Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur: Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti 21.-24. Mai 2009, Leipzig 9783161501708, 3161501705

Die Erforschung der lebensweltlichen Rahmenbedingungen der Entstehung neutestamentlicher Schriften erfährt in den letzte

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Table of contents :
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Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Übergreifende Beiträge
ERIC M. MEYERS and CAROL MEYERS: The Material Culture of Late Hellenistic – Early Roman Palestinian Judaism: What It Can Tell Us about Earliest Christianity and the New Testament
1 Influence of Hellenism
2 Material Culture: Burial Practices
3 Other Aspects of Material Culture
4 Galilee in the Time of Jesus
5 Ancient Synagogues – pre-70 C.E.
6 Ancient Synagogues – post-70 C.E.
7 Qumran
8 Concluding Comment
ROLAND DEINES: Non-literary Sources for the Interpretation of the New Testament: Methodological Considerations and Case Studies Related to the Corpus Judaeo-Hellenisticum
1 Introduction
2 Non-literary artefacts as part of the Corpus Judaeo-Hellenisticum
3 From mere illustrations to exegetical necessities: artefacts as part of exegesis
4 Conclusion
REINHOLD SCHOLL: Licht aus dem Osten. Die Leipziger Papyrussammlung und die Erforschung des Neuen Testaments
1 Papyrusforschung allgemein und speziell in Leipzig in Geschichte, Gegenwart und Zukunft
2 Konstantin von Tischendorf, der Codex Sinaiticus und die Leipziger Papyri
3 Forschungsprojekte: Das Papyrusprojekt Halle-Jena-Leipzig, das Papyrusportal sowie Textmining und Papyri in eAQUA
Paarvorträge Archäologie und Alltagskultur
RENATE PILLINGER: Jüdische Alltagskultur in Ephesos und Umgebung im Spiegel der Denkmäler
JÖRG FREY: Das Johannesevangelium und seine Gemeinden im Kontext der jüdischen Diaspora Kleinasiens
1 Einleitung
2 Die kleinasiatische Diaspora als Kontext des Corpus Johanneum
3 Jüdische Präsenz und Identität in Kleinasien und im ephesinischen Raum
3.1 Kleinasien
3.2 Ephesus
3.3 Diasporajüdische Identität und die Anfänge der ephesinischen Gemeinde von Jesus-Nachfolgern
4 Die jüdische Matrix des johanneischen Denkens
4.1 Hinweise am Beginn der Erzählung und im Prolog
4.2 Vorausgesetzte Sachverhalte
4.3 Nähe und Distanz
5 Spuren diasporajüdischer Prägung in den Briefen und im Evangelium
5.1 Negative Befunde
5.2 Relikte jüdischer Speisehalacha und die Distanzierung vom paganen Kult
5.3 Das Ethos der gemeindlichen Solidarität
5.4 Die Universalisierung und Metaphorisierung des Tempelmotivs
6 Die politische Situation in der Diaspora nach dem Jahr 70 und die Separierung der johanneischen Gemeinden von der Diasporasynagoge
7 Jesus in der Diaspora der Griechen?
Architektur und Alltagskultur
ACHIM LICHTENBERGER: Zur Vorbildfunktion der Bauten Herodes' des Großen in Palästina
1 Peristylhäuser
2 Bäder
3 Opus reticulatum
4 Mosaiken
5 Schluss
RAINER RIESNER: Herodianische Architektur im Neuen Testament
1 Der herodianische Tempel im lukanischen Doppelwerk
2 Versammlungsräume der Urgemeinde in der Apostelgeschichte
3 Der Hohepriesterpalast und das Grab Jesu im Markus-Evangelium
4 Prophetengräber und -martyrien in zwei Jesus-Worten
5 Jerusalemer Architektur im Johannes-Evangelium
Namen und Identität
TAL ILAN: Jüdische Identität und die Namen von Juden in der Antike
DIETER SÄNGER: Sara, die Freie – unsere Mutter. Namenallegorese als Interpretament christlicher Identitätsbildung in Gal 4,21–31
1 Hinführung zum Thema
2 Gal 4,21–31 als ein Integral der argumentatio
3 Exegetische Vorklärungen
4 Die pragmatische Funktion der Allegorese
4.1 Metaphorische Kontrastierungen
4.2 Narrative Konstruktion christlicher Identität
5 Das Prophetenzitat Jes 54,1
6 Ergebnis
Alltagsethos und Epigraphik
WALTER AMELING: Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften. Zu den Voraussetzungen christlicher Mission in Kleinasien
KARL-WILHELM NIEBUHR: Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum. Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes
1 Jesuanisches Ethos im Jakobusbrief
2 Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos
2.1 Jüdische Inschriften aus Kleinasien
2.2 Christliche Inschriften aus Kleinasien
2.3 Pagane Beichtinschriften aus Kleinasien
3 Ergebnisse
Münzen als Ausdruck der politischen Alltagskultur
ADELA YARBRO COLLINS: Portraits of Rulers in the Book of Revelation
1 The beast from the sea and Nero
2 The legend of Nero’s return
3 Imperial cults in Revelation
4 The great whore, the city of Rome, and the goddess Roma
5 The whore as tyrant
6 The whore as the goddess Roma and a further connection with the moralist tradition
7 The destruction of the whore-city
8 Conclusion
Papyrusdokumente als Zeugnisse der Alltagskultur
PETER ARZT-GRABNER: Formen ethischer Weisungen in dokumentarischen Papyri unter besonderer Ausrichtung auf 1Tim und Tit
1 Hypomnemata
2 Private, geschäftliche und amtliche Briefe
3 Texte des antiken Schulunterrichts
4 Vereinssatzungen
5 Dokumente der (jüdischen) Politeumata
6 Kritische Überlegungen und Anfragen in Richtung 1Tim und Tit
JENS HERZER: Die Pastoralbriefe im Licht der dokumentarischen Papyri des hellenistischen Judentums
1 Methodische Überlegungen
2 Materiale Beobachtungen
2.1 Zu Form und Genre der Pastoralbriefe
2.2 Hypomnemata und mandata principis als Vergleichsmuster für den 1Tim und Tit
2.3 Zwei konkrete Beispiele: πíστις und διπλῆ τιμή
2.3.1 Πίστις
2.3.2 Διπλη τιμή
3 Schlussfolgerungen und Ausblick
Spuren hellenistisch-jüdischer Alltagskultur in Kleinasien
IRINA LEVINSKAYA: The Traces of Jewish Life in Asia Minor
JENS SCHRÖTER: Die jüdische Diaspora in der Apostelgeschichte
1 Das Diasporajudentum in der Geschichtstheologie des Lukas
2 Die jüdische Diaspora in Damaskus und Antiochia als Ausgangspunkt für die Entstehung christlicher Gemeinden
3 Die jüdische Diaspora in Zypern, Pisidien, Lykaonien und Pamphylien und die Anfänge der paulinischen Mission
4 Die jüdische Diaspora in Makedonien, Achaia und der Asia und die Entstehung christlicher Gemeinden
5 Fazit
Beiträge aus den Arbeitsgruppen
ANDREW CHESTER: Jewish Inscriptions and Jewish Life
1 Introduction
2 Jews and Civic Society
2.1 Jewish ‘Guilds’: Jews and public entertainment
2.2 Bestowing of honours by Jews
2.3 Jewish adoption of Greek customs
2.4 Jews holding civic office (or prominent position in society)
2.5 Jewish names, occupations and linguistic usage
3 Jews and Gentiles
3.1 Gentile contributions to the synagogue and the Jewish community
3.2 Proselytes and Godfearers
3.3 Jews and Gentiles: negative aspects
4 Jewish Life and Jewish Identity
4.1 Jewish festivals
4.2 The Synagogue
5 The Inscriptions and the New Testament
MARTIN MEISER: Reinheitsfragen und Begräbnissitten. Der Evangelist Markus als Zeuge der jüdischen Alltagskultur
1 Die Kontroverse um die Reinheitsfragen Mk 7,1–23
1.1 Essen mit unreinen Händen und die Waschung der Hände
1.2 Die Reinigung nach der Rückkehr vom Markt
1.3 Die Reinigung von Geräten
1.4 Die Reinigung von Liegen
1.5 „und alle Juden“
2 Die Erzählung über das Begräbnis Jesu Mk 15,42–47
2.1 Der Zeitpunkt der Grablegung
2.2 Die Freigabe des Leichnams eines Hingerichteten
2.3 Begräbnissitten
2.4 Grabanlagen
3 Ergebnisse
Autorenverzeichnis
Stellenregister
1 Bibel
1.1 Altes Testament (einschließlich Apokryphen)
1.2 Neues Testament
2 Frühjüdische Literatur
2.1 Philo von Alexandrien
2.2 Flavius Josephus
2.3 Jüdisch-hellenistische Literatur
2.5 Rabbinisches Schrifttum
3 Nichtliterarische Texte
3.1 Papyri
3.2 Inschriften
3.3 Ostraka
4 Griechische und römische Literatur
5 Antikes Christentum
Autorenregister
Sach- und Personenregister
Register griechischer Begriffe
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Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur: Wechselseitige Wahrnehmungen. III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti 21.-24. Mai 2009, Leipzig
 9783161501708, 3161501705

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Friedrich Avemarie (Marburg) Markus Bockmuehl (Oxford) James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL)

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Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur Wechselseitige Wahrnehmungen III. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti 21.–24. Mai 2009, Leipzig Herausgegeben von

Roland Deines, Jens Herzer und Karl-Wilhelm Niebuhr

Mohr Siebeck

Roland Deines, geboren 1961; Studium der evangelischen Theologie in Basel und Tübingen; 1997 Promotion; 2004 Habilitation; Professor für Neues Testament, Department of Theology and Religious Studies, University of Nottingham, UK. Jens Herzer, geboren 1963; Studium der evangelischen Theologie in Berlin; 1993 Promotion; 1997 Habilitation; Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig. Karl-Wilhelm Niebuhr, geboren 1956; Studium der evangelischen Theologie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg; 1986 Promotion; 1991 Habilitation; Professor für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

e-ISBN PDF 978-3-16-151563-7 ISBN 978-3-16-150170-8 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. d-nb.de abrufbar. © 2011 Mohr Siebeck Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Das III. Internationale Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (CJHNT) fand vom 21. bis 24. Mai 2009 in Leipzig statt. Nachdem die ersten beiden Symposien den literarischen Schriftenkorpora des Philo1 (2003 in Eisenach/Jena) bzw. des Josephus2 (2006 in Greifswald) gewidmet waren, stand die Leipziger Tagung im Zeichen der nichtliterarischen und materialen Kultur des hellenistischen Judentums und deren Bedeutung für die Erforschung des Neuen Testaments. Für das Leipziger Symposium war nicht nur das 600. Gründungsjubiläum der hiesigen Alma Mater ein willkommener äußerer Rahmen. Insbesondere hat auch die Erforschung der antiken Alltagskultur in Leipzig Tradition, insofern in den Altertumswissenschaften Papyrologie und Epigraphik einen großen Stellenwert einnehmen und weit über die regionalen Grenzen hinaus durch das von Leipzig aus verantwortete Gemeinschaftsprojekt des Papyrus-Portals3 bekannt sind. Die Mitwirkung der Leipziger Papyrologie am Symposium ist daher an dieser Stelle besonders hervorzuheben, namentlich die Beteiligung des Kollegen Reinhold Scholl, der nicht zuletzt maßgeblich an der Realisierung des Projektes der virtuellen Zusammenführung des Codex Sinaiticus4 beteiligt war und im Rahmen des öffentlichen Vortrages auf dem Symposium einen lebendigen Einblick in die Arbeit der Leipziger Papyrologie gegeben hat. Der Begriff der Alltagskultur als Thema des Symposiums ist allerdings in einem umfassenden Sinn zu verstehen. Die in dem vorliegenden Band dokumentierten Beiträge des Symposiums umspannen den gesamten Bereich jener nichtliterarischen Zeugnisse, die in besonderer Weise den Alltag der Menschen prägen: von Architektur und Baukultur bis hin zur 1 Roland Deines / Karl-Wilhelm Niebuhr (Hg.), Philo und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. I. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum (1.–4. Mai 2003, Eisenach/Jena), WUNT 172, Tübingen 2004. 2 Christfried Böttrich / Jens Herzer (Hg., unter Mitarbeit von Torsten Reiprich), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum (25.–28. Mai 2006, Greifswald), WUNT 209, Tübingen 2007. 3 Vgl. www.papyrusportal.de. 4 Vgl. www.codexsinaiticus.com/de/.

VI

Vorwort

Denkmalskultur, von Namensgebung bis Numismatik und Ikonographie, von Inschriften bis zu den Papyrusdokumenten des alltäglichen Lebens. Die grundlegend leitende Frage war dabei nicht nur diejenige nach dem Wert dieser Zeugnisse für das Verständnis der hellenistisch-jüdischen Alltagswelt, sondern vor allem im Blick auf das Verständnis neutestamentlicher Texte und Traditionen. Der Horizont der Fragestellung wird durch die den Band einführenden Beiträge von Eric und Carol Meyers (Duke University) sowie Roland Deines (University of Nottingham) anschaulich entfaltet. Das Grundanliegen prägte – wie schon in bewährter Weise in den vorangegangenen Symposien – die Struktur der Tagung: Wie der Untertitel des Bandes anzeigt, geht es um die wechselseitigen Wahrnehmungen, so dass einem Vortrag über die materialen Zeugnisse jeweils ein Korreferat aus neutestamentlicher Perspektive beigestellt wurde. Ergänzt wurde dieses Vortragsprogramm durch Arbeitsgruppen, in denen exemplarisches Material gelesen und diskutiert wurde. Diese wechselseitige Perspektive nimmt darüber hinaus das Grundanliegen des CJHNT-Projektes auf, konsequent interdisziplinär zu arbeiten und dadurch aktuelle Forschungen der benachbarten altertumswissenschaftlichen Disziplinen im unmittelbaren Fachdiskurs zu thematisieren und aufzunehmen. Beteiligt waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Bereichen der Althistorik, Archäologie, Papyrologie, Epigraphik, Numismatik, Gräzistik, Judaistik sowie der neutestamentlichen Forschung aus den USA, Großbritannien, Österreich, der Schweiz, Russland und Deutschland. Allen Referentinnen und Referenten, den Leitern der Arbeitsgruppen sowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern sei an dieser Stelle nochmals ausdrücklich für ihre Beiträge und den daraus sich ergebenden, ausgesprochen ertragreichen Diskurs gedankt. Dass es einer wissenschaftlichen Tagung nicht nur gut ansteht, durch Vorträge ein Themenspektrum zu erschließen, sondern darüber hinaus auch in Arbeitsgruppen genügend Gelegenheit zur gemeinsamen Forschungsarbeit zu geben, das hat diese Tagung und das Engagement aller Teilnehmenden erneut gezeigt. Der Fritz Thyssen Stiftung ist für die großzügige Finanzierung der Tagung zu danken. Ohne diese Förderung wäre ein solcher wissenschaftlicher Austausch nicht möglich. Unser Dank gilt darüber hinaus dem Verlag Mohr Siebeck, namentlich Herrn Henning Ziebritzki, der die Tagung nicht nur finanziell unterstützt hat, sondern auch – wie bereits bei den vergangenen Symposien – die Veröffentlichung des Tagungsbandes übernommen hat. Für die Herstellung des Manuskriptes danken die Herausgeber Herrn Ionu-Adrian Forga, der mit großer Akribie und Erfahrung diese Arbeit übernommen und das Autorenregister erstellt hat. Ihm zur Seite standen für das Lesen der Korrekturen Frau Claudia Tost und Herr Paulus Enke; Herr Sebastian Ziera hat die Stellen-, Sach- und Personenregister angefer-

Vorwort

VII

tigt. Ihnen sowie Frau Tanja Mix, der verantwortlichen Mitarbeiterin des Verlages Mohr Siebeck, sei ebenfalls herzlich für ihre sorgfältige Arbeit gedankt. Wie in den vorangegangenen Bänden werden auch in diesem Symposiumsband die im Rahmen des CJHNT-Projektes erarbeiteten Abkürzungen für die außerbiblischen Texte erneut abgedruckt, weil sie sich inzwischen bewährt haben und einen Standard innerhalb des Projektes darstellen, der auch darüber hinaus empfehlenswert ist. Leipzig, im März 2011

Für die Herausgeber Jens Herzer

Inhalt Vorwort .................................................................................................... V Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XIII

Übergreifende Beiträge ERIC M. MEYERS and CAROL MEYERS The Material Culture of Late Hellenistic – Early Roman Palestinian Judaism: What It Can Tell Us about Earliest Christianity and the New Testament ....................................................................... 3 ROLAND DEINES Non-literary Sources for the Interpretation of the New Testament: Methodological Considerations and Case Studies Related to the Corpus Judaeo-Hellenisticum ..................................... 25 REINHOLD SCHOLL Licht aus dem Osten. Die Leipziger Papyrussammlung und die Erforschung des Neuen Testaments ....................................... 67

Paarvorträge Archäologie und Alltagskultur RENATE PILLINGER Jüdische Alltagskultur in Ephesos und Umgebung im Spiegel der Denkmäler ................................................................. 85 JÖRG FREY Das Johannesevangelium und seine Gemeinden im Kontext der jüdischen Diaspora Kleinasiens ................................. 99

Architektur und Alltagskultur ACHIM LICHTENBERGER Zur Vorbildfunktion der Bauten Herodes des Großen in Palästina .... 133

X

Inhalt

RAINER RIESNER Herodianische Architektur im Neuen Testament .............................. 165

Namen und Identität TAL ILAN Jüdische Identität und die Namen von Juden in der Antike .............. 197 DIETER SÄNGER Sara, die Freie – unsere Mutter. Namenallegorese als Interpretament christlicher Identitätsbildung in Gal 4,21–31 ................................... 213

Alltagsethos und Epigraphik WALTER AMELING Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften. Zu den Voraussetzungen christlicher Mission in Kleinasien ............ 241 KARL-WILHELM NIEBUHR Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum. Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes ........................................................ 251

Münzen als Ausdruck der politischen Alltagskultur ADELA YARBRO COLLINS Portraits of Rulers in the Book of Revelation ................................... 275

Papyrusdokumente als Zeugnisse der Alltagskultur PETER ARZT-GRABNER Formen ethischer Weisungen in dokumentarischen Papyri unter besonderer Ausrichtung auf 1Tim und Tit ............................... 301 JENS HERZER Die Pastoralbriefe im Licht der dokumentarischen Papyri des hellenistischen Judentums .......................................................... 319

Inhalt

XI

Spuren hellenistisch-jüdischer Alltagskultur in Kleinasien IRINA LEVINSKAYA The Traces of Jewish Life in Asia Minor ......................................... 347 JENS SCHRÖTER Die jüdische Diaspora in der Apostelgeschichte ............................... 359

Beiträge aus den Arbeitsgruppen ANDREW CHESTER Jewish Inscriptions and Jewish Life ................................................. 383 MARTIN MEISER Reinheitsfragen und Begräbnissitten. Der Evangelist Markus als Zeuge der jüdischen Alltagskultur .............................................. 443 Autorenverzeichnis ............................................................................... 461 Stellenregister ....................................................................................... 463 Autorenregister ..................................................................................... 476 Sach- und Personenregister ................................................................... 486 Register griechischer Begriffe .............................................................. 493

Abkürzungsverzeichnis Die Abkürzungen folgen bei deutschen Beiträgen in der Regel S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 2. Auflage 1992. Biblische Bücher sowie Qumran-Texte werden hier nach dem Abkürzungsverzeichnis des Werkes Religion in Geschichte und Gegenwart, hg. v. H. D. Betz u.a., Bd. 1, Tübingen 4. Auflage 1998, abgekürzt. Für englische Beiträge gelten die Regeln des SBL Handbook of Style. Abweichende Abkürzungen, die nur in einem Beitrag vorkommen, werden an Ort und Stelle aufgelöst. Darüber hinaus finden folgende Abkürzungen Verwendung: 1 Abkürzungen in deutschen Beiträgen, die im Abkürzungsverzeichnis nach RGG4 fehlen: ABG AJEC Anton. ArtB BAZ BWM ECNT FiE IstMitt JGS JRA PCPhS

Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte Ancient Judaism and Early Christianity (Fortsetzung von: Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums) Antonianum. Periodicum philosophico-theologicum trimestre, Rom The Art Bulletin Biblische Archäologie und Zeitgeschichte Bibelwissenschaftliche Monographien Baker Exegetical Commentary on the New Testament Forschungen in Ephesos Istanbuler Mitteilungen Journal of Glass Studies Journal of Roman Archaeology Proceedings of the Cambridge Philological Society

2 Abbreviations used in English contributions not to be found in The SBL Handbook of Style ADPV AJEC BAR JRASup SCI ECNT LCL OEANE

Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins Ancient Judaism and Early Christianity (formerly Arbeiten zur Geschichte des antiken Judentums und des Urchristentums) British Archaeological Reports Journal of Roman Archaeology Supplementary Series Scripta Classica Israelica Baker Exegetical Commentary on the New Testament Loeb Classical Library The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East

XIV NEAEHL TAVO.B SBF.CMa SBF.CMi SPag

Abkürzungsverzeichnis The New Encyclopedia of Archaeological Excavations in the Holy Land Tübinger Atlas des Vorderen Orient, Beiheft (supplement) Studium Biblicum Franciscanum (Jerusalem), Collectio major Studium Biblicum Franciscanum (Jerusalem), Collectio minor Sacra Pagina

3 Abkürzungen des CJHNT 3.1 Frühjüdische Schriften 3.1.1 Philo A. Gesetzesauslegung, Expositio legis Opif Abr Jos VitMos Decal SpecLeg Virt Praem Praem 79–126 Praem 127–172

De opificio mundi / Über die Weltschöpfung De Abrahamo / Über Abraham De Josepho / Über Josef De vita Mosis I–II / Über das Leben Moses De decalogo / Über den Dekalog De specialibus legibus I–IV / Über die Einzelgesetze De virtutibus / Über die Tugenden De praemiis et poenis / Über die Belohnungen und Strafen auch: De Benedictionibus / Über die Segnungen auch: De Exsecrationibus / Über die Flüche

B. Allegorischer Kommentar LegAll Cher Sacr Det Post Gig Imm Agr Plant Ebr Sobr Conf Migr Her Congr

Legum allegoriae I–III / Allegorische Erklärung der Gesetze (zu Gen 2,4–3,19) De Cherubim / Über die Cherubim (zu Gen 3,19–4,1) De sacrificiis Abelis et Caini / Über die Opfer Abels und Kains (zu Gen 4,2–4) Quod deterius potiori insidiari soleat / Über die Nachstellungen die das Schlechtere dem Besseren bereitet (zu Gen 4,8–15) De posteritate Caini / Über die Nachkommen Kains (zu Gen 4,16–25) De gigantibus / Über die Riesen (zu Gen 6,1–4) Quod deus sit immutabilis / Über die Unveränderlichkeit Gottes (zu Gen 6,4–12) De agricultura / Über die Landwirtschaft (zu Gen 9,20) De plantatione / Über die Pflanzung (Noahs) (zu Gen 9,20) De ebrietate / Über die Trunkenheit (zu Gen 9,21) De sobrietate / Über die Nüchternheit (zu Gen 9,21–24) De confusione linguarum / Über die Verwirrung der Sprachen (zu Gen 11,1–9) De migratione Abrahami / Über die Wanderung Abrahams (zu Gen 12,1–4.6) Quis rerum divinarum heres sit / Über den Erben des Göttlichen (zu Gen 15,2–18) De congressu eruditionis gratia / Über das Zusammenleben der Allgemeinbildung wegen (zu Gen 16,1–6a)

Abkürzungsverzeichnis Fug Mut Deo Somn

XV

De fuga et inventione / Über die Flucht und das Finden (zu Gen 16,6b–9.11–14) De mutatione nominum / Über die Namensänderung (zu Gen 17,1–5.15–22) De Deo / Über die Gottesbezeichnung „wohltätig verzehrendes Feuer“ (nur arm., Siegert 1980) (zu Gen 18,2) De somniis I–II / Über die Träume (zu Gen 28/31/37/41)

C. Fragen und Antworten, Quaestiones et solutiones QuaestGen QuaestEx

Quaestiones in Genesim I–IV / Fragen zur Genesis (nur arm.) (zu Gen 2,4–28,9) Quaestiones in Exodum I–II / Fragen zu Exodus (nur arm.) (zu Ex 12,12–23; 20,25–28,38)

D. Historisches und apologetische Schriften Flacc LegGai VitCont Hypoth

In Flaccum / Gegen Flaccus Legatio ad Gaium / Gesandtschaft an Gajus De vita contemplativa / Über das betrachtende Leben Hypothetika bzw. Apologia pro Judaeis (fragmentarisch bei Euseb, PraepEv VIII 6,1–9; 7,1–20; 11,1–18)

E. Philosophische Abhandlungen Prob Prov Aet Anim

Quod omnis probus liber sit / Über die Freiheit des Tüchtigen De providentia I–II / Über die Vorsehung De aeternitate / Über die Unvergänglichkeit der Welt De animalibus / Über die Tiere (nur arm.)

3.1.2 Josephus Bell I–VII Ant I–XX Vita Ap I–II

De Bello Judaico / Über den Jüdische Krieg Antiquitates Judaicae / Jüdische Altertümer Vita Josephi / Selbstbiographie Contra Apionem / Gegen Apion

3.1.3 Sonstige jüdisch-hellenistische Schriften (aufgelistet sind hier auch die sogenannten Apokryphen des LXX-Kanons, die eigentlich den biblischen Schriften zugehören) Achik ApkAbr ApkAdam ApkDan grApkDan syrApkDan ApkElia koptApkElia hebrApkElia ApkEsra (ApkMos) ApkSedr

Achikar Apokalypse Abrahams Apokalypse Adams Apokalypse Daniels Griechische Apokalypse Daniels / Griech. Daniel-Diegese (Berger 1976) Syrische Daniel-Apokalypse (Henze 2001) Apokalypse Elias Koptische Apokalypse Elias (Steindorff 1899) Hebräische Apokalypse Elias (Jellinek, Bet ha Midrasch) Griechische Apokalypse Esras (Apokalypse des Mose) siehe grLAE Apokalypse Sedrachs

XVI ApkZef (ApkZos) ApokrEz ApokrPs AristExeg AristobExeg Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 ArtapHist Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 (AssMos) 1Bar 2Bar 3Bar gr3Bar slav3Bar 4Bar DemetrChron Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 Frg. 6 EldMod EpArist EpJer 3Esra 4Esra 5Esra 6Esra EupolHist Frg. 1A1 Frg. 1B Frg. 2A Frg. 2B Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5

Abkürzungsverzeichnis Apokalypse Zefanjas (Apokalypse des Zosimos) siehe HistRech Apokryphon Ezechiel Apokryphe Psalmen Davids (auch: syrische Psalmen Davids) Aristeas der Exeget (bei Euseb, PraepEv IX 25,1–4) (AristExeg 1 etc. verweist auf Euseb, PraepEv IX 25,1) Aristobulos der Exeget Euseb, HistEccl VII 32,16–18 Euseb, PraepEv VIII 9,38–10,17 (Frg. 2 10,3 verweist auf Euseb, PraepEv VIII 10,3) Euseb, PraepEv XIII 12,1–2 Euseb, PraepEv XIII 13,3–8 Euseb, PraepEv XIII 12,9–16 Artapanus der Historiker Euseb, PraepEv IX 18,1 Euseb, PraepEv IX 23,1–4 (zur Zit.weise s. AristExeg) Euseb, PraepEv IX 27,1–37 (Assumptio Mosis) siehe TestMos Buch Baruch (LXX) Syrische Baruchapokalypse Griechische Baruchapokalypse Griechische Baruchapokalypse Slavische Baruchapokalypse 4 Baruch (= Paraleipomena Jeremiae bzw. Jeremiou) Demetrius der Chronograph (zur Zit.weise s. AristExeg) Euseb, PraepEv IX 19,4 Euseb, PraepEv IX 21,1–19 Euseb, PraepEv IX 29,1–3 Euseb, PraepEv IX 29,15 Euseb, PraepEv IX 29,16 ClemAlex, Strom I 21,141,1–2 Eldad und Modad Aristeasbrief Brief Jeremias (LXX, gelegentlich auch 1Bar 6) Apokryphes Buch Esra (LXX) Jüdische Apokalypse Esras = 4Esra 3–14 Christliche Apokalypse Esras = 4Esra 1–2 Christliche Apokalypse Esras = 4Esra 15–16 Eupolemos der Historiker ClemAlex, Strom I 23,153,4 Euseb, PraepEv IX 26,1 ClemAlex, Strom I 21,130,3 Euseb, PraepEv IX 30,1–34 Euseb, PraepEv IX 34,20 Euseb, PraepEv IX 39,2–5 ClemAlex, Strom I 21,141,4f

1 Die Unterscheidung der Fragmente in A und B erfolgt nach dem Vorbild von Holladay im Falle von differerierenden Parallelüberlieferungen.

Abkürzungsverzeichnis EzTrag 1Hen aethHen aramHen grHen 2Hen 3Hen HistJosef HistMelch HistRech JannJamb Jdt JosAs Jub KleodMalchHist A B KlimJak LAB LAE grLAE latLAE armLAE I armLAE II georgLAE slavLAE 1Makk 2Makk 3Makk 4Makk MartJes OdSal OrJak OrJosef OrMan OrSynag (ParJer) PhiloEpik Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4

2

XVII

Ezechiel der Tragiker (Auszüge bei Euseb, PraepEv IX 28f) Äthiopisches Henochbuch Äthiophische Überlieferung des 1Hen2 Aramäische Fragmente zum 1Hen (Milik 1976) Griechische Fragmente zum 1Hen (Black 1970) Slavisches Henochbuch Hebräisches Henochbuch Geschichte Josefs Geschichte Melchisedeks Geschichte der Rechabiter (auch: Apokalypse des Zosimos) Jannes und Jambres Judit (LXX) Josef und Asenet Jubiläen (auch: Leptogenesis) Kleodemos Malchas Zitat bei Josephus, Ant I 239–241 Zitat bei Euseb, PraepEv IX 20,2–4 (übernommen von Josephus) Klimax Jakobou / Leiter Jakobs Liber Antiquitatum Biblicarum (auch: Pseudo-Philo) Leben Adams und Evas Griechisches Leben Adams und Evas / Apokalypse des Mose Lateinisches Leben Adams und Evas (Meyer 1878) Armenisches Buch Adams (Preuschen 1900) Armenische Buße Adams (Stone 1981) Georgisches Leben Adams und Evas (Mahé 1981) Slavisches Leben Adams und Evas (Jagi 1883) 1 Makkabäer (LXX) 2 Makkabäer (LXX) 3 Makkabäer (LXX) 4 Makkabäer (LXX) Martyrium Jesajas (= Ascensio Jesaiae [AscJes] 1–5) Oden Salomos Oratio / Gebet Jakobs Oratio / Gebet Josefs Oratio / Gebet Manasses (LXX [Odae 12]) Hellenistische Synagogengebete (aus den Apostolischen Konstitutionen 7–8) (Paralipomena Jeremiae) siehe 4Bar Philo der Epiker (zur Zit.weise s. AristExeg) Euseb, PraepEv IX 20,1a3 Euseb, PraepEv IX 20,1b Euseb, PraepEv IX 24,1 Euseb, PraepEv IX 37,1

Sprachkürzel nur im Bedarfsfall zur Abgrenzung gegenüber der griechischen oder aramäischen Überlieferung, ansonsten steht 1Hen allein für die äthiopische Fassung. 3 Abweichende Zählung der Fragmente von Walter, JSHRZ IV/3, 148–153, in Übereinstimmung mit Holladay, indem jede Zitateinleitung als Markierung verwandt wird. Diese Erhöhung der Zahl der Fragmente erlaubt eine präzisere Zitation.

XVIII

Abkürzungsverzeichnis

Frg. 5 Frg. 6 PseudAisch 1–12

Euseb, PraepEv IX 37,2 Euseb, PraepEv IX 37,3 Gefälschte Aischylos-Verse (PseudJustin, Mon 2; ClemAlex, Strom V 131,1–3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 261f = Dram.-Gnom. I) PseudApoll 1–2 Gefälschtes Apollon-Orakel (Euseb, PraepEv IX 10,4; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 276 Nr. XVI) PseudDiph 1–3 Gefälschte Diphilos-Verse (PseudJustin, Mon 5 [irrtümlich Menandros zugeschrieben]; ClemAlex, Strom V 133,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 269f = Dram.-Gnom. VII) PseudEupolHist Pseudo-Eupolemos / Samaritanischer Anonymus Frg. 1 Euseb, PraepEv IX 17,2–9 Frg. 2 Euseb, PraepEv IX 18,2b PseudEurip Gefälschte Euripides-Verse 1,1–2 PseudJustin, Mon 2 [irrtümlich Philemon zugeschrieben]; ClemAlex, Protr 68,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 263 = Dram.-Gnom. III 2,11–20 ClemAlex, Strom V 75,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 265–267 = Dram.-Gnom. V 3,1–2 PseudJustin, Mon 3; ClemAlex, Strom V 121,1–3 [irrtümlich Diphilos zugeschrieben] ; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 270 = Dram.-Gnom. VIII PseudHekatHist I4 Pseudo-Hekataios I Frg. 1 Josephus, Ap I 183–205 Frg. 2 Josephus, Ap II 43 PseudHekatHist II Pseudo-Hekataios II5 Frg. 1 Josephus, Ant I 154–157 (fehlt bei Holladay) Frg. 2 Josephus, Ant I 161 (fehlt bei Holladay) Frg. 3 Josephus, Ant I 165 (fehlt bei Holladay) Frg. 4 ClemAlex, Strom V 113,1–2 (= Frg. 3 bei Holladay) PseudHesiod Gefälschte Hesiod-Verse 1,1–2 ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 271–273 = Siebener-Verse IX 2,1–2 ClemAlex, Protr 73,3; Strom V 112,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 275 = Weitere gefälschte Verse XV PseudHomer 1–4 Gefälschte Homer-Verse (ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 271–273 = Siebener-Verse X) PseudKallim 1–5 Gefälschte Kallimachos-Verse (ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 271–273 = Siebener-Verse XI) PseudMenand 1–24 Gefälschte Menander-Verse (PseudJustin, Mon 4 [irrtümlich Philemon zugeschrieben]; ClemAlex, Strom V 119–120; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 267–269 = Dram.-Gnom. VI) PseudMenandSyr Sprüche des syrischen Menander

4

Die Aufteilung der Hekataios-Fragmente in der Forschung ist umstritten, wobei zwischen einem und drei verschiedenen Verfassern unterschieden wird; eine gute Übersicht. über die Zuteilung der Überlieferung bei Holladay 292f. Die hier gegebene Aufteilung folgt Walter, JSHRZ I/2, 144–153. 5 Abweichende Zählung der Fragmente von N. Walter, JSHRZ IV/3, 158–161.

Abkürzungsverzeichnis

XIX

Pseudo-Orpheus (Zitierung nach N. Walter, JSHRZ IV/3, 235–243)6 PseudJustin, Mon 2 / Cohor 15 = Orph. Frg. 245 [Kern] = version J in OTP II = shorter version; diese Version auch durch einzelne Zitate bei ClemAlex, Strom u. Protr, bezeugt (= version C1 in OTP II) Rez. B ClemAlex, Strom V 123,2–124,1 = Orph. Frg. 246 [Kern] = version C2 in OTP II (entspricht weitgehend Rez. C) Rez. C Euseb, PraepEv XIII 12,5 = Orph. Frg. 247 [Kern] = version E in OTP II = longer version Rez. D Tübinger Theosophie (Text: C. R. Holladay, Fragments IV 220f) PseudPhilem 1–10 Gefälschte Philemon-Verse (PseudJustin, Mon 3; ClemAlex, Strom V 121,1–3 [irrtümlich Diphilos zugeschrieben]; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 265–267 = Dram.-Gnom. V) PseudPhiloJona Über Jona, hellen. Synagogenpredigt (arm., Siegert 1980) PseudPhiloSimson Über Simson, hellen. Synagogenpredigt (arm., Siegert 1980) PseudPhok Pseudo-Phokylides PseudPind 1–4 Gefälschte Pindar-Verse (ClemAlex, Strom IV 167,3; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 275 = Weitere gefälschte Verse XIV) PseudPyth Gefälschte Pythagoras-Verse 1,1–4 PseudJustin, Mon 2; ClemAlex, Strom V 107,1–108,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 273 = Jüd. Pseudo-Pythagorika XII 2 PseudJustin, Cohor 19b; ClemAlex, Protr 72,4; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 274 = Jüd. Pseudo-Pythagorika XIII PseudSoph Gefälschte Sophokles-Verse 1,1–9 PseudJustin, Mon 2; ClemAlex, Strom V 113,1–2; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 262f = Dram.-Gnom. II 2,1–11 PseudJustin, Mon 3; ClemAlex, Strom V 121,4–122,1; = N. Walter, JSHRZ IV/3, 264f = Dram.Gnom. IV (PsDav) (Syrische Psalmen Davids) s. ApokrPs PsSal Psalmen Salomos (syrPs) (Syrische Psalmen) s. ApokrPs QuaestEsra Quaestiones / Fragen Esras RevEsra Revelatio / Offenbarung Esras SapSal Sapientia Salomonis / Weisheit Salomos (LXX) Sib Sibyllinische Orakel Sir Jesus Sirach (LXX) TestXII Testamente der 12 Patriarchen TestRub Testament Rubens TestSim Testament Simeons TestLevi Testament Levis TestJuda Testament Judas aramTestJuda Testament Judas nach der aram. Überlieferung TestIss Testament Issachars TestSeb Testament Sebulons TestDan Testament Dans

PseudOrph Rez. A

6 Zitierung nach der Zählung der 47 Hexameter d.h. PseudOrph 34 und in Klammer dahinter die Angabe der Rezension. Wenn alle Rezensionen übereinstimmen, kann dieser Hinweis entfallen.

XX TestNaf hebrTestNaf TestGad TestAss TestJos TestBenj TestAdam TestAbr TestHiob TestIsaak TestJak TestMos TestSal TheodEpik Frg. 1 Frg. 2 Frg. 3 Frg. 4 Frg. 5 Frg. 6 Frg. 7 Frg. 8 TheophHist Tob TrSem VisEsra VitProph

Abkürzungsverzeichnis Testament Naftalis Testament Naftalis aus der hebr. Chronik des Jerachmeel Testament Gads Testament Assers Testament Josefs Testament Benjamins Testament Adams Testament Abrahams Testament Hiobs Testament Isaaks Testament Jakobs Testament Moses (auch: Assumptio Mosis) Testament Salomos Theodotus der Epiker Euseb, PraepEv IX 22,1 Euseb, PraepEv IX 22,2 Euseb, PraepEv IX 22,3 Euseb, PraepEv IX 22,4–67 Euseb, PraepEv IX 22,7 Euseb, PraepEv IX 22,8–9 a Euseb, PraepEv IX 22,9b Euseb, PraepEv IX 22,10–11 Theophilus der Historiker (bei Euseb, PraepEv IX 34,19) Tobit (LXX) Schrift / Traktat des Sem Vision Esras Vitae Prophetarum

3.2 Frühchristliche Schriften 3.2.1 „Apostolische Väter“ Barn Did Diogn Herm HermVis HermMand HermSim Ign IgnEph IgnMagn IgnTrall IgnRöm IgnPhilad IgnSmyr IgnPolyk

Barnabasbrief Didache Diognetbrief Hirt des Hermas Hirt des Hermas, Vision / Visio I-V Hirt des Hermas, Gebot / Mandatum I-XII Hirt des Hermas, Gleichnis / Similitudo I-X Ignatiusbriefe Brief des Ignatius an die Epheser Brief des Ignatius an die Magnesier Brief des Ignatius an die Traller Brief des Ignatius an die Römer Brief des Ignatius an die Philadelphier Brief des Ignatius an die Smyrnäer Brief des Ignatius an Polykarp

7 Ab hier abweichende Zählung der Fragmente von N. Walter, JSHRZ IV/3, 167–171 in Übereinstimmung mit C. R. Holladay.

Abkürzungsverzeichnis 1Klem 2Klem MartPolyk Papias Polyk Quadr

XXI

1. Klemensbrief 2. Klemensbrief Martyrium des Polykarp Papias-Fragmente (Zitierung nach der Nummerierung bei K. Wengst, SUC III, Darmstadt 1998, d.h. Papias Frg. 1 etc.) Brief des Polykarp Quadratus-Fragment

3.2.2 Patristische Quellen Zur Orientierung sind eine Reihe von Abk. genannt; weitere sind in Entsprechung dazu zu bilden. ClemAlex Protr Strom Epiph Pan Euseb DemEv HistEccl PraepEv Hier Justin Dial PseudJustin Cohort Tert

Clemens Alexandrinus Protreptikos Stromateis Epiphanius von Salamis Panarion Eusebius von Caesarea Demonstratio evangelica Historia ecclesiae Praeparatio evangelica Hieronymus Justinus Martyr Dialog mit dem Juden Tryphon Pseudo-Justin Cohortatio ad gentiles Tertullian

Übergreifende Beiträge

The Material Culture of Late Hellenistic – Early Roman Palestinian Judaism What It Can Tell Us about Earliest Christianity and the New Testament ERIC M. MEYERS and CAROL MEYERS

Investigating the material culture of ancient Palestine is an important part of biblical study. Just as the focus on Late Bronze and Iron Age sites has contributed for generations to the study of the Hebrew Bible, attention to sites of the Greco-Roman period in recent decades now helps in the study of the New Testament. It has been amazing to observe the rapid growth of the field of “archaeology of the New Testament” within such a short time span. Our own work in Galilee over a period of almost four decades – at four, small Jewish villages in Upper Galilee and one cosmopolitan urban site in Lower Galilee – informs some of the material presented in this paper. It has been a privilege to contribute in this way to the development of archaeological approaches that illumine the emergence and development of early Christianity as well as early Judaism.1 Our goal in this paper is to provide an overview, or synthesis, of developments in the field of archaeology related to the early centuries in Palestine as the setting of early Christianity. We indicate how the archaeological work of the last three to four decades has led to a new consensus about the Jewish character of Galilee in relation to Hellenism and about the interaction between urban and rural communities in the first century C.E. and later. In terms of the New Testament itself, as appropriate, we point to a number of texts that may be understood in a new way in the light of insights made possible by studying recent archaeological discoveries. But the overall thrust is to consider the larger picture of life in the early centuries C.E., in Galilee as well as in Judea, as informed by studying burial practices, synagogue architecture, and other aspects of material culture. 1 We are grateful to the wonderful staff, students, and colleagues who have worked with us over the years and who have contributed to this field.

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Eric M. Meyers and Carol Meyers

1 Influence of Hellenism Most scholars turn to the time of Alexander the Great in the late Second Temple period to assess the advent of Hellenic influence in Palestine.2 However, extensive evidence of Greek culture appeared in Palestine already in the preceding two centuries of Achaemenid rule, from 539 to 332 B.C.E.3 Perhaps the most notable indicator of Greek presence, probably in the form of commerce and also colonization along the coast, is the rich repertoire of ceramics imported from Greece; these include many undecorated vessels as well as the distinctive, glossy Attic ware – first blackfigured on a red background, and later red-figured on black.4 Another sign of Greek influence is the depiction of the Athenian owl on the coinage of Yehud.5 Other examples are freestanding sculpture and the Hippodamian plan of cities in the coastal plain.6 In contrast, the evidence of Persian culture in this period consists largely of the construction of new roadways and forts to protect Persian imperial interests in the east Mediterranean.7 Consequently, when Alexander arrived in Jerusalem after defeating Darius III, a significant substratum of culture, manifest in the material remains, already existed and comprised the foundation for what was to be a very long engagement of the Semitic East with Greek civilization. One of the earliest literary responses to the arrival of Hellenic thought and culture 2 E.g., Oren Tal, “Hellenism in Transition from Empire to Kingdom: Changes in the Material Culture of Hellenistic Palestine,” in Jewish Identities in Antiquity: Studies in Memory of Menahem Stern (ed. Lee I. Levine and Daniel R. Schwartz; TSAJ 130; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 55–73. 3 For a convenient summary of this era see Ephraim Stern, “Between Persia and Greece: Trade, Administration and Warfare in the Persian and Hellenistic Periods (539– 63 B.C.E.),” in The Archaeology of Society in the Holy Land (ed. Thomas E. Levy; New York: Facts on File, 1996), 432–45. See also Eric M. Meyers, “Jewish Culture in GrecoRoman Palestine,” in Cultures of the Jews: A New History (ed. David Biale; New York: Schocken, 2002), 134–78, and Andrea M. Berlin, “Hellenistic Palestine: Between Large Forces,” BA 80 (1997), 2–51. The classic treatment in English is Martin Hengel, Judaism and Hellenism: Studies in Their Encounter in Palestine during the Early Hellenistic Period (trans. John Bowden; London: SCM, 1974); trans. Judentum und Hellenismus: Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2. Jh.s v.Chr. (WUNT 10; Tübingen: Mohr Siebeck, 31988). Many of Hengel’s assumptions have been challenged because of new discoveries and re-assessments. 4 Ephraim Stern, “Ceramics of the Persian Period,” OEANE 1:465–69. 5 For a superb and well-illustrated presentation of both the ceramic and numismatic data see John W. Betlyon, “A People Transformed: Palestine in the Persian Period,” Near Eastern Archaeology 68 (2005), 4–58: 24–25, 47, and passim. 6 Ibid., 31–37. 7 Kenneth G. Hoglund, Achaemenid Imperial Administration in Syria-Palestine and the Mission of Ezra and Nehemiah (SBLDS 125; Atlanta: Scholars Press, 1992), 165– 205.

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in the East is the Book of Qohelet (Ecclesiastes), which probably dates to either the end of the Persian period or the beginning of the Hellenistic era. This book reflects an early Jewish response to the intellectual and social challenges associated with the rise of Hellenism. Texts that were to become the Hebrew Bible had yet to offer any view of afterlife that dealt with the question of posthumous judgment. The biblical idea of nepeš, often translated “soul,” actually involves a person’s entire being and vitality, the body as well as the personality of an individual.8 In Greek philosophy, however, the idea of the soul was understood in Platonic terms: the body was the physical prison in which the immaterial soul was trapped. Qohelet was confronting the challenge of new ideas and was not yet ready to accommodate to them. Nor was Ben Sira, who, a century or so later, strongly maintained that Wisdom, the true inheritance of Israel (Sir 24:32), was to be found in the Torah of Moses, whereas Greek philosophy essentially viewed the world as intelligible by reason. This was apparently a new concept for the Jewish people, and it first becomes evident in the writings of Philo Judaeus of Alexandria in the first century C.E. Because of Alexander the Great’s goal of unifying the world into one giant oikumene with common cultural forms, including language, art, and architecture, along with the philosophical ideas espoused in Greek education, Hellenism’s contact with other traditions is often considered a culture clash.9 However, we offer another view, namely, that the encounter of Greek culture with others over several centuries was one of the most important and positive developments in the history of humanity, presaging the current era of globalization. To be sure, Hellenism posed many challenges for each culture that it encountered; yet ultimately it allowed each of those cultures to formulate its distinctive views in a more universalistic and accessible way than was possible before its interaction with Hellenism. This was especially true of emerging Judaism and its interpretation of biblical theology and ideas. As we have suggested, the engagement of Judaism with Greek culture began already in the Persian period; and it continued until the dawn of the Middle Ages.10 For nearly a millennium, Jews in the eastern Empire and Palestine embraced various features of Greco-Roman culture without com8 E. Meyers, “Jewish Culture” (see n. 3), 139–40; cf. Horst Seebass, “nepeš,” TDOT 9:497–519. 9 See the discussion by Erich S. Gruen, Heritage and Hellenism: The Reinvention of Jewish Tradition (Berkeley: University of California Press, 1998), xiv–xv. Reacting to the older view of a culture class, Gruen sees both Palestinian and Diasporic Judaism as symbiotic responses to Hellenic culture, leaving their respective Judaisms intact. 10 Eric M. Meyers, “The Challenge of Hellenism for Early Judaism and Christianity,” BA 55 (1992), 84–91: 86, and Glen W. Bowersock, Hellenism in Late Antiquity (Ann Arbor: University of Michigan Press, 1990), passim.

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promising their own heritage. Indeed, Jewish accommodation to Hellenism made it possible to express the most emblematic Jewish values in innovative ways. For example, we can ask whether Rabbi Judah the Patriarch could have accomplished the editing and publication of the Mishnah in the early third century C.E. if he hadn’t been living in the urban center of Sepphoris, which was thoroughly acculturated to Greco-Roman ways by that time.11 Similarly, could Paul’s achievement in spreading the message of Jesus have succeeded if much of his audience had not already embraced the Hellenized world of Athens and Rome? Or, perhaps even more important, could that message have been so well received and understood had many peoples of those areas not been aware of some form of diasporic Hellenistic Judaism? Moreover, it is unlikely that the Hebrew Bible could have had the impact it did on world civilization had it not been translated into Greek in the Hellenistic period by Hellenized Jews.12 That is, the early church probably would not have been able to incorporate the Hebrew Bible into its worship, liturgy, and theology had Jewish scripture been available in Hebrew or Aramaic only. These are some of the larger issues to keep in mind as we seek to understand this epochal cultural process – the merger of Athens and Jerusalem. Our views of the relationship of Hellenism and Judaism differ from those of a great scholar, Martin Hengel, who devoted much of his life to this subject and whose work on the Hellenistic influence on Second Temple Judaism has had an enormous impact, especially on New Testament scholarship. One of the main points he makes is that Palestine was thoroughly Hellenized by the Hasmonean period, if not before, and that the material record of the land reflects that reality.13 In his opinion, the Maccabean struggle is testimony to that reality, as is the translation of Ben Sira into Greek only two generations after it was written. Indeed, there is strong evidence for the Hellenization of Judea. Examples, discussed below, include Herod the Great’s vast building projects, including the remodeling of 11 This is the thesis of E. Meyers, “Jewish Culture” (see n. 3), and underlies all of the joint publications of the authors regarding Sepphoris in the Roman period. For summaries of the work on Sepphoris see Carol L. Meyers and Eric M. Meyers, “Sepphoris,” OEANE 4:527–35 and, more recently, Zeev Weiss, “Sepphoris,” NEAEHL 5:2029–35. 12 See Tessa Rajak, “The Greek Bible among Jews in the Second Century CE,” in Jewish Identities (see n. 2), 321–32. Rajak notes the continuing process of the translation of the Bible into Greek after 70 C.E. among Greek-speaking Jews. 13 See Hengel’s major work, Judaism and Hellenism (see n. 3). His more recent remarks on this subject may be found in “Judaism and Hellenism Revisited,” in Hellenism in the Land of Israel (ed. John J. Collins and Gregory E. Sterling; Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2001), 6–37, now in idem, Theologische, historische und biographische Skizzen: Kleine Schriften VII (ed. Claus-Jürgen Thornton; WUNT 253; Tübingen: Mohr Siebeck, 2010), 179–216.

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the temple and the construction of palaces at Jericho and Masada, a grand port city at Caesarea, and a palace fortress at Herodium.14 However, Hengel perhaps overstates his case for Hellenization in not recognizing that some major areas of Jewish habitation were not so rapidly or thoroughly Hellenized. Consider Galilee in this regard. Assessing the degree to which the process of Hellenization occurred must take into account the epigraphy of different regions. Greek is hardly attested in Galilee until the early second century C.E., whereas Judea has an abundance of material in Greek at the turn of the era. Most of the inscriptions found there are in Greek; and others, especially many of the ossuary inscriptions, are bilingual. These important data clearly indicate that Jews in Jerusalem and Judea by the end of the Hasmonean era may have been thoroughly Hellenized, while still maintaining their Jewish values and identity,15 but that may not have been the case, or to the same extent, in all areas of Jewish Palestine. Another significant consideration is that the Qumran sect was established in this period; almost all of its diverse literature was written in Hebrew, although the degree to which the Qumran community remained apart from the dominant Hellenistic milieu of Judea is not clear.16 In this period too, other Jewish groups, notably the Sadducees and the Pharisees, emerged and formulated their ideas, which had an enormous impact on the evolution of classical or rabbinic Judaism as well as the early Christian movement. These groups remained in the mainstream of Semitic Jewish thought; and it would be difficult to argue that either was thoroughly Hellenized, although early Pharisaism was apparently familiar with Greek forms of rhetoric and argumentation and used them in their academies.17

14 The most extensive treatment of Herod’s architectural projects are Achim Lichtenberger, Die Baupolitik Herodes des Großen (ADPV 26; Wiesbaden: Harrassowitz, 1999), and Ehud Netzer, The Architecture of Herod the Great Builder (Grand Rapids, Mich.: Baker, 2008); see especially pp. 288–94. 15 Especially helpful on this topic is Lee I. Levine, Jerusalem: Portrait of the City in the Second Temple Period (538 B.C.E.–70 C.E.) (Philadelphia: Jewish Publication Society, 2002), 91–150. 16 For a discussion of this complex issue, see Eric M. Meyers, “Khirbet Qumran and Its Environs,” in The Oxford Handbook of the Dead Sea Scroll (ed. John J. Collins and Timothy Lim; Oxford: Oxford University Press, 2010). 17 Henry Fischel, “Story and History: Observations on Greco-Roman Rhetoric and Pharisaism,” in Essays in Greco-Roman and Related Talmudic Literature (ed. Henry Fischel; New York: Ktav, 1977), 443–72.

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2 Material Culture: Burial Practices Changes in Jewish burial practices, visible in the archaeological record, are among the indicators of the arrival of Hellenistic ways. Jewish values with respect to burial and afterlife were clearly maintained in burial practices, but there were new developments. For example, the existing pattern of multiple burials collected in a subterranean tomb gave way to individual burial receptacles or individual interments. For the elites, this meant that the bodies of the deceased were placed in sarcophagi (coffins) and ossuaries (reburial of an individual’s desiccated mortal remains or bones into a small container), typically bearing an inscription identifying the deceased, in the Hellenistic and Roman periods. This change, especially the use of inscriptions, probably reflects the Greek emphasis on the individual maintaining his or her identity in death as in life. The use of ossuaries has often been interpreted as a reflection of the pious practices of the Pharisees, who practiced extreme purity measures;18 but it more likely arises from the meeting of the two cultures, with Jews now placing a greater emphasis on the individual in death, possibly borrowing the ossuary either from the receptacles – cinerary urns – Romans used for the ashes of the dead or, more likely, from the astodans, in which Parthians re-buried the bones of the dead.19 At the same time, these receptacles (both sarcophagi and ossuaries) were placed in recesses, called loculi or arcosolia, in rock-cut tombs where deceased family members had similarly been placed; this practice, as we explain below, maintained the importance of kinship ties as expressed by burial in a subterranean family tomb.20 The discovery of the tomb and ossuary of Caiaphas, high priest in the time of Jesus, reveals that even a Sadducee practiced reburial and seemingly believed in “renewed existence” after death, contrary to what is normally thought to be Sadducean belief (e.g., Mark 12:18–27; Acts 23:6–9; Jo-

18 Notably by Levi Y. Rahmani, A Catalogue of Jewish Ossuaries in the Collection of the State of Israel (Jerusalem: The Israel Antiquities Authority and the Israel Academy of Sciences and Humanities, 1994), 53–55. This book presents a view that Rahmani held throughout his career and appears in all his previous publication. Eric M. Meyers questioned that view already in Jewish Ossuaries: Reburial and Rebirth (BibOr 24; Rome: Pontifical Biblical Institute, 1971), 85, where he wrote: “It is an oversimplification to suggest that the custom of Jewish ossuaries reflects only the Pharisaic community of Jerusalem, which adhered to a rather literal conception of resurrection.” 19 E. Meyers, Jewish Ossuaries (see n. 18), 27–31. 20 For a review of this material in its broader context see E. Meyers, Jewish Ossuaries (see n. 18), and Byron R. McCane, Roll Back the Stone: Death and Burial in the World of Jesus (Harrisburg: Trinity, 2003), 27–60.

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sephus J.W. 2.164–165; Ant. 18.16).21 Similarly, another ossuary has been identified as that of a Sadducean because of its Aramaic inscription: “Yehochana daughter of Yehochanan, son of Theophilos, the high priest”; Theophilos, probably the son of the high priest Ananus whose term in office was 37–41 C.E., was a Sadducean.22 The names of other Sadduceans on ossuaries – Boethus, Annanias, and Ananus – further suggest that this form of secondary reburial was common among the urban elites, perhaps indicating belief in post-mortem existence as well as a propensity for the individualism of a receptacle keeping the remains of one body separate from other burials. The Caiaphas ossuary is also interesting because a coin of Herod Agrippa I, dated to 42–43 C.E., was found in a skull in the ossuary, possibly signifying payment to the Greek deity Charon for carrying the deceased spirit across the River Styx. This is likely an instance of cultural syncretism, which combines Jewish and Greco-Roman customs in a single practice of a supposedly “conservative” Jewish faction.23 Not only elite Jews used individual interments. Other inhumation practices of the period involved individual burials. Notable in this regard is the discovery at Beit Safafa, near Jerusalem, of forty-seven rectangular shaft graves, each containing the skeletal remains of one person.24 Similarly, other burials, presumably those of commoners, have been discovered outside Jerusalem, where individuals were interred in depressions, ca. 30 cm deep, cut into the bedrock and then covered with stone slabs.25 These are in sharp contrast to the elaborate family tombs of the elites in which ossuaries were deposited: the magnificent monuments in the Kidron Valley in Jerusalem, such as the tombs of Zechariah, Absalom, and the Bnei Hezir26; and especially the elaborate sarcophagus recently found in the tomb of Herod the Great at Herodium.27

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Zvi Greenhut, “Burial Cave of the Caiaphas Family,” BAR 18 (1992), 28–36, 76. For the names in this tomb, especially Caiaphas, see Ronny Reich, “Caiaphas Name Inscribed on Bone Boxes,” BAR 18 (1992), 38–44, 76. 23 Greenhut, “Burial Cave” (see n. 21), 35, especially the caption “Styx and Bones.” See also Rachael Hachlili and Ann Killebrew, “Was the Coin-on-Eye Custom a Jewish Burial Practice in the Second Temple Period?” BA 46 (1983), 147–53. 24 Boaz Zissu, “Odd Tomb Out: Has Jerusalem’s Essene Community Been Found?” BAR 25 (1999), 50–55, 62. Because of their similarity to Qumran burials, Zissu suggests that the Beit Safafa burials are those of Jerusalem Essenes. 25 Jonathan L. Reed, The HarperCollins Visual Guide to the New Testament (New York: HarperCollins, 2007), 95. 26 Rachael Hachlili, Jewish Funerary Customs, Practices and Rites in the Second Temple Period (JSJSup 94; Leiden: Brill, 2005), 29–34. 27 Netzer, Architecture of Herod (see n. 14), ix–xiv. 22

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Hellenization may have brought with it the process of individuation, evidenced in inscribed coffin and ossuary burials. However, at the same time, placing the individual receptacles in family tombs indicates the persistence of longstanding local burial customs. Family tombs indicate strong kinship ties, which may be reflected in the biblical idiom “to be gathered to one’s ancestors.”28 That the ossuaries and coffins often contain the burial of more than one individual, sometime with multiple names appearing in the inscription, may also signify an emphasis on reuniting family members after death. And the use of ossuaries also reinforced family ties in that it required the family to gather not only for the initial interment but also for the re-interment many months later. Such a practice may have left its mark in the New Testament idiom “let the dead bury their own dead” (Matt 8:22 par. Luke 9:60). McCane persuasively argues that this phrase reflects the realia and social context of secondary burial, for the would-be disciple is requesting time to gather the bones of his father, presumably for reburial.29 The force of Jesus’ words thus is ironic, for the dead could obviously not perform this task.

3 Other Aspects of Material Culture In turning to other features of the material world, Herod the Great (37–34 B.C.E.) emerges as the most influential force for advancing Hellenization after Alexander. To be sure, Greco-Roman architectural forms had appeared in the region before the time of Herod. Two prominent examples of this, both dating to the beginning of the Hasmonean era, are the Tomb of Jason (a member of the priestly Oniad family) in Jerusalem30 and ‘Iraq elAmir in Transjordan.31 But Herod the Great, more than anyone, changed the face of monumental architecture in Roman Palestine; and his building projects were surely his greatest cultural legacy.32 These many projects include: the Temple Mount complex and the area around it, constructed on a grand scale with colonnaded streets and the pilgrim way leading to steps 28

E. Meyers, Jewish Ossuaries (see n. 18), 14 n. 38 McCane, Roll Back the Stone (see n. 20), 74–75. 30 Hachlili, Jewish Funerary Customs (see n. 26), 34–36. 31 Fawzi Zayadine, “‘Iraq el-Amir,” OEANE 3:177–80. 32 See Peter Richardson, Herod: King of the Jews and Friend of the Romans (Columbia: University of South Carolina Press, 1996), Appendix A, 197–202, for a list of all Herod’s buildings, whether they survived or not. Richardson has carefully collated all the relevant literary references to Herod’s buildings. For individual cities and their archaeological remains, see Netzer’s authoritative work (Architecture of Herod [see n. 14]) and the entries for those cities in the two major archaeological reference works: NEAHL and OEANE. 29

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built against the southern wall of the temple precinct;33 a large palace in Jerusalem;34 theaters at Caesarea, Damascus, and Sidon;35 resorts and refuges at Masada, Jericho, and Herodium;36 pagan temples at Sebaste, Caesarea, Banias,37 and possibly Omrit;38 and a deep-sea harbor at Caesarea Maritima, which probably meant that an increased array of goods from the Mediterranean Basin were arriving in Palestine by the time of Jesus.39 In addition to his monumental building projects, Herod was probably responsible for the construction of dozens of miqva’ot, intended for the use of pilgrims, in Jerusalem including along the southern wall of the temple precinct and at the Siloam Pool.40 Ritual baths were also discovered at Herod’s desert resorts: at the winter palace at Jericho, originally built by the Hasmoneans but subsequently refurbished by the Herodians; at Masada at the very heart of the western palace, adjacent to the storeroom; at Lower Cypros, a Herodian outpost south of the Wadi Qelt; and at Lower Herodium. That miqva’ot were found at all these sites suggests that Herod wanted his family and staff to have access to facilities necessary for adhering to Jewish purity concerns.41 Although most of the structures he built were explicitly Greco-Roman in form and also, to some extent, function, Herod seemed to know what kinds of buildings would be acceptable to the Jewish population of his realm. At the very least he was careful to place them so as not to offend Jewish sensibilities. Still, some of his projects and activities were apparently meant to please his Roman patrons and sponsors as well as to serve his personal interests. In several Gentile cities – for example, Acco/Ptolemais, Tripolis, and Damascus – Herod built gymnasia, where youths could be educated in Greek language and culture. In Caesarea, which was predominantly Gentile, he organized the quinquennial games. In Samaria/Sebaste he built a new city for Gentiles. Although he erected a theater, amphitheater, and hippodrome accessible to residents of Jerusalem, he situated them outside the city at a distance from the Jewish population of the capi33

Netzer, Architecture of Herod (see n. 14), 137–78. Loc. cit., 246–47. 35 Loc. cit., 279; Richardson, Herod: King of the Jews (see n. 32), 186–88. 36 Netzer, Architecture of Herod (see n. 14), 17–42, 179–201. 37 Loc. cit., 270–76. 38 J. Andrew Overman, “Horvat Omrit,” NEAEHL 5:1987–89. 39 Netzer, Architecture of Herod (see n. 14), 94–118. 40 See the recent statement on this subject by Boaz Zissu and David Amit, “Common Judaism, Common Purity, and the Second Temple Period Judean Miqwa’ot (Ritual Immersion Baths),” in Common Judaism: Explorations in Second-Temple Judaism (ed. Wayne O. McCready and Adele Reinhartz; Minneapolis: Fortress, 2008), 47–62, 237–42 (notes): 57–59. 41 Ibid., 51–52. 34

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tal. That is, his policy was to separate his more explicitly Roman projects from the Jewish population by locating them in Gentile areas or at least away from concentrations of Jews. That he did so likely indicates that there were tensions in the early first century about the intrusion of foreign culture to Jewish lands. Note, however, that the somewhat later theater at Sepphoris was constructed in the heart of the Jewish quarter of the city and possibly adjacent to the homes of leading Jewish citizens. This theater dates to the end of the first century C.E.,42 perhaps indicating that the Jewish inhabitants of Sepphoris, and maybe even the country as a whole, had become more tolerant of Roman cultural forms by then. Herod’s apparent sensitivity to the fact that Jews had to share their land with outsiders – Romans, Macedonians, Syrians, and other ethnic groups – suggests that, although Greco-Roman culture had made significant inroads into Palestine by the first century C.E., there were limits to what the Jewish population would tolerate. Whereas the Hasmonean leadership sought to homogenize the population of the land through forced conversion to Judaism, Herod’s political skills allowed him to create cultural forms that different factions could tolerate and even accept. Several centuries later this successful model of apparent multi-ethnic harmony was to appear in Galilee, where Jews and Gentiles interacted positively in the predominantly Jewish cities such as Sepphoris and Tiberias and also in the largely Gentile cities of Tyre, Caesarea Philippi/Banias, and the Decapolis. The presence of some Jews in these predominantly Gentile cites is known from both literary and archaeological sources. And sizeable Jewish minorities lived in several of those cities, including Tyre and Beth Shean. All told, Herod’s achievements are impressive, as indicated by the Res gestae compiled by Richardson using that of Augustus as a model.43 Despite some of the dreadful things he did to both family members and enemies, many of his accomplishments were positive. Although hated by various segments of the population in his own time, Herod clearly left an indelible mark on the history of the Jewish people.

4 Galilee in the Time of Jesus Galilee for the most part was mainly Jewish in the time of Jesus. Indeed, one of the most important contributions of archaeological work in Galilee 42 Some would date it earlier, to the time of Jesus or Herod Antipas (ca. 4 B.C.E.–39 C.E.): see Richard A. Batey, Jesus and the Forgotten City: New Light on Sepphoris and the Urban World of Jesus (Grand Rapids, Mich.: Baker, 1991), 83–104. 43 Richardson, Herod: King of the Jews (see n. 32), 315–18.

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in recent decades has been to establish that fact. How have scholars of material culture accomplished this assessment of the nature and extent of Jewish presence in first-century Galilee? We can point to several developments. For one thing, advances in the analysis of archaeological data have contributed to a dramatic improvement in the dating of pottery and identifying its distribution. Trace element analysis of potsherds has shown where the main production centers were and hence how items were traded and sold. The efforts of our Sepphoris excavation team, which worked very closely with David Adan-Bayewitz of Bar Ilan University, have been quite significant in this regard.44 This kind of analysis has demonstrated that there was much greater interaction between Upper and Lower Galilean sites than was previously thought. For example, the Jewish city of Sepphoris in Lower Galilee bought pottery from at least one Jewish manufacturing center in Upper Galilee (Khirbet Hananiah). That the Sepphorean Jews did so may signal their desire to purchase ceramic vessels from Jewish manufacturers, which may indicate Jewish interest in purity concerns.45 Another contribution of archaeology has been the discovery of miqva’ot in numerous excavations all over the country. Seven hundred of them, many dating to the first century, have now been identified.46 The existence of a large number of ritual baths in Galilee indicates a Jewish population that was far more observant in this regard than previously thought. In Sepphoris, for example, more than thirty ritual baths, dating mainly to the late Hellenistic and Roman periods, have been discovered on the western summit, the so-called “Jewish quarter” of the site.47 Consider too the nature of the faunal remains excavated at Sepphoris. Apparently there was a complete absence of pork consumption throughout the entire Roman period in areas of the city presumed to be Jewish, whereas thirty percent of the animal remains were pig bones in areas shown to be 44 David Adan-Bayewitz’ work in this area is exemplified by his pioneering study, Common Pottery of Roman Galilee (Ramat Gan: Bar Ilan University, 1993); see also his many other studies, such as “The Local Trade of Sepphoris in the Roman Period,” IEJ 40 (1990), 153–72. 45 Adan-Bayewitz made this point already in Common Pottery (see n. 44), 237. 46 Yonatan Adler, “Second Temple Period Ritual Baths Adjacent to Agricultural Installations: The Archaeological Evidence in Light of the Halakhic Sources,” JJS 59 (2008), 62–72. For the discussion about how to identify a stepped pool as a miqveh, see, inter alia, Zissu and Amit, “Common Judaism” (see n. 40), and Stuart S. Miller, “Stepped Pools and the Non-Existent Monolithic ‘Miqveh,’” in The Archaeology of Difference: Gender, Ethnicity, Class and the “Other” in Antiquity: Studies in Honor of Eric M. Meyers (ed. Douglas R. Edwards and C. Thomas McCollough; ASOR Annual 60/61; Boston: American Schools of Oriental Research, 2007), 215–34. 47 Katharina Galor, “The Stepped Water Installations of the Sepphoris Acropolis,” in The Archaeology of Difference (see n. 46), 201–24.

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pagan or Christian on the basis of artifacts such as decorated lamps, stamped jars with crosses, or inscriptional remains, to be pagan or Christian.48 In all probability a similar pattern would be found at other sites if faunal analysis were to be carried out. Although it may be debatable whether the absence of pigs was an ethnic marker of Israelites in pre-exilic times, it surely was a mark of Jewish identity by the first century. Finally, analysis of chalkstone vessels – mostly bowls, plates, and cups – has also contributed to our understanding of Jewish life at first century C.E. sites in Judea as well as Galilee. These vessels are ubiquitous in this period and are often in the context of ritual baths and private domiciles. They were surely used by Jews, judging from the reference to them in the New Testament in relation to the story of the wedding at Qana (John 2:6). Their presence indicates an awareness of biblical purity laws and a desire to avoid transmitting impurity; for, according to later rabbinic texts, chalkstone vessels, unlike ceramic ones, are impervious to impurity.49 Clearly the data amassed in recent decades provides much greater certainty about the ethnic and religious character of Galilee than was possible before we began excavating there over forty years ago. Many other projects have similarly contributed to the expanded corpus of materials illuminating the character of Galilee in the Hellenistic-Roman period. Notable in this regard are the excavations at Nazareth, Khirbet Qana, and Yodfat (Jotapata).50 Gender archaeology too has much more recently begun to contribute to the interpretation of material culture in ways that affect our understanding of attitudes to women in early Judaism and Christianity.51 For example, in 48 See Billy J. Grantham, “A Zoological Model for the Study of Ethnic Complexity at Sepphoris” (Ph.D. diss., Northwestern University, 1996), and more recently, “The Butchers of Sepphoris: Archaeological Evidence of Ethnic Variability,” in The Archaeology of Difference (see n. 46), 279–90. 49 Ibid., 158–61. Cf. also the contribution of R. Deines in this volume (pp. 34–38). 50 For Nazareth, see Stephen Pfann, Yehudah Rapuano, and Ross Voss, “Surveys and Excavations at the Nazareth Village Farm (1997–2002): Final Report,” BAIAS 25 (2007), 19–79; for Yodfat, see Mordechai Aviam, “Yodfat,” NEAEHL 5:2076–78. The only publication to date on Qana is Douglas R. Edwards, “Khirbet Qana: From Jewish Village to Christian Pilgrim Site,” in The Roman and Byzantine Near East III (ed. John H. Humphrey; JRASup 49; Portsmouth, R.I.: Journal of Roman Archaeology, 2002), 101–32. In addition, the discovery of a residential building in Nazareth from the time of Jesus has just been announced; see “A Residential Building from the Time of Jesus was Exposed in the Heart of Nazareth,” Israel Antiquities Authority Press Office (12/21/2009). Online: http://www.antiquities.org.il/article_Item_eng.asp?sec_id=25&subj_id=240&id=1638& module_id=#as. 51 Carol Meyers’ book Discovering Eve: Ancient Israelite Women in Context (New York: Oxford University Press, 1988) was a pioneering work in this area with respect to household life and gender dynamics in the Iron Age; see more recently her “Archäologie

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village settings grinding flour to produce bread was done largely by women using the millennia-old method of rubbing grains of wheat, spread on a concave stone surface, with a convex hand stone. The location of these tools, with several sets of grinding tools often found near each other, indicates that women often worked side-by-side to ease the tedium of this laborious and time-consuming task. However, in urban contexts, at least at Sepphoris, flour was produced, probably in commercial workshops, by the new machines – lever (Olynthus) mills or donkey mills – reaching the east Mediterranean in the Roman period.52 Analysis of the relation of women’s work in flour production to their status in their households and communities indicates that village women who ground their own flour at home worked long hours to do so but may have enjoyed considerable status and household power, as contributors to the family economy and also as participants in networks of women that facilitated mutual aid in the community. In contrast, in cities with commercial mills, women, probably from the elites, could acquire their flour in markets and would thus have had more leisure time, which in turn made them vulnerable to the charges of improper behavior underlying many of the prejudices and related misogyny of the rabbis.53 Note that the New Testament has Jesus speaking about two women grinding together (Matt 24:41; Luke 17:35), as would have been the case for village women. Because such women presumably enjoyed household power and status, their presence in Christian Scripture challenges claims that Jesus liberated women from an inferior status in Jewish families.54

als Fenster zum Leben von Frauen in Alt-Israel,” in Die Bibel und die Frauen: Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie, vol. 1.1: Tora (ed. Irmtraud Fischer and Mercedes Navarro Puerto, with Andrea Taschl-Erber; Stuttgart: Kohlhammer, 2009), 63–109. However, gender archaeology focusing on the Hellenistic-Roman period has been slower to emerge. 52 Carol Meyers, “Grinding to a Halt: Gender and the Changing Technology of Flour Production in Roman Galilee,” in Engendering Social Dynamics: The Archaeology of Maintenance Activities (ed. Sandra Montón-Subías and Margarita Sánchez-Romero; BAR Archaeological Series 1862; Oxford: ArchaeoPress, 2008), 65–74: 67–69. 53 Ibid., 70–72. 54 The New Testament also seems aware of the existence of milling machines, notably the donkey mill: the   of Matt 18:6 and Mark 9:42, where Capernaum is the setting. It is not certain that those machines would have existed at first century Capernaum, probably not a true urban site at that time, although it was one of Galilee’s larger villages, so Jonathan L. Reed, Archaeology and the Galilean Jesus (Harrisburg: Trinity Press International, 2000), 152. To the best of our knowledge the many donkey mills still seen displayed on site at Capernaum are Late Roman and Byzantine in date.

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5 Ancient Synagogues – pre-70 C.E. Another area of archaeological research, perhaps the most prominent one with respect to our understanding of earliest Christianity as well as Judaism, is the excavation of synagogues, especially those of the late Second Temple period, in both Palestine and the Diaspora. A plethora of field projects exploring Hellenistic-Roman sites has led to the documentation of pre-70 C.E. Palestinian synagogues55 at Masada, Gamla, Herodium, Qiryat Sefer, Dor, Caesarea, and possibly Jericho, Capernaum, Khirbet ’Itri, and most recently at Migdal.56 Diaspora examples from the first century C.E. or earlier have been discovered at Ostia and Delos;57 and, although none has yet been discovered, synagogues that perhaps date as early as the third century B.C.E. probably existed in Egypt according to ancient texts and inscriptions.58 Both Palestinian and Diaspora synagogues are mentioned in first-century literary sources, such as Philo, Josephus, and the New Testament;59 and epigraphic remains such as the Theodotus inscription are another source of textual information.60 These data strongly suggest that the central function of the earliest synagogues in Palestine was communal gathering for prayer and for study of Scripture. However, providing a place for reading Scripture and for prayer and study was not the only function of the early synagogue as analysis of several of their features indicates.61 Built of local stone, the pre-70 syna55 For a convenient summary of the early pre-70 C.E. synagogues see Lee I. Levine, The Ancient Synagogue: The First Thousand Years (New Haven: Yale University Press, 2000), 42–73, and also Levine’s more recent views in “The First-century Synagogue: Critical Reassessments and Assessments of the Critical,” in Religion and Society in Roman Palestine; Old Questions and New Approaches (ed. Douglas R. Edwards; New York: Routledge, 2004), 70–102, and “‘Common Judaism’: The Contribution of the Ancient Synagogue,” in Common Judaism: Explorations in Second-Temple Judaism (ed. Wayne O. McCready and Adele Reinhartz; Minneapolis: Fortress, 2008), 27–46. 56 The Migdal example has only recently been discovered, and the details that would allow us to check the dating have not been released. See “Unique Ancient Synagogue Exposed at Sea of Galilee” (09/14/2009). Online: http://www.mfa.gov.il/MFA/Israel+beyond+politics/ Unique-ancient-synagogue-exposed-at-Sea-of-Galilee-14-SEP-2009.htm. 57 Levine, Ancient Synagogue (see n. 55), 74–123. 58 For a compendium of literary references to Diaspora synagogues, see Anders Runesson, Donald D. Binder, and Birger Olsson, The Ancient Synagogue from Its Origins to 200 C.E.: A Source Book (AJEC 72; Leiden: Brill, 2008), 118–247. This book also gives literary references to pre-200 C.E. Palestinian synagogues; see 20–79. 59 See Donald D. Binder, Into the Temple Courts: The Place of the Synagogues in the Second Temple Period (SBLDS 169; Atlanta: Society of Biblical Literature, 1997), 41– 90. 60 John S. Kloppenborg, “Dating Theodotus (CIJ II 1404),” JJS 51 (2000), 243–80. 61 See Levine’s extensive treatment of this subject in Ancient Synagogue (see n. 55) 124–59.

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gogues in Palestine were small, simple structures.62 Diversity in building plan is a defining characteristic of these synagogues, perhaps indicating a variety of functions. The Judean examples all have miqva’ot nearby, indicating that ritual purification of objects and persons took place near synagogues. Perhaps most important is the fact that the early synagogues are devoid of artistic decoration and inscriptions; they certainly had none of the Jewish symbolism found in mosaics and carved reliefs in later synagogues. Moreover, unlike later synagogues, none had a Torah Shrine or bema; and none seems to have been intentionally oriented to Jerusalem. That is, the pre-70 synagogues lacked specifically religious features in their architecture, suggesting that they served some community functions in addition to being places for reading Scripture, prayer, and study. The likelihood that the earliest synagogues were used for multiple purposes is supported by the possibility that the model for the early synagogue was probably the Hellenistic bouleuteria or ecclesiasteria, where people assembled to decide community matters.63 In this regard, note the report in Josephus (J.W. 2.266–270, 284–292; Ant. 20.173–178, 182–184) about the actions of Jews in the Caesarea synagogue on the Sabbath in 65–66 C.E. on the eve of the Great Revolt. That they were gathering to consider their status in that city indicates that a political meeting took place in the synagogue and thus that the building had a function other than as a place only for specifically religious activities. Note that the New Testament reports that Jesus attends synagogue on Shabbat, reading from the Torah (Luke 4:16–20); but it also indicates other activities – casting out demons (Luke 4:31–37) and “teaching in the synagogues and proclaiming the good news” (Matt 4:23). Finally, the Theodotus inscription provides relevant information: Theodotus, son of Vettanos, priest and archisynaggos, son of an archisynaggos grandson of an archisynaggos, built the synagogue for Torah-reading and for the teaching of the commandments. Furthermore, [he built] the hostel and the chambers, and the water installation for lodging needy strangers. Its foundation stone was laid by his ancestors, the elders, and Simonides.64

In addition to mentioning the religious and educational nature of the early synagogue, it also refers to its function as a hospice or hostel as well as about its priestly and administrative leadership. 62

E.g., the Gamla and Masada synagogues probably held no more than 250 individuals: 150 on benches and perhaps another 100 standing or seated in the center; see Reed, HarperCollins Visual Guide (see n. 25), 65–66. The synagogues at Qiryat Sefer and Jericho (if in fact the Jericho building is a synagogue) would have held half that number. 63 Levine, “Common Judaism” (see n. 55), 39–40. 64 Translation by K. C. Hanson and Douglas E. Oakman, Palestine in the Time of Jesus: Social Structures and Social Conflicts (Minneapolis: Augsburg Fortress, 22008), 75.

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Clearly, the emergence of the synagogue in various locations and diverse forms signified the growing decentralization of Jewish life at this time, even though Herod’s rebuilding of the temple in Jerusalem and the concomitant expansion of its priestly precincts indicate that the idea of the centrality of the Holy City was not only continuing but perhaps becoming more prominent. Yet, the reality of the late Second Temple period was that, despite the emphasis on the Jerusalem temple, the synagogue was already becoming a pivotal institution, serving diverse communal needs, in Jewish communities both in the Diaspora and in the homeland. It is in this context that Jesus’ ministry in Galilee and perhaps Syria involved appearances in synagogues.

6 Ancient Synagogues – post-70 C.E. After the destruction of the temple in 70 C.E., the synagogue became the central communal and religious institution of Jewish life. A brief glimpse of the synagogue in the post-70 C.E. Roman period is in order, for some of its characteristics may already have been present in its first-century precursors. Indeed, it is only after 70 that its specifically religious character appears in the archaeological record and that its sacred character becomes dominant; but those were also among the diverse functions of the earlier synagogues. Most post-70 synagogues exhibit archaeological features relating to their religious functions. The earliest post-70 Galilean synagogue is that of Nabratein; it dates to the second century C.E. and has the earliest bema and possible Torah Shrine.65 The bema is on the southern wall of the Nabratein synagogue, indicating the orientation of the building to Jerusalem. Although Jerusalem was no longer a Jewish city at this time, its conceptual significance as the Holy City was maintained in the orientation of synagogues, with the focus of worship toward Jerusalem. This focus is found in synagogues all over Roman Palestine and in the Diaspora too. In contrast to the architectural diversity of earlier synagogues, the dominant plan of the post-70 synagogue is the Roman basilica. The choice of that form in the first centuries C.E. is another indication, in addition to what we have already mentioned, that many Jews found features of Roman culture congenial. Yet the local Jewish community did not always relinquish their indigenous architectural forms. The third to fifth century C.E. synagogue at Khirbet Shema‘ provides a fascinating illustration of this 65 Eric M. Meyers and Carol L. Meyers, Excavations at Ancient Nabratein: Synagogue and Environs (Meiron Excavation Project Reports 6; Winona Lake, Ind.: Eisenbrauns, 2009), 35–44, and especially Figs. 7 and 8 and Photos 5–7.

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point.66 Like the synagogues of Eshtemo‘a and Susiya in the south, the Khirbet Shema‘ synagogue is a broadhouse (or broadroom) structure, as were many temples in the Semitic world, with its bema, or focus of worship, on the long, Jerusalem-oriented wall. Yet, with its characteristic columniation, and when viewed looking east-west rather than to the south, it appears basilical. It thus exhibits a mixed or hybrid architectural type: its classical basilical features are derived from Roman building types, and its broadhouse plan represents an indigenous form that echoes Canaanite prototypes. This combination of plans meant that the Holy Ark, placed on the bema of the long southern wall, facing Jerusalem, could not be seen from all directions because the many columns along the main sight lines blocked it. The Khirbet Shema‘ synagogue, although later than the first century, is a striking indication of the creative response of Palestinian Jews to GrecoRoman culture and Hellenistic influence. Another indication of Roman architectural influence on the ancient synagogue of the late Roman and Byzantine periods is the Torah Shrine as the focus of worship. This component of synagogue buildings was likely modeled after the pagan aedicule. Perhaps the best example is the oldest extant Torah Shrine: the one from the third century C.E. synagogue at Nabratein.67 Its elaborate construction on a raised bema, with columns and rampant lions as well as a place for a chain to hold the nr tmîd (perpetual light; cf. m. Tamid 3:9), indicates how important Scripture had become in the life of the Jewish people at the time when the Mishnah was edited and the formation of the canon of the Hebrew Bible was coming to a close. Another feature of the developing synagogue – the use of Scripture in the form of scrolls – is known from depictions, dating to the third century C.E. and later, in ancient art of the Torah Shrine as a receptacle for scrolls.68 That this was already the case in the pre-70 C.E. synagogue is indicated by the reference in Luke 4:16–20, where Jesus reads a prophetic passage (Isa 61:1–2; 58:6) from a scroll. In contrast, the sacred books of early Christianity were apparently in the form of a codex – probably an invention of Greco-Roman culture – according to the evidence from ancient mosaics and frescoes.69 This may mean that in this respect, the syna66 Eric M. Meyers, A. Thomas Kraabel, and James F. Strange, Ancient Synagogue Excavations at Khirbet Shema‘: Upper Galilee, Israel, 1970–1972 (AASOR 42; Durham, N.C.: Duke University Press, 1976), 40, Fig. 3.10, Photos 3.30, 33, 34, 35. 67 Meyers and Meyers, Ancient Nabratein (see n. 65), Photo 26 and Figs 11, 12, 18, 24, 25, 27, 28. 68 For examples, see Eric M. Meyers, “The Torah Shrine in the Ancient Synagogue: Another Look at the Evidence,” in Jews, Christians, and Polytheists in the Ancient Synagogue: Cultural Interaction During the Greco-Roman Period (ed. Steven Fine; London and New York: Routledge, 1999), 201–23: 204–7. 69 Ibid.

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gogue as a Jewish house of worship differed from the places, apart from synagogues, where the first Christians prayed.70 However, Christianity in the East was still in the formative stages in the first centuries C.E., as indicated by the absence of a distinct symbolic vocabulary and of any structures that can be identified as having been purposely built as churches. Wherever Christians prayed in the early centuries, it is likely that they used the codex rather than scrolls.71 In this regard, early Christian architecture needs further attention. Take the case of Capernaum and especially Peter’s house, both of which are critical for archaeological study of early Christianity. Capernaum was the center of Jesus’ Galilean ministry; it was his “own town” according to Matt 9:1. It was where Jesus preached, performed miracles, and chose five of the apostles – Peter, Andrew, James, John, and Matthew – according to the Gospels (Matt 4:13–22, 8:5–22; 9:1–34; Mark 1:21–34, 2:1–17; Luke 7:1– 10). Also, according to Luke (7:5), Jesus stayed numerous times at the house of Peter. Just as many of the early Pharisees and Jesus’ disciples had gathered before in Jerusalem “from house to house” (Acts 2:46), so too did the first Christians gather at Capernaum and at other key places in Jesus’ ministry. The house of Peter is located in the insula sacra, some 30 m south of the magnificent synagogue built of white limestone and dating to the late fourth century C.E. Peter’s house was clearly venerated by the fourth century C.E., when it became a domus ecclesia. At this time an enclosure wall was built around it; and Christian pilgrims left many inscriptions in Greek, Latin, Syriac, and Aramaic. Despite the statement in Luke 7:5 that a Roman centurion built a synagogue at Capernaum, there is no indisputable evidence for a first century synagogue under the great fourth century one.72 Therefore, the data from Capernaum probably do not contradict the hypothesis that earliest Christianity in the Holy Land had no structure built exclusively for worship.73 The oldest such structure in the East is at Dura Europos, where a third century C.E. building represents the architectural adaptation of a private house to a house church, or domus ecclesia. It is almost certain that the house church first provided Palestinian Christian communities with a meeting place for study and prayer.74 The 70 See the discussion below of the Christian house-church and the fact that some Christians prayed in synagogues. See also the contribution of R. Riesner in this volume (pp. 165–196). 71 See E. Meyers, “Torah Shrine” (see n. 68), 206–7. 72 The case for the existence of a pre-fourth century is presented in Runesson, Binder, and Olsson, Ancient Synagogue (see n. 58), 25–31. 73 For a convenient summary of the archaeology of the site, see Stanislao Loffreda, “Capernaum,” NEAEHL 1:291–94. 74 To the best of our knowledge, there is no equivalent “house-synagogue,” although the excavators of Horvat ’Itri suggest that a first-century building they identify as a syna-

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absence of buildings dedicated solely to Christian worship in the Roman period is in accord with evidence in Patristic sources that the early Christians continued to worship in synagogues, apparently attracted by the “awesomeness” of those buildings (Chrysostom, Homilies against the Jews 1.3), their holiness as a place where the Torah and Prophets were read (1.5), and perhaps also by the prestige of its leaders who could heal and do wonders (Origen, Contra Celsum 4.31).75 At least some Jews likely opposed the presence of early Christians in the synagogue, given that the birkat haminim, or maledictory prayer against heretics, was added to the Eighteen Benedictions of synagogue liturgy no later than the mid-second century C.E. if not somewhat earlier, perhaps soon after 70 C.E.76

7 Qumran Qumran and the Dead Sea Scrolls are surely relevant to the discussion of archaeology and early Christianity and Judaism, but the issues surrounding the interpretation of both the texts from and the archaeology of the site are so contentious that a full discussion is beyond the scope of this paper. A few brief comments will have to suffice. One important point is that the new discoveries near the Dead Sea and recent scientific analysis of the ceramics from Qumran now provide compelling evidence that the inhabitants of Khirbet Qumran were not isolated from their surroundings as had often been claimed.77 On the basis of both provenience study and the renewed attention to ceramic typology in its regional context, the putative isolation of the community has now been seriously challenged.78 Chemical analysis of some Qumran sherds shows that the clays from which they were made came from Jerusalem, indicating that either the clays or the jars gogue may have been adapted from a house; see Boaz Zissu and Amir Ganor, “Horvat ‘Etri—A Jewish Village from the Second Temple in the Judaean Foothills,” Qad 123 (2002), 18–27 [Hebrew]. 75 Reuven Kimelman, “Identifying Jews and Christians in Roman Syria-Palestine,” in Galilee through the Centuries: Confluence of Cultures (ed. Eric M. Meyers; Winona Lake, Ind.: Eisenbrauns, 1999), 301–33: 307–9. 76 Ibid., 323–27. Kimelman’s point is that the tensions were from both sides, Jewish and Christian, in respect to the “other.” The rise of Jewish Christianity and the fall of the temple in 70 C.E., with the concomitant animosity toward Rome, surely occasioned the addition of the nineteenth benediction in position number 12. The text loosely translated is “May there be no hope for slanderers and may all wickedness instantly perish, and may all your enemies be quickly destroyed. And may you speedily uproot, smash, destroy, and humble the insolent quickly in our day.” See also Joel Marcus, “Birkat Ha-Minim Revisited,” NTS 55 (2009), 523–51. 77 E. Meyers, “Khirbet Qumran” (see n. 16). 78 Ibid.

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Eric M. Meyers and Carol Meyers

themselves were “imported.” The corpus of pottery forms draws heavily from contemporary local traditions. The scroll jars themselves have been shown to be modifications of several storage jar types; these forms were adapted for scroll storage by making their openings large enough for rolled scrolls to be inserted in them. Another observation is that the unique character of the site, with its more than ten ritual baths and its elaborate water system, supports the view that its inhabitants were extremely observant of purity laws. Also, although the shaft tombs in Qumran’s cemetery have affinities to other burials in the region and even to the Beit Safafa interments mentioned above, the near absence of female skeletal remains supports the claim that ascetic male Essenes inhabited the site. Finally, despite arguments to the contrary, it seems certain that the scrolls stored or perhaps hidden in the caves are related to the inhabitants of Qumran. For one thing, because most of the scrolls were found in caves that are very close to the site, it is difficult to imagine how the process of climbing to the caves with jars of scrolls to be stored could have escaped notice of the Qumran residents. Furthermore, the discovery of a number of blank fragments among the scrolls supports the widely accepted claim that the Qumran community was responsible for writing many if not all of the documents discovered in the caves.79 Assessing the degree to which the content of the scrolls contributes to a better understanding of early Christianity is a complicated task, which we leave to others. That said, we want to emphasize that perhaps the most important contribution of Qumran for understanding early Christianity comes from the scrolls themselves rather than from the archaeology of the site. They indicate that the Essenes and the early Christians shared certain key concepts and beliefs: both expected the Kingdom of God to be imminent; both believed that their respective leader (the Teacher of Righteousness for the Essenes, and Jesus for the Christians) received his revelation from God and shared it with his followers; and both expected the imminent appearance of a messianic figure (two messiahs, a priestly and a prophetic one, in the Qumran literature; and Christ’s reappearance for the early Christians). Although the notions of the immanence of the Kingdom of God and of the Second Coming have been modified, many of these features survive in Christianity but not in Judaism. Clearly, the evidence from Qumran, mainly its scrolls and to a lesser extent its archaeological remains, are invalua79 References to these blank pages can be found in Weston W. Fields, The Dead Sea Scrolls: A Full History, 1947–1960 (Leiden: Brill, 2009), 153 n. 31. Fields says that Roland de Vaux, the original excavator of Qumran, wanted to buy several pieces of blank parchment that had come onto the market and were reported to have come from caves 4 and 5 at Qumran; de Vaux believed that these blank pages would support his claim that documents were being written and copied on parchment scrolls at Qumran.

