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German Pages 324 Year 2015
Thomas Renz Nicht-Besucherforschung
Thomas Renz (Dr. phil.), geb. 1979, ist Kulturwissenschaftler am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim. Er lehrt und forscht zu Kulturmanagement und Kulturpolitik.
Thomas Renz
Nicht-Besucherforschung Die Förderung kultureller Teilhabe durch Audience Development
Zugl.: Hildesheim, Univ. Diss., Fachbereich für Kulturwissenschaften und Ästhetische Kommunikation unter dem Titel: »Nicht-Besucherforschung als Grundlage von Audience Development – Die Förderung kultureller Teilhabe durch Kulturpolitik und Kulturmanagement«. Gutachter: Prof. Dr. Birgit Mandel (Universität Hildesheim), Prof. Dr. Max Fuchs (Universität Duisburg-Essen). Disputation am 24.06.2015.
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Inhalt
1.
Einleitung | 9
1.1 1.2 1.3 1.4
Nicht-Besucher – eine beliebte Zielgruppe? | 13 Kultur als öffentlich geförderte Kunst in Deutschland | 15 Kollektive Rezeption kultureller Veranstaltungen | 20 Nicht-Besucher öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen | 21
2.
Das Interesse an Nicht-Besuchern öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen | 25
2.1 Übergeordnete anthropologische, pädagogische, soziale und ökonomische Wirkungsintentionen kultureller Praxis | 25 2.2 Finanzielle Argumentation aus Sicht des Managements der Einrichtungen | 27 2.3 Kultureinrichtungen und demografischer Wandel | 28 2.4 Teilhabe als Referenzrahmen für Nicht-Besucherforschung | 29 2.4.1 ‚Kultur für alle‘ als kulturpolitisches Dogma | 29 2.4.2 Teilhabe oder Partizipation? | 35 2.4.3 Teilhabe und soziale Ungleichheitsforschung | 37 2.4.4 Teilhabe, Demokratie und Menschenrechte | 39 2.4.5 Teilhabe als sozialstaatliches Leitkonzept | 42 2.5 Zusammenfassung | 45 3.
Audience Development zwischen Marketing und Politik | 47
3.1 Kulturmanageriale Ansätze zur Verortung der Nicht-Besucherforschung | 47 3.1.1 Kulturmarketing | 48 3.1.2 Kulturvermittlung | 52 3.1.3 Audience Development | 53 3.2 Anglo-amerikanische Hintergründe von Audience Development | 55 3.2.1 Audience Development in den USA | 55 3.2.2 Audience Development in Großbritannien | 56 3.3 Audience Development in Deutschland | 68
3.4 Zielvereinbarungen als Instrument managerialer und politischer Steuerung von Audience Development | 70 3.4.1 Administrative Umsetzung | 74 3.4.2 Operationalisierung und Überprüfung von Zielen | 80 3.4.3 Politischer Wille zur Übernahme von Steuerungsverantwortung | 85 3.5 Zusammenfassung | 87 4.
Die wissenschaftliche Verortung der (Nicht-)Besucherforschung | 89
4.1 Kulturmanagementforschung als Chance für eine systematisierte (Nicht-)Besucherforschung | 89 4.2 Perspektiven und Methoden der (Nicht-)Besucherforschung | 93 4.2.1 Grundsätzliche Überlegungen zur Methodik der Bezugsdisziplinen | 93 4.2.2 Sozialwissenschaften | 95 4.2.3 Betriebswirtschaftslehre | 100 4.2.4 Weitere Forschungsdisziplinen | 102 4.2.5 Die Rolle des Publikums in den Kulturwissenschaften am Beispiel der Theaterwissenschaft | 106 4.3 Zusammenfassung: Die Grenzen einer interdisziplinären Forschung | 110 5.
Der quantitative Blick: Eine Sekundäranalyse der bestehenden Erkenntnisse zu Nicht-Besuchern | 113
5.1 Das Ausgangsmaterial der Sekundäranalyse | 113 5.1.1 Nationale Herkunft der Quellen | 113 5.1.2 Strukturelle Merkmale der Nicht-Besucherstudien | 115 5.1.3 Fehlende Zeitvergleiche | 117 5.2 Die Sekundäranalyse | 119 5.2.1 Methodisches Vorgehen | 119 5.2.2 Theoretische Zugänge und Restriktionen | 120 5.3 Nicht-Besuche als verhaltensrelevantes Merkmal | 122 5.3.1 Besuchs- und Nicht-Besuchsdimensionen | 123 5.3.2 ‚Harte Fakten‘ – Besucherzahlen von Kultureinrichtungen | 125 5.3.3 Auf Befragungen beruhende Zahlen | 126 5.3.4 Zusammenfassung | 130 5.4 Ein Modell der Nicht-Besucherforschung | 132
5.5 Nicht-Besucherforschung als Barrierenforschung | 136 5.5.1 Vom kulturellen Angebot ausgehende objektbedingte Barrieren | 139 5.5.2 Subjektbedingte Barrieren | 153 5.5.3 Zusammenfassung | 159 5.6 Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung | 163 5.6.1 Fehlendes Interesse an Kulturveranstaltungen | 163 5.6.2 Sozio-demografische Einflussfaktoren auf Teilhabechancen | 166 5.6.3 Psychografische Einflussfaktoren auf Teilhabechancen | 173 5.7 Zusammenfassung | 180 6.
Der qualitative Blick: Die Erforschung von Gelegenheitsbesuchern von Theatern | 185
6.1 Der methodische Zugang | 186 6.1.1 Das episodische Interview als Verbindung erzählerischer und analytischer Zugänge | 188 6.1.2 Eingrenzung der Forschungsperspektive auf Gelegenheitsbesucher von Theatern | 190 6.1.3 Frageleitfaden und Interviewdurchführung | 193 6.1.4 Auswertungsstrategien | 195 6.2 Der Gelegenheitsbesucher – ein Biografiemodell | 197 6.2.1 Theaterbesuche mit Eltern in der Kindheit | 199 6.2.2 Künstlerische Hobbies und Theaterbesuche | 203 6.2.3 Theaterbesuche mit der Schule | 205 6.2.4 Studium, Partnerfindung und erster Arbeitsort | 212 6.2.5 Familienleben mit Kindern | 215 6.2.6 Arbeitsleben und Theaterbesuche | 216 6.2.7 Zeit nach dem Berufsleben | 223 6.2.8 Zusammenfassung | 225 6.3 Wie Gelegenheitsbesucher einen Theaterbesuch erleben | 226 6.3.1 Der Kaufentscheidungsprozess | 226 6.3.2 Der Rezeptionsprozess | 236 6.3.3 Zusammenfassung | 253 7.
Die Förderung von Teilhabe durch Kulturpolitik und Kulturmanagement | 255
7.1 Theoretische Konsequenzen | 257 7.1.1 Wissenschaftstheoretisches und -methodisches Fazit | 257 7.1.2 Ein erweitertes Modell der Nicht-Besucherforschung | 259
7.2 Politische Konsequenzen | 265 7.2.1 Förderung von Programmen kultureller Bildung | 265 7.2.2 Förderung von Audience Development im Rahmen von Zielvereinbarungen | 268 7.3 Konsequenzen für das Audience Development | 271 7.3.1 Nicht-Besucherforschung | 272 7.3.2 Strategische Auswahl der Zielgruppen | 272 7.3.3 Strategien für die Zielgruppe ohne Verwirklichungschancen | 273 7.3.4 Strategien für die Zielgruppe der Gelegenheitsbesucher | 276 7.4 Ausblick: Audience Development zwischen Randgruppenassimilation und veränderter Programmpolitik | 286 Literatur | 291
1. Einleitung „Jeder Bürger muss grundsätzlich in die Lage versetzt werden, Angebote in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen.“ HILMAR HOFFMANN (1981): KULTUR FÜR ALLE. „Angeblich war es auch eine Komödie, aber es war überhaupt nicht lustig und ich hab mich den ganzen Abend gefragt, was das soll und war entsprechend auch nicht sehr begeistert.“ INTERVIEWPARTNER 1, DEZEMBER 2014.
Dieses Buch könnte als konservativ verstanden werden. Denn es soll einen Beitrag dazu leisten, die wertvolle Theater-, Museen- und Kulturlandschaft in Deutschland zukunftsfähig zu machen und somit auch zu erhalten. Allerdings ist dieses Buch allenfalls wert- und keinesfalls strukturkonservativ. Es geht ausdrücklich nicht darum, bestehende Strukturen der Struktur Willen zu konservieren. Es geht nicht darum, zum Beispiel das Stadttheater deshalb zu retten, weil es schon immer da war und irgendwie auch alle dafür sind, es beizubehalten. Vielmehr geht es darum, die wertvollen Errungenschaften und Inhalte, welche sich im Laufe von Jahrhunderten entwickelt haben, auch zukünftig erleben zu können. Im Theater ist das zum Beispiel die beeindruckende Tradition, welche in unserer Kulturgeschichte früh bei den griechischen Dichtern beginnt und dann von Goethe, Piscator und Brecht, über das politische Regietheater der 1970er Jahre bis hin zu den Erfolgen des Freien Theaters reicht. Die deutsche Gesellschaft leistet sich für mehrere Milliarden Euro pro Jahr eine öffentlich geförderte Kulturlandschaft. Es scheint aber so, dass vor allem bei der an Einrichtungen gebundenen Kultur Optimierungsbedarf existiert: Die großen Museen, Theater und
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Konzerthäuser haben an gesellschaftlicher Relevanz verloren. Die Besucherzahlen sind nicht immer befriedigend, in Zeiten knapper öffentlicher Kassen schwebt oft die Angst vor Mittelkürzung über den ‚freiwilligen Leistungen‘ und es werden Legitimationsgründe für eine weitere Förderung gesucht. Wenn doch nur die Theater immer ausverkauft wären, wenn doch nur die Museen wegen Überfüllung schließen müssten… Daher wird der Frage nachgegangen, weshalb im Gegensatz zum kulturpolitischen Anspruch von ‚Kultur für alle‘ (Hoffmann 1981) nur ein recht kleiner Teil der Bevölkerung regelmäßig öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen besucht und welche Maßnahmen Kulturpolitik und Kulturmanagement entwickeln können, um diese kulturelle Teilhabe zu fördern. Es geht dabei explizit um die Förderung kultureller Teilhabe im Sinne von Besuchen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen. Obgleich in den letzten Jahren zahlreiche Programme zur Förderung der kulturellen Bildung in Deutschland durchgeführt wurden und auch Kultureinrichtungen selbst spezielle Zielgruppen mit Vermittlungsprogrammen ansprechen, sind diejenigen, die eben nicht in die großen Einrichtungen kommen für Kulturwissenschaft, Kulturmanagement und Kulturpolitik immer noch eine ‚Black-Box‘. Dieses Buch ist insofern vielleicht ein Stück weit konservativ, da keine innovativen Formate und deren Wirkung im Mittelpunkt stehen, sondern der durchaus durchschnittliche Status quo des deutschen Kulturbetriebs. Es geht nicht darum, beispielsweise die großen Erfolge von ‚Darstellendes Spiel‘ als eigenes Schulfach herauszuarbeiten, sondern die kleinen Katastrophen nicht-vermittelter und Frustration auslösender schulischer Theaterbesuche zu untersuchen. Es geht auch nicht darum, an Best-Practice-Beispielen zu zeigen, wie sich Museen mit Outreach-Strategien abseits ihrer Einrichtung völlig neu erfinden können, sondern zu verdeutlichen, wer denn jeden Tag in die Dauerausstellungen kommt – und wer eben nicht. Der Blick auf diejenigen, die also nicht in öffentlich geförderte Kultureinrichtungen kommen, wird unter dem Begriff der ‚Nicht-Besucherforschung‘ verortet. Die Verbindung mit ‚Audience Development‘ im Titel macht deutlich, dass es nicht nur um die Analyse des Ist-Zustandes geht, sondern auch Instrumente für eine Veränderung diskutiert werden. Ziel der Überlegungen ist es daher, folgende Fragen zu beantworten: • •
Welche Gründe gibt es für eine Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern? Mit welchen managerialen und politischen Instrumenten kann kulturelle Teilhabe gefördert werden?
E INLEITUNG | 11
• • • •
Welche wissenschaftlichen Disziplinen tragen mit welchen Methoden zum Wissen über Nicht-Besucher bei? Welche quantitativen Erkenntnisse existieren zu Nicht-Besuchern? Wie lassen sich diese sinnvoll systematisieren? Wie erleben Gelegenheitsbesucher qualitativ ihre seltenen Besuche? Wie verändert sich das Interesse daran im Verlaufe ihres Lebens? Mit welchen konkreten Strategien können Kulturpolitik und Kulturmanagement kulturelle Teilhabe fördern?
Ein Schwerpunkt liegt auf der theoretischen, instrumentellen und wissenschaftlichen Verortung des Themas. Dadurch wird auch ein Modell der Nicht-Besucherforschung entwickelt, welches die Komplexität des Phänomens abbilden und damit theoretische Zugänge und praktische Konsequenzen strukturieren kann. Des Weiteren werden in einem empirischen Teil die inhaltlichen Dimensionen des Forschungsgegenstands anhand einer Sekundäranalyse der bestehenden quantitativen Erkenntnisse sowie einer qualitativen Primärerhebung am Beispiel von Theaterbesuchern dargestellt. Es wird nicht so sehr darum gehen, ein bis auf die Nachkommastelle einmaliges statistisches Abbild zu berechnen, sondern mehr um den Versuch, das Phänomen der Nicht-Besucher möglichst tiefgehend zu erklären. Nach einem kurzen zeitgeschichtlichen Abriss der Verwendung des Begriffs der Nicht-Besucherforschung wird in Kapitel 1 der den Ausführungen zugrunde liegende Kulturbegriff auf öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen in Deutschland eingeschränkt. Es geht also um Nicht-Besucher von Theatern, Museen, Konzerthäusern oder ähnliche Einrichtungen an denen Kunst kollektiv und ortsgebunden rezipiert wird. Dem folgen eine Abgrenzung des Begriffs zu anderen wissenschaftlichen Definitionen sowie Anmerkungen zur Besonderheit der Negativ-Definition des eigenen Forschungsgegenstands. In Kapitel 2 werden Begründungen für die Auseinandersetzung mit NichtBesuchern erörtert: Neben übergeordneten anthropologischen, pädagogischen, sozialen und ökonomischen Wirkungsintentionen kultureller Praxis führt gegenwärtig vor allem die finanzielle Argumentation aus Sicht des Managements öffentlich geförderter Kultureinrichtungen auch vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu einem Interesse an diesem potenziellen Publikum. Die Verortung von Nicht-Besucherforschung im Diskurs um kulturelle Teilhabe macht dann allerdings die sozial- und kulturpolitische Dimension des Forschungsgegenstands deutlich: Der kurze Abriss der Geschichte der Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland mündet in der Feststellung, dass ‚Kultur für alle‘ (Hoffmann 1981) seit mehr als 30 Jahren als Leitziel politische Absichten
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prägt. Nicht-Besucherforschung wird somit im Kontext sozialer Ungleichheitsforschung verortet und die Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte werden als deren normativer Rahmen angeführt. Das Kapitel schließt mit einer Diskussion der staatlichen Interventionsmöglichkeiten zur Förderung kultureller Teilhabe im Allgemeinen, im Besonderen wird der ‚Verwirklichungschancen‘Ansatz von Amartya Sen als theoretische Erklärung von Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung vorgeschlagen. In Kapitel 3 werden dann manageriale und politische Instrumente vorgestellt, mit welchen der Status quo der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen in Deutschland praktisch verändert werden könnte. Neben Kulturmarketing und Kulturvermittlung wird Audience Development als dafür prädestiniertes Instrumentarium vorgeschlagen. Die geschichtliche und inhaltliche Prägung des Begriffs wird am Beispiel der britischen Verwendung deutlich gemacht. Dabei werden insbesondere die kulturpolitische Einbettung des Instrumentariums sowie die damit verbundenen Konsequenzen für betriebliches Management beleuchtet. Der Darstellung der Verwendung des Begriffs Audience Development in Deutschland folgt eine ausführliche Diskussion der Möglichkeiten kulturpolitischer Steuerung von Audience Development in Deutschland. Als administratives Förderinstrument werden dafür Zielvereinbarungen aufgeführt und insbesondere deren bisherigen Umsetzungsversuche, Probleme in der Operationalisierung von Zielen sowie die Notwendigkeit eines politischen Willens zur Übernahme von Steuerungsverantwortung erörtert. Der theoretische Teil schließt in Kapitel 4 mit der wissenschaftlichen Verortung von Nicht-Besucherforschung. Im Rahmen einer interdisziplinären Kulturmanagementforschung werden theoretische und insbesondere methodische Zugänge der Sozialwissenschaften, der Betriebswirtschaftslehre und der Theaterwissenschaften zu diesem Forschungsgegenstand dargestellt. Mit Kapitel 5 beginnt der empirische Teil dieses Buchs: Mit einem quantitativen Blick werden in einer Sekundäranalyse der bestehenden standardisierten Publikumsstudien die bekannten Erkenntnisse zu Nicht-Besuchern systematisch dargestellt. Die Ausführungen zu verhaltensrelevanten Merkmalen münden in einem ersten Modell der Nicht-Besucherforschung, welches zwei Dimensionen deutlich macht: Zum einen können ausgehend von einer bestehenden Besuchsmotivation verschiedene objekt- und subjektbedingte besuchsverhindernde Barrieren ermittelt werden. Zum anderen kann Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung zeigen, mit welchen Merkmalen gesellschaftliche Gruppen zu beschreiben sind, welche über keinerlei Voraussetzungen für die Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen verfügen. Dieses Kapitel endet mit der Feststellung, dass bezüglich dieser Teilhabe in Deutschland soziale Un-
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gleichheit herrscht, welche auf fehlende Verwirklichungschancen durch Bildungsbenachteiligung und Sozialisation zurückzuführen ist. Es bleibt allerdings unklar, weshalb Menschen, welche eben über solche Verwirklichungschancen verfügen, dennoch nicht zum regelmäßigen Publikum öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen zählen. Kapitel 6 versucht diese Wissenslücke zu schließen. Mit einem qualitativen Blick werden in einer biografisch-narrativ orientierten Primärforschung Gelegenheitsbesucher von Theatern tiefergehend untersucht. In episodischen Interviews werden verschiedene Einflüsse auf Interesse und Besuchsaktivitäten im Verlaufe des Lebens erforscht. Diesem Biografiemodell folgt die Darstellung, wie Gelegenheitsbesucher ihre seltenen Theaterbesuche erleben. Dabei werden erstmals auch Rezeptionsprozesse als Teil von Nicht-Besucherforschung thematisiert. In Kapitel 7 werden alle empirischen Ergebnisse mit den vorab diskutierten Theorien und Instrumenten zusammengeführt. Ziel ist es nach der Darstellung des Status quo, konkrete Strategien für Kulturpolitik und Kulturmanagement zu entwickeln, welche die Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen fördern können. Dem wissenschaftstheoretischen Fazit mit einem erweiterten Modell der Nicht-Besucherforschung, welches auch Rezeptionsprozesse umfasst, folgen also Überlegungen für kulturpolitische Konsequenzen im Sinne der Installierung von Programmen der kulturellen Bildung sowie der Förderung von Audience Development im Rahmen von Zielvereinbarungen. Als Konsequenzen für betriebliches Audience Development werden Handlungsstrategien im Kulturmarketing, in der Kulturvermittlung im engeren Sinn sowie in der künstlerischen Produktion entwickelt. Die Eingrenzung des Forschungsgegenstands auf Nicht-Besucher von Theatern erfolgt aus inhaltlichen Gründen in Kapitel 6. Dieses Buch ist daher etwas ‚theaterlastig‘, alle theoretischen Überlegungen, die Sekundäranalyse der bestehenden quantitativen Erkenntnisse sowie die Entwicklung von Handlungskonsequenzen beziehen sich allerdings auf alle möglichen Sparten öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen.
1.1 N ICHT -B ESUCHER –
EINE BELIEBTE
Z IELGRUPPE ?
Nicht-Besucherforschung scheint innerhalb des Kulturbetriebs ‚in‘ zu sein: 2012 bezeichnet der Theaterexperte Thomas Schmidt die Nicht-Besucher als „die momentan beliebteste Zielgruppe der Besucherforschung“ (Schmidt 2012: 57). Diese Beliebtheit zeichnet sich allerdings weniger durch tatsächlich existierende
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Forschungsaktivitäten aus. Vielmehr reiht sich die Aussage in eine Folge von Wünschen nach mehr Nicht-Besucherforschung ein. Seitdem das Publikum von Kultureinrichtungen einigermaßen systematisch untersucht wird, um wissenschaftliche Grundlagen zu erforschen (z.B. Schulze 1993, Kirchberg und Kuchar 2013)1 oder um daraus praktische Handlungsfolgen für Kulturpolitik (z.B. Klein, H.-J. 1990, Keuchel 2003) und Kulturmanagement (z.B. Henrichsmeyer et al. 1989, Mandel 2008) abzuleiten, stellen Forscher regelmäßig ein Defizit fest: Es wäre doch angebracht, neben dem Blick auf das Publikum auch einmal diejenigen zu untersuchen, welche nicht kommen: die Nicht-Besucher. Am Beispiel der Museumsforschung kann diese zeitgeschichtliche Entwicklung deutlich gemacht werden: Bereits Anfang der 1980er Jahre schreibt der Sozialwissenschaftler Hans-Joachim Klein nach einer ersten großen Untersuchung des Museumspublikums in Deutschland: „Wir wollen abschließend zu den Nichtbesucher-Studien feststellen, daß wir sie für dringend erforderlich und bislang vernachlässigt halten.“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 86)
Mitte der 1990er Jahre merkt sein Kollege Volker Kirchberg dann an, dass Kleins Feststellung „auch nach 15 Jahren noch nichts von ihrer Aktualität verloren hat“ (Kirchberg 1996a: 152). In dieser Zeit weisen auch Vertreter des Museumsmanagements wie z.B. der damalige Leiter des Hauses der Geschichte Hermann Schäfer auf „allergrößte Defizite“ bei der „Erforschung der NichtBesuchergruppen“ hin (Haus der Geschichte 1996: 281). Und auch noch 2010 schickt Nora Wegner ihrer Zusammenfassung der bestehenden Erkenntnisse von Museumsbesucherstudien voraus, „dass wenige Studien bekannt sind“, die sich mit „möglichen Barrieren“ (Wegner 2010: 131) und somit mit der Perspektive auf die Nicht-Besucher von Museen beschäftigen. Auch in allen anderen Sparten wurden und werden diese Defizite erkannt: Bereits Ende der 1970er Jahre benennen die Kulturforscher Karla Fohrbeck und Andreas J. Wiesand im Rahmen damals aktueller kulturpolitischer Debatten die Nicht-Besucher als relevante Zielgruppe aller kulturpolitisch geförderten Angebote und schließen daraus: „Wenigstens eine grobe Kenntnis des in diesen Zielgruppen vorherrschenden Kulturverständnisses und Bedarfs sowie ein Abbau allzu offensichtlicher Kulturbarrieren und Vor-
1
An zahlreichen Stellen dieser Arbeit erfolgt die Wiedergabe der Quellen nicht nach alphabetischer, sondern nach historischer Reihenfolge, um dadurch die Kontinuität der Erkenntnisse im Zeitverlauf deutlich zu machen.
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urteile sind wichtige erste Schritte auf diesem Weg zur angestrebten kulturellen Demokratie.“ (Fohrbeck und Wiesand 1980: 141)
Diese Forderung nach mehr Wissen gilt auch für Nicht-Besucher von soziokulturellen Zentren (z.B. Schulze 1993), Jazzkonzerten (z.B. Schmücker 1993) oder Theatern (z.B. Schmidt 2013). Obgleich das Kulturpublikum spätestens in den 2010er Jahren keine unbekannte Größe mehr ist (vgl. Glogner und Föhl 2010), existiert also ein Wissensdefizit über die Nicht-Besucher von Kulturveranstaltungen (vgl. Mandel 2008, 2009). Die Soziologen Volker Kirchberg und Robin Kuchar stellen selbst nach einem Vergleich internationaler Publikumsstudien fest: „Fundierte Erkenntnisse zu den Gründen des Nichtbesuchs hochkultureller Einrichtungen […] liegen grundsätzlich nicht vor.“ (Kirchberg und Kuchar 2013: 169)
Das vorliegende Buch versucht daher einen Beitrag zu leisten, die Lücke zwischen Forschungswunsch und Erkenntnissen über Nicht-Besucher öffentlich geförderter Kultureinrichtungen zu schließen.
1.2 K ULTUR ALS ÖFFENTLICH IN D EUTSCHLAND
GEFÖRDERTE
K UNST
Es existieren zahlreiche Begriffe von Kultur, auch die Kulturwissenschaften haben keine einheitliche Definition ihres Gegenstands entwickelt (vgl. Hansen 2000). Zuweilen wird der Begriff so weit ausgedehnt, dass diesem gar kein Sinn mehr zuzuschreiben ist (vgl. Kolland 1996, Nünning 2009). Eine Arbeit über Kultur muss diesen Begriff also für sich selbst definieren, ansonsten läuft sie Gefahr missverstanden zu werden, vor allem bei dem abgrenzenden Begriff ‚NichtBesucher‘. Wie anfangs erläutert, zielt dieses Buch auf eine Diskussion der Handlungsfelder von Kulturpolitik und Kulturmanagement. Somit erfolgt die Definition recht pragmatisch und wird an die Praxis der Kulturpolitik in Deutschland delegiert: Der Gegenstand der gegenwärtigen Kulturpolitik in Deutschland definiert den Kulturbegriff dieser Arbeit. Ein solches recht praxisorientiertes Vorgehen ist selbstverständlich etwas unkritisch, da dadurch der Status quo kulturpolitischen Handelns zur Norm gefestigt wird, ohne diesen in Frage zu stellen oder einen radikalen politischen Strukturwandel abzuleiten (vgl. Institute for Art Education 2009-2012).
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Die wesentliche Bestimmung des Kulturbegriffs der vorliegenden Arbeit erfolgt durch das (empirische) Handlungsergebnis und nicht durch die (theoretische) Wirkungsintention von Kulturpolitik (zur Differenzierung zwischen Wirkungsund Handlungsebene der Kulturpolitik vgl. Götzky 2013). Nach dem Soziologen Gerhard Schulze sind aber die Wirkungsintentionen ein wesentliches Merkmal, denn Kulturpolitik „legitimiert sich durch pädagogische und gesellschaftspolitische Zielsetzungen; in ihrer existenziellen Interventionsabsicht ist sie allenfalls der Bildungspolitik vergleichbar“ (Schulze 1993: 496). Kulturpolitik soll also Wirkungen auf recht viele Lebensbereiche haben: Die vielfältigen pädagogischen (z.B. Fuchs 2008, Bockhorst et al. 2012), sozialen (z.B. Bourdieu 1982, Schulze 1993), philosophischen (z.B. Adorno und Horkheimer 1962, Hauskeller 2000) oder künstlerischen Ziele (z.B. Eco 2002, Kurzenberger 2005) dieser Wirkungsebene schaffen aber noch keinen einheitlichen operationalisierbaren Kulturbegriff. Kulturpolitik ist in Deutschland weitgehend ohne inhaltliche Ordnungsbeschränkung (z.B. im Sinne einer gesetzlichen Definition), sie könnte also immer auch thematisch neu verhandelt bzw. ausgerichtet werden. Auf theoretischer Ebene benennt die Definition der UNESCO von 1982 auch einen solchen, sehr weiten Kulturpolitikbegriff, welcher unter anderem auch „Lebensformen […], Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen“2 umfasst. Mit diesem universellen, vermutlich nicht operationalisierbaren Kulturbegriff wäre Kulturpolitik der passende Überbegriff für alle denkbaren Politiken. Ein Blick auf die historische Entwicklung der deutschen Kulturpolitik zeigt auch, dass eine solche thematische Vielfalt durchaus Gegenstand sehr wertebasierter Entscheidungen war (vgl. Wagner 2009). Beispielsweise wurde die Frage nach dem Verhältnis von Staat und Kirche bis ins 20. Jahrhundert auch begrifflich als ‚Kulturkampf‘ bezeichnet (vgl. Schulze, H. 1996) und ein Ergebnis dieser Kulturpolitik mündete im heute immer noch gültigen ‚Weimarer Kirchenkompromiss‘. Ebenfalls stark wertebasiert waren und sind die Diskussionen über das Bildungssystem in Deutschland (vgl. Lange 2005). Das Beharren auf dem dreigliedrigen Schulsystem oder der Einsatz für eine einheitliche Gesamtschule sind auch Ausdruck von Werten, Traditionen und Idealen und können somit auch als Kulturpolitik verstanden werden. Auch wäre die im Bundestagswahlkampf 2013 erhobene Forderung nach einem ‚Veggie-Day‘ (Bündnis90/Die Grünen 2013) potenzieller Gegenstand der Kulturpolitik, verstünde man diese als Politik einer Essens-, Lebens- oder Gesundheitskultur. Obwohl eine ordnungspolitische Umsetzung dieser Idee sowieso fraglich war, wären die bundespolitischen Orte für diese Diskussionen allerdings nicht der Kultur- und Medien2
www.unesco.de/2577.html (10.03.2015).
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ausschuss, sondern eher Institutionen der Gesundheits- und Ernährungspolitik gewesen. Denn Kulturpolitik ist in Deutschland in erster Linie Kunstförderpolitik. Zwischen den zahlreichen teils sehr weitgehenden Wirkungsintentionen (‚Was soll durch Kulturpolitik erreicht werden?‘) und den Ergebnissen der Handlungsebene (‚Was genau macht Kulturpolitik?‘) herrscht nämlich eine große Diskrepanz. Unabhängig von sich änderten Ideen, definiert Kulturpolitik seit 1949 in Deutschland auf allen staatlichen Ebenen durch ihre Aktivitäten und deren Ergebnisse einen recht klaren und auch ziemlich engen Kulturbegriff. Denn trotz unterschiedlichster Wirkungsintentionen ist „das wichtigste kulturpolitische Instrument in Deutschland […] aber nach wie vor die finanzielle Förderung von kulturellen Angeboten in Form von Institutionen-, Projekt- oder Individualförderung“ (Götzky 2013: 12). Neben der Schaffung von rechtlichen Rahmenbedingungen (z.B. ermäßigter Umsatzsteuersatz, Künstlersozialversicherungsgesetz) definieren die verantwortlichen Akteure der Kulturpolitik also mit den geförderten ‚kulturellen Angeboten‘ ihren Begriff von Kultur. Die Legitimation für diese Förderung ergibt sich indirekt aus dem verfassungsrechtlich geschützten Grundrecht auf Kunstfreiheit im Grundgesetz Artikel 5 Absatz 3. Dieses, in der eigentlichen Intention negativer Freiheit, liberale Abwehrrecht der Künstler vor staatlichen Ein- und Übergriffen beinhaltet laut höchstrichterlicher Rechtsprechung auch eine positive Freiheit im Sinne der finanziellen Förderpflicht des Staates3. Letztere ist allerdings nicht gesetzlich in einer Quantität normiert. Aus juristischer Sicht ist es also Aufgabe des Staates durch eine entsprechende finanzielle Förderung die Freiheit der Kunst zu fördern bzw. aufrecht zu erhalten. Aus dieser ordnungspolitischen Grundlage folgt auch, dass der Staat selbst keine Staatskultur vorgibt. Sein Handeln basiert vielmehr auf einem „kulturpolitischen Leitbild der Staatsneutralisierung“ (Steiner 1984: 35), welches in der Förderung von freien und staatsfernen Künstlern und Kunsteinrichtungen mündet. Weitere ordnungspolitische Vorgaben existieren nicht, zuletzt hatte die Enquete-Kommission ‚Kultur in Deutschland‘ in ihrem Abschlussbericht vorgeschlagen, Artikel 20b des Grundgesetzes um den Satz „Der Staat schützt und fördert die Kultur“ (Deutscher Bundestag 2007) zu ergänzen, eine derartige Verfassungsänderung ist allerdings gegenwärtig nicht zu erwarten. Die Inhalte der Förderpolitik könnten immer wieder neu entwickelt werden. Allerdings gibt es Einflüsse, welche eine mögliche kulturelle Vielfalt beeinträchtigen: Der Soziologe Gerhard Schulze (1993) hat in seinem auch kulturpolitisch relevanten Werk ‚Die Erlebnisgesellschaft‘ als wesentliches Paradigma der Kulturpolitik deren Selbsterhaltung herausgestellt. Dies erfolgt weitgehend über die 3
Vgl. BVerfG, Urteil vom 5. März 1974, Az. 1 BvR 712/68.
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Sicherung der bestehenden kulturellen Infrastruktur, ohne wesentliche strukturelle Veränderungen zuzulassen bzw. zu initiieren. Gründe für das Zustandekommen eines solchen politischen Handelns können im Streben nach Machterhalt bestimmter politischer Akteure und Eliten verortet werden. Ohne dieses Phänomen im Rahmen dieser Überlegungen weiter zu analysieren, stellt die daraus resultierende Wahrung der Tradition doch eine wesentliche Erklärung für die Existenz öffentlich geförderter Kultureinrichtungen in Deutschland dar. Die Kulturpolitik, welche in Deutschland gepflegt wird, „basiert mehrheitlich auf den Strukturen, die in den vergangenen Jahrhunderten mit der Herausbildung der kulturellen Einrichtungen und einer kommunal-staatlichen Kulturpolitik entstanden sind“ (Wagner 2009: 450). Das Bürgertum des 19. Jahrhunderts initiierte zahlreiche Neugründungen von Kultureinrichtungen als Ort der Selbstdarstellung. Dieses ursprünglich bürgerschaftliche Engagement wurde nach und nach in eine öffentliche Förderung bzw. staatliche Trägerschaft oder Verantwortung überführt. Heute werden diese Einrichtungen auch in einer historischen Tradition ohne unmittelbar benannten Verwendungszweck außer dem im 19. Jahrhundert aufgekommenen Paradigma der „Förderung von Kunst um der Kunst Willen“ (Wagner 2009: 452) gepflegt. Dadurch, dass die Betriebskosten dieser Einrichtungen oft den größten Teil der öffentlichen Kulturausgaben ausmachen, ist kulturpolitisches Handeln in gewisser Weise auch auf das Verwalten dieser Infrastruktur beschränkt. Eine weitere historisch bedingte Folge ist die hohe Zahl der Kultureinrichtungen, welche auf die „territoriale Zersplitterung bis 1871“ (Beyme 2010: 287) zurückgeht. Die vielen kleinen Gebietskörperschaften pflegten damals eine institutionalisierte Kultur, welche beispielsweise zu der weltweit höchsten Anzahl von Opernhäusern in Deutschland führte. Diese historisch bedingten und gefestigten Phänomene führen also zu einer gewissen Unveränderbarkeit des Handlungsspielraums der Kulturpolitik. Eine Veränderung wäre nur durch eine recht radikale Umverteilung der Fördermittel, vermutlich zu Ungunsten der großen Einrichtungen möglich. Es scheint also gerade für aktuelles Kultur- und Politikmanagement in Deutschland eine Herausforderung zu sein, diese institutionalisierte Kultur entsprechend zu gestalten und Gründe für die Legitimation des eigenen Handelns zu benennen. Lange Zeit sind seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland die öffentlichen Ausgaben für Kultur stetig gestiegen (vgl. Klein, A. 2007). Nachdem es Anfang der 2000er Jahre eine kurze Stagnation gab, ist die Summe der öffentlichen Fördermittel derzeit so hoch wie nie zuvor. Folgende Abbildung4 zeigt die 4
In Anlehnung an www.Destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bildung ForschungKultur/BildungKulturfinanzen/Tabellen/AusgabenKunstKulturpflege.html (10.03.2015).
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prozentuale Verteilung der 9,1 Milliarden Euro, welche öffentliche Haushalte 2009 für Kunst und Kultur ausgegeben haben: Tab. 1: Verteilung der Kulturausgaben nach Sparten Kulturausgaben der öffentlichen Haushalte in 2009 in % Theater und Musik
35%
Museen, Sammlungen und Ausstellungen
18%
Bibliotheken
15%
Sonstige Kulturpflege
13%
Denkmalschutz und -pflege
6%
Kunsthochschulen
5%
Kulturelle Angelegenheiten im Ausland
4%
Es wird bereits deutlich, dass die klassischen Kunstsparten wie Theater, Konzerthäuser, Museen und Bibliotheken den Großteil der öffentlichen Fördergelder erhalten und „das verfügbare Budget durch die institutionelle Förderung weitgehend ausgeschöpft wird“ (Mandel 2009a: 26). Noch stärker eingeschränkt wird diese Fixierung auf bestehende Einrichtungen, wenn man sich die einzelnen Sparten differenzierter anschaut. In Großstädten machen allein die Ausgaben für öffentliche Theater über 60% der kommunalen Kulturetats aus (vgl. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2012). Am Beispiel des Theaters wird auch deutlich, dass die öffentlichen Gelder weitgehend in die Finanzierung der institutionalisierten Staats- und Stadttheater fließen (vgl. Schmidt 2012), wohingegen andere Theaterformen wie z.B. Freie Theater (vgl. Pinto 2013) oder Amateurtheater (vgl. Renz und Götzky 2014) bei Weitem weniger bzw. gar keine öffentliche Förderung erhalten und somit auch seltener Gegenstand der Kulturpolitik werden. Zum anderen ist diese Förderpraxis dadurch gekennzeichnet, dass die geförderten Einrichtungen im Wesentlichen durch die Förderung existieren. Anders als z.B. in den USA machen die Fördermittel mehr als 80% der Haushalte der Theater aus (vgl. Mandel 2008, Schmidt 2013). Diese Gleichsetzung von Kultur mit institutionell geförderter Kunst ist das wesentliche Merkmal der deutschen Kulturpolitik: Durch die Förderung der Theater, Museen oder Konzerthäuser ist der weitere Handlungsspielraum zumin-
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dest bei gleichbleibenden Etats auf die Gestaltung eben dieser systembedingt beschränkt und der Blick auf deren Leistungen und Publikum entsprechend naheliegend.
1.3 K OLLEKTIVE R EZEPTION KULTURELLER V ERANSTALTUNGEN Neben der Einschränkung des Kulturbegriffs auf öffentlich geförderte Kultur in Deutschland liegt die zweite wesentliche Beschränkung des Gegenstands dieses Buchs auf dem Publikum bestimmter Veranstaltungen. Im Interesse der folgenden Überlegungen stehen also ausschließlich (Nicht-)Besucher von kulturellen (öffentlich geförderten) Veranstaltungen. Veranstaltungen werden als „geplant (und nicht zufällig), sowohl zeitlich als auch örtlich begrenzt […] sowie öffentlich“ (Fischer 2006: 9) definiert. Diese Begriffsbestimmung umfasst also neben klassischen Veranstaltungen in festen Räumen (wie z.B. Theater- oder Opernaufführungen) auch künstlerisch-organisatorisch ähnliche Phänomene, die jedoch ohne festen Raum auskommen (z.B. Festivalaufführungen). Die Definition der ‚Veranstaltung‘ nach dem Kulturmanager Tillmann Fischer hat vielfältige wissenschaftliche Konsequenzen: Die ‚geplante‘ Veranstaltung bedarf gewisser organisatorischer Aspekte und Strukturen. In der Folge sind z.B. manageriale Kriterien für die Bewertung anwendbar (z.B. Marketing- oder Organisationstheorien). Die ‚zeitliche und örtliche‘ Begrenzung schränkt vor allem den Ort der Rezeption ein und schließt häuslich-private Aktivitäten (z.B. Musikhören) oder Orte der Distribution (z.B. Bibliotheken) aus. Zudem hat die notwendige aushäusige Aktivität zur Folge, dass diese individuell mit verhaltenswissenschaftlichen Theorien beschrieben werden kann (z.B. Entscheidungsoder Motivationstheorien). Diese Abgrenzungen führen schließlich auch zur einem kollektiven Charakter der Rezeption (im Gegensatz z.B. zum häuslichen Bücher lesen). Dies öffnet die sozialwissenschaftliche Betrachtung des Themas: Kunstrezeption wird nicht allein als individueller Akt der Aneignung verstanden, sondern kann auch immer als gemeinschaftliche, auch von anderen beeinflusste Aktivität mit entsprechenden Theorien (z.B. dem Distinktionspotenzial von Kulturveranstaltungen nach Bourdieu 1982) erklärt werden. Die Beschränkung auf kulturelle Veranstaltungen fokussiert überwiegend transitorische Kunst, d.h. die Kunst wird nur durch regelmäßige Aufführung vor einem Publikum funktionieren und erhalten bleiben. Dies betrifft insbesondere die darstellenden Künste, wie z.B. Theater-, Opern- oder Performanceaufführungen und gilt nur eingeschränkt für bildende oder akustische Künste. Allerdings
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fließt auch die Rezeption von Gemälden oder Sinfonien mit in die folgenden Betrachtungen ein, insofern diese einen Veranstaltungscharakter aufweist, d.h. bestimmte organisatorische, räumliche und zeitliche Kriterien gegeben sind, z.B. Ausstellungen in Kunstgalerien oder Museen, Konzertaufführungen und Lesungen. Es wird also davon ausgegangen, dass die kollektive, räumlich und zeitlich begrenzte Rezeption unterschiedlicher Kunstsparten ähnliche Wirkungen auf Rezipienten oder Dritte hat. Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob diese organisatorischen und sozialen Dimensionen das Phänomen befriedigend erfassen. Oder wäre eine Differenzierung nach Kunstsparten nicht besser geeignet, um (Nicht-)Besucher kulturellen Veranstaltungen angemessener zu beschreiben? Die Analyse der bestehenden Publikumsstudien wird zeigen, dass diese häufig auch nicht nach Sparten differenzieren, sondern von einem Kulturpublikum ausgehen (siehe Kapitel 5). Auch die Literatur der Kulturmanagementforschung differenziert nicht immer zwischen Sparten, sondern geht von einer organisatorischen und managerialen Ähnlichkeit aus (z.B. Klein, A. 2001, Mandel 2008). Allerdings werden die Analysen in Kapitel 6 zeigen, dass bei tiefergehenden qualitativen Untersuchungen zu Rezeptionsprozessen eine Konzentration auf eine bestimmte Sparte nötig sein kann. Einige Autoren verwenden statt ‚Veranstaltung‘ oder ‚Einrichtung‘ auch die Begriffe ‚Kulturbetrieb‘ (z.B. Klein, A. 2007, Schulenburg 2006, Zembylas 2006) oder ‚Kulturorganisation‘ (z.B. Jobst und Boerner 2013), welche allerdings die Perspektive eher auf betriebswirtschaftliche Aspekte eingrenzen und ggf. soziale Phänomene nicht zufriedenstellend abbilden. Der aus der o.g. ‚institutionellen‘ Kulturförderung resultierende Begriff der ‚Kulturinstitution‘ wird ebenfalls verwendet (z.B. Siebenhaar 2008), ist allerdings wissenschaftlich durch eine soziologische Verortung recht stark vorbelastet (vgl. Berger und Luckmann 1966): Demnach ist eine Institution eine beständige Form, welche bestimmten Mustern und Regeln folgt, die sich im Laufe der Entwicklung gesellschaftlichen Handelns ergeben haben (z.B. auch eine Ehe oder ein politisches Amt). Dies muss allerdings nicht unbedingt mit materiellen Gütern wie z.B. der Existenz von Spielstätten oder Mitarbeitern verbunden sein.
1.4 N ICHT -B ESUCHER ÖFFENTLICH K ULTURVERANSTALTUNGEN
GEFÖRDERTER
Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit denjenigen, welche nun öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen besuchen oder eben nicht besuchen, bedarf einer weiteren Schärfung des Begriffs. Denn solche Definitionen befinden sich
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im Spannungsfeld der theoriegeleiteten Fundierung, der etymologischen Genauigkeit und schließlich des Wunsches nach Anschlussfähigkeit an bereits etablierte Begriffe. In letzter Zeit hat sich in der deutschsprachigen Forschung für das Phänomen dieser Überlegungen der Begriff der ‚Publikumsforschung‘ etabliert (vgl. Dollase 1998, Glogner und Rhein 2005, Wagner 2005, Neuhoff 2007, Reussner 2009, Glogner und Föhl 2010, Wegner 2010, Glogner-Pilz 2012, Koch und Renz 2013). Der Begriff ‚Publikum‘ stammt aus dem Lateinischen (publicus = dem Volk gehörend) und vereint den Veranstaltungscharakter der Darbietung, die eher passive Tätigkeit der Subjekte, sowie die soziale Dimension des Erlebnisses. Nach Gerhard Schulze wird demnach als Publikum „jedes Personenkollektiv bezeichnet, das durch den gleichzeitigen Konsum eines bestimmten Erlebnisangebots abgegrenzt ist“ (Schulze 1993: 461). Es existieren weitere Teildifferenzierungen des Begriffs (vgl. Dollase 1998), außerdem existiert dieser überwiegend im Singular, definiert dann aber immer ein Kollektiv. Der Plural ‚Publika‘ wird neuerdings zunehmend für die Beschreibung von Teilgruppen verwendet, welche sich durch eine bestimmte Heterogenität unterscheiden.5 Darüber hinaus existieren diverse weitere Begriffe, welche meistens auf bestimmte wissenschaftliche Fachtermini zurückgehen und vor allem die Forschungsdisziplin benennen: Im betriebswirtschaftlichen Kontext impliziert der Begriff ‚Kunde‘ eine Fokussierung auf die Marktteilnahme und die damit verbundenen, meist monetären Austauschprozesse (vgl. Hausmann und Helm 2006). Vielfältiger ist der Begriff ‚Nutzer‘: Zum einen wird dieser fast synonym zum ‚Publikum‘ im kulturmanagerialen und sozialwissenschaftlichen Kontext verwendet (vgl. Brauerhoch 2004, Mandel und Institut für Kulturpolitik 2005, Mandel und Renz 2010, Deutscher Bibliotheksverband 2012, Treinen 2012). Allerdings birgt die nicht weiter differenzierte Verwendung der Begriffe ‚Kultur‘ und ‚(Nicht-)Nutzung‘ gewisse forschungsethische Probleme. Zum andern wird ‚Nutzer‘ auch im Marketingkontext verortet (z.B. Opaschowski 2005) oder ist ein Terminus der Medienwissenschaft (z.B. Gerhards und Mende 2002). Dort hat sich wie in den Kommunikationswissenschaften auch der Begriff der Rezipientenforschung etabliert (vgl. Frank et al. 1991). Der damit verbundene ‚Rezipient‘ beschreibt eher die individuelle Aneignung des Kunstwerks oder Mediums und beinhaltet weniger organisatorische Kontexte. Daher wird dieser Begriff auch im Kontext kultur- und kunstwissenschaftlicher Forschung verwendet (z.B. Eco 2002), in theaterwissenschaftlicher Forschung existiert zudem der Begriff des ‚Zuschauers‘ (vgl. Fischer-Lichte 1997, Deck und Sieburg 2008, Korte 2012), 5
Siehe z.B. www.korrekturen.de/nachgefragt/publika_als_plural_von_publikum.shtml (10.03.2015).
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welcher ebenfalls die unmittelbare Wahrnehmung des Bühnengeschehens fokussiert. Alle Begriffe verbindet der Umstand, dass sie ihren Gegenstand über eine gewisse Aktivität des Subjekts definieren. Die Erforschung derjenigen Personen, welche diese Aktivität (noch) nicht aufweisen ist damit allerdings noch nicht erfasst. Diese Perspektiverweiterung könnte durchaus auch unter dem Begriff der Publikumsforschung erfolgen, unter welchem neben aktuellem, durchaus auch potenzielles Publikum untersucht wird (vgl. Glogner und Föhl 2010). Allerdings impliziert dieser Begriff doch eine gewisse Bindung bzw. wohlwollende Nähe der Subjekte zu den kulturellen Angeboten. Die Perspektive ginge weiterhin vom kulturellen Angebot und nicht vom Subjekt aus. Auch bestünde die Gefahr, dass mit ‚Publikum‘ schließlich die gesamte Bevölkerung verstanden werden würde, obgleich diese – wie Kapitel 5 zeigen wird – eben gerade nicht zum Publikum öffentlich geförderter Veranstaltungen gehört. Aus diesen Gründen wird in diesem Buch mit ‚Nicht-Besucher‘ öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen ein Begriff gewählt, welcher explizit die Nicht-Aktivität hervorhebt und der wie in Kapitel 1.1 dargestellt, auch bereits im Rahmen der Publikumsforschung verwendet wird. Die Definition des Forschungsgegenstands der Nicht-Besucher durch das Merkmal des Besuchsverhaltens öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen und der Variablen der diesbezüglichen Inaktivität beschreibt allerdings ein theoretisches Modell, dessen Teilnehmer zwar kollektive Verhaltensweisen aufzeigen, sich selbst aber nicht darüber definieren. Es existieren durchaus sogenannte Out-Gruppen, welche sich allein durch Nicht-Aktivität oder gegensätzliche Einstellung und Abgrenzung von anderen Gruppen definieren (z.B. Atheisten, Kriegsdienstgegner, Anti-Atomkraftgruppen). Nimmt der Einfluss einer aktiven Gruppe auf die Lebenswelt von anderen zu, so kann eine solche oppositionelle Gruppenbildung erfolgen. Ihre Existenzgrundlage verschwindet aber oft auch mit dem Ende der anderen Gruppe. Obgleich Kulturpolitik wie dargestellt durchaus eine Wirkungsabsicht auf existenzielle Bereiche des Lebens hat (vgl. Schulze 1993), existieren keine organisierten Gruppen, welche sich über die Ablehnung öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen definieren. Eine Ausnahme bildeten die „Demonstrationen gegen die Subventionierung der Oper“ in finanzschwachen Kommunen (Fuchs 2014: 18), die den Legitimationsanspruch der Kulturförderung in Frage stellten, deren Organisationsgrad allerdings sehr gering war.6 Solche negativ definierten Gruppen stehen vereinzelt auch im Interesse anderer (sozial-)wissenschaftlicher For6
Vgl. www.melbbad.net/index.php/newsreader/items/Haushaltsinformation_Bonner_ b%C3%A4der_ und_Kultur.html?month=260809 (26.09.2014).
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schungen. Beispielsweise definiert die Medienwissenschaft recht pragmatisch und quantitativ „Nicht-Nutzer“ als „ein gegen die Berichtsbasis abgegrenztes Personensegment, das eine Sendung oder mehrere Sendungen nicht gesehen hat“.7 In der Tourismusforschung wird stellenweise der Begriff der Nichtreisenden verwendet, wobei lediglich einfache Gründe für die Reiseabstinenz, wie fehlende finanzielle Mittel oder gesundheitliche Aspekte im Sinne von Barrierenforschung genannt werden (vgl. Müller, H. 1997). In der Politikforschung sind zudem Nicht-Wähler Gegenstand von Untersuchungen (z.B. Bytzek und Bieber 2011). Eine Studie über politikferne Jugendliche kommt beispielsweise zur Erkenntnis, dass die Nicht-Teilhabe junger Menschen an politischen Prozessen auch „als eine Art vorweggenommene Fremdexklusion“ (Bremer 2008: 269) erklärt werden kann und es wird hinterfragt, in wie weit Einrichtungen der politischen Bildung allein durch ihre Existenz einen Beitrag zur Exklusion leisten. Diese Negativ-Definitionen des Forschungsgegenstands führen jedoch zu Problemen: Zum einen kann dieses soziologische Kollektiv nicht einfach als reale Gruppe gefunden werden. Eine Kultureinrichtung, welche die Nicht-Besucher zum Marktsegment auserkoren hat, kann keine unmittelbare Kommunikation mit dieser Zielgruppe betreiben. Zum anderen führt der Begriff der ‚Nicht-Besucher‘ auf Grund seiner doppelten Normativität zu forschungsethischen Problemen: Erstens könnte diese Negativdefinition ein Defizit kommunizieren: Die Merkmalsausprägung des Nicht-Besuchs definiert Personen über eine Inaktivität und beschreibt deren Verhalten erstmal als defizitär. Unabhängig der inhaltlichen Begründungen dafür hat dies mindestens in der empirischen Praxis von NichtBesucherforschungen zur Folge, dass die Forschungsfragen in der Datenerhebung so modifiziert werden müssen, dass die Befragten sich in der Ansprache und im Interview nicht angegriffen fühlen. Das ist unter anderem dadurch möglich, dass nicht von Nicht-Besucher-, sondern von Freizeitforschung gesprochen wird. Die zweite Normierung betrifft die Begrenzung des Forschungsgegenstands in Bezug auf die Nicht-Besuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen. Der Begriff der ‚Kultur‘ ist wie oben dargestellt normativ und die Definitionen in Bezug auf die öffentlich geförderte Kulturveranstaltung grenzt selbstverständlich weit ein. Entsprechend wäre eine Gruppenbeschreibung als „kulturfern“ (Frank et al. 1991: 345) zwar im Sinne dieser Definition richtig, bringt aber ethische Schwierigkeiten mit sich, wenn diese Prämissen nicht bekannt sind. Ethisch problematisch wird es dann, wenn auf solchen engen Kulturbegriffen aufgebaute empirische Studien später vor dem Hintergrund eines erweiterten, auch andere kulturelle Ausdrucksformen beinhaltenden Begriffs diskutiert werden (vgl. Renz 2014). 7
www.agf.de/service/glossar/ (10.03.2015).
2. Das Interesse an Nicht-Besuchern öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen
Nicht zuletzt aufgrund der beschriebenen forschungsethischen Probleme bedarf Nicht-Besucherforschung also einer guten Begründung, welche nicht nur auf eine unreflektierte ‚Überlebensfähigkeit‘ der alten Einrichtungen setzt, sondern deren Existenz vom Vorhandensein eines Publikums abhängig macht. Das Publikum öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen rückte in den letzten 30 Jahren immer stärker in das Interesse von Kulturproduktion und Kulturpolitik (vgl. Glogner und Föhl 2010). Begründungen für die Existenz von kulturellen Veranstaltungen gibt es viele: Sie reichen von normativen Feststellungen wie „Theater muss sein!“ (Everding und Seeger 1999) bis zu universellen Heilversprechen wie „Kunst rettet die Welt!“1. Welche essenzielle und somit existenzbegründende Rolle dabei das Publikum spielt ist unterschiedlich.
2.1 Ü BERGEORDNETE ANTHROPOLOGISCHE , PÄDAGOGISCHE , SOZIALE UND ÖKONOMISCHE W IRKUNGSINTENTIONEN KULTURELLER P RAXIS Die bereits erwähnten Wirkungsintentionen von Kulturpolitik sind äußerst vielfältig (vgl. Kapitel 1.2). Sie zielen immer auf Konsequenzen der Auseinandersetzung von Menschen mit Kultur und Kunst: Auf Individualebene versprechen diese neben dem Primärmotiv des ästhetischen Genusses, eine Verbesserung der menschlichen Fähigkeiten, wie z.B. Persönlichkeitsbildung oder Kreativitätsförderung, sowie Erholungs- und Unterhaltungsfunktionen. Auf gesellschaftlicher Ebene werden neben ökonomischen Effekten vor allem Verbesserungen des so1
www.welt.de/print/welt_kompakt/print_muenchen/article126549081/NeuerBallettchef-Selenski-Kunst-rettet-die-Welt.html (26.09.2014).
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zialen Lebens und der staatlichen Verfasstheit angestrebt. Besuche von kulturellen Veranstaltungen haben somit auch eine soziale Funktion. Diese muss allerdings nicht zwangsläufig zu positiv konnotierten Veränderungen führen, sondern kann auch zur Verfestigung des Macht- und Sozialgefüges beitragen (vgl. Bourdieu 1982). Auch lassen sich Gründe für eine „anthropologische Notwendigkeit der Künste für das Menschsein“ (Fuchs 2014: 14) belegen. Denn das Menschsein hat zu keinen Zeiten ohne künstlerische Praxis funktioniert: Das Musizieren, das Tanzen, das Geschichten-Erzählen oder das Rollenspiel waren stets konstituierende Faktoren für eine bewusste Lebensgestaltung (vgl. Plessner 1976). Allerdings basieren diese Überlegungen auf einem erweiterten Kulturbegriff, welcher eben nicht nur auf kulturelle Veranstaltungen im Sinne dieser Arbeit reduziert werden kann. Die Wirkungen wären auch mit anderen kulturellen Ausdrucksformen zu erreichen. Sie finden stellenweise sogar eher Ausdruck in Praktiken abseits der institutionalisierten, öffentlich geförderten Einrichtungen. Eine basale Ausdrucksform wie ‚das Tanzen‘ ist heutzutage nicht nur in der klassischen Ballettaufführung, sondern auch in populären Formaten, wie z.B. der Fernsehshow „Let‘s dance“2 erlebbar. Viele dieser anthropologischen, pädagogischen und vor allem auch sozialen Intentionen stellen dennoch Gründe für die Existenz von öffentlich geförderten Kultureinrichtungen dar, denn die dort entstehende künstlerische Praxis erfüllt eben auch die intendierten Funktionen. Diese Wirkungsintentionen sind universell und zu allen Zeiten gültig, allerdings verändert sich die jeweilige Wertigkeit im historischen Verlauf. Bernd Wagner hat in seiner Analyse der Kulturpolitik seit der frühen Neuzeit deutlich gemacht, dass bestimmte Funktionen wie z.B. Bildungswirkungen oder der Repräsentationszweck zu unterschiedlichen historischen Zeiten immer wieder Konjunktur hatten (vgl. Wagner 2009). Die Betonung dieser Funktionen kann in politischen Debatten um Fördermittel durchaus hilfreich sein. Allerdings führt diese auch zu einer gewissen Verzweckung der Kunst. Denn wenn die Funktionen in anderen Bereichen auch oder sogar einfacher erreicht werden können, sinkt der argumentative Wert. Zudem scheinen Wirkungszuschreibungen auch einer gewissen Halbwertszeit zu unterliegen: So spielt das Ende der 1980er Jahre propagierte ökonomische Potenzial der Kulturförderung (vgl. Beyme 2010) und eine damit verbundene „Umweg-Rentabilität“ (Heinrichs und Klein 2001: 381) gegenwärtig in Legitimationsdebatten keine wirkliche Rolle mehr, wohingegen die kulturelle Bildung als Funktion vor allem nach dem sogenannten PISA-Schock (vgl. Dietrich et al. 2013) eine deutliche Konjunktur erfuhr.
2
www.rtl.de/cms/sendungen/lets-dance.html (26.09.2014).
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Eine pragmatische Argumentation für eine Nicht-Besucherorientierung öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen könnte auch in der Logik begründet sein, dass die von allen Steuerzahlern finanzierten Theater und Museen eben auch von allen besucht werden sollten. Ein solches Szenario würde zwar vermutlich die Identifikation mit diesen Kultureinrichtungen erhöhen, ist aber steuerrechtlich kein überzeugendes Argument. Denn Steuern sind Abgaben, welche „zwangsweise und ohne Anspruch auf Gegenleistungen“ (Duden 1992: 353) erhoben werden. Im Gegensatz zu öffentlichen Gebühren (z.B. Müll- oder Bibliotheksnutzungsgebühren) ist die Verwendung der Steuergelder also nicht zweckgebunden und entsprechend ist kein unmittelbares Nutzungsrecht ableitbar. Allein die Begründung man sei Steuerzahler, führt also noch nicht zu einem Rechtsanspruch auf Einlass bzw. Kartenkauf bei den Bayreuther Festspielen. Zudem kann staatliche Förderung auch erfolgen, wenn diese nur von einem Teil der Gesellschaft unmittelbar genutzt wird, z.B. in der staatlichen Wohnungsbauförderung. Dann wird davon ausgegangen, dass ein beschränkter Kreis der direkten Empfänger auch Einfluss auf die gesamte Situation hat und alle indirekt von einer Verbesserung profitieren. Damit wird in der Kulturförderung ein weiterer Begründungsgedanke möglich: Kunst hat auch an sich einen Wert für eine Gesellschaft und „ein hohes künstlerisches Niveau stellt auch ohne hohe Nutzerquoten einen gesellschaftlichen Reichtum dar“ (Mandel 2008: 34). Zudem haben nur von einer Elite genutzte Kultureinrichtungen auch eine indirekte Wirkung auf diejenigen, die diese nicht besuchen. Das traditionelle Publikum im Theater zählt beispielsweise oft zu einer gesellschaftlichen Führungselite. Wenn also die oben dargestellten Wirkungsintentionen von Kunst greifen, so beeinflusst das auch indirekt deren Handeln (z.B. in den Medienwissenschaften dargestellt von Krause und Gehrau 2007).
2.2 F INANZIELLE ARGUMENTATION AUS S ICHT DES M ANAGEMENTS DER E INRICHTUNGEN Vor diesen vielfältigen Hintergründen ist die finanzielle Begründung für eine Aktivierung von Nicht-Besuchern wesentlich kürzer gegriffen, allerdings seit den 1990er Jahren im deutschen Kulturbetrieb sehr bedeutend. Seit den 1980er Jahren führten mehrere Entwicklungen zu einer (sach-)zwangsläufigen Auseinandersetzung von öffentlich geförderten Kulturveranstaltern mit ihrem potenziellen Publikum (vgl. Glogner und Föhl 2010). Zum einen nahm die Zahl der öffentlich geförderten Einrichtungen bis heute stark zu, ohne dass die damit verbundenen notwendigen öffentlichen Mittel adäquat gestiegen sind. Verstärkt
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wird diese Entwicklung gegenwärtig durch die Installation einer ‚Schuldenbremse‘, wonach öffentliche Haushalte keine Schulden mehr aufnehmen können und eine einfache Konsequenz im Abbau von freiwilligen Leistungen liegen könnte (vgl. Schwandner 2014). Die dadurch entstandene Konkurrenz zwischen öffentlich geförderten Kulturveranstaltern (und auch zu anderen Empfängern staatlicher Förderung, wie z.B. Schwimmbädern oder Kindergärten) wurde zudem durch das Aufkommen privatwirtschaftlicher Konkurrenz auf dem Freizeitmarkt verschärft (vgl. Glogner und Föhl 2010, Mandel 2008, Wagner 2009). Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft (vgl. Beck 1986, Schulze 1993) und das Wegbrechen bestimmter bisher besuchsaktiver Milieus (wie z.B. des ‚Bildungsbürgertums‘) führte zum anderen in den 1990er Jahren zu spürbaren Besucherproblemen in öffentlich geförderten Kultureinrichtungen. Unabhängig übergeordneter Zielsetzungen ergibt sich dadurch auf betrieblicher Ebene das Problem, dass bei stagnierenden Fördermitteln und in der Kulturproduktion nur bedingt möglichen Rationalisierungsmaßnahmen (vgl. Baumol und Bowen 1966) letztlich nur über eine ökonomisch sinnvolle Vollauslastung der Platz- bzw. Besucherressourcen – wohlgemerkt bei zahlenden Besuchern – dagegen gesteuert werden kann. Somit „feierte“ das Kulturmanagement auch „in den 1990er Jahren einen Siegeszug“ (Tröndle 2008: 134) und die Noch-NichtBesucher öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen wurden zum Gegenstand des Kulturmarketings (vgl. Klein, A. 2001, Müller-Wesemann 1995). Die NichtBesucher stehen dann ganz einfach aus ökonomischen und somit existenziellen Gründen im Interesse der Kultureinrichtungen und auch der Kulturpolitik.
2.3 K ULTUREINRICHTUNGEN UND DEMOGRAFISCHER W ANDEL Die bereits aufgeführten Veränderungen der Gesellschaft wurden im 21. Jahrhundert vor allem durch den demografischen Wandel verstärkt (vgl. Angenendt 2013). Ein gewisser Automatismus für politische Entscheidungen ergibt sich aus dem Geburtenrückgang und der Überalterung der Bevölkerung. Auch wenn diese Entwicklungen derzeit noch verstärkt ländliche und weniger urbane Räume betreffen, haben diese auch für Kultureinrichtungen Folgen: Erstens müssen auch öffentlich geförderte Theater, Museen und Konzerthäuser auf diese sich verändernden Umweltbedingungen reagieren, um auch zukünftig Publikum zu haben und sich damit auch in der Konkurrenz zu anderen öffentlich geförderten Einrichtungen außerhalb der Kulturpolitik zu behaupten. Es bietet sich also an, die durch den demografischen Wandel besonders wichtig werdenden Zielgrup-
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pen verstärkt anzusprechen. Zweitens können Kultureinrichtungen auch einen eigenen Beitrag leisten, diesen Wandel zu gestalten. Und zwar konstruktiv, indem sie mit ihrer inhaltlichen Arbeit bestimmte gesellschaftlich relevante Themen begleiten. Dies hat auch Auswirkungen auf eine langfristigere, langsamere Veränderung des Kulturbetriebs: Unter anderem durch Zuwanderungsprozesse verändern sich Wert- und Lebensvorstellungen einer Gesellschaft, was z.B. auch Auswirkungen auf das Personal von Kultureinrichtungen haben kann (vgl. Mandel 2013). Es sei allerdings angemerkt, dass diese ‚Verzweckung‘ der Kultur im Rahmen des demografischen Wandels durchaus einem ökonomischen Interesse dient: Die Gesellschaft und somit auch der Staat können es sich ‚nicht leisten‘, zukünftig relevante Zielgruppen (z.B. Menschen mit Migrationshintergrund oder Senioren) zu ignorieren, da ansonsten insbesondere die Sozialsysteme nicht mehr funktionieren würden. Würden andere Lösungen z.B. für eine Reform zukünftiger Rentensysteme gefunden werden, so würde die Begründung für diese Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern an argumentativem Gewicht verlieren.
2.4 T EILHABE ALS R EFERENZRAHMEN FÜR N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG 2.4.1 ‚Kultur für alle‘ als kulturpolitisches Dogma Die bisherigen Überlegungen zeigen, dass die vielfältigen Wirkungsintentionen, rechtliche Vorgaben und ökonomischen Entwicklungen zwar die Existenz eines Publikums voraussetzen, eine kulturpolitische Auseinandersetzung mit NichtBesuchern jedoch noch nicht befriedigend rechtfertigen. Es bedarf also weiterer Begründungen, weshalb sich kulturpolitische Akteure mit einer Nutzung öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen durch eine kleine Elite nicht zufrieden geben. Die entscheidenden Gründe liegen in den kulturpolitischen Neubestimmungen der 1970er Jahre, die wissenschaftliche Fundierung in der Teilhabe- und Ungleichheitsforschung. Zunächst soll den historischen Entwicklungen der Kulturpolitik nachgegangen werden: Nach einer kurzen Phase einer teils restriktiven Kultur- und Gesellschaftspolitik durch die Besatzungsmächte nach dem 2. Weltkrieg, förderte die Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren weniger die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Problemen der jüngsten Vergangenheit, sondern eher ein „affirmatives Beharren auf die Traditionen der Hochkultur“ (Höhne 2009a: 25). Dies zeichnete sich beispielsweise im verhält-
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nismäßig raschen Wiederaufbau der zerstörten Theatergebäude und programmatisch in Inszenierungen von Klassikern wie beispielsweise Lessings „Nathan der Weise“ (Overesch 2006: 311) am Hildesheimer Stadttheater aus. Das Publikum spielte dabei konzeptionell keine besondere Rolle: Die Kulturpolitik der 1950er Jahre sah „den Nutzer von Kunst und Kultur prinzipiell nicht als Subjekt, sondern vorrangig nur als Objekt der eigenen – sicherlich lobenswerten – ‚kulturpflegerischen‘ Bemühungen“ (Klein, A. 2008: 92). Potenzielle Bedürfnisse eines gesellschaftlich diversen Publikums waren kein Gegenstand kulturpolitischer Diskussionen (vgl. Beyme 2010). Die in den 1960er Jahre beginnenden gesellschaftlichen, teils außerparlamentarischen Entwicklungen hatten dann spätestens in den 1970er und frühen 1980er Jahren Auswirkungen auf alle Lebensbereiche und damit auch Politikfelder. Neben der Neuausrichtung der Außenpolitik Richtung Osten nach Jahren der Westanbindung war ein weiteres neugestaltetes Politikfeld der sozialliberalen Bundesregierung eine Sozialpolitik, welche soziale Gerechtigkeit und gesamtgesellschaftliche Teilhabe zum Ziel hatte (vgl. Schulze, H. 1996). Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaft, Bemühungen um Chancengleichheit sowie Planungsdenken in allen gesellschaftlichen Bereichen waren die zentralen neuen politischen Motive (vgl. Höhne 2009a). Die daraus folgenden politischen Forderungen und Entscheidungen basierten zwar nicht immer auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens, betrafen jedoch alle denkbaren Politikfelder. In der Bundesrepublik Deutschland entstand dadurch nach der bisherigen Traditionspflege der Kultureinrichtungen, die bis heute einflussreichste inhaltliche Neuausrichtung der Kulturpolitik – vor allem auch in Bezug auf die Rolle der Nicht-Besucher: „Demokratisierung von, Partizipation an und Emanzipation durch Kultur waren Zielsetzungen der kulturpolitischen Reformbewegungen dieser Jahre.“ (Wagner 2009: 19)
Dies wurde im Grunde in zwei Themenfeldern definiert, welche bis in die Gegenwart die Wirkungsintentionen kulturpolitischer Akteure beeinflussen: Zum einen wurde eine Erweiterung des Bildungs- und Kulturbegriffs sowie der künstlerischen Praxis außerhalb der klassischen Einrichtungen gefordert. Kultur sollte lebensnaher werden, soziale Entwicklungen fördern und von allen mitgestaltet werden. Am offensichtlichsten wurde dies in der neu entstandenen Soziokultur und den damit verbundenen geförderten Einrichtungen umgesetzt (vgl. Knoblich 2007). Zum anderen wurde eine möglichst breite Teilhabe an öffentlich geförderter Kultur gefordert. Noch heute populär (vgl. Schneider, W. 2010) sind diese Ideen einer ‚Neuen Kulturpolitik‘ aus den Werken von Hermann Glaser und
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Karl-Heinz Stahl (1983) mit dem Slogan ‚Bürgerrecht Kultur‘ sowie aus dem Bestseller ‚Kultur für alle‘ von Hilmar Hoffmann (1981). Hoffmann, selbst sozialdemokratischer Kulturdezernent in Frankfurt am Main, bündelt darin die Ergebnisse vieler sozialdemokratischer und auch ehemals ‚linker‘ Diskussionen zu einer Veränderung des öffentlichen Kulturbetriebs. Die Forderung nach ‚Kultur für alle‘ war insofern ein Paradigmenwechsel, als dass viele Sparten öffentlich geförderter Kultureinrichtungen in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik Orte einer zumindest tendenziell gesellschaftlichen bürgerlichen Elite waren. Sie war allerdings auch eine Weiterentwicklung der politischen Leitziele der Nachkriegsjahre, nachdem mit dem wirtschaftlichen Wiederaufbau „Wohlstand für alle“ (Erhard 1957) und damit eine ökonomische Absicherung breiter Teile der Gesellschaft einigermaßen erreicht war. Die zentrale Forderung in ‚Kultur für alle‘ war, dass jeder Bürger grundsätzlich in die Lage versetzt werden müsse, „Angebote in allen Sparten und mit allen Spezifizierungsgraden wahrzunehmen“ (Hoffmann 1981: 29). Bemerkenswert ist, dass diese auf gesellschaftliche Gerechtigkeit zielende, ehemals sozialdemokratische Forderung (vgl. Kolland 1996: 107) spätestens Ende der 1990er Jahre zum kulturpolitischen Konsens geworden ist. Ebenso – und dies ist im Vergleich zu anderen Politikfeldern eher außergewöhnlich – herrscht im Kulturbetrieb ein Verlangen nach ‚Kultur für alle‘, das sogar als Paradigma oder nicht weiter hinterfragtes Dogma (im Sinne eines unumstößlichen und nicht zu hinterfragenden Wahrheitsanspruches) der eigenen Arbeit beschreiben werden könnte. Stimmen, welche öffentlich geförderte Kulturangebote explizit als Ort für eine gesellschaftliche Elite fordern, sind in partei- oder verbandspolitischen Diskursen sowie im Kulturbetrieb selbst nicht wirklich öffentlich zu hören. Dies ist insofern bemerkenswert, da solch eine klare Zielsetzung, nämlich alle Menschen mit öffentlichen Einrichtungen zu erreichen, in anderen Politikfeldern nicht so widerspruchslos zu finden ist. Der Blick auf die Bildungspolitik, welche der Kulturpolitik in manchen Strukturen und einigen Zielen durchaus nahesteht, zeigt, dass dort relevante partei- und verbandspolitische Kräfte durchaus andere Ziele als eine möglichst breite Teilhabe verfolgen. Beispiele hierfür sind die ablehnenden Positionen bürgerlich-konservativer Parteien zu einem Ausbau der Gesamtschulen (vgl. Bönsch 2006) oder das strukturelle Festhalten relevanter Interessenverbände am dreigliedrigen Schulsystem.3 Die Ideen der 1970er hatten und haben (vgl. Schneider, W. 2010, Kulturpolitische Gesellschaft 2012, Schwandner 2014) enormen Einfluss auf die Wir-
3
Vgl. www.phv-bw.de/Standpunkte/Bildungspolitik/Stimmen-zur-Schulstrukturdebatte. html (29.09.2014).
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kungsintentionen der Kulturpolitik in Deutschland. Zusammenfassend können als wichtigste Entwicklungen skizziert werden: • • • • •
die konzeptionelle Öffnung von Kultureinrichtungen für ein möglichst großes und nicht elitäres Publikum, die prinzipiellen Bemühungen um neue Zielgruppen, die Betonung der Potenziale von Kultur für Bildung und Soziales, die Integration soziokultureller Angebote in die Arbeit der Kultureinrichtungen (z.B. Familientage im Museum), die quantitative Ausweitung des institutionalisierten Angebots.
Diese ‚Neue Kulturpolitik‘ war anfangs eng mit den Ideen der Bildungsreform verbunden. Albrecht Göschel macht darauf aufmerksam, dass dies in den ersten Jahren inhaltlich zu einer kulturpolitischen Fixierung auf Bildungseinrichtungen wie z.B. Volkshochschulen führte. Zwar wurde dadurch eine Legitimation durch die Orientierung „am Sozialstaatsparadigma in der Form von „Umverteilung“ zur Verwirklichung von Chancengleichheit“ (Göschel et al. 1995a: 23) möglich, ein solch verengtes Verständnis von Kulturpolitik reduziert Kultureinrichtungen aber auch auf die pädagogischen Leistungen von Bildungseinrichtungen. Diese „Verschiebung des Kulturellen ins Sozialstaatliche“ (Göschel 1995b: 29) wird insofern zum Problem, da die Begründung von Kulturpolitik somit nicht mehr auf der Funktion des Kulturstaats als „ethisch-moralische Fundierung“ (Göschel 1995b: 26) basiert, sondern an sozial- oder rechtsstaatliche Paradigmen geknüpft wird, ohne dass ein kultureller Eigenwert relevant wäre. Entsprechend betonten die Vordenker der ‚Neuen Kulturpolitik‘ ihre Argumentation: Der Anschluss an das Sozialstaatsprinzip wurde um die Potenziale des ästhetischen Erlebens erweitert, welches Bildungseinrichtungen allein nicht leisten können (vgl. Hoffmann 1981). Jedoch blieben die Funktionen von Bildungs- und Kulturpolitik seitdem verknüpft und „die Teilhabe aller und besonders der Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Bildungsstand an kulturellen und künstlerischen Prozessen dennoch bis heute ein wesentliches Ziel der reformierten, der Neuen Kulturpolitik“ (Göschel et al. 1995a: 25). Kernpunkt dieser Entwicklungen in der kulturpolitischen Argumentation bilden also weitreichende Wirkungsintentionen von Kultur, welche allerdings nicht immer auf ihre tatsächliche Wirkung hin überprüft wurden. Vielmehr scheinen die Aktivitäten dieser ‚Neuen Kulturpolitik‘ von einem gewissen Enthusiasmus geprägt gewesen zu sein. Der langjährige Wegbegleiter von Hilmar Hoffmann im Kulturdezernat der Stadt Frankfurt am Main Dieter Kramer schreibt dazu:
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„In den 14 Jahren, in denen ich aktiv an der Frankfurter Kulturpolitik beteiligt war, haben wir nie ernsthaft Wirkungsforschung betrieben – nicht nur, weil wir keine Zeit oder kein Geld gehabt hätten, sondern auch weil es ein so brennendes Interesse daran nicht gab. Kulturpolitik hatte ihr Programm und war von dessen Qualität und Bedeutung so überzeugt, dass eine empirische Nachfrage nicht notwendig schien.“ (Kramer 1995: 162)
Albrecht Göschel macht allerdings deutlich, dass gerade die Benennung und Überprüfung der Ziele Grundlage für die Politik war: Eben aus diesen Zielen „bezieht die Neue Kulturpolitik geradezu ihre Legitimation und wendet sie gegen eine ‚traditionelle‘, ‚elitäre‘ oder ‚affirmative‘ Kultur, die auf Formulierungen begründeter Ziele verzichtet und ihre eigene Berechtigung nur behauptet“ (Göschel et al. 1995a: 17). Aber erst Ende der 1980er Jahre wurden aufgrund von knapp werdenden öffentlichen Mitteln erste Evaluationen von öffentlichen Kultureinrichtungen in Deutschland durchgeführt. Diese Wirkungskontrolle ging also weniger auf ein intrinsisch-empirisches Interesse am Erfolg der eigenen Ideen, sondern mehr auf einen ökonomisch bedingten Legitimationsdruck zurück (vgl. Timmerberg 2008). Obgleich in der Kulturpolitik der politisch relevanten Parteien radikal unterschiedliche Positionen so gut wie gar nicht zu finden sind (vgl. Rettich 2000) und ein Konsens nach ‚Kultur für alle‘ herrscht,4 besteht eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen Wirkungsintention und Ergebnis der Handlung. Die Ausführungen in Kapitel 5 zeigen, dass eine statistische sozialwissenschaftliche Analyse des Publikums von Kultureinrichtungen den Anspruch von ‚Kultur für alle‘ überhaupt nicht als erfüllt bestätigen kann. Norbert Sievers schreibt daher rückblickend auf die letzten 30 Jahre der Neuen deutschen Kulturpolitik: „Was bleibt, ist die ernüchternde Feststellung, dass die Verbesserung der Rahmenbedingungen offenbar nicht mit einer allgemein wachsenden kulturellen Beteiligung einhergeht.“ (Sievers 2006: 10)
Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität ist bemerkenswert und begründet schließlich eine weitere wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der kulturpolitischen Dimension von Nicht-Besucherforschung. Eine Arbeit welche diese kulturpolitischen Entwicklungen in Deutschland ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachzeichnet und daraus sogar die wesentliche Begründung für die Untersuchung der Nicht-Besucher macht, hat allerdings seit 1990 das ‚Problem‘, dass die Koexistenz von zwei Staaten entweder 4
Siehe dazu exemplarisch www.kulturrat.de/dokumente/wahlpruefsteine-bundestags wahl2009.pdf (09.10.2014).
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gleichberechtigt abgebildet werden muss oder eine Entwicklung ignoriert wird. Nicht beachtet wird dann meistens – wie auch im bisherigen Verlauf des vorliegenden Textes – die Geschichte der ehemaligen DDR. Analog zu deren formaljuristischen Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der BRD scheint das Zusammenwachsen zweier Teile auch in der Forschung weniger von Integration als von Assimilation gekennzeichnet zu sein. Ohne die eigenständige Entwicklung der Kulturpolitik der DDR nun aufzuarbeiten, sei in diesem Kapitel auf ein paar, auch für das Thema dieser Arbeit besondere Aspekte hingewiesen. Anzumerken ist, dass dies nur verkürzt erfolgen kann, was anlässlich der starken Ideologisierung der Thematik nicht unproblematisch sein mag. Laut dem Erfurter Kulturdirektor Tobias Knoblich sind entsprechende Überlegungen immer auch „der Versuch einer vorsichtigen Erkundung zwischen Ideologie und Wirklichkeit“ (Knoblich 2012: 90), ohne damit eine nachträgliche Bewertung im Sinne von ‚besser‘ oder ‚schlechter‘ vornehmen zu müssen. Durch die starke Politisierung der Künste, deren Verzweckung zum Aufbau eines sozialistischen Staates (siehe Verfassung der DDR von 1968, Artikel 18) und dem Ziel „der moralischen, politischen und ästhetischen Erziehung der ostdeutschen Bevölkerung im Sinne der herrschenden Weltanschauung“ (Grundmann 2012: 1) war es ein wesentliches Anliegen der Kulturpolitik der DDR, Zugänge für die ganze Bevölkerung zu kulturellen Angeboten zu schaffen. Im Gegensatz zur BRD bedurfte es also nicht erst einer ‚Neuen Kulturpolitik‘ und einer späteren Forderung nach ‚Kultur für alle‘; zumindest theoretisch war diese Idee bereits Grundlage der kulturpolitischen Ziele seit Gründung der DDR. Dabei wurde die Kunst nicht ‚neu erfunden‘, vielmehr wurde an bestehenden Infrastrukturen (z.B. Theater- und Museumsgebäuden) festgehalten, wenn auch mit einer thematischen Neuausrichtung, wie beispielsweise der Propagierung des Sozialistischen Realismus. Auch wurden manche sozio-kulturellen Ideen in der DDR früher und konsequenter umgesetzt als in der BRD, insbesondere die Verbindung von Alltag und Kultur und das eigene künstlerische Schaffen der Bevölkerung. Damit wurde vor allem die Auseinandersetzung der damals propagierten Arbeiterklasse mit kreativer und künstlerischer Tätigkeit gefördert. Als Folge des ‚Bitterfelder Wegs‘ (vgl. Barck und Führmann 2007) sollten Kunst und Künstler in die Betriebe integriert werden, um zum einen den Stellenwert der Themen der Werktätigen in der Kunst zu erhöhen, zum anderen aber auch die wirtschaftliche Leistung der Betriebe zu stärken. In der BRD waren die wenigen sozialistisch-emanzipatorischen Versuche des Zusammenbringens einer repräsentativen Kunst mit
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Arbeitern, wie beispielsweise das Projekt „Arbeiter diskutieren Kunst“ des Künstlers Max Imdahl (1982) im Bayerwerk Leverkusen, eher selten. 2.4.2 Teilhabe oder Partizipation? Seit mehr als 30 Jahren prägt die Maxime ‚Kultur für alle‘ also die ursprünglich west-, dann gesamtdeutsche Kulturpolitik. Im Folgenden soll deshalb erörtert werden auf welchen begrifflichen und wissenschaftlichen Hintergründen dieses Ziel basiert, welche sozialwissenschaftlichen Theorien das Phänomen beschreiben und in welchen Handlungsfeldern politische Veränderungen möglich wären. In kulturpolitischen Debatten ist die Forderung nach ‚Kultur für alle‘ eng mit den Begriffen ‚Partizipation‘ und ‚Teilhabe‘ verbunden: Es wird die manchmal recht einfache Forderung erhoben, dass möglichst alle an Kulturangeboten teilhaben oder partizipieren sollen (z.B. Hoffmann 1981, Kulturpolitische Gesellschaft 2006). Die beiden Begriffe sind in diesen Argumentationen allerdings selten theoretisch eindeutig definiert und häufig werden sie synonym verwendet.5 Der etymologische Ursprung von ‚Partizipation‛ (lat. pars = Teil, capere = fangen, sich aneignen) macht bereits deutlich, dass die Teilnahme eines Individuums an z.B. sozialen Prozessen oder an einer Kulturveranstaltung allerdings mehr als ein einfaches ‚Dabeisein‘ und somit eine aktive Teilnahme im Sinne einer persönlichen Involvierung bedeuten kann. Auch im internationalen Vergleich zeigt sich diese Mehrdeutigkeit des Phänomens: Entsprechend differenzieren englische Studien ‚Teilhabe‘ mit den Begriffen ‚participation‘ (i.S. von aktiver Teilnahme) und ‚attendance‘ (i.S. von passiver Anwesenheit) (vgl. Schuster 2007, DCMS 2008). Die Diskussion von Nicht-Besucherforschung vor dem Hintergrund dieser Begriffe bedarf somit einer Klärung der empirischen Messbarkeit und der theoretischen Normierung. Die Messung der Anwesenheit auf kulturellen Veranstaltungen ist empirisch über verhaltensrelevante Merkmale recht einfach forschungstechnisch möglich: Die erfolgte Besuchsaktivität ist dann über die Beobachtung von Ticketverkäufen oder über die nachträgliche Befragung der Besucher messbar (siehe Kapitel 5). Dieses statistische Merkmal ist dann Voraussetzung für jede weitere Binnendifferenzierung von Teilhabe. Das einfache ‚Dabeisein‘ sagt allerdings noch nichts über weitere z.B. persönlich oder sozial erlebte Prozesse des Besuchs aus (siehe Kapitel 6). Diese bedürfen allerdings einer theoretischen Fundierung, welche von den zugeschriebenen Funktionen der Besuche abhängig ist. Dazu zählen auf der Ebene der individuellen Aneignung beispielsweise die persönliche Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk an sich, 5
Siehe exemplarisch auch die Nicht-Differenzierung auf de.wikipedia.org/wiki/Teilhabe (04.10.2014).
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dadurch ausgelöste Lern- bzw. Bildungsprozesse oder auch kontemplative und regenerative Funktionen. Auf Ebene der sozialen Prozesse im Rahmen eines Besuchs sind beispielsweise Interaktionen mit anderen Besuchern, soziale Integration in bestimmte Gruppen oder sogar Distinktionsprozesse zu nennen. Auch werden in diesem Kontext Ziele definiert, wonach die Individuen in Gestaltungsprozesse involviert werden. Dies wird z.B. in der Entwicklung des Theaters deutlich: Zunehmend werden bisherige passive Zuschauer zu aktiven Mitspielern, wie beispielsweise in den Bürgerbühnen öffentlich geförderter Theater (vgl. Kurzenberger und Tscholl 2014). Diese Merkmale sind nur schwer zu operationalisieren und damit messbar zu machen. Zudem bedürfen sie einer guten theoretischen Fundierung, welche schließlich die Norm für den jeweiligen Teilhabebegriff darstellt: Ab wann ist z.B. soziale Integration oder kulturelle Bildung erfolgt? Und wie kann dieser Zustand jeweils empirisch überprüft werden? Kapitel 5 wird zeigen, dass in der Besucherforschung bereits kein wissenschaftlich verbindlicher Begriff von Teilhabe als einfach messbares ‚Dabeisein‘ existiert. Die Normierung, was darüber hinausgehend qualitativ unter Teilhabe verstanden wird, ist noch uneindeutiger und von den jeweiligen Funktionszuschreibungen der Besuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen abhängig. Deshalb wird in diesem Buch von folgender Differenzierung ausgegangen: •
•
Die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen liegt im einfachen ‚Dabeisein‘. Das inhaltliche Ausmaß dieser Anwesenheit kann empirisch auf der Output-Ebene durch das Verhalten gemessen werden. Des Weiteren können politische, pädagogische, soziale und psychologische Normierungen erfolgen, wie erfolgreiche Teilhabe darüber hinaus theoretisch verstanden wird. Dazu zählt als inhaltliches Ausmaß auch die Involvierung der Individuen in Gestaltungsprozesse. Dieses individuelle und soziale Erleben kann empirisch auf der Outcome-Ebene im Sinne von Wirkungsforschung gemessen werden.
Gegenwärtig scheint sich im deutschsprachigen wissenschaftlichen (vgl. Bartelheimer 2007, Fuchs 2008, Vortkamp 2008, Wansing 2006) wie auch im politischen (vgl. Bundesregierung 2005, Europäische Kommission 2004) Kontext ‚Teilhabe‘ statt ‚Partizipation‘ als Begriff für solche Überlegungen durchzusetzen, welcher die passive Anwesenheit zur notwendigen, messbaren Prämisse einer Involvierung der Individuen in Prozesse beinhaltet. Max Fuchs begründet diese Begriffsentwicklung auch mit der sehr pädagogischen Konnotation des
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Begriffs von ‚Partizipation‘ (vgl. Fuchs 2008). Auch in Bezug auf öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen wird Partizipation in der Praxis von Museen (z.B. Ackermann et al. 2013, Gesser et al. 2011) oder Theatern (z.B. Gloystein 2013) gegenwärtig weniger als soziologischer Blick auf quantitativ messbare Teilhabe gesellschaftlicher Gruppen und mehr als pädagogischer Blick auf individuelle Aneignungsprozesse der Besucher oder Zuschauer im Sinne einer persönlichen Involvierung verwendet. Zudem dient ‚Teilhabe‘ auch zunehmend als Übersetzung des international gebräuchlichen Begriffs ‚inclusion‘ (vgl. Bartelheimer 2007). Das naheliegende Äquivalent ‚Inklusion‘ (vgl. Stichweh 2005) ist nämlich in deutschsprachigen Diskursen definitorisch recht stark vorbelastet: Zum einen verwendet Niklas Luhmann diesen Begriff in seiner wissenschaftlich breit rezipierten Systemtheorie in einem anderen Verständnis. Er geht dabei von „funktional differenzierten Gesellschaften“ (Luhmann 1981: 19) aus, die Exklusion und Inklusion in gesellschaftlichen Teilsystemen zulassen und somit zum Theorie gestaltenden – und nicht zum gesamtgesellschaftlich veränderungswürdigen – Faktor machen. Zum anderen wird ‚Inklusion‘ in gegenwärtigen politischen Diskussionen in Deutschland auch als Folge der Umsetzung des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen stark auf jene Teilzielgruppe (vgl. Föhl und Erdrich 2007, Seiffert 2014, Wansing 2006) vor allem im Bildungswesen (vgl. Reich 2012) konzentriert, wenn nicht sogar reduziert. 2.4.3 Teilhabe und soziale Ungleichheitsforschung Aus diesen Gründen wird im Folgenden ‚Teilhabe‘ als Begriff zur wissenschaftlichen Diskussion des Phänomens der Nicht-Besucher verwendet. Näher betrachtet geht es um die empirische Messung und theoretische Diskussion des Zugangs von Individuen einer Gesellschaft zu bestimmten Angeboten. Gerade weil die jeweiligen Normierungen, was dadurch erreicht werden soll, wie dargestellt sehr unterschiedlich sein können, bedarf es einer wissenschaftlich fundierten Theorie, welche das Phänomen strukturiert. Die soziale Ungleichheitsforschung liefert hierzu die notwendigen Überlegungen: „Soziale Ungleichheit liegt dann vor, wenn Menschen aufgrund ihrer Stellung in sozialen Beziehungsgefügen von den „wertvollen Gütern“ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten.“ (Hradil 2001: 30)
Wenn Menschen zusammenleben entstehen immer Unterschiede. Diese können beispielsweise biologisch (z.B. Kinder/Senioren) oder kulturell (z.B. Chris-
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ten/Atheisten) begründet sein. Es gibt unzählige Beispiele für ‚Verschiedenartiges‘, welche zunächst keine Ordnung oder Abstufung beinhalten. Wenn die Unterschiede allerdings eine solche ordinale Bewertung im Sinne von ‚besser/schlechter‘ oder ‚höher/tiefer‘ implizieren, dann liegt eine soziale Ungleichheit vor (vgl. Hradil 2001). Die soziale Ungleichheitsforschung verbindet eine solche empirische Beobachtung nicht zwangsläufig mit einer Bewertung als problematisch oder veränderungswürdig. Beispielsweise können systembedingte Ungleichheiten durchaus gewollt sein, z.B. zwischen Richter und Angeklagtem. Es bedarf also einer Definition der von Stephan Hradil benannten „wertvollen Güter“ (2001: 30). Diese „Vorstellungen vom Wünschenswerten“ (Hradil 2001: 28) sind historisch abhängig von den Werten und Vorstellungen einer Gesellschaft. Im Verlauf der Wissenschaftsgeschichte wurden unterschiedliche Theorien zur Erklärung der Ursachen sozialer Ungleichheit entwickelt. Dazu zählen die Klassentheorie von Karl Marx, die Typologie der Klassen, Stände und Parteien von Max Weber oder beispielsweise auch Pierre Bourdieus Habitus-Theorie. Je nachdem welche Ursachen für soziale Ungleichheit die jeweilige Theorie benennt, werden entsprechend ‚wertvolle Güter‘ definiert. Im marxistischen Kontext handelt es sich z.B. im ökonomischen Sinn um den Besitz der Produktionsmittel. Bourdieu erweitert die Erklärung der Ungleichheit um den Indikator der Kultur und macht somit ihren Doppelcharakter in diesem Kontext deutlich: Zum einen ist kulturelle Teilhabe im Sinne des Besuchs öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen ein zu beobachtendes Phänomen sozialer Ungleichheit. Zum anderen ist dieses Phänomen auch Ursache bzw. Erklärung für soziale Ungleichheit an sich (vgl. Bourdieu 1982). Bourdieus Verdienst ist die Beobachtung, dass „ein Mangel an ökonomischem Kapital in der Herkunftsfamilie immer auch zu Habitusstrukturen führen kann, die […] ungleiche Partizipationsmöglichkeiten an kulturellen Angeboten nach sich ziehen“ (Beer 2004: 27). Es bleibt aber immer noch die Frage offen, aus welchen Gründen die soziale Ungleichheitsforschung u.a. kulturelle Teilhabe zur Norm macht. Beispielsweise verzichtet Bourdieu selbst auf eine normative Wertung der von ihm entworfenen „Geschmacksklassen“ (vgl. Bourdieu 1982, Beer 2004). Auch führen weitere moderne Erklärungsansätze der Gesellschaft eher zu noch mehr Unklarheit: Indem sich die Gesellschaft immer weiter ausdifferenziert und parallel verschiedene unterschiedliche Lebensentwürfe friedlich koexistieren (vgl. Beck 1986, Schulze 1993), verlieren auch moralische oder ästhetische Wertungen an Gewicht. Weshalb wird also soziale Ungleichheit z.B. in Bezug auf Besuche öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen als ‚ungerecht‘ und ‚abbau-würdig‘ verstanden?
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2.4.4 Teilhabe, Demokratie und Menschenrechte An dieser Stelle sollen deshalb die Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte als normativer Rahmen der Ungleichheitsforschung angeführt werden: Denn „mit der Idee einer demokratischen Rechtssetzung ist […] der Moderne ein Restideal geblieben, dass auf eine breite Zustimmung verweisen kann“ (Beer 2004: 42). Bereits die etymologische Bedeutung im Sinne der Volksherrschaft verweist auf die existenzielle Grundlage der Beteiligung vieler an diesem politischen System. Auch wenn in der griechischen Antike nur eine (männlich wohlhabende) Elite damit gemeint war, war die Teilhabe an politischen Entscheidungen systemimmanent. Das moderne Demokratieverständnis entspringt den Ideen der Aufklärung und auch unsere heute gültigen politischen Kategorien und Grundsätze haben sich bereits im 19. Jahrhundert manifestiert (vgl. Hübner 2013). Die Grundideale der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Solidarität funktionieren in der Praxis nur, wenn alle Individuen an politischen Prozessen teilnehmen können. Sind wesentliche Teile von politischen Entscheidungsprozessen systembedingt ausgeschlossen, so wäre das wichtigste Kriterium von Demokratie nicht erfüllt und es würden andere Systeme wie z.B. Oligarchien oder Diktaturen entstehen. Ein demokratisches Gemeinwesen hat also ein Interesse daran, die Strukturen so zu gestalten, dass alle Teilnehmer an systemkonstituierenden Prozessen teilhaben können. Historisch betrachtet entwickelten sich diese Begründungen für einen Abbau sozialer Ungleichheit aus den zunehmenden Ansprüchen eines erstarkenden (und sich von Adel und Klerus abgrenzenden) Bürgertums (vgl. Hübner 2013: 36). Verstärkt wurde diese soziale Forderung durch das Entstehen einer breiten Arbeiterklasse im Verlauf der industriellen Revolution. Innerhalb eines demokratischen Staates wurde somit die Diskrepanz zwischen den Ansprüchen nach Gleichheit und Teilhabe auf der einen und unterschiedlichen Lebensbedingungen auf der anderen Seite zum abbauwürdigen Problem. Auch Hilmar Hoffmann verbindet seine Argumentation in ‚Kultur für alle‘ bereits eng mit diesen Gedanken: Demokratie müsse in allen gesellschaftlichen Subsystemen gelebt werden, sonst könne ein demokratischer Staat nicht funktionieren. Er leitet aus dem demokratischen Prinzip ein „Gebot der Gesetzmäßigkeit“ ab, wonach kulturpolitische Handlungen „möglichst jedem Menschen den organisatorischen Zugang zu und die rezeptive Teilhabe an den verschiedenen Erscheinungsformen von Kunst zu ermöglichen“ haben (Hoffmann 1981: 46). Diese Argumentation macht deutlich, dass ein staatliches Handeln zugunsten einer solchen ‚gelebten Demokratie‘ nicht nur ein Bereitstellen des aktiven und passiven Wahlrechts sowie einer Sicherung der liberalen Abwehrrechte im juris-
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tischen Sinne darstellt, sondern vielmehr in verschiedene Lebensbereiche präventiv oder regulierend eingreifen und damit soziale Anspruchsrechte aktiv fördern kann. Der Staat wird also versuchen Individuen dahingehend zu fördern, dass sie „aufgrund ihrer kognitiven und moralischen Entwicklung befähigt sind, sich gleichberechtigt und mündig in demokratischen Diskursen zu artikulieren“ (Beer 2004: 42). Dieses Verständnis von Teilhabe als Grundelement der Demokratie ist auch eng mit der Idee der Menschenrechte verknüpft. Denn die Verbindung von Gleichheit und Freiheit ist ein wesentliches Resultat der politischen Philosophie der Aufklärung. Menschenrechte sind somit ein grundlegendes Element demokratischer Rechtsstaaten, in deren Verfassungen Teilhabe durch Freiheitsrechte garantiert wird (vgl. Kreide 2008). Zwar ist die inhaltliche Ausgestaltung der Menschenrechte trotz ihres universalen Anspruches auch historisch bedingt (z.B. wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland erst 1918 eingeführt) und es gibt durchaus Diskussionen über die Existenz von Menschenrechten ohne Demokratie (vgl. Haller 2013). Dennoch lassen sich trotz der historischen Abhängigkeit vier Formen der Teilhabe in den Menschenrechten zusammenfassen: Politische, ökonomische, soziale und kulturelle Teilhabe (vgl. Bartelheimer 2007, Fuchs 2008, Koller 2004). Die kulturelle Teilhabe als Menschenrecht ist demnach Prämisse für eine demokratisch legitimierte Kulturpolitik. Dieses Recht ist also unveräußerlich, d.h. es geht der staatlichen Rechtsordnung voraus. Demokratische Staaten haben Menschenrechte explizit in ihren Verfassungen anerkannt (z.B. die Bundesrepublik Deutschland im Grundgesetz Artikel 1 Abs. 2). Die Vereinten Nationen haben 1948 mit der ‚Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte‘ eine lange Liste von Rechten beschlossen, welche mit Artikel 27 auch explizit ein Recht auf kulturelle Teilhabe benennt: „Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen.“ (Vereinte Nationen 1948)
In der Folge wurden noch weitere Resolutionen der Vereinten Nationen verabschiedet, welche ebenfalls explizit eine solche kulturelle Teilhabe beinhalteten, z.B. das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Jahr 2008. Dies hat auch Auswirkungen auf nationale Politik, beispielsweise stellte die Bundesregierung 2010 einen Nationalen Integrationsplan vor, welcher Integration z.B. auch als Aufgabe von öffentlichen Museen benannte.6
6
Vgl. www.bundesregierung.de/Content/DE/Archiv16/Artikel/2007/07/Anlage/2007-1010-18-nationaler-integrationsplan.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (06.10.2014).
