrichtung über das Werk ist aber nur eine der Funktionen, die die Vorrede erfüllt. Es sind zwei weitere, der Einleitungsfunktion gleichgewichtige Intentionen der Vorreden zu berücksichtigen: ihr grundsätzlich anpreisender und auf verschiedenen Ebenen das Werk legitimierender Charakter und ihr theoretischer, didaktischer Anspruch, der über das vorliegende Werk hinausweist. Vorreden können konkret werbende Aussagen enthalten, die in vielversprechenden, teils topischen Ankündigungen über den Wert der Schrift bestehen. Es erscheint jedoch angezeigt, den empfehlenden Charakter der Texte weiter zu fassen und zu untersuchen, inwieweit die Darstellung des Stoffes, der Quellen oder der Intentionen des Verfassers ebenfalls primär daraufhin ausgerichtet ist, den Erwartungen der potentiellen Leser zu entsprechen. Überspitzt formuliert: alle Aussagen der Vorreden können gefärbt sein und müssen unter diesem Aspekt kritisch befragt werden. Es sollen in dieser Arbeit (zumindest punktuell) die Vorreden mit dem Werk selbst konfrontiert werden. Dabei wird sich herausstellen, daß gelegentlich deutliche Diskrepanzen zwischen den Ankündigungen der Vorrede - auch dort, wo sie sich sachlich-neutral gibt - und der Realisation bestehen. Diese Differenzen, die sowohl in Fehlinformationen als auch in >Lücken< ihren Ausdruck finden, sind zu erklären und zu interpretieren. Es liegt nahe, eine Hauptursache darin zu sehen, daß die Verfasser in der Vorrede das Werk in einem möglichst günstigen Licht darstellen und im voraus bestimmte Kritik abwenden wollen. Geht man davon aus, daß die Absicht, für das Werk zu werben, die Vorrede wesentlich prägt, so muß das Verhältnis von >zweckfreier< Information und selektierten, auf die Erwartung des Rezipienten abzielenden Aussagen stets und für alle Teile der Vorrede in den Blick genommen werden. Übertriebene Überhöhung des Inhalts wie Hinweise auf den didaktischen Gehalt oder Leugnung grobianischer Elemente spielen dabei ebenso

12 13

Ebd., S. 36. Ebd., S. 37.

5 eine Rolle wie Quellenberufung oder -negierung und die Vermittlung der Autorintentionen. Von daher kann auch der Rückschluß auf die Erwartungen der Rezipienten als ein zentrales Forschungsinteresse an der Vorrede gelten. Unabhängig davon, ob das Werk hält, was die Vorrede verspricht, ist es für das zeitgenössische Literaturverständnis relevant, mit welchen Strategien und Argumenten die Herausgeber ihre Werke empfehlen, welche Elemente ihrer Werke sie herausstreichen und welche sie verleugnen. Sowohl in ihrer einleitenden als auch in ihrer werbenden Funktion trägt die Vorrede zum Verständnis von Werk und Autor bei. Wichtig ist jedoch, daß beide Funktionen deutlich voneinander unterschieden werden. Möglich wird dies durch den Vergleich auf der Grundlage eines breiten Spektrums von Texten. Wer nur eine Vorrede kennt, ist eher geneigt, dem Autor Glauben zu schenken, als der, der sie im Kontext ähnlicher Vorreden sieht und von daher in der Lage ist, Topoi und Strategien zu erkennen, die gegebenenfalls den Aussagewert relativieren. Die Entscheidung, >ob man der Vorrede trauen könneEinschübe< können einen Anknüpfungspunkt im Inhalt oder Gegenstand der Sammlungen haben, bilden aber doch einen eigenständigen Komplex, der nicht selten den Rahmen einer >Werkeinführung< sprengt. Die Vorrede wird funktionalisiert zum Forum religiöser Verkündigung oder öffentlicher Meinungsäußerung und liefert so einen Beitrag zur Frömmigkeits- und Kulturgeschichte ihrer Zeit.

6 1.3. Stand und Möglichkeiten der Vorreden-Forschung Aus den genannten Funktionen, die die Vorrede im 16. Jahrhundert wahrnimmt, begründet sich das Forschungsinteresse an dieser Textsorte. Es ist evident, daß für die Interpretation eines Werkes die Vorrede (falls vorhanden) herangezogen werden muß, speziell dann, wenn der Verfasser dort Hinweise zum Textverständnis gibt. 14 Die Vorrede ist in diesem Zusammenhang im Kontext des Werkes zu sehen und mit diesem zu konfrontieren. Dabei erweisen sich die Ergebnisse oftmals als hilfreich, auch wenn gelegentlich eine deutliche Diskrepanz zwischen Werk und Vorrede zu konstatieren ist, die auf der Vielfalt der Vorreden-Funktionen beruht. Insofern sie poetologische Fragen thematisieren, werden die Vorreden für umfassende und gattungsorienterte literaturtheoretische Untersuchungen relevant. Speziell bei Autoren, die exponiert oder gattungserneuernd gewirkt haben, 15 können die Vorreden zu zentralen gattungstheoretischen Texten werden. In dieser Hinsicht hat auch die Vorrede zu Sammelwerken und Schwankromanen des 16. Jahrhunderts in der Forschung Berücksichtigung erfahren.16 Kultur- und geistesgeschichtliche 17 oder buchgeschichtliche Arbeiten 18 haben die Vorreden als zeitgenössische Dokumente und Quellen zur Kenntnis genommen, wenn sie ihren Untersuchungsgegenstand dort behandelt gefunden haben.

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Es erübrigt sich schon hier auf die Sekundärliteratur zu Herman Bote, Jörg Wickram, Sebastian Franck, Johann Fischart, Martin Luther oder anderen Autoren detailliert einzugehen. Für das 16. Jahrhundert wäre vor allem auf die Fabeltheorie Martin Luthers und auf Johannes Agricolas Überlegungen zum Sprichwort zu verweisen. Vgl. vor allem Waltraut Briegel-Florig, Geschichte der Fabelforschung in Deutschland. Diss. Freiburg 1965 und Wolfgang Kayser, Die Grundlagen der deutschen Fabeldichtung des 16. und 18. Jahrhundert. In: Fabelforschung, hg. von Peter Hasubek. Darmstadt 1983 (WdF 572) sowie die Literatur zur Fabeltheorie Martin Luthers von Klaus Doderer; Klaus Düwel/Jörg Ohlemacher und Ernst Heinrich Rehermann/Ines Köhler, nachgewiesen im Literaturverzeichnis. Femer Willi Hirdt, Boccaccio und die deutsche Kurzprosa des 16. Jahrhundert. In: Handbuch der deutschen Erzählung. Düsseldorf 1981; Werner Röcke, Die Freude am Bösen. Studien zu einer Poetik des deutschen Schwankromans im Spätmittelalter. München 1987; ders., Wahrheit und >eigenes< Erleben. Zur Poetik von Schwankdichtung und Schelmenroman im 16.-17. Jahrhundert. In: Der deutsche Schelmenroman im europäischen Kontext, hg. von Gerhart Hoffmeister. Amsterdam 1987 (Chloe 5); Volkserzählung und Reformation, hg. von Wolfgang Brückner. Berlin 1974, Barbara Könnecker, Satire im 16. Jahrhundert. München 1991 (Epoche, Werk, Wirkung). Heinz-Günther Schmitz, Physiologie des Scherzes. Hildesheim 1972; Joachim Knape, >Historie< in Mittelalter und Früher Neuzeit. Baden-Baden 1984. Herbert Volkmann, Der deutsche Romantitel (1470-1770). Eine buch- und literargeschichtliche Untersuchung. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 8 (1967). Sp. 1145-1324; Wemer Kienitz, Formen literarischer Ankündigungen. Diss. Köln 1930, hier allerdings nur wenig zur Vorrede.

7 Unter einer primär literatursoziologischen Fragestellung hat Barbara Weinmayer 1 9 die Vorreden volkssprachiger Prosaliteratur des 15. Jahrhunderts untersucht und dabei weiterführende Einsichten in die Rezeptionsbedingungen, Erwartungen des Publikums und Strategien der Autoren gewinnen können. Alle diese Arbeiten ziehen die Vorreden heran, weil sie dort Antworten auf interpretatorische, poetologische oder rezeptionsgeschichtliche Fragestellungen suchen und finden. Die Vorrede des 16. Jahrhunderts als eigene Textsorte hat bisher nur Karl Schottenloher einer Untersuchung für wert gehalten. 20 Aus der Analyse von 390 meist lateinischen Widmungsanreden, erschienen zwischen 1501 und 1585, zieht er Rückschlüsse auf die Rolle und das Selbstverständnis humanistischer Autoren (»Die gesellschaftliche Bedeutung der Widmungsvorreden«) 21 und wertet sie unter den Überschriften: Schrifttum und Buchwesen, Lebensgeschichtliches und Selbstzeugnisse, Humanismus und Reformation, Schulwesen und Universitäten, Wissenschaftspflege, deutsche Beziehungen zum Ausland und Zeitgeschichtliches als geschichtliche Quelle 22 aus. Ähnlich wie Barbara Weinmayer geht es ihm primär um rezeptionsgeschichtliche, literatursoziologische und kulturgeschichtliche Fragestellungen: »Worin besteht der Anreiz der Widmungsvorrede?« 23 oder »Was haben uns die Einleitungsbriefe von den Menschen und Dingen jener Zeit zu sagen?« 24 Demgegenüber tritt die Beschäftigung mit dem Kontext zum literarischen Werk weitgehend in den Hintergrund. Ein wesentlicher Teil (auch der im folgenden vorzustellenden Vorreden) wendet sich gezielt an hochgestellte Persönlichkeiten und Repräsentanten des öffentlichen Lebens: Regierende, Adlige oder städtische Amtspersonen, (potentielle) Gönner und Vorgesetzte der Autoren oder auch an gute Freunde. In stilistischer Manier eines Briefes werden diese, meist zu Beginn oder Beschluß der Vorrede, direkt angesprochen und mit dem Werk sowie den Intentionen des Verfassers vertraut gemacht. Die Beziehung, die zwischen Autor, Werk und Empfänger hergestellt wird, bewegt sich in einem sehr weiten Spektrum und kann in einer rein formalen Anrede und Zueignung bestehen, die weder zwischen Autor und Empfänger noch zwischen Empfänger und Werk eine konkrete Verbindung herstellt. Sie kann aber auch in einer ausführlichen Darlegung der Gründe für die Widmung ihren Ausdruck finden. Genannt werden dann: Dankbarkeit, freundschaftliche Beziehungen, Bitte um Förderung oder die An-

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Barbara Weinmayer, Studien zur Gebrauchssituation früher deutscher Druckprosa. Literarische Öffentlichkeit in Vorreden zu Augsburger Frühdrucken. München 1982. Allerdings thematisiert Schottenloher ausschließlich den Aspekt der Widmung und geht auf ihre weiteren Inhalte nicht ein. Schottenloher, S. 1 9 4 - 1 9 6 . Ebd., S. 1 9 6 - 2 3 2 . Ebd., S. 2. Ebd., S. 197.

8 nähme, daß der Empfänger ein besonderes Interesse an dem Werk haben könnte. Daß unabhängig von den angeführten Gründen die Autoren immer auch kommerzielle oder andere eigennützige Absichten mit der Widmung verbinden, gehört implizit zur Praxis des Widmungswesens und gilt für die Widmungsanreden aller Zeiten und Literaturen, wie vielfach dokumentiert ist. Den Ergebnissen dieser Arbeit vorausgreifend, sei bereits an dieser Stelle festgehalten, daß sich die Widmungsvorreden inhaltlich und strukturell nicht von anderen Formen der Vorreden (»An den Leser« oder »Vorrede« genannt) unterscheiden, außer daß sie um bestimmte Elemente ergänzt sind. Aus diesem Grund und im Hinblick auf die Arbeit von Schottenloher wird der >Widmungsteil< der Vorreden - sofern vorhanden - weitgehend unberücksichtigt bleiben. Bereits der knapp angelegte >Forschungsbericht< hat gezeigt, daß es für gewisse Forschungsinteressen durchaus lohnend sein kann, den Vorreden Aufmerksamkeit zu schenken, und daß die Literaturwissenschaft in Einzelfällen dies auch wahrgenommen hat. Der prinzipiell andere Ansatzpunkt dieser Arbeit ist es jedoch, nicht in den Vorreden gezielt Antworten auf bestimmte Fragen zu suchen, sondern in einem breit angelegten Vergleich zu zeigen, was die Vorreden ausgewählter Gattungen insgesamt und schwerpunktmäßig ansprechen. Sie selbst sind Gegenstand des Interesses. Durch eine Vorstellung ihrer Inhalte soll zunächst auf ihre Funktion geschlossen werden, davon ausgehend auch auf das literarische Leben der Zeit. Darüber hinaus, gewissermaßen als Nebeneffekt, werden die gattungstheoretischen Erkenntnisse, die die Beschäftigung mit den Vorreden ergeben, zu dokumentieren sein.

1.4. Textgrundlage Als Textgrundlage wurden die kompilierenden Sammelwerke des 16. Jahrhunderts gewählt: Exempelsammlung, Sprichwortsammlung, Fabelsammlung, Schwanksammlung und Schwankroman. 25 Kompilierende Werke dieser Art bestimmen zu einem wesentlichen Teil den volkssprachigen Buchmarkt der Zeit. Epische Kleinformen, die in der mittelalterlichen Literatur vornehmlich selbständig oder in andere Texte wie Epen oder Predigten integriert tradiert wurden, werden seit dem 16. Jahrhundert zunehmend in Sammelwerken vereint herausgegeben. Zwar erscheinen bereits 1349 als erste deutsche Fabelsammlung Der Edelstein von Ulrich Boner und später einige weitere deutsche Aesop-Berarbeitungen, 26 doch erlangen sie bei weitem nicht die Verbreitung wie 25

26

Auch wenn dieser nicht zu den Sammelwerken im engeren Sinne zu zählen ist, besteht er doch aus einer Aneinanderreihung einzelner >Historienkompilatorisch< einen negativen Klang hat - durchweg mit Anerkennung und Würdigung rechnen. Von daher steht auch der Verweis auf die Anlage der Werke und ihre Entstehung häufig im Zentrum der einleitenden Ausführungen der Sammler. Vorreden sind mittlerweile aus verschiedenen Gründen weitgehend aus der Mode gekommen. Doch finden wir Texte, die wenigstens teilweise ihre Funktion übernommen haben, gelegentlich noch in Anthologien und Sammlungen als Vor- oder Nachworte. Daraus läßt sich schließen, daß Kompilationsliteratur mehr als andere einer Einführung durch den Herausgeber bedarf. Dieser erklärt in der Regel zumindest, worin die Gemeinsamkeit der gesammelten Texte besteht, woher sie stammen und nach welchen Kriterien er sie ausgewählt hat. So gilt auch für das 16. Jahrhundert, daß kein Sammelwerk ohne Vorrede zum Leser gelangt. Oftmals enthalten sie verschiedene, aufeinanderfolgende Vorreden eines oder mehrerer Verfasser: Widmungs- und Leservorreden des Herausgebers, Vorreden älterer Auflagen, die tradiert werden, und Vorreden späterer Bearbeiter, Übersetzer oder Verleger. Die Vorrede kann sehr kurz sein, sie kann allerdings auch bis zu zwanzig Seiten umfassen, in Prosa oder Versform vorgelegt werden. Prinzipiell erfüllen die Vorreden zu Sammelwerken dieselben Funktionen wie die zu Verfasserwerken: »Es bleibt etwas zu sagen, außer dem Werk, über das Werk.« 28 Es gibt jedoch auch spezifische Fragestellungen für Vorreden der Kompilationsliteratur, und es wird zu zeigen sein, was die besondere Bedeutung der Vorrede zu Sammelwerken ausmacht.

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28

Vgl. Klaus Grubmüller, Meister Esopus. Untersuchung zur Geschichte und Funktion der Fabel im Mittelalter. München 1977. S. 411^134. Max Kommerell, Jean Paul. Frankfurt 1933. S. 159: über die Vorreden Jean Pauls.

10 Um das Spektrum der Vorreden zur Kompilationsliteratur des 16. Jahrhunderts insgesamt erkennbar zu machen, wurden Vorreden zu verschiedenen Gattungen herangezogen. Dabei strebt die Auswahl für die Fabelsammlungen sowie für die Schwankromane Vollständigkeit an, während für die Sprichwörterund die Schwanksammlungen eine repräsentative Auswahl getroffen werden mußte, die nur die bekanntesten und am weitesten verbreiteten Sammlungen berücksichtigt. Für das fast unüberschaubare Corpus der Exempel- und Prodigiensammlungen wurde weitgehend auf die Bestände der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, der Bayerischen Staatsbibliothek, der UB Tübingen und der Landesbibliothek Wiesbaden zurückgegriffen. Nur die gattungsüberschreitende Betrachtungsweise - die einen Verzicht auf absolute Vollständigkeit impliziert - ermöglichte es, Inhalte, Argumentationsmuster und Strukturen >der Vorrede< des 16. Jahrhunderts deutlich zu machen. Von daher versteht sich die vorliegende Arbeit als ein exemplarischer Zugriff auf das gesamte Textcorpus. Je nachdem, ob die Vorreden einer Gattung weitgehend individuell verschieden ausgeprägt sind oder sich Themenkomplexe herausgebildet haben, zu denen alle Herausgeber Stellung nehmen, werden sie in den einzelnen Kapiteln gesondert oder nach einer inhaltlichen Gliederung vorgestellt. Leitend aber werden immer die Fragen sein: Was sagen die Vorreden aus, und in welchem Kontext sind sie zu lesen? Was läßt sich daraus über die Werke, über die Gattung, über die Funktion von Literatur oder die Erwartungen der zeitgenösssischen Rezipienten schließen? Besondere Berücksichtigung soll dabei die Überlegung erfahren, inwiefern und inwieweit die Autoren in ihrer Argumentation eigenständige und neue Wege gehen oder auf überlieferte und bekannte Topoi der lateinischen und mittelalterlichen Proemium-Tradition zurückgreifen. Diese Topoi, die auch noch das Denken und Schreiben der frühneuzeitlichen Autoren prägen und zugleich den Erwartungshorizont ihres Publikums bestimmen, sind keineswegs als >b!oße Rhetorik< zu begreifen, deren Ernst und Glaubwürdigkeit in Zweifel gezogen werden müßte, doch wird gerade im Kontrast dazu, das Individuelle und Besondere der einzelnen Vorreden herauszustellen sein.

2.

Mit ander Leute Schaden wird man klug

2.1. Die protestantische Exempelsammlung Zu den Sammelwerken, die in der geistlichen Literatur des 16. Jahrhunderts weite Verbreitung erfahren, gehört die protestantische Exempelsammlung. In oft mehrbändigen Werken werden immer von neuem unzählige biblische und antike Stoffe, historische Berichte, Anekdoten, Wunder- und Schauergeschichten, naturkundliche Beschreibungen, Legenden, Schwänke oder Fabeln gesammelt, übersetzt, nacherzählt oder abgeschrieben und nach bestimmten Gesichtspunkten geordnet unter die Gelehrten oder das Volk gebracht. Sie stehen im Dienste christlicher Didaxe und werden zum Arbeitsmittel für Prediger und Geistliche. Schnell aufeinanderfolgende Ergänzungsbände und hohe Auflagen 1 lassen auf große Publikumswirksamkeit schließen. Diese Sammlungen stehen in der Tradition der antiken und mittelalterlichen Exempelliteratur und kompilieren Erzählstoffe der Bibel (überwiegend des Alten Testamentes), der Kirchenväter, der Schriften antiker und spätantiker Autoren, mittelalterlicher Exempel- und Legendensammler. Außerdem hat die zeitgenössische Historiographie als eine primäre Stoffquelle der protestantischen Exempelliteratur zu gelten. 2 Einen populär gewordenen Vorläufer hat die protestantische Exempelsammlung in den seit dem 14. Jahrhundert zunächst in lateinischer Sprache verbreiteten Gesta Romanorum. Diese Sammlung, in verschiedenen Fassungen überliefert, enthält bis zu 240 Exempel aus der römischen Geschichte, aber auch aus der Bibel, der Hagiographie, der Chronistik, der Mythologie und Tierdichtung, denen zum Teil sehr ausführliche geistliche Auslegungen beigegeben sind. Allerdings werden die anonym erschienenen Gesta Romanorum auch in ihren deutschen Übersetzungen des 15. und 16. Jahrhunderts in der Regel ohne Vorrede herausgegeben 3 und lassen sich von daher nicht für einen Vergleich heranziehen.

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Die 1568 von Andreas Hondorff herausgegebene Sammlung Promptuarium Exemplorum erfuhr bis zum Ende des 17. Jahrhunderts 40 Auflagen und Bearbeitungen. Dazu: Emst Heinrich Rehermann, Die protestantischen Exempelsammlungen des 16. Jahrhunderts. In: Volkserzählung und Reformation, hg. von Wolfgang Brückner. Berlin 1974. S. 597. Vgl. ebd., S. 583-588. Vgl. Gesta Romanorum, hg. von Herman Österley. Berlin 1872. S. 197-236: Verzeichnis der mittelhochdeutschen Handschriften. Zur Überlieferung der Gesta Romanorum vgl.

12 Inhaltlich beziehen sich die Exempel eindeutig auf historisches, für wahr gehaltenes Geschehen, nicht auf fiktionale Elemente. Dies erweist sich als ein entscheidendes Kriterium, das für die Argumentation der Vorredenschreiber von besonderer Bedeutung sein wird. Charakteristisch für die Exempelsammlungen ist darüber hinaus die Tatsache, daß die Gemeinsamkeit aller dort vereinten Einzeltexte nicht wie bei Fabel-, Sprichwort- oder Schwanksammlungen in der literarischen Form bzw. Gattung liegt. Die Aufzählung dessen, was eine Exempelsammlung alles enthalten kann, hat bereits gezeigt, daß zum Exempel im Prinzip jede literarische Kleinform werden kann, da weder Inhalt noch Form, sondern allein die Erfüllung einer bestimmten Funktion einen Text zum Exempel macht. Über diesen funktionalen Exempelbegriff herrscht in der neueren Forschung weitgehend Einigkeit, 4 und man ist - in Ermangelung anderer stichhaltiger Kriterien - zu Recht dazu übergegangen, als Exempel das zu bezeichnen, »was als Exempel für etwas anderes dient«. 5 »Seiner eigentlichen rhetorischen Bestimmung nach tritt das Exemplum in eine pragmatische Situation, die sich dadurch bestimmt, daß sie noch offen ist und eine Entscheidung verlangt. Pragmatische Situation und Ausgangssituation des Exemplums sind isomorph. Sofern gegebene Situation und Exemplum durch Isomorphie verbunden sind, läßt sich der Ausgang des Exemplums begreifen als Vorgriff auf den Ausgang der eigenen Situation. Das Exemplum zeigt, wohin es führen muß, wenn man sich in einer gegebenen Situation so oder so entscheidet.« 6 Definiert man so, ergibt sich zwingend, daß das Exempel auf einen gewissen Kontext angewiesen ist, aus dem heraus es erst seine Bedeutung gewinnen kann: sei es innerhalb eines anderen Textes, etwa einer Predigt, sei es in Sammlungen, die durch eine inhaltliche Ordnung oder thematische Spezifizierung dem einzelnen Exempel Verdeutlichungs- oder Beweisfunktionen zuschreiben. »Exemplum ist ein Kunstausdruck der antiken Rhetorik seit Aristoteles und bedeutet eingelegte Geschichte als BelegPancatantra< zum >Dekameronloci communesc Wolfgang Brückner, Historien und Historie. Erzählliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts als Forschungsaufgabe. In: Volkserzählung und Reformation, S. 53-63. Wachinger stellt für das Promptuarium Hondorffs fest: »Im allgemeinen freilich entzieht sich Hondorff einer Problematisierung seines Exempelmaterials dadurch, daß er nur das factum brutum erzählt. Mag der Leser zusehen, wie er mit den Spannungen zwischen Beispielmaterial und sinngebender Kapiteleinteilung zurecht kommt.«, Burghart Wachinger, Der Dekalog als Ordnungsschema für Exempelsammlungen. In: Exempel und Exempelsammlung, S. 239-263, hier S. 247. Dort auch Überlegungen dazu, warum der Dekalog in den protestantischen Sammlungen das mittelalterliche Prinzip (Ordnung nach Tugenden und Lastern in systematischem oder alphabetischem Aufbau, z.B. bei Johannes Gobij Junior, Scala celi; Henmannus Bononiensis, Viaticum narrationum; Johannes Herolt, Promptuarium exemplorum) völlig verdrängt hat.

14 hannes Manlius (1563), die Beispiele, Anekdoten und Aussprüche von Philipp Melanchthon vereint und der »zeitgenössischen Mode der dicta et facta virorum illustrium«n folgt, als auch die Prodigiensammlungen und die Kirchenund Heiligenkalender Berücksichtigung. Thematisch eingegrenzt, aber der selben formalen Anlage und Intention folgend, verzeichnen diese Werke ebenfalls Beispielerzählungen mit Exempelfunktion, so daß sie unter diese Gattung subsumiert werden können. Auch wird die Betrachtung der Vorreden zeigen, daß es hier - bei allen Unterschieden - deutliche Parallelen gibt, die dieses Vorgehen rechtfertigen. Prodigiensammlungen enthalten kurze Notizen über >WunderzeichenKirchen- und Heiligenkalender< bezeichneten Sammlungen, die es auch aus der Feder protestantischer Geistlicher gibt, erinnern an die Tugenden der Heiligen und Märtyrer und kompilieren Exempel vorbildhafter Lebensführung. Die lutherischen Kirchen haben zwar einen großen Teil der Heiligen-Gedenktage abgeschafft, im Gegensatz zu den reformierten jedoch »eine nicht kleine Zahl beibehalten«. 13 Beibehalten werden »diejenigen Feste, die darum verordnet und eingesetzt [sind], dass sie erinnerung sind etlicher historien, darinne fürneme artikel christlicher lehr und glaubens gegründet sind«. 14 Für die Vorreden der Exempelsammlungen hat sich ein feststehender Kanon von theologischen und didaktischen Reflexionen herausgebildet. Es sind ganz bestimmte, sich wiederholende Fragestellungen, die von den Autoren und Herausgebern immer wieder thematisiert werden und auf denen sie aufbauen, um einen theoretischen Kontext für ihr Werk bzw. die Exempelsammlung im allgemeinen zu konstituieren. Anhand einer systematischen Darstellung dieser Überlegungen, beruhend auf der Analyse von dreiundzwanzig Vorreden zu vierzehn Exempelsammlungen, 15 soll im folgenden gezeigt werden, welche Themen dies sind, welche Inhalte damit vermittelt werden und welche Absichten die Autoren dabei verfolgen. Insgesamt wird sich daraus ein Uberblick über Anlage und Funktion der Vorreden zu Exempelsammlungen gewinnen lassen.

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15

Rehermann (1974), S. 628. Siehe unten S. 31. Dazu Rudolf Schenda, Die deutschen Prodigiensammlungen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 4 (1963), S. 6 3 8 710, dort auch eine umfassende Bibliographie. Hans-Henrik Krummacher, Der junge Gryphius und die Tradition. München 1976. S. 175. Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, hg. von Emil Sehling. Leipzig/Tübingen 1902ff. Zit. nach Krummacher, ebd., S. 175. Eine äußerst hilfreiche bibliographische Zusammenstellung, an der ich mich bei Auswahl der Texte im wesentlichen orientiert habe, findet sich bei Rehermann (1974), S. 630-645.

15 Dem vorangestellt sei eine kurze Vorstellung aller berücksichtigten Vorreden in chronologischer Reihenfolge mit knapper Darstellung ihres Inhalts. Damit soll zum einen eine Vorstellung von Aufbau und Struktur der einzelnen Texte vermittelt werden, zum anderen ein erster Eindruck von den behandelten Themen und ihrer Wertigkeit entstehen.

2.2. 2.2.1.

Quellen Exempelliteratur

Huldreich Ragor 1 6 Locorum Communium / Der Erste Theil [...] erstlich im Latein [...] durch Johannem Manlium, 1566. 1. Bekenntnis zur Reformation. Lobrede auf Melanchthon und Manlius. Vorstellung der literarischen Vorlagen. Lob der schriftlichen Überlieferung. Relativ knapp: eigene Leistung, Intention, 17 Entstehung, Adressaten. Widmung. 2. Vorrede von Johannes Manlius (1565): überwiegend theologische Abhandlung, längere Predigt über Jes. Sir. 30 mit zahlreichen erläuternden Bildern und Exempeln. Gebet. Widmung. Locorum Communium / Der Ander Theil..., 1566. (Titelblatt verdruckt: 1556) 1. Von der Pflicht der Gläubigen, Gottes Wort zu studieren. Ausführliche Würdigung Melanchthons. Vom Wert der schriftlichen Überlieferung und der Exempel. Entstehung, Inhalt, Ordnung, Adressaten. Andreas Hondorff Promptuarium Exemplorum, 1568. 1. Widmungsvorrede: von der Bedeutung der Historie als Weltspiegel mit didaktischer Funktion. Intention (knapp). Widmung. 2. Leservorrede: von der Bedeutung der 10 Gebote. Vom Nutzen und der Funktion der Exempel. Intention, Adressaten, Entstehung. Bitte um freundliche Aufnahme des Werkes. Gebet.

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Gezählt werden die einzelnen Vorreden. Falls kein Verfasser genannt ist, handelt es sich um den Herausgeber der Sammlung. Grundsätzlich ist für die Exempelsammlungen festzuhalten, daß die genannten >Urheber< mehr >Herausgeber< denn >Autoren< sind. Es wird im folgenden dennoch immer wieder von >Verfassern< die Rede sein, da sich die Ausführungen primär auf die Vorreden beziehen. Ich verwende im folgenden einige Stichworte, die so zu verstehen sind: >IntentionEntstehungAdressatenc bestimmte Rezipienten werden vom Autor besonders angesprochen, >InhaltWunder< und seinen lateinischen Entsprechungen. Wahrheitsanspruch der Zeichen. Intention. 3. Vorrede von Conrad Lycosthenes: Predigt über Gottes Güte und seinen Zorn mit ausführlichen Zitaten aus dem Alten Testament. Von der Bedeutung und Wahrheit der Wunderzeichen. Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Erklärungen. Quellen, Ordnung, Intention. Vom richtigen Umgang mit den Vorzeichen. Widmung. Caspar Goltwurm Wunderwerck und Wunderzeichen Buch, 1557. Die Aussagen der Bibel zu Wunderzeichen. Inhalt, Intention. Vom richtigen Umgang mit den Weissagungen und Vorzeichen. Widmung.

2.2.3.

Kirchen-

und

Heiligenkalender

Caspar Goltwurm Kirchen Calender, 1559. Inhalt, Intention. Tradition der Heiligenviten. Legendenkritik. Vom richtigen Umgang mit den Überlieferungen und was man daraus lernen kann. Vierzehn kurze Viten von Tyrannen zur Warnung aller Christenverfolger. Widmung.

18 Andreas Hondorff Calendarium Sanctorum et Historiarum, 1573. 18 1. Vorrede von Vincent Sturm: ausführliche Predigt über 1. Petrus 4 (vom Ausharren in der Verfolgung). Entstehung, Inhalt, Intention, Legitimation der Legende in Anlehnung an Luther. Vom Lehren durch Exempel. Ausführliche Widmung. 2. Vorrede von Hondorff: Inhalt, Quellen. Kritische Auseinandersetzung mit der Legende. Intention, Adressaten. Bitte um freundliche Aufnahme. Gebet.

2.3.

Vorredenthematik

2.3.1.

Vom Nutzen der

Exempel

Was alle Exempelsammlungen miteinander verbindet, ist die Intention ihrer Autoren, das Bemühen, die Menschen durch Beispiele zu belehren und moralisch zu erziehen. Sie reihen Text an Text zum einen in der Absicht, christliche Gebote und Dogmen auszulegen und anschaulich zu machen, zum andern, um zwingend die Dringlichkeit zu beweisen, daß diese Gesetze zu halten seien, wenn man nicht Gottes Strafgericht anheimfallen will. Die Exempel wollen vor allem Vorbilder oder abschreckende Beispiele sein. Ihr Ziel ist es nicht, neue Inhalte zu formulieren, sondern Altbekanntes zu fordern und praktikable Handlungsanweisungen zu geben. Daß allein darin weder die Einzeltexte noch die Sammlungen insgesamt aufgehen, sondern daß in jedem Fall auch ein Erzählüberschuß entsteht, der das Unterhaltungsbedürfnis und die Sensationslust des Publikums befriedigen soll, den Sammeleifer und Bildung der Autoren beweisen oder konfessionelle Polemik transportieren kann, steht außer Frage. Doch muß primär das didaktische Anliegen der Autoren ernst genommen werden. Prodesse und delectare stehen in funktionellem Zusammenhang. Dabei besteht der >Lehrstoff< nicht nur in dem zu beweisenden moralischen Gehalt des jeweiligen Exempels, sondern betrifft auch ein zusätzliches katechetisches Wissen, das darüber hinaus vermittelt werden soll. So zeichnen sich nicht wenige der Vorreden durch längere theologische Exkurse aus und rücken damit deutlich in die Nähe von Predigten. Der thematische Schwerpunkt der Vorreden zu den Exempelsammlungen liegt eindeutig auf dem Bemühen der Autoren, das Erzählen von Geschichten als geeignetes didaktisches Hilfsmittel herauszustellen. Es sei bereits hier dar-

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Die Legendensammlung konnte Hondorff selber nicht mehr zu Ende bringen. Sie wurde von dem Freund und späteren Herausgeber seiner Werke, Vincent Sturm, fertiggestellt. Eine kurze Vorrede entstand vor Beendigung der Arbeit.

19 auf verwiesen, daß dieses Thema auch in den Vorreden anderer Gattungen wie Fabel- oder Schwanksammlung eine wichtige Rolle spielen wird. Während jedoch dort vor allem die Methode gepriesen wird, die es versteht, eine Lehre geschickt zu >verpackenHistorie< Wert gelegt: Ragor, Locorum Communium [...] allerley [...] Historien', Hondorff, Promptuarium Exemplorum / Das ist: Historien und Exempelbuch; Bütner, Epitome Historiarum. Christlicher Ausgelesener Historien und Geschichten; Rivander, Der Ander Theil Promptuarium Exemplorum, Darinnen viel Herrliche Schöne Historien.... Innerhalb der Vorreden findet sich fast auf jeder Seite eine synonyme bzw. paarweise Verwendung der Begriffe >Historie< und >ExempelHistorie< eine breit angelegte Untersuchung gewidmet. In umfassenden Quellenstudien und Textanalysen geht er der Bedeutung und den unterschiedlichen Verwendungszusammenhängen der Historia als literarischem Terminus technicus in der lateinischen und deutschsprachigen Literatur nach. Speziell für das 16. Jahrhundert stellt er fest, daß sich der Begriff in bislang nicht gekannter Weise ausbreitet und zu einem

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Ragor, Locorum Communium / Der Ander Theil, fol. a VIv (unpag.). Hondorff, 1568, Widmungsvorrede, fol. Hr. Ders., 1574, Vorrede des Typographen, S. 1 (unpag.). Steinhart, Widmungsvorrede, fol. (a) IIv. Hondorff, Calendarium Sanctorum, Vorrede von Sturm, fol. Mir. Joachim Knape, >Historie< in Mittelalter und Früher Neuzeit. Baden-Baden 1984.

20 Schlüsselbegriff im Bereich narrativer Literatur wird. Dabei sind zwei wesentlich verschiedene Bedeutungskomplexe zu konstatieren. 1. Die historia als geschichtliche Darstellung, wozu auch die Bibel zu rechnen ist: »In der ursprünglichen antiken und stets weitervermittelten Kern-Tradition bedeutet historia ein Werk, in dem bestimmte (geschichtliche) Ereignisse dem Gedächtnis der Nachwelt überliefert werden. Bedeutungskomponenten, und das heißt in der Praxis, Kriterien für die Wahl des Namens historia, sind verbürgter Stoff (geschehene oder doch wahrscheinliche Ereignisse, res gestae), ethisch-didaktischer Anspruch (Wahrheitspostulat und Nutzen für den Hörer bzw. Leser) sowie narrative oder epische Darbietungsform.« 25 Allerdings finden sich auch Belege, die andeuten, daß »der Begriff Historie im Bewußtsein der Zeitgenossen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keineswegs mehr unbedingt mit Faktenwahrheit verknüpft war«. 26 Wichtiger als Faktizität ist der Sinn, d.h. >die höhere WahrheitHistorien< bezeichnet. Auf diese Tradition geht die Verwendung des Begriffes in den Schwanksammlungen und Schwankromanen zurück, wo er sich weit von der eigentlichen res gestae-Tradition und ihrem didaktischen Anspruch entfernt hat. 30

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Ebd., S. 195. Ebd., S. 363. Martin Luther, Von der Winkelmesse und Pfaffenweihe. 1533. Weimarer Ausgabe. Weimar 1883-1963. Bd. 38. S. 241. Zit. nach Knape, S. 363. Vgl. Wolfgang Brückner, Historie, Historienliteratur. In: Enzyklopädie des Märchens. Bd. 6, Sp. 1089. Ebd., Sp. 1090 Begriffsgeschichtlich ist zu berücksichtigen, daß die Drucker der ersten Zeit offenbar glaubten, »mit >Historie< den adäquaten Terminus gefunden zu haben, mit dem sie alle in Prosa geschriebenen und eine Geschichte erzählenden Werke bezeichnen konnten.«, Knape, S. 391. Gemeint sind Erzählungen um Stoffe wie >Magelone01ivier und ArtusAmadis< etc., die alle >Historia< im Titel führen.

21 Der Historienbegriff, wie ihn die Exempelsammler in den Vorreden verwenden, bezieht sich dagegen ausdrücklich auf die überlieferte Vorstellung, daß es nützlich und didaktisch wertvoll sei, Berichte von historischen Ereignissen als Exempel zu lesen, um darin Vorbilder, abschreckende Beispiele oder Trost zu finden: historia magistra vitae (Cicero). 31 »Was das Exemplum impliziert, ist der moralische Satz. Worin es sich expliziert, sein Medium ist die Geschichte.« 32 Die Einschätzung der Geschichte als >Lehrmeisterin< hat unter dem Einfluß des Humanismus und der Bildungsbestrebungen der Reformation seit Beginn des 16. Jahrhunderts eine bedeutende Aufwertung erfahren. 33 Und so weisen nicht nur die Verfasser chronographischer Historien 34 sondern auch die Exempelsammler in ihren Vorreden deutlich auf den theologischen und didaktischen Nutzen der von ihnen zusammengestellten Texte hin. Es wird zu zeigen sein, daß sie den didaktischen Wert, den die Geschichtsschreiber ihren Werken zumessen, auch für ihre Sammlungen in Anspruch nehmen - so wie es beispielsweise Martin Luther in seiner Vorrede zu Wenzel Links Übersetzung der Historia Galeatii Capeila (1538) formuliert: Darumb ists es ein seer köstlich ding umb die Historien. [...] Und wenn mans gründlich besinnet. So sind aus den Historien und Geschichten fasst alle rechte, kunst, guter Rat, warnung, drewen, schrecken, trösten, Sterken, Unterricht, fürsichtigkeit, Weisheit, klugheit sampt allen tugenden etc. als aus einem lebendigen brunnen gequollen. 3 5

Der Funktionalisierung des Exempels in der antiken Rhetorik und Literatur lag die Vorstellung zugrunde, daß das, was sich in der Geschichte ereignet, nicht einmalig sei, sondern sich wiederhole: »Geschichtlich im Sinne des Aristoteles ist nicht das Einmalige, sondern das Wiederkehrende.« 36 Aufgrund dieser Annahme erlangt das Exempel dort antizipatorischen Charakter, der es dazu befähigt, handlungsanweisend zu wirken. Es kann aus der Geschichte gelernt werden, weil sie nach bestimmten Mustern verläuft. Für eine christliche >Exempeltheorie< erweitert sich dieses Geschichtsverständnis um eine heilsgeschichtliche Dimension. Ausgangspunkt von Luthers Argumentation ist eine auf Augustin basierende, primär theologische Geschichtsauffassung, für die sich in der Geschichte Gottes Wirken in der Welt manifestiert und die davon ausgeht, daß die geschichtliche Situation ständige Anforderung an den Gläubigen ist, sich in ihr zu bewähren. 37 Weltgeschichte 31 32 33

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Dazu u.a. Knape, S. 153ff., Schenda (1969), S. 69ff. Stierle, S. 356. Dazu Gregor Müller, Bildung und Erziehung im Humanismus der italienischen Renaissance. Wiesbaden 1969. S. 3 7 8 - 3 9 1 . Vgl. die Belege von Franck, Melanchthon u.a., die Knape auf S. 3 7 0 - 3 8 8 zusammengestellt hat. Luther, WA 50, S. 383f. Stierle, S. 358. Dazu Bernhard Lohse, Martin Luther. Eine Einführung in sein Werk. München 1982. S. 198-202.

22 (auch die der Antike) und Kirchengeschichte werden als Teil der Heilsgeschichte verstanden. Gott (und der Teufel) greifen direkt ins Weltgeschehen ein und bestimmen den Lauf der Dinge nach ihren Vorstellungen. Dafür legen die Historien Zeugnis ab: [...] die Historien sind nichts anders denn anzeigung, gedechtnis und merckmal Göttlicher werck und urteil, wie er die weit, sonderlich die Menschen, erhelt, regiert, hindert, fördert, straffet und ehret, nach dem ein iglicher verdienet, Böses oder Gutes. 3 8

Von daher ist die Überlieferung von Historien, d.h. von einzelnen Begebenheiten aus der Historie, besser als jede abstrakte Argumentation und moralische Belehrung dazu geeignet, die Menschen zu leiten und zum rechten Leben anzuhalten, denn sie führt anschaulich die Konsequenzen menschlichen Handelns vor Augen: Da findet man beide, wie die gethan, gelassen, gelebt haben, so from und weise gewest sind, und wie es inen gangen, oder wie sie belohnet sind, Aber widerumb, wie die gelebt haben, so böse und unverstendig gewest sind, und wie sie dafür bezalet sind. 3 9

Der konkrete Einzelfall wird zum Exempel und damit didaktisch verwertbar aufgrund der Überzeugung, daß man aus den Erfahrungen anderer lernen könne. Diese Vorstellung bleibt das überzeugendste Argument der Exempelsammler und wird zur legitimierenden Voraussetzung ihrer Arbeit schlechthin. Abgesehen davon jedoch, daß die Exempel vorführen, wie man sich in bestimmten Situationen richtig zu verhalten hat, werden sie zugleich selber zum Exempel dafür, daß sich Tugend auszahlt und das Laster seiner gerechten Strafe nicht entgeht, d.h. daß Gott die Guten belohnt, die Bösen bestraft. 40 Und ob gleich viel sind, die Gott nicht erkennen noch achten, Noch müssen sie sich an die Exempel und Historien stossen und fürchten, das inen nicht auch gehe, wie dem und dem, so durch die Historien werden fürgebildet, da durch sie herter bewegt werden, denn so man sie schlecht mit blossen worten des rechts oder Lere abhelt und inen weret. 4 1

Wie im folgenden detailliert zu zeigen sein wird, eignen sich die Herausgeber der Exempelsammlungen diese moralische Funktionalisierung der Geschichtsschreibung nicht nur in der Auswahl ihrer Texte (überwiegend Berichte über

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Luther, WA 50, S. 384. Ders., WA 50, S. 383. Man kann davon ausgehen, daß Luthers Argumentation, der sich die übrigen protestantischen Exempelsammler anschließen, in diesem Zusammenhang ganz auf eine reine Verhaltensethik konzentriert bleibt, die die Grundlagen seiner theologischen Rechtfertigungslehre nicht tangiert. »Die einseitige Betonung des rächenden Gottes und die in der Struktur des Werkes angelegte Einengung des Sündenbegriffs auf einzelne böse Handlungen waren allerdings im Kontext reformatorischer Theologie nicht ganz unproblematisch. Vielleicht deshalb erschien eine Frankfurter Ausgabe von 1625 >sampt beygefügter außführlicher Unterweisung / wie dies Buch zu Christlichem unnd Gottseligen Gebrauch anzuwenden^ In dieser Unterweisung< wird die Notwendigkeit eines strengen Gesetzesund Sündenspiegels damit begründet, daß das Evangelium nur von reuigen Herzen recht aufgenommen werden könnte.« Wachinger (1991), S. 248. Luther, WA 50, S. 384.

23 angeblich faktisches Geschehen), sondern auch im theoretischen >Überbau< an. Grundtenor aller Vorreden ist die Aussage, daß »fürwar auff der Erden keine nützlichere Bücher sein / in welchen höhere Lehr / nötigere erinnerunge / und herrlichere Exempel begriffen werden / Als Historien«, 42 und die Verfasser bemühen sich durchweg, dies ausführlich darzulegen und zu begründen. Die umfangreichen Überlegungen zu diesem Thema konzentrieren sich im allgemeinen auf wenige Punkte und Argumentationsmuster, sie sind jedoch individuell unterschiedlich ausgearbeitet oder verknüpft. Die Verfasser haben sich nicht nur pro forma mit diesem Problem auseinandergesetzt. Sie verarbeiten die zeitgenössischen Topoi, kommen aber weitgehend ohne Floskeln oder standardisierte Beispiele aus. Grundsätzlich gehören die Ausführungen zum >Nutzen der Historie< in die Rubrik Legitimation des Werkesanerkannten< Gattung zugehören, weitaus weniger ausgesagt wird. Statt dessen erfolgt die Legitimation dort allein über die Funktionen prodesse et delectare. Wenn also vom >Nutzen der Historie< die Rede ist, so ist damit zugleich der Nutzen des Werkes gemeint, und der begründet sich zunächst einmal aus dem dokumentarischen Charakter: die Historie bietet, darauf wies schon Luther hin, ein Abbild der Welt. Wiederholt taucht in den Vorreden der Begriff des >Weltspiegels< auf, so bei Hondorff: [...] Historien / die man billich der Welt Spiegel nennen mag / denn es tregt sich kaum ein handel so wunderbarlich / und ein fall so seltzam zu / des man nicht gleiche Exempel etwa in den Historien beschrieben finde / wie sich dieselben begeben und zugetragen haben / was darauff erfolget sey / und was sie entlich für einen Ausgang und Endschaft genommen. 4 3 Daß man nun solcher Historien und Exempeln / einen guten vorrath haben möchte / darinnen mann zuersehen / welche nach den Gebotten gottes gehorsamlich gelebet / oder welche dieselben gröblich übertretten / und jederman sich gleich hierin zu spiegeln hette / Habe ich derwegen diß Promptuarium zusammen colligiert. 44 Jedoch geschieht es offt / daß solche blosse praeeepta unnd erinnerung / gantz ohne frucht geschehen / und vorüberfliehen / so sie nicht durch Exempel / Historien unnd Geschieht erkläret / und gleichsam als in einem Spiegel vorgebildet und vorgestellt werden. 45

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Hondorff, 1568, Widmungsvorrede, fol. Hr. Ebd. Ders., 1574, fol. IIIv. Ebd., Vorrede des Typographen, S. 1 (unpag.).

24 Auch bei Georg Steinhart heißt es: Es ist nach dem warhafftigen und göttlichen wort Gottes selbst / kein edeler / köstlicher / tewerer unnd lustiger Schatz und Frewde / der Seelen und des Geistes der Menschen auff Erden / als die Historien und Beschreibung der Geschieht / so von Anfang der Welt / biß auff unsere Zeiten / geschehen und fürgefallen sind. Denn darinnen sihet unnd hat man / wie in einem Spiegel / ein Theatrum und Schawplatz oder Gemeld / des gantzen Menschlichen Lebens. 4 6

Der Spiegelmetaphorik kommt in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Literatur (und natürlich nicht nur dort) sowohl in enzyklopädischem bzw. fachwissenschaftlichem wie in religiös-erbaulichem bzw. moral-didaktischem Schrifttum große Bedeutung zu. 47 Daher verdient es besonderer Erwähnung, daß auch Exempelsammler ihre Werke in diese Tradition der Spiegelliteratur stellen - selbst wenn der >Spiegel< hier nicht titelgebend ist. 48 Im allgemeinen findet die Spiegelmetapher in zweifacher Hinsicht Anwendung: als >faktischer SpiegelSpiegel< werden, 50 so wollen sie genau dies: ein Bild der Wirklichkeit entwerfen und den Leser dazu bringen, daraus Konsequenzen zu ziehen. Zeigt der >Spiegel< Vorbildhaftes, dann geht es um Nachahmung, zeigt er Abstoßendes, dann geht es darum, eben gerade anders zu handeln 51 - in jedem Fall will der Autor, daß nicht durch theoretisch formulierte Normen, sondern durch praktische Anschauung und Einsicht gelernt werde.

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50

51

Steinhart, Widmungsvorrede, fol. (a) Ilr. Zum Motiv des >Spiegel< in der Literatur: Herbert Grabes, Speculum, Mirror und Looking-Glass. Kontinuität und Originalität der Spielgelmetapher in den Buchtiteln des Mittelalters und in der englischen Literatur des 13. bis 17. Jahrhunderts. Tübingen 1973. Grabes zeigt darin u.a., wie sich die Vorstellungen von der Welt als Spiegel und der gespiegelten Welt mit moralisch-didaktischem Anspruch kontinuierlich durch die mittelalterliche und frühneuzeitliche Literatur ziehen. Spiegeltitel sind nach >liber< und >summa< die gebräuchlichsten Titel des Mittelalters. Vgl. Paul Lehmann, Mittelalterliche Büchertitel. In: Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 3 (1953), S. 29f. Grabes erwähnt darüberhinaus noch die »prognostischen« und die »phantastischen« Spiegel, vgl. S. 61-64. Es kann auch anderes zum >Spiegel< werden: Gott, die Welt und das Universum, der Mensch oder die Geschichte. Dazu ausführlich Grabes, S. 68-100. Wenn beispielsweise Boner im Prolog zur Fabelsammlung »Der Edelstein« die Natur als Spiegel vorstellt, so will er damit auf Gottes Vollkommenheit hinweisen. Siehe unten S. 57. So in den Narrenspiegeln und der Schwankliteratur.

25 Was die Historien theologisch und didaktisch leisten können, hatte man ebenfalls schon bei Luther gelesen: sie zeigen Gottes Wirken in der Welt und seine Reaktionen auf menschliches Verhalten bzw. Fehlverhalten. Denn die Historien sind nicht nur ein Spiegel der Welt, sondern auch ein »Spiegel Göttliches Zorns wider die Sünde«, 52 der die trifft, die seine Gebote mißachten. Man kann ihnen entnehmen, was Gott wohl gefällt und was ihn erzürnt, und aus diesem Grunde dienen sie vorzüglich als nachahmenswerte oder abschreckende Beispiele. Damit ist der Exempelcharakter der Historie im wesentlichen beschrieben, und es verwundert nicht, daß die Exempelsammler gerade diesem Punkt in den Vorreden die größte Aufmerksamkeit widmen. Keiner der Verfasser wird müde, immer wieder zu betonen, wie wichtig es sei, daß der Leser Kenntnis habe vom gegenwärtigen und vergangenen Geschehen in der Welt und aus diesem Wissen Konsequenzen ziehe für sein eigenes Leben. Hondorff hat es (lapidar) in den Satz gefaßt: »Mit ander Leute schaden wird man klug«. 53 Ausführlicher bedeutet das: Auß welchem denn gnugsam zuersehen / und abzunemen / daß die Historien erstlich unnd vornemlich darumb geschrieben sein / dieweil uns nicht müglich ist / daß wir auß weitleufftigkeit der Welt / und so viel Königreichen unnd Landen / alle ding mit den Augen sehen / und mit der That erfaren können / desgleichen unser Leben eine kurtze zeit auff Erden wehret / daß wir gleichwol durch solchen fleiß und erkündigung der Historien / der abwesenden / vergangenen / und weit geschehenen dinge/ eine warhafftige kundschaft und Wissenschaft haben möchten / dardurch wir denn einen solchen trefflichen nutz unnd vortheil erlangen / daß wir uns nit anders bedüncken lassen / So wir solche Geschieht und Historien lesen / sind wir nit als new gebome Leute / sondern vor alters / und viel hundert Jaren herkommen. 5 4 Sintemal die Historien Thaten und Exempel der Alten unnd unserer Vorfahren zu wissen / mechtig sehr nützet / beyde / ad imitationem boni & vitationem mali... 5 5

Bei Ragor gewinnt der Gedanke zusätzlich eine theologische Dimension, denn das abschreckende Beispiel führt den Menschen zur Erkenntnis des einzig wahren, seligmachenden Guten: Warumb hören und erfahren wir unfletiger grober Leut reden / rathschlege / handeln und wandeln? Solchs ja umb keiner Ursachen geschieht / denn daß wir auß den entgegen gesetzten Finsternissen des warhafftigen reinen Liechts herrligkeit besser uns erscheine / unnd wir solches erkennen. 5 6

Man muß sich in diesem Zusammenhang klarmachen, daß die Exempelsammlungen hier, bedingt durch ihre Aufgabe als >Erziehungswerk< wirken zu wollen, ein Gottesbild vertreten, das nicht unbedingt communis opinio reformatorischer Theologie entspricht. Die Vorstellung von einem berechenbaren Gott, der

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Rivander, 1587, fol. a IIIv. Hondorff, 1568, Widmungsvorrede, fol. Hr. Ders., 1574, fol. Hr. Steinhart, Widmungsvorede, fol. (a) IIv. Ragor, Locorum Communium / Der Ander Theil, fol. a Vir. (unpag.).

26 gerecht im S i n n e v o n richtend, auf T u g e n d B e l o h n u n g und auf S ü n d e Strafe f o l g e n läßt, e i g e n t l i c h a l s o a u s s c h l i e ß l i c h >werkgerecht< m i t den

Menschen

verfährt u n d v o r allem sich in gleicher Situation i m m e r w i e d e r g l e i c h verhalten wird, e r w e i s t sich als n o t w e n d i g , u m die G l ä u b i g e n z u m L e r n e n aus E x e m p e l n zu motivieren. Explizit wird d i e s e s s p e z i f i s c h e Gottesbild in keiner der Vorred e n reflektiert, d o c h nur unter A n e r k e n n u n g s o l c h e r P r ä m i s s e n k a n n der G l ä u b i g e sich an E x e m p e l n aus der G e s c h i c h t e orientieren. Z u g l e i c h g e h e n die A u toren w i e selbstverständlich d a v o n aus und lassen es sich w i e d e r u m durch die E x e m p e l bestätigen, daß der Lauf der Welt nicht d e m Zufall oder e i n e m willk ü r l i c h e n S c h i c k s a l u n t e r w o r f e n ist, s o n d e r n f e s t i n d e r H a n d G o t t e s l i e g t . A l l e s , w a s a u f d e r W e l t g e s c h i e h t , ist g o t t g e w o l l t . Historien unnd Exempel [...] in welchem die Welt und j e d e r m a n sehen köndt / daß ein Gott im H i m m e l sey / der auch Richter auff Erden / hat ein gerechtes A u g e / sihet alles / läßt kein gutes unbelohnet / und kein böses ungestrafft / Wie denn auch die Experientz und Erfahrung täglich bezeugt. 5 7 Endtlich sind die Historien ein gewiß Z e u g n i ß neben anderen / d a ß nicht von ungefehr sich alle ding zutragen / sondern daß ein Gott und Göttlich versehung sey / durch welche alle ding moderiert und regiert werden [...] d a ß die mehrer E x e m p e l sich verhalten nach Göttlichem Recht / [...] Welches denn ein gewisse anzeigung / d a ß ein Gott sey / welcher über seinen Gesetzen unnd Gebotten / verheissung und w a m u n g / mit ernst und steiff helt. 5 8 Weil in den Historien / E x e m p e l n / allerley erinnerunge und lehr fürgestelt werden / [...] Auch wie grossen erschrecklichen Sünden / grosse schreckliche straffe erfolget / Den F r o m m e n aber unnd Gottesfürchtigen / hinwieder auch gutes und wolthat wiederfahren / [...] D a s in s u m m a die Historien unnd Exempel j a so nötig zu haben und zu lesen / Als sonsten die Lehr und Gesetzbücher. 5 9 U n d auch das B ö s e kann v o n Gott k o m m e n , weil es b e s t i m m t e

(nützliche)

Funktionen übernimmt: [...] denn viel dinge geschehen auß Göttlichem verhengniß / uns zur erinnerung und besten / auff daß wir in der gleichen feilen / da sich die zutragen würden / uns selber sollen dardurch lernen erkennen / Wiewol auch viel ding d a r u m b geschehen / daß wir dadurch gezüchtigt und gestrafft werden / auff daß wir uns bessern / unnd mit der Welt nicht verdammt werden.60 Während die S a m m l u n g e n , die sich am D e k a l o g orientieren, überwiegend Exe m p e l zur A b s c h r e c k u n g enthalten, e i g n e n sich die Kirchen- und H e i l i g e n k a lender dazu, Vorbild- und Leitfiguren vorzustellen. D i e Vorreden w e i s e n deutlich darauf hin: [...] das dieselbigen den Christen zum Exempel und zum Spiegel f ü r die A u g e n gestelt / und z u s a m m e n geschrieben worden / auff das sie dadurch gereitzet und auch mutig gemacht würden. 6 1

57 58 59 60 61

Rivander, 1587, fol. a IIIv. Hondorff, 1574, Vorrede des Typographen, S. 1 (unpag.). Ders., 1568, fol. Hr. Ders., 1574, fol. IIv. Ders., Calendarium Sanctorum, S. 1 (unpag.).

27 Es sind auch allen Christlichen ständen zu Christlicher Unterweisung / und stärckung unseres Christlichen glaubens / nötig zu wissen / die warhafftigen und gegründten Historien der lieben Heiligen Gottes [...] als zu einem fürbilde denselbigen nachzufolgen. 6 2

Das zwiespältige Verhältnis der protestantischen Kirche zur Frage der Heiligenverehrung findet in diesem Zusammenhang Berücksichtigung, steht der Funktionalisierung der Legende bzw. der Heiligenvita jedoch grundsätzlich nicht im Wege. 63 So heißt es in der von Luther, Bugenhagen, Melanchthon u.a. unterzeichneten Wittenbergischen Reformation von 1545: [...] kann ein gottfürchtiger, gelehrter Prediger viel nützliche lehr aus ihren [der Heiligen] historien den leuten fürtragen. Erstlich, dass an ihnen zu lernen von der hohesten gnade und dem hohesten werk gottes, dass sich gott geoffenbart hat und ihnen [...] sein wort gegeben, und gewisse zeugniss dazu gethan. [...] Zum andern ist in aller heiligen historien das ganze kirchenregiment zu bedenken, dass er ihm für und für eine kirchen versammlet,viel beruft, stärkt etc. Zum dritten sind allerlei exempel göttlicher gnade an ihnen zu beachten. Zum vierten, wie er seine heiligen gestrafft, errett, und er das creutz geworfen und getröstet hat, davon sollen wir erkennen, wie er die heiligen regiert. Zum fünften sind sie selbs auch zu loben, dass sie gottes gaben fleissig behalten, haben ein züchtig leben geführt etc., haben studiert, gottes wort gelernt und geübt, welche tugenden uns ein exempel und vermahnung sein sollen. 6 4

Mit den katholischen Praktiken der Heiligenverehrung setzt sich Goltwurm kritisch und polemisch auseinander und lehnt jegliche Form der Anbetung von Heiligen ab. Das entscheidende lutherische Dogma, daß kein Mittler sei zwischen Gott und den Menschen außer Christus, wird von ihm uneingeschränkt anerkannt. Dazu beruft er sich allerdings nicht auf Luther, sondern auf die Kirchenväter Chrysostomus und Augustinus, die womöglich seine Ausführungen auch für Katholiken plausibel machen sollen. 65 Diese und andere gewisse Sprüche der heiligen Vätter / zeigen unnd lehren uns / daß wir keine Creatur auff Erden / lebendig oder todt / ja auch die Engel im Himmel nicht anbeten / sonder allein den einigen ewigen Gott / den Vatter unseres Heylandts Jesu Christi / sollen lernen erkennen und anruffen / wie er sich durch seinen lieben Son hat geoffenbart / und auff das verdienst desselbigen Heylands unnd Mitlers unser vertrauwen stellen und setzen / Welches auch alle Heiligen Gottes uns zum Exempel gethan und bewiesen haben. 6 6 62 63

64 65

66

Goltwurm, Kirchen Calender, fol. Α Ilrf. Dazu Annemarie und Wolfgang Brückner, Zeugen des Glaubens und ihre Literatur. In: Volkserzählung und Reformation, S. 525-540; Martin Scharfe, Der Heilige in der protestantischen Volksfrömmigkeit. In: Hessische Blätter für Volkskunde 60 (1969), S. 9 3 106; Helmut Rosenfeld, Legende. Stuttgart 1964. Vgl. auch die Ausführungen zur Vorrede von Johannes Agricola, s. unten S. 105. Sehling, S. 215. Zit. nach Krummacher, S. 175f. »Was die Bedeutung patristischen Schrifttums angeht, so gibt es im Luthertum des 16. und 17. Jahrhunderts, das von Anfang an, um sich als wahre Kirche zu rechtfertigen, auf den Nachweis der Übereinstimmung mit den Vätern der Kirche bedacht ist, eine ziemlich einhellige Meinung darüber, in welchem Sinne und in welchen Grenzen die Schriften der Väter Bedeutung haben und zugelassen werden können. Die testemonia patrum, sofern sie mit der reinen Lehre des Evangeliums übereinstimmen. [...] aber die Väter können, was die Väter selbst nicht gewollt haben, keine autoritative Geltung beanspruchen, sondern sind der Autorität der Schrift als Maßstab unterworfen.« Krummacher, S. 215. Goltwurm, Kirchenkalender, fol. A VIv. (ungez.).

28 Insgesamt gibt Goltwurms Einstellung die allgemeine reformatorische Ansicht zur Heiligenverehrung wieder: Heilige und Märtyrer sind zu bewundern und zwar nicht wegen ihres >äußerlichen< Lebens, sondern aufgrund ihres Glaubens, und weil sie um ihrer Uberzeugung willen gelitten haben. Dadurch werden sie zu einem fürbilde für jeden Christen. Will man ihnen Ehre erweisen, so folge man ihnen in ihrem Glauben und Handeln nach. Dagegen wird die Errichtung von Tempeln, Klöstern und »andere Abgöttisch Teuffelische dienst«, also rituelle Verehrung der Person, strikt verneint. Auch Vincent Sturm, der Herausgeber von Hondorffs Kirchenkalender, geht in seiner Vorrede grundsätzlich auf die Heiligenverehrung ein. Er beruft sich auf den Ausspruch Luthers, daß es zur Belehrung des Christen neben der Heiligen Schrift kein besseres Buch gebe als die Legenden und betont besonders die >Trostfunktionrichtiggeistigen Sinn des WortesWunder< hier abweichend von unserer heutigen Konnotierung - vor allem grausige und furchteinflößende Ereignisse zu verstehen sind. Prodigiensammlungen wie Johann Herold, Job Fincel, Caspar Goltwurm sie vorgelegt haben, nach Schenda die »raffinierteste Sensationsillustrierte des 16. Jahrhunderts«, 75 enthalten eine unüberschaubare Anzahl von Exempeln über Naturkatastrophen, Himmelszeichen, Unfälle, Seuchen, Mißgeburten, Kriege etc. und können sich nicht genugtun in der Anhäufung und Potenzierung der Schilderung von Angst und Schrecken. Doch es geht dabei nicht nur um Nervenkitzel und Befriedigung der Sensationslust: genau wie die Historien werden auch die Wunderzeichen nicht allein um ihrer selbst willen erzählt, sondern sollen, wie diese, eine didaktische Funktion erfüllen. Primär geht es darum, die Vorstellung von einem richtenden, zornigen, alttestamentarischen Gott anschaulich zu machen, der die Menschen schon zu Lebzeiten für ihr sündiges Verhalten bestraft und sich dazu der Naturereignisse und Katastrophen bedient. Weil er aber auch ein mitleidiger und verzeihender Gott ist, will er durch diese vergleichsweise >kleinen< Plagen die Menschen zunächst einmal nur warnen und aufrütteln, damit sie umkehren und später im Jüngsten Gericht nicht unter die ewige Verdammnis fallen. Mit diesen beiden wesentlichen Aspekten der Wunderzeichendeutung befassen sich die Vorreden der Sammlungen. Zugleich bieten sie den Autoren Gelegenheit, allgemeine Reflexionen über Zorn und Güte Gottes anzustellen

74 75

Ausführlich dazu im Kapitel über die Fabelsammlungen. Schenda (1963), S. 651.

32 und zur Buße zu mahnen. So könnte die von Fincel selber so genannte Vorrede über die Wunderzeichen, die neben einer Widmungsvorrede der Sammlung vorangestellt ist, als eine Abhandlung über die grundsätzliche Bedeutung der Wunderzeichen gelesen werden. Sie enthält keinerlei Hinweise auf das sich anschließende Werk und ist ein eigenständiger theoretischer Text. Wunderzeichen sind, darüber sind sich alle Verfasser einig, »Vorbotten [...] eins großen und eilenden Jammers«. 76 Zur Beglaubigung dieser Überzeugung können sie sich auf die Rede Christi von seinem Wiederkommen und dem Ende der Welt berufen, wie sie die drei Evangelisten Matthäus ( 2 4 , 1 ^ 2 ) , Markus (13) und Lukas (17,22-37; 2 1 , 5 - 3 6 ) fast wörtlich übereinstimmend überliefern. Dort wird von Christus selber prophezeit, daß dem Weltuntergang Zeichen vorausgehen werden: Kriege, Teuerungen, Epidemien, falsche Propheten, Erdbeben und Erscheinungen am Himmel. Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden zagen; denn das Meer und die Wasserwogen werden brausen, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der Dinge, die da kommen sollen über die ganze Erde; denn auch die Kräfte des Himmels werden ins Wanken kommen. (Luk 21.25-26) 7 7

Daran knüpfen die Herausgeber an: Sintemal unnd ye Christus / die ewig weyßheit selbs / uns angemhant [sie.] / das vil zeichen an Sonn / Mhon unnd anderm dem fewrigen gstim / kommen sollend. 7 8 Sonder er [Gott] predigt uns auch durch alle Creaturen und durch allerley Wunderwerck und zeichen / so am Himel / in den Elementen / und sonst auff Erden in allerley Sachen geschehen / und wunderbarlich sich zutragen / Dadurch gibt er uns gnediger und auch ernstlicher meynung zuverstehen / daß ers mit diser bawfelligen weit wolle ein mal ein ende machen / [...] Wie dann der Herr Christus uns selbs mit trewem ernst und fleiß auff solche verlauffene und geschehene Zeichen achtung zuhaben vermahnet und weiset / Matt. 24. Luc.21. Joel 2. 7 9

Die angegebene Stelle aus dem Prophetenbuch Joel 8 0 setzt Fincel als >Motto< an den Anfang seines Werkes: Joel am andern. Und nach diesem will ich meinen Geist ausgießen Uber alles Fleisch [...] und wil wunderzeichen geben im Himel und auf Erden / Nemlich / blut / fewer und rauch / dampff / die Sonne sol in Finsternis / und der Mond in blut verwandelt werden / ehe den der grosse unnd schröckliche tag des Herren kompt.

Die Autoren beschränken sich jedoch nicht darauf, die Zeichen nur auf den Jüngsten Tag zu beziehen, wie das die oben zitierten Bibelstellen strenggenommen nahelegen, sondern generalisieren und deuten Wunderzeichen als Vorboten göttlicher Strafen schlechthin:

76 77 78 79 80

Herold, Vorrede von Lycosthenes, fol. b 2r. Zit. nach Die Bibel [...] nach der Übersetzung Martin Luthers. Stuttgart 1967. Herold., Leservorrede, fol. a Vr. Caspar Goltwurm, Wunderwerck. fol. A Hr. Sie findet sich allerdings in Kap. 3,

33 Lieber sag mir / w a r u m b lesset sonst Gott so vil Wunderzeychen / geschehen / so sie nit künfftig Unglück bedeuten / Meinstu Gott spiel damit am himel / unnd wolle dir mit seltsamen Figuren die zeit vertreiben / wie man sonst lust halben gemeide ansieht / Nein / Gott thuts / dein steinern hertz damit zu erweichen / Denn dieweyl du weder drowung noch exempel achtest / steh er dir schröckliche gesicht für die äugen / ob du dich ein mal woltest bewegen lassen / und dich selbest schlahen. 8 1

Dafür, daß Gott mit Naturkatastrophen die Menschen straft und ihrem verwerflichen Tun so ein Ende bereiten will, findet sich im Alten Testament eine Reihe von Beispielen, an die immer wieder von allen Autoren erinnert wird: besonders häufig genannt sind die Sintflut und die Zerstörung Sodoms und Gomorrhas. Auch die Prophetenbücher, die die Vorreden ebenfalls intensiv auswerten, zeugen nach Ansicht der Verfasser davon, daß Gott richtend in das Geschehen auf der Erde eingreift. Lycosthenes greift außerdem auf eine apokryphe Schrift, die Esra-Apokalypse, zurück: Auch dorthin zeigt der Engel Gottes / das er d e m Eßdra / durch zeychen die Babylonische Zerstörung tröuwet / und sagt es werden vor gon. Seltzame der Sonnen scheyn bey der nacht / der Mhon aber im tag werd sich sehen lassen / holtz werde blut schwitzen / steyn reden / die mentschen werden z u s a m m e n rochlen / und einen zum Herren haben müssen / an den sie nit g ' d a c h t e n . 8 2

Die komprimierte Aneinanderreihung all dieser Zitate und Beispiele aus der Schrift dient dazu, Gottes Zorn und seine Strafen den Menschen plastisch vor Augen zu stellen. Wichtig ist jedoch, daß das Strafgericht nie unvermittelt gekommen ist, sondern immer erst nach einer langen Phase der Warnung durch Erscheinungen in der Natur oder durch berufene Prediger wie Noah, Lot, Moses, Abraham, Jesaja, Jeremia, Hesekiel u.a.. Aber die Menschen erwiesen sich meist als verstockt, nahmen die Zeichen nicht wahr, verspotteten die Mahner und konnten deshalb ihrer Strafe nicht entgehen. Deutlich führt Fincel dem Leser diesen Prozeß am Schicksal der Juden vor Augen: mit allen Mitteln hatte Gott versucht, sie auf den rechten Weg zu bringen. Ausführlich schildert er die Himmelszeichen, die nach den Überlieferungen des Josephus und Aegesippus vor der Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar zu sehen gewesen seien und die niemand ernst genommen habe; schließlich schickt er ihnen seinen einigen son - doch sie verachteten alle Prophezeiungen: »Derwegen sie Gott so schröcklich daheim sucht.« Vor diesem Hintergrund verstehen sich die Verfasser der Prodigienliteratur als Mahner und Bußprediger: Dise Miracula / Wunderwerck und Zeichen / hab ich ordentlich in dieses Buch in sechß theil verfasset / uns allen in diesen letzten Zeiten zu Christlicher und trewer warnung /

81 82

Fincel, Leservorrede, fol. Β IHIr. Herold, Vorrede von Lycosthenes, fol. b Hr. Vgl. Die Apokalypsen des Esra und des Baruch in deutscher Gestalt, hg. von B r u n o Violet. Leipzig 1924. (Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, 32) Esra-Apokalypse. Aus IV. Esra der Vulgata, Visio I., § 13, 8 - 1 5 . S. 2 6 - 2 8 .

34 [...) damit wir nit wie die erste Welt nach vilfeltiger trewer warnung Noachs / Abrahams und Loths / mit dem entlichen zorn und straff Gottes uberfallen / und mit allen solchen gottlosen Verächtern mögen zeitlich und ewiglich gestrafft werden. Solche Weissagung / sollen wir nit verachten / und nach der gottlosen art in allem unbußfertigen leben halß starrig beharren und bleiben / wie es denn (Gott erbarms) beym meisten hauffen jetzt geschieht / die nichts nach solchem allen (wie obgemeldt) fragen / sonder in der höchsten Sicherheit leben und schweben. 83

Auch für Fincel ist die falsche Sicherheit, in der sich die Menschen stets wiegen, ein wichtiges Thema: Es ist je und alleweg also in der weit zugangen / das die Leute am allersichersten gewesen / und sich mit Sünden überheufft haben / wenn grosse straffen fürhanden gewest sind. 84

So verhält es sich seiner Ansicht nach auch in der Gegenwart, weswegen den Wunderzeichen besondere Bedeutung zukomme. Die Zerstörung, wie sie Sodom oder Jerusalem erlebten, befürchtet er auch für Deutschland: Eben also gehet es yetzund und Deutschland auch zu / Denn wiewol wir greiffen nicht allein sehen und spüren / das Gott über uns erzürnet ist / und seine ruthe über uns außgestrackt hat ist doch der weniger teil / dem es zu hertzten gehet / der gröstes hauff feret dahin in allen Sünden und mutwillen / keren sich nichts an Götliche drawung / haltens vor ein fabel und unnütz geschwetz / so man inen von der büß predigt / sind also in blindheit und sicherheyt ersoffen. 85

Detailliert und konkret führt er aus, wie er die Zusammenhänge deutet, und macht auf sehr eindringliche und überzeugende Weise klar, worum es ihm geht. Es gibt zwei Vorzeichen für das drohende Strafgericht, die er für bezeichnend hält und die er in der eigenen Epoche wiedererkennt: die Erweckung besonders inspirierter Prediger (Luther und die anderen Reformatoren) und die Zeichen an Himmel und Erde, die alle »Bußprediger« seien. Kriege, Teuerung, Unruhen, Pest und der Tod vieler frommer Leute sind ihm Vorboten für noch größeres Unheil, und besonders der Bedrohung durch die Türken schenkt er große Aufmerksamkeit. Hierin scheint sich ihm definitiv der Untergang der bestehenden Welt anzukündigen und zu erfüllen. Doch trotz aller Warnung durch Zeichen und Predigt seien die Menschen noch genauso uneinsichtig wie zu allen Zeiten und bedürften mehr denn je der Mahnung zur Umkehr. Diese Überzeugung wiederholt und paraphrasiert Fincel in seiner mehrseitigen Vorrede immer wieder von neuem, und er illustriert das Gesagte durch eine Fülle von Exempeln, die beweisen sollen, daß die Wunderzeichen auch in der Gegenwart noch von Bedeutung sind. Einen der wesentlichen Gründe für die Verworfenheit der Zeit glaubt er im Papsttum zu erkennen. An diesem Punkt bietet sich für ihn die Gelegenheit zu ausgiebiger, in scharfer und aggressiver Form vorgebrachter Polemik gegen die katholische Kirche: 83 84 85

Goltwurm, Wunderwerck, fol. A Hr. Fincel, Vorrede auf die Wunderzeichen, fol. A Illr. (unpag.). Ebd, fol. A Vr.

35 So ist das Babstumb also mit Sodomitischen Sünden überschüttet unnd erfüllet / sonderlich der Römische hoff / [...] Solches ist der letzte grimm des Teufels / unnd kan höher nicht kommen / das ende muß verhanden sein. [...] unnd sol ein jeder gewarnet sein / dem sein seel Seligkeit lieb ist / das er sich mit allem ernst fürm Bapstumb hütt / als vor dem Teuffei selbs unnd wer dem Babsttum nicht von hertzen feindt ist / der kan nicht selig werden. 86

Ein anderer inhaltlicher Schwerpunkt der Vorreden zu den Wunderzeichenbüchern ist die Auseinandersetzung mit dem Begriff des >Wunders< in seinen verschiedenen Ausprägungen. Herold setzt definitorisch zahlreiche Wunderbegriffe voneinander ab, indem er dem deutschen Wort mehr als zwanzig lateinische und griechische Entsprechungen gegenüberstellt und diese kurz erläutert: signa, miracula, visiones, prophetia. Allerdings bleiben diese Erläuterungen ohne konkrete Beispiele und ohne Verweise auf den Inhalt des Werkes. Es handelt sich eher um die katalogartig aufbereitete Darbietung enzyklopädischen Wissens, wie wir sie im 16. Jahrhundert des öfteren finden. Fincel greift in der Vorrede zum zweiten Teil seiner Sammlung diese Methode übersichtlicher und systematischer auf, indem er die Begriffe: prodigium, ostentum, portentum monstrum und miraculum erläutert. Im Zusammenhang mit dem Versuch, die Wunderzeichen zu klassifizieren, steht bei beiden Autoren das Bemühen, sich von den vor- und unchristlichen Traditionen der Vorzeichendeutung und jeglicher Form von Aberglauben abzugrenzen. Dazu gehören für Herold u.a. Wunderheilungen und Blut schwitzende Bilder, für die er rationale Erklärungen findet. Auch Lycosthenes weiß, daß manche Phänomene, die sich dem Laien scheinbar als Wunderzeichen darstellen, durch Gelehrte und Sternkundige naturwissenschaftlich erklärt werden können: Sonnen- und Mondfinsternis entstehen durch Erdschatten, Erdbeben durch Dämpfe aus der Erde, die von Saturn und Jupiter angezogen werden. Dennoch besteht für ihn kein Zweifel, daß die Sonnenfinsternis zur Todesstunde Jesu ein Zeichen dafür war, daß mit Christus das »wahre Licht« verloschen sei. Desgleichen hält er Mißgeburten, selbst wenn sich medizinische oder physische Ursachen dafür finden lassen, für eine Manifestation des Zorns Gottes. Glaube und naturwissenschaftliche Erkenntnisse (bzw. das, was man dafür hält!) stehen hier (noch) unangefochten nebeneinander. Es müßt ein Seüchtglerter sein / der nit wüßt / dz die Finstemuß der Sonnen oder Mhons auß dem Schatten der Erden / so sich fürschlecht / und derselben strömen verhebt / nit errägte / ja das arthlicher der selben lauff / also sich verstöcke. Nicht destominder do Christus das einig opffer / für die armen Sünder / am Creutz geschlachtet warde / do leyd die Sonn mit also dz sie von der sechsten stund / biß uff neüne (...] verfinstert ward. 87

Fincel macht den Konflikt deutlich und bestätigt: Etlich [Wunderzeichen] aber haben wol ire natürliche Ursache / welche man nennet causam efficientem propinquam, Solche sol man hierinne nicht suchen / sondern causam fi-

86 87

Ebd., fol. A VIv.-VIIr. (unpag.). Herold, Vorrede von Lycosthenes, fol. b Hr.

36 nalem, Das ist / warumb und warzu sie geschehen. [...] Wiewol sonst alle wunderzeichen ingemein eine causam efficientem haben / nemlich Gott. 88

Die besondere Aufmerksamkeit, die diesem Thema zuteil wird, läßt Rückschlüsse darauf zu, daß bezüglich der Glaubwürdigkeit der Wunder und ihrer Bedeutung kein uneingeschränkter Konsens mehr in der Öffentlichkeit bestand. Deshalb betont Fincel abschließend: Solchs sag ich darumm / denn etlich meinen sie sein gar gute Physici / wenn sie von Monstris reden / sagen sie / es sey natürlich ding / könne nichts bedeuten / etc. Denn das sie schreckliche verenderung bedeuten / zeugen die Historien / und leret die tegliche erfarung. Zudem ist es auch unchristlich und Gottlos gehandelt / also verechtlich von Gottes wercken reden / gleichsam wüste Gott nichts umb die Natur / oder lies sich von der Natur regieren. 89

Zweifel am Vorhandensein der Wunder wird von den Herausgebern der Prodigienliteratur gleichgesetzt mit einem Zweifel an Gottes Allmacht. Sie halten es für eine unbedingte Notwendigkeit und Pflicht jedes Christen, die Vorzeichen richtig wahr- und ernstzunehmen und Konsequenzen daraus für das eigene Verhalten zu ziehen. Davon wollen sie die Rezipienten in den Vorreden überzeugen. Daß sie über diesen theoretischen und dogmatischen Kontext zugleich die Herausgabe ihrer Werke legitimieren, bestimmt insgesamt deutlich den Tenor der Argumentation. Diese Intention ist kennzeichnend für die einführenden Begleittexte sämtlicher Gattungen und kann immer wieder von neuem konstatiert werden.

2.3.3.