The Material Culture of Late Hellenistic – Early Roman Palestinian Judaism

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ble for understanding the beliefs and perhaps practices of both Jews and Christians of the Early Roman period.80

8 Concluding Comment This glimpse into the material culture of Late Hellenistic and Early Roman Judaism indicates how important it is for scholars of early Judaism and Christianity to be familiar with archaeological data. To ignore the evidence of material culture is to ignore an important vehicle, to be used in addition to the study of ancient texts, for entering the world of early Christianity. If we have focused largely on Jewish material remains, it is because, as far as we know, those are the only ones that have been recovered; that is, the material culture of the Christians of the first centuries seems not to have been distinct from that of their Jewish and Roman context, with much of Jewish culture itself being an amalgam of Semitic and Greco-Roman features. Engaging in the discoveries of archaeology, along with utilizing the ever more sophisticated ways of analyzing millennia-old literature, is the optimal way to reconstruct the world of early Judaism and Christianity and to understand its social and religious dynamics.

80 In addition to E. Meyers, “Khirbet Qumran” (see n. 16) see inter alia Roland de Vaux, Archaeology and the Dead Sea Scrolls (London: Oxford University Press for the British Academy, 1973); trans. L’archéologie et les Manuscrits de la Mer Morte (Schweich lectures, 1959; London: Oxford University Press for the British Academy, 1961) and Jodi Magness, The Archaeology of Qumran and the Dead Sea Scrolls (Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 2002).

Non-literary Sources for the Interpretation of the New Testament Methodological Considerations and Case Studies Related to the Corpus Judaeo-Hellenisticum ROLAND DEINES

1 Introduction The papers collected in this book have one thing in common: They lavish readers with a wealth of fascinating material remnants of Jewish life in the Hellenistic-Roman Era both in Israel and the various Diasporas. Due to our training as Biblical scholars, the focus lies very much on non-literary written sources. For those not regularly dealing with epigraphical, numismatic, papyrological and archaeological sources, these areas might seem to include too much to handle with any confidence. While this may well be the case, I want to take this opportunity to point to some further fields and topics which might also profitably be taken into consideration for the study of New Testament texts in general, with particular reference to the Corpus Judaeo-Hellenisticum.

2 Non-literary artefacts as part of the Corpus Judaeo-Hellenisticum The following programmatic statement stands at the beginning of the renewed Corpus Judaeo-Hellenisticum: The aim of the Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti is to make accessible those witnesses of early Judaism which are influenced by Hellenistic culture and the politicaleconomical circumstances of the Hellenistic-Roman era, for the research and interpretation of the New Testament. (…) The arrangement of the source-excerpts follows that of the New Testament writings and they were chosen according to their significance for the understanding of New Testament passages. The source-excerpts should be presented in

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Roland Deines

their original language and translation as they relate to the understanding of the New Testament.1

In the following, I want to address two issues in relationship to the aim of the CJH and the topic of this volume. The first is the necessity of contextualizing individual archaeological artefacts in the same way as individual words, phrases or whole text-passages need to be contextualized into their wider literary setting. As the meaning of a specific word depends on the sentence in which it is used so the meaning of an archaeological artefact depends on the context in which it is situated. The second is the precise meaning of “Judaeo-Hellenisticum” as it is used in the programmatic statement of the project, in dealing with archaeological artefacts from the Jewish world to which the New Testament writings belong. 1. The quotation above refers only to texts in the narrow sense of the word. Therefore one might argue that it is enough for the sake of the CJH to deal with those texts which help us to contextualize the New Testament texts. One might also include inscriptions and other non-literary but nonetheless textual evidence as provided by papyrology, numismatics and epigraphy. But is there any need to go further and to include non-textual objects and archaeological remains? And if so, how should they be treated in a commentary on texts? Ever since my first visit to the Wohl-Museum in the Jewish Quarter of the Old City in Jerusalem2 in 1990 I have been attracted by the visibility of the ancient world, which up to this point I had mainly known from literary sources and the relatively few pictures that were available in textbooks, journals like Biblical Archaeological Review,

1

K.-W. Niebuhr, “Das Corpus Hellenisticum: Anmerkungen zur Geschichte eines Problems,” in Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie: Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti (ed. W. Kraus and K.-W. Niebuhr; WUNT 162; Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 361–82: 363: “Ziel des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti ist die Bereitstellung von Zeugnissen des Frühjudentums in seiner durch die hellenistische Kultur und die politisch-ökonomischen Verhältnisse der hellenistisch-römischen Epoche geprägten Gestalt für die Erforschung und Interpretation des Neuen Testaments. (…) Anordnungsprinzip der Quellenauszüge ist die Textfolge der neutestamentlichen Schriften, Auswahlprinzip ihre Aussagekraft für das Verständnis neutestamentlicher Aussagen. Die Quellenauszüge sollen in ihren für das Verständnis des Neuen Testaments wesentlichen Passagen in Originalsprache und Übersetzung (…) wiedergegeben werden.” 2 For a very helpful guide to this important site and museum see N. Avigad, The Herodian Quarter in Jerusalem: Wohl Archaeological Museum (Jerusalem: Keter, 1991), and now also M. Küchler, Jerusalem: Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt (OLB IV.2; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2007), 581–89. The idea for my book on the Jewish stone vessels (see below n. 12) originated during a guided tour of this museum.

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or were used as slides in lectures.3 After all it was only relatively recently that the world wide web made millions of pictures and countless videos showing the remnants of the ancient world available at one’s fingertips. But even the relatively limited amount of pictures of archaeological artefacts available to me during my time as a student helped to increase and adjust my ‘apperceptive encyclopedia’ to the actual world of the texts I am interested in beyond a reliance on my own cultural knowledge and background.4 The new visual opulence, however, makes it even more necessary to understand what is depicted in the plethora of archaeological images now so easily available. To demonstrate the necessity of contextualization of individual archaeological artefacts I would like to start with the uncontroversial use of inscriptions within the CJH. We are used to treating inscriptions like texts, and we use them like texts. But inscriptions are very often firmly rooted in a non-literary archaeological context. An inscription mentioning the donor of a building is often ambiguous as long as the context of the building is not clear: Is the donation for a synagogue, a church, or the building of another cult assembly? Rainer Riesner has recently drawn attention again to the “House of Leontis” which was excavated in Beth Shean/Scythopolis. Is it a synagogue, a house-church, or a Jewish-Christian meeting place, and, if the latter, should it be labelled a church or a synagogue? The central inscription reads “be remembered for good and for praise the Kyrios Leontis the Kloubas, because for the salvation of himself and of his brother Jonathan has he paved this from his own.”5 Another short inscription on the 3 I recall with gratitude the lectures of Professor Siegfried Mittmann in Tübingen on the archaeology of the Holy Land, which were always illustrated with slides. In 1990/91 I had the privilege to stay for one year as a guest at the German Protestant Institute of Archaeology in Jerusalem on the Mount of Olives, directed by Professor August Strobel (1930–2006) who willingly shared with me his wide-ranging knowledge. In 1997/98 I returned to the Institute as assistant of Professor Volkmar Fritz (1938–2007) under whose guidance I learnt some basic skills of archaeological fieldwork. All three scholars, each in his own way, shaped my understanding that the biblical texts should not be read and interpreted without their geographical and material context, for which I am deeply grateful. 4 Cf. U. Eco, The Role of the Reader: Explorations in the Semiotics of Texts (Bloomington: Indiana University Press, 1979); for the application of Eco’s concept in ‘reading’ archaeological findings see S. Alkier and J. Zangenberg, “Zeichen aus Text und Stein: Ein semiotisches Konzept zur Verhältnisbestimmung von Archäologie und Exegese,” in Zeichen aus Text und Stein: Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments (ed. S. Alkier and J. Zangenberg; TANZ 42; Tübingen: Francke, 2003), 21–62: 51–56. 5  /   () ()/   ( )   /  ! " $%' (menorah)/ @ \ () \/ ^`\ \ {* / |}` ~ "^/ | ^* ; translation taken from R. Riesner, “What does Archaeology Teach us about Early House Churches,” Tidsschrift for Teologi og Kirke 78 (2007), 159–84: 173; the twice mentioned name(?) ! resp.  ! is difficult to understand: Riesner,

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upper panel reads “Lord, help Leontis Kloub,” and the €  for “Lord” is abbreviated as a nomen sacrum  with a stroke above it. This seems to support its interpretation as belonging to a Christian context.6 But within the longer dedicatory inscription a five-branched menorah is depicted

following Z. Safrai, “The House of Leontis ‘Kaloubas’ – a Judaeo-Christian?,” in The Image of the Judaeo-Christians in Ancient Jewish and Christian Literature (ed. by P. J. Tomson and D. Lambers-Petry; WUNT 158; Tübingen: Mohr Siebeck, 2003), 245–66, sees in it a member of the Judaeo-Christian “Kleobian sect,” which is mentioned by Epiphanius of Salamis (Pan. 51.6.6; cf. also Apost. Const. 6.81), whereas G. Stemberger (following N. Zori), sees it as a nickname or a profession “der Korbmacher”, see G. Stemberger, Juden und Christen im spätantiken Palästina (Hans-Lietzmann-Vorlesungen 9; Berlin: de Gruyter, 2007), 46–49. For the Leontis mosaic see further the discussions in: N. Zori, “The House of Kyrios Leontis at Beth Shean,” IEJ 16 (1966), 123–34 (excavation report); L. Roussin, “The Beit Leontis Mosaic: An Eschatological Interpretation,” JJA 8 (1981), 6–19; G. Foerster, “Allegorical and Symbolic Motifs with Christian Significance from Mosaic Pavements of Sixth-Century Palestinian Synagogues,” in Christian Archaeology in the Holy Land: New Discoveries (FS V. C. Corbo; ed. G. C. Bottini et al.; SBF.CMa 36; Jerusalem: Franciscan Printing Press, 1990), 545–52: 548–50. Foerster sees the whole compound as a large synagogue-complex with guest quarters and a prayer hall but emphasises that Christian iconographical influence is very strong; Lee I. Levine, Judaism and Hellenism in Antiquity: Conflict or Confluence? (Peabody, Mass.: Hendrickson and University of Washington Press, 1998), 152: “To date, it is still an open question whether the Leontis hall was part of a Jewish private home, a communal building complex or – less likely – an actual synagogue hall.” See also idem, The Ancient Synagogue: The First Thousand Years (New Haven and London: Yale University Press, 1999), 198–203, 587. Here Levine proposes that the rooms around the courtyard (which include the ‘prayer hall’ and the room with the Leontis mosaic) “were part of either a large synagogue complex or a wealthy individual’s home which also included a prayer room” (similar to the situation in Stobi). “These two sites may be examples of what rabbinic literature refers to as ‘the synagogue of an individual’” (201, 381, cf. yMeg 3,4 [74a]); against a religious interpretation of the Odysseus mosaic see P. Baumann, “Mythological Heroes in the Service of Private Representation: A Case Study on Some Late Antique Mosaics in the Holy Land,” in What Athens has to do with Jerusalem (FS G. Foerster; ed. L. V. Rutgers; Leuven: Peeters, 2002), 69–85: 82–85. 6 The appearance of nomina sacra is often taken as a clear indicator that a given text is of Christian provenance, cf. L. W. Hurtado, The Earliest Christian Artifacts: Manuscripts and Christian Origins (Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 2006), 95–134, although some exceptions may exist (106–10). In addition to the ambiguous case from the House of Leontis J. R. Edwards pointed recently to a further example of ‚† for \ from the synagogue of Sardis, whose Jewishness cannot be doubted, cf. “A Nomen Sacrum in the Sardis Synagogue,” JBL 128 (2009), 813–21. Although it is clearly visible it is not discussed in W. Ameling, Inscriptiones Judaicae Orientis (vol. 2 of Kleinasien; TSAJ 99; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 261–63 (no. 90). Edwards, however, seems to be unaware of the Leontis inscription which is not mentioned in the article and the claim is made that the Sardis inscription “appears to be the first known example of a nomen sacrum in a synagogue” (814).

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which seems to point towards a Jewish background.7 To complicate matters further, the mosaic panel above the inscription shows scenes from the life of Odysseus, the one below a Nile scene with the river god Nile prominently displayed. Nilotic scenes are known from pagan, Jewish and Christian buildings, and the image of Odysseus bound to the mast to withstand the sirens (Od. 12.39–45) was often given an allegorical interpretation by the Church Fathers whereby one is able to resist the temptations, as represented by the Sirens, by being bound to the cross, represented by the mast.8 But the same story was also used by Philo as an example for the power of music in his explanation of Gen 15:9 demonstrating that a Jewish explanation of Scriptures could equally use Homeric heroes as examples.9 To add to the conundrum: At the south-western angle of the same courtyard that allows access to the room with the Leontis mosaic lies another mosaicpaved room which is unanimously interpreted as a synagogue. Here a seven-branched menorah is in the center of the mosaic carpet flanked by an ethrog and an incense shovel, accompanied by inscriptions in Greek, Hebrew and Aramaic.10 From this it becomes clear that an inscription alone, isolated from its archaeological context, is not the full ‘text’ that needs to be taken into consideration. A careful analysis of the Leontis-mosaic will need to ‘read’ not just the inscription but also the iconography and the setting of the room containing the inscription within the building complex. The plan of the building (and in addition, the location of this particular building within its neighbourhood), its images and inscriptions together make up the whole available, but still very fragmented, ‘text’. The ambiguity of this ‘text’ cannot be resolved without doubt even by the combined force of epigraphical, iconographical and the remaining archaeological evidence. 7 For the menorah in Christian contexts see R. Hachlili, The Menorah, the Ancient Seven-Armed Candelabrum (JSJSup 68; Leiden: Brill, 2001), 271–72; Stemberger, Juden und Christen (see n. 5), 35. 8 Cf. Foerster, “Allegorical and Symbolic Motifs” (see n. 5), 549; cf. Hugo Rahner, Symbole der Kirche: Die Ekklesiologie der Väter (Salzburg: Otto Müller, 1964), 239–71 (“Odysseus am Mastbaum”), 361–405 (“Das Kreuz als Mastbaum und Antenne”); the whole third part of the book “Antenna Crucis” is devoted to the use of ship imagery in Christian ecclesiology which was well under way already in the second century; for a more popular approach to the same topic see idem, Griechische Mythen in christlicher Deutung (3rd ed.; Zürich: Rhein-Verlag, 1957), 281–328 (ET: Greek Myths and Christian Mystery, London: Burns & Oates, 1963, 286–328). 9 QG 3.3. For Jewish familiarity with Homer and further archaeological finds with Homeric motives from Palestine see M. Hengel, Achilleus in Jerusalem: Eine spätantike Messingkanne mit Achilleus-Darstellungen aus Jerusalem (SHAW.PH 1/1982; Heidelberg: Winter, 1982), 50–52. 10 D. Bahat, “The Synagogue at Beth-Shean,” in Ancient Synagogues Revealed (ed. L. I. Levine; Jerusalem: Israel Exploration Society, 1981), 82–85.

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Archaeological artefacts, therefore, need to be read and analysed like other texts and with the same scrutiny. As artefacts have a context in the written relics of a given time and place and are often only understandable with the help of texts (although some camps within archaeology want to get rid of what they feel to be an intrusion into ‘pure’ archaeological analysis) so literary texts have a context as well within the archaeological remains of their given time and place. Archaeological data, such as the architectural plan of a Jewish house in Galilee in the first century or the layout of a city with the typical features of its time, need to be considered as a specific form of ‘text’ as well. There is more to ‘read’ than just texts, and indeed the exegetical task in reading non-written artefacts is actually very similar to that of reading literary texts.11 An artefact, just like a text, needs a context and co-texts: The context is the historical setting in which it originates, and has its task as well as meaning; co-texts are similar and related items, that allow one to see parallels, specific differences within the same category, and synchronic and diachronic developments. The listing of different meanings of a word in a dictionary with its variations due to time, 11 For the interpretative task of integrating artefacts and texts see J. L. Reed, Archaeology and the Galilean Jesus (Harrisburg, Penn.: Trinity, 2000), 16–21; J. D. G. Dunn, “On the Relation of Text and Artifact: Some Cautionary Tales,” in Texts and Artifact in the Religions of Mediterranean Antiquity: Essays in Honour of Peter Richardson (ed. S. G. Wilson and M. Desjardins; Studies in Christianity and Judaism / Études sur le christianisme et le judaïsme 9; Waterloo, Ont.: Wilfrid Laurier University Press, 2000), 192–206; J. Zangenberg, “Von Texten und Töpfen: Überlegungen zum Verhältnis von literarischen und materiellen Relikten antiker Kulturen bei der Interpretation des Neuen Testaments,” in Texte – Fakten – Artefakte: Beiträge zur Bedeutung der Archäologie für die neutestamentliche Forschung (ed. M. Küchler and K. M. Schmidt; NTOA 29; Fribourg: Academic Press, and Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2006), 1–24; Alkier and Zangenberg, “Zeichen aus Text und Stein” (see n. 4). For a similar task in dealing with the human appropriation of landscape see Susan E. Alcock, Jennifer E. Gates and Jane E. Rempel, “Reading the Landscape: Survey Archaeology and the Hellenistic Oikumene,” in A Companion to the Hellenistic World (ed. A. Erskine; Oxford: Blackwell, 2003), 354–72, and the comments in R. Bernbeck, “Zur Theorie der Archäologie: Einführung in den Stand der Fachdiskussion,” in Zeichen aus Text und Stein (see n. 4), 2–20: 11–12. The concept of landscape “revolves around the human experience, perception and modification of the world. All aspects of human activity – settlement patterns, boundaries, ritual sites, roads, monuments, burial places – together with their intersection with the natural world, are bound up in the concept, which also highlights emotional ties to particular places and the memories invested within them” (Alcock, Gates and Rempel, ibid., 354–55); cf. also H. Moxnes, “Placing Jesus of Nazareth: Toward a Theory of Place in the Study of the Historical Jesus,” in Texts and Artifact, ibid., 158–75. For the CJH such a ‘reading’ can provide a fuller grasp of those place names in the New Testament which have a religious or ideological meaning like Bethlehem, Nazareth, or Jerusalem; for an example in dealing with Galilee see S. Freyne, Jesus, A Jewish Galilean (London: T&T Clark International, 2004), see esp. 7–8, 24–59.

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origin and author is the basic (but by no means only) tool for analysing a text. In a similar way an archaeological item needs to be studied with the help of ‘dictionaries’ that allow for diachronic and synchronic developments. An artefact is not read properly when used just as a simple illustration as can be seen so often in textbooks – if they refer to non-textual evidence at all. To give but one example: In my book on Jewish stone-vessels12 I have pointed out that the large stone-jars made of soft limestone in the time roughly between Herod and the destruction of the Temple in Jerusalem should be seen in connection with what the Gospel of John refers to in 2:6 as the “stone jars … according to the purification rites of the Jews, each containing two or three metretes.” This connection is widely accepted and a reference to this kind of stone vessels can be found in many new commentaries13 which state only the fact that such vessels have actually been 12 R. Deines, Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit: Ein archäologisch-historischer Beitrag zum Verständnis von Joh 2,6 und der jüdischen Reinheitshalacha zur Zeit Jesu (WUNT 2.52; Tübingen: Mohr Siebeck, 1993); since its publication a large amount of new archaeological findings (with now over two-hundred sites in Judaea, Galilee, the Golan and Peraea in the Transjordan, see esp. the detailed maps in Magen [see same footnote below], 148–80) has been made available and older material is now published in final reports. The most important ones (with extensive bibliographies) are H. Geva, “Stone Artifacts,” in Jewish Quarter Excavations in the Old City of Jerusalem Conducted by Naham Avigad, 1969–1982, Final Report vol. 3: Area E and Other Studies (ed. H. Geva; Jerusalem: Israel Exploration Society, 2006), 218–38; Y. Magen, The Stone Vessel Industry in the Second Temple Period: Excavations at Hizma and the Jerusalem Temple Mount (Judea and Samaria Publications 1; Jerusalem: Israel Exploration Society / Israel Antiquities Authority, 2002); R. Reich, “Stone Vessels, Weights and Architectural Fragments,” in Jewish Quarter Excavations in the Old City of Jerusalem, Conducted by Naham Avigad, 1969–1982, Final Report vol. 2: The Finds from Areas A, W and X-2 (ed. H. Geva; Jerusalem: Israel Exploration Society, 2003), 263–92; R. Reich, “Stone Mugs from Masada,” in Masada VIII: The Yigael Yadin Excavations 1963–1965 Final Reports (Jerusalem: Israel Exploration Society, 2007), 195–206; in addition new studies have appeared in which the development, distribution, use, meaning, and production-time of stone-vessels is addressed: S. S. Miller, “Some Observations on Stone Vessel Finds and Ritual Purity in Light of Talmudic Sources,” in Zeichen aus Text und Stein (see n. 4), 402–19; idem, “Stepped Pools, Stone Vessels, and other Identiy Markers of ‘Complex Common Judaism’,” JSJ 41 (2010), 214–43; J. L. Reed, “Stone Vessels and Gospel Texts. Purity and Socio-Economics in John 2,” in Zeichen aus Text und Stein (see n. 4), 381–401 (see also his review of Deines, Steingefäße, JSJ 27 [1996], 78–81; and his Galilean Jesus [see n. 11], 43–53); J. Zangenberg, “Common Judaism and the Multidimensional Character of Material Culture,” in First-Century Jewish and Christian Identities (FS E. P. Sanders; ed. F. Udoh; Christianity and Judaism in Antiquity 16; Notre Dame: University of Notre Dame Press, 2008), 175–93. 13 For the interpretation of the reference in John 2:6 to stone vessels in the literature before the archaeological data became easily available see Deines, Steingefäße (see n. 12), 29–34.

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found.14 But mostly this is done as mere illustration: A text mentions a specific item or artefact and commentators tell the reader that such an artefact was actually found and its existence supports the authenticity of the given text. That is not wrong, but at best a first step. It is similar to another shortcoming in many commentaries, namely informing the reader that a word used in one text can be found also in another text. To add substance to the intended ‘reading’ of the artefact, context and co-texts need to be applied. Using the example of the stone vessels, one needs to recognize, among other things, that they appear as something practically unprecedented within the second half of the first century before Christ. They appeared only in Israel, with a concentration in Jerusalem, but not restricted to it. Wider Judaea and Galilee provide further finds, as well as some areas in the coastal plain and in modern-day Jordan. Only two sites from Samaria are known, but for both of them a Jewish populace is likely.15 But even more interestingly, there are no close parallels for this kind of stone vessels in the Graeco-Roman world (neither for the same period nor for others), that means the Graeco-Roman world provides no co-texts.16 Because of this very limited range of ethnical, geographical and chronological distribution, these vessels are used in archaeological excavations as indicators of Jewish presence in a house, village or city at the end of the Second Temple Period in the land of Israel. But that is not yet the end of this 14 In some commentaries references are made to another type of stone container, often placed at the entrance area of a house to hold water fresh and cool. These containers can be found throughout the Mediterranean world and are not typically Jewish, and not at all connected to the specific Jewish purity concerns. They are hardly moveable and therefore suggestions like the one mentioned in L. Morris, The Gospel according to John, Revised Edition, (NICNT; Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 1995), 160 n. 29, that “the average household would have had one such jar, and the rest would have been borrowed” are wrong; for a similar and equally misleading statement see A. T. Lincoln, The Gospel According to Saint John (BNTC; London: Continuum, 2005), 128–29; often the archaeological finds are completely ignored even in very recent commentaries, e.g. F. J. Moloney, The Gospel of John (SP Series 4; Collegeville, Minn.: Liturgical Press, 1998), 68, 72; H. Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005), 157; it is also remarkable that even studies devoted to the topic at hand are more or less disinterested in the issue of the vessels, although they are clearly of interest for the evangelist; as an example see L. P. Jones, The Symbol of Water in the Gospel of John (JSNT.SS 145; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1997), 58–60. C. S. Keener, The Gospel of John (2 vols.; Peabody, Mass.: Hendrickson, 2003), 1.509–13, accrued a lot of more or less pertinent details but in the end leaves the reader more puzzled than informed. 15 Cf. Deines, Steingefäße (see n. 12), 136–40; Magen, Stone Vessel Industry (see n. 12), 160. 16 The scarcity of finds related to the first century B.C.E. and first century C.E. does not allow any decision to be made on whether stone vessels were used by Diaspora Jews. Until now no comparable items have been found in any of the Jewish sites outside of Israel.

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‘text’: in trying to establish its context, one detects that the stone vessels have a close relation to ossuaries, bone containers made mostly out of the same soft limestone, and evidently even produced with similar techniques and perhaps even in the same workshops.17 So one has the same time period, the same material and technique, and roughly the same area of distribution. Does this mean that the two ‘texts’ belong together in one way or another? Do they support the meaning of each other? These are exactly the same questions that need to be asked when comparing ‘real’ texts with each other. The simple fact of the same date and ‘language’ does not necessarily mean any marked or intended connection. It is the task of the ‘reader’ to establish or to rule out such a connection. That this can be done in a very effective way is demonstrated by Mordechai Aviam. He compared the distribution of eleven different groups of archaeological finds (Galilean Coarse Ware = “a group of clay vessels produced in the Hellenistic Galilee by the local pagan population”; Hasmonean coins; ritual baths [Miqva’ot]; stone vessels; pagan temples and Jewish synagogues; buildings with crosses or menorahs; Kfar Hananiah pottery as opposed to Phoenician pottery; non-figurative sarcophagi and ossuaries as opposed to human statues, human figures and decorated sarcophagi; secret hideaways) to demonstrate how their distribution is indicative of the ethnic and religious orientation of the population.18 The overlapping evidence from the archaeological data results in borders for the Jewish population that coincide with the boundaries of Galilee as described by Josephus, whose trustworthiness in 17 Evidence for a workshop that produced stone vessels and ossuaries was found on Mount Scopus, Jerusalem, see D. Amit, J. Seligman and I. Zilberbod, “Stone Vessel Workshops of the Second Temple Period East of Jerusalem,” in Ancient Jerusalem Revealed (ed. H. Geva; Jerusalem: Israel Exploration Society, 2000), 353–58: 356–57; all other known workshops revealed only waste from the production of vessels. 18 M. Aviam, “Distribution Maps of Archaeological Data from the Galilee: An Attempt to Establish Zones Indicative of Ethnicity and Religious Affiliation,” in Religion, Ethnicity and Identity in Ancient Galilee (ed. J. Zangenberg, H. W. Attridge and D. B. Martin; WUNT 210; Tübingen: Mohr Siebeck, 2007), 115–32; see also idem, “Borders Between Jews and Gentiles in the Galilee,” in idem, Jews, Pagans and Christians in the Galilee (Land of Galilee 1; Rochester, N.Y.: University of Rochester Press, 2004), 9–21; D. R. Edwards, “Identity and Social Location in Roman Galilean Villages,” in Religion, Ethnicity and Identity, ibid., 357–74; I. Shaked and D. Avshalom-Gorni, “Jewish Settlement in the Southeastern Hula Valley in the First Century CE,” in Religion and Society in Roman Palestine: Old Questions, New Approaches (ed. D. R. Edwards; London: Routledge, 2004), 28–36. For a more cautious (but hardly convincing) approach to this methodology see M. Moreland, “The Inhabitants of Galilee in the Hellenistic and Early Roman Periods: Probes into the Archaeological and Literary Evidence,” in Religion, Ethnicity and Identity, ibid., 133–59 (see esp. 140–41). For a discussion of the problems of an “archaeology of ethnicity” see Miller, “Stepped Pools” (see n. 12), 217–19, who himself acknowledges the value of cumulative evidence to describe Jewish identity (e.g. 223).

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this regard is thereby tellingly confirmed. The contextualization of the individual groups of findings enhances for each of them their explanatory power, or as Peter Richardson describes it: “the combination of two kinds of evidence [namely “texts and artefacts”] leads to reconstructions that are surer and more confident in knowing how things worked in antiquity.”19 In my book I undertook to justify the relatedness of stone vessels with ossuaries, and in addition with Jewish ritual baths, and synagogues (since its publication this list can be increased) as they all form part of an interconnected web that originated slowly towards the end of the 2nd century B.C.E. and can be observed in full at the beginning of the first century C.E. There is no doubt about the material developments described here, but there is some contention about the social and religious forces behind these changes. My own conviction is still that the most probable solution is to read the archaeological evidence in combination with the emerging Pharisaic movement as its formative context.20 It is part of the concept of the CJH to contextualize the passages from the original sources which are included as co-texts for a certain biblical text to limit the danger of parallelomania.21 That means, before a chosen passage is connected with a New Testament passage, it is necessary to give due consideration to its original literary setting, its communicative function and its implied intention. A similar careful contextualization is necessary for the use of non-literary artefacts or items. The methodological problem of a ‘commentary’ in the intended form of the CJH is that the problems and questions of the New Testament text determine, and even dominate to a certain degree, the co-texts which are chosen to explain it. This seems unavoidable as long as one writes a commentary on one of the texts only, and not on the other. But the inherent fallacy in this process of ‘using’ material must be kept in mind to minimize the danger. Regarding the stone vessels, this means that the seemingly perfect match between the source text in John 2:6, namely vessels made of stone containing a large amount of water for the sake of purity concerns typical for Jews, and the stone jars that were actually found, needs to be carefully qualified: the 19 P. Richardson, Building Jewish in the Roman East (JSJSup 92; Leiden: Brill [= Waco, Tex.: Baylor University Press], 2004), 10. 20 For a short recent summary see R. Deines, “Jüdische Steingefäße aus der Zeit von Herodes bis Bar Kochba,” in Judäa und Jerusalem: Leben in römischer Zeit (ed. J. Schefzyk and W. Zwickel; Stuttgart: Katholisches Bibelwerk, 2010), 134–37. For a critique of my position see the articles mentioned above n. 12. 21 For the desired methodological steps see R. Deines and K.-W. Niebuhr, “Philo und das Neue Testament – Das Neue Testament und Philo: Wechselseitige Wahrnehmungen,” in Philo und das Neue Testament (ed. R. Deines and K.-W. Niebuhr; WUNT 172; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 3–18: 12–16; idem, “The Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti-Project: From the Past to the Future,” Early Christianity 1 (2010), 633–39.

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stone vessels as artefacts do not reveal much in themselves about their originally intended function. What they contained is not clear if there has been no chemical examination of a statistically relevant portion of them which might hint at their content. That they were used by Jews is not simply written on them and also cannot simply be attributed to them because we have in John 2:6 and in the rabbinic literature the mentioning of stone vessels, but must be carefully established with the help of the available archaeological data. That they functioned for religiously connotated purification rites is also an interpretation and not a fact per se that can be traced without further ado from the artefact itself. Keeping this is in mind and weighing the available evidence nevertheless makes it possible to make a well-founded judgement in the end. Regarding the evidence of stone vessels there is a consensus that they reveal a typical item of first century Judaism in the land of Israel. But whether these vessels actually point towards a specific form of purity halakha and even towards pharisaic influence, is a matter of debate. 2. That leads to a second point: should the ‘text’ of the stone vessels as proposed above be part of the Corpus Judaeo-Hellenisticum? There is no question that the stone vessels belong to a Corpus Judaicum. But are they a witness to a Hellenistic cultural influence on early Judaism? Do they reflect the political, cultural and/or economic circumstances of the Hellenistic-Roman era? These are, after all, the criteria for what should be included and what should not.22 The definition of “Hellenisticum” in the name of the project is deliberately vague and with good reason. Hellenistic cultural influence or the reflection of political and economical circumstances of the Graeco-Roman world can be attached, however loosely, to nearly everything in the Jewish material culture from the third century B.C.E. onwards because Hellenisation and Romanisation influenced not only language, literature and philosophical agendas but also meant technological transfers.23 The first technological revolution in Palestine was the result of Ptol-

22 See n. 1: “Ziel des Forschungsprojektes ‘Corpus Judaeo-Hellenisticum zum Neuen Testament’ ist die Bereitstellung von Zeugnissen des Frühjudentums, sofern es sich als durch die hellenistische Kultur und die politisch-ökonomischen Verhältnisse der hellenistisch-römischen Epoche beeinflußt zeigt …” 23 J. K. Davies, “Hellenistic Economies,” in The Cambridge Companion to the Hellenistic World (ed. G. R. Bugh; Cambridge: Cambridge University Press, 2006), 73–92: 85. This was already observed by M. Hengel, Judaism and Hellenism: Studies in their Encounter in Palestine during the Early Hellenistic Period (trans. J. Bowden; 2 vols.; London: SCM, 1974), 1.39–47; idem, “The political and social history of Palestine from Alexander to Antiochus III (333–187 B.C.E.),” in CHJ 2.35–78: 56–57. See also the contribution of Eric and Carol Meyers in this volume.

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emaic rule.24 This was due to the fact that the Ptolemies supported technological invention and the sciences in an unprecedented way and, particularly, that in their capital, Alexandria, “a greater number of scientists and engineers, particularly ca. 320–200, accumulated more new knowledge than during any other three centuries of antiquity” which is demonstrated i.a. by the fact that “more scientific documents survive from this era than any other kind of writing.”25 A later boost was provided by Herod who imported Roman technology into the region.26 Regarding the stone vessels, it is possible to demonstrate that only Roman technology made widely available in Israel through Herod allowed the working of large stone blocks on a lathe. The hardening of iron into steel is a further technological improvement by the Romans that enabled the mass production of stone vessels.27 The study of cultural influence should not concentrate solely on literature, philosophy, religion and politics, as scholars in Humanities trained primarily in dealing with texts normally do.28 If modern day analo-

24 Cf. L. Russo, The Forgotten Revolution: How Science was Born in 300 BC and Why it Had to be Reborn (Berlin: Springer, 2004). Note that only the first part of the book “How Science was Born”, i.e. the collection and description of scientific and technological inventions from 323 B.C.E. to 30 B.C.E., is helpful for the question at hand; D. Hägermann and H. Schneider, Landbau und Handwerk 750 v. Chr. bis 1000 n.Chr. (Propyläen Technikgeschichte 1; Frankfurt: Propyläen, 1991), 187–207: “Der Hellenismus”; K. D. White, Greek and Roman Technology (London: Thames and Hudson, 1984); for shorter summaries see H. Schneider, “Technik, Technologie,” in Der Neue Pauly 12/1 (2002), 68–74; P. T. Keyser and Georgia Irby-Massie, “Science, Medicine, and Technology,” in The Cambridge Companion to the Hellenistic World (see n. 23), 241–64; for the parallel development of technological manuals starting with Aristotle’s Mechanics (also Mechanica or Mechanical Problems) see B. Meissner, Die technologische Fachliteratur der Antike: Struktur, Überlieferung und Wirkung technischen Wissens in der Antike (ca. 400 v.Chr.–ca. 500 n.Chr.) (Berlin: Akademie Verlag, 1999). 25 Keyser and Irby-Massie, “Science, Medicine, and Technology” (see n. 24), 241. 26 Hägermann and Schneider, Landbau und Handwerk (see n. 24), 208–300: “Das Imperium Romanum”; A. Lichtenberger, Die Baupolitik Herodes des Großen (ADPV 26; Wiesbaden: Harrassowitz, 1999), 63–67, 117 (and elsewhere); E. Netzer, The Architecture of Herod, the Great Builder (TSAJ 117; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 288–92 and the appendices 309–83; G. Lehmann, “Zwischen Umbruch und Tradition: Kultureller Wandel in Palästina während der römischen Kaiserzeit im Licht der archäologischen Quellen, ca. 40 v.u.Z. und 350 u.Z.,” in Zeichen aus Text und Stein (see n. 4), 136–82. 27 Cf. Deines, Steingefäße (see n. 12), 41–45; cf. Magen, Stone Vessel Industry (see n. 12), 116–31. 28 The usefulness of including the material culture in the analysis of the dynamics of cultural transformations can be seen in A. Wallace-Hadrill, Rome’s Cultural Revolution (Cambridge: Cambridge University Press, 2008), who describes, among other things, how dress-codes, architecture, luxury goods and fashion function as means to create an identity or to adapt it to a new situation. For a modern example connected with development aid provided by the industrialized countries see Margaret Head (ed.), Cultural Pat-

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gies are allowed for a moment, then it is quite clear that certain technological items or desirable products that allow improvements of whatever nature are normally the initial export items in cross-cultural exchanges, and they should seen as what they are: improvements for a given way of life but not the adoption of a foreign culture.29 A taste for Coca Cola does not necessarily imply a taste for the American way of life or its political agenda.30 On the other hand, technology, like art, literature, politics and religion, is a cultural expression and not completely separable from it. Furthermore, technology is deeply connected with the economic structure of a society and technological changes very quickly influence the economy and through it society and culture as a whole. Adopting a certain technology often means adopting new economic and cultural patterns as well or, at least, the modification of existing ones.31 In this respect the HellenisticRoman era is an age of technological progress and therefore an age of cultural and social change.32 So, to argue for the inclusion of stone vessels in the Corpus JudaeoHellenisticum, it can be pointed out first of all that the ready availability of stone vessels (which means they became affordable for the average person) was due to the technological progress of the Roman era. The fact that stone vessels, especially in connection with miqva’ot in private houses, became a common feature of everyday Jewish life in the time between Herod and the destruction of the Temple, points to a concern for purity matters in inditerns and Technical Change: A Manual prepared by the World Federation for Mental Health (Tensions and Technology Series; Paris: UNESCO, 1953). 29 Wallace-Hadrill, Rome’s Cultural Revolution (see n. 28), 3–37, criticises the traditional discourses about ‘Hellenisation’ and ‘Romanisation’ which are all based on the assumption of a forced or voluntary amalgamation of different cultures, whereas he sees much more evidence for a form of cultural bi- or even trilinguism in the sense that one can use Roman, Hellenistic and/or one’s own traditional ethnic patterns (and languages) simultaneously according to what is applicable in a specific situation, and so allowing what he calls “code-switching” (13); cf. also Richardson, Building Jewish (see n. 19), 19–21, and L. I. Levine, “Archaeology and the Religious Ethos of Pre-70 Palestine,” in Hillel and Jesus (ed. J. H. Charlesworth and L. L. Johns, Minneapolis: Fortress, 1997), 110–21: 115–19, who both make clear that Hellenistic influences and a strong Jewish identity are not mutually exclusive: “The same people may have adopted Hellenistic practices in certain aspects of their lives while embracing particular Jewish modes of behavior in others” (Levine, ibid., 119). 30 Cf. A. Stephan (ed.), The Americanization of Europe: Culture, Diplomacy, and AntiAmericanism after 1945 (New York: Berghahn, 2006). For Coca-Cola see 413 (index). 31 For the instructive example of flower mills see the contribution of Carol and Eric Meyers in this volume, and Carol Meyers, “Grinding to a Halt: Gender and the Changing Technology of Flour Production in Roman Galilee,” in Engendering Social Dynamics: The Archaeology of Maintenance Activities (ed. Sandra Montón-Subías and Margarita Sánchez-Romero; BAR International Series 1862; Oxford: ArchaeoPress, 2008), 65–74. 32 For literature see above nn. 23–26.

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vidual households which is attested by neither archaelogical or literary evidence before the second century. Certain events or developments obviously acted as catalysts to accelerate individual purity concerns. In particular the Hellenistic crisis under Antiochus IV Epiphanes and, connected to this, the dramatic failure of the priestly aristocracy, were decisive factors within Judaism for the origin and development of religiously motivated parties with differing interpretations of how a Jewish lifestyle should proceed. The focus of religious commitment shifted more and more from the nation to the individual, from temple to the household, from priest to layperson in that the latter became increasingly important; in other words, religious commitment became, to a large extent, the task of the individual for the sake of his people and the integrity of the temple and the land.33 Miqva’ot and stone vessels allowed individual households to live a life in accordance with a specific interpretation of Israel’s obligation to keep her covenant with God. Technological developments were thus used to further facilitate this halakhic commitment.

33 Cf. Miller, “Stepped Pools” (see n. 12), 223–30. For the process of individualisation as one result of Hellenisation see Hengel, Judaism and Hellenism (see n. 23), 1.116– 117 (cf. also 79, 195, 202); for the role of the Pharisees within this process see R. Deines, Die Pharisäer: Ihr Verständnis im Spiegel der christlichen und jüdischen Forschung seit Wellhausen und Graetz (WUNT 101; Tübingen: Mohr Siebeck 1997), 545–47 (cf. also 44–50, 115); the new concept of individualism can also be seen behind the introduction of new funerary customs, especially secondary burial in ossuaries, cf. E. Regev, “The Individualistic Meaning of Jewish Ossuaries: A Social-Anthropological Perspective of Burial Practice,” PEQ 133 (2001), 39–49; R. Hachlili, Jewish Funerary Customs, Practices, and Rites in the Second Temple Period (JSJSup 94; Leiden: Brill, 2005), 524; what Andrea M. Berlin describes from the early-mid first century B.C.E. as “household Judaism” (“Jewish Life Before the Revolt: The Archaeological Evidence,” JSJ 36 [2005], 417–70) can also be seen as the result of the individual’s growing influence and responsibility for religious and ethnic identity, cf. idem, “Pottery and Pottery Production in the Second Temple Period,” in Excavations on the Site of the Jerusalem International Convention Center (Binyanei Ha’uma) (ed. B. Arubas and H. Goldfus; JRASup 60; Portsmouth, R.I.: Journal of Roman Archaeology, 2005), 29–60: 53–54: the new pottery workshop Berlin discusses in this article, in combination with other findings, points to the fact that “household purity” became a widespread phenomenon in the 2nd half of the first century B.C.E. whereby “Jerusalem housewives were able to contribute to the sanctity of their homes” (54); Berlin refers in this context approvingly to E. Regev, “Pure Individualism: The Idea of Non-priestly Purity in Ancient Judaism,” JSJ 31 (2000), 176–201; cf. also idem, “Non-Priestly Purity and Its Religious Aspects According to Historical Sources and Archaeological Findings,” in Purity and Holiness: The Heritage of Leviticus (ed. M. J. H. M. Poorthuis and J. Schwartz; Jewish and Christian Perspectives Series 2; Leiden: Brill, 2000), 223–44, and R. Deines, “The Social Profile of the Pharisees,” in The New Testament and Rabbinic Literature (ed. R. Bieringer et al.; JSJSup 136: Leiden, Brill, 2010), 111–32: 127–29.

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A further point needs to be kept in mind to avoid an all too narrow understanding of Hellenistic-Roman influences. David Balch asked in his book on Roman domestic art whether “Jews and Christians have seen this domestic art” (namely wall paintings, mosaics, and statues on displays, which often include religious and mythological topics) and answers with a clear yes, because the general expectation was that houses of the leading class were open to the public and were visited regularly by them.34 Also, Greek and Roman art displayed in the public sphere of pre-dominantly non-Jewish cities (or descriptions thereof) like Caesarea, Samaria, Gadara, Acco-Ptolemais, Tyre etc., were part of contemporary Jewish experience. So even if Jews were reluctant to use figurative paintings and mosaics before the third century in their own buildings, this does not mean that before that time they were ignorant of such motifs and displays in ‘pagan’ houses.35 Generally speaking, people are aware of many more cultural options than those they choose to practice in their own lives, and what is avoided at times is as telling about one’s identity, personality or religious commitment than what is realised. The ‘reading’ of Jewish archaeological artefacts has therefore to recognize the complete cultural ‘dictionary’ available to appreciate which parts of it were used, which were only used with adaptations, and which were deliberately omitted.

3 From mere illustrations to exegetical necessities: artefacts as part of exegesis In order to demonstrate the usefulness of non-literary material for the CJHproject (and what can be said about the CJH is true for the interpretation of 34

Roman Domestic Art and Early House Churches (WUNT 228; Tübingen: Mohr Siebeck, 2008), 35–38 (see also 3–9 and elsewhere). 35 The difficulty to define clear borders is evident in the discussion about the possible owner of the house with the famous Dionysios mosaic on the floor of the triclinium from Sepphoris. The villa was erected in the late second, early third century C.E. on top of older structures (one of which included a miqveh). This mosaic floor was, according to the thorough analysis of R. Talgam and Z. Weiss, The Mosaics of the House of Dionysos at Sepphoris Excavated by E. M. Meyers, E. Netzer and C. L. Meyers (Qedem 44; Jerusalem: The Hebrew University of Jerusalem; Institute of Archaeology, 2004), 125, “not intended purely for ornamentation, but is rather underlain by a distinct religious agenda. Whoever designed the mosaic, and possibly also its patron, was extremely knowledgeable about the myths concerning Dionysos and perhaps also closely acquainted with the Dionysiac cult.” Nevertheless, the two authors disagree about the possible religious affiliation of the owner of the house, with Weiss even entertaining the possibility that Rabbi Judah the Prince, the editor of the Mishnah, lived here (128–30), whereas Rina Talgam favours a pagan owner.

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the NT as a whole), it might be helpful to classify in what way archaeological data can help to contextualize the New Testament writings beyond their literary contexts: 1) texts that can be understood solely in relation to their literary context but can also be illustrated by archaeology; 2) texts that can be understood to some extent within their literary context but nonliterary evidence is beneficial to understand them more fully; and 3) texts that can be understood only with reference to non-literary evidence.36 1) The first group are those texts which can be adequately understood according to their literary context alone. The non-literary information provided by archaeology is more or less a kind of addendum but as such not without value.37 Here archaeological data (mainly in the form of artefacts, but also architecture, town plans, information about infrastructure etc.) serve primarily to illustrate the biblical text and through this enlarge the ‘apperceptive encyclopedia’ of the readers for a given text. To give just two examples:38 a) James 3:2–3 uses the bridle ( ‡  in 3:2, and the verb ‡ *ˆ* in 1:26; 3:2) for a horse as an illustration of how with something very small, something as big and strong as a horse can be directed and commanded. Even without any clear picture of how a bridle might have looked in the first century the comparison is clear and understandable,39 although it would be beneficial for a more complete comprehension 36 For a similar tripartite categorization see J. H. Charlesworth, “Jesus Research and Archaeology: A New Perspective,” in idem, Jesus and Archaeology (Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 2006), 11–63: 27. 37 A good survey of the usefulness of the so-called minor objects from archaeological excavations can be found in Susan I. Rotroff, “Material Culture,” in The Cambridge Companion to the Hellenistic World (see n. 23), 136–57: “The role material culture played in the past and its consequence for present-day knowledge of the ancient world cannot be overestimated, even in the realm of the most intellectual of that world’s achievements” (136). One important feature is that material culture, unlike literary sources “which almost exclusively express the male, aristocratic viewpoint … is no respecter of rank. It tells everyone’s story – man, woman, slave, ruler, metic, citizen – if we can only read it” (137). 38 The seemingly random selection of examples is the result of my own interests and the fact that I shall write the commentary on James for the CJH series. For a different list see Charlesworth, “Jesus Research,” 27–37. For a rather comprehensive list of artefacts mentioned in the New Testament see J. Louw and E. A. Nida, Greek-English Lexicon of the New Testament: Based on Semantic Domains (2 vols., 2nd ed.; New York: United Bible Societies, 1989), 1.53–80 (for architectural terms see section 7 “Constructions,” 81–93). 39 Horses, and accordingly different types of horse-gears, became increasingly important during the Hellenistic period for transport, agriculture and military, cf. Hägermann and Schneider, Landbau und Handwerk (see n. 24), 245–52 (with many illustrations). For the new variations of lighter and heavier cavalry within the Hellenistic kingdoms see G. R. Bugh, “Hellenistic Military Developments,” in The Cambridge Compan-

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to be able to present an actual bridle from a first century context.40 For James, the bridle functions as a powerful illustration for what he wants to say about controlling the tongue, using this same image twice. A comparison of the use of this word group within Jewish literature reveals that the metaphorical use of bridles to curb anger or passions is quite common for some authors (but missing in others, like Jesus Sirach or Josephus comion to the Hellenistic World (see n. 23), 265–94: 273–75. For a more detailed picture see M. C. Bishop, “Cavalry Equipment of the Roman Army in the First Century A.D.,” in Military Equipment and the Identity of Roman Soldiers: Proceedings of the Fourth Roman Military Equipment Conference (ed. J. C. N. Coulston; BAR International Series 394; Oxford: B.A.R., 1988), 67–195 (108 is specifically on bridles, but there are many illustrations in other parts where the bridles are clearly visible). 40 An example found in Pompeii from the first century is shown in W. H. Stephens, The New Testament World in Pictures (Nashville, Tenn.: Broadmann, 1987), 46 no. 54 (for first century illustrations see Bishop, “Cavalry Equipment” [see n. 39], 70–94, 1089). The bridles of two horses are clearly visible on a mosaic found in the so-called Nile Festival building (probably a public building, perhaps a municipial basilica which as such could have been used by Jews as well) in Sepphoris, which was built over an Early Roman period building around the early fifth century C.E., see Z. Weiss and R. Talgam, “The Nile Festival Building and Its Mosaics: Mythological Representations in Early Byzantine Sepphoris,” in The Roman and Byzantine Near East (ed. J. H. Humphrey; JRASup 49; Portsmouth, R.I.: Journal of Roman Archaeology, 2002), 55–90. Under the building a ritual bath was found (55) indicating that the area was owned by Jews before the erection of the new building. A slightly different dating and explanation for the building is given by Z. Weiss, “Sepphoris,” NEAEHL 5:2029–35: 2031 and p. XIX: “The building should be identified as a forum, a freestanding edifice linked to the street network … It was constructed in the Early Roman period and was in continuous use until the mid-fourth century CE.” This early dating needs, it seems, to be corrected, cf. Z. Weiss and E. Netzer, “New Evidence for Late-Roman and Byzantine Sepphoris,” in The Roman and Byzantine Near East: Some Recent Archaeological Research (JRASup 14; Ann Arbor, Mich.: Journal of Roman Archaeology, 1995), 162–76 (on the Nile Festival House see 166–71). On the panel opposite the main entrance to the basilical hall a hunting couple on horses are depicted with bridles and reins clearly visible. Two more riders are to be seen on the Nile festival mosaic itself (although there the bridles are less prominent), as well as on the mosaic with dancing Amazons in the easternmost room of the building where in the upper register two horses are shown tied to two flanking trees (Weiss and Talgam, “The Nile Festival Building,” 77–78, see esp. fig. 16). Nilotic landscapes and hunting scenes are a prominent feature on mosaic floors in late antique Palestine, and the riders were often, as in the Sepphoris examples, depicted in the midst of all kind of fish, crocodiles or other wild animals, which provides a context for James 3:7 as well. The mosaics express what Weiss and Talgam describe as “secular Early Byzantine art. Their use was decorative and bore no religious significance,” but may indicate “a period of classical revival” (83), which would have influenced Christians and Jews alike. Cf. also Z. Weiss, “The Mosaics of the Nile Festival Building at Sepphoris and the Legacy of the Antiochene Tradition,” in Between Judaism and Christianity (FS Elisheva [Elisabeth] Revel-Neher; ed. Katrin Kogman-Appel and Mati Meyer; The Medieval Mediterranean 81; Leiden: Brill, 2009), 9–23 and plates 1–4.

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pletely), and that James shares with Philo especially its use in connection with speech-ethics. ‰  is used in the NT only in James 3:3 and in Rev 14:20 (where the horses are actually mentioned, while they are only presupposed in James). In the LXX it is also rarely used (seven times) and mostly in a metaphorical sense for the taming of God’s enemies (2Kings 19:28 par. Isa 37:29; Hab 3:14 = Odes 4:14 [diff. MT] Ps 31/LXX 32:9; Job 30:11; cf. also 2Bar 12:4: God’s wrath against Babylon is held back for the moment “by reins”); for a horse bridle see Zech 14:20; in addition ‡€‡Š  is used twice in 1Esd 3:6 for bridles of a chariot (par. Josephus, Ant. 11.35) and in 2 Macc 10:29 for those of the angel-warriors (also in Jos. Asen. 5:4 for the bridles of Joseph’s chariot). Josephus uses five derivatives of the word stem but each of them only once, namely ‡ * in J.W. 2.387 (two legions are enough to curb [‡ ‹] any seditious ambitions in Egypt); %‡ * to unbridle in Bell 6.153 (cavalry horses were allowed to graze unbridled) and ‡  in Ant 18.320 (bridled horses with riders ready to attack, who were betrayed by the jingling of the bridles); for ‡€‡Š  see above. The verb ‡ *ˆ* (to bridle) is used in the NT only twice, in James 1:26 and 3:2 but it is absent from the LXX, Josephus, and the Pseudepigrapha. Philo uses the verb only once (Opif. 86),41 but otherwise the word stem is fairly frequent in his works: ‡  (7 times), ‡ * (2 times), |‡ * (to bridle, to place a bit in the mouth, 5 times), ‡Š  (unbridled, 14 times), ‡‘ * (unbridled, 8 times): For Philo, the horse is the most spirited animal but it can be tamed by humans with a bridle (Opif. 86); the bridling of a horse is described in some detail as an illustration for the right disposition of the mind (Agr. 67–94, for the bridles see 69–70, 84, 94; cf. also Conf. 165; Det. 53); bridles and reins are necessary to enforce one’s will on unreasonable animals, but humans should be able to do God’s will without them (Deus 47; in Somn. 2.294 God is described as charioteer who has to curb human hubris with bridles); the Torah bridles passion and lust (Mos. 1.25; Spec. 2.135–136; 3.45, 79; 4.79; Virt. 113; Leg. 3.155; Cher. 19), and the one who is not able to bridle his passions will be driven and bridled by them (Leg. 3.194, cf. Praem. 145; Flacc. 14); an often repeated phrase is the unbridled mouth which is mostly used negatively (Abr. 29, 191; Mos. 2.198; Spec. 1.53, 241; 2.6; Det. 44, 174; Mut. 240; Somn. 2.132, 165, 275; Legat. 162) but occassionally also positively for unbridled, i.e. unrestrained praise (Ios. 246; Her. 110). In Mos. 1.177 the waves of the Red Sea were kept back (‡ *’ ) with invisible reins to allow the Israelites to cross. The Pseudepigrapha provide only a few more references in addition to those already mentioned: in Ps.-Phoc. 57 = Sib. Or. 2:129 ‡ * is used for curbing negative passions (‡‘ € ^“ ”  • ), in 2 Bar. 12:4 the prophet Baruch warns Babylon that the coming wrath is presently only held back by longanimity as if by a bridle (– — –

\ $% ]˜  €[‘][ ™ ‡ š ’‡ ); in Apoc. Sedr. 7:12 the diminutive ‡ Š  is used in a comparison similar to James 3:2–3: a mule, being the most unreasonable and evil plotting four-footed animal, can be handled easily with even a small bridle (… ~ ˜ ~ ‡ ‘€ ›% ›, "%€ –‹ ’ ). 41

The verb |% ‘œ* (to silence) can be used for bridling as well: It is absent in the LXX but once used in the NT (Tit 1:11) and fairly common in Philo (17 times). The use is very similarly to that of the ‡ -word stem and mostly employed for the restraint of negative passions or utterances (Decal. 63; Spec. 1.128, 193, 343; 4.97; Leg. 3.118, 128, 155, 159; Det. 43; Agr. 58; Conf. 40; Her. 3), sometimes directly comparing it to actual horse-riding (Leg. 2.104; Agr. 88, 94). For the connection with “charioteer and pilot” see Leg. 3.118, for charioteer (– ‡) alone Leg. 3.134.

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b) Similarly, in James 3:4, the rudder of a ship is used as a comparison for the tongue in the same way as the bridle. Again, James seems to be the only NT author who is attentive to the metaphorical use of a ship or part of it42 although nautical metaphor is well established in Greek and Roman literature, predominantly as it seems within discourses on politics and statesmanship and less in ethical contexts.43 The interest in ships and their individual parts and especially their employment in the Jewish parenetical and wisdom tradition seems to be a strong element of Hellenistic influence.44 Philo alone, living in a major seaport and well aware of nautical traditions (see e.g. Decal. 14; Legat. 15, 129), provides ample evidence for nautical metaphor, often in connection with others. The ship of the state is used in Decal. 14, and the reasonable politician is compared to the helmsman in Ebr. 86; Virt. 61; Praem. 33; Legat. 50, 149, although in Philo the political and ethical sphere cannot be separated, as God is regularly described as the all-wise charioteer and pilot (– ‡  €! @; sometimes bridles and reins or the steering rudder are mentioned in addition) of the whole universe (Opif. 46; Abr. 70; Her. 228, 301; Somn. 1.153; Aet. 83).45 Sometimes only the image of the helmsman (and apparently not the charioteer) is employed with respect to God (Decal. 53; Leg. 1.224; Cher. 36; Conf. 98; Migr. 6). God created humans last, so that they can become charioteers and pilots of the created world, both standing at the back and guiding from ‘behind’ as is man as the last created creature (Opif. 88, cf. also Praem. 51: the place of the helmsman is at the back from where he can oversee everything). Within humans the

42 ž %@^Š  is used for the sake of comparison only in James 3:4. In Acts 27:40 it is mentioned literally, together with other parts of the ship, in the story about the shipwreck on Paul’s voyage to Rome. The word is not used in the LXX and Josephus, but the verb %@^ €‡ˆ* to steer, is used once in 4 Macc 7:1 (not in Josephus) in a similar way for Eleazar, whose “reason steers as the best pilot the ship of religion through the sea of passions” (Ÿ% ~ ”  €! •@  \ %  –  œ€    %@^ €‡  — ˜ !‘ \ | š   %  %¡ ). Also, in Philo %@^ €‡ˆ* (8 times) is used regularly in connection with nautical metaphor (Praem. 51; Leg. 3.223; Ebr. 86; Conf. 98; Migr. 6; Her. 301; Aet. 83; Legat. 50); %@^Š  is used only in Decal. 14; Post. 142; Legat. 129. All references are classified below. 43 This goes back to Plato, Resp. VI 488; Theat. 144a; see also Horace, Carm. I 14; Plutarch, Caes. 28.5; Pomp. 47.3; Cassius Dio 52.16.3–4, cf. L. L. Holland, “Plutarch’s Aemilius Paullus and the Model of the Philosopher Statesman,” in The Statesman in Plutarch’s Works vol. 2: The Statesman in Plutarch's Greek and Roman Lives (Proceedings of the Sixth International Conference of the International Plutarch Society, Nijmwegen/Castle Hernen, May 1–5, 2002; ed. Lukas de Blois et. al.; Mnemosyne 250; Leiden: Brill, 2005), 269–79 (see esp. 272–75: “The Good Helmsman”). As the helmsman is able to control the ship when the wind blows, so “the wise man is able to control the emotions raging within” (274) which is a necessary quality for a good politician. 44 Job 9:26; Prov 30:19; Ps 104:26; 107:23–32; Sir 33:2; Wis 5:10; 14:1, 4. 45 Josephus uses the pair only once in Ant. 10.279 in relation to the prophecies of Daniel. They testify against the Epicureans that divine providence exists, because the ordering of the universe is a necessity. As a ship will sink without helmsman and a chariot will crash without driver, so the universe would end in destruction without guidance.

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positive powers like soul, mind, reason and virtue can be described similarly as “charioteer and pilot” (Leg. 2.104; 3.118, 223–224; Sacr. 45; Det. 141; Agr. 69; Mut. 149; Somn. 2.201) or as pilot alone (Det. 144; Conf. 22). For Philo the helmsman is responsible for the safety of the ship (Fug. 27; cf. Opif. 88; and also Josephus, J.W. 3.368) and therefore, the authority of the helmsman for the ship and its safety is often addressed (Abr. 221; Virt. 186; Praem. 33; Leg. 1.121; 4.148, 186; Fug. 27; Mut. 221; Somn. 2.86); he figures also prominently in lists of professions which need a special qualification (Jos. 34; Post. 142). The whole life can be compared to a voyage by sea (see Leg. 3.80: – %‘ \ !‘€; Deus 129; Sacr. 13; Agr. 174; Mut. 215), and a life without relation to God is is like travelling without a pilot (Migr. 67), or like a ship without ballast at the mercy of the waves, Decal. 67.46

The Ptolemaic kingdom, with Alexandria as its capital, was a major naval power and one of the main suppliers for grain with a large merchant fleet under its control. As a result the Ptolemies invested mainly in the improvement of maritime facilities like “lighthouses …, beacons, wharves, and warehouses”,47 and in turn access to the Sea became desirable for the Hasmonean state, although traditionally, the Jews had no strong seafaring tradition. In the Jewish Scriptures we have Noah’s ark and the book of Jonah, and some additional scattered evidence,48 which nevertheless reveals a strong longing for the sea and the possibilities it promises.49 In addition Israel identified expertise on travelling by sea mainly as something belonging to her neighbours and envied them for it.50 Again, this changed during

46 For Greek and later Christian parallels s. Rahner, Griechische Mythen (see n. 8), 291–300. 47 Davies, “Economies” (see n. 23), 85. 48 Gen 49:13; Deut 28:68; Isa 33:21. In an Iron-age burial cave in the Judean hills, about 8 km east of Lachish, graffiti were found on the walls of the ante-chamber depicting three human figures and two sailing vessels together with Hebrew inscriptions. The meaning of the ships here remains a riddle because it is “hardly likely that the inhabitants of this region had any connection with seafaring or fishing,” so J. Naveh, “Old Hebrew Inscriptions in a Burial Cave,” IEJ 13 (1963), 74–92: 78; for a drawing of the ships see 80 fig. 7). For the inscriptions see also K. A. D. Smelik, Historische Dokumente aus dem alten Israel (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1987), 148–50; for the site and later findings J. Patrich and Y. Tsafrir, “Beit Loya, ¢orvat,” NEAEHL 1:210–13. 49 Cf. the tradition of Solomon and other kings of Israel as engaged in overseas trading, cf. 1 Kgs 9:26–28; 10:11, 22 (par. 2Chr 8:18; 9:21; Josephus, Ant. 8.163–164); 1 Kgs 22:49–50 par. 2Chr 20:36–37; Ps 48:7. According to Isa 2:16 ships are a sign of power, wealth and human hubris (cf. 2:12–17; 33:21), see also 2Macc 5:21. In T. Zeb. 6:1–3 (based on Gen 49:13) the claim is made that Zebulon was the first (among the Israelites) to build a boat and sail the sea. 50 The seafaring endeavours of Solomon need the help of Hiram of Tyre (see n. 49), and also in the book of Jonah the prophet travels on a foreign ship. In Ezek 27 the destruction of the city of Tyre is announced and the prophecy uses a full range of nautical details to illustrate the pending judgement, cf. further Isa 18:2. The threat of (foreign) naval power is visible in Num 24:24; Dan 11:30, 40; 1 Macc 1:18; 11:1; 15:14; 2 Macc

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the Hasmonean period: In the paean/eulogy honouring the achievements of the Maccabee Simon (1Macc 14:4–15), the conquering of Joppa with its harbor is one of “his honors,” for this “opened a way to the isles of the sea.” Appropriately, the family tomb of the Hasmoneans was adorned “with columns, and on the columns he (= Simon the Maccabee) put suits of armor for a permanent memorial, and beside the suits of armor he carved ships, so that they could be seen by all who sail the sea” (1Macc 13:29). The Hasmonean fascination with seafaring and ships can be seen on their coins, which were still the most widely used in the first century C.E., on which the maritime symbol of an anchor is one of the most prominent features.51 Another witness is Jason’s tomb in Jerusalem, a mausoleum from the end of the first century B.C.E. and in use until the beginning of the first century C.E. It features some charcoal drawings of warships, two of them clearly showing the rudders and even the helmsmen.52 Herod’s ambitious development of Caesarea Maritima’s harbour as one of his outstanding building projects must be seen as attempt to connect his kingdom to the seafaring network established by the Ptolemies since the 3rd century B.C.E.53 In the rabbinic literature seafaring continues to be a topic which fascinates the rabbis who travelled regularly by sea and used this experience in their teaching.54 A visual expression are the sketches of ships on 14:1 (cf. also 1 Macc 8:26, 28), as is the particular threat of this for the Jews who were unfamiliar with ships (2 Macc 12:3–9). 51 The anchor as a symbol of steadfastness and assurance is mentioned as a metaphor for hope in Heb 6:19 (” € £‡ ˜ }€‡˜ `˜   !!‘ ); otherwise the word is used in the NT only in Acts 27:13, 29–30, 40. For the motif on Hasmonean coins see Y. Meshorer, A Treasury of Jewish Coins: From the Persian Period to Bar Kokhba (Jerusalem: Yad Ben-Zvi, 2001), 37. For Herodian coins with anchors and ships see below n. 53. 52 L. Y. Rahmani, “Jason’s Tomb,” IEJ 17 (1967), 61–100: 69–76 with fig. 5a, b; Hachlili, Jewish Funerary Customs (see n. 33), 34–36, 148–50. 53 Cf. Josephus, B.J. 1.408–14; Ant. 15.331–41; K. G. Holum et al., King Herod’s Dream: Caesarea on the Sea (New York: Norton, 1988), 90–105; Avner Raban, The Harbour of Sebastos (Caesarea Maritima) in its Roman Mediterranean Context (ed. M. Artzy et al.; BAR International Series 1930; Oxford: Archaeopress, 2009). Lichtenberger, Baupolitik (see n. 26), 116–21; Netzer, Architecture of Herod (see n. 26), 99–101. Anchor and galley motifs are used by Herod on some of his coins, see Meshorer, Treasury (see n. 51), 70–71; Herod’s son Archelaus, who inherited Judea, used galleys and galley prows as well (ibid., 79). 54 For a short summary see R. Patai, “Jewish Seafaring in Ancient Times,” JQR 32 (1941/42), 1–26 (based on a Hebrew book by the same author, published in Jerusalem 1938); a complete treatment can be found in D. Sperber, Nautica Talmudica (Bar-Ilan Studies in Near Eastern Languages and Culture; Ramat Gan: Bar-Ilan University Press, 1996). Bishop Synesius of Cyrene described a voyage from Alexandria, including a shipwreck, on board a ship with a crew of thirteen “more than half of them, including the skipper, were Jews,” see The Letters of Synesius of Cyrene (trans. with introduction and

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the walls in the rock cut tombs of the famous cemetery of Bet Shearim in Galilee from the second to fourth century C.E.55 Consequently, the comparison used by James is not just his own spontaneous and creative idea. Instead it is something which provides a window to a topic which is emotionally loaded and positively connotated. To steer a ship safely through the waves is something one can be proud of,56 and seafaring motives are not just widely-used in the literature of the time but also quite prominent on mosaic floors and therefore visibly present in Jewish culture.57 The rudders and the helmsmen holding them are often clearly notes by A. Fitzgerald; London: Oxford University Press, 1926), 81 = Letter 4. They stopped work on the sabbath, although the ship was on sea, and “our skipper accordingly let go the rudder from his hands the moment he guessed that the sun’s rays had left the earth” (83). The skipper refused to take up the helm again, even when a soldier threatened to behead him; only when the situation became life-threatening “he voluntarily returned to the helm. ‘For now,’ he said, ‘we are clearly in danger of death, and the law commands’” (84). Afterwards the ship tried to enter a harbour in the midst of the storm but only when a pilot came on board and “took over the helm” did the ship reach safety. “We acclaimed him as our saviour and good angel” (87), said Synesius, further underlining the importance of the skipper or helmsman for the safety of the ship and its passengers. 55 B. Mazar, Beth She‘arim: Report on the Excavations During 1936–1940 vol. I: Catacombs 1–4 (Jerusalem: Massada, 1973), 52, 75, 117, 227 with fig. 12 and pls. VII:3; IX:4; XX:2; XXIII:1, 2; for a discussion see D. Kraemer, The Meanings of Death in Rabbinic Judaism (London: Routledge, 2000), 52, 102–3 (for the tombs of the Maccabees s. 17–18). 56 The number of archaeologically recorded Mediterranean shipwrecks reaches its peak between 100 B.C.E. and 100 C.E. (around 180 ships in each century). This demonstrates the steady increase of seaborne movements of goods, in particular of food, to provide supplies for the large cities from 300 B.C.E. onwards as well as the dangers connected to it, cf. Davies, “Economies” (see n. 23), 84–85. For a list of shipwrecks and useful statistics (although now no longer up-to-date) see A. J. Parker, Ancient Shipwrecks of the Mediterranean and the Roman Provinces (BAR International Series 580; Oxford: Tempus Reparatum, 1992), who gives the details of 1,254 known shipwrecks; D. Gibbons, “Shipwrecks and Hellenistic Trade,” in Hellenistic Economies (London: Routledge, 2001), 273–312. For the increasing size of warships see Bugh, “Military Developments” (see n. 39), 275–77. See also K. D. White, Greek and Roman Technology (London: Thames and Hudson, 1984), 141–56 on “Ships and Water Transport”; for steering equipment see esp. 149–50. A “single stern-post rudder” was only invented in the thirteenth century, up to this date “steering was effected by a pair of heavy, broad-bladed oars, suspended slantwise from each quarter, and operated from the deck by a tiller bar” controlled by the helmsman (149); cf. also Hägermann and Schneider, Landbau und Handwerk (see n. 24), 252–61 (with many illustrations; the rudders are most often easily visible). 57 Jewish culture participates here as so often in its wider cultural context, where the fascination with seafaring is present in literature and art. The various books of Lionel Casson provide ample evidence, see i.a. The Ancient Mariners: Seafarers and Sea Fighters of the Mediterranean in Ancient Times (2nd ed., Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1991; 1st ed. London: Gollancz, 1959); Ships and Seamanship in the Ancient World (Princeton, N.J.: Princeton University Press, 1971; repr. Baltimore: The Johns

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identifiable,58 not least because the safety of the ship and its passengers depended on them. Lucian of Samosata describes the helmsman and his main device, the tiller, in his dialogue Isis (also called The Ship or the Wishes, 5), which is the name of a big freighter carrying grain from Egypt to Ostia: “You could put the number of sailors at an army of soldiers. She was said to carry corn enough to feed all Attica for a year. And all this a little old man, a wee fellow, has kept from harm by turning the huge rudders with a tiny tiller.”59 Taking the non-literary and the literary evidence together, it becomes obvious that the full meaning of the two discussed comparisons is not grasped if one only points out, like many commentaries on James do, that the motif of horse and ship, or of charioteer and helmsman belonged to Hopkins University Press, 1995), cf. esp. 224–28 on the rudder; Ships and Seafaring in Ancient Times (London: British Museum Press, 1994). 58 The oldest mosaic from Israel depicting a boat is the one found in Migdal (Magdala, Tarichaeae), the hometown of Mary Magdalene, from the first century C.E. The town is only about 1.5 km away from the discovery site of the Kinneret boat (see below pp. 54–55). Because of the simplicity of the mosaic archaeologists assume that it was made by a local artist and based “on first-hand observation.” Three oars are represented on the visible port side but there is a discussion as to whether the sternmost one should actually be understood as a quarter rudder, which was controlled by the helmsman. Depending on the interpretation of this rudder a crew of five (four rowers and a helmsman) or seven is proposed, cf. J. R. Steffy and S. Wachsmann, “The Migdal Boat Mosaic,” in S. Wachsmann, The Excavation of an Ancient Boat in the Sea of Galilee (Lake Kinneret) (Atiqot 19; Jerusalem: Israel Antiquities Authority, 1990), 115–18; idem, The Sea of Galilee Boat: A 2000 Year Old Discovery from the Sea of Legends (New York: Plenum Press, 1995), 320–23; J. Schefzyk, “Ginosar und das Boot vom See Gennesaret,” in Judäa und Jerusalem (see n. 20), 184–88. With regard to images from later periods, the 3rd/early 4th century mosaic from Lod found in 1996 is especially noteworthy, see M. Avissar, “Lod: The Floor Mosaic,” NEAEHL 5:1915–16 and pl. XVIII; the lower panel of a large and well preserved carpet (9 m wide and more than 17 m long), which probably adorned the reception hall of a Roman villa, depicts two merchant ships under full sail surrounded by a large variety of fish; the upper parts show wild mammals, birds and fish (again, Jas 3:7 comes to mind: the steered ships are the only ‘controlled’ movement in an otherwise ‘wild’ world); the ship’s rudder is also clearly visible on Odysseus’ ship on the Leontis mosaic (see above p. 28) and on the two boats on the Dead Sea on the Madaba map mosaic (6th century), where also parts of the helmsmen survived, see H. Donner, The Mosaic Map of Madaba (Palestina antiqua 7; Kampen: Kok Pharos, 1992), 37; H. Donner and H. Cüppers, Die Mosaikkarte von Madeba (ADPV 5.1; Wiesbaden: Harrassowitz, 1977). 59  ‹  %Š       *%  ˆ* ¤^@ £*œ $% %¥ Š ~ @ \ %@^Š  % ˆ`* . Lucian VI (with an English trans. by K. Kilburn; LCL; London: Heinemann, 1959), 436–37 (later, in § 9, the “little old man” is properly addressed as the €! @ of the ship [9]). This text reveals that the impression large ships make on onlookers is nothing modern but was experienced already by the ancients, indeed the plot of the story is that people came from Corinth and Athens to the harbour of Piraeus just to see this huge ship on his way to Italy.

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“the stock of writers” which the author of James could draw on.60 Such evaluations, which do not even do justice to the literary evidence, hardly take into accout the Jewish fascination with seafaring as witnessed in the above presented literary and non-literary sources of the Hellenistic-Roman period. To summarise this first of my three categories: The examples of bridle and rudder have shown that even in cases where texts are fully understandable without the help of non-literary evidence, the artefacts themselves and their visual representation can serve as more than mere illustrations if they are ‘read’ within their wider context. In conjunction with the texts they allow – with all due caution – a perception of emotions and associations that are connected with artefacts mentioned in a given text. It is clear that not every tool, craft, building etc. is in this way meaningful but it is always worthwhile to screen the available visual sources and archaeological finds related to them. Often a pattern becomes visible that allows to improve one’s ‘apperceptive encyclopedia.’ 2) The second category deals with texts that can be understood to some extent within their literary context but non-literary evidence is beneficial to understand them more fully. It is an in-between category and the distinction between the three proposed categories is not very clear-cut. What is decisive here, however, is that the text is understandable without nonliterary evidence, but is understood more appropriately with its help, as the following examples shall demonstrate: a) The story about the healing of the paralyzed man in Capernaum starts with a precise description of the the location (Mark 2:1–4) which sets the stage clearly: A house (¦ ), crowded with people, so that even the courtyard in front of its door (%  —  ) is blocked, and still more visitors are on their way. Given that the narrative is located in Capernaum the hearer or reader has to assume that these latecomers carrying the pallet with a lame man are approaching the house on a street or alley leading towards it. But because of the crowd there is no longer access to the entrance of the house and therefore to Jesus, who is in the house. The only way to reach him is by opening the roof directly above of him (%’ —

’@ "%€ ¨ : in addition this action presupposes stairs leading up to the roof). The process of digging through the roof (|*) mentioned in Mark 2:4 is understandable in the light of the construction of the houses 60 P. H. Davids, The Epistle of James (NIGTC; Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 1982), 138; cf. further e.g. L. T. Johnson, The Letter of James (AB 37A; New York: Doubleday, 1995), 264, “commonplaces of Greco-Roman moral discourse”; W. Popkes, Der Brief des Jakobus (ThHK 14; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 2001), 223: “Das Bild vom Pferde-Zügeln ist dagegen konventionell” (his treatment of the rudder, using archaeological information [224–25], is more colourful).

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excavated in Capernaum and other places: “Though no roofs survived in situ, the lack of stones shaped as arch or vault pieces, the very few ex situ large basalt beams supporting partial roofs as at Bethsaida and Chorazin, and the complete absence of roof tiles, means that the roofs were of thatched reeds.”61 This allows the conclusion that the roofs had been made from small wooden beams with sticks, branches, or reeds forming the foundation for the mud plaster on top of it. This is further supported by the stone-rollers that have been found occasionally which were used to repave and replaster the roofs after the rainy season.62 For a realistic perception of the setting of this story the numerous excavations of villages and towns in Galilee, and now also the Shephela, can contribute to more than just our knowledge of roof construction. Many of these settlements were built from the 2nd cent. B.C.E. onwards. They fre61 Reed, Galilean Jesus (see n. 11), 159. Although the evidence for roof constructions seems to vary from site to site and even from house to house and also with time, some general patterns do exist, cf. Y. Hirschfeld, The Palestinian Dwelling in the Roman-Byzantine Period (SBF.CMi 34; Jerusalem: Franciscan Press, 1995), 241–43: Roofing with the help of arches (which would make the action mentioned in Mark 2:4 much more demanding) became common in the Hauran and Negev from the 1st century B.C.E. onwards, but in areas west of the Jordan and north of the Beersheba Valley only in the 3rd century C.E. In Matthew the details of the setting are completely omitted (see 9:2) so that Jesus’ saying about the faith of the men who carried the paralytic is left somewhat hanging in the air; Luke 5:18–19 keeps some of the details and adds the further element of tiles (© ˆ ), which does not fit the archaeological data of first century houses in Galilee but might be more appropriate for a urban and well-off audience. A tiled roof could be either a gabled or a shed roof (with a relatively flat inclination angle of 20– 30%), which would allow ascent and lowering a person through the beams. Roman roof tiles (tegula) measured between 44–48 by 49–54 cm, which would allow at least 40 cm space between the rafters. Cicero mentioned in one of his speeches against Mark Antony how he was smuggled as a young boy into the house of his lover Gaius Scribonius Curio the younger by being let down “through the roof tiles” (per tegulas demitterere) because the doors of the house were closed and watched (Cicero, Phil. 2.45). For Roman tiles from ancient Palestine see H. Geva, “Stamp Impressions of the Legio X Fretensis,” in idem, Jewish Quarter Excavations (see n. 12), 2.405–22: 406–7; W. Zwickel, “Römische Dachziegel,” in Judäa und Jerusalem (see n. 20), 106–7; Hirschfeld, Palestinian Dwelling, 222, 243–44: “… fired pottery roof tiles, … were apparently introduced into Palestine by the Roman army in the 1st century C.E.” (222). 62 P. Richardson, “Khirbet Qana (and Other Villages) as a Context for Jesus,” in Jesus and Archaeology (see n. 36 [a revised but abbreviated version of the same article appeared in idem, Building Jewish (see n. 19), 55–71]), 120–44: 142. Roof tiles have been found in Kh. Qana as well as in Capernaum, but they seem to date from after the first century. For the stone roller («¬­®¯° ²± ´³ ) see m. M.Q. 1:10; b. M.Q. 11a; m. Mak. 2:1; b. Mak. 7a; G. Dalman, Arbeit und Sitte in Palästina vol. VII: Das Haus, Hühnerzucht, Taubenzucht, Bienenzucht (Gütersloh: Bertelsmann, 1942; repr. Hildesheim: Olms, 1971), 24–25, 83 (see also index 318 s.v. “Dachwalze”); Hirschfeld, Palestinian Dwelling (see n. 61), 244–45 and 284 n. 94 for a list of archaeological finds.

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quently comprise of rather small courtyard-houses with three to five rooms (some with a second storey), whereby a number of such houses around two or three courtyards can comprise an insula-like complex of roughly rectangular structure.63 Due to the hilly landscape in sites in Galilee and the Golan, terrace houses without proper courtyards were also quite common. As a substitute, the roof of the house below could be used.64 In predominantly Jewish settlements the rectangular structure seems to be less emphasized than in more Hellenistic sites as a comparison between Magdala and Capernaum, both located next to the shore of lake Kinneret and only about 8 km apart, demonstrates.65 Access to those courtyards is normally through alleys whose widths are between about one and three metres, but more of-

63 A helpful overview is provided by K. Galor, “Wohnkultur im römisch-byzantinischen Palästina,” in Zeichen aus Text und Stein (see n. 4), 183–208 (this is a revised version of idem, “The Roman-Byzantine Dwelling in the Galilee and the Golan: ‘House’ or ‘Appartment’?,” Archaeologica Transatlantica 18 [2000], 17–34); cf. also idem, “Domestic Architecture in Roman and Byzantine Galilee and Golan,” Near Eastern Archaeology 66:1–2 (2003), 44–57; Hirschfeld, Palestinian Dwelling (see n. 61). Still useful is Dalman, Arbeit und Sitte (see n. 62), 1–246. For the daily life in the court see S. Safrai, “Home and Family,” in The Jewish People in the First Century: Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions (ed. S. Safrai and M. Stern; CRINT I.1–2; 2 vols.; Assen: van Gorcum, 1974–76), 2.728–92: 728–46. 64 Cf. Richardson, “Khirbet Qana” (see n. 62), 133–35. He presumes that courtyards evince status (he argues mainly on the basis of the excavation results from Khirbet Qana, compared with Jotapata and Gamla): houses around courtyards form the top of the social hierarchy, followed by houses with just a side courtyard and, at the end, the terrace houses without any proper courtyard; similarly, Hirschfeld, Palestinian Dwelling (see n. 61), 21–22, 272–74. 65 For Capernaum and similar Jewish towns it would be going too far to label this pattern as Hippodamian, and even the designation “quasi-Hippodamian” needs “careful consideration” according to Richardson (“Khirbet Qana” [see note 62], 122). But he confirms nevertheless that the layout of these towns reflect “late Hellenistic cultural influences in the Galilee and Golan” (123, cf. 129, 142). It is a quite different case with Magdala, where the new excavations headed by Stefano De Luca (since 2007) underline the more urban and wealthy character of Magdala/Tarichaeae and its impressive harbour. For a short summary see J. Zangenberg, “Magdala – Auferstehung aus Ruinen,” in Judäa and Jerusalem (see n. 20), 182–83; idem, “Magdala – Reich an Fisch und reich durch Fisch,” in Leben am See Gennesaret: Kulturgeschichtliche Entdeckungen in einer biblischen Region (ed. G. Faßbeck et al.; Zaberns Bildbände zur Archäologie; Mainz: Philipp von Zabern, 2003), 93–98; idem, Magdala am See Gennesaret: Überlegungen zur sogenannten “mini-sinagoga” und einige andere Beobachtungen zum kulturellen Profil des Ortes in neutestamentlicher Zeit (Waltrop: Hartmut Spenner, 2001). In 2009 a synagogue was excavated which is dated to the first century AD. For the most recent developments see www.magdalaproject.org/WP/ and J. Zangenberg, “Archaeological News from the Galilee: Tiberias, Magdala and Rural Galilee,” Early Christianity 1 (2010), 471–84: 475–77.

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ten closer to the lower measurement.66 The insulae or house-complexes are closed off to the streets passing by and must be entered through a door. Excavated examples point to a normal door-width of about 0.9–1.20m. Within the villages themselves there are sometimes open spaces adjacent to the alleys which seem to be public space from which access was possible to the houses surrounding this common courtyard. The town plan of Capernaum can be used as an example – and must be used when Mark 2:1– 4 is addressed as the evangelist locates the event in Capernaum – but due to the limitations of the excavated areas and later building activities throughout the Byzantine and Early Islamic periods, the picture for the first century is impaired.67 Perhaps a clearer picture, and not dependant on the hypothesis that the “House of Peter” in Capernaum was indeed the exact location of the story, can be gained from other Jewish settlements which were abandoned after the first or second revolt like Jotapata and Gamla, or even from other parts of Jewish Palestine in the first century, like e.g. Qiryat Sefer/Khirbet Badd ‘Isa.68 This latter Jewish village in the Shefela was excavated in 1995–1997 and the results were published in an exemplary way in 2004.69 The site was permanently settled from the end of

66 Cf. Reed, Galilean Jesus (see n. 11), 153; Richardson, “Khirbet Qana” (see n. 62), 128–29; Galor, “Wohnkultur” (see n. 63), 192. For an older study whose data can only be applied to planned cities and not to those which developed more naturally is M. Broshi, “Standards of Street Widths in the Roman-Byzantine Period,” IEJ 27 (1977), 232–35. An up-to-date study of streets and alleys within built-up areas that treats also the intersection between private and public space is a desideratum. For the location and function of house entrances see Hirschfeld, Palestinian Dwelling (see n. 61), 249–55. 67 Capernaum is without doubt the most complex site in Galilee not least because of the attempts to connect the place with the narratives about Jesus’ healings in the synagogue and the house of Peter, together with its ongoing function as a major touristic and religious site and the complicated situation of ownership between the Franciscans and the Greek-Orthodox Church. Only new excavations which dig down to the first century and below will shed new light on the situation and prevent a tedious re-working of arguments; for some recent discussions (with plenty of literature) see Reed, Galilean Jesus (see n. 11), 139–60; M. Fisher, “Kapharnaum: Eine Retrospektive,” JAC 44 (2001), 142– 67; A. Runesson, “Architecture, Conflict, and Identity Formation: Jews and Christians in Capernaum From the First to the Sixth Century,” in Religion, Ethnicity, and Identity (see n. 18), 231–57; Stemberger, Juden und Christen (see n. 5), 21–25. 68 That does not mean that regional differences are to be ignored, but overall they are of lesser importance than the variations within a specific region or even one village. Hirschfeld, Palestinian Dwelling (see n. 61), 115 (cf. 16–17), refers to the seemingly endless variety within private houses (taken up by Galor, “Wohnkultur” [see n. 63], 186), but this does not preclude him from establishing categories of different types of houses, namely simple, complex and courtyard house (21–107). 69 Y. Magen, Y. Tzionit and O. Sirkis, “Khirbet Badd ‘Isa-Qiryat Sefer,” in Y. Magen et al., The Land of Benjamin (Judea and Samaria Publications 3; Jerusalem: Israel

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the Hasmonean period until the Bar Kokhba revolt. Seven courtyard buildings connected by an alley and a small synagogue were excavated. The alley between the insulae is 2.3 m wide and connects to two public courtyards, the first measuring 14 by 6.5 m and leading to three buildings. The dimensions of the second courtyard are not available due to the limits of the excavated area but it was smaller than the first. The largest of the private houses is a three-winged building around a court covering a total of 28 by 24 m.70 The court itself is about 25 m2 and access is by way of a corridor 9 m long and 2.4 m wide. This is a relatively large estate but nevertheless it is easily imaginable that a ‘crowd’ of around fifty to sixty people would suffice to block the access to one of those central courtyards in these small alleys. Even if the number of inhabitants in all the aforementioned places is highly disputed, there would be more than enough in every one of them to cause the blocking of one of the streets or alleys. For Capernaum, population numbers range between 600 and 25,000 to mention the two most extreme numbers found in the literature.71 This shows how limited our knowledge still is, not least because the exact boundaries of the town are not yet established. Excavations reveal, as a rule, only a very small portion of a settlement and estimations of the overall population are based on extrapolations and more general patterns, which cannot take into account that sometimes rather specific reasons might have existed that made Antiquities Authority, 2004), 179–241. For a summary see Y. Magen and Y. Tzionit, “Qiryat Sefer (Khirbet Badd ‘Isa),” NEAEHL 5:2000–3. 70 One should not assume that all the rooms belonging to this house actually belong to a single owner or family. At least two completely separate units can be discerned on the plan and also an industrial area (olive-oil press). According to the excavators one of the wings served only as storerooms. Deeds of sale for houses on papyri reveal how complicated the rights of possession in such interlaced living quarters had been. To sell, buy, rent or inherit a property, each wall that belonged to a property needed to be specified as well as the rights and obligations for the space and walls used by more than one party. As good examples see two documents from the Babatha archive, no. 19 (deed of gift) and no. 20 (concession of rights), in N. Lewis, The Documents from the Bar Kokhba Period in the Cave of Letters: Greek Papyri (Judean Desert Studies 2; Jerusalem: Israel Exploration Society, 1989), 83–93; this was described already in some detail on the basis of rabbinic texts by S. Krauss, Talmudische Archäologie (3 vols., Leipzig: Fock, 1910– 1912; repr. Hildesheim: Olms, 1966), 1.57–58, 375. Cf. also Galor, “Wohnkultur” (see n. 63), 184, 192–96, who criticises previous research for the equation of one family per house. 71 A good survey is provided by R. W. Gehring, Hausgemeinde und Mission: Die Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaften – von Jesus bis Paulus (BWM 9; Gießen: Brunnen, 2000), 71–73 = ET House Churches and Mission: The Importance of Household Structures in Early Christianity (Peabody, Mass.: Hendrickson, 2004), 39–40 (the English translation is slightly abbreviated); Reed, Galilean Jesus (see n. 11), 62–99 (for Capernaum see 65–66, 149–52), estimates about 600 to 1,500 inhabitants for Capernaum in the time of Jesus; in this he is followed by W. Zwickel, “Kapernaum,” in Judäa und Jerusalem (see n. 20), 189–93: 191.

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one town flourish for a while above and beyond another in its vicinity.72 Peter Richardson notes in his study on Khirbet Cana that the “town core at Cana in the late Hellenistic and early Roman period was a fairly densely packed hilltop” and this should be assumed for other known towns as well.73 Therefore, “reconstructions that show dispersed buildings in a builtup area are likely to be wrong” (126).74 In addition, places like Cana, Gamla, Yotapata, Capernaum etc. all had no marketplace-like structure which could be called an agora or forum (127). Only those villages and towns that survived into the Byzantine period (Chorazin, Qatzrin) seem to have incorporated public open spaces adjacent to public buildings.75 What has been said here regarding the layout of smaller towns and cities in Palestine is nothing more than a reminder that the excavations of places mentioned in the New Testament always provide an important non-literary 72 Hirschfeld, Palestinian Dwelling (see n. 61), 135, questions on the basis of his survey of traditional Palestinian villages the standards by which the population of the country in antiquity has been estimated. In his survey the houses afford an average of just under 5 m2 per person (the range in his example is between 1.75 and 11.5 m2 per person); cf. also Richardson, Building Jewish (see n. 19), 26, and Edwards, “Identity” (see n. 18), 373, on the “expansion in population” in the time of Herod Antipas, which leads to the conclusion that the proposed numbers for Capernaum are at the lowest end of the possible margin and contain a high degree of uncertainty. Cf. also G. Berger and D. Grossman, “Village and Town Populations in Palestine during the 1930s–1940s and their Relevance to Ethnoarchaeology,” in Biblical Archaeology Today, 1990: Proceedings of the Second International Congress on Biblical Archaeology, Supplementum: Pre-Congress Symposium: Population, Production and Power (ed. A. Biram and J. Aviram; Jerusalem: Israel Exploration Society, 1993), 19–30. 73 Richardson, “Khirbet Cana” (see n. 62), 128. 74 Ibid., 126. The argument of Reed, Galilean Jesus (see n. 11), 151 n. 39, who hints at the difference in population density between a walled city like Gamla or Yotapata and unfortified settlements, is rejected by Richardson, because these fortifications were built mainly at the time of the revolt against Rome and therefore later as the towns themselves. 75 Richardson, “Khirbet Qana” (see n. 62), 127–28; Reed, Galilean Jesus (see n. 11), 155; Galor, “Wohnkultur” (see n. 63), 191; for Capernaum s. J. Zangenberg, “Kapernaum – Zu Besuch in Jesu «eigener Stadt»,” in Leben am See Gennesaret (see n. 65), 99–103: 101. This might be taken into consideration in the exegesis of Luke 7:32 par. Matt 11:16 and the other places where the synoptic tradition uses Š (the word is missing from John; in Acts 16:19; 17:17 it designates a proper forum) or %‹ (Matt 6:5; Luke 10:10; 13:26; 14:21). One has to consider whether Jesus is referring here to a city context (like Sepphoris and Tiberias, although Jesus must also have been familiar with some of the cities in Judaea like Jericho), or to the courtyard-like public spaces in the smaller towns which are closer connected to his public ministry. It seems to me more likely that at least in Mark 7:4; 12:38 (cf. Luke 11:43; 20:46; Matt 23:7) and Matt 20:3 the agora of a city is in view, whereas in the few other references (Matt 11:16 par. Luke 7:32; Mark 6:56) the smaller courtyards can be meant as well. Throughout his gospel Luke seems to be interested in adding some urban flair (cf. e.g. Luke 10:10 with Matt 10:14 and Luke 14:21 with Matt 18:10).