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Auch die Deutsche UNESCO Kommission bestimmt einen „gleichberechtigten Zugang aller gesellschaftlichen Gruppen zu einem reichen und vielfältigen Spektrum kultureller Ausdrucksformen“ (Deutsche UNESCO Kommission 2009: 6) als Kennzeichen demokratischer und moderner Kulturpolitik. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat ebenfalls die Bedeutung der kulturellen Teilhabe als Menschenrecht betont und deutlich gemacht, dass der Zugang zu den Künsten „zur Verstärkung der demokratischen Bürgerschaft“7 beiträgt. Die Klärung, wie eine solche Teilhabe nun durch staatliches Handeln gefördert werden kann, bedarf allerdings einer weiteren grundlegenden Differenzierung. Das Verständnis von staatlicher Intervention kann prinzipiell mit zwei unterschiedlichen Modellen erklärt werden. In der politischen Philosophie der Moderne wurden zwei konkurrierende Auffassungen eines geregelten Zusammenlebens entwickelt, die sich im Wesentlichen durch unterschiedliche Begriffe von Freiheit und Gleichheit auszeichnen: Zum einen wurde aus dem Liberalismus (z.B. von Thomas Hobbes, John Locke oder auch Immanuel Kant) das Verständnis eines neutralen demokratischen Staates geschaffen, welcher zwar einen gewissen rechtlichen Rahmen für individuelle Interessen vorgibt, aber ansonsten als „ethisch neutrale Instanz“ (Beer 2004: 30) in gesellschaftliche und ökonomische Prozesse nicht eingreift. Dieses Marktmodell geht davon aus, dass „menschliche Individuen als selbstbestimmungsfähige Personen vor, d.h. unabhängig von der Gesellschaft existieren“ (Koller 2004: 62). Es wird von einer akzeptablen Anfangsverteilung ausgegangen, welche die Individuen dann durch möglichst freie – nicht durch die Gesellschaft prädisponierte – Tauschprozesse weiterentwickeln. Die Güterverteilung ergibt sich dann aus den Regeln des Marktes und Gerechtigkeit wird allein an gerechten Tauschverhältnissen gemessen. Ausgehend von einer solchen Pointierung der Individualrechte gibt es in diesem Modell „gar keinen Grund, irgendeine andere, etwa eine gleichmäßigere Verteilung der gesellschaftlichen Güter zu fordern“ (Koller 2004: 64). Dem steht die Idee eines Gemeinschaftsmodells gegenüber, welches sich durch republikanische bzw. kommunitaristische Paradigmen (z.B. von JeanJacques Rousseau, Karl Marx oder Charles Taylor) auszeichnet. Dieses Modell verortet das Individuum in sozialen und kulturellen Kontexten. Es wird davon ausgegangen, dass die gesellschaftlichen Bedingungen das Individuum von Geburt an prägen und auch im Lebensverlauf Einfluss auf Lebens- und Entfaltungschancen haben (vgl. Koller 2004). In der Folge ist der Staat also nicht neutral, sondern „identisch mit der Gesellschaft“ (Beer 2004: 30) und reguliert diese unterschiedlichen Voraussetzungen mit dem Ziel gleiche Bedingungen bzw. Ver7
www.culturalpolicies.net/web/cultural-participation.php?language=de (9.3.2015).
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hältnisse zu schaffen. Denn in diesem Modell ergibt „sich die Forderung der sozialen Verteilungsgerechtigkeit, die Forderung dass soziale Positionen und wirtschaftliche Ressourcen gemäß dem Prinzip der konditionalen Gleichheit zu verteilen sind“ (Koller 2004: 65). Da nun beide Modelle Teil des modernen Demokratieverständnisses geworden sind (vgl. Beer 2004, Hübner 2013), bewegt sich staatliches Handeln oft zwischen diesen Polen. Albrecht Göschel schlägt demnach vor dem Hintergrund beider Ideen vor, kulturpolitische Aktivitäten „an einem pluralen Modell zu orientieren“ (Göschel 1995b: 30). Deutlich kann dies entlang der Freiheitsbegriffe beider Modelle gemacht werden. Wie oben erwähnt, basiert die gesetzliche Normierung kulturpolitischen Handelns auf Artikel 5 Abs. 3 des Grundgesetzes. Die daraus entstehenden Rechtsfolgen beinhalten sowohl eine negative Freiheit (vgl. Berlin 1995) im Sinne eines liberalen Abwehrrechts vor Beschränkung der künstlerischen Freiheit des Individuums. Allerdings beinhaltet dieser Artikel auch laut höchstrichterlicher Rechtsprechung eine positive Freiheit, welcher der Staat durch Kunstförderung nachkommt. Das ist dann nicht „die Freiheit von, sondern die Freiheit zu“ (Beer 2004: 31): Der Staat schafft die Bedingungen, durch die sich Individuen in Freiheit entfalten können. Die Verwendung des Begriffs der ‚Teilhabe‘ impliziert also die (politische) Haltung, das Nicht-Besuchen von Theatern oder Museen nicht ausschließlich als freie Entscheidung der Individuen zu verstehen, sondern eine ungleiche Verteilung der Teilhabe immer als abbauwürdigen sozialen Missstand, als Exklusion bestimmter Gruppen der Gesellschaft von demokratischen Prozessen zu begreifen. Das ist das gewichtigste Argument für Nicht-Besucherforschung im Rahmen des später erläuterten Konzepts des Audience Development. Wenn diese Positionierung nicht erfolgt und das Phänomen nicht als veränderungswürdig erkannt wird, dann bleibt der Status quo bestehen. 2.4.5 Teilhabe als sozialstaatliches Leitkonzept Die soziale Ungleichheitsforschung hat Modelle entwickelt, wie der demokratische Staat Teilhabe fördern kann. Voraussetzung für eine staatliche Interventionsabsicht ist der empirische Blick auf die Gesellschaft. Vor allem quantitative Sozialforschung (siehe Kapitel 5) kann aufzeigen, wie es um die Teilhabe im Sinne des Zugangs zu wertvollen Gütern in verschiedenen Politikbereichen steht: „Teilhabe als sozialstaatliches Leitkonzept bezeichnet dabei die Schwelle, deren Unterschreitung öffentliches Handeln […] auslösen soll.“ (Bartelheimer 2007: 5)
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Diese Schwelle muss politisch definiert werden. Statistik kann dabei helfen; sie zeigt aber nur Verhältnisse auf, es bedarf stets einer wertbasierten (also politischen) Entscheidung (vgl. Martin 2011). Im Gegensatz zu den anderen beiden klassischen Grundrechten, der politischen Teilhabe und der liberalen Abwehrrechte, sind die sozialstaatlichen Güterrechte durch eine enorme „Vielfalt“ (Hübner 2013: 41) gekennzeichnet. Sowohl inhaltlich müssen die jeweiligen Güter bestimmt (z.B. Bildung, Kultur, Gesundheit), konkretisiert (z.B. Schulabschluss, Theaterbesuche, Vorsorgeuntersuchung) und schließlich auch bezüglich ihres Ausmaßes (z.B. Anzahl der Theaterbesuche) definiert werden. Zudem muss beim sozialstaatlichen Handeln beachtet werden, dass dieses keiner „unkritischen Leseart“ (Bartelheimer 2007: 7) verfällt. Es existieren verschiedene theoretische Modelle, welche die Konsequenzen aus mehr Teilhabe veranschaulichen (z.B. Assimilation, Integration). Ein veraltetes Konzept im Sinne der Assimilation wäre es, wenn staatliches Handeln das Ziel hätte, soziale Randgruppen durch Angleichung an die bestehende Gesellschaft wieder „einzugliedern“ (Bartelheimer 2007: 7). Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn staatliches Handeln den Bürgern eine bestimmte Anzahl von Kulturveranstaltungsbesuchen vorschreiben würde. Der Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen (1992, 1999) hat mit dem ‚Capability-Approach‘ ein Modell entwickelt, welches die Verwirklichungschancen zum zentralen Ausgangspunkt staatlicher Einflussnahme macht. Dieses auf das aristotelische Verständnis eines dynamischen Vermögensbegriffs zurückgehende Modell ist vielfach wissenschaftlich verwendet worden (vgl. Bartelheimer 2007, Heinrichs 2006, Schmidt 2004, Schrödter 2013, Volkert 2005) und kann auch in dieser Arbeit das theoretische Verständnis über die kulturpolitischen und kulturmanagerialen Fördermöglichkeiten der Teilhabe von Nicht-Besuchern öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen unterstützen. Ursprünglich basieren Sens volkswirtschaftliche Überlegungen auf der Idee, Teilhabegerechtigkeit nicht ausschließlich am Einkommen festzumachen. Er verbindet in seinem Modell die o.g. Freiheitsbegriffe in einer staatlichen Gerechtigkeitskonzeption: Zum einen kann der Staat demnach nicht ausschließlich im Sinne positiver Freiheit die Bürger mit Abwehrrechten ausstatten und davon ausgehen, dass die individuelle Entfaltung zu einer gerechten Teilhabe führt. Zum anderen genügt es auch nicht, ausschließlich regulierend in den Markt einzugreifen. Der Staat muss vielmehr „von vornherein denen, die das aus eigener Kraft nicht schaffen, ausreichend Mittel zur Entwicklung jener grundlegenden menschlichen Befähigungen bereitstellen, die für die Realisierung tatsächlicher – und nicht nur proklamierter – Wahlfreiheit unverzichtbar sind“ (Schmidt 2004: 81). Die Gerechtigkeit ist demnach umso größer, je mehr Individuen über entsprechende Verwirklichungs-
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chancen verfügen. Die Überlegungen verdeutlichen, „dass das, was eine Person zu tun im Stande ist, nicht allein von seinen/ihren personalen Kompetenzen abhängt“ (Schrödter 2013: 78). Damit ist auch einem potenziellen Missverständnis von ‚Kultur für alle‘ als sozialstaatlichem Leitkonzept widersprochen: Es geht eben nicht darum, dass der Staat paternalistisch oder gar diktatorisch den Individuen vorschreibt, öffentlich geförderte Theater, Museen oder Konzerthäuser zu besuchen – und beispielsweise andere Freizeitaktivitäten als weniger wertvoll abwertet. Vielmehr geht es darum eine Situation herzustellen, in welcher möglichst alle Individuen die gleichen Voraussetzungen für Wahlfreiheit haben, jedenfalls solange durch die staatliche Förderung die Wertigkeit der geförderten Einrichtungen gerechtfertigt wird. Die Bundesregierung hat Sens Modell zur theoretischen Grundlage ihrer Armuts- und Reichtumsberichte gemacht. In ihrem Verständnis zielt jegliche staatliche Intervention somit nicht darauf, „das Teilhabeergebnis, also individuelle Lebensweisen […] anzugleichen, sondern Ungleichheit bereits bei den Verwirklichungschancen zu reduzieren“ (Bartelheimer 2007: 10). Voraussetzungen für dieses Modell sind gewisse materielle Ressourcen und Rechtsansprüche. Im Kontext der Kulturpolitik sind das neben den Grundrechten auch die bloße Existenz von Kulturveranstaltungen und deren rechtliche öffentliche Zugänglichkeit. Dieser Status quo eröffnet allerdings „lediglich die Möglichkeit von Teilhabe“ (Bartelheimer 2007: 9). Um dieses Angebot wahrzunehmen werden persönliche und gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren (vgl. Volkert 2005) benötigt. Folgende Abbildung zeigt das Modell von Amartya Sen im Sinne der Abfolge der bestimmten Voraussetzungen: Tab. 2: ‚Verwirklichungschancen‘-Ansatz nach Amartya Sen Einfluss
Folge
materielle Ressourcen und Rechts- Möglichkeiten der Teilhabe ansprüche persönliche und gesellschaftliche Verwirklichungschancen Umwandlungsfaktoren
Die individuellen Umwandlungsfaktoren sind (durchaus temporär) in der Person selbst begründet, zu ihnen zählen u.a. Alter, Geschlecht, potenzielle Behinderung, finanzielle Ressourcen oder auch seelische Verfassung. Zu den gesellschaftlichen Faktoren gehören Normen und Infrastrukturen, welche z.B. Zugän-
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ge zum Gesundheits- und Bildungssystem oder zum Arbeitsmarkt steuern. Diese gesellschaftlichen Umwandlungsfaktoren haben allerdings Einfluss auf die individuellen, denn sie gestalten „sozioökonomische Bedingungen und Institutionensystem“ (Bartelheimer 2007: 10). Jene Faktoren sind also maßgeblich dafür verantwortlich, „inwieweit die Verwirklichungschancen im Bereich der individuellen Potenziale durch eine Gesellschaft vermindert, behoben oder verbessert werden, und ob ein hohes Maß an Verwirklichungschancen erreicht werden kann“ (Arndt et al. 2006: 8). Bei der Bewertung des Verhaltens z.B. eines Nicht-Besuchers öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen geht es also nach diesem Konzept nicht darum „ob er das nicht will“, sondern „ob er das nicht kann“ (Bartelheimer 2007: 11). Ein ‚Nichtkönnen‘ geht auf fehlende Verwirklichungschancen zurück, ein ‚Nichtwollen‘ ist in einer freien Wahl begründet, welche keine staatliche Intervention rechtfertigt. Ein solcher Freiheitsbegriff beruht allerdings auf dem sozialliberalen Gedanken, dass die Individuen ihr Leben „für das sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten“ (Bundesregierung 2005: 7) gestalten können. Staatliche Intervention im Sinne einer Förderung der Teilhabe kann also nur bei den gesellschaftlichen Voraussetzungen eingreifen, sonst bestünde die Gefahr des Totalitarismus, indem z.B. individuelle Ziele eingeschränkt werden würden. Eine solche Idee kann am Beispiel der politischen Konsequenzen aus Bourdieus Untersuchungen zur kulturellen Teilhabe in den 1980er Jahre in Frankreich verdeutlicht werden: Als Folge der fehlenden Teilhabegerechtigkeit bzgl. der NichtBesuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen wurde eine Neuausrichtung aller Curricula in Schulen beschlossen. Eine solche frühzeitige Förderung ästhetischer Kompetenzen bedeutet allerdings nicht, „dass nun jeder die Werke der Hochkultur wertschätzen musste. Es sollte nur nicht länger so sein, dass man sie aufgrund einer ästhetischen Nicht-Kompetenz ablehnt“ (Fuchs 2014: 18).
2.5 Z USAMMENFASSUNG In diesem Kapitel wurden verschiedene Rechtfertigungen für die Auseinandersetzung mit dem Gegenstand dieser Arbeit zusammengetragen. Abschließend können folgende – auch für die nächsten Kapitel wesentlichen – Begründungen für kulturpolitisches und kulturmanageriales Interesse an Nicht-Besuchern öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen zusammengefasst werden: •
Grundsätzlich existieren vielfältige positive Wirkungsintentionen für eine Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur, welche allerdings nicht aus-
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schließlich durch Besuche öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen erfüllt werden. Seit den 1990er Jahren führen ökonomische Bedingungen zu einer zwangsläufigen Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern auf betrieblicher Ebene: Auch öffentlich geförderte Kulturveranstalter sind zunehmend gezwungen, ihre Eigenmittel – also die Einnahmen über Ticketverkäufe – zu optimieren. Die Gründe liegen neben einer Veränderung der Nachfrage vor allem in einer Verknappung öffentlicher Fördermittel bei tendenziell steigenden Kosten. Diese ökonomische Begründung für eine manageriale Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern stößt allerdings an eine inhaltliche Grenze: Es geht eigentlich nur quantitativ darum, ‚das Haus voll zu kriegen‘ und nicht in einem qualitativen Sinn darum, wer dann kommt oder wer nicht. Die entscheidende kulturpolitische Rechtfertigung einer Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern resultiert aus übergeordneten, also den ordnungs- und förderpolitischen Maßnahmen vorausgehenden Prämissen: Das Selbstverständnis als demokratisches Gemeinwesen führt zu einem Anspruch eben diese Demokratie in allen gesellschaftlichen Subsystemen zu praktizieren. In Verbindung mit den auch in Deutschland ratifizierten Menschenrechten und der damit gegebenen Garantie, dass jeder Mensch sich „an den Künsten erfreuen“ kann (vgl. Vereinte Nationen 1948), geht jedem staatlichen kulturpolitischen Handeln die Notwendigkeit voraus, das daraus resultierende Angebot möglichst allen Menschen zugänglich zu machen. Die Ausführungen haben gezeigt, dass für ein solches demokratisches Handeln unterschiedliche politische Theorien existieren. Hier wurde für weitere Überlegungen das Modell der ‚Verwirklichungschancen‘ nach Amartya Sen vorgeschlagen. Für kulturpolitisches Handeln resultiert daraus die Notwendigkeit, bereits auf politischer Ebene der Förderentscheidung sowie auf administrativer Ebene der Fördermaßnahme eine mögliche soziale Ungleichheit bei den Adressaten zu bedenken und ggf. gegenzusteuern. Neben dem politischen Willen dazu bedarf es auch eines Instrumentariums, um die damit verbundene Steuerung wahrnehmen zu können. Für kulturmanageriales Handeln in öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen kann diese Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern zum einen aus entsprechenden Fördervorgaben resultieren, zum anderen kann aber auch eine Art ‚Selbstverpflichtung‘ entstehen. Theater, Museen oder Konzerthäuser verstehen dann ihre öffentliche Förderung auch als Auftrag, aktiv ein diverses Publikum zu erreichen und bisherige Nicht-Besucher anzusprechen.
3. Audience Development zwischen Marketing und Politik
Nach der sozialwissenschaftlichen Verortung von Nicht-Besucherforschung im Rahmen von eher abstrakteren Teilhabediskursen in der sozialen Ungleichheitsforschung, geht es in diesem Kapitel darum, konkrete manageriale und politische Instrumente zu diskutieren, mit welchen der Status quo der (möglicherweise ungerecht verteilten) Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen in Deutschland praktisch verändert werden könnte.
3.1 K ULTURMANAGERIALE ANSÄTZE ZUR V ERORTUNG DER N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG Die Möglichkeiten der kulturmanagerialen Maßnahmen werden in den Konzepten des Kulturmarketings, der Kulturvermittlung und des Audience Developments verortet. Kultureinrichtungen können damit Barrieren abbauen und sich aktiv mit speziellen Programmen für bisherige Nicht-Besucher öffnen. Es wird allerdings deutlich gemacht werden, dass vor allem Aktivitäten eines betrieblichen Marketings systembedingt nur begrenzt zu einer gerechteren Teilhabe beitragen können. Die Möglichkeiten der kulturpolitischen Einflussnahme liegen zum einen in der institutionsunabhängigen Förderung von Programmen der kulturellen Bildung (z.B. an Schulen) zur generellen Verbesserung der Teilhabechancen. Zum anderen kann Kulturpolitik Steuerungsverantwortung bei der Förderung von Kulturveranstaltungen mit dem Ziel der Verbesserung der Teilhabegerechtigkeit übernehmen. Es müssten dann Verfahren gefunden werden, welche die Förderung an bestimmte Ziele knüpfen. Beide Aspekte sind Grundlage der britischen Verortung eines kulturpolitisch forcierten Audience Develop-
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ments, welches daher vorgestellt und dessen politische Dimension auf die Anwendbarkeit in Deutschland hin untersucht wird. Ausgehend vom ‚Verwirklichungschancen‘-Ansatzes nach Amartya Sen wäre ein möglicher Gedanke, die Interventionen allein an staatliche Fördermaßnahmen, insbesondere an die Bildungspolitik zu delegieren. Die Kultureinrichtungen selbst könnten etwa zwei Generationen abwarten, um dann auf ein völlig neues, verändertes, ‚Teilhabe‘ wollendes Publikum zu stoßen. Diese Utopie ist allerdings zu kurz gegriffen: Zum einen würde das besuchsverhindernde Potenzial welches von Kultureinrichtungen selbst ausgeht ignoriert werden. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die geförderten Einrichtungen sich auch selbst verändern werden, wenn neue Zielgruppen nicht nur assimiliert, sondern integriert werden sollen. Zum andern führt die oben aufgeführte sozialstaatliche und demokratische Argumentation auch zu einer Verantwortung der öffentlich geförderten Kultureinrichtung, mit ihren Angeboten selbst soziale Exklusion abzubauen. Ein solches Verständnis der Aufgaben öffentlich geförderter Kultureinrichtungen wird bereits heute von fördernden Stellen wie z.B. der Landesregierung in Niedersachsen kommuniziert (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2015). 3.1.1 Kulturmarketing Wäre es Ende der 1990er Jahre darum gegangen, einen theoretischen Rahmen für kulturmanageriale Konsequenzen der Nicht-Besucherforschung zu finden, so hätte dies vermutlich allein die aus der Betriebswirtschafslehre stammende Kulturmarketing-Management-Theorie (vgl. Müller-Wesemann 1995, Klein, A. 1999, 2001) geleistet. Die Kernidee von Marketing besteht darin, in betrieblichen Prozessen nicht vom eigenen Produkt auszugehen, sondern die Nachfrage des Marktes im Rahmen der strategischen Marktforschung zum Ausgangspunkt jeglichen betrieblichen Handelns zu machen. Im deutschsprachigen Wirtschaftsraum entstand Marketing als Reaktion auf den Wandel der Konsum- und Verbrauchermärkte von Verkäufer- zu Käufermärkten. Im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs in den 1950er Jahren überstieg in vielen Sparten das Angebot die Nachfrage. Nach einer Intensivierung der Werbung und dem nur bedingt möglichen Absenken der Preise wurde das in den USA entwickelte Marketing als betriebliche Aktivität übernommen (vgl. Vermeulen 1989, Schwerdtfeger 2004). Philip Kotler hat als einer der ersten Wissenschaftler das Marketing-Konzept auf öffentliche (und somit nicht monetär-gewinnorientierte) Betriebe übertragen. Er definiert Marketing als einen Prozess, „durch den Einzelpersonen und Gruppen ihre Bedürfnisse befriedigen, indem sie Produkte und andere Dinge von
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Wert erzeugen und austauschen“ (vgl. Kotler und Bliemel 1992: 6). Für den Anbieter von Dingen geht es nun darum, auf diesen Austauschprozess im Sinne der eigenen Unternehmensziele Einfluss zu nehmen. Armin Klein schreibt daher Kulturmarketing die Aufgabe zu, „jene Marktsegmente bzw. Zielgruppen zu erreichen, die aussichtsreich für das Kulturprodukt interessiert werden können, indem die entsprechenden Austauscheigenschaften (z.B. Preis, Werbung, Vertrieb, Service, usw.) dem künstlerischen Produkt […] möglichst optimal angepasst werden“ (Klein, A. 1999: 12). Der diesem Verständnis zugrunde liegende Marketing-Managementprozess umfasst dann „Analyse, Planung, Durchführung und Steuerung“ (Kotler und Bliemel 1992: 16) als Kernaufgaben. Alle Aktivitäten sollen auf strategischer Planung beruhen, welche im Wesentlichen auf empirischer Forschung aufbaut. Bevor also gehandelt wird, wird zuerst der Markt systematisch beobachtet bzw. befragt. Diese Informationen können beispielsweise in Customer-Relationship-Systemen gesammelt werden (z.B. Wenzel 2008) und sind dann Voraussetzung für die Gestaltung der Programm-, Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik des Betriebs (vgl. Klein, A. 2001). Nach anfänglicher Ablehnung dieses eindeutig ökonomisch intendierten Managementinstruments im öffentlich geförderten Kulturbetrieb scheint Kulturmarketing heute als Teil kulturmanagerialer Aktivitäten akzeptiert zu sein (vgl. Müller-Wesemann 1995, Klein, A. 1999, Schwerdtfeger 2004, Mandel 2008). Nicht-Besucherforschung kann also im theoretischen Modell des Kulturmarketing-Managements verortet werden; Besucherforschung wäre dementsprechend Marktforschung. Die jeweiligen Forschungsfragen ergeben sich aus betrieblichen Problemen, welche meist in quantitativen hypothesenüberprüfenden Befragungen oder Beobachtungen mit dem Ziel der Entscheidungsunterstützung erforscht werden. Dementsprechend münden die Ergebnisse einer solchen Besucherforschung in die Optimierung der operativen Marketinginstrumente, dem sogenannten Marketing-Mix. Beispielsweise kann versucht werden, Nicht-Besucher mit einer auf empirischen Marktforschungserkenntnissen basierenden Öffentlichkeitsarbeit zu erreichen (vgl. Kirchberg 1996a). Eine solche Verortung der Nicht-Besucherforschung ist zwar in sich schlüssig, allerdings führt diese auch zu zwei auf den theoretischen Hintergrund zurückzuführende Beschränkungen der Perspektive: Zum einen konzentriert sich Betriebswirtschaftslehre auf betrieblich Veränderbares und entsprechend findet eine solche Marktforschung unter dem ökonomischen Prinzip statt, das von einer Begrenzung der Ressourcen ausgeht und in der Folge alle betrieblichen Aktivitäten an wirtschaftlicher Effizienz ausgerichtet werden. Dies führt bei einer Verortung der Nicht-Besucherforschung und den daraus resultierenden Interventionsmöglichkeiten zu einer theoretisch bedingten Reduzierung des Interesses auf
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ökonomisch erreichbare Zielgruppen. Andrea Hausmann verdeutlicht diese Grenzen von Nicht-Besucherforschung als Kulturmarktforschung: Ihr zur Folge sind diejenigen, welche Kulturveranstaltungen nie besuchen und kein Interesse an Kultur aufweisen für eine marketingorientierte Nicht-Besucherforschung irrelevant, denn ihre „(Freizeit-)Interessen sind ganz anders gelagert und mögliche Marketingaktivitäten von Theatern verpuffen hier wirkungslos“ (Hausmann 2005: 66). Eine solche ökonomisch bedingte Konzentration auf ein Publikum, das „aussichtsreich für das Kulturprodukt interessiert“ (Klein, A. 2001: 40) werden kann, empfiehlt ebenfalls Armin Klein, „nicht auch zuletzt deshalb, um die eigenen Ressourcen sinnvoll einzusetzen“ (Klein, A. 2008: 81). Wenn also Nicht-Besucherforschung von Beginn des Forschungsprozesses an unter solchen ökonomischen Zwängen stattfindet, sind Schlussfolgerungen wie z.B. aus der Nicht-Besucherstudie im Auftrag des Deutschen Bühnenvereins nachvollziehbar und theoretisch begründet: Nach Ansicht ihrer Autoren sollten „angesichts knapper Werbebudgets strategisch vor allem die Zielgruppen angesprochen werden, die tendenziell dem Theater positiver gegenüberstehen“ (Deutscher Bühnenverein 2003: 15). Die im Zuge des Aufkommens von Kulturmarketing ab den späten 1990er Jahren quantitativ zunehmende Befragungsaktivität des bestehenden Publikums durch Kultureinrichtungen (vgl. Zentrum für Audience Development 2007) scheint aus diesen Gründen auch ein Indiz für die recht seltene Erforschung der Nicht-Besucher zu sein. Zum anderen reagiert die für den deutschen öffentlich geförderten Kulturbetrieb modifizierte Kulturmarketing-Theorie auf die im Grundgesetz verankerte Kunstfreiheit (siehe Kapitel 1.2). Ausgehend von dem Primat des Nicht-Eingreifens des Staats in Kunst und somit auch künstlerische Produktionsprozesse, wird für kulturpolitisch legitimiertes Kulturmarketing der Bereich der nachfrageorientierten Produktpolitik als eine von vier bzw. fünf Bereichen des operativen Marketing-Mix ausgeklammert und „ausdrücklich die Nicht-Anpassung des Produktes an den jeweiligen Publikumsgeschmack“ (Klein, A. 2001: 308) als Merkmal benannt. Dies erlaubt zwar die Gestaltung von weiteren Aspekten wie z.B. Service- oder Vermittlungsleistungen, welche über den inhaltlichen Kernnutzen hinausgehen, die Einmischung in produktionsspezifische Fragen scheint jedoch in öffentlich geförderten Kulturbetrieben ein Tabu darzustellen (vgl. Renz 2010). Allerdings ist die Frage nach dem Fehlen der Produktpolitik im Kulturmarketing wissenschaftlich noch nicht ausführlich erforscht. Denn öffentlich geförderte Kultureinrichtungen betreiben in Deutschland trotz dieser theoretischen Prämissen durchaus eine marktorientierte Produktpolitik. Beispielsweise antwortet der Theaterintendant Jörg Gade auf die Frage, wie er mit zurückge-
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gangenen Besucherzahlen umgegangen ist, mit einem klaren Bekenntnis zu einer Veränderung der Produkte: „Durch Anpassung beim Spielplan. Da gab es Fehler. Ich habe mich durch die vielen Diskussionen über einen möglichen Niveauverlust im TfN dazu verleiten lassen, ihn zu schroff zu gestalten.“ (Gade 2009)
Es wird exemplarisch deutlich, dass Entscheidungen für Produkte und Programme im Theater eben nicht nur auf künstlerischen Überlegungen basieren, sondern z.B. auch Bedürfnisse der Hauptsegmente, zum Lehrplan der Schulen passende Stücke oder eine Mischung aus zeitgenössischen und modernen Produktionen für verschiedene Zielgruppen beinhalten (vgl. Hilger 1985, Renz 2010). Allerdings scheinen diese Entscheidungen nur selten auf strategischen Marketingaktivitäten wie z.B. empirischen Befragungen des Publikums zu basieren. Unabhängig von der notwendigen Legitimationsdiskussion würde die Verortung von Nicht-Besucherforschung in einem solchen Verständnis der Kulturmarketing-Theorie die Erforschung des gesamten Themenfelds aller mit dem Kunstwerk verbundenen Aspekten, wie z.B. dem ästhetischen Erleben, künstlerischen Präferenzen, Sparten- oder Epochenvorlieben u.v.m. ausklammern. Vielleicht bedarf es aber auch genau dieser und weiterer Themen, um die Nicht-Besuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen in kultur- und insbesondere sozialwissenschaftlichen Kontexten zu erklären, ohne daraus unmittelbar – weil theoriegeleitet – eine kulturmanageriale Intervention abzuleiten. Aus diesen Gründen wird Kulturmarketing einen theoretischen Rahmen für kulturmanageriale Konsequenzen der Nicht-Besucherforschung darstellen, allerdings genügt dieser den Ansprüchen dieser Arbeit nicht ausschließlich. Kulturmarketing wird vor allem als Instrument zur nicht-besucherorientierten Optimierung der betrieblichen Preis-, Distributions- und Kommunikationspolitik verstanden (vgl. Klein, A. 2001). Die Aufgabe von Kulturmarketing kann darin liegen, durch die Gestaltung dieser Bereiche z.B. besuchsverhindernde Barrieren abzubauen und interessierte Besucher in die öffentlich geförderten Kultureinrichtungen zu holen. Im Verständnis dieser Arbeit endet damit aber der Handlungsspielraum des Kulturmarketings: Die Gestaltung produktspezifischer Eigenschaften, wie z.B. die Rezeption fördernde Angebote oder grundsätzliche künstlerisch-programmpolitische Entscheidungen für neue Formate müssen mit anderen theoretischen Instrumenten begründet werden.
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3.1.2 Kulturvermittlung Ein mögliches Instrumentarium betrieblicher Konsequenzen von Nicht-Besucherforschung, welche auch künstlerische Angebote integrieren können, stellt Kulturvermittlung dar. Obwohl es sich im Vergleich zum Kulturmarketing weniger um eine definitorisch geschlossene und einer bestimmten Wissenschaftsdisziplin zuordnungsbare Theorie handelt, ist die Erforschung der Adressaten Teil des Verständnisses von Kulturvermittlung. So formuliert Birgit Mandel: „Zugangsbarrieren zu kulturellen Angeboten zeigen Handlungsfelder der Kulturvermittlung.“ (Mandel 2008: 48).
Indem Kulturvermittlung zwischen Angebot und Rezipienten vermitteln soll, stellen eben dessen empirisch begreifbare Rezeptionsvoraussetzungen eine notwendige Prämisse jeglichen Handelns dar. Ausgehend von Kulturvermittlung „als Oberbegriff für ein breites Spektrum an unterschiedlichen Funktionen“ (Mandel 2008: 17) beinhaltet diese in einem engeren Begriffsverständnis die Schaffung von Anreizen für erfolgreiche Rezeption von Kunst, im weiteren Sinne aber auch die Gestaltung von kulturmanagerialen und sogar -politischen Rahmenbedingungen zur Förderung von Teilhabe. Birgit Mandel nennt diese im Kulturmanagement und in der Kulturpolitik liegenden Funktionen „indirekte Formen der Kulturvermittlung“ (Mandel 2008: 18). Kulturvermittlung als theoretischer Rahmen für Nicht-Besucherforschung ist in einem solchen Verständnis zwar völlig nachvollziehbar, allerdings ist der wissenschaftliche (und somit theoriebildende) Diskurs über Kulturvermittlung breit aufgestellt (vgl. Mandel 2005, Mörsch und Settele 2012, Hammer 2014). Zum einen wird Kulturvermittlung immer wieder eng an Bildungs- und Sozialthemen geknüpft (vgl. Hammer 2014), vor allem wenn sie kulturelle Bildung bei Individuen zum Ziel hat. Zum anderen stellen Vertreter der wissenschaftlichen Diskussion von Kulturvermittlung im Sinne von Kunstvermittlung deren Aufgabe als Instrument zur Generierung von institutionellem Publikum kritisch als ‚affirmativ‘ oder ‚reproduktiv‘ in Frage. Dabei werden Ansätze einer transformativen Kunstvermittlung entwickelt, welche den Erfolg von Rezeption weniger an zufriedenen Besuchern und mehr an einer emanzipatorischen Infragestellung des institutionalisierten Kulturbetriebs (und darüber hinaus auch der gesellschaftlichen Bedingungen) festmachen (Institute for Art Education 2009-2012, Sternfeld 2005, Henschel 2014). Die Verortung der Nicht-Besucherforschung in diesen theoretischen Diskursen müsste solchen normativen Prämissen Rechnung tragen,
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würde dann aber den Versuch der instrumentellen Verortung in diesem Kapitel sprengen. In den folgenden Überlegungen wird daher auf ein recht instrumentelles, aber eindeutiges Verständnis zurückgegriffen. Kulturvermittlung wird als ‚Kunstvermittlung‘ verstanden, welche „im engeren Sinn […] den Zugang zu professionellen künstlerischen Produktionen ermöglichen“ (Mandel 2008: 17) will. Dies kann durch den Einsatz vielfältiger Instrumente erfolgen, z.B. durch personale Vermittlung bei Führungen oder mediale Vermittlung mit AudioGuides. Es wird also davon ausgegangen, dass auf betrieblicher Ebene das Kulturmarketing die Gewinnung neuer Besucher verantwortet, denn die „Positionierung von Kulturinstitutionen und kulturellen Angeboten durch Marketing und PR ist eine Voraussetzung, um […] Aufmerksamkeit zu gewinnen“ (Mandel 2009b: 33). Unter Kunst- bzw. Kulturvermittlung werden dann alle weiteren betrieblich initiierten Prozesse verstanden, welche Rezeptionsprozesse anregen und diese zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Mit Audience Development scheint sich nun ein theoretischer Rahmen zu etablieren, welcher Ansätze des Kulturmarketings und verschiedene Aspekte von Kulturvermittlung auf betrieblicher Ebene miteinander verbindet (vgl. Mandel 2008). Zudem wird in diesem Rahmen auch die notwendige Rolle kulturpolitischer Verantwortung thematisiert. Letztere spielt vor allem im traditionell stark öffentlich geförderten deutschen Kulturbetrieb eine wesentliche Rolle. Auch wenn auf operativer und instrumenteller Ebene die Grenzen zwischen Kulturvermittlung und Audience Development fließend sind, soll in dieser Arbeit aus den genannten Gründen Audience Development als Bezugsrahmen für Nicht-Besucherforschung verstanden werden. 3.1.3 Audience Development Die Ausgangsidee von Audience Development ist das Publikum. Unter dem englischen Begriff wird ein manageriales Instrumentarium verstanden, welches auf kulturbetrieblicher und/oder -politischer Ebene in alle Handlungen die Perspektive des Publikums integriert bzw. dieses zum Ausgangspunkt macht – und zwar nicht im Sinne einer ökonomischen oder gar dogmatischen Markt- oder Nachfrageorientierung. Operativ greift dieser Ansatz dabei auf bekannte Handlungsfelder bzw. Theorien des Kulturmanagements zurück: „Audience Development arbeitet mit Strategien aus dem Kulturmarketing, der Kultur-PR und der Kulturpädagogik. Dabei werden neue Wege entwickelt, künstlerische Angebote
54 | N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG für unterschiedliche Zielgruppen zu gestalten, zu positionieren, zu kommunizieren, zu vertreiben und zu vermitteln.“ (Mandel 2008: 10)
In Bezug auf den zeitgeschichtlichen Verlauf ist anzunehmen, dass sich Audience Development aus Überlegungen des Kulturmarketings und der Kulturpädagogik heraus entwickelt hat (vgl. Schmidt-Ott 2011). Entsprechend werden auch Bestandteile des Kulturmarketing-Managementprozesses übernommen. Allerdings stellt dieses oben beschriebene Instrumentarium nur einen Teil von Audience Development dar. Es wird davon ausgegangen, dass Kulturmarketing und -PR zwar im Vorfeld der Rezeption Unverzichtbares leisten, mit einer erfolgreichen Kommunikations- oder Preispolitik allerdings noch keine erfolgreiche Rezeption gewährleistet ist. Vielmehr bedarf es die Rezeption begleitende Maßnahmen aus Kulturpädagogik oder Kulturvermittlung im engeren Sinn mit dem Ziel der kulturellen Bildung (vgl. Mandel 2009b). Die Definition von Birgit Mandel macht zwei wesentliche Kennzeichen dieses Instrumentariums deutlich. Zum einen wird der entscheidende Stellenwert der unterschiedlichen Zielgruppen herausgestellt: Indem alle Aktivitäten die Perspektive des Publikums bedenken sollen, ist das Wissen über dieses Grundlage aller Entscheidungen und entsprechend ist empirische Nicht-Besucherforschung „ein integraler Bestandteil“ (Zentrum für Audience Development 2007: 1) dieses Instrumentariums. Zum anderen integriert Audience Development neben Marketing und Kunstvermittlung auch die Entwicklung künstlerischer Programme für die jeweiligen Zielgruppen (vgl. Rogers 1998). Um damit nicht allein durch eine Änderung der Begrifflichkeit die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit zu umgehen, ist es notwendig den interdisziplinären Charakter von Audience Development zu betonen, welcher Grundlage für dessen Legitimation ist. Audience Development bringt Kulturmarketing, künstlerische Produktion und kulturelle Bildung gleichberechtigt vor dem Hintergrund der Bedürfnisse des Publikums zusammen. Dieses Verständnis eines Miteinanders verschiedener Bereiche sichert somit nicht nur die Kunstfreiheit, sondern ist auch Grundlage für ein funktionierendes Audience Development. Zeitgeschichtlich betrachtet wurde Marketing seit den 1990er Jahren zunehmend in öffentlich-geförderten Kulturbetrieben praktiziert. Anders als die meisten Marketing-Managementtheorien (z.B. Klein, A. 1999) normativ forderten, erfolgte dies allerdings nicht als Philosophie einer ganzheitlichen Unternehmensführung und damit „prinzipielle Orientierung innerhalb einer Kultureinrichtung“ (Klein, A. 1999: 5), sondern vielmehr als eigener, oft isolierter Funktionsbereich (vgl. Meffert 2008, Renz 2010).
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3.2 ANGLO - AMERIKANISCHE H INTERGRÜNDE VON AUDIENCE D EVELOPMENT Der Begriff Audience Development stammt aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum. Die Verwendung in den USA und in Großbritannien ist allerdings unterschiedlich und macht den Aktionsraum des Instrumentariums deutlich. 3.2.1 Audience Development in den USA Die Notwendigkeit von Audience Development in Kultureinrichtungen ergibt sich in den USA aus betrieblichen Gründen. Hintergrund ist die im Vergleich zu Deutschland nur sehr geringe öffentliche Kulturförderung (vgl. Schmidt 2012, Beyme 2010) und die damit verbundene immanente Notwendigkeit der Selbstfinanzierung der Kulturbetriebe durch Sponsoring und Kartenverkauf. Entsprechend ist eine empirische und marktorientierte Konsumentenforschung in USamerikanischen Kultureinrichtungen fester Bestandteil der Arbeit (vgl. Kirchberg 1992). Ziel ist dabei im betriebswirtschaftlichen Sinne, die Ansprüche des Publikums so in das Angebot zu integrieren, dass quantitative Ziele wie Auslastung und Ticketverkäufe erreicht werden, darauf aufbauend allerdings qualitativ neue Besuchergruppen gewonnen werden und damit langfristig die Existenz des Kulturbetriebs gesichert ist. Die Vorgehensweise basiert also auf der Voraussetzung, bestehende „Publikumsschichten zu binden, systematisch zu erweitern und danach neue Milieus zu erschließen“ (Siebenhaar 2008: 22). Dieses USamerikanische Verständnis von Audience Development hebt sich somit insofern vom Ansatz des Kulturmarketings ab, als dass die quantitative Erweiterung des Publikums über neue – bisher die Kultureinrichtung nicht besuchende – qualitativ definierte Zielgruppen bzw. Milieus erreicht werden soll. Entsprechend werden jene mit Strategien bearbeitet, welche nicht ausschließlich im Handlungsbereich des operativen Marketings, sondern auch in der Programmgestaltung und der Vermittlung liegen (vgl. Walker-Kuhne 2009). Allerdings scheinen bei einem solchen systembedingt auf betriebswirtschaftliche Handlungen konzentriertes Verständnis von Audience Development die definitorischen Grenzen zum Kulturmarketing fließend zu sein. Im deutschsprachigen Diskurs nennt z.B. Tillmann Fischer daher ein solches betriebliches Verständnis von Audience Development auch eine „ureigenste Aufgabe des Marketings“ (Fischer 2006: 4).
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3.2.2 Audience Development in Großbritannien Eine deutlichere Erweiterung wird mit der britischen Prägung von Audience Development deutlich, welche auch den deutschen Diskurs maßgeblich beeinflusst hat (vgl. Mandel 2008, Siebenhaar 2009). Zwar wird auch dort Audience Development als kulturbetriebliches Managementinstrumentarium angewendet, geprägt ist dieses allerdings von einer kulturpolitischen Einbettung. Die Notwendigkeit für Audience Development ergibt sich also nicht ausschließlich aus betrieblichen Gründen, sondern ist Teil einer (kultur-)politischen Gesamtstrategie. Nach Ende des zweiten Weltkriegs wurde in Großbritannien mit dem Arts Council eine nichtstaatliche (‚non-departmental public body‘) Mittlerorganisation zur Durchführung nationaler Kulturpolitik gegründet (vgl. Gerlach-March 2011). Hintergründe waren das Ziel einer geregelten Verwendung von staatlichen Lottomitteln (vgl. Edgar 2012) und ein staatliches Widerstreben der direkten Einflussnahme auf die Kunst, z.B. durch ein Ministerium (vgl. Gray 2008). Die administrative Verteilung öffentlicher Mittel für Kultur über eine sogenannte ‚arm-length‘s‘ Organisation zur Sicherung der Staatsferne im Kulturbetrieb war im internationalen Vergleich einmalig und prägt die britische Politik bis heute (vgl. Fisher und Figueira 2011): Die in den 1990er Jahren dezentralisierten Arts Councils (z.B. in England und Wales) fungieren demnach „als Hauptakteure der britischen Kulturpolitik“ (Gerlach-March 2011: 37). In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg stand im Mittelpunkt der britischen Kulturpolitik ähnlich wie im Nachkriegsdeutschland vor allem die Bewahrung des kulturellen Erbes. In den 1980er Jahren wurde dann durch Margarete Thatcher im Rahmen einer alle Lebensbereiche betreffenden neo-liberalen Politik auch der Kulturbetrieb stärker ökonomischen Zwängen unterworfen. Rückblickend entstand dadurch eine Machtverschiebung von den Produzenten hin zu den Konsumenten öffentlicher Kulturangebote: „Margaret Thatcher sought to shift power from the producer to the consumer, using the market to disempower the provocative (from political theatre groups to the high avant garde) in favour of the populist.“ (Edgar 2012)
Diese kritische Bewertung der damaligen Politik verdeutlicht die Folgen eines Abbaus staatlicher Kulturförderung für die Publikumsentwicklung. Ähnlich wie in Deutschland und in anderen Ländern (vgl. Beyme 2010) erlebte die Kunst in Großbritannien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Politisierung, stellenweise auch eine Radikalisierung, welche allerdings auch durch öffentliche Förderung entstandene freie Produktionsräumen begünstigt wurde. Eine neo-
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liberale Politik, welche staatliche Interventionen dogmatisch ablehnt, geht in solchen Fällen also immer auch einher mit Folgen für die künstlerische Produktion. Jene Folgen können dann nicht allein in der Nachfrageentwicklung der Konsumenten begründet werden. Allerdings waren die Kulturschaffenden und -einrichtungen durch diesen Rückzug des Staates aus der Kulturförderung auch dazu gezwungen, die Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeit stärker zu fokussieren. Beispielsweise förderte der Staat mit dem „Business Sponsorship Incentive Scheme“ das unternehmerische Kultursponsoring über steuerliche Anreizsysteme (vgl. Fisher und Figueira 2011: 2). Diese Instrumente führten auch zu gewissen Erfahrungen und Lerneffekten z.B. im Umgang mit Sponsoren oder im Einsatz von Managementinstrumenten. Obgleich bereits in den 1980er Jahren als Ausdruck eines im Vergleich zu Deutschland erweiterten Verständnisses von Kulturpolitik in Großbritannien erste Versuche unternommen wurden, Kunstförderung auch als Mittel zur Stadtentwicklung und somit zu einem außer-künstlerischen, eher sozial-ökonomischen Zweck zu nutzen (vgl. Brighton 2006), stellt das politische Programm von New Labour in den späten 1990er Jahren die eigentliche Geburtsstunde für ein politisch motiviertes Audience Development dar. Ähnlich wie im Thatcherismus (vgl. Giddens 1999) war die nationale Kulturpolitik keine Förderung der Kunst um der Kunst willen, sondern wurde übergeordneten Politikzielen untergeordnet. Nun standen allerdings nicht mehr ein radikaler Marktfundamentalismus und ein Glaube an die Selbstregulierung des Kunstmarkts im Mittelpunkt. Der Kern dieses kulturpolitischen Paradigmenwechsels unter Tony Blair war vielmehr die Idee, dass öffentlich geförderte Kultur einen Beitrag zu den sozialpolitischen Zielen der Regierung leisten sollte: Abbau von Exklusion, erweiterter Zugang oder Entwicklung von Stadtteilen und der Kreativwirtschaft (vgl. Edgar 2012). Daraus entstand die fundamentale politische Zielsetzung, Kultur „to the largest possible number of people“ (Fisher und Figuera 2011: 8) zugänglich zu machen. Im politikwissenschaftlichen Sinne ist mit dieser Entwicklung die Ebene der Policy (zum Begriff vgl. Schubert und Bandelow 2003), also die inhaltliche Dimension von Politik Voraussetzung für die britische Prägung von Audience Development: Öffentliche Kulturpolitik wird inhaltlich als Sozial-, Wirtschafts- und Bildungspolitik begriffen und mit entsprechenden Zielen verbunden. Kunst wird nicht nur der Kunst Willen gefördert, sondern auch als Chance und Mittel für die Entwicklung der Gesellschaft und Wirtschaft verstanden. Auch die deutsche Kulturpolitik diskutiert auf Ebene der Policy mit ihren Überlegungen zu einer breiten gesellschaftlichen Teilhabe oder zu kulturellen Bildungspotenzialen seit über 30 Jahren vergleichsweise ähnliche Inhalte (vgl. Hoffmann 1981, Klein, A.
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2002, Sievers 2006, Schneider, W. et al. 2014). Allerdings scheint der große Erfolg dieser Zieldebatten in Großbritannien vor allem in der Übertragung der Inhalte der Policy auf die Ebene der Polity (zum Begriff vgl. Schubert und Bandelow 2003), also der formellen und strukturellen Dimension von Politik zu liegen. D.h., die Ideen und Ziele dieser neuen Kulturpolitik wurden in konkrete Strukturen und Instrumente übertragen. Das mit der ersten Regierung unter Tony Blair neu gegründete „Department for Culture, Media and Sports“ (DCMS) verantwortete die Umsetzung der Ziele.1 Die Arts Councils waren mit ihren regionalen Vertretungen für die Gestaltung der konkreten Förderinstrumente und -bedingungen, die praktische Durchführung von Programmen und damit verbunden für die Bewilligung und Auszahlung der Fördergelder verantwortlich (vgl. Gerlach-March 2011). Das aus deutscher Perspektive Neue an dieser politischen Begründung für Audience Development waren die klare Vorgabe von quantitativen, auf Kennzahlen basierenden Zielen, die Benennung politisch relevanter neu zu erreichender Zielgruppen sowie die Verknüpfung von Fördermitteln und empirischem Nachweis der damit erzielten Erfolge. Um die Ziele überhaupt messbar zu machen, wurden diese quantifiziert und von Anfang an empirisch mit repräsentativen Befragungen fundiert.2 So gab die Regierung 1998 vor, „die Partizipation in Kunst und Kultur innerhalb von 10 Jahren von 50% auf 66% zu erhöhen“ (Mandel 2008: 35). Voraussetzung für eine solche quantitative Vorgabe ist das Vorhandensein empirischer Daten zur Teilhabe sowie die wertbasierte Entscheidung für die Notwendigkeit der Veränderung des Status quo. Instrumentell bedienten sich DCMS und Arts Council dabei Zielvereinbarungen, welche zwischen Förderer und Gefördertem geschlossen wurden. Ein Auszug aus den Zielvereinbarungen zwischen DCMS und dem Victoria and Albert Museum in London verdeutlicht die Formalisierung der politischen Ziele: „1. Enhance access to a fuller cultural and sporting life for children and young people, and giving them the opportunity to develop their talents to the full. 2. Opening our institutional to the wider community, to promote lifelong learning and social cohension.“ (Chong 2007: 211)
Deutlich wird neben dem sozialen Charakter der Museumsarbeit vor allem das Paradigma der Öffnung der Institution für eine größere Gemeinschaft. Diese allgemeinen Ziele wurden dann in konkrete quantitativ zu überprüfende Maßnahmen übertragen, z.B. die Gesamtbesucherzahl oder die Zahl der Besucher aus 1
Vgl. www.artscouncil.org.uk/who-we-are/history-arts-council (20.09.2014).
2
Vgl. www.gov.uk/government/collections/taking-part (12.03.2015).
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bestimmten Gruppen (z.B. Kinder) (vgl. Chong 2007), welche in regelmäßigen Abständen als Legitimation für weitere Förderungen erhoben und nachgewiesen werden mussten. 3.2.2.1 Teilhabeförderung durch nationale Programme Neben solchen verbindlichen Aufträgen an die geförderten Einrichtungen ging diese neue Kulturpolitik auch mit großen nationalen Programmen einher. Im Sinne des oben dargestellten ‚Verwirklichungschancen‘-Ansatzes, wonach der Staat vor allem die Voraussetzungen für Teilhabechancen beeinflussen kann, ging es darum, neben der Veränderung der geförderten Kultureinrichtungen auch ästhetische Kompetenzen und Kunstinteresse außerhalb der Kultureinrichtungen zu fördern. Zwei große, nationale Programme waren in Großbritannien besonders bemerkenswert: So beschäftigte sich das Programm „New audiences for the arts“ (vgl. Arts Council 2008) mit Strategien der Ansprache bisher nicht kulturaffiner Zielgruppen. Ziel war es, vor allem Kooperationen zwischen Kultureinrichtungen und anderen Organisationen zu initiieren: „The programme helped arts organisations to broaden the range of their audiences by extending their reach into communities of people who do not currently participate in arts activities.“ (Arts Council 2008: 225)
Circa 5 Millionen britische Pfund standen über einen Zeitraum von fünf Jahren für Projekte zu Verfügung, die explizit neue Zielgruppen für Kultureinrichtungen ansprechen wollten. Noch zielgruppenspezifischer war das Programm der „Creative Partnerships“3 in welchem Kooperationen zwischen Schulen und Kultur gefördert wurden: „The Creative Partnerships programme brought creative workers such as artists, architects and scientists into schools to work with teachers to inspire young people and help them learn.“
4
Ziel war es also, unabhängig von Elternhaus oder Schulform Kinder mit verschiedenen kreativen Profis zusammenzubringen. Dies geschah nicht unter dem Anspruch dadurch unmittelbar Kooperationen mit Kultureinrichtungen zu initiieren. Vielmehr stand die kreative und künstlerische Arbeit der Schüler im Mittel-
3
Vgl. www.creativitycultureeducation.org/creative-partnerships (20.09.2014).
4
www.creative-partnerships.com/about-creative-partnerships/ (10.10.2014).
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punkt. Dadurch kann nachhaltig auch ein Interesse am Besuch von Kultureinrichtungen entstehen. Dies ist jedoch ‚nur‘ eine Folge und kein unmittelbar zu messendes Erfolgskriterium. Die Auswirkungen dieser Teilhabe fördernden Kulturpolitik sind in zahlreichen Evaluationen überprüft worden (z.B. Arts Council 2004, DCMS 2007, 2008). So wurde deutlich, dass zum einen auch bildungsferne Milieus erreicht werden, wenn die Kultureinrichtungen selbst entsprechende Programme aufbauen. Zum anderen wurde ermittelt, dass sich die „Auseinandersetzung mit den Wünschen und Bedürfnissen neuer Publikumsgruppen positiv auf die künstlerischen Produktionen auswirkte“ (Mandel 2008: 36). Allerdings wird diese Wirkungsforschung in Bezug auf die Verlässlichkeit der Methoden im britischen Diskurs auch in Frage gestellt. Durch den enormen Zuwachs des Stellenwerts der empirischen Erfolgskontrolle nahmen Evaluationen auch quantitativ zu, ohne dass dies immer mit deren Qualitätssicherung einherging. Insbesondere potenzielle langfristige Wirkungen werden insofern in Frage gestellt, als dass diese nur mit aufwändigen Evaluationsprogrammen überprüft werden könnten, was nicht mit einem weit verbreiteten „one-size-fits-all evaluation toolkit“ (Belfiore 2006: 35) erreicht werden kann. 3.2.2.2 Qualitative und quantitative Publikumsentwicklung Die Grundidee des Entwicklungsgedankens im betrieblichen Audience Development liegt neben der naheliegenden quantitativen, also rein zahlenmäßigen Vergrößerung des Publikums, vor allem in qualitativen Dimensionen: „The first step in developing an audience development plan is to define the underrepresented audiences.“ (Black 2008: 14)
Es geht also nicht nur darum, mehr Menschen z.B. für den Besuch von Theaterveranstaltungen zu gewinnen, sondern auch darum, bestimmte neue Zielgruppen anzusprechen (vgl. Arts Council England 2011). Dies ist auch der wesentliche Unterschied zur Kulturmarketing-Theorie, welche auch aufgrund ihres betriebswirtschaftlichen Hintergrunds primär auf eine quantitative Vermehrung des Publikums ausgerichtet ist. Es ist naheliegend, dass sich die Marketingabteilung einer Kultureinrichtung auf bereits interessierte, leicht zu erreichende Segmente konzentrieren wird (vgl. Klein, A. 2001). Die Ansprache qualitativer Zielgruppen im Audience Development ist zwar auch quantitativ messbar, der Ausgangspunkt dieser Aktivität ist allerdings ein anderer: Es geht dort primär darum, neue – bisher nicht besuchsaktive – Zielgruppen für das eigene Angebot zu gewinnen.
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Dies bedarf allerdings einer wertbasierten Definition von relevanten Zielgruppen. Im britischen Sinne von Kulturpolitik als Sozialpolitik mit dem Ziel des Abbaus von Exklusion, werden diese Zielgruppen durch übergeordnete sozialpolitische Überlegungen bestimmt. Die britische Gesellschaft war vor allem im 20. Jahrhundert wahrnehmbarer segmentiert als z.B. die deutsche (vgl. Donhoff 1982). Die damit verbundenen Klassentraditionen finden auch in politischen wie wirtschaftlich und sozialwissenschaftlich anerkannten Klassifizierungen Niederschlag. Am geläufigsten waren die „NRS social grades“, eine sozio-demografische Segmentierung der britischen Gesellschaft (vgl. Wilmshurst und Mackay 1999). Die Einteilung erfolgte über sechs Buchstaben (z.B. A für upper middle class, C2 für skilled working class oder E für non working). Anfang des 21. Jahrhunderts wurde dieses Modell durch die „National Statistics Socio-economic Classification“ auf acht nummerierte Klassen weiterentwickelt (z.B. 8 für Never worked and long-term unemployed)5. Ebenfalls hilfreich sind weitere über sozioökonomische Aspekte hinausgehende lebensstilbasierte Modelle, wie z.B. die britische ACORN-Klassifikation (A Classfication of Residential Neighbourhoods), eine den deutschen SINUS-Milieus vergleichbare empirische geo-demographische Kategorisierung der Gesellschaft. Aufbauend auf Postleitzahlen, Zensusdaten und Milieustudien wird die britische Bevölkerung in fünf bis sechs soziale Klassen unterteilt.6 Durch die Erhebung von Verhaltens- und Einstellungsfragen zur Kultur, vor dem Hintergrund einer solchen Differenzierung der Gesamtgesellschaft, können im Publikum unterrepräsentierte Milieus ermittelt werden. So wurde unter anderem als quantitativ messbares Ziel von Audience Development beispielhaft angeführt: „Number of C2/D/E visitors (representing the lower half of the six social class groupings used in the UK) required to achieve an 8 per cent increase by 2005-2006 on the 2002-2003 baseline.“ (Chong 2007: 211)
Die Nummern C2/D/E entsprechen den drei hierarchisch unteren Klassen nach den NRS social grades, die Zeitvorgaben machen deutlich, dass diese um 8% zu den bisherigen Werten steigen sollen. Dadurch dass dieses System einigermaßen anerkannt ist, stellt es auch eine mittel- bis langfristige methodisch wie theoretisch gesicherte Möglichkeit der Überprüfung kulturpolitischer Ziele in Bezug auf Teilhabe dar. Obgleich dieses System nicht zuletzt auch aufgrund seines kommerziellen Hintergrunds den deutschen Sinus-Milieus entspricht, haben diese zumindest in 5
Vgl. www.ons.gov.uk (12.03.2015).
6
Vgl. acorn.caci.co.uk (12.03.2015).
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Deutschland keinen vergleichbaren gefestigten Stellenwert für eine langfristige evidenzbasierte7 Politik. Allerdings wird eine solche Verwendung von kommerziellen Marktforschungsdaten auch kritisch bewertet (vgl. Mandel und Renz 2012), denn die theoretischen Zugänge und empirischen Erhebungsinstrumente sind meistens nicht öffentlich zugänglich und eine wissenschaftliche Überprüfung oder Weiterentwicklung ist somit nicht gewährleistet. 3.2.2.3 Audience Development als Managementprozess Um die Ausführungen nun auf ein instrumentelles und somit operationalisierbares Niveau zu abstrahieren, versucht folgende Abbildung exemplarisch in einem Ablaufmodell die britische Prägung des Audience-Development-Managementprozess zu verdeutlichen. Insbesondere die Einbettung der betrieblichen Perspektive in einen kulturpolitischen Steuerungsprozess wird hier verdeutlicht. Voraussetzung für dieses Verständnis von Audience Development ist die Existenz übergeordneter gesellschaftspolitischer Ziele, insbesondere der Anspruch öffentlich geförderte Kulturangebote nicht nur allen Menschen anzubieten, sondern die kulturbetrieblichen Aktivitäten so zu steuern, dass auch tatsächlich – d.h. empirisch nachgewiesen – möglichst alle Menschen daran teilhaben bzw. teilhaben können. Kultur-, sozial- und auch wirtschaftspolitische Ziele sind dabei gleichberechtigt auf einer Ebene zu verorten und stellen die politische Ausgangslage aller Maßnahmen dar. In mehreren Phasen sind dann empirische Evaluationen des Status quo oder Ergebnisse der bisherigen Bemühungen integriert.
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Der Begriff „evidenzbasiert“ stammt ursprünglich aus der medizinischen Forschung und beschreibt ein Verständnis, welches medizinische Entscheidungen an deren empirisch gesicherten Wirkungen ausrichtet. Der ursprünglich englische Begriff entspricht nicht ganz der deutschen etymologischen Bedeutung, scheint aber an Popularität zu gewinnen und ist beispielsweise auch bereits in Gesetzestexte eingeführt (z.B. § 137f SGB V).
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Tab. 3: Audience Development als Managementprozess Gesellschaftspolitische Ziele Kulturpolitik
Sozialpolitik
Wirtschaftspolitik
Kulturpolitische Förderung von Teilhabegerechtigkeit Evaluation des Status quo von Angebot und Teilhabe auf nationaler Ebene Erkennen der Exklusion bestimmter Zielgruppen Definition quantitativer Ziele zur veränderten Teilhabe bestimmter Gruppen Entwicklung von Förderprogrammen Operationalisierung der Ziele in Förderrichtlinien und -instrumente Betriebliches Audience Development Entscheidung der Unternehmensleitung für Audience Development Evaluation des eigenen Status quo von Angebot und Teilhabe Erkennen der Exklusion bestimmter Zielgruppen Entscheidung für Bearbeitung bestimmter Zielgruppen Entwicklung von Strategien und Instrumenten Durchführung von Programmen Evaluation der Ergebnisse, insbesondere der Teilhabe Kulturpolitische Förderung von Teilhabegerechtigkeit Überprüfung der Zielerreichung der geförderten Projekte / Einrichtungen Entscheidung über Weiterförderung Evaluation des neuen Status quo auf nationaler Ebene Ggf. Modifikation der Ziele und Programme
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Der eigentliche kulturpolitische Prozess zur Förderung dieser Teilhabegerechtigkeit beginnt auf administrativer Ebene mit der Evaluation des Status quo: Welche kulturellen Angebote gibt es auf nationaler (oder regionaler) Ebene? Wie werden diese Angebote genutzt? Hilfreich für die Bewertung sind dabei die oben erwähnten, anerkannten Klassen- und Milieudaten. Dieser empirische Schritt ermöglicht verbindliche Erkenntnisse zur nationalen Teilhabe und macht die Exklusion bestimmter Gruppen deutlich. Dadurch ist ein Erkennen zukünftig mehr zu erreichender Zielgruppen möglich, was in der Definition quantitativ messbarer Ziele zur veränderten Teilhabe dieser Gruppen mündet. Dann können entsprechende Förderprogramme entwickelt werden bzw. die Ziele in bestehende Förderaktivitäten integriert werden. Zentral ist dabei die Operationalisierung der Ziele in Förderrichtlinien und verbindlichen Zielvereinbarungen inklusive der Planung der späteren Erfolgskontrolle. Der kulturpolitische bzw. -administrative Steuerungsprozess endet vorerst nach der Vergabe von Fördermitteln. Damit beginnt der kulturbetriebliche Teil und somit das eigentliche Audience Development: Im modellierten Fall gibt der Förderer den Auftrag Audience Development zu betreiben vor. Dies kann aber auch durch eine normative (z.B. aus politischen Gründen) oder strategische (z.B. aus ökonomischen Gründen) Entscheidung der Unternehmensleitung passieren. Dann würde Audience Development nur aus betrieblichen und nicht aus politischen Gründen betrieben werden. Auch hier beginnen die Aktivitäten mit der empirischen Ermittlung des eigenen Status quo, insbesondere mit standardisierten (Nicht-)Besucherforschungen, welche das gegenwärtige Publikum abbilden und deutlich machen, welche Gruppen bisher noch nicht kommen. Im Rahmen eines strategischen Managements entscheidet sich die Unternehmensleitung dann für relevante Zielgruppen – im Falle einer politischen Vorgabe für bestimmte Gruppen entfällt dieser Schritt. Die Strategieplanung und die Ausgestaltung der Instrumente für die operative Durchführung der Programme liegen dann ganz im Entscheidungsspielraum der Institution. In erster Linie betrifft das künstlerische Programmplanung, Kulturmarketing und Vermittlung. Die Gestaltung dieser Aktivitäten ist vielfältig, sparten- und projektabhängig, so dass sie im Rahmen eines abstrakten und allgemeingültigen Modells nicht unterzubringen sind. Im Sinne des Prozesscharakters der betrieblichen Audience Development-Aktivitäten werden diese durch eine erneute empirische Überprüfung der erreichten Ziele beendet. Im modellierten Fall wird der Förderer dazu technische wie inhaltliche Vorgaben machen. Der innerbetriebliche Wert dieser Evaluation liegt zudem in der möglichen Optimierung der eingesetzten Instrumente.
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Im Rahmen der kulturpolitischen Aktivitäten zur Förderung von Teilhabegerechtigkeit tritt an dieser Stelle wieder die administrative Förderseite auf. Nicht nur um die erreichten Ziele der Förderung zu kontrollieren, welche auch eine Weiterförderung beeinflussen können, sondern auch um in einem Gesamtkontext die nationale Teilhabe regelmäßig zu evaluieren und ggf. durch die Rückmeldungen der geförderten Einrichtungen und Projekte die eigenen Ziele zu modifizieren. 3.2.2.4 Grenzen und Probleme der Zielgruppenorientierung Neben der dargestellten Klassifikation nach Milieus waren und sind in Großbritannien (wie auch in Deutschland) vor allem Kinder, Jugendliche und Menschen mit Migrationshintergrund von kultur- bzw. sozialpolitischer Relevanz. Die Definition dieser Zielgruppen erfolgt nie neutral durch bloße Statistik, sondern ist immer wertbasiert, d.h. es bedarf einer politischen (und nicht empirischen) Entscheidung. Entsprechend stößt ein solches Vorgehen auch auf Kritik. Fundamental wurde und wird dies von britischen Kulturschaffenden kritisiert, welche trotz einer inhaltlichen politischen Nähe zu New Labour im Gegensatz zum Thatcherismus und einer wohlwollenden Haltung zur Inklusion sozial benachteiligter Milieus dennoch die Gefahr einer Dogmatisierung der Zielgruppen ausmachen. Der englische Theaterregisseur Nicholas Hytner spitzt dies am Beispiel von Orchesterkritiken zu: „The orchestras were attacked not for the quality of their playing but for the unacceptably low proportion of young people in their audiences.“ (Hytner 2003)
Dadurch wird deutlich, dass die Integration neuer politisch relevanter Milieus in den Kulturbetrieb das bisherige dominierende Qualitätsmerkmal des Kunstwerks zumindest ergänzt. Eine solche Kritik zeugt ein Stück weit auch von einer politisch konservativen Haltung, vor allem vor dem Hintergrund, dass nachweislich z.B. die Orchester eben nicht nur noch wegen bestimmter Zielgruppen gefördert werden, sondern dieses Bemühungen neben der künstlerischen Arbeit einen Teil der Förderung ausmacht. Allerdings sind solche Äußerungen auch ein Indiz dafür, dass bestimmte Akteure ihre bisherige Deutungshoheit und damit auch Macht als rückläufig wahrnehmen. Andere kritische Positionen setzen am Ansatz der Segmentierung an sich an. Sowohl Kulturmarketing als auch Audience Development bauen auf einer Segmentierung des potenziellen Gesamtpublikums auf. Hintergrund ist die auch in der Konsumforschung entstandene sozialwissenschaftliche bzw. betriebswirtschaftliche Einsicht, dass sich in Folge von Ausdifferenzierungsprozessen spä-
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testens ab Mitte der 1980er Jahre die Gesellschaft so verändert hat, dass die alten sozio-ökonomischen Schichtenmodelle (vgl. Bolte und Hradil 1988) kein realistisches Abbild von dieser mehr leisten konnten (vgl. Klein, A. 2001). Die Folge war zum einen ein Rückgang des Massenmarketings (‚one site fits all‘) und ein Erstarken des Segmentmarketings. Dieses geht davon aus, dass verschiedene Zielgruppen mit unterschiedlichen Marketingstrategien bearbeitet werden müssen. Das bedeutet, dass jeweils spezielle produkt-, preis-, distributions- und kommunikationsspezifische Instrumente gestaltet werden müssen. Obgleich dieser Segmentierungsansatz unzählige Male erfolgreich angewandt wurde, bleibt unklar, wer die Segmentierungskriterien dabei bestimmt. Egal ob in der politischen oder betriebswirtschaftlichen Begründung von Audience Development: Die Kriterien setzen oft am marktwirtschaftlichen Verständnis der Adressaten als Konsumenten an. Entsprechend führen konsum- und kapitalismuskritische Ansätze eine Reduzierung des Publikums von Kulturveranstaltungen auf die Eigenschaften von Konsumenten an und schlagen ein anderes Verständnis vor, beispielsweise das Publikum als Kooperations- oder Diskussionspartner abseits von Marktlogik zu begreifen, ohne allerdings konkrete Instrumente zur Umsetzung zu benennen (vgl. Institute for Art Education 2009-2012). Schließlich sei noch ein Gedanke von Thomas Schmidt aufgegriffen, welcher die Probleme des zielgruppenorientierten Audience Development auf eine unverhältnismäßige Konzentration der Arbeit auf bestimmte, gegenwärtig aktuelle fokussierte Segmente am Beispiel der Theaterpraxis deutlich macht: „Das größte Problem, aber, stellen die Spezialisierungen dar. Die plötzliche Konzentration auf Kinder- und Jugendtheater oder bestimmte Zielgruppen, die nur Ausschnitte, Segmente der Gesamtbevölkerung sind, die die Theater erreichen müssen. Dabei werden oftmals die Menschen in der Mitte der Gesellschaft und ihres Lebensalters vergessen, denen die Theater zu wenige Angebote machen.“ (Schmidt 2013: 207)
Bei diesem Beispiel aus Deutschland, welches allerdings auch auf die Situation in Großbritannien übertragbar ist, wird deutlich, dass die Definition von Zielgruppen stark kultur- und noch mehr sozialpolitischen Trends unterliegt, welche nicht immer ein Abbild der aktuellen Gesamtgesellschaft darstellen. Neben der ‚Gefahr‘ einer Vernachlässigung der Mittelschicht (welche auch nicht unbedingt von sich aus kommt, wie die späteren Kapitel zeigen werden), wird an dieser Stelle vor allem deutlich, dass Audience Development auch nur als ein Teilbereich der Bemühungen um neues Publikum verstanden werden kann. Im extremsten Fall könnte dieser auf eine Abteilung für Sozialarbeit innerhalb der Kultureinrichtungen reduziert werden. Die Diskurse um Inklusion und gesellschaft-
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liche Teilhabe sind zumindest in Deutschland sozialpolitisch geprägt (vgl. Stichweh 2005). Bereits Hilmar Hoffmann benennt neben Kindern und Senioren auch explizit „ungenehme Minderheiten der Gesellschaft“ (Hoffmann 1981: 296) wie z.B. psychisch Kranke oder Straffällige als zu integrierende Zielgruppen. Die meisten sozialpolitisch neuen Zielgruppen der letzten 20 Jahre wurden vor dem Hintergrund des demografischen Wandels relevant. Die empirischen Studien des Zentrums für Kulturforschung machen dieses Interesse sehr deutlich: In der KulturBarometer-Reihe wurden als erste spezielle Zielgruppe Kinder- und Jugendliche (Keuchel 2006), dann Senioren (Keuchel und Wiesand 2008) und schließlich Menschen mit Migrationshintergrund (Keuchel 2012) untersucht. Diese Zielgruppen werden zuerst über einfache sozio-demografische Merkmale wie Alter oder Migrationshintergrund definiert. Dies ist tendenziell ein konservativer Ansatz, denn Sozialforschung kann gesellschaftliche Entwicklungen immer nur ex-post messen und relevante Zielgruppen erst erkennen, wenn diese bereits existieren. Entsprechende Studien kommen auch meistens zu dem Schluss, dass es die ‚eine‘ Zielgruppe so nicht gibt und deren Definition über eine einzige sozio-demografische Merkmalsausprägung zu keinem befriedigenden Ergebnis kommt (z.B. Keuchel 2012, Allmannritter 2014). Vielmehr weisen diese Gruppen eine hohe Heterogenität auf und müssen entsprechend weiter differenziert werden, insbesondere psychografische Merkmale welche in Milieu- und Lebensstilansätzen münden, scheinen dafür prädestiniert zu sein. Die Konsequenz einer solchen Zielgruppenarbeit in der kulturmanagerialen Praxis scheint allerdings oft an vereinfachten Differenzierungsmerkmalen anzusetzen und entsprechend kann der Eindruck (und ein empirisch noch zu überprüfendes Phänomen) entstehen, der Kulturbetrieb widme sich in seinen Bemühungen um das Publikum aktiv eigentlich nur sehr konzentriert den Alten, den Jungen oder den Menschen mit Migrationshintergrund. Schmidts Feststellung, dass Audience Development keine expliziten Angebote für die „Menschen in der Mitte der Gesellschaft und ihres Lebensalters“ (Schmidt 2013: 207) machen würde verdeutlicht eine solche Rezeption. Obgleich diese Reduzierung nicht Intention der Idee von Audience Development ist, scheint eine solche Tendenz zur Konzentration auf sozialpolitisch relevante Zielgruppen (z.B. Menschen mit Migrationshintergrund, mit geringem Einkommen oder mit Behinderung) auch in deutschsprachigen Diskursen über das Thema prägend zu sein (vgl. Mandel und Renz 2014, Hammer 2014).
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3.3 AUDIENCE D EVELOPMENT
IN
D EUTSCHLAND
Bereits mehrmals wurden in diesem Kapitel die unterschiedlichen nationalen kulturpolitischen Bedingungen benannt (vgl. Beyme 2010). Gleichzeitig wurde am britischen Beispiel deutlich, dass Audience Development nicht ohne kulturpolitische Dimensionen diskutiert werden kann. Es liegt daher auf der Hand, dass weder die US-amerikanische betriebliche, noch die britische sozial- und kulturpolitische Begründung für Audience Development ohne Modifikationen auf den deutschen Kulturbetrieb und die hiesige Kulturpolitik übertragen werden können. Obgleich wie dargestellt die inhaltlichen Ziele der britischen und deutschen Kulturpolitik sich an manchen Stellen gar nicht so stark unterscheiden, fehlt es hierzulande vor allem an der Bereitschaft, Kulturpolitik im Sinne der Förderung von Teilhabegerechtigkeit verbindlicher zu machen. Der ordnungspolitische Rahmen, welcher sich durch sehr wenig Ordnung schaffende Gesetze in der Kulturpolitik auszeichnet, scheint Audience Development in Deutschland zumindest nicht besonders zu fördern. Audience Development ist im deutschen bzw. deutschsprachigen Kulturbetrieb immer noch ein neuer Begriff. Auch wenn die Grundidee, verschiedene Zielgruppen individuell mit eigenen, vermittelnden Programmen anzusprechen bereits in der Vergangenheit geäußert wurde (z.B. Fohrbeck und Wiesand 1980), tritt der Begriff und damit verbunden das theoretische Instrumentarium erst in der Mitte der 2000er Jahre auf: 2004 in Berlin mit einer ersten Tagung zum Thema (vgl. Reussner 2004), gefolgt von ersten wissenschaftlichen Publikationen. Auffallend ist, dass sich darunter vergleichsweise wenig eigenständige monographische Grundlagenwerke (z.B. Mandel 2008) oder Beiträge in begutachteten Fachjournals (z.B. Mandel 2012) finden lassen. Es existieren eher Tagungsdokumentationen (Siebenhaar 2009) und Beiträge in Fachzeitschriften, z.B. in ‚Das Orchester‘ (Schmidt-Ott 2007, 2008) oder Sammelwerken (z.B. Siebenhaar 2008, Mandel 2011). In sich geschlossene Forschungsarbeiten, welche Audience Development als Bezugsrahmen nutzen, existieren fast gar nicht; bemerkenswert ist lediglich die Untersuchung zum Interkulturellen Audience Development von Birgit Mandel (2013). Zudem entstanden in der Zeit noch etwa ein Dutzend Diplom- bzw. Masterarbeiten, welche überwiegend konkrete kulturbetriebliche Projekte vor dem Hintergrund von Audience Development untersuchen (z.B. Schryen 2005, Weichel 2007, Vizy 2008, Kruerke 2012, Gansen 2014). Im deutschsprachigen Raum wird Audience Development regelmäßig, wenn auch vereinzelt Thema von Tagungen, allerdings eher auf Ebene der praktischen
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Anwendung und mit Kulturschaffenden als Referenten8 und nur selten im wissenschaftlichen Kontext9. Eine mögliche Übersetzung des Begriffs ins Deutsche wurde bisher nicht wirklich diskutiert. Stellenweise wird von ‚Zuschauerentwicklung‘ (vgl. Klein, A. 2007) gesprochen, allerdings scheint auch die Mehrdimensionalität von Audience Development als ein „umbrella term“ (Siebenhaar 2009: 13), welcher viele definierte und übersetzte Bereiche wie z.B. Kulturmarketing oder Kulturpädagogik beinhaltet, eine befriedigende Begriffsfindung zu verhindern. Zudem zeigen Überlegungen zur Übersetzbarkeit verwandter Begriffe (z.B. Kulturvermittlung als arts education) immer wieder die damit verbundene Problematik in Unschärfe der Bedeutung (vgl. Tröndle 2008). Inwieweit Audience Development kulturpolitisch gesteuert bzw. eingefordert wird oder es als kulturmanageriales Konzept der Unternehmensführung praktiziert wird, ist im deutschsprachigen Raum noch nicht erforscht. In Bezug auf die explizite Verwendung des Begriffs scheint dieser derzeit mit wenigen Ausnahmen (z.B. Jüdisches Museum/Berlin, Festspielhaus St. Pölten/Österreich) allerdings noch nicht in Stellen- oder Abteilungsbezeichnungen in Kultureinrichtungen, insbesondere nicht in Theatern angekommen zu sein. Stellenweise scheint der Begriff Audience Development in Äußerungen von Kulturverbänden oder Künstlern negativ konnotiert verstanden zu werden, was allerdings auf eine generelle konservativ-populistische Ablehnung aller managerialen Begriffe wie z.B. auch ‚Marketing‘ zurückzuführen ist (z.B. Brandenburg 2008). So führt der künstlerische Leiter des Netzwerks Musik Bojan Budisavljevic in der Neuen Musik Zeitung aus, Audience Development würde im Vergleich zu Kulturvermittlung „bestenfalls Kasse“ (Budisavljevic 2008: 14) machen. Und der Deutsche Bühnenverein verkündet in einem Jahresbericht immer noch, dass den Problemen der deutschen Theater „mit Schlagworten wie ‚Audience Development‘ oder ‚Marketing‘ nicht beizukommen“ sei (Deutscher Bühnenverein 2008: 31) Auch das Feuilleton deutscher Zeitungen stellt darüber hinaus immer wieder Bemühungen um neue Zielgruppen mit neuem Formaten ablehnend in Frage: So z.B. Gerhard Stadelmeier (2014) in der FAZ das Outreach-Konzept von Theatern oder Ronald Meyer-Arlt (2014) in der HAZ die zielgruppenorientierte Kulturpolitik des Landes Niedersachsen. 8
Beispielsweise 2007 in Wien (vgl. www.ots.at/presseaussendung/OTS_20071113_ OTS0162/kka-podiumsdiskussion-audience-development-und-kulturvermittlung), 2008 in Berlin (vgl. idw-online.de/de/news246288) oder 2012 als Workshop in Solingen (vgl. www.kultur-bergischesland.de/aktuell/kulturmarketing/) (12.03.2015).
9
Beispielsweise auf der Fachtagung „Zukunft Publikum“ des Fachverbands Kulturmanagement e.V. 2012 in Lüneburg.
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Auf operativer Ebene der Durchführung bestimmter kulturvermittelnder und zielgruppenorientierter Instrumente und Formate wird Audience Development in deutschen Kultureinrichtungen als betriebliches Instrument bereits vielfach praktiziert. Nicht zuletzt durch die Zunahme des Stellenwerts kultureller Bildung (vgl. Bockhorst et al 2012) führen Theater, Museen oder Konzerthäuser regelmäßig Führungen, Zuschauergespräche, partizipative Formate, Kooperationen und vieles mehr mit bestimmten Zielgruppen durch (vgl. diverse Texte in Mandel 2008). Dies erfolgt allerdings selten bis nie im Rahmen einer Gesamtstrategie. Insbesondere fehlt eine Implementierung dieser (sinnvollen) Einzelprojekte in strategische Planungen, welche z.B. die Veränderung der Teilhabe der anvisierten Zielgruppe empirisch messen und somit die Wirksamkeit der Intervention überprüfen. Audience Development wird als Begriff abgrenzend zu Kulturmarketing auch dann verwendet, wenn es darum gehen soll, neue Zielgruppen die bisher noch keine Angebote nutzen anzusprechen und zu binden, so beispielsweise in einem Bericht der Bundeskonferenz Jazz (2014: 21). Ebenfalls wurden in den letzten zehn Jahren zahlreiche von konkreten Kultureinrichtungen unabhängige Programme entwickelt. Ziel war die Förderung eines gesellschaftlichen Interesses an Kunst und Kultur. Ähnlich wie die o.g. britischen Programme richten sich diese an spezielle Zielgruppen, allerdings sind das in Deutschland weitgehend Kinder und Jugendliche. Häufig sind die Programme Mischfinanzierungen von Ländern und Stiftungen (z.B. ‚Kulturagenten für kreative Schulen‘, ‚JeKi – Jedem Kind ein Instrument‘). Entscheidend im Vergleich zu Großbritannien ist in Deutschland jedoch das Fehlen einer kulturpolitischen Steuerung der geförderten Einrichtungen. Denn so könnte betriebliches Audience Development im Rahmen einer Teilhabegerechtigkeit fördernden Politik begünstigt bzw. eingefordert werden. Inwieweit also das oben dargestellte Konzept einer politisch-motivierten strategischen Ansprache neuer Zielgruppen auch in deutschen politischen Strukturen möglich ist und auf welche Probleme erste kulturpolitische Steuerungsversuche hierzulande stoßen, wird im Folgenden erörtert.
3.4 Z IELVEREINBARUNGEN
ALS I NSTRUMENT MANAGERIALER UND POLITISCHER S TEUERUNG VON AUDIENCE D EVELOPMENT
Die folgenden Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf den Handlungsspielraum von Ländern und Kommunen. Staatliches kulturpolitisches Handeln ist in Deutschland föderalistisch. Das Grundgesetz überträgt in den Artikeln 28
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und 30 die Kulturhoheit auf Länder, Gemeinden und Landkreise. Seit 1998 hat die Rolle des Bundes durch die Installierungen eines Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien im Range eines Staatsministers an Einfluss gewonnen (vgl. Hoffmann und Schneider 2002), allerdings beschränken sich die bundespolitischen Aktivitäten in der Kulturpolitik auf national bedeutsame Projekte und Einrichtungen, auf die Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen sowie auf auswärtige Kulturpolitik. Eine mit den Ländern und Gemeinden bezüglich der Quantität vergleichbare Verantwortung durch Betrieb oder Förderung einzelner Kultureinrichtungen ist mit wenigen Ausnahmen (z.B. Deutsches Historisches Museum) nicht gegeben. Eine Übertragung des britischen Konzepts der kulturpolitischen Steuerung ist also weniger auf Bundesebene und mehr auf Landesebene möglich. Die meisten deutschen Bundesländer verfügen mit entsprechenden Ministerien über angemessene administrative Ressourcen für die Gestaltung von Kulturpolitik. Inwieweit Audience Development fördernde Steuerungsinstrumente auch in Kommunen und Landkreisen installierbar sind, hängt von deren Ressourcen und Ansprüchen in den Verwaltungen ab. Schließlich ist das vorgestellte Konzept aber auch auf alle möglichen Förderer von Kultur übertragbar, also z.B. auch auf Stiftungen (wie z.B. die Kulturstiftung des Bundes) oder auf Mittlerorganisationen (wie z.B. Landschaftsverbände in Niedersachsen oder das Goethe-Institut als Vermittler der auswärtigen Kulturpolitik). Die ordnungspolitische Basis der deutschen Kulturpolitik ist die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit (Grundgesetz Artikel 5 Absatz 3). Der dort manifestierte Freiheitsanspruch und die implizite Förderpflicht des Staates (vgl. Kapitel 1.2) führen zu einer recht paradoxen Situation: Zum einen fördern staatliche Stellen Kunst und Kultur mit jährlich ca. 9 Milliarden Euro – im internationalen Vergleich ist das sehr viel, in Großbritannien werden beispielsweise nur 1,6 Milliarden Euro ausgegeben (Mandel 2008: 34). Zum anderen verzichtete die Politik bei der Verwendung der Gelder bisher weitgehend auf eine inhaltliche Steuerungsmacht, welche über die Förderung einer konkreten Institution oder Sparte hinausgehen würde und auch Einfluss auf die Programme bzw. Zielgruppen hätte. Armin Klein macht gerade in den fehlenden rechtlichen Vorgaben den Grund für die permanente inhaltliche (Neu-)Diskussion kulturpolitischer Ziele aus (vgl. Klein, A. 2005: 171). Der Verfassungsrechtler Udo Steiner führte allerdings bereits in den 1980ern genau diese „Programmkompetenz“ als „substantiellen Teil des staatlichen Kulturauftrags“ (Steiner 1984: 31) an. Aus der Kunstfreiheitsgarantie der Verfassung entsteht also kein Zwang eines bedingungslosen staatlichen Handelns im Sinne eines Mäzens. Kulturpolitik kann entsprechende Ziele benennen und umsetzen. So trifft der Sozialauftrag des Grundgesetzes sei-
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ner Ansicht nach „auch auf die soziale Situation im kulturellen Bereich und auf die Zugangsbedingungen zur öffentlichen Kultur unter dem Gesichtspunkt sozialer Hindernisse“ (Steiner 1984: 33) zu. Auch Hilmar Hoffmann leitet aus der Sozialstaatserklärung (Grundgesetz Art. 20) eine Pflicht für Verwaltungen ab, „mit öffentlichen Mitteln geförderte Kunst möglichst allen Bürgern in gleicher Weise zugänglich zu machen“ (Hoffmann 1981: 48). Allerdings scheint es die Kunstfreiheitsgarantie zu verbieten, die staatliche Förderung quasi ausschließlich mit sozialem Nutzen zu verknüpfen. Der Staat kann also nicht seine komplette Kulturförderung an soziale Bedingungen (wie z.B. die nachgewiesene Erreichung bestimmter Zielgruppen) festmachen. Er darf aber „Programmteile der öffentlichen Kulturförderung unter den Aspekt der Problemhilfe bei der Erfüllung von Staatsaufgaben stellen“ (Steiner 1984: 35). Es stellt sich also die Frage, mit welchen Instrumenten Kulturpolitik in Deutschland vor dem Hintergrund der wenigen ordnungspolitischen Vorgaben und der Kunstfreiheitsgarantie dennoch ihre Ziele steuern kann. Gegenwärtig gibt es zunehmend Diskussionen darüber, dass Kulturpolitik diese Steuermacht auch nutzt. So wird z.B. im Schlussbericht der Enquete Kommission ‚Kultur in Deutschland‘ vereinzelt gefordert, dass Kultureinrichtungen „per Bewilligungsbescheid verpflichtet werden“ (Schneider, W. 2008: 87) sich mit ihrem Angebot an eine bestimmte Zielgruppe zu wenden. Auch kann eine Teilhabegerechtigkeit und somit Audience Development fördernde Politik im Rahmen der aktuell diskutierten ‚konzeptbasierten Kulturförderung‘ weiter theoretisch verortet werden. Ausgehend von einem Ende des bedingungslosen, aber großzügigen Mäzenatentums als Leitidee der öffentlichen Kulturförderung in Deutschland (und damit auch von einem Ende der Fehlbetragsfinanzierung), wird unter diesem Begriff ein zielorientiertes und evidenzbasiertes Verfahren vorgeschlagen (vgl. Sievers und Föhl 2012). Die Benennung begründeter Förderziele und die Implementierung von Erfolgskontrollen in politische Steuerungsprozesse sind die wesentlichen Aspekte, welche so auch im britischen Konzept vorkommen. Zielvereinbarungen stellen ein wesentliches Steuerungsinstrument konzeptbasierter Kulturförderung dar (vgl. Föhl und Götzky 2013). Damit existieren also in der deutschen Verwaltung bereits Instrumente mit welchen eine kulturpolitisch motivierte Förderung von Teilhabegerechtigkeit mithilfe von betrieblichem Audience Development umgesetzt werden könnte. Historisch ist eine solche zielorientierte Politik auch auf die Grundlagen der Neuen Kulturpolitik zurückzuführen: Bereits Hilmar Hoffmann (1981), Hermann Glaser und Karl Heinz Stahl (1983) forderten, die Vergabe finanzieller Förderung an objektivierbare Zielvorgaben zu binden.
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Zielvereinbarungen stammen eigentlich aus der betrieblichen Unternehmensund Personalführung. Sie stellen die Grundlage der ab den 1950er Jahren entwickelten „Management by objectives“-Methode dar (vgl. Drucker 1954, Watzka 2011). Der Ansatz dieses partizipativen Führungsstils liegt im gemeinsamen, einvernehmlichen Festlegen von Zielen zwischen Vorgesetzen und Mitarbeitern. Hintergrund ist sowohl die erhoffte Steigerung der Motivation der Mitarbeiter durch Partizipation, als auch die transparente Dokumentation von Zuständigkeiten und Erwartungen. Die Ziele sollen so formuliert sein, dass sie messbar sind. Führung bzw. Steuerung findet bei dieser Methode also nicht mehr hierarchisch, ex-post und regulierend, sondern prozessorientiert, ex-ante und durch Festlegung „zukünftigen Handelns“ (Schimank 2006: 7) statt. Dies basiert auch auf der Idee, dass derjenige welcher die Ziele umsetzt, auch besser die Strategien und Instrumente dafür entwickelt („To do the things right“) als sein Auftraggeber oder Vorgesetzter, der nur übergeordnete Ziele und die Wirkungsintention („To do the right things“) vorgibt (Klein, A. 2007: 189). Im Zuge der Implementierung neuer Steuerungsmodelle, insbesondere der dezentralen Ressourcenverwaltung in kommunalen Verwaltungen, wurden Zielvereinbarungen in Deutschland ab den 1990er Jahren auch zum wesentlichen Element administrativer und später auch politischer Steuerung. Dieses Verwaltungsmodell mit Abkehr von der Kameralistik und Hinwendung zu einer OutputOrientierung wurde in vielen Städten zuerst im Kulturbereich erprobt (vgl. Heinrichs und Klein 2001), findet heute jedoch Anwendung in nahezu allen fördernden Politikbereichen auf allen staatlichen Ebenen, z.B. auch in der Hochschulpolitik (vgl. König 2007). Die Zielvereinbarungen wurden anfangs vor allem wie oben aufgeführt als internes Führungsinstrument verstanden. Im Kontext der Verwaltungslehre wurde dann der Begriff Kontraktmanagement etabliert, welches zwar auch explizit auf Zielvereinbarungen aufbaut (vgl. KGST 1998), allerdings weniger die Vereinbarungen im engeren Sinn zwischen Behördenleitung und Mitarbeiter beschreibt, als vielmehr vertragliche Vereinbarungen zwischen Politik und Behörde oder Behörde und Förderempfänger (vgl. BMI und BVA 2013). Dadurch wurde das ursprünglich betriebliche Führungsmodell auch auf politische Steuerung im Rahmen öffentlicher Förderungen übertragen. So legt z.B. das Amt für Kultur und Freizeit der Stadt Nürnberg zu Beginn jeder Legislaturperiode dem Stadtrat eine Rahmenzielvereinbarung vor. Auch wenn diese nicht durch einen konkurrierenden Vereinbarungsprozess entstanden ist und die empirische Überprüfbarkeit der Ziele auf Grund eines hohen Abstraktionsgrads nicht unbedingt möglich ist, soll damit „der Grundkonsens zwischen Politik und Verwaltung dokumentiert werden“10. 10 www.kuf-kultur.de/das-kuf/rahmenziel-vereinbarung.html?L=0 (10.11.2014).
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Zielvereinbarungen kennzeichnen also Verträge, „die zwischen zwei Zielebenen für einen festgelegten Zeitraum über zu erbringende Leistungen, deren Qualität und Menge (Outcome), das hierzu erforderliche Budget […] sowie über Art und Inhalt des Informationsaustausches (Berichtswesen / Controlling) geschlossen werden“ (Klein, A. 2007: 86). Neben der Regelung der finanziellen Aspekte der Förderung wird hier auch der wichtige Stellenwert der Integration einer Kontrollphase im Verlauf und am Ende des Prozesses deutlich. Es geht ähnlich wie beim oben beschriebenen britischen Modell von Audience Development eben nicht darum, nur gewünschte Ziele zu benennen, sondern von Anfang an auch darum, deren Erreichungsgrad zu messen und diese Erkenntnisse in zukünftiges Handeln einfließen zu lassen. Voraussetzung ist dabei auch eine „Beschreibung des Ist-Standes“ (Klein, A. 2007: 89), was beispielswiese durch eine empirische (Nicht-)Besucherforschung erfolgen kann. Inhalte dieser Ziele können neben quantitativen Auslastungs- oder Finanzzielen auch künstlerische Aspekte sein. So schlägt die Kommunale Gemeinschaftsstelle bereits Ende der 1980er im Kontext der Führung öffentlicher Theater vor, bei kulturpolitischen Zielvorgaben auch standardisierte Kriterien wie z.B. „gesellschaftspolitisches, aufklärendes“ oder eben „klassisches“ Theater aufzunehmen (vgl. KGSt 1989: 26). In den Niederlanden wurde beispielsweise in den 1990er Jahren ein neues, auf solchen Zielvereinbarungen basierendes nationales Kulturfördersystem eingeführt. Dieses beinhaltet zum einen eine auf vier Jahre erweiterte finanzielle Verlässlichkeit der Förderung, zum anderen aber auch Berichtspflichten von Seiten der Geförderten – sie müssen nachweisen, dass die intendierten Ziele der Förderung erreicht wurden (vgl. Klein, A. 2007). Auch in der deutschen Kulturpolitik könnte das britische Modell der kulturpolitischen Steuerung durch Zielvereinbarungen zur Förderung eines betrieblichen Audience Developments zumindest auf administrativer Ebene mit bestehenden Instrumenten umgesetzt werden. Allerdings scheint die Praxis dieser Ideen auf Problemfelder zu stoßen, welche im Folgenden diskutiert werden: die administrative Umsetzung von Zielvereinbarungen, die theoretische Operationalisierung und methodische Überprüfung von Zielen sowie der politische Wille zur Steuerung. 3.4.1 Administrative Umsetzung Innerhalb der deutschen Kulturpolitik ist gegenwärtig ein gewisser Trend zu mehr Zielvereinbarungen auszumachen: So steuert beispielsweise das Auswärtige Amt zunehmend mit Zielvereinbarungen auch die Arbeit der Mittlerorganisationen im Kulturbereich (vgl. Hennefeld 2013) und bereits 2003 schlug eine Ar-
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beitsgruppe zur Evaluation der Kulturförderung des Landes Schleswig-Holstein Zielvereinbarungen als zentrales Steuerungsinstrument vor (vgl. Bericht der Arbeitsgruppe 2003). Auch hinterfragen Akteure des Kulturbetriebs zunehmend in kulturpolitischen Diskussionen, beispielsweise um die Integration der Zielgruppe von Menschen mit Migrationshintergrund, weshalb sich die Verantwortlichen „nicht jener Instrumente bedienen, die sich in vielen anderen Bereichen bewährt haben? Zum Beispiel Zielvereinbarungen mit Intendanten“ (Schmitz 2012). Solche kulturpolitischen Zielvereinbarungen mit inhaltlichem Bezug zu Audience Development im Sinne der expliziten Benennung quantitativer und qualitativer Zuschauerentwicklung existieren in Deutschland nur vereinzelt. Am Beispiel der Länder Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern kann verdeutlicht werden, wie sich Zielvereinbarungen im Prozess entwickeln können und an welche Grenzen dieser im Rahmen landeskulturpolitischer Aktivitäten stoßen kann. Nach der Auflösung der niedersächsischen Bezirksregierungen 2005 übertrug das Ministerium für Wissenschaft und Kultur (MWK) einen Teil der finanziellen Kulturförderung auf Landschaftsverbände, welche als regionale Mittler an der Basis agieren sollten. Dies ging einher mit ersten Ansätzen von Zielvereinbarungen (vgl. Ermert 2008). In der Folge wurden solche auch zwischen dem MWK und direkt geförderten Einrichtungen z.B. den kommunalen Theatern geschlossen – ein bundesweit neuer Ansatz. Im Kern dieser Vereinbarungen standen in erster Linie eine verbindliche finanzielle Planungssicherheit über vier Jahre für die geförderten Einrichtungen sowie Anreize zur Einwerbung von Drittmitteln. Dies macht das verbreitete, theoretisch allerdings verkürzte Verständnis von Zielvereinbarungen deutlich: Sie dienen zuallererst der Sicherung der mittelfristigen Finanzplanung zwischen Förderer und Gefördertem. Erst nach und nach wurden auch allgemeine inhaltliche Ziele wie „Erschließung neuer Publikumsschichten aller Altersgruppen“ oder „die Stärkung der Kinder- und Jugendbereiche“ (Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2008) in diese Verträge integriert. Obgleich in diesem Kontext explizit der Begriff der Zielvereinbarungen verwendet wurde, wurden die aufgeführten Ziele nicht immer präzisiert oder so formuliert, dass sie mittels quantitativer Kriterien messbar gewesen wären – eine Voraussetzung welche sowohl in den betriebswirtschaftlichen (z.B. Drucker 1954) als auch verwaltungsmanagerialen (z.B. KGSt 1998, BMI und BVA 2013) Definitionen allerdings gefordert wird. Beispielsweise wurde „Besucherforschung“ (vgl. Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft 2011) als kulturpolitisches Ziel und Aufgabe von kommunalen Theatern vereinbart, ohne dies quantitativ oder qualitativ zu präzisieren. Als einfachste Form von Besucherforschung wird wissenschaftlich allerdings bereits das Auslegen eines Gäs-
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tebuchs gewertet (vgl. Glogner-Pilz 2012) – was vermutlich alle Stadttheater leisten. Von Seiten des Kulturbetriebs wurde damals Kritik an den neuen Zielvereinbarungen geübt. Zum einen wurden die inhaltlichen Forderungen auch als zusätzlicher Mehraufwand verstanden (vgl. Irler 2006). Dies ist ein erstes Indiz dafür, dass Zielvereinbarungen vom Kulturbetrieb in der Praxis nicht immer als ‚auf Augenhöhe entwickelt‘, sondern durchaus auch als hierarchisch vom Förderer durchgesetztes Steuerungsinstrument wahrgenommen werden. Dem könnte gegengesteuert werden, indem das ‚Aufschlagsrecht‘ des Vereinbarungsprozesses zuerst bei den Kultureinrichtungen selbst läge, wie es in den Niederlanden in den 2000er Jahren praktiziert wurde (vgl. Klein, A. 2007). Zum anderen kam mehrfach Kritik von Seiten des Landesrechnungshofes (z.B. Niedersächsischer Landesrechnungshof 2012, 2013), welche zuletzt auch vom Finanzausschuss des Niedersächsischen Landtags übernommen wurde (vgl. Niedersächsischer Landtag 2013). Diese Kritik setzt nicht an den Inhalten der Zielvereinbarungen, sondern an der nicht zu Ende gedachten Form an. Ausgehend von einem erhöhten Mehraufwand für das Ministerium im Rahmen der Entwicklung von Zielvereinbarungen (im Gegensatz zu klassischen nicht zu verhandelnden Förderbescheiden o.ä.) wurde die nicht verankerte Überprüfung der Ziele bemängelt: „Die Umsetzung dieser Ziele machte das Land zwar einerseits zur Förderbedingung, sah jedoch andererseits keine Instrumente vor, die Zielerreichung zu messen und Zielverfehlungen zu sanktionieren.“ (Niedersächsischer Landesrechnungshof 2012: 86)
Es wurde also versäumt ein Kontrollsystem in das neu entwickelte Fördersystem zu implementieren (vgl. Ermert 2008). Neben der offensichtlichen Kritik an fehlender kennzahlenbasierter Messbarkeit der Ziele, bemängelte der Niedersächsische Landesrechnungshof auch die Berichte der Zuwendungsempfänger, welche nur allgemeine Beschreibungen von deren Aktivitäten und keine quantifizierte Erfolgskontrolle beinhalteten (vgl. Niedersächsischer Landesrechnungshof 2013). Die Argumentation des Landesrechnungshofes bezieht sich also nicht auf die Idee oder gar den Inhalt von Zielvereinbarungen. Vielmehr wird in Frage gestellt, ob ein solches ressourcenintensives Steuerungsinstrument ökonomisch vertretbar ist, wenn die eigentlich intendierten Ziele systembedingt gar nicht überprüft werden und das theoretische Verständnis des Instruments im Grunde verkürzt wird. Das MWK hält dennoch an der Idee von „mehrjährigen Zielvereinbarungen mit Kultureinrichtungen“ (Schwandner 2014: 43, Niedersächsisches Ministerium für Wissenschaft und Kultur 2015) fest, allerdings ist derzeit eine Entwicklung
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zu einer Konkretisierung der Ziele absehbar. In der Antwort auf eine kleine Anfrage im Landtag verdeutlicht die niedersächsische Ministerin für Wissenschaft und Kultur 2013: „Es muss im Sinne eines audience development überzeugend dargelegt werden, an welche Zielgruppen sich ein künstlerisches Projekt mit welchen Vermittlungsmaßnahmen richtet.“ (Niedersächsischer Landtag Drucksache 17/131: 4)
Die Ministerin macht damit den betrieblichen Charakter von Audience Development deutlich: Das fördernde Ministerium initiiert verbindliche Rahmenbedingungen, die Umsetzung und Gestaltung der Maßnahmen liegen bei der geförderten Einrichtung. Allerdings weist die Ministerin auch darauf hin, dass diese Beschreibung des Audience Development lediglich ‚positiv bewertet‘ wird, es allerdings keinen Zwang oder gar einen automatischen Ausschluss aus der Förderung gibt, wenn die Ziele nicht erfüllt wurden. Weiter geht aktuell das Land Mecklenburg-Vorpommern: Im sogenannten Theatererlass regelt das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur für zwei Jahre bis 2015 die Förderung der Theater und Orchester. Neben Förderhöhe und Verteilungsschlüssel beinhaltet der Beschluss auch erstmalig die Vergabe von Teilen der Fördermittel an den Abschluss von Zielvereinbarungen zu koppeln: „10 Prozent der Zuweisungssumme werden in Abhängigkeit vom Zustandekommen von Zielvereinbarungen und deren Umsetzung zur Sicherung einer landesweit abgestimmten Theater- und Orchesterlandschaft ausgezahlt.“ (Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2014a: 4)
Dies führt dazu, dass die geförderten Kultureinrichtungen eine Grundförderung von 90% erhalten, weitere 10% allerdings an die erfolgreiche Realisierung inhaltlicher kulturpolitischer Ziele gebunden sind. Dabei sollen unter anderem folgende Ziele mit den Förderempfängern verhandelt werden: „Berücksichtigung des demographischen Wandels durch Angebote an Kinder und Jugendliche und die verstärkte Einbeziehung von Älteren, Einbringung der künstlerischen Kompetenzen in Institutionen und Prozesse für die Belange der kulturellen Bildung.“ (Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2014b: 2)
Bis zur Mitte des Geschäftsjahrs müssen die geförderten Kultureinrichtungen dem Ministerium einen Bericht über die Zielerreichung vorlegen. Allerdings gibt
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es kein verbindliches Format für diese Ergebniskontrolle, empirische Evaluationsverfahren werden zumindest in den Erlassen nicht genannt. Dennoch integriert dieses Beispiel eine mögliche Sanktion bei Nicht-Erreichen der Ziele: Die 10% der Gesamtfördersumme würden dann nicht ausgezahlt werden (vgl. Landtag Mecklenburg-Vorpommern 2014b). Es ist davon auszugehen, dass die an keine quantitativen Kennzahlen gebundenen allgemeinen Ziele vermutlich von allen erreicht werden, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des nicht formalisierten Berichtswesens. Der Teufel steckt somit im Detail der Vergabe- und Förderpraxis: Selbst wenn ein solches Berichtswesen unter Akzeptanz aller Parteien installiert werden würde, bliebe die Frage offen, wie im Falle der Zielverfehlung Sanktionen umgesetzt würden. Zuerst müsste geklärt werden, ab welchem Grad der Zielverfehlung diese greifen. Drei Prinzipien sind hier denkbar: •
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Alles-oder-nichts: Nur wenn alle Ziele erfüllt wurden, gilt die Vereinbarung als erfüllt. Sobald ein Einzelziel nicht erfüllt wurde, gilt die gesamte Vereinbarung als verfehlt. Erreichen von Einzelzielen: Jedes einzelne Ziel wird für sich auf den Erfolg bewertet. In diesem Fall müsste geklärt sein, welchen prozentualen Anteil ein Einzelziel an den Gesamtzielen und damit verbunden zu einer eventuellen Teilsanktionierung hat. Schwierig scheint bei diesem Prinzip die notwendige qualitative Bewertung der einzelnen Ziele (‚Welches Ziel ist wichtiger als ein anderes?‘). Graduelle Teilerfüllung: Jedes einzelne Ziel wird nicht nur für sich überprüft, ob es erreicht wurde. Es findet auch noch – wenn inhaltlich möglich – eine Abstufung des Zielerreichungsgrads statt. So kann z.B. die Vorgabe der Erhöhung der Besucherzahl um 5.000 zusätzliche Besuche genau auf den Punkt erfüllt werden. Denkbar wären aber auch 4.000 zusätzliche Besuche, welche durchaus auch einer Honorierung bedürfen. Oder die geförderte Institution übererfüllt die Vorgabe mit 6.000 Besuchern. Dann wäre zudem im Sinne eines Bonussystems ein Verrechnen der Übererfüllung mit anderen weniger oder nicht erreichten Zielen theoretisch denkbar.