Wahrheitsanspruch

der Historien

und Exempel

Nicht nur für die Wunderzeichen-Sammlungen ist die Frage nach der Faktizität des Erzählten von Bedeutung, sondern auch für die übrigen Exempelsammlungen. Die Autoren widmen den Überlegungen zum Nutzen der Historie breiten Raum innerhalb der Vorreden. Sie tun dies in Hinblick auf die Texte, die sie kompiliert haben: Exempel sollen moralische Lehrsätze veranschaulichen; sie sollen aber auch Gottes Reaktion auf menschliches Handeln zeigen, und gerade zur Erfüllung dieser Funktion stellt es sich für die Autoren als sinnvoll dar, auf >für wahr gehaltene Berichte< zurückzugreifen. Diese sind überzeugender als fiktive zum Exempel geeignet, denn - vorausgesetzt man akzeptiert dieses Axiom - in der Geschichte manifestiert sich Gottes Wirken, und das historische Geschehen erlangt quasi Beweiskraft für seine Macht und seinen Willen, so daß sich der Gläubige an faktischen Beispielen mit hoher Gewißheit orientieren kann. Von daher ist es verständlich, daß die Verfasser Wert darauf legen, ihre Geschichten als beglaubigt auszuweisen. Dies geschieht überwiegend in Topoi

88 89

Fincel, Der ander Teil Wunderzeichen, fol. Β 8rf. Ebd.

37 und in Verbindung mit den Quellenangaben, in denen sich die Verfasser der Vorreden auf anerkannte Autoritäten oder allgemein auf bewährte Texte berufen: »diß Promptuarium Exemplorum auß vielen beglaubten Authoribus zusammen colligiert«, 90 »aus warhafftigen Chronicken und Geschichten«, 91 »aus glaubwirdigen [...] historicis gezogen«. 92 In diesem Zusammenhang erfolgt oftmals auch die Versicherung, daß die Vorlagen authentisch wiedergegeben seien. So versichert Hondorff in der Widmungsvorrede von 1568: So habe ich auch den Historien und Exempeln nichts zugegeben / auch nichts abgebrochen / allein das ich sie auffs kürtzte mit gebürendem Inhalte / wie ich sie bey den Autoribus gelesen / zusammen gebracht. 93

Auch Rivander legt Wert darauf, daß er trewlich zusammengelesen habe. 94 Durch diese pauschalen Hinweise entsteht der Eindruck, daß der Wahrheitsgehalt der gesammelten Exempel als selbstverständlich vorausgesetzt wird, über den nicht viele Worte verloren werden müssen: die Historien sind wahr, weil sie wahr sein müssen, wenn sie als Exempel fungieren sollen. Man folgt in dieser Hinsicht offensichtlich noch ganz der mittelalterlichen Exempel-Definition des Johannes von Garlandia: »exemplum est dictum vel factum alicuius autentice persone dignum imitatione«. 95 Während bei den Fabeln und Schwänken, will man sie als moralische Belehrung ausgeben, oftmals eine Differenzierung zwischen >faktisch geschehen< und >möglich< oder >plausibel< vorgenommen wird, gibt es für die Exempel keinen Anhaltspunkt, daß >glaubwürdig< etwas anderes als >wahrhaftig< meinen soll. Mehr Aufmerksamkeit wird diesem Thema in den Heiligen- und Kirchenkalendern gewidmet, in denen sich die Verfasser auch ausführlich mit der Bedeutung der Legende auseinandersetzen. Es wurde bereits gesagt, daß die protestantische Position darauf abzielt, die Heiligen nicht anzubeten, sie jedoch aufgrund ihres Lebenswandels zu würdigen. 96 Wohl sind die protestantischen Heiligenkalender, wie Annemarie und Wolfgang Brückner ausführen, »u.a. auch Erbauungsbücher zur frommen Lektüre, doch sie wollen im neuzeitlichen Sinne historische Chroniken sein, Schilderungen des Menschenlebens im Dienste Gottes, nicht mirakulöser Aufweis der Wege Gottes unter den Menschen, wie es die alte, vom Wunder geprägte Legende seit den Tagen der Wüstenväter intendierte, kulminierend in der genannten Legenda aurea,«97 Um in diesen An-

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97

Hondorff, 1574, fol. IIIv. Rivander, 1587, fol. a IIIv. Hondorff, 1576, Vorrede von Sturm, fol. 4r. Ders., 1568, Widmungsvorrede, fol. Iv. Rivander, 1587, fol. a IHIr. Zit. nach Curtius, S. 69. Zum folgenden s. Wolfgang Hieber, Legende, protestantische Bekennerhistorie, Legendenhistorie. Diss. Würzburg 1970. S. 80ff. Annemarie und Wolfgang Brückner, S. 523.

38 Sprüchen glaubwürdig zu sein, ist eine gewisse Authentizität der geschilderten Schicksale Voraussetzung. Von daher unterscheiden sich die Legendenhistorien des 16. Jahrhunderts deutlich von der mittelalterlichen und vorreformatorischen Legende, die die theologische Stimmigkeit über die Historizität stellte und mit dem Verweis auf die Allmacht Gottes alles Unwahrscheinliche kompensierte. In diesem Zusammenhang muß auch gesehen werden, daß in den Sammlungen der Heiligenviten im 16. Jahrhundert der Begriff der >Legende< durch den der >Historie< ersetzt wird. Die Legende erscheint schon durch Luthers polemische Anspielung auf die Lügende, die die Autoren sich zu eigen machen, hinreichend diskreditiert. Allerdings wird der Anspruch auf Glaubwürdigkeit, den die protestantischen Legendensammlungen in den Vorreden theoretisch erheben, in den Texten nur teilweise eingelöst. Häufig läßt sich immer noch ein Schematismus im Aufbau der Einzelhistorie, Vertauschbarkeit der Motive und ein auf die Heilsgeschichte bezogenes, figurales Wahrheitsverständnis festmachen. Dennoch sind sich die reformatorischen Legendenerzähler ihrer neuen Position bewußt und grenzen sich deutlich kritisch und polemisch von der >papistischen< Legendenliteratur und Erzähltradition ab. Goltwurm legt Wert auf die Feststellung, daß seine Historien vom Leben der Heiligen »wahrhaftig und begründet« seien, und dies, obwohl es der »arglistige Satan« seit Anbeginn der Kirchengeschichte verstanden habe, die wahren Berichte zu unterdrücken. So sei außer der Apostelgeschichte und der Kirchengeschichte des Eusebius (um 300 n. Chr.) nur wenig Authentisches über die Heiligen und Märtyrer überliefert. Also hat er sich mit gleicher arglistigkeit unnd Tyranney beflissen / unnd dahin gearbeit / wie er nur viel Gottloser / fauler / und gefrässiger Münche / unnd ihres gleichen erwekken möcht / welche die Christliche Kirchen mit unzehlichen unnd grossen Büchern / voller Lügen und Fabeln möchten beschweren / welchs dem leydigen Teuffei auch ein zeitlang geraten / Dann die Welt mit solchen öffentlichen erlognen und erdichten schrifften und Lügenden dermasen beladen unnd überschüttet worden [...] und das arme einfeltige völcklein allein auff ir Lügenden unnd Altweibische Fabeln und Märleins Prediger gewiesen. 9 8

Der Autor fürchtete offensichtlich, mit dieser Polemik Anstoß zu erregen, denn er schwächt sie im nächsten Absatz ab und schränkt ein: Möchte aber einer fürwerffen / Es muß dennoch nicht alles erdicht und erlogen seyn / was solche Geistliche Leut mit solcher andacht / eyfer / fleiß / und sauer arbeit / beschrieben haben. War ists / in solchen werden wol etliche Legenden gefunden / welche der warheit gleich lauten / jedoch ist der mehrertheil eitellügen und betrügen."

Interessanterweise greift Goltwurm in diesem Zusammenhang ein Bild auf, das in der literaturtheoretischen Auseinandersetzung des 16. Jahrhunderts des öfte-

98 99

Goltwurm, Kirchen Calender, fol. Α Illrf. Ebd., fol. A IIIv.

39 ren Verwendung findet, von ihm hier jedoch ganz anders gedeutet wird. Es geht dabei um die Vorstellung, daß die >bittere Medizin< der Didaxe mit Erzählung und Unterhaltung versüßt werden könne. 1 0 0 Goltwurm argumentiert nun genau konträr und kritisiert das Verfahren, indem er Verfälschern der Legenden vorwirft, sie hätten den einfältigen erstlich das Maul / mit Honigsüssen Worten geschmieret / und unter solcher süssigkeit eitel gifft und Gall zutrinken geben / das ist / mit vergiffter und verfälschter Lehre greuwlich verderbt unnd verführt. 101

Konfessionelle Polemik im Zusammenhang mit der Historizität des Erzählten findet sich auch in der Vorrede zu Hondorffs Kirchenkalender: Wir haben aber beide hierinnen allein die glaubwirdigen Historien der lieben Heiligen / so im Calendario so benennt / von ihrem Leben / Leiden und Todt verzeichnet / und die lügen und falschen Wunderzeichen / so den selbigen eins teil von den heuchlerischen München zugemessen / dadurch ihre grewliche Abgötter und Anruffung der verstorbenen Heiligen zu bestettigen / gantz weg gethan. 102 Wiewol aber viel Legenden der Heiligen im Bapsttumb noch zu finden / darein viel ungleubliches / sonderlich von den München mit untergemischt / also / das die Legenden mehr einem Mehrlein / denn einer warhafftigen Historien gleich sindt / wie sonderlich in der Lombardica Historia zu finden. 103

Zugleich sichert Hondorff sich in der Frage der Authentizität des Erzählten ab, indem er die Möglichkeit einräumt, daß dem Leser etwas unglaublich erscheinen könne. Dies sei den Quellen (auctoribus) zuzuschreiben und erfordere vom Rezipienten ein Christlich Iudicium: er soll aufgrund seiner Kenntnisse und gemäß seinem Glauben selber urteilen, was er für wahr hält. So ist insgesamt gesehen die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Exempel kein Thema, dem die Autoren viel Aufmerksamkeit widmen. Die Herausgeber der Heiligenkalender setzen sich damit auseinander, um die eigenen Werke von anderen, besonders den katholischen Sammlungen abzugrenzen. Die Historizität der Historie< wird, anders als die der Wunderzeichen, weitgehend noch unhinterfragt angenommen.

2.3.4. Inhalt und Ordnung der

Sammlungen

Es wurde in den einführenden Bemerkungen zu diesem Kapitel bereits darauf hingewiesen, daß sich die Autoren für Gliederung und Anlage ihrer Sammlungen bestimmter Ordnungsschemata bedienen, um sie vor allem für Prediger 100

101 102 103

So auch Erasmus Alberus, s. unten S. 71 und S. 77 und Johann Fischart, Geschichtsklitterung, hg. von Ute Nyssen. Darmstadt 1977. S. 6. »So ist diß Buch nicht zu verachten / Dieweil es auch dahin tut trachten, / Und schmiert mit Honig euch das glaß / Daß der Wärmut eingang deß baß.« Goltwurm, Kirchen Calender, fol. A Illlr. Hondorff, Calendarium Sanctorum, Vorrede von Sturm, fol. A IIIIv. Ebd., Vorrede Hondorff, S. 1 (unpag.). Hondorff bezieht sich hier auf die Legenda aurea des Jacobus de Voragine, entstanden zwischen 1263 und 1273.

40 und Geistliche handhabbar zu machen: Sie orientieren sich am Dekalog, an den fünf Hauptstücken des Katechismus oder dem Vater Unser, d.h. sie weisen die einzelnen Exempel zentralen christlichen Inhalten zu. Die Ordnung des Werkes wird, weil sie das Thema und den Inhalt des Werkes näher bestimmt, zentral für dessen Beschreibung und geht bereits aus den meisten Titeln hervor: - Promptuarium Exemplorum. [...] Mit allem fleis auffs kürtzte nach den heiligen Zehen Geboten Gottes fein ordentlich ausgetheilt 104 - Der Ander Theil Promptuarium Exemplorum [...] alles nach den heiligen Zehen Gebotten Gottes fein ordentlich distribuirt 105 - Epitome Historiaram [...] nach Ordnung der fünff Hauptstück des Catechismi D. Luth. 106 Zu einem eigenständigen Thema innerhalb der Vorreden wird das Ordnungsprinzip nur bei wenigen Autoren. Hondorff betont, ohne allerdings noch einmal ausdrücklich auf die Systematik zu verweisen, in der Vorrede an den Leser die Bedeutung der Zehn Gebote für den christlichen Glauben und stellt so eine Beziehung zur Struktur des Werkes her. Sturm notiert knapp für die Ausgabe von 1576, daß die Historien nach den »Tugenden und Sünden eines jeden Gebotes durch den gantzen Decalogum ausgeteilet seien« und daß das Werk von daher zu Recht ein Promptuarium Exemplorum genannt werden könne. 1 0 7 Damit erklärt er zugleich in Anlehnung an Hondorff dessen Titel: das Werk stelle einen reichen Vorrat an Historien zur Verfügung, die früher mühsam aus vielen anderen Sammlungen zusammengesucht werden mußten. 1 0 8 Rivander, der Fortsetzer des Promptuarium Exemplorum, erwähnt die Ordnung nach den 10 Geboten mit der Absicht, den christlich-didaktischen Anspruch seines Werkes deutlich zu machen: [...] daß wir zur Busse und Besserung des Lebens / unnd zur Erhaltung Tugendt Zucht und Erbarkeit / unter den Menschen nötig und nützlich geachtet / haben gefunden / das haben wir dem Christlichen Leser zum besten zusammengetragen / und ein jegliches unter seine Gebott ordentlich außgetheilt / mit angehefften Straffen und Belohnungen / des Guten und bösen. 1 0 9

Auch Ragor fügt im zweiten Teil der Locorum Communium einige Angaben zum Aufbau in die Vorrede ein, und zwar im Zusammenhang mit einer Würdigung der Arbeit von Johannes Manlius, die seinem Werk zugrunde liegt: [...] hat er diese untereinandergeworffne und zerstrewte materi / außgetheilet / in gewisse Tittel verfasset unnd begriffen / darmit sie fruchtbarlich zu erklärung der zehen Gebott /

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Hondorff, 1568. Rivander, 1587. Bütner, 1596. Hondorff, 1576, Vorrede von Sturm, fol. Illlr. Gleichlautende Sammlungen gibt es bereits von Martin von Troppau und Johannes Herolt (sie.). Rivander, 1587, fol. a Illlr. (unpag.).

41 zu außlegung andern des Christlichen glaubens Artickel / und zu allen hendeln und fürfallenden Sachen des weltlichen Regiments gebrauchet." 0

Etwas ausführlicher wird die Ordnung von Wolfgang Bütner reflektiert, der seine Sammlung als Auslegung der Gebote und des Vater Unsers beschreibt und sein Werk von daher legitimiert: Historien [...] auff das Gesetze Gottes in den Heiligen Zehen Geboten / und auff des Herrn Christi Gebet / im H. Vater unser gezogen / und also gebrauchet / das mir und den meinen eingethanen Kirchen und angepfarten / grosser frommen und nutz auffgestiegen / und beide aus Historien und Geschichten / die zehen Gebot und die sieben Bitte des Vater unsers / zimlich habe lernen verstehen [...] und also mancherley und vielfeltige Exempla [...] in eine Methodische Epitome oder richtige kurtze Ordnung zusammen getragen. 111

Wie er am Ende der Vorrede ausführt, war es seine ursprüngliche Absicht, die Ordnung noch auf die fünf Hauptstücke des Katechismus auszudehnen und so nicht nur eine Epitome [einen Auszug] sondern eine Catechesis Historia, ein Buch über den gesamten Katechismus zu verfassen. Georg Steinhart, der das Werk auf Betreiben des Leipziger Verlegers Johann Beyer 1587 (erschienen 1596) in Bütners Sinne erweitert und auf den ganzen Katechismus ausdehnt, erwähnt in der Vorrede diesen Aufbau, um die Vollständigkeit der Sammlung im Vergleich zu anderen herauszustellen: Darumb ist die Arbeit derer wol lobenswerth / so da zu unserer zeit die Historien und Exempel / gute und böse / in gewisse Locos und Capita, über den Decalogum, und zum theil auch über Orationem Dominicam gebracht / und Promptuaria Exemplorum, oder Epitomes Historiarum gemacht / Als da gethan haben / Hondorffius, Butnerus, Rivander, und die beyden Sturmi, Vater und Sohn zu Bitterfeld / Aber über den gantzen Catechismus kein Promptuarium Exemplorum, ist mir fürkommen. 1 1 2

Gegen Ende wiederholt er nochmals: Denn ich weiß ja noch wol / wie ichs vor 8. Jaren colligirete und anordnete / das ich allein die nothwendigsten Exempel und Historien über jedes Stück deß Catechismi / sampt den fürnembsten Heuptsprüchen und Historien der H. Schrifft eingebracht / und alle weitleufftigkeit / und was sonst unnötig / oder ergerlichen schein gehabt / umbgangen. 1 1 3

Für die Wunderzeichenbücher verweisen Lycosthenes und Herold nur knapp auf die chronologische Anlage: »in Jahresordnung gebracht«. Goltwurm, der thematisch ordnet, verzichtet völlig auf Aussagen über die systematische Abfolge der einzelnen Berichte. Eine >Sonderform< der Exemplasammlungen bilden die Heiligen- und Historienkalender, deren Ordnung kaum einer Erläuterung bedarf: »nach der Ordnung der Tage im Jare / wie der heiligen Namen darinnen ordentlich gesatzt sind«. 1 1 4 Damit folgen die protestantischen Heiligenkalender der weit zu-

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Ragor, Der ander Theil, fol. a Vllr. (unpag.). Bütner, fol. a 3r. Steinhart, Widmungsvorrede, fol. (a) Vr. (unpag.). Ebd., fol (a) Vv. (unpag.). Hondorff, Calendarium Sanctorum, Vorrede von Sturm, fol. (A) IIIv.

42 rückgehenden Tradition, die schon in der Legenda aurea Anwendung gefunden hatte: der Abfolge nach dem Kirchenjahr und den Gedenktagen der Heiligen. Ausführlicher befassen sich die Autoren hier mit dem Inhalt der Werke. Goltwurm beschreibt konkret und zutreffend für seinen Kirchen Kalender. Derhalben hab ich für nützlich und gut angesehen / Kirchen Calender hiemit zustellen und zuverfertigen H. Apostel / und derselbigen Jünger / auch anderer der Christlichen Kirchen / Glauben / Bekandtnuß / schrieben." 5

auch ein Geistlich / Christlich unnd / in w e l c h e m ich auffs kürtzest / der Christlichen Lehrer und Vorsteher / unnd in solcher ir bestendigkeit be-

Er führt darüber hinaus an, daß er auch auf andere Glaubenszeugen zurückgegriffen habe, falls für ein Datum keine Überlieferung einer Heiligen- oder Märtyrervita zur Verfügung stand. Auch Hondorff stellt in der Vorrede zu seinem Kirchenkalender den Inhalt der Sammlung vor. Die Ausführungen stehen im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zum Wahrheitsgehalt der Legenden (s.o.) und den konfessionspolemischen Auseinandersetzungen. Er verweist darauf, daß es sich um Historien und Exempel aus den Ecclesiasticis Historiis handele, die von den Heiligen berichten, deren an einem bestimmten Tag gedacht werde. Aber auch jene, die keinen Gedenktag haben und dennoch wert sind, im Gedächtnis behalten zu werden, würden berücksichtigt. Gelegentlich werde mehrerer Heiliger an einem Tag gedacht, weil es unterschiedliche Überlieferungen zu ihrer Vita gibt. Er beschreibt sein Werk als Legenda sanctorum, die man aber zugleich auch Historiae nennen könne »darumb das auch viel schöne Historien und Exempel / beides aus der heiligen Bibel / und andern Scribenten / zu solchen Tagen [...] angezeigt worden seien«. Eine Reihe dieser Historien entnahm Hondorff, wie er selber vermerkt, aus dem Calendario historico des Paul Eber. Er wird mit diesen Hinweisen der besonderen Ausprägung seines Kalenders gerecht, denn stärker als die anderen Heiligenkalender bekommt die Sammlung, die neben den Legenden Berichte über Taten großer Männer, historische Ereignisse, Wundergeschichten und Herrscheranekdoten enthält, den Charakter eines allgemeinen Exempelbuches, das sich einer kalendarischen Ordnung bedient. 116 Sturm, der das Calendarium Sanctorum nach Hondorffs Tod vollendet hat, insistiert ebenfalls auf dem Wahrheitsgehalt der verzeichneten Exempel, u n terschlägt allerdings den >historischen< Charakter der Sammlung und erwähnt allein die »lieben Heiligen und heiligen Lehrer und Merterer / so bey unsern zeiten umb das Evangelium willen jemmerliche seindt erwürget worden«. 117

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Goltwurm, Kirchen Calender, fol. A IIv. Zu Hondorffs Promptuarium Exemplorum s. Hermann Schade, Andreas Hondorffs Promptuarium Exemplorum. In: Volkserzählung und Reformation, S. 6 4 6 - 7 0 3 . Hondorff, Calendarium Sanctorum, Vorrede von Sturm, fol. A IHIr.

43 Diese, im Vergleich zu Hondorff, den religiösen Anspruch der Sammlung verabsolutierende Inhaltswiedergabe korrespondiert mit dem insgesamt stärker theologisch ausgerichteten Tenor der Vorrede: Sturm leitet sie ein mit einer längeren Auslegung von 1. Petrus 4 über das Ausharren in der Verfolgung. Alles, was über den Inhalt der Exempelsammlungen ausgesagt wird, erscheint ebenfalls in bestimmten Zusammenhängen funktionalisiert. Weil es sich hier um Kompilationsliteratur und oftmals bearbeitete, übersetzte oder fortgesetzte Fassungen eines älteren Werkes handelt, stehen diese Aussagen meist im Zusammenhang mit Hinweisen auf vorliegende Quellen oder ihre Verfasser. Ragors Sammlung der Locorum Communium ist eine Übersetzung der Collectanea locorum communium des Johannes Manlius, die (angeblich) überwiegend auf Aussprüche Philipp Melanchthons zurückgehen. 118 Beide Autoren erfahren in der Vorrede eine ausführliche Würdigung: Unter welchen Gottes freunden und dienern nit der geringste / sondern für der fürtrefflichsten einer gehalten soll werden der thewer / fromm und hochgelehrte Mann Philippus Melanthon [sie.] [...] Unter andern [Büchern Melanchthons] ist auch ein Büchlein / (des Inhalts in andern Büchern Philippi nicht gefunden wird) zusammen getragen / und außgezwackt / inn seinen Lectionen / [...] von Johanne Manlio / einem sehr vleissigen und gelehrten Mann / Das helt in viel und mancherley / von alten und newen Sachen / Beyspiel / Gleichnissen / Sprüch / Rathschleg / Kamfstück/ etc. 1 1 9 [Manlius] Hat derhalben diese stücklein und brocken / die gleichsam von eines reichen Manns tisch gefallen / zusammengelesen. [...] Ist derhalben dises ehrlichen Manns emsiger vleiß / mühe und arbeit hoch zu loben und zu preisen / die er in auffmercken / auffschreiben / arbeiten und außtheilen so viel mancherley Materien / dieses Buchs gebraucht hat. 1 2 0

Das Lob Melanchthons, das vor allem in der Vorrede von 1566 eine zentrale Rolle spielt, dient dazu, den Inhalt der Sammlung aufzuwerten und die Herausgabe der Tischgespräche zu rechtfertigen. Eine konkrete Beschreibung dessen, wozu Melanchthon sachlich Stellung nimmt, also der eigentlichen Inhalte, fehlt. Bütner erwähnt in seiner Vorrede sowohl Quellen als auch Inhalt nur verallgemeinernd, indem er auf die Bibel, die Kirchenlehrer und Historienschreiber verweist. Den Inhalt beschreibt er als »Exempla, Historien, Geschichten, Sprüche, Werke, Taten, Belohnung und Vergeltung, Warnung und Strafe«. Doch gibt er mit der Nennung seiner literarischen Vorgänger Hondorff, Manlius, Lycosthenes und Fincel den Kontext und die Tradition vor, in die er sein Werk stellt: sie haben hievor dergleichen »Geschieht und Exempla zusam-

118

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Rehermann bezweifelt, daß Manlius aus den Vorlesungen Melanchthons oder anderer Gelehrter schöpfte, zumal einige Beispiele aus den Wundersammlungen Goltwurms oder Fincels stammen. So ders. (1974), S. 595. Ragor, Locorum Communium, Widmungsvorrede, fol. Α Ilvf. Ders., Der Ander Theil, fol. A Ilr.-VIIv. (unpag.).

44 mengeklaubt und in die Zehengebot gerichtet«. 121 Eine ausführliche Nennung aller Quellen, die die Belesenheit des Autors dokumentiert, schließt sich im zweiseitigen Catalogus Auctorum an die Vorrede an, so daß dort auf genauere Angaben verzichtet werden kann. 1 2 2 Steinhart wiederum hat die Sammlung Bütners bearbeitet und ergänzt: In diesem Werk und Arbeit habe ich M. Wolffgangi Butneri Epitome, so da allein über die Zehen Gebot und Vater unser / aber Weitleufftig gehet und nur einmal gedruckt worden / mit Bescheidenheit uberlauffen. 1 2 3

Er verweist darauf in der Erinnerung an den Christlichen Leser, einer kurzen Leservorrede, die überwiegend aus detaillierten Quellenangaben, teils mit konkretem Verweis auf die Ausgabe, besteht: das Theatrum humanae vitae von Theodor Zwinger, die Tischreden Luthers, die Melanchthon-Ausgabe von Manlius und Andreas Hondorff: »Diß hab ich sollen melden, das man nicht vergeblich in andern Exemplaren nachschlage.« Rivander stellt seine Sammlung durch den Titel Der Ander Theil Promptuarii Exemplorum in die Tradition des sehr bekannten und erfolgreichen Werkes Hondorffs, vermutlich in der Hoffnung an dessen Erfolge anknüpfen zu können: Dasselbige Buch [gemeint ist Hondorffs Promptuarium] / weil es voll vieler guter und feiner schönen Historien ist / ist es von jedermann mit Lust und Liebe gelesen worden / und weil die Exempel nach den heyligen Zehen Gebotten Gottes fein ordentlich distribuiert unnd außgetheilet seyn / ist kein Zweiffei / es wirdt auch in vielen frommen Hertzen [...] wahre Furcht Gottes und Christliche Büß gewirckt und erbauwet haben.' 2 4

Mit der Feststellung, daß er außerdem weitere Exempel gesammelt habe, die es wert seien, überliefert zu werden, rechtfertigt er die Ergänzung: Weil aber viel trefflicher und mercklicher Historien noch übrig und hinderstellig / die im ersten Promptuario nit verfasset seyn und doch wohl wehrt / daß man sie mit fleiß gelesen / und in frischer Gedächtnuß unter den Menschen für und für bleiben und erhalten werden / hab ich [...] diesen Andern Theil [...] verfertiget. 1 2 5

Verallgemeinernde Hinweise auf die Quellen bestimmen den Inhalt seiner Sammlung unter Berücksichtigung der Funktion: Was wir nun in den besten und bewährtesten Griechischen / Lateinischen / unnd Teutschen Geschicht-Büchern / daß wir zur Busse und Besserung deß Lebens / unnd zur Erhaltung Tugendt Zucht und Erbarkeit / unter den Menschen nötig und nützlich geachtet / haben gefunden / das haben wir dem Christlichen Leser zum besten zusammen getragen / und ein jegliches unter seine Gebott ordentlich außgetheilt / mit angehefften straffen und Belohnungen / des Guten und bösens / so viel man dessen auß den Historien und Büchern hat haben können. 1 2 6

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Bütner, fol. a 3r. Einen solchen Autorenindex finden wir auch in Hondorffs Promptuarium. Steinhart, Leservorrede, S. 1 (unpag.). Rivander, 1587, fol. a IHIr. (unpag.). Ebd. Ebd.

45 Hondorff selber hat sich konkreter zur inhaltlichen Tendenz der Exempel geäußert. Es geht ihm um die Laster, die in den Zehn Geboten angeprangert werden: Solche Exempel / wie der Ewige Gott / Abgötterey und Ketzerey / Gotteslesterung / falsche Eyde unnd Meineyde / Verachtung des Worts Gottes / ungehorsam der Kinder und Unterthanen / Tyrannisch würgen und Auffrhur / Erschreckliche unzucht / Stelen und Rauben / verleumunge des Nechsten / Geitz und Wucher / und ander dergleichen Laster / damit wider die Gebot Gottes gesündiget / gar schrecklich gestraffet habe. 127

Damit paraphrasiert j e d o c h auch er mehr die Funktion der Sammlung, als daß er Konkretes über den Erzählstoff aussagt. Bei anderen Autoren geht die Ankündigung des zu erwartenden Inhaltes ebenso wie die Ordnung nicht über das hinaus, was auf dem Titelblatt genannt wird: so in Hondorffs weiteren Vorreden und in Sturms Ausgaben des Promptuarium Exemplorum von 1576. Die Kompilatoren der Prodigienliteratur, Lycosthenes, Herold, Goltwurm und Fincel, beschäftigen sich hauptsächlich mit der Bedeutung der Wunderzeichen. Diese stehen im Mittelpunkt der Vorrede, so daß sich der Leser von daher eine Vorstellung über das Werk machen kann Die Zusammenstellung der wesentlichen Aussagen der Autoren, die den Inhalt und die Ordnung der Exempelsammlungen betreffen, zeigt, daß diese Themen überwiegend in andere Argumentationszusammenhänge eingebunden sind: in den zentralen Komplex der Legitimation des Werkes und der Erläuterung seiner Funktion, in die Darstellung der eigenen Tätigkeit und Leistung (oder die anderer) oder den Versuch, sich von anderen Werken abzusetzen. Die Aussagen stehen nicht primär f ü r sich selbst, d.h. sie werden nicht getroffen, um den Leser darüber zu informieren, mit welchen Stoffen und Inhalten sich die S a m m l u n g beschäftigt oder wie sie im einzelnen aufgebaut ist. Die Lektüre der Vorrede läßt Rückschlüsse darauf zu, daß gattungstheoretische Überlegungen hier nicht in den Blickpunkt der Autoren rücken. Das Exempel an sich, was es ist und wovon es handelt, erfährt keine eingehendere Würdigung. Es wird weder formal noch inhaltlich näher beschrieben. Auch die Stoffe und Inhalte bleiben, mit A u s n a h m e der Legenden und Wunderzeichen, im einzelnen unberücksichtigt, sieht man von der nicht näher konkretisierten Beschreibung der Exempel als >Weltspiegel< ab. Wichtig g e n o m m e n wird allein die A u f g a b e der Exempel, daß sie bestimmte Texte und Aussagen, die von zentraler Bedeutung für den christlichen Glauben sind, erläutern und illustrieren. Diese dogmatischen Texte wie der Dekalog oder der Katechismus spielen von daher in doppelter Hinsicht eine zentrale Rolle f ü r das Werk: zum einen regeln sie als Ordnungsschema den formalen A u f b a u , zum andern sind sie inhaltlicher Bestandteil des Werkes. Doch wie der Beschreibung der Exempel, so wird auch dem formalen A u f b a u in den Vorre-

127

Hondorff, 1568, Widmungsvorrede, fol. IIv.

46 den wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar werden der Dekalog und der Katechismus um ihres Inhaltes und ihrer Bedeutung willen gewürdigt, in ihrer Funktion als Ordnungsprinzip jedoch kaum beschrieben oder reflektiert. Die Art und Weise, wie die Autoren mit den Faktoren >Inhalt und Ordnung< in der Vorrede umgehen, macht erneut deutlich, wie stark die Begleitschreiben darauf ausgerichtet sind, die christlich-didaktische Funktion und damit Legitimation des Werkes herauszustellen.

2.3.5.

Entstehung

der

Sammlung

Ein anderes Thema, auf das einige der Autoren in der Vorrede eingehen, ist die Entstehung der Werke und damit die Tätigkeit bzw. Leistung der Herausgeber. Dabei spielt auch hier wieder eine entscheidende Rolle, daß es sich bei den Exempelsammlungen um Kompilationsliteratur und Bearbeitungen handelt. So beschreiben die Verfasser ihre Arbeit überwiegend als: »zusammen colligiert aus vielen beglaubigten autoribus« (Hondorff); »zusammen gelesen« (Rivander); »zusammen gebracht« (Bütner); »mit vleis verzeichnet und in ein buch gebracht« (Fincel); »gemehrt und gebessert« (Sturm). In den Vordergrund rücken sie eindeutig das Sammeln, Zusammentragen und Ordnen der Texte. Ähnlich wie die Fabelsammler streichen die Exempelsammler als ihre besondere Leistung heraus, daß sie die Texte verfügbar und für jedermann leicht zugänglich gemacht haben. Hinzu kommt, daß sie sie durch die Ordnung in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht haben, so daß mit ihrer Hilfe dogmatische Texte erläutert, konkretisiert und verständlich gemacht werden können. Gelegentlich, wenn es sich mit einer mitleiderregenden oder einigermaßen spektakulären Geschichte verbinden läßt, gehen die Autoren konkret und ausführlich auf die Entstehungsbedingungen des Werkes und ihre persönlichen Umstände ein. Diese Elemente haben an sich mit der Gattung Exempelsammlung nichts zu tun und finden sich genauso in den Fabel-, Sprichwort- oder Schwankvorreden. Solche >Schicksalsberichte< lassen sich nachlesen bei Bütner: »doch hat mich der Sathan / und seine rasende Caterva mit Sycophantischer Beladunge und Lesterunge / an meinem Vorhaben und Arbeit geseumet und abgehalten« 1 2 8 und Steinhart, der als Anticalvinist in den 80er Jahren des 16. Jahrhunderts verfolgt wurde: »4. Jahr lang dienstloß habe sein müssen [...] das Elend bawen / und arme Ritter backen«. 1 2 9 Auch Ragor war zunächst an der Fertigstellung seines Werkes gehindert worden »von wegen der jetzt regierenden Kranckheiten und straffen Gottes«. 1 3 0

128 129 130

Bütner, fol. a 4v. Steinhart, fol. (a) Vv. (unpag.). Ragor, Locorum Communium, fol A IIIv.

47 Was in den Vorreden der Exempelsammlungen genau wie in den anderen Vorreden nicht fehlen darf, sind die Bescheidenheitstopoi und die stereotypen Hinweise, daß das Werk auf Bitten von Freunden, Verlegern etc. entstanden sei. Exemplarisch sei Hondorff zitiert, dessen Formulierungen sich nicht wesentlich von denen Ragors, Sturms oder Bütners unterscheiden. Wiewol ichs nicht der meinung angefangen / das ichs zu drücken geben wolte / der ich mich viel zu geringe / Bücher zuschreiben / erkenne / Und diese meine einfeltige Arbeit viel zu geringe / Auch das sie vor Hochgelerte und Grosverstendige kommen solte / etc. Nach dem ichs aber etlichen meinen guten gönnern und freunden / sonderlich meinen lieben Herrn / Nachtbam und Mitbürgern in Christo gezeiget / etc. Haben sie mir den Rath gegeben / Ich möchte es wol umb einfeltiger gemeiner Leute die sonst nicht gerne viel und weitleufftig lesen / und die Autores auch nicht haben / zu drücken geben. 131

Hinsichtlich der Schilderung der Entstehungsbedingungen unterscheiden sich die Exempelvorreden nicht so sehr von den Vorreden zur übrigen Kompilationsliteratur. Unabhängig von der Gattung ist die Tätigkeit des Autors vorgegeben. Auch die Darlegung der persönlichen Umstände und die Bescheidenheitstopoi ziehen sich als Konstante durch sämtliche Vorreden (nicht nur in den Sammelwerken) und erfüllen stets die Funktion, den Leser wohlwollend zu stimmen und seine Aufmerksamkeit zu erregen.

2.3.6.

Intention der Autoren

Eine Konstante aller Vorreden gleich welcher Gattung sind auch die Stellungnahmen der Autoren über ihre Intention: warum sie schreiben und für wen sie schreiben. Bei Kompilationswerken sollte man allerdings genauer fragen: warum und für wen sie sammeln. Für die Exempelsammlungen hängt die Beantwortung dieser Frage eng zusammen mit den Überlegungen zum Nutzen der Historie: wenn die Exempel so wertvoll sind, wie dort dargelegt wurde, versteht es sich von selbst, daß sie verbreitet und vielen Menschen zugänglich gemacht werden müssen. Die inhaltlichen und funktionalen Qualitäten der gesammelten Texte und ihre Bedeutung für die christliche Didaxe legitimieren die Veröffentlichung und begründen die Intention der Herausgeber. In diesem Sinne sei stellvertretend für alle anderen noch einmal Bütner zitiert, der die beiden zentralen Aspekte Aufforderung zur Nachahmung< und >Warnung< benennt und angibt, er habe [...] dis werck / der Christlichen Kirchen zur Lere und besserunge / und der rohen Welt zur Busse und abschreckunge / von irem sündlichem Wesen und Wandel / ausgehen [zu] lassen. 132

So ähnlich argumentieren auch die meisten der anderen Autoren, wenn es darum geht zu begründen, warum sie ihr Werk ans Licht der Öffentlichkeit ge-

131 132

Hondorff, 1568, Leservorrede, S. lf. (unpag.). Bütner, fol. a 3v.

48 bracht haben. Ausgehend vom ausführlich dargelegten Wert und Nutzen der Sammlungen fällt es ihnen nicht schwer, ihre Absichten überzeugend und eindeutig zu formulieren: es geht um die Verbreitung wichtiger Inhalte und solcher Texte, die es wert sind, überliefert zu werden, weil sie dazu dienen, die Menschen moralisch zu erziehen und zu bessern. Daß >moralische Erziehung und Besserung< nur durch Hinführung zu christlichen Werten erzielt werden kann, steht für die Herausgeber der Exempelsammlungen außer Frage. Was sie verbreiten und wovon sie überzeugen wollen, ist christliche Dogmatik und Heilslehre. Ihre Werke verstehen sie als fromme Lehr- und Erbauungsbücher und weisen in den Vorreden dezidiert darauf hin. Im Kontext dieses Verwendungszusammenhanges ist es auch zu sehen, daß nicht nur die Texte selber sondern auch die Vorreden durch ausführliche theologische Exkurse teilweise deutlich in die Nähe von Katechese und Predigt rücken. 1 3 3 Wo ein Autor darüber hinaus, konkret auf das Besondere seines eigenen Werkes bezogen, argumentiert, stellt er meist den praktischen Nutzen der Sammlung heraus, indem er sie als nützliches Handbuch anpreist. Bei Hondorff, der wiederholt in den Vorreden auf den Titel seiner Sammlung anspielt, ist der Gedanke der Bereitstellung eines Vorrats, eines promptuariums zentral: Damit ich nun in meinem Predigtampt / bisweilen / wenn es Gottes wort erforderte und nötig were / derselben Exempel wenig einfüren köndte / und auch sonst ein vorrath derselben zu lesen / haben m ö c h t e . 1 3 4

Doch auch in anderen Vorreden wird das Argument der Handlichkeit der Sammlungen betont. Wer Literatur publiziert, die einerseits bewußt auf Bekanntes zurückgreift, andererseits Wert darauf legt, ihre Inhalte einer möglichst großen Anzahl von Menschen zugänglich zu machen, muß, wenn er seine Arbeit rechtfertigen und sein Werk hervorheben will, vor allem auf die Anlage und Aufmachung abheben. Die Vorreden stellen klar heraus, daß es das erklärte Anliegen der Autoren ist, keujfliche Bücher auf den Markt zu bringen; zugleich Bücher, die interessante und aussagekräftige Exempel durch eine bestimmte Ordnung leicht verwertbar machen; Bücher, die möglichst vielen die Möglichkeit eröffnen, teilzuhaben an Gottes wunderbarem Wirken in der Welt, wie es in der Bibel und den Schriften der Historiographen seit Jahrhunderten dokumentiert ist; Bücher, die konzipiert sind für alle, die - mangels Bildung oder Geld - nicht die Möglichkeit haben, die Originalschriften zu lesen; Bücher, die moralische Lehren vermitteln und Anleitung geben, wie damit umzugehen sei. Auf diese Punkte ausgerichtete Absichtserklärungen ziehen sich, im einzelnen modifiziert, durch sämtliche Vorreden. Ragor will auch dem einfachen Manngemeinen MannesNichtlesereinfachen< Leute sind potentielle Rezipienten der Exempelsammlungen. In der Ausgabe von 1574 weist Hondorff ausdrücklich auf den Nutzen der Historien für die Herrschenden hin: Und daß es auch sonderlich nützlich sey / daß diejenigen / so im Regiment sein und sitzen / die Historien fleissig lesen und betrachten / hat nicht one ursach der weise Man Demetrius Phalereus zum offtern mal den König Ptolemeum vermanet. [...] Umb solchs grossen nutzs willen / sollen alle Potentaten / Könige [...] die Historien Tag und Nacht in Henden haben. 141

Die Exempelsammlung rückt hier in die Nähe der Fürstenspiegel, der Didaxe für die Herrschenden: eine Zielrichtung, die u.a. auch Anton von Pforr für seine Bearbeitung der orientalischen Fabelsammlung Kaiila Wa Dimna, Das Buch der Beispiele der alten Weisen, und Georg Rollenhagen für das Tierepos Der FroschmeuselerH2 angestrebt haben. Auch Martin Luther wollte mit seinen Fabeln gezielt die »grossen Fürsten und Herrn« belehren. 143 Als weiteren möglichen Leser- (bzw. Käufer-)Kreis fassen die Herausgeber solche Personen ins Auge, die die Exempel gebrauchen können, um mit ihrer Hilfe andere zu belehren, vornehmlich die Prediger. Weltliches Erzählgut, Fabeln, Legenden, Anekdoten, Wunderberichte, Schwänke oder Sprichwörter in die Predigt einzustreuen, war - nicht unumstrittene - aber gängige Praxis. 144 Für diesen Zweck boten sich die Exempelsammmlungen als Fundus an, in dem der Geistliche, nach Stichworten geordnet, passende Beispielerzählungen zur Untermalung und Beglaubigung seiner theologischen Ausführungen finden konnte. »Die Nachweise über die Benutzung von Exempelbüchern häufen sich seit dem Erscheinen neuer, offenbar nicht zuletzt für den Prediger hergestellter und für sie unentbehrlicher Werke dieser Art von protestantischen Autoren.« 145 Hondorff geht von eigenen Erfahrungen aus: Damit ich nun in meinem Predigampt / bisweilen / wenn es Gottes wort erforderte und nötig were / derselben Exempel wenig einfüren köndte / und auch sonst ein vorrath derselben zu lesen haben möchte / habe ich mir zum besten gedacht / aus vielen beglaubten Schrifften und Büchern viel Historien und Exempel zusammen zu bringen. 146

Der Typograph der Ausgabe des Promptuarium diese Angaben und ergänzt:

140

Exemplorum

von 1574 zitiert

Hondorff, 1576, fol. IHIr. Ders, 1574, fol. IIv. 142 Siehe unten S. lOlff. 143 Siehe unten S. 72ff. 144 Yg[ Herbert Wolf, Erzähltradition in homiletischen Quellen. In: Völkserzählung und Reformation, S. 705-756. 145 Ebd., S. 710. 146 Hondorff, 1568, Leservorrede, S. 1 (ungz.). 141

51 Welches [...] von [...] Andrea Hondorff der Ursachen und Intention halben zusammen gelesen / wie er selbst erkennt / auff daß er in seinem Predigampt / und auch Privatstudieren / wenn es Gottes Wort / erfordert und nötig were / derselben Exempel wenig ein führen kündte / und auch sonst ein vorrath derselben zulesen haben möchte: Jedoch hat solche seine Intention weiter frucht und nutz geschafft unnd bracht / also / daß es auch vielen frommen Christen zu lesen nutzbarlich und lustig erschienen. 147

Ähnlich berichtet Wolfgang Bütner von seinen eigenen Erfahrungen mit den Exempeln im Predigtamt und empfiehlt seine Sammlung, weil sie auch für andere Ρredicanten, »solchen in hohen Emptern und Stenden / und die mit Hausgeschefften umbgehen«, von großem Nutzen sein könne. Steinhart bringt den Topos, daß er gedrängt worden sei, das Werk zu veröffentlichen, speziell mit diesen Interessenten in Verbindung und unterstellt ihnen ein ausgeprägtes Interesse: Denn viel Kirchen und Schuldiener in deme mich offt besprochen und gefragt / wo mein Epitome Historiarum super totam Catechesin, neben des Butneri vermerung bleibe / etc. Hoffe derwegen / diß Buch sol einfeltigen Pfarrhern und frommen Gottesfürchtigen Hausvätern / dienstlich und nützlich sein.' 4 8

Zugleich werden hier wieder besonders die nicht-gelehrten, aber durch ihre Frömmigkeit ausgezeichneten Rezipienten angesprochen. Neben den Predigern und Lehrern sollen aber auch alle anderen Leser die Exempel weitergeben, sie in Gespräche einflechten und damit zu ihrer Verbreitung beitragen. So will Hondorff mit seiner Sammlung [...] verursachen / daß solcher Historien in gegenwertiger / vernünfftiger Leut reden und Gesprechen / vielmals können gedacht und eingefüret werden / wie denn vernünftige Leute gerne Historien erzelen / sie auch gerne erzehlen hören / da offt eine Historia / so auff die ban gebracht wirdt / andere mehr herfür bringen. 149

Außer diesem Argumentationsstrang, der die Intention des Verfassers von der formalen Gestalt des Werkes her begründet und prinzipiell die Kompilationsliteratur würdigt, gibt es ein weiteres Begründungsmuster, das Stoff und Gehalt der Exempel in den Mittelpunkt rückt: So sind wir je auch solche grosse Werck Gottes zu bedencken und zu betrachten / unnd davon zu schreiben / zu singen und zu sagen / schuldig unnd pflichtig / auff daß Gott darauß erkannt / und seine Gerechtigkeit dadurch gelobt / gerühmet / geehret / und gepreiset werde in aller Welt / auff daß jederman lerne Gott fürchten / und sich für Sünden und Schanden hüten / wie geschrieben stehet : Der Fürsten Heimligkeiten sol man verschweigen / aber Gottes Werck sol man rühmen und offenbaren. 1 5 0

Rivander nennt die beiden Aspekte, die in diesem Zusammenhang wichtig werden: den didaktischen Wert der Exempel und ihren dokumentarischen Charakter, der sie dazu befähigt, die Größe Gottes kundzutun. Letzteres erweist sich vor allem für die Prodigienliteratur als wesentlich: 147 148 149 150

Ders., 1574, Vorrede des Typographen, S. 1 (ungez.). Steinhart, Widmungsvorrede, fol. (a) Vv. (unpag.). Hondorff, 1574, fol. 3v. Rivander, 1587, fol. a IIIIv. (unpag.).

52 Auß denen Ursachen / das solche wercke Gottes inn der Menschen gedechtnuß blieben / und nicht durch unfleis untergiengen / die Gott unserthalben fürgestellet hat.' 5 1 D i s e Miracula / Wunderwerck und Zeichen / hab ich ordentlich in dieses Buch in sechs theil verfasset / uns allen in diesen letzten Zeiten zu Christlicher und trewer warnung / das wir uns nach der vermahnung Christi / der lieben Aposteln und aller trewhertzigen Lerer und Prediger / auff solche herzliche zukunfft und gnedige erledigung sollen bereiten und geschickt machen / damit wir nit wie die erste Welt nach vilfeltiger trewer Warnung N o a c h s / Abrahams und Loths mit dem entlichen zora und straff Gottes uberfallen / und mit allen solchen gottlosen Verächtern m ö g e n zeitlich und ewiglich gestrafft werden. 1 5 2

Wie bei den Exempelsammlungen deckt sich auch hier die Überzeugung von der Nützlichkeit der vorgestellten Texte mit den Begründungen für die Herausgabe der Sammlungen. Dasselbe gilt für die Heiligenkalender, die Vorbilder vorstellen, denen der Rezipient nacheifern soll: damit fromme Christen durch ihr Exempel zu standthafftiger Bekentnis Göttliches Worts / unnd zu Christlicher gedult / in ihrem Creutz und Leiden bewegt würden. 1 5 3

Damit dürfte deutlich geworden sein, daß die Aussagen der Verfasser über ihre Intentionen sich sowohl auf die Form wie auf den Inhalt ihrer Werke beziehen und daß auch hier der legitimierende Charakter in den Vordergrund tritt. Die Stellungnahmen zum >Warum des Veröffentlichens< gehen weniger von einer individuellen Absicht aus, sondern bestehen vor allem darin, zu sagen, daß man ein nützliches Buch auf den Markt bringen wollte, und es geht darum, zu begründen, warum das vorliegende Werk ein solches sei. Darin unterscheiden sich die Exempelsammlungen in keiner Weise von anderen Sammelwerken ihrer Zeit. Wenn dennoch in diesem Punkt stärker als bei Fabel- oder Sprichwortsammlungen auf Topoi zurückgegriffen wird, mag das daran liegen, daß der Nutzen und die didaktische Funktion der Exempelsammlungen theoretisch außerordentlich gut und stichhaltig begründet sind. Die Autoren können sich auf diesen Kontext berufen und beschränken. Für weitergehende eigene Ideen bleibt kaum Spielraum - es besteht auch keine Notwendigkeit dazu - , so daß dieses Thema relativ kurz und ohne großen Aufwand abgehandelt werden kann.

2.3.7.

Theologische

Exkurse

Exemplasammlungen sind Werke mit theologischem, auf eine christliche Erziehung hin ausgerichtetem, z.T. auch konfessionspolemischem Anspruch. Es verwundert von daher nicht, wenn die Verfasser, überwiegend protestantische Pfarrer, innerhalb der Vorreden zu dogmatischen Fragen Stellung nehmen und,

151 152 153

Fincel, Widmungsvorrede, fol. A Ilr. Goltwurm, Wunderwerck, fol. Α Ilrf. Hondorff, Calendarium Sanctorum, Vorrede von Sturm, fol. A IHIr.

53 wie wir es auch in den Sprichwörtersammlungen sehen werden, teilweise umfangreiche predigtartige Traktate in sie integrieren. Dort wo solche Abhandlungen existieren, wie etwa der Exkurs über das christliche Sterben bei Steinhart oder die Predigt über Jesus Sirach bei Manlius, bestimmen sie rein quantitativ weite Teile der Vorrede 154 und verdienen eine eigene Betrachtung. Dabei soll es nicht darum gehen, die Positionen der einzelnen Autoren im Detail zu referieren oder ihren theologischen Standpunkt zu bestimmen. Entscheidend für die Beschreibung der Vorreden ist im wesentlichen die Tatsache, daß einige der Autoren die Vorrede nutzen, um Gedanken zu veröffentlichen, die sie für wichtig halten, und daß der Vorrede so eine Rolle zugewiesen wird, die über den bloßen Charakter einer Einführung in ein bestimmtes Werk hinausgeht. Thematisch stehen diese Abhandlungen im weitesten Sinne im Zusammenhang mit Inhalt und Anspruch der Werke und werden oftmals auf irgendeine Weise mit dem Gegenstand des Werkes verknüpft. Die Prodigienliteratur widmet ihre Aufmerksamkeit vor allem dem nahenden Strafgericht, Gottes Zorn und Aufforderung zur Buße. Hinweise auf den Untergang Sodoms oder Ninives und die Sintflut werden verknüpft mit zeitkritischen und antipapistischen Ermahnungen. Auf die entsprechenden Stellen bei Fincel wurde bereits verwiesen. 155 Lycosthenes äußert sich zu Beginn seiner Vorrede über Gottes Güte, ausführlicher noch über seinen Zorn, den alle >Verächter< zu spüren bekommen sollen, die die Warnungen der Lehrer und Propheten nicht ernst nehmen, womit er bei seinem Thema, den Wunderzeichen, anlangt. Mit der Verkündigung, daß Gott immer, auch in »diesen letzten zeiten«, seine Kirche beschützt habe und »die zuhörer des Worts erleuchtet«, leitet Ragor die Vorrede zum zweiten Teil seiner Exempelsammlung ein. Dafür schulde man Gott große Dankbarkeit, die man durch das Bemühen, an Gotteserkenntnis zuzunehmen, zeigen könne. Die Gotteserkenntnis aber werde durch bestimmte Schriften befördert, etwa durch die Aufzeichnung der Gespräche Melanchthons, die im vorliegenden Werk zur Verfügung stünden. Eine ausführliche Würdigung Melanchthons schließt sich an. In der Vorrede zu Goltwurms Kirchenkalender findet sich ein längerer Abschnitt, in dem 14 Tyrannen, Verfolger der Christen, vorgestellt werden. Die Kurzviten sind z.T. wörtlich dem 5. Teil der Wunderwerck entnommen und sollen den Inhalt der Sammlung, die die Lebensbeschreibungen der Märtyrer ergänzt, in einen historischen Kontext einbetten und zugleich die Folgen ihrer Verfolgung anzeigen. Daran schließt sich eine Warnung an alle Verfolger der Christen an: Diese kurtze erzehlung von den Tyrannen und Verfolgern der Christen / hab ich darumb gethan / dieweil in diesem Calendario und in anderen Schriften vielmal / ja schier in einer jeglichen Historias / dieser Tyrannen und irer Verfolgung meidung geschieht / darauß

154

155

Bei Manlius neunzehn von zweiundzwanzig Seiten, bei Sturm (Calendarium Sanctorum) vier von sieben Seiten, bei Rivander mehr als drei von sechs Seiten. Die entsprechenden Stellen bei Fincel wurden bereits zitiert, s. oben S. 34.

54 die frommen Christen sehen / daß Gott allezeit / und noch heutigs tags / dz unschuldig Blut seiner Heiligen nit wil ungerochen / und die Tyrannen ungestrafft lassen. 1 5 6

Andere Autoren abstrahieren stärker vom konkreten Inhalt des Werks. Exemplarisch sei der Gang der Argumentation bei Rivander vorgeführt. Seine Vorrede besteht etwa zur Hälfte aus einem theologischen Exkurs über die zweifache Offenbarung Gottes in Gesetz und Gnade, über Zorn und Gerechtigkeit und das Evangelium von Liebe und Vergebung. Eine Reihe von Stellen aus dem Alten Testament und den Paulusbriefen zitierend, begründet er die Notwendigkeit von Reue und Umkehr und verbindet sie mit zeitkritischen Bezügen: sonderlich in diser letzen zeit / da es mit der Welt biß auff die Neyge und Hefen kommen ist / und die Sicherheit mit allen Untugenden uberhandt genommen haben / und noch täglich nemen / ohn auffzuhören / mit voller Gewalt. 1 5 7

Es geht ihm darum zu betonen, daß beides gepredigt werden müsse: »die Predigt der Busse erstlich / und darnach auch die Predigt von der Vergebung«, so daß die Menschen ermahnt, aber auch getröstet werden. Damit bezieht er Position in der Frage des Antinomismus, der zu Auseinandersetzungen unter den Reformatoren geführt hatte. Wie für Luther sind für ihn Gesetz und Evangelium keine Gegensätze, während die Antinomisten unter Berufung auf die evangelische Freiheit den verpflichtenden Charakter des Sittengesetzes für die Christen als solchen leugneten. Wer nun die Predigt der Büß und des Gesetzes wil auß der Kirchen hinweg räumen / die Antinomer gethan haben / und noch thun / was machen die anders / denn daß sie Menschen die Thür und den Weg zur Seligkeit und ewigem Leben versperren und schließen / und sich an der Verdammnuß der Menschen schuldig und theilhafftig chen? Denn dieweil niemandts selig werden kan / er thue denn Büß / und die Büß Erkandtnuß der Sünden nit ist / und aber unmüglich / daß ein Mensch zur erkantnuß ner Sünden könne gebracht werden / ohne die Predigt des Gesetzes. 1 5 8

wie den zumaohn sei-

Die Anknüpfung an sein Werk, das einen deutlichen Ruf zu Umkehr und Buße darstellt, ist deutlich, doch macht der zitierte Abschnitt klar, daß hier weitgehend unabhängig vom Werk bzw. über dieses hinausgehend zu aktuellen und grundsätzlichen theologischen Fragen Stellung genommen wird. Steinharts Exkurs zum christlichen Sterben in der Epitome Historiarum, der ebenfalls gut die Hälfte der Vorrede ausmacht, wurde bereits an anderer Stelle erwähnt. Auch dort zeigt sich, daß zwar eine Verbindung zum Werk hergestellt wird, daß die Aussagen aber auch für sich oder in anderen Zusammenhängen stehen könnten. Dasselbe läßt sich sagen über Sturmius' Vorrede zu Hondorffs Calendarium Sanctorum, die eine detaillierte und systematische Auslegung von 1. Petrus 4, 12-19 enthält. Auch hier werden ausgehend vom Thema der Sammlung, dem

156 157 158

Goltwurm, Kirchenkalender, fol. Bv. Rivander, 1587, fol. a Illr. Ebd., fol a IIIv.

55 Schicksal der Heiligen und Märtyrer, allgemeine Betrachtungen darüber angestellt, warum Gott über die Christen Leiden verhängt und wie der Gläubige sich im Leiden bewähren kann. Ohne aktuellen Bezug zum Werk steht die Widmungsvorrede bei Johannes Manlius, die Ragor in seiner Ausgabe der Locorum Communium mit abdruckt. Er bringt zu Beginn »disen herrlichen unnd schönen Sententz / der also lautet« (Jesus Sirach 30,22-27): Mach dich selbs nicht trawrig / unnd plage dich selbs nicht mit eigenen gedancken: Denn ein fröliches Hertz ist des Menschen Leben / und seine Freudt ist sein langes Leben. 1 5 9

Davon ausgehend bedenkt er in einer mehrere Seiten umfassenden Betrachtung die Aspekte christlicher Fröhlichkeit und das Gebot zur >Sorglosigkeitweltlichen< Stoff zu rechtfertigen. 161 Hier, vor einer Exempelsammlung, steht diese Aussage eher isoliert, zumal der Autor keinen Versuch unternimmt, in irgend einer Weise einen Zusammenhang zwischen Vorrede und Werk herzustellen. Es gibt also innerhalb der theologischen Abhandlungen Unterschiede, die vor allem den Grad der Beziehung zum Werk betreffen. Mehr oder weniger ausgeprägt dient die Vorrede jedoch in allen Fällen dazu, dem Autor Raum zu geben für theologische Veröffentlichungen, die im Zusammenhang mit der Sammlung ein interessiertes Publikum finden sollen. Es wird sich in den folgenden Kapiteln zeigen, daß nicht nur für die Exempelsammlungen diese Funktion ein wesentliches Merkmal der Vorreden des 16. Jahrhunderts darstellt.

2.3.8.

Zur

Widmung

Von den hier untersuchten dreizehn Ausgaben enthält nur eine (Ragor: Locorum Communium / Der Ander Theil) kein Widmungsschreiben des Verfassers bzw. Herausgebers. Fünf der Sammlungen enthalten zusätzlich noch eine Vorrede an den Leser. Daß Bücher Freunden oder (potentiellen) Gönnern zugeeignet werden, gehört zum topischen Bestand der Vorreden. Darin unterscheiden sich die Exempelsammlungen nicht von anderen Gattungen. Der bzw. die Empfänger werden mehr oder weniger ausführlich gerühmt und umschmeichelt; der Grund, warum gerade ihnen das Werk gewidmet ist, wird genannt (persönliche Verbundenheit oder Dankbarkeit), und es wird die Bitte ausgesprochen, der >Patron< möge sich dem Werk und seinem Verfasser gegenüber gnädig zeigen. 159

Ragor, Locorum Communium, Vorrede von Manlius, S. lf (unpag.). Vgl. Matth. 6,25-34. 161 v g l . das Kapitel zur Schwanksammlung. 160

56 Hervorhebung verdient der Ansatz Sturms, eine Beziehung zwischen dem Inhalt der Sammlung und der Widmung herzustellen, indem er ausführlich auf das protestantische Engagement des Fürsten Joachim Friedrich, Markgraf zu Brandenburg hinweist, der aufgrund dessen »von den Feinden Göttliches worts / und den B a a l s p f a f f e n die Hitze mancherley Widerstandes auff sich laden und tragen mußte«. 1 6 2 Dadurch wird er wie die Heiligen und Märtyrer zum E x e m pel für viele fromme Christen. Die Frage nach dem >rechten< (d.h. protestantischen) Glauben spielt auch in dem Zuschreiben von Steinhardt eine Rolle. Ganz auf seine persönliche Beziehung zum Adressaten, dem Fürsten Wolfgang zu Fulda, ist die Widmung Herolds ausgerichtet. Die anderen Autoren bleiben allgemein und rühmen Glaubensstärke, Frömmigkeit, christlichen Lebenswandel ihrer Förderer. Daß sie ihnen darüber hinaus besonderes Verständnis für die Exempel zusprechen, ist wiederum ein Topos, der in jeder Gattung vorkommt. Insgesamt besteht daher keine Notwendigkeit, den Widmungen der Exempelsammlungen Aufmerksamkeit zu schenken.

162

Hondorff, Calendarium Sanctorum, Vorrede von Sturm, fol. A IIIIv.

gesondert

3.

Betriegen zur Warheit

3.1. Die Fabelsammlungen Ähnlich wie die Exempelsammlungen werden im 16. Jahrhundert die Fabelsammlungen zu Kompilationswerken, die unterhaltende mit didaktischen Intentionen verbinden. Die Fabel, deren zweiteiliger Aufbau aus Erzählung und Lehre (Promythion bzw. Epimythion) sie zur Vermittlung erzieherischer Inhalte für breite Schichten prädestiniert, erfreut sich vor allem in der Reformationszeit bei Autoren wie Martin Luther, Erasmus Alberus und Burkhard Waldis großer Beliebtheit. Es entstehen zahlreiche Sammelwerke und zugleich eine ausformulierte Fabeltheorie, die im wesentlichen in den Vorreden dieser Werke niedergelegt ist. Obgleich es auch in den Fabelsammlungsvorreden prinzipiell übereinstimmende Grundmuster gibt, wie etwa die Aussagen zur Legitimation von Lehrdichtung in vermittelnder und unterhaltenden Form, sind sie insgesamt doch individuell verschieden ausgeprägt, so daß eine detaillierte Besprechung der einzelnen Texte einer Zusammenfassung über die Fabelvorrede im allgemeinen vorausgehen muß. Die erste deutschsprachige Fabelsammlung legte bereits 1349 der Berner Dominikaner Ulrich Boner vor.1 Seiner aus hundert Fabeln bestehenden Sammlung ist ein Versprolog vorangestellt, der mit einem Eingangsgebet - einem Lobpreis des Schöpfergottes - einsetzt und im folgenden Abschnitt u.a. auch Überlegungen zur Theorie der Fabel enthält, wie sie sich in allen späteren Vorreden zu Fabelsammlungen wiederfinden. Für Boner ist die Schöpfung sichtbarer Ausdruck der Güte Gottes und zugleich ein Spiegel, den Gott den Menschen vorhält, damit sie ihr Leben an seinen vollkommenen Maßstäben orientieren. 2 Ein Spiegel ist die Natur für Boner auch insofern, als sie Bilder und Beispiele vor Augen führt, aus denen »jung und alt kluogkeit« lernen können. Wie in jeder Theorie des Lehrens durch Exempel liegt auch hier die Vorstellung zugrunde, daß durch Beispiele anschaulicher und erfolgreicher gelehrt werden könne - vorausgesetzt, die Lehre wird vom Leser als solche erkannt und verstanden:

1

2

Dazu Klaus Grubmüller, Meister Esopus. Untersuchungen zur Geschichte und Funktion der Fabel im Mittelalter. Zürich/München 1977. S. 297-350, zum Prolog S. 304ff. Zum Motiv des Weltspiegel s. oben S. 24.

58 30

Ez sprechen! ouch die meister wol: me denne wort ein bischaft tuot! 3

Die >Moral der Geschichten in der Fabel meist als Pro- oder Epimythion ausformuliert, ist der Edelstein, auf den der Titel der Sammlung hinweist und den nur der Törichte nicht als solchen erkennt: 64

Diz büechlin mag der edelstein wol heizen, wand ez in im treit bischaft manger kluogkeit, und gebirt auch sinne guot. 4

In der nicht nur bei Boner programmatisch an den Anfang gesetzten Fabel Von einem Hanen und einem edelen Steine. Von Unerkantnisse,5 der »Fabel von der Fabel«, 6 ist genau dieser Zusammenhang angesprochen: 26

dem toren sint al die gelich, die wisheit, kunst, er unde guot versmähent durch ir tumben muot die nützet nicht der edel stein

41

der tore der sol vür sich gän und sol die bischaft läzen stän: im mag der vrüchte werden nicht, recht als dem hanen im beschicht.

1461 wird Boners Edelstein als einer der ersten volkssprachlichen Frühdrucke von Albert Pfister in Bamberg herausgegeben.7 Diese Ausgabe allerdings, die generell von einer sehr schlechten Textüberlieferung geprägt ist, enthält weder den Prolog noch den Epilog, der weitere programmatische Überlegungen zur Fabel beinhaltet. Der Herausgeber verzichtet auch auf die Hinzufügung einer einleitenden Vorrede. An den Anfang rückt damit die Fabel von Affe und Nuß, die den Gedanken vom verborgenen Wert der Fabel variiert: Auf sie weist Boner im Epilog noch einmal hin: 15

3 4 5 6

7

8

ein dürre schal dik in ir treit ein kernen grözer süezekeit. 8

Ulrich Boner, Der Edelstein, hg. von Franz Pfeifer. Leipzig 1844. S. 1. Ebd., S. 2. Ebd., S. 3f. Dazu Klaus Speckenbach, Die Fabel von der Fabel. Zur Überlieferungsgeschichte der Fabel von Hahn und Perle. Münster 1978 (Frühmittelalterliche Studien 12). S. 178-229. Ulrich Boner, Der Edelstein. Faksimile der ersten Druckausgabe Bamberg 1461, gedruckt bei Albrecht Pfister. Nach dem Exemplar der HAB Wolfenbüttel 16.l.Eth.2°. Eingeleitet von Doris Fouquet. Stuttgart 1972. Boner, S. 184.

59 3.2. Heinrich Steinhöwel Ausgangspunkt der Fabelrezeption des 16. Jahrhunderts ist jedoch nicht die Sammlung Boners, sondern der lateinisch-deutsche Esopus des Ulmer Arztes und humanistischen Gelehrten Heinrich Steinhöwel. 9 Seine Fabelsammlung, erstmals 1476/77 bei Johann Zainer in Ulm gedruckt, übertrifft, soweit es ihre Wirkung angeht, alle früheren und späteren Bearbeitungen des äsopischen Fabel-Corpus. Das Werk erfährt, meist ergänzt um die Fabeln von Sebastian Brant in der Übersetzung durch Johannes Adelphus, 10 noch im 16. Jahrhundert zahlreiche Neuauflagen, in denen auch die Vorrede Steinhöwels weitertradiert wird. 11 Weil gerade diese Vorrede besonders aufschlußreich ist für das Verständnis der Fabel und ihrer Rezeption, soll sie hier ergänzend zu den Fabelvorreden des 16. Jahrhunderts in ihren Grundzügen vorgestellt werden. 12 Die Vorrede nennt zunächst Steinhöwels Quellen: die Aesop-Vita des Rinuccio d'Arezzo (Rimicius), 13 die Sammlungen von Romulus, Avianus und Aldephonus, die Doligami des Adolf von Wien 1 4 und die Facetiae Poggios. Daran schließen sich Ausführungen zum Modus seiner Übersetzung an: »schlecht [d.h. in Prosa], nit wort uß wort, sunder sin uß sin«. Steinhöwel, der sowohl ein »philologisch-antiquarisches« wie ein »volkspädagogisches« 15 Interesse an dem Fabelkorpus hatte, unterstreicht, daß es ihm um eine möglichst getreue Wiedergabe der antiken Originaltexte geht: Hie wirt ouch allain die gemain ußlegung nach schlechtem tütsch ungerymt geseczet, nit wie sy vor in tütschem rymen geseczet sint, umb vil zuogelegts wort zemyden und uf das nächst by dem text, wie oben stat, zu belyben. 1 6

Steinhöwel spielt an dieser Stelle mit seiner Kritik auf Ulrich Boners Sammlung an, der er die Reimfassung und damit einen unzulänglichen Umgang mit

9 10

'1 12

13 14

15

16

Steinhöwels Äsop, hg. von Hermann Österley. Tübingen 1873. Zum erstenmal erschienen 1508 in Straßburg bei Johannes Prüß: In disem Buch ist des ersten teils / das leben und fabel Esopi / Aviani / Doligani / Adelfonsi / mit schympffrede Pogij. Des anderen teils auszüge schöner fabeln un exempeln Doctoris. S. Brant / alles mit synen figuren un Register.(Ex. Mü SB 2 A.gr.b.14.) Weitere Ausgaben: Freiburg im Breisgau, 1531 (Ex. HAB Lg 67); 1535 (Ex. Mü SB 4 A.gr.b.55); 1545 (Ex. Mü SB 4 A.gr.b.56; Ex. HAB 22.14 Eth.[l]); 1569 (HAB Lg 68.1); Frankfurt a.M., 1589 (Ex. Mü SB P.o.germ.1136/1; Ex. HAB Lg. 69). Diese Drucke verzichten jedoch alle auf die ursprünglich zweisprachige Fassung Steinhöwels. Ausführlich zur Vorrede äußert sich Gerd Dicke in seiner kürzlich erschienenen Dissertation Heinrich Steinhöwels >Esopus< und seine Fortsetzer. Tübingen 1994. S. 20-39. Er übersetzt 1448 erstmals die griechische Fassung ins Lateinische. Eine Sammlung, die dann doch nicht in das Werk eingegangen ist. Vgl. Barbara Weinmayer, Studien zur Gebrauchssituation früher deutscher Druckprosa. München 1982. S. 134. Adalbert Eischenbroich, Die deutsche und lateinische Fabel in der Frühen Neuzeit. Tübingen 1991. Bd. 2. S. 11. Steinhöwel, S. 5.

60 der antiken Vorlage vorwirft. Auf die Zweisprachigkeit seiner Erstausgabe geht Steinhöwel hier nicht ein, was zur Folge hatte, daß die Vorrede später problemlos auch für alle anderen Drucke verwandt werden konnte. Die Kürze und Schlichtheit der Texte steht im Einklang mit den didaktischen Intentionen des Autors. Er will dem Leser ergeczlikait, die auch nuczlich ist, bieten, also prodesse et delectare. Nützlich sind die Fabeln allerdings nur für den, der sie mit Verstand liest. Wie dies zu geschehen habe, erklärt Steinhöwel deutlich und ausführlich unter Berufung auf den heiligen Basilius, das ist Basilius der Große (um 330-379), der in seiner Mahnrede An die Jugend die Bedeutung außerchristlicher Literatur für die Christen betont und am Bild von der honigsaugenden Biene expliziert hat: 17 daz der leser dises büchlins verstendnüs habe der pinen gegen den pluomen, die der ußera färben nit acht habent, sunder suochent sie die süssikait des honigs und den nucz des wachs zuo ierem buw, daz niement sie hindan, und laußent das übrig taile des pluomen ungelezet. 18

So wie die Biene nicht auf das Äußere der Blume achtet und nur nach dem Honig sucht, soll der Leser allein auf die guote lere achten. Die märlun oder fabeln an sich sind genauso unbedeutend wie die Farbe der Blumen, wichtig allein ist »die guote lere, darinn begriffen, zuo guoten sitten und tugend ze lernen und böse ding ze schüchen«. 19 Dies ist an die Leser gerichtet, die das Buch nur zur Unterhaltung, d.h. auf einer oberflächlichen Ebene zur Kenntnis nehmen. Sie handeln wie der Hahn in der Fabel, der auf der Suche nach einem Korn eine Perle findet und sie nicht zu schätzen weiß. Steinhöwel greift den Topos von der honigsaugenden Biene im Epimythion zu dieser Fabel, die auch hier programmatisch an den Anfang gesetzt ist, wieder auf: Dise fabel sagt Esopus denen, die in lesent und nit verstant, die nit erkennent die kraft des edeln bernlins, und das honig uß den bloumen nit sugen künent; wann den selben ist nit nüczlich ze lesen. 20

So entwickelt Steinhöwel eine Art >Leseanleitung< für die Fabel, wie sie in ähnlicher Art in den Vorreden fast aller späteren Fabelsammlungen zu finden ist. Stets geht es darum, das Verhältnis von Erzählung und Lehre, also von prodesse und delectare zu klären und den Leser dazu zu bringen, die Fabel als Lehrdichtung zu rezipieren. »Am Tiergleichnis wird der >leser dises büchlins< so in das uneigentliche Verständnis der nachfolgenden >märlun oder fabeln< eingeübt und zugleich angewiesen, den Wert der Texte im dechiffrierten Gehalt, nicht in der poetischen Einleitung zu erkennen, auf das Was, nicht auf das

17 18 19

20

Vgl. Erwin Leibfried/Josef M. Werle, Texte zur Theorie der Fabel. Stuttgart 1978. S. 129f. Steinhöwel, S. 4. Zum Bienengleichnis: Klaus Lange, Geistliche Speise. Untersuchungen zur Metaphorik der Bibelhermeneutik. In: ZfdA 95 (1966), S. 81-122, besonders S. 103-106. Steinhöwel, S. 80.

61 Wie der fabulösen Exemplifizierung acht zu haben, als Interpret, nicht als bloßer Konsument der Texte tätig zu werden und >ergeczlikait< aus ihrem >nucz< zu beziehen.« 21 Das Bestreben, den didaktischen Nutzen der Fabel deutlich herauszustellen, verbunden mit der Absicht, die fiktionale und unterhaltende Gattung dadurch zu legitimieren, bildet einen wesentlichen inhaltlichen Schwerpunkt der Fabelvorrede des 16. Jahrhunderts und noch darüber hinaus. Der unterhaltende oder ästhetische Aspekt und Wert der Dichtung wird nicht nur bei Steinhöwel, sondern auch bei seinen Nachfolgern im Zusammenhang dieser Argumentation weitgehend vernachlässigt. Nimmt man allerdings die Übertragung auf das Bild von Hahn und Perle ernst, so heißt das für die Form, daß sie als der >schöne Schein< keiner eingehenderen Würdigung bedarf, sondern für sich selbst spricht, während der darin verborgene Inhalt sich dem Betrachter nicht auf den ersten Blick offenbart. Im Anschluß an die Ausführungen, die auf sein eigenes Werk abzielen, gibt Steinhöwel einen kurzen Abriß der Entstehung der Fabel und formuliert, antike Quellen referierend, eine Definition, mit der er sie als Gattungsbezeichnung in Deutschland einführt. 22 Was hier unter der Leitfrage: »waz ain fabel genennet sei« formuliert ist, stammt in fast wörtlicher Übereinstimmung aus Isidor von Sevilla, 23 der den Begriff >Fabel< vom lateinischen fando, d.h. >reden< ableitet: »denn fabel synt nit geschechene ding, sonder allain mit worten erdichte ding.« In ihnen können die »unvernünftigen tier die nit reden kündendt (oder andere ding, die nit enpfindende sei hant) mit ain ander redent.« Als erste finder der Fabeln nennt er den maister Alemo Crotoniensis24 und den maister Esopus. Von Isidor übernimmt er auch die Unterscheidung zwischen äsopischen Fabeln mit reinem Tierpersonal und libyschen Fabeln, die von Menschen und Tieren handeln. 25 Als Intention der Fabeldichter stellt Steinhöwel historisch-deskriptiv analysierend fest: Die poeten haben ouch ettlich fabel getichtet, darumb daz sie lustig syent ze hören und die sitten der menschen und ir wesen beschrybent, sich dar uß ze beßern [...] Etlich daz sie die natur verglychten. 2 6

Die Fabeln wollen unterhalten und sie wollen im Verhalten der Tiere ein Abbild (ynbildung) menschlicher Verhaltensweisen geben mit dem Ziel, daß diese als korrekturbedürftig erkannt werden. Damit beschreibt Steinhöwel - neben der Unterhaltungsfunktion - die beiden wesentlichen Merkmale der Fabel: sie

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Dicke (1994), S. 28. So Waltraud Briegel-Florig, Geschichte der Fabelforschung in Deutschland. Diss. Freiburg 1965. S. 21. Etymologiarum liber, I, c.XL. Vgl. Leibfried/Werle, S. 128. Das ist der griechischer Arzt und Schüler des Pythagoras, Alcmeon von Kroton. Diese Unterscheidung findt sich schon bei Aristoteles, Rhetorik, II, 20. Steinhöwel, S. 5.

62 hat konstatierenden Charakter, indem sie zeigt, wie der Mensch ist, und sie kann, wenn sie auf die Konsequenzen aus diesem Befund abhebt, (mit oder ohne Epimythion) erzieherisch wirken. Die dritte der genannten Möglichkeiten verweist, wie die von Steinhöwel angeführten Beispiele zeigen, »auf eher allegorisch strukturierte Bestiarien. Ihre Entschlüsselung [...] soll gerade nicht aktuelle Lebenssituationen klären helfen, sondern soll einweihen in die universale Ordnung der Dinge«. 27 Diese Art ist in Steinhöwels Sammlung nicht eingegangen und auch in der übrigen mittelalterlichen volkssprachlichen Fabelliteratur kaum präsent. Allein der Nürnberger Prosa Äsop (vor 1412) bedient sich geistlicher und allegorischer Auslegungen, die auf »christliche Moraldidaxe oder typologische Belehrung« 28 abzielen. Zur Vervollständigung seiner definitorischen Bestimmung der Fabel setzt Steinhöwel sie abschließend (in Anlehnung an die Rhetorica ad Herennium29) von >Historien< und >Argumenten< (Mittel der Veranschaulichung) ab. Dafür erscheint der Grad der Fiktionalität ausschlaggebend: Hystorie synt ware beschechene ding. Argumenta synt die, ob sie nit beschechen sind, so ist doch müglich, daz sie beschechen [...] Fabeln sind die, die nicht beschechen synt noch müglich sind ze beschechen, wann sy synt wider die natur.30

Steinhöwels Vorrede gliedert sich in zwei deutlich getrennte Teile, die nicht aufeinander Bezug nehmen: einen >persönlichenwissenschaftlichenEntschuldigungen< genannt werden, eher um eine vorgeschobene Rechtfertigung als um ein überzeugendes Anliegen des Autors handelt, der das Unterhaltungsbedürfnis seines Publikums realistisch einzuschätzen wußte und im Anschluß an die Ankündigung, er verzichte auf die Wiedergabe weiterer >SchimpfredenEinleitungsfunktion< in das vorliegende Werk, erhält aber zum anderen auch eine allgemeine literaturtheoretische Bedeutung. In beiden Funktionen ist sie formal prägend für die Fabelvorrede des 16. Jahrhunderts. Inhaltlich jedoch wird zu zeigen sein, daß sich der theoretische Ansatz des Humanisten wesentlich unterscheidet von dem der protestantischen Geistlichen, die sich in der Folgezeit der Gattung Fabel annehmen.

3.3. Martin Luther Nach Heinrich Steinhöwel ist es in erster Linie Martin Luther, der die Fabeltheorie der frühen Neuzeit geprägt hat. Zudem ist es maßgeblich auf seinen Einfluß zurückzuführen, daß der Fabel in der reformatorischen Moraldidaxe eine herausragende Stellung zukommt. Zentraler Text für Luthers Fabeltheorie ist die Vorrede zu seiner geplanten, allerdings nie vollendeten Fabelsammlung. Darin entwickelt er eine eigene Theorie von der Entstehung der Fabel und geht sowohl auf die Inhalte, die sie vermitteln kann, als auch auf die Art, wie sie dies tut, ein. Luthers Arbeit an den Fabeln, eine Bearbeitung der Asop-Ausgabe Steinhöwels, stammt aus der Zeit seines Aufenthaltes auf der Veste Coburg 1530 34 und zielte auf eine Übersetzung des gesamten Fabel-Corpus einschließlich der Vita ab, wie ein Brief an Philipp Melanchthon vermuten läßt: »aedificabimusque ibi tria tabernacula, Psalterio unum, Prophetis unum, et Aesopo unum. Sed hoc temporale.« 35 Auch wenn es dann doch nicht zu einer kontinuierlichen

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Steinhöwel, S. 342f. Arno Schirokauer, Die Stellung Ä s o p s in der Literatur des Mittelalters. In: Festschrift für Wolfgang Stammler. Berlin/Bielefeld 1953. S. 189. Damit liegt seine Beschäftigung mit der Fabel zeitlich vor der des Erasmus Alberus, dessen Sammlung 1534 erschien, s. unten S. 72. Luther, WA Br 5, S. 285.

64 Beschäftigung mit dem Aesop gekommen ist, - es liegen lediglich die Vorrede und Übersetzungen der ersten 13 Fabeln vor - steht fest, daß Luther der Fabel grundsätzlich große Bedeutung zumaß. Sein Gesamtwerk enthält außer der Äsop-Bearbeitung zahlreiche fabelartige Texte und Würdigungen der Fabel. So auch in der Auslegung zum 101. Psalm, wo er auf die Bedeutung heidnischer Schriften für die weltliche Lehre hinweist und neben Homer, Vergil und Livius »das gemeine, alberne kinderbuch, so Esopus heisset« 36 nennt. Der protestantische Prediger Johannes Mathesius berichtet über Luthers Interesse an den äsopischen Fabeln ausführlich in seiner 7. Predigt über Jothas Mehrlin (1563) 37 und trug damit zu einer raschen Popularisierung der Fabeltheorie bei, die vielfach Eingang fand in die unterhaltende, didaktische und polemische Literatur protestantischer Theologen und Lehrer. Doch während die Fabel bei anderen reformatorischen Fabeldichtern dezidiert eingebunden ist in christliche Morallehre, geht es Luther ursprünglich um etwas anderes. Er will mit den Fabeln: die Warheit [...] sagen, von eusserlichem Leben in der Welt [...]. Denn man darin unter schlechten Worten und einfeltigen Fabeln die allerfeineste Lere, Warnung und Unterricht findet (wer sie zu brauchen weis), wie man sich im Haushalten, in und gegen der Oberkeit und Unterthanen schicken sol, auff das man klüglich und friedlich unter den bösen Leuten in der falschen, argen Welt leben müge. 3 8

Das meint mehr als die Vermittlung von Vorschriften, wie man sich verhalten soll, um ein guter Christ und anständiger Mensch zu sein. Denn am Ausgangspunkt der Überlegungen zu einer weltlichen Lehre steht bei Luther zunächst die Überzeugung, daß die Welt schlecht und amoralisch ist - und bleiben wird: Macht triumphiert über Recht und der Starke über den Schwachen. Diese Wahrheit, die eine allgemein-gesellschaftliche und nicht in erster Linie auf das Individuum bezogene Wahrheit ist, will Luther mit Hilfe der Fabel vermitteln. 39 Ein geeignetes Instrument zur »Veranschaulichung einer christlichen Ethik« ist die Fabel für Luther nicht. 40 Auch wenn ein solches Weltbild nicht allen aesopischen Fabeln zugrunde liegt, so hat Luther damit doch ein charakteristisches Motiv der Gattung getroffen: die Fabel hält der »heillosen, der verworfenen Welt« (Doderer) einen Spiegel vor. Und aus der Überzeugung heraus, daß diese Welt nicht grundsätzlich und nicht durch das Engagement des Einzelnen verbessert werden kann, lehrt die Fabel bei Luther nicht nur richtig zu leben, sondern durch Vorsicht und

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Luther, WA 51, S. 242f. Johannes Mathesius, Ausgewählte Werke. Bd. 3. Luthers Leben in Predigten, hg. von Georg Loesche. Prag 1898. S. 137-154. Luther, WA 50, S. 452. Dazu Klaus Doderer, Über das >betriegen< zur Wahrheit. Die Fabelbearbeitungen Martin Luthers. In: Wirkendes Wort 14 (1964), S. 379-388. So auch Eischenbroich, Die Fabelpredigt des Johannes Mathesius. In: Formen und Funktionen der Allegorie, hg. von Walter Haug. Stuttgart 1979. S. 458.

65 Mißtrauen zu überleben. Neben die individuelle Morallehre 41 tritt eine moralisch begründete Gesellschaftskritik als Thema der Fabeldeutung. Man kann den christlichen und allgemein moralischen Erziehungswert, den die Fabel auch bei Luther hat, nicht leugnen. Es ist jedoch evident, daß die Verhaltenslehren, die in den Epimythien (andeutungsweise) 42 gegeben werden, primär aufgrund der Einsicht in die Schlechtigkeit der Welt erfolgen: Sjhe dich für, mit wem du handelst: Die Welt ist falsch und untrew vol. Denn welcher Freund den andern vermag, der steckt jn in Sack. Doch schlecht Untrew allzeit jren eigen Herrn, wie dem Frosch hie geschieht. 4 3

In diesem Sinne sind Luthers Epimythien vor allem Warnungen. Fast stereotyp erfolgt die Begründung: »Der Welt lauff ist, wer Frum sein wil, der muß leiden.« [II], »Denn es gönnt niemand dem andern was Guts. Das ist der Welt lauff.« [IUI], Die Welt lohnet nicht anders denn mit Undank.« [IX]. Die Handlungsappelle, die darüber hinaus formuliert werden, fordern zu christlichen und tendenziell passiven Verhaltensweisen auf. Dahinter steht für Luther die feste Überzeugung, daß sich die >kleinen Leute< mit diesen Verhältnissen abfinden müssen. Die »allerfeinste Lere, Warnung und Unterricht«, die in der Fabel zu finden ist, heißt: Fügung unter die von Gott gegebene Ordnung. Es ist nicht Luthers Anliegen, Aufruhr, Auflehnung oder Protest zu propagieren. Viel zu sehr bleibt er dem Ständesystem und der Unterordnung unter Gewalt und Macht verpflichtet. Auf der anderen Seite wird man der Ideologie der Lutherischen Fabeltheorie nicht gerecht, wenn man sie alleine auf eine herrschaftsstabilisierende Funktion festlegt. Neben allgemeiner Gesellschaftskritik enthält die Fabelvorrede auch deutliche Kritik an der Obrigkeit. 44 Die >NarrenkappeLöwenanteil< präsent: »Ez ist nicht guot / mit herren kirsen ezzen. / Sie hant sich des vermezzen, / wer mit in kirsen ezzen wil, / den werfen si der kirsen Stil / in diu ougen.« Reinhard Dithmar in: Luthers Fabeln und Sprichwörter, hg. von Reinhard Dithmar. Frankfurt 1989. S. 19. Luther, WA 50, S. 453.

66 Den »großen Fürsten und Herrn« gegenüber bedeutet »die Warheit sagen« nicht mehr nur, eine Zustandsbeschreibung abgeben. Hier geht es darum, Kritik zu üben und Verantwortung zuzuweisen. Die Mächtigen sollen sich wiedererkennen in den Tätern der Fabel, und die Moral, die sie aus den Fabel zu ziehen hätten, müßte dann eine Verhaltensänderung zur Folge haben. Luther führt diesen Gedanken weder in der Vorrede noch in den Texten weiter aus. Doch der vorhandene Ansatz genügt, um davon auszugehen, daß eine politische Funktion der Fabel bei ihm durchaus mitgedacht ist: die Fabel in der Rolle des Hofnarren, der als einziger scherzhaft dem Herrscher unbequeme Wahrheiten sagen darf. Erst Luthers Nachfolger, Erasmus Alberus und Burkhard Waldis, setzen diesen Anspruch in ihren Fabeltexten zumindest teilweise in die Praxis um, allerdings ohne ihn theoretisch zu reflektieren (s.u.). Daß es Luther ernst ist mit der politisch brisanten Bedeutung der Fabel, zeigt sich spätestens, wenn er eine der möglichen Wirkungen der Fabellektüre beschreibt: So geschichts denn, wenn man die Fabeln lieset, das ein Thier dem andern, ein Wolff dem anderen die Warheit sagt, ja zuweilen der gemalete Wolff oder Beer oder Lewe im Buch dem rechten zweifüssigen Wolff und Lewe einen guten Text heimlich lieset, den jm sonst kein Prediger, Freund noch Feind lesen dürffte. Also auch ein gemalter Fuchs im Buch, so man Fabeln lieset, so wol einen Fuchs über Tisch also ansprechen, das jm der Schweis möchte ausbrechen, und solte wol den Esopum gern wollen erstechen oder verbrennen. 47

So sei es, berichtet er, dem Fabeldichter Aesop selber ergangen, der trotz oder gerade wegen seiner Fabeln umgebracht wurde. Die im Extremfall (lebens-) gefährliche Konsequenz der Fabel erscheint als unwiderlegbarer Beweis für ihre Wirksamkeit und die Tragweite dessen, was sie aussagen kann: »Denn die Warheit ist das unleidigste Ding auff Erden.« Weil sich Fabelkonstellationen durch den Konflikt zwischen ungleichen Partnern auszeichnen, ist es prinzipiell möglich, daß ihre Auslegung auf verschiedene Rezipientenkreise abzielt. Je nachdem, an wen sie sich richtet, kann die Fabel unterschiedliche Lehren vermitteln. Dieser Aspekt einer Fabeltheorie kommt bei Luther deutlich zum Ausdruck. Neben den Herrschenden sind es vor allem die Kinder und Jugendlichen, an die Luther sich wendet. Auch an den Hausvater, der seine Familie und das Gesinde in christlicher Lebensführung unterweist, ist gedacht. Was dabei in jedem Fall gleich bleibt, ist die >MethodeWeltweisheit< zuschreiben möchte. Daß sie unter dem Namen eines Narren weitertradiert werden, hält er dennoch für gerechtfertigt, denn es paßt in sein Konzept von der Vermittlung der Wahrheit unter einer Larve. Womit er allerdings unzufrieden ist, ist die Form, in der die Fabeln gegenwärtig als Deudscher Esopus verbreitet werden. Daß es sich bei dessen Verfasser um Heinrich Steinhöwel handelt, ist Luther nicht bekannt, da die meisten Steinhöwel-Ausgaben schon wenige Jahrzehnte nach ihrer Entstehung anonym erschienen. Scharf geht er mit seiner Vorlage ins Gericht und kritisiert vor allem die Einbindung der derben Facetien in das Fabelcorpus. Denn wir gesehen haben, welch ein ungeschickt Buch aus dem Esopo gemacht haben [...] so schendliche, unzüchtige Bubenstück darein gemischt, daß kein züchtig, from Mensch leiden, zuvor kein jung Mensch one schaden lesen oder hören kan, Gerad als hetten sie ein Buch in das gemein Frawen haus oder sonst unter lose Buben gemacht. Denn sie nicht den Nutz und Kunst in den Fabeln gesucht, sondern allein Kurtzweil und Gelechter daraus gemacht. 49 48 49

Vgl. Dithmar, S. 228. Luther, WA 50, S. 454.

68 Diesen schendlichen Esopum möchte er ausrotten und durch seine Ausgabe ersetzen. Bei Steinhöwel, der sich für die Aufnahme schwankartiger und anstößiger Texte entschuldigte, wurde bezweifelt, daß dies ernst zu nehmen sei. Davon kann bei Luther nicht die Rede sein. Die in der Vorrede postulierte Absicht wird in den Fabeln und ihren Epimythien - soweit sie vorliegen - eingelöst. Die Knappheit und Prägnanz, die fast völlig auf narrative Ausgestaltung verzichtet, beweist, daß es hier primär um die Vermittlung von Inhalten geht. Luthers Fabelsammlung soll nach der Intention ihres Autors »ein erbarlicher und züchtiger und nützlicher Esopum sein, des man one Sünde lachen und gebrauchen könde, Kinder und Gesind zu warnen und unterweisen auff jr zukünftiges Leben und Wandel«. Er besteht darauf, daß sie damit dem >Urtext< gerecht werde: »daher er denn von anfang erticht und gemacht ist«. Gerade dieser Anspruch ist es, der Luthers Fabeltheorie deutlich von späteren abgrenzt. Für ihn ist der Äsop nicht nur eine Stoff- und Beispielsammlung, die er auch auf christliche Inhalte anwenden kann. Er möchte ihn bewußt dazu gebrauchen, wofür er ursprünglich gedacht war: zur Vermittlung von weltlicher Lehre und Weisheit. Luther postuliert am Anfang der Vorrede, daß er (nur) vom eusserlichen Leben sprechen werde, und daß ihm dafür der Äsop nützlich sei so nützlich wie die Heilige Schrift und nur wenige andere Bücher. Die Notwendigkeit, das Erzählen von Fabeln durch ihre Funktionalisierung für geistliche Gehalte zu legitimieren, entsteht dadurch für ihn nicht. Luther rezipiert die Fabel nicht nur als Form oder Methode des gleichnishaften Lehrens, wie es nach ihm Erasmus Alberus u.a. tun werden, sondern nimmt auch (oder gerade) die Aussage der Fabel und ihr Weltbild, so wie er es versteht, ernst. Wichtig ist für ihn, daß die Fabel Nutz, Kunst (Können) und Weisheit vermittelt. Luthers Vorrede ist in erster Linie ein dezidiert fabeltheoretischer Text, der seine Auffassung von der Bedeutung und Möglichkeit der Gattung und ihrer didaktischen, gesellschaftskritischen und politischen Funktion darstellt. Dabei unterscheidet er prinzipiell zwei Möglichkeiten: die Fabel als Mittel der Volkserziehung und die Fabel als Aussageform politischer Kritik. Nur kurz geht er auf ihre Geschichte und Entstehung ein, allerdings ist der Hinweis, daß er Aesop nicht für den alleinigen Autor der Fabeln hält, wesentlich für sein Fabelverständnis. Darüber hinaus hat die Vorrede Einleitungsfunktion für das vorliegende bzw. geplante Werk. Luther setzt sich mit seinen Vorlagen kritisch auseinander und nennt die Kriterien seiner Überarbeitung. Abschließend gibt ein Rezeptionsmodell als Leseanleitung Hinweise zum intendierten, sinnvollen Gebrauch der Texte.

69 3.4. E r a s m u s A l b e r u s 1534 erscheint in Hagenau die erste Fabelsammlung des evangelischen Predigers und Verfechters der Reformation, Erasmus Alberus: Etliche fabeln Esopi / verdeutscht unnd / inn Rheymen bracht durch / Erasmus Alberus. / Sampt anderen newen Fabeln / fast nutzbarlich und / lustig zu lesen. Der Sammlung, die zunächst nur 17 Fabeln enthält, ist eine Widmungsvorrede an seinen Freund, den Usinger Schulmeister Johannes Chun, vorangestellt. Alberus beschränkt sich dabei auf wenige Hinweise zum Inhalt seines Werkes: »Ich achte es aber nit von noeten sein viel zu schreiben von dem nutz und brauch der fabeln.« 5 0 Er setzt als bekannt voraus, daß aus den Fabeln Moralia, d.h. »gute sitten und tugende«, gelernt werden können, und konstatiert eine Verwandtschaft der Fabel mit der Parabel bzw. dem neutestamentarischen Gleichnis, dessen didaktischer und moralischer Wert durch den Kontext des Evangeliums hinreichend legitimiert ist: denn es hat »Christus unser Herr selber lust gehabt durch Gleichnisse sein Evangelium zu leren«. Allerdings hält Alberus die Gleichnisse f ü r ernsthafftiger, während die Fabel schimpjfsweiß und lachends munds lehre. Diese Parallelisierung von biblischem Gleichnis und Fabel wird sich kontinuierlich durch die Fabeltheorie des 16. Jahrhunderts, wie sie sich in den Vorreden darstellt, ziehen. 1550 gibt Alberus eine bearbeitete und ergänzte Ausgabe der Fabelsammlung heraus: Das Buch von Tugend und Weißheit, nemlich Neunundviertzig Fabeln, der mehrtheil aus Esopo gezogen, unnd mit guten Rheimen verkleret, durch Erasmum Alberum, Allen Stenden nuetzlich zulesen. Die Vorrede zu dieser S a m m l u n g enthält umfangreichere theoretische Überlegungen und zwar nicht speziell zur Fabel, sondern zum >Lehren durch Bilder< im allgemeinen, d.h. zur Methode und Funktion einer bestimmten Art didaktischer Literatur, der auch die Fabel zuzurechnen ist. Deren Aussageweise, so betont es Alberus auch hier, liegt als Muster das biblische Gleichnis zugrunde. Dadurch wird sie f ü r den Gläubigen unangreifbar. Es haben alle verstendige leute für gut angesehen und gelobt, das man die einfeltigen durch Fabeln, gedieht, und gleichnisse underweise [...] das die leute dadurch gebessert werden. Das ich aber den Fabeln die Gleichnisse gleich mache, ist die ursach, das die Fabeln nichts anders sind, dann liebliche Gleichnisse, und eben dasselb außrichten, das die Gleichnisse thun. 5 1

Im Gegensatz zur ersten Fassung, w o es noch pauschal hieß: »ein jeglicher ziemlichs Verstands weiß, daß man auß den fabulis Moralia lerne«, versucht Alberus nun seine zentrale These, daß mittels (sinnvoll ausgedeuteter) Narratio

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Zit. nach Die Fabeln des Erasmus Alberus. Abdruck der Ausgabe von 1550 mit den Abweichungen der ursprünglichen Fassung, hg. von Wilhelm Braune. Halle 1892. (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts). Einleitung S. IX. Ebd., S. 2.

70 wichtige theologische und moralische Einsichten vermittelt werden können, konkreter auszuführen und zu belegen. Dazu führt er nicht nur Christus, die Propheten und heilige Leut an, sondern stellt weitausgreifend sein Werk in die Tradition didaktischer, satirischer und allegorischer Dichtung. Auffälligerweise finden sich unter den zahlreichen Texten, die er zu diesem Zweck nennt, nur zwei Fabeln im engeren Sinne: Agrippas Fabel Vom Magen und den Gliedern aus Livius' Ab urbe condita52 und die Fabel vom Ölbaum aus dem alttestamentarischen Buch Richter, Kapitel 9. Damit greift er zwar auf zwei sehr populäre Beispiele zurück, die auch Steinhöwel in seiner Vorrede zitiert hatte, insgesamt betrachtet aber tritt die Fabel selber in der Vorrede des Alberus in den Hintergrund. So gibt er auch - anders als Steinhöwel - keine Definition der Fabel und der charakteristischen Merkmale, die sie von anderer didaktischer Kleinepik unterscheiden. Desgleichen verzichtet Alberus darauf, die Quellen und Vorlagen der von ihm bearbeiteten Texte näher zu bestimmen. 53 Während es in den Argumentationen zur Legitimation der Fabel bei Martin Luther und anderen Autoren eine große Rolle spielt, daß die Fabel in jahrhundertealten Stoffen überlieferte Weisheit tradiert, geht Alberus darauf nicht ein. Statt dessen setzt er andere Schwerpunkte und beruft sich auf die Verfasser bekannter Lehrdichtungen, deren Werke ihn zur Herausgabe seiner Sammlung ermutigt hätten: Weil nun so viel ehrlicher, weiser und gelerter Leute, in Rheimen weise, tugendt zu leren sich beflissen haben, scheme ich mich auch nicht, diese Fabeln die ich in meiner jugendt gedieht, und jetzt noch ein mal übersehen und corrigiert habe, an tag zugeben. 54

Die Gemeinsamkeit mit den genannten Autoren: Sebastian Brant, Freidank, Johannes von Schwarzenberg, 55 Johann von Morßheim 56 und Hugo von Trimberg besteht für ihn darin, daß sie alle »durch Reimen gute Lere geben«. Zwar rühmt er besonders ein Tierepos, das Buch von Reinicken, geht aber nicht explizit auf die gattungsmäßige Übereinstimmung ein. Durch den Kontext, in den Alberus sein Werk hier stellt, wird deutlich gemacht, daß für ihn vor allem die didaktische Funktion und die gleichnishafte, unterhaltende Vermittlung der Moral von entscheidender Bedeutung sind. Der Erzählteil der Fabeln spielt in den theoretischen Überlegungen des Alberus keine Rolle. Er wird nicht reflektiert und daher als scheinbar sekundär dargestellt. Ähnlich wie für die Exempelsammlungen die Berichte über historische Ereignisse, merkwürdige Begebenheiten, Wunder und Katastrophen vor allem wegen ihrer Beispielhaftigkeit

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Zu dieser Fabel s. Dietmar Peil, Vom Streit des Magens mit den Gliedern. Frankfurt 1975. Alberus greift im Wesentlichen zurück auf eine lateinische Sammlung von 1520, den Aesopus Dorpii. Alberus, S. 4. Verfasser des Memorial der Tugent und des Büchleins vom Zutrinken. Verfasser satirischer Gedichte in der Nachfolge Sebastian Brants.

71 und ihres potentiellen didaktischen Gehaltes interessant sind, werden die Fabeln, die von Tieren mit menschlichen Eigenschaften erzählen, primär zu einem Fundus bildspendender Motive, die eine Ausdeutung zulassen. Die gattungstheoretische Bedeutung dieser Vorrede reduziert bzw. konzetriert sich daher ganz auf die Funktion der Fabel, und vernachläßigt ihre Form und Gestalt. Um zu veranschaulichen wie gleichnishaftes Lehren wirken kann, greift Alberus zurück auf das von Piaton für die Literatur fruchtbar gemachte Bild von der Versüßung der bitteren Pillen: Dann wie die ärtzte, bittere tränck oder Specerey mit zucker oder honig dem krancken eingeben, auff das er kein abschewens dafür habe, also muß man des menschen verderbter natur und Unverstand mit den holdseligen Fabeln, Bildern, und Gleichnissen helfen. Und gleich wie man den Kindern, so wuerm im leib haben, das bitter wuermmeel mit honig eingibt, also muß man uns arme groben, halsstarrige Leut, mit fabeln und bildem betriegen und fangen, dann sie gehn süß ein wie zucker, unnd sind gut zu behalten. 57

Der Literatur wird hier die Aufgabe zugewiesen, in angenehmer Weise ethische und moralische Werte zu transportieren, so daß diese gehört und angenommen, verstanden und behalten werden. Die Form der poetischen Aussageweise ist dem Inhalt untergeordnet. Andererseits aber ist der Inhalt, d.h. die Lehre, auf eine ansprechende Form angewiesen, wenn sie die Menschen erreichen will. Diese sind von Natur aus nicht geneigt, sich bittere Wahrheiten direkt sagen zu lassen, und müssen (mittels Literatur) überlistet werden. 58 Obwohl es verschiedene Hinweise darauf gibt, daß Alberus mit seiner Sammlung in erster Linie an eine Belehrung des einfachen Volkes< denkt, beschränkt er den Kreis der Rezipienten grundsätzlich nicht und bezieht sich selber, als einen zu Belehrenden, mit ein: »also muß man uns arme groben, halßstarrige leut«. Er degradiert das vermittelte Lehren durch Bilder nicht zum >Nachhilfeunterricht< für besonders Unverständige, sondern betont ausdrücklich den besonderen Wert der Einkleidung von Lehren in unterhaltende Formen. In diesen Zusammenhang gehören auch die Verweise auf die neu- und alttestamentarischen Gleichnisse, die eine Geringschätzung dieser Art von Lehrdichtung ausschließen sollen.

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Alberus, S. 2. Mit dem gleichen Argument kann auch die Satire legitimiert werden. »Die Satire ist aus mittelalterlicher und noch aus barocker Sicht eine primär didaktische Gattung mit dem Endziel der correctio, welche die bittere Pille der Morallehre durch delektative Elemente, darunter die Komik, versüßt.« Joachim Suchomski, Delectatio und Utilitas. Ein Beitrag zum Verständnis mittelalterlicher komischer Literatur. Bern 1975. S. 205. Barbara Könneker, Satire im 16. Jahrhundert. München 1991. Aufgegriffen wird das Motiv auch bei Grimmelshausen, vgl. Das wunderbarliche Vogelnest, hg. von Rolf Tarot. Tübingen 1970. S. 149. Zur literarischen Verwendung des Motivs >Honig und Galle< s. Werner Fechter, Honig und Galle. In: Beiträge zur Geschichte der Sprache und Literatur 80 (1958), S. 107.

72 Daß Alberus mit seiner Vorstellung vom betriegen mit Fabeln beeinflußt ist durch Luthers betriegen zu Warhait,59 läßt sich nicht definitiv beweisen. Es ist aber anzunehmen, daß er, da er mit Luther persönlich bekannt war, dessen Arbeiten zum Äsop von 1530 kannte, obwohl die Sammlung erst 1557 veröffentlicht wurde. 60 Allerdings sollte die terminologische Übereinstimmung nicht über den prinzipiell unterschiedlichen Ansatz der beiden Autoren hinwegtäuschen. Eine genaue Analyse der Vorreden und Fabeln zeigt, daß die beiden Sammlungen völlig verschiedene Ziele verfolgen: weil es Luther in seiner Fabelrezeption primär um die Auseinandersetzung mit dem >Reich der Welt< geht, will er zur Wahrheit und Erkenntnis betrügen - Alberus zur Moral. Mit dem ungebrochenen Optimismus des Volkserziehers vertritt Alberus die Überzeugung, daß der Zustand der Welt abhängig ist vom individuell-moralischen Verhalten des Einzelnen, und daß die Menschen durch entsprechende Erziehung gebessert werden, »tugend und gute sitten« lernen können. Von daher motiviert sich sein Schreiben. Darüber hinaus verfolgt er ein theologisches Interesse, wie es bereits im ersten Satz angedeutet ist: der Mensch soll dem Schöpfer dienen. Weiter unten heißt es dann: »unsere Fabeln dienen dem, der sie gegeben hat, und preisen sein lob und ehr.« Auch wenn er sich gegen andere Fabeln verwahrt, so tut er dies, indem er ihnen die Vermittlung falscher religiöser Inhalte vorwirft: Dagegen hat der Teuffei auch seine Fabeln, als der Stationierer und Mönche lügen im Bapstumb Machomets Alcoran, unnd der Jueden Talmuedische Fabeln, die niergend zu dienen, dann das sie des Teuffels Reich mehren, unnd die Leut von GOTT und der warheit führen. 6 1

Hinter dieser Bemerkung versteckt sich das reformatorische Engagement des Fabelsammlers, das innerhalb der Fabelepimythien zum Teil eine große Rolle spielt, aber in der Vorrede nicht thematisiert ist. Dafür befaßt sich Alberus in einem längeren Abschnitt mit den Heiligenlegenden, die er als dergleichen Fabeln bezeichnet, die für die einfältigen Christen erdichtet seien. D.h. es handelt es sich dabei für ihn nicht um >Glaubenswahrheiten< im engeren Sinne, die Faktizität beanspruchen, sondern um Erzählungen, denen, wie auch dem Orpheus-Mythos, ein spiritueller Sinn zugrunde liegt. Vom Ritter S. Georgen, der den Drachen umbbringet, und des Königstochter erret, bedeut das Christus den Satan uberwindt, und erlöst die arme sele. Mag auch wol bedeuten ein fromme Obrigkeit, so ihr volck beschirmet für den Tyrannen und bösen buben. [...] ein fein gedieht von Orpheus, wie er so wol singt, das ihm Bäum und Felsen nachfolgen, bedeut, das man mit groben Leuten seuberlich faren muß. 6 2 59 60

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Luther, WA 50, S. 453. So Ross Vander Meulen, Luthers betriegen zur Warheit and the fables of Erasmus Alberus. In: The German Review 52 (1977), S. 12f. Alberus, S. 2. Vgl. dazu auch seine Religionssatirie Der Barfuser Münche Eulenspiegel und Alcoran. Mit einer Vorrede D. Martini Lutheri. Wittenberg 1542. Alberus, S. 3.

73 Alberus führt Legenden und Mythen als weitere Beispiele an, wie anhand von Erzählungen gelehrt werden könne, vorausgesetzt daß eine angemessene theologisch richtige - Deutung erfolge. Dabei geht es ihm, wie es der ursprünglichen Fabeltradition entspricht und in Analogie zu den Gleichniserzählungen Jesu, mehr um die Zusammenfassung und Ausdeutung eines Handlungsablaufes als um punktuelle allegorische Deutung einer Einzelbeobachtung. 63 In jedem Fall versucht der Autor den Eindruck zu erwecken, sein Unternehmen sei primär theologisch begründet und wolle, dem Vorbild Christi folgend, Frömmigkeit lehren. Doch wird der Leser Mühe haben, diesen theoretischen Anpruch im Werk eingelöst zu finden. 6 4 Wir haben es bei der Vorrede des Alberus mit einer literaturtheoretischen Abhandlung über das Lehren in Gleichnissen zu tun, die von dem Bemühen zeugt, das eigene Werk zu legitimieren, indem es einem bestimmten literarischen Kanon zugeordnet wird. Der Verfasser betont die Gemeinsamkeit zwischen seiner Sammlung und anderen Schriften, die als Lehrdichtung in vermittelnder, unterhaltender oder satirischer Form Anerkennung gefunden haben. Gattungsspezifische Überlegungen spielen für ihn dabei keine Rolle, obwohl er durchaus auch auf Werke dieser Tradition hätte zurückgreifen können: sei es die spätmittelalterliche Fabelliteratur, sei es Luther oder die zwei Jahre zuvor entstandene Sammlung von Burkhard Waldis. Statt dessen argumentiert er auf einer allgemeineren Ebene und rückt die Methode der erzählenden Didaxe in den Mittelpunkt. Allgemein bleibt Alberus auch hinsichtlich der Beschreibung des Inhalts seines Werkes. Obwohl dieser sich in mehrerer Hinsicht von früheren Fabelsammlungen unterscheidet, nimmt der Verfasser dazu mit keinem Wort Stellung. 65 Sowohl im Erzählteil als auch in den Epimythien geht der Verfasser sehr frei mit dem überlieferten Fabel-Corpus um und erweitert seine Vorlage in erheblichem Umfang. Dem Rechnung tragend, erscheint Das Buch der Weißheit und Tugent seit der dritten Ausgabe von 1565 mit einem Zusatz im Titel: sampt / etlicher Orte Deudsches Lands lusti- / ger Beschreibung, jedermann nutzlich zulesen. Alberus lokalisiert und historisiert seine Fabeln, fügt ihnen ausführliche Landschafts- und Naturbeschreibungen hinzu und unternimmt Exkurse in die Geschichte und soziale Lage der betreffenden Region. Diese die Fabel meist einleitenden Passagen sind nur sehr locker an den Erzählinhalt angebunden und zeugen von der Erzählfreude des Autors und seinem pädagogischen Engagement, das sich nicht nur auf die moralische Belehrung be-

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Zur Abgrenzung der Fabel von Tiergleichnis und Tierallegorese vgl. Grubmüller (1977), S. 2 I f f . Vgl. Eischenbroich (1990), S. 76. Zu den Fabeln des Erasmus Alberus: Peter Hasubek, Grenzfall der Fabel. Fiktion und Wirklichkeit in den Fabeln des Erasmus Alberus. In: Die Fabel, hg. von Peter Hasubek. Berlin 1982. S. 4 3 - 5 8 .

74 schränkt, sondern auch zur geographischen, historischen und naturkundlichen Wissenserweiterung beitragen will. 66 Ferner bringt Alberus in den Exkursen und narrativen Ergänzungen scharfe Zeitkritik und vor allem konfessionell gebundene Religionspolemik unter, so daß manche der Fabeln regelrecht zu »Kampfschriften« (Hasubek) umfunktioniert werden. Der Anspruch der Allgemeingültigkeit, der die Fabel bis dahin ausgezeichnet hatte, geht hier verloren und weicht einer konkreten Anwendung der Texte auf zeitgenössische Konflikte. 67 Dabei verkehrt sich gelegentlich die fabeltypische Konstellation (Darstellung menschlicher Verhaltensweisen an Tieren) insofern, als bestimmte, in der Fabeltradition manifest gewordene, negative Eigenschaften von Tieren einzelnen historischen Personen zugeschrieben werden - ein in der konfessionellen Polemik der Zeit gern genutztes Stilmittel. 68 In krassem Kontrast zu diesen satirischen und polemischen Äußerungen innerhalb der Texte stehen die Moralia, die Alberus jeder Fabel anfügt. Sie entschärfen das aktuelle kritische Potential und lehren >zeitlose< Tugenden: Demut, Anerkennung der Herrschaft, Einfügung in das Ständesystem, Gehorsam, Fleiß und Gottesfurcht. Trotz der kritischen Zustandsbeschreibung in den Darstellungsteilen propagiert Alberus keine Veränderung der Verhältnisse, sondern fordert, ähnlich wie Luther und kennzeichnend für den Protestantismus des 16. Jahrhunderts, die Unterordnung unter die gesellschaftlichen Verhältnisse. Dies entspricht dem bereits in der Vorrede angeklungenen ungebrochenen Vertrauen in das Herrschaftssystem. So heißt es bei der Auslegung zur Georgs-Legende: »mag auch wol bedeuten ein fromme Obrigkeit«. Schon eine oberflächliche Charakterisierung der Fabeln des Alberus zeigt, daß sie äußerst vielschichtig angelegt sind und vor allem durch die konkrete Anwendung auf die Zeitgeschichte stark von der Tradition abweichen. Ihr Inhalt beschränkt sich nicht auf Allgemeingültigkeiten, sondern ist geprägt durch eine engagierte protestantische und obrigkeitstreue Haltung. Auf all dies findet sich in der Vorrede kein Hinweis. Die tiefgreifende Umgestaltung, die die Fabel bei Alberus erfährt, schlägt sich bemerkenswerterweise in den theoretischen Reflexionen in keiner Weise nieder. Statt dessen beschränkt sich der Autor im wesentlichen auf die Wiedergabe akzetpierter Topoi zur Legitimierung von Lehrdichtung. Der Leser bleibt letztlich völlig im Unklaren darüber, was er von dem Werk erwarten kann. Es ist daher auch nicht verwunderlich, daß Daniel Holzmann (s.u.) für sein grundsätzlich anders geartetes Werk diese Vorrede ausführlich zitieren konnte.

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Vgl. etwa die katalogartige Auflistung von Fisch-Arten in der Fabel »19. Von eim alten und jungen Krebs« oder von Waffen, Landschaften und Ländern in »16. Von der Berge geburt«. So zum Beispiel in den Fabeln »11. Von einem Löwen, Wolff und Esel«, »13. Von einem Wolff, und seinem gemalten Haupt«, »33. Vom Bapstesel« oder »39. Von eim alten Weib, und ihren Mägden«. Besonders deutlich in der Fabel »Vom Babstesel«.

75 Auch auf die in der Sammlung enthaltene Aesop-Vita Vom Esopo, wie er gelebt und sich gehalten hat, geht Alberus weder in der Vorrede noch im Titel ein. 69 Er hat sie frei bearbeitet und gekürzt und dabei auf alle grobianischen Elemente verzichtet, in der Absicht, Aesop als Verfassser lehrreicher Fabeln glaubwürdig zu machen. Von seinem eigenen Werk spricht Alberus überhaupt nur im Zusammenhang mit einigen Sprachreflexionen, indem er auf die formale Qualität seiner Reime hinweist: Verzicht auf die odiosa tautologia und Einhalten des Versmaßes. Die konkrete Bezugnahme auf das vorliegende Werk ist in dieser Vorrede auf ein Minimum zusammengeschrumpft. Die Vorrede ist dazu geschrieben, das Werk in einen bestimmten Kontext zu stellen; demgegenüber verzichtet sie fast völlig darauf, konkrete Einleitungsfunktion zu übernehmen. 1579 erscheint bei Feyerabendt in Frankfurt eine Ausgabe der Sammlung unter dem Titel Neun und viertzig Fabeln, / So mehrer theils / auß Esopo gezogen, Sampt / etlicher Ort Teutsches Lands lustiger / Beschreibung, zu mehrer schöpffung der / Tugendt und Weyßheit, in gute Reymen verfasset, je- / derman nützlich zu lesen, und mit schönen Figuren / gezieret, die der Herausgeber um eine Versvorrede von vierundvierzig Zeilen: An den gemeinen Läser ergänzt. Darin ordnet er das Werk in die überlieferte Äsop-Tradition ein, die Der gelehrte und gemeine Mann, Hat gelesen gern, und daran, Nicht allein viel kurtzweil gfunden, Sonder auch zu allen stunden, Ersprießlich diesen nutz gespürt, Daß man unterrichtet wirdt. 7 0

Der Verfasser dieser Vorrede verweist ganz unbefangen auf den (auch) unterhaltenden Charakter der Fabeln. Es fällt auf, daß er - anders als Alberus - keinem Rechtfertigungszwang mehr zu unterliegen scheint. Offensichtlich hat sich die Fabel als Form der Lehrdichtung, die Didaktik mit Unterhaltung verbindet, mittlerweilen etabliert. Er braucht diesen Zusammenhang nicht mehr zu begründen. Statt dessen konkretisiert er den Nutzen, den die Fabel dem bringt, der die Moralia mit Verstand liest: Bekehrung zu Tugend, Weisheit und Höflichkeit. Außerdem erwähnt er die volks- und landeskundlichen Beschreibungen, die bereits im Titel ihren Niederschlag gefunden haben: Sehr lustig, und nützlich zu lesen, / Darauß der Menschen weiß und wesen / Erkundigt wirdt. Offensichtlich hat der Herausgeber die Kluft gesehen, die zwischen Vorrede und Werk bestand, und versucht dem abzuhelfen, indem er konkreter auf die Fabeln und die Sammlung des Alberus eingeht. Eingeschoben ist auch eine

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Alberus benutzte dafür den 1538 von Joachim Camerarius herausgegebenen lateinischen Aesop, dessen Vita, genau wie die von Steinhöwel, auf Maximus Planudes zurückgeht. Alberus, S. XVIIf.

76 Passage über die Neuausgabe des Werkes, die mit der großen Nachfrage begründet wird. Die Herausgebervorrede hat stark werbenden Charakter. Von daher läßt sie Rückschlüsse auf die potentiellen Bedürfnisse des Publikums zu. Da der Herausgeber nur die erzieherische Intention des Verfassers, die unterhaltende Form und die landeskundlichen Exkurse erwähnt, die politischen oder konfessionspolemischen Aspekte jedoch keine Berücksichtigung finden, obwohl sie einen thematischen Schwerpunkt der Sammlung ausmachen, kann man davon ausgehen, daß die Fabelsammlung des Alberus im 16. Jahrhundert ihre Bedeutung als didaktisches, nicht als satirisches Werk gewonnen hat. Diese später hinzugefügte Vorrede wird somit zu einem wertvollen Hinweis auf die Rezeptionsgeschichte des Werkes.

3.5. Nathanael Chytraeus Luthers Fabeln und seine theoretischen Äußerungen, die den Zeitgenossen nur innerhalb der beiden Luther-Gesamtausgaben, der Jenaer Ausgabe von 1557 und der Wittenberger Ausgabe von 1558, zugänglich waren, werden weitertradiert in der 1571 erstmals herausgegebenen Fabelsammlung des Rostocker Professors Nathanael Chytraeus Hundert Fabeln aus Esopo / etliche von D. Martin Luther und herrn Mathesio / etliche von andern verdeutschet.11 Chytraeus' Sammlung enthält neben einer eigenen Vorrede den wortgetreuen Abdruck von Luthers Vorwort und dreizehn seiner Fabeln nach der Druckfassung von 1557, sowie vier Fabeln von Johannes Mathesius. Die übrigen, deren Herkunft er nicht im einzelnen angibt, hat er selber aus lateinischen Vorlagen übersetzt. Das Werk wird abgeschlossen mit der populären Erzählung von den ungleichen Kindern Evas: Ein schöne Historia woher die Edelleut und Bawren ihren Ursprung haben, die von protestantischen Theologen gerne herangezogen wurde, um die Ständeordnung als gottgewollt zu erweisen. 72 Die zweite Auflage von 1574 ergänzt Chytraeus um die Aesop-Vita des Erasmus Alberus und weitere Fabeln sowie ein Register; der nochmals erweiterten Fassung von 1591 fügt er Eine Christliche Ethica oder Lehre von allerley Tugenden unnd guten Sittten und weitere christlich-didaktische Texte an, so daß die Fabelsammlung in dieser Form schon fast den Charakter eines Erbauungsbuches angenommen hat, das den Leser in die Grundsätze christlicher Lebensführung einführen soll. 73 Dies ist auch die Intention der Fabeln, denen jeweils eine kurze, oft sprichwortartige, teilweise gereimte Moral angefügt ist, die die Zielrichtung des Tex-

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Erschienen bei Jacob Lucius in Rostock. Zit. nach dem Exemplar der HAB 108.3 Eth. Dazu Ernst-Heinrich Rehermann/Ines Köhler, Aspekte der Gesellschaftskritik in den Fabeln von Martin Luther, Nathanael Chytraeus und Burkhard Waldis. In: Die Fabel, S. 33f. Rehermann, Chytraeus. In: EM. Bd. 2, Sp. 25-29.

77 tes eindeutig festlegt. Vornehmlich geht es Chytraeus um die Vermittlung christlicher Tugenden wie Fleiß, Gehorsam, Standfestigkeit, Demut und Bescheidenheit und, in Anlehnung an Luther, um die Warnung vor der >bösen Weltverdecktem Lehrens durch Bilder und Beispiele im allgemeinen, also nicht konkret auf die Fabel bezogen. Diese wird zwar genannt, jedoch an keiner Stelle definiert oder charakterisiert. Denn o b wol solche reden / darin man einem vordeckter w e i s e etwas beibringet / ernstlich fein sanft eingehn / so lassen sie sich doch bald fülen / und geben tieff nachdenckens / und ob sich schon einem das hertz etwas angreiffen / und vorletzen wolten / so lindert doch das saltz der hofflichkeit allen schmertzen / und wenn die leut nicht gar verstockt sein / müssen sie auch wider iren willen einen gefallen daran tragen / das man sie so subtil und vernunfftig uberschleichen können. 7 4

Damit nennt er die wesentlichen >lernpsychologischen< Argumente für gleichnishaftes Lehren: daß es eher akzeptiert werde, nicht verletze, zum Nachdenken anrege, Einsicht gewinnen lasse und besser behalten werde. Er greift Luthers betriegen zur Wahrheit auf und paraphrasiert den Topos von der Einnahme bitterer Medizin mit Honig: Es ist nicht allein bey den weltweisen heiden / sondern auch bey den heiligen Altvetern gebreuchlich gewest / schöne heilsame lehr / vermanung und straff / nicht alzeit ernstlich und störrisch fürzubringen / sondern bisweilen mit höflichem salz zu bestrewen / und mit lieblichen Fabeln unnd gedichten zu überzuckern. Das also sawr und süß weißlich untereinander gemenget / und die leut leichtlicher dadurch b e w o g e n und eingenommen wurden. 7 5

Zur Legitimation und zur Stützung seiner These, daß nicht nur die Heiden Fabeln erzählt hätten, führt Chytraeus (darin ebenfalls Alberus folgend) eine Reihe alttestamentarischer Beispiele an, bei denen es sich durchweg nicht um Fabeln im eigentlichen Sinne handelt. Er nennt Nebukadnezars Traum von einem großen Baum, der ihm als Selbstbildnis gedeutet wird (Dan.,4), und zwei Episoden aus dem Leben Davids (2. Sam., 12 und 14), in denen dem König durch Erzählungen ein Spiegel vorgehalten wird. Aber auch schlichte bildliche Vergleiche ohne Narratio subsumiert er unter das gleichnishafte Lehren: »Eben also weiset der König Salomo die faule jugent zu der Emeisen [Sprüche Salomos, 6] und Unser Herr Christus vergleichet sich selbst mit einem sehr lieblichen bild / einer Kluckhennen.« Weitere theoretische Hinweise zur Bedeutung der Fabel erspart sich Chytraeus mit dem Hinweis auf das Vorwort Luthers, das auf seine Vorrede folgt.

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Chytraeus, Α IIHr. Ebd., A I I r - v .

78 Statt dessen widmet er Luthers Beschäftigung mit der Fabel einen längeren Abschnitt sowie Philipp Melanchthons Würdigung dieser Arbeit und den Fabeln von Johannes Mathesius und geht damit auf die zeitgenössische, protestantische Fabelliteratur ein: Weichs ich alles darum anzeige / das man sehen möge / wie die alten heiligen Veter / der Herr Christus selbst / und andere sonderliche fürneme lehrer der Christlichen Kirchen / lust an solchen gleichnussen bilden und Fabeln gehabt / und dieselbigen in iren predigten gem und nutzlich gebrauchet. 76

Ähnlich wie einige der Exempelsammler sowie der kompilatorischen Anlage des Werkes durchaus gerecht werdend, begründet Chytreaus die Herausgabe seiner Sammlung mit der Nützlichkeit eines allgemein zugänglichen handbuchleins der Fabeln, wie es ihm selber für seine Lehrtätigkeit und die Erziehung der Jugend hilfreich gewesen sei. Weil weder Luther noch Mathesius eine vollständige Sammlung vorgelegt hätten und die Fabeln in vielen Büchern verstreut und nicht jedermann zugänglich seien, habe er sich entschlossen, sie zusammenzutragen, so »das sie von mehren konten gelesen werden«. Eine Widmungsanrede an die Herzogin von Mecklenburg beschließt die Vorrede. Eng an den Vorreden von Alberus und Luther orientiert, geht es Chytraeus darum, den Wert der Fabel als didaktisches Mittel, vor allem für die Erziehung der Jugend, darzustellen. Offensichtlich aber hat sich im Lauf des 16. Jahrhunderts die Gattung als ein solches >Hilfsmittel< weitgehend etabliert und bedarf nicht länger der eindringlichen Würdigung. Wie sich vor allem an den späteren Ergänzungen des Chytraeus zeigt, ist die Fabel eingebunden in einen Kanon christlich-didaktischer Verhaltenslehren. Der noch bei Alberus vorherrschende Legitimierungsgedanke kann hier zurücktreten, das heißt, er wird durch den Hinweis auf die reformatorischen Schriftsteller und ihre Fabelbearbeitungen ersetzt. Chytraeus macht deutlich, daß er nichts Neues, sondern bekannte und bewährte Stoffe vorbringt. Sein Verdienst ist es, sie in praktikabler Form zugänglich gemacht zu haben. Die Vorrede deckt somit beide Funktionen ab: eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Inhalt und eine Vorstellung des realisierten Werkes und der Intentionen, die der Autor damit verfolgt.

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Ebd., A V v .

79 3.6. Burkard Waldis Ganz auf literaturtheoretische Ausführungen in der Vorrede verzichtet Burkhard Waldis in seiner 1548 herausgegebenen Fabelsammlung Esopus, / Gantz new gemacht, unnd / in Reimen gefaßt. Mitsampt / Hundert newer Fabeln, / vormals in Druck nicht ge- / sehen, noch außgan- / gen. Durch Burcardum Waldis?1 Die Vorrede ist insgesamt sehr kurz gehalten und beschreibt die Entstehungsgeschichte und den Inhalt des Werkes sowie die Intention des Autors. Waldis hält es nicht für nötig, auf die Fabel im allgemeinen näher einzugehen oder seine Bearbeitung ausdrücklich zu legitimieren: Dasselbig [d.h. sein Werk] nu weiter zu loben, oder ursach dises schreibens, und was die Fabeln nutzes oder früchte bey sich haben, allhie anzuzeigen, acht ich für unnötig, weils vorhin in andern büchern genugsam dargethan. 7 8

»Die liebe Jugent, Knaben und Jungfrawen, nicht die Gelerten und die es besser können« sind seine Adressaten. Zu ihrer fürderung und besserung soll das Werk dienen. Zum Zeitpunkt des Erscheinens der Fabeln ist Waldis, geboren zwischen 1480 und 1490, evangelischer Pfarrer in Abterode/Hessen, aber er hat bereits ein bewegtes Leben hinter sich. Als Mönch kommt er 1523 nach Riga und gerät dort infolge konfessioneller Auseinandersetzungen in Gefangenschaft. Nach seiner Konversion, die aus ehrlicher Überzeugung erfolgt, 79 kommt er frei und arbeitet fortan als Zinngießer. Wann er Riga verläßt ist unbekannt. 1536 gerät er nochmals längere Zeit in Gefangenschaft, diesmal durch den Deutschordensmeister. Unverhofft befreit, beginnt er als Fünfzigjähriger ein Theologiestudium in Wittemberg. Der Vorrede ist zu entnehmen, daß Waldis bereits in Riga mit der Bearbeitung der äsopischen Fabeln begonnen hat. Sie sind dem Bürgermeister von Riga gewidmet, wie er es vor »etlichen Jaren [...] zugesagt und verheissen« habe. Den langen Verzug der Arbeit begründet Waldis pauschal mit seinem persönlichen Schicksal, mit »vielerley unfeilen widerstand und leibs gebrechen und den fehrlichen Kriegshendel unnd Empörungen in gantz Deutschen Landen«, die seine Studien und Arbeiten an den Fabeln verhindert hätten. Dennoch, so betont er, sei sein Vorhaben nie in den Lethe, den Fluß des Vergessens gefallen, und er habe schließlich, »auß anregen unnd bitt vieler Herren unnd

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Zit. nach Aesopus von Burkhard Waldis, hg. und mit Erläuterungen versehen von Heinrich Kurz. Leipzig 1862. Abdruck nach der 3. Auflage von 1557 (Deutsche Bibliothek. Sammlung seltener Schriften der älteren deutschen National-Literatur 1/2). Waldis, Vorrede Zeile 32ff. 1527 verfaßt er das protestantische Fastnachtsspiel Parabel vom verlorenen Sohn. Vgl. auch die Fabeln IV, 1, IV, 9, und IV, 46, die ihn als überzeugten Anhänger der Reformation ausweisen.

80 guten Freundt dass dasselbig jetzt wider aus dem staube geklopfft, übersehen, und inn dise Form und Ordnung gestellt«. Knapp geht er auf den Inhalt und die Anlage seines Werkes ein: die fabeln Esopi sampt den andern, wie ich sie in Latin funden, inn drey Bücher, und in jeglich Buch ein hundert verzeichnet [...]. Zu dem hab ich noch ein hundert newer Fabeln auch in ein sonderlich Buch mit irer kurtzen deutung hinan gesatzt. 8 0

Waldis' Fabelsammlung, die umfangreichste volkssprachliche Aesop-Bearbeitung, zeichnet sich jedoch auch durch die Einbeziehung zahlreicher Schwänke mit teilweise deutlich grobianischer Ausprägung und damit durch eine besondere Betonung des unterhaltenden Aspektes aus. Darüber läßt die Vorrede nichts verlauten. Allenfalls der Topos, daß sich »die zarten keuschen oren der lieben Jugent an meinem schreiben nicht zu ergern hetten«, der üblicherweise in den Schwanksammlungen verwendet wird, deutet auf diese Textelemente hin. Insgesamt hat Waldis in seiner Vorrede konventionelle Themen wie Widmung, Inhalt, Entstehungsgeschichte, Adressaten, Abwehr möglicher Kritik aufgegriffen und unter Verwendung einiger Topoi wie der Distanzierung von anstoßerregenden Inhalten oder dem Drängen von Freunden zur Abfassung des Werkes in aller Kürze behandelt. Aussagen, die Aufschluß geben könnten über seine Intention und die konkreten Sinngehalte des Werkes, bleiben sehr vage. Es findet sich keine inhaltliche Spezifizierung, die auf die Zielrichtung der didaktischen und gesellschaftskritischen Ansprüche des Werkes vorausweisen würde. Allein mit der Behauptung, die Besserung und Erziehung der Jugend sei seine Absicht, trifft Waldis keineswegs den Charakter seiner Sammlung. Er gibt den Fabeln und Schwänken Epimythien bei, in denen es nicht nur um Verhaltensmuster und Lasterschelte allgemeiner Art geht, sondern in denen darüber hinaus äußerst scharfe Kritik und schonungslose Entlarvung gesellschaftlicher und kirchlicher Mißstände stattfindet. 81 Wie in der Vorrede des Alberus wird auch bei Waldis dieser zentrale Aspekt des Werkes >unterschlagenSchule der sichtbaren Weltnur< der Herausgeber ist. Dadurch entsteht ein, im Vergleich zu anderen Fabelsammlungen, untypisches, sachlich-distanziertes Verhältnis zwischen Vorrede und Werk. Ganz anders geartet ist die Vorrede von Daniel Holzmann, dessen Sammlung auf den Baseler Druck zurückgeht. Der Augsburger Meistersänger Holzmann (1536-1613/20), Verfasser biblischer Dramen, Traktate und Flugblätter sowie eines Fürstenspiegels und einer allegorischen Dichtung, gibt 1571 die Cyrillischen Fabeln in einer Versfassung heraus, die bis 1574 mehrere Auflagen (mit unterschiedlichen Widmungen bei gleicher Vorrede) 89 erfährt. Danach gerät das Werk schnell in Vergessenheit, bis es im 18. Jahrhundert durch August Georg Meissner, der Holzmann für den Verfasser hielt, neu aufgelegt wird. 90 Unabhängig vom Speculum sind sowohl die Widmungsvorrede, die Vorred an den Leser und der Beschluß als auch die Moralien. Abweichend von der ursprünglichen Form der Cyrillischen Fabel folgt dem Text bei Holzmann jeweils noch eine umfangreiche >PredigtNachdichten< rechtfertigt der Verfasser sich prophylaktisch: »Ich hört mein tag kein gute Leer / Die nit auß Büchern zogen wer« und verspricht: Ich hab ain jetlichen Autor Gewonlichen gemeldt zuvor. Und mir sein Ehr zugmessen nicht Sam ich hett seine Spruch gedieht. 97

Wie gezeigt werden konnte, trifft diese Ankündigung für die Vorrede nicht zu. Das könnte zum einen darauf hindeuten, daß Holzmann sie nicht als Teil des eigentlichen Werkes versteht. Dennoch stellt sich die Frage, warum er nicht auch hier Alberus oder Luther als >Gewährsleute< für seine Aussagen heranzieht, um sich in die erfolgreiche Tradition (protestantischer) Fabelliteratur einzureihen, 98 zumal er mit Sicherheit damit rechnen mußte, daß zumindest dem belesenen Teil seines Publikums die unangezeigten Zitate auffallen würden. Anscheinend wollte er dort, wo es nicht nur um die Vermittlung allgemeiner,

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Diese Position bezieht auch Fischart im Eulenspiegel Reimensweiß s. unten S. 182. Holzmann, fol. Β Ilr-v (Seitenzahl verdruckt in A II). Hier zugleich ein Beispiel für Holzmanns Reimform, die durchaus nicht immer der angekündigten Reinheit entspricht. Daß zumindest Luther dem zeitgenössischen Publikum als Autorität galt, beweist die Vorrede von Chytraeus.

86 verbürgter Weisheiten geht, die durch die Berufung auf Autoritäten an Gewicht gewinnen können, vermeintlich eigene Gedanken vorbringen. Deshalb gibt er die Fabeltheorie des Alberus und die Einschätzung Luthers als seine aus und führt so nicht nur seine Belesenheit, sondern auch seine >intellektuellen< Fähigkeiten vor. Dafür bietet sich ihm die Vorrede als geeigneter Rahmen an, während er sich im Werk selber auf die Position eines Bearbeiters und Herausgebers beschränkte. Im Zusammenhang mit den in dieser Arbeit untersuchten Vorreden konnte in keinem anderen Fall ein derart offensichtliches >Abschreiben< nachgewiesen werden. In dieser Beziehung nimmt die Vorrede Holzmanns eindeutig eine Sonderstellung ein. Ihre Funktion liegt primär in der Selbstdarstellung des Autors. Über den besonderen Charakter des Werkes erfährt der Leser relativ wenig. Diese Eigenschaft wiederum teilt die Vorrede Holzmanns mit anderen, u.a. mit der des Alberus. Dies erst macht die Übereinstimmungen in den Vorreden zweier so unterschiedlicher Werke möglich.

3.8. Resümee: Die Vorreden der Fabelsammlungen Die detaillierte Analyse einzelner Vorreden zu Fabelsammlungen des 16. Jahrhunderts hat gezeigt, daß es sich dabei um Texte handelt, die, anders als die Vorreden der Exempelsammlungen, nicht an einem einheitlichen Muster orientiert sind, sondern vom jeweiligen Autor weitgehend individuell ausgearbeitet erscheinen. Aus diesem Grunde war es notwendig, sie zunächst als Einzeltexte gesondert vorzustellen. Gleichzeitig jedoch hat sich gezeigt, daß es hinsichtlich der angesprochenen Themen und ihrer Behandlung eine ganze Reihe von Übereinstimmungen gibt, so daß sich auch textübergreifende Aussagen zur Fabelvorrede machen lassen. Es geht im folgenden also noch einmal darum, zu klären, wovon >die Fabelvorrede< des 16. Jahrhunderts handelt. Zudem kann die Zusammenfassung aber auch deutlich machen, was die Fabelvorreden, die die wichtigsten zeitgenössischen fabeltheoretischen Texte überhaupt sind, insgesamt für die Fabeltheorie leisten können. Dabei wird grundsätzlich das Verhältnis zwischen den theoretischen Äußerungen der Vorreden und ihrer Realisierung innerhalb der Texte zu berücksichtigen sein. Prinzipiell übernehmen die Vorreden der Fabelsammlungen zwei Funktionen: Sie setzen sich literaturtheoretisch mit der Gattung Fabel auseinander und/ oder führen in das vorliegende Werk ein. Allen Vorreden gemeinsam liegt, mehr oder weniger ausgeprägt, das Bestreben zugrunde, die Fabel als Lehrdichtung zur Vermittlung moralisch-didaktischer Inhalte auszuweisen und von daher zu legitimieren. Demgegenüber tritt meist eine nähere Bestimmung der Gattung oder eine Konkretisierung der Inhalte in den Hintergrund. Allein die noch aus dem 15. Jahrhundert stammende Vorrede des humanistisch geprägten Heinrich Steinhöwel definiert die Fabel und geht auf ihre antike Tradition ein.

87 Detailliert und ausführlich bestimmt er in Anlehnung an antike Quellen, was eine Fabel sei, welche antiken Fabeltypen es gegeben habe, wozu sie ursprünglich erdichtet wurde und was sie leisten könne. Vergleichbare Ausführungen zum Wesen der Fabel und ihrer Geschichte gibt es unter den Herausgebern des 16. Jahrhunderts nur noch ansatzweise bei Luther. Die sich als Volkserzieher auf christlich-reformatorischer Basis verstehenden Autoren verzichten im allgemeinen auf historische Betrachtungen und eine Würdigung antik-heidnischer Überlieferung. Die Überlegung, daß Christen auch aus außerchristlicher Literatur wertvolle Anleitungen erfahren können, wenn sie sie in der richtigen Weise rezipieren, war Steinhöwel unter Berufung auf den heiligen Basilius noch wichtig. Von seinen Nachfolgern wird sie in dieser Form nicht mehr angestellt. Was diese dagegen von Steinhöwel übernehmen, ist die Metapher von der honigsuchenden Biene, die er zur Verdeutlichung seiner Argumentation verwendet hatte. Mit Hilfe dieses Bildes soll die Berechtigung einer >Verpackung< lehrhafter Inhalte in unterhaltende Formen anschaulich gemacht werden. Nur Luther weist dezidiert auf die antike Tradition hin. Er, der mit der Fabel bewußt eine >Weltlehre< geben wollte, sieht sich keinem Rechtfertigungszwang für den weltlichen Stoff unterworfen. So ist er auch der einzige, der sich mit dem Gattungsstifter Aesop auseinandersetzt, während alle anderen Autoren, selbst die, die die Aesop-Vita tradieren, diesen in den Vorreden nicht erwähnen. Außerchristliche (heidnische) Herkunft macht einen Stoff suspekt. Infolgedessen wird er in den Vorreden entweder vernachlässigt oder legitimierend begründet, wie wir es auch aus den Vorreden der Exempelsammlungen kennen. Daß hingegen die volksssprachige Fabelproduktion ohne den lateinischen Hintergrund de facto nicht denkbar ist, hat die Forschungsliteratur in einschlägigen Werken überzeugend dokumentiert: »Fabeltradition ist im Mittelalter primär lateinische Tradition, [...] volkssprachige Fabeldichtung variert lateinische Muster.« 99 Dabei hat Grubmüller nicht nur die antiken Traditionslinien detailliert nachgezeichnet, 100 sondern auch die klassischen Verwendungszusammenhänge der Fabel im Mittelalter in Schulunterricht und Predigt zusammenfassend dargestellt. Volkssprachige Sammlungen, meist herausgegeben von Geistlichen, kommen erst im späten Mittelalter verstärkt auf den Markt: Wolfenbütteler Äsop, Magdeburger Äsop, Leipziger Äsop und Nürnberger Äsop, dieser erstmals mit spirituellen Deutungen. Einen Neuansatz erfährt die Fabelrezeption in Deutschland und den Niederlanden mit der Rückbesinnung der Humanisten auf die griechische Fabeltradition und ihren Bemühungen um eine philologisch exakte Überlieferung der lateinischen Corpora. 101 In diesem Zusammenhang entstehen Sammlungen wie der Aesopi Dorpii oder die Sammlung des

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Grubmüller (1977), S. 6. Ebd., S. 58-85. Vgl. Eischenbroich, Sammeln und Umgestalten aesopischer Fabeln bei den Neulateinern des 16. Jahrhunderts. In: Daphnis 14 (1985), S. 1-63, wieder in: ders., (1990), S. 35-52.

88 Johannes Camerarius Aesopi Phrygis Fabularum, die in knapper Prosa, z.T. mit textkritischem Anspruch für den Gebrauch in den städtischen Lateinschulen und Universitäten bestimmt waren. Dort sollten sie in erster Linie der sprachlichen und rhetorischen Ausbildung aber auch der Unterweisung in ethischen Fragen dienen. Betrachtet man die protestantische Versfabel, in der es vornehmlich um Unterhaltung, moralische Erziehung und konfessionelle Polemik geht, vor diesem Hintergrund, wird deutlich, wie weit sich diese Fabeldichtungen von den bisherigen abheben und ein neues Publikum suchen. Damit ist wohl auch zu erklären, warum eine theoretische Anbindung an die antike Tradition in den Vorreden nicht erfolgt: Sie kann zum einen als bekannt vorausgesetztwerden und erscheint darüberhinaus für die eigenen Werke nicht relevant. In diesem Kontext ist auch zu sehen, daß die Bearbeiter und Übersetzer auf ihre Quellen höchstens in Randbemerkungen eingehen Vollständig unberücksichtigt bleibt innerhalb der Vorreden und theoretischen Erwägungen der Autoren des 16. Jahrhunderts auch die volkssprachliche mittelalterliche Fabelliteratur. Außer einer Bemerkung bei Steinhöwel über die Versfassung der aesopischen Fabel durch Ulrich Boner (der nicht einmal namentlich genannt ist) findet keine Anknüpfung an diese Tradition statt. Die zeitgenössischen Fabelsammlungen werden nur in dem bewußt kompilatorisch ausgerichteten Spätwerk des Chytraeus erwähnt, der sich auf die protestantische Fabeltradition bei Luther, Melanchthon und Mathesius beruft. Die übrigen Autoren verzichten generell darauf, ihr Werk in den Kontext anderer Fabeldichtungen zu stellen. Ohne daß explizit der Anspruch erhoben wird, neu oder originell zu sein, legen die Autoren dennoch keinen Wert auf die Feststellung, daß sie sich in einer traditionsreichen oder populären Gattung bewegen. Hierin unterscheiden sich die Vorreden der Fabelsammlungen deutlich von denen der Exempelsammlungen, auch von denen der Schwanksammlungen, wie noch zu zeigen sein wird, die sich gerade von der Erwähnung erfolgreicher >Vörläuferwerke< eigene Popularität versprechen. Insgesamt treten alle >äußerlichenihren< Fabeln und generell von >der< Fabel vermitteln, die Realität der Texte nur bedingt erfaßt. 1 0 2 Es liegt nahe, den Autoren hier ein bewußtes >Verschweigen< brisanter Inhalte zu unterstellen. Dazu muß aber berücksichtigt werden, daß auch andere wesentliche Elemente der Fabelsammlungen in den Vorreden nicht thematisiert werden: weder finden die landeskundlichen Beschreibungen bei Alberus noch die zu kleinen Predigten ausgeweiteten Epimythien bei Holzmann Erwähnung, obwohl sich ihre Werke gerade dadurch deutlich von anderen abheben. An einer detaillierten, auf das Besondere und den spezifischen Charakter des Werkes abhebende Vorstellung war den Autoren offenbar nicht gelegen. Im Zusammenhang mit den Intentionen der Herausgeber von Fabeln sei nochmals auf die Sonderrolle Luthers hingewiesen. Nicht nur, weil er die moralische Belehrung zugunsten einer Beschreibung der Verhältnisse und Warnung vor der Schlechtigkeit der Welt zurückstellt, sondern auch weil er die (versteckte) Kritik an den Herrschenden zum möglichen Gebrauchswert der Fabel erklärt, unterscheidet sich seine Fabeltheorie deutlich von dem, was seine Zeitgenossen in den Vorreden über die Bedeutung und die Aussagekraft der

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Anders z.T. im Tierepos. Vgl. die ständekritischen Vorreden Henric von Alkmaars zu Reynaerts Historie, die im Lübeker Druck des Reynke de Vos von 1498 tradiert werden. Diese Vorreden können nicht im einzelnen besprochen werden, doch sei darauf hingewiesen, daß es hier im Gegensatz zu den Fabelvorreden um eine konkrete Deutung des Epos geht: »Alsus is dyt boek van eyneme vorsten unde syneme houe. Ok is yd van deme state der ghemenen sympelen. Unde is ok van den logeneren unde bedregers de myt loszheyt mannygen sehenden, so hyr na wert ghesecht van deme sneydygen lystygen vosse de mannygen schendede unde to plasse brachte unde denne noch myt syner loggen unde valscheit by macht bleff.« Zit. nach Reynaerts Historie. Reynke de vos, mit Kommentar hg. Jan Goossens. Darmstadt 1983 (Texte zur Forschung 42). Gemeinsam mit den Glossen übernimmt die Vorrede hier Funktionen der Fabelepimythien.

90 Fabel verlauten lassen. Dieser Aspekt, der an die antike Tradition anknüpft, ist in den vorliegenden Texten der Aesop-Übersetzung explizit nicht realisiert, doch bleibt er relevant für Luthers Einstellung zur Fabel und manifestiert sich in vielen seiner konfessionspolemischen Texte. Neben der Moraldidaxe und Satire erfüllt die Fabel im 16. Jahrhundert noch eine weitere Funktion, die keiner der Autoren leugnet, die delectatio. Doch der Unterhaltungswert hat hier keine genuine Bedeutung, sondern bleibt zweckgebunden: er dient der >Einkleidung< der Lehre. Von daher findet er in den Vorreden nur am Rande Erwähnung. Selbst Steinhöwel und Waldis, deren Sammlungen durch die Aufnahme schwankartiger Texte stärker am Unterhaltungsbedürfnis der Rezipienten orientiert sind, versuchen sich entschuldigend davon zu distanzieren. Konsequent wird auch hier die Fabelsammlung als Lehrdichtung behandelt, die sich von reiner Unterhaltungsliteratur, welche nichts als kurtzweil zu bieten hat, abheben soll. Die theoretischen Überlegungen, die die Nützlichkeit der Werke als zentral herausstellen, haben alle anderen Kriterien der Werk- und Gattungsbeschreibung verdrängt. Allerdings handelt es sich bei den Fabeln, so zumindest die Argumentation der Autoren, nicht auf den ersten Blick um Lehrdichtung, denn die Belehrung erfolgt nicht direkt, sondern vermittelt durch Bilder und Erzählungen. Diese spezifische Lehrmethode der Fabel erfährt in den Vorreden besondere Berücksichtigung und wird, andere Definitionen stillschweigend ersetzend, zum gemeinsamen und konstituierenden Merkmal der Textsorte. Wenn an anderer Stelle davon die Rede war, daß die Legitimierung der Gattung Fabel einen thematischen Schwerpunkt der Vorrede ausmacht, so begründet sich dieser Anspruch weniger aus den Inhalten selber als aus dieser besonderen Art ihrer Vermittlung. Obwohl die Herausgeber meist pauschal behaupten, jeder verständige Leser werde leicht den Nutzen der Fabel erkennen und würdigen können, wird die Bedeutung der Verquickung von ernsthafter Lehre mit unterhaltendem Stoff zum Anlaß eingehender Reflexionen. Zu diesem Zweck haben sich bestimmte Topoi herausgebildet, wie sie auch für die Legitimierung der Exempelstoffe Anwendung gefunden haben. Wichtigstes Argument aller Autoren bleibt, daß auch in der Bibel durch Gleichnisse erzählend belehrt werde und daß die Fabel prinzipiell mit dem Gleichnis vergleichbar sei. Daß Christus selber in dieser Form gepredigt habe, macht die Methode des gleichnishaften Lehrens per se unantastbar. Außer der Bibel werden gelegentlich auch andere literarische Vorbilder zitiert: so bei Alberus, später aufgenommen von Daniel Holzmann, der eine Reihe von Beispielen aus der Lehrdichtung anführt und einen Zusammenhang herstellt zwischen seinem Werk und anderer anerkannter didaktischer Dichtung, die unterhaltend und erzählend belehrt. Außerdem dienen >psychologische< Gründe zur Rechtfertigung der unterhaltenden Didaxe: die Einsicht, daß man die Menschen betrügen und überlisten müsse, weil sie unangenehme Wahrheiten und direkte Kritik nicht hören wollen, während eine >verzuckerte Pille< bereitwilliger aufgenommenen werde.

91 Erfolgreich ist das Lehren in Bildern allerdings nur dann, wenn der zu Belehrende - gedacht ist in erster Linie an das >einfache Volk< und die Jugend die Texte richtig zu brauchen weiß, weshalb sich in vielen Vorreden Leseanweisungen finden. Sie führen aus, daß es nicht um die >Oberfläche< der unterhaltsamen Erzählung gehe, sondern um ihren tieferen Sinn, den der Rezipient aufspüren müsse: so wie die Biene den Honig sucht, ohne sich um die Farbe der Blumen zu kümmern. Bei Luther werden diese Gebrauchsanweisungen konkret an Beispielen aus der Fabelsammlung vorgeführt, während Steinhöwel in der Vorrede ausdrücklich auf die Bedeutung der Initialfabel von Hahn und Perle verweist, die Anleitung zum richtigen, gewinnbringenden Lesen der Fabeln gebe. Die Rolle der Epimythien, die dem Leser in der Praxis meist die Mühe einer eigenen Interpretation abnehmen und den Autor sicher gehen lassen, daß der Text in seinem Sinne verstanden werde, wird in den Vorreden nicht thematisiert. Neben den allgemeinen Reflexionen über die Inhalte enthalten die Vorreden konkrete Aussagen zu den vorliegenden Werken. Dazu sind die Widmungen zu rechnen (Alberus, Waldis, Chytraeus und Holzmann), die sich an bekannten Mustern orientieren, außerdem die verschiedenen Ausführungen über die Entstehungssituation der Werke. Die Autoren versuchen ihre Arbeit zu motivieren und weisen im Zusammenhang damit auf ihre Leistung hin. Als Argumente erscheinen in den frühen Sammlungen die angemessene Darstellung der Fabeln als Lehrstücke, in den gegen Ende des Jahrhunderts herausgegebenen Werken die notwendige Weiterverbreitung der Texte. Von einem schwerpunktmäßig werbenden Charakter der Vorrede kann nur bei den beiden >Spätwerken< von Chytraeus und Holzmann gesprochen werden. Da sich die Gattung inzwischen stärker etabliert hat, tritt hier der Rechtfertigungsgedanke in den Hintergrund. Statt dessen sind die Herausgeber bemüht, zu begründen, warum sie den bereits vorhandenen Sammlungen eine weitere hinzufügen. In diesem Punkt schlägt sich die Entwicklung der Gattung in der Thematik der Vorrede nieder. Auf Form und Aufbau der Einzeltexte und auf die Anlage der gesamten Sammlung wird nur sehr spärlich eingegangen. Es trifft auch für die werkbezogenen Aussagen das zu, was schon bei der Beschreibung der Inhalte festgestellt werden konnte: das Spezifische der jeweiligen Sammlung wird nicht besonders herausgestellt. Von Ausnahmen abgesehen, erscheinen die Vorreden zu den einzelnen Sammlungen weitgehend austausch- bzw. übertragbar. Dies wird vor allem an der Vorrede Holzmanns manifest. Der Versuch, die Fabelvorreden, soweit möglich in ihren Aussagen strukturierend zusammenzufassen, hat gezeigt, daß allgemeinen theoretischen Äußerungen zur Lehrdichtung in vermittelnder und unterhaltender Form deutlich Vorrang gegeben wird, sowohl vor einer Beschreibung der gattungsspezifischen Merkmale als auch vor einer genaueren Beschreibung des vorliegenden Werkes. Dennoch können anhand dieser Vorreden gerade durch die konsequen-

92 te Integration der Fabel in den Kontext gleichnishafter Didaxe wesentliche Erkenntnisse über das zeitgenössische Fabelverständnis gewonnen werden. Auf der anderen Seite ist festzustellen, daß die Aussagen der Vorreden charakteristische Merkmale der (protestantischen) Fabel des 16. Jahrhunderts nicht erfassen, da sie generell darauf verzichten, bestimmte Aspekte zu thematisieren. Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß sich manche der >Lücken< interpretieren lassen, wie etwa die fehlende Traditionsanbindung an die antiken Quellen, bleiben Fragen nach dem spezifischen Fabelverständnis der Autoren offen. Es muß daraus geschlossen werden, daß dies dezidiert darzulegen nicht das vordringliche Interesse der Herausgeber - mit Ausnahme von Steinhöwel und Luther - gewesen sein mag. Die meisten Vorreden der Fabelsammlungen sind dahingehend konzipiert, dem (geht man davon aus, daß die Vorrede Werbefunktion übernehmen soll, potentiellen) - Rezipienten des Werkes die Intention des Werkes klar darzustellen und ihm die Lektüre zu seinem eigenen Nutzen zu empfehlen. Die Legitimation der Fabel und damit des vom Autor vorgelegten Werkes wird zum zentralen Thema der Vorrede und bestimmt ihre Funktion. Auf diesen Zweck hin ausgerichtet sind auch die in den Vorreden untergebrachten theoretischen Reflexionen. Die Literaturtheorie wird selektiv und funktional eingesetzt zur Rechtfertigung und Popularisierung des Werkes.

3.9. Exkurs: Georg Rollenhagens Tierepos

Froschmeuseler

Weil dem Werk Vorreden vorangestellt sind, die sich in weiten Teilen inhaltlich an die Argumentation der Fabelvorreden anlehnen, sei abschließend zu diesem Kapitel noch kurz auf das bedeutendste Tierepos des 16. Jahrhunderts, auf Georg Rollenhagens Froschmeuseler,103 eingegangen. Hier erscheint die Fabel neben anderen kleineren Erzählformen wie Schwänken, Exempeln, Sprichwörtern und Sagen eingebunden in eine Großform, wo sie zum handlungstragenden Element wird. Die kompilierende Anlage des Sammelwerkes wird durch eine an der pseudo-homerischen Batrachomyomachia orientierte Handlungsstruktur ersetzt, bleibt aber dennoch präsent und prägend für den Charakter des Werkes. Ähnlich wie der Schwankroman nimmt das Tierepos eine Art Ubergangsposition zwischen Sammlung und Roman ein. 104 Beide Gattungen sollen von daher auch im Kontext der Sammelwerke berücksichtigt werden.

103

Zit. nach Georg Rollenhagen, Froschmeuseler, hg. von Dietmar Peil. Frankfurt 1989 (Bibliothek der Frühen Neuzeit 12). 104 V g i Dietmar Peil, S. 733: »Die Fülle der eingefügten Erzählstoffe und Sentenzen und das breite Spektrum der beiläufig abgehandelten Themen lassen den >Froschmeuseler< als Fabel-, Sprichwort- und Exempelsammlung, aber auch als naturkundliches Lehrbuch erscheinen.«

93 Rollenhagen greift in den Vorreden zum Froschmeuseler in weiten Teilen auf die Argumentation der Fabeltheorie zurück und lehnt sich inhaltlich eng an die Fabelvorreden an. Wie die Herausgeber der Fabelsammlungen betont er vor allem den didaktischen Anspruch seines Werkes und rechtfertigt die unterhaltende Form über den ernsthaften Inhalt. Im Zentrum seiner Reflexion stehen eine Auseinandersetzung mit dem Horaz-Zitat: »Et prodesse volunt, et delectare Poetae« und die verschiedenen Legitimationsstrategien für das gleichnishafte Lehren. Ähnlich argumentiert Henric von Alkmaars in seiner ersten Vorrede zu Reynaerts Historie auf die Rollenhagen sich ausdrücklich beruft. Dort wird die antike Fabel gelobt, weil sie in angenehmer Weise den belehre, der richtig zu lesen wisse: Etlyke andere syn ghewest, de hebben ere lere uns naghelaten unde de ghesath in verse unde in bysproke unde in fabelen, up dat men ere lere unde oeren ulyd des to beth dar by scholde beholden. Manckt dessen is eyn ghewest, de to nutte unde lere der mynschen gheschreuen heft eyne hystorye unde fabele van Reynken deme vosse, de seer ghenoechlik is to lesen unde to hören, unde is ok vul van wyszheit unde guder exempel unde lere. 105

Eingeleitet wird das Epos mit der Widmungsvorrede Dem Edlen / Hochgelarten / und sehr wolverdienten Herren / Herrn Heinrich Ranzawen [...]. Meinem großgünstigen Herren, die in Versform in lateinischer Sprache und deutscher Übersetzung vorliegt. Hier knüpft Rollenhagen zunächst in rühmender Absicht an den Namen des Widmungsempfängers an: Rantzaw wird von Rollenhagen etymologisch assoziativ in Verbindung gebracht mit einer Reihe positiver Konnotationen: die am Rande des Wassers gelegene fruchtbare Au, das griechische Rantizon und Ranizoa für fruchtbare Wasser und Weiden, 106 das hebräische Ran für Jauchzen und Tzon für Lamm. Anschließend würdigt er den Angesprochenen und sein Geschlecht als »getrewe Hirten und Hüter [...] / Uber das Volk und land gemein« (V. 19f.) und spielt zugleich auf ein fruchtbares Mäzenatentum< des Stadthalters an. Aber auch sein eigenes Werk bringt er mit dem Namen seines Gönners in Zusammenhang: 22

Auch Rana ein Frosch auff Latein. Darumb man deuts gleich oder quehr / So hüpfft Rana allzeit vorher. Für dem Namen Rand oder Awe / Für dem Lemblein / im wort Rantzaw.

Namenetymologie ist ein in der polemischen und panegyrischen Literatur der Reformationszeit gebräuchliches literarisches und rhetorisches Verfahren. Als verbindungsstiftendes Element zwischen Widmungsempfänger und Werk ist

105 106

Reynaerts Historie, Eyne vorrede ouer dyt boek van Reynken deme vosse, S. 3f. Abgeleitet vom griechischen Begriff, der >mit Wasser besprengen< meint.

94 sie allerdings in keiner der anderen hier behandelten Vorreden nachweisbar. 107 Üblich ist die Anknüpfung an Namen jedoch in den Gelegenheitsgedichten, die sich zunächst in der humanistischen Literatur, dann auch in der deutschen Gelehrtendichtung großer Beliebtheit erfreuten. »Die Erfindungen ex loco notationis treten in der Praxis der Casuallyrik in so ungeheurer Masse auf, daß man geradezu von einer Ausnahme sprechen muß, wenn einmal ein Casualgedicht ohne eine solche Erfindung auskommt.« 1 0 8 Dabei wird am häufigsten eine Anknüpfung an die Etymologie des Namens bzw. eine Anspielung auf seine wörtlich genommene Bedeutung praktiziert. An diese Tradition knüpft Rollenhagen hier an. Der Frosch, den Rollenhagen über die etymologische Assoziation in die rhetorisch geschickt strukturierte Vorrede einführt, ist nicht nur Protagonist des Epos, sondern wird, ähnlich wie der Esel im Eulenspiegel Reimensweiß}m zur Metapher für die komische Dichtkunst, die nach Meinung des Autors ebenso wie die >hohe Kunst< ihre Bedeutung hat: »So komt Rana mit ihrm Geschlecht / Und quacket auch ihr Hoferecht« (V. 29f.). Nicht nur die Nachtigall soll im Schloß singen dürfen, auch der Frosch mag seine Stimme erheben. Mit einem Verweis auf die Homer zugeschriebene Batrachomyomachia, seine primäre Quelle, rechtfertigt Rollenhagen Komik und Scherz des Epos': 69

Darumb Homer auch / der so viel / Von ernsten sitten schreiben will / Seine Frosch ließ possen fürtragen / Und mit schertzen die warheit sagen.

Im übrigen übernimmt Rollenhagen die wesentlichen von den Fabeltheoretikern ausgeführten Legitimationsstrategien und Argumente zur Würdigung des scherzhaften Lehrens< und der unterhaltenden Dichtung, die - in deutlicher Anlehnung an Erasmus Alberus - darauf abzielen, die Methode der gleichnishaften Didaxe als sinnvoll, erfolgreich und human herauszustellen: 64

Denn sagt man die warheit von hertzen / Und red von ernst in schimpff und schertzen. Wie der Artzt einem herben safft / Mit honig gibt ein süsse krafft / Pillen mit Gold bekleidet fein / Die sonst bitter Aloe sein.

Den didaktischen Anspruch des Froschmeuseler konkretisiert Rollenhagen hier als Fürstenspiegel: »Vornemlich weil sie quaken sollen. / Was grosse Herren wissen sollen« (V. 97f.). Bereits in einer der Widmungsvorrede vorangestellten

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108 109

Sie findet auch bei Karl Schottenloher, Die Widmungsvorrede im Buch des 16. Jahrhunderts. Münster 1953 keine Erwähnung. Wulf Segebrecht, Das Gelegenheitsgedicht. Stuttgart 1977. S. 117. Siehe unten S. 177.

95 kurzen Inhaltsbeschreibung des Werkes: Kurtzer Inhalt und Lehr des Froschmeuselers110 hat er deutlich zu verstehen gegeben, worauf es ihm ankommt: 12

So geht endlich das Spiel h i n a u ß / U n d lehret w i e m a n sol H a u ß h a l t e n / U n d Weltlich R e g i m e n t v e r w a l t e n . Was r a t h s a m sey in K r i e g e s noth. U n d das d e r a u ß g a n g steht bei G o t t .

21

D e n n nie des S c h r e i b e r s M e i n u n g w a r / D a s er wol lachen o h n e lahr.

Auch in der zweiten Vorrede Dem günstigen Leser stellt Rollenhagen seine Dichtung explizit in die Tradition und den theoretischen Kontext der unterhaltend-belehrenden Literatur, die >Schimpf und Ernst< verbinden will. Nach einer ausführlichen Schilderung der Entstehung des Froschmeuselersxn wendet er sich dem möglichen Nutzen zu, der das Werk vom Eulenspiegel und anderen Schandbüchern / der pfaff von kalenberg / kaziporus / rollwagen etc. unterscheide. 112 Er referiert die bekannte Theorie, daß sowohl die >weisen Heiden< als auch die verschiedenen Bücher des Alten Testamentes und Jesus selber um die Bedeutung des gleichnishaften Lehrens gewußt hätten. Zahlreiche biblische Beispiele werden angeführt, um diese Behauptung zu untermauern: die Fabel von der Königswahl der Bäume (Richter 9,7-15), die prophetischen Tiervergleiche (Jes. 11,6: Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen), die Sprüche Salomons und die Gleichnisreden Jesu (Vom guten Hirten, Joh. 10). Darüber hinaus verweist er auf die mündlich tradierten deutschen Völksmärchen, »der alten Deutschen Heydnische lehr, welche gemeinhin sehen / das sie Gottesfurcht / fleiß in sachen / Demut / Gedult / und gute hoffnung lehren. Denn die aller verachteste Person wird gemeinlich die aller beste«, 113 weiter unten bezieht er sich auch auf die Heldenepik. 114 Daraus wird deutlich, daß sich Rollenhagen wie die Fabelsammler nicht auf die Tiererzählung konzentriert, sondern umfassend mit einer allgemeinen Würdigung der Didaxe in Bildern oder Erzählungen argumentiert, in die er auch die Historienschreiber (Herodot, Thukydides, Livius, Agrippa und Demosthenes) einbezieht. In seiner Begründung schließt er sich ebenfalls der Theorie der Fabel und des Exempels an: O h n z w e i f f e i der ursach halben / das m a n die Historien mit m e h r lust läsen / u n d d e s t o leichter u n d lenger behalten m ö c h t e / wie Horatius sagt. Et p r o d e s s e volunt, et delectare poeta. P o e t e n w o l l e n schertz v e r e h r e n U n d d a m i t w a s nützlichs l e h r e n f . . . ] .

110 111 112 113 114

R o l l e n h a g e n , S. 11. Vgl. Peil, S. 725f. R o l l e n h a g e n , S. 20. E b d . , S. 22. E b d . , S. 23f.

96 Also ist die blosse warheit nicht so anmutig / wenn sie nicht mit einem sonderlichen schmuck und pracht / vorgebracht wird. Und hört unser angebome thorheit allzeit den geschmückten possen / und der leichtfertigkeit lieber zu / denn ernsten Sachen." 5

Für Rollenhagen gibt es jedoch einen klaren Unterschied zwischen weltlicher und geistlicher Lehre, der an Luthers konsequenten Hinweis auf die weltliche Moral der Fabel erinnert. Exempel (genannt sind das Promptuarium Exemplorum und das Theatrum vitae humanae), Predigtmärlein oder Legenden möchte er aus der Kirche kategorisch verweisen: Wie auch durch solchen verdruß der warheit für dieser zeit viel Fabelwerck in die Christliche kirche eingeschlichen / bezeugen S. Brandani, Gregorij uff dem steine / und dergleichen kindische legenden." 6

Während vor allem die Exempelsammler, aber auch Luther selbst, unter bestimmten Bedingungen Legenden und Erzählungen zur protestantischen Unterweisung für brauchbar hielten, lehnt Rollenhagen diese Praxis kategorisch ab. Statt dessen betont er die satirischen, herrschaftskritischen Möglichkeiten des verhüllenden Erzählens. Damit stellt er sich wiederum ausdrücklich in die Tradition Luthers, vor allem aber der Reinecke Fuchs-Dichtung. Als Verfasser des Reinecke Fuchs nennt er (irrtümlich) den 1526 in Rostock begrabenen Niclaus Baumann. 117 Dieser habe, aufgrund eigener schlechter Erfahrungen mit der Gesellschaft am Hofe des Herzogs von Jülich, dieses Buch gemacht, in dem »das gantze Politische Hoffregimente / und das Römische Babsthumb [...] unter dem Namen Reinicken Fuchses uberaus weislich und künstlich beschrieben sei.« Wie aber der Reinecke fuchs / also ist diß Buch auch geschrieben / und gemeinet. Und zwar voller Fabulen und Mehrlein / aber also / das mit denselbigen als in einer Comedien, die reine lautere / und ansonsten wie man sagt / bitter warheit Poetischer weise vermummet / unnd in einer frembden Personen Namen / auff den Schawplatz geführet / und der rechte emst / im schertz und mit lachendem munde / ausgesprochen / und beschrieben wird." 8

Die Darlegung der Autorintentionen (lehren, strafen, lachend die Wahrheit sagen und dennoch unterhalten) und die Hinweise auf die Tendenz des Werkes sind die wesentlichen Inhalte der Leservorreden zum Froschmeuseler. Ergänzt werden sie durch die Ausführungen zur Tradition der belehrenden, satirischen und hofkritischen Dichtung. Wie in den Fabelsammlungen tritt demgegenüber sowohl in der Widmungs- als auch in der Leservorrede ein konkretes Eingehen auf Stoff, Handlung und Thematik des Werkes zurück. Der theoretische und

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Ebd. 24 Ebd., S. 24 Zu Nicolaus Baumann als angeblichem Verfasser des Reinke de vos s. Friedrich Zarncke, Zur Frage nach dem Verfasser des Reineke. In: ZfdA 9 (1853), S. 374-388 Rollenhagen, S. 27.

97 legitimierende Anspruch der Vorrede ist evident, während die werkeinführenden Funktionen von den Einleitungskapiteln übernommen werden, die den einzelnen Büchern vorangestellt und mit: Aesopische Historia des Froschmeuselers bzw. Kurtze Summa und Inhalt des gantzen Buchs119 überschrieben sind.

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Ebd., S. 41-45, S. 255-261, S. 501-507.

4.

Gesetze und rechte ynn kurtze wort verfasset

4.1. Die Sprichwörtersammlungen Gegenstand intensiver Sammeltätigkeit wird im 16. Jahrhundert auch das volkssprachliche Sprichwort. Bereits die Humanisten, vor allem Erasmus von Rotterdam, 1 Heinrich Bebel 2 und Antonius Tunnicus, 3 hatten ihre Aufmerksamkeit den lateinischen Sprichwörtern gewidmet. Infolgedessen entstanden umfangreiche Sammlungen griechischer, römischer und deutscher Sprichwörter und Redensarten in lateinischer Sprache, die weite Verbreitung fanden. Sie dienten in erster Linie sprachdidaktischen Zwecken und waren zum Teil auch mit philologischen und interpretatorischen Kommentaren versehen. 4 An diesen Werken können sich die deutschen Sprichwortsammler Johannes Agricola und Sebastian Franck orientieren, wenn sie sich anschicken, eigene Sammlungen herauszugeben. Dabei beschränken sie sich nicht auf eine bloße Aneinanderreihung, sondern geben den Sprichwörtern - ähnlich wie Erasmus - erläuternde Auslegungen bei. Diese Auslegungen sind (auch innerhalb einer Sammlung) sehr unterschiedlich gestaltet. Zum Teil handelt es sich nur um eine reine Paraphrasierung des Sprichwortes, oftmals belegt durch Zitate anderer Autoren oder die Zusammenfassung bedeutungsgleicher Sprichwörter. Es werden aber auch Schwänke, Fabeln, Historien etc. zur Erläuterung herangezogen, die den im Sprichwort behaupteten Tatbestand illustrieren oder belegen sollen. Vor allem bei Agricola werden einige dieser >Sprichwortessays< zu umfassenden theologischen und moralischen Abhandlungen ausgeweitet. Das Sprichwort selber tritt dann fast völlig in den Hintergrund und liefert nur noch das Stichwort, das dem Verfasser die Gelegenheit bietet, didaktische oder theologische Stellungnahmen zu formulieren. Ähnlich also wie in den Fabel- oder Exempelsammlungen verbinden die Herausgeber der Sprichwörtersammlungen vorgegebene Texte mit eigener, zielgerichteter Interpretation. 1 2 3

4

Adagiorum collectanea, Paris 1500. Proverbia Germanica, 1508. Verfasser der ältesten Sammlung niederdeutscher Sprichwörter in lateinischen Versen, hg. von Hoffmann von Fallersleben. Berlin 1870. Zur Geschichte der Sprichwortsammlung s. Gustav Bebermeyer, Sprichwortsammlungen. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte, begr. von Paul Merker/Wolfgang Stammler. Bd. 4, hg. von Klaus Kanzog/Achim Masser. Berlin 2 1984. S. 132-151; Friedrich Seiler, Deutsche Sprichwörterkunde. München 1922. S. 98-131; Lutz Röhrich/Wolfgang Mieder, Sprichwort. Stuttgart 1977 ( M l 5 4 ) .

99 Aus den Vorreden zu diesen Sammlungen läßt sich deutlich ablesen, welche Intentionen die Verfasser mit ihrer Publikation verfolgen. So geht es ihnen zum einen darum, den Bestand bekannter Sprichwörter zu dokumentieren. Dieses Anliegen begründet sich aus der Überzeugung, daß in den Sprichwörtern verbürgte Wahrheit und Volksweisheit tradiert werden. Diese Kenntnisse und Einsichten zu erläutern und weiterzugeben, sehen die Sprichwortsammler als ihre vordringlichste Aufgabe an, auch wenn sich gelegentlich - vor allem bei Johannes Agricola - kritische Anmerkungen zum Gehalt der Sprichwörter finden. Gleichzeitig geht es ihnen aber darum, sich einen Rahmen zu schaffen für die Verbreitung ihrer theologischen und didaktischen Überzeugungen. Das gilt sowohl für Johannes Agricola und Eucharius Eyring die als protestantische Geistliche in diesen Werken reformatorisches Gedankengut und konfessionelle Polemik unterbringen, als auch für Sebastian Franck, der sich nach anfänglicher Anhängerschaft dezidiert von der lutherischen Reformation distanzierte und sich einem mystischem Spiritismus zuwandte. 5 Luther selbst, der häufig Sprichwörter heranzog, wenn er einen Sachverhalt kurz, prägnant und vor allem >volkstümlich< darstellen wollte, hatte eine Sprichwörtersammlung in Angriff genommen und fast fünfhundert Sprichwörter (allerdings ohne Auslegungen) zusammengestellt. 6 Generell läßt sich festhalten, daß das Sprichwort in der volkssprachlichen Literatur des 16. Jahrhunderts häufig dort seinen Platz findet, wo Erkenntnisse, die für alt, bewährt und >allgemeingültig< gehalten werden, knapp und volksnah ausgedrückt oder beglaubigt werden sollen, u.a. bei Thomas Murner, Hans Sachs oder Johann Fischart. Auf dieser Grundlage argumentieren auch die Vorreden der deutschsprachigen Sprichwörtersammlungen, in denen es vornehmlich darum geht, das Sprichwort als Überlieferungsträger von Volksweisheit, als Ausdruck von >Gesetz und Recht< im Sinne von Vorschriften, Normen und allgemeingültigen Regeln zu würdigen. In völlig anderer Weise als bei den Fabelsammlungen wird in diesen Vorreden die Gattung >Sprichwort< selbst, d.h. der Gegenstand des Kompilationswerkes, ausführlich und detailliert thematisiert. Dabei steht der nationale, volkssprachliche, konservative und funktionale Aspekt des Sprichwortes im Zentrum der Überlegungen aller Autoren. Neben die eigentlichen (Widmungs)-Vorreden tritt bei Johannes Agricola und Sebastian Franck jeweils ein weiterer theoretischer Text: Warzu die Sprichwörter dienen bzw. Vom underscheydt under Sprichwörtern / Gesatz / und Lere, der die >Sprichworttheorie< der Vorreden ergänzt und wiederholt und aus diesem Grunde hier in die Betrachtung der Vorreden miteinbezogen wird.

5

6

Vgl. Horst Weigelt, Seastian Franck und die lutherische Reformation. In: Sebastian Franck (1499-1542), hg. von Jan-Dirk Müller. Wiesbaden 1993. Vgl. Luther, WA 51, S. 645-662.

100 4.2. Johannes Agricola Johannes Agricola gibt zwischen 1529 und 1548 insgesamt vier Bände gesammelter Sprichwörter heraus (wobei die Ausgabe von 1534 eine verbesserte Neuauflage der beiden vorangegangenen ist) und versieht sie mit diversen Vorreden, die der Übersichtlichkeit halber hier vorweg genannt seien: 7 Drey hundert Gemeyner Sprichworter / der wir Deutschen uns gebrauchen / und doch nicht wissen woher sie kommen, 1529: 1. Widmungsvorrede an den Herzog von Sachsen 2. Vorrhede 3. Warzu die sprichwortter dienen Das Ander teyl gemeyner Deutscher sprichwortter, 1529: 4. Widmungsvorrede an den Bürgermeister von Halberstadt Sybenhundert und fünfftzig Teütscher Sprichwörter / verneüwert und gebessert,1534: 5. kurze Vorbemerkung 6. Vorrhede (identisch mit 2., s.o.) 7. Warzu die sprichwortter dienen (identisch mit 3., s.o.) Fünfhundert Gemainer Newer Teütscher Sprüchwörter, 1548: 8. Widmung an den Hofkanzler Adrianus Albinus. In diesen Vorreden beschäftigt sich Agricola zum einen intensiv mit der Textsorte Sprichwort: Was ist ein Sprichwort, und was kann es leisten? Darüber hinaus aber macht er die Weisheit und das Kulturerbe der >alten Deutschem zum zentralen Gegenstand seiner Ausführungen, weil er dies für den wesentlichen Gehalt der Sprichwörter hält. Die Bedeutung und der Wert der Sprichwörter liegen für Agricola darin, daß in ihnen zum Ausdruck kommt, nach welchen Maximen sich die Menschen früherer Zeiten richteten. Und weil die früheren Zeiten für ihn die besseren waren, läßt sich seiner Ansicht nach daraus für die Gegenwart lernen. Zugleich versucht er, mit dem Rückgriff auf die Vergangenheit ein nationales Selbstbewußtsein zu begründen, das sich sowohl auf die Sprache als auch auf die Sitten der deutschen Vorfahren bezieht. Konsequent ist er bestrebt zu zeigen, daß die Deutschen trotz Fehlen einer schriftlichen Überlieferung zu eigenen Kulturleistungen befähigt waren. Beide Aspekte macht er explizit deutlich in der ersten Widmungsvorrede. Es bewegen mich hierzu [zum Sprichwortsammeln] fümehmlich zwo Ursachen / Die erste / das / wer diese Spruche haben wurde / der wurde die gantze Deutsche sprach haben / welche sprach wir Deutschen so gar fur nichts / achten / das sie auch fast gefallen ist / und niemands / odder gar wenig leut sind / die Deutsch reden konnen.[...] Die andere /

7

Zit. nach Johannes Agricola. Die Sprichwörtersammlungen, hg. von Sander L. Gilman. Berlin/New York 1971. (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts).

101 Synte mal gemeyniglich mit der spräche auch die Sitten fallen / ist zu besorgen / der Deutschen trewe und glauben / bestand / warheit [...] werden auch fallen. 8

Er befürchtet den Verfall der deutschen Sprache und mit ihr den Verfall der Sitten, der dadurch erfolge, daß die Deutschen im Gegensatz zu anderen Nationen ihre Sprache nicht in Regeln gefaßt und nicht in Chroniken festgehalten hätten, »wo etwas ehrliches und mandliches gehandelt / odder etwas kunstlichs und hofflichs ist geredet worden von den yhren«. Ähnliches wird Martin Luther neun Jahre später in der Vorrede zur Historia Galeatii Capellae immer noch beklagen: Und was haben wir Deudschen mehr zu klagen, Denn das wir unser Vorfaren vor tausent jarn Geschichte und Exempel nicht haben und fast nichts wissen, wo wir herkommen sind? On was wir aus andern Nation Historien brauchen müssen, die vielleicht aus not, als zu iren ehren, unser müssen gedencken. [...] Und obs nicht alles kündte auffgelesen werden, das doch die wichtigisten stücke auffs kürzest behalten würden, Wie denn solchs etliche gemeinet haben, die von Diedrich von Bern und anderen Risen lieder gemacht und damit viel grossser Sachen kurtz und schlecht dar gegeben haben. 9

Agricolas Kulturkritik richtet sich vornehmlich gegen die Geringschätzung der Deutschen gegenüber den Leistungen ihrer Vorfahren zugunsten einer Orientierung an ausländischen Vorbildern, Sitten und Moden: Denn wir Deutschen tragen nu forthyn Welsche / Hispanische und Frantzosische kleidung / haben Welsche Cardinal / Frantzosische und Hispanische kranckheiten / auch Welsche practiken.

Agricolas dezidierte Hinweise auf die Leistungen der deutschen Kultur und Tradition müssen gesehen werden vor dem Hintergrund des mit dem Humanismus aufkommenden Nationalstolzes der Italiener, die seit dem 12. Jahrhundert begannen, sich ihres römisch-antiken Erbes bewußt zu werden und daraus ein Überlegenheitsgefühl über die ungebildeten Barbaren< anderer Länder ableiteten. Das Fehlen schriftlicher Überlieferung und Zeugnissen aus der eigenen Vergangenheit wurde in einer Zeit aufblühender Gelehrsamkeit und Rückbesinnung auf antike Tradition, Gegenstand nationaler Herabsetzung. In diesem Zusammenhang wurde das Bekanntwerden der Schriften des Tacitus, der vom Sieg über die Römer und germanischen Heldentaten berichtet, freudig begrüßt, aber eben auch poetische Formen mündlicher Überlieferung wie die Sprichwörter konnten herangezogen werden, weil man in ihnen lang vergessene und verschmähte Weishheit wiederzuentdecken glaubte, die vom kulturellen Niveau der >alten Deutschem Zeugnis ablegen sollte. Mit Hilfe der Sprichwörter, so meint Agricola, ließe sich die von vielen vergessene oder verschmähte Weisheit der Alten wiederentdecken. Mit seiner

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Alle Zitate aus der Widmungsvorrede an den Herzog von Sachsen finden sich sich in Agricola, Bd. 2, S. 304. Luther, WA 50, S. 384.

102 Sammlung möchte er sie ins Bewußtsein einer größeren Öffentlichkeit rücken: »auf das doch etliche unter unsern Deutschen mochten gereitzt werden / yhrer foreltern / fußstapffen nach zu wandeln«. Daran anknüpfend rühmt er den Herzog von Sachsen, dem das Werk gewidmet ist, als zeitgenössisches »exempel der Deutschen erbarkeit / trew und warheit / glauben und manlichs gemüts«, der den Deutschen ein Vorbild sein sollte, damit sie »yhren angeerbten glauben und trew mit der tadt auch wolten erhalten« und nicht wie andere »undeutsche Nation / unverschempt mutery / verrhetery / und andere bose tucke unter yhnen selbs anrichten / zu yhrem eygen verderben«. Auf diese stark patriotisch ausgerichtete Widmungsvorrede über Wert und Nutzen des deutschen Sprichwortes für die Deutschen folgt die sogenannte Vorrhede}0 die konkret in das vorliegende Werk einführen soll. Ausgehend von der (angeblichen) Quellenlage, stellt Agricola seine Leistung in den Vordergrund und ist zugleich bemüht, durch Bescheidenheitstopoi seine eigene Arbeit zu relativieren. Als erster habe er die Mühen auf sich genommen, deutsche Sprichwörter nicht nur zu sammeln, sondern auch zu deuten: Wie schwer es ist / Deutsche Sprichwort nicht alleine zu schreiben / sondern auch zu deutten / wissen die wol / welchen kundt ist / das wir Deutschen keine schrifft haben / darynne solche zuvorhyn angezeigt / odder geleret worden were.

Agricola beklagt das Fehlen eines deutschen Sprichwortrepertoires, auf welches er wie Erasmus hätte zurückgreifen können, denn dieser habe »auß den Schreibern und Lerern / Griechischer und Lateinischer sprach einen grossen hauffen zusammen« gelesen. Eine längere Aneinanderreihung volkssprachlicher Literatur, die ihm nicht weitergeholfen habe, soll seine fundierte Kenntnis älterer und zeitgenössischer volkssprachlicher Literatur demonstrieren und zugleich die Schwierigkeit seines Unterfangens belegen. U.a. nennt er mittelalterliche Lehrdichtung wie Freidanks Bescheidenheit und den Renner des Hugo von Trimberg, die Heldendichtung (Hildebrandslied, Eckenlied), Volksbücher (.Marcolphus, Eulenspiegel, Der P f a f f e vom Kalenberg), Sebastian Brant und den Teuerdank. Die Absicht, in dieser Vorrede um Anerkennung und Nachsicht zu bitten, verleitet Agricola hier zu Behauptungen, die nicht den Tatsachen entsprechen. In den oben genannten Werken konnte er durchaus auch >Material< für seine Kompilation finden, und daß er sie gefunden hat, zeigt sich eindeutig daran, daß er in den Sprichwortauslegungen auf einige der Autoren zurückgreift und vor allem Hugo von Trimberg in zahllosen Kommentaren zitiert. 11 Richtig bleibt seine Feststellung nur insofern, als er in der Tat der erste war, der deutsche Sprichwörter nicht nur innerhalb eines Textes verwandte, sondern sie zum Gegenstand einer eigenen Sammlung machte. So kann er zu

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Agricola, Bd. 1, S. 3f. Zu Agricolas Quellen: Heinz-Dieter Grau, Die Leistung Johannes Agricolas als Sprichwortsammler. Diss. Tübingen 1968. S. 4 9 - 8 3 .

103 Recht feststellen: »Es mus eins dings ein anfang seyn / und ein anfenger ist aller ehren werdt.« Auf diesen Status des >Anfängers< hebt er ab, um möglicher Kritik vorzubeugen, und er präsentiert sein Werk der Öffentlichkeit als probe, als eine Auswahl von dreihundert aus den über fünftausend Sprichwörtern, die er insgesamt zusammengetragen habe. Um Nachsicht und Mithilfe bittend, beendet er die Vorrede: »denn wir alle sampt werden zu schaffen genug haben / auff das wir Deutsche sprach auffbringen«. Diese Hinweise auf die als problematisch empfundene Quellenlage und die Größe der Aufgabe dienen nicht zuletzt der Selbstdarstellung des Autors. Dem schließt sich eine Abhandlung an, die die Frage beantworten soll: Warzu die Sprichwörter dienen.12 Agricolas Argumentation läuft jedoch eher darauf hinaus zu zeigen, was er schon in der Widmungsvorrede betont hatte: daß die Vorfahren der Deutschen gerecht, ehrlich, treu und aufrichtig waren und, ohne viel Worte zu machen, richtig handelten. Agricola beschreibt die Sprichwörter hier vornehmlich als gesetze und rechte, als moralische Maximen und Regeln und rühmt sie wegen der Kürze und Knappheit, in der sie präzise Aussagen treffen. »Weise Leute«, so argumentiert er, hätten seit Anbeginn der Welt »alle gesetze und rechte ynn kurtze wort verfasset, auff das man sie leichtlich behalten künde«: die zehn Gebote der Juden, die drei Grundprinzipien der heidnischen Ethik (»erbarlich leben / [...] niemand beschedigen / [...] einem yeden geben unnd thun / was yhm von recht geburet«) und »die zwelff taffein der Griechen, darrynne alle yhre rechte gefaßt waren«. Mit diesen ethischen Grundprinzipien in komprimierter Form setzt er die Sprichwörter gleich. Dabei geht es ihm weniger um das Sprichwort, als darum, zu beweisen, daß die Deutschen früher mit wenigen, knappen Handlungsanweisungen ausgekommen seien. Diesen Tatbestand wertet er als Beweis für ein höher entwickeltes moralisches Bewußtsein: Ja mehr gesetze / ja mehr untugent. Zu dem / j a frommer die leutte gewesen seyn / ja weniger gesetze sich bedurfft haben [...] und noch heutte bey tage findt sichs also / das fromme erbare leutte wenig wort machen. Aber finantzer und betrieger machen viel wort / und meynens nicht [...] Also haben unsere alte deutschen einfeltig geredt / und wenig wort gebraucht / auch wenig gesetzt gehabt. 1 3

Beispiele, die den Gegensatz von viel Schein und wenig Sein herausstellen, sollen das Gesagte veranschaulichen: die kleine Goldmünze, die dennoch großen Wert hat, oder das hohle Weinfaß, das beim Dagegenschlagen viel lauter tönt als das leere. Als Beweis dafür, wie die Deutschen früher ihr Leben in kurze Regeln gefaßt haben, zitiert er abschließend einige Sprichwörter: »Widder die bauchsorge haben sie gesagt / Gott bescheret über nacht. [...] Von der trewe und untrewe haben sie gesagt / Getrewe handt gehet durch alle landt.« 1 4 12 13 14

Agricola, Bd. 1, S . 4 f f . Ebd., S. 5. Ebd., S. 6.

104 Somit nimmt Agricola, ohne es explizit deutlich zu machen, auf zwei Ebenen Stellung zur Bedeutung der Sprichwörter: im einzelnen sind sie kurzgefaßte Lehren und Verhaltensvorschriften, an die sich jeder halten soll; in ihrer Gesamtheit, wie sie die Sammlung ansatzweise dokumentiert, können sie beweisen, daß die Vorfahren der Deutschen (noch), ohne viele Worte zu machen, und vor allem ohne schriftliche Fixierung wußten, was Recht und Unrecht ist. Wie in der Widmungsvorrede stellt er auch hier die Vergangenheit, in der die Sprichwörter entstanden sind, kritisch der Gegenwart gegenüber. Er unterstreicht die volkserziehende und auf konservativen Werten basierende gesellschaftskritische Tendenz der Sammlung und versteht seine Sprichwortsammlung vor allem als Lehrdichtung. Die Absicht, eine >Sprichwort-Dokumentation< zu erstellen, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Dieser Ansatz hat zur Folge, daß der normative, didaktische Anspruch der Sprichwörter verabsolutiert wird, wodurch Agricola zwar einen wesentlichen Aspekt des Sprichworts erfaßt, seinem spezifischen Charakter als »Ergebnis praktischer Lebenserfahrung«, 15 die sich nicht unbedingt in moralischen Kategorien fassen läßt, allerdings nicht ganz gerecht wird. Ähnliche Zeitkritik wie im ersten Band äußert Agricola auch im zweiten Teil seiner Sammlung, die noch im gleichen Jahr erscheint. Erneut prangert er in der Widmungsvorrede an den Bürgermeister zu Halberstadt die Mißachtung an, die die Deutschen ihren Vorfahren entgegenbringen, indem sie ihre Leistungen, Erkenntnisse und Einsichten nicht tradieren: Es ist kein nation auff erden / die weniger auff yhrer voreitern tugent und ehrliche thatten acht genommen / und dieselbigen mit weniger fleis beschriben hat / denn wir Deutschen / syntemal wir nur gaffen auf anderer nation kleydung / thatten / reden / thun und lassen / was aber unser ist / das verlassen und verachten wir. 16

Er nimmt explizit Bezug auf den ersten Band und faßt seine dort geäußerten Absichten nochmals zusammen: es geht ihm um Sprachpflege bzw. Spracherneuerung und um die Erneuerung alter Tugend und Sitten: »was unsere voreitern von Gott / von rechtem Gottes dienst / vom glauben und liebe / von der tugent und alter erbarkeyt« gehalten haben. Zur Herausgabe eines weiteren Teils der Sprichwortsammlung fühlt er sich insofern ermutigt, als das Werk offenbar positiv aufgenommen worden war, dergestalt, »daß meine liebe Deutschen lust gewunnen haben / solche weißheyt yhrer voreitern zu erfahren«. 17 Konkreter als in der ersten Vorrede bestimmt er das, was er als den >rechten Glauben< der Eltern empfindet, den es weiterzugeben gilt, und verleiht seiner protestantischen Überzeugung Ausdruck. Diesen Aussagen ist ein großer Teil des Textes gewidmet. Wichtig erscheint ihm vor allem die strikte Ablehnung

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Bebermeyer, S. 133. Agricola, Bd. 2, S. 313. Ebd.

105 der Heiligenverehrung aus der Überzeugung heraus, »daß kein mitler sey zwischen Gott und uns«. Die Anrufung der zahlreichen Heiligen, wie sie die katholische Kirche praktiziere, vergleicht er mit dem Polytheismus der Heiden: so wie diese einst Juno und Mars anriefen, erbitten die Deutschen nun Hilfe von Sankt Georg oder der Heiligen Margarethe. 18 In diesem Zusammenhang verweist er auf seine Auslegung zum ersten Sprichwort dieses Teils: »Das wirt geschehen / wenn der Teuffei von Ach kump«, 1 9 was soviel heißt wie: das wird nie geschehen. Es handelt sich dabei um einen mehrseitigen exegetischen Text über das Wesen Gottes und des Teufels, über Erbsünde, Gnade und Vergebung und andere theologische Grundfragen, der weit über die bloße Erläuterung des Sprichworts hinausgeht. Und auch hier nimmt Agricola Stellung zu der Frage nach dem >allein selig machenden Glaubenc, die für die Reformationsbewegung so zentral geworden ist und die die Mittlerschaft von Priestern oder Heiligen >überflüssig< gemacht hat. Besonders in bezug auf ihre religiösen Überzeugungen schreibt Agricola den alten Deutschen Vorbildlichkeit zu, und er verweist als Zeugnis auf die Heldenepik, welche in der anschließenden Sprichwortauslegung noch ausführlicher ausgewertet wird: 20 Ich finde in den alten Deutschen geschichten / als in der Heldenbuoch / daß sie nur lautter yhre hülffe auff Gott gesetzt haben / nicht auff die heyligen. Von Wolff Dietrich stehet also geschriben ...

Die Argumentation Agricolas zielt darauf ab zu zeigen, daß die Reformation zu Unrecht als »newe lere und ketzerey« geschmäht werde, während sie seiner Ansicht nach den alten, ursprünglich >richtigen< Glauben neu ins Bewußtsein der Menschen zurückrufe. Mag auch die in diesen Zusammenhang gestellte Behauptung, daß eine theologische Richtigstellung die ursach gewesen sei, die ihn am meisten dazu bewogen habe, die Sammlung zu erstellen, überspitzt erscheinen, steht doch fest, daß der Theologe Agricola die Sprichwörterauslegungen und die Vorrede wesentlich dazu benutzt hat, dogmatische und konfessionell gebundene Inhalte zu vermitteln. Dennoch erfuhr er auch von protestantischer Seite nicht nur Zustimmung. Weil er in seiner Auslegung zum 115. Sprichwort: Wenn Gott eyn land segnet / so gibt er yhm einen klugen Fürsten / der Frieden helt. Widderumb / wenn Gott eyn landt straffen und plagen will / so gibt er yhm einen Tyrannen und wueterich der alles on radt mit der faust will außrichten... 2 1

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Zur protestantischen Auseinandersetzung mit der Heiligenverehrung s. oben S. 27. Agricola, Bd. 1, S. 239-259. Sowohl in der Auslegung zum Sprichwort »Das wird geschehen / wenn der Teufel von Ach kumpt«, ebd., S. 255 als auch an einigen anderen Stellen zitiert Agricola aus dem Dresdener Heldenbuch des Kaspar von der Rhön von 1472. Vgl. auch die Vorrhede, in der das Heldenbuch innerhalb des Literaturkataloges genannt wird, ebd. S. 3f. Agricola, Bd. 1, S. 282.

106 den protestantischen Fürsten Ulrich von Württemberg als Beispiel für einen tyrannischen Herrscher anführte, kam es zu einer längeren Auseinandersetzung, in die auch der Kurfürst von Sachsen, dem der erste Teil gewidmet ist, Landgraf Philip von Hessen und Luther miteinbezogen wurden. 22 Im Zusammenhang damit veröffentlichte ein Anhänger Ulrichs, Ludwig von Passavant, eine Streitschrift, 23 die Agricola nicht nur wegen der Verunglimpfung seines Herrn angreift. Passavant kritisiert grundsätzlich die Konzeption des Werkes. Die Vermischung religiöser Aussagen mit volkskundlichen Beschreibungen, Historien und Schwänken, die diese oftmals illustrieren, empfindet er als Gotteslästerung: Anfenglich so wirt nit allein im ingang / vorreden / und bey den ersten Sprichworten / Gott beschert über nacht / [...] Sunder auch allenthalben in disem spruch büchlein / nebent altwybischen fablen / was sant Petter / sant Niclaus beschert / wie man den kindern zü den wyhenachten / und wan sunst pfeffer kuchen underlegt / und an vil orten bey den aller schentlichsten und lesterlichen Sprüchen / der nam gottes / auch sein heiliges und göttliches wort / das Hvangely und gschrifft Altes und Nüwes Testaments so leichtvertig mißbrucht eingemischt / und darzu gezogen / wie es sich ja etwa reime / das es billich eim jeden güttigen leßer ein grüwel machen / und darab erschrecken solt. 24

Ähnliche Kritik äußert später auch Luther an der Sammlung. 25 Agricola reagiert darauf nur zum Teil. Für die Polemik gegen den Herzog erklärt er sich gleich nach Bekanntwerden der Vorwürfe zu einer demütigen Entschuldigung bereit. Auch werden die betreffenden Passagen gestrichen, als er sich 1534 zu einer veränderten Neuausgabe seiner beiden Sammlungen in einem Band entschließt. In einer kurzen Vorbemerkung, die nicht im Zusammenhang mit der Vorrhede steht, sondern von ihr durch das Register getrennt ist, erwähnt er vage, daß seine ersten Sammlungen auch auf Kritik gestoßen seien, ohne allerdings zu erklären, wogegen sich Kritik und Polemik richteten, und ohne Verweis darauf, daß die Anstoß erregenden Stellen gestrichen wurden. Selbstbewußt beschreibt er seine Kritiker als solche, die jedes Wort auf die Goldwaage legen, aber nicht in der Lage seien, es besser zu machen: »Können wir nicht alle tichten / so wollen wir doch alle richten.« 26 Auf eine konstruktive Auseinandersetzung mit seinen Kritikern und ihren prinzipiellen Einwänden läßt er sich also nicht ein. Weder rechtfertigt er sich, noch weist er auf die vorgenommenen Änderungen hin. Das heißt, eine produktive Verarbeitung der (kritischen) Rezeption des Werkes findet bei Agricola innerhalb der Vorreden der Fortsetzungsbände nicht statt, obwohl er grundsätzlich die Kritik thematisiert.

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Zu dieser Auseinandersetzung s. Agricola, Bd. 2, S. 336-353. Ebd., S. 275-302. Ebd., S. 280. Ebd., S. 350f. Die Kritik erinnert an Luthers Ablehnung der Steinhöwelschen Fabelsammlung aufgund ihrer teils grobianischen Ausschmückungen. Agricola, Bd. 1, S. 3.

107 Die Widmungen an den Herzog Johann Friedrich zu Sachsen und den Bürgermeister zu Halberstadt erscheinen in der Ausgabe von 1534 nicht mehr und werden auch durch keine andere Widmung ersetzt. Nur die Vorhede und die Darlegung Warzu die sprichwortter dienen sind in die Neuausgabe aufgenommen. Vierzehn Jahre später, während seiner Teilnahme am Augsburger Reichstag von 1548, gibt Agricola zum letztenmal eine Sammlung von Sprichwörtern heraus: Fünfliundert Gemainer Newer Teütscher Sprüchwörter, fast durchweg Sprichwörter, die in den vorangegangenen Werken noch nicht verzeichnet waren. Agricola ist inzwischen Hofprediger am Brandenburgischen Hof in Berlin geworden und widmet das Werk seinem »günstigen Herrn und lieben Freund«, dem Cantzler des Markgrafen zu Brandenburg, Adrian Albinus. Offenkundig spiegelt sich in der Auswahl dieser Sammlung seine veränderte Lebenssituation wider, denn es handelt sich dabei überwiegend um Hofsprüche, d.h. Sprüche, die sich mit dem Hofleben, den Eigenschaften und Verhaltensweisen der Fürsten und der ganzen Hofgesellschaft im weitesten Sinne beschäftigen. Agricola hat die Sammlung als didaktisches Werk für die Rezipienten seines persönlichen Umkreises konzipiert und zugleich seine eigenen Erfahrungen am Hof verarbeitet. Solche Hofsprüche, die sich meist kritisch mit Fürsten, Herren und Hofleuten auseinandersetzen, waren bereits in den vorherigen Sammlungen verzeichnet: 27 -

Lang zu hofe / lang zu helle (262) Es ist eyn Fürst wol so setzsam im hymel / als eyn hirsch in eynes armen mans kuchen (263) Do Adam reutte / und Eva span / Wer was do eyn Edelman (264) Herren dienst erbet nicht (269)

Agricola gab ihnen Kommentare bei, die die hoffeindliche Tendenz unterstreichen sollten, und zeichnete dort insgesamt ein negatives Bild vom Hofleben. So heißt es als Auslegung zu Lang zu hofe / lang zu helle: Wo nun solche laster gemeyn sind / damit die Fürsten hoefe vergifftet sind / wil folgen / daß sie Gott muß straffen mit dem tode und der helle / daher auch das Sprichwort erwachsen ist. 28

Angeprangert werden Ungerechtigkeit, Willkür, Unbarmherzigkeit, Untreue und Vernachlässigung der Fürsorgepflicht für die Untertanen durch die Fürsten, Verschwendungssucht, Zuchtlosigkeit und Opportunismus der Hofgesellschaft. Die Kritik richtet sich allerdings vornehmlich gegen die Praxis des Hoflebens, nie gegen die Institutionen selbst oder gar gegen Herrschaft an sich:

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Grundsätzlich zur Hofkritik bei Agricola: Helmut Kiesel, »Bei Hof, bei Höllhoffreundlich< und versucht, seine These sachlich durch eine breit angelegte Reihung biblischer Beispiele zu belegen, die an die oben zitierte Auslegung zum Sprichwort Als Petrus... erinnert und den größten Teil der Vorrede beansprucht. Als Exempelfiguren fungieren Mose, Abraham, David, Johannes der Täufer, Petrus u.a., wobei jeweils ihre Beziehung zum Hof referiert wird. Als bemerkenswert an diesem Text erweist sich jedoch nicht nur die formale und inhaltliche Integration der Vorrede in das Werk, sondern auch die Tatsache, daß in diesem Zusammenhang, entgegen dem zuvor Behaupteten, die Wahrheit des Sprichwortes und seine Gültigkeit angezweifelt werden. Agricola wehrt sich entschieden gegen eine pauschale Verurteilung des Hofes, wie er sie in den Sprichwörtern vorfindet, und er greift die drei wichtigsten Vertreter der literarischen Hofkritik Agrippa von Nettesheim, Erasmus und Ulrich von Hutten scharf an, »dieweil sy nur etwas schelten und verwerffen / und bringen doch kain bessers auff den plan / daran man sich halten kündte«. Seine Absicht ist es dagegen, diejenigen zu trösten, die an Höfen leben müssen, 29 30 31

Ebd., S. 227. Agricola, Bd. 2, S. 8. Ebd., S . 4 .

109 das sy in Gottes namen / ires beruffs / darinnen sy seind / warten / Gott fürchten / seinen Son ehren / unnd an in glauben / und das helffen rahten und fürsehen / das zuo Gottes ehren / fride / rüwe und ainigkait auff erden dienen müge. 3 2

Weil es besonders schwierig, aber nicht grundsätzlich unmöglich ist, auch bei Hofe ein frommes Leben zu führen, konzentriert Agricola seine didaktischen Bemühungen auf diesen betroffenen Personenkreis, der ihm zudem persönlich nahesteht. Dabei bezieht er eine Position, die an Luthers Fabelepimythien erinnert: weil am Zustand der verworfenen Welt grundsätzlich nichts zu ändern sei, möchte er lehren, wie man sich darin einrichten könne, ohne sein Seelenheil zu verlieren: 33 Wer da will böse leüt oder boßhait fliehen / der muß auß der weit lauffen / das haißt / Es ist ain mal unmüglich. [...] Man soll sich aber hüten vor den bösen leüten / die sich Brüder und Schwestern nennen / und wollen gleich wol in der boßhait Christen sein / Dahin gehört das fliehen / nicht auff die boßhait der welt / die nit unserer / sondern in Gottes gerichte steht. 3 4

Die Vorrede von 1548 dient demzufolge nicht wie die vorhergehenden dem Lob des Sprichwortes und der in ihm tradierten Weisheit, sondern reflektiert statt dessen das Thema des Werkes mit der Absicht, dessen Tendenz abzuschwächen. Denn obwohl die Apologie des Hofes im Widmungsschreiben anderes vermuten ließe, enthält die Sammlung überwiegend hofkritische Sprüche, die Agricola auch als solche stehen läßt. 35 Um die Sammlung dennoch einem bestimmten Rezipientenkreis, dem angesprochenen Hofkanzler und allen, »die an Kayser / Künige / Fürsten und Herren höfen sein müssen«, genehm zu machen, ergibt sich für die Vorrede die Aufgabe, die Aussagen des Werkes zu relativieren. Möglicherweise hat Agricola aus seinen schlechten Erfahrungen mit der Kritik am Herzog Ulrich von Württemberg gelernt. Gewissermaßen zur Beruhigung also für jene, die er nicht persönlich angreifen will, führt er in der Vorrede exemplarisch vor, daß die in den gesammelten Sprichwörtern postulierten Angriffe nicht unbedingt berechtigt sein müssen. 36 Agricola nimmt damit in Kauf, daß er damit seine früher geäußerten Thesen von der Allgemeingültigkeit des Sprichwortes relativiert. Daß er diese Position, wenn auch unausgesprochen, so einfach aufgeben kann, rückt die Tatsache ins Bewußtsein, daß die Vorreden primär dazu dienen, das Werk einem möglichen Publikum nahezubringen. Oftmals wird aus diesem Grund in der Kompilationsliteratur des 16. Jahrhunderts eine ausführliche Beschreibung und Würdigung des Gegenstandes der Sammlung dem Werk vorangestellt. So ist Agricola in den

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Ebd., S. 8. So auch zu »Also lohnt die Welt«, ebd., S. 10 und »Vom Hofe leben«, S. 62. Ebd., S. 5. Dazu Kiesel, S. 117f. Kiesel weist außerdem darauf hin, daß die Salvierung des Hofes durchaus ernst gemeint sein könnte, Agricola aber keine pro-höfischen Sprichwörter zur Verfügung standen, vgl. S. 118.

110 Vorreden von 1529 und 1534 verfahren, die sich literaturtheoretisch und didaktisch geben, letztlich aber im Blick auf die Publikumswirksamkeit des Werkes argumentieren und aus diesem Grunde die Bedeutung der Sprichwörter deutlich herausstellen. Die Vorrede von 1548 dagegen übernimmt die Funktion, das primär erwartete Publikum (die Vorgesetzten und potentiellen Gönner) direkt anzusprechen und wohlwollend zu stimmen - ohne allzu offensichtlich plump anbiedernd oder schmeichlerisch aufzutreten. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß alle Vorreden Agricolas in verhältnismäßig enger, d.h. konkreter Verbindung zum Werk stehen. Für die Sammlung von 1529 und 1534 gilt das insofern, als sich die Vorreden theoretisch mit dem Gegenstand der Sammlung befassen. Während die Autoren der Kompilationen anderer Gattungen oft darauf verzichten, sich speziell zu ihren Texten zu äußern, geht Agricola in seinen Vorreden direkt und ausführlich auf das Sprichwort ein. Die Vorreden stehen zum einen im Kontext des Werkes, indem sie Einleitungsfunktion übernehmen, zum anderen im Kontext einer Sprichworttheorie, indem sie gattungstheoretische Überlegungen zu Form, Inhalt, Geschichte und Funktion der gesammelten Texte enthalten, ihren Wert loben und begründen. Darüber hinaus sind sie stark didaktisch orientiert und behandeln wie die Fabelvorreden allgemeine moralische, zeitkritische und religiöse Fragen. Auch dabei versucht der Autor durchgängig, den Gegenstand seiner Sammlung, die Sprichwörter, in die Argumentation miteinzubeziehen und den Bezug zum Werk zu wahren.

4.3. Sebastian Franck und seine Nachfolger Außer Agricola ist für die deutschsprachige Sprichwortsammlung des 16. Jahrhunderts Sebastian Franck von zentraler Bedeutung, der 1541, ein Jahr vor seinem Tode, die 7000 Sprichwörter umfassende Sammlung Sprichwörter / Schöne / Weise / Herrlich Clugreden / unnd Hoffsprüch herausgibt. Franck kompiliert Sprichwörter und Redensarten aus verschiedenen Sammlungen und zeitgenössischer Literatur und ordnet sie, um zu demonstrieren, wie reich die deutsche Sprache an Sprichwörtern ist, so an, daß auf einen lateinischen Spruch quasi als Überschrift - mehrere deutsche Sprichwörter folgen, die sich thematisch daran anschließen. »Eine amorphe Anhäufung von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten unterschiedlicher Thematik, dazu theologische bzw. philosophische Erörterungen über mehrere Seiten, zu denen ein Sprichwort höchstens einen äußeren Anlaß bietet, und Einschübe von historischen Exempeln und äsopischen Fabeln lassen auf den ersten Blick keine gedankliche Ordnung erkennen.« 37

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Barbara Bauer, Die Philosophie des Sprichwortes bei Sebastian Franck. In: Sebastian Franck (1499-1542), S. 181.

Ill Der Sammlung vorangestellt sind eine Widmungvorrede und eine kurze Erläuterung Vom underschydt under Sprichwörtern / Gesotz / und Lere. Bei der Dedikation handelt es sich um eine sehr persönlich gehaltene Anrede im Stil des humasistisch-gelehrten Widmungstypus an den Freund Christoffer Utman: »mein geliebter Christoff / sonder guter freundt und patron«. Sie ist ein pathetisches Loblied auf den Wert wahrer Freundschaft, wie Franck sie in seiner Beziehung zu Utman verwirklicht sieht. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht der Gedanke, daß eine freundschaftliche Bindung, genau wie eine Ehe, nur Bestand haben kann, wenn sie von Gott gegeben und in seinem Geiste geführt werde. Eingestreut in die Betrachtungen sind zahlreiche Sprichwörter, die seine Ausführungen belegen sollen: A l s o ein trewen freundt / klaubt mann nit am w e g auff / findt in auch nit zu Franckfurt / wie vil gelt und war darkompt / in der Meß feyl / sonder muoß ein lauter gab Gotts sein / darumb ein jeder als umb das höchst kleinoth ihm von Gott verliehen / wol zu dankken hat. 3 8

Diesem Freund nun eignet er seine »weitleuffige mühselige arbeyt«, seinen »tag und nacht schweyß« zu. Was sein Werk darstellen soll und zu welchem Zweck er alle Mühe auf sich genommen habe, schildert er kurz im letzten Abschnitt der Widmung: Der Leser soll erkennen, »was weyßheyt / kunst / verstand / religion und verborgner rheym in der altern Teutschen / Lateiner / Griechen unnd Hebreer Sprichwörter steckt«, und er soll lust und lieb daran gewinnen, den Sprichwörtern nachzudencken. Zum »heyl und besten seines grossen Vaterlandes« soll das Werk gereichen. Mit diesem patriotischen Bekenntnis endet die Widmungsvorrede, die als >Widmungsvorrede im engeren Sinn< bezeichnet werden kann, da sie sich nur am Rande mit dem Werk befaßt, dem sie vorangestellt ist, und sich statt dessen ganz auf die mit der Widmung angesprochene Person und das Thema Freundschaft konzentriert. Franck stellt der Sammlung eine weitere Vorrede voran: die Abhandlung Vom underscheydt under Sprichwörter / Gesatz / und Lere. Diese ist primär auf die Beschreibung und ausdrückliche Würdigung des Sprichwortes hin angelegt. Hier findet sich auch die bekannt gewordene Definition des Sprichworts als »Ein kurtze / und weise kluogred / summ eines gantzen handels / gesatz odder langen sentenz«. 39 Damit paraphrasiert Franck mehrere antike Definitionen, die Erasmus von Rotterdam in der Dedicatio seiner Adagiorum collectanea an Lord Mountjoy im Jahre 1500 zitiert hatte. Formal zeichnen sich die Sprichwörter - im Gegensatz zu anderen, schriftlich überlieferten Regeln, Gesetzen und Geboten - durch Knappheit und indirekte Aussageweise aus. Sie fassen

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Sebastian Franck, Sprichwörter, hg. von Wolfgang Mieder. Hildesheim 1987 (Volkskundliche Quellen. Neudrucke europäischer Texte und Untersuchungen VII). fol. 2v. 39 Ebd., fol. 4v.

112 das, was sie verdeutlichen wollen, in Bilder: »Die rechten natürlichen Sprichwörter sind abgekürzt / mit einer figur unnd Tropo in ein summ begriffen.« So können sie, wenn sie richtig gedeutet werden, mit wenigen Worten oftmals mehr aussagen als eine ganze Predigt. Gerade diese Offenheit macht sie dem geschriebenen Gesetz, dem >toten Buchstaben< überlegen. Für Franck, der auf der Grundlage eines mystischen Spiritualismus die Möglichkeit einer Verschriftlichung des göttlichen Wortes grundsätzlich ablehnt und allein das direkte Wirken des Geistes als Vermittlung gelten läßt, sind die Sprichwörter als ein Zeugnis nichtschriftlicher Tradition besonders wertvoll: »Es ist auch under allen leeren / menschen urteylen und Sentenzen nicht warers noch gewissere dann die Sprichwörter.« Sie zeigen »in kürtze / wegweiß recht und wol zu reden und leben«. Wie in einen verschlossenen Kasten seien bei allen Nationen in die Sprichwörter die »groeßt weisheyt aller weisen«, irdische wie ewige, gelegt. Obwohl Francks Werk darauf abzielt, den großen Reichtum deutscher Sprichwörter herauszustellen, verzichtet er in der Vorrede auf eine besondere Betonung des nationalen Aspektes und verweist auf die allgemein verbreitete Praxis des Sprichwortgebrauchs auch in anderen Kulturen. Wichtig ist, daß sie sich als festes wort Gots, wie sie in der Widmungsvorreden genannt werden, manifestieren und »von der Erfahrung gelehrt« und duch die »natur und vernunnft in aller menschen Hertz und mund geschriben und gelegt« sind. Franck hat sich in seinen zahlreichen Schriften wiederholt dazu äußert, daß die >Schrift des GeistesHeld< einen Dummen oder Lasterhaften übertölpelt. 3 Alle diese Schwanksammlungen enthalten Vorreden, die, ähnlich den Vorreden der Exempelsammlungen, aus einem begrenzten Komplex von Themen bestehen. Sie lassen sich umfassend analysieren und beschreiben, erfaßt man die Aussagen der Autoren zu folgenden Punkten: - Inhalt der Sammlung - Rezipienten und Rezeptionssituationen - Entstehungsbedingungen des Werkes - Intention und Wirkungsabsicht des Verfassers - literarische Vorbilder und Literaturkritik - Verteidigung der eigenen Sammlung, Abwehr möglicher Kritk. Mit wenigen Ausnahmen nimmt jeder der Autoren zu diesen Themen Stellung, und umgekehrt ist jede der Vorreden unter diesen Überschriften fast vollständig zu erfassen. 4 Damit sei zugleich gesagt, daß sich die Vorreden thematisch und

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Jürgen Hein, Der Schwank. In: Formen der Literatur, hg. von Otto Knörrich. Stuttgart 1981 (Kröner 478). S. 364. Älter sind der Schwankzyklus um Till Eulenspiegel von Herman Bote, erschienen 1510/ 11 und die Sammlung Schimpf und Ernst von Johannes Pauli, 1522. Zur Definition des Schwanks: Erich Strassner, Schwank. Stuttgart 2 1978. Dort auch weiterführende Literatur. Unberücksichtigt geblieben ist nur der >Widmungsteil< der Widmungsreden, d.h. Nennung des potentiellen Gönners, Anlaß der Widmung etc.

119 strukturell nicht sehr voneinander unterscheiden. Auch inhaltlich, d.h. in ihren konkreten Aussagen zu den einzelnen Punkten, decken sie sich in einem hohem Maße, weswegen in diesem Kapitel (wie bereits bei den Exempelsammlungen) systematisch die einzelnen Themenschwerpunkte vorgestellt werden sollen und nicht jede Vorrede für sich. Zur Analyse herangezogen wurden die Widmungsund/oder Leservorreden folgender Sammlungen: Widmung Pauli: Schimpf und Ernst5 Wickram: Rollwagenbüchlein6 Frey: Gartengesellschaft1 Lindener: Katzipori6 Lindener: Rastbüchlein9 Montanus: Wegkürtzerx0 Montanus: Gartengesellschaft 2" Schumann: Nachtbüchlein l n Schumann: Nachtbüchlein 2 Kirchhof: Wendunmuth (Bd. 1,3,4) 13

An den Leser

Die Vorrede dis Buchs

χ (Reim) χ (Reim)

Bei den Adressaten der Widmungsvorreden handelt es sich wie üblich um Freunde, Gönner oder Amtspersonen, deren Protektion das Ansehen der Sammlung steigern soll. Im übrigen trifft auch für die Schwanksammlungen zu, was schon früher festgestellt wurde: sieht man von der konkreten Anrede an den Empfänger ab, unterscheiden sich Leservorreden und Widmungsvorreden nicht wesentlich voneinander. Deutliche Hervorhebung verdient die Tatsache, daß die Vorreden der Schwanksammlungen im Gegensatz zu den anderen bereits vorgestellten Kompilationswerken - nicht in dem was sie aussagen - aber in ihrer literarischen Ausprägung individuell sehr verschieden sind. Die ausführlichen Textzitate werden zeigen, daß bei gleicher inhaltlicher Tendenz und unter Heranziehung

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6

7 8

9 10

11 12 13

Johannes Pauli, Schimpf und Ernst (1522), hg. von Hermann Österly. Stuttgart 1866. Paulis Sammlung nimmt eine Zwischenstellung zwischen Exempelsammlung und Schwanksammlung ein, soll aber vor allem aufgrund der primär zu berücksichtigenden Vorrede, die sich deutlich von den Vorreden der Exempelsammlungen unterscheidet, hier im Rahmen der Schwanksammlungen behandelt werden. Jörg Wickram, Das Rollwagenbüchlein (1555). In: Georg Wickram, Sämtliche Werke, hg. von Hans-Gert Roloff. Berlin/NewYork 1973. Bd. VII. Jakob Frey, Gartengesellschaft (1557), hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1896. Michael Lindener, Katzipori (1558). In: ders., Rastbüchlein und Katzipori, hg. von Franz Lichtenstein. Tübingen 1883. Ebd., Rastbüchlein (1558). Martin Montanus, Das ander Theyl der Gartengesellschaft (um 1560). In: Martin Montanus' Schwankbücher, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1899. Ebd., Wegkürtzer (1557). Valentin Schumann, Nachtbüchlein (1559), hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1893. Hans Wilhelm Kirchhof, Wendunmuth (1563-1601), hg. von Herman Österley. Tübingen 1869.

120 derselben Topoi der persönliche Stil des Autors hier stärker in den Vordergrund tritt und den Charakter des Schreibens bestimmt. Ausschlaggebend für das breite Spektrum stilistisch unterschiedlicher Texte mag sein, daß es sich bei den Schwanksammlern, anders als bei den Verfassern der Exempel-, Fabelund Sprichwortsammlungen, 14 nicht um eine homogene Gruppe handelt. Wir haben es mit Angehörigen der verschiedensten Gesellschaftsschichten (Geistliche, Schreiber, Handwerker, Vaganten) zu tun, die in ihrem Bildungsstand und in ihren literarischen Ansprüchen wenig gemeinsam haben. Diese Differenzen machen sich im Textkorpus selber bemerkbar, noch deutlicher aber in den Formulierungen der Vorreden.

5.2.

Vorredenthematik

5.2.1

Zum Inhalt der

Sammlungen

Die Ausführungen zum Inhalt der einzelnen Sammlungen nehmen innerhalb der Vorreden keinen breiten Raum ein. Sie bestehen vor allem in der Nennung einer Reihe von gattungsbeschreibenden Begriffen, wie sie auch das Titelblatt präsentiert. Generell können die Titel bzw. Untertitel der Werke als eine Art >Kurzfassung< der Vorreden gelesen werden und lassen über Inhalt und Charakter der Sammlung sowie über die Intentionen der Autoren dieselben Rückschlüsse zu wie diese. 15 So heißt es beispielsweise fürs Rollwagenbüchlein·. Ein neüws / vor unerhörts büchlein / darin vil guter schwenck und historien begriffen werden / so man in schiffen und auff den rollwegen / deszgleichen in scherheüseren unnd badstuben / zu langweiligen Zeiten erzellen mag / die schweren melancolischen gemüter damit zu ermünderen / vor aller menigklich jungen und alten sunder allen anstosz zu lesen und zu hören / allen kauffleüten so die messen hin und wider brauchen / zu einer kurtzweil an tag bracht und zusamen gelesen durch Joerg Wickrammen.

Für Schumanns

Nachtbüchlein:

Darinnen vil seltzamer, kurtzweyliger Hystorien und Geschieht, von mancherley Sachen, schimpff und schertz, glück auch Unglück, zu Nacht nach dem Essen, oder auff Weg und Strassen, zu lesen, auch zu recitiern, begriffen, allen denen zu Lieb und gunst, die gern schimpflich bossen, lesen oder hören, vormals nye im Truck außgangen, und jetzt durch Valten Schumann Schriftgiesser, der Geburt von Leipzig, beschrieben.

Diese Titel wollen informativ, vor allem aber werbewirksam sein und sprechen im wesentlichen genau die Elemente an, die auch die Vorreden thematisieren. In den zeitgenössischen Beschreibungen, sowohl im Titel wie auch in der Vorrede, werden die Texte, die wir heute im allgemeinen einheitlich als

14 15

Hier handelt es sich überwiegend um protestantische Geistliche. Zum Titel der Schwanksammlungen: Herbert Volkmann, Der deutsche Romantitel (1470-1770). In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 8 (1967), Sp. 1145-1319.

121 >Schwänke< bezeichnen, mit einer Vielzahl von Termini belegt, die parallel Verwendung finden. Dabei handelt es sich vorwiegend um folgende:

historien geschickten fabeln bossen schwenk zotten exempel

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Die definitorische Frage, was Schwänke seien oder wovon sie handeln, wird in der Vorrede nicht gestellt. Auch gibt es meist keinerlei Erläuterungen oder nähere Bestimmungen zu den Stoffen und Inhalten, dem auftretenden Personal oder den in den Texten behandelten Konflikten. Allein Schumann konkretisiert: darinnen so sein beschrieben neun und zweintzig hystorien, under welchen seind drey von kriegen unnd untrew der herrschafft, auch diener; auch so seind darinnen von der liebe siben historien, wie sie so manchen trawrigen außgang macht und stetz mit jammer, angst, not und trübsal ist vermischet; auch so sein darunder vierzehn gutter bossen und kurtzweyliger schwenck. 1 7

Die übrigen Autoren beschränken sich auf Ankündigungen, gehäuft verbunden mit werbenden Adjektiven, die eher beiläufig in die Vorrede einfließen: »gute schwenk und kurtzweilige bossen« (Wickram), »lecherliche exempel« (Pauli), »feine, lustige, unanstößige historien« (Kirchhof). Doch obwohl die einzelnen Bezeichnungen von den Autoren nicht erläutert oder voneinander abgesetzt werden, scheinen sie nicht willkürlich gewählt und geben mitunter Hinweise auf den Charakter des jeweiligen Textkorpus. Der Begriff >Historiekurze Erzählung< oder >einen Abschnitt innerhalb eines umfangreicheren Erzählwerkes< und meint nicht einen historischen Bericht< im engeren Sinne. 18 Dennoch lassen die Autoren die Frage nach dem Wahrheitsanspruch des Erzählten nicht völlig unberücksichtigt. Die topischen Legitimationen des Fiktionalen werden in den Schwanksammlungen weitertradiert. Dazu heißt es bei Frey: Dann ob gleich wol etwan gute schwenck darinnen seind, so der warheit ungleich, so ist doch müglich, das solchs oder dergleichen beschehen sein mag oder noch beschehen

16

17 18

Abkürzung innerhalb der Tabelle: Anfangsbuchstabe des Verfassers, Anfangsbuchstabe des Titels. Schumann, S. 171. Zum Begriff der >Historie< vgl. die Ausführungen im Kapitel zur Exempelsammlung, s. oben S. 19ff.

122 möcht, wie sich dann noch heut bey tag etwan seltzam ding mit Worten oder wercken auff die ban schicket, welches man sunst nit geglaubt noch vermeint het. 19

Er selber hat die Schwänke aus Paulis Schimpf und Ernst verständlicher und länger beschrieben, damit sie mer historisch gesehen werden. Sunst sind mir der eingeschriben Sachen vil selbs begegnet, dann ich auch etwann darnach gerungen; vil hab ich bei andern unnd allenthalben gesehen, gehört unnd erfaren. 20

Damit gibt er zugleich einen Einblick in seinen Umgang mit den Quellen und die Entstehung seiner Texte. Der Wahrheitsanspruch wird zu einem Thema, das die Verfasser zumindest der Erwähnung für Wert halten. Lindener schreibt »historien, do die warheit bisweilen mitläuft«, 21 Schumann »auch warhafftige geschichten«. 22 Montanus dagegen gibt in seiner Versvorrede zu: [...] Und wa auch etwas wer Darin geschriben, das dich deucht wunderber Und ungleublich, so ist es nit gesungen, Das du es zuglauben bist gezwungen, Und hat die sach ein solchen bschaid: Glaubsts nit, so bist darum kein haid. 23

Eine weitere Beschreibung der formalen Struktur der Texte geben die Angaben >Geschichte< oder >Fabel< - letztere muß als Übersetzung des lateinischen >fabula< und nicht als >Tierdichtung< gelesen werden. Andere Bezeichnungen verweisen stärker auf das Spezifische des Schwanks, den komischen und unterhaltenden Charakter der Sammlungen: bossen oder schwenk. Wo schon in der Vorrede von schimpfreden, fatzbüchlein oder zotten (Lindener) die Rede ist, geht es in der Tat (im Einklang mit dem Werke) um die Betonung der grobianischen, derben oder obszönen Elemente der Sammlung. Insgesamt nur dreimal werden die Texte als exempel, parabel oder gleichnis bezeichnet, und zwar in Schimpf und Ernst und zwei Vorreden des Wendunmuth. Dabei handelt es sich zum einen strenggenommen um einen >Vorläufer< der eigentlichen Schwanksammlungen, da für den Franziskanermönch Pauli die Verwendung der Texte als Predigtmärlein zumindest noch möglich erscheint. 24 Kirchhof dagegen hat mit fast wissenschaftlich-dokumentarischem Anspruch ein >Spätprodukt< der Gattung zusammengestellt und in sechs Bänden weitgehend all das erfaßt, was andere Sammler in Auszügen vorstellen, ergänzt um didaktische Auswertungen zu jedem einzelnen Schwank. Auch hier

19 20 21 22 23

Frey, S. 6. Ebd., S. 4. Lindener, Katzipori, S. 66. Schumann, S. 3. Montanus, Gartengesellschaft, S. 256.

123 also sind die Bezeichnungen nicht beliebig gewählt, sondern entsprechen dem tatsächlichen Gehalt. Die >echten< Schwanksammlungen halten sich mit diesen Termini zurück, was nicht bedeutet, daß sie völlig auf didaktische Ansprüche verzichten (s.u.). Eher willkürliche Anwendung finden demgegenüber die Adjektive, die den Gattungsbegriffen beigegeben sind: gut, fein, lieblich, kurtzweilig, schimpflich, lustig, lächerlich, erschrockenlich, ernstlich, abenteuerlich, unanstößig, unärgerlich, ehrenmäßig, warhafftig neu, neu und alt, kurz. Sie treffen auf alle Sammlungen gleichermaßen zu und betonen vor allem den Unterhaltungswert der Texte sowie die Tatsache, daß nicht gegen die guten Sitten verstoßen werde. In ihrem gehäuften Auftreten auf der Titelseite und in den Vorreden sind sie deutliches Anzeichen dafür, daß die Vorrede hier ausgeprägter als in anderen Gattungen werbenden und anpreisenden Charakter hat. Sowohl mit Werbung für die Sammlung als auch mit der Vorstellung ihres Inhalts hat der Kunstgriff des Montanus zu tun, den Beginn einer der Geschichten in der Vorrede zu erzählen, das Ende aber offen zu lassen: Ich will dir sagen noch ein kleins Von einer histori wol gethon, Am 130. blat wirds im anfang hon. [...] Welcher das begert zu wissen, Der mag das büchlein gar durch lesen; Es will zu erzelen sein unnot, Dieweyl es vor geschriben stoht. 25

Auf diese Weise kann der Leser einen Eindruck gewinnen, welcher Art die gesammelten Schwänke sind; zugleich wird Spannung erzeugt und ein Leseanreiz gegeben. Auch Schumann verfährt so im ersten Teil des Nachtbüchlein.26 Diese besondere Art der Verbindung von Vorrede und Text konnte bisher bei keiner anderen Gattung gezeigt werden.

5.2.2. Rezipienten

und

Rezeptionssituation

Es erscheint aufgrund der Vorreden offenkundig, daß die Autoren der Schwanksammlungen versuchen, ein möglichst breites Publikum als Leser und Käufer ihrer Bücher anzusprechen. Daß hierbei kommerzielle Interessen eine große Rolle spielen, steht außer Frage. So heißt es immer wieder: für alt und jung, Männer, Frauen, Jungfrauen und Knaben. Schumann versucht gleich umfassend, alle Schichten und Gruppen anzusprechen:

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Von daher rückt die Sammlung in der Tat in die Nähe der Exempelsammlungen. Montanus, Gartengesellschaft, S. 6ff. Schumann, S. 5.

124 fürsten, grafen, freyen, ritter und knechte, auch mann und weyb, kauffleüt und handwercks süne, auch sonst ledige gesellen, dergleichen auch töchter, junckfrawen, auch megdt, die handien und wandten, die etwas lernen oder dienen wollen oder müssen, auch die haußleut jung und alt. 27

Allen wird unterstellt, daß ihnen die Lektüre (und der Kauf!) der Sammlung zuträglich sei. Bei Montanus sind es: »all die, so kurtzweil wollen haben, / Es seyen frawen oder knaben«, 28 »junge gesellen, [...] mannen und alle weybspersonen«. 29 Dennoch gibt es gelegentlich eine Publikumsauswahl oder besonders angesprochene Gruppen: »allen Kaufleute so Messen hin un wider brauchen«, 30 »geistlich und weltlich Fürsten und Herren, Kaufleute«. 31 Für Pauli sollen die Schwänke zum einen als Predigtexempel dienen und sind daher besonders für predicanten gedacht, daneben aber auch für Adlige und Geistliche im allgemeinen. Es ist wohl auf das Vorbild Wickrams zurückzuführen, dessen Rollwagenbüchlein 1550 als erste der zahlreichen Schwanksammlungen erschien und auf den sich die meisten seiner Nachfolger berufen, daß viele der Vorreden konkrete Situationen vorschlagen, die sich für eine Rezeption des Werkes anbieten. 32 Dabei wird deutlich, daß die Schwänke als Erzählgut aus mündlicher Tradition auch weiter als solches tradiert werden. Sie sind in erster Linie bestimmt zur Unterhaltung von Gruppen und Gesellschaften bei den verschiedensten Anlässen und sollen von dem, der das Werk erworben und gelesen hat, vorgetragen, recitiert und weitererzählt werden. Die Lektüre ausschließlich zur eigenen Unterhaltung tritt demgegenüber zurück. Für das Rollwagenbüchlein, die Gartengesellschaft, das Rastbüchlein und den Wegkürtzer wird die vorgeschlagene Rezeptionssituation sogar titelgebend. Wickram geht in der Widmungsvorrede konkret auf die Bedürfnisse seines direkten Adressaten ein, der als Wirt und >Reiseunternehmer< häufig für die Unterhaltung seiner Gäste zu sorgen hat: So dann ist auch euwerem gebrauch alle Straßburger Messz einen eignen Rolwagen anzurichten / als dann haben ir euch zu sampt guten Herren und freünden mit disem buechlin zu ergetzen / dieweil ir auff der fart sind. 33

»Bei gelochen und gesellschaften, beim newen wein, den Martins nächten, königreichen, kottfleischen [Schlachtfesten] und faßnachten« können die Schwänke nach Ansicht Freys 34 zur Unterhaltung beitragen. Zugleich aber ent-

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33 34

Schumann, S. 173. Montanus, Gartengesellschaft, S. 255. Ders., Wegkürtzer, S. 4. Wickram, Titelblatt. Ders., S. 5. Allerdings hat vor Wickram bereits Herman Bote in der Vorrede zum Eulenspiegel empfohlen, das Werk zu lesen: »so die braten Bim wol schmecken bei dem nuwen wein«, s. unten S. 168. Wickram, S. 5. Frey, S. 4.

125 wirft er im Titel und in der Vorrede An den gütigen leser das Bild einer heiteren, harmonischen, auf gehobenem Niveau stattfindenden Gesellschaftskultur, in der sein Büchlein Die Gartengesellschaft neben anderem Amüsement seinen Platz finden soll: so dann ich nu mer gar schier weder zu schiff, zu roß, zu wagen, noch sunst weite raisen zu thun tauglich oder vermöglich bin, sonder mein gröste lust nun fürthin in den schönen gärten und külen orten bey der edlen music oder sonst kurtzweiligen ehrlichen geselschafften zu blieben sein wirt, zu dem dann auch solche garten geselschafften allenthalben in teutsch und welschen landen, in grossen und kleinen statten mit herrlichem, zierlichem triumph, als fechten, ringen, springen, singen, pfeiffen, geygen, lautenschlahen, auch andern mehr musicalischen Instrumenten, darzu mit tafelschiessen, kegeln, tantzen und sunst allerhand kurtzweil durch die gantze zeit des jars frölich gehalten werden, so hab ich gedacht, auch mein teil dazu zuthun. 35

Trotz dieses vergleichsweise hohen Anspruchs unterscheidet sich die Gartengesellschaft inhaltlich nicht von den anderen Schwanksammlungen. Montanus schlägt in der Vorrede zum Wegkürtzer vor, sich auch beim Wandern die Zeit mit seinen Geschichten zu verkürzen: Freündtlicher und lieber leser, Deßgleichen auch du zuhörer Der du lust tragest zu kurtzweil, Darneben frewd begerest vil, Es sey in zechen eim und andern Oder ob du über feld wilt wandern, Kauff diß büchlin... 36

Auch die anderen Autoren, deren Titel nicht in diesem Sinne programmatisch sind, gehen auf mögliche Rezeptionssituationen ein: bei Tisch, beim Wein, bei Zusammenkünften mit Freunden und Nachbarn. Es handelt sich dabei quasi um die Reduktion einer Rahmenerzählung, wie sie die Prologe des Decamerone oder der Canterbury Tales enthalten. Die Herausgeber entwerfen ein Szenarium, das deutlich an Boccaccio oder Chaucer 37 angelehnt ist, verzichten allerdings darauf, das Rezeptionsmodell konkret auszumalen und das Erzählen selber zu thematisieren.

5.2.3. Entstehung

der

Sammlung

Die im 16. Jahrhundert entstehenden Schwanksammlungen setzen sich größtenteils aus längst bekannten Geschichten zusammen, die von den Verfassern lediglich neu erzählt werden. Sie gehen auf ältere schriftliche Quellen wie Poggios Liber facetiarum, die Fazetien Heinrich Bebels und Boccaccios Novellen zurück oder schreiben ihre zeitgenössischen Vorgänger aus. Nur ein geringer

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Frey, S. 6f. Montanus, S. 5. Besonders ausgeprägt bei Wickram und Montanus.

126 Teil der Historien kann jeweils Neuigkeitswert oder Originalität beanspruchen. Doch hier, wie in aller Kompilationsliteratur des 16. Jahrhunderts, den Fabel-, Sprichwort- und Exempelsammlungen, wird damit keineswegs ein Defizit beschrieben. Das Sammeln, Zusammentragen, Bereitstellen von Literatur wird als eigene, verdienstvolle Leistung verstanden. Johannes Pauli thematisiert und beglaubigt es ausdrücklich in der Vorrede zu Schimpf und Ernst Johannes Pauli [...] hat dise exempel zusamen gelesen usz allen büchern, wa er es funden hat .dc.lxxx. hystorien und parabulen zu beiden hendlen, geistlich und weltlich dienende. Und uff das, das wort des heiligen Ewangely erfült werd, lesen die brösamlin zusamen, das sie nit verloren werden. 38

Aus welchen Quellen sich die Sammlungen im einzelnen zusammensetzen, ist in der Forschung zur Schwankliteratur weitgehend entschlüsselt und dokumentiert. 39 Davon jedoch ist in den Vorreden nicht die Rede: die Autoren äußern sich kaum zu ihren Quellen, verweisen allenfalls darauf, daß die Texte zusammengelesen,40 compiliert,41 mit allem fleiß zusammengeklaubet und erlesen,42 43 aus mancherley authoribus mit sonderlichem fleiß gezogen, aujf das ordentlichst beschriben und verstendigest zusamen gesetzt44 seien, meist ohne näher auf ihre Herkunft einzugehen. Allerdings nennt Frey explizit Johannes Pauli, von dem er »ongeforlich bey zehen fabeln« übernommen, sie aber »verständtlicher und lenger« beschrieben habe, »damit sie mer historisch gesehen werden«. 45 Das heißt, die Art der Bearbeitung zielt hier darauf ab, die ursprünglich anekdotenhaft knappen Erzählungen ausführlicher und durch zeitliche Einbindung und Lokalisierung anschaulicher zu gestalten. Kirchhof, dessen siebenbändige Sammlung zu einem Kompendium der gesamten Schwankliteratur des 16. Jahrhunderts angewachsen ist, gibt im Titel seines ersten Buch des Wendunmuth an, daß er auf »alte und ietzige scribenten« zurückgreife und vor allem die »Facetiis deß berümpten und wolgelerten Henrici Bebeiii« berücksichtigt habe. In der Vorrede geht er näher auf Bebel ein, setzt sich aber auch kritisch mit dessen Sammlung auseinander: Es seind mir aber viererley puncten des Bebeiii Facetias nicht alle und nach Ordnung wie er sie beschrieben (das auch on Schmähung seiner) zu setzen ein ursach gewesen. Erstlich dieser, daß etliche gar spöttisch und sehr ergerlich vorm gemeinen unverstendigen mann von gott und seinen werken reden, zum anderen eins theils in teutscher sprach, wie im

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40 41 42 43 44 45

Pauli, S. 13. Vgl. die Vorworte der Herausgeber Johannes Bolte, Franz Lichtenstein, Hermann Österley und Felix Bobertag zu den einzelnen Sammlungen. Pauli, S. 13. Lindener, S. 4. Ders., S. 65. Kirchhof, Bd. 4, S. 5. Schumann, S. 8. Frey, S. 4.

127 latein, gar nichts klappen; die dritten züchtigen ohren sehr zuwider und die vierdten vorhin in vielen andern büchern angezogen sein. Darumb hab ich die übrigen herauß genommen, und nicht eben von wort, sondern nach dem sichs in unserm Teutschen am besten meinem verstand nach schicken wolte [...] und damit es die gestalt eygnen buchs [...] haben möchte, zu denselbigen mancherley, und die meisten warhafftige geschichten auß andern scribenten, und mir sonst gute günner mein buch mit zumehren, auch eygene erfarung angezeigt. 46

Die Autoren der übrigen Sammlungen beschränken sich auf knappe, allgemein gehaltene Hinweise, die sie als Herausgeber der schriftlich oder mündlich überlieferten Stoffe ausweisen. Damit verzichten sie nicht nur auf eine (ehrliche) Angabe ihrer Quellen, sondern zugleich auf den Beweis ihrer Belesenheit und die Legitimation, die ein Stoff durch beglaubigte Überlieferung erfahren kann. Was für die didaktisch motivierten Fabelsammlungen eine große Rolle spielte, scheint für die Unterhaltungsliteratur von untergeordneter Bedeutung zu sein. Gelegentlich findet sich die Bemerkung, die Schwänke seien den Autoren »selbs begegnet« 47 oder »eigener erfarung geschichten«. 48 Insgesamt jedoch ist das Insistieren auf Neuigkeitswert oder Originalität stark zurückgenommen. Als einziger rühmt sich Montanus, er habe sein Werk herausgegeben, weil die älteren Sammlungen mittlerweile so bekannt seien, daß das Publikum nach etwas Neuem verlange: Unnd wiewol diser schöner büchlin hievor vil geschriben sind, als nemblich Schimpff und emst, die Garten gesellschafft, der Rollwagen unnd anderer vil kurtzweylige historien mehr, denen diß mein büchlein vil zu gering ist, so seind doch dieselbigen alle durchlesen, unnd yederman fast wol unnd gnug derselbigen verstendiget ist, also das, wann einer schon ein historien inn disen vorgenanten büchlin geschriben ist, erzelen will, so weißt man ihren schon vorhin unnd derselbigen verdrüssig zu hören, gleich wie man einer speyß, so man täglichs isset, müd zuessen würd. 49

Ihre eigene Leistung stellen die Verfasser weitgehend in den Hintergrund und bezeichnen ihre Arbeit allenfalls als >fleißig< oder >ordentlichVorgänger< erfah-

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Kirchhof, Bd. 1, S. 4. Frey, S. 4. Kirchhof, Bd. 3, Titelblatt. Montanus, Wegkürtzer, S. 4.

128 ren h a b e n , die Verfasser, sich in deren Tradition zu stellen u n d (in aller g e b o t e n e n B e s c h e i d e n h e i t ) an ihre E r f o l g e a n z u k n ü p f e n : Vor zeyten und noch sind, freundtlicher, günstiger, lieber Leser, vil kurtzweiliger büchley von allerhand gesprech, darinnen schimpff und ernst bossen gebraucht worden, die den gselschaften ire lange zeyt und weil gekürtzt und etwas geringen hand, ausgegangen, wie dann vil geschickt und gelerte manner die selbigen zierlich und wol beschrieben haben. Und dweil nun jüngst durch den ehrnhafften, weisen herren Jörgen Wickram [...] das Rollwagenbüchlin, sehr kurtzweilig, erbar und lustig zulesen, an den Tag kommen [...] hab ich gedacht, auch mein teil darzu zuthun. 50

G e s c h i c k t verarbeitet J a k o b Frey W i c k r a m s Idee, eine spezielle R e z e p t i o n s situation zu konstruieren, u n d postuliert, da er selber angeblich nicht reist, f ü r seine S a m m l u n g einen anderen Kontext: die U n t e r h a l t u n g der Gartengesellschaften. M o n t a n u s erinnert an Schimpf Rollwagenbüchlein

unnd andere

und Ernst, die Gartengesellschaft,

vil kurtzweilige

historien.51

das

Schumann führt

einen g a n z e n K a t a l o g b e k a n n t e r klassischer u n d zeitgenössischer U n t e r h a l tungsliteratur an u n d stellt die Werke als seine unerreichten Vorbilder dar. D a mit wertet er sein Werk auf und tut zugleich die e i g e n e Belesenheit k u n d : Livium, Ovidium, Cento novellam, ritter Pontus, ritter Galmy, Fortunatum, Tristant, Peter von Provincia unnd Magelone, zwey liebhabende aus Franckreich und Engelland, der ritter im thurn, den grossen Alexander, Octavianus unnd die 7 weysen mayster, auch etliche büchlein als Rollwagen, Schimpff undd ernst, Schertz mit der warhait, Rastbüchlein, Wegkürtzer; welches alles gelerte unnd wolerfahrne geschichtschreyber und studiosi haben beschriben, deren mein hystorien unnd fabeln gantz ungleich sein. 52

D e r M ö n c h J o h a n n e s Pauli gibt vor, an d i e Tradition geistlicher Werke, an die » h e i l s a m e n b ü c h e r e w i g e r Seligkeit u n d f r i d s a m e n s lebens« a n k n ü p f e n zu wollen, w o b e i er den >ernsthaften< Teil seiner S a m m l u n g deutlich überstrapaziert. 5 3 S o gibt es z u m einen das L o b anderer Werke, in deren Kontext m a n sich stellt, u m sich selbst in ein günstiges Licht zu r ü c k e n . E s gibt h ä u f i g aber auch die kritische Distanzierung von als >schädlich< e m p f u n d e n e r Unterhaltungsliteratur. Kritik an derber Unterhaltungsliteratur ü b e n v o r allem die Verfasser theologischer u n d m o r a l - d i d a k t i s c h e r Werke. Sie findet sich j e d o c h g e n a u s o in d e n Vorreden der S c h w a n k s a m m l u n g e n u n d d i e n e n dazu, die eigenen W e r k e als »ästhetisch u n d m o r a l i s c h h ö h e r w e r t i g hinzustellen (was, objektiv g e s e h e n , allerdings nicht i m m e r gerechtfertigt war) u n d sie damit vor ähnlicher Kritik v o n anderer Seite zu b e w a h r e n . « 5 4

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Frey, S. 5f. Montanus, Wegkürtzer, S. 4. Schumann, S. 8. Pauli, S. 13. Heinz-Günter Schmitz, Sophist, Narr und Melancholievertreiber. Zum Eulenspiegelbild im 16. und 17. Jahrhundert. In: Hermann Bote. Städtisch-hanseatischer Autor in Braunschweig 1488-1988, hg. von Herbert Blume/Eberhard Rohse. Tübingen 1991. S. 213.

129 Bei Wickram sind es verallgemeinernd die »schamperen und schandtlichen wort und schandtlich groben zotten«, 5 5 von denen er sich distanziert. Montanus konkretisiert: Es ist nicht narrenwerck und kinderspil, Wie man sonst findt der bücher vil, Die keinem menschen sind nicht nütz Sondern allein treiben unnütz gschwetz, Darinn kain freud noch kurtzweil ist. [...] Und die nicht werdt des druckens sindt, Inn den kein kurtzweil ist verfasst. Die man auch fast dem drucker lasst, Dem müssens maclatum bleiben. 5 6

Kirchhof wendet sich gegen: die narrentheiding [..] die erdicht mährlein der alten weiber und spinnmägdlein, item die sprüch der lotterbuben und stocknarren; leichtfertige lieder und schandbücher, so anderen zur schmach gedichtet sein. 5 7

Daran wird deutlich, daß sich die Kritik im wesentlichen gegen die unzüchtigen Inhalte (mit diesbezüglichen Vorwürfen haben die meisten Schwanksammler zu kämpfen) und das Nicht-Einlösen der angestrebten Wirkung kurtzweil und nutz richtet. Es sind genau die Punkte, auf die die Verfasser die Werbung für ihre eigenen Sammlungen aufbauen. Die kritische Auseinandersetzung mit anderen Werken der selben Gattung dient in den Vorreden vornehmlich dazu, kontrastiv zum vorliegenden Werk zu wirken, d.h. dessen Vorzüge herauszustreichen.

5.2.5. Intentionen

der Verfasser

- Erwartungen

der

Rezipienten

Vor allem die oben angesprochene intendierte Wirkung des Werkes auf den Leser bzw. Käufer ist zentrales Thema der meisten Vorreden. Die Autoren legen dar, was sie mit ihrer Arbeit bezwecken, und äußern sich ausführlich und dezidiert werbend dazu, welchen Gewinn die Lektüre dem Rezipienten bringt. Um zu zeigen, was sie im einzelnen von ihren Werken versprechen, bietet es sich an, hier nochmals eine tabellarische Aufstellung zu machen Damit erfahren wir sowohl etwas über die Intention der Autoren als über ihre Strategien, das Werk zu empfehlen, und somit auch etwas über die potentiellen Erwartungen des Publikums.

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Wickram, S. 7. Montanus, Gartengesellschaft, S. 255f. Kirchhof, Bd.4, S. 4

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Kurzweil χ Melancholievertreibung Entspannung Vertreiben von Langeweile χ Didaxe Verdrängen and. Literatur -

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Diese differenzierte Aufstellung zeigt, daß es nicht allein um die beiden Pole >Unterhaltung< oder >Didaxe< geht, an denen oft vereinfachend die Funktion von Literatur festgemacht wird. Das was die Schwanksammler (vermutlich im Einklang mit den Erwartungen der Rezipienten) als ihre Absichten darzustellen versuchen, ist weitaus differenzierter und macht deutlich, daß es mit einer bloßen Unterscheidung zwischen delectatio und utilitas nicht getan ist. Schon allein diese Erweiterung des Spektrums der Legitimationsstrategien unterhaltender Literatur macht die Vorreden zu aufschlußreichen Dokumenten zeitgenössischer Literaturtheorie. Die Frage nach der didaktischen oder/und unterhaltenden Absicht der Schwänke wird seit jeher in der Forschung kontrovers diskutiert, wobei es nicht nur um eine ausformulierte Schlußmoral, 58 sondern generell um die mögliche erzieherische Absicht der Texte geht: Will der Schwank mit satirischen Mitteln eine lehrhafte Botschaft vermitteln, also in der Art des Exempels warnen oder strafen, oder will er es nicht? Definitiv und eindeutig lösen läßt sich dieses Problem auch mit Hilfe der Vorreden nicht, denn es muß immer mit einer Diskrepanz zwischen den postulierten Absichten der Autoren innerhalb der Vorrede und der Einlösung im Werk gerechnet werden, 59 dennoch können die Vorreden Aufschluß darüber geben, wie die Autoren in der Theorie mit diesem Thema umgehen. 6 0 Für die hier analysierten Texte ergibt sich folgendes Bild: von zwölf Vorreden nennen sieben als eine der Intentionen des Herausgebers, daß das Werk nützlich im Sinne von erzieherisch wirken soll; nur einmal (bei Wickram) wird ausdrücklich gesagt: »niemants zu unterweysung noch leer«. 61 Pauli bezeich-

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In der Art, wie sie in Kirchhofs Wendunmuth an jeden Schwank angefügt sind. Wer sich wie Günter Albrecht bei seiner Interpretation allein auf die Aussagen der Vorredenschreiber stützt, läßt die Funktion der Vorrede und ihren topischen Charakter außer acht und gelangt zu einer falschen Einschätzung der Texte. Im Nachwort zu: Scherz und Ernst. Deutsche Schwänke. Frankfurt 1983. S. 225ff. Zur Bedeutung von Vorrede und Rahmenhandlung für die Poetik der neu entstehenden Gattung >Novelle< vgl. Walter Papst, Novellentheorie und Novellendichtung. Heidelberg 2 1967. S. 41ff. am Beispiel des Decameron. Wickram, S. 5.

131 net die Schwänke, die er gesammelt hat, definitiv als »kurtzweilige und lecherliche exempeln«, die für die Adligen bestimmt seien, »die uff den schlossern und bergen (!) wonen und geil sein, damit sie erschrockenliche und ernstliche ding finden, da von sie gebessert werden«. 62 Der Inhalt, d.h. das, was gelehrt werden soll, und wie die Lehre vermittelt wird, wird nicht näher bestimmt. Montanus versucht dies im Wegkürtzer anzudeuten, indem er ein konkretes Anwendungsbeispiel vorführt und durch die ansatzweise Rekapitulation einer der Historien demonstriert, wie bzw. was man aus ihr lernen könne: Ich will dir sagen noch ein kleins Von einer histori wol gethon, Am 130. blat wirts irn anfang hon Unnd machen disem buch ein endt Historia Gisippi et Titi wirts genennt. Ο wie ein schön histori außerlesen! Ich habs warlich nit künden vergessen, Sonder in diß buch müssen flecken, Darbey die jungen gesellen mercken, Was recht lieb und freundtschafft sey; Das saget dise histori frey. Gisippus von Athen nam ein weib... 63

Dabei handelt es sich schlicht um eine allgemeine Lebensweisheit. Im Ander theyl der Gartengesellschafft benennt Montanus mit zeitkrititisch generalisierendem Anspruch menschliches Fehlverhalten konkret und propagiert das Lesen sozusagen als produktive Alternative zu solch lasterhaftem Verhalten: Vil besser ist, man lese mich, Dann das man inn bosheit übe sich, Die man zu vil nur treiben thut In büberey unnd argem mut. Kein büberey will sein zu vil, Man übt jetzt alle böse spil Mit spilen, fress und sauffn, In hurey man thut umblauffen, Gott und sein heiligen man vergisst. 64

Zugleich wird suggeriert, die Schwänke würden eine bestimmte, klar erkennbare Moral vertreten: »Nim hin dis büchlein, Iis mit fleiß / [...] Und volg im wa es dir sagt gut.« Dies trifft allerdings nur gelegentlich zu, etwa in den Capiteln 8, 17, 28, 42, 45, 46, 56. In den meisten Schwänken bleibt es völlig offen, welche Lehre aus dem Geschehen zu ziehen sei. Aufschlußreich ist die knappe Anmerkung, in dem Buch würde »gestraft umb grosse schand«, 65 denn damit wird ein wesentliches Gattungsmerkmal der Schwänke benannt: auch wenn sie

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Pauli, S. 14. Montanus, S. 7. Ders., S. 256f. Ebd.

132 keine Verhaltensanweisungen oder nachahmenswerten Beispiele anbieten, zeigen sie doch, wie einer, der sich falsch verhält, zu Schaden kommt, Strafe, Spott und Hohn erfährt. Offen bleibt dennoch auch hier, wer, warum und nach welchen Maßstäben gestraft wird. Speziell dieses Problem wird in den Überlegungen zum Schwankroman stärker in den Mittelpunkt rücken. Auch Valentin Schumann nennt nicht nur die Laster, die es zu bekämpfen gilt, sondern macht deutlich, wie die Didaxe des Schwanks ihre Wirkung entfalten kann: so wir lesen und hören, das sich andere leütt haben ubel gehalten oder sonst mit schände unnd laster seind behafft gewesen, es sey mit untrew, neyd, haß, zanck, verrettery, füllerey, ehebruch, schand unnd laster, das wir solchen meyden unnd lernen recht thun. 66

Er stellt den Schwank als eine Form der >Belehrung durch Abschreckung< dar, innerhalb derer dann auch die Darstellung derben und unflätigen Verhaltens gerechtfertigt erscheint, weil sie didaktischen Zwecken unterworfen ist. Die selbe Argumentation finden wir häufig in den Legitimationen grobianischer Literatur, u.a. in den Vorreden zu Dedekinds Grobianus und Fischarts Eulenspiegel Reimensweiß,67 Ferner greift Schumann mit dem Bild von der honigsaugenden Biene auf einen Topos zurück, der in den Fabelsammlungen Anwendung gefunden hat und dort zur Rechtfertigung der Unterhaltungsfunktion herangezogen wird: 68 Dann man soll auß den historien nit daz böse klauben, sonderen das gute. Und wie die liebliche, auch schöne bine, welche fleugt wol auff hundert blumen böß unnd gut [...] also sollen auch alle menschen thun; sie sollen vil lesen und hören böses und guttes, aber doch nichts zu inen nemen dann das gutte unnd darauß machen das liebliche hönig. 69

Der Autor ist insgesamt sehr daran interessiert, den pädagogischen Nutzen seines Werkes herauszustellen und Vorwürfe gegen die grobianischen Elemente abzuwehren. Dann es ist gewiß, das keines geschieht schreybers meynung nye gewesen, etwas böß auß seinen historien zu lernen, sondern etwas guttes. Ob schon die hystoria an ihr selber grob ist oder were, so wirdt doch ein pünctlein darinn sein, das du möchtest zu nutz lernen. 70

Ernstzunehmende didaktische Absichten verfolgt Kirchhof mit seinen Teilen des Wendunmuth. Konsequent hat er jedem Text ein morale reihmens weiß beigegeben, »auff daß es desto besser zu verstehen sey«. 71 In diesen Epimythien zieht er aus jedem Schwank eine kurze Lehre, in der, der christlichen Moral-

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Schumann, S. 173. Siehe unten S. 182f. Siehe oben S. 60. Schumann, S. 173 Ebd., S. 175. Kirchhof, Bd. 1, S. 5.

133 didaxe folgend, Laster und Untugenden oder ungeschicktes und dummes Verhalten angeprangert werden. Kann man bei den übrigen Autoren davon ausgehen, daß der in der Vorrede versprochene didaktische Anspruch im Werk selber nicht sehr überzeugend umgesetzt wird, tritt bei Kirchhof eher der umgekehrte Fall ein: die Epimythien, die seine Sammlungen deutlich von ihren Vorgängern unterscheiden, finden in der Vorrede zwar Erwähnung, nehmen aber keine herausgehobene Stellung ein. Das ganze Repertoire der Legitimierung von Unterhaltungsliteratur durch Didaxe, wie es die Fabel- oder Exemplasammler einsetzen, hätte hier in gleicher Weise Anwendung finden können. Doch Kirchhof verzichtet im wesentlichen darauf und akzentuiert statt dessen, was im Titel programmatisch angedeutet ist: das Unmut-Wenden (s.u.). Insgesamt läßt sich daher feststellen, daß die Frage, inwieweit die Gattung Schwank erzieherisch wirken will, durch die Vorreden weder eindeutig noch einheitlich zu beantworten ist. Ein Teil der Autoren beansprucht diese Funktion ausdrücklich, andere nehmen keine Stellung dazu oder lehnen sie definitiv ab. Abgesehen von Kirchhofs Wendunmuth mit seiner ausformulierten Moral unterscheiden sich die Schwanksammlungen, die laut Vorrede erziehende Wirkung haben sollen, nicht grundsätzlich von denen, die nach eigenen Aussagen darauf verzichten. Aufschlußreich erweist sich die Analyse diesbezüglich aber insofern, als sie beweist, daß die Moral in den Schwanksammlungen des 16. Jahrhunderts mit Sicherheit nicht als ein >umgehängtes Mäntelchen< fungiert. Diese These, die in der Forschung gelegentlich vertreten wurde, 72 wird den Intentionen der Autoren nicht gerecht. Wäre dem so, daß ein moralischer Appell den Texten zur Legitimierung dienen sollte, so könnten die Autoren in den Vorreden weitaus dezidierter darauf hinweisen: die Herausgeber der Fabelsammlungen haben es ihnen vorgemacht! Allenfalls Schumann, der in beiden Vorreden besonders ausführlich auf seine didaktischen Intentionen eingeht, macht sich diese Argumentation zunutze, um die grobianischen Inhalte seines Werkes zu kaschieren. Im übrigen können die anderen Autoren leicht auf dieses >Mäntelchen< verzichten, denn sie greifen stattdessen auf einen anderen Topos zurück, der den unterhaltenden Charakter der Gattung Schwanksammlung rechtfertigen soll. Das Stichwort dafür heißt allgemein >Melancholievertreibung< (bei Kirchhof Wendunmuth)73 und zielt darauf ab, den positiven Einfluß von Entspannung und Fröhlichkeit auf die menschliche Psyche bzw. die Gefahr, die von Traurigkeit und Melancholie ausgeht, deutlich herauszustellen. 74

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So u.a. Heinz Rupp, Schwank und Schwankdichtung in der deutschen Literatur des Mittelalters. In: Der Deutschunterricht 14/2 (1962), S. 36ff. Auch in den Sammlungen »Grillenvertreiber« und »Erquickstunden«, die hier nicht berücksichtigt werden, zielen die Titel auf dieses Versprechen ab. Zu diesem Komplex hat vor allem Heinz-Günter Schmitz in seiner Monographie: Physiologie des Scherzes. Bedeutung und Rechtfertigung der Ars Iocandi im 16. Jahrhundert. Hildesheim 1972 auch unter Berücksichtigung der Vorreden grundlegende Ausführungen gemacht.

134 Auf diese Weise gewinnt die delectatio eine wichtige, eigenständige Bedeutung und erhält eine spezifische, nur von ihr zu erfüllende Aufgabe. Für die Schwankliteratur, die primär auf Erheiterung der Rezipienten abzielt, heißt das, daß sie eine nutzbringende Wirkung vorweisen kann, die ihr die erwünschte Aufwertung und Legitimation verschafft. Sie bedarf nicht der Rechtfertigung durch den >Nebeneffekt< einer moralischen Erziehung oder Weiterbildung. Utilitas muß nicht zwangsläufig gleichbedeutend sein mit Didaxe. Die Vorreden der entsprechenden Sammlungen unterhaltender Texte erweisen sich für diesen Themenkomplex als sehr ergiebig, denn sie zeigen ganz deutlich, daß eine bloße Gegenüberstellung der Kategorien (zweckfreie) delectatio oder (nützliche) Didaxe für die Schwankliteratur des 16. Jahrhunderts zu kurz greift und ihr nicht gerecht wird. Die Herausgeber verfolgen diesen Argumentationsstrang gezielt und engagiert, und die Tatsache, daß sie zur Untermauerung ihrer Thesen eine ganze Reihe beglaubigter Autoritäten und Instanzen, wie die Bibel, 75 die alten scribenten,76 Sprichwörter 77 und medizinische Traktate 78 heranziehen, läßt Rückschlüse darauf zu, wie wichtig ihnen dieser Aspekt gewesen sein mag. Einige Beispiele, die sich beliebig erweitern ließen, mögen das verdeutlichen: Dieweyl dann ein frölicher muth gut und gesundt ist, dann die melancolia vonn den medicis verbotten wird unnd macht ein schwer geblüt und trauwrigen geist und ein grewlichs angesicht: So seind zu solchem kurtzweilige und lecherliche schwenck und bossen dienstlich, welche, wie Hypocras schreibet, die leber frischen und das geblüt erquicken und gleych vernewen. 7 9 Wann schon einer wer halb dodt Oder sonst steckt inn großer not Das er nicht konnte frölich sein, Und einer less dies büchlein mein, So vergisst er bald den unmüt. 8 0 Dann durch solch lesen so vertreibt mancher vil seltzamer und melancholischer gedancken, daz einem offt etwaz böses durchs lesen auß dem sinn kompt, daz sonst groß schad darauß entstünde. 8 1 Item, solche gleichnus und fabeln richten nicht allein an (über tisch wo man sie erzelet) ergetzung und frölichkeit, sondern seyn auch nutz und nottwendig einem der mit vielen geschefften, schweren, ja bisweilen unnützen gedancken, zorn und trawrigkeit, beladen, gleich wie seinem unwillenden magen ein gute und seltzame speiß, also sein gemüt (göttlichen trost unauffgegeben, vilmehr zu vorderst genennet) erquicken und zurecht brin-

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Kirchhof Bd. 1, S. 5. Frey, S. 4. Lindener, Katzipori, S. 297. Ders., Rastbüchlein, S. 4. Ebd. Montanus, Gartengesellschaft, S. 256. Schumann, S. 175. Kirchhof, Bd. 1, S. 5.

135 Denn keine beßere preservativa für kranckheit, denn ein stäter frölicher muth, und wo man ins herrn namen und furcht guter ding ist, Prov. 15, und lest kein unmuth über das hertz kommen, sintemal ein trauriger geist, wie Salomon sagt, Prov. 17, marck und bein verzehret. 8 3 K i r c h h o f stellt d e n e i n z e l n e n B ä n d e n d e s Wendunmuth

Bibelzitate als Motti

v o r a n , d i e e b e n f a l l s darauf a b z i e l e n , d e n v e r d e r b l i c h e n E i n f l u ß der Traurigkeit darzulegen: Syrach 30. Mache dich selbs nit traurig und plage dich nit selbs mit deinen gedanken! dann ein fröhlich hertz ist des menschen leben, und sein freud ist ein langes leben. Thu dir guts und tröste dein hertz und treibe traurigkeit fern von dir! dann sie tödtet viel leuthe und dienet doch niergend zu. 8 4 N o c h Carl F r i e d r i c h F l ö g e l a r g u m e n t i e r t in s e i n e r g r o ß a n g e l e g t e n der komischen

Literatur85

Geschichte

m i t d e r h e i l s a m e n W i r k u n g der F r ö h l i c h k e i t auf d i e

Gesundheit des M e n s c h e n - nicht zuletzt, u m den Gegenstand seiner e i g e n e n U n t e r s u c h u n g a u f z u w e r t e n . D a z u zititiert er n i c h t nur a u s der Vorrede zur schichtklitterung*6

s o n d e r n a u c h J o h a n n e s M a n l i u s ' Arzneybüchlein

Ge-

von 1566:

Wie manche vom Kummer niedergedrückte Seele fand Stärkung in einem lustigen Schwanke, der sie auf einmal in die Höhe richtete; und wie manch niedergeschlagener Kranker, der schon mit der Verzweiflung rang, wurde durch einen komischen Einfalt und durch den munteren Zuspruch seines Arztes gerettet. Es erzählt Manlius in seinem Arzneybüchlein, daß Doktor Aurbach, ein berühmter Arzt, welcher vierzig Jahre zu Leipzig praktiziert, oft gesagt, er habe vierzig Jahr Kranke besucht, und in der That wahrgenommen, daß der größte Theil seiner Patienten mehr aus Bekümmemiß und Traurigkeit als an wirklichen heftigen Krankheiten gestorben. 8 7 N e b e n d i e V o r s t e l l u n g v o n e i n e r rein k r a n k h a f t e n M e l a n c h o l i e ,

verursacht

durch ü b e r m ä ß i g e V e r m e h r u n g der s c h w a r z e n G a l l e in d e n K ö r p e r s ä f t e n , trat s c h o n in der A n t i k e d i e e i n e s m e l a n c h o l i s c h e n Charakters, w o b e i »der T y p u s d e s M e l a n c h o l i k e r s in z u n e h m e n d e m M a ß e a b s c h ä t z i g b e w e r t e t w u r d e . Er g a l t der F o l g e z e i t als a u s g e s p r o c h e n s c h l e c h t e V e r a n l a g u n g , d i e m i t u n e r f r e u l i c h e n G e i s t e s - u n d C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t e n e i n e d ü r f t i g e P h y s i s u n d e i n unattraktives Ä u ß e r e s v e r b a n d . « 8 8 M e l a n c h o l i e k o n n t e z u g l e i c h aber a u c h e i n e n m o m e n t a nen Gefühlszustand bezeichnen:

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Ders., Bd. 3, S. 266. Ders., Motto zum Band 1. Carl Friedrich Flögel, Geschichte der komischen Literatur. 1784-1786. Bd. 1, S. 20ff. Johann Fischart, Geschichtklitterung, hg. von Ute Nyssen. Darmstadt 1977. S. 16f. Johannes Manlius, Libellus medicus variorum experimentorium. Frankfurt 1566. Zit. nach Flögel, Bd. 1, S. 23. Raymond Klibansky/Erwin Panofsky/Fritz Saxl, Saturn und Melancholie. Frankfurt 1990 (erstmals 1964). S. 123. Dort Grundlegendes zur Melancholie als Krankheit, Charakter oder vorübergehender Seelenzustand in Antike und Mittelalter und umfasssende Bibliographie.

136 Als Stimmung bezeichnet sie jene vorübergehende Niedergeschlagenheit, die noch die unbedeutendsten Anlässe von Kummer, Mangel, Krankheit, Ärger, Furcht, Trauer, geistiger Unruhe, Mißmut und Sorge begleitet. Sie kommt und geht, löst Bedrückung, Stumpfheit, Verdruß aus, macht das Herz schwer, ist folglich dem Vergnügen, Frohsinn, der Freude und dem Genuß in jeder Weise entgegengesetzt und erzeugt in uns Widerspenstigkeit und Abneigung. In diesem zweifelhaften und uneigentlichen Sinn nennen wir den melancholisch, der niedergedrückt, betrübt, sauertöpfisch, stur, mürrisch, einzelgängerisch, aus dem Gleichgewicht geraten oder übellaunig wirkt. 8 9

Ihren sichtbaren Ausdruck findet die Melancholie in jedem Fall in Traurigkeit und Verzweiflung. Von daher gerät sie für die Moraltheologie in den Bereich der Sünde, denn sie setzt den Verlust an Glauben und Hoffnung, also Gottesferne voraus und führt zu Tatenlosigkeit und Trägheit. Damit rückt die Melancholie in die Nähe der Todsünde acedia, die religiöse Unlust, Trägheit oder Schwermut bis hin zur Verzweiflung an der Glaubensfähigkeit bedeutet. 90 Auch als von Gott verhängte Prüfung und Anfechtung kann die melancholische Traurigkeit verstanden werden. 91 Martin Luther warnt ausdrücklich: »Fugite tristitiam, cuius autor est Satan.« 92 Selbst diese wenigen Bemerkungen lassen es plausibel erscheinen, daß es unter allen Umständen gilt, melancholische Zustände zu vermeiden bzw. nach Auswegen und Heilung zu suchen. Dazu wird von den Theologen an erster Stelle der Trost des Evangeliums, aber auch das Gespräch und die Geselligkeit mit Freunden, Scherz, Spiel und das Erzählen heiterer Geschichten als wirksames Heilmittel empfohlen: Wenn man aber fur yhm viel historien, newzeitung und seltzam ding redet oder lese, schadet nicht, obs zu weilen faule oder falsche teyding und mehrlin weren, von Turcken, Tattern und der gleichen, ob er damit zu lachen und zu scherzen kund erregt werden, Und denn flugs darauff mit trostlichen Spruchen der schrifft! 9 3

Im übrigen empfiehlt sich als Therapie mit einer sehr alten Tradition auch die Musik, beglaubigt zuerst durch die alttestamentarische Überlieferung von Saul und David (1. Sam. 16,14—23). »Diese Episode ist in der abendländischen Kunst und Literatur zum klassischen Exempel für die antimelancholische, teufelsaustreibende Wirkung der Musik geworden.« 9 4

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Robert Burton, Anatomie der Melancholie, zit. nach der Ausgabe München 1988. S. 143f. Burton vertritt in seiner 1621 erschienenen, umfangreichen und äußerst populär gewordenen Abhandlung entgegen dem zeitgenössischen Sprachgebrauch die Meinung, daß als Melancholie nur das »chronische, fortwährende Leiden« (S. 145) zu bezeichnen sei. Vgl. Schmitz (1972), Horst Wenzel, Melancholie und Inspiration. In: Walter von der Vogelweide. Beiträge zu Leben und Werk. Stuttgart 1989. S. 137. Dazu auch Klara Obermüller, Melancholie in der deutschen Barocklyrik. Bonn 1974. S. 14-20; Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels. Berlin 1928. S. 151-154. Siehe Klibansky u.a., S.136ff. und Heinz-Günter Schmitz (1992), S. 247f. Zit. nach Obermüller, S. 29. Luther, WA TR 6, 388f. Zahlreiche weitere Belege von Luther, Melanchthon, Musäus u.a. bei Schmitz (1972), S. 251ff. Schmitz (1972), S. 248.

137 Betrachtet man die Argumentation der Schwanksammler vor diesem Hintergrund, so wird deutlich, daß es sich bei den Topoi der Melancholievertreibung, die den Werken Relevanz und Nutzen bescheinigen sollen, um popularisierte Formen theologischer und geistesgeschichtlicher Theorien handelt. Sie scheinen in breiten Schichten der Bevölkerung präsent gewesen zu sein und werden im Kontext der Vorreden aufgegriffen und zur Legitimierung der Unterhaltungsliteratur verwandt. Neben der Vertreibung der Melancholie wird prinzipiell das Recht auf Entspannung und Abwechslung nach (nicht statt!) Mühen und Anstrengung rechtfertigend angeführt. Die Autoren empfehlen die Lektüre von Schwänken, weil sie dieses Bedürfnis, unter Berücksichtigung moralischer Ansprüche in gebührliche Bahnen kanalisiert, zu befriedigen vermag. Denn die Theorie von der Notwendigkeit der delectatio impliziert in jedem Falle, daß es sich dabei um gute, d.h. nicht-anstößige kurzweil handelt: Dann wer kann allwegen weiß seyn! Man muß zu weilen auch dem narren platz geben, schimpffende, lächerliche und kurtzweilige reden je der gelegenheit nach neben zu einflicken, damit das Zenonisch und Socratisch ernsthafftig angesicht nit allwegen in dergleichen frölichen Zeiten den Vorrang habe. 95 [...] dieweyl aber auch mancher ist, der sich des studierens gar zuvil übernimpt, also das davon etwann inn kranckheit fallt und sich toll studieret, in ansehung das er nichts hat, damit er die weyl verkürzet. 96

Damit orientieren sich die Autoren an dem schon in der klassischen griechischen Literatur angestrebten Ideal von Harmonie, Mäßigung und Ausgewogenheit, 97 welches einschließt, daß der Mensch zum Ausgleich neben Arbeit, Ernst und Besinnung auch Fröhlichkeit und Unterhaltung braucht, um sich nicht in einem Extrem zu verlieren. Faßt man die genannten Argumente zusammen, die die Vorreden der Schwanksammlungen anführen, um die Intentionen der Autoren zu beschreiben, so läßt sich daraus deutlich nachvollziehen, welchen (funktionalen) Anspruch die Unterhaltungsliteratur des 16. Jahrhunderts erhebt und mit welchen Erwartungen die zeitgenössischen Rezipienten diese Gattung wahrgenommen haben.

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Frey, S. 4. Montanus, Wegkürtzer, S. 4. In diesem Zusammenhang wird sowohl von Theologen als auch von Schriftsteilem häufig das aus Ovid (Heroides IV, 91) entlehnte Exempel vom Uberspannten Bogen, der zu brechen droht, herangezogen. Dazu Schmitz (1972), S. 77ff. Dort noch weitere Exempel und zahlreiche Belege aus der antiken und humanistischen Literatur und die Schlußfolgerung: »Es gibt kaum einen Autor in dieser Zeit, der nicht sein Werk damit begründete und rechtfertigte, daß er damit bei sich selbst oder seinen Lesern >relaxatioZotenhaftigkeit< vorgeworfen hat: Wie mir dann, erbarer lieber herr Erhart, ain brieff von einer wefftzen ist zu kommen, die ihren stecheten Stachel hat gegen mir gerichtet [...] ich habe in meinem ersten thail des Nachtbüchleins gesetzt bossen unnd grobe schwencke, die sich nicht gezymen eheleütten zu lesen, sonderen sie seind zu grob unnd u n f l e t i g . "

Er allerdings weiß damit umzugehen, rechtfertigt sein Schreiben einschließlich der unflätigen bossen, weist auf deren Titel eigens hin und beschimpft die Kritikerin: Das ich hab in disen anderen tail auch fünff grober unnd unfletiger bossen gesetzt [...] Auff das aber ainer yetzt inn disem büchlein nicht zum lugner werde, so er spricht, ich habe grobe bossen darein gesetzt, hab ichs müssen war machen, das der Verächter nicht leüget unnd ich es auch bestehen kan. 1 0 0

Doch dieses Bekennen zum Derben findet sich außer im Nachtbüchlein nur noch bei Michael Lindener, dessen Vorrede zu Katzipori im Ganzen sowohl stilistisch als auch inhaltlich aus dem Rahmen fällt und der schon im Titel erkennen läßt, daß er anders als die übrigen Schwanksammler den scherzhaften, grobianischen Charakter des Werkes nicht verleugnen will: »Der erste theil Katzipori, darinn newe mugken, seltzamme grillen, unerhörte tauben, visierliche zotten verfaßt und begriffen seind, durch einen leiden guten companen, allen guten schluckern zu gefallen, zusammengetragen.« 98 99 100

Pauli, S. 14. Schumann S. 172. Ebd.

139 Ganz anders Jörg Wickram: seine Vorrede Zum gütigen Leser zielt gerade darauf ab, zu zeigen, daß das Rollwagenbüchlein als Alternative »zu schamperen und schandtlichen wort«, wie sie sonst üblicherweise zum Zeitvertreib von Reisegesellschaften erzählt werden, dienen soll: Nun ist ye sömlichs ein sondere grosse ergernuß / wo man vor züchtigen Personen sömliche unnütze wort übet. Dieweil man aber an solchen orten sich dannocht auch mit kurtzweiligem gesprech ergetzen muß / hab ich [...] allhie ein kurtzweiligs Büchlin für äugen gestellt / in welchem ir nit wenig kurtzweilig und schimpfliche schwenck vernemmen werden / in welchem sich niemants ergem wirt. 101

Für Wickrams Sammlung mag das (auch wenn es mit unseren Vorstellungen von >Anstand< nicht ganz übereinstimmt) zutreffend sein. 102 Doch auch Frey betont: »Ich hab auch nichts, so ungeschicklichs oder ungebürlichs vor erbaren frawen oder junckfrawen zureden were, hieher setzen noch anziehen wollen.« 103 Hier allerdings ist die Diskrepanz zum Charakter des Werkes mit Sicherheit nicht zu leugnen. Kirchhof verstärkt seine Argumentation im 4. Band genau wie Wickram mit Bibelzitaten: Dargegen warnet er [Paulus] uns und alle sämptlich, daß wir schambare wort und narrentheiding oder schertz, welche uns nicht ziemen, nicht sollen von uns gesagt werden. 1 0 4

Allen Autoren ist bewußt, daß die Geschichten, die sie erzählen, nach moralischen Kategorien beurteilt, Anstoß erregen können. Deshalb ist ihnen daran gelegen, bereits im Titel und in der Vorrede davon abzulenken und sich vor Kritik solcher Art abzusichern. Sie betonen die >Harmlosigkeit< ihrer Sammlungen, auch wenn sie damit der Tendenz der Werke nicht unbedingt gerecht werden. Es handelt sich dabei um einen Konflikt zwischen höchstmöglichem Unterhaltungswert und der Erfüllung moralischer, gesellschaftlicher Normen. Ein ähnliches Problem entsteht für die Verfasser dadurch, daß der mittelalterliche Schwank in die Nähe der Satire rückt. 105 Es wurde im Zusammenhang mit den Intentionen der Autoren bereits darauf hingewiesen, daß es ihnen u.a. darum geht, zu strafen »umb grosse schand«, 106 Laster zu verspotten und anzuprangern. Deutliche Kritik wird an bestimmten Verhaltensweisen geübt, die oftmals typisierend an einzelnen gesellschaftlichen Gruppen (Bauern,

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Wickram, S. 7. Dazu Volkmann, Sp. 1213. Frey, S. 6. Kirchhof, Bd. 4, S. 3. So Joachim Suchomski, >Delectatio< und >UtilitasRisikos< bewußt. Es ist ihnen von daher wichtig herauszustellen, daß sie niemanden persönlich angreifen wollten. Selbst Wickram, der behauptet, er schreibe »niemants zu underweysung noch leer / auch gar niemants zu schmach / hon oder spott«, 107 kalkuliert ein, daß sich mancher durch seine Schwänke getroffen fühlen, eigene Schwächen aufgedeckt und bloßgestellt finden könnte: 108 Wos sich zutrug / daß etwan einer oder eine getroffen / wollen euwer färb im angsicht nit verstellen / sunst werden ir von mengklichen in argwon verdacht / und wurd man sagen / Wenn man under die hund wirfft / schreit keiner dann welcher getroffen wirt. 1 0 9

Desgleichen versucht Montanus, >Mißverständnissen< vorzubeugen, und rückt die Unterhaltungsfunktion in den Vordergrund seiner Intentionen: Und ob du wurdest schon verletzt, Dich in dem sack und orth fende, Drumb das büchlein nicht sehende, Gedenck, nit allein deinthalbe gmacht, Sonder kurtzweyl zhaben erdacht. 1 1 0

Doch an diesen Appell halten sich offensichtlich nicht alle Rezipienten der Schwankliteratur. Kirchhof hat bei Veröffentlichung seines sechsten Bandes diese Erfahrung bereits machen müssen: Es fiel aber der würffei und gerieht das spiel viel anders, denn ich verhofft gehabt; denn sehet so baldt dieses des Wendunmuths das erste buch im vergangenen 1565 jähr gedruckt und an des buchbinders laden zu sehen kam, hilff gott, welch ein zürnen, schelten, übelwollen und reden erhub sich da, ja welche lästerwort wurden über mich nit mit kübeln voll ausgegossen? insonderheit von denen, die mir unverschuldt und unbillich feind, und vielleicht durch den stein, so under die rüdden geworffen, troffen waren, daß sie mit vollem hals über mich schrien. 111

Das Beharren darauf, daß er keine diffamierende Kritik an irgendjemandem üben wolle, hat sich offensichtlich als zwecklos erwiesen.

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Wickram, S. 5. Zum >getroffen sein< Waltraud Briegel-Florig, Fabelforschung in Deutschland, Diss. Freiburg 1965. S. 26 Wickram, S. 5. Montanus, Wegkürtzer, S. 6. Kirchhof, Bd. 6, S. 3f.

141 5.3. Resümee: Die Vorreden der Schwanksammlungen Es hat sich gezeigt, daß die Vorreden der Schwanksammlungen vor allem dadurch aufschlußreich werden, daß sie über die Aussagen der Verfasser zu ihren Intentionen Einblick geben in die zeitgenössische Auseinandersetzung mit Unterhaltungsliteratur und in eine der literarischen Tradition verpflichtete Argumentation, mittels derer diese Gattung legitimiert wird. Dabei wird der Reflexion über den Wert von Kurzweil und Entspannung zur Melancholievertreibung besondere Bedeutung beigemessen. Es bestätigt sich auch hier, was schon für die Vorreden zu anderer Kompilationsliteratur zutraf, daß über das direkt vorliegende Werk, seinen Inhalt, Personal, Quelle, Aufbau etc. weitaus weniger ausgesagt wird als über Funktion und Wirkung der Gattung allgemein. Ausgeprägt ist bei den Vorreden der Schwanksammlungen der werbende Charakter, das Bemühen der Autoren, ihr Werk vielversprechend anzupreisen, nicht zuletzt durch die Vorstellung anschaulich ausgemalter Rezeptionssituationen, in denen der Leser seine eigenen Bedürfnisse wiedererkennen soll.

6.

Vom Helden der liegen und Triegen anvienc

6.1. Der Schwankroman Als eine besondere Ausprägung der Schwanksammlungen stellt sich der Schwankroman dar. Man ist in der Forschung 1 mittlerweile darin übereingekommen, als solchen die lockere Aneinanderreihung einzelner, z.T. bekannter Schwänke, die sich um einen zentralen Schwankhelden gruppieren, zu bezeichnen. Die Geschichte dieser Gattung setzt ein mit dem Pfaffen Amis des Stricker, entstanden zwischen 1230 und 1240. 2 Sie umfaßt außerdem die deutschen Bearbeitungen des lateinischen Dialogus Salomonis et Marcolphi (Ende des 12. Jh.), 3 die Geschichte des Pfaffen vom Kalenberg von Philipp Frankfurter und Neithart Fuchs4 aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts. Es folgen im 16. Jahrhundert Hermann Botes Ulenspiegel (1510/11), die Histori Peter Lewen von Achilles Jason Widman (1558), die Historia von Claus Narren von Wolfgang Bütner (1572) und Hans Ciawerts Werkliche Historien von Bartholomäus Krüger (1578). Was den Schwankroman wesentlich von den entsprechenden Sammlungen unterscheidet, ist nicht nur die biographische Anbindung der Einzeltexte, sondern auch das Festhalten an einem einheitlichen >Stofftypus< und einem i d e e l len Programm^ 5 Konkret bedeutet dies für die Handlungsebene, daß es hier um den konsequenten Versuch eines Protagonisten geht, sich durch listigbetrügerisches Vorgehen den eigenen Lebensunterhalt und materielle Vorteile zu sichern und/oder aus Freude an der eigenen Überlegenheit anderen Schaden zuzufügen. Die Frage nach dem ideellen Programm, der gemeinsamen Ziel-

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Zur Forschungsgeschichte s. Wemer Röcke, Die Freude am Bösen. München 1987. S. 19-27. Als Vorläufer der eigentlichen Schwankromane gilt der lateinische Kettenschwank vom Bauern Einochs, »Cantus de uno bove« aus dem 11. Jahrhundert. Das Spruchgedicht eines moselfränkischen Geistlichen »Salomo und Markolf« (Ende des 14. Jhs.), die Versbearbeitung von Gregor Hayden (2. Hälfte des 15. Jhs.) und das Volksbuch Frag und antwort Salomonis und Marcolfi. In: Die deutschen Dichtungen von Salomon und Markolf. Bd. 1: Salman und Morolf, hg. von Friedrich Voigt. Halle 1880. Bd. 2: Salomon und Markolf, hg. von Walter Hartmann. Halle 1934. Dieser Roman setzt ohne Vorrede bzw. Prolog ein und findet aus diesem Grund hier keine weitere Erwähnung. Dazu Hanns Fischer, Zur Gattungsform des >Pfaffen AmismalaWelt der mala< agiert der Schwankheld: er paßt sich ihr an, übertrumpft ihre Bosheit durch listiges und betrügerisches Vorgehen, schlägt sie mit

So auch deutlich Rüdiger Schnell in seinem Aufsatz: Das Eulenspiegel-Buch in der Gattungstradition der Schwankliteratur. In: Hermann Bote. Städtisch-hanseatischer Autor in Braunschweig, hg. von Herbert Blume/Eberhard Rohse. Tübingen 1991 (Braunschweiger Kolloquium 1988). S. 171-196. Röcke, S. 266. Aus diesem Grund erscheint es durchaus schlüssig, wenn Barbara Könneker ihren Vergleich zwischen dem Pfaffen Amis und Ulenspiegel gerade darauf aufbaut, daß diese beiden Romane am Anfang bzw. am Ende eines »bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses« stehen. Vgl., Strickers >Pfaffe Amis< und das Volksbuch von >UlenspiegelFreude am Bösem. Diese >Freude am Bösem wird bei Röcke zu einem wesentlichen Charakteristikum des Schwankhelden (und programmatisch zum Titel seiner Arbeit). Er kann daher von der »Überlegenheit des negativen Helden« sprechen, der sich den verpflichtenden Regeln des ordo entzieht, diesen damit gefährdet und das Chaos heraufbeschwört. 9 Auf der anderen Seite aber sind der P f a f f e Amis oder Ulenspiegel immer wieder als Verkörperung positiver, bürgerlicher Tugenden wie Klugheit, Vernunft, Weitsichtigkeit, Rationalität verstanden worden. Daneben gibt es in der Forschungs- und Rezeptionsgeschichte des Ulenspiegel auch die Tendenz, den Protagonisten zum Rebellen und Freiheitskämpfer zu stilisieren. 10 Es zeigt sich besonders deutlich an der Flut der Eulenspiegelliteratur, wie disparat die Einschätzungen werden, versucht man, die Figuren auf eine einzige Position, erst recht auf eine moralische Bewertung festzulegen. Die vorhandenen widersprüchlichen Ansätze lassen sich nur dadurch überzeugend erklären, daß die Schwankromane selber gerade nicht auf Eindeutigkeit hin angelegt sind. 11 In kritischer Auseinandersetzung mit Michael Bachtin hat Röcke gezeigt, daß der Schwankroman nicht nur durch die Entdeckung und sprachliche Realisierung der Vielfalt der Welt, sondern vor allem durch die Infragestellung, die »Dialogisierung« vorgegebener Überzeugungen und monologischer Denk- und Sprechformen für die Vorgeschichte des Romans bedeutsam geworden ist. 12 Diese Hinwendung zur Dialogisierung betrifft auch die Einstellung der Autoren zu ihrem Stoff: die Schwankromane bis hin zum Ulenspiegel zeichnen sich aus durch die Ambivalenz in der Beurteilung der Handlungsweisen des Protagonisten. 13 Die Autoren der Schwankromane 1 4 sehen sich nicht (mehr) dazu in der Lage, die gesellschaftliche Situation umfassend

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Röcke, S. 278. Zur Eulenspiegel-Rezeption s. unten S. 152f. Auch Schnell sucht, Röcke relativierend, in seiner Arbeit zum Ulenspiegel nach Erklärungsmustern für die »widersprüchlichen Auslegungen« des Schwankromans und begründet sie aus der Absicht des Verfassers, primär unterhalten und erheitern zu wollen. Dieser untrennbar mit dem Schwank verbundenen Intention sieht er alle weiteren Bestandteile des Romans untergeordnet. »Überspitzt formuliert: Der Gattungscharakter des >Ulenspiegel< und Moraltheologie oder Sozialkritik schließen sich weitgehend aus.«, S. 173. Dem kann jedoch hinsichtlich des hier vorgelegten Interpretationsansatzes für die Schwankromane nur bedingt zugestimmt werden. Röcke, S. 267. Anders sieht es aus bei den >Spätwerken< der Gattung. Hier macht sich zunehmend die Tendenz zur moralischen Einordnung des Helden und damit zu einer stärker didaktischen Funktion der Werke breit. Auch dies gilt nicht für Widmann, Krüger und Bütner.

145 zu analysieren oder gar zu bewerten. Von daher läßt sich auch begründen, warum das sogenannte >ideelle Programm< dieser frühen Schwankromane keine didaktischen Ansprüche erhebt. So sind die Schwankhelden weder Positivnoch Negativexempel, die als Vorbild oder als Abschreckung dienen. Statt dessen werden sie zu mehrdeutigen und vielschichtigen Charakteren, die der Autor distanziert vorstellt, wobei er darauf verzichtet, eindeutig wertend Stellung zu beziehen. In dieser Form kann er auf mögliche oder zu befürchtende Konsequenzen gesellschaftlicher Entwicklungen hinweisen, ohne sich letztlich entscheiden zu müssen zwischen Bewunderung für die Listigkeit und Überlegenheit des Helden, der Verurteilung seines amoralischen Vorgehens oder der resignativen Fügung in den Zustand der Welt. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Schwankheld, selbst wenn er als Typus eines neuen Menschenbildes eingesetzt wird, immer noch eine Außenseiterfigur bleibt, dargestellt als außerständischer Landfahrer oder Hofnarr. Während seine Kontrahenten noch eingebunden sind in bestehende Ordnungen und Denkstrukturen und ihm nicht zuletzt deshalb unterliegen, hat der Protagonist in dieser Rolle die Möglichkeit, individuell, selbstbestimmt und zweckrational zu handeln - vorausgesetzt, er hat sich von bestimmten Normen und Werten gelöst. Damit aber distanziert er sich von der Gesellschaft und wird von ihr als Ausnahmeerscheinung eingeordnet und ausgegrenzt. Was an ihm demonstriert wird, entspricht - nach Vorstellung der Autoren - in gewisser Weise dem >Geist der ZeitAufgabe der Melancholievertreibung< zugewiesen und ihr damit einen eigenen Wert und eine Legitimation gegeben haben. Darüber hinaus wird sie dort, ähnlich wie in den Fabeln, funktional motiviert als >Versüßung der bitteren Pille< des didaktischen Inhalts. Röcke hat mit Recht darauf hingewiesen, daß im Schwankroman ein weiterer Aspekt hinzukommt: die Komik als Mittel zur »Entübelung des Übels«. 16 Durch Übertreibung wird eine Distanz geschaffen, die es zuläßt, über Dinge zu lachen, über die in der Regel nicht mit gutem Gewissen gelacht werden kann. Das Erschrekken über die Amoralität soll im Lachen aufgehoben oder gemildert werden und

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Dazu Röcke, S. 154ff„ Schnell, S. 185ff. So Röcke, S. 155 und Joachim Suchomski, >Delectatio< und >Utilitasgevueger kunst< ist symptomatisch für die sozial-ethische Verfassung der Gesellschaft.« 19 3

wo ein man zu hove quam, daz man gerne von im vernam seitspil singen und sagen. Daz was geneme in den tagen. Ditz ist nu allez so unwert Daz sin der sechste niht engert.

Mit dem Verfall der Tugend geht eine Abwertung der bis dahin anerkannten und geschätzten höfischen Kunst einher. Früher hörte man gerne dem fahrenden Sänger zu, wenn er zur gesellschaftlichen Unterhaltung beitrug; heute be17

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Eine ähnliche Funktion hat die zugespitzte Darstellung in grobianischer Literatur, in der es allerdings in didaktischer Absicht darum geht, bestimmte Verhaltensweisen abschrekkend erscheinen zu lassen. Der Stricker, Der Pfaffe Amis, hg. von Michael Schilling. Stuttgart 1994. Hedda Ragotzky, Zur Gattungserneuerung und Laienunterweisung in Texten des Strikkers. Tübingen 1981. S. 145.

147 steht danach keine Nachfrage mehr. Durch die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse ist ein Wandel des Publikumsgeschmacks eingetreten, so daß der, der nichts als seitspil und singen vorzubringen hat, nur noch als tor (V. 20) angesehen, d.h. nicht ernst genommen wird. Der Stricker konstatiert diese Zusammenhänge, ohne sie zu begründen. Dahinter steht die Auffassung von einer Kunst, die »im Rahmen höfischen Festes und höfischer Repräsentation auch der sozialen und ästhetischen Selbstverständigung und Selbstvergewisserung der höfischen Gesellschaft und der Zelebrierung ihrer tragenden Handlungsmuster galt«. 20 Haben diese >Handlungsmuster< der höfischen Gesellschaft und die von ihr vertretenen Werte ihre Gültigkeit verloren, ist auch die Kunst, die sie besang, obsolet und realitätsfern geworden. Zuht und ere sind dahin und mit ihnen auch die Kunst gefuger worte. Was gefragt ist, ist »ein mere / daz gut den lueten were / fur sorgen und vur armuet.« (V. 9-11), eine Geschichte, die nicht länger ein utopisches Gesellschaftsmodell verherrlicht, sondern der Gegenwart gerecht wird - vielleicht sogar hilft, die Gegenwart zu bewältigen. Der Autor kennt diese Erwartungen des zeitgenössischen Publikums: Literatur soll nicht länger nur unterhalten und aufheitern, 21 sie soll jetzt praktische Lebenshilfe leisten und den veränderten, als verschlechtert empfundenen Lebensbedingungen Rechnung tragen. Allein über die mögliche Realisierung dieser Anforderung gibt sich der Stricker ratlos: »Wie sol danne ein hubisch man / zu hove nu gebaren? / Des kan ich niht gevaren.« (V. 14—16). Und er bleibt eine ausdrückliche Beantwortung der Frage schuldig. Ursula Peters hat in ihren Überlegungen zu den Problemen einer sozialgeschichtlichen Deutung des Pfaffen Amis darauf hingewiesen, daß es die ambivalenten Kommentare des Strickers zum List-Handeln seines Helden nicht erlauben, »die inhaltliche Dominante des Textes zu ermitteln und damit auch die mögliche Wirkungsabsicht des Autors zu erschließen«. 22 Diese Position erscheint auf den Text als Ganzes bezogen plausibel, 23 und es ist genau diese Problematik, die der Stricker im Prolog thematisiert: die Ratlosigkeit darüber, wie man als Dichter mit den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen und den neuen Werten, die sie herausfordern, umgehen soll. Wie soll sich ein Autor, der bisher im Einklang mit dem höfischen Ideal dichtete, nun verhalten? Als

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Röcke, S. 44f. Erst in den späteren Sammlungen findet sich das Versprechen der Schwankautoren, ihre Texte vertrieben Traurigkeit und Melancholie. Ursula Peters, Stadt, Bürgertum und Literatur im 13. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 7 (1977), S. 122. So auch Schilling, Der Pfaffe Amis. Nachwort, S. 188. Im übrigen wird gerade diese Frage in der Forschung sehr kontrovers diskutiert. So ist der Pfaffe Amis für Barbara Könneker derjenige, der aus dem Zusammenbruch der Werte die richtigen Konsequenzen zieht und dessen Verhalten unter den gegebenen Umständen als durchaus positiv verstanden werden muß, während etwa Hansjürgen Linke ihn als Personifizierung der ethisch negativen Züge der Gegenwart sieht. Vgl. ders., Der Dichter und die gute alte Zeit. In: Euphorion 71 (1977), S. 98-105.

148 eine mögliche Antwort bietet er dem Leser das Märe vom Pfaffen Amis an, in welchem er versucht, den neuen Anforderungen an die Literatur gerecht zu werden. Dabei wird das Mißtrauen, das er diesen Veränderungen gegenüber hegt, sehr deutlich. Einen »spezifisch antihöfischen Impuls« 24 gibt es im Prolog nicht. Hier stellt sich die höfische Vergangenheit unangefochten als Ideal dar. 25 Erst in der Auseinandersetzung mit dem Bischof (V. 55ff.) werden die höfischen Tugenden (zunächst das Gebot der milte) kritisch hinterfragt bzw. mit der Realität konfrontiert. Die konventionelle Zeitklage 26 und die kompromißlos vorgetragene Analyse der Verhältnisse (ideale Vergangenheit - negative Gegenwart) suggerieren dem Rezipienten, daß es dem Autor vor allem um die Wiederherstellung von zuht und ere geht. 27 Sich zu arrangieren mit der verdorbenen Gegenwart steht innerhalb des Prologes nicht zur Debatte. Und doch trägt der Stricker dem Publikumswunsch nach einer Geschichte fur sorgen und vur armuet Rechnung. Er realisiert sie, indem er die Ursachen aufzeigt, die verantwortlich sind für die Zerstörung der Harmonie der höfischen Gesellschaft und für das Vorhandensein von Sorge und Mangel. Dafür findet er eine scheinbar simple Formel: die positiven Werte galten noch in »den stunden / e trigen wurde funden.« (V. 37f.). D.h. liegen und triegen (V. 41) sind schuld daran, daß die Welt in Unordnung geraten ist, 28 und die Erzählung soll historisch genau an dem Punkt ansetzen, an dem sich auf diese Weise das reht in unreht verkehrte. Betrachtet man den Prolog isoliert, so entsteht der Eindruck, als wolle der Stricker mit Hilfe der Figur des Pfaffen Amis zeigen, wie es zu dem Werteverfall gekommen ist: denn dieser war der »erste man [...] der liegen triegen aneviench« (V. 40f.). 29 Der Protagonist wird hier bzw. im Übergang zum Erzählteil (V. 3SM-6) kompromißlos als Negativfigur eingeführt. Obwohl der Autor seine Intentionen nicht ausdrücklich nennt und keinerlei didaktische Ansprüche formuliert, muß man aufgrund des Prologs davon ausgehen, daß im folgenden ein Märe erzählt werden soll, das darauf abzielt, zu zeigen, wie durch falsches Verhalten die gesellschaftliche Ordnung zerstört wurde. Doch diese Erwartungen löst der Text nicht ein. Sobald man das gesamte Werk im Blick hat, stellt sich der Ansatz des Autors deutlich anders dar. Schon die folgenden Verse (V. 47-55), die die Handlung einleiten und den Helden mit po-

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Könneker, S. 254. Der Argumentation Rockes, daß schon im Prolog die »ideale Gegensatzlosigkeit« des höfischen Festes aufgehoben und die >vröude< kritisch an den >sorgen< der Gegenwart gemessen würden, kann ich in diesem Fall nicht folgen. Vgl. dazu Ulrich Müller, Untersuchungen zur politischen Lyrik des deutschen Mittelalters. Göppingen 1974. S. 468ff. und Udo Gerdes, Bruder Wernher. Beiträge zur Deutung seiner Sprüche. Berlin 1970. S. 307ff. So auch Ragotzky, S. 145f. >Liegen und triegen< ist auch die Formel, die im Processus Luciferi mit dem Sündenfall in Verbindung gebracht wird. In: Die bisher unveröffentlichten geistlichen Bispelreden des Strickers, hg. von Ute Schwab. Göttingen 1959. S. 99. Zit. nach Ragotzky, S. 146. Vgl. auch Vers 1551-1559.

149 sitiven Charakterzügen wie Weisheit und Großzügigkeit ausstatten, müssen den Leser irritieren, weil sie in einem deutlichen Widerspruch zum vorher Gesagten stehen. Aber die Unsicherheit in der ethischen Einordnung der Handlungsweisen des Protagonisten entstehen nicht erst in der subjektiven Beurteilung durch den Rezipienten, sondern sind bereits vom Autor klar vorgegeben. Der Pfaffe Amis ist für den Stricker beides: der, der als erster den Betrug zur Maxime erhob und damit die gesellschaftliche Harmonie zerstörte, und zugleich ein gelehrter Mann, der das Gebot der milte respektierte und sein Leben als Abt eines Klosters beendet - insgesamt eine ambivalent dargestellte Figur, die sowohl Bewunderung als auch Ablehnung provoziert. Unterstellt man dem Autor, daß er hier nicht willkürlich verfährt, so werden durch das Auseinanderklaffen von Prolog und Handlungsteil zwei Bereiche voneinander geschieden, die ihm im Gesamtwerk nicht vereinbar scheinen. Während der Prolog in der Form der Zeitklage ein übergeordnetes Ideal anklingen läßt, bleibt die Handlungsebene realitätsnah. Für den Prolog, um den es hier vornehmlich geht, bedeutet dies, daß ihm - quasi als Legitimation - die Aufgabe zufällt, die Erinnerung an die Utopie von einer heilen Gesellschaft wachzuhalten. Es sei dahingestellt, ob der Stricker diese >höhere< moralische Ebene aus Überzeugung oder mehr pflichtgemäß in den Roman integriert. Sicher ist, daß sie durch den Prolog im Werk präsent gemacht wird. Darüber hinaus thematisiert der Prolog die gesellschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart und reflektiert die Möglichkeiten und Aufgaben der Kunst unter diesen Bedingungen, ohne definitiv ein Programm zu konkretisieren. In diesem Zusammenhang spricht der Autor auch mögliche Publikumserwartungen an. Offen bleiben sein eigenes Programm und die Frage, in welcher Form er auf die Erwartungen der Rezipienten zu reagieren gedenkt. Statt den Rezipienten im Prolog auf den Inhalt einzustimmen und konkret auf das Werk einzugehen, konstruiert der Stricker einen Kontext, in den sich dieser Roman einfügen soll: die Auseinandersetzung mit veränderten Verhältnissen und die Reflexion über das Dichten in dieser Zeit.

6.3. Salomon und Markolf Auch die deutsche Versbearbeitung des Dialogus Salomonis et Marcolfi von Gregor Hayden, Salomon und Markolf,30 verfaßt im Auftrag des bayrischen Landgrafen Friedrich VII., hat noch keine ausdrücklich als solche überschriebene Vorrede. Der Prolog umfaßt die Verse 1 - 3 4 und enthält die prologtypischen Elemente: Bitte um Inspiration (V. 1-3), die Widmung an den Landgrafen (V. 4-9) und Aussagen zu Intention, Stoff und Thema. Als Absicht seines Schreibens gibt Hayden an, er habe zur moralischen Erziehung beitragen wollen: 30

Hg. von Felix Bobertag, Narrenbuch. Berlin 1883. S. 293-361.

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wann ob icht guter das [sein Werk] vemem und dardurch zue besserung keme, das wer das meiste, das ich gerdt.

Daran schließt sich eine Reflexion über Weisheit und listigkeit an, ohne daß direkt nahegelegt würde, die intendierte Besserung ziele allein auf diese Werte ab: 14

Zwei ding sind auf erd, die peide die sind achtbart, wer des recht wil nemen war, der eines ist die Weisheit, das ander ist die listigkeit.

Sie sollen jedoch im Werk thematisiert werden, und zwar exemplifiziert an einem Beispiel in Anlehnung an eine biblische Figur: 19

Von dem han ich mir furgenommen, einer materien nach zu komen, wie der konig Salomon weisliche rede hab gethan mit einem pawrn in judischem landt, Markolus ist er genant, wie auch der pawr mit listigkeit Salomonis Weisheit verantwurt und versprochen hab.

Es scheint bis zu diesem Punkt so, als wolle Hayden in seinem Roman exemplarisch zeigen, daß die listigkeit mitunter der Weisheit ebenbürtig sein kann. 28

Da mag man peispiel nemen ab, was ein kundig listig man gen einem weisen mug gethan.

Erst in den letzten vier Versen, die sich überraschend unvermittelt an diese Aussagen anschließen, wird angedeutet, daß der Autor doch eine andere Wertvorstellung vertritt und eine weltliche Nützlichkeitsethik nicht das Letztgültige ist: 31

Seidt ie die Weisheit get von Gott aber die listikeit nit alsot, das ist ein merklich underscheidt zwischen der liste und Weisheit.

Im Disput zwischen Markolf und Salomon werden erhabene (christlich legitimierte) Moralvorstellungen konfrontiert mit niederer, derber Realität. Dabei behält der Vertreter eines pragmatischen Realismus 31 letztlich die Oberhand,

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Rein äußerlich ist Markolf gekennzeichet durch eine abgrundtiefe Häßlichkeit, die ihn jedoch nicht als Negativfigur charakterisieren soll, sondern auf die Verwandtschaft mit der Gestalt des häßlichen Sklaven Äsop hinweist.

151 weil er geschickt und listig seine Vorteile nutzend argumentiert. Gegen die Listigkeit des kleinen Mannes kann die Weisheit des Königs nichts ausrichten; der Erfolg gebührt scheinbar dem Schlauen. Doch dabei beläßt es Hayden nicht: indem er die Weisheit im Gegensatz zur List als von Gott kommend rühmt, bezieht er einen neuen Maßstab in die Argumentation mit ein. Selbst wenn die Listigkeit in der Realität der Weisheit überlegen erscheinen mag, wird ihr ausdrücklich eine entscheidende moralische Qualität abgesprochen. Auf diese unkommentierte Andeutung beschränkt sich der Autor und verzichtet darauf, sie auf den Kontext der Erzählung zu beziehen. Es gibt weder eine definitive Stellungnahme, die die angesprochenen Positionen gegeneinander abwägt, noch Hinweise darauf, wie das Gesagte didaktisch für die Gegenwart fruchtbar zu machen sei. Diese Offenheit innerhalb des Prologs führt dazu, daß er nichts dazu beiträgt, die Frage nach dem ideellen Programm von Salomon und Markolf zu klären. Alles, was der Prolog in diesem Zusammenhang leisten kann, ist auf den Inhalt des Werkes vorauszuweisen, seinen übergeordneten Gehalt, das, wofür die Geschichte als Beispiel (hier nicht im Sinne von Vorbild!) steht, zu thematisieren und die Problematik anzudeuten. Ähnlich wie im Pfaffen Amis wird die Moral des Schwankhelden zur Diskussion gestellt. Die ambivalente Einstellung des Autors zu seinem Helden, die beim Stricker an der Differenz zwischen Werk und Prolog festzumachen war, verlegt Hayden in den Prolog selbst. Vorausweisend auf die dialogische Konfrontation der beiden Protagonisten stellt er die zwei Prinzipien List und Weisheit einander gegenüber. Damit macht der Prolog deutlich, daß es dem Autor, obwohl keine Anbindung der Geschichte an die gesellschaftlichen Verhältnisse der Gegenwart erfolgt, in diesem Schwankroman auch um einen Beitrag zur Werte- und Normdiskussion geht.

6.4. Der Kalenberger Im Gegensatz zu diesen beiden Werken erweist sich Philipp Frankfurters Prolog zur Geschickt des Pfarrers vom Kalenberg32 (V. 1-31) als relativ unergiebig für einen Beitrag zur Theorie des Schwankromans. Reflexionen über Gattung, Stoff oder Thema des Werkes sind hier nicht zu finden, so daß auch der Leser gänzlich uninformiert darüber bleibt, worum es in diesem Werk eigentlich geht. Die einzige Angabe, die der Autor zum Inhalt macht, führt eher in die Irre, denn sie trifft nicht den wirklichen Kern der Geschichte: 20

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Ein fürst mechtig und hoch geporn mit wortten senfft und tugentleich der saß zu Wien in Osterreich,

Hg. von Felix Bobertag, Narrenbuch, S. 1-86.

152 des darff niemant wenen, das ich spot, der waß geheißen hertzog Ott, und was pei seiner zeit geschach, in meiner rede kumpt es hernach.

Das ist zwar insofern nicht falsch, als in der Erzählung Herzog Otto 33 und sein Hof zu Wien eine gewisse Rolle spielen, aber der tatsächliche Protagonist ist ein schlauer, gerissener Pfaffe, der im Prolog überhaupt keine Erwähnung findet. Der Zwang zum Reim verleitet den Verfasser außerdem zu unsinnigen Formulierungen wie in Vers 23. Anfang und Schluß des Prologs sind ganz den Bescheidenheitstopoi und werkunspezifischen Absichtserklärungen des Verfassers gewidmet: mit diesem Werk will er »lobes preiß und hohe kunst« (V. 11) erringen. Der Einschub »ich hoff, es pleib on allen zorn« (V. 19) ist ein Topos der Vorreden zur Schwankliteratur, die potentiell immer damit rechnen mußte, aufgrund ihrer derben und grobianischen Elemente Anstoß zu erregen. Er wird hier aber nicht direkt auf den Kontext des Werkes bezogen oder begründet. Literaturtheoretische oder gattungsspezifische Erkenntnisse sind aus dieser Vorrede nicht abzuleiten, sie dient allein der Leseranrede (Kontaktaufnahme) und der Selbstdarstellung des Autors.

6.5. Till Eulenspiegel Von allen in diesem Kapitel genannten Schwankromanen ist der um Till Eulenspiegel: Ein kurtzweilig Lesen von Dyl Ulenspiegeß4 von Hermann Bote mit Abstand der bekannteste. Die Figur des Eulenspiegel ist zum Prototyp des Schwankhelden schlechthin geworden. So hat dieser Zyklus nicht nur bis in die jüngste Zeit unzählige Bearbeitungen erfahren, sondern auch eine erstaunliche Menge germanistischer Forschungsliteratur nach sich gezogen. Immer wieder wurde versucht, ein gültiges Eulenspiegelbild zu entwerfen und die Intentionen seines Verfassers darzustellen. Doch liegen die Interpretationsansätze hier besonders weit auseinander. 35 Gerade der Eulenspiegel ist ein Held, der nur sehr bedingt die Sympathien der Leser beanspruchen kann. Handelt es sich bei vielen seiner Streiche um harmlose Späße oder um Spott, der diejenigen trifft,

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Herzog Otto der Fröhliche, gestorben 1339. Hg. von Wolfgang Lindow nach dem Druck von 1515. Stuttgart 1987. Vgl. Georg Bollenbeck, Till Eulenspiegel. Der dauerhafte Schwankheld. Stutttgart 1985. S. 1-32. Bollenbeck gibt hier einen umfassenden Überblick über die Forschungsgeschichte zum Eulenspiegel und kommt selber zu dem Schluß: »Ob nun als opponierender Plebejer oder als rächender Bauer historisch benannt, ob als Narr, Nihilist, Wahrheitsfanatiker oder Maieutiker überzeitlich enthoben, ob als harmloser Spaßvogel oder als arglistiger Schmarotzer ins Gut-Böse-Schema gepreßt [...] der Versuch, den Schalksnarren auf einen Nenner zu bringen, muß dessen kaleidoskopartigen Charakter [...] verfehlen.«, S. 27f. Zum selben Schluß kommt auch Schnell, S. 173ff.

153 die ihn verdienen, so gibt es doch genug Historien, in denen die reine >Freude am Bösem dominiert. »Es wird nicht deutlich, worauf die Darstellung der einzelnen Streiche Eulenspiegels abzielt: soll Eulenspiegels Verhalten oder das seiner Opfer angeprangert werden oder etwa beides? Ein Gesamtkonzept ist nicht ersichtlich.« 36 Wie also sieht der Autor den Protagonisten, und was will er an dieser Figur demonstrieren? Als Interpretationsansatz sind in diesem Fall zwei Wege denkbar, und je nachdem ob man immanent vom Text ausgeht oder (seit man den Autor kennt) vom Kontext des Gesamtwerks Botes und seiner biographischen Situation, wird man zu unterschiedlichen Ergebnissen über die Intention des Autors kommen. 3 7 Doch auch die Analyse der Vorrede als direkte Stellungnahme Botes zu seinem Text ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich, denn der Verfasser äußert sich, wenn auch knapp, sowohl zur Frage nach dem Protagonisten als auch zu seinen eigenen Intentionen: 38 [...] und beschreiben wie vor zeiten ein behender listiger und durchtribener eins buren sun / waz er getriben und gethon hat in welschen und tütschen landen. [...] Nun allein um / ein frölich gemüt zu machen in schweren Zeiten / und die lesenden und zuhörenden mögen gute kurtzweilige fröden und schwenck drauß fabulieren. 3 9

Dabei handelt es sich zwar um topische Stellungnahmen, die der Vielschichtigkeit des Textes nicht gerecht werden, aber sie geben Aufschluß darüber, unter welchen Vorzeichen Bote sein Werk vor die Öffentlichkeit bringt und wie es seiner Meinung nach gelesen werden sollte. In diesem Zusammenhang betont er ausdrücklich den Unterhaltungscharakter seines Romans und formuliert keine darüber hinausweisenden Ansprüche an den Aussagewert: nun allein. Doch wird wie in den Schwanksammlungen >Unterhaltung< nicht als reiner Selbstzweck verstanden, sondern übernimmt die Funktion, aufzuheitern und zu trösten: »ein frölich gemüt machen in schweren zeiten«. Hier ist bereits vorformuliert, was später bei Pauli, Wickram, Montanus, Frey u.a. unter dem Stichwort >Melancholievertreibung< entscheidende Bedeutung für eine grundlegende Legitimation von Unterhaltungsliteratur gewinnen soll. 40 Bote selber widmet diesem Thema keine eingehende Würdigung. Dennoch erscheint seine

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Ebd., S. 176. Demgegenüber hat Schnell vorgeschlagen, das Werk grundsätzlich aus dem Kontext des übrigen Schaffens Botes herauszuhalten, da dem Autor noch keine »einheitliche, in sich geschlossene Gedankenwelt« im Sinne eines »modernen Literaturverständnisses« zuzuschreiben sei, S. 175. Es sei darauf hingewiesen, daß die Eulenspiegel-Vorrede in der Forschung nicht unberücksichtigt geblieben ist, etwa bei Bollenbeck, S. 15If.; John Flood, Der Prosaroman >Wigoleis vom Rade< und die Entstehung des >Ulenspiegeldurchtriebenerfahren, geschickt, vollkommene Allerdings wird auch >listig, verschlagen, abgefeimt< genannt und die Eulenspiegel-Vorrede als Beleg angeführt. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm, Deutsches Wörterbuch. Leipzig 1860. Nachdruck München 1984. Bd. 2. Sp. 1704. Daß der Eulenspiegel für Bote »noch kein harmloser Spaßmacher oder Weltweiser war«, läßt sich letztlich auch im Gebrauch des Begriffs Schalk festmachen: >Schalk< meint zu Botes Zeiten keinen harmlosen Possenreißer. [...] Das Wort Schalk erlebt einen Bedeutungswandel, der vom boshaften, ungetreuen Menschen zum losen, heiteren, streichspielenden Menschen reicht.«, Bollenbeck, S. 52f. Zahlreiche Beispiele für den negativen Akzent bei Grimm, Bd. 14, Sp. 2067ff. Allerdings hat Schnell zu bedenken gegeben, daß >Schalk< in den Schwankromanen »eine von anderen literarischen Gattungen abweichende Konnotation zuwachsen« kann, S. 178. Bollenbeck hat diesen Hinweis auf seine sozialgeschichtliche Bedeutung hin untersucht und darin eine Bestätigung seiner These gefunden, daß Eulenspiegel als Landfahrer zum entstehenden Vorproletariat zähle, da sich die spätmittelalterlichen Bettlerscharen zu einem großen Teil aus der besitzlosen Landbevölkerung rekrutierten, S. 77f. Dazu auch Wiswe, S. 64.

155 taktischen Abwehr von Kritik, wie ihn satirische Literatur innerhalb der Vorreden gerne verwendet, läßt sich als zusätzlicher Hinweis darauf lesen, daß Botes Roman dieser Schreibart zuzurechnen ist und daß der Autor über die reine Unterhaltungsintention hinaus satirische und zeitkritische Absichten verfolgt, von denen er befürchten mußte, daß sie in bestimmten Kreisen auf Ablehnung stoßen. 45 Hierin ist auch der Grund zu sehen, warum Bote diesen Roman, ebenso wie andere seiner Schriften, 46 anonym erscheinen läßt. Seien es Dummheit und Sündhaftigkeit 4 7 die »Mißstände seiner Zeit und die allgemeinen menschlichen Schwächen«, 48 seien es die »Obrigkeit und die ständische Beengung«, 49 das Gebaren der Handwerker und Zunftmeister und die Gefährdung der Ständehierarchie, 50 der »kalte Geist der Ware-Geld-Beziehungen« 51 oder die bürgerliche Arbeitsmoral 52 - was Bote angreift und kritisiert, geht aus der Vorrede nicht ausdrücklich hervor. Doch können seine Äußerungen die aufgrund der Textkenntnis gewonnene Überzeugung bestätigen, daß Bote nicht allein (legitimierte) Unterhaltungsliteratur produzieren, sondern in Form des Schwankromans und illustriert an einem Negativhelden Stellung beziehen wollte in einer sozialen und gesellschaftlichen Umbruchsituation. Gerade deshalb bemüht er sich, den Verdacht zu zerstreuen, er habe etwas (in welcher Hinsicht auch immer) Anstoßerregendes geschrieben. Ähnlich wie den Schwanksammlern der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts geht es ihm darum, die Rezipienten zu beruhigen und ein breites Publikum für sein Werk empfänglich zu machen. 5 3 Das Zwiespältige des Schwankromans, das was Röcke die Zuwendung zur Welt mit all ihren >mala< genannt hat, die Auseinandersetzung mit dem Negativhelden wird bei Bote, anders als beim Stricker oder Georg Hayden, konsequent aus der Vorrede ausgeklammert. Hinsichtlich eines anderen Themas hat die Vorrede in der Forschung viel Aufmerksamkeit erfahren, denn lange Zeit bestand nicht nur Unklarheit über

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Daß Bote mit seinen Bedenken recht hatte, beweist eine Reihe zeitgenössischer Zeugnisse, die immer dann, wenn es um Kritik an derber, unzüchtiger Literatur geht, auf den Ulenspiegel als Beispiel verweisen. So auch Wolfgang Bütner in der Vorrede zum Claus Narr s. unten, S. 163. Weitere Beispiele bei Bollenbeck, S. 199ff. Dat schichtboick; Dat boek van veleme rade; De Koker, außerdem zwei Weltchroniken, ein Wappenbuch und mehrere Spott- und Streitgedichte. So Peter Honegger, Ulenspiegel. Neumünster 1973. S.129f. und ders., Eulenspiegel und die sieben Todsünden. In: Niederdeutsches Wort 15 (1975), S. 19-35. Siegfried S. Sichtermann, Hermann Bote. Till Eulenspiegel. Frankfurt 1981. Einleitung, S. 13. Ingeborg Spriewald, Vom Eulenspiegel zum Simplizissimus. Zur Genesis des Realismus in den Anfängen der deutschen Prosaerzählung. Berlin 1974. S. 82. Bollenbeck, S. 53. Wolfgang Fritz Haug, Die Einübung frühbürgerlicher Verkehrsformen bei Eulenspiegel. In: Eulenspiegel-Interpretationen, S. 201-224. Dieter Richter, Till Eulenspiegel: der asoziale Held und die Erzieher. In: Ästhetik und Kommunikation, 27 (1977), S. 36-53. In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß der Ulenspiegel dennoch 1570 in Antwerpen auf einer Liste verbotener Bücher erscheint. Vgl. Honegger (1973), S. 57.

156 die Interpretation des Ulenspiegel, sondern auch über Verfasser und Entstehungsgeschichte des Werkes. Erst nachdem Peter Honegger 1969 im Einband einer lateinischen Reinecke-Fuchs-Ausgabe von 1580 ein Exemplar eines Drucks von 1510/11 54 entdeckte und außerdem in den Kapitelanfängen 90-95 das Namensakrostichon (H)ERMAN BOTE festmachen konnte, fanden die Spekulationen (auch über eine mögliche niederdeutsche >Urfassunggeleret< >ungeleret< geworden, wie es im Kontext f ü r wahrscheinlicher zu halten ist. Bote v e r f ü g t e vermutlich über bescheidene Lateinkenntnisse, wie einige lateinische Ausdrücke in seinem Werk belegen; eine Universitätsausbildung hatte er nicht. In anderen Drucken des 1 6 J h . s wird die Zahl 1483 genannt, z.B. in der Straßburger Ausgabe von 1531. Später tauchen auch noch ganz andere Daten auf. Vgl. Flood (1973), S. 152. Die Vorrede ist überliefert in der zweiten A u s g a b e des Wigoleis v o m Rade, 1519 bei Johann Knobloch in Straßburg erschienen. Es ist aber a n z u n e h m e n , daß sie bereits im Druck von 1493 und im Manuskript von 1483 enthalten war, d.h. älter ist als Botes Text. Zit. nach Flood (1973), S. 154.

157 Bei Bote lautet der Beginn: Als man zalt von Crist geburt .M.CCCCC. bin ich .N. durch etlich personen gebetten worden / daz ich dise hystorien und geschichten in zu lieb sol zesamen bringen und beschreiben [...] für solich mein müe und arbeit / wolten sie mir eer gunst hoch erbieten.

Im folgenden finden sich weitere Parallelstellen, 60 die alle die Entstehung des Romans und die Selbstdarstellung des Autors betreffen. Auch die Ausführungen über den Stil und die mangelnden Lateinkenntnisse des Verfassers (s.o.) sind der Wigalois- Vorrede entlehnt. Bote greift damit für diesen Bestandteil der Vorrede auf ein Muster zurück, das einem Text ganz anderer Art vorangestellt ist. Die vorgegebenen >Rahmenbedingungen< der Werkentstehung - Anonymität des Autors, zögernde Erfüllung der Bitte hochgestellter Persönlichkeiten, Bescheidenheitstopoi - sind nicht mit der Gattung oder dem spezifischen Inhalt der Erzählung verknüpft. Sie sind so allgemein gehalten, daß sie vor vielen weiteren Texten der Zeit stehen könnten, und gehören zum topischen Bestand der Vorredenliteratur. Was verblüfft, ist das direkte, wörtliche >Abschreiben< Botes, denn solch eine fingierte Entstehunggeschichte hätte er wohl auch selbst erfinden können. Auf jeden Fall ist es ihm gelungen, sich 450 Jahre lang hinter dieser Fiktion zu verstecken, und das scheint sein vordringliches Anliegen gewesen zu sein. Der biographische Wert der Aussagen ist demzufolge relativ gering. 61 Ähnliches trifft für die Gattungsbeschreibung des Textes innerhalb der Vorrede zu. Wenn Bote in diesem Zusammenhang von hystorien und geschichten spricht, die sein Werk enthalte, so bewegt er sich damit im Rahmen einer üblichen Terminologie. Bollenbeck hat das als Hinweis auf »den Übergang von historischer Realität zur literarischen Fiktion« gelesen. 62 Doch verhält es sich so, daß in fast allen Schwanksammlungen die Schwänke auch als Historien bezeichnet werden, z.B. bei Jörg Wickram: Das Rollwagenbüchlein. Ein neüwes, vor unerhörtes Buechlein darinn vil guter schwenk und Historien begriffen. Diese Aussage läßt keine Rückschlüsse auf einen beanspruchten Wahrheitsgehalt zu, denn >Historie< meint im 16. Jahrhundert nicht mehr nur >Darstellung gesichtlicher FaktenTeil einer größeren Erzähleinheit< oder als >Erzählung< schlechthin verstanden. 63 Die Formel hystorien und geschichten ist hier ergänzend, nicht antithetisch zu sehen. Auffällig ist dagegen, daß Bote im Gegensatz zu den Autoren späterer Schwankromane darauf verzichtet, die Historizität seines Stoffes zu betonen und Quellen oder Beglaubigungen für

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Ebd. nachgewiesen S. 155f. Von daher ist Bollenbecks Ansatz, die Vorrede wörtlich zu nehmen und ihr eigenständigen Aussagewert zuzuschreiben, problematisch, vgl. S. 34. Ebd., S. 59. Auch die später erscheinenden Schwankromane um Peter Lewen und Claus Narr werden als >Historien< bezeichnet.

158 die Erzählung anzuführen, obwohl er keinen Zweifel daran läßt, daß er, Zollschreiber und später auch Verfasser von Chroniken, 64 mit dem Eulenspiegel keinen Schwankhelden erfunden habe: sein Auftrag bestand im zesamen bringen und beschreiben der Schwänke um Eulenspiegel, der vor Zeiten gelebt habe. Abschließend kommt Bote nochmals auf seine Intentionen zurück. Dabei verdeutlicht er nicht nur das, was er über die Unterhaltungsfunktion seines Textes bereits gesagt hat, sondern veranschaulicht und konkretisiert es, indem er eine Rezeptionssituation vorschlägt: und dienet dise meine geschrifft aller best zu lesen (uff dz der gots dienst nitt verhindert werd) so sich die müß under den bencken beissen unnd die stund kurtz werden unnd so die braten bim wol schmecken bei dem nuwen wein. 65

Mit dieser konkreten Beschreibung einer möglichen Rezeptionssituation, die als Werbung für das Buch und als Einstimmung auf die Lektüre zu verstehen ist, wird von Bote der Topos vorgegeben, der zu einem wesentlichen Element der Vorreden von Schwanksammlungen 6 6 wie Wickrams Rollwagenbüchlein, Freys Gartengesellschaft, Montanus Wegkürtzer (in diesen drei Fällen sogar titelgebend) u.a. geworden ist. Es sei an Valentin Schuman erinnert, bei dem es heißt: auch so seind darunder vierzehen gutter bossen unnd kurtzweyliger schwenck, die man mage offt lesen zu aller zeyt auff Strassen und kolatzen, zu mittag nach dem essen [...] oder dem nachtessen, bey guter geselschafft zum undertrunck oder spatziren gehn. 67

Bote unterstreicht mit diesem Hinweis den Unterhaltungscharakter des Ulenspiegel, der sich vornehmlich dafür eignet, in den gemütlichen (herbstlichen) Abendstunden gelesen zu werden. Zugleich betont er, daß er nicht mit geistlicher Literatur in Konkurrenz treten oder die Menschen vom Gottesdienst abhalten möchte, und baut auch in diesem Zusammenhang möglicher Kritik vor. Die Legitimation der Unterhaltungsfunktion weltlicher Literatur erfolgt hier über eine zeitliche >NischeVorgänger< Eulenspiegels, indem er darauf hinweist, daß er »etliche fabulen des pfaff Amis / und des pfaffen von dem Kalenberg« hinzugefügt habe. Dabei handelt es sich um die Histo-

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Dat schichtboick, eine Chronik sozialer Auseinandersetzungen der Stadt Braunschweig zwischen 1292 und 1514. Bote, S. 8. Siehe oben, S. 124f. Valentin Schumann, Nachtbüchlein II, S. 171.

159 rien 17, 27, 28, 29, 31 68 sowie 14 und 23. 6 9 Allerdings ist die Behauptung, er habe die Schwänke >zugelegt«, insofern irreführend, als keine Schwanke über Amis oder den Kalenberger erzählt werden, sondern der Autor einzelne Episoden aus diesen beiden Schwankzyklen entlehnt und auf Eulenspiegel überträgt. Dieses für den Schwankroman typische, kompilierende Vorgehen seiner Autoren wird in der Vorrede nicht durchsichtig gemacht. Möglicherweise aber werden die Rezipienten, durch die Ankündigung aufmerksam geworden, die gemeinten Schwänke erkannt haben. Der Rückgriff auf bekannte Schwankmotive hat in der Forschung bei Überlegungen zur (vorgegebenen) Historizität Eulenspiegels eine entscheidende Rolle gespielt. Doch wie bereits festgestellt, verzichtet Bote selbst darauf, die Glaubwürdigkeit seines Stoffes besonders herauszustellen. Durch den Verweis auf literarische Quellen nimmt er diesen Anspruch noch deutlicher zurück. Die Vorrede zum Ulenspiegel leistet demnach insgesamt wenig für das Verständnis des Textes, weil sie sich mit diesem konkret kaum auseinandersetzt. Sie kann aber Aufschluß geben über das Verhältnis des Autors zum Werk, und sie läßt immerhin diffuse Rückschlüsse über seine Intentionen zu. Daß die Vorrede »nur eine Finte« und »nicht als bare Münze« zu nehmen sei, 70 mag richtig sein - für die Forschung ist sie deswegen nicht weniger interessant. 1532 erscheint in Erfurt eine Ausgabe des Ulenspiegel unter dem Titel Von Ulenspiegel eins bauern sun des lands Braunschweick / wie er sein leben vollbracht hat / gar mit seltzamen Sachen.11 Der Herausgeber ersetzt hier die Originalvorrede Botes durch einen ebenfalls anonym verfassten 72 eigenen Text, der dem Leser suggeriert, er stamme vom Autor des Romans: »Welch geschichten ich / so und nach dem etlich / die mich derwegen gebeten [...] zu Samen gezogen und gepracht«. Allerdings verzichtet der Herausgeber, im Gegensatz zu Bote, auf weitere Angaben zu seiner Person oder zur Entstehungsgeschichte des Werkes. In den Mittelpunkt seiner Überlegungen rückt er die Legitimation der unterhaltenden Schwankliteratur, wie sie aus den Vorreden der Schwanksammlungen hinlänglich bekannt ist: -

Schwankliteratur als Möglichkeit, in gebürlicher weis das berechtigte Bedürfnis nach Unterhaltung in froelichen versamlungen zu befriedigen und Schwankliteratur als Melancholievertreiberin: nicht allein darumb gebraucht / das dadurch freundschafft / gutwilligkeit odder ein messig gelechter / bey den Zuhörern erweckt würde / sondern viel mehr / so auch zu offtermalen solch und der gleichen freundlich geschwenck / langwirig traurikeiten / ernstlich / neydisch Sachen / und andere Unwillen / mildern / und gar hinwegk nemen.

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In Anlehnung an den Stricker: Krankenheilung, das unsichtbare Bild, die Weisheitsproben und der Reliquienbetrug. Ankündigung des Fliegens und die goldenen Hufnägel. Flood (1973), S. 164. Exemplar der Bayrischen Staatsbibliothek 4 Rar. 1641, fol. Iv (ungez.). D i e Tatsache, daß der Ulenspiegel anonym erschien, dürfte die Entscheidung für eine neue Vorrede erleichtert haben.

160 Wie dieser Anspruch im vorliegenden Werk konkret eingelöst werden soll, reflektiert der Autor nicht. Er argumentiert außerdem - ebenfalls ohne Anbindung an das Werk - mit dem Topos, daß auch in unterhaltender Weise emsthafte Dinge abgehandelt werden könnten, und wehrt sich gegen eine rein formal vorgenommene kategorische Abgrenzung von ernster (gelehrter oder didaktischer) und unterhaltender Literatur. Worauf es seiner Meinung nach ankommt, ist nicht Gattung oder Stoff, sondern die meinung, d.h. der Gehalt eines Werkes. Weil und auch aus allen gebürlichen geschwencken und fabeln / ernste meinungen gezogen und verstanden werden / und nicht ferner underschiden sein / dann das ernstlich Sachen / weislich und tapffer / und die geschwenck lecherlich gehandelt werden.

Es handelt sich hierbei um die typische Vorrede zu einer Schwanksammlung, die dem Rezipienten das Werk unter dem Aspekt legitimierter Unterhaltungsliteratur< empfehlen will. Auf den Eulenspiegel direkt geht der Verfasser nur im ersten Satz ein, in dem er ihn als Protagonisten vorstellt: als ein listiger und durchtribner abenthewrer Ulenspiegel / Geborn ym Braunschweigischen Herzogthumb / der in Teutschen und Welschen landen vor herrn und gemeinem volck / seltzam und schalckslustig possen und abentheur vollbracht hat.

Eulenspiegel erscheint, plastischer als bei Bote, als Abenteurer und Possenreißer. Eine wertende Auseinandersetzung mit dem Schwankhelden findet nicht statt. Die topische, weitgehend auf Formeln reduzierte Vorrede läßt es nicht angezeigt erscheinen, sie als ein reflekierendes Rezeptionszeugnis des Ulenspiegel zu interpretieren. Botes Roman ist verallgemeinernd unter die verbreitete Gattung der Schwankliteratur subsumiert. Ähnliches ist für die Ulenspiegel-Ausgabe aus Straßburg 1551 73 zu konstatieren. Auch hier stellt der Herausgeber dem Werk eine eigene, wesentlich verkürzte Vorrede voran, die sich als anonyme >Verfasser-Vorrede< ausgibt. Sie lehnt sich im ersten Satz - mit Ausnahme der Jahreszahl - eng an Bote an: Da man zalt nach der geburt Christi M.CCCC.lxxxiii. Bin ich durch ettlich Personen unnd gute günner gebetten worden / die Historien und seltzame Schalks listige bossen Tyll Ulenspiegels eines Bawren Son / zusammen bringen / und zu beschreiben / welchs ich nicht wol füglich hab künnen abschlagen.

Im Anschluß daran werden sogleich die Intentionen, die der Herausgeber mit dem Werk verfolgt, genannt. Wieder geht es um die Vertreibung von »Trawrigkeyt / Krankheit / Haß und Neid«. Darüberhinaus aber auch um Didaktik und Warnung: allein das bös zuvermeiden lerne / auch sich vor listigen menschen dest baß künn hüten. Dann yetzt leyder sunst alle Welt untrew unnd bosheyt voll ist. 73

Seltsame unnd Wunderbarliche Historien Tyll Ulenspiegels, Exemplar der Landes- und Hochschulbibliothek. Darmstadt 31/350, fol. Iv (ungez.).

161 In kürzester Form wird so die Funktion von Negativexempeln beschrieben, die dem Leser als abschreckende Beispiele dienen sollen. Ohne daß es in der Vorrede näher ausgeführt wird, kann man davon ausgehen, daß die Untugenden >ListBosheit< auf den Eulenspiegel bezogen werden. D.h. die Vorrede zeigt unzweifelhaft, daß der Herausgeber sich in Übereinstimmung mit einer bestimmten Richtung der Eulenspiegelrezeption für eine Lesart des Romans entschieden hat, die abweichend von Botes offener Haltung den Eulenspiegel als Negativfigur versteht und dem Text eine entsprechende didaktische Intention unterstellt: das Lehren durch abschreckende Beispiele. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß sich beide Herausgeber-Vorreden zu späteren Ulenspiegel-Ausgaben weitgehend literarischer Topoi bedienen und darauf abzielen, das Werk dem Rezipienten zu empfehlen. Zu diesem Zweck greifen die Verfasser auf bekannte Muster der Legitimation von Schwank- und Unterhaltungsliteratur zurück, ohne sich auf detaillierte Ausführungen einzulassen. Die Vorreden dokumentieren, daß die Herausgeber von einem bestimmten Textverständnis und Eulenspiegel-Bild ausgehen, aber sie sind nicht in der Absicht einer >Textinterpretation< abgefaßt. Sie ersetzen die Orginalvorrede, um knapper und präziser, als Bote es getan hat, publikumswirksam in das Werk einzuführen, und bieten einen weiteren Beleg dafür, mit welchen Mitteln in der Mitte des 16. Jahrhunderts Unterhaltungsliteratur legitimiert wird. Weil sie vor allem auf diese Funktion hin konzipiert sind, können sie darüber hinaus nur bedingt als Rezeptionszeugnis speziell des Eulenspiegel-Textes gelesen werden.

6.6. Peter Lewen Mit der Histori Peter Lewen des andern Kalenbergers, was er für seltzame abenthewr für gehabt und begangen, in Reimen verfaßt15 versucht Achilles Jason Widmann an den Erfolg von Philipp Frankfurters Geschieht des Pfarrers vom Kalenberg anzuknüpfen, obwohl nur geringe Ähnlichkeiten zwischen den Protagonisten vorhanden sind. In der Vorrede, die wie die Schwänke in gereimter Fassung vorliegt, erwähnt Widmann den Kalenberger als den pfaff on meß, dessen Lebensgeschichte vor einiger Zeit zur ergetzlichkeit der Leser erschienen sei, nur knapp. Er geht im folgenden weder auf diesen Vorgänger noch auf den Inhalt seines eigenen Werkes näher ein. Alles, was der Rezipient im Prolog erfährt, ist, daß der Roman von Peter Lewens Leben handeln wird. Eine Cha-

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Daß >List< hier kompromißlos negativ gesehen wird, geht deutlich aus dem Kontext hervor. Histori Peter Lewen des andern Kalenbergers, was er für seltzame abenthewr für gehabt und begangen, in Reimen verfaßt durch Achilles Jason Widmann [gedruckt zwischen 1557 und 1559), hg. von Bobertag, Narrenbuch, S. 87-140.

162 rakteristik des Helden wird nicht gegeben. Ebenfalls nur kurz beschreibt Widmann die Entstehung des Werkes und beansprucht Historizität für die Erzählung, indem er als seine Quelle die Berichte von Zeitgenossen Lewens nennt. Worauf es Widman in der Vorrede hauptsächlich ankommt, ist, das Buch dem Leser als >gute< Unterhaltung zu empfehlen, an der keiner Anstoß nehmen könne: 39

H i e m i t wil ich nit andast h a n n o c h sonst verkleinern k e i n e n m a n n an seinen ehren u n d g e l i m p f , sondern gemacht haben umb schimpf, den lesern zu ergetzlichkeit.

Schimpf ist hier im Sinne von >Scherz< zu lesen. 76 »Die >Freude am Bösen< wird zur Freude an Scherz und Unterhaltung, die Bosheit des Schalks zum harmlosen Ulk des Spaßmachers.« 77 In der Tat verzeichnet dieser Schwankroman im Vergleich zum Pfaffen Amis oder Ulenspiegel relativ harmlose Streiche, die niemandes Ärgernis erregt haben werden: »Das charakteristische Bild der früheren Schwankhelden: ihre List, ihre Rücksichtslosigkeit und >RoheitWürzen< der Didaxe mit Unterhaltungselementen anspielt, liegt im Bereich des Möglichen, scheint aber eher unwahrscheinlich. Von zentraler Bedeutung ist der Unterhaltungswert, dem das Werk in angemessener Weise genügen soll. Die Vorrede zielt darauf ab, dem Rezipienten das Werk unter diesem Aspekt genehm zu machen. Dabei ist fest-

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Vgl. J o h a n n e s Pauli, S c h i m p f u n d Ernst. R ö c k e , S. 193. Ebd., S. 31.

163 zuhalten, daß sich in diesem Fall - anders als beim Ulenspiegel - Vorrede und Werk in ihren Ansprüchen im wesentlichen decken.

6.7. Claus Narr 1572 erscheint in Eisleben die Erstausgabe der Historien von Claus Narr, zu der sich ihr Verfasser, der Geistliche Wolfgang Bütner, 79 nur in verschlüsselter Form bekennt. Wie Hermann Bote versteckt er sich hinter einem Akrostichon, und nur in der in Reimpaarversen verfaßten Oratio Authoris, die sich an die Schwänke als >Nachwort< anschließt, kann man lesen: MAGISTER VOLFGANG BUTTNER PFRRER [sie] ZU VOLFERSTET. Offenbar scheute der Pfarrer sich, mit diesen >Narrengeschichten< an die Öffentlichkeit zu treten. 80 Von diesen Bedenken bzw. dem Bestreben, sie zu zerstreuen und das Werk dem Leser zu empfehlen zeugt durchgängig auch die Vorrede des Werkes. Bütner greift zu diesem Zweck auf ein Mittel zurück, das für die frühen Schwankromane noch völlig undenkbar gewesen wäre: die äußerst positive Charakteristik und publikumswirksame Präsentation des Schwankhelden. Das Bild, das der Autor vom Schwankhelden entwirft, hat sich hier grundsätzlich verändert. Claus Narr ist nicht mehr die ambivalente Gestalt, zu der der Autor eine zwiespältige Haltung einnimmt und an der er Werte und gesellschaftliche Normen diskutiert, sondern ein harmloser Possenreißer und Hofnarr, dessen Anekdoten Anlaß zu moralischer Belehrung bieten. Stärker noch als im Werk, das ein typischer Schwankroman bleibt und in welchem Claus Narr durchaus negative Züge trägt, kommt die >Verklärung< des Schwankhelden in der Vorrede zum Ausdruck. Diese will dem Leser ein angeblich moralisch und didaktisch wertvolles Werk vorstellen und verleugnet damit das, was wir gemeinhin als das Wesen des Schwankromans begreifen. Wenn wir heute Claus Narr und Ulenspiegel unter eine Gattung subsumieren, befinden wir uns in deutlichem Widerspruch zu dem, was Bütner selbst als den Gehalt seines Werkes anpries. Wie viele der Schwankautoren grenzt er sich scharf von anderer Schwankliteratur ab: »unzüchtige Eulenspiegelen leperrey« und andere Schandgedichte / das ist schnöde leserey und Sündenbücher / die dem Teuffei ruffen / und Unzucht suchen« weist er zurück. 81 Daß es ihm damit ernst ist, beweist die Gewichtung innerhalb des Romans: den kurzen, anekdotenhaft erzählten Begebenheiten, die teilweise kaum die Bezeichnung >Schwank< verdienen, folgen ausführliche (Vers-) Epimythien, in denen eine Lehre oder Moral verkündet wird und die überschrieben sind mit: Was lehrt dich das?, Morale oder Lerne. Auch hält

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Verfasser mehrere geistlicher Werke, s. oben, S. 16. Dazu Heinz-Günther Schmitz, Wolfgang Büttners Volksbuch von Claus Narr. Hildesheim 1990. S. 23ff. Zit. nach der Ausgabe der HAB Lo 912.2, fol. Vv.

164 Bütner sich im Vergleich zu anderen Schwankautoren mit Derbheiten und Obszönitäten zurück. 82 Die Vorrede leitet Bütner ein, indem er auf die besonders engen Verbindungen zwischen Claus Narr und dem Adel hinweist. Allein um die Aussage zu machen, daß Claus Narr bei Hof gelebt habe, gehalten und genehret worden sei, verwendet er in einem einzigen Satz viermal die Konstruktion Chur und Fürstlich, dazu diverse andere Adelstitel und überschüttet den Leser geradezu mit einer Aufzählung von Adelsprädikaten. Von dieser hochlöblichen Gesellschaft wurde der Protagonist sehr geschätzt, »sein wort und werck in betrachtung genommen«. Auch habe sie »den guten Menschen lieb gehabt / und thewer geachtet«. 83 Diese »Adlichen / Wirdigen / Erbarn / Ersamen / und Namhafften / im Herrn / seligen Manns und Weibs Personen / die Clausen wol gekennet haben«, haben dem Verfasser auch die Geschichten berichtet, die er hier in Ersamer Collation vorlegt. Das heißt, Bütner legitimiert seinen Helden ausdrücklich durch dessen Reputation und zugleich seine eigene Erzählung über die Quelle, auf die er zurückgreifen kann. Von Claus Narrs Charakter und seinen Fähigkeiten als Hofnarr weiß er ebenfalls nur Gutes zu berichten: daß anderer Nationen / frembder Königreiche und Fürstenthume / angekleidete Hofethoren ihme nicht zuvergleichen / unnd also seine zuchtreine wort / und frewdmachende rede / die zum schimpffe / und zu keinem ernste gedeien / noch reichen / nit sollen hingeworffen / Sondern mit verwunderunge gelesen / und zu allem guten zugebrauchen / auffgefangen / und bewaret / Und keinem Menschen sollen zu unglimpffe gedeutet / sondern zu ehren / und zu allem guten verstanden werden. 84

Es wird von Anfang an sehr deutlich, daß der Verfasser bemüht ist klarzustellen, daß es sich bei seinem Roman um ehrbares, anständiges, nicht-derbes Erzählgut handelt, das der Überlieferung wert sei und das zu »manchfeltiger Christlicher und Bürgerlicher [also geistlicher und weltlicher] lehre« angeführt werden könne. Auch in der Publikumsanrede und >Bitte um freundliche Aufnahme< stellt er eine Verbindung zwischen den potentiellen Rezipienten und den Fürstlichen Heusern her, um sein Werk nochmals von dieser Seite her aufzuwerten: Gottesfürchtige / unnd alle / die den Chur und Fürstlichen Heusern zu Sachsen [...] gut lob / ehr / und rhum gönnen / unnd solchs auß Pflichtigen trewen helffen mehren und fördern / werden meine angewendte / und hertz fleissige mühe zum besten deuten / außlegen / entschuldigen / und vertheidigen. 85

Das Lob des frommen, in ganz Deutschland bekannt gewordenen Claus Narr, dessen Worte und Taten »nur frewde erwecket und gelechter gestifftet hätten

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Vgl. Schmitz (1990), S. 40 Bütner, fol. Hr. Ebd., fol.IIIr. Ebd., fol. IIIv.

165 und sogar zu üblichen guten Deutschen Sprichwörtern gerathen«, 86 nimmt noch weiteren Raum innerhalb der Vorrede ein. Bedenkt man, daß die Sprichwörter als Zeugnis bewährter Weisheit aus dem Volk verstanden wurden, wird der Hinweis auf Claus Narr als >Sprichwortstifter< zum Ausdruck besonderer Wertschätzung. 87 Das Interesse, das Bütner mit diesen Aussagen zum Lob des Protagonisten verfolgt, ist durchsichtig: sie zielen konsequent darauf ab, die biographische mit der literarischen Ebene zu vermischen. Der Autor erwartet, daß das Lob, das dem Protagonisten zuteil wird, auf das Werk zurückfällt, weil es dessen Leben dokumentiert. Welche Absichten er mit der Wiedergabe der Geschichten des Hofnarren verfolgt, legt Bütner folgendermaßen dar: Dieweil seine wort und Sententien / zu keinem fürwitz anreitzen / Aber vielleicht fertige unzucht / bey Zechen und Zutrinken / auffhalten und demmen / und damit zu ehrlicher Collation frewde / und schimpfflichem gelechtere / manch trawrig gemüt auffmuntern / und mehr fröhlich machen / denn das mans mit Bret und Kartenspielen erweckte / und anfechtende trawrigkeit sedirte / und senfftete. 8 8

Zu diesem Zweck greift er auf die bekannten Topoi von der Bereitstellung guter Unterhaltungliteratur als Alternative zu schädlichem Zeitvertreib und auf den Anspruch der Melancholievertreibung, wie viele der Schwankerzähler sie versprechen, zurück. Aber er verweist bereits in der Vorrede auch auf das, was er später im Werk - in Form der angehängten Epimythien - praktizieren wird, nämlich die pädagogische Auswertung der Schwänke. »Nicht die Erzählungen selbst, sondern der moralische Sinn, den zu formulieren sie die Möglichkeit bieten, machen den eigentlichen Inhalt von Bütners >Historia< aus.« 89 Was kurtzweiliger schimpfferey / an diesen säubern / und reinen Clausen Worten / und wie alles Christlich und Bürgerlich zugebrauchen / und zuverstehen / werden die zugefügten Reime / vornembst theils / nach der Aetica und Tugendlehre gesetzt / gründlich entwerffen / und fromme Biderleute zu Christlichem nachsinnen bewegen und gewinnen. 9 0

Grundtenor dieser Didaxe ist das Eintreten für die lutherische Lehre, die Propagierung bürgerlicher Tugenden wie Zucht, Ordnung und die Anerkennung der Obrigkeit. Beispielsweise: Wenn jeder thut was im gebürt Der hat sein Wandel recht geführt.

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Ebd., fol. Vr. In der Tat wird Claus Narr nicht nur bei Bebel, Luther, Kirchhof sondern auch bei Johannes Agricola in den Sprichwörterauslegungen erwähnt. Dazu Franz von Schnorr-Carolsfeld, Über Claus Narr und M. Wolfgang Büttner. In: Archiv für Litteraturgeschichte 6 (1876), S. 277-328. Vergleiche die Ausführungen zu den Vorreden der Sprichwörtersammlungen. Bütner, fol. Vv. Röcke, S. 255. Bütner, fol. V.

166 Wie uns der Genßhirt Claus probiert Und jedem sein Stand nachgehn lehrt. 9 '

Für den Exempelcharakter der Schwänke ist es von Bedeutung, daß Bütner die Historizität des beschriebenen Geschehens betont: 92 und auff mein gewissen bethewre / das / was ich schreibe / außgenommen / etliche und wenig Pößlein / die am rande mit Buchstaben verzeichnet / war ist und warhafftig. 93

Zwar sei er, wie er dem Leser versichert, nicht Zeitgenosse des Geschehens gewesen und daher auf Berichte anderer angewiesen, 94 doch handele es sich bei seinen >Gewährsleuten< um Autoritäten, »ehrsame und berühmte Leute«, denen er die Schwänke »redlich / und one falsch nachgeschriben« habe. Anspruch auf Vollständigkeit für das Werk erhebt er nicht und unterstreicht, indem er jedem (Chur und Fürstlichen Diener) zutraut, es zu ergänzen und zu verbessern, die Popularität des Protagonisten. Allerdings ist an die Ergänzung die Bedingung geknüpft, daß Claus nicht verunglimpft und seiner Integrität kein Abbruch getan werde: daß ihm keine unzüchtige wort / noch streffliche werk nachgesagt / auch nicht nachgeschrieben / weil kein Mensch / in wirdigem oder nidrigem Stande / jemals ein wort oder factum, dem Clausen abgemerket / das in Fürstlichen Gemachen / und Durchleuchtigen ehren Frawen Zimmern / dem guten Menschen mit glimpff und ehre nicht möchte nachgeredt / und wie gedacht / schwermütige trawrigkeit / damit zu wenden / recitieret / und wol gemeldet werden. 95

Abschließend wird nochmals dezidiert darauf hingewiesen, daß das Werk als nicht-anstößige Unterhaltung für die gehobenen Stände zu werten sei. Legitimation des Stoffes durch die persönliche Würdigung des Schwankhelden, eines Hofnarren, der tendenziell als >Weiser< geschildert ist, Hinweise auf den Nutzen des Werkes und strikte Leugnung aller grobianischen Elemente, einschließlich einer Distanzierung von anderer Schwankliteratur sind die inhaltlichen Schwerpunkte von Bütners Vorrede. Besonders auffällig ist die durchgängige Fixierung auf ein adliges Publikum und der Anstrich von Gelehrsamkeit, den sich diese Vorrede durch die Verwendung einer Reihe von lateinischen Begriffen gibt. Die Funktionalisierung des Schwankromans als didaktische Gattung, wie Bütner sie vornimmt und wie sie für den Schwankroman des ausgehenden 16. Jahrhunderts typisch wird, manifestiert sich in der Vorrede zur Historie von Claus Narr aufs deutlichste.

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>Lehre< der ersten Historie, fol. A. Zum Verhältnis von Historizität und Exempelhaftigkeit s. oben, S. 26ff. Bütner, fol. VIv (ungez.). Tatsächlich hat Bütner die Lebenszeit des historischen Claus Narr, der 1515 gestorben sein soll, näher an seine eigene Gegenwart herangerückt, um die Faktizität der beschriebenen Anekdoten plausibler zu machen. Zum historischen Claus Narr vgl. Schnorr von Carolsfeld, S.277ff. Bütner, VIv (ungez.).

167 Der Vorrede schließt sich ein weiterer Vorspann an, der in lateinischer Sprache verfaßt und an den gebildeten Leser< gerichtet ist. Darin versucht Bütner nochmals sich vor befürchteter Kritik, vor allem von Seiten der Theologen, zu schützen und wiederholt das Argument, daß der Verständige aus allem lernen könne und man sich daher auch die Geschichten des törichten Narren zu Nutze machen solle. Wie bereits erwähnt, beendet Bütner sein Werk mit der Oratio Authoris, einem aus 22 Paarreimen bestehenden Schlußgebet. Ihr folgt der ebenfalls versifizierte Appendix de quatuor peccatis seu stoliditatibus mundi, eine Lasterschelte, die in keinem direkten Zusammenhang mit den Schwankerzählungen steht. »Zusammen mit dem Vorspann bilden sie einen Rahmen, in dem der Verfasser, der Pfarrer Bütner, deutlich zu machen versucht, daß er die Geschichten von Claus Narr in moraltheologischen Zusammenhängen verstanden wissen wollte, ein Verständniszusammenhang, der dem Leser freilich auch durch die den einzelnen Historien folgenden Nutzanwendungen immer wieder in Erinnerung gebracht wird.« 96

6.8. Hans Ciawert Ähnlich wie die Historien von Claus Narr sind auch die Schwänke, die Bartholomäus Krüger unter dem Titel Hans Ciawerts Werckliche Historien 1597 97 herausgegeben hat, nicht nur als Unterhaltungsliteratur, sondern als Moraldidaxe konzipiert. Genau wie dort schließt sich an jeden Schwank ein Morale in Versform an, in welchem dem Leser Ermahnungen und Ratschläge allgemeiner Art gegeben werden, die in lockerer thematischer Verbindung zur Historie stehen. Dabei wird je nach Situation das Verhalten Ciawerts oder das Verhalten der vom ihm Geprellten einer Kritik unterzogen. Krüger funktionalisiert die Figur des Schwankhelden zum einen zur Anprangerung bestimmter Laster, zum anderen, um vor Dummheit, Leichtgläubigkeit oder Aberglaube zu warnen, die von denen verkörpert werden, die auf seine Possen hereinfallen. Insgesamt haben auch die Streiche Ciawerts die Tendenz zu harmlosen Foppereien, die seine Gegenspieler selten emsthaft schädigen. Der Schwankheld stellt längst keine Bedrohung mehr dar, und die Epimythien zeugen davon, daß der Autor weiß, welche moralische Position er zu beziehen hat. Die Versvorrede An den gütigen Leser setzt ein mit dem Lob geistlicher Literatur (V. 1-8), das in eine Legitimation weltlicher Literatur, exemplifiziert an der Chronik, übergeht. 98 Nach Ansicht des Autors haben weltliche Stoffe dann 96 97

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Schmitz (1990), S . 4 5 f . Hg. von Theodor Raehse. Halle 1882 (Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, 33). Nachdruck der ersten Ausgabe von 1587. Ohne daß er ausdrücklich darauf verweist, spielt hier sicherlich Krügers Tätigkeit als Stadtschreiber eine Rolle.

168 ihre Berechtigung, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Gottes Taten dürfen nicht vergessen werden, niemand soll Anstoß daran nehmen können, nichts Unschickliches darf darin verzeichnet sein, und sie müssen einen didaktischen Nutzen nachweisen können (V. 9-26). All das nimmt Krüger für sein Werk in Anspruch, welches zwar von kurzweiligen Dingen handele, dennoch aber zeige, wie man sich in der Welt verhalten solle. In seiner Argumentation greift der Autor auf bekannte Begründungsmuster zurück und beruft sich sowohl auf das aus der Exempelliteratur bekannte Bild vom (Welt)Spiegel als auch auf Aesop und die zum Bildungskanon der Zeit gehörende Fabeltradition. Er möchte den didaktischen Wert, den man der Fabel zugesteht, für seinen Roman reklamieren. 29

Obs gleich nur sind kurtzweilig ding, Ist keins darunder so gering, Das nicht ein Spiegel bey sich het, Daraus man sich beschawen thet: Etzlich wie Aesopi fabeln wert, Die man in allen Schulen lert, Drumb das darinnen wird vermeldt, Wie man sol leben in der weldt.

Wie Bütner beansprucht auch Krüger für den Stoff, den er seiner Geschichte zugrunde legt, Historizität (V. 37^-4). Er beglaubigt sie dadurch, daß ihm und vielen anderen der Protagonist, der aus seiner eigenen Heimatstadt Trebin stammt, bekannt gewesen sei. Von einem dokumentarischen Interesse leitet er auch die Intention seines Schreibens ab: er wolle verhindern, daß Ciawerts Leben in Vergessenheit gerate. Ein kurzer Abriß dieses Lebens, dessen, was den Schwankhelden angeblich so berühmt gemacht habe, soll die Berechtigung der Arbeit innerhalb der Vorrede begründen: 56

B e y g e m e i n e m Volk und großen Herrn, Ward er gehalten in allen ehm. Unds o b er schon war ungelehrt, D o c h alle ding zum besten kert [...]

65

Mit seltzam lecherlichen schwanckn, Vertrieb er manchem böß gedanckn, Macht die Leut frölich jederzeit, Erhielts in fried und einigkeit.

Weitere Lobreden auf den Protagonisten schließen sich an: Ciawert erscheint als guter Unterhalter, als Friedensstifter, der bei allen Ständen, selbst beim Landesfürsten, gerne gesehen war, als bedächtiger und frommer Mensch (V. 6 9 - 9 4 ) . "

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Krüger führt Ciawerts Sterben an, w o er sich tatsächlich Gott anbefiehlt.

169 Nur bedingt wird der Autor damit dem Werk gerecht, denn es kann nicht die Rede davon sein, daß Ciawert überall nur fried und einigkeit verbreiten wollte. Die typischen Elemente des Schwankromans, Übervorteilung, Betrug, Schadenfreude, Obszönitäten, Sprachspiele, sind in den Historien durchgängig enthalten, werden aber in der Vorrede bewußt unterschlagen. Ähnlich wie Bütner präsentiert Krüger einen positiven, vorbildlichen Helden, in der Absicht, dem Leser zu suggerieren, es sei nützlich und gut, diesen zu kennen: 95

Das alles noch zu loben ist, Was an Hans Ciawert gewest. Darumb es keinem schaden kan Zulesen, was er hat gethan.

Dennoch führt das Lob Ciawerts nicht dazu, ihn ausdrücklich als Exempelfigur herauszustellen. Eine didaktische Intention scheint in den Ausführungen mitgedacht, wird jedoch nicht eigens hervorgehoben; die Epimythien bleiben unerwähnt. Im Vordergrund steht das Interesse des Autors, eine bemerkenswerte Persönlichkeit vorzustellen und die Rezipienten in angemessener, legitimierter 100 Form zu unterhalten. Im letzten Teil der Vorrede setzt Krüger rhetorisch-spielerisch das Schwankbuch mit dem Protagonisten gleich und gibt in dieser scherzhaft vermittelten Form dem Rezipienten Hinweise, wie er sich den Umgang mit dem Werk vorstellt: 101

Darumb ich bitt ein jederman, Sie wollen Ciawert lassen gan [...]

in

Und ihn zur herberg nemen ein, Er wird niemandt beschwerlich sein. Wer mit ihm schwatzt, dem wird er sagen, Was ihm begegnt in jungen tagen, Kan seinem wird die zeit vertreiben, S o lang er wird bey jemandt bleiben.

Der Autor bittet um freundliche Aufnahme für sein Werk und um Weiterverbreitung: »Wer sein gnug hat, der bring ihn fort, / Das er auch kom an andre ort.« (V. 117f.) Deutlich steht wieder die Unterhaltungsabsicht im Vordergrund. Von einem erzieherischen Anspruch ist in diesem Zusammenhang überhaupt nicht mehr die Rede - nur davon, daß Ciawert (bzw. das Buch) alles Gute vergilt, das man ihm entgegenbrachte. Wie Bütner greift auch Krüger Topoi der Legitimation weltlicher Literatur auf und integriert sie in seine Vorrede. Dabei handelt es sich allerdings durchweg um einzelne Versatzstücke wie das Weltspiegelmotiv, nicht um eine reflektierte Theorie. Sein Anliegen ist es, das Werk als kurzweilige Unterhal100 V g l

Vers

n_28

170 tungsliteratur vorzustellen, dessen Lektüre lohnend und für ein breites Publikum empfehlenswert sei. Der Protagonist wird von allen seinen negativen Charakterzügen >gereinigtSorgen- und Streitvertreiberideelle Programm< des Schwankromans, nach dem eingangs gefragt wurde. Abhängig davon ist in jedem Fall die Charakteristik des Protagonisten, wie sie explizit oder implizit in allen Vorreden thematisiert ist. Dabei wird der Schwankheld beim Stricker, bei Gregor Hayden und Hermann Bote zu einer Figur, an der der Autor in überspitzter Darstellung neue Verhaltensmuster a u s probiert und zu der er ein zwiespältiges Verhältnis einnimmt, weil für ihn die ethischen Konsequenzen solchen Handelns noch ungeklärt scheinen. Anders in den Romanen von Jason Widmann, Bartholomäus Krüger und Wolfgang Bütner: sie geben den Protagonisten ein weniger deutlich ausgeprägtes Profil; die Streiche erscheinen harmloser und ihre Zielrichtung beliebig. Statt dessen erfahren die einzelnen Schwänke eine wertende Kommentierung, die von Fall zu Fall das Verhalten des Helden oder das seiner Umwelt kritisch hinterfragt. Die didaktische Auswertung bezieht sich ausschließlich auf einzelne, willkürlich

171 den Schwänken entnommene Verhaltensweisen oder Eigenschaften. Aus diesem Grunde kann eine umfassende Charakterisierung des Schwankhelden vernachlässigt werden: er steht nicht mehr insgesamt als Verkörperung eines bestimmten Typus zur Debatte, sondern vereinigt exponierte Verhaltensweisen auf sich. Die Autoren entbinden sich damit von der schwierigen Aufgabe, den Helden auf eine moralische Position hin festzulegen. Vergleicht man nun die Vorreden der Schwankromane, so läßt sich auch hier der Entwicklungsprozeß innerhalb der Gattung nachvollziehen. Eine reflektierende Auseinandersetzung mit Inhalt und Programm des Werks findet man in den ersten Schwankromanen, beim Stricker und bei Hayden. Sie vollzieht sich dergestalt, daß im Prolog zum Pfaffen Amis durch die topische Zeitklage als übergreifendes Thema die zeitgenössiche >Wertediskussion< in den Roman eingebracht wird, während der Autor in Salomon und Markolf konkreter die im Roman exemplifizierten Tugenden list und Weisheit voneinander abgrenzt. In beiden Fällen stellen die Autoren den Protagonisten als Negativhelden vor, obwohl seine Darstellung im Werk selber nicht so eindeutig ausfällt. Sie legen sich jedoch auch nicht darauf fest, ihn eindeutig als grobianisches Negativexempel zu werten. Auf diese Weise machen sie eine Ebene kritischer Distanzierung präsent, die ihnen aufgrund des amoralischen und derb-komischen Inhalts als Legitimation des Romans angezeigt erschienen sein mag. Um Legitimation des >niederen< Stoffes geht es auch in den folgenden Vorreden, doch basiert sie dort zunächst auf einer Verleugnung der betreffenden Inhalte: ausgeprägt beim Kalenberger, wo so gut wie nichts Werkspezifisches ausgesagt wird, konsequent aber auch beim Ulenspiegel. Von allen Autoren mußte Bote das stärkste Interesse daran gehabt haben, über die Vorrede Vorbehalte durch den Rezipienten prophylaktisch zu zerstreuen, denn sein Werk ist mit Abstand das gesellschaftskritischste unter den Schwankromanen. Das führt dazu, daß sich der Autor der Vorrede auf eine bloße Unterhaltungsintention zurückzieht und jegliche darüberhinausweisenden Absichten bestreitet. Der Protagonist erscheint im Vergleich zum Text verharmlost. Damit stellt sich in diesem Zusammenhang das Verhältnis Vorrede - Text tendenziell umgekehrt dar als beim Stricker und bei Hayden. Fünfzig Jahre später bemüht sich Jason Widmann intensiv darum, sein Werk als gute und nützliche Unterhaltungsliteratur herauszustellen. Für ihn besteht ganz offensichtlich keine Notwendigkeit mehr, innerhalb der Vorrede spezifische Probleme des Schwankromans bezüglich der in ihm vertretenen Werte ausdrücklich zu thematisieren. Die Vorreden von Wolfgang Bütner und Bartholomäus Krüger schließlich zielen darauf ab, die didaktischen Absichten des Werkes in den Vordergrund zu rücken. In der Charakteristik des Protagonisten gehen sie insofern noch einen Schritt weiter als ihre Vorgänger, als sie nicht nur seine negativen Eigenschaften verleugnen, sondern ihn sogar zu einem positiven Helden machen, der die Funktion einer Exempelfigur erhalten kann. Auch hier wird der Ansatz des

172 Strickers, der sich vom Schwankhelden distanziert, genau in sein Gegenteil verkehrt. Vor diesem Hintergund nun lassen sich abschließend Überlegungen dazu anstellen, inwiefern die Vorreden zur Interpretation der einzelnen Schwankromane und zu einer Poetik der Gattung insgesamt etwas beitragen können, wobei allerdings zwischen den Prologen (zum Pfaffen Amis und Salomon und Markolf101) und den eigentlichen Vorreden differenziert werden muß. In beiden Prologen geht es um die Konstituierung eines theoretischen Kontexts. Die Autoren stecken einen Rahmen ab, der den Roman als literarischen Exkurs über eine Idee ausweisen soll. Dabei bleibt der konkrete Bezug zum Werk sehr vage, und die Diskrepanz zum Text erlaubt es nicht, aus dem Prolog eine direkte Interpretation des Werkes abzuleiten. Funktion des Prologs ist es vielmehr, die angesprochene reflektierende Ebene im Werk präsent zu machen, ihm quasi einen theoretischen Überbau zu geben und damit dem Rezipienten - ohne feste Vorgaben - einen Hinweis, vor welchem Horizont es zu verstehen sei. Gerade die Rezeptionsgeschichte des Pfaffen Amis, die immer wieder zu Diskussionen über den Prolog geführt hat, beweist aufs anschaulichste, daß der Roman ohne den Prolog grundsätzlich anders gelesen worden wäre. Im Unterschied zu den Prologen handelt es sich bei den Vorreden um eigenständige Textelemente, die formal vom Handlungsteil abgesetzt und inhaltlich unabhängiger sind. Anders als die Prologe sind sie für das Werkverständnis >verzichtbarsittenlosen< Schwankliteratur trifft, eine von der Textwiedergabe losgelöste Funktionalisierung des Protagonisten bei Luther, Mathesius, Melanchthon und anderen protestantischen Theologen oder Humanisten. 1 Eulenspiegel wird zum Negativexempel oder zum >Melancholievertreiberallgemeine< Interesse am Stoff, dem sich nicht nur Caspar Scheidt 24 und Hans Sachs zugewandt hätten, sondern für das auch im Ausland Interesse bestehe. Deswegen habe er, gebeten von Freunden und Gönnern und durch seine Jugend 2 5 prädestiniert dazu, einen weniger ernsten Inhalt zu bearbeiten, den Versuch unternommen, dieses Werk neu herauszubringen. Nach den einleitenden Bemerkungen kommt Fischart zum eigentlichen Thema der Abred, zur Legitimation seiner Arbeit und zur Verteidigung ihres scherzhaften, satirischen und grobianistischen Inhalts. Und nach dem die Welt also gesinnet ist, daß sie keine reuwe, ernst und scherffe mag erdulden, wiewol sie es wol kan verschulden: was soll man dann für andere weiß sie in dem Unrechten zustraffen fürnemmen, dann daß man ir in schimpff auch die warheit sage, unnd inen durch ein Prill oder Spiegel zeige, was sie für ein schalckhafft verschmitztes Jünckerlein seye. 2 6

Was schon im Versprolog angesprochen worden war, wird hier weiter ausgeführt: Eulenspiegel soll allem schalkhaftem und lasterhaftem Tun einen Spiegel vorhalten und die Menschen in scherzhafter Weise zur Selbsterkenntnis und Besserung führen. Um diese Aussagen zu stützen, die, obwohl sie sich topisch durch die Vorreden aller Schwank- und Narrenspiegelliteratur ziehen, immer wieder von neuem begründet werden wollen, beruft er sich auf die Tradition der römischen Satiriker. Aber er verweist auch auf zeitgenössische Praktiken der Schulen und Zünfte. Dieselben Argumente wiederholt er später ausführlicher in der Vorrede zur Geschichtklitterung: Man hat zu allen Zeiten bey allen Nationen solcher art kurtzweiligs Gespött vorgehabt: die Griechen mit Tragedien, Dithrambis, Dionisiacis: die Römer mit Frescennis, Manduconen, Mimisis, Pasquillen: Die Teutschen mit Faßnachtspielen, Freihaitspredigten, Pritzenschlagen: die in Schulen mit deponieren, und Quotlibeten: welche weis, wie die Quotlibetarii fürgeben, auch S. Augustin soll gebraucht haben und gewiß S. Thomas von Aquiavino. 27

Doch es geht Fischart nicht nur darum, die spottweise Belehrung als humane und erfolgreiche Methode zu empfehlen. Er setzt sich auch kritisch auseinan-

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Ebd., S . l l . Fischart behauptet, der mittlerweile verstorbene Scheidt hätte geplant, den Eulenspiegel zu bearbeiten, S. 12. Daß er aufgrund seiner Jugend für eine Bearbeitung des komischen Stoffes besonders geeignet sein nimmt auch Gilles Omma für sich in Anspruch. Fischart, S. 13. Fischart, Geschichtklitterung, hg. von Ute Nyssen. Darmstadt 1977. S. 10.

184 der m i t d e m , w a s er als ihr G e g e n t e i l a n s i e h t , u n d l e i t e t v o n d a h e r ü b e r z u m T h e m a der M e l a n c h o l i e v e r t r e i b u n g u n d d e m p o s i t i v e n E i n f l u ß , d e n S c h e r z u n d Fröhlichkeit auf die M e n s c h e n haben: Und was können anders solche Melancholische grosse Trollen und Mollenköpff, unnd Misantropische Geschöpff, denen das Kraut Nepenthe oder Trauerwendt einzunemen gut were, bey dem Volck nützliches ausrichten, dann daß sie verzweiffein zu Klötzen und Götzen machen, und unempfindliche Stoicidas, wie sie seind, die nicht ehe lachen, sie sehen dann einen hencken und ertrencken, oder den Esel Disteln fressen. 2 8 D e u t l i c h bringt er hier, w i e z u v o r i m B i l d v o n der M e d u s a , s e i n e g a n z e V e r a c h t u n g g e g e n ü b e r a l l e m Starren u n d L e b e n s f e i n d l i c h e n z u m A u s d r u c k u n d setzt d i e s e m eine betont vitale, lebensbejahende Haltung entgegen: Derowegen sey der Ungmut und Ungfall zu offtermalen zuverlachen, zuverachten, zu versingen, verspringen, verdantzen, vertrinken, verpfeiffen, verspielen, und uff andere weg zu verkurtzweilen und zu verjagen, auff das er nicht die Menschen blöd mach, Weibisch und verzagen. 2 9 W i e a l l e A u t o r e n , d i e auf d i e s e r B a s i s a r g u m e n t i e r e n ,

kommt

er z u

dem

Schluß, daß man soll etwan kurtzweil fürhaben und schimpff, auff daß man darnach ernstlichers mög verrichten mit glimpff. [...] Dann die Erynnes unnd Teuffei machen in ein Zugang durch Trauwrigkeit, zur Verzweiflung und unsinnigkeit, zu jehem ungzeitigem todt und anderm unroht. 3 0 D a b e i g e h t F i s c h a r t n i c h t nur g e g e n T r a u r i g k e i t u n d M e l a n c h o l i e an, s o n d e r n v o r a l l e m g e g e n d i e >Versteinerung< d e s G e m ü t s u n d d a s F i x i e r t s e i n a u f d i e abstrakte H ö h e d e s G e i s t e s : 3 1 Es seind doch weder zu sieden noch zu braten [...] die vergaffenden Augen, die an einem Nagel an der Wand verstarren [...] die in dem sie wollen emsthafft gesehen seyn, alle freundtlichkeit vergessen, und zu sawr sehen, und gehen zorn sich gewehnen, daraus greuwlichkeit oder heucheley und Schalksklügeler, oder verdeckte sauwre Lauren erwachsen, die nimmermehr den Kopff, so im übersieh gaffen ermüdet, von der höhe sencken, noch das Ingenium erlassen und emidrigen zu Maronischen Fliegen, zu Nasonischen Nüssen und Kräutern, Graß, Bienen, Homerischen Mäusen und Fröschen, sonder wie ein Ambrost allzeit gespannen stehen, so doch on erlaben, nichts mag ein bestandt haben. 3 2 D e m setzt er in d e r Abred

stilistisch eine rhythmisierende, belebte Sprache und

vorwärtsdrängende syntaktische Konstruktionen entgegen, die die inhaltlichen

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Fischart, Eulenspiegel, S. 15. Ebd., S. 15f. Ebd., S.16. Sommerhaider, S. 21ff. Fischart, S. 14f. Die Anspielungen auf Vergil, Ovid und Homer und die ihnen (fälschlicherweise) zugeschriebenen unterhaltenden und satirischen Werke gibt es auch im Epilog zur Flohhatz von 1577. In: Fischart's sämtliche Dichtungen. Zweiter Teil, S. 115.

185 Aussagen formal widerspiegeln sollen. Fischarts Argumentation und ihre literarische Umsetzung erscheinen von daher umfassender und über das hinausgehend, was die Vorreden der Schwankromane und -Sammlungen leisten. In seine Legitimation der satirisch und grobianisch verpackten Didaxe bezieht Fischart ausdrücklich eine Abwehr möglicher Kritik mit ein: Dann schimpfflich gutes lehren, heißt dem bösen glimpfflich wehren. Daß man aber vielleicht ab der unhöfflichkeit wolte groß klag einführen, da kan ich für mein Person warlich nicht dafür stehen. 3 3

Dazu zieht er sich auf die Position eines Bearbeiters zurück, der den Intentionen des Verfassers und dem Stoff, den dieser gewählt hat, gerecht werden will. Er habe sich bemüht, die Absichten des ersten Eulenstellers zu erraten und getreu wiederzugeben. Um welche »Morische, Thorische, Eulenspieglische Moraliteten« es sich dabei handelt, führt er nicht weiter aus. Es wird allerdings klar, daß er schon Botes Vorlage als einen Narren- oder Ständespiegel versteht, in dem angezeigt werde, »wie sich in alle Ständt, d'Schalck verwickelt, einflikket, verwendt und eintringet«. 34 Im Hinblick auf den Modus seiner eigenen Bearbeitung gibt er zu, daß er an einigen Stellen, wo ihm der Text zu ungesaltzen erschien, nachgeholfen habe, angeblich in der Absicht, die Intentionen des Verfassers deutlicher herauszustreichen. Fischart weiß, daß sich schon die Kritik am Original in erster Linie gegen die Derbheiten und Grobianismen gerichtet hatte. Da seine Fassung diesem nicht nachsteht, widmet er im folgenden einen längeren Abschnitt der Legitimation des Grobianismus, die im wesentlichen das Argument paraphrasiert: [...] das Schreiben muß bey der Matery bleiben. [...] Dann was kan ein Contrafeytur darfür, daß er einen muß heßlich mahlen, so er heßlich ist? 35

Einen grobianischen Inhalt, das heißt die Geschichte eines Unflats, müsse man auch grobianisch erzählen und nicht im Stil der griechischen Philosophen oder Staatsmänner. Ganz ähnlich erfolgt die Begründung auch in der Geschichtklitterung: Solt aber darumb ich [...] ein Unflat seyn, weil wir villeicht euch und euersgleichen Unfläter unflätig beschreiben?[...] Was kan ein Spiegel dazu, daß er ein lützelhüpschen lützelhüpsch anzeigt. 3 6

Zudem meint er, man erreiche bei den Schälken am meisten, wenn man ihnen schalkhafte Geschichten vorlege, besonders den Eulenspiegel,

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Fischart, S. 16. Ebd., S. 18. Ebd., S. 17f. Fischart, Geschichtklitterung, S. 8.

186 weil die Schalcksklügler gern wie die Kautzen und Eulen im finstern mausen und lauren, und treiben heimlich ire tück und Bubenstück wie die Eulen, die nit seyn also flinck, daß sie sich in das hohe Liecht auffschwingen möchten. 3 7

Fischart spielt in diesem Zusammenhang nochmals auf die Namenetymologie des Protagonisten an und greift schließlich, als >Apologie< der Eulenspieglischen freyheit, die er sich als Autor genommen habe, den Topos von der >nicht verletzend und nicht persönlich gemeinten Kritik< auf:38 Hoff aber doch, daß keiner dardurch beleidigt, sonder noch befreudiget oder befriediget werde: Dieweil ich kein Satyrische weiß, reden und terminos, die o f f t zu leichtfertig auch die n a m e n der beschuldigen einhalten, in dies Wercklein bringe: Sonder alles facete fatzender gestalt in gemein ioculor non iaculo, 3 9 Geck gugel, Gauckel und Britschenschlag: So ist ioculos kein iaculus, schertzlich Gschrifft ist kein schmertzlich G i f f t . 4 0

Wie in aller Narrenspiegel-Literatur arbeitet der Autor damit, daß der >Betroffene< sich selber wiedererkennen soll: So derhalben sich einer wirt unschuldig wissen, kan es in nit verdriessen, w o er aber steckt in der schuld, hat er billich geduld, dieweil es im zur lehr, daß er sich darvon abkehr, ist fürgeschrieben. 4 1

Aus diesem Grunde braucht sich niemand beleidigt zu fühlen, der sich keiner Schuld bewußt ist, so wie es auch im Grobianus heißt: 49io

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Ich habs niemandt zu leid gethon, N i e m a n d t zu nachteil, schad noch trutz, Ja h a b gesucht eins jeden nutz. O b mir schon d r u m b wolt fluchen. So werd ich in im Zedel suchen: M a n c h e r mir dannocht wol d r u m b redt, So schlag ich eins zum andern wett. Ein troffner hundt nur schreyen will, O b schon die andern schweigen still. 4 2

Fischart, Eulenspiegel, S. 18. Vgl. Vorrede zu Botes Ulenspiegel: »das solich mein Beschreiben nieman zu Widerdrieß beschehen oder j e m a n damit zu schwächen.« Ähnlich auch bei Wickram in der Widmungsvorrede zum Rollwagenbüchlein: »niemants zu schmach / hon oder spott«, bei Frey in der Leservorrede zur Gartengesellschaft: » D a r u m b ich auch gedencke, ob ich schon etwan die geistlichen oder weltlichen angetast, so ist es doch nur zu schimpff unnd niemand zu nachteil oder schmach beschehen« und in anderen Vorreden der Schwanksammlungen. Vgl. Konrad von Megenberg: »iaculus haizt ain schözslang. von der spricht Lucänus: die Snellen schiezerinne [...] gleicher weis tuont etleich laut, die so snell sint mit irr urtail, daz si zehant ainz verurtailent und sprechent, ez hab unrecht, e si die wärheit verhoerent.«, S. 273f. Fischart, S. 19. Fischart, S. 20, ähnlich auch S. 13. Friedrich Dedekinds Grobianus verdeutscht von Kaspar Scheidt. Halle 1882 (Neudrucke deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts). So auch Wickram, Rollwagenbüchlein: »Wenn man under die hund wirfft / schreit keiner dann welcher getroffen wirt.«

187 Der Eulenspiegel unterscheidet sich darin in der Tat von den konkret auf die Bloßstellung bestimmter Personen abzielenden polemischen, antikatholischen Satiren und Flugblättern, die Fischart u.a. gegen den Franziskaner Johannes Nas veröffentlicht hat. 43 Nachdem er sich so gegen Kritik verwahrt und Kritiker mit grobianischen Beleidigungen prophylaktisch abzuschrecken versucht hat, schließt Fischart die Vorrede als »Der Eulenzunfft / gutwilliger / Eulenreimer und Eulenreisser / Meintzer geheissen« und bleibt damit im Kontext seines bildlichen Argumentationsfeldes. Als Eulenreisser hatte er zuvor schon den Herausgeber des Ulenspiegel bezeichnet. Wie Brant, der die Vorrede zum Narrenschiff mit Der narr Sebastianus Brant unterschreibt, Thomas Murner, der sich der Schelmenzunft Schreiber nennt, oder Scheidt, der des grobianischen Ordens Pedel, Pförtner und Schreiber sein will, macht Fischart sich hier gewissermaßen zum E i n g e weihtem und Angehörigen der zunfi, der zur Bearbeitung des Stoffes besonders befähigt ist.

7.4. Vorrede auff den Eulenspiegel Die dritte Vorrede bringt inhaltlich im wesentlichen nichts Neues. Fischart thematisiert zunächst ausführlich den Bekanntheitsgrad und die Beliebtheit des Eulenspiegel-Stoffes. Auffällig ist, daß er in diesem Zusammenhang nicht seine eigene Einschätzung, sondern die Wertung der öffentlichen Meinung< in den Mittelpunkt rückt: 276

Sie wollen alle hören zu, Was man von ihm guts sagen thu. Drumb hab ich mich bekümmert nie, Wie ich bekomm zuhörer hie. Ich krieg sie nur mit grossen schaaren: Sie fliegen zu gleich wie die Staaren, Vom namen kommens nur gelauffen Mit grosser meng, mit grossen hauffen. Ich glaub, wann schon der Orpheus, Der doch gewiß wol spielen muß, Solt nur einmal noch kommen her, Er solte lang nicht sol viel Leut, Als hie mein Eulenspiegel haben.

Dies sichere seinem Werk Erfolg und entbinde ihn zugleich von der Notwendigkeit, sich ein >geneigtes Publikum< zu verschaffen - was allerdings in den vorhergehenden Vorreden mit viel rhetorischem Aufwand versucht worden war. 43

Vgl. etwa seine Schrift Von S. Dominici, des Predigtmünchs, und S. Francisci Barfüssers artlichen Leben und grossen Greweln, Dem gruwen Bettelmünch, F.J.Nasen zu Ingelstat von 1571, Dedication: »Hieher, du Scheltman Frater Nas / Hie schickt man dir ein Spiegelglas / Darin dich wol besehen magst.«, Fischart's sämtliche Dichtungen. Erster Theil, S. 121.

188 Ab Vers 292 geht die Vorrede über in eine Anrede an Eulenspiegel: »O Eulenspiegel, du mein kundt«. 4 4 Fischart gibt vor, ein persönliches Verhältnis zum Protagonisten zu haben, wobei aber auch hier - ähnlich wie in der ersten Vorrede - die Grenzen zwischen dem Eulenspiegel als Figur und dem Werk Eulenspiegel fließend sind. Fischart lobt und schmeichelt dem Helden, verspricht ihm, ihn unsterblich zu machen, wie Achill und Odysseus von Homer verherrlicht wurden, aber er leugnet nicht, daß er es mit einem schalk zu tun habe, vor dem man sich auch in acht nehmen müsse: 319

Dann ich hab mir nur fürgesetzt, Dein leben kürtzlich zu beschreiben, Bey deinen bossen nur zu bleiben. Sonst kems vieleicht zu einem zanck, Das wer fürwar ein böser danck. Ich wollt den Bapst erzürnen eh, Als dich, dann du gilts mir viel meh. Und wer nit rhatsam auch gethan, Mit solchen fangen etwas an. Ich denck noch an das Sprichwort werd, Daß mich einmal mein Vatter lehrt, Daß man zu freund hielt einen schalck, Wer besser, als daß man ihn walk.

Auch der Verfasser des Eulenspiegel Reimensweiß muß sich mit dem grundsätzlichen >Dilemma< jeglicher Eulenspiegel-Rezeption auseinandersetzen, das sich daraus ergibt, daß von der Vorlage eine zwiespältige Persönlichkeit des Schwankhelden vorgegeben ist. Fischart gelingt es, dem zu entgehen, indem er sich zum einen auf eine Bearbeiterposition zurückzieht, mit der er bereits in der Abred die Grobianismen entschuldigt hatte. Zum andern läßt er in seiner Argumentation Protagonist und Werk zusammenfallen und erklärt das Werk für nützlich, weil es eine sinnvolle didaktische Funktion erfülle. Dadurch kann Eulenspiegel als der eigentliche Urheber dieses Werkes innerhalb der Vorreden eine positive Wertung erfahren. Der Vergleich mit dem Skorpion hat bereits in der ersten Vorrede darauf hingedeutet (V. 182ff.). Anstatt sich für ein bestimmtes Eulenspiegel-Bild zu entscheiden, entwickelt Fischart kontrastiv zwei Figuren, die jeweils bestimmte Vorstellungen von Eulenspiegel realisieren. Beide, der bösartige Schalk und der listige Volkserzieher, sind hier präsent. Wie schon im ersten Prolog erscheinen die literarischen Ansprüche des Autors in einer Verschränkung von Bescheidenheitstopos und ernstzunehmender Absichtserklärung: er kann nicht zu hoch steigen (V. 355), er will es aber auch gar nicht. Daran schließen sich Argumente für eine spottweise lehr (V. 365-375) und die Legitimation des Scherzes (V. 376-394) an, wie sie ebenfalls aus den anderen Vorreden bekannt sind.

44

Fischart spricht Eulenspiegel auch innerhalb der Historien häufig persönlich an.

189 Die Vorrede wird zu Ende geführt mit einer allgemeinen Würdigung des Werkes und des Stoffs im Vergleich zu anderen Büchern, »die minder nütz, ja schädtlich sindt« (V. 431), und einem erneuten Hinweis auf die Reimfassung. Fischart beruft sich in diesem Zusammenhang auf den Schwankroman um den Pfaffen vom Kalenberg, der früher bereits großen Anklang gefunden habe. Die Kritiker der Narrenliteratur werden wiederholt pauschal disqualifiziert. Wie Caspar Scheidt die Vorrede zum Grobianus schließt Fischart mit der >Aufforderungc »Es butz die Naas, wers hören mag.« 45

7.5. Fischarts Eulenspiegel-Vorreden Alle drei Vorreden Fischarts sind geprägt durch seinen schöpferischen und spielerischen Umgang mit Sprache und mit Motiven aus der antiken Mythologie und Literatur, die in vielen Fällen eine eindeutige Entschlüsselung der komplexen Sinngehalte nicht zuläßt. Dennoch enthalten sie konventionelle, topische Elemente aus der Vorredentradition der Schwank- und Narrenliteratur vor allem im Bezug auf die Legitimation der Satire und des Grobianismus durch den didaktischen Nutzen und den heilsamen Effekt der Melancholievertreibung. Dazu kommen andere Themen wie die Betonung eines lebensbejahenden Vitalismus und die Abwendung von abstrakt formalistischer Intellektualität. Bemerkenswert ist Fischarts Umgang mit dem Schwankhelden, der in den Vorreden quasi als >geläuterte< Figur auftritt, die die Position des Protagonisten überwunden hat. Damit verfolgt Fischart keine Strategie der Tarnung, sondern er setzt gerade die Verschiedenheit beider Figuren dazu ein, den möglichen Lernprozeß, den die Lektüre abschreckender Exempel bewirken kann, zu veranschaulichen. Zu seinem >neuen Helden< dokumentiert der Autor eine persönliche Beziehung und stellt ihn als Mit-Verfasser des Werkes dar. Dieses für die Vorreden konstitutive Verhältnis Autor - Eulenspiegel klingt innerhalb der Texte nur gelegentlich in den direkten Anreden an Eulenspiegel an. Es wird aber in den Kapiteln 93 bis 98 wieder aufgenommen, in denen sich Fischart deutlich von seiner Vorlage löst. Die Schilderung von Eulenspiegels Tod, den der Autor angeblich miterlebt hat, und die Deutung, daß seine Seele zur Minerva aufgefahren sei und nun in allen Schälken weiterlebe (V. 12945ff., 1309Iff.), greift die Konstellation der Vorreden auf. Auch an die mythologischen Anspielungen auf Odysseus oder die Musen wird hier angeknüpft. Somit bilden Vorreden und Schlußkapitel einen übergeordneten Rahmen, der Fischarts genuinen und originellen Beitrag zur Eulenspiegel-Rezeption ausmacht.

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Scheidt, Das erste Buch Grobiani, V. 115f.: »Wolan ich schreib, wer hören will / Der butz die naß und schweig fein still.« Bei Fischart heiß es auch in der Schrift Von S. Dominici (s.o.) am Ende der Vorrede, die an Johann Nas gerichtet ist: »Hiemit so butz dein graue Nas / Wenn du jetzt wilt lesen das.«

190 Die Vorreden werden, fast vergleichbar den Vorreden zum Decamerone oder den Canterburry Tales, zu einer Art Rahmenerzählung, in die der Protagonist einbezogen ist. Damit sind sie auf ganz andere Weise als in den bislang vorgestellten Sammlungen oder Romanen in den Erzählteil des Werkes integriert. Zudem ist das in den Vorreden entworfene Bild von einem didaktischen EulenspiegelWidmungsschreiben< mehr sein können. Die >literarisierte< Vorrede hat bei Fischart eine neue Qualität erreicht und hebt sich, obgleich er nicht auf die topischen Einführungen in Werk und Gattung einschließlich ihrer Legitimierung verzichtet, deutlich ab von den übrigen, meist theoretisierenden Begleitschreiben, die andere Verfasser des 16. Jahrhunderts ihren Werken voranstellen.

8.

Vorreden sind besser als Nachreden - Schlußwort

Wie stellt sich die Vorrede zu Sammelwerken des 16. Jahrhunderts dar, was sind ihre Themen, und welche Funktionen übernimmt sie? Dies waren die Ausgangsfragen der vorliegenden Untersuchung; daß ihre Antworten primär poetologischer, gattungstheoretischer und rezeptionsästhetischer Art sind und eine Beschäftigung mit den Vorreden zu weiterführenden literaturtheoretischen Erkenntnissen verhilft, kann als eines ihrer wesentlichen Ergebnisse gelten. Die Vorrede ist in Kompilationsliteratur, unabhängig davon, was sie für das Werk leistet, ein eigenständiges Element des Buches. Sie wird ganz offensichtlich als wesentlich und notwendig akzeptiert, denn grundsätzlich gelangt kein Sammelwerk im 16. Jahrhundert ohne eine Vorrede in den Druck. Welcher Art die Vorrede allerdings ist, war im einzelnen zu prüfen. Rückschlüsse auf den Umgang mit der Vorrede läßt vor allem die Berücksichtigung von Neuauflagen, Übersetzungen oder Bearbeitungen zu. Es zeigt sich, daß die Vorrede prinzipiell beides sein kann: in ihrer vorliegenden Form fester Bestandteil des Werkes oder modifizierbarer bzw. austauschbarer Begleittext, der von der Ausgabe abhängig ist. Die vielen Auflagen des Promptuarium Exemplorum ermöglichen es, den Weg der ursprünglichen Vorrede Hondorffs von 1568 nachzuvollziehen. Die Widmungsvorrede und die Leservorrede der Erstausgabe werden in die nachfolgenden Bände nicht übernommen. Statt dessen schreibt Hondorff neue Vorreden, die sich inhaltlich eng an die alten anlehnen, sie in weiten Teilen paraphrasieren und zitieren, sich aber doch den Anstrich des Neuen geben. Ausgaben, die nach Hondorffs Tod erscheinen und von Vincentius Sturm herausgegeben werden, erhalten ebenfalls eigene Vorreden, in denen der Herausgeber zwar Hondorffs theoretische Reflexionen verarbeitet, sie aber doch in eine neue Form bringt. Johannes Agricola tradiert die sprichworttheoretischen Texte, die sogenannte Vorrhede und Warzu die sprichwortter dienen, die nicht konkret auf das vorliegende Werk eingehen, in den Neuauflagen seiner Sammlung, nimmt aber die Widmungsvorreden nicht wieder auf, sondern ersetzt sie durch andere. Zacharias Rivander stellt seinem zweiten Exempelbuch eine Vorrede voran, die ausschließlich Passagen aus der Vorrede zum ersten Teil aufgreift. Steinhöwels Vorrede, die ebenfalls primär gattungstheoretisch orientiert ist, wird in viele spätere Fabelsammlungen übernommen, auch in solche, die nicht nur seine eigenen Fabeln überliefern. Die Übersetzer und Bearbeiter Huldreich Ragor und Johann Herold nehmen die Übersetzung der lateinischen Vorrede ihrer Quellen in die Werke mit auf, ebenso der anonyme Bearbeiter des nieder-

192 ländische Reineke Fuchs von 1498. Ein anderer anonym erschienener Druck, Herman Botes Ulenspiegel, büßt im Laufe der Rezeptionsgeschichte zum Teil seine Originalvorrede ein. An ihrer Stelle stehen ebenfalls anonyme Herausgebervorreden, denen deutlich ein verändertes Werkverständnis zugrunde liegt. Die Übernahme >alter< Vorreden für >neue< Werke ist deshalb möglich, weil in den Vorreden der Kompilationsliteratur die werkspezifischen Inhalte in den Hintergrund getreten sind. Die Vorrede ist ein in sich geschlossener Text, der zwar in Zusammenhang mit dem Werk steht, aber nicht ausschließlich an dieses gebunden ist. Diese Einzelfälle umreißen die Möglichkeiten, die im Umgang mit Vorreden liegen und im 16. Jahrhundert realisiert werden. In der Regel jedoch, d.h. in unveränderten Auflagen, werden die Vorreden als fester Teil des Buches tradiert; Sammlungen, die ohne Vorrede herausgegeben wurden wie die Gesta Romanorum, werden nicht um eine solche ergänzt. Generell werden Vorreden in der Absicht geschrieben, das Interesse des Lesers zu wecken und ihm das Werk zu empfehlen. Im Kontext des Werkes beziehen sie sich auf dieses, leiten ein, machen den Rezipienten mit Thema, Inhalt, Autorintentionen, Quellen oder Tradition bekannt. Vorreden der Kompilationsliteratur haben im besonderen die Aufgabe, die Tätigkeit der Autoren zu legitimieren, denn das gemeinsame Merkmal aller hier vorgestellten Werke ist, daß sie eine Kompilation von Texten bieten, die zum großen Teil bereits in anderer Form überliefert vorliegen. Der Herausgeber hat sie mehr >gefunden< als e r funden und nur unter bestimmten Aspekten zusammengetragen, geordnet, bearbeitet und kommentiert. Daraus ergeben sich Konsequenzen für das Selbstverständnis des Autors und die Strategien, mit denen er für seine Arbeit wirbt. Für ihn kommt es darauf an, die Bedeutung der vorgelegten Texte zu betonen und ihre erneute Herausgabe zu begründen. Die Würdigung des Stoffes und des Stoff-Tradierens wird zentral für die Legitimation des Werkes. Aus diesem Umstand ist es zu erklären, daß die Vorreden der gattungsorientierten Sammelwerke sich weniger mit dem konkret vorliegenden Werk als mit der Textsorte und dem kompilierenden Charakter auseinandersetzen. Auf diese Weise erlangen sie literaturtheoretische Relevanz in verschiedenen Bereichen. Aus diesem Grunde auch ist es von entscheidender Bedeutung, daß die Vorreden nicht nur im Kontext des Werkes, dem sie vorausgehen, gesehen werden, sondern darüber hinaus im Kontext anderer Vorreden derselben Gattung. Von diesen her hat sich ein Erwartungshorizont konstituiert, den die Autoren in der Regel zu erfüllen bestrebt sind. Sie tun dies unter Umständen sogar auch dann, wenn sie sich damit in Widerspruch zu ihrer eigenen literarischen Praxis befinden und die in der Vorrede postulierten Theorien und Versprechen im Werk nicht umgesetzt werden. Die Übereinstimmung mit der gattungsmäßgen Tradition, die vermutlich auch der Erwartung der Rezipienten entspricht, ist wichtigste Maxime der meisten Vorredenschreiber und läßt nicht selten die Hinweise auf das Individuelle und Originelle des eigenen Werkes in den Hintergrund tre-

193 ten. Es sei an die Vorreden von Erasmus Alberus erinnert, die als ein besonders ausgeprägtes Beispiel hierfür angesehen werden können. Nicht zuletzt die Anlage der vorliegenden Arbeit, in der für die Exempel- und Schwanksammlungen die systematische Interpretation einer werkbezogenen vorzuziehen war, zeugt vom prägenden Einfluß des Gattungskontextes auf die Vorreden. Gattungstheoretische Relevanz erlangt die Vorrede aber auch in den Vorreden der Fabel- und Sprichwortsammlungen. Ohne die Texte von Steinhöwel und Luther, Johannes Agricola und Sebastian Franck gäbe es keine zeitgenössische Gattungstheorie der Fabel oder des Sprichwortes. Dabei wird weniger danach gefragt, was die Gattung sei, als danach, was sie leistet: (Moral-)Didaxe in Bildern oder Überlieferung alter Volksweisheit. Literaturtheorie wird demnach funktionalisiert zur Begründung der Autorintentionen. Neben der gattungsspezifischen Argumentation geht es in den Vorreden um grundlegende literaturtheoretische Fragen. D.h., die Vorreden der hier vorgestellten Kompilationsliteratur sind gattungübergreifend auch im Kontext der Reflexion über Funktion und Bedeutung von Literatur zu sehen. So thematisieren die Schwanksammlungsvorreden u.a. die Bedeutung von Unterhaltungsliteratur in der Frühen Neuzeit und erweisen sich als äußerst aufschlußreich für die Auseinandersetzung mit der intendierten Wirkung von Literatur im Spektrum zwischen prodesse und delectare. Schwankliteratur als >Melancholievertreiber< zu empfehlen ist mehr als nur eine >Werbemaßnahmepsychologische< und >diätetische< Begründung können auch die unterhaltenden Gattungen ihr Recht behaupten. Damit wird in die Diskussion über die Legitimation von Literatur ein zusätzliches Argument eingeführt, das bislang wenig Berücksichtigung erfahren hat, in diesen Texten aber ganz deutlich ausgesprochen ist. Daneben steht die didaktische Funktion von Literatur im Zentrum der Argumentation. Obwohl sie mit dieser Negierung bzw. Vernachlässigung des unterhaltenden Charakters der Realität ihrer Werke nicht vollständig gerecht werden, versuchen die meisten Sammler über die Vorstellung vom >gleichnishaften Lehren< in Bildern und Geschichten ihre Sammlung als lehrhaft auszuweisen und würdigen die Didaxe in abschreckenden und vorbildhaften Beispielen als optimale Möglichkeit, moralische Maxime und christliche Wertvorstellung für breite Bevölkerungsschichten vermittelbar zu machen. Der Inhalt des Werkes wird zum >Weltspiegel< erklärt, indem jeder sich, sein Tun und die Folgen, die sich daraus ergeben, wiedererkennen soll. Abhängig von der Gattung gibt es unterschiedliche Begründungsmuster, warum und wie das vermittelnde Lehren Anwendung finden kann. Für die Exempelsammlung wird primär reklamiert, daß aus der realen Historie, aus der Erfahrung anderer (mit Gott) gelernt werden soll, während die Fabelsammlungen menschliches Verhalten im fiktiven Rahmen der Tierwelt darstellen. Ferner ist sowohl in den Schwanksammlungs-

194 als auch in den Schwankromanvorreden der didaktische Anspruch grobianischer Literatur, die, vom Negativexempel ausgehend, abschreckend wirken will, thematisiert. Wer solches Vorgehen seinen Lesern plausibel machen will, muß ein theoretisches Konzept entwickeln, damit er richtig verstanden wird. Dafür erweist sich die Vorrede als der geeignete Ort. Wie gezeigt wurde, geben die Vorreden den Verfassern die Möglichkeit, ihren Überzeugungen in theologischen, moralischen und weltanschaulichen Fragen Ausdruck zu verleihen. Besonders die Exempelsammlungen zeichnen sich durch umfangreiche, predigtartige Passagen aus. Die Herausgeber, die im Werk selber wenig Artikulationsmöglichkeit und Spielraum haben, wollen so, dem religiösen Anspruch der Sammlungen entsprechend, moral-didaktisch und erbaulich auf den Leser einwirken und ihrem persönlichen Glauben Ausdruck verleihen. Ähnliches gilt für die >patriotische< und zeitkritische Ausrichtung der Sprich Wörtersammlungen. Ein weiteres gemeinsames Merkmal aller Kompilationsvorreden ist die ausdrückliche und eindringliche Würdigung der Sammlertätigkeit, des Bereitstellens von Information und beglaubigtem Wissen, die Weitergabe überlieferter Erfahrung und Tradition und die Zusammenstellung interessanter, kurioser, unterhaltender Stoffe. Die Herausgeber stellen als ihr besonderes Verdienst heraus, daß sie nützliche Texte zur Belehrung und Erbauung oder populäre Stoffe zur Unterhaltung, für die sie große Nachfrage voraussetzen, für breite Schichten der Bevölkerung oder >Mulitpilikatoren< wie Prediger und Lehrer verfügbar und erschwinglich gemacht haben. Die hervorgehobene Rolle, die diesem Thema in den Vorreden zuteil wird, machen sie zu einem überzeugenden Dokument für die Wertschätzung, die das Sammeln und Kompilieren im 16. Jahrhundert erfährt. Aus der spezifischen Anlage der Sammelwerke resultieren auch die Hinweise zur Rezeptionssituation. Die aneinandergereihten Texte sind, je nachdem ob sie zur Erbauung oder zur Unterhaltung dienen, auch einzeln >verwertbarAushängeschild< des Werkes und will es in einem publikumswirksamen Lichte darstellen. Aus diesem Grund ist es möglich, Rückschlüsse auf die Erwartungen zeitgenössischer Rezipienten zu ziehen. Die Verfasser versuchen die Aufmerksamkeit des Lesers zu erlangen, indem sie ihm kurzweil und/oder nutz versprechen. >Nutzen< meint in diesem Zusammenhang ganz allgemein >Erbauung< und >Besserung< im Sinn christlich geprägter Morallehre, die jedoch in angenehmer, leichter und unterhaltender Form, keineswegs direkt und aufdringlich vorgebracht werden soll. Alle didaktisch ausgerichteten Gattungen halten es sich zugute, daß sie nicht doktrinär lehren, sondern auf die Einsicht des Lesers bauen, ihm >nur< einen Spiegel seiner selbst oder der Welt vorhalten. Eine andere Konkretisierung des Begriffes >Nutzen< wird nicht vorgenommen, auch wenn die Sammlung ihn enthält. Weder konfessionell ausgerichtete noch zeit- oder gesellschaftskritische Inhalte werden angekündigt, und es läßt sich verallgemeinernd für die Kompilationsliteratur behaupten, daß in den Vorreden Inhaltsbeschreibungen und Absichtserklärungen auf einer möglichst allgemeinen Ebene formuliert sind, um damit für ein breites Publikum attraktiv zu sein. Nicht zuletzt daher rührt die aus heutiger Sicht frappierende Feststellung, daß der spezifische Charakter des Werkes oftmals geleugnet, zumindest aber nicht betont wird.

196 Die Funktionen der Vorrede sind weitgehend festgelegt, und es haben sich durchaus konstante Muster, Themen, Argumentationszusammenhänge herauskristallisiert. Doch sei abschließend betont, daß es sich um individuell geprägte Texte handelt, die nicht in Topoi, Stereotypen oder Paraphrasierung bekannter Inhalte aufgehen. Das eingangs zitierte Mißtrauen gegenüber den Vorreden betrifft die hier vorgestellten Beispiele nicht. Der überwiegende Teil ihrer Aussagen ist kein überflüssiges Beiwerk, sondern ernstzunehmender und für das Werk, die Gattung oder die zeitgenössische Literatur relevanter Inhalt.

Textanhang

Der Textanhang soll eine Auswahl von Vorreden dokumentieren, die nur in Drucken aus dem 16. Jahrhundert überliefert sind. Die Abschrift erfolgt diplomatisch unter Auflösung von Ligaturen und ohne Berücksichtigung von Hervorhebungen durch andere Schriftarten. Die Schreibung ν für u wurde aufgegeben, ebenso wurden eindeutige Druckfehler korrigiert.

Andreas Hondorff Promptuarium Exemplorum. Historienn und Exempelbuch. Aus Heiliger Schrifft / und vielen andern bewerten und beglaubten Geistlichen und Weltlichen Büchern und Schrifften gezogen. Zum Spiegel der warhafftigen Christlichen Buss / jedermenniglichen zu diesen letzten und gefehrlichen zeiten für die Augen gestelt. Mit allem fleis auffs kürtzte nach den heiligen Zehen Geboten Gottes fein ordentlich ausgetheilt. Durch Andream Hondorff / Pfarherrn zu Draissig. Psalm. 5. HERR du bist nicht ein Gott / dem Gottlose wesen gefeit / Wer böse ist / der bleibt nicht für dir. Cum gratia & Privilegio, ad decern annos. Anno / 1568. Vorrede an den Leser Dieweil man in beschreibunge mancher und vielerley Historien unzehliche Exempel hat und siehet / wie der Ewige Gott gegen alle Menschen gar ein ernster und gleicher Richter ist / und keine Sünde / wieder die ubertrettunge seiner heiligen Zehen Gebot / in keinem Menschen / wieder hohen noch nidrigen / nicht ungestrafft / wiederumb den gehorsam und frömmigkeit / gegen seine gebot / nicht unbelohnt gelassen hat / noch lassen wird / etc. Und weil uns Menschen / die Heiligen Zehen Gebot Gottes leren / was wir thun und lassen sollen / gegen Gott und jederman / Das auch in diesen wenig Worten und geboten (so fern sie nur recht / wie sie wollen / ermessen und verstanden werden) mehr begriffen wird / Denn in aller Philosophen und Juristen Bücher / wenn ihr auch gleich die Welt voll weren / Ja das auch keine Sünde sein / wie gros oder klein sie immer sein mügen / die nicht in diesem worten verbotten würden / etc. Und man gleichwol teglich ohn unterlas mehr Exempel des sündtlichen lebens / damit wieder die Zehen Gebot Gottes so gröblich und öffentlich gesündiget wirdt / erfehret und höret / Unnd warlich weniger frommer Gottseliger Leut / guter Exempel / damit nach den Gebotten Gottes / ein wenig gehorsamlich gelebt werde / verhanden sein / etc. Dieweil ich aber als ein unwirdiger Pfarherr und Diener Christi / bey mir erkandt / wie ichs denn zuvor von hoch verstendigen und gelerten vernomen / das ohne Historien erkentnis / lesen unnd wissen / Gottes wort so fruchtbarlichen nicht müge geprediget werden / Denn solche Historien und Exempel / müssen uns Gottes wort gleich scherffen / das wir uns der guten und gnedigen Exempel zu trösten / der schrecklichen und ungnedigen / zuentsetzen und zu fürchten haben / Denn weil wir Christen gleuben und bekennen müssen / das Gott der

198 Allmechtige im Menschlichen Geschlecht allweg gegenwertig und Richter ist / über das gute und gehorsame / und über das böse und ungehorsame leben / so solte uns solch erkentnis je billich zur furcht und gehorsam Gottes zwingen und treiben / Denn wir sonsten durch wunderbarliche und unzehliche ergernis unnd sündtliches verdamliches leben gnugsam geergert und verfürt werden / etc. Damit ich nun in meinem Predigtampt / bisweilen / wenn es Gottes wort erforderte und nötig were / derselben Exempel wenig einfüren köndte / und auch sonst ein vorrath derseben zu lesen / haben möchte / habe ich mir zum besten gedacht / aus vielen beglaubten Schrifften und Büchern viel Historien und Exempel zusammen zu bringen / und dieselben nach den Heiligen Zehen Geboten Gottes / ordentlich / wie sie sich zu eim j e d e m Gebot in Sonderheit referiren und ziehen lassen wollen / zusetzen und auszuteilen / Damit sie gleich als ein Spiegel Menschlichs lebens sein möchten / welchen Exempeln zu folgen / und vor welchen sich zu hüten. Wiewol ichs nicht der meinung angefangen / das ichs zu drücken geben wolte / der ich mich viel zu geringe / Bücher zuschreiben / erkenne / Und diese meine einfeltige Arbeit viel zu geringe / Auch das sie vor Hochgelerte und Grosverstendige kommen solte / etc. Nach dem ichs aber etlichen meinen guten gönnern und freunden / sonderlich meinem lieben Herrn / Nachtbam (Iv) und Mittbrüdern in Christo gezeiget / etc. Haben sie mir den Rath gegeben / Ich möchte es wol umb einfeltiger gemeiner Leute die sonst nicht gerne viel und weiltleufftig lesen / und die Autores auch nicht haben / zu drücken geben. Derwegen ich bewogen / das ich solchs auch dem Ehrwirdigen / Achtbarn / und wolgelarten Herrn Magistro Johanni Pollicario / Superintendenten zu Weissenfeis und Freyburg / als meinem gebietenden günstigen lieben Herrn / zubesichtigen ubergeben habe / Und ohne seine Ehrwirdigen Achtbarkeiten rath und erleubnis hierin nichts fürnemen wollen / Und weil solche Arbeit seiner E. A. nicht misgefallen / Und auch sein E. und A. mir mit etlichen Scribenten zu solchem Promptuario gedienet / etc. Habe ich entlich solches den gemeinen Einfeltigen zum besten zu drücken untergeben. Wem nun diese Buch fürkommen und zu lesen gefallen möchte / Dem gönne ichs von hertzen gerne / Doch mit gantz freundlichem bitten / da ihme etwas hierinnen zu einfeltig und nicht wolgefellig / fürfallen möchte / Mir dasselbe günstiglichen zu gut haltende / etc. So habe ich auch den Historien und Exempeln nichts zugegeben / auch nichts abgebrochem / allein das ich sie auffs kürtzte / mit gebürendem Inhalte / wie ich sie bey den Autoribus gelesen / zusammen gebracht / und nach erleydung zu den Zehen Geboten Gottes ordentlich hinzu geschrieben. Der Allmechtige Ewige Gott / verleihe und gebe uns armen Sündern / das durch Christum erworbene gnaden geschencke / Den Heiligen Geist / das er uns durch seine gnade leite und führe / Damit wir nach den Geboten und worten / des AI1mechtigen Ewigen Gottes / unstrefflichen leben / und durch Christum Kinder des Ewigen lebens werden mögen / AMEN.

(II) Dem Ehrwirdigen / Edlen und Ehrnvhesten / Rudolffen von Bünauw von Draissig / Römischer Keyserlicher Mayestet / Diener unnd Truchses / und Thumbprobst zu Mörseburg / etc. Meinem grosgünstigen Herren. Gottes Gnad und Friede durch unsern Herren und Heylandt Jhesum Christum / sampt meinem schuldigen und willigen dienst / sind Ewer Ehrw. Edl. und Ehrn. allzeit zuvor. Ehrwirdiger / Edler unnd Ehrnvhester günstiger lieber Herr / Dieweil auch die Heyden zu allen zeiten Historien fleissig beschrieben / die auch fleissig gelesen / und fürwar Historien zu wissen und lesen allen Menschen nötig / von wegen das solche zu haben nützlich / Weil in den Historien / Exempeln / allerley erinnerunge und lehr fürgestelt werden / in welchen man auch siehet und erkennet / was für jammers und elends im Menschlichen Geschlecht allwege gewesen / und wie wunderbarlich und seltzam es unter den Menschen Kindern immer zuzugehen pflegt / Auch wie grossen erschrecklichen Sünden / grosse schreckliche straffe erfolget / Den Frommen aber unnd Gottfürchtigen / hinwieder auch gutes und wolthat wiederfahren / Und was für grosse verenderunge in Regimenten fürgefallen / etc. Das in summa die Historien unnd Exempel j a so nötig zu haben und zu lesen / Als sonsten die Lehr und Gesetzbücher / Ja das auch nach der heiligen Propheten und Aposteln / und nachmals anderer hocherleuchten Gottes Mennern in der Christlichen Kirchen Schrifften / Darin allein von Gott / Gottes wille recht geleret wirdt / fürwar auff der Erden keine nützlichere Bücher sein / in welchen höhere Lehr / nötigere erinnerunge / und herrlichere Exempel begriffen werden / Als Histori-

199 en / die man billich der Welt Spiegel nennen mag / denn es tregt sich kaum ein handel so wunderbarlich / und ein fall so seltzam zu / des man nicht gleiche Exempel etwa in den Historien beschrieben finde / wie sich dieselben begeben und zugetragen haben / was darauff erfolget sey / und was sie entlich für einen Ausgang und Endschaft genommen. Dadurch denn ein vernünfftiger Mensch erinnert und bewogen wirdt / sich recht in die Sachen zuschikken / und für schaden und Unglück zu hüten. / Nach dem gemeinen Sprichwort: Mit ander Leuten schaden wird man klug / Und ist aller Historien gemein Argument / Lehr und Inhalt dieser Vers / wie der Poet Virgilius saget: (IIv) Discite iustitiam montiti, & non temnere Divos. Wer geweist wird auff Gerechtigkeit / Sey solchr zu folgen stets bereit / Auch soll man Gott für äugen han / Das steht zu einem Christen Man. Auch ist ganz gewis / das man von Historien / diesen gar grossen nutz hat / Aller Menschen leben betreffendt / das wir darinnen sehen / wie Gott im Menschlichen Geschlecht gewislich gegenwertig / und zu seiner zeit Richter / belohner und streffer ist / das also keine Sünde noch gehorsam / an hohen und nidrigen Leuten / ungestrafft oder unbelohnet bleibet. Derwegen so gedencke ein jeder von Historien und Exempeln / das dieselber des Gesetzes / als der heiligen Zehen Gebot Gottes / Zeugnissen sein / denn sie gnugsam anzeigen / Solche Exempel / wie der Ewige Gott / Abgöttery und Ketzery / Gotteslesterung / falsche Eyde unnd Meineyde / Verachtung des Worts Gottes / ungehorsam der Kinder und Unterthanen / Tyrannisch würgen und Auffrhur / Erschreckliche unzucht / Stelen und Rauben / verleumunge des Nechsten / Geitz und Wucher / und ander dergleichen Laster / damit wider die Gebot Gottes gesündiget / gar schrecklich gestraffet habe. Das man nun solcher Historien und Exempel / einen guten vorrath haben möchte / darinnen man zuersehen / welche nach den Geboten Gottes gehorsamlich gelebet / oder welche dieselben gröblich ubertreten / und jederman sich gleich hierin zu spiegeln hette / Habe ich derwegen dis Promptuarium Exemplorum, aus vielen beglaubten Autoribus zusammen colligirt. Und damit ich mich als Ewer Ε. E. Ehm. schuldiger und gantzwilliger Pfarherr auch mit meinem armen geneigten diensten auffs willigste zuerkennen gebe / weil ich allhier zu Draissig von Ewer Ε. E. und E. als des Tempelhoffes daselbst Administrator und Collator zu einem Seelsorger beruffen und verordnet. Habe ich gedacht solch Promptuarium unter Ewer Ε. E. und E. Namen auszugehen lassen / weil ohne das Ewer Ε. E. und E. Adeliches und sehr löbliches Geschlecht derer von Bünaw / gantz weit beruffen / Auch Christliche Herrn und Junckern sein / die Gottes Wort lieben und ehren / Darumb ichs auch gleich hiermit Ewer Ε. E. und E. Adelichem und Löblichem Geschlecht / will offerirt und dedicirt haben / mit guter vertröstunge / Es werde Ewer Ε. E. und E. Beyneben die Edlen / Ernvhesten und Gestrengen Herrn von Bünaw / inen solch Exempel Buch nicht ubel gefallen lassen / und keinen verdries daran tragen / (Ilv)darinnen die Historien zu ubersehen und lesen / weil sie ohne das vemünfftigen Menschen zu lesen keinen verdrus machen / etc. Wil hiermit Ewer Ε. E. und E. sampt dem Edlen Ehrvhesten und Gestrengen / derer von Bünaw / in die gnade und schutzs und schirm / der höchsten Mayestet Gottes befehlen / mit fleissiger bitt und wünsch / das solch Adelich und löblich Geschlecht / in rechter wahrer erkentnis beharren / trewlich darinnen zunemen / und entlich die Ewige Seligkeit darinnen erlangen / Amen. Ewer. Ε. E. und E. gantzwilliger Andreas Hondorff

200 Promptuarium Exemplorum. Historien und Exempelbuch. Aus heiliger Schrifft / und vielen bewerten Scribenten gezogen / und mit fleis zum Spiegel der warhafftigen busse auff die Zehen Gebot Gottes ausgeteilet: Durch Anderam Hondorff Weiland / Pfarherrn zu Droyssig. Nun aber mit vielen Historien vermehret / und in eine newe richtige Ordnung gebracht / Auch mit schönen Figuren gezieret. Durch Vincentium Sturmium LVDI. moderatorem Bitterfeldensem. Cum gratia & Privilegio ad decennium. Anno 1576. (II) Den Erbaren und Wolweisen Bürgermeistern und Rathsmann der Stadt Delitzsch / meinen grosgünstigen Herrn und Fürderem. Den Erbaren und Wohlweisen Bürgermeistern und Rathsmannen der Stadt Schmiedeberg / etc. meinen grosgünstigen Herrn. Und auch / Den Erbaren und Wolweisen Bürgermeistern und Rathsmannen der Stadt Bitterfeldt / meinen grosgünstigen und gebietenden Herren. Gottes Gnade und Friede / von unsem einigen Erlöser und Heylandt Jhesu Christo / sampt meinem willigen und schuldigen dienst / seindt ewren Erbaren Weißheiten zu jeder zeit bevor. Erbare / Wolweise / Grosgünstige Herren und fürderer / etc. Es ist am tage und jederman bewust / das Gott der Allmechtige / aus sonderlicher gnaden zu allen zeiten / fleissige und treffliche Leute auff Erden erwecket / Durch welche diese nötige und nützliche Arbeit vorgenommen worden / das sie die Historien und Geschichten / in Geistlichem und Weltlichem Regiment und allen Stenden / den Nachkömlingen zu gut beschrieben haben. Und so unsere Vorfahren solchen fleis unterlassen hetten / so würden wir in allen dingen / gar geringen oder gar keinen bericht haben / Und als die Blinden im Finsternis wandlen. Damit aber die Menschen ursach und gelegenheit hetten / vorgangene Historien und geschichte zu lesen und nachzuforschen / Und die seltsame Verenderung / zu (IIv) und abnemung aller ding erlernen möchten / auch ir Leben darnach anstellen / haben die unsem Vorfahren alles ordentlich und deutlich in allerley sprachen vorgeben und beschrieben. Darumb denn wir Gott zu dancken / und solche Historien ehrlich zu halten / schüldig sein. [ Die folgende eingerückt gesetzte Passage ist identisch mit Hondorffs Widmungsvorrede von 1574] Erstlich aber und vornemlich sein die Historien darumb beschrieben / weil wir an allen orten aus weitleufftigkeit der Welt selbst nicht sein / und alle ding gegenwertig nicht sehen können / das wir gleichwol aus anleitung der Historien / der langst vergangenen und weitgeschehenen ding Wissenschaft hetten / und andere damit unterrichten köndten / Denn der mehrer teil der Menschen ehe durch Exempel / denn durch Mündliche Gebot und Gesetz sich weisen lassen. Und ist Historia nichts anders / wie Cicero saget / denn ein Zeuge der zeit / ein Liecht der Warheit / ein Leben der gedechtnus / eine Unterweiserin oder Meisterin des Lebens / und der vorgangenen Welt Verkünderin / welches zu lesen / zu erforschen / zuergründen / dem Menschen nicht allein nützlich und nötig / sondern auch ergetzlich / lustig und kurtzweilig ist. Und nach dem aller Kunst wissenheit dem Menschlichen Geschlecht / nutzbar und ergetzlich / ist ohne zweiffei die erkentnis der Historien / die aller nutzbarste und ergetzlichste / dardurch wir aller Exempel und beyspiel / Lehr / gleich wie in einem scheinbarlichen Spiegel besichtigen / auch welchen Geschichten nachzufolgen / und was zu fliehen sey / erkennen mögen. Es machen die Schreiber der Historien / das wir alle gedancken / wort und werck der vorigen und langst abgestrobenen Welt / die nützlich sind / und Menschlichem Leben dienen / besichtigen / lernen und inen nachfolgen / Auch aus irrungen und mishendlen anderer Menschen / unser Leben richten und besser anstellen können. Und das es auch sonderlich nützlich sey / das diejenigen / so im Regiment sein und sitzen / die Historien fleissig lesen und betrachten / hat nicht ohne ursach der weise Man Demetrius Phalereus zum offernmal den König Ptolomerum vermanet / das er ja fleissig die Historien lesen solte / nach dem sie ihm zum Regiment sehr nützlich und dienstlich. So spricht auch Cornelius Tacitus: Das achte ich die größte und beste frucht der Historien /

201 das man die Tugenden und tapffere thaten an den Potentaten preise / und w i d e r u m b was ubels und schendlichs gehandelt worden / auch vor die Augen stelle und fürbilde / auff das sich die N a c h k o m m e n d e n für solcher schände und solchem ubel dester bas zu hüten haben. U m b solches grossen nutzes willen sollen alle Potentaten / Könige / Fürsten / Herren / Regenten in Stedten / sampt allen andern so in Emptern sein / und mit Leuten umbgehen und zuschaffen haben müssen / die Historien Tag und nacht in Henden haben / Denn sie nach der heiligen Göttlichen Schrifft nirgends besser lernen können / wie sie ire befolnen Unterthanen -IIvÖ rechtschaffen regieren / schützen und verteidigen / und so ir A m p t trewlich und rechtschaffen ausrichten sollen. Es wil aber von nöten sein / das sie solche Historien und E x e m p e l nicht schlechts oben hin lesen [Hondorff, 1574: wie die Nonnen den Psalter lesen] / sondern das sie dieselben mit grossem fleis bewegen / von w e m / aus was ursach / und zu welcher zeit / ein jeglich ding geschehen / und was daraus erfolget / denn viel dinge geschehen aus Göttlichem verhengnis / uns zu erinnerung und besten / auff das wir in dergleichen feilen / da sich die zutragen würden / uns selber sollen dadurch lernen erkennen / Wiewol auch viel dinge darumb geschehen / das wir dardurch gezüchtiget und gestrafft werden / auff das wir uns bessern / und mit der Welt nicht verd a m m e t werden / wie S. Paulus zu den Corinthern saget. Dis müssen aber unbesonnene Leute sein / und zum Regiment nicht fast tüglich / welche alle Sachen gehen lassen wie sie geraten / es gehe wol oder ubel zu in der Regierung / so gilt es ihnen eben gleich. Dieselbigen seind gleich einem S c h i f f m a n / welcher auff dem Meer daher siegelt / und doch auff das Schiff kein achtung gibet / wie es regiert wird / fraget auch nicht darnach / ob es gleich bisweilen einen anstos bekömpt / sondern wartet indes seines thuns / Isset / trincket / spielet / und ist leichtsinnig. Wie nu solch Schiff in grosser gefahr stehet / und die lenge nicht gantz bleiben kan / Auch die Leute / so drinne faren / mit ihrem S c h i f f m a n vorderb und Untergang zugewarten / Also müssen auch die Unterthanen bey einem solchen Regiment nicht ohne gefahr / sondern in vorstehender noth / des schadens und Verderbens gewertig sein. Denn woher sollen sonst dem Menschlichen Geschlecht so viel schaden / J a m m e r / Krieg / Mordt und unglück / zu jeder zeit entstanden sein / denn das die Könige / Fürsten / Regenten und grossen Herrn in der Welt bisweilen so unbedechtig gewest / und auff solche Exempel der Historien nicht acht geben / Sondern wollen alle ding mit einem unbedacht / und mit ihrem eigen Kopff hienaus führen. Wie viel nu der schade / so aus solcher unbedechtigkeit und nachlessigkeit erfolget / desto grösser ist / so viel desto mehr sollen auch die grossen Herren sich gewehnen / die Historien zu lesen / damit sie daraus lernen möchten / vorsichtig und weislich zu handeln / und sich vor schaden hüten. / Und köndte unter so viel tausent Historien / ein einig Exempel k o m m e n / wenn es einer recht betrachtet / und dem nachfolgete / welches einen Herren / bey Leib / Ehr / Gut / Freundtschafft / Land und Leuten erhalten köndte / welches er sonst verlieren m ü s t e / so er es verachtete. [Die f o l g e n d e Passage ist außerdem identisch mit der Leservorrede von 1568.] Weil denn nu in den Historien und Exempeln / allerley erinnerunge und lehr vorgestellet werden / in welchen man auch siehet / und erkennet / was für j a m m e r und elends im Menschlichen Geschlecht allwege gewesen / und wie wunderbarlich und seltzam es unter den Menschen Kindern immer / -IIIvO zuzugehen pfleget / Auch wie grossen schrecklichen Sünden / grosse schreckliche straffe erfolget / den f r o m m e n aber und Gottesfürchtige hinwider auch gutes und wolthat widerfaren / und was f ü r grosse vorenderung in Regimenten vorgefallen / etc. Das in S u m m a die Historien und Exempel j a so nötig zu haben und zu lesen / Als sonsten die Lehr und Gesetzbücher / Ja das auch nach der heiligen Propheten und Aposteln / und nachmals andere hocherleuchteten Gottes M e n n e r n in der Christlichen Kirchen Schrifften / darin allein von Gott / Gottes wille / recht gelehret wird / f ü r w a r auff der Erden keine nützlichere Bücher sein / in welchen höhere Lehr / nötigere erinnerunge / und herrlichere Exempel begriffen werden / als Historien / die man billich der Welt Spiegel nennen mag. Denn es tregt sich kaum ein H a n del so wunderbarlich / und ein fall so seltzam zu / des man micht gleiche Exempel etwa in Historien beschrieben finde / wie sich dieselben begeben und zugetragen haben / w a s

202 darauff erfolget sey / und was sie entlich vor einen ausgang und endschafft genommen. Dardurch denn ein vernünfftiger Mensch erinnert und bewogen wird / sich recht in die Sachen zu schicken / und für schaden und Unglück zu hüten / nach dem gemeinen Sprichwort: Mit ander Leute schaden wird man klug / Und ist aller Historien gemein Argument / Lehr und Inhalt dieser Vers / wie der Poet Virgilius saget: Discite iusticiam moniti, et non temnere divos. Lernet und liebt Gerechtigkeit / Furcht Gott ir Menschen allezeit. Auch ist gantz gewis / das man von Historien diesen gar grossen nutz hat / aller Menschen Leben betreffend / das wir darinnen sehen / wie Gott im Menschlichen Geschlecht gewislich gegenwertig / und zu seiner zeit Richter / belohner und streffer ist / das also keine Sünde noch gehorsam / an hohen und niedrigen Leuten / ungestrafft oder ungelohnet bleibet. Derwegen so gedencke ein jeder von Historien und Exempeln / das dieselben des Gesetzes / als der Heiligen zehen Gebot Gottes / Zeugnissen sein / denn sie gnugsam anzeigen / solche Exempel / wie der ewige Gott / Abgötterey und Ketzerey / Gotteslesterung / falsche Eyde und Meineyde / Verachtung des Worts Gottes / ungehorsam der Kinder und Unterthanen / Tyrannisch würgen und auffruhr / erschreckliche unzucht / Stelen und Rauben / Verleumbdung des Nechsten / Geitz und Wucher / und andere dergleichen laster / damit wider die Gebot Gottes gesündiget / gar schrecklich gestrafft habe. Und dieweil wir Menschen von Gott dazu geschaffen / das wir neben der erkentnis des waren Gottes / und unsers Erlösers und Seligmachers / der (IHIr) frömmigkeit und Tugendt uns sollen fleissigen / und schüldig seind nach den Gebotten Gottes unser Leben anzustellen / in welchen alle Tugenden als in einem catalogo kürtzlich eingeschlossen und begriffen werden. So hab ich / damit man einen Vorrath solcher Historien haben möchte / und daraus man auch sehe / wie Gott den Gehorsam an seinem Göttlichen Wort belohnet / Dagegen aber den ungehorsam gestrafft habe / Diese Arbeit auff mich genommen / das ich nach meiner einfalt die Historias / so aus glaubwirdigen und mancherleien historicis gezogen / nach den Tugenden und Sünden eines jeden Gebots durch den gantzen Decalogum ausgeteilet / das es meines erachtens billich ein Promptuarium exemplorum mag genennt werden / darin ein jeder der lust zu Historien hat / derselbigen einen reichen Vorrath in einem Buch zusammen geschrieben / finden mag / die er sonst mit grosser unkost und mühe aus vielen Büchern suchen müste / Und das er auch hierüber den Gebotten Gottes nachzuleben / sich selbst hierinne spiegeln und beschawen / und sein leben und wandel darnach anstellen möge. Und mir ist kein zweiffei / ob gleich etliche Weltkinder / von andern üppigen und leichtfertigen dingen lieber hören / Es werden etliche fromme Leute sein / denen diese Arbeit gefallen und dienen wird. Und dieweil dis Promptuarium durch den tödtlichen abgang / des Ehrwirdigen Herrn Andreae Hondorffs seligen / meines lieben Herrens und guten Freundes vormals publiciert und in Druck gegeben / und doch also verlassen / das an vielen Orten mangel gewesen / viel nicht so gar tügliche Exempel eingeführet und angezogen / und die Ordnung der Tittel nicht gehalten wie sichs gebüret / welchs er / so er bey leben blieben / one zweiffei würde geendert haben. Als habe ich Vincentius Sturmius, weil ich genandtes Herrn Andreae seligen verlassene Widfraw geehlichet / unnd anderer Sachen mich mehr müssen unterfangen / Auff ermanung vieler gelarter und nicht geringer Leut / und guter Freunde / dieses Promptuarium zum letzten müssen vornehmen / mehren / endern / und bessern / damit also dis Buch ein besser ansehen bekommen / und von menniglich desto lieber gelesen möchte werden. Derhalben ichs an vielen orten verbessert / was nicht gar nützlich herausgenommen / und anders hinnein bracht / beyneben auch in ein solche Ordnung bracht / das mir ohne zweiffei diese meine Arbeit ergangenen Auction und Correction werde zum lesen und nachsuchung angenem und nützlich sein. Damit ich nun aber Erbare / Wolweise / Grosgüstige Herren / sampt meinen geneigten diensten gegen Ewre Erbare Weißheiten willigste mich zu erkennen gebe / habe ich dis augirte und gebesserte Promptuarium in Ewrer Erbaren Weißheiten Namen / lassen in Druck gehen / weil mir bewust / das Ewre Erbarkeit unnd Weißheiten / des heiligen Wort (IIIIv) Gottes trewe Liebhaber und Fürderer sein / und in rechter bestellung der Kirchen und Schulen nicht geringe mühe und fleis anwenden. Also das dieselben Ewre Erbare Weisheiten / über

203 andere G a b e n / damit sie von Gott begnadet und gezieret seindt / allenthalben in grossem lobe stehen. Auch solcher Pietet halben / hergegen von Gott d e m Allmechtigen Ε. E. W. löbliche und wolbestalte Regiment / mit allerley augenscheinlicher wohlfart und a u f f n e h m u n g gesegnet werden. Das ich also dieses meines Promptuarii über E w r e Erbare Weißheiten / wirdigere Patronen nicht habe Wehlen noch finden können. D a r u m b denn auch ich in höchster Vertröstung stehe / Ε. E. und W. werden dis Historienbuch von mir freundtlichen annemen / dasselbige inen lassen gefellig sein / Auch hinfürder meine studia E. E. W. befohlen sein lassen. Wil hiemit Ewre Erbare Weißheiten semptlich und sonderlich / beyneben ihrer zugethanen löblichen Regierung / und der gantzen Stadt in Schutz und Schirm des Allerhöchsten befohlen haben / Welcher trewe Gott / Ewre Erbare Weißheiten / semptlich und sonderlich in der erkandten der reinen des heiligen Evangelii warheit und bekendtnis / durch seinen heiligen Geist bekrefftigen und erhalten / und endtlich Erben des ewigen Lebens machen wolle / A m e n . D a t u m Bitterfeldt / am tage des Apostels Bartholomei des 1576. Jars / An welchem Tage vor 60 Jaren / nemlich A n n o Christi 1516. der Türckische Keyser Selimus den Soldan in Egypten bekrieget / und nicht weit von Alkayr uberwunden und erschlagen. Nachmals die Stadt Alkayr / Alexandriam, und das gantze Egyptenland erobert und unter sich bracht / A u c h die Hauptstadt in Syria / D a m a s c k genandt / e i n g e n o m m e n / etc. E w e r Erbarkeiten und Weisheiten Dienstwilliger Vincentius Sturmius Schulmeister daselbst.

Wolfgang Bütner Epitome Historiarum. Christlicher ausgelesener Historien und Geschichten / Aus alten und bewehrten Scribenten. Und die sich auch zu unsern Zeiten zugetragen. Ordentlicher und kurtzer Auszug. In Fünff Bücher / Nach Ordnung und der Lere in den zehen Geboten Gottes / Und der sieben Bitten in unserm heiligen Vater unser / Getichtet. Darinnen abzunemen / wie die Kinder Gottes in d e m Gesetz des Herrn recht und wol gewandlet / Gott gedienet und angeruffen / U n d darumb von Gott mit G n a d e n und Ehren / zeitliche Belohnung e m p f a n g e n . Die Weltkinder aber / so dawider gestrebet / Gott veracht und gelestert / von im auch grewlich gestraft und getilget sind. In gutem und reichem Trost / den betrübten und Elenden Christen / die in der Welt verachtet und verhasset. Den Sichern aber und rohem Weltpöbel / zum schrecken und abschewe. Z u s a m m e n g e t r a g e n durch M. W o l f f g a n g u m Bütner. Psalm. 86. H E R R / T h u e ein Zeichen an mit / Das mirs wolgehe. 1576. (a 2r) Den Achtbarn Hoch und Wolweisen / Fursichtigen / Erbarn und Ersamen Regierenden Bürgermeistern / Rath und K e m m e r n / der Sechsischen Fürstlichen Stad Weymar. Verleihe der AUmechtige Weisheit und Verstand / und zum balde k ü n f f t i g e m / und sonst noch zu viel N e w e n j a r e n / Gesundheit und langes leben / in der Bekentnis Jesu Christi. Achtbare / H o c h und Wolweise / Fursichtige / Erbare und E r s a m e günstige Herren / Nach dem ich aus Christlicher Vorsorge / und in betrachtunge / wie ich von sonderlicher und gnediger Verleihung unsers barmhertzigen und Allmechtigen Himlischen Vaters / der da mit seinem Sone Jesu Christo / unserm Erlöser und Heilande / sampt dem heiligen Geiste / wahrer und ein einiger Gott ist und bleibt / von Ewigkeit zu Ewigkeit (biß zu diesem tage / als der kleinest und wenigste / in der v e r s a m m l u n g e der Gleubigen / und im Weinberge des Herrn gearbeitet / und wie ich mich zum Allmechtigen gentzlich versihe und vertrawe / mit frucht und gedeien helffen b a w e n und bessern) viel zeit verschwendet und zugebracht / und 29. jar dem dienst des Evangelii in der Ersamen g e m e i n e zu O m p f f e r s t e d / neben der Fürstlichen Stadt W e y m a r / und bey den Wolfferstedtem neben Allsted vor dem Hartze vorgestanden. Habe ich solche lange zeit / m ü h e und embsigkeit / u m b welcher willen ich von keinem M e n -

204 sehen (a 2v) noch Engeln wil gelobet und gerhümet sein / gentzlich dahin zu richten vorgehabt / damit die ehre und die krafft des heiligen Evangelii / nicht alleine bey uns / und in unsern Schulen / Propagieret / das ist / fortgebracht und erhalten / sondern auch unter frembde Völcker und Herrschafften ausgestrewet / und der Heiden Erlöser in allen Landen gerhümet / angenommen und gepreiset würde. Darzu denn nicht alleine predigen und Kirchenübunge / nemlich beten und singen / trösten und straffen / aufflösen und zubinden / die Sacramente ausspenden / und alle Christliche Kirchen und löbliche Stadzucht zu treiben und abzuwarten / gehören und nötig sein / Sondern auch gut ist / und besserlich die Feder anlegen / und was ich meinen vertraweten den Ersamen zu Ompffersted / und den Wolfferstedtem in iren Kirchen und Gemeinden gepredigt / und warzu und zu wem ich sie / mit dem Stecken und Stabe des HErrn / geführet und geleitet / dasselbe ausreisse und fortfahre / über berge und über thale / über hügel und gipffei / lecke / springe / hüpffe und tantze / wie die jungen Hirschlein und Lemblein / und in der schönen Welt unter dem Himel laut / helle / gemein und offenbar sey und bleibe immerdar. Und darumb habe ich über eilff jar aus obligendem meinem Lere und Predigtdienst nach dem befelh des HErrn und S. Pauli: Forschet in der Schrift und prüfet alles / mit emsigem und stetem lesen / mich geübet / und in der heiligen Schrifft / die da ist die lebendige quelle / und Ader des lebens / spacieret / und mich erlüstiget. Darneben mich auch in den Büchern der Mertyrer / und Gottfürchtigen Kirchenlerer / und Historienschreiber / mit vleis und trewlich umbgesehen / und reine Historien / so viel ich derselben zu lesen und zu betrachten haben (a 3r) können / auff das Gesetze Gottes in den heiligen Zehen Geboten / und auff des HErrn Christi Gebet / im H. Vater unser gezogen / und also gebrauchtet / das mir und den meinen eingethanen Kirchen und angepfarten / grosser frommen und nutz auffgestiegen / und beide aus Historien und Geschichten / die zehen Gebot und die sieben Bitte des Vater unsers / zimlich habe lernen verstehen / und andern auch damit den rechten brauch angeben und zeigen können / und also mancherley und vielfeltige Exempla / Historien / Geschichte / Sprüche / Wercke / Thaten / Belohung und vergeltunge / Warnung und Straffe / in eine Methodische Epitome oder richtige kurtze Ordnung zusammen getragen / und mir / wie gehöret alleine / und den Christlichen Versamlungen zu Ompffersted / und der Wolfferstedter zu nützen und zu gebrauchen / verwahret und beygelegt. Nach welchem ich sampt den meinen mich zu Regulieren / und Christlich in der furcht Gottes zu richten / und derhalben keinen genies / ehre / lob noch rhum / gemeinet noch gesucht / viel weniger das ich andern trewen und vleissigen haushaltem des HErrn Jhesu Christi / wolte hiermit worinnen vorgreiffen / ire Studia und Arbeit schmelern / niederlegen und in ungelimpff ziehen. Denn ich weis wol das der wirdige und selige Andrea Hondorff / desgleichen Manlius / Lycostenes und D. Fincelius / und sonst viel andere mehr / hiebevor dergleichen Geschieht und Exempla zusammen geklaubet / und in die Zehengebot gerichtet / ire reiche Talenta rechtschaffen genützet / und damit handtieret. Weil aber der HErr der da wünderlich in seinen wercken / und reich mit austheilen und mit verschencken / von seinen Gottlichen güttern und Himlischen schetzen / mir auch nit einem (a 3v> Talento zu handeln gegeben und befohlen / werden obgemelte meine lieben Herren und Brüder / auch sonst alle rechtgesindte Gottfürchtige / meinen vleis und mühe zu keinem unglimpff auslegen / sondern neben und mit mir / dem Allmechtigen fur diese seine zugereichte geschenck und gaben / von herten und demütig lob und dancksagen / und diese Epitome Historiarum Christlich lesen und wol verstehen. Zu dem habe ich fur mich selbst zur Publication / oder zum Abdruck nicht geeilet / auch keinem Menschen zu besichtigen / weder gezeigt noch zugereichet / Sondern (wie denn sollen und müssen alle ding nach des HErrn willen und gefallen / sich lencken und beugen / und anders nicht gehet noch steiget / denn wie es der HErr selbs führet und leitet) da meine erbare und günstige Verleger / meine Conatus und Vigiliam vernomen / und von redlichen Leuten derselben bescheiden / haben sie mir mit schreiben und Persönlich selbst die Publicierung abgemutet / und mit einer ersamen Vergeltunge belohnen / und an sich zubringen gesucht. Aber er ist mir im anfange ir sinnen an mich fast schweer / und darumb zu bedencken einges t e l l t / doch endlich darzu beredet / desto lieber und mit besserm Lust von mir gelassen / und zu drucken ubergeben / dieweil sie mit irem darlegen / und statlichem kosten dis werck / der Christlichen Kirchen zur Lere und besserunge / und der rohen Welt zur Busse und abschreckunge / von irem sündlichen Wesen und Wandel / ausgehen zulassen / wolgeneigt und

205 besonnen / Und also nicht ferner verschieben / oder im verborgenen verhalten sein / sondern meinen günstigen Herrn Verlegern Christlich zu kommen / und abdrucken zu lassen, (a 4r) Mit was nutz / frommen und besserunge / Christliche und trewe Predicanten / auch sonst andere tapffere und auffrichtige / der Ehren und Tugend Liebhabere / in hohen Emptern und Stenden / und mit die Hausgeschefften umbgehen / iren Beruff üben und treiben / vom lesen dieser Epitomischen Wercke und Geschichte fassen und einnemen / wird die Erfahrunge von sich selbst angeben / und bekand machen / Denn ja Gottes Gesetze / und Christi Compendium / zu beten / Gott anzuruffen und zu loben / mit Exempeln und Historien vorgebracht / förderlich und fruchtbarlich / Und diese beide Stücke / Christlicher Lere nicht können besser illuminiert / getrieben und dem Menschlichem Geschlecht vorgezielet / und eigebildet werden / Denn so man gleiche Beyspiel und Historien / der Verbrecher und der Bewahrer des Göttlichen Gesetzes / auch die Anruffer und Lesterer der siebenden Bitte unsers heiligen Gebets / mit lieblichen und anmutigen / und wie die Christlichen / demütigen Diener des HErm / wissen und pflegen / Exempeln und Geschichten vorbringet / und in die Augen und in die Hertzen zu beschawen und zu betrachten angiebet und vorsaget. Ich hatte mir zwar vorgenommen und war gentzlich endsonnen / diesen Farraginem Historiarum / in und nach den fünff Stücken Christlicher Lere im Catechismus einzuteilen / und die Artickel des Glaubens / sampt beiden Sacramenten / mit tröstlichen und mit erschrecklichen / wüsten und wilden Exempeln zu erzelen / damit unser angelegte arbeit nicht Epitome / Sondern Catechesis Historia genennet. Aber andere fromme Lerer und Diener des Evangelii müssen auch arbeiten und den Federkarst in die Hand nemen / Die vor mir (a 4v) hingangen sein / haben nach irer masse / mit vleis und trewlich gearbeitet / so habe ich gethan / wie viel ich gekond und vermocht / und mit der HErr bescheret hat / Doch hat mich der Sathan / und seine rasende Caterna mit Sycophantischer Beladunge und Lesterunge / an meinem Vorhaben und Arbeit geseumet und abgehalten / und nicht alleine meine Studia habe müssen lassen ruhen und feiheren / Sondern auch dieweil der Fürst der Welt / und seine Fürstin Fraw Calumnia / auff meinem Rücken gepflüget / und tieffe Furchen auffgezogen / den Dienst des Evangelii lassen stehen und ligen / und mich mit dem ein hundert und zwanzigsten Psalm / (Ich ruffe zu dem Herrn in meiner not / und er erhöret mich. HErr errette meine Seele von den Lügenmeulern / und von den falschen Zungen / Was kan die falsche Zunge thun / und was kan sie ausrichten? Sie ist wie scharffe Pfeile eines Starcken / Wie Fewer im Wacholder. Wehe mir / das ich ein Fremdling bin unter Mesech / Ich mus wohnen unter den Hütten Kedar. Es wird meiner Seelen lang zu wohnen / bey denen / die den Frieden hassen. Ich halte Frieden / aber wenn ich rede / so fahen sie Krieg an. Und mit Exempeln der Unschuldigen / Als Athanasii / Eustochii / Apellis / Narrissi und anderer) getöstet / gelabet und stercket. Und ob ich wol keine Herberge / Stuel noch Werckstat / meine Studia zu exercieren / und den Kirchendienst mit leren und predigen zu treiben / Vomemlich aber / mein vorgenommen Werck und Buch / welches ich ein Frawen Cronicon nenne / nicht aus arbeiten noch fertig machen kan / so hat doch der / dem ich vertrawe / und in des Hand ich meine Hoffnung geleget / mich nicht verworffen / noch mein vergessen / Er hat meine tage in sein Buch (a 5r) geschriben / und kennt mich gewis und recht / Er weis auch meinen Weg / und sihet meinen Eingang und Ausgang / Ja dieser / der da heist und ist / und bleibet von Ewigkeit zu Ewigkeit / El Gibbor Vichophet Zadick / Er hat seinen Bogen gespannt / seine tödliche Pfeile gescherffet und gewetzet / helt und zielet zum Abdruck / das Er vertilge den stolzen Verleumbder / und alle die unreine Hertzen / und falsche / grosse / weitte sehende und Lestermeuler haben. Zu letzt aber auch Achtbare / Hoch und Wolweise Patronen / und günstige Herren / habe ich in unterthenigkeit / und aus schuldiger / Pflichtiger Danckbarkeit / dis mein Historien Buch wollen zuschreiben und dediciren / Warlich nicht / das dieselbigen Ewer Fursichtig Günsten und Achtbarkeiten / Die da aus viel hoher / reicher / erfahrener / versuchter und gelerter / darzu aus berhümpten und angenommenen Schrifften und Büchern / diese ding und Historien / nicht förmlicher / statlicher / zierlicher und bequemer / oder aber vor sich selbst / als geübte und viel probierte Helden und Stad Regenten / welchen wünderliche und seltzame Hendel zuschlagen / in die Augen fallen / und in die Hende gerathen / von mir warinnen Sölten etwas berichtet / oder zu mercken und zu behalten / angeführtet und unterweiset / Sondern dieweil ewer Achtbarkeit Weisheit und Gunsten / desgleichen ewer Achtbar Weisheiten löbliche Bürgerschafft / im Löblichem und Fürstlichem Hause zu Sachsen / Membra und Articuli / der Christlichen / wahren und reinen Religion eingeleibet / meine Patronen und Syni-

206 goren. Ich auch neben ewer Achtbar Weisheit und Gunsten Stad / vor zwey und dreissig Jahren zum Newen (a 5v) Marckt mein liebes Weib in die Ehe gefreihet / von der Weymarischen Kirchen zum Dienst des Evangelii beruffen / und darinnen ordinieret bin / habe auch offt darinnen gepredigt / und die Sacrament ausgeteilet / auch in der Weymarischen Kirchen neun und zwanzig Jahr / auff zwei Pfardiensten geherberget / und mich darinnen genehret / und bey der Gemeine zu Ompffersted und bey Wolfferstedten / viel trüber und heller Sonnen Glentze und Stralen uberstanden / meine Kinderlein in der Weymarischen Diocoesi rasten und schlaffen / Ich auch gedencke mit gnaden und Ehren in der Erkentnis und Bekentnis Jhesu Christi in Thüringischen abzuscheiden / und beygelegt / auch aus der Thüringischen Erden widerumb auffzuerstehen / und unverweslich herfür zu gehen. Also hab ich in der Welt niergend hin gewolt / noch gewust / denn bey euch Fürsichtige Herren / und bey ewern ersamen Bürgerschafften / Kirchen / Schulen und Gemeinden / in Gottes Namen zuverharren / und bey euch zu bleiben / Euch und ewer Achtbar Günsten / meine studia zu besichtigen und zu erkennen / darbieten und zureichen wollen. Gleich wie die Knaben in der Schule / ire Lateinischen Epistolia oder Verslein / irem Poetagogo auffweisen / bessern und Corrigieren lassen. Und bitte / nach dem diese Epitome mit Ewer Fursichtigen und herrlichen Günsten Namen und Ehren angethan und gezieret / Auch der gantzen Christlichen Kirchen zu nutz und zum besten / publiciret und an das Liecht gebracht / Und wie ich hoffe / nicht one Frucht noch vergeblich abgehen werde / dieselbige Ewer Fursichtigen und Herrliche Günsten / wolten solche mit Gunst und Freundlich / in hertzlicher Wolmeinung von mir (a 6r) entpfahen und annemen / und meine gönstige Herren und Patronen allezeit sein und bleiben. So wird hinfort bey ewer fursichtig und herrlich Günsten / Lebens Zeiten / welche der allmechtige / trewe / barmhertzige / der uberaus und unüberschwenckliche / unbegreiffliche / fromme / hertze lieber himlischer Vater / mit Gesundheit am Leibe / und an anderm zeitlichem segnen / zu sampt ewern ersamen und erbarn Ehegemahlen / und Leibs Früchten / in friede / ruhe / einigkeit / in sichern stillem wesen und wandel / bis an und zum Gültenen Himmelpförtlein / welchs ist unser Heiland Jhesu Christus / erhalten / und mit gnaden ewre Gemüthere / Sinnen und Hertzen / wider des Teufels Püffe und Schüsse / Pfeile und Beile / rüsten und stercken / krefftig und gehertzt machen. Das verleihe ewer achtbar günsten / der Allmechtige Gott Vater / Son und heiliger Geist / sampt einem seligem und frölichem newen Jahre / zu seinem heiligen Göttlichen Namens ehren und lobe / und zu ewer Fursichtigkeit und Achtbar Günsten gedeihen und segen / am Leibe und der Seele / Amen. Ewer Achtbarkeiten und Günstigen / Dienstwilliger. M. Wolfgangus Büttner.

Zacharias Rivander Der Ander Theil Promptuarii Exemplorum, Darinnen viel Herrrliche Schöne Historien Allerley Alten und neuwen Exempel / Auch viel nützliche / merckliche und denckwirdige Geschichten / von Tugendt und Untugendt / guten und bösen / löblichen und schändtlichen Wercken und Thaten / Sampt derselbigen Straffe und Belohnung / in hohen und nidern Ständen / etc. verfasset sind / Dergleichen im vorigen und ersten Promptuario gar nicht gefunden werden / Alles nach den heyligen Zehen Gebotten Gottes fein ordentlich distribuirt und außgetheilet. Item /der Beschluß der heyligen Zehen Gebott Gottes / Ich der HERR dein Gott / bin ein starcker eyfferiger Gott / etc. mit vielen erschecklichen Historien und Exempeln erkläret / Allen Menschen zum Spiegel der Tugendt / Zucht / Ehrbarkeit / auch zur treuwen Warnung und Vermahnung / für die Augen gestellet / Auff daß jederman lerne fromb seyn / Gott fürchten / und sich für seinem Gericht und Zorn hüten.

207 A u ß den besten und gewissesten / Griechischen / Lateinischen und Teutschen Chronicken und Geschichtbüchern / trewlich und fleissig z u s a m m e n g e z o g e n : Durch Magistrum Zachariam Rivandrum. 1587. Mit Rom. Keys. May. Freyheit nicht nachzudrucken. Gedruckt zu Franckfurt am Mayn / bey Johann Spies / In Verlegung S i g m u n d Feyrabendts. (a Ilr) Deß Durchleuchtigsten / Hochgebornen Fürsten und Herrn / Herrn Ludwigen / Pfaltzgraffens am Rhein / des heyligen R ö m i s c h e n Reichs Erztruchsessen / unnd Churfürstens / etc. Gottseligem / Christlichem / und Hochgeliebtem G e m a h l / der auch Durchleuchtigsten / Hochgebornen Fürstin und Frauwen / Frauwen Elisabethen / Gebornen Landgräffin auß Hessen / etc. Herzogin in Ober und Nider Bayern / etc. unnd Churfürstin / meiner Gnädigsten Frauwen. Gottes Gnade und Friede / durch Christum / sampt w ü n s c h u n g eines glückseligen neuwen Jars / neben meinen underthänigen / und gehorsamen willigen Diensten allezeit zuvor. Durchleuchtigste / H o c h g e b o r n e Churfürstin / Gnädigste Frauw / Es hat die H o h e Maiestet im H i m m e l seinen Göttlichen Willen auff zweyerley weise erkläret und offenbart / Einmal im Gesetze / unnd das ander mal im Evangelio. Im Evangelio verheisset er Barmhertzigkeit / Lieb / G n a d und Gunst / Vergebung der Sünden / unnd ewiges Leben / u m b deß heyligen theuwren Verdiensts / Bluts / Todes / Leidens unnd Sterbens willen / seines eingebornen und allerliebsten Sohns / Jesu Christi unsern H E R R N / allen in gemein / unnd einem jeden in Sonderheit / so sich durch ware Rew und Büß / von ihren Sünden zu ihm bekehren / und an denselbigen seinen Sohn glauben / und sich zu bessern gedencken. Und hat Gott solche seine Barmhertzigkeit / Liebe und Gnade mit Worten und (a IIv) mit Wercken / das ist / mit außerlesenen Sprüchen und Verheissungen / und mit lebendigen Historien und Exempeln bezeugt / und mit der M e n s c h w e r d u n g / Leiden und Sterben seines Sons bethewrt / und mit den hochwirdigen Sacramenten versiegelt / etc. Auff daß kein Mensch u m b seiner begangenen Sünden und Mißhandlung willen / zu verzagen / sondern sich der Vergebung und ewigen Lebens in Christo / durch den Glauben gewiß zu trösten / g e n ü g s a m e n Grundt und Ursach hette / darvon jetzt nicht zeit weiter zu reden. Im Gesetz aber offenbart er seinen Zorn unnd Gerechtigkeit / verbeut die Sünde emstlich / und dräwet zeitliche und e w i g e Straff / an Leib und an Seel / über alle die / so da sündigen / und böses thun / wie geschrieben stehet / R o m . 1. U n g n a d e / Zorn / Trübsal und Angst / über alle Seelen der Ungerechten / die ubel thun. Und abermal spricht die Schrifft: Die / so da sündigen / werden Pein leiden / das ewige Verderben / v o m Angesicht deß HErrn / und seiner herrlichen Macht / wenn er k o m m e n wirt vom H i m m e l / sampt den Engeln seiner K r a f f t / Räch zu üben mit F e u w e r f l a m m e n / 2. Thessa. 1. Unnd abermals / R o m . 1. Der Zorn Gottes wirt o f f e n b a r werden über alles Gottlose Wesen / unnd über alle Ungerechtigkeit der M e n schen / Oder / wie er sich selber erklärt / zun Gal. am 5. cap. über alle die / welche die Werck deß Fleisches vollbringen / das ist / über alle Ungläubigen / die da ligen im Ehbruch / Hurerey / Unreynigkeit / Unzucht / Abgötterey / Zauberey / Feindtschafft / Hader / Neid / Zorn / Zanck / Zwitracht / Hassz / Mord / Sauffen / Fressen / und dergleichen Schanden und Sünden / und seyn / wie er sie nennt / in der ersten an die Corinth, am 6. Cap. Und in der ersten Epistel zum Timotheo am 1. Cap. Hurer / Abgöttische / Ehebrecher / Weichling / Knabenschender / Diebe / Geitzige / Trunckenböltze / Lästerer / Räuber / Vattermörder / Muttermörder / Todtschläger / Menschendiebe / Lügner / Meyneidige / und dergleichen. Uber solche alle / spricht S. Paulus / wirt k o m m e n der Z o m Gottes / das ist / solche werden der zeitlichen Straffe nit entfliehen / und w o wie nicht Busse thun / sollen sie auch in ewigkeit verdampt und verlorn seyn / denn der keiner / spricht er flugs darauff / die solches thun / werden das Reich Gottes ererben / wie Moyses auch spricht: Verflucht sey jederman / der nit helt alles / was geschrieben steht im Gesetz deß HErrn / daß er darnach thue. Und seiner heyligen Zehen Gebott Beschluß ist dieser: Ich der H E R R dein Gott / bin ein starcker eyferiger Gott / der da heymsucht die Missethat der Vätter / an den Kindern / biß ins dritte und vierdte Glied / etc. U n d im 5. Buch M o s e / am 28. Cap. stehen diese Wort: Wenn du nit gehorchen wirst der S t i m m e deß H E R R N deines Gottes / daß du haltest unnd thust / alle seine Gebott unnd Rechte / so werden alle die Flüche über dich k o m m e n / unnd dich treffen / Verflucht wirst du seyn / etc. Man lese das Capitel gantz / denn es sind erschreckliche Wort. Und stimmen des H E R R N Wort und Werck auch allhie mit einander uberein / Denn wie er mit Worten die Sünde zu straffen in seinem Gesetz gedräwet / also hat ers auch mit der that

208 grewlich und erschrecklich gnugsam beweiset. Den ersten Menschen stösset er auß d e m Paradeiß / und verflucht in und alles / u m b seiner Sünden willen / das auff Erden war. Und in der ersten Welt ersäufft er mit Wasser / alles was einen lebendigen O d e m hatte / an Menschen und Viehe. Und S o d o m a und G o m o r r h a vertilgete er mit Schweffei und F e u w e r / das ist / mit Blitz und (a Hlr) Donner v o m H i m m e l herab. Und seines eygenen Volcks hat er nit verschonet / sondern sie / u m b ires Unglaubens unnd Gottlosen Wesens willen / zerbrochen / wie S. Paulus redet / und von seinem Angesichte Verstössen / wie die sichtigliche Erfahrung noch bezeuget / biß auff den heutigen Tag / Rom. 11. Ja / spricht S. Petrus / Gott hat der Engel / die da gesündiget haben / nit verschonet / sondern sie auß dem H i m m e l gestossen / und mit Ketten der Finsternuß zur Hellen verbunden / und ubergeben / daß sie zum Gericht behalten werden / damit ein Exempel gesetzt den Gottlosen / die hernach k o m m e n würden / 2. Pet. 2. Und S. Paulus / 1. Cor. 10. als er deß Volcks Israels gedenckt / unnd wie sie Gott in der Wüsten d a m i d e r geschlagen h a b / spricht er / diß ist uns zum Vorbilde geschehen / und uns zur Warnung geschrieben / auff welche das E n d e der Welt k o m m e n ist. Das m u ß man predigen / und solche und dergleichen Historien und Exempel Göttliches Zorns und Gerichts / ohn a u f f h ö r e n / es sey zur zeit oder unzeit / sonderlich in diser letzten zeit / da es mit der Welt biß auff die Neyge und Hefen k o m m e n ist / und die Sicherheit mit allen Untugenden uberhandt g e n o m m e n haben / und noch täglich n e m e n / ohn auffhören / mit voller Gewalt. Denn es jetzt also / und gar nit anders geht / denn wie es zur zeit N o h a und Loth gegangen ist / nach der Weissagung Christi / Luc. 17. O b Gott Gnade und Geist geben wolte / daß doch etliche in hertzlicher betrachtung seines erschrecklichen Zorns / und zukünfftigen gerechten Gerichts / zu vermeiden zeitliche unnd ewige Straffen an Leib und Seel / in sich selbst schlagen wolten / unnd anfahen Busse zuthun / und f r o m m zu werden / auff daß sie in Christo / und durch Christum unbefleckt und unsträfflich / im heyligen Wandel / und Gottseligem Leben und Wesen erfunden / wirdig werden möchten / zu entfliehen der Verdammniß / und allem dem zukünfftigen J a m m e r und Unglück / das da k o m m e n sol und wirt / über alle Gottlosen in Ewigkeit. Weil man denn Büß predigen m u ß / unnd die Exempel Göttliches Z o m s und Gerichts / neben den erschrecklichen Sprüchen der Schrifft / der Welt gescherpfft / und wol eyngebildet werden sollen und müssen / welches S. Paulus heisset / das Gesetz predigen / etc. Ist sich wol zuverwundern / daß auch auß den unsern etlich auffgestanden / welche das Gesetz unnd die Bußpredigten von der Cantzel und auß der Kirchen haben verweisen wollen / und mit nichten gestatten / daß man mit solchen unnd dergleichen Historien unnd Exempeln die Leute schrekken / und blöde und furchtsam m a c h e n solle. So es doch auß S. Paulo gewiß / und auß der ganzten heyligen Schrift klar und offenbar ist / auch auß dem Befehl Christi o f f e n k u n d b a r / daß man die Busse predigen m u ß / Muste nit / spricht der H E R R / Christus leiden / unnd in seine Herrligkeit eingehen / unnd predigen lassen / Büß und Vergebung der Sünden / in seinem N a m e n . Hie machet j a Christus zwey unterschiedene Stücke / die durch das Ministerium unnd Predigampt in aller Welt getrieben werden sollen / Nemlich / die Predigt der Busse erstlich / und darnach auch die Predigt von Vergebung der Sünden. Die Predigt der Busse aber / was ist die anders / denn die Predigt deß Gesetzes / dardurch die Menschen mit Gottes Zorn geschreckt / zur warhafftigen Erkänntnuß irer Sünden gebracht werden. Darnach die Predigt von Vergebung der Sünden / was ist die anders / denn die Predigt deß H. Evangelii. (a IIIv) Denn dieweil zweyerley Menschen / nit allein in der Welt / sondern auch in der Kirchen / das ist / unter dem hauffen / der Gottes Wort hat unnd hört / alle zeit g e f u n d e n w e r d e n / gute und böse / ruchlose und Gotteförchtige / ist einem j e d e n Prediger / bey verlust seiner Seelen Seligkeit / befohlen und aufferlegt / daß er das Wort Gottes recht theile / dem rohen sichern H a u f f e n das Gesetz und die Büß / und dem betrübten furchtsamen H a u f f e n / das Evangelium und die Gnade / mit höchstem Fleiß und Trewen ohne unterlaß fürtrage und eynbilde / auff daß die sichern und furchtlosen mit Gottes Zorn geschreckt / und die blöden zaghafftigen Gewissen und Hertzen / mit dem Trost deß Eyangelii / von der Barmhertzigkeit Gottes in Christo / w i d e r u m b auffgerichtet werden m ö g e n / auff daß sie nit u m b irer Sünden willen verzagen / noch an der Barmhertzigkeit Gottes verzweiffein. Wer nun die Predigt der Büß und deß Gestezes wil auß der Kirchen h i n w e g r ä u m e n / wie die Antinomer gethan haben / und noch thun / was machen die anders / denn daß sie den Menschen die Thür und den Weg zur Seligkeit und ewigem Leben versperren und zuschlies-

209 sen / und sich an der Verdammnuß der Menschen schuldig und theilhafftig machen? Denn dieweil niemandts selig werden kan / er thue denn Büß / und die Büß ohn Erkändtnuß der Sünden nit ist / und aber unmüglich / daß ein Mensch zu erkänntnuß seiner Sünden könne gebracht werden / ohne die Predigt deß Gesetzes / Denn durch die Predigt deß Gesetzes / spricht S. Paulus / kompt Erkänntnuß der Sünden / so folget unwidersprechlich / daß die Predigt des Gestzes und der Büß / in der Kirchen Christi bleiben soll und muß. Darmit nun ich / als der geringste und wenigste / etwas darzu thete / wie ich mich denn darzu schuldig und pflichtig erkenne / hab ich nach meinem kleinen und geringen vermögen / und so viel ich in einer eyle gekonnt / sonderlich weil ich auch darumb angelangt unnd ersucht worden / etliche Historien und Exempel / auß warhafftigen Chronicken und Geschichten / mit fleiß / als einen Spiegel Göttliches Zorns wider die Sünden / menniglich für die Augen stellen wollen / in welchem die Welt und jederman sehen köndt / daß ein Gott im Himmel sey / der auch Richter ist auff Erden / hat ein gerechtes Auge / sihet alles / und weiß alles / läßt kein gutes unbelohnet / und kein böses ungestrafft / Wie denn auch die Experientz und Erfahrung täglich bezeugt / daß greuwliche Laster und Ubelthaten regulariter und gebräuchlich / auch in diesem Leben grewlich und erschrecklich gestraffet werden. Welches je nicht ohne gefähr oder Zufalls / sondern auß sonderlichem Urtheil und Gericht Gottes geschehen muß / wie menniglich / der nur ein wenig Gedancken und Vemunfft hat / und nit gar vom Sathan verstockt und verblendet ist / bekennen muß / weil die Mißhändler und Ubelthäter zum offternmahl so seltzamer und wunderlicherbar weise / und durch ungewöhnliche Mittel unnd Wege / eingebracht / und zur Straffe gezogen werden / daß sich alle Welt / die es sehen / oder erfahren / darob entsetzen und verwundern müssen. So sihet man auch in solchen Historien und Exempeln / wie erschreckliche / und greuwlich die Gewalt des Teuffels ist / und wie mächtig er in dieser Welt seine Werck und Tyranney übet / und treibet / bey den Kindern deß Unglaubens / und allen denen / so verloren werden sollen / wie S. Paulus sagt: Und wie bald es geschehen sey / daß auch wol heylige Leute / vom Teuffei unversehens ubereylet / nicht allein in gemeine tägliche Sünde / sondern auch viel und offt in grewliche und offenbarliche Laster und Schanden gestürtzt und geworffen werden / Auff daß (a IHIr) man nicht sicher sey / sondern allenthalben Gott fürchte unnd fleissig bette / Wie S. Petrus auch vermahnet und lehret / 1. Petri 5. da er spricht: Seid nüchtern und wachet / Denn euwer Widersacher der Teuffei / gehet herumb wie ein brüllender Löwe / und sucht / wen er verschlinge / dem widersteht im Glauben / etc. Es ist / Gnädigste / Churfürstin und Frauw / vor dieser zeit ein buch außgangen / unter dem Namen und Titel deß Promptuarii, vom Pfarrherm zu Droissig / Em Andrea Hondorffio / welches Buchs ersten Grundt geleget hat M. Joannes Pollicarius / Pfarrherr dazumal und Superattendens zu Weissenfelß / und weyland der Durchleuchtigsten und Hochgebornen Churfürstin / etc. Frauwen Agnes / Chursten Moritzen / etc. nachgelassenen Wittfrauwen / Euwer Churf. G. Frauwen Schwester / etc. hochlöblicher unnd seliger Gedächtnuß / Hofprediger / wie gemeldter Er Andreas / in der Prefation an den Leser / in seiner ersten Edition selbst bekennt und bezeuget. Dasselbige Buch / weil es voll vieler guter unnd feiner schönen Historien ist / ist es von jederman mit Lust und Liebe gelesen worden / Und weil die Exempel nach den heyligen Zehen Gebotten Gottes fein ordentlich distribuirt unnd außgetheilet seyn / ist kein Zweiffei / es wirdt auch in vielen frommen Hertzen / so daselbige Buch bißher gelesen haben / oder noch lesen möchten / wahre Frucht Gottes und Christliche Büß gewirckt und erbauwet haben / und noch wircken und erbauwen. Dafür fromme Hertzen / Gott im Himmel zu förderst / unnd darnach Andree Hondorffio / umb seiner Arbeit und fleisses willen / unnd als denn auch dem Herrn Pollicario / als desselbigen Buches ersten Stiffter unnd Angeber / unnd der mit Unterricht unnd mancherley Büchern dazu trewlich geholffen / billichen und schuldigen Danck zu sagen wissen. Weil aber viel trefflicher und mercklicher Historien noch uberig und hinderstellig / die im ersten Promptuario nit verfasset seyn und doch wol wehrt / daß sie mit fleiß gelesen / und in frischer Gedächtnuß unter den Menschen für unnd für bleiben und erhalten werden / hab ich mich der müh unterwunden / und solche Exempel fleissig und treuwlich zusammengelesen / unnd in ein sonderlich Buch verfasset / unnd darvon diesen Andern Theil des Promptuarii / oder Historien unnd Exempel Buchs / verfertiget / in welchem wir die Ordnung nach den heyligen Zehen Gebotten Gottees auch behalten haben. Was wir nun in den besten und be-

210 währtesten / Griechischen / Lateinischen / unnd Teutschen Geschicht-Büchern / daß wir zur Busse und Besserung deß Lebens / unnd zur Erhaltung Tugendt Zucht und Erbarkeit / unter den Menschen nötig und nützlich geachtet / haben gefunden / das haben wir dem Christlichen Leser zum besten zusammen getragen / und ein jegliches unter seine Gebott ordentlich außgetheilt / mit angehefften Straffen und Belohnungen / deß Guten und bösens / so viel man dessen auß den Historien und Büchern hat haben können / und so viel sich auch dasselbige auff dißmal hat leiden wollen / Denn was wir auff der Trucker und Buchhändler begeren und anhalten / umb kürtze willen / damit nicht ein Buch grösser würde / denn das andere / in diesem andern Theil haben unterlassen müssen / das sol in dem folgenden Dritten Theil / welches wir auch gleicher gestalt auß mancherley Büchern / und Geistlichen und weltlichen Historien zusammen gezogen und gelesen haben / deßgleichen in unserm grossen Exempel Buch auß heiliger (a IIIIv) Schrifft (welche Werck wir denn / vermittelst Göttlicher Gnade unnd hülffe / so wir das Leben haben / auch zum fürderlichsten in Truck verfertigen wollen) nach notturfft / und reichlich / vermeldet und angezeiget werden. Weil denn Historien schreiben und lesen / ein sehr gut und nützlich Werck und Arbeit ist / darinnen Gottes Werck und Wunder erzehlet unnd betrachtet werden / ist gute hoffnung / daß auch diese Arbeit ohne nutz und frucht nit werde abgehen / So sind wir je auch solche grosse Werck Gottes zu bedencken und zu betrachten / unnd davon zu schreiben / zu singen und zu sagen / schüldig unnd pflichtig / auff daß Gott darauß erkannt / und seine Gerechtigkeit dadurch gelobt / gerühmet / geehret / und gepreiset werde in aller Welt / auff daß jederman lerne Gott fürchten / und sich für Sünden und Schanden hüten / wie geschrieben stehet: Der Fürsten Heimligkeiten sol man verschweigen / aber Gottes Werck sol man rühmen und offenbaren / etc. Diese meine arme unnd geringe Arbeyt nun / wie sie Gott auß Gnaden gegeben und mitgetheilet hat / ubersende ich hiemit E. Churf. G. in aller underthänigkeit / als einer löblichen und Christlichen Fürstin / welcher Gottseligkeit / Tugend / Zucht / und zu Göttlicher Warheit bestendiger Eyffer und Ernst / sammt unnd mit dem hochlöblichen / und weit und f e r m berühmpten Fürsten / Churfürsten Ludwigen / E. C. F. G. aller liebsten Gemahl / in allen Christlichen Kirchen / Gott sey lob / zum höchsten / und mit grossem Lob unnd Ehren / gerühmet und gepreiset werden. Christus Jesus / Gottes eingeborner Sohn / unnd unser Heylandt / wolle E. C. F. G. beyderseits in solchem Gemüt / Sinn und Hertzen / unverruckt / biß an derselbigen ende und letztes seufftzichen / mit Gnaden / durch seinen heyligen Geist / zu irem ewigen Heyl und Seligkeit / beständiglich erhalten / Amen. Mit gleicher undertheniger und demütiger bitt / E. C. F. G. wolle diese meine Arbeyt / und arme geringe Verehrung / die ich E. C. F. G. in Dedicierung und Zuschreibung dieses Buchs thue und erzeige / in Gnaden erkennen und annemmen / und ihr dieselbige gnädigst gefallen lassen. Thue hiemit E. C. F. G. sampt derselbigen Gemahl / den hochlöblichen und Christlichen Churfürsten unnd Herrn / unnd derselbigen geliebten jungen Herrlin und Fräuwlin / sampt allen Potentaten / so Christum Jesum / und sein heyliges Wort und Evangelium / lieb haben / und seiner Gemeine und Kirchen Heyl und Wolfahrt suchen / und trewlich meynen / in den Schutz und Schirm deß Allmächtigen und höchsten Gottes von Hertzen befehlen. / Der wolle E. C. F. G. und sie alle / mit seinem heyligen Geist regieren / für aller gefahr und ubel an Leib und Seel bewaren / im rechten Glauben und seiner waren Erkänntnuß / neben langwiriger frischer Gesundtheit / und friedlicher glückseliger Regierung / biß an ir Ende / gnädiglich erhalten / zu seines heyligen Namens Lob unnd Ehren / und zu irer Seelen Heyl und Seligkeit / Amen. E. C. F. G. Underthänigster Diener M. Zacharias Rivander.

211 Job Fincel Wunderzeichen. Warhafftige beschreybung und gründlich verzeichnuß schöcklicher Wunderzeichen und Geschichten / die von d e m Jar an M.D.XVII. biß auff yetziges Jar M.D.LVI. geschehen und ergangen sindt nach der Jarzal. Durch J o b u m Fincelium. Apoca. 14. Fürchtet Gott / unnd gebet im die Ehre / denn die zeyt seines Gerichtes ist kommen / und betet an / den / der gemacht hat Himel und Erden / und M e e r und die Wasserbrunnen. Grdrückt zu Nürnberg / durch Johann v o m Berg und Ulrich Neuber. M.D.LVI. (A IIIv) Vorrede auff die Wunderzeichen. Es ist j e und alleweg also in der weit zugangen / das die Leute am allersichersten gewesen / und sich mit Sünden überheufft haben / w e n n grosse straffen fürhanden gewest sind / und Gott seinen gerechten zorn über die Sünde hat sehen lassen wollen / denn solchs zeugen die Historien / und ist a u ß vielen e x e m p e l n klerlich zuverstehen. Da die fünff stedt / Sodom / G o m o r r a / unnd die d a r u m b gelegen / mit f e w e r vom himel solten verderbt werden / und die straffe f ü r der thür war / ließ inen Gott durch den heiligen Lot / den S. Peter nennet / den gerechten / wie den N o h a den prediger der Gerechtigkeyt / bußpredigen / von den Sünden abzustehen / unnd sich zubekeren. Aber ye neher die straff war / ye sicher sie wurden / ye mehr sie die Sünde heufften / und Got drangen zu straffen / verspotteten Lot / und trieben unmenschliche / schentliche / unnatürliche unzucht / davon nicht wol zusagen ist. Da kond Got nicht lenger zu sehen / sondern keret die Stedt mit f e w r u m b / ließ Jung und alt versincken in abgrund der Hellen / und ist am selben ort da die sted versuncken sind / auff den heutigen tag ein schwefflicher Pfui / der stets raucht und ubel stinckt / etlich meilwegs weit und breit / Den Plinius nennet dirum aspectu den man sonst Asphaltiten nennet / U n d schreiben etzliche / das u m b dieselbigen gegent äpffel wachsen / schön (A IHIr) und lieblich anzusehen / aber so man sie angreift zu steuben sie wie aschen / welches alles ein ewiges Zeugnis ist Göttliches z o m s wider die Sünde. So ist es auch mit den Jüden zugangen / denn da sie Got u m b irer Sünde willen und Verachtung seines worts straffen wolte / und es mit inen außmachen / ließ er sie zuvor treulich warnen / unnd durch so vil Propheten seinen zorn verkündigen / und die grausamen straf anzeigen / die sie ubergehen würde / Schick inen letzlich seinen einigen Son / den waren M e s s i a m / den sie nicht allein verachten unnd f ü r iren seligmacher nicht erkandten / sondern ans Creutz heffteten / schlugen alle d r a w u n g Gottes in wind / verliessen Gotes wort / und fielen auf Abgötterey / forchten sich f ü r keiner straf / sondern lebten gantz sicher o n e alle forcht / D e r w e g e n sie Gott so schröcklich daheim sucht / mit schwert und andern unzelichen Plagen / das die e l t e m ire eigene kinder für hunger fressen musten / wie inen der Prophet Ezech. 5 propheceiet hatte / und zuvorn auch geschehen war in der Zerstörung Jerusalem durch N a b u g d o n o s o r 3373. Jar nach der weit anfang / Haben auch müssen viel ander groß J a m e r und elend leiden / das es einen stein erbarmen solt / wie sie so grewlich sind geplagt worden / als Josephus und Aegesippus in iren Historien anzeigen. Denn wiewol ir eilfmal hundert tausent in der Stadt g e w e s e n / da sie von den R ö m e r n ist bel e g e n worden / sind sie doch drinnen alle jemmerlich u m b k o m m e n biß uff 97000. davon sind 17000 die stercksten gegen Alexandria geschickt worden zu harter arbeyt. Die j u n g e n sind verkaufft worden / 2000. sind hin und wider in die lender geschickt worden / das sie (A IIIIv) in festen z u m Spectackel den wilden thieren f ü r g e w o r f f e n würden / und ist inen solchs durch vorgehende etzliche wunderzeychen gedrewet worden. Nemblich / Ein feurig schwert ist ein gantz Jar lang am himel gestanden / gleich über der Stadt Jerusalem. Den achten Apulis / ist zu nacht u m b neun uhr u m b den grösten Altar des tempels ein groß liecht geschienen / das man gemeint / der tage brech an. Die erhne thür des innersten tempels / welche alwege zweintzig M e n n e r musten ö f f n e n und schliessen / mit eisern schlossen und riegeln auffs feste vermacht / hat sich um die sechste stunde der nacht selbs auffgethan. Den 22. Maii / hat man in der L u f f t hin und wider wagen faren gesehen / unnd gantze heer ziehen mit aller gewönlicher kriegßrüstung. Den tag für den Pfingsten / da die Priester in tempel gegangen zu o p f f e m /

212 haben sie erst ein gethön gehört / darnach ein stimm / die gesagt: Laßt unns von hinnen ziehen / Einer genant Jesus Ananeus / eines Bawern son / da er zum hohen fest gezogen / ist er blötzlich getrieben worden zu schreyen: Ein stimm von morgen / ein stimm vom abendt / ein stimm von den vier winden / ein stimm über Jerusalem und den tempel / ein stimm über die Jungen Breute / ein stimm über alles volck / solchs hat er tag unnd nacht geschrien: unnd in der Stadt umbgegangen / und ob er gleich von etlichen offt darumb geschlagen worden / die solchs der stad zu eim ungelück deuteten / hat er doch das schreyen nit lassen können. Darnach da er für den Römischen haubtman gefürt / und für im mit rutten jemmerlich zerhawen worden / hat er gar nicht geweinet / noch umb gnad gebetten / sondern stets geschrien / we / we Jerusalem. (A Vr) Der Richter Albinus hat ihn als ein unsinnigen menschen veracht / Aber er ist gantzer sieben Jar lang mit niemands umbgangen / sondern als einer der in gedancken gienge / one unterlaß geschrien: We / we Jerusalem / und ist von solchem stettigen schreien nicht heisch worden. Entlich da die Stad von den Römern ist belegen worden / ist er auffn mauren umbgelauffen und geschrien: We der Stad / we dem tempel / we dem gantzen volck / unnd hat das ungewönlich wort hinzugesetzt: We auch mir / Als baldt ist er auff der Maurn von den feinden erschossen worden / aber alle solche zeichen haben die Jüden gar nichts bewegt zur besserung oder zur Büß / von der sicherheyt abzustehen / biß ihnen entlich das Unglück gar ubern halß kommen. Eben also gehet es yetzund in Deutschlandt auch zu / Denn wiewol wir greiffen / nicht allein sehen und spüren / das Gott über uns erzürnet ist / und seine ruthe über uns außgestackt hat ist doch der weniger teil / dem es zu hertzen gehet / der gröste hauff feret dahin in allen sünden und mutwillen / keren sich nichts an Gütliche drawung / haltens vor ein fabel und unnütz geschwetz / so man inen von der büß predigt / sind also in blindheit und sicherheyt ersoffen / Und zwar nicht allein der verdampte Gottlose hauff der Papisten / sondern auch diejenigen so Gottes wort rein und lauter haben / sich desselben rhümen / und gute Christen sein wollen / stecken in geleicher Sicherheit / unnd meinen es könne ihnen nicht ubel gehen / halten alle trewe vermanung für ein spot / eben wie von den Eydemen des lieben Lots geschrieben stehet / da inen Lot verkündiget / sie solten auß Sodoma mit ime ziehen. Gott wolte fewer über (A Vv) sie regnen lassen / war es ihnen lecherlich. Wir solten ye billich die grosse gefahr unnd unglück bedencken / das in kurtz über uns ergehen kan / auch Gottes allmechtigen Rath betrachten / warumb er eben unns zu dieser letzten zeyt sein heyliges Evangelium gegeben hat. Wir sindt ye nicht besser von natur / denn andere gottlose Heyden / so haben wirs umb Gott ja so wenig verdienet als andere / Ja unsere Voreltern sindt lang nach Christi geburt noch abgöttisch gewest / Denn für 1400 jaren / unnd etlich hundert Jar darnach haben / die Deudschen vier Abgötter gehabt / Mercurum / Herculem / Martern / Isidem. Dem Mercurio haben sie Menschen geopffert / Dem Herculi und Marti haben sie thier geopffert / etliche haben der Isidi geopffert / davon noch etliche örter inn Deudschlandt sollen genennet sein / Das derwegen Gottes heimlicher Rath unnd Barmhertzigkeit inn der Offenbarung seines Göttlichen Worts zu diesen letzten zeyten / höchlich zuverwundern / unnd ime dafür hertzlich danck zusagen ist / solten nicht den trewren schätz Gottes worts so gering achten. Aber es sindt zwey f ü m e m e merckzeychen und vorbotten Göttliches Zorns / darauff die weit am wenigsten acht gibt / Denn erstlich Gottes wort wird unns so lauter unnd rein gepredigt / als es von anbegin er Welt gepredigt worden ist / mit allen nötigen Artickeln der Chrislichen Lere / Darzu Gott hohe verstendige Leut erweckt / unnd der nur viel / die bißher Gottes wort unnd gute Künste mit allem vleis geleret und getrieben haben. Solches / möcht einer sagen / ist ja nicht ein zeychen Göttliches zoms / sondern viel mehr genaden unnd (A Vir) freundtligkeyt / da uns Gott sein wort lauter unnd rein predigen lesset. Es ist war / Gott sucht damit unser seelen Seligkeit / und wünscht von hertzen, das ein jeder dem künfftigen zoren empfliehen möcht / Aber das ist auch dargegen Gottes weyse / das er alwege dem lande / das er umb der Sünden willen zu straffen gedenckt / zuvorn sein wort eröffnet / schickt ihnen trewe Prediger ob sie sich bekeren wolten und sich bessern / unnd mit warer Büß dem Unglück entrinnen / auff das es an ihme je nicht mangele / das er gerecht bleibe / unnd auch seine barmhertzigkeyt mitten im zoren scheinen lasse / Denn Got ist langmütig unnd eilet nicht zur straff / gibt lange zeyt zur besserung / wie er den Jüden gethan / denen er vor der greulichen straff sein Wort auch lauter und rein verkündigen ließ / wie er vor der Sindflut gethan / durch Noah / wie er denen von Ninive auch gethan durch den Propheten Jonam. Gleicher weyß hat uns Gott trewe Prediger geweckt / die unns vor der straff zur Büß vermanen / und zu Gott bekeren sollen / das wir entweder von hertzen

213 Busse thun müssen / oder einer erschröcklichen straff gewertig sein / die gewißlich über gantz Deudschland ergehn wirt / So es nicht der Jüngste tag ist. Denn also sagt Christus von den letzten Zeiten darin wir sind / Als denn wirdt ein groß trübsal sein / als nicht gewest ist von anfang der Welt bißher / unnd als auch nicht werden wirdt etc. das sind j e schröckliche wort. Uber das lesset Got vil unerhörter zeychen geschehen am Himel unnd Erden und wasser die alle Bußprediger sind / und schreien: Gehet a u ß von S o d o m / das ir nit mit (A VIv) ihr umbkommet / Denn das Sodom ist heutigs tages / ja so greulich und schendlich / als jenes / das 1047 Jar nach erschaffung der weit versuncken ist. Das groß Sodom ist die Gotlose weit / mit irem wüsten heidnischen wesen / schendlichen Sünden und ergeraus / damit unzehliche Christen von Gott abgewendet werden / unnd zusündigen beweget / da gehets j e an vielen orten nicht anders zu / denn zu Sodom / Aber Gott behelt sie im f ü r zu straffen durch den Türcken / unnd lesset auch bißweilen auff andere weise seinen zorn sehen / als durch krieg / brandt / ungewitter etc. Das ander Sodom ist das verdampt B a p s t u m b / mit unzehlicher abgötterey und Irrthumb / die sie durch anleyttung des Teufels wider Gottes gebot erticht / mit lügen unnd mord verteidingen / und inn den allen höchsten Artickeln fast allen / sonderlich im artickel der rechtfertigung für Gott unverschempt das wider spiel leren / auch wider ihr gewissen / da sie doch Gottes wort uberzeuget. So ist das B a p s t u m b also mit Sodomitischen Sünden überschüttet unnd erfüllet / sonderlich der R ö m i s c h e hoff / das nicht wunder wer schweffei und bech fiel v o m Himel und verzeret sie / Denn grössere Sünden und schände können nit getrieben werden / als die im B a p s t u m b in vollem schwang gehen / die auch schendtlich / das man nicht davon reden darff / die sie auch nun m e h r nicht unverholen noch heimlich treiben / sonder öffentlich und one schew / U n d welches ein anzeigung ist Gottes grimmigen zorns über solche verdampt Volck / hat neulich ein Cardinal / mit namen Johannes della Casa / Pauli 3. Legatus (A Vllr) ad Vettelos, et interioris consilii pontificii decanus ein / Buch in Welschland ausgehen lassen / darin er die Sodomitische unzucht verteidigt / unnd lobet / Solches ist der letzte grimm des Teufels / unnd kan höher nicht k o m m e n / das ende muß verhanden sein. Es ist auch nicht lang / da hat ein Bapst alle art der allerschendlichsten unzucht unnd unreinigkeyt inn bücher / die noch vorhanden / mit den schendlichsten abcontrafeiung / ad vivum in druck außgehen lassen / unnd die selben seinen besten f r e u n d e n als ein sonderlich kleinodt zugeschickt / aber wer wil iren grewl erzelen. A u ß diesem verdampten S o d o m hat unns der heylige Man Doctor Luther gefürt / das wir nicht mit ihn umbkemen / Da wil es nun von nöten sein / das wir fortgehen nicht hinderrück sehen / wie des Lots weib / dadurch die vernunfft verstanden wirdt / sondern auß Sodom dahin eilen / da unns die Engel hinweysen / sollen unns nicht wider zu ihr sehnen / wie die Jüden nach den fleischtöpffen inn Aegypten / sondern ihr von hertzen feindt sein / denn j e weitter davon je besser / unnd sol ein jeder gewarnet sein / dem sein seel seligkeyt lieb ist / das er sich mit allem f ü r m B a p s t u m b hütt / als vor dem Teuffei selbs / unnd wer dem B a p s t u m b nicht von hertzen feindt ist / der kan nicht selig werden / sollen darwider teglich bitten / das Gott solcher grewel einmal wolt ein ende machen / welche f ü r n e m l i c h neben unsern Sünden / unns den Türcken inn kurtz ubern hals schleiffen werden / Denn das er nicht weyt sey / hat ein f r o m m e r / Man Johan Hiltenius der vor 60. Jaren zu Eysenach inn Düringen gelebet / geweysaget / welcher denn dazumal viel dings zuvor gesagt (A VIIv) / das also ergangen / unnd sonderlich hat er geschrieben das im jar 1516. ein anfang sein würde der Emendation in der Christlichen kirchen etc. und geben solchs / das der Türck bald in gantz Europa wüten werde / viel andere umbstende / darunder auch dieses Wunderzeychen zurechnen / Zu Constantinopel welchs der Türck für 103 Jaren erobert / den 29. Maii ist ein groß ehren bild eins L ö w e n s auff eim stein gestanden das es unbeweglich gewesen / Dasselbe bild ist stets gegen auffgang der Sonnen gestanden / aber vor wenig Jaren hat sichs von sich selbs / one menschlich zuthun / umbgekeret nach niedergang der Sonnen warts / dadurch one zweiffei die Krieg in Occidente bedeut werden / So drowen unns die vielfeltigen Wunderzeychen allerley J a m e r unnd elend / der denn in wenig jaren über die mas viel geschehen / das man ihr schier nicht mehr acht / unnd so man alle historien durch lieset / wirdt man nirgents finden / das j e m a l s so viel Wunderzeichen auffeinander gangen / als itziger zeit / das auch kaum eins dem andern räum lesset / ehe eins vergeht / kompt ein anders / das one zweiffei Gott etwas grosses im sinne hat / unnd grosse not der Christlichen kirchen / unnd schröckliche verenderung weltlicher regenten mit krieg unnd blutvergiessen für fallen werden. So haben wir j a bereits vor der thür allerley j a m e r unnd Unglück / Wie vil erschröcklicher kriege haben wir in weni-

214 gen jaren erlebet / deren kein a u f f h ö r e n ist / sondern von tag zu tag zunemen unnd wachsen / das auch fast gantz Deudschland an allen orten mit krieg uberschiit unnd jemmerlich verlieret wirdt / welches wir zwar mit (A VIIIr)unserm grossen schaden selbs sehen unnd erfaren / das nun Gott nicht m e h r schonet / sondern mit seiner ruten weydlich unter unns schmeysset / unnd trifft so balde die hohen als die nidrigen. Aber wie stellen wir unns dargegen. Wir lassen unns nicht allein die vielfeltigen Wunderzeychen nichts b e w e g e n / die wir lassen f ü r über rauschen / wie ein wind über gehet / sondern verachten auch Gottes drowung unnd straff / Krieg / Pestilentz / tewrung / die wir alle dreies erfaren haben / Das so bald uns das Unglück v o m Halse kompt / sind wir erger denn zuvor / verachten also in unser höchsten gefahr Gottes drowung / spotten sein / mit unserm unbußfertigem Leben / Ja können nicht leiden / das man uns v o m Unglück unnd straff saget / Wollen inn allem mutwillen leben / unnd gleichwol nicht d r u m b gestrafft sein. Das es eben jetzt zugehet wie zur zeyt des Propheten Micha / der im andern Cap. spricht: Wenn ich ein irregeist were / unnd ein Lügenprediger / unnd predigte wie sie sauffen und schwelgen solten / das were ein prediger vor diß Volck. Das sichs gleych ansehen lest in solcher Verachtung göttlichs worts / als wolt Gott sein wort wider von uns nemen / Denn das ist des Evangelii art / das es selten über Menschen gedencken an einem ort bleybt / u m b der undanckbarkeyt willen der menschen / die es eines theyls annemen zum scheyn / unnd zu einem schanddeckel ihrer Sünden mißbrauchen / wie die Maulchristen / eines theyls verachten unnd verfolgen / wie der Bapst und sein hauff / Da kompt denn gottes zorn über solche verechter / das sie Gottes wort (A VIIIv) verlieren / rotten und setten hören müssen / und wie S. Paulus sagt / krefftige irrthumb b e k o m m e n / die denn nur grewlich und schröcklich albereit erregt unnd im schwang gehen / Das sindt die geistlichen trübsal / davon Christus sagt / Matth. 24 und Dani. 12. das nicht allein der / Leyb sondern viel m e h r das gewissen mit irthumb wird geplagt und geengstigt werden. Das sindt erst rechte trübsaln / die albereyt mit gewalt herein brechen / dafür ein yeder mensch von hertzen bitten sol / das er durch verhengniß gottes darein nit falle / so sind in wenig jaren fast die besten geiertesten leute und trewe prediger göttliches Wortes verschieden / die Gott f ü r den k ü n f f t i g e n ubel zu sich nimpt / und von der argen weit a u f f r a f f t / als den heyligen Man doctor Luther / des todt one zweiffei Deudschland allerley j a m m e r drowet / und nun die zwey erleuchter heupter Deudtschlandes / den Gottseligen / hochlöblichen Churfürsten zu sachsen unnd sein gemahl / Fraw Sibillen / Gott auch zu sich inn die ewige ruhe g e n o m m e n hat / damit er auch was schröcklichs drawet / Wie nach d e m todt Ambrosii gantz Welschland durch die Gotten und Wenden zerrüt und mit krieg verderbt worden ist. So nun Gott seinen Weitzen so außdrischt / unnd seine lieben k ö m e r g e n an seinem ort samlet / was meinstu das er mit der sprew machen werde: er wird sie verbrennen mit ewigem Feuer / Matth. 3 Aber Esaias sagt: Der Gerechte kompt umb / und niemandt ists der es zu hertzen n e m e / unnd heilige Leute werden auffgerafft / unnd niemandt achtet darauff. Denn die gerechten werden weggerafft für dem Unglück / unnd die richtig f ü r sich gewandelt haben / ( B r ) k o m m e n zum friede und rügen in ihren kammern / Darauff solten wir auch acht geben / solten uns durch der heyligen Leut todt auch warnen lassen / und sonderlich auff die unerhörten schröcklichen wunderzeichen acht geben / die alwege was grosses bedeutet haben. Im jar nach Christi geburt 632. ist ein Erdbidem gewest / der hat gantzer dreissig tage gewert / unnd ist ein bloß schwerd am himel gestanden / dardurch ist die macht unnd gewalt des Türckischen reichs / j a die straff der Welt durch dieses reich / bedeutet worden / Denn u m b die zeit ongefehrlich vor 900 jaren ist M a h o m e t a u f f k o m m e n unnd gewaltig worden / Auch bey 50 jaren zuvor / hat m a n in Italia viel grewlicher zeichen am himel gesehen / feurige schlachten / Cometen / auch hat die Tyber R o m schier erseufft. Im jar 56. sind drey Sonnen gesehen worden / unnd ist ein Comet ein halb jar gestanden / dadurch bedeutet das sich drey Fürsten u m b s K e y s e r t h u m b schlagen würden / welchs denn geschehen / Denn Sergius Galba / Otho und Vitellius haben sich des reychs a n g e n o m m e n / etc. Also vor dem Untergang Pharaonis giengen vielfeltige Zeichen für her / die geschrieben stehen / im andern Buch M o s e / am 7. 8. 9. 10. Cap. Also bedeuten uns auch die manigfaltigen Wunderzeychen / die zu unser zeyt geschehen / was grosses / die uns Gott zur warnung f ü r stellt / durch besserung dem zukünfftigen ubel zuentrinnen / das nit aussen bleiben wird / Denn das ist der Sünden eigenschafft / das ir Gott nicht lang zu sehen kan / sondern er m u ß entlich straffen / wie die (Bv) erschröcklichen exempel der schrifft anzeygen. So geben jetzunder alle Sünden heuffig unnd gewaltig im s c h w a n g / die also in die gewonheit k o m m e n /

215 das man sie für keine Sünde mehr helt / und muß Gotes name nur aller Sünden schanddeckel sein. Derwegen wirds uns nicht besser gehen / denn denen von Sodom / und den Jüden / die j e m m e r l i c h zerstört / und in die gantze Welt zerstrewet worden sind / die doch Gottes volck waren / von welcher fleisch unnd Blut Christus geborn unnd mensch worden ist. So glaub ich das itziger zeit die Sünden grösser und viel grewlicher sind / denn sie j e zu Sodom gewest / Denn als denn heissen die Sünden recht Sodomitische Sünden / wenn sie gar in die gewonheit k o m e n / und one schew geschehen. Es könten auch noch andere zeychen göttliches z o m erzelet werden / die uns zur Busse treiben solten / als nemlich / das wüten der Papisten / die ire grewel und irrthumb mit schwerd und f e w e r zu schützen gedencken / unnd nichts davon wollen schwinden lassen. Gott schickt auch ein n e w e krackheit über die ander unter uns / darein sich kein artzt richten kan / Als für etzlichen jaren die schweissucht / die Neapolitanische kranckeit / das jetzige haupt wehe / darinnen die Leute von sinnen k o m m e n / Auch das schröckliche unerhörte sterben / das in Siebenbürgen gewütet / davon unden im 1554 jar gesagt wirt / unnd Apocal. 16. von solchen plagen propheceiet wirt / da der Engel die erste schale des zorns Gottes auff die erden schüttet / das es also heyssen wirt / Wollen wir viel sündigen / so müssen wir auch viel straff gewertig sein / Aber diese zeychen unnd dergleichen wöll ein jeder bey sich selbs vleyssig bedencken und (B Ilr) erwegen. Deiweil wir denn sehen / das hin und wider an allen orten Deudschlandes j a m e r und eilend ist / unnd leyder nur ubel zu gehet / und Gottes zorn mit straffen angangen ist / sollen wir in betrachtung der Exempel Sodom unnd G o m o r r a / der reinen unverfelschten leer göttliches worts die zu diesen letzten Zeiten / auß Gottes güte und Barmhertzigkeyt gepredigt wirdt / zum zeugniß über alle Menschen / auch der erschröcklichen Wunderzeychen / das auch dieser zeyt / viel hohe gottselige Leute mit todt abgangen / unnd das B a p s t u m b sich mit solchem ernst zu schützen gedenckt / erinnert / Ja gedrungen werden / von Sünden abzustehen / unnd ein jeder sich zu bessern / ob wir solch unglück / das für der thür ist / mit R e w unnd büß abwenden möchten unnd es Gott abbitten / der j e nicht lust noch liebe hat an unserm verderben / sondern sich mit genaden zu denen wendet / die busse thun unnd von Sünden abstehen / sich bessern. Gott will aber nicht verspott sein / Es m u ß ein gantzer ernst da sein sich zu bessern / die Sünden nicht verteidingen / sondern erkennen und sich f ü r Gott demütigen mit warer Rew / so wirdt Gott seinen zoren a b w e n d e n / unnd den über seine f e y n d e außschütten / den Türcken unnd Bapst. Wer sich nun will warnen lassen / der thue es / es ist hohe zeyt / wer nicht will / der fare hin / unnd erwarte w a s ihme begegne / Gott wirdt seine lieben Christen auß solcher gefahr wol erlösen und mitten im unglück zuerhalten wissen / D e n n sie sindt mit dem Τ zeychen der genade bestrichen Ezechie am neundten. Wie er den lieben Loth durch die Engel auß S o d o m hat füren lassen / unnd auß der straff (B IIv) erretet / wie er den heyligen Athanasium und andere viel Christen zu aller zeyt wunderlich geschützet hat / Wie er unns auch nun etliche unnd dreyssig Jar inn solchem wüten unnd toben des Teufels unnd seiner glieder genedigklich behütet unnd beschirmet hat mit d e m schatten seiner flügel / unnd forthin erhalten wirdt / obs sichs geleich ansehen lesset / als sey es mit der Christlichen Kirchen auß / unnd die pforten der Hellen werden ihr obligen / Denn der inn uns ist / ist stercker / denn der inn der Welt ist / Unnd Christus Luc. 21. da not unnd Verfolgung der Christlichen kirchen zu diesen letzten zeyten / unnd die zeichen des jüngsten tages erzelet werden / setzt ein herlichen trost / den alle Christen mit glaubigem hertzen fassen sollen / da er spricht: Wenn aber dieses anfehet zugeschehen / so seht auff / und hebet e w r e heubter auff / d a r u m b das sich ewer erlösung nahet / Sagt aber gleichwol weiter diese Warnung / Hütet euch / das ewre herzten nicht beschweret werden mit fressen und sauffen unnd mit sorgen der narunge / unnd k o m m e dieser tag schnell über euch / Denn wie ein falstrick wirdt er k o m m e n über alle die auff Erden wonen. So seyd nun wacker alle zeyt unnd betet / das ihr wirdig werden müget zuentfliehen diesem allen / das geschehen sol / und zu stehen für des menschen Son. Gott wolle das wir die zeyt unser heimsuchung mit gantzem ernst unnd fürcht möchten erkennen / unnd dem zukünftigen ubel empfliehen durch ware rew unnd Büß / auch Gott mit e m b s i g e m gebet ins schwerdt fallen / ob wir künten eine m a w e r m a c h e n zwischen uns und Gottes zorn / wie der Prophet Hesekiel sagt / (B Illr) Unnd sol ein jeder also gesinnet sein / als wolt er mit warer rew unnd gebet / alleine Gottes z o m abwenden und stillen. Denn die axt ist an bäum gelegt / unnd lest sich ansehen / als wolte gott nicht mit einer veterlichen ruten / wie es bißher geschehen / sondern mit eim henckers schwerdt / Deudtschland daheim suchen. Aber dis alles ist / in dieser grossen sicherheyt für unsern äugen verborgen.

216 Caspar Goltwurm Athesinus Wunderzeichen: Das ist / Warhafftige Beschreibunge aller f u r n e m e n / seltzamen / ungewonlichen / Gottlichen und Teuffeiischen / guten und bösen / heilsamen und verfuhrischen zeichen / gesichte unnd mißgeburt / so von anfang der Welt im H i m m e l / L u f f t / Wasser und Erden / wider den gemeinen lauff der Natur auß sonderlichem rath des Allmechtigen Gottes / zu w a r a u n g des Menschlichen Geschlechts geoffenbaret. Durch den Hochgelehrten Casparum G o l t w u r m Athesinum. Getruckt zu Franckfurt am Mayn. A n n o 1567. (Allr) D e m Durchleuchtigen Hochgebornen Fürsten und Herrn / Herrn Philipsen / Landtgraven zu Hessen / Graven zu Catzenelenbogen / Zigenheym / Nida und Dietz / meinem gnedigen Fürsten und Herren. Durchleuchtiger Hochgeborner Fürst / Gnediger Herr / Dieses Mirakelbuch von den Wunderwercken und Zeichen / so in Göttlichen / Menschlichen und allen andern Sachen / sich von der ersten Welt an biß auff uns zugetragen haben und noch teglich zutragen / zubescheiben / und mit sonderm fleiß in ein besondere Ordnung / und in sechs Theil zuverfassen / hat mich verursacht und bewegt / die elende gelegenheit / stand und gestalt diser letzten erbärmlichen zeit / in welcher uns der Allmechtig Gott auß besondern gnaden sein H. Wort von seim gnedigen willen / und von der ewigen Seligkeit nit allein lest mündlich verkündigen / singen und sagen / sonder er predigt uns auch durch alle Creaturen / und durch allerley W u n derwerck und zeichen / so a m Himel / in den Elementen / und sonst auff Erden in allerley Sachen geschehen / und wunderbarlich sich zutragen / Dadurch gibt er uns gnediger und auch ernstlicher m e y n u n g zuverstehen / daß ers mit diser bawfelligen weit wolle ein mal ein ende machen / und sein Volck / so auff seine herrliche z u k u n f f t mit höchster begird wartet / von solchem elenden leben gnediglich erledigen / und ins Himlische / durch Jesum Christum unsern einigen Mitler / Vatterland / zu der Gesellschafft der lieben H. Engeln / Patriarchen / Propheten / Konigen und aller heiligen führen / und darinn ewig erhalten. Wie dann der Herr Christus uns selbs mit trewem ernst und fleiß auff solche verlauffene und geschehene Zeichen achtung zuhaben vermahnet und weiset / Matt.24. Luc.21. Joel.2. In dem er spricht: Und es werden Zeichen geschehen an der Sonnen / M o n d und Sternen / etc. U n d auff Erden und sonst in allen Elementen wirdt ein grosse geschwinde und verderbliche Veränderung werden aller ding. Dise Miracula / Wunderwerck und Zeichen / hab ich ordentlich in dieses Buch in sechß theil verfasset / uns allen in diesen letzten Zeiten zu Christlicher und trewer Warnung / das wir uns nach der vermahnung Christ / der lieben Aposteln und aller trewhertzigen Lerer und Prediger / auff solche herrliche zukunfft und gnedige erledigung sollen bereiten und geschickt machen / damit wir nit wie die erste Welt nach vilfeltiger trewer w a m u n g N o a c h s / A b r a h a m s und Loths / mit dem entlichen zorn und straff Gottes uberfallen / und mit allen solchen gottlosen Verächtern (AIIv) m ö g e n zeitlich und ewiglich gestrafft werde. Solche und dergleichen trewhertziger Lerer und Prediger vermanung und Weissagung / sollen wir nit verachten / und nach der gottlosen art in allem unbußfertigen leben halß starrig beharren und bleiben / wie es denn (Gott erbarms) beym meisten hauffen jetzt geschieht / die nichts nach solchem allem (wie obgemeldt) fragen / sonder in der höchsten Sicherheit leben und schweben. Zu solchen Verächtern und gottlosen Epicureischen Menschen wirdt Gott auch lassen sagen und predigen: Und des Herrn wort geschach zu mir / was habt ir für ein Sprichwort im land Israel? und spricht: weil sichs so lang verzeucht / so wirt nu furt nichts a u ß der Weissagung / darum sprich zu inen: So spricht der Herr / Herr / Ich will dz Sprichwort a u f f h e b e n / das mans nit mehr sprechen sol in Israel / und rede zu inen / die zeit ist nahe / und alles was geweissagt ist / sol geschehen / Denn ir solt nu inden werden / das kein gesicht fehlen und kein Weissagung liegen werde / denn ich bin der HErr / was ich rede das sol geschehen / und nit lenger verzogen werden / sonder bey ewer zeit ir Ungehorsams hauß / wil ich thun was ich red / spricht der Herr / Herr / Eze. 12. Der gleichen trewe und ernstliche Warnung haben wir nit allein in Prophetischen / Apostolischen und Christlichen schrifften vil / sonder man predigt uns solches alles teglich / Wer nun solche verachten und in Gottlosem leben beharren wil /

217 der mag mit Sodoma / Gomorrha und andern Gottlosen Völckern sein straff darumb gewarten und bestehen / welche gewißlich nit lang außbleiben wirdt. Gott aber wirdt sein Kirch und Volck wie Noach / Abraham / Loth und andere in allen solchen gefehrligkeiten wol gnediglich wissen zu trösten und zu erhalten. Solchs geringe werck hab ich E.F.G. darumb wollen neben dem alten brauch und gewonheit züignen und schreiben / Dieweil der Allmechtig Gott auch an E.F.G. von anfang derselbigen Regierung / biß auff dise zeit vil wunderwerck / rath und that bewisen / auß welchen Gottliche gnedigen erzeigungen E.F.G. sonder zweivel / als ein Gottfürchtiger Christlicher Fürst werden Gottes ewige Weißheit / Allmechtigkeit / Genad und wunderbarlichen rath und thaten lernen recht erkennen / denselbigen fur solches alles von hertzen loben / dancken und dienen. Bitt in aller Unterthenigkeit / E.F.G. wollen solchs von mir nach angeborner gütigkeit gnediglich auffnemen / und thu mich hiemit E.F.G. in aller unterthenigkeit bevehlen / Der Allmechtig Gott wolle E.F.G. sampt derselbige jungen Herrschaft zu Christlicher und nützlicher regierung / in langer gesundtheit und leben gnediglich behüten. Geben zu Stauff in der Herrschafft Nassaw / Sarbrück und Weilburg / den letzten tag Augusti. 1557. E.F.G. gehorsamer Caspar Goltwurm Athesinus

Kirchen Calender. In welchem nach ordenung gemeiner Allmanach / die Monat / Tage / unnd Furnemmsten Feste deß gantzen Jars / mit irem gebrauch / ... kürtzlich verfasset / und mit vielen schönen Figuren / über vorige Edition / gezieret und gemehret... Caspar Goltwurm Athesinus. Getruckt zu Franckfort am Mayn / Bey Christian Egenolffs Erben M.D.LXXXVIII. (A Ilr) Dem Wolgebornen Graven und Herrn / Herrn Reinharten von Isenburg / Graven zu Büdingen / meinem Gnedigen Herrn. Gottes Gnad und Fried durch seinen eingebomen geliebten Sohn / unsern Heylandt und Seligmacher Jesum Christum. Wolgebomer Grave / Gnediger Herr / Ich hab vor kurtz verschienen jaren / ein Historisch Calenarium, darinn allerley merckliche Historien / so sich auff jegklichen besonderen tag zugetragen / verfasset seyn / im Truck lassen außgehen / Dieweil aber nit allein solche Weltliche Historien / so von grossen Fürsten unnd Herrn beschrieben / lustig und nützlich seyn zulesen / Sonder es sind auch allen Christlichen stände zu Christlicher (A IIv) Unterweisung / und stärckung unsers Christlichen glaubens / nötig zu wissen / die warhafftigen und gegründten Historien der lieben Heiligen Gottes / und der Christlichen Ritter / welche umb wares erkandtnuß und freyes öffentlichen bekandtnuß willen Jesu Christi / und seines heiligen worts / ihr gut und blut dargestreckt und vergossen haben / Derhalben hab ich für nützlich und gut angesehen / auch ein Geistlich / Christlich unnd Kirchen Calender hiemit zustellen und zuverfertigen / in welchem ich auffs kürtzest / der H. Apostel / unnd derselbigen Jünger / auch anderer Christlichen Lehrer und Vorsteher der Christlichen Kirchen / Glauben / Bekandtnuß / unnd in solcher ir bestendigkeit / beschrieben / wie derselben H. Apostel / und anderer bewerten Märtyrer Namen in gemeinen Calendern / so man an die Wende hencket / oder sonst gebrauchet / verfaßt seyn. Wo aber etwan einer darunder gefunden / der in keiner warhafftigen Histori seins glaubens und bekandtnuß gewiß zeugnuß (A Illr) hat / hab ich andere / so von alten und neuwlichen Zeiten gelebet / und ihr leben / glaub unnd bekandtnuß warhafftig beschrieben seyn / an die statt gesetzt / unnd iren standt und wesen auffs kürtzest verzeichnet. Es hat aber nicht allein mich als den geringsten unnd unwirdigsten / sonder auch vor alten und jetzigen zeiten viel Gottselige unnd gelehrte Männer / solche Historien offt und viel in gemeinen öffentlichen Predigten zu gedencken / und die Zuhörenden zu gleicher erkanntnuß / und bestendigen bekandtnuß Jesu Christi zuvermanen / und durch öffentliche ge-

218 wisse schrifften und zeugnuß / die lieben Heiligen / als zu einem fürbilde denselbigen nachzufolgen / fürzustellen / bewegt unnd verursacht / die grosse Tyranney des arglistigen unnd bösen Satans / welcher baldt in der angehenden Kirchen / die warhafftigen Historias von den waren Christlichen heiligen Männern Gottes / zuverleschen und zu d e m p f f e n / durch seine Arglistigkeit unnd Tyranney unterstanden hat / also / daß wenig ware (A IIIv) Historien / dann was in der Apostel Geschieht von S.Luca / und nachfolgende in der Kirchen Histori / so von Eusebio / und andern geschrieben / uberblieben und auff unsere zeit / doch auch ( was Eusebij und anderer so die Kirchen Histori geschrieben) nicht gantz in allen glaublich / deß sich der H. Hieronymus In Epist. ad Ctesiphontem beklaget / gebracht worden seyn / welches ich dißmal in seinem werdt bleiben lassen wil. Gleich aber wie sich der Teuffei in der angehenden Kirchen Christi / mit Henden und Füssen dahin bemühet hat / darmit ja kein warhafftige Geschieht der H. Märtyrer Christi zu uns möchten gebracht werden / Also hat er sich mit gleicher arglistigkeit unnd Tyranney beflissen / unnd dahin gearbeit / wie er nur viel Gottloser / fauler / und gefrässiger M ü n c h e / unnd ihres gleichen / erwecken möcht / welche die Christliche Kirchen mit unzehlichen unnd grossen Büchern / voller Lügen und Fabeln m ö c h ten beschweren / Weichs dem leydigen (A IHIr) Teuffei auch ein zeitlang gerahten / Dann die Welt mit solchen öffentlichen erlognen und erdichten schrifften und Lügenden dermassen beladen unnd uberschüttet worden / daß der meiste theil wenig nach den Historien der Patriarchen / Propheten / König / Aposteln unnd anderer Heiligen / so in Göttlichen und andern warhafftigen schrifften verfasset seyn / gefragt / und der selbigen gedacht haben / j a die Gottlosen Lehrer haben inen dieselbigen auß den henden gerissen / und als für ärgerliche / und unzüchtige beschriebene Historias verworffen / und das arme einfeltige völcklein allein auff ir Lügenden unnd Altweibische Fabeln und Märlins Prediger gewiesen. Möchte aber einer f ü r w e r f f e n / Es m u ß dennoch nicht alles erdicht und erlogen seyn / was solche Geistliche Leut mit solcher andacht / e y f e r / fleiß und saurer arbeit / beschrieben haben. War ists / in solchen werden wol etliche Legenden g e f u n d e n / welche der warheit gleich lauten / j e d o c h ist der mehrertheil eitellügen und be-(A IIIIv)trüge. Und ist wie Lucretius sagt / den auch D. Hieronymus in vorgemelter Epistel ad Ctesiphontem anzeucht: Ac veluti pueris absynthia tetra medentes, C u m dare conantur, prius oras pocula circum Contingunt, dulei mellis flavog liquore. Das ist / Wann man den Kindern Wermut oder etwas anderes bitters geben / und sie betriegen unnd bereden wil / daß ihnen gesund und nütz seye / schmieret man ihn zuvor das Trinkgeschirr mit Honig / unnd süssen dingen / darmit sie deß bittern gewohnen und nicht gewar werden. Also haben die Lügengeister den einfältigen erstlich das Maul / mit Honigsüsssen Worten geschmieret / und unter solcher süssigkeit eitel gifft und Gall zutrincken geben / das ist / mit vergiffter und verfälschter Lehre greuwlich verderbt unnd verführt / solchs wie (leyder) noch zusehen ist / an denen armen Leuten / welche noch in solcher F i n s t e m i ß stecken und gefangen ligen / Gott wöll sich derselben gnediglich erbarmen / unnd sie auß solcher (A Vr) Fins t e m u ß und Dienstbarkeit gnediglich erledigen / unnd mit seinem heiligen Wort erleuchten. Welche aber die Historien von den lieben Heiligen und Märtyrern Gottes lesen / predigen / bedencken unnd recht betrachten wollen / die müssen nicht allein und fürnemlich auff ihr eusserlich leben und wesen / unnd was sie gessen / getruncken / wie sie gewachet / gebetet / unnd mit was Regulierten kleidung sie bekleidet gewesen seyn / bedencken und betrachten / D a n n diese eusserliche Werck betriegen offt / und werden darauß auch nit grundlich rechte heilige Märtyrer Gottes erkannt / dann der seyn viel / nicht u m b ires eusserlichen lebens / sonder vil m e h r u m b anderer schädlicher Ursachen / als Abgötterey / falscher und verderblicher Lehr und (...)humb willen verdampt / ins elendt geschickt / unnd etliche getödtet worden / Wie solchs alte und n e w e Historien bezeugen / Derhalben m u ß man nicht auff oberzelte ungewisse ding / Sonder viel m e h r uff die gewißheit Christlicher lehr / sehen (A Vv) und acht haben / D a s ist / was sie öffentlich mit und auß grundt H.schrifft gelehrt / bekandt / unnd was sie darüber bestendiglich erlitten haben / Wie auch Apollinaris sagt: Ubi non est Christi Veritas, ibi nec Martyrij Veritas est. Und so wir irer Lehr und Bekandtnuß gewiß seyn / sollen wir derselbigen Lehr und Bekandtnuß als Gottes Wort annemmen / und demselbigen glauben / unnd in w a r e m gehorsam nachfolgen. Darnach werden uns allzeit in H. Gottlicher schrifft vieler H. M ä n n e r Gottes Exempla, als zu einem fürbild / inen in warem glauben und Gottseligen Leben und bestendiger Bekanntnuß nachzufolgen / für A u g e n gestellt / Wie der Apostel

219 S. Paulus Heb. 13 vermahnet / und spricht: Gedencket an euwere Lehrer / welche euch das Wort Gottes gesagt haben / welcher ende schauwet an / unnd folget ihrem glauben nach. So wir solches thun / so beweisen wir den lieben Heiligen welche hertzliches verlangen haben nach unser Seligkeit / viel höhere ehr (A Vir) / dann wann wir inen grosse Tempel / Clöster / Clausen / unnd andere Abgöttische Teuffelische Dienst / auffrichten / welche öffentlich / A b götterey und falsch Verehrung der Heiligen / nicht allein die schrifften der Propheten / die Lehr Christi und der Aposteln / sonder auch die lieben alten Vätter unnd Vorsteher der H. Christlichen Kirchen / mit grossem ernst gestrafft unnd verdampt / und uns allein auff den einigen Mitler und Heylandt Jesum Christum gewiesen haben / Davon under vil anderen der Heilige Chrysostomus in Mattheum Homil.45.cap.23 spricht: Q u o m o d o fugietis ä iudicio gehennae? Ecclesias aedificantes, non Ecclesiasticae veritatis fidem tenentes? Scripturas legentes, scripturis non credentes. Prophetas & Apostolos & Martyres nominantes, non opera Martyrum imitantes, nec veritatis confessionem sequentes, &c. Item Augustinus, D e vera Relig. cap. vlt. Sancti honorandi sunt propter (A VIv) imitationem, non propter religionem. Item, Neq. enim nos videndo Angelos beati sumus, sed videndo veritatem, qua etiam ipsos diligimus Angelos, & his cogratulamur. Quare honoramus eos charitate, non Servitute. Nec eis templa construimus, nolunt enim sic se honorari ä nobis: Qui nos ipsos, c u m boni sumus, templa summi Dei esse norunt. Recte igitur scribitur Ioannem ab Angelis prohibitum, ne se adoraret, &c. Apocalyp.19. Diese und andere gewisse Sprüche der heiligen Vätter / zeigen unnd lehren uns / daß wir keine Creatur auff Erden / lebendig oder todt / j a auch die Engel im H i m m e l nicht anbeten / sonder allein den einigen ewigen Gott / den Vatter unseres Heylandts Jesu Christi / sollen lernen erkennen und anruffen / wie er sich durch seinen lieben Son hat geoffenbart / und auff das verdienst desselbigen Heylands unnd Mitlers unser vertrauwen stellen und setzen / Welches auch alle Heiligen Gottes {A VHr) uns zum Exempel gethan unnd bewiesen haben. Wir sollen auch die hohen und grossen wolthaten Gottes bedencken / unnd Gott d a f ü r loben und dancken / so er der gantzen Welt durch seine liebe Heiligen / in dem bewiesen und gnediglich erzeiget hat / daß er durch dieselbigen unnd ihre mündtliche Predigten und schrifften / in alle Welt sein heiliges Göttliches wort hat lassen außbreyten / dardurch vil Königreich / Land / Stett / und allerley Völcker zu warem erkandtnuß Gottes / und seines lieben Sohns Jesu Christ / gebracht / und allerley Gottlose Lehr unnd Abgotterey abgeschaffet / unnd der ware Gottesdienst an die statt ist auffgericht worden / darüber haben die lieben Heiligen ir Leben gelassen / zu bestettigen / daß alles was sie gelehrt und auffgerichtet haben / sey Gottes Wort / unnd sein unwandelbarer Rath und Wille. Unnd wiewol der Teuffei unnd die Tyrannen allezeit hefftig sich wider solches Volck Gottes greuwlich und mit gewalt (A VIIv) gestellet / und dasselbige underzutrucken unterstanden / Jedoch sehen wir / wie der Allmächtige und Barmhertzige Gott sein Kirche / durch seinen wunderbarlichen raht / regiert / und wider alle anfechtung deß Teuffels und der Welt beschützet und erhalten hab / Die Tyrannen und Verfolger aber / hat er endtlich auch zeitlich und ewiglich grewlich verdampt und gestrafft / deren wir hienach zum schrecken allen Tyrannen / und zu trost Christlicher Kirchen / etliche kurtze Historias / von dem elenden außgang und grewlichen straffen solcher Verfolger der Christlichen Kirchen / anziehen wollen. Nero Domitianus, under welchem neben anderen H. Aposteln und Jüngern Christi / auch der Apostel S. Paulus g e k ö p f f e t / ist zuletzt toll und unsinnig worden / unnd von den W ö l f f e n im wilden wald jämmerlich zerrissen. Etliche wollen / er habe sich selbs / durch solche unsinnigkeit bewegt / u m m b r a c h t / im 30. jar seines alters / und 14. jar seiner Regierung. Domitianus, der ander Verfolger der (A VHIr) Christen / ist von seinen eignen Dienern in seiner S c h l a f f k a m m e r erstochen / und sein Leib von Fledermäusen und anderem Ungezifer zurissen / unnd zum theil gefressen / daß sein Leib mit stücken ist hinweg getragen und begraben worden / Im 35. jar seines alters / im 15. jar seiner Regierung / D a v o n Oros. lib.7. cap. 12. Traianus, der dritte Verfolger der Christen / welcher wiewol er durch Plinij Secundi warnungs Schrifften / von seiner Tyranney wider die Christen abgewisen worden / jedoch wolt Gott seine vorige Tyranney nicht ungestrafft lassen / dann er ist am B a u c h f l u ß gestorben. Etliche wollen / ihm sey mit Gifft von den seinen vergeben worden. M. Aurelius Antoninus verus, der vierdte Verfolger der Christen / ist auch sampt viel tausendt M e n s c h e n gestrafft worden / dann in der höchsten Verfolgung der Christen / fiel so ein

220 erschrecklich Pestilentz / und ander kranckheiten eyn / daß in Italia etliche Lande / Stette und Flecken (A VIIIv) / gantz außgestorben / In solchem elenden Standt vergaß er der Tyranney wider die Christen / unnd starbe der Tyrann auch selbs in höchstem j a m m e r und elend. Septimius Severus, der f ü n f f t e Verfolger der Christen / warde von GOtt grewlich mit stettigen auffrühren / kriegen und andern widerwertigkeiten angefochten / daß er der Christen / sie zu verfolgen / vergaß. Iulius Maximinus, der sechste Verfolger der Christen / ist von seinem eigenem Volck sampt seinem Son jämmerlich umbbracht / und sein haupt zu einem spectakel gen R o m geschickt worden / Darüber das volck f r o ward / und sagt sprichworts weiß: Von solcher argen art soll m a n keinen Hund lebendig lassen. Decius, der siebende Verfolger der Christen / in der Schlacht wider die Gothen / ist sein Sohn umbbracht / und Er in einer Pfützen versuncken / Also ist er von dem Teuffei Leibhafftig hinweg geführt worden.(Br) Valerianus, der achte Feindt unnd Verfolger der Christen / ist nach vielem uberfall / so im von den Alten lieben Teutschen in der höchsten Verfolgung der Christen in Italia geschehen / in M e s o p o t a m i a m getrieben / und von Sapore dem Konig in Persia uberwunden / g e f a n g e n / und im seine beyde Augen außgestochen worden / und der König hielt in f ü r seinen Fußschemel / unnd wann der König auff sein Pferd steigen wolt / muste er / Valerianus, sich nider bücken / und also den König auff im auff und ab steigen lassen / in solchem elend ist er endlich gestorben. Aurelianus, der neundte Verfolger der Christen / dieser ist auff ein zeit durch ein Straal v o m Himmel hefftig erschrecket worden / Dieweil er aber noch in seinem Tyrannischen vornemen wider die Christen bliebe / ist er von seinem eigenen Schreiber erstochen worden. Diocletianus, der zehend Verfolger der Christen / dieser ist an seinem gantzen Leib zerschwollen und auffgebrochen / und inn- (Bv) wendig und außwendig von greuwlichem Gewürm verzehret worden / und ist mit elendem heulen und bellen wie ein Hundt gestorben. Maximinus, sein mitgesell / der eylffte Verfolger / ist mit gleicher straff / elendigklich getödtet worden. Constantius, Anastasius, der Arrianische Ketzer gäbe diesem ursach zu der 12. Verfolgung der Christen / aber es bliebe nit ungerochen / dann Anastasio brache der Koht zum Maul herauß / unnd must in seinem eigenen Koht ersticken. Constantinus warde mit dem wilden Feuwer entzündet / unnd ist in grosser unsinnigkeit umbkommen. Iulianus, der abtrünnige / ist an seine statt k o m m e n / aber in der Schlacht wider die Persier ist er geschossen / daß sein Blut in die höhe gesprungen / da er solches gesehen / hat er gesagt: Vicist tandem Galilaee. Valens unnd Maxentius, die dreyzehende Verfolger der Christen. Valens ist in der Schlacht wider die Gothen mit allem seinem Volck erlegt / unnd er in einem H a u ß mit (B Ilr) etlichen seinem Gesinde verbrandt worden. Maxentius ist mit viel seiner Diener jämerlich in der Tyber ersoffen. Durch Gensericum und Hunerich der Gothen und Wenden König / ist die vierzehende greuwliche Verfolgung der Christen geschehen / Gott hat aber die selbigen auch wunderbarlich gestillt und sie gestrafft / dann sie selbst uneinig worden / und sich undereinander erwürgten / wie die unsinnigen tollen Hunde. Diese kurtze erzehlung von den Tyrannen und Verfolgern der Christen / hab ich darumb gethan / dieweil in diesem Calendario und in andern Schrifften vielmal / j a schier in einer jeglichen Historias / diser Tyrannen und irer verfolgug meidung geschieht / darauß die f r o m men Christen sehen / daß Gott allezeit / und noch heutigs tags / dz unschuldig Blut seiner Heiligen nit wil ungerochen / und die Tyrannen ungestrafft lassen / D a r u m b vermanet der Prophet David alle König / Fürsten (B IIv) und alle Gewaltigen / und spricht Psalm 2. So lasset euch nu weisen ihr Könige / und laßt euch züchtigen ir Richter auff Erden / Dienet dem HErrn mit forcht / und freuwet euch mit zittern / Küsset den Sohn / daß er nicht zürne / und ihr u m b k o m m e t auff dem Wege / dann sein Zorn wirdt baldt anbrennen / Aber wol allen die auff ihn trauwen. Wiewol aber dieses f u r E.G. als einem hocherfahrnen in diesen und andern Historien wol geübten gelehrten Graven / ein geringes Werck ist / und ich selbs unwirdig geacht / solche schrifften E.G. zu zuschreiben / Jedoch hat mich E.G. Gnediges gemüth gegen mir / so ich

221 abwesendt unnd gegenwertig vielfaltig gespüret unnd b e f u n d e n / in f ü r g e n o m m e n e r Dedication freudiger und freyer gemacht / Unnd mir zweiffeit nicht / E.G. werden diese Werck / auß angeborner Gräflicher gütigkeit / Gnedigklich a n n e m m e n / unnd dasselbige f ü r ein zimliche anzeigung meines begierigen unnd danck-(B IIIr)baren gemuts gegen E.G. gnedigklich erkennen / ansehen unnd bedencken / daß ich hiemit under E.G. N a m e n unnd Autoritet / denen fürnemlich wil gedienet haben / welche solche Historien in f r e m b d e n Sprachen nicht verstehen / noch in anderen weitläufftigen Schrifften lesen können / die haben hiemit ein Handtbüchlin / eins Christliche Calendarij, des sie sich zu sterckung ires glaubens / unnd besserung ihres lebens / nach irem lust unnd gefallen / m ö g e n gebrauchen. Thu hiemit E.G. und derselben geliebten G e m a h e l / sampt der gantzen Regierung / in Gottes des Allmächtigen Schutz und B e w a r u n g befehlen. Geschrieben und geben zu Weilburg / in der Herrschafft Nassauw und Sarbrücken. / A n n o Domini 1559. den 7. Feb. E.G. gantzwilliger Caspar G o l d t w u r m Athesinus.

Nathan Chyträus Hundert Fabeln aus Esopo / etliche von D. Martin Luther und herren Mathesio / etliche von andern verdeudschet. Sampt einer schönen Vorrede D. Mart. Luth. von rechtem nutz und brauch desselben buchs / iederman wes standes er auch ist / lustig und dienlich zu lesen. Item ein schöne Historia woher die Edelleut und Bawern ihren ursprung haben. Rostock. C u m Privilegio Imperiali. (A Ilr) Der Durchleuchtigen Hochgebornen Fürstin und Frawen / Frawen Elisabeth / geborne aus Konniglichem Stammen zu Dennemarck / Hertzogin zu Meckelburg / Fürstin zu Wenden / Grevin zu Schwerin / der Land Rostock und Stargard Frawen etc. meiner gnedigen Frawen. Durchleuchtige hochgeborne Fürstin gnedig Fraw / Es ist nicht allein bey den weltweisen heiden / sondern auch bey den heiligen Altvetern gebreuchlich gewest / schöne heilsame lehr / vermanung und straff / nicht alzeit ernstlich und störrisch fürzubringen (A IIv) sondern bißweilen mit höflichem saltz zu bestrewen / und mit lieblichen Fabeln unnd gedichten zuuberzuckern. D a s also sawr und süß weißlich untereinander gemenget / und die leut leichtlicher dadurch b e w o g e n und e i n g e n o m m e n wurden. Also lesen wir ein schon holdselig bild / der lieben Oberkeit / im Propheten Daniel / da er den B a u m mitten im land beschreibet / der sehr hoch / gros und dick / sich ans ende des gantzen landes ausstrecket / welches este sehr schon waren / und viel frucht trugen / davon alles zu essen hatte / Unter welchem auch alle Thier auff dem feld schatten / und alle Vogel (A Illr) unterm H i m m e l Zuflucht funden. Ist das nicht ein herlicher B a u m / dafür man sich ia billich neigen / und nicht mit brügeln darauff werffen / oder wie ein saw sich daran reiben soll? dieweil in Godt selbst gepflanzet hat / und allezeit beschützet. Also haben wir auch im andern buch Samuelis ein schon Exempel / in der f r a w e n von Teckoa / welche als sie mit dem König David reden sol / weis sie ire rede fein anzustellen / und mit einem glimpflichen gedieht weislich zu würtzen / und dem König einen höfflichen falstrick zu legen / dadurch er auch endtlich überredet wirdt / und in irer bit bewilliget. (A IIIv) Gleicher weis / da der heilige Prophet Nathan seinem herren dem König / aus bevehl Gottes / die warheit sagen soll / fenget er nicht an zu pochen / sondern / ohn zweiffei / aus eingebung des heiligen Geists / braucht er gelimpf und bescheidenheit / legt im ein verdecktes f ü r / vom reichen der den armen seines einigen lemleins mit gewalt beraubet hette / und bittet darauff ein Sententz. Da sich nu David bestricken lassen / und unwissendt über sich selbst ein sehr hart urtheil gefeilet hette / drucket der Prophet los / und erhaschet den

222 König in seinen eignen Worten / und fasset in also / das er im nicht entwischen konte / und bald mit (A IHIr) seinem eignen schwerdt geschlagen wurde. Richtet auch mit solchen glimpfflichen und gewürzeten reden mehr aus / den andere mit irem unbesünnen unzeitigen eiver. Denn ob wol solche reden / darin man einem vordeckter weise etwas beibringet / erstlich fein sanft eingehn / so lassen sie sich doch bald fülen / und geben tieff nachdenckens / und ob sie schon einem das hertz etwas angreiffen / und vorletzen wolten / so lindert doch das saltz der hofflicheit allen schmertzen / und wenn die leut nicht gar verstocket sein / müssen sie auch wider iren willen einen gefallen daran tragen / das man sie so subtil und vernunfftig uberschleichen hat konnen.(A IIIIv) Eben also weiset der König Salomo die faule jugent zu der Emeisen. Unser Herr Christus vorgleichet sich selbst mit einem sehr lieblichen bild / einer Kluckhennen / die ire jungen under ire flügel vorsamlet / wie auch in der heiligen schrifft solcher parabeln gantz viel sein. Also haben auch zu unsem zeiten / trewe unnd hochverstendige lehrer der Christlichen Kirchen / sonderlich lust und lieb zu solchen fürbilden / gedichten / und Fabeln gehabt / unter welchen sonderlich D. Martin Luther zu rümen ist / der in seiner grossen muhe und arbeit / sich hierin belustigt / und die Fabulas Aesopi zu reinigen angefangen / (AVr) darzu ein schone Vorrede vom nutz und brauch der Fabeln dafür gemacht hat. Welches angefangene werck dem herrn Philippo Melanthoni dermassen gefallen / das er Lutherum hoch deshalben gerühmet / und fleissig gebeten / er wolte fortfaren und die angehabene arbeit zum Ende verrichten / er wol im bei einem grossen herren / dem er das buch zuschreiben soll / ein sonderlich verehrunge zu wege bringen. Ist aber dieslbige arbeit / umb vieler einfallender geschefft willen / hernach vorblieben / das kaum zwölff oder dreizehen von D. Luhero verdeutschte Fabeln übrig sein. Dazu hat der hochberumpte und (A Vv) geleite herr Johan Mathesius etliche schone Fabeln in seinen predigten begriffen / die iederman zu lesen lieblich und nützlich sein. Weichs ich alles darum anzeige / das man sehen möge / wie die alten heilign Veter / der Herr Christus selbst / und andere sonderliche fürneme lehrer der Christlichen Kirchen / lust an solchen gleichnussen bilden und Fabeln gehabt / und dieselbigen in irem predigten gern und nutzlich gebrauchet / auch sich in die leut und zeit mit gelimpff haben schicken können. Wie es zwar offenbar ist / das solche lehren in gleichnussen und Fabeln begriffen / vil lieblicher eingenommen / und fester behalten werden / (A Vir) als andere / die nicht mit diesem Saltz und Zucker uberstrewet sein. Ob nu wol zu wünschen wer / das entweder D. Luther selber / oder herr Mathesius (welche beide sonderlich irer deudschen muttersprach sich beflissen / und am herrlichsten und lieblichsten darinn geschrieben und geredet haben) dis buch der Fabeln hetten gantz vollenden und an tag geben mögen / So ist es doch leider bis an iren todt vorbliben / das also die wenig Fabeln / wie droben vormelt / sampt der Vorrede Lutheri / in der beiden herren scriptis übrig sein. Weil aber die bucher gros / und irer ein gute anzal ist / das sie nicht von jederman gekaufft (A VIv) oder gelesen können werden / hab ich die XIII Fabulas von Luthero verdeudschet / unnd etliche andere mehr des herren Mathesii zusamen gezogen / und so viel darbei gebracht / bis ein gantze Centuria ist vol worden, und ist dises meines fleisses der anfang gewesen / das ich in E.F.G. Universitet / tragendes ampts halben / teglich mit der jugent umgehe / unnd die so mir bevohlen / in Gottes furcht / sprachen und kunsten / nach meinem geringen vermügen trewlich übe. Dazu mir dan diese Fabeln nicht wenig dienstlich unnd nutzlich gewesen / die auch hiedurch also fein zusamen getragen / und in ein kleines handbuchlein (A Vllr) verfasset worden / das sie von mehren konten gelesen und gebrauchet werden. Wie aber dasselbig Christlich unnd fruchbarlich geschehen könne / hat D. Luther in der folgenden Vorrede weitleuftig genug vormeldt, davon weiter zu schreiben unnötig ist. Hab aber Ewer Fürst. G. darumb dis gering buchlein zu unterthenigem gefallen ubersenden wollen / dieweil E.F.G. unter den hochweisen und verstendigen Fürstinnen / wie zuvorn von der frawen von Teckoa vormeldet / zu unsern zeiten die fümemste ist / die über warer Gottseligkeit / zucht und guten Sitten ernstlich helt / und ein ausbundt aller Tugent / Hoflicheit / (A VIIv) glimpfes und vernunfft billich von iren unterthanen und iedermenniglich gehalten wirt. Darüber / dieweil ich in E.F.G. Universitet von jugent aufferzogen / und von E.F.G. und dem löblichen hauß zu Meckelburg viel hohe wolthaten empfangen / hab ich mit diesem geringen buchlein meine danckbarkeit gantz unterthenig anzeigen wollen. Bitt E.F.G. wolle dasselbige / nach irer von Königlichem Stamm angebornen gute unnd verstandt / in gnaden auffne-

223 men und sich wol gefallen lassen. Der almechtige trewe Gott / der ein stiffter und handthaber ist aller Regiment und herschafft / wolle E.F.G. sampt unserm (A Illr) gnedigen herren und Lands Fürsten / auch loblichen jungen Frewlin / in langwiriger Regirung / für allem ungluck gnedig behüten und bewaren / und ein solchen Baum / davon im anfang gesagt / sein und bleiben lassen / der Ewiglich grüne / und unter welchem alle Unterthanen schütz / frid und Zuflucht haben / welches würtzel in Ewigkeit nich verletzet werde Amen. Datum Rostock den 25 Martii Anno M.D.LXXI. E. F. G. / Untertheniger / M. Nathan Chytraeus Professor zu Rostock.

Eucharius Eyring Proverbiorum Copia, Etlich viel Hundert / Lateinischer und Teutscher schöner und lieblicher Sprichwörter / wie die Teutschen auff Latein / und die Lateinischen auff Teutsch außgesprochen / Mit schönen Historien / Apologis, Fabeln und gedichten geziert / menniglichen nutz und kurtzweilich zu lesen. Durch Eucharium Eyering, Weiland Pfarherrn zu Streussdorff. 1601. Eißleben / Typis Grosianis. Den Ehrnvesten / Hoch und Wolweisen Herrn Jacob Griebe / Bürgermeister / Paul Fritzschhans / und Wolffgang Lebzelter Rahtsverwandten zu Leipzig. Meinen insonders gönstigen Herrn Schwägern / Gevattern und guten Freunden. Ehrnveste Hoch und Wolweise Großgünstige Herrn Gevatter / Schwäger und gute Freunde / Weil es in dieser Welt mit der Menschen Leben und Wandel also beschaffen / das inen deßjenigen / was man thun und lassen sol / stete erinnerung geschehen / darneben aber hierinne bescheidenheit gebraucht / zwischen Personen unterscheid gehalten / in allem aber der gemeine nutz in acht genommen werden muß / ists nicht ein geringes stück der Weißheit in diesem allen den rechten Weg zu treffen. Ob nun wol hierinne etwas gründliches und gewisses zu erfinden / ich mich zu wenig erkenne. Dennoch und nach dem ich neulich zu meinen Händen bekommen Herrn Eucharij Eyerings Deutsche Sprichwörter in reimen gefast und dieselbe durchlesen / gerieth ich auff die gedancken / das nicht ein schlechtes mittel sein solte / durch Sprichwörter oberwehnte vermanung unnd erinnerung den Menschen bey zu bringen. Und zwar solches nicht allein gemeinen Leuten / besondern durchaus in allen ständen von den niedrigsten biß auff den höchsten. Denn obgleich mancher noch so hohes standes oder so mechtig / also das ime die Warheit nicht ohne gefahr angezeigt werden kan / so kan er doch durch gleichnüsse unnd Sprichwörter gantz leichtlich gewonnen werden. Denn wann man dasjenige / was ihm ubel anstehet / oder zu thun nicht gebüret / an einem andern Menschen / oder auch wol an einem unvemünfftigen Thier weiset / unnd gleichsam in kurtzweiligem Muth erzehlet / findet er nichts darinne / dessen seine Person außdrücklich beschweret oder beschuldiget würde / hat demnach auch keine ursach einigen Zorn zu fassen. Wann es im aber also ohne einige Bewegung ins Gemüth kömpt / kan er es desto besser bedencken / erwegen / auch weil er selbst ihme am besten bekand / sich daran spiegeln / unnd also unvermerckt daraus bessern / Welches er nicht thete / do er seines irrigen Wandels öffentlich bezüchtiget / Sintemal niemand / auch wol nicht ein geringer leicht zu finden / der nicht lieber seine mengel in geheimb / als mit öffentlicher schamröthe gestrafft wissen wolte. Der Prophet Nathan / als er dem König David seinen Ehebruch und Todschlag verweisen wolte / brauchet er diese gleichnüß von einem Schaff / setzet fein / Es sein zweene Menner in einer Stad gewesen / der eine reich / der ander arm. Der Reiche habe sehr viel Schaff und Rinder gehabt / dagegen der arme nichts denn ein einiges kleines Schäflein / das er gekaufft hette / es auch bey im und seinen Kindern genehret / zugleich von seinem bissen

224 geesset und getrencket / unnd in seinem schos schlaffen lassen / in summa es gehalten wie ein Tochter. Da aber dem Reichen Man ein Gast käme / habe er geschonet zu nemem von seinen Schafen unnd Rindern / demselben etwas zu zurichten / Derowegen dem armen Man oberwehntes einiges Schefflein genommen / unnd dasselbe für den Gast geschlachtet / bringet also den König durch diese gleichnis dazu / das er wider sich selbst ein Urtheil des Todes f e i l e t / i m 1. Buch Sam. 12. Als Joab desselben Königes hertz gegen Absolon widerumb versöhnen wolte / ließ er durch ein Weib von Thekoa mit ihme also reden / das sie zween Söhne gehabt / und einer den andern getödtet / Darauff die gantze Freundschafft zu ihr kommen sey / unnd den noch lebenden Sohn wider zu tödten begehret für seinen Bruder / Welchen er erwürget hette / Wollen ihr also ihren Erben vertilgen / unnd ihren Funcken außleschen / der ihr noch übrig / das also ihrem Manne kein Name übrig bliebe auff Erden. Durch welch gleichniß des Königs Zorn auch also bald gemildert wird / ibid am 14. cap. Als die gemeine Bürgerschafft zu Rom abgesondert aus der Stadt über den Fluß Anien entwichen unnd Menenius Agrippa sie zur einigkeit vermahnen wil / braucht er diesen apologum, saget / wie das auff eine zeit die Glieder des Menschlichen Leibs mit einander wider den bauch verglichen / unnd die hende dem Mündt keine Speise reichen / der Mündt keine annemen / die zeene nichts zerbeissen / und der schlund dem bauche keine nahrung zukommen lassen wollen / nur darumb / das / wie sie sich bedüncken Hessen / der bauch allein ganz treg ohne alle arbeit in wollust lebete / do sie hergegen allerley arbeit verrichten und ihm dazu dienen musten. Es habe aber der bauch also bald und neben ihme auch die andern Glieder selbst an Krefften abgenommen / derwegen die andern Glieder erkennen müssen / das der bauch inen allen dienete / und demnach von ihrer Abtünnigkeit abgestanden / Durch welch beyspiel er denn also bald der Bürgerschafft gemühter gewonnen. / Liv. lib. 2. Dergleichen Exempel köndten viel mehr auch aus andern Scribenten allhie angezogen werden / wann es nicht zu weitleufftig werden wolte / dann bey allen Völckern die Apologen / Beyspiel und Sprichwörter von alters her in gemeinem gebrauch gewesen / j a auch Gott selbst hat dieselben zu weilen den Menschen fürgestellet / Jacob zeiget er im Traum eine Leiter Geneseis 26. Jeremias einen Topff. Jerem. 1. Nennet den Chaldaer einen Lewen Jerem.4 vers.7. Der HErr Christus wirt auch offt mit Figürlichen Namen genennet eine Wurtzel Esaiae 11. Item ein Weinstock / ein Hirte / ein Lemblein / ein Eckstein / ein Liecht / ein Weg / ein Thür / etc. Und ist in Summa die gantze Heilige Schrifft solcher Figürlicher reden voll Wie dann der Sprichwörter hin und wider viel darinne zu befinden. Als auff dem Berge / da der HErr sitzet / Genes. 22. Ist Saul auch unter den Propheten 1. Sam 11. Von Gottlosen kömpt untugend ibid, Cap. 24. Wer fragen wil / der frage zu Abel / 2. Sam. 20. Kan auch ein Mohr seine Haut wandeln / oder ein Parter seine Flecken / Jerem. 13. Der Scherbe hadert mit dem Töpfer / Jerem. 45. Für Trauben Heerlinge / Esaiae 5. / Lasset uns essen und Trincken / Morgen sind wir todt / Esaiae 22. 1. Corint. 15. Wie reimt sich Stroh und Weitzen zusammen. Jerem. 23. Wil geschweigen / das der HErr Christus selbst offt und vielfeltig durch Gleichnis und Sprichwörter geredet / wie in den Evangelisten hin und wider zu befinden. Dannen hero denn auch in Predigten unnd andern öffentlichen Sermonen die Sprichwörter nützlich gebraucht werden können. Das bey den Heiden offt in gleichen mit Sprichwörtern / Beyspielen / Apologen unnd Fabeln zu reden fast gemein gewesen sey / ist unter andern auch aus den Poeten unnd Comaedien Schreibern zusehen / welche die laster sol wol an hohen als an geringen Personen in ihren Poematibus unnd Spielen gestrafft. So haben auch Erasmus unnd Junius der Heidnischen Sprichwörter viel hundert in lateinischer Sprache zusammengetragen. Welcher gestalt an Keyser: König: Fürstlichen und ander Herrn Höffen Sprichwörter / Apologen und beyspiele nützlich sein / erweisen die vom König David droben erzehlete Exempel. In Kriegsleufften ist fast nichts gebreuchlicher dann die Sprichwörter / denn da gibt der Oberste seinen Kriegsleuten alle tag / und sonderlich / wenn es zur Schlacht kömpt ein loß / daran einer seinen Commilitonem unnd mitgesellen kennen möge. In Hochzeiten / Gastereyen unnd andern Zusammenkunfften kan auch nichts lieblichers noch frölichers vorgebracht werden / so dazu gleich auch einen nutz hette / als Sprichwörter / Beyspiele und kurtzweilige Apologen.

225 Auff den Reisen ist nicht anmutigers als wenn ein Geferth den andern mit erzehlung solcher Figürlicher reden / Sprichwörter und Beyspiel die zeit vortreibt / die beschwerung des zu weilen bösen weges durch kutzweilige reden miltert / und es also machet / das an im erfüllet werde das Sprichwort: Eacundus comes, in viapro vehiculo est. Kan also kein stand gefunden werden / darinne nicht der nützliche gebrauch der Sprichwörter / und was demselben anhengig vielfeltig zu spüren sey. Dannenher ein jeder billich dieselben sich lieb und angenem sein lassen sol. Ob mir nun wol wissend / das allbereit von Agricola etliche Sprichwörter in Deutscher spräche ausgeleget / und in druck außgangen / welchem auch billich sein fleiß und arbeit gerühmet wird / so ereignet sich doch auch an diesem Herrn Euchario das Proverbium Posteriores cogitationes meliores, Sintemal er nicht allein ein ungleicher zahl mehr an Sprichwörtern in diesem Buch zusammen getragen / besondern auch die meisten Lateinischen / mit welchen die deutschen uberein stimmen / und Correspondiren allenthalben hinzu gethan / Hierüber auch noch viel schöner lustiger Apologen / Fabeln und Beyspiel mit angefüret / unnd es alles nicht wie Agricola in schlechter Prosa besondern in zierliche deutsche Reimen verfasset / Dergleichen dann in dieser Sprache ich bißher noch nicht gesehen / daraus dann diese Autoris vortreffliches Ingenium zu spüren / welcher zu dem er sonsten ein Seelsorger und Lehrer der Kirchen gewesen / Dennoch eine solche Arbeit zu Wercke gerichtet. Diesem allem nach hab ich mich unterwunden / dieselben auff meinen kosten in druck zu geben / Damit auch andere Nationen sehen mügen / das unsere Deutsche Sprache an zierlichen Reden und Sprichwörtern andern Sprachen nichts zuvor gebe. Und weil E.E.Hoch und Wolweish. sich gegen mir mit vielfeltiger Gunst unnd freundlicher Affection bißhero dermassen bezeiget / das ich mich billich dafür zur Danckbarkeit pflichtig erkenne. So thue denselben ich solch Sprichwörter Buch Dedicieren / Ihnen hiemit ein Glückseliges Freudenreiches Newes Jahr / und daneben langes Leben / Bestendige Gesundheit / unnd alle Wolfahrt wüntschende / Datum Leipzig am Newen Jahrs tage nach Christ unsers Erlösers Geburt im 1601. Jahr E.E. Hoch und Wolw. Dienstwilliger Henning Groß

Ander Theil Copiae Proverbiorum. Darinnen Etliche viel Hundert lateinischer und deutscher schöner und lieblicher Sprichwörter / Mit schönen Historien / Apologis, Fabeln und Gedichten gezieret / unnd nach dem Alphabeth Reimweise verfasset. Durch Eucharium Eyring, (seligen) Eißleben Typis Grosianis, &c. Dem Ehmvhesten unnd Ehmwolgeachten Herrn Martin Schumärtzen uff Störmenthal unnd Wolckquitzen / Bürger und fürnehmen Handelsmann in Leipzig / Meinen freundlichen lieben Schwager und alten vertrawten Freunde. Meine gantz willige und geflissene Dienste / neben wündschung aller heilsamen Wolfarth bevor / Ehrvhester und Ehrnwolgeachter Freund / Es wird nicht unbillich dafür gehalten / das jederman nicht alleine in seinem Beruff bleiben / besondern auch fleissig darob sein sol / das alle sein vornehmen darinne zu Gottes Ehren / erbarmung der Christlichen Krchen / gemeines und seines Nehesten Nutz gereichen möge. Wann ich denn eine Zeit her in dem Beruff / darein ich von Gott gesetzet / nach meinem wenigen Vermögen mich beflissen der Kirchen und Schulen / so wol auch Weltlichen und Haußregimenten nützliche Bücher durch den offenen Druck ans Liecht zu bringen / und unter andern unlängst des Herrn Eucharii Eyrings Sprichwörter / so er in deutsche Reimen verfasset / eines theils an den tag gegeben / und vermerckt / das solch Buchlein jedermann angenehm / Inmassen es denn an ihm selbst sehr nützlich ist / wie in dessen Vorrede mit mehrern ausgeführet / auch nach dem es inn Druck publicirt / von etlichen erfahrnen und gelarten Leuten / fümehmlich von dem Edlen / Ehmvhesten und Hochgelarten Herrn Ja-

226 cobo Donaw / zu Breßlaw / Fürstlichen Lügnitzschen unnd Brigischen Rath / (den ich ehrenthalben nenne) selbest diß Urtheil darüber gefellet / das es nicht geringschetzig / als estwa eusserlichem schein nach das ansehen haben möchte / sondern viel weise / tieffsinnige / und in allen Stenden nützliche Lehren in sich begreiffen thue / welcher mich dannenhero auch vermanet mit fernerer publication diese andern theils fort zu faren. Worin ich dann umb so viel mehr seiner bitt stat geben sollen / weil das gantze Werck nach Ordnung des alphabets verfertigt / und an ihm selbst dem sich dermassen für Augen gestellet / das er leichtlich draus abnehmen können / daß das Theil / so jüngst publiciert / noch unvollkommen sey / das ich also femer mich nicht auffhalten können / diesen andern Theil folgends inn den Druck zu verfertigen. Und dieweil ich mich unserer alten gantz vertrawlichen Freundschafft erinnert / auch nicht zweiffei / des Herrn gute freundliche affection gegen mir noch unerloschen sein werde / So habe ich denselben / bey itzigem seinem frölichen Zustand / andern Heyrat / darzu ich ihm und seiner geliebten Vertrawten von hertzen glück wündsche / mit diesem andern Theil der Sprichwörter verehren wollen / freundlich bitten / der Herr es alten vertrawen nach auffnehmen / und es ein Pfand und imerwerendes Denckzeichen unserer Freundschaft sein lassem wolle / Thue denselben / dessen geliebeten Vertrawte Gottes Schutz zu langwiriger Gesundheit / auch zeitlicher und ewiger Wolfarth empfelen. Datum Leipzig den 5. Augusti / im Jahr nach Christi unseres einigen Erlösers und Seligmachers 1601 des Herrn dienstwil. Schwager und vertrawter guter Freund Henning Gros Buchhändler

Dritter und letzter Theil Copiae Proverbiorum, Darinnen Etlich viel Hundert Lateinischer und Deutscher / schöner unnd lieblicher Sprichwörter: Mit schönen Historien / Apologis, Fabeln unnd Getichten gezieret / unnd nach dem Alphabet Reimweise verfasset. Durch / Eucharium Eyring / seligen. Eißleben. Gedruckt durch Jacob: Gaub: An den Guthertzigen Leser. Es wird sich der guthertzige Leser zu erinnern haben / das ich vor zweyen Jahren / unnd siedher deß underschiedliche zwey Theil / etlicher viel hundert deutscher Sprichwörter / so von den Ehrwirdigen und Wolgelarten Herrn Euchario Eyring / weyland Pfarherrn zu Streussdorff / inn zierischen deutschen Reimen gefasset / durch den Druck an den Tag gebracht unnd publiciret habe. Weil dann solche zwey Theil also gefasset und gestellet / Auch mit schönen Historien / Apologis, Fabeln, und Getichten gezieret / das sie nicht alleine kurtzweilig zu lesen / besondern auch in gemeinem Bürgerlichen Leben und allen Ständen / nützlich sein können / Als hat man vermercken können das sie auch nicht unangenehm gewesen / Und zwar es ist auch in diesen letzten Zeiten / ein fast bequeme Art / täglicher Conversation und Wandels / einem mit dem man umbgehet oder zu schaffen hat / das jenige / so man ihm andeuten wil / und doch sonderlich und außdrücklich / herauß zu reden bedencken / oder schewe treget oder tragen mus / durch Sprichwörter unnd verblümete Reden für zu bilden / daher sichs dann offt zutregt / das wol gantz wichtige Sachen / durch Sprichwörtliche Reden / angetragen / unnd außgerichtet werden / die sonsten nimmermehr würden angefangen oder fürgenommen sein. Wiewol dieser Punct vom Nutz der Sprichwörter / hiebevor anderer örter / sonderlich in der Vorrede über den ersten Theil / etwas außführlicher abgehandelt worden ist / dahin ich mich vor dieses mal / geliebter kürtze halben / gezogen haben wil. Dieses kan ich aber hie unerinnert nicht lassen / das diß gantze Werck und Corpus der Sprichwörter / von dem Herren Authore nach dem Alphabet disponiret unnd abgetheilet worden / Und demnach mehr gedachte zwey Erste Theile auch also darauff gerichtet sein / Inmassen sie dann biß an das Η gelanget sein.

227 Und weil sich viel Sprichwörter immer aus einem Theil in das andere referiren und ziehen / daselbst dessen Erklerung nach zuschlagen und auffzusuchen / auch ohne diß nichts für vollkommen gehalten werden mag / daran noch ein gut theil mangelt / Dahero nach publicirten zweyen ersten Theilen ich mich gleich selbst schuldig und pflichtig gemacht / den hinderstelligen Theil auch an den Tag zu geben. Und zwar umb so viel mehr / weil bey publicirung erster Theils / etlicher massen auch mein guter unnd freyer Wille gestanden / an diesem aber auch des Herrn Authoris Reputation gelegen / das seine gute Arbeit volkommen und ohne verstimmelung außgehe / Daher ich zur publication dieses letzten Theils / mehr und stercker verpflichtet bin / als ich zu dem ersten obligiret gewesen sein möchte. Und das hat auch zweifeis ohne etliche vornehme Leute bewogen / bey mir Anregung und Erinnerung zu thun / Denn ich diesen hinderstelligen letzten Theil / auch im Druck außgehen lassen wollte. Aus diesen itzo erzeleten Ursachen habe ich nun im Namen Gottes solches thun / und zu publicierung dieses dritten Theils schreiten wollen. Uberlieffere demnach hiemit den guthertzigen Leser dasselbe / wie es mir von des Herrn Authoris hinderlassenen Erben / umb die vergleichung / die inen hierumb gemacht habe / übergeben und ubereignet worden. Und wündsche / das ihm solche des Herrn Authoris Arbeit / inmassen er sich darinnen bemühet / seine Erben auch / in dem sie der Publication halber / dieselbe auf mich zu nehmen und förderlichst zu Wercke zu richten / mit mir contrahiret / gewündschet / Und ich vermöge meines Beruffes darzu zu helffen schuldig / zu nutz und ergetzung dienen möge / Dahero ich hinfüro solche unnd dergleichen gute nützliche Wercke durch den Druck an Tag zu geben Ursach haben werde / Dem guthertzigen Leser hiermit in Gottes gnedigen Schutz zu empfelende.

Literaturverzeichnis

1. Q u e l l e n Johannes Agricola Die Sprichwörtersammlungen, hg. von Sander L. Gilman, Berlin/New York 1971, 2 Bde. (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts). Erasmus Alberus Die Fabeln des Erasmus Alberus. Abdruck der Ausgabe von 1550 mit den Abweichungen der ursprünglichen Fassung hg. von Wilhelm Braune. Halle 1892 (NDL 104 - 107). Ulrich Boner Der Edelstein, hg. von Franz Pfeiffer. Leipzig 1844. Der Edelstein. Faksimile der ersten Druckausgabe Bamberg 1461, gedruckt bei Albrecht Pfister. Nach dem Exemplar der HAB Wolfenbüttel 16.1.Eth.2°. Eingeleitet von Doris Fouquet. Stuttgart 1972. Herman Bote Von Ulenspiegel eins bauern sun des lands Braunschweick / wie er sein leben vollbracht hat / gar mit seltzamen Sachen [...] Erfurt 1532. (Ex. SB München 4 Rar. 1641) Seltsame unnd Wunderbarliche Historien Tyll Ulenspiegels / eines Bawren Son / Bürtig auß dem land zu Braunschweyg. Newlich auß Sächßicher sprach / auff gut Hochteutsch / verteutscht / sehr kürtzweilig zu lesen / mit schönen Figuren [...] Straßburg 1551. (Ex. Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt 31/350, fol. Iv (ungez.)) Ein kürtzweilig Lesen von Dyl Ulenspiegel, hg. von Wolfgang Lindow nach dem Druck von 1515. Stuttgart 1966 u.ö. (RU 1687). Sebastian Brant Das Narrenschiff, hg. von Manfred Lemmer. Tübingen 2 1968. B.S.M. Spiegel der wyszheit / durch kurtzwylige fabeln / vil schoener sitlicher und Christlicher lere angebende / [...] usz dem latin vertütscht [...] Basel 1520. (Ex HAB. 98.12 Theol. 4) Wolfgang Bütner Epitome Historiarum. Christlicher Ausgelesener Historien und Geschichten / Aus alten und bewehrten Scribenten. [...] In Fünff Bücher. Nach Ordnung und der Lere in den zehen Geboten Gottes / Und der sieben Bitten in unserm heiligen Vater unser / Gerichtet. [...] Zusammen getragen durch M. Wolfgang Bütner. 1576. (Ex. SB München 2° Catech. 5) Sechs hundert sieben und zwantzig Historien von Claus Narren (o.O. u. J., Erstausgabe 1592). (Ex. HAB Lo 912.2) Nathanael Chytraeus Hundert Fabeln aus Esopo / etliche von D. Martin Luther und herrn Mathesio / etliche von andern verdeutschet [...] Rostock 1571. (Ex. HAB 108.3 Eth.) Christain Egenolph Sprichwörter. Schöne Weise Klugreden. Darinnen Teutscher und anderer Sprachen Höfflichkeit, Zier, Höchste Vernunft und Klugheitt. Frankfurt 1548. Faksimile-Nachdruck Darmstadt 1972. Eucharius Eyring Proverbiorum Copia, Etlich viel hundert / Lateinischer und Teutscher schöner und lieblicher Sprichwörter / wie die Teutschen auff Latein / und die Lateinischen auff Teutsch außgesprochen [...] durch Eucharium Eyring. Eißleben 1601. Ander Theil Copiae Proverbiorum [...] 1601. Dritter und letzter Theil Copiae Proverbiorum [...] 1603. (Ex. HAB 85.1/2. Eth)

230 Job Fincel Wunderzeichen. Warhafftige beschreybung und gründlich verzeichnuß schröcklicher Wunderzeichen und Geschichten / die von dem Jar M.D.XVII. biß auff yetziges Jar M.D.LVI geschehen und ergangen sindt nach der Jarzal. Durch Jobum Fincelium. Nürnberg 1556. (Ex. HAB Ts 416 (1)) Johann Fischart Fischart's sämtliche Dichtungen, hg. von Heinrich Kurz. 3 Bde. Leipzig 1867. Johann Fischarts Werke. Eine Auswahl von Adolf Hauffen. 3 Bde. Stuttgart o.J. (1895). Bd. 1: Flöh Haz. Das Glückhaft Schiff von Zürich. Jesuiterhütlein u.a.; Bd. 2: Eulenspiegel Reimensweiß; Bd. 3: Das podagrammisch Trostbüchlein. Das philosophisch Ehezuchtbüchlein. Geschichtklitterung, hg. von Ute Nyssen. Darmstadt 1967. Sebastian Franck (Pseudo-Sebastian Franck) Sebastian Francks erste namenlose Sprichwörtersammlung vom Jahre 1532, hg. von Friedrich Latendorf. Poseneck 1876. Sprichwörter, hg. von Wolfgang Mieder. Hildesheim 1987 (Volkskundliche Quellen. Neudrucke europäischer Texte und Untersuchungen VII.). Philipp Frankfurter Die Geschichte des Pfarrers vom Kalenberg. In: Narrenbuch, hg. von Felix Bobertag. Berlin/Stuttgart 1884 (DNL 11). S. 1-86. Jakob Frey Gartengesellschaft, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1896 (StLV 206). Caspar Goltwurm Wunderzeichen: Das ist / Warhafftige Beschreibunge aller furnemen / seltzamen / ungewonlichen / Gottlichen und Teuffeiischen / guten und bösen / heilsamen und verfuhrischen zeichen / gesichte unnd mißgeburt / so von anfang der Welt im Himmel / Lufft / Wasser und Erden / wider den gemeinen lauff der Natur auß sonderlichem rath des Allmechtigen Gottes / zu Warnung des Menschlichen Geschlechts geoffenbaret [...] Durch den Hochgelehrten Casparum Goltwurm Athesinum. Frankfurt 1567. (Ex. LB Wiesbaden 4° Hw 59.) Kirchen Calender. IN welchem nach Ordnung gemeiner Allmanach / die Monat / Tage / unnd Furnemmsten Feste deß gantzen Jars mit irem gebrauch / [...] kurtzlich verfasset / und mit vielen schonen Figuren / über vorige Edition / gezieret und gemehret [...] Caspar Goltwurm Athesinus. Frankfurt 1588. (Ex. LB Wiesbaden My 4810) Gregor Hayden Salomon und Markolf. In: Narrenbuch, hg. von Felix Bobertag. Berlin/Stuttgart 1884 (DNL 11). S. 293-361. Johann Herold Wunderwerck Oder Gottes unergründtliches Vorbilden [...] Auß Herrn Conrad Lycosthenis Lateinisch zusammen getragner beschreybung [...] durch Johann Herold / uffs treuwlichst inn vier Bücher gezogen unnd Verteutscht. 1557. (Ex. SB München 2° Η Misc. 14) Andreas Hondorff Promptuarium Exemplorum. Historienn (sie.) und Exempelbuch. Aus Heiliger Schrifft / und vielen andern bewerten und beglaubten Geistlichen und Weltlichen Büchern und Schrifften gezogen. Durch Andream Hondorff. 1568. (Ex. SB München 2° H.misc. 14) Promptuarium Exemplorum. Das ist: Historien und Exempelbuch / nach Ordnung und Disposition der heiligen Zehen Gebott Gottes / auß heiliger Schrifft / und andern bewerten und glaubwirdigen / Geistlichen und Weltlichen / alten und newen Scribenten / mit allem fleiß zusammen getragen [...] Jetzt zum dritten mal in Truck außgangen [...] Durch [...] Andream Hondorff. 1574. (Ex. UB Tübingen Fr.20. fol.) Promptuarium Exemplorum. Historien und Exempelbuch. [...] Durch Andream Hondorff [...] Nun aber mit vielen Historien vermehret / und in eine newe richtige Ordnung bracht [...] durch Vincentium Sturm. 1576. (Ex. SB München) Calendarium Sanctorum et Historiarum. In welchem nach Ordnung gemeiner Calender / durchs gantze Jar / alle Heiligen und Mertyrer / beschrieben mit ihrem Bekentnis und Leiden / nach Ordnung der Tage [...] Zusammen colligirt auffs kürtzste / den Einfeltigen zu gut. Durch Andream Hondorff [...] Anno 1573. (Ex. UB Tübingen Gh 67 Fol.)

231 Daniel Holzmann Spiegel / der Natürlichen weyßhait / durch den alten in Got gelerten Bischof Cyrillum / mitt fünff und neüntzig Fablen und schoenen Gleichnussen. Augsburg 1571. (Ex HAB 98.12 Theol. 4) Hans Wilhelm Kirchhof Wendunmuth, hg. von Herman Österley. 5 Bde. Tübingen 1869 (StLV 95-99). Bartholomäus Krüger Hans Ciawerts Werckliche Historien, hg. von Theodor Raehse. Halle 1882 (NDL 33). Michael Lindener Rastbüchlein und Katzipori, hg. von Franz Lichtenstein. Tübingen 1883 (StLV 163). Martin Luther D. Martin Luthers Werke. Weimarer Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe: Abt. Schriften Bd. 1-58; Abt. Tischreden Bd. 1 - 6 ; Abt. Bibel Bd. 1-12; Abt. Briefe: Bd. 1-14. Weimar 1883-1963. Luthers Fabeln und Sprichwörter, hg. von Reinhard Dithmar. Frankfurt 1989. Martin Montanus Das ander Theyl der Gartengesellschaft. In: Martin Montanus' Schwankbücher, hg. von Johannes Bote. Tübingen 1899 (StLV 217). Wegkürzer, ebd. Johannes Pauli Schimpf und Ernst, hg. von Hermann Österly. Stuttgart 1866 (StLV 85). Huldreich Ragor Locorum Communium. Der Erste Theil. Schöne ordentliche Gattierung allerley alten und newen Exempel / Gleichniß / Sprüch [...] Von vielen jaren her / aus des Herrn Philippi Melanchthonis / und anderer gelehrten / fürtrefflichen Menner Lectionen [...] zusammen getragen [...] durch Johannem Manlium / Jetzt aber im Teutschen auffs newe ubersehen von Johann Huldreich Ragor [...] Franckfurt am Mayn / 1566. (Ex. HAB 413,5 Quod.) Locorum Communium. Der Ander Theil. Vielfeltige / schöne / herrliche / liebliche Exempel [...] von Johann Huldreich Ragor. Frankfurt 1566. (Jahreszahl verdruckt: 1556). (Ex. H A B 413,6 Quod.) Reynaerts Historie. Reynke der Vos Mit Kommentar hg. von Jan Goosens. Darmstadt 1983 (Texte zur Forschung 42). Zacharias Rivander Der Ander Theil Promptuarii Exemplorum. Darinnen viel Herrliche Schöne Historien Allerley Alten und newen Exempel [...] Dergleichen im vorigen und ersten Promptuario gamicht gefunden werden / Alles nach den heyligen Zehen Gebotten Gottes fein ordentlich distribuiert und außgetheilet. [...] Durch Zachariam Rivandrum. 1587. (Ex. H A B 110.6 Th. 2°) Promptuarium Exemplorum: Historien und New Exempelbuch. Aus Heiliger Schrifft / und warhafftigen Geschichten / trewlich und vleissig zusammengezogen / durch D. Zacharium Rivandrum. 1591. (Ex. HAB Lb. 80) Georg Rollenhagen Froschmeuseler, hg. von Diethmar Peil. Frankfurt 1989 (Bibliothek der Frühen Neuzeit Bd.12). Caspar Scheidt Friedrich Dedkinds Grobianus, verdeutscht von Caspar Scheidt, hg. von Gustav Milchsack. Halle 1882 (NDL 34/35). Valentin Schumann Nachtbüchlein, hg. von Johannes Bolte. Tübingen 1893 (StLV 197). Georg Steinhart Epitome Historiarum. Christliche und kurtze beschreibung vieler denckwirdiger Historien und Exempel / beydes der heyligen Schrifft / sowol auch anderer alten und newen Lehrern und Scribenten [...] Erstlich / durch M. Wolffgangum Bütnern [...] zusammen getragen [...] Jetzt aber auffs Newe ubersehen / mit vielen nützlichen Historien vermehret / nach Ordnung der fünff Hauptstück des Catechismi D. Luth. [...] Durch Georgium Steinhart. Leipzig 1596. (Ex. HAB 187.12 Hist.F)

232 Heinrich Steinhöwel Steinhöwels Äsop, hg. von Hermann Österley. Tübingen 1873 (StLV 117). Der Stricker Die bisher unveröffentlichten geistlichen Bispelreden des Strickers, hg. von Ute Schwab. Göttingen 1959. Der Pfaffe Amis, hg. von Michael Schilling. Stuttgart 1994 (RU 658). Burkhard Waldis Aesopus von Burkhard Waldis, hg. und mit Erläuterungen versehen von Heinrich Kurz. Leipzig 1862. Abdruck nach der 3. Auflage von 1557. (Deutsche Bibliothek. Sammlung seltener Schriften der älteren deutschen National-Literatur. 1/2). Jörg Wickram Das Rollwagenbüchlein. In: Georg Wickram, Sämtliche Werke, hg. von Hans-Gert Roloff. Berlin/New York 1973. Bd. VII. Achilles Jason Widmann Histori Peter Lewen des andern Kalenbergers, was er für seltzame abenthewr für gehabt und begangen, in Reimen verfaßt durch Achilles Jason Widmann. In: Narrenbuch, hg. von Felix Bobertag. Berlin/Stuttgart 1884 (DNL 11). S. 87-140.

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