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‘co-text’ (not just a context) that can and should be read alongside the written texts. For the reading of a city plan, the same is true as for a written text, namely that without co-texts, that is, texts which are related in one way or another to the text at hand, the peculiarities and specific emphases of the given text cannot be fully perceived. Similarly, the plan of Capernaum or Jerusalem needs to be compared with those of other villages and cities to perceive the commonalities as well as the peculiarities. Commentaries and also biblical dictionaries and handbooks are often misleading in this respect in that they discuss primarily, or even exclusively, sites that are actually mentioned in the Bible even if a better perception of life in Galilee in the first century can be gained from a nearby place less prominent but archaeologically more rich. The ‘text’ revealed by an excavated site is similar to a fragmentary scroll. Some parts are well preserved and clearly readable, others are missing, and some can be reconstructed with the help of other scrolls or other texts. The same needs to be done with the use of parallel archaeological data. b) Another example where an artefact can help to understand a text better is the boat from the first century C.E. that was found at the shores of the Sea of Galilee.76 The construction of this boat explains the otherwise strange expression in Mark 4:38 (the parallels in Mt 8:23–24 and Lk 8:23 omit this detail) that Jesus was sleeping “in the stern” and “on a pillow” (    ¨ | ¥ %¶ · |%  % `¡  ¶^* ). The excavated boat reveals a large stern deck which was necessary for the use of these boats in fishing. To lay in the stern instead of on it, as many commentators have understood it,77 makes good sense: the stern is exposed to the weather so it is either very hot or very wet; in addition, the helmsman 76

S. Wachsmann and K. Raveh, “Ginnosar,” NEAEHL 5:520 (see above n. 58 for further literature). Actually, poorly preserved remnants of two other boats were found at the same site (one of them displays a construction technique with parallels from the 7th century C.E. and later only) which may indicate that the site should be seen as a graveyard for boats or the site of a former boatyard which existed over many centuries, cf. J. R. Steffy, “The Boat: A Preliminary Study of its Construction,” in Wachsmann, Ancient Boat (see n. 58), 29–47: 42–47. For the wider archaeological context of this kind of boats see A. Göttlicher, Fähren, Frachter, Fischerboote: Antike Kleinschiffe in Wort und Bild (BAR International Series 1922; Oxford: Archaeopress, 2009). 77 E.g. J. Gnilka, Das Evangelium nach Markus (EKK II/1; Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 1979), 193, translates v. 38: “Und er war auf dem Heck …”; C. S. Mann, Mark: A New Translation with Introduction and Commentary (AB 27; New York: Doubleday, 1986), 275, comments that “the stern of the boat, with a small seat, was the place of honor, the helmsman being placed at the very back,” which is utterly wrong but provided as a matter of fact without any further verification; R. T. France, The Gospel of Mark (NIGTC; Grand Rapids, Mich.: Eerdmans, 2002), 224, speaks only about the “raised section at the end” (refering to the Ginnosar-boat), but without any discussion of the precise features.

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who handles the quarter rudder has his place on or close to the stern deck and anybody lying on the deck will be in his way (cf. Philo, Praem. 51). Also the “pillow” referred to in the Markan text with the definite article gets a clear meaning in connection with this kind of boat: a sandbag was placed in the stern for ballast. “These sandbags served to trim the boat when under sail: when not in service, they were stored beneath the stern deck where they could be used as pillows.”78 If one looks at the reconstruction drawing in Shelley Wachsmann’s book79 it becomes more understandable why Matthew and Luke avoided the details Mark provided: The one who is described so majestically as commanding wind and waves is sleeping curled up in a tiny and cramped box room “in the stern.” This is the complete opposite to the familiar picture of the Lord Jesus commanding the waves, but at the same time illustrates what Jesus said about himself not having a place to rest his head (Mt 8:20 par. Lk 9:58). The boat, in connection with the illustration from the mosaic found in Magdala,80 allows further understanding of sailing and the size of the crew necessary to sail such a boat. As seen in the mosaic the boat has four oars, two on each side, and in addition one person is needed to steer the rudder, which makes a crew of five, very similar to what can be found in Mk 1:19–20, where a crew of at least five men is associated with a boat ( %‹ ), namely Zebedee and his two sons James and John and “hired men” which implies at least two.81 To summarise this second category, knowledge about the layout of towns, villages, streets, houses and their courtyards, as well as the available construction techniques and also a realistic appreciation of an artefact like the boat prove themselves helpful for a fuller understanding of respective Gospel passages. The fact that “the Kinneret boat was constructed by an experienced boatwright who either learned his craft on the Mediterranean coast or was apprenticed to someone who followed such traditions”82 is a further hint that technological progress in this period was largely due to “Hellenistic-Roman” influences.

78 S. Wachsmann, “Literary Sources on Kinneret Seafaring in Roman-Byzantine Period,” in idem, Ancient Boat (see n. 58), 111–14: 111–12. 79 Wachsmann, Sea of Galilee Boat (see n. 58), 402–3. 80 See n. 58. 81 Josephus, J.W. 2.645, allows for at least 15 people in such a boat (including the crew), cf. Wachsmann, “Literary Sources” (see n. 78), 112–13. In charge of such a smaller boat was, like in the above mentioned examples from larger ships, the helmsman ( €! @), cf. Josephus, Vita 163, 167. In Vita 66, he mentions in addition a “party” or “(rebel) faction” of sailors and destitutes(?) in Tiberias (  €     %›*

¡*). 82 Steffy, “Boat” (see n. 76), 41.

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3) The third category of artefacts includes those examples in which nontextual evidence is crucial for the understanding of a text. Without taking this non-literary evidence into account such texts would be misunderstood. I also include in this category those cases where non-literary evidence is able to contribute in a decisive way to exegetical disputes. a) To start with the latter, the long discussion about the existence of synagogue-buildings in Palestine in the time of Jesus has almost been settled. The excavation of a slowly but steadily growing number of buildings from the first two centuries C.E. favours the notion that the term € * in the NT can indeed designate special buildings used for Jewish religious gatherings.83 Besides this emerging consensus regarding synagogues in general, the question remains open whether € * in a given context means just gathering or the building for the gathering. For example, in James 2:2–3 the use of the term “synagogue” can designate the congregation of followers of Jesus or the building that was used as regular meeting place. In the latter case one needs to entertain the possibility that it could have been either a separate building specifically dedicated to this purpose or rather a regular gathering place in a more private location that was made available for a community. The more recent development in synagogue research tries to introduce a differentiation between buildings for public assemblies and semi-public assemblies, that is between buildings run by the local community for the sake of the whole community and buildings that were operated by privately organised assemblies, collegia and other forms of voluntary associations.84 Archaeo83 Cf. e.g. Levine, Ancient Synagogue (see n. 5); A. Runesson, The Origins of the Synagogue: A Socio-Historical Study (ConBNT 37; Stockholm: Almqvist & Wiksell International, 2001); The Ancient Synagogue from Its Origins until 200 C.E. (ed. B. Olsson and M. Zetterholm; ConBNT 39; Stockholm: Almqvist & Wiksell International, 2003); J. S. Kloppenborg, “The Theodotos Synagogue Inscription and the Problem of First-Century Synagogue Buildings,” in Jesus and Archaeology (see n. 36), 236–82; this is an abbreviated but revised version of idem, “Dating Theodotos (CIJ II 1404),” JJS 51 (2000), 243–80. For a very useful tool provided by the Lund Synagogue Project see A. Runesson, D. D. Binder, and B. Olsson, The Ancient Synagogue: From its Origins to 200 C.E. A Source Book (AJEC 72; Leiden: Brill, 2008). See also the contribution of Eric and Carol Meyers in this volume. 84 For this differentiation between public and semi-public see esp. the works of Runesson, Origins (see n. 83), 355–61, 483–84; idem, “Persian Imperial Politics, the Beginnings of Public Torah Readings, and the Origins of the Synagogue,” in The Ancient Synagogue from Its Origins until 200 C.E. (see n. 83), 63–89: 83–84; idem, “From Where? To What? Common Judaism, Pharisees, and the Changing Socioreligious Location of the Matthean Community,” in Common Judaism: Explorations in Second-Temple Judaism (ed. W. O. McCready and A. Reinhartz; Minneapolis: Fortress, 2008), 97–113, 255–70 (notes); see also P. Richardson, “An Architectural Case for Synagogues as Associations,” in The Ancient Synagogue from Its Origins until 200 C.E. (see n. 83), 90–117;

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logical data alone cannot decide the meaning of € * in James 2:2 but they provide the evidence for its possibilities. The majority of commentators supports the view that the actual gathering of a Christian community is meant here and not a special building,85 despite the very vivid description in v. 3 of standing or sitting at the feet of somebody else, which is so reminiscent of the benches in the excavated synagogues of first century Palestine.86 The proof of the existence of semi-public synagogue buildings that could be attributed to Jewish-Christians in the first century would add to the understanding of this text – at least for those who attribute the authorship of the letter to the brother of Jesus, or hold it as a witness of a JewishChristian community. However, the available data in support of this understanding are by no means conclusive.87 As early as 1929, Albrecht Alt reidem, Building Jewish (see n. 19), 111–221. The strong Hellenistic influence both in the architectural as well as in the organisational pattern of the syngaogue is not in doubt and mentioned repeatedly in the discussion, see esp. L. Michael White, The Social Origins of Christian Architecture vol. 2: Texts and Monuments for the Christian Domus Ecclesiae in its Environment (HTS 42; Valley Forge, Pa.: Trinity Press International, 1997), 26– 101. 85 E.g. M. Dibelius, Der Brief des Jakobus (ed. Heinrich Greeven; KEK 15; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 111964) 165–67; C. Burchard, Der Jakobusbrief (HNT 15.1; Tübingen: Mohr Siebeck, 2000), 98. Less decisive are Popkes, Jakobus (see n. 60), 161–62; Johnson, James (see n. 60), 222–23, 227. 86 James 2:2–3 |~ ~ ’·  € *— $   — ‡€^ ¶  | |˜ %¸, ’· ^'  %*‡  | ¹€%¸ |˜ , |% !’}@ ^' |%  `\  —

|˜ — %~  º%@· ½ ¡€ ¾^  ,  š %*‡š º%@· ½ ˜ | ‹ ¿ ¡€ $%  $%%›^ › € … Benches seem to be less common in early Christian churches, but the available examples are very limited. The best example is still DuraEuropos, where two rooms, one of them a triclinium with benches at its sides, were turned in the second third of the 2nd century into one large single room that served as a church by dismantling the partition wall. The floor of this remodelled hall was raised to the hight of these benches which went out of use. The new hall shows no signs of fixed installed seatings, but at the same time in the adjacent courtyard benches were build which were oriented towards west, as was the main church hall, cf. Riesner, “Early House Churches” (see n. 5), 160–62; White, Social Origins (see n. 84), 120–22 and figs 17–18 (pp. 108–9). 87 Based on Runesson’s assumption, that the Pharisees had their own semi-public synagogues, and that the Matthean communities are originally a sub-group of these Pharisaic communities, the possibility that a Jewish-Christian community had its own synagogue building has a very plausible setting, see idem, “Rethinking Early Jewish– Christian Relations: Matthean Community History as Pharisaic Intragroup Conflict,” JBL 127 (2008), 95–132 (see also n. 84); cf. also B. Schwank, “Wenn Steine zu reden beginnen: Archäologie zum Verständnis des Neuen Testaments,” BiKi 50 (1995), 40–47: “Wer vom Grabungsbefund ausgeht, wird synagogä hier nicht mit ‚Versammlung‘ übersetzen, sondern mit ‚Synagoge(ngebäude)‘. Denn in den Synagogen gab es diese typische Sitzanordnung. Diese neue Übersetzung … setzt dann allerdings voraus, daß der Jakobusbrief zu einer Zeit abgefaßt wurde, in der es noch geschlossene judenchristliche Ge-

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ferred to an inscription mentioning a synagogue as a hint towards a possible Jewish-Christian synagogue and the discussion of this still continues,88 but unfortunately not within the genuine synagogue research as mentioned in note 83 above. The difficulties mentioned at the beginning concerning the religious identity of the House of Leontis apply here as well, as it is very hard to differentiate a Jewish synagogue from a Jewish-Christian one.89 b) An example of where archaeological data are crucial for understanding a passage in the New Testament is the short remark in John 11:55: “The Passover of the Jews was near, and many went up to Jerusalem from the country before the Passover to purify themselves.”90 What is meant here by Á   ‘* À¶? According to Schnackenburg, whose comment is typical for many commentaries, “they want, before the festival, to undergo the Levitical purification (cf. Num 9:6–13; 2 Chr 30:15– 19); the custom is also mentioned by Josephus (BJ I,229).” He further explains  œ referring to the sprinkling “with the water of purification,”

meinden gab, die ihre bisherigen Gottesdiensthäuser auch für die christlichen Gottesdienste verwendeten” (44). The last part of the quote needs qualification, as the term € * could be used for a Christian building as late as the beginning of the 4th century, where it appears on an inscription as “Synagogue of the Marcionites of the village of Lebeda” (in Deir Ali near Damascus), cf. A. v. Harnack, Marcion: Das Evangelium vom fremden Gott (2nd ed., Leipzig: Hinrichs, 1924 = repr. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1996), 341–44; White, Social Origins (see n. 84), 140: ŀ *—  *   Æ(@) !Š^* . If even the Marcionites with their anti-Jewish stance could call their building a synagogue, how much more Jewish Christians in the first century? 88 The inscription is from Tafas (Jordan, 51 km east of Tiberias), cf. A. Alt, “Ein Denkmal des Judenchristentums im Ostjordanland?”, PJ 25 (1929), 89–95, cf. further: L. Rost, “Archäologische Bemerkungen zu einer Stelle des Jakobusbriefes (Jak. 2,2f.),” PJ 29 (1933), 53–66. The names of the builders of this synagogue are the brothers James and Samuel together with their father Clematios: Ç{Š *!  Å@  @Š  %—   — € *—  ^@( ). A Jewish-Christian attribution is supported by S. C. Mimouni, Le judéo-christianisme ancien: Essais historiques (Patrimonies; Paris: Cerf, 1998), 451; J. F. Strange, “Archaeological Evidence of Jewish Believers?,” in Jewish Believers in Jesus: The Early Centuries (ed. O. Skarsaune and R. Hvalvik; Peabody, Mass.: Hendrickson, 2007), 710–41: 718–19, but the evidence is ambiguous at best, cf. D. Noy, A. Panayotov, and H. Bloedhorn, Inscriptiones Judaicae Orientis vol. I: Eastern Europe (TSAJ 101; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 52–53 (= Syr34): “There is nothing in the inscription to make it appear anything other than a normal Jewish synagogue dedication, even though the word [€ *] is rare in Jewish inscriptions from Syria.” 89 Strange, “Archaeological Evidence” (see n. 88), is a useful summary of other sites and artefacts that are discussed as Jewish-Christian; for a more favourable approach towards the identification of Jewish-Christian synagogues see Riesner, “Early House Churches” (see n. 5). 90 È ^' |½  %¡‡   Ê€^‘* ,   ’!@ %  Ë›€ | ˜ ‡Ì % \ %¡‡ Á   ‘* À¶.

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i.e. the purification from death impurity which takes seven days.91 Obviously, Schnackenburg refers to the ritual of the red heifer, which involves a seven-day purification rite with two sprinklings of water and a full immersion on the seventh day (cf. Num 19). But, as is regularly overlooked, this ritual is not bound to the temple because no offering is involved.92 More probable is a connection with longer lasting genital discharges, which involve immersion after seven days and a sacrifice in the temple on the eighth day.93 What is decisive here is that  œ (used only here in John, but cf. Acts 21:24–26; 24:18) needs to be understood as connected with immersion in a miqveh, that means a stepped pool in which the immersion of the whole body is possible.94 Purification rituals involving wa91

R. Schnackenburg, The Gospel according to St John vol. 2: Commentary on Chapters 5–12 (New York: Crossroad, 1987), 364. Similarily, with reference to the same biblical texts, J. G. R. Beasley-Murray, John (WBC 36; Waco, Tex.: Word Books, 1987), 208; C. K. Barrett, The Gospel According to St John (2nd ed., London: SPCK, 1956), 410; Thyen, Johannesevangelium (see n. 14), 547; Moloney, John (see n. 14), 348; Morris, John (see n. 14), 505. Again, Jones, Symbol of Water (see n. 14), does not discuss this verse at all; it is left without any comment also in E. Haenchen, John 2: A Commentary on the Gospel of John Chapters 7–21 (Hermeneia; Philadelphia: Fortress, 1984). 92 Cf. Num 19:18–19: The purification ritual with the water mixed with the ashes of the red heifer includes the cleansing of the house in which the case of death occurred. Therefore the special purification water must have been available throughout the country, cf. Deines, Steingefäße (see n. 12), 206–17. The rabbinic rule, following the biblical text, has only one immersion at the seventh day after sprinklings of water mixed with red heifer ashes on the third and seventh day (Sifre Numbers §129; Philo, Spec. 1.261); for a stricter ruling implying three immersions on the first, third and seventh day see 11QT 49–50; see also Y. Adler, “Ritual Baths Adjacent to Tombs: An Analysis of the Archaeological Evidence in Light of the Halakhic Sources,” JSJ 40 (2009), 55–73. 93 Lev 15:13–15 (concerning males; bathing in “living water” is required, and it is probable that the Siloam pool which functions as a public miqveh, being fed by the Gihon spring through the Hezekiah tunnel, was held to contain “living water;” appropriately, Josephus, J.W. 5.140, 145 called Å *Í a spring [%@], which has halachic consequences for the ritual quality and usefulness of its water, see m. Miqw. 1:8; m. Para 8:8); Lev 15:25–30 (concerning females; no bathing is mentioned at all, only the seven dayperiod and the sacrifice at the eighth day, but a ritual cleansing was required analogous to the regulation for men, cf. J. Milgrom, Leviticus 1–16 (AB 3; New York: Doubleday, 1991), 944. Josephus in his summary of this passage omits the washings after longer periods of impurity completely and makes references only to the sacrifices (Ant. 3.262, 264, 269), but he mentions a bath in “cold water” after a nocturnal emission of semen or intercourse 3.263. 94 Cf. Deines, Steingefäße (see n. 12), 253–54. For  œ* as expression for ritual ablutions see i.a. Josephus, Ant. 1.341–342; 5.45 (ritual cleansing after contracting death impurity, cf. Num 19:12–13 etc.: in the LXX the whole process is summarised by  œ*); 3.197, 199, 205, 258; 18.94 (for the purification of the priests and the priestly objects; spring water is mentioned in 3.205, 258); 9.272; 10.42 parallel to *; 12.318 (for the cleansing of the country from idolotry in the time of Hezekiah, Manasseh and Judas Maccabeus), cf. also Ant. 2.312: in the first Passover night in Egypt the He-

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ter were carried out in a miqveh in the time of Jesus. This must be deduced from the numerous miqva’ot which are located close to the entrances of the Jerusalem temple and throughout the country.95 Here we are faced with one of those cases where archaeological data necessitate a re-evaluation of the textual evidence which by itself is anything but clear. The early Jewish, Christian and Rabbinic texts regarding necessary purification rules before entering the temple are not easily systematized, and even where they are unambiguous it cannot be assumed without further evidence that these halachot represent the actual practice in the time of the temple. What can be said with some confidence on the basis of Josephus, C. Ap. 2.103–104 and m. Kel. 1:8 is that to enter the temple proper required a completed status of purity whereas in the outer parts less stringent rules applied. The difficulty though is that the court of the Gentiles allows access to non-Jews and also – at least according to rabbinic texts – to Jews with less severe impurity issues. But how is it possible to prevent those who have purified themselves for a sacrifice and want to enter the court of the women and/or the Israelites, that means the inner parts, where the sacrifices took place, without being in danger of contracting impurity again while they make their way through the outer courtyard?96 From the large numbers of miqva’ot brews protected their houses by purifying the houses with the blood of the passover lamb. Antiochus III decreed (Ant. 12.145) that only those Jews who where purified according to their ancestral laws (Î Â ‹‘ | £  ~  %¡  › ) are allowed to enter the inner precincts of the temple (  %‘!  ’  \ ©\). In a similar way  * and   can be used for a state of purity achieved by water. 95 The literature on this topic seems to be never-ending, not least because new archaeological findings are revealed regularly. For some recent summaries and discussions of the evidence see Y. Adler, “Ritual Baths Adjacent to Tombs” (see n. 92); idem, “Second Temple Period Ritual Baths Adjacent to Agricultural Installations: The Archaeological Evidence in Light of the Halakhic Sources,” JJS 59 (2008), 62–72; idem, “The Ancient Synagogue and the Ritual Bath: The Archaeological Evidence and Its Relevance to an Extinct Rabbinic Enactment Requiring Ablutions after Seminal Emission,” The Jerusalem Cathedra 128 (2008), 51–72 (in Hebrew); D. Amit and Y. Adler, “Miqwa’ot in the Necropolis of Beth She‘arim,” IEJ 60 (2010), 72–88; S. Hoss, Baths and Bathing: The Culture of Bathing and the Baths and thermae in Palestine from the Hasmoneans to the Moslem Conquest; with an appendix on Jewish ritual baths (miqva’ot) (BAR International Series 1346; Oxford: Archaeopress, 2005); idem, “Die Mikwen der späthellenistischen bis byzantinischen Zeit in Palästina,” ZDPV 123 (2007), 49–79; J. D. Lawrence, Washing in Water: Trajectories of Ritual Bathing in the Hebrew Bible and Second Temple Literature (Atlanta, Ga.: Society of Biblical Literature, 2006), 155–83, 203–17, 251– 68; B. Zissu and D. Amit, “Common Judaism, Common Purity, and the Second Temple Judean Miqwa’ot (Ritual Immersion Baths), in Common Judaism (see n. 84), 47–62, 237–42 (notes). See also below n. 97 and the contribution of Eric and Carol Meyers in this volume. 96 Especially in light of m. Kel. 1:8, where those who were made unclean by a corpse were allowed to go as far as the Gentiles (whereas, astonishingly enough, those suffering

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around the southern entrance area of the temple it seems very plausible that a ritual bath was seen as obligatory for all visitors to the temple, even if the precise details are not fully clear because the texts are not precise enough.97 But the fact that miqva’ot played an important role in accessing the temple is beyond any reasonable doubt. From this, one has to look again at New Testament texts like John 11:55, but also other Johannine texts need to be reconsidered in the light of these findings. c) Especially important here is the interpretation of John 9:6–7, 11, where Jesus heals a man born blind by laying a clay plaster on his eyes and sending him to the pool of Siloam,98 where he is to wash so that his eyesight is restored. Recent excavations have now produced the ‘real’ Siloam pool (a bit further down from the traditional pool shown to tourists as the pool of Siloam) from the first century and it has all the features of a very large public miqveh.99 Fed by the water of the Gihon spring it would allow purification in ‘living water’ which is necessary for some sorts of impurities caused by genital discharges. The pool was a magnificent construction with a colonnade on at least one side. The steps and landings of the pool are faced with carefully cut stone flags. The smallest side of the trapezoifrom impurity caused by genital discharges were prevented from going that far). And how were the Gentiles regarded halachically in the temple? Are they able to transmit impurity through touching, or are they, not being under the commandments of God, seen as neutral regarding their physical existence? This question is part of the larger issue about the impurity of Gentiles in Jewish halacha, cf. J. Klawans, “Notions on Gentile Impurity in Ancient Judaism,” AJS Review 20 (1995), 285–312; idem, Impurity and Sin in Ancient Judaism (Oxford: Oxford University Press, 2000), 238 index s.v. Gentiles; Christine E. Hayes, Gentile Impurities and Jewish Identities: Intermarriage and Conversion from the Bible to the Talmud (Oxford: Oxford University Press, 2002), and the review of this book by D. R. Schwartz, Shofar 23 (2005), 192–94. For the ritual purity of the temple see also J. Klawans, Purity, Sacrifice, and the Temple: Symbolism and Supersessionism in the Study of Ancient Judaism (Oxford: Oxford University Press, 2006). 97 For a discussion of the actual necessity for ritual immersion before entering the temple see E. Regev, “The Ritual Baths Near the Temple Mount and Extra-purification before Entering the Temple Courts,” IEJ 55 (2005), 194–204; against this see Y. Adler, “The Ritual Baths Near the Temple Mount and Extra-Purification Before Entering the Temple Courts: A Reply to Eyal Regev,” IEJ 56 (2006), 209–15, whose argument seems to me more persuasive than Regev’s assumption. For a more traditional summary (which nevertheless allows for some ambiguity in the textual references) see S. Safrai, Die Wallfahrt im Zeitalter des Zweiten Tempels (Neukirchen: Neukirchener Verlag, 1981), 163–91. 98 Å *Š, used in Luke 13:7 (without mentioning the pool) and John 9:7, 11. 99 R. Reich and E. Shukron, “The Shiloah Pool during the Second Temple Period,” Qadmoniot 130 (2005), 91–96 (in Hebrew); H. Shanks, “The Siloam Pool Where Jesus Cured the Blind Man,” BAR 31:5 (2005), 16–23; U. C. von Wahlde, “Archaeology and John’s Gospel,” in Jesus and Archaeology (see n. 36), 523–86: 568–69; Zissu and Amit, “Common Judaism, Common Purity” (see n. 95), 57.

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dal structure measures around 47.5 m (156 feet). Therefore to understand the text of John’s Gospel one needs to realize that purification rituals with water are an ongoing topic in this Gospel.100 The archaeological findings

100 John uses in John 9:7 (Ï% ‘}  — €!• \ Å *¡) the term €! to designate the pool; besides 9:7, €! is used also in John 5:2, 7 (but nowhere else in the NT) for the famous but notoriously difficult to understand pool connected to five porticoes of Bethesda. Like in 9:7, it is also the place of a healing, this time at the northern side of the temple. The discussion about the archaeological findings connected with Bethesda is highly controversial, but the assumption that the southern one of the two pools was indeed a large public miqveh as well finds corroboration by the new picture emerging for the Siloam pool. For the archaeological discussion see Ch. Cebulj, “Texte, Teiche, Theorien: Zum Stellenwert archäologischer Befunde für die Exegese von Joh 5,” in Texte – Fakten – Artefakte (see n. 11), 143–59; S. Gibson, “The Pool of Bethesda in Jerusalem and Jewish Purification Practices of the Second Temple Period,” Proche Orient Chrétien 55 (2005), 270–93; Küchler, Jerusalem (see n. 2), 313–36; von Wahlde, “Archaeology and John’s Gospel” (see n. 99), 559–66; Zissu and Amit, “Common Judaism, Common Purity” (see n. 95), 57. Even the designation as €! (derived from €!Š* to swim, to immerse, to dive) might carry a hint to its use as an immersion pool: the verb is very rare in Jewish literature, only used once with preposition (^  €!Š*) in the LXX for the crossing of the Jordan by swimming (1 Macc 9:48), once in Josephus (Ant. 20.248 for swimming in a pool in Jericho), and twice in Acts 27:42 (| €!Š* to swim away) and 43 ( €!Š*). It is absent in Philo and the Pseudepigrapha (the only reference is €!, diver, in Sib. Or. 5.335; in Josephus €!@ diver or swimmer, is used once as well in Ant. 2.224). The noun €! is used more regularly, in the LXX mainly (exceptions are Eccl 2:6; Nah 2:9, taken up in Ant. 9.239) for the different open pools in Jerusalem (2 Kgs 18:17; Isa 7:3; 36:2; Liv. Pro. 1:3 might refer to the northern pool of what is today showed as the pool of Bethesda, whereas the pools mentioned in Isa 22:9, 11 and Neh 2:14; 3:15–16 are pools fed by the Gihon spring and close to today’s pool of Siloam); Josephus uses the same noun for different pools in Jerusaelm (J.W. 1.437; 5.108, 145, 467–468); Aristobul III was murdered by Herod in a €! in Jericho, which is usually translated as swimming pool (J.W. 1.437; Ant. 15.54 [plural], cf. Ant. 20.238), but if €! can be used to describe large public miqva’ot in Jerusalem, it is not impossible that the same is true for Jericho, where swimming pools and miqva’ot can be found next to each other (although Ant. 15.54–55 describes rather a swimming pool scenario, but it is possible that pleasure and ritual were not separated at the time). For underground reservoirs ($%^‡‹ ) to supply water for the temple see Let. Aris. 89–91. The southern pool of Bethesda, the one which could have functioned as a miqveh, is most probably described in Sir 50:3, as %^‡‹ $^¡* (the Hebrew text reads here «ÐÑ´) ¡  ™ ¡@  %‘ . The actual washing in the Siloam pool is described five times as }Š* (John 9:7, 11, 15), a verb mainly used by John among the Evangelists (in the Synoptics only in Mark 7:3 par. Matt 15:3; 6:17, where the first reference clearly implies a ritual washing) but only in two stories: the healing of the blind man and the washing of the disciples’ feet (eight times in John 13:5–14). In the LXX the verb is used for profane washings (Gen 18:4; 19:2 etc.) but also occassionally for ritual washings of hands and feet (and tools), which in the first century could be performed by immersion in a miqveh, Exod 30:18–21; 38:27; Lev 15:11–12; 2 Chr 4:6. For its use for the ritual washing of the

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of stone vessels and miqva’ot reveal that this form of purification was not only very widespread in Palestine in the time of Jesus but also publically visible. The miqva’ot around the temple and the Siloam pool had a public function and one has to assume that the (no longer existent) buildings or structures covering these ritual pools left their mark on the prospect of the city. The same is true for the large stone jars in which water for purification rituals in the house were kept. They belonged obviously to that part of the inventory which visibly announced the commitment to purity within the house to those entering.101 c) Two further texts in John’s gospel (13:10; 3:25–27) might be read first in the setting of Jewish purification rituals before any ‘deeper’ meaning can be sought. John 13:10: ’ š  Ê@\·  €’   £‡ ‡‘ ‫ ½ — ڿ‬%›^‫ۀ‬

‘} , “ £   "· In the excavations in the Jewish Quarter of the Old City, a miqveh was excavated and in connection to it, a basin that was specifically designed to be used for the washing of feet.102 All together five of these feet washing basins were found but this is the only one in situ.103 Taking into account that the expressions used by John in 13:10, namely *, }Š*, and  are all connected with ritual purification, it seems likely that the saying refers first of all to an apparently wellhands and feet of the priests during the temple service see also Philo, Mos. 2.138; Spec. 1.198; 3.89; Migr. 98; Josephus, Ant. 8.87; 12.106. 101 The large stone jars are luxury items and less widely distributed than the smaller stone vessels and hence also functioned as status symbols, cf. Reed, “Stone Vessels” (see n. 12), 392–400. 102 Described in H. Geva, Jewish Quarter Excavations (see n. 12), 3.36–40; R. Reich and H. Geva, “Perforated Stone Basins,” in ibid., 79–83. They assume that the footbath was taken before entering the miqveh as “a measure taken to maintain the cleanliness of the standing water in the miqweh” (82). The Johannine sayings imply the converse order: after immersion in a miqveh only the washing of the feet was necessary – but for what? I have suggested, in Deines, Steingefäße (see n. 12), 257–60, that the saying should be applied to the temple in the way that only the washing of feet was necessary for those who have immersed themselves to enter the outer precincts of the temple and wanted to proceed to the inner courts; for this custom see Safrai, Wallfahrt (see n. 97), 178–79; it was obviously customary to walk bare-footed in the temple (m. Ber. 9:5; t. Ber. 7:19; y. Pes. 7:11/4 [35b]; cf. also Juvenal, Sat. 6.156; to enter the temple with shoes was seen as a sacrilege, see Ps. Sol. 2:2; Josephus, J.W. 4.150 [Safrai assumes that the “polluted feet” of the Zealots which defile the temple meant shod feet]). This is also supported by the Gospel fragment P.Oxy. 840 (for an English translation see The Apocryphal New Testament: A Collection of Apocryphal Christian Literature in an English Translation [ed. J. K. Elliott; Oxford: Clarendon Press, 1993], 31–34). 103 John 13:5 ¦ !¡ Ï^*   %˜ … presupposes a portable washbowl ( %, only here in the NT, cf. also T. Job 25:6; T. Abr. 3:11; 6:6–7, but absent in LXX, Philo and Josephus), whereas the above mentioned are fixed. This, however, does not invalidate the argument as there might have been different ways to do the necessary foot washing. What is more relevant is the fact that the footwashing was directly connected to the full immersion of the whole body as presupposed in John’s comparison.

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known practice in connection with immersion in a miqveh. Unfortunately, this custom or halakha, is not mentioned in other texts, but text and artefact together strongly suggest that there was some kind of fixed connection which lays at the basis of this saying of Jesus.104 The text-critical problem regarding  — ½ %›^ ( ‘} 105) which is missing i.a. in Sinaiticus and therefore often seen as a later insertion in the light of later penitential practices would then be approached differently: This line was dropped because the practice behind it was no longer known or understood.106 John 3:25–27 reports a dispute between the disciples of John and a certain Jew %  \ (v. 25). As   in John is used in connection with ritual purification in 2:6 the dispute might actually be about the relation between immersion in a miqveh and baptism by John and Jesus.107 It seems possible in the light of John 3:26 (former followers of John are now with Jesus who is described in 3:22 as baptising, which is corrected in 4:1–2) that some who had been baptised by John got baptised a second time after Jesus had started his own baptising ministry. Indeed, regular repetition is the mark of immersions in a miqveh and the dispute might have been about what differentiates the baptisms by John and Jesus(’s disciples) from immersion in a ritual bath. So Barrett is right when he comments that 3:25 (as 2:6) is about “Jewish purification” and “Jewish ablutions.” But he is surely mistaken when he continues that “John cares (and perhaps knows) little about the details of Jewish ablutions.”108 The opposite might be true. Combined with the saying mentioned above about a complete washing which requires no second immersion of the whole body, these rather obscure sayings might hint to a need

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Similarly Keener, John (see n. 14), 2.909–10. Many commentators ignore the ritual connotation of this saying within its Jewish context completely, cf. e.g. BeasleyMurray, John (see n. 91), 234–35; Moloney, John (see n. 14), 375; Morris, John (see n. 14), 549; Thyen, Johannesevangelium (see n. 14), 588–89. Lincoln, John (see n. 14), 370, acknowledges at least that “the distinction between bathing and washing makes sense against the background both of ritual purification and of ordinary life,” but fails to describe in what way this might be. 105 In addition to the previous words the verb also is missing in Tatian and Tertullian. 106 For a fuller discussion see Deines, Steingefäße (see n. 12), 255–56; John C. Thomas, Footwashing in John 13 and the Johannine Community (JSNTSup 61; Sheffield: Sheffield Academic Press, 1991), 19–25 (he argues in favour of the longer reading); cf. further Barrett, John (see n. 91), 441–42; Beasley-Murray John (see n. 91), 229; Lincoln, John (see n. 14), 363–64; Moloney, John (see n. 14), 378–79, Thyen, Johannesevangelium (see n. 14), 587 (according to him  — ½ %›^ is a poor addition [“ein schlechter Zusatz”]). 107 To see this text within the context of Jewish purification rituals might explain the otherwise awkward phrase that a dispute arose between the disciples of John “and a Jew” (|ˆ  Ò œ@  |   @  ~ Ê€^€) or “Jews,” which led to the conjecture that the dispute was between the disciples of John and one of Jesus’ disciples, cf. Barrett, John (see n. 91), 221; Thyen, Johannesevangelium (see n. 14), 228–29. Although Barrett and Thyen acknowledge that the conjecture would make excellent sense, they both reject it because of the missing textual evidence. 108 Barrett, John (see n. 91), 221; Keener, John (see n. 14), 1.577, is aware of the influence of Jewish purification traditions and refers to miqva’ot in the context of John 1:25–26, 31, see ibid., 1.443–44. Lincoln, John (see n. 14), 159–60, also refers to the “gaps” the readers are left with to fill from their understanding of Jewish ritual purification.

Non-literary Sources for the Interpretation of the NT

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for clarification felt within the group behind the Johannine tradition.109 Their strangeness is perhaps felt more by later Christian readers who connect water primarily with baptism than in the Jewish world of the first century, where entering a miqveh was part of the daily routine for many.

Again, the problems regarding the precise meaning of the above mentioned verses of John’s gospel cannot be solved simply by using non-literary artefacts. However, it is equally clear that without taking them into account any interpretation will fall short. The excavated miqva’ot remind us of an almost ubiquitous presence of a rich and widespread immersion-tradition within Judaism at the time of Jesus, which affected Jesus and his disciples as well as the early followers of Jesus on a more or less daily basis. It was not just food laws, sabbath legislation, and circumcision that needed to be addressed with respect to the life of the Jewish believers in Christ, but also the question of purification rituals so prominent in Judaism in the first century. Explaining these texts without being informed about the archaeological realia means a reading without context. And, for the sake of the Corpus Judaeo-Hellenisticum, I would like to add that the culture of bathing is one of the outstanding features of the Hellenistic-Roman way of life.110 But wherever Jews in the time of Jesus built a public bath-house for the pleasure of having a refreshing bath after a hot day, they replaced the obligatory frigidarium with a miqveh.111 Indeed, touching the water of immersion in first century Judaism is nearly unavoidable.

4 Conclusion The paper demonstrated with some case studies the usefulness of archaeological findings, mainly of non-textual artefacts, for the exegesis of New

109 Cf. also Acts 19:1–7 which points to a similar need to clarify the relation between John’s baptism and the later baptism in Jesus’ name, cf. F. Avemarie, Die Tauferzählungen der Apostelgeschichte (WUNT 139; Tübingen: Mohr Siebeck, 2002), 68–81, 413–40. In Avemarie’s book miqva’ot are not mentioned at all although they could have helped to explain some of the difficulties he addresses, e.g. p. 25, on the possibility of baptising 3,000 persons on one day. During the pilgrimage season thousands of pilgrims had to be purified by immersion before entering the temple in Jerusalem, which means that the logistic problem Avemarie sees is not as pressing as he assumes, cf. Zissu and Amit, “Common Judaism, Common Purity” (see n. 95), 57–59, on ritual baths for use by pilgrims. 110 Y. Z. Eliav, “The Roman Bath as a Jewish Institution: Another Look at the Encounter Between Judaism and the Greco-Roman Culture,” JSJ 31 (2000), 416–53. 111 R. Reich, “The Hot Bath-House (balneum), the Miqweh and the Jewish Community in the Second Temple Period,” JJS 39 (1988), 102–7.

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Testament texts. In doing so two elements proved to be of special importance: 1) The archaeological findings must be ‘read’ within their contexts and alongside their co-texts, as any isolated, de-contextualised item which is used as an illustration can be misleading. This necessitates that exegetes are sufficiently familiar with a given artefact in its respective historical context in order to identify their typicallity or peculiarity for the interpreation of a given text. This means not that everyone has to become now an archaeological specialist who has to read through the newest excavation reports, but at least a working knowledge of major summarising surveys seems to be indispensable, even if their content is very quickly out of date due to new findings.112 2) As demonstrated, these archaeological artefacts can be used to their full potential only if they are ‘read’ alongside their literary co-texts: only the familiarity with the textual evidence on, e.g. charioteer and helmsman, allows a full appreciation of the images depicting such scenes. And in the case of the miqva’ot the findings improve the reading of the texts113 so that they in turn can be used more accurately in the interpretation of the archaeological data. Both areas can cross-fertilise each other. The implied movement, therefore, is not circular but rather spiral in the sense that both disciplines benefit mutually by integrating their results. In order to pursue the CJH’s aim to collect “witnesses of early Judaism which are influenced by Hellenistic culture and the political-economical circumstances of the Hellenistic-Roman era, for the research and interpretation of the New Testament” properly contextualised non-literary sources should not be ignored.

112 To give only a few examples (in addition to what was already mentioned in the footnotes): The five volumes of NAEHL are outstanding in this respect for ancient Palestine; a wider geographical range is covered by OEANE; further helpful surveys were provided by R. Hachlili, Ancient Jewish Art and Archaeology in the Land of Israel (Leiden: Brill, 1988); Ancient Jewish Art and Archaeology in the Diaspora (Leiden: Brill, 1998); Jewish Funerary Customs (see n. 33); Menorah (see n. 7); see also: H.-P. Kuhnen, Palästina in griechisch-römischer Zeit (Handbuch der Archäologie: Vorderasien II.2; München: Beck, 1987); L. Y. Rahmani, A Catalogue of Jewish Ossuaries (Jerusalem: The Israel Antiquities Authority, 1994). A catalogue of all the Jewish mosaics is a desideratum, for a first glimpse see Talgam and Weiss, House of Dionysos (see n. 35), 1–16; E. Bleiberg, Tree of Paradise: Jewish Mosaics from the Roman Empire (Brooklyn, N.Y.: Brooklyn Museum, 2005; only mosaics from North-Africa), and for the wider context G. W. Bowersock, Mosaics as History: The Near East from Late Antiquity to Islam (Revealing Antiquity 16; Cambridge, Mass.: Belknap Press of Harvard University Press, 2006). Rina Talgam, from the Hebrew University in Jerusalem, is presently working on a project called The mosaics of the Holy Land from the 2nd century B.C. to the 8th century C.E. 113 For a good example see Klawans, Sacrifice (see n. 96), 169–70.

Licht aus dem Osten Die Leipziger Papyrussammlung und die Erforschung des Neuen Testaments REINHOLD SCHOLL

„Licht aus dem Osten“1 ist eine kryptische, vieldeutige und somit auch potentiell missverständliche Aussage. Dennoch oder besser gerade deshalb habe ich diese Worte als Titel meines öffentlichen Abendvortrages gewählt. Mit „Licht aus dem Osten“ verbindet sicherlich jeder von Ihnen bestimmte Assoziationen. Die einen denken vielleicht unwillkürlich an das ursprüngliche und ebenfalls mehrdeutige lateinische ex oriente lux, von dem „Licht aus dem Osten“ nur die Übersetzung – allerdings in anderer, und zwar chiastischer Stellung ist: ex oriente lux – Licht aus dem Osten. Andere – besonders die Teilnehmer der Tagung „Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen“, die sich hier in Leipzig anlässlich des III. Internationalen Symposiums zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti versammeln, – an das in mehreren Auflagen erschienene Buch von Adolf Deissmann: „Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistischrömischen Welt“, das in mehreren Nachdrucken nach der 4., völlig neubearb. Aufl., Tübingen, 1923, erschienen ist. Beide Assoziationen sind von mir bewusst gewollt und stehen als Motto über meinem Vortrag. Nebenbei bemerkt ist ex oriente lux so direkt nicht antik bezeugt, obwohl es durchaus so klingt. Ähnliche Formulierungen finden sich in der Spätantike, und zwar im 4. nachchristlichen Jahrhundert bei Augustinus (354–430), dem bekannten Bischof von Hippo, sowie bei Ambrosius von Mailand und seinem Schüler Maximus von Turin (ca. 380 – ca. 465), in denen das Licht der Sonne mit Christus in Verbindung gebracht wird.

1 Für diesen Beitrag, der um einige wenige wichtige Fußnoten ergänzt wurde, wurde der Vortragsstil beibehalten.

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Bei Augustinus lesen wir: Denn nicht irgendwo wird die Morgendämmerung weiß, wenn sie nicht den Teil des Himmels, den wir sehen vom Osten, das Licht der Sonne (ab oriente, lux solis), die zu ihm zurückkehrt, anfängt zu berühren.2

Bei Ambrosius von Mailand3 bzw. bei seinem Schüler Maximus von Turin4 finden wir die Aussage: Siehe nämlich bei der Geburt Christi wächst der Tag, und bei der Geburt des Johannes nimmt er ab, bei jenem kommt das Licht im Osten hervor (illo oriente lux proficit), bei diesem wird es bei der Geburt vermindert.

Was aber meint ex oriente lux oder „Licht aus dem Osten“? Oriens, orientis, m.5 (Partizip v. orior: sich erheben, aufsteigen, sichtbar werden, aufgehen, entstehen, entspringen, geboren werden, seinen Ursprung bekommen, abstammen, wachsen, den Anfang nehmen) kann also heißen: die aufgehende Sonne, der Sonnengott, der Tagesgott, die Morgengegend, der Morgen, der Osten im Gegensatz zu occidens. Es kann damit die Himmelsgegend gemeint sein sowie das östlich gelegene Land und dessen Bewohner, das Morgenland, der Orient.

Ab dem 4. Jh. n. Chr. ist Oriens auch der Name von neuen Verwaltungseinheiten, die von dem Christenverfolger Diokletian geschaffen wurden, nämlich der Name einer der neu installierten Diözesen und der Name einer der vier Praefecturen, in die das römische Reich eingeteilt wurde, nämlich der praefectura praetorio per Orientem. Lux, lucis, f.6 hat im Deutschen die Bedeutung: Licht, Lichtmasse, Sonnenlicht, Lichtglanz, Tageslicht, der Tag.

In Wortverbindungen finden wir: das Licht der Welt erblicken oder das Gegenteil davon: das Lebenslicht ausblasen; das Licht der Öffentlichkeit z.B. scheuen oder ans Licht der Öffentlichkeit bringen/treten; die Erleuchtung, die Aufklärung: Es geht jemandem ein Licht auf. Die wörtliche bzw. klassische Übersetzung „Licht aus dem Osten“ kann also verschiedene Bedeutungen haben: „Der Tag beginnt im Osten.“ Das ist eine allgemeine und zutreffende Beschreibung, ohne jegliche tiefere Bedeutung, wenn es nicht auch Völker gäbe, die den Tag am Abend beginnen.

2

PL 34, Quaestiones in Heptateuchum, 808. PL 17, Sermo IV, 610. 4 PL 57, Sermo III, 535. 5 Ausführliches Lateinisch-deutsches Handwörterbuch, ausgearbeitet von KARL ERNST GEORGES, unv. Nachdr. der achten verb. u. verm. Aufl. von HEINRICH GEORGES, Bd. I–II, Darmstadt 1995. 6 Vgl. Anm. 5. 3

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Die Übersetzung mit „die Erleuchtung kommt aus dem Osten“ kann je nach Betonung die Aussage anders gewichten. Man kann Erleuchtung betonen: Die Erleuchtung kommt aus dem Osten, oder: Die Erleuchtung kommt aus dem Osten. Ähnlich ist es auch mit den folgenden Übersetzungsvorschlägen: Neues Leben kommt aus dem Osten, Hilfe kommt aus dem Osten, Rettung kommt aus dem Osten. Orientierung heißt nichts anderes als sich nach dem Sonnenaufgang ausrichten! Der Spruch ex oriente lux oder „Licht aus dem Osten“ hat also damit von seiner ursprünglichen Verwendung her folgende Bedeutungen: – das christliche Abendland hat seine Wurzeln im Morgenland, – der christliche Westen hat seinen Ursprung im Osten, bzw. – der christliche Okzident hat seine Quelle im Orient. Im Laufe der Geschichte hat sich neben der ursprünglichen christlichen Bedeutung, dass das Christentum und damit die Erleuchtung aus dem Osten kommt, eine kulturgeschichtliche und anthropologische Bedeutung mit diesem ex oriente lux verknüpft. Das betrifft einerseits die Entstehung des Menschen, die Erschaffung des Menschen nach der Bibel im geographischen Osten, dann aber auch den Kulturtransfer vom zivilisierten Osten in den barbarischen Westen. Diese Kulturentstehungstheorie, die eng mit dem Humanismus und der Renaissance verbunden ist, die wiederum mit der Wiederentdeckung der Klassiker (nämlich der griechischen und lateinischen Autoren der Antike) eng einhergeht, stieß dabei natürlich auch auf Kritik. Die Entdeckungen der Ur- und Frühgeschichte führten besonders in pseudowissenschaftlichen und antichristlichen sowie antikirchlichen und antisemitischen Kreisen zu der entgegengesetzten These und auch zu dem ideologisch befrachteten Schlagwort: ex septentrione lux (Licht aus dem Norden).7 Dies wurde zwar von den Protestanten auf den Schwedenkönig Gustav Adolf bezogen, den Retter des Protestantismus aus dem Norden. Aber ex septentrione lux machte sich gerade im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und der nordischen Rassenlehre breit. Das führte zu den abenteuerlichsten Behauptungen. Daneben wurde aber das Schlagwort ex oriente lux von der Deutschen Orient-Gesellschaft als Parole gegen die in der Bibel dargebotene Sicht der Schöpfung gestellt, dass nämlich der „Alte Orient“, womit man u.a. das Zweistromland verbindet, noch viel älter sei. 7

INGO WIWJORRA, „Ex oriente lux“ – „Ex septentrione lux“. Über den Widerstreit zweier Identitätsmythen, in: A. Leube / M. Hegewisch (Hg.), Prähistorie und Nationalsozialismus. Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945. Studien zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 2, Heidelberg 2002, 73–106.

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Neuerdings gibt es gerade im Zusammenhang mit der Himmelsscheibe von Nebra den Versuch, den ex septentrione lux Mythos wieder zu reaktivieren. „Osten“ kann im heutigen deutschen Sprachgebrauch auch bedeuten, aus dem Osten der Bundesrepublik Deutschland oder konkret aus einer der bedeutendsten Städte, aus der Stadt des Umbruchs oder der „friedlichen Revolution“, nämlich Leipzig. Der Titel „Licht aus dem Osten“ passt auf beide Teile meines Beitrages, nämlich das im Osten (Oriens) entstandene Christentum sowie die dort verfassten Schriften des Neuen Testaments und seiner hellenistischjüdischen Umgebung und andererseits die Erforschung im Osten, konkret in Leipzig. Und drittens schließt die Namensgebung auch an den Titel der Jubiläumsausstellung „Erleuchtung der Welt“ an, die die Universität Leipzig zur 600-Jahrfeier im Stadtgeschichtlichen Museum Leipzig veranstaltet hat. Nach diesen einleitenden und erklärenden Worten möchte ich in meinem Vortrag auf folgende drei Punkte näher eingehen: 1. Papyrusforschung allgemein und speziell in Leipzig in Geschichte, Gegenwart und Zukunft; 2. Konstantin von Tischendorf, der Codex Sinaiticus und die Leipziger Papyri; 3. Forschungsprojekte in Leipzig: Das Papyrusprojekt Halle-Jena-Leipzig, das Papyrusportal sowie Textmining und Papyri in eAQUA.

1 Papyrusforschung allgemein und speziell in Leipzig in Geschichte, Gegenwart und Zukunft Papyrusforschung ist notwendig, besonders wenn das Thema des Symposiums „Neues Testament und hellenistisch-jüdische Alltagskultur. Wechselseitige Wahrnehmungen“ lautet und auch der dazugehörige Flyer mit dem Leipziger Papyrus P. Lips. II 1388 wirbt, der uns spiegelbildlich anschaut und somit – wenn auch unbewusst – das Thema des Symposiums spiegelt. Denn sowohl die Begriffe „Neues Testament“ als auch „Alltagskultur“ sind unweigerlich mit dem Wort Papyrus verbunden. Die ältesten Zeugnisse des Neuen Testaments sind auf Papyrus erhalten. So ist das bisher unbestritten älteste Zeugnis zum Neuen Testament der Papyrus P52, der in der John Rylands Library in Manchester aufbewahrt wird und der in die erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr. datiert wird. Er ist gerade so groß wie eine Handinnenfläche. Publiziert wurde er erstmals von C. H. Roberts, An Unpublis8 Griechische Urkunden der Papyrussammlung zu Leipzig (P.Lips.II), hg. v. RUTH DUTTENHÖFER mit einem Beitrag von REINHOLD SCHOLL, APF.B 10, München / Leipzig 2002.

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hed Fragment of the Fourth Gospel in the John Rylands Library, Manchester 1935. Das Papyrusfragment enthält aus dem Johannesevangelium auf der Vorderseite Kap. 18,31–37a und auf der Rückseite Kap. 18,37b–19,3. Das Fragment beginnt passend für dieses Symposium mit den Worten © Ê€^‹ . Es ist ein Blatt aus einem Codex. Dass es sich um einen Codex und nicht um eine Papyrusrolle handelt, ist daran abzulesen, dass der Papyrus auf beiden Seiten mit einem zusammenhängenden Text beschrieben ist. Das kommt bei Rollen (in der Regel) nicht vor. Antiker Alltag ist ohne Papyri fast undenkbar und nicht rekonstruierbar. Dieser universal verwend- und verwertbare Stoff, Papyrus, entspricht auch unseren modernen Vorstellungen und Forderungen vom biologisch abbaubaren Material, was allerdings auch mit Schuld ist an dem Verlust großer Papyrusbestände – man denke nur an die große Bibliothek von Alexandria. Mit der Bibliothek und dem Mouseion, die in Alexandria nur durch eine Straße voneinander getrennt waren, wie dies auch in Leipzig mit der Bibliotheca Albertina und dem GWZ (Geisteswissenschaftlichen Zentrum) der Fall ist (die Bibliothek liegt in beiden Fällen nördlich der Straße), verbindet sich ebenfalls ein Aspekt, der für die Frage der Erforschung des Neuen Testaments eine eminent wichtige Rolle spielt. Denn in Alexandria, im Mouseion und in der Bibliothek, sollen die Schriften des „Alten Testaments“ auf Veranlassung des 2. Ptolemäers in der ersten Hälfte des 3. Jh. v. Chr. von 72 Übersetzern in 72 Tagen ins Griechische übersetzt worden sein, woher auch der Name „Septuaginta“ (siebzig) herrührt. Über diese Ereignisse berichtet der sogenannte Aristeasbrief, der ins 2. vorchristliche Jahrhundert datiert wird.9 Damit war Griechisch eine für das Judentum und für seine Religion anerkannte Sprache, was sicherlich auch ein Grund dafür war, dass die Schriften des Neuen Testaments in dieser Sprache, der damals geläufigen und gebräuchlichen Koinê, abgefasst wurden. König Ptolemaios II. wollte nämlich von allen wichtigen Büchern der damaligen Welt zumindest eine Kopie besitzen und manchmal auch etwas illegal das Original, wie beispielsweise geschehen mit den Orginalhandschriften der großen Trias Aischylos, Sophokles und Euripides. In diesem Fall hatte er die Originalschriften aus Athen gegen eine hohe Sicherheitssumme ausgeliehen, das Pfand aber verfallen lassen, die Originale behalten und lediglich die Kopien nach Athen zurückgeschickt. Gleichzeitig wollte er aber auch eine Übersetzung der wichtigsten Schriften der Weltkultur in seiner Bibliothek besitzen, und zwar beides nach dem Motto bzw. im Wissen: Wissen ist Macht, Wissen steckt in Büchern! Somit auch im Buch der Bücher: in die9 Eine zweisprachige Ausgabe ist kürzlich besorgt worden von KAI BRODERSEN (Hg.), Aristeas: Der König und die Bibel, Griech.-Dt., Reclams Universal-Bibliothek 18576, Stuttgart 2008.

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sem Fall der jüdischen Bibel. Das Christentum als Buchreligion fand auch in Alexandria ein geistiges und religiöses Zentrum. Das lag möglicherweise ebenfalls daran, dass es in Alexandria eine große jüdische Bevölkerung bzw. Gemeinde gab. In den blutigen Auseinandersetzungen und Judenpogromen des 1. Jh. n. Chr., die u.a. um das Bürgerrecht der Stadt Alexandria ausgefochten wurden, beriefen die Juden sich darauf, dass sie bereits seit und mit Gründung der Stadt durch Alexander den Großen dort angesiedelt worden seien und in einem der fünf Stadtteile (dem Epsilon, also fünf, genannten) bevorzugt ihren Wohnsitz genommen hätten. Sie hätten somit von alters her das Bürgerrecht. Alexandria ist die erste Metropole der Antike, die man auch als einen Schmelztiegel der Nationen und Kulturen bezeichnen und modern vielleicht mit New York vergleichen kann, das im übrigen ebenfalls wie Alexandria in fünf Stadtteile eingeteilt ist. Zum anderen fand das Christentum als Buchreligion in Alexandrien ein gelehrtes und allem Neuen aufgeschlossenes und zumindest neugieriges Publikum. Später mehr dazu. Papyrus diente nicht nur der beabsichtigten Überlieferung literarischer Texte und somit auch der Bücher des Alten und Neuen Testaments, sondern auch so gewöhnliche Texte wie Kauf- und Eheverträge (wobei beide sich nicht wesentlich unterscheiden, denn beim Ehevertrag war das Entscheidende die Übergabe der Mitgift), die Verbrauchsliste eines Kochs, Steuerbescheide, Pachtverträge, Mietverträge, Berichte über Streitigkeiten und Schlägereien in einem öffentlichen Bad usw. sind überliefert, und schließlich diente Papyrus als Einwickelpapier auf dem Markt. Und was wir in vielen Fällen als dokumentarische Papyri erhalten haben, ist das, was in der Antike auf den Müll geworfen wurde, weil es nicht mehr gebraucht wurde. Anderes hat man bei Grabungen verschlossen in Tonkrügen vorgefunden, weil man es aufheben wollte, weil wichtige Familienpapiere darunter waren.10 Wir Papyrologen beschäftigen uns quasi mit den Papierkörben der Antike. Nebenbei: Auch der Codex Sinaiticus, auf den ich noch zu sprechen kommen werde, soll in einem solchen entdeckt worden sein! Wir in Leipzig sind froh, einige Objekte aus den Abfallkörben oder Abfallhaufen der Antike zu besitzen, nämlich immerhin ca. 5.000 Papyri, ca. 1.600 Ostraka, beschriebene Tonscherben, dazu einige Pergamente und sogar Papiere. Die Mehrzahl dieser sehr oft unscheinbaren Objekte sind über das Deutsche Papyruskartell zu Beginn des 20. Jh. angekauft worden. Einige wenige sind schon früher von Ägyptenreisenden mitgebracht und der Universitätsbibliothek überlassen worden. Davon sind einige ganz originell aufbewahrt: So sind Papyri, die Konstantin Tischendorf mit nach 10 So beispielsweise die Elephantine-Papyri: OTTO RUBENSOHN (Hg.), Aegyptische Urkunden aus den Königlichen Museen in Berlin. Griechische Urkunden, Sonderheft Elephantine-Papyri, Berlin 1907.

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Leipzig gebracht hatte, in ein Exemplar der Edition eingeklebt worden. Im wahrsten Sinne des Wortes ein Papyrusbuch. Später hat man sich systematisch mit dem Ankauf von Papyri beschäftigt. 1902 wurde zu diesem Zweck die Leipziger Papyrussammlung gegründet, mit einer Satzung und allem, was dazu gehört. Beteiligt waren drei Institutionen, und zwar der Leiter des sächsischen Staatsministeriums für Kultus und öffentlichen Unterricht, S. Excellenz Dr. von Seydewitz, die Königlich sächsische Gesellschaft der Wissenschaften und die Albrechtstiftung zu Leipzig. 1902 wurde man Gründungsmitglied im Deutschen Papyruskartell, das sich zum Ziel gesetzt hatte, gemeinsam bzw. zentral Papyri in Ägypten zu erwerben und diese dann im Versteigerungsverfahren an die einzelnen Mitglieder zu verteilen.11 Aus der Not heraus, konkreter aus finanzieller Not heraus, fand man sich zu einer solchen konzertierten Aktion bereit, um nicht durch Einzelaufkäufe und somit durch ein größeres Angebot die Preise in die Höhe zu treiben. Hier gilt dann die bekannte Weisheit: Not macht erfinderisch. Beim Deutschen Papyruskartell gab es eine Abteilung A und eine Abteilung B; die erste kümmerte sich um die literarischen, die zweite um die dokumentarischen Papyri. Leipzig war an beiden Abteilungen beteiligt. Auf diese Art und Weise sind anschließend die meisten Papyri nach Leipzig gekommen. In den dreißiger Jahren kam es noch einmal zu einem größeren Ankauf durch die Förderer und Freunde der Universität Leipzig, die auch weiterhin mit einer eigenen Inventarisierung versehen sind, nämlich P. Lips. Inv. FF (steht für Förderer und Freunde). Auch Sie könnten uns durchaus den einen oder anderen Papyrus schenken, als Dauerleihgabe überlassen usw., wobei wir sicherlich eine Möglichkeit finden werden, den edlen Spender namentlich mit seinem Objekt zu verbinden. Nehmen Sie sich den großen Theodor Mommsen zum Vorbild, der von seinem Literatur-Nobelpreis, den er 1902 für seine römische Geschichte erhalten hat, eine noble Summe für den Ankauf von Papyri gespendet hat. Auch haben die Schränke durchaus noch freie Aufnahmekapazität. Papyri geschenkt zu bekommen oder anzukaufen ist das eine, sie zu restaurieren und sie damit auch lesbar zu machen das andere. Diese Texte zu veröffentlichen, bekannt zu machen, für die Wissenschaft zu erschließen und zu nutzen, ist das eigentliche Ziel jeder Sammlung. Man beginnt damit, ein Inventarbuch anzulegen und dort die wichtigsten – heute sagt man dazu – Metadaten zusammenzutragen wie beispielsweise die Maße, die Herkunft, die Datierung und natürlich den Inhalt, um zu wissen, was man hat. Das ist auch bald nach dem Ankauf geschehen, aber nur mit ca. 660 Papyri. Dort kann man zur Inv. 586 lesen, dass der Papyrus von einem einheimischen Scheich im Faijum, der Flussoase links 11 OLIVER PRIMAVESI, Zur Geschichte des Deutschen Papyruskartells, ZPE 114 (1996), 173–187.

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von der Spitze des Nildeltas gelegen, im Juni 1907 gekauft wurde. Die Nr. 587 wurde über das Deutsche Papyruskartell erworben und kam im Juli 1913 in Leipzig an. Später sind dann einige Versuche gemacht worden, eine Art Katalog zu erstellen. Sehr knapp gehaltene Bemerkungen, Maße, kurzer Inhalt und wichtig: geeignet bzw. ungeeignet für eine Publikation! Der letzte Versuch nach dem 2. Weltkrieg begnügte sich mit Inventarnummer und Maßen. Für die dokumentarischen Papyri wurde 1906 P. Lips. I von dem Leipziger Rechtshistoriker Ludwig Mitteis unter Mitwirkung von Ulrich Wilcken, dem Begründer der wissenschaftlichen Papyrologie, der in Leipzig von 1906 bis 1912 den Lehrstuhl für Alte Geschichte innehatte, publiziert.12 P. Lips. II folgte erst 2002 im Rahmen eines von der Fritz Thyssen Stiftung finanzierten Drittmittelprojektes durch Frau Ruth Duttenhöfer und mich.13

2 Konstantin von Tischendorf, der Codex Sinaiticus und die Leipziger Papyri Werfen wir jetzt einen Blick auf den großen Leipziger Bibelforscher Konstantin von Tischendorf. Er war ein Besessener, auf der Suche nach den ältesten Zeugnissen der Bibel und besonders des Neuen Testaments; sein Motiv war, verkürzt ausgedrückt: je älter das Zeugnis, je näher am historischen Jesus, um so glaubwürdiger. In der Tat gibt es keinen antiken Text, der besser bezeugt ist als die Bibel und speziell das Neue Testament. Schaut man sich in einer einschlägigen papyrologischen Datenbank einmal die papyrologischen Zeugnisse für antike literarische Texte an, die in der Regel immer vor dem nur theoretisch erschlossenen Archetyp eines philologischen Abhängigkeitsstemmas der Handschriften liegen, und noch weiter vor den wirklich erhaltenen Handschriften, so ist man doch sehr erstaunt. Als Beispiel und zum Vergleich: Bibel, Homer, Platon, Aristoteles, die wichtigsten Autoren für die abendländische Kultur. In der Leuven Database of Ancient Books (http://www.trismegistos.org/ldab/) finden sich 1978 Papyri für die Bibel, und zwar 1015 für das Alte Testament und 963 für das Neue Testament und nur 1904 Papyri für Homer, den antiken Übervater, von dem auch deshalb so viel erhalten ist, weil er auch Schulautor war. Jedem Kind wurden gleichsam die Ilias und die Odyssee in die Wiege gelegt, um sich daran zu bilden und die dort vermittelten Werte zu verinnerlichen. Einer der bekanntesten Homer- genauer Iliasleser war Alexander der Große, der laut antiken Quellen ein von seinem Lehrer Aristote12 P. Lips. I = Griechische Urkunden der Papyrussammlung zu Leipzig, I, hg. v. LUDWIG MITTEIS mit Beiträgen von ULRICH WILCKEN, Leipzig 1906. 13 S.o. Anm. 8.

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les korrigiertes Exemplar der Ilias unter seinem Kopfkissen gehabt haben soll. Er gehört auch zu denjenigen, die die Ilias nachgespielt haben. So soll er den persischen Stadthalter von Gaza hinter seinem Streitwagen hergeschleift haben, wie dies sein großes Vorbild Achill mit seinem Gegenspieler Hektor getan hat. Schlechte Lektüre verdirbt eben den Charakter! Zahlen sind nicht alles, verraten aber doch einiges. Für die beiden anderen Koryphäen sieht es noch schlechter aus. So gibt es lediglich 103 Platonund 34 Aristoteles-Papyri, die bisher bekannt sind. Es ist natürlich möglich, dass in den weltweit zerstreuten Papyrussammlungen noch der ein oder andere Papyrus zu diesen Autoren schlummert und nur darauf wartet, entdeckt und ans Licht gebracht zu werden. Ich möchte mich heute in erster Linie auf die neutestamentlichen Texte beschränken. Das älteste Zeugnis, das ich auch schon zu Beginn meines Vortrages erwähnt habe, ist der Papyrus P52 = P. Rylands 457 mit dem Johannesevangelium aus der ersten Hälfte des 2. Jh. n. Chr., vielleicht um 125 n. Chr. geschrieben. Das Papyrusfragment 7Q5 aus den Qumranhöhlen ist definitiv kein Markus-Evangelium, auch wenn dies von dem mittlerweile verstorbenen Münsteraner Carsten Peter Thiede vehement und publikumswirksam vertreten wurde, u.a. in seinem reißerisch aufgemachten Titel: „Der Jesus-Papyrus. Die Entdeckung einer Evangelien-Handschrift aus der Zeit der Augenzeugen“, München 1996. Dabei war die öffentliche Diskussion in erster Linie ideologisch belastet und nicht so sehr von papyrologischem Wissen und papyrologischem Handwerk geprägt. Die Universitätsbibliothek Leipzig kann zwar nicht mit dem ältesten Zeugnis für das Neue Testament aufwarten, wohl aber neben Teilen des Alten Testaments auch mit dem ältesten vollständigen Neuen Testament, nämlich mit dem Codex Sinaiticus, wobei in Leipzig allerdings nur Teile aus dem Alten Testament aufbewahrt werden. Dieses für die Geschichte des Christentums und seiner Erforschung unschätzbare Zeugnis hat Konstantin von Tischendorf im Katharinenkloster auf dem Sinai entdeckt, und zwar nach eigenen Aussagen in einem Papierkorb, und für die Wissenschaft zugänglich gemacht und publiziert. Durch ein Kooperationsunternehmen derjenigen Institutionen, an die der Codex bis heute verstreut ist, nämlich das Katharinenkloster auf dem Sinai, die British Library in London und die Eremitage in St. Petersburg sowie die Universitätsbibliothek Leipzig wird das Zerstreute nun wieder zumindest virtuell zusammengeführt und zusammengefügt (http://www.codex-sinaiticus.net/de/). In Abwandlung eines anderen bekannten Ausspruches: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört!“ Mit den neuen Medien, der Digitalisierung, dem Internet gibt es neue Möglichkeiten, Schätze des Weltkulturerbes oder Weltschrifterbes einer größeren Öffentlichkeit – eben der Welt – Tag und Nacht rund um den Globus zur Verfügung zu stellen, damit sie es als ihr

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Eigentum sehen kann. Denn eine Betrachtung dieses einzigartigen Objekts der Begierde für Bibelforscher, wenn ich einmal so formulieren darf, war bisher nur – und zwar eingeschränkt – jeweils vor Ort möglich. Besonders in Leipzig hat man mit Argusaugen auf die 43 Blätter aufgepasst, weshalb sie auch noch in vergleichbar gutem Zustand sind, obwohl auch das Alter seine Spuren hinterlassen hat. Im Rahmen des ebengenannten Projektes wurde auch jede einzelne Seite und jedes einzelne Blatt genauestens untersucht, beschrieben und vermessen, quasi kartographiert und jede einzelne noch so kleine Besonderheit, Beschädigung usw. erfasst. Sie können sich darüber ein Bild über die Seiten auf der eben genannten Internetseite machen. Eine andere Form der Präsentation der Leipziger Blätter wurde mit Hilfe der Firma Microsoft entwickelt (http://www.e-manuscripts.org). Wenn nun noch der Nachweis gelänge, dass der Codex Sinaiticus eines der 50 Prachtexemplare der Bibel wäre, die Konstantin der Große laut seinem Biograph Eusebios von Caesarea in Auftrag gegeben hat, wäre dies u.a. auch für die Datierung wichtig. Denn bei Eusebios steht in seiner Vita Konstantini, 36, ein “Schreiben Konstantins an Eusebius über die Beschaffung von heiligen Schriften. Brief des Kaisers über die Herstellung der göttlichen Schriften”: Der Sieger Kaiser Konstantin der Große an Eusebius. In der nach uns benannten Stadt hat sich unter der Mitwirkung der Vorsehung des Erlöser-Gottes eine sehr große Menge der heiligsten Kirche angeschlossen, so daß es dem starken Wachstum, das sich dort durchweg zeigt, ganz angemessen erscheint, auch mehrere Kirchen daselbst zu erbauen. So vernimm denn bereitwillig unseren gefaßten Entschluß! Es dünkt uns geziemend, dies deiner Weisheit zu eröffnen, du mögest fünfzig Bände von den göttlichen Schriften, deren Anschaffung und Gebrauch du für das Beste der Kirche am meisten als notwendig erachtest, auf gut zubereitetem Pergament, leicht leserlich und handlich für den Gebrauch, von Künstlern herstellen lassen, die in ihrer Kunst, schön zu schreiben, wohl erfahren sind. Es wurde ein Schreiben von unserer Milde an den Finanzverwalter der Provinz abgeschickt, er solle fürsorglich alles zur Herstellung der Bücher Erforderliche beschaffen; daß die Abschrift dieser Bände möglichst bald vollendet sei, das wird darum die Aufgabe deiner Sorgfalt sein. Auch sollst du kraft dieses unseres Schreibens zwei Staatswagen zur Verfügung haben, um die Bände hierher bringen zu lassen; denn so können die schön geschriebenen Bände wohl am allerleichtesten auch uns zu Gesichte kommen, wofern natürlich einer von den Diakonen deiner Kirche dies besorgt, der bei seiner Ankunft unsere Güte erfahren soll. Gott behüte dich, geliebter Bruder!14

Doch ist die Verbindung des Codex Sinaiticus zu dieser Textstelle bei Eusebios bisher nicht zu belegen. Dass aber mit Konstantin eine machtvolle Unterstützung des Christentums und der Kirche beginnt, kann nicht geleugnet werden. Bis vor wenigen Monaten konnte man im Panometer der 14 Des Eusebius Pamphili vier Bücher über das Leben des Kaisers Konstantin … aus dem Griechischen übersetzt von P. JOHANNES MARIA PFÄTTISCH, BKV, Kempten u.a. 1913.

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Stadt Leipzig ein Panorama Roms bestaunen, das den Zug Konstantins des Großen nach der entscheidenden Schlacht an der Milvischen Brücke am 28. Oktober 312 zum Jupitertempel zeigte, der – nach Meinung nicht unmaßgeblicher Forscher – so nie stattgefunden hat. Denn bezeugt ist der Triumphzug nicht. Daraus und aufgrund der Darstellung auf dem Konstantinbogen sowie der Aussagen in einem Panegyricus auf Konstantin aus dem Jahr 313,15 in Trier gehalten, haben dann auch einige Gelehrte die Schlussfolgerung gezogen, dass Konstantin bewusst keinen Triumphzug abgehalten hat, weil dieser – wie im Panorama zu sehen – unweigerlich mit einem Opfer an Jupiter auf dem Kapitol enden musste, und Konstantin habe seiner Bekehrung wegen bewusst darauf verzichtet. Andere begründen den Ausfall des Triumphzuges mit der Tatsache, dass die Sieger in einem Bürgerkrieg nie mit einem Triumph geehrt wurden.16 Jedenfalls beginnt mit Konstantin, dem Namensvetter des Bibelforschers, auch die relativ schnelle Ausbreitung des Christentums, aber ebenso nimmt die Einmischung des Staates in religiöse Auseinandersetzungen seinen Anfang. Ich erinnere an den in Nordafrika entbrannten Streit um die Donatisten. Dort ging es in erster Linie um die Frage nach der Rolle der vom Glauben Abgefallenen, der traditores, die die heiligen Schriften ausgeliefert hatten, und um deren Funktion und Teilhabe bei den zu spendenden Sakramenten, speziell der Bischofsweihe, in der Zeit nach 311, nach dem Galeriusedikt mit dem Ende der Verfolgungen, und nach 313, dem sogenannten Mailänder Edikt, in dem das Christentum gleichberechtigt neben den anderen Religionen anerkannt wurde. Und schließlich sei das erste allgemeine Konzil von Nizäa im Jahr 325 genannt, das von Kaiser Konstantin einberufen sich mit dem Verhältnis zwischen Gottvater und Gottsohn beschäftigte, das man kurz auf den Streit um das Iota reduzieren könnte,   oder   , wesensgleich oder wesensähnlich. Bei aller Anerkennung durch den Staat: Welche Richtung war sozusagen die richtige? Dass dabei der Text, das Wort, das richtige Wort bzw. der  eine wichtige Rolle spielte, dürfte von selbst einleuchten. Folglich war es schon in der Antike entscheidend, einen „reinen“, authentischen und orginalen Text zu erhalten und zu tradieren. Dieses Motto und dieses Ziel fin-

15 CHARLES E. V. NIXON / BARBARA SAYLOR ROGERS, In praise of later Roman Emperors. The panegyrici latini. Introduction, translation and historical commentary with the latin text of R.A.B. Mynors, Berkeley, CA u.a. 1994, Nr. XII. Deutsche Übersetzung: Panegyrici Latini, Lobreden auf römische Kaiser, Bd. I von Diokletian bis Konstantin, Lateinisch und deutsch, eingeleitet, übersetzt und kommentiert von BRIGITTE MÜLLERRETTIG, Darmstadt 2008, Nr. XII/IX. 16 Zu dieser Diskussion vgl. KLAUS M. GIRARDET, Die konstantinische Wende. Voraussetzungen und geistige Grundlagen der Religionspolitik Konstantins des Großen, Darmstadt 2006.

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den sich bereits beim Codex Sinaiticus, wo ein Schreiber am Ende des Buches Esther festgehalten hat, wie der Text zustande gekommen ist: Esther wurde abgeschrieben von einer sehr alten Abschrift, die korrigiert wurde durch die Hand des heiligen Märtyrers Pamphylos bis zum Ende des ältesten Buches selbst, woher sie den Anfang nimmt, nämlich von den ersten der Königsherrschaften bis Esther. Diese besagt in aller Ausführlichkeit mit der eigenhändigen Unterschrift desselben Märtyrers folgendes: Abgeschrieben und korrigiert zur Hexapla des Origines, die von ihm selbst korrigiert wurde. Antoninos der Bekenner hat vergleichend abgeschrieben, ich Pamphilos habe den Band korrigiert im Gefängnis durch die reiche und große Gnade Gottes. Auch wenn es nicht schwer ist zu sagen, so ist es nicht leicht eine Abschrift zu finden, die dieser nahe kommt. Dieses sehr alte Buch unterscheidet sich zu dem vorliegenden Band im Hinblick auf einige Eigennamen.17

Insofern unterscheidet sich quasi das Ziel eines der Schreiber des Codex Sinaiticus vom Ziel der heutigen Bibelforscher nicht sehr: Die Intention war und ist es z.T. immer noch, durch die philologisch-historische Methode der Textkritik möglichst nahe an den Urtext heranzukommen. Der Codex Sinaiticus stammt aus dem 4. Jh. n. Chr. und gehört somit zu den frühesten erhaltenen Pergament-Codizes. Doch wie bereits gesagt, sind die ältesten Zeugnisse des Neuen Testaments auf Papyrus erhalten. Somit sind diese für die Re-Konstruktion des Textes noch gewichtiger. Die Papyri stammen aber in der Mehrzahl aus Ägypten. Die Papyrussammlung der Universitätsbibliothek Leipzig besitzt einige bereits bekannte und veröffentlichte christliche Texte, aber auch einige im Zuge des Papyrusprojektes Halle-Jena-Leipzig neu entdeckte und bisher unbekannte Textzeugnisse. Zu den bekannten gehört die bisher längste (Gesamtmaße 27,5 x 396 cm [H x L]) Papyrusrolle mit alttestamentlichem Text, wobei die Betonung auf Rolle liegt, die von einem Christen benutzt wurde, wie ich noch zeigen werde. Diese Papyrusrolle (P. Lips. Inv. 39), die sich seit dem Ankauf im August 1902 in der Papyrussammlung der Universitätsbibliothek befindet, stammt aus dem oberägyptischen Hermonthis und enthält die Psalmen 30,1–55,14. Der Wert der Rolle wurde sogleich erkannt, und Georg Heinrici veröffentlichte den Text sofort im darauf folgenden Jahr: „Die Leipziger Papyrusfragmente der Psalmen (Beiträge zur Geschichte und Erklärung des Neuen Testaments IV)“, Leipzig 1903. Eine Neuedition wurde von Gregor Emmenegger besorgt.18 Die Schreibung der Psalmen ist kolometrisch, d.h. jede neue Sinneinheit beginnt mit einer neuen Zeile. Diese 17 Codex Friderico-Augustanus sive fragmenti Veteris Testamenti e codice graeco, ed. CONSTANTINUS TISCHENDORF, Lipsiae 1846, 19. 18 GREGOR EMMENEGGER, Der Text des koptischen Psalters aus al-Mudil. Ein Beitrag zur Textgeschichte der Septuaginta und zur Textkritik koptischer Bibelhandschriften, mit der kritischen Neuausgabe des Papyrus 37 der British Library London (U) und des Papyrus 39 der Leipziger Universitätsbibliothek (2013), Berlin 2007.

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Schreibweise findet sich auch im Codex Sinaiticus bei den Psalmen, bei denen die ursprüngliche Anordnung von vier Kolumnen pro Seite aufgegeben wurde. Die Zahlzeichen zur Zählung der Psalmen befinden sich links neben den Überschriften; diese sind jeweils eingerückt und durch Striche über und unter der Zeile (Paragraphen) markiert. Die heiligen Namen (nomina sacra) sind wie im Codex Sinaiticus abgekürzt und oben mit einem Querstrich versehen. Die Nummern der Psalmen befinden sich dagegen im Codex Sinaiticus herausgerückt und erst nach dem Einleitungstext, wohingegen in der Leipziger Papyrusrolle das Protokoll zum Psalm gezählt wird. Die Psalmen selbst wurden auf dem Kopf stehend auf die Rückseite einer Rechnung über Naturalien geschrieben, die wegen der angegebenen Konsulatsdatierung ins Jahr 338 n. Chr. gehört.19 Kurz danach sind wohl auch die Psalmen in einer nicht ausgesprochen schönen Buchschrift, sondern in einer halbliterarischen und teilkursiven Schrift aufgeschrieben worden. Sie weicht nicht viel von der Geschäftsschrift der Vorderseite ab. Damit unterscheidet sich die Psalmenrolle schon vom Schriftcharakter her vom Codex Sinaiticus, der eine Prachtausgabe darstellt, während die Rolle als eine preiswertere Textausgabe für einen nicht so vermögenden Christen diente. Sollte der Codex Sinaiticus wirklich zu den Auftragsarbeiten Konstantins des Großen gehören – wie eben überlegt –, wäre er um einige Jahre älter als die Leipziger Psalmenrolle. Wegen der Anbringung auf der Rückseite eines dokumentarischen Papyrus diente die Leipziger Psalmenrolle wohl zu privaten Zwecken und nicht für die Lehre oder liturgische Aufgaben. Sie ist somit eher ein früher Hinweis dafür, dass die Psalmen von Christen im privaten Bereich gelesen oder gesungen worden sind. Die Rolle ist gleichzeitig ein Zeugnis dafür, dass die Christen den Text der alttestamentlichen Psalmen als eigenen ansahen und auch veränderten. Denn Psalm 50,9 lautet: Ô  ‹  $Æ%Õ, % \ Á \ €    („Besprenge mich mit Hysop vom Blut des Kreuzes und ich werde rein“), wobei der Zusatz „vom Blut des Kreuzes“ natürlich eine christliche Hinzufügung ist. Im Übrigen hatte diese Rolle ein ähnliches Schicksal wie der Codex Sinaiticus. Denn die ersten sechs von insgesamt 34 Kolumnen waren ursprünglich in der Berliner Papyrussammlung gelandet, wurden dann aber nach Leipzig gegeben. In der Bonner Papyrussammlung befindet sich immer noch ein kleines Fragment (7,5 x 5,8 cm [H x B]), dessen Zugehörigkeit zur Rolle erst kürzlich entdeckt und von Daniela Colomo und mir publiziert wurde, und das zumindest virtuell im Rahmen eines Digitalisierungsprojektes wieder zusammengefügt im Internet zu bestaunen ist: http://papyri.uni-leipzig.de. Vielleicht finden sich mit Hilfe der Digitalisierung der Sammlungsbestände und deren Zurverfügungstellung im Internet die restlichen Fragmente zusammen. 19

Die Vorderseite wurde publiziert als P. Lips. I, Nr. 97, vgl. Anm. 12.

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Vor kurzem wurde von meiner Projektmitarbeiterin Frau Nadine Quenouille im Rahmen des bereits erwähnten Papyrusprojektes Halle-JenaLeipzig ein neues interessantes Papyrusfragment entdeckt. Es enthält auf der einen Seite Oden mit einigen Abweichungen vom bekannten Text und auf der anderen Seite eine verblasste Schrift, die von Herodes, seiner Frau und dem abgeschlagenen Kopf Johannes des Täufers handelt. Der Papyrus stammt aus dem 3./4. Jh. n. Chr. Der noch unveröffentlichte Text passt ganz gut zum Motto der Tagung, die sich die Erforschung des Umfeldes des Neuen Testaments zum Ziel gesetzt hat. Nach unseren bisherigen Recherchen lässt sich dieser Text keinem bekannten antiken Autor zuordnen. Koptische Zeugnisse zum Christentum und zur Bibel finden sich ebenfalls in der Papyrus- und Ostrakasammlung der Leipziger Universitätsbibliothek. Einige Papyri und Pergamente waren auch Gegenstand der „2nd International Summer School in Coptic Papyrology“, die im letzten Sommer in Leipzig stattfand. Dort wurde u.a. folgender interessanter Text bearbeitet, zusammengesetzt und kommentiert: ein Markusevangelium in sahidischem Dialekt (P. Lips. Inv. 318, 320, 323, 325, 331, 1468–1474) aus dem 5.–6. Jh. n. Chr. Es ist eines der wenigen koptischen oder griechischen Markusevangelien, die auf Papyrus erhalten geblieben sind. Der Text weicht mit einigen ungewöhnlichen Lesarten auch vom Codex Sinaiticus ab. Koptisch ist Ägyptisch mit griechischen Buchstaben und einigen Sonderzeichen. Somit kann festgehalten werden, dass noch viel Arbeit in Leipzig harrt, so dass wir uns nach diesem Vortrag und dem anschließenden Empfang durch den Oberbürgermeister gestärkt unverzüglich an die Arbeit machen sollten! Vielleicht findet sich noch ein wichtiges und bahnbrechendes Zeugnis für das „Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti“.

3 Forschungsprojekte: Das Papyrusprojekt Halle-Jena-Leipzig, das Papyrusportal sowie Textmining und Papyri in eAQUA Wie schon angekündigt, gehe ich zum Schluss auf neuere Forschungsprojekte in Leipzig ein. Würden die Evangelisten in unserer Zeit leben, würden sie wie damals die neuesten Medien nutzen, um ihre Botschaft zu verbreiten, sprich heute das Internet. Das haben sich auch von Anfang an die Papyrologen und Bibelforscher zu Nutze gemacht. Sie waren die Pioniere unter den Altertumswissenschaftlern, um die neuen digitalen Medien zu nutzen, um die ältesten Schreibmaterialien zu erschließen. Datenbanken, elektronische Wörterbücher und Hilfsmittel wurden entwickelt, und zwar zuerst offline und dann auch online.

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Um nur die wichtigsten zu nennen: Die Duke Data Bank of Dokumentary Papyri, die jetzt auch über http://papyri.info zu erreichen ist. Der Thesaurus Linguae Graecae mit allen griechischen Texten von Homer bis mittlerweile ins Mittelalter hinein ist als Volltext durchsuchbar. Auch die Perseus Digital Library (http://www.perseus.tufts.edu/hopper/) bietet freien Zugang zu vielen antiken digitalen Texten und Bildern. Mit Hilfe dieser Datenbanken lassen sich im Gegensatz zu unseren Vorgängern, die ganz sicherlich auch bibel- und textsicherer waren als wir – auf jeden Fall als ich – heute, kleine und kleinste Fragmente sicher ergänzen, wenn es sich um bereits bekannte und edierte Texte handelt. Hier helfen die neuen Medien ungemein. Aber auch dokumentarische Papyri, die eher im Blickfeld der Teilnehmer dieses Symposiums liegen, können mit Hilfe dieser Datenbanken ergänzt werden, sofern es sich um relativ formelhafte Texte oder gar Formulare handelt. An dieser Stelle möchte ich ein relativ junges Drittmittel- und Forschungsprojekt ins Spiel bringen. Diesmal heißt das Zauberwort „Textmining“, zu Deutsch Textschürfen: So bezeichnet man die automatisierte Entdeckung relevanter Informationen aus Textdaten mit Hilfe automatischer Sprachverarbeitung. Hier streben wir an, Häufigkeiten und Wahrscheinlichkeiten auszurechnen und quasi die linken und rechten Nachbarn eines Wortes oder eines Wortfragmentes ermitteln und das Ergebnis auch graphisch darstellen und uns schließlich vom Rechner Optionen für eine mögliche Ergänzung anbieten zu lassen. Das Verfahren soll dann als Tool bzw. Werkzeug allen Interessierten frei zugänglich sein (http://www. eaqua.net/index.php). Auch sollen mit Hilfe dieses Tools Texte mehr oder weniger automatisch nach inhaltlichen und formalen Kriterien bestimmt und sortiert werden können, z.B. nach Briefen, Kaufverträgen, Heiratsurkunden usw. Das würde die Arbeit der Papyrologen wirklich erleichtern. Das Zeitalter der Digitalisierung hat auch in Leipzig längst begonnen und mit ihm auch der Siegeszug des Internets. Die Leipziger waren auch hier nicht die ersten, haben aber mittlerweile einige größere Projekte realisiert. So stellen wir zusammen mit den zwei Partneruniversitäten Mitteldeutschlands Halle und Jena unsere Papyri weltweit zur Verfügung, und zwar in dem bereits mehrmals erwähnten Projekt: http://papyri.unileipzig.de. Hier finden Sie alle Informationen zu den Papyri und auch zu den Ostraka. Denn dieses Folgeprojekt hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ebenfalls für die nächsten drei Jahre bewilligt. Hier wurden bzw. werden mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Papyri und Ostraka digitalisiert, es wird eine kurze Katalogbeschreibung mit den wichtigsten Daten zu Schriftträger und Text angefertigt, und die Daten werden mit den digitalisierten Bildern im Internet zur Verfügung gestellt. Man kann dort gezielt nach bestimmten Themen-

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gruppen suchen oder auch einfach nur darin stöbern und die eine oder andere Entdeckung machen. Schließlich haben wir in Leipzig zusammen mit unseren Projektpartnern das Papyrusportal geschaffen, das alle deutschen Papyrussammlungen erschließt (http://www.papyrusportal.net). Die auf der Homepage oben in der Leiste aufgeführten Sammlungen sind bereits durchsuchbar und für Detailinformationen zu den einzelnen Datenbanken verlinkt. Mit einem Lieblingsspruch aus einem meiner Lieblingspapyri, den ich im Gegensatz zu meiner Mitarbeiterin Margit Homann für christlich erachte und der auch unser Internetlogo ziert: %‹ ‡ , herzlich willkommen, sind Sie hiermit recht herzlich eingeladen, durch dieses Portal zu schreiten und die neuen Möglichkeiten zu nutzen und die Papyri kennen zu lernen. Sie sehen, auch ganz alte Texte werden mit Hilfe der neuesten Präsentationstechniken ans Licht der Öffentlichkeit geholt und brauchen eben dieses Licht nicht mehr zu scheuen, denn Licht ist der größte Feind der Papyri. Ans Licht holen ist auch das Stichwort, mit dem man die wissenschaftliche Beschäftigung mit den Papyri bezeichnen könnte. Damit wäre ich wieder am Beginn und bei dem Titel meines Vortrages angelangt. Licht ins Dunkel bringen, Licht ins Dunkel der Überlieferung bringen, die schriftliche Überlieferung der guten Botschaft, der guten Nachricht, des ˆ  zu erhellen und auch das jüdisch-hellenistische Umfeld auszuleuchten, was sich die Teilnehmer dieses Symposiums auf ihre Fahne geschrieben haben. Ihnen bzw. uns allen gilt der Wunsch |%× ¥ ‡· – auf gutes Gelingen.

Paarvorträge

– Archäologie und Alltagskultur –

Jüdische Alltagskultur in Ephesos und Umgebung im Spiegel der Denkmäler RENATE PILLINGER

Dass es eine starke jüdische Gemeinde in Ephesos gegeben hat,1 belegt bereits Josephus Flavius.2 Auch der Apg 18,14–28 erwähnte Apollos3 ist ein alexandrinischer Jude, der in der Synagoge von Ephesos predigt und dort auf das Ehepaar Aquila und Prisca trifft. Nach Apg 19,84 lehrt Paulus ebenfalls in der Synagoge von Ephesos, die allerdings bis heute noch nicht lokalisiert werden konnte. Bereits drei Monate nach seiner Ankunft hatte der Apostel Streit mit der jüdischen Gemeinde ebendort. Beim Aufstand der Silberschmiede gegen die Predigten des Paulus schickte sie gemäß Apg 19,33 einen Mann namens Alexander, um kundzutun, dass der Apostel aus der Synagoge vertrieben worden war – wohl, um nicht ihr zu dieser Zeit gutes Verhältnis zu den Behörden zu gefährden. Monumentale und literarische Belege zum ephesischen Judentum außerhalb des Neuen Testaments sind rar. Die erhaltenen jüdischen Inschriften5 belegen nicht viel mehr als die Präsenz. So werden etwa auf einer Grabplatte aus der Johanneskirche, heute im Inschriftendepot der Grabung

1 Zum allgemeinen Überblick vgl. GERARD MUSSIES, Pagans, Jews and Christians at Ephesus, in: P. W. van der Horst / G. Mussies (Hg.), Studies on the Hellenistic Background of the New Testament, Utrechtse theologische reeks 10, Utrecht 1990, 177–194, 186–188; PAUL R. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge 1991 (reprint 1994) und DERS., The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius, WUNT 166, Tübingen 2004, 37–51. 2 Ant XIV 223–229.234.237–240.262–264 u.ö. Siehe auch KARL H. RENGSTORF (Hg.), A Complete Concordance of Flavius Josephus. Suppl. 1: Namenwörterbuch, Leiden 1968, 47, s. v. Ø`. 3 Vgl. MICHAEL WOLTER, Apollos und die ephesinischen Johannesjünger (Apg 18,24– 19,7), ZNW 78 (1987), 49–73. 4 Apg 18,19–21 ist wahrscheinlich ein lukanischer Einschub. 5 Bei WALTER AMELING (Hg.), Inscriptiones Judaicae Orientis. Bd. II: Kleinasien, TSAJ 99, Tübingen 2004, 152–162.

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Ephesos unter der Inv.-Nr. 2493 (Abb. 1), ephesische Juden genannt.6 Interessant ist der in einem Grab im Narthex der Marienkirche gefundene Marmorbalken mit der Aufschrift žÙ‚†C{ÚCžÛÝ{ÙÞ und einem siebenarmigen Leuchter rechts daneben,7 da damit sowohl ein Opfertisch der Juden als auch ein christlicher Altar8 angesprochen sein kann. Leider unbekannt ist der Fundort der Grabinschrift eines jüdischen Priesters namens Marcus Mussius (Abb. 2)9 sowie einer weiteren eines Leibarztes (Archiiatros) samt Frau und Kindern (Abb. 3),10 wobei für die Grabpflege die Juden von Ephesos in die Pflicht genommen werden. Beide Inschriften stammen wahrscheinlich aus dem späten 2. Jh. und befinden sich heute im British Museum/London. Archisynagogoi nennt eine Akklamation.11 Das im christlichen Kontext sprichwörtlich gewordene Stereotyp über die ` € Ê€^  (jüdische Geldgier; vgl. Lk 16,14) erwähnt die heute unter Inv.Nr. III 1092 in Raum 18 der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums in Wien ausgestellte, aus dem 6. Jh. stammende Inschrift des Erzbischofs Hypatios (Abb. 4) in Zeile 25f.12 Sie wurde 1904 in der Südwestecke des Narthex der Marienkirche gefunden und enthält Anordnungen über die Bestattung der Toten. Auch um das Grab des Priesters (Anm. 9) und des Leibarztes (Anm. 10) kümmern sich, wie schon gesagt, „die Juden (in Ephesos)“. Der in die oberste Stufe der Celsusbibliothek eingeritzte siebenarmige Leuchter (Abb. 5)13 lässt keine genaue Einordnung zu, da die ersten Christen großteils der jüdischen Kultur entstammten – so z.B. auch Paulus, dessen gespaltener Bart in der Paulusgrotte am Bulbül daà (Abb. 6)14 wahr6 Näheres bei DIETER KNIBBE / HELMUT ENGELMANN / BÜLENT âPLIKÇIOåLU, Neue Inschriften aus Ephesos XI, JÖAI 59 (1989), Beiblatt 161–239, 219f, und AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 5), 159f, Nr. 34. 7 Bei EMIL REISCH / FRITZ K NOLL / JOSEF KEIL, Die Marienkirche in Ephesos, FiE 4/I, Wien 1932, 99, Nr. 30 (heute im Inschriftendepot der Grabung Ephesos unter der Inv.-Nr. 1269). Weiteres bei AMELING (s. Anm. 5), 153f, Nr. 31. 8 Vgl. u.a. {ON . æÚÝÞçÚ, ž % ‡   €   , ‚ @ è ! @ @ 5, Athen 1940. 9 IK Ephesos 5, Bonn 1980, Nr., 1676 und AMELING (s. Anm. 5), 157–159, Nr. 33. 10 IK Ephesos 5 (s. Anm. 9), Nr., 1677 und AMELING (s. Anm. 5), 155–157, Nr. 32. 11 Bei HELMUT ENGELMANN / DIETER KNIBBE, Aus ephesischen Skizzenbüchern, JÖAI 52 (1978–1980), 19–61, 50, Nr. 94 und AMELING (s. Anm. 5), 152f, Nr. 30. 12 Siehe RUDOLF NOLL, Die griechischen und lateinischen Inschriften der Wiener Antikensammlung, Wien 21986, 31, Nr. 60. Der Text ist abgedruckt bei KEIL, Marienkirche (s. Anm. 7), 102, Nr. 35 und AMELING (s. Anm. 5), 161f, Nr. 35. 13 Vgl. RACHEL HACHLILI, The Menorah, the Ancient Seven-armed Candelabrum. Origin, Form and Significance, JSJ Suppl. 68, Leiden/Boston/Köln 2001. 14 Zu ihr siehe u.a. RENATE P ILLINGER (gemeinsam mit ë UKASZ BRATASZ / GIOVANNA F ULGONI / FRANCESCA GHIZZONI / S AVINA G IANOLI / S ABRINA SALVATORI / KATJA STERFLINGER / JOHANNES WEBER), Die Wandmalereien in der so genannten Paulusgrotte

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scheinlich ebenfalls auf den der jüdischen Schriftgelehrten zurückzuführen ist. Selbst der römische Schriftsteller Sueton15 kann Juden und Christen nicht auseinander halten. Außerdem stehen bis heute auch in Kirchen siebenarmige Leuchter,16 so dass die Zuweisung der Menorah genauso ambivalent bleiben muss wie die oben erwähnte Inschrift aus der Marienkirche.17 Die Ritzung auf der Stufe der Celsusbibliothek von Ephesos könnte zwischen der Errichtung des Gebäudes im Jahr 117 und der Überbauung durch ein Brunnenbecken etwa um 400 n. Chr.18 angebracht worden sein. Möglicherweise ist der Stein aber in Zweitverwendung und damit vielleicht überhaupt das älteste jüdische Denkmal in Ephesos. Einen dritten siebenarmigen Leuchter finden wir (von der Celsusbibliothek her kommend) im rechten Durchgang des Mithridatestores an der unteren Agora (Abb. 7), dort allerdings mit weiteren Symbolen, d.h. mit dem Palmzweig (Lulav)19 und der Zitrusfrucht (Etrog).20 Die primitive Ausführung der Menorah hat eine Parallele auf einem Pfeiler in der Synagoge von Priene.21 Die gleiche Dekoration, d.h. eine Menorah zwischen Lulav, Etrog und einem Widderhorn (Schofar),22 trägt eine Glasflasche aus dem so genannten Episkopeion von Ephesos (Abb. 8).23 Nur eine Menorah zwischen Lulav und Etrog schmückt eine 2003 im Schutt des Kellerraums M des Vediusgymnasiums gefundene, 32,8 × 56,3 cm große und 4,9 cm dicke Sandsteinplatte (Abb. 9).24 Heute befindet sie sich unter der Inv.-Nr. 1160/3/02 im Steindepot des österreichischen Gravon Ephesos. Studien zur Ausführungstechnik und Erhaltungsproblematik, Restaurierung und Konservierung, AÖAW.PH 143/1 (2008), 71–116. 15 Claud 25,4: Iudaeos impulsore Chresto assidue tumultuantis Roma expulit. Vgl. dazu GIORGIO JOSSA, Jews or Christians? The Followers of Jesus in Search of their Own Identity, WUNT 202, Tübingen 2006, 127–131. 16 Vgl. hier PETER BLOCH, Siebenarmige Leuchter in christlichen Kirchen, WRJ 23 (1961), 55–190. 17 S.o. Anm. 7. 18 Vgl. FRIEDMUND HUEBER, Ephesos. Gebaute Geschichte, AW Sonderheft 28, Mainz 1997, 97. 19 Näheres bei FELIKS, Art. Palm, EJ XV (22007), 602. 20 Siehe FELIKS, Art. Etrog, EJ VI (22007), 540f. 21 Zu ihr vgl. THEODOR W IEGAND / HANS SCHRADER, Priene. Ergebnisse der Ausgrabungen und Untersuchungen in den Jahren 1895–1898, Berlin 1904, 480f., sowie A. THOMAS KRAABEL, The Diaspora Synagogue. Archaeological and Epigraphical Evidence Since Sukenik, ANRW II 19.1 (1979), 477–510, 489–491. 22 Siehe L. LEWIS, Art. Shofar, EJ XVIII (22007), 506–508. 23 Bei JOSEF KEIL, XV. Vorläufiger Bericht über die Ausgrabungen in Ephesos, JÖAI 26 (1930), Beiblatt 6–66, 39–41. 24 Näheres bei ANDREAS P ÜLZ / MARTIN STESKAL, Zu einer Platte mit jüdischen Symbolen aus dem Vediusgymnasium in Ephesos, JÖAI 73 (2004), 199–205.

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bungshauses in Selçuk. Sie zeigt den unteren Teil eines Kreises mit den genannten Kultgegenständen, wobei von der Menorah nur der Standfuß erhalten blieb. Der Kreis selbst ruht unten auf zwei einen stumpfen Winkel bildenden Rahmenleisten, womit man wohl eine rechteckige Steinplatte mit horizontaler Raute in der Größe von etwa 130×170 cm rekonstruieren darf. Spuren rötlicher und violetter Farbe lassen auf einstige Bemalung schließen. Vergleichbare Platten gibt es in Priene (Abb. 10) 25 und Sardes (Abb. 11)26 bzw. in Pergamon (Abb. 12)27 und Iznik (Abb. 13).28 Auf den Platten in Priene und Sardes (unseren Abb. 10 und 11) sind vielleicht auch noch Schriftrollen29 dargestellt. Die ursprüngliche Verwendung all dieser Stücke war wohl die Abschrankung bzw. Dekoration des Toraschreins in den Synagogen.30 Das trifft ziemlich sicher auch für das Plattenfragment in Ephesos zu. Allerdings kann im Bereich des Vediusgymnasiums,31 das bis zum Ende des 5. Jh. als Bad in Verwendung war, kein jüdisches Kultgebäude erschlossen werden. Damit handelt es sich vermutlich um einen Streufund aus der ephesischen Synagoge, nach der somit weiter gesucht werden darf. Anders ist die Lage in Sardes, wo Ende des 3. Jh. der gesamte Südflügel des Gymnasiums in eine Synagoge umgebaut wurde (Abb. 14).32 25 W IEGAND / S CHRADER, Priene (s. Anm. 21), 475, Abb. 582 und 481, Abb. 586; KRAABEL, Diaspora Synagogue (s. Anm. 21), 490, und MARK WILSON, Biblical Turkey. A Guide to the Jewish and Christian Sites of Asia Minor, Istanbul 2010, 260. 26 Vgl. George M. A. HANFMANN, The Fifth Campaign at Sardis (1962), BASOR 170 (1963), 1–65, und darin DAVID G. MITTEN, The Synagogue, 38, 48, Abb. 33. Zu den Inschriften siehe AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 5), 224–297. 27 In BELLE D. MAZUR, Studies on Jewry in Greece 1, Athen 1935, 7, Abb. 1, und SARAH JAPP, Zeugnisse jüdischen Lebens im antiken Pergamon und im neuzeitlichen Bergama, IM 54 (2004), 257–266. 28 Bei STEVEN F INE / LEONARD V. RUTGERS, New Light on Judaism in Asia Minor during Late Antiquity. Two Recently Identified Inscribed Menorahs, JSQ 3 (1996), 1–17, 13, Fig. 3. 29 Zu ihnen vgl. YAGIL S HILOH, Torah Scrolls and the Menorah Plaque from Sardis, IEJ 18 (1968), 54–57. 30 Weitere Vergleichsbeispiele findet man bei JOAN R. BRANHAM, Sacred Space under Erasure in Ancient Synagogues and Early Churches, ArtB 74/1 (1992), 375–394, und RACHEL HACHLILI, Ancient Jewish Art and Archaeology in the Land of Israel, HO 7, Leiden 1988, 187–189, sowie DIES., Ancient Jewish Art and Archaeology in the Diaspora, HO 35, Leiden 1998, 77–79. 31 Näheres in MARTIN STESKAL / MARTINO LA TORRE, Das Vediusgymnasium in Ephesos. Archäologie und Baubefund. Text- und Tafelband, FiE 14/I, Wien 2008. 32 Weiteres bei HACHLILI, Ancient Jewish Art and Archaeology in the Diaspora (s. Anm. 30), 58–63.218–231.410–412.438–440, und KRAABEL, Diaspora Synagogue (s. Anm. 25), 483–488; DERS., The Synagogue and the Jewish Community. ImpApg of the Discovery of Sardis Synagogue, in: G. M. A. Hanfmann (Hg.), Sardis from Prehistoric to Roman Times. Results of the Archaeological Exploration of Sardis 1958–1975, Cam-

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Das gleiche Bildrepertoire wie auf dem Plattenfragment in Ephesos finden wir ebendort auf Öllämpchen aus dem Hanghaus 2 (Abb. 15)33 und dem so genannten Sieben-Schläfer-Coemeterium.34 Bis auf zwei Stücke befinden sie sich heute alle im Inschriftendepot der Ephesosgrabung. Zeitlich sind sie wahrscheinlich dem 3. bis 6. Jh. zuzuordnen. Parallelen zu ihrer Ikonographie liefern auch so genannte Zwischengoldgläser.35 Zwei Lämpchen aus dem Sieben-Schläfer-Coemeterium sind in die Antikenabteilung des Kunsthistorischen Museums in Wien gelangt: Inv.-Nr. 1912/V 2044 (Abb. 16)36 und Inv.-Nr. 1924/V 2523 (Abb. 17).37 Letzteres ist besonders interessant, da der dort dargestellte siebenarmige Leuchter durch ein Kreuz überhöht ist, womit wir wieder auf die schon zur Ritzung auf der Stufe der Celsusbibliothek geführte Diskussion zurückkommen.38 Abschließend sei noch eine Inschrift auf der fünften Zuschauerreihe im Theater von Milet (Abb. 18) erwähnt, die den Platz der Juden und der Gottesverehrer oder Gottesfürchtigen (žÙæÙC{نð*ޞ*ÞÚ{‚ÙCè{ÙÞ)39 bezeichnet. Ebensolche gibt es auch sechsmal in Sardes40 und zweimal in Aphrodisias.41 Damit können jeweils Juden, Proselyten oder bridge/MA 1983, 178–190; ANDREW R. SEAGER, The Building, in: Hanfmann (Hg.), a.a.O. 168–178. Zu den Inschriften vgl. auch die in Anm. 47 angeführte Literatur. 33 Eine Publikation durch Sabine Ladstätter ist in Vorbereitung. 34 Bei CAMILLO PRASCHNIKER / FRANZ MILTNER / HANS GERSTINGER, Das Coemeterium der Sieben Schläfer, FiE 4/II, Wien 1937, z.B. 114f und Taf. 2, Nr. 180; 173 und Taf. 10, Nr. 1900; 187f und Taf. 12, Nr. 159, 164 und 167. 35 Näheres besonders bei IRMGARD SCHÜLER , A Note on Jewish Gold Glasses, JGS 8 (1966), 48–61, und HACHLILI, Ancient Jewish Art and Archaeology in the Diaspora (s. Anm. 30), 292–304 sowie DIES., Menorah (s. Anm. 13), 96–104. 36 Vgl. PRASCHNIKER / MILTNER / G ERSTINGER, Das Coemeterium der Sieben Schläfer (s. Anm. 34), 188, Taf. 12, Nr. 167. 37 A.a.O. 188, Taf. 12, Nr. 164 und RUDOLF NOLL, Katalog der Antikensammlung I. Vom Altertum zum Mittelalter. Spätantike, altchristliche, völkerwanderungszeitliche und frühmittelalterliche Denkmäler, Führer durch das Kunsthistorische Museum 8, Wien 8 1974, 40, Nr. 39. 38 Vgl. hier auch CELAL ñIMñEK, A menorah with a cross carved on a column of Nymphaeum A at Laodicea ad Lycum, JRA 19 (2006), 343–346. Diesen Hinweis verdanke ich Univ.-Prof. Dr. Rainer Riesner. 39 Bei KRAABEL (s. Anm. 21), 488f, und AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 5), 168– 171, Nr. 37 (siehe dort auch 171f, Nr. 38 und 172, Nr. 39). 40 Näheres bei AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 5), 241, Nr. 67; 243f, Nr. 68; 256f, Nr. 83; 281f, Nr. 123; 283, Nr. 125 und 287f, Nr. 132, sowie Index 612 s.v. !; VERONIKA SCHEIBELREITER, Stifterinschriften auf Mosaiken Westkleinasiens, Tyche Suppl. 5, Wien 2006, 47f. 41 Hierzu vgl. ROBERT F. TANNENBAUM, Jews and God-Fearers in the Holy City of Aphrodite, BArR 12/5 (1986), 54–57; JOYCE REYNOLDS / ROBERT TANNENBAUM, Jews and God-Fearers at Aphrodisias. Greek Inscriptions with Commentary, PCPhS Suppl. 12, Cambridge 1987, 134f, Nr. 7; AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 5), 112–116, Nr. 15.16; JOYCE REYNOLDS / CHARLOTTE ROUECHÉ / GABRIEL BODARD, Inscriptions of Aphrodis-

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Sympathisanten des Judentums gemeint sein.42 Dazu passen vielleicht die Inschrift eines Marmoraltars in Pergamon43 und das Spottkruzifix vom Palatin.44 Viele jüdische Grabinschriften findet man ferner in der Nekropole von Hierapolis/Pamukkale, so u.a. einen Sarkophagdeckel mit siebenarmigem Leuchter und griechischer Beischrift ({نð*Þ) (Abb. 19).45 Eine Besonderheit beherbergt zudem das Museum von Manisa: einen wiederverwendeten Möbelfuß aus Philadelphia/Alaòehir (Abb. 20) mit jeweils einer Menorah auf Vorder- und Rückseite samt Lulav und Etrog sowie griechischen Inschriften (etwa Ûô†‰.Ú{{نðÚÛÙÝ{Ú „Das Grab des Hesychios und Ioudas“).46 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es (a) insgesamt nur verhältnismäßig wenige materielle Zeugnisse zum Judentum in Ephesos und Umgebung gibt und diese im Falle von Ephesos über das ganze Stadtgebiet verstreut sind. Außerdem (b) wurden die jüdischen Inschriften beinahe ausschließlich in griechischer Sprache verfasst. Die einzige Ausnahme bilden die hebräischen Inschriften von Sardes (Abb. 21).47 Weiters (c) scheinen jüdische Kultgebäude vor allem in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten häufig in privaten Anlagen eingerichtet worden zu sein, was ihre Auffindung nicht nur in Ephesos noch einmal schwieriger macht. Das am häufigsten verwendete Kultsymbol (d) ist die Menorah, meist mit Lulav und Etrog, wohl als Hinweis auf das Laubhüttenfest (Sukkot).48 Einmal findet sich auch das Schofar, das am jüdischen Neujahr (Rosch Haschana)49 und dem Tag der ias, online corpus 2007 unter http://insaph.kcl.ac.uk/iaph2007/iAph110055.html, Nr. 11.55. 42 Siehe LOUIS H. FELDMAN, The Omnipresence of the God-Fearers, BArR 12/5 (1986), 58–69, und ROBERT S. MACLENNAN / THEODOR KRAABEL, The God-Fearers – A Literary and Theological Invention, BArR 12/5 (1986), 47–53 und 64; BERND WANDER, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen, WUNT 104, Tübingen 1998. Siehe auch in diesem Band die Beiträge von Andrew Chester and Walter Ameling. 43 Bei JAPP, Zeugnisse jüdischen Lebens (s. Anm. 27), 260f. 44 Siehe VEIKKO VÄÄNÄNEN (Hg.), Graffiti del Palatino: I. Paedagogium, AIRF 3/I, hg. v. H. Solin / M. Itkonen-Kaila, Helsinki 1966, 209–212, Nr. 246. 45 Vgl. AMELING (s. Anm. 5), 399f, Nr. 187 und allgemein http://www.philipharland. com/publications/article%20JJS%20Acculturation%20Hierapolis.html. 46 AMELING (s. Anm. 5), 207f, Nr. 50. 47 Bei ASHER O VADIAH, Ancient Synagogues in Asia Minor, in: The Proceedings of the Xth International Congress of Classical Archaeology. Ankara/Izmir 23.–30.9.1973, 3 Bde., hg. v. E. Akurgal, Ankara 1978, Bd. II, 857–866 u. Bd. III, Taf. 273–280, hier III, Taf. 277, Abb. 11, sowie F. M. CROSS, The Hebrew Inscriptions from Sardis, HThR 95 (2002), 3–19 und AMELING (s. Anm. 5), 216f, Nr. 56 und 272–274, Nr. 105–109. 48 Vgl. E. KUTCH / L. JACOBS / A. KANOF, Art. Sukkot, EJ XIX (22007), 299–302. 49 Näheres bei L. JACOBS / A. Z. EHRMAN, Art. Rosh Ha-Shanah, EJ XVII (22007), 463–466.

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großen Versöhnung (Jom Kippur)50 als Musikinstrument benutzt wird. Zweimal sind Schriftrollen dargestellt, die auf die Lesung der Tora51 als Höhepunkt des jüdischen Gottesdienstes weisen.52

Abb. 1 Ephesos, Inschriftendepot, Inv.-Nr. 2493: Grabplatte des Aur. Sambathios (nach einer Aufnahme der Verf.)

Abb. 2 London, British Museum, AN0703466001: Grabplatte des Marcus Mussius (© The Trusties of the British Museum)

Vgl. G. SCHOLEM, Art. Yom Kippur Katan, EJ XXI (22007), 382f. Genaueres bei L. I. RABINOWITZ / W. HARVEY, Art. Torah, EJ XX (22007), 39–45. 52 Für die Redaktion und manche Anregung möchte die Verfasserin MMag. DDr. Elisabeth Lässig herzlichst danken. 50 51

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Abb. 3 London, British Museum, AN0714559001: Grabplatte eines Archiiatros (© The Trusties of the British Museum)

Abb. 5 Ephesos, Celsusbibliothek, oberste Stufe: Detail (nach einer Aufnahme von Hansjürgen Bauer)

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Abb. 6 Ephesos, so genannte Paulusgrotte: Detail (© NIKOLAUS GAIL/ÖAI)

Abb. 4 Wien, Kunsthistorisches Museum, Antikensammlung, Inv.-Nr. III 1092: Hypatiosinschrift (© KHM/Wien)

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Abb. 7 links oben: Ephesos, Tetragonosagorator: Detail (nach einer Aufnahme der Verf.) Abb. 8 rechts: Ephesos, Glasflasche aus dem so genannten Episkopeion (nach KEIL [s. Anm. 23], 39, Abb. 17) Abb. 9 links unten: Selçuk, Steindepot des österreichischen Grabungshauses, Inv.-Nr. 1160/3/02 (nach PÜLZ / STESKAL [s. Anm. 24], 200, Abb. 1)

Abb. 10 links: Berlin, Museum für Spätantike und Byzantinische Kunst, Inv.-Nr. 4691 (nach ARNE EFFENBERGER / HANS-GEORG SEVERIN, Das Museum für Spätantike und Byzantinische Kunst. Staatliche Museen zu Berlin, Mainz 1992, 28) Abb. 11 rechts: Sardes: Platte mit Menorah (nach HANFMANN [s. Anm. 32], Fig. 250)

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Abb. 12 Bergama, Museumsmagazin: Giebelfragment (nach JAPP [s. Anm. 27], Abb. 1)

Abb. 13 I·znik, Baptisterium (Böcek Ayamasi): Spolie (nach FINE/RUTGERS [s. Anm. 28], Fig. 3)

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Abb. 14 Sardes, Synagoge (nach einer Aufnahme von Alexander Lirsch)

Abb. 15 links: Selçuk, Depot des österreichischen Grabungshauses, Inv.-Nr. HH2/71/161 K 18/71 (© ÖAI) Abb. 16 Mitte: Wien, Kunsthistorisches Museum, Antikensammlung, Inv.-Nr. 1912/V 2044 (© KHM/Wien) Abb. 17 rechts: Wien, Kunsthistorisches Museum, Antikensammlung, Inv.-Nr. 1924/V 2523 (© KHM/Wien)

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Abb. 18 Milet, Theater, Sektor I 4, fünfte Reihe von unten, vierte Bank von rechts: Inschrift (nach einer Aufnahme der Verf.)

Abb. 19 Hierapolis/Pamukkale, nördliche Nekropole, Grab 53: Detail (nach FATIH CIMOK, Der Heilige Paulus in Anatolien und Zypern, Istanbul 2000, 80)

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Abb. 20 Manisa, Archäologisches Museum, Hof: wiederverwendeter Möbelfuß (nach FATIH CIMOK, Journeys of Paul from Tarsus ‘to the end of the earth’, Istanbul 2004, 37)

Abb. 21 Manisa, Archäologisches Museum, Depot: jüdische Inschrift aus Sardes (nach FATIH CIMOK, Das biblische Anatolien von der Genesis bis zu den Konzilien, Istanbul 2001, 101)

Das Johannesevangelium und seine Gemeinden im Kontext der jüdischen Diaspora Kleinasiens1 JÖRG FREY

1 Einleitung Es ist eines der wesentlichen Ziele des Corpus-Judaeo-HellenisticumProjekts, die prägende Bedeutung des hellenistischen Judentums für die Sprachgestalt der neutestamentlichen Texte und für die religiöse und ethische Ausrichtung der hinter ihnen stehenden frühchristlichen Überlieferungsströme und Gemeinden herauszuarbeiten.2 Die Berechtigung und Bedeutung dieser Fragestellung liegt auf der Hand: Einerseits hat die neutestamentliche Forschung in den letzten Jahrzehnten zunehmend die grundlegend jüdischen Wurzeln des frühen Christentums und seiner Vorstellungswelt wahrgenommen,3 andererseits sind nach einem breiten Konsens 1 Vorgetragen am 22. Mai 2009 in Leipzig und für den Druck geringfügig überarbeitet und erweitert. Der Autor dankt der Stiftung Alfried-Krupp-Kolleg Greifswald für die Forschungsmöglichkeiten im akademischen Jahr 2008/2009, die auch die Ausarbeitung dieses Beitrags ermöglichten. Für Hilfe bei den Korrekturen der Endfassung danke ich meiner Assistentin Nadine Kessler sehr herzlich. 2 Zur Geschichte und Ausrichtung des Projekts s. KARL-W ILHELM NIEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: K.-W. Niebuhr / W. Kraus (Hg., unter Mitarbeit von Lutz Doering), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 361–382. 3 Die Gründe dafür sind vielfältig: Wesentlich ist zum einen die theologische Neubesinnung und die vermehrte Wahrnehmung eines Antijudaismus der traditionellen theologischen Exegese seit der Shoah, wissenschaftlich noch entscheidender waren neue Textfunde, insbesondere die Funde von Qumran, deren nachhaltige Wirkung auf die neutestamentliche Forschung darin bestand, dass die Vielfalt des zeitgenössischen Judentums (in Palästina) erkennbar wurde und damit viele Termini und Vorstellungen, die bislang in jüdischen Quellen keine Parallelen hatten, nun als Varianten jüdischen Denkens verständlich wurden. Dieser forschungsgeschichtliche Ertrag bleibt auch nach der kritischen Reduktion vieler, zunächst voreilig angenommener und in überzogener Weise ausgewerteter Qumran-Parallelen. S. zum Problem JÖRG FREY, Die Bedeutung der Qumran-Funde für das Verständnis des Neuen Testaments, in: M. Fieger u.a. (Hg.), Qumran – die

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der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft zumindest die Adressaten aller neutestamentlichen Texte außerhalb Palästinas zu suchen, in frühchristlichen Gemeinden im Gebiet der jüdischen Diaspora in Syrien, Kleinasien, Griechenland oder Rom. Sofern auch in diesen Gemeinden noch der Einfluss jüdischen Denkens und Lebens erkennbar ist, dürfte dieser zumindest in einem hohen Maße eben durch jenes Diasporajudentum vermittelt sein, das den Entstehungskontext dieser Gemeinden bildet und dem ein wesentlicher Teil auch der heidenchristlichen Gemeindeglieder zuvor als ‚Gottesfürchtige‘ oder Sympathisanten nahegestanden haben dürfte. Dies ist für die neutestamentlichen Briefe relativ unstrittig.4 Für die Evangelien ist die Situation in zweifacher Hinsicht komplexer: Erstens beanspruchen sie alle, eine Geschichte aus dem jüdischen Palästina zu erzählen, und sie rekurrieren auf Traditionen, deren Ursprung, zumindest was die Verkündigung Jesu anbetrifft, sprachlich nicht im Griechischen, sondern im Aramäischen liegt und die bis zu ihrer überlieferten Endgestalt einem komplexen und z.T. weitreichenden Übersetzungs- und Umgestaltungsprozess unterzogen wurden.5 Und zweitens ist die Erwägung ernst zu nehmen, dass diese Schriften über eine spezifische Einzelgemeinde hinaus von vorneherein auf einen größeren Adressatenkreis zielen.6 Doch stehen beide Aspekte der im vorliegenden Zusammenhang leitenden Fragestellung nicht entgegen. Ein umfassenderer, evtl. gar ‚gesamtkirchlicher‘ Adressatenkreis neutestamentlicher Schriften würde den Umkreis der jüdischen Diaspora nur noch weitergehend erfassen und die Frage nach den diasporajüdischen Hintergründen Schriftrollen vom Toten Meer. Vorträge des St. Galler Qumran-Symposiums vom 2./3. Juli 1999, NTOA 47, Freiburg, CH/Göttingen 2001, 129–208; sowie die Kurzfassung: DERS., Zur Bedeutung der Qumran-Funde für das Verständnis des Neuen Testaments, in: U. Dahmen u.a. (Hg.), Qumran – Bibelwissenschaft – Antikes Judentum, Einblicke 9, Paderborn 2006, 33–65. 4 Für die Paulusbriefe ist der Bezug auf die Diaspora evident, ebenso für Hebr, 1–2Petr und 1–3Joh. Aber auch für den Jakobusbrief ist (unabhängig von der nach wie vor strittigen Verfasserfrage) mit einer Adressatenschaft außerhalb Palästinas, nämlich in der (judenchristlichen) ‚Diaspora‘ zu rechnen (Jak 1,1; s. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe, NTS 44 [1998], 420–443). Vom Jakobusbrief abhängig ist der Judasbrief, dessen Autor höchstwahrscheinlich nicht der ‚Herrenbruder‘ Judas ist und dessen Adressaten m.E. am ehesten in Kleinasien anzusetzen sind. S. dazu JÖRG FREY, Der Judasbrief zwischen Judentum und Hellenismus, in: Niebuhr/Kraus (Hg.), Frühjudentum (s. Anm. 2), 180–210. 5 Am deutlichsten ist dies im Fall der johanneischen Worte und Reden Jesu, die in ihrer vorliegenden Gestalt keinesfalls mehr als bloße Übersetzung einer aramäischen Urgestalt, sondern vielmehr als eine weitreichende Umgestaltung der älteren Überlieferung zu gelten haben, s. dazu JÖRG FREY, Das Johannesevangelium auf dem Hintergrund der älteren Evangelientradition. Zum Problem: Johannes und die Synoptiker, in: T. Söding (Hg.), Johannesevangelium – Mitte oder Rand des Kanons? Neue Standortbestimmungen, QD 203, Freiburg u.a. 2003, 60–118. 6 S. dazu grundlegend die Arbeiten von R. BAUCKHAM (Hg.), The Gospels for all Christians. Rethinking the Gospel Audiences, Grand Rapids 1998, dort besonders: For whom were the Gospels written?, a.a.O. 9–48.

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der ersten Leserinnen und Leser dieser Schriften noch dringlicher werden lassen. Und auch ein Ursprung der Jesusüberlieferung im aramäischen Sprachkreis macht die Frage nach dem Einfluss des hellenistischen Judentums keinesfalls obsolet. Denn abgesehen von der Tatsache, dass das jüdische Palästina schon in vorchristlicher Zeit längst unter dem Einfluss des Hellenismus und seiner kulturellen Prägekraft stand,7 sind die Traditionen von Jesus und der Urgemeinde allein schon durch ihre Übertragung ins Griechische und durch ihre Übermittlung in die Welt der jüdischen Diaspora unter hellenistisch(jüdisch)e Einflüsse gelangt. Schon durch die Übersetzer, die – z.T. mit Hilfe der Sprache der Septuaginta – die ältesten Traditionen von Jesus und die frühchristlichen Bekenntnisse ins Griechische übertragen haben, hat das hellenistische Judentum (das es in Jerusalem8 und Galiläa ebenso wie in der Diaspora gab), formgebend auf die Gestalt der späteren neutestamentlichen Überlieferung eingewirkt.

Die Frage, wie sich Aspekte des Glaubens und Lebens des hellenistischen Judentums oder gar der ‚hellenistisch-jüdischen Alltagskultur‘ in der Erzählung der überwiegend in Galiläa und Judäa situierten vita Jesu nach Johannes aufweisen lassen, ist methodisch eng verbunden mit der Frage, wie sich überhaupt die Probleme und Fragen der Adressatengemeinden in diesen Texten spiegeln und inwiefern sie im Rückschluss aus den Texten noch identifizierbar sind. Aber wenn die Exegese in den kanonischen Evangelien mehr oder weniger deutliche Reflexe der Fragen und Probleme der jeweiligen Adressaten zu erkennen versucht,9 lässt sich auch erfragen, inwiefern sich darin auch Spuren spezifisch diasporajüdischer Themen, Sprachmuster oder Verhaltensweisen finden, die dann auf die diasporajüdische Prägung der Gemeindekreise schließen lassen, in denen das jeweilige Werk entstanden bzw. auf die hin es geschrieben ist. Dass solche Aspekte in der ‚indirekten Kommunikation‘ eines Evangeliums – dessen Geschichte eben nicht in der Welt der Adressaten spielt – anders bzw. weniger klar erkennbar sind als in der direkten Kommunikation der Briefe, liegt auf der Hand.

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S. die grundlegenden Arbeiten: MARTIN HENGEL, Judentum und Hellenismus, WUNT 10, Tübingen 31988; s. auch DERS., Judaism and Hellenism Revisited, in: DERS., Theologische, historische und biographische Skizzen (hg. v. C.-J. Thornton), WUNT 253, Tübingen 2010, 179–216. 8 S. dazu MARTIN H ENGEL, Jerusalem als jüdische und hellenistische Stadt, in: ders., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, WUNT 109, Tübingen 1999, 115– 156; DERS. / CHRISTOPH MARKSCHIES, Zum Problem der ‚Hellenisierung‘ Judäas im 1. Jahrhundert nach Christus, in: MARTIN HENGEL, Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, WUNT 90, Tübingen 1996, 1–90. 9 Ich setze dabei voraus, dass alle neutestamentlichen Evangelien in je unterschiedlichem Maße eine ‚mélange‘ der Horizonte einerseits der erzählten Zeit Jesu und seiner Zeitgenossen sowie andererseits des jeweiligen Autors und seiner intendierten Leser bieten. Besonders programmatisch und dicht ist die Verschmelzung dieser beiden zeitlichen und sachlichen Horizonte im Johannesevangelium durchgeführt, s. dazu JÖRG FREY, Die johanneische Eschatologie II: Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998, 247–268.

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Für das Johannesevangelium und die Frage nach der Gemeinde bzw. den Gemeinden, in deren Kontext dieses Werk entstanden ist, sind wir jedoch in der glücklichen Lage, dass wir neben dem Evangelium drei Briefe besitzen, die nicht nur durch die Tradition und die evtl. sekundäre superscriptio, sondern auch durch Gemeinsamkeiten der Sprache und der Thematik eng mit dem Evangelium verbunden sind. So besteht eine relativ umfassende Textgrundlage, ein corpus, dessen Entstehung – ungeachtet der Detailfragen einer möglichen Redaktion des Evangeliums und der Abfolge der vier Schriften – auf einen zusammenhängenden Gemeindekreis hin ausgewertet werden kann.10 Im Folgenden soll den Spuren diasporajüdischer Prägung in den vier johanneischen Schriften (Evangelium und Briefe) nachgegangen werden. Vorausgesetzt ist dabei sprachlich, dass sich die johanneischen Schriften an eine griechischsprachige Adressatenschaft richten und in einem zumindest mehrheitlich griechischsprachigen11 Kontext verfasst und verbreitet wurden. Mit der überwiegenden Mehrheit der Forschung (und der kirchlichen Tradition) wird dabei angenommen, dass sich dieser Kontext außerhalb Palästinas, d.h. im Einflussbereich der jüdischen Diaspora befand, auf die in Joh 7,35 (^ %~   õ• * ) angespielt wird.12 Vorausgesetzt ist schließlich, dass von einer jüdischen Prägung auch dann gesprochen werden kann, wenn sich die johanneischen Gemeinden zur Zeit der Abfassung dieser Schriften nicht mehr innerhalb des lokalen Synagogenverbandes befunden haben.

10 Dazu UDO SCHNELLE, Das Evangelium nach Johannes, HThK 4, Leipzig 32004, 1– 3. Die Versuche, die Entstehung des Evangeliums von der Entstehung und Herausgabe der Briefe abzurücken und so zwar die Briefe in Kleinasien, das Evangelium aber noch in Palästina bzw. im Ostjordanland (so KLAUS WENGST, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Ein Versuch zum Johannesevangelium, München 31990, 160–182) oder in Alexandria anzusetzen (so zuletzt STEFAN WITETSCHEK, Ephesische Enthüllungen I, BTS 6, Leuven 2008, 297f), bleiben im Blick auf die vorausgesetzte ‚Wanderung‘ des gesamten ‚johanneischen Kreises‘ historisch problematisch. Die Annahme eines Wachstums der johanneischen Tradition nach dem Jahr 70 in der Asia ist nach wie vor plausibler. 11 Dies schließt Bilingualität seitens eines Teils der Traditionsträger oder Gemeindeglieder natürlich nicht aus. 12 Zur Lokalisierung des Corpus Johanneum in Kleinasien s.u. Abschnitt 2.

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2 Die kleinasiatische Diaspora als Kontext des Corpus Johanneum Ungeachtet vereinzelter abweichender Stimmen13 ist die Lokalisierung der Entstehung und Herausgabe dieser vier Schriften (wie auch der von ihnen deutlich abgerückten Apokalypse14) am ehesten in Kleinasien bzw. im Raum Ephesus anzusetzen. Dafür spricht zunächst das breite und relativ früh einsetzende altkirchliche Zeugnis, das die Abfassung aller fünf ‚johanneischen‘ Schriften durch (den Apostel) ‚Johannes‘ in Ephesus ansetzt15 und in dieser Vollform zwar erst bei Irenäus zu greifen ist,16 in einzelnen Elementen aber deutlich weiter zurückreicht: Schon Papias von Hierapolis (um 130– 135 n. Chr.), dessen Sprache nach den erhaltenen Fragmenten seines Werks einige ‚johanneische‘ Züge trägt und dessen kritisches Urteil über das Markusevangelium am ehesten von der Kenntnis des Johannesevangeliums her zu verstehen ist,17 bezeugt eine kleinasiatische Lokaltradition über einen (‚Presbyteros‘) ‚Johannes‘ (der vom gleichnamigen ‚Apostel‘ klar unterschieden wird).18 Auch Polykarp von Smyrna soll Irenäus zufolge

13 So etwa WITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 292: „Spezifisch ephesinisches Lokalkolorit ist den johanneischen Schriften nicht zu entnehmen.“ 14 Zu diesem Verhältnis s. JÖRG FREY, Erwägungen zum Verhältnis der Johannesapokalypse zu den übrigen Schriften des Corpus Johanneum, in: MARTIN HENGEL, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag von Jörg Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 326–429. S. zuletzt auch WITETSCHEK, a.a.O., 322–326. 15 S. dazu gründlich HENGEL, Frage (s. Anm. 14), 1–95. Vgl. auch THOMAS SÖDING, Johanneische Fragen, Einleitungswissenschaft – Traditionsgeschichte – Theologie, in: P. L. Hofrichter (Hg.), Für und wider die Priorität des Johannesevangeliums, Theologische Texte und Studien 9, Hildesheim u.a. 2002, 203–239 (237): „Die kirchliche Tradition weist – in einzigartiger Dichte – auf Ephesus als Entstehungsort des Evangeliums. Daran zu zweifeln, besteht kein hinreichender Grund.“ Ephesus als Ursprungsort der johanneischen Tradition wird dezidiert vertreten auch bei FOLKER SIEGERT, Das Evangelium des Johannes in seiner ursprünglichen Gestalt, SIJD 7, Göttingen 2008, 46–62. 16 Vgl. Irenäus, haer III 1,1; III 11,1; IV 20,11 u.ö. S. dazu HENGEL, Frage (s. Anm. 14), 13–26; zur Johannestradition bei Irenäus s. ausführlich BERNHARD MUTSCHLER, Das Corpus Johanneum bei Irenäus von Lyon, WUNT 189, Tübingen 2005; auch DERS., Was weiß Irenäus vom Johannesevangelium? Der historische Kontext des Johannesevangeliums aus der Perspektive seiner Rezeption bei Irenäus von Lyon, in: J. Frey / U. Schnelle (Hg., unter Mitarbeit von Juliane Schlegel), Kontexte des Johannesevangeliums, WUNT 175, Tübingen 2004, 695–742. 17 S. dazu MARTIN HENGEL, Die vier Evangelien und das eine Evangelium von Jesus Christus, WUNT 224, Tübingen 2008, 120–126. 18 Richtig ist, dass dieser nicht explizit mit Ephesus verbunden ist, andererseits liegt Ephesus durchaus im Gesichtskreis von Hierapolis, der Heimat des Papias, so dass es durchaus plausibel ist, dass er bei seinen Recherchen in dieser Gegend auf den Presbyter Johannes und den anderen kleinasiatischen Presbyter, Aristion, traf. Die Skepsis bei WITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 329f, gegenüber einer Verbindung des Presbyteros mit Ephesus erscheint überzogen.

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noch vom Umgang mit einem gewissen Johannes erzählt haben.19 Justin bezeugt dann erstmals einen Johannes in Ephesus, dem er allerdings nicht das Evangelium, sondern die Apokalypse zuschreibt;20 hingegen erzählen die nur wenig jüngeren Johannesakten vom wunderbaren Wirken des (Apostels) Johannes in Ephesus und Umgebung. Diese vielfältige kleinasiatische Johannestradition, in der sich natürlich „sehr viel Legende mit wenig Historischem“21 verbindet, aber die gleichwohl nicht einfach beiseite geschoben werden kann, begründet in Verbindung mit der völlig einheitlich überlieferten Inscriptio des Evangeliums ÚžÚ {÷ÚÞÞÛÞ hinsichtlich der Entstehung bzw. Edition des Johannesevangeliums wie der drei Briefe „ein starkes Übergewicht von Kleinasien gegenüber etwa Syrien oder Ägypten“. Daher ist „Ephesus … die allererste Kontextualisierung des Johannesevangeliums“. 22 Diese äußere Bezeugung findet eine Stütze im Evangelium selbst z. B. durch das besondere Gewicht der Jünger Philippus und Andreas, die (neben Johannes) später für die kleinasiatische Tradition in Anspruch genommen werden.23

Einen unmittelbaren Hinweis auf kleinasiatische Kontexte freilich bietet im (weiter gefassten) Corpus Johanneum nur die Apokalypse (Apk 2,1; vgl. 1,11).24 Diese enthält die sieben Briefe an die Gemeinden der Asia, an deren Spitze Ephesus steht, und sie spielt nicht nur in diesen Schreiben, sondern durchgehend in dichter Form auf die Lebenswelt der Gemeinden in dieser Region und den Konflikt mit der paganen Umwelt und den Synagoge in einzelnen Städten an. Hingegen ist der Rekurs auf die ‚Außenwelt‘ in den Johannesbriefen und im vierten Evangelium andersartig und weniger leicht auszuwerten: Die drei Briefe reagieren in direkter Anrede auf Probleme in Einzelgemeinden (2/3Joh) bzw. einem weiteren Gemeindekreis (1Joh), der im Text selbst nicht näher lokalisiert wird. Im Übrigen fehlt in den drei Briefen auch jeder explizite Hinweis auf die jüdische Prägung der religiösen Umwelt der Adressaten.25 Im Evangelium, das die Fragen und Probleme seiner Adressatengemeinden nur indirekt, im Modus der Erzählung bzw. in der transparenten Gestaltung der johanneischen Reden, anspricht, bleibt hingegen in der Schwebe, inwiefern die Ê€^‹ , die v.a. als Gesprächspartner und (zunehmend) Gegner des irdischen Jesus in Joh 1–12 eingeführt werden, aber in den Abschiedsreden fast völlig zurücktreten, als Gegner Jesu, als konkrete 19

Euseb, h. e. V 20, 6. Justin, dial. 81,4. Dabei ist nicht zu übersehen, dass das Zeugnis, auf das Justin sich beruft, die Apokalypse, ihren Johannes zwar nach Patmos versetzt, aber gleichfalls an die Gemeinden der Asia schreiben lässt (Apk 2–3). 21 HENGEL, Frage (s. Anm. 14), 114. 22 So MUTSCHLER, Was weiß Irenäus? (s. Anm. 16), 741. 23 Vgl. Joh 1,38f und besonders Joh 12,20ff. 24 S. auch Justin, dial. 81,4. 25 Insofern sind die Versuche, in den ‚Sezessionisten‘ nach Joh 2,18ff jüdische Gläubige zu sehen, die sich aus den johanneischen Gemeinden lösen und wieder zum synagogalen Monotheismus zurückkehren (so v.a. H. THYEN, Art. Johannesbriefe, TRE XVII [1987], 186–200), aus dem Text nicht zu belegen und eher eine konjizierende Eintragung aus Passagen des Johannesevangeliums. 20

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Widersacher der späteren johanneischen Gemeinden oder gänzlich verallgemeinert als Repräsentanten der ungläubigen ‚Welt‘ zu deuten sind.26 Da das Evangelium in seiner Rede von den ‚Griechen‘ (Joh 7,35; 12,20f) auch auf einen ‚heidenchristlichen‘ Anteil in den johanneischen Gemeinden hinweist und in einigen Aussagen die Gemeinde Jesu dezidiert als eine aus Juden und Heiden zusammengesetzte charakterisiert (Joh 10,16; 11,52), erscheinen die Versuche, das Werk noch aus einem ganz vom Judentum bestimmten Kontext oder ausschließlich im Gegensatz zur Synagoge zu verstehen, allzu einseitig. Andererseits weisen insbesondere die drei %€ Š*-Aussagen (Joh 9,22; 12,42; 16,2f) darauf hin, dass zumindest ein Teil der Adressatengemeinden aus der Synagoge kam und sich von dieser – aus welchen Gründen auch immer – getrennt haben dürfte. Anzunehmen ist daher, dass diese Gemeindeglieder auch nach dieser Trennung noch in ihrem Ethos, ihrer Sprache und ihrer Vorstellungswelt von Elementen aus dem zuvor gegebenen (diaspora-) jüdischen Kontext geprägt blieben. Dass dieser diasporajüdische Kontext bislang nur selten präziser beschrieben wurde,27 ist primär ein Problem der Quellen: Die reichsten Einblicke in das Diasporajudentum sind uns in den Werken Philos erhalten, doch ist Philo nicht einfach repräsentativ für das Diasporajudentum, und es lässt sich auch trotz einiger wichtiger Parallelen kein direkter philonischer Einfluss auf den vierten Evangelisten oder seine Adressaten erweisen.28 Insofern ist es eher angebracht, aus der allgemeineren Kenntnis über das Diasporajudentum, insbesondere in Kleinasien, Vergleiche mit Elementen der johanneischen Texte und mit der erkennbaren Prägung der johanneischen Gemeindekreise zu ziehen. Als Quellen bieten sich dabei neben Philo v.a. die bei Josephus mitgeteilten Sachverhalte sowie die epigraphischen und archäologischen Zeugnisse an, auch wenn ein Großteil dieser Zeugnisse, gerade in Ephesus, nicht

26 S. den schönen Aufsatz von W OLFGANG TRILLING, Gegner Jesu, Widersacher der Gemeinde, Repräsentanten der „Welt“. Das Johannesevangelium und die Juden, in: ders., Studien zur Jesusüberlieferung, SBAB 1, Stuttgart 1988, 209–231. Zur Diskussion um die Interpretation der Ê€^‹ im Johannesevangelium s. JÖRG FREY, Das Bild ‚der Juden‘ im vierten Evangelium und die Geschichte der johanneischen Gemeinde, in: M. Labahn u.a. (Hg.), Israel und seine Heilstraditionen im vierten Evangelium (FS Johannes Beutler), Paderborn u.a. 2004, 33–53; LARS KIERSPEL, The Jews and the World in the Fourth Gospel, WUNT II/220, Tübingen 2006. 27 Vgl. neuerdings CRAIG S. K EENER, The Gospel of John. A Commentary, Peabody 2003, vol. 1, 175–180 (der allerdings der Auffassung ist, dass Joh noch an jüdische Adressaten gerichtet sei [175]), s. auch SIEGERT, Evangelium (s. Anm. 15), 46–62. 28 Zutreffend hat RAYMOND E. BROWN, The Gospel According to John I–XII, AncB 29, Garden City 1966, LVIII, bemerkt, dass das vierte Evangelium wohl nicht anders wäre, als es ist, wenn es Philo nicht gegeben hätte.

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ins 1. Jh. n. Chr. zu datieren ist und insbesondere dort bislang nur relativ spärliche Belege jüdischer Präsenz vorliegen.29

3 Jüdische Präsenz und Identität in Kleinasien und im ephesinischen Raum 3.1 Kleinasien Die Anfänge der jüdischen Diaspora in Kleinasien30 liegen weithin im Dunkeln; vermutlich hat schon in der Perserzeit eine gewisse Zahl von Juden – evtl. Kriegsgefangene oder Sklaven – dort gelebt.31 Aristoteles soll in Kleinasien Mitte des 4. Jh.s v. Chr. einem gebildeten ‚griechischen‘ Juden begegnet sein;32 Joel 4,6 prangert den Verkauf der Söhne Jerusalems an die ø®¯ ùЬ ± ú «³ ®ûùý þ± an, was vielleicht auf Ionien im engeren Sinne bezogen werden kann, aber vermutlich eher „pars pro toto für sämtliche Griechen“33 steht, und Obd 20b spricht von einer galut (ÿ ­¬°), d.h. wohl einer Exilsgemeinschaft von Jerusalemern in Sefarad ( ¬ ³ ± ), was zumeist auf Sardeis bezogen wird.34 Jedenfalls gilt die jüdische Gemeinde in Sardeis später im 1. Jh. v. Chr. nach Ausweis der bei Josephus überlieferten Dekrete bereits als alt und ehrwürdig.35 Sicherer belegt ist dann das Wachstum der kleinasiatischen Judenschaft unter den Seleukiden: Antiochus III. (223–187 v. Chr.) soll 2000 jüdische

29 S. dazu die Edition der Inschriften von WALTER AMELING, Inscriptiones Iudaicae Orientis II: Kleinasien, TSAJ 99, Tübingen 2004; außerdem GEORGE H. R. HORSLEY, The Inscriptions of Ephesus and the New Testament, NT 34 (1992), 105–168. 30 S. grundlegend EMIL SCHÜRER u.a., The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ, III/1, Edinburgh 1986, 1–176; WILLEM CORNELIS VAN UNNIK, Das Selbstverständnis der jüdischen Diaspora in der hellenistisch-römischen Zeit, Leiden 1993; PAUL TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, Cambridge 1991; JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996, 259–281; DERS., Kleinasien, in: K. Erlemann u.a. (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur I, Neukirchen-Vluyn 2004, 208–211. Zu Ephesus s. zuletzt JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora, a.a.O. 260f; PAUL TREBILCO, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius, WUNT 166, Tübingen 2004, 37– 52; AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 1–36; WITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 141–172. 31 So auch AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 32. 32 So Klearchus, nach Josephus, Ap I 176–182. 33 W ITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 144. 34 Vgl. a.a.O. 143f. 35 A.a.O. 144, verweist auf die Phrase %' ‡˜ in Josephus, Ant XIV 235.259.

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Familien aus dem Osten in Phrygien und Lydien angesiedelt haben;36 andere kamen als Händler, Handwerker, Sklaven oder Freigelassene nach. Im Jahr 88 v. Chr. soll nach einem Bericht des Josephus (Ant XIV 110) Mithridates in Kos Geld vorgefunden haben, das von den Juden aus (der Provinz) Asien geschickt worden sei. „Um die Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. scheinen die jüdischen Gemeinden Kleinasiens jedenfalls fest etabliert und selbstbewusst genug gewesen zu sein, um gegenüber städtischen Gremien und römischen Beamten auf ihren Privilegien zu bestehen.“37 Wie die bei Josephus und Philo überlieferten römischen Dekrete38 bekräftigen, wurde den Juden, die in den Städten Kleinasiens in der Regel als eigenständige Volksgruppe (£ , %€)39 lebten, von der römischen ‚Schutzmacht‘ (und z.T. gegen den Widerwillen der lokalen Autoritäten) zugestanden, nach dem ‚Gesetz ihrer Väter‘ und in einer gewissen Selbstverwaltung zu leben, sich zu versammeln, den Sabbat zu halten und insbesondere auch ‚heilige Gelder‘ (d.h. die Tempelsteuer) nach Jerusalem zu transferieren.40 Ein solcher ‚Kapitalabfluss‘ war in den Provinzen ungern gesehen, aber auch er stand unter römischer Garantie, und die jährliche Gabe an den Jerusalemer Tempel galt zugleich als Begründung dafür, dass die Juden außerhalb von Jerusalem an keinerlei anderen Opferfeiern teilnahmen.41 36

Josephus, Ant XII 147–153; vgl. auch Ap II 39. Hier liegen die ersten sicheren Belege für jüdische Gemeinden in Kleinasien vor; s. TREBILCO, Communites (s. Anm. 30), 5–7; BARCLAY, Jews (s. Anm. 30), 261. 37 W ITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 145. 38 S. die Texte mit Kommentar bei M. PUCCI BEN ZEEV, Jewish Rights in the Roman World, TSAJ 74, Tübingen 1998, bes. die Zusammenstellung 374–377. Vgl. auch AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 34f. 39 Andere Begriffe sind © “{€^‹ ,  , ,  ^ und später € *• (s. SCHÜRER u.a., History III/1 [s. Anm. 30], 87–91; CARSTEN CLAUSSEN, Versammlung, Gemeinde, Synagoge. Das hellenistisch-jüdische Umfeld der frühchristlichen Gemeinden, StUNT 27, Göttingen 2002, 146–150). 40 Zur generellen Akzeptanz der jüdischen Religion durch die Römer (die freilich keine absolute Rechtssicherheit bedeutete) s. TREBILCO, Communities (s. Anm. 30), 8– 11. Zur rechtlichen Situation s. weiter SHIMON APPLEBAUM, The Legal Status of the Jewish Communities in the Diaspora, in: S. Safrai (Hg.), The Jewish People in the First Century, CRINT I/1, Assen / Philadelphia 21974, 420–463; auch PUCCI BEN ZEEV, Jewish Rights (s. Anm. 38), sowie die klassische Arbeit von E. MARY SMALLWOOD, The Jews under Roman Rule, SJlA 20, Leiden 1981. 41 Eine Befreiung von der Herrscherverehrung findet sich in diesen Edikten nicht, weil es in der frühen Kaiserzeit keine von Rom ausgehende Verpflichtung zum Kaiserkult gab, so dass auch keine formelle ‚Befreiung‘ möglich war. Generell wurde im Rahmen der Toleranz jüdischer Sitten auch die Abstinenz vom Kaiserkult akzeptiert. Juden konnten immerhin sagen, dass die täglichen Opfer und Gebete im Tempel pro salute Caesaris erfolgten (s. Josephus, Ap II 77f; Philo, Leg 356 u. ö.). Vgl. PUCCI BEN ZEEV, Jewish Rights (s. Anm. 38), 471–481.

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Generell scheinen Juden zumindest seit der augusteischen Zeit in den kleinasiatischen Städten in weithin geregelten Verhältnissen gelebt zu haben. Dies ermöglichte ihnen zugleich die Assimilation bzw. die Bereitschaft zu Kompromissen gegenüber der Umwelt, ohne dass sie damit ihre Identität preisgegeben hätten: Speise- und Reinheitsgebote schränkten die (Mahl-)Gemeinschaft und damit gesellschaftliche Verbindungen mit Nichtjuden ein, Mischehen wurden i.d.R. nicht akzeptiert bzw. die Einheirat konnte meist nur unter der Bedingung der Hinwendung zum Judentum erfolgen.42 Dennoch nahmen Juden am öffentlichen Leben der Städte teil,43 einzelne von ihnen bekleideten auch städtische Ämter.44 Hingegen scheint der Einfluss der palästinischen Frömmigkeit und später auch der rabbinischen Bewegung in Kleinasien eher gering gewesen zu sein, trotz der durch Festwallfahrten und Tempelsteuer-Zahlung bekundeten Verbundenheit mit dem palästinischen ‚Mutterland‘. So soll nach einer talmudischen Notiz noch R. Meir (Mitte des 2. Jh.s) bei seinem Besuch in Kleinasien keine Megilla-Rolle vorgefunden haben.45 Auch die Tatsache, dass eine Grabinschrift des 2./3. Jh.s (CIJ 741) aus Smyrna eine Frau als Synagogenvorsteherin nennt, verdeutlicht, wie sehr sich die Verhältnisse dort von Palästina unterschieden.46

Letztlich haben auch die Umbrüche in Palästina, der jüdisch-römische Krieg und der Fall des Tempels das Leben der Diasporagemeinden nur wenig berührt, mit der Ausnahme der verstärkten Zuwanderung von Migranten aus Palästina. Die einzige einschneidende Veränderung nach dem Krieg in Judäa war die Ersetzung der ehemaligen Tempelsteuer durch den fiscus iudaicus, der fortan von allen Juden im römischen Reich an den Iuppiter Capitolinus in Rom abzuführen war. Doch hatten die kleinasiatischen Juden weder diesen Aufstand unterstützt, noch ist eine Unterstützung für die späteren jüdischen Aufstände gegen Rom in der Cyrenaika sowie unter Bar Kochba belegt.

42

Vgl. BARCLAY, Jews (s. Anm. 30), 410–412. Z.B. scheinen Juden in Milet nach der Theaterinschrift CIJ, 748 dort bestimmte Plätze gehabt zu haben. Nach bAZ 18b muss R. Meir den Theaterbesuch erst verbieten. Auch die Teilnahme von Jugendlichen an der Ausbildung im Gymnasium ist belegt, s. PETER HIRSCHBERG, Das eschatologische Israel. Untersuchungen zum Gottesvolkverständnis der Johannesoffenbarung, WMANT 84, Neukirchen-Vluyn 1999, 47f. 44 S. etwa zu Sardes Josephus, Ant XIV 259–261; weiter TREBILCO, Communities (s. Anm. 30), 38–54. Freilich sind die Inschriften der Synagoge zu Sardes relativ spät (4. Jh.), und Rückschlüsse auf die frühere Zeit bleiben unsicher. 45 bMeg 18b. 46 S. zu dieser Inschrift (CIJ 741) TREBILCO, Communities (s. Anm. 30), 104f; auch HIRSCHBERG, Israel (s. Anm. 43), 74–76. 43

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3.2 Ephesus Auch in der Stadt Ephesus,47 für die bislang nur wenige inschriftliche Belege für eine jüdische Präsenz vorliegen, ist eine solche spätestens ab der Seleukidenzeit wahrscheinlich.48 Zwar fehlt Ephesus unter den bei Cicero in seiner Verteidigung des Flaccus49 genannten Orten, aus denen Tempelsteuergelder um 62 v. Chr. konfisziert worden waren – doch lassen sich daraus keine negativen Folgerungen ziehen. Für das Jahr 49 v. Chr. ist dann ein Schreiben des Konsuls L. Cornelius Lentulus an die Stadt Ephesus belegt, dass Juden, die das römische Bürgerrecht besaßen, vom Militärdienst freigestellt werden sollten.50 Dies deutet darauf hin, dass bereits zu dieser Zeit eine hinreichende Zahl von Juden jener Gegend römische Bürger waren, so dass eine solche Regelung erforderlich schien. Wenig später scheint diese auf alle Juden ausgeweitet worden zu sein.51 Hintergrund dieser Freistellung (bzw. eher eines Anwerbeverbots52) war wohl die Rücksichtnahme auf die jüdische Sabbatobservanz und Speisehalacha, die im Heer nicht einhaltbar gewesen wären. Wohl 42 v. Chr. Erlaubt ein städtisches Dekret (auf römischen Druck hin) den Juden ausdrücklich, den Sabbat zu halten und nach ihren väterlichen Sitten zu leben.53 Ein bei Philo zitiertes Dokument des Prokonsuls der Provinz Asien, C. Norbanus Flaccus (31–27 v. Chr.), erlaubt den ephesinischen Juden dann auch die Sammlung und den Transfer der Tempelsteuer.54 Josephus zitiert ein weiteres Schreiben aus dem Jahr 14 v. Chr. an die städtischen Autoritäten, in dem von Seiten Roms erneut und offenbar aus gegebenem Anlass bestätigt wurde, dass Juden die Tempelsteuer einsammeln und nach Jerusalem weiterleiten können sollten und auch nicht gezwungen werden dürften, am Sabbat vor Gericht zu erscheinen.55 Doch hatten die ephesinischen Juden 47 S. dazu die neueren Zusammenstellungen bei TREBILCO, Early Christians (s. Anm. 30), 37–52; AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 145–152, und WITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 141–172. 48 Nach Josephus, Ap II 39 sollen sie sogar das städtische Bürgerrecht von den Nachfolgern Alexanders erhalten haben; nach Josephus, Ant XII 125–126 unter Antiochus II. (262–246 v.Chr.). S. dazu TREBILCO, Communities (s. Anm. 30), 167–169; DERS., Early Christians (s. Anm. 30), 38. Vermutlich ist hier jedoch nicht das Bürgerrecht, sondern eine Form der isonomia gemeint, so GERARD MUSSIES, Pagans, Jews and Christians at Ephesus, in: P. W. van der Horst / G. Mussies (Hg.), Studies on the Hellenistic Background of the New Testament, Utrecht 1990, 177–194 (186). 49 Cicero, Flacc. 68. 50 Josephus, Ant XIV 228–230.234.236–240. 51 A.a.O. 223–227. 52 So W ITETSCHEK, Enthüllungen (s.Anm. 10), 154 Anm. 77. 53 Josephus, Ant XIV 262–264. 54 Philo, Leg 315f. 55 Josephus, Ant XVI 167f.

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wohl wenige Jahre später erneut Anlass, den Prokonsul Julius Antonius zu bitten, bei den städtischen Autoritäten in diesem Sinne vorstellig zu werden.56 Schließlich veröffentlichte Kaiser Augustus im Jahr 2/3 n. Chr. ein Edikt, das die Rechte der Juden in der Provinz Asia (gegen deren Bestreitung durch lokale Kreise) bekräftigte.57 Diese Dokumente lassen auf eine relativ organisierte und selbstbewusste Judenschaft schließen, die sich selbständig an die römischen Autoritäten wandte und für die das Recht, sich zu versammeln, nach der Tora zu leben und z.B. den Sabbat oder Speisegebote zu halten, von entscheidender Bedeutung war.58 Zugleich scheinen diese Merkmale jüdischer Identität und besonders auch die Abführung signifikanter Geldsummen59 aus der Region Ursache von Intoleranz und Anfeindungen seitens der städtischen Behörden oder anderer lokaler Kreise gewesen zu sein, gegen die dann die Garantien der römischen Schutzmacht in Anspruch genommen werden konnten. Im 1. Jh. n. Chr. scheint die Situation jedoch insoweit gefestigt zu sein, dass keine weiteren römischen Edikte mehr erforderlich waren (oder jedenfalls bei Josephus nicht angeführt werden) und die Juden im ephesinischen Kontext gesichert leben und zugleich zur Prosperität der Stadt beitragen konnten. Die Apostelgeschichte (Apg 18,19.26; 19,8f) bezeugt die Existenz einer Synagoge für das erste Jahrhundert, und die Tatsache, dass eine solche bislang nicht gefunden wurde, mag einerseits dadurch bedingt sein, dass in Ephesus bislang überwiegend öffentliche Gebäude archäologisch erforscht wurden; andererseits gab es in dieser frühen Zeit „keinen klar erkennbaren Bautyp ‚Synagoge‘“, vielmehr waren „die Versammlungsräume der jüdischen Gemeinden … von der wirtschaftlichen Situation der Gemeinde und von lokalen Vorbildern bestimmt“,60 so dass fraglich ist, ob eine Synagoge dieser Zeit sich wirklich als solche identifizieren ließe. Eine Inschrift aus der „hohe[n] oder späte[n] Kaiserzeit“61 bezeugt die Ämter ‡ € *› und %! 62. Ob die ephesinischen Juden als %€ galten, ist angesichts der überlieferten Zeugnisse unsicher. Vermutlich wurden sie im städtischen 56

A.a.O. 172f. A.a.O. 162–165. 58 Vgl. TREBILCO, Christians (s. Anm. 30), 40. 59 Dazu W ITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 152: „Dass auf diese Weise nicht unerhebliche Mengen an Edelmetall den innerstädtischen Wirtschaftskreisläufen entzogen wurden, musste gerade im 1. Jh. v. Chr., als die kleinasiatischen Städte unter erheblichem Geldmangel litten, für Verstimmungen sorgen.“ 60 W ITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 163; s. auch CLAUSSEN, Gemeinde (s. Anm. 39), 296. 61 AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 153. 62 A.a.O. 152. 57

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Kontext eher als eine Art Verein angesehen, allerdings ein Verein besonderer Art und altehrwürdiger Tradition,63 dessen Mitglieder die Stellung von Metoiken hatten,64 und auch die ihnen gewährten Sonderrechte wie  ‘ und ’  sind keine Bürgerrechte, sondern „Privilegien für Metoiken“.65 Dies schließt nicht aus, dass einzelne Gemeindeglieder wie etwa der inschriftlich belegte M. Aurelius Sambathios66 das städtische Bürgerrecht besaßen und andere wie der namentlich bekannte Priester Marcus Mussius67 oder evtl. auch der städtische ‚Erzarzt‘ (‡‘) Iulius68 auch das römische Bürgerrecht besitzen konnten.69 Die Größe der jüdischen Gemeinde läßt sich kaum schätzen, immerhin zeigen die bei Josephus überlieferten Dekrete, dass es sich um eine für das städtische Leben durchaus relevante Gruppe handelte, so dass es nicht unrealistisch ist, wenn Trebilco für das 1. Jh. mit einer Gruppe von mehreren hundert Juden rechnet.70 Andere Autoren rechnen mit deutlich höheren Zahlen.71 Hinzu kommen dürfte auch in Ephesus eine gewisse Gruppe von ‚Gottesfürchtigen‘ oder Sympathisanten – auch wenn die verwendeten Termini (!, !›  ò › ) nicht immer einheitlich verwendet sind und v.a. für Ephesus Belege fehlen72 – eine nicht unbeträchtliche Gruppe von Sympathisanten. Diese dürfte schon zu dieser Zeit – wie dann auch die späteren Inschriften zeigen – trotz ihrer Sonderrechte und eigenen 63

WITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 148. A.a.O. 149; WALTER AMELING, Die jüdischen Gemeinden im antiken Kleinasien, in: R. Jütte / A. P. Küstermann (Hg.), Jüdische Gemeinden und Organisationsformen von der Antike bis zur Gegenwart, Aschkenas Beiheft 3, Wien u.a. 1996, 29–55 (35). 65 W ITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 150; s. auch AMELING, Gemeinden (s. Anm. 64), 35; CLAUSSEN, Gemeinde (s. Anm. 39), 302f. 66 S. dessen Grabinschrift aus der 1. Hälfte des 3. Jh.s bei AMELING, a.a.O. 159f. 67 S. dessen Grabinschrift (kaum früher als 200 n. Chr.) bei AMELING, a.a.O. 157. 68 S. dessen Grabinschrift (evtl. 2. Jh.) bei AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 155. 69 Über die namentlich bekannten Beispiele hinaus ist hier an die von L. Lentulus vom Armeedienst befreiten römischen Bürger von Ephesus zu denken (s.o.). 70 TREBILCO, Christians (s. Anm. 30), 50. 71 So etwa MIKAEL TELLBE, Christ-Believers in Ephesus. A Textual Analysis of Early Christian Identity Formation in a Local Perspective, WUNT 242, Tübingen 2009, 75, der mit 10000 Juden in Ephesus im 1. Jh. rechnen will. Freilich ist das letztlich eine Extrapolation, die von der Schätzung des jüdischen Anteils an der Gesamtbevölkerung von mindestens 5% und einer Gesamtbevölkerung von Ephesus von 200000 ausgeht. THOMAS A. ROBINSON, The Bauer-Thesis Examined, Lewiston 1988, 112ff, rechnet mit 20000 oder mehr Juden in Ephesus. Freilich ist das, wie AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 29), 151, einwendet, eine höchst unsichere „Zahlenakrobatik“. 72 Darauf weist WITETSCHEK, Enthüllungen (s. Anm. 10), 165–171, hin, freilich ist seine Skepsis gegenüber dieser Gruppe m.E. überzogen. S. zum Ganzen JOYCE M. REYNOLDS / ROBERT F. TANNENBAUM, Jews and God-Fearers at Aphrodisias. Greek Inscriptions with Commentary, Cambridge 1987, dort, 65, die Beschreibung der flexiblen Formen der Einbettung von ,Gottesfürchtigen‘ in die jüdische Gemeinde. 64

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Sitten gut in das städtische Leben integriert gewesen sein. Die Tatsache, dass die ephesinischen Juden aktiv bei den Machthabern intervenieren konnten, zeigt einen hohen Grad an gemeinschaftlicher Organisation sowie ein beträchtliches Selbstbewusstsein. Die dabei eingeforderten Rechte, z.B. sich zu versammeln, den Sabbat, die Speisegebote und andere väterliche Sitten einzuhalten und die Tempelsteuer nach Jerusalem zu senden, zeigen zugleich, dass diese Elemente des religiösen Lebens für die ephesinischen Juden von hoher Bedeutung waren: „The Jewish community in Ephesus maintained significant facets of Jewish identity.“73 3.3 Diasporajüdische Identität und die Anfänge der ephesinischen Gemeinde von Jesus-Nachfolgern Es ist daher anzunehmen, dass die ephesinische Diasporagemeinde in ihrer Identität trotz aller Integration in den lokalen Kontext von einer grundlegenden sozialen Unterscheidung von ihrer nichtjüdischen Umgebung und der Abstinenz von allen paganen Kulthandlungen sowie positiv von der Orientierung an der Tora, der Lektüre der Schriften, der synagogalen Versammlung und der Einhaltung der väterlichen Sitten (Beschneidung, Speise- und Reinheitshalacha etc.) bestimmt war. Noch das Johannesevangelium lässt erkennen, dass für die darin74 auftretenden jüdischen Gegner Jesu und seiner Jünger Mose die zentrale Identifikationsfigur ist (Joh 9,28f), und die Auseinandersetzung mit ihnen wird um das rechte Verständnis der Schriften, das Zeugnis Moses, geführt (Joh 5,45f; vgl. 5,39). Das dürfte für die Synagoge im Umfeld der johanneischen Gemeinde ebenso zutreffen. Für die Symapthisanten und ‚Gottesfürchtigen‘, die sich nicht auf die Einhaltung der Tora verpflichtet hatten, dürfte zumindest eine gewisse Kenntnis der Schriften und mancher jüdischer Bräuche sowie nach Möglichkeit ebenfalls die Meidung paganer Kulte und die partielle Übernahme eines jüdischen Ethos zu vermuten sein. Auch die frühesten Gruppen von Jesus-Nachfolgern im ephesinischen Raum dürften in ihrer Identität zunächst durch die diasporajüdische Prägung bestimmt gewesen sein und sich innerhalb des Synagogenverbandes befunden haben. Freilich ist das Johannesevangelium von diesen Anfängen bereits zeitlich und sachlich etwas abgerückt. Jesusanhänger gab es in Ephesus ja bereits sehr viel früher, nach dem (darin historisch plausiblen) Bericht des Lukas bereits vor der Ankunft des Paulus, wobei diese von dem alexandrinisch-judenchristlichen Prediger

73 TREBILCO, Christians (s. Anm. 30), 40. Zur diasporajüdischen Identität s. differenzierter TELLBE, Christ-Believers (s. Anm. 71), 58–65. 74 Das narrative Setting lässt diese natürlich in Palästina und v.a. in Jerusalem auftreten.

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Apollos (Apg 18,24–28) geprägt waren.75 Diese Jesusanhänger lebten wohl noch innerhalb der Synagoge, und es ist unwahrscheinlich, dass die paulinische Missions- und Lehrtätigkeit, die sich nach Lukas zuerst in der Synagoge (Apg 19,8f) und dann in einem anderen Gebäude, „in der Schule des Tyrannos“ (Apg 19,10), entfaltete, diese von Apollos geprägten Judenchristen zu integrieren vermochte. So existierte diese Gruppe wohl neben den von Paulus geprägten, bald stärker heidenchristlichen Gemeinden, noch längere Zeit weiter.76 Die weitere Geschichte der ephesinischen Gemeinden ist allerdings quellenmäßig schwer zu erhellen. Ob von den hellenistisch-judenchristlichen Gruppen eine direkte Linie zum späteren johanneischen Kreis führt oder ob dieser auf eine andere Gründung zurückgeht und evtl. auch von Migranten aus Palästina nach dem Jahr 70 maßgeblich mit geprägt worden ist, lässt sich kaum mehr eindeutig sagen. Jedenfalls zeigt sich sowohl in den Paulusbriefen wie in der Apostelgeschichte, dass es bald zu Konflikten mit der Synagoge kommen konnte, wobei diese sich natürlich in einer wesentlich stärkeren Position befand als die kleinen, zunächst wohl doppelt misstrauisch beäugten Kreise der frühen Jesusanhänger. Etwas von diesen Auseinandersetzungen spiegelt auch das Johannesevangelium (im Medium der Erzählung von Jesu Auseinandersetzung mit seinen Zeitgenossen), und der dort auffällige Terminus %€ Š* (Joh 9,22; 12,42; 16,2) lässt erahnen, dass es dabei zu schmerzlichen Trennungen und letztlich auch zu lebensbedrohlichen Situationen kommen konnte. Gleichwohl dürften die Elemente (diaspora-)jüdischer Identität und ein diasporajüdisches Ethos die werdenden Christengemeinden noch weiterhin nachhaltig bestimmt haben. Das frühchristliche Denken und sein Ethos sind nahezu vollständig aus der Matrix verständlich, aus der sie erwachsen sind: der jüdischen. Dies ist im Folgenden im Blick auf die johanneischen Schriften aufzuzeigen.

4 Die jüdische Matrix des johanneischen Denkens In einem grundlegenden Aufsatz hat der große britische Neutestamentler Charles Harold Dodd formuliert, das Johannesevangelium könnte „intelligently be read by a person with no previous instruction in Christianity ... But it could hardly be so read without some knowledge of Judaism.“77 Ob

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S. dazu TREBILCO, Christians (s. Anm. 30), 125f. Immerhin scheint die Erinnerung an den Missionar Apollos noch Jahrzehnte später gepflegt worden zu sein, so dass Lukas diese Tradition aufnimmt und ‚bearbeitet‘. 77 CHARLES HAROLD DODD, The Background of the Fourth Gospel, BJRL 19 (1935), 329–343 (334). 76

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der erste Teil der Aussage zutrifft, mag hier dahingestellt sein,78 der zweite Teil ist sicherlich zutreffend: Ohne Kenntnis jüdischer Tradition, jüdischer Sitten und Hoffnungen wäre der Text des Johannesevangeliums und die von ihm erzählte Geschichte Jesu nur unvollständig zu verstehen oder zumindest äußerst befremdlich. 4.1 Hinweise am Beginn der Erzählung und im Prolog Zwar erläutert der johanneische Autor einige semitische Namen und Termini79 sowie Aspekte der palästinischen Topographie80 oder jüdischer Sitten81 für jene unter seinen Lesern, die solche sprachlichen und kulturellen Hinweise benötigten,82 aber schon von Beginn der johanneischen Erzählung an werden zahlreiche Sachverhalte und Gruppen ohne nähere Erläuterung genannt: Allein in der kurzen Szene der Befragung Johannes des Täufers (Joh 1,19–24) sind dies die Gruppen der Priester, Leviten und Pharisäer, die Figuren des ‚Propheten‘, des (wiederkommenden) Elia und des Messias – d.h. Elemente ‚messianischer‘ Diskurse – und natürlich auch der Prophet Jesaja und die Schrift. Die zum Verständnis vorausgesetzte Kenntnis dieser Gruppen und Gestalten kann bei den johanneischen Adressaten natürlich durch die christliche Verkündigung oder durch die ältere frühchristliche Überlieferung gegeben sein, aber für ‚pagane‘ Rezipienten ohne Kenntnis des Judentums – nicht nur der Schriften, sondern auch spezifischer innerjüdischer Diskurse83 – wären die Sätze, mit denen die johanneische Erzählung beginnt, nahezu unverständlich. Dies zeigt von Anfang an, 78 Auch eine Reihe von Personen und Sachverhalten der urchristlichen Geschichte sind im Johannesevangelium vorausgesetzt und nicht eigens erzählt bzw. nicht als neu eingeführt, so z.B. die Taufe Jesu (Joh 1,29–35), die Gestalt des Simon Petrus (Joh 1,42), die Auferstehung Jesu (Joh 2,22) etc. S. zu den im Johannesevangelium vorausgesetzten impliziten Lesern R. ALAN CULPEPPER, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design, Philadelphia 1987, 222–224. 79 So z. B. Rabbi in Joh 1,38; Messias in Joh 1,41; Kephas in Joh 1,42; die Allegorie von Siloah in Joh 9,7; Rabbuni in Joh 20,16. 80 So z.B. Bethesda Joh 5,2; Siloah Joh 9,7; Gabbatha Joh 19,13; Golgatha Joh 19,17 – die beiden letzteren auch mit der Nennung der hebräischen Übersetzung des griechischen Wortes. 81 So z.B. Joh 4,9 zum Verhältnis zwischen Juden und Samaritanern. 82 Vgl. auch KEENER, John I (s. Anm. 27), 171: „Granted, the author provides some explanatory asides that provide minimal information for new Gentile converts; but a long-term Jewish audience would understand more, and those who remembered Jerusalem before 70, whether from frequent pilgrimages from Galilee or rarer ones from Asia, would comprehend the details of the Gospel most fluently.“ 83 Dass die Zusammenstellung auf jüdische messianische Diskurse zurückgreift, demonstriert RICHARD BAUCKHAM, Messianism according to the Gospel of John, in: J. Lierman (Hg.), Challenging Perspectives on the Gospel of John, WUNT II/219, Tübingen 2006, 34–68.

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wie sehr die johanneischen Texte im jüdischen Denken verwurzelt sind, auch wenn man annehmen muss, dass die johanneischen Gemeindekreise zur Zeit der Abfassung und Edition des Evangeliums bereits von der lokalen Synagoge getrennt und aus Juden- und Heidenchristen gemischt zusammengesetzt waren.84 Man könnte von hier aus zum Anfang des Evangeliums zurückfragen und bereits im Johannesprolog – dessen Hintergründe in der Schrift und der jüdischen Weisheitstradition hier nicht näher beschrieben werden können85 – weitere Hinweise darauf anführen, dass das Johannesevangelium von Anfang bis Ende auf die Schrift und die sie interpretierende und weiterführende jüdische Tradition bezogen ist: Schon der Einsatz Joh 1,1–3 mit dem für jeden nur halbwegs mit der LXX Vertrauten klar erkennbaren Anklang an den Beginn der Genesis ( ‡¥), der Erwähnung der Weltschöpfung (1,3) und den für die biblische Schöpfungsgeschichte und ihre frühjüdische Rezeption signifikanten Begriffen Logos, Licht und Leben eröffnet für alle Leserinnen und Leser, die mit jüdischen Traditionen vertraut sind, den Horizont, in dem das johanneische Werk offenbar wahrgenommen werden will.86 Andere, damit weniger vertraute Leser werden diesen Horizont nicht sofort erkannt, aber zumindest bemerkt haben, dass sich die Rede vom johanneischen Logos, der ‚auf Gott hin‘ ‚war‘ (1,1b: ¨

%   › ) und durch den alle Dinge ‚gemacht‘ sind (1,3), von der ‚profangriechischen‘ (d.h. von der LXX unbeeinflussten) Rede vom Logos, etwa bei den Vorsokratikern oder in der Stoa, unterscheidet. Im weiteren Verlauf des Prologs weist die schlichte Feststellung in Joh 1,17, dass „das Gesetz durch Mose gegeben ist“, noch einmal ganz eindeutig auf den fundamentalen jüdischen Verständnishintergrund hin. Hier findet sich vielleicht die am prononciertesten jüdische Aussage des Prologs – die dann zwar im zweiten Stichos von V. 17 im Blick auf Jesus Christus ‚überboten‘ wird, aber doch ganz und gar jüdisch bleibt und für einen Paganen ohne

84 Zu den johanneischen Adressaten s. JÖRG FREY, Heiden – Griechen – Gotteskinder. Zu Gestalt und Funktion der Rede von den Heiden im 4. Evangelium, in: R. Feldmeier / U. Heckel (Hg.), Die Heiden. Juden, Christen und das Problem des Fremden, WUNT 70, Tübingen 1994, 228–268. 85 Zum Hintergrund des Johannesprologs s. HARTMUT GESE, Der Johannesprolog, in: DERS., Zur biblischen Theologie, BEvTh 78, München 1977, 152–201; CRAIG A. EVANS, Word and Glory. On the Exegetical and Theological Background of John’s Prologue, JSNT.S 89, Sheffield 1993; zum schöpfungstheologischen Hintergrund s. MASANOBU ENDO, Creation and Christology, WUNT II/149, Tübingen 2002. 86 S. auch KEENER, John I (s. Anm. 27), 365: „The opening words establish the plainly Jewish tone of the Gospel, though John’s purpose is to explain Jesus, not simply to expound the text of Genesis as a midrashic expositor would.“

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synagogales Vorwissen kaum nachvollziehbar wäre.87 Ein letzter hier zu benennender Hinweis ist die Rede vom ‚Zelten‘ (| • * ) des Logos (Joh 1,14a), die sich in terminologisch auffälliger Weise einerseits auf die biblische Tradition vom Wüstenheiligtum, dem ‚Zelt der Begegnung‘, zurückbezieht,88 andererseits auf die weisheitstheologische Tradition von der ‚Einwohnung‘ der präexistenten Weisheit auf dem Zion bzw. allgemeiner in Israel.89 Beide Traditionen weisen allerdings zurück auf die durchgehende, wenngleich variierte Vorstellung von der göttlichen Präsenz bzw. Repräsentanz im Heiligtum (der Wüste bzw. dann in Jerusalem oder in einem eschatologisch erneuerten Zustand) und damit auf einen fundamentalen Aspekt jüdischer Tradition und Identität. Die johanneische Christologie expliziert sich auch hier ganz im Rückbezug auf alttestamentlichfrühjüdische Traditionen. Im Schlussvers des Prologs (Joh 1,18) begegnet schließlich die Unsichtbarkeit Gottes, die zwar auch gelegentlich bei Autoren der griechisch-römischen Welt formuliert wird, aber in wesentlich konsistenterer Weise einen Zug der palästinisch-jüdischen Tradition ausmacht.90 Auch hier ist die ‚Überbietung‘, die dann formuliert wird, dergestalt, dass sie sich nur auf dem Hintergrund der jüdischen Gottesvorstellung denken lässt. D.h., nicht nur der Beginn der johanneischen Erzählung, sondern schon der ‚Einleitungstext‘, die im Prolog gegebene Lektüreanweisung für die folgende Erzählung, greift in eindeutiger und kaum zu umgehender Weise auf die biblische Tradition und ihre frühjüdisch-nachbiblische Weiterbildung zurück. Die wesentlichen Horizonte für das Verständnis der Geschichte Jesu sind aus diesem Bereich genommen und ohne dessen Kenntnis nicht wahrnehmbar. 4.2 Vorausgesetzte Sachverhalte Auch im weiteren Verlauf des Evangeliums weisen eine Vielzahl von Elementen auf eine tiefgreifende jüdische Prägung hin. Diese können hier nur exemplarisch und ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgezählt werden.

87 Mose war wohl „the best known Jewish figure in the pagan world“ (so JOHN G. GAGER, Moses in Greco-Roman Paganism, Nashville 1972, 18) und als Gesetzgeber der Juden bekannt (a.a.O. 25), aber gerade durch diesen Hinweis markiert der Prolog noch einmal den fundamentalen Bezugspunkt der im Folgenden erzählten Geschichte. Im Übrigen weist das passivum divinum in Joh 1,17a subtil auf Gott als den ‚eigentlichen‘ Gesetzgeber zurück. 88 Vgl. Ex 25,8; 29,45; eschatologisch in Sach 2,14; Jub 1,17; 11QTemp XXIX,7f. 89 Vgl. Sir 24,8: ˆ%€ —  @ • € und | { *!  • *  |

{@  @ •@ . Vgl. auch 24,11. 90 S. Belege für beides bei KEENER, John I (s. Anm. 27), 423 Anm. 563f.

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4.2.1 Auffällig ist zunächst die Vielzahl biblischer Gestalten und Geschichten, die nur knapp erwähnt, aber bei den Lesern in ihrem Zusammenhang als bekannt vorausgesetzt werden: so z.B. in Joh 3,14f die Episode von der von Mose aufgerichteten Schlange „in der Wüste“ (vgl. Num 21,4–9) und evtl. ihre weitere Deutung als ‚Zeichen der Rettung‘ (Weish 16,6),91 in Joh 4,5 die Bedeutung von Jakob und Josef und die Tradition vom Erwerb eines Grundstücks durch Jakob (Gen 33,18f) und der Übergabe desselben an Josef (Gen 48,22; vgl. Jes 24,32), in Joh 6,31 die Mannaerzählung (Ex 16), und in Joh 8,56 diverse Abrahamtraditionen, die nicht nur sein ungläubiges Lachen (Gen 17,17; vgl. 18,12–15), sondern dessen frühjüdische Umdeutung in Freude (Jub 15,17; Targum Onkelos zu Gen 17,17; Philo, Mut 154) implizieren. Es sind zunächst Sachverhalte der Schrift, deren Kenntnis für eine verstehende Lektüre erforderlich ist, aber darüber hinaus auch weitergehende Auslegungstraditionen, die in der jüdischen Literatur an unterschiedlichen Stellen zu fassen sind. Das Johannesevangelium ist insofern selbst Teil der frühjüdischen Auslegungsgeschichte der Schrift, wobei hier einzelne Schriftstellen in ausgesprochen kühner Weise ausgedeutet werden, so z.B. Ps 82 in Joh 10,34f oder Jesajas Tempelvision (Jes 6 in Verbindung mit 52,13) in Joh 12,38–41 oder die Regularien für das Passalamm in Joh 19,36.92 Viele Formulierungen spielen dabei nur auf bestimmte Schriftstellen an, ohne dass der Bezug näher expliziert würde – was dafür spricht, dass der Autor bei seinen intendierten Lesern eine sehr weitgehende Kenntnis der Schrift voraussetzen konnte. 4.2.2 Über die Kenntnis der Schriften hinaus greift das Johannesevangelium auch auf die Kenntnis jüdischer Sitten und Riten zurück, so z.B. in Joh 2,6 auf die Bedeutung von Steingefäßen für die Reinigung (wobei die Formulierung „Reinigung der Juden“ dann die Distanz deutlich macht), in Joh 2,13.23; 11,55; 12,1.20 auf die Bedeutung des Passafests und den Brauch der Festwallfahrt (Joh 2,13; 11,55; 12,1.20). In Joh 7–8 ist im Blick auf das Sukkot-Fest nicht nur auf den Brauch der Festwallfahrt angespielt, sondern auch auf eine Reihe von Inhalten bzw. liturgischen Elementen der Feier, so etwa den Ritus der Wasserspende (vgl mSuk 4,9; tSuk 3,3), von dem aus die Einfügung des Jesuswortes Joh 7,37–39 erst verständlich wird, oder auch die Festbeleuchtung am Tempel (mSuk 5,2f), die die Einfügung des Lichtworts Joh 8,12 motiviert. Gewiss ist der johanne91

Zum Schrift-Hintergrund dieser Episode s. ausführlich JÖRG FREY, „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat ...“. Zur frühjüdischen Deutung der ‚ehernen Schlange‘ und ihrer christologischen Rezeption in Johannes 3,14f., in: M. Hengel / H. Löhr (Hg.), Schriftauslegung im antiken Judentum und im Urchristentum, WUNT 73, Tübingen 1994, 153–205. 92 Interessanterweise begegnen diese kühnen Auslegungen zumeist dort, wo ein christologischer Bezug hergestellt werden soll.

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ische Text auch ohne diese rituellen Detailkenntnisse zu verstehen, aber für seine Konstruktion und damit für den Traditionshintergrund seines Autors sind diese Bezüge sicher wesentlich. Nur ganz knapp wird schließlich in Joh 10,22 an das Chanukkafest (Ã  ‘) angespielt. Dieses Fest ist in der hebräischen Bibel nicht erwähnt und begegnet erstmals in 1 Makk 4,59. Der johanneische Autor setzt auch dieses Fest als Teil des jüdischen Festkalenders offenbar als bekannt voraus.93 Weitere halachische Aspekte, die für eine verstehende Lektüre des johanneischen Textes notwendig sind, sind ein Wissen um die nach der Halacha am Sabbat verbotenen Tätigkeiten (Joh 5,10) oder um die vor dem Fest im heidnischen Haus zu vermeidende Verunreinigung (Joh 18,28) sowie um die Sitte der Abnahme der Gekreuzigten vor dem Sabbat (Joh 19,31). 4.2.3 Hinzu kommen weitere, in der biblischen Tradition angelegte, im jüdischen Diskurs wesentliche Aspekte: z.B. die Bedeutung des ‚Sitzens unter dem Feigenbaum‘ (Joh 1,48.50), der ‚Zeichen‘ für die Legitimation eines Gesandten (Joh 2,11.23; 3,2 etc.), die samaritanisch-jüdische Diskussion um den heiligen Ort bzw. den Berg der wahren Verehrung Gottes (Joh 4,20), der Diskurs über die Beschneidung am Sabbat (Joh 7,22f), jüdische Diskussionen um die Art und Weise, in der der Messias erscheinen und die Taten, die er tun solle (Joh 7,27.31.42.52); die juristische Forderung zweier Zeugen für ein veritables Urteil (Joh 8,13–18), die prophetische Gabe des amtierenden Hohenpriesters (Joh 11,51), die Himmelsstimme (Bat-Qol: Joh 12,28f) etc. 4.2.4 Wesentlich ist, dass auch die johanneische Christologie weitestgehend auf jüdischen Größen aufbaut und die Bedeutung Jesu im steten Gegenüber zu ihnen herausarbeitet: zum Schöpfungswort Gottes (Joh 1,1.14), zur Tora als Licht (Joh 8,12) und zum Tempel als Ort der Gegenwart Gottes (Joh 2,21). Jesus steht im Gegenüber zu Mose als dem Gesetzgeber (Joh 1,17), er ist größer als Jakob, ‚unser Vater‘ (Joh 4,12), und er existierte schon vor Abraham (Joh 8,58); Mose hat über ihn geschrieben (Joh 5,46), Jesaja seine Herrlichkeit geschaut (Joh 12,41) und Abraham seinen Tag (Joh 8,56). Seine Bedeutung wird expliziert mit vielfältigsten Größen der jüdischen Tradition: Er ist das wahre Passalamm (Joh 1,29.36; 19,36), der Ort, wo Gottes Haus (Bet-El) ist und der Himmel offen steht (Joh 1,51; vgl. Gen 28,19), erhöht in Entsprechung zum Heilszeichen der ehernen Schlange (Joh 3,14; vgl. Num 21,4–9), er ist das Brot vom Himmel (Joh 6,32.35) in Überbietung des Manna, die Quelle des Lebenswassers und der 93

Die erzählerische Erläuterung („es war Winter“) dürfte wohl für einige Leser eine zusätzliche Information bieten, sie bietet aber zugleich den symbolischen Oberton, dass das Klima der Auseinandersetzung zwischen Jesus und ‚den Juden‘ ‚kalt‘ geworden ist (s. dazu MICHAEL THEOBALD, Das Evangelium nach Johannes I, RNT 4/1, Regensburg 2009, 690).

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Ausgangspunkt des Tempelstroms (Joh 7,37–39; vgl. Ez 47). Schließlich tritt er im |Ì  in Relation zu Gottes eigener Selbstvorstellung in der Schrift, und die damit verbundenen Prädikate Brot, Licht, Hirte, Weg und Weinstock haben alle einen breiten biblischen Horizont.94 Nicht zuletzt ist die Designation Jesu als ‚König Israels‘ (Joh 1,49) bzw. ‚König der Juden‘ (Joh 19,19–22) eine klare Zuordnung zur jüdischen Tradition – die in einer universalen Ausweitung und dreisprachigen Proklamation gleichzeitig überstiegen wird. 4.3 Nähe und Distanz Dabei fällt in weiten Teilen des Johannesevangeliums eine tiefgreifende Ambivalenz auf. So wird Jesus in Joh 4,9 ausdrücklich als ‚Jude‘ charakterisiert, und gegenüber der samaritanischen Frau ergreift er auch in religiösen Fragen ohne Einschränkung die jüdische (bzw. lokal: judäische) Position: „Wir wissen, was wir anbeten, denn das Heil (– *@‘) kommt von den Juden“ (Joh 4,22). Die wahre Gottesoffenbarung ist somit eindeutig mit der jüdischen Tradition verbunden (während den Samaritanern religiöse Unwissenheit unterstellt wird), und nicht nur die *@‘, sondern auch der *• (\ ›€) selbst (Joh 4,42) kommt aus dem jüdischen Volk – wenngleich umgekehrt die Prädikation  *— \ ›€ im Abschluss der Passage deutlich macht, dass diese von den Juden kommende *@‘ auf den (ganzen) Kosmos hin ausgerichtet ist und insofern nicht exklusiv bei den Juden bleibt, sondern ‚in die Diaspora der Griechen‘ geht (Joh 7,35) und sich universal ausbreitet, so dass „alle“ zu dem Erhöhten gezogen werden sollen (Joh 12,32).95 Diese Bewegung spiegelt sich im Johannesevangelium in einer Reihe von Aussagen, die die Adressaten ebenso wie Jesus selbst von ‚den Juden‘ distanzieren: So spricht der johanneische Erzähler beschreibend, aber aus der Distanz, von der Reinigung ‚der Juden‘ (Joh 2,6), und Jesus spricht zu seinen jüdischen Gesprächspartnern über ‚euer Gesetz‘ (Joh 8,17; 10,34; vgl. 7,19) bzw. von ihnen über ‚ihr Gesetz‘ (Joh 15,25), so dass er ‚den Juden‘ am Ende so distanziert gegenüber steht wie Pontius Pilatus, der dieselbe Formulierung „euer Gesetz“ gebraucht (Joh 18,31).

94

S. dazu grundlegend H. THYEN, Art. Ich-bin-Worte, RAC 17, Stuttgart 1995, 147–

213. 95 Zum Heilsuniversalismus des Johannesevangeliums, dem letztlich auch die dualistischen Aussagen funktional zugeordnet sind – nicht umgekehrt! –, s. ENNO EDZARD POPKES, Die Theologie der Liebe Gottes in den johanneischen Schriften, WUNT II/197, Tübingen 2005; weiter JÖRG FREY, Zu Hintergrund und Funktion des johanneischen Dualismus, in: D. Sänger / U. Mell (Hg.), Paulus und Johannes. Exegetische Studien zur paulinischen und johanneischen Theologie und Literatur, WUNT 198, Tübingen 2006, 3–73.

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Das tiefliegende jüdische Substrat des Johannesevangeliums ist kaum zu bestreiten. Allerdings ist in den polemischen Abschnitten, in denen sich (im Modus der Erzählung) der irdische Jesus mit seinen jüdischen Zeitgenossen auseinandersetzt, deutlich zu erkennen, dass hier Probleme einer späteren Zeit in die Diskussion eingedrungen sind und die erregte Auseinandersetzung der ‚Jünger Jesu‘ mit den ‚Jüngern des Mose‘ (Joh 9,28) die Erzählung vom irdischen Weg Jesu überlagert. Die Hinweise auf den Ausschluss der Jesusanhänger aus der Synagoge (%€ Š*: Joh 9,22; 12,42; 16,2f) deuten darauf hin, dass eine solche Trennung der Wege schon erfolgt ist. Die konkreten Fragen von Beschneidung und Toraobservanz, die zu den Kernpunkten diasporajüdischer Identität gehören und die noch zur Zeit der paulinischen Mission intensive Konflikte hervorgerufen haben, sind im Johannesevangelium und damit auch für die johanneischen Adressaten praktisch kein Thema mehr.96

5 Spuren diasporajüdischer Prägung in den Briefen und im Evangelium Der Weg des Evangeliums und der johanneischen ‚christlichen‘ Identität scheint bereits die Schranken diasporajüdischer Identität überschritten zu haben – gleichwohl gibt es immer noch Hinweise auf ein substantiell diasporajüdisches Ethos dieser Gemeinden, von dem zumindest noch ‚Restbestände‘ erkennbar sind. 5.1 Negative Befunde Vor deren Beschreibung ist jedoch ein mehrfacher negativer Befund zu benennen: 5.1.1 Wir finden weder im Evangelium noch in den Briefen einen Hinweis darauf, dass die Bezeichnung Ê€^‹ als positive Bezeichnung für die Identität der johanneischen Adressaten bedeutsam wäre. Jesus ist ein Ê€^‹, und seine Jünger, Gesprächspartner (bis auf Pontius Pilatus) und v.a. Gegner sind es auch – das ist dem ‚Stoff‘ der johanneischen Erzählung geschuldet. Aber anders als in der Johannesapokalypse, deren Autor den ‚Juden‘ gerade diesen ‚Ehrennamen‘ bestreitet (Apk 2,9; 3,9), erscheint Ê€^‹ im Johannesevangelium und den Briefen nicht als eine Kategorie, die der johanneische Kreis für sich beanspruchte. Als positives Attribut begegnet im Munde Jesu nur Ê@‘@: In Joh 1,47 wird mit Nathanael 96 Zwar findet sich bei Johannes noch eine auffällige Kenntnis jüdischer Reinheitsbräuche (Joh 2,6; 13,8f; 18,28), aber die Reinigung wird nicht mehr rituell verstanden, vielmehr ist sie durch das Wort Jesu (Joh 15,3) oder die Taufe (13,10f) bereits geschehen.

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ein ‚idealer‘ Jesusnachfolger aus Israel vorgestellt, aber der Terminus dient nicht als identitätsstiftende Bezeichnung für die johanneischen Leser. Diese sind in ihrer Gesamtheit weder ‚Juden‘ noch ‚Israeliten‘ oder ‚Israel‘, und dementsprechend ist auch das Motiv der Restauration des Zwölfstämmevolkes, das als ekklesiologisches Leitmotiv in der Apokalypse intensiv aufgenommen ist,97 im Johannesevangelium kaum präsent: Die Zwölf werden nur viermal erwähnt (Joh 6,67.70.71; 20,24), der Zwölferkreis ist praktisch bedeutungslos, und andere ekklesiologische Bilder treten stattdessen hervor: so das Bild der Zusammenführung von Schafen aus dem ‚Hof‘ und aus einem Bereich außerhalb desselben (Joh 10,18) zur einen Herde unter einem Hirten oder das Bild der Zusammenführung des Volkes (hier: £ ) und der ‚zerstreuten Gotteskinder‘ (Joh 11,51f) zu einer (neuen) Einheit. Das Selbstverständnis der johanneischen Adressaten ist vom ekklesiologischen Motiv der Gotteskinder (Joh 1,12; 1Joh 3,1f u.ö.) bestimmt, die in einer wunderbaren neuen Geburt (Joh 3,3–8) aus dem Geist (Joh 3,8), aus Gott (Joh 1,13) oder ‚von oben‘ (Joh 3,3) geboren sind und deren Identität insofern gerade nicht – wie nach der jüdischen Tradition – von der leiblichen Abstammung her bestimmt ist, sondern aus einer christologisch bzw. soteriologisch begründeten ‚Familienrelation‘.98 Die Abrahamskindschaft macht nicht frei, und die Berufung auf sie (Joh 8,33) kann die Zugehörigkeit zur ‚familia Dei‘ nicht erweisen, vielmehr wird diese nach johanneischer Überzeugung exklusiv durch die Beziehung auf den ‚Sohn‘ (Joh 8,36) konstituiert, der – in der nachösterlichen Zeit – die an ihn Glaubenden Gottes Kinder werden lässt (Joh 1,12; vgl. 20,17).99 5.1.2 Auch das fundamentale jüdische Identitätsmerkmal100 der Beschneidung wird im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen nicht ein einziges Mal erwähnt, weder im konkreten noch im übertragenen Sinn als ‚Herzensbeschneidung‘ (Röm 2,29; vgl. Phil 3,3). Daraus lässt sich nur folgern, dass dieser im Diasporajudentum selbstverständlich praktizierte101 97

Apk 7,5–8; 21,12.14.21; vgl. noch Mt 19,28; Jak 1,1. Zur Familienmetaphorik im Hintergrund der johanneischen Sprache s. ausführlich JAN G. VAN DER WATT, Family of the King. Dynamics of Metaphor in the Fourth Gospel, BIS 47, Leiden 2000. 99 S. zur Gotteskindschaft der Glaubenden die Göttinger Habilitationsschrift von FRANCES BACK, Gott als Vater der Jünger nach dem Johannesevangelium, Habil.-Schrift Göttingen 2008 (noch unveröffentlicht). 100 ANDREAS BLASCHKE, Beschneidung. Zeugnisse der Bibel und verwandter Texte, TANZ 28, Tübingen/Basel 1998, 360, spricht von einer „exklusiven nota Iudaica“ im römischen Reich. 101 Auch Philo besteht auf ihrer Durchführung bei Juden (Migr 89–94) und Proselyten (QuaestEx 2,2). Nachlässigkeit gegenüber der Beschneidung gibt es nur in der Makkabäerzeit und dann bei radikalen Allegoristen in Alexandrien, gegen die Philo in Migr 89–94 argumentiert (BLASCHKE, Beschneidung [s. Anm. 100], 210–214). 98

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Akt in den johanneischen Gemeindekreisen nicht (mehr) von Bedeutung war.102 Es ist nicht zu erkennen, dass für die johanneischen Christen jüdischer Abstammung die Beschneidung von Konvertiten heidnischer Herkunft in irgendeiner Weise interessant gewesen wäre (wie sie nach Apg 15,1f von ‚radikalen‘ Judenchristen gefordert wurde). 5.1.3 Auch die nach breitem jüdischem Konsens aus der Beschneidung (von jüdisch Geborenen wie von Proselyten) folgende Verpflichtung auf die Einhaltung der Tora103 und konkret die Praxis einer spezifischen Reinheits- und Speisehalacha findet im Johannesevangelium und (mit einer Ausnahme104) in den Briefen keine Erwähnung. Die Tora ( ›) bzw. die Schrift ist im Johannesevangelium vor allem Gegenstand christologischer Interpretation: Mose hat von Christus geschrieben (Joh 1,45; 5,46), insofern wäre seinen Worten zu ‚glauben‘, ebenso Jesu Worten (Joh 5,46). Auch wenn von der Gabe des › durch Mose die Rede ist (Joh 1,17; 7,19), so ist der › bei Johannes kaum ein Dokument von verpflichtenden Forderungen.105 Die „Werke Gottes“, die zu tun sind, sind vielmehr als Glaube an den von ihm Gesandten expliziert. Von einer konkret geforderten Befolgung von Anweisungen der Tora ist nicht die Rede; hingegen ist immer wieder von einer Bewahrung und Befolgung der Gebote Jesu die Rede (Joh 14,15.21; 15,10), die ihrerseits in dem einen Liebesgebot zusammengefasst sind (Joh 13,34f; 15,10.12; 1Joh 2,3–5; 2Joh 5f). Freilich gehen Gebot Jesu und Gebot Gottes in einigen Formulierungen (v.a. in den Briefen) ineinander über. Wenn 1Joh 3,22 explizit davon redet, dass die johanneischen Glaubenden „Gottes Gebote halten und tun, was ihm ge102 Wollte man annehmen, die johanneischen Gemeinden hätten die Beschneidung (wie weitere Teile des Judenchristentums) ganz selbstverständlich praktiziert, dann wäre zumindest dort, wo Heidenchristen ins Blickfeld kommen, eine Diskussion der Probleme zu erwarten. Anzunehmen ist daher eher, dass sie entweder nur noch von einem Teil der angeschlossenen Gemeindeglieder praktiziert oder vielleicht auch von diesen schon fallen gelassen wurde. Vgl. zu diesem vermutlich früh aufgekommenen Phänomen des Verzichts auf die Beschneidung FRIEDRICH WILHELM HORN, Der Verzicht auf die Beschneidung im frühen Christentum, NTS 42 (1996), 479–505. 103 Vgl. zur engen Verbindung von Tora und Beschneidung Josephus, Ant XIII 257f.318f; XX 139. In dieser Überzeugung weist auch Paulus darauf hin, dass die Beschneidung nicht nur eine ‚Ergänzung‘ sein kann, sondern Juden wie Proselyten prinzipiell auf die Einhaltung der ganzen Tora verpflichtet (Gal 5,3). Dies hatten die ‚judaistischen‘ Gegenmissionare in Galatien wohl im Blick, wenn sie, um die Probleme der ‚gemischten‘ Gemeinden zu lösen, heidenchristliche Konvertiten durch Beschneidung zu Proselyten machen und auf die Tora verpflichten wollten; hingegen führt Paulus im Galaterbrief die Konsequenzen dieses Schrittes radikal vor Augen. 104 3Joh 7. Dazu s.u. Abschnitt 5.2. 105 ‚Erfüllt‘ werden die Worte des Gesetzes in dem durch sie erhellten Christusgeschehen (Joh 15,25). Joh 7,23 ist (in Worten Jesu) auf die jüdische Praxis seiner Gegner bezogen.

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fällt“, wird der Gedankengang im folgenden Vers sofort wieder auf den Glauben an den Namen seines Sohnes hin gewendet, so dass sich am Ende wieder keine konkrete, gar aus der Tora inspirierte Ethik, sondern der Glaube als das von Gott geforderte und ihm gefällige Tun (vgl. Joh 6,28) ergibt. Auch die Wendungen „Wandeln in der Wahrheit“ (2Joh 4) oder „die Wahrheit tun“ (Joh 3,21) führen in der Konkretion nicht weiter und lassen sich höchstens als Relikte, aber nicht mehr als aktuelle Belege eines an der Tora orientierten Ethos verstehen. 5.1.4 Insofern ist auch die Reinheitshalacha nur in einer gebrochenen Form präsent. Das vierte Evangelium zeigt eine erstaunliche Kenntnis jüdischer Bräuche zur Reinigung (Joh 2,6; 13,8f; 18,28f),106 doch weist nichts darauf hin, dass diese ‚Reinigung der Juden‘ in der johanneischen Gemeinde eine Rolle spielte. Vielmehr ist nach johanneischer Überzeugung die Reinigung „durch das Wort“ Jesu (Joh 15,3) bzw. durch die Taufe (Joh 13,10f) erfolgt. 5.1.5 Das Gleiche scheint für die Speisehalacha zu gelten. Nirgendwo im Johannesevangelium werden ‚kashrut‘ der Speisen thematisiert oder problematisiert – freilich spielt dessen ganze ‚story‘ im palästinisch-jüdischen Kontext, in dem mit Problemen wesentlich weniger zu rechnen ist als in der Diaspora. Aber auch die Johannesbriefe lassen – mit Ausnahme einer Stelle – nicht erkennen, dass die johanneischen Gemeindekreise eine spezifische Praxis der Reinheit der Speisen befolgt hätten oder dass es im gemeinsamen Leben von Juden- und Heidenchristen zu irgendwelchen diesbezüglichen Konflikten gekommen wäre. 5.2 Relikte jüdischer Speisehalacha und die Distanzierung vom paganen Kult Die eine, bereits erwähnte Ausnahme findet sich im dritten Johannesbrief: Obwohl dieses kleine, theologisch eher marginale Schreiben mit den dort erwähnten Namen von Gemeindegliedern (Gaius, Diotrephes und Demetrius) deutlich auf einen heidenchristlichen Hintergrund der adressierten Gemeinde hindeutet,107 begegnet hier – einzig im Corpus Johanneum – der Terminus | ‘ (3Joh 7), d.h. die Bezeichnung der ‚Heiden‘ aus einer

106 S. dazu JOHN CHRISTOPHER THOMAS, The Fourth Gospel and Rabbinic Judaism, ZNW 82 (1991), 159–182; ROLAND DEINES, Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit, WUNT II/52, Tübingen 1993. 107 Den römischen Namen Gaius hätte ein Jude ggf. noch von Gaius Iulius Caesar, dem Wohltäter der Juden, übernehmen können, für die heidnisch-theophoren Namen Diotrephes und Demetrius wäre das kaum denkbar. S. dazu s. RAYMOND E. BROWN, The Epistles of John, AncB 30, New York u.a. 1982, 24.727; HENGEL, Frage (s. Anm. 14), 125f.

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jüdischen (und dann christlich übernommenen) Perpektive.108 Die wandernden (Gemeinde-)Boten, die der autoritativ schreibende %!¶ ausgesandt hat und die offenbar den Kontakt mit den Gemeinden in seinem Einflussbereich halten, „nehmen von den Heiden nichts an“ (@^' !¡   %   |   , 3Joh 7), so dass es notwendig ist, dass „wir“ (d.h. der ‚Alte‘ und v.a. die ihm verbundenen Adressaten) diese aufnehmen ($%!¡  ), um so „Mitarbeiter der Wahrheit“ zu werden (3Joh 8). Es geht also um die Gastfreundschaft, die Beherbergung reisender ‚Brüder‘ und ihre Versorgung mit Nahrung und weiteren Dingen des täglichen Lebens. Der Grund dafür, dass die wandernden Boten von Heiden keine Unterkunft und keine Verpflegung annahmen, kann nur sein, dass sie in einem heidnischen Haus Verunreinigung fürchteten und Speisen nicht essen konnten, weil sie nicht der von ihnen befolgten Speisehalacha entsprachen oder gar im Verdacht standen, mit Götzendienst in Verbindung gekommen zu sein.109 Die Verweigerung der Annahme von Speisen aus der Hand von Heiden ist eine ganz jüdische Praxis, die offenbar beibehalten wurde, nachdem die Betreffenden Jesus (hier: 

) nachzufolgen begonnen hatten. Die Details dieser Reinheitspraxis bleiben unklar,110 aber offenbar waren jene johanneischen Christen, bei denen die Wanderboten einkehrten, gleichfalls unverdächtig hinsichtlich der Kontamination mit paganem Kult. Das dürfte zumindest auf die Meidung von ‚Götzenopferfleisch‘ schließen lassen, wie sie ja auch in der Apokalypse gefordert wird. In jedem Fall aber ist die Vermeidung des Kontaktes mit allen Formen paganen Kultes ein Element des Ethos der jüdischen Diaspora, das offenbar auch in den johanneischen Gemeinden oder zumindest den wandernden Boten übernommen worden war. Auch das Reisen im Angewiesensein auf die Gastfreundschaft von Glaubensgeschwistern und die Gewährung solcher Gastfreundschaft gehört zum Ethos der jüdischen Diaspora. Eine weitere Stelle in den Johannesbriefen bestätigt dies: Es ist der rätselhafte Schluss des 1. Johannesbriefs (5,21) „Kindlein, hütet euch vor den Götzen!“ ( ‘ `€¡ À~ %   ^Ì* ). Diese Aussage ist die einzige ausdrückliche Warnung vor dem heidnischen Bereich in 108 Der Terminus findet sich im NT nur noch dreimal im Matthäusevangelium, ebenfalls in stark abwertendem Sinn (Mt 5,47; 6,7; 18,17). 109 Vgl. auch Apk 2,14.20. S. zur Sache HENGEL, Frage (s. Anm. 14), 128 Anm. 108. S. bereits Dan 1,8; auch Josephus, Vita 14, und die 18 Halakhot beim Ausbruch des jüdischen Krieges, die es verbieten, von den Heiden Speisen bzw. überhaupt ‚Gaben‘ anzunehmen. S. dazu MARTIN HENGEL, Die Zeloten, AGSU 1, Leiden 21976, 204. 110 Die Aussage des Joh dass die Glaubenden „durch das Wort“ Jesu bzw. durch die Taufe ‚rein‘ sind (Joh 13,8f; 15,3), deuten eher darauf hin, dass die Gemeinde keine jüdische Reinheitshalacha mehr befolgte; ebenso auch die Rede von der ‚Reinigung der Juden‘ in Joh 2,6.

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Evangelium und Briefen überhaupt. Eine derart singuläre Warnung wäre als Briefschluss auffällig, und die Ausleger haben vielfältige Möglichkeiten gesucht, den Terminus º^* umzudeuten und auf Sünde,111 Unglaube,112 häretische Vorstellungen113 oder die Irrlehrer selbst114 zu beziehen, doch führt nichts daran vorbei, dass º^* tatsächlich wie sonst in der LXX und im NT pagane Gottheiten115 bzw. ihre sichtbaren Ausdrucksformen bezeichnet. Der Artikel legt zudem nahe, dass die Leser sehr wohl wissen sollten, vor welchen º^* sie gewarnt wurden. Die im Gegensatz zu dem „wahren Gott“ Jesus Christus (1Joh 5,20) stehenden „Götzen“ bezeichnen einen für die Gemeinde bedrohlichen und daher zu meidenden Bereich, der keiner näheren Beschreibung bedurfte. Für uns bleibt daher unklar, ob konkret die Berührung mit paganen Speisen oder generell die Gefahr der Befleckung vom Götzendienst in der paganen Umwelt gemeint ist. Geht es um die Gefahr, zu Opferhandlungen in der Verfolgung durch römische Behörden verpflichtet zu werden,116 oder einfach um das weltkonforme Verhalten der zur Gemeinde in Distanz gegangenen ehemaligen So RUDOLF SCHNACKENBURG, Die Johannesbriefe, HThK XIII/3, Freiburg 71984, 292; WOLFGANG NAUCK, Die Tradition und der Charakter des ersten Johannesbriefes, WUNT 3, Tübingen 1957, 137, mit einem wenig überzeugenden Verweis darauf, dass in einigen Qumrantexten der Terminus ø®­Ð­° (Götzen) metaphorisch mit Sünde parallelisiert sei. In 1QS II 11 ist jedoch der metaphorische Gebrauch „Götzen seines Herzens“ klar expliziert; s. auch CD XX 8–11. 112 FRANCOIS VOUGA, Die Johannesbriefe, HNT XV/3, Tübingen 1990, 77: „im übertragenen Sinne als Topos des Unglaubens“. 113 STEPHEN S. S MALLEY, 1, 2, 3 John, WBC 51; Waco 1984, 310; ebenso TREBILCO, Christians (s. Anm. 30), 388, und JOHANNES BEUTLER, Die Johannesbriefe, RNT, Regensburg 2000, 135, der meint, die Gegner selbst seien die Götzen, die „göttliche Verehrung für sich fordern“. Das geht jedoch weit über 1Joh 2,18–22 und 4,1–6 hinaus. 114 RUDOLF BULTMANN, Die drei Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 1964, 93, meinte, der Autor verdamme die Häretiker „schlicht als Heidentum“. Freilich bezeichnet º^* nicht einfach „Heidentum“. Vgl. auch HORST BALZ, Die Johannesbriefe, in: WOLFGANG SCHRAGE / HORST BALZ, Die ‚Katholischen’ Briefe. Die Briefe des Jakobus, Petrus, Johannes und Judas, NTD 10, Göttingen 1973, 150–216 (204), und WERNER VOGLER, Die Briefe des Johannes, ThHK 17, Leipzig 1993, 179; s. auch GEORG STRECKER, Die Johannesbriefe, KEK XIV, Göttingen 1989, 312, der den Plural º^* als „der falsche Gott“ deuten will. 115 In der LXX wie im NT bezeichnet der Terminus gewöhnlich pagane Gottheiten. Vgl. FREY, Heiden (s. Anm. 84), 233 Anm. 28. 116 So KLAUS WENGST, Der erste, zweite und dritte Brief des Johannes, ÖTK 16, Gütersloh/Würzburg 1978, 225f; GERD SCHUNACK, Die Briefe des Johannes, ZBK.NT 17, Zürich 1982, 106; JENS W. TAEGER, Johannesapokalypse und johanneischer Kreis, BZNW 51, Berlin/New York 1989, 196ff, die den Briefschluss von der Situation des Hauptteils literarkritisch abrücken wollen, sowie EKKEHARD W. STEGEMANN, Kindlein, hütet euch vor Gottesbildern, ThZ 41 (1985), der die Situation des status confessionis (vor römischen Autoritäten) für den ganzen Brief voraussetzen will und die übliche antihäretische Deutung bestreitet. 111

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Mitglieder,117 die vielleicht aufgrund ihrer gesellschaftlichen Verbindungen auch gegenüber paganen Speisen nicht mehr so zurückhaltend waren wie die wandernden Boten nach 3Joh 7? 118 Die jüdische und judenchristliche Abstinenz von den ©€ (1Kor 10,28) erschien ja in einem heidnischen Umfeld als Mangel an Vernunft und Verachtung der Natur und war beliebter Gegenstand des Spottes,119 und christliche Gnostiker lehrten später die Bedenkenlosigkeit des Opferfleisch-Genusses.120 Wie auch immer man die º^* hier deutet, zeigt die Passage, dass die Abgrenzung von der paganen Religiosität die johanneischen Gemeinden mit dem sie umgebenden Diasporajudentum verband und dass dieses jüdische Ethos vom Autor des 1. Johannesbriefes mit Entschiedenheit festgehalten wird. Offenbar haben die johanneischen Gemeinden dieses Ethos aus der Synagoge übernommen und mit gleicher Entschiedenheit weitergeführt, auch als die Einheit mit der Synagoge zerbrochen war. 5.3 Das Ethos der gemeindlichen Solidarität Ein weiterer Aspekt des diasporajüdischen Ethos findet sich in den Johannesbriefen und in nuce auch im Evangelium, wie schon das Beispiel aus 3Joh 7 zeigte: Es handelt sich um die gemeindliche Solidarität, die Gastfreundschaft und gegenseitige Unterstützung mit den lebensnotwendigen Dingen einschließt und im ersten Johannesbrief mit Begriffen wie  * ‘ (1Joh 1,3.6f) oder auch ¡%@ (1Joh 2,7–11) zur Sprache gebracht wird. Wenn 1Joh 2,16 die wahre „Liebe“121 der „Liebe zur Welt“ entgegengesetzt wird, dann ist deutlich, dass sich hinter diesen ‚theologischen‘ Begriffen eine soziale Wirklichkeit verbirgt. Wenn die Liebe zur Welt in Vgl. HANS-JOSEF KLAUCK, Die Johannesbriefe, EdF 276, Darmstadt 21995, 130, und besonders 1Joh 2,15–17, wo bei der œ  \ !€ (2,16) an „die Prahlerei mit dem Wohlstand“ (DERS., Der erste Johannesbrief, EKK XXIII/1, Zürich u.a. 1991, 141), „das Renommieren“ (BULTMANN, Johannesbriefe [s. Anm. 14], 39) gedacht sein mag. Vgl. zu diesem Terminus Polyb VI,57,6 und Weish 5,8; als Beispiele Theophrast, char 23,1–9; Petronius 27–78. 118 Vgl. PseudPhok 31: ^** %ˆ‡ (christl. Zusatz, s. N IKOLAUS W ALTER, Pseudo-Phokylides, JSHRZ IV, Gütersloh 1979, 200); Apg 15,20.29; 21,25; Did 6,3ff; Just Dial 34,8; PsClem Recg 4,36; Hom 7,4.8; 8,19.23; Tertullian Apol 9; Eus Hist Eccl 5,1,26; Minucius Felix, Octavius 30; Luc Pergr Mort 16. Zur Sache s. GERD THEISSEN, Die Starken und Schwachen in Korinth, in: DERS., Studien zur Soziologie des Urchristentums, WUNT 19, Tübingen 21983, 279ff; HANS-JOSEF KLAUCK, Herrenmahl und hellenistischer Kult, NTA N.F. 15, Münster 21986, 241–249. 119 4 Makk 5,2.7–11; weiter Plut Quaest Conv IV, 5,1–3 [Moralia 669E–671 B]; Tac Hist V,4,2; Juv 14,98f; Jos Ap 2,137. 120 Vgl. Just Dial 35,1.6; Iren Haer 1,6,3; 1,24,5; 1,26,3; 1,28,2; Eus Hist Eccl 4,7,7; Hipp Ref 7,36. 121 Vgl. KLAUCK, Der erste Johannesbrief (s. Anm. 117), 138. 117

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drei Begriffen expliziert wird, als „Lust des Fleisches“, „Lust der Augen“ und – drittens – „Prahlen mit den Lebensverhältnissen“ (– œ ‘ \ !‘€), dann zeigt insbesondere die letzte Formulierung, dass es im Streit mit den Gegnern um das, was der Autor Bruderliebe und ‚Bruderhass‘ nennt, durchaus auch um materielle Folgen ging. Wenn die ‚Sezessionisten‘, gegen die der Autor argumentiert, stolz ihren Besitz oder sozialen Status wahren, dann mag hier auch eine gewisse ‚Weltförmigkeit‘ des Lebensstils zu kritisieren sein, der ‚Hass gegen die Brüder‘ dürfte jedoch im Entzug der Solidarität liegen, der durch die Sezession erfolgte und vermutlich Folgen hatte. 1Joh 3,17, wo wieder vom !‘ gesprochen wird, führt dies aus: Wenn jemand „die Güter dieser Welt hat und seinen Bruder Not leiden sieht, aber sein Herz gegen ihn verschließt“, dann ist dies eben das Zeichen der fehlenden „Liebe Gottes“. Die Verweigerung der Solidarität in den Bedürfnissen des täglichen Lebens oder auch des gemeindlichen Lebens wird als eine Verletzung des ‚Familienethos‘ angesehen, das eben die Gemeinschaft der Kinder Gottes, die untereinander Geschwister sind, kennzeichnet. Diese Familienmetaphorik ist ja für die johanneischen Schriften grundlegend, und es ist anzunehmen, dass diese auch für das gelebte Ethos von hoher Bedeutung war. Solche ‚Geschwisterschaft‘ impliziert auch gegenseitige Hilfe und Unterstützung, und deren Verweigerung, z.B. wenn die Häuser nicht mehr zur Gemeindeversammlung zur Verfügung stehen, ist dann besonders bedeutsam, wenn notwendige Versorgung nicht mehr bereitgestellt wird und wenn die Gemeinde eben nicht von überall her ihre Güter bekommen kann, weil das Netzwerk der Synagoge abgeschnitten ist und anderswo die Berührung mit paganem Götzendienst zu fürchten ist. Wenn diese konkrete Interpretation zutrifft, dann wäre auch hier ein Element gegeben, das dem Ethos und den Lebensproblemen der Diasporasynagoge sehr entspricht. Das Ideal der familiären Verbundenheit und die damit verbundene gegenseitige Unterstützung ist – nicht nur, aber auch – ein Charakteristikum des Diasporajudentums.122 Es ist begründet durch die Situation einer begrenzten Gruppe inmitten einer Außenwelt mit abweichender religiöser Orientierung – und verstärkt durch die Juden und Christen gemeinsame Ablehnung der paganen Kulte. 5.4 Die Universalisierung und Metaphorisierung des Tempelmotivs Ich möchte zum Johannesevangelium zurückkommen und dort noch auf einen letzten Punkt hinweisen, der für die diasporajüdische Situation kennzeichnend ist: die Stellung zum Jerusalemer Tempel. Signifikant ist hier Joh 4,23, wo Jesus im Gespräch mit der Samaritanerin in der Diskussion um den Ort der wahren Gottesverehrung – den Berg Garizim oder den 122

Dasselbe gilt aber auch für andere religiöse Vereine oder ethnische Gemeinschaften.

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Tempel in Jerusalem – zunächst eine ganz ‚jüdische‘ Position einnimmt, dann aber den Streit der Kultorte in eschatologischer Hinsicht für überwunden erklärt: „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, in der die wahren Anbeter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit, denn auch der Vater will solche Anbeter haben. Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten.“ Diese erst als eschatologisch angekündigte Stunde, die aber durch  \ |‘ eigentümlich ‚präsentisiert‘ erscheint, wird dann mit dem Kommen des Messias verknüpft – worauf Jesus selbst sich der Frau offenbart: „Ich bin’s, der mit dir redet.“ Hier ist nicht nur bedeutsam, dass das Gespräch mit der Samaritanerin den jüdischen Rahmen sprengt und die Frau und ihr Dorf in gewissem Sinn schon als Prolepse für die später zu Jesus kommende Heidenwelt fungieren. Wichtig ist zugleich, dass gerade in diesem Rahmen der Tempel, der auf dem Weg des irdischen Jesus stets Ort der Auseinandersetzung mit seinen Gegnern ist, in eigentümlicher Weise relativiert erscheint: Entscheidend ist dabei nicht die Tatsache, dass dieser im Jahr 70 n. Chr. zerstört wurde. Auch davon weiß das Johannesevangelium natürlich und spielt in Joh 11,48 unverkennbar auf diese Ereignisse an. Aber die Zerstörung des Tempels hat für die johanneischen Gemeinden wie überhaupt für die Jesus-Gemeinden in der Diaspora offenbar keine unmittelbaren praktischen Folgen. Es gibt keine Hinweise, dass Glieder der johanneischen Gemeinden einst noch zum Tempel in Jerusalem gereist wären, und selbst die Tempelsteuer, die ja ein wichtiges Identitätsmerkmal des Diasporajudentums war und von manchen – vielleicht nicht mehr allen – Judenchristen aus der Diaspora auch entrichtet wurde, spielt nirgendwo im vierten Evangelium eine Rolle. Vielmehr dominiert dort die metaphorische Verwendung des Tempelmotives, die ja schon in den Briefen des Paulus – längst vor dem Jahr 70 im Kontext der Diaspora – entwickelt wurde: Der Tempel als Ort der Gegenwart Gottes wird primär auf Christus selbst bezogen: auf den ‚Tempel seines Leibes‘ (Joh 2,21), von dem aus der Tempelstrom, das Lebenswasser bzw. der Geist ausgeht (Joh 7,38f) und der somit der Ort der gnädigen Gegenwart Gottes in der Welt ist. D.h. aber – mit Joh 4 gesprochen – in der Gegenwart des Messias Jesus findet die Anbetung ‚im Geist und in der Wahrheit‘ statt, die die Frage nach dem wahren Kultort überholt sein lässt. Auch darin zeigt sich eine spezifisch diasporajüdische Linie.123

123 In Apg 7,48 begegnet in der Rede des ‚Hellenisten‘ Stephanus eine solche Zurückdrängung des ‚mit Händen gemachten‘ Heiligtums, was dort – stilgemäß bei Jerusalemer Juden – größtes Ärgernis erregt.

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6 Die politische Situation in der Diaspora nach dem Jahr 70 und die Separierung der johanneischen Gemeinden von der Diasporasynagoge Indirekt dürfte die Zerstörung des Jerusalemer Tempels freilich Bedeutung nicht nur für die Juden, sondern auch für die Christen in der Diaspora gehabt haben. Für die Juden wurde ja im Anschluss an den Jüdischen Krieg der fiscus Iudaicus als Strafsteuer an den Iuppiter Capitolinus an die Stelle der alten, nach Jerusalem abgeführten Tempelsteuer gesetzt.124 Dies war wohl die wichtigste Auswirkung des Jüdischen Krieges für die ansonsten wohl situierten und gut integrierten Synagogengemeinden in Kleinasien.125 Natürlich hatte die gesamte jüdische Diaspora die Geschehnisse in Palästina aufmerksam verfolgt, und der Fall des Symbols jüdischer Identität wurde weithin mit großer Betroffenheit wahrgenommen. Darüber hinaus gab es einen Zustrom von Migranten aus Palästina sowie später aus Zypern und der Cyrenaika, die die Gemeinden in Kleinasien noch verstärkten.126 Mancherorts dürften Juden nach dem Jahr 70 n. Chr. auch unter einen gewissen Loyalitätsdruck gegenüber lokalen und römischen Autoritäten geraten sein. Doch blieben die meisten Privilegien der kleinasiatischen Diaspora erhalten. Allein die Umwandlung der bisherigen Tempelsteuer in den fiscus Iudaicus und dessen Eintreibung brachte für sie wie für alle Juden im Reich eine fundamentale Neuerung.

Die Steuer bedeutete nicht nur eine Erniedrigung des ganzen jüdischen Volkes, ja – in der Sicht mancher – einen Zwang zum indirekten Götzendienst. Sie bewirkte auch eine einschneidende Veränderung seiner rechtlichen Situation und, mit der Veränderung im Steuersystem, eine Veränderung der Wahrnehmung von Juden (und Christen) durch die römischen Behörden.127 Während die Tempelsteuer von Männern zwischen 20 und 50 Jahren zu zahlen war, musste der fiscus nun von Männern und Frauen von 3 bis 62 Jahren entrichtet werden, und auch jüdische Freigelassene und 124

S. dazu ausführlicher FREY, Bild ‚der Juden‘ (s. Anm. 26); zuletzt umfassend MARIUS HEEMSTRA, The Fiscus Iudaicus and the Parting of the Ways, WUNT II/277, Tübingen 2010. 125 Vgl., HIRSCHBERG, Israel (s. Anm. 43), 55–58. Zu den rechtlichen Regelungen s. grundlegend SMALLWOOD, Jews (s. Anm. 40), 373. 126 Eine Inschrift aus Smyrna um 125 n. Chr. erwähnt © %' Ê€^‹ (CIJ 742.29), was sich wohl auf Einwanderer aus Judäa bezieht (s. A. THOMAS KRAABEL, The Roman Diaspora. Six Questionable Assumptions, JJS 33 [1982], 445–464 [455]), die dann aber die väterliche Religion aufgegeben und das Bürgerrecht erkauft hätten. 127 Als eigenständige Gruppe wurden die Christen nicht überall gleich schnell angesehen. In der neronischen Verfolgung war dies (in Rom) bereits der Fall; zur Zeit des Claudius hingegen noch nicht, denn das Claudiusedikt wertet den wohl durch Judenchristen ausgelösten Konflikt noch als innerjüdische Angelegenheit. Auch lange nach Nero konnten Christen noch oft als ‚jüdisch‘ eingestuft werden, s. dazu PETER LAMPE, Die stadtrömischen Christen in den beiden ersten Jahrhunderten, WUNT II/18, Tübingen 2 1989, 169.

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Proselyten waren steuerpflichtig. Eine spezielle Einzugsbehörde wurde eingerichtet, und die Eintreibung des fiscus machte es erforderlich, dass alle Juden, Männer, Frauen und Kinder, öffentlich durch ‚Personenstandslisten‘ als solche ausgewiesen waren. Dies machte Juden desto mehr ihrer Sonderstellung in der römischen Gesellschaft bewusst, aber veränderte wohl auch den Umgang mit der Frage der Zugehörigkeit oder NichtZugehörigkeit zur Synagoge, und es ist anzunehmen, dass diese politischen Rahmenbedingungen schließlich auch wesentlich zur Separierung von Synagogengemeinden und Jesusanhängern beitrugen. Nach Sueton128 wurde die Steuer unter Domitian besonders streng (acerbissime) eingetrieben, und zwar auch von Leuten, die einen jüdischen Lebensstil angenommen hatten (also evtl. Proselyten oder auch Gottesfürchtige), sowie von solchen, die ihren jüdischen Ursprung verleugneten (was ‚Steuerflüchtige‘ überhaupt bezeichnen kann, aber auch Apostaten und vielleicht auch Christen einschließen kann).129 Für ‚Gottesfürchtige‘, aber auch für Juden- und Heidenchristen bedeutete das Verfahren eine erhebliche Rechtsunsicherheit.130 Dass die Zuwendung zu ‚jüdischer Lebensweise‘ – oder zum Christentum131 – in der Spätzeit Domitians im Zeichen des forcierten Kaiserkults unter den Vorwurf der ˆ!  und damit des Majestätsverbrechens geriet,132 verschärfte die Probleme noch weiter. Insofern sich die römische Finanzverwaltung dabei auch auf Denunziationen stützte, wurde die Unsicherheit aller Betroffenen nur noch gesteigert – ein Zustand der dann erst durch Nerva beendet wurde.133 Die Maßnahmen mussten in jeder Hinsicht zu schwierigen Abgrenzungen führen, die mit dem bisherigen jüdischen Selbstverständnis und der Praxis der Synagogengemeinden nicht übereinstimmten. War die Zugehörigkeit zu einer Synagogengemeinde zuvor allein eine Angelegenheit zwi128 Sueton, Dom. 12,2: praeter ceteros Iudaicus fiscus acerbissime actus est; ad quem deferebantur, qui velut improfessi Iudaicam viverent vitam vel dissimulata origine imposita genti tributa non pependissent. 129 So ANDREAS J. KOESTENBERGER, The Destruction of the Second Temple and the Composition of the Fourth Gospel, in: J. Lierman (Hg.), Challenging Perspectives on the Gospel of John, WUNT II/219, Tübingen 2006, 69–91 (82). 130 Zu den Problemen, die Zuordnung aus römischer Sicht zu bestimmen, s. HIRSCHBERG, Israel (s. Anm. 43), 62–64 mit Anm. 171. Zur Rechtsunsicherheit in Fiskalprozessen unter Domitian, a.a.O. 65f. Sicher bestand in den einzelnen Provinzen ein großer Handlungsspielraum, doch ist anzunehmen, dass dieser letztlich zugunsten des fiscus genutzt wurde. 131 S. die Diskussion bei LAMPE, Christen (s. Anm. 128), 168–171. 132 S. die Nachricht über Titus Flavius Clemens und Domitilla bei Dio Cass 67,14,2. 133 Die Begnadigung der Angeklagten und die Beseitigung der Missstände unter Nerva wird bei Dio Cass 68,1,2 vermerkt. Vgl. dazu EKKEHARD W. STEGEMANN / WOLFGANG S TEGEMANN, Urchristliche Sozialgeschichte. Die Anfänge im Judentum und die Christusgemeinden in der mediterranen Welt, Stuttgart 21997, 282f.

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schen dieser Gemeinde und dem jeweiligen Mitglied, wurde sie nun Angelegenheit einer römischen Personenstandsbehörde und damit der heidnischen Macht. Damit eröffneten sich für einzelne Gruppen unterschiedliche Handlungsspielräume: Heidenchristen konnten darauf verweisen, dass sie nie zur Synagoge gehört und auch nie deren Tempelsteuer bezahlt hatten – freilich gerieten sie, wenn sie sich als solche identifizierten, in die Gefahr, zum Kaiseropfer verpflichtet zu werden. Der Verdacht gegen die Christen als Angehörige eines ‚neuen‘ Aberglaubens konnte auch die synagogalen Autoritäten bewegen, sich von diesen zu distanzieren, um ihre eigene Stellung in der städtischen Gesellschaft nicht zu gefährden und nicht selbst als illoyal gegenüber dem Imperium zu erscheinen. Solche Bestrebungen der Abgrenzung, bis hin zur Denunziation134 konnten Christen unter einen erhöhten Druck bringen und als ‚Verfolgung‘ oder Versuchung zum Abfall, zur Idolatrie, gedeutet werden.135 Denkbar wäre es, dass nicht nur die Warnung vor den „Götzen“ in 1Joh 5,21, sondern auch die Aussage über den Ausschluss aus der Synagoge mit der Folge der Tötung der Christen in Joh 16,2f auf eine solche Situation verweist, ebenso die sicher antijüdischen Aussagen in Apk 2,9 und 3,9, wo die Juden offenbar auch als gesellschaftlich besser angepasste Gruppe erscheinen – der Hauptgegner allerdings das Imperium ist. Wenn dies die Diasporasituation politisch und religiös charakterisiert, dann wird man zur Erklärung der Aussagen über den ‚Ausschluss‘ der Christen aus der Synagoge nicht mehr auf die Theorien über eine angeblich in Jabne von den Rabbinen beschlossene Verfluchung der Häretiker zurückgreifen müssen, wie dies in der Johannesexegese lange geschah.136 Die Umstände der Diaspora wären somit viel wirksamer als der – wohl erst langsam eindringende – Einfluss der Entwicklungen in Palästina.

7 Jesus in der Diaspora der Griechen? Es ist auffällig, dass Jesu Weg im Johannesevangelium vielleicht noch konsequenter als bei den Synoptikern im jüdischen Kontext verbleibt. Der Römer Pontius Pilatus ist im Grunde der einzige Heide, mit dem Jesus – 134

Cf. HIRSCHBERG, Israel (s. Anm. 43), 99. Dies zeigt die Pliniuskorrespondenz für die Provinz Bithynien am Anfang des 2. Jh.s. 136 So vor allem aufgrund der Ansätze von J. LOUIS MARTYN, History and Theology in the Fourth Gospel, Nashville 21979, sowie in Deutschland KLAUS WENGST, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Der historische Ort des Johannesevangeliums als Schlüssel zu seiner Interpretation, Neukirchen-Vluyn 1981 (überarbeitete 3. Auflage: Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Ein Versuch über das Johannesevangelium, München 1990). 135

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unfreiwillig – in Kontakt kommt. Der !  › in Joh 4,46 könnte als Bediensteter des Herodes Antipas – anders als der synoptische ‚Hauptmann‘ (Mt 8,5–13; Lk 7,1–10) – auch Jude ein. Die samaritanische Frau steht merkwürdig zwischen den Fronten: Einerseits steht sie narrativ im Kontrast zum jüdischen Ratsherrn Nikodemus (Joh 3), andererseits bekennt sie sich dann doch – in ‚judäischer‘ Terminologie – zur Erwartung des Messias (Joh 4,25). Die ‚Griechen‘ in Joh 12,20, deren Identität unklar bleibt – es könnte sich um Diasporajuden oder um gottesfürchtige Heiden handeln – kommen zwar und wollen Jesus sehen, aber zu dieser Begegnung kommt es nach der johanneischen Erzählung in diesem Kontext doch gerade nicht, jedenfalls wird nicht berichtet, dass die Bittsteller zu Jesus vorgelassen würden, und in der ihnen ‚antwortenden‘ Rede (die man nicht ganz korrekt häufig ‚Griechenrede‘ nennt), spricht Jesus allgemein von seinem Tod und dessen – nun universal ausgesagter – Wirkung: „Wenn ich erhöht bin von der Erde, werde ich alle zu mir ziehen“ (Joh 12,32). So sind die Griechen doch Vorboten der Heidenwelt, die allerdings erst nach Ostern zu Jesus gezogen werden und kommen kann.137 Eine Passage im Johannesevangelium erwähnt dennoch die ‚Diaspora‘, auch wenn die Aussage tief ironisch ist und von den ‚Juden‘ missverstanden wird. Auf das Wort Jesu „Ihr werdet mich suchen und nicht finden“ – räsonnieren seine jüdischen Zeitgenossen nicht nur unverständigerweise, ob sich Jesus etwa ‚selbst töten‘ werde (Joh 8,22), was die Aussagen von seiner Vollmacht, sein Leben hinzugeben und wieder zu nehmen, in ironischer Weise umschreibt. Sie fragen auch ebenso unverständig, ob er denn „in die Diaspora der Griechen gehen und die Griechen lehren“ werde (Joh 7,35). Was für die jüdischen Zeitgenossen Jesu undenkbar und auch für den Weg des irdischen Jesus noch nicht an der Zeit war, ist hingegen für die Perspektive der Leser des vierten Evangeliums bereits in Erfüllung gegangen. Jesus ist – als der Erhöhte, der alle zu sich ziehen will, mit seiner Botschaft in die Gegenden der jüdischen Diaspora unter den Griechen gegangen, er hat die Griechen gelehrt, die nun gleichfalls Gottes Kinder (Joh 11,52) und Teil der einen Herde unter dem einen Hirten (Joh 10,16) geworden sind. So kommt – indirekt in der ganz im jüdischen Umkreis verbleibenden Jesuserzählung – doch die Situation der Gemeinde im Kontext der jüdischen Diaspora zur Geltung, die das Johannesevangelium in wesentlichen Punkten nach wie vor prägt, auch wenn die johanneischen Gemeindekreise den Rahmen des synagogalen Judentums bereits verlassen haben.

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S. dazu FREY, Heiden (s. Anm. 84).

– Architektur und Alltagskultur –

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Es ist ein geläufiges Erklärungsmodell von Akkulturationsprozessen, dass Neuerungen zunächst von kleineren Gruppen einer Gesellschaft angenommen werden, bevor sie auch weitere Bevölkerungskreise erreichen. 1 Vor allem gesellschaftliche Eliten waren häufig die ersten Rezipienten und aufgrund ihrer sozialen Vorbildfunktion anschließende Vermittler solcher Neuerungen, insbesondere von prestigeträchtigen Luxusgütern sowie technischen und architektonischen Innovationen. Anschließend wurden sie – manchmal in abgeflachter oder modifizierter Form – von breiteren Gesellschaftskreisen übernommen. Ein Beispiel aus den klassischen Altertumswissenschaften ist die Verbreitung von Peristylhäusern, also Häusern mit einem offenen Hof, der an vier Seiten von Säulenhallen umgeben wird, auf die sich Räume öffnen.2 Peristylhäuser sind in Griechenland erstmals seit dem späten 5. Jh. v. Chr. archäologisch nachweisbar und gehen wohl auf öffentliche Repräsentationsarchitektur (städtische Festarchitektur) zurück, die dann, da man für die Anlage eines Peristyls eine recht große Grundfläche benötigte, vor allem im Bereich der Aristokratie und im Kontext monarchischer Repräsentation rezipiert wurde. In späterer hellenistischer Zeit übernahmen auch 1 Vgl. grundlegend ROBERT REDFIELD u.a., Memorandum for the Study of Acculturation, AmA 38 (1936), 152. Zur Problematik des Akkulturationsbegriffs in den klassischen Altertumswissenschaften vgl. ULRICH GOTTER, „Akkulturation“ als Methodenproblem der historischen Wissenschaften, in: W. Essbach (Hg.), wir / ihr / sie. Identität und Alterität in Theorie und Methode, Würzburg 2000, 373–406. 2 Vgl. im Folgenden zur Herleitung und Definition von Peristylhöfen HANS LAUTER, Die Architektur des Hellenismus, Darmstadt 1986, 40f, 132–155; ELENA WALTER-KARYDI, Die Nobilitierung des griechischen Wohnhauses in der spätklassischen Zeit, in: W. Hoepfner / G. Brands (Hg.), Basileia. Die Paläste der hellenistischen Könige. Internationales Symposion in Berlin vom 16.12.1992 bis 20.12.1992, Mainz 1996, 56–61. Zu Makedonien siehe insbesondere MORITZ KIDERLEN, Megale Oikia. Untersuchungen zur Entwicklung aufwendiger griechischer Stadthausarchitektur. Von der Früharchaik bis ins 3. Jh. v. Chr., Hürth 1995.

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kleinere Wohnhäuser („Bürger“) den Peristylhof gewissermaßen als Zitat aufwendigen Wohnens. Nun gelangten Peristylhäuser auch nach Italien (z.B. nach Pompeji).3 Unter dem jüdischen Klientelkönig Roms, Herodes dem Großen (40/37– 4 v. Chr.), erfuhr Judäa bekanntermaßen eine Reihe an Innovationen im Bereich der materiellen Kultur. Diese betrafen z.B. in der Architektur die Bautypologie und Bautechnik4 sowie in der Architekturausstattung die Wandmalerei und Bodenmosaiken.5 Hier lassen sich insbesondere im Kontext der königlichen Bautätigkeit des Herodes Neuerungen nachweisen, die zuvor, in hasmonäischer Zeit, noch nicht zu fassen sind und unter Herodes vor allem auf seine guten Kontakte nach Westen, nach Rom, sowie seine Offenheit für hellenistische Innovationen zurückzuführen sind.6 Im Folgenden sollen einige Innovationen der Architektur und der Ausstattung herodianischer Bauten diskutiert und dabei gezielt der Frage nachgegangen werden, ob die Neuerungen zeitgleich oder in der unmittelbaren Folgezeit, d.h. bis zum Ende der Zeit des Zweiten Tempels, 70 3 Siehe dazu JENS-ARNE DICKMANN, domus frequentata. Anspruchsvolles Wohnen im pompejanischen Stadthaus, München 1999, 127–158. Zur Hellenisierung römischer Häuser vgl. PIERRE GROS, L’architecture romaine du début du IIIe siècle av. J.-C. à la fin du Haut-Empire, 2. Maisons, palais, villas et tombeaux, Paris 2001, 38–71. 4 Zur Architektur des Herodes siehe folgende Synthesen: DUANE W. ROLLER, The Building Program of Herod the Great, Berkeley u.a. 1998; ACHIM LICHTENBERGER, Die Baupolitik Herodes des Großen, ADPV 26, Wiesbaden 1999; EHUD NETZER, Die Paläste der Hasmonäer und Herodes des Großen, Mainz 1999; SARAH JAPP, Die Baupolitik Herodes des Großen. Die Bedeutung der Architektur für die Legitimation eines römischen Klientelkönigs, Rahden 2000; EHUD NETZER, The Architecture of Herod, the Great Builder, TSAJ 117, Tübingen 2006. 5 Zur Architekturausstattung siehe insbesondere die Beiträge in: Klaus Fittschen / Gideon Foerster (Hg.), Judaea and the Greco-Roman World in the Time of Herod in the Light of Archaeological Evidence. Acts of a Symposion Organized by the Institute of Archaeology, The Hebrew University of Jerusalem and the Archaeological Institute, Georg-August-University of Göttingen at Jerusalem November 3rd–4th 1988, AAWG.PH, Dritte Folge 215, Göttingen 1996. Wichtige Einzelstudien sind darüber hinaus: GIDEON FOERSTER, Art and Architecture, Masada V. The Yigael Yadin Excavations 1963–1965. Final Reports, Jerusalem 1995; die Appendixes in NETZER, Architecture of Herod (s. Anm. 4), 309–383; SARAH JAPP, Public and Private Decorative Art in the Time of Herod the Great, in: N. Kokkinos (Hg.), The World of the Herods. Volume 1 of the International Conference The World of the Herods and the Nabataeans held at the British Museum, 17–19 April 2001, Oriens et Occidens 14, Stuttgart 2007, 227–246; SILVIA ROZENBERG, Hasmonean and Herodian Palaces at Jericho. Final reports of the 1973–1987 Excavations, Volume IV: The Decoration of Herod’s Third palace at Jericho, Jerusalem 2008. 6 Zum Problem, ob Herodes eine gezielte „Romanisierung“ seines Königreiches durchführte, vgl. ACHIM LICHTENBERGER, Herod and Rome: Was Romanisation a goal of the building policy of Herod?, in: D. M. Jacobson / N. Kokkinos (Hg.), Herod and Augustus. Papers Presented at the IJS Conference, 21st–23rd June 2005, IJS Studies in Judaica 6, Leiden/Boston 2009, 43–62.

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n. Chr., auch von anderen Gruppen im Königreich des Herodes rezipiert wurden und Aufnahme und Verbreitung im Privatbereich fanden. Dies sei an vier Beispielen verdeutlicht: (1) Peristylhäuser, (2) Bäder, (3) opus reticulatum und (4) Mosaiken.

1 Peristylhäuser Geradezu ein Markenzeichen herodianischer Paläste sind die eingangs beschriebenen Peristylhöfe. Wir finden sie archäologisch bezeugt sowohl in den größeren Komplexen wie z.B. in Jericho (Abb. 1) und Caesarea, als auch in kleineren Gebäudestrukturen in Samaria, Machärus, Kypros, Alexandreion, im oberen Herodeion (Abb. 2) und vielleicht auch in Kallirrhoe.7 Auch für den weitgehend nur literarisch überlieferten Palast des Herodes in Jerusalem berichtet Josephus von solchen säulenumstandenen Höfen (peristoa).8 Die Peristylhöfe nahmen in der Regel die zentralen Positionen innerhalb des Eingangsbereichs der Gebäude ein, so bei dem sogenannten ersten Palast des Herodes in Jericho mit einem zentralen Peristylhof oder im oberen Herodeion, wo ein Peristylhof in eine beengte runde Architektur eingefügt wurde und der östliche Säulenumgang sogar nur eine Scheinkolonnade war. In der älteren hasmonäischen Palastarchitektur, die wir archäologisch insbesondere aus Jericho kennen, gibt es zwar Hinweise auf größere Hofanlagen, die von Portiken gesäumt waren, doch waren diese nicht in Gebäude integriert und gehörten daher nicht zu Peristylhäusern.9 Sie sind also nur bedingt, vielleicht als Vorläufer, den herodianischen Peristylhöfen vergleichbar. Hasmonäische Paläste wie z.B. die sogenannten Twin Palaces in Jericho (Abb. 3) waren in der Regel blockartige introvertierte Häuser mit einem einfachen offenen Hof.10 Suchen wir außerhalb der hasmonäisch-herodianischen Architektur nach Peristylhäusern in Judäa und der Region, so sind die Befunde sehr über7 Die Literatur zu den genannten Orten ist über die oben in Anm. 4 angegebenen Werke leicht zugänglich. 8 Josephus, Bell V 180. 9 Zu den hasmonäischen Palästen in Jericho vgl. EHUD NETZER, Hasmonean and Herodian Palaces at Jericho. Final Reports of the 1973–1987 Excavations. Volume I: Stratigraphy and Architecture, Jerusalem 2001; DERS., Hasmonean and Herodian Palaces at Jericho. Final Report of the 1973–1987 Excavations. Volume II: Stratigraphy and Architecture, Jerusalem 2004. Vgl. außerdem DERS., Paläste (s. Anm. 4), 5–31. 10 Zu den Twin Palaces in Jericho vgl. NETZER, Palaces I (s. Anm. 9), 147–174. Zu solcher blockartiger und weitgehend introvertierter Hausarchitektur vgl. INGE NIELSEN, Hellenistic Palaces. Tradition and Renewal, Studies in Hellenistic Civilization 5, Aarhus 1994, 115–129, 155–163; FOERSTER, Art (s. Anm. 5), 162–170.

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schaubar und konzentrieren sich weitgehend auf das umliegende Gebiet außerhalb der näheren Umgebung von Jerusalem. Folgende Peristylhäuser aus hellenistischer und frührömischer Zeit sind in der Region bekannt:11 1.1 Tel Anafa: Hier wurde ein sehr früher Komplex mit an zwei Seiten vorhandenen Portiken gefunden (Abb. 4).12 Dieser Komplex in Obergaliläa war vermutlich Verwaltungszentrum einer phönikischen Stadt und kann bereits in das späte 2. Jh. v. Chr. datiert werden. Architektonische Vorbilder sind wohl an der phönikischen Küste zu suchen, wo insgesamt eine intensive Hellenisierung bereits seit der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends v. Chr. zu beobachten ist.13 Für die Frage der Rezeption herodianischer Architektur in der Region ist dieses Bauwerk daher nicht heranzuziehen. 1.2 Blakhiyah: In der Hafenstadt Anthedon nördlich von Gaza wurde ein hellenistischer Komplex (2. Jh. v. Chr.) teilweise ausgegraben. Seine genaue Funktion konnte noch nicht ermittelt werden.14 Zumindest auf einer Seite hatte er eine Kolonnade (Abb. 5), bei der allerdings unklar bleibt, ob sie zu einem Hof mit weiteren Kolonnaden gehörte. Wie in Tel Anafa kann dieser Befund allein wegen seiner frühen Zeitstellung nicht in Beziehung zu den herodianischen Bauten gesetzt werden. 1.3 Tell Judeidah: Auf dem Tell Judeidah in der Shefelah (ca. 2 km nördlich von Beth Guvrin) wurde ein aufwendiges palastartiges Gebäude des späten 1. Jh.s v. Chr. gefunden (Abb. 6–7).15 Es bestand aus zwei Tei11 Zur Hausarchitektur in Palästina vgl. allgemein: HANS-PETER KUHNEN, Palästina in griechisch-römischer Zeit, Handbuch der Archäologie, Vorderasien II.2, München 1990, 60–69, 233–253; YIZHAR HIRSCHFELD, The Palestinian Dwelling in the RomanByzantine Period, Jerusalem 1995, bes. 85–97 (siehe dazu auch die wichtige Rezension von M. FISCHER u.a., Dwelling houses in ancient Israel: Methodological considerations, Journal of Roman Archaeology 11 (1998), 671–678; PETER RICHARDSON, Building Jewish in the Roman East, Waco 2004, passim. 12 Zu dem Komplex in Tel Anafa vgl. SHARON C. H ERBERT u.a., Tel Anafa I–II. Final report on Ten Years of Excavation at a Hellenistic and Roman Settlement in Northern Israel, Journal of Roman Archaeology Supplementary Series 10, Ann Arbor 1994/97. 13 Vgl. dazu die grundlegende Studie von FERGUS MILLAR, The Phoenician Cities: A Case-Study of Hellenisation, PCPhS 209 (1983), 55–71. 14 Der Komplex ist noch nicht ausreichend ausgegraben. Ich danke dem Ausgräber Jean-Baptiste Humbert, Jerusalem, für Hintergrundinformationen. Zu dem Bau vgl. JEANBAPTISTE HUMBERT / YASSER MATAR ABU HASSUNEH, Fouilles d’Anthedon (Blakhiyeh), Les dossiers d’archéologie 240 (1999), 52; Jean-Baptiste Humbert (Hg.), Gaza méditerranéenne. Histoire et archéologie en Palestine, Paris 2000, 117–119; MOAIN SAEDQ, Le développement urbain de Gaza, in: Gaza à la croisée des civilisations. Contexte archéologique et historique, Neuchâtel 2007, 228. 15 Zu dem Gebäude auf dem Tell Judeidah vgl. FREDERICK JONES BLISS / R. A. STEWART MACALISTER, Excavations in Palestine during the years 1898–1900, London 1902, 47–50; HERMANN THIERSCH, Die neueren Ausgrabungen in Palästina, AA (1908), 390f; CARL WATZINGER, Denkmäler Palästinas. Eine Einführung in die Archäologie des Heiligen Landes, II, Leipzig 1935, 29f; M. BROSHI, Art. Judeideh, Tell, NEAEHL 3 (1993),

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len. Sein westlicher Teil ist ein typisch östliches blockartiges Wohngebäude, wie wir es auch für die hasmonäischen Paläste in Jericho, aber auch für den Kernbau des Westpalasts des Herodes auf Masada (Abb. 8) kennen; im Osten wurde daran ein Peristylhof mit angeschlossenen Raumeinheiten angebaut. Im Zentrum des Hofs lag ein Wasserbecken. Der Besitzer und die Funktion des Gebäudes sind unbekannt, auch wenn versucht wurde, den Besitzer im Umkreis der königlichen Familie zu suchen.16 1.4 Khirbet el-Muraq: Khirbet el-Muraq liegt westlich von Hebron, und dort wurde der sogenannte Hilkiya Palace gefunden, ein landwirtschaftliches Gehöft, das in herodianische Zeit datiert wird und einen 10 x 11 m großen Peristylhof im Zentrum der Anlage aufweist (Abb. 9).17 In der Mitte des offenen Hofs befand sich ein kleiner Pavillon. Am Rand des Gehöfts lag ein großer Turm, wie er typisch für landwirtschaftliche Nutzanlagen („Turmgehöfte“) in der Region war und etwa auch in Qumran zu finden ist.18 Über den Besitzer des Hauses wissen wir nichts.19 1.5 Jerusalem: House of Columns. In Jerusalem wurde in der Oberstadt nördlich des Palatial Building in dem sogenannten Areal M eine Säulenreihe gefunden, die vermutlich zu einem Peristylhof eines aufwendigen Wohnhauses herodianischer Zeit rekonstruiert werden muss (Abb. 10).20 Insgesamt sechs Säulen standen auf dem 9,5 m langen Stylobat. 838; HIRSCHFELD, Palestinian Dwelling (s. Anm. 11), 87f; JAPP, Baupolitik (s. Anm. 4), 161f; NIELSEN, Hellenistic Palaces (s. Anm. 10), 160; YIZAHR HIRSCHFELD, Fortified Manor Houses of the Ruling Class in the Herodian Kingdom of Judaea, in: Kokkinos (Hg.), The World of the Herods (s. Anm. 5), 206–209. 16 NIELSEN, Hellenistic Palaces (s. Anm. 10), 160. Vgl. aber JAPP, Baupolitik (s. Anm. 4), 161f, die vermutet, das Gebäude könne erst während der römischen Provinzverwaltung im 1. Jh. n. Chr. erbaut worden sein. BROSHI, Judeideh (s. Anm. 15), 838, meint, das Gebäude „should be dated to the time of the Herodian dynasty“. 17 Das Gebäude ist noch weitgehend unpubliziert. Vgl. dazu EMANUEL D AMATI, Khirbet el-Mûraq, IEJ 22 (1972), 173; JODI MAGNESS, A villa at Khirbet Qumran?, RdQ 16.3 (1994), 408f; HIRSCHFELD, Palestinian Dwelling (s. Anm. 11), 89f; YIZHAR HIRSCHFELD, Early Roman Manor Houses in Judea and the Site of Khirbet Qumran, JNES 57 (1998), 168; JAPP, Baupolitik (s. Anm. 4), 160f; HIRSCHFELD, Fortified Manor Houses (s. Anm. 15), 209f; E. DAMATI, Art. Muraq, Khirbet el- (Hilkiah’s Palace), NEAEHL 5 (2008), 1961–1963. 18 Vgl. dazu HIRSCHFELD, Early Roman Manor Houses (s. Anm. 17), 161–189; DERS., Fortified Manor Houses (s. Anm. 15), 197–226. 19 Von einer auf der Abdeckplatte eines Wasserkanals angebrachten griechischen Inschrift, in der ein Elkias, Sohn des Simon genannt wird (ΕΛΚΙΑC CΙΜWNOC EΓPA(ΨE): DAMATI, Muraq (s. Anm. 17), 1962f), hat man geschlossen, dass die Bewohner der Anlage Juden waren (z.B. HIRSCHFELD, Fortified Manor Houses [s. Anm. 15], 209). Obgleich die Namen für Juden belegt sind, sollte man zurückhaltend sein, von der einfachen Inschrift auf die Besitzer des Gehöfts zu schließen. 20 NAHMAN AVIGAD, The Herodian Quarter in Jerusalem. Wohl Archaeological Museum, Jerusalem 1989, 32–37; DERS., Art. Jerusalem, NEAEHL 2 (1993), 734; KLAUS

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1.6 Qasr et-Turabeh: Das Turmgehöft Qasr et-Turabeh nördlich von Ein Gedi am Toten Meer besitzt neben einem massiven Turm einen großen ungefähr quadratischen Hof (Abb. 11).21 Datiert wird es in herodianische Zeit. Der Hof weist an zwei Seiten eine Reihe von Standplatten auf, die für je eine Portikus aus hölzernen(?) Säulen dienten. Auch wenn diese Anlage nicht als vollständiger Peristylhof bezeichnet werden kann, sondern höchstens als Rumpfperistyl, so könnte ihr doch die Grundidee eines Peristyls zugrundegelegen und die herodianischen Bauten als Vorbild gedient haben. Die aufgeführten Gebäude sind – abgesehen von den herodianischen Palästen – die einzigen Peristylhäuser in der Zeit des Zweiten Tempels in der Region. Wirklich vergleichbar und möglicherweise abhängig von den herodianischen Palastperistylen sind die Komplexe auf dem Tell Judeidah, Khirbet el-Muraq und vielleicht das House of Columns in Jerusalem. Dabei ist bemerkenswert, dass aus Jerusalem nur ein einziges Gebäude dieser Art belegt ist, obwohl wir aus dem jüdischen Viertel weitere Häuser aufwendigen Lebens kennen,22 die aber – obgleich beispielsweise in der Wanddekoration hellenistischen Einflüssen offen – keine Peristylhöfe, sondern traditionelle Hofarchitektur ohne Säulenstellung aufweisen. Das eindrücklichste, weil am besten erhaltene Beispiel für die Wohnkultur der hellenisierten Jerusalemer Oberschicht ist das sogenannte Palatial Mansion mit seinem Innenhof ohne Portiken (Abb. 12–13).23 Es kann somit festgestellt werden, dass sich Peristylhäuser trotz der zahlreichen herodianischen Bauten in der sozialen Hierarchie nur begrenzt nach unten verbreiteten. Größere landwirtschaftliche Gebäude, die es in Judäa und angrenzenden Gebieten auch gab, behielten weitgehend einen traditionellen lokalen Typus bei, nämlich den des Turmgehöftes ohne Säulenhöfe.24

BIEBERSTEIN / HANSWULF BLOEDHORN, Jerusalem. Grundzüge der Baugeschichte vom Chalkolithikum bis zur Frühzeit der osmanischen Herrschaft, II, B.TAVO.B 100/2, Wiesbaden 1994, 340. 21 HIRSCHFELD, Fortified Manor Houses (s. Anm. 15), 214f. 22 Zu den Häusern in Jerusalem vgl. NAHMAN AVIGAD, Discovering Jerusalem, Oxford 1980, 64–202; DERS., Jerusalem (s. Anm. 20), 729–735; H. GEVA, Art. Jerusalem, NEAEHL 2 (1993), 735; BIEBERSTEIN/BLOEDHORN, Jerusalem (s. Anm. 20), 335–344. 23 Zum Palatial Mansion vgl. AVIGAD, Discovering (s. Anm. 22), 95–120; DERS., Herodian Quarter (s. Anm. 20), 57–76; DERS., Jerusalem (s. Anm. 20), 733f; BIEBERSTEIN/BLOEDHORN, Jerusalem (s. Anm. 20), 339f. 24 Vgl. oben Anm. 18.

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2 Bäder In die Zeit des Herodes fällt die Einführung römischer Badeanlagen in Palästina.25 Zuvor wurden im gesamten östlichen Mittelmeerraum vor allem hellenistische, griechische Bäder gebaut, die aus einem einfachen Raum mit Badewanne bestanden.26 Ein solches Bad ist auch in dem hellenistischen Komplex in Tel Anafa belegt.27 Römische Bäder hatten dagegen – je nach Aufwand – mehrere funktional differenzierte und aufeinander abgestimmt angeordnete Räume (apodyterium, frigidarium, caldarium, tepidarium, laconicum), die zum Teil über Boden- und Wandheizungen (Hypokausten) warm gehalten wurden. Während die Hasmonäer in ihren Palästen noch Bäder nach hellenistischem Vorbild hatten, war Herodes der Große der erste, der Bauten nach römischem Muster in seine Paläste brachte, wobei in Masada auch weiterhin Badeanlagen nach griechischem Muster gebaut wurden.28 Eindrucksvolle Beispiele römischer Anlagen kennen wir aus dem oberen Herodeion, Masada (Abb. 14) und Jericho, wo die gesamte Badeanlage (im Plan die Räume B52, B66–69) in römischer opus reticulatum Technik errichtet wurde (Abb. 15). Insgesamt sind 13 römische Badeanlagen an sechs Orten mit Palästen des Herodes belegt.29 Suchen wir nach römischen Bädern außerhalb des Hofkontexts des Herodes stellen wir in den herrschaftlichen Häusern der Jerusalemer Ober25 Zu Bädern und dem Badewesen in Palästina vgl. die umfassende Untersuchung von STEFANIE HOSS, Baths and Bathing. The culture of bathing and the baths and thermae in Palestine from the Hasmoneans to the Moslem conquest. With an appendix on Jewish ritual baths (miqva’ot), BAR International Series 1346, Oxford 2005. 26 Zum griechisch-römischen Badewesen, jeweils unter Berücksichtigung der griechischen Vorgänger der römischen Bäder, vgl. RENÉ GINOUVÈS, Balaneutikè. Recherches sur le bain dans l’antiquité grecque, BEFAR 200, Paris 1962; ERIKA BRÖDNER, Die römischen Thermen und das antike Badewesen. Eine kulturhistorische Betrachtung, Darmstadt 1983; INGE NIELSEN, Thermae et Balnea. The Architecture and Cultural History of Roman Public Baths, Aarhus 1990; FIKRET YEGÜL, Baths and Bathing in Classical Antiquity, Cambridge/London 1992. 27 Zu Tel Anafa siehe oben Anm. 12. Zu der dortigen Badeanlage vgl. auch HOSS, Baths (s. Anm. 25), 124f Cat. No. 4. 28 Zu den hasmonäischen Badeanlagen und den herodianischen Badeanlagen nach griechischem Muster vgl. HOSS, Baths (s. Anm. 25), 40. Hasmonäisch sind folgende Anlagen: Jericho: 149–151 Cat. No. 67–70. Herodianisch sind folgende Anlagen: Masada: 161–163 Cat. No. 96, 99f. 29 Vgl. dazu die Katalogeinträge bei HOSS, Baths (s. Anm. 25): Casearea Maritima: 133f Cat. No. 26–27; Kypros: 136f Cat. No. 32–33; Herodeion: 147f Cat. No. 61–63; Jericho: 151f Cat. No. 71–73; Machaerus: 160 Cat. No. 94; Masada: 161f Cat. No. 97f; EHUD NETZER, Masada III. The Yigael Yadin Excavations 1963–1965. Final Reports. The Buildings. Stratigraphy and Architecture, Jerusalem 1991, 76–101.

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stadt erneut fest, dass der Bautyp dort nicht übernommen wurde und stattdessen an traditionellen hellenistischen Badeanlagen festgehalten wurde.30 Erinnert sei noch einmal an das Palatial Mansion aus Jerusalem, welches ein kleines hellenistisches Sitzbad besaß.31 Nur außerhalb Jerusalems sind gelegentlich römische Anlagen bekannt geworden: 2.1 Khirbet el-Muraq: In dem bereits genannten Gehöft Hilkiya Palace wurden im Nordflügel des Gebäudes Reste einer römischen mehrräumigen Badeanlage des Reihentyps (frigidarium, tepidarium, caldarium) mit Hypokausten gefunden.32 2.2 Ramat Hanadiv: Bei dem Gehöft auf Ramat Hanadiv südlich von Haifa in der Nähe von Caesarea Maritima wurde eine mehrräumige Badeanlage mit Hypokausten nach römischem Muster ausgegraben (Abb. 16– 17).33 Die freistehende Badeanlage des Reihentyps (apodyterium/frigidarium, tepidarium, caldarium) lag abseits des Zentralbaus. Das Gehöft wird in das frühe 1. Jh. n. Chr. datiert und hatte einen rechteckigen Grundriss sowie einen der für die Region typischen massiven Türme. 2.3 Kapernaum: In das 1. Jh. n. Chr. datiert wird eine weitere – nur unzulänglich publizierte und daher auch in der Feindatierung unsichere – Badeanlage in Kapernaum, die ebenfalls mehrräumig vom Reihentyp ist und nach römischem Vorbild (apodyterium, frigidarium, tepidarium, caldarium) entworfen wurde (Abb. 18).34 Überblicken wir die quantitative Verteilung der römischen Bäder in Judäa, so können wir angesichts der 13 Bäder in Palästen des Herodes und nur zwei bis drei Bädern außerhalb des herodianischen Palastbereichs feststellen, dass die Technologie im 1. Jh. v. und 1. Jh. n. Chr. in Palästina nur zögerlich adaptiert wurde. Offensichtlich hielt man – wie in Jerusalem – an den traditionellen hellenistischen Bädern fest. Lediglich Hypokausten wurden gelegentlich anscheinend für einzelne Räume übernommen,35 doch erfolgte keine Adaption des Gesamtkonzepts römischer Badeanlagen. Es 30 HOSS, Baths (s. Anm. 25), 152–154 Cat. No. 74–77, 80. Vgl. außerdem zu den Jerusalemer Badeanlagen RONNY REICH, Domestic Water Installations in Jerusalem in the Second Temple (= Early Roman) Period, Mitteilungen. Leichtweiss-Institut für Wasserbau 82 (1984). 31 Zum Palatial Mansion siehe oben Anm. 23. Zum Bad vgl. HOSS, Baths (s. Anm. 25), 152f Cat. No. 74. 32 Zu dem Hilkiya Palace vgl. oben Anm. 17. Zum Bad vgl. HOSS, Baths (s. Anm. 25), 164 Cat. No. 106. 33 YIZHAR H IRSCHFELD, Ramat Hanadiv Excavations. Final Report of the 1984–1998 Seasons, Jerusalem 2000, 311–329; HOSS, Baths (s. Anm. 25), 169 Cat. No. 121. 34 DIES., Baths (s. Anm. 25), 135f Cat. No. 31. Vgl. auch V. TZAFERIS, Art. Capernaum, NEAEHL 1 (1993), 295f. 35 HOSS, Baths (s. Anm. 25), 154 Cat. No. 78. Vgl. auch REICH, Water Installations (s. Anm. 30), 6.

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ist bemerkenswert, dass in dem Gehöft von Ramat Hanadiv außer der abseits gelegenen römischen Badeanlage auch ein griechisches Bad in den zentralen Turm gebaut war,36 offensichtlich also Bedarf für ein solches Einzelbad bestand. Stefanie Hoss erklärt diese insgesamt zögerliche Aufnahme mit einer jüdischen Zurückhaltung gegenüber römischen Badesitten, bei denen man gemeinsam und nackt solche Orte besuchte.37 Möglicherweise haben wir damit einen Hinweis auf eine religiös-kulturell begründete Ablehnung bestimmter Architekturformen. In diesem Zusammenhang sei nur kurz darauf hingewiesen, dass sowohl römische als auch hellenistische Bäder mit jüdischen Ritualbädern, Mikwen, kombiniert werden konnten.38

3 Opus reticulatum Opus reticulatum ist eine typisch italische Mauerverschalungstechnik, die aus netzartig gestellten Schalensteinen besteht.39 Sie findet sich nur selten außerhalb Italiens. Wir kennen einige Beispiele in Kleinasien und in der Levante jeweils in Kontexten, in denen die Bauherren in einer besonders engen Beziehung zu Rom standen.40 Auch in einigen Bauten des Herodes, in Jericho (Abb. 19), Paneas, Caesarea und wohl auch Jerusalem wurde diese Bautechnik eingesetzt. Mit gutem Grund wurde sogar vermutet, dass die Handwerker der herodianischen Konstruktionen direkt aus Italien kamen.41 Außerhalb der königlichen Bauprojekte ist diese Technologie jedoch nirgends belegt. Die einzige Ausnahme könnte ein Rundbau in Jerusalem sein: Die Innenseiten seiner Mauern wurden in opus reticulatum ausgeführt, und wegen der Mauertechnik wird angenommen, dass er von Hero36

HIRSCHFELD, Ramat Hanadiv (s. Anm. 33), 252–254; HOSS, Baths (s. Anm. 25), 168 Cat. No. 120. 37 DIES., Baths (s. Anm. 25), passim, bes. 92–94. Vgl. auch REICH, Water Installations (s. Anm. 30), 6. Siehe auch zur Einstellung der Juden gegenüber römischen Badesitten MARTIN JACOBS, Römische Thermenkultur im Spiegel des Talmud Yerushalmi, in: P. Schäfer (Hg.), The Talmud Yerushalmi and Graeco-Roman Culture I, TSAJ 71, Tübingen 1998, 219–311. 38 Zuletzt zu Mikwen und der Forschungsdiskussion zu den religiösen Hintergründen und der Identifikation archäologischer Zeugnisse vgl. STEFANIE HOSS, Die Mikwen der späthellenistischen bis byzantinischen Zeit in Palästina, ZDPV 123 (2007), 49–79. 39 Zu opus reticulatum vgl. GIUSEPPE LUGLI, La tecnica edilizia romana, Rom 1957, 487–526; JEAN-PIERRE ADAM, Roman Building. Materials and Techniques, London 1994, 129–134. 40 Die derzeit vollständigste Liste von opus reticulatum-Bauten im Vorderen Orient findet sich bei LICHTENBERGER, Herod (s. Anm. 6), 50. 41 NETZER, Architecture (s. Anm. 4), 315.

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des errichtet wurde.42 Diese Annahme ist wegen der Größe (Durchmesser: 33 m) und prominenten Positionierung an einer nördlichen Ausfallstraße wahrscheinlich, doch sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass abgesehen von dem Baumaterial ein direkter Hinweis auf Herodes fehlt und somit die Gefahr eines Zirkelschlusses besteht. Dennoch können wir wohl konstatieren, dass die von Herodes vermutlich als prestigeträchtig43 angesehene Mauertechnik sich außerhalb des Hofs des Herodes nicht oder nur kaum verbreitete und von einheimischen Bauhütten nicht adaptiert wurde.

4 Mosaiken Mosaikfußböden sind in Judäa und Umgebung bereits seit dem 2. Jh. v. Chr. belegt.44 Eines der frühesten Mosaiken der südlichen Levante kennen wir aus Dor an der Mittelmeerküste, und dieses ist polychrom,45 also ein Mosaik in einer Technik und mit einer Farbauswahl, wie sie typisch für östlich-hellenistische Pavimente ist. In einer vergleichbaren Technik sind die Mosaiken in den hasmonäischen Palästen gefertigt. Auch in den herodianischen Palästen finden wir solche polychromen Mosaiken, z.T. mit regionalen Sonderwegen, wie etwa der Rosette als anikonisches Zentralmotiv im Westpalast von Masada (Abb. 20).46 In einigen herodianischen Palästen begegnen aber auch Schwarz-WeißMosaiken, so etwa im Badehaus des Nordpalasts von Masada (Abb. 21), im Herodeion, in Caesarea Maritima, in Kypros und in Jericho.47 Solche 42 EHUD NETZER / SARA BEN-ARIEH, Remains of an Opus Reticulatum Building in Jerusalem, IEJ 33 (1983), 163–175; STÉPHANIE BONATO-BACCARI, Le mausolée en opus reticulatum de Jérusalem: Tombeau d’Hérode ou simple témoin d’un modèle romain?, Latomus 61 (2002), 67–87; NETZER, Architecture (s. Anm. 4), 132–134. 43 Vgl. dazu LICHTENBERGER, Herod (s. Anm. 6), 50–59. 44 Zu den Mosaiken in Palästina vgl. RUTH OVADIAH / ASHER OVADIAH , Hellenistic, Roman and Early Byzantine Mosaic Pavements in Israel, Rom 1987; FOERSTER, Art (s. Anm. 5), 140–157; KATHERINE M. D. DUNBABIN, Mosaics of the Greek and Roman World, Cambridge 1999, 187f; RINA TALGAM / ORIT PELEG, Mosaic Pavements in Herod’s Day, in: NETZER, Architecture (s. Anm. 4), 377–383. 45 ANDREW STEWART / S. REBECCA MARTIN, Hellenistic Discoveries at Tel Dor, Israel, Hesp. 72 (2003), 132–143. 46 Zu den polychromen Mosaiken von Masada vgl. FOERSTER, Art (s. Anm. 5), 140– 151. 47 Masada: FOERSTER, Art (s. Anm. 5), 151–158; Herodeion: OVADIAH/OVADIAH, Mosaic Pavements (s. Anm. 44), 69 Nr. 94–95; Caesarea Maritima: LEE I. LEVINE / EHUD NETZER, Excavations at Caesarea Maritima. 1975, 1976, 1979 – Final Report, Qedem 21, Jerusalem 1986, 154, 156; Kypros: OVADIAH/OVADIAH, Mosaic Pavements (s. Anm. 44), 53 Nr. 70; Jericho: a.a.O. 76 Nr. 110.

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Schwarz-Weiß-Mosaiken gehen auf westliche Vorbilder zurück, und – obwohl vorhanden – gibt es sie nur relativ selten im östlichen Mittelmeerraum.48 Für die Schwarz-Weiß-Fußbodenmosaiken des Herodes hat Klaus Parlasca sogar angenommen, dass sie – ähnlich wie das opus reticulatumMauerwerk – direkt von italischen Werkstätten gefertigt wurden.49 Suchen wir nach Beispielen für solche Schwarz-Weiß-Mosaiken außerhalb der herodianischen Paläste, so stellen wir fest, dass sie dort offensichtlich nicht rezipiert wurden.50 Es gibt zwar einen frühen Beleg aus Tel Anafa,51 doch ist dieses Paviment vorherodianisch zu datieren und auf frühe westliche Einflüsse von der phönikischen Küste zurückzuführen. Blicken wir auf die Hausausstattungen der Jerusalemer Oberschicht in der Zeit des Zweiten Tempels, so sehen wir, dass dort, sofern Mosaiken vorhanden, diese in der polychromen Technik ausgeführt wurden. Erinnert sei erneut an die Ausstattung des Palatial Mansion in Jerusalem, wo im Bad ein einfaches polychromes Mosaik gefunden wurde (Abb. 22).52 Daraus können wir schließen, dass die Oberschicht nicht die modernen, in den Palästen des Herodes eingeführten Mosaiken übernahm, sondern traditionelle Formen bevorzugte (oder aber nicht über die Möglichkeiten verfügte, Schwarz-Weiß-Mosaiken zu erwerben). Es sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass die Schwarz-Weiß-Mosaiken in späthellenistischer und frühkaiserzeitlicher Zeit ein überwiegend geometrisches und anikonisches Motivrepertoire aufwiesen,53 also für eine jüdische Klientel in der Zeit unproblematisch gewesen wären.

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Zu Schwarz-Weiß-Mosaiken vgl. JOHN R. CLARKE, Roman Black-and-White Figural Mosaics, New York 1979. Zu Schwarz-Weiß-Mosaiken in Kleinasien und im Osten vgl. GISELA SALIES, Untersuchungen zu den geometrischen Gliederungsschemata römischer Mosaiken, BJB 174 (1974), 39; VERONIKA SCHEIBELREITER, Die Anfänge römischer Mosaikkunst in Westkleinasien, in: H. Morlier (Hg.), La mosaïque gréco-romaine IX.2, Rom 2005, 765–772. 49 KLAUS P ARLASCA, Zur syrischen Kunst der frühen Kaiserzeit, AA 1967, 548. 50 In dem Corpus OVADIAH/O VADIAH, Mosaic Pavements (s. Anm. 44), 38, ist lediglich ein Schwarz-Weiß-Mosaik (Nr. 34) verzeichnet. Dieses stammt aus Beth Shean – Skythopolis und seine Zeitstellung ist völlig unklar. 51 HERBERT et al., Tel Anafa I (s. Anm. 12), 64f Tf. 38, 40. Vgl. dazu auch OVADIAH /OVADIAH, Mosaic Pavements (s. Anm. 44), 137 Nr. 234; DUNBABIN, Mosaics (s. Anm. 44), 187. 52 OVADIAH/OVADIAH, Mosaic Pavements (s. Anm. 44), 85 Nr. 128. 53 SALIES, Untersuchungen (s. Anm. 48), 20–28, 39f; DUNBABIN, Mosaics (s. Anm. 44), 55–59.

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5 Schluss Soweit zu den Beispielen herodianischer Innovationen in Palästina und der Frage, inwiefern bzw. ob sie im Land rezipiert und aufgenommen wurden. Es sollte deutlich geworden sein, dass die vorgestellten Neuerungen, auf Herodes gute Kontakte nach Westen zurückzuführen sind und sie von anderen Bevölkerungsgruppen nicht oder nur zögerlich im 1. Jh. v. und 1. Jh. n. Chr. übernommen wurden. Die Gründe für die Nichtaufnahme kann man nicht pauschalisieren. Für die zögerliche Aufnahme von römischen Bädern kann vielleicht die Ablehnung der mit dem Bautypus einhergehenden Badesitten angeführt werden. Für die Nichtaufnahme des opus reticulatum dürfte dagegen die hohe Spezialisierung, die mit der Technik verbunden war, ausschlaggebend gewesen sein. Erst im 2. und 3. Jh. n. Chr. erfolgte eine weitere Verbreitung einiger der Innovationen. So finden wir nun etwas häufiger Peristylhöfe in der Wohnarchitektur.54 Besonders interessant sind zwei Architekturbefunde mit Peristylhofanlagen in Apollonia55 und Ein ez-Zeituna,56 die beide bereits aus der Zeit um 70 n. Chr. stammen und möglicherweise unmittelbar mit Aktivitäten des römischen Militärs oder der römischen Verwaltung zu tun haben. Diese Peristylanlagen unterstreichen, dass die Verbreitung von Peristylhöfen in der Region auf die pax Romana zurückzuführen ist. Auch römische Bäder und öffentliche Badeanlagen gehören nun in der römischen Kaiserzeit – wie etwa die rabbinischen Schriften belegen – zum Lebensalltag in den palästinischen Städten.57 Die Aufnahme der materiellen Kultur im 2. und 3. Jh. n. Chr. erklärt sich daraus, dass Palästina nach dem Bar-Kochba-Krieg eine stabile römische Provinz war und nun Einflüssen aus dem Westen intensiver (vermutlich auch aufgrund eines Wandels der Bevölkerungsstruktur) ausgesetzt wurde. Letzteres, nämlich die „Normalität“ Palästinas als römische Provinz, hat insbesondere Nicole Belayche im Zusammenhang mit paganen Kulten in der Provinz herausge-

54 HIRSCHFELD, Palestinian Dwelling (s, Anm. 11), 91–97; FISCHER u.a., Dwelling houses (s. Anm. 11), 675–677. 55 ISRAEL ROLL / OREN TALL, A Villa of the Early Roman Period at Apollonia-Arsuf, IEJ 58 (2008), 132–149. 56 DON GLICK, A Salvage Excavation at Ein ez-Zeituna in Nahal Iron, tiqot 51 (2006), 31–69; DAVID MILSON, Design Analysis of the Peristyle Building from Ein ezZeituna, tiqot 51 (2006), 71–75. Ich danke Oren Tal, Tel Aviv, der mich auf diesen Befund hinwies und mit mir seine Überlegungen zu einem +/– 70 n. Chr.-Horizont römischer Bauaktivitäten teilte. 57 HOSS, Baths (s. Anm. 25), 49–52. Vgl. auch JACOBS, Thermenkultur (s. Anm. 37), 219–311.

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stellt.58 Moshe Fischer wiederum konnte in seinen Untersuchungen zum römischen Marmorhandel aufzeigen, dass Marmorprodukte – die es in anderen Provinzen schon länger gab – Palästina dank der pax Romana erst im 2. und 3. Jh. n. Chr. in größerem Umfang erreichten.59 Für die Verbreitung des römischen Badewesens könnte das in der Provinz stationierte römische Militär verantwortlich gewesen sein.60 Andere Beispiele, wie das opus reticulatum und die Schwarz-WeißMosaiken blieben dagegen auch in der Folgezeit dem Land fremd. Für das opus reticulatum ist dabei zu berücksichtigen, dass es auch in Italien im späten 2. Jh. n. Chr. außer Gebrauch kam.61 Zum Abschluss sei daher die These formuliert, dass die architektonischen Neuerungen unter Herodes in der Zeit des Zweiten Tempels Episode blieben und nicht von weiteren Gesellschaftskreisen aktiv rezipiert wurden.62 Dass einige der herodianischen Neuerungen wie z.B. römische Bäder und Peristylhöfe sich später in Palästina durchsetzten, hat wohl nichts mit möglichen herodianischen Vorläufern zu tun, sondern ist den positiven Rahmenbedingungen der pax Romana im späteren 2. und im 3. Jh. n. Chr. geschuldet. Die Zurückhaltung in der Übernahme der Innovationen ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil wir davon ausgehen können, dass die Bauten des Herodes als Mittel der Herrschaftsrepräsentation von den Zeitgenossen gesehen werden sollten und wohl auch gesehen wurden. Doch das ist ein anderes Thema.63

58 NICOLE BELAYCHE, Iudaea-Palaestina. The Pagan Cults in Roman Palestine (Second to Fourth Century), RRP 1, Tübingen 2001. 59 MOSHE L. F ISCHER, Marble Studies. Roman Palestine and the Marble Trade, Xenia 40, Konstanz 1998. 60 Vgl. JACOBS, Thermenkultur (s. Anm. 37), 225f. 61 Zum Ende der opus reticulatum-Technik in Italien vgl. LUGLI, Tecnica edilizia (s. Anm. 39), 514–526; ADAMS, Roman Building (s. Anm. 39), 132f. 62 Anders scheint es sich dagegen im Nabatäerreich zu verhalten, wo von den nabatäischen Königen herodianische Architektur rezipiert wurde. Siehe dazu jetzt ANDREAS KROPP, Nabataean Petra. The royal palace and the Herod connection, Boreas 32 (2009), 43–59. 63 Vgl. dazu ACHIM LICHTENBERGER, „Sieh, was für Steine und was für Bauten!“ – Zur Rezeption herodianischer Architektur im Neuen Testament, in: S. Alkier / J. Zangenberg (Hg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments, TANZ 42, Tübingen/Basel 2003, 209–221.

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Abb. 1: Rekonstruierter Plan des Ersten Palasts des Herodes in Jericho (nach: NETZER, Architecture [s. Anm. 4], 46 fig. 10).

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Abb. 2: Rekonstruierter Plan des Oberen Herodeions (nach: LICHTENBERGER, Baupolitik [s. Anm. 4], 264 Abb. 39).

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Abb. 3: Rekonstruierter Plan der Twin Palaces in Jericho (nach: NETZER, Palaces I [s. Anm. 9], 308 Ill. 455).

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Abb. 4: Steinplan des späthellenistischen Gebäudes von Tel Anafa (nach: HERBERT et al., Tel Anafa I,i [s. Anm. 12], 34 fig. 2.5).

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Abb. 5: Ansicht der Säulentrommeln der hellenistischen Kolonnade in Anthedon (nach: Humbert [Hg.], Gaza [s. Anm. 14], 117).

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Abb. 6: Rekonstruierter Plan des Gebäudes auf dem Tell Judeidah (nach: BLISS / MACALISTER, Excavations [s. Anm. 15], Pl. XII).

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Abb. 7: Rekonstruktion des Peristylhofs auf Tell Judeidah (nach: BLISS / MACALISTER, Excavations [s. Anm. 15], 48 fig. 24).

Abb. 8: Rekonstruierter Plan des Kernbaus des Westpalasts von Masada (nach: NETZER, Architecture [s. Anm. 4], 22 fig. 4).

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Abb. 9: Plan von Khirbet el-Muraq (nach: DAMATI, Muraq [s. Anm. 17], 1961).

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Abb. 10: Plan des House of Columns in Jerusalem (nach: AVIGAD, Herodian Quarter [s. Anm. 20], 32).

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Abb. 11: Plan von Qasr et-Turabeh (nach: HIRSCHFELD, Fortified Manor Houses [s. Anm. 15], 214 fig. 16).

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Abb. 12: Rekonstruierter Plan des Palatial Mansion in Jerusalem (nach: AVIGAD, Jerusalem [s. Anm. 20], 733).

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Abb. 13: Rekonstruktionszeichnung des Palatial Mansion in Jerusalem (nach: AVIGAD, Jerusalem [s. Anm. 20], 733).

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Abb. 14: Rekonstruierter Plan des großen Badehauses beim Nordpalast von Masada (nach: NETZER, Masada III [s. Anm. 29], 76 Plan 5).

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Abb. 15: Rekonstruierter Plan des Nordflügels des Dritten Palasts des Herodes in Jericho (nach: NETZER, Palaces I [s. Anm. 9], 232 Plan 34).

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Abb. 16: Plan von Ramat Hanadiv (nach: HIRSCHFELD, Ramat Hanadiv [s. Anm. 33], 686 fig. 3).

Zur Vorbildfunktion der Bauten Herodesʼ des Großen in Palästina

Abb. 17: Ansicht des römischen Bades von Ramat Hanadiv (nach: HIRSCHFELD, Ramat Hanadiv [s. Anm. 33], 312 fig. 179).

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Abb. 18: Plan des römisches Bades in Kapernaum (nach: TZAFERIS, Capernaum [s. Anm. 34], 295).

Abb. 19: Ansicht des opus reticulatum-Mauerwerks im Dritten Palast des Herodes in Jericho (nach: NETZER, Palaces I [s. Anm. 9], 260 Ill. 392).

Zur Vorbildfunktion der Bauten Herodesʼ des Großen in Palästina

Abb. 20: Ansicht eines polychromen Mosaiks im Westpalast von Masada (nach: NETZER, Masada III [s. Anm. 29], 252 Ill. 399).

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Abb. 21: Ansicht eines Schwarz-Weiß-Mosaiks im römischen Badehaus von Masada (nach: NETZER, Masada III [s. Anm. 29], 80 Ill. 128).

Abb. 22: Ansicht des polychromen Mosaiks aus Raum 8 im Palatial Mansion, Jerusalem (nach: AVIGAD, NEAEHL [s. Anm. 20], 731).

Herodianische Architektur im Neuen Testament RAINER RIESNER

Nennenswerte Hinweise auf herodianische Architektur im Neuen Testament bieten das Markus-Evangelium und das Johannes-Evangelium sowie besonders das lukanische Doppelwerk. Beim näheren Blick auf die neutestamentlichen Belege für Gebäude aus herodianischer Zeit soll es um zwei Doppelfragen gehen: 1) Welche architektonischen und historischen Informationen können wir diesen Hinweisen entnehmen? 2) Haben diese Stellen darüber hinaus auch eine literarische oder theologische Funktion? Mit gebührender Vorsicht ist es dann vielleicht auch möglich, aus den Angaben Schlüsse auf den Standort der neutestamentlichen Verfasser oder der von ihnen verarbeiteten Traditionen zu ziehen. Der Begriff „herodianische Architektur“ wird dabei in einem weiteren Sinn gebraucht, nicht nur für Bauten der Königsfamilie, sondern überhaupt für Gebäude aus herodianischer Zeit.

1 Der herodianische Tempel im lukanischen Doppelwerk Das Lukas-Evangelium beginnt und endet im Jerusalemer Tempel, also dem Bauwerk von Herodes dem Großen schlechthin.1 Im Tempel wird dem Priester Zacharias durch eine Engelserscheinung die Geburt Johannes des Täufers angekündigt (Lk 1,5–23) und dort trifft sich die Urgemeinde regelmäßig zum Gebet (Lk 24,53). Es ist richtig vorgestellt, dass Zacharias das Rauchopfer im Heiligen des Tempelgebäudes darbringt (    \ €‘€), während die fromme Volksmenge draußen (£*) im Vorhof Israels betet. Nur hier in Lukas 1,9.21.22 und beim Zerreißen des Tempelvorhanges (Lk 23,45) gebraucht der Evangelist den Ausdruck  für das eigentliche Tempelgebäude, während er sonst vom © spricht. 1

Vgl. D. BAHAT, The Herodian Temple, in: CHJud III, Cambridge 1999, 38–58; A. LICHTENBERGER, Die Baupolitik Herodes des Großen, ADPV 26, Wiesbaden 1999, 131–142; E. NETZER, The Architecture of Herod, the Great Builder (mit R. LAUREYCHACHY), TSAJ 117, Tübingen 2006, 137–178. Für eine Durchsicht dieses Aufsatzes danke ich Mag. Theol. Emmanuel Rehfeld.

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Mit dieser Bezeichnung ist bei Lukas in der Regel der gesamte Tempelbereich gemeint, gelegentlich aber der nur Juden zugängliche Teil (Apg 21,28–30). Insgesamt darf man mit Otto Michel feststellen, „daß auch in den Evangelien wie bei Jos[ephus] zwischen © als Gesamtheiligtum und  als Tempelhaus unterschieden werden kann“.2 Jesus wird als Kind im Tempel dargestellt und prophetisch als künftiger Messias proklamiert (Lk 2,22–39). Der Zwölfjährige gibt dort beim Gespräch mit Schriftgelehrten einen ersten Beweis seiner messianischen Weisheit (Lk 2,41– 52). In der Beispielgeschichte vom Pharisäer und Zöllner erscheint der Tempel als Ort des Gebetes (Lk 18,9–14). Dabei kann auf Lokalkolorit hinweisen, dass vom „Hinaufsteigen“ ( ˆ!@ ) zum Tempel und vom wieder „Hinabsteigen“ ( ˆ!@) die Rede ist (Lk 18,10.14). Alle genannten Stellen, die vom Tempel handeln, sind lukanisches Sondergut. Die meisten stammen aus seiner Sonderüberlieferung, die auf konservativ-judenchristliche Kreise in Jerusalem und Judäa zurückgehen dürfte.3 Für eine solche Herkunft spricht auch das Sonderguts-Logion, das den „Turm in Siloah ( % | š Å *Š)“ erwähnt (Lk 13,4f). Vielleicht sind seine Grundmauern noch heute am Südostabhang der Davidsstadt zu sehen.4 Es könnte sich um ein Kolumbarium gehandelt haben, in dem Tauben für das Tempelopfer (vgl. Lk 2,22–24) gezüchtet wurden.5 Möglicherweise hat eine solche Beziehung zum Tempelkult das Erschrecken über den Einsturz noch vergrößert und die Frage geweckt, ob die „achtzehn, auf die der Turm fiel und sie erschlug, schuldiger waren als alle anderen Menschen, die in Jerusalem wohnen“ (Lk 13,4). Innerhalb einer konservativjudenchristlichen Tradition wäre eine Hervorhebung und positive Wertung des Tempels natürlich nicht erstaunlich. Aber entspricht das der Sicht des Evangelisten selbst oder hat er nur eine Überlieferung übernommen? Immerhin gibt Lukas in der Rede des Hellenisten Stephanus auch eine eher tempelkritische Tradition weiter (Apg 7,44–50 vgl. 8,13f). Doch die zentrale und positive Rolle des Jerusalemer Tempels prägt gleichermaßen die

2

O. MICHEL, Art. Þ, ThWNT IV (1942), 884–895, 890,7–9. Vgl. auch A. J. KÖS-

TENBERGER, John, ECNT, Grand Rapids 2004, 105.108f. 3 Vgl. R. RIESNER, Prägung und Herkunft der lukanischen

Sonderüberlieferung, ThBeitr 24 (1993), 228–248; DERS., Das Lokalkolorit des Lukas-Sonderguts: Italisch oder palästinisch-judenchristlich?, SBFLA 49 (1999), 51–64; DERS., Die Emmaus-Erzählung (Lukas 24,13–35). Lukanische Theologie, judenchristliche Tradition und palästinische Topographie, in: K. H. Fleckenstein u.a. (Hg.), Emmaus in Judäa. Geschichte – Exegese – Archäologie, BAZ 11, Gießen 2003, 150–207. 4 Vgl. G. W. BUCHANAN, The Tower of Siloam, ET 115 (2003), 37–45. 5 Vgl. B. ZISSU, New Testament Tower? This Place Is for the Birds, BArR 35/3 (2009), 30–37.66f.

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ersten Kapitel der Apostelgeschichte.6 Hier wird der Tempel ebenfalls als tägliche Gebetsstätte der Urgemeinde herausgestellt (Apg 2,46; 3,1). Er ist der Ort des ersten Heilungswunders der Apostel Petrus und Johannes (Apg 3,1–10, vgl. 5,12–16), ihrer Predigt an das Gottesvolk Israel (Apg 3,11–26; 5,42), aber auch ihrer Verfolgung durch die Tempelbehörde (Apg 4,1–22; 5,17–33). In diesem Zusammenhang gibt es auch einige konkretere Ortsangaben.7 Zweimal wird die „Säulenhalle Salomos (~ Å  )“ erwähnt (Apg 3,11; 5,12). Dabei handelt es sich, wie aus der Beschreibung des Josephus hervorgeht, um die Säulenhalle entlang der Ostseite des Tempelplatzes (Bell V 185; Ant XX 221). In der östlichen Umfassungsmauer sind bis heute Steine des vorherodianischen Tempels sichtbar8 und das führte damals offensichtlich zur Bezeichnung als „Säulenhalle Salomos“ (Abb. 1).9 Josephus hat sie für den einzigen Teil des salomonischen Tempels gehalten, der nach den Ausbau- und Erneuerungsarbeiten von Herodes dem Großen und Agrippa II. noch zu sehen war.10 Nahe dieser Ost-Stoa ist offensichtlich die  ‹ (Apg 3,2) bzw. %@ ‹ (Apg 3,10) gedacht, die in der revidierten Luther-Übersetzung die „Schöne Tür“ heißt. Die  ‹ lag nach Lukas so, dass Bettler dort von denen Almosen erwarten konnten, die „in das Heiligtum hineingingen (%€ˆ *   © )“ (Apg 3,2). 1906 schrieb Emil Schürer: „Die Mehrzahl der Neueren erkennt an, daß das ‚eherne Tor‘ des Josephus, das ‚Nikanor-Tor‘ der Mischna und das ‚schöne Tor‘ der Apostelgeschichte eins und dasselbe sind. Dabei wird es hoffentlich zukünftig sein Bewenden haben.“11 Diese Hoffnung hat sich allerdings nicht erfüllt, denn es bleibt weiter umstritten, 6 Vgl. J. B. CHANCE, Jerusalem, the Temple, and the New Age in Luke-Acts, Macon 1988; P. F. ESLER, Community and Gospel in Luke-Acts, MSSNTS 57, Cambridge 1987, 131–163.244–250; H. GANSER-KERPERIN, Das Zeugnis des Tempels. Studien zur Bedeutung des Tempelmotivs im lukanischen Doppelwerk, NTA NF 36, Münster 2000. 7 Inwieweit bei der Beschreibung des himmlischen Heiligtums im Hebräer-Brief und der Johannes-Apokalypse auch die Anschauung des Tempels vor 70 eingewirkt hat, wird verschieden beurteilt. Vgl. O. HOFIUS, Der Vorhang vor dem Thron Gottes. Eine exegetisch-religionsgeschichtliche Untersuchung zu Hebräer 6,19f. und 10,19f., WUNT 14, Tübingen 1972; M. BACHMANN, Himmlisch. Der „Tempel Gottes“ von Apk 11,1, NTS 40 (1994), 474–480; G. GÄBEL, Die Kulttheologie des Hebräerbriefes. Eine exegetischreligionsgeschichtliche Studie, WUNT II/212, Tübingen 2006. 8 Vgl. L. RITMEYER, The Quest. Revealing the Temple Mount in Jerusalem, Jerusalem 2006, 141. 9 Vgl. E. M. LAPERROUSAZ, Les temples de Jérusalem, Paris 1999, 35–41. 10 Vgl. G. DALMAN, Orte und Wege Jesu, BFChTh II/1, Gütersloh 31924, 310f. 11 E. SCHÜRER, Die ‚†ÝÚ oder æ†Û ÷ÝÚ{Ú Act 3,2 u. 10, ZNW 7 (1906), 51– 68, 68. Vgl. DERS., The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C.–A.D. 135). A New English Version, hg. v. G. VERMES u.a., Bd. II, Edinburgh 1979, 57 Anm. 170.

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welcher Tempeleingang damit gemeint ist.12 Die Probleme liegen aber nicht allein bei Lukas, sondern ebenso in der Beschreibung der Tempeltore durch Josephus und die Mischna.13 Leider hilft auch der einzige Pilgerbericht, der das „Schöne Tor (porta speciosa)“ nennt (Itinerarium 17 [CSEL 39,170]), nicht weiter, weil der anonyme Pilger von Piacenza um 570 über keine zuverlässige Ortstradition mehr verfügte.14 Wenn © in Apostelgeschichte 3,2 den gesamten Tempelplatz umfasst, dann würde es sich um eines der Außentore handeln.15 Doch selbst in Apostelgeschichte 21,30 ist es keineswegs sicher, dass die Außentore gemeint sind,16 wenn es dort heißt: „Da geriet die ganze Stadt in Aufregung 12 Vgl. J. A. PATENGALE, Art. Beautiful Gate, ABD I (1992), 631f; C. K. BARRETT, The Acts of the Apostles I, ICC, Edinburgh 1994, 179f; J. A. FITZMYER, The Acts of the Apostles, AnB 31, New York 1998, 277f; M. BACHMANN, Art. Tempel III: Neues Testament, TRE XXXIII (2002), 54–65, 55f. 13 Vgl. J. TAYLOR, The Gate of the Temple Called „the Beautiful“, RB 106 (1999), 549–562, 554–561. 14 Vgl. H. DONNER, Pilgerfahrt ins Heilige Land. Die ältesten Berichte christlicher Palästinapilger (4.–7. Jahrhundert), Stuttgart 22002, 259 Anm. 83. Der Pilger identifizierte die „Schöne Tür“ mit dem so genannten „Goldenen Tor“ in der Ostmauer des Tempelplatzes. Unter dem heute sichtbaren byzantinisch-omajjadischen Tor befinden sich die Reste eines älteren Tores (vgl. RITMEYER, Quest [s. Anm. 8], 107–110). Dabei dürfte es um das in der Mischna erwähnte Schuschan-Tor gehen, das offensichtlich nur Priestern für kultische Handlungen wie die Verbrennung der Asche der „Roten Kuh“ offen stand (mMid 1,3; mJoma 1,3; vgl. mPara 3,6). Schon allein deshalb kann es nicht das Tor des Einzuges Jesu vor dem Todespassah gewesen sein, als das es erst seit Rhabanus Maurus (†856) gilt (Homil 70 [PL 110,133]). Nach Mk 11,11 und noch deutlicher nach Mt 21,10–12 kommt Jesus auch zunächst in die Stadt und betritt erst anschließend den Tempelbereich. Die Hosianna-Rufe auf die beginnende Herrschaft eines Davidsnachfahren (Mt 21,9 par. Mk 11,9f) könnte man sich besonders gut bei einem Einzug durch das „Quelltor (®²« ²)“ (Neh 2,14) vorstellen, in dessen Nähe sich der Teich Siloah mit seinen messianischen Konnotationen (siehe unten Abschnitt 5) befand. Vgl. R. RIESNER, Geography of Galilee and Judea, in: C. A. Evans (Hg.), Encyclopedia of the Historical Jesus, New York/London 2008, 216–223, 221. 15 So T. A. BUSINK, Der Tempel von Jerusalem von Salomo bis Herodes. Eine archäologisch-historische Studie unter Berücksichtigung des westsemitischen Tempelbaus II: Von Ezechiel bis Middot, Leiden 1980, 1185–1187; M. BEN-DOV, In the Shadow of the Temple, Jerusalem 1985, 138. 16 Gegen BACHMANN, Tempel (s. Anm. 12), 55, vgl. J. JEREMIAS, Jerusalem zur Zeit Jesu. Eine kulturgeschichtliche Untersuchung zur neutestamentlichen Zeitgeschichte, Göttingen 31963, 237f; F. F. BRUCE, The Acts of the Apostles, Grand Rapids/Leicester 3 1990, 450; W. ECKEY, Die Apostelgeschichte. Der Weg des Evangeliums von Jerusalem nach Rom II, Neukirchen-Vluyn 2000, 494. Es ist nicht völlig auszuschließen, dass der Plural  in Apg 21,30 nur die Torflügel meint (C. K. BARRETT, The Acts of the Apostles II, ICC, Edinburgh 1998, 1021). Man könnte auch erwägen, ob Lukas im Gegensatz zu Stadttoren (Lk 7,12; Apg 9,24; 12,10; 16,13) für die Tore der Tempelvorhöfe nicht %@, sondern  gebrauchte, das ja eher „Tür“ (vgl. Lk 11,7; Apg 5,9.19.23; 12,6.13) als „Tor“ bedeutet (W. BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schrif-

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und es entstand ein Auflauf des Volkes. Sie ergriffen aber Paulus und zerrten ihn zum Heiligtum hinaus (£* \ ©\) und sogleich wurden die Türen (©  ) geschlossen.“ Weil Lukas © hier offensichtlich auch für den nur Juden zugänglichen Bereich gebraucht,17 kann durchaus eines der Tore der Vorhöfe des Tempels vorausgesetzt sein. Eine erwägenswerte Möglichkeit ist das in der Mischna genannte „Osttor (´« ²)“ des Frauenvorhofes (mTam 5,7), wo sich auch als unrein Geltende aufhielten (Abb. 1).18 Dieses Osttor kann mit dem besonders prachtvollen Tor aus „korinthischem Erz“ bei Josephus (Bell V 201–204; VI 293) identifiziert werden, das „an Wert bei weitem die übersilberten und vergoldeten“ Tore „übertraf“ (Bell V 201 [Michel/Bauernfeind II/1,139]). Dieses Tor bezeichnete Josephus ausdrücklich als „das östliche Tor des inneren Tempel[vorhofes] (–   — %@ \ | ^ˆ* \)“ (Bell VI 293). Unter den modernen Autoren setzte noch Abraham Schalit dieses Tor mit dem Nikanor-Tor der Mischna (mMid 1,4; 2,3.6 usw.) gleich.19 Meist wird aber das Nikanor-Tor nach den rabbinischen Angaben (und vielleicht auch nach Josephus, Bell V 193–206) für das westliche Tor des Frauenvorhofs gehalten, das in den Männervorhof führte.20 Die Lesart von Kodex D (| %€ˆ € ^' \ 戀...) macht offensichtlich nur explizit, was der erzählerische Neuansatz in Úpostelgeschichte 3,11 ( \  ^' \) impliziert: Der Geheilte folgt den beiden Aposteln aus dem eigentlichen ten des Neuen Testament, neu bearb. u. hg. v. Kurt u. Barbara Aland, Berlin/New York 6 1988, 743f). Dagegen spricht natürlich der Wechsel zwischen  ‹ und %@

‹ (Apg 3,2.10). Diese wechselnde Terminologie wäre aber vielleicht gerade für das Osttor des Frauenvorhofes verständlich, das zwar kein Stadttor, aber doch das mit Abstand größte Tor zu den Vorhöfen war. Interessant ist in diesem Zusammenhang  — – %@ (Mt 7,14) diff. ‹ ^ ~ ˜  —  (Lk 13,24). 17 Vgl. auch BACHMANN, Tempel (s. Anm. 12), 56. 18 Vgl. D. BAHAT, Jesus and the Herodian Temple Mount, in: J. H. Charlesworth (Hg.), Jesus and Archaeology, Grand Rapids/Cambridge 2006, 300–308 (302). Die alten Mischna-Handschriften sind zwischen ´« ®²/² gespalten. O. HOLTZMANN, Tamid (Vom täglichen Gemeindeopfer), Gießen 1928, 63.78, liest den Plural, J. COHN, Mischnajot V: Ordnung Kodaschim, Basel 31968, 470, hingegen den Singular und bemerkt dazu: „Nach Tosaf. (Pesach. 82a v. ®´²´ «®«) ist hier … das weiter hinein gelegene Tor zum Frauenvorhof gemeint“. Vgl. auch DALMAN, Orte und Wege Jesu (s. Anm. 10), 315f. Nach Dalman befanden sich im Frauenvorhof auch die trompetenförmigen Opferstöcke (mScheq 6,5; tScheq 3,1–2), wo vermutlich die Szene vom Opfer der Witwe bei der „Schatzkammer (œ`€ ‹ )“ spielt (Mk 12,41–44 / Lk 21,1–4). Nach Joh 8,20 „lehrte Jesus sitzend gegenüber der Schatzkammer“. Das ist insofern bemerkenswert, als die Rabbinen dort im Gegensatz zum Vorhof Israels keine Bedenken gegen das Sitzen hatten. Vgl. H. L. STRACK / P. BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch II: Das Evangelium nach Markus, Lukas und Johannes und die Apostelgeschichte, München 1924, 33–37. 19 A. SCHALIT, König Herodes. Der Mann und sein Werk, SJ 5, Berlin 1969, 389–392. 20 Vgl. RITMEYER, Quest (s. Anm. 8), 352–359.

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Heiligtumsbereich (Männer- und Frauenvorhof) zur „Säulenhalle Salomos“, wo Petrus eine Predigt hält (Apg 3,12ff). Auch die genannten Stücke am Beginn der Apostelgeschichte dürften auf eine konservativ-judenchristliche Tradition zurückgehen, meines Erachtens sogar auf dieselbe, die Lukas im Evangelium aufgenommen hat. Wieder entsteht die Frage, ob Lukas hier nur einfach eine Überlieferung weitergibt oder ihre Sicht des Tempels teilt. Eine herausgehobene Stellung spielt der Tempel auch am Schluss der Apostelgeschichte im Zusammenhang mit der Verhaftung des Paulus. Es wäre möglich, dass der Tempel am Ende für Lukas nur noch einen Ort des Unglücks und des Abfalls darstellt. Aber es war nach Lukas ja gerade die Treue des Paulus zum Tempel, wie sie in seiner Auslösung judenchristlicher Nasiräer zum Ausdruck kam, die den Apostel in Lebensgefahr brachte (Apg 21,23–27).21 Paulus war angeklagt, „diesen heiligen Ort (   % \ ) entweiht“ zu haben, indem er Heiden in das „Heiligtum (© )“ hineinführte (Apg 21,27f), also mit ihnen die mit Warntafeln (CIJ I 1400; OGIS 598) versehene Absperrung überschritt.22 Bei seiner großen Verteidigungsrede weist der Apos21 Für historisch halten sowohl diesen Vorgang wie auch das eigene Nasiräatsgelübde des Paulus (Apg 18,18–22) B. J. KOET, Why did Paul shave his hair (Acts 18,18)? Nazirite and Temple in the Book of Acts, in: M. Poorthuis/C. Safrai (Hg.), The Centrality of Jerusalem. Historical Perspectives, Kampen 1996, 128–142; F. W. HORN, Paulus und der Herodianische Tempel, NTS 53 (2007), 184–203, 198f. Wenn man den beiden Autoren folgt, dann wäre die Haltung des Apostels zum Tempel der des Lukas ähnlich gewesen, wie sie hier angenommen wird. M.E. hat Horn (a.a.O. 196 Anm. 49) aber unrecht, wenn er bestreitet, dass Paulus in 2Kor 5,1 auf das Tempelwort Jesu (Mk 14,59) anspielt. Vgl. dagegen K. PAESLER, Das Tempelwort Jesu. Die Traditionen von Tempelzerstörung und Tempelerneuerung im Neuen Testament, FRLANT 184, Göttingen 1999, 93–110, und auch J. P. M. SWEET, A House not Made with Hands, in: Templum Amicitiae (FS Ernst Bammel), hg. v. W. Horbury, JSNT.S 48, Sheffield 1991, 368–390, sowie grundsätzlich R. RIESNER, Paulus und die Jesus-Überlieferung, in: Evangelium – Schriftauslegung – Kirche (FS Peter Stuhlmacher), hg. v. J. Ådna u.a., Göttingen 1997, 229–243. Zur Rückführung der Substanz des Tempelwortes auf Jesus selbst vgl. D. E. AUNE, Prophecy in Early Christianity and the Ancient Mediterranean World, Grand Rapids 1983, 173– 175; A. M. SCHWEMER, Irdischer und himmlischer König. Beobachtungen zur sogenannten David-Apokalypse in Hekhalot Rabbati §§ 122–126, in: M. Hengel / A. M. Schwemer, Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt, WUNT 55, Tübingen 1991, 309–359, 345–355; J. ÅDNA, Jesu Stellung zum Tempel. Die Tempelaktion und das Tempelwort als Ausdruck seiner messianischen Sendung, WUNT 119, Tübingen 2000, 25–156. 22 Vgl. P. SEGAL, The Penalty of the Warning Inscription from the Temple of Jerusalem, IEJ 39 (1989), 79–84; J. A. FITZMYER, The Acts of the Apostles, AncB 31, New York/London 1998, 598. Ob man in Eph 2,14 (  ‡ \ `\) einen Hinweis auf diese Absperrung (vgl. Josephus, Bell V 193f) sieht, hängt auch von der Datierungsfrage ab. Vertreter dieser Ansicht bei E. SCHWEIZER, Der Brief an die Epheser, EKK X, Zürich u.a. 1982, 113f; A. T. LINCOLN, Ephesians, WBC 42, Dallas 1990, 141.

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tel darauf hin, dass er gerade, „als er im Heiligtum (| š ©š) betete“, von Gott in visionärer Schau den Auftrag zur Heidenmission erhielt (Apg 22,17–21). Ich möchte die Stellung des Lukas zum Tempel mit einer dreiteiligen These charakterisieren: Lukas hat den Tempel persönlich gekannt, er hat ihn geliebt und doch gewusst, dass an seine Stelle etwas anderes tritt. Gerade bei der Verhaftung des Paulus im Tempel erfahren wir einige topographische und architektonische Einzelheiten, die sich weder auf eine Quelle noch auf besondere literarische oder theologische Absichten zurückführen lassen. Paulus wurde aus dem © , das hier offenbar eingeschränkt den nur Juden erlaubten Bereich meint, mit der Absicht heraus geschleift ihn zu töten (Apg 21,30f). Die Nachricht vom Aufruhr „stieg hinauf ( ˆ!@ `Š )“, das heißt, sie erreichte den römischen Chiliarchen an einer Stelle, die höher als das übrige Tempelgelände lag (Apg 21,31). Der Offizier stürmte deshalb mit seinen Soldaten hinunter ( ˆ^ ), um Paulus zu verhaften (Apg 21,32). Der Apostel wurde in eine römische Kaserne in unmittelbarer Nähe des Tempels verbracht. Lukas bezeichnet das Gebäude als %!•, „Lager“ (Apg 21,34.37; 22,24; 23,10.16.32), während er im Zusammenhang mit der Gefangenschaft des Paulus in Caesarea vom „Prätorium des Herodes (% Ì  \ ^€)“ spricht (Apg 23,35). Obwohl zu dieser Zeit dort Felix als Statthalter des römischen Sonderterritoriums Judäa residierte, wird so die Erinnerung daran festgehalten, dass es sich um den von Herodes dem Großen erbauten Königspalast handelte. In beiden Fällen erweist sich die Wortwahl des Lukas als zutreffend, denn im Gegensatz zum Palast in Caesarea23 diente die Antonia nie als Prätorium, wie eine Kreuzfahrertradition später fälschlich annahm.24 Über Stufen ( !) sollte Paulus in die Antonia gebracht werden (Apg 21,35). Diese Stufen befanden sich außerhalb der Festung, denn der Apostel konnte von ihnen aus eine Rede an die im Vorhof der Heiden versammelte Menge richten (Apg 21,40). Es gibt mindestens drei neuere, stark voneinander abweichende Rekonstruktionen der Festung Antonia durch Jerome Murphy-O’Connor, Leen Ritmeyer und Ehud Netzer. Dabei hat die Annahme von Netzer, dessen Lebenswerk den königlichen Bauten 23 Vgl. E. NETZER, Die Paläste der Hasmonäer und Herodes’ des Großen, Sonderhefte der Antiken Welt, Mainz 1999, 114. 24 Vgl. F. M. ABEL, Jérusalem Nouvelle II, Paris 1926, 578–586. Dieser Konsequenz versuchte M. A. DE SION, La forteresse Antonia à Jérusalem et la question du Prétoire, Paris 1955, 220, zu entgehen, indem sie Mk 15,16 £* ˜ ˜, " | % Æ 

übersetzte „à lintérieur de la cour, cest-à-dire dans le Prétoire“. Es muss aber heißen „in das Innere des Palastes, das ist das Prätorium“ (W. ECKEY, Das Markus-Evangelium. Orientierung am Weg Jesu, Neukirchen-Vluyn 1998, 384). Vgl. auch BAUER, Wörterbuch (s. Anm. 16), 243.

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des Herodes galt, viel für sich, dass die Antonia in den Tempelplatz hineinragte (Abb. 1).25 Man kann diese Rekonstruktion noch durch ein Argument verstärken: Nur so war durch Einblick auch eine Überwachung der nördlichen Stoa möglich. Aber die Unsicherheit der archäologischen Rekonstruktion bildet für die Beurteilung der lukanischen Angaben kein Problem. Gleich welcher Ansicht man folgt, die Antonia überragte auf jeden Fall die Nordwestecke des Tempelplatzes. Auch der Versammlungsort des Synhedriums lag unterhalb der Antonia, so dass man Paulus zu ihm „hinab führte ( Š* )“ und dann eine weitere Soldatenabteilung dorthin „hinabsteigen ( !Š )“ musste (Apg 22,30; 23,10). Diese Beschreibung trifft sowohl zu, wenn der Hohe Rat in der „Quaderhalle“ auf dem Tempelplatz getagt hätte als auch, wie es wahrscheinlicher ist, im von Josephus erwähnten „Rathaus (!€€•  )“ (Bell V 144; VI 354),26 das wohl mit einem vornehmen Gebäude im Bereich des Wilson-Bogens (Abb. 1) an der Westmauer des Tempelplatzes zu identifizieren ist.27 Die großen Treppen ( !Š ) von der Antonia zum Tempelplatz werden auch von Josephus erwähnt (Bell V 242–245) und er nennt die Antonia immer nur eine Festung (`  ) oder einen Turm (%), aber nie einen Palast. Sowohl in Bezug auf die Treppen wie die Charakterisierung der Antonia stimmt Lukas mit Josephus in der Sache überein, bedient sich aber einer anderen Terminologie. Das ist eines der vielen Indizien, die gegen eine Abhängigkeit des Lukas vom jüdischen Historiker sprechen, wie sie jetzt wieder Steve Mason erwägt.28 Mit Martin Hengel halte ich es für

25 E. NETZER, A New Reconstruction of Paul’s Prison, BArR 35/1 (2009), 44–51.71. Vgl. auch DERS., Architecture of Herod (s. Anm. 1), 124.160f und den Plan 139 fig. 31. Vor seinem tragischen Tod auf dem Herodeion (2010) konnte ich im September 2009 mit Professor Netzer einen Briefwechsel über die Rekonstruktion der Antonia führen. Ehud Netzer gab in großzügiger Weise die Erlaubnis, seine Rekonstruktionszeichnungen zu übernehmen. 26 Vgl. J. BLINZLER, Der Prozeß Jesu, Regensburg 41969, 168–170; J. WILKINSON, Jerusalem as Jesus Knew It, London 1978, 142; R. RIESNER, Nachwort: Ausgrabungen 1989–1996, in: H. Blok / M. Steiner, Jerusalem. Ausgrabungen in der Heiligen Stadt, BAZ 4, Gießen 1996, 155–168, 167. 27 Es handelt sich um eine Säulenhalle, die von Charles W. Warren „Masonic Hall“ genannt wurde. „Der rechteckige Raum (14 x 25,5m) hat ca. 1m dicke Mauern, deren Außenseiten Bossenquader mit feinem Saumschlag aufwiesen, deren Innenseiten geglättet und mit Pilastern mit korintischen Kapitellen versehen waren … Dies sind deutliche Zeichen dafür, dass hier spätestens in herod[ianischer] Zeit ein stilvoller Saal errichtet wurde. Es liegt nahe, darin das unterste Stockwerk des von Josephus genannten ‚Rathauses‘ zu sehen“ (M. KÜCHLER, Jerusalem. Ein Handbuch und Studienreiseführer zur Heiligen Stadt, OLB IV/2, Göttingen 2007, 164). 28 S. MASON, Flavius Josephus und das Neue Testament, UTB 2130, Tübingen 2000, 270–326.

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die beste Erklärung des Sachverhalts bei Lukas, dass er den Tempel persönlich kannte,29 weil er im Jahr 57 n. Chr. mit Paulus in Jerusalem war.30 Dieses Urteil lässt sich auch durch eine Gegenprobe bekräftigen. Verglichen mit den Texten über Jerusalem, Judäa und auch Samarien bietet Lukas in den Abschnitten seines Evangeliums, die in Galiläa spielen, eher spärliche topographische Angaben (Lk 4,29.31.44; 5,1; 6,12.17; 8,26; 9,10) und dasselbe gilt für architektonische Hinweise. Die bescheidene Bauweise von Häusern mit oftmals nur einem und dann auch noch dunklen Wohnraum31 spiegelt sich in Gleichnissen, die Jesus vielleicht in Galiläa gesprochen hat und die Lukas der Tradition entnimmt (Lk 11,7; 15,8). Auffällig sind die lukanischen Abweichungen beim Schlussgleichnis der Feld- bzw. Bergpredigt über die verschiedenen Bauweisen eines Hauses: Matthäus 7,24.26 "   ^@ \ —  

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Offensichtlich verdeutlicht Lukas das Gleichnis für eine städtische Leserschaft, die sich kaum vorstellen kann, dass ein Wohnhaus einfach auf felsigem Grund aufgemauert wird, ohne dass man vorher für das Fundament eine Vertiefung ausschlägt. Dagegen dürfte die Matthäus-Fassung Lokalkolorit aufweisen. Die Einflüsse des Jordan und anderer vom Golan herkommender Ströme bilden am Nordufer des Sees Genezareth bei Bethsaida ein größeres Deltagebiet. Dort war bestimmt die Versuchung groß, so wie es heute in Entwicklungsländern geschieht, im Sand- und Schotterbett eines verlandeten Flussarms auf wohl herrenlosem Gebiet ein Haus zu errichten. Bei einem monsunartigen Regen füllte sich dann der Altarm wieder und das Haus wurde weggespült. Auffällig sind in Markus 1,21–38 bei der Schilderung eines Vierundzwanzig-Stunden-Tages lokale Details (Mk 1,29.32–33.35.38), die bei Lukas nicht erscheinen. Während Markus 2,4 das landschaftsübliche Lehmdach vorauszusetzen scheint, spricht Lukas 5,19 von einem Ziegeldach. Im galiläischen Dorf Nain erwähnt Lukas ein „Tor der Stadt (%@ ˜ %*)“ (Lk 7,12). Falls nicht bloß eine An29

M. HENGEL, Der Historiker Lukas und die Geographie Palästinas [1983], in: Studien zum Urchristentum. Kleine Schriften VI, WUNT 234, Tübingen 2008, 140–190, 155–157. 30 Zur Datierung vgl. R. RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 282–290. 31 Vgl. dazu G. DALMAN, Arbeit und Sitte in Palästina VII: Das Haus, Hühnerzucht, Taubenzucht, Bienenzucht, SDPI 10, Gütersloh 1942, 1–175; Y. HIRSCHFELD, The Palestinian Dwelling in the Roman-Byzantine Period, SBF.CMi 34, Jerusalem 1995. DERS.,

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spielung auf die Elia-Geschichte in 1. Könige 17,10 (LXX %€ ˜ %*) vorliegt, kann es sich höchstens um einen Durchlass zwischen den Häusern für die Dorfstraße gehandelt haben. Die Ausdrucksweise spricht jedenfalls nicht für nähere galiläische Ortskenntnisse des Lukas. Das letzte Lehren Jesu im Tempel endet in Markus 13,1f mit einer kleinen Szene. Beim Verlassen des Heiligtums ruft einer der Jünger aus: „Lehrer, siehe wie große Steine und wie große Gebäude (%%   %%  ^)“ (Mk 13,1, vgl. Mt 24,1). Die Begeisterung des ungenannten Jüngers war verständlich, sogar Tacitus sprach noch vom „immensae opulentiae templum“ (Hist V 8 [LCL 249,188]). Die kleinsten beim Bau der herodianischen Umfassungsmauer verwendeten Steine haben ein Gewicht von zwei Tonnen. Der größte Quader, der bisher (nördlich des Wilson-Bogens in der Westmauer) gefunden wurde, misst 12 x 4 x 3m und wiegt fast 400 Tonnen.32 Es gab im gesamten Altertum keinen größeren Platz als den von Herodes geschaffenen Tempelplatz,33 so dass man durchaus von einem „achten Weltwunder“ der Antike sprechen könnte. Der Ausruf des Jesus-Jüngers findet eine Parallele im Babylonischen Talmud. Dort wird ein Sprichwort zitiert, das in die Zeit vor 70 n. Chr. zurückgehen dürfte: „Man sagt, wer den Bau des Herodes nicht gesehen hat, habe keinen schönen Bau gesehen“ (bBB 4a [ed. Goldschmidt VIII,11]).34 Die Bauaktion des Herodes wird dabei von Baba ben Buta in einer Art beschrieben, die an das Jesus-Wort in Johannes 2,19 (siehe unten Abschnitt 5) erinnert: Ein Bote „wird ein Jahr hingehen, ein Jahr sich da aufhalten und ein Jahr zurückkehren [also insgesamt drei Jahre!]; währenddessen hast du [den Tempel] niedergerissen und wieder aufgebaut“ (ebd.). Jesus gab nach Markus 13,2 (vgl. Mt 24,2) dem begeisterten Jünger zur Antwort: „Du siehst diese großen Gebäude (Š  ^)? Kein Stein wird auf dem anderen gelassen werden, der nicht abgebrochen wird.“ Achim Lichtenberger bemerkt zu diesem Ausspruch: Wir haben „in der von Jesus angekündigten zukünftigen Zerstörung ein Zeugnis dafür, wie sehr die geradezu unvorstellbare Monumentalität des Tempels den Zeitgenossen den Eindruck von Unzerstörbarkeit und Gesetztheit vermittelte.“35 Mit seiner Ansage der Tempelzerstörung verneinte Jesus die Inanspruchnahme religiöser Legitimation durch das herodianische Herrscherhaus, wie sie nicht zuletzt durch den eschatologisch getönten Umbau von Herodes 32

Vgl. M. BEN-DOV, In the Shadow of the Temple, Jerusalem 1985, 88. Vgl. a.a.O. 77. 34 Vgl. auch Philo, LegGai 191.198; Josephus, Bell VI 267; XV 391. 35 A. LICHTENBERGER, „Sieh, was für Steine und was für Bauten!“ – Zur Rezeption herodianischer Architektur im Neuen Testament, in: S. Alkier / J. Zangenberg (Hg.), Zeichen aus Text und Stein. Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments, TANZ 42, Tübingen 2003, 209–221, 212. 33

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dem Großen zum Ausdruck kam (vgl. Ant XV 382ff).36 Die endzeitliche Aufrichtung des Tempels galt in weiten Teilen des Judentums als eine Aufgabe des Messias.37 Wenn Herodes die Salomo zugeschriebene Ostmauer nach Josephus bewusst in seinen Umbau einbezog (Ant XX 220– 221), könnte das auf eine beabsichtigte Parallelisierung mit dem ersten Tempelerbauer hinweisen und so eine Art säkularisierten Messianismus verraten. Das Wort Jesu verneinte aber auch den zelotischen Glauben an die Unzerstörbarkeit des Jerusalemer Heiligtums.38 Die lukanische Parallele zu Markus 13,1f hebt nicht die Größe der Bausteine und der Gebäude des Tempels hervor, sondern bietet folgende Fassung des Jüngerausrufes: „Einige sagten über das Heiligtum, dass es mit schönen Steinen und Weihegeschenken geschmückt sei (  ‹     @ )“ (Lk 21,5). Von beiden Schmuckarten spricht auch Josephus (Bell V 189.210–212.223; Ant XV 392) aber die Berührungen zwischen ihm und Lukas sind wiederum nur sachlicher und nicht terminologischer Art. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Evangelist Lukas 21,5–7 in seiner Sondertradition vorfand.39 Er kann mit seiner Version jedoch auch versucht haben, seinen nichtjüdischen Lesern auf diese Weise die Pracht des Tempels zu verdeutlichen. Dann wäre es aber möglich, dass der Evangelist auf seine eigenen Augenzeugenerinnerungen zurückgegriffen hat. Während „die schönen Steine“ nach Absicht der herodianischen Erbauer die Pracht des Tempels verkünden sollten, werden nach einem Jesus-Wort aus der lukanischen Sonderüberlieferung „die Steine schreien (©  Šœ€ )“ (Lk 19,40), wenn sie nach der Zerstörung des Tempels übereinander gestürzt daliegen (vgl. Lk 19,44; 21,6). In der matthäisch-lukanischen Form der Versuchungsgeschichte geht es um die Aufforderung zu einem Sprung Jesu von der „Zinne des Tempels ( %  \ ©\)“ (Mt 4,5f par. Lk 4,9–12). Es ist umstritten, welcher Teil des herodianischen Tempels damit gemeint sein könnte,40 aber 36 Vgl. SCHALIT, König Herodes (s. Anm. 19), 473–476; S. JAPP, Die Baupolitik Herodes’ des Großen. Die Bedeutung der Architektur für die Herrschaftslegitimation eines römischen Klientelkönigs, Internationale Archäologie 64, Rahden 2000, 29–32; G. FASSBECK, „Unermeßlicher Aufwand und unübertreffliche Pracht“ (bell 1,401). Von Nutzen und Frommen des Tempelneubaus unter Herodes dem Großen, in: Alkier/Zangenberg (Hg.), Zeichen aus Text und Stein (s. Anm. 35), 222–249. 37 Vgl. ÅDNA, Jesu Stellung zum Tempel (s. Anm. 21), 80–89. 38 Vgl. H. LICHTENBERGER, Der Mythos von der Unzerstörbarkeit des Tempels, in: J. Hahn (Hg.), Zerstörungen des Jerusalemer Tempels, WUNT 147, Tübingen 2002, 92– 107. 39 Vgl. D. L. BOCK, Luke 9:51–24:53, ECNT, Grand Rapids 1996, 1661; anders T. SCHRAMM, Der Markus-Stoff bei Lukas. Eine literarkritische und redaktionsgeschichtliche Untersuchung, MSSNTS 14, Cambridge 1971, 173f. 40 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem (s. Anm. 27), 185–188.

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auf jeden Fall ist das Heiligtum als ein überragend hohes Gebäude im Blick, das dem geforderten Schauwunder die entsprechende Kulisse verleiht. Bei Matthäus handelt es sich um die zweite Versuchung Jesu, bei Lukas um die abschließende dritte. Man nimmt meist an, dass Lukas die Reihenfolge in Q umgestellt habe, um so die Versuchungsgeschichte („Du wirst deinen Fuß nicht an einen Stein stoßen“ [Lk 4,11; vgl. Ps 91,12]) mit dem Steinigungsversuch in Nazareth (Lk 4,16–30) zu verbinden. Wenn man bei der Reihenfolge nicht mit dem Einfluss seiner Sondertradition rechnet, sondern eine solche dramatisierende redaktionelle Umstellung erwägt, dann kann man fragen, ob hier bei Lukas nicht auch der überwältigende Eindruck des Tempels nachwirkte. Mit dem auf jüdisch-apokalyptische Traditionen anspielenden „sehr hohen Berg (  $}@  )“, der bei Matthäus am Schluss der Versuchungen steht, konnten Lukas bzw. seine nichtjüdischen Leser offenbar weniger anfangen und deshalb wurde dieser Berg ausgelassen (Mt 4,8 diff. Lk 4,5).41 Es bleibt die Frage, ob man auch annehmen darf, dass Lukas den Tempel nicht nur gekannt, sondern wirklich geliebt hat? Wir wissen durch die modernen Ausgrabungen, auf welch spektakuläre Weise der HerodesPalast in Caesarea auf einem Felsvorsprung im Meer errichtet worden war. Gegenüber den vielfältigen Bezugnahmen auf den Tempel fällt auf, wie lapidar im Gegensatz zu Josephus (Ant XV 331) Lukas diesen Prunkbau erwähnt (Apg 23,35), obwohl er ihn nach einem Wir-Bericht (Apg 24,1ff) mit eigenen Augen gesehen hatte. Anders als bei den beiden übrigen Synoptikern (Mk 15,16; vgl. Mt 27,27) und im Johannes-Evangelium (Joh 18,28.35; 19,9) wird das Jerusalemer Prätorium (Abb. 2), in dem Jesus Pontius Pilatus als Angeklagter gegenüberstand,42 von Lukas nicht einmal

41 Vgl. R. RIESNER, Versuchung und Verklärung (Lukas 4,1–13; 9,28–36; 10,17–20; 22,39–53 und Johannes 12,20–36), ThBeitr 33 (2002), 197–207, 198.203f; DERS., Bethanien jenseits des Jordan. Topographie und Theologie im Johannes-Evangelium, BAZ 12, Gießen 2003, 105f. 42 Eher als um den von Herodes dem Großen neu erbauten Palast im Gebiet der heutigen Zitadelle und des Armenischen Gartens handelte es sich beim Prätorium um den altehrwürdigen Hasmonäer-Palast, der in der Mitte der Stadt und in beherrschender Lage über dem Tempelplatz stand. Vgl. B. PIXNER, Noch einmal das Prätorium? Versuch einer neuen Lösung, ZDPV 95 (1979), 56–86; K. JAROŠ, Jesus von Nazareth. Geschichte und Deutung, Mainz 2000, 329; R. RIESNER, Praetorium, in: K. D. Sakenfield (Hg.), New Interpreter’s Dictionary of the Bible IV, Nashville 2009, 577f. Als eine Möglichkeit sehen das auch A. STROBEL, Die Stunde der Wahrheit. Untersuchungen zum Strafverfahren gegen Jesus, WUNT 21, Tübingen 1980, 110; LICHTENBERGER, Baupolitik (s. Anm. 1), 36f; C. A. EVANS, Mark 8:27–16:20, WBC 34B, Nashville 2001, 489. Überlegungen zu  * und !!Š (Joh 19,13) bei B. PIXNER, Stimmen zur Prätoriumsfrage, in: DERS., Wege des Messias und Stätten der Urkirche. Jesus und das Judenchristentum im Licht neuer archäologischer Erkenntnisse, hg. v. R. Riesner, BAZ 2, Gießen 31996, 394–396.

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genannt.43 Auch die Pracht dieses hasmonäischen oder herodianischen Palastes hat ihn offensichtlich nicht interessiert. Der Evangelist bietet in diesem Zusammenhang nur eine Sonderüberlieferung, die zeigt, wie Herodes Antipas als galiläischer Landesherr Jesu mit dem Anlegen eines „weißen (Königs)gewands“ dessen messianischen Anspruch verspotten ließ (Lk 23, 6–12). Wichtig war Lukas auch festzuhalten, dass sowohl Jesus wie die nachösterliche Gemeinde Anhänger bis hinein in den herodianischen Königshof fanden (Lk 8,3; Apg 13,1), während das glanzvolle Auftreten von Agrippa I. „im königlichen Gewand“ von Gottes Gericht getroffen wurde (Apg 12,21–23). Die Perspektive, in der Lukas wie seine Sonderüberlieferung herodianische Bauten wahrnehmen, scheint ganz jüdisch zu sein. Michael Bachmann konnte zeigen, dass Ê€^ bei Lukas in der Regel Judäa im alttestamentlich-geographischen Sinn meint und nicht das erweiterte römische Territorium dieses Namens oder ganz Palästina. Dieses jüdische Kernland zusammen mit der heiligen Stadt Jerusalem und dem Tempel im Zentrum bildet wie im Judentum so auch für den Verfasser des lukanischen Doppelwerks den Mittelpunkt der Welt.44 Wenn Hans-Josef Klauck urteilt, dass für Lukas „Jerusalem … zum geographischen Realsymbol für die Identität des Christentums mit seinen eigenen Ursprüngen“ geworden ist,45 so könnte man den Tempel ein architektonisches Realsymbol nennen. Für die Stellung des Lukas zum Tempel ist möglicherweise ein weiteres Sondergutstück relevant, nämlich das Weinen Jesu über Jerusalem (Lk 19,41– 44). Nach Sprache und Vorstellungswelt stammt der Abschnitt aus der hebraisierenden Sondertradition.46 Aber es stellt sich die Frage, warum Lukas dieses Stück übernommen hat, obwohl er im Gegensatz zu Markus die Schilderung von Emotionen Jesu sonst eher vermeidet (vgl. Mk 10,16.21 diff. Lk 18,17.22 u.ö.). Ich möchte die Vermutung äußern, dass die Tränen Jesu über Jerusalem auch die des Lukas waren.47 43

Das gilt auch von der Festung Machärus, wo nach Josephus (Ant XVIII 119) Johannes der Täufer hingerichtet wurde (vgl. Lk 3,19f). Dagegen setzt die Tradition hinter Mk 6,17–29 voraus, dass dort, wie es archäologisch belegt ist, zwei getrennte triclinia (für Männer und Frauen) existierten. Vgl. F. MANNS, Marc 6,21–29 à la lumière des dernières fouilles du Machéronte, SBFLA 21 (1981), 287–290; R. RIESNER, Johannes der Täufer auf Machärus, BiKi 39 (1984), 176. 44 M. BACHMANN, Jerusalem und der Tempel. Die geographisch-theologischen Elemente in der lukanischen Sicht des jüdischen Kultzentrums, BWANT 109, Stuttgart 1980, 67–131. Vgl. auch M. TILLY, Jerusalem – Nabel der Welt. Überlieferung und Funktionen von Heiligtumstraditionen im antiken Judentum, Stuttgart u.a. 2002. 45 H.-J. KLAUCK, Die heilige Stadt. Jerusalem bei Philo und Lukas, in: DERS., Gemeinde – Amt – Sakrament. Neutestamentliche Perspektiven, Würzburg 1989, 101–129, 128. 46 Vgl. J. JEREMIAS, Die Sprache des Lukasevangeliums, KEK Sonderband, Göttingen 1980, 281f. 47 Ähnlich sieht es auch P. DSCHULNIGG, Die Zerstörung des Tempels in den synoptischen Evangelien, in: Tempelkult und Tempelzerstörung (70 n. Chr.). Interpreta-

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2 Versammlungsräume der Urgemeinde in der Apostelgeschichte Das erste Gebäude, das Lukas zu Beginn der Apostelgeschichte erwähnt, ist allerdings nicht der Tempel, sondern „das Obergemach ( $%š )“, wo sich die Jüngergemeinde nach der Aufnahme Jesu in den Himmel versammelte (Apg 1,13). Der griechische Ausdruck $%š ist ein neutestamentliches hapax legomenon, das Lukas noch in zwei anderen Zusammenhängen gebraucht: Tabita, die offensichtlich zu einer Art Witwenkommunität in Joppe gehörte, wurde in einem „Obergemach“ aufgebahrt (Apg 9,36–42) und in einem solchen „Obergemach, wo viele Lichter waren“, feierte Paulus mit der Gemeinde von Troas einen Abendmahlsgottesdienst „am ersten Tag der Woche“ (Apg 20,7f). In der endzeitlichen heiligen Stadt sollte es nach einem Qumran-Text (5Q545a) im ersten Stock eines jeden Hauses ein besonderes Gemach für das Gemeinschaftsmahl geben (Abb. 3).48 Möglicherweise kannte Lukas schon Räume, die in besonderer Weise für den urchristlichen Gottesdienst reserviert und eingerichtet waren.49 Dafür spricht auch der Ausdruck $%š , der in der Septuaginta für Gebetsräume (2Kön 4,10f; Dan 6,11; Tob 3,10f) und Obergemächer des Tempels (1Chr 28,11.20) verwandt wird. In Qumran gebrauchte man für diese Räume im Heiligtum den Ausdruck ÿ®­² (11QJN 10,1f). Die Lokaltradition für das erste Zentrum der Urgemeinde auf dem südwestlichen Stadthügel Jerusalems, der mindestens seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. Sion (Å Ì ) genannt wurde (VitProph 13), ist sehr ernst zu nehmen (Abb. 2).50 Vielleicht wurde der dort gelegene traditionelle Abendmahlssaal der Kreuzfahrerzeit über den Resten eines größeren herodianischen Gebäudes errichtet,51 aber die religiösen und politischen Spannungen um dieses Gelände erlauben zur Zeit leider keine archäologischen Untersuchungen.

tionen (FS Clemens Thoma), hg. v. S. Lauer / H. Ernst, JudChr 15, Bern u.a. 1995, 167– 188, 176: „Im Lukasevangelium bleibt die Sympathie zum Tempel … ungebrochen, und Jesu Trauer über die Zerstörung von Stadt und Tempel wird festgehalten.“ 48 Vgl. M. CHYUTIN, The New Jerusalem Scroll from Qumran. A Comprehensive Reconstruction, JSPS.S 25, Sheffield 1997, 29f.98. 49 Vgl. R. RIESNER, What Does Archaeology Teach Us about Early House Churches?, TTK 78/3–4 (2007), 159–185, 181. 50 Vgl. É. PUECH, La synagogue judéo-chrétienne du Mont Sion, MBib 57 (1989), 18f; R. RIESNER, Der christliche Zion: Vor- oder nachkonstantinisch?, in: F. Manns / E. Alliata (Hg.), Early Christianity in Context. Monuments and Documents, SBF.CMa 38, Jerusalem 1993, 85–90; S. C. MIMOUNI, Le judéo-christianisme ancient. Essais historiques, Paris 1998, 369–387. 51 Vgl. R. RIESNER, Essener und Urgemeinde in Jerusalem. Neue Funde und Quellen, BAZ 6, Gießen 1998, 140f.

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Nachdem Petrus und Johannes im Tempel verhaftet worden waren, heißt es über die Urgemeinde: „Als sie gebetet hatten, erbebte die Stätte, wo sie versammelt waren ( % |  ¨ € @ˆ  )“ (Apg 4,31). Lukas denkt dabei vielleicht an das „Obergemach“ von Apostelgeschichte 1,13 sowie an den Ort des Pfingstereignisses (Apg 2,1).52 Möglicherweise wollte der Verfasser über den Ausdruck € ¡ auch einen Bezug zur synagogalen Versammlung herstellen.53 Das „Erbeben der Stätte“ erinnert unter anderem an die Gottesschau des Propheten Jesaja im Heiligtum (Jes 6,4). Der Versammlungsort der Gemeinde wird auf diese Weise, so stellt Jacob Jervell zu Recht fest, wie der Tempel durch „Gottes Anwesenheit“ gekennzeichnet.54 Der Gottesdienst der Urgemeinde vollzog sich denn auch sowohl „im Tempel wie in den Häusern“ (Apg 2,46; 5,42). Es ist kaum ein Zufall, dass es sich bei dem zweiten Privatgebäude, das Lukas in Jerusalem als ein mit einem besonderen „Toreingang (%€Ì )“55 versehenes, vornehmeres Haus (vgl. Lk 16,20) ebenfalls etwas detaillierter einführt, um den Versammlungsort einer wichtigen Hausgemeinde handelt (Apg 12,12– 17).56 Obwohl er sie nicht näher beschreibt, scheint Lukas auch die „Synagoge der Libertiner (€ *— – ˆ @  ! * )“ gut zu kennen (Apg 6,9), zu der offenbar Paulus vor seiner Berufung zum Apostel gehört hatte (vgl. Apg 6,8–14; 7,58–8,1; 9,29). Es ist möglich, ja, sogar wahrscheinlich, dass die berühmte Theodotos-Inschrift (CIJ I 1404) und spärliche, von Raymond Weil am Südostabhang der Davidsstadt gefundene Gebäudereste zu dieser Synagoge griechischsprachiger Juden gehören.57 Im Grunde gibt schon allein diese vor 70 n. Chr. zu datierende Inschrift Lukas und den anderen Evangelisten recht, dass bereits zur Zeit Jesu in Erez Jisrael Synagogengebäude existierten.58 Mit dem Fund einer relativ gut erhaltenen Synagogenruine aus der Zeit des Zweiten Tempels in Magdala dürfte diese Diskussion auch für Galiläa zu Ende sein.59

So fragend G. STÄHLIN, Die Apostelgeschichte, NTD 5, Göttingen 61978, 20.78. Vgl. G. SCHILLE, Die Apostelgeschichte, ThHK 5, Berlin/Ost 1983, 142. 54 J. J ERVELL, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 1998, 188. 55 Vgl. BAUER, Wörterbuch (s. Anm. 16), 1459. 56 Vgl. R. GEHRING, Hausgemeinde und Mission. Die Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinschaften – von Jesus bis Paulus, BWM 9, Gießen 2000, 138–146. 57 Vgl. R. RIESNER, Synagogues in Jerusalem, in: R. Bauckham (Hg.), The Book of Acts in Its First Century Setting, vol. 4: Palestinian Setting, Grand Rapids/Carlisle 1995, 179–212, 192–200. 58 Vgl. J. S. KLOPPENBORG, The Theodotos Synagogue Inscription and the Problem of First Century Synagogue Buildings, in: Charlesworth (Hg.), Jesus and Archaeology (s. Anm. 18), 236–282. 59 One of the Oldest Synagogues in the World was Exposed at Migdal [13.9.2009] (www.antiquities.org.il). 52 53

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3 Der Hohepriesterpalast und das Grab Jesu im Markus-Evangelium Neben dem Staunen über die mächtigen Steine und großen Gebäude des Tempels (Mk 13,1f) sowie der Charakterisierung des Abendmahlssaales als „(großem) Raum ( Š€)“ und „großem ausgelegten Obergemach ( Š  ˆ |*ˆ  )“ (Mk 14,14f par. Lk 22,11f) findet man bei Markus noch zwei etwas näher beschriebene architektonische Größen. Der Wohnsitz des Hohenpriesters wird von allen drei Synoptikern übereinstimmend als „Palast (•)“ bezeichnet (Mk 14,54 parr. Mt 26,58; Lk 22,55). Als ein besonderer Zug heißt es bei Markus, dass „Petrus unten im Palast ( Š* | ¥ ¥) war“ (Mk 14,66a), und damit wird offenbar zwischen einem höher und einem niedriger gelegenen Teil des Gebäudes unterschieden. Diese Beschreibung würde gut zu der relativ abfallenden Hanglage im Südwesten der Oberstadt passen, wo die älteste Tradition im Bereich der Kirche St. Peter in Gallicantu den Hohepriesterpalast sucht (Abb. 2).60 Schon der Pilger von Bordeaux, dessen Bericht wegen seines Alters (333 n. Chr.) und der oft nachweisbaren Genauigkeit von großer Bedeutung ist (Abb. 4),61 sah beim Anstieg vom Siloah-Teich auf den Zionsberg (in eadem ascenditur Sion et paret, ubi fuit domus Caifae sacerdotis) den Hohepriesterpalast (Itinerarium 16 [CSEL 39,22]). Allerdings konnten die Ausgrabungen der letzten Jahre auf diesem Gelände keine Klarheit schaffen.62 Der Hohepriesterpalast befand sich nach Josephus auf alle Fälle in der Jerusalemer Oberstadt (Bell II 426). Eine weitere spezifischere Information hinsichtlich dieses Palastes betrifft bei Markus einen „Vorhof (%  )“ (Mk 14,68), der vom Innenhof zu unterscheiden ist, wo sich Petrus zuerst aufhielt. Wie vor ihm Johannes Weiß63 und Julius Schniewind64 führte Vincent Taylor die Erzählung von der Verleugnung durch Petrus letztlich auf dessen eigene Erinnerung zurück.65 In Markus 14,66a sah Taylor allerdings eine redaktionelle Bemerkung des Evangelis-

60 Vgl. B. PIXNER, Wo lag das Haus des Kaiphas?, in: DERS., Wege des Messias (s. Anm. 42), 229–241. Skeptisch dagegen H. K. BOND, Caiaphas: Friend of Rome and Judge of Jesus?, Louisville/London 2004, 154–159 („The Location of Caiaphas’s Palace“). 61 J. JEREMIAS, Die Wiederentdeckung von Bethesda. Johannes 5,2, FRLANT NF 41, Göttingen 1949, 12, charakterisierte den Pilger als einen, der „in schlichter, fast treuherziger Weise verzeichnete, was ihm dort [in Jerusalem] gezeigt wurde“. Nach DONNER, Pilgerfahrt (s. Anm. 14), 40, handelte es sich möglicherweise um einen Judenchristen aus Gallien. 62 Vgl. H. GEVA, The Church of St. Peter in Gallicantu, NEAEHL V (2008), 1814f. 63 J. W EISS, Das älteste Evangelium, Göttingen 1903, 306–308. 64 J. SCHNIEWIND, Das Evangelium nach Markus, NTD 2, Göttingen 41947, 193. 65 V. TAYLOR, The Gospel according to St. Mark, London 21966, 571f.

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ten.66 Dieser Zug könnte also auf dessen eigene Ortskenntnis zurückgehen. Auch ein moderner Forscher wie Richard Bauckham rechnet damit, dass hinter der Erzählung Augenzeugenerinnerung steht.67 Im Bericht von der Auffindung des leeren Grabes Jesu ist vorausgesetzt, dass man im Inneren des Grabes rechts vom Eingang sitzen konnte (Mk 16,5). Moderne photogrammetrische Untersuchungen des traditionellen Grabes unter der Grabeskirche haben gezeigt, dass es wie andere zeitgenössische jüdische Gräber eine umlaufende Steinbank besaß.68 Ohne Kenntnis dieses archäologischen Befundes hatte Joachim Jeremias schon in seinem Erstlingswerk über Golgatha aus Markus 16,5 geschlossen, dass es sich bei der (provisorischen) Grablege Jesu nicht um ein Schiebegrab gehandelt haben kann.69 Eine umlaufende Steinbank ist in unmittelbarer Nähe des Heiligen Grabes im so genannten „Grab des Joseph von Arimathia“ erhalten geblieben.70 Auch abgesehen von den eben im Zusammenhang des Hohepriesterpalastes und des Grabes Jesu behandelten architektonischen Details sind im Markus-Evangelium in den Kapiteln, welche die Heilige Stadt und ihre Umgebung betreffen, spezifischere Ortsangaben relativ dicht (Mk 11,1f.11.16; 12,41; 13,3; 14,3.26.32; 15,8.16.22.29). Das kann die Ansicht von Martin Hengel unterstützen, dass es sich beim Verfasser des MarkusEvangeliums um einen gebürtigen Jerusalemer handelte.71

4 Prophetengräber und -martyrien in zwei Jesus-Worten Nach einem Q-Logion warf Jesus pharisäischen Frommen vor: „Wehe, dass ihr die Gräber / Denkmäler der Propheten erbaut (Mt 23,29a "  ^‹ ½ Š`€ par. Lk 11,47 ~  @‹   %`@  ).“ In der Matthäus-Version folgt noch ein zweiter Stichos: „Und schmückt die Denkmäler der Gerechten (  ‹ ~  @‹   ^ * )“ (Mt

66

A.a.O. 572. R. BAUCKHAM, Jesus and the Eyewitnesses. The Gospels as Eyewitness Testimony, Grand Rapids/Cambridge 2006, 162–170. 68 Vgl. M. BIDDLE, Das Grab Christi. Neutestamentliche Quellen – Historische und archäologische Forschungen – Überraschende Erkenntnisse, BAZ 5, Gießen 1998, 127– 140. Zur Echtheit der Stätten unter der Grabeskirche vgl. J. MURPHY-OCONNOR, The Argument for the Holy Sepulchre, RB 117 (2010), 55–91. 69 J. J EREMIAS, Golgotha, Angelos.B 1, Göttingen 1926, 5. 70 Vgl. G. KROLL, Auf den Spuren Jesu. Sein Leben – sein Wirken – seine Zeit, Leipzig 122002, 378. 71 M. HENGEL, Die vier Evangelien und das eine Evangelium von Jesus Christus. Studien zu ihrer Sammlung und Entstehung, WUNT 224, Tübingen 2008, 141–184. 67

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23,29b).72 Dazu bemerkt Achim Lichtenberger: „Die Nennung der Gräber erfolgt nicht neutral als Erwähnung des Ortes[,] an dem der oder die verehrte Tote bestattet ist, sondern es wird insbesondere auf den aufwendigen Charakter des Denkmals hingewiesen, ihre Architektur galt als bemerkenswert.“73 Nach Matthäus wurde dieser Weheruf in Jerusalem ausgesprochen (Mt 23,1.37). Auch wenn bei Lukas keine Lokalisierung erfolgt, würde eine Ursprungssituation in der Heiligen Stadt gar nicht schlecht passen, denn „nur dort konnte“, wie Anna Maria Schwemer feststellt, „von einer Mehrzahl von Gräbern gewaltsam getöteter Propheten, Jesaja und Sacharja ben Jojada, die Rede sein“.74 Joachim Jeremias hat über diesen wichtigen Bestandteil des damaligen Volksglaubens eine bahnbrechende und immer noch beachtenswerte Untersuchung vorgelegt. Die Verehrung der Propheten- und Märtyrergräber begann in hasmonäischer Zeit und wurde von Herodes dem Großen für seine Herrschaftsinteressen instrumentalisiert, indem er der populären Hochschätzung baulichen Ausdruck verlieh. Jeremias rechnete damit, dass die Gräber von Sacharja und Haggai im Kidron-Tal verehrt wurden.75 Wenn das zutrifft, dann könnte man erwägen, ob nicht Jesus bei seinem Weg vom Abendmahlssaal in der Oberstadt durchs Kidron-Tal nach Gethsemane sein Rätselwort vom „geschlagenen Hirten und den zerstreuten Schafen“, das sich auf die Prophetie in Sach 13,7 bezieht, im Angesicht dieses Prophetengrabes gesprochen hat (Mt 26,30–32 / Mk 14,26–28). Ein zum Grab der Priesterfamilie Hezir gehöriger Monolith, der gegenüber der Südostecke des Tempels steht, wird allerdings erst seit dem Mittelalter als Grab des Sacharja verehrt.76 Die hellenistischen Monumentalgräber des Kidron-Tales können aber vielleicht als Illustration dafür dienen, wie zur Zeit Jesu „die Gräber der Gerechten geschmückt“ wurden (Mt 23,29). Ein anderer Ausspruch, der den deuteronomistischen Topos von der Verfolgung der Propheten (1Kön 19,10; 2Kön 9,7) aufnimmt, kündigt wegen deren vergossenen Blutes den Hörern Jesu das Gericht Gottes an (Mt 23,34–36 par. Lk 11,49–51). Am Ende des Logions gibt es auch eine archi72 Es kann sich sowohl um eine matthäische Hinzufügung wie um die vollständigere Q-Form handeln. Vgl. W. D. DAVIES / D. C. ALLISON, The Gospel according to Saint Matthew III, ICC, Edinburgh 1997, 304. 73 LICHTENBERGER, „Sieh, was für Steine und was für Bauten!“ (s. Anm. 35), 214. 74 A. M. SCHWEMER, Vitae Prophetarum, JSHRZ I/7, Gütersloh 1997, 549. 75 J. J EREMIAS, Heiligengräber in Jesu Umwelt (Mt 23,29; Lk 11,47). Eine Untersuchung zur Volksreligion der Zeit Jesu, Göttingen 1958, 67–72; R. DEINES, Die Pharisäer und das Volk im Neuen Testament und bei Josephus, in: C. Böttrich / J. Herzer (Hg.), Josephus und das Neue Testament. Wechselseitige Wahrnehmungen. II. Internationales Symposium zum Corpus Judaeo-Hellenisticum. 25.–28. Mai 2006, Greifswald, WUNT 209, Tübingen 2007, 147–180, 163–166. 76 Vgl. KÜCHLER, Jerusalem (s. Anm. 27), 724–730.

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tektonische Angabe, bei der umstritten ist, ob sie sich auf den vorexilischen oder den zeitgenössischen herodianischen Tempel bezieht. Gott wird Rechenschaft fordern: Mt 23,35  \   \ ^ €  \      €©\ 臀  |`    \ \     ! 

Lk 11,51          \ %ˆ €      !  " # \ º €

Problematisch ist vor allem durch die Nennung des Vaternamens bei Matthäus die Identität des Zacharias und darüber gibt es seit der patristischen Zeit eine kontroverse Diskussion.77 Bei einigen Forschern findet immer noch die Vermutung von Julius Wellhausen78 Anklang, dass es sich um jenen Zacharias, Sohn des Baris (‡ €©  èŠ  / 臀 / è  €), handele,79 der nach Josephus ca. 66 n. Chr. von Zeloten im Tempel ermordet wurde (Bell IV 335–344). Aber es gibt nicht den geringsten Hinweis darauf, dass dieser sehr reiche Jerusalemer jemals und dazu noch von einem Judenchristen wie Matthäus für einen Propheten gehalten wurde. Die beste Erklärung des Namensproblems besteht darin, dass Matthäus den Propheten Sacharja, Sohn des Iddo (2Chr 24,20–22), mit dem Schriftpropheten Sacharja, Sohn des Berechja (Sach 1,1LXX: ‡ \ 臀), identifiziert hat, wie das gelegentlich auch in der rabbinischen Literatur geschieht (TgKlgl 2,20 usw.).80 Das Logion Jesu ohne diese matthäische Beifügung81 könnte die Ansicht voraussetzen, dass der dritte Kanonteil der Ketubim vom zweiten Buch der Chronik abgeschlossen

77 Vgl. R. BECKWITH, The Old Testament Canon of the New Testament Church and its Background in Early Judaism, London 1985, 211–222. 78 J. W ELLHAUSEN, Einleitung in die drei ersten Evangelien, Berlin 21911, 118–123 (Nachdruck in: DERS., Evangelienkommentare. Mit einer Einleitung von Martin Hengel, Berlin/New York 1987). 79 D. J. HARRINGTON, The Gospel of Matthew, SPag 1, Collegeville 1991, 328; J. A. OVERMAN, Church and Community in Crisis. The Gospel according to Matthew, Valley Forge 1996, 323; L. M. MCDONALD, The Biblical Canon. Its Origin, Transmision and Authority, Peabody 32007, 96. 80 Vgl. H. L. STRACK / P. BILLERBECK, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch I: Das Evangelium nach Matthäus, München 1926, 940–942; S. BLANK, The Death of Zechariah in Rabbinic Literature, HUCA 13 (1938), 327–346; B. H. AMARU, The Killing of the Prophets, HUCA 54 (1983), 166–170. 81 Mt 23,34–36 weist auch sonst stärkere Zeichen redaktioneller Bearbeitung auf als Lk 11,49–51. Vgl. R. H. GUNDRY, Matthew: A Commentary on His Literary and Theological Art, Grand Rapids 1982, 469–472; U. LUZ, Das Evangelium nach Matthäus (Mt 18–28), EKK I/3, Zürich u.a. 1996, 368.

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wurde.82 Die allgemeine Ausdrucksweise von 2. Chronik 24,21 „im Hof des Hauses des Herrn“ (LXX: | ¥ º € €€) ist in Matthäus 23,35 par. Lukas 11,51 durch die Wendung „zwischen dem Altar und dem Tempel/Haus“ spezifiziert. Auf diese Weise wird darauf hingewiesen, dass der Brandopferaltar im Vorhof der Priester stand,83 wie es nach Josephus (Ant XV 419) und der Mischna (mMid 5,1) mindestens den Gegebenheiten des Zweiten (herodianischen) Tempels entsprach. Der Tempel stellt eine besonders dramatische Kulisse für den letzten von Jesus genannten Prophetenmord dar, dessen Verwerflichkeit durch die Erwähnung des Brandopferaltars noch besonders unterstrichen wird.84

5 Jerusalemer Architektur im Johannes-Evangelium Die ausführlichste architektonische Schilderung im vierten Evangelium bietet im Zusammenhang eines jüdischen Festes (Joh 5,1) Johannes 5,2. Dabei stehen sich zwei Erklärungen dieses sprachlich nicht ganz einfachen Textes gegenüber. Nach der einen Ansicht wäre das aus dem Alten Testament bekannte „Schafstor (« ²; %@ – %! • / %@ ˜ %! ˜)“ (MT: Neh 3,1.32; 12,39; LXX: 2Esra 13,1.32; 22,39) im Nordosten des Tempels zu ergänzen.85 „Es ist in Jerusalem beim Schafs[tor] ein Teich, der auf Hebräisch Bethsaida / Bethesda / Bethzata heißt (|% ¥ %! ¥ €!• – |% ’ @ õ! è.)86 und fünf Säulenhallen hat (%ˆ  ~ £‡€).“ Nach einer anderen Auffassung ist das Adjek82 Vgl. W. W IEFEL, Das Evangelium nach Lukas, ThHK 3, Berlin/Ost 1988, 230; Z. KALIMI, The Story about the Murder of the Prophet Zechariah in the Gospels and its Relation to Chronicles, RB 116 (2009), 246–261, 251f. 83 Vgl. DAVIES /ALLISON, Saint Matthew (s. Anm. 72), 319. 84 Der Bericht des Josephus über die Zerstörung des Tempels erreicht einen besonderen Tiefpunkt mit der folgenden Schilderung: „In großer Menge häuften sich die Toten um den Brandopferaltar, Blut floß in Strömen von den Stufen des Tempels, gefolgt von den hinabgleitenden Leibern der weiter oberhalb Getöteten“ (Bell VI 259 [Michel/ Bauernfeind II/2, 45]). Zum Motiv des im Tempel unschuldig vergossenen Blutes vgl. H. M. DÖPP, Die Deutung der Zerstörung Jerusalems und des Zweiten Tempels im Jahre 70 in den ersten drei Jahrhunderten n. Chr., TANZ 24, Tübingen/Basel 1998, 18–32. 85 Vgl. M. HENGEL, Das Johannesevangelium als Quelle des antiken Judentums, in: DERS., Judaica, Hellenistica et Christiana. Kleine Schriften II, WUNT 109, Tübingen 1999, 293–334, 308f; U. C. VON WAHLDE, Archaeology and John’s Gospel, in: Charlesworth (Hg.), Jesus and Archaeology (s. Anm. 18), 523–586, 559f. 86 Mit P66, P75 und B ist die Präposition |% zu lesen. Zu den Namensvarianten vgl. B. M. METZGER, A Textual Commentary on the Greek New Testament, London/New York 21975, 208; C. K. BARRETT, Das Evangelium nach Johannes, KEK Sonderbd., Göttingen 1990, 252f; B. SCHWANK, Evangelium nach Johannes, St. Ottilien 1996, 175; U. SCHNELLE, Das Evangelium nach Johannes, ThHK 4, Leipzig 32004, 114.

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tiv %!  mit €! zu verbinden.87 „Es ist in Jerusalem beim Schafsteich die auf Hebräisch B. genannte [?].“ Christian Cebulj urteilt, „dass die archäologischen Grabungen eindeutig auf eine Trennung von Schafteich und Betesda in zwei örtlich voneinander verschiedene, wenn auch nahe beieinander liegende Komplexe hinweisen.“88 Dabei verstößt der Autor allerdings gegen seine eigenen methodischen Regeln, in denen er formuliert: „Steine und Texte stehen … zunächst für zwei verschiedene Welten.“89 Es ist richtig, dass etwas östlich einer Doppelteichanlage, die nördlich des Tempelplatzes auf dem Gelände des Klosters der Weißen Väter liegt (Abb. 2), sechs jüdische Bäder in Felsgrotten freigelegt wurden (Abb. 5).90 Doch die Annahme, dass diese Bäderinstallation Bethesda hieß, ist keiner aufgefundenen Inschrift zu entnehmen, sondern ergibt sich aus einer möglichen, aber nicht zwingenden Textinterpretation von Johannes 5,2. In der Tat hat Michael Theobald gezeigt, dass philologisch das Verständnis nahe liegt: „Der Teich (wird) als eine im Text neue Größe erzähltechnisch korrekt eingeführt: ‚Es gibt in Jerusalem […] einen Teich, der Bethesda genannt wird, der fünf Säulenhallen hat.‘ Die indefinite Angabe steht vorweg, die besonderen Merkmale folgen.“91 Man nimmt heute meistens an, dass die Heilung des Gelähmten in dem Komplex von jüdischen Bädern östlich des Doppelteichs gedacht werden müsse, u.a. weil es nicht möglich sei, dass ein Gelähmter in eines der tiefen Teichbecken hätte gelangen können.92 Laut Johannes 5,7 sagt der Kranke jedoch ausdrücklich: „Ich habe keinen Menschen, der mich, wenn das Wasser aufwallt, in den Teich ( €!• ) trägt.“ Das wäre über Treppen, die sich an der Westseite des südlichen Beckens befinden, mög-

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Vgl. KÜCHLER, Jerusalem (s. Anm. 27) 313–334, und auch schon JEREMIAS, Bethesda (s. Anm. 61), 5–8. 88 C. CEBULJ, Texte, Teiche, Theorien. Zum Stellenwert archäologischer Befunde für die Exegese von Joh 5, in: M. Küchler / K. M. Schmidt (Hg.), Texte – Fakten – Artefakte. Beiträge zur Bedeutung der Archäologie für die neutestamentliche Forschung, NTOA 59, Fribourg/Göttingen 2006, 143–159, 149. Die Behauptung, dass einige Handschriften %! — %@ lesen würden (a.a.O. 148), ist nicht zutreffend. 89 A.a.O. 143. 90 Ein abschließender Grabungsbericht steht noch immer aus. Vgl. C. DAUPHIN, The Bethesda Project at St Anne’s in the Old City of Jerusalem, POC 55 (2005), 263–269. 91 M. THEOBALD , Das Evangelium nach Johannes. Kapitel 1–12, RNT, Regensburg 2009, 369–372, 371. 92 M. J. PIERRE / J. M. ROUSÉE, Sainte-Marie de la Probatique, état et orientation des recherches, POC 31 (1981), 23–42; M. KÜCHLER, Zum „Probatischen Becken“ und zu „Betesda mit den fünf Stoen“, in: Hengel, Judaica, Hellenistica et Christiana (s. Anm. 85), 381–389; M. SASSE, Beobachtungen zum Verhältnis von Archäologie und Exegese am Beispiel der Ausgrabungen am Teich Betesda in Jerusalem (Joh 5), in: Alkier / Zangenberg (Hg.), Zeichen aus Text und Stein (s. Anm. 35), 250–261, 258.

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lich gewesen.93 Die Breite dieser Treppen und die Anlage ihrer Stufen deuten darauf hin, dass sie nicht nur für solche bestimmt waren, die das Becken reinigen sollten. Aufgrund verschiedener Ableitungsmöglichkeiten aus dem Nordbecken konnte es im Südbecken zu einem Aufwallen des Wassers kommen, wie es derselbe Vers (" ‡¥  Ï^*) voraussetzt.94 Der Pilger von Bordeaux hat noch 333 n. Chr. mit eigenen Augen gesehen: „Das Wasser dieser Teiche wird rot, wenn es aufwallt (aqua autem habent hae piscinae in modum coccini turbatam)“ (Itinerarium 15 [CSEL 39,21]). Beliebt ist nach wie vor das rein symbolische Verständnis der „fünf Säulenhallen“, weil davon keine Spur erhalten sei. Die Säulen, die heute in dem Doppelteich herumliegen, waren Teil einer byzantinischen Basilika. Aber Urban C. von Wahlde hält es für nicht ausgeschlossen, dass diese Säulen ursprünglich aus einem herodianischen Gebäude stammen und zweitverwendet wurden.95 Der Pilger von Bordeaux sah nicht nur die „Zwillingsteiche (piscinae gemellares)“, sondern auch noch die „fünf Säulenhallen (quinque porticos)“ (Itinerarium 15 [CSEL 39,21]). Deshalb ist es immer noch am besten, dem ebenfalls ortskundigen Jerusalemer Bischof Cyrill zu folgen (348 n. Chr.), nach dem die fünf Säulenhallen auf den vier Seiten des Doppelteichs und auf seiner Trennmauer standen (%ˆ  Š ... ˆ ' % ‡, ˆ@ ^' — %ˆ%@ )“ (Homilia in Paralyticum II [PG 33,1133]). Angesichts dieser beiden patristischen Zeugnisse erhält auch die Annahme von Wahldes eine gewisse Plausibilität, dass die Säulen in jener byzantinischen Kirche Verwendung fanden, die Petrus der Iberer später, nämlich vor 485, dort sah.96 Wenn es nach Eusebius (Onomastikon [Klostermann 58]) und Cyrill anders als beim Pilger von Bordeaux so scheint, als würden sie von den Säulenhallen nur noch in der Vergangenheitsform berichten, so ist dazu immer noch der Kommentar von Clemens Kopp zu bedenken: „Das ist kein Gegensatz. In den Kämpfen um den nahen Tempelplatz unter Titus mußte die Prunkanlage sicher schwer leiden, anderes verfiel mit der Zeit. Die Außenmauer und das Dach waren vermutlich ganz dahin, aber es standen wohl doch noch manche Säulen, so 93 Vgl. S. GIBSON, The Pool of Bethesda in Jerusalem and Jewish Purification Practices in the Second Temple Period, POC 55 (2005), 270–293, 286 Anm. 30; U. C. VON WAHLDE, The Pool(s) of Bethesda and the Healing in John 5. A Reappraisal of Research and of the Johannine Text, RB 116 (2009), 111–136, 132–136; und auch schon R. RIESNER, Betesda, in: H. Burkhardt u.a. (Hg.), Das Große Bibellexikon I, Wuppertal/Gießen 2 1990, 194f. 94 Vgl. VON W AHLDE, Pool(s) of Bethesda (s. Anm. 93), 125–127. 95 A.a.O. 123–125. 96 R. Raabe (Hg.), Petrus der Iberer. Ein Charakterbild zur Kirchen- und Sittengeschichte des fünften Jahrhunderts. Syrische Übersetzung einer um das Jahr 500 verfassten griechischen Biographie, Leipzig 1895, 94.

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daß die Grundlinien im 4. Jh. sichtbar blieben.“97 Auch Forscher, welche die Angaben von Johannes 5,2 teilweise kritisch beurteilen, rechnen doch damit, dass der/die Verfasser des Evangeliums über eigene Ortskenntnisse verfügte(n).98 Doch es soll hier nicht weiter um die archäologisch-historischen Probleme von Joh 5,2 gehen, sondern um die Frage: Warum erzählt der Evangelist Johannes als erstes Heilungswunder in Jerusalem gerade das von Bethesda? Bei diesem Teich befand sich in der Zeit der heidnischen Colonia Aelia Capitolina nach 135 n. Chr. ein Heiligtum des Äskulap (Abb. 4). Antoine Duprez hat sogar behauptet, dass hier schon vor 70 n. Chr. ein synkretistischer Heilungskult bestanden habe,99 aber diese Annahme erweist sich angesichts der Heiligkeit Jerusalems und der Nähe zum Tempel als unhaltbar.100 Wahrscheinlich ist dagegen, dass das heidnische Heiligtum ein jüdisches verdrängen sollte, wie das durch Kaiser Hadrian in Mamre und beim Jerusalemer Tempel geschah. Für ein jüdisches Heilungsheiligtum, wie es sehr verschiedene Forscher annehmen,101 sprechen die zwar textkritisch sekundären,102 aber wohl auf eine Jerusalemer Ortslegende zurückgehenden Verse Johannes 5,3b–4103 und vielleicht auch die Erwähnung des Doppelteichs in der Kupferrolle von Qumran (3Q15 11,12).104 C. KOPP, Die heiligen Stätten der Evangelien, Regensburg 21964, 367. SASSE, Beobachtungen (s. Anm. 92), 259; CEBULJ, Texte, Teiche, Theorien (s. Anm. 88), 156f. 99 A. DUPREZ, Jésus et les dieux guérisseurs. A propos de Jean V, CRB 12, Paris 1970, 95–127. 100 Daran scheitert auch die literarkritische These von L. DEVILLERS, Une piscine peut en cacher une autre: à propos de Jean 5,1–9a, RB 106 (1999), 175–202, nach der Joh 5,3–9 ursprünglich in den Kontext der Heilung des Blindgeborenen bei Siloah (Joh 9) gehört habe, aber später an das heidnische Heilungsheiligtum verlegt worden sei, um Jesu Bedeutung für Juden und Heiden aufzuzeigen. 101 Vgl. N. BELAYCHE, Iudaea-Palaestina. The Pagan Cults in Roman Palestine (Second to Fourth Century), Religion der Römischen Provinzen 1, Tübingen 2001, 163; I. BROER, Knowledge of Palestine in the Fourth Gospel?, in: R. T. Fortna / T. Thatcher (Hg.), Jesus in Johannine Tradition, Louisville/London 2001, 83–90, 90; DERS., Ortskenntnisse Palästinas im vierten Evangelium?, in: DERS., Evangelienstudien, SBAB 41, Stuttgart 2007, 282–295, 293f. 102 Vgl. B. M. METZGER, A Textual Commentary on the Greek New Testament, London/New York 21975, 209; G. D. FEE, On the Inauthenticity of John 5:3b–4, EvQ 54 (1982), 207–218. 103 Vgl. C. S. KEENER, The Gospel of John. A Commentary I, Peabody 2003, 637f. Die erweiterte Form des Textes Joh 5,3f war möglicherweise schon Tertullian bekannt (De Bapt 4), wozu die Bezeugung in der Itala passt. Vgl. auch R. E. BROWN, The Gospel according to John I–XII, AnB 29, London 1971, 207. 104 Mit einem essenisch-therapeutischen Heiligtum rechnet E. TESTA, Maria Terra Vergine II, SBF.CMa 31, Jerusalem 1985, 1–20. In der editio princeps der Kupferrolle las J. T. MILIK ®ÿ [] ÿ® (DJD III 297), was am besten zur Variante è@^Š (A, C) 97 98

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Ein Reflex jüdischer und judenchristlicher Lokaltraditionen könnte es noch sein, wenn dem Pilger von Bordeaux nahe bei Bethesda „das Gewölbe (crepta)“ gezeigt wurde, „wo Salomo die Dämonen beschwor“ (Itinerarium 15 [CSEL 39,21]).105 Schon Josephus kannte Salomo als göttlich bevollmächtigten Heiler und Exorzisten (Ant VIII 45) und das „Testament des Salomo“ bietet Legenden über seine magische Kraft, von denen manche bis in das 1. Jahrhundert zurückgehen dürften.106 Jesus hätte also die Heilung eines Gelähmten bei Bethesda an einer jüdischen heiligen Stätte gewirkt. Das passt sehr gut zur sonstigen johanneischen Darstellungsweise. Jesus tritt vor allem im Jerusalemer Tempel auf, aber auch am Jakobs-Brunnen mit Blick auf den heiligen Berg der Samaritaner (Joh 4,4–6.20). Die Heilung von Bethesda steht im Zusammenhang mit vorangehenden Texten wie der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1–11) und den Gesprächen mit Nikodemus in Jerusalem (Joh 3,5) sowie der Samaritanerin am Jakobs-Brunnen (Joh 4,5–15), in denen das Johannes-Evangelium Jesus als den Spender lebendigen Wassers bezeugt. Einen Höhepunkt erreicht dieses Motiv mit dem Ausruf Jesu „am letzten Tag, dem großen (Tag)“ eines Laubhüttenfestes (vgl. Joh 7,2): „Wenn jemand Durst hat, komme er zu mir und es trinke, wer an mich glaubt, wie die Schrift gesagt hat: Ströme lebendigen Wassers werden aus seinem Inneren hervorfließen“ (Joh 7,37f). Im Hintergrund steht der Ritus, bei dem Priester an jedem Tag des Festes in einer Prozession Wasser vom Teich Siloah zum Tempel brachten, um es dort an der Basis des Altars auszuschütten.107 Dieser Ritus fand seinen Abschluss mit einer zusätzlichen Lichtzeremonie am siebten Tag des Festes (mSuk 4,1–10). Am achten Tag schloss sich eine große Festverpassen würde. Als neue Textrekonstruktion schlägt É. PUECH ®Ð[«] ÿ® vor (Quelques résultats dun nouvel examen du Rouleau de cuivre (3Q15), RdQ 18 [1997], 163– 190, 179), hält aber wegen der möglichen Bedeutung „im Bereich der beiden Becken“, und weil im Folgenden „der Teich, wo man das kleinere Becken betritt“ erwähnt wird, an der Identifizierung mit dem Doppelteich Bethesda fest. 105 Nach B. BAGATTI, I Giudeo-Cristiani e l’anello di Salomone, in: Judéo-christianisme. Recherches historiques et théologiques (FS Cardinal Jean Daniélou), RSR 60, Paris 1972, 151–160, hätte noch im 4. Jahrhundert im Gebiet von Bethesda ein judenchristliches Heiligtum existiert. Dort sei der wundertätige „Siegelring des Salomo“ (vgl. TestSal 2,5ff) aufbewahrt worden, den man später in die Grabeskirche überführt habe, wo ihn die Pilgerin Egeria um 383 als „anulum Salomonis“ sah (Itinerarium 37,3 [FC 20,272]). 106 Vgl. D. C. DULING, Art. Solomon, Testament of, ABD VI (1992), 117–119. Zur Stelle bei Josephus vgl. R. DEINES, Josephus, Salomo und die von Gott verliehene ‡  gegen die Dämonen, in: A. Lange u.a. (Hg.), Die Dämonen – Demons. Die Dämonologie der israelitisch-jüdischen und frühchristlichen Literatur im Kontext ihrer Umwelt, Tübingen 2003, 365–394. 107 Vgl. B. H. GRIGSBY, „If Any Man Thirsts …“: Observations on the Rabbinic Background of John 7,37–39, Bib. 67 (1986), 101–110; KEENER, Gospel of John (s. Anm. 103), 722–724.

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sammlung an und für Philo war dieser achte Tag „eine Erfüllung (%•*) und ein Abschluss (€%ˆ) aller Feste im Jahr“ (SpecLeg II 213 [LCL 320,438]). Mit der ältesten Exegese ist Joh 7,38 nicht auf die Glaubenden, sondern christologisch zu deuten.108 Der Ausruf proklamiert Jesus als eschatologische Tempelquelle mit Blick auf Prophetien wie Ez 47,1–12 und Sach 13,1; 14,8, die nach Johannes ihre endgültige Erfüllung am Kreuz finden (Joh 19,34f).109 Auch bei dem in Johannes 5,1 im Zusammenhang der Heilung von Bethesda genannten „Fest der Juden (×  

Ê€^* )“ handelt es sich am ehesten um das Laubhüttenfest,110 so dass auch bei dieser Heilungsgeschichte das Motiv von Jesus als dem Spender von „lebendigem Wasser“ im Hintergrund stehen dürfte. Der Teich Siloah (Abb. 2), der inzwischen durch die neuen Ausgrabungen von Ronny Reich und Eli Shukron besser bekannt ist,111 hat ebenfalls als ein heiliger Ort gegolten. In den Teich führten auf mindestens drei Seiten Stufen, so dass auch ein Blinder sich dort hätte waschen können (vgl. Joh 9,7). Auch in der Kupferrolle von Qumran ist Siloah genannt und zwar als „Haus des Wassers von Schiloach (®Э ø®´« ÿ®)“ (3Q15 10,16 [DJD III 295]). Das ist insofern interessant, als hier wie in 3Q15 11,12 (und bei Bethesda?) eine Teichanlage als „Haus“ bezeichnet werden kann. In neutestamentlicher Zeit war die eigentliche Gihon-Quelle unzugänglich, ihr Wasser wurde durch den Hiskia-Tunnel abgeleitet. Die Rabbinen (Tg 1Kön 1,33) hielten Siloah für den Ausfluss des Gihon und offensichtlich war das auch schon die Meinung des Josephus, denn er nennt Siloah eine „Quelle 108 So Justin, Dial 114,4; 135,3; Hippolyt, Commentarium in Danielem 1,17 und die alte exegetische Tradition Syriens und Nordafrikas. Durchgesetzt hat sich später Origenes, dessen Deutung auf die Fähigkeiten des „wahren Gnostikers“ offenkundig seiner eigenen Theologie entstammt (Homiliae in Genesim XIII 4). 109 Vgl. R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium II: Kommentar zu Kap. 5– 12, HThK IV/2, Freiburg 31979, 211–217; G. M. BURGE, The Annointed Community. The Holy Spirit in the Johannine Tradition, Grand Rapids 1987, 88–93; U. WILCKENS, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 1998, 132–135. 110 So nicht nur die vereinzelte Minuskel 131 (–  @ %@), sondern wahrscheinlich auch schon die Handschriften, die den Artikel – setzen ( C L ð  usw.), vgl. F. MANNS, La fête des Juifs Jean 5,1, Anton. 70 (1995), 117–124. 111 Zusammenfassung von Ergebnissen der bisher nicht umfassend publizierten Grabung bei R. REICH / E. SHUKRON, The Siloam Pool from the Second Temple Period in Jerusalem, Qad. 30 (2005), 91–96 [Hebräisch]; H. SHANKS, The Siloam Pool Where Jesus Cured the Blind Man, BArR 31/5 (2005), 16–23; S. GIBSON, Die sieben letzten Tage Jesu. Die archäologischen Tatsachen, München 2010, 89–91. Zur Lage der verschiedenen Teiche im Südosten Jerusalems vgl. U. C. VON WAHLDE, The „Upper Pool,“ Its „Conduit“, and „the Road of the Fuller’s Field“ in Eighth Century BC Jerusalem and their Significance for the Pools of Bethesda and Siloam, RB 113 (2006), 242–262. Im September 2009 wurde westlich und nördlich des Siloah-Teichs eine herodianische Stufenstraße wieder freigelegt, die in einem Tunnel in Richtung Tempelberg führte, s. www.antiquities.org.il (14.9.2009): Second Temple Period Stepped Street Discovered.

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(%@•)“ (Bell V 140.145 usw.).112 Bei der Gihon-Quelle wurde Salomo als Nachfolger Davids zum König gesalbt (1Kön 1,32–40). Nach einer rabbinischen Ansicht hatte das Wasser des Siloah dieselbe Reinigungskraft wie das „Urwasser der Schöpfung“ (jTaan 2,1 [75a]) und fand deshalb beim Laubhüttenfest und bei der Opferung der Roten Kuh Verwendung (Bill. II 533). William D. Davies stellte mit Recht fest: „Clearly the waters of Siloah were famous and significant as being associated with divine, messianic, and cultic power.“113 Die Deutung des Namens Siloah durch den Evangelisten als „Gesandter (%ˆ )“ (Joh 9,7) spielt in Kenntnis des Hebräischen (­) und in volksetymologischer Deutung auf die Weissagung über Juda im Jakobssegen («­® [Gen 49,10]) an, die schon in Qumran auf den davidischen Messias gedeutet wurde (4QPatr [4Q252] 1–4).114 Wahrscheinlich bezeugt die jüdische Grundschrift der „Prophetenleben“ bereits für die Zeit vor 70 n. Chr. eine Ortslegende, welche das intermittierende Wasser des Siloah damit erklärte, dass es dem sterbenden Propheten Jesaja „gesandt“ wurde (VitProph 2–5). Diese Jerusalemer Lokalüberlieferung könnte die messianische Deutung des Namens Siloah durch den Evangelisten mit beeinflusst haben.115 Wie schon Johannes Chrysostomus feststellte, ist im ganzen Johannes-Evangelium Jesus „der Gesandte“ schlechthin (Homiliae in Ioannem IX 6,7). In der Waschung des Blinden im Siloah-Teich sah der Evangelist einen Vorausblick auf die Reinigung der Gläubigen, die Jesus am Kreuz vollbrachte (Joh 19,34f).116 John C. Poirier hat gezeigt, wie wichtig im ganzen Zusammenhang von Joh 8–10 der Hintergrund des Chanukka-Festes ist.117 In Joh 10,22f heißt es: „Es war damals die Tempelweihe in Jerusalem, es war Winter; und Jesus ging im Heiligtum in der Halle Salomos (| š ©š | ¥ ¸ \ 112 Vgl. R. RIESNER, Siloah, in: Burkhardt u.a. (Hg.), Das große Bibellexikon III (s. Anm. 93), 1444–1446. 113 W. D. DAVIES , The Gospel and the Land. Early Christianity and Jewish Territorial Doctrine, Berkeley 1974, 315. 114 Vgl. K. MÜLLER, Joh 9,7 und das jüdische Verständnis des Šiloh-Spruches, BZ 13 (1969), 251–256; SCHNACKENBURG, Johannesevangelium II (s. Anm. 109), 309; G. BEASLEY-MURRAY, John, WBC 36, Waco 1987, 156. Zu 4Q252 vgl. F. GARCÍA MARTÍNEZ, Messianische Erwartungen in den Qumranschriften, JBTh 8 (1993), 171–208, 174–177; J. ZIMMERMANN, Messianische Texte aus Qumran. Königliche, priesterliche und prophetische Messiasvorstellungen in den Schriftfunden von Qumran, WUNT II/104, Tübingen 1998, 113–125. 115 Vgl. F. W. YOUNG, A Study of the Relation of Isaiah to the Fourth Gospel, ZNW 46 (1955), 215–233, 219–221; SCHWEMER, Vitae Prophetarum (s. Anm. 74), 564. 116 Vgl. B. H. GRIGSBY, Washing in the Pool of Siloam – A Thematic Anticipation of the Johannine Cross, NovT 27 (1985), 227–235. 117 Hanukkah in the Narrative Chronology of the Fourth Gospel, NTS 54 (2008), 465–478.

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Å  ) umher.“ Mit der Erwähnung der „Halle Salomos“ (Abb. 2) haben wir eine der zahlreichen Berührungen zwischen Johannes und der lukanischen Sonderüberlieferung vor uns, die auf Beziehungen dieser beiden Traditionen in einem frühen Stadium in Judäa hindeuten.118 Die Einführung der „Halle Salomos“, deren Grundmauern damals als der einzig sichtbare Teil des salomonischen Tempels galten, hat aber bei Lukas und Johannes eine etwas unterschiedliche theologische Funktion. Nach der Apostelgeschichte traf sich dort die Urgemeinde, die Gott durch seine Anwesenheit zum eschatologischen Tempel gemacht hatte (Apg 3,11; 5,12), als den sich auch die Qumran-Gemeinde betrachtete (1QS 8,5–9; 9,6 u.ö.).119 In der christologischen Ausrichtung des Vierten Evangeliums ist Jesus der neue Tempel, der den alten ablöst, wie gleich zu Anfang bei der so genannten Tempelreinigung120 programmatisch festgestellt wird: „Jesus sprach: Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen will ich ihn aufrichten … Er aber meinte den Tempel seines Leibes“ (Joh 2,19–21).121 Nur hier redet Johannes dreimal von , sonst gebraucht er immer den Ausdruck © (Joh 2,14.15; 5,14; 7,14.28; 8,20.59; 10,23; 11,56; 18,20). Der mehrmalige Verweis auf das Lehren Jesu (Joh 7,14.28; 18,20) und vor allem Johannes 10,23 zeigen deutlich, dass © den gesamten Tempelbereich und nicht nur das eigentliche Tempelgebäude meint. Die Wortwahl in Johannes 2,19–21 ist also theologische Absicht, es geht dem Evangelisten um Jesus als das innerste Heiligtum.

118 So auch R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium I. Einleitung und Kommentar zu Kap. 1–4, HThK IV/1, Freiburg 51981, 22: „Beide Evangelisten hatten offenbar einen stärkeren Zugang zu einer in Judäa und Jerusalem konzentrierten Tradition.“ 119 Vgl. G. KLINZING, Die Umdeutung des Kultus in der Qumrangemeinde und im Neuen Testament, StUNT 7, Göttingen 1971. 120 Die sog. Tempelreinigung ist sehr wahrscheinlich in der Südstoa, der „Königlichen Halle“ (Josephus, Ant XV 393.411–416), zu lokalisieren, die als Tempelmarkt diente. Vgl. J. ÅDNA, Jerusalemer Tempel und Tempelmarkt im 1. Jahrhundert n. Chr., ADPV 25, Wiesbaden 1999. 121 Vgl. J. RAHNER, „Er aber sprach vom Tempel seines Leibes“. Jesus von Nazaret als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium, BBB 117, Bodenheim 1998.

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Rainer Riesner Israel-Teich Frauenvorhof

Antonia

Osttor Tempel Halle Salomos Säulenhallen Tempelschranken

Vorhof der Herden

Königliche Halle

Westmauer Wilson-Bogen Struthion-Teich

Israel-Teich Wasserkanal

Säulenhallen Tempel

Westmauer

Abb. 1: Plan und Rekonstruktion des Jerusalemer Tempels und der Antonia (nach: E. NETZER, Biblical Archeological Review, 1-2/2009, 48).

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2. Mauer

Abb. 2: Jerusalem zur Zeit Jesu.

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Abb. 3: Ein Wohnhaus im Neuen Jerusalem von 11QJN (nach: M. CHYUTIN, 1997).

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Abb. 4: Jerusalem in spätrömischer Zeit / Aelia Capitolina 135–330/40 (nach B. PIXNER OSB).

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Rainer Riesner

Abb. 5: Der Doppelteich Bethesda nach Plänen von J. M. Rousée OP (von G. Kroll SJ).

– Namen und Identität –

Jüdische Identität und die Namen von Juden in der Antike* TAL ILAN

Der Name Sigmund ist einer der prominentesten germanischen Namen, den man sich vorstellen kann. Es ist ein alter germanischer Name, der bereits in den Schriften von Tacitus erwähnt wird. Es ist allgemein bekannt, dass Tacitus besonders interessiert an den alten Germanen war, und Sigismundus, den er in seinen Annalen erwähnt, war ein Zeitgenosse des Arminius, dieses berüchtigten germanischen Kriegers und Siegers über die römischen Legionen (Tacitus, Annalen 1,57). Aber wenn man heute Leute fragt, wer der bekannteste Sigmund ist, von dem sie gehört haben und den sie kennen, neun von zehn würden einen Juden erwähnen – Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse. Sigmund Freud war Deutscher. Er wurde geboren und wuchs auf in einer assimilierten jüdischen Gesellschaft, die die deutsche Kultur verehrte und ihr eigenes jüdisches Erbe herabsetzte. Sein Vater hieß Jacob, ein gut biblischer Name, aber sein Sohn erhielt einen Namen der deutscher nicht sein konnte – Sigmund. Man kann sagen, dies liege daran, dass die Juden im Deutschland des 19. Jahrhunderts eben in einem höheren Grad assimiliert waren, als es ihre Vorfahren in der zurückliegenden Geschichte waren. Wenn dem so ist, wie haben wir dann folgende Inschrift einzuordnen? Diese Inschrift lautet folgendermaßen:1 HIC REO[ SIGISMUDU[ SARRA[ RUNTIN[ SISVIDI[ DIESUIT[ QUIEUI[

* 1

Dieser Aufsatz wurde von Johannes Gockeler aus dem Englischen übersetzt. J. B. FREY, Corpus inscriptionum Judaicarum I, Rome 1936, no. 499.

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Tal Ilan

Übersetzung: Hier lie[gt Sigismudu[s Sarra [ ??[ monate Sechs Tage [ Tage [ihre] Leben [ Ist eingeschlafen [

Was sehen wir in dieser Inschrift? Wir betrachten eine lateinische Inschrift, innerhalb einer tabula ansata, die uns die letzte Ruhe- und Begräbnisstätte von Juden anzeigt. Dies lässt sich ohne Schwierigkeiten anhand zweier Tatsachen nachweisen: 1. Die Inschrift ist mit einer Menorah versehen – das Symbol, das am meisten mit dem Judentum in der Spätantike verbunden wird in Folge der

Jüdische Identität und die Namen von Juden in der Antike

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Zerstörung des zweiten Tempels und dem Transfer der historischen Menorah vom Tempel in Jerusalem zum Capitol in Rom.2 2. Als ob dieser Hinweis noch nicht genug wäre, ist die Inschrift noch begleitet von dem hebräischen Wort øЭ (Friede), ein weiteres starkes Indiz für jüdische Identität.3 Die Inschrift markiert die Ruhestätte von zwei Personen. Eine von ihnen, eine Frau, trägt den verräterischen Namen Sarah – gut biblisch und jüdisch zugleich. Aber die andere, unter diesem Grabstein beigesetzte Person, die männliche, wird als „Sigismudu[s]“ bezeichnet. Diese Inschrift stammt aus Rom und wurde außerhalb der jüdischen Katakombe von Monteverde, die heute zerstört ist, gefunden.4 Diese Katakombe, und damit die ihr zugeordneten Inschriften, können auf die ersten vier Jahrhunderte nach unserer Zeitrechnung datiert werden. Sie fallen damit in die Zeit des Sigismundus aus Tacitus’ Bericht (oder wenig später) und finden sich nicht mehr als zwei Kilometer entfernt von dem Ort, wo die echte Menorah aus dem Jerusalemer Tempel zu dieser Zeit stand. Es stellt sich heraus, dass Jacob Freud nicht besonders innovativ war, als er seinen jüdischen Sohn Sigmund nannte. Der Name Sigismundus bedeutet „Schutz des Sieges“5 und er ist ohne Zweifel ein vorchristlicher paganer Name. Wussten die jüdischen Eltern, die in Rom lebten und ihrem Sohn diesen Namen gaben, was er bedeutete? Und wusste das Jacob Freud? Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Nicht nur neutrale pagane Namen wurden von Juden verwendet. Eine Vielzahl von Namen griechischer Gottheiten taucht im jüdischen Onomastikon der Antike auf, von denen im Folgenden einige genannt werden sollen. Beginnen wir mit der jungfräulichen griechischen Göttin des Mondes und der Jagd, Artemis, Zwillingsschwester Apollos. Die Antike wimmelt von Namen, die von Artemis abgeleitet sind, und Juden benutzten sie in gleichem Maße wie ihre Umwelt. Ein Jude mit dem Namen Artemidoros (Geschenk der Artemis) ist auf einem Papyrus aus Fayum in Ägypten im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erwähnt.6 Wir wissen, dass er Jude war, weil er ausdrücklich als “{€^‹ (Jude/Judäer) bezeichnet wird. Ein Jude namens Artemisius, und ein anderer, namens Artemon, wurden auf dem in das dritte Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung datierten Friedhof von Hierapolis in Asia Minor begra2

T. ILAN, Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity, Part III – The Western Diaspora 330 BCE–650 CE, TSAJ 126, Tübingen 2008, 35. 3 T. ILAN, Silencing the Queen, TSAJ 115, Tübingen 2006, 261–269. 4 Siehe D. NOY, Jewish Inscriptions of Western Europe, Volume II: The City of Rome, Cambridge 1995, 434. 5 Vgl. http://www.onomastik.com/vn_rufnamen_glieder.php. 6 V. TCHERIKOVER u.a., Corpus papyrorum Judaicarum I, Cambridge MA, 1957, no. 30.

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ben.7 Auch sie werden auf ihren Sarcophagi als Juden bezeichnet. Ein anderer Artemon, aus Cyrene, wurde im Jerusalem des zweiten Tempels begraben.8 Die Grabhöhle, in dem sein Ossuar gefunden wurde, verweist auf einen der typischen jüdischen Beerdigungsgebräuche zur Zeit des zweiten Tempels. Eine jüdische Frau namens Artemia wurde in einem Sarkophag in Termessos in Asia Minor begraben.9 Auch ihre jüdische Identität ist durch eine klare Zeichnung erkennbar. Eine andere jüdische Frau, Artemisia, wurde 417 nach unserer Zeitrechnung in Minorca gezwungen, zum Christentum zu konvertieren, wie wir aus einem Brief von Severus, dem Bischof von Minorca, erfahren.10 Sogar der Führer des jüdischen Aufstandes gegen Rom in Cyprus 115 n. Chr. hieß Artemion.11 Der Mond und die griechische Mondgöttin waren jedoch nicht notwendig jüdische Favoriten. Willkürlich entschieden Juden, ihre Kinder nach verschiedenen griechischen Gottheiten zu benennen. Zwei jüdische Frauen, die in jüdischen Katakomben in Rom begraben wurden, hießen Asclepiodote, nach dem griechischen Gott der Medizin.12 Zwei weitere wurden Aphrodisia nach der griechischen Göttin der Liebe genannt.13 Eine weitere jüdische Frau mit demselben Namen fand man in Teucheira begraben – heute Lybien.14 Ihre jüdische Identität ist gesichert durch die Verwandtschaft zu einem gewissen Mann mit dem jüdischen Namen Jesus. Und nicht nur griechische Götter finden sich unter den Namen von Juden; ägyptische Götter waren ebenfalls populär. Drei jüdische Männer, zwei aus Cyrenaica15 und einer aus Aphrodisias in Kleinasien,16 wurden Serapion genannt, nach dem ägyptischen Stier-Gott Serapis. Drei jüdische Männer17 und vier jüdische Frauen18 (aus Ägypten, aus Rom, aus Cyrenaica und so7 W. AMELING, Inscriptiones Judaicae Orientis II: Kleinasien, TSAJ 99, Tübingen 2004, 181, 199. 8 L. Y. RAHMANI, A Catalogue of Jewish Ossuaries in the Collections of the State of Israel, Jerusalem 1994, no. 404. 9 AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 7), no. 216. 10 S. BRADBURY, Severus of Minorca, Letter on the Conversion of the Jews, Oxford 1996, 116. 11 Cassius Dio, in: M. S TERN, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism II, Jerusalem 1980, no. 437. 12 FREY, Corpus (s. Anm. 1), 91f. 13 A.a.O. 220, 232. 14 G. LÜDERITZ, Corpus jüdischer Zeugnisse aus der Cyrenaika, BTAVO.B 53, Wiesbaden 1983, no. 52h. 15 A.a.O. nos. 70, 72. 16 AMELING, Inscriptiones (s. Anm. 7), no. 14:B2. 17 LÜDERITZ, Corpus (s. Anm. 14), no. 72; FREY, Corpus (s. Anm. 1), no. 229; C. SIRAT, Les Papyrus en Character Hebraïques Trouvés en Égypt, Paris 1985, no. Pl.12, H43. 18 LÜDERITZ, Corpus (s. Anm. 14), nos. 62a, 72; FREY, Corpus (s. Anm. 1), nos. 261, 660d.

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gar aus Spanien) wurden nach der ägyptischen Göttin Isis benannt. Der Name Isidor, welcher „Geschenk der Isis“ bedeutet, wurde ein besonders populärer jüdischer Name bis in das 20. Jahrhundert.19 Und das gilt nicht nur für die jüdische Diaspora. Auch in Palästina übernahmen die Juden griechische theophore Namen. Das 2. Makkabäerbuch erwähnt einen Juden namens Poseidonius, nach dem griechischen Meeresgott Poseidon (2Makk 14,19). Josephus erwähnt einen Apollonius – nach dem Sonnengott Apollo (Ant XIII 260) und einen Demetrius – nach der Erdgöttin Demeter (Ant XVI 243). Auf jüdischen Ossuaren aus Jerusalem finden wir auf Hebräisch die Namen Athenagoras (nach Athena)20 und Apollogenes (nach Apollo).21 Offensichtlich waren solche Namen für die Eltern der Kinder ein Versuch der Anpassung an ihre Umwelt und kein Zeichen von Identität. Wir haben ebenfalls spärliche Hinweise, dass Juden ein DoppelnamenSystem verwendeten (jüdisch und nichtjüdisch), wie es in Europa in frühneuzeitlicher und neuzeitlicher Zeit üblich war. Die hasmonäischen Herrscher wie König Jonathan Alexander, Königin Shelamzion Alexandra und Matthias Antigonus verwendeten ein solches System. Jannai Alexander bezeichnet sich selbst als Jonathan auf der hebräischen Seite seiner Münzen und als Alexander auf der griechischen Seite.22 Josephus verwendet im Griechischen nur den griechischen Namen der Königin Alexandra (z.B. Ant XIII 405–32), aber die rabbinische Literatur kennt sie auf Hebräisch nur unter einer hebräischen Variante ihres Namens.23 Die Hasmonäer waren jedoch eine der jüdischsten Familien dieser ganzen Ära, und sie kamen mit antihellenistischen Slogans und einer judaisierenden Agenda an die Macht. Dass gerade sie griechische Namen verwenden, zeigt in jedem Fall, wie omnipräsent Griechisch zu dieser Zeit war. Allerdings können wir nicht daraus schließen, dass die anderen Juden ebenfalls zwei Namen trugen. Was ist überhaupt ein jüdischer Name? Angenommen, wir erachten das Vorkommen in der Bibel als den wichtigsten Indikator. Der biblische Name Moses selbst ist ein altes ägyptisches Königs-Element, das präsent ist in Namen von Pharaonen wie Thutmosis.24 Juden, die Moses genannt werden, tragen einen durch und durch nichtjüdischen Namen. Jedoch ist dies nur die bloße Illustration einer gegenwärtigen historischen Erkenntnis, die 19 Siehe dazu als Beispiel D. BERING, Der Kampf um den Namen Isidor: Polizeivizepräsident Bernhard Weiß gegen Gauleiter Joseph Goebbels, BNF 18 (1983), 121–153. 20 RAHMANI, Catalogue (s. Anm. 8), nos. 84, 86. 21 V. FRITZ / R. DEINES, Catalogue of the Jewish Ossuaries in the German Protestant Institute of Archaeology, IEJ 49 (1999), no. 16. 22 Y. MESHORER , Jewish Coins of the Second Temple Period, Tel Aviv 1967, 56–59. 23 ILAN, Silencing (s. Anm. 3), 259f. 24 M. NOTH, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung, BWANT 3/10, Stuttgart 1928, 63.

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damals bei den Juden der hellenistischen, römischen und byzantinischen Ära offensichtlich verloren gegangen war. Für sie würde Moses, so wie andere biblische Helden wie Abraham und David, wahrscheinlich die Essenz des Judentums repräsentieren. Bedeutet dies dann, dass einige Juden ihre jüdische Identität durch eben diese Namen, die sie ihren Kindern gaben, ausdrücken wollten? Eine gründliche Untersuchung dieser Angelegenheit legt nahe, dass sie dies nicht taten. In der gesamten Zeit des zweiten Tempels wurden die Namen Moses, Abraham und David im Land Israel niemals benutzt.25 Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass in der Diaspora diese Namen bezeugt seien,26 aber es ist nicht immer einfach zu entscheiden, ob dies tatsächlich der Fall ist. Ich könnte diese Übung mit jedem dieser drei Namen machen, aber ich demonstriere es lediglich anhand des Namens Moses. Bevor ich das tue, ist allerdings eine Einleitung nötig, um die Frage zu diskutieren, bis zu welchem Grad ein biblischer Name ein Indikator für jüdische Identität ist. Die erste Frage ist, wie man einen biblischen Namen identifiziert. Die Bibel ist voll von Namen, aber viele von ihnen wurden niemals von Juden benutzt. Es ist interessant, dass moderne Israelis auf der Suche nach neuen und originellen Namen auf die Bibel zurückgreifen und dabei eine große Zahl wirklich marginaler und ungebräuchlicher Namen wiederbelebt haben.27 So werden israelische Mädchen heute nach der kanaanitischen Göttin Anat (Ri 5,6),28 nach der ägyptischen Sklavin Hagar (Gen 16,1) und nach der selten erwähnten zweiten Tochter von König Saul, Merav (1Sam 14,49), benannt. Diese Namen wurden bis zur Geburt des Zionismus niemals für jüdische Mädchen benutzt. Gleichermaßen wurden Namen wie Nimrod, der rätselhafte babylonische König (Gen 10,8f.), Avner, König Sauls General (1Sam 17,55), Itay, einer von Davids Generälen (2Sam 15,19) und Asaf, ein levitischer Sänger im Tempel (Ps 3,1) vom Zionismus wieder belebt. Diese Namen wurden über Jahrhunderte nicht von Juden benutzt. Aber Juden in der Antike haben ebenfalls biblische Namen wiederbelebt und verwendet, die nur in abgelegenen biblischen Listen auftauchen. Der 25 Vgl. T. ILAN, Lexicon of Jewish Names in Late Antiquity, Part I – Palestine 330 BCE–200 CE, TSAJ 91, Tübingen 2002, 5f. 26 Für Abraham vgl. N. COHEN, The Jewish Names as Cultural Indicators in Antiquity, JSJ 7 (1976), 97–128; S. HONIGMAN, Abraham in Egypt. Hebrew and JewishAramaic Names in Egypt and Judaea in Hellenistic and Early Roman Times, ZPE 146 (2004), 279–297; für Moses vgl. T. DERDA, Did the Jews Use the Name Moses in Antiquity? ZPE 115 (1997), 257–260, und M. WILLIAMS, Jewish Use of Moses as a Personal Name in Graeco-Roman Antiquity – A Note, ZPE 118 (1997), 274. 27 Es gibt eine umfangreiche Bibliographie zu diesem Thema, vgl. R. SINGERMAN, Jewish Given Names and Family Names. A New Bibliography, Leiden 2001, 189–193. 28 Zum ugaritischen (kanaanitischen) Mythos Anats, vgl. U. CASSUTO, The Goddess Anath, Jerusalem 1951.

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bedeutendste unter ihnen ist der Name Jochanan, der für einen Attentäter am Ende der ersten Tempelzeit, der sich an der Ermordung von Gedaljahu ben Achikam beteiligt hatte (Jer 41,11–16) und von einem Hohenpriester zur Zeit der Rückkehr aus dem babylonischen Exil verbürgt ist (1Chr 5,35). Der Name war extrem populär unter Juden in der Zeit des zweiten Tempels. Ein weiteres vergleichbares Beispiel wäre der Name Eleazar, ein unbedeutender Sohn des Priesters Aaron (Ex 6,23), aber ein Name von größerer Bedeutung zur Zeit des zweiten Tempels. Aber würde dies alles biblische Namen zu einem Indikator für jüdische Identität machen? Wäre also zum Beispiel eine lateinische Grabinschrift aus Tripolis im heutigen Lybien, die den Namen Agag erwähnt und an den verhassten amalekitischen König in der Bibel erinnert (1Sam 15,8), ein Indikator für die jüdische Identität des Bestatteten? Le Bohec, der die jüdischen Inschriften aus Nordafrika sammelte, war dieser Meinung.29 Würde eine lateinische Grabinschrift aus Concordia in Italien, die den Namen Ham, der an den biblischen Sohn Noahs erinnert, den Vater der afrikanischen Völker, oder der verhasste Kanaan (Gen 9,18), an einen Juden denken lassen? Frey, der die jüdischen Inschriften aus Italien sammelte, war nicht dieser Meinung, zeigte aber, dass frühere Forscher so gedacht hatten.30 Würde sich eine griechische Inschrift aus Kreta, die den Namen Iaphthas für einen Mann aus Ptolemais in Kyrenaika erwähnt und damit an den biblischen Richter Jephtah erinnert (Ri 11,1), auf einen Juden beziehen? Lüderitz, der die jüdischen Inschriften aus Kyrenaika sammelte, bezweifelte es, aber auch er zeigte, dass frühere Forscher so gedacht hatten.31 Ich würde dagegen jeden einzelnen Fall bezweifeln, in erster Linie deshalb, weil diese Namen nirgendwo anders von Juden verwendet wurden, aber auch, weil wir keine Möglichkeit haben herauszufinden, ob die Transliteration korrekt ist. Mit diesen Beobachtungen im Hinterkopf wollen wir nun zum Namen Moses und seiner Verwendung von Juden in der postbiblischen Zeit zurückkehren. (1) Im Land Israel ist der früheste mögliche Beleg für den Namen Moses auf Griechisch, auf einem kleinen Pergament aus einer Höhle in Wadi Muraba’at, in der sich Rebellen des Bar Kochba-Aufstandes versteckten, der in zwei Kolumnen beschrieben ist und überliefert die Verteilung von Getreide an verschiedene Personen. In diesem Dokument lesen die Editoren den Namen *˜ (Mose).32 Diese Form ist nicht die übliche Translite29

Y. LE BOHEC, Inscriptions Juives et Judaïantes de l’Afrique Romaine, Antiquités Africaines 17 (1981), no. 2. 30 FREY, Corpus (s. Anm. 1), no. 103*. 31 LÜDERITZ, Corpus (s. Anm. 14), no. 39. 32 B. BENOIT u.a., DJD II, Oxford 1961, no. 92.

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ration für den Namen Moses, weder in der Septuaginta33 noch in den Schriften des Josephus.34 Die Editoren, die den Papyrus veröffentlichten, waren sich auch nicht sicher bezüglich der Lesart. Deshalb haben sie außerdem die Lesart Þ*@, ein unbekannter aber ebenso möglicher Name, vorgeschlagen. (2) Aus dem Jahr 360 n. Chr., viele Jahre später, ist uns eine datierte zweisprachige aramäisch-griechische Inschrift vom jüdisch-christlichen Friedhof in Zoora überliefert, die den Namen €€ nennt.35 Dass er jüdisch ist, steht außer Frage. Seine Grabinschrift überliefert sein Todesjahr entsprechend der Zerstörung des Tempels und entsprechend dem jüdischen Sieben-Jahres-Kreislauf. Die Inschrift ist zudem mit zwei Menorot versehen. Wenn €€ Moses wäre, würden wir im Hebräischen die Wiedergabe mit «´ erwarten. Statt dessen bietet die hebräische Version die Form ®д, wahrscheinlich eine Transliteration eines griechischen Namens: Wahrscheinlicher ist, dass der beabsichtigte Name nicht der biblische Moses ist. (3) Wenn dieser Name doch der des Moses ist, dann überliefert ihn vielleicht auch der Babylonische Talmud. Der Babylonische Talmud gibt die Namen von zwei Generationen von Weisen wieder, die beide denselben Namen tragen – ®д (bYom 4b). Es ist aber kaum wahrscheinlich, dass dieser Name tatsächlich der des jüdischen Gesetzgebers war, und es muss hinzugefügt werden, dass die handschriftliche Tradition des Namens alles andere als einheitlich ist und dass eine große Anzahl anderer Versionen für den Namen zu finden sind (®ù´/®®´/®´).36 (4) Ebenso gibt es noch eine Inschrift aus der Auranitis in Transjordanien, welche die Form  überliefert.37 Abgesehen von der Tatsache, dass diese Form ebenfalls nirgendwo anders für den biblischen Moses überliefert ist, sollte darauf hingewiesen werden, dass die Inschrift aus einer Region stammt, in der Nachweise für jüdische Besiedlung spärlich sind, und dass die anderen Inschriften, die in der näheren Umgebung ge-

33 Vgl. E. HATCH / H. A. REDPATH, A Concordance to the Septuagint and the other Greek Versions of the Old Testament (Including the Apocryphal Books), Supplement, Graz 1975, 115f. 34 A. SCHALIT, Namenwörterbuch zu Flavius Josephus, CCFJ.S I, Leiden 1968, 88. 35 H. M. COTTON / J. J. PRICE, A Bilingual Tombstone from Zo‘ar (Arabia), ZPE 134 (2001), 277–282. 36 Vgl. die Research-CD des Saul Lieberman Institute zu den Handschriften des Babylonischen Talmuds. 37 W. EWING, Greek and Other Inscriptions Collected in the Hauran, PEFQSt 27 (1895), 347.

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funden wurden, nabatäisch sind. Darüber hinaus ist der Name des Vaters dieses Mannes Aziz – ein typisch arabischer Name zu dieser Zeit.38 (5) Der erste Beleg für die hebräisch-biblische Form des Namens findet sich in einem Graffito auf einem Grab in Galiläa, das der Herausgeber für mittelalterlich hält.39 Er nahm an, dass das Graffito von jüdischen Pilgern eingraviert wurde. Die ungewöhnliche Verwendung des Namens Moses in dieser Form stützt meiner Ansicht nach diesen Verdacht. Ich folgere, dass wir keinen Beweis haben, dass Juden den Namen Moses («´) in Palästina zu irgendeiner Zeit der Antike benutzt haben. Wenden wir uns nun von Palästina ab und der Verwendung des Namens Moses in der jüdischen Diaspora in der Antike zu. In meinem jüngsten Buch über die Namen der Juden in der westlichen Diaspora sind unter dem Name Moses 13 Personen aufgelistet. Nur fünf von ihnen aber wurden definitiv als Juden identifiziert;40 der Rest ist entweder weitgehend willkürlich rekonstruiert von Formen des Namens, die auch anders interpretiert werden könnten, oder sie sind spät und könnten christlich sein. Ich werde auf Christen, die biblische Namen tragen, noch einmal zurückkommen. Hier präsentiere ich zunächst die fünf Fälle, in denen dieser Name definitiv jüdisch ist: (1) In einem Papyrus aus Ägypten ist ein *@, der ǁ[!][ €] (Hebräer) erwähnt.41 Wenn die Rekonstruktion dieses Titels korrekt ist, ist diese Person definitiv jüdisch und sein Name, selbst wenn er auf Griechisch überliefert ist, könnte Moses sein. Allerdings könnte dieser Papyrus post-islamisch sein. Auf der anderen Seite desselben Dokumentes findet sich ein arabischer Text. Selbst wenn der griechische Text, der Moses erwähnt, älter ist als der arabische Text, kann er nicht viel älter sein als Ende des sechsten Jahrhunderts. (2) In zwei jüdischen Gräbern aus dem Athen des 5.–6. Jahrhunderts, die mit Menorot geschmückt sind, ist eine Person erwähnt, die als Moses identifiziert werden könnte.42 Allerdings ist der Name von den Editoren stark rekonstruiert worden (*/[*]€˜ – Mos/[Mo]uses) und könnte auch ein ganz anderer sein. (3) In einem Sarkophag von Corycus in Kleinasien ist eine andere Person begraben, deren Name als Moses interpretiert werden könnte und die

38

G. LANKESTER HARDING, An Index and Concordance of Pre-Islamic Arabian Names and Inscriptions, Toronto 1971, 418. 39 Y. BEN-ZVI, The Tomb of Rabbi Tanhum of Farod, BIES 1 (1933), 19f (Heb.). 40 ILAN, Lexicon III (s. Anm. 2), 136f. 41 C. W ESSELY, Griechische Texte zur Topographie Ägyptens, SPP 10, Leipzig 1910, 105. 42 FREY, Corpus (s. Anm. 1), nos. 713f.

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als ǁ! (Hebräer) bezeichnet wird.43 Aber auch hier wurde der Name vom Editor rekonstruiert ([]* / [M]osi). (4) Aus Mauretanien in Nordafrika ist auf Lateinisch der Name Mossates, der „Iude[i]s“ (Jude) überliefert.44 In der Grabinschrift wird er außerdem als peregrinus, also als Ausländer, bezeichnet. Dass er Jude ist, ist klar, aber ob Mossates auch als Moses interpretiert werden sollte, ist eine andere Frage. Sicher ist, dass dies nicht die gewöhnliche lateinische Transkription des Namens in den lateinischen Versionen der Bibel ist.45 (5) Demnach bleibt uns noch die erste hebräische Inschrift dieses Namens («´) in einer Grabinschrift aus dem Bosporus-Königreich, die die Editoren vorsichtig als mittelalterlich datierten.46 Wir können damit nicht sicher sein, dass Juden irgendwo in der westlichen Diaspora diesen Namen in der Antike verwendeten. Es ist allerdings möglich, dass Juden in der griechisch-römischen Antike in der westlichen Diaspora einen griechischen Namen, der dem Namen Moses ähnelt, genau aus diesem Grund auswählten. Dieser Name ist Mousaius. In meinem Western-Diaspora-Band sind sieben Personen aufgeführt, die diesen Namen tragen, von denen drei mit Sicherheit jüdisch sind.47 (1) Einer von ihnen ist mit Sicherheit ein hellenistisch-jüdischer Autor, der von Eusebius in einem Atemzug mit Josephus und Philo erwähnt wird.48 Wenn er ebenso produktiv und einflussreich war wie diese zwei, ist es ein großer Verlust, dass von seinem literarischen Werk nichts überlebt hat. Betrachten wir seinen Namen, können wir ihn jedenfalls ironischerweise als zweiten Moses bezeichnen, obgleich er einen ziemlich normalen griechischen Namen trug. (2) Der Name Mousaius ist darüber hinaus für einen Juden auf einem Papyrus aus dem dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung überliefert,49 der als “{€^‹ (Jude) bezeichnet ist, (3) sowie in einer Grabinschrift aus Kleinasien aus dem zweiten Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung,50 in der die Person mit dem aramäischen Ehrentitel Mar bezeichnet wird. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass Juden in der Tat klassisch griechische Namen als Ersatz für ähnlich lautende biblische Na43

A.a.O. no. 793. LE BOHEC, Inscriptions (s. Anm. 29), no. 75. 45 B. F ISCHER, NCBS Critice Editam III, Stuttgart 1977, 3189–3198. 46 D. NOY u.a., Inscriptiones Judaicae Orientis I: Eastern Europe, TSAJ 101, Tübingen 2004, no. App 6. 47 ILAN, Lexicon III (s. Anm. 2), 337f. 48 Euseb, HistEccl 7,32 = PG 20,728. 49 TCHERIKOVER u.a., Corpus (s. Anm. 6), no. 20. 50 FREY, Corpus (s. Anm. 1), II, no. 746. 44

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men ansahen. Indem sie solche Namen trugen, konnten sie jüdisch sein ohne dies äußerlich bekannt zu machen. Das beste Beispiel für dieses Phänomen ist der griechische Name Simon, der als Äquivalent des biblischen Namens в´ (der zweite Sohn Jakobs) erachtet wurde. Nach den Ergebnissen in meinem ersten Band der Namen aus Palästina 300 vor bis 200 nach unserer Zeitrechnung war dies bei Weitem der populärste Name mit 257 Vertretern, von denen 76 unter der griechischen Form des Namens aufgeführt werden.51 Dass damit genau auf den biblischen Namen angespielt wird, beweist Josephus, der den biblischen Namen в´ mit dem griechischen Å* transkribiert.52 Die kleine Anzahl von Beispielen für den griechischen Namen Mousaius kann natürlich mit den wesentlich zahlreicheren griechischen Belegen des Namens Simon nicht mithalten, und es lässt sich auch nicht definitiv beweisen, dass dieser Name als griechisches Äquivalent für den Namen Moses erachtet wurde, aber die Idee scheint plausibel. Blicken wir schließlich auf die Verwendung des Namens Moses in der östlichen Diaspora: Hier erscheinen Formen weniger häufig als in den anderen Korpora, aber die Belege sind überzeugender. (1) In einer Inschrift aus Wadi Mukhtab in Saudi-Arabien erscheint der Name auf Griechisch (€˜).53 Wir können ziemlich sicher sein, dass diese Inschrift jüdisch ist und dass dies der beabsichtigte Name ist, weil er gemeinsam mit den Namen Samuel und Aaron genannt wird, alle drei jüdisch, alle drei biblisch. Weil die Namen den Worten „zum Gedenken an“ folgen, könnte die Inschrift als eine Grabinschrift interpretiert werden, aber weil der Name Aaron ebenso selten ist wie Moses,54 dürfen wir annehmen, dass es sich bei allen drei Erwähnten eher um die drei bekannten biblischen Figuren als um reale Personen, die hier begraben liegen, handelt. (2) Auf einem Siegel, das von Shaul Shaked veröffentlicht wurde, angeblich aus der Region von Babylonien, taucht der Name «´ auf Hebräisch auf, so wie er in der Bibel klar erscheint.55 Man könnte behaupten, dass dies ein Indiz für den Gebrauch des Namens sei, aber zwei Argumente können dagegen angeführt werden. 1. Das Siegel stammt vom Antiquitätenmarkt. Es könnte ohne weiteres eine Fälschung von jemandem sein, der fälschlicherweise zu wissen meinte, welche Namen bei Juden in der Antike in Gebrauch waren. 2. Selbst wenn es authentisch und seine Herkunft bewiesen wäre, sind wir immer noch nicht in der Lage, es zu datieren, da es 51

ILAN, Lexicon I (s. Anm. 25), 218–235. Vgl. SCHALIT, Namenwörterbuch (s. Anm. 34), 113. 53 FREY, Corpus (s. Anm. 50), 1420. 54 ILAN, Lexicon I (s. Anm. 25), 5f. 55 S. SHAKED, Jewish Sasanian Sigillography, in: G. Rika (Hg.), Au carrefour des religions: Mélanges offerts à Philippe Gignoux, Bures-sur-Yvette 1995, no. 3. 52

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nicht aus einer kontrollierten Ausgrabung stammt. Es könnte genauso aus dem Mittelalter stammen. (3) Alles was bis jetzt gesagt wurde, gilt nicht für das letzte Beispiel: Ein Mann, der als Mosche bar Asuri bezeichnet wird, Vater eines Rabbis, wird zweimal im Babylonischen Talmud erwähnt, und alle Manuskripte und gedruckte Versionen an beiden Stellen stimmen darin überein, dass er tatsächlich «´ genannt wurde (beide Male auf derselben Seite, bBB 174b). Das ist eine starkes Indiz dafür, dass so ein Mann wirklich existiert hat. Gleichwohl lässt sich nicht daraus schließen, dass in Babylonien, im späten 3. und frühen 4. Jahrhundert, der Name Moses unter Juden florierte. Dass er einzigartig ist, wird von allen anderen Quellen, die uns zur Verfügung stehen, bestätigt. Ich möchte, bevor ich zum nächsten Punkt komme, kurz zusammenfassen: Wir haben nur sehr dünne Beweise, dass Juden irgendeinen Grund sahen, den Namen Moses in der Antike zu verwenden, sei es, um ihre jüdische Identität zu stützen, sei es, um die Figur des großen Gesetzgebers zu verherrlichen. Und wie ich vorher geltend gemacht habe, war weder der Name Abrahams in Gebrauch, um den Vater der Nation zu verehren, noch der Name Davids, zur Erinnerung an den beliebten König. Andere nicht verwendete Namen waren die von Aaron, des ersten Priesters, und von Elijah, des großen Propheten, der der biblischen Erzählung zufolge am Ende seines Lebens in den Himmel entrückt wurde.56 Warum all diese Namen nicht gebraucht wurden, bleibt spekulativ. Wir können zum Beispiel annehmen, dass diese Personen für zu heilig erachtet wurden, als dass ihre Namen einfachen Menschen verliehen werden durften. Die christliche Tradition, die davon Abstand nahm, den Namen Jesus als Personennamen zu verwenden, verweist auf eine solche Praxis. Wir können nur vermuten, dass die Namen Moses, David, Abraham usw. erst mit dem Aufkommen des Islams populär wurden, wo es nie irgendwelche Bedenken gab, den Namen des Propheten Muhammad zu benutzen. Die Muslime verwendeten auch wie selbstverständlich den Namen Isa (Jesus). Es liegt vielleicht an der muslimischen Besetzung Spaniens im Mittelalter, dass die Spanier sich ebenfalls daran gewöhnten, den Namen Jesus für ihre Kinder zu verwenden. Bedeutet dies, dass Juden überhaupt keine biblischen Namen als Identitätsmerkmal verwendeten? Natürlich nicht. Wie ich oben gezeigt habe, war der biblische Name в´ besonders populär in Palästina zwischen 300 v. Chr. bis 200 n. Chr. Er war in Palästina auch noch in späteren Jahren, wenn auch nicht länger im selben Ausmaß, populär – er hatte nun seine Vorrang-

56

ILAN, Lexicon I (s. Anm. 25), 5f.

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stellung an die Namen Josef und Juda verloren.57 In der westlichen Diaspora ist er lediglich der fünftpopulärste Name (nach den beiden genannten und den Namen Jakob und Isaak)58 und in der östlichen Diaspora war er überhaupt nicht populär. Wenn sich, wie oben behauptet, die Popularität des Namens в´ in Palästina seiner Ähnlichkeit mit dem griechischen Simon verdankt, ist es leicht nachvollziehbar, dass er keinen Anklang fand in der östlichen Diaspora, wo die griechische Sprache einen nur marginalen Einfluss hatte. Wenn wir aus einem anderen Blickwinkel fragten, was den Namen Simon, den zweitgeborenen Sohn Jakobs, den Rächer der gestohlenen Jungfräulichkeit seiner Schwester und den Mörder der Einwohner von Sichem (Gen 34), so populär in Palästina machte, würden wir die falsche Frage stellen. Wir sollten vielmehr fragen, was für eine Art von Name Simon ist, und welche anderen Namen derselben Sorte ihm folgten. Vielleicht gab der Umstand den Ausschlag, dass er ein Sünder war. Im Judentum des zweiten Tempels waren biblische Namen wie Josua, der Feldherr und Moses Nachfolger (103 Beispiele),59 Saul, der „SündenKönig“, Davids Vorgänger (29),60 populärer als die ihrer berühmten Gefährten. Der Name Elischa, Elias Nachfolger, wurde anders als der seines Lehrers häufig verwendet (11),61 und der Name Levi, Aarons Stammesname, war wesentlich populärer als der von Aaron selbst (29).62 Selbst Ismael, Abrahams verworfener Sohn, ist in den Quellen besser repräsentiert (31)63 als dessen geliebter Sohn Isaak (12).64 Dies ist selbstverständlich ein hochinteressantes Phänomen, aber es erklärt noch immer nicht die große Popularität des Namens Simon, der mehr als zweimal so beliebt war wie der hier ebenfalls aufgelistete Name Josua. In meiner ersten onomastischen Studie aus dem Jahr 1987 erklärte ich den Namen Simon als einen von sechs Namen der Hasmonäer: Matthias und seine fünf Söhne: Johanan, Simon, Juda, Eleasar und Jonathan.65 Alle Namen waren sehr populär, und alle zusammen begründeten ein kleines Reservoir an Namen für etwa ein Drittel der bekannten männlichen Bevölke-

57 Dies sind die Ergebnisse meines Lexicon of Jewish Names, Part II: Palestine 200– 650 CE, das noch nicht erscheinen ist, wo der Name Simon aber 94 Mal erwähnt wird. Juda ist 124 Mal und Josef 131 Mal erwähnt. 58 ILAN, Lexicon III (s. Anm. 2), 63. 59 DIES., Lexicon I (s. Anm. 25), 126–133. 60 A.a.O. 211–213. 61 A.a.O. 63f. 62 A.a.O. 182–185. 63 A.a.O. 177–179. 64 A.a.O. 174f. 65 T. ILAN, Names of the Hasmoneans during the Second Temple Period, Eretz Israel 19 (1987), 238–241 (Heb.).

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rung zwischen 300 v. Chr. und 200 n. Chr. (31,5%).66 Ich behaupte immer noch, dass die Popularität der Hasmonäer der bedeutendste Faktor bei der Namensgebung in der zweiten Tempelzeit war. Die Verwendung hasmonäischer Namen verweist auf die große Unterstützung, die sie unter der jüdischen Bevölkerung fanden wegen ihres Aufstandes gegen die als Unterdrückung und religiöse Verfolgung wahrgenommene hellenistische Herrschaft. Nun aber, nachdem wir die namensgebenden Tendenzen unter palästinischen Juden in späteren Perioden und unter den Juden der Diaspora durch die gesamte post-biblische Antike hinweg untersucht haben, müssen wir dieses Phänomen in einer nuancierteren Weise evaluieren. Wenn wir den Grad der Popularität dieser Namen in Palästina nach 200 n. Chr. beobachten, stellen wir fest, dass sie immer noch Einfluss auf die Vorstellungskraft der Menschen hatten, aber dass ihr Einfluss rückläufig war. Nur noch 13,5% der männlichen Bevölkerung trugen diese Namen.67 Dieses Phänomen lässt sich erklären mit der verstrichenen Zeit zwischen den Ereignissen der hasmonäischen Rebellion und der untersuchten Zeit. Die Namen waren immer noch populär, aber die Gründe für ihre unmittelbare und noch nie dagewesene Popularität in der Vergangenheit begannen in Vergessenheit zu geraten. Andere Entwicklungen beeinflussten zunehmend die Namenswahl. So wurde zum Beispiel der Name Johanan (Johannes) immer mehr mit Christen identifiziert.68 Daher entschieden sich Juden zunehmend, diesen Namen zu vermeiden. Aber trotz allem, wenn wir die zwei Bände zusammen nehmen, stellen die hasmonäischen Namen immer noch 22,3% der gesamten männlichen Bevölkerung. 66

ILAN, Lexicon I (s. Anm. 25), 56. S.o. Anm. 57. 68 Nehmen wir als Beispiel den SEG 53 (2003), der alle in diesem Jahr veröffentlichten griechischen Inschriften verzeichnet. Er nennt 27 Fälle für den Namen Johannes: 1. auf einem Ring aus Dionysopolis im römischen Moesia (712); 2. und 3. auf zwei Siegeln aus Tomis in Moesia (732); 4. und 5. auf zwei Siegeln aus Sogdaia an der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres (803); 6. auf einem Siegel aus Pergamon in Asien (1387); 7. auf einem Dipinito aus einem Marmorbruch in Prokonesos in Mysia (1404); 8. auf einem Siegel aus Afyon in Phrygien (1450); 9. auf einem Siegel aus Apamea in Phrygien (1458); 10. auf einem Kirchenmosaik aus der Gegend um Bethlehem in Palästina (1855); 11. auf einem Epitaph aus Jerusalem (1856); 12. auf einem Kirchenmosaik in Syrien (1886); 13. auf einem Kirchenmosaik aus Gerassa (1890f); 14. auf einem Epitaph aus Ägypten (1993); 15. auf einem Kirchenmosaik aus Taphis, Nordafrika (2026); 16. auf einer Bleimünze aus Apollonia in Nordafrika (2030); 17.–27. auf Siegeln, deren Herkunft unbekannt ist (2132; 2135). Keiner dieser Namen kann als jüdisch identifiziert werden, die meisten jedoch als christlich. Sie tauchen in kirchlichen Mosaiken auf, mit Kreuzen auf den Gräbern oder christlichen Themen auf den Siegeln: (2135) zeigt einen Bischof, ein anderes einen Heiligen (2132). Der Name Juda taucht in diesem Band einmal auf (1046) in einem eindeutig jüdischen Zusammenhang. 67

Jüdische Identität und die Namen von Juden in der Antike

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Ein ganz anderes Bild entsteht, wenn wir den Einfluss der hasmonäischen Namen in der Diaspora untersuchen (siehe Tabelle). Aus Band 3, der jüngst erschien, erfahren wir, dass in der westlichen Diaspora nur 7,9% der männlichen Bevölkerung diese Namen trug.69 In Band 4, der noch nicht erschienen ist und für den die statistischen Nachweise noch weitgehend unbearbeitet sind, ist die Situation sogar noch drastischer: Hasmonäische Namen stellen nur 4,5% aller männlichen Namen. Wenn wir einen näheren Blick auf die Figuren werfen, stellen wir fest, dass der Name Matthias in der Diaspora praktisch nicht gebraucht wurde, Johanan war nur marginal und Jonathan, der in der westlichen Diaspora ebenso häufig war wie Johanan, war fast vollständig unbekannt in der östlichen Diaspora.

Matthias Johanan Simon Juda Eleasar Jonathan

Bd. 1: Land Israel 330 v. Chr. – 200 n. Chr. 53 115 234 160 162 68

Bd. 2: Land Israel 200 n. Chr. – 650 n. Chr. 11 35 94 124 67 33

Bd. 3: Westliche Diaspora 330 v. Chr. – 650 n. Chr. 3 14 29 79 18 13

Bd. 4: Östliche Diaspora 330 v. Chr. – 650 n. Chr. – 5 9 18 8 1

Der Grund, warum hasmonäische Namen immer noch einen gewissen Einfluss auf die Menschen ausübten, verdankt sich hauptsächlich dem Namen Juda, der in der westlichen Diaspora sehr beliebt war (der zweithäufigste männliche Name nach Josef) und der auch den bei Weitem beliebtesten hasmonäischen Namen in der östlichen Diaspora darstellt. Gleichwohl ist der Grund, weshalb die Juden in der Diaspora diesen Namen benutzten ein ganz anderer und hatte, wie ich meine, nichts mit den Hasmonäern und ihren historischen Leistungen zu tun. Wenn wir in der Diaspora nach einem Namen suchen, der mit Sicherheit eine Person als jüdisch identifiziert, ist es der Name Juda. Dies liegt daran, dass der Name selbst bereits in sich das Identitätszeichen – jüdisch – enthält. Kein Name tut dies klarer. Beweise dafür, dass er oft für Proselyten benutzt wurde, existieren zahlreich.70 Aber es gibt noch einen anderen Grund, weshalb, anders als andere biblische Namen, die Identität dieses Namens niemals verwischt wurde: das Christentum. Als Mitte des vierten Jahrhunderts das Christentum die größte Religion in der römischen Welt wurde, erreichte auch die Bibel als Schrift Millionen von Menschen und biblische Namen wurden zu einer Quelle der Inspi69 70

ILAN, Lexicon III (s. Anm. 2), 62. DIES., New Ossuary Inscriptions from Jerusalem, SCI 11 (1991–1992), 154f.

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ration. Im vierten Jahrhundert kennzeichneten biblische Namen ihre Träger nicht länger als jüdisch. Als die Namen Moses und Abraham (und sogar David) häufiger in Inschriften, Papyri und in literarischen Kompositionen aufzutauchen begannen, waren ihre Träger eher Christen als Juden.71 Forscher, die von dieser Periode an in dem Gebrauch biblischer Namen weiterhin ein Indiz für jüdische Identität zu erblicken meinen, begehen einen schweren Fehler. Denn nun muss bei der Feststellung einer jüdischen Identität die Frage berücksichtigt werden: Welche biblischen Namen wurden nicht länger von Juden gebraucht, weil sie so vollkommen mit dem Christentum identifiziert wurden? Ein solcher Name war, wie oben erwähnt, Johanan (oder Johannes). Christen, die es mieden, den Namen Jesu zu verwenden, waren glücklich, ihren Kindern die Namen der Jünger Jesu zu geben – Johannes, Matthias, Simon etc. Aber aus genau diesem Grund vermieden sie den Gebrauch des Namens Juda. Obwohl die eben erwähnten Namen (Juda eingeschlossen) alles hasmonäische Namen sind und unter den Jüngern Jesu als ein Hinweis auf den Zeitgeist auftauchen, in dem Jesus und seine Jünger aufwuchsen, hob sich Juda von allen anderen Schülern durch seinen Verrat ab. Kein Christ, der Respekt vor sich selbst hatte, hätte seinen Sohn Juda genannt. Tatsächlich wurde dieser Name zum Synonym für den Verräter. So blieb dieser Name den Juden als einer, welcher ihnen von Christen zumindest nicht streitig gemacht wurde. Ein Hinweis auf das Selbstbewusstsein unter den Juden dieser Zeit, vor allem in Palästina, aber umso mehr in der westlichen Diaspora, wo sie immer eine Minorität blieben, ist ihr Beharren auf dem Gebrauch dieses Namens – zum einen als Ausdruck für ihre ethnische und religiöse Identität, zum anderen spiegelt er ihre Verachtung für die unter Umständen daraus resultierenden Diskriminierungen von christlicher Seite wider.

71 In demselben Band von SEG (s. Anm. 68) wird ein David auf dem Türsturz einer Klosterzelle in Syrien erwähnt (1801). Andere Beispiele: Der Name Abraham erscheint bei F. PEISIGKE, Namenbuch: Enthaltend alle griechischen, lateinischen, ägyptischen, hebräischen, arabischen und sonstigen semitischen und nichtsemitischen Menschennamen, soweit sie in griechischen Urkunden (Papyri, Ostraka, Inschriften, Mumienschildern usw.) Ägyptens sich vorfinden, Heidelberg 1922, 4, das alle ihm bekannten Namen auf Papyri dokumentiert, 17 Mal. All diese Namen sind spät und offensichtlich christlich (vgl. a.a.O. 4). Der Name Moses taucht ebenfalls 17 Mal im Buch auf (vgl. a.a.O. 221, 223) – auch hier handelt es sich um Christen.

Sara, die Freie – unsere Mutter Namenallegorese als Interpretament christlicher Identitätsbildung in Gal 4,21–31* DIETER SÄNGER

1 Hinführung zum Thema „Nenn es dann, wie du willst, nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott! Ich habe keinen Namen dafür“. Mit diesen Worten entzieht sich Faust der erhofften eindeutigen Antwort auf Gretchens besorgte Fragen „Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? ... Glaubst du an Gott?“, um anschließend sein emphatisches Bekenntnis zum allwirksamen, den ganzen Kosmos durchwaltenden Gott1 auf den sprichwörtlichen Nenner zu bringen: „Gefühl ist alles; Name ist Schall und Rauch.“2 Der gebildete Volksmund hält dagegen. Für ihn ist Nomen zugleich Omen, wie der römische Dichter Plautus den Galgenstrick Toxilus in seiner Komödie Persa sagen lässt,3 der damit auf den Profit (lucrum) anspielt, den er aus dem vorgetäuschten Verkauf der schönen Lucris an den Kuppler Dordalus erwartet. Isoliert betrachtet erwecken beide Wendungen den Anschein, als reflektierten sie ein unterschiedliches Verständnis hinsichtlich der hermeneutischen und pragmatischen Funktion von Zuschreibungsbegriffen. Freilich nur auf den ersten Blick. Denn es ist ja nicht zu übersehen, dass sich das Spannungsmoment aus den Sachverhalten ergibt, auf die sie jeweils referieren. Faustens Diktum bezieht sich einzig und allein auf Gott, während das Toxilus in den Mund gelegte trotz seines konkreten Adressatenbezugs allgemein formu* Die folgende Skizze beschränkt sich auf die Frage nach der Pragmatik des Texts. Von daher versteht sich, dass eine Reihe von Problemaspekten, die sich mit dem Abschnitt verbinden, nicht eigens thematisiert werden. Mit dem Beitrag grüße ich Christoph Burchard zum 80. Geburtstag. 1 Zum pantheistisch bzw. panentheistisch eingefärbten Credo Faustens vgl. HANS HÜBNER, Goethes Faust und das Neue Testament, Göttingen 2003, 133f. 2 JOHANN W OLFGANG v. GOETHE, Faust. Der Tragödie Erster Teil, in: E. Trunz (Hg.), Hamburger Ausgabe Bd. III: Dramen I, Hamburg 81967, 7–145, 110 (3453–3457). 3 Titus Maccius Plautus, Persa, 625: nomen atque omen quantivis iam est preti.

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liert und topischen Charakter hat. Dies mahnt zur Vorsicht, beide Sentenzen wie autonome Sinneinheiten zu behandeln und losgelöst vom Kontext in ein Kontrastverhältnis zu setzen. Es ginge deshalb zu weit, von alternativen Positionen zu sprechen. Ihr eigentlicher Differenzpunkt liegt denn auch weniger im Grundsätzlichen als vielmehr in dem von Faust behaupteten Ausnahmetatbestand. Gott markiert für ihn eine Grenze, die den Verweisbezug der verba auf die res und damit ihre Erkenntnisleistung limitiert.4 Ob diese Einschätzung dem metaphorischen Potential des Mediums Sprache gerecht wird, erscheint zumindest zweifelhaft, nicht zuletzt im Blick auf seine Fähigkeit, den physischen Erfahrungsbereich transzendierende Kognitionsvorgänge metaphorisch zu strukturieren und in ein kohärentes Sinngefüge einzuordnen, mit dessen Hilfe Menschen Wirklichkeit erschließen5 und in ihre „Weltansicht“6 integrieren. Insofern die metapho4 Dazu passt die Szene im Studierzimmer (1224–1237). Faust weigert sich, den Beginn des Johannesprologs | ‡¥ ¨  › mit „am Anfang war das Wort“ zu übersetzen, weil er dann zugeben müsste, dass der später als Christus prädizierte Logos „wesenhaft das (ist), was auch der göttliche Vater, der Gott schlechthin, ist“, HÜBNER, Goethes Faust (s. Anm. 1), 89. 5 Prägnant formuliert EBERHARD JÜNGEL, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 72001, 398: „In solcher Rede (sc. der metaphorischen) wird ... eine bestimmte Wirklichkeit durch Möglichkeiten so ausgesagt, daß gerade die Möglichkeit zwingend zur Entdeckung einer neuen Dimension der Wirklichkeit und zu einer Präzisierung der Rede von Wirklichkeit führt. ... Das unterscheidet sie von der Notwendigkeit des Begriffs“. In diesem Zusammenhang genügt es, an die kategoriale Bedeutung der Metapher für die Strukturierung unseres Orientierungswissens zu erinnern und ihr Verhältnis zur außersprachlichen Wirklichkeit als Problemanzeige zu notieren, ohne dass ich jetzt auf die ontologischen und erkenntnistheoretischen Prämissen des zum Teil sehr unterschiedlich konzeptualisierten Metaphernbegriffs eingehe. Vgl. nur L. DANNEBERG u.a. (Hg.), Metapher und Innovation. Die Rolle der Metapher im Wandel von Sprache und Wissenschaft, Berliner Reihe philosophischer Studien 16, Bern u.a. 1995; A. HAVERKAMP (Hg.), Theorie der Metapher, WdF 389, Darmstadt 21996; DERS., Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik. Bilanz eines exemplarischen Begriffs, München 2007 (hier bes. 19–106: „Begriffsgeschichte und Metaphorologie“); ECKARD ROLF, Metapherntheorien. Typologie, Darstellung, Bibliographie, Berlin/New York 2005; KATRIN KOHL, Metapher, Stuttgart/ Weimar 2007. Für die theologische Diskussion sei verwiesen auf R. BERNHARD / U. LINK-WIECZOREK (Hg.), Metapher und Wirklichkeit. Die Logik der Bildhaftigkeit im Reden von Gott, Mensch, Welt und Natur (FS D. Ritschl), Göttingen 1999; R. ZIMMERMANN (Hg.), Bildersprache verstehen. Zur Hermeneutik der Metapher und anderer bildlicher Sprachformen, Übergänge 38, München 2000; DERS., Metapherntheorie und biblische Bildersprache. Ein methodologischer Versuch, ThZ 56 (2000), 108–133. Einen gerafften Überblick über die verschiedenen Metapherntheorien und die ihnen unterliegenden Voraussetzungen gibt SOPHIE RANTZOW, Christus Victor Temporis. Zeitkonzeptionen im Epheserbrief, WMANT 123, NeukirchenVluyn 2008, 54–72. 6 Vgl. hierzu THOMAS LUCKMANN, Die unsichtbare Religion, Frankfurt a.M. 42005, 93.

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rische Rede als ein generelles Phänomen unserer Sprache begriffen werden kann – was freilich nicht heißt, dass diese sich in jener erschöpft –, impliziert Faustens Vorbehalt die Frage nach dem Wesen der Sprache überhaupt. Doch aufgrund seiner Selbstbeschränkung fügt auch er sich prinzipiell der Vorstellung ein, Zuschreibungsbegriffe seien nicht bloß variable, das eigentlich Gemeinte nie erfassende Konstrukte, sondern Signifikanten. Eben darauf hebt das paronomastische nomen est omen ab. Es weist dem Bezeichneten eine bestimmte, sprachlich kodierte semantische Eigenschaft oder Bedeutung zu. Nimmt man diese Spur probehalber einmal auf, führt sie im operativen Vorfeld zu der Arbeitshypothese: Namen – allgemeiner gesprochen: Zuschreibungsbegriffe – lassen sich als Versuch verstehen, das Benannte zu deuten. Ihre Pragmatik besteht darin, die ihm zugeschriebene Bedeutung im Sinne des intendierten Rezeptions- und Aneignungsprozesses zu vermitteln. Indem sie dazu verhelfen, den benannten Gegenstand identifizierend zu erschließen, werden sie hermeneutisch produktiv. Dies soll im Folgenden am Beispiel der Hagar-Sara-Allegorese (Gal 4,21–31) gezeigt werden.

2 Gal 4,21–31 als ein Integral der argumentatio Mit seiner rhetorischen Analyse des Galaterbriefs, den er innerhalb der normativ gewordenen aristotelischen Gattungstrias7 dem ’  ^  › / genus iudiciale zuweist und als eine Gerichtsrede in brieflicher Form versteht, hat Hans Dieter Betz ein bereits in der altkirchlichen und reformatorischen Exegese praktiziertes methodisches Verfahren zur Erschließung antiker, insbesondere biblischer Texte auf das Zirkularschreiben (1,2) angewandt.8 Seitdem ist die Frage, ob und inwieweit seine literarische Ge7 Während Aristoteles von drei ’ @   ›*   ¹@   ausgeht, Rhet I 3,1358b: ’  €!€€ › , ’  |% ^  › , ’  ^  › , kennt das unter seinem Namen überlieferte, aber zumeist Anaximenes von Lampsakos zugeschriebene Lehrbuch „Rhetorica ad Alexandrum“ nach Quintilian, InstOrat III 4,9, nur zwei generalis partes (vgl. aber RhetadAlex 1,1). Bestimmend blieb in der Folgezeit Aristoteles’ Definition, obwohl sie Quintilian (InstOrat III 4,2) und Cicero (DeOrat 2,64) als zu eng erschien. 8 Zuerst und grundlegend in: HANS D IETER BETZ, The Literary Composition and Funktion of Paul’s Letter to the Galatians, NTS 21 (1975), 352–379 (= DERS., Paulinische Studien, Gesammelte Aufsätze III, Tübingen 1994, 63–97). Das in dieser Studie vorgestellte Programm hat Betz in seinem großen Kommentar durchgeführt: DERS., Galatians. A Commentary on Paul’s Letter to the Churches in Galatia, Hermeneia, Philadelphia 21984 (= DERS., Der Galaterbrief. Ein Kommentar zum Brief des Apostels Paulus an die Gemeinden in Galatien, München 1988 [hiernach zit.]). Illustre Vorgänger waren

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staltung, gedankliche Disposition und argumentative Strategie durch das Regelwerk eines schulrhetorischen Theoriemodells bestimmt sind, nicht zu trennen von der anderen, nach welchem Gliederungsprinzip der Text segmentiert wird.9 Überblickt man den bisherigen Verlauf der von Betz angestoßenen Debatte über Recht und Grenze des rhetorischen Interpretationsansatzes und seine Konsequenzen für die Erfassung der Oberflächenstruktur, herrscht zumindest in einem Punkt ein relativ breiter Konsens. Ungeachtet sonstiger Differenzen rechnet die Mehrheit der Ausleger, ob sie nun dem rhetorischen Paradigma verpflichtet sind oder nicht, 4,21–31 zum brieflichen Hauptteil. Dafür sprechen zum einen sein diskursiver Charakter, zum anderen die aktualisierende Fortschreibung der in 3,6–14 grundgelegten These, genealogisch aufweisbare Kontinuität sei kein Implikat der Abrahamskindschaft, und nicht zuletzt der abermalige Rekurs auf die Schrift als autoritative Bezugsgröße und Legitimationsinstanz. Vor allem die strukturelle Einbindung von 4,21–31 in das Ensemble der auf die Schrift sich stützenden Beweisgänge steht dem Vorschlag entgegen, das „Rebuke-Request-Schema“ als Gliederungsprinzip zu nehmen. Orientierte man sich an ihm, bildete der mit dem vorwurfsvollen €¡œ* " eingeleitete Komplex 1,6–4,11 die „rebuke section“, während der Imperativ ‘  ™ |Ì (4,12) die bis 6,10 reichende „request section“ eröffnete. In diesem Fall stünde der mit 4,13–20 und 5,1–12 zu einer Sinneinheit zusammengefasste Abschnitt 4,21–31 unter der Überschrift von 4,12 und

etwa Johannes Chrysostomos, Augustin und Philipp Melanchthon, vgl. MARGRET M. MITCHELL, Reading Rhetoric with Patristic Exegetes. John Chrysostom on Galatians, in: Antiquity and Humanity. Essays on Ancient Religion and Philosophy (FS H. D. Betz), hg. v. A. Y. Collins / M. M. Mitchell, Tübingen 2001, 333–355; ERIC A. PLUMER, Augustine’s Commentary on Galatians. Introduction, Text, Translation, and Notes, OECSt, Cambridge 2003; CARL J. CLASSEN, Melanchthon’s Rhetorical Interpretation of Biblical and Non-Biblical Texts, in: DERS., Rhetorical Criticism of the New Testament, WUNT 128, Tübingen 2000, 99–177, bes. 111–118.144–160. 9 BETZ entwirft sie auf der Basis des von ihm ausgemachten genus iudiciale. Dabei muss er jedoch in Kauf nehmen, dass eine Gerichtsrede keine Paränese kennt (vgl. Gal 5,13–6,10). Diese Schwierigkeit versucht DIETER KREMENDAHL, Die Botschaft ist die Form. Zum Verhältnis von antiker Epistolographie und Rhetorik im Galaterbrief, NTOA 46, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 2000, dadurch zu entschärfen, dass er die Gerichtsrede in 5,6 enden lässt und 5,7–6,18 als ein zum brieflichen Rahmen gehörendes Postskript versteht. In die gleiche Richtung zielt der Vorschlag, den Brief als „Parodie eines Freundschaftsbriefs mit Verteidigungsrhetorik“ zu bestimmen, GERD THEISSEN, Die Entstehung des Neuen Testaments als literaturgeschichtliches Problem, Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 40, Heidelberg 2007, 119 (Kursivierung im Orig.). Es liegt in der Natur der Sache, dass keiner der bisherigen Klassifikationsversuche frei von subjektivem Empfinden ist, vgl. D. FRANCOIS TOLMIE, Persuading the Galatians. A Text-Centred Rhetorical Analysis of a Pauline Letter, WUNT II/190, Tübingen 2005, 1–23.

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gehörte bereits zur exhortatio.10 Der Vorteil dieses Gliederungsvorschlags, der wesentlich formale Kriterien berücksichtigt, liegt zwar darin, dass er a) mit dem phraseologischen Befund in privaten Briefen (Papyri) konvergiert11 und b) gattungstypische Merkmale für sich hat. In 1,6–4,11 überwiegt forensische, in 4,12–6,10 deliberative Rhetorik. Aber seine nicht zu leugnende Stärke, sich an das vor subjektiver Willkür schützende Formalprinzip „standard epistolary conventions“12 zu halten, ist zugleich seine Schwäche. Unterbewertet bleiben inhaltliche Gesichtspunkte. In 3,6–9, dem Beginn der argumentatio,13 greift Paulus erstmals, in 4,21–31 zum letzten Mal auf Abrahamüberlieferung zurück. Dies geschieht jeweils in Form eines Schriftbeweises. Der die Prävalenz der %‘  herausstellende Vortrag in 3,6–9 endet mit einer aus den beiden zitierten Texten (V.6 = Gen 15,6; V.8b = Gen 12,3c/18,18b) abgeleiteten Folgerung: Ÿ (V.9).14 Der den Dual |€‘/^€‘ explizierende Abschnitt 4,21–31, in dem die eingangs aufgerissene Alternative %‘  vs. › (vgl. 3,12) noch einmal von der Schrift her – sie erscheint in 4,21c geradezu personifiziert:  ›   ¶;15 – begründet wird, läuft ebenfalls auf eine conclusio zu: ^ › (V.31). Thematisch wie sachlogisch stehen beide Passagen in Korrespondenz zueinander. Ihre konnektive Struktur ergibt sich aus dem wechselseitigen Verweisbezug der schriftbasierten Aussagen von 3,7 (© | 10

So vor allem G. WALTER HANSEN, Abraham in Galatians. Epistolary and Rhetorical Contexts, JSNT.S 29, Sheffield 1989, 27–54; RICHARD N. LONGENECKER, Galatians, WBC 41, Dallas 1990, cv-cxix.184–186.199; IAN W. SCOTT, Implicit Epistemology in the Letters of Paul. Story, Experience and the Spirit, WUNT II/205, Tübingen 2006, 238f. Nach Hansens Analyse beginnt der paränetische Teil zwar erst in 5,13. Indem 4,12–5,12 jedoch darauf abzielt „to motivate the Galatians to be as Paul is ..., dead to the law and free in Christ“ (a.a.O. 51), hat schon die exhortatio nicht nur in mimetischer, sondern auch – wenngleich implizit – in handlungsorientierter Hinsicht appellativen Charakter. 11 Vgl. HANSEN, a.a.O. 28–42. Weiteres Belegmaterial wird dargeboten von TERENCE Y. MULLINS, Formulas in New Testament Epistles, JBL 91 (1972), 380–390. Einiges schon vorher in DERS., Petition as a literary form, NT 5 (1962), 46–54. 12 LONGENECKER, Galatians (s. Anm. 10), 184. 13 3,6–9 bildet zusammen mit 3,10–14 den ersten Argumentationsgang, in dem der Dual %‘ / › (3,2.5, vgl. 2,16) seine Begründung aus der Schrift erfährt. 14 Der Vers zieht nicht nur „die Schlußfolgerung aus These und Schriftbeweis in V.8“, so HANS-JOACHIM ECKSTEIN, Verheißung und Gesetz. Eine exegetische Untersuchung zu Galater 2,15–4,7, WUNT 86, Tübingen 1996, 117. Indem Paulus mit der elliptischen Wendung © | %‘* (= © | %‘*

) die gleichlautende von V.7a wieder aufnimmt und sie mit dem das futurische | €@•  von V.8 in die Gegenwart überführende passivum divinum \  verbindet, formuliert er in V.9 das aus beiden Schriftbeweisen sich ergebende Fazit. Vgl. 3,24: Ÿ  ' ›, 4,7: Ÿ  ’ . 15 In 4,21b.c liegt die rhetorische Figur der % ‘/adnominatio vor, RhetadHer 4,29–32; Quintilian, InstOrat IX 3,66f. Vgl. unten Anm. 43.

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%‘*,   €©‘  !¡) und 3,9 (© | %‘* \  ½

š % š !¡) einerseits sowie 4,31 (^`‘,  |' % ^‘ @ ’  ~ ˜ |€’) andererseits.16 In 4,21–31 wird eine weitere – die letzte – Runde im „exegetical sparring between Paul and his opponents“17 eingeläutet. M.a.W., 4,12–20 markiert nicht den „major turning point in the structure of Galatians“,18 sondern bildet zusammen mit 4,21– 31 ein Integral der auf das Festhalten an der libertas christiana zusteuernden paulinischen Argumentation. Für das Verständnis dieser Verse ist deshalb eine vorgängige Entscheidung darüber, welches der drei klassischen genera dicendi/causarum19 im Brief dominiert und sein Gepräge bestimmt, weder gefordert noch von besonderem Interesse. Die makrostrukturelle Position des Abschnitts 4,21–31 spiegelt das ihm zukommende Gewicht im Gesamt der von Paulus verfolgten theologischen und rhetorischen Argumentationsstrategie. Durch die Wiederaufnahme zentraler Leitbegriffe, an denen sich die bisher entwickelte Sinnlinie orientierte, und seine Platzierung vor dem paränetisch grundierten Transitus 5,1–12,20 der zum ethischen Teil (5,13–6,10) überleitet, hat er im epistolaren Gefüge eine Art Scharnierfunktion. Inhaltlich und terminologisch ist 4,21–31 mit 3,6–4,7 eng verknüpft. Schon die Einleitung „Abraham hatte zwei Söhne“ signalisiert, dass es erneut um die Abrahamsverheißung und -kindschaft geht (V.22f.28.30f), von der bereits in 3,6–9.16–18.29 die Rede war. Mit den Stichworten ^ ˜  (V.24) und @ ‹ (V.30) lenkt Paulus auf 3,15.17 (^ • @) und 3,15.29; 4,1.7 ( @ ‘/ @ ›) zurück. In V.24f wird sub voce ^€‘ bzw. ^€¶ ein Bogen zu 4,3 (¤ ^^€*’  ) geschlagen (vgl. 4,1.8f) und zugleich der mediale Imperativ von 5,1b: „Lasst euch nicht wieder in das Joch der Sklaverei spannen“

16 Wobei 4,31 wiederum eine Variante zu 4,7: Ÿ  ’ ¦ ^\ ~ €©›·  ^' €©›,  @ › ^ ~ \ darstellt. 17 JOHN BYRON, Slavery Metaphors in Early Judaism and Pauline Christianity. A Traditio-Historical and Exegetical Examination, WUNT II/162, Tübingen 2003, 193. Kritisch hierzu MICHAEL BACHMANN, Die andere Frau. Synchrone und diachrone Beobachtungen zu Gal 4,21–5,1, in: ders., Antijudaismus im Galaterbrief? Exegetische Studien zu einem polemischen Schreiben und zur Theologie des Apostels Paulus, NTOA 40, Freiburg (Schweiz)/Göttingen 1999, 127–158. Ihm zufolge hat Paulus in 4,21–31 nicht die nur kodiert in den Brief eingeschriebenen (1,6f.9; 3,1; 4,17; 5,7.10.12, vgl. 6,12f) galatischen Fremdmissionare im Blick, sondern ausschließlich die Galater selbst, denen aus Sicht des Apostels „eine Fehl-Orientierung auf das Gesetz hin ... droht“, a.a.O. 143. 18 HANSEN, Abraham (s. Anm. 10), 48, vgl. 60. 19 Die Nomenklatur schwankt, vgl. Aristoteles, Rhet I 3,1358b.36 mit I 3,1358b.7; Quintilian, InstOrat II 21,23 mit III 3.14f; Cicero, DeInv 1,7 mit RhetadHer 1,2. 20 Zu beachten ist, dass in 5,1b!12 der Imperativ •  auf die in Christus geschenkte Freiheit rekurriert und der ^ × ¡%@ wirksame Glaube noch einmal ausdrücklich an die | ‰ š Ê@\ gewährte ^  ¶ @ gekoppelt wird (5,5f).

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vorbereitet.21 Was in 4,24f von der Sinai-Diatheke gesagt wird, hat seine Entsprechungen in 3,23 und 4,5, wo das $% › sich auf die Tora vom Sinai bezieht. Doch klingt in 2,4b schon an, was dann in 4,21–31 aus der Schrift begründet und anschließend auf seine ethischen Konsequenzen hin bedacht wird: die in Christus geschenkte Freiheit (— |€‘ –  "

£‡ | ‰ š Ê@\). Bezeichnenderweise geschieht das auch hier in einem Zusammenhang, in dem die Beschneidungsforderung seitens der „Falschbrüder“ (2,4a, vgl. 2,3) als ein ^€¶ (2,4c) gewertet und dieser Freiheit entgegengesetzt wird (vgl. 5,1a). Darüber hinaus sind die jeweils vorhergehenden Passagen 3,1–5 und 4,8–11.12–20 miteinander koordiniert. Sie haben die gleiche Funktion. Beide kontrastieren das einstige Verhalten der Galater, als sie zum Glauben kamen, mit ihrem jetzigen Verhalten und führen so auf die Abrahamsthematik hin.22 Weitere Beobachtungen stützen die Kontextverankerung von 4,21–31. Das die raumzeitliche Distanz zwischen Briefautor und -empfänger rhetorisch überwindende und auf eine direkte Antwort zielende ’’  ...   ¶; in V.2123 holt in formal-sprachlicher Hinsicht den unmittelbar zuvor geäußerten Parusiewunsch ¤ ^' %‹  %  $Í (V.20, vgl. 3,15; 5,2)24 ein und realisiert ihn. Darüber hinaus erinnert der vorwurfsvolle Ton der Frage an den Tadel von 3,1. Erneut müssen die Adressaten sich gefallen lassen, als die „unverständigen Galater“ vorgeführt zu werden. Wie sehr 4,31 und 5,1 ineinandergreifen und sachlich wie inhaltlich miteinander verschränkt sind, zeigt schließlich die chiastische Anord21 Die positive Kehrseite des ^€¶ formuliert 5,13c: ^ ~ ˜ ¡%@ ^€¶ • . Dieses „Dienen“, in dem sich das % ¶ % %‹ (5,16a) und •* ~ !¡@ !¡œ (6,2a) konkretisieren, hat sein ethisches Pendant in den in 5,22f aufgelisteten Früchten des Geistes. Auch in Act 15,10 wird „das Gesetz des Mose“, von dem in 15,5 hinsichtlich der Beschneidungsforderung die Rede ist, metaphorisch als „Joch“ bezeichnet, das „weder unsere Väter noch wir haben tragen können“. 22 Vgl. ANNA M. SCHWEMER, Himmlische Stadt und himmlisches Bürgerrecht bei Paulus (Gal 4,26 und Phil 3,20), in: M. Hengel u.a. (Hg.), La Cité de Dieu/Die Stadt Gottes, WUNT 129, Tübingen 2000, 195–243, 197f. Diese Strukturparallele macht es von vornherein schwierig, in 4,8–20 eine nachträgliche Interpolation zu sehen. So jedoch THOMAS WITULSKI, Die Adressaten des Galaterbriefes. Untersuchungen zur Gemeinde von Antiochia ad Pisidiam, FRLANT 193, Göttingen 2000, bes. 71–81. 23 Zum brieftypischen Stilmerkmal, durch direkte Anrede die zeitliche und räumliche Distanz zwischen den Korrespondenten zu überwinden und sie unmittelbar ins Gespräch zu bringen, vgl. Cicero, Att I 16,8; VIII 14,1; IX 11,1; EpadFam III 11,1; XII 30,1; XV 20,1; 21,2; Seneca, ep 40,1; 67,2; Gregor von Nazianz, ep 129.196. Weiteres Belegmaterial bei HEIKKI KOSKENNIEMI, Studien zur Idee und Phraseologie des griechischen Briefes bis 400 n.Chr., AASF.B 102/2, Helsinki 1956, 38–47.178f, und KLAUS THRAEDE, Grundzüge griechisch-römischer Brieftopik, Zet. 48, München 1970, 146–157.162–165 (für den lateinischen Brief). 24 Vgl. Röm 1,11; 15,23f; 1Kor 16,7; Phil 2,24; 1Thess 2,17f; 3,6.10. Zum topischen Charakter des „Sehnsuchtsmotivs“ (%›) vgl. THRAEDE, a.a.O. 165–172.

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nung der leitmotivisch verwendeten semantischen Oppositionen % ^‘ @ – |€’, |€‘ – ^€‘ (vgl. 4,22–24.26.30). Der neuerliche Versuch von John C. O’Neill, den Passus (inklusive 5,1) in seiner jetzigen Form Paulus abzusprechen, weil er jeden Bezug auf die galatische Situation und ihre spezifische Problematik vermissen lasse, 25 hat keinen Anhalt am Text. Er scheitert nicht nur an dessen Einbindung in das Geflecht intratextueller Referenzen, durch die sich die Verse als ein Integral des in 3,6 beginnenden exegetischen Diskurses über die Schriftgemäßheit der hinter 3,2b.5 steckenden These  % \ |¡! |  ˜ %‘*26 zu erkennen geben, sondern hat auch die Textüberlieferung gegen sich. Zudem bleibt O’Neill eine Begründung für die doppelte Behauptung schuldig, die unvermittelt eingebrachte Hagar-Sara-Thematik habe weder etwas mit der aktuellen Lage in Galatien zu tun noch sei der judenkritische Tenor von 4,21–31 mit dem paulinischen Denken vereinbar. Aufgrund seiner eigenwilligen, um nicht zu sagen rein imaginativ verfahrenden Rekonstruktion der Entstehungsverhältnisse des vermeintlichen Fremdkörpers, die sich einer methodischen Kontrolle entzieht und mit unkalkulierbarer Hypothetik verbunden ist, erübrigt es sich, weiter auf ihn einzugehen.27 25

JOHN C. O’NEILL, „For this Hagar is Mount Sinai in Arabia“ (Galatians 4.25), in: The Old Testament in the New Testament (FS J. L. North), hg. v. S. Moyise, JSNT.S 189, Sheffield 2000, 210–219. Ähnlich schon in einer früheren Veröffentlichung: The Recovery of Paul’s Letter to the Galatians, London 1972, 62–64.80f. Hier scheidet er die Verse 24b–27 und 30 als unpaulinisch aus. 26 Paulus konzediert in 3,2–5 ausdrücklich, dass die Galater den Geist besitzen und auf pneumatische Erfahrungen verweisen können. Im Geistverständnis weiß er sich mit ihnen einig, vgl. JÜRGEN BECKER, Der Brief an die Galater, in: ders. / U. Luz, Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 18(1)1998, 7–103, 47. Der Dissens bezieht sich also nicht auf die Wirkfunktion des % \. Kontrovers beurteilt wird vielmehr die Frage nach seinem Woher: | £* ›€ ¿ |  ˜ %‘*? 27 O’NEILL, Hagar (s. Anm. 25), zufolge greift der Allegorist (es wird allerdings nirgends ausdrücklich gesagt, dass nicht Paulus gemeint ist) in 4,21–5,1 auf qumranessenische (!) Traditionen zurück. Seine „fellow Jews“ (211) ruft er dazu auf „to return to full obedience to the law“ (V.21–24), warnt sie vor den „spiritual Ishmaelites“, die als „the slaves of evil“ das irdische Jerusalem korrumpiert haben (V.25–27), erklärt sie dann zu „spiritual descendants (as well as physical descendants) of Isaac“, die sich auf den Kampf gegen die Söhne der Finsternis vorbereiten müssen (V.28–30), und erinnert sie schließlich in 4,31–5,1 daran, „that the rock that accompanied the desert generation was Christ“ (217f). Textkritisch sekundär ist die Identifizierung Hagars mit dem Berg Sinai (V.25). Sie ist das Werk christlicher Kopisten der ersten drei Jahrhunderte und verdankt sich ihrem „anti-Jewish temper“ (218). Dadurch wurde das Gesetz dem Evangelium entgegengestellt, und zwar in bewusster Verkehrung der paulinischen Argumentation, „that Jews who believed Jesus was Messiah should continue as Jews“ (218). Dass wir es hier mit einem reinen Konstrukt zu tun haben, ist offensichtlich. Dies zeigt sich – sieht man von anderen gravierenden Einwänden einmal ab – schon daran, dass O’Neill mit einem Text operiert, den er sich zuvor durch Konjekturen und äußerst zweifelhafte textkritische

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3 Exegetische Vorklärungen 4,21–31 gehört zu den schwierigsten und umstrittensten Passagen im Galaterbrief. In dem Abschnitt schürzen sich gleich mehrere Probleme – textund literarkritische, traditionsgeschichtliche, interpretatorische, hermeneutische –, die einen hohen Vernetzungsgrad aufweisen und sich z.T. wechselseitig bedingen. Schon seine Abgrenzung variiert, je nachdem, wie der Text strukturiert und sein Zielpunkt bestimmt wird. Während die meisten hinter V.31 eine Zäsur setzen, rechnen andere noch 5,1 hinzu28 oder lassen den mit einer direkten Anrede (V.21a) eingeleiteten Gedankengang bereits mit dem Schriftzitat in V.30 enden.29 Vers 25a ist textkritisch unsicher. Zudem verbindet sich mit ihm eine notorische crux interpretum. Je nachdem, welche der konkurrierenden Lesarten bevorzugt wird, stellt der Halbvers entweder eine weiterführende exegetische Erläuterung zu dem unmittelbar vorhergehenden Satz #  | $¡ (V.24b!) dar,30 oder aber er liefert eine Begründung für die Entscheidungen passend gemacht hat (vgl. 214.216.219). Mit Paulus gefragt: ‘ Ò

|\ ? 28 So u.a. FREDERICK F. BRUCE, The Epistle to the Galatians. A Commentary on the Greek Text, Grand Rapids 1998 (= 1982), 228f; RONALD Y. K. FUNG, The Epistle to the Galatians, NICNT, Grand Rapids 1988, 204; FRANCOIS S. MALAN, The Strategy of two Opposing Covenants: Galatians 4:21–5:1, Neotest. 26 (1992), 425–440; ANDREW C. PERRIMAN, The Rhetorical Strategy of Galatians 4:21–5,1, EvQ 65 (1993), 27–42; JAMES L. MARTYN, Galatians. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 33A, New York u.a. 1997, 432; BEN WITHERINGTON III., Grace in Galatia. A Commentary on Paul’s Letter to the Galatians, Edinburgh 1998, 34.321–323; FRANCOIS VOUGA, An die Galater, HNT 10, Tübingen 1998, 113; FLORIAN WILK, Die Bedeutung des Jesajabuches für Paulus, FRLANT 179, Göttingen 1998, 90f; BACHMANN, Frau (s. Anm. 17), bes. 141f; SUSAN M. ELLIOTT, Cutting Too Close for Comfort. Paul’s Letter to the Galatians in its Anatolian Cultic Context, JSNT.S 248, London/New York 2003, 258; TOLMIE, Persuading the Galatians (s. Anm. 9), 165f.241; SUSAN G. EASTMAN, Recovering Paul’s Mother Tongue. Language and Theology in Galatians, Grand Rapids/Cambridge (U.K.) 2007, 131–134.137f; JEAN-PIERRE LÉMONON, L’épître aux Galates, Commentaire biblique, Nouveau Testament 9, Paris 2008, 44–46. 29 W ILHELM BOUSSET, Der Brief an die Galater, Göttingen 21908, 67; THEODOR ZAHN, Der Brief des Paulus an die Galater, KNT 9, Leipzig/Erlangen 31922, 243–246 („v. 28 enthält … bereits den Gedanken von v. 31“, a.a.O. 245); MARIE-JOSEPH LAGRANGE, Saint Paul. Épître aux Galates, EtB, Paris 1950 (= 1925), 132; ANDREW T. LINCOLN, Paradise now and not yet. Studies in the role of the heavenly dimension in Paul’s thought with special reference to his eschatology, MSSNTS 43, Cambridge 1981, 27f; CHARLES H. COSGROVE, The Law Has Given Sarah No Children (Gal. 4:21–30), NT 29 (1987), 219–235; DIRK SCHINKEL, Die himmlische Bürgerschaft. Untersuchungen zu einem urchristlichen Sprachmotiv im Spannungsfeld von religiöser Integration und Abgrenzung im 1. und 2. Jahrhundert, FRLANT 220, Göttingen 2007, 125f.130. 30 BETZ, Galaterbrief (s. Anm. 8), 420f; GERHARD S ELLIN, Hagar und Sara. Religionsgeschichtliche Hintergründe der Schriftallegorese Gal 4,21–31, in: DERS., Studien zu

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Gleichsetzung des Berges Sinai bzw. der Sinai-Diatheke mit Hagar.31 Wie immer man auch entscheidet, es bleibt die Frage, in welcher Beziehung Hagar zu dem Berg Sinai „in der Arabia“ steht. Die darüber aufgebrochene Diskussion hat eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Auch deshalb, weil Paulus offen lässt – jedenfalls nicht weiter ausführt –, warum die lokale Angabe „in der Arabia“ einen Zugewinn darstellt, der die Identifikation Hagars mit dem Berg Sinai erschließen hilft. Nach Gen 25,12–18 gehört Arabien, das Land der Nabatäer, zum Siedlungsbereich der Nachkommen von Hagars Sohn Ismael (vgl. Josephus, Ant I 220f). Dies lässt vermuten, dass Paulus in V.25 eine Tradition aufgreift, in der über das verbindende Glied Ismael zwischen seiner Mutter und der Arabia ein Sachzusammenhang hergestellt wird. Dann implizierte die mit Hagar und ihrer Nachkommenschaft verknüpfte Ortsangabe, dass sie und ihre Kinder dem „jetzigen“, d.h. irdischen Jerusalem entsprechen. Anders formuliert, die geographische Bemerkung | ¥ !‘% fungiert bei Paulus als Interpretament der auf die Magd Hagar referierenden Prädikate  ^€‘ 

  (V.24b) und ^€¶ ~ ~   ’ *

˜ (V.25b) und macht auf diese Weise deutlich, worin das gemeinsame Merkmal der in eine Reihe gestellten Größen Hagar – Sinai-Diatheke – Stadt Jerusalem – ihre Kinder besteht: in der Knechtschaft. Mit der vorhergehenden Frage hängt die andere zusammen, wen Hagar, die mit der ungenannt bleibenden Frau – gemeint ist natürlich Sara – kontrastiert wird, verkörpert. Die vor allem auf V.24b–26.30 sich stützende und seit der Alten Kirche dominierende Antwort lautet: das Judentum.32 Dann Paulus und zum Epheserbrief, FRLANT 229, hg. v. D. Sänger, Göttingen 2009, 116–137, 128. #  (= –  ¶@) . ist nicht prädikativ im Sinne von „die eine Heilssetzung vom Berg Sinai ... ist Hagar“ zu verstehen oder attributiv zu fassen, sondern ist Subjekt und hat identifizierende Funktion. 31 Vgl. nur ANGELA S TANDHARTINGER, „Zur Freiheit ... befreit“? Hagar im Galaterbrief, EvTh 62 (2002), 288–303, 296. 32 JOSEPH B. LIGHTFOOT, Saint Paul’s Epistle to the Galatians, London 1905, 184; ERNEST DE WITT BURTON, A Critical and Exegetical Commentary on the Epistle to the Galatians, ICC, Edinburgh 1975 (= 1921), 267f; HANS LIETZMANN, An die Galater, HNT 10, Tübingen 41971, 30.32; BRUCE, Galatians (s. Anm. 28), 222; BETZ, Galaterbrief (s. Anm. 8), 420.428.430; DIETRICH-ALEX KOCH, Die Schrift als Zeuge des Evangeliums. Untersuchungen zur Verwendung und zum Verständnis der Schrift bei Paulus, BHTh 69, Tübingen 1986, 204; SHEILA BRIGGS, Galatians, in: E. Schüssler-Fiorenza (Hg.), Searching the Scriptures II, New York 1994, 218–236, 225; SIMON LÉGASSE, L’Épître de Paul aux Galates, Paris 2000, 365. Zumindest implizit jetzt wieder GERD THEISSEN, Die Gegenmission zu Paulus in Galatien, Philippi und Korinth. Versuch einer Einheitsdeutung, in: W. Kraus (Hg.), Beiträge zur urchristlichen Theologiegeschichte, BZNW 163, Berlin/New York 2009, 279–306, 288. Altkirchliche Belege bei HEINZ SCHRECKENBERG, Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.– 11. Jh.), EHS.T 23/172, Frankfurt a.M./Bern 1986; JAMES L. MARTYN, The Covenants of

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hätten wir es mit dem personifizierten Gegensatz von Synagoge und Ekklesia zu tun – für Martin Luther ist er identisch mit dem von Gesetz und Evangelium33 –, wie er sich in Stein gemeißelt am Straßburger Münster findet.34 Differenzierter urteilen Ausleger, die stärker das Moment der Inklusivität betonen, wonach auch `¶ Ê€^‹ (Gal 2,15), die den Grund-Satz von der Glaubensgerechtigkeit bejahen (2,16), konstitutiv zur christlichen Gemeinde gehören. Für sie repräsentiert Hagar eine aus zwei Gruppen bestehende Entität: das halachisch orientierte Judenchristentum in Gestalt der galatischen Fremdmissionare, das unter Berufung auf die Erwählung Abrahams mit diesem Grund-Satz den exklusiv auf den Kollektivverband „Israel“ bezogenen Gottesvolk-Gedanken (Ex 19,6; Dtn 7,6; 14,2; Jes 41,8; 44,1f; 62,12 u.ö.) – zu Recht – aufgesprengt sah, und die nicht an Jesus Christus glaubende Mehrheit des jüdischen Volkes.35 Schließlich werden Stellung und Funktion des Abschnitts im brieflichen Gesamtgefüge unterschiedlich bestimmt. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die in ihm einen ungeschickt platzierten Nachtrag erblicken,36 der seinen gegebenen Ort im 3. Kapitel gehabt hätte,37 lässt sich das Gros der bisherigen Vorschläge auf zwei Grundmuster reduzieren. Die Alternative läuft darauf hinaus, ob das konkludierende ^ ›,38 ^`‘ in V.31 nicht nur Hagar and Sarah, in: Faith and History (FS P. W. Meyer), hg. v. J. T. Carroll u.a., Atlanta 1990, 160–192, 164–167, und MARTIN MEISER, Galater, NTP 9, Göttingen 2007, 220f. 33 Luthers Galaterbrief-Auslegung von 1531, hg. v. H. Kleinknecht (Studienausgabe), Göttingen 1980, 259–263 (zu 4,24–26). 34 Zur Ikonographie vgl. nur BACHMANN, Frau (s. Anm. 17), 128–134. 35 SUSAN G. EASTMAN, „Cast Out the Slave Woman and her Son“. The Dynamics of Exclusion and Inclusion in Galatians 4.30, JSNT 28 (2006), 309–336, 311f (mit Lit.). 36 BURTON, Galatians (s. Anm. 32), 251 („afterthought“); HEINRICH SCHLIER, Der Brief an die Galater, KEK 7, Göttingen 15(6)1989, 216; R. DEAN ANDERSON, Ancient Rhetorical Theory and Paul, Contributions to Biblical Exegesis and Theology 18, Leuven 2 1999, 179; Vgl. FRANZ MUSSNER, Der Galaterbrief, HThK 9, Freiburg u.a. 51988, 316 (mit Anm. 2). 37 ALBRECHT O EPKE, Der Brief des Paulus an die Galater, ThHK 9, Berlin 51984, 147. Wenn TOLMIE, Persuading the Galatians (s. Anm. 9), 166, betont davon spricht, im Unterschied zu 3,6–14 sei der Fokus in 4,21–5,1 auf die beiden Abrahamssöhne und die ihnen zugeordneten Korporationen („children who are [spiritually] free and children who are [spiritually] slaves“) gerichtet, so dass hier ein anderes Thema verhandelt werde, ist das nur bedingt richtig. Denn die in 4,31 als „Kinder der Freien“ Bezeichneten sind identisch mit den © | %‘* (

) von 3,7 (vgl. V.8f), während die in 3,10a als | £*

›€ (

) Gekennzeichneten gleichbedeutend sind mit den „Kindern der Magd“. Vgl. INGO BROER, „Vertreibe die Magd und ihren Sohn!“. Gal 4,21–31 im Horizont der Debatte über den Antijudaismus im Neuen Testament, in: Der bezwingende Vorsprung des Guten. Exegetische und theologische Werkstattberichte (FS W. Harnisch), hg. v. U. Schoenborn / S. Pfürtner, Theologie 1, Münster/Hamburg 1994, 167–198, 188. 38 Die Folgerungspartikel ist gegenüber den konkurrierenden Lesarten ”, ” Ò

und –‹ ^’ lectio difficilior und ihnen deshalb vorzuziehen. Gegen z.B. ZAHN, Galater

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die Folgerung aus dem unmittelbar vorher Gesagten zieht, sondern auch den in 3,6 nach der Formulierung des status quaestionis (3,1–5) einsetzenden Beweisgang abschließend zusammenfasst,39 oder ob der argumentative Hauptteil bis 5,12 reicht, dem die Sequenz 4,21–31 eingeordnet ist. In diesem Fall begründet ihre an dem Oppositionspaar Hagar – Sara ausgerichtete polare Struktur40 sowohl die Logik des christologisch fundierten Indikativs ¥ |€‘% –Í ‰   &€’* in 5,1a als auch den aus ihm sich ergebenden Imperativ •  Ò  — %¡ œ€š ^€‘ | ’‡ in 5,1b.41 Ohne jetzt auf Einzelheiten eingehen zu können, setze ich im Folgenden ein Dreifaches voraus: 1) Innerhalb des brieflichen Gesamtgefüges stellt 4,21–31 ein in sich geschlossenes Teilstück dar. Vers 31 resümiert das Ergebnis aus den beiden Schriftauslegungen V.22–27.29f42 – trotz der formula quotationis werden die biblische Bezugsstellen in V.22f nur als summarisches Textreferat eingespielt, vgl. Gen 16,15; 17,15–22; 18,9–15; 21,2f –, zu denen die ironische Frage: „Sagt mir, die ihr unter dem Gesetz sein wollt, hört ihr das Gesetz nicht?“ (V.21)43 hinführt. Der Übergang zu dem asyndetisch an(s. Anm. 29), 245–247, der die u.a. von A C P und der bohairischen Übers. bezeugte Lesart –‹ ^’, ^`‘ . für ursprünglich hält und den folgenden Satz relativisch anschließen lässt (( |€‘% –Í ‰   &€’* ), wobei er |€‘% als adverbiale Näherbestimmung der Aussage von 4,31 fasst. 39 Exemplarisch BETZ, Galaterbrief (s. Anm. 8), 431: „Dieser Vers enthält nicht nur die Schlußfolgerung des Abschnitts 4,21–30, sondern der gesamten argumentatio 3,1– 4,30“. So vor ihm schon LIETZMANN, Galater (s. Anm. 32), 33. 40 Hierzu JAMES D. G. DUNN, How New was Paul’s Gospel? The Problem of Continuity and Discontinuity, in: ders., The New Perspective on Paul. Collected Essays, WUNT 185, Tübingen 2005, 241–258, 249f. 41 Vgl. VOUGA, Galater (s. Anm. 28), 120. 42 Mit dem folgernden ^ › leitet Paulus auch in 2Kor 12,10 und 1Thess 5,11 das Ende einer Sinneinheit ein. Gleiches gilt für das einen selbständigen Satz einleitende und jeweils mit dem Vokativ ^`‘ verbundene Ÿ: 1Kor 11,33; 14,39; 15,58; Phil 4,1. Da aber 4,21–31 im Strukturaufbau des Briefs als Pendant zu 3,6–9(10–14) fungiert und das hintere Rahmenstück des argumentativen Hauptteils bildet, beschließt 4,31 zugleich den ganzen Beweisgang. 43 Das doppelte › ist hier äquivok gebraucht. In der Frage  ›   ¶; ist mit › die Schrift (vgl. V.30: – `•) gemeint, vgl. bei Paulus noch Röm 3,19.31; 1Kor 9,8; 14,21, ferner Joh 10,34; 12,34; 15,25; Ps.-Philo, De Jona 176. Gal 3,11f (vgl. 3,21f) zeigt, dass Paulus innerhalb der als Einheit verstandenen Größe „Schrift“ differenziert und in ihr die – bei Nichterfüllung den Fluch nach sich ziehende – Forderung des Gesetzes und die zum Leben führende Glaubensgerechtigkeit bezeugt findet. Er unterscheidet also innerhalb der Schrift zwischen dem, was auf dem Boden des Gesetzes und von ihm her gilt (3,12b), und dem, was dem › a limine unmöglich ist zu sagen:  ^‘   | %‘* œ• (3,11b). Deshalb kann man m.E. im Sinne des Apostels nicht sagen, das Gesetz (in Gestalt der Sinaitora) bleibe „für ihn als Verheißung

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schließenden Eingangsvers in Kap. 5 ist durch einen Subjektwechsel markiert. Mit dem Stichwort „Freiheit“ knüpft 5,1 an die affirmative Aussage von 4,31 an und leitet, auf sie aufbauend, einen weiteren Argumentationsgang ein.44 Bestätigt wird dies dadurch, dass 4,31 bis in die formale Gestaltung hinein einen Rückbezug auf 4,28 erkennen lässt, wobei V.28– 31 wiederum das in der Schrift allegorisch Gesagte (V.22f.24a) auf die Galater appliziert. Wie in V.28 werden sie in V.31 als ^`‘ angeredet. Als solche sind sie „wie Isaak Kinder der Verheißung“ (V.28) und damit „Kinder der Freien“ (V.31). Die Integration der „ihr“ von V.28 in das ekklesiologische „wir“ von V.31 bringt schließlich die Zugehörigkeit der galatischen ^`‘ zur Gemeinschaft der Christusgläubigen grammatisch auf den theologischen Begriff.45 2) Die im kritischen Apparat notierten Varianten zu V.25a46 spiegeln das Bemühen, den offenkundig als korrupt empfundenen längeren Text, wie er von Nestle/Aland27 dargeboten wird, aufzubessern. Um ihn syntaktisch einleuchtender zu koordinieren, lag es nahe, die Partikel ^’ durch die begründende Konjunktion ¡ zu ersetzen und in dem nunmehr zu einem reinen Kausalsatz umgeformten Halbvers das wenig plausibel erscheinende $¡ zu streichen. Auch die aus dem vorangestellten Artikel sich ergebende sprachliche Härte könnte dazu geführt haben.47 Durch Haplographie lässt sich die Auslassung in p46 wegen der auch von ihm bezeugten Partikel ^’ nicht erklären. Obwohl der positive Wortbestand  ^' $~ Å Í  | | ¥ !‘%48 lectio difficilior ist und ursprünglich sein wird,49 geben die syntaktischen Bezüge Probleme auf. Im

Gottes auch weiterhin gültig“, MARKUS TIWALD, Hebräer von Hebräern. Paulus auf dem Hintergrund frühjüdischer Argumentation und biblischer Interpretation, HBS 52, Freiburg u.a. 2008, 295. Vgl. auch WOLFGANG KRAUS, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus, WUNT 85, Tübingen 1996, 238 (mit Anm. 250). 44 So mit Recht MIKA HIETANEN, Paul’s Argumentation in Galatians. A PragmaDialectical Analysis, Library of New Testament Studies 344, London/New York 2007, 158f, und SELLIN, Hagar und Sara (s. Anm. 30), 116 (mit Anm. 1). 45 Vgl. SUSANNE SCHREWE, Die Galater zurückgewinnen. Paulinische Strategien in Galater 5 und 6, FRLANT 208, Göttingen 2005, 64f. 46 Detailliert aufgelistet bei K. ALAND (Hg.), Text und Textwert der griechischen Handschriften des NT, Bd. II, ANTT 2/3, Berlin 1991, 159–161. 47 Vgl. KOCH, Schrift (s. Anm. 32), 206 (mit Anm. 19). 48 Zum erläuternden Artikel › vgl. BDR § 267,1 [2]. 49 Anders freilich u.a. MUSSNER, Galaterbrief (s. Anm. 36), 322f; UDO BORSE, Der Brief an die Galater, RNT, Regensburg 1984, 170; GIJS BOUWMAN, Die Hagar- und SaraPerikope (Gal 4,21–31). Exemplarische Interpretation zum Schriftbeweis bei Paulus, ANRW II 25/4, Berlin/New York 1987, 3135–3155, 3141f, und SAMUEL VOLLENWEIDER, Freiheit als neue Schöpfung. Eine Untersuchung zur Eleutheria bei Paulus und in seiner Umwelt, FRLANT 147, Göttingen 1989, 282 (Anm. 11). Sie halten die von p46 repräsen-

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Blick auf V.24d dürfte der Halbvers wegen ^’ statt ¡ am ehesten explikative Funktion haben, ohne ihm deshalb einen begründenden Unterton absprechen zu müssen (vgl. BDR § 447,1). Ihn konzessiv zu verstehen, um dann das folgende ^’ adversativ auf das erste zu beziehen: „freilich ..., aber“,50 ist weder sprachlich möglich noch von der Argumentation in 4,24– 27 her sinnvoll, da es Paulus ja insgesamt um den Nachweis geht, „das jetzige Jerusalem“ befinde sich in der „Knechtschaft“.51 Verbindet man V.25a mit V.25b, enthielte das € ‡‹ ^' ¥ \ Ê€•, ^€¶ ~ ~   ’ * ˜ eine Aussage über den Berg Sinai. Fasst man V.25a als Parenthese auf,52 bildet V.25b den Fortgang von V.24c.d. In diesem Fall ließe sich die Sinai-Diatheke (‘ [^ • @]), nicht Hagar als intendiertes Subjekt des € ‡‹ verstehen, zumal Hagar durch das indefinite Relativpronomen #  schon in V.24d gedeutet wird.53 Die Frage, ob sie oder ¥ \ Ê€• Subjekt von ^€¶ ist, ist aufgrund der antithetischen Entsprechung zu V.26 wohl im Sinne der zweiten Alternative zu beantworten.54 3) Weder der Brief als ganzer noch speziell unser Abschnitt ist von dem historisch einen Anachronismus darstellenden Gegensatz Christentum vs. Judentum bestimmt. Anders als die von ihm attackierten judenchristlichen Fremdmissionare, aus deren Perspektive die Auseinandersetzung an der Grenzlinie des Gegenübers von Juden und Nichtjuden entlang läuft, wie die ethnisch konnotierten Begriffe % • und  !€‘ in 5,6 und 6,15 zu erkennen geben,55 siedelt Paulus den aktuellen Konflikt jedenfalls im innerchristlichen Bereich an (2,3f.6–14; 3,28; 6,12). Dass es sich bei den Fremdmissionaren um Christen jüdischer Herkunft handelt, ergibt sich zum einen aus 1,6f und 6,12c, zum anderen aus der von ihnen erhobenen Forderung, die Galater sollten sich beschneiden lassen (5,2f.6; 6,12f, vgl. 2,3; 6,15). Vermutlich haben sie auch das Einhalten der Speisegebote verlangt. Darauf deutet der Rückblick auf den antiochenitierte Variante ohne $¡ für die Mutter der Überlieferung, wobei Bouwman zusätzlich eine Textemendation (| ¥ !¡ statt | ¥ !‘%) vorschlägt, a.a.O. 3142. 50 So MUSSNER, a.a.O. 323. 51 Vgl. KOCH, Schrift (s. Anm. 32), 206f (Anm. 21). 52 Etwa BURTON , Galatians (s. Anm. 32), 259.261, der aber zugleich von einer Glosse ausgeht, und WILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 92. 53 Allerdings wird im folgenden Vers „das obere Jerusalem“ als „unsere Mutter“ bezeichnet, d.h. mit einer Frau verbunden. Dies könnte für Hagar als Subjekt sprechen, MARTINUS C. DE BOER, Paul’s Quotation of Isaiah 54:1 in Galatians 4:27, NTS 50 (2004), 370–389, 376 Anm. 24. 54 Vgl. W ILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 92. 55 Vgl. MICHAEL W OLTER, Evangelium und Tradition. Juden und Heiden zwischen solus Christus und sola scripture (Gal 1,11–24; Röm 11,25–36), in: H. H. Schmid / J. Mehlhausen (Hg.), Sola Scriptura, das reformatorische Schriftprinzip in der säkularen Welt, VWGTh, Gütersloh 1991, 180–193, bes. 186ff.

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schen Konflikt in 2,11–14 hin, der sich an der Tischgemeinschaft von Juden- und Heidenchristen entzündete. Ihn zu thematisieren wirkte nach der in 2,1–10 erfolgten Klärung der Beschneidungsfrage unmotiviert, hätte die Speiseproblematik im aktuellen Konflikt keine Rolle gespielt. An Vertreter der örtlichen Synagogengemeinden denkt Mark D. Nanos.56 Er identifiziert sie näherhin als Proselyten, die von den lokalen jüdischen Gemeinden eigens damit beauftragt worden seien, den Kontakt zu Nichtjuden zu pflegen und im Falle ihres Übertritts den Konversionsprozess zu begleiten.57 Auch die in Gal 2,4 attackierten }€^¡^` seien keine Judenchristen, sondern Juden, da Paulus den Terminus ^`› ausweislich von Röm 9,3 nicht für Christen reserviere.58 Dabei wird jedoch übersehen, dass der Genitiv  

^`  € aus paulinischer Sicht mit   € ‘ € ~ ¡  einer präzisierenden Apposition bedarf, um semantisch eindeutig zu sein. Als sprachliches Argument fällt Röm 9,3 damit aus.59

4 Die pragmatische Funktion der Allegorese 4.1 Metaphorische Kontrastierungen Wenden wir uns nach diesen notwendigen Vorklärungen nun dem Text selbst zu. Dabei soll seine pragmatische Funktion im Zentrum des Interesses stehen. Präziser noch und als Frage formuliert: Worauf zielen die ausdrücklich als allegoretisch (V.24a:  ¡ | @¶ )60 gekenn56 The Irony of Galatians. Paul’s Letter in First-Century Context, Minneapolis 2002, 193!199. 57 Zu den dagegen sprechenden Gründen vgl. meine Rez. in ThLZ 130 (2005), 1192!1194. 58 MARK D. NANOS, Intruding „Spies“ and „Pseudo-Brethren“: The Jewish IntraGroup Politics of Paul’s Jerusalem Meeting (Gal 2:1!10), in: S. E. Porter (Hg.), Paul and His Opponents, Pauline Studies 2, Leiden/Boston 2005, 59!97, bes. 65–68. 59 Einen gerafften Überblick über die diskutierten Alternativen im Blick auf die galatischen Fremdmissionare bietet JERRY L. SUMNEY, Studying Paul’s Opponents: Advances and Challenges, in: Paul and His Opponents (s. Anm. 58), 7–58, 17–24. Zu ihrem spezifisch judenchristlichen Profil vgl. jetzt THEISSEN, Gegenmission (s. Anm. 32), 284–290. 60 Das Relativum   ist Subjekt, das Part. Praes. Pass. @¶  Prädikatsnomen. Demnach bezieht sich   („diese Dinge, dies [alles]“) auf die mit der Zitationsformel ’% ~ " eingeleiteten Aussagen aus Gen 16–18 und 21 (V.22f). Unter dieser Voraussetzung ist der Satz  ¡ | @¶  nicht mit „diese Dinge (dies alles) sind (ist) allegorisch zu interpretieren“ zu übersetzen, so u.a. BETZ, Galaterbrief (s. Anm. 8), 415; RICHARD B. HAYS, Echoes of Scripture in the Letters of Paul, New Haven 1989, 113; LONGENECKER, Galatians (s. Anm. 10), 208; JAMES D. G. DUNN, The Epistle to the Galatians, BNTC, Peabody 1993, 247; WITHERINGTON, Grace in Galatia (s. Anm. 28), 321, sondern mit „diese Dinge (dies alles) sind (ist) allegorisch gesagt“. In den weitaus meisten Fällen, in denen das Verb @’* in der zeitgenössischen Literatur be-

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zeichneten, d.h. mit einer tieferen symbolischen Bedeutung versehenen Zuschreibungsbegriffe ab, mit denen Sara und Hagar bzw. die auf sie zurückgeführten kollektiven Größen bedacht werden? Allegorische Prädikate für Sara sind „das obere Jerusalem“ (V.26a),61 „die Freie“ (V.23b. 26a!,62) „unsere Mutter“ (V.26b).63 Demgegenüber wird Hagar als „der Berg Sinai“ (V.24c), „zur Knechtschaft gebärend“ (V.24c) und als „das jetzige Jerusalem“ (V.25b) prädiziert. „Kraft der Verheißung“ (V.23b) und „auf geistliche Weise erzeugt“ (V.29a!) sind Prädikate für die Sara zugeordnete Korporation. Die an die Seite Hagars gestellte Gruppe wird mit dem Prädikat „auf fleischliche Weise erzeugt“ (V.23a.29a) versehen. Welche kommunikative Absicht verbindet sich mit dieser Metaphorik? Worin besteht ihr argumentatives Plus?

gegnet, wird es in diesem Sinn gebraucht. Vgl. die Belege bei STEVEN DI MATTEI, Paul’s Allegory of the Two Covenants (Gal 4.21–31) in Light of First-Century Hellenistic Rhetoric and Jewish Hermeneutics, NTS 52 (2006), 102–122, 106f. Wenn Paulus den Genesistext intentional als allegorisch versteht, ist damit nicht zugleich auch negiert, dass er „did take it at face value as history“, wie DON GARLINGTON, An Exposition of Galatians. A Reading from the New Perspective, Eugene 32007, 271 (mit Anm. 43 [270]), unterstellt. 61 Hier und in V.25 begegnet der feminine Sing. Ê€•, den Paulus auch sonst bevorzugt (Röm 15,19.25f.31; 1Kor 16,3), während in 1,17f und 2,1 das plur. Neutrum Ë›€ steht. Diese Inkongruenz kann mehrere Gründe haben. In 1,17f und 2,1 orientiert sich Paulus am Sprachgebrauch der Fremdmissionare, die wegen der heidenchristlichen Galater diese „griechischer“ klingende Form benutzt haben. Der Wechsel zum femininen Sing. erklärt sich zum einen dadurch, dass diese Namensform – bis auf einige spätere deuterokanonische Schriften (Tob, 1–4Makk) – in der LXX überwiegt, aus der im unmittelbaren Kontext zitiert wird (4,27.30). Zum anderen ist er möglicherweise inhaltlich bedingt. Die beiden Feminina – \ Ê€•/– ” * Ê€• sind abgestimmt auf die Reihe anderer femininer Begriffe (% ^‘ @, $¡/|€’, [Å¡], •@), die ihnen als Explikation der ^¶ ^ ˜  jeweils zugeordnet sind. Vgl. JEROME MURPHY-O’CONNOR, {ÝÙÅÙ†Ú/{ÝنÅÚÛ in Galatians, ZNW 90 (1999), 280f; MICHAEL BACHMANN, {ÝÙÅÙ†Ú und {ÝنÅÚÛ im Galaterbrief, ZNW 91 (2000), 288f; DE BOER, Paul’s Quotation of Isaiah 54.1 (s. Anm. 53), 381 Anm. 47. 62 Zumindest im Blick auf V.23b bestritten von WILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 91 Anm. 9, da dieser Vers noch kein Element der Allegorese sei. Aber in den alttestamentlichen Bezugstexten Gen 16,15; 17,16.19; 21,2f.9 und darüber hinaus wird Sara nie „die Freie“ genannt. Deshalb liegt es nahe, das zu % ^‘ @ gebildete Antonym |€’ als Vorwegnahme des allegorischen Prädikats in V.26a! zu verstehen. Das Prädikatsnomen |€’ |‘ bezeichnet die konkrete Eigenschaft des Subjekts – ” * Ê€• und darf daher nicht mit „entspricht der Freien“ wiedergegeben werden, zumal dann der Artikel stehen müsste, vgl. BDR § 273. Im Übrigen ist nach V.24a auch das in V.22f Gesagte allegorisch qualifiziert, so dass „in der Schrift-Präsentation V.22–23 bereits die Basis für die folgende Allegorese gelegt (ist)“, SELLIN, Hagar und Sara (s. Anm. 30), 120. 63 Wegen des ‘ ’ in V.24c, das sachlogisch (nicht syntaktisch!) sein Korrelativum in V.26a (– ^' ” * Ê€•) hat, ist •@ –  wohl auf „das obere Jerusalem“ zu beziehen.

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Einen ersten Hinweis liefert die Reihe der den Abschnitt durchziehenden antithetischen Korrespondenzen. Deren einer Teil wird freilich nicht immer sprachlich realisiert. Er muss gedanklich ergänzt werden. Außerdem sind sie jeweils verschiedenen Teilaspekten dessen, was aus der Schrift zu „hören“ (V.21) ist, zugeordnet und dienen ihrer Explikation. Stellt man die formal einander entsprechenden, semantisch aber in einem Kontrastverhältnis zueinander stehenden Aussagen gegenüber, ergibt sich folgendes Bild:64 I. Abraham hat zwei Söhne (V.22a) V.22b: einen von der Magd (= Ismael) V.23a: auf fleischliche Weise erzeugt

V.22b!: einen von der Freien (= Isaak) V.23b: Kraft der Verheißung erzeugt

II. Zwei Verfügungen (V.24b) (V.22b: die Magd) (V.23a: gebiert auf fleischliche Weise) V.24c: Berg Sinai V.24c: zur Knechtschaft gebärend V.24d: Hagar V.25b: das jetzige Jerusalem V.25c: versklavt V.27d: wenige(r) Kinder

(V.22b!: die Freie) (V.23b: gebiert Kraft der Verheißung) (Verheißung) V.26b: unsere (der Freien) Mutter (Sara) V.26a: das obere Jerusalem V.26a!: frei V.27c: viele Kinder

III. Die beiden Söhne (V.28–30[31])65 V.29a: auf fleischliche Weise erzeugt V.29a: Verfolger V.30a: Sohn der Magd V.30b: soll verstoßen werden

V.29a!: nach dem Geist erzeugt V.28: Kind der Verheißung V.30b: Sohn der Freien V.30b: alleiniger Erbe

Vers 31 zieht das Fazit aus den Darlegungen von 4,22–30, die durch das Selbstwort der Schrift gerahmt werden (V.21:  ›   ¶; und

64 Vgl. JAMES L. MARTYN, Apocalyptic Antinomies in Paul’s Letter to the Galatians, NTS 31 (1985), 410–424, 418f; DUNN, Galatians (s. Anm. 60), 244; EASTMAN, Mother Tongue (s. Anm. 28), 137f. 65 M.E. wechselt Paulus mit V.28 die Blickrichtung: von den Müttern zu den Söhnen. Dass er hier neu einsetzt, wird von WILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 93 (Anm. 22), mit Verweis auf die Stichwortverbindungen ’  (V.27c/28b), % ^‘ @ (V.30b.c/31b) und |€’ (V.30c/31b) sowie auf 1Thess 5,4 bestritten. Allerdings ist das erste ’  zitationsbedingt (Jes 54,1LXX). Es wird im Folgenden aufgenommen und auf die erneut als „Brüder/Geschwister“ angeredeten galatischen Christen (vgl. 1,11; 3,15; 4,12.31; 5,11.13; 6,1.18) appliziert, die – wie Paulus auch (|’ , V.31) – analog zu Isaak Kinder der Freien sind. Der gegenüber V.27 veränderte Sprachgestus in V.28 (vgl. V.21.31) zeigt an, dass beide auf unterschiedlichen Ebenen angesiedelt sind. Anders gesagt: Es findet ein Wechsel von der kommentierenden (’% ¡) zur kommunikativen ($‹ ^’, ^`‘) Ebene statt, vgl. SELLIN, Hagar und Sara (s. Anm. 30), 116f.

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V.30: ’ – `•)66 und es zur Geltung bringen. Im Rückbezug auf die Reihe der metaphorischen Kontrastierungen formuliert er positiv wie negativ, auf welcher Seite die Galater sich wiederfinden und wer sie sind bzw. nicht sind: Kinder der Freien, nicht der Magd. 4.2 Narrative Konstruktion christlicher Identität Innerhalb der allegorischen Schriftauslegung V.22–27 fungieren diese Korrespondenzen als Interpretament der in V.24b genannten basalen Antinomie, den zwei ^ ˜  ,67 und entfalten das Zuordnungsverhältnis beider Verfügungen.68 In den typologisch grundierten Versen 28–30 erfolgt die Applikation des allegorisch aus Tora und Propheten Erschlossenen,69 wiederum in Form antithetischer Entsprechungen und erneut mit Verweis auf die Schrift (V.30). Nur ist jetzt der Fokus auf die beiden eingangs schon erwähnten (V.22) Abrahamssöhne gerichtet.70 Von ihnen wird Isaak, der wie die galatischen Christen ~ % \ Erzeugte (V.29, vgl. 3,14) – gemeint ist: Im Unterschied zu dem auf natürliche Weise gezeugten Ismael verdankt er seine Existenz Gott selbst (^ ×|%‘ [V.23b], vgl. š ^' !~ ^ ×|%‘ ‡¡   › [3,18b]) –, als einzig mögliche Identifikationsfigur für die in ihrer ekklesialen Identität gefährdeten Galater präsentiert. Er stellt gleichsam ihren Prototyp dar, wie er überhaupt der „Prototypos“ der „wahren Söhne Abrahams nach der Verheißung“,71 d.h. aller an Jesus Christus Glaubenden ist. Dass die Pragmatik des Textes wesentlich auf die narrative Konstruktion einer allein vom Christusglauben her sich definierenden Gruppenidentität zielt, lässt sich durch weitere Beobachtungen erhärten. Die ihn 66 In dem Begründungssatz  ~ — @ •  €©  ˜ % ^‘ @ ~ \ €©\ ˜ |€’, nicht in der Aufforderung £ ! — % ^‘ @   €© ˜ ist die Pointe des Zitateinsatzes (Gen 21,10) zu sehen, wie das adversative, die Negation  |' % ^‘ @ ’  bekräftigende (|' ’ ) ~ ˜ |€’ deutlich macht, vgl. SELLIN, a.a.O. 127f. Analog zu 1,6f; 3,4 und 4,9 liegt in 4,31 die rhetorische Figur der !• (Demetrius, Eloc 148f) bzw. correctio (RhetadHer 4,36: correctio est, quae tollit id, quod dictum est; vgl. Cicero, DeOrat 3,203) vor. 67 Zu Recht betont DE BOER, Paul’s Quotation of Isaiah 54.1 (s. Anm. 53), 376: „Paul ... plays the covenant with Abraham off against the covenant at Sinai, using polarizing language ... When Paul says ‚two covenants‘, he clearly means ‚two different covenants‘ or even ‚two mutually exclusive covenants‘.“ (Kursivierung im Orig.). 68 Wie fast durchweg in der LXX (anders etwa Gen 21,27.32) hat ^ • @ hier und in 3,15.17 die Bedeutung „Verfügung, Anordnung, Setzung“, vgl. D. SÄNGER, Art. ^ • @, ThBNT2 I (1997), 216–223. 69 Anders z.B. W ILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 94f. 70 Dass Abraham nicht nur diese zwei, sondern mehr hatte (Gen 25,2.6: die von der Ketura und seinen Nebenfrauen), ist in diesem Zusammenhang für Paulus unwichtig. 71 LIETZMANN, Galater (s. Anm. 32), 33. Vgl. MUSSNER, Galaterbrief (s. Anm. 36), 329; WILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 95.

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kennzeichnende antithetische Struktur wird nicht konsequent durchgehalten. Anders, als zu erwarten wäre, heißt es in V.26 analog zu V.24c– d.25 gerade nicht: „Die andere Verfügung, zur Freiheit gebärend, das ist Sara; sie entspricht dem oberen Jerusalem ...“ Es fehlt also das in der basalen Antinomie angelegte und sie erst komplettierende Gegenglied. Diese aus der Leerstelle resultierende Asymmetrie – Sara muss gedanklich substituiert werden, die ‘ (^ • @) hat kein Äquivalent – ist kein Zufall.72 Es bleibt den Hörern/Lesern überlassen, der von Paulus gewiesenen Spur zu folgen. Er füllt die Lücke durch das allegorisch auf Sara und ihre Kinder referierende Prophetenzitat (V.27).73 Damit gibt er zu erkennen, dass es ihm nicht primär um die Kontrastierung der beiden ^ ˜  geht, sondern darum, die Adressaten mit dem Verheißungserben Isaak kurzzuschließen (V.28b, vgl. V.23fin)74 und sie ihrer Identität als Kinder der Freien, des

72 Neben Sara wird auch Ismael nicht eigens genannt. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass Paulus unterstellt, die Fremdmissionare hätten ihrerseits auf die Hagar-SaraErzählungen in der Genesis verwiesen (16; 17,15–27; 18,9–15; 21,1–21) und sie zur Stärkung der eigenen Position genutzt: Um Abrahamssöhne zu sein, müssten die Galater sich wie die männlichen Nachkommen des Erzvaters (Gen 17,9–14) einschließlich Ismaels (17,23.25f) und natürlich Isaaks (21,3f) der Beschneidung unterziehen, vgl. CHARLES K. BARRETT, The Allegory of Abraham, Sarah, and Hagar in the Argument of Galatians, in: ders., Essays on Paul, London 1982, 154–170, 161–165; LONGENECKER, Galatians (s. Anm. 10), 199; PHILIPP ESLER, Galatians, New Testament Readings, London/New York 1998, 209; ELSA TAMEZ, Hagar and Sarah in Galatians: A Case Study in Freedom, World and World 20 (2000), 265–271, 267; BYRON, Slavery Metaphors (s. Anm. 17), 193f. Kritisch hierzu PERRIMAN, Strategy (s. Anm. 28), 33f; BROER, „Vertreibe die Magd mit ihrem Sohn!“ (s. Anm. 37), 177–179, und TOLMIE, Persuading the Galatians (s. Anm. 9), 166f. TIWALD, Hebräer von Hebräern (s. Anm. 43), 394, vermisst das der Nominalverbindung •@ –  entsprechende Gegenglied. Es ist aber, wenn auch nur indirekt, vorhanden. Der Mutter korrespondieren die auf Hagar bzw. die Sinai-Diatheke bezogenen Wendungen  ^€‘ 

  und „das jetzige Jerusalem“. 73 Dadurch, dass es V.26 begründet (’% ¡), stellt es zugleich den von Paulus intendierten Gegensatz zwischen dem „oberen“ und dem „jetzigen“ Jerusalem heraus, MARTYN, Galatians (s. Anm. 28), 420; DE BOER, Paul’s Quotation of Isaiah 54.1 (s. Anm. 53), 377. Dieser die Allegorie bestimmende Kontrast (4,22–26.30f: Knechtschaft vs. Freiheit), dem der von Fleisch und Geist bzw. Verheißung entspricht (4,23. 28f), widerspricht der Auffassung, nicht Paulus, sondern die Fremdmissionare hätten die von Hagar und Sara repräsentierten ^ ˜  einander entgegengesetzt, während der Apostel versuche, das zeitlich („Gentiles after Israel“) und ethnisch („Gentiles or Israel“) definierte Gegeneinander in heilsgeschichtlicher Perspektive qualitativ zu überwinden („freedom over slavery“), so ROBERT L. BRAWLEY, Contextuality, Intertextuality, and the Hendiadic Relationship of Promise and Law in Galatians, ZNW 93 (2002), 99–119, bes. 99.114–116 (im Anschluss an BACHMANN, Frau [s. Anm. 17], 150f). 74 EASTMAN, Mother Tongue (s. Anm. 28), 140. Sie macht zu Recht darauf aufmerksam, dass Paulus die Galater nicht mit Isaak identifiziert, sondern sie zu ihm in eine Kontinuität stellt. Für beide gilt: Sie sind Kinder ~ % \ bzw. ^ × |%‘ (V.23.28f).

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„oberen Jerusalem“, zu vergewissern.75 Zugleich hat das identifizierende „Ihr aber, Brüder, seid ...“ (V.28a) appellativen Charakter. Die Galater sollen der ihre Existenz bestimmenden Wirklichkeit, durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes gerechtfertigt zu sein (2,16, vgl. Röm 3,28), Rechnung tragen und der Versuchung widerstehen, ihren gegenwärtigen Status zugunsten einer Proselytenidentität $% › aufzugeben (V.21, vgl. 3,23; 4,5; 5,18).76 Intertextuelle Referenzen stützen die Annahme, in pragmatischer Hinsicht fungierten die allegorischen Namensprädikate als sinn- und identitätsstiftende Konstrukte. Bereits im Eröffnungsvortrag, zu dem das Präskript (1,1–5) und das als verfremdetes Proömium gestaltete Exordium (1,6–9) gehören, ist die den Abschnitt 4,21–31 prägende Antithetik grundgelegt.77 Sie hält sich bis zum Schluss durch und steckt die Koordinaten ab, innerhalb derer Paulus sich bewegt und argumentiert. Wiederum liegt der Akzent auf den positiv konnotierten Gliedern der jeweiligen Oppositionen. Besonders aus 3,1–4,7 wird ersichtlich, worauf Paulus hinaus will. Die in 2,16 erstmals begegnende elementare Opposition, an der sich der argumentative Duktus des im brieflichen Hauptteil Entfalteten orientiert, ist die von %‘  und ›.78 Sie bildet die semantische Achse der exegetischen Beweisführung und strukturiert den Text. Jeder Unterabschnitt (3,1–5.6–9.10–14.15–18.19–22.23–29; 4,1–7) endet mit einem Wort vom Stamm % - (3,5.9.14.22) oder einem auf die Seite der %‘  gehörenden Lexem: |%‘ (3,18), @ › (3,29 [Sing.]; 4,7 [Plur.]). Der Dual

› findet sich eingangs des dritten und fünften Teilsegments (3,10.19), eben jener Passagen, in denen sein Verhältnis zu Glaube und Verheißung speziell in rechtfertigungstheologischer Perspektive thematisiert wird (vgl. 3,11f.14 mit 3,21f). Thema ist aber die %‘ , nicht der ›. Um ihn geht es nur insofern, als er selbst die Unmöglichkeit der Rechtfertigung |

75 Vgl. VOUGA, Galater (s. Anm. 28), 113f. Hingegen meint CHARLES H. COSGROVE, The Cross and the Spirit. A Study in the Argument and Theology of Galatians, Macon 1988, 82, wegen des nicht ausgeführten Sara-Teils liege innerhalb der allegorischen Interpretation das Gewicht auf Hagars Seite. Doch zeigt der Fortgang in V.28–30, dass es sich genau umgekehrt verhält. 76 Damit würden sie, tertium non datur, Hagar gleich, die im zeitgenössischen Judentum als Proselytin galt, Philo, Abr 247–254. Vgl. hierzu PEDER BORGEN, Hebrew and Pagan Features in Hagar and Ishmael, in: ders. / Søren Giversen (Hg.), The New Testament and Hellenistic Judaism, Aarhus/Oxford 1995, 151–164, 153–156. 77 Näheres hierzu in meinem Aufsatz: „Vergeblich bemüht“ (Gal 4,11)? Zur paulinischen Argumentationsstruktur im Galaterbrief, in: DIETER SÄNGER, Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 107–129, bes. 120ff. 78 Sie setzt weitere aus sich heraus: Segen/Fluch (3,10.14), mündig/unmündig (4,1.3f), freigekauft/versklavt (4,3.5), Erbe/Sklave (4,1.7).

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£* ›€ erweist (3,10–12, vgl. 2,16c).79 Seine ihm ursprünglich zugedachte Aufgabe (3,22) war überdies zeitlich befristet und ist mit dem Kommen der %‘  definitiv beendet (3,23–25). Der temporale Aspekt, dem das Moment der Vorläufigkeit innewohnt, zielt auf die begrenzte Funktion des Gesetzes in der göttlichen Heilsökonomie. Es sollte nie rechtfertigen und Leben bringen, sondern dem Menschen bescheinigen, dass er ein %!¡@ ist (2,18; 3,19) und kein % @— ›€ (vgl. Röm 2,13).80 Folglich kann nicht das Gesetz, sondern allein der Glaube eine identitätsstiftende Größe für die Galater sein. Das Antonym %‘  bringt in christologischsoteriologischer Perspektive auf den theologischen Begriff, worin ihre Identität gründet und was sie bleibend konstituiert. Um genau diesen Sachverhalt zu vergegenwärtigen und ins kollektive Gedächtnis der Adressaten zurückzurufen, setzt Paulus gleich zu Beginn des Briefs ein darauf abzielendes Textsignal. Ohne limitierenden Vorbehalt redet er die Gemeinden als | @‘ ˜ ‘ an (1,2) und kennzeichnet damit ihren gegenwärtigen Status. Dass es sich bei dieser Anrede weder „um einen wertneutralen Organisationsbegriff“81 noch eine auf briefliche Gepflogenheiten Rücksicht nehmende Leerformel handelt, sondern um eine performativen Charakter tragende Identitätszuschreibung,82 bestätigt das Gewebe intertextueller Referenzen. Auf der gleichen kommunikativen Ebene angesiedelt wie die adscriptio sind die späteren Bezeichnungen „Kinder“ bzw. „Söhne Gottes“ (3,26; 4,6f), „Kinder Abrahams“ (3,7), „Erben der Verheißung“ (3,22.29; 4,28, vgl. 3,14.18; 4,31). Das gilt auch und

79

Auch die Frage in 4,21 hat implizit die These zur Voraussetzung, dass der › „selbst von seiner Begrenztheit zeugt“, KRAUS, Volk Gottes (s. Anm. 43), 237. 80 Insofern also das Gesetz und der durch die Verkündigung gewirkte Glaube (Gal 3,2.5) im Blick auf die Rechtfertigung „operate differently in their respective and distinct epochs, it is proper and necessary to contrast them“, MOISÉS SILVA, Faith Versus Works of Law in Galatians, in: D. A. Carson u.a. (Hg.), Justification and Variegated Nomism, Vol. II: The Paradoxes of Paul, WUNT II/181, Tübingen 2004, 217–248, 244. Freilich gilt dies ausschließlich in soteriologischer Hinsicht. Dass die Toragebote keineswegs, gerade auch für Paulus nicht, samt und sonders christologisch überholt sind, habe ich andernorts zu zeigen versucht: Tora für die Völker – Weisungen der Liebe. Zur Rezeption des Dekalogs im frühen Judentum und Neuen Testament, in: Sänger, Von der Bestimmtheit des Anfangs (s. Anm. 77), 266–301. 81 STEFAN A LKIER, Wunder und Wirklichkeit in den Briefen des Apostels Paulus. Ein Beitrag zu einem Wunderverständnis jenseits von Entmythologisierung und Rehistorisierung, WUNT 134, Tübingen 2001, 127 (von ihm zu Recht verneint). 82 Der semantische Gehalt der adscriptio ist deshalb unterbestimmt, erblickt man in ihr „a lean identification of the recipients, resulting in a tone of formality“, MARTYN, Galatians (s. Anm. 28), 86.

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gerade für den mehrfach begegnenden ekklesiologischen Plural –‹,83 der Briefabsender und -empfänger zusammenschließt. Die ihr Beziehungsverhältnis illustrierende Familienmetaphorik – Gott ist unser Vater (1,3f), daher sind wir seine Kinder und also Geschwister – ist Mittel rhetorischer Kontrastierung. Indem Paulus die Galater, die Christus durch seine Lebenshingabe „aus dem gegenwärtigen bösen Äon“ herausgerissen hat (1,4), in die symbolische Sinnwelt der Ekklesia einzeichnet, macht er sie unterscheidbar. Wie er, der Apostel, sind auch sie qua %‘  Nachkommen Abrahams und ist Sara „unsere Mutter“ (4,26). Folglich sind die „wir“ Kinder der Freien, nicht der Magd.

5 Das Prophetenzitat Jes 54,1 Nach dem summarisch eingespielten Textreferat aus Gen 16–18.21 in Gal 4,22f führt Paulus als weiteren Schriftbeleg eine Stelle aus dem Propheten Jesaja an (V.27). Der Vers begründet die speziell auf Sara bezogenen allegorischen Prädikate.84 Allerdings erscheint das Zitat aus Jes 54,1 – es entspricht wörtlich der LXX-Fassung – eher unpassend und für sich genommen wenig kontextgemäß.85 Im Unterschied zur anonym bleibenden Frau im Vorlagetext hat Sara einen Mann. Und nicht sie ist verlassen, sondern die nach ihrer Vertreibung durch die Wüste irrende Hagar (Gen 21,14).

83 Vgl. 2,16f; 3,13f.23–25; 4,3.5f.31; 6,9f, sowie S AMUEL BYRSKOG, Co-Senders, Co-Authors and Paul’s Use of the First Person Plural, ZNW 87 (1996), 230–250, bes. 238–240.249. 84 Das ¡ referiert wie in Gal 3,10; Röm 9,15.17; 10,10–13 auf den vorhergehenden Vers. 85 Unter Berufung auf JACOB MAN, The Bible as Read and Preached in the Old Synagogue, Vol. I: The Palestinian Triennial Cycle: Genesis and Exodus, New York 1971 (= Cincinnati 1940), 122–124, bzw. LAWRENCE H. SCHIFFMAN, The early history of public reading of the Torah, in: S. Fine (Hg.), Jews, Christians, and Polytheists in the Ancient Synagogue, Baltimore Studies in the History of Judaism, New York 1999, 44–56, erklären DI MATTEI, Paul’s Allegory (s. Anm. 60), 114; MARY C. CALLAWAY, The Mistress and the Maid: Midrashic Traditions behind Galatians 4:23–31, RadRel 2 (1975), 94–101, 97, und BOUWMAN, Die Hagar- und Sara-Perikope (s. Anm. 49), 3150, die Wahl gerade dieses Schriftzitats aus der liturgischen Praxis des synagogalen Gottesdienstes. Im palästinischen Lese-Zyklus sei Jes 54,1–9 als Haftara Gen 16 zugeordnet gewesen. Doch ist ungewiss, ob bereits zur Zeit des Zweiten Tempels am Sabbat und an den Festtagen nach Verlesung der Tora auch ein Abschnitt aus den Propheten vorgetragen wurde. Der Verweis auf Lk 4,16–21 und Act 13,13–15, vgl. Joh 6,45 (DI MATTEI, ebd. Anm. 44), erscheint insofern problematisch, als beide Stellen die Situation nach 70 n.Chr. widerspiegeln und nicht unbesehen für die erzählte Zeit in Anspruch genommen werden dürfen.

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Aber Hagar liegt außerhalb des Blickfelds.86 Ebenso wird Sara nicht eigens erwähnt. Zudem ist die Antithese „das jetzige Jerusalem – das obere Jerusalem“ schief.87 Gegenbegriff zum „jetzigen“ ist nicht das „obere“, sondern das „zukünftige“ Jerusalem. Karen H. Jobes steht für viele Ausleger, wenn sie konstatiert, es sei schwer „to see how the quotation of Isa 54:1 advances or supports Paul’s argument that Christians are the true children of Abraham ..., or how it justifies Paul’s application of the Hagar-Sarah trope to the contemporary situation in Galatia.“88 Vielleicht auch deshalb ist Ingo Broer der Auffassung, V.27 sei für die Allegorie als Ganze von untergeordneter Bedeutung, weil in ihm ihr zentrales Thema – Knechtschaft und Freiheit – keine Rolle mehr spiele.89 Richtig ist, dass der für die paulinische Deutung in V.24–26 und ihre auf die Gegenwart bezogene Applikation (V.28–30) unverzichtbare rechtliche und soziale Status der beiden Frauen (% ^‘ @/|€’) 90 in V.27 nicht zum Tragen kommt. Zutreffend ist ebenfalls, dass Sara ungenannt bleibt, auch nicht metaphorisch kodiert als „die Freie“ vorgestellt wird (V.22f.30). Dennoch fehlt sie nicht. Paulus rahmt mit diesen Versen seine allegorische Interpretation und gibt damit zu erkennen, dass Sara als logisches Subjekt von V.26 („das obere Jerusalem aber ist eine Freie, sie ist unsere Mutter“) vorausgesetzt ist und das V.26 begründende Prophe86

Gegen STANDHARTINGER, Hagar im Galaterbrief (s. Anm. 31), 298. Ihr Verweis auf das Stichwort „Wüste“ (£@), das nach Gen 21,14 besser zu Hagar passe, trifft insofern nicht zu, als in Jes 54,1LXX ausdrücklich von den vielen Kindern der Verlassenen die Rede ist, deren Zahl die der Verheirateten übersteigt. Zudem ist Sara, worauf WILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 191, zu Recht aufmerksam macht, als Trägerin der auf viele Völker zielenden universalen Abrahamsverheißung ausgezeichnet, „während Hagar ‚lediglich‘ zugesagt wurde, aus ihrem Nachkommen werde ein großes Volk hervorgehen“. Deshalb ist es m.E. nicht möglich, aus Gen 16,10 und 21,17f eine Anspielung auf Hagar abzuleiten. 87 HAYS, Echoes of Scripture (s. Anm. 60), 118; SELLIN, Hagar und Sara (s. Anm. 30), 125. 88 KAREN H. J OBES, Jerusalem, our Mother: Metalepsis and Intertextuality in Galatians 4:21–31, WThJ 55 (1993), 299–320, 301. Ihr zufolge würde man nichts vermissen, läse man über den Vers hinweg, a.a.O. 303. 89 BROER, „Vertreibe die Magd mit ihrem Sohn!“ (s. Anm. 37), 188. 90 In den Vorlagetexten wird die Ägypterin Hagar zwar als % ^‘ @ bezeichnet (Gen 16,1–3.5f.8; 21,10.12f), Sara aber nie als |€’. Sie ist die €‘ (Gen 16,4.8f). Bei Philo erscheint sie als die unvergängliche Tugend und vollkommene Weisheit (Cher 7; Post 130; LegAll III 244; Sacr 43, vgl. Congr 2.9.23f.180; Mut 255; Somn I 240 u.ö.) metaphorisch konzeptualisiert. Hingegen ist Hagar allegorisches Symbol für die Enkyklios Paideia, Congr 9.11.14; Sacr 43f; LegAll III 244; QuaestGen III 19 u.ö. Vgl. YEHOSHUA A MIR, Die Übertragung griechischer Allegorien auf biblische Motive bei Philon, in: ders., Die hellenistische Gestalt des Judentums bei Philon von Alexandrien, FJCD 5, Neukirchen-Vluyn 1983, 119–128, 119–122; SELLIN, Hagar und Sara (s. Anm. 30), 130– 135. Das Antonymenpaar: die Magd – die Freie geht demnach wohl auf Paulus zurück.

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tenzitat sich nur auf sie beziehen kann.91 Die räumliche und zeitliche Kategorien vermischende Entgegensetzung: „jetziges“ – „oberes“ Jerusalem reflektiert „a distinctly apocalyptic contrast“.92 Leitend ist die auch im Neuen Testament mehrfach aufgegriffene frühjüdische Vorstellung vom endzeitlichen Jerusalem, das im Himmel bereits existent ist und auf seine Herabkunft auf die Erde wartet.93 Wenn Paulus das himmlische Jerusalem als „unsere Mutter“ bezeichnet, erklärt er, dass es schon jetzt „in die Lebenswirklichkeit der Christen hineinwirkt“94 und ihre Gegenwart eschatologisch qualifiziert.95 Was aber hat das Schriftzitat mit Sara und dem oberen Jerusalem zu tun? Jes 54,1 ist ein Trostwort, das formgeschichtlich zu den „imperativischen Hymn(en)“ gehört.96 Ihrer Struktur nach sind sie zweigeteilt. Im ersten Teil wird zu Freude, Jauchzen und Jubel aufgerufen,97 der zweite gibt den Grund an und enthält in der Regel die Zusage Jahwes, dass sich das Geschick des oder der Angeredeten ändern wird.98 Der engere Kontext von Jes 54,1 und vor allem V.10–12 zeigen, dass die zum Jubel aufgerufene Frau Jerusalem selbst ist. Sie steht metonymisch für die noch darniederliegende Stadt. Die von Paulus hergestellte Verbindung zwischen ihr und Sara geschieht per Analogieschluss (gezêrâ swâ).99 Von beiden heißt es, sie seien unfruchtbar

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BOUWMAN, Die Hagar- und Sara-Perikope (s. Anm. 49), 3145; SELLIN, Hagar und Sara (s. Anm. 30), 121f.125. 92 MARTYN, Galatians (s. Anm. 28), 440. 93 Vgl. Apk 3,12; 21,2.10; 4Esra 7,26; 8,52; 10,27.44–46; 13,35f; 2Bar 4,2–7; Test Dan 5,12f, ferner Hebr 11,16; 12,22; 1QH 14 (olim 6),24–28; 1QS 8,7–10; 1QM 12,12– 15; 4QPsa 12,1–15; bHag 12b und dazu Bill. III, 573; IV/2, 883f.919–929; HANS BIETENHARD, Die himmlische Welt im Urchristentum und Spätjudentum, WUNT 2, Tübingen 1951, 192–204; PETER SÖLLNER, Jerusalem, die hochgebaute Stadt. Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum, TANZ 25, Tübingen/Basel 1998; SCHWEMER, Himmlische Stadt (s. Anm. 22), 203–219. Allerdings wird das himmlische Jerusalem in der Regel nicht und wenn, dann nur andeutungsweise (1Hen 85–90, bes. 89,66f.72f) dem irdischen Jerusalem entgegengesetzt. In „Joseph und Aseneth“ trägt die exemplarische Proselytin Aseneth unverkennbar Züge des himmlischen Jerusalem (15,7; 16,16; 17,7). 94 W ILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 192. 95 BEATE EGO, Im Himmel wie auf Erden. Studien zum Verhältnis von himmlischer und irdischer Welt im rabbinischen Judentum, WUNT II/34, Tübingen 1989, 15. 96 FRANK CRÜSEMANN, Studien zur Formgeschichte von Hymnus und Danklied in Israel, WMANT 32, Neukirchen-Vluyn 1969, 55. 97 Die negative Variante „freue dich/freut euch nicht“ findet sich in Jes 14,29; Hos 9,1; Mi 7,8. 98 Jes 12,4–6; 66,10f; Jer 50,11f; Thr 4,21; Joel 2,21–24; Zef 3,14f; Sach 2,14; 9,9f. Vgl. CRÜSEMANN, Studien (s. Anm. 96), 57–65. 99 BARRETT, Allegory (s. Anm. 72), 164; JOHN M. BARCLAY, Obeying the Truth: A Study of Paul’s Ethics in Galatians, Studies of the New Testament and Its World, Edin-

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(‹).100 Dieser verknüpfende Schluss findet im weiteren Kontext einen zusätzlichen Anhalt. In Jes 51,2, der einzigen Stelle, an der Sara außerhalb des Buches Genesis im Tenach namentlich begegnet, greift Deuterojesaja auf ihre Geschichte zurück (V.1–3). Die an Sara sich erfüllende göttliche Verheißung einer großen Nachkommenschaft präfiguriert die vom Propheten angekündigte Heilswende für Zion/Jerusalem (51,4–16).101 Vergleichsmoment ist dessen hoffnungslos erscheinende Lage nach dem Exil (51,3) und das bedrückende Geschick Saras vor Isaaks Geburt (Gen 16,1–5). Darin impliziert ist die Zusage einer Umkehrung ihrer jeweiligen Situation. Beide werden getröstet und gesegnet werden. Diese Korrespondenz spricht dafür, dass Paulus bei der Gleichsetzung Saras mit dem oberen Jerusalem Jes 51,2 im Kopf hatte.102 Der in Jes 54,1 alludierte Intertext 51,2 sowie die über das Stichwort ‹ laufende Verbindung zwischen Jerusalem und der unfruchtbaren Erzmutter (Gen 11,30) boten dann die Möglichkeit, das Zitat mit begründender Funktion einzusetzen.103 Dass Paulus Jes 54,1 und nicht, wie man erwarten könnte, 51,2 zitiert, obwohl dort Sara namentlich genannt wird, ergibt sich zunächst aus seiner in 3,6–4,7 entfalteten Leitprämisse: Über die Zugehörigkeit zur Nachkommenschaft Abrahams und damit die Berechtigung, in sein Erbe einzutreten, entscheidet nicht eine sarkisch vermittelte und genealogisch aufweisbare Deszendenzlinie, sondern allein der Glaube an Jesus Christus, den Nachkommen Abrahams (3,16c). Möglicherweise spielt auch eine Rolle (das muss keine Alternative sein), dass in Jes 54,1 von zwei Frauen und ihren Kindern die Rede ist. Im Sinne von Paulus’ allegorischer Deutung entsprechen den beiden Frauen Sara und Hagar. Ihren jeweiligen Kindern korrespondiert das apokalyptisch inszenierte Kontrastpaar „oberes“ – „jetziges“ Jerusalem.104 burgh 1988, 92; LONGENECKER, Galatians (s. Anm. 10), 215; EASTMAN, Mother Tongue (s. Anm. 28), 142. 100 Im Blick auf Sara vgl. Gen 11,30:  ¨ Å ‹   | %‘ , ferner 16; 17,15–19; 18,9–15; 21,1–13. Auch von Rebekka (Gen 25,21), Rahel (Gen 29,31), der Mutter Simsons (Ri 13,2f) und Hanna (1Sam 2,5, vgl. 1,6f) heißt es, sie seien unfruchtbar. Vgl. Ex 23,26; Dtn 7,14; Ps 113,9. 101 KLAUS BALTZER, Deutero-Jesaja, KAT 10/2, Gütersloh 1999, 550. 102 Diese gedankliche Brücke wird m.E. von WILK, Bedeutung (s. Anm. 28), 235, verkannt. Ihm zufolge „ist es nicht notwendig, zu postulieren, Paulus lese das Zitat im Lichte von Jes 51,2f“ (ebd. Anm. 16). Im Gegenteil, erst durch den alludierten Intertext wird der Zitateinsatz plausibel. 103 Vgl. VOUGA, Galater (s. Anm. 28), 118; JOBES, Jerusalem (s. Anm. 88), 302. Anders DE BOER, Paul’s Quotation of Isaiah 54:1 (s. Anm. 53), 379: Erst das Prophetenzitat liefere Paulus die Grundlage für seine Interpretation in V.26 und ermögliche es ihm, Sara mit der Verheißung „of a once barren, newly fecund Jerusalem“ zu verbinden und dieses Jerusalem „unsere Mutter“ zu nennen. 104 Vgl. DE BOER , a.a.O. 389. Mit anderen (etwa MARTYN , Galatians [s. Anm. 28], 427–430; BRAWLEY, Contextuality [s. Anm. 73], 113) verweist er zudem auf Gal 1,15f

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Wie Sara, so interpretiert Paulus die prophetische Ankündigung, wird das „obere Jerusalem“ unzählige Verheißungskinder haben. Aufgrund seiner christologischen Hermeneutik sind diese für ihn jedoch, und zwar in betontem Gegensatz zum Vorlagetext (vgl. Jes 54,3), „to be found precisely in the Gentile churches“.105 Genauer noch und auf die intendierten Adressaten bezogen: Die heidenchristlichen Galater sind der überführende Beweis, dass die Zeit der sich erfüllenden Verheißung für das „obere Jerusalem“ begonnen hat. Sie antizipieren damit die endgültige Einlösung der an Sara ergangenen Verheißung, Mutter „vieler Völker“ zu werden (Gen 17,16).106

6 Ergebnis Mit Hilfe seiner allegorischen Interpretation des lediglich sprachlich kodiert präsenten Namens der Erzmutter konstruiert Paulus eine in der Schrift grundgelegte Geschichte, in die er die galatischen Gemeinden einzeichnet und aus der sie ihre Identität gewinnen. Dass Sara ungenannt bleibt, ist Programm. Nicht um ihr nomen proprium geht es, sondern um die ihr zugeschriebenen Prädikate und deren kommunikative Funktion als wirklichkeitserschließende und sinnbildende Konstrukte christlicher Identität. Erst dadurch wird die Allegorese hermeneutisch produktiv und leistet, was sie aus paulinischer Sicht leisten soll. Denn als Kinder des „oberen Jerusalem“ können sich die Galater nur verstehen, wenn sie das integrative Potential der Sinnwelt erkennen, in der sie sich vorfinden – und zwar als solche, die dem ’  \ ‰ \ (1,7) Glauben schenken und damit in der Kontinuität der Erwählung Abrahams stehen. Es ist gewiss kein Zufall, dass Paulus sie immer wieder an diese integrative und identitätsstiftende Kraft des Evangeliums erinnert. Wer sie auch sind – Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau –, sie sind „einer in Christus“ (3,28). (Jes 49,1), 4,19 (Jes 45,10; nur hier und in 51,2 sowie 54,1 begegnet im Jesajabuch das Verb )^‘ *) und 6,15 (vgl. Jes 43,18f; 65,17–25) als Belege dafür, dass Paulus im Galaterbrief insbesondere auf Deuterojesaja rekurriert „to articulate his own christological shaped apocalyptic eschatology and his own apostolic vocation at the turn of the ages“, a.a.O. 388. 105 HAYS, Echoes of Scripture (s. Anm. 60), 120. Allerdings stellt das inklusive „wir“ von 4,30 klar, dass zum „oberen Jerusalem“ nicht nur die Christusgläubigen aus den £ @, sondern auch alle Christen jüdischer Herkunft gehören, die wie Paulus „wissen“:  ^  \ ” *% | £* ›€ |~ — ^ ~ %‘* Ê@\ ‰ \ (2,16a). 106 Zutreffend bemerkt DE BOER, Paul’s Quotation of Isaiah 54:1 (s. Anm. 53), 380: „It is clear ... that ‚the Jerusalem above‘ does not refer to a heavenly city in the literal sense, but to the church that has been called into being by God (1.6; 5.8) as the eschatological people of God“ (Kursivierung im Orig.).

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Sie sind seine Geschwister, und er ist ihr Bruder. Alle zusammen sind sie ~ % \ legitime Nachkommen Abrahams und Erben der ihm gegebenen Verheißungen. Und weil ihre Mutter, das „obere Jerusalem“, frei ist, sind auch sie frei – nur sie. Ihnen diese im Christusgeschehen gründende und im Modus des Glaubens realisierte Freiheit abermals zu vergegenwärtigen und ihre kategoriale Bedeutung als distinktes Merkmal christlicher Identität erneut „deutlich vor Augen zu stellen“ (3,1), ist das eigentliche Ziel der allegorischen Schriftauslegung wie des ganzen Briefs. 5,1 bildet deshalb die Klimax des Schreibens: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ Damit ist (fast) alles gesagt. Was jetzt noch folgt, ist Anwendung. Das christologisch identifizierte Nomen ist auch in ethischer Hinsicht Omen und will im alltagsweltlichen Leben bewährt sein (5,13–6,10), weil der vom Evangelium gewirkte Glaube als solcher %‘  ^ ס%@ | €’ @ (5,6) ist.

– Alltagsethos und Epigraphik –

Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften Zu den Voraussetzungen christlicher Mission in Kleinasien* WALTER AMELING

Die Frage nach der Ausbreitung des Christentums und der Christianisierung einer doch ansehnlichen Zahl von Menschen während der hohen Kaiserzeit, v.a. während des 3. Jh. n. Chr. gehört zu den zentralen Fragen der Alten Geschichte – und wie viele zentrale Fragen, so hat auch diese immer wieder eine Vielzahl von Antworten und Ansätzen provoziert. Nach einer ausführlichen Tour d’Horizon heißt es in einem Buch aus dem Jahr 2002: Keiner der erwähnten 17 Faktoren kann die erstaunliche Ausbreitung der christlichen Gemeinden befriedigend erklären. Vielleicht ist es mehr als ein ‚christliches Vorurteil‘, wenn man das Wachstum der Kirche im ersten, zweiten und dritten Jahrhundert als Resultat des Wirkens Gottes sieht.1

Damit wird sich der Profanhistoriker ungern beruhigen – und sei es seines Publikums willen. Sie dürfen nun nicht erwarten, von mir den 18., allein selig machenden Faktor zu hören – leider kann es nur um einen kleinen Mosaikstein gehen. Ich möchte einfach versuchen, ob ein wenig Licht aus dem Osten von einer kleinen Disziplin – nämliche der griechischen Epigraphik – kommen kann, die nicht nur den Ausdruck ˆ  für die Nachricht von der Geburt des Gottes kennt, sondern uns auch den   |   2 beschert hat, fast * Dies ist der Text des in Leipzig gehaltenen Vortrags; es ist mir leider – trotz überaus großzügiger Zugeständnisse der Herausgeber – nicht gelungen, ihn noch einmal zu überarbeiten oder mit Anmerkungen zu versehen. Es tut mir vor allem leid, daß ich nicht noch auf die sich dem Vortrag anschließende Diskussion eingehen konnte, in der besonders das Problem angesprochen wurde, in wie weit die von der Umwelt differierende Sexualethik der Juden und Christen meinen Überlegungen widerspreche. Ich bitte die Herausgeber, die Teilnehmer der Tagung und die Leser um Entschuldigung. 1 E. J. SCHNABEL, Urchristliche Mission, Wuppertal 2002, 1498. 2 SEG 52, 1101 (Stratonikeia); Drusus ist gemeint. Vgl. POxy 12, 1453, Z. 10f: [ ] {}  | \. Bisher hatte man angesichts anderer, aus Ägyp-

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einen Gott vom Gott. Leider kann die Epigraphik keinen sehr direkten Beitrag zur Ausbreitung des Christentums leisten: Selbst in einem Land mit so reicher inschriftlicher Hinterlassenschaft wie Kleinasien tauchen die ersten Christen als städtische Beamte erst im frühen 3. Jh. auf. Eine größere Zahl von Christen zeigt sich in etwa derselben Zeit in den ländlichen Gebieten Lydiens und Phrygiens – erkennbar am panis eucharisticus, manchmal in Kombination mit den Früchten des Weinstocks, einer spezifischen Fluchformel, die nach dem Ort Eumeneia benannt wird, und der öfters vorkommenden Aufschrift „Christen für Christen“, also: Christen errichteten dieses Grabmal für Christen. Weshalb diese Menschen Christen wurden, sagen uns die Inschriften erst einmal nicht – und deshalb möchte ich mit einer unverfänglichen Bemerkung Martin Hengels beginnen: Anders als die traditionellen heidnischen Kulte ... kam der jüdische Wortgottesdienst einem gewissen intellektuellen und ethischen Grundbedürfnis entgegen. Verehrt wurde in ihm der eine universale und allmächtige Gott, Schöpfer der Welt und Lenker ihrer Geschichte, der Herr aller Menschen und doch besonders seines erwählten Volkes, der klare Gebote gab und eine ethische Lebensführung forderte, zu dem man ein ganz persönliches Verhältnis haben konnte und der allen Gerechten und Frommen, die sich zu seinem erwählten Volk hielten, eine heilvolle Zukunft und ewiges Leben eröffnete. Das alles konnte so keine andere antike Religion bieten.3

Vom jüdischen Wortgottesdienst ist es nur ein kurzer Weg zur christlichen Mission unter „Gottesfürchtigen“, und vor diesem Hintergrund lässt es sich verstehen, wenn eine moderne Strukturgeschichte des antiken Christentums als einen wichtigen Grund christlichen Erfolges anführt: ... sensible Personen, die über den Verfall der Sitten erschüttert waren, (fühlten) sich zum Christentum als einer vergleichsweise rigorosen ethischen Gesetzen verpflichteten Bewegung hingezogen.4

Nur nebenher erinnere ich daran, dass auch die gegenteilige Position vertreten wird: Ihre strengen sittlichen Gebote ... legten ihnen Zurückhaltung im privaten Bereich auf. Das machte sie unbeliebt und brachte sie immer wieder in Schwierigkeiten, oft kam es zu Störungen im Familien- und Eheleben.5

ten stammender Parallelen (BGU 16, 2594; vgl. dazu die Rosettana Z. 10) einen ägyptischen Hintergrund für die Formel postuliert; das ist nun fraglich geworden. 3 M. HENGEL / A. M. SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochien. Die unbekannten Jahre des Apostels, WUNT 108, Tübingen 1999, 101f. 4 C. MARKSCHIES, Zwischen den Welten wandern. Strukturen des antiken Christentums, München 1997, 59. Tatian, oratio 29, nennt die Vorzüglichkeit der Sittenlehre als Grund seiner Konversion. 5 A. WLOSOK, Die christliche Apologetik griechischer und lateinischer Sprache bis zur konstantinischen Epoche – Fragen, Probleme, Kontroversen, in: ders. / F. Paschoud (Hg.),

Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften

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Bei der Ethik, über die ich sprechen möchte, handelt es sich um praktische Ethik, also nicht um die theoretische Begründung von Sätzen, sondern um einen anziehenden Kanon von Handlungsmaximen – und ich will gar nicht verschweigen, dass die Idee von der Bedeutung christlicher Ethik für die Ausbreitung des Glaubens bereits von den Apologeten formuliert wurde, die den Nutzen der Christen und ihrer Verhaltensweise für die Gesellschaft demonstrieren wollten. Es sieht ganz so aus, als teilten sie diese Vorstellung, um das wenigste zu sagen, mit Autoren wie Philon und Josephus. Nun sind das nach innen gerichtete Schriften, die über christliche Mission – das eigentlich Interessante – wenig sagen, wie wir ja überhaupt über diese Vorgänge aus der nachapostolischen Zeit herzlich schlecht informiert sind. Frage ich nach der Ausbreitung ethischer Handlungsmaximen (und denke dabei mit Hengel an den jüdischen Wortgottesdienst), so frage ich nach der Paränese und ihrer Funktion. Als Beispiel möchte ich die Predigten eines unbekannten, als Pseudo-Philo bezeichneten Verfassers anführen, die in einer armenischen Übersetzung erhalten sind.6 Entstehungszeit und Umfeld sind schwer zu bestimmen: das Alexandrien des 1. Jh.s n. Chr. ist immerhin möglich. Die Strafpredigt an die Niniviten, die dem biblischen Propheten Jona in den Mund gelegt wird, ist ein schönes Beispiel dafür, wie mittels eines Lasterkatalogs das Bild eines gerechten Lebens gezeichnet wird (105ff): Ihr kennt Gott nicht. Ihr stattet keinen Dank ab für Gottes Gaben. Versprechen mißachtet ihr, das Recht kauft ihr, die Richter bestecht ihr mit Geschenken. Die Armen demütigt ihr, ehrt aber diejenigen, die mit Betrug reich geworden sind. Ihr jagt nach gesetzeswidriger Sittenlust, zerstört Ehen, macht die Schönheit der Mädchen zur Schande, versucht Männern das Aussehen von Frauen zu geben, wechselt Verlobungen und raubt die Bräute anderer. Ihr haltet euch für Lehrer der Rechtmäßigkeit, und in euch brennt das Gelüst nach dem Illegalen. Ob ihr die Lebenden unterdrückt oder die Toten ausraubt, anvertrautes Gut veruntreut oder von anderen verlangt, denen ihr gar nichts anvertraut habt – ehe ihr dem ersten sein Recht widerfahren laßt, bereitet ihr (schon) die rechtswidrigen Strafen des nächsten Angeklagten vor.

Und die Niniviten reagieren durchaus darauf (118f): Nun laßt uns überlegen, wegen welcher Taten wir nach dem Willen Gottes verworfen werden. Denn wenn wir das erkennen (und) bedenken, , daß unsere (bisherige) Lebensführung (Jonas) Predigt recht gibt. Wie aber können wir wissen, welches Leben Gott gefallen (hätte)? ... Wenn , aus seiner alten (Lebensweise) aufgeschreckt, von ihr abläßt, wird er die entgegengesetzte kennenlernen. Jene hat das Todesurteil ausgelöst; diese könnte die Drohung aufhalten. L’apologétique chrétienne gréco-latine à l’époque prénicénienne, EnAC 51, Genf 2005, 1–28, 4f. 6 F. SIEGERT, Drei hellenistisch-jüdische Predigten. Ps.-Philon, „Über Jona“, „Über Simson“ und „Über die Gottesbezeichung ‚wohltätig verzehrendes Feuer‘“. I: Übersetzung aus dem Armenischen und sprachliche Erläuterungen, WUNT 20, Tübingen 1980.

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Hier wie in anderen, vergleichbaren Reihen – ich erinnere nur an PseudoPhokylides – soll ein überschaubarer Grundkanon von Weisungen als sittlicher Traditionsstoff vermittelt werden. Um Prägnanz und Einprägsamkeit zu erreichen, werden keine positiven Weisungen gegeben, sondern zu vermeidende Vergehen fast immer in negativer Formulierung genannt. Die Regeln sind umfassend genug, um in allen Entscheidungssituationen zu gelten, und konkret genug, um auch anwendbar zu sein. Wie die Predigt nicht der Tora galt, so sollen die paränetischen Weisungen bei Pseudo-Phokylides die Gebote der Tora aktualisieren und konkretisieren, auch unter Einschluß torafremder Elemente. Für die DiasporaGemeinden spielten – wenigstens nach den eingeforderten Verhaltensformen zu urteilen – exklusiv jüdische Gebote nur eine geringe Rolle. In Predigten und Paränesen wird daher das jüdische Kultgesetz nicht erwähnt, beide kennen keine ethnischen oder rituellen Spezifika, wie sie in der klassischen Literatur immer mit dem Judentum verbunden werden. Von intellektueller Attraktivität werden wir hier wohl nicht reden können. Was hilft uns das alles bei unserer Frage nach der christlichen Mission? Den Heiden, die am Judentum interessiert waren, waren ethische Grundregeln in katechismusartiger Form bekannt. Christliche Predigt (deren Bedeutung für die Ausbreitung des Christentums ja weit höher zu veranschlagen ist als die der christlichen Literatur) konnte solche Regeln voraussetzen und musste sie nicht mehr eigens begründen. Damit würde immerhin die sonst eher allgemeine Vorstellung vom Zusammenhang jüdischer Diaspora und christlicher Mission einen präzisen Inhalt erhalten: Die Heiden hätten die Vorstellung von der ethischen Überlegenheit des Judentums auf die Christen übertragen, die in ganz vergleichbarer, paränetischer Form katechismusartige Reihen benutzten. Solche Reihen sind bei den Christen nicht nur im NT zu beobachten, in den sog. Haus-, Gemeinde- und Ständetafeln, in den Tugend- und Lasterkatalogen, sondern spielten im täglichen Leben der Christen und auch in ihrer Missionspredigt eine Rolle, wie ich exempli gratia durch zweimal zwei Beispiele zeigen will. In Bithynien fanden sich die Christen regelmäßig an einem bestimmten Tag vor Sonnenaufgang zusammen; dabei sangen sie im Wechsel ein Loblied auf Christus wie auf einen Gott und verpflichteten sich durch einen feierlichen Eid nicht etwa zu verbrecherischem Tun, sondern zur Unterlassung von Diebstahl, Raub, Ehebruch (ne furta, ne latrocinia, ne adulteria committerent), Treulosigkeit (ne fidem fallerent) und Unterschlagung anvertrauten Gutes (ne depositum appellati abnegarent).7 Selbst bei Plinius 7 Plinius, ep. 10, 96, 7: quod essent soliti stato die ante lucem convenire carmenque Christo quasi deo dicere secum invicem seque sacramento non in scelus aliquod obstringere, sed .... Nach der Schilderung kann es sich kaum mit H. LIETZMANN, Die litur-

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schimmert die ursprüngliche Form noch durch – wie der Vergleich mit christlichen Eiden, wie z.B. dem der Elkesaiten, zeigt: Ich werde nicht mehr sündigen ( ˆ Â*), ich werde keinen Ehebruch treiben (  ‡*), ich werde nicht stehlen ( ˆ}*), ich werde kein Unrecht mehr tun ( ^ *), ich werde nicht mehr betrügen ( %  *), ich werde keine Feindschaft mehr haben (  *), ich werde niemand mehr verachten ( *), ich werde nicht mehr an irgendetwas Lasterhaftem Freude haben (^' | %Í % @‹ ^ *).8

Bei den Elkesaiten wie bei Plinius gehört das rituelle, negativ formulierte Gelöbnis zum Leben ohne Sünde in einen innergemeindlichen Kontext. Wir finden dieselben Reihen aber auch in der Wiedergabe von Missionspredigten, wie z.B. bei der Aberkios-Mission in Phrygien. Aberkios versprach seinen Zuhörern, dass ihnen die Sünden vergeben würden, wenn sie ein neues Leben begönnen: Wenn ihr euch enthaltet – von aller List und Zorn, von Neid und von Ehebruch, von Prahlerei und von Hochmut, von aller Eifersucht, von Überheblichkeit und von Feindschaft (|~ ... %˜ – % %   ^€ –  ˜ –  ` € –   ‡ –  œ  –  Ï!* –  $%@`  –  œ@€% –  £‡).9

Präziser werden die Pflichten des Christen – wieder negativ – so definiert: —  ‡ , — %  , — ˆ% , — `  , — }^ , und als einzige positive Formulierung: `!‹   . In den Petrusakten gibt es folgende Predigt an Neubekehrte: Ihr Brüder, die ihr jetzt an Christus zu glauben begonnen habt, wenn ihr nicht in eurem früheren Wandel und in den väterlichen Überlieferungen bleibt und euch enthaltet von allem Betrug und Jähzorn, von aller Grausamkeit und Ehebruch und Befleckung und von Hochmut und Eifersucht, Hoffart und Feindseligkeit, so wird euch Jesus ... nachlassen, was ihr in Unwissenheit getan habt.10

Auch wenn der Zusammenhang von Taufe und Glaubensbekenntnis alt ist, erfuhr er doch die unterschiedlichsten Ausformungen – und das langjährige Katechumenat ist nur eine davon. Es ist also nicht sicher, dass ein neu bekehrter Christ wesentlich ausführlicher über seine Religion unterrichtet gischen Angaben des Plinius [1916], in: DERS., Kleine Schriften III, TU 74, Berlin 1962, 48–53, 51, um ein Taufgelöbnis handeln. 8 Hipp.haer. 9, 15. Übersetzung angelehnt an K. PREYSING, Des heiligen Hippolytus Widerlegung aller Häresien (Philosophoumena), BKV 40, München/Kempten, 1922, 254. 9 T. Nissen (Hg.), S. Abercii Vita, BSGRT, Leipzig 1912, c. 13. 10 Si non permanseritis in pristinis operibus vestris et paternae traditionis, et abstinueritis vos ab omni dolo et iracundia et saevitia et moechia et conquinamento et a superbia et zelo, fastidio et inimicitia. Text in: R. Lipsius / M. Bonnet (Hg.), AAAp, Leipzig 1891, 46f. Übersetzung: W. SCHNEEMELCHER, in: ders. (Hg.), Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. II. Band: Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, Tübingen 51989, 260.

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wurde, als wir dies der Aberkios-Vita entnehmen können. Vielleicht denken wir auch daran, wie Mühlenberg den „Paidagogos“ des Clemens charakterisiert: Die Lebensführung, die er den Glaubenden ... vorzeichnet, besitzt eine feste Gestalt, aber großartig religiös konnte sie kaum erscheinen ... Wir würden sie rechtschaffen-bürgerlich nennen, wohl-anständig, irgendwann nannte man sie ‚bürgerliche Tugenden‘.11

Christliche Missionare gingen trotzdem davon aus, dass diese ethischen Anforderungen wichtig genug waren, sie den zu Bekehrenden vorzustellen – und die Art der Vorstellung schließt wohl die Idee aus, dass es ihnen um ein Ausräumen heidnischer Vorurteile gegenüber den ,verbrecherischen‘ Christen ging. Wie ungewöhnlich sind diese Forderungen aber? Frage ich so, dann kann ich mich nicht mit der Ansicht begnügen, dass sich jüdische oder christliche Identität weniger aus dem Inhalt der Weisungen gespeist habe, als aus dem Bewusstsein, dass diese Ausdruck göttlichen Willens und göttlicher Offenbarung waren.12 Heidnischen Zuhörern dürfte diese Idee wenig bedeutet haben; für sie zählte eher, dass der Inhalt in erstaunlicher Weise mit dem übereinstimmte, was sie für richtig hielten – wie sich nicht nur aus populärphilosophischen Parallelen ergibt, also den Texten, die über Verhalten, weniger über dessen Begründung sprachen. Damit kommen wir zu den im Titel angekündigten Beichtinschriften.13 Es handelt sich um ein auf die ländlichen Gegenden eines Teiles von Lydien und Phrygien beschränktes Phänomen, das hauptsächlich an der Wende vom 2. zum 3. Jh. zu finden ist – was aber wohl eine Frage der epigraphischen Gewohnheiten ist, da es einzelne Texte bereits früher gibt14 und das Phänomen selber auch in einigen anderen Textsorten, z.B. den Iamata, leges sacrae, Votiven, Gebeten um Gerechtigkeit etc., vorkommt. Immerhin erinnere ich daran, dass die Beichtinschriften aus der Gegend stammen, in der Aberkios missionierte. In diesen Beicht- oder vielleicht besser: Sühnestelen bekennen Menschen ihre Vergehen, nämlich Vergehen gegen die Gottheit, gegen Gesetze und gegen Mitbürger. Für ihre Vergehen wurden sie von der Gottheit be11 E. MÜHLENBERG, Altchristliche Lebensführung zwischen Bibel und Tugendlehre, AAWG.PH 3/272, Göttingen 2006, 56. 12 K.-W. NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987, 70f; cf. M. HENGEL, Anonymität, Pseudepigraphie und „literarische Fälschung“ in der jüdisch-hellenistischen Literatur [1972], in: ders., Judaica et Hellenistica. Kleine Schriften I, WUNT 90, Tübingen 1996, 196–251, 245: das Fehlen exklusiv-jüdischer Züge hängt mit dem Weisheitscharakter und der Pseudepigraphie zusammen. 13 G. PETZL (Hg.), Die Beichtinschriften Westkleinasiens, Epigraphica Anatolica 22, 1994. 14 Älteste Beichtinschrift: 57/58 n. Chr.

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straft, sie mussten ihre Schuld öffentlich bekennen und Wiedergutmachung leisten, dazu Verfehlung wie Strafe auf einer Stele veröffentlichen: Die Macht des Gottes, die sich in dem Geschehen offenbarte, sollte gepriesen werden. Grob zusammenfassend werden folgende Verfehlungen von den Göttern bestraft: Verstöße gegen kultische Vorschriften, vor allem gegen verschiedene Formen von Reinheitsgeboten, Geschlechtsverkehr zur Unzeit, Ehebruch, Meineid, Diebstahl, auch am Eigentum der Götter, Hehlerei, Betrug, Übervorteilung von Waisen, Körperverletzung, versäumte Zahlung von Schulden resp. das Leugnen, überhaupt Schulden zu haben, Zauberei, üble Nachrede, Giftmord sowie Mitwisserschaft bei verschiedenen Delikten. Als belastende Umstände galten z.B. Heimtücke, Beharren auf Meineiden, falsche Unschuldsbeteuerungen und mangelnder Glaube an die Macht der Gottheit. Die enge Übereinstimmung dieses Katalogs mit dem Inhalt der Paränesen führt zu mehreren Konsequenzen: 1. Angesichts der deutlichen Parallelen kommen wir auch hier zu dem oben angesprochenen Ergebnis, dass die Ethik der Paränesen kein Eigengut der Juden oder Christen war – also nicht etwas war, das für Heiden attraktiv und Ziel eines unspezifischen Suchens sein konnte. 2. Von den ,Vorzügen‘ einer jüdischen – und von da aus einer christlichen – Ethik kann man daher nicht sprechen. Wenigstens auf dieser Ebene ist die Herkunft der Reihungen aus dem Jüdischen nicht mehr relevant. 3. Andererseits dürfen wir aber auch nicht mehr sagen, dass die Heiden dieser Gegend von einer besonders rigiden Moral niedergehalten wurden – wie manchmal aus der bloßen Existenz dieser Inschriften geschlossen wurde. 4. K.-W. Niebuhr stellt eine wichtige Gemeinsamkeit von Heiden, Juden und Christen heraus:15 die fraglose Akezptanz einer göttlichen Rechtsordnung, die neben – und in manchen Fällen auch über – der weltlichen Ordnung wirkte. 5. Jüdische und christliche Ethik können auf dieser Ebene nicht wirklich für die Anziehung der beiden Religionen verantwortlich gemacht werden, sondern wir müssen anders herum argumentieren: es war die Übereinstimmung in ethischen Grundforderungen, die den Erfolg möglich machte – eine Übereinstimmung im Übrigen, die bereits Kaiser Julian notierte16 und vor ihm schon Celsus, und auch Origenes den Heiden zugestanden hatte, einschließlich der Tatsache, dass das ethische Verhalten der Christen sich nicht sehr von dem der Umwelt unterschied.17 In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal daran erinnern, dass die wenigen Fragmente christlicher Missionspredigt, die wir besitzen, die Vermutung nahe legen, dass tatsächlich keine andere Form 15

In diesem Band, 256–279. Julian, Contra Galilaeos 152 B, Text u. Übers. bei M. STERN, Greek and Latin Authors on Jews and Judaism II, Jerusalem 1980, 535. 17 Origenes, Contra Celsum 1, 4f. 16

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von Ethik gepredigt wurde, sondern wir mit den genannten Listen recht nahe an dem liegen, was Christen tatsächlich verkündeten und dann in ihrer Liturgie weiterführten. 6. Über die Enge der Kohabitation von Christen und Heiden wäre jetzt wohl auch zu reden, über das dritte Ethnos und vergleichbare Vorstellungen und ihre soziologische Realität. 7. Was wir in diesen Beichtinschriften sehen, ist die Sorge um eine Vergebung der Sünden und die preisende Proklamation der Größe eines Gottes. Beides gehört ganz sicher zu den Faktoren, die christliche Mission erfolgreich werden, d.h. auf fruchtbaren Boden fallen ließen. Von einer Angleichung an die pagane Ethik wird man nicht sprechen wollen, auch wenn in den zitierten und zu vermehrenden Belegen christlicher Missionspredigt die Spitzensätze christlicher Ethik (erst recht in ihrer Auslegung durch die Apologeten und Theologen) nicht vorkommen. Man mag nun sagen, dass die genannten Normen als Einstieg in christliche Denk- und Lebensformen gedacht seien etwa wie die Zusammenfassung des Gesetzes bei Hillel.18 Doch das ändert nichts daran, dass wir hier ein eher inklusives Ethos vor uns haben, das (bewusst oder unbewusst) eine Akzeptanz der Gruppe in der Gesellschaft förderte. Für Akzeptanz und als Folge davon dann auch Integration sprechen die mit den Beichtinschriften räumlich und zeitlich zusammenfallenden christlichen Inschriften Phrygiens, die „Christen für Christen“ gesetzt hatten. Für eine Integration gerade in den ländlicheren Gebieten spricht ebenfalls die Beobachtung, dass Martyrien ein Phänomen der Städte waren. Christen erregten auf dem Land also deutlich weniger Anstoß als in der Stadt. Ohne dass ich weiter über henotheistische Tendenzen auf dem Land sprechen kann, sei doch immerhin bemerkt, dass es in einer der Beichtinschriften heißt: „Der Gott ... befahl durch einen Engel.“19 Der Kult des „höchsten Gottes“ war auf dem Land, so viel kann gesagt werden, jedenfalls stärker vertreten als in der Stadt. Christen leben also nicht abgesondert genug, um sich dem Urteil der Heiden zu entziehen, und wenn Heiden die Christen beurteilen, dann – so wird man folgern – eben nach den Regeln, die das Zusammenleben der Gruppen bestimmten. Konformität mit diesen Regeln war für die kleinen, lokalen Gruppen so wichtig, dass sie immer wieder durch das Aufstellen dieser Stelen eingeübt und verinnerlicht wurde, so wie ja auch der von Plinius geschilderte, liturgische Ritus auf eine Einübung und Verinnerlichung dieser Vorschriften zielte. Angesichts der weitgehenden sozialen Identität der Gruppen, ihrer Strukturen und damit auch des Regelungsbedarfs ihres Zusammenlebens ist das wohl auch nicht weiter verwunderlich. Rege18 bSchab 31a: „Was dir verhasst ist, – deinem Nachbarn tu es nicht: Dies ist das ganze Gesetz, der Rest sein Kommentar.“ 19 PETZL, Beichtinschriften (s. Anm. 13), Nr. 3.

Paränese und Ethik in den kleinasiatischen Beichtinschriften

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lungsbedarf gab es natürlich vor allem, weil die Reichweite der weltlichen Organe nicht weit ausgeprägt war, weder in der Strafverfolgung noch in der Durchsetzung von Normen. Ging die Adaption der Christen manchmal so weit, dass sie als Gegenreaktion die rigoroseren Spielarten ihres Glaubens, wie etwa den Montanismus, hervorbrachte? Als Gegenbewegung zu einer ethischen Konformität, die von Rigoristen als Verrat an den Ansprüchen der Christen empfunden wurde, ergibt eine Bewegung wie der Montanismus vor allem dann Sinn, wenn man fürchtete, seine eigene Identität zu verlieren.20 Das war – beinahe hätte ich gesagt: natürlich – in derselben Landschaft, die die Beichtstelen und die Adaption der Christen hervorgebracht hat. Es war auch dieselbe Landschaft, in der zu Beginn des 5. Jh. Novatianer und Quartodecimaner, wie die Protokolle zeigen, die dem Konzil von Ephesos vorgelegt wurden, ihre Häresie öffentlich bekannten und Gott und seine Großtaten lobten. Aber kehren wir noch einmal an den Anfang zurück. Mir scheint, daß die alltäglich-praktische Seite christlicher Religion in vielerlei Hinsicht weniger neuartig war als die christliche Theologie. So konnte das Christentum für diese Gesellschaften und Gruppen dieselben sozialen Funktionen erfüllen, wie sie die heidnische Religion erfüllte. So konnte sie an den Platz der alten Religion treten, ohne dass das Funktionieren der Gesellschaft dadurch stark beeinträchtigt worden wäre, was man erst einmal für einen Vorteil halten mag. Christliche Mission wurde dadurch gerade für den Bereich der Heidenmission sicher wesentlich erleichtert, und der wiederum wurde für die Ausbreitung des Christentums weit wichtiger als die Mission im Hause Israel.

20 T. BAUMEISTER, Montanismus und Gnostizismus. Die Frage der Identität und Akkommodation des Christentums im 2. Jahrhundert, TThZ 87 (1978), 44–60, 52: „Die Neuheit des Montanismus und die Tatsache, daß er in Phrygien entstand, können m. E. am besten erklärt werden, wenn man ihn als die in einem abgeschlossenen Landstrich aufgekommene Gegenbewegung zu dem durch die Mission der Kirche geforderten Hellenisierungsprozeß der Metropolengemeinden versteht. Die Kirche war dabei, einen Teil ihrer Identität zu verlieren. Der Montanismus reagierte darauf, indem er diesen Aspekt der kirchlichen Identität zu seinem zentralen Inhalt machte. Er wäre so ein Versuch, das Rad der christlichen Geschichte anzuhalten oder sogar zurückzudrehen.“

Jüdisches, jesuanisches und paganes Ethos im frühen Christentum Inschriften als Zeugnisse für Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte im kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien am Beispiel des Jakobusbriefes KARL-WILHELM NIEBUHR

„Für die Frage nach der Wirkung des Evangeliums auf die Menschen, denen es zