Geschichte meiner Vorrede zur zweiten Auflage des Quintus Fixlein [Reprint 2021 ed.]
 9783112465523, 9783112465516

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Geschichte meiner zur

Vorrede

-weiten Auflage d eS

Quintus Fixlein.

Geschichte der Vorrede zur -weiten Auflage.

Ein Schweizer voltigierte (nach dem Be­ richte Stolbergs) einst so heftig als er fönte von der Stube auf den Sessel und von diesem wieder herunter — da man ihn darüber befragte, gab er an:,„er mache sich lebhaft." — Aber Novmanner wie ich, brauchen schon hal­ be Tagreisen,, wenn sie fp feurig wer­ den wollen- daß sie den Plan eines Kapitels glüklich entwerfen. Schon a2 Eras«

4

Erasmus arbeitete sein lob der Narhcit auf dem Sattel aus (da er nach Italien rit) und der englische Dichter Savage sein Trauerspiel Overbury auf den londner Gaffen — wiewohl sein leben selber ei­ nes war, kein bürgerliches, sondern ein adeliches, da er sich von seiner natür­ lichen Mutter, der Gräfin von Maeclesfield jährlich 200 Pf. auszahlen lies, damit er kein Pasquil auf sie machte, sondern eben dadurch nur eines auf sie wäre —; von mir aber ist gar bekant, daß ich vor einigen Jahren die große Tour machte, bis ich gleich einem jun­ gen Herrn mit dem Risse vder Knochen­ gebäude der „Mumien" wiederkom­ men kvnte; ja solt' ich mich einmal



5

zu einem epischen Werke, wie die Obpf» fee entschliessen, so mäste sich wohl der Sänger so lange auf seiner pittoresker^ Entdeckungsreise aufhalten als der Held, selber.

Hingegen zur Zeugung einer Vor­ rede zur zweiten Auflage hab' ich nie mehr nöthig erachtet als eine Fußreise von Hof nach Bayreuth, einen Kazzensprung über drey Poststazionen. Ich such' aber etwas darin, wenn ich daS Erstaunen der Nachwelt und ihrer Vor­ fahren dadurch erregen kan, daß ich beide auf die bayreuthische Kunststrasse mitnehme, auf der ich Hinlaufe — im Webstuhl der Vorrede eingespert und mit dem a 3 We-

6

Wcberschifgen werfend — ohne doch etwas Rechtes her'auszubringen. Ich trug nämlich das ofne Souvenir vor mir her, um die-Vorrede, wie sie mir Satz für Satz entfiel, darin aufzufangen; aber wenige Autoren wurden noch so in ih­ ren Prafazionen gestört. 'Ich will cs ausführlich trzahlen.

Der moralische Gang de- Menschen gleicht seinem.physischen, der nichts ist als ein fortgesezter Fal. Schon der Höfer Schlagbaum, un» ter dem man den Chaüsseezol erlegt und der hinter dem Vis-a-vis einer Dame niedersank, die ihn abgetragen, fiel hart wie ein Stosvogcl und 'Eierbrecher auf den

7 den Kopf des Vorberichts: denn ich woll«

te der Dame durchaus vorlaufen, ihr inS Gesicht zu sehen;

um

und mithin

wurde unter dem Nachdringen wenig an die Weberei der Vorrede gedacht, wie­ wohl

ich

nachsezte. zimmern

Vis - ä - vis fruchtlos

dem Mit

ists

unbekanten

ganz

unbekanten Büchern.

anders

Frauen­

wie

mit

Ich nehme nie

ein Buch, das ich noch nicht gelesen, in

die Hande,

ohne wie «in

vorauszusetzen, es fei elend.

Rezensent Hingegen

bei einer unbekanten Frau nimt

Mann,

jeder

gesetzt er hatte schon 30,000

Abgvttinnen *) kennen und vergessen ge« a 4

lernt,

*) Varro bringt eine» Numerum v»n 30,000 heidnische» Göttern zusammen.

8

lernt, von neuem an, diese 30,001s5« sei erst die ächte unverfälschte H. Jung« frau — die Gottesgebährerin — die Göttin selber. Das nahm ich glcichfals an auf dem Strasscndam; wenig­ stens ich doch eine Frau, an de­ ren gepuderten und- aufgelokten Hinter­ kopf die Morgenröthe so deutlich anfiel, -u den gebildeten weiblichen Köpfen zäh­ len, welche —- da nach Rousseau Ei­ sen und Getraide di§ Europäer kul­ tivieret haben — dep feinern Fabri­ katen aus beiden, den Haarnadesq und dem Puder jene Bildung verdan­ ken, die nun, hosf ich, unter den weib­ lichen Köpfen bürgerlichen Standes schon etwas Gemeines ist. Gegen diese äus­ sere

9

sere Kultur einer Frau soltc "sich kein Eheman sperren, der an der (einigen eine gutgemachte papinianische Kochma­ schine —■ eine Schäferische Waschma­ schine — eine englische Spinmaschine — und eine Girtannerische Respirazionö« maschine besitzen wil: erzeigt sonst, daß er eine unschuldige Ausbildung mit der innern, von der überhaupt Honoraziorin« nen im Ganzen frei sind, verwechsele. Kultur ist gleich dem Arsenik, den BleiSoluzionen und den Wundärzten, blos äusserlich gebraucht etwas HerlicheS und Heilsames: innen im weiblichen Kopf, der so leicht brennend wird, schnauzet oder blaset der Eheman das Licht aus Vorsicht aus, so wie man a 5 aus

IO

aus derselben Vorsorge nie ein physika­ lisches in die kaiserliche Bibliothek in Wien cinlasset. —

Nun schlang gar der Wald die Da» me hinein und ich stand leer aufderof« nen Chaussee. Mein Verlust brachte mich auf die Vorrede zur zweiten Auf­ lage zurük. Ich fieng sie im Souve­ nir an; und hier folgt sie, so weit als ich davon nahe bey Hof fertig brachte. Vorrede zur zweiten Aussage.

„Der Poet tragt sehr oft wie ein ge, „bratener Kapaun unter seinen Flügeln, „womit er vor allen besezten Fenstern „der gelehrten Welt -ufsteigt, rechts

„fei'

11 „seinen Magen, links feine Leber,

„berhaupt denkt der Mensch „mal,

„zogen, ^gen,

Ue-

hundert«

er habe den alten Adam ausge« indes er ihn nur zurüsgcschla«

wie man die Neger-Schwarte

„des Schinkens zwar untcrhölet und aus«

„rollet, aber doch mit aufsezt und noch „dazu mit Blumen garniert." . ♦ ,

Allein jezt gieng hinter mir die Son« ne auf. *—

Wie werden vor dieser Er*

leuchtung deS ewigen sich selber aus- und in einander schiebenden Theaters vol Or­ chester und Gallericn, die Vorreden und

das Krebsleuchten der Rezensenten und die phosphoreszierenden Thiere, die Au­ toren,

so

blas und so mat

und

so

gelb!

12 gelb! — Ich hab' es oft versucht, vor­ der jährlichen Gemälde-Ausstellung der langen unabsehlichen Bildergallerie der Natur an Buchdcuckersiöcke, an Final«

stocke, an Schmuzblatter und an Spatia zu denken — —• aber es grenz nicht

an,

ausgenommen Mittags, .hingegen

Abends und Morgens nie.

Denn ge«.

rade am Morgen und am Abende, und noch mehr, in der Jugend und im

Alter richtet.der Mensch sein erdiges Haupt voll Traum- und Sternbilder ge­

gen den stillen Himmel auf und schauet

ihn lange an und sehnet sich

bewegt;

hingegen in der schwülen Mitte des Le­

bens und des Tages bükt er die Stirn vol Schweisttopfcn gegen die Erde und

gegen

13

gegen ihre Trüffeln und Knollengewäch­ se. So richtet sich der Regenbogen nur in Morgen und Abend, nie in Sü­ den auf; oder so ist die -mitlcre Lage einer Spielkarte aus Makulatur gemacht, nur die zwey auffersten Lagen aber aus feinem Drukpapier.

Als mich die Strasse immer höher über die Thaler hob, würd' ich zweifel­ haft, wem ich treu bleiben sötte — ob der erhabenen Allee und . Kolonnade von Bergen die ich linker Hand, oder dem magischen Vis - ä - vis mit dem gebil­ deten Kopfe, das ich gerade aus vor mir Hatte —- ich sah ein, auf der linken Thabor-Berg-Kette verklare sich der Geist

r» Geist und stehe in ausgehauenen-FuS«ritten weggeflatterter Engel fest, aber im Vis-a-vis faß ja der herabgeflogene Engel selber.

An Präfazionen war nicht zu denken. Zum Glük nahm ich unweit Münch­ berg neben den großen Gerüsten der Natur, die die Seele stängeln, noch eines wahr, das sie zur Kriech- und Zwergbohne eindrükt, nämlich den Rabenstein und einen wohlgekleideten Herrn, der darauf herborisierte. —— Beiläufig! kein Gras auf Rasenbänken oder in Festungen oder auf WouvermannS Leinwand ist ein so schönes bowling - green als das aus Rabenstei­ nen,

15 wen, das gleichsam ein Ernte- und Be­ lagerungskranz (corona obsidionalis) der

siegenden Menschheit ist.

hen ohnehin

Ach eS ste­

so viele rothe Wolken vol

Blutregen über der Erde und tropfen! —•

Ich fastete mich jezk als Vorredner und sielte mir vor:

„es ist nicht zu ver-

„hehlen, daß du vor der ersten Stazion, „vor Münchberg stehest und noch wenig

„mehr von dem Vorbericht herausgetrie„ben hast als den ersten Schus: „diese Art- wirst

auf

du durch GefreeS,

„durch Bernek und Bindloch kom»

„men ohne den geringsten Zuwachs der

„Vorrede, besonders wenn du darin kein „Wort sagen wilst als was zu einem w

„rigen und künftigen wie ein Zwikstein »pastkt-

l6 „Passet.

Steht es dir denn nicht frei,

„wie H. von Moser zu arbeiten, (der „Gevatter und Vorläufer deiner Zettel„kasten), der in seinem Leben keinen zu­

sammen hangenden Bogen geschrieben,

„sondern

nur

Aphorisnren,

Gnomen,

„Apophthegmen, kurz nichts mit Flecht„werk."

Ich müsse mir Recht geben;

und fuhr demnach bandfrei wie gute

Klaviere, und in sententiis magistrali-

bus,

und

ohne andere Verbindungen

Bastpflanzen als betten auf dem R a-

benstein so fort in der

Vorrede zur zweiten Aussage.

„Es ist eine ewige Unart der Men« „scheu, daß sse alle Schrammen undPok« „ken-

n „kcngruben ausgestandener Iahrhnndcr«

„te,

alle Nachwehen und Feucrmaler

„der vorigen Barbarei nie anders weg«

„schaffen lassen als zweimal — erst« „lich

durch

die

Zeit,

dan zweitens

„(obgleich bald darauf, oft im nächsten „Iehrhundert) durch Edikte, Kreis«

„scherisse,

Reichöabschiede, Landtagsab«

„schede, pragmaticas sancliones und Vi„kariatskonklusa---------- dergestalt,, daß

„unsere verdamten skorbutischen,

rosti-

„gen, kanigcn Narheiten und Gebrauche

„gänzlich den fürstlichen Leibern gleichen, „die ebenfals zweimal begraben werden, „das erstemal heimlich, wenn sie stinken, „das zweitemal öffentlich in einem leeren

„zweigchausigen Paradesarg, dem Trau«

b

,,rr«

18 „mahnen, Trauermäntel, Trauerstutten

„niedergeschlagen folgen." —

Die Fortsczung der Vorrede folgt.

Der Botaniker der Galgen-Flora hatte mich unter dem Schreiben einge­

holt und gestört.

Ich erstaunte den H.

Kunstrath Fraischdörfer auS Haar­

haar *) vor mir zu haben, der nach Bamberg gieng, um von einem Dache

-oder Berge irgend

einer zu hoffenden

Haupt-

*) So heisset bekantlich das Fürstenthum, in welchem die Geschichte, die ich nun

bald unter dem Namen Titan ediere,

vvrfält.

Daher kenn ich den Kunstrarh

Fraischdörser recht gut, er aber mich gar nicht.

19

Hauptschlacht zuzusehen, die er als Gallerieinspektor so vieler Schlachtstücke,, ja

■selber als Kritiker der homerischen nicht "gut entbehren kan. —

Mein Gesicht

Hingegen war ihm ein unbekanteS inne*

aces Afrika.

Ein Man mus sich wenig

in der litterarischen Weltgeschichte umge­

sehen haben, dem man es erst zu sagen braucht, daß der Kunstrath so wohl in der neuen alg. deutschen bibliothekari­ schen alö in der Haarhaarischen,

scheer«

auischen und siachsenfingischen RezensicrFaktorei mit arbeite als einer der besten Handlungsdiener.

Wie man einen Kür­

bis in einen Karpfenteich als Karpfen­

futter einsezt:

so senkt er seinen nahr­

haften Kopf in manches ausgehungerte b 2

Jour-

20

Iournalisticum ein als Bouillonkugel. Da nun der Kunstrath, dem ich doch nie etwas zu Leide gethan, schon an.mehrcren Orten deutliche Winke fallen lastsen, er wolle mich in Kurzem rezensierend so war mir fatal zu Muthe; denn.eS giebt zwischen nichts eine grössere Aehn» lichkeit und Antipathie zugleich als zwi­ schen einem Rezensenten und Autor, wie­ wohl derselbe Fal auch beim Wolf und Hunde ist. Ich münzte daher meinen Namen als mein eigner Falschmünzer um und sagte mich als einen ganz andern Menschen an: „Sie sehen hier, sagt' „ich zum Kunstrath, den bekamen Egi„dius Zebedaus Fixlein vor sich, von „dessen Leben mein H. Gevatter Jean „Paul

21

„Paul der Welt eine zweite Auflage zu „schenken gesonnen — wiewohl ich tag« „lich noch fortlebe und mithin immer „neues Leben, das man beschreiben kan, „ nachschicsse. “ — Die Seele des Kunst­ rathes war jezt nicht wie die nachgestochenc im orbis pictus aus Punkten zusammengcsczt, sondern aus Ausru­ fungszeichen: andere Seelen beste­ hen aus Parenthesen, aus Gänsefüssen, die meinige aus Gedankenstrichen. Er forschte mich, da er mich für den QuintuS hielt, nun aus, ob mein Karakter und mein Haushalten zu dem gedrukten pasten. Ich theilte ihm viele neue Züge von Fix­ lein mit, die aber in der zweiten Auflage stehen, weil er mir sonst öffentlich vorb 3 wirft.

rr wirst, ich hatte mein Original mager portraitiert. Er brachte alle meine Strassen­ reden sogleich zu Pergament,

weil er

nichts behalten konte; daher hatt' er einige Hauptstarkende Krauter zu einer Krauter« müze auf dem Rabensteine gesammelt. Fraischdörfer gestand mir, stekte einer sei­

ne Studierstube mit den Exzerpten und Büchern in Brand,

so waren ihm auf

einmal alle seine Kentnisse und Meinun­

gen geraubt,

weil er beide in jenen

aufbewahre, daher sei er auf der Straffe ordentlich unwissend und dum, gleichsam nur ein schwacher Schattenris und Nach­

stich seines eignen Ichs,

ein Figurant

und curator absentis desselben.

Ueber-

2Z

Überhaupt ist der Tempel des deut­

schen Ruhms eine schöne Nachahmung des athenischen Tempels der Minerva,

worin ein grosser Altar für die Vergessen­ heit stand *).

Ja wie die Florentiner

sich ihren Pandekten nur ehrerbietig in einem

Staatskleide

nahem,

und

mit Fackeln

so nehmen wir aus derselben

Ehrfurcht die Werke unserer Dichter nur in Bratenröcken in Geselschaft zur Hand

und nähern solche selber den Kerzen und

fachen damit das Feuer in allen guten

Köpfen aus — Meerschaum an. — Ich bin oft gefragt worden,

komme,

woher eS

daß der alternden Welt,

deren

b 4 *) Plutarch Svmpof.

1. 9.

in

qn. 6.

24

deren Gedächtnis sich doch die ältesten Werke von tausend Messen her, die eines Plato, Zizcro, sogar Sanchuniathons erhalten, gleichwohl die allerneuesten z. B. die Rittcrromane von den lezten Messen, kantianische, wolfianische, theo­ logische Streitschriften, Dunkels Leben, die besten Inauguraldisputazionen und pieces du jour, Hirtenbriefe und ge­ lehrte Zeitungen oft in dem Monathe entfallen, worin sie davon hört. Meine Antwort war gut und hies: da es wohl keine mystische Person von einem solchen Alter giebt alö die Welt, die ein wahrer alter eingerunzelter Kopf von Denner ist und die nun anfängt (wie es wohl kein Wunder ist) vor Maras» muS

25 mus schwach unb fast kindisch zu 'wer­ den :

so ist sie natürlicher Weise von

dem Uebel alter Personen nicht frei, die alleS,

was sie in ihrer Jugend ge­

hört und gelesen, treflich fcsthalten, hin­

gegen was sie in ihren alten Tagen er­ fahren, in einer Stunde vergessen.

Da­

her denn unsere Bücher den Lumpen in der Papiermühle

gleichen,

sie genommen sind,

von denen

unter welchen der

Papiermüller die frischen

alzeit früher

zur. Fäulnis bringt als die alten. —>

Im Grunde hätt' ich das als einen abgesonderten Saz in der Vorrede zur zweiten Auflage ausstellen können.

b 5

Ueber

26 Ueber Münchberg erbossete sich

der Kunsirath ungemein:

entweder die

Hauser oben auf dem Berge oder die unten solten weg;

er fragte mich,

ob

Gebäude etwas anders als architektoni­ sche Kunstwerke waren, die mehr zum Beschauen als zum Bewohnen gehörten

und

in die man nur misbrauchsweisc

zöge, weil sic gerade wie Flöten und Ka­

nonen hol gebühret waren, wie die Bie­ nen sich im holen Baum ansezen, anstat um dessen Blüten zu spielen.

Er zeigte

das Lächerliche, sich in einem Kunstwerk einzuquartiercn,

und sagte,

es sei so

viel als wolte man Heems *) Gefässe r»

) Der teste Maler in Topf.- Stücken.

27 zu Kafenapfcn und Fcdertöpfen verbrau­

chen ,

oder

den Laoroon

zürn Bas­

geigenfutteral und die mcdizeifche VcnuS

zur Haubenschachkel auShölen. derte sich

überhaupt,

Dörfer leiden könte;

es mach' ihm

Er wun­

wie der König und gestand frei,

als Artisten eben

kein

Misvergnügen, wenn eine ganze Stadt

in Rauch aufgicnge,

weil er

alsdan

doch die Hofnung einer neuen schönem

fasse.

Er war nicht von mir wegzubringen t jezt grif er, ausserhalb Münchberg, stat der Münchberger

mich selber an und

stäupte meine opera. Ach die Vorrede zur

zweiten Auflage so wohl als das fliehende

Vis-

28 Vis - a-vis liessen mich und meine Wün­

sche immer weiter hinter sich und ich hatte von der ganzen Dame wie von einer ge-

siorbncn nichts mehr im Auge als den fernen nachflicgenden Staub,

den ich

indes für viel Marzenstaub und Puntschund

Demantpulver

hatte.

nicht

weggcgcben

Der Kunstrath und Fraishcrr

kielholte und sakte jczt meinen Gevat­ ter — Jean Paul, denn mich hielt er,

wie gesagt,

für den Quintus —

verdacht es jenem,

und

daß er seinen bio­

graphischen Brei nicht wie Landleute recht

glat auftrage,

und daß er sich über­

haupt nicht vor dem Spiegel der Kritik

anpuze.

Ich nahm mich des gekrank­

ten abwesenden Mannes an und sagte, so

29

so viel ich aus seinem Munde wisse, so heb' er sich gerade auf den Schwung­ brettern, und an den Springstäben und Steigeisen der Kritik mehr als mit den Hberflügeln seiner Psyche auf, ja er ha­ be kritische Briefe unter der Feder, wor­ in er die Kritik auf Kosten der Kriti­ ker preise und übe — eben diese kriti, sche Manipulazion schwelle seine Werke so sehr auf, wie die Nasen grösser und langer werden durch häusiges Schnau­ zen. — Und. wahrhaftig so ist es: ich begreif' es nicht, wie ein Mensch ein Wcrkgcn schreiben kan, das kaum ein halbes Alphabet stark ist; ein Bogen in der Ferne breitet sich ja nothwendig in der- Nahe zu einem Buche aus, und ein

3° ein Buch zum Ries:

ein

opus,

Wenn ich es eben hinwerfe,

das

gleich ei­

nem neugcborncn Baren nicht grösser iss als eine Razc, lekk' ich ihit der Zeit zu einem breiten Landbaren auf.

tiker sieht freilich nur,

Der Kri­

wie viel der Au­

tor behalten hat-, .über nicht,

wie viel

er weggeworfen; Häher zu wünschen wä­ re,

die Autoren hicngen ihren Werken

hinten für die Rezensenten die volssan-

dige Samlung aller der elenden dum­

men Gedanken an, die sie vorncn ohite Schonen ausgestrichcn > um so mehr, da sie es ja, wie z. V. Voltaire-

bei der

lezten Herausgabe ihrer opera, wirklich

thun und hinten für feinere Leser einen

Lumxcnboden des Auskehrigs der erstem Edi-

3i Edizionen anstoffen und aufsparen, wie etwan einige preussische Regimenter den Pferdcstaub zurücklegen halten müssen,

und

zum Beweise,

vorrathig

daß sie

gestriegelt haben. —

Jczt säuerte er almählig aus Bier­ essig zu Weinessig: er sagte mir gerade

heraus: „Sic wissen nicht, für wen Sie „fechten:

Ihr H. 'Gevatter hat Dero

„Knicstük selber zu einer Bambacchade „gemacht und Sie nicht mit den intet»

„lektucllen Vorzügen ausgesteuert

und

„ausgestelt, die Sie doch, wie ich jezt

;,hvre, wirklich haben.

Ich konte auf

„dem Drukpapier wenigen Antheil an

„Ihro Hochehrwürden nehmen, erst auf

„der Chaussee."

Ich wünschte, er zö­

ge auch diesen zurük und fiel absichtlich aus meinem Fixlcinischen Karakter heraus, indem ich piquicrt sagte:

„wenn Leser,

„zumal Leserinnen meinen komischen Ka„raEttr, oder überhaupt einen unvolkom-

„nen nicht goutieren: so erklär' ich mir „es.gut; sie haben keinen Geschmak an

„schreibenden Humoristen, geschweige an „handelnden; auch wird es einer engen

„Phantasie schwerer, sich in unvolkom-

„ne KaraEtere zu denken als in volkom-

„ne und sich für sie zu interessieren — „endlich hat der Leser einen Helden lie„ber, der ihm ähnlich ist als einen un­

ähnlichen; unter einem ähnlichen meint

„er aber alzeit einen

herlichen Men-

33 „scheu." —

Gewis! Denn wie Pln»

tarch in seinen Biographien jeden gros­

sen Man gegen

einen zweiten grossen

wiegt und vergleicht,

so halt der Leser

jeden grossen Karaktcr einer Biographie

leise mit einem zweiten grossen zusammen (welches feiner ist) und giebt Acht, was dabei herauskömt.

Aus diesem Grun­

de schäzen Madgen

eine

vollkommene

weibliche Schönheit und Grazie

unge­

mein hoch in der Schild er ei des Ro» mqns, (so sehr verschönert der Dichter

das Fatalste) und sehnen sich wenig dar­ nach in der Plastik und Skulptur der

Wirklichkeit, —

ge,

so wie haolichd Din­

Eidexen und Furien nur von der

Malerei, aber nicht von der Bildhauer»

e

fünft

34

Funfi gefallend darzustellen sind — für das Madgcn ist nämlich, der Roman ein treuer Spiegel und es kan. darin die Hel­ din sehen. Der Kunstrath that jezt vor dem Dorf „die drei Bratwürste" genant den Wunsch, Ziegenmilch darin zu trinken. Ich fragte ihn, -ob erS wie die vorneh­ men Leute, mache, die -r— weil Huart einen achttägigen Trank von Ziegenmilch als ein Hausmittel vorschlagt, ein (9es nie ;N zeugen — sich eben deshalb zum Geis -Kordial entschliessen und dan se­ hen, wozu es führt. Daß sie, wenig­ stens die Fürsten, ihn nicht der Schwind­ sucht halber trinken, beweisen wohl die Ver-

35 Versuche, die sie nachher machen.

der Kunstrath wurde

Aber

nur darum

der

Milchbruder Jupiters, weil die Parzen

.den Lebcnsfadcn völlig von den Spindeln seiner Beine abgewaifet hatten: er stand

gleichsam schon als ein ausgcbalgtcr gutgetrokneter

mit Aether gefülter Vogel

im Naturalien » Glasschrank da.

Er

sagte, man müste entweder sich und die Bücher oder die Kinder ausvpfern,

so

wie der Landwirth,

ei­

sezt' ich hinzu,

nes von beide» schlecht annehmcn mustntweder den Leindotter oder den Flachs.

Wahrend der Milchkur wurden tvir

Leide einander noch verhaster als wirs schon waren -unp das eingcschlukte Krö«

c 2

ten-

36

tenlaich unserer Antipathie wurde durch die gelinde Warme der edeln Theile zu

ordentlichen Kröten ausgeschlossen.

wurde ihm gram,

Ich

weil ich hier in den

drei Bratwürsten stehen muste und allem

Anschein nach in GefeeeS ankam, oh­ ne irgend etwas Schönes gesehen oder

geschrieben zu haben, (ich rede von dem Vis-ä-vis und der Vorrede) und über­

haupt weil Fraischdörfer zugleich Matgvld,

Eine

Kazengold

und

Plazgold war.

elendere Mixtur giebt

es nicht.

Zog er nicht sogar unter dem Kauen sich

wie ein Dentist seine Schneidezahne aus, weil blos die Hundszähne ächt wa­

ren und genuin?

Konc' ich nicht, als

er den Rok aufknöpfte, deutlich sehen, daß

37

daß der Bauch seiner Weste seiden und marmoriert, hingegen der Rücken der­ selben weis und leinen war, als war er ein Dachs, der wie Buffon bemerkt, als Widerspiel aller Thiere lichtere Haa­ re auf dem Rücken hat und die dunk­ lem unter dem Bauch? — Und waS seinen Zopf anlangt, so ist wohl gewiS, daß seiner nur an der Spize eignes Haar aufzeigt und übrigens lang und falsch ist, meiner aber klein und acht, gerade als hatte uns die Natur und Unnaus wie zwei bekante Thiere unterscheide» wollen *). e 3 Ec *) Ich equus caudä undique setosä — et

equus

caudä extremo

setosä.

Syst. Nat. CI. i. Ord. 4.

Linn»

38 Er für seine Person sezke gleichfals den Lavendelessig des Ingrims auf ei­ ner guten Essigmutter

an

und

wolte

mich damit wie einen Pestkranken

be­

sprengen:

er bildete- sich nämlich

ich belög

ihn oder hatt' ihn zum Nar­

ein,

ren und wäre gar der Quintus nicht, wofür

ich

mich gab,

sondern

etwan

wohl mein Gevatter selben.

Er schloS

das aus meinem Scharfsin.

Um hinter

Mich zu kommen,

so lies er den Lum«

pcnhacker seiner Mühle ios- und sties da­

mit unter alle meine Werke auf einmal. Ich werde sogleich seine eignen Worte

hersezen.

Ich habe zwar oft den Himmel

gebeten, mir einen Hahn in die gelehr­ ten Anzeigen zu

schicken,

der krahcte, wenn

39 wenn ich als litterarischer Petrus falle und der über den Fal mich zu Thränen

brächte — oder doch einen blossen Ka­ paun, der wie andere Kapaunen, mei­

ne Küchlein aussässe und hcrumführte; aber um diesen Greifgeier derselben hab'

ich ihn nie ersucht und ich seh' es ein,

ich wurde erhizk.

Er fieng denn schon

bei den drei Bratwürsten an und hielt damit aus bis nach Gefrees —

wobei

er doch mich immer Se. Hochehrwür« den und Jean Paul meinen H. Gevat­ ter hies — und behauptete:

„es gebe

„weiter keine schöne Form als die grie« „chische,

„die

die man durch

Materie

am -4

Verzicht auf

leichtesten

errei-

„che —

40

„che -r- *)

(Daher bewegt man sich

„jezt nach der griechischen Choreographie „am besten, wenn man d.as wistcnschaft-

„liche Gepak der spätern Jahrhunderte„abwirft und sich es so zu sagen leicht: „macht.) — Auf denKubikinhalt komm'

„cs der Form so wenig an, daß sie „kaum einen brauche,

wie denn schon

„der reine Wille eine Form ohne alle „Materie sei (und so zu sagen im Wol«

„len des Wollens besteht, so wie „der unreine im Wollen dcS Nichtwol-„lens, so daß die ästhetische und die „moralische Form sich zu ihrer Mate-

„rie *) Alle Parenthese« find meine Zusäze und «rlantern de» Kunsrrath.

41 „ric verhalt wie die geometrische Flache „zu jeder gegebenen wirklichen.) — Da„her lasse sich der Ausspruch Schlegels

„erklären, daß, so wie es ein reines „Denken ohne allen Stof gebe (dergleichen^

„ist völliger Unsin) eS auch vortrcfliche „poetische Darstellungen ohne Stof geben

„könne, (die so zu sagen blos sich selber „tauschend darstellen.) —

lleberhaupt

„müsse man aus der Form immer mehr

„alle Fülle auskcrnen und auöspelzen, „wenn anders ein Kunstwerk jene Vol­

lkommenheit erreichen solle, die Schil„ler fodere, baß cs nämlich den Men-

„schen zum Spiele und zum Ernste gleich

„frei und tauglich Nachlasse (welchen ho„hcn Grad die erhabenen Gattungen

e 5

„der

42 „der Dichtung, z. B. die Epopee, die „Ode wegen der Einrichtung der mensch-

,glichen Natur unmöglich anders crstei„gcn, als entweder durch einen unbedeuoder durch die tec«

„tenden leeren

,5re. unbedeutende Behandlung eines wich-

„tigcn.

Da aber gerade diese nur bei

„platten Kunstwerken anzutreffen ist: so „haben die schlechten demnach mit den „vollkommensten das Nnterscheidungszei«

„chen von mittelmässigen gemein *)♦ — „Vollends Humor,

„verwerflich

als

dieser sei eben

so

da

er

ungeniesbar,

„bei

*) Den Mangel an Wirkung theilen die niedrigsten Kunstwerke mit den volkommensten, so wie die Unempfindlich­ keit nach Montaigne, oder die Unwissen-

43 „bei keinem Alten eigentlich anzutreffen

,,s-i« ♦ - .

Fraischdörfer sol sogleich fortfahrcn,

wenn ich nur dieses cingeschobcn habe:

ich

werde

einmal in

einem kritischen

Werkgen geschikt darthun, daß alle deut­ sche Kunsirichtcr (den neuesten ausge­

nommen)

den Humor nicht blos jäm­

merlich zergliedern,

sondern auch (was

ich nicht vermuthet hatte, da das Vcr-

gnügen an der Schönheit durch die Un­

wissenheit in ihrer Anatomie so sehr ge­ winn

senk eit nach Paskal gerade an zweierlei Mcnsche» ist, an den niedrigsten und an den edelsten, angeboren bei je­ nen, mühsam erworben bei diese».

44 wink) noch erbärmlicher geniessen,

wie

wohl sie als Richter in der. Finsternis

den Areopagiten gleichen, denen verboten war über einen Spas zu lachen (Aeschin.

oder einen zu schreiben

in Timarch.)

(Plut. de glor. Athen.) — scrner daß

die

krumme Linie

des

Humors zwar

schwerer zu rektifizieren sei, daß ex aber nichts regelloses und wilkührlicheS vor­ nehme,

weil er sonst niemand ergözen

könte als seinen Inhaber — daß er mit

dem Tragischen die Form und die Kunst­ griffe,

ob wohl nicht die Materie thei­

le —

daß der

ästhetische,

schieden

Humor

(nämlich der

der vom praktischen so ver­

und

zcrtrcnlich

ist

wie jede

Darstellung von ihrer dargcstcltcn oder

dar-

45 darstellenden Empfindung) nur die Frucht einer langen Vernunft-Kultur sei und

daß er mit dem Alter der Welt so wie mit dem Alter eines Individuums wach­ sen muffe.

Fraischdörfcr fuhr fort: „Halte Matt „— Ach da niuste durch sei« weiches Herz, das eine Ewigkeit lang nut an liebevollen warmen Engel« gele­ gen war, der Heise Stich der Feindschaft schiesen und die heilige Seele vvl Liebe mu-

muste über eine innere Zettrenuung erschra­ ken: „ach, sagt' er, der menschliche Tod thut wehe." —- Aber es war keiner: beim kein Engel erschien. Nun würd' er eine- Lebens, das wir ein halbes Jahrhundert tragen, in wenig Tagen müde und sehnte sich zurük. Die Abend­ sonne zog seine verwandte Seele. Die Split­ ter seiner verlezten Brust matteten ihn durch Schmerzen ab. Er gieng, mitderAbendgluth auf den blassen Wangen, hinaus auf den Gottesacker, den grünen H i n t e r g r u n d des Lebens, wo die Hüllen aller schönen See» Jen, die er sonst ausgekleidet Halle, ausein­ ander genommen wurden. Er stelle sich mit wehmüthiger Sehnsucht auf das nakte Grab der unaussprechlich geliebten, eingesunkene» Braul und sah in die verblühende Abendson­ ne. Auf diesem geliebten Hügel schaucte er seinen schmerzenden Körper an und dachte: du würdest auch schon hier dich auseinander legen, lockere Brust, und keine Schmerzen mehr geben, wenn ich dich nicht aufrecht er«

12 hielte — Da überdachte er sanft das schwere

Menschenleben, und dieZnckNngen derBrustwnnde reizten ihm die Schmerzen,

mit de­

nen die Menschen ihre Tugend und ihren Tod

erfßitrVn und die er freudig der edcln entflohnen Seele dieses Körpers ersparte------------

Tief rübrke ihn die menschliche Tugend und er weinte auS unendlicher s'iebe gegen die Men­ schen ,

die unter dem Anbellcn ihrer eignet»

Bedürfnisse, unter herabgesunkne« Wölken, hinter langen Nebeln ans der einschneidenden

Lebensstrasse,

dennoch vom hohen Sonnen»

ficrn der Pflicht nicht wegblicken, sondern die liebende Arme in ihrer Finsternis auf breitet»,

für jeden gequälten Dusen, der ihnen begeg­ net und um die nichts schimmert als die Hof-

nung, gleich der Sonne in der alten Welt unterzugehen,

um in der neuen aufzuge­

hen ------------ Da öfnete die Entzückung seine

Wunde und das Blut, die Thräne der Seele,

floS auS dem Herzen auf den geliebten Hü­

gel — der zergehende Körper sank süsverblutcud der Geliebten nach — Wonne-Tbränen

13 nett brächen die faTTct^e Tonne in e*n rokeu» rothes schwimmendes Meer — fernes Ccks-

Geldne, als wenn die Erde von we;«ent im

klingenden Ander vorübeijige, spielte durch den nassen Glanz — Dann schos eine dunkle

Wolke oder eine kleine Nackt vor dem Engel vorbei und war vol Schlaf — Und nun war ein Stralenhimmel ausgefban und übenvalle»

te ihn und tausend Engel flammten: „bist du scheu wieder da, du spielender Traum!" sag»

le er — Aber der Engel der erste« Stunde

trat durch die Stralen zu ihm und gab ihm das Zeichen dos Kusses und sagte;

„Da4

war der Lod, du ewiger Bruder und Him^ melvfreund

.

Und der Jüngling und

seine Geliebte sagten es leise nach.

2. Der

*4 2. Der Mond. Phantasierende Geschichte. Dedikajion an meine Pflege - Schwester Philippine.

)ch habe mich noch in keinem Buche dar­ über anfgehalren, gut« Pflegeschwester, daß ihr Madgen aus dem Monde so viel macht, daß er der Joujvu euere-Herzens ist und daNestei, um da- ihr die andern Sterne herumlegt, wenn ihr Phantasien aus ihnen auSsizt. Er sol auch ferner das Ai fferblatSra d der Ideen bleiben, auf die euer Gesicht als eine Monduhr zeigt (denn unseres ist eine Sonnenuhr) > da er wie ein blinkendes Stahl­ schild im schwarzen Atlasgürtel deS Himmels sieht — da er nichts schwärzt — da er vielmehr ein Licht wirft, gegen das man kei­ nen Schleier Überhängen muS, weil es selber wie

15

wie einer auf dem Gesichte liegt — da er überhaupt die Sanftmuch und Liebe selber ist. Aber über etwas anders statt man zan­ ken — darüber , daß ihr den guten Monv und seinen da ansäsigen Mann mehr lieben und sehen, als kennen lernen wollt, wie ihrs auch bei Männern unter dem Monde thut. ES ist leider kein Geheimnis, beste Schwe­ ster, daß schon'tausend Mädgen kopulieret Und beerdigt worden, die jene silberne Welt droben wirklich für nichts anders gehalten ha­ ben als für einen recht hübschen Suppenteller von himlischen Zinn, das Mit dem MondsMan, wie das englische mit einem Engel, gestempelt ist. Beste, eS ist sogar die Frage, ob Du es selber noch weist, daß der Mond nm wenige Meilen kleiner ist, als Asien. Wie oft must' ich DirS am Fensterstoke Vorsin­ gen, ehe Du es behieltest, daß nicht nur fein Tag einen halben Monat währt, fvndem auch — was sich noch eher hören lasset — feine Nacht, so daß also da ein lustiges Mädchen, das von der Mutter schon um Mitternacht vom Bal-

i6

Balle nach Haus-gezerret, wurde, doch wepigstens seine guten anderthalbbundert Stun» den gewalzt und geschliffen Harke! — Sage mir einmal, Philippine, ob Du es uochM Kopfe Haff, daß deq Mond, »der vielmehr seine Lenke in einer so langen Nacht, so gut wie.wir scl)en und pfvmeniren wollen und daß sie-also einen grösser« Mond bedürfen als wir, wenigstens keinen schmälern, als ein massi­ ges Kutschenrad ist! Ich hab' es von guter Hand, daß Du es nicht mehr weist., wach der Mond für einen Mond über sich sehe —rUnfere Erde ist seiner. Flatterhafte, und komt ihnen droben nicht grösser vor als ein Braut­ kuchen. Ich seze hier wegen meiner folgen­ den Erzählung noch das hinzu, daß wir ih­ nen kein Licht (Mond- oder Erdschein) hin­ auf werfen können, wenn wir hier unten sel­ ber keines haben, welches der Fal bey der Sonnenfinsternis ist; daher können die Mond­ söhne bei unserer Sonnenfinsternis nicht arrderS sagen, als r „ wir haben heute eine Erd­ finsternis«" Ich

17 Ich bitte Dich recht sebr, Philippine,

lies diese Personalien des Mondes, auf die die

ganze phantasierende Erzählung fusset>

Deinen Zuhörerinnen einigezwanzigmale vor:

sonst, ist euch alles entfallen,

eh' ich nur

angefangen.

Ueberhaupt verdenk' ich- euern Eltern

«»gemein, daß sie euch statt des Franzö­

sischen , das euch wie ein Bund Titularkam» merherrn - Schlüssel nur zum Klingeln deS

frelenverderbenden Parlierens und nie zum

Aussperren eines einzigen französischen Bu­ ches nüzt,

weil euch Ritterrvmane lieber

sind, daß sie euch, sag ich, nicht lieber ha­

ben Sternkunde lernen lassen, sie, die dem Menschen ein erhabenes Herz gibt, und ein

Auae, das über tue Erde hinausreichr, und

Flügel,

die in die Unermeßlichkeit heben

und einen Gott, - der nicht endlich^ sondern unendlich ist.

Man darf über alles unter dem Monde und über ihn selber Phantasien haben, wenn

man nur nicht die Phantasien

B

für Wahr-

hci-

18 heilen nimt — oder das Schattenspiel für

ein Bilderkabinet — oder das Dilderkabinet für ein Naturalienkabinet.

Der Astro­

nom inventiert und tariert den Himmel und

fehlet um wenige Pfunde; der Dichter meublieret und bereichert ihn;

jener fastet das

Flurbuch von Anen ab, worein dieser Per­

lenbache leitet

samt einigen- Goldfischgen;

jener legt Messchnür«,

dieser Guirlande«

nm den Mond — auch um die Gde
. Du milde,, blasse Gestalt, an die ich so oft blicke, um mein Herz zu­

mildern — die so bescheiden schimmert und so bescheiden macht —

die ihren Werth

nur dem stillen Himmel zeigt,

nicht der

lau-

19 lauten Erde — und zu der ich das Au­ ge gern aufbebe,

wenn ein Paar Tropfen

zn viel darin sieben, die in den auf der Er­ innerung blühenden Herbstflor der Freuden

niederfallen und vor der ich am liebsten an

daö über die Wolken gerükre Mutterland um serer verpflanzten Wünsche denke. Du gute Gestalt! .. .. . Pbilippine, es thut dem

Herzen Deines Bruders wohl, daß es zwei­ felhaft ist, wen er hier angeredet habe, ob

den Mond oder Dich. fel

zu

verdienen,

Einen solchen Zwei­

Schwester,

ist so

schön,

daß ich nur noch etwa- Schöner-

kenne:

nemlich, ihn gar zu benehmen,

indem man sich vom Monde in nichts unter­ scheidet als in den Flecken und in der Verän­

derlichkeit. Ich bin, wiewohl blos mit dem lezterem

Unterschiede Dein Bruder,

Die

20

D i e Erzählung.

Als ich zum erstenmale, Eugenius und Rosamunde- denen ich den wahren Namm nicht mchr geben darf, eure kleine Geschichte erzählen wollte, gingen meine Freunde.und ich in einen englische» Garten. Wir kamen vor einem neubemalten Sarg vorbei, auf dessen Fusbret stand : ich gehe ■ vorüber. Ueber den grünenden Garten ragte ein weis­ ser Obelisk hervor, womit zwei verschwi­ sterte Fürstinnen die Stelle ihrer Wiederver­ einigung und Umarmung bezeichneten und.an dem die Inschrift war: „Hier fanden wir uns wieder." Die Spjze des Obeliskus blinkte schon im Volmond; und hier erzählte ich die einfache Geschichte. — Du aber, lieber Leser, ziehe — welches so viel als Sarg und Obeliskus ist — die Unterschrift des Sarges in die Asche der Vergangen­ heit,

21

fjeit, und die Buchstaben des ObelisknS zeichne mit warmen edel» Herzensblute in dein Inneres. Manche Seelen entfallen dem Himmel wie Blüten; aber mit den weissen Knospen werden sie in den Erdenschmuz getreten und liegen oft besudelt und zerdrükt in den Fusstapfen eines Hufs. Auch ihr wurdet zer­ drükt, Eugenius und Rosamunde! Zarte Seelen wie euere, werden von drei Räu­ bern ihrer Freuden angefallen: vom Volke, dessen rohe Griffe ihrem weichen Herzen nichts als Narben geben — vom Schiksak, das an einer schönen Seele vol Glanz die Thräne nicht wegnimt, weil sonst der Glanz verginge, wie man den feuchten Demant nicht abwischt, damit er nicht erbleiche — vom eignen Herzen, das zu viel bedarf, zu wenig geniesse«, zu viel host, zu wenig ertragt. — Rosamunde war eine vom Schmerz durchbohrte helle Perle — abgetrent von den Ihrigen zukte sie nur noch bei Leiden fort wie ein abgeschnittener Zweig B Z der

22

der Sensitive bei Einbruch der Nacht — ihr Leben war ein stiller warmer Regen, so wie das ihres Gatten ein Heller heisser Son­ nenschein — sic kehrte vor ihm ihre Augen weg, wenn sie gerade auf ihrem zweijähri­ gen siechen Kinde gewesen waren, das in diesem Leben ein düngestügelter wankender Schmetterling unter einem Schlagregeu war. — Eugcnius Phantasie zerschlug mit il-ren zu grossen Flügeln das zu weiche bims ne Körpergewcbe; die Lilienglocke des zarten Leibes faste seine mächtige Seele nicht; der Ort, wo die Seufzer entstehen, seine Brust, war zerstört wie sein Glük; er batte nichts mehr in der Welt als sein liebendes Herz und nur noch zwei Menschen für dieses Herz. Diese Menschen wollen im Frühling aus dem Strudel der Menschen gehen, der so hart und kalt au ihre Herzen anschlug: sie -liessen sich eine stille Senncnhütte auf einer hohen Alpe, die der Silberkerre des Staub­ bachs gegen über lag, bereiten. Am er­ sten

2Z sten schönen Frühlingsmorgen traten sie den

langen Weg zur hohen Alpe an.

der Strom des Lebens wird

und laurern;

fchneeweis, tern.

Es

ES gibt

die nur die Leiden geben

eine Heiligkeit,

wenn ihn- Klippen zersplit­

gibt eine Höhe,

wo zwischen

die erhabenen Gedanken nicht einmal mehr kleine treten, wie man auf einer Alpe die

Berggipfel neben einander stehen sieht ohne

ihre Verknüpfung durch Tiefen.

test jene Heiligkeit, Du diese Höhe,

Dn hat­

Rosamunde — und

Eugenius! —

Um den

Fus der Alpe zog ein Mvrgenncbel, in dem drei flatternde Gestalten hiengen: die Spie­ gelbilder der drei Reisenden waren es und

die scheue Rosamunde erschrak und dachte,

sie sehe sich selber.

Eugenius dachte: was

der unsterbliche Geist um hat, dickerer Nebel.

ist nur ein

Und daö Kind grifnach

der Wolke und wvlte spielen mit seinem klei­ nen Bruder aus Nebel.

Ein einziger uns

sichtbarer Engel der Zukunft ging mit ihnen

durch daö Leben und auf den Berg:

B 4

sie

waren

24 waren so gut und einander so ähnlich, daß sie nur einen Engel brauchten.

Unter dem Steige» schlug der Engel das Buch des SchiksalS auf, worin ein Blat,

der Abris eines dreifachen Lebens war —

jede Zeile war ein Tag — und als der

so

Engel die heutige Zeile gelesen hatte,

weinte er und schlos das Buch auf ewig.

Die Schwachen bedurften beinahe einen

Tag zur Ankunft.

Die Erde kroch zurük

in die Thäler, der Himmel lagerte sich auf die

Berge.

Die müde,

nur

blinkende

Sonne wurde unserem Eugenius der Spie­

gel des Mondes;

er sagte,

als schon die

Eisgebürge Flammen über die Erde warfen,

zu seiner Geliebten: doch so wohl.

„ Ich bin so müde und

Ist es uns so, wenn wir auS

zwei Träumen gehen, aus dem Traum des Lebens,

und aus dem Traum des Todes,

wenn wir einmal in den wolkenlosen Mond als die erste Küste hinter den Orkanen des

Lebens treten?" — Rosamunde antwortete: „noch besser wird uns sein; denn im Monde

woh-

25 wohnen ja, wie Du mich lehrest, die klei­ nen Kinder dieser Erde,

und ihre Eltern

bleiben so lange unter ihnen, bis sie selber so mild und ruhig sind wie die Kinder und dann

ziehen sie weiter." —

„Von Himmel zu

Himmel, von Welt zu Well!" sagte erho­

ben Eugenius. Sie stiegen, wie die Sonne sank: wenn

sie träger klimten, so schlugen sie Berggipfel wie losgebundene- auffabrende Zweige verhül­ lend vor die Sonne.

Dann eilten sie in den

hinanfrückendrn Abendschimmcr nach; aber alö sie auf der Sennenalpc waren, traten

die ewigen Berge vor die Sonne — dann verhütte die Erde ihre Graber und Städte

anbetend vor dem Himmel,

eh' er sie mit

allen Sternenaugen ansah und die Wasser­ falle legten ihre Regenbogen ab — und hö­ her breitete die Erde dem Himmel, der sich über sie hereinbog mit ausgestrekten Wolken»

Armen, «inen Flor aus Goldduft unter und hieng ihn von einem Gebürge zum andern —

und die Eisberge waren angezündet,

B 5

damit

26 mit sie bis in

die Mitternacht glühten,

»ind ihnen gegenüber war auf dem Grabe der

Sonne ein Scheiterhaufen von Gewölk aus Abend » Gluth

und

Abend - Asche aufge-

Durch den. glimmenden

thürmt.----------

Flor aber lies der gute Himmel seine Abend­ thränen tief in die Erde hinunter fallen, bis

gnf das niedrigste Grab, bis auf die kleinste Blume darauf. —

O Eugeniuö, wie gros muste jezt deine

Seele werden! Das Erdenleben lag entfernt und in der Tiefe vor dir ohne alle die Ver­ zerrungen, die wir daran sehen, weil wir zu nahe davor stehen,

so wie die Dekora­

tionen kürzerer Szenen in der Nahe Landschaften zu

aus

ungestalten Strichen wer­

den. — Die zwei Liebenden umarmten sich sanft

und lange vor der Hütte und Eugeniuö sagte:

o stiller, ewiger Himmel,

nichts md):-! —

jezt nim

unö

Aber sein blasses Kind

stand niiti dem geknikten Lilienhaupte vor ihm, er sah die Mutter an und diese lag

mit

27 mit dem weiten

feuchten Ange im Him­

mel und sagte leist: oder nim uns alle auf einmal! Der Engel der Zukunft, Engel der Ruhe nennen wil,

den ich den weinte lä­

chelnd und sein Flügel verwehte mit einem

Abeudlüftchen die Seufzer der Eltern, damit sie einander nicht traurig machten. Der transparente Abend flos um die ro­ the Alpe wie ein heller See und spühlte sie

mit den Zirkeln kühler Abendwegen an.

Je

wehr sich der Abend und die Erde siilte, desto mehr fühlten die zwei Seelen, daß sie

am rechten Orte waren:

sie hatten keine

Thräne zu viel, keine zu wenig und ihr Glük hatte keine andere Vermehrung vonnöthen,

als seine Wederhohlung.

Eugenius lies in

den reinen Alpenhimmel die ersten Harmoni­ katöne wie Schwanen fliessen.

Das müde

Kind spielte in einem Ringe von Blumen eingefaffet, an eine Sonnenuhr gelehnt, mit

den Blumen, die cS um sich auszog, um sie in seinen Zirkel cinzuschlichten.

End­

lich

28 sich wurde die Mutter aus der harmoni­

schen Entzückung wach — ihr Auge fiel in

die grossen weit ans sie gerichteten Augen ihren KiudeS — singend und

anlachelnd

und mit ülerschwcllender Mutterliebe trit sie zum kleinen Engel, gestorben.

der kalt war und —

Denn sein vom Himmel herab-

gesenktes Leben war im Dunstkreis der Erde auseinander geflossen wie andere Töne — der Tod hatte den Schmetterling angehaucht und dieser stieg aus den reissenden Luftsirö-

men in den ewigen ruhenden Aether auf, von den Blumen der Erde zu den Blumen

des Paradieses. — — O flattert immer davon, selige Kinder!

Euch wiegt der Engel der Ruhe in der Mor­ genstunde des

Lebens

mit

Wiegenliedern

ein — zwei Arme tragen euch und euern

kleinen Sarg und an einer Blnmenkette glei­

tet euer Leib mit zwei Rcsenwangen, mit einer Stirn ohne Gram-Einschnitte und mit weissen Händen in die zweite Wiege herab, und ihr habt die Paradiese nur getauscht. —

Aber

29 Aber wir, ach wir brechen zusammen unter,

den Sturmwinden des Lebens, Herz ist müde,

und unser

unser Angesicht zerschnirreir

von irdischem Kummer und irdischer Müh' und unsere Seele klammert sich noch erstarret

an den Erdenklos! Du wende Dein Auge weg von Rosa­

mundens durchstechendem Schrei, starrendem Blik und versteinernden Zügen, Du, wenn

Du eine Mutter bist und diesen Schmerz schon gehabt hast — schaue nicht auf die Mutter, die mir sinlvser Liebe die Leiche bart an sich

quetschet,

die sie nicht mehr erdrücken kan,

sondern auf den Vater, der seine Brust über sein kämpfendes Herz schweigend dekt, ob

es gleich der schwarze Kummer mit Oiterringen umzog und mit Oklerzabnen volgos. Ach als er den Schmerz davon endlich weggebo-

ben hatte, war das Herz vergiftet und auf­

gelöst.

Der Man verbeisset die Wunde und

erliegt an der Narbe — das Weib bekämpft

den Kummer selten und überlebt ihn doch. —> »Bleibe hier" (sagt' er mit überwältigter

Slim-

3® Stimme) — „ich wil es zur Ruhe legen eh der Mond aufgeht."

küste es fiimi,

Sie sagte nichts,

zerbröckelte seinen Blumen­

ring , sank an die Sonnenuhr und legte das kalte Angesicht ans den Arm, um das Weg,

tragen des Kindes nicht zu sehen.

Unterweges erhellete das Morgenroth des Mondes den wankenden Säugling, der Va­ ter sagte: brich herauf, Mond, damit ich

das Land sehe, wo Er wohnet. — „ Steig* empor, Elvsium, damit ich mir darin die Seele der Leiche denke — v Kind, Kind,

kenst Du mich, hörst Du mich — ach hast Du droben ein so schönes Angesicht wie Dei­

nes da, einen so schönen Mund — v Du himlischer Mund, Du himlisches Auge, kein

Geist zieht mehr in Dich." —

Er bettete

dem Kinde siat alles dessen, worauf man uns

zum leztenmale legt, Blumen unter;

abet

sein Herz brach, als er die blassen Lippen,

die ofnen Augen mit Blumen und mit Eids

überdekte, und ein Strom von Thränen fiel zuerst ins Grab.

Als er mit der grünende»

Rinde

31 Rinde der Erdschollen, die kleine Erhebung

überbauet hatte:

fühlt'er,

daß er von der

Reise und dem Leben müde sei und daß in der

dünnen Bergknft seine kranke Brust einfallc: und daSEis deS Todes sezte sich in seinem

Herzewan.

Er blikte sich sehnend nach der

verarmten Mutter um — diese hatte schon lange hinter ihm gezittert — und sie fielen

einander schweigend in die Arme und ihre Au» gen tonten kaum mehr weinen. —

Endlich quol hinter einem ausglimmenden Gletscher der verklarte Mond einsam über

die zwei stummen Unglüklichen herauf und zeigte ihnen seine weissen-unbestürmten Auen und sein Dämmerlicht, womit er den Men­

schen besänftigt. —

, Mutter!

blik auf*

(sagte Eugenius ) „dort ist Dein Sohn —-

sieh dort über den Mond gehen die weissen Blütenhaure hin, in denen unser Kind spielen

wird. “ —

Jczt füllete ein brennendes Feuer

verzehrend sein Inneres — sein Auge er­ blindete am Monde gegen alles, was kein

Licht war und im Lichtstrvme walleten erha­ bene

Zr bene Gestalten vor ihm vorüber mtb- neue

Gedanken, die im Menschen nicht einheimisch find und die für die Erinnerung zu groS. find, hörte er in seiner Seele , wie im Trau­

me oft Melodien vor den Menschen kommen, der im Wachen keine schassen, kan.



Der Tod und die Wonne drükten.seine schwe­

re Junge: „Rosamunde warum sagst du nichts? —

Siehst Du Dein Kind? Zch

schaue hinüber über die lange Eide, bis dahin

wo der Mond angeht : da stieget mein Sohn

zwischen Engeln. Hohe Blumen wiegen ihn— der Erden - Frühling weht über ihn -r— Kin­ der führen ihn — Engel lehren ihn — Gott

liebt ihn —

O Du Guter, Du lächelst ja,

das.Silberlicht des Paradieses

fliesset ja

himlisch um Deine» deinen Muid, und Du

kenst niemand und rufest Deine Eltern — Rosamunde gib mir Deine Hand/ wir wol,

len kommen und sterben." — —

Die dünyen.Lorperfesseln wurden langer. Sein ziehender Geist flatterte höher an den

Grenzen des Lebens. Er fastete die Betäubte mit

33 mit zuckender Kraft und lallete erblindend

und sinkend: Rosamunde, wo bist Du? Ich fliege — ich sterbe — wir bleiben beisam­

men.

Sein Herz zerriö, sein Geist entflog. Aber Rosamunde blieb nicht bei ihm, sondern

das Schiksal ris. sie aus der sterbenden Hand

und warf sie lebendig ans die Erde zmük. Sie fühlte seine Hand an, ob sie tvdtenkalt fei: und da sie.es war, so legte sie sie sanft .auf ihr Herz, fiel langsam auf ihre brechen­

den Knie, hob ihr Angesicht unaussprechlich Mögeheitert gegen die Sternenuacht hinauf,

ihre Augen drangen aus den

thränenleren

Höhlen trocken, gros und selig in den Hirn» rnel und schaueten darin ruhig nach einer über»

.irdischen Gestalt umher^ die hermiterfliegen miö sie emportragen werde. Sie wähnte fest, sie sterbe sogleich und betete:

Engel der Ruhe,

„kom nun,

kom und nim mein Herz

und bring' es meinem Geliebten hinauf —

Engel der Ruhe,

lass'mich nicht so lange

allein unter den Leichen — o Gott! ist denn

6

nichts

34

nichts Unsichtbares um mich ? — Engel bei

Todes,

du must hier sein,

dn hast ja erst

neben mir zwei Seelen abgerissen und steigen lassen. — Ich bin auch gestorben, ziehe nur Mine glüheüde Seele aus ihrem knie en­

den falte«. Leichnam!" —

Sie. Miste mit einer wahnsinnigen Unru­

he im lere# Himmel herum.

Plözlich 'ew

braute in feiner stillen Wüste ein Stern -und

schlangelte sich gegen die Erde zu.

Sie brtts

tete ihre.emzükten Arme aiiS und glaubt»,

der Engel der Ruhe schwinge sich hinein. Ach der Stern, verging, aber sie nicht.

„Roch

nicht? stech' ich «och nicht, Algütiger?" fetifjete die ArMe.

In Osten richtete sich eine Wolke em­ por — fuhr, über den Mond hinauf und zog

einsam am heitern Himmel heran — Und

stand über der gequaltesten Brust der Erde.

Diese bog-das Haupt zurük und zu ihr hin­ auf und bat flehend den Bliz: schlag' ei« in

dieseBiustund erlöse mein Herz! — Aber als die Wolke finster über,das jurükgedrükte

Haupt

35 Haupt hinüberging und den Himmel hinun, terflvh und hinter den Gebürgen versank: so

rief sie mit tausend Thränen:

„sterb' ich

nicht,, sterb ich nicht?" . . . Du Arme!.' nun rotte sich der Schmerz

zusammen ,und that den erzürnten Schlangen, sprung an Deine Brust und drükte alle seine

Giftzähne hinein»

Aber eiy weinender Geist

zoS das Opium der Ohnmacht über Dein Herz. und die Krampfe der Pein zerflossen in tin fanfreS Zucke».

Ach sie erwachte am Morgen, aber zerrüttet; sie sah noch die Sonne und den Todten, aber

ihr Auge hatte alle Thränen, ihr zersprungenes Herz gleich einer zerborstenen Glocke alle Tör

ne verloren: sie mnrmelte blos: warum darf ich nicht sterben ? — Sie ging kält in die Hüt«

te zurük und sagte nichts weiter als diese Wörter

Jede Nacht ging sie eine halbe Stunde spater zum Leichnam, und traf jedesmal mit dem auf-

gehendeU zerstükten Monde zusammen und sag­ te :

indem sie ohne Thränen das Trauerange

an seine DannNerungsauen andrükte: warum

darf ich nicht sterben?

Ja

36

Ja wol! warum darfst Du es nicht, gute

Seele, da die kalte Erde aus allen Deine» Wunden den beissen Gift ausgesogen hatte,

womit das Menschenherz

unter sie geleget

wird, wie die Hand in der Erde vom Bie­

nenstich geneset»

Aber ich wtnde mein Auge

weg von diesem Schmerz und sehe hinauf auf den schimmernden Mond, woEngenius die Augen aufschlägr unter lächelndrn'Kindern und

sein eignes fället geflügelt auf sein Herz...,

Wie ist alles so stil im dämmernden Dorhof der zweiten Welt —

ein Nebelregen von

Licht übersilbm die hellen Gefilde des e» flen Himmels, und Lichtkügekgen hängen stat

des funkelnden Thaues nm Blüten und Gid

z-fel — das Blau des Himmels *•) blähet sich dunkler über die Lilicn-Ebelten, alle Melodien sind in den dünnern Lüsten Nur zerflos­ sene Echo'— nur Nachtbkumen buftett und

gauckeln wankend' um nchige Blicke — die schwan•) Die blaue Farbe der Luft muß itn Pionde dunk­ ler sein, weil diese dünner isi, ft wie beides hat keine Kentnisse (da sie nicht einmal den Werther aus Büchern kent) als ökonomische — liesst keine Bücher, meine gar nicht — bewohnt, d. h. bewacht als Schloshauptmannin ganz allein die drei­ zehn öden erledigten Zimmer des Schlosses zu Hukelum, das dem im Filial Schadek D 3 sss-

54

scshaften Dragonerritmeistcr A u flammet

zngehöret —

kommandieret und beköstigt

feine Fröhner und Magde und kau sich von

Gottes Gnaden, — welches im dreizehnten Jahrhunderte die

landsassigen Edelleute

flut wie die Fürsten thaten —

so

schreiben,

weil sie von menschlicher Gnade lebt,

we­

nigstens von der adelichen der Ritmeisicrin,

die allemal die Unterthanen segnet, ihr Man flucht. —-

denen

Aberstn der Brust der

verwaisercnThieunette hieng ciir verzuckcrlerS

Marzipanherz,

das man vor Liehe

halte

fressen mögen — ihr Schiksal war hart,

aber ihre Seele weich — sie war bescheiden, höflich mnd furchtsam, aber zu sehr — sie

nahm schneidende Demüthigungen gern und

kalt in Schade! auf und fühlte keinen Schmerz,

aber einige Tage darauf san sie sich erst alles

ans und die Einschnitte (trugen heiö au zu bluten, wie Verwundungen in derStarsuchr, erst

nach dem

Vorübcrgang

der

lezter»

Schmerzen, und sie weinte dann ganz al­

lein über ihr Los, . . , Eö

55 Es wird mir schwer,, wieder eine» Hel­ len Klang zu geben nach diesem liefen, und

hinzuzufügen, daß Firlein- fast mir ihr auf­ erzogen wurde und.daß sie, als seine Schul» Moitistiu drüben beim. Senior,

da rr ihn

für die Städtebaus der Terziansr siiussädig

machie,

mit ihm die verba anomala er­

lernte. Das Achilles Schild des Kuchens, den

ei» erhobnes Bildwerk von braunen Schup­ pen auszakte,

ging

im LUMtus als ein

Schwungrad hungriger und dankbarer Ideen um: er Halls.voiz jener Philosophie, die. das

Essen verachtet, und- von jener, grossen Welt,

die es verschleudert,.nicht so vUbei sich als zur Undankbarkeit, der Weltw,eisen und Welt­ leute gehört, sondern er feilte sich für eine

Schlachtschüssel, für ein. Linsengericht, gar »richt sat bedanken.

Unschuldig und zufrieden beging je;t die vierstzige Tsschgcnossenschaft



denn der.

Hund kan mit seinem Eonvert unter dem

£fen

nicht ausgelassen

werden

D 4



das

Fest

56

Fest der süssen Brode,

das Dankfest gegen

Thiennette, das Laubhüttenfest im Garten. Man fette stch freilich wundern,

wie ein

Mensch mit einigem Vergnügen essen könne, ohne wie der König in Frankreich 448 Men­

schen ( löt garqons de la Maison'-bouche zahl' ich gar nicht) in der Küche, ohne

eine Fruiterie von ein und dreißig Kerls, oder eine Mundbackerei von drei und zwan­

zig Ditos und ohne den täglichen Aufwand

von 387 Livres 21 Sons zu haben.

In­

zwischen ist mir eine kochende Mutter so lieb,

wie ein ganzer mich mehr fressender als füt­

ternder Küchen - Hofstaat. hub,

Der köstliche Ab­

den der Biograph und die Welt von

einer solchen Tafel nehmen dürfen,

ist eine

und die andere Tischrede pon Erheblichkeit.

Die Mutter erzählte vieles.

Thiennette zie­

het heute Abends — hinterbringt fie



zum erstenmale einen Morgenpromenadehabit von weisser Mousseline an, desgleichen einen

Atlasgürtel und Stahlschild;

eS wird ihr

aber — sagt sie — nicht lassen,

da die Rit-

57

Ritmeistenn (denn diese hieng an Thien-

netten ihre abgeworfnen Kleider, wie Katho­

liken an Schuzheilige abgelegte Krücken und Schaden) dicker sei.

Gute Weiber gönnen

einander alles, ausgenommen, Kleider, Man­ ner und Flachs. In der Phantasie des Quin­

tus wuchsen Thienuetten jczt durch die Klei­ dung Engelsschwingen aus den Schulterblät­ tern:

ihm war ein Kleid ein halber ausge-

bälgter Mensch dem blos die edlem Theile und die ersten Wege fehlten: er verehrte diese

Düten und Hülsen um unsern Kern, nicht als Elegant oder als Schönheits - Zensor,

sondern weil er unmöglich etwas verachte«

konte,

was andere verehrten. —

Ferner

las sie ihm gleichsam aus dem Grabstein sei­

nes Vaters vor, der im zwei und dreißig­ sten Jahre seines Alters dem Tode aus einer

Ursache in die Arme gesunken war, die ich erst in einem spätern Zettelkasten bringe, weil

ichs zu gut mit dem Leser meine.

Mau

konte dem Quintus nicht genug von seinem

Vater erzählen. D 5

Die

58

.Die schönste Nachricht war,

daß

ihr

Fräulein Thiennette heute sagen lassen: „mor­

gen kön' er bei der gnädigen Frau vorkommen, denn sein gnädiger Herr Path fahre in die Stadt."

chen.

Das mns ich freilich erst klar ma­ Der alte Aufhammer hies Egi-

dius und war Firleins Pathe; aber er hatte ihm — ob wol die Ritmeistcrin die Wiege

des

Kindes

mir nächtlichen Brodspenden,

Fleisch- und Sakzehenden bcdckte — spar­

sam mit nichts anderem ein Pathengeschenß

gemacht , als blos mit seinem Namen, wel­ ches gerade das fatalste, war.

Unser E g i-

dins Firlein war nemlich mit seinem Pudel, der wegen der französischen Unruhen mit an­ dern Emigranten aus Nantes fortgelanfen «ar, nicht lange von Akademien zurük: als

er und der Hund mit einander unglüklicher Weise irn Hnkclumer Wäldchen spazieren gieu-

gen:

Denn da der Quintus immer zu sei­

nem Begleiter sagte:

kusch, Schil, (cetli­

che Gilles) so wii dS wahrscheinlich der Teu­

fel gewesen sein, der de» von Aufhammer, so

59 so wie Unkraut zwischen die- Bäume einger säet hatte, daß ihm die ganze Travesiirung und Wipperei seines Namens — den» Gil­

les heiset Egidius — leichtlich in die Ohre» fallen tonte,

Firlein tonte weder parlieren

noch mjmiiren, er wnsie nicht ein Worr da­

von was conclie bedeute, das jezt in Paris bürgerliche Hunde selber zu ihren Falets

de chiens sagen: aber von Aufhammer nahm drei Dinge nie zurük,

seinen Jrthum,

sei,

«en Grol und sein Wort. Der Provokat sezte

sich jc;t vor,

de» bürgerlichen Provokanten

und Ehrendieb nicht mehr zu sehen und zu —

hcschcnken. Ich komme zurük.

Nach dem Diner

gutte er zum Fcnstergcn hinaus in den Gar­

ten- und sah seinen Lebensweg sich in vier Steige spalten zu eben so vielen Himmel-

farthen;, zur Himmelfarth in den Pfarrhos und in das Schlos zu Thienuetren — auf

heute, — und zur dritten nach Schadet auf Morgen und in alle Hulelumische Hau­

ser zur vierien.

Als nun die Mutter lange

genug

6o genug fröhlich auf gefpizten Füssen Hemmge­ schlichen war, um ihn nicht iw Studieren seiner lateinischen Bibel (vulgata)

zu stören, „nemlich im Lesen der Litteratur­ zeitung;" so macht' er sich endlich auf seine eignen und die demüthige Freude der Mutter

lief dem herzhaften Sohne lange hinter drein, der sich getrauere, mit einem Senior ganz

wodlgrmuthet zn sprechen.

Gleichwol trat

er mit Ehrfurcht in das Haus seines alten, mehr grau- als kahlköpfigen Lehrers, nicht nur die Tugend selber war, auch der Hunger :

höchsiselige König.

der

sondern

denn er as wehr üls bet

Ein Schulman,

der

ein Professor werden wil, sieht einen Pastor kaum an; einer aber, der selber ein Pfarr­ haus zu seinem Werk- und Gebährhaus ver­

langt, weis den Inwohner zu schäzen.

Die

neue Pfarrwohnung — gleichsam, als wäre

sie wie ein casa santa aus der Friederichs­ strasse voer aus Erlang aufgefiogen und in

Hukelum niedcrgcfallen — war für den

Luinlus tiu Sonnentempel und der Senior

der

6i der Sonnenpriester.

Pfarrer da zu werden,

war ein mit Lindenhonig überstrichner Ge­

danke, der in der Geschichte nur »och einmal vorkomt, ncmlich, in Hannibals Kopf, als er den hatte,

über die Alpen zu schreiten,

d. h. über Roms Thürschwelle. Der Wirth und der Gast formierten ein

vortreflicheö bureau d'espris: Leute in Aem­ tern, zumal in ähnlichen, haben einander mehr zu sagen — nemlich ihre eigne Ge­

schichte — als die müssigen Wonnemonds-

die nur eine

Käfer und Hof - Seligen,

fremde doziren dürfen. —

Der Senior

kam dann von seinen eisernen Stücken (im Stalle) auf die Aktenstücke seines akademi­

schen Lebens, dessen sich solche Leute so gern

wie Dichter der Kindheit erinnern.

So gut

er war, so dacht' er doch halb freudig dar­

an, daß ers einmal weniger gewesen; aber frohe Erinnerungen fehlerhafter Handlungen sind ihre halbe Wiederholung, so wie reuige

Erinnerungen der guten,

ihre halbe Auf­

hebung.

Freund-

62 Freundlich und höflich horchte Jebedaus,

der nicht einmal in seine Schreibtafel den Na­ men eines vornehmen HerrnS,

eintrug,

obne ein H.

den akademischen Flegeljahren deS

alten Mannes z«,

der in Wittenberg eben

so oft eingeschenkt als eingetunkt und gleich sehr nach der Hippokrene und nach Gukguk *) gedürstet hatte. —

Jerusalem bemerkt schön,

daß die

Barbarei, bic oft hart hinter dem buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt,

eine Art

von stärkendem Schlambad sei und die Ueber-

Verfeinerung abwende, bedrohe.

wägt,

mit der jener Flor

Ich glaube, daß einer,

der er­

wie weit die Wissenschaften bei dem

Primaner steigen, — vollends Patriziers Sohn

bei einem

aus Nürnberg,

Stadt 1000 fl. zum

Studieren

dem die

schenken

mus — ich glaube, daß ein solcher dem Mu«

scnsohne ein gewisses barbarisches Mittelalter,

(das sogenannte Burschenleben) gönnen werde, das

♦) Ein Universltätöbier,

bz

das ihn wieder so siahlct, daß seine Vcrftinenmg nicht über die Grenzen geht.

Der

Senior Hane in Wittenberg i8o akademische Freiheiten — so viel hat deren Perr n 3

Rebuffus aufsummiert *) — gegen Der-

jahrnng gcschüzt und keine verloren als seine moralische,

ans der ein Mensch, sogar im

Konvente nicht viel macht.

Dieses gab dem

Quintus Muth, seine lustigen Reisesprünge

Zn rcfcrirc»,

die er in Leipzig unter dem Al»-

*) Ich wil nur einige diesem Peter nachschreiten, die sonst beim Aufkeimen der Universitäten alle galten: z. V. ein Student kan den Bürger zwingen, ihm Haus und Pserd zu vermuthen; —ein, sogar seinen Verwandten zugefügter Schade, wird vierfach ersczt; — er braucht keine schrift­ liche Befehle des Pabstes zu volziehen; —• die Nachbarschaft mus ihm für das haften, was ihm gestohlen worden; — wenn er und zugleich ein Nichtstudent anstössig lebten, so konte nur der leztere aus dem Miethbause gewiesen werden; — ein Doktor mus einen armen St. nähren; — wenn sein Mörder nicht entdekt wird, so bleiben Lie nächsten zehn Häuser unter dem Interdikt; — seine Legaten werden durch die falcidia nicht ver­ kürzt :c.

64

Alpdrücken der Dürftigkeit machte.

Ma»

höre: scinHauswirth, der zugleich Professor und Geizhals war, beköstigte in dem um­

mauerten Hofe eine ganze Fasanerie von Hüh­

nern.

Fixiern samt einer Mitbclehnschaft

von drei Slnbengeuvssen bestritten den Mieth-

zins einer Stube leicht: sie hatten überhaupt

wichtige Dinge, wie'Phönixe nur Einmal, Ein Bette,

worin allemal das eine Paar

Dvrmitternacht, das andere Nachmitternacht

gleich Nachtwächtern Rok,

schlief, —

Einen

in dem einer um den andern ausging

und der wie ein Wachtrok die Nationalklei­ dung der Kompagnie war, und mehrere Ein­

heiten des Inte, esse und des Orts. Nirgends sammelt man die Noth- und Belagerungs,

münzen der Armuth lustiger und philosophi­ scher als auf der Universität: der akademische

Bürger thut dar, wie viel Humoristen und Liogenesse Deutschland habe.

Unsere Uni­

karier hatten nur Eine Sache viermal,

Hunger.

den

Der QuintuS erzählte es vielleicht

mit einem zu freudigen Genus der Erinne­ rung,

65

tung, daß einer aus diesem darbenden coro ein Mittel ersan,

die Hühner des ordentli­

chen Professors wie Abgaben oder Steuern

zu erheben.

Er sagte (er war ein Jurist),

ste sollen einmal die juristische Fikzion aus

dem Lehnrechte entlehnen, daß sie den Pro­

fessor für den Erbzinsbauer, Nuzniesung des Hähnerhofes zustehe, hen,

dem ganz die und Hauses

sich aber für die Iinsherren ansä­

denen er seine Iinshühner ordentlich

entrichten mäste.

Damit nun die Fikzion

derNawr folgte, fuhr er fort: •— Jictio

seijuüur naturam — so mästen sie solche Fasnachtshühner

wirklich

ihm

abfangen.

Aber in den Hof war nicht zu kommen. Der Feudalist machte sich daher eine Angel,

klebte eine Drodpille an den Angelhaken und

hielt fischend seine Angelruthe in den Hof hinab.

In wenig Terzie» grif der Haken

in einen Hühnerschlund und

die angeöhrte

Henne, die nun mit dem zinsherlichen Feu-

dalisten kommunizierte, Archimedeö Schiffe,

tonte stil wie vom

in die Höhe gezogen E

wer-

66

zur hungrigen Luftfischerei - Sozie­ tät, ivo ihrer nach Masgabe der Umstande der rechte Feudal-Name und Best;-Titel wartete: Denn die resorbieren Hühner mli­ ste n bald Nauchhühucr, bald Wald- ForstVogtei- Psingst - Sommerhemien benant werden. „Ich fange damit an, sagte der angelnde Majoratsher, daß ich Rutscher­ zinsen erhebe; denn so ncnt man das Tri­ pel und Quinrupel des Zinses, wenn ihn der Zmöbauer, wie hier her Fal ist, lange zu erlegen versäumet har. “ Der Professor bemerkte wie ein Fürst, traurig die vermin­ derte Volksmenge der Hühner, die wie Ju­ den am Zahlen starben. Endlich hatt' er das Glük, als er sein Kollegium las — er stand gerade beym Forst- Salz- und Mu uz reg al — durch das Fenster des Auditoriums eine, wie der betende Jgnazius Loyola oder wie die gestrafte Juno mitten in die Luft strierte Zinshcnue wahrzuneh­ men; er gieug der unbegreiflichen gera­ den Aszensiou des arvnautische» Thiers nach und im?en

67

und sah endlich oben den Hebungsbedienten

mit seinem thierischen Magnetismus stehen,

den aus dem Hühnerhofe die Loose zum Essen zog....

Er machte aber der Hühnerbaize

wider alles Erwarten noch früher ein Ende

alS dem Regal - Kollegiv. —

giriern schrit

nach Hause unter dem

Abend - Trompeterstükgen der Thurm - Schal­ löcher und nahm unterwegeö höflich vor den leren Fenstern beS Schlosses den Hur ab:

vornehme Hauser waren ihm so viel wie vor­

nehme Leute, wie in Indien die Pagode zu­ gleich den Tempel und den Gott bedeutet.

Der Mutrer brachte er erlogene Grüsse mit, die ihm authentische zurückgab, weil sie nach­

mittags mit ihrer historischen Zunge und mit ihren naturforschenden Augen bei der

weißmvusselinenen Thiennette gewesen war. Die Mutter wies ihr jeden Nothpfennig,

den der Sohn in ihre grosse lere Geldtasche fallen lies und sezte ibn in Gunst beim Fräu­

lein: denn Weiber neigen einem Sohn,

der

seiner Mutter zärtlich einige ihrer Wöhltha«

E s

ten

68

ten zurükzahlt, mehr und warmer ihre Sele zu als wir einer dem Baier versorgenden Tochter, vielleicht aus hundert Gründen und auch aus dem, weil sie von Söhnen und Mannern mehr gewohnt sind, daß diese blos fünf Fuö lange — Donnerwetter, be­ hoste Wasserhosen oder doch ausruhende Or­ kane sind, Seliger Quintus! an dessen Leben noch der Vorzug wie ein Adlerorden schimmert, daß du es deiner Mutter erzählen kanst, wie z. 93. den heutigen Nachmittag im Seniorat. Deine Freude fliesset in ein fremdes Herz und strömet daraus verdoppelt in deines zurük. Es gibt eine grössere Nahe der Herzen, so toi» des Schalles als die des Echos, die höchste Nähe schmilzt Ton und Echo in die Resonanz zusammen. Es ist historisch - gewis, daß beide Abends assen und stak des Abhubs vom Diner, der morgen selber eines vorstellen konte, blos den Qpferkuchen oder Matzen auf den Brand-Opferaltar des Tisches legten. Die Mut-

69

Mutter,

die für ihr leibliches Kind nicht

blos sich sondern auch die übrigen Menschen willig hingegeben hatte, that ihm den Vor­

schlag, dem Quintaner, der draussen spielte und einen Vogel stqt sich aufazte,

keine

Krume vom kostbaren Bakwerk zu geben,

Aber

sondern nur Hausbrod ohne Rinde.

der Schulman dachte christlich und sagte, es sei Sonrag und der junge Mensch esse so gern etwas Delikates wie er.

Firlein gastierte,

dotierte und schonte — als Gcgenfüsler der

Grossen und Genies — lieber den dienen­ den Hausgenossen als einen Menschen, der

das erstemal durchs Thor passieret und auf der nächsten Srazivu seinen Gastfreund und den lezten

Postmeister

vergißet.

Ueber-

Haupt batte der Quintus Ehre im Leibe, und ungeachtet seiner Schonung und Latrie des

Geldes, gab erö doch gern hin in Fallen der

Ehre, und ungern in Fallen eines siegenden Mirleidens, das zu schmerzlich seinen Herz­

beutel auffülte und leerte. —

seinen Geldbeutel aus­

Als der Quintaner das

E 3

jus

com-

compascui auf dem Matzen exerzierte und als iechs Arme auf Thiennettenö Freilisch tu* hig lagen: las giriern sich und der Geselschäft den flaschenfingischen Adreskalender vor; etwas Höheres fönt’ er sich ausser Meu­ sels gelehrtes Deutschland nicht gedenken—die Kammerhern und geheime Rathe des Ka­ lenders liefen ihm, wie die Rosinen des Ku­ chens, kizelnd über die Zunge, und von den reichern Pastoraten erhob er gleichsam durch Vorlesen den Sakzehend. Er blieb absichtlich seine eigne Ausgabe aufsontägigem Velinpapier; ich meine, erzog den SvntagSrok sogar unter dem Gedetlauten nicht aus: denn er hatte noch viel vor. Nach dem Essen wolt' er zum Fraulein, als er sie wie eine Lilie in die rothe Däm­ merung getaucht zu sehen bekam, im Schlosgartcn, dessen westliche Grenzen sein Haus formierte, wie dessen südliche die sinesische Mauer des Schlosses. . . . Beiläufig, wie ich zu allem diesen gekommen bin, was Zet­ telkasten sind, ob ich selber dort war rc. re.—

das sol, so wahr ich lebe, dem Leser bald und

getreulich überliefert werden und das noch in diesem Buche. —

girlein hüpfte wie ein Jrlicht in den

Garten,

dessen

Blumendanipf an

seine»

Niemand bükte sich

Suppendampf anstieS.

tiefer vor einem Edelman als er, nicht auS

pöbelhafter Demuth,

noch aus

tiger Selbsterniedrigung,

dachte:

gewinsüch-

sondern weil er

„ein Edelman bleibe doch immer

das was er ist."

Aber sei» Bükling siel

(anstat vorwärts) in die Quere rechts hin­

aus,

gleichsam «dem Hute nach:

kenn

er

hatte nicht gewagt, einen Stok mitzuneh­ men ; Hut und Stok aber waren das Druk-

werk und

die Balancierstange,

kurz

das

Büklingsgetriebe, ohne das er sich in keine

höfliche Bewegung zu sezeu verniochte und hätte man ihn dafür in

Hauptpastvrat voziert.

das Hamburger

Thiennettens Lu­

stigkeit spante seine zusammengerolre Seele

bald wieder gerade und in den rechten Ton. Er hielt

an sie

eine

lange nete

E 4

Dank,

und

72 und Erndtepredigt für den schuppigen Auchen, die ihr gut und langweilig zugleich vorkam. Mädchen ohne grosse Welt,

rechnen lang­

weilige Pedanterei blos wie das Schnupfen zu

den nothwendigen

Mannes;

Ingredienzien

sie verehren uns unendlich

eines

und

tvie Lambert den König in Preussen we­

gen seiner Sonnenaugen nur im Finstern zu

sprechen vermögend war,

so ists ihnen oft

glaub'ich lieber — eben wegen unsers er­ habnen Airs, — wenn sie uns im Finstern erwischen können. — I h n erbauete Thieu«

nettens Reichsgeschichte und

Kaiserhistorie

vom H, von Aufhammcr und der gnädigen

Frau,

die ihn ins Testament setzen will;

sie erbauete seine Gelehrtcnhistorie, die ihn

und den Subrektor betraf,

wie er selber

z.V. in der Sekunda vikariere und über Schü­ ler regiere, so lang gewachsen wie er. so giengen beide zufrieden,

Bohnenblüteu,

Und

zwischen rothen

rothen Maikäfern,

vor der

immer tiefer am Horizonte niederbrennenden Abendröthe den Garten auf und ab und kehr­

te»

73 ten allemal lächelnd vor dem Kopfe der Gärt­

nerin um, der wie ein Scheibcnbild in das

eingesezet stand,

kleine Schiebfenster

das

wieder in ein grösseres gefasset war.

Mir ists unbegreiflich, daß er sich nicht verliebte.

Ich weis zwar seine Gründer

erstlich hatte sie nichts;

zweitens er nichts

und Schuldenlast dazu;

drittens war ihr

Stambaum ein Grenzbaum

rungsstok;

und Verwahr

viertens band ihm noch ein edle­

rer Gedanke die Hände, der aus guten Grün­

den dem Leser noch verhalten wird. wol — Fixlein!

Gleich­

hatt' ich nicht an deinem

Plaze sein dürfen!

Ich hätte sie angesehen

und mich an ihre Tugenden und an unsere

Schuljahre erinnert und dann mein weich­

flüssiges Herz hervorgezogen und es ihr wie

einen Wechselbricf präsciitiret oder wie ein

Rathsdckret insinuiret.

Denn ich hätte er­

wogen, daß sie es einer Nonne in zweierlei nachthue, im guten Herz und im guten Vak« werk — daß sie twz ihres Umganges mit mänlichen Fröhnern,

doch keine Karl Ger

E 5

nor

74

nofeva Louise Auguste Timvtbee Eon von Beaumont sei, sondern eine glatt, blonde, geb üchte Taube — da st sie mehr ihrem Ge­ schlechte al* unserem zu gefallen suche —das? sie ein zerfliessendes Herz, das nicht erst vom Bücherverleiher abgeholet ist, in Thrä­ nen zeige, deren sie sich aus Unschuld mehr schämt als rühmt — — Schon vor der dritten Rabatte wär' ich bei solchen Grün­ den da gewesen mit der Spende meines Her­ zens. — Hätt' ich vollends bedacht, Quin­ te! daß ich sie kenne wie mich selber, daß ihr und mir (wat' ich nämlich du gewesen) von demselben Senior die lateinischen Hände zum Schreiben gesühret worden sind — daß wir uns als unschuldige Kinder vor dem Spie­ gel grlüsset, um ju sehen, ob es die beiden Verierkinder im Spiegel nachmachen — daß wir oft die Hände beiderlei Geschlechts in Einen Muf geschoben und sie darin Derstek» kens spielen lassen; — — hätt' ich endlich überdacht, daß wir ja gerade vor dem in der Schmelzntalerei des Abendes glimmen­ den

75 den Glashause standen,

an dessen kalte»

Scheiben wir beide im zwanzigsten — ein und zwanzigsten rc. — im hundert und fünfzigsten, wovon er gar kein Beispiel kenne, wenn nicht der Bettler Thomas Parre hergezvgen werden solle — von Gelehrten, die eine noch abscheulichere Hand als andere Gelehrte schrieben (wo von mau nur

88

nur Rolsinken und seine kettem kenne die so lang waren wie seine Hände °) — ober von Gelehrkea, die einander in keine Haare geriechen alS in die am Kin (wovon keine als nur PhilelphuS und .Thimotheus bekant find v«). — Solche Nebenstudien trieb er neben seinen Amtsarbeiten; aber ich glänbe ein Staat ist über so etwas toll: er vergleicht den, der in Philosophie und Bellettrie groß ist, auf Kosten deS Amts - Schlendrians , mit den Konzertuhren> die ihre Stunden —» ob fie sie gleich mitFlvtenmelodien cinfassen — schlechter schlagen als dumme plumpe Thurmuhren. Um auf den Namenstag zurück zu kommen: so lief Firlein nach solchen Anstrengun­ gen hinaus unter die Sang - Stauden und Rausch*) Paraviciui stnguläria de viris Claris Cent. L 2. •*) Ejusd. Cent. II. ig. Pbilelplms zerfiel mit dem Griechen über das Maas einer Sylbe; der Preis oder die Wette war der Bart des Dcsifqtm •—

Timolyftts büssete seinen ein.

89 Rausch-Baume und kehrte nicht eher auS der wannen Natur zurük, als bis Schüssel und Stühle schon an den Tisch gestellet waren. — Unter dem Essen fiel etwas vor, das ein Biograph nicht entbehren kau: seiye Mutter must' ihm nämlich die Landkarte seiner kind» lichen Welt unter dem Kauen mappieren und ihm alle Züge erzählen, woraus von ihm aus seine jetzige Jahre etwas zu schließen war. Diesen perspektivischen Aufris seiner kindli­ chen Vergangenheit, trug er dann auf Heine Blatter auf, die alle unsere Aufmerksamkeit verdienen. Denn lauter solche Blätter, welche Szenen, Akte, Schauspiele seiner Kinderjahre enthielten, schlichtete er chrono­ logisch in besondere Schubläden einer KinderKommode und theilte seine Lebensbeschrei­ bung, wie Moser seine publizistischen Materialien, in besondere Zettelkästen ein. Er halte Kasten für Erinneruugszcttel aus dem zwölften, dreizelmten, vierzehn­ ten 2t. aus dem ein und zwanzigsten Jahre und so fort. Wolt' er sich nach einem padaF 5 go-

90 gogischen

Baufrohn-Tag

Rasiabend

einen

krachen: so ris er blos ein Zettelfach, einen Rrgisterzug seiner Lebensorgel heraus und be« sann sich auf alles.

:

Ich muß die rezensierenden Stummen,

tie mir den kurzen Prozeß des Strangulie­

rens an den Hals werfen wollen, ganz be­ sonders bitten, doch nur vorher, ehe sie cs

darum thun, weil ich meine Kapitel Zettel­

kasten nenne, nachznsehen, wer daran Schuld ist und nachzudenken, ob ich anders konnte,

da der Quintus selber seine Biographie itt solche

Kasten abtheilt:

sie

sind

ja sonst

billig.

Nur über seinen altern Bruder that er

an seine Mutter keine krankende Frage: denn

diesen hatte das Schiksal auf eine eigne Art, mit allen seinen genialischen Anlagen am Eis­

berg des Todes zertrümmert.

Er sprang

nämlich auf eine Eisscholle, die zwischen an­ dern Schollen flotte — diese wichen aber zurük und seine schos mit ihm fort, schmolz schwimmend unter ihm ein und lies also das

Feuer,

-k Feuerherz zwischen Ei- unb Wogen imttrftm

Es that der Mutter wehe,

ft«.

daß er

nicht gefunden, daß sie nicht erschüttert wur­

de mit dem Anstarren der geschwollenen Lei­ che — o gute Mutter,

danke lieber Gott

dafür! —

Nach dem Esten ging er,

um sich mit

neuen Kräften für den Schreibtisch zu rüsten,

blos müssig im Hanse herum und durchzog

wie eine Feuerschauer der Polizei alle Ecken seiner Hütte, um aus ihnen irgend eine Kohl«

der

ausgeglommenen

Kindheit aufzulesen.

Freudenfeuer

ftjner

Er stieg unter das

Dach zu den leeren Vogelhäusern seines Va­ ters,

der im Winter ein Vogler war und

musterte flüchtig die Rumpelkammer seiner alten Spielwaaren,

die im großen Gcbahr-

hans einer Kanarienbccke lag.

I» Kinder­

seelen drücken sich regelmässige kleine Eeflalten,

besonders Kugel und Würfel am

tiefsten ein und ab.

Daraus erkläre sich der

Leser Fixleins Wohlgefallen am rothen Eich-

hörn«

9» hbrngen-Stokhaus, an dem aas Kartdffeln» samenkapsiln und weissen Spahneiv zusani, inengesiekten Vparwerk, an dem heiter»» Glashaus einer würfelförmigen Laterne, Aber ganz Zanders erklär' ich mir felgendes: er wagte sich ohne Baubegnadiguug an die Baule eines Lchmhauses, nicht für Bauern, fönten» für Fliegen; daher man es gut in die Tasche fiecken konnte. Dieses Müclenhospi* tal harre seine Glasscheiben und einen rothen Anstrich und besonders viele Alkoven und drei Erker: den« Erker liebte er als ein HauS am Haufe von jeher so sehr, daß es ihm in Jerusalem schlecht gefallen hätte, wo (nach Lightfoot) keine gebaut werde« durften. An­ den blizeuden Augen, womit der Baudirektor seine Miethsleute an den Fenstern herumkrie, chen oder aus dem Auckettroge naschen sah —denn sie frassen wie der Graf Sr. Germain­ nichts wie Zucker — aus dieser Freude hatte ein Erziehungsrath leicht seinen.Hang zur häuslichen Einengung prophezeien können r für seine Phantasie waren damals noch Gart« ner

93 verhütten zu wüste Archen und Hallen, und nur ein solches Mücken-Lcuvre war gerade

«in Nettes Bürgerbaus. — Er befühlte sei­ nen alten hoben Kindcrstuhl, der der sedei

explortttötia. des Pabstcö glich,

er rückt«

seine: Kinderkulsche.^.aber er begriff n.rf)t>

welche.Salbung und Heiligkeit sie so sehr von andermKinderkutschen unccischeide. Er wun­ derte sich, daß ibm Kinderspiele an Kinder« .nichts» gefielen als die.Schilderungen dersel-

beu,

wenn das Kind,

das sie getrieben)

schon, aufgeschossen vor ihm stand.

Bor einer einzigen Sache im Hause stand

er sehnsüchtig und wehmüthig, vor einem win­ zige« Kleiderschrank, der nicht höher war als mein Tisch und der seinem armen crtrnnkelie«

Bruder angehörer Hane.

Da dieser mir tri«

Schlüssel dazu von den'Fluten verschlungen

worden;

Gelübde,

so that die zcrkuirschte Murrer das seinen Spielschrank nie gemaler-

Lhatig aufzubrechen.

wur

Wahrscheinlich sind

die Spielwaaren des

Anne» darr«.

94 Lasset unS

wegsehen

von

dieser blutige«

Urne.----------Da Daco die Erinnerungen aus der Kind­

heit unter die gesunden,

vffizinelleu Dinge

rechnet: so waren sie ganz natürlich ein Di-

gestivpnlver für den Quintus.

Nun konnt'

er sich wieder an den Arbeitstisch begeben und etwas ganz besonders machen —

ken um Pfarrdienste.

Suppli­

Er nahm den Adres-

kalender vor und machte für jedes Pfarrdorf,

das er darin fand, eine Bittschrift vorrarhig, die er so lauge bei Sette legte, bis sein An­ Bloö um Hiilelnm hielt

tezessor verstarb. er nicht an.

Es ist eine schöne Observanz in

Flachsenfingen,

daß man sich um alle Aem­

ter melden muß,

die offen stehen.

So wie

der höhere Nuzen des Gebers nicht in seiner

sondern darin, daß matt

Erfüllung besteht,

sich im Beten übt: aufgesetzet werden,

so sollen Bittschre.ibcn

nicht damit man Aem­

ter erhalte — das muß durch Geld gesche­

hen —

sondern damit man eine Supplik

schreiben lerne.

Freilich wird, wen» schon bei

95 Lei btri Kalmüken das Drehen einer Kap, fei,;i) die Stelle des Gebetes vertritt, ein«

Heringe Bewegung des Beutels, so viel sein,

alö/suppliziere man wörtlich. Gegen Abend — Sonnrags gar — schweifte er im Dorfe herum, wallsahrkece zn

ftiuen Spielplätzen und aufdenEemeindeanHer,

auf den er sonst seine Schnecken zur

Weide getrieben — sucht« den Bauer auf,

-er ihn von der Schule her zum Erstaunen der andern duzen durste — ging als akade­ mischer Lehrer zum Schulmeister/ dann zürn

Senior



r>der Kirche.

dann in die Episkopalscheune

Das' leztere

versteht

kein

Mensch; es brannten nämlich vor drei und vierzig Jahren die Kirche, (der Thurm nicht) das Pfarrhaus und —- was nicht wieder hcr*) Ihr Gcbcträdlcin, Kürüdu, ist eine fiolVr Kapsei voll aufgcrvllrcr Vctformeln, die geschwenkt wird litte dann wirkt. Plnlcs7p!?ischer genomwen, ists, da -eim Gelet nur die Gesinnung 'm Anschlag kommt, einerlei, ob sie sich durch Deweguno des Munde- oder der Kapsel äusser.

96

He» zu stellen war — die Kirchenbücher ab. Naher wüsten in Hukelutt» die wenigsten Leute, wie all sie waren und des Quintus Grdachtniöfiber»» selbe»' schwankten zwischen dem zwei und drei «nd dreißigsten Jahre.

Folglich muste da geprediger werden,

wo

sonst gedroschen wird und der Same des gbtt» lichcn Worts tviirbe mit dem physischen auf Einer Tenne geworfelt r der Kantor und die

Schuljugend bci'ezte» die Tenne, die weib­ lichen Mutterkirchleme stände»» in der einen

Panse, die Schadeker Filial-Weiber in der andern und ihre Manner hokten pyramiden­

weise, wie Groschens u»»d Hellergallekien an

den Scheun-Leikern hinauf,

und erben vom

Strohboden horchte»» vermischte Seelen her­ unter.

Eine kleine Flöte war das Orgel­

werk und eine nmgestürzte Bicrkufe der Altar,

um den mal» gehe»» muste.

Ich gestehe, ich

selber würde da nicht ohne Laune gepredigt haben.

Der Senior (damals war er noch

Junior) wohnte

und dozierte

Pfarrba»» im Schlosse;

daher

unter dem Firlein da­ selbst

97

mit

selbst

dem

Fraulein

die

Anomal«

trieb. Waren diese Entdeckungsreisen zurükge« legt;

so fönte unser Hukelumsfahrer noch

nach dem Abendgebet mit Thiennetten Blatt­ läuse von den Rosen, Regenwürmer von den

Beeten nehmen und einen Freudenhimmel von jeder Minute



jeder Abendthautropfen

war mit Freuden- und Nelkenöl gefärbt —

jeder Ster» war ein Sonnenblik der G!ükssonne — und int zugeschnürten Herzen des

MadgenS lag nahe an ihm hinter einer klei­

nen Scheidewand (wie nahe am Heiligen hin­ ter dem dünnen Leben) ein ausgedehntes VlülenparadieS. ... Ich meine, sie liebte ihn

ein wenig.

Er soll' es wissen.

Aber seine beklom­

mene Wonne verdünte er, wenn er zu Bette

ging, durch kindische Erinnerungen auf der

Treppe.

Als Kind betete er nämlich wie

einen Rosenkranz unter dem Bett-Zudek als

Abendgebet vierzehn biblische Sprüche, den

ersten VerS, „Nun danket alle Gott," das G

zehn-

98 zehnte Gebot und noch einen langen Segen.

Um nun eher fertig zu werden, fing er seine

Gebere nicht bloß unten auf der Treppe, son­ dern schon an dem Orte an, wo Alexander

den Menschen und Semler dumme Skriben­ ten studierte.



Pflaumwogen rin;

Lief er am Hafen des so war er mir seiner

Abendandachl fertig und er fönte nun ohne

eine weitere Anstrengung mit zugedrükten Au­ gen gerade in die Federn und in den Schlum­ mer plumpen. —■ — So stekt im kleinsten homunculur schon der Bauriö zur — ka­

tholischen Kirche.

So weit die Hundstage des Oumtus Aebedöus EgidiuS Fixlein. —

Ich schliesse

schon zum zweitenmal dir Kapitel dieser Le­

bensbeschreibung wie ein Leben,

mit einem

Schlaf.

Drit»

99 Dritter Zettelkasten.

Weihnachts - Chiliasmus — neuer Justill. Uns alle zieht eine Garnitur von faden fla­ chen Tagen wie von Glasperlen inS Grab, die nur zuweilen eine orientalische wie ein Knoten abtheilt. Aber man stirbt murrend, wenn man nicht wie der QuintuS sein Leben für eine Trommel ansieht: diese hat nur ei­ nen einzigen Ton, aber die Verschieden« heil des Zeitmaßes gibt diesem Tone Be« lustigung genug. Der Ouintus dozierte in quarta, vikarierte in secunda, schrieb am Pulte in der gewöhnlichen Monotonie deS Lebens fort — von den Ferien an — bis zu dem h. Weihnachtsabend 1791, und nichts war denkwürdig als blos dieser Abend, den ich nun malen wil. Aber ich werde diesen Abend allezeit noch malen können, wenn ich vorher mit Wenigem berichtet habe, .wie er sich gleich Zugvögelch über den düstern nebelnden Herbst wegG 2 schwang.

10 o schwang.

Er machte sich nämlich über das

Hamburg, politisch« Journal, womit der Ve-

diente Knöpfe konvertieren wollen.

Er ton­

te ruhig und mit dem Rücken am Ofen,

die

Winterkampagnen des vorigen Fahrs mit ma» chen .— und jeder Schlacht, wie die Aas­

geier der pharsalischen,

nachfliegen — er

tonte auf dem Drukpapicr froh und wundernd

nm die deutschen Triumphbögen und Gerüste

zu Fi endctrfeuerwerken herumgehen,

indes

die Leute in der Stadt, die nur die nencstey

Zeitungen hielten,

kaum die Trümmer der

von den Frankreichern boshaft niedergeriffe-

nen Trophäe» behielten — ja er konte schon mit alten Plauen die Feinde zurüktreiben,

indes neuere Leser sich vergeblich mit neuen wehrten.----------Aber nicht blos die Leichtigkeit, die Gal­

lier zu übermeistern, Journal,

bestach ihn für das

sondern auch der Umstand,

lezteres — gratis war.

daß

Er war auffallend

auf ftankierte Lektüre ersessen.

Ist eS nicht

daraus zu erklären, daß er sich, wie Morhof rath.

IOI

räth, die einzelne Hefte von Makulaturbi­ gen wie sie der Kramladen ausgab, fleissig sammelte und in solchen wie Virgil im Ennius scharte ? Ja für ihn war der Krämer ein Fortins, (der Gelehrte), oder ein Friedrich, (der König), weil beide leztcre sich aus kompleren Büchern nur die Blatter schnitten, an denen etwas war. Eben diese Achtung für alle Makulatur nahm ihn für die Vorschürzen gallischer Köche ein, welche bekantlich aus volgedruktem Papier bestehen; und er wünschte oft, ein Deutscher- übersezte die Schürzen: ich berede mich gern, daß eine gute Version von mehr als einem solchen papiernen Bürzel mid Schurz unsere Litteratur (diese Muse « helles Jesses) emporbringe» und ihr flat eines Geiferknches dienen könn­ te. — Der Mensch legt auf viele Sache» ein pretium aJJ'ectionis, blos weil er sie halb gestohlen zu haben hoft: aus diesem mit dem vorigen zusammenbangenden Grunde sieng der-Qninrus alles gläubig auf, was et entweder in einem collegio publica oder G z -ls

als hospes wegschnapte,

nur Meinungen,

für die er den Professor bezahlen

muste,

Prüft' er streng. — Ich komme wieder auf

den verschobenen Weihnachtsabend zur ük.

Eben da war Egidiuö froh, daß draus­ sen Müller und Vaeker einander schlugen — wie man das wehende Schneien in grosse«

Flocke» nennt — und daß die Eisblume«

der Fenster aufblühten — dcnn er

harre

üussern Frost bei Slubeuhitze gern r — er tonte nun Pechholz in dcu Ofen und Möhren­

kaffee in den Magen nachlegen und den rech­ te« Fus, (stak in den Pantoffel) in die war­

me Hüfre des Pudels schieben und doch noch

auf den, linken den Sraarmaz schaukeln, der die Nase des alte» Schilles abraupte, üi£e$ ft mit der rechten Hand — mit der linke«

hielt er die Pfeife — so ungesiohrt, ringe?

tnurat, umnebelt und ohne ein frostiges Lüft­ gen das Wichtigste anfieng, was ein Quin­

tus mache« kan — den Lekzionskatalog des ßachsenft'igifchen Gymnasiums, nayilich das

Uchtes davon. Ich halte den e r st e n D r u k

103

in ber Geschichte eines Gelehrten für wichtiger als die ersten Drucke in der Geschich­ te ber Duchbrucker: giriern fönt’ eö gar nicht satt kriegen, bas zu spezifizieren, was: er künftiges Jahr g. G. traktieren wollte und reihete deshalb mehr Druks , als Nutzen we-> gen, noch drei bis vier pädagogische Finger­ zeige dem Operationsplaue sämtlicher Schul­ herren an.

Er trug nur noch einige Gedankenstriche als Faden der Rede nach und sah dann das Opus nicht mehr au, weil er es vergessenwylte, damit er nach dem Abdrucke über seine eignen Gedanken erstaunte. Nun kvut' er« den Meskatalog, den er jährlich statt her Bücher desselben kaufte, ohne Seufzer auf­ schlagen: er war auch gedrukt wie ich. Der freudige Narr hatte unter dem Schreiben den Kopf gcschauckelt,. die Hände gerieben, mit dem Steisse gehüpfet, das Gesicht gebohnt und an dem Zopfe gesoG 4 gen.

io4" gen. — — Jezt kont' er Abends um fünf

Uhr aufspringen, um sich zu erhöhten, und durch den magischen Dampf der Pfeife in sei-'

vem Bauer wie ein frischgcfangener Vogel, auf- und nieder fahren.

In den warmem

Rauch leuchtete die lange Milchstrasse btr

Strassenlaternen, und an seinem Bettvorhang

hinauf lag rölhend der bewegliche Wieder«, schein der brennenden Fenster und illnminirten Bäume in der Nachbarschaft. Nun nahm

er den Schnee der Zeit von dem Wintergrün der "Erinnerung hinweg und sah die schönen

Jahre seiner Kindheit aufgedekt, frisch, grün und duftend vor sich darunter stehen.

O es

ist schön, daß der Rauch, der über unserem

verpuffendem Leben anfstcigt,

sich wie bei

dem vergehenden Spiesglas in neuen, vbwvl poetischen Freuden-Blumen anlegt! — Er

schauete aus seiner Ferne von zwanzig Jahren

in die stille Stube seiner Eltern hinein, wo sein Vater und sein Bruder noch nicht auf

dem Welkbvden und Darrofen des Todes ein» schwanden.

Er sagte: „ich will den heili­

gen

i°5 gen Weihnachts - Abmd glclch von früh an durch nehmen."

Schon beim Aufstebcn traf

et auf dem Tische heilige Flitter von der Gold - und Silberfolie an, mit der das Christnskind seine Aepfel und Nüsse deS NachkS blasonnieret und beschlagen hatte. — Auf

der Münzprobazionswage der Freude, ziehet

dieser metallische Schaum mehr als die goldtten Kalber, die golduen Pvthagoras-Hüsten und die güldnen Philistcr-Acrsc der Kapitali­

sten. — Dann brachte ihm seine Mutter zu­ gleich das Christenthum und die Kleider bei:

indem sie ihm die Hosen anzog, rekapitulierte

sie leicht die Gebote , und unter dem Binden der Strümpfe die Hanptstücke.

Wenn man

kein Talglicht mehr brauchte: so maS er, auf

dem Arm des Groövatersinhles sichend, den nächtlichen Schus des gelben klebrigen Lau­

bes der Weihnachtöbirke ab und wandte viel weniger Aufmerksamkeit als sonst auf den kleinen weissen Winterflvr, den die Hanfkbr-

ner, die die oben Hangende Voliere verzettelte, auö den nassen Fensterfngen auftrieben. —>

Gz

Ich

xo6 Ich verdenke dem I. I. Rousseau seine flora *) gar nicht; aber er nehme auch dem Quintus seine Fenster-Flora nicht ubcL — Da den ganzen Tag keine Schule war: so war Zeil genug übrig, den Mezgex (seinen Bruder) zu bestellen und daö Haus­ schlachten (wenn war besseres Frosiwetter da­ zu ?) vorzunehmen. Der Bruder hatte eini­ ge Tage vorher mit Lebens - und Prügelge­ fahr das Maststük in dem Luftloch eineS Schloöfensters gefangen, indem er auf deif Fensterbrüstung stehend, die hinausgebogene Hand auf das Nachtlager des darin hockenden Mastochsen — so nennten sie den Spazen—> beste. Es fehlte der Schlachterei weder an einem hölzernen Beile, noch an Würsten, Pöckelfleisch u. d. gl, — Um drei Uhr sezttz sich der alte Gartner, de» die Leute den Knnstgarwer nennen «nisten, mit einer köl­ nischen Pfeife in seinen grossen Stuhl und dann

petrinsularis

•) Die er von seiner Petersinsel im Vielersce liefern weite.

io? dann durfte kein Mensch mehr arbeiten.

Er

erzählte blos Lügen vom aronautischcn Chr!«

stuskind und vom rauschenden Ruprecht mit

Schellen.

In der Dämmerung nahm der

kleine Quintus einen Apfel. zerfallte ihn in alle Figuren der Stereometrie und breitete sie in zwei Abtheilungen auf dem Tische auf) wurde nachher das Licht eingetragen: so stetig

er an zu erstaunen über dev Fund und sagte zum Bruder:

„steh nur wie das fromme

Christkindlein mir und Dir besebeeret har und ich habe einen Flügel von ihm schimmern se­

hen. ”

Und auf dieses Schimmern lauerte er

selber den ganzen Abend auf. — Schon um acht Uhr — er steifet sich

hier meistens auf die Krouik seiner Zettel-

Kommode — wurden iciöe mir wundgeriebenem Halse und in frischer Wasche und der

algemeinen Besorgnis, daß der heil. Christ

sie noch ausser den Betten erblicke, in diese geschaft.

Welche lange Jauberuacht!



Welches Getümmel der träumenden Hofnungen! —

Die gestaltcnvolle,

schimmernde

Dau-

log Vanmanshöle der Phantasie zieht sich in der Lange der Nacht und in der Ermattung deS

träumerischen Abarbeitens immer dunkler und voller und grotesker bin — aber das Erwa­ chen gibt dem dürstenden Herzen feine Hof«

umiaen wieder. — Alle Töne des Zufals,

der

Thiere,

furchtsam

des Nachtwächters

sind

der

andächtigen Phantasie Klänge auS

dem Himmel, Singstimmen der Engel in den

Lüfte», Kirchenmusik des morgendliche»Got­ tesdienstes. —

Ach das blosse Schlaraffenland von Es» und Spielwaarcn war es nicht, was damals mit seiner Perspektive wie ein Frcndeiistrom gegen die Kammern unsers Herzens stürmte

und was ja noch jezt im Mondlicht der Er­ innerung mit seinen dämmernden Landschaf­

ten unsere Herzen süs auflösct. — Ach das

war cs, das ists, daß cs damals für unsere

grenzenlosen Wünsche noch grenzenlose Hofmmgen gab; aber jezt hat u»S di« Wirklich­ keit nichts gelassen, als die Wünsche!

End-

109

Endlich liefen schnelle Lichter der Nach­ barschaft über die Wand und das WeihnachtS,

Trommeten und Hahnengeschrei vom Thurm ris beide Kinder aus den Velten.

Mit den

Kleidern in den Handen — ohne Bangig­

keit vor dem Dunkel — ohne Gefühl deS Morgcnfrostes, — rauschend — trunken —

schreiend stürzen sie von der Treppe in die

dunkle Stube. — Die Phantasie wühlet im Vak - und Obstgeruche der verfinsterten Schaze und malet ihre Luftschlösser beim Glimmen der Hesperidenftüchte am Baume. — Unter

dcni Feuerschlagen der Mutter decken d e fallen»

den Funken das Lustlager auf dem Tisch und den bunten Lusihain an der Wand spielend auf und zu und ein einziger Glut-Atom tragt den Hangenden Garten von Eden. —-----------

Plözlich würd' es licht und der Quintus bekam das —» Konrektorat und eine Stuz-

uhr, . , ,

Vier-

IIO

Vierter Zettelkasten. Aemter-Verschleiß — Entdeckung des verspro­ chenen Geheimnisse- — HanS von Füchs­ lein. — Zudem nämlich der gewesene Quintus in sei­ ner dampfenden Stube, dem Resonanzboden

seiner Kinderjahre auf und ablief:

kam der

Rathsdiener mit einer Laterne und mit der

Vokazion, hinter ihm der Jager der Fr. von

Aufhammer mit einem Briefgen und mit einer Stuzuhr.

Die Rittmeisierinn hatte den Eh-

rensold für seine Kanikularvermahnung am Krankenbette in ein Weihnachtsgeschenk ver­ wandelt, daö bestand i) aus einer Stuzuhr,

an der ein hölzerner Affe mit dem Glocken­

schlage vortrat und es nachrromMeltc,

wie

viel Uhr es sei — 2) aus dem Kvurektvrat das sie ihm ausgewirkt. Da man auswärts über diese Vokazion

des Flachsenfingcr innern Raths gar nicht so geurtheilt hat, wie man hatte sollen; so halt'

ichs für meine Pflicht, für den gesamten Rath

III Rath lieber hier eint Defension zn führen, als im Rcichsanzcigcr.

Ich habe schon oben

im zweiten Zettelkasten erwähnt,

dafl der

StadtsvndikuS mit Hamburger Lichtern und der regierende Bürgermeister mit Kaffeeboh­

nen handelte, sowol mit halben als mit gemaluen.

Der Kompaanie-Stichhande! aber,

den sie gemeinschaftlich betrieben, war mit

den acht Schulämtern; die andern Raths­ glieder fassen nur als Ballenbinder, Laden­

diener und Kontoristen in de? Rathsfchrcib,

stube.

Das ganze Ratbhaus ist überhaupt

ein ostindisches Haus, wo nicht blos Dekrete

oder Vokazionen, sondern auch Schuhe und Tücher feilgehalten werden.

Eigentlich füh­

ret der Rath seine Aemterhandels - Freiheit

aus dem Grnndsaze des römische» RcchreS

her: cuijus est donandi , eidemetvendendi jus est, d. h. wer das Recht hat

eine Sache zu verschenken, der darf sie auch käuflich erlassen, wenn er mag. ' Da nun

den Rathögliedern offenbar das Recht zu­ steht, Aemter gratis zu ertheilen;

so muß sich

nr sich wol das, sie zu verkaufen,

von selber

verstehen:

Nur ein Extrawort über die T'oka~ zionen - Agioteurs überhaupt. Ich sorge im Ganzen, die AkademienProdukten r Verschleiss Kommission^) des

den Aemterhandel schlaf.

Staats betreibe

Wer aber anders als das gemeine Wesen

mus am Ende leiden, wenn wichtige Posten nicht nach dem Kaufschilling, der für sie er­

leget wird, sonder» nach Koniierioncn, Ver­ wandschaften ,

parteiischen

Empfehlungen

und Büklingen weggegeben werden?

Isis

nicht ein Widerspruch, Titularamter theuerer

abzusiehen als wirkliche? Solle man nicht eher hoffen, daß der wirkliche Hofrath ums

u!terum tantum

im Verhältnis des Tilu-

larhofrathö versteigert werde? — Das Geld ist nun bei de» europäischen Nazioncn das.

-Aeguivalcnt und der Repräsentant des Wer­

thes *) Entlehnt

von -er k. k. Bergwerks-Produkten

Verschleis-Komrnission in Wien: sogar in Namen

zeigt der Wiener Geschmak.

H3

thes aller Dingt und folglich des Verstandes, um so mehr da ein Kopf darauf steht; die Kaufsumme des Amtes anfzählen, ist also nichts als ein examen rigorosum anshal« teil, daS nach einem guten Schema examinandi gehalten wird. Es umkehren und seine Geschiklichkeit stat deren Surrogate und Assignate und Münzen de confianee zeigen wollen, heisset nichts als den narrischen Phi« lvsopheu in Gullivers Reisen gleich werden, die stat der Namen der Dinge, die Dinge selber in Sacken getragen brachten zum gesell« schafllichen Verkehr; und daS heisset doch klar in die Zeiten des Tauschhandels znrük« fallen wollen, wo die Römer, anstat des abgebildcten Ochsen auf ihren Ledermünzen, das Rindvieh selber vorführten. Ich bin von allen solchen unrichtigen Maasrcgcln so weit entfernt, daß ich oft, wen» ich las, daß der König in Frankreich neue Aemter ersinne, um mit ihnen unter der Bude seines Baldachins feil zu stehen, auf etwas ähnliches dachte. Ich will es ru« H H'S

3 r4 hig wenigstens Vorschlägen und mich nicht darüber abhärmen,

ob es die Staaten an­

nehmen oder nicht.

Da der Landesherr und

nicht vergönnt, die Aemter blos zum Ver­ kaufe zu vervielfältigen,

weil. er vielmehr

Tag und Nacht (wie Regisseurs der wan-. dernden Truppen) Einem Staats-Akteur meh­ rere Rollen zndeukt, um zu den drei theatra­

lischen Einheiten die vierte, der Spieler zu setzen; da also das obige nicht geht, könte»

wir nicht wenigstens einige Tugenden,

die

mit den Aemtern harmonieren, als Titel zu­

gleich mit diesen verkaufen? — Könte man

nicht z. B. mit dem Amte eines Referendairs

zugleich Titular-Unbestechlichkeit verkäuflich losschlagen, so aber, daß diese Tugend, als

nicht zum Amte gehörig,

besonders vom

Kandidaten bezahlet würoe? ■— Ein solcher Kauftitel und Bricfadel könte keinen Refe-

rendariuS verunzieren.

Man bedenkt nicht,

daß ähnliche schöne Titel sonst alle Posten schmükten: der scholastische Professor schrieb

sich damals (noch auser seinem Amtstitel)

»der

HS „her seraphische —- der unwiderlegliche —

der scharfsinnige."

Der König schrieb



sich: „der grcffe — der kahle — der küh­

ne — der einfältige" — und so auch der Rabbiner.

Würd' es den Mannern in den

höher« Justizstellen unangenehm sein, wenn ihnen

di« Titel der Unparteilichkeit,

der

Schnelligkeit rc. so gut käuflich erlassen wür­

den , als die Posten selber?

So fönte mit

einer Kammerrathsstelle, die Tugend der Un-

terthanenliebe schön als Titel verknüpfet wer­

den ; und ich glaube, wenige Advokaten wür­ den sich bedenken, sich den Titel der Recht« schasscnheit — so gut wie den gewöhnlichen der Regierungsadvokatie war' er anders zu haben.



anzuschaffen,

Wolt' indes ein

Kandidat seinen Posten ohne die Tugenden

haben: so stand' cs bei ihm und der Staat dürft' ihn zu dieser Dezier-Moralitat nicht

zwingen. Es kan sein, daß, wie nach Tristram Shandy Kleider, nach Walther Shandy und

Zavater nomind propria auf den Menschen

H »

zu«

116 zurükwirken,

thun,

da

appellativa es noch mehr

ohnehin

an

11116. wie

an den

Schaalthieren, sich der Schaum so oft

zur

Schaale versteinert; aber diese

Moralität ists nicht, worauf ein Staat se« Heu Ban:

wie bei den schönen Künsten ist

Nicht sie, sondern Darstellung sein wah­ rer Zwek.

Es wurde mir oben ordentlich sauer für die

verschiedenen

Aemter mir verschiebens

Vcrbaltugenden zu erdenke»;

aber ich solle

glanbcn, es wären noch viele dergleichen Ab­

theilungen der Tugend (jezt fallt mir selber noch der Freiheitsgeist,

die Aufrichtigkeit

Und der gerade Sinn ein) auszukundschaflen,

wolle nur ein moralischer Staalsminister eine ordentliche TugenbdivisionS - Kammer oder

ein moralisches Adres-Departement mit eini­

gen Kanzellisten ansiellen, die gegen gerin­ gen Gehalt die verschiedenen Tugenden für

die verschiedenen Aemter ersännen.

Ich

würde an ihrem Platze ein gutes Prisma vor

den weissen Strahl der Tugend halten, daS ihn

II? ihn gehörig zersezte.

Zu zvünschen n'Jr’ es,

es beträfe Verbrechen — deren Subsubdi-

»ificii nämlich: — so könlen Gerichtohaltcr dazu genommen neiden.

Denn in den

.Gerichtsstcllen, wo nur niedere Gerichtsbar­ keit und keine Strafe über 5 ff. fränkischer Währung stari findet, haben sie ein tägliches

Ererzizinm, wie sie aus jedem Unfug meh­

rere kleinere machen wollen, wovon sie jeden niemals über 5 fl. bestrafen.

Es ist dieses

ein gutes moralisches Rolfinken, das die

Juristen glüklich dem Sündcn-Prpsektor, dem heil. Augustin und seiner Sorbonne absaben, die beide in Adams Sündenapfel mehr Sün­ den einschnittcri, als jener in einen Kirschkern Gesichter.

Wie verschieden ist der Gerichts­

halter vom päbülichen Kasuisten, ter die beste

Adsünke durch Seikenschmtce in eine lässliche zu verdünnen weis! — Schulämter (um auf diese zu kommen)

sind zwar ei» kleiner Handelsartikel; sie sind

aber doch alleina! Monarchien — Schul­ monarchien nämlich, — die der pohlmschen

H 3

Kro-

US Krone gleichen, die nach Pope's Verse zwei» mal in Einem Jahrhundert feil steht, welches arithmetisch falsch ist, weil Newton die

Regiments-Jahre im Durchschnitt auf zwei und zwanzig Jahre ansetzt.

Ob übrigens der

innere Rath die Stadtjngend einem Hamel-

scheu Ratten- und Kinderfangcr oder einem

Weissenschen Kinderfrennde zuführe -— daS kan für den Rath keinen Unterschied machen, da der Schulmann kein Gaul ist, für dessen

unsichtbare Mangel der Nostäuscher zu haften hat.

Es ist genug,

wenn Stadrsyndikus

et Compagnie sich nicht vorwerfen können,

daß sie ein Genie ausgeklaubet haben; denn ein Genie würde, da es nur zur Zierde und

Belustigung deö Staats zu verbrauchen ist, allerdings den schlechter»,

kältern Kopf ver­

drängen , der eigentlich der wahre Nutzen und

Kure des Staates ist, und Iahlperlen

so wie gute Lvth«

blos zum Putze,

schlechte

Samenperlen aber zum Medizinieren dienen.

Wenn überhaupt ein Schullehrer vermögend ist, seinen Scholaren auszuwircu: so kan er im

119 im Ganzen genug; und ich tadle es, daß

die Qbereraminazionskommiffion keinen Schul«

«rann vor ihren Augen einige oder mehrere iungc Leute aus seiner Klasse zur Probe prä, xjehi lasset, um zu sehen, was an ihm ist.

Ende des Ea. frawortes über Fokaziolicn-Agioteurs überhaupt. Nun wieder zur Geschichte! Die Raths-

Bewindheber

erkanten meinem Helden daS

Kourrklorat nicht blos des grösser« Lichter­

und Bohnen - Absatzes wegen zu,

sondern

wegen einer ganz tollen Vermuthung:

glaubten nämlich,

der

Quintus

sie

verfahre

bald Todes.

— Und hier steh' ich vor einem wichti­ gen Platze dieser Geschichte, in den ich biS jezt niemand sehen lassen;

jezt aber kömmtS

nicht mehr auf meinen Willen an,

die bis­

cherige spanische Wand wegzuschieben

oder

nicht, sondern ich muö sogar Reverberierla-

ternen darüber aufhaugen.

Es ist nämlich

in der medizinischen Geschichte etwas ganz

H 4

Be-

BekanteS, daß man in gewissen Familien gerade in Einem Aller stirbt, wie man darin jflud) in Einem Alter (nämlich von nenn Mo» naren) geboren wird; ja aus Voltaire ent» sinn' ich mich einer Familie, worin die Ver­ wandten sich , immer in demselben Alter ent­ leibten. In der Firleinischen Verwandschaft war nun die Gewohnheit, daß die männli­ chen Aszendenten immer im zwei und dreißig­ sten Jahre, am Kantatesontag sich hinlegte» vnb starben; es mus sichü jeder ia sein Erentplar vom dreißigjährigen Kriege, weils Schiller gänzlich weggelaffcn, nachtra.gen, daß darin ein giriern an der Pest, ei­ ner am Hunger und einer an einer Flintknklbgel starb, alle im zwei und dreißigsten Jahre. Wahre Philosophie erklärt sich das Faktum so: „Die ersten Paar male traf sichs nur jit* fälliger Weise so; — und die rührigen male verstärken die Leute an der bloße» Angst: widrigeufalö müste man das ganze Faktum lieber in Zweifel ziehen. “

121

Was machte aber Firlein aus der Sache? — Wenig oder Nichts:

das einzige

was er that, war, daß er sich wenig oder nicht beflis, sich inLhiennette zu verlieben, .damit kein anderer ftinetwegen in Angst ge-

rieche.

Er selber aber schor sich aus fünf

Gründe« so wenig darum, daß er älter als der Senior Asiman zu werden verhörte: erst­

lich, weil drei Zigaunerinnen in verschiede­

nen Drts - und Zeiträumen und dH ne etwas von einander zu wissen, darin zusammeugeiroffcn hatten,

daß sie ihn dieselbe Haupt­

allee langer Jahre in. ihren Zaubcrspiegeln ^erblicken liesse» — zweitens, weil er kern­

gesund war — drittens, weil sein eigner Bruder eine Ausnahme gemacht hatte und

vor den Dreissigern ersoffen war — viertens darum:

als kleiner Knabe würd' er gerade

:an dem Kautatksontage, wo man seinen Va­

ter aufs Leichenbret

band,. vor Kummer

krank und nur durch fein Spielzeug geheilt; mit diesem Kantate-Ciechthum aber glaubte

er den mörderischen OeniuS seiueö Stamms

H 5

recht

ILSE recht gut abgefunden zu haben. fönt’ fr,

FäiiftenS

weil die Kirchenbücher und mithin

die Gewisheit :feineö

brennt waren,

Alkers zusammenge-

niemals in eine bestimmte

tbdtliche Angst gerathen: „ ich stancheimlich, sagt' er, schon über das Schelmjahr wegge-

wischct sein, ohne daß eS ein Henke» gemerkt

hat." — Ich verhehl' es nicht, schon trtt vorigen Jahre dacht' er, er sei ein Zwei und

Dreissiger:

„solt'- ichs dennoch (fugte er)

erst im künftigen (>.792) g. K.-werden: fi>

kans so gut ablaufen wie im voriges and der

Herr kan mich ja überall finden.

Und war'

eS denn Unrecht, wenn die hübschen Jahr», die

dem Leben

chcn wurden,

den?" — —

meines Bruders nbgtbro*

meinem

zugeschlage»

wür­

So sucht sich der Mensch

unter dem kalten Schnee der Gegenwart, zu

erwärmen oder sich aus ihm einen schönen

Schneemann zu knakcii. Hingegen die Rarhsherrlich« Oligarchie

fnffete aufs Widerfpiel und hob eben wie eine

Gottheit den Quintus Mzlich aus der Quinrti

123

rei ins Konrektorat, weil sie darauf schwur, er erledig' eö bald. Eigentlich hatte nach der Schul->/ndennete dieser heilige Sculch dem Subrektor Hans von Fuchs le iu gebührt; aber er möcht' ihn nicht, weil er Hukelnmer Pfarrer werden woltc, zumal da Asim ans Todesengeb nach sichern .Nach­ richten, die Thüre zu diesem Schassiall. im­ mer weiter aufschlosr „Treibts der Kerl noch höchstens ein Jahr, so ists viel," sag.tr Hans. Dieser Hans war fo grob, daß es fchade ist, daß er nicht ein kurhannvvcrischer Posibediente war, weil er dann durch das Mandat der hannöverischen Regierung, das alle Postämter zu feinen Sitten verwies, sich mit hatte umbessern können. Er war unse­ rem armen Quintus, den kein Mensch an­ focht und der wieder keinen Menschen haste­ allein aufsäzig, bloß weil Fivlei» sich nicht Füchslein schrieb und sich »richt mit ihm hatte adeln wollen lassen. Der Sub­ rektor muste auf seinem adelichcw Triumph« wa-

IL4

«'»fielt, de« die Vorspan von vier vorausgegebenen Ahnen zog, den Quintus, der mit

ihm verwandt war, hinten in den Lakaien-

ricincn des Wagens greifen sehen,

mit dem

und ihn

jämmerlichsten Aufzuge von der

-Welt zu dem Gefolge sagen hören;

„der da

fahrt, ist mein Better und ein Mensch und ich erinnere ihn immer daran."

Der milde

nachgiebige Quintus wurde die große Wespen - Gifiblase im Snbrektor gar nicht ge­

wahr und nahm sie für den Honigmagen: ja durch ferne brüderliche Warme, die der Edel­ mann für Schein ansah,, kochte er dessen

giftigen Safte nur «och dicker.

Der Quim-

tuö sah aus Einfalt die Verachtung für Neid

über seine pädagogischen Talente an.

Einen Katharinenhof, — einen Annen? Hof, —

einen Elisabeth -



Slralen?

»md Perershof, alle, diese russische Lustschlös­ ser kau einer cntrathen (wenn nicht verach­ ten), der eine Stube hat, worin er am heil.

Weihnachtsabend mit einer Votazwn herumstreift.

Der neue Konrektor wünschte sich

nun

i-5 nun nichts als — Hellen Tag: Freuden (Sor­ gen nie) frassen ihm wie Spazen die Sch'um-

merkörner weg und heute trommelte ihn noch dazn der Rechnungsführer seiner stoben Aeit/ det Uhr-Asse, alle Stunden vor, dieer freu» dig verträumte, anstatt verschnarchte.

Am WeihnachtSmorgcn erblikt' er seinen Lekzionskaralog und machte nicht viel dar­

aus:

er wüste kaum, narrischen

gestrigen

was er von seinem

Aufblähen

sagt' er zu sich,

seine

„die Qnintus-

O.uintur nun denken solle:

Stelle,

über

kvmt gegen ein

Konrektorat in gar keine Betrachtung



mich wundcrls, wie ich gestern damit stol­

zieren fönte vor meiner

Veränderung —-

heute hätte ich doch eher Fug dazu."

Heute

speisete er , wie an allen Son - und Festta­ gen, beim Mezgermeister Steinberger, seinem vormaligen Vormund.

Firlein war

gegen ihn das, was gemeine Leute immer, was aber vornehme und philosophische und

gefühlvolle

selten

sind —

dankbar:

der Mensch dankt desto weniger für fremde

Ge-

*26 Geschenke, je geneigter er ist, eigne zu ma«

chen und der Freigebige ist selten ein Dank« barer.

Meister Steinberger hatte als Pro«

viantineister an den Drathkeficht der Dach­ stube, worin Firlein als Student in Leipzig

hieng, volgedrükte Fresnapfgen mit Kana» rienfutter von Geräuchertem, von Hauöbrot und Sauerkraut angestekr.

Geld aber war

ihm niemals abzubetrcln: es ist bekant, daß er oft die besten Kalbshaule zu Stieselleder

für den Quintus, zum Gerben gratis schikle; aber die Gerb-Kosten muste der Mündel tra­

gen.

Als Firlein kam, würd' ihm wie alle­

mal ein kleineres gemöbeltes Tischtuch anfS

grobe gedeckt, — der Grosvaterstuhl,

ein

silbernes Bestes und eine Weinsuppe gereicht;

lauter Aufwand, der sich, wie der Vormund sagte, nur für eine» Gelehrten schikte, aber für keinen Fleischer.

Firlein as erst, eh' er

entdekte, daß er Konrektor geworden. „Mün­

del, wenn Er (sagte Steinberger) das ge­ worden ist:

so ists recht gut. — Siehst

Du, Eva, jezt kauf' ich keinen Schwanz

von

117

»vn deinen Kühen, — ich mus eS gerochen

haben."

Er sagte seiner Tochter damit,

daß er den für die Schweizern bestimmten

Kanfschilling für daö Kvnreklvrat verwenden müsse, er streite nämlich dem Mündel alle­ zeit die Aemrer-Lpescy vor, zu 44 Prozent.

Fünfzig Gulden hatt'; er dem QuintuS schon

zur Quintus - Werbung geliehen, die richtig verzinset werden mustrn; an dem Zinstage

aber bekam Firlein allemal noch Geld heraus, weil er die Tochter des Vormundes alle Sontage nach dem Essen im Rechnen, Schreibe» und in der Länderkunde vornehmen muste.

Steinberger federte mit Recht von seiner leib­ lichen achtzehnjährigen Tochter, daß sie alle

Städte wisen suite, worin er auf seiner Wan­ derschaft geschlachtet hatte;

und wenn sie

nicht aufpaste, oder krum schrieb oder falsch

subtrahierre:

so stand er als akademischer

Senat und Freischöppe hinter ihrem Sruhl und zakre, so zu sagen, mit dem Zainham-

mer seiner Faust daö im Rükgrat fortgcsezte Gehirn zur Kultur mit wenig Schlagen ans.

Der

128 Der sanfte Quintus hätte sie ohnehin nie ge-

Deswegen hatte sie ihm vielleicht

prügelt.

mit einigen Blicken iht Herz legiert und te­ stiert.

Der alte Fleischer hatte



weil seine Frau gestorben war —

eben

immek

mit Grubenlichtern und Stöhrstangen, den

Inhalt aller Winkel,

die nur im Herzen ei­

ner Tochter liegen, ausgeforscht; und hatte daher

längst das gemerkt, —

was der

Quintus niemals merkte, — daß sie lezrer»

haben wolle.

Mädgcn verstecken ihren Kum­

mer leichter,

als ihre Freuden:

henke war

Eva über das Konrektorat ungewöhnlich roth

geworden. Als sie heute nach dem Essen den Kaffee holte, den der Mündel bis auf den Voden-

saz austrinkeu muste— „ich schlage meine Eva todt, wenn sie ihn nur anlckt," sagte

er: — so sagt' er zu Fixlein:

„Hör Er>

H. Mündel, hat Er niemals ein Äugt auf

meine Eva geworfen? —

leiden und wenn Er sie

Sie, kau Ihn

wil,

kriegt Er

sie, aber wir sind geschiedene Leute: denn ein

129

ein gelehrter Herr braucht eine ganz an­

dere."

„Herr Regimentsquartiermeister," sag# le Firlein (denn diesen Posten bekleidete

Steinberger bei der Landmiliz), „eine solche Parkhie wäre ohnehin viel zu reich für einen Schulman. *

Der Ouartiermeister niste mit

dem Kopfe stebenzigmal und sagte zur wie-

dcrkehrenden Eva, indem er ein Krumholz, woran er Kalber aufspreizte und aufhieng,

vom Gesimse nahm: „bleib stehen! — Hö­

re, willst Du gegenwärtigen Hrn. Konrektor

zu Deinem Ehegemahl haben?“ — Ach du

grosser Gott! sagte Eva-. >— „Du magst ihn nun wollen oder nicht," fuhr der Mezger fort: „so schlägt Dir Dein Vater mit

dem Krumholz das Gehirn ein, wenn Du nur an einen gelehrten Herm denkst —

mach' jezt seinen Kaffee:"

So war durch

das Trenmesser des KrumhokzeS, leicht eine

Liebe zerschlagen, die in einem hbhern Stan­ de durch dieses Dazwischenschlagen mir dem

3

Schwer-

igo

SchnieM tAir desto mehr gcschäumet und ge-

gischet hatte. Firlein kont« nun zu jeder Stunde 50 fl»

fränkisch

erhebe«

den pädagogischen

und

Reichsapfel ergreifen,

und Koadjutor de-

Rektors, L. h. Konrektor werde«.

kau anuehknen,

Man

daß es mit den Schulden

wie mit den Bsrl-alrnissen in der Baukunst ist,' von denen Wolf «wies, daß die die schönsten

sind,

di« sich

Zahle» aiiüdrücken lassen«

mit den kleinsten Znzwifthm grif

der Ouartiernreistcr Gelehrten willig unttt die Arme:

denn die Meinung, daß -der

Schuldner im zwei und dreißigsten Jahre sterben und daß so dem 2i0d als Gläubiger in

der erste« Klaffe, di« Schuld der Natur eher

bezahlet werde als ««der« Kreditoren die ihri­

gen , diese Meiimng «annss er BiehdumheSt

und Narrechei;

er war weder aber - noch

rechtgläubig und handelte nach festen Grund­

sätzen, die der gemeine Mart weit öfter hat

als den prahlende Litteratur und der öde wei­ che Grosse

Da

IZI

Da Ich nur einzelne Helle Marientafle — warme Walpurgisnächte, — höchsiens bunte Rosenwcchen ans dem in Altagsschlacken vererzten Leben Firleins, wie Sil­ beradern scheide und sie für dm Leser poche, schmelze und glatte: so mus ich jezt mit dem Dache seines Lebens gehen, biö an den Kanratesonrag 1792, bevor ich einige Hand­ voll Goldkörner zur Wäsche in diese biogra­ phische Goldhütte tragen kan. Dieser Sou­ tag hingegen ist sehr goldhaltig: man beisse nur daran, daß Firlein doch nicht weis, (weil die Asche der Kirchenbücher unleserlich ist) ob er da nicht inS Zwei und dreissigste Jahr einlaufe. Bon Weihnachten bis dahin that er wei­ ter nichts, als daß er Konrektor wurde. Der neue Katheder war em Sonnenaltar, auf dem sich anö der Quintus-Asche ein jun­ ger Phönix zusammetizog. 'Grosse Veran» derungm verjüngen — in Aemtern, Ehen, Reisen, — weil man daS Leben allezeit von der lezteu Revvluzion an datiert, wie 3 2 b'.e

IZ2

die

Franzosen von der ihrige» an. Ein Vbrist, der in die Wesenleirer der Ancien-

nete den Fus als Korporal eingesetzer halte, ist fünfmal jünger als «in König, der in sei­ nem Leben nicht- weiter war, als ein —

Kronprinz.

Fünfter Zettelkasten. Der Aantatesontag — zwei Testamente Pontak Blut -- Liede.



Die Frühlingsmonate kleiden die Erde ntit und bunt, aber

de« Menschen meistens

schwarz. Gerade wenn unser« Eisregionen zu

fruchtbaren werden und die Blumenwellen der Auen über unsern Welttheil zusammen­ schlagen : so stossen uns überal Menschen in

Flörett auf, deren

Thränen ist.

Frühlingsanfang

vvl

Aber auf der andern Seite ist

ja das Aufblühen der verjüngten Erde di«

be-

IZ2

die

Franzosen von der ihrige» an. Ein Vbrist, der in die Wesenleirer der Ancien-

nete den Fus als Korporal eingesetzer halte, ist fünfmal jünger als «in König, der in sei­ nem Leben nicht- weiter war, als ein —

Kronprinz.

Fünfter Zettelkasten. Der Aantatesontag — zwei Testamente Pontak Blut -- Liede.



Die Frühlingsmonate kleiden die Erde ntit und bunt, aber

de« Menschen meistens

schwarz. Gerade wenn unser« Eisregionen zu

fruchtbaren werden und die Blumenwellen der Auen über unsern Welttheil zusammen­ schlagen : so stossen uns überal Menschen in

Flörett auf, deren

Thränen ist.

Frühlingsanfang

vvl

Aber auf der andern Seite ist

ja das Aufblühen der verjüngten Erde di«

be-

133

beste Kurzeit gegen den Schmerz über die, die in ihr liegen und Blumen verhüllen unGräber besser als Schnee. — -— Der alte Lehrer des Konrektors, Astman, begegnete im April, der weniger veränderlich als tödklich ist, dem Tode, der ihn das am Magen sie­ chende Gehirn «indrükte. Man wolle sei­ nen Abschied der Rilmeisterin verdecken; aber das ungewöhnliche Leichengelqute trug ihr seinen Schwauengesang anS Herz, und sezte die Abeodglocke ihres LcbenS almahlig in ähnlichen Schwung. Alter und Lei­ den hatten an ihr schon dem Tode die ersten Einschnitte vorgezeichnet, daß er wenig Müs he brauchte, sie ganz zu fällen; denn den Menschen geht es wie den Baumen, die lange vor dem Umsagen eingekerbet werden, damit ihnen der Lebenssaft entfliffe. Der -weite Schlagflus traf sie in geringer Ent­ fernung vom lezten: es ist sonderbar, daß der Tod wie Gerichte, die Schlagflüffigea dreimal zitieret. 3 3

Die

134

Die Menschen schieben ihren lezten Willen gern so lange hinaus wie ihren des» fern: die-Ritmeisterin halte vielleicht alle ihre Stunde» bis auf die sprachlose und tau­ be ohne Testament verrollen lassen, hatte nicht Thiennette in der lezten Nacht, ehe sie aus btr Krankenwartcrin die Leichenfrau wurde, die Sieche auf den armen Konrektor gebracht, und auf sein darbendes Leben und auf die schmalen Lebensdiaten und Alimentengelder, die ihm das Glük ausgeworfen und auf seine leere Zukunft, wo er als gel­ bes mattes Gewächs in den trockenen Dielen, Fugen der Schulstube zwischen Schülern und Gläubigern welken werde. Ihre Dürftigkeit war ihr das Model zur seinigen, und ihre innern Thränen waren die flüssigen Tusche ihres Gemäldes. Da die Ritmeistrrin nur für Domestiken testierte und bei den manlichen anfieng: so stand Firlein obenan—und der Tod, der ein besonderer Hausfreund deS Konrektors sein mus, hob nicht eher seine Sense auf und that den lezten Schnit, als bis

X35

bis fein Mutterföhngen, mit vernebnrlicher Stimme zum Testamentserben erkläret war: dann schnit er alles ab, Lcbem, Testament und Hvfnungen. — Als der Konrektor auf einem Waschzettel feiner Mutter diese zwei TodcS - und Hiobsposte» in seiner Sekunda erfuhr: so mar da­ erste, was er that, daß er die Sekundaner «ntlies und in Thränen ausbrach, ehe er im Konrektorat angekommen mar. Ob ihm gleich die Mutter mit geschrieben hatte, daß er im Testament bedacht geworden — ich wünschte aber, der Gerichtshalter hatte ausgeplandert, wie viel eS gewesen: . fi> fie­ len ihm fast mit jedem O, das er umso er­ lisch in der deutschen Bibel assortierte und «intrng, grosse Tropfen in die Feder und machten die Dinte zu blas. Ihn zerfras nicht der poetische Schmerz des Dichters, der die klaffenden Wunden in Leichenschleier hüllet und dm Schrei durch sanftes Trancrgethne bricht, noch der Schmerz des Philosophen, den Ei« ofues Grab in das ganze KatakomI 4 den-

rzL

ben-Geklüfte der Vergangenheit einschaue« lässet und vor dem sich der Todesschatten eiveS Freundes zum Schattrnkegel der ganzen Erde aufrichtet — sondern ihn proste das Weh eines Kindes^ einer Mutter, die schon der Gedanke — ohne Nebenbetrachmngen — bitter zerknirscht: „so sol ich Dich nicht mehr sehen, so fol|t Du verwesen und ich sehe Dich, Du gute Seele, niemals niemals mehr." ■— Eben, weil er weder den poeti« schen noch philosophischen Kummer harte, machte jede Kleinigkeit einen Absaz, eine Lücke in dem (einigen; und er war wie ein Weib noch denselben Abend fähig, sich einige künftige Gebrauchszettel feiner angekün­ digten Erbschaftsmasse zu entwerfen. Vier Wochen darauf, d. h. den 5. Mar, wurden die Testamentssiegel aufgebrochen, aber er gieng erst den 6. (am Kanraresontag) nach Hukelum ab. Seine Mutter lief sei­ nen Grüssen mit Thränen entgegen, die sie über die Leiche vergoS — vor Trauer — und über daö Testament — vor Freu­ de,

»37

de. — Dem zeitigen Konrektor EgidinS Je, bedäuS war verehrt: erstlich ein adelicheS großes Bette mit einer Spiegeldecke, in dem der Riese Goliath sich hatte umwenden kön­ nen und an das nachher ich und die Leserin naher treten wollen, um es zu prüfen, zweitens wurde ihm als rükständiges Oster« pathengeld für jedes Jahr, das er zurükge« legt, ein Jopfdukateu legiert, — drittens sollen ihm alle Rezepzions» und Stazionsgelder, die ihn die Krenzeserhdhung in daS Luintat und Konrektorat gekostet, bei Heller und Pfennig erstattet werden. — „Und „weist Du denn, fuhr die Mutter fort, rvas „die arme Fröhlen kriegt? — Ach Gotti „nichts! nicht den rothen Heller'da!" — Denn der Tod hatte die Hand star gemacht, tiej sich gerade ausstrecken und der arme« Thiennette einen kleinen Regetischirm gegen die Srrichgewitter und Blutregen ihres Le? benS reichen wolte. Die Mutter berichtete diese« FuSstoS des GlükS mit wahrem Mit­ leid, das bei den Weibern den Neid abldser 3 5 und

138

«nd das ihnen leichter wird als die Mitfreude, die mehr mäulich ist. In manchen weibli­ chen Herzenskammeru sind Mitleiden und Neid so nahe Wandnachbarn, daß sie uir* tzenvS tugendhaft waren als in der Hölle, wo die Menschen so erschreklich viel aussiehen und nirgends fehlerhaft als im Himmel, wo die Leute des Guten zu viel haben. Der Konrektor hatte nun auf Erden de» Himmel, in den feine- Wohlthäterin aufgesiohen war. Iu allererst sprang er ■— ohne sein Schnupftuch einzustecken, in dem seine Rührung war, — die Treppe hinauf, um das- grosse testierte Belte aufgeschlagen zu se­ hen: denn er hatte eine weibliche Vor­ liebe für Meublrn. Ich weis nicht, ob der Leser schon i» alte Ritterbette« geschauet hat oder gestiegen ist, in die man durch eine klei­ ne Treppe ohne Geländer, die daran hängt, leichtlich kommen kan und in denen man im Grunde allemal eine Treppe hoch schläft. Nanzianzen berichtet (Orat. XI7!), daß schon die, Juden hohe Betten mit solche« Hüh-

139

Hühnerleitern gehabt, aber blos deS Unge» ziefers wegen. Die legierte Bette-Arche war gerade so grvS — und ein Floh hätte sie nicht mit Erddiametern sondern mit Si« riusweiten gemessen. Als giriern von die» fern kolossalischen Dormitorium die Vorhänge zurükgeschoben und den Bettehimmel in ei­ nem grossen Spiegel offen gesehen hatte: wär' er gern darin gewesen; und wenn er aus dem Nachtkegel in Amerika einen Kegel« schnit hatte nehtuen können, er hatte sich da­ mit eingebauet, um nur eine halbe Stunde mit seiner dünnen Ruthenraille im FlanmWeiher herum zu schwimmen. Die Mutter hätte ihn durch längere Kettenschlüsse und Kettenrechnungen als das Bette war, nicht dahin lenken können, den breiten Spiegel eben ausbrechen zu lassen, obgleich sein gros­ ser Spiegeltisch sich in nichts besehen fönte als in einem Rasierspiegel; — er lies den Spiegel oben daran: „solt' ich einmal g. G. hemathen, sagt' er, so kan ich doch gegen Morgen meine schlafende Fra« an«

140 ««sehen, ohne daß ich mich im Bette auf­ fetze." Was den zweiten Artikel anlangt, näm­ lich die legierten Parhenpfennige: so macht' tS gestern seine Mutter recht gut» Der GerichlShalter hörte sie über die Jahre des Er­ ben ab, und sie legte diesem gerade zu die Dental-Zahl zwei und dreißig bei. Sie hät­ te gern gelogen und den Sohn wie eine In­ schrift für älter verkauft; aber gegen diese veniam aetatis würden, sah sie, die Rechte mit Rechten erzipiret haben: „es sei erlogen und erstunken; wäre der Sohn zwei unb dreißig alt: so wär' er ja längst Tode­ verfahren, wie nun wol nicht anders zu prav furnieren." find gerade unter der Erzählung sprach ein Aufhammeristher Bedienter ein und reich­ te gegen Revers uud gegen Ratifikaziou des von der Mutt« ausgestelren Geburtsscheines., die Goldstange von zwei und dreißig RechenPfennigen deä Alters dem Konrektor wie eine Lebens - Auderstangezu: H, v, Ausyamwör «ar

141

war zu einem knauserischen Hader über einen bürgerlichen Geburtsschein zu stolz. Und so gieng durch eine stolze Freigebig» feit einer der besten Prozesse vor die Hunde, da man die Goldstange auf der Ziehbank der Richteröbanke zu den feinsten Golddralh härte ausziehen können. Aus der Flocke die nicht auSznwirren war —- denn erstlich fönte Zir­ kelns Alter mit nichts dokumentiert werden, zweitens mußte man so lange als er. lebte prasumieren, daß er noch nicht zwei, und dreißig Jahre alt geworden «) — aus die­ ser Flocke waren nicht bloS Seide, und Strangulier-Schmachtriemen, sondern ganze Prelgarne zu spinnen und zu zwirnen gewe­ sen. Die Klienten überhaupt hatten stch weni•) Da wir jezt nach den vorliegenden Akten aus kei­

ne andere Präsumzion bauen können als auf dte,

Laß er im zwei und dreißigsten Iabrc abstirbt: jd Ponte ihm, im Fauc er zwei und dreißig Ial'-

re nach dem Lode der Erblasten« stürbe gar kein

Heller abgerercht werden, weil er nach unterer Fikzion bei Abfassung een Testamentes nicht ein­ mal ein Aahr alt gewesen wäre.

142 Niger über Prozesse zu beklagen, wenn diese

langer dauerten: 'die Philosophen streiten

Jahrtausende lang-über philosophische Fra­ ge», und es fallt daher auf, daß Advokaten

die juristischen in ihren Akten schon in sechzig,

achtzig Jahren von der Hand schlagen wollen. Aber daS ist nicht die Schuld der Rechts­

freunde:' vielmehr wie Lessing von der Wahr­ heit behauptet,

daß nicht daS

Finden,

sondern daö Suchen derselben den Men­

schen beglücke «nd daß er selber dem Geschen­

ke aller Wahrheiten für die süsse Mühe des Forschens

entsagen- würde,

so

wird der

Rechtsfreund nicht glücklich durch daö Fin, den und Entscheiden, sondern durch das Un­

tersuche« einer juristischen

WahrlM •—>,

welches man eben prozessieren und praktizie­ ren nennt — und er würde sich gern ewig der Wahrheit, wie die Hyperbel der Assymp»

tote, nähern wollen, ohne sie zu erreichen, da er mit Weib und Kind als ein ehrlicher

Man bei dieser ewigen Apprcrimazio» beste­ hen toure, —

Der

143

Der abgeschikre Bediente hatte ausser dem Gold-Lcgatnoch ein Dekret vom Gerichtshalttr, worin dem Testamentserbe« auferleget war, von den Prägekoflen, die er zahlen müssen > da er als Quintus und Konrektor antet der Rändelmaschiene seiner Dorgeseztert lag, Belege und Scheins beizn« bringen, wvrauf er seid Geld wiedetbrkom«nen sokre. Der Konrektor, der sich gegenwärtig an die Reihe der Millionär anschlos, hielt die kurze Goldrolle wie einen Szepter in der Hand, wie eine heransgezogetie Teichdocke des Meeres der Ankunft, das rinn «blaufe» Htib ihm alle Besezfische langgewachsen, ttoklen und festliegend anbieten muß. Ich kan nicht alles auf einmal erzählen, sonst hatt' ichs dem Leser, der schon lange darauf passen wird, eher gesagt, daß dem bemittelten Konrektor die zwei und dreißig Patyenpftnnige mehr als zu sehr die zwei and dreißig Jahre Vormasten, an die noch dazü heute der Kanrakesontag, diese Dartholo-

*44 lvmäusnacht und dieser zweite Sovrember seiner Familie ansties.

Die Mutter, die

daS Alter ihres Kindes hatte wissen sollen, sagte, es wär' ihr entfallen, sie woll' aber

wetten, schon vor einem Jahre war' er zwei und dreißig gewesen und der Gerjchtshalter

hätte nur nicht mit sich reden lassen.

„Ich

wolle selber schweren, sagte der Kapitalist:

ich weis, wie dum mir vorm Jahre am Kanrattsvnkag tont.*

Er sah überhauvt den

Top, nicht wie der Dichter, im aufthürmerrden, auseinander treibenden Holspiegel der

Phantasie, sondern wie das Kind-

wie der

Wilde, wie der Landman und wie das

Weib, sah er ihn im planen iLkrav« Spiegel

vorn an der Schale eines Gesangbuches, und er kam ihm wie der gesunkne in einem

Gitterstuhl der Kirche schlafende Greisen-Kopf vor. — Und doch dacht' er heute öfter an ihn

wie vorm Jahre; denn die Freude schmilzet gern zur Wehmuth ein und daS lackierte Glücksrad ist daS Schöpfrad, daS sich in dje

Au»

145

Augen ergiesset. . . . Aber der freundliche Genius dieser Erd- oder vielmehr Wasserku­ gel , — den» in der physischen und in der moralischen Welt sind mehr Thrancnseen alS festes Land, — hat de» armen Wasseriusekttn, die darauf Herumschiessen, uns uamlich eine ganz besondere Schweer'sche Essenz für die Dleikvlikeu unserer Seele aufgehoben: ich behaupte, der Genius mus die ganze Patho­ logie der Menschheit mit Fleiß studieret ha­ ben; denn er hat für den armen Teufel, -welcher keinen Stoiker und keine» Seelensor« gcr bezahlen kan, der für die Fissuren seiner Hirnschaale und seiner Brust kostbare Rezept« und Krauter zusammensezte, ein herrliches Wund-Wasser in alle Kellereien Fässer-weif« eiugelegct, das der Pazient nur nehmen und ausdie Knochensplitterung undSchmarren gies­ sen darf-------- Fusel nämlich, oder Bier, oder etwas Wein.. . Beim Himmel! eö ist entwe­ der dummer Undank gegen den medizinische» Genius auf der einen Seite oder theologische Verwechslung erlaubter Betrunkenheit mit K ver»

146 perbotner Besoffenheit auf der andern, wenn die Menschen nicht Gott danken, daß sie in der Geschwindigkeit etwas haben, was in der Nervenschwindsucht des Lebens, Philoso­ phie, Christenthum, Judenthum, Heidcnthum und Zeit ersezt — Getränk wie ge­ sagt. Der Konrektor hatte lange vor Sonnen­ untergang dem Gemeinboren drei ggr. Boten­ lohn gegeben und lies sich — denn er hatte ja ein ganzes Dnkaten-Kabinet in der Tasche, daS er den ganzen Tag im Finstern mit der Hand durchblätterte — für drei Thaler Pontak aus der Stadt abholcn. „Ich mns »nir heute, sagt' er, eine Kantate'S - öust machen; istS mein lrzter Tag, wol! mm so ists auch mein lustigster." Ich wünscht'; er hatte eine grössere Bestellung gemacht; aber er hatte überal den Zaum der Massig­ keit zwischen den Zähnen, sogar vor einer ge­ drohten Verirr-Todesnacht und mitten im Jubel. Es ist die Frage, ob er nicht auf Eine Bvmeille sich eingeschränket hätte, wenn

147 wenn er nicht mit den zwei andem die Mut­ ter und das Fraulein hatte freihalten wollen.

Hätt' er in dem zehnten Säkulum gelebt, oder in andern

wo man den jüngsten Tag, Säkuln,

wo man Sündstuthen erwartete

und wo man deswegen wie Matrosen im Schifbruch alles versof: er hatte darum nicht

Einen Kreuzer mehr verzehrt.

Seine Freude

war, daß er mit dem Legat seinen Hauptkre» ditor Steinberger abfinden und als ein ehrli»

cher Man aus der Welt gehe» fönte; gerade Leute, die sich viel aus dem Gelde machen, zahlen ihre Schulden am ehrlichsten.

Der purpurne Pontak kam an zu einer

Zeit, da Firlein die Röthelzeichnungen und rothen Titelbuchstaben der Freude,

die jener

auf die Wangen seine- Trinker- und seiner

Trinkerinnen ziehen wird,

mit dem Abend»

Inkarnat der lezte« Wolken um die Sonne, zusammenhalten fönte. . . . Warlich unter allen Zuschauern dieser

Geschichte kan keiner mehr au die arme Thien» nerie denken als ich; aber ich kan fie doch

Ä a

«ar»

148 warlich nicht vor der Zeit aus ihrer Anzugs« sinke auf nitipe« histerischen Cchauplaz ja­

Die Arnzel! der Konrektor kan nicht

gen.

heisser wünschen als sein Biograph, daß am Tempel der Stator wie am jcrusalcmitischen

eine besondere Pforte — ausser der des To­

des — offen fei, durch die blos Bedrängte gehen,

damit

sie

ein Priester

aufrichte.

Liber Thiennettens Brustschmerzen über alle

ihre versuukucn Aussichten;

über die eilige«

sargte Wolkhacerin, über ein ganzes mit dem

Leichenflor. zugefponnenes Leben,

bisher in einem Jammer,

hatte ihr

den der steinigte

Rittmeistern mehr blutig als gelinder machte,

alles verwebt, Geschäfte ansgenommen, alle

Schritte gelahmt, die nicht zu einer Arbeit geschahen, und ihren Augen nichts gegeben, was sie treknen oder freuen konte, als ein

»tiederfallendes Augenlied vol Traume und Schlaf. Aller Kummer erhebt über die bürgerli­ chen Zeremonialgesetze und macht den Prosais

sien zum Psalmiften; blos im Kummer wa­ gen

149 gen

die

Weiber.

Thiennette gieng

nur

ZIbends, und nur im Garten aus.

Der Konrektor fönt es kaum abwarten, seiner Hausfreundin zu erscheinen, ihr seinen

Dank — und heute seinen Penkak — zu

bringen.

Drei Pontakkclche und drei Kelch­

gläser waren auscn auf die Fcnstcrküste seiner Hütte gestellet, und so oft er von dem dun­ keln Holwege zwischen Blüten - Waldungen

zurükkam,

nipte er aus seinem Glase —

und die Mutier trank in der Stube hinein durch das Schubfenster. Ich habe schon gesagt, sein Lebens-La­

boratorium lag im südwestlichen Winkel des Gartens, gegenüber dem ins Dorf hincinrei-

chendcn Schloß - Efkurial. chen Winkel

blühte

Im nordwestli­

eine Akacicn-Laube,

gleichsam dieDlnmenkrone des Gartens. Firlein trat auch dahin seine Lustfahrt an, um

etwan aus der weit gegitterten Laube einen glüklichen Vlik in die langen Wiesen nach

Thiennette» auszuwerfen.

Er fuhr ein we­

rtig zurük vor zwei steinernen Staffeln, K 3

die

in

15° in den Weiher, Laube lag,

der auf seinem Gang zur

mit frischem Blute betropfet,

Auch a» den nahen Bin­

Hinuntergiengen. sen hieng Blut.

Den Menschen schauert vor

diesem Oele unseres LebenS Dochtes, wo er

es vergossen findet: es ist ihm dir rothe To»

desunterschnft

des

Würgengels.

Fixlein

eilte sorgend in die Laube — und fand hier seine bleichere Wolthäterin an Blütenbüschen

angelehnt, ihre Hände waren mit dcmStrik» -eug in den Schoos gesunken,

ihre Augen

lagen in den Augenliedern gleichsam im Ver­

bände des Schlummers,

so wie ihr linker

Arm im wirklichen Verbände der Averlas, und mit Wangen, denen die Abendröthe so

viel gab, als ihnen die bisherigen Verwun­ dungen , — die heutige dazu gerechnet, —

genommen hatte,

giriern stetig nach dem

ersten Schrecken — nicht über diesen Dlu-

menschlaf, sondern über sein lautes Herein­ traben — an,

die Schmctterlingsspirala

sauglinie seines Auges auseinander zu rollen und fie auf die stilstehenden Blätter dieser

Dlu-

151 Blume hirizulegen.

Im Grunde darf ich be­

haupten, wars heute das erstemal, baßer sie ausah: er war in die dreißig gekommen und glaubte noch fort,

au einem Fräulein

dürf' er nur die Kleider, nicht den Körper bemerken, und er habe ihr nur mit den Oh­

re» , nicht mit den Augen aufzuwarten.

Ich mess' es dem hebenden Flaschenzuge der elektrischen Verstarkungsflasche deS Pon-

taks bei, daß der Konrektor den Muth faste, umzu —■ kehren,

um wieder zu komme»

und die

erweckenden Mittel des Hustens,

Niesens,

Trabens und Rufens nach dem

Pudel, in starker» Dosen an der Schläferin zu brauchen. — Sie etwa» bei der Hand zu uehmeu und unter einer medizinischen Ent­

schuldigung ans dem Schlafe zu ziehen, das wäre ein Wagstük gewesen, dessen der Kon­

rektor, so lang' er noch vor Pontak stehe» konte und seinen Verstand hatte,

niemals

fähig war.

Kurz, er weite sie anders auch auf.

«4

M,

Müde, Bedrängte! wie langsam geht Lein Auge auf! Das wärmste Heilpflaster der Erde, der Schlaf,

hat sich verschoben und

die Nachtlnft der Erinnerung wehet wieder deine nakte Wunde an! — Und doch war

dein lächelnder Jugendfreund noch das schönsie, auf was dein Ange fallen konte, wenn eS aus dem hängenden Garren des Traums in den niedrigen um dich sank. —

Sie wüste selber wenig davon — und

der Konrektor gar nichts, — daß sie ihre Blumenblätter unvermerkt nach dem Stande dieses Wcltkörpers beuge, nämlich nach Fir-

lein: sic glich einer italienischen Blume, die einen fein verstcktcn Nenjahrwunsch aufbc-

wahrt, den der Empfänger nicht sogleich her, auözuzieben weis.

Jezt schloö die gvldne

Pansterkerte ihrer Wollhat sie eben so gut an

ihn, als ihn an sie. —

Sie gab sogleich

ihrem Auge und Tone eine freudige Maske: denn sie stelle ihre Thränen nicht, wie Ka­

tholiken Christus seine, in Rcliquien-Phivlen auf

153 3

hab' ich eS ja zu danken, daß ich schul» denfrci bin wie wenige Schulmänner." Thiennette, unbetont mit unserem Ge­ schlecht, nmste dieses irrig für einen Antrag der Ehe nehmen, und drükte dem einzigen lebendigen Menschen, durch dessen Arm sich «och die Freude, die Liebe und die Erde mit ihrer Brust verband, heute zum erstenmal mit de« Fingern deS wunden Armes bebend feinen, worin sie lagen. Der Konrektor freudig - erschrocken über den ersten Andruk einer weiblichen Hand, suchte mit seiner her­ übergebognen rechten ihre liuto zu erfassen «nd Thiennette hob, da sie seine vergebliche Krümmung merkte, die Finger auf vom Arm «mb legre den verbundnen in seinen, und ihre ganze linke Hand in seine rechte. Iwei Liebende wohnen in der Flispergallerie *), wo der dünneste Hauch sich zu einem Laute beseelet. Der gute Konrektor empsieng und L 2 ver*) In der Pmrlskirche zu London,

wo der kleinste

Laut über einen Raum m 143 Fuß hinüber» tönt.

l61

verdoppelte den seligen Druk der Liebe, womir di« w uumnchrige Seele stammelnd, »ingcspert, lechzend nnd wahnsinnig eine heisse Sprache sucht, dir es nicht gibt; — er wmtze übrrmanl, -— er hatte nicht den Mulh sie aoznblicken, sondern sah gerade ans in die Abendröthe und sagte (und hier rannen vor. unaussprechlicher Liebe die Thrä­ nen heis über feine Wangen): ach ich wil Ihnen alles geben, Gut und Blut mib alles was ich habe, mein Herz und meine Hand. “ Sie weite antworten, aber sie that nach einem Seitenblicke den Schrei des Schreckens „ fi. gleichsam aus dem Glüksrade gezogen) und eine so kleine Debetsumme wird den Leser Wunder nehmen; was wird et aber erst denken , wenn ich ihm sage, daß eS Länder giebt, wo die Sntre'egel6er in Schul» stuben noch mäßiger sind. Im Scheraui« schen kostet ein Konrektor nur 88 ft. und er lyflt vielleicht noch das Triplnm dieser Summe einzunehme». Ohne an Sachsen zu denken — was freilich von der Wie­ ge der Reformazivn in der Religion und in der schönen Litteratur nicht anders zu erwarte» ist — wo ein Schul - und Pfarr­ herr nämlich gar.nichts zahlt: so ist es schon im Bayreuthischen z. B. in Hof mit der Aufklärung so weit, daß ei» QuartuS — was sag ich ein Ouartus, — ein Terzius, was sag ich ein Ter-, zius, — em Konrektor vor Antrit feines Posten- nicht, mehr zu erlegen braucht als: fl.

177 ff. rhein. fr. rhein. 30 49 für Verpflichtung bei dem Kvnsistorio. 4 dem Stadisyndikus für die Vokazion. a dem regierenden Sur* gernieister. 45 74 für das Rcgremngs* betret.

Summa gl fl.

564fr.

Laufen auch die Drnkkosten tineö Rek­ tors in einigen Artikeln höher auf: so komt hingegen rin Terzinö, Qnartns rc. noch wolfeiler aus der Presse als selber rin Konrektor. Ich gesteh’ es, dabei kau ein Schulman aus­ kommen, da er schon im ersten Jahr einen UeberschnS über dieses Schwanzgeld fei* ließ Amtes kinnimt. Es muß ein schul' lel;rer schon wie seine Schüler von einer Klasse zur andern avanzierek sein, ehe seine Staats­ anleihen samt den Verzvgerungszinsen so viel betragen, als er in der höchsten einnimt. M Noch

178

Noch dazu sind unsere Einrichtungen 'nicht dagegen *— welches doch die athenischen tha­

ten — daß man die Aemter verschuldet an-

trit, sondern jeder ersteigt mit dem Ranzen seiner Schuldenlast unangefochten eine Stufe nach der andern.

Der Pabst erhebt bei gros­

sen Pfründen die Einfünfte des ersten Jahres unter dem Titel Annaten, und er schenkt daher

eine grosse alzeit dem Inhaber einer kleinern, um fremde und eigne Jntradcn zugleich zu

mehren; — es zeigt aber, dünkt mich, ei­

nen schönen Unterschied zwischen Pabst - und Lutherthum, daß die Konsistorien des leztern den Schul - und Kirchendienern vielleicht kaum zwei Drittel der ersten jährlichen Amtes-Einkünfte abnehmen, ob sie gleich sonst

wie der Pabst auf die Erledigungen der Stel­

len aus sind. Es kau sein, daß ich hier mit Chur-

Mainz zerfalle, wenn ich gestehe, daß ich in Schmausens Corp. jur. pub. germ. die

Chur- Mainzische- Reichs- Hof- Kanzlei - Tar« vrdnung »en 1659 den 6. Jan, nachgeschla«

gen

179

gen und daraus ersehen habe, wie viel die Reichs-Hof-Kanzlei haben Wil, mit einem Konsistorium kvllazionierer. Z. B. Wer zu einem gekrönten Poeten (poeta laureatus) auögesotten oder auegebrani ff in wil, hat 50 fl. Tax, und 20 fl. Kanzlei Jura z» er, legen, da rr doch mit 20 fl. mehr ein Kon, rekkor hätte werden können, der ein derglei» chen Poet rrebenbei und ex officio ist. — Die Errichtung eines Gymnasiums wird für 1000 st. verstattet; eine ungcmeine Sum» me, mit der sämtliche Lehrer deS errichteten Gymnasiums die Einlasaelder ihrer Schul, stnben zu bestreiten vermögen. — Ein Frei, Herr, der ohnehin oft alt wird, ohne zu wis­ sen wie, muß die venia aetatis mir 200 baareu Gulden kaust n, indes er mit der Halste davon ein Schulman hatte werden können, worauf ihm das Alter von selber zugefallen wäre. — Und tausend solche Dinge! — Sie beweisen aber, daß eS nicht übel um Staaten und Reichskreise ste­ hen müse, wo der Thorheit StandeserhöhunM 3

gen

18-d

gen theurer gegeben werden als dem Fleisse, und wo es mehr kostet eine Schule zu errich­

ten als zu bedienen.

Was ich hierüber zu einem Fürsten gea

sagt habe, ist so wie das, was mir hierüber ein Stadtsyndikns gesagt,

zu merkwürdig,

um aus blosser Furcht vor Ausschweisuugen "hier übergangen zu werden.

Der Stadtsyndikus — ein Man von Einsichten und von feurigem Patriotismus, der desto wohlthätiger wärmte, da er dessen

Stralen in Einem Fokus sammelte, und auf

sich und seine Familie richtete — gab mir

(ich mochte damals vielleicht jede Schulbank und jede Schultreppe für eine Bank und

Leiter

halten,

auf die man Leute zum

Torquieren legt) die beste Antwort auf vieles:

„wenn

30 rrhl.

ein Schulman nichts verthut als»

wenn er nicht mehr Fabrikwa-t

ren jährlich kaust als die Politiker für jedes

In-

*) So viel braucht man, nach den Politikern jähr­ lich ' in Deutschland.

i8i Individuum berechnet haben,

«»ämlich für

5 rtbl., und nichr mehr Zentner Nahrung als diese annehmen,

nämlich io;

kurz,

wenn et wie em wohlhabender Holzhacker lebt: -s» mustoider Teufel sein Spiel haben,

wenn er nicht jährlich soviel reinen Profit zu-

rüklege» wolle, als die Zinftn feiner Amts­

schulden am Ende betragen." ,—

Der Syndikus mus mich doch damals

«icht überredet haben, weil ich nachher zum flachsenfingischen Fürsten °) fegte: digster Herr,

ich —

„Gnä­

Sie wissen es nicht,

aber

kein Aktenr unter Ihrer Truppe

würde den Schulmeister in Engvls verlornen Sohn um das Geld'drei Abende lang ma-

M 3

chen

*) Dieser sonderbare Ton, ans dem ich mit einem Fürsten preche, wiie nur durch ein eben so sons derstareS Verhältniß entschuldigt, in dem der Bios grapst.mit dem siachsenstnger Fürsten siestt f und das er stier aern entdecken würde, wenn ich der ÄLetr nickt alles schon in- meinem Buche, das ich istr unter dem-Dtej: HundKposttage 1795 zu Ostern srneuken werde, deutlich genug zu enta hüllen hoffte.

18» chen, um daS ihn jeder wirkliche Schulmei­ ster alle ganze Tage des JabreS hindurch wa­ chen muß-. — Im Brandenburgische« wer, den die Invaliden Schullehrer; bei uns wer­ den die Schullehrer Invaliden." .... Aber zur Geschichte! .Firlein sezte das Register seiner Kronschulden auf, aber aus riner ganz andern Absicht als der Leser denken wird, dem immer das Testament im Kopfe fielt., Kurz, er wolle Pfarrer in Hnkelnm werden. Ach an-dem Orte eö zu werden, wo seine Wiege stand und alle Gärtchen sei­ ner Kindheit — ferner seine Mutter — und die Verlebungölaube: das.war ein ofueS Thor in ein neues Jernsalein, gesezt auch die Stelle wäre eine hagere Pönitenzpfarre gewesen. Die Hauptsache war, er tonte heirachen, wenn er voziert wurde. Denn als dünner Konrektor im Schmachtriemen sei­ ner Weste, mit Jnttaden, womit kaum der Kaufschiüing des — Geldbeutels zu bestrei­ ten ist, da fönt’ er eher den Docht und Talg zur

183

zur Leichen- als zur Drautfackel zusammen­ bringen.

Denn die Schuldienerschaft darf über­ haupt in guten Staaten so wenig heiratben wie die Soldateska.

Im Conringio de

antiqiiitatibui academicis, wo auf allen Blättern bewiesen wird, daß die Klöster ur­

sprünglich Schulen waren, kam ich darhinttr, warum? Jezt sind die Schulen Klöster

und folglich sucht.man die Lehrer wenigstens zu einigen Nachahmungen der drei Klosterge­

lübde anzuhalten.

Das Gelübde des Ge­

horsams ist vielleicht am ersten durch Scholarchen zu erzwingen; aber das zweite Ge­

lübde der Ehelosigkeit würde schwerer erfüllet

werden,

wenn nicht durch eine der besten

Staats - Verfügungen für daö dritte,

ich

meine für eine schöne Gleichheit der Armuth so gesorget wäre,

daß kein Man mehrere

testimonia paupercatis braucht, ner,

der sie macht —

als ei­

dann greife dieser

Man nur zu einer ehelichen Hälfte, wenn

von den zwei Hälften jede M 4

einen ganzen Ma-

i84

Magen hat, und nicht- dazu als Halbme­ talle und Halbbier. . . . Ich weis, Millionen meiner Leser sezten dem Konrektor selber das Vitschreiben auf und ritten damit nach Schadet zum Herrn, damit nur der arme Schelm den Schafstal besame, samt dem angebaueten Hochteirhaus., weil ihnen wol einlenchrct, daß. nachher eine.r der besten Zettelkasten wür­ de geschrieben werden, der je aus einem Lctttnihxltcii ausgchoben wurde. Firlrins Biischrifk war ausserordentlich gut uvd.auffallend: sie stellte dem Rikmcistcr vier Gründe vor: i) ,,^Er wäre ein Dorf­ kind , feine Eltern und Voreltern hätten sich schon um Hukelum verdient gernacht, als» bat' er re." 2) „Er könne leicht die hier dokumen­ tierten Pafsivschulden von 13.5 ff. fr. 41 kr. und i Psi, deren Tilgungsfond ihm ein mu vergeßliches Testament anhiete, selber abfüh­ ren, fals er die Pfarrei bekäme, und entsage hienüt dem Legat re." Freie

i85 Freie Note von mir. Man sieht,' er wil feinen Herrn Parhen bestecken, den das Testament der Frau in Harnisch gebracht. Aber halte, lieber Leser, einem armen, be­ drängten , schwertragenden Schulman und Schulpferd eine undellkate Wendung, die freilich niemals die unsere wäre, zu gut». Bedenke, Firlein wüste, daß der Ritmeister ein Filz war gegen Bürgerliche, so wie ein wegschenkender Rnpfhase für Adeliche. Auch kan der Konrektor ein oder ein Paar mal von Patronatsherren auf der Ritterbank gehöret haben, die wirklich nicht svwol Kirchen und Gottesacker — womit man doch in Eng­ land Handel treibt — als deren treue Be­ stellung verkaufet oder vieltnehr verpachtet haben an die Pacht-Kanvidaten. Ich weist auS Lange *), daß die Kirche ihren Patron beköstigen mus, wenn er gar nichts mehr zn leben hat: tönte nun nicht ein Edelman noch rh' er bettelte, etwas auf Abschlag, eine M 5 Dor•) dessen geistliches Recht p. 55».

186 Vorausbezahlung von seinen Alimentengel-

'tarn annehmen auS den Handen des KanzelPachters? —

3) „Er habe sich seit kurzem mit dem gnädigen Fräulein von Thiennette verlobt uud

ihr ein Goldstük auf die Ehe gegeben, und tonte also solche heirathen, wenn er versorgt würde rc." Freie Note von mir.

Ich halte

diesen Grund für den stärksten in der ganze» Supplik.

In Herrn von Aufhammers Au­

gen war Thienneitens Stambanm längst gesiiizt, entblättert, wurmstichig und vol Bohr­ käfer, sie war ja seine Oekonoma, Schlos-

Intendankin und Schlosgesinde,

a~fatere- Legatin für das die ihm mit ihren Ansprü­

chen auf seine Almesenkasse in die Lange- eind Würde wurde.

Sein erzürnter Wunsch, daß

sie 'mik Firleins 'Eibschaft hätte abgefunden werden mögen,' wurde jezr durch dielen- erKurz, wenn Firlein Pfarrer wird,'-so

f>at ers dem dritten Grunde zu danken, weit weniger dem tollen vierten. . , .

187 4) „Er habe betrübt vernommen,

daß

der Name seines Pudels, den er in Leipzig

einem Emigranten qbgekauft,

auf deutsch

EgidiuS bedeute, und daß der Hund ihm die

Ungnade seines gnädigen Herrn zugezogen.

Es sei ferne von ihm, den Pudel künftighin

«Iso zu benamsen; er werd' cö aber >ür eine grosse Gnade erkennen,

wenn sein gnädiger

Herr Path für den Hund,

den er jezt ohne

Manien riefe,, selber einen resolvierten."

Meine

freie

Note:

Der Hund,

bei dem bisher der Edelman zu Gevatter gesiandeu war,

sol also feinen Namen zum

zweiten mal

von ihm empfangen. . . .

Mir sol aber der darbende Gärtners - Sohn,

Hessen Laufbahn nie höher stieg als von der Schulbank zur Schulkanzel, und der mit de»

Frauenzimmern nie gesprochen harre,

al-

singend, nämlich in der Kirche, wie sol der

hei einem solchen Saitenbezuge einen feinern als den pedantischen Ton. anschlagen?

Und doch liegt der Grund tiefer r



nicht die ein»

i88

eingeschränkte Lage, sondern der einge­ schränkte' B l ik, nicht eine Lieblingswissenschast, sondern eine enge bürgerliche Seele macht pedantisch, die die konzentrischen Zirkel des menschlichen Wissens und Thuns nicht messen uitb trennen kan, die den Fokus des ganzen Menschenlebens wegen des Fokalabsrandes mit jedem Paar konvergieren­ der Stralcn vermengt, und die nicht alles sicht und alles duldet. . . . KurZs, der wahre Pedant ist der Intolerante.

Der Konrektor schrieb die Supplik präch­ tig ab in fünf glüklichen Abenden > — feztt eine -besendtre Dinte dazu-an, —- arbeitete zwar nehk so lange an ihr wie der dumme Mannzius an einem lateinischen Briefes nämlich etliche Monate, — wenn dem Scioppius zu gläube« ist, —■ noch .weniger so lange wie «in ankeren Gelehrte« an einer latemischcn Eplllel, der ■— freilich müssen wirs blos dem Morhof glauben, — vier »olle Monate daran Helte, Dadiazioven, Ad« jek-

189

jekti'ven, Pedes samt den Autoritäten seiner Phrases, genau zwischen den Zeilen anmerk­ te. Er hatte ein flinkeres Genie, und war mit dem ganzen Gesuch in sechzehn Tagen ins Reine. Als ers petschierte, pacht' er daran, gleich uns allen: wie dieses Couvert das Saniengehause einer ganzen grossen Zu­ kunft, die Hülse vieler süssen oder herben Früchte, die Windel seines restierenven Le« benö sei. Der Himmel sscgne sein Couvert; aber ich lasse mich vom babylonischen Thurm hin« unter werfen, wenn er die Pfarre kriegt: feil denn niemand einschcn, daß Aufhammer nicht kan? — Troz seiner andern Fehler oder eben darum hält er eisenfest sein Wort, daö er so lange dem Subrektor gegeben. Ein anderes wär' es, war' er am Hofe seohaft; denn da, wo noch alte deutsche Sitten sind, wird kein Versprechen gehalten; denn weil nach Möser die alten Deutschen nur Verspre­ chungen hielten, die sie vormittags ge­ geben, — nachmittags waren sie schon besof«

Igo

soffen: — so halten Hof-Dentfche auch keine nachmittägigen; —- vormittägige würden sie halten, wenn sie sie gäben, welches aber der Fal nie sein kan, weil sie da noch -— schlafen.

Siebenter Zettelkasten. Predigt — Schulakt«- — prächtiger Jrthnm,

Der Konrektor bekam seine rzz fl. 43 fr. i Pf- fränkisch, aber keine Antwort: der Hund blieb ohne Namen, sein Herr ohne Pfarre. Inzwischen verlief der Sommer «nd der Dragoner, itmeister harte noch immer keinen geistlichen Hecht mit einem Kopf vol Passionskiiochen, ans dem Kandidaten-De» sezreiche ausgczvgcn, und in den Strek» teich der Hukelumer Pfarre geworfen: es that ihm wol, mir Suppliken behänge» zu werden wie ein spanischer Schuzheiliger, und er

Igo

soffen: — so halten Hof-Dentfche auch keine nachmittägigen; —- vormittägige würden sie halten, wenn sie sie gäben, welches aber der Fal nie sein kan, weil sie da noch -— schlafen.

Siebenter Zettelkasten. Predigt — Schulakt«- — prächtiger Jrthnm,

Der Konrektor bekam seine rzz fl. 43 fr. i Pf- fränkisch, aber keine Antwort: der Hund blieb ohne Namen, sein Herr ohne Pfarre. Inzwischen verlief der Sommer «nd der Dragoner, itmeister harte noch immer keinen geistlichen Hecht mit einem Kopf vol Passionskiiochen, ans dem Kandidaten-De» sezreiche ausgczvgcn, und in den Strek» teich der Hukelumer Pfarre geworfen: es that ihm wol, mir Suppliken behänge» zu werden wie ein spanischer Schuzheiliger, und er

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er zauderte (ob er gleich den Subrektor vvzic» ren wolle) mit der Erhörung Einer Supplik so lange, bis er sieben und dreißig Färbers» Knopsmacherö- Jingiesscrö-Söhnen, die ihre» gen auf einmal abschlagen fönte. Denn die jetzigen Lehrer des Christenthums werden gern den ersten oder diesem selber ähnlich gewählt, das wie Venedig und Petersburg sich anfangs an Fischerbütten anbauete. Gönnet dem von Aufhammer die Verlänge­ rung seiner Stimfahigkeit zur geistlichen Par» lamentswahl! Er weis, daß ein Edelman dem Timoleon gleicht, der seine größten Siege an seinem Geburtstage gewan, daß nämlich das Wichtigste was er zu thun hatte, war, eine Freiherrin, Semperfreiin u. s. w. zur Mutter zu nehmen. Man kan einen, der schon als Fötus in den Adelstand erhoben wird, noch besser mit der Spin fliege vergleichen, die wider die Weise aller Jnsek, len sich schon im Mutterleibe entpupt und verwandelt. — Aber

ryr

Aber weiter! Firlein war jezt doch nicht ohne Geld. Es wird so viel sein, als wenn ichs dem Leser schenkte, wenn ich ihm hinter» bringe, daß er vom Legate, das den Gemeinschuldner abspeisete, «och z; st. übrig behielt als Medium und Chatonl-Geld, wo­ mit er sich kaufen kvnie was er wolle. Und wie kam er zu einer so bedeutenden Summe, zu einem solchen Kompetcnzstük? — VloS dadurch, daß er, so oft er ein großes Stük Geld in kleinere zersezte, und überhaupt bei jeder Einnahme, zwei, drei, vierPetermän» gen unbesehen und blind unter die Papiere seines Koffers warf. Seine Absicht war, einmal zu erstaune», wenn ers endlich auf­ summierte uud das Kapital erhöbe. Und beim Himmel! die erreichte er auch, als er bei der Thronbesteigung seiner Luintur diese Sparpfennige aus den Papieren zog und sie zu den Krönungskosten schlug. — Jezt saete er sie wieder unter die Verbriefungen. Narrisch! Ich meine, Hütt' er nicht glüllicher Weise sein Legat blosgestelt, da ers als pv-

$93 positive Belohnung und Kuppelpelz für den Patrvnatsherrn aiiebvtr so hart' ihn der Fehl«

grif nach dem Klopfer der Hukelumischen Kir-

chenihüre verdrossen; so aber erwischt er doch, da er den Klopfer verfehlte, den Pelz wie­ der, nnd fönte froh sein.

Jezt schreite ich in seiner Geschichte wei­

ter und stosse im Gestein seines Lebenö auf

«ine so schöne Silberader, ich meine auf eis «en so schönen Tag, daß ich (glaub' ich) so­ gar den drei und zwanzigsten Posttrinitatis,

wo er doch seinem geliebten Daterdvrfe eine Vakanzprcdigt vorhielt, hier nur leicht be­

streifen werde.

An sich war die Predigt gut und herrlich, und der Tag ein rechter Wonnetag; aber ich

müsie überhaupt mehr Stunden übrig haben, als ich dem Mai abstehle, worin ich jezt lebe

und schreibe, und mehr Kräfte, als mir die Lustfarthen durch schöne Tage zu den Land-

schaftsgemälden derselben frei lassen, wenn ich mit einiger Hofnung es versuchen wolle,

von der Lange und Dicke der Saite« und ih-

N

ren

*94

ten Vibrazionen und de» konsouen Verhält­ nissen derselben unter einander, die insge­ samt an jenem Posttrinitatis seinen Herzvhren eine Sphärenmusik machten, einen ma­ thematischen Bericht abzustatten, der mir so sehr gefiele wie andern. . . Man verlang' es nicht! Ich denke, wenn ein Man an ei­ nem Sontage vor allen Fiöhnern, die ihn sonst als den Kunstgarrners-Buben auf dem Arm hatten, ferner vor seiner Mutter, die ihre selige Zerfiiessung in die Gosse des Samt« Muss ableitet, ferner vor seinem gnadisen Herrn, dem er geradezu befehlen kan, selig zu werden, und endlich vor seiner mvusseli, «enen Brant, die schon selig ist, weil sie fast zu Stein darüber wird, daß dieselben Lippen küssen und predigen können, ich den­ ke sagt'ich, wenn ein Man das leistet: so hat er wol einiges Recht, vom Biographen, her seinen Zustand schildern wil, zu begehren, haß er das — Maul halte, und vom Leser, der solches nachempfinden wil, daß er seine«ufmache und selber predige. — — Aber

$95

Aber was ich ex officio malen Mus, ist der Tag, wozu der Soutag nur der Vor» schabbeS, die Vigilie und das Vorcssen war — nam.'ich der Vorschabbes, die Vigilie und das Voressen vor dem MartinisAk tue. Am Sontag hielt er die Predigt, am Mitwoch den Akt'uß, und am Dienstag die Probe. —Der Dienstag so! jezr der Welt beschrie» den werden. Ich zähle darauf, daß ich nicht blos von lauter Weltleuten gelesen werde, denen freilich ein SchulaktuS nicht viel anders und besser als eine bischöfliche Investitur oder eine Fraukfurther Kröuungs Opera seria vorkömt, sondern daß ich auch Leute vor mit habe, dir auf Schulen waren, und die wis­ sen, was sie vom Schuldrama eines Akrus und vom Maschienenmeister und von dem Komödienzettel (dem Program) zu denken haben, ohne darum dessen Vorzüge zu über­ treiben. N 2

Eh'

10 Eh' ich die Probekomödie des MartiniMus gebe, leg' ich mit selber als Drama­

turg des Schauspieles auf, die Einladnngs-

schrist des Konrektors wenn nicht zu erzerpie» ren,

doch zu registrieren.

Et sägte darin

Manches, und machte 759 ha verstarb, den Anfang einer speziellernReformazionshistvrie zu machen. Mein schwacher Versuch über diesen» zur Reform«, zion gehörigen, Advokaten wird, belohnet ge­ nug sein, wenn er zu bessern Werken dar­ über ermuntert; das Wenige aber, was ich von ihm aufgetrieben und gesammelt habe, ersuch' ich unterchauig, gehorsamst und ge­ horsam alle Gönner unto Freimde des Flach, senfingischen Gymnasiums den vierzehnten No-

199

November auS dem Munde sechs gntgeartrter Peroranten anzuhören. Anfangs wird Gottlieb Spiesglas,einFlachsenfin­ ger, in lateinischer Rede zu zeigen suchen, daß Martin Gottlob Luther überhaupt ein Schwerdtmagen dcS D. Luther gewesen. Nach ihm bemühet sich Friedrich Christian Kradier auS Hu» kelum in deutscher Prosa den EiufluS zu be» stimmen, den Martin Gottlob Luther noch auf die schon daskierrde Reformazion gehabt; worauf hinter ihm Daniel Lorenz Stenzinger in latei­ nische Verso dir Nachrichten von Marti» Gottlob Luthers Prozessen mid überhaupt, die wahrscheinlichen Verdienste der Advokaten um die Kirchenverbesserung znsammenfassen will, — welches sodann einem Nikol Tobias Pfizman Gelegenheit geben wird, französisch aufzntreten, und das Wissenswürdigste aus Martin Gottlob Luthers Schuljahren, Universitätenleben und N 4 man«

LOS

„'änlichen Jahren auszuheben. Und wen« «u» Andreas Ein tarm in deutschen Der» sen die erwannigen Fehltritte dieses Stamhal* ters des grossen Luthers wird zu entschuldigen gesucht haben: so wird Justus Strobel in lateinischen seine Rechtschaffenheit und Ehrlichkeit im Advoka* lenstande nach seinen Kräften besingen; —> worauf ich selber den Katheder besteigen und allen Patronen der Flachsenfiiiger Schule ge­ horsamst danken, und diejenigen Stücke anS dem Leben dieses merkwürdigen Dresdners yoch anführen werde, von denen wir noch gar nichts wissen, weil sie sich für die Redntr des nächsten Martini-AktuS g. G. aufsparen."

Der Tag vor dem AktnS lieferte gleich­ sam die Prvbeschüsse und Aushängebogen deS Mitwvchs. Leute die des Anzugs wegen »om grossen Schulfest wegbleiben musten, Bf* svn-

*01

sonders Damen, erschienen Dienstags in den sechs Probereden. Niemand ordnet zwar bereitwilliger als ich de» Probraktuö dem Mit« wochsaktuS unter, und mich braucht man am wenigsten erst anfznfodern, das Trom» metenfest einer Schule gehörig zu würdigen; aber auf der andern Seite bi« ich eben so ge« wis überzeugt, daß einer, der Mitwochs nicht 'm den ächten Aktus gegangen ist, sich etwas glänzenderes als den Probetag vorher gar nicht gedenken kbnte, weil er nichts hatte, womit er die Pracht vergleichen könte in der der Primas des Festes vor Damen und Rathsherren, das an seinen Triumphwagen »orgclegtr Gespan von Sechse«, — um dis sechs Gebrüder Redner Gäule zu nennen — ei «fuhr auf morgen. Lächle imiittr, Firlei», über das Anstaune«« deiner Heu« tigeti Ovazion, die dem morgendlichen Triumph entgegcnfahrt: auf deinem aus­ einander fliessenden Gesichte zukt das glükliche, sich und beit Weihrauch wiedeikäuende Ich —< aber eine Eitelkeit wie deine, und nur diese, P 5 dis

»or die geniesset, ohne zu vergleichen oder zu verschmähen, kan man erdulden, will man ernähren. Was aber über sein ganzes wächferne» Herz wie ein schmelzender Sonnen» schein fiel, war seine Mutter, die es auf vieles Zureden gewagt harre, sich in Bus» tagekleidern ganz unten an die Prima «Flügelkhüre demüthig anzulegen. Es wäre schwer" zu sagen, wer beglükter ist, ob die Mutter, die znsieht, wie der, den sie unter ihrem Herzen getragen, die vornehmsten jun­ gen Herren in halbseidenen Westen beordern und regieren kan und die zuhbret, wie er samt ihnen lauter hohe Sachen sagt und doch versteht, — oder ob der Sohn glüklicher ist, der wie einige Helden deö Alterthums, daGlük hat, noch bei Lebzeiten seiner Mutter zu triumphieren. Ich habe niemals, in mei­ nen Schriften und Thaten einen Stein auf­ gehoben gegen den sel. ,'Burchardt Groß­ mann, der in die Jnizialbuchstabcn der Stanzen im Liede: „Brich an, du liebe Morgenröthe," seine Namenölcttcr» vertheil-

203 theilte, und «och weniger bewarf ich arme Kräuterweiber, die schon bei Lebzeiten ihren Leichenkattun ausplättcn und T’T Dutzend

Todlenhemdcn für sich ausnähen.

Ich halte

auch den Man nicht für weise, —■ obwvl für recht klug und pedantisch, — der sich die Gallenblase vol ärgern kan,

daß jeder

von uns Blatminierern daS Herzblat, wor­

auf er sich nagend hcrumschiebt,

für einen

Augarten, für einen fünften Weltthcil an­

sieht wegen der Nahe und Weide, die Dlatporen für Tcmpe-Thaler^. das Blatterskelet für einen Freiheits - Brod - und Lebensbanm,

und deu Thautropfcn für die Fluth. — Wir Tag - Abend- und Nachtraupcn fallen sämt­

lich in den nämlichen Jtthum, aber nur auf andern Blattern und wer (welches ich thue),

über die wichtige Miene lacht, mit der der Mektor Landeoprvgrammen, der Dramaturg

Komvdienzcttel, ein Kennikvttischer Varian­

ten -

Almvsensamler Buchstaben aufkauft;

der thut es, wenn er weise ist — wie hier

der Fall ist —- mit dem Dewustsein seiner ahn-

204

ähnlichen Narhcrt und lacht an seinem Nächsten nichts aus, als die Menschheit und ssch. — — Die Mutter war nicht zu hakten: sie «rüste diesen Abend noch fort nach Hukelum und Thiennctten nur wenigstens etwas berich» ten von dieser Herrlichkeit. — Jezr wird die Welt hundert gegen ein­ wetten, daß ich nun biographisches Wachs nehmen, und ein Wachsfigureukabinet von dem Aktus selber bossieren werde, das einzig in seiner Art sei. —- •— Aber Mitwoch Morgcnds, als sich der hofnungstrunkene Konrektor eben anzukleiden dachte: klopfte etwas an —- — Es war der bekante Bediente deS Rrt» Meisters, der die Vokazion an den Subrektvr Füchslein hatte. Zum leztern solle der gute Mensch diesen Wildruf ins Pfaramt tragen; aber er distinguierte elend zwischen Sub- und Kon- Rektor und hatte über» Haupt seine guten Gründe, warum er zu die» fern kam: denn er dachte, „wer wils weiter krie-

805 kriegen als der den vorigen Sontag predigte,

und aus dem Dorfe her ist, und der ja mit unserer Fräulein Thiennctte im Gerede ist

und dem ich ja schon «ine Uhr und die Zopfdukaren habe bringen muffen."

ausser die Paar tausend Leser, die mit mir ins Fenster sehen, — die Proviantbäckerei

nnd den ganzen Küchenwagen des Geburts­

fe,

351

festes beschicken und das beste Tischzeug und

Eingemachte ungesehen austragcn tönte. Der Seelensörger hielt es für keine Sün­

de, die Kirchleute so lange zu ermahnen und aufzurichtcn und zu bedrohen, bis er dachte,

die Suppe dampfte über die Teller.

Dann

führte er die Neugcborne nach Hause und stelle sie pldzlich vor dem Altar mit Speis­ opfer, vor einen süssen Vuchdruckersiok aus

Brodtortt,

worauf ihr

Name mit achter

Mönchsschrifr aus Gaumbuchstaben von Mandeln

eingebacken

war.

Im Hinter­

gründe der Zeit und der Stube verberg' ich

gleichwol noch zwei — Flaschen Pontak. —

Wie. schnei werden am Stiale der Freude« Deine Wangen reif, Thiennette, als Dein

Ehchcrr feierlich sagte: „es ist heule Dem Geburtstag und der Herr segne Dich und be­ hüte Dich und lasse sein Angesicht über Dich

leuchten und schenke Dir zur Freude Deiner Schwiegermutter und Deines Mannes ins­

besondere ein glückliches, fröhliches Kindbette, Amen!" — Und da Thiennette sah,

daß

die

2Z2

die alte Frau alles dieses selber gekocht und aufgetragen hatte: so fiel sie ihr um de» HalS als wenn es ihre Mutter gewesen wäre. Rührung besiegt den Appetit. Aber Firleins Magen war so stark wie sein Herz, und keine Art Bewegung wurde über seine peristaltische Herr. Getränk ist der Gelenk­ saft der Zunge, wie Essen ihr Henischuh. Aber früher als bis er manches gegessen und gesagt hatte, schenkt' er nicht ein. Dann hob er die Teich-Docke von Kork ans der Bouteille, und lies den geistreichen Weiher ab. Die sieche Mutter eines noch in ihr Le­ hen gehükten Menschen heftete in der verleg­ nen Rührung ihre dankbaren Augen bloS auf die alte Frau, und konte kaum zanken, daß er ihrentwegen in die Stadt zum Weinhandler geschikt hatte. Er nahm in jede Hand für jede, die er liebte, ein Glas und reichte es der Mutter und der Frau, und sagte: „auf Dein langes, langes Leben, Thiennetle! — Und auf Ihr Wolergehen , Ma­ ma!

253

nm! — Und stuf eine recht glükliche Ge­ burt unsers Kleinen, roeiui mir Golt einen schenkt!" — „Mein Sohn, sagte die Kunst-Gärtnerin, aber aus Dein langes Le­ ben müssen wir hauptsächlich trinken, weil wir von Dir erhallen werden. — Gott mache Dich ja alt!" — fügte sie beklom­ men hinzu, und ihre Augen verrieihen ihr Herz. Ich habe nie von dem schrankenlosen Flattersinne des weiblichen Gcschlechies eine lebhaftere Vorstellung als zur Zeit, wo eine Frau den Engel deö Todes unter ihrem Her­ zen tragt, und doch in de» neun Monaten vol Todesanzeigen keinen grösser» Gedanken hat,, als den an ihre Gevattern und an das, waS bei der Taufe gekocht werden sol. Aber Du, Thiennette, hattest edlere Gedanken, obwol jene auch mit. — Der noch eingehülte Liebling Deines Herzens ruhte vor Dei­ nen Augen wie ein kleiner auf einen Grab­ stein gebildeter Engel, der mit seiner kleinen Hand immer auf Dein Sterbejahr hinzeigte, und

254

und jeden Morgen und jeden Abend dachtest Du mit einer Gewisheit des TodeS, von der ich Vie Gründe noch nicht weis, daran, daß die Erde eine dunkle Baumanöhble ist, «?o das Menschenblut wie Tropfstein, indem eS tropft, Gestalten aufrichtet, die so flüchtig blinken, und so früh zerfliessen! — Und das wars eben, warum Deine Thränen un­ aufhaltsam auS Deine» sanften Augen quol­ len, und alle Deine ängstlichen Gedanken an Dein Kind verriethen; aber Du machtest den traurigen Erguö Deines HerzcnS durch die Umarmung wieder gut, worin Du mit neuer entzündeter Liebe an Deinen Gatten fielest und sagtest: „eS gehe wie es wil, Gottes Wille geschehe, wenn nur Du und mein Kind am Leben bleiben — aber ich weis wol, daß Du mich. Bester, so sehr liebest wie ich Dich." . . . Lege Deine Hand, Mutter, vvl Segen auf sie; und Du, gutes Schiksal, ziehe Dein« niemals ab von ihnen! — Ich

-55 Ich stehe zwar vvl Rührung

und vol

Glükwünsche neben dem Kusse zweier Freun­

dinnen , und neben der Umarmung von zwei tugendhaften Liebenden, nnd aus dem Feuer

ihrer Altare fliegen Funken in mich;

aber

was ist diese Erwarmung gegen die sympa« thetische Erhebung,

schen,

wenn ich zwei Men­

gebükt unter einerlei Bürden,

ver­

knüpft zu einerlei Pflichten, angefeucrt von

derselben Sorge für einerlei kleine Lieblinge, einander in

einer

schönen Stunde an

die

überwallenden Herzen fallen sehe? Und wenn

es vollends zwei Menschen thun, die schon

die Trauerschleppe des Lebens, nämlich das

Alter,

tragen,

deren Haare und Wangen

schon ohne Farbe, deren Augen ohne Feuer

sind und deren Angesicht tausend Dornen zu Bildern der Leiden ausgestochen haben, wenn diese sich umfangen mit so müden alten Ar­

men, ber;

und so nahe am Abhange ihrer Grä­

und wenn sie sagen oder denken:

„eS

ist an uns alles abgestorben, aber doch un­

sere Liebe nicht — o wir haben lange mit «in-

rz6 einander gelebt und gelitten, nun wollen wir auch zugleich dem Tode die Hände geben und uns mit einander wegführen lassen:" — — so rufet alles in uns aus: v Liebe, dein Funke ist über der Zeit, er glimt weder an der Freude noch an der Rosenwange, er er» lischt nicht, weder unter tausend Thränen, noch unter dem Schnee des Alters, noch unter der Asche Deines — Geliebten. Er erlischt nie; und Du Algütiger, wenn cS keine ewige Liebe gäbe, so gab' es ja gar keine! ... Dem Pfarrer ward' es leichter als mir, sich einen Uebergang vom Herzen zum Ma­ gen zu bahnen. Er trug jezt Thiennetten, deren Stimme sich sogleich erheiterte —- in­ des ihr Auge einmal ums andere zu glanzen anficng — sein Vorhaben vor, daS Frost­ wetter zu benützen, und so viel ins Haus einzuschlachren, als sie haben: „daS Schwein kau kaum mehr aufstehen" sagt' er, und bestirnte den Entschlus der Weiber, ferner den Mezger und den Tag und die

257 Zahl der Schlachtschüffeln: er besprach alles

mit einer Pünktlichkeit, mir der die Kriegs, innung (welche den Trokar der Überfüllen Menschheit,

nämlich das Marsschwert am

sezt) einen Tag vorher zu Werke geht, ehe sie

eine Provinz ins Haz - und Schlachthaus treibt.

Darauf fieng er an, Winters Anfang,

ganz froh über

der heute nm acht Uhr

zwei und zwanzig Minuten morgens einge­ treten war, zu thun und zu reden, „weil es doch wieder, sagt'er,

stark aufs Frühjahr

losgehe, und man morgen nicht so viel Licht verbrennen dürfe als heule."

Die Mutter

siel ihn zwar mit dem Gewehr ihrer fünf Sin­

ne an;

aber er hielt ihr die astronomischen

Tabellen entgegen und bewies, die Zunahme

des Tages sei eben so unlaugbar als unmerk­ bar.

Lezlich fragte er wie die meisten Amt-

und Eheleute nichts darnach,

ob ihn seine

Weiber fasseten oder nicht, und benachrich­ tigte sie in juristisch - theologischer Einklei­

dung ; „heute nachmittags schieb' ers nicht R

mehr

mehr auf, sondern halte beim hochpreislichck Konsistorium,

welches jus

circa sucra

habe, um einen neuen Knopf für den Kirchihnrm an, um so mehr, da er bis auf das

Frühjahr eine reichliche milde Beisteuer von

der Parochie herausgebettelt zu haben verhoffe." — „Wenn uns Gott den Frühling erleben lässet (sezte er äusserst fröhlich hinzu) und D« glüklich uiederkommst: so könnt' ich

alles so disponieren, anfgesetzct würde,

daß der Knopf gerade

wenn Du Deinen Kirch­

gang hieltest, Alte!" Darauf rükte er den Stuhl leicht vom

Schenk- und Nachtisch an den Arbeitstisch, und verfaS den halben Nachmittag an der

Supplik um den Thurmknauf.

Da er noch

rin wenig Zeit bis z»w Dämmerung hatte,

fb sezte er das Arbeitszeug a»i sein ncucö ge­ kehrtes Opus an.

Es stand nämlich bei

Hukelum im Schnee draussen ein Zehntel von einem alten Ranbschloö, das er im Herbste

alle Tage wie ein reuenaut besucht hatte, um es auözuklaftern, ichnographisch zu sil-

259

honettsten, jeden Fensterstab und jeden re» stierenden Anwurf desselben genau zu Papier zu bringen. Er glaubte, er hoffe nicht zu viel, wenn er dadurch — und durch einige Zeichnungen der weniger steil- als wagrcchi tcn Mauern — „ feinem architektonischen Briefwechsel zweier Freunde über das Huke» lumische Raubschloo" jene lezte Hand, und Reife zu ertheilen meine, die Rezensenten zufrieden stellet. Denn er halte gegen die kritischen Reichsgerichte der Rezensenten nichts von derjenigen Verachtung, die einige Schriftsteller wiiklich besitzen — oder nur affektieren wie z. B. ich. Aus dem umgefallenen Raub - Louvre wuchsen für ihn mehr Frendenblumen, als sonst vielleicht aus dem aufrechtstehenden für den Eigner. Es ist meines Wissens noch eine «nbekante Anekdote, daß alles dieses niemand zu verantworten hat als Büsching. giriern stöberte unlängst in dem Kirchenbriefgewölbe ein Handschreiben auf, worin der Geograph stch Spezialberichte vom Dorfe R r aus-

s6o ausbat. Düsching erwischte freilich nichts —-

daher mangelt wirklich das ganze Hukelum noch seiner Erdbeschreibung; —

verpestete

aber dieser

Brief stekte FirleinS Herz mit

dem anhaltenden Frühlingsfieber der Ruhm­ sucht an,

so daß

sein

pulssrendes Herz

nur mit dem Lukaszettel einer Rezension zu stillen und zu halten war.

Mit der Schrift­

stellerei ists wie mit der Liebe:

man kan

beide Jahrzehende lang zugleich begehren und

ist aber einmal der erste Funke

entrathen;

von ihnen in dein Pulverlager gefalle»: dann brents fort bis ans Ende.

BloS

Winters«Anfang

wegen

muste

Heuti eine besonders warme Stube gemacht werden, die er wie• gross Müsse und Baren­ mützen mehr liebte als man dachte.

Dämmerung,

des Tages,

dieses

Die

schöne Chiaroscuro

diesen farbigen Vo>ginnd»der

Nacht, dehnte er so lang wie möglich aus,

um darin auf Weihnachten zu— studieien; und doch kont' es seine Frau ohne Bedenken

wagen, ihm gerade, wenn er mit dem »rü­

ge-

s6r

gehangenen Saetuch vol göttlichen Worts« Samen ^die Stube auf und ab gieng, einen Löffel vol Bieresst'g vorzuhalten, damit er ihn dem Gaumen anprvbierte, ob er abzu­ giessen sei von der Essigmntter. Lies er denn nicht sogar, ob er gleich Rögner lieber spei» ste, allemal einen Milchner aus der Hee­ ringstonne ziehen, nur der geliebten Frau we­ gen? — Jezt kam Licht; und da gerade der Winter seine Glasmalerei auf den Scheiben anfieng, seine Eis-Blumenstücke und seinen Schnee-Baumschlag: so sah der Pfarrer, es sei Zeit, etwas Kaltes zu lesen, was er seine kalte Küche nennte, nämlich die Be­ schreibung eines entsezlich- frostige» Landes. Dasmal wars die Wmtergeschichte der vier russischen Matrosen auf Nova Zembla. Ich meines Orts hefte im Sommer wenn der wüh­ lende Zephyr Blütenglocken aufblaht, die Landkarren und Aufrisse von Welsch - und Morgenland noch als neue Landschaften an die, worin ich sitze. Und doch nahm er hen» R z U

s6r te

noch die Stadtchronik von Flachsenfingen

zur Hand,

um mitten unter den Schüssen,

Pestilenzen, Hunger-nöthen,

langen Schmpen

Kometen mit

und den Rauschen aller

Höllenflüße des dreißigjährigen Kriegs mit

einem Lhre nach derGcsindesiube hinzuhvrcn, wo man den Krautsallat für seinen Entenbra­

ten zerschneidet. Gute Nacht, Alter! ich bin mat.

Der

gute Himmel schicke Dir im Frühjahr 1794, wen» die Erde ihre Menschen wie kostbare

Nachtraupen auf Blättern und Blumen herumtragt, den neuen Thurmknopf und einen

dicken wohlgestalteten —■ Buben dazu!j

Eilfter Zettelkasten Frühling — Investitur — und Niederkunst.

Ach stehe von einem wunderbaren Traume auf; aber der vorige Kasten macht ihn natür-

liH.

s6r te

noch die Stadtchronik von Flachsenfingen

zur Hand,

um mitten unter den Schüssen,

Pestilenzen, Hunger-nöthen,

langen Schmpen

Kometen mit

und den Rauschen aller

Höllenflüße des dreißigjährigen Kriegs mit

einem Lhre nach derGcsindesiube hinzuhvrcn, wo man den Krautsallat für seinen Entenbra­

ten zerschneidet. Gute Nacht, Alter! ich bin mat.

Der

gute Himmel schicke Dir im Frühjahr 1794, wen» die Erde ihre Menschen wie kostbare

Nachtraupen auf Blättern und Blumen herumtragt, den neuen Thurmknopf und einen

dicken wohlgestalteten —■ Buben dazu!j

Eilfter Zettelkasten Frühling — Investitur — und Niederkunst.

Ach stehe von einem wunderbaren Traume auf; aber der vorige Kasten macht ihn natür-

liH.

r6z kich.

Mir träumte: „alles grüne — alles

dufte — ich schaue nach einem unter der

Sonne blitzende» Thurmknopf hinaus, ru­ hend im Fenster eines weissen. Gartenhaus­ gens,

die Augenlieder

vol Blumenstaub,

die Achseln vol dünne Kirschenblüte»,

die

Ohren vol Gesiinise des benachbarten Bienen­ standes. — Darauf trete langsam zwischen die Rabatten der Hukclumische Pfarrer und

steige ins Gartenhaus und sage feierlich zn mir:

„Wolgeborner Herr,

eben ist meins

„Frau von einem Knablein entbunden worden

„ und ich unterfange mich. Dieselben zn „bitten, an solchem das heilige Werk zu ver-

„ richten, wenn es in den Schoos der Kirchs „ausgenommen wird." —> Ich fuhr ganz natürlich auf und der —> Pfarrer Firlein stand noch leibhaftig neben meinem Bette, rind bat mich zu Gevatter:

denn Thiennette wqr heute Nachts irrn i Uhr

niedergekommen.

Die Geburt war darum

so glüklich als wie in einem Gcbahrhanse fers

übergegangen, weil der Barer schon erliche. R 4

Mo-.

264 Monate darauf gedacht hatte, den sogenann­ ten Klapperstein, der im Hör' . des Adlers gefunden wird, beizuschaffen und Eeburtshälfe damit zu leisten: denn dieser Stein ver­ richtet in seiner Art alles, was die Mütze ei­ nes alten Minoritcn in Neapel, von dem Gorani erzählt, an solchen Kreisenden er­ zwingt , die sie aufsetzen — Ich könnte den Leser noch länger kränken; aber ich lasse willig «ach und decke ihm die Sachen auf, Einen solchen Mai wie den diesjährigen (von 1794) hat die Natur bei Menschcngedenken nicht — angefangen: denn wir ha­ ben erst den fünfzehnten. Leute von Einsich­ ten musten sich seil Jahrhunderten jedes Jahr einmal ärgern, daß die deutschen Sänger Mailieder machten, da andere Monate eine poetische Nachtmusik weit eher verdienen; und ich bin oft so weit gegangen, daß ich den Sprachgebrauch der Marktweiber angrif, und stat Maibutter, Juniusbutler sagte, des­ gleichen nur Junius« Marz- Apnllieder. — Aber

265

Aber du, diesjähriger Mai! verdienest alle Lieder auf deine rauben Namensvettern auf einmal I — Beim Himmel! wenn ich jezt

ans der gaukelnden heldnnkcln Akazienlaube

des Schlosgartens, in der ich dieses Kapitel schreibe, heranstrete in den weiten lebendigen

Tag, und zum wärmenden Himmel aufsehe,

und über seine unter ihm anfquelleude Erde: so thut stch vor mir der Frühling wie ein vol­

les kräftiges Gewitter mit einem blauen und grünen Glanze auf. — Ich sehe die Sonne

am Abendhimmel in Rosen stehen,

ihren Stralenpinsel, Erde ausgemalet,

in die sie

womit sie heute die hineinwirft,



und

wenn ich mich ein wenig umsche in ihrer Ge­

mäldeausstellung : so ist ihre Schmelzmalerei auf den Bergen noch heis, — auf dem nas­

sen Kalk der nassen Erde troknen die Blumen mit Saftfarben gefült, und a» den Bachen

die Dergismeilttiicht mit Miniaturfarben — unter die Glasur der Ströme hat die Malerin

ihr eignes Ange gefassct, und die Wolken har

sie wie ein Dekorationsmaler nur mit wilden R 5

Um-

266 Umrissen und einfachen Farben gezeichnet; und so fleht sie am Rande der Erde und blikt ihren grossen vor ihr flehenden Frühling an,

dessen Faltenwurf Thaler sind, dessen Brust«

beugn er Garren und dessen ErrörHen ein FrüH-

liugsabrnd ist und der, wenn er sich aufrich«

ter, der — Sommer wird.

Aber weiter!

und

In jedem Frühling



in einem solchen gar — geh' ich zu

Fasse den Zugvögeln enrgezen, und verreise den hypochondrischen Bodeusaz des WinrerS.

Ich glaube aber nicht,

dast ich nur den

Thurmiliopf von Hukelum,

der in einigen

Tagen abgehoben wird, geschweige diePfar«

leute gesehen härte, war' ich nicht beim Flachsenfingischen Superintendenten und Kon» siflorialrath gewesen.

Bei diesem kundschaf­

tete ich Firleins Lebenslauf, — jeder Kan« didat muS seinen an das Konsistorium lie«

fern — und sein noch tolleres DirschreibeN

um den Thurmgiebel aus.

Ich ersah mit

Vergnügen, wie lustig der Kauz hi seinem En-

267

Entenpfuhl und Milchbad von Loben schnalze und plätschere — und nahm mir die Reise

zu seinem Ufer vor.

Es ist sonderbar d. h.

menschlich, da st wir originelle Menschen und

originelle Bücher das ganze Jahr lang wün­ schen und preisen: haben und sehen wir sie aber,

so erzürnen sie uns, —

sie sollen

uns ganz ansieben und schmecken, als ob das

eine andere Originalität könnte, als unsere eigene.

Es war Sonnabends den dritten Mai,

daß ich, der Superintendent, der Senior eapituli,

und einige weltliche Rathe aus­

brachen und einsiiegcn,

und «ns in zwei

Wagen vor die Hausthüre des Pfarrers brin­

gen liessen. nicht —

ers werden.

Die Sache war, er war noch

investieret

und morgen soll'

Ich dachte nicht, als wir am

weissen Spalier des Schlosgartenö vo>beifuh­ ren, daß ich darin ein neues Werkgen schrei«

den würde. Ich

268

Ich seht den Pfarrer noch in seinem Pe, rücken - Grauwerk und Kopfgehanse an die Wagenrhüre anspriygen und uns herauöziehen — so lächelnd — so verbindlich — so eitel als aufmerksam auf die herausgezogne Fracht. —- Es schien als hätt' er den Reiseflor des Schmerzes auf der Lebens­ reife gar niemals nmgenvmmen -— und Thicnnctte schien ihren niemals zurückge­ schlagen zu haben. W:e war alles im Hau­ se so net, aufgcschmükt und poliert! Und doch so still ohne das verdammte Sturmläu­ ten der Dedientenglocken, und ohne die fau­ len Trommelbässe des Treppen -Pedalierens! — Indes die Herren im obern Zimmer an­ ständig fassen, zog ich nach meiner Art wie rin Geruch im ganzen Hanse herum, und mein Weg führte mich durch die Wohnstube, über die Küche, und endlich in den Kirchhof am Hanfe. Guter Sonnabend, ich will dei­ ne Stunden so gut ich kau, mit schwarzem Indenpech von Dinte in die Uhrblätter frem­ der Seelen zehnen! — In der Wohnstube hob

269 hob ich vom Schreibtisch einen an Rücken und Ecken vergoldeten Band mit dem Rückende­ kret !

„Heilige

Reden

von giriern,

erste

Sammlung" auf — und da ich nach dem Druckort sehen wollte, war die heil. Samm­

lung geschrieben»

Ich fühlte die Schreib,

spuhlen an und tunkte in die Negerschwarze

der Dinte ein — und ich befand, daß alles ganz gut war: bei hcrumsitcgenden Gelehr­ ten , die nur ein Departement der auswärti­

gen Angelegenheiten haben und keines der in­ nern, ist ausser einigen andern Dingen nichts

schlechter als Dinte und Federn.

Aach fand

ich eine Kupferplatte, auf die ich wieder zu­

rückkommen werde. ■—

In der Küche, die man zum Schreiben eines englischen Romans nicht nöthiger hat

wie zum Spielen eines Deutschen, fönt* ich mich neben Thiennetten stellen und mit schü­ ren helfen,

und in ihr Gefickt und in ihr

Kochfeuer zugleich sehen.

Ob sie gleich in

der Ehe war; wo weisse Rosen auf den Wan­

gen zu rothen werden — worin dte Mäd­

chen

270 chcn einem Gleichnis in der Note *) gieb

chen; — und obgleich das Dratenhvlz eine erlogene Schminke auf sie warf: so errieth

ich doch, wie blas sie ungefähr sonst gewesen

war, und meine Rührung über ihre Farbe

stieg durch den Gedanken au ihre Bürde noch höher,

die ihr heute Nachts das Schiksat

Nicht so wol abgenommen als blos in ihre Arme und naher an ihr Herz

grleget hat.

Wahrlich ein Man mus nie über die mit eines

Ewigkeit bedekte Schöpfungsminute der Welt nachgcsonnen haben,

der nicht eine Frau,

deren Lebensfaden eine verhülle unendliche Hand zu einem zweiten spint,

nnd die den

Uebergang vom Nichts zum Sein, von der

Ewigkeit in die Zeit verhüll, mit philosophi­ scher Verehrung anblikt, — aber noch weni­ ger mns ein Man je empfunden haben, des­

sen Seele vor einer Frau in einem Zustande, «v sie einem unbetonten ungesehenen Wesen noch

*) Dem Frühling nämlich, ter mit weissen Schneeblus tnen cmsängt, und mit Nos»n nnd Nelken schliesset.

L7 I

»och mehr dufcpfert als wir beit bekamen,

nämlich Nächte, Freuden, und oft das Le­ hen, sich nicht tiefer und mit grösserer Rüh­

rung bükt als vor einem ganzen singenden Non­

nen-Orchester, auf ihrer Sarawüstc;

und

schlimmer als beide ist einer, dem nicht seine

Mutter alle andere Mütter verehrungswmdig macht. — „ES ist Dir weiter nickt dienlich, arme

Thlennette, (dacht' ich) daß sich jezt unter

dem Volgiessen Deines bittern Krankenkelches die lärmenden Feste Haufen. “

Die Investi­

tur und die Knopf - Erhöhung meint’ ich. Mein Rang, dessen Diplom der Lefer in den

„Hundsposttagen"

einZeheftet

findet

und der sonst der ihrige war, hezte mir ein Heer zurükhaltender,

verlegner und schwan­

kender Aeussernngeu von ihr auf den Hals,

die ich mit Mühe zerstreuete,

und womit

«llemal die Leute vor Höhern oder Niedem aufzichen, zu denen sie sonst gehöre hatten.

Ich konte weoer mit ihr noch mit ihm den Sonanbend und Sonntag recht ins Geleise

kom-

272 kommen,

bis die andern Herren fort waren.

Die alte Murrer wirkte wie dunkle Ideen, stark und fortdauernd aber ohne sich zu zei»

gen: das wird durch ihre abgöttische Scheu vor uns erklärt, und znm Theil durch einen

stillen Kummer,

der sich wie eine Wolke in

ihr (wahrscheinlich über die Niederkunft ihrer

Schwiegertochter) aufzog.

Ich kreuzte, so lange das Mond-Achtel noch flimmerte, auf dem Gottesacker herum,

und milderte meine Phantasien, die zu leicht mit dem Braun zerbröckelter Mumien malen,

nicht nur durch das Abendrvth sondern auch durch die Erwägung, wie leicht unser Aug'

und Herz sich sogar mit den Trümmern des

Todes versöhne, eine Erwägung zu der mir der pfeiferrde Schulmeister, der das Gebein­

haus auf morgen ordnete, und die singende

Pfarmagd verhalf,

die

Graber abgrasete.

Warum wollen wir uns diese Angewöhnung

an alle Gestalten des Schiksals nicht auch

aus die andere Welt von unserer Natur und von unserem Erhalter versprechen? — Ich bläk-

»73

blätterte die ■ Leichensteine durch und denkt noch jezr, der Abergläubige '-) har Recht, der dem Lesen derselben Verlieren deS Ge» dächtnisses beilegt, allerdings vergisset man tausend Tinge dieser Er» de. .... Die Investitur am Sontage, dessen Evangelium vom outen H rten auf den AktuS paste, mns ich kmz abfertigen, weil alleErhabene die Redseligkeit nicht leiden satt. Zch werde aber doch das Wichtigste mitgetheiler haben, wenn ich ber chre, dass dabei getrunken wurde — im PfarhouS, — ge­ lautet — im Chor, — vvtgelksen — vom Senior die Dokazion, vom weltlichen Rathe das Ralifikajtonsreskript, und gepre­ digt — vom Konststorialrarhe, der den Seelsorger nahm und ihm der Gemeinde und diese jenem präsentierte, gab und znficverre, Arlein fühlte, er gehe alö ein Hohrtpr.ester aus «) Dieser christliche Merglaube ist nicht blo- ein rabbinischer sondern «uch ein rörmscher. Cicero de Scncctutc*.

S

»74

aus der Kirche, in die er alS ein Landpfar­ rer gekommen war und hatte den ganzen Tag

nicht daS Herz, einmal zu fluchen.

Wenn

der Mensch feierlich behandelt wird, so sieht er sich selber für ein höheres Wesen an und begeht sein Namensfest mit Andacht.

Dieses Aufdingen, diesen Klosterprvfes ordnen die geistlichen Oberrabbi und Logemei­

ster, —

die Superintendenten — sonst

gerne an,

wenn der Pfarrer schon einige

Jahre der Gemeinde vorgestanden ist, sie ihn vorzustellen haben,

der

wie die erste»

Christen die Emweihnng und Investitur zum Christenthum, die Taufe, gern in den Tag.

ihres Todes verlegten, — ja ich glaube nicht einmal, daß die Investitur etwas von ihrem Nutzen verlöre,

wenn sie und daS

Amrsjubileum auf Einen Tag aufgesparet würden, uw so mehr, da dieser Nutzen ganz

in dem besteht,

waS Superintendent und

Rathe theils schmausen theils kriegen. Erst gegen Abend lernten wir beide imkennen.

Di« Investitur-Offizianten und Hebungs-

»75

bungsbedienten hatten nämlich den ganzen Abend sehr — geathmet. Ich meine so: da die Herren au- den ältesten Meinungen «nd neuesten Versuchen wissen musten, Luft sei nicht- als verdüntes auseinander geschla­ gene- Wasser : so konten sie doch leicht erra­ then, daß umgekehrt Wasser nichts sei aleine dickere Luft. Und Wrintrinken ist nichtalS das Athmen einer zusammengekeltertea mit einigen Wolgerüchen bestreueten Luft. Nun kan in unsern Tagen nicht genug (flüssi­ ger) Athem von geistlichen Personen grholet werden durch deu Mund, da ihre Verhält­ nisse ihnen da- Athmen durch die kleinern Poren untersagen, da- Abernethy unter dem Namen Luftbad so anempfiehlt: sol denn der Speiscschlund bei ihnen erwaS an­ der- sein als der Wand- und Thürnachbar der Luftröhre, der Mit lauter, der NebenschöSling der leztern? — Ich verlaufe mich: ich wolts berichten, daß ich Abends der nämlichen Meinung zugethan war, daß ich aber diese Luft oder diesen Aether nicht S 2 wie

a?6 wie jene zum lauten Gelächter verbrauchte/

sondern zum stiller» Beschauen des Lebens,

Ich lieS sogar gegen meinen Gevatter einige

Sieben, schiessen,

die. Gottesfurcht verrie­

then, — welches er anfangs für Spas neh­ men wolte, weil er wüste, ich wäre von Hofe

und Rang.

Aber der Holspiegel des Wein»,

Nebels hieng mir endlich die Bilder meiner.

Seel« vergrdssert und verkörpert al- GeisterGestalten mitten in die Luft hin, — Das

Leben schattete sich mir zu einer, eiligen Johannisnqcht ein, hie wir schiessend» Johan­ niswürmgen glimmend durchschneiden,

-—

ich sagte ZN ihm, der Mensch wüste sich wie die Blatter der grossen Malve, in den ver»

schiedenen Tagszeiten seines Lebens >

bald!

nach Morgen bald nach Abend richten,

bald

in der Nacht gegen hie Erde und gegen iljrr Gräber zu, — ich sagte, die Almacht des. Guten trieb' unS und die Jahrhunderte den Thoren der Stadt Gottes zu, wie der Wi­ derstand deS

Aerherö

nach Euler die,

umkreisende Erde her Sonne -».führt u, s. w. Er-

277

Er hielt mich dieses EinschiebessenS we­ gen für den ersten Theologen seiner Zeit und hätte von mir, wenn er Kriege hätte anfan­ gen müsse», vorher Gutachten eingehvkt rote sonst kriegführend« Machte von den Refor, mazionstheologen. Ich verhalte mir aber doch nicht, das waS die Pfärret Eitelkeit dir Erde nennen, ist etwas ganz anders als was die Philosophie so nennt. Als ich ihm vol­ lend- eröfnete, ich schämte mich nicht, «in Autor zu seyn, sondern beschriebe dieses und jenes Leben, und ich hättt seine eigNd Diögraphie beim Herrn Superintendenten zu Gesichte bekommen und war« im Stande, daraus eine gedrillte zu fertigen, falS er mir mit einer und der andern Fldischfarbe zu Hülfe kommen wvlte: so war blos meine Seide, die leider nicht blos gegen das elek­ trische Feuer, sonder» auch gegen eilt besse­ res isoliert, das Gitter, das sich zwischen mich und seine Arme sielte: denn er war wie Dir meisten armen Landpasteren nicht im Staube, irgend einen Rcng zu vergessen S 3 oder

278 ober seinen mit dem höher« z« verquicken. Er sagre: „er würd' es venerierlich erkennen, wenn ich seiner im Drucke gedächte; «der er befahre zu sehr, sein Leben sei zu einer Be­ schreibung zu gemein und zn schlecht." Gleich­ wol machte er mir die Schublade seiner Zet­ telkästen auf, und sagte, er glaub« mir da­ mit vorgearbeitet zu haben. Dje Hauptsache aber war, er hoste, sei­ ne errata, seine cxercitation.es und seine Briefe über da- Raubschlvs würden, wenn ich vorher ihnen den LebenSlauf ihres Ver­ fassers vvransschikte, besser ausgenommen, und es wäre so viel, als begleitete ich sie mit einer Vorrede. Kurz ich blieb, al» den Montag die andern Herren mit ihrem NimbuS wegdampflen, allein bei ihm als Niederschlag sitzen — und sitze noch fest d. h. vom fünften Mai an bis (das Publikum solle den Kalender von ,1794 nebttt sich aufgeschlagen hinlegen) zum fünfzehnten, — heute ist Donnerstag, mor­ gen ist der sechzehnte und Freitag, und die ft-

279 sogenante Spinatkirmes und bfe Aufhebung des Thmmknopfes, die ich itur abzuwarten »orhatte, eh' ich gienge. Jezt geh' ich aber nicht, weil ich Sontags den Taufbund als Tauf-Agent für mein Pathqen schliessen mus. Wer mir gehorcht und den Kalender aufge­ schlagen hat, der kan sich leicht vorstelle», warum manS auf de« Sonrag verschiebt: es fället da jener denkwürdige Kantaiesontag ein, der einmal in unserer Geschichte wegen seiner närrischen, narkotischen SchierlingsKräfte, — jezk aber nur wegen der schönen Verlobung wichtig ist, die man nach zwei Jahren mit einer Taufe zelebriere» wil-.

Ich bin zwar nicht km Stande, — aus Armuth an Farben und Pressen, — die weiche duftende Blumenkette von vierzehn Tagen, die sich hier nm mein krankes Lebe« ringelt, aufs Papier abzufärbm oder abzu­ pressen; aber mit einem einzigen Tage kan ichs versuchen. Ich weis wol, der Mensch kan weder seine Freuden noch Leiden errathen, S 4 noch

280 «och weniger kan er sie wiederholen, im Le»

ben oder Sch-eiben.

Die schwarze Stunde deS. Koffers hat Gold im Munde für uns und Honig: hier in der Morgenkühle sind wir glle beisammen,

wir halten populäre Gespräche, damit die

Pfarrerin und die Kunstgailnerin sich darein mischen können,

DerFrühgoltesdienst in der

Kirche, worin oft das ganze Volk *) sizt und singt,

wirst uns aueeinander.

Ich mar?

schiere unter dem Glockengeläute mit meinem Stachel Schreibzeug in den sin.genccn Schlos-

garten und setze mich in der fnici en Akazien­ laube an den berhauelen zweibeinigen Tisch.

Firleuis Zettelkästen hab* ich schon in der Ta­

sche bei

mir und ich darf nur naLschauen und

aus feinen nehmen,

was in meine taugt.

Sonderbar!. so leicht vergiffet der Mensch

eine Sache über-ihre Beschreibung: ich dach­

te

jezt warlich nicht cm wenig daran, daff

ich •) Denn sunfzclm Personen mache» nach den Juri­ sten schon eines.

281 ich.ja eben auf btm zweibeinigen Lauben« tische-, von dem ich rede, jezt alles dieses schreibe.

Mein Gevatter arbeitet unterdessen auch für die Welt.

Seine Studierstube ist die

Sakristei,, und der Presbergel ist die Kanzel, die er braucht, um die ganze Welt auzupredigen: denn ein Sinter ist der Stadrxfarrer

des

Universums.

Ein Mensch,

Buch macht, hangt sich schwerlich;

der ein

daher

sollen alle reiche Lords-Sdhne für die Presse arbeiten: denn man bat doch wenn man .zu

früh im Bette erwacht, einen Plan, ei« Ziel und also «ine Ursache vor sich,

warum

man daraus steigen sol. . Am besten fahret dabei ei» Autor,

der mehr sammelt alö er­

findet — weil das leztcre mit einem ängst­ lichen Feuer das Herz kalzinieret; —

ich

lobe den Antiquar, Heraldiker, Notenma­

cher, Samler, ich preise den Titel barsch

(ein Fisch,

Namens perca diagramma,

wegen seiner Buchstaben auf den Schuppen)

und den Buchdrucker, (ein Spekkäfrr, Nä­

sst 5

menS

282 mens scaräbaeus typographus ,

der in

die Rinde der Kienbänme Lettern wühlt), —

beide brauchen keinen grösser« oder schönem

Schauplaz der Welt als den auf dem Lum­ penpapier, und keinen andern Legestachel als einen spitzigen Kiel, um damit ihre vier und zwanzig Lettrrn-Eier zu legen. — In Rüksicht des räsonnierenden Katalogs, den der

Gevatter von deutsche» Drukfehlern machen wik, sagt' ich ihm einige male: „er wäre gut

und gründe sich auf die Regel, nach der man

auSgezahlet hat, daß z. B. zu einem Centner Aizero Fraktur vierhundert und fünfzig Punk­

te, dreihundert Schliesquadratgen rc. nöthig sind; aber er solle doch in politischen Schrif­ ten und in Dedikazionen nachrechnen, ob für

«inen Jenlner Iizero Fraktur nicht fünfzig

Ausrufungszeichen viel zu wenig wären,

so

wie sechstausend Spatia in philosophischen Werken und in Romanen."

An manchen Tagen schrieb er nichts;

sondern (teste sich in den Schlauch und Rauch­ fang seines Priesterleks, und lies im Ornate drü-

28Z

drüben beim Schulmeister die wenigen AbcSchützen, die nicht wie andere Schätzen des Frühlings wegen auf Urlaub waren, in der Fibel exerzieren. Er that nie mehr als seine Pflicht, aber auch nie weniger. Es überlief sein Herz mit einer gelinden Warwe, daß er, der sonst unter einem Scholarchat sich dukle, jezt selber eines war. Um zehn Uhr begegnen wir unö ans un­ sern verschiedenen Museen und besichtigen das Lors, und besonders die biographischen Meubleu und heil. Oerter, die ich gerade diesen Morgen unter meiner Feder oder meinem Storchschnabel gehabt, weil ich sie mit mehr Interesse nach meiner Beschreibung betrach­ te als vor ihr. — Dann wird gespeiset. — Nach dem Tischgebet, das zn lang ist, tragen wir beide die Eharitativsubsidien oder Kammerzieler und milden Spenden, womit die Eingepfarlen dem ReligionS- und Til­ gungsfond des Gotteskastens beispringen wol­ len zum Kauf des neue» ThurmglvbuS, in

584

doppelte Handelsbücher ein: daS eme davon wird mit dem Namen der Kollatvren'oder — hat einer auch für seine Kinder dotiert —■ mit der lezter» ihrem in eine bleierne Kapsel eingesargt, und in den Thurmknopf aufgebahrt; das andere bleibt unten, bei der Re­ gistratur. Es ist nicht zu beschreiben, wel­ che Lieferungen die Ehrbegierd«., in de« Knopf hinaufzukommen, macht — ich be­ then« , Dauern, die schon gut gegeben hat, ten, steuerten noch einmal, wenn sie tau­ fen liessen.: der Julige solle auch in den Knopf. Nach dieser Buchhaltung stach der Ge­ vatter in Kupfer. Er war so glüklich gewe­ sen , heranszubringen, daß auö einem Zuge, der einem umgekehrte» lateinischen

Sie trugen mir darauf — denn wenn die Weiber einmal im offenherzigen Ergiessen sind, so schütten sie, (nur muS man nicht den Zapfhahn der Fragen umdrehen) gern alleö aus — ein Ringkästgen hin, worin er einen gefundnen Kammerhenischlüssel kon­ servierte, und fragten mich, ob ich nicht wü­ ste, wer ihn verloren. Wer wil daS wissen, da es beinahe mehr Kammerherren als Die­ teriche giebt? — Endlich saftete ich Herz, auch nach dem Schrankgen des Ertrunknen zu fragen, das ich bisher im ganzen Hause vergeblich gesucht, giriern selber inquirierte fruchtlos darnach. Thiennette gab der Alten einen zuredenden Wink vvl Liebe, und ich wurde von dieser zu einem ausgespreizten Reiftok hinauf ge­ führt, der das Schränkgen überbauete. UiiterwegeS sagte die Mutter, sie hielten eS vor ihrem Sohne verstekt, weil ihn daS Angeden­ ken an feinen Bruder schmerzen würde. AIS wir diese Depositenkasse der Zeit, woran das Schlos abgerissen «ar, geöfnet hatten, und alS

291 als ich in dieses GebeinhäuSgen vol Trüm»

mer einer kindlichen spielenden Borzeit ge* schauet hatte: sezt' ich mir ohn' ein Wort zu sagen vor,

diese Spielwaren der Gebrüder

Firlein noch vor meiner Abreise vor dem le*

benden auszupacken:

könl' es denn etwas

schöners geben als die überschütteten ringe» sunknen hcrkulaneischen Ruinen der Kindheit

ausgegraben zu erblicken und frei an der tust? —

Die Wöchnerin lies schon zweimal bei mir fragen, ob er zurükgekomme«.

Er und

sie haben gegen einander, eben weil sie ihrer Liebe nichr den schwächenden Ansdruk.,durch Phrasen sondern den stärkenden durch Thaten geben, eine unaussprechliche.

Andere Braut*

lenke nagen einander die Lippen und daS

Herz und die Liebe durch Küssen ab,.- wie von

Christi Statue in Rom (von Angelo) der Fus durch Küssen abgegangen, den man deswegen

mit Blech versehen; bei andern Brautleutey kan man die Zahl ihrer Entzündungen und

Ausbrüche wie beim Vesuv die der semigen, T a

de*

2-r

tereit noch drei und vierzig sind, voraus an» sagen: —* aber in diesen Menschen stieg da­ griechische Feuer einer mässigen und ewigen Liebe auf, wärmte ohne Funken zu verspren» tzen, und lodene aufrecht ohne zu knistern. —Jezt schläget magischer die Abendlohe aus den Fenstem der GärtnerShütte in meine Lanke und mir ist als «rüst' ich zum Schiksal sagen: j,hast dil einen scharfen Schmerz, so wirf ihn nur lieber in meine Brust und verschone damit drei gare Menschen, die zu glüklich find, um nicht daran zu verbluten, und zu eingeschränkt ans ihr kleines dunkles Dorf, um nicht zmükzufahren vor dem Wettersti ahl, der ein erschüttertes Ich ans der Erde über die Wolken reisset."------Du guter Man! jezt körnt er eilig über die Pfarwlesen. Welche schmachtende Blicke vvl LiebS ruhen schon im Auge Deiner Tbien» «ette! —- WaS wirst Du uns heute Neues aus der Stadt mitbriugen! •— Wie wird Dich morgen der aufsteigende Thurmknopf la» ben!—t

_________

Zwölf.

29Z

Zwölfter Zettelkasten. Lhurmkuopfs - Asjensiou — das SchrKitgeu. W>e heute den sechzehnten Mai der alte Knopf vom Hukelumer - Thurm abgedrehet tmb ein neuer ihm aufgesetzer worden, daS wil ich je;t bestens beschreiben, aber « jes xtcm einfach.« historischen Style der Alten, der vielleicht grossen Begebenheiten am beiten zusagt.

Sehr früh kamen in einem Wagen der Herr Hofvergolder Zeddel und der Schlos, sermeister Wachse« und die «tue PeterL Kuppel-des Thurmes an. Gegen acht -lh« lief die-Gemeinde zusehends zusammen, die aus Nntritore» des Knopfes bestand» Ei» wenig spater trafen Herr Dragonerritmeister vpn Aufhammer als Patronatoherr der Kjr; che und desThurrqs, und der Gotteshausvor­ steher Streichert ein. Hierauf begaben ich rmv mein Herr. Gevatter Firlein uns samt T 3 den

»94 Len Personen,

die ich schon genant habe,

in die Kirche und hielten da vor unzähligen

Zuhörern eine Wochen-Betsiunde.

Sodann

erschien mein Herr Gevatter oben auf der

Kanzel und suchte eine Rede zu halten, die

der feierlichen Handlung angemessen war, — er verlas nach ihr sofort die Name» der Gön­

ner und guten Seelen, durch der«« Graziale der Knopf zusammeugebracht worden,

und

zeigte der ganzen Gemeinde die bleierne Büch­ se vor,

worin sie namentlich war und be­

merkte, daS Buch woraus er sie abgelescu,

werde bloö in die Pfarregisiralur beigrlegt. Darauf hielt erS für nöthig, ihr und Gott zu

danke», daß er zum Entrepreneur eines sol­ chen WerkS wider sein ^Verdienst auserfeheN

worden.

Das Ganze beschlos er mit einem

kurzen Gebet für den Schieferdecker Stech-

m a n n, der schon aussen am Thurm hieng und den alten Schaft ablösere— und bat, daß et

nicht den Hals oder sonst ein Gliedmas bre­

chen möge.

Nun wurde ein geistliches Lied­

chen gesungen,

daS die meisten aussen vor der

295 der Knche mitsangen,

weil sie schon zum

Thurm hinaufsahen. Nun kamen wir auch alle heraus itnb der abgedaukre Knopf, gleichsam der abgeschnit-

tene Hahnenkam des ThurmS, wurde nieder­ gesenkt und abgebunde».

Der Gotteshaus-

Vorsteher Sreichert zog rin bleiernes Be-t

stek aus dem mürben Knopf, das mein Herk Gevatter zu sich (leite, um es gelegentlich durchzulesen;

ich

aber sagte

zu

einigen

Dauern: „sehet, sowerden sich eitere Namerk auch erhalten int neuen Knopfe und wenn er

nach sparen Ial)»en heruntergezogen wird: so' ist die Büchse darin und der damalige Pfars

rer lernt euch alle kennen." — ■ Und nun

wurde der neue ThurmgkobuS mir dem BleiNapf, worin sich die Namen der Umstehen-'

den aufhielten, so zu sagen vol geladen und saturieret und ans Zugseil geheftet — und

jezt machte sich der bisher der Pfargemeinde

aufgesezre Schröpftopf in die Höhe. ... Beim Himmel! jezt ist der ungeschmük-

tr Styl eine Sache

ausser meinem Vermö-

T 4

gen

syL gen — denn als der Knopf rükte, schwebte, sieg: trommelte eS mitten. im Thurm und der Schulmeister,, der vorder auS dem gegen

die Gemeinde gerichteten Schalloch hernieder? gesehen hatte, sties jetzt mit einer Trompete -u einem einsamen Seiten-Schalloch heraus, vor dem der. steigende Knopf nicht vorbei zog.

Aber als der ganze Kirchsprengcl

zappelte und jubelte, je höher das Kapital seinem Halse kam — und als rS derSchieferdecker rmpficng tinb hrrumdrrhte und der

Spitze glöklich inkorporierte — und als er eide. Baurede,

an dm Knopf sich lehnend,

zwischen Himmel urrd Erde, auf diese und auf uns alle herunterhielt — und alö mei­ nem Gevatter vor Wonne, der zeitige Pfar»

rer zu sein, die Thränen in den Priesterornat

herabliefe»; so war ich der einzige — wie ftint Mutter die einzige, —i- in deren See­ len ein gemeinschaftlicher Kummer eingrif,

um sie Zu pressen bis aufs Bluten: denn ich und die Mutter hatten, was ich nachher weit«

läuftiger sagen werde,

gestern im Käsigen deS

897 deS Ertrunkuen von seines Vaters Hand ge­ funden, daß er übermorgen am Kanrakc- iufb

Taufsontag — zwei und dreißig Jahre alt werde. — O, (dacht' ich,

blauen Himmel,

indem ich den

die grünen Graber;

den

glimmenden Knopf, den weinenden Pfarrer anschauele) so steht der arme Mensch allemal

mit zugebundenen Augen vor deinem scharfen

Schwerte,

unbegreifliches Schiksal!

Und

wenn du eS aufziehest und schwingest, ergdzzet ihn das Pfeifen und Wehen desselben kurz

vor dem Schlage! —Schon gestern wüst' ichS; aber ich woll­

te dem Leser, den ich von weitem darauf be­ reitete , nichts von der traurigen Nachricht

sagen, daß ich im Schränkgen des natcrgegangnen Bruders eine alte Hausbibel, worin,

die Jungen buchstabieren lernte», mit einem

weissen Buchbinderblatte gefunden, auf das der Vater die Geburtsjahre seiner Kinder ge-: schrieben hatte.

Und eben dieses gab Dir,,

Du arme Mutter, zeither den Kummer, den wir kleinern Ursachen beimassen und . Dein T 5

Her;

298 Herz stand bisher mitten in dem Regen, der

uns schon vorübergezogcu und in einen Re­ genbogen verwandelt zu sein schien! —► Nur

ans Liebe zu ihm hatte sie jährlich einmal ge« logen und sein Alter verdeckt.

Recht glük-

lichcr Weise machten wir den Schrank ohne

sein Beisein auf.

Ich habe noch immer die

Absicht, ihm nach dem fatalen Sontage mit

dem bunten Nachlasse seiner Kindheit, und nut alten Christgeschenken neue zu machen. Indeß, wenn wir nur, ich und die Mutter,

ihm morgen und übermorgen unablässig wie Angelschwimfeder» und Fusblöcke nachrücken, damit kein mörderischer Zufall den Vorhang

vor seinem Geburtsschein schon zu machen.

lüfte:

so ist. es

Denn jezt würde freilich

daö -Geburtsdatum feinen Augen im mcra-. morphotischen Spiegel, seiner abergläubigen Phantasie und hinter dem vergrössernden Zau->

berdunst seiner jetzigen Freuden wie eine rothe Todes - Unterschrift entgegenbreimen. . . »

Aber noch.! dazu sizt das Dlat aus der Bibel schon höher als wir alle, nämlich im neuen

Thurm-

299

Thurnffnopf, In ben ichs heute vorsichtig eiugeschoben Hube. Eigentlich halö gar kei­ ne Noth. Dreizehnter Zettelkasten.

Lavstag. ^Heute ist der einfältige Kantqtesontag: aber es ist nichts mehr von tljnt noch da als eine Grunde. — Beim Himmel I vergnügt wa­ ren wir heute sehr. Ich glaube, ich habe so gut getrunken wie ein anderer. — Man sollte sich aber freilich in allem mässigen, im Schreiben, Trinken und Freuen; und wie man den Dienen Strohhalme in den Honig legt, damit sie nicht io ihrem Zucker ertrin­ ken, so sollte man allezeit einige feste Grund-f!tze und Zweige vom Baume des Erkcnntuisses i» seinen Lebenssyrup stat jener Strohhalme werfen, damit man sich darauf erhiel­ te und nicht darin wie eine Ratte ersöffe. Ich will aber jezt im Ernste ordentlich — schrei­ ben

299

Thurnffnopf, In ben ichs heute vorsichtig eiugeschoben Hube. Eigentlich halö gar kei­ ne Noth. Dreizehnter Zettelkasten.

Lavstag. ^Heute ist der einfältige Kantqtesontag: aber es ist nichts mehr von tljnt noch da als eine Grunde. — Beim Himmel I vergnügt wa­ ren wir heute sehr. Ich glaube, ich habe so gut getrunken wie ein anderer. — Man sollte sich aber freilich in allem mässigen, im Schreiben, Trinken und Freuen; und wie man den Dienen Strohhalme in den Honig legt, damit sie nicht io ihrem Zucker ertrin­ ken, so sollte man allezeit einige feste Grund-f!tze und Zweige vom Baume des Erkcnntuisses i» seinen Lebenssyrup stat jener Strohhalme werfen, damit man sich darauf erhiel­ te und nicht darin wie eine Ratte ersöffe. Ich will aber jezt im Ernste ordentlich — schrei­ ben

3oo den (und auch leben) und daher, um kalter

den TaufaktuS Zu referieren, mein Feuer mit Nachtthan ausgieffen und noch eine Stunde hjnauslaufen in die mit Blüten und Wellen gestikle Nacht,

wo ein lauer Morgenwind

sich düftetrunken aus Blütengipfel auf gebog­ ne Blumen herunterwirft, und über Wiesen

sireicht und endlich ffuf eine Woge fliegt, und

Glüklicher!

wirst Du niemals seufzen? —

Und steigt Dein erster Seufzer als Uebersatti-

gnng auf, mit der sich ja kein Wunsch, kein

Hunger gesellen timte ? — All' unser Rin­

gen nach Freude soll nur unser Schmachten übertauben :

wir liegen brütend auf der kal­

ten Erde wie die Vögel auf Kreide, nicht um etwas anszubrüten, sondern um die Brut­

hitze der siechen Brust zu lindern. Was nun unserem Sinne deö Grän­

zenlosen — »so will ich immer der Kürze wegen sagen —> die scharfabgetheilten Fel­ der der Natur verweigern,

das vergönnen

ihm die schwimmenden nebligen elysischen der Phantasie. Kant setzet schon das Erhabe­

ne der Dichtkunst und der Natur in ein angeschauetes Unendliche.

Die Natur zwar

selber als Sinnengezenstand ist nicht erhaben

d. h.

357 fc. h. unendlich, weil sie alle ihre Massen, wenigstens mit optischen Glänzen scharf ab­ schneidet , das unabsehlige Meer mit Nebel oder Morgenroth, den unergründlichen Him­ mel mit Dlau, die Abgründe mit Schwarz. Gleichwol sind daö Meer, der Himmel, der Abgrund erhaben; aber nicht durch die Gabe der Sinne, sondern der Phantasie, die sich an die optischen Grafen, qn jene scheinbare Gränzenlosigkeit hinstellet, um in eine wahre hinüber^uschauen. Man könte fragen: war­ um thut sie es nicht bei jedem Blau, bei jedem Schwarz? — Man könte antwor­ ten : weil nicht jedes Blau einen so grossen Gegenstand nwschliesset. Ma» könte wie­ der fragen: warum denn eine dem Meere an Grösse gleiche Blumenebene sich mit Nebeln schliesse, ohne so erhaben zu sein wie das Meer. Die lezte Antwort aber bleibt: weil alles Grosse einfärbig sein mus, da jede neue Farbe einen neuen Gegenstand anfängt. Im einfachen Blau des Himmels wiegt die Seele ihre Flügel auf und nieder — und Z 3 aus

358 au- dem lezten Stern stürzt sie sich mit au-gebreireren Schwingen in dieUnermeslichkcit. Stelle Dir ein Arkadien vor: in dem, worauf Du teilst, halten überal HerkulesSäulen Deine Genüsse auf, und lassen blos Deine Wünsche über die Säulen fliegen; aber in einem dichterischen kan ja dein Wunsch nicht grösser sein als Dein Bezirk und das waS Du wünschest, hast Du ja eben vorher- er­ schaffen. — Der Steig der Wirklichkeit ist nicht bloS steiniger, sondern auch länger als der der Phantasie, die über ihm schweifet; aber wenn Du einen Dichter liesest, so hast Du noch da­ zu die Freude, den blumigen Jrgang einer fremden Phantasie mit Deiner eignen zu durchkreutzen. Wie wird die Phantasie, die schon die Wirklichkeit aufschmükt, erst Träume ver­ zieren? — Wenn ich oft meiner Phantasie in schö­ nen Landschaften erlaubte, Landschaftsmale­ reien zu machen für mich, nicht für das Pub­ likum: so fand ich, — und auch sonst,— daß

359 daß die aus mir aufsteigenden Fluren nur In­ seln und Erdstriche aus der längst versnnknen Kindheit waren. Der Traum führet auch, (wie schon Herder bemerkt), die langst weg geschobenen bunten Glasmalereien der Kind­ heit wieder in die dunkle Kammer des Schla­ fes zurük. Die Kindheils - Erinnerungen können aber nicht als Erinnerungen, deren uns ja aus jedem Alter bleiben, so sehr la­ ben : sondern es mus darum sein, weil ihre magische Dunkelheit und das Andenken an unsere damalige kindliche Erwartung eine­ unendlichen Genusses, mit der uns die vollen jungen Kräfte und die Unbekantschaft mit dem Leben belogen, Miseren, Sinne des Grän­ zenlosen mehr schmeicheln. DaS Jdealische in der Poesie ist nicht» anders als diese vorgespiegelte Unendlichkeit; ohne diese Unendlichkeit giebt die Poesie nur platte abgefärbre Schieferabdrücke, aber keine Blumenstücke der hohen Natur. Folglich mualle Poesie idealisieren: die Theile müssen wirklich, aber das Ganze idealisch sein. Die Z 4 »ich-

36» richtigste Beschreibung einer Gegend gehöret

darum noch in keinen Musriialnianach, fon# öern mehr in ein Flurbuch — «in Protokol-

ist darum noch keine Szene auS einem Lust» spiel — die Nachahmung der Statur ist noch

keine Dichtkunst

weil die Kopie nicht mehr­

enthalten kau als das Urbild.



Die Poesie ist eigentlich dramatisch und

malt Empfindungen,

fremde oder eigene;

das Uebiige — die Bilder, der Flug,

der

Polklang, die Nachahmung der Sta.tuv —

diese Tinge find nur die Reiskehlen-, Maler« chatoullen

und Gerüste

zu jener Malerei.

Diese Werkzeuge veihalten sich zur Poesie, wie der Generalbas oder die Hauncnie zur Melodie, wie

das Kolorit zur Zeichnung.

Dazu setz' ich nun weiter; allo Quantität ten sind für uns endlich, alle Lualitü« ten find unendlich.

Don jenen können wir

durch die äusern Sinne Kcntnis haben, von diesen nur durch den innern. Folglich ist jede Qualität für uns eine geistige Eigenschaft.

Geister und ihre Aeusserungen stellen sich un­ serem

Z6r fertrn Innern eben so gränzenlos als dunkel dar.

Mithin mnS das in uns

geworfene

Sonnenbild, das wir uns vom Dichter ma­ chen, vergrößert, vervielsaltigt uny schim­

mernd in den Wellen zittern, die et selber in

vns zusammentrieb 2:ter das warS nicht, worauf ich kom­ men woltc sondern darauf, wodurch und, wo­

mit die schönen

Künste

auf uns

wirken.

Durchaus nur mit und durch Phantasie: das was die Gebilde der Malerei und Plastik von

Indern Körpern absondert, mus ein be­

sonderes Verhältnis zu unserer Phantasie sein. Dieses Verhältnis kau nicht auf die bloss

kahle Vergleichung

hinauslaufeu,

die wir

zwischen dem Ur- und Abbilde austelleu und

aus der wir nur das matte PergnHgen besieg­

ter

Schwierigkeiten schöpfen tonten.

I 5

Snl-

Lee

•) Ohne dieErwäguyg des Geistes, der schuf, wär es nicht zu erklären, wurmn eine Szene aus Sbaßespeav nur bald gefiele, wenn wir wüsten, er Uätte sie von Wort zu Wort aus irgend einem wirklichen Zusai, Pretekol, Dialoge ausgeschrie­ ben.

z6r

S#r sägt: eilt Gemälde gefallet uns, aber nicht daS treuere Bild im Spiegel, eine Sta­ tue entzükt «ns, aber nicht die treuere Wachs­ figur: denn die Aehnlichkeit mus ihre Grän­ zen haben. Ich fragte aber, warum? Wes­ wegen soll die vollendete Aehnlichkeit (die Gleichheit) weniger vermögen als die unvolenbete ? Es ist in diesem Sinne nicht einmal wahr und ein Portrait, dem zum Spiegel­ bilde nichts abgienge als die Beweglichkeit, würde uns um so wehr bezaubern. Aber in einem andern Sinne ist allerdings eine Unähnlichkeit vvnnblhen: diejenige, die in die Materie die Pantomime eines Gei­ stes eindrükr, kurz das Jcealische. Wir stel­ len uns am Chrisiuökopfe nicht den gemalten, sondern den gedachten vor, der vor der Seele des Künstlers ruhte, kurz dieSeele des Künst­ lers, eine Oualität, eine Kraft, etwaSUn» endliches. Wie die Schauspieler nur die Let« tern, nur die troknen Tuschen sind, womit der Theaterdichter seine Ideale auf das Thea­ ter malet — daher wird jedes Trauerspiel mit

Zb) mit grösserem Vortheil seines Jdealischen, im Kopfe als auf dem Schaupla; aufgeführet: —■ so sind die Fmben und Linien nur die Lettern des Malerö. Die typographische Pracht dieser Lettern vermenge man nicht mit dem erhabenen Sinn, .best» unwilkührliche Zeichen sie sind. Ich sagte u n w i l k ü h r l i-ch e. Unsere Seele schreibt mit vier und zwanzig Zeichen der Zeichen (d.h. mit vier und zwanzig Buch­ staben der Wörter) an Seelen; die Natur mit Millionen. Sie zwingt uns, an fremde Ichs neben unserem zu glauben, da wir ewigmir Körper sehen — also unsere Seele in fremde Augen, Nasen, Lippen überzutragen. Kurz, durch Physiognomik undPathognomik beseelen wir erstlich alle Leiber — später alle unorganisierte Körper. Dem Baume, dem Kirchthurme, dem Milchtopfe theilen wir eine ferne Menschenbildung zu, und mit dieser den Geist. Di« Schönheit des Ge, stchtS putzet sich nicht mit der Schönheit der Linien an, sondern umgekehrt ist alle Linien« und

3^4

«md Farbenschönheit nur eitt übertragener Wiederschein der menschlichen» Unser Unver­ mögen , uns etwas Lebloses existierend d. h. lebend zu denken, verknüpft mit unserer An­ gewöhnung an ein ewiges Personifizieren der ganzen Schöpfung macht, daß eine schöne Gegend uns ein malerischer oder poetischer Gedanke ist, — daß grosse Maseu und an­ reden , als wohnte ein grosser Geist in ihnen, oder ein unerrdlichcr >—- und baß ein gebilde­ ter Apollos-und ein gemalter Johanneskopf nichts sind als "die schöne achte Physiognomie der grossen Seelen, die beide geschaffen, um in homogener«. Körpern zu wohnen als die eignen sind. — Als Tithon, sich vom Jupiter die Unsterb­ lichkeit erflehte, hatte er in seine Bitte nicht die Jugend eingeschloffrn. und er schwand zulezt ein zu einer unsterblichen — Stimmer So verfallet, erbleichet das Leben hinter uns, und unserer einschwindenden vrrtroknenden Vergangenheit bleibt nur etwas Unsterbli­ ches— eine Stimtne: die Musik. Laß nun

365

«nn die Töne, bie in einem dunkeln Mond«

licht mit Kräften ohne Kdrper unser Herz umfliessen, die unsere Seele so verdop­

peln, daß sie sich selber zuhhrt, und mit de»

•nen unsere tief heranfgewühlten unendlichen

exaltierten Hofnungen und Erinnerungen -gleichsam im Schlafe reden, daß nun die

Töne ihre Allmacht von dem Sinne des Grän­ zenlosen überkommen, das brauch' ich nicht weiter zu sagen.

-Dir Harmonie -füllet

«ns zum Theil durch ihre arithmetischen Ver-

hälknisseZ aber- die Melodie, der Lebens­ geist der Musik,--erkläret sich aus nichts als

-etwan aus der poetischen reinen Nachahmung -der rohem Töne, die unsere Freuden und un­

sere Schmerzen von sich geben.-

Die äussere

Musik erzeugt-also im eigentlichen Sinn in­

nere;

daher auch alle Töne unö einen Reiz

zum Singen'gebem

—-

Aber genug! Ich schliesse wie ein Schau­ spiel, mit der geliebten Tonkunst.

Ich hätte

noch viel emzuschränken, zu beantworten und

nachzuholen, z. B, das, daß es eine genies­

sende

366

sende und eine schaffende Phantasie gebe und daß jenes'die poetische Seele sei, die den Sinn deS Unendlichen feiner hat, und dieses dir schöpferische, die ihn versorgt und uahrt, oft ohne ihn zu haben; ich fönte noch mit den Kräften des Mondscheins, der Nacht, der bunten Farbenwvgen in Thautropfen mei­ nen Saz- befestigen: aber einer, der bei Ta­ geslicht blind wäre, würde auch bei wolken­ losem Sonnenlicht nichts sehen. Esistmir— so sehr personifizieret der Mensch sogar seine eignen Theile—als wüst' ich jezt der Phan­ tasie, über die ich z« lauge geschrieben und unter deren heissen Linie wie unter der andern ein ewiger Morgenwind der Jugend weht, als wüst' ich ihr dankbare Empfindungen für die Stunden, für die Garten, für die Blu­ men, selber für die Wünsche bringen, die sie wie Guirlanden- um das einfarbige Lebert sticht. Aber hier wil wieder der Mensch, wie so oft, lieber der Gabe als dem Geb er dan­ ken. — Und was fol unser Dank fein? — Zufriedenheit: Abscheu vor der Unart, den löst-

36?

köstlichen Ersaz der Wirklichkeit-und die Wirk« lichkeit zugleich zu begehre», zu den unverwelklichcn Blumeustücken der Phantasie noch die dünnen Blumen der irdischen Freude dazu zu fordern und überhaupt das zu vergessen, daß der dichterische Regenbo­ gen (wie der optische) sich gerade beym nie­ drigsten Stande der Sonne (im Abend und Winter) am höchsten wölbe. — Wol glei­ chen wir hier mit unserer lechzenden Brust Schlafenden, die so lange dürst en als sie den Mund öfnen: sie sind gestillet, wenn sie ihn schliessen, und wir auch, wenn unsern -ie lezre Hand zndrükt. Aber wir sind voll himlischer Träume, die uns trän­ ken und wenn dann die Wonne oder die Erwartung der träumerischen Labung zu groS wird, dann werden wir etwas besserö als sat — «ach.

zHz

L>eS Amtt-DogtS Iostiah Frend'el Klaglibel gegen seinen verfluchten Dämon.

AieseS zierliche Klaglibel,

worin eia zer»

ftivucter Geleinter ohne sein Wisen seine Jer»

skrcuung schildert,

kam durch die Güte deS

Herrn Pfarrers Firlein in meine Hande, der-

in der Kirchenageude seiner Sakristei gefunden

harre.

Ich glaube, ich kan das Sibel ohne

Diebstahl zn meinen Aufsätzen und Effekten schlagen., da Freu del hinken eine Arbeit

von mir in seine einfügt'; denn ich mache, da commixtio und couf-usio eilt -modus ad~

quirendi ist, aus rechtlichen Gründen aufS Ganze Anspruch.

Wenigstens gehören, da

er das Papier dazu ans der Sakristei erhob,

meinem Gevarter als Herr« des Prinzipale die darauf gesezren Gedanken deS Vogts als

accessorium.

Der Konzipient hatte sich

airs Versehen am Bustage in die Hukrlumer

Kir«

369

Kirche sperren lassen: — um nun die Lang« »eile sich so lange vom Leibe zu halten bis ihn beim Gcbetläuten jemand hinaus lies, ver« schrieb er die Zeit bis dahin in diesen Klagen:

» * * Gewisser ist wol nicht- als daß manchen Menschen ein tückischer Dämon verfolgt und ihm lange Sperhaken ins Getriebe seine- Le« bens stekt, wenn es gerade am besten um­ läuft und eben ausschlagen wil. Jeder mus Menschen kennen, die lauter Unglük im Spie­ len — Kriegen — Heiratheu — in allem haben, so wie andere wieder lauter Glük. Lei mir wird gar Glük und Unglük mmschierungsweise neben und aufeinander verpakt in Eine Tonne, anstat daß eS Jupiter in zwei »erfülle. Ist vollends das Vergnügen, die Ehrenbezeugung, die rührende Empfindung, die ich habe, grvs, sehr gros: so verlas'ich wich darauf, daß es nun der Dämon gewahr werden und mir alles hinterdrein gesegnen werde. So versalzet er mir gern schöne Lust« A» fahr«

370 führte« durch einen häuslichen Hader;

und

ein Ehrenbogen ist für mich ein Regenbogen,

der drei elende Tage ankündigt.

So hat er

mir heute in diese Kirche-nachgesezt, weil et voraus sah, die blühende Predigt werde mir

einiges Vergnügen reichen; und mm seh'ich mich seit der Vesperpredigt in das Gotteshaus inhaftiert -und das Schiksal weis, wenn ich

Denn ich kan weder

hinausgelassen werde.

Thür noch Fenster ausbrechen und da- grollt Unglük ist, daß gerade heute BuStag ist, wo

keine Magd auf den Gottesacker geht; unter allen meinen dummen Schreibern hat obnehin

daß er wich in der

keiner so viel De>stand,

Sakristei aufsuchte.

Diese Kirche ist mir

überbaupt aussätzig; ich habe darin schon ein

Unglük gehabt, und eS war heute nicht- als

der Wiederschein eines alten, daß ich unter der Hand der ganzen Gemeinde abgefangen

wurde, indem ich stil und vergnügt in mei­ nem Kirchenstnhle sas, und meine ungedrukte

Anweisung

zu

einem

gerichtlich-blübenden

Styl in Gedanken piüfte.

Denn ich bin lei­ der

371

der in viele Sattel gerecht, eben weil mich der Dämon immer ans jedem hebt. Ich habe mich sonst mir Versen abgege­ ben— welches jezt wenigstens meinem Style zuschlagt — und nachher umgesattelt: denn ich wolle ein Pfarrer werden, und kein Amts­ vogt. Die Geschichte ist im Grunde unter­ haltend, obwol ans meine Kosten. Ich wöl­ ke nämlich als Student in meinem GeburtsDorfe (eben hier in der Kirche) mir einer Gasipredigk ausstehen und halte deshalb eine grosse Perücke mit einem hohen Toupee-Ge­ mäuer meiner Mutter zur Liebe aufgesezt. Gleich im Erordio sties ich auf ein Aben­ theuer , indem ich die Nnzanwendung, die sie auch wie jenes mit „theuersterc. Zuhörer" anhebt, unglüklich mit dem Eingänge ver­ wechselte; aber ich hielt — leicht und mit zwekmassigen Veränderungen — den Zuhö­ rern den Schwanz so in meiner Hand hin wie ein Endgen Kopf. Tausend andere harten von der Kanzel gemust; ich hingegen kam wvlbehaltrn vor dem Kanzclliede an und sagte; Aas

nun

37»

nun wollen wir ein andächtiges Lied mit ein, ander singen — und das war mein Unglük. Denn da ich mich — wie es auf den tnti* sie« Kanzeln Sitte ist —- so mit dem Kopfe aufs Pull hinlegte und niederkrempte, daß ich nichts mehr sehen konte als den Kanzel« Frak — so wie von mir auch nichts zu sehen «ar als mein Knauf, die Perücke mit dem Wal: — so must' ich, (wölk' ich nicht dum sein und ins Kanzeltuch hineinsingen) auS Mangel an Gesichtsempfindungen wahrend dem Singen denken. — Ich suchte also auf dem Pulte den Eingang, womit ich schliessen wolte, zur Nuzanwendung umzufarben — ich wurde von einer Subdivision auf die an­ dere verschlagen — ich hatte mich wie ein Nachtwandler unter meine Gedanken verstie­ gen, als ich plözlich mit Erstarren vermerkte, daß schon längst nichts mehr sänge und daß ich nachdächre, während die sämmtliche Kirche ausiauerte. Je länger ich erstaunte in mei­ ner Perücke, desto mehr Zeit verlief und ich überlegte, ob es noch schiklich sei, so spät das

373 das Tonpee-Falgatter aufzuheben' und darun­ ter denKuchleuten wieder z» erscheinen. Jezt

war — denn der Kanzel-Uhrsand lief in ei­

nem fort — noch mehr Zeit verstrichen; die

ausserordentliche Windstille der Gemeinde lag ganz schwül auf meiner Brust, und ich tonte, so lächerlich mir znlezt der ganze, Ohr und

Fus spitzende Kirchenhaufe vorkam und so

sicher ich hinter meinem Har - Stechhelm lag,

doch leicht einsehen, daß ich weder ewig nie» dergestülpet bleiben noch mit Ehren in die Höhe kommen kdnte.

Ich hieltö also für

das Anständigste, mich zu häären und mit dem

Kopfe langsam aus der Perücke wie aus einem

Ei aus zu kriechen und wich heimlich mit blossem Haupte in die an die Kanzeltreppe

stossende Sakristei hinunter zu machen.

Ich

thats und lies die ausgrkernte ausgeblasene

Perücke droben vikarieren.

Ich verhalt' es

nicht, indes ich in der Sakristei mit dem un­

befiederten Kopfe auf und abgieng: so paffete jezt,

(Denn mein brachliegender AdjunkmS

und Geschäftsträger schauere in Einem fort

91 ft 3

schwel-

374

schweigend auf die Seelen herunter als Anfang eines Seelenhirte») so paffere gesteh' ich, jezt Gios und Klein, Mann und Weib darauf, daß der Kopf Srcken anfienge stch aufzuuchten und ihnen rvrzulescn und jeden so zu er­ bauen, wie ja homiletische Kollegien uns alle hoff' ich abrichren. Ich brauche den Lesern nicht zu sagen, daß die erledigte Perücke nicht aufstaud, beraubt aller Anlage und ihres Ein­ satzes. Ium Glük stelle sich der Kantor auf die Fuozähen und sah in die Kanzel her­ ein — er stieg sansfa$on herab und hinauf und zog meine Kapuze beim Schwänze in die Höhe und zeigte der Parochie, daß wenig oder nichts drinnen wäre was erbauen lcnte, kein Seelensorger — „die Fülle ist schon auS der Pastete heraus" bemerkt er öffentlich bei diesem Kopf-Hiatus, und siekte meinen Dikarius zu sich. — Und seitdem hab' ich diese Kanzel nicht mehr gesehen, geschweige be­ treten. ... Warlich ich schreib' ihr jezt gerade gegen über und ich sah heule hinauf; ich woll' aber, ich

375 ich könte hinaus tntb ich rtiu6 schon lange ge­ schrieben haben. Beiläufig! gerade diese Historie, die ich ausschweifungs - weise bei­ gebracht, dient mehr alS eine, daS Dasein eines Dämons, der den mit den besten Pro, jekten schwängern Menschen in Ratten-Form unter die Füsse schiesset, zu be­ glaubigen — aber Mnttermahle find die Rachweben davon. Ich schwam wol niemals mehr im Won­ nemeer als Einmal, da der hiesige regierende Bürgermeister zur Erde bestattet wurde —■ dennoch wüste mir mein Dämon Unrath in meine Leichcnsnppe zu schmeissen. Ich würde abkommen von dem Leichenbegängnis, wenn ich weitlaufkig berichten wolte, wie wenig dieser Hausteufel darnach fragt, »venn er mich um eine Hinrichtung — um eine Krö­ nung — um eine Sonnenfinsternis zu brin­ gen vermag. Da diese Dinge leider keine Palingenefie, kein Ankora und keinen Refrain verstatten: so hab' ich dieses Trio von Din­ gen das sonst wol wenig Aehnlichkeit mit einAa 4 an-

376

ander hat, niemals beschauen können — eS war vorbei, eh' ich daran dachte, daß es komme. Ich solle Leichenmarschal beim Begräb­ nis sein, und stetig es auch an: der Bürger­ meister, dem der Tod die Sanduhr in die Augen geschüttet hatte, war ein Mann, der verdiente, einen guten Leichenmarschal zu ha­ ben, einen gestabten Leichen-Turuier - Vogt; denn er war in der ganzen Gegend selber bei allen Leichen von Stand der algemeine Un~ dertaker, der Groskreuz des memento mori- Ordens gewesen, der maitre de plaisirsM Todtentanzes. Er hätte — so gut fand er sich in die Charge — LeichenObermarschal in London bei der Beerdigung bet magna o La re a sein können, wäre sie kein blosser Spaö gewesen; und falö man den alten Publizisten, ReichSherkommen, in den Residenzstädten einmal in Ernste be­ grübe, so könte der Bürgermeister den Sarg unterstützen, lag' er nicht selber darin. Ich

377

Ich muS noch vorher erzählen, daß ich Abends vor der Bestattung, weil ich mit dem Bürgermeister einerlei Natur hatte, mir an ihm ein Beispiel nahm und meine Früh» lingskur nämlich Löffel achte Rhabarber gebrauchte. Ich wolle, ich hätte etwas von jenen Gelehrten an mir, die aus Zerstreuung eines über das andere vergessen: eine kleine Zerstreuung, worin ich über die Leiche die Kur vergessen hatte, würde mir den andern Tag zu Passe gekommen sein. Ich solle fast mich schämen, etwas so viele lesen zu lassen, was ich ohnehin so viele sehen lieS. Im Grunde wars wol unvermeidlich und wahresplachnvlogisches Fatum: denn ich trank im Tauerhause viel noch — muffe langsam ne­ ben der schleichenden Bahre waten und noch dazu einem lüftenden Wind entgegen, der den ehrwürdigsten Mannern den Leichenman­ tel zu einem Ferschwanz aufflocht (den falti­ gen Bctzopf und Troddel stell' er ihnen dann wie ein Stichblat an die rechte Seite) und ich führte noch dazu die satanische FrühlingöAa 5 pur»

378

purgavj im Magen bei mir. — — Inzwi­ schen muste einer, der mir nachsah, wenn er nicht horndum war, sogleich bemerken, daß ich lange genug meine physiologischen Verhält­ nisse zum Vesten meiner Pflicht verbis unb verwand, und hinter dem schwarzen fliegenden Sommer und Flor-Labarum des Huts und mit dem eingewindelten hohen MarschalsTaklstok daö sämtliche Leichenkondukt gut genug kommandierte und begleitete, vbwol ich im Wasser der Thränen und der Laranz als ein gebrochener Stab erschien. — Denn mir that es wehe, so viel (am Bürgermeister) verloren und so viel eingenommen zu ha­ ben. — — Meinetwegen! Unser Land komt doch darhinter: kurz der mitsingende Wind mochte uns kaum bis an zehn Schritte vor die Kirchthäre geschoben haben, als ich wirklich und ohne freien Willen, gleich dm» Kaiser Vespasian — und auch am nämlichen Orre — meinen verbitterten Szepter fallen lies.... Diele lachten wol» iS«

379

Zn andern Fällen »reis ich mir gegen Arz­ neien zu helfen. Da ich z. B. einmal dem vori­ gen Lbristforsinteister, mit den» ichs nickt ver­ derben durfte, auf seinem Jagdbause am Marrinitag zu essen brieflich versprechen batte: so traf sichs zum Elük, daß ich an dem nämli­ chen Tage beim hiesige»» Pfarrer zu speisen mündlich zugesagt batte. Nun war ich vor Nachtheil verwahret, da es am Martinitag nicht blos in der Pfarre drunter und drüber gieng, sondert» auch in meinem Magen; blvS weil ich mich mit eiuem hübschen Brechmittel ausbürstete. — Denn als mir um zwölf Uhr der Pfarrer sagen lies: „es würde alles kalt so wüst' ich recht gut, wie viel Uhr es ge­ schlagen harre und nahm in der Stadr, in die ich in einer viertel Stunde lief, auf der Post ein Kourierpferd und kam beim Forsimeister gerade angesprengt, als die Suppe noch heisser rauchte wie mein Gaul. Ich weis gcwis, ich wolte dem Leser noch einen recht frappanten Kasus auftischen; aber er will mir jezt durchaus nicht beifal­ len.

38o

len. — Andern Leuten mnS eS noch öfter so gehen: denn ich habe eine ganze ausgewahlte Diblioihek durch Diebstahl gewonnen und eine verloren, weil die einen, die mir jene liehen, und die andern, die mir diese abborgten, der« gessen batten, mit wem sie zu thun gehabt— und dann kamen mir die Leute auch aus dem Kopfe. Iezt fallet mir alles bei: es war so. Fatalien waren wir, da ich noch Advokat war, in jedem Prozesse Mispickel und Rattenpulver und meine Appellazioiie» wollen (wie alle lang lebende Gewächse) nie schon in zehn Tagen zeitigen; dennoch erwiederte ich einen gut aus­ gedachten Streich des bösen Dämons mit ei­ nem bessern. Ueberhaupt feiten die Kolle­ gien so gut Fatalien zu fürchten haben wie die Advokaten: ist nicht oft das Beste, was die Parteien verlieren können, Zeit? Und war­ um sol diese der schuldige und der unschuldige Theil zugleich verlieren? — Was helfen alle Lauferschuhe der Advokaten (und die Hez» peitsche« der Prvzeöordnung dazu) wenn die

38t

dle höher» Kollegien, an die alle Akten in* dossieret werden, in Hemschuhen und Hemkerten einherwaten? — Kurz die Advokaten und die höher» Instanzen (denn unS niedrigen zügelt mau schon und ich darf kaum mehr sprechen, so verlangen die Leute die Apostel) siechen an demselben Maras* ums der Dilazion, an derselben Frakturschrift der Schreiber, an derselben Geld- und Ge­ sichterschneiderei. ... Ich schweife hier viel* leicht ab; aber ich bekenne, ich fass' es nie* mals, wie ich im Schreiben von Einem aufs Andre komme, da ichö doch im Den* k e n nicht thue. Aber wie gesagt, es war an meinem Hochzeiltag: — er war schon ganz vorbei bis auf eine viertel Stunde. — Die finstere Hochzeitnacht war hereingebrochen — ich harre meine Rcpetieruhr und mein Zopfband schon unter den Spiegel gehangen und daö vorlezte Licht ausgethan und beim lezten drei viertel auf zwölf Uhr gelesen und so feurig als wenige an meine liebe Braut, als Thürund

38a

und Dandnachbarin meiner Seele, gedacht als ich im sogenannten Ehekalender, der neuerer Zeiten das Kirchenbuch und den Gebititsschein um drei viertel Jahr antizipieret, nachschauete, um das heutige Datum zu un­ terlinieren: nun kam ich im Kalender, worin zugleich meine juristischen Faralien und Termine sichen, zum Glücke mit darhinter, daß ich innerhalb zwei Tagen appellieren mü­ sse; und daß der lezte Diertelhamrner der zwölften Stunde den achten gar erschlüge. Ich raste mich zusammen, beschnit Papier (in Baiern wars nnnöthig) und legte flehen­ des Fusses die Appellation ein, die einzule­ gen war und pctschierke sie zusammen. „Ich habe nur — meldete ich auogefroren der Braut — vom Judex a quo zum Judex ad quem appelliert; und Du kaust Dir den­ ken , ob man es appcllanscher Seils werde erwartet haben." — Da der Teufel eine eigne Liebhaberei für Zwiespalt hat: so sucht er mir gerate, wenn ich durch einen Ehrenbogen gehe, den Grim mei«

383 meiner Freunde zuzuwenden. Ich erinnere mich, daß ich oft vermischten Gesellschaften mit der größten Deutlichkeit Lavaters Thierstücke auS seinem phvst'oguomischen Schwabenspiegel repetierte, und ihnen die Anwendung d,er Dich» «ndJnsektenköpfe auf die menschlichen so leicht machte als ohne Kupferstiche möglich ist,, ich erinnere mich sag' ich, daß ich mich, wenn ich mich dann nach einiger Bestimmung nm» schauete, in einem Zirkel oder Trapezium voy fatalen verdrüölichen Gesichtern mit gekräusel­ ten Nasen, faltigen Lippen, gestirnten über» schriebnen Stirnen stehen sah — und wer mir auS dcr Geselschaft die nächsten Woche» darauf ein Bein unterstellen fönte, der thats. Wenn ich nicht zuweilen in Geselschaft ein­ schliefe , so fönten alle nichts aufbringen, womit ich ihnen zu nahe träte; alles was ich darin wage, ist, daß ich vor ihnen im Kopfe einige juristische Opuscula ausarbeite, austat daß Zimmermann ihnen >m Kopfe gar seine philosophischen vor liefet. New­ ton sah den Finger einer Dame für einen Zwerg-

3»4

Zwerghirschgen-Fus an, den man zum Pfei­ fenstopfer nimr; ich aber habe nichlS auf mir als daß ich einmal, da ich meine Pfeife auöklopfte, aus Höflichkeit einigemal rief: herein- weil ich dachte, man klopfe draus­ sen an. So-werf' ichs mehr einem bösen Dämon als mir selber vor, daß ich in Einem Jahre meinen Gevatter und meinen Beichtvater zu­ gleich geärgert. Ich war sehr krank und lieS auf drei Svntage eine Kirchenvorbitte für. meine Genesung bestellen. Am dritten Son, rag saS ich während der Vorbitte selber mit unter den Leuten und schauete — wahrend der Pfarrer oben an meiner Rekonvaleszenz arbeitete — unten auS meinem Gitterstuhl mit einem närrischen Gesichte genesen heraus. Ich wüst' aber am besten warum ich mich als Rekonvaleszenz öffentlich vorstelte: die Gemeinde solte sehen, wie ihre Vorbitte an, geschlagen, und zweitens solte sie ermuntert werden zu Borbitten gegen das Rezidiv. WaS

385 WaS meinen Gevatter, den Marfchkom«

missar, anlangt, so rill' ich zu ihm bei der

erste» Niederkunft meiner Fiau uud woll'ihn, da er mein aller UniversikatS-Jonatl an und Lrcst ist uud in der Nahe wohnt, z» Gevat»

ter bitten, als er gerade reisefertig im Stalle

auf den Durchmarsch der Ungarn paste. Da sejn erstes Wort war, ich machte auf dem

Pferde mit ihm reden und mitretten: so vcr« rit ich einen halben Tag und erst vier Meile«

vom Tauflmg macht' ich ihn bei einem Sez«

teiche zu meinem Gevatter in Beisein der Kompagnie.

Den andern Tag erreichten ich

und er mit zwei solchen Jagdpferden wie wir reiten, leicht den Taufstein bei Zeiten.

Ich kan nicht erzählen,

wie ich meine«

Gevatter grimmig und zwietrachng gemacht, wenn man mich nicht vorher über die Tücke meines Dämons abkört, der mir so lang' ich

Geburtstage in meinem Leben antraf, noch

keinen einzigen zu begehen erlaubte.

Kurz

vor, kurz nach den Geburtslagen veran­ stalt' ich viel und schaffe Vorreiter und Vor-

B b

effe»

386

essen an; ist aber einer von den Geburtstagen da, so werk' ich nichts von ihm und ich kan ihn also nicht durchfciern. Endlich dacht' ich, es würde zu etwas führen und gescheut sein, wenn ich satteln liesse und schon vier Wochen vorher meinen Gevatter auf Barna­ bas-Tag — da fiel meine Geburt — samt den sieben liehen Kleinen invitierte, mit mir vorlieb yt nehmen. Ich saö auf und über­ raschte und überredete den Marschkommissar, ohne ihm jedoch etwas vom Geburt-feste zu entdecken: ich sezte nicht eher einen FuS in den Steigbügel, als biS er — weil er kaum aus den Reisekleidern wegen der Durchmär­ sche kam, die halb - frankieret waren und nicht viel anderes Geld gaben als Fersen­ geld,— doch in meinem Beisein ein vicrsitziges Fuhrwerk auf Barnabas bestanden hatte. Nun Hail' ich alles abgethan und brauchte nicht weiter daran zu denken: ich wüste, der Kommissär vergesse nichts. Unter dieser Zeit liess' ich das schöne Bau-Wetter nicht wieder verstreichen, sondern machte mich einmal im Ern-

387 Ernste über die Hauptreparatur mib Repro-

dukzion meines brüchigen Hauses her.

5116

nun am Barnabastermin bei früher Tageszeit der alre Marschkommissar samt seiner jungen Frau und sieben lebendigen, meinetwegen in

Puzgesezten, vergnügten Kindern wirklich uns len vor meinem Hause gleich ihrem Fahr r und Fuhrmann, der schon vom Bocke war, freu­

dig ausznsteigcn gesonnen waren: wars eine platte Unmöglichkeit, weil nm daö Haus meh­ rere Schut-Kettengebirge umher saffen und weil

besonders die Beine und Pfahlwerke des Ge­

rüstes die ganze Anfurch verschränkten.



Ich selber spazierte oben auf lezterem mit ei­ nem abgekürzten strangulierten gummierten

Schlafrok herum, reine Luft zu schöpfen und

gukre staunend auf den grossen Kutschkasten

herunter, ungemein neugierig, was wol auS

dem Kasten springe.

Liber der Fuhrmann

schwang sich wieder über das Rad hinauf und

fuhr die Familie vor einen wohlfeilen Gasthof, an dem ich erst, weil er meinem Gerüste ge­

gen über stand, beim Aussteigen undHin-

B b r

ein»

388

einziehen meinen guten Gevatter und seine gepnzte Familie leicht wie Dokumente rekognos­ zierte. Ich lieö sie erst d>üben allein essen, weil ich nicht gern schmarutziere, und dann kam ich schleunig nach. Ich trat mit dem Scherze vor ihr Tischtuch, ich könne sie heute nicht in meinen vier Pfahlen, sondern in mei­ nen zwanzig Pfahlen — aufs Gerüste wird angespiclet — empfangen, „aber bei uns zu Hause, sezt ich hinzu, kan sich kaum der Mauermeisier mit dem Borstpiusel umkeh­ ren." — Ich bekenne mit Dank — so sehr mich jezt mein Gevatter anfcindet, — die­ ser lezte Nachmittag den ich bei ihm versaö, war einer meiner heitersten. Ich nöthigte ihn, die Nacht da zu bleiben; und ich hielt mich beim Kommissar von Vormitternacht biS ein wenig gegen den Morgen auf, weil er, ob er gleich so schläfrig war wie seine von der Apoplexie des Schlafes um ihn hingestrekten Kinder, doch aus Zerstreuung nicht merke» muste, welche Zeit es sei: denn der Man» hat einen auserordentlich zerstreueten Kopf, und

Z89

lind seine Gehirnkammern sind bis an die Decke mit MarschreglementS volgeschlichret. . . . Ich hätte an so einem vergnügten Tage noch gar »rissen sollen, daß eS der meiner (Sei burt ist. Ueberhaupt aber war ich nie für ordent­ liche Fres-Gelage und erschien ungern darauf. Ich war ei» einziges mal bei einer Rathsmal« zeit, die ich als AmtSvogt miteffcn muste nach der Rathcwahl: denn ich habe ja schon er­ zählt, daß der Vorfahrer des neuen Bürger­ meisters begraben worden, als ich Leichcnmarschal war. Ich würde mich von allem ausgeschlossen habe», wäre nicht tu einem Marktflecken wie unserem, der Stadrgerechtigkeit begehrt, Bürgermeister und Rath viel: in Nom verrau chte der Diktator den Pflug gegen das Staatsruder; — hier bei uns halt man beide leichr in Einer Hand und wir be­ sitzen RarhSherren, denen es einerlei ist, ob sie votiere» oder gerben, »nahen oder strafen, an - oder unterschreibe»» und also die Kreide oder die Feder führen. Db z Blos

390

VloS der narrische Rathsberr «nd Loh, gerber Ranz bringt dem Kolleg!» Nachtheil, Weil er bei den Mahlzeiten solcher Parlaments­ wahlen so rntsezlich isset. ES zirkuliert über die ganze Rathömalzeit, zu der ich mich ex officio mir setzen muste, und besonder- über diesen Lohgerber eine hübsche Satire, die ein Unbebauter im Manuskript hernmschikl und die ich hier unkastiiert einrücken Fan. „Zuerst mus die Phanrafle deS Lesers die konsularische Tischgenossenschaft nehmen und ihr alle menschliche Glieder abschneiken, ab­ beissen und wegstreifen, nur Schlund und Magen ausgenommen, die wir bei der Sacke keine Minute entrathen können. Hierauf müssen wir, ich und der Leser, die Magen samt ihren aiigeschraubten Stechhebern von Schlünden um den Tisch, auf dem die Raths­ malzeit raucht, die der jüngste zum Raths­ henn erwählte Magen kochen lassen, titularisch auf den Stühlen herumlegen und dann zuschauen und aufschreiben, wie diese einsau­ gende Gefässe sich einbeissen wie sie ein* tuns

39i

tunken — wie fit austn'nken wie sie schneiden — wie sie stechen — und waS sie forttragen im Magen, Darmkanal und auf dem Teller— Aber der Gerber-Meister Ranz wirft «inen langen Schatten über die ganze Tafel und üb«mant und überfrisset jeden, sich ausgenommen. Eh' ich proto­ kolliere: so wil ich vorher sechs Dierhähne wie Quellen gegen diesen Strckteich richte« und den Weiber vol lassen und die Hechte um ter — Bier setzen. Nun schwimt." — „Was uns äuserst frappieret und duf* ferst interessieret ist blos der Rathsherr und Lohgerber Ranz, vergleich der Natur vol Wunder ist, und sie nun anfangt zu thun. .» tzr bringt, als Widcrspiel eines Wasser­ scheuen, nichts Festes in seinen Leib, aber nicht weil sein Leib selber fest ist, und geniest ser als Wicerspiel eines Katholiken dieseAbentmal unter einerlei Gestalt, nämlich un­ ter der flüssigen; aber nicht, weil «r glaubt, die feste stecke schon mit darin — er schöpfet «uit dem Pumpenstiefel seiner Hand alles Bb 4 Zeuch-

39» Feuchte auf, und ziehet mit den Puntschlöf» sein seines 'Wasserrades alle Suppenschüsseln in seine Schlund-Gosse und ins Magenbassi« ab, nicht weil er ein AbführuugSnültel damit abführen will, womit er erst morgen da» Heu« tiqe abznführen gedenkt — er wischet mit seinem Brodschwarn alle Brühen weg und hält seinen Gabel-Sangstachcl über jede Senf- und Meerrettiq-f'ache, nicht um seine Magen! aut mit dieser Gerbers lohe erst gar zu machen — er sezt sich wie Schimmel auf Brod und schlägt darauf mit seinem Gebisse Wurzel, nicht weil er ein Franzos oder sein Pferd ist und Brod liebt — er macht seinen inkvmnicnsmablen Magen znm zweiten Einmachglas eines jeden Eingemachten, zur Grnmmetpanse eines je, den Gemüses, znm Treibscherben eines je, den Sallats, nicht weil er einen Bissen Fleisch dazu absägt — er mauert das Zorngefäs «nd den Schmelztiegel seines Magens mit Dreien aus, aber nicht weil dieser Sprünge hat und die Verlutierung braucht." — — Son»

393

„Sondern er volführt diese schöpferische Scheidung der Wasser vom Festen, er befesti­

get diese Kluft zwischen seinem Teller und

seinem Magen, blos um in beiden eine gleiche

Masse aufzuschütten und wegrnbringen, blos um auf dem Zimmerplaz der Tellers mit dem

Ssbandwerkszeug

ein

Fruchlniagazin

und

Speisegewölbe aus Fleisch-Quadern aufzufüh­ ren für sich und seine Kinder.... Beim Him­ mel !

er softe noch sitzen und mauern hinter

seinem Viktualien-Verhau aus Deinen, Gra­

ten und Rinden, er solle noch schweben wie

«in dürres Jahr über der Tafel und jede nasse Stelle auötrokncn: so wären wir im Stande,

mit ihm nach Hause zu gehen,

wo sich das

Messer dieses Schwertfisches gerade umgekehrt

nur ans Fleischige ansezt, sobald das aus den

»erlaufnen Wassern abgesczte Viktualien Flöz­ gebirge nur anlangt.

Der Meister — und

der Gesell — und die Gerberin — und die

Cerberebuben — und der Dachshund bohren sich jezt in den gebrachten Derg bis an die Fersen hinein und wir können sie nagen hören. B b 5

Fresset

394 Fasset zu!—Has sich euer armer Ranz, die­ ses özende fressende Mittel, nichrgcnug gequält, um nickt wie KnochenfraS alles anzugreifen? Hat er nicht mit allen peristaltischen Bewegungen seines Schlunde- den Magen» Luftballon blos mit Windsbräuten aufgcfüllet und gehoben und mit einer Wasserhose die Bla­ se?— Aber soll' ich einmal eines ausserordentlichen Typus vonnöthen haben, um damit ein ausserordentliches ChaoS zu erläutern und anzuleuchten, das Chaos und den Zank eines Nonnenklosters, oder einer Theatertruppe oder eines heil, deutschen römischen Reichs — so bring' ich blos deine» ausgesteiftcn gespanten Mageuglobns mit seinen Brühen und Luftarrey getragen als TypuS, Ranz!" .... — Ci, ganz herrlich — lieblich — und recht erwünscht und verkamt! — Ich will nur aber de» Lchrcib-Arm absagcn lassen, wenn ich hier noch einen Buchstaben schreibe. Warlich der Kirchner ist da gewesen und ich hab' sh» über den en'sezlichcuLiklfras verpasset. .♦ Concep. z. Amtkvcgl Freude!.

395

3» Es giebt weder eine eigennützige Siebe noch eine Selbstliebe, sondern nur eigennützige Handlungen.

1.5$ habe meinen erste» Saz erwiesen, wenn ich dargethan, daß die Liebe, die ein geiziger Universalerbe gegen seinen Erblasser nach der Publrkazion des Testamentes empfindet, eben so rein und uneigennützig sei — der Art, »richt dem Grade nach — als die, die un­ sanft das Herz erwärmt für die grosen Wolthäter der Menschheit im Plutarchund für den Oncle Toby im Tristram, obgleich jene nicht mehr sind und dieser niemals war. Wenn der Universalerbe eben so viel Gold als die Erbschaftsmasse betragt, im holen Kopfe einer Statue fände: so empfand'er dar­ um nicht einmal so viel Liebe gegen sie, als ein schwärmerischer Artist vielleicht für sie hat. — Wenn der Erbe dieselbe Summe im Sarge deö Erblassers anträfe: so hätt' er wie­ der

396 -er keine Liebe für ihn. Ja wenn der Erblasser wabnsinnig wäre und ihn mit dieser Summe beschenkte: so fühlte er dennoch keine angemesse« ne Liebe gegen den Verrükten, troz der Aus­ sicht zu wiederkommcnden Geschenken: denn ich rechne eine kleine Regung der Liebe ab, die dem Menschen durch eine Täuschung der Per» sonifikazion gegen das rettende Bi et im Schis­ bruch , gegen ein altes Haußgerathe und gegen Menschen, die ihm ohne ihren Willen uuzteu, eingestösset wird. Folglich liebt der Erbe am Wohl-haternichrseinemetallischeNüzlichkeit—* diese harr' er schon vor dem Geben lieb — sondern seine Gesinnung gegen ihn, d. h. seine Liebe, also den fremden Seelenzustand, und die Befriedigung des Eigennutzes war nur daß nothwendige Mittel, jene Liebe aufzndecken und vor die Seele des andern zu bringen. Jezt behaupt' ich aber weiter: die Liebe deS Erben gegen den Testator ist von unserer gegen den milden Oncle Toby nicht in der Art verschieden, sondern im Grade. Ich sage: nicht in der Art. Alle Liebe liebt nur Liebe, sie

397

sie ist ihr eigner Gegenstand. Unsere Affekten sind überhaupt gleichsam Verkörperungen dcS sitlichen Triebes und in ihnen ist die Gestakt des leztern wie in den Thieren die menschliche, «usgedrükt aber nur anagramwalisch, in und auö einander geschoben und ohne Eurylhmie. Der Zorn ist gleichsam ein plethorisches Gefühl der moralischen Haslichkcit, der Neid ist das Gefühl des Mioverhallnisses zwischen unserem oder fremden Schiksal und Werth, und so der Ehrgeiz, die Liebe u. s.w. So ist sogar die Liebe gegen weibliche Schönheit — abgesondert vorn ästhetischen Gefallen daran, das am Ende nur eine kühlere Liebe ist — nichts, als die Liebe gegen die durch Farben- und Li'nien-Reitzr hieroglyphifch abgenialke und in Men, fchcn-Wachs bossierte Liebe oder moralische Schönheit. Wir ahmenden fremden Zustand der Men, schenliebe nach, wir oder andere mögen der Gegenstand der leztern sein, ich meine unsere Liebe gegen den Wolihärer ist gleich rein obwvl nicht gleich stark, er mag es gegen andere oder ge»

398 gegen uns sein. Da unsere Liebe ihr Objekt hat im Instand eine- fremden Ichs: so kan wenigstens sie nicht als Empfindung oder Trieb die reflektierende Berechnung anstellen, vb jener Zustand mich oder andere zum Ziele habe. Allerdings reget die Menschenliebe des andern in mir eine grössere Liebe an, wenn ich ihr Gegenstand bin, als wenn andere es sind. Aber der Grund benimt der Liebe des Universalerbenö von ihrer Reinheit nichtS. Von meinen Vorzügen, von meiner Würdig­ keit, geliebt zu werden, hab'ich eine tausend­ mal lebendigere Vorstellung als von fremden Vorzügen, Zweitens hab ich von der frem­ den Liebe und ihre Einwirkung, so bald ich sie erfahre, einen lebhaftem Begrif. Dritten­ verstärkt meine Eigenliebe meine Men­ schenliebe, ohne sie zu verfälschen: kein Trieb kan den andern unmittelbar erzeugen oder erhöhen, sondern nur sein Gegenstand, aber der schlimmere Trieb kan unsere Phantasie befeuern, den bessern mit helleren und mehre­ ren

399

ren Gegenständen zu umringen und anzufa«hcn. Die eigensüchtige Phantasie steigert also die uneigennützige Liebe. Hätten wir nicht nur vom Werthe jenes GaleerensklavcnS, den ein göttlicher Mönch loskettete um sich selber in seine Banden zu begeben, sondern auch von seinem Wolbehagen nach derReimng «inen so Hellen Begrif wie er selber von beiden chatte: so wüsten wir de» Mönch, ohne die Schuldner seines schönen Herzens zu sein wie der Sklave, doch fast eben so lieben wie der Sklave. Ja eine feinere Seele stellet die Liebe, die ihr Liebhaber für sie hat, so weit von ihrem Selbste weg, daß sie ihn so zart und verdienst­ lich lieben kau als war er der Liebhaber einefremden Ichs. II. Es kann keine Selbstliebe geben so wie keinen Selbsthaö. Ich müste zweimal da fein, damit das liebende Ich nicht inS geliebte zer­ flösse. Da Liebe nur gegen Liebe enkbrent: so müste die Selbstliebe sich lieben, eh' sie sich liebte und die Wirkung brachte die Ursache her­ vor, welches so viel wäre als sähe daö Auge sei»

400

sein Sehen.—Freilich steht in unserem Kopfe ei» IwillingSbruder unsers Ichs, fr. l). em Bild von diesem Ich; und diesen Schieferabdruk unsers Ichs lieben wir freilich: aber da­ ist so wenig Selbstliebe als es eine wäre, wenn wir eine fiemde uns bis auf alle Punkte und Stricke nachgestochene Person lieb hatten.— Nur Eigenschaften werden geliebt, allein Sub­ stanzen lieben. Aber unsere sogenante Selbst­ liebe wachset ja nicht mit unsern Vorzügen — höchstens mit unsern Fehlern; — und ste ist ebenso warm, wenn wir uns selber verach­ ten— denn sonst n ürden wir unö im SündenSumpfe lassen — als wenn wir einen.Theil unserer eignen Natur verehre» müssen. Es ist noch mehr meiner Neigung gemas> den obigen Saz umgekehrt auszudrücken und zu sagen: nur Substanzen werden geliebt. Die uakre federlose luftige Eigenschaft rst an und für sich kein wärmerer Gegenstand meiner Liebe, als das ihr zusagende Wort im Vokabelnsal oder Kompendium. — Jede Eigen­ schaft muS an einem Ich — das wieder für «ns,

4ot

«nS, vbwol unbegreiflich, etwa- befer- ist als eine andere Eigenschaft— glänzen, um geliebt zu werden. Dieses lebendige Ich, diese Bedingung aller geistigen Eigenschaften, lieben wir allein in diesen. Nach dieser Definizivn ist Selbstliebe noch unmöglicher,'-, h. Liebe vorn Ich gegen daß Ich. Unsere Selbstverach»uug kan sich nicht auf unser ganzes Weser» richten, weil derTheil, worin sie ist, doch keine verdienen kan; und so würde die Selbst­ liebe nur immer bloß Eigenschaften, nie das Wesen selber, «eil sie ja von diesem selber et­ was cinnimt, umfassen können. Ich besorge dieses scheinet spizfündiger als eö ist. Aber irr den trüben Abgrund der Selbstliebe müssen mehrere Kantische Sonnen fallen, um ihn licht ;u machen. Di« Liebe, womit uns der gute Andere umfängt, ist so etwas mystisches, daß wir uns gar nicht in seine Seele denken mögen, weil wir seinen guten Begrifvvn unserem Ich nicht theilen können — wir begreifen (troz dem Bewustseiu unsers Werthes) nicht, wie man Er unö

401

tmS lieben kbnne; aber wir finden uns dar» ein, wenn wir bedenken, daß der andere sei­ ner Seils eben so wenig unsere Liebe gegen ihn müsse fassen können. — — Man erlaube mir, noch eine clausula salutaris öder ein zierliches Kodijil zu ma» chen; um so mehr da niemand schuld ist alS Platner. Dieser behauptet, die Empfin­ dung sei eigennützig weil fie alS diese nur un­ sern eignen Zustand darstelle; und nichtfei uneigennützig alö unsere Vernunft. Aber erstlich muS der Begrif von Uneigennützigkeit, wenn er kein ausgehdlteS Derier-Wortsein svl, ja bloS der Abdruk irgend eines uneigennützi­ gen Zustandes in UnS sein. Zweitens setzet das Gefühl des Eigennutzes daS seines Gegen­ theils voraus. Wie der Blinde nicht nur kein Licht, sondern auch kein Dunkel kent: so wüsten wir ohne Uneigennuz nicht- vom Eigennuz, ohne Freiheit nichts von Sklave­ rei , so wie vielleicht eine Menge Dinge aus Mangel ihres Wechsels mit dem Gegentheil, für uu- auf dieser Welt im Dunkeln bleiben. Drit-

4°3

Drittens frag'ich, wenn z. D. das Mitleid blos darum eigennützig Hessen sol, weil eia fremder Zustand vol Schmerzen zu unserem eigenen artet: welche höhere Uneigennützigkeik -.denn nur denkbar sei? Ich kenne nur die eine denkbare, daß man das fremde Ich noch heiser wie seines versorge, daß man sei» neS vergesse, verschmähe, verstosse. — Aber dann wäre ja im eigentlichen Sinne das frem­ de Selbst in meines verkehrt — der Trieb wäre nur verpflanzet, nicht veredelt — und ich hätte blos die Ichs getauscht. Denn eben darin beruhet der Nicht-Eigennuz, da­ mein e Natur troz ihrer Selbstständigkeit in den Zustand einer fremden eingeht und daß E i n Ich mehreren Ichs nachfühlt. Wie gesagt, warS möglich, eine fremde Glük» feligkeit, durchaus ohne Wunsch einer eigeti e n zu begehren und ein fremdes Ich m i t etwas anderem zu lieben als mir dem eig­ nen— eine Unmöglichkeit selber bei Gott:— so wäre nichts erbeutet, denn i ch besäse ja nur den fremden Trieb und mein Ei» Ce a

gen-

404

gennuz Ware blos in ein fremde- Ich gezo­ gen aus meinem....

*

#

*

Da ich diesen Aufsaz zweimal amgeschries -en: so bab' ich zweimal -jenes stärkende Ver« gnügen gekostet, da- unS erfrischet, wenn der Kopf die Wünsche deö Herzenö vidimieret und assekurieret. Indessen war ich doch nie so unglüklich, daß ich jemals — selber in Len frühern Jahren, wo die junge Seele die Seelenwanderung durch die Plnlosophen wie durch Thiere anstelt und bald in jenen Kopf bald in diesen fahrt — in den Körper deHelvetius gefahren wäre und mit ihm mich im schmutzigen Glauben an einen algemeinen Ei« gennuz aller Menschen — und zulezt der gan» zen Schöpfung, weil die Beweise dieselben sind —- gewalzet hätte. Warlich ich wüste nicht, was mau an sich noch zu lieben hatte ausser jener Liebe für andere und ob uns irgend ein Eigennuz unausstehlicher sein fönte aleigner. Glüklich ist derMann/ dem ein rei­ fen«

4»5 fendeS Herz und gute Menschen wie er und ein Horizont ohne Gewitter endlich die Ueber» zeugung bescheret haben, daß —so wie die magnetische und elektrische Materie derselbe Lmversalgeist ist, der die Wolken, die Zitter­ fische und die Magneten zieht, der im Nord, schein alS milder Schimmer, im Gewitter als Wekierflrahl, im Mensche» als Heiligen­ schein , in den Fischen *) als Aug und Schlag, pnd in den Nerven als Lebenszeit wirkt —glüklich ist der, sag' ich, der immer mehr glaubt, daß die Liebe, dieser menschliche Magnetismus, immer dieselbe geistige Elektrizität und Des» vrganisazion verbleibe, sie mag als Bliz irr der Geschlechter-Liebe — oder als sanfter Nord - und Heiligenschein in der Menschen­ liebe — oder als Lichtmagnet in der Freund­ schaft oder als Nervengeist in der Mutterliebe erscheinen.------- Ich preise diesen Mann darum glüklich , weil er dann nicht nur Men» Cc z scheu ♦) Die biezu gehörige 9cote wil ich, weid der Mensch glaubt, er müsse Noten schneUcr und kälter lcscn, nachher m den Text versetzen,

406 schen wie Brüder, sondern auch Brüder wfe Menschen lieben wird, ich meine, weil er; auf den Stufen der Dlutsfreundschaft zu dem Gipfel der Geisterfreundschaft getragen, dann Wieder jene durch diese veredeln und im Vater, Eobne, Geliebten, Freunde noch etwas hdheres auser dem Genanten lieben wird----- den Menschen. — Es giebt hinter die­ sem hohen Namen noch etwas höheres, dawir an der ganzen Geisterwelt lieben können: Gort. —

*

«

*

Physische Note über den Jitteral. Der Zitterfisch war gleichsam der erste Pa­ ragraph der magnetische und elektrische Materie verband, da er (nach Hunter) zugleich positiv und negativ elektrisch ist und ordent­ liche Batterien an sich hat, und da er wie die Ale, *) Der -werte oder

zwanziaste wäre der Demant,

den der Magnet ziebt nnb der gerieben selber den Mastix ziel't und, der aus dem Orient, ein Nicht­

leiter ist, und aus Brasilien ein Leiter.

407

8|se, Neunaugen, Ouappen, Schleien, Karauschen am Magnet erlahmt. Vieleicht wird der Fisch auf eine bessere Art als der Fisch Oanneö — der nach einem Fragment des Berosus, alle Wissenschaften den Men» fchen gab — der Lehrer der Phvsik, da an ihm in dieser Materie wegen der Ei fachheit der Kombinazionen leichter etwas zu lernen jjt als am magnetisierten Menschen, so wie ich eben darum glaube, daß die P f l a n z e n pnS mehr Fensterladen und Fenstervvrhange am Lehrgebäude der Erzeugung dfnra können als die nieder » Thiere, urrd diese mehr als wir. So wird die thierische Elektrizität der Fackelträger des thierische» Magnetismus werden. Ich habe mich oft geärgert, daß die Physiker meistens nur sehen und lesen, anstat daö Gelesene und Gesehene zu kombi­ nieren; noch mehr aber über die Naturger schichtsschreiber, um deren Köpfe oft mehr Heiligenschein ist als wissenschaftlicher innen, weil sie bei ihrer Einschränkung auf Einen Cc 4 Ast

40$

W und Blatfiiel ihrer Wissenschaft, so leicht ihrem optischen und mikroskopischen Fitisse den Schein des ScharsfinS zu ertheilen wis, sen. — Ich würde mich schämen, wen» ich vor Franklin ein groser Physiker gewesen wäre; — denn ich würde dann so gut wiö ändere zu meiner Schande die Witterung und die Gewitter beleuchtet und erkläret haben ohne das Licht der elektrischen Materie. Und so steht jezt rin Montblanc von aufgchäuften elektrischen Erfahrungen vor allen Kathedern und allen fehlet noch das Senfkorn deS Glau­ bens zum Heben des BergS. Ich habe zuweilen gewünscht, man svlte nach nichts fragen, sondern die physikalischen Data ordentlich zusarnrnenwürfeln und kom­ binieren wie Lessing dir philosophischen oder andere die Musiknoten. Man würde doch fe* Herr, was herauskäme, wenn man z. B. den Zitterfisch an desorganisierte Menschen, an Gewitterstangen, an Magnetnadeln Vor» und RachrüittagS (weil sie nach den Tagszciten verschieden deklinieren) hielte — oder wenn man

man in Hinsicht der elektrischen Fische -8h dächte, daß das Wasser ein Leiter und ein Leiden'scher Kondensator ist, daß die Fische in einem vom Dliz getrofnen Teiche sterben, und also sich so kalt anfühlen wie tin iso­ lierter Mensch, den ener auser Rapport be­ rührt. —------- Kurz ein Physiker solle wie der Arzt wenig schreiben, wenn er nicht so viel wissenschaftlichen Wij zu physikalische« Kombinazionen hatte alS — Lichtenberg, und dieser solle seines Orts wieder mehr schreiben. —

Cc 5

4-

4io

4« Des Rektors Florian Fälbel's und feinet Primaner Reife nach dem Fichtelberg.

Zch lese nichts lieber ass. Bücher von einige« Seiten. Jene alten Folianten - Goldbarren, die man nur auf zwei Sesseln öfnen kan, sol­ len in mehrere Goldkörner zerlegt, ich meine jedes Blar softe iy ein Bänvgen eingebunden werden: jeder käme dann leicht mit ihnen durch. Jezt aber mus der Gelehrte dieLuartanten aus Ratbebibliotbeken eutsezlich lange behalten, weil er sie nicht Heflwcise zmüktragen kan. Ja, da der anomalische F orlins auf seinen Reisen nichts von Büchern bei sich führte als die besten Stellen, die er vorher herausschnit eh' er die kastrierte Aus­ gabe verkaufte; so schlag' ich mit Vorbedacht akademischen Senaten ordentliche Universitäts­ bibliotheken aus solchen ausgerissenen Blät­ tern vor. Den

4n Den Vorzug der Kleinheit, der den grö* ffn Werken fehlet, besizr nun das Program dcS Herrn Rektors > das ich hier der Welt einhändige. ES theilt gut geschriebene Nach* richten von einer Reise mir, die ein Muster sein kan, wie Schulleute mit den Säuglingen und Fechsern ihrer Seele zu reisen haben; auch sind verständige Schulmänner von jeder so gcreiset. Ich welke anfangs das Progran» aus dem Deutschen ins — Deutsche vertieren; aber ich glaubte, es Hirse den Schwanenge* sang und den lezte« Akt der Schulgelehrsom» • leit gar absichtlich beschleunigen., wenn man den lateinischen und zizeronianischen Styl vol* lends ans dem deutschen wüife, da er ohne» hin aus lateinischen Werken langst eutwie chcn ist. Vorher nur ein Wort über die Reisenden selber. Da ich die Hunde nie mitzahlen werde — 'sie bestanden aus zwei Spiz-drei Wachtel* Hunden der Primaner und einem Sauflnder deRektor-—so setz' ich die Marschsäule nur vier*

4ir

vierzehn Mann stark an, nämlich einen Do­ zenten , zwölf Eleven und einer Tochter deSchul-Doge. Leztere fuhr wie eine Athe­ nerin , allein in einem Kabriolet: auf beide» Seiten faste das mitschreitende Fusvvlk dat Fahrzeug ein wie eine Wache den an den Lei­ terwagen befestigten Arrestanten, und anfdem Bocke fas die Primauerbank wie die RegenS» burgische Kurfürstenbank, alternierend, wie «twan beim Bauerranze di« Putsche einander im Streichen und Raspeln der Dasgeige ab­ lösen. Im Kabriolet war hinter dem Futter­ kasten für den Gaul einer für den Reise-Kongreö; der Lebrer kante die DoShcit vieler Wirthe zu gut; daher wurden auf seinen Rath von der Prima (plana) die ihn hörte und be­ gleitete, mehrere Stecken geräucherter Würste zusammengeschoffen und er gab noch dazu die Tochter her, die alles samt der Beikost kochte. An jeder linken Hüfte — so leicht ist Krieg mit Wissenschaft zu paaren — lag eine Harpune, ein accentus acutus; und die zwölf

4*3 zwölf Schwerd-Fische hatten damit den alten Weisel boshaft niederstechen können, weim's wäre begehret worden. Der Schul-Maire selber hatte nichts an den Hüften als eine gefchmakvolle robe de Fantaisie: in ihnen ha«' er weniger. Dom Rektor sag'ich nichts: sein Program selber sagt eS, wie er lehrte, lernte und schrieb: im Wirthshaus resorbierte er mit den lympha­ tischen Milchgefäsen des Papiers allen gelehr­ ten Milchsaft, den eine Reise kocht und «nterwegeS hielt er seine Schreibtafel de» wich­ tigsten Erkrementen des Zufals und Bleistifts unter und fieng auf was kam. Aber daS sei mir erlaubt, die zwölf Musensöhne zu betrach­ ten, die ebenfalS zwölf pergamentene Rezi­ pienten und Behälter alles Merkwürdigen hin­ halten und alles, nicht sowol wie Hoqarth auf den Daumen-Nagelskitzieren, als mit solchem: ists denn gar zu übertrieben, wenn ich denke: in zwölf solchen ausgespantcnPrelund Auggarnen mnste sich warlich ja alles, was nur gelehrten Jungen und Gaumen vorzulegen ist,

414

Ist, bis auf jede Spizmaus «nd jeden Hotel» Floh verfangen undesverblieb, warß auch durch eilf Garne hindurch, doch im zwölften seöhaft? •— Sogar die sechs Hunde reifete« nicht völlig ohne Beobachtungsgeist, sondern strichen und merkten überal, wo sie auf etwa? Erhebliches stiesen, es sofort mit Wenigen an und hoben Bctheuerungcweise dao Hinte» bei» auf. — Nein, eine so gescheute Reise kan gar nicht mehr gemacht werden, so lange die Erde auf ihrer ist. Und hier ist sie selber: nur werd' ich zu» weilen persönlich aus dem Parterre unter die Spieler steige» und darein sprechen, weil mir sonst daö Abschreiben deS Programs zu lang» weilig ist und weil auch der Prvgrammenma» cher eines und daS andere sagt, daS ich besser weis. Ein armer Teufel, den ich studiere« lasse und der mit lies, ist meine Quelle. Michaelis-Program re. „Mein lateinisches Osterprogram, da­ erweisen solle, daß schon die ältesten Völker und

4'5 und Menschen, besonders die Patriarchen und klassischen Autorensich aufReisen gemacht — von welchen leztern ich nur den Lenophvn und Cäsar, die zwei tapfersten Stylisten, mit ihren Armeen wieder zitiere — führet viel­ leicht einige Autoritäten auf, die den Schul­ mann decken, der mit seinen Untergegebenen kurze Ausflüge in deutsche Kreise thut. Ich hielt es fürschiklich, meinem vorhergehenden Program meine Schulreife im Voraus zu recht­ fertigen; bevor ich anö jetzige gienge, daß ich für ein kleines Inventarium mancher aufgele» senen Schätze zu nehmen bitte.

Inzwischen da in den engen Flächenin­ halt eines Michaelis-Programma wichtigerer topographischer, statistischer x. Kubikinhalt unmöglich zu bringen war, und da ich über­ haupt meinen siereometrischen und sonstigen Fund einem geräumigern Werke aufspare: so suche der Leser auf diesen Blättern mehr die Geschichte als die Entdeckungen der Pilger— »6 lassen wol beide sich lesen. Di«

4i6 Die Herren Salzmann und Weife—anderer zu geschweige» — haben der Welt

(ich entscheide nicht, mit welchem Elük) zu zeiqen gesucht, wie ein Lehrer halbwüchsige

Zöglinge gleichsam auf die Weide einer Reife treibe« müsse; aber sie haben immer andern

Schulmännern daö Recht nicht benommen,

Ihre Walfarthen mir einer bejahrten Schulju» gend, die im Gängelwagen weniger

sieht

alö zieht, ans Licht zu bringen. Ganz mntbig dürst' ich den Herren Echo»

larchen und Nutriroren unsererSchule über Zeit»

und Geldaufwand zur Rede stehen, sobald ich meine Bleifeder verwiese, die ich auf dem ganzen Marsche nicht in die Tasche brachte,

sondern wie eine Leimruthe aufstekte, an die

sich was sehenswürdig war leicht ansezte. Eben so schoS der Salpeter des Meikwürdige»

an den zwölf Salpeterwänden meiner Schüler

au,

wenn ich die zwölf protokollierenden

Schreibrafeln.so neunen darf, womit sie aus« gerüstet waren; und wurde ihnen denn nicht

tinige Apharrsis, Synkope und Apokope der Lust

417

Lust reichlich genug durch wahre Prothesi-, Epenthesis und Paragoge des Wissen- erstatt tet ? — Ich unterwinde mich nicht, zu be« stimmen, in wiefern wir uns von einem und dnn* andern junge» Edelmannes) abtrennen, -er blos für sein Vergnügen hnd> Eurrpa fnßrt und oft auf seinem Reisewagei. au- e.i.er Dallei in die andere rollet, ohne eine Schreib­ tafel rinzustecken geschweige hrrauszubrinaen. Soll' er aber mit seinen fünf Sinnen be» Nächtliche Krntviss« au- allen G>anz« und Hauptstädten einfassen und einsargen, sie aber sämtlich im Fabrcn rein wieder duichsikkern und durchfallen lassen: so wicht' er der Menschlichen Seele gleichen, die (nach dem pythagoreischen System) die grande tour durch Thiere und Menschen macht nnb die doch, wenn sie sich im lezten Menschen ein«

scjk, *) Die Troglvdyte» rmd Sikiaartbiere der Museen, tute Fälbel, theilen alle Menschen in geräumige Logen ab — z. B. den teilen, niedern, LandStadt-Adcl, den Ätcl im Dienst, bei Hofe, m Aemtern, theilen- sie itt lauter Edelleute ei».

Dd

4*8

sezt, nur gerate so viel von allen ihren Schul­ reifen noch im Kopfe mitbringt als sie in der Minute besaö, da sie inS erste Thier einstieg, nämlich platterdings nichts. Wenn ein groser Cäsar in seinen Kom­ mentarien oder Friedrich II. in den seinigen bescheiden das Ich mit der dritten Person ver« tauschten: so geziemet es mir noch mehr, an die Stelle meines Ichs nur meinen Amtsna­ men zu setzen. Den zwanzigsten July brach der Rektor, (der Verfasser dieses) mit seinen Nomaden auf, nachdem er ihnen vorher eine leichte Rede vorgelesen, trorin er ihnen die Anmnrh der Reisen überhaupt darrhat und von den Schulreifen insbesondere foderte, daß sie sich vom Lukubrieren in nichts unterschieden als im Sitzen. Auf dieses Marschreglement und Missiv, wieö er nachher auf dem ganzen Wege absichtlich zurük. Es ist mehr stabt-als landkündig, daß eine hübsche acerra — nicht philologica sondern — culinaria, näm­ lich ein vierrädigeö Proviantschif samt dem darauf

419 darauf fahrenden Küchen-Personale, welche» die Tochter deS Rektors war, und die Straf­ kasse von l2fl. frank, als Diätengelder gleich­ sam die fröhliche Morgenröthe waren, zu der die Reisegeselschaft auf ihrer Thürschwelle hof­ fend aufsah. Jeder Primaner führte siat einer elenden Dadinen-Gerte oder stat der Narren­ kolbe eines Geniepfahls eine» nüzlichen Mes­ stab — denn Mestisch und Schnüre lagen samt einigen Autoren schon im Kabriolet, — weil ja der Fichtelberg und die Strasse dahin von den herlichsten Gegenständen zum Messen wimmeln. Am ersten Morgen hatte man zwei Rei­ sen auf einmal zu thun, die auf dem Wege und die auf der Karte davon, welches unge­ mein beschwerlich und lehrreich ist. Der Er« kurrenz *) trug eine aufgeschlagene Spezial­ karte vor sich hin, auf der Fälbel allen leicht das Dorfzeigte, wo sie jedesmal waren; und da man auf diese Weise allemal den Füssen Dd 2 mit •) Ist unter den Schülern jeder Klass« der frire servant.

mit de» Fingern, (wiewol vier Schuhe höher, auf der Karte) nachrcisete: so war vielleicht

Mozion mit Geographie nicht ungeschikt ver­

kettet.

Gegenden, Merkwürdigkeiten, Ge­

bäude , die natürlich nicht auf der Karte vor» zuwciscn waren und vor denen man doch eben voibeipassierte, mnsien aus dem Düschiug

geschöpft und gclehret werden, den der vife

Pflcgsohn des Herrn

Monsieur

Fechser der Gesclschast allezeit über die Ort­ schaften vorlas, wodurch sie eben zog.

Der

Rektor würde von Herzen gern von den mei­

sten Dörfern neben der neuern Geographie auch

die miilere und aste mitgenommen haben: waren beide lezterc Geographien von ihnen zu

haben gewesen; aber leider zeigen nur wenige eure*) Es ist mein Pfletzsosin, ich lösche aber hier mit Recht Lobsprüche treg, die der Herr Rektor wol nur meinem Stande und dem Zufälle entrichtet/

daß ich für das Gymnasium einen Schüler mehr

dotiere und appanaqiere.

Auf allen künftigen

Blättern des Proarains wo ich vorkomme,

Wil

ich Fälbels Titulaturen weasireichen und dafür in

den Tert setzen: Fechsers.

Herr Pfleö'oatcr des Montieur

411

europäische Lander wie etwan die Türkei Ort­ schaften mit doppelten Namen ans. Uebrigens ist der Rektor seitdem vvlkvmmen über­ zeugt, daß die homannischcn Karren nicht­ langen — in der That, wenn aufihnen (nicht ans der Gegend) ganze Einöre», Wasenmeisterhütteu, anespiii'.gende Winkel der Ufte entweder ganz mangeln (wie z. D. ein Pulver­ magazin nahe bei Hof und rin etwas wei­ ter abgelegenes Spinhauo) oder doch dasttzett in ganz falschen Entfernungen: so kan man trol fragen: ob, wenn man von diesen Ge­ genden mit der camera oiscurafitifn Auf» riö nähme und dann die Karte über den Auf» ris legte, ob da wol beide einander 'decket» würden wie zwei gleiche A? — S bcuds wanverte die püdogogische Knapschaft und ihr Ladenvatcr im adelichen Pfar-e botst Töpenin Dolgtland ein. DaS alges meine Logement war im Wirthshaus, das der Vatikan oder das Louvre des adelichen Rit» terguthsbesitzeeö stets anschauet — ich sage Louvre, nicht in Vergleichung mit demPalLd z last

423 last de- Nero, der ein kleine- Rom im grvfen

war, eine Stadl in der Stadt (conf. Foss, var. observat.) ,

sondern in Vergleichung

mit den zellulösen Karthausen und vier Pfah» len und Hattouischen Mäuserhürwen eine-

pnd des aridem Schulmannes,

Sapienti

tat! — —

Als der Rektor hinter seiner Tochter und

seinen Söhnen eintrat: fließ ihm daß Unglük zu. daß er seinen Wirth nicht griffen konte.

Die sämtlichen Hunde der Reisenden hatten zwei Töpener (es war der Spiz- des Haußwirths und der Hühnerhund des Jagers) bei

den Haren und Ohren.

Die Thierhatze wur,

de algemein und kein Hund kante wehr den

andern.

Der Wirth, ein Mann von Muth

und Kopf, legte sich zuerst zwischen die beis­

senden Mächte als Mediateur und suchte sich

zuvdderst den Schwanz se i n es Hundes her»

auszufangen und weite ihn an diesem Hefte

aus der verdrüslichen Affaire ziehen.

Meh»

rere folgte« nach und jeder ergrif den Schwanz

des {einigen.

Und in diesem Wirwar,

als

die

42Z

hie Tochter des Rektors darein schrie — ol­ der Jager darein schlug, mit einer Reichs» «rekuzionspeitsche auf Menschen und Dich — als die Eigner da standen und gleichsam die sechs Schwanz-Register herausgezvgen hatten und als daher so zu sagen das Schnarwerk des Srt gelweiks gieug und die Tumultuanten bot« len— und als der Rektor selber bei diesem Fricdeuskongres ein Fricdensinstrumenk, nam» lich den Schwanz seines Saufinders, iy Hän­ den hatte: so war er, mit Roth im Stande-, das Salutieren nachzuholen mid zum Wirthe zu sagen: „ guten Abend!" — Plutarch, der durch Kleinigkeiten seine Helden am besten ma, let, und die Odyssee und das Buch Tobias, die beide Hunde haben, müssen hinreichen, gegenwärtige Aufnahme einer kleinen scherz­ haften Gato-undOnoskja-Machiezu decke»." — Herr Falbel trifts. Ich ärgere mich, wenn die Menschen mit dem Namen „Klei­ nigkeiten “ schelten? Was habt ihr den an­ ders ? Ist denn nicht das ganze Leben — blos seine erste und seine leztr Minute ausgrDd 4 nom-

4*4 nommen— daraus gesponnen und kan man nicht alles Wichtige meinen zusammengedrehtrn Strang von mehrerern Bagatellen zerzausen? — Unsere Gedanken ausgenom­ men, aber nicht unsere Handlungen/ kriecht alles über Sekunden, jede grose Tbatjedes groi'e Leben zeispringt in den Staub der Zeittbrile; — aber eben deswegen^ da alles Grose nichts Ist als eine grössere Zahl von Kleinigkeiten, da also die Vorsehung entweder Kleinigkeiten und Individuen odeb gar nichts auf Unserem Rund besorgen rvnS, weil diese nur daS Ganze unter einem länger» Namen sind: so konnt die Gewisheit zu »ns, daß der überirdische Genius nicht blos die Schwung» aber des Universums und die Strö­ me dazu schuf, sondern auch jeden einzeluen Zahn der Rader." ... „Abends wolten einige Schüler auf die Berge gehen, andere im Dorfe herum, zwei gar zu den allergemeinsien Leuten; aber der Rektor sezte sich dagegen: er stellcte denen, die Abends die Narur beschauen wollen, vor, daß

42$

daß morgen ohnehin (nach seinem OperazkonS» und Reiseplan) natürliche Theologie und Ver­ gnügen an der Natur dozieret nnv rekapitu­ lieret werden müsse. Der Rektor, welcher gerne glaubt, ein Schulder Knüffe seine Scho­ laren auf Reisen zu belustigen trachten, wie sogar der Neger-Handelsher die Sklaven z« tanzen, zu singen, zu lachen nöthigt: dieser gab ihnen Befehle zum Lachen, sezte sie um sich herum und scherzte ihnen au einem ovalen Tische nach Vermögen vor. Ich gestehe, Scherz ist stathäft und wenn der, selber schcrzhafte Zizero richtig bemerkt, daß gerade ernste Manner gern und glüklich spasscn: so möchte wol mancher bestäubte Schulman mehr äch­ ten Ansaz zu lachenden Sature» *) verschlies­ sen als viele gepuderte Possenreisser, auf ähnliche Weise bemerkte auch der Graf von Düffo», daß die meisten Nachtvögel, bcsouDd 5 der§ ») So schrot' ich Satire, weil tiefe nach Kastmbou vom Wort S.itara l ertönn, d. I>. eine €i'ift von tuntswelkigen Jn!>a!r; daher lanx satura ein« Kompekierc mit «uerlei Oe st.

426 der- die Schubut-Eule (Minervens und Atbeng

Vogel) troz ihrer altvaterischen Aussenseite

überströmen von Schnurren, Schnacken und Karaklerzügen. Der Abend verlief ungestöhrt: blos über

den vollen Stecken geschwärzter Leberwürste den Falbel bereinzuhole» befahl und auf den sich die Kirwane,

gleichsam wie auf einen

Fiucktast sezte zum soupierenden Abpflücken,

ringelte und fglbelre der Wirth sein Gesicht selber zu einem Wurst-Endgen zusammen

(wens nicht über etwas andere war)— genug

Falbe! bekümmerte sich wenig um das Gesicht

und lies es fälbeln.

Er bestelte lieber für

sich und seine Geselschafrskavaliere den ganze«

Fuebvden zum Nachtlager:

blos ein mei se-

durger Fuhrmann lag neben seiner Tochter,

als Strohnachbar. Dennoch übcrsezte uns sämtlich am Mor­

gen darauf der Wirth in seiner Liquidazion

um zwei bis drei Kreuzer leicht Geld und zwar an demselben Morgen, wo der Rektor

daö Vergnügen an der Natur vorzutragen hatte.

4-7 hatte.

Aber Falbel glaubte seinen Schülern

dos Muster einer erlaubten Sparsamkeit da­

durch zu geben, daß er anfieng mildem Trai­ teur zu fechten und ihm seinen Abstand von

den Hernbuter- und Loudner-Kramern, die LichtS darüber schlagen, so lange unter die Au, gen zu ballen, daß er wirklich einen Gro­ schen herunterhandelte und daß der müde Wirth

giftig fluchte und schwor, er wolle den Rektor und seinen Rudel lroz ihren Bratspießen, wenn

sie wieder Geräuchertes bei ihm zehren wol, ten, mit Heugabeln und Dreschflegeln empfan­

gen.

Ein lächerlicher Mann!

Fälbelö Methode auf lehrreichen Schul­

reifen ist, jeden Tag eine andere Wissenschaft kursorisch vorzunehmen: heute solle die Gcsel-

schaft vier Ackerlängcn vom fluchenden Gar­ koch die schöne Natur betrachten unter Anlei­ tung von S turm S Betrachtniigcn der Na­

tur den ersten Band.

Sturm wurde anSge,

pakt und aufgeschlagen und jezt war erforder­

lich, daß man die Augen vergnügt in der gan­ zen Gegend hetumwarf; aber ganz fatal liess

ab«

428

ab. Nicht etwa darum, weil Regenwolke» mir Per -Lonne aufgicngen und weil der Rek­ tor die Stmmische Betrachtung über den drit­ ten Jan» und über die Sonne plözlich wieder znmachen muste, da er kaum die schönen Worte übgelesen: „ich selbst suhlt die belebende Kraft der Senne. Sebald sie über meinen Scheitel aufgeht, breitet sich neue Hcilerkeit in meiner Se'e aus." — Denn das verschlug wenig, da ja zum Glük in den nämlichen Band auch «ine Betrachtung auf den sikbenzchinen April und über den Regen eingebunden war, die inan denn augcnbliklich anssuchte und verlas: sondern das eigcmliche Unglükdabei war, dass, da (es wird wegen der Kürze eines so lange» Piogrammes der Rektor künftig sagen ich) ich folgendes hatte vorbetrachten lassen: „jn dem eigentlichsten Verstand verdient der Re­ gen ein Geschenk deS Himmels genant j» werden. Wer ist im Stande alle Vortheile des RegenS zu beschreiben? Lasset uns, meine Brüder, nur einige derselben betrachten! dass ich dann abschuapee, weil ich musie—— und

429

und wahrlich, wenn vor einem Präzeptor, der

mir den Seinigen Stürmische und eigne Be­

trachtungen über den Regen auf der Kunsts prasse anzustellen vorrat, jede Minute Freis

schende Fuhrmanswagen mit stinkendem Kab-

liau vorüberziebcn, mircr deren ein keisender Hund unversehrt mit hinsprlugt— wenn fers uer taumelnde Kohorten von Rekruten, die den Schulman noch starker ansingen ur.daus­ lachen als feinere Werbofsizicre selber und wenn Ertraposten, die er gräffen sol, ihm

über den Srrasscndam entgegcntanzcn: so mus

er wol den Pastor Sturm einstecken, eö mag regnen oder nicht. Unverrichteter Sachen kamen wir nach

A e dw i z herab. Eine schöne englische Pappelinsel — dem Gutehern angehörig — suchte uns über'eine Foiilcmtc Holzbrücke in

sich zu ziehen; aber der Rektor würde sch die­ sen Eintrit in ein fremdes Gebiet nicht heraus­

genommen haben, wenn nicht der erörterte Monsieur Fechser versichert hatte, „er vers antworte es, er kenne den Koch."

In der 2n-

430 Insel wurde so viel ausländische Botanik als -a so zu sagen wuchs, getrieben und ich gicng mit meinen Schülern um die Baume herum und klassifizierte sie meistens: die botanische Lekzion hielt vielleicht für die Stürmische schadlos. “ — — Unter der Klassifikation fönte Kor­ dula, seine Tochter, hingehen, wohin sie »volte. Der grose Edukaziensrath oder Evu« lkazionsprasident fragte niemals viel nach ihr oder nach Weibern: „Weiber, sagte er, sind wahre Solözismen der Natur, berrn peccata splendida und Patavinitat, oder geborne Kolumbinen und schlafende Monaden. “ Die arme Kordula hatte langst ihre Mutter, die zugleich ihr Vater war, durch den Todesengel von ihrem Herzen wegführen ^ehen: der alte Stürmische Betrachter hatte sie in die lezte Hütte—gleichsam die Stiftohütte eines künf­ tigen Tempels — hinuntergezankt. Kordula wüste wenig, las nichts als was sie SontagS sang, und schrieb keinen Buchstaben alS den womit sie schwarze Wasche signierte und sie war

431 war weiter nichts als schuldlos und hülfloS. Ihr Vater lies wie die meisten Schulleute — durch die Römer verwöhnt — nichts einer Frau zu, als daß der Körper ein Koch wurde und die Scle eine Köchin. Sie schlich sich heule mit ihrem zusammengedrükten Herzen, in dem noch keine Leiden gewesen als wahre, und das noch nicht von artistischer Empfind­ samkeit bis zum Laöm- und Schlafwerdcn auf- und zugezogen worden, von der gcle'rte« Menge ab und sezle sich an das Ufer des Wasser-RingeS, der die schöne Insel wie ein dnnst»vllerHof den Mond umfasset, und sah eine Pyramide jenseitSdcs Wassers für ein Grab­ mal an, weil sie keine andere Pyramiden kanre als die über Sargen und weil ihr heute getraumet hakte, ihre Mutter habe wieder mit unverwesten Lippen gelächelt und ihren Arm liebend nach ihr ausgestrekt aber er sei zu kurz gewesen, weil die Hand davon weggcfallen war. Die kunstlose Kordula wüste nicht, welches Drukwerk ihr Herz auöeinanderpresse— sie errieth es nicht, daß der mit einer

«»■

einer blutigen Morgenröthe übersprizte.Him­ mel, und daß die zusammenfliessende Gras»

mückeu-Kirchenmusik im Tempel der Natur; daß daö ruhige Wiegen und Taumeln der Pap­ peln und die Regentropfen, die ihr Schwan­

ken gleichsam vergos, daß alles dieses ihre einsame Scle trüber machte und das öde Herz schwerer und das kalte Auge heisser. — —

Sie hielt die Schürze,

mit deren Frisur

die Mutter ihre Näharbeiten beschlossen halte,

aufmerksam und nah an die Augen und begrif nicht, warum sie beute die Naht daran nicht

deutlich sehe und dachte, als sie die £1 opfertaus den Augen wegsireifte, sie waren reu den

Pappeln gefallen. ...

Aber der Alte, der

befahren muste, sie werde zu naö, psif die Beklommene von ihrer Schürze weg ins Zelt

unter die Primaner zurük. — ■—

O eS-

jst mir jezt als sah' und hört' ich in alle eure

Hauser hinein , wo ihr, Düker und Ehemän­ ner mit vierschrötigem Herzen und dicksiämmi,

ger Sele, beherschel,

ausfchelter,

und ciuquerschet die »reiche Sele,

abhartet

die euch

lic-

433 lieben wil und Haffen sol — daS zerrinnen» de Herz, das eure kokhigen fchwülichten Fau« sie handhaben—das bittende Auge, das ihr

anbohrt, vielleicht zu ewigen Thränen — — 6 ihr milden, weichen,

unter schweren fin­

stern Schnee gebükren Blume», was wil ich euch wünschen, als daß der Gram,

eh' ihr

mit besudelten, entfärbte», zerdrükren Blat­ tern verweset, euch mit den Knospen umbeu­

ge und abbreche für den Frühling einer andern Erde?— Und ihr seid schuld, daß ich mich

nicht so freuen kau,

wenn ich zuweilen eine

zartfühlende unter einer ewigen Sonne blü­ hende Schwester von euch finde,

eine hau­

chende Blume im Wonnemond: denn ichmuö

denken an diejenigen von euch, deren ödeö

Leben eine in einer düstern Obstkammer durchfrvrne Dezembernacht ist. — — Und doch

ka» euer Herz etwas schöners thun als ster­

ben : — sich ergeben.------------

.Ich wünschte,

ich wäre mit neben dem

Kabriolet hergeqangcn und harte die stille Kor­ dula in Emem fort angeschauet. — — E e

Auf

434 Auf der Strrisse nach Hof 'sagt' ich mei­

nen Primanern,

sie solten die Bemerkung

machen, daß daS bavreuthische Doigtland mit mehrerem Produkten ausgesteuert sei, mit

Korn, Hafer, Kartoffeln einigen Obst (fri­ schem und gerroknetem) und so weiter; aber man könte nicht angeben, wie viel»

Auf dem Thurm dlieS man gerade herab, als man mich und meine Genossenschaft die

Gassenstcine Hofs betreten sah.

Ich werd'

«ö darum niemals wie andere aus affektierter

Furcht vor Eigenlobs unterdrücken — denn eben dadurch verrath man das grcste; und eS

müssen ja nicht gerade schmeichelhafte Ursachen gewesen sein, — daß bei unserem Einmarsch

alle Fenster auf-und alle Köpfe darhinter her­ ausfuhren : deutsche Schul - und lateinische

Gymnasiumejugend sah unö nach, Ladenjun-

gen standen barhaupt unter den Laventhürrn und wer in ein Haus wolte, stokle unter dem

Portal.

Ich erfragte mühsam einen Gasthof

für Fuhrleute, weil ich wie Swift, liebsten logiere.

da am

Es hätte mich in Verlegen,

beit

435 heit setzen sollt», daß, da ich vor der fächsie scheu Post das Kabriolet und dessen Kronwache halten lieS, »veil ich einen frankierten Brief da abjugeben hatte, den ich selber so weit ge­ tragen, um ein massigere-Porto zu erschwin­ gen , daß alsdann, sag' ich, ein schöner ange­ nehmer Mensch mit einer grün - taftenen Schürze unter »ms trat, der — weil er un­ leider für frische Einkehr ansah; denn daPosthauS ist zugleich im grosen brandenburgi­ schen Gasthof — meine Tochter herabhebm und unS alle empfangen wolle. Ich kam aber nicht sehr ausser mir und repetierte gleich­ gültig meine Nachfrage nach einem gemeinem Gasthof; und eS war schön, daß der junge Mensch unS mit einem freundlichen Lache» zum Thore wieder hinauöwieS — was wir denn thaten. Ich lieS meinen Bart mitte» in der wei­ te» Wirthsstube und unter käuenden Fuhr­ mans, Geklüften, von einen» Primaner ab­ nehmen und mein Haar vom ErkurrenS auf­ locke»» : indes unsere Erbkücheumeisterin unser Ee 2 ge.

436 geräuchertes Gedärm anS Feuer sielte. Möch­

te der Himmel eS fügen, daß ich das arbeit­

same Kind bald in einem guten adelichen Hause als Zofe anbrachte!

Ein Reistdiener aus einem Handelshause

in Pontak diablierte und sakredienrte am Fen­

ster ungefragt über die besten deutschen politi­ schen Zeitungen und beschmijte besonders die

Herren S.T. Girtanner und Hofmann mit solchen Ekelnamen und Verbalinjurien —-

wovon ich mir keine nachzusprcchen 'getraue als den geringern von Narren, von Fal ericrn

der Zeit und von geistigen Myrmidonen — daß ich unter dem Einscife» wünschte, stat

meiner würde der Reichsfiskal barbiert oder

erzittert und nähme einen solchen Frazen beim

Flügel.

Der gallikanische Tropf gab sich

Mühe, sich anzustelleu als wenn er mich und mein reisendes Schnrpfenrhal gar nicht sahe

oder würdigte, obgleich der Geringste unter meinen Leuten mehr von Rebellionen und Re­

gierungsformen — zumal alten — wissen mus als dieser Frankreicher.

Ich fönte nur lei»

437 leider unter dem Rasiermesser die Kinbacken nicht bewegen, um seinem Unsinn entgegen zu arbeiten; aber kaum war ich unter dem Messer hervor, so naher'teich mich dem Men­ schen höflich und war willens, ihm seinen Ir» weg und seinen demokratischen Augenstaar zu nehmen und ihn aufzubellen. Ich verbarg eS ihm nicht, ich hakte nie etwas aus der Nazionalversamluug gemacht und die Begriffe, die ich meinen Untergebenen von der jetzigen französischen Vergatterung beigebracht hatte, waren ganz von seinen verschieden. „Ich gebe indessen doch zn, (sagt'ich und gieng mit dem Schlucker wider mciu'en Willen wie mit einem Gelehrten um) daß die französische Rottierung weniger diesen Namen als den eines förmlichen Aufstandes verdiene, da sie nicht nur so viele Menschen als die Gesetze zu einer Rebellion oder turba erfordetn, näm­ lich fünfzehn Mann (L. 4 §. 3. de vi bön, rapt.) wirklich aufzeigt sonder» noch mehrere. Aber Sie müssen mir auch wieder die Strafe einräumen, die die alten vbwol republikaniLe 3 scheu

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scheu Römer auf Aufstände legten, Kreuzes» tob, Deportation, Dorschmeissen wor Thiere; ja wenn Sie auch als Christ es mildern und wie Kaiser Justinian, unser Gesezgcber, sich «ur deS Galgens bedienen wollen — und da­ müssen Sie, da sogar die Deutschen, die sonst Mörder und Strassenränder leben liefen, den, «och Tumultuanten henkten — sehen Sie nur Hellfeldcnnach—so sind Sie im­ mer nicht so mild als die alliirten Mächte, die die Nazion, weil sie sich in eine Soldates­ ka verkehret hat, auch blos nach dem Kriegs­ recht strafen und nur arquebusieren wollen. " Da ich sah, daß ich dem Reisediener zu schwer ward: so bewarb ich mich nm Deutlichkeit auf Kosten der Gründlichkeit und wies ihn darauf hin, daß Deszendenten ihren Vater (oder primum adquirentem ) Gymnasiasten ihren Rektor und folglich Landeskinder ihren Landesvater unmöglich beherschen, geschweige ab» setzen kdnten. Ich legte ihm die Frage vor, ob denn wol das frankreichische Hysteronproteron möglich gewesen wäre, wenn jeder (lat der

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der französischen Philosophen die alten Auto« res edieret und mit Anmerkungen versehen hätte; und ich ersuchte ihn, mir es doch einigermassen aufzulösen, warum denn gerade mir, noch nie ein insurgierender Gedanke ge­ gen meinen gnädigsten Landesbern eingckommen wäre. „Der Grund davon ist, sagt' ich selber, ich treibe meine Klassiker und verachte Paine'» und seines Gelichters — obwol ich sie alle gelesen — ganz." — Mich ärgerrS, daß ich dem Haselanten noch Vorhalten wolle, daß schon die Könige der Thiere, z. B. der Oeierkdnig, der Adler, der Löwe ihre eigne Unterthanen aufzehrten — daß ein Fürst, wenn er auch nicht einem ganzen Volke wohlwolle, doch einige Individuen daraus versorge und also immer gerade daö Umgekehrte jener von französischen Philosopben ersonnenen götlichen Vorsehung sei, die nut Gattung, nicht Individuen beglücke — und daß überhaupt gerade unter einer donnernden und blitzenden Regierung sich ein treues und ge­ duldiges Lanceskmd am meisien erprobe, so Ee 4

wie

44® wie sich der Christ gerade in Nöthen zeige« Kurz ich weite den Menschen eines öffentli­ chen Aeitungskellegiums werthhalten; aber der republikanische Haase sang pfeifend in mei­ ne Belehrung hinein und gieng ohne ein pro­ saisches Wort zu sagen so zur Thüre hinaus, daß mir fast vorkam, als verachtete er meine Reden und mich. Indessen bracht' ich diese Belehrung bei meiner Jugend an, wo sie mehr verfieng; ich habe sogar vor, wenn wir die Rede gegen den Katilina zu erponieren be­ kommen, ihnen deutlicher zu zeigen, daß die Pariser Katilinen, Cäsars und Pisistraten sind, die ins alte Staatsgebaude ihre Mauerbrecher setzen. ... Man verstatte mir folgende Digression: ich forschte einen halben Tag in meiner Biblio­ thek und unter den Nachrichten von den öffent­ lichen Lehrern des hiesigen Gymnasiums nach, wer von ihnen gegen seinen Landesfürsten re­ bellieret habe. Ich kan aber zu meiner un­ beschreiblichen Freude melden, daß sowol die größten Philologen und Humanisten ■— ein Ca-

441

Camerarins, Minellius, Danz, Ernest», ttr zizeronianische Sprachwerkzeuge uiiD rö« mische Sprachwelle» besas, Herr Heyne, die Edrestemathen Stroth und audeie rc. — als auch besonders die verstorbne Session hiesiger Echuldienerschaft von den Rektoren bis zu den Luintussen (ifielus.) niemals tnmultuiret haben. Männer spielen oder defendieren nie Insurgenten gegen LandcSvater» und Mütter, Manner, die sämtlich fleissig und kränklich in ihren verschiedenen Klassen von acht Uhr bis eilf Uhr dozieren und die zwar Republiken erheben, aber offenbar nur die zwei bekan» ten auf klassischem Grund nnd Boden, und daS nur wegen der lateinischen und gricchi« schon Sprache. DaS Doziere» und Speisen war vorbei; und wir hätten gut die Hüte nelunen und H o fs öffentliche Gebäude besehen können: wäre mir nicht die Sorge für ein primum mobile vbgelegen —- für Gestus. Ich sprach den Wirth um seine obere Stube nur Ee 5 borgS-

442 Lorgsweise an (das Bezahlen verlohnten wol die wenigen Minuten nicht), weil wir droben nichts zu machen hätten als wenige leise eie» gante Bewegungen. Ich lies es nämlich schon lange durch ei» nen meiner Schüler (deS grösser« Eindruks wegcn) in einer öffentlichen Redeübung fest» stellen, daß der äussere Anstand nicht ganz ebne sei. Fiemde Menschen sind gleichsam das Pedal und Manual, welche- gelenk z« bearbeiten ohne ein Dachische Finger- und Füssesetzung nicht möglich ist. Ich merke am allerersten, wie sehr ich dadurch von sonst ge» lehrten Mannern abweiche, die solche poeti­ sche Figuren des äusser« Körpers nicht einmal anempfthlen, geschweige damit selber vorzu­ leuchten wissen. ES sagt aber Eeneka c. z. de tranquill. ganz gut: „niemals ist die Bemühung eines guten Bürgers ganz unnüz; denn er kan durch bloses Auliören, Ansehen, Aussehen, Winken, durch stumme Hartnäkkigkeit, sogar durch den Einhergang selber stach»

443 fruchten (prodest.) "

Und solle so et»

was denn nicht zuweilen einen Schullehrer er» wecken, immer seinen Kopf, Hut, Stok,

Leib und Handschuh so zu halten, daß seine Klasse nichts einbüset, wen» sie sich nach die­

ser Antike modelt. — „Wir werden heute, sagt' ich in der obern Stube zu den Mimikern, Menschen von dem vornehmsten Stande sehe» müssen, wir werden uns inS Schulgebäude

und in das Billard verfügen — überhaupt werden wir in einer Stadt auf und abfchreitcn,

die den Ruhm äusserer Politur schon lange be­

hauptet und in der ich am wenigsten wolle, daß ihr den eurigen verspieltet — zum Bei­ spiel : wie würdet ihr lächeln, wenn ihr auf

Ansuchen in Geselschaft etwas zu belächeln

hattet? Monsieur Fechser, lächl' Er saturisch! " Er trafS nicht ganz — ich linierte ihnen also auf meinen Lippen jeneö feine wol

ausDoch hier ist bas bessere Original: ntmquam inutilis est opera civis boni; auditu en im, visü, vultu, nutu, obstinatione tacita incessttque ipsd prodest.

444

auseinander gewundne Normal-Lächeln vor, das stets passet; darauf wieS ich ihnen das peccierende Lachen, erstlich das bleirechte, wo der SpaS den Mund, wie ein Pflok den Eber-Rüssel auf dem Pürschwagen, aufstülpt, zweitens das wag rechte, das in sofern schniherhaft werden kau, wenn es den Mund bis zu den Ohrkappen aufschneidet. Mein Auditorium kopierte mein Lächeln nach und ich fand solches zwar richtig, aber zu laut. Nun wurden Verbeugungen rekapi» tuliert und ich nahm alle gymnastische Uebun­ gen der Höflichkeit bis auf die kleinste Schwen­ kung durch. Ich zeigte ihnen, daß ein Mann von achter Lebensart selten den Hintern vor­ weise, welches ihm freilich enisezliche Mühe macht. Ich gieng daher zur Thüre hinanund kam wieder herein und zog sie mit der leeren Hand so nach der Anstand- Syntaris zu, daß ich nichts zeigte — „man fei, sagt' ich, da man das Ende des Menschen wie das eines Garten durchaus verstecket halten mus, lieber mit dem Ende selber die Thüre zudrücken oder

445 ober gar sie offen lassen, welche- viele thun. “ Jczt mufte ein Detaschement so hinausrücken, daß eö mir immer ins Gesicht gnkte, und so

wieder herein. „In meiner Jugend (sagt'ich) hab' ich mich oft Viertelstunden lange herum­ geschoben und rükwärtS getrieben, um mit

diese RükpaS in meine Gewalt und Füsse zu bringen." Der eitle Gallier trauet »ns nicht zn, daß

wir Generalveebengnngen an ein ganzes Zim­ mer leicht und zierlich zu Tage fördern; ich

aber schwenkte wenigstens eine algemeine Der, beugung als Paradigma flüchtig vor, und

war schon beruhigt, daß meine Leute nur die

Spezial-Verbeugung an jeden dasigen Sessel die faslicher ist, leidlich nachbrachten. Nach

diesen syntaktischer! Figuren trabte man eiligst die Treppe hinab und meine Mimiker repe­

tierten und probierten (zum Spässe) beim Ein­ tritte vor.dem Wirthe die obige Gestikulaziou. Unten in der Stube hatten die zwei Kin­

der des WirthS Eine Brezel angefasset und -erten spielend daran, wer unter dem Abreissrn

446 firn den grossen Bogen behielte. Daß Mäd­ chen hatte schon vor dem Essen die linke Hand auf eine rechte Fingerspitze gelegt und andern gewiesen, „so lang nur hatte sie den Mann