Wenn im Falle einer Zielverfehlung geklärt ist, um welchen Betrag die Förderung gekürzt wird, stellt sich zweitens die Frage nach dem Verfahren der Sanktionierung: •
Nicht-Auszahlung: Als Sanktionierung wird eine bestimmte vorab vereinbarte Summe bei Nicht-Erfüllung der Ziele vom Förderer zurückgehalten. Im
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Falle des o.g. Beispiels aus Mecklenburg-Vorpommern wären das 10% der Fördergelder, welche ansonsten mit der letzten von vier Tranchen im Oktober des Geschäftsjahrs ausgezahlt worden wären (vgl. Landtag MecklenburgVorpommern 2014b). Zurückzahlung: Als Sanktionierung müsste die geförderte Institution eine vorab vereinbarte und bereits angewiesene Summe an den Förderer zurückzahlen. Belohnung: Bei dieser positiven Sanktionierung würden zusätzliche Fördermittel ausgezahlt, wenn bestimmte Ziele nachweislich erreicht wurden. Obgleich dieses Modell vermutlich weniger konfliktanfällig als die anderen beiden sein mag, bleibt das Problem der damit verbundenen ‚Freiwilligkeit‘. Indem der Regelbetrieb dank klassischer institutioneller Förderung auch so weiterliefe, entstünde der Eindruck, die mit den Zielvereinbarungen verbundenen Themen wären lediglich die ‚Kür‘ und nicht die ‚Pflicht‘.
Selbst wenn die drei Verfahren nach einigen haushaltsrechtlichen Modifikationen möglich wären, können durch alle Probleme in der mittelfristigen Finanzplanung, insbesondere in der Liquiditätssicherung der geförderten Einrichtungen auftreten. Dies kann auch dazu führen, dass eine eigentlich geplante Sanktionierung trotz Zielverfehlung entfällt: Eine erste Studie über Zielvereinbarungen in der Hochschulpolitik kam am Beispiel des Landes Sachsen-Anhalt zum Schluss, dass die Nicht-Auszahlung von 10% der Budgets einer Universität faktisch unmöglich war. Die Autoren geben zu bedenken, „dass der kurzfristige Ausfall von 10 Prozent der Mittel einer Universität diese jedoch vollständig handlungsunfähig hinterlassen hätte“ (König 2007: 44). Es stellen sich dadurch Fragen, wie z.B. eine geförderte Einrichtung am Ende des Geschäftsjahres ihren Pflichten als Arbeitgeber nachkommt, wenn eine entsprechende Finanzlücke entsteht. Problematisch bei diesen auch politisch notwendigen Diskussionen scheint die enge Verknüpfung der aufgeführten Ziele mit den potenziellen finanziellen Sanktionen zu sein. Ein ‚worst-case‘ Szenario könnte sein, dass z.B. ein öffentlich gefördertes Theater die in den Zielvereinbarungen aufgeführten Leistungen im Rahmen eines Werkvertrags an einen externen Dienstleister, z.B. einen freischaffenden Kulturvermittler vergibt. Werden die Ziele dann nicht erreicht und greifen die Sanktionen, sieht das Theater das Werk als nicht erfüllt an und kürzt bzw. streicht die Vergütung (nach § 634 Bürgerliches Gesetzbuch). Dieses Extrembeispiel soll zeigen, wie sehr es notwendig ist, die potenzielle finanzielle Sanktionierung von den Inhalten der Ziele zu trennen. Erfolgt dies nicht, so bleibt immer der Eindruck bestehen, dass die in den Vereinbarungen genannten Ziele ‚nur‘ als zusätzliche Arbeitsfelder neben dem eigentlich (wichtigeren) re-
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gulären Betrieb abgeleistet werden müssen. Normativ formuliert sollten Zielvereinbarungen daher inhaltlich immer als Teil der Gesamtförderung verstanden werden und in den individuellen Haushaltsplänen nicht mit der eventuellen Kürzungssumme verbunden werden. Das kulturpolitisch motivierte Ziel, beispielsweise den Anteil von Besuchern mit Migrationshintergrund in einem Museum zu erhöhen, kann nicht auf 10% der betrieblichen Tätigkeiten reduziert werden, sondern kann nur immanenter Bestandteil aller Unternehmensaktivitäten sein. Da Zielvereinbarungen im deutschen öffentlich geförderten Kulturbetrieb noch in einem Anfangsstadium stehen, kommt den Förderern eine besondere Sorgfaltspflicht bei der Gestaltung dieser Prozesse zu. D.h., diese müssen bei einer Vereinbarung auch sicherstellen, dass der Betrieb im Falle einer Sanktionierung dennoch ordnungsgemäß weiterlaufen können wird. 3.4.2 Operationalisierung und Überprüfung von Zielen Um überhaupt Konsequenzen aus einer Zielerreichung bzw. -verfehlung abzuleiten, bedarf es eines gesicherten – also von allen beteiligten Akteuren anerkannten – Instruments der Zielkontrolle. Es existieren verschiedene wissenschaftlich fundierte und erprobte Verfahren der möglichen Überprüfung von Zielen innerhalb von Management-Prozessen: Mit dem betriebswirtschaftlich geprägten Controlling besteht ein kennzahlenbasiertes Verfahren, welches nicht nur betriebliche Ziele quantitativ misst, sondern auch weitergehend als Instrument neuer Verwaltungssteuerungsmodelle verstanden wird (vgl. Wollmann 2009). Obgleich das aus der Kostenrechnung entstandene Controlling bereits auf die Ansprüche des Kulturbetriebs übertragen wurde (vgl. Schneidewind 2013), handelt es sich dabei um ein sehr statistisches, quantitatives Messinstrumentarium, welches nicht immer den Besonderheiten künstlerischer bzw. kulturpolitischer Ziele gerecht wird (vgl. Renz 2012b). Ein anderes, sozialwissenschaftlich geprägtes, auch an Offenheit des Forschungsprozesses orientiertes und quantitative wie qualitative Verfahren verbindendes Kontrollinstrument stellt das Monitoring dar (vgl. Stockmann 2007), welches beispielsweise im Berliner Kulturbetrieb angewandt wurde.11 Ein ebenfalls methodisch nicht nur auf eine zählbare Logik (vgl. Kapitel 4) beschränktes, oft mehrdimensionales Verfahren ist schließlich die Evaluation (vgl. Stockmann 2007, 2012), welche auch bereits im kulturmanagerialen Kontext verwendet wird (vgl. Ermert 2004, 2008, Birnkraut 2011, Arbeitskreis Kultur und Kulturpolitik 2012, Hennefeld und Stockmann 2013).
11 Vgl. www.geisteswissenschaften.fu-berlin.de/v/zad/programm/projekte/besuchermon itoring/ (12.03.2015).
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Unabhängig von den individuellen methodischen und theoretisch-instrumentellen Hintergründen basieren diese Verfahren auf zwei Prinzipien: Der Definition von Zielen und der anschließenden Überprüfung der Zielerreichung. Die oft sehr praxisorientierte betriebswirtschaftliche Literatur hat recht klare Kriterien zur Definition von Zielen (vor allem im Rahmen von Zielvereinbarungen als betriebsinternes Führungsinstrument) entwickelt. Diese werden im ursprünglich englischen Akronym SMART (vgl. Doran 1981) pragmatisch zusammengefasst. Im Deutschen wird diese ‚Formel‘ mit „spezifisch, messbar, aktiv beeinflussbar, relevant, terminiert“ (Klein, A. 2007: 194) übersetzt. Diese Kriterien werden auch im Projektmanagement verwendet, dabei sollen immer drei Dimensionen der Zieldefinition bedacht werden: „Inhalt (Was soll erreicht werden?), Ausmaß (Wie genau und mit wieviel Kraft soll das Ziel erreicht werden?) und Zeit (Bis wann muß das Ziel erreicht werden?).“ (Boy et al. 1994: 45) Für potenzielle Zielvereinbarungen zwischen Förderer und Gefördertem könnte das z.B. bedeuten, dass absolute Werte für die Entwicklung der Zuschauerzahlen in einem bestimmten Zeitraum vereinbart werden und nicht nur der Versuch mehr Besucher erreichen zu wollen benannt wird (vgl. Klein, A. 2007). Allerdings offenbart sich in diesen pragmatischen Vorschlägen auch ein Dilemma der Zielvereinbarungen als kulturpolitischem Steuerinstrument: Je konkreter, verbindlicher und formal ‚richtiger‘ im Sinne dieser Formeln ein Ziel formuliert wird, desto mehr schwindet auf der einen Seite der Handlungs- und Gestaltungsspielraum des Geförderten. Auf der anderen Seite laufen unscharfe und allgemein gehaltene Ziele schnell Gefahr, die Kernidee von Zielvereinbarungen auf eine sowieso zu erreichende Alibi-Legitimation zu reduzieren. Dann sind die Ziele so divers und allgemein formuliert, dass sie sehr unterschiedlich erreicht werden können und deren Erreichung faktisch eigentlich nicht ausgeschlossen ist. Beispielsweise fordert eine nicht auf Sanktionen ausgerichtete Zielvereinbarung zwischen MWK und Niedersächsischem Landesmuseum Hannover die „Erhöhung der Besucherzahlen u.a. durch Gewinnung von neuen Zielgruppen und Erhöhung der Besucherfrequenz (=Besuche)“ (vgl. Land Niedersachsen 2013: 453). Die vorigen Ausführungen haben jedoch bereits gezeigt, dass dies zwei völlig unterschiedliche Folgen in der operativen Praxis haben kann: Die Integration neuer Zielgruppen, welche bisher keine Museen besucht haben ist weit aus ressourcenintensiver und bedarf anderer Aktivitäten, als die qualitativ nicht weiter definierte Erhöhung der Besucherfrequenz. Die inhaltlichen Dimensionen von Zielvereinbarungen in der Kulturpolitik sind vielfältig und abhängig von den jeweiligen politischen Themen. Armin Klein schlägt eine vierteilige Systematisierung der möglichen Dimensionen vor: „Inhaltliche Leistungsziele […], Zielgruppen […], Finanzziele […] und schließ-
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lich personenbezogene Ziele“ (Klein, A. 2007: 91). Neben den inhaltlichen Leistungszielen scheint im Rahmen von Audience Development vor allem die Definition der Zielgruppen relevant. Sind Ziele zufriedenstellend zwischen zwei Parteien definiert und hat die geförderte Einrichtung über einen definierten Zeitraum hinweg versucht diese umzusetzen, so steht dann die Überprüfung der Ziele an. Ohne den methodischen Überlegungen von Kapitel 4 vorzugreifen, ist allerdings zu konstatieren, dass kulturpolitische und künstlerische Ziele empirisch nicht so einfach prüf- bzw. messbar sind, wie beispielsweise Ziele im Handel oder in der Industrie. Dies ist zum einen auf die nicht wirklich entwickelte Tradition der empirischen Wirkungsforschung in Kulturbetrieb und -wissenschaft, zum anderen auch stark auf inhaltliche Gründe zurückzuführen. Vor allem inhaltliche Ziele aus der Kunst sind oft schwer bzw. nicht unmittelbar messbar und „hierfür müssen oftmals Hilfsindikatoren genutzt werden“ (Schmidt 2012: 174). Es ist daher im Kulturmanagement eine Besonderheit, dass die spätere empirische Überprüfung von Zielen bereits in deren Definitionsphase bedacht werden muss. Die mögliche Kontrollfähigkeit beeinflusst somit die inhaltliche Entscheidung. Es besteht also auf der einen Seite die Gefahr, dass dadurch diejenigen Ziele in Vereinbarungen fließen, welche besonders einfach zu überprüfen sind, obgleich es vielleicht relevantere Themen gäbe, die allerdings schwer kontrollierbar sind. Auf der anderen Seite wären zu komplexe und mit dem derzeitigen methodischen Kenntnisstand nur bedingt messbare Ziele im Rahmen von Zielvereinbarungen auch problematisch: Denn dies würde das Prinzip der evidenzbasierten Politik verhindern. Ein kurzer Blick auf bestehende methodische Überlegungen kann allerdings helfen, mögliche Ziele für Audience Development zu systematisieren: Vor allem die Orientierung an neuen Zielgruppen als Kernidee ist methodisch durchaus operationalisierbar. Potenziell direkt beobachtbare Phänomene sind forschungstechnisch relativ einfach zu überprüfen. Dazu zählen auf Ebene des quantitativen Outputs in erster Linie Besucherzahlen. Um diese im Sinne von Zielgruppenorientierung zu qualifizieren bedarf es weiterer Variablen, in erster Linie den sogenannten sozio-demografischen Merkmalen wie z.B. Geschlecht, Wohnort, Alter, formal höchster Bildungsabschluss oder Migrationshintergrund (vgl. Koch und Renz 2013). Letztere sind nicht immer beobachtbar, sondern bedürfen einer Befragung, allerdings bleibt der Grad der Abstraktionsleistung der Befragten – und damit auch ein mögliches Unschärfeproblem – relativ gering. Anzumerken ist jedoch, dass nicht alle relevanten sozio-demografischen Merkmale einheitlich definiert bzw. anerkannt sind, was die Vergleichbarkeit von Ergebnissen enorm beeinflussen kann. Deutlich wird dies z.B. am Merkmal des Migrationshintergrunds. Auf den ersten Blick scheint dieses Merkmal klar definiert zu sein, es
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existieren allerdings in offiziellen Statistiken unterschiedliche Definitionen: So zählen beispielsweise die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder dazu „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten“ (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2013: 3), im „Zensus 2011“12 wurde allerdings 1955 als Zeitgrenze gesetzt – ein kleines Detail, welches eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse nicht wirklich erlaubt. Ebenfalls anzumerken ist, dass im Gegensatz zu Großbritannien in Deutschland keine wirklich breit anerkannten sozio-demografischen Klassifizierungen der Gesellschaft existieren. Dies macht die Definition von relevanten Zielgruppen anhand sozio-demografischer Merkmale eher schwierig bzw. muss diese jedes Mal neu ausgehandelt werden. Weitaus aufwändiger und stellenweise nur bedingt messbar sind Zielebenen des Outcomes und des Impacts (vgl. Arbeitskreis Kultur und Kulturpolitik 2012). Mit dem Outcome werden individuelle Wirkungen von Maßnahmen auf einzelne Teilnehmer oder Besucher beschrieben. Dazu zählen z.B. Ziele wie die Verbesserung des Selbstwertgefühls oder das Schaffen von langfristigem Interesse an Kunst und Kultur. Diese Themen bedürfen komplexerer Befragungen, welche zudem vermutlich nicht nur mit quantitativen, sprich zahlenbasierten Methoden erreicht werden. Noch schwieriger messbar sind Ziele auf der Ebene des Impacts, also Wirkungen welche über die unmittelbare künstlerische Erfahrung hinausgehen. Dazu zählen z.B. eine Veränderung des Kulturbewusstseins oder die Förderung von Toleranz. Diese Dimensionen sind deshalb schwer zu überprüfen, da selten andere mögliche Wirkungseinflüsse außerhalb der Maßnahme komplett ausgeschaltet werden können. So ist es forschungstechnisch schwer zu beweisen, dass z.B. bei der Teilnahme von Schülern in sogenannten Instrumenten- oder Chorklassen allein durch das Musizieren positive Wirkungen auf die Leistungsfähigkeit entstehen oder ob dies eventuell auch im Herkunftsmilieu oder in personellen Voraussetzungen der musikinteressierten Kinder begründet ist. Der administrativen Ebene, welche diese Prozesse initiieren wird, kommt dabei die Aufgabe zu, passende Kontroll- und Messinstrumente zur Verfügung zu stellen bzw. diese durch wissenschaftliche Expertise entwickeln zu lassen. Denn noch fehlen die Erhebungsinstrumente (vgl. Knüsel 2003). Es liegt nahe, dass vor allem die entsprechenden Ministerien der Länder diese administrativen Probleme bearbeiten, denn sie sprengen stellenweise die Ressourcen kommunaler Kulturverwaltungen. Erstens muss sichergestellt werden, dass die Gütekriterien der empirischen Sozialforschung eingehalten werden. Insbesondere im Sinne der Validität von Verfahren muss geklärt werden, ob ein Instrument auch das 12 Vgl. www.zensus2011.de (12.03.2015).
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misst, um das es tatsächlich geht. So sagt beispielsweise die Resonanz einer Veranstaltung in der überregionalen Fachpresse nicht zwingend etwas über die Resonanz innerhalb der Bevölkerung des Stadtteils aus. Zweitens müssen die Kontrollinstrumente praktisch so gestaltet sein, dass diese von den Geförderten auch im Rahmen ihrer personellen und finanziellen Ressourcen umgesetzt werden können. Die Evaluation der eigenen Arbeit, die statistische Dokumentation von Besucherzahlen oder die schriftliche Befragung von Teilnehmern bedarf Zeit und Geld und vor allem langfristige Wirkungsintentionen sind nicht mit schnellen Evaluationsdesigns überprüfbar (vgl. Belfiore 2006). Gegebenenfalls muss der Förderer der Zielvereinbarungen initiiert auch entsprechende finanzielle Mittel für deren Evaluation bereitstellen. Drittens müssen die zu erhebenden Merkmale so gestaltet sein, dass diese über die einzelne Institution hinausgehende Vergleiche ermöglichen. Nur damit können sinnvolle zeitliche und regionale Entwicklungen langfristig empirisch überprüft werden. Allerdings besteht eine Konkurrenz zwischen dieser gewünschten Vergleichbarkeit durch einheitliche Merkmale auf der einen und der notwendigen individuellen theoretischen und methodischen Modifikation der Erhebungsinstrumente auf der anderen Seite. Den so oft gewünschten Methodenkoffer mit der „one-site-fits-all-Lösung“ wird es in der Praxis nicht geben. Dies kann am Beispiel der eigentlich einfach ermittelbaren Theaterbesucherzahlen verdeutlicht werden: Ein Stadttheater mit einer einzigen Spielstätte kann diese durch einfaches Zählen der verkauften Tickets im Rahmen von Kassen- oder Customer-Relationship-Managementsystemen ermitteln. Ein Amateurtheater welches keinen Eintritt erhebt und im Sommer jeden Sonntag auf einer Waldlichtung aufführt, muss zumindest aktiv eine Person zum Zählen der Besucher engagieren. Vielleicht wird auch nur bei jeder fünften Vorstellung gezählt und die Zahlen später hochgerechnet. Eine professionelle freie Theatergruppe hingegen, die eine Performance in der Fußgängerzone durchführt, hat es am schwersten die Zuschauer zu zählen: Alle Passanten? Oder nur diejenigen welche stehen bleiben? Oder nur diejenigen welche länger als zwei Minuten stehen bleiben? Es wird deutlich, dass individuelle Kriterien gefunden werden müssen, welche nicht immer Vergleiche zulassen werden. Die große politisch-praktische Herausforderung einer Implementierung von Zielvereinbarungen zur Förderung von Audience Development besteht jedoch darin, dass alle Beteiligten – insbesondere die geförderten Kulturakteure – einen wirklichen Mehrwert in diesen Verfahren erkennen und diese nicht nur als zusätzliche Belastung ihres eigentlichen Kerngeschäfts wahrnehmen. Auf keinen Fall sollten solche Verfahren zum nicht hinterfragten Selbstzweck verkommen (vgl. Klein, A. 2007). Auch kann es hilfreich sein, bei der Implementierung Hinweise der grundsätzlichen Kritik an dem Instrument ernst zu nehmen: Ziel-
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vereinbarungsprozesse als Teil von Governance im Sinne von Steuerungssystemen ignorieren schnell die strukturelle Ungleichheit beider Verhandlungspartner und reduzieren die Idee von Partizipation demnach auf die effektive Lösung von Problemen, während Unterschiede im Machtverhältnis beider Parteien ausgeblendet werden (vgl. Brand 2004). 3.4.3 Politischer Wille zur Übernahme von Steuerungsverantwortung Diese administrativen und forschungstechnischen Probleme sind schließlich auch auf die Tradition eines fehlenden politischen Willens zur Übernahme von Steuerungsmacht und somit auch -verantwortung in der deutschen Kulturpolitik zurück zu führen (vgl. Klein, A. 2007, Mandel 2009a). Die Diskurse in der deutschen Kulturpolitik haben in den letzten 40 Jahren genügend Ziele in Bezug darauf benannt, wer erreicht werden soll und was dadurch geschehen soll. Es wurde allerdings versäumt, diese Ziele in konkrete politische Instrumente zu überführen. Auch im internationalen Vergleich entstand dadurch ein hoch geförderter, aber bezüglich der Ziele absolut nicht geforderter Kulturbetrieb. Gründe für diese geringe Ziel- und somit auch Publikumsorientierung sind im Vergleich zu Großbritannien zum Teil auf die grundgesetzlich geschützte Kunstfreiheit, auf die strenge Trennung zwischen E- und U-Kultur und auf das Fehlen einer gesamtstaatlichen Kulturpolitik zurückzuführen (vgl. Mandel 2008, 2009). Die deutsche Kulturpolitik war und ist eine Förderpolitik des Angebots und mögliche nachfrageorientierte Ideen werden nur selten diskutiert (vgl. Günter 2006, Mandel 2008, Weiss 1999). Auch begann sich in der deutschen Kulturpolitik erst ab den 1990er Jahren ein Verständnis für empirische Forschung als Teil von politischen Entscheidungsprozessen zu entwickeln. Die Evaluation von Gesetzen und Fördermaßnahmen kann auch als „wesentliches Element für die demokratische Regierungsführung“ (Stockmann 2012: 202, Hervorh. i. Orig.) verstanden werden. Zunehmend geben daher Institutionen der Legislative auf empirischer Forschung basierende Gutachten in Auftrag, um damit ihre politischen Pläne zu gestalten (z.B. Föhl und Götzky 2013). Auch Institutionen der Exekutive lassen auf der Suche nach Daten für zukünftige Entscheidungen empirisch den Status quo überprüfen (z.B. Keuchel 2012). Auf internationaler Ebene ist ein solches Verständnis von evidenzbasierter Kulturpolitik bereits stärker ordnungspolitisch verankert (vgl. Deutsche UNESCO Kommission 2009, Europäische Kommission 2007). Jedoch beobachtet Oliver Scheytt in der deutschen Kulturpolitik bisher noch eine Hal-
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tung, welche eine empirische Überprüfung des eigenen Handelns zumindest nicht begünstigt: „Manchmal kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die Defizite an Wissen über die Adressaten und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage in der Kulturpolitik unter den Kulturpolitikern selbst auf dem uneingestandenen Wunsch beruhen, gar nicht über exakte empirische Daten verfügen zu wollen, um sich nicht den schönen Traum, man mache tatsächlich „Kultur für alle“, zu zerstören.“ (Scheytt 2005: 43)
Die daraus leicht resultierende Forderung nach mehr evidenzbasierter Politik scheint jedoch wie oben dargestellt nicht so einfach umsetzbar zu sein. Nach Susanne Keuchel herrscht ein gewisser Widerspruch zwischen den politisch geforderten „einfachen und verständlichen Botschaften“ (Keuchel 2012: 47) und der Komplexität der empirisch abzubildenden Phänomene. Selbst wenn der politische Wille zu mehr evidenzbasierten Steuerungsmodellen wie z.B. dem dargestellten Prinzip der Zielvereinbarungen wächst, führen die bekannten empirischen Methoden nicht automatisch zu einer unmittelbaren Umsetzung der zu überprüfenden Ergebnisse. Eine solch modellhafte, direkte Wissensverwertung wird auch der Komplexität politischer Prozesse nicht gerecht (vgl. Stockmann 2012) und internationale Studien zeigen zudem, dass selbst bei vorliegenden empirischen Evaluationsergebnissen Politik nicht automatisch rational handelt (vgl. Dahler-Larsen 2006). Schließlich trug auch die Haltung des Kulturbetriebs zu diesen Entwicklungen bei: Auch von dessen Seite wurden und werden engere Zielvorgaben oder politische Steuerungsinstrumente zumindest nicht immer gefördert. Dies wird beispielsweise auch immer wieder an einem gewissen Antiempirismus deutlich, welcher zahlenbasierte Systeme generell in Frage stellt. Nach Gerhard Schulze kann dieser bereits auf Adornos „Kritik am Fliegenbeinzählen“ (Schulze 1993: 27) zurückgeführt werden und zeigt sich immer wieder als Reaktion auf den Versuch Kultur mit quantitativen Maßzahlen zu verbinden. Dann wird gefragt, ob es überhaupt zulässig sei, „von Quantitäten auszugehen, wo letztlich geistige Wirkungen zur Debatte stehen“ (Schaefer, H.J. 1979: 54). Auch schrieb Anfang der 1990er Jahre der langjährige Leiter des Zentrums für Kulturforschung Andreas J. Wiesand im Vorwort der ARD-ZDF-Kulturstudie zur Rezeption von Kulturstatistik: „Von Anfang an waren nämlich derartige Studien mit einer kritischen öffentlichen Resonanz konfrontiert, bei der sich die Vertreter des kulturellen Lebens besonders hervortaten. ‚Ahnungslosigkeit‘ und ‚Unsicherheit‘ sind da noch die feineren, ‚Demagogie‘ oder ‚Mei-
A UDIENCE D EVELOPMENT ZWISCHEN M ARKETING
UND
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nungshurerei‘ die deftigeren Kennzeichen für demoskopische Versuche.“ (Frank et al. 1991: 51)
Die Akzeptanz empirischer Studien scheint allerdings spätestens ab den 2000er Jahren zuzunehmen. So war die Nachfolgerin von Wiesand am Zentrum für Kulturforschung Susanne Keuchel über die Diskussionen im Rahmen des Kongresses zum Kulturpublikum der Kulturpolitischen Gesellschaft 2005 positiv überrascht: „In der Diskussion im Anschluss an die Referate wurden – überraschenderweise – keine Zweifel an der Anwendbarkeit empirischer Forschung im Kulturbereich angemeldet. Früher wurde bei ähnlichen Gelegenheiten oft behauptet, dass man sein Publikum genau kennt und solche neumodischen Umfragemethoden nicht braucht. Oder man betonte, dass eine Anbiederung an das Publikum sowieso nicht in Frage kommt.“ (Keuchel 2006: 182)
Wenn Politik selbst nicht steuert, wird das Erreichen bestimmter Ziele an die Kulturbetriebe delegiert. Die Geschichte zeigt aber, dass vor allem die großen Einrichtungen – insbesondere die Stadt- und Staatstheater – solche Veränderungen eher träge und nur sehr langsam zulassen (vgl. Schneider, W. 2013). Vermutlich wäre ein kulturpolitisches Audience Development in Deutschland am ehesten durch eine Politik kleiner Schritte möglich. Denn große Veränderungsvorschläge für eine Neugestaltung der Kulturförderung werden schnell vom „Rechtfertigungskonsens“ (Schulze 1993: 513) der Kulturgesellschaft ausgebremst. Zuletzt erlebten dies die Autoren vom „Kulturinfarkt“ (Hasselbach et al. 2012), deren polemische, aber interessante Forderung nach einer radikalen Reform der Kulturförderung auf so heftige Gegenreaktionen stieß, dass nicht immer eine sachorientierte Auseinandersetzung erfolgte (vgl. Kulturpolitische Gesellschaft 2012).
3.5 Z USAMMENFASSUNG In diesem Kapitel wurden mögliche theoretische Rahmen sowie manageriale und politische Instrumente diskutiert, welche zu einer Förderung der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen in Deutschland beitragen könnten. Mit Audience Development wurde ein Instrumentarium vorgeschlagen, das verschiedene Ansätze miteinander verbindet. Eine Übertragbarkeit der kulturpolitischen Dimension wurde anhand von Zielvereinbarungen als Instrument kultur-
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politischer Steuerung vorgestellt. Abschließend lassen sich folgende zentrale Erkenntnisse zusammenfassen: • •
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Es existieren verschiedene kulturmanageriale Theorien zur Bearbeitung von Nicht-Besuchern. Kulturmarketing versucht auf betrieblicher Ebene Austauschprozesse zwischen Anbieter und potenziellem Besucher zu optimieren, meistens mit dem Ziel des Ticketverkaufs und einer nachhaltigen Besucherbindung. Kulturvermittlung umfasst im engeren Sinn die betrieblichen Bemühungen, einen möglichst erfolgreichen Rezeptionsprozess der Besucher zu unterstützen. Audience Development verbindet als betriebliches Instrumentarium verschiedene Ansätze aus Kulturmarketing, Kulturvermittlung und künstlerischer Produktion. Audience Development ist besonders an der Ansprache bisher nicht besuchsaktiver Zielgruppen interessiert. Audience Development integriert an mehreren Stellen empirische Forschung in den Managementprozess. Die britische Praxis von Audience Development macht auch die Notwendigkeit bzw. zumindest Einflussoption der kulturpolitischen Steuerung von Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen deutlich. Mit Zielvereinbarungen existiert in Deutschland bereits ein Instrumentarium zur Übernahme dieser kulturpolitischen Steuerungsmacht. Zielvereinbarungen zur Förderung kultureller Teilhabe sind noch nicht befriedigend erprobt und bedürfen einiger kulturspezifischer Modifikationen (z.B. Prinzipien potenzieller Sanktionierungen bei Nichterfüllung, Definition inhaltlich sinnvoller und methodisch messbarer Ziele, Möglichkeiten einer sinnvollen Quantifizierung von qualitativen Zielen).
4. Die wissenschaftliche Verortung der (Nicht-)Besucherforschung
Der Titel dieses Buchs beinhaltet bereits den Begriff ‚Forschung‘. Neben der Darstellung und Diskussion des Wissens über Nicht-Besucher geht es somit auch um eine wissenschaftstheoretische Kontextualisierung. Nach der Begründung für eine Auseinandersetzung mit Nicht-Besuchern und der Darstellung möglicher managerialer und politischer Instrumente geht es nun also um die Frage, welche Disziplinen mit welchen Methoden zum Wissen über das Publikum bzw. die Nicht-Besucher öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen beitragen. (Nicht-) Besucherforschung ist geprägt durch mehrere potenzielle Bezugsdisziplinen. Neben deren theoretischen Zugängen zum Gegenstand, bedienen diese sich vor allem auch unterschiedlicher Methoden zur Erkenntnisgewinnung. Bevor in den folgenden Kapiteln nun die Ergebnisse dieser (Nicht-)Besucherforschung diskutiert werden, soll zuerst ein Beitrag zu deren wissenschaftstheoretischen und methodischen Verortung geleistet werden.
4.1 K ULTURMANAGEMENTFORSCHUNG ALS C HANCE FÜR EINE SYSTEMATISIERTE (N ICHT -)B ESUCHERFORSCHUNG Die Rezipienten von Kunst und Kultur stehen bereits in einem analytischen Interesse, seit über Kunst und Kultur nachgedacht wird. Bereits die Philosophen der Antike machten sich Gedanken über das Publikum. Adressat dieser Gedanken war jedoch eher der einzelne Rezipient und weniger das Kollektiv der Rezipienten. Entsprechend waren die Fragestellungen vor allem an individuellen Wirkungszuschreibungen der Kunst (z.B. Aesthesis, Kartharsis) interessiert, zudem waren die Überlegungen später häufig auch stark pädagogisch geprägt, wie bei-
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spielsweise in Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung. Besucherforschung im Sinne eines Interesses am Publikum öffentlicher Kulturveranstaltungen beginnt in Deutschland erst Ende des 19. Jahrhunderts, einhergehend mit der Etablierung der heute bekannten Kultureinrichtungen selbst (vgl. Wagner 2009) sowie mit dem Aufkommen der Soziologie als neue Wissenschaft. Eines der ältesten Beispiele stellt eine Arbeit von Gustav Theodor Fechner (1876) über Ästhetik dar, in welcher erstmalig Soziologie und Psychologie mit dem Museum und dessen Besucher zusammengebracht wurde. Allerdings sind solche historischen Studien singulär und von einer „sozialwissenschaftlichen Tradition in Bezug auf Museen kann jedoch kaum gesprochen werden“ (Eisenbeis 1980: 16). Ebenfalls einmalig und ohne Vergleich in der damaligen Zeit ist die Studie von Else Biram-Bodenheimer (1919), welche zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer methodisch überraschend differenzierten und aufwändigen Erhebung das Kulturbesuchsverhalten der Bewohner der Stadt Mannheim untersuchte. In den 1920er Jahren begann dann in den USA eine „systematisch-kontinuierliche Besucherforschung“ (Martin und Breu 1994: 13), welche sich anfangs vor allem für die Optimierung der Präsentation der Exponate interessierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen dort dann immer mehr Besucherbefragungen auf, welche in der Regel „die soziodemographische Zusammensetzung des Publikums“ (Martin und Breu 1994: 13), untersuchten. Die erste in Deutschland publizierte Besucherbefragung fand 1965 am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg statt (vgl. Schiedlausky 1965). Ende der 1970er Jahre wurden ca. 150 deutschsprachige Museen ermittelt, welche vergleichbare Publikumsstudien durchgeführt hatten (Klein, H.-J. 1980: 146). Gegenwärtig befragen mehr als 50% der deutschen Museen ihr Publikum (Zentrum für Audience Development 2007: 8). Die erste nicht an eine bestimmte Kultureinrichtung gebundene deutschlandweite Befragung wurde in den 1970er Jahren von der Deutschen Orchestervereinigung und dem Deutschen Musikrat in Auftrag gegeben. Die Beweggründe lagen in zunehmenden öffentlichen Diskussionen über eine vermeintlich elitäre Nutzung der Oper (vgl. Wiesand 1975). Nach ersten singulären Marktforschungsstudien zu Theaterbesuchern (vgl. Marplan Forschungsgesellschaft 1965) und einem ebenfalls soziologischen akademischen Erkenntnisinteresse in den 1970er Jahren, erforschten die Sprechtheater selbst ihr Publikum erst Ende der 1980er Jahre, allerdings stark durch äußere Gründe, wie z.B. ökonomische Zwänge, beeinflusst (Föhl und Lutz 2010: 23). Trotz dieser im Vergleich zu Museen später einsetzenden Befragungsaktivität untersuchen gegenwärtig mehr als 60% der deutschen Theater regelmäßig ihr Publikum (Zentrum für Audience Development 2007: 8).
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Die kurze Darstellung der Geschichte der Besucherforschung am Beispiel der Sparten Theater und Museum zeigt, dass jene nicht ausschließlich oder überwiegend akademisch intendiert waren (vgl. Renz 2012b). Vielmehr sind es kulturbetriebliche oder kulturpolitische Fragestellungen, welche solche Forschungsarbeiten initiieren. Wissenschaftlich sind diese Studien nicht eindeutig einer einzigen Disziplin zuzuordnen. Dies hat mehrere Konsequenzen: Zum einen sind Erkenntnisse nicht so einfach auffindbar, da die Besucher von Kulturveranstaltungen stellenweise eher ‚zufällig‘ zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung werden. Zum anderen erschwert diese Vielfalt die Vergleichbarkeit der Erkenntnisse, was in erster Linie auf Unterschiede bezüglich der Fragestellungen, der theoretischen Begriffe, aber auch der verwendeten Methoden zurückzuführen ist. Schließlich verhinderte diese Vielfalt auch eine Systematisierung des Forschungsstands, welche erst in den letzten Jahren langsam geleistet wurde (z.B. Glogner und Föhl 2010). Ab den 1990er Jahren entwickelte sich in Deutschland vor allem aus ökonomischen Gründen ein systematisches Kulturmanagement in öffentlich geförderten Kulturbetrieben. Wissenschaftliche Literatur hierzu war anfangs vor allem praktisches und pragmatisches Managementwissen, wie z.B. Antworten auf rechtliche Fragen oder einfache Marketing-Tools (z.B. Vermeulen 1989). Meistens handelte es sich dabei um betriebswirtschaftliche Literatur, „vielfach sind die Schriften als Ratgeber formuliert, häufig normativ im Sinne von Handlungsempfehlungen, die z.T. auf persönlichen Erfahrungen der Autoren beruhen“ (Mandel 2009a: 18). Kulturmanagement wurde als Baukastensystem verstanden, ohne dass eine kritische Systematisierung oder Diskussion dieses Wissens erfolgte. Diese Reduzierung des Kulturmanagements auf die Betriebswirtschaftslehre und somit die Fokussierung auf wirtschaftliche Austauschprozesse war auch ein Grund für die stellenweise mangelnde Akzeptanz dieses Instrumentariums in weiten Teilen des Kulturbetriebs (vgl. Klein, A. 2008, Tröndle 2008). Einhergehend mit der Etablierung von Kulturmanagement in der Lehre an zahlreichen deutschsprachigen Hochschulen, begann ab den 2000er Jahren mit der Gründung des ‚Fachverbands für Kulturmanagement‘1eine wissenschaftliche Verortung und Diskussion des Themas. Obgleich die Betriebswirtschaftslehre ohne Zweifel eine wichtige Bezugsdisziplin dieser Kulturmanagementforschung ausmacht, stellt das Kulturmanagement im Selbstverständnis der Forscher keine spezielle Betriebswirtschaftslehre dar (vgl. Höhne 2009a). Vielmehr wird Kulturmanagementforschung als „eine Interdisziplin, an der verschiedene Einzelwissenschaften mit ihren jeweiligen Forschungsperspektiven und Forschungsmethoden beteiligt sind“ (Mandel 2009a: 22) verstanden. Dazu zählen neben der 1
www.fachverband-kulturmanagement.org/ (13.12.2014).
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allgemeinen Betriebswirtschaftslehre insbesondere auch die Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie die (Kultur-)Politikforschung und die Erziehungswissenschaften. Dadurch wird deutlich, dass Kulturmanagementforschung nicht mehr nur an der Optimierung betriebswirtschaftlicher Ziele orientiert ist, sondern gesellschaftliche, sozial- und kulturpolitische Dimensionen integriert. Neben diesen im weiten Sinne human- bzw. sozialwissenschaftlichen Zugängen zeichnet sich Kulturmanagementforschung zudem auch durch die Besonderheit der Auseinandersetzung mit „künstlerischen Denk- und Handlungsweisen“ (Mandel 2008: 44) aus. Diese Integration von Zugängen der künstlerischen Wissenschaften in die Kulturmanagementforschung wird von einigen Fachvertretern als wesentlicher „qualitativer Sprung“ (Tröndle et al. 2009: 130) bezeichnet und ist neben der oben genannten Verbandsgründung vermutlich ein wesentliches Indiz für die zunehmende Akademisierung des Kulturmanagements im deutschsprachigen Raum. Dieser ‚Turn‘ weg von einer betriebswirtschaftlich verengten Sicht auf das Kulturmanagement und hin zu einer Erweiterung der Forschungsund Handlungsfelder wird allerdings auch kritisch kommentiert: Denn der pragmatische ‚Baukasten‘ scheint zwar in der Praxis bewährt zu sein, allerdings ist dieser noch lange nicht wissenschaftlich evaluiert oder abschließend systematisiert. Zudem besteht die Gefahr bei der Integration weiterer wissenschaftlicher Zugänge zum Kulturmanagement, wie z.B. ästhetischer oder philosophischer Fragen, „die Praxis mit ihren ganz konkreten Problemen und Herausforderungen aus den Augen zu verlieren“ (Föhl und Glogner 2009: 189). Die Kulturmanagementforschung scheint nun prädestiniert für eine wissenschaftliche Verortung der (Nicht-)Besucherforschung zu sein. Einerseits zeigte der kurze historische Abriss der Besucherforschung, dass jene in vielfältigen Bezugsdisziplinen zu suchen ist. Es wurde allerdings andererseits deutlich, dass die betriebswirtschaftlich intendierte Marktforschung eine prägnante Rolle spielte und spielen wird. Die Kulturmanagementforschung mit ihren zahlreichen gleichberechtigten Bezugsdisziplinen sichert nun die Anschlussfähigkeit der folgenden Analysen an bestehende Diskurse (z.B. Bekmeier-Feuerhahn et al. 2009, 2012) oder Systematisierungen (z.B. Föhl und Glogner 2010). Im Folgenden werden daher verschiedene Bezugsdisziplinen der Kulturmanagementforschung auf deren theoretische und methodische Zugänge zum Publikum hin untersucht. Aufgrund ihrer exponierten Rolle bezüglich der Forschungsmethodik liegt der Schwerpunkt auf den Sozialwissenschaften, der Betriebswirtschaftslehre und schließlich der Theaterwissenschaft, anhand welcher exemplarisch ein geisteswissenschaftlicher Zugang vorgestellt wird. Das Kapitel schließt mit der Diskussion, inwieweit dabei auch Diskrepanzen oder Kollisionen von wissenschaftlichen Paradigmen entstehen können.
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4.2 P ERSPEKTIVEN UND M ETHODEN DER (N ICHT -)B ESUCHERFORSCHUNG 4.2.1 Grundsätzliche Überlegungen zur Methodik der Bezugsdisziplinen Ausgehend von der Vielzahl der Bezugsdisziplinen der Kulturmanagementforschung stellt die Trennung von empirischen und rationalen Forschungsmethoden für die Besucherforschung eine erste grundsätzliche Differenzierung dar. Empirische Forschung beruht als Erfahrungswissenschaft auf einer sinnlichen Beobachtung der Welt. Rationale Forschung ist hingegen theoretisch und entwickelt ihre Erkenntnisse allein über das Denken. Im ursprünglichen Sinn entspricht empirische Forschung dem Vorgehen naturwissenschaftlicher Forschung2 (vgl. Flick 2006). Phänomene in der Realität werden beobachtet und aus diesen Beobachtungen entstehen generalisierbare Aussagen. Wenn nun der Beobachtungsgegenstand kein biologisches, chemisches oder physikalisches Phänomen ist, sondern in irgendeiner Art ein soziales, menschliches Verhalten im Interesse des Forschers steht, so spricht man im weitesten Sinn von den empirischen Verhaltens- oder Sozialwissenschaften. Deren Methodik beruht auf zwei Meilensteinen – der Erhebung und der Interpretation von Daten. Mit der Befragung, der Beobachtung und der Analyse von Dokumenten werden drei Arten der Datenerhebung angewandt (vgl. Burzan 2005), die Interpretation ist hingegen von zahlreichen Faktoren und dementsprechend immer von der Art der Datenerhebung abhängig. Zudem wird bei diesen Methoden zwischen qualitativer und quantitativer (bzw. standardisierter) Logik unterschieden. Die Adaption der naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden für andere, nicht natürliche Gegenstände kann jedoch nicht zu dem Anspruch führen, dass damit ein einfaches ‚steriles‘ Entdecken sozialer Wirklichkeit möglich sei. Schon die unterschiedliche sinnliche Erfahrung während der Datenerhebung stellt ein erstes Problem dar: In einem naturwissenschaftlichen Versuch wird ein Professor beim Blick durch das Mikroskop mehr sehen, als sein Student (Chalmers 2001: 10). Dementsprechend ist beispielsweise die Beobachtung des Rezeptionsverhaltens von Ausstellungsbesuchern ebenfalls abhängig vom Beobachter und damit auch von den theoretischen Vorannahmen der Forscher. Noch viel stärker als in den Naturwissenschaften müssen innerhalb sozialwissen-
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Es gibt auch nicht empirische Verfahren in den Naturwissenschaften, beispielsweise die theoretische Physik oder mathematische Rechenprozesse. Es dominieren dort jedoch empirische Methoden.
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schaftlicher Forschungsprozesse diese Beobachtungen von der „Zeichenebene zur Bedeutungsebene“ (Schulze 1993: 35) transferiert werden, was ausschließlich über wissens- und erfahrungsbasierte Interpretation erfolgen kann. Tatsachen können deshalb nicht einfach erkannt werden, sondern der Forscher benötigt immer ein „konzeptionelles Schema und Wissen“ (Chalmers 2001: 13), um diese einzuordnen. Dieses Wissen beeinflusst das empirische Entdecken nicht erst im Moment der Datenanalyse, sondern schon weitaus früher bei der Datenerhebung und bereits beim Entwurf der Forschungsfragen. Diesem auf sinnliche Erfahrung basierenden Forschen steht das theoretische oder rationale Forschen gegenüber – wobei diese hier gewählten Begriffe bereits einige Probleme verursachen. Während empirische Forschung – welche selbstverständlich auch nicht ohne Theorien auskommt – als Überbegriff für das oben beschriebene Vorgehen etabliert ist, gibt es keinen verbindlichen Begriff für ein ‚nicht-empirisches‘ Forschen. Grundlage eines solchen Vorgehens ist ein Erkenntnisprozess, welcher allein auf dem Denken, den Analysen und Interpretationen des Forschenden beruht. Noch viel wichtiger als in der empirischen Forschung – welche wie Kapitel 5 zeigen wird, beispielsweise in der Besucherforschung stellenweise fast ohne wesentliche Theorien auskommt – ist bei einem solchen Vorgehen die Anknüpfung an bestehende wissenschaftliche Erkenntnisse. Vor allem in den Geistes- und Kulturwissenschaften gibt es Forschungsgegenstände, welche ein solches Vorgehen erzwingen und eine empirische Beobachtung der Realität gar nicht ermöglichen würden: Beispiele dafür sind Fragen der Philosophie (vgl. Detel 2011), der systematischen Musikwissenschaft (vgl. Dalhaus 1988) oder der Semiotik in der Theaterwissenschaft (vgl. Fischer-Lichte 2007). Ist der Forschungsgegenstand hingegen ein Kunstwerk und wird von einer spartengebundenen Kulturwissenschaft erforscht, so gibt es durchaus Parallelen zur Logik des empirischen Vorgehens: Beispielsweise beobachtet ein Theaterwissenschaftler bei einer Inszenierungs- oder Aufführungsanalyse ebenfalls mit seinen Sinnen ein nicht durch ihn selbst oder andere Wissenschaftler, sondern durch einen Künstler – und somit einem Menschen – geschaffenes Werk. Diese Beobachtung wird zwar nicht unbedingt als empirisches Forschen (im sozialwissenschaftlichen Sinne, welcher später thematisiert werden wird) wahrgenommen, basiert jedoch auch auf einem bestimmten theoretisch fundierten Beobachtungsraster, beispielsweise dem Fragenkatalog nach Patrice Pavis (1988). Dieser Prozess ähnelt dem empirischen Vorgehen eines Sozialwissenschaftlers, welcher z.B. die Dokumente einer Organisation anhand bestimmter Fragestellungen analysiert.
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Die Frage, ob empirisch oder theoretisch geforscht wird, ist also in erster Linie vom Forschungsgegenstand und den Forschungsfragen abhängig. Der immer wiederkehrende Disput darüber, welcher Weg nun generell der ‚bessere‘ sei, kann und soll im Rahmen dieser Arbeit nicht weitergeführt werden. Dieser Streit ist vermutlich so alt wie die Wissenschaft selbst und wird trotz interdisziplinärer Forschung und multimethodischen Ansätzen im wissenschaftlichen Arbeitsalltag des 21. Jahrhunderts immer wieder auftreten. Die folgenden Überlegungen beschränken sich demnach auf die Logik und Methodik der Wissenschaften, welche im weitesten Sinne das Kulturpublikum zum Gegenstand ihres Interesses haben. Es ist die Frage von Interesse, aus welcher Perspektive und mit welchen Methoden das Publikum untersucht wird. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Vertreter der jeweiligen Wissenschaft diese in deren Diskursen als Teil der Kulturmanagementforschung verorten, es genügt ein wissenschaftliches Interesse am entsprechenden Gegenstand. 4.2.2 Sozialwissenschaften Mit der Entstehung der Soziologie als neue Wissenschaft im 19. Jahrhundert wird der Blick auf die Gesellschaft als Forschungsgegenstand geöffnet. Soziologen erforschen kollektive Verhaltensweisen, indem sie soziales und gesellschaftliches Handeln beobachten und diese Beobachtungen systematisch in Theorien übertragen. Die entscheidende Perspektive der Soziologie ist, dass sie diese Phänomene wie beispielsweise Kultur „als gesellschaftlich bedingt erkennt und danach fragt, wie solche Bedingtheit näher zu bestimmen ist“ (Lipp 2002: 298). Schon der Begriff der Nicht-Besucher- oder Publikumsforschung impliziert ein gewisses sozialwissenschaftliches Interesse am Forschungsgegenstand: Ein Publikum besteht aus mehreren Personen und ist somit auch immer ein Kollektiv mit gegenseitigen Beziehungen. Von Interesse sind zum Beispiel die soziodemografische Zusammensetzung, die Besuchsintensität oder die Besuchsgründe eines Publikums sowie dessen Vergleich mit anderen Kollektiven oder auch der Gesamtgesellschaft. Besucherforschung als Sozialwissenschaft sucht also nach einer „Erklärung der Zusammenhänge von Sozialstruktur und den Geschmackspräferenzen bezüglich […] der Nutzung von Kulturstätten“ (Kirchberg und Kuchar 2013: 163). Im Vordergrund steht immer der soziale Charakter einer solchen Nutzung. Im Laufe der Zeit entstanden zahlreiche Unterdisziplinen innerhalb der Soziologie, welche sich gesellschaftlich bedingten Phänomenen in speziellen Bereichen widmen. Naheliegend für Fragestellungen der Nicht-Besucherforschung wäre zuerst die Kultursoziologie, welche allerdings von einem sehr weiten Kul-
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turbegriff ausgeht (vgl. Lipp 2002: 298) und dadurch zunehmend als Synonym der allgemeinen Soziologie fungiert, welche den exponierten Stellenwert der Kultur in einem sehr weiten Sinne betont. Näher an den Fragen der Besucherforschung sind hingegen die Soziologien der Künste (z.B. Theater-, Literatur- oder Musiksoziologie), welche jeweils den sozialen Charakter einer bestimmten Kunstsparte fokussieren. Sie erforschen die „Wechselbeziehungen zwischen künstlerischen Äußerungen und gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (Thurn 2002: 304). Obgleich das Kunstwerk eine zentrale Rolle in diesen Disziplinen spielt, ist dessen Definition recht radikal sozialisationstheoretisch, d.h. jegliche Wirkung der Kunst wird als sozial bedingt und erlernt verstanden. So definiert die Musiksoziologie beispielsweise Musik als reine „Schallereignisse […], die als solche in ihrer Abgegrenztheit von der sonst akustisch wahrnehmbaren Umwelt aus irgendeinem Grund als wertbehaftet gelten“ (Rotter 2002: 307). Da dabei nicht nur die Rezeption, sondern auch die Produktion und Distribution des Kunstwerks als sozial bedingt verstanden werden (vgl. Thurn 2002: 307), ist jeder ‚Wert‘ des Kunstwerks stets auf soziale Einflüsse reduzierbar und wird von allen Beteiligten im Laufe des Lebens erlernt. Es existieren durchaus auch theoretisch-sozialwissenschaftliche Abhandlungen zum Publikum (z.B. Kracauer 1927, Bab und Silbermann 1966, Baecker 2013). Diese basieren zwar auch auf einer gewissen (wenn auch nicht streng systematischen und dokumentierten) Beobachtung der Gesellschaft, es findet jedoch keine Messung von Phänomenen auf Individualebene statt. Die meisten sozialwissenschaftlichen Besucherstudien basieren hingegen auf solchen empirischen Methoden. Entsprechend sind es auch weitgehend die Vertreter dieser Fachwissenschaft, welche Fragen der Methoden wissenschaftlich diskutieren, weiterentwickeln und beispielsweise in Lehrbüchern publizieren (z.B. Raithel 2008, Brüsemeister 2008 im allgemeinen und Burzan 2005, Birnkraut 2011, Glogner-Pilz 2012 im engeren Sinne der Besucherforschung). Das führt neben der Dominanz dieser Methoden im Forschungsfeld auch zu einer gewissen Vorherrschaft der sozialwissenschaftlichen Gütekriterien, was – wie später dargestellt – zu einer Kollision der Paradigmen führen kann. Beispielhafte empirische Studien mit sozialwissenschaftlichem Hintergrund und Fragestellungen im Bereich des Kulturpublikums sind die viel beachteten und breit rezipierten Arbeiten von Pierre Bourdieu (1982) oder Gerhard Schulze (1990). Ebenfalls auf empirischem Vorgehen basieren die Studien zum Publikum von Museen von Hans-Joachim Klein (1981, 1990), zum Musikpublikum von Rainer Dollase et al. (1974, 1978, 1986) und zum spartenübergreifenden Kulturpublikum von Susanne Keuchel et al. (u.a. 2003, 2006, 2012). Sie stellen weitgehend die Grundlage für die Analysen in Kapitel 5 dar und werden dort
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auch inhaltlich näher beleuchtet. Dabei handelt es sich überwiegend um quantitative Studien; in der Besucherforschung dominieren eindeutig standardisierte Befragungen (vgl. Glogner-Pilz 2012: 25). Diese Dominanz bedarf einer weiteren Unterscheidung. Der Diskurs über eine qualitative oder quantitative Herangehensweise an den Forschungsgegenstand wird neben der Verhaltenswissenschaft vor allem in der Sozialwissenschaft geführt: „Im Individualbereich wird beim einzelnen Menschen alles betrachtet. Im statistischen Bereich wird bei allen Menschen einzelnes betrachtet.“ (Noelle-Neumann und Petersen 1996: 29)
Mit diesem Satz verdeutlicht die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann die wesentlichen Unterschiede innerhalb der empirischen Logik: Kennzeichen des Forschungsprozesses, wie Standardisierung oder Offenheit, wie statistische oder interpretative Auswertung sowie auch Leitfaden oder Beobachtungsraster sind lediglich Konsequenzen einer grundsätzlichen Entscheidung. Das theorieüberprüfende, quantitative Paradigma hat vor allem Konsequenzen für den Forschungsprozess: Wenn wie oben aufgeführt, „bei allen Menschen einzelnes betrachtet“ werden soll, bedarf dies einer Reduzierung der Komplexität des Gegenstands. D.h., es müssen zum Beginn der Forschung einzelne Merkmale theoretisch bestimmt werden, welche dann in einer empirischen Überprüfung an die Forschungsgegenstände herangetragen werden. Es steht also nicht der einzelne Mensch in seiner Gesamtheit im Interesse der Forschung, sondern das Kollektiv, welches vom Forscher durch verschiedene Merkmale definiert wurde. Dieser Logik folgt ein Zwang zur Standardisierung der Erhebungsinstrumente, d.h. es müssen bei allen Einzelpersonen jeweils die gleichen Forschungsfragen und Antwortmöglichkeiten angewandt werden. Dieses Vorgehen führt zu mehreren Problemen: Zum einen können bei diesem theoriegeleiteten Forschen auch zwingend nur die vorab erstellten Theorien überprüft werden. In der eigentlichen empirischen Phase können diese lediglich verifiziert oder falsifiziert werden, eine Theoriebildung ist dann nur noch bedingt möglich. Die Theorien müssen also sehr gut durchdacht und kausale Zusammenhänge logisch begründet sein. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein vom Forscher konstruiertes Phänomen der Realität entwickelt wird, welches den eigentlichen Forschungsfragen gar nicht gerecht wird. Hier setzen auch die kritischen Argumente an (z.B. Flick 2006): Eine standardisierte Forschung kann potenziell andere wichtige Einflussfaktoren nur durch theoretische und logische Überlegungen ausschließen. Wenn jedoch das zu untersuchende Phänomen in der Rea-
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lität durch andere – vorab nicht bekannte – Merkmale und Zusammenhänge angemessener zu beschreiben ist, würden jene innerhalb des quantitativen Forschungsprozesses nicht erkannt werden. Uwe Flick gibt sogar zu Bedenken, dass dies auch bereits die Wahl des Forschungsgegenstandes beeinträchtigen kann: Es würde nur das erforscht, was mit standardisierten Methoden begreifbar ist (vgl. Flick 2006:16). Das vermutlich größte ungeklärte Problem der quantitativen Sozialforschung im Allgemeinen und der Besucherforschung im Besonderen ist die Frage, ab wann ein Phänomen so vielschichtig ist, dass dessen Komplexitätsreduktion zugunsten einer Standardisierung nicht mehr möglich ist. Wenn zu viele Faktoren relevant sein könnten, kann es sein, dass das daraus resultierende theoretische Modell nicht mehr in ein technisch wie ökonomisch überprüfbares standardisiertes Erhebungsinstrument umgewandelt werden könnte. Es kann also davon ausgegangen werden, dass bestimmte Forschungsfragen konsequent quantitative Erhebungsprozesse ausschließen. Ansatzweise ist dies in der weiter unten aufgeführten kulturellen Bildungsforschung der Fall, in welcher auf Grund der dort derzeit aktuellen Forschungsinteressen quantitative Prozesse eher eine untergeordnete Rolle spielen (vgl. Fink et al. 2012). Die Kapitel 5 dieser Arbeit zugrunde liegenden quantitativen Studien thematisieren dieses Problem an einigen Stellen: So kommen die Autoren einer aufwändigen Publikumsstudie der öffentlichrechtlichen Rundfunkanstalten zum Schluss, dass quantitative Studien „wenig geeignete Instrumente für eine Erforschung von Gründen und Ursachen“ (Frank et al. 1991: 233) seien. Auch nach dem Museumsforscher Hans-Joachim Klein liegen Fragen nach „Wahrnehmungs- und Erlebniszusammenhängen“ außerhalb des Erkenntnispotenzials einer „punktuell sondierten Datenerfassung“ (Klein, H.-J. et al. 1990: 54). Es scheint also schwer zu sein, individuelle Motive und Erlebnisse in der Begegnung mit Kunst und Kultur in standardisierten Instrumenten zu untersuchen und dabei „in tiefere Persönlichkeitsschichten vordringen“ (Opaschowski 1997: 290) zu können. Die Bildungsforscherin Gundel Mattenklott bringt dies recht radikal auf den Punkt: „Quantitative empirische Untersuchungen können Daten zutage fördern über das soziale Umfeld, über die Frequentierung von Bibliotheken und freien Kunstschulen, die Zahl der ein Musikinstrument spielenden Kindern oder den Besuch von Kindertheaterveranstaltungen, aber über das, was die Kinder bei ihren Aktivitäten empfinden und erleben, sagen die Daten nichts. Hier ist die qualitative Forschung gefordert.“ (Mattenklott et al. 2004: 7)
Demnach liefern standardisierte Forschungsarbeiten Daten zur sozio-demografischen Struktur eines Kollektivs sowie zum jeweiligen Verhalten im zählbaren
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Sinne. Alle über diese unmittelbar zählbare Output-Ebene hinausgehenden Fragen nach der Wirkung, nach Empfindungen und nach Erleben scheinen jedoch mit den Instrumenten dieser Forschungslogik nicht immer befriedigend untersuchbar zu sein. Dies wird auch Auswirkungen auf die Methoden der NichtBesucherforschung haben. Es ist zu vermuten, dass quantitative Verfahren zwar notwendig sind, um die Teilhabe der Bevölkerung statistisch abzubilden und über die Kombination mit sozio-demografischen Merkmalen den potenziellen Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen festzustellen. Allerdings sind damit noch keine Erklärungen über das Wegbleiben möglich, wie eine Überlegung am Beispiel der Museen deutlich macht: „Quantitative Daten sagen uns, daß die Besucherzahl nicht zufriedenstellend ist, sie verraten jedoch nicht, ob die Menschen das Museum nicht mögen.“ (Haus der Geschichte 1996: 249)
Diese Forschungsfragen sind oft Ausgangspunkt der qualitativen Logik. Ohne an dieser Stelle den sehr wechselhaften Verlauf dieser Wissenschaftsgeschichte nachzeichnen zu wollen, kann festgestellt werden, dass qualitative Forschung immer auch eine Reaktion auf das begrenzte Erkenntnispotenzial der quantitativen Forschung war (vgl. Flick 2006, Sackmann 2007). Wesentliche Grundlage eines qualitativen Vorgehens ist die Angemessenheit der Methode an den Gegenstand (vgl. Flick 2006: 16) und die Offenheit des Forschungsprozesses (vgl. Brüsemeister 2008: 24). Es werden also nicht vorab Theorien entwickelt und überprüft, vielmehr ist die Theorie erst Ergebnis des Forschungsprozesses, welcher durch eine größtmögliche Offenheit für neue, noch unbekannte Dimensionen des zu untersuchenden Phänomens geprägt ist. Dies soll gewährleisten dass „keine Frage, keine Perspektive, keine Dimension […] vorab durch ein methodisches Filtersystem“ (Bastian 2000: 105) fällt. Entsprechend wäre eine Standardisierung der Erhebungsinstrumente widersprüchlich, denn diese würde durch die Reduktion auf bestimmte Merkmale den Blick für neue Erkenntnisse versperren. Nach dem o.g. Zitat von Noelle-Neumann wird „also beim einzelnen Menschen alles betrachtet“ (Noelle-Neumann 1996: 29), was zu einem zumindest forschungsökonomischen Problem führen kann, wenn Aussagen über ein größeres Kollektiv, wie z.B. das deutsche Kulturpublikum gemacht werden sollen. Obgleich die „Qualität (und Repräsentativität) der Sozialforschung […] nicht von der Quantität ihrer Daten abhängig“ (Opaschowski 1997: 147) sein sollte, stellt sich bei jeder qualitativen Arbeit die Frage danach, inwieweit die auf tiefgehende Einzelfallanalysen beruhenden Erkenntnisse auf andere Individuen übertragen werden können.
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Unabhängig von diesen Herausforderungen liegt der Mehrwert qualitativer Sozialforschung im Potenzial völlig neue, nicht theoretisch konstruierte Erkenntnisse generieren zu können. Vor allem wenn der Forschungsgegenstand weder empirisch noch theoretisch ausreichend erforscht ist und der Zwang zur Standardisierung auf Grund der Forschungsinteressen inhaltlich an Grenzen stößt, empfehlen auch Autoren von Besucherstudien den Einsatz qualitativer Methoden, z.B. Frank-Olaf Brauerhoch zur Erforschung der Motivation der Theaterbesucher (Brauerhoch 2004: 150), Nora Wegner bei Untersuchungen zu besuchsverhindernden Barrieren im Museum (Wegner 2010: 139) oder Yvonne Pröbstle beim Forschungsgegenstand der Kulturtouristen (Pröbstle 2010: 269). Insgesamt existieren aber im Vergleich zur quantitativen Logik sehr wenige qualitative Studien innerhalb der bekannten Nicht-Besucherforschung. 4.2.3 Betriebswirtschaftslehre Die Betriebswirtschaftslehre konzentriert sich als Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften auf die Perspektive des wirtschaftlichen Betriebs (und nicht z.B. auf Wirtschaftsräume). Neben der methodisch wie theoretisch auch in den Sozialwissenschaften zu verortenden Beschreibung von Abläufen und Strukturen in Betrieben, zielt diese Forschung immer auch auf eine Optimierung ihres Gegenstands. Nach früheren Konzepten (z.B. der Handlungswissenschaft) konstituiert sich die Betriebswirtschaftslehre parallel zur Industrialisierung ab dem Ende des 19. Jahrhunderts und damit verbunden mit aufkommenden Fragen der Organisation und Führung von arbeitsteiligen Produktionsprozessen (z.B. Weber 1922 oder Taylor 2006). In den Anfangsjahren der deutschsprachigen Kulturmanagementforschung war die Betriebswirtschaftslehre die dominierende Bezugsdisziplin (vgl. Mandel 2009a: 18). Neben Projektmanagement und Grundlagen der Betriebsführung wurde vor allem die Marketing-Management-Theorie übernommen und an die Bedürfnisse und Struktur des öffentlich geförderten Kulturbetriebs angepasst (vgl. Klein, A. 2001, Müller-Wesemann 1995). Alle Theorien der Betriebswirtschaftslehre basieren auf dem Paradigma des ökonomischen Prinzips, welches von einer grundsätzlichen Knappheit von Gütern ausgeht. Es geht also in erster Linie um ein möglichst optimales Verhältnis zwischen eingebrachten Ressourcen und zu erreichenden Zielen. Im öffentlich geförderten Kulturbereich tritt meistens das Maximierungsprinzip auf, wonach mit einem feststehenden Ressourceneinsatz ein möglichst großer Ertrag erzielt werden soll (vgl. Fischer 2006: 3). Diese theoretische Grundlage zeigt auch die wirtschaftsphilosophische Verortung der Betriebswirtschaftslehre im kapitalistischen System.
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Betriebswirtschaftliche Forschung im Sinne von Nicht-Besucherforschung findet als Marktforschung im Rahmen des strategischen Marketing-Managements statt. Ziel ist es, die Austauschbeziehungen zwischen dem Betrieb und dessen Kunden zu optimieren. Ausgehend von einer Ressourcenknappheit befördernden Konkurrenzsituation auf einem Verkäufermarkt (vgl. Vermeulen 1989), geht es im Grunde darum, die betriebliche Produktion auf die Ansprüche der Marktteilnehmer auszurichten. Die Betriebswirtschaftslehre bedient sich im Rahmen des Marketing-Managements häufig Theorien anderer Wissenschaften: Die sozialwissenschaftlichen Modelle zur Beschreibung der Gesellschaft (z.B. sozio-ökonomisches Schichtenmodell, psychografische Milieutheorien) stellen die Grundlage für Segmentierungsansätze im Marketing dar. Aus der Verhaltenswissenschaft werden Erklärungsmodelle zum Kauf- oder Entscheidungsverhalten übernommen (z.B. Maslow 1977, Scheffer und Heckhausen 2010: 52). Methodisch unterscheiden sich diese Forschungen in der Regel nicht von denen der empirischen Sozialforschung. Bemerkenswert ist allerdings die Dominanz der quantitativen Forschung. Qualitative Zugänge spielen keine oder maximal eine untergeordnete Rolle, werden z.B. nur als Vorarbeit für quantitative Studien (z.B. Koschnick 1987: 704) oder als Weg zur quantitativen Auswertung (z.B. Berekhoven et al. 2009: 89) genutzt, ohne allerdings die Vorteile des qualitativen Forschungsprozesses zu benennen (z.B. Homburg und Krohmer 2003: 243). Ein Grund für diese methodische Einseitigkeit mag in der Verortung der betriebswirtschaftlichen Besucherforschung im Rahmen von Entscheidungs- und Planungsprozessen liegen. Ausgehend von Momenten der Unsicherheit in solchen Prozessen, versucht betriebswirtschaftliche Forschung Informationen für zukünftige Entscheidungen zu generieren. Die Handlungsalternativen stellen dabei die empirisch zu überprüfenden Hypothesen dar, was die Forschung eindeutig der quantitativen Logik zuordnet und auf Offenheit ausgerichtete Zugänge ausschließt (vgl. Renz 2012b: 183). Allerdings scheint dies nicht nur ein theoretisch begründetes Phänomen zu sein, vielmehr beherrscht auch ein nicht immer hinterfragtes Dogma die Betriebswirtschaftslehre: „If you can’t measure it, you can’t manage it!“ (Kaplan und Norton 1996: 21)
Es wird also davon ausgegangen, dass jegliches betriebliches Handeln (im Sinne von Management) messbar und somit abstrakt darstellbar sein muss. Dem liegt ein zahlenmäßiger Begriff von Messbarkeit zu Grunde, was schließlich die quantitative Forschungslogik zum Forschungsparadigma erhebt. Eine solche Haltung
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geht einher mit dem Wandel des Verständnisses von Wissen. Bereits JeanFrancois Lyotard (2012) hat Ende der 1970er Jahre in ‚Das postmoderne Wissen‘ eine Veränderung prognostiziert, wonach die Kommunikationskanäle der postmodernen Gesellschaft nur quantifizierbares Wissen passieren ließen. Die methodische Folge dieses Dogmas ist zum einen eine Konzentration auf zahlenmäßig fassbare Phänomene. Dies ist z.B. beim Controlling (vgl. Schneidewind 2013) der Fall, dessen theoretische Konstruktion nur quantitativ untersuchbare Vorgänge zulässt. Zum anderen werden quantitativ nur schwer oder gar nicht erforschbare Phänomene auch strukturell aus dem betriebswirtschaftlichen Interesse ausgeschlossen. Dies ist im Kontext der Besucherforschung beispielsweise bezüglich der (ungeklärten) Rolle des erwarteten ästhetischen Erlebens bei der Kaufentscheidung der Fall. Diese Nicht-Messbarkeit wird beim Management eines künstlerischen Prozesses dann zum Problem, wenn sich dieser „vorab nur bedingt planen und in seinen Wirkungen prognostizieren“ (Mandel 2008: 42) lässt. Kunst lässt sich nicht immer planen, sondern bedarf einer prozessorientierten Gestaltungsfreiheit. Der Beitrag betriebswirtschaftlicher Marktforschung für Entscheidungen in künstlerischen Produktionsprozessen scheint aus diesem Grund also nicht immer gegeben zu sein. Zahlreiche kulturbetriebliche Publikumsstudien basieren auf der betriebswirtschaftlichen Marketing-Management-Theorie (z.B. Depner-Berger 2008, Fröhlich und Nöthen 2002). Darüber hinaus untersuchen auch akademisch intendierte Forschungsarbeiten das Publikum anhand betriebswirtschaftlicher Fragestellungen, z.B. nach den Kaufentscheidungsprozessen bei Theaterbesuchen (vgl. Fischer 2006), der Bewertung von Theaterbesuchen (vgl. Jobst und Boerner 2013) oder der Besucherbindung im Opernbetrieb (vgl. Lutz 2013). 4.2.4 Weitere Forschungsdisziplinen Die Mehrzahl der bekannten empirischen Studien zum Kulturpublikum ist in den Sozialwissenschaften oder der Betriebswirtschaftslehre zu verorten. Deshalb werden im Folgenden weitere mögliche humanwissenschaftliche Bezugsdisziplinen der Kulturmanagementforschung nur kurz skizziert, da diese bisher noch keinen systematisierten Beitrag zu den Erkenntnissen geleistet haben und der Einfluss auf Fragestellungen und Methoden entsprechend rudimentär ist. Nahe an Fragen und Methoden der Sozialforschung ist die Ethnologie. Ende des 19. Jahrhunderts hat sie ihre Wurzeln in der durchaus imperialistisch geprägten Völkerkunde (vgl. Fischer und Beer 2003). Ihr Kulturbegriff geht dabei weit über künstlerische Dimensionen hinaus und bündelt die Muster von menschlichem Verhalten, welche im Laufe der Zeit kollektiv entwickelt wurden. Die Ab-
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grenzung zur Sozialforschung liegt neben dem fremden Forschungsgegenstand (im Gegensatz zu dem tendenziellem Interesse am eigenen Umfeld) vor allem in der Methode: Ethnologische Forschung ist Feldforschung, wobei quantitative wie auch qualitative Daten direkt mit der Strategie der (teilnehmenden) Beobachtung gewonnen werden (vgl. Malinowski 1984). Da Ethnologie sich überwiegend mit außereuropäischen Kulturen beschäftigt, welche tendenziell nicht über vergleichbare politisch geförderte Kulturveranstaltungen verfügen und damit verbunden kein vergleichbares Publikum existiert, liegt es nahe, dass klassische ethnologische Studien weniger inhaltliche Erkenntnisse zur (europäisch zentrierten) Besucherforschung beitragen. Die spezielle Methode hat jedoch Einfluss genommen auf Publikumsstudien, so untersuchten z.B. Birgit Mandel und Vera Timmerberg (2008) mit Hilfe teilnehmender Beobachtungen kulturelle Einstellungen und Präferenzen der Bevölkerung des Ruhrgebiets. Ähnlich wie die Sozialforschung untersucht auch die Verhaltensforschung oder psychologische Forschung menschliches Verhalten. Im Kern des Interesses stehen jedoch nicht die Verhaltensweise von Kollektiven, sondern das Verhalten und Erleben des Individuums. Dieses wird weitgehend über empirische Methoden untersucht, beispielsweise mit Persönlichkeitstest. Eine besondere Rolle spielt im Methodenspektrum das Experiment bzw. der Test, wonach kausale Hypothesen in einer quantitativen Versuchsanordnung bei zwei Testgruppen überprüft werden. Eine Gruppe erfährt dabei einen bestimmten Stimulus, die Kontrollgruppe erfährt diesen nicht. Sämtliche theoretisch denkbaren Störvariablen müssen dabei möglichst vorab eliminiert werden (vgl. Kriz und Lisch 1988: 86). Diese Situation findet selbstverständlich im künstlichen Raum statt und entsprechend ist das Forschungslabor ein wichtiger Ort verhaltenswissenschaftlicher Forschung um eine möglichst hohe Validität der Daten zu gewährleisten. Verhaltenswissenschaftliche Studien als Besucherforschung finden gegenwärtig eher selten statt. In Forschungsarbeiten an Museen haben solche Studien am ehesten eine Tradition. So wurden einzelne Untersuchungen ursprünglich in den USA (z.B. Shettel 1968, Screven 1974), gegen Ende des 20. Jahrhunderts auch in Deutschland (z.B. Klein und Wünsthoff-Schäfer 1990, Noschka-Ross 2003, Tröndle et al. 2012) durchgeführt. Als Sonderform der Sozial- bzw. Verhaltenswissenschaften ist auch die von Horst W. Opaschowski (1988, 1997, 2001) geprägte Freizeitforschung zu nennen. Diese untersucht mit qualitativen und quantitativen Methoden das Verhalten und Interesse der Bevölkerung in der Freizeit. Kulturelle Aktivitäten im Sinne des Besuchs öffentlich geförderter Kultureinrichtungen spielen dabei eine anderen Freizeitaktivitäten gleichberechtige Rolle. In diesem Kontext ist auch die Zukunftsforschung zu verorten, welche durch Zeitvergleiche „statistisch nach-
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weisebare Entwicklungstendenzen der Gesellschaft“ (Opaschowski 2001: 14) abzubilden versucht. Dies ist vor allem im Kontext von Langzeitvergleichen relevant. Noch recht jung und nicht zwingend als eigene Disziplin, sondern ähnlich wie die Kulturmanagementforschung eher interdisziplinär verschiedene Ansätze und Perspektiven zusammenführend, hat sich seit einigen Jahren die kulturelle Bildungsforschung etabliert (vgl. Fink et al. 2012). Neben sozial- und verhaltenswissenschaftlichen fließen hier auch vor allem erziehungswissenschaftliche Fragestellung und Theorien ein, methodisch wird überwiegend empirisch geforscht, wobei die Methoden der qualitativen Verhaltens- und Sozialforschung eindeutig überwiegen (vgl. Bockhorst et al. 2012). Gegenstand dieser Forschung ist in der Regel auch der Rezipient von Kulturangeboten, im Mittelpunkt des Forschungsinteresses stehen oft individuelle Rezeptionsprozesse mit dem Ziel der kulturellen Bildung (z.B. Fink 2012). Auch wenn ihre Gegenstände meistens Adressaten von Massenmedien bilden, weist die Kommunikations- und Medienforschung Bezüge zur Besucherforschung im Sinne dieser Arbeit auf. Mit überwiegend empirischen Methoden wird darin vor allem die Wirkung von Massenmedien wie z.B. Rundfunk und Fernsehen untersucht (z.B. Gerhards und Mende 2002). Allerdings stellt dann eher die mediale Information und weniger der Adressat den Gegenstand der Forschung dar. Vor allem die in dieser Disziplin stark ausgeprägte theoretische Modellierung kann zumindest in Bezug auf die Theoriebildung die Besucherforschung unterstützen (vgl. Bonfadelli 2004). Eine Sonderrolle nehmen die historischen Forschungen ein, denn deren Fragestellungen und Methoden sind für viele andere Disziplinen notwendig, um z.B. vergangenes Kulturpublikum zu rekonstruieren. Stellenweise wird die Geschichtswissenschaft dann zu einer untergeordneten Hilfswissenschaft, wenn beispielsweise die Sozialgeschichte des Lesens rekonstruiert wird und aus einem eindeutig soziologischen Interesse heraus untersucht wird, welche Milieus zu welcher Zeit welche Literatur gelesen haben (vgl. Schneider, J. 2004). Da solche Fragestellungen nicht mehr unmittelbar durch die Befragung der Forschungsgegenstände zu beantworten sind, bedarf es entsprechender historischer Dokumente, welche das Publikum einer vergangenen Zeit repräsentierten. So wertet Steffen Höhne (2012) beispielsweise in seiner Rekonstruktion des Theaterpublikums von der Aufklärung bis in die Gegenwart u.a. Anstandsbücher und Theaterkritiken aus. Als interdisziplinäre Forschung ist in diesem Kontext auch die Museumsforschung zu nennen, welche geschichtswissenschaftliche (z.B. Provenienzforschung) und sozialwissenschaftliche (z.B. Besucherstatistik) umfasst.
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Auch ist die politikwissenschaftliche Forschung aufzuführen, da zahlreiche Publikumsstudien existieren, welche im Auftrag der Politik entstanden sind und die Erkenntnisse über die Adressaten der Kulturpolitik generieren sollen (z.B. Wiesand 1975, Fohrbeck und Wiesand 1980, Winterfeld 2003, Keuchel 2003, 2006, 2012). Es handelt sich in diesen Fällen jedoch um sozialwissenschaftliche und weniger um politikwissenschaftliche Studien, denn diese basieren eben auf sozialwissenschaftlichen Theorien und Methoden. Das generierte Wissen über das Publikum stellt dann zwar „einen zentralen Gegenstand evaluativer Politikanalyse“ (Göschel et al. 1995: 15) dar und ist in der Regel Grundlage für politische Entscheidungen (z.B. Europäische Kommission 2007: 4). Nur selten wird ein solches Wissen aber zur Generierung politikwissenschaftlicher Theorien verwendet: Beispielsweise entwickelt Gerhard Schulze jedoch mit den Erkenntnissen aus seiner sozialwissenschaftlichen (Nicht-)Besucherforschung den „Rechtfertigungskonsens“ (Schulze 1993: 513) der öffentlichen Kulturförderung und erklärt somit ein wesentliches Kennzeichen (kultur-)politischer Prozesse. Obgleich die Politikwissenschaft eine wichtige Bezugsdisziplin der Kulturmanagementforschung darstellt, da nur damit Strukturen und Instrumente der Politikgestaltung erörtert werden können und auch die Adressaten von Kulturpolitik in aktuellen kulturpolitischen Theorien durchaus an Wichtigkeit gewinnen (z.B. Scheytt 2008), spielen diese im Kontext der (Nicht-)Besucherforschung bisher eine untergeordnete Rolle. Politikwissenschaftliche (Nicht-)Besucherforschung könnte relevanter werden, wenn damit weniger die Wirkungen kulturpolitischer Maßnahmen auf die Adressaten als nachträgliche Legitimation evaluiert, sondern kulturpolitische Strategien, Prozesse und Instrumente untersucht werden würden (z.B. Bussmann 1997). Schließlich sind auch die Cultural Studies zu nennen – weniger als eigene Forschungsdisziplin und mehr als interdisziplinäres Paradigma der Geistes- und Sozialwissenschaften. In den 1960er Jahren in England entwickelt, lenkten diese durchaus politisch motivierten Forschungen den Blick auf populäre und alltägliche kulturelle Praktiken (vgl. Hall 2000). Es liegt nahe, dass deshalb eher weniger Beiträge zum Erkenntnisinteresse der Besucherforschung öffentlich geförderter Kultureinrichtungen zu erwarten sind. Allerdings leisten die Cultural Studies mit Untersuchungen zur subjektiven Rezeptionsbereitschaft (z.B. Göttlich 2006) theoretische wie empirische Ansätze für qualitative Rezeptionsstudien von Besuchern von Theatern, Museen oder Konzerthäusern.
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4.2.5 Die Rolle des Publikums in den Kulturwissenschaften am Beispiel der Theaterwissenschaft Die verschiedenen Disziplinen der Kulturwissenschaften haben jeweils ein künstlerisches Phänomen einer Sparte zum Gegenstand. Im Folgenden wird am Beispiel der Theaterwissenschaft exemplarisch erörtert, welche Rolle das Publikum darin spielt und ob darin ein Beitrag zur Nicht-Besucherforschung geleistet wird. Die Theaterwissenschaft scheint deshalb auch im Vergleich z.B. zur Kunst- oder Musikwissenschaft prädestiniert zu sein, da ihr Forschungsgegenstand immer ein transitorisches Kunstwerk darstellt, dessen Anlage per se auch Rezeption mit einschließt; systematisch mit mehreren Personen (im Gegensatz z.B. zu einem Bild, einer Komposition oder einem Buch). Die Theaterwissenschaft hat sich als eine der letzten traditionellen Kulturbzw. Geisteswissenschaften erst Anfang des 20. Jahrhunderts aus der Germanistik heraus entwickelt (vgl. Fischer-Lichte 2010: 13). Ihr verbunden blieb und bleibt sie im hohen Stellenwert des dramatischen Textes, welcher auch in der Theaterwissenschaft ein Kerninteresse ausmachte (und immer noch ausmacht). Die daraus resultierende Aufführungs- und Inszenierungsanalyse stellte seit den 1970er Jahren entsprechend eine Haupttätigkeit der Theaterwissenschaftler dar (vgl. Balme 1999, Fischer-Lichte 2010). In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde zudem ein entscheidender wissenschaftlicher Paradigmenwechsel vollzogen: Neben der Hinwendung zur Theatralität außerhalb des Theatergebäudes waren vor allem nicht mehr der Theaterstoff oder dessen Inszenierung durch Darsteller grundlegende Voraussetzungen für die Definition von Theater, sondern allein der „Zuschauvorgang, der das Wahrgenommene zum Theater macht“ (Balme 1999: 129). Die damit verbundene „Entdeckung des Zuschauers“ (Fischer-Lichte 1997) führte zu einer Aufwertung des Zuschauens bzw. des Publikums innerhalb der systematischen theoretischen Theaterwissenschaften (vgl. Bentley 1967, Schaefer 1979, Paul 1981, Fischer-Lichte 1997, Balme 1999). Im historischen Verlauf sind es vor allem avantgardistische und teils auch politische Theatermacher, welche Anfang des 20. Jahrhunderts neue Produktionsformen mit einem neuen Verständnis der Rolle des Zuschauers entwickelten. Dem seit dem späten 19. Jahrhundert gefestigten bürgerlichen Theater mit der Trennung von Zuschauer- und Bühnenraum, bei gleichzeitiger stiller, komplentativer Rezeption wurden neue Konzepte der Interaktion zwischen Zuschauer und Bühne gegenübergestellt (vgl. Fischer-Lichte 1997). Diese Ideen hatten auch Auswirkungen auf eine Neugestaltung des Bühnenraums, welcher eine bessere Kommunikation mit dem Publikum zulassen sollte (z.B. Max Reinhards Idee eines großen Schauspielhauses oder Walter Gropius Entwurf eines Theaters für
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Erwin Piscator). Allerdings dominieren im deutschen Staat- und Stadttheater immer noch die klassischen Bühnenbauten mit hoher Bühne und verschiedenen Zuschauerrängen. Stellenweise werden diese Ideen in Produktionen des Freien Theaters umgesetzt, da dieses mit flexibleren Arbeitsstrukturen abseits der traditionellen Häuser einfacher Innovationen wie z.B. partizipatives Theater hervorbringt (vgl. Deck und Sieburg 2008). Auch gab es in den letzten Jahren verschiedene Formate, welche Theaterzuschauern eine aktivere Rolle zuteilwerden lassen, wie z.B. Ansätze eines partizipativen Theaters in den Bürgerbühnen (vgl. Gloystein 2013, Kurzenberger und Tscholl 2014). Entwicklungen zu einer verstärkten Einbeziehung des Rezipienten in die Theoriebildung (z.B. Pavis 1988) sind auch in anderen Kulturwissenschaften feststellbar, z.B. in einer ähnlichen theoretischen Modellierung der entscheidenden Rolle des Lesers in der Rezeptionsästhetik der Konstanzer Schule innerhalb der Literaturwissenschaften (vgl. Warning 1994). Trotz der Aufwertung des Stellenwerts des Publikums und des damit verbundenen wissenschaftlichen Paradigmenwechsels vom dramatischen Text hin zum Zuschauer, wurde aber recht wenig empirische Forschung über eben diesen „konstituierenden Faktor“ (Schaefer 1979: 49) betrieben, welche über dessen theoretisch begründete Rolle im Zustandekommen des Theaterkunstwerks hinausgeht. Ein wesentlicher Grund mag darin liegen, dass der Zuschauer in den Verfahren der Aufführungs- und Inszenierungsanalyse weitgehend außen vor bleibt, „denn die wenigen formalisierten Signale – Beifall oder Ablehnung – reichen bei Weitem nicht zur Beschreibung seiner Teilhabe am theatralen Ereignis aus“ (Bayerdörfer 1990: 50). Dass auch der Zuschauer darüber hinausgehend zum Forschungsgegenstand werden kann, zu welchem nicht ausschließlich theoretisch und über die Eigenarten des Kunstwerks Zugang gesucht wird, zeigen die Forschungen in der historischen Theaterwissenschaft. In diesem zweiten Kernbereich der Theaterwissenschaft wird auch der Begriff der ‚Publikumsforschung‘ verortet. Jener „liegt die schlichte Einsicht zugrunde, dass der Zuschauer einen aktiven Anteil am Zustandekommen theatralischer Kunst hat“ (Korte 2012: 9). Ziel ist es in einer historischen Perspektive das Theaterpublikum vergangener Zeiten zu rekonstruieren. Methodisch gelingt dies mit den Instrumenten der historischen Wissenschaften. Dieses Vorgehen bedarf immer mittelnder Medien, wie z.B. Spielpläne, Kritiken oder schriftliche Äußerungen von Dramatikern und Theatermachern. Entsprechend problematisch kann diese Quellenbewertung sein: So stellt Hermann Korte fest, dass sich die Beschreibung des Publikums lange Zeit „statt subtiler Analysen“ auf „gelegentlich Anekdotisches“ (Korte 2012: 14) reduzierte. Eine generelle Aussage z.B. über die individuellen Besuchsmotive des Theaterpublikums in der Vergangenheit ist nur bedingt möglich.
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Ab den 1960er und 70er Jahren begann sich auch ein Interesse am aktuellen Publikum zu entwickeln. Christopher Balme verweist auf „experimentell ausgerichtete Methoden“ wie beispielsweise „Theatre Talks“ (1999: 132) in skandinavischen Ländern. Auch in Wien existierte damals an den Österreichischen Akademien der Wissenschaften ein ‚Institut für Publikumsforschung‘. Dieses war Herausgeber einer bemerkenswerten Dokumentation einer internationalen Theaterdozentenkonferenz in Venedig (vgl. Institut für Publikumsforschung 1977), welche zahlreiche historische Publikumsforschungen zusammenbrachte und darüber hinaus auch erstmalig Ansätze empirischer quantitativer Erforschung des aktuellen Theaterpublikums beinhaltete. In methodisch aufwändigen Experimenten bewerteten Theaterbesucher während der Vorstellung bestimmte Phänomene mit Hilfe von kleinen Schaltkästen (vgl. Schälzky 1977). Aus Perspektive der empirisch dominierten Besucherforschung ist ein solcher Ansatz sehr interessant, dieser war in der Theaterwissenschaft jedoch singulär und ohne bemerkenswerte Rezeption oder gar Reproduktion. Ebenfalls einmalig sind Ansätze historischquantitativer Spielplanforschung, welche empirische Methoden in die Theaterwissenschaft integrieren (vgl. Hein 1999). Die historische Publikumsforschung hat also das Publikum vergangener Zeiten rekonstruiert (z.B. Klotz 1976, Kindermann 1979, Dreßler 1993), leistet allerdings nicht wirklich einen Beitrag zum Erkenntnisinteresse des aktuellen Theaterpublikums. Volker Klotz, der in den 1970er Jahren eine umfassende historische Beschreibung des Publikums vorgelegt hat, kam entsprechend zu dem Schluss: „Was tatsächlich in den Köpfen der Zuschauer vorgeht, wenn sie tätig an der Aktualisierung der Bühnenereignisse mitwirken, muß unbeantwortet bleiben.“ (Klotz 1976: 23) Solche Fragestellungen wären Teil einer empirischen Theaterwissenschaft, welche auf sinnlicher Beobachtung der Realität aufbaute und jene mittels Beobachtungs- oder Befragungsinstrumenten erfahrbar machen würde, ohne allerdings die wissenschaftliche Grundperspektive zugunsten z.B. der Theorien der Sozialforschung abzugeben. Im Gegensatz zu den oben dargestellten Soziologien der Künste sind z.B. empirische Kulturwissenschaften auch wesentlich weniger stark durch sozialisationstheoretische Positionen geprägt. Insbesondere empirisch-quantitative Zugänge sind jedoch innerhalb der Kulturwissenschaften nur wenig verbreitet und stellenweise thematisch nah an der Sozialwissenschaft angelehnt (vgl. Burzan 2005). Die Gründe für die Dominanz theoretischer bzw. historischer Zugänge in den Kulturwissenschaften sind vielfältig und sicherlich stark in der jeweiligen Wissenschaftstradition zu verorten. In den Theaterwissenschaften sind dies wie dargestellt die anfängliche Konzentration auf den dramatischen Text sowie der Ansatz, Erkenntnisse immer aus dem Kunstwerk selbst zu generieren. Der Einfluss der Sozialwissenschaften in den 1960er und 70er Jahren
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auch auf die Kulturwissenschaften hat allerdings nicht zu einem ‚methodischen Turn‘ hin zu mehr empirischen Versuchen geführt. Neben der Betonung der Unvereinbarkeit der Komplexität theaterwissenschaftlicher Theorien mit der Notwendigkeit der Komplexitätsreduktion in empirisch-quantitativen Verfahren (vgl. Klotz 1976: 23, Bayerdörfer 1990: 50), scheint auch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber diesen Methoden Grund für deren äußerst seltene Verwendung in theaterwissenschaftlichen Arbeiten zu sein. Dabei wird keine endogene Kritik geäußert, also eine Kritik welche methodische Schwächen diskutiert ohne das empirische Vorgehen an sich in Frage zu stellen. Es scheint so, als ob entsprechende Verfahren in der Theaterwissenschaft einfach nicht ausprobiert werden. Eine ergebnisoffene Erforschung empirisch-quantitativer Methoden, auch mit dem Ziel des Ausprobierens und Verwerfens, ist in der Theaterwissenschaft nur selten zu finden (z.B. Martin und Sauter 1995), wäre allerdings eine bemerkenswerte Herausforderung für eine interdisziplinäre (Nicht-)Besucherforschung. Teilweise wird eine solche empirische Methodenentwicklung von Theaterwissenschaftlern an die Sozial- und Verhaltenswissenschaften delegiert (vgl. Balme 1999: 131). Ein solches Vorgehen wäre allerdings problematisch, da die methodenentwickelnde Wissenschaft damit auf eine dienende Hilfswissenschaft reduziert werden würde, ohne dass diese selbst eine solche Rolle reflektiert. Die Delegation der Methodenentwicklung z.B. in die Sozialwissenschaft könnte im Extremfall zu einer nahezu positivistischen Anspruchshaltung an ein wertfreies Erhebungsinstrument führen, welches universal und in allen Wissenschaften einsetzbar wäre. Allerdings sind Methode und Theorie stets eng miteinander verbunden, so dass die Theaterwissenschaft sich gegebenenfalls mit jenen Erhebungsinstrumenten auch gleichzeitig fachfremde Theorien einfangen würde (z.B. sozialwissenschaftliche Gesellschaftsmodelle oder betriebswirtschaftliche Markttheorien). Neben den systematischen, historischen und wie dargestellt prinzipiell nicht so recht etablierten empirischen Theaterwissenschaften verfestigt sich im 21. Jahrhundert innerhalb der Kulturwissenschaften auch der Diskurs um ‚künstlerische Forschung‘ als eigener, wissenschaftliche und künstlerische Methoden verbindender Ansatz. Dieser umfasst auch empirische Methoden (z.B. Tröndle et al. 2012). Allerdings ist dieser Diskurs theoretisch wie inhaltlich stark von der Bildenden Kunstforschung geprägt (vgl. Brenne 2008, Berg et al. 2011) und es existieren zu wenig künstlerische Forschungsarbeiten über Theaterproduktion und Bühnenerlebnis, als dass an dieser Stelle Analysen möglich wären. Die Theaterwissenschaft interessiert sich also für den Zuschauvorgang. In Anlehnung an Wolfgang Isers (1976) „impliziten Leser“ personifiziert sich die-
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ser in einem idealtypischen Zuschauer – weniger allerdings in empirisch messbaren Merkmalen. Im Forschungsinteresse steht entweder das historische Publikum oder ein recht enger Blick auf Rezipienten, welche ohne soziale Verortung, ohne Vor- und Nachspiel rezipieren. Für Fragen der Nicht-Besucherforschung ist zudem von Bedeutung, dass die Theorien zum Zuschauvorgang ebenfalls von idealtypischen Rezeptionsprozessen ausgehen und ein ‚Nicht-Rezipieren‘ – wie es beispielsweise in Kapitel 6 dieser Arbeit empirisch dargestellt werden wird – eigentlich gar nicht erwartet wird.
4.3 Z USAMMENFASSUNG: D IE G RENZEN EINER INTERDISZIPLINÄREN F ORSCHUNG Die Zugänge der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen zum Publikum haben wie dargestellt alle ihre Begründung in der jeweiligen Wissenschaftstradition. Ein Zusammenführen dieser verschiedenen Zugänge im Sinne einer interdisziplinären Nicht-Besucher- bzw. Kulturmanagementforschung kann somit auch zu möglichen Konflikten führen. Folgende Abbildung fasst exemplarisch die jeweiligen Paradigmen der oben ausführlich beschriebenen Disziplinen und die damit verbundenen potenziellen Konflikte zusammen:
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Tab. 4: Konfliktpotenziale interdisziplinärer (Nicht-)Besucherforschung Bezugsdisziplin
Paradigma
Konfliktpotenzial
Sozialwissenschaften
sozialisationstheoretische Modelle
Vernachlässigung der ästhetischen Wirkung von Kunstwerken; funktionale Verkürzung des Kunstwerks
Sozialwissenschaften
Fixierung/Reduzierung Optimierungs- und Steueauf Probleme rungsanspruch der BWL
Betriebswirtschaftslehre quantitatives Messpa- qualitative Zugänge in radigma Sozial-, Bildungs- und Verhaltenswissenschaften; theoretische Zugänge der Kulturwissenschaften Betriebswirtschaftslehre ökonomisches Prinzip; Interesse für wirtschaftEffizienzzwang lich nicht relevante Zielgruppen in Sozial- und Politikwissenschaft Kulturwissenschaften
Fixierung auf ästheti- Vernachlässigung der emsches Objekt pirischen Dimension der Rezipienten und deren soziale Verortung
Die z.T. den (Nicht-)Besucherforschungen zugrunde liegenden sozialtheoretischen Modelle (z.B. explizit bei Dollase et al. div. Jahre), welche jegliche Wertigkeit von Kunst stets auf sozial erlernte Phänomene reduzieren, können in einem Widerspruch zu kulturwissenschaftlichen Theorien über den Gehalt ästhetischer Wirkung aus dem Kunstwerk selbst heraus (z.B. Walter Benjamins Aura vom Kunstwerk) stehen. Zudem besteht die Gefahr, dass Rezeption und eigene künstlerische Aktivität auf funktionale Zwecke z.B. für Sozialisationsprozesse reduziert werden. Ein Konfliktpotenzial zum betriebswirtschaftlichen Anspruch des Eingriffs in Steuerungsprozesse zum Zweck der Betriebsoptimierung durch Forschungserkenntnisse können sozialwissenschaftliche Haltungen darstellen, welche ihre Aufgabe nur im Aufzeigen von Problemen und nicht im Anbieten von Lösungen verorten, wie beispielsweise bereits Anfang des 20. Jahrhunderts
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von Max Weber (1988) entwickelt. Im Umkehrschluss reduziert die Betriebswirtschaftslehre durch ihr Handeln nach dem ökonomischen Prinzip allerdings auch Forschungsgegenstände auf wirtschaftlich Relevantes, was vor allem mit den Zielen der Sozial- und Politikwissenschaften kollidieren kann (z.B. auch bei der Zielgruppe der Nicht-Besucher). Zudem schließt die Betriebswirtschaftslehre mit ihrem quantitativen Messparadigma auch strukturell qualitative Zugänge aus, welche in zahlreichen Bezugsdisziplinen der Nicht-Besucherforschung eine hohe Relevanz haben. Vor allem das Streben nach Prozessoptimierung kann in betriebswirtschaftlichen Forschungen auch zu einem eher unkritischen Verhältnis zum eigenen Forschungsgegenstand führen. Schließlich ist noch die Fixierung auf das ästhetisches Objekt in den Kulturwissenschaften zu nennen, welche – wie am Beispiel der Theaterwissenschaften erläutert – auch mit einer Vernachlässigung des empirisch erfahrbaren, tatsächlichen Empfindens der Rezipienten und derer sozialen Verortung einhergehen kann. Vor allem der theoretischen Konstruktion von Wirkungsmechanismen von Kunst und Kultur kann aus Perspektive der empirischen Forschung ein Defizit vorgeworfen werden, wenn diese Zuschreibungen nicht in der Realität überprüft wurden. Max Fuchs hat beispielsweise 90 verschiedene Wirkungsbehauptungen gesammelt, welche auf ästhetischen, bildungstheoretischen oder sozialen Funktionen von Kunst aufbauen – allerdings sind die wenigsten davon bisher empirisch bestätigt (vgl. Fuchs und Liebald 1995).
5. Der quantitative Blick Eine Sekundäranalyse der bestehenden Erkenntnisse zu Nicht-Besuchern
Innerhalb der Besucherforschung existieren wesentlich mehr empirische Erkenntnisse zu Besuchern als zu Nicht-Besuchern. Dieses Kapitel untersucht in einer Sekundäranalyse die bestehenden quantitativen Publikumsstudien auf mögliche Erkenntnisse zu Nicht-Besuchern. Es wird also den Fragen nachgegangen, wie groß der Anteil der deutschen Bevölkerung ist, welcher öffentlich geförderte Kultureinrichtungen nicht besucht, welche standardisierten besuchsverhindernde Gründe bekannt sind und welche Faktoren grundsätzlich Besuche verhindern. Die Darstellung der Ergebnisse folgt im Wesentlichen dem in Kapitel 2 vorgestellten Modell nach Amaryta Sen, welches zwischen Teilhabevoraussetzungen und freier Wahrnehmung der Teilhabechancen differenziert. Dementsprechend werden im ersten Teil Barrieren diskutiert, welche Besuchsmotivationsprozesse unterbrechen. Im zweiten Teil werden dann Bedingungen untersucht, welche Einfluss auf die Teilhabechancen an sich haben.
5.1 D AS AUSGANGSMATERIAL DER S EKUNDÄRANALYSE 5.1.1 Nationale Herkunft der Quellen Die der Sekundäranalyse zugrunde liegenden Studien sind weitgehend von deutschsprachigen, insbesondere von deutschen Autoren verfasst und haben die deutsche Gesellschaft zum Forschungsgegenstand. Schweizerische Ergebnisse sind vereinzelt in Publikationen im Umfeld der Schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia zu finden. Relevantes österreichisches Material stellen beispiels-
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weise die Studie zum Kulturverhalten von Senioren von Franz Kolland (1996) sowie die Salzburger Besucherstudie (Depner-Berger 2008) dar. Weitere internationale Studien lassen sich aus drei Gründen nur bedingt in die Ergebnisdarstellung integrieren: Gerade da die deutschsprachige Kulturmanagementforschung einen Anschluss an internationale Diskurse anstrebt, ist eine diesem Schritt vorhergehende Aufarbeitung und Systematisierung der deutschen Erkenntnisse notwendig. Nur dadurch können Forschungslücken und -traditionen aufgezeigt werden und die Anschlussfähigkeit an übergeordnete Diskurse oder bedeutende Medien des internationalen wissenschaftlichen Austausches (z.B. den US-amerikanischen museum news) ermöglicht werden. Zudem hätte eine internationale Perspektive auch den Anspruch, Erkenntnisse aller Länder zu integrieren. Auf Grund der Dominanz der englischen Sprache auch in der internationalen Forschung sind vor allem englischsprachige Studien – weitgehend aus dem Umfeld der britischen Arts Councils – bekannt. Eine Fixierung auf diese (vielleicht auch einfach zugänglichen) Studien wäre unter dem Anspruch der Internationalität nicht ausreichend begründbar und es bestünde die Problematik einer willkürlichen Auswahl beim gleichzeitigen Ignorieren beispielsweise australischer (z.B. Rentschler 2007) oder italienischer (z.B. Fondazione Fitzcarraldo 2006) Studien. Die unterschiedlichen kulturpolitischen Voraussetzungen sind jedoch der Hauptgrund für die Beschränkung der Perspektive der folgenden Analyse auf deutschsprachige Studien: Empirische Sozialforschung ist immer abhängig von den gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Kontexten ihres Erhebungsgebiets und -zeitpunkts. Für Besucherforschung ist die deutsche Besonderheit der öffentlichen Förderung bestimmter Kultursparten unter dem Paradigma der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit die wesentliche Prämisse, welche eine Integration außersystemischer Erkenntnisse erschweren, wenn nicht gar verhindern kann. Ebenso können auf andere historische Entwicklungen und darauf aufbauende Kulturbegriffe basierende Ergebnisse nicht ohne Weiteres auf deutsche Verhältnisse übertragen werden (vgl. Renz 2012b). Internationale Studien werden in der folgenden Analyse jedoch vereinzelt herangezogen, wenn diese einen über einzelne Phänomene hinausgehenden Beitrag zur übergeordneten Theoriebildung des Themas leisten oder zu einzelnen Aspekten keine im deutschsprachigen Raum erhobene empirische Überprüfung existiert (z.B. Hood 1983, Bunting 2008a, Scotish Arts Council 2005). Dann muss jedoch beachtet werden, dass die Ergebnisse nicht von landesspezifischen Organisationsformen und Systemen beeinflusst wurden. Dies ist immer eher der Fall, je weniger komplex das empirisch zu überprüfende Phänomen ist. Je einfacher und eindimensionaler die den theoretischen Modellen zu Grunde liegenden Kausalitäten sind,
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desto eher sind weitere – landestypische – Einflüsse außer Acht zu lassen. Das trifft beispielweise auf die später aufgeführte Studie über die Veränderung der Besucherstruktur durch Eintrittspreissenkungen in einem französischen Museum zu. Streben empirische Studien jedoch außerhalb des Interessensgebiets der Kulturmarketingforschung Aussagen über gesellschaftliche Bedingungen an (z.B. Bourdieu 1982, Dollase et al. 1986, Kirchberg 1992), so müssen die jenen Erhebungen zu Grunde liegenden lokalen politischen und sozialen Bedingungen bedacht werden und ein unkritisches Übertragen einzelner Erkenntnisse auf andere Länder wäre nicht zu rechtfertigen. An dieser Stelle könnte natürlich eine grundsätzliche Kritik an den oft eindimensionalen Wirkungsmodellen im Rahmen standardisierter Forschung ansetzen: Denn die Nicht-Integration weiterer potenzieller Einflussfaktoren in ein theoretisches Modell ist selbstverständlich an sich keine Garantie dafür, dass eben diese Faktoren keinen Einfluss auf das Phänomen hätten. Die bekannten und in dieser Arbeit verwendeten quantitativen Studien zum Kulturpublikum beruhen jedoch mit wenigen Ausnahmen (z.B. Institut für Museumskunde 1984) auf methodisch annehmbaren Standards, so dass kein Ausschluss aufgrund solcher Mängel erfolgen muss. 5.1.2 Strukturelle Merkmale der Nicht-Besucherstudien Mit wenigen Ausnahmen dominieren Aspekte über tatsächlich erfolgte Besuche und deren Motive die meisten empirischen Studien. Autoren bezeichnen selbst ihre Arbeiten nur selten als Nicht-Besucherstudien: In Studien über das Museum sind das Volker Kirchberg (1996a) und Hans-Joachim Klein (1997), über das Theater der Deutsche Bühnenverein (2003), über die Oper Karl-Heinz Reuband (2001); spartenübergreifend existieren zudem eine Zusammenfassung von Armin Klein (2002) sowie eine qualitative Annäherung an Nicht-Besucher (Mandel und Renz 2010). Im erweiterten Spektrum existieren noch explizite NichtNutzerstudien von Bibliotheken (Deutscher Bibliotheksverband 2012) und Onlineangeboten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (Gerhards und Mende 2002). In allgemeine Besucherbefragungen werden Themen zu Nicht-Besuchern punktuell integriert (z.B. Frank et al. 1991, Keuchel 2003, Mandel 2013). Das kann jedoch zu strukturellen Problemen führen, wie Susanne Keuchel verdeutlicht: „Während die Nutzerbefragung vor Beginn einer Definition von Art und Dauer des zu untersuchenden Angebots und damit auch der darüber zu befragenden Nutzer bedarf, definiert eine Nichtnutzerbefragung ihre Probanden nicht über die Nutzung bestimmter Angebote, sondern erfasst unabhängig davon alle Bewohner eines Gebiets.“ (Keuchel 2003: 10)
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Die Nutzerbefragung geht in diesem Sinn demnach perspektivisch vom kulturellen Objekt, die Nicht-Nutzerbefragung vom (in-)aktiven Subjekt aus. Demnach können strukturelle Unterschiede der Auswahl der Befragten bzw. des Erhebungsorts eine Integration von Nicht-Besucher-Themen in Besucherstudien verhindern: Wird beispielsweise in einem Museum befragt, so werden verständlicherweise nur wenige typische Nicht-Besucher angetroffen. Im gegenteiligen Fall kann in einer vom Subjekt ausgehenden Nicht-Besucherbefragung im Sinne einer Bevölkerungsbefragung der Anteil der regelmäßigen Kulturbesucher zu klein für eine statistisch verwertbare Aufbereitungen diesbezüglicher Ergebnisse ausfallen. In den bestehenden, die Gesamtbevölkerung repräsentierenden NichtBesucherbefragungen, welche vom Subjekt ausgehen, dominieren jedoch auch häufig weiterhin Fragen zu Besuchsmotivation der tatsächlichen Besucher. Eine Perspektivverschiebung zu potenziellen Besuchern als noch inaktive Subjekte ist nicht garantiert1, vielmehr untersuchen die Arbeiten Themen im Umfeld der Kultureinrichtungen und deren Nutzung. Gründe dafür liegen im jeweiligen Forschungsinteresse und in der daraus resultierenden Definition des Forschungsgegenstands: Wenn Nicht-Besucherforschung die kulturelle Inaktivität zum Forschungsgegenstand macht, konzentriert sie sich eher auf Themen dieser noch nicht erfolgten Rezeption im Umfeld der Kulturineinrichtungen. Daraus folgen Fragen, weshalb eine Person ein Kulturangebot nicht besucht. Wenn hingegen das inaktive Subjekt (und nicht die Aktivität in Bezug auf Kultureinrichtungen) zum Forschungsgegenstand gemacht wird, konzentrieren sich Fragen zwangsläufig auf die Situation und Lebenswelt der Person. Daraus folgen Fragen, wie die Person ihre Freizeit verbringt und erst nachgelagert, welche Rolle Kulturveranstaltungen dabei spielen.
1
Vgl. die Dokumentation entsprechender Studien von Martin und Breu 1994. Zwei Beispiele, wie sehr Nichtbesucherstudien weiterhin perspektivisch vom kulturellen Objekt geprägt sind, führt Nora Wegner auf: „Nichtbesucherbefragungen werden nicht in Museen, sondern außerhalb der Bezugseinrichtung durchgeführt. Zu erinnern ist daran, dass dies nicht heißt, dass die Befragten nie ins Museum gehen. In den beiden Untersuchungen wurden nur Auskunftspersonen ausgewählt, die sich (in gewissem Maß) als kulturinteressiert einschätzen (Wegner 2010: 119).“ Indem die Terminologie dennoch von „Nicht-Besucherstudien“ spricht, kann dies insofern verwirrend sein, da diese gar keine relevanten Erkenntnisse zu Nicht-Besuchern liefern.
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5.1.3 Fehlende Zeitvergleiche Die bekannten deutschsprachigen Forschungen zu Kulturbesuchern sind überwiegend Querschnittuntersuchungen, also in sich geschlossene Momentaufnahmen ohne Zeitvergleiche. Das bedeutet, dass die erkenntnisleitenden Fragen zeitlich einmal gestellt werden und dadurch keine Aussagen über Veränderungen im Zeitverlauf möglich sind. Ausnahmen stellen punktuell die Studien dauerhaft arbeitender Forschungsinstitute wie z.B. das Allensbach Institut für Demoskopie (1991) oder das Zentrum für Kulturforschung (Keuchel 2002 u.a.) dar, welche in ihren Studien auch Zeitvergleiche vornehmen (z.B. Keuchel und Wiesand 2006: 41). Letzteres zeigt beispielsweise in den regelmäßig durchgeführten ‚KulturBarometern‘, „dass die Gesellschaftsgruppen, die sich für einzelne Kultursparten mobilisieren lassen, wieder kleiner werden“ (Keuchel 2006: 76). In dieser Reihe entstanden auch bereits zwei ‚Jugend-KulturBarometer‘ (vgl. Keuchel 2006, Keuchel und Larue 2012) – laut Susanne Keuchel „ein extrem seltener Luxus“ (Keuchel 2014: 64) der Besucherforschung. Dadurch konnte z.B. belegt werden, dass der Anteil der jugendlichen Nicht-Besucher im Zeitverlauf leicht gesunken ist, die groben Entwicklungen sich allerdings trotz zahlreicher Angebote der kulturellen Jugendbildung nicht wirklich verändert haben (vgl. Keuchel und Larue 2012). Neben forschungsökonomischen Gründen verhindert vermutlich auch die Problematik der geringen wissenschaftlichen Eigenleistung die Durchführung von zeitvergleichenden Studien durch andere Forscher: Diese würden nämlich die genaue Übernahme des Forschungsdesigns, der Methode sowie der Fragestellung erzwingen. Fritz Schmücker führt 1993 eben eine solche Längsschnittuntersuchung durch, welche auf Rainer Dollases ‚Jazzpublikum‘ von 1978 aufbaut (vgl. Dollase et al. 1978). Im Ergebnis werden Veränderungen im Wertewandel sowie eine Erhöhung des Durchschnittsalters um sechs Jahre festgestellt (Schmücker 1993: 252-255). Nicht-Besucher werden von Schmücker zwar als relevantes Interessensgebiet erkannt, jedoch nicht weiter thematisiert (Schmücker 1993: 261). Stimmen regionale Basis und Thema einer Untersuchung mit bereits vorhandenen Ergebnissen überein, so lassen sich unabhängig vom Forschungsdesign ebenfalls punktuelle Zeitvergleiche durchführen: So beziehen sich beispielsweise zwei Studien über das Opernpublikum ebenfalls auf eine Arbeit von Rainer Dollase (vgl. Neuhoff 2001, Reuband 2005a, 2005b). Karl-Heinz Reuband stellt dabei z.B. eine Erhöhung des Durchschnittsalters der Kölner Opernbesucher von 37 bzw. 39 auf 55 Jahre fest (vgl. Reuband 2005b: 127, Dollase et al. 1986). Der Autor vergleicht auch in einer späteren Arbeit die Ergebnisse von Studien aus
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den Jahren 1991 und 2010 zur kulturellen Teilhabe der Bevölkerung der Stadt Köln. Trotz der methodischen und theoretischen Unterschiede stellt der Autor einen gewissen „Trendvergleich“ (Reuband 2012a: 233) fest: „Die Besucherzahlen in Köln – aber auch bundesweit – sind der Tendenz nach rückläufig.“ (Reuband 2012: 256a)
Die wenigen Langzeitvergleiche zeigen somit alle einen tendenziellen Rückgang der kulturellen Teilhabe in den letzten ca. 30 Jahren. Vor allem im englischsprachigen Raum gibt es auf Grund der Existenz nationaler Kulturbehörden Längsschnittuntersuchungen, wie beispielsweise eine Untersuchung der Besucher kultureller Veranstaltungen in den USA zwischen 1982 und 1997 (Peterson et al. 2000) oder die vom englischen Arts Council seit 2001 regelmäßig durchgeführten, aufeinander aufbauenden Studien ‚Taking part‘ zu Verhalten und Einstellungen von Kulturbesuchern (Arts Council 2004, DCMS 2008).2 Bei diesen Überlegungen ist auch das Alter der vorhandenen Studien von Interesse. Da empirische Besucherstudien immer ein Stück weit die Gesellschaft beschreiben, besteht bei älteren Studien die Gefahr, dass sich zwischenzeitlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so verändert haben, dass unter gegenwärtigen Bedingungen andere Ergebnisse entstehen würden. Zu diesen Einflussfaktoren zählen u.a. sozio-demografische Aspekte wie Veränderungen der Wertigkeit der Bildungsabschlüsse, des Aktivitätspotenzials im Alter und der ökonomischen Verhältnisse oder Veränderungen der Lebensstile, der Rollenbilder und in der Folge auch des Freizeitverhaltens. Obgleich es keine wissenschaftlich verbindliche Grenze für die ‚Haltbarkeit‘ empirischer Erkenntnisse gibt, dominieren im Folgenden die Studien welche die Gesellschaft etwa der letzten 25 Jahre beschreiben – also seit der deutschen Wiedervereinigung. Ältere Studien werden dann miteinbezogen, wenn diese (seltene) explizite Erkenntnisse zu Nicht-Besuchern beinhalten und ein Ausscheiden aus zeitlichen Gründen den damit verbundenen theoretischen Verlust nicht rechtfertigen würde (z.B. Eisenbeis 1980, Klein, H.-J. 1980, Klein, H.-J. et al. 1981, Hood 1983). Dementsprechend betreffen gesellschaftliche und politische Hintergründe auch die potenzielle Verwendung von Studien aus der ehemaligen DDR. Auch dort fand empirische Besucherforschung statt, eine gewisse Skepsis gegenüber einer vermeintlichen Bürgerlichkeit der Soziologie hatte die Entwicklung einer 2
Ausführliche Informationen liefert die dazugehörige Webseite www.takingpartinthe arts.com (zuletzt geprüft am 12.02.2015). Weitere englische Untersuchungen inklusive Australien und Neuseeland sind in Arts Council (2004) aufgeführt.
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sozialwissenschaftlichen Forschungstradition allerdings zumindest nicht befördert: So sind z.B. im Museums- und Ausstellungsbereich nur sehr wenige, die Gesamtbevölkerung repräsentierende und von einzelnen Einrichtungen unabhängige, Studien bekannt (Lindner 1991: 3). Hans-Joachim Klein (1991) war kurz nach der Wiedervereinigung Herausgeber einer ‚Rückblende‘ zum Stand der Museumsbesucherforschung in der DDR. Das dortige institutionelle Interesse am eigenen Publikum setzte im Vergleich zu Westeuropa früher an und war stellenweise bereits damals als Teilhabeforschung konzipiert. Hans Martin und Florian Breu begründeten dieses Interesse am Besucher im „gesellschaftlichen Auftrag der Museen in den osteuropäischen Ländern“ (1994: 14). Darüber hinaus kann dieses ausgeprägte empirische Interesse am Freizeitverhalten der Bevölkerung der DDR durchaus auch als systemkonstituierendes Merkmal der Planwirtschaft eines zentralistisch organisierten Staates gedeutet werden. Die Verwendung der damaligen empirischen Forschungsergebnisse für eine aktuelle Diskussion der Nicht-Besucherforschung stößt wegen der ideologischen Hintergründe selbstverständlich an Grenzen. Neben der Abbildung von einfachen verhaltensrelevanten oder sozio-demografischen Merkmalen beinhalten entsprechende Arbeiten auch immer – ganz im Sinne der Ansprüche sozialwissenschaftlicher Forschung – eine Analyse und theoriegeleitete Interpretation der Daten. Beispielhaft kann Ruth Freydanks (1977) Studie zum Verhältnis von Museum und Besucher aufgeführt werden, welche die Ergebnisse mit marxistischleninistischen Theorien erklärt. Nach der Wiedervereinigung haben einige Studien zur kulturellen Teilhabe zwischen Ost- und Westdeutschland differenziert, um damit auch die Auswirkungen einer unterschiedlichen kulturellen Sozialisation abzubilden (z.B. Allensbach Institut für Demoskopie 1991, Kuchenbuch 2005) oder historische Unterschiede des Angebots deutlich zu machen (z.B. Prommer 1999).
5.2 D IE S EKUNDÄRANALYSE 5.2.1 Methodisches Vorgehen Die folgende Sekundäranalyse von Kulturpublikumsstudien ermittelt den gegenwärtigen empirisch quantitativ überprüften Wissensstand zum Forschungsgegenstand der Nicht-Besucher öffentlich geförderter Kultureinrichtungen. Es erfolgt weniger ein Vergleich oder eine Kritik der Einzelstudien, sondern eine Analyse der relevanten Ergebnisse mit dem Ziel einer Systematisierung. Aufgrund der geringen Grundlagen können keine zeitverlaufsspezifischen Aussagen
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ermittelt werden. Es wird lediglich eine Momentaufnahme der Nicht-Besucher der letzten 25 Jahre vorgestellt werden können. Die Sekundäranalyse entsteht zusammenfassend aus dem Material heraus und wird nicht durch ein vorab definiertes Raster geschaffen. Das methodische Vorgehen ist an die zusammenfassende qualitative Inhaltsanalyse von Mayring (2007) angelehnt. Alle Studien wurden ergebnisoffen gesichtet und erst im weiteren Forschungsprozess systematisiert.3 5.2.2 Theoretische Zugänge und Restriktionen Quantitative Forschung ist theorieüberprüfend, d.h. das Erhebungsinstrument basiert im besten Fall auf einer vorab durchdachten Theorie. In der Praxis scheint diese theoretische Qualität und Quantität allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt zu sein. Vor allem in pragmatischen, an Fragen des Betriebs orientierten Marketingstudien sind der Forschung zugrunde liegende Theorien nicht immer erkennbar. Der Begriff der Theorie beschreibt in diesem Verständnis die Idee, wie ein soziales Phänomen modellhaft beschrieben wird. Aus dieser Modellierung werden dann im Prozess der Operationalisierung Merkmale und Merkmalsausprägungen entwickelt, welche schließlich in ein Erhebungsinstrument einfließen. In der anstehenden Sekundäranalyse wäre es daher interessant, diese übergeordneten theoretischen Zugänge zu analysieren. Volker Kirchberg und Robin Kuchar (2013) haben in einer Meta-Studie 16 internationale Publikumsstudien auf diese theoretischen Zugänge hin untersucht. Sie unterscheiden dabei zwischen strukturalistischen und individualistischen Ansätzen, ergänzen klassische Theorien wie z.B. Pierre Bourdieus (1982) Feldtheorie oder Gerhard Schulzes (1993) Integration individualistischer Merkmale auch um neue Ansätze wie z.B. die Omnivorenthese oder makrogesellschaftliche Trends. Auch wenn die Autoren tendenziell ein Defizit in der theoretischen Fundierung der analysierten Studien feststellen, sammeln und ordnen sie somit die verschiedenen bestehenden sozialwissenschaftlichen Erklärungsansätze für Kulturbesuche. Allerdings beziehen sich diese auf die Besucher (unter anderem öffentlich geförderter) Kultureinrichtungen. In Bezug auf den Forschungsgegenstand der Nicht-Besucher stellen die Autoren jedoch fest: „Theoretisch basierte Erklärungen zum Nicht-Besuch wurden bisher kaum oder gar nicht formuliert.“ (Kirchberg und Kuchar 2013: 169). 3
Aufgrund eines verbesserten Leseflusses wird im Verlauf der Sekundäranalyse in Kapitel 5 auf ‚vgl.‘ in den Literaturbelegen im Fließtext verzichtet, wenn es sich um Fundstellen aus quantitativen Studien handelt.
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Diese Feststellung deckt sich mit den Erkenntnissen dieser Arbeit: Allein die geringe Anzahl von expliziten Nicht-Besucherstudien ist bereits ein erstes Indiz dafür, dass eine Suche nach verschiedenen theoretischen Erklärungsansätzen nicht ergiebig sein wird. Das aus diesem Forschungsdefizit notwendig gewordene Vorgehen dieser Arbeit, bestehende Publikumsstudien auf die (verhältnismäßig wenigen) Erkenntnisse über Nicht-Besucher hin zu untersuchen, ist zudem ein weiterer gewichtiger Grund, dass über einzelne Merkmale hinausgehende Zusammenhänge im Sinne einer Nicht-Besuchertheorie nicht zu erwarten sind. Allerdings beeinflusst noch eine weitere theoretische Restriktion diese Sekundäranalyse: Die Relevanz eines standardisierten Merkmals ergibt sich erst durch seine empirische Überprüfung. Demnach läge es nahe, in der folgenden Ergebnisdarstellung die Merkmale jeweils mit konkreten Prozentzahlen im Sinne von univariaten Häufigkeitsanalysen zu verbinden. Dies wäre z.B. der prozentuale Anteil der Bevölkerung, welcher aufgrund von zu hohen Eintrittspreisen öffentlich geförderte Kultureinrichtungen nicht besucht. Allerdings verbieten die unterschiedlichen theoretischen und methodischen Prämissen des sehr heterogenen Datenmaterials ein solches Vorgehen. Auch Kirchberg und Kuchar warnen vor einem zu pragmatischen Vorgehen: „Ein ‚lockerer‘ Umgang mit Kulturnutzungsdaten aus unterschiedlichen Quellen mit unklaren motivierenden, methodischen und theoretischen Hintergründen macht eine sorgfältige Überprüfung theoretischer Hypothesen im Vergleich zurzeit nicht möglich.“ (Kirchberg und Kuchar 2013: 185)
Dies entspricht auch einem wesentlichen Resultat einer umfangreichen MetaStudie zur kulturellen Teilhabe des US-amerikanischen Sozialforschers Mark Schuster (2007). Sein ursprüngliches Ziel war es, kulturelle Teilhabe in 35 unterschiedlichen Ländern anhand von 20 internationalen Studien zu vergleichen. Im Arbeitsprozess stellte es sich allerdings heraus, dass diese angestrebte Vergleichbarkeit nicht möglich war. So beschreibt er seinen Erkenntnisgewinn nach der Auswertung der Studien: „But what I actually discovered is that the variations in design greatly complicated my ability to author a coherent account of the meaning and significance of the results.“ (Schuster 2007: 135)
Die Gründe für diese Unvergleichbarkeit liegen nach Schuster vor allem in den unterschiedlichen Kultur- und Teilhabebegriffen der Studien. Beispielsweise zählen anglo-amerikanische Studien Zoobesuche als Kulturbesuche (vgl. Schus-
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ter 2007). Eine deutsche Studie wählte Zoobesuche hingegen explizit als Merkmal zur Konstruktion einer nicht museumsaffinen Kontrollgruppe (vgl. Klein, H.-J. et al. 1981). So wie Mark Schuster also auf ein internationales ‚Ranking‘ der kulturellen Teilhabe verzichten musste, können auch in der folgenden Darstellung der Merkmale zu Nicht-Besuchern keine prozentualen Vergleiche gemacht werden. Der Versuch der Darstellung der Teilhabe der deutschen Bevölkerung an öffentlich geförderten Kultureinrichtungen wird schnell zeigen, dass die theoretischen und methodischen Prämissen der Studien zu sehr unterschiedlichen und eigentlich unvergleichbaren Ergebnissen führen werden. Gerhard Schulze schlägt daher für die Ergebnisdarstellung quantitativer Sozialforschung grundsätzlich vor, „Transformationen in wesentlich gröbere Kategorien vorzunehmen“ (Schulze 1993: 569). Das bedeutet, dass die verhaltensrelevanten Aspekte für den weiteren Verlauf dieser Arbeit recht schnell in drei grobe Kategorien unterteilt werden, ohne z.B. zu diskutieren ob nun circa 8% (Opaschowski 1988: 127), etwa 10% (Mandel 2013: 20) oder auf die Nachkommastelle genau 12,7% (Frank et al. 1991: 343) der deutschen Bevölkerung das Kernpublikum öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen ausmachen. Die Sichtung einer hohen Zahl von Studien führt schnell zu einem gewissen theoretischen Sättigungsgrad bezüglich dieser Fakten: Dieses Kernpublikum macht nur einen kleinen Teil der Gesamtbevölkerung aus und unabhängig der unterschiedlichen methodischen und theoretischen Prämissen ist dieses (Miss-)Verhältnis in allen Studien erkennbar. Somit werden auch bei der Darstellung der verschiedenen Merkmale zu Nicht-Besuchern nur dann relative Zahlen an die Beschreibung herangezogen, wenn diese unabhängig von ihrer spezifischen Entstehung Aufschlüsse über bemerkenswerte Sachverhalte leisten, wie beispielsweise besonders hohe Werte oder eindeutige kausale Beziehungen. Der mit diesem Kapitel versprochene ‚quantitative Blick‘ ist also weniger ein einfacher Blick auf Zahlen und mehr der Versuch den inhaltlichen Status quo der quantitativen Nicht-Besucherforschung abzubilden, also zu analysieren welche Merkmale bisher standardisiert erforscht wurden.
5.3 N ICHT -B ESUCHE
ALS VERHALTENSRELEVANTES
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Wenn nun im Sinne sozialer Ungleichheitsforschung und angelehnt an den ‚Verwirklichungschancen‘-Ansatz nach Amartya Sen die (nicht gegebenen) Teilhabechancen und deren (nicht erfolgte) Verwirklichung analysiert werden
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sollen, bedarf es zuerst einer recht einfachen statistischen Darstellung der Teilhabe. Es muss im Sinne der sozialen Ungleichheitsforschung festgestellt werden, ob Menschen „von den ‚wertvollen Gütern‘ einer Gesellschaft regelmäßig mehr als andere erhalten“ (Hradil 2001: 30). Dies erfolgt in diesem Kapitel über die Darstellung der bestehenden empirischen quantitativen verhaltensrelevanten Erkenntnisse zu (Nicht-)Besuchen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen. 5.3.1 Besuchs- und Nicht-Besuchsdimensionen Nicht-Besucher zeichnen sich durch eine nicht erfolgte Besuchsaktivität kultureller Veranstaltungen aus. Aus der Perspektive der empirischen Sozialforschung handelt es sich dabei um ein verhaltensrelevantes Merkmal bzw. eben um kein Verhalten. Da Inaktivität als Verhalten empirisch nicht unmittelbar messbar ist, bedarf es mittelnder Verfahren: Zum einen kann das Merkmal des nicht erfolgten Besuchs in der Vergangenheit in einem Interview erfragt werden, wobei der Befragte eine Erinnerungsleistung erbringen muss. Zum anderen können die tatsächlichen Besuche von Kulturveranstaltungen auch in Primärquellen erfasst werden. So liegen beispielsweise Publikationen der Statistischen Ämter zur kulturellen Teilhabe vor (z.B. Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008, Destatis 2011). Ebenfalls existieren regelmäßige Erhebungen der Besucherzahlen einzelner Kultursparten (z.B. Deutscher Bühnenverein div. Jahre, Institut für Museumskunde 2004). Werden diese „harten Fakten“ (Klein, H.-J. 1997: 28, Institut für Museumskunde 2004: 10) der tatsächlichen Bevölkerungszahl gegenübergestellt, können dadurch Aussagen über die Zahl der Nicht-Besucher in einem definierten Gebiet errechnet werden. Dabei wird die Zahl der messbaren Besucher von einer vorab zu definierenden Grundgesamtheit subtrahiert. Die Differenz ergibt die absolute oder relative Zahl der dortigen Nicht-Besucher. Da Nicht-Besuche jedoch nicht als aktives Verhalten durch Primärbeobachtungen erfasst werden können und demnach einstellungsrelevante und somit auf Meinung und Erinnerung der Befragten basierende Verfahren relevant sind, ist der Nutzwert der sogenannten Differenzmethode für Nicht-Besucherforschung begrenzt, denn „mehr als das Faktum des Fernbleibens ist auf diesem Weg nicht zu ermitteln“ (Klein, H.-J. 1981: 84, Hervorh. i. Orig.).4 Diese ‚harte‘ Definition von Nicht-Besuchern nach erfolgter oder nicht erfolgter Aktivität würde ohne weitere Einschränkungen jedoch dazu führen, dass lediglich diejenigen gezählt werden könnten, welche noch niemals (im Leben) 4
Sind zudem sozio-demographische Daten über die Besucher vorhanden, können mittels der Differenzmethode auch ansatzweise Aussagen zu unter- bzw. überrepräsentierten Zielgruppen gemacht werden.
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eine Kultureinrichtung besucht haben. Da Nicht-Besucherforschung jedoch binnendifferenzierende Aussagen treffen möchte, bestimmen zwei weitere Faktoren die grundsätzliche Definition: Der Ort und die Zeit. Örtliche Kennzeichen schränken Nicht-Besuche auf ein zu definierendes Gebiet ein, beispielsweise eine Stadt, eine bestimmte Einrichtung oder eine Kultursparte. Zeitliche Kennzeichen begrenzen einen relevanten Zeitraum. Das kann beispielsweise das Kulturbesuchsverhalten im Laufe der Biografie sein. Mit Hilfe dieser beiden einschränkenden Faktoren wird folgende Kerndefinition von Nicht-Besuchern formuliert: Nicht-Besucher zeichnen sich dadurch aus, dass sie an einem definierten Ort, innerhalb eines definierten Zeitraumes, eine bestimmte Anzahl von Besuchen unterschritten haben.
Der Ort kann sich sowohl auf eine Gebietskörperschaft (z.B. Stadt, Region), als auch auf bestimmte Einrichtungen (z.B. ein bestimmtes Museum, alle öffentlich geförderten Theater) beziehen und selbstverständlich auch die Gesamtbevölkerung Deutschlands mit einschließen. Während sich die Wahl des Ortes aus der Grundfragestellung der Forschung ergibt5, kann die Definition der Anzahl der Mindestbesuche innerhalb eines Zeitraums durch den Forscher bestimmt werden. Studien, welche sich explizit mit Nicht-Besuchern auseinandersetzen, definieren diese nicht immer durch radikale Inaktivität, sondern gestehen ihnen gelegentliche Kulturbesuche zu: Die Studie des Deutschen Bühnenvereins definiert Nicht-Besucher als diejenigen Befragten, welche in den letzten drei Jahren keine Theateraufführung und maximal ein Musical oder eine Festspielaufführung besucht haben (Deutscher Bühnenverein 2003: 3). Hans-Joachim Kleins Studien zu Museumsbesuchern klassifizieren einen Besuch pro Jahr (Klein, H.-J. 1997: 30) oder ein bis zwei Besuche von Museen eines bestimmten Ortes (Klein, H.-J. et al. 1981: 112) ebenfalls noch als ‚Nicht-Besucher‘. Dieses Zugeständnis an Besuchen erfordert jedoch eine Normierung der Anzahl der Besuche in einem bestimmten Zeitraum, ab denen das Individuum definitorisch vom Nicht-Besucher zum Besucher wird. Zwar können diverse Argumente eine solche Bestimmung untermauern (z.B. Erfahrungswerte, Vergleiche mit anderen Freizeitbeschäftigungen), letztlich bleiben diese jedoch immer ein Stück weit willkürlich (vgl. Frank et al. 1991: 302). Es existieren zudem auch
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Beispielsweise beschränkt sich die kulturpolitische Auftragsstudie zu Theaterbesuchern in Frankfurt am Main auf die dortige Bevölkerung (vgl. Brauerhoch 2004), die sogenannte Karlsruher Verbandsstudie zur Museumsnutzung auf Karlsruhe (vgl. Klein, H.-J. et al. 1981).
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keine politischen, pädagogischen oder philosophischen Vorgaben, wie viele Kulturbesuche aus diesen Perspektiven ‚wünschenswert‘ wären. Wöchentliche Besuche werden äußerst selten als relevantes Kriterium gewählt, da die Ergebnisse bei Kulturveranstaltungsbesuchen 1% der Befragten oft nicht übersteigen (Media Perspektiven 2001: 155). Solch ein kurzer Zeitraum ist vor allem bei Fragestellungen sinnvoll, welche nicht primär Kulturbesuche abfragen, sondern Aktivitäten untersuchen, denen strukturell häufiger nachgegangen wird, beispielsweise Mediennutzung oder eigene künstlerische Tätigkeiten (Media Perspektiven 2001: 155). Zur Feststellung regelmäßiger Kulturbesuche werden häufig monatliche Besuche als Kriterium gewählt (Klein, H.-J. et al. 1981: 110, Klinger 2003: 311, Allensbach Institut für Demoskopie 1991: 44, Fohrbeck und Wiesand 1980: 98). In Bezug auf Nicht-Besucher stößt diese methodische Entscheidung dahingegen an die Grenze, dass beispielsweise ein Besuch alle zwei Monate bereits zur Kategorisierung als Nicht-Besucher führen würde. Die Ermittlung von mindestens einem Kulturbesuch in den letzten sechs Monaten (Fohrbeck und Wiesand 1980: 98, Frank et al. 1991: 302) lässt im Falle einer Unterschreitung bereits eher die Klassifikation als Nicht-Besucher zu. Zur Darstellung der Nicht-Besucher werden jedoch auffällig oft Nicht-Besuche innerhalb eines Jahres herangezogen (Wiesand 1975: 10, Hood 1983: 52, Martin und Breu 1994: 131, Klein, H.-J. 1997: 30, Keuchel 2003: 28, Arts Council 2004: 96). Dadurch werden auch zufällige Besuche ausgeschlossen. Der Zeitraum innerhalb sechs bis 12 Monate scheint somit ein sinnvolles zeitliches Kriterium zu sein, um Nicht-Besucher als heterogene Gruppe zu analysieren und dem Spannungsfeld eines wünschenswerten, langen Zeitraums und der Problematik der Erinnerungsleistung der Befragten gerecht zu werden. 5.3.2 ‚Harte Fakten‘ – Besucherzahlen von Kultureinrichtungen Die bestehenden statistischen Berichte von Kultureinrichtungen oder deren Interessensverbänden können in Bezug zur Bevölkerungszahl gesetzt werden um Aussagen zu Nicht-Besuchern zu machen. Zwei wesentliche Aspekte schränken diese Darstellung ein: Zum einen wird bei diesem Zählen von verkauften Tickets nicht beachtet, „dass sich der Indikator auf Besuche, jedoch nicht Besucher bezieht, da ein Besucher pro Saison mehrmals ins Theater gehen kann“ (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 24, Hervorh. i. Orig.). Zum anderen führen auswahlspezifische Entscheidungen zu unterschiedlichen Ergebnis-
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sen: So erheben beispielsweise die jährlichen statistischen Publikationen des Deutschen Bühnenvereins ausschließlich Theater innerhalb des Verbandes. Werden letztere Einschränkungen zu Gunsten einer Grundfragestellung, welche eben öffentlich geförderte und damit auch von den Studien erhobene Einrichtungen erforscht, ignoriert, so können trotz dieser Unschärfe aufschlussreiche Kontrollvariablen für die Bewertung der Aussagekraft von auf Erinnerungsvermögen basierenden Befragungen genutzt werden. Der Deutsche Bühnenverein zählte beispielsweise in der Theatersaison 2005/2006 insgesamt 18.997.322 Besuche (Deutscher Bühnenverein 2005/06: 247)6. Abstrahiert angenommen, jeder Besuch wird von einem anderen Besucher aus Deutschland getätigt, ergäbe das bei einer Bevölkerungszahl von 82.351.000 (Statistisches Bundesamt 2008) einen Theaterbesucheranteil von 23%. Diese Zahl – sowie der daraus resultierende relative Nicht-Besucheranteil von 77% – ist somit Kontrollvariable für erinnerungs- und meinungsbasierte Zahlen: Diese dürften diese Zahlen nicht überschreiten. Es können demnach in der Saison 2005/06 nur maximal 23% der deutschen Bevölkerung ein Theater besucht haben. In Bezug auf Museumsbesuche funktioniert diese Kontrollrechnung nicht, da die Museumsbesuche beispielsweise 2006 mit 102.600.000 die Gesamtzahl der deutschen Bevölkerung überschritten haben (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 20). 5.3.3 Auf Befragungen beruhende Zahlen Es ist anzumerken, dass die nun aufgeführten Besucherquoten auf standardisierten Befragungen repräsentativer Teilmengen basieren und in der Regel statistisch auf eine Grundgesamtheit hochgerechnet werden, welche meistens die deutsche Bevölkerung darstellt. Auf Grund der bei einer Befragung nach der Besuchsaktivität in einem bestimmten Zeitraum notwendigen Erinnerungsleistungen der Befragten sind somit Unschärfen möglich. Lassen sich konkrete Erkenntnisse mit auf forschungsökonomisch aufwändigere Methoden der Beobachtung zurückgehende Ergebnisse vergleichen, so können Diskrepanzen offenkundig werden: Beispielsweise kritisierte der Deutsche Bühnenverein die seiner Meinung nach zu hohen Theaterbesucherquoten der Befragungsergebnisse des 8. Kulturbaro6
Die Zahl ergibt sich durch die Summierung der Zahlen der Einzelsparten Oper, Ballett, Operette, Musical, Schauspiel, Kinder- und Jugendtheater, Konzert und sonstigen Veranstaltungen. Weitere Grundgesamtheiten, wie sie beispielsweise in den Publikationen der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder definiert werden, kommen zu 34.82.500 Besuchen in der Saison 2005/2006. Diese Zahlen beruhen jedoch unter anderem auch auf Besucherschätzungen und sind demnach in diesem Zusammenhang ungeeignet (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2008: 24).
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meters (Zentrum für Kulturforschung 2005): Denn seine eigene, auf tatsächliches Zählen der Theaterbesuche zurückgehende Theaterstatistik führte „erheblich niedrigere Besucherzahlen“ (Lennartz 2006) auf. Ebenfalls wiesen die tatsächlichen Besucherzahlen von Kölner Kultureinrichtungen deutliche Abweichungen von den auf einer Befragung basierenden Ergebnissen des kommunalen Mikrozensus zur kulturellen Teilhabe auf (Martin und Breu 1994: 115). 5.3.3.1 Keine Kulturbesuche bei expliziter Nennung Folgende relative Zahlen beziehen sich auf die Nicht-Besucher der studienspezifischen Grundgesamtheit der Befragungen. Die Reihenfolge ergibt sich in Bezug auf die relative Größe des Nicht-Besucheranteils.7 • • • • • • • • • • • • • • • • • •
7
85% Nicht-Besucher von Museen (Klein, H.-J. 1997: 37) 82% keine Ballettbesuche in 12 Monaten (Depner-Berger 2008: 4) 58% seit Jahren keine Theaterbesuche mehr (Ostdeutschland) (Allensbach 1991: 44) 76% seltene oder keine Besuche von klassischen Konzerten (Stern 2000: 534) 71% keine ‚ab und zu‘ Besuche im Theater (Gerdes 2000: 4) 55% seltene oder keine Besuche im Museum (Stern 2000: 534) 55% seltener als 1x im Monat im Museum (Klein, H.-J. 1981: 110) 54,7% überhaupt keine Besuche im Museum (Eisenbeis 1990: 19) 51% seit Jahren kein Konzertbesuch (Ostdeutschland) (Allensbach 1991: 44) 46% seit Jahren keine Theaterbesuche mehr (Westdeutschland) (Allensbach 1991: 44) 46% überhaupt keine Museumsbesuche (Hood 1983: 54) 45% überhaupt keine Opern- oder Theaterbesuche (Opaschowski 2005: 212) 40% Nicht-Besucher von Museen (Klein, H.-J. 1981: 112) 39% keine Museumsbesuche in 12 Monaten (Depner-Berger 2008: 4) 38% seit Jahren kein Konzertbesuch (Westdeutschland) (Allensbach 1991: 44) 37% überhaupt keine Konzertbesuche (Media Perspektiven 2001: 155) 35% Nie-Besucher von Museen (Rombach 2007: 117) 30% keine Besuche von Kulturveranstaltungen in 12 Monaten (Keuchel 2003: 28)
Selbstverständlich wären auch andere Ordnungsprinzipien, wie beispielsweise nach Sparten, möglich.
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26% überhaupt keine Besuche von Kulturveranstaltungen (Media Perspektiven 2001: 155) 24% seltene Besuche von Kulturveranstaltungen (Opaschowski 2005: 202) 23% länger als ein Jahr keine Museumsbesuche (Klein, H.-J. 1981: 110) 16% über 50jährige, die seit mindestens 50 Jahren keine Besuche von Kulturveranstaltungen gemacht haben (Keuchel 2008: 80) 15% notorische Nichtbesucher von Museen (Klein, H.-J. 1981: 110) 11,1% Typologie ‚Kulturferne‘ (Frank 1991: 345ff)
5.3.3.2 Keine Kulturbesuche mittels Differenzmethode errechnet Folgende relative Zahlen zu Nicht-Besuchern werden mit Hilfe der Differenzmethode über die Ergebnisse der tatsächlichen Besuche errechnet. • • • • • • • • • • • •
3% besuchen mindestens 1x im Monat ein Theater oder ein Museum, also 97% Nicht-Besucher (Reinhardt 2014: 8) 5% besuchen mindestens 1x im Monat ein Theater (Ostdeutschland), also 95% Nicht-Besucher (Allensbach 1991: 44) 5-10% besuchen keine Theater, also 90-95% Nicht-Besucher (Damas 1995: 85) 6% besuchen regelmäßig klassische Konzerte, also 94% Nicht-Besucher (Eckhardt 2006: 273) 7% besuchen mindestens 1x im Monat ein Konzert (Ostdeutschland), also 93% Nicht-Besucher (Allensbach 1991: 44) 8% besuchen häufig Theater oder Konzerte, also 92% Nicht-Besucher (Opaschowski 1988: 127) 8,3% besuchen in den letzten 6 Monaten mindestens ein klassisches Konzert, also 91,7% Nicht-Besucher (Frank 1991: 217) 8,7% besuchen in den letzten 6 Monaten mindestens ein Musiktheater, also 91,3% Nicht-Besucher (Frank 1991: 217) 10,3% Besucherreichweite bei klassischer Musik, also 89,7% NichtBesucher (IDVK 2000) 12% besuchen mindestens 1x im Monat ein Konzert (Westdeutschland), also 88% Nicht-Besucher (Allensbach 1991: 44) 12,7% Kernpublikum von Kulturveranstaltungen, also 87,3% NichtBesucher (Frank 1991: 343) 13% besuchen mindestens 1x im Monat ein Theater (Westdeutschland), also 87% Nicht-Besucher (Allensbach 1991: 44)
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13,4% Besucherreichweite von Opern und Operetten, also 86,6% NichtBesucher (IDVK 2000) 14% besuchen mindestens 1x im Monat ein klassisches Konzert, also 86% Nicht-Besucher (Klinger 2003: 311) 20% der Europäer besuchen in den letzten 12 Monaten eine Musiktheateroder Tanzaufführung, also 80% Nicht-Besucher (Europäische Kommission 2007: 12) 20% besuchen in den letzten 6 Monaten mindestens ein Theater, also 80% Nicht-Besucher (Frank 1991: 188) 20% besuchen Museen, also 80% Nicht-Besucher (Kirchberg 1996: 160) 21% besuchen im letzten Jahr ein Musiktheater, also 79% Nicht-Besucher (Wiesand 1975: 8) 23% Theaterbesucher in Relation zur Gesamtzahl der deutschen Bevölkerung, also 73% Nicht-Besucher (DBV 2005/06: 247) 23,3% besuchen in den letzten 6 Monaten mindestens ein Museum, also 76,7% Nicht-Besucher (Frank 1991: 250) 24% besuchen im letzten Monat mindestens ein Theater, also 76% NichtBesucher (Klinger 2003: 311) 26% besuchen in den letzten 9 Monaten mindestens ein Theater, also 74% Nicht-Besucher (Berger 1978: 59) 30% der Europäer besuchen im letzten Jahr mindestens ein Theater, also 70% Nicht-Besucher (Europäische Kommission 2013: 1) 30% besuchen im letzten Monat mindestens ein Museum, also 70% NichtBesucher (Klein, H.-J.1981: 110) 44% der Europäer besuchen im letzten Jahr mindestens ein Museum, also 56% Nicht-Besucher (Europäische Kommission 2013: 1)
Auffällig ist zuerst die enorme Streuung und teilweise auch Widersprüchlichkeit der Ergebnisse sowohl innerhalb als auch in der Kombination beider Auflistungen. Je nach Studie liegt der Nicht-Besucheranteil zwischen 11% und 97%! Bereits 1985 ermittelte Harald Hilger in einer Zusammenstellung der damals bekannten Ergebnisse zu Theaterbesuchen Unterschiede zwischen 5 und 42% der theateraktiven Bevölkerung (Hilger 1985: 187). Die relevanten Gründe liegen in den oben genannten methodischen und theoretischen Restriktionen. In den Studien mit expliziten Nicht-Besucherquoten werden mit wenigen Ausnahmen vor allem Nicht-Besucheranteile zwischen circa 20% und 50% genannt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Arbeiten, welche Nicht-Besucher explizit erforschen, diese auch stärker ausdifferenzieren. Die expliziten Quoten stellen somit ein ‚radikaleres‘ Verständnis von Nicht-Besuchern bzw. Nie-
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Besuchern dar. Deutlich wird, dass etwa die Hälfte der Bevölkerung zu denjenigen zählt, welche nie oder nur äußerst selten Kulturveranstaltungen besuchen. Besondere spartenspezifische Unterschiede sind nicht erkennbar. Somit ist nach diesem Kenntnisstand anzunehmen, dass diejenigen, welche überhaupt nie Kulturveranstaltungen besuchen, analog zum aktiven Besuchertyp des ‚Kulturflaneurs‘8 in keiner einzelnen Kultursparte, sondern in allen Bereichen abstinent bleiben. Über die Differenzmethode errechnete Nicht-Besucheranteile weisen mit bis zu 97% Nicht-Besucheranteilen weitaus höhere Werte auf, als unmittelbare Ergebnisse der ersten Auflistung. Die Ergebnisse der Differenzmethode basieren auf Fragestellungen, welche die tatsächlichen Besuche abfragen und demnach eher dort binnendifferenzieren. Dies ist auch in den Spitzenwerten zwischen 86% und 97% ersichtlich: Diese beziehen sich alle auf regelmäßige Besuche innerhalb eines Monats. Es fällt die hohe Präsenz von auf Theater- und Konzertbesuche fokussierte Studien in diesen Spitzenwerten auf. Demnach lässt sich die Tendenz feststellen, dass regelmäßige Theater- und Konzertbesuche noch seltener vorkommen als Museumsbesuche. Diese werden immerhin von ca. 30% monatlich besucht. Hier wird zudem das enge Potenzial des Kulturpublikums deutlich: Circa 5 bis 15% der Bevölkerung besuchen nach diesen Ergebnissen regelmäßig, also in monatlichen Abständen Kulturveranstaltungen. Mit zunehmend längeren Besuchszeiträumen steigen die Besuchszahlen. Die analog fallenden NichtBesucheranteile unterschreiten jedoch in keiner Studie den Wert von 50%. Dies bestätigt die These, dass die Hälfte der Bevölkerung Kulturveranstaltungen nie oder seltener als einmal pro Jahr besucht. Die regelmäßigen Besucher fallen nicht in das Interessensgebiet der Nicht-Besucherforschung. Interessant für folgende Untersuchungen sind jedoch neben den Nie-Besuchern diejenigen, welche zum weiten Potenzial gehören, also immerhin gelegentlich Kulturveranstaltungen besuchen. Deren Anteil an der Bevölkerung liegt im Falle von 50% NieBesuchern und circa 15% regelmäßigen Besuchern demnach bei circa 35%. 5.3.4 Zusammenfassung •
8
Die Ergebnisse der bestehenden Studien zu Nicht-Besucher im verhaltensrelevanten Sinn basieren auf unterschiedlichen Definitionen, Zeiträumen und
Der Begriff ‚Kulturflaneur‘ beschreibt das spartenübergreifende Interesse des Kernpublikums (vgl. Keuchel 2003: 26, 2006: 51).
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methodischen Prämissen. Somit sind Vergleiche der Zahlen nur insofern sinnvoll, inwiefern Tendenzen aufgezeigt werden. Die Hälfte der Bevölkerung besucht überhaupt keine Kulturveranstaltungen. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand wird angenommen, dass sich diese Abstinenz auf alle Kultursparten bezieht. Spartenspezifische Unterschiede werden tendenziell bei regelmäßigen Besuchern deutlich: Demnach werden eher regelmäßig Museen, als Theater- und Konzertveranstaltungen besucht. Eine Übertragbarkeit dieses Verhaltens auf ein potenzielles Interesse der Nicht-Besucher ist nicht bestätigt. Das Potenzial derjenigen, welche regelmäßig Kulturveranstaltungen besuchen, liegt zwischen 5 und 15% der Bevölkerung. Das Potenzial der Gelegenheitsbesucher, welche seltener als einmal pro Monat, aber mindestens einmal pro Jahr Einrichtungen besuchen, liegt zwischen 35 und 45%.
Es ist also festzustellen, dass bezüglich der Teilhabe öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen in Deutschland eine ungleiche Verteilung existiert. ‚Kultur für alle‘ (vgl. Hoffmann 1981) ist also rein statistisch nicht in dem Sinne vorhanden, dass alle Menschen entsprechende Besuchsaktivitäten aufzeigen. Ausgehend von Amartya Sens ‚Verwirklichungschancen‘-Ansatz ist demnach zu fragen: Wie ist diese ungleiche Verteilung zu erklären? Geht die Nicht-Aktivität auf fehlende Verwirklichungschancen zurück? Oder ist diese eine Folge in Freiheit getroffener Entscheidungen gegen den Besuch entsprechender Veranstaltungen? Bei den Gelegenheitsbesuchern scheinen die Verwirklichungschancen zu existieren. Entsprechend stellt sich die Frage, welche – auch von Einrichtungen ausgehenden – Barrieren potenzielle Besuche verhindern. Bei den Nie-Besuchern ist neben solchen Barrieren hingegen zu hinterfragen, mit welchen Merkmalen diese Gruppe zu beschreiben ist: Was sind also Voraussetzungen für diese Teilhabechancen? Wie können diese durch kulturpolitische und kulturmanageriale Interventionen gefördert werden? Und liegt das Veränderungspotenzial überhaupt im Handlungsfeld der Kulturpolitik oder müssen andere, gesellschaftspolitische Weichen gestellt werden, um diese Teilhabechancen für alle zu schaffen? Nach der Darstellung der Verhaltenszahlen folgen deshalb in den nächsten Schritten Analysen der bestehenden quantitativen Kulturpublikumsstudien nach einstellungsrelevanten Gründen und personenbezogenen Merkmalen. Die beiden relevanten Nicht-Besuchergruppen der Gelegenheits- und Nie-Besucher werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet:
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Gelegenheitsbesucher verfügen über Verwirklichungschancen und zeichnen sich durch eine latente Grundmotivation für Kulturbesuche aus, welche selten – aber immerhin – zu tatsächlichen Besuchen führen kann. Sie besuchen entsprechende Veranstaltungen, wenn sich mal die Gelegenheit ergibt. Aus Perspektive der Nicht-Besucherforschung interessieren demnach Barrieren, welche diese Motivationsprozesse unterbrechen. Nie-Besucher zeigen überhaupt kein Interesse für Kulturveranstaltungen, da diese in ihrer Lebenswelt keine Rolle spielen – sie verfügen offenbar über keine Verwirklichungschancen. Aus Perspektive der Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung sind deshalb Freizeitverhalten, sozio-demografischer Hintergrund sowie biografische Erlebnisse mit Kultur von Interesse, um darzustellen wie die Verwirklichungschancen entstehen und auch beeinflusst werden können.
Selbstverständlich sind Überschneidungen zwischen beiden Gruppen möglich. So können bestimmte Barrieren auch für Nie-Besucher relevant und ihr Abbau notwendig für potenzielle Kulturbesuche sein. Zudem sind auch die Ergebnisse bezüglich Freizeitinteresse und biografischen ästhetischen Erlebnissen von Gelegenheitsbesuchern interessant.
5.4 E IN M ODELL
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Diese beiden Teilgruppen der Nicht-Besucherforschung ergaben sich bereits nach der offenen und explizit nicht theoriegeleiteten Sichtung der bestehenden empirischen Studien. Aufgrund der mangelnden theoretischen Fundierung der deutschsprachigen Nicht-Besucherforschung existieren jedoch keine Modelle an welche diese Überlegungen anschließen könnten. Daher wird im Folgenden ein eigenes Modell der Nicht-Besucherforschung vorgeschlagen. Dieses ergänzt auch das recht abstrakte Teilhabemodell nach Amartya Sen. Einige thematische Anregungen für die Entwicklung eines eigenen Modells lieferte das Verhaltensmodell des englischen Departments for Culture, Media and Sports (DCMS 2007: 41f).
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Tab. 5: Modell der Nicht-Besucherforschung Einfluss
Folge
materielle Ressourcen und Rechtsansprüche
Möglichkeiten der Teilhabe
persönliche und gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren
Verwirklichungschancen
Interesse an Theater, Museen, Konzerten,…
Besuchsmotivation
besuchsverhindernde Barrieren
unterbrochener Entscheidungsprozess
Dimension
NichtBesucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung
NichtBesucherforschung als Barrierenforschung
Das Modell verdeutlicht die beiden Phasen der Nicht-Besucherforschung: Ausgehend von Amartya Sens Ansatz der ‚Verwirklichungschancen‘ eröffnen bestimmte materielle und rechtliche Ressourcen wie z.B. die bloße Existenz von Kultureinrichtungen die Möglichkeit der Teilhabe. Es bedarf allerdings persönlicher und gesellschaftlicher Umwandlungsfaktoren, um daraus Verwirklichungschancen zu entwickeln. Diese Chancen sind Voraussetzung für kulturelles Interesse und damit verbunden für die Motivation öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen zu besuchen. Ein daraus resultierender Motivationsprozess kann dann durch verschiedene Einflüsse unterbrochen werden. Ein Modell der Nicht-Besucherforschung, welches ausschließlich diese besuchsverhindernden Barrieren untersuchen würde, entspräche den behavioristischen Erklärungsansätzen des Käuferverhaltens in der Betriebswirtschaftslehre. Solche sogenannte ‚BlackBox-Modelle‘ erforschen nur Merkmale, welche empirisch standardisiert einfach zu erheben sind und gehen somit davon aus, „dass psychische Prozesse des Konsumenten nicht beobachtbar sind und daher nicht Gegenstand der Untersuchungen sein sollten“ (Meffert et al. 2008: 101). Demgegenüber integrieren neobehavioristische oder kognitive Erklärungsansätze weitere Einflussfaktoren auf die Besuchsentscheidung, welche auch auf den Werten und lebenslangen Erfahrungen der Menschen beruhen und die Entscheidungsfindung durch ein Zusammenspiel interner (z.B. Sozialisation, Kenntnisse, Vorlieben) und externer (z.B. kulturelle Infrastruktur, Kommunikationsbemühungen der Einrichtungen) Faktoren beschreiben (vgl. Klein, A. 2001: 122). Das Modell dieser Arbeit folgt diesen
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Überlegungen und geht noch darüber hinaus. Um also besuchsverhindernde Barrieren zu erforschen und gegebenenfalls abzubauen muss untersucht werden, welche Faktoren dazu führen, dass das zugrunde liegende Interesse am Besuch kultureller Veranstaltungen überhaupt entstanden ist. Verschiedene soziodemografische Merkmale oder sozialisationsbedingte Hintergründe sollen Erklärungen liefern, weshalb bestimmte Umwandlungsfaktoren eben nicht zu Verwirklichungschancen und damit auch nicht zur grundsätzlichen Besuchsmotivation führen. Die Motivation eine Kulturveranstaltung zu besuchen ist zentraler Mittelpunkt dieses Modells. Dies bedarf allerdings einer verhaltenswissenschaftlichen Begriffsschärfung: Ein Motiv beschreibt demnach die grundsätzliche „Bereitschaft eines Individuums zu einem bestimmten Verhalten“ (Meffert et al. 2008: 119) und ist Ursprung jeglicher Handlung. Motive oder gleichbedeutend auch Bedürfnisse sind auf in der Persönlichkeit verankerte grundsätzliche Eigenschaften wie z.B. Hilfsbereitschaft, Macht oder Leistung zurückzuführen, müssen jedoch keine spezielle zielgerichtete Handlung zur Folge haben (vgl. Klein, A. 2001: 121). So kann beispielsweise das Motiv der Selbstverwirklichung sowohl in der Komposition eines Oratoriums, wie auch in der Verschönerung des eigenen Balkons münden. Weiter differenziert die Motivationspsychologie zwischen impliziten Motiven, die „in der frühen Kindheit gelernte, emotional getönte Präferenzen“ darstellen und expliziten Motiven, also „bewusste, sprachlich repräsentierte Selbstbilder, Werte und Ziele, die sich eine Person selbst zuschreibt“ (Heckhausen und Heckhausen 2010: 5) und stärker von sozialen Bedingungen beeinflusst werden. Diese persönlichkeitsbedingten Faktoren müssen nun von einem „dazu passenden Anreiz angeregt werden“ (Brunstein 2010: 243), um auf ein folgendes Verhalten einwirken zu können. Erst das Zusammenspiel von Motiven mit diesen situationsbedingten Anreizen führt schließlich zu Motivation, welche als Impuls für eine Handlungsabsicht in prozessualen Modellen somit an deren Anfang steht. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, ob Besuche kultureller Veranstaltungen zu den menschlichen Grundmotiven zählen. Primäre Motive wurden nicht erlernt, sondern sind auf biologische Triebe zurückzuführen (vgl. Meffert et al. 2008: 119). Sie werden unmittelbar mit der Bedürfnisbefriedigung gestillt, z.B. Durst durch Trinken. Im Gegensatz zu im Laufe des Lebens entwickelten sekundären Motiven, gelten die Primärmotive bei jedem Menschen. Einige in der Geschichte der Verhaltenswissenschaften entstandene Inhaltsmodelle stellen diese primären Motive zusammen und versuchen sie zu klassifizieren. Die drei bekanntesten Vertreter dieser Bedürfnis-Theorien John McDougall, Henry Muray und Abraham Maslow (vgl. Scheffer und Heckhausen 2010: 52) kommen
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zwar jeweils zu einer unterschiedlichen Anzahl, ihre Theorien beinhalten aber alle auch Grundmotive, welche auch zur Motivation des Besuchs einer kulturellen Veranstaltung führen könnten. Dazu zählen beispielsweise bei McDougall „Neugierde“ oder bei Murray „Spiel, Verstehen und Wissensdrang“ (Scheffer und Heckhausen 2010: 53-55). Die empirisch zwar nicht besonders fundierte, aber vor allem in der Betriebswirtschaftslehre populäre (vgl. Meffert et al. 2008: 119) Bedürfnis-Theorie von Abraham Maslow klassifiziert in einer Pyramide hierarchisch die menschlichen Grundmotive in dieser Reihenfolge nach physiologischen Bedürfnissen, Bedürfnissen nach Sicherheit, sozialen Bindungen, Selbstachtung und schließlich Selbstverwirklichung (vgl. Maslow 1977: 74). Diese Hierarchisierung besagt, „dass zunächst immer die Bedürfnisse der niedrigeren Gruppe befriedigt sein müssen, ehe ein höheres Bedürfnis überhaupt aktiviert wird und das Handeln bestimmen kann“ (Scheffer und Heckhausen 2010: 57). Besuche kultureller Veranstaltungen würden demnach dem Selbstverwirklichungsmotiv zugerechnet werden. Dieses ist nach Maslow ein Wachstumsmotiv und wird nicht mit der Handlung gestillt, sondern wächst vielmehr mit der Erfüllung. Nicht-Besucherforschung kann aus dieser Theorie die Erkenntnis ziehen, dass Motivation kulturelle Aktivitäten durchzuführen erst dann entstehen kann, wenn die anderen Motive gestillt wurden. Dies ist in einigen empirischen Studien auch ansatzweise erkenntlich. So stellt Hans-Joachim Klein fest, dass „Arbeitslose und ihre Angehörigen zu großen Teilen anderes im Sinn haben, als ins Museum zu gehen“ (Klein, H.-J. 1990: 71). Darüber hinaus stellt sich bei all diesen Inhaltsmodellen jedoch als strukturelles Problem ein, dass Grundbedürfnisse mit unterschiedlichen Gegenständen gestillt werden, welche nicht unbedingt von dem Urbedürfnis abgeleitet werden können. Bereits beim Primärbedürfnis des Hungers wird deutlich, dass dieses sowohl mit einem trockenen Stück Brot, als auch mit einem Candle-Light-Dinner im Gourmetrestaurant gestillt werden kann, ohne dass die maslowsche Theorie hier weiterhilft. Bei allen Wachstumsbedürfnissen ist es noch schwieriger bis unmöglich, aus diesen quasi deduktiv auf Besuche öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen zu schließen. Dies liegt auch daran, dass vor allem die Wachstumsbedürfnisse bei Maslow so vage formuliert sind, dass sie „viel Raum für die subjektive Interpretation lassen“ (Scheffer und Heckhausen 2010: 59). Erika Wahl-Ziegler hat bereits früh angemerkt, dass kulturelle Bedürfnisse so unspezifisch seien, dass sie auch stets von anderen Angeboten jenseits beispielsweise des Theaters befriedigt werden könnten (vgl. Wahl-Ziegler 1975: 200). Die Modelle zeigen zwar Grundmotive auf, welche auch mit dem Besuch einer kulturellen Veranstaltung befriedigt werden könnten, es ist aber davon auszugehen, dass sekundäre – also durch die Sozialisation erlernte – Motive hierfür ausschlagge-
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bender sind. Somit sind diese aufgeführten Modelle auch nicht hilfreich um beispielsweise Alternativtätigkeiten zu Theater- oder Museumsbesuche zu erforschen, welche die Befriedigung etwaiger Grundmotive ‚kompensieren‘ könnten. Zu ähnlichen Problemen führt ein sozialwissenschaftlicher Versuch, eine menschliche Grundmotivation an der Auseinandersetzung z.B. mit Themen von Museen empirisch nachzuweisen. Hans-Joachim Klein wollte feststellen „bei welchen Personenkreisen hinsichtlich Exponaten der Technik, Natur, KulturGeschichte oder Kunst - die aber wohlgemerkt nicht als ‚Exponate‘, sondern ohne musealen Bezug präsentiert werden - sich welche besonderen Affinitäten feststellen lassen“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 206). Den Befragten wurden nun Abbildungen entsprechender Exponate vorgelegt und Fragen nach dem Interesse daran gestellt. Damit konnte zwar – erwartungsgemäß – ein Interesse bei Nicht-Besuchern nachgewiesen werden, ob dieses Interesse nun aber unbedingt zu einer Motivation zu einem Museumsbesuch führen kann, bleibt Spekulation und ist mit solch einem methodischen Vorgehen empirisch nicht nachgewiesen.
5.5 N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG ALS B ARRIERENFORSCHUNG Ausgehend von der Existenz von Verwirklichungschancen und damit verbunden von einem latenten Grundinteresse am Besuch von Kulturveranstaltungen, untersuchen die meisten Nicht-Besucherstudien Barrieren, welche diese Aktivitäten verhindern (vgl. Reussner 2009: 10). Hans-Joachim Klein definiert Barrieren grundsätzlich als „Mechanismen, die einen selektiven Besuchsausfall bewirken“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 194). Er verweist dabei auf die gallo-romanische Etymologie, wonach Barrieren ein physisches Hindernis im Sinne einer Schranke darstellen. Diese räumliche Erklärung macht eine wesentliche Voraussetzung für Barrierenforschung deutlich: Die Barriere muss einen vorhandenen Motivationsprozess unterbrechen. Dieses Modell setzt also voraus, dass ein Individuum motiviert ist, eine bestimmte Handlung auf Grund eines Bedürfnisses vorzunehmen und sich verspricht, dass diese eine besondere Funktion erfüllt. Strukturell und funktional entspricht dies einem verhaltenswissenschaftlichen Prozessmodell der Motivation, da ein idealtypischer Verlauf der Besuchsplanung einer kulturellen Veranstaltung und potenzielle Einflussfaktoren darin abgebildet werden. Das Modell ist somit vergleichbar mit dem ‚Rubikon‘-Modell der Handlungsphasen aus der psychologischen Motivationsforschung (vgl. Heckhausen und Gollwitzer 1987). Dieses trennt menschliches Handeln in vier Phasen: In eine prädezisonale Ab-
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wägungsphase, in eine präaktionale Planungsphase, in eine aktionale Durchführungsphase sowie in eine postaktionale Bewertungsphase (vgl. Achtziger und Gollwitzer 2010: 310). Zahlreiche Barrieren erforschende Studien fokussieren vor diesem Hintergrund einseitig die Planungsphase, in welcher der potenzielle Besucher sich überlegt, „welche Strategien er anwenden soll, um das in der prädezisionalen Handlungsphase verbindlich festgelegte Ziel auch wirklich zu realisieren“ (Achtziger und Gollwitzer 2010: 312). Werden diese Strategien durch externe Faktoren torpediert, so liegen besuchsverhindernde Barrieren vor. Entscheidend – auch für den Namen des Modells – ist der Zustand, dass der Handelnde vor dieser präaktionalen Handlungsphase bereits den ‚Rubikon‘ überschritten hat, in unserem Fall die Entscheidung für den Besuch einer kulturellen Veranstaltung also schon längst gefallen ist. Es sind nur grundsätzliche und nicht punktuelle Barrieren (Keuchel 2008: 81) relevant: Punktuelle zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine kollektive Ausprägung aufweisen und nur für ein einziges Individuum besuchsverhindernd sind.9 Eine engere Definition des Begriffs ‚Barriere‘ geht zudem von einer „behinderungsspezifischen Mobilitätsbeschränkung“ (Leidner 2007: 30) aus. Diese Thematik wurde für Kultureinrichtungen strukturell im Kontext des Behindertengleichstellungsgesetzes des Bundes von 2002 relevant (vgl. Föhl und Erdrich 2007). Es thematisiert technische, rechtliche oder administrative Barrieren, welche Behinderten den Besuch einer kulturellen Veranstaltung erschweren oder unmöglich machen. Im Folgenden werden diese Barrieren entsprechen thematisiert, es wird jedoch von einem erweiterten Barrierenbegriff ausgegangen. Barrieren erforschende Studien differenzieren zwischen objekt- und subjektbedingten Barrieren (Klein, H.-J. et al. 1981: 163, Frank et al. 1991: 81, Kirchberg 1996a: 152). Objekte beziehen sich auf Kultureinrichtungen, deren Eigenschaften und Angebote. Subjekte sind die potenziellen Besucher. Teils ist eine genaue Zuordnung in dieser bipolaren Systematik nicht möglich. Beispielsweise sind Eintrittspreise primär objektbedingte Barrieren, da sie von den Kultureinrichtungen gestaltet werden. In Bezug auf monetäre Ausgabebereitschaft für Freizeitaktivitäten und Bewertung des Preis-Leistungsverhältnis berühren sie jedoch den Einstellungsbereich des Subjekts: Empfindet dieses einen Eintrittspreis als zu teuer, so könnte/müsste diese Barriere auch durch eine Veränderung der subjektiven Einstellung abgebaut werden. Darüber hinaus existieren vereinzelt noch stärker binnendifferenzierte Definitionen von Barrieren, welche beispiels-
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Eine punktuelle Barriere wäre beispielsweise eine subjektive negative Erfahrung einer Person während eines Theaterbesuchs, welche auf deren Begleitung zurückgeht.
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weise zwischen physischen, psychischen, sozialen und ökonomischen Barrieren unterscheiden (Klein, H.-J. et al. 1981: 195).10 Die folgende Darstellung der bekannten Barrieren folgt der Mehrzahl der bestehenden Studien und wählt die weite Unterscheidung zwischen objekt- und subjektbedingten Barrieren, wobei vereinzelt Überschneidungen nicht ausgeschlossen werden können. ‚Subjektbedingt‘ bedeutet jedoch nicht, dass ein Abbau einer solchen Barriere ausschließlich vom Subjekt ausgehen wird. Selbstverständlich bedarf es einer externen Veränderung, beispielsweise einer neuen zielgruppengerechten Kommunikationsmaßnahme einer Kultureinrichtung, um eine Verhaltensveränderung im Sinne eines Besuchs anzuregen. Subjektbedingte Barrieren, wie beispielsweise die Angst vor NichtVerstehen der Kunst, basieren ab einem gewissen Moment nicht mehr ausschließlich auf persönlichen, sondern auch auf „gesellschaftlichen […] Strukturund Sozialisationsbedingungen“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 194). Hans-Joachim Klein hatte dies früh erkannt und schlug entsprechend eine dritte Kategorie vor, welche „über die Subjekt-Objekt-Beziehung hinausgehende gesellschaftsbedingte Hemmnisse“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 196) als zusätzliche Barrieren systematisiert. Dazu schreibt er: „Gesellschaftlich ist eine Barriere zu nennen, die auf eine Aussperrung durch bildungsmäßige Unterprivilegierung und eine diesen Zustand fördernde Tabuisierung bestimmter Institutionen für Teile der Gesellschaft hinausläuft.“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 196)
Bei dieser Erweiterung des Barrierenverständnisses bestünde jedoch das Problem, dass diese ‚Barrieren‘ keine motivationsunterbrechende Funktionen hätten und vielmehr die Voraussetzung darstellten, dass entsprechende Motivation überhaupt erst entwickelt werden würde – oder eben auch nicht. Diese auf gesellschaftliche Verhältnisse zurückgehenden ‚Barrieren‘ sind zum einen schwer standardisiert erforschbar, zum anderen auch in ihrer theoretischen Herleitung immer ein Stück weit willkürlich.11 Für Hans-Joachim Klein 10 Eine sehr ausführliche Differenzierung für den praktischen Gebrauch liefert das Arts Council
England
unter
www.takingpartinthearts.com/content.php?content=1026
(10.03.2015). 11 Hans-Joachim Klein gibt in einem DFG-Zwischenbericht etwas überspitzt zu bedenken: „Letztenendes kann alles, auch Öffentlichkeits-Scheu, mangelnde TransportOfferten für körperbehinderte Interessenten oder Standortfragen als ‚gesamtgesellschaftliche Diskriminierung‘ ausgelegt werden. Nur führt ein solcher SoziologismusEintopf meist nicht an Lösungen von Problemen im Interesse der Betroffenen heran.“ (Klein, H.-J. 1978: 160)
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hatte das die einfache wie pragmatische Folge, nur die „Indizien für das Vorhandensein einiger objektbedingter, d.h. am Museum, wie es von Außenstehenden gesehen wird, festgemachter Barrieren, zu sammeln“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 197). Vor allem wäre eine solche dritte allumfassende ‚Barriere‘ mit dem dieser Arbeit zugrunde liegenden Ansatz der ‚Verwirklichungschancen‘ nicht sinnvoll vereinbar. Dieses Modell trennt gerade zwischen Chancen schaffenden Aspekten und einer Situation, in welcher Individuen daher in Freiheit sich für oder gegen eine Aktivität entscheiden können. Deshalb werden in der folgenden Darstellung neben objektbedingten ausschließlich subjektbedingte Barrieren aufgeführt, welche bestehende Motivation unterbrechen. Aspekte wie z.B. niedrige Bildung oder fehlende Kulturbesuche in der Kindheit werden also nicht als besuchsverhindernde Barrieren verstanden. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass dies Gründe sind, welche Motivation und Verwirklichungschancen überhaupt nicht entstehen lassen. 5.5.1 Vom kulturellen Angebot ausgehende objektbedingte Barrieren 5.5.1.1 Mangelnde kulturelle Infrastruktur Die Existenz einer Kultureinrichtung in erreichbarer Nähe ist unabhängig von zeitlichen Entwicklungen notwendige Voraussetzung für Kulturbesuche (Wiesand 1975: 9, Frank et al. 1991: 187, Keuchel 2003: 102). Im Sinne des ‚Verwirklichungschancen‘-Ansatzes nach Sen stellt diese Infrastruktur die materiellen Ressourcen dar, welche neben dem Rechtsanspruch der öffentlichen Zugänglichkeit Grundvoraussetzung für die ‚Möglichkeit der Teilhabe‘ sind. Allerdings zeigen Studien auch, dass mangelnde kulturelle Infrastruktur eine wesentliche Kernbarriere darstellen kann, indem trotz Interesse und Besuchsabsicht das räumlich nicht zu erreichende Angebot schließlich Besuche verhindert (Eisenbeis 1980: 20, Kolland 1996: 176, Mandel 2006: 203, Europäische Kommission 2007: 17). Die „relative Nähe der Erreichbarkeit“ eines Angebots spielt demnach „eine erhebliche Rolle“ für Besuche (Eisenbeis 1980: 24). Abgesehen von Kulturbesuchen im Rahmen von Übernachtungsurlauben ist die Distanz zwischen Wohnort und Angebot entscheidend und wird entsprechend als Barriere genannt (Fohrbeck und Wiesand 1980: 101, Frank et al. 1991: 212, Keuchel 2003: 223, Eckhardt et al. 2006: 281). Erfolgt der Besuch kultureller Veranstaltungen innerhalb eines Urlaubs, so stellt diese Distanz keine Barriere mehr dar. Kulturaktivitäten spielen in der Urlaubsgestaltung durchaus eine gewichtige Rolle (PSB Penn 2007: 80, Mandel
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2012: 22, Pröbstle 2014: 182). Zudem ermitteln in diesem Zusammenhang einige Autoren verkehrstechnische Probleme als Barriere (Fohrbeck und Wiesand 1980: 101) sowie die Problematik im Anschluss an Kulturveranstaltungen wieder nach Hause zu kommen (Frank et al. 1991: 212, Gerdes 2000: 13). Wird die Distanz zwischen Wohnort und Kulturveranstaltung als Barriere erkannt, ergibt sich auf Grund der sehr heterogenen – nicht nur kulturellen – Infrastruktur in Deutschland ein Problem: Hat eine Untersuchung den Anspruch auf bundesweite Repräsentativität, so können die häufig sehr gravierenden strukturellen regionalen Unterschiede verwischt werden (Frank et al. 1991: 91). Demnach ist es notwendig, diesen Unterschieden in der methodischen Fragestellung gerecht zu werden. Entsprechend erklären zahlreiche Studien, dass die Bevölkerung von ländlichen Räumen generell seltener Kulturveranstaltungen besucht als Bewohner der Großstädte (Frank et al. 1991: 188, Opaschowski 2005: 212, DepnerBerger 2008: 6), auch weil sie am eigenen Wohnort keine Möglichkeit zum Besuch hat (Eisenbeis 1980: 24). Hans-Joachim Klein schließt daraus, dass fehlende kulturelle Infrastruktur somit als Barriere von Seiten der Bevölkerung urbaner Räume eher als „vorgeschobenes“, also unberechtigtes Argument aufgeführt würde (Klein, H.-J. et al. 1981: 85). Ein Stück weit könnten diese Barrieren als gegeben anerkannt werden. Eine (kultur-)infrastrukturschwache Region kann zwar beispielsweise durch Landesbühnen oder Wanderausstellungen belebt werden, eine langfristige strukturelle Veränderung ist jedoch nicht möglich. Englische Studien sprechen hier von „geographically excluded people“ (Scotish Arts Council 2005: 38). Am Beispiel von Theatern und Museen kann die Situation in Deutschland dargestellt werden: Die Zahl der öffentlich geförderten Theater ist seit den 1990er Jahren recht stabil geblieben, sank jedoch zuletzt von 152 (Spielzeit 1998/1999) auf 144 (Spielzeit 2008/2009) leicht ab. Die Anzahl der Spielstätten, Vorstellungen und Besuche nahm hingegen im gleichen Zeitraum leicht zu (Destatis 2011: 341f). Betrachtet man die Zahlen über einen längeren Zeitraum, so fällt auf, dass sich seit den 1970ern die Anzahl der öffentlich geförderten Theater – auch bedingt durch die deutsche Wiedervereinigung – zwar enorm erhöht und fast verdoppelt hat, die Zahl der Besuche hingegen recht konstant blieb (Glogner-Pilz 2011: 101) und keinesfalls eine äquivalente Steigerung erfahren hat. Obgleich also das Angebot größer geworden ist, ist die Nachfrage dadurch nicht automatisch gewachsen. Auch die Zahl der Museen nahm in den letzten Jahren stringent zu (Staatliche Museen zu Berlin 1998, 2008), während die Zahl der Besuche ebenfalls nicht gleichbedeutend anstieg. Obgleich die diesbezügliche Datenlage aufgrund verschiedener Erhebungsverfahren recht unübersichtlich ist und zudem der Museumsbegriff im Gegensatz zum Theaterbegriff auch durch private Museen und
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populäre Ausstellungen viel weiter gefasst werden sollte, „kann aber für die langfristige Betrachtung über fast 30 Jahre festgehalten werden, dass auch bei den Museen die Nachfrage nicht mit der Angebotsausweitung Schritt gehalten hat“ (Glogner-Pilz 2011: 104). Aufgrund der statistischen Nicht-Differenzierung zwischen zählbaren Besuchen und tatsächlicher Anzahl der Besucher lassen diese Zahlen nur bedingt Aussagen darüber zu, ob bei steigenden Besuchszahlen, die Besuchsintensität des bestehenden Publikums erhöht wurde oder tatsächlich neue Besucher in die Theater kamen. Diese geschichtlichen Entwicklungen lassen jedoch mit Verweis auf das Besuchsverhalten der deutschen Bevölkerung den Schluss zu, dass ein Abbau der Barriere der mangelnden kulturellen Infrastruktur durch neue Einrichtungen und damit verbunden zusätzliche Kulturveranstaltungen nicht automatisch zu einer entsprechend steigenden Besuchsintensität oder gar einer Aktivierung von bisherigen Nicht-Besuchern führt. 5.5.1.2 Marketingpolitisch abbaubare Barrieren Eintrittspreis Die von den Studien am häufigsten benannte Barriere, welche mit kulturmanagerialen Aktivitäten abbaubar wäre, ist der Eintrittspreis. Alle Studien, welche diese untersuchen, benennen sie als relevante, häufig sogar als primäre besuchsverhindernde Barriere. Lediglich Sigrun Damas stellt bei der empirischen Untersuchung der Theaterlandschaft Nordrhein-Westfalens fest, dass Eintrittspreise „mit großer Wahrscheinlichkeit […] nicht maßgeblich vom Theaterbesuch abhalten“ (Damas 1995: 102). Nachfolgende Auflistung zeigt die Wichtigkeit dieser Barriere bei anderen Studien. Die Prozentzahlen illustrieren das Ergebnis, weitaus aussagekräftiger ist allerdings das jeweilige studieninterne Ranking der ermittelten Preisbarriere: • • • • •
70% nennen „Eintrittspreis zu hoch“, zweithäufigste Nennung nach „keine Kenntnis von Kultur“ (Keuchel 2008: 83) 48% nennen Eintritt „zu teuer“, häufigste Nennung (Eckhardt et al. 2006: 281) 40% nennen Eintritt „zu teuer“, häufigste Nennung (Frank et al. 1991: 212) 34% bemängeln „zu teure Karten“, häufigste Nennung (Fohrbeck und Wiesand 1980: 101) 27% nennen Eintritt „zu teuer“, zweithäufigste Nennung nach Zeitmangel (Europäische Kommission 2007: 17)
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27% nennen „Eintrittspreise zu hoch“, zweithäufigste Nennung nach „keiner der genannten Gründe“ (Keuchel 2003: 232) 25% nennen Eintritt „zu teuer“, dritthäufigste Nennung nach „geringes Interesse“ und „Zeitmangel“ (Mandel 2005) 23% nennen „Eintrittspreis zu hoch“, zweithäufigste Nennung nach „Zeitmangel“ (Mandel und Timmerberg 2008: 7)
Neben diesen relativen Ergebnissen bestätigen weitere – auch internationale – Studien die Wichtigkeit von Eintrittspreisen als häufig genannte Barriere (Deutscher Bühnenverein 2003: 7, Kirchberg 1998: 149, Keuchel 2006: 87, Wiesand 1975: 9, PSB Penn 2007: 46, Arts Council 2004: 12, Payne 2001: 17). Im Folgenden werden zwei denkbare Lösungsansätze an Beispielen erörtert: Die Abschaffung von Eintritt als radikale Lösung und das Senken der Eintrittspreise. Eine radikale Reaktion auf diese Ergebnisse wäre die Einführung freien Eintritts für alle öffentlich geförderten Kultureinrichtungen, welche politisch punktuell immer wieder diskutiert12 und von einigen Kultureinrichtungen zumindest an bestimmten Wochentagen auch angeboten wird.13 2003 erhoben 38%, 2008 und 2010 35% aller deutschen Museen keinen Eintritt (Staatliche Museen zu Berlin 2004: 35, 2008: 35, 2010: 36). In einer europäischen Befragung befürworteten 82% der Befragten die Einführung kostenloser Kulturangebote (Europäischer Kommission 2007: 57).14 In einigen europäischen, insbesondere englischsprachigen Ländern, sind beispielsweise staatliche Museen eintrittsfrei. In Schweden wurde 2005 ein Modell erprobt, wonach 19 der 25 staatlichen Museen keinen Eintritt erhoben. Nach einem Regierungswechsel 2006 wurde das Projekt gestoppt und Vergleichszahlen sind somit vorhanden. Die Aktion zeigte Auswirkungen auf die Besucherzahlen sowie auf neue Besuchermilieus: 12 Beispielsweise auf Landesebene in Niedersachsen: SPD-Fraktion will Eintrittsgelder für Museen für Kinder und Jugendliche abschaffen. Pressemitteilung Nr. 16-054. Pressemitteilung vom 11.02.09. Hannover. Beispielsweise auf kommunaler Ebene in Hildesheim: Museum frei für alle. Bündnis! fordert freien Eintritt für Hildesheimer Rathaus prüft Kosten (2008). In: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, Jg. 2008, 04.12.2008, S. 19. 13 Beispielsweise erhebt der Kunstverein Hannover sonntags und mittwochs keinen Eintritt (vgl. www.kunstverein-hannover.de/kontakt_adresse.php. Zuletzt geprüft am 10.03.2009). Der Freistaat Sachsen ermöglicht seit Dezember 2009 jungen Besuchern bis 16 Jahren den kostenlosen Zugang zu staatlichen Museen (vgl. Kulturpolitische Mitteilungen. Heft 127. 4. Quartal 2009. S. 97). 14 In anderen Ländern, wie beispielsweise Großbritannien und Irland, sind staatliche Museen generell eintrittsfrei.
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„So hatten durchweg alle Museen, die während eines Zeitraues von zwei Jahren freien Eintritt gewährten, hohe Steigerungen der Besucherzahlen und konnten auch museumsferne Zielgruppen erreichen.“ (Nickel 2008: 104)
Ein Zwischenbericht verdeutlichte, dass 58% der Besucher zum ersten Mal die Museen besuchten und im Ganzen eine Steigerung der Besucherzahlen um 85% erreicht wurde. Nach Wiedererhebung des Eintrittsgeldes gingen die Besucherzahlen um 40% zurück (Nickel 2008:104). Eine empirische Begleitung eines eintrittsfreien Tages für studentische Besucher des Pariser Louvres zeigte ebenfalls einen Anstieg der Besucherzahlen, macht jedoch auch deutlich, dass die Mehrzahl Wiederholungsbesucher waren und der Wegfall des Preises somit nicht als Hauptmotiv gelten kann. Vielmehr zeigte eine Befragung, dass das abendliche Erlebnis mit bestimmten Menschen den Besuch veranlasste (Haus der Geschichte 1996: 20). In Deutschland existieren keine entsprechenden Langzeitevaluationen. Der Diskurs über freien Eintritt wird hier zum Teil durch die Auffassung „Was nichts kostet, kann auch nichts wert sein!“ bestimmt.15 Eine generelle Abschaffung des Eintritts für Theater wurde bisher noch nicht diskutiert, wäre jedoch auch mit strukturellen Problemen wie z.B. der Notwendigkeit der Platzvergabe verbunden. Gegenwärtig existieren Veranstaltungsreihen im Musiktheater, für welche kein Eintritt erhoben wird, beispielsweise ‚Oper für alle‘ der Bayerischen Staatsoper oder ‚Staatsoper für alle‘ der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Jene Veranstaltungen finden jedoch nicht in den klassischen Opernhäusern, sondern als Freiluft-Events statt. Sitzplätze sind nicht vorhanden, so dass keine logistischen Distributionsprobleme auftreten. Obwohl die Veranstalter den Anspruch haben, sich dadurch einem breitem Publikum zu öffnen16, stellen jene Events auf Grund der Unvereinbarkeit mit der strukturellen Bindung an geschlossene Räume lediglich einen Einzelfall des Abbaus der Eintrittspreise dar und können nicht auf den normalen Spielbetrieb des Musiktheaters übertragen werden.17 Eine vermutlich politisch und ökonomisch eher durchsetzbare und sowohl für Museen als auch für Theater und andere Kultureinrichtungen verbindliche Reaktion auf die Preisbarriere läge im Absenken der Eintrittspreise, um diese als 15 So die Aussage von Thomas Müller, Direktor der Mühlhäuser Museen in Thüringen in einer Anhörung durch die Enquete-Kommission Kultur des Deutschen Bundestages. 16 „Oper für alle präsentiert 2009 erneut zwei Veranstaltungen zu freiem Eintritt.“ Pressemittelung von BMW am 23.06.2009, München. 17 Darüber hinaus sind die Kosten für ein solches Open-Air-Event weitaus höher, als eine übliche Vorstellung im eigenen Haus.
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Barrieren abzubauen. Susanne Keuchel zeigt beispielsweise, dass die Mehrheit der im Jugendkulturbarometer Befragten laut eigener Einschätzung die Senkung der Eintrittspreise zu mehr Besuchen veranlassen würde (Keuchel 2006: 122). Zahlreiche Studien belegen jedoch, dass dies nicht zwingend erfolgsversprechend sein wird, denn es herrscht eine offenkundige Diskrepanz zwischen den angenommenen (besuchsverhindernden) Eintrittspreisen und deren tatsächlicher Höhe (bzw. besser gesagt: ‚Tiefe‘): Bereits in den 1980ern hat Rainer Dollase bewiesen, dass der Subventionsbeitrag pro Eintrittskarte für Konzerte weit unterschätzt wurde: So wurden im Durchschnitt ca. 35 DM genannt, obwohl der Zuschussbetrag in der damaligen Zeit schon bei über 100 DM je Eintrittskarte lag (Dollase et al. 1986: 56). Zahlreiche andere Autoren bestätigen diese zeitlich unabhängige Unkenntnis bzw. Unterschätzung der Subventionen und der daraus resultierenden bezahlbaren Preise (Klein, H.-J. et al. 1981: 131, Institut für Museumskunde 1998: 94, Kirchberg 1998: 146, Keuchel 2006: 81, 124). Aus dieser neuen Perspektive würde ein Senken der Eintrittspreise demnach nur bedingt eine Veränderung der Besucher im Sinne einer Aktivierung von Nicht-Besuchern erwirken, denn offensichtlich zeigen diese Analysen, dass der Preis lediglich eine ‚vorgeschobene‘ Barriere darstellt. Susanne Keuchel macht zudem auf einen weiteren Effekt aufmerksam: „Attraktive Preisvergünstigungen werden also vor allem von den schon erreichten Zielgruppen sehr positiv aufgenommen.“ (Keuchel 2003: 227)
Somit liegt hier Handlungspotenzial in einer anderen Marketingpolitik: Wenn einem Großteil der Bevölkerung die teilweise günstigen Eintrittspreise nicht bekannt sind und zudem ein Image herrscht, nachdem Kultur eine teure Angelegenheit sei, können Kultureinrichtungen durch eine offensive Kommunikationspolitik dazu beitragen, diese Missstände zu beheben (vgl. Keuchel 2003: 102). Die Wirkung des Eintrittspreises als objektbedingte Barriere endet systematisch an der Stelle, an der seine Veränderung trotz offensiver Kommunikation zu keiner Verhaltensveränderung der Nicht-Besucher führen würde. Volker Kirchberg verdeutlicht jedoch die subjektive Bedeutung des Eintrittspreises: „Letztendlich ist die Entscheidung, eine Kultureinrichtung aufgrund des Preises zu besuchen, eine subjektive Entscheidung: 8,00 DM Eintritt kann eine hohe oder gar keine Barriere sein.“ (Kirchberg 1998: 145)
Zudem macht er diese Bewertung von diversen sozio-ökonomischen, demographischen und geographischen Merkmalen abhängig (Kirchberg 1998: 147). Wird
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nach der Ausgabebereitschaft und dem Ausgabeverhalten potenzieller Besucher gefragt, wird deutlich, dass selbst bei höherem disponiblen Einkommen dieses nicht zwingend für Kulturbesuche ausgegeben werden würde (Kolland 1996: 139). Deutsche Haushalte gaben 2011 im Durchschnitt 56 Euro im Monat für Dienstleistungen im Freizeit- und Kulturbereich „zu denen unter anderem Eintrittsgelder für Theater-, Konzert- und Museumsbesuche gehören“ (Statistisches Bundesamt 2013: 12) aus. Somit ‚könnte‘ aus Perspektive der objektbedingten Barrierenforschung Nicht-Besuchern zwar der einfache ‚Vorwurf‘ gemacht werden, dass die Kosten für vergleichbare Tätigkeiten, wie beispielsweise einen Kinobesuch oder die Kosten für eine Heimkinoanlage die gleichen seien. Dies würde jedoch zu keiner Verhaltensveränderung führen. Vielmehr liegt die Problematik in einer mangelnden ‚Wertigkeit‘, die Kulturveranstaltungen zugeschrieben wird: Die Nicht-Besucher sind nicht bereit, einen aus ihrer Sicht zu hohen Preis für eine aus ihrer Sicht weniger wertvolle Kulturveranstaltung zu zahlen. Erklärungen müssen demnach im Lebensstil der Menschen und deren Image von Kultur gesucht werden (vgl. Kirchberg 1998: 152). Zahlreiche Studien zeigen, dass Personen mit vergleichsweise geringem Einkommen weitaus seltener Kulturveranstaltungen besuchen, als Personen mit höherem Einkommen (Klein, H.-J. et al. 1981: 131, Kirchberg 1998: 151, Opaschowski 2005: 212) und Eintrittspreise auch häufiger als Barriere benennen (Kirchberg 1998: 149). Nach Volker Kirchberg existiert auch im Kulturbetrieb eine Preiselastizität18, was bedeutet, dass sich die soziale Zusammensetzung des Publikums bei einer Preiserhöhung verändert und einkommensschwache Segmente strukturell ausgeschlossen würden (Kirchberg 1998: 154). Dies zeigt, dass der Eintrittspreis bei aller Problematik ‚vorgeschobener‘ Antworten und diverser Gründe dennoch eine Barriere für dieses Segment darstellt. Zwischen 2005 und 2007 lag die Armutsquote in Deutschland bei circa 14%.19 Eine Person lebt nach dieser Definition dann in Armut, wenn sie ein „sozio-kulturelles Existenzminimum nicht erreicht“20: Dazu zählt auch eine mangelnde „Mindestversorgung in den Bereichen Erziehung und Bildung, Gesundheit, Transportmöglichkeiten, Information, kulturelle Beteiligung“21. 2009 betrug der monatliche Regelsatz für Arbeitslosengeld-II-Empfänger für Freizeit- und Kulturausgaben 39,49 Euro, was eine wirkliche Teilhabe sehr erschwert.22 18 Die Preiselastizität gibt als mathematische Größe an, inwieweit sich die Nachfragemenge verändert, wenn ein anderer Preis erhoben wird. 19 www.forschung.paritaet.org/index.php?id=1448 (21.10.2009). 20 www.armutsatlas.de/index.php?id=1453 (21.10.2009). 21 www.armutsatlas.de/index.php?id=1453 (21.10.2009). 22 www.bafoeg-aktuell.de/cms/soziales/hartz-iv/regelbedarf.html (23.02.2010).
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Wobei nicht daraus geschlossen werden kann, dass der Abbau dieser Barriere zu einer zunehmenden Besuchsaktivität dieses Milieus führen würde. Ernestine Depner-Berger betont das nicht vorhandene Interesse am Kulturbesuch, welches der potenziellen Preisbarriere vorhergeht und jene letztlich abschwächt (DepnerBerger 2008: 12). Zudem ist zu bedenken, dass der Eintrittspreis „oft nur einen Bruchteil der Gesamtkosten“ (Schenker 1990: 134) eines Kulturveranstaltungsbesuchs ausmachen würde und demnach eine Reduzierung der damit verbundenen Kosten für Anfahrt oder Information mitbedacht werden müssen. Auch führen Ermäßigungen für finanzschwache Besucher im Rahmen von sogenannten Sozialpässen nicht automatisch zu einer deutlichen Zunahme der Besuche. So war beispielsweise die Resonanz auf die Wiedereinführung des BraunschweigPasses 2013 für die Beteiligten aus Kulturbetrieb, -politik und -verwaltung enttäuschend. Von 35.000 Inhabern nutzen nur sehr wenige das Museums- oder Theaterangebot (Braunschweiger Zeitung 2013). Kommunikation Kommunikationspolitische Maßnahmen stellen in Kultureinrichtungen oft die Haupttätigkeiten operativen Marketings dar (vgl. Schwerdtfeger 2004). Indem durch sie der direkte oder erste Kontakt zu potenziellen Besuchern hergestellt wird, kommt diesen Aktivitäten auch bezüglich nicht-besucherorientierter Marketingpolitik eine Schlüsselrolle zu. Das in jenem kulturmanagerialen Handlungsfeld prinzipiell Potenzial zur Aktivierung von Nicht-Besuchern vorhanden ist, zeigt eine wesentliche Erkenntnis der Studie des Deutschen Bühnenvereins zu jugendlichen Nicht-Besuchen: Nur selten stimmen die Jugendlichen der Aussage zu, das Theater würde sich aktiv darum bemühen, sie über das Theaterprogramm zu informieren (Deutscher Bühnenverein 2003: 4). Ebenfalls beklagen die Befragten der Studie der Europäischen Kommission einen Mangel an Informationen über Kulturangebote (Europäischen Kommission 2007: 17). Diese Angaben sind jedoch immer nur unter dem Vorbehalt der subjektiven Wahrnehmung der Befragten zu verstehen, wobei diese eben deutlich macht, dass NichtBesucher den Eindruck haben, Kultureinrichtungen würden keine bzw. zu wenig aktive Informationspolitik betreiben (Deutscher Bühnenverein 2003: 8). Die nicht repräsentative Abfrage von Gründen für den Besucherrückgang in Museen durch das Institut für Museumskunde ergab, dass die „Einschränkung von Öffentlichkeitsarbeit“ lediglich bei einem sehr kleinen Teil der betroffenen Museen, nach Einschätzung der Museumsleitung, dafür ausschlaggebend war (Institut für Museumskunde 2010: 12).
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Die Wirkung konkreter Medien von Kultureinrichtungen wird nur selten in repräsentativen Nicht-Besucherforschungen thematisiert. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die klassische Medienarbeit auf die Entscheidungsfindung von NichtBesuchern eher weniger Einfluss hat, als von Marketingverantwortlichen oft angenommen: So verweist nach Hans-Joachim Klein lediglich ein kleiner Teil der Erstbesucher von Museen auf Medien und noch weniger auf Plakate (Klein, H.J. 1990: 250) als ausschlaggebenden Besuchsgrund. Qualitative und inhaltliche Wünsche werden zum Teil untersucht: So bevorzugen jüngere Nicht-Besucher „Theaterwerbung mit Bildern auf Plakaten oder im Internet“ (Deutscher Bühnenverein 2003: 8). Dies ist jedoch lediglich ein standardisiert ermittelter Wunsch und lässt keine Rückschlüsse darüber zu, inwieweit fehlende Bilder eine besuchsverhindernde Barriere darstellen. Inwieweit konkrete Kommunikationsträger Besuche im Sinne einer Barriere verhindern können, kann letztlich nur mit einem konkreten Medium innerhalb einer Evaluation der Marketingmaßnahmen einer Kultureinrichtung erfolgen.23 Vermutlich aufgrund der einfacheren Erhebung innerhalb standardisierter Befragungen reduzieren die vorhandenen Studien die Wirkung der Kommunikationsmaßnahmen weitgehend auf das damit verbundene Medium (z.B. Broschüren oder Social Media). Eine nicht-besucherorientierte Kommunikationspolitik basiert auch auf der Analyse des Informationsverhaltens ihrer Zielgruppen. Dies gilt sowohl für die bevorzugten Medien, als auch für die Art der Präsentation der Inhalte. Bernward Frank stellt fest, dass bei der Mehrzahl der Befragten mit schwachem kulturellen Interesse, „ein situativ, spontanes Informationsverhalten“ überwiegt, „bei dem mehr oder weniger zufällig unspezifische Quellen gewählt werden“ (Frank et al. 1991: 217). Zudem bestätigen mehrere Studien die Wichtigkeit von Word-ofmouth Communication24 für die Entscheidungsfindung, insbesondere bei NichtBesuchern (Fohrbeck und Wiesand 1980: 108, Klein, H.-J. 1986: 58, Klein, H.-J. 1990: 26). Problematisch für klassische Kommunikationsaktivitäten von Kultureinrichtungen stellt sich das Phänomen des mangelnden Interesses an Informationen von Seiten bestimmter Bevölkerungssegmente dar. So stellte bereits Manfred Eisenbeis Ende der 1970er Jahre fest, dass mehr als die Hälfte der von ihm Befrag23 Entsprechende Ergebnisse kommerzieller Markt- und Evaluationsforschung werden in der Regel nicht publiziert bzw. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Eine Darstellung punktueller Ergebnisse würde im Rahmen dieser Sekundäranalyse keinen Sinn ergeben, da diese eben nicht repräsentativ sind. 24 Word-of-mouth communication (WOM) ist der US-amerikanische Begriff für ‚Mund zu Mund-Propaganda‘.
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ten in der letzten Zeit nichts über Museen gehört oder gelesen hatten (Eisenbeis 1980: 24). Susanne Keuchel bestätigt mehr als 20 Jahre später, dass vor allem bildungsschwache Milieus sehr häufig der Aussage: ‚Ich informiere mich nicht.‘ zustimmen (Keuchel 2003: 101). Selbst gleiche Medien werden in unterschiedlichen Milieus anders genutzt (Schulze 1993: 191). Susanne Keuchel schließt daraus: „Das Erreichen von Bevölkerungsgruppen mit niedriger Schulbildung über eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit in den Medien scheint somit kaum erfolgversprechend. Denn dies setzt zumindest die Bereitschaft voraus, sich über Inhalte informieren zu wollen.“ (Keuchel 2003: 101)
Kommunikationspolitische Marketingaktivitäten sind also ein entscheidender Aspekt für die erfolgreiche Ansprache von Nicht-Besuchern. Inwieweit kommunikationspolitisch abbaubare Barrieren einen potenziellen Besuch verhindern können, kann auf Grundlage der bekannten Ergebnisse jedoch noch nicht geklärt werden. Distribution Vereinzelt werden auch Meinungen von Nicht-Besuchern zum Kartenverkauf untersucht (Frank et al. 1991: 212). Relevant ist die oft spontane Kauf- bzw. Besuchsentscheidung: Laut Hans-Joachim Klein erfolgt bei mehr als der Hälfte der Fälle der Museumsbesuch spontan, wird also frühestens am Vortag entschieden (Klein, H.-J. 1986: 59). Bemerkenswert sind bezüglich der Distribution noch altersspezifische Bedürfnisse. Demnach stellt der Kartenkauf für Jugendliche dank diverser Bezugsmöglichkeiten ein weniger gewichtiges Problem dar (Deutscher Bühnenverein 2003: 4) als für Senioren, welche sich lieber einen Kartenverkauf vor Ort wünschen (Keuchel 2008: 78). Ob und wie konkrete distributionspolitische Marketingmaßnahmen Besuche im Sinne einer Barriere verhindern, kann durch die vorhandenen Erkenntnisse nicht geklärt werden. Serviceleistungen Serviceangebote werden ebenfalls eher seltener als Barriere abgefragt, zum Beispiel bezüglich der Anfahrt und der Parkmöglichkeiten (Keuchel 2003: 226). Die Nicht-Besucherstudie des Deutschen Bühnenvereins kommt zum Schluss, dass mangelnde Serviceangebote besuchsverhindernde Barrieren darstellen, führt diese jedoch nicht genauer aus (Deutscher Bühnenverein 2003: 7). Der Stellenwert
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von mangelndem Service als besuchsverhindernde Barriere ist quantitativ jedoch sehr gering (Gerdes 2000: 13). Armin Klein sieht im Service neben sozialem und symbolischem einen von drei Kernnutzen des Kulturmarketings (Klein, A. 2005: 20ff). In Bezug auf Nicht-Besucherforschung ist jedoch zu bedenken, dass schlechter Service zukünftige Besuche verhindern kann, guter Service hingegen nur ansatzweise und über Umwege neue Besucher anlocken kann. Nebenprodukte Zu den Nebenprodukten zählen Produkteigenschaften, welche keine künstlerischen bzw. kulturellen Entscheidungen berühren. Als Besuchsbarriere stellen sich diesbezüglich die Öffnungs- bzw. Spielzeiten der Kultureinrichtungen heraus: Generell gilt, dass insbesondere die Öffnungszeiten von Museen Erwerbsarbeitende strukturell benachteiligen (Klein, H.-J. et al. 1981: 118). Bereits Hilmar Hoffmann formulierte dies Anfang der 1908er Jahre in drastischen Worten: „Der zur Zeit überall geübte arbeitnehmerfeindliche Anachronismus, die Museen pünktlich mit dem beginnenden Feierabend dem potenziellen Besucher zu verschließen, wenn dieser endlich Zeit und Muße für Museen hat, ist blanker Hohn.“ (Hoffmann 1981: 25)
Auch gegenwärtig bietet lediglich ein kleiner Teil der Museen Abendöffnungszeiten an (Institut für Museumskunde 2010: 44). Ebenso problematisch können eintrittsfreie Tage an Wochentagen sein. Die Evaluation der Einführung von Abendöffnungszeiten in Londoner Museen ergab, dass in erster Linie Kunstinteressierte und regelmäßige Besucher ihre Besuchsfrequenz ausweiteten und bisherige Nicht-Besucher nicht zwingend mobilisiert wurden (Morris Hargreaves McIntyre 2002: 41). Dennoch stellt diese Studie fest, dass dadurch der soziale und erlebnisorientierte Charakter des Museumsbesuchs besonders deutlich wird (Morris Hargreaves McIntyre 2002: 45). Museumsleitungen führen starken Besucherzuwachs bzw. -rückgang lediglich zu einem sehr kleinen Teil auf eine Veränderung der Öffnungszeiten zurück (Institut für Museumskunde 2010: 12). Bezüglich der Öffnungszeiten der Theater sind die jeweiligen Spielzeiten interessant, welche im Gegensatz zu Museen in den erwerbsarbeitnehmerfreundlichen Abendstunden liegen. Da diese jedoch im Gegensatz zum mehr oder weniger selbstbestimmten Museumsbesuch an feste vorgegebene Zeiten gebunden sind, stellen vor allem die zu späten Endzeiten von Theater- oder Konzertaufführungen eine Barriere dar. Als Nebenprodukt sind auch weitere personen- aber nicht subjektbedingte Barrieren zu bezeichnen: Ein engerer Barrierenbegriff im Sinne „behinderten-
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spezifischer Mobilitätsbeschränkungen“ (Leidner 2007: 30) betrifft neben altersbedingten Behinderungen auch Menschen aller anderen Generationen. Zum Abbau dieser Barrieren sind verschiedene Ansätze notwendig (Seifert 2014): So müssen bei motorischen Behinderungen physikalische Barrieren (z.B. Treppen, zu enge Sitzreihen) beseitigt werden und bei sensorischen Seh- oder Hörbehinderungen Informationen (z.B. größere Schrift, Audiovermittlungsangebote) hinzugefügt werden (Leidner 2007: 30). Für Nicht-Besucherforschung ist relevant, ob diese personenbedingten Barrieren Besuche tatsächlich verhindern oder lediglich erschweren. Eine englische Studie stellt fest, dass es keine marketingspezifische in sich homogene Zielgruppe der Behinderten gibt, sondern dass alle Marktsegmente (wie z.B. Schüler, Musikliebhaber) behinderte Personen beinhalten (Beardsworth et al. 2001: 45). Zudem stellen die Autoren fest, dass andere Barrieren, wie beispielsweise wenig Interesse an Kulturbesuchen, häufig überwiegen (Beardsworth u.a. 2001: 45). Diese Erkenntnisse decken sich mit einer ersten deutschen Studie zur kulturellen Teilhabe von Menschen mit Behinderung: Die dort ermittelten Barrieren unterscheiden sich nicht wesentlich von den relevanten des restlichen Publikums (Seifert 2014: 43). Unabhängig von quantitativer Nachfrage ist ein Abbau dieser Barrieren auf Grund gesetzlicher Bestimmungen25 notwendig. Stellenweise werden auch mangelnde Einführungsangebote im Sinne von Nebenprodukten als Barriere aufgeführt (Klein, H.-J. et al. 1981: 144). Susanne Keuchel zeigt, dass die Mehrheit der befragten Senioren als Barriere „keine Einführung für Nicht-Kenner“ angibt und fast genauso viele „zu wenig Orientierungshilfen“ beklagen (Keuchel 2008: 83). Das Scotish Arts Council stellt fest, dass die Mehrheit der Besucher von zeitgenössischen Kunstausstellungen mehr Informationen verlangen als gewöhnlich angeboten wird (Scotish Arts Council 2005: 5, 34). Ausgehend von dem Ansatz, dass Vermittlungsangebote einen wesentlichen Stellenwert für die nachhaltige Bindung von Nicht-Besuchern darstellen, ist hier ein Wissensdefizit vorhanden. Problematisch ist jedoch, dass die Benennung der fehlenden Angebote als Barriere einige Besuche ohne entsprechende Vermittlungsangebote voraussetzt und dass ‚Vermittlung‘ als Angebot in Form und Wirkungsabsicht überhaupt bekannt ist. Aufgrund der wenigen quantitativen Ergebnisse können an dieser Stelle auch die Erkenntnisse von qualitativen Annäherungen an Nicht-Besucher einfließen. 25 Nach dem Behinderten Gleichstellungsgesetz (BGG) müssen bundeseigene und in Folgegesetzen auch die meisten ländereigene Bauten bei größeren Umbaumaßnahmen behindertengerecht gestaltet werden. In Nordrhein-Westfalen gilt beispielsweise ein Gesetz, das Ähnliches auch für Einrichtungen der Kultur im Allgemeinen und somit auch für private Anbieter erfordert (vgl. Auer 2007: 38).
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Fehlende Vermittlung bei Kulturbesuchen in der Vergangenheit wurde als Barriere bei Nicht-Besuchern erkannt. Sie „verhindern nicht nur die abschließende positive Bewertung eines Kulturbesuchs im Sinne eines persönlichen Mehrwerts, sondern tragen zu einer Frustration in Bezug auf Kunst und Kultur bei“ (Mandel und Renz 2010: 4). Diese auf qualitativen Leitfadeninterviews beruhende Studie macht jedoch auch eine Ambivalenz gegenüber Vermittlungsprogrammen deutlich: Diese können bereits einen Indikator für unverständliche Angebote (welche eben einer Vermittlung bedürfen) darstellen und werden somit trotz gegenteiliger Intention zu einer besuchsverhindernden Barriere (Mandel und Renz 2010: 4). Diese Erkenntnis wird von der Kunstvermittlerin Nora Sternfeld unterstützt. Ihre Forschung basiert zwar nicht auf empirischer, sondern auf langjähriger persönlicher, Beobachtung, allerdings kommt sie zum Schluss, dass „sich Lehrlinge bis heute sehr oft als scheinbar sehr dumm und unwissend“ erkennen würden, „wenn sie im Museum ein Vermittlungsangebot erhalten“ (Sternfeld 2005: 24). Ebenfalls nur im Ansatz werden räumliche Aspekte als Barriere abgefragt. Auch hier besteht das Problem der Verallgemeinerung: Negative örtliche Aspekte, wie beispielsweise schlechte Sicht im Theater oder mangelnde Barrierefreiheit für Gehbehinderte, sind an konkrete Orte gebunden. Demnach werden solche Aspekte auch eher in institutionseigenen Marktforschungen erhoben (Rothärmel 1999: 105). Kunstwerke Die Definition des Kernprodukts ist abhängig von der Perspektive: So wird im Theater beispielsweise zwischen Programm- und Produktpolitik unterschieden. Programmpolitik bezeichnet die Gestaltung des Spielplans durch Intendanz und Dramaturgie, Produktpolitik ist die konkrete künstlerische Umsetzung durch Regie, Bühnenbildner und Darsteller. Auch wenn die Zusammensetzung des Spielplans zu weiten Teilen auf Prämissen wie Theaterinventar, Erreichbarkeit und Wünsche der Schauspieler oder spartenspezifische Ausgewogenheit beruht, berühren diese Entscheidungen bereits zahlreiche künstlerische Aspekte: So basiert darauf zum Beispiel die Auswahl eines bestimmten Regisseurs. Im Museum findet diese Abgrenzung zwischen der kuratorischen26 Entscheidung für ein bestimmtes Thema und der konkreten Gestaltung einer Ausstellung statt. Grundsätzlich ist die Entscheidung für den Besuch einer kulturellen Veranstaltung mit einem vergleichsweise hohen Risiko verbunden: Obgleich es zunehmend mediale Informationen über das Angebot gibt, bleibt beispielsweise die Rezeption einer Theaterinszenierung immer ein Stück weit unvorhersehbar, da 26 Nach SGB / KSVG ist ein Kurator im juristischen Sinne künstlerisch tätig.
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„der Wert von Kunst und Kultur […] oftmals nur intuitiv fassbar“ und „deshalb ihr Nutzen für potentielle Käufer nur schwer vorab nachzuweisen“ ist (Mandel 2008: 42). Vor allem moderne Kunst ist mit solchen ‚Risiken‘ des NichtGefallens behaftet (Scotish Arts Council 2005: 5) und das unbekannte Angebot kann somit eine wesentliche besuchsverhindernde Barriere darstellen (Fohrbeck und Wiesand 1980: 10127). Auch wenn einige Autoren die Thematisierung von künstlerisch-produktspezifischen Aspekten bezüglich der grundgesetzlich geschützten Kunstfreiheit selbstkritisch reflektieren (Keuchel 2006: 126), werden entsprechende Fragen ansatzweise gestellt. So stimmen etwa ein Drittel der befragten Jugendlichen in der Studie des Deutschen Bühnenvereins dem Satz: „Moderne Inszenierungen mag ich mir nicht anschauen.“ zu (Deutscher Bühnenverein 2003: 16). Diese Zahl deckt sich mit Susanne Keuchels Ergebnissen aus dem 1. Jugendkulturbarometer, wonach Jugendliche als Form der Darbietung eines Theaterstücks eine „klassische, so wie zu Schillers Zeiten“, bevorzugen (Keuchel 2006: 127). Dieselbe Studie ermittelt jedoch auch einen beachtlichen Teil, der sich eine „sehr moderne und experimentelle“ Darbietungsform wünscht (Keuchel 2006: 127). Das Ablehnungskriterium an „moderner Ästhetik“ ist auch im Museumsbereich zu finden (Frank et al. 1991: 256). Eine Untersuchung des Theaterverhaltens der Rostocker Bevölkerung ermittelt Umstände, unter denen Nicht-Besucher ins Theater gehen würden: Am häufigsten wurden Produktspezifika, wie „mehr Musicals“ und „mehr leichte Kost/Lustiges“ genannt (Gerdes 2000: 37). Diese Ergebnisse machen zwei Aspekte deutlich: Zum einen führt die Untersuchung inhaltlicher Konnotationen stets zu ambivalenten Ergebnissen: Sowohl Zustimmung, als auch Ablehnung wird dadurch generiert und weiterführende Aussagen ergeben nur durch bivariate Auswertungsverfahren mit weiteren Segmentierungsmerkmalen Sinn. Zum zweiten zeigen die Zahlen, dass diese produktspezifischen Aspekte nur für einen Teil der potenziellen Besucher relevant sind. Wird noch stärker produktorientiert differenziert, ergeben sich noch deutlichere Erkenntnisse: Karl-Heinz Reuband erhebt beispielsweise die Erwartungen von Musiktheaterbesuchern und stellt fest, dass lediglich 1% die konkrete Inszenierung als wichtigsten Besuchsgrund angeben (Reuband 2005a: 254). Im Umkehrschluss bedeutet dies für die Interpretation, dass produktspezifische Eigenschaften nicht überbewertet werden können. Ein zweiter Aspekt von produktspezifischen Barrieren ist die als mangelhaft bewertete Qualität der erreichbaren Angebote. Da Qualitätsbewertung innerhalb der Rezeption stets subjektiv sind, schließt das auch den ‚Vorwurf‘ von wenig 27 Diese Studie wurde trotz ihres Alters aufgrund der Einmaligkeit dieser Merkmalsabfrage aufgenommen.
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interessanten Angeboten ein. Begrenzte Auswahl oder schlechte Qualität kultureller Angebote werden als Nicht-Besuchsgründe aufgeführt (Fohrbeck und Wiesand 1980: 93, Eckhardt et al. 2006: 281, Keuchel 2006: 122, Europäische Kommission 2007: 17). Diese Ergebnisse zeigen, dass die bloße Existenz einer kulturellen Infrastruktur vor Ort keine grundsätzlichen Besuche garantiert, sondern dass die – subjektiv wahrgenommene – inhaltliche Ausgestaltung der Angebote mit ausschlaggebend für Besuche ist. Ansatzweise wird auch mangelndes Verständnis als Barriere aufgeführt. Der Vorwurf, eine künstlerische Präsentation sei von sich aus unverständlich, könnte als produktspezifische Barriere aufgeführt werden. So stellt Hans-Joachim Klein fest: „Nicht-Besucher schrecken in der Tat mehrheitlich vor (z.T. befürchteten) VerständnisSchwierigkeiten zurück.“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 198)
Hier wird ein wesentliches Problem deutlich: Die Barrieren auf Grund von Produkteigenschaften müssen gar nicht unbedingt zutreffen. Vielmehr kann bereits das Image des Angebots abgelehnt oder gefürchtet werden. 5.5.2 Subjektbedingte Barrieren Subjektbedingte Barrieren gehen auf Merkmale von Individuen zurück und sind somit im Gegensatz zu den bisher aufgeführten objektbedingten Barrieren nur mittelbar durch Interventionen der Kultureinrichtungen abbaubar. Grundlage ist jedoch, dass die beschriebenen Phänomene bestehende Motivationsprozesse unterbrechen. 5.5.2.1 Das Image von Kultureinrichtungen Das (negative) Image von Kultureinrichtungen ist ein Grenzfall zwischen objektbedingten und subjektbedingten Barrieren. Zum einen wird es durch die Einrichtungen und deren Angebote geprägt, zum anderen basiert es vor allem bei denjenigen, welche solche Angebote nicht nutzen und somit auch nicht kennen, oft auf intersubjektiv nicht nachvollziehbaren Annahmen. Das Image bildet sich „aus der Summe aller positiven und negativen Einstellungen gegenüber den einzelnen Leistungsbestandteilen“ (Butzer-Strothmann et al. 2001: 62) einer Kultureinrichtung heraus. Im Kontext der Nicht-Besucherforschung muss dieses Image nicht zwingend auf tatsächlichen Besuchserfahrungen beruhen. Vielmehr
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können solche Bilder langfristig und unkoordiniert entstehen und lediglich auf nicht erlebten Annahmen beruhen. Die Annahme, dass Kultur langweilig sei, stellt eine bedeutende besuchsverhindernde Barriere dar (Keuchel 2006: 87, Mandel 2008: 49). Damit verbunden ist die Ablehnung gewisser Verhaltenszwänge, welche mit einem potenziellen Kulturbesuch verbunden werden und ein ungezwungenes Benehmen nicht zulassen (Klein, H.-J. et al. 1981: 200). Generell wird der imagebasierte Kulturbegriff mehrheitlich von klassischen Angeboten geprägt (Mandel 2005, Keuchel 2008: 48) und ist eher konservativ (Allensbach Institut für Demoskopie 1991: 23). Zahlreiche Studien versuchen Aussagen zu generieren, inwieweit Besucher und Nicht-Besucher Kultur als bildend oder unterhaltend ansehen. Generell wird in vielen Studien eine Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung der Künstler und des Publikums deutlich: Die Künstlerseite geht eher von intrinsischen Motiven aus, während sich die Rezipienten soziale und unterhaltsame Interaktion versprechen (Mandel 2008: 49). Nicht-Besucher schreiben Kulturveranstaltungen mehrheitlich ein bildendes Image zu (Eisenbeis 1980: 23, Mandel 2005). Eigenschaften wie ‚Unterhaltung‘ werden vor allem bei Museen weitaus seltener genannt (Eisenbeis 1980: 23). Bei Theatern ist die Zuschreibung ‚unterhaltend‘ auch deshalb stärker ausgeprägt, da der standardisierte Begriff ‚Theater‘ sowohl Lustspiele, Musicals und Komödien, als auch Dramen, Performances und Oratorien beinhalten kann. Diese ‚bildende‘ Imagezuschreibung steht jedoch im Widerspruch zu den verbreiteten Wünschen und Erwartungen von Nicht-Besuchern und auch Besuchern an Kulturveranstaltungen. So würden Jugendliche bei „mehr Action und Spannung“ öfters Kulturveranstaltungen besuchen (Keuchel 2006: 122) und bevorzugen generell „lockere Veranstaltungen“ (Keuchel 2006: 114). Unabhängig von der tatsächlichen Gestaltung des Angebots der Kultureinrichtungen, stellt das ‚Bildungs-Image‘ eine besuchsverhindernde Barriere dar. Dem könnte durch Betonung des Erlebnis-, Genuss- und Unterhaltungscharakters der Kulturveranstaltungen im Ansatz entgegen gewirkt werden (Fischer 2006: 235). Im englischsprachigen Raum wird diesbezüglich vermehrt „Edutainment“ vorgeschlagen, welches als Mischform Bildung und Unterhaltung verknüpft (Lockstone 2007: 62). Bei der bipolaren adjektivischen Zuschreibung von Bildung und Unterhaltung als Kategorien des Images von Kultur können methodische Entscheidungen im Forschungsdesign einen starken Einfluss auf die Ergebnisse haben: So besteht in der standardisierten Forschung die Gefahr, dass hier ein künstliches Gegensatzmodell konstruiert wird. Denn eine eindeutige und sich gegenseitig abgrenzende Zuschreibung von ‚Bildung‘ oder ‚Unterhaltung‘ als Image oder Be-
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suchserwartung ist nicht wirklich möglich. Diejenigen Studien, welche diesen Überlegungen Rechnung tragen, kommen zu entsprechenden Ergebnissen: So gibt Hans-Joachim Klein in seiner Erhebung neben beiden Kategorien auch noch die Antwortoption „teils/teils“ an (Klein, H.-J. 1990: 279, s.a. Eisenbeis 1980: 23). Aspekte der Atmosphäre in den öffentlich geförderten Kultureinrichtungen tragen als Image ebenfalls einen Teil zu Barrieren bei. So kann „das Drumherum, das Feierliche, das Steife“ in Opern oder klassischen Konzerten stören (Eckhardt et al. 2006: 281). Bezogen auf allgemeine Kulturveranstaltungen werden die „Feierlichkeit“ (Frank et al. 1991: 212) und „Förmlichkeiten“ (Fohrbeck und Wiesand 1980: 101) als Störfaktoren benannt. Eine besondere Rolle spielen dabei „die Leute“, also das Image der dort anwesenden (oder vermuteten) Milieus (Eckhardt 2006: 281). Hans-Joachim Klein merkt an, dass Nicht-Besucher Museen als „nicht für ihresgleichen“ ansehen (Klein, H.-J. et al. 1981: 198). In diesen Kontext fällt auch die Frage, inwieweit der mit Kulturveranstaltungen in Verbindung gebrachte Kleiderzwang eine besuchsverhindernde Barriere darstellt. Susanne Berger kommt 1978 noch zum Schluss, dass Nicht-Besucher dem Theater einen Kleiderzwang unterstellen. Sie analysiert jedoch weiter, dass dies durchaus akzeptiert wird und eigene Besuche nicht verhindern würde (Berger 1978: 60). Aktuellere Ergebnisse sind widersprüchlich: Sigrun Damas stellt 1995 keinen Kleiderzwang als Barriere mehr fest (Damas 1995: 102), in der Nicht-Besucherstudie des Deutschen Bühnenvereins stimmt jedoch die Mehrheit der befragten Jugendlichen der Aussage zu: „Für einen Theaterbesuch muss ich mich elegant kleiden oder zumindest besonders anziehen.“ (Deutscher Bühnenverein 2003: 16). Nach Alternativtätigkeiten und fehlender sozialer Einbindung als besuchsverhindernde Barrieren rangiert diese Aussage dort auf Platz drei. Aus dieser Meinung kann jedoch nicht geschlossen werden, dass sie ebenfalls potenzielle Besuche verhindert. Eine positive Besonderheit des Images von Kunst und Kultur ist die Tatsache, dass das Image in allen Sparten stets besser ist als die Nutzung (Keuchel 2003: 22). Dies gilt neben den Besuchern auch für Nicht-Besucher, die sich durch eine „wohlwollende Neutralität“ auszeichnen (Berger 1978: 59). Menschen halten mehrheitlich Kunst und Kultur für wichtig, ohne dass sich dies in der Zahl der tatsächlichen Besuche (Opaschowski 1988: 127, Arts Coucil 2004: 34) oder der Förderung der eigenen Kinder widerspiegelt (Keuchel 2006: 80). Das positive Image schließt auch die durchweg positive Beurteilung öffentlicher Kulturförderung mit ein (Allensbach Institut für Demoskopie 1991: 57).
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5.5.2.2 Mangelnde Begleitung Ausgehend von dem Ansatz, dass kollektive Kulturrezeption als soziale Interaktion stattfindet, stellen soziale Netzwerke, in welchen sich die Rezipienten bewegen, eine wesentliche Einflussgröße auf Kulturbesuche dar, die entweder motivierend oder aber auch als Barriere wirken kann. Demnach verhindert fehlendes Interesse im Freundes- und Bekanntenkreis sehr häufig Interesse und daraus resultierend Besuche kultureller Veranstaltungen (Deutscher Bühnenverein 2003: 4, Keuchel 2006: 83, 87, Keuchel 2008: 83). Es fehlt in diesen Fällen also eine extrinsische Motivation durch das soziale Netzwerk, welches vor allem bei Jugendlichen als Peer-Group eine wichtige Einflussgröße für Verhalten und Einstellungen darstellt (Kuchenbuch 2005: 67). Zudem kann dieses fehlende Interesse wichtiger Bezugspersonen auch bei bestehender, anders bedingter Motivation, zu einer Barriere werden: Die fehlende Begleitung für potenzielle Besuche (Frank et al. 1991: 212, Eckhardt et al. 2006: 281). Es stellt sich also die Frage, welche sozialen Konstellationen bei Kulturbesuchen im Rahmen von Freizeitaktivitäten bevorzugt werden: Vor allem Jugendliche favorisieren kollektive Gruppenaktivitäten, die ihnen beispielsweise Theatervorstellungen nicht leisten, da diese eher als Pärchen- bzw. Singleaktivität wahrgenommen werden (Deutscher Bühnenverein 2003: 14). Finden Kulturbesuche statt, so ist der feste Freundeskreis bei Jugendlichen auch das häufigste Begleitumfeld (Keuchel 2006: 88). Andere Studien bestätigen auch für die Gesamtbevölkerung die wichtige Rolle des gemeinsamen Erlebens mit dem Partner oder Freunden als Motivation für Kulturbesuche (Mandel 2005). Insbesondere bei Nicht-Besuchern stellt der Anspruch an den sozialen Nutzen von Freizeitaktivitäten eine wesentliche Rolle dar. So sind Familienaktivitäten und soziale Interaktion bei Gelegenheits- und Nicht-Besuchern besonders ausgeprägt (Hood 1983: 54, DCMS 2007: 15). In einer US-amerikanischen Freizeitstudie stellt Marylin G. Hood zudem fest, dass Kernbesucher weit aus öfter Museen alleine besuchen, als die Vergleichsgruppen (Hood 1983: 54). Dieser soziale Nutzen beruht nach Armin Klein auf dem Wunsch „Menschen mit ähnlichen Interessen zu treffen bzw. kennen zu lernen oder im eigenen sozialen Umfeld ‚mitreden zu können‘“ (Klein und Glogner 2006: 52). Dass dieser Motivationsaspekt auch stärker als produktimmanente Aspekte wiegen kann, verdeutlicht Hood am Beispiel der Gelegenheitsbesucher: „A museum outing for them is likely to be a vehicle for having an enjoyable time with other people rather than concentrating in the content of the exhibits.“ (Hood 1983: 56)
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Spartenspezifische Aspekte finden sich in der Besonderheit von Gruppenbesuchen sowohl in Museen als auch in Theatern. In Museen kann davon ausgegangen werden, dass die Motivation der Mitglieder organisierter Großgruppen eben in der Situation der Gruppe beruht: So „müssen“ Schüler am Ausflugstag ins Museum und dessen Besuch „gehört zur Kaffeefahrt“ dazu (Klein, H.-J. 1990: 247). Entsprechende Zahlen belegen, dass beispielsweise 70% der Gruppenbesucher von Museen Jugendliche, also Klassenbesucher, sind (Klein, H.-J. et al. 1981: 140). Im Theater stellen Besucherorganisationen eine besondere Gruppe dar, bei welcher der soziale Nutzen bereits prädisponiert ist. Der soziale Nutzen sowie die damit verbundenen Ausschlusskriterien wurden auch von zahlreichen Soziologen, insbesondere von Pierre Bourdieu (1982), thematisiert und die theoretische Fundierung weiterentwickelt. Dies eröffnet z.B. neben der Unterhaltungs- und Bildungsfunktion eine neue Perspektive, wonach Kulturveranstaltungen grundsätzlich besucht werden, um die eigene Position in gesellschaftlichen Milieus zu festigen bzw. zu entwickeln. Bourdieus Erklärung von Besuchen öffentlich geförderter Kultureinrichtungen als Akt der sozialen Distinktion, also als Möglichkeit sich einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe zugehörig zu zeigen, prägte stark das soziologische Verständnis von Theaterund Opernbesuchen, bildet sich aber nicht wirklich in den Barrieren erforschenden Studien ab. 5.5.2.3 Keine oder mangelnde Zeit Zeitmangel als besuchsverhindernde Barriere wird in allen kulturellen Sparten signifikant häufig genannt (Wiesand 1975: 9, Eisenbeis 1980: 20, Kolland 1996: 176, Arts Council 2004: 12, Mandel 2005, Eckhardt et al. 2006: 281,DCMS 2007: 50, Europäische Kommission 2007: 17, DCMS 2008: 4, Mandel und Timmerberg 2008: 7). Nur stellenweise werden die Angaben zur ‚fehlenden Zeit‘ konkretisiert: Dann wird deutlich, dass vor allem Erwerbstätigkeit zu Zeitmangel führt (Fohrbeck und Wiesand 1980: 101, Gerdes 2000: 13, Arts Council 2004: 12). Obwohl die Arbeitszeit in den letzten Jahren durchschnittlich gesunken ist, „wächst das subjektive Gefühl, über zu wenig Freizeit zu verfügen“ (Opaschowski 1997: 36), was vermutlich zur Subjektivität der damit verbundenen Barriere beiträgt. Eine Möglichkeit, die offensichtlich fehlende Zeit für Kulturbesuche ebenfalls in der Art der Abfrage zu konkretisieren, ist die Ermittlung anderer konkurrierender Freizeitaktivitäten. Dabei wird von dem Ansatz ausgegangen, dass diese gegebenenfalls eine Kompensationstätigkeit darstellen können. So stellt die Studie des Deutschen Bühnenvereins fest, dass jugendliche Nicht-Besucher
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mehrheitlich dem Satz: „Ich verbringe meine Freizeit lieber anders als im Theater.“ zustimmen (Deutscher Bühnenverein 2003:16). Susanne Keuchel bestätigt dies für dieselbe Altersgruppe (Keuchel 2006: 83), Birgit Mandel für die Gesamtbevölkerung (Mandel 2005). Volker Kirchberg führt „die Allokation einer limitierten Freizeit für andere Zwecke“ als wichtigste Museumsbesuche verhindernde Barriere auf (Kirchberg 2005: 292). Möglich ist auch die Ermittlung konkreter Freizeitalternativen. Die einem abendlichen Theater- oder Konzertbesuch naheliegende Konkurrenztätigkeit liegt im Kinobesuch (Frank et al. 1991: 217, Deutscher Bühnenverein 2003: 16). Im Vergleich zu Besuchen von Museen, Theatern und Konzertveranstaltungen werden Kinobesuche weitaus häufiger getätigt (Frank et al. 1991: 302, Deutscher Bühnenverein 2003: 12). Wenn nun wie dargestellt, der Faktor Zeit eine wesentliche Barriere darstellt, müsste im Gegenzug bei mehr disponibler Freizeit die Anzahl der Kulturbesuche steigen. Bereits in den 1970er Jahren zeigte eine Studie jedoch das Gegenteil auf: Es wurde die hypothetische Frage gestellt, wie die Abendplanung im Falle eines freien Abends aussehen würde. Nur 13% würden dann ein Theater besuchen, 17% würden immerhin außer Haus essen, 33% hingegen würden zu Hause bleiben (Berger 1978: 61). Hans-Joachim Klein untermauert diese Erkenntnis auch bezüglich der Nicht-Besucher von Museen: „Besucher von Kulturveranstaltungen treten in kreativen, kommunikativen und bildenden Sektoren in Erscheinung, während Nicht-Besucher von Theater und Konzerten nicht allein durch mangelnde Beteiligung ‚passiv‘ wirken, sondern auch ausgerechnet bei passiven Zeitvertreiben hervortreten.“ (Klein , H.-J. et al. 1981: 174)
Weiter deckt er Inaktivitätszusammenhänge von Nicht-Besuchern von Theater, Konzerten und Museen auf (Klein, H.-J. et al. 1981: 125). Die Höhe des Vorhandenseins von Freizeit steht somit nicht zwingend im Zusammenhang mit der Intensität des Interesses und der Nutzung (Frank et al. 1991: 197). 5.5.2.4 Altersspezifische Barrieren Bezogen auf das Alter existieren auch zahlreiche gesundheitliche Umstände, welche als besuchsverhindernde Barrieren gelten (Arts Council 2004: 36, Keuchel und Wiesand 2008: 80). Gerda Sieben benennt zudem den „Verlust der Initiative, z.B. nach dem Verlust des Partners“ als Kernbarriere für geringes kulturelles Engagement im Alter (Sieben o.J.: 42). Susanne Keuchel stellt fest, dass bei älteren potenziellen Besuchern das Vorhandensein einer kulturellen Infra-
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struktur vor Ort wichtiger ist als bei jüngeren Zielgruppen. Denn „tendenziell sind die kulturell außerhalb des Wohnorts Nichtmobilen eher den älteren Bevölkerungsschichten zuzuordnen“ (Keuchel 2003: 39). Die Autoren des ‚KulturBarometers 50+‘ führen bei der Gruppe der kulturell weniger aktiven Senioren „als Hauptmerkmal einen schlechten Gesundheitszustand auf und, damit einhergehend, ein hohes Alter, tendenziell auch ein schlechtes Einkommen“ (Keuchel und Wiesand 2008: 75). Weitere über Kinder und Jugendliche sowie Ältere hinausgehende Erkenntnisse zu biografieabhängigen Barrieren gibt es nur vereinzelt. So nutzen Eltern mit Kleinkindern seltener Kulturveranstaltungen (Kirchberg 2005: 264, Bunting 2008b: 11). Inwieweit andere Lebenssituationen, beispielsweise beruflicher oder familiärer Art, das Besuchsverhalten temporär beeinflussen ist nicht bekannt. 5.5.3
Zusammenfassung
5.5.3.1 Die theoretische Verortung der Barrieren Die Sammlung und Systematisierung der Barrieren bedarf abschließend einer theoretischen Verortung der Inhalte. Wie mehrfach dargestellt wurde, ist quantitative Forschung immer theorieüberprüfend (siehe Kapitel 4), das Ausmaß der den analysierten Studien zugrunde liegenden Theorien ist allerdings sehr unterschiedlich und eher defizitär ausgeprägt (Kirchberg und Kuchar 2013: 169). Zumindest in den Publikationen sind diese weitgehend nicht dokumentiert (z.B. Deutscher Bühnenverein 2003), nur selten sind die theoretischen Zugänge wissenschaftlich aufgearbeitet (z.B. Fischer 2006). Bei den dargestellten Barrieren sind nun vier theoretische Zugänge erkennbar: Kulturmarketing, Freizeitforschung, Funktionszuschreibungen der Rezeption sowie Theorien der sozialen Interaktion. Kulturmarketing beruht wie in Kapitel 3 beschrieben, auf einer in sich recht geschlossenen Theorie. Insbesondere die Preisbarrieren lassen sich hier verorten, ebenfalls (in absteigender quantitativer Ausprägung) kommunikations- und distributionspolitisch abbaubare Barrieren. Damit sind die wesentlichen operativen Marketingpolitiken im Kulturbetrieb auch benannt. Die tendenziell problematische bzw. unklare Rolle einer besucher- oder nachfrageorientierten Produktpolitik im Kulturmarketing spiegelt sich insofern auch in der Ermittlung künstlerischer Aspekte als Barrieren wieder. Dies ist allerdings auch auf methodische Probleme in der Standardisierung der recht komplexen Phänomene des ästhetischen Erlebens oder zumindest des künstlerischen Produkts zurückzuführen. Auch die subjektbedingte Barriere eines negativen Images der Kulturveranstal-
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tung kann im Kontext von Kulturmarketing verortet werden. Denn insbesondere in der Markenbildung geht es auch darum, im Rahmen einer Corporate Identity mit Marketinginstrumenten ein möglichst positives und somit Besuche förderndes ‚Bild‘ des eigenen Angebots zu vermitteln (vgl. Esch 2014, Höhne 2009b). Einige Barrieren wie z.B. fehlende Zeit oder konkurrierende Aktivitäten sind dem theoretischen Bezugsrahmen der Freizeitforschung (siehe Kapitel 4) zuzuordnen. Es wird davon ausgegangen, dass die Gestaltung der Freizeit bestimmten Motiven (z.B. Selbstverwirklichung) und Interessen (z.B. an der Auseinandersetzung mit darstellender Kunst) unterliegt. Ausgehend von bestehenden Verwirklichungschancen stehen dann verschiedene konkurrierende Tätigkeitsoptionen zur Verfügung: Im engeren Sinn sind das den Besuchen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen ähnliche aushäusige rezeptive Aktivitäten (z.B. Besuche von Sport- oder Kinoveranstaltungen), im weiteren Sinn zählen dazu auch alle möglichen anderen Freizeitaktivitäten (z.B. Fernsehen). Ein weiterer theoretischer Hintergrund der ermittelten Barrieren liegt in der Zuschreibung von Rezeptionsmustern von Kulturveranstaltungen. Birgit Mandel benennt drei „idealtypische Aneignungsweisen“ (2008: 51): Kontemplation meint die „weihevolle Würdigung von Kunstwerken“ (2008: 51). Dieses Muster basiert zwar auf sinnlicher Wahrnehmung, ist allerdings auch stark sozialisationsbedingt (vgl. Bourdieu 1982) und nur in bestimmten Milieus vorzufinden (vgl. Schulze 1993). Als zweites Muster wird die kognitive Auseinandersetzung mit Kunstwerken genannt. Diese basiert insbesondere auf intellektuellen und somit wissensbasierten Kompetenzen, wie z.B. der Fähigkeit, moderne Kunstwerke zu decodieren. Schließlich stellt Unterhaltung eine dritte Aneignungsweise für kulturelle Veranstaltungen dar. Dann werden meist verschiedene Sinne angesprochen und intellektuelle Kompetenzen treten zugunsten von Vergnügen und Entspannung in den Hintergrund. Solche Rezeptionsmuster werden nun quasi im Umkehrschluss anhand von konkreten Merkmalen zu besuchsverhindernden Barrieren umgedeutet. Dazu zählen insbesondere die Barrieren des fehlenden Wissens über Kunstwerke, ein nicht eingehaltener oder angenommener Unterhaltungswert oder die Annahme, dass der exponierte Stellenwert bildungsbasierter Rezeption zur Barriere werden kann. Der letzte Bezugsrahmen liegt in den Theorien der sozialen Interaktion. Dabei wird davon ausgegangen, dass das soziale Potenzial von Besuchen öffentliche geförderter Kulturveranstaltungen eben nicht nur ‚positive‘ Folgen, im Sinne von Besuche fördernder Funktionen hat, sondern auch zu einer Besuche verhindernden Barriere werden kann. Großen Einfluss auf diese Perspektive hatte Pierre Bourdieus (1982) Distinktionstheorie. Demnach haben z.B. Opern- oder Theaterbesuche eine so hohe soziale Funktion, dass bestimmte Milieus oder Schich-
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ten deshalb nicht kommen, weil sie sich nicht dazugehörig fühlen bzw. die dort stattfindenden sozialen Distinktionsprozesse in ihrer Lebenswelt keine Relevanz haben. Auf Merkmalsebene der ermittelten Barrieren betrifft dieser theoretische Zugang vor allem die mangelnde soziale Begleitung sowie verschiedene Imagezuschreibungen. 5.5.3.2 Die analytische Bewertung der Barrieren Der Darstellung der bestehenden Erkenntnisse über besuchsverhindernde Barrieren könnten Fragen nach deren Zusammenhang und einer möglichen Priorisierung folgen. Diese sind an dieser Stelle jedoch noch nicht abschließend zu beantworten, da die Barrieren aus verschiedenen Einzelstudien stammen und somit nicht auf ein einziges theoretisches und in sich logisches Modell zurückgehen. Teilweise weisen sogar die Forscher selbst darauf hin, dass eine Bewertung der empirisch ermittelten Barrieren im Sinne der Wichtigkeit nicht möglich war (Eckhardt et al. 2006: 281). Dennoch existieren einige theoretische Überlegungen zur Wertigkeit von objekt- und subjektbedingten Barrieren: Catherine Bunting vermutet in ihrer Studie für das Arts Council England, dass psychische Barrieren gewichtiger sind, als physische (2008a: 18). Auch Birgit Mandel verweist darauf, dass bestimmte objektbedingte Barrieren vermutlich nur vorgeschoben sind, während soziale und psychische Hinderungsgründe weitaus relevanter seien (2006: 203). Susanne Keuchel weist empirisch nach, dass durch Kulturmarketing abbaubare objektbedingte Barrieren von Jugendlichen weitaus seltener benannt werden, als persönliche und soziale Gründe (Keuchel 2006: 86). Das deckt sich mit der Erkenntnis der Studie des Deutschen Bühnenvereins, wonach „die Nutzungsbarriere einiger Segmente so hoch ist, dass selbst ein hoher Werbeaufwand keine Garantie für die Gewinnung dieser Segmente darstellt“ (Deutscher Bühnenverein 2003: 15). Tillmann Fischer macht in einer entscheidungsorientierten Studie zum Kaufverhalten auch deutlich, dass eine Theaterveranstaltung eher ein hedonistisches als ein utilitaristisches Produkt darstellt und daher objektive Erfahrungen zweitrangig sind, subjektive hingegen dominieren (Fischer 2006: 167). Nach dem Kultursoziologen Anwar Tlili können objektbedingte oder physische, wie z.B. körperliche Barrieren, relativ leicht durch das Kulturmanagement erkannt und abgebaut werden. Weiter führt er jedoch aus: „Or they can come in much more subtle forms when they have to do with attitudes and perceptions, on the part of both museum professionals and the non-visiting public.“ (Tlili 2008: 133)
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Diese auf individuelle Wahrnehmung basierenden Barrieren sind zwar schwerer zu identifizieren, werden jedoch als wirksamer bezeichnet (Scotish Arts Council 2005: 38). Es ist somit nicht nur eine Frage der Ressourcen, inwieweit eine Kultureinrichtung Barrierenabbau betreibt, sondern bereits eine Frage der empirischen Feststellbarkeit dieser Barrieren. Gehen diese offensichtlich vom Objekt aus (z.B. durch mangelnde behindertengerechte Gebäude) oder sind auf eine isoliert logisch nachvollziehbare Kausalität zurückzuführen (z.B. nicht erfolgte Bewerbung eines Stadtteils), so ist ihr Abbau recht deutlich vorgegeben. Liegen die Gründe jedoch in emotionalen (Tlili 2008: 133), also subjektbedingten Barrieren, so sind diese zum einen bereits nicht leicht zu benennen und zum anderen auch nicht so einfach im Sinne eines eindimensionalen Ursache-Wirkungsmodells empirisch identifizierbar. Solche theoretischen Modelle, die eher an den Forschungsgegenstand herangetragen werden, sind zwar üblich (und notwendig) in der quantitativen Sozial- und Marktforschung, der Forscher setzt sich aber ab einem gewissen Punkt dem Vorwurf des Positivismus aus. Denn objektbedingte Barrieren sind auch immer von den örtlichen und somit individuellen Begebenheiten der Kultureinrichtungen abhängig. Daraus resultiert das methodische Problem, dass eine standardisierte Überprüfung der Barrieren entweder individuell und den lokalen Besonderheiten Rechnung tragend stattfinden muss oder das Testinstrument sehr abstrakt bleiben wird. Dies kann jedoch zu einer abstrahierten Konstruktion der Realität führen, indem beispielsweise ‚mangelnde attraktive Serviceangebote‘ als besuchsverhindernde Barrieren überprüft werden, ohne dass damit eine Verwendbarkeit für die konkrete Praxis möglich wäre. Mark Schuster kommt in seinem Vergleich internationaler Teilhabestudien auch zu dieser Erkenntnis: „The fixed answers that are offered as possibilities to the respondents have very little to do with any circumstances that are changeable through policy intervention.“ (Schuster 2007: 125)
Je eher objektbedingte Barrieren durch das Kulturmanagement abbaubar sind, desto eher sind solche auf wenige Kausalitäten zurückgehende Modelle nützlich. Dies haben die weiter oben aufgeführten Überlegungen zum Eintrittspreis als Barriere und den damit verbundenen Konsequenzen für das Kulturmanagement gezeigt. Subjektbedingte Barrieren sind hingegen bereits schwerer mit solchen Modellen erfassbar, noch wird ihr Abbau zu einer unmittelbaren Besuchsaktivität führen und etwaige praktische Konsequenzen bedürfen mehr Kreativität und unterliegen somit auch einem höheren Risiko, da andere Faktoren eine nicht intendierte andere Wirkung haben.
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Abschließend kann also nach der Sekundäranalyse der bestehenden deutschsprachigen Barrierenforschung Folgendes zusammengefasst werden: Auf der inhaltlichen Ebene lassen sich einige objektbedingte Barrieren (wie z.B. mangelnde Infrastruktur, Eintrittspreise, mangelhafte Kommunikation) relativ einfach standardisiert erforschen und insbesondere im Rahmen des betrieblichen Marketings abbauen. Über Barrieren welche mit dem eigentlichen künstlerischen Angebot zusammenhängen (z.B. künstlerische Qualität, mangelnde Vermittlung) ist wesentlich weniger bekannt. Weder ihre Relevanz für die Unterbrechung von Motivationsprozessen, noch die potenzielle Abbaubarkeit ist wirklich erforscht. Auf der analytischen Ebene wurde deutlich, dass subjektbedingte Barrieren als wichtigere besuchsverhindernde Gründe benannt werden. Allerdings ist das quantitativ ermittelte Wissen über die meisten subjektbedingten Barrieren (z.B. mangelnde soziale Einbindung, fehlende Zeit) weder quantitativ noch qualitativ wirklich ausgeprägt. Auch wird auf methodischer Ebene deutlich, dass subjektbedingte Barrieren empirisch nicht so leicht standardisiert zu erheben sind, da sie weniger auf eindimensionale Ursache-Wirkungsmodelle zurückzuführen sind und die Themen sich gewissermaßen einer Standardisierung entziehen.
5.6 N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG ALS SOZIALE U NGLEICHHEITSFORSCHUNG Ausgehend von der bereits definierten Voraussetzung einer Grundmotivation für Barrierenforschung erweitert dieses Kapitel die Nicht-Besucherforschung um eine zweite Perspektive: An welchen Merkmalen bzw. Umwandlungsfaktoren kann die Existenz von Verwirklichungschancen festgemacht werden? Wie lassen sich diejenigen Gruppen beschreiben, welche eben nicht über entsprechende Teilhabechancen verfügen? 5.6.1 Fehlendes Interesse an Kulturveranstaltungen Wurde bisher gefragt, was Nicht-Besucher vom Besuch abhält, so stellt sich jetzt die Frage, welche Bedingungen dazu führen, dass Nicht-Besucher überhaupt gar kein Interesse an kulturellen Veranstaltungen verspüren. Es interessieren also Personen, die sich diesbezüglich durch Desinteresse auszeichnen und welche diese nicht-erfolgten Besuche auch nicht bedauern. Nora Wegner nennt diesen Teil der Nicht-Besucher „die wohl ,problematischste‘ Gruppe“ (Wegner 2010: 133) und gibt damit die Schwierigkeiten zu bedenken, mit kulturmanagerialen Instrumenten diese „renitenteren Segmente“ (Deutscher Bühnenverein 2003: 15)
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zu erreichen. Dieses Vorgehen ist im Gegensatz zur Barrierenforschung noch stärker subjektorientiert, da es perspektivisch nicht von einem kulturellen Objekt, sondern von einem individuellen Subjekt ausgeht. Die deutschsprachige Nicht-Besucherforschung wird weitgehend als Barrierenforschung betrieben. Untersuchungen des Freizeitverhaltens, wie beispielsweise im englischsprachigen Raum üblich und verbreitet (vgl. Hood 1983, DCMS 2007, Arts Council 2008), kommen als grundlegende Fragestellung in deutschsprachigen NichtBesucherforschungen nur am Rande vor oder sind Teil eines eher allgemeinen freizeitsoziologischen Interesses (z.B. Opaschowski 1997). Die bisher aufgeführten besuchsverhindernden Aspekte setzen alle ein Interesse voraus, welches dann durch Barrieren unterbrochen wird. Diejenigen Studien, welche grundsätzliches Interesse an Kulturveranstaltungen ermitteln, stellen jedoch alle fest, dass signifikant viele Befragte kein Interesse und damit auch keine Motivation zeigen, Kulturveranstaltungen zu besuchen. Folgende Beispiele zeigen den Anteil der Befragten, welche kein Interesse an Kulturveranstaltungen nennen. Wie bereits beschrieben, ist ein solcher Wertevergleich aufgrund von unterschiedlichen methodischen und theoretischen Prämissen der jeweiligen Studien nur unter großem Vorbehalt und zu illustrativen Zwecken zu verstehen: • • • • • • •
68% „interessieren Kulturveranstaltungen nicht“ (Keuchel und Wiesand 2008: 93) 61% nennen „kein/nur geringes Interesse“ an Kulturveranstaltungen (Mandel 2005) 59% haben „kein Interesse an Kulturveranstaltungen mit Schwerpunkt Erwachsenenbildung“ (Kolland 1996: 176) 56% sind nicht an Kulturveranstaltungen interessiert (Kuchenbuch 2005: 62) 45% der jungen Menschen mit niedriger Schulbildung haben kein Interesse an Kulturveranstaltungen (Keuchel 2006: 75) 33,7% haben „kein Interesse“ an Museen (Frank et al. 1991: 252) 29% der Europäer sind an Kulturveranstaltungen „not really interested“ (DCMS 2008: 4)
In den aufgeführten Fällen behindern also keine externen Einflüsse einen bestehenden Motivationsprozess eine Kulturveranstaltung zu besuchen, vielmehr spielen entsprechende Themen in der Lebenswelt der Befragten keine bedeutende Rolle und diese haben schlicht nicht in Erwägung gezogen, eine Veranstaltung zu besuchen (Kolland 1996: 176, Jacob 2009: 77). In einer Studie aus den 1970er Jahren wurde bereits deutlich, dass selbst im Falle eines freien Abends, ein Drittel der Befragten diesen zu Hause und nicht in einer Kultureinrichtung
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verbringen würde (Berger 1978: 61). Die Autorin dieser Theaterstudie kommt zum Schluss, dass der Mangel an Motiven schwerer wiegt, als Barrieren oder zu hohe Ansprüche (Berger 1978: 60). Eine neuere Studie über das Theaterinteresse der Rostocker Bevölkerung bestätigt dies: Demnach können sich 15% unter keinen Umständen einen Theaterbesuch vorstellen und nennen auch keine weiteren abzubauenden Barrieren (Gerdes 2000: 15). Auch Mark Schuster macht in seinem Vergleich internationaler Teilhabestudien darauf aufmerksam, dass Barrieren von Seiten der Nicht-Besucher selbst wesentlich seltener benannt werden (Schuster 2007: 125). Dieses Grundinteresse für Kulturveranstaltungen (Kirchberg 1992: 112, DCMS 2007: 36, Tlili 2008: 133) muss somit vor einstellungsrelevanten Fragen ermittelt werden. Dies entspricht auch den Empfehlungen zur Ermittlung von Aspekten zu Nicht-Besuchern des Deutschen Städtetags (Martin und Breu 1994: 181). Susanne Keuchel differenziert in der Rheinschienen-Untersuchung zwischen einer interessierten Gruppe „sowie einer nicht-mobilen Gruppe, die wenig Interesse aufbringt für kulturelle wie auch andere Themengebiete, sich nicht gezielt mittels Medien informiert“ (Keuchel 2003: 75). Das English Arts Council unterscheidet in der Darstellung der Barrieren zwischen denjenigen Personen, die häufiger und denjenigen die nicht häufiger kommen möchten und stellt fest, dass diejenigen, welche seltene Besuche nicht bedauern, am häufigsten „fehlendes Interesse“ als Grund für ihr Fernbleiben angeben (Arts Council 2004: 12, 35). Die Studie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ermittelt ebenfalls vorab, ob die Befragten ihre nur selten oder nie stattfindenden Besuche bedauern und macht dies zur Voraussetzung für die Ermittlung von Barrieren (Frank et al. 1991: 289). Denn zeigt ein Befragter keinerlei Grundinteresse an Kulturveranstaltungen und bedauert er dies auch nicht, so ist die Ermittlung (und auch der daraus resultierende praktische Abbau) von Barrieren in diesem Fall logisch wie theoretisch nicht begründet. Vielmehr besteht die Gefahr der Ergebnisverzerrung, wenn auch jene Subjekte zu Barrieren befragt werden: In standardisierten Erhebungsinstrumenten werden die Befragten selbstverständlich Angaben machen, welche jedoch rein hypothetisch zu verstehen wären. Dies wurde beispielsweise bei der Benennung von Eintrittsgeldern als Besuchsbarriere bei gleichzeitiger Unkenntnis der Preise deutlich: Obgleich die Befragten über keine Besuchserfahrung und die damit verbundene Preiskenntnis verfügen, benennen sie in einer Multiple-Choice-Auswahl ‚zu teure Eintrittspreise‘ als besuchsverhindernde Barriere. Eine gut gemeinte, aber auf methodisch schlechten empirischen Erhebungen basierende kulturmanageriale Konsequenz der Preissenkung, würde dann nicht das erwünschte Ziel von neuen Besuchern zur Folge haben.
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5.6.2
Sozio-demografische Einflussfaktoren auf Teilhabechancen
5.6.2.1 Bildung 2009 hatten 46% der deutschen Bevölkerung ab 25 Jahren einen höherwertigen Schulabschluss, also einen Realschulabschluss oder die Hochschulreife. In Bezug auf den beruflichen Bildungsabschluss verfügen 15% über einen Hochschulabschluss (Destatis 2011: 66). Bei allen Studien, welche Bildung thematisieren, stellt diese den wichtigsten gemessenen Einflussfaktor für kulturelles Interesse und Besuchsmotivation dar (Frank et al. 1991: 254, 341, Kirchberg 1996a: 153, Keuchel 2003: 102, Mandel 2005, Neuhoff 2007: 482, Mandel und Timmerberg 2008: 7 u.v.m.). Im Umkehrschluss ist niedrige Bildung also der wesentliche Grund für fehlendes Interesse und die Motivation Kulturveranstaltungen zu besuchen. Die ARD-ZDF-Studie kommt zu dem Schluss, dass „der Bildungsstand das prinzipielle Vorhandensein von Grundinteresse am Theater“ beeinflusst (Frank et al. 1991: 196): Je höher dieser ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für Kultur interessiert zu sein. Dies wird spartenunabhängig durch andere Studien bestätigt (Keuchel 2003: 96, Europäische Kommission 2007: 11), auch spezifisch für Jugendliche (Keuchel und Wiesand 2006: 75) oder ältere Menschen (Keuchel 2008: 80). Lediglich in Studien zum Musikpublikum wird für populäre Stile wie Volksmusik oder Schlager das Interesse bei überdurchschnittlich vielen Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen festgestellt (vgl. Dollase et al. 1986). Die Abhängigkeit des Interesses von einem gewissen Bildungsstatus betrifft auch die tatsächlichen Besuche von Kulturveranstaltungen: Höhere Schulbildung führt zu mehr kultureller Teilhabe (Allensbach Institut für Demoskopie 1991: 44, Keuchel 2002, Kirchberg 2005: 263, Eckhardt et al. 2006: 275). Hochschulabsolventen und Befragte mit Abitur sind somit unter den Besuchern extrem überdurchschnittlich repräsentiert (Frank et al. 1991: 188), Volks- oder Hauptschulabsolventen deutlich unterrepräsentiert (Henrichsmeyer et al. 1989: 43, Keuchel 2008: 49). Unter Berücksichtigung zeitlicher Aspekte ist anzumerken, dass auch in der jüngeren Vergangenheit Bildung Voraussetzung für kulturelle Teilhabe war: Karl-Heinz Reuband stellt beispielsweise fest, dass das Bildungsniveau von Opernbesuchern sowohl 1980, als auch 2004 dasselbe blieb (Reuband 2005b: 130). Dennoch haben sich die soziale Wertigkeit niedriger Bildungsabschlüsse und die damit verbundenen Berufschancen in den letzten 40 Jahren verändert. So ha-
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ben ältere Besucher weitaus häufiger eine niedrigere Schulbildung als jüngere. Susanne Keuchel erklärt dazu: „Dies liegt daran, dass vor 40-50 Jahren ein Hauptschulabschluss noch ganz andere berufliche Möglichkeiten zuließ und nicht so eindeutig wie heute mit einer spezifischen Schichtzugehörigkeit einherging.“ (Keuchel 2003: 86)
Des Weiteren führt sie aus, dass gegenwärtig diese Älteren die Statistiken noch beschönigen, da sie im Gegensatz zu jüngeren Hauptschulabsolventen durchaus Kulturveranstaltungen besuchen. Es ist jedoch absehbar, dass dieser Generationeneffekt in Zukunft nicht mehr auftritt und die ‚Bildungsschere‘ noch deutlicher werden wird (Keuchel 2003: 96). Die seit den 1990er Jahren feststellbare Zunahme der Veränderung der Gesellschaft in Bezug auf die individuellen Schulabschlüsse zu Gunsten von mehr Abiturienten und weniger Hauptschulabsolventen führten jedoch nicht automatisch zu absolut mehr Kulturbesuchen (Klein, H.-J. 1997: 35). Aufgrund des enormen Stellenwerts dieses Merkmals in der Diskussion um kulturelle Teilhabe können folgende Auszüge aus diversen Studien das Phänomen illustrieren: •
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„Das Bildungsniveau der befragten Opernbesucher ist ausgesprochen hoch: 43% der Befragten verfügen über einen Hochschulabschluß, weitere 24% besitzen die allgemeine Hochschulreife oder die Fachhochschulreife. Volksund Hauptschulabsolventen machen nur einen Anteil von 8% aus.“ (Henrichsmeyer et al. 1989: 43) Jeweils ca. 75% der Besucher von Theatern und Kunstmuseen verfügen über mindestens einen Realschulabschluss (Frank et al. 1991: 188, 250). 48% der Nicht-Besucher haben maximal einen Hauptschulabschluss (Opaschowski 2005: 212). „Der Anteil der jungen Hauptschüler bzw. Hauptschulabsolventen, die schon einmal ein künstlerisches Bildungsangebot wahrgenommen haben, liegt bei gerade einmal acht Prozent.“ (Keuchel und Wiesand 2006: 49) „So ist der Anteil der wenig bzw. überhaupt nicht Kulturinteressierten unter den 14- bis 24-Jährigen mit niedriger Schulbildung seit 2004 um 16 Prozentpunkte gestiegen.“ (Keuchel und Larue 2012: 190)
Eine erste Erklärung für diese Diskrepanzen liegt in der Annahme, dass Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen auch über entsprechend weniger oder gar kein Wissen über Kulturveranstaltungen und die damit verbundene Deko-
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dierfähigkeit als Grundlage für wissensbasierte Rezeption verfügen. So kommt Susanne Keuchel beispielsweise zu dem Schluss, dass Bildungsferne auf sehr wenig Wissen bezüglich Ablauf und Fakten einer Kulturveranstaltung zurückgreifen können (Keuchel 2003: 109). Konkret ermittelt Josef Eckhardt, dass ein Großteil der Gelegenheitsbesucher, dem Satz „Ich kenne mich in klassischer Musik zu wenig aus“ zustimmt (Eckhardt et al. 2006: 281). Eine solche Abfrage setzt eine methodisch problematische Selbsteinschätzung des eigenen Wissensstands und der damit verbundenen Definitionshoheit, was „zu wenig“ konkret bedeutet voraus. Dies umgehen einige Studien, in dem sie – teils forschungsökonomisch sehr aufwendig – das tatsächliche Wissen über konkrete Aspekte abfragen. So ermittelt Hans-Joachim Klein das Wissen über bestimmte potenzielle Ausstellungsstücke ohne musealen Bezug und führt aus, dass mit höherem Bildungsstand „die Erkenntnisquote bei allen Objektarten“ zunimmt (Klein, H.-J. et al. 1981: 211). Dies bestätigt die ARD-ZDF-Studie, welche die Bekanntheit spezifischer Werke beispielsweise der Kunst (Frank et al. 1991: 252) oder der klassischen Musik (Frank et al. 1991: 274) in Abhängigkeit vom Bildungsstand ermittelt. Anzumerken bleibt, dass Bildung in der quantitativen Sozialforschung fast ausschließlich über den höchsten Abschluss ermittelt wird (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2010), eine weitere Binnendifferenzierung jedoch nicht erfolgt und dies der immensen Komplexität des Bildungsbegriffs (vgl. Dörpinghaus et al. 2008) selbstverständlich nicht gerecht wird. So führt allein das Vorhandensein eines Hochschulabschlusses zu einer entsprechenden Kategorisierung. Nicht formale Bildung, welche nicht an einen Abschluss gebunden ist, oder die Studienrichtung – und damit verbunden ein potenzielles Kulturinteresse – werden nicht weiter untersucht. Dies ist insofern problematisch, als dass keine differenzierten Erkenntnisse über Nicht-Besucher mit Hochschulabschluss existieren. Eine entsprechende Untersuchung wäre deshalb interessant, da beispielsweise seit den 1970er Jahren Angehörige aus mittleren und niedrigeren Bildungsmilieus über den zweiten Bildungsweg zu einem Hochschulabschluss gekommen sind, ohne dass sich dies insgesamt in der Zahl der Besucher abgebildet hätte. 5.6.2.2 Geschlecht Die sozio-demographische Analyse des Kulturpublikums kann auch geschlechtsspezifische Diskrepanzen zur allgemeinen Verteilung aufdecken. Geschlechterrollen sind sozial geprägt und unterliegen somit gesellschaftlichen Bedingungen. Frauen sind grundsätzlich eher für Kultur zu begeistern (Eckhardt et al. 2006:
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274, Keuchel 2006: 56, Depner-Berger 2008: 5). Aus der Freizeitforschung ist bekannt, dass Frauen mehr „kommunikativ-entspannungsorientierte“ und Männer mehr „aktiv-leistungsbezogene“ Freizeitaktivitäten bevorzugen (Opaschowski 1997: 100f). Punktuell gibt es inhaltsrelevante Überhänge, wie beispielsweise einen leichten Männerüberschuss in technischen Museen (Klein, H.-J. 1990: 157, Kirchberg 2005: 264). Susanne Keuchel entwirft in diesem Zusammenhang den Kulturtypus „Der Begleiter“. Dieser ist prinzipiell weniger an Kultur interessiert, besucht jedoch als Begleitperson dennoch Kulturveranstaltungen. In 80% der Fälle trifft dies auf Männer zu (Keuchel 2003: 84). Interessant ist in diesem Kontext die Frage nach der Besuchsmotivation: ‚Der Begleiter‘ ist extrinsisch motiviert, in dem eben die Begleitung einer ihm wichtigen Personen im Vordergrund steht. Betriebswirtschaftliche Studien zum Kaufverhalten zeigen, dass ästhetische Präferenzen bei Frauen häufiger ausschlaggebend sind als bei Männern (Fischer 2006: 174). Erklärungen für diese Unterschiede werden in den aufgeführten Studien selten untersucht. Eine englische Untersuchung stellt fest, dass Mädchen in ihrer Kindheit vergleichsweise häufiger von den Eltern zu Kulturbesuchen veranlasst werden als ihre Brüder (Arts Council 2009: 10). 5.6.2.3 Sozialisation Zahlreiche Autoren betonen daher die Wichtigkeit biografischer Erfahrungen mit Kunst und Kultur für das Interesse Kulturveranstaltungen zu besuchen (Kolland 1996: 9, Kuchenbuch 2005: 67, Keuchel 2006: 19, DCMS 2008: 8, Arts Council 2009: 4). Generell korrelieren Kulturbesuche in der eigenen Kindheit signifikant positiv mit der späteren Nutzung (Frank et al.1991: 259, 287, Kolland 1996: 166, Arts Council 2009: 4). Entsprechend häufig verfügen Nicht-Besucher generell über keine ausgeprägte Sozialisation mit Kulturveranstaltungen (Frank et al. 1991: 345), vor allem fehlen Besuche mit und Anregungen durch Eltern und Familie in der Kindheit (Hood 1983: 54, Keuchel 2006: 87). Der soziale Status (Arts Council 2009: 9) sowie der formale Bildungsabschluss (Keuchel und Wiesand 2006: 79) der Eltern sind die wichtigsten Einflussfaktoren darauf, ob Kulturbesuche mit Eltern in der Kindheit stattfinden oder nicht. Die Wichtigkeit einer frühen Hinführung zu Kulturbesuchen verdeutlichen Susanne Keuchel und Andreas J. Wiesand, wonach lediglich 2% der ‚Generation 50+‘ erst im Alter kulturell aktiv wurden (Keuchel und Wiesand 2008: 80). Eine Aktivierung im Alter findet somit fast nicht statt und es lässt sich in den verschiedenen Altersgruppen eine „erstaunliche Kontinuität beobachten“ (Keuchel und Wiesand 2008: 70).
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Das Engagement des Elternhauses hat demnach eine nachhaltigere Auswirkung auf das kulturelle Interesse von Jugendlichen als das der Schule (Mandel 2008: 28). Bei denjenigen, die nur über die Schule Kontakt zu Kunst und Kultur hatten, ist der Anteil der Nicht-Interessierten dreimal so hoch, wie bei denjenigen, die auch über das eigene Elternhaus Kontakt hatten (Keuchel 2006: 82). Denn „schulische Sozialisation allein bringt diese Zergliederung der kulturellen Landschaft jedoch sicherlich nicht zustande“ (Schulze 1993: 191). Bemerkenswert sind die Unterschiede in den Schulformen: Schüler an Hauptschulen besuchen weitaus seltener Kultureinrichtungen mit der Schule als Gymnasiasten, so dass der Zusammenhang zwischen Bildung und Kulturbesuchen „derzeit also durch die Schule noch verstärkt statt relativiert“ wird (Keuchel und Wiesand 2006: 78). Weniger Einfluss auf das Interesse am Kulturgeschehen von Jugendlichen haben „außerschulische kulturelle Bildungseinrichtungen“ (Keuchel und Wiesand 2006: 77), obwohl diese in den letzten Jahren verstärkt zielgruppenorientierte Angebote gemacht haben (vgl. Keuchel und Weil 2010). Ein aktueller Zeitvergleich zeigt, dass der Anteil der jugendlichen Nicht-Besucher zwischen 2004 und 2011 zwar „von 17% auf 13%“ (Keuchel 2014: 65) gesunken ist, diese Steigerung der Besuchsaktivitäten allerdings nicht zu einer Steigerung des Interesses an Kulturveranstaltungen geführt hat (Keuchel 2014: 66). Die für die Kultureinrichtungen betriebswirtschaftlich, wie auch kultur- und bildungspolitisch wichtige Zielgruppe der Schüler, welche beispielsweise das Museum im Klassenverband besuchen, ist bezüglich der Motivationsfrage also dahingehend interessant, dass primär eine extrinsische Motivation, zum Teil sogar ein Zwang, ausschlaggebend für den Besuch ist. Entsprechend wichtig sind in diesem Zusammenhang Multiplikatoren, wie Lehrer oder Eltern, welche die Besuche verantworten. Wie solche Besuche in der Schulzeit bewertet und konnotiert werden, ist in den standardisierten Erhebungen noch nicht wirklich erforscht. Jugendliche als Teilgruppe der Nicht-Besucher unterscheiden sich bezüglich der wichtigsten Merkmale nicht wesentlich von den anderen Altersgruppen. So ist z.B. der angestrebte formale Bildungsabschluss entscheidend für Interesse am Kulturgeschehen (Keuchel und Wiesand 2006: 75) und als besuchsverhindernde Barrieren nennen Jugendliche an erster Stelle „fehlendes Interesse des Freundeskreises“ (Keuchel und Wiesand 2006: 83). Neben detaillierten Studien zu Jugendlichen rücken seit einigen Jahren zunehmend auch Senioren in den Fokus der empirischen Besucherforschung (Keuchel und Wiesand 2008). Weitere altersspezifische Einflüsse auf das Interesse und die Motivation sind darüber hinaus nicht wirklich untersucht worden, was damit zu erklären ist, dass die vorliegenden Studien fast ausschließlich auf Querschnittsuntersuchungen basieren. Einige Erkenntnisse leistet die Freizeitfor-
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schung, welche beispielsweise empirisch nachgewiesen hat, dass nach einer Partnerfindung das persönliche Freizeitbudget „zugunsten der gemeinsamen Freizeit mit dem Partner eingeschränkt“ wird und „die aushäusigen Freizeitaktivitäten und Unternehmungen“ verringert werden (Opaschowski 1997: 91). Die „Familienfreizeit“ mit Kindern beansprucht noch mehr „persönliche Freizeit“, welche zumindest bei Frauen erst mit älter werdenden Kindern wieder zunimmt (Opaschowski 1997: 93). Der Abgleich von Erkenntnissen über Besuchsverhalten mit dem Lebensalter der (Nicht-)Besucher macht einen interessanten spartenspezifischen Unterschied deutlich: Während im Museum Senioren signifikant unterrepräsentiert sind (Klein, H.-J. et al. 1981: 120, 140, 1990: 158, 172) dominieren diese überdurchschnittlich das Publikum im Theater (Tauchnitz 2000), klassischen Konzert (Eckhardt et al. 2006: 273f) und in der Oper (Reuband 2005b: 136). Hans-Joachim Klein begründet dies für die Institution Museum mit unterschiedlichen Tendenzen beim kollektiven Erleben und der gewählten Begleitung: „In jungen Jahren besucht man Museen am häufigsten mit Freunden, in mittleren Jahren in Familie und im Alter allein.“ (Klein, H.-J. et al. 1981: 140)
Für das Kölner Opernpublikum stellt Rainer Dollase 1980 ein Durchschnittsalter von 37 bzw. 39 Jahren fest. Mehr als zwanzig Jahre später ermittelt Karl-Heinz Reuband am gleichen Ort ein Durchschnittsalter von 55 Jahren, während der Durchschnitt der Kölner Gesamtbevölkerung nur leicht von 46 auf 48 Jahre angestiegen war (Reuband 2005b: 127f). Diese Diskrepanz wird dann zum kulturpolitischen und kulturmanagerialen Problem, wenn es sich bei diesen Tendenzen um Generations- und nicht um Alterseffekte handelt und zukünftige Generationen mehrheitlich Nicht-Besucher von Opern und Theatern werden. Alterseffekte treten dann ein, wenn in einem definierbaren Alter „die Betreffenden faktisch ein bestimmtes Merkmal, z.B. Renteneintritt“ erreichen (Burzan 2008: 47). Diese Effekte sind für langfristige Strategien also nicht problematisch, da sie zyklisch und kontinuierlich auftreten. Generations- oder Kohorteneffekte beziehen sich hingegen auf eine Gruppe, welche innerhalb eines bestimmten Zeitraums geboren wurde und sich durch kollektive Erfahrungen oder Umwelteindrücke auszeichnet (Fischer 2006: 155). Einige Autoren vertreten die Ansicht, dass es sich zumindest bei dem hohen Durchschnittsalter des Opernpublikums um einen Generationeneffekt handelt, welcher im schlimmsten Fall dazu führen kann, dass in einigen Jahren kein Opernpublikum mehr existiert (Reuband 2005b: 136, Klein, A. 2008: 88). Zeitvergleichende Studien stellen diesen Effekt auch in anderen Sparten fest (Peter-
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son et al. 2000: 2, Keuchel 2006: 108, 2014: 65, Treinen 2012: 20). Hans Neuhoff konstatiert zumindest für das Klassikpublikum einen Alterseffekt (Neuhoff 2001: 81f), bei anderen Musikpublika, wie z.B. Liedermacher oder Jazz, stellt er hingegen auch Generationeneffekte fest (Neuhoff 2007: 481). Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass tendenziell das Besuchsverhalten rückläufig ist und nachfolgende Generationen nicht im gleichen Ausmaß öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen besuchen (Treinen 2012: 20). Unabhängig von diesem langfristigen Problem sind Kultureinrichtungen bereits derzeit vom demographischen Wandel zu einer Verschiebung zu mehr Älteren beeinflusst. Ende 2009 lag der Anteil der über 65-Jährigen bei 21% mit kontinuierlich steigender Tendenz (Destatis 2011: 14). Die Autoren des ‚KulturBarometers 50+‘ fordern daher im Rahmen eines kulturpolitischen Auftrags den „Ausbau der Angebotsstruktur zu altersadäquaten Formaten, die nicht nur das bisherige Publikum differenziert bedienen, sondern auch weitere Teile der Bevölkerung jenseits der 50 oder 60 motivieren, am kulturellen Geschehen zu partizipieren“ (Keuchel und Wiesand 2008: 8). Dies kann beispielsweise durch die Gestaltung der Distributionspolitik nach den besonderen Präferenzen Älterer erfolgen: Diese bevorzugen weniger entscheidungs- und unsicherheitsintensive Distributionsmöglichkeiten, wie beispielsweise Abonnements (Fischer 2006: 160). Zudem wünschen Teile des älteren Publikums frühere Anfangszeiten (Sieben o.J.: 47). 5.6.2.4 Migrationshintergrund 2009 besaßen knapp 9% der in Deutschland lebenden Menschen keine deutsche Staatsangehörigkeit (Destatis 2011: 19). Dieser Wert ist seit Ende der 1980er Jahre etwa gleich geblieben. Obgleich es statistisch recht einfach messbar ist, gilt das Merkmal der Staatsangehörigkeit ab den 2000er Jahren in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen als überholt. Seit 2005 wird deshalb der Migrationshintergrund erfasst. Dieses Merkmal betrifft neben den Menschen welche nach 1949 nach Deutschland eingewandert sind bzw. mit fremder Staatsangehörigkeit in Deutschland geboren wurden auch „die hier geborenen Deutschen mit zumindest einem Elternteil, der zugewandert ist oder als Ausländer in Deutschland geboren wurde“ (Destatis 2011: 188). 2009 traf dies auf 20% der deutschen Bevölkerung zu (Destatis 2011: 188), mit anhaltend leicht steigender Tendenz seit 2005, was durch den Anstieg der in Deutschland geborenen Kinder mit Migrationshintergrund erklärt wird. Diese Merkmale wurden in früheren Studien meist gar nicht erhoben (z.B. Schulze 1993: 29) und wenn, dann im Rahmen von touristischen Erkenntnisinte-
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ressen: So lag Ende der 1980er die relative Zahl der ausländischen Museumsbesucher beispielsweise im Raum Westfalen-Lippe bei nur 5% (Klein, H.-J. 1990: 25), die bei den Opernbesuchern in Bonn bei nur 2,1% (Henrichsmeyer et al. 1989: 42). Erst seit einigen Jahren rückt das Merkmal des Migrationshintergrunds auch in der Folge einer sich verändernden Migrationspolitik in Deutschland zunehmend in das Interesse der Kulturmanagementforschung (z.B. Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen 2010, Keuchel 2012, Mandel 2013). Eine Pilotstudie zum Besuchsverhalten von Migranten in Dortmund ergab ein mit der Mehrheitsgesellschaft vergleichbares Interesse, jedoch geringere Nutzung von klassischen Kultureinrichtungen (Cerci 2008: 3). Das ‚1. InterKulturBarometer‘ bekräftigt in einer die deutsche Bevölkerung repräsentierenden Studie diese Unterschiede: „Deutlich seltener haben Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund bisher Angebote der Theater, Kunstmuseen und Opernhäuser besucht. Dies gilt im besonderen Maße für solche, die aus weiter entfernten Kulturräumen stammen.“ (Keuchel 2012: 121)
Somit ist die Entfernung des Herkunftslandes ein besonderes Indiz für fehlendes Interesse und folglich weniger Besuche von Kulturveranstaltungen. Allerdings zeigen aktuelle Studien, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Bezug auf die Besuche von Kulturveranstaltungen nicht als in sich homogene Gruppe begriffen werden können (Ministerpräsident des Landes NRW 2010: 16, Allmanritter 2014: 35). Es scheint, dass das soziale Milieu und der formal höchste Bildungsabschluss der Menschen mit Migrationshintergrund einflussreicher auf das Besuchsverhalten ist, als die ethnische Herkunft (Ministerpräsident des Landes NRW 2010: 11, Allmanritter 2014: 38). Auch bestätigt Birgit Mandel in ihrer Forschung zum ‚Interkulturellen Audience Development‘, dass Theater- und Museumsbesucher mit Migrationshintergrund „weit überwiegend eine höhere Bildung aufweisen“ (Mandel 2013: 36) und sich demnach diesbezüglich nicht vom Rest des Publikums unterscheiden. Zudem zeigte eine Befragung von einkommensschwachen Besuchern, dass selbst in dieser Merkmalsgruppe Menschen mit Migrationshintergrund tendenziell noch besser ausgebildet waren, als die Gesamtheit (Renz 2013: 13). 5.6.3 Psychografische Einflussfaktoren auf Teilhabechancen Bis in die 1980er waren die sozio-ökonomischen Merkmale Einkommen, Beruf und Bildung theoretische Grundlage der empirischen Sozialforschung zur Beschreibung der Gesellschaft. Das daraus entstandene Schichtenmodell wurde je-
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doch in Folge zunehmenden Wohlstands und wachsender Mobilität, veränderter Freizeitaktivitäten und Bildungsexpansion nicht mehr den gesellschaftlichen Bedingungen gerecht. Indem alte Werte an Wichtigkeit verloren und die Schichten durchlässiger wurden, wurden neue Kennzeichen zur Beschreibung der Gesellschaft notwendig. Das recht einfache Schichtenmodell wurde von einem komplexeren Modell der Lebensstilkonzepte und Milieus abgelöst (vgl. Müller 1992, Schulze 1993, Hradil 1999). Zu den neuen gruppenkonstituierenden psychografischen Merkmalen zählten beispielsweise Wertorientierung (Gluchowski 1987) oder ästhetische Präferenzen. Vor allem Letztere spielen in der Entstehung von Milieus eine wesentliche Rolle, Gerhard Schulze (1993) benennt sogar eine ‚Ästhetisierung des Alltags‘ als Kennzeichen moderner Lebensstile und macht Alltagserleben somit neben Alter und Bildung zum zentralen Merkmal. Während z.B. bei Pierre Bourdieu (1982) ökonomische Merkmale noch einen wichtigen Einfluss auf die Konstruktion hierarchischer Modelle hatten und Erklärungen für unterschiedliche Teilhabe in den Strukturen gesucht wurden, entwickelten ab den späten 1980er Jahren Forscher wie z.B. Stephan Hradil (1999) ‚Milieus‘, welche auf gleichberechtigten objektiven (z.B. Alter, Geschlecht) und subjektiven (z.B. Wertvorstellungen, Lebensziele) Faktoren basieren. Dadurch konnten kulturelle Aktivitäten auch zunehmend individualistisch erklärt werden: Indem äußere gesellschaftliche Zwänge an Wichtigkeit abnehmen, steigt der Einfluss individueller Motive. Dieser Wandel wurde auch in der betriebswirtschaftlichen Marktforschung vollzogen. Märkte werden in homogene Segmente unterteilt (Klein, A. 2001: 259) und psychografische Merkmale spielen dabei eine wesentliche Rolle, beispielsweise in den SINUS-Milieus. Für die empirische Besucherforschung hat diese Entwicklung die Folge, dass Studien ab den 1990er Jahren auch psychografische Merkmale erheben und Kulturbesuchertypen bilden. Deutsche (vgl. Kirchberg 1996b) wie auch internationale Autoren (vgl. Andreasen und Belk 1980) befinden Lebensstilanalysen in der Besucherforschung für gegenstandsangemessener als die klassischen sozio-ökonomischen Merkmale. Trotz dieses theoretischen Wandels innerhalb der Sozialforschung werden psychografische Kennzeichen in den bekannten Publikumsstudien mit wenigen Ausnahmen (z.B. Bund der Deutschen Katholischen Jugend 2007, Terlutter 2000, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen 2010) vergleichsweise selten untersucht. Eine Untersuchung der kulturmanagerialen Befragungsaktivitäten der größten deutschen Theater und Opern fand lediglich zwei Fragebögen, in welchen psychografische Kennzeichen überhaupt ermittelt wurden (vgl. Renz 2010). Diese Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis ist zum einen auf den damit verbundenen methodischen Mehraufwand in der Datenerhebung, wie
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auch -auswertung zurückzuführen. Zum anderen führen aber auch Besucherforscher selbst an, dass sozio-demografische Merkmale auch weiterhin eine wesentliche typenbildende Rolle spielen. Hans Neuhoff benennt auch in der Lebensstilforschung „Alter, Bildung und Geschlecht […] als die wichtigsten Bestimmungsgrößen“ (Neuhoff 2007: 480). Teilnehmer eines Methodenworkshops konstatierten 2012, dass sich auch „durch eine noch differenziertere Abfrage soziodemografischer Daten […] realistische Typologisierungen erstellen“ ließen (Mandel und Renz 2012: 60). Somit hat die empirische Besucherforschung die Idee übernommen, in sich homogene Gruppen aus den untersuchten Fällen zu generieren, welche eben nicht mehr ausschließlich oder primär über sozio-ökonomische Kennzeichen definiert werden. Dies geht einher mit der Weiterentwicklung statistischer Auswertungsverfahren hin zu multivariaten Analysen, insbesondere der Korrespondenzund Clusteranalyse. Dabei wird ermittelt, inwieweit verschiedene Merkmale an bestimmten ‚Klumpen‘ auffällig häufig die gleichen Ausprägungen aufweisen. 5.6.3.1 Nicht-Besucher innerhalb Besuchertypologien Die bekannten Besuchertypen können Erkenntnisse zum Lebensstil der NichtBesucher aufzeigen, wenn auch nicht immer explizite Nicht-Besucher-Typen definiert werden. Gerhard Schulze entwickelt in der ‚Erlebnisgesellschaft‘ drei Schemata: Das Hochkultur-, Trivial- und Spannungsschema. Obgleich NichtBesucher von Theater und Museen nicht wirklich zu Schulzes eigentlicher Forschungsfrage zählen, können diese teilweise dem Trivialschema zugeordnet werden. Schulze fasst darin „ein Bündel alltagsästhetischer Tendenzen“ zusammen, welche zum einen zur populären Volkskultur gehören, zum anderen auch Symptom einer Spießbürgerkultur sind (Schulze 1993: 150). Dazu zählen exemplarisch die Vorliebe für Gartenzwerge, Blasmusik und in „Kupfer getriebene Pferdeköpfe auf Teakholz“ (Schulze 1993: 150). Dieses Milieu erlebt Freizeit ohne große Dekodierleistung. Das Erlebnis strengt geistig nicht an (Schulze 1993: 151), vielmehr spielt der Körper eine wichtige Rolle: „Schunkeln, Stampfen, Mitklatschen und Zuprosten“ (Schulze 1993: 151) prägen das kulturelle Verhalten. Typische Eigenschaften sind Rückzug und Resignation, Flucht vor Zwängen und die Betonung eines ‚Happy Ends‘. Es findet keine aktive Distinktion statt, vielmehr grenzt sich das Hochkulturschema von genau diesem Milieu ab (Schulze 1993: 152). Die ARD-ZDF-Studie ermittelt in einer Clusteranalyse vier Publikumstypen, darunter die „Kulturfernen“ welchen 11% der Befragten zugerechnet werden (Frank et al. 1991: 345). Diese Gruppe weist generell keine Berührungspunkte
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mit institutionellen Kulturangeboten auf. Die sozio-demographischen Aspekte entsprechen den o.g. Erkenntnissen niedriger Bildungsabschlüsse, fehlender kultureller Sozialisation und eher niedrigem Einkommen. Insgesamt zeichnen sich die „Kulturfernen“ durch „eine Kumulation von Merkmalsausprägungen, die auf strukturelle Defizite und soziale Deprivation verweisen“ (Frank et al. 1991: 348) aus. Ihr eher passiv geprägtes Freizeitverhalten ist durch Rückzug ins Private, „Aktivitäten mit informellem Charakter und sozialräumlichen Nahweltbezügen“ und seltenes abendliches Ausgehverhalten bestimmt. Überrepräsentiert sind Mitgliedschaften in Heimat-, Schützen- und kirchlichen Vereinigungen sowie ausgeprägter Fernsehkonsum (Frank et al. 1991: 348). Ralf Terlutter erstellt in seiner auf psychografischen Merkmalen basierenden Studie über das Publikum von Kunstmuseum das Besuchersegment der eher gesellig-orientierten „Kulturmuffel“, welche wenn sie schon einmal ins Museum gehen, dies nur tun, „um aktuell zu sein“ jedoch „weder wegen der kulturellen Bildung, noch um Spaß zu haben“ (Terlutter 2000: 127). Altersspezifische Typen entwickelt Susanne Keuchel in ihren Kulturbarometern. Bei den Senioren entsteht eine Gruppe der „passiv Älteren“ mit „deutlich eingeschränkter kultureller Aktivität“ (Keuchel und Wiesand 2008: 47). Diese Gruppe zeichnet sich durch niedrigere Bildungsabschlüsse, gesundheitliche Einschränkungen und mehr betreuter Wohnverhältnisse aus (Keuchel und Wiesand 2008: 47). Immerhin 33% der befragten Jugendlichen im ‚Jugend-KulturBarometer‘ zählen zum Typus des „kulturellen Randgängers“ (Keuchel und Wiesand 2006: 53). Diese Gruppe ist durch seltene Berührung mit Kunst und Kultur geprägt. Zwar werden keine psychografischen Merkmale zur Beschreibung des Typus herangezogen, dennoch werden seltene Kulturaktivitäten benannt: Diese liegen in populären Sparten, wie Rockmusik, Comedy oder Actionfilmen, im klassischen Bereich am ehesten in der Literatur (Keuchel und Wiesand 2006: 53). Die Nicht-Besucherstudie des Deutschen Bühnenvereins, welche ebenfalls ausschließlich Jugendliche befragt hat, entwickelt verhältnismäßig viele Besuchertypen, darunter die der „Vermeider“. Für diese sind Theaterbesuche mit umständlicher Information, anstrengender Konzentration und unpassender Atmosphäre verbunden (Deutscher Bühnenverein 2003: 10). 5.6.3.2 Freizeitgestaltung von Nicht-Besuchern Die aufgeführten Besuchertypen beinhalten nur stellenweise psychografische Merkmale der Nicht-Besucher. Indem in diesem Kapitel die Perspektive der Nicht-Besucherforschung auch als Freizeitforschung eingenommen wird, liegt es nahe, das empirisch überprüfte Wissen zu den Präferenzen der Freizeitgestaltung
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zusammenzutragen. Ohne an dieser Stelle die Geschichte der Freizeit nachzeichnen zu wollen (vgl. hierzu ausführlich Opaschowski 1997, Freericks 2010), ist anzumerken, dass das Negativmodell Freizeit nur als Gegensatz zur Arbeit wahrzunehmen, veraltet ist. In der Freizeit gewinnt demnach die Funktion der Verbesserung der Lebensqualität zunehmend an Wichtigkeit (Opaschowski 1997: 31). Demnach ist es interessant die Funktionswünsche von NichtBesuchern für deren Freizeitgestaltung zu untersuchen. Eine gängige Systematisierung von Freizeit unterscheidet zwischen regenerativen, kompensatorischen und suspendierenden Funktionen (Frank et al. 1991: 85). Da diese Perspektive in der deutschsprachigen Besucherforschung wie aufgeführt nicht weit verbreitet ist, werden auch internationale Studien, insbesondere die der US-Amerikanerin Marylin Hood (1983) herangezogen. Diese machte als eine der ersten jenen Perspektivwechsel zum Grundvorgehen ihrer NichtBesucherforschung in Museen. Indem sie die Freizeitaktivitäten der NichtBesucher und deren damit verbundenen Funktionswünsche und Besucherwartungen ermittelt, versucht sie Rückschlüsse auf eine nicht-besucherorientierte Gestaltung der künstlerischen Angebote und der Vermittlungsarbeit zu ziehen. Die Verortung von Kulturbesuchen innerhalb der Freizeitgestaltung führt zu einer wesentlichen Prämisse: Unter prozessualen Aspekten liegt der Entscheidung eine Kulturveranstaltung zu besuchen nicht die ausschließende Frage, ob diese besucht werden soll oder ob sie nicht besucht werden soll zu Grunde. Vielmehr findet die Entscheidung im Rahmen eines Auswahlverfahrens unter zahlreichen konkurrierenden Freizeitangeboten statt (Hood 1983: 51). Volker Kirchberg führt diesbezüglich die Wert-Erwartungs-Theorie auf, welche individuelles Handeln als Resultat rationaler Entscheidungsprozesse versteht. Aus verschiedenen Handlungsalternativen wird diejenige ausgewählt, welche am meisten Nutzen verspricht (Kirchberg 1992: 100). Deutlich wird, dass es notwendig ist, die Erwartungen der Nicht-Besucher bezüglich ihrer Freizeitgestaltung zu ermitteln. Marylin Hood überprüft in ihrer quantitativen Forschung folgende potenzielle Funktionen von Freizeitgestaltung: • • • • • •
being with people or social interacting, doing something worthwhile, feeling comfortable and at ease in one’s surroundings, having a challenge of new experiences, having an opportunity to learn, participating actively (Hood 1983: 51).
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Im Gegensatz zu den Präferenzen der häufigen und gelegentlichen Besucher bevorzugen nach Hood typische Nicht-Besucher soziale Interaktion, aktive Teilnahme, Wohlfühlen und sich im eigenen Umfeld entspannen (Hood 1983: 54). Abschließend stellt die Autorin fest, dass diese Attribute auf Museen weitaus seltener zutreffen, als beispielsweise auf Sportaktivitäten, ein Picknick oder den Einkaufsbummel in Shopping-Malls (Hood 1983: 54). Das englische Department for culture, media and sports stellt fest, dass Aktivitäten mit der Familie oder generell in Gemeinschaft vor allem in Milieus ohne Interesse an Kulturbesuchen bevorzugte Freizeitaktivitäten darstellen (DCMS 2007: 56). Birgit Mandel und Vera Timmerberg bestätigen in einer deutschen Untersuchung zur kulturellen Teilhabe im Ruhrgebiet, dass soziales Erleben im Freundes- und Familienkreis sowie eine ungezwungene Atmosphäre die Bereitschaft erhöht, Kulturveranstaltungen zu besuchen (Mandel und Timmerberg 2008: 7). Die aus der Ermittlung der Wunschfunktionen der Freizeitgestaltung von Nicht-Besuchern gezogenen Rückschlüsse für Kulturvermittlungsangebote und Produktgestaltung garantieren jedoch nicht automatisch eine Nutzung durch die entsprechende Zielgruppe. Die an Nicht-Besuchern orientierte Gestaltung ist jedoch Voraussetzung für eine nachhaltige Nutzung in dem Sinne, dass die durch Vermittlungs- und Kulturmarketingaktivitäten mobilisierten Erst-Besucher den Kulturbesuch, als ihre erlebte Handlung, im Abgleich mit ihren grundsätzlichen Wunschfunktionen positiv bewerten. Ein weiteres bei Nicht-Besuchern signifikant feststellbares Alternativinteresse sind eigene sportliche Aktivitäten (Hood 1983: 64) oder der Besuch von Sportveranstaltungen (Klein, H.-J. et al. 1981: 175). Auch bei der Förderung der eigenen Kinder wird häufig Sport als Alternative zu kulturellen Bildungsangeboten vorgezogen (Keuchel 2006: 81). Ebenso überdurchschnittlich korreliert geringes Kulturinteresse mit extensivem Fernsehkonsum (Klein, H.-J. et al. 1981: 175, Frank et al. 1991: 341). Abschließend ist in diesem Kontext auch die prinzipielle Ausgehbereitschaft interessant, wobei Unterschiede zwischen Besuchern und Nicht-Besuchern nicht zwingend erkennbar sind (Frank et al. 1991: 210). Vor allem bei Jugendlichen ist die gesellige Ausgehbereitschaft überdurchschnittlich ausgeprägt (Deutscher Bühnenverein 2003: 12). Wie weit potenzielle Alternativaktivitäten über die Primärtätigkeit des Besuchs einer kollektiv erlebten Veranstaltung hinausgehen, ist abhängig von der Perspektive. Werden Kulturbesuche als Freizeitbeschäftigung verstanden, so können hier alle anderen potenziellen Aktivitäten, welche nicht in der Erwerbsarbeitszeit stattfinden, aufgeführt werden. Neben den o.g. Alternativaktivitäten führen die vorhandenen Studien auf:
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Einkaufen, häusliche Aktivitäten (Opaschowski 2005: 211), Besuche von Fitnessstudios, Essengehen, Partys (Mandel 2006: 202), naturbezogene Hobbies (Klein, H.-J. et al. 1981: 164).
Hans-Joachim Klein stellt beispielsweise dem Museumsbesuch den Besuch eines Zoos als Alternativtätigkeit in seiner Fragestellung entgegen (Klein, H.-J. et al. 1981: 175). Die Nicht-Besucherstudie des Deutschen Bühnenvereins fragt die Teilnahme an Sportveranstaltungen sowie Kino-, Restaurant- und Kneipenbesuche ab (Deutscher Bühnenverein 2003: 12f). Eine besondere Rolle in der Freizeitgestaltung nehmen Reisen ein. „77% der Bevölkerung“ besuchen auf ihren Urlaubsreisen „mindestens gelegentlich kulturelle Sehenswürdigkeiten“ (Mandel 2012: 22). Es ist empirisch belegt, dass Touristen im Urlaub auch etwas für Kultur und Bildung tun wollen. Dies stellt jedoch bei den Meisten nicht das Hauptmotiv, sondern lediglich eines unter vielen dar (Pröbstle 2010: 251). Kulturtouristen, welche sich auch selbst als solche bezeichnen, entsprechen sozio-demografisch der Gruppe der Kulturenthusiasten (Pröbstle 2010: 251). Finden aber bei Gelegenheits- oder Nicht-Besuchern z.B. Museumsbesuche im Urlaub statt, so sind jedoch keine spezielle Interessen am Museum an sich oder diesbezügliche Vorkenntnisse vorhanden (Mandel 2012: 85). Hier wird die oben dargestellte Spezifizierung des Interesses nach dem tatsächlichen Gegenstand wichtig: Nicht das Interesse am kulturellen Angebot, sondern an der passenden Urlaubsgestaltung führt zur Nutzung. „Der NichtBesucher vollzieht“ zwar „auf Reisen einen Rollenwechsel hin zum Kulturtouristen“ (Pröbstle 2014: 241), ob das zufällige Interesse im Rahmen einer Urlaubsreise dann zu einem nachhaltigen Interesse am kulturellen Gegenstand führt, ist aber empirisch nicht nachgewiesen. Dennoch können Kulturbesuche im Rahmen von Urlaubsbesuchen für Nicht-Besucher eine Begegnung mit Kulturangeboten darstellen, vor allem wenn sie durch unterhaltsame und emotionale Angebote angesprochen werden (Mandel 2012: 173). Bezüglich des Inhalts sind historische Orte bei nicht kunstaffinen Touristen besonders beliebt (DCMS 2008: 4). Yvonne Pröbstle identifiziert in ihrer Typologie auch eigentliche Nicht-Besucher unter Kulturtouristen (2014: 188). Diese besuchen Kulturveranstaltungen ausschließlich im Rahmen von Urlaubsreisen. Deutlich wird dabei, dass die Nicht-Besuche im Alltag nicht nur auf mangelndes Interesse, sondern auch auf „andere Faktoren wie beispielsweise der Übergang in die Familienphase oder Sättigungseffekte“ (Pröbstle 2014: 184) zurückzuführen sind.
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5.7 Z USAMMENFASSUNG Die Sekundäranalyse der Publikumsstudien hat gezeigt, dass bei der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen in Deutschland soziale Ungleichheit herrscht. Die gering ausgeprägte Teilhabe ist nicht nur durch fehlende wahrgenommene Verwirklichungschancen oder durch Barrieren unterbrochene Teilhabemöglichkeiten bei vorhandenem Grundinteresse so klein, sondern auch eindeutig durch fehlende Teilhabevoraussetzungen bedingt. Es existieren also bestimmte Gruppen in der Gesellschaft, welche strukturell von der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen ausgeschlossen sind. Bildung konnte dabei als „entscheidende Steuerungsvariable des kulturellen Interesses“ (Frank et al. 1991: 341) eindeutig benannt werden. Es wurde allerdings deutlich, dass der damit verbundene einfach messbare formale Bildungsabschluss nicht als singuläres Merkmal zur Erklärung der Teilhabeungerechtigkeit ausreicht. Vielmehr wurde argumentiert, dass vor allem die Sozialisation in jungen Jahren insbesondere durch das Elternhaus kulturelles Interesse und damit verbunden auch Teilhabe fördert bzw. eben nicht fördert. Zusammenfassend lässt sich die Gruppe derjenigen welche also über keine Teilhabevoraussetzungen verfügen wie folgt skizzieren: • • • • • • •
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formal niedrige Bildungsabschlüsse, keine kulturelle Sozialisation in Kindheit und Jugend im Sinne gemeinsamer Besuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen mit den Eltern, weniger kulturelle Sozialisation durch die Schule, niedriger sozialer Status in Bezug auf Einkommen und Beruf, Sport und hoher Fernsehkonsum als alternative Freizeitaktivitäten, soziale Interaktion mit Freunden und Familie, Wohlfühlen und Entspannen als Merkmale der präferierten Freizeitgestaltung, partiell vorhandenes Interesse an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen betrifft populäre Formate, wie Rockmusikkonzerte oder ComedyVeranstaltungen, kein Wissen über Inhalt und Ablauf öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen.
Auch wenn Bildung und Sozialisation die stärksten Einflussfaktoren sind, können darüber hinaus noch weitere Gruppen benannt werden, von denen fehlende Teilhabechancen zumindest statistisch bekannt sind bzw. die in öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen unterrepräsentiert sind: Bezüglich des Geschlechts zählen dazu Männer, was auf unterschiedliche Sozialisationsbedingungen und
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gesellschaftliche Ansprüche zurückzuführen ist. Menschen mit Migrationshintergrund aus weit entfernten Kulturräumen besuchen ebenfalls seltener Kulturveranstaltungen, allerdings ist die Zugehörigkeit zu einem Milieu relevanter. Schließlich sind noch Generationeneffekte zu nennen, wonach bereits jetzt feststellbar ist, dass jüngere Generationen nicht mehr so intensiv an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen teilnehmen wie ältere Generationen. Welche Konsequenzen können nun aus diesen Ergebnissen gezogen werden? Wie können staatliche Interventionen die Teilhabevoraussetzungen verbessern und dadurch die soziale Ungleichheit abbauen? Der hohe Stellenwert der Bildung und der familiären Sozialisation machen ein bedeutendes Problem für eine solche Diskussion im Rahmen kulturpolitischer Überlegungen deutlich: Vor allem weil Bildung „eine der wichtigsten sozialen Fragen des 21. Jahrhunderts“ ist (Becker und Lauterbach 2008: 11), kann die große ‚Bildungsschere‘ in Deutschland und die damit verbundene soziale Ungleichheit nicht mit den Instrumenten der Kulturpolitik, insbesondere durch das Bereitstellen einer kulturellen Infrastruktur, allein abgebaut werden. Vielmehr liegen die damit verbundenen notwendigen Maßnahmen im Kompetenzbereich anderer Politikfelder, vor allem der Bildungs- und Sozialpolitik. Die nicht vorhandenen Chancen auf Verwirklichung kultureller Teilhabe sind also nur ein Teil eines wesentlich komplexeren Phänomens, wie die Bildungsforschung deutlich macht: „Ein geringer Bildungsstand geht […] in der Regel einher mit schlechteren Zukunftsperspektiven, mit einem erhöhten Armutsrisiko, mit einer weniger selbstbestimmten und gestaltenden Lebensweise […], mit einer geringeren Teilhabe an politischen, sozialen und kulturellen Prozessen sowie mit größeren Gesundheitsgefährdungen.“ (Kuhnhenne et al. 2012: 7)
Das in Kapitel 2 benannte parteiübergreifende kulturpolitische Streben nach ‚Kultur für alle‘, welches mit dem Ziel, tendenziell allen Teilhabechancen zu ermöglichen, präzisiert wurde, ist somit nur bedingt durch kulturpolitische Maßnahmen zu erreichen. Kulturpolitik kann also die wesentlichen Bedingungen nur in Zusammenarbeit mit anderen Politikfeldern verändern. Langfristige kulturpolitische Maßnahmen liegen in einer nachhaltigen Förderung von Teilhabevoraussetzungen. Dies betrifft vor allem die Förderung der kulturellen Bildung mit dem Ziel bei zukünftigen Generationen ein allgemeines Interesse an Kunst und Kultur zu wecken und dadurch ein interessiertes Publikum für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen mit zu entwickeln. Bereits heute existieren zahlreiche Programme zur Förderung kultureller Bildung. Die meisten Programme setzen an der Zusam-
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menarbeit mit Schulen an (z.B. Kulturagenten für kreative Schulen, Kultur und Schule in Nordrhein-Westfalen). Dies liegt auch daran, dass das Potenzial staatlicher Intervention über das öffentliche Schulwesen wesentlich größer ist, als über einzelne Familien. Obgleich neben der Bildung auch gerade die Sozialisation als äußerst bedeutend herausgearbeitet wurde, sind daraus resultierende Eingriffe des Staates zur Förderung der Teilhabevoraussetzungen nur bedingt möglich. Dennoch ist es denkbar, dass auch in familienfördernden Maßnahmen der Aspekt der Teilhabevoraussetzungen für Besuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen mitgedacht wird. Allerdings zeigen Meta-Studien, dass kulturelle Bildungsangebote, welche sich an außerschulische Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen richten, „selten“ (Keuchel 2014: 65) sind. Diese Maßnahmen sind alle langfristig angelegt und ihre Wirkung kann sich erst in zukünftigen Generationen entfalten. Wie bereits in Kapitel 3 deutlich gemacht wurde, wird aber eine sozial diversere Teilhabe nicht allein durch die Förderung dieser ‚zukünftigen Nachfrage‘ erreicht werden. Auch die bestehenden Kultureinrichtungen werden einen Beitrag zur Teilhabeförderung in der Gegenwart beitragen. Denn es kann festgestellt werden, dass kulturelle Teilhabe auch im Sinne des Besuchs öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen als ein Mosaiksteinchen zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen kann. Kulturpolitik kann die geförderten Einrichtungen dazu motivieren, sich so zu verändern, dass sie selbst aktiv diese bisher ausgeschlossenen Gruppen ansprechen und ihr Angebot so ausrichten, dass fehlende Teilhabevoraussetzungen kompensiert werden und darüber hinaus besuchsverhindernde Barrieren abgebaut werden. Die geförderten Einrichtungen können verbindlich zu einem solchen Audience Development verpflichtet bzw. zumindest mit Anreizen motiviert werden. Auf betrieblicher Ebene hat dies zuerst die empirische Erfassung unterrepräsentierter Gruppen zur Folge. Dies sind in erster Line die oben skizzierten bildungsfernen Milieus, insbesondere verbunden mit den Merkmalen Migrationshintergrund, Alter oder Geschlecht. Die Sekundäranalyse hat also gezeigt, dass das sozio-demografische und psychografische Wissen über Nicht-Besuchergruppen vor allem diese in Kapitel 3 benannten speziellen gesellschaftlichen ‚Randgruppen‘ betrifft. Was die bestehenden Studien nicht leisten, sind Erkenntnisse über „die Mitte der Gesellschaft“ (Schmidt 2013: 207). Vor allem bleibt unklar, weshalb Menschen mit eigentlich guten Voraussetzungen im Sinne von Teilhabechancen, also mit hohem Bildungsabschluss und tendenziell Interesse fördernder Sozialisation, dennoch nur selten oder gar nicht öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen besuchen. Es bleibt unklar, weshalb diese Menschen im Verlauf ihres Lebens kein Interesse an entsprechenden Aktivitäten entwickelt haben.
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Der US-amerikanische Soziologe Mark Schuster macht ebenfalls auf dieses Problem aufmerksam und zeigt somit auch die internationale Relevanz der Fragestellung: Nach seiner Analyse zahlreicher internationaler Teilhabestudien benennt er folgende Forschungslücke: „While we know that higher income individuals are more likely to participate, we do not know enough about what distinguishes frequent participants from infrequent participants within that group. The focus so far has been on socio-demographic factors, and these attributes of the respondents cannot be modified by cultural institutions or cultural bureaucrats.“ (Schuster 2007: 124)
Auch wenn in dieser Argumentation hohes Einkommen als Merkmal benannt wird, wird deutlich, dass das Kulturmanagement einzelner Einrichtungen nur bedingt auf sozio-demografisch begründete, mangelnde Teilhabevoraussetzungen reagieren kann. Gleichzeitig ist allerdings das Wissen über diejenigen sehr gering, welche eben diese Voraussetzungen erfüllen, aber dennoch nicht kommen. Kulturelles Interesse im Sinne von kulturellen Teilhabevoraussetzungen scheint also nicht auf ein einfaches monokausales Ursache-Wirkung-Modell reduzierbar zu sein, wonach ein formal höherer Bildungsabschluss ‚automatisch‘ zu Interesse und damit verbunden auch Besuchsaktivitäten führt. Diese Fragen sind insofern auch von großem Interesse, da die oben beschriebenen langfristigen Programme eben auf eine Veränderung über die beiden Schlüsselmerkmale Bildung und Sozialisation setzen. Offenbar genügen diese aber nicht für eine dezidiert messbare Teilhabe, welche die ermittelten etwa 15% der Kernbesucher übersteigt.
6. Der qualitative Blick Die Erforschung von Gelegenheitsbesuchern von Theatern
Nach der Sekundäranalyse der quantitativen Publikumsstudien stellt sich nun die Frage wie eine Anschlussforschung sinnvoll konzipiert werden kann. Im vorigen Kapitel konnten wichtige Erkenntnisse der Nicht-Besucherforschung anhand der Sichtung und theoretischen Ordnung der standardisierten Befragungen deutlich gemacht werden. Vor allem die unterschiedlich vorhandene, verhaltensrelevante Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen und die damit verbundene soziale Ungleichheit wurden als wichtige Ergebnisse festgehalten. Zudem wurden die bekannten besuchsverhindernden Barrieren benannt und differenziert. Das Kapitel hat allerdings auch an einigen Stellen Forschungsdefizite deutlich gemacht, welche das aufzeigen, was noch unbekannt oder wenig ausdifferenziert ist. Denkbar wäre, an dieser Stelle eine weitere quantitative Erhebung durchzuführen. Diese könnte vor allem das quantitative Potenzial der interessierten Gelegenheitsbesucher und die Menge derjenigen abbilden, welche aufgrund fehlender Bildungsvoraussetzungen und mangelnder kultureller Sozialisation über keine Teilhabechancen verfügen. Für Aussagen zu den jeweiligen Gründen, welche über diese verhaltensrelevanten und sozio-demografischen Merkmale hinausgehen, fehlen allerdings tiefergehende theoretische Modelle der Nicht-Besucherforschung. Diese wären jedoch nötige Grundlage für eine standardisierte Erhebung. Allein die Summe der ermittelten Barrieren leistet noch kein befriedigendes theoretisches Modell. Die Analyse der dargestellten Barrieren hat gezeigt, dass neben den einfach zu benennenden und für eine standardisierte Erhebung durchaus operationalisierbaren, vom organisatorischen Angebot ausgehenden objektbedingten Barrieren (wie z.B. Eintrittspreise oder Kommunikationsmaßnahmen), vor allem vom Kunstwerk ausgehende und subjektbedingte Barrieren
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als einflussreichere Merkmale verstanden werden müssen. Allerdings sind diese bereits auf der theoretischen Ebene schwerer zu definieren und auch standardisiert nicht unmittelbar zu messen. Es bleibt also unklar, welche Barrieren bei Gelegenheitsbesuchern trotz vorhandener Teilhabevoraussetzungen Besuche verhindern. Zudem haben die Ausführungen zur sozialen Ungleichheitsforschung gezeigt, dass vor allem der formal höchste Bildungseinfluss sowie die Sozialisation durch das Elternhaus im wesentlichen Interesse an öffentlich geförderten Kultureinrichtungen fördern. Dies sind zwei Merkmale, welche allerdings einer Ausdifferenzierung bedürfen und die auch von zeitlichen Entwicklungen abhängig sind. Eine standardisierte Erhebung von biografischen Verläufen ist allerdings methodisch nur bedingt möglich. Dies bedarf ab einem gewissen tiefergehenden Interesse auch einer Längsschnittstudie, d.h. es muss im Zeitverlauf mehrmals befragt werden. Darüber hinaus gibt der Sozialforscher Werner Fuchs-Heinritz zu bedenken, dass selbst „wenn mehrfach hintereinander den gleichen Befragten die gleichen Fragen gestellt werden, […] sich schwierige Bedingungen für den Schluss auf den dazwischen liegenden Prozess der Veränderung“ (FuchsHeinritz 1998: 7) ergeben. Es existieren also keine bewährten Messinstrumente mit welchen solche komplexen Themen wie z.B. ästhetische Erfahrungen, kulturelle Bildungsprozesse oder Beschäftigung mit Kulturveranstaltungen im Verlauf der Biografie standardisiert im Rahmen einer geschlossenen Befragung untersucht werden könnten. Einer solchen Erhebung müsste somit die Entwicklung und Evaluation von standardisierten Messverfahren vorausgehen. Als Folge und Reaktion auf diese inhaltlichen und methodischen Prämissen fällt daher die Entscheidung für ein nicht-standardisiertes Vorgehen. Ziel der nun folgenden qualitativen Primärerhebung ist es, im Rahmen eines offenen Forschungsprozesses neue Erkenntnisse zu generieren, welche das Verständnis über Nicht-Besucher öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen vertiefen und somit zur Theoriebildung dieses Forschungsthemas beitragen können. Diese methodische Entscheidung geht selbstverständlich auch einher mit einem Verzicht auf eine Quantifizierung der Ergebnisse, beispielsweise in Form einer prozentualen Typologisierung.
6.1 D ER METHODISCHE Z UGANG In der Gesamtschau verbindet diese Arbeit somit quantitative und qualitative Zugänge zur Nicht-Besucherforschung. Spätestens im 21. Jahrhundert ist diese Methodenwahl nicht mehr durch Dogmen geprägt, vielmehr wird durch viele
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Methoden kombinierende Forschungsarbeiten deutlich, „dass qualitative und quantitative Methoden eher komplementär denn als rivalisierende Lager gesehen werden sollten“ (Flick 2006: 385). Diese Kombination verschiedener Zugänge zum gleichen Forschungsgegenstand wird auch als „Triangulation“ bezeichnet, „wobei von einer gegenseitigen Validierung eines Sachverhalts ausgegangen wird“ (Sackmann 2007: 83). Es geht also darum, die jeweiligen Schwächen zu kompensieren und Stärken zu nutzen. Wie in Kapitel 4 bereits ausgeführt wurde, haben qualitative Verfahren eher Probleme in der Generalisierbarkeit der Aussagen, quantitative Verfahren hingegen in der Begründung der Validität. Es existieren verschiedene Überlegungen zur strukturellen Kombination beider Ansätze (vgl. Miles und Hubermann 1994). Eine einfache und naheliegende Verbindung läge in der qualitativen Generierung von Hypothesen für eine spätere quantitative Überprüfung (vgl. Barton und Lazarsfeld 1979). Vor allem quantitativ ausgerichtete Sozialforschung reduziert qualitative Verfahren in einem solchen Sinne auf explorative Vorstudien (z.B. Noelle-Neumann und Petersen 1996: 76), ohne den potenziellen Mehrwert der qualitativen Verfahren zu nutzen bzw. zu erkennen. In dieser Studie folgt hingegen nach einer quantitativen Untersuchung im Sinne der Sekundäranalyse eine qualitative Verdichtung der Ergebnisse. Dabei handelt es sich aber nicht nur um eine einfache „Illustration quantitativer Ergebnisse“ (Lamnek 1995: 13). Es geht vielmehr darum zu erklären, wie z.B. Interesse an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen durch Schule und Elternhaus im Laufe des Lebens geprägt wird und welche subjektiven Barrieren dann Besuche trotz eigentlich positiver Teilhabevoraussetzungen verhindern. Ein wesentliches Ziel dieses methodischen Vorgehens ist es, dem Forschungsgegenstand mit möglichst großer „Offenheit“ (Brüsemeister 2008: 24) zu begegnen, d.h. nur wenig theoretische Vorannahmen und keine theoretischen Modelle in die Datenerhebung einfließen zu lassen. Die Sekundäranalyse der bestehenden quantitativen Nicht-Besucherstudien hat am Beispiel der dominierenden Barrierenforschung gezeigt, dass z.B. häufig marketingpolitisch abbaubare Themen an die Befragten herangetragen werden. Dabei handelt es sich um objektbedingte Barrieren, welche am ehesten (und einfachsten) durch Aktivitäten des Kulturmanagements abgebaut werden könnten. Die Relevanz dieser Aspekte für die Subjekte selbst – und damit auch für den Versuch der Abbildung realer Phänomene – ist damit nicht gesichert und im schlimmsten Fall kann ein solches Vorgehen „an der Differenziertheit der Gegenstände vorbeizielen“ (Flick 2006: 12), wie die Überlegungen zur Wertigkeit der viel seltener und weniger ausführlich erhobenen subjektbedingten Barrieren zeigten. Es geht also darum, ein Erhebungsverfahren zu finden, welches die Frage in den Mittelpunkt stellt, „was
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die befragten Personen für relevant halten, wie sie ihre Welt beobachten und was ihre Lebenswelt charakterisiert“ (Froschauer und Lueger 2003: 16). Die Forschungsfrage, wie sich Interesse an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen entwickelt, bedarf eines Erhebungsverfahrens welches diesem prozessualen Charakter Rechnung trägt. In der qualitativen Sozialforschung hat sich hierfür der Begriff der Biografieforschung etabliert (vgl. Sackmann 2007), welche z.B. auch oft in der kulturellen Bildungsforschung verwendet wird (z.B. Reinwand 2008, Keuchel und Hill 2013). Zum einen definiert Biografieforschung ein bestimmtes Erkenntnisinteresse, zum anderen ist damit auch ein besonderes methodisches Instrument der Datengenerierung verbunden. Im Gegensatz zum Lebensverlauf als einer „Folge faktischer Lebensereignisse“, welche somit einigermaßen objektivierbar sind (z.B. Einschulung, Studium, Heirat) und entsprechend mit standardisierten Befragungen gemessen werden könnten, bezeichnet Biografie die „Rekonstruktion dieses Lebensverlaufs aus subjektiver Sicht“ (Bortz und Döring 2006: 346). Es geht also darum herauszufinden, an welchen Stellen die Befragten öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen und kulturelles Interesses fördernden Einflüssen begegnet sind. Nicht zuletzt durch (post-)modern geprägte Lebensweisen, in welchen gesellschaftlich bedingte Normierungen eher an Relevanz verlieren und subjektive Entscheidungen an Wichtigkeit gewinnen, nimmt die Bedeutung der individuellen Biografie somit zu. Dadurch ist also ein Einblick „in die Komplexität der sozialen Wirklichkeit“ möglich, welcher „in Begriffen und Theorien nicht mehr (anschaulich) präsent ist“ (Fuchs-Heinritz 1998: 7). Über den Vergleich verschiedener Einzelfälle sollen deshalb „Regelmäßigkeiten die zur Erklärung personenbezogener und gesellschaftlicher Phänomene dienen können“ (Bortz und Döring 2006: 347) gefunden werden. 6.1.1 Das episodische Interview als Verbindung erzählerischer und analytischer Zugänge Nach Uwe Flick gibt es zwei wesentliche Zugänge zur Generierung verbaler Daten in der qualitativen Sozialforschung: Fokussierte Interviews mit meist halbstandardisierten Frageleitfäden und Erzählungen (vgl. Flick 2006). Im fokussierten Interview werden verschiedene Fragen zu einem oder mehreren Forschungsthemen gestellt. Diese Fragen können durchaus analytisch sein, d.h. die Befragten werden nach Bewertungen und Meinungen gefragt. Auch wird der Forscher bei allen Interviews einer Studie die gleichen Fragen stellen bzw. diese maximal in der Reihenfolge oder in sprachlichen Ausgestaltungen variieren. Dies ermöglicht den späteren Vergleich der Fälle. Ein solches Vorgehen führt schon zu we-
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sentlich mehr Offenheit als ein vollstandardisiertes Interview bei welchem z.B. in einem Fragebogen auch verschiedene Antwortoptionen vorgegeben werden. Der andere Zugang zur Generierung verbaler Daten liegt in der Erzählung. Im Gegensatz zu dem eben aufgeführten Beispiel wird dabei versucht, jegliche Steuerung der Fragen durch einen eher passiven Forscher zu vermeiden. Der Befragte wird lediglich dazu aufgefordert, „zu dem im Gespräch benannten Gegenstand zu erzählen“ (Lamnek 1995: 70). Ein solches narratives Interview (vgl. Schütze 1983) beginnt oft mit der Aufforderung, mit der ersten Erinnerung im eigenen Leben zu beginnen und zielt darauf, dass der Befragte selbst alle aus seiner Sicht relevanten Informationen zum Thema wiedergibt. Durch die forschungsökonomisch durchaus aufwändige Rekonstruktion der ganzen Biografie kann z.B. ermittelt werden, „welche sozialen Einflußgrößen und Determinanten dazu führen, daß an einer bestimmten Stelle im individuellen Leben eine spezifische Veränderung eingetreten ist“ (Lamnek 1995: 353). Obgleich das narrative Interview für die möglichst offene Erforschung der Nicht-Besucher prädestiniert zu sein scheint, stößt diese Art der Datenerhebung auch an Grenzen. Bezüglich der Rekonstruktion von Realität liegt ein Problem in der Gleichsetzung von Erzählung und Erfahrung (vgl. Flick 2006: 157, Schütze 1983: 284); vor allem die Beeinflussung der Erinnerung an bestimmte Begebenheiten durch späteres Erleben oder Reflektieren kann zu Problemen in der Bewertung der Gütekriterien führen. Die Menge der Daten im Sinne umfangreicher Transkripte stellt ein weiteres Problem dar. Auch wenn diese zugunsten des Erkenntnisgewinns akzeptiert werden können, bleibt bei sehr langen narrativen Interviews das Problem vorhanden, dass die Befragten zu wenig relevante Informationen zum eigentlichen Forschungsgegenstand liefern und dadurch viele unbrauchbare Daten entstehen, das eigentliche Erkenntnisinteresse allerdings nicht ausreichend befriedigt worden ist. Erfolgreiche narrative Interviews setzen also die Relevanz des Themas für den Interviewten voraus. Dies ist z.B. bei Krankenoder Berufsbiografien der Fall. Bei der Erforschung der Nicht-Besucher besteht allerdings die Gefahr mangelnder Relevanz, da diese das Thema nicht zwingend als roten Faden in der eigenen Biografie nachzeichnen werden. Um die jeweiligen Vorteile der Offenheit eines narrativen Interviews und dem Erkenntnisgewinn direkter analytischer Fragen im fokussierten Interview zu verbinden, entwickelte Uwe Flick das episodische Interview. Dadurch entsteht ein Verfahren, „das narrativ-episodisches Wissen über Erfahrungen erhebt und analysiert, semantisches Wissen dagegen in konkret-zielgerichteten Fragen zugänglich macht“ (Flick 2006: 159). Diese Verbindung ist auch prädestiniert für die qualitative Erforschung der Gelegenheitsbesucher. Das episodische Interview beginnt somit auch mit einem möglichst narrativen Teil, im Falle dieser Arbeit
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mit der Aufforderung zu erzählen, an welchen Stellen im eigenen Leben öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen besucht wurden oder das Thema in irgendeiner Art relevant war. Dabei werden allerdings nicht eine einzige „umfassende Erzählung, sondern mehrere begrenzte Erzählungen erbeten“ (Flick 2006: 164). Es geht also nur um diejenigen Teile der Biografie, „in denen der Interviewpartner Erfahrungen gemacht hat, die für die Fragestellung der Untersuchung relevant erscheinen“ (Flick 2006: 160). Dadurch besteht auch nicht die Gefahr, einen potenziellen Erzählfluss durch analytisches Nachfragen zu unterbrechen oder diesen künstlich und gegen den Willen des Erzählenden aufrecht zu erhalten. Neben den erzählten Teilen sind gezielte Nachfragen zur Analyse des Gesagten durch den Befragten vorgesehen. Zudem sind über den biografischen Verlauf hinausgehende Fragen möglich, wie z.B. allgemeine Bedingungen der erfolgreichen Freizeitgestaltung. Uwe Flick sieht in einer solchen Verbindung der grundsätzlichen Zugänge zu verbalen Daten bereits auf der Ebene der Datengenerierung die Idee der Methodentriangulation verwirklicht (vgl. Flick 2006: 165). 6.1.2 Eingrenzung der Forschungsperspektive auf Gelegenheitsbesucher von Theatern Anders als im vorigen Kapitel ist ein systematischer Vergleich der bestehenden qualitativen (Nicht-)Besucherstudien im Rahmen einer Sekundäranalyse nicht sinnvoll. Zum einen existieren mit wenigen Ausnahmen (z.B. Marplan Forschungsgesellschaft 1965, Mandel und Renz 2010) keine qualitativen Studien welche sich explizit mit dem Phänomen der Nicht-Besucher auseinandersetzen (vgl. Kirchberg und Kuchar 2013: 169). Zum anderen führt gerade das Paradigma der Offenheit zwangsläufig zu sehr unterschiedlichen Forschungsthemen und -ergebnissen in der qualitativen Besucherforschung. Doch es bedarf gerade einer gewissen Standardisierung von Merkmalen um deren Vergleichbarkeit zu gewährleisten. Als Beispiele für einzelne in sich geschlossene qualitative sozialwissenschaftliche Studien zum Kulturpublikum sind die Untersuchungen zum Wandel des Kulturbegriffs in der Bevölkerung von Albrecht Göschel (1991), zum Kinobesuch im Lebenslauf von Elizabeth Prommer (1999), zur kulturellen Aktivität von Älteren von Margit Kinsler (2002) oder zu Kulturtouristen von Yvonne Pröbstle (2014) zu nennen. Mehrfach wurde in dieser Arbeit schon deutlich, dass kein einheitlicher Begriff von Kultur existiert. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der recht abstrakte und konstruierte Begriff des ‚Interesses an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen‘ in einer narrativen Erzählung nicht funktionieren wird, d.h.
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dass die Befragten dazu wenig zu sagen haben. Da sich dieses Interesse also einer Abstraktion entzieht wäre es möglich ‚pars pro toto‘ (z.B. Frank et al. 1991: 80) bestimmte Sparten oder Einrichtungen zu nennen, welche dann die übergeordnete Begrifflichkeit repräsentieren. Naheliegend wären Theater, Museen und Konzerthäuser als Synonym für öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen. Während in der quantitativen Sekundäranalyse ein solches Vermischen noch akzeptiert werden konnte, scheidet dies allerdings beim Versuch in die Tiefe gehende Analysen durchzuführen aus. Testinterviews im Rahmen der folgenden Studie haben gezeigt, dass eine vermischte Erzählung der Begegnung z.B. mit Museen und Theatern bereits nicht funktionierte, da beide Aktivitäten sehr unterschiedlich ausgeprägt sind und mit einem qualitativ-narrativen Zugang eigentlich nur getrennt untersucht werden können. Deshalb erfolgt die Entscheidung für eine einzige Sparte. Im Folgenden wird entsprechend nur kulturelles Interesse an Theatern untersucht. Diese Wahl lässt sich vielfach begründen: •
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Im Gegensatz zum technischen oder (natur-)historischen Museum beinhaltet Theater immer eine ästhetische Komponente, d.h. es geht immer auch um Produktion und Rezeption von Kunstwerken. Theater sind wegen ihrer hohen öffentlichen Förderung oft Gegenstand kulturpolitischer Debatten (vgl. Wagner 2004, Schneider, W. 2013) und werden sogar als „Herzstück der öffentlichen Kulturpolitik“ (Wagner 2005: 16) bezeichnet. Öffentlich geförderte Theater haben in Deutschland in den letzten 50 Jahren eine interessante, wenn auch nicht unproblematische zeitgeschichtliche Entwicklung durchgemacht: Spätestens ab den 1970er Jahren etablierte sich teilweise ein Regietheater (z.B. Claus Peymann in Stuttgart), welches aktuelle politische Themen auf den Theaterbühnen verhandelte. Das Theater wurde somit im Selbstverständnis noch stärker zum kritischen, manchmal auch provokativen Spiegel der Gesellschaft. Dadurch entstand durchaus auch eine Konfrontation mit dem Publikum, was in extremen Ansichten als „Theater gegen das Publikum“ (Ries, C. 1985) bezeichnet wurde. Das thematische Angebot der Theater entsprach also nicht immer der Nachfrage und daraus schließen einige Autoren, dass das Theater heute ein Stück weit „seine Funktion als Zentrum der Gesellschaft verloren“ hat (Schmidt 2013: 194). Theater wird in Schulen zumindest indirekt vermittelt, indem im Deutschunterricht literaturhistorisch relevante Dramen und Schauspiele behandelt wer-
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den. Damit ist für die Befragten ein gewisser thematischer Zugang geschaffen. Theater kann (im Gegensatz zum Museum) auch aktiv selbst produziert werden. Es kann also nicht nur als rezeptive, sondern auch aktive Handlung vorkommen (vgl. Reinwand 2008). Allerdings ist diese immer ein sozialer Akt, denn Theater ohne Publikum zu spielen ist beispielsweise im Gegensatz zum Musizieren nicht üblich. Es existieren auch Alternativen zu Besuchen in öffentlich geförderten Theatern. Dazu zählen neben freien vor allem privatwirtschaftliche Theater wie z.B. Musicals oder auch Aufführungen von Amateurtheatern. Schließlich kann die qualitative Auseinandersetzung mit Interesse am Theater auch an theaterwissenschaftliche Diskurse Anschluss suchen und einen Beitrag zum empirischen Verständnis der Zuschauer leisten.
Aus diesen Gründen werden im Folgenden die Forschungsfragen konkretisiert, welche sich wie dargestellt aus den Wissensdefiziten der quantitativen Sekundäranalyse ergeben haben: •
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Wie entsteht und verändert sich Interesse an öffentlich geförderten Theatern im Verlauf des Lebens von Menschen, welche mit hohen Bildungsabschlüssen über formale Teilhabevoraussetzungen verfügen, Theater aber nur selten besuchen? Welchen Einfluss haben Bildungseinrichtungen und Sozialisation auf die Entwicklung dieses Interesses? Wie erleben diese Gelegenheitsbesucher ihre seltenen Theaterbesuche? Ist dieses Erlebnis mit einem persönlichen Gewinn verbunden? Welche Aspekte fördern oder behindern das Interesse am Theater?
Der Datenerhebung müssen Überlegungen zur Auswahl der zu befragenden Personen vorhergehen. Eine solche „Samplestruktur“ (Flick 2006: 98) ist in qualitativen Forschungen nicht statistisch begründbar. In quantitativen Untersuchungen erfolgt dieser Schritt über eine zufallsgesteuerte oder bewusst quotierende Auswahl (vgl. Raithel 2008: 55). Aus einer bekannten Grundgesamtheit wird ein Teil ausgewählt, welcher die Gesamtheit möglichst repräsentieren soll. In den folgenden episodischen Interviews sind allerdings andere Auswahlkriterien für das Sample nötig. Dies erfolgt auch aus – und das muss trotz aller theoretisch untermauerter Begründungen des qualitativen Samples offen benannt werden – forschungsökonomischen Gründen: Es kann aus ökonomischen Gründen immer nur eine begrenzte Zahl von qualitativen Interviews durchgeführt werden.
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Da sich die Notwendigkeit der qualitativen Forschung aus den Analysen des vorigen Kapitels ergibt, stellen die dortigen Erkenntnisse auch eine erste entscheidende Auswahlprämisse dar: Es werden nur Personen befragt, welche über Teilhabevoraussetzungen für Theaterbesuche verfügen, aber nicht zu den Kernbesuchern zählen. Nach dem bisherigen Wissen ist dies mit der sozio-demografisch messbaren Merkmalsausprägung eines formal hohen Bildungsabschlusses (mindestens Abitur) gegeben. Es wird angenommen (allerdings nicht vorab als Auswahlkriterium benannt), dass dies auch mit weiteren Aspekten, wie z.B. bestimmten finanziellen Ressourcen, gewissen Sozialisationserlebnissen oder Zugehörigkeiten zu bestimmten Milieus, einhergeht. Weitere sozio-demografische Merkmale wie z.B. Geschlecht oder Alter wären auch als auswahlprägend denkbar, wurden aber in der Sekundäranalyse nicht so eindeutig als prädisponierend erkannt und fließen daher nicht in die theoretisch begründete Auswahl ein. Neben diesem einfachen Merkmal des formal höchsten Bildungsabschlusses orientiert sich die weitere Auswahl an der Idee des ‚theoretischen Samplings‘ (vgl. Glaser und Strauss 1967). Das bedeutet, dass vorab keine weiteren Auswahlkriterien definiert werden, sondern diese erst im Prozess der Forschung aus dem Material heraus entstehen. Jeder Datenerhebung folgt also eine Auswertung und damit verbunden eine erste Theorie- bzw. thematische Kategorienentwicklung. Die Repräsentation der Auswahl für die Grundgesamtheit spielt in einem solchen Verfahren keine entscheidende Rolle mehr: „Vielmehr werden Personen […] nach ihren (zu erwartenden) Gehalt an Neuem für die zu entwickelnde Theorie aufgrund des bisherigen Standes der Theorieentwicklung in die Untersuchung einbezogen.“ (Flick 2006: 102)
Das bedeutet in der folgenden Forschung, dass vor allem die von den Befragten genannten Themen aus den narrativen Teilen der episodischen Interviews das weitere Vorgehen bestimmen. Dadurch entstehen thematische Kategorien, welche dann die Auswahl weiterer Fälle beeinflussen. Ziel eines solchen Vorgehens ist es, eine „theoretische Sättigung“ (Flick 2006: 104) zu erreichen, d.h. trotz weiterer Erhebungen keine neuen Erkenntnisse mehr zu generieren. 6.1.3 Frageleitfaden und Interviewdurchführung Durch einige Pretests wurde ein Fragebogen entwickelt, dessen Grundgerüst in allen Interviews verwendet wurde, welcher aber dennoch genügend Raum für individuelle, dem Gesprächsverlauf angepasste Fragen offen ließ. Zu Beginn der Gespräche wurde den Befragten das erzählerische Prinzip des episodischen In-
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terviews erklärt. Im Vorfeld wurden die Interviews als Teil einer ‚Freizeitstudie‘ angekündigt, um eventuelle sozial erwünschte Antworteffekte etwas auszuschließen. Als Einstieg wurde dennoch die Frage nach dem letzten Theaterbesuch gestellt, um den Bezug zum eigentlichen Thema herzustellen. Dem folgte der episodische Teil des Interviews, in welchem mit der ersten Theaterbesuchserfahrung beginnend, verschiedene Stationen im Leben thematisiert wurden. Obwohl diese Erzählungen stark abhängig von der Erinnerung an teilweise lang zurückliegende Ereignisse waren, entstanden in diesen Teilen sehr intensive Passagen. Stellenweise waren allerdings in Bezug auf die qualitative Bewertung des Erzählten analytische Nachfragen nötig. Dem episodischen Teil folgte dann ein Fragenblock zur Konnotation des aktuellen Freizeitverhaltens. Die Interviews wurden mit einer spekulativen Frage beendet. Uwe Flick sieht in solchen „Phantasien hinsichtlich erwarteter oder befürchteter Veränderungen“ (Flick 2006: 161) eine weitere Möglichkeit im Rahmen eines episodischen Interviews zu einer Erzählung aufzufordern. Die Interviews wurden aufgezeichnet und unmittelbar nach der Durchführung durch den Forschenden selbst transkribiert, so dass eine erste Auswertung im Sinne einer Kategorienentwicklung und in Hinblick auf die Überprüfung der theoretischen Sättigung möglich war. Insgesamt fließen 24 Gespräche in die folgende Auswertung ein, das sind knapp 100 Seiten Transkription. Zwei Gespräche fanden als Gruppengespräch mit jeweils einem (Ehe-)Paar statt, einige Gespräche wurden von Studierenden im Rahmen des Seminars „Einführung in die empirische Kulturforschung“1 durchgeführt. Aufgrund eines reduzierten Frageleitfadens und stellenweise nicht so intensiver individueller Nachfragen sind diese zum Teil kürzer ausgefallen; sie bereichern den Erkenntnisgewinn allerdings mit wichtigen neuen Informationen. Die Gespräche mit folgenden Personen fließen in die Auswertung ein:
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Interviewpartner 1, Student, 27 Interviewpartner 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51 Interviewpartner 3, Ingenieur, 34 Interviewpartnerin 4, Produktmanagerin in einem Verlag, 34 Interviewpartner 5, Rentner, ehemals Arzt, 69 Interviewpartnerin 6, Rentnerin, ehemals medizinisch-technische Assistentin, 67 Interviewpartner 7, Hochschuldozent, 52 Interviewpartnerin 8, Studienrätin, 34 Interviewpartnerin 9, Projektmanagerin, 32
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Universität Hildesheim, Wintersemester 2014/2015, Institut für Kulturpolitik.
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Interviewpartner 10, IT-Consultant, 33 Interviewpartnerin 11, Verwaltungswirtin, 23 Interviewpartnerin 12, Studentin, 21 Interviewpartnerin 13, Studentin, 23 Interviewpartnerin 14, tätig in Elektrobranche, 43 Interviewpartnerin 15, Rettungssanitäterin, 24 Interviewpartner 16, Techniker, 24 Interviewpartner 17, Ingenieur, 63 Interviewpartnerin 18, Studentin, 19 Interviewpartnerin 19, Zahntechnikerin, 23 Interviewpartner 20, FSJler, 20 Interviewpartnerin 21, Grundschullehrerin, 50 Interviewpartnerin 22, Servicepersonal, 21 Interviewpartner 23, Techniker, 29 Interviewpartner 24, Student, 26
6.1.4 Auswertungsstrategien Den vielleicht zentralsten Schritt im qualitativen Forschungsprozess stellt die Auswertung der Daten dar (vgl. Flick 2006: 257). Anders als z.B. im journalistischen Interview ist die Texttranskription lediglich ein Zwischenschritt zur Generierung von Arbeitsmaterial, welches einer Interpretation bedarf. Originale Zitate aus den Interviews können (und werden auch in dieser Arbeit) diese Interpretation in der Ergebnisdarstellung zwar illustrieren, der Mehrwert einer qualitativen Forschung liegt allerdings in der Auswertungsleistung des Forschenden. Die damit verbundene Subjektivität wird nicht als störende Variable, sondern vielmehr als Teil des Erkenntnisprozesses verstanden. Auch vor dem Hintergrund, dass dieses hohe Maß an Subjektivität auch immer wieder als Argument für eine fundamentale Ablehnung qualitativer Forschung angeführt wird (vgl. Flick 2006, Mayring 2007), ist ein regelgeleitetes Vorgehen sowie dessen Offenlegung in der Forschungsarbeit notwendig. Grundsätzlich wird in der qualitativen Forschung zwischen zwei unterschiedlichen Auswertungsverfahren unterschieden: Kodierung bzw. Kategorisierung sowie sequentielle Analysen (Flick 2006: 257). Letztere verstehen den Text als unveränderbare Einheit, entsprechend wird der Text Schritt für Schritt und streng chronologisch interpretiert. Sequentielle Analysen werden deshalb auch bei der Interpretation narrativer Texte bevorzugt, wie z.B. in der Biografieforschung (vgl. Schütze 1983) oder in der objektiven Hermeneutik (vgl. Oevermann 2008). Obgleich das in dieser Arbeit verwendete episodische Interview durchaus narra-
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tive Elemente enthält, schien ein strenges sequentielles Interpretationsverfahren nicht angemessen zu sein: Zum einen standen eher Themen bei unterschiedlichen Personen und weniger die Rekonstruktion von Einzelfällen im Mittelpunkt des Interesses, zum anderen enthielten die episodischen Interviews eher mehrere in sich geschlossene Einzelerzählungen, als eine große in sich zusammenhängende Geschichte. Demnach wird mit dem Kodieren ein Analyseverfahren gewählt, welches die Entwicklung einer „gegenstandsbegründeten Theorie“ (Flick 2006: 258) bei gleichzeitigem Aufbrechen der Textsequenz zugunsten einer Kategorienbildung ermöglicht. Anders als z.B. bei der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse von Phillip Mayring (2007) wird dabei der Text weniger schnell paraphrasiert und somit komprimiert. Vielmehr „werden dem empirischen Material Begriffe und Kodes zugeordnet, die zunächst nahe am Text und später immer abstrakter formuliert sein sollen“ (Flick 2006: 259). Ursprünglich geht das Verfahren des theoretischen Kodierens auf Barney Glaser und Anselm L. Strauss (1967) zurück. Sie liefern jedoch weniger eine fertige Anleitung, sondern eher einen Vorschlag für ein Verfahren zum Umgang mit Text. Dieses bedarf somit immer einer individuellen Anpassung an die Ansprüche des eigenen Forschungsprojekts, wie auch an den Stil des Forschenden (vgl. Flick 2006: 263). In dieser Arbeit wurden in einem ersten Schritt, dem offenem Kodieren, die Transkripte in möglichst kurze Sinneinheiten segmentiert und mit verschiedenen Anmerkungen und Kodes kommentiert. Inhaltlich ähnliche Kodes konnten in thematische Kategorien zusammengefasst werden. Im Forschungsprozess bedeutete dies, dass jedes Interview nach der Durchführung transkribiert wurde und anschließend Zeile für Zeile erste Interpretationen in einem neuen Dokument erfolgten. In diesem wurden bereits erste Begriffe (= Kodes) zugeordnet und nach und nach zeichneten sich fallübergreifend relevante Kategorien ab. Der dann folgende Schritt, das axiale Kodieren, „dient dazu, die Kategorien, die im offenen Kodieren entstanden sind, zu verfeinern und zu differenzieren“ (Flick 2006: 265). Dies erfolgte nicht mehr nur durch Fragen an die Textstellen und damit verbundener Begriffsentwicklung, sondern durch eine Auswahl relevanter Kategorien. An dieser Stelle wurde im Forschungsprozess zudem eine Wende vollzogen: War bisher das Interview ein Fall, so wurde nun die jeweilige Achsenkategorie zum Fall, d.h. es wurden alle bestehenden Interviews auf Textstellen zu dieser Kategorie hin neu untersucht. Nach dem induktiven Charakter des offenen Kodierens erfolgte nun also eine deduktive Überprüfung und Erläuterung der ausgewählten Kategorien anhand verschiedener Textstellen. Auch konnten Verbindungen zwischen den Kategorien entwickelt werden. Dazu schlagen Anselm
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L. Strauss und Juliet M. Corbin (1990: 78) ein „Kodierparadigma“ vor, welches die jeweiligen Kodes nach bestimmten Dimensionen, wie z.B. „ursächliche Bedingungen, Phänomen, Kontext, intervenierende Bedingungen“ oder „Konsequenzen“ (Flick 2006: 265) differenziert. Nach etwa acht Interviews trat in Bezug auf die biografischen Verläufe eine gewisse theoretische Sättigung ein, d.h. die relevanten Stationen im Leben wiederholten sich und zumindest die wesentlichen Einflussfaktoren wurden deutlich. Weitere Interviews erbrachten zwar weitere qualitative Ausprägungen dieser Faktoren, es wurden allerdings keine wesentlichen neuen Kategorien entwickelt. Schließlich wurden im Auswertungsprozess zwei Perspektiven in den Erzählungen der Gelegenheitsbesucher deutlich, welche in den folgenden Teilkapiteln dargestellt werden: • •
Die Veränderung des Interesses an Theater im biografischen Verlauf wird in Kapitel 6.2 chronologisch analysiert. In Kapitel 6.3 wird unabhängig vom Zeitpunkt in der Biografie analysiert, wie Gelegenheitsbesucher einen seltenen Theaterbesuch wahrnehmen, was Einfluss auf die Kaufentscheidung hat, mit welchen Strategien sie das Kunstwerk rezipieren und welche Rolle dabei das Publikum spielt.
6.2 D ER G ELEGENHEITSBESUCHER – EIN B IOGRAFIEMODELL Die Biografien der Gelegenheitsbesucher machen deutlich, dass mit Blick auf den Verlauf des Lebens ‚der eine Gelegenheitsbesucher‘ so nicht existiert. Einer der ersten Interviewpartner gab zu Beginn des Gesprächs an, dass er „vor drei Jahren zum letzten Mal im Theater“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51) war. Im Rahmen einer quantitativ-standardisierten Befragung hätte eine solche Antwort sofort eine Einordnung als ‚notorischen‘ Gelegenheitsbesucher zur Folge gehabt. Allerdings zeigte das anschließende Gespräch, dass dieser Interviewpartner über sehr viel Theaterwissen und auch Besuchserfahrung in der Vergangenheit verfügte. Es waren also temporäre Einflüsse für die Abnahme seiner Theaterbesuche verantwortlich. Eine erste Konsequenz aus dieser Erkenntnis ist es, in diesem Kapitel von Gelegenheitsbesuchern zu sprechen. Es wird davon ausgegangen, dass die formal hohen Bildungsabschlüsse die ‚Gelegenheit‘ zu Begegnungen mit dem Theater an unterschiedlichen Stellen im Leben schaffen. Die folgenden Analysen gehen dann der Frage nach, welche über den Einzelfall hinausgehenden generalisierbaren Einflüsse im biografischen Ver-
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lauf das Interesse an und die Besuche von Theatern beeinflussen bzw. verhindern. Grob lassen sich diese zeitlichen Entwicklungen in diesem Biografiemodell zusammenfassen: Tab. 6: Theaterbesuche im biografischen Verlauf
Alter
Einflüsse durch Beschäftigung
Soziale Einflüsse
10
Schule
Elternhaus
20
Ausbildung/Studium
Partnerfindung
Berufsalltag
Partnerfestigung und Familienleben
30 40 50
Zweisamkeit 60 70
Rentenalter Ggf. Einsamkeit
80+ Im Folgenden werden also die verschiedenen Einflüsse im chronologischen Verlauf analysiert. Es sei einleitend noch angemerkt, dass es sich bei den Ausführungen um Erfahrungen von Gelegenheitsbesuchern handelt, also Menschen welche im Verlauf ihres Lebens selten Theater besucht haben. Die Ausführungen sind also Erklärungen für das Interesse und Verhalten dieser Gruppe. An einigen Stellen wird in den Interviews auch deutlich, wie Theatererfahrungen positiv beeinflusst werden können. Das bedeutet, dass durchaus auch positive Gegenbeispiele bekannt sind. Allerdings geht es im Folgenden explizit darum die Gründe aufzuzeigen, weshalb Interesse am Theater auch nicht entwickelt werden kann. Es kann also in jedem Teilkapitel ein ‚ja, aber‘-Argument aufgeführt werden: Meistens wäre dann das intrinsische Interesse am Theater so hoch, dass andere Faktoren keinen Einfluss haben. Das wären z.B. theateraffine Menschen, die auch mit Kleinkindern regelmäßig ins Theater gehen, trotz höchster beruflicher Belastungen unter der Woche noch eine Vorstellung besuchen und notfalls ohne passende Begleitung hingehen. Das sind die ca. 15% Kernbesucher (siehe Kapitel 5.3.), um die es nun allerdings nicht gehen soll. Es soll erklärt werden, weshalb die Gelegenheitsbesucher nicht oft kommen.
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6.2.1 Theaterbesuche mit Eltern in der Kindheit Der in Kapitel 5.6 statistisch begründete hohe Stellenwert der Sozialisation durch das Elternhaus für kulturelles Interesse wird auch in dem Sample der qualitativen Befragung deutlich: Ein typisches Merkmal für Gelegenheitsbesucher sind fehlende Theaterbesuche mit den Eltern oder Verwandten in Kindheit und Jugend (z.B. IP 1, IP 3, IP 7 u.v.m.). Diese Biografien ähneln sich durch Aussagen wie diese: „Meine Eltern gehen nie ins Theater und insofern gab es da auch keinen Input von außen.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Diese Nicht-Aktivitäten lassen sich nicht weiter qualifizieren, allerdings sind Erkenntnisse zu den Gründen möglich. Es fällt auf, dass es sich bei diesen Interviewpartnern um Kinder aus Elternhäusern mit niedrigeren Bildungsabschlüssen und somit auch aus bestimmten Milieus handelt, in welchen auch der soziale Stellenwert des Theaterbesuchs keine wesentliche Rolle spielt. Die Interviewpartner sind dann die erste Generation in ihrer Familie, welche einen höheren formalen Bildungsabschluss hat und z.B. studiert hat. Eine Interviewpartnerin macht deutlich, dass das Theater in der Lebenswelt der Eltern einfach keine Rolle gespielt hat, obgleich Interesse an anderen Themen durchaus vorhanden war: „Das war einfach kein Thema, weil meine Eltern im Grunde genommen für diese Sachen zu, wie soll ich sagen, ähm zu einfach zu einfache Leute waren, die einfach eine ganz einfache Bildung hatten. Sich zwar schon für vieles interessiert haben, aber das war mehr so im, eher im politischen Bereich anzusiedeln, oder in dem sozialen Gegebenheiten vor Ort.“ (IP 21, Grundschullehrerin, 50)
Fehlendes Interesse am Theater ist also nicht gleichzusetzen mit einem Desinteresse an über den eigenen Horizont hinausgehenden Themen. Allerdings ist das Theater auch als Institution vom Lebensraum dieser Eltern so weit entfernt, dass es im Gegensatz zu politischen oder sozialen Themen des eigenen Umfelds keine Rolle spielt. Verstärkt wird dieses Phänomen durch das Leben in ländlichen Räumen mit entsprechend fehlender Theaterinfrastruktur. Vor allem bei älteren Interviewpartnern waren die Mobilitätsbedingungen der Eltern wesentlich eingeschränkter (z.B. IP 6). Ein Interviewpartner beschreibt die Situation seiner Eltern in den Nachkriegsjahren so:
200 | N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG „Die kommen ja aus einer Kleinstadt. Da gibt‘s auch kein Theater und sie hatten sich auch nie die Mühe gemacht zum Beispiel in den Zug zu steigen um jetzt zu einem Theaterstück nach [Name der Stadt] zu fahren.“ (IP 17, Ingenieur, 63)
Fehlende Infrastruktur, fehlende eigene Besuchserfahrungen der Eltern und deren anders gelagerte Interessen führen also dazu, dass durch die elterliche Sozialisation keine Teilhabevoraussetzungen gefördert werden. Eine Begegnung dieser Interviewpartner mit dem Theater kommt erst später im Leben durch andere Einflussfaktoren wie z.B. die Schule, den Lebenspartner oder die Zugehörigkeit zu bestimmten sozialen Milieus zustande. Es gibt kein Beispiel, dass Eltern theateraffin waren, das Kind aber überhaupt kein Interesse am Theater zeigt. Auffällig ist zudem, dass elterliches Interesse an anderen Kunstsparten nicht zu einer Übertragbarkeit auf Interesse am Theater führt. Vor allem zu Hause rezipierbare Kunstsparten, welche über sinnliche (und weniger intellektuelle) Wahrnehmung verarbeitet werden können, waren auch bei Eltern mit formal niedrigeren Bildungsabschlüssen beliebt: „Naja, wir haben schon über Musik gesprochen ob die gut ist oder nicht. […] Mein Vater mochte gerne die ‚Don Kosaken‘ oder er hat ein wunderschönes Violinkonzert von Max Bruch und das habe ich immer gerne gehört und er auch.“ (IP 17, Ingenieur, 63)
Deutlich wird, dass das gemeinsame Musikhören auch zum Gesprächsthema zuhause wird und somit im Gegensatz zum Theater ein gewisses Grundinteresse am Genre vermittelt wird. Allerdings ist in diesen Episoden keine Entwicklung einer Offenheit gegenüber anderer Kunstsparten erkennbar. Vereinzelt finden vor diesem familiären Hintergrund dennoch Theaterbesuche mit den Eltern statt. Eine Interviewpartnerin macht deutlich, dass diese Besuche jedoch nicht im Rahmen konventioneller Theaterbesuche stattfanden: „Das waren immer so Weihnachtsstücke für Kinder. Ich weiß nicht ob das Heilig Abend war oder vorher. Und das fand ich immer ganz furchtbar.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
An Weihnachten möchten die Eltern dem Kind „was Gutes tun“ (IP 8), ohne allerdings einen inhaltlichen Anspruch an das Theater und damit verbunden auch an die Rezeption durch das Kind zu stellen. Das fehlende Wissen über die Existenz und die Qualität von alternativen Kindertheaterangeboten führte in diesem Fall zu einem gewissen naiven Besuchszwang, welcher in der Folge vom Kind negativ konnotiert wurde.
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Weiterhin werden von nicht theateraffinen Eltern auch Amateurtheatervorstellungen mit den Kindern besucht (z.B. IP 1), was teilweise auf hohes Interesse am Boulevard- und Heimattheater, aber auch auf die sozio-kulturelle Dimension von dörflichem Amateurtheater zurückgeht. Ein Interviewpartner, welcher mit seinen Eltern nie in ein Stadt- oder Staatstheater gegangen ist, begründet das Interesse seiner Verwandtschaft am Dorftheater: „Also meine Oma, weil es ihr wirklich gefällt und weil sie gerne so plattdeutsche Stücke mag. Die hat auch im Fernsehen so Ohnsorg-Theater immer sehr gerne gekuckt und meiner Mutter gefällt das auch. So diese Laienschauspielerei.“ (IP 1, Student, 27)
Die besuchten Komödien wurden dann auch positiv konnotiert, allerdings bestimmen die Erinnerung ein gewisser sozialer Druck des Mitkommens sowie die soziale Funktion im Rahmen eines dörflichen Erlebnisses. Eine Förderung des Interesses am Bühnengeschehen an sich oder an den Einsatzmöglichkeiten verschiedener Theatermittel ist dadurch nicht erfolgt. Neben dieser Gruppe der Gelegenheitsbesucher ohne elterliche Theatersozialisation gibt es auch einige Interviewpartner, welche mit ihren Eltern gemeinsame Besuche in Kindheit und Jugend erlebt haben. Im späteren biografischen Verlauf führen dann Lebensumstände, wie z.B. andere Interessen des Lebenspartners oder berufliche Belastungen dazu, dass aus diesem eigentlich existierenden Grundinteresse keine oder nur sehr wenig Besuchsaktivitäten resultieren. Die Erkenntnisse aus diesen Biografien sollen im Folgenden die möglichen interessefördernden Funktionen deutlich machen; die Interviewpartner fungieren an dieser Stelle quasi als Kontrollgruppe. In dieser Gruppe sind überwiegend formal hohe Bildungsabschlüsse bei den Eltern bzw. Großeltern feststellbar. Die eigene Familie verfügt schon über Besuchserfahrungen und entsprechend gehören Theater- oder Opernbesuche zum Spektrum der praktizierten Kulturaktivitäten. Eine Interviewpartnerin berichtet von einer Städtereise im Grundschulalter mit den eigenen „Großeltern in München“, zu der auch der Besuch „der Entführung aus dem Serail“ (IP 4) gehörte. Die Vermittlung von Oper und damit auch von „Bildung“ (IP 4) gehört zur selbstverständlichen Aktivität der Großeltern. Ebenfalls von der Großmutter wurden Theaterbesuche eines Interviewpartners organisiert, welche mehrere Funktionen von solchen Aktivitäten deutlich machen: „Das war ein jährliches Ritual: Oma und die Enkel gehen zusammen ins Weihnachtsmärchen.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
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Zum einen wurde dadurch früh die soziale Funktion des Besuchs eines Stadttheaters eingeübt: Denn dieser war mit dem Wiedersehen der gleichaltrigen Verwandtschaft verbunden, was zu einer ersten wichtigen positiven Konnotation führte (IP 2). Zum anderen wurden mit diesen Besuchen auch verschiedene Besonderheiten des Theaters erlebt und somit auch positiv eingeübt: „Dann hat die Oma immer dafür gesorgt dass wir in der ersten Reihe sitzen. Da war man dann ganz dicht dran und wir haben immer die Schweißtropfen abgekriegt, das war aber nicht so schlimm. Ja und das war einfach spannend, wenn dann das Licht ausging und der Vorhang zur Seite.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
Neben der Betonung des Live-Erlebnisses mit realen Darstellern wird auch der Einsatz verschiedener Bühnenmittel als besonderes Erlebnis erfahren und benannt. Zudem wird durch die Platzwahl früh auch eine gewisse Exklusivität des Theaterbesuchs erlebt. Die Förderung von Interesse am Theater durch Eltern mit entsprechender Besuchserfahrung hat unterschiedliche positive Konsequenzen, wie folgende Aussage deutlich macht: „Also ich erinnere mich, dass ich als Kind schon öfter im Kindertheater war, ich war auch im Thalia-Theater so bei Kinderstücken und so also ich glaub meine Mutter ist früher, als sie jünger war, gerne ins Theater gegangen und hat mir das als Kind auch schon versucht näher zu bringen.“ (IP 22, Servicepersonal, 21)
Zum einen verstärkt eine gewisse Regelmäßigkeit von gemeinsamen Theaterbesuchen die damit verbundenen Lerneffekte. Zum anderen zeigt dieses Beispiel, dass nicht nur Weihnachtsmärchen besucht werden. Vielmehr verfügt diese Mutter über Wissen zum Kindertheaterangebot, zudem auch über Kompetenzen der Einschätzung der Qualität. Schließlich beinhalten diese Theaterbesuche mit kompetenten Begleitern auch die Förderung einer erfolgreichen Vermittlung des Gesehenen. Dies bedarf auch einer grundsätzlichen Förderung der gemeinsamen Nachbereitung medialer Erlebnisse durch Kinder und Eltern. Am Beispiel des Kinobesuchs macht dieser Interviewpartner eine solche Förderung durch das Elternhaus deutlich: „Als Kind, wo ich ins Kino gegangen bin, musste ich auch immer nochmal über den Film nachreflektieren und den mit meinen Eltern nochmal besprechen, was da jetzt eigentlich so passiert ist.“ (IP 23, Techniker, 29)
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Eine solche Förderung der kulturellen Bildung durch das Elternhaus ist auf dessen Bildungsniveau und damit verbunden auch soziales Milieu zurückzuführen. Das Aufwachsen in einer Familie, in welcher die Auseinandersetzung mit politischen, gesellschaftlichen und eben auch kulturellen Themen regelmäßig gepflegt wird, unterstützt sehr wirksam das Interesse am Theater: „Also wir haben Wochenzeitungen abonniert, wir unterhalten uns sehr viel. Meine Schwester hat bei einem Kultursender gearbeitet, also da sind wir schon mehr in der Materie über Kultur und Theater.“ (IP 24, Student, 26)
Deutlich wird, dass solche Phänomene eindeutig kulturelle Teilhabevoraussetzungen fördern. Spätere Nicht-Besuche sind dann definitiv nicht mit fehlendem Wissen über die Existenz, Qualität und Wirkung von Theaterbesuchen begründbar, sondern gehen auf andere externe Faktoren zurück. Auffällig ist bei der Untersuchung der Rolle der kulturellen Sozialisation durch das Elternhaus noch ein geschlechtsspezifisches Merkmal. Theaterbesuche in der Kindheit werden überwiegend von Frauen initiiert (z.B. IP 2, IP 22). Vor allem bei Interviewpartnern ohne theateraffine Eltern werden die jeweiligen männlichen Bezugspersonen als theateruninteressiert charakterisiert. Etwaige Besuche mit den Vätern scheinen völlig unrealistisch zu sein: „Mein Vater…, nee überhaupt nicht. Nein! Der ist kein… Theatergänger. Seine Kultur ist dann doch mehr Fußball oder Sport. Das ist nicht seins. Absolut nicht.“ (IP 1, Student, 27)
Die Gründe für diese Einstellung sind mit der jeweiligen Sozialisation der Väter zu erklären. Allerdings scheint die damit verbundene Ablehnung des Themas auch zu einer gewissen Barriere zu führen, wenn sich Väter beispielsweise weigern entsprechende Veranstaltungen überhaupt zu besuchen und familiäre Besuche gar nicht zustande kommen (z.B. IP 8). In Elternhäusern mit formal hohen Bildungsabschlüssen sind diese geschlechtsspezifischen Merkmale nicht ganz so radikal ausgeprägt. Zwar geht auch dort die Besuchsentscheidung eher auf die Mütter zurück (z.B. IP 5), den Vätern wird allerdings nicht die Funktion der Verhinderung von Besuchen zugeschrieben. 6.2.2 Künstlerische Hobbies und Theaterbesuche Im Kontext von Kindheit und Jugend ist auch eine qualitative Verdichtung des Zusammenhangs zwischen eigener theaterspielerischer Praxis und damit verbundener Förderung des Interesses am späteren Theaterbesuch möglich. Die statis-
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tisch bekannte Wirkung von eigener künstlerischer Praxis auf das Interesse an professioneller Kunst kann durch die Auswertung der Interviews dahingehend qualifiziert werden, dass allein ein einmaliges Theaterspiel im Rahmen z.B. von Krippenspielen im kirchlichen Kontext (z.B. IP 1, IP 3) oder von Aktivitäten im Klassenverband während der Grundschulzeit (z.B. IP 2, IP 9) keinen Indikator für das Zustandekommen eines allgemeinen Theaterinteresses darstellt. Eine solche Art des Theaterspielens in jungen Jahren wird auf das Auswendiglernen einer Rolle und der möglichst realistischen Darstellung reduziert: „Ich war mal der Hahn in den Bremer Stadtmusikanten in der Grundschule. Da musste ich krähen üben. Das war es dann aber auch.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Auf die kulturelle Sozialisation der interviewten Gelegenheitsbesucher haben solche Aktivitäten keine interessefördernden Auswirkungen. Eine Wirkung ist dann nachvollziehbar, wenn mit solcher Spielpraxis auch der Einsatz verschiedener Bühnenmittel vermittelt wird und vor allem der Spieler selbst den Mehrwert einer Bühnendarstellung erfährt. Bei Gelegenheitsbesuchern ohne theateraffinen familiären Hintergrund finden solche Begegnungen mit Spielpraxis an Schnittstellen wie beispielsweise Angeboten der Jugendarbeit statt: „Ich war zwischen 14 und 16, […] da war ich in der Jugendtheatergruppe im CVJM.“ (IP 7, Hochschuldozent, 52)
Auch das damalige Alter des Interviewpartners ist ein Indiz dafür, dass diese Erfahrung prägend war und auch zu einem Interesse an der Bühnendarstellung beitrug. Schließlich stellt sich in diesem Kontext noch die Frage, inwieweit künstlerische Hobbies abseits des Theaterspiels positive Auswirkungen auf Interesse am Theater haben. Interviewpartner ohne theateraffinen familiären Hintergrund und damit verbunden auch ohne ausgeprägte Besuchserfahrung zeigen zum Teil überhaupt keine Auseinandersetzung mit künstlerischen Freizeitbeschäftigungen im engeren Sinn: „Nein, musikalisch, kein Instrument gespielt. Schreiben, nein, negativ. […] Ich bin jetzt auch nicht die große Leseratte, nein ich bin total unkulturell.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Zum einen wurde in diesem Fall an keiner Stelle ein möglicher Mehrwert einer künstlerischen Erfahrung erlebt. Zum anderen wurde aber auch kein Zugang zur Abstraktion und damit verbunden zur Interpretation und zum Spaß an Mehrdeutigkeit im Verlauf der Kindheit und Jugend deutlich. Sind künstlerische Hobbies
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vorhanden, so ist nicht immer automatisch eine Übertragbarkeit auf Interesse am Theater erklärbar. Bei Interviewpartnern mit wenig Besuchserfahrung von Theatern oder anderen Einrichtungen der öffentlich geförderten Kultur können durchaus einzelne künstlerische Hobbies, wie z.B. ein Musikinstrument spielen, gepflegt werden, ohne dass mögliche Transfereffekte auf das Interesse am Theater erkennbar sind (z.B. IP 8). 6.2.3 Theaterbesuche mit der Schule Unabhängig vom persönlichen Interesse oder von Einflüssen durch soziales Umfeld und Elternhaus fanden und finden Theaterbesuche im biografischen Verlauf mit großer Sicherheit im Rahmen von Schulaktivitäten statt. Obgleich diese Aktivitäten nicht zwingend Teil der schulischen Curricula waren und sind, scheinen sie dennoch zum Standardprogramm von Schulen dazugehören, allerdings in unterschiedlicher quantitativer und qualitativer Ausprägung. Eine erste notwendige Differenzierung betrifft die ‚materiellen Ressourcen‘, also die Entfernung vom Standort der Schule bis zum nächsten Theater. Die qualitativen Verdichtungen bestätigen die in Kapitel 5 standardisiert beschriebene Stadt-Land-Diskrepanz des Theaterangebots in Deutschland im Detail. Im Gegensatz zu Städten mit eigenem Theater (z.B. IP 2) ergibt sich für Schüler in ländlichen Räumen das Problem fehlender Besuchsmöglichkeiten. Dies hat zur Folge, dass Theaterbesuche mit der Schule eines gewissen Anreisewegs bedürfen: „Ich glaube ein oder zweimal sind wir noch nach Bremen oder Ähnliches ins Theater gefahren, weil bei mir zuhause gab es halt so nichts, man musste immer nach Hamburg oder nach Bremen, wenn man mal so was wie ein richtiges Theater haben wollte.“ (IP 1, Student, 27)
Dieser Anreiseweg ist dann mit einem gewissen Organisationsaufwand verbunden, welcher zur Folge hat, dass Theaterbesuche seltener stattfinden und auch stärker aus dem Schulalltag rausfallen (IP 11). Im Zeitverlauf ist eine gewisse Verbesserung der Mobilität festzustellen: So waren weite Anreisen zum nächsten Theater in den 1950er fast noch unmöglich (IP 5), während in den 1990er Jahren eine organisierte Busfahrt einfacher durchführbar war (IP 3). Das Problem der weiten Anfahrtswege könnte durch mobile Theatergruppen gelöst werden. Dieses Angebot scheint in der Schulzeit der Interviewpartnern allerdings selten und dann eher von Grundschulen wahrgenommen zu werden (IP 3), in weiterführenden Schulen laden besondere Schularten wie z.B. Waldorfschulen regelmäßig Theatergruppen zu Schulaufführungen ein (IP 4).
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Die gemeinsame Anfahrt in eine größere Stadt, mit einer über den Klassenverband hinausgehenden, großen Gruppe und zu Schulaufführungen mit speziellen Anfangszeiten kann als besonderes Ereignis wahrgenommen werden (IP 3, IP 21). Diese Erlebnisse fallen dann in der Erinnerung aus dem allgemeinen Schulalltag raus. Theaterbesuche werden zu Schulausflügen mit positiv konnotierten Nebennutzen: „So als Schüler war es ganz schön, weil es auch noch Freizeit in Bremen gab. Da konnte man noch zwei Stunden oder so durch die Fußgängerzone tingeln.“ (IP 1, Student, 27)
Obgleich dies im Falle des zitierten Interviewpartners ein als erfreulich wahrgenommener Teil des Ausflugtags war, entstehen damit keine automatischen Effekte für die Aneignung bzw. Bewertung des eigentlichen Theaterbesuchs. Vielmehr zeigt ein anderer Interviewpartner, dass eben der Ausflugscharakter und die außerschulische Aktivität an sich als wesentlicher Kern der Aktivität empfunden wurden, während das Theaterstück in den Hintergrund gedrängt wurde: „Aber der Hauptanhaltspunkt war gewesen, gut, jetzt gibt es einen Ausflug, mal was anderes zum Schulalltag. Also eher so das Thema, man kommt jetzt mal raus, nicht unbedingt thematisch am Theaterstück.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Der Theaterbesuch mit der Schule kann daher auch nicht mit dem Erleben der sozialen Dimensionen eines abendlichen Theaterbesuchs im Rahmen einer regulären Aufführung gleichgesetzt werden: „Es waren glaube ich nur Schüler und Lehrer, soweit ich mich erinnern kann. Und die Stimmung war naja, ein bisschen laut, wie man sich das eben vorstellt bei fünf, sechs Schulklassen in einem Theaterraum.“ (IP 24, Student, 26)
Ein solches Erlebnis kann dann durchaus zum Gegensatz eines selbständig organisierten Theaterbesuchs werden. Vor allem scheinen die sonst mit dem Theaterbesuch verbundenen sozialen Konventionen wie Aufmerksamkeit und stille Rezeption im Rahmen von Schulbesuchen komplett an Gewicht verlieren zu können: „Also ich weiß noch, da waren wir halt noch voll jung und meine, die anderen in meiner Klasse haben halt alle ein bisschen Schnaps getrunken und fanden das total lustig und ha-
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ben die ganze Zeit während der Vorstellung irgendwie Quatsch gemacht.“ (IP 22, Servicepersonal, 21)
Neben der vermutlich negativen Auswirkung auf die Wahrnehmung des Bühnengeschehens kann in solchen Fällen das soziale Potenzial eines Theaterbesuchs, beispielsweise in Hinblick auf Erleben der Atmosphäre vor und nach der Vorstellung, sehr gering ausfallen bzw. wird schlichtweg nicht erlebt. Schließlich ist auch der im Kontext von Schule automatisch verbundene Zwang des Besuches von Theatervorstellungen ein weiteres Unterscheidungsmerkmal zu späteren privaten Besuchen: „Ich hab es auch aktiv verdrängt, weil es war halt eine Pflichtveranstaltung und es hat kein Spaß gemacht.“ (IP 1, Student, 27)
Wenn andere – unten aufgeführte – Gründe zu einer nicht gewinnbringenden Wahrnehmung von Theaterbesuchen mit Schulen führen, kann eine solche Zwangskonnotation die negative Bewertung also noch verstärken. Die nächste Differenzierung der Theaterbesuche in der Schulzeit betrifft die jeweilige Stufe: Unabhängig vom Zeitverlauf und von lokalen Aspekten sind Besuche in der Grundschulzeit anders konnotiert als spätere in den weiterführenden Schulen, insbesondere in der Sekundarstufe 2. Ähnlich wie bei Besuchen mit der Familie finden Theaterbesuche mit der Grundschule ein Stück weit ritualisiert in der Weihnachtszeit statt (IP 2, IP 7, IP 21). Dabei wird bereits der hohe Stellenwert des Fantastischen und Märchenhaften im Rahmen solcher Theaterbesuche deutlich. Folglich stellen auch die erinnerten Theaterbesuche mit der Grundschule ein ‚Best-of‘ der neueren Kinderliteratur dar: Besucht wurden beispielsweise „Der kleine Muck“ (IP 7), „Jim Knopf oder Pippi Langstrumpf“ (IP 11), „Das Dschungelbuch“ (IP 12), „Das Sams“ (IP 15) und „Der Zauberer von Oz“ (IP 16). Diese Theaterstoffe zeichnen sich durch wenig Abstraktion aus und bedürfen auch nicht unbedingt einer Interpretation als Voraussetzung für eine erfolgreiche Rezeption. Diese Art von Kindertheater vermittelt sich quasi von selbst, da die Geschichte im Mittelpunkt steht und das Verstehen durch eine kindgerechte Inszenierung unterstützt wird: „Ja, also dadurch dass das wirklich Schultheater war, haben die das auch an Kinder, an den Kindesverstand angepasst.“ (IP 24, Student, 26)
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Diese zielgruppenorientierte Inszenierung und damit verbundene Art der Rezeption kann zum einen zu einem positiven Theatererlebnis führen, durchaus mit einer Wirkung auf zukünftiges Interesse: „Es war ein sehr nettes Stück, es ging um den ‚Zauberer von Oz‘, sehr kindgerecht und einfach schön anzugucken, ein, schönes Weihnachtsmärchenstück ohne viel Spektakel drumherum, aber einfach mit sehr, sehr guter Wirkung.“ (IP 21, Grundschullehrerin, 50)
Die Begriffe „kindgerecht“ und „schön anzugucken“ sind also Merkmale für eine positive Bewertung eines Theaterbesuchs mit der Grundschule. Allerdings zeigen diese Aussagen auch, dass das ‚Verstehen‘ des Theaterstücks zum zentralen Merkmal einer positiven Bewertung wird: „Wir haben das natürlich auch besprochen und das war eigentlich nicht schwer zu verstehen.“ (IP 24, Student, 26)
Bereits in der Grundschule erfolgt also eine Fixierung auf das Verstehen des Textes, der Geschichte oder der Handlungsabfolge bei gleichzeitiger NichtThematisierung anderer Theatermittel und damit verbunden auch alternativer Rezeptionsstrategien, wie beispielsweise einer Betonung der sinnlichen Wahrnehmung. Dies geht einher mit der Verarbeitung und Verbindung des Theatererlebnisses mit den Methoden und Formaten des Deutschunterrichts. Schon in der Grundschule folgen Theaterbesuchen das Verfassen von „Inhaltsangaben“ (IP 11) oder „Aufsätzen“ (IP 24). So lässt sich das Ziel dieser schulischen Nachbereitung beschreiben: „Also war immer viel auch für die Kinder, die jetzt nicht ganz so aufgepasst haben. Sodass die am Ende dann doch wussten, um was es geht wenigstens.“ (IP 24, Student, 26)
Als Mindestanforderung an einen positiv zu bewertenden Theaterbesuch wird also das Verstehen der Handlung gestellt. In der Grundschule wird somit tendenziell ein Bild von Theater geprägt, welches sich durch eine unterhaltsame, schöne und erfreuliche Rezeption vor dem Hintergrund des Verstehens der Handlung als einzige Rezeptionsstrategie auszeichnet. Diese Fixierung auf die Handlung und damit verbunden auf den Theaterstoff bleibt auch in weiterführenden Schulen bestehen bzw. wird noch weiter verstärkt. Die Besuchserfahrungen der Interviewpartner im Gymnasium ist eine lange Geschichte von Klassikern des Deutschunterrichts und der Reduzierung von Theater auf den dramatischen Text. Das Deutschunterrichtsthema und damit
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verbunden in der Regel ein Drama oder Schauspiel gehen der Entscheidung des Theaterbesuchs voraus. Die möglichen Leistungen des Theaters, wie z.B. die Richtung der Inszenierung, der Einsatz verschiedener Theatermittel oder auch eine mögliche Modernisierung des Theaterstoffs scheinen keine relevanten Gründe für oder gegen den Theaterbesuch zu sein, besucht wurde einfach „irgendwas, was man gerade in Deutsch behandelt hat“ (IP 1, Student, 27).
Die Liste der Märchen der Grundschulzeit lässt sich nach den Interviews zu einer Liste der Klassiker des gymnasialen Deutschunterrichts erweitern: Besucht wurden unter anderem „Woyzeck“ (IP 1), „vermutlich Dürrenmatt“ (IP 2), „Der zerbrochene Krug“ (IP 3), „Biedermann und die Brandstifter“ (IP 7), „Die Dreigroschenoper“ (IP 9), „Die Ratten“ (IP 15) und selbstverständlich auch „Faust“ (IP 21). Theaterproduktionen, welche nicht auf einer klassischen literarischen Vorlage aufbauen, werden wenn dann nur aufgrund des besonderen Engagements einzelner Lehrkräfte besucht (z.B. IP 10), da die thematische Verbindung zum Lehrstoff nicht gegeben ist. Diese Fixierung auf den Theaterstoff kann allerdings zu verschiedenen Problemen führen. Die Reduzierung der Besuchsentscheidung auf Autor und Werk und damit eine vermeintliche Kompatibilität zum Unterricht kann zur Folge haben, dass vorab keine Informationen über die Art der Inszenierung und somit den theatralen Umgang mit der Textvorlage eingeholt werden (IP 18). Dies kann zu durchaus kuriosen Besuchsentscheidungen führen, wie folgende Aussage über einen Theaterbesuch in der gymnasialen Oberstufe deutlich macht: „Ich hatte Englisch-Leistungskurs, aber auf Englisch gab es das nicht und dann haben wir halt was auf Deutsch angekuckt.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Die Auswahl der zu besuchenden Vorstellung wurde also ausschließlich am Autor festgemacht. Allein der Name von Shakespeare war besuchsentscheidend und bereits wichtiger als die Sprache der Inszenierung, weitere Aspekte der Inszenierung waren nicht relevant. Die Interviewpartnerin macht dann auch deutlich, dass dieser Besuch ohne weitere Vermittlung der Theaterleistung von Seiten des Theaters oder eben des Englischunterrichts erfolgte: „Ja, läuft halt grad. Und dann hat der Lehrer irgendwie Tickets gebucht und dann sind wir da hingegangen und haben hinterher auch noch irgendwie drüber geredet. Aber vom Theater ist da nichts passiert, das war jetzt nicht theaterpädagogisches oder sowas und die haben auch nichts gesagt dazu. Das war nur rein, kucken, raus.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
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Diese Episode macht deutlich, dass ein Theaterbesuch mit der Schule ohne wesentliche Vor- und Nachbereitung ablaufen kann. Dies könnte durchaus zu einer neutralen Bewertung des Besuchs durch die Schüler führen. Allerdings zeigen die Interviews, dass vielmehr Probleme entstehen, wenn die Besuchserwartung allein an Autor und Text geknüpft wird, dann aber durch den Einsatz anderer Theatermittel nicht erfüllt wird. Der Theaterbesuch wird lediglich als eine Zugabe zur vorherigen Auseinandersetzung mit dem Theaterstoff im Deutschunterricht empfunden. Die Leistungen des Theaters, vor allem die Darstellung der Interpretation mit verschiedenen Theatermitteln, scheinen gar keine Relevanz in dieser Art von Theatervermittlung zu haben, wie folgende Passage erklärt: „Ja, man hat das Buch vorher natürlich gelesen und auseinandergenommen. Speziell fürs Theater war die Nachbereitung klein, es ging vielmehr nur noch einmal um das Stück, dass man das Ganze auseinandergenommen hat, bevor man den Aufsatz oder so über das Buch, den Titel insgesamt geschrieben hat. Das Theater war so eine ergänzende Geschichte in dem Fall.“ (IP 1, Student, 27)
Das Verstehen von Text und Handlung wird also zur zentralen – oft einzigen – Rezeptionsstrategie. Wenn eine Vor- oder Nachbereitung durch die Schule stattfindet, dann wird diese Art der Aneignung von Theater noch unterstützt: „Deutschunterricht, ja […]. Wir haben es gehört, ich glaub, wir haben es mit Schallplatte gehört. Wir haben die Schallplatte vom ‚Faust‘ gehört. Vorher oder nachher, wahrscheinlich vorher.“ (IP 21, Grundschullehrerin, 50)
Diese Strategie des Verstehens kann dann zum Problem werden, wenn die Gestaltung anderer Theatermittel die individuelle Rezeption stärker beeinflusst, dies allerdings nicht als Mehrwert empfunden wird. Der Einsatz der unterschiedlichen szenischen und bildnerischen Theatermittel scheint in der Bewertung der Schulbesuche keine wesentliche Rolle zu spielen. Vielmehr führt eine neue Interpretation des – eben in der Regel klassischen – Theaterstoffs durch die Inszenierung zu einem unbefriedigenden Ergebnis. Die mangelnde Vorbereitung auf diese Leistungen des Theaters kann dann zu einer Überraschung auf Seiten der Schüler führen. Die Geschichte wurde zwar erkannt, „aber es war eine andere Interpretation als das originale Reclam-Heftchen“ (IP 1, Student, 27).
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Die vorgeprägte Strategie des Verstehens geht dann nicht auf und die damit verbundene Modernisierung des Klassikers durch die Inszenierung wird zwar wahrgenommen, kann allerdings nicht positiv verarbeitet werden: „Ich habe schon so ungefähr alles verstanden, aber ich weiß nur noch, dass ich sehr verwirrt über manche Inszenierungsentscheidungen war.“ (IP 18, Studentin, 19)
Fehlen dann vorherige Besuchserfahrungen oder aktuelle Vermittlungsangebote, dann kann diese Inszenierungsleistung nicht nur ‚nicht verstanden‘, sondern sogar als defizitär wahrgenommen werden: „Und das ist ja schon sehr speziell. Ich weiß nicht, ob Du das kennst, die machen ja nicht das Original, sondern sehr auf modern. Damit konnte ich nicht so viel anfangen.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Wenn also weiterführende Schulen in erster Linie Theaterbesuche im Rahmen des Deutschunterrichts initiieren und als zentrale Rezeptionsstrategie das Verstehen des Klassikers fördern, während andere Leistungen des Theaters, insbesondere die Neuinterpretation des Theaterstoffs, nicht vermittelt bzw. keine Vermittlungsangebote von Seiten der Theater bereitgestellt werden, dann ist eine unbefriedigende Rezeption und damit verbunden keine Förderung eines nachhaltigeren Interesses auf Seiten der Schüler nachvollziehbar. Die starke Verortung von Theater im Kontext des Deutschunterrichts führt darüber hinaus zu einer weiteren Problematik: Allein dieses Schulfachs kann zu einer Ablehnung des Theaters auf Seiten der Schüler führen. Verstärkt wird dieser Effekt, wenn die Schüler zudem keinen persönlichen erfüllenden Zugang zum Deutschunterricht entwickelt haben. So misst ein Interviewpartner seine Theaterbesuchserfahrung mit der Schule, welche „kein Spaß gemacht“ (IP 1) hat insgesamt am fehlenden Zugang zum Schulfach: „Weil das nicht mein Fach war. Also Deutsch. Interpretation und was hat sich der Autor dabei gedacht. Das ist absolut nicht meins.“ (IP 1, Student, 27)
Obgleich die Ursachen für solche Fächervorlieben im Rahmen der Interviews nicht thematisiert wurden, wird dennoch der wichtige Stellenwert des persönlichen Zugangs zur ‚Interpretation‘ künstlerischer Ausdrucksformen als Voraussetzung für eine erfolgreiche Rezeption deutlich. Dies gilt nicht nur für Theaterbesuche, vielmehr ist es ein wesentliches Kennzeichen von Kunst, dass diese einer Deutung und intellektuellen Verarbeitung durch den Rezipienten bedarf.
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Wenn Schüler allerdings keine Freude am Entdecken von Mehrdeutigkeiten und am Dekodieren eines Kunstwerks empfinden und dies auch nicht vorher z.B. durch künstlerische Fächer angeregt wurde, dann scheint eine wesentliche Prämisse für einen erfolgversprechenden Theaterbesuch nicht erfüllt zu sein. Abschließend ist zum einen anzumerken, dass eine gewisse Quantität und Wiederholung von Theaterbesuchen mit der Schule eher das Interesse am Gegenstand verstärkt (z.B. IP 23, IP 24). Ein oder zwei Theaterbesuche mit der Schule können hingegen von so vielen individuellen Faktoren beeinflusst werden, dass sie eben nicht zwingend zu einem nachhaltigen Interesse führen. Zum anderen berichten vor allem jüngere Interviewpartner von vermittelnden Angeboten, wie z.B. einer Theater-AG (IP 14) oder eigenen Theateraktivitäten im Klassenverband (z.B. IP 4), welche erfolgreichere Rezeptionsstrategien als bloßes ‚Verstehen‘ vermitteln. Es bleibt aber festzustellen, dass kein Automatismus existiert, durch welchen Theaterbesuche mit der Schule selbstverständlich positiv konnotiert werden und dadurch Interesse und somit kulturelle Teilhabevoraussetzungen gefördert würden. Vielmehr ist eine nachhaltige Wirkung von verschiedenen Faktoren abhängig, welche allerdings durch die Vermittlung von Seiten der Schule nicht unbedingt begünstigt werden. 6.2.4 Studium, Partnerfindung und erster Arbeitsort Die mit Ausbildung oder Studium beginnende Lebensphase zeichnet sich in Bezug auf Theaterbesuche mit einer Zunahme der Selbständigkeit von Entscheidungen aus. Besuche werden nicht mehr von der Schule und nur noch selten durch die Eltern initiiert. Diese Freiwilligkeit des Theaterbesuchs wird dann explizit als positiv wahrgenommen, wenn die durch Elternhaus und Schule initiierten Theaterbesuche in der Bewertung unbefriedigend waren (z.B. IP 8). Vor allem die soziale Dimension von Theaterbesuchen gewinnt ab dieser Phase an Bedeutung, die Begleitung kann zum besuchsinitiierenden Grund werden. Eine Ausnahme zu Beginn dieser Lebensphase stellt für Männer die Bundeswehrzeit dar, in welcher Theaterbesuche wie auch ähnliche Freizeitaktivitäten wegen der körperlichen Belastung, des Arbeitsorts und dem temporären sozialen Umfeld keine Rolle spielen (z.B. IP 3) oder zumindest nicht durch diese Umstände gefördert werden. Der mit Aufnahme eines Studiums meist vollzogene Ortswechsel führt eher zu mehr Besuchsmöglichkeiten, denn Universitätsstädte haben tendenziell ein größeres Theaterangebot als Städte im ländlichen Raum. Ist ein solcher Wohnortswechsel also mit einem Wechsel vom ländlichen zum urbanen Raum verbunden, so fördert dies durchaus die Quantität der Freizeitaktivitäten (IP 1).
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Die Wahl des Studienorts ist allerdings auch bei Interviewpartnern mit einer theateraffinen Jugend nicht von der Existenz eines Theaters abhängig. Wie in allen folgenden Lebensphasen kann somit das durch einen Wohnortswechsel bedingte Fehlen der materiellen Ressource im Sinne des lokalen Theaterangebots eine Abnahme der Besuchsaktivitäten bewirken (z.B. IP 2). Generell ist die Zeit während des Studiums von einer Zunahme der aushäusigen Aktivitäten gekennzeichnet. Generationsübergreifend wird ein Bild des ‚Studentenlebens‘ gezeichnet, in welchem neben dem Studium soziale Aktivitäten einen im Vergleich zu anderen Lebensphase überdurchschnittlich hohen Stellenwert haben (IP 2, IP 3, IP 5, IP 21). Eher beengte und einfachere Wohnverhältnisse, Kommilitonen als oft einziger sozialer Bezugspunkt vor Ort sowie tendenziell noch keine feste Partnerschaft begründen diese Aktivitäten. Der Theaterbesuch zählt allerdings nicht zu den beliebtesten Aktivitäten dieser Art. Vielmehr werden Angebote besucht, welche weniger Organisationsaufwand und keine Vorerfahrungen bedürfen, in allen befragten Generationen sind Kinobesuche ein wichtiger Teil studentischer Aktivitäten (z.B. IP 3). In jüngeren Generationen nimmt der Anspruch nach gemeinsamen Aktivitäten in größeren Gruppen und mit viel Spaß zu, was unter dem Begriff „feiern gehen“ (IP 12) gefasst wird (z.B. IP 16, IP 19). Die soziale Funktion der Freizeitgestaltung im Studium betrifft dann auch mögliche Theaterbesuche, welche immer mit anderen Kommilitonen erfolgen (z.B. IP 4, IP 9). Interviewpartner ohne ausgeprägte Besuchserfahrung bevorzugen dann eher einfach zu rezipierende Genres, wie z.B. Musicals (z.B. IP 10). In Bezug auf Orte der möglichen Partnerfindung spielen Theater keine Rolle. Theaterbesuche können allerdings in der Zeit der Festigung von Partnerschaften an Bedeutung gewinnen: „Im Studium, so 1967 war das, da sind wir viel ins [Name des Theaters] gegangen, die haben eine sehr gute Auswahl gehabt. Wir sind damals unheimlich viel ins Kino gegangen. Das waren die zwei Jahre, wo wir uns kennengelernt haben.“ (IP 5, Rentner, 69)
Obgleich dieses Beispiel auch ein Stück weit von gesellschaftlich bedingten Zeiteffekten geprägt ist, wird die Funktion des Theaterbesuchs als Pflege und Förderung der Partnerschaft deutlich. Obwohl diese Aktivität einer gewissen beiderseitigen Offenheit für Theater bedarf, besteht in dieser Lebensphase auch die Möglichkeit, dass ein Partner zum „Kulturanker“ (IP 3) wird und Menschen ohne ausgeprägte Besuchserfahrungen dadurch zum Theater geführt werden. So sehr das Theater wie oben skizziert kein prädestinierter Ort für studentische Aktivitäten in größerer Gruppe und zum ‚feiern‘ ist, so sehr scheint es prädestiniert
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für Aktivitäten zu zweit zu sein. Verstärkt kann dies durch unterschiedliche Wohnorte der Partner werden, was zu einer Zunahme der Wichtigkeit der gemeinsamen Freizeit führt (IP 21). Deutlich wird allerdings auch, dass Theaterbesuche ab dieser Lebensphase zur sozialen Aktivität werden, welche ohne Begleitung nicht funktioniert. Ein jüngerer Interviewpartner begründet damit den Rückgang seiner Theaterbesuche: „Das liegt wahrscheinlich auch daran, dass ich bis vor kurzem halt Single war und dann auch halt die entsprechende Begleitung gefehlt hat, um ins Theater zu gehen.“ (IP 23, Techniker, 29)
Noch verstärkt wird dieses Begleitungsproblem durch den Berufseinstieg, wenn dieser mit einem Wohnortswechsel verbunden ist. Mit dem Berufseinstieg nimmt die Quantität der Freizeitaktivitäten im Vergleich zum Studium eher ab (z.B. IP 3). Neben beruflichen Belastungen ist dies auch mit dem Wegfall des sozialen Umfelds zu begründen, wie folgender jüngerer Interviewpartner berichtet: „Was aber auch daran liegt, dass ich in einer Stadt lebe, in der ich noch nicht lange lebe und dadurch wenige Personen kenne und dadurch mich meistens selbst beschäftigen muss.“ (IP 20, FSJler, 20)
Ein Theaterbesuch allein und ohne Begleitung kommt in diesem Beispiel nicht in Frage, auch nicht als Option zum Kennenlernen neuer Bekanntschaften. Allerdings scheint auch die Pflege eines vorhandenen Freundeskreises mit Eintritt in das Berufsleben komplexer als z.B. in der Zeit des Studiums zu werden: „Also ich hab das Gefühl, dass man einfach viel mehr planen muss, wenn man erwachsen ist, […] weil natürlich Deine Freunde mit Dir erwachsen werden und dementsprechend auch eigene Leben haben und Du selber auch und da muss man natürlich gucken, wie man das alles unter einen Hut bringt.“ (IP 15, Rettungssanitäterin, 24)
Das soziale Umfeld und damit verbunden die potenzielle Begleitung werden für Theaterbesuche ab der Phase des Arbeitslebens wichtiger. Allerdings nimmt auch die studentische Spontanität und Flexibilität ab und die Planung des Freizeitlebens gewinnt an Bedeutung.
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6.2.5 Familienleben mit Kindern Die Gründung einer Familie und die Geburt eigener Kinder können zu einer radikalen Abnahme von Theaterbesuchsaktivitäten führen, wenn das intrinsische Interesse am Theater die damit verbundenen äußeren Einflüsse bzw. Barrieren nicht übersteigt oder kompensiert. Dies ist insofern ein bemerkenswerter Einflussfaktor, als dass diese Zeit bei mehreren Kindern einige Jahre betrifft und somit einen wesentlichen Teil des Lebens beeinflusst: „Aber nachher war das zweite Kind da und […] da hast Du niemanden gehabt und da die Jahre, da war schon wenig an Kultur.“ (IP 6, Rentnerin, 67)
Zum einen führte in diesem Beispiel der beruflich bedingte Wohnortswechsel zu einer neuen Umgebung ohne bestehendes unterstützendes soziales Umfeld. Zum anderen sind Besuche von Theatern oder anderen Kulturveranstaltungen mit Kleinkindern nicht möglich oder bedürfen einer Betreuung der Kinder. Wenn eine solche Fremdbetreuung nicht gewünscht wird, sind es schließlich „kleine Kinder, die einen immer davon abhalten“ (IP 7) ins Theater zu gehen. Neben dieser Funktion als besuchsverhindernde Barriere ist diese Familienzeit mit kleinen Kindern auch von anderen Rahmenbedingungen geprägt, in welchen Theaterbesuche keine Relevanz haben. Diese Mutter macht deutlich, dass durch die Familienzeit die Freizeitaktivitäten an sich eher ausgeprägter waren: „Also, wir haben an den Wochenenden mehr unternommen, als die Kinder kleiner waren. Mehr Leute mit kleinen Kindern besucht, mehr Freunde besucht.“ (IP 14, tätig in Elektrobranche, 43)
Die Zunahme der Aktivitäten bezieht sich in Familien also auf gemeinsame soziale Aktivitäten mit anderen Familien, im Mittelpunkt steht auch eine erfüllende Beschäftigung der Kinder mit Gleichaltrigen. Theaterbesuche spielen in dieser Freizeitgestaltung allerdings keine Rolle, wie ein eigentlich theateraffiner Vater die Zeit mit kleinen Kindern beschreibt: „Und wenn man dann mal Zeit hat, dann macht man eher etwas anderes, als solche etablierten Geschichten. Und weil auch das einfach in der Prioritätenliste sonst nicht so ausgeprägt war.“ (IP 7, Hochschuldozent, 52)
Es wird deutlich, dass Theaterbesuche zwar möglich wären, aber nicht zur Alltagswelt der Familienzeit gehören. Die wenige freie Zeit wird nicht dafür ge-
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nutzt, weil das Theater in der Lebenswelt der Familien keine Priorität hat, also andere Aktivitäten mit weniger zeitlichem und organisatorischem Aufwand bevorzugt werden. Verstärkt wird dies durch die Bezeichnung als ‚etablierte Geschichten‘, welche den sozialen Charakter des Theaterbesuchs und die damit verbundenen integrativen und ausschließenden gesellschaftlichen Funktionen deutlich macht. Andere Aktivitäten ohne organisatorischen Aufwand wie z.B. lesen werden hingehen auch in dieser Familienzeit weitergepflegt (IP 7). Besucht werden zudem Theatervorstellungen, welche den Ansprüchen familiärer Freizeitgestaltung entsprechen: Neben den bereits bekannten Weihnachtsmärchen (z.B. IP 14) sind das auch Vorstellungen von Amateurtheatern (z.B. IP 6), welche zu familienfreundlichen Zeiten spielen und zum Teil in erster Linie von Familien besucht werden. 6.2.6 Arbeitsleben und Theaterbesuche Nach der Ausbildungsphase, der Aufnahme einer Erwerbsarbeit, dem Eingehen einer Partnerschaft und ggf. der Gründung einer Familie tritt eine über mehrere Jahre dauernde Phase ein, welche stark vom Arbeitsleben geprägt ist. Gelegenheitsbesucher nehmen diese Zeit so wahr, „dass Theater aus dem Alltag raus fällt“ (IP 21). Wie die Ausführungen weiter unten zeigen werden, können daraus auch positive Effekte in der Wahrnehmung von nicht-alltäglichen Theaterbesuchen z.B. im Rahmen von Urlaubsreisen entstehen. Unabhängig von der Ausprägung des jeweiligen Theaterinteresses ist aber in allen Interviews eine Inkompatibilität von Theaterbesuchen und Alltag festzustellen, die auf berufliche Belastungen zurückzuführen ist. Da die Erwerbsarbeit einen großen Teil der Biografien ausmacht, hat dieses Phänomen quantitativ eine lange Wirkung. Eine Interviewpartnerin beschreibt im Gespräch mit ihrem Ehemann rückblickend ca. 35 Arbeitsjahre: „Aber auch bei Dir unter der Woche da war ja gar nichts. Wir wären ja nie auf die Idee gekommen [ins Theater zu gehen].“ (IP 6, Rentnerin, 67)
Ist ein potenzieller Theaterbesuch dann mit einem gewissen Anfahrtsweg verbunden, was mit Ausnahme von innerstädtischen Wohnorten eigentlich immer der Fall ist, so wäre dieser allein aus zeitlichen Gründen nach einem Arbeitstag schwer durchführbar und somit nicht Teil abendlicher Freizeitaktivitäten. Deutlich wird allerdings, dass neben dieser absolut verfügbaren Zeit auch die fehlende innere Ruhe und damit verbundene Aufmerksamkeit für Theaterrezeption Be-
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suche nach einem Arbeitstag erschweren. Eine jüngere Interviewpartnerin beschreibt ausführlich wie sie ihre Mutter während eines Theaterbesuchs erlebt hatte, welchen sie dieser zum Geburtstag geschenkt hatte: „Wir sind zusammen hin gegangen, […] es ist halt so relativ spät abends […] für ihre Verhältnisse, also fing so um acht an und ging bis elf […] und sie kam von der Arbeit und musste dann direkt zum Theater und war schon total fertig, dass ich dann auch gemerkt hab, dass sie das eher so als anstrengend empfand da zu sein, was mich irgendwie traurig gemacht hat, weil ich ihr das geschenkt hab und mir gewünscht hätte, dass sie sich da mehr drüber freuen kann in dem Moment.“ (IP 22, Servicepersonal, 21)
Zwischen Ende des Arbeitstages und Beginn der Theateraufführung bestand zu wenig Zeit für eine Regenerationsphase. Vielmehr wird der anstehende Besuch zu Stress und die Besucherin „war schon total fertig“. Im Gegensatz zu anderen abendlichen Freizeitaktivitäten zeichnet sich ein Theaterbesuch zum einen auch durch einen gewissen sozialen bzw. organisatorischen Aufwand aus. Zum anderen bedarf die Rezeption einer gewissen geistigen und intellektuellen Anstrengung, welche eben nach einem Arbeitstag nicht unbedingt mehr geleistet werden kann. Diese fehlende innere Ruhe als Voraussetzung für einen erfolgreichen Theaterbesuch kann sogar zur besuchsabbrechenden Barriere werden, wie die Ausführungen dieses Interviewpartners zeigen: „Wir sind einmal als [Name einer Verwandten] eine Aufführung hatte, gleich nach der Arbeit ins [Name eines Theaters], da waren wir so fertig, dass wir nach der Pause gegangen sind. Da sind wir so gehetzt runter und da hingesessen, da hatte ich nicht den Kopf dazu.“ (IP 5, Rentner, 69)
Obwohl Theaterbesuche nach der täglichen Arbeit in den Arbeitsjahren dieses Interviewpartners unter der Woche eigentlich nicht erfolgten, führte die persönliche Bekanntschaft mit einer Darstellerin zu einem Besuch. Auch hier werden die kurze Zeit und der dadurch eher Stress auslösende Anfahrtsweg betont. Eine erfolgreiche Rezeption des Dargestellten kann dann gar nicht erst stattfinden, da die notwendige geistige und auch körperliche Verfasstheit nach einem langen Arbeitstag gar nicht existiert und in diesem Fall schließlich zum Abbruch des Besuchs führte. Bei Interviewpartnern mit solchen beruflichen Belastungen werden mögliche Theaterbesuchstage normalerweise auf das Wochenende, insbesondere auf den Samstagabend eingeschränkt (z.B. IP 2). Allerdings beeinflussen weiterhin zwei Phänomene diese zeitliche Dimension. Zum einen kann durchaus auch am Wo-
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chenende gearbeitet werden, so dass keine zusätzlichen Zeitressourcen entstehen. Dies kann auf individuelle Entscheidungen für zusätzliche Nebenjobs zurückgehen, z.B. als Discjockey (IP 7). Bei der befragten Zielgruppe mit formal hohen Bildungsabschlüssen scheinen solche Entscheidungen aber auch mit hohen beruflichen Ansprüchen einherzugehen, welche auch am Wochenende zu Arbeit führen. Ein jüngerer Interviewpartner macht dies so deutlich: „In der Regel arbeiten wir auch an guten Wochenenden einen Nachmittag für Uni oder sonst was.“ (IP 1, Student, 27)
Der Zeitpunkt dieser Arbeit wird von den Interviewpartnern zwar bedauert (z.B. IP 8), aber auch als eine gewisse Selbstverständlichkeit hingenommen, welche mit bestimmten Qualifikationen oder Führungspositionen verbunden ist. Allerdings können eigene Karriereentwicklungen auch zu einer selbstverantworteten Zunahme dieser Arbeit an Wochenenden führen, z.B. im Rahmen von Weiterqualifikationsmaßnahmen (z.B. IP 3). Das zweite Phänomen welches mögliche Theaterbesuche am Wochenende erschwert ist die ‚Nachwirkung‘ der berufsbedingten Arbeitsbelastungen der Woche. Dieser Interviewpartner beschreibt, weshalb er und seine Ehefrau ein Premieren-Abo am Samstagabend nach einigen Theaterbesuchen nicht mehr wahrgenommen haben: „Es ist ja nicht unbedingt so, dass man einen Termin zum Theatertermin hatte, aber einfach dann so kaputt war, dass man nicht ins Theater wollte.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
Allein die Existenz eines freien Abends am Wochenende führt also noch nicht zu einem Theaterbesuch, selbst wenn dieser wie in diesem Fall bereits durch ein Abonnement bezahlt war. Vielmehr bedingt die Belastung in der Arbeitswoche eine körperliche wie geistige Erschöpfung. Dadurch wird zumindest in der Selbstwahrnehmung der Befragten die Regeneration zur wichtigsten Funktion eines Wochenendes: „Und da ich eben auch so viel arbeite, wahrscheinlich so viel seit Jahren nicht mehr oder bestimmt im letzten Jahrzehnt nicht mehr, gerade aktuell, ist eigentlich ein Wochenende an dem ich nichts mache oder sehr wenig tue eher mein Ziel.“ (IP 7, Hochschuldozent, 52)
Die zentrale Funktion des Wochenendes resultiert in solchen Fällen also nicht aus der Erfüllung sozialer, intellektueller oder ästhetischer Bedürfnisse, sondern ist stark durch die Auswirkung der Arbeitswoche prädisponiert. Ein beruflich
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sehr aktiver Interviewpartner macht seine Vorstellung von einem perfekten Wochenende gerade an dieser Negativ-Definition fest: „Ein perfektes Wochenende wäre ein Wochenende, an dem ich von der Woche nicht so kaputt bin, dass ich das Wochenende noch genießen kann.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
‚Genuss‘ wird also zum zentralen Merkmal eines positiv konnotierten Wochenendes (z.B. IP 7). Dieses wird dann erstmal durch Aktivitäten zu Hause verortet, z.B. längeres Ausschlafen (z.B. IP 1, IP 4) oder „aber auch mal auf meinem Balkonsofa zwei Stunden rumliegen und in die Wolken kucken“ (IP 8). Explizit werden nicht intellektuelle Tätigkeiten genannt, welche das Gegenteil der Arbeitsbedingungen darstellen. Ein Interviewpartner würde am Samstagvormittag zum Beispiel „irgendwas zur Berieselung anmachen, Kochshows oder sonst was, wo man nicht nachdenken muss“ (IP 1). Ist ‚Genuss‘ mit aushäusigen Tätigkeiten verbunden, so sind diese in der Regel ebenfalls durch keine hohen geistigen Anstrengungen und eher sinnlich geprägt, wie z.B. schön essen gehen (IP 2, IP 4, IP 8, IP 9). Die Auswahl und Planung dieser Tätigkeiten unterliegen mehr dem Anspruch nach Spontanität (z.B. IP 11), welche als Gegensatz zu beruflich bedingten Pflichten unter der Woche wahrgenommen wird. Allerdings scheinen Theaterbesuche aufgrund des organisatorischen Aufwands nicht unbedingt diesen Ansprüchen zu genügen, wie folgendes Beispiel zeigt: „Fürs Theater muss man halt sich ein Stück aussuchen und dann muss man dafür Karten kaufen und dann muss man das richtig organisieren, mit wem geh ich dahin, wer hat Lust mit zu kommen, wer hat vielleicht auch das Geld mitzukommen und dann muss man sich auch diesen Termin freihalten, das auch mal ein paar Wochen im Vorwege planen vielleicht. […] Also das ist halt so was, was man auch nicht so spontan machen kann.“ (IP 22, Servicepersonal, 21)
Besuche anderer kultureller Veranstaltungen sind ohne diese Vorplanung und Festlegung möglich und werden daher dem Theaterbesuch als Freizeitgestaltung am Wochenende vorgezogen: „Dann irgendwie einen Ausflug machen. Entweder in ein Museum oder irgendwo wandern.“ (IP 4, Produktmanagerin in einem Verlag, 34)
Aus dieser Aussage ist kein explizites Interesse an der Kernleistung eines Museums ersichtlich, es wird aber deutlich, dass ein solcher Besuch mit Aktivitäten
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gleichzusetzen ist, welche spontan und ohne verbindliche Vorplanung durchgeführt werden können. Die Freizeitgestaltung am Wochenende wird in jüngeren Jahren mit Freunden (z.B. IP 18), später dann in erster Linie mit dem Lebenspartner (z.B. IP 2) durchgeführt. Bezüglich dieser sozialen Dimension der Freizeit ist in Bezug auf berufliche Einflüsse auch eine besondere Gruppe zu benennen, bei welchen nicht nur die körperlichen und intellektuellen Anforderungen die Ansprüche nach Regeneration beeinflussen. Menschen, welche im Arbeitsleben überdurchschnittlich viel mit anderen Menschen zu tun haben, benennen explizit ein Ruhebedürfnis, wie das Beispiel einer Grundschullehrerin deutlich macht: „Dass ich jetzt ein größeres Bedürfnis danach habe, Ruhe zu haben, weil ich eben auch ein Beruf habe, wo man ständig mit vielen Menschen zu tun hat. Wo man eigentlich die Zeit, die man für den Beruf aufwendet fast nur mit mindestens 10 bis 20 Menschen zusammen ist.“ (IP 21, Grundschullehrerin, 50)
Alle diese Phänomene beeinflussen die Gestaltung der Freizeit. Somit unterliegen auch potenzielle Theaterbesuche den damit verbundenen Ansprüchen nach Regeneration, Genuss und Erholung. Theatervorstellungen, welche eine gewisse geistige Leistung für eine erfolgreiche Rezeption herausfordern, können auch im Widerspruch zu diesen Ansprüchen stehen, wie folgendes Beispiel deutlich macht: „Ich arbeite nur mit dem Kopf und das ist sowieso schon anstrengend. Und ich möchte dann nicht in ein Stück gehen, wo sich Leute dann nur blutverschmiert anschreien und ich dann da was verstehen soll oder was rein interpretieren soll. Also es ist schon ein Stück weit so, dass man unterhalten werden möchte.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
Der geäußerte Unterhaltungsanspruch resultiert also aus dem Wunsch, die eigenen Freizeitaktivitäten als Gegensatz zu den Bedingungen des Arbeitslebens zu gestalten. Daraus entsteht eine Haltung, nach welcher erfolgreiche Rezeption an keiner möglichst großen intellektuellen Herausforderung gemessen wird. Die Notwendigkeit der eigenen Interpretationsleistung wird als negativer Zwang empfunden. Diese Aussage ist auch darauf zurück zu führen, dass die Interviewpartnerin wenig bis keine positiven Erfahrungen mit solchen Interpretation herausfordernden Inszenierungen gemacht hat. Dennoch erklärt der Zusammenhang mit dem Regenerationsanspruch den Wunsch nach Unterhaltung im Rahmen von Theaterbesuchen oder die potentiell besuchsverhindernde Wirkung einer nicht als unterhaltsam wahrgenommenen Inszenierung. Die daraus resultie-
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rende Unvereinbarkeit von Alltag und Theaterbesuchen kann zudem durch die Wahrnehmung verstärkt werden, ein Theaterbesuch sei mit großem Organisationsaufwand verbunden: „Ich glaube es ist wirklich, vor allem so die allgemeine Faulheit im Alltag, dass man sich drum kümmern muss, um herauszufinden, was wo läuft und wie und wo man die Karten besorgt. Ich glaube es ist zum Großteil der Alltag der einen nicht dazu bringt, dass man sich damit beschäftigt.“ (IP 4, Produktmanagerin in einem Verlag, 34)
Bereits in der Phase der Informationsbeschaffung für einen Theaterbesuch wird der Alltag zur besuchsverhindernden Barriere. Die Betonung der „Faulheit im Alltag“ kann allerdings auch als Merkmal von gewissen Rückzugstendenzen in private Räume gedeutet werden, z.B. durch eine Abnahme der aushäusigen Freizeitaktivitäten an Wochenenden zugunsten von Tätigkeiten zu Hause. Nach dem Eintritt in die Berufsphase und der Festigung einer Partnerschaft „wird man auch ein bisschen träger, das heißt wenn man in festen Händen ist, ist der Drang auch nicht mehr so groß, dass man denkt, ich muss raus, ich muss was erleben, sonst verpasse ich was“ (IP 3, Ingenieur, 34).
Die aushäusigen Aktivitäten nehmen dann ab und besonders die eigene Wohnung wird zum zentralen Ort der Freizeitaktivität, wie zwei Interviewpartner im Gespräch deutlich machen: „Lieber zuhause mittlerweile.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32 und IP 10, IT-Consultant, 33)
Unterstützt wird diese Tendenz durch eine ständige Verbesserung der technischen Qualität von Abspielgeräten und der Distribution digitaler Home-Medien (z.B. IP 10). Die eigenen Ansprüche auf einen schönen Abend am Wochenende können also mit den Möglichkeiten in der eigenen Wohnung erfüllt werden. Bereits organisatorisch einfachere und inhaltlich wenig aufwändig rezipierbare Kinobesuche erfolgen in diesen Fällen schon nicht: „Wenn wir in [Name der nächsten Großstadt] ins Kino gehen wollen, dann dauert das auch eine ganze Weile. Mit der S-Bahn, mit der man auch jeden Tag zur Arbeit fährt. Das ist irgendwie belastend, das möchte man am Wochenende einfach nicht machen, das ist immer so ein Umstand.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
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Allein das Verlassen der geschützten privaten Räume und die damit verbundene – dem Arbeitsweg ähnliche – Anfahrt zu potenziellen aushäusigen Freizeitaktivitäten werden als „belastend“ empfunden. Eventuelle soziale Dimensionen solcher Aktivitäten treten zugunsten der gemeinsamen Zeit zu zweit in den Hintergrund. Obgleich die fehlende Kompatibilität von Theater und beruflich beeinflusstem Alltagsleben eine wesentliche Erklärung für das Phänomen der Gelegenheitsbesucher darstellt, liegt in der Verbindung von Theater und Nicht-Alltagsleben eine bemerkenswerte Chance: Im Rahmen von Urlaubsreisen werden Theater auch von Gelegenheitsbesuchern ohne besuchsfördernde Sozialisation und vorhandener positiver Rezeptionserfahrung besucht. Ein junger Interviewpartner beschreibt den Theaterbesuch auf einer Städtereise: „Das waren unsere Flittertage. Nach der standesamtlichen Trauung sind wir einen Tag oder eine Nacht nach Hamburg ins Kempinski und waren abends im Theater und Steak essen, am nächsten Tag noch Miniatur Wunderland, einfach mal was anderes, was wir sonst nicht machen.“ (IP 1, Student, 27)
In diesem Beispiel wird eine gewisse Exklusivität der Verortung von Theater deutlich: Der Theaterbesuch wird in einer Reihe von Aktivitäten aufgeführt, welche in der Wahrnehmung des Erzählers nicht zum Alltag gehören. Neben der Übernachtung im Luxushotel und einem besonderen Abendessen findet eben auch ein Theaterbesuch statt. Interesse am Stück oder an der Inszenierung spielen dabei eine untergeordnete Rolle und sind nicht ausschlaggebend für die Besuchsentscheidung: „Wir haben einfach nur gekuckt, was ist in Hamburg los. Wir wussten, wir wollen nach Hamburg, weil wir ins Miniatur Wunderland wollten und haben gekuckt, was ist Abends denn an Möglichkeiten da und haben erst an eine Alsterfahrt gedacht, nachts, aber dann war es regnerisch und dann haben wir geguckt was gibt es an Indoor-Aktivitäten und leider waren alle Planetarien schon ausgebucht und das Theater war dann so ein bisschen am Ende noch über geblieben an Möglichkeiten.“ (IP 1, Student, 27)
Der Theaterbesuch war also eine von vielen möglichen Aktivitäten im Rahmen der Städtereise. Es fällt auf, dass keine der genannten Aktivitäten einen Kunstbezug haben, die Rezeption der genannten Ausstellung oder eines Planetariums bedarf keiner Interpretationsleistung und auch keines Fachwissens. Im Grunde war der Wunsch nach einem Abendprogramm – zu dem ein Museums- oder Ausstellungsbesuch in der Regel nicht zählen – ausschlaggebend für den Theaterbesuch.
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Unterstützt wurde diese Entscheidung durch die Wettersicherheit. Auch bei weiteren Urlaubsreisen schreibt der Interviewpartner Theaterbesuchen die Funktion der Gestaltung eines ruhigen Abends zu, während künstlerisch-inhaltliche Aspekte eine kleine bis gar keine Rolle spielen (IP 1). Auch Interviewpartner mit grundsätzlichem Interesse und Theaterbesuchserfahrung, welche allerdings durch die o.g. beruflich bedingten Arbeitsbelastungen temporär keine Theater mehr besuchen, können im Rahmen von Urlaubsreisen die notwendige Ruhe dafür finden: „Und das ist in Wien eben anders, da ist Urlaub und wir wissen, da sind wir eben die eine Woche da und am Donnerstag machen wir dann eine kleine Wanderung und um drei gehen wir dann […] und ruhen uns aus und um sechs geht es wieder los mit der Bahn, gemütlich, und laufen ein bisschen rum, dass es nicht hetzig ist.“ (IP 5, Rentner, 69)
Die Beschreibung des dem Theaterbesuch vorgehenden Tagesablauf steht im direkten Widerspruch zum oben erläuterten Besuch nach einem Arbeitstag, der dann nach der Pause abgebrochen wurde. Eine tagesgenaue Planung findet zwar statt, wird aber nicht zur Belastung und der Besuch nicht als Pflicht empfunden. Die Integration des Theaterbesuchs in einen entspannten Tagesablauf stellt neben der körperlichen Fitness auch die geistige Ruhe für eine erfolgreiche Rezeption sicher. Obgleich Urlaubsreisen also durchaus besuchsfördernd sind, muss angemerkt werden, dass dies selbstverständlich nicht für alle Reisearten gelten kann. Der Besuch eines Theaters ist nur bei deutschsprachigen Angeboten möglich, im Grunde beschränkt sich das Angebot auf Städtereisen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. 6.2.7 Zeit nach dem Berufsleben Das Ende der Arbeitszeit und der Eintritt ins Rentenalter führen zu einer Zunahme der frei verfügbaren Zeit. Wenn familiäre und durch die Erwerbsarbeit bedingte Gründe im Lebensverlauf Theaterbesuche trotz gewissem Grundinteresse temporär verhindert haben, so kann diese Zeit durchaus zu einer Reaktivierung der Theaterbesuchsaktivitäten führen, wie eine Rentnerin erzählt: „Weil ich einfach auch sage, jetzt haben wir ja Zeit, jetzt können wir doch schauen, wenn wir da sind.“ (IP 6, Rentnerin, 67)
Allerdings wird in diesem Zitat auch deutlich, dass die Zunahme der verfügbaren Zeit nicht unendlich ist und weiterhin andere Aktivitäten die Besuchsmöglich-
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keiten auch einschränken können. Zudem prägen verschiedene Faktoren im Laufe des Lebens die Ansprüche an die Freizeitgestaltung, welche nicht allein durch den Renteneintritt an Wichtigkeit verlieren: „Aber ich möchte kein Abonnement wo ich weiß, da muss ich jetzt alle vier Wochen irgendwo hin.“ (IP 5, Rentner, 69)
Trotz der Zunahme von Theaterbesuchen verdeutlicht dieser Interviewpartner seinen Wunsch nach Flexibilität in der Planung. Solche Ansprüche wurden im Verlauf des bisherigen Lebens erlernt und prägen demnach eine innere Haltung, welche eben nicht allein durch die Zunahme von frei verfügbarer Zeit an Wichtigkeit verliert. Schließlich zeigen die Interviews stellenweise auch ein gegenteiliges Phänomen. Die Zunahme des Lebensalters kann auch zu altersbedingten Rückzugstendenzen führen, welche nicht ausschließlich auf gesundheitliche oder körperliche Aspekte reduzierbar sind: „Also ich hatte früher auch einfach noch viel mehr den Drang noch irgendwas zu erleben, rauszugehen, in eine Kneipe zu gehen, um mit anderen Leute da irgendwie zusammen zu sein, nette Leute zu treffen, aus meinem Bekanntenkreis oder auch welche die ich noch nicht kenne, vielleicht auch Leute kennenzulernen und das ist so, je älter man wird, immer mehr in den Hintergrund getreten. Also da hab ich gar keine Lust mehr zu.“ (IP 17, Ingenieur, 63)
Dieses Phänomen lässt sich nicht generalisieren und ist neben der Zunahme der Freizeitaktivitäten eine weitere Möglichkeit, wie sich das Freizeitverhalten im Alter verändern kann. Wenn der Bekannten- und Freundeskreis keine Veränderung mehr erfährt, weil der Aufbau neuer Kontakte nicht (mehr) zum Leben gehört und darüber hinaus die Lust auf aushäusige Freizeitaktivitäten zurückgeht, dann nehmen Theaterbesuche auch ab. Dies wird vermutlich verstärkt durch altersbedingte Abnahme der körperlichen Fitness und durch den Verlust des Lebenspartners. Für weitere Erklärungen ist die Fallzahl der Interviewpartner in diesem Alter allerdings zu gering.
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6.2.8 Zusammenfassung Durch die Analyse der verschiedenen biografischen Stationen der Gelegenheitsbesucher wurden unterschiedliche Einflüsse deutlich, welche abschließend zusammengefasst werden können: • • • • •
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Ein formal hoher Bildungsabschluss sichert noch keine Existenz von Teilhabevoraussetzungen. Am wirksamsten werden Teilhabevoraussetzungen durch vom Elternhaus initiierte Theaterbesuche gefördert. Fördern Eltern ein Interesse am Theater und an kulturellen Themen, so verfügen diese über formal hohe Bildungsabschlüsse. Theaterbesuche werden auch durch die Schule initiiert, allerdings fördern diese nicht automatisch die Teilhabevoraussetzungen. Theaterbesuche finden in weiterführenden Schulen im Rahmen des Deutschunterrichts statt. Das Theatererlebnis wird dann auf das Verstehen des Textes als zentrale Rezeptionsstrategie reduziert. Weitere Leistungen des Theaters, insbesondere eine Neuinterpretation durch die Bühnendarstellung, werden nicht vermittelt und tendenziell als störend empfunden. Während des Studiums nehmen aushäusige Freizeitaktivitäten mit Kommilitonen zu, Theaterbesuche gehören aber nicht dazu. In der Phase der Festigung von Partnerschaften spielen Theaterbesuche eine Rolle, dann steigt auch der Stellenwert der sozialen Dimension. In der Familienphase mit kleinen Kindern gehen Theaterbesuche zurück. Berufliche Belastungen haben eine hohe Auswirkung auf das Besuchsverhalten. Die damit verbundenen körperlichen und geistigen Anstrengungen verhindern Besuche unter der Woche. Die regenerative Funktion der Freizeit wird aus Sicht der Gelegenheitsbesucher nicht durch Theaterbesuche erfüllt. Im Rahmen von Städtereisen werden Theater besucht, was als exklusive Aktivität wahrgenommen wird. In der Zeit nach dem Berufsleben nehmen Theaterbesuche aufgrund der zunehmenden verfügbaren Zeit wieder zu, allerdings sind auch Rückzugstendenzen erkennbar.
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6.3 W IE G ELEGENHEITSBESUCHER EINEN T HEATERBESUCH ERLEBEN Neben biografischen Aspekten beinhalteten die episodischen Interviews auch zahlreiche Beschreibungen von Theaterbesuchen. Unabhängig vom Zeitpunkt in der Biografie kann somit eine empirisch begründete Analyse der Dimensionen eines Theaterbesuchs aus der Sicht von Gelegenheitsbesuchern erfolgen. Die Darstellung beginnt mit Aspekten zum Kaufentscheidungsprozess, gefolgt vom eigentlichen Rezeptionsprozess während des Theaterbesuchs. 6.3.1 Der Kaufentscheidungsprozess Der Kaufentscheidungsprozess beschreibt den Zeitraum zwischen der Entscheidung entweder ein bestimmtes Theaterstück zu besuchen oder zu einem bestimmten Zeitpunkt ins Theater zu gehen und dem eigentlichen Besuch. Im Folgenden werden verschiedene Faktoren analysiert, welche diesen Prozess beeinflussen. 6.3.1.1 Rolle der Begleitung Die jeweilige Begleitung stellt das zentrale Besuchsmotiv der (Nicht-)Besucher dar. Bevor mögliche andere Aspekte den weiteren Entscheidungsprozess beeinflussen, bedarf es entsprechender Personen die mitkommen bzw. einen mitnehmen: „Also am ehesten, wo ich dann auch ins Theater gekommen bin, hat man mich zu irgendwelchen Sachen hingekriegt, wenn irgendwer anders mitgegangen ist von den Freunden die ich kannte.“ (IP 1, Student, 27)
Für die Besuchsentscheidung sind die Menschen die mit ins Theater gehen also wesentlich wichtiger, als z.B. künstlerische Aspekte oder Gründe im Sinne einer potenziellen Distinktionsfunktion. Alleine ins Theater zu gehen ist nur dann möglich, wenn das Interesse an künstlerischen Aspekten, wie z.B. dem Theaterstoff oder der Inszenierung, diese anderen Funktionen überwiegen. Dies bedarf allerdings einer Theatererfahrung und eines gewissen Fachwissens. Theaterbesuche scheinen jedoch auch generell als soziale Aktivität konnotiert zu werden, wie aus dem Bericht eines Gesprächspartners über einen Dialog mit seiner Ehefrau ersichtlich wird:
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„Das war dann genau die Frage: Weshalb hast Du das schon gesehen? Ich war im Theater! Ach ja, Du warst im Theater, mit wem denn? Ich sage: Allein. Glaubst Du doch selber nicht! Doch, ich war allein im Theater.“ (IP 7, Hochschuldozent, 52)
Ein Theaterbesuch ohne Begleitung scheint in dieser sozialen Dimension nicht vorstellbar zu sein. Implizit wird dem Gesprächspartner hier das Leugnen einer sozialen Funktion des Theaterbesuchs unterstellt. Es sind dann auch die jeweiligen Lebens- (z.B. IP 3) oder Ehepartner (z.B. IP 1, IP 2), welche nicht nur begleiten, sondern die Besuche auch initiieren. Bei Singles nehmen dementsprechend die engeren Freunde diese Funktion ein (z.B. IP 8). Obgleich der Anreiz also primär von außen kommt und die Besuchsentscheidung eindeutig bei dem jeweiligen Partner liegt (z.B. IP 1), sind negativ gewertete Begleitfunktionen, z.B. im Sinne von Zwangs- oder Pflichtkonnotationen aus den Interviews nicht ersichtlich. Vielmehr bestimmt mindestens eine wohlwollende Neutralität, wenn nicht sogar eine grundsätzliche Offenheit gegenüber des Gegenstands die Haltung der Begleiter: „[Name der Lebenspartnerin] und [Name eines Freundes] hatten sich das vorgenommen, die haben von dem Stück gehört und klar, da ich ja generell offen bin für sowas, ist auch klar, komm ich mit, logisch, aber ich selbst war nicht der Ausschlaggebende.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Neben der Offenheit wird an diesem Beispiel auch deutlich, dass die Beschaffung und Bewertung der Informationen von anderen – besuchserfahrenen – Personen durchgeführt wurde und die Entscheidung für den Besuch eigentlich schon gefallen war, bevor der Interviewpartner in diesen Prozess involviert wurde. Mögliche Unsicherheiten und Probleme eines Kaufentscheidungsprozesses sind in solchen Fällen also auch ausgelagert. Theaterbesuche können in dieser Dimension auch die Funktion der Pflege oder des Aufbaus sozialer Beziehungen erfüllen. Zwar basiert folgendes Beispiel auch auf einem jeweiligen Grundinteresse am Gegenstand, dennoch wird deutlich, dass die Besuchsaktivität dann aufgrund der persönlichen Einladung erfolgte: „Damals, wo wir die Nachbarn, wo ich zu Dir gesagt hab, die freuen sich vielleicht, weil die auch an Musik interessiert ist, da habe ich sie angerufen, ob sie mitkommen. Und da hatten sie sich gefreut und sind mitgekommen und wo das nächste Theater oder Konzert war, da haben sie uns angerufen und da sind wir dann mitgekommen.“ (IP 6, Rentnerin, 67)
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Die künstlerischen Aspekte des Besuchs waren also nicht so wichtig, selbst die Sparte spielte keine Rolle. Allein die gemeinsame Aktivität mit den Nachbarn und das gegenseitige persönliche Einladen wurden zum zentralen Besuchsgrund. Eine genrespezifische Besonderheit der Funktion der Begleitung stellen Besuche von Musicals dar. Zum einen fällt auf, dass selbst Interviewpartner mit sehr wenig Theaterbesuchserfahrung von solchen Aktivitäten berichten. Zum anderen finden diese im Gegensatz zu potenziellen Theaterbesuchen nicht nur mit dem Partner, sondern immer mit der erweiterten Familie statt, z.B. den eigenen Eltern oder Verwandten: „Ich kann mich erinnern an König der Löwen. Ja gut, das war ein Geburtstagsgeschenk für [Name der Lebenspartnerin] Mutter.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Den Besuch eines populären Musicals scheinen keine inhaltlichen Barrieren zu beeinflussen. Die Stoffe sind bekannt und von der Inszenierung wird erwartet, dass diese ohne besonderes Wissen oder intellektuelle Abstraktionsleistung rezipiert werden kann. Ein Musicalbesuch scheint ein konfliktfreies Geschenk zu sein (z.B. IP 8). Verbunden ist eine solche Aktivität in der Regel auch mit einer kurzen Städtereise. Wie in Kapitel 6.2.6 deutlich gemacht wurde, ist dann ein Theaterbesuch an sich anders bzw. positiver konnotiert, als im Alltagsleben und erfüllt eine andere Funktion. Die genrespezifische Besonderheit ist jedoch auf kommerzielle Musicals in dauerhaften Spielstätten einzugrenzen, wie z.B. ‚Das Phantom der Oper‘ in der ‚Neuen Flora‘ in Hamburg (IP 8). Bei Musicalangeboten von Stadttheatern scheint dieser Familien- oder Geschenkeffekt nicht zu wirken, sie werden ähnlich wie die anderen dortigen Angebote mit dem Partner besucht (z.B. IP 7). Finden dort Besuche mit Eltern und Verwandten statt, so ist eine Beliebtheit populärer Formate wie z.B. Comedy (IP 4) oder Open-Air-Events (IP 12) festzustellen. Dies kann auch mit inhaltlichen Gründen erklärt werden: Bei besuchsunerfahrenen Personen kann die Betonung unterhaltsamer oder lustiger Aspekte die Funktion eines schönen Miteinanders unterstützen. 6.3.1.2 Informationsbeschaffung Die in Kapitel 5 statistisch nachgewiesene Wirksamkeit persönlicher Empfehlungen ist auch in der qualitativen Verdichtung ein wesentlicher Besuchsgrund: „Wenn ich eine verlässliche Aussage habe aus meinem Umfeld, dann ist der Anreiz auch größer.“ (IP 1, Student, 27)
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Die Beschaffung und Bewertung der Informationen zu einem Theaterbesuch wird in solchen Prozessen an andere ausgelagert und Gelegenheitsbesucher können „über Bekannte oder Freunde auch in den Sog […] kommen“ (IP 3). Diese Auslagerung ist nicht mit Faulheit über die damit verbundenen notwendigen Aktivitäten zu erklären: Vielmehr spielt zum einen das Theater einfach keine Rolle im eigenen Leben und wird daher auch nicht wirklich wahrgenommen – vor allem nicht im Alltagsleben in der eigenen Stadt (z.B. IP 1, IP 3). Zum anderen ist eben diese Informationsbeschaffung für einen Theaterbesuch mit Unsicherheiten und Schwierigkeiten verbunden. Je besuchsunerfahrener ein Interviewpartner ist, desto deutlicher werden die damit verbundenen Schwierigkeiten. Erfolgt beispielsweise im Rahmen einer Städtereise die Entscheidung für einen Theaterbesuch als abendliche Aktivität, ohne dass es vorher persönliche Empfehlungen gab, so beginnt erstmal eine allgemeine Informationsbeschaffung: „Wir haben einfach nur gekuckt, was ist in Hamburg los.“ (IP 1, Student, 27)
Der Theaterbesuch ist in diesem Fall eine von mehreren Optionen der abendlichen Freizeitgestaltung. Die Informationsbeschaffung läuft dann nicht theaterspezifisch, sondern über die üblichen, bekannten Medien, z.B. die jeweiligen Internetseiten des Theaters: „Wir haben uns die Beschreibung angekuckt fürs Stück, die dort auf der Homepage war.“ (IP 1, Student, 27)
Wenn Aspekte des Nebenprodukts wie z.B. Anfangszeiten oder Anfahrtswege geklärt sind, werden also Stück, Genre und Richtung der Inszenierung relevant. Ist der Theaterstoff, also das Stück durch vorherige Auseinandersetzung mit der literarischen Vorlage bekannt, so kann allein dies zum ausschlaggebenden Besuchsgrund werden: „Und ‚Nathan der Weise‘, da wollte ich unbedingt rein. Das hatten wir schon in der Schule gelesen, was mich total fasziniert hat. Und das habe ich mir angekuckt.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
Der Theaterstoff im Sinne eines solchen Schauspiels oder Dramas ist für den Entscheidungsprozess auch weitaus wichtiger, als die Bearbeitung durch das Theater. Die Inszenierung, also die Interpretation des literarischen Stoffs und die Darstellung mit diversen Bühnenmittel, scheinen erst in der Phase der abschließenden Bewertung des Theaterbesuchs relevant zu werden:
230 | N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG „Das Stück ist sicherlich der Grund hinzugehen und das Gefühl ob es dann gut war betrifft beides, Stück und Inszenierung.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
Problematisch wird dieser hohe Stellenwert des Theaterstoffs, wenn dieser nicht bekannt ist. Wird der Autor der literarischen Vorlage mit einem bestimmten Genre und damit auch einer Erwartung an eine sich über inhaltliche Spannung selbst vermittelnde Inszenierung verbunden, so kann dies als Information ausreichen, beispielsweise bei ‚Edgar Wallace‘ und dessen Krimis (IP10). Ebenfalls können an einer Aufführung beteiligte Stars zum Besuchsgrund werden (IP 6). Sind solche Merkmale allerdings unbekannt, dann gewinnt das benannte Genre an Wichtigkeit für die Bewertung der Information. Die Sichtung der Informationen auf den Internetseiten des Theaters zu einem Stück wurde von einem Interviewpartner so beschrieben: „Wir konnten da selber nichts mitanfangen, mit dem Titel. Aber es hieß Komödie.“ (IP 1, Student, 27)
Die damit assoziierte Richtung der Inszenierung zugunsten von Unterhaltung und lustigen Elementen wurde zum Besuchsgrund. Eine zusätzliche entscheidungsfördernde Funktion hatte der Hinweis auf die Bewertung des unbekannten Stücks: Es „wurde hoch gelobt in den Kritiken“ (IP 1). Da der Interviewpartner über sehr wenig Wissen zum Theater an sich verfügt, gewinnen für ihn Fremdbeurteilungen an zusätzlichem Wert für den Kaufentscheidungsprozess. Die fehlende eigene Theaterkompetenz muss also ausgelagert werden, ungeachtet der durchaus problematischen Tatsache, dass eine Theaterkritik eben keine intersubjektiv nachvollziehbare Informationsquelle sein muss. Vielmehr bedarf es eben gerade einer gewissen Theatererfahrung, um Kritiken auch kritisch zu bewerten, wie die Aussage dieses theatererfahrenen Interviewpartners zeigt: „Irgendwann hat man vielleicht einen Kritiker gefunden mit dem man auf einer Wellenlänge liegt und dann hört man da mal rein. Aber ich würde nicht reingehen, weil die Kritik besonders gut oder besonders schlecht war.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
Deutlich wird darüber hinaus, dass der Zugang zu Kritiken von Theaterstücken nicht immer besucherfreundlich gestaltet ist. Die Theater integrieren Auszüge im Sinne von Pressestimmen zwar in die Stückbeschreibungen auf ihren Internetseiten (z.B. IP 5), weitere dritte Informationsquellen sind für Besuchsunerfahrene allerdings nicht so einfach zugänglich. In Lokalzeitungen erscheinen Kritiken
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nur unmittelbar nach der Premiere (z.B. IP 5) und liegen somit nicht im Moment der später anstehenden Informationsbeschaffung vor. Andere Informationskanäle werden hingegen nicht genutzt: „Da ich auch nicht irgendwelche Kulturzeitschriften […] habe, weiß ich auch nicht, was so läuft.“ (IP 23, Techniker, 29)
Existieren hingegen Medien, welche neben der Inhaltsbeschreibung auch eine durchaus subjektive Bewertung vornehmen, so können diese durchaus entscheidungsfördernd sein (z.B. IP 5). Es scheint also ein Mangel an der durchaus subjektiven Beschreibung und Bewertung von Inszenierungen zu existieren. Vor allem für theaterunerfahrene Interviewpartner bleibt eine Kaufentscheidung immer mit einen Risiko verbunden. Dies ist auch auf die Vielfalt möglicher Bewertungsdimensionen eines Theaterbesuchs zurückzuführen. Es ist demnach ein Merkmal von Theater, dass aufgrund der zahlreichen Theatermittel eine schlüssige Bewertung erst durch die eigene Rezeption der Aufführung erfolgen kann. Die Eigenart des Theaters entzieht dieses also einer gewissen Zusammenfassung für eine Vorabinformation. Ein Theaterbesuch bedarf entsprechend eines bestimmten Maßes an Risikobereitschaft: „Man muss sich erst mal überwinden dahin zu gehen, aber man […] weiß […] was man getan hat. […] Dass es sich gelohnt hat ins Theater zu gehen, weil man vielleicht doch nicht mit den Vorstellungen rein geht und […] dann aber doch begeistert wieder raus geht.“ (IP 16, Techniker, 24)
Eine solche unsichere Kaufentscheidung verstärkt selbstverständlich das Risiko negativ konnotierter Besuchserfahrungen, welche bei theaterunerfahrenen Besuchern von der eigenen Selbstwahrnehmung noch verstärkt wird: „Und das kann natürlich auch nach hinten losgehen. Bei mir, weil man natürlich nicht recht weiß, ob das denn gut ist oder nicht.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Interviewpartner mit Besuchserfahrung können einen als nicht erfüllend und negativ konnotierten Besuch in der Reihe von vielen anderen Besuchen durchaus auch mit positiven Konsequenzen im Sinne der Schärfung der Rezeptionserfahrungen verarbeiten (z.B. IP 2, IP 6). Verfügt ein Besucher allerdings über wenig Theatererfahrung, so ist die Enttäuschung oder sogar Frustration schon nach einem einmaligen negativen Rezeptionserlebnis wesentlich ausgeprägter (z.B. IP 1).
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6.3.1.3 Kosten Die Rolle der Eintrittspreise wurde in den Interviews nicht explizit erfragt. Im Sinne des narrativen Zugangs episodischer Interviews konnten die Interviewpartner in ihren Erzählungen dieses Thema ansprechen, wenn sie diesem selbst eine Relevanz zugeschrieben haben. Die in der quantitativen Analyse deutlich gemachte Subjektivität der Bewertung des Eintrittspreises spiegelt sich auch in der qualitativen Verdichtung wieder: So wird beispielsweise ein hoher Eintrittspreis als besuchsverhindernde Barriere benannt, ohne auf Nachfrage einigermaßen konkrete Zahlen zur Höhe der Ticketpreise in der eigenen Stadt bzw. näheren Umgebung nennen zu können (z.B. IP 4). Der Preis wird somit eher zur vorgeschobenen Barriere, zu einer Rechtfertigung von seltenen Besuchen bei gleichzeitigem Selbstanspruch auf mehr Besuche. Deutlich wird auch, dass der Eintrittspreis zwar durchaus als hoch wahrgenommen wird, dann jedoch keine Besuche verhindert, sondern eher zu einer Exklusivität des Theaterbesuchs führt (IP 22). Diese relative Höhe wird auch explizit gerechtfertigt und damit eine Wertschätzung gegenüber der Leistung des Theaters deutlich gemacht (IP 6). Neben dieser vorgeschobenen und der temporär persönlichen Situation geschuldeten (z.B. bei finanzschwachen Studierenden) Funktion des Eintrittspreises sind aus den Gesprächen keine Erkenntnisse zu einer besuchsverhindernden Wirkung möglich. Vielmehr bestätigt sich der Eindruck, dass der Eintrittspreis bei den tendenziell finanzstärkeren Interviewpartnern keine wesentliche Rolle in der Entscheidungsfindung eines Kaufprozesses spielt. Und zwar weder negativ noch positiv: So werden keine Episoden erzählt, in welchen zu hohe Eintrittspreise den Wunsch eines konkreten Besuchs verhindert hätten. Allerdings werden Preisvergünstigungen zwar wahrgenommen, dies führt aber nicht zu einer Förderung von Besuchen (IP 1). Verdichtet wird allerdings die Erkenntnis, dass der Eintrittspreis nur ein Faktor einer abendlichen Freizeitaktivität ist: „Also in [Name der Stadt] werde ich jetzt auch als Schüler an die 15, 20 Euro bezahlen für eine Theatervorstellung und dann kommt noch die Fahrt dahin und die Fahrt wieder zurück. Dann ist man bei 35 Euro für so einen Abend und mit 35 Euro kann man eine ganze Menge anstellen, für einen Abend.“ (IP 23, Techniker, 29)
Deutlich wird an diesem Beispiel, dass der Preis für eine Theaterkarte nicht singulär betrachtet werden kann, sondern als ein Teil der Ausgaben für ein Gesamtpaket. Es wurde bereits deutlich, dass Theaterbesuche immer als ein sozialer Akt verstanden werden, dem verschiedene Aktivitäten voraus- und nachgehen.
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6.3.1.4 Kartenkauf Bezüglich der Distribution der Karten ist ein deutlicher zeitgeschichtlicher Unterschied zu erkennen, welcher vor allem durch die technische Entwicklung digitaler Medien verändert bzw. verbessert wurde. In der Wahrnehmung älterer Interviewpartner war der Kauf von Theaterkarten früher mit einem hohen Aufwand und viel zeitlichem Vorlauf verbunden: „Ja, also ich hab das noch so in Erinnerung, ich muss mich ein viertel Jahr schon vorher drum kümmern, dass ich auch Karten kriege.“ (IP 14, tätig in Elektrobranche, 43)
Das Theater hatte zumindest ein Image, dass der Kartenkauf „damals ganz kompliziert“ (IP 5) war und spontane Besuche eigentlich nicht möglich waren. Ein Interviewpartner macht in einer Episode deutlich, über welche Umwege für ihn in den 1980er dennoch spontane Besuche der Oper möglich waren: „Weil ich einen Patient gehabt hatte, der Regieassistent in der Oper gewesen war. Und da hat man einen Tag vorher angerufen bei ihm, ob er die Karten braucht, ob sie frei seien und dann hat man dann die Karten umsonst gekriegt.“ (IP 5, Rentner, 69)
Diese ungewöhnliche Konstellation schaffte Besuchsmöglichkeiten ohne hohen organisatorischen Vorlauf und damit verbunden ohne die Festlegung auf einen bestimmten Termin. Wie oben dargestellt führte und führt das Alltagsleben der Interviewpartner zum Anspruch solch spontaner Besuchsentscheidungen. Allerdings scheint dieses Spontanitätsbedürfnis von den traditionellen Distributionswegen des Theaters nicht befriedigend erfüllt zu werden. Auch bei jüngeren Interviewpartnern werden die mit dem Kartenkauf verbundenen Anstrengungen benannt. Die Distributionswege des Theaters führen dazu, „dass man sich drum kümmern muss, um herauszufinden, was wo läuft und wie und wo man die Karten besorgt.“ (IP 4, Produktmanagerin in einem Verlag, 34)
Die Organisation von Eintrittskarten anderer Freizeitaktivitäten wie z.B. für Museums- oder Kinobesuche (IP 4), wird als weniger aufwändig wahrgenommen, was vor allem mit der Möglichkeit sehr spontaner Kartenkäufe kurz vor der Besuchsaktivität erklärt werden kann. Neben zentralen Kartenverkaufsstellen in Großstädten (IP 5) führt vor allem die digitale Revolution und damit verbunden die Möglichkeit der onlinebasierten Distribution zu einer positiven Veränderung, wie dieser ältere Interviewpartner beschreibt:
234 | N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG „Also am Sonntag bin ich ins Internet gegangen und da stand da: Karten telefonisch nur unter der Woche. Und da bin ich dann ins Theaterstück rein und da steht dann ‚Karten‘ und dann sieht man gleich, wie viele Karten noch frei sind, dann klicke ich das an und bezahle sie mit EC-Karte. Und die Karten sind hinterlegt gewesen, da war ich erstaunt, dass das so problemlos ging.“ (IP 5, Rentner, 69)
Neben den als widersprüchlich empfundenen Informationen zur Distribution auf der Internetseite macht dieses Beispiel vor allem die wahrgenommene Möglichkeit des spontanen Kartenkaufs deutlich. Durch die Online-Bezahlfunktion ist eine kurzfristige Besuchsentscheidung möglich und „dann musst Du nicht eine Stunde vorher da sein“ (IP 5). Zum gegenwärtigen Zeitpunkt scheint also ein Ausbau dieser Distributionswege den Ansprüchen der (Nicht-)Besucher nach spontanen Theaterbesuchen sehr gut zu entsprechen. Bei Abonnements als klassischer Distributionsweg des Theaters sind ebenfalls Alters- und auch Generationeneffekte festzustellen: Abonnements, welche über eine ganze Spielzeit hinweg den Besuch bestimmter Vorstellungen ermöglichten, wurden von Interviewpartnern in einem Alter genutzt, als die berufliche und familiäre Situation bereits gefestigt war, die eigenen Kinder ein gewisses Alter erreicht haben und vor allem nur ein begrenztes Theaterangebot in erreichbarer Nähe vorhanden war (z.B. IP 2, IP 5, IP 6). Bei jüngeren Interviewpartnern bis Mitte 30 stellen Abonnements keine Option dar. Genutzt werden diese, wenn das Abonnement nicht mit Terminvorgaben, sondern lediglich mit einer Preisermäßigung verbunden ist, im Sinne von „vier Stück kucken, zum Preis von drei“ (IP 9). Allerdings machen diese Interviewpartner deutlich, dass Abonnements eher ein veraltetes Image haben: „Wir können das selber auch noch nicht fassen [lacht]. Früher hätte ich das auch nicht gedacht. Theaterabos verbinde ich dann eher mit der älteren Generation, die dann ins Theater gehen.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
Die möglichen sozialen Dimensionen eines klassischen Abonnements wie z.B. Funktionen der sozialen Distinktion durch das regelmäßige Treffen der anderen Gäste spielen bei dieser Entscheidung keine Rolle und würden eher einen Hinderungsgrund darstellen. Die Entscheidung für ein Abonnement ist allein in der damit verbundenen offensichtlichen Preisreduktion begründet.
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6.3.1.5 Kernkonkurrenz Die dem Ablauf eines Theaterbesuchs am ähnlichste Freizeitaktivität ist der Kinobesuch, zum Teil auch der Besuch populärer Konzerte (z.B. IP 2). Zwar werden in den Gesprächen auch immer wieder Museumsbesuche genannt (z.B. IP 4), dann allerdings um die damit verbundene Möglichkeit eines spontanen Besuchs zu erklären und nicht als grundsätzliche Alternative. Ein Theaterbesuch als soziale Aktivität mit dem Lebenspartner oder mit Freunden als Teil der Abendgestaltung am Wochenende kann durchaus durch das konkurrierende Angebot der Kinos ersetzt werden, wie die Beschreibung eines Interviewpartners deutlich macht, welcher mit seiner Lebenspartnerin bisher am Wohnort das Theater nicht besucht hat: „Ne, dann sind wir abgebogen zum Kino.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Kinos und Theater verfügen vordergründig über zahlreiche organisatorische und inhaltliche Ähnlichkeiten: Beide Angebote sind an Räumlichkeiten gebunden, welche eher in Innenstädten von größeren Städten liegen. Es gibt jeweils einen Zuschauerraum mit festen Platzkarten, meistens in unterschiedlichen Preiskategorien. Bei den Rezipienten werden Hör- und Sehsinn angesprochen, in der Regel wird eine Geschichte oder eine gewisse Handlungsfolge gezeigt. Der Besuch ist tendenziell abendfüllend, beliebt ist anschließend auch der gemeinsame Besuch gastronomischer Angebote (IP 2). Allerdings machen individuelle Beschreibungen des Besuchs dieser Orte durchaus grundsätzliche Unterschiede deutlich. Zum einen bietet das Kino in der Regel eine größere Auswahl verschiedener Filme am Abend (IP 4), was im Theater aus organisatorischen Gründen nicht möglich bzw. auf eine kleinere Anzahl von Spielstätten begrenzt ist. Zum anderen werden Kino- und Theaterbesuchen sehr unterschiedliche soziale Dimensionen und Images zugeschrieben: „Also mit Theater […] verbindet man ja oft auch so ein bisschen einen besonderen Anlass. Jetzt mit schickerer Kleidung, mit Kanapees, mit Sekt am Anfang. Und im Kino, da geht man in seiner ganz normalen Jeans, die man drei Tage vorher schon anhatte und Klamotten ganz normal. Kauft sich noch schnell eine Popcorn, duzt die Einlasser und so. Also das ist einfach unbeschwerlicher ins Kino zu gehen.“ (IP 24, Student, 26)
Das Image von Theater ist in diesem Fall mit einer gewissen Exklusivität besetzt. Zwar werden auch durchaus elitäre Aspekte benannt, eine besuchsverhindernde oder abschreckende Funktion ist allerdings nicht erkennbar. Die nicht all-
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tägliche Kleidung der Theaterbesucher wird also wahrgenommen, aber nicht kritisiert. Bemerkenswert ist die Gegenüberstellung zum Erlebnis des Kinobesuchs: Zum einen wird keine Exklusivität beschrieben; ein Besuch ist ohne besonderen persönlichen Aufwand verbunden. Zum anderen umreißt der Interviewpartner eine andere Atmosphäre, welche seiner alltäglichen Lebenswelt näher kommt und welche er schließlich als „unbeschwerlicher“, also positiver bewertet. 6.3.2 Der Rezeptionsprozess Ein erfolgreicher Kaufentscheidungsprozess mündet im eigentlichen Theaterbesuch. Der nun folgende Rezeptionsprozess beschreibt im engeren Sinn die persönliche Wahrnehmung und Aneignung der Bühnendarstellung. In einem weiteren Sinn wird auch die Wahrnehmung des Publikums beschrieben, um die damit verbundene soziale Dimension von Theaterbesuchen deutlich zu machen. 6.3.2.1 Strategien der Rezeption Hör- und Sehsinn werden in einer Theatervorstellung auf vielfältige Weise angesprochen: Verschiedene Theatermittel wie Requisiten, Bühnenbild, Beleuchtung und Musik gestalten auf unterschiedlichen Ebenen die Atmosphäre. Zudem setzen die Schauspieler als Mittelpunkt der Inszenierung mit ihrer Mimik, Gestik, Bewegung und Stimme verschiedene Mittel ein, um einen oft literarischen Stoff zum Theaterereignis zu machen. Alle diese Angebote an die Zuschauer ermöglichen eine vielfältige Wahrnehmung. Beispielsweise können Bühnenbild oder Musik sehr sinnlich, also ohne intellektuelles Wissen wahrgenommen und somit persönlich gewinnbringend rezipiert werden. Beinhaltet die Theaterinszenierung eine dramatische Handlung im Sinne einer Folge sich aufeinander beziehender Ereignisse, so wird diese in erster Linie über Sprache, weiter auch über eine Veränderung materieller Aspekte wie z.B. des Bühnenbilds und der Kostüme vermittelt. Allerdings hat die Theaterwissenschaft mit Überlegungen zur Theatersemiotik deutlich gemacht, dass das Theater ein „System der Bedeutungsproduktion“ (Fischer-Lichte 1990: 234) ist, also eine Vielfalt in der Bedeutungszuschreibung verschiedener Zeichen liegen kann. Es kann also eine zentrale Leistung des Theaters sein, einem literarischen Text anhand verschiedener Zeichen wie z.B. dem Einsatz bestimmter Requisiten eine bestimmte Bedeutung zu verleihen. Diese Bedeutung kann dann durch den Zuschauer dekodiert werden, was allerdings ein spezielles kulturelles Wissen und auch die grundsätzliche Bereitschaft zu einer solchen intellektuellen Leistung voraussetzt. Diese Kodierung der Zeichen ist ein wesentliches Kennzeichen modernen Theaters, was beispielswei-
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se am Wandel von einer illustrierenden zu einer interpretierenden Funktion der Bühnenbilder in Operninszenierungen deutlich gemacht wurde (vgl. Bauer 1993: 135). ‚Verstehen‘ als zentraler Rezeptionszugang Die Analyse der Interviews macht nun deutlich, dass Gelegenheitsbesucher mit wenig Besuchserfahrung als zentralen, wenn nicht sogar einzigen Rezeptionszugang das ‚Verstehen‘ des Textes einsetzen. Andere Theatermittel und deren Bedeutung werden weniger oder gar nicht als rezeptionsförderndes Angebot wahrgenommen. Der Erfolg des Besuchs eines Theaterstücks wird also am inhaltlichen Verstehen der Geschichte gemessen, wie dieses Beispiel der Bewertung verschiedener Besuche deutlich macht: „Von der Handlung her […] – muss ich ehrlich sagen – da hat man es nicht immer so kapiert.“ (IP 5, Rentner, 69)
Das Nicht-Verstehen wird an dieser Stelle nicht an der Inszenierung, also der Darstellung der Interpretation durch das Theater anhand verschiedener Zeichen, sondern allein an der durch den Theaterstoff vorgegebenen Handlung festgemacht. Dies geht einher mit der Delegation einer damit verbundenen Kritik an den Autor: „Aber so oft war es nicht, dass wir es nicht kapiert haben. Also ich könnte jetzt eigentlich nur Shakespeare sagen. Aber der liegt mir auch nicht.“ (IP 6, Rentnerin, 67)
Als Grund für ein Nicht-Verstehen wird also der Autor des Theaterstoffs genannt, das inhaltliche Begreifen des Theaterstoffs wird zur Grundvoraussetzung einer positiv konnotierten Rezeption. Dementsprechend wichtig wird in solch einem Zugang die Geschichte. Aus Sicht einer Interviewpartnerin „war es […ein] gutes Stück und man hat die Geschichte gleich verstanden“ (IP 15). Dies geht beispielsweise auch einher mit dem vorhergehenden Lesen des Theaterstoffs, was wie oben erläutert auch bereits von Seiten der Schule als zentrale Rezeptionsstrategie vermittelt wurde. Dadurch kann die Erwartung entstehen, dass ein Theaterstück eben auch ausschließlich durch ein solches Verstehen der Handlung erfolgreich rezipiert werden kann: „Da geht es einfach nur um, ja um Soldaten. Ja, gelesen habe ich das auch für die Schule. Ja, ja genau. Da war also nicht viel miss zu verstehen.“ (IP 17, Ingenieur, 63)
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Das Beispiel macht deutlich, dass allein vom Theaterstoff erwartet wird, dass dieser das Verstehen und damit die Rezeption ermöglicht. Ein solches Verständnis kann auch dazu führen, dass ein Theaterstück, welches den Besucher mit mehr Fragen als Antworten aus dem Stück entlässt, nicht als mögliche Option verstanden wird, obgleich dies z.B. aus theaterwissenschaftlicher Sicht durchaus eine denkbare Konsequenz der Rezeption darstellt (vgl. Fischer-Lichte 2010: 63). Der zitierte Interviewpartner verdeutlicht dies an einem auferlegten Erwartungsdruck an das Verstehen: Man „muss es ganz toll finden“ (IP 17) und ein Nicht-Verstehen wird von ihm selbst nicht akzeptiert. Eine derartige Rezeptionsstrategie geht auf, wenn die Handlung einfach verstanden werden kann und beispielsweise Interpretationen des Einsatzes verschiedener Zeichen keine wesentliche Rolle spielen. In der Besuchserfahrung der Gelegenheitsbesucher sind solche dann positiv konnotierten Rezeptionen mit Boulevardstücken, wie z.B. Krimis verbunden: „Das war ein bisschen so im Stil von Miss Marple. So eine Verwechslungskomödie mit einem Mordfall wo alle denken, dass er oder sie es war und hinterher ist niemand gestorben, sondern dass war bloß ein komatöser Anfall oder so was.“ (IP 1, Student, 27)
In diesem Beispiel war die verstehende Rezeption mit Spannung und späterer Auflösung des Problems mittels einer Pointierung verbunden. Das ‚Verstehenwollen‘ als zentraler Rezeptionszugang ist aufgegangen und der Besuch wurde als gewinnbringend und positiv konnotiert. Interpretation als Zwang Wie dargestellt zeichnet sich Theater neben dieser vordergründigen Inhaltsebene auch durch eine Bedeutungszuschreibung der in den verschiedenen Bühnenmitteln kodierten Zeichen aus. Eine Inszenierung bedarf somit zusätzlicher Rezeptionsstrategien zu einem bloßes ‚Verstehen-wollen‘. Unabhängig von der eigenen Anwendung einer solchen Strategie verfügen Gelegenheitsbesucher durchaus über ein Wissen zur Existenz der damit verbundenen Interpretation: „Natürlich mit der Interpretationsfreiheit die jedem Einzelnen aber dann auch das ermöglicht, ok, aber was leite ich dann für mich daraus ab.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Dem Theater wird eine solche Interpretationsfreiheit demnach auch zugestanden (z.B. IP 1). Seine Aufgabe wird durchaus auch darin gesehen, dass es „mehr Tiefgang vermitteln“ (IP 3) kann. Allerdings wird deutlich, dass Gelegenheitsbe-
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sucher die damit verbundene notwendige Strategie der Interpretation und Dekodierung nicht immer als positiven Bestandteil des Rezeptionsprozesses verstehen. Vielmehr wird die Interpretationsleistung als Zwang empfunden und kritisiert, dass „man so krass viel interpretieren muss“ (IP 15). Das folgende geschichtliche Beispiel macht deutlich, welche Erwartungshaltung demnach an Theaterstücke herangetragen wird: „Also das war damals in den […] 60er Jahren, wo ich das geschaut habe und da gab es eigentlich noch nicht solche Theatergruppen wie es heute gibt, […] die teilweise, was weiß ich, so komische Sachen auf der Bühne machen und dem Zuschauer abverlangen, dass das jetzt irgendwie auch von denen so verstanden wird wie sie das vielleicht denken. Das war damals noch recht betulich alles und gerade dieses ‚Des Teufels General‘ ist eigentlich auch so eine geradeaus Geschichte.“ (IP 17, Ingenieur, 63)
Am zuletzt genannten Beispiel macht der Interviewpartner sein Kriterium für die positive Bewertung von Theater deutlich: Die Geschichte wird „geradeaus“ erzählt und dem Zuschauer werden keine Interpretationsleistungen „abverlangt“. Aus der Analyse der Interviews sind zwei Erklärungsansätze für eine solche Haltung ersichtlich. Zum einen zeigen die Aussagen, dass die Interpretation als Rezeptionsstrategie auch eine gewisse Intellektualität voraussetzt. Ein Interviewpartner bewertet solche Theatervorstellungen auch als positiv erlebbar, „wenn man nur abstrakt und kreativ genug ist“ (IP 3). Auch wenn die Befragten mit wenig Besuchserfahrung diese Eigenschaften sich selbst nicht zuschreiben und ihre Wünsche an das Theater als „nicht zu intellektuell oder zu modern“ (IP 10) beschreiben, ist dennoch eine Differenzierung möglich. Eine Interviewpartnerin macht etwa deutlich, dass die Grenze ab wann eine Inszenierung den eigenen intellektuellen Interpretationsspielraum übersteigt, fließend sein kann: „Also ich bin jetzt überhaupt kein Ungebildeter und möchte nur so seichte Sachen sehen, aber das ist teilweise dann so abgefahren, dass es einen einfach nicht anspricht.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
Fehlender Zugang zur Modernisierung Die Neuinszenierung von Klassikern, d.h. von literaturgeschichtlich bedeutsamen Theaterstoffen im Sinne von Dramen und Schauspielen, stellt einen wesentlichen Teil des Angebots öffentlich geförderter Theater in Deutschland dar. Ausgehend vom mehrfach erläuterten hohen Stellenwert des Textes in der Rezeption durch Gelegenheitsbesucher kann dies zu einer nicht unproblematischen Erwar-
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tungshaltung führen. Der Einsatz anderer Theatermittel wie z.B. Requisiten oder Bühnenbild wird dann an der erwarteten Kompatibilität mit dem bekannten Text gemessen. Wenn eine erwartete Texttreue und die tatsächliche Bühnendarstellung dann nicht zusammenpassen, kann eine Enttäuschung entstehen: „Ja, das war modern angelegt. Im Vergleich zu den alten Büchern nicht so am Original dran. Ich fand es doof.“ (IP 1, Student, 27)
Der Interviewpartner bewertet die Modernisierung entsprechend negativ, da sie nicht den Erwartungen entsprach, welche durch die Lektüre des Textes entstanden ist. Die damit verbundene Ablehnung einer solchen Modernisierung wird immer am Einsatz bestimmter Bühnenmittel, insbesondere Requisiten, Bühnenbild und Kostümen festgemacht. Anderen Bühnenmitteln, wie z.B. Musik oder Beleuchtung, scheinen hingegen keine Modernisierungsfunktion zugesprochen zu werden. Da eine solche an Gegenstände gebundene Modernisierung sich durch die ganze Inszenierung zieht, kann diese eine erfolgreiche Rezeption durchgehend negativ beeinflussen: „Wenn ich mir ‚Hamlet‘ ankucke, dann möchte ich dass da Leute mit lustigen PuffelHosen rumlaufen, da möchte ich nicht einen Mann im Jogginganzug sehen, das ist kein ‚Hamlet‘.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
Auch andere Interviewpartner bestätigen den damit verbundenen Wunsch nach klassischen Inszenierungen ohne Modernisierung mittels Kostümen: „Ich brauche jetzt nicht ‚Die Zauberflöte‘ mit, weiß ich nicht, schwarzen Ganzkörperanzügen, […] also ich hätte dann gern, was irgendwie meinem Bild davon entspricht, wie das Original so gewesen wäre, weil ich finde, da muss man dann nicht dran rumpfuschen.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Die Wortwahl macht deutlich, dass der Leistung der Bühnendarstellung zumindest in Bezug auf die Kostüme kein eigenständiger Mehrwert zugestanden wird. Vielmehr wird ein Abweichen vom eigenen Erwartungsbild als „rumpfuschen“ am „Original“ kritisiert. Eine solche Haltung geht auch einher mit einem klassischen, tendenziell konservativen Bild vom Einsatz der Theatermittel im Rahmen einer Inszenierung:
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„Und da gab es auch ein schönes Bühnenbild, da hatten sie auch schöne Kostüme an. Und da dachte ich mir: So etwas könnte ich mir öfter anschauen. Das hat mich total angelacht.“ (IP 9, Projektmanagerin, 32)
In diesem Fall vermitteln sich die Theatermittel wie Kostüme und Bühnenbild durch wenig Abstraktion. Indem sie der vom Text geprägten Erwartungshaltung entsprechen, bedürfen sie keiner Dekodierung und werden somit auch nicht als störend empfunden. Je besuchserfahrener die Gesprächspartner waren, desto mehr wurden diese Aussagen differenziert: „Da ist immer dieses Fiktive, manchmal […] auch die Bühnenbilder, die manchmal so fiktiv sind, dass Du manchmal erst überlegen musst, was... ist auf der einen Seite regt es einen an, auf der anderen Seite wäre es auch schön, wenn man einfach hingeht und es irgendwie so ist, wie es ist wie es im normalen Leben ist. Also mehr Normalität oder Realität.“ (IP 15, Rettungssanitäterin, 24)
Die Interviewpartnerin macht deutlich, dass ein abstraktes Bühnenbild durchaus auch als anregend wahrgenommen wird. Dennoch wünscht sie sich eine größere Nähe zum „normalen Leben“, welches durch weniger Fiktion und damit verbunden geringere Interpretationsleistung rezipiert werden kann. Akzeptanz von Modernisierung durch Ortsveränderung Die beschriebene Diskrepanz entsteht nur durch einem Bruch der Erwartungshaltung: Historische oder zeitlose Theaterstoffe werden dann durch den Einsatz verschiedener Bühnenmittel als zwanghaft modernisiert rezipiert. Dies ist bei zeitgenössischen Theaterstoffen anders. Gehen diese eben nicht auf eine literarisch bekannte Textvorlage zurück, so existiert auch keine Erwartungshaltung, beispielsweise nach „Puffel-Hosen“ (IP 9). Die Einheit von Theaterstoff und materiellen Bühnenmitteln wie z.B. Kostümen oder Requisiten wird dann akzeptiert (z.B. IP 8). Das tendenziell konservative Image von Theater bei Gelegenheitsbesuchern hat dann keinen Einfluss auf die Erwartungshaltung und Rezeption von zeitgenössischem Theater. Bemerkenswert ist allerdings die Erkenntnis, dass ein derartiger Bruch der Erwartungshaltung an Relevanz verliert, wenn die Modernisierung des historischen Theaterstoffs durch den Einsatz materieller Bühnenmittel nicht an ein klassisches Theatergebäude gebunden ist. Allein ein anderer Ort und die damit einhergehende Veränderung der Konnotation von Theater kann dann eine Rezeptionsstrategie fördern, welche eben nicht auf der Erwartung nach klassischem
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Bühnenbild basiert. Eine Interviewpartnerin welche diese „ultramodernen Inszenierungen“ eigentlich ablehnt und deshalb „gerne in Wien in die Staatsoper“ gehen würde (IP 8), macht diese Veränderung am Beispiel des Besuchs einer Vorstellung von Musikhochschulstudierenden deutlich: „Was wir einmal gemacht haben, das war ‚Hochzeit des Figaros‘. Auch Mozart. Und da haben sie Ausschnitte gespielt in der [Name der Musikhochschule] in so einem Pumpenhaus, was sie jetzt als Konzertveranstaltungsraum umgewandelt haben. Da stehen diese riesigen schwarzen Pumpen und die turnten dann darauf rum. Und das war auch ziemlich abstrakt gemacht, aber die haben das so toll gemacht.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Ein anderer Kontext und ein anderes Präsentationsformat führen zu einer Veränderung der Rezeptionsstrategie: Indem Mozarts Oper nicht mehr im klassischen Musiktheater aufgeführt wird, verliert die auch durch ein Opernhaus vermittelte historische Verortung des Theaterstoffs an Relevanz. Ein umgewidmetes Industriegebäude wird zum Aufführungsort, die damit verbundene abstrakte Bühnendarstellung wird trotzdem als „toll gemacht“ bewertet. Die Auswirkung einer solchen ortsbedingt fehlenden Erwartungshaltung auf die Rezeption wird noch deutlicher in diesem Beispiel: „Also Ballett wollte ich gerne mal machen, aber dann auch so richtig klassisch. ‚Rock the Ballett‘ war ich mal, das fand ich schon auch toll, weil Ballett finde ich einfach sehr ästhetisch. Und wenn Männer das in Jeans machen, sieht das noch mal deutlich besser aus, als in mehr oder weniger durchsichtigen Strumpfhosen. Ja. Und das war schon witzig, das zu sehen. Weil die tänzerischen Bewegungen an sich finde ich sehr athletisch und ganz toll.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Dem Wunsch nach einer klassischen Inszenierung folgt unmittelbar die eigentlich widersprüchliche positive Bewertung einer modernen Ballettaufführung. Wenn also die Veranstaltung unter einer anderen Marke vermittelt wird, wenn bereits durch den Titel (‚Rock the Ballett‘) eine Aktualisierung deutlich gemacht wird und wenn alles eben nicht in einem klassischen Theater aufgeführt wird, dann entsteht auch kein Bruch mit einer Erwartungshaltung. Der Mehrwert einer modernen Inszenierung, welche sich auch durch zeitgenössische Kostüme auszeichnet, wird in diesem Fall gewinnbringend erlebt und das ästhetische Erlebnis gefördert.
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6.3.2.2 Vermittlungsprobleme des Theaters Die zentrale Funktion des ‚Verstehens‘ als Rezeptionsstrategie von Gelegenheitsbesuchern kann zu einem höchst problematischen Ergebnis führen: Wenn diese Strategie nicht aufgeht und ein Theaterstück nicht ‚verstanden‘ wird, dann wird der ganze Theaterbesuch als nicht gewinnbringend und somit negativ bewertet: „Und bin dann natürlich auch raus gegangen und dacht so, oh mein Gott, was war da denn los?“ (IP 15, Rettungssanitäterin, 24)
Die Abstraktion der Inszenierung und die fehlende Kenntnis des Theaterstoffs im Sinne einer Textvorlage verhinderten in diesem Beispiel eine erfolgreiche Rezeption. Das Nicht-Verstehen kann demnach in zwei Dimensionen erfolgen: Zum einen kann die Handlung und damit verbunden der Theaterstoff nicht verstanden werden. Allein das kann zu einer Frustration führen, wie das Beispiel dieses Gelegenheitsbesuchers deutlich macht: „Angeblich war es auch eine Komödie, aber es war überhaupt nicht lustig und ich hab mich den ganzen Abend da gefragt, was das soll und war entsprechend auch nicht sehr begeistert.“ (IP 1, Student, 27)
Die Besuchserwartung war durch die vom Theater kommunizierte Genrebezeichnung prädisponiert. Allerdings wurde der Theaterbesuch dann nicht entsprechend als „lustig“ empfunden. Zentral ist die Feststellung, dass der Interviewpartner sich „den ganzen Abend“ fragt, „was das soll“ und dieses fehlende Verständnis schließlich zu einer negativen Bewertung führt. Die zweite Dimension betrifft das Verständnis der Interpretation durch die Bühnendarstellung. Wenn die damit verbundenen Zeichen nicht dekodiert werden können, weil die Rezipienten nicht über das dafür notwendige Hintergrundwissen verfügen, führt das ebenfalls zu einer negativen Bewertung und damit einhergehend zu keiner gewinnbringenden Rezeptionserfahrung: „Langweilig, es war eine fremde Musik, die wir auch nicht kannten.“ (IP 6, Rentnerin, 67)
Je abstrakter und moderner eine Inszenierung ist, je ausgeprägter und vielschichtiger die durch verschiedene Bühnenmittel geschaffene Zeicheneben ist, desto eher besteht die Möglichkeit, dass die Rezeptionsstrategie des Verstehens nicht aufgeht. Dann entsteht die Gefahr, dass die Besucher die Vorstellung frustriert
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verlassen und die Zeit im Theater als vertane Zeit bewerten. Die Reflexion einer Interviewpartnerin macht dieses Problem deutlich und verweist gleichzeitig auf eine Lösungsoption: „Gerade in den sehr modernden Inszenierungen glaube ich deswegen nichts anfangen zu können, weil ich nicht verstehe, was das soll. Wenn mir das jemand vorher erklären würde wäre das einfacher, als wenn ich das dann sehe und nicht weiß, was das bedeuten soll.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Dem Theater wird in diesem Beispiel durchaus eine Abstraktion der Zeichen zugestanden. Es wird allerdings deutlich, dass die Besucherin die damit verbundene Dekodierung nicht immer selbst leisten kann. Dies führt jedoch nicht zu einer Ablehnung dieser Art von Theater, vielmehr schlägt sie selbst eine Erläuterung der Intention des Theaters vor, um den eigenen Rezeptionsprozesses zu fördern. Solche Leistungen existieren durchaus im Rahmen der Vermittlungsarbeit der Theater. Allerdings fallen drei damit verbundene Probleme auf: Zum einen sind eventuelle Kulturvermittlungsangebote im engeren Sinn durch die Theater bei den Gelegenheitsbesuchern überwiegend unbekannt (z.B. IP 5, IP 7, IP 17). Wissen die Interviewpartner von der Existenz solcher Angebote, so wurden diese allerdings nicht immer genutzt: „Es gibt ja auch so Stücke, da machen Sie Einführungen. Im [Name des Theaters] auch, aber da waren wir nie dabei.“ (IP 5, Rentner, 69)
Eine mögliche Vermittlung von Seiten des Theaters wird von diesem Interviewpartner auf Einführungs- oder Nachgespräche reduziert, andere Formate scheinen unbekannt zu sein. Zudem macht er deutlich, dass er ein solches Vermittlungsinstrument nicht zwingend als selbstverständlichen Teil des Theaterangebots sieht, obgleich er über eine gewisse Besuchserfahrung verfügt. Die damit verbundene Nachbereitung der Rezeption kann zwar verständnisfördernd sein, verhindert aber nicht, dass sich zumindest temporär während der Aufführung eine Ablehnung einstellt. Daraus resultiert das zweite Problem, wenn Vermittlungsangebote dem Rezeptionsprozess nachgelagert sind: „Ich hätte das auch ganz witzig gefunden, wenn man das vorher gemacht hätte, dann hätte ich ein bisschen mehr von dem Stück gehabt.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
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Es scheint also erfolgsversprechender zu sein, die Vermittlungsleistung vor dem Theaterbesuch anzubieten. Ein Interviewpartner macht dies am Beispiel seiner persönlichen Erfahrung mit Matineen deutlich: „Da haben wir noch gedacht: Ah, das müssten wir mal öfters machen. Dann kommt man natürlich auf den Geschmack. 100%ig, wenn man da öfter hingehen würde, würde man auch öfter reingehen. Und das ist glaube ich auch gar nicht bekannt.“ (IP 7, Hochschuldozent, 52)
Neben der Förderung der Rezeption ist ein solches Angebot auch als Kulturvermittlung im weiteren Sinn zu verstehen. Indem dadurch Aufmerksamkeit und Lust auf einen Theaterbesuch vermittelt werden, haben solche Vorab-Angebote durchaus auch eine verkaufsfördernde Funktion. Neben der Unbekanntheit der Existenz und den Schwierigkeiten eines dem Besuch nachgelagerten Vermittlungsangebots kann als drittes Problem die Fixierung auf das Textverständnis aufgeführt werden: Zumindest in der Wahrnehmung der Gesprächspartner konzentrieren sich vom Theater ausgehende Vermittlungsbemühungen im engeren Sinn auf das Verstehen der Handlung: „Es gab so Flyer eben und da wurde auch beschrieben, worum es geht […]. Und worum das Theaterstück eben geht.“ (IP 19, Zahntechnikerin, 23)
Die damit verbundene Vermittlung wird allein auf ein Verstehen des Theaterstücks und dem damit verbundenen textlichen Theaterstoff reduziert. Dies kann insofern rezeptionsfördernd wirken, dass – wie oben dargestellt – es der oft zentralen Rezeptionsstrategie von Gelegenheitsbesuchern entspricht. Allerdings wurde auch deutlich, dass eben die Abstraktion durch Bühnenmittel und die damit verbundene Schwierigkeit in der Dekodierung dieser Zeichen zum Problem werden können. Dann fehlt eine Vermittlung der eigentlichen Kernleistung von Theater: Selbst wenn die Handlung verständlich ist, bleibt die Gestaltung der Requisiten, Kostüme, Bewegungen usw. nicht nachvollziehbar. Live-Erlebnis und Authentizität als rezeptionsfördernde Merkmale Neben diesem Vermittlungsproblem des Theaters und dem daraus resultierenden Rezeptionsproblem der Besucher können einige Merkmale aus den Interviews herausgearbeitet werden, welche eine Rezeption unabhängig von zusätzlichen vom Theater ausgehenden Vermittlungsleistungen im engeren Sinn befördern. Besuchsunerfahrene Gelegenheitsbesucher benennen in den Interviews mit einer
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gewissen Action behaftete Szenen als bemerkenswert. Unabhängig vom Genre oder der Richtung der Inszenierung bleiben solche Szenen in besonderer Erinnerung: „So spektakuläre Sachen, das war allein durch die Action interessant.“ (IP 5, Rentner, 69)
Der Einsatz technisch aufwändiger Bühnenmittel und die damit verbundene Illusion (z.B. IP 21) werden bei solchen Theaterbesuchen zum zentralen Merkmal, auch in Abgrenzung zu anderen Formaten, wie beispielsweise dem Kino: „Und da haben wir irgendwie in der zweiten Reihe gesessen. So in der Mitte, wo dann dieser Kronleuchter herunterkommt. So direkt über meinem Kopf […] …das war schon echt beeindruckend.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Solche Darstellungen vermitteln sich von selbst und allein durch die wahrgenommene Action. Eine herausfordernde intellektuelle Rezeption ist dann durchaus auch noch möglich, allerdings nicht notwendig, um das Gesehene für sich gewinnbringend zu verarbeiten. Die Betonung dieser Phänomene steht im Gegensatz zu einem intellektuellen Zugang der Rezeption der Bühnendarstellung. Entsprechend finden sich in den Interviews auch Hinweise darauf, dass besuchsunerfahrene Gelegenheitsbesucher andere Formate zumindest weniger gewinnbringend bewerten und z.B. „Ein-Mann Stücke [als] sehr anstrengend“ (IP 15) wahrnehmen, weil diese die Rezeption im Wesentlichen auf die Konzentration auf einen Darsteller und den damit verbundenen monologartigen Text begrenzen. Der dann fehlende oder nur sehr spartanische Einsatz anderer Bühnenmittel wird als defizitär empfunden: „Und wenn die Bühne dann ausschließlich schwarz ist, dann, hm. Mir fehlt das dann immer so ein bisschen, die Atmosphäre.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Die Interviewpartnerin macht deutlich, dass die Gestaltung der Bühne auch zur Wahrnehmung der Atmosphäre des gesamten Theaterbesuchs beiträgt. Dies geht einher mit dem oben beschriebenen vorherrschenden Image von klassischen Theatergebäuden. Neben diesem Einsatz der aufwändigen Bühnentechnik wird aus den Interviews auch noch ein anderes Phänomen deutlich: Wenn bei Bühnendarstellern eine bestimmte Authentizität erkennbar ist, es sich also nicht nur um professionelle Schauspieler handelt, dann scheint eine positive Wahrnehmung gewährleistet zu sein. In den Interviews werden demnach Vorstellungen mit Darstellern aus
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bestimmten sozialen Gruppen wie z.B. Menschen mit Behinderung (IP 20) oder aus bestimmten Berufsgruppen wie z.B. Polizisten (IP 5) oder Studenten (IP 8) als „unheimlich beeindruckend“ (IP 5:) bewertet. Zum einen ist diese positive Bewertung mit einer Anerkennung des nicht-professionellen Engagements verbunden. So wird beispielsweise gelobt, dass Amateurdarsteller auf der Bühne „mit sehr viel Herzblut dabei“ (IP 1) waren. Zum anderen kann inhaltlich auch eine thematische Nähe zur Alltagswelt der Besucher hergestellt werden. Wenn die Authentizität nicht nur durch die Darsteller geleistet wird, sondern auch den Theaterstoff und somit den Inhalt beeinflusst, scheinen Bezüge zum eigenen Leben möglich zu sein, beispielsweise wenn „die da ihre Lebensgeschichte so erzählt haben“ (IP 5). 6.3.2.3 Wahrnehmung des Publikums Neben der Rezeption der Bühnendarstellung prägt auch die Wahrnehmung der anderen Zuschauer einen Theaterbesuch. Diese sozialen Phänomene können neben den künstlerischen Aspekten ebenfalls eine positive oder negative Wirkung auf das Besuchserlebnis haben. Die Wahrnehmung des Theaterpublikums wird bei allen Interviewpartnern bis Mitte 30 in erster Linie mit dem Alter der anderen verbunden: „Die Male in der wir in der Oper waren, da waren wir die Jüngsten. In der Philharmonie waren wir auch mal, da waren wir auch die Jüngsten.“ (IP 4, Produktmanagerin in einem Verlag, 34)
In der eigenen Wahrnehmung fühlen sich jüngere Theaterbesucher allein durch diesen Altersunterschied nicht als Teil des Gesamtpublikums: „Da senke ich dann immer den Altersdurchschnitt bei solchen Veranstaltungen, eher deutlich.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Bemerkenswert ist, dass die Wahrnehmung dieses Alterseffekts sogar von älteren Interviewpartnern gemacht und geäußert wird. Eine über 60-jährige Gesprächspartnerin konnotiert ihre Beobachtung, dass „immer Alte“ (IP 6) auf den Veranstaltungen anzutreffen wären, bereits tendenziell negativ. Die Wahrnehmung dieser das Publikum dominierenden Altersgruppe ist somit nicht mit einer neutralen Bewertung verbunden, sondern wird auch explizit als Problem benannt, wie diese etwa 20-jährige Interviewpartnerin beschreibt:
248 | N ICHT -B ESUCHERFORSCHUNG „Und da waren halt auch nur so alte Leute, also das klingt gemein das zu sagen, aber da war halt niemand in meinem Alter, bei Weitem nicht, alle waren viel älter […], fand ich jetzt nicht so schön, ja, ich konnte das irgendwie nicht so richtig genießen.“ (IP 22, Servicepersonal, 21)
Die Wahrnehmung des älteren Publikums wird in diesem Beispiel als „nicht schön“ beschrieben. Dies hat offenbar Einfluss auf das Besuchserlebnis; allein der als unpassend empfundene soziale Kontext reduziert den Genuss des Theaterbesuchs. Neben der Rezeption der künstlerischen Aspekte hat also auch das „als die Rotweintrinkerfraktion kurz vor der Pensionierung“ (IP 8) wahrgenommene Publikum Einfluss auf die persönliche Bewertung eines Theaterbesuchs. Dieses Phänomen könnte als Alterseffekt interpretiert werden (vgl. Kapitel 5.6.2), welcher mit zunehmendem Alter der derzeit jüngeren Gelegenheitsbesucher abnehmen könnte. Ab einem gewissen Alter würde man sich automatisch dazugehörig fühlen. Die Beschreibung des Publikums durch die Interviewpartner macht allerdings deutlich, dass neben dem Alter an weiteren Merkmalen eine Abgrenzung deutlich wird, welche gewichtiger als ein Alterseffekt zu sein scheint. Das Publikum wird auch durch eine andere Lebenswelt als die der Interviewpartner beschrieben: „Also viele zwischen 50 und 60-Jährige, die halt auch auf ihr Äußeres … man kennt diesen Schlag Mensch ja auch, das sind jetzt nicht die Muttis oder Vatis zu Hause vor dem Fernsehen die sich die Chips reindonnern, sondern das waren jetzt schon auch Leute die nach außen ausgestrahlt haben: He, wir sind gebildet, wir interessieren uns und ja geben auf unser Äußeres…“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Der Interviewpartner ergänzt die Beobachtung des Alters um Merkmale, die das Milieu beschreiben. Neben der Wahrnehmung der selbstdargestellten Bildung und des Interesses macht er das auch an äußerlichen Kennzeichen wie z.B. der Kleidung deutlich und grenzt diese zu einem Trivialmilieu ab (vgl. Schulze 1993: 150). Noch deutlicher wird dieses Phänomen in seiner weiteren Beschreibung: „Auch an dem Verhalten, an den Bewegungen. Das aufrechte Sitzen, das bewusste Wahrnehmen, was passiert hier, einfach die Körperhaltung spricht da schon dafür. Das ist dann so ein schicker, grauer, modischer Pulli, drunter ist dann, was weiß ich, irgendein Hemd zu erkennen. Hey, ich habe mich schick gemacht fürs Theater.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
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Die recht deutliche Beschreibung dieses Habitus (vgl. Bourdieu 1982) ist nicht mit einer Kritik verbunden, vielmehr akzeptiert der Interviewpartner dieses Publikum und erkennt deren Bedürfnisse und Darstellung als legitim an. Allerdings entsprechen diese Verhaltensmerkmale nicht der Lebenswelt. Solche Beobachtungen führen dann insgesamt zu einer Abgrenzung gegenüber eines solchen Kernpublikums. Eine positive Funktionszuschreibung erfolgt nicht, es sind keine Wünsche nach Interaktion oder Dazugehörigkeit erkennbar. Dieses wahrgenommene Publikum wird auch explizit mit dem Begriff von ‚Intellektualität‘ verbunden, wie eine andere Interviewpartnerin deutlich macht: „Ich finde persönlich, dass man im Theater immer sehr, sehr viele intellektuelle Menschen da sind […], ich kann das gar nicht beschreiben, wie die aussehen, aber sie sind halt immer so, dass Du weißt, […] dass sie viel lesen und sehr gebildet auch sind […] und das siehst Du einfach, wie die Leute reden, wie sie sitzen, und so.“ (IP 15, Rettungssanitäterin, 24)
Erneut wird die Beschreibung am äußerlichen Verhalten des Publikums festgemacht. Die Art des Redens und Verhaltens vor und während der Theatervorstellung führt dann zur Wertung als „intellektuelle Menschen“. Neben einer formalisierten Bildung, welche sich z.B. durch „viel lesen“ auszeichnet, ist diese Zuschreibung auch mit einer ganz bestimmten Haltung verbunden: „Ich glaube auch das gesellschaftskritische Denken. Ja, auch die Umgebung oder das was um sie herum passiert bewusster wahrnehmen und das Theater dann auch … ein Stück weit das was um sie herum passiert mit dem Theater zu verknüpfen, daraus Schlüsse zu ziehen, auf der Ebene. So tiefgängig.“ (IP 3, Ingenieur, 34)
Die Beschreibung des wahrgenommenen Theaterpublikums geht einher mit einer Abgrenzung zur eigenen Personen und zum eigenen Leben. Die Zuschreibung von ‚intellektuell‘ wird mit einer kritischen Haltung an gesellschaftlichen Umständen und einer bewussteren Wahrnehmung der eigenen Umwelt verbunden. Diesem Publikum wird eine Einstellung zugeschrieben, auch Konsequenzen aus der Analyse des Gesehenen zu ziehen und aus dem Theaterbesuch vielleicht ein Stück weit gesellschaftliche Verantwortung abzuleiten. Aus diesen Beobachtungen sind zwei wesentliche Erkenntnisse abzuleiten: Zum einen erschwert oder verhindert diese Abgrenzung zum wahrgenommenen Publikum ein mögliches positiv wirkendes Zugehörigkeitsgefühl. Das Publikum wird in diesen Beobachtungen als recht homogene Masse wahrgenommen, die sich kennt, untereinander agiert, zu welcher sich die Interviewpartner allerdings
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nicht zugehörig fühlen (z.B. IP 15). Zum anderen beinhaltet diese abgrenzende Beschreibung der Anderen auch eine Selbstbeschreibung: Diese Suche nach „tiefgängigen“ Erfahrungen bei dem Theaterbesuch gehört nicht zur eigenen Besuchsmotivation und die Art der äußerlichen Selbstrepräsentation wird nicht als Teil der eigenen Lebenswelt beschrieben. Ausgehend von den formal hohen Bildungsabschlüssen aller Interviewpartner wird also deutlich, dass dieses Merkmal nicht automatisch mit einer intellektuellen Haltung verbunden ist. Verlust des Distinktionspotenzials Dieses als dominant wahrgenommene Publikum und dessen Alter erschweren bzw. verhindern somit ein Gefühl des als positiv erlebten Dazugehörens. Wie bereits mehrfach dargestellt wurde, ist diese soziale Funktion eines Theaterbesuchs eng mit den Überlegungen von Pierre Bourdieu zum Distinktionspotenzial der Kunst verbunden. Dieser hat bereits vor mehr als 30 Jahren den hohen Stellenwert von Kultureinrichtungen für gesellschaftliche Integration und Abgrenzung deutlich gemacht: „Von allen Produkten, die der Wahl der Konsumenten unterliegen, sind die legitimen Kunstwerke die am stärksten klassifizierenden und Klasse verleihenden.“ (Bourdieu 1982: 36)
Mit dem Besuch eines Theaters wird in dieser Hinsicht also eine Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe manifestiert. Unabhängig von einer normativen Bewertung, wird die soziale Funktion eines Theaterbesuchs deutlich: Indem der Besucher sich unter Gleichen wiederfindet und mit den Menschen seine Freizeit verbringt, deren Lebenswelt und damit verbunden Ansichten und Verhaltensweisen geteilt werden, fördern diese soziale Funktionen eine positive Bewertung des Theaterbesuchs. Bei Gelegenheitsbesuchern mit ausgeprägter Besuchserfahrung in der Vergangenheit, wird diese Distinktionsfunktion deutlich: „Es war vielleicht ein Vorteil des Premieren-Abos, dass man immer dieselben Leute getroffen hat oder überhaupt eines Abos, dass man immer dieselben Leute getroffen hat und sich unterhalten konnte. Dass man gleich übers Stück reden konnte und nicht erst: Ach Sie sind der und Sie sind der?“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
Obgleich in dieser Beschreibung das Theaterstück als Kommunikationsthema genannt wird, geht dem eine soziale Positionierung, z.B. in Hinblick auf die be-
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rufliche Tätigkeit oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen, voraus. Die soziale Funktion des Theaters im Sinne eines Distinktionspotenzials erfährt ihre Wirkung also durch aktive Kommunikation mit bereits bekannten und der eigenen Lebenswelt zugehörigen Besuchern. Dies setzt eine gewisse Kommunikationsfähigkeit und auch Freude am Gespräch voraus, der zitierte Interviewpartner macht dann beispielsweise auch deutlich, dass die mit einem Theaterbesuch verbundenen sozialen Funktionen auch eher für seine Ehefrau relevant waren (IP 2). Zudem bedarf eine solche Distinktionsfunktion einer gewissen Regelmäßigkeit. Allein ein Besuch kann zwar zu einem positiven Gefühl der Dazugehörigkeit führen, eine darüber hinausgehende Gestaltung tatsächlicher Beziehungen ist allerdings erst auf Dauer möglich, wie dieser Interviewpartner beschreibt: „[Name der Stadt] ist ja eine sehr übersichtliche Stadt. Das heißt die Kreise überschneiden und überlagern sich auch. Ja das war dann doch auch so, dass sich daraus Bekanntschaften und Freundschaften entwickelt haben. Aber mehr durch die Wiederholung, dass man sich da gesehen hat und nochmal gesehen hat und so weiter.“ (IP 2, Geschäftsführer eines Handelsunternehmens, 51)
Die soziale Funktion im Sinne des Aufbaus und der Pflege neuer Bekanntschaften funktioniert in diesem Beispiel demnach nur in einer Mittelstadt, in der sich ein gewisses, durchaus überschaubares Milieu an unterschiedlichen Orten wiedertrifft. Das Theater ist dann ein Ort unter vielen, von welchen solche Distinktionsfunktionen ausgehen. In einer überschaubaren Stadt trifft man z.B. eher die eigenen Kollegen (z.B. IP 7), als in urbanen Räumen, in welchen die Theater einen recht großen Einzugsbereich haben. Im Gegensatz zu diesem Beispiel eines Gelegenheitsbesuchers mit ausgeprägter Erfahrung mit Theatern, Abonnements und diesen positiven sozialen Funktionen spielen solche Distinktionsmerkmale bei jüngeren Gesprächspartnern ohne ausgeprägte und durch das Elternhaus vermittelte Besuchserfahrung überhaupt keine Rolle. Der mögliche Theaterbesuch wird nicht mit einer sozialen Funktion, beispielsweise dem Treffen von Bekannten verbunden. Deutlich wird das z.B. an der untergeordneten Rolle des Theaters im Kollegenkreis. Selbst eine Studienrätin beschreibt das so: „Also es gibt schon auch so ein paar Leute in meinem Kollegium die dann so etwas nutzen würden, aber ich glaube eher weniger.“ (IP 8, Studienrätin, 34)
Das Theater ist daher kein Ort, an dem sich diese Gelegenheitsbesucher mit wenig Besuchserfahrung sozial verorten möchten oder an dem sie einen persönli-
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chen Mehrwert in der Interaktion mit anderen Besuchern sehen (z.B. IP 1, IP 3, IP 4, IP 8, IP 9, IP 10 u.v.m.). Das Theater scheint für diese Besucher sein Distinktionspotenzial verloren zu haben. Auch für berufliche Aspekte wie z.B. Karrierepflege und damit verbunden eigenen wirtschaftlichen Interessen schreiben sie dem Theaterbesuch kein Potenzial zu (z.B. IP 1). Verbunden mit der oben aufgeführten Abgrenzung zum dominierenden Publikum wird die soziale Funktion des Theaterbesuchs auf die damit verbundene Pflege der Beziehung zur eigenen Begleitung reduziert. Diese Analyse könnte die „Individualisierungsthese“ (Kirchberg und Kuchar 2013: 167) untermauern, wonach Besuche kultureller Veranstaltungen auf rein individuellen Entscheidungen basieren und sozialstrukturelle Erklärungen wie äußere Zwänge zunehmend an Bedeutung verlieren. Für die beschriebenen Gelegenheitsbesucher würden demnach soziale Distinktionseffekte keine Rolle mehr spielen, sie hätten sich soweit individualisiert und ihr Leben von gesellschaftlichen Bedingungen unabhängig gemacht. Es wird in den Interviews aber deutlich, dass solche sozialen Effekte durchaus weiterhin Bedeutung haben können. Die Freizeittätigkeiten sind auch mit einer Funktion der Pflege sozialer Kontakte und der Selbstverortung in einer bestimmten Lebenswelt verbunden. Das damit verbundene Distinktionspotenzial ist auch mit aushäusigen Orten der Kultur verbunden, allerdings nicht mehr mit den klassischen Theatern, sondern mit Orten populärer Kultur. Eine Interviewpartnerin beschreibt diese Orte, an denen sie andere Leute ihrer Lebenswelt und ihres Berufslebens trifft: „Ich glaube eher bei Konzerten, bei Rock-Pop-Konzerten, Singer-Songwriter, traurige Lieder spielen.“ (IP 4, Produktmanagerin in einem Verlag, 34)
Wenn diese Interviewpartner also Kollegen, Freunde und somit das gleiche Milieu treffen, dann sind das Orte der populären Kultur, z.B. Rock-Konzerte. Ein Interesse an Distinktion ist also weiterhin vorhanden, die Funktion wird aber nicht mehr in Theatern oder anderen klassischen Kultureinrichtungen erlebt. Max Fuchs macht mit einem Verweis auf neuere Studien (z.B. Lahire 2006) deutlich, dass in der jüngeren Vergangenheit eine „Pluralisierung des ästhetischen Geschmacks bei jedem einzelnen“ (Fuchs 2014: 18) stattgefunden hat und demnach die distinktionsfördernde Exklusivität beispielsweise von Theatern zurückgegangen ist. Dass diese Entwicklung nicht unbedingt mit einer Veränderung der künstlerischen Qualität verbunden ist, macht schließlich dieses Beispiel deutlich:
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„Ich glaube, dass Filme, Musik vielleicht weniger, aber dass auch wenn man die entsprechenden Ambitionen hat, wenn man sich Singer-Songwriter anhört, genauso viel zu sagen haben. Oder genauso aktuell sind.“ (IP 7, Hochschuldozent, 52)
Das Theater ist in der Beschreibung dieses Interviewpartners also nicht mehr ausschließlicher Ort für gesellschaftlich relevante Themen: Populäre Sparten und Formate, insbesondere Film, aber auch Musik erfüllen heute die gleichen künstlerischen wie sozialen Funktionen. 6.3.3 Zusammenfassung Die wesentlichen Merkmale dieses empirisch begründeten Kaufentscheidungsund Rezeptionsprozesses können wie folgt zusammengefasst werden: • • • • •
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Die Begleitung stellt das zentrale Besuchsmotiv für Gelegenheitsbesucher dar. Von ihr geht die Grundidee für einen Theaterbesuch aus. Persönliche Empfehlungen haben den höchsten Wert für Besuchsentscheidungen. Gelegenheitsbesucher verfügen über wenig Zugang zu Informationen über Theaterangebote. Es existiert ein Mangel an zugänglichen inhaltlichen Beschreibungen und subjektiven Bewertungen von Theaterstücken. Die Kosten für einen Theaterbesuch spielen bei Gelegenheitsbesuchern keine besuchsverhindernde Rolle. Allerdings stellt der Kartenpreis nur einen Teil der mit einem Theaterbesuch verbundenen Gesamtkosten dar. Der Kartenkauf war in der Vergangenheit mit organisatorisch hohem Aufwand konnotiert; moderne onlinebasierte Distributionswege kommen den Ansprüchen auf eine spontane Besuchsentscheidung allerdings sehr nahe. Die Kernkonkurrenz einer abendlichen Freizeitaktivität liegt im Kinobesuch, welcher organisatorisch aber auch sozial als unbeschwerlicher wahrgenommen wird. Gelegenheitsbesucher setzen als zentrale Rezeptionsstrategie das ‚Verstehen‘ des Textes ein. Die Notwendigkeit der Interpretation der mit der Bühnendarstellung verbundenen Zeichen wird von Gelegenheitsbesuchern als negativer Zwang empfunden. Durch den hohen Stellenwert des Theatertextes in der Rezeption verfügen Gelegenheitsbesucher über keinen Zugang zur Interpretation der Modernisie-
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rung historischer und zeitloser Theaterstoffe. Diese wird dann nicht als Mehrwert, sondern als Störfaktor empfunden. Eine Veränderung des Aufführungsortes und der Rahmenbedingungen kann zu einer anderen Rezeptionsstrategie führen. Modernisierung und Abstraktion werden dann nicht mehr als Bruch der Erwartung empfunden. Wenn die Rezeptionsstrategie des ‚Verstehens‘ nicht erfolgreich ist, werden Theaterbesuche ohne persönlichen Mehrwert und entsprechend negativ erlebt. Kulturvermittelnde Angebote von Seiten des Theaters sind bei Gelegenheitsbesuchern überwiegend unbekannt und werden eher nicht genutzt. Ein actionreiches Live-Erlebnis und die Authentizität der Darstellung fördern eine Rezeption abseits des Verstehens. Im Gegensatz zu ästhetischen Funktionen verbinden Gelegenheitsbesucher mit wenig Besuchserfahrung vor allem psychosoziale Funktionen mit einem Theaterbesuch. Die Erfüllung von Freizeitbedürfnissen sowie die Pflege sozialer Beziehungen stehen dabei im Mittelpunkt, Neigungen zur gesellschaftlichen Abgrenzung oder symbolische Rangwünsche spielen keine erkennbare Rolle. Das Publikum wird von jüngeren Gelegenheitsbesuchern als älter und intellektuell empfunden. Es existiert kein Wunsch nach einer Interaktion oder Integration, vielmehr entspricht das Kernpublikum des Theaters nicht der Lebenswelt der Gelegenheitsbesucher. Das Theater scheint für Gelegenheitsbesucher sein Distinktionspotenzial verloren zu haben. Das Interesse an Theater lässt sich dann nicht mehr allein über soziodemografische Merkmale wie formal hoher Bildung und entsprechender Berufstätigkeit erklären. Das soziale Feld im Sinne Bourdieus bestimmt nicht mehr das Kulturbesuchsverhalten. Das Theater ist kein Ort der gesellschaftlichen Selbstbestätigung oder des sozialen Aufstiegs. Orte populärer Kultur, wie z.B. Rock-Konzerte lösen die bisherige Distinktionsfunktion von klassischen Kultureinrichtungen wie z.B. des Theaters ab.
7. Die Förderung von Teilhabe durch Kulturpolitik und Kulturmanagement
Ziel dieses Buchs ist es, die Potenziale von Kulturpolitik und Kulturmanagement zur Förderung der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen darzustellen. Nach den empirischen Teilen zum Ist-Zustand der Nicht-Besucherforschung geht es im Folgenden also darum, die verschiedenen Handlungsoptionen vorzustellen und ganz im Sinne der an praktischen Konsequenzen interessierten Kulturmanagementforschung auch Wege zur Veränderung des Status quo aufzuzeigen. Auch wenn dieser Schritt im Rahmen einer empirischen Arbeit naheliegen mag, bedarf es einer grundsätzlichen methodologischen Vorbemerkung. (Nicht-)Besucherforschung kann im Sinne von Max Weber (1988) Phänomene ‚erklären‘ ohne dabei Lösungen zu präsentieren bzw. initiieren zu wollen. Allein eine solche Erklärung des Forschungsgegenstands vor dem Hintergrund von Teilhabegerechtigkeit und der Systematik der besuchsverhindernden Barrieren war in diesem Buch also bereits ein Erkenntnisgewinn. Daraus könnten auch durchaus Konsequenzen für politisches und betriebliches Handeln gezogen werden: Insbesondere die Verortung der Idee von ‚Kultur für alle‘ als Schaffen von Teilhabevoraussetzungen und die damit verbundene Erkenntnis, dass vor allem Bildung und Sozialisation die entscheidenden Steuerungsvariablen darstellen, kann den Handlungsspielraum deutlich machen. Die Dimensionen dieser Konsequenzen bleiben allerdings ein Stück weit abstrakt und allgemein, eine ‚NichtBesucher-Aktivierungsformel‘ kann nicht daraus abgeleitet werden. Denn jede Entwicklung von Handlungskonsequenzen unterliegt dem Problem der Übertragbarkeit empirischer Forschung auf politische und manageriale Praxis. Es ist daher nicht möglich, nach empirischen Studien noch ‚schnell‘ Handlungsanweisungen zu entwickeln, wenn das Forschungsdesign dies gar nicht intendiert hatte. Ein ‚runterbrechen‘ allgemeiner quantitativer und qualitativer Erkenntnisse z.B. auf die Entwicklung von Instrumenten wäre in solch einem Fall kein deduktiver Vorgang im Rahmen des empirischen Forschungsprozesses,
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sondern basierte vielmehr allein auf der Interpretation des Forschenden (vgl. Renz 2012a: 65). Solche Interpretationen resultieren dann aus persönlichen Normen und durchaus auch politischen Einstellungen, welche allerdings nicht immer transparent gemacht werden. Schnell mag dann der Eindruck entstehen, die vorgeschlagenen Konsequenzen hätten einen gewissen ‚empirischen Mehrwert‘, ohne dass der Bezug zur Empirie wirklich gewährleistet ist. Diese normativen Konsequenzen sind dann nicht unbedingt ‚schlechter‘ oder ‚weniger wert‘, allerdings sind diese eben nicht empirisch begründet. Es muss also bei der Ergebnisdarstellung der Eindruck verhindert werden, dass es sich um die empirisch abgebildete Realität handeln würde und sich deshalb eine automatische, nicht wert-basierte Konsequenz ergeben müsse. Möglich wäre eine empirisch fundierte Handlungsempfehlung im Falle der Erforschung eines konkreten Instruments. So können Instrumente theoretisch modelliert und quantitativ evaluiert werden (z.B. Mandel und Renz 2011), d.h. die Ziele und Wirkungen, ggf. auch die Wirkungsmechanismen würden überprüft werden. Je konkreter ein Instrument beschrieben wird, desto folgereicher können die Ergebnisse der Evaluation ausfallen. Für deren Übertragbarkeit muss dann allerdings kritisch geprüft werden, ob die Ausgangsbedingungen die gleichen sind oder ob neue, ortsgebundene Einflüsse das theoretische Modell verändern. Aus diesen Gründen sollen im Folgenden aus den empirischen Erkenntnissen keine operativen Instrumente abgeleitet werden. Allerdings können Strategien extrahiert werden, mit welchen zukünftig Nicht-Besucher bearbeitet werden können. Es geht also im Sinne eines Managementprozesses darum, die richtigen Dinge zu tun, d.h. die relevanten Zielgruppen auszuwählen und die wirkungsvollsten Planungsentscheidungen anzuregen. Dabei können auch strategische Instrumente (z.B. der Einsatz empirischer Nicht-Besucherforschung im Rahmen der betrieblichen Marktforschung oder die inhaltliche Definition von Zielvereinbarungen) recht konkret diskutiert werden, die Ausgestaltung der daraus resultierenden operativen Projekte und Programme kann allerdings lediglich exemplarisch (und eben nicht empirisch fundiert) illustriert werden. Solche Anregungen für operative Maßnahmen werden im Folgenden also als Beispiele aufgeführt, wurden allerdings nicht empirisch auf ihre Wirksamkeit hin überprüft und sollen vielmehr den an operativer Praxis interessierten Leser zu eigenen Aktivitäten anregen.
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7.1 T HEORETISCHE K ONSEQUENZEN Neben empirischen Erkenntnissen und politischen wie managerialen Instrumenten war diese Arbeit auch an der Perspektive der Forschung interessiert. Demnach kann ein wissenschaftstheoretisches und -methodisches Fazit gezogen werden, welches eine Strukturierung der praktischen Konsequenzen ermöglicht. 7.1.1 Wissenschaftstheoretisches und -methodisches Fazit Die bestehende quantitative Nicht-Besucherforschung ist vor allem durch betriebswirtschaftliche Frage- und Problemstellungen gekennzeichnet. Es werden insbesondere von der jeweiligen Kultureinrichtung ausgehende und anschließend abzubauende Barrieren untersucht. Sozialwissenschaftliche Theorien werden insofern integriert, dass betriebswirtschaftliche Nicht-Besucherforschung deren Gesellschaftsmodelle nutzt, um die Zielgruppen zu segmentieren. Dies erfolgt allerdings fast ausschließlich über einfache sozio-demografische Merkmale, wie z.B. Alter, Geschlecht, formaler Bildungsabschluss oder Migrationshintergrund. Psychografische Merkmale die auf den jeweiligen Lebensstil eines Milieus zurückgehen, werden zwar als relevant erkannt, wurden bisher aber nur rudimentär in Nicht-Besucherforschungen integriert. Die wichtige Rolle der Rezeption von Kunstwerken in den Kulturwissenschaften findet in der bisherigen Nicht-Besucherforschung fast gar keinen Niederschlag. Neben methodischen Schwierigkeiten liegt diese Nicht-Thematisierung auch in dem jeweiligen wissenschaftstheoretischen Zugang begründet: Das Verständnis von Rezeption oder gar vom Kunstwerk ist in den Sozialwissenschaften und in der Betriebswirtschaftslehre sehr unterschiedlich und uneinheitlich ausgeprägt, manchmal sogar gar nicht existent. In der KulturmarketingTheorie ist es z.B. nicht wirklich geklärt, ob diese Phänomene überhaupt zum Gegenstand der eigenen Forschung gehören. Der qualitative Zugang zum Forschungsgegenstand hat dann gezeigt, dass aus Sicht der Nicht-Besucher soziale, organisatorische, aber auch explizit vom Kunstwerk und dessen Rezeption ausgehende Phänomene relevant sind. Somit ist eine interdisziplinäre Forschung nötig, um der Komplexität des Forschungsgegenstands gerecht zu werden. Dies hat auch zur Folge, dass eventuelle Instrumente zur Bearbeitung dieser Zielgruppen im Handlungsrahmen von Kulturpolitik und Kulturmanagement bereits theoretisch so konstruiert sein müssen, dass sie keine Dimension vorab ausschließen. Das in Kapitel 3 vorgeschlagene Audience Development scheint auf kulturmanagerialer Ebene diesen Anspruch zu er-
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füllen, indem vor allem Marketing, Vermittlung und künstlerische Produktion gleichberechtigt zusammenwirken. Aus methodischer Sicht haben der quantitative und qualitative Blick die Potenziale und Grenzen der jeweiligen Forschungslogik deutlich gemacht. Quantitative Forschung ist Voraussetzung für die Messung sozialer Ungleichheit im Sinne der statistischen Teilhabe. Vor allem verhaltensrelevante Aspekte gesellschaftspolitisch wichtiger Gruppen können eine soziale Ungleichheit in Bezug auf Besuche öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen deutlich machen. Diese Gruppen werden über sozio-demografische und auch psychografische Merkmale wie beispielsweise formale Bildungsabschlüsse oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Milieus definiert. Dadurch können Merkmale deutlich werden, welche Teilhabevoraussetzungen fördern oder auch verhindern. Darüber hinaus können in einer solchen Kulturstatistik auch standardisierte Phänomene wie z.B. bestimmte vom Kulturangebot ausgehende besuchsverhindernde Barrieren erfragt und abgebildet werden. Einzelne Kultureinrichtungen können dann beispielsweise den Radius ihrer Erreichbarkeit, die Elastizität ihrer Eintrittspreise oder die Reichweite ihrer Kommunikationsmedien messen. Deutlich wurde bereits beim quantitativen Blick, dass bestimmte Phänomene, wie z.B. Besuchserfahrungen in der Kindheit oder das Image von Kultureinrichtungen, zwar standardisiert gemessen werden können, dies aber mit einer so großen Reduzierung der Komplexität der Phänomene einhergeht, dass qualitative Dimensionen nicht angemessen abgebildet werden können und der Erkenntnisgewinn entsprechend eingeschränkt ist. Es gibt also in der Nicht-Besucherforschung relevante Phänomene, welche sich einer einfachen Standardisierung auf Grund ihrer Komplexität ein Stück weit entziehen: Zum einen zählen dazu alle subjektiven Wahrnehmungen im Verlauf des Kaufentscheidungsprozesses, wie z.B. verschiedene Dimensionen der Preisbewertung oder Imagezuschreibungen zu Kulturangeboten. Zum anderen sind alle mit der Wahrnehmung des Kunstwerks verbundenen Rezeptionsprozesse nur schwer in solche standardisierten Modelle zu übertragen. Allerdings zeigten bereits die theoretischen Überlegungen zur Bewertung der Barrieren, dass eben diese subjektiven Phänomene wirksamer sind. Der qualitative Blick auf die Gelegenheitsbesucher hat dann deutlich gemacht, wie diese komplexen Phänomene verdichtet werden können und ihre Komplexität angemessen abgebildet werden kann. Vor allem die Erkenntnisse zur Rezeption der Theatervorstellung und zur Wahrnehmung des Publikums wären im Rahmen einer quantitativen Primärerhebung vermutlich nicht gewonnen worden. Dies kann nun zur Folge haben, qualitative (Nicht-)Besucherforschung auszubauen: Beispielsweise könnten im Rahmen ethnologisch inspirierter Beobachtungs- und Befragungsprozesse die Wahrnehmung und das Erleben seltener Be-
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suche oder des jeweiligen Vermittlungsangebots erforscht werden. Auch wäre eine Übertragung des biografischen Zugangs auf Besuche anderer Sparten interessant. Im Rahmen quantitativer (Nicht-)Besucherforschung können zum einen deren Potenziale deutlich gemacht werden: Verhaltensrelevante und personenbezogene Merkmale sind messbar, einstellungsrelevante Merkmale entziehen sich hingegen ab einer gewissen Komplexität einer Standardisierung. Die Benennung dieser Grenzen kann auch zu einem ergebnisoffenen Ausprobieren neuer standardisierter Methoden führen: Es kann versucht werden, komplexe Phänomene wie z.B. Rezeptionsprozesse über Umwege theoretisch so eindeutig zu formulieren und standardisieren, dass diese operationalisiert und im Rahmen eines quantitativen Forschungsprozesses untersucht werden können. Beispielsweise wären bestimmte Testverfahren aus der Verhaltensforschung denkbar: Im Rahmen von experimentellen Verfahren könnten Daten während des eigentlichen Rezeptionsprozesses gewonnen werden und somit auch das ex-post-Problem der sonst nachgelagerten Befragung umgangen werden. 7.1.2 Ein erweitertes Modell der Nicht-Besucherforschung An verschiedenen Stellen dieser Arbeit wurden theoretische Modelle zur Ordnung und Erklärung der Phänomene der Nicht-Besucherforschung herangezogen. In Kapitel 2 verdeutlichte der theoretische Ansatz der ‚Verwirklichungschancen‘ von Amartya Sen die Wichtigkeit der Teilhabevoraussetzungen für die Existenz eines potenziellen Interesses an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen. Bestimmte materielle Ressourcen und vor allem Rechtsansprüche schaffen demnach die Möglichkeit der Teilhabe. Erst persönliche und gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren führen dann zur Existenz von Verwirklichungschancen. Es geht in dieser theoretischen Dimension also nicht darum, ob jemand beispielsweise nicht ins Theater will, sondern ob dieser nicht ins Theater kann, weil er über keinen materiellen, sozialen oder intellektuellen Zugang dazu verfügt. In Kapitel 5 wurden diese Überlegungen dann in ein zweiphasiges Modell der Nicht-Besucherforschung übertragen: Das Phänomen der fehlenden Verwirklichungschancen wird zum Gegenstand der Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung. Untersucht wurden sozio-demografisch und psychografisch definierbare gesellschaftliche Gruppen, welche „von den ‚wertvollen Gütern‘ einer Gesellschaft regelmäßig mehr“ oder eben weniger „als andere erhalten“ (Hradil 2001: 30). Sind solche Verwirklichungschancen vorhanden und schaffen ein Interesse an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen, so kann dadurch ein Motivationsprozess für entsprechende Besuche entstehen. Dieser Verlauf kann nun von
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verschiedenen Barrieren unterbrochen werden: Dies können vom kulturellen Angebot ausgehende, objektbedingte Barrieren sein, allerdings können auch in der Person liegende, subjektbedingte Gründe den Besuch trotz Motivation verhindern. Nicht-Besucherforschung wird in dieser Phase als Barrierenforschung betrieben, welche in Kapitel 5 in ihrer quantitativen Dimension untersucht wurde. Die qualitative Verdichtung dieser Erkenntnisse in Kapitel 6 ermöglichte an verschiedenen Stellen tiefergehende Erklärungen der Phänomene. Dies führt nun zur Notwendigkeit einer Erweiterung des bisher zweiphasigen Modells der Nicht-Besucherforschung. Zum einen ist eine prozessuale Differenzierung der Barrierenforschung notwendig: Zwischen der Motivation irgendeine Kulturveranstaltung zu besuchen, dem Kaufentscheidungsprozess und dem Beginn des eigentlichen Besuchs ist eine aussagekräftigere Darstellung potenzieller Barrieren möglich. Zum anderen bedarf das Modell einer Erweiterung um die Dimension der Rezeption des Kunstwerks im Sinne einer persönlichen Aneignung und der Wahrnehmung des Publikums. Das zweiphasige Modell der Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheits- und Barrierenforschung wird demnach um eine dritte Phase erweitert: Nicht-Besucherforschung als Rezeptionsforschung umfasst die Phänomene, welche zwischen Beginn und Ende des Besuchs relevant werden. Denn erst eine erfolgreiche, persönlich gewinnbringende Rezeption des Kunstwerks führt schließlich zu einer erfolgreichen Teilhabe, wie dieses erweiterte, dreiphasige Prozessmodell der Nicht-Besucherforschung deutlich macht:
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Tab. 7: Ein erweitertes Modell der Nicht-Besucherforschung Einfluss
Themen
Folge
materielle Ressourcen und Rechtsansprüche
Stadt-LandDiskrepanz, Gesetze
Möglichkeiten der Teilhabe
persönliche und gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren
Bildung und Sozialisation
Verwirklichungschancen
Interesse an Theater, Museen, Konzerten,…
Freizeitinteresse, Lebensphase, Umfeld
Besuchsmotivation
besuchsverhindernde Barrieren
Zeitressourcen, fehlende Begleitung, kein Angebot, Kernkonkurrenz, Image
Barrieren verhindern Kaufentscheidung
Information, Eintrittspreis, Distribution
Barrieren verhindern Besuchsaktivität
Rezeption, Wahrnehmung des Publikums, Nebenprodukte, Service
erfolgreiche Teilhabe
Rezeption des Kunstwerks
Dimension
Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung
Nicht-Besucherforschung als Barrierenforschung
Nicht-Besucherforschung als Rezeptionsforschung
Dieses Modell ist von oben nach unten zu lesen: Materielle Ressourcen und Rechtsansprüche führen zur Möglichkeit der Teilhabe. Wenn dann im weiteren Verlauf alle anderen Einflüsse zum nächsten Merkmal führen bzw. die aufgeführten Themen dieses nicht verhindern, kann schließlich am Ende dieses Prozesses eine erfolgreiche Teilhabe im Sinne der Rezeption des Kunstwerkes erfolgen.
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Dieser Prozess baut auf dem Prinzip auf, dass jede vorhergehende Funktion erfüllt sein muss, um den nächsten Schritt zu ermöglichen. Dadurch ist auch eine Hierarchisierung der einzelnen Merkmale möglich. Die quantitative Sekundäranalyse der Barrieren endete mit der Vermutung, dass subjektbedingte Barrieren wirksamer seien, als vom kulturellen Angebot ausgehende. Die qualitative Verdichtung der Erkenntnisse am Beispiel der Gelegenheitsbesucher von Theatern erlaubt nun ein empirisch begründetes inhaltliches ‚Ranking‘ aller verschiedenen Einflussfaktoren auf kulturelle Teilhabe, welche im o.g. Modell als ‚Themen‘ aufgeführt werden. Die Rechtsansprüche als Voraussetzungen für die Möglichkeiten der Teilhabe sind in Deutschland im Wesentlichen gesichert. Die Ratifizierung der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte und der darin enthaltene Rechtsanspruch „sich an den Künsten zu erfreuen“ (Vereinte Nationen 1948) schaffen dafür in Verbindung mit der aus Artikel 5 Absatz 3 des Grundgesetz abgeleiteten Förderpflicht des Staates die juristisch-normative Grundlage. Teilweise wird dieser Rechtsanspruch für Teilgruppen durch internationale Konventionen untermauert, zudem benennen einzelne Landesverfassungen eine explizite Förderpflicht der Kultur (z.B. Niedersächsische Landesverfassung, Artikel 6). Die in diesem ersten Schritt ebenfalls relevanten materiellen Ressourcen sind zumindest für bestimmte Personengruppen mit unterdurchschnittlichen Finanzressourcen nicht immer gegeben. Dies am Beispiel der Empfänger von Arbeitslosengeld II deutlich gemacht. Allerdings wurde auch argumentiert, dass durchaus Vergünstigungen existieren und somit eine besuchsverhindernde Funktion an dieser Stelle noch nicht nachgewiesen werden kann. Materielle Ressourcen sind allerdings im Sinne der kulturellen Infrastruktur in Deutschland relevant. Obgleich kulturelle Angebote auch in ländlichen Räumen existieren und von der dortigen kommunalen Kulturpolitik auch gefördert werden (vgl. Götzky 2013), sind bestimmte Sparten öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen nur in urbanen Räumen vorhanden. Dies betrifft insbesondere Opernhäuser und Theater. Somit verhindert unabhängig von weiteren Faktoren bereits die fehlende Existenz eines kulturellen Angebots im Sinne einer materiellen Ressource am eigenen Wohnort bei Menschen mit wenig Mobilität die Möglichkeit kultureller Teilhabe. Der quantitative Blick auf Nicht-Besucher im Sinne sozialer Ungleichheitsforschung hat dann gezeigt, dass vor allem formal niedrige Bildungsabschlüsse ein Indiz für fehlende persönliche und gesellschaftliche Umwandlungsfaktoren darstellen. Bildung fördert zum einen Wissen über die Existenz eines Angebots und ermöglicht durch Erfahrung und fachliche Kenntnisse die Dekodierung künstlerischer Zeichen. Zum anderen vermittelt Bildung auch Wissen über die Potenziale der Kunst für Individuen und Gesellschaft und macht somit deren so-
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ziale Funktion erfahrbar. Diese Prozesse können von Seiten der Schule gefördert werden, es wurde jedoch deutlich, dass z.B. eine schulische Hinführung zum Theater nicht mit einem Automatismus einer positiv konnotierten Besuchserfahrung verbunden sein muss. Der wirksamere Einflussfaktor ist hingegen das Elternhaus, welches gewinnbringende persönliche Besuche initiiert. Allerdings wurde quantitativ wie qualitativ deutlich, dass ein solches kulturaffines Elternhaus meistens über höhere Bildungsabschlüsse verfügt. Die Personen, welche zwar selbst eine formal hohe Bildung genossen haben, aber in einem Elternhaus aufgewachsen sind, in welchem Besuche öffentlich geförderter Kultureinrichtungen keine Rolle spielen, verfügen statistisch über weniger ausgeprägte Umwandlungsfaktoren. Solche persönlichen oder gesellschaftlichen Umwandlungsfaktoren führen dann zu Verwirklichungschancen, wenn Besuche kultureller Veranstaltungen und eine Auseinandersetzung mit Kunst in vielen Sparten mit persönlich gewinnbringenden Erfahrungen verbunden sind. Die Existenz dieser Verwirklichungschancen ist nun Voraussetzung für ein grundsätzliches Interesse an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen. Verschiedene Faktoren wie z.B. das persönliche soziale Umfeld oder Freizeitinteressen beeinflussen die Konsequenzen dieser Interessen. Der biografische Ansatz hat auch deutlich gemacht, dass diese sehr stark von den Bedingungen der jeweiligen Lebensphase abhängig sind: Familienleben mit Kindern oder starke Beanspruchung durch das Arbeitsleben schränken die Besuchsaktivitäten temporär durchaus ein, ein entsprechend interessierter Lebenspartner fördert diese Besuche. Diese Interessen können nun eine Besuchsmotivation für eine öffentlich geförderte Kulturveranstaltung auslösen. Ab diesem Moment können potenzielle besuchsverhindernde Barrieren den Entscheidungsprozess unterbrechen. Wirksam werden im Verlauf zuerst die in der Person liegenden subjektbedingten Barrieren: Vor allem fehlende Begleitung, keine oder unpassende Zeitressourcen, kein passendes Angebot, ein negatives Image der Angebote, die Kosten oder die Bezugsmöglichkeiten sowie das Kernkonkurrenzangebot verhindern die Weiterentwicklung dieser Grundmotivation in eine konkrete Kaufentscheidung. Die Möglichkeiten der Einflussnahme einer einzelnen Kulturveranstaltung auf diese Phase sind noch recht gering, vielmehr sind diese Barrieren durch ein von der Gesamtheit aller Angebote ausgehendes Image geprägt. Waren diese subjektbedingten Barrieren nicht relevant, so entsteht daraus tatsächlich eine Kaufentscheidung. Der potenzielle Besucher beabsichtigt dann, eine bestimmte Kulturveranstaltung zu besuchen. Nun nimmt die Funktion der objektbedingten Barrieren zu: Mangelnde konkrete Informationen über die Art und Gestaltung des Angebots können Besuche an dieser Stelle verhindern. As-
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pekte wie der Eintrittspreis oder besucherunfreundliche Distributionswege werden zwar als problematisch wahrgenommen, haben aber in dieser Phase in der Regel nicht mehr die Funktion einer besuchsverhindernden Barriere. Diese Phase endet mit dem Erwerb der Eintrittskarte und führt schließlich zur Besuchsaktivität. Diese zeichnet sich zum einen durch die Wahrnehmung des Publikums und den damit verbundenen positiven oder negativen sozialen Funktionen sowie dem Erleben einiger Service- und Nebenproduktleistungen aus. Zum anderen beinhaltet die Besuchsaktivität den eigentlichen Rezeptionsprozess als persönliche Aneignung des Kunstwerks. Die persönliche gewinnbringende Rezeption über sinnliche Wahrnehmung, intellektuelles Verstehen oder soziales Erleben ist schließlich Voraussetzung für eine erfolgreiche Teilhabe an kulturellen Veranstaltungen. Jede Phase dieses Modells basiert auf unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven und Theorien. Auf der Anwendungsebene der daraus resultierenden Erkenntnisse werden demnach auch unterschiedliche Akteure angesprochen. Die soziale Ungleichheitsforschung ist als empirische Sozialwissenschaft zu verorten, welche auf verschiedenen soziologischen Theorien, wie z.B. jener der sozialen Ungleichheit aufbaut. Die Adressaten einer anwendungsorientierten Forschung sind daher zuerst politische Akteure. Kulturpolitik kann aus jenen Erkenntnissen Konsequenzen für eine Förderung der damit verbundenen Verwirklichungschancen ziehen. Kapitel 5 hat allerdings deutlich gemacht, dass die damit einhergehenden Herausforderungen für die Bildungs- und Sozialpolitik den Handlungsspielraum der Kulturpolitik übersteigen. Nicht-Besucherforschung als Barrierenforschung ist tendenziell als betriebswirtschaftliche Marketingforschung zu verorten: Es geht darum, besuchsverhindernde Barrieren zu identifizieren und möglichst abzubauen. Die Konsequenzen auf der Anwendungsebene liegen demnach im Kulturmarketing sowie im erweiterten Verständnis von Kulturvermittlung. Nicht-Besucherforschung als Rezeptionsforschung kann im Rahmen einer spartenbezogenen Kunstwissenschaft erfolgen. Allerdings wurde in Kapitel 4 am Beispiel der Theaterwissenschaft deutlich gemacht, dass diese eher einen idealtypischen und nicht empirischen Rezipienten zum Gegenstand machen. Hilfreich können daher Methoden und Theorien der jeweiligen Soziologie der Künste sein. Es ist jedoch auch ein empirischer Blick auf diese Rezeptionsforschung im Sinne einer Kulturvermittlungsforschung möglich. Jene Perspektive ist umso mehr dafür prädestiniert, wenn es auch darum gehen soll, auf der Anwendungsebene neben der Entwicklung neuer künstlerischer Formate vor allem Rezeptionsprozesse anregende Kulturvermittlungsangebote zu initiieren. Adressaten einer solchen anwendungsorientierten Forschung sind also Künstler und Kulturvermittler.
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7.2 P OLITISCHE K ONSEQUENZEN Voraussetzung für kulturpolitische Konsequenzen aus den Erkenntnissen der Nicht-Besucherforschung ist der politische Wille, Kunst nicht nur um der Kunst Willen zu fördern und abzuwarten, was der geförderte Kulturbetrieb daraus macht, sondern alle Aktivitäten mit darüber hinausgehenden Zielen zu verbinden. Diese Ziele ergeben sich aus kulturpolitischen Verhandlungsprozessen und können dann auf unterschiedlicher Ebene in politische Instrumente überführt werden. Da es in Deutschland keine Tradition der ordnungspolitischen Steuerung von Kultur durch Gesetze gibt und auch die verfassungsgemäß garantierte Kunstfreiheit ein Stück weit eine solche Einflussnahme erschweren würde, betrifft diese Einflussnahme vor allem die Förderpolitik. Eine verbindlicher gestaltete Förderpolitik verbindet die Mittelvergabe mit der Benennung zu erreichender Ziele und installiert Verfahren der Zielüberprüfung. Die politischen wie auch ein Stück weit die kulturmanagerialen Handlungskonsequenzen bedürfen anschließend einer zeitlichen Dimensionierung in kurzund mittelfristige sowie langfristige Ziele. Kurz- und mittelfristige Ziele beabsichtigen eine Veränderung der momentanen Verhältnisse, ihre Adressaten sind letztlich die Menschen der Gegenwart. Beispielsweise kann versucht werden, das sozial ungleich zusammengesetzte Publikum der Empfänger des größten Teils öffentlicher Fördermittel in einer Kommune durch entsprechende Angebote der Kultureinrichtungen so zu verändern, dass dieses mittelfristig eher den sozialen Verhältnissen der Gesamtbevölkerung in der Stadt entspricht. Das o.g. Modell der Nicht-Besucherforschung macht allerdings deutlich, dass wirksamere Veränderungen eigentlich im Zeitverlauf früher ansetzen müssen und durchaus die Gefahr eines gewissen Aktionismus bei kurz- und mittelfristigen Zielen besteht. Diese langfristigen Ziele liegen vor allem in der Förderung von Verwirklichungschancen. Dies betrifft dann die nächsten Generationen, da Bildungs- und Sozialisationsprozesse überwiegend die frühen Jahre innerhalb des Lebens prägen. Ein langfristiges kommunalpolitisches Ziel wäre beispielsweise ein Ausbau kulturpädagogischer Angebote für Grundschulkinder mit dem Ziel der Förderung der kulturellen Bildung und daraus resultierender Verwirklichungschancen. 7.2.1 Förderung von Programmen kultureller Bildung Die Existenz von Verwirklichungschancen als zentrale Voraussetzung für kulturelle Teilhabe kann durch eine langfristige Integration kultureller Bildungsangebote in schulische und außerschulische Angebote gefördert werden. Der staatliche Handlungsspielraum ist im schulischen Bereich wesentlich ausgeprägter, als
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beispielsweise bei der Sozialisation durch das Elternhaus. Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung hat gezeigt, dass die Entwicklung des Interesses an Kunst und Kultur am wirksamsten in jungen Jahren erfolgt. Deutlich wurde auch, dass das Problem der ungleich verteilten kulturellen Teilhabe schließlich ein Problem der ungleichen Bildungsteilhabe in Deutschland ist. Unabhängig von einzelnen Kultureinrichtungen kann Kulturpolitik nun eine solche kulturelle Bildung und damit verbunden Verwirklichungschancen fördern. Wie in Kapitel 3 deutlich gemacht wurde, waren und sind solche Förderprogramme ein wesentlicher Bestandteil der teilhabefördernden Politik in Großbritannien. Grundgedanken dieser Programme sind die Förderung kreativer und ästhetischer Erlebnisse von Kindern und Jugendlichen sowie deren Zusammenführung mit Künstlern und Kultureinrichtungen. Auch in Deutschland existieren zahlreiche Programme in einzelnen Bundesländern (z.B. ‚Schule:Kultur‘ in Niedersachsen oder ‚Jedem Kind ein Instrument‘ in Nordrhein-Westfalen), auch länderübergreifend (z.B. ‚Kulturagenten für kreative Schulen‘) oder bundesweit (z.B. ‚Kultur macht stark‘). Ohne diese Programme an dieser Stelle weiter zu untersuchen, können aus Perspektive der Nicht-Besucherforschung zwei zentrale Konsequenzen für deren strategische Ausrichtung abgeleitet werden. Zum einen ist die Förderung der kulturellen Bildung nicht zwingend gleichzusetzen mit der Förderung der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen. Zwar resultiert kulturelle Bildung von Subjekten durchaus auch aus erfolgreichen Rezeptionserlebnissen in Theatern, Museen oder Konzerthäusern. Eine rezipierende Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur fördert jedoch auf vielen Ebenen und an unterschiedlichen Orten ein Interesse an ästhetischen Erfahrungen, auch am Dekodieren und Interpretieren, sowie an der Mehrdeutigkeit von Kunstwerken. Allerdings führt allein die Existenz von kultureller Bildung nicht zwangsläufig zu Besuchen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen. Die bekannten Förderprogramme schreiben öffentlich geförderten Kultureinrichtungen wie z.B. Theatern oder Museen nun unterschiedliche Rollen bzw. Präferenzen zu: Sie können als Kooperationspartner zur Entwicklung neuer nachhaltiger Formate mit Schulen fungieren (z.B. im Programm ‚Kulturagenten für kreative Schulen‘). Sie können aber auch eine eher untergeordnete oder keine Rolle spielen, wenn sich die Programme eher auf Einrichtungen der kulturellen Kinder- und Jugendbildung konzentrieren (z.B. im Landesprogramm ‚Kultur und Schule‘ oder bei ‚Jedem Kind ein Instrument‘ in Nordrhein-Westfalen) oder mit freischaffenden Einzelkünstlern zusammenarbeiten. Je nach Schwerpunkt der Ziele der Programme müssen diese nicht unbedingt am effizientesten von öffentlich geförderten Kultureinrichtungen erreicht werden. So können das Individuum betreffende Ziele, wie z.B. die Auseinander-
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setzung mit Kreativität im Rahmen eigener künstlerischer Aktivitäten, durchaus von freien Künstlern in der Schule der Jugendlichen befördert werden, während ein Stadttheater möglicherweise selbst gar nicht über entsprechende personelle wie räumliche Ressourcen verfügt. Soll ein Programm zur Förderung der kulturellen Bildung also auch eine Förderung der Teilhabe an öffentlich geförderten Kultureinrichtungen wie z.B. Stadt- oder Staatstheatern leisten, so bedarf dies eines Bekenntnisses zu eben diesen Orten und Praktiken in der Programmkonzeption. Daraus resultiert dann die qualitative und quantitative Integration entsprechender Besuche in die Zieldefinition der Programme. Explizit fördern die Programme dann z.B. auch das Live-Erlebnis der Bühnendarstellung oder die rezipierende Dimension eines Museumsbesuchs. Zum anderen kann ein Abbau sozialer Ungleichheit in Bezug auf die Existenz von Verwirklichungschancen unterschiedlich effizient im Rahmen solcher Programme erfolgen. Der größte Handlungsbedarf besteht bei Menschen mit formal niedrigen Bildungsabschlüssen. Somit liegt es eigentlich nahe, dass entsprechende Programme sich zumindest auf Schulformen konzentrieren, in welchen diese Zielgruppe zu finden ist. Eine solche Schwerpunktsetzung ist bei den bestehenden Programmen der Förderung kultureller Bildung allerdings nicht immer gegeben. Einige Programme konzentrieren sich explizit auf Grundschulen, um alle Kinder unabhängig vom Elternhaus oder einer weiterführenden Schulform zu erreichen (z.B. ‚Jedem Kind ein Instrument‘). Nur vereinzelt werden bildungsbenachteiligte Jugendliche als wichtigste Zielgruppe in der Programmkonzeption benannt (z.B. ‚Kultur macht stark‘). Einige Programme (z.B. ‚Kulturagenten für kreative Schulen‘) forcieren diese Zielgruppe nicht bevorzugt und richten sich demnach an alle weiterführenden Schulformen. Es wäre beispielswese möglich in der Auswahlphase gezielt Haupt- und Realschulen anzusprechen oder Schulen in sozialen Brennpunkten bevorzugt zu fördern. Unabhängig von der durchaus wünschenswerten und berechtigten Forderung eines Erreichens aller Schüler mit solchen Programmen, scheint in Bezug auf den damit verbundenen Abbau von sozialer Ungleichheit durchaus auf Ebene der Effizienz der Zielerreichung eine Optimierung notwendig. Neben zahlreichen Evaluationen der Wirkung einzelner Programme1 bedürfen solche Überlegungen schließlich auch einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit der Zusammenarbeit von Kultureinrichtungen und Schulen, beispielsweise in Hinblick auf die Entwicklung von ‚Kulturschulen‘ (vgl. Braun et al. 2010).
1
Z.B. www.jeki-forschungsprogramm.de (20.01.2015).
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7.2.2 Förderung von Audience Development im Rahmen von Zielvereinbarungen Neben diesen auf langfristige Veränderungen der Voraussetzungen zielenden Maßnahmen kann durch kulturpolitische Setzungen auch kurz- und mittelfristig Einfluss auf die gegenwärtige kulturelle Teilhabe genommen werden. Wird die soziale Ungleichheit in der Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen als politisch veränderungswürdiges Problem wahrgenommen, so können öffentliche Geldgeber die Empfänger zu mehr teilhabefördernden Maßnahmen motivieren. In Kapitel 3 wurden Zielvereinbarungen als ein Instrument der politischen Steuerung vorgestellt, welches auch im öffentlich geförderten Kulturbetrieb möglich wäre und teilweise bereits eingesetzt wird. In einem Aushandlungsprozess zwischen Förderer und Gefördertem werden dabei neben finanziellen Absprachen auch inhaltliche Ziele vereinbart. Damit können öffentlich geförderte Kultureinrichtungen verbindlich zu einer Bearbeitung ihres Publikums im Sinne von Audience Development verpflichtet werden. Im Sinne der Grundidee von Zielvereinbarungen geht es dabei nicht darum, dass der Förderer konkrete operative Maßnahmen vorschlägt; dafür hätte er vermutlich auch gar nicht die fachliche Kompetenz. Vielmehr geht es darum, auf der strategischen Ebene die wesentliche Ausrichtung der Aktivitäten festzulegen. Im Kontext der Förderung kultureller Teilhabe im Rahmen eines betrieblichen Audience Developments werden die Zielvereinbarungen auf die quantitativ messbare qualitative Veränderung des Publikums ausgerichtet sein. Das bedeutet, dass bestimmte politisch relevante Zielgruppen in diesen Vereinbarungen benannt werden können, wie folgende Auswahl verdeutlicht: Gruppen, die sich durch die Besuchsfrequenz auszeichnen • • • •
Nie-Besucher: Personen, welche bisher überhaupt keine kulturellen Veranstaltungen wie z.B. Theater, Museen oder Konzerthäuser besucht haben Gelegenheitsbesucher: Personen, die nur selten kulturelle Veranstaltungen besuchen Erstbesucher: Personen, welche zum ersten Mal die konkrete Einrichtung besuchen Wieder-Besucher: Personen, welche z.B. im Einzugsgebiet einer Einrichtung wohnen, aber diese schon über einen längeren (zu definierenden) Zeitraum nicht mehr besucht haben
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Sozio-demografische Gruppen • •
•
Besucher mit einer bestimmten lokalen oder regionalen Herkunft, z.B. Bewohner eines bestimmten Stadtteils Besucher aus bestimmten Altersgruppen, insbesondere Kinder, Jugendliche oder Senioren, aber auch Familien mit kleinen Kindern oder Erwerbstätige mit hoher Arbeitsbelastung Besucher mit bestimmten sozio-demografischen Merkmalen, z.B. formal niedrigen Bildungsabschlüssen
Spezielle Zielgruppen • • • • •
Schüler bestimmter Schulformen Auszubildende oder Studierende bestimmter Fachrichtungen Bestimmte Berufsgruppen Menschen mit Behinderung Menschen mit Migrationshintergrund aus bestimmten Herkunftsregionen
Psychografische Gruppen •
Besucher, welche einem bestimmten Milieu zugeordnet werden
Welche Auswahl aus den aufgeführten Zielgruppen getroffen wird, ist abhängig von einer politischen Entscheidung. Es existiert kein normativer Automatismus, weshalb gerade eine Gruppe in den Bemühungen eines Audience Developments forciert werden sollte. Eine Benennung dieser Gruppen bedarf allerdings einer empirischen Erhebung des Status quo bezüglich des (prozentualen) Anteils der Zielgruppen in der Gesamtbevölkerung des Einzugsgebiets sowie im Publikum der geförderten Einrichtung. Diese statistischen Informationen sind notwendige Grundlage für die Planung und die spätere Überprüfung einer Veränderung des Publikums. Bestimmte sozio-demografische Merkmale der Gesamtbevölkerung sind über die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2008, 2013) oder über kommunale Verwaltungen relativ einfach einsehbar. Milieuspezifische Segmentierungen sind oft Teil kommerzieller Marktforschung und mit entsprechenden Kosten verbunden. Diesen Analysen folgt eine ebenfalls politische Entscheidung im Rahmen des Zielvereinbarungsprozesses, um welchen Prozentsatz der Anteil dieser Zielgruppe im Publikum in welchem Zeitraum wachsen soll. Diese Entscheidung ist immer von örtlichen Gegebenheiten abhängig, allerdings kann eine mögliche sozia-
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le Gleichheit im Publikum einer Einrichtung auch an der sozialen Diversifikation der Gesamtbevölkerung orientiert werden. Auch kann der Förderer Vergleichsdaten von anderen Einrichtungen im Sinne eines Benchmarkings zur Orientierung bereitstellen. Solche Zielvereinbarungen fördern also die quantitative Entwicklung von qualitativ ausgewählten Zielgruppen im Publikum. Vor dem Hintergrund der mehrfach dargestellten Herausforderungen auf methodischer Ebene der Zieldefinition und -kontrolle wird dafür plädiert, in kulturmanagerialen Zielvereinbarungen sich zuerst auf quantitativ-messbare verhaltensrelevante und sozio-demografische Merkmale des Outputs zu konzentrieren (vgl. Hennefeld 2013). Allerdings zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit, dass alle kulturpolitischen, kulturmanagerialen oder künstlerischen Aktivitäten der Förderung der kulturellen Teilhabe gerade einer Qualifizierung ihrer Ziele bedürfen. In Kapitel 2 wurden zwei Dimensionen von Teilhabe vorgeschlagen: Als Grundvoraussetzung für erfolgreiche Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen wurde ein statistisch messbares ‚dabei sein‘ benannt. Darüber hinaus wurden verschiedene politische, pädagogische, soziale und psychologische Normierungen aufgeführt, welche es erlauben, die Wirkung dieser Teilhabe auf Individuen und Gesellschaft zu messen. Die gesammelten verschiedenen Wirkungsintentionen kultureller Praxis haben jedoch alle ihre Berechtigung und auch aus der nichtbesucherorientierten empirischen Erhebung konnte keine verbindliche Norm der Qualität kultureller Teilhabe entwickelt werden. Allerdings zeigte der qualitative Blick auf die biografische Begegnung mit Theater, dass allein ein ‚dabei sein‘ noch lange nicht zu einem positiven Besuchserlebnis führen muss. Vielmehr besteht sogar die Gefahr, dass nicht erfolgreich rezipierte Theaterbesuche zu einer Frustration und einer Ablehnung führen. Am Beispiel von Theaterbesuchen kann diese Notwendigkeit der Qualifizierung des Teilhabebegriffs deutlich gemacht werden. In der Praxis von Zielvereinbarungen wurde bereits gefordert, dass diese verbindlich regeln, „dass alle Schüler […] zweimal pro Schuljahr Veranstaltungen“ (Irler 2006) in einem Theater besuchen sollen. Die qualitative Untersuchung solcher Theaterlebnisse der Gelegenheitsbesucher in ihrer Schulzeit hat aber deutlich gemacht, dass diese durchaus auch negativ konnotiert wurden: Sie wurden dann als Pflichtveranstaltungen empfunden, der Mehrwert der Bühnendarstellung blieb unklar, eine Neuinterpretation der klassischen Textvorlage wurde nicht verstanden und viele Leistungen des Theater wurden eher als störend empfunden. Eine Zielvereinbarung, die auf eine langfristige Förderung der kulturellen Teilhabe abzielt, muss daher diese statistische Dimension um eine qualitative erweitern.
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Die Frage nach Qualität kultureller Teilhabe kann im Rahmen dieser Arbeit nicht beantwortet werden. Sie ist immer abhängig von den Zielen der Kulturveranstalter, der Besucher oder der Forscher. Deshalb wird für die folgenden Handlungskonsequenzen vorgeschlagen, eine erfolgreiche Teilhabe an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen am ‚persönlich als gewinnbringend erlebten Besuch‘ festzumachen. Diese Definition delegiert die Notwendigkeit der Normierung an die Wahrnehmung des Besuchers. Diese kann durchaus unterschiedlich sein und soziale, intellektuelle, sinnliche oder psychologische Dimensionen annehmen. Es zählt allein, dass das Individuum einen Besuch selbst als gewinnbringend erlebt und nicht nur ‚absitzt‘. Diese Qualifizierung des Teilhabebegriffs kann Zielvereinbarungsprozesse auf inhaltlicher Ebene beeinflussen: Die Idee des ‚gewinnbringend erlebten Besuchs‘ kann alle Ziele und später auch alle betrieblichen Aktivitäten leiten. Beispielsweise können Theaterbesuche mit anderen Schulfächern angeregt werden, um auch Schüler anzusprechen, welche keine besondere Affinität zum Deutschunterricht haben. Auf methodischer Ebene ist diese Normierung zwar eine Herausforderung für die statistische Messung, jedoch nicht unmöglich. Allein die Probleme in der empirischen Überprüfung der Ziele können kein Argument gegen deren Qualifizierung sein, beispielsweise könnten diese durch eine kurze standardisierte Ausgangsbefragung ansatzweise validiert werden. Neben diesen die Zusammensetzung des Publikums betreffenden Zielen können auch weitere Themen in Zielvereinbarungen geregelt werden. Dies kann beispielsweise die personelle und finanzielle Ausstattung von Vermittlungsabteilungen oder Stellen für Audience Development betreffen. Auch können in Zielvereinbarungen personalpolitische Richtungen vorgegeben werden. Bei der Besetzung von Leitungsfunktionen können Veränderungen initiiert werden, indem z.B. theaterpädagogische Erfahrungen für Intendanten oder Kulturvermittlungskompetenzen für Museumsleitungen als relevante Kriterien benannt werden.
7.3 K ONSEQUENZEN FÜR
DAS
AUDIENCE D EVELOPMENT
Das erweiterte Modell der Nicht-Besucherforschung konnte verdeutlichen, dass der Handlungsspielraum zur Gewinnung von Nicht-Besuchern durch klassische kulturmanageriale Aktivitäten recht eingeschränkt ist. Mit Instrumenten aus Marketing oder Kulturvermittlung im engeren Sinn können zum einen gewisse Barrieren abgebaut, zum anderen Rezeptionsstrategien angeregt werden. Das Modell hat allerdings deutlich gemacht, dass diesen Schritten die Existenz von Verwirklichungschancen vorausgehen muss. Auf der Teilebene der Nicht-Besu-
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cherforschung als Barrierenforschung ist ersichtlich, dass einige objektbedingte Barrieren wie z.B. mangelhafte Informationen oder unpassende Distributionsverfahren unmittelbar abbaubar sind und eine Wirkung auch recht schnell ersichtlich ist. Die subjektbedingten Barrieren, deren Wirkung den objektbedingten vorausgeht, sind hingegen nur mittel- und langfristig abbaubar. Dazu zählen insbesondere fehlende Zeit, fehlende Begleitung oder ein negatives Image. Zudem liegen diese subjektiv wahrgenommenen besuchsverhindernden Phänomene nicht ausschließlich im Handlungsbereich einer einzelnen Einrichtung. Initiiert eine einzelne Einrichtung dennoch einen Abbau, beispielsweise ihres ‚verstaubten‘ Images, so kann das Ergebnis durchaus in dadurch angeregten Besuchen liegen, es ist aber nicht gewährleistet, dass eben die eigene Einrichtung besucht wird (und nicht die Konkurrenz). 7.3.1 Nicht-Besucherforschung Nicht-Besucherforschung ist Grundlage von Audience Development. Das bedeutet, dass jedem managerialen Handeln eine empirische Analyse des Ist-Zustandes vorausgeht. Ein Kulturbetrieb wird daher vor Ort empirische Forschung als Grundlage für alle strategischen und später auch operativen Entscheidungen durchführen. Neben bestehenden Datenquellen z.B. aus CRM- oder Kassensystemen kann dies auch durch empirische Primärerhebungen erfolgen (vgl. Koch und Renz 2013). Verbreitet sind vor allem auf Befragungen aufbauende Besucherstrukturanalysen. Diese Erhebungen sind kein Selbstzweck, sondern ermitteln den Anteil bestimmter Gruppen im eigenen Publikum. Deren Auswahl kann sich durch Vorgaben aus den Zielvereinbarungen sowie durch den Abgleich mit den Strukturdaten der lokalen Bevölkerung ergeben oder basiert auf internen Entscheidungen, welche Gruppen für wichtig und zukünftig bearbeitungswert gehalten werden. Eine Besucherstrukturanalyse liefert lediglich Informationen für die Auswahl der zu bearbeitenden Zielgruppen. Zu einem späteren Zeitpunkt dient sie der Abbildung von veränderten Ergebnissen. Sie kann dann auch in nachgelagerten Schritten zur Evaluation einzelner Aktivitäten wie z.B. dem Abbau von objektbedingten Barrieren verwendet werden. 7.3.2 Strategische Auswahl der Zielgruppen Im Rahmen von Audience Development kann die Erkenntnis aus der Marketingforschung genutzt werden, dass die Ansprache neuer Besucher am effektivsten über möglichst homogene Teilgruppen erfolgt (vgl. Klein, A. 2001). Hintergrund für dieses Segmentmarketing bilden Veränderungen in der Gesellschaft, wie In-
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dividualisierungstendenzen, sowie die Zunahme der Angebote und damit verbunden die hohe Konkurrenz in der Auswahl der passenden Freizeitaktivitäten. Eine solche Segmentierung des Publikums in kleine Teilgruppen ermöglicht zielgruppengerechte Angebote. So spielt beispielsweise nur für bestimmte Gruppen von Menschen mit Migrationshintergrund die Kommunikation und Vermittlung der Angebote in ihrer Herkunftssprache eine Rolle. Die gruppenspezifischen Merkmale können sich aus den Vorgaben in den Zielvereinbarungen ergeben oder von der Kultureinrichtung selbst definiert werden: Neben verhaltensrelevanten Merkmalen (z.B. Erstbesucher, Nie-Besucher, Gelegenheitsbesucher) sind das aufgrund der Erkenntnisse dieser Arbeit vor allem bestimmte sozio-demografische Merkmale (z.B. Alter, Wohnort, Migrationshintergrund, Bildungsabschluss). Die Existenz von Verwirklichungschancen kann neben dem formalen Bildungsabschluss und bestimmten Merkmalen in der Sozialisation (z.B. Besuche mit den Eltern) vor allem über das Vorhandensein eines grundsätzlichen Interesses an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen ermittelt werden. Deutlich machen diese Ausführungen, dass Audience Development nicht als isolierter Funktionsbereich innerhalb einer Organisation agieren kann. Vielmehr bedarf diese strategische Fundierung einer Verortung aller Aktivitäten auch innerhalb der Leitungsebene. Der Auswahl der zukünftig zu bearbeitenden Zielgruppen anhand empirisch fundierter Informationen über die Struktur der eigenen Besucher folgen die Planung der Strategien (‚Mit welchen Strategien wollen wir die Gruppe erreichen?‘) sowie nachgelagert der operativen Instrumente (‚Mit welchen konkreten Instrumenten wollen wir die Gruppe erreichen?‘). Für die Bearbeitung von Nicht-Besuchern im Rahmen eines solchen Audience Developments scheint dann eine prinzipielle Trennung wichtig zu sein: Die Ansprache von Nie-Besuchern ohne existierende Verwirklichungschancen bedarf völlig anderer Strategien und Instrumente als die Ansprache von Gelegenheitsbesuchern. 7.3.3 Strategien für die Zielgruppe ohne Verwirklichungschancen Nicht-Besucher, welche über keine Verwirklichungschancen kultureller Teilhabe verfügen, hatten in ihrem Leben wenig bis keinen Kontakt zu öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen. Sie verfügen über kein Wissen zum Ablauf vor und während der Veranstaltung, sie kennen nicht den möglichen sozialen Mehrwert einer kollektiven Besuchserfahrung. Sie verbinden öffentlich geförderte Kulturveranstaltungen nicht mit ästhetischen Erfahrungen, haben kein fachliches Vorwissen über die Kunstwerke und verfügen somit auch über keine erprobten
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Rezeptionsstrategien. Es wird demnach nicht funktionieren, im Audience Development Instrumente einzusetzen, welche eben diese Verwirklichungschancen voraussetzen. Deutlich wurde beispielsweise, dass allein der Abbau des Eintrittspreises bei bestimmten Zielgruppen noch keine Besuchsaktivität nach sich zieht. Auch die Übersetzung von Informationsmaterialien in die Herkunftssprache bestimmter Zielgruppen wird nicht allein zu Besuchen führen, wenn eben die entsprechenden Verwirklichungschancen erst gar nicht existieren. Die im o.g. Nicht-Besuchermodell nachgelagerten Aktivitäten wie der Abbau objektbedingter Barrieren bleiben bei dieser Zielgruppe demnach wirkungslos. Audience Development welches diese Zielgruppe für Kunst und Kultur gewinnen möchte, leistet somit einen Beitrag zum Abbau sozialer Ungleichheit. Es unterscheidet sich von Angeboten der sozialen Arbeit durch den hohen Stellenwert der künstlerischen Erfahrung. Allerdings bedarf diese auch einer guten Hinführung. Auch wenn diese Zielgruppe über die quantitative Analyse hinaus im Rahmen dieser Arbeit nicht weitergehend untersucht wurde, zeigen die Evaluationen verschiedener Best-Practice-Projekte (z.B. Arts Council England 2006, DCMS 2007, Mandel 2008, 2013), dass sich einige Strategien als besonders erfolgversprechend herauskristallisierten, welche exemplarisch genannt werden können: •
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Outreach-Strategie: Ursprünglich wurde diese Strategie von US-amerikanischen Museen entwickelt. Durch Verlassen der eigenen Räume begibt sich die Kultureinrichtung in den Lebensraum der Zielgruppe. In Dortmund hat das örtliche Theater beispielsweise seinen klassischen Bühnenraum verlassen und mit ‚Crashtest Nordstadt‘2 eine Theaterinszenierung für und mit Bewohnern eines eher nicht-theateraffinen Stadtteils geschaffen (vgl. Mandel 2013). Ambassador-Strategie: Unter anderem in Großbritannien wurden zur Ansprache von Zielgruppen mit Migrationshintergrund erfolgreich KulturBotschafter eingesetzt. Diese meist professionellen oder semi-professionellen Vermittler sind sowohl in der ‚Community‘ der jeweiligen Zielgruppe, als auch im Kulturbetrieb verwurzelt bzw. vernetzt. Sie nutzen verschiedene Methoden der Kulturvermittlung. Diese Strategie basiert auf dem Potenzial von Einzelpersonen als Verbindung schaffendes Element (vgl. Jennings 2003). Kooperations-Strategie: Ausgehend von der Einsicht, mit den eigenen Ressourcen die anvisierten Zielgruppen nicht befriedigend zu erreichen, suchen Kultureinrichtungen Kooperationspartner. Diese finden sie meistens in Organisationen oder Einrichtungen innerhalb der Zielgruppen. Diese Strategie Vgl. www.crashtest-nordtstadt.de (12.03.2015).
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setzt auf den Mehrwert, der durch Zusammenarbeit entsteht. Allerdings ist bei solchen von einer Partei initiierten Kooperationen zu bedenken, dass diese dann ‚auf Augenhöhe‘ stattfinden muss und nicht ein Partner zum Dienstleister degradiert wird. In Deutschland basiert das Programm ‚Kulturagenten für kreative Schulen‘ seit 2011 auf diesem Kooperationsgedanken zwischen allgemeinbildenden Schulen und Künstlern oder Kultureinrichtungen. In England war das ähnliche Programm ‚Creative Partnerships‘ bereits ab 2002 eine der wichtigsten überregionalen Aktivitäten im Rahmen der neuen Kulturpolitik unter New Labour. Partizipations-Strategie: Mehrfach empirisch bestätigt ist das Potenzial der eigenen aktiven Kunstproduktion als Schlüssel zur Kunstrezeption (vgl. Keuchel 2006, Keuchel und Larue 2012). Diese Strategie basiert auf dem Wirkungszusammenhang, dass Menschen die z.B. selbst Theater spielen dadurch auch Interesse für den Besuch anderer Theatervorstellungen entwickeln. Eines der ersten und größten Beispiele für ein partizipatives Projekt einer klassischen Kultureinrichtung in Deutschland wurde 2003 von Simon Rattle – bemerkenswerterweise einem britischen Künstler – bei den Berliner Philharmonikern initiiert: Mehr als 250 Schüler aus unterschiedlichen Schulformen tanzten zu Stravinskys ‚Sacre du printemps‘. Vor allem der dabei entstandene Film ‚Rhythm is it‘3 führte zu einer breiten und populären Rezeption dieses Formats (vgl. Brüggemann 2004). Vermittlungs-Strategie: Allen genannten Strategien ist gemein, dass die Hinführung, die eigentliche Rezeption sowie die Nachbereitung durch eine persönliche Vermittlung unterstützt werden. Die Besuchserfahrung ist dann kein anonymes Erlebnis, sondern wird mit bestimmten Personen verbunden. Diese Strategie basiert im Grunde auf der Annahme, dass jeder für einen entsprechenden Besuch zu begeistern ist, wenn er nur von jemand anderem dazu eingeladen bzw. motiviert wird. Institutionalisiert wurde diese Strategie beispielsweise in Deutschland von bürgerschaftlich organisierten ‚Kulturlogen‘, welche nicht verkaufte Restkarten von Kulturveranstaltungen sammeln und an Menschen mit geringem Einkommen weiterleiten. Als wesentlicher Erfolgsfaktor wurde die persönliche Vermittlung durch ein Telefonat ermittelt (vgl. Renz und Mandel 2011, Renz 2013).
Diese Strategien können organisierte Besuche von Menschen ohne Verwirklichungschancen initiieren, inwieweit dadurch auch Interesse an selbständigen Besuchen geweckt wird, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Deutlich wurde, dass solche Aktivitäten das klassische Angebot einer Kultureinrichtung verändern. 3
Vgl. www.rhythmisist.com (12.03.2015).
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Der traditionelle Theater- oder Museumsbesuch ist in diesen Strategien lediglich ein Teil eines Gesamtpakets und kann somit nicht in den Routinen des bisherigen Arbeitsalltags von Kultureinrichtungen stattfinden. So ist es möglich, dass eine Partizipations-Strategie im Theater zu einer völlig neuen Art der Produktion führt, bei welcher z.B. die Bühnendarstellung vor Publikum am Abend gar keine Rolle mehr spielt. Bei diesen Strategien wird angenommen, dass dadurch auch Erlebnis- und Lerneffekte angestoßen werden, welche ein Interesse an öffentlich geförderten Kulturveranstaltungen nach sich ziehen. Dann wurden zumindest temporär Verwirklichungschancen geschaffen und es greifen die nächsten Schritte des Modells der Nicht-Besucherforschung: Nun werden wie bei den Gelegenheitsbesuchern die Senkung der den Kaufentscheidungsprozess unterbrechenden Barrieren sowie selbständige Rezeptionserfahrungen wichtig. 7.3.4 Strategien für die Zielgruppe der Gelegenheitsbesucher Hilfreich für eine Annäherung an die Zielgruppe der Gelegenheitsbesucher können in der kulturmanagerialen Praxis sogenannte Besuchertypen sein. Mit ‚Marketing-Personas‘ nach Alan Cooper (1999) existieren beispielsweise Methoden, wie solche konstruierten und durchaus heuristischen Typen Grundlage der strategischen Zielgruppenauswahl sein können oder auch im Verlauf des MarketingManagementprozesses immer wieder als Kontrolle aller Aktivitäten genutzt werden: Dann wird die Frage gestellt, wie die verschiedenen Typen auf betriebliche Aktivitäten wie z.B. neue Programme reagieren würden. Aus den qualitativen Interviews in Kapitel 6 könnten beispielsweise Gelegenheitsbesuchertypen entwickelt werden. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass bestimmte Merkmale in abgrenzbaren Typen verdichtet wiedergegeben werden können. Exemplarisch und ohne Anspruch auf Repräsentativität werden daher aus dem qualitativen Material aus Kapitel 6 zwei Gelegenheitsbesuchertypen skizziert:
Der Zufallsbesucher Der Zufallsbesucher verfügt über quantitativ sehr wenig Besuchserfahrung. Durch das Elternhaus wurden keine Theaterbesuche initiiert, die wenigen Schulbesuche erfolgten in qualitativer Hinsicht ohne persönlichen Gewinn und wurden eher als Zwang empfunden. Eine besonders beeindruckende Vorstellung hat der Zufallsbesucher noch nie erlebt. Er ist in eher ländlichen Regionen mit geringer Theaterinfrastruktur aufgewachsen und zählt zur ersten
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Generation in seiner Familie, welche ein Hochschulstudium absolviert hat. Tendenziell handelt es sich dabei um technische und nicht geistes- oder sozialwissenschaftliche Fachrichtungen. Der Zufallsbesucher hatte oder hat keine künstlerischen Hobbies (z.B. Instrumente spielen, Bücher lesen) und auch keine positiven Erfahrungen mit der Interpretation von mehrdeutiger Kunst verschiedener Sparten. Sein Verhältnis zum Theater ist neutral, er würde allerdings nie von sich aus auf die Idee kommen, ein solches zu besuchen. Wenn der Zufallsbesucher ins Theater geht, dann wird er mitgenommen: Am ehesten vom Lebenspartner oder von der Lebenspartnerin, als Single auch von Freunden. Das Theater ist in seiner erweiterten Lebenswelt an sich präsent, z.B. durch das Interesse im formal hoch gebildeten Bekannten- oder Kollegenkreis. Die Bezugspersonen seiner engeren Lebenswelt zeigen allerdings ebenfalls kein besonders ausgeprägtes Theaterbesuchsverhalten, was auf ähnliche Sozialisationsbedingungen und gemeinsame Interessen zurückzuführen ist. Demnach werden bei den seltenen Besuchen keine klassischen oder modernen Inszenierungen, sondern bevorzugt populäre Theaterstücke wie z.B. Krimis, Komödien oder Musicals besucht. Diese bedürfen keiner Interpretation verschiedener Bühnenmittel und keines Fachwissens über einen Theaterstoff. Sie entsprechen dem gemeinsamen Interesse der Besuchergruppe. Der Zufallsbesucher solcher leichter Kost verfügt über wenig Wissen zu Angebot, Arten und stilistischer Ausprägung des Theaters. Durch die geringe Besuchserfahrung und die Konzentration auf leichte Kost entsteht eine eher konservative Erwartungshaltung an das Theater. In der Folge wird das Verstehen der Handlung zur zentralen Rezeptionsstrategie. Die Auswahl eines Theaterbesuchs steht in einer gleichberechtigten Reihe alternativer Freizeitangebote. Dem Theater wird dabei kein exklusiver Mehrwert zugeschrieben, z.B. als prädestinierter Ort für gesellschaftlich relevante Themen. Ästhetische und intellektuelle Zugänge spielen demnach keine Rolle in der Rezeption. Die soziale Dimension des Theaterbesuchs im Sinne der Pflege der persönlichen Beziehungen hat den höchsten Stellenwert. Mögliche Distinktionseffekte im Sinne einer Herstellung gesellschaftlicher Integration sind für den Zufallsbesucher nicht relevant.
Der bedauernde Abstinente Diesem Typ ist es fast schon peinlich, dass er über keine Besuchserfahrungen in der jüngeren Vergangenheit berichten kann. Eigentlich verfügt dieser be-
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dauernde Abstinente über die besten teilhabefördernden Voraussetzungen: Seine Eltern führten ihn mit gemeinsamen Besuchen zum Theater hin und auch durch die Schule wurden positiv erlebte Besuche initiiert. Er hatte in Kindheit und Jugend künstlerische Hobbies, vielleicht sogar selbst Theater gespielt und in vielen Formaten und Momenten einen Mehrwert der persönlichen Auseinandersetzung mit Kunst erfahren. Allerdings hat es dieser Typ nach Beendigung seiner Ausbildung nicht geschafft, das Theater in die nächste Lebensphase ‚mitzunehmen‘. Wesentliche Einflussfaktoren für diese radikal ablassenden Theaterbesuche liegen im Umzug in ein neues Umfeld und dem damit verbundenen Wegbrechen bisheriger sozialer Beziehungen, in der Belastung durch Aufnahme einer Erwerbsarbeit sowie vor allem in der Festigung einer Beziehung zu einem Partner oder einer Partnerin, welche das Interesse am Theater nicht teilt. Verstärkt wird eine Abnahme der Besuche dann zudem durch den Beginn des Familienlebens mit eigenen kleinen Kindern. Der Einfluss des Partners kann dabei unterschiedlich sein: Ein Partner ohne Interesse an Kulturveranstaltungen initiiert dann auch keine Besuche. Durch einen an anderen Sparten interessierten Partner können aber auch Besuche initiiert werden, welche allerdings nicht ins Theater, sondern beispielsweise in Konzerte oder Museen führen. Dementsprechend werden in der Partnerschaft auch wenig soziale Effekte im Theater erlebt, mögliche Funktionen der Herstellung gesellschaftlicher Integration oder der Erfüllung von Prestigebedürfnissen finden an anderen Orten statt. Der bedauernde Abstinente kann durch neue spartenübergreifende Formate zum Theater ‚zurückkehren‘. Auch können Besuche mit Bezugspersonen aus seiner Vergangenheit (z.B. Eltern, ältere Freundschaften) erfolgen.
Die folgenden Ausführungen beziehen sich nun auf Gelegenheitsbesucher, welche über Verwirklichungschancen verfügen. Die vorgestellten Strategien werden aus den empirischen Erkenntnissen aus Kapitel 5 und 6 entwickelt. Es werden also Handlungspotenziale der Marketingpolitiken, der Kulturvermittlung im engeren Sinn sowie der künstlerischen Produktion beleuchtet und auch an diesen zwei Beispieltypen dargestellt.
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7.3.4.1 Kulturmarketing Preispolitik Die quantitativen und qualitativen Analysen lassen den Schluss zu, dass der Eintrittspreis keine besuchsverhindernde Barriere für Gelegenheitsbesucher darstellt, mit Ausnahme von finanzschwachen Zielgruppen (z.B. Empfänger von ALG II, Studierende). Zwar werden die Kosten für Besuche kultureller Veranstaltungen in quantitativen Erhebungen als Barriere benannt, verschiedene tiefergehende Ausführungen zeigten aber, dass es sich überwiegend um eine ‚vorgeschobene‘ Barriere handelt. Es herrscht zum einen eine Preisunkenntnis, zum anderen werden die Kosten überschätzt. Der Vergleich mit anderen Freizeitaktivtäten wie z.B. dem Besuch kommerzieller Musicals zeigt, dass die Bereitschaft auch hohe Preise zu bezahlen durchaus vorhanden ist. Die Bewertung des Eintrittspreises ist allerdings so subjektiv, dass eine verallgemeinerbare Aussage, etwa mit absoluten Zahlen, nicht möglich ist. Der qualitative Blick hat zudem deutlich gemacht, dass der Preis für den Besuch einer kulturellen Veranstaltung immer nur als Teil eines Gesamtausgabenpakets für die Freizeitgestaltung wahrgenommen wird. Es wird daher keine nicht-besucherorientierte Preispolitik empfohlen, da die Höhe der Eintrittspreise bestehende Kaufentscheidungsprozesse nicht unterbrechen. Ausnahmen betreffen die Zielgruppe von Menschen mit geringem Einkommen sowie teure Einzelveranstaltungen, wie z.B. Festivalaufführungen. Allerdings scheint die Kommunikation der tatsächlichen Preise am wichtigsten zu sein. Die vermeintliche Barriere der Eintrittspreise, welche in den quantitativen Studien deutlich wurde, ist eben auch auf ein Hochpreisimage öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen zurückzuführen. Es ist daher eher eine Aufgabe der Kommunikationspolitik, dieses Image zu verändern. Die Teilzielgruppe der Gelegenheitsbesucher welche Kulturveranstaltungen im Rahmen von Städte- und Urlaubsreisen besuchen, kann hingegen mit einer Premiumpreisstrategie bearbeitet werden. Beispielsweise kann für den skizzierten ‚Zufallsbesucher‘ ein Theaterbesuch mit Exklusivität im Rahmen von Restaurantbesuchen und Hotelübernachtungen verbunden und entsprechende besondere Angebote entwickelt werden. Dem hohen Stellenwert der Begleitung für Gelegenheitsbesucher kann darüber hinaus mit Preismodellen begegnet werden: Der „bedauernde Abstinente“ wird ein Theater immer mit der Lebenspartnerin oder dem Lebenspartner besuchen. Beispielsweise können Partnercards oder andere zwei Karten begünstigende Angebote diesem Besuchsverhalten entgegenkommen.
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Distributionspolitik Die Analyse der bestehenden quantitativen Erkenntnisse über mögliche Barrieren in der Distribution der Produkte, also in Bezug auf die Frage wie die Besucher zu den Angeboten kommen, ergab nur wenige Ergebnisse. Allerdings konnte die qualitative Verdichtung dieses Defizit beheben. Vor allem in früheren Zeiten war der Kartenkauf mit Schwierigkeiten verbunden. Gegenwärtig bezieht sich der Anspruch von Gelegenheitsbesuchern vor allem auf einen möglichst spontanen Kartenkauf. Eine lange Vorplanung kann zur Barriere werden und entsprechend zeitnah zum Besuch soll der Kartenkauf erfolgen können. Bei Kulturveranstaltungen ohne feste Spielzeiten wie z.B. Museen oder Galerien scheint das kein Problem zu sein. Für Veranstaltungen mit festgelegten Anfangszeiten und Platzkarten wie z.B. Theater stellen vor allem die zunehmenden Möglichkeiten der Online-Distribution ein Angebot für diese Ansprüche dar. Das problemlose, anmeldungsfreie und direkt bezahlbare Kaufen von Eintrittskarten im Internet kann Probleme beim Kartenkauf als Barriere eigentlich verhindern. Das Abonnement als klassisches distributionspolitisches Instrument der Theater und Konzerthäuser wird von jüngeren Zielgruppen nicht mehr geschätzt, sondern vielmehr mit einem negativen Image verbunden. Denkbar ist bei der Zielgruppe der ‚bedauernden Abstinenten‘ eine Überführung des Abos in einfache Bindungsinstrumente, bei welchen allein die Preisreduzierung im Mittelpunkt steht (z.B. ‚3 mal zahlen, 4 mal besuchen‘), die sozialen Effekte sowie die zeitliche Gebundenheit eines Abonnements aber keine Rolle mehr spielen. Kommunikationspolitik Der hohe Stellenwert der persönlichen Empfehlung für die Besuchsentscheidung der Gelegenheitsbesucher kann auch im Rahmen der Kommunikationsmaßnahmen genutzt werden. Diese Art von Empfehlungsmarketing baut dann auf der Strategie auf, bestehende Besucher zu motivieren anderen von ihren Besuchen zu berichten und damit persönliche Empfehlungen auszusprechen. Durch Anreizsysteme (z.B. Prämien für Besucherakquise) können bestehende Besucher sogar dazu aufgefordert werden, beim nächsten Besuch neue Besucher mitzubringen. Strategisch ist es zudem sinnvoll, die soziale Dimension des Besuchs kultureller Veranstaltungen zu betonen und den damit verbundenen Mehrwert für die persönliche Beziehungspflege herauszustellen. Auf Ebene der Informationsbeschaffung im Rahmen eines Kaufentscheidungsprozesses wurde deutlich, dass die von den Kultureinrichtungen zur Verfügung gestellten Informationen nicht immer den Bedürfnissen der Gelegen-
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heitsbesucher genügen. Dies bedarf einer inhaltlichen Trennung der Medien innerhalb der Kommunikationspolitik in Einzelsegmente, beispielsweise Kritiken und Breitenwerbung: Die aufgeführten Ergebnisse zeigen, dass bisher angenommene Schwerpunkte in feuilletonistischen Bereichen der Kommunikationsarbeit von Kultureinrichtungen für die Ansprache von Gelegenheitsbesuchern tendenziell ungeeignet sind. Diese werden z.B. von ‚Zufallsbesuchern‘ gar nicht wahrgenommen und ihnen ist auch die hohe Subjektivität einer klassischen Theaterkritik nicht bekannt. Von Seiten der Kultureinrichtungen kann deshalb eine Strategie der möglichst vielfältigen Information verfolgt werden, um die mit dem Kauf verbundenen Risiken in der Wahrnehmung der Gelegenheitsbesucher zu minimieren. So können beispielsweise auf eigenen Onlinekanälen verschiedene Sachinformationen zum eigenen Angebot bereit gestellt werden. Im Theater könnten das z.B. kurze und ausführliche Inhaltsbeschreibungen, Bilder der verschiedenen Bühnenmittel oder Filmtrailer leisten. Zudem können externe Wertungen und Kritiken gesammelt und zur Verfügung gestellt werden. Schließlich kann eine solche Informationsstrategie auch eine Beschreibung der Attribute des Kunsterlebnisses beinhalten, beispielsweise kann herausgestellt werden ob eine Theaterinszenierung eher unterhaltsam oder zum Nachdenken anregend ist. Dadurch können auch Enttäuschungen verringert werden, wenn beispielsweise theaterunerfahrene ‚Zufallsbesucher‘ mit Kommunikationsbegriffen wie ‚Komödie‘ eine bestimmte Art der Unterhaltung verbinden, diese dann aber im Theaterbesuche so nicht rezipieren. Service- und Nebenproduktpolitik Die Service- und Nebenproduktpolitik betrifft alle Strategien, welche das eigentliche Produkt betreffen, aber nicht in der Kernleistung des Kunstwerks liegen. Im Falle des Besuchs öffentlich geförderter Kultureinrichtungen betrifft das z.B. den Zeitpunkt oder die Rahmung der Veranstaltung. Wie dargestellt können schlechte Service- und Nebenleistungen bei Gelegenheitsbesuchern zukünftige Besuche verhindern. Die Anfangs- bzw. Öffnungszeiten können strategisch an der wahrgenommenen hohen körperlichen und geistigen Belastung durch die Erwerbsarbeit orientiert werden: Abendliche Aktivitäten unter der Woche von ‚bedauernden Abstinenten‘ bedürfen zum einen einer regenerativen Pause zwischen Ende der Arbeitszeit und Beginn der Aktivität, zum anderen dürfen diese nicht zu spät enden. Dies führt dazu, dass die Dauer entsprechender Aktivitäten eher begrenzt ist und folglich z.B. lange Vorstellungen nicht den Bedürfnissen dieser Gelegenheitsbesucher entgegen kommen. Die Dauer einer Aktivität ist auch an den hohen sozialen Stellenwert des Besuchs einer kulturellen Veranstal-
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tung geknüpft. Vor allem Gelegenheitsbesucher wie der ‚Zufallsbesucher‘ verbinden mit solchen Besuchen auch Kommunikation und in der Folge Pflege von Beziehungen. Sind diese im Rahmen eines stillen Rezeptionsprozesses nur im Anschluss möglich, so kann das auch einer früheren Anfangszeit bedürfen. Diese soziale Dimension kann sich auch in einer kommunikationsfördernden Strategie der Gestaltung der Räume niederschlagen. Beispielsweise können dies in Museen Cafés, in Theatern Sitzgelegenheiten im Foyer fördern. Diese Rahmenbedingungen können auch eine ungezwungenere Atmosphäre evozieren, welche von Gelegenheitsbesuchern beispielsweise im Kino geschätzt wird. Möglich wären auch unterschiedliche Angebote für die jeweiligen Zielgruppen, beispielsweise im Theater eine Sektbar mit dezenter Pianomusik für das ältere Kernpublikum sowie eine modernere Lounge für jüngere Zielgruppen. Aus den Ansprüchen der verschiedenen Lebensphasen der Gelegenheitsbesucher können ebenfalls Strategien und Instrumente entwickelt werden: Dem Rückgang von Besuchen bei ‚bedauernden Abstinenten‘ mit kleinen Kindern könnte mit Angeboten am Sonntagnachmittag mit kürzerer Dauer und Kleinkindbetreuung begegnet werden, ein studentisches Publikum könnte mit Strategien der Kombination des Kernangebotes mit Partys bearbeitet werden und Besucher, welche sich in der Phase der Festigung der Partnerschaft befinden, könnten beispielsweise Angebote in ‚Love-Seats‘ zu Vorführungen mit entsprechender Thematik gemacht werden. 7.3.4.2 Kulturvermittlung im engeren Sinn Kulturvermittlung umfasst wie dargestellt durchaus auch Maßnahmen des Kulturmarketings oder sogar der Kulturpolitik. Im Rahmen dieses Buchs wird Kulturvermittlung allerdings im engeren Sinn als Kunstvermittlung verstanden, welche auf Ebene der subjektiven Rezeption „Verständnis für die präsentierte Kunst und Kultur“ (Mandel 2013: 139) fördert. Im Rahmen des Modells der NichtBesucherforschung wird also davon ausgegangen, dass andere vorgelagerte Aktivitäten die Besucher in die Einrichtung gebracht haben und es jetzt im Handlungsfeld der Kulturvermittlung liegt, einen persönlich gewinnbringenden Besuch zu initiieren. Dies ist insofern wichtig, da die qualitative Darstellung des Rezeptionsprozesses gezeigt hat, dass Gelegenheitsbesucher eben nicht immer über eigene Rezeptionsstrategien zur erfolgreichen Aneignung des Kunstwerks verfügen. Vielmehr wurde deutlich, dass unvermittelte und nicht verstandene Auseinandersetzungen mit Kunstwerken im Rahmen von Besuchen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen zu Frustration führen können. Die Darstellung solcher nicht
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als gewinnbringend erlebten Besuche im Rahmen von Ausflügen mit Schulklassen haben die Notwendigkeit der Integration entsprechender rezeptionsfördernder Angebote in alle Maßnahmen des Audience Developments deutlich gemacht: Es genügt eben nicht, die Gelegenheitsbesucher in die Einrichtungen zu ‚locken‘ und dann davon auszugehen, dass diese – ähnlich wie besuchserfahrene Kernbesucher – sich das Kunstwerk schon selbst aneignen werden. Aus den Ergebnissen der empirischen Nicht-Besucherforschung sind zwei strategische Ausrichtungen der Kulturvermittlungsangebote ableitbar: Zum einen bedarf es der Integration von Kulturvermittlung in die Kernleistungen eines Besuchs einer öffentlich geförderten Kultureinrichtung. Zum anderen können solche Angebote inhaltlich an den Rezeptionsvoraussetzungen der Gelegenheitsbesucher orientiert werden. Rezeptionsanregende Kulturvermittlungsangebote sind Gelegenheitsbesuchern nicht immer bekannt, ein potenzieller Nutzen wurde somit bisher noch nicht unbedingt erlebt. Ein ‚Zufallsbesucher‘ versteht solche Angebote nicht als elementaren Teil der Kernleistungen öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen. Beispielsweise werden Einführungsgespräche im Theater nicht immer auf der Eintrittskarte kommuniziert oder Audio Guides im Museum nur gegen eine zusätzliche Gebühr angeboten. Strategisch kann es sich also eine Kultureinrichtung zur Aufgabe machen, jedem Gelegenheitsbesucher Anregungen zur Rezeption der Kunstwerke zumindest offensiv anzubieten bzw. sicherzustellen, dass die Besucher diese bewusst auswählen können. Dies wird auch auf eine gewisse ‚Aufdringlichkeit‘ der Kulturvermittlung hinauslaufen, denn es kann nicht erwartet werden, dass diese Zielgruppe entsprechende Angebote offensiv einfordert. Die Angebote zur Anregung der persönlichen Rezeption können dann vor (z.B. durch einführende Matineen), während (z.B. durch personelle Führungen) oder nach (z.B. durch Nachgespräche) der eigentlichen Begegnung mit dem Kunstwerk in das Leistungsangebt der Kultureinrichtung integriert werden. Selbstverständlich beinhaltet eine solche Angebotsstrategie auch die Möglichkeit für erfahrenere ‚bedauernde Abstinente‘, die Anregungen abzulehnen und sich auf eigene Rezeptionsstrategien zu verlassen. Bezüglich des Zeitpunkts scheinen der unmittelbaren Begegnung mit dem Kunstwerk nachgelagerte Kulturvermittlungsangebote insofern problematisch zu sein, dass diese zumindest temporär bei besuchsunerfahrenen ‚Zufallsbesuchern‘ eine Frustration nicht verhindern können, beispielsweise wenn die Vermittlung erst nach dem Theaterbesuch beginnt. In der qualitativen Verdichtung wurde nun deutlich gemacht, welche Rezeptionsstrategien Gelegenheitsbesucher bei einem Theaterbesuch einsetzen: Das ‚Verstehen-wollen‘ der Handlung im Sinne des Theaterstoffs ist wesentliche Grundlage der persönlichen Begegnung von Gelegenheitsbesuchern mit der
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Bühnendarstellung. Ein Besuch wird von ‚Zufallsbesuchern‘ abschließend positiv bewertet, wenn die Geschichte verstanden wurde. Beinhaltet eine Theaterinszenierung nun Elemente, welche über diese Rezeptionsstrategie erfahrbar sind, so können Kulturvermittlungsangebote eben ein solches Handlungsverständnis fördern. Dies wird beispielweise in der Regel von Programmheften geleistet, welche Sachinformationen zu Autor und Handlung beinhalten. Allerdings gehört zur Kernleistung der Bühnendarstellung mehr als nur die Ebene der Wiedergabe der Handlung. Vor allem die Interpretation des Theaterstoffs durch Dramaturgie und Regie macht neben der Live-Darstellung ein wesentliches Merkmal von Theater aus. Kulturvermittlung kann nun versuchen auch die Rezeption dieser Ebenen anzuregen. Auf kognitiver Ebene betrifft das vor allem eine intellektuelle Dekodierung der verfremdeten Zeichen, wie z.B. Requisiten, Kostüme aber auch Darstellung durch die Schauspieler. Das kann zum Beispiel auf der Bereitstellung von Sachinformationen im Sinne einer Dechiffrierung basieren. Es sind aber auch nur anregende und nicht komplett erklärende Formate denkbar, wie beispielsweise eine Erläuterung der grundsätzlichen Herangehensweise der Regie im Vorfeld der Vorstellung. Auf sinnlicher Ebene können die subjektive Wahrnehmung und das ästhetische Erfahren der Kunst, wie z.B. des Lichteinsatzes, der Theatermusik oder der Bewegungen, angeregt werden. Am Beispiel des Theaters wurde die damit verbundene Diskrepanz zwischen Erwartungshaltung und Angebot deutlich: Gelegenheitsbesucher ohne ausgeprägte Besuchserfahrung wie der oben illustrierte ‚Zufallsbesucher‘ verbinden eine solche Mehrdeutigkeit der Bühnenmittel nicht unbedingt mit einem Mehrwert, sondern erleben z.B. die Modernisierung eines historischen Theaterstoffs als störend. Es liegt dann im Handlungsspielraum des Theaters, dass Vermittlungsangebote eine persönlich gewinnbringende Auseinandersetzung mit diesem Phänomen sicherstellen und damit eine Brücke zwischen Besucher und Theatermacher bauen. Auch in anderen Sparten wie beispielsweise Kunstmuseen kann davon ausgegangen werden, dass Gelegenheitsbesucher ähnliche Rezeptionsstrategien einsetzen. Das ‚Verstehen-wollen‘ kann auch auf moderne bildende Kunstwerke angewendet werden und intellektuelles Verstehen oder sinnliche Wahrnehmung können mit Vermittlungsangeboten gefördert werden. 7.3.4.3 Künstlerische Produktion Im Gegensatz zu anderen managerialen Instrumenten beinhaltet Audience Development auch die Gestaltung künstlerischer Programme und Produkte. Mehrfach wurde in der Analyse der Nicht-Besucher deutlich, dass deren Aktivierung nicht nur eine Veränderung der Rahmenbedingungen, sondern auch der Kunstwerke
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an sich bedarf. Sowohl im quantitativen als auch im qualitativen Blick wurde deutlich, dass bestimmte Sparten und künstlerische Formate insofern populärer als andere sind, da sie den wahrgenommenen Ansprüchen der Gelegenheitsbesucher eher entsprechen. Im Theater sind das Inszenierungen, welche sich quasi selbst vermitteln. Die Handlung ist dann ohne notwendige weitere Informationen oder Anregungen nachvollziehbar und eine mögliche Dekodierung theatraler Zeichen ist keine zwangsläufige Voraussetzung für eine gewinnbringende Rezeption bzw. kollidiert zumindest nicht mit den Ansprüchen beispielsweise der ‚Zufallsbesucher‘. Im Theater betrifft das vor allem Genres wie z.B. Krimis, Komödien, Musicals, aber auch stellenweise bekannte Klassiker der Literaturgeschichte. Eine strategische Ausrichtung der Angebote an der Zielgruppe dieser Gelegenheitsbesucher wird dementsprechende Inszenierungen in die Spielplangestaltung integrieren. In Museen betrifft das beispielsweise populäre Sonderausstellungen, welche mit weniger Fachwissen rezipierbar sind und auch z.B. durch praktische Aneignung der Exponate erlebbar werden. Solche populären Formate dienen dann durchaus auch als Einstiegsangebot in die jeweilige Sparte, welchem weitere Besuche auch abstrakterer Formate folgen können. Nach dem vorigen Teilkapitel wäre auch eine Sicherstellung der Vermittlungsleistungen und damit verbunden der persönlich gewinnbringenden Rezeption bei gleichzeitiger Nicht-Veränderung der Programme und Produkte denkbar. Kulturvermittlung wäre dann das ‚Ass‘ im Ärmel der Kultureinrichtungen für noch so abstrakte Kunstwerke. Allerdings zeigen die Ergebnisse der biografischen Forschung, dass vor allem in der Zeit der Arbeitsphase Gelegenheitsbesucher ihrer Freizeitgestaltung einen hohen Regenerationsanspruch zuweisen. Daraus resultiert für abendliche Aktivitäten auch an Wochenenden ein Bedürfnis nach Unterhaltung. Dies kann mit dem Angebot einer öffentlich geförderten Kulturveranstaltung kollidieren, wenn dieses einer zu hohen geistigen Auseinandersetzung bedarf, die durchaus von kulturvermittelnden Angeboten initiiert wird. Möglich wäre aber eine Strategie, welche gerade nicht intellektuelle Rezeptionszugänge vermittelt, sondern vielmehr auf Genuss und sinnliche Wahrnehmung setzt. Dies könnte den Regenerationsansprüchen der Gelegenheitsbesucher in ihrer Freizeitgestaltung entsprechend. Die qualitative Analyse des Rezeptionsprozesses hat zudem deutlich gemacht, dass einige Merkmale einen Bruch mit einer eher konservativen Erwartungshaltung schaffen und daher auch strategisch zur Ansprache der Zielgruppe der Gelegenheitsbesucher genutzt werden können: Die Veränderung des Ortes der Kulturveranstaltungen – weg von klassischen, mit einem bestimmten Image versehenden Gebäuden, hin zu ungewöhnlichen Aufführungsorten – kann in Verbindung mit einem veränderten Präsentationsformat wie z.B. spektakuläre
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Live-Erlebnisse und authentische Bühnendarstellungen eine unvoreingenommene Rezeption fördern. Bestimmte Formate werden auch von einem bestimmten Publikum dominiert. Am Beispiel der Wahrnehmung des Publikums wurde deutlich, dass bestimmte Typen von Gelegenheitsbesuchern sich dem Kernpublikum klassischer Theatervorstellung nicht zugehörig fühlen. Neben einer Abgrenzung über das Alter erfolgt dies vor allem über den Habitus und das damit verbundene Herkunftsmilieu des Kernpublikums. Daraus wurde geschlossen, dass zumindest das klassische Stadt- und Staatstheater seine Distinktionsfunktion als Ort gesellschaftlicher Abgrenzung und Integration für die meisten Gelegenheitsbesucher (wie z.B. für die oben skizzierten ‚Zufallsbesucher‘ und ‚bedauernden Abstinenten‘) verloren hat. Der Einfluss des Theatermanagements auf diese Phänomene ist eigentlich begrenzt. Allerdings kann über künstlerische Programme und Produkte auch Einfluss auf diese soziale Zusammensetzung des Publikums genommen werden. Beispielsweise können spartenübergreifende Angebote mit von Gelegenheitsbesuchern bevorzugten Kunstformen das Kernangebot erweitern.
7.4 AUSBLICK : AUDIENCE D EVELOPMENT ZWISCHEN R ANDGRUPPENASSIMILATION UND VERÄNDERTER P ROGRAMMPOLITIK Die Darstellung der Nicht-Besucherforschung konnte einen Beitrag zur Erklärung der sozial ungleich verteilten kulturellen Teilhabe in Deutschland leisten. Bevor daraus kulturpolitische oder kulturmanageriale Konsequenzen gezogen werden, können allein die quantitativen Zahlen und qualitativen Erklärungen helfen, diese Phänomene besser einzuschätzen. Solange diese soziale Ungleichheit nicht aus sozialpolitischen oder ökonomischen Gründen als abbauwürdig verstanden wird, muss dieser Status quo also auch akzeptiert werden. Soll jedoch vor dem Hintergrund des kulturpolitischen Dogmas von ‚Kultur für alle‘ „jeder Bürger […] grundsätzlich in die Lage versetzt werden, Angebote in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen“ (Hoffmann 1981: 29), bedarf es Veränderungen in der kulturpolitischen Förderung und im Management von Kultureinrichtungen. Deutlich wurde, dass allein durch eine Optimierung der Rahmenbedingungen diese Ziele nicht erreicht werden können. Vielmehr müssen künstlerische Programme und Produkte weiterentwickelt, traditionelle Präsentationsformate erneuert und schließlich Kultureinrichtungen an sich verändert werden, wenn Hoffmanns ‚reale Utopie‘ zumindest zum erstrebenswerten Leitbild des Kulturbetriebs werden soll. Positionen, wel-
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che solche Maßnahmen mit dem Hinweis auf einen illegitimen Eingriff in die Kunstfreiheit ablehnen, akzeptieren damit auch den damit unveränderbaren Status quo der sozialen Ungleichheit im Publikum öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen. Durch die theoretische Verortung der Nicht-Besucherforschung als soziale Ungleichheitsforschung wurde deutlich, dass der Handlungsspielraum von einzelnen Kultureinrichtungen ein Stück weit beschränkt ist. Die Förderung von Verwirklichungschancen im Sinne des Teilhabekonzepts von Amartya Sen liegt im Aktionsradius der Kulturpolitik: Unabhängig von einzelnen Kultureinrichtungen kann diese langfristig Einfluss auf die Verwirklichungschancen für kulturelle Teilhabe nehmen. Durch die Förderung kultureller Bildung und persönlich gewinnbringenden Besuchserfahrungen in Kindheit und Jugend können zukünftigen Generationen die positiven Wirkungen kultureller Praxis nähergebracht werden. Deutlich wurde aber auch, dass diese Themen in ihrer Gesamtheit den Handlungsspielraum der Kulturpolitik übersteigen und vielmehr im Verantwortungsbereich der Sozial- und Bildungspolitik liegen. Öffentlich geförderte Kultureinrichtungen können dann kurz- und mittelfristig einen Beitrag zum Abbau sozialer Ungleichheit leisten, um ein eigenes, sozial diverseres Publikum zu entwickeln. Dies bedarf allerdings einer umfassenden Unternehmensstrategie und kann nicht an einzelne isolierte Funktionsbereiche innerhalb der Organisation ausgelagert werden. Für Nicht-Besucher ohne Verwirklichungschancen bedarf es dabei Formate, welche die gängigen Routinen der Kultureinrichtungen verändern werden. Die skizzierten Strategien wie z.B. die Outreach-Konzepte führen zu veränderten Funktionen der öffentlich geförderten Einrichtungen: Wenn ein Stadttheater beispielsweise nicht mehr in seiner klassischen Spielstätte mit seinem Stammensemble abendlich wechselnde Vorstellungen aufführt, sondern in ausgewählten Stadtteilen mit partizipativen Performances in die Lebenswelt ihrer neuen Zielgruppen eintaucht, entspricht das nicht mehr dem klassischen Betrieb und dessen Funktionen. Das Stadttheater wird in diesem Beispiel mindestens zum Stadtteilarbeiter, vielleicht zum Stadtentwickler oder sogar zum mobilen sozio-kulturellen Zentrum. Möglich wäre es, solche Praktiken als neue, zusätzliche Aktivitäten von öffentlich geförderten Kultureinrichtungen zu verstehen, mit welchen neben einem klassischen ‚weiter so‘ der eigentlichen Arbeit, das aktuell sozial- und kulturpolitisch motivierte ‚Soll‘ an sozialen Aktivitäten erfüllt werden würde. Bestenfalls würden diese neuen Zielgruppen im Sinne einer reproduktiven Strategie (vgl. Institute for Art Education 2009-2012) als netter Nebeneffekt auch noch ein potenziell zukünftiges Publikum für die eigentlichen Kernleistungen der Einrichtung stellen.
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Eine darüber hinausgehende Auseinandersetzung mit Gelegenheitsbesuchern, welche durchaus auch aus ökonomischen Gründen erfolgen kann, zeigt dann, wie es möglich ist, dass sich die traditionelle Kernleistung öffentlich geförderter Kultureinrichtungen durch neue Zielgruppen nach und nach verändert. Am Beispiel der Ansprüche der Gelegenheitsbesucher von Theatern wurde deutlich, dass diese mit routinierten Formaten und optimierten Rahmenbedingungen zwar angesprochen werden können, eine wirkliche Integration der „Menschen in der Mitte der Gesellschaft“ (Schmidt 2013: 207) allerdings zu einer nachhaltigen Veränderung der Theaterroutinen führen wird. Die Gelegenheitsbesucher sind somit auch der Schlüssel zu allen Nicht-Besuchern. Durch die Hinwendung einer Kultureinrichtung zu Gelegenheitsbesuchern kann diese ihr Angebot lernend langsam erweitern, ohne ihr Kerngeschäft radikal und kurzfristig verändern zu müssen. Dies kann in einer Mischung aus populären Angeboten und dem Ausbau der Vermittlungsaktivitäten erfolgen. Allerdings lassen sich diese Strategien nicht auf alle Sparten und Formate übertragen, wie auch Susanne Keuchel als Konsequenz ihrer Besucherstudien deutlich macht: „Man sollte die Tatsache akzeptieren, dass sich einige Spartenangebote nicht für breite Bevölkerungsgruppen popularisieren lassen.“ (Keuchel 2003: 289)
In der Folge kann es also im Rahmen von Segmentmarketing ein bestimmtes Angebot für die Ansprüche der Gelegenheitsbesucher geben, welches neben dem Angebot für das Kernpublikum koexistiert. Eine solche Bearbeitung mehrerer Segmente scheint also auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht die bewährte Strategie für die Ansprache von Nicht-Besuchern zu sein. In größeren öffentlich geförderten Theatern ist dies beispielsweise bei unterschiedlichen Sparten unter einer Dachmarke bereits der Fall. Verschiedenen Anspruchsgruppen werden spezielle Angebote gemacht: Das klassische Kernpublikum schaut sich die Klassikerinszenierung im Großen Haus an, für die Populärinteressierten gibt es Musical im Kleinen Haus und für Sparteninteressierte wird eine atonale zeitgenössische Oper in der kleinsten Nebenspielstätte aufgeführt. Welche Auswirkungen haben solche Segmentierungen allerdings auf die Gesamtheit des Publikums und auf den durchaus berechtigen Anspruch öffentlich geförderter Kulturveranstaltungen als Orte sozialer Integration? Hier können sozialwissenschaftliche Überlegungen weiterhelfen: Das bloße Bereitstellen eines Angebots für verschiedene Zielgruppen mag zwar im Sinne von Segmentmarketing unumgänglich sein, es entspricht aber einer „unkritischen Leseart“ (Bartelheimer 2007: 7) sozialstaatlichen oder pädagogischen Handelns. Aus dieser Perspektive wäre es ein veraltetes Konzept, wenn beispielsweise Nicht-Besucher
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ohne Verwirklichungschancen im Sinne von Assimilation oder ‚inklusiver Exklusion‘ (vgl. Stoffers 2015) als soziale Randgruppe durch segmentorientierte Angebote einfach an das Kernpublikum angegliedert werden würden. Audience Development mit dem Ziel sozialer Integration bildet nicht nur die soziale Diversität des Publikums im Sinne der Summe der einzelnen Segmente oder Sparten ab, sondern ist tatsächlich im Zuschauerraum einer einzelnen Veranstaltung zu finden. Im Sinne der Aussagen in den qualitativen Interviews trifft sich dort dann die „Rotweintrinkerfraktion kurz vor der Pensionierung“ (Interviewpartner 8) mit den „Muttis oder Vatis“ die sich sonst „zu Hause vor dem Fernsehen die Chips reindonnern“ (Interviewpartner 3). Es bedarf dann auch einer Diskussion darüber, inwieweit segmentierende Merkmale an sich zu einer Verfestigung der potenziellen gesellschaftlichen Stigmatisierung der einzelnen Zielgruppen beitragen und von einzelnen Akteuren durchaus ‚gut gemeinte‘ Maßnahmen von einem gesamtgesellschaftlichen Standpunkt betrachtet eher kontraproduktiv sind. Die operative Umsetzung solcher integrativen Strategien ist selbstverständlich nicht einfach. In Großbritannien wird beispielsweise unter dem Konzept der ‚embedded target groups‘ versucht, neben den spezifischen Angeboten für einzelne Zielgruppen deren Ansprüche und Themen vor allem in das allgemeine Angebot der Kultureinrichtung zu integrieren. Ein historisches Museum würde demnach beispielsweise keine Sonderausstellung zur Geschichte des Migrationshintergrunds der lokalen Bevölkerung machen, sondern diese Themen in die Dauerausstellung integrieren. Solche Überlegungen zum integrativen Potenzial von Audience Development betreffen stets auch das bereits existierende Publikum. Im Sinne von Pierre Bourdieus Theorie des Distinktionspotenzials von Kulturveranstaltungen stellt sich die Frage, inwieweit sich neue Zielgruppen in das bestehende Publikum integrieren (wollen) oder ob vielmehr dadurch ein neues Publikum entsteht. Wie sich beispielsweise das Kernpublikum entwickelt, wenn Besuche eben keine milieuspezifische Angelegenheit mehr sind, können letztlich nur empirische Langzeitstudien untersuchen (z.B. Keuchel und Larue 2012). Für öffentlich geförderte Kultureinrichtungen stellt sich die Frage, ob und wie sie auf diese Herausforderungen nach Ansprache neuer Zielgruppen im Sinne eines sozial ausgewogeneren Publikums reagieren und inwiefern sie bereit sind, sich selbst und ihre Angebote in Auseinandersetzung mit neuen Besuchern kritisch zu hinterfragen. Es besteht durchaus die Option, sich dem Zwang einer ‚Kultur für alle‘ und den damit einhergehenden beschriebenen Konsequenzen durch Selbstdefinition zu entziehen. Kultureinrichtungen klammern dann mögliche Ansprüche aus gesellschaftlichen oder ökonomischen Veränderungen aus dem Verständnis ihrer Arbeit einfach aus. Beispielsweise führen öffentlich ge-
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förderte Stadt- und Staatstheater dann ohne Zwänge von außen die selbst definierte Theatertradition weiter und akzeptieren damit eine Ungleichzeitigkeit zwischen ihrer eigenen Welt und der Welt der Gesellschaft. Dann ist das Theater auch weiterhin nur ein Ort der Selbstbestätigung einer gesellschaftlichen Elite und ob neue Besucher kommen oder auch nicht, spielt keine wesentliche Rolle. Alternativ können Theater und andere Kultureinrichtungen sich auch bewusst dafür entscheiden, Brücken zu bisherigen Nicht-Besuchern zu bauen. Dann ginge es darum, die Diskrepanz zwischen bewusst und berechtigt anstrengend, komplex und mehrdeutig gestalteter Kunst auf der Seite der Produzenten und den ebenfalls berechtigten Ansprüchen nach Unterhaltung und Erholung auf der Seite der Nicht-Besucher zu überbrücken. Dafür würden sich beispielsweise Theater in ihrem Selbstverständnis weiterentwickeln. Denn die grundsätzlichen Probleme einer Programmpolitik, welche nicht mit den erlernten Rezeptionserfahrungen und Freizeitansprüchen von Nicht- und Gelegenheitsbesuchern zusammenpasst, lassen sich nur bedingt im Rahmen von Marketing- und Vermittlungsmaßnahmen lösen. Am Ende solcher Entwicklungen wird vermutlich ein anderes Theater stehen, das mit anderen Inhalten, neuen Programmen und populären Kunstformen seine gesellschaftliche Relevanz und Attraktivität behauptet.
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Martin Tröndle Die reflexive Kulturorganisation Theorie und Praxis des integrierten Kulturmanagements (unter Mitarbeit von Julian Stahl) April 2016, ca. 220 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2918-7
Oliver Scheytt, Simone Raskob, Gabriele Willems (Hg.) Die Kulturimmobilie Planen – Bauen – Betreiben. Beispiele und Erfolgskonzepte März 2016, ca. 400 Seiten, kart., ca. 49,99 €, ISBN 978-3-8376-2981-1
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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive Januar 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,99 €, ISBN 978-3-8376-1291-2
Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung 2014, 480 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2297-3
Ina Roß Wie überlebe ich als Künstler? Eine Werkzeugkiste für alle, die sich selbst vermarkten wollen 2013, 192 Seiten, kart., zahlr. Abb., 19,80 €, ISBN 978-3-8376-2304-8
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Schriften zum Kultur- und Museumsmanagement Carsten Baumgarth, Berit Sandberg (Hg.) Handbuch Kunst-Unternehmens-Kooperationen Februar 2016, 476 Seiten, kart., zahlr. Abb., 39,99 €, ISBN 978-3-8376-3026-8
Nora Wegner Publikumsmagnet Sonderausstellung – Stiefkind Dauerausstellung? Erfolgsfaktoren einer zielgruppenorientierten Museumsarbeit September 2015, 300 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3229-3
Julia Hilgers-Sekowsky Kooperationen zwischen Museen Hemmnisse in der Zusammenarbeit und ihre Überwindung August 2015, 332 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3073-2
Siglinde Lang Partizipatives Kulturmanagement Interdisziplinäre Verhandlungen zwischen Kunst, Kultur und Öffentlichkeit Juli 2015, 242 Seiten, kart., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3083-1
Michaela Conen Strategisches Management in Museen Mit Change Management und Balanced Scorecard aktiv gestalten März 2015, 232 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2843-2
Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork4 Ein Konzept zur Förderung von Partizipation und Selbstorganisation in der Kultur-, Sozial- und Bildungsarbeit 2014, 350 Seiten, kart., zahlr. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2679-7
Susan Kamel, Christine Gerbich (Hg.) Experimentierfeld Museum Internationale Perspektiven auf Museum, Islam und Inklusion 2014, 482 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2380-2
Klaus Georg Koch Innovation in Kulturorganisationen Die Entfaltung unternehmerischen Handelns und die Kunst des Überlebens 2014, 398 Seiten, kart., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-2621-6
Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Theorie und Praxis der dialogischen Besucherführung 2013, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7
Lorraine Bluche, Christine Gerbich, Susan Kamel, Susanne Lanwerd, Frauke Miera (Hg.) NeuZugänge Museen, Sammlungen und Migration. Eine Laborausstellung 2013, 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2381-9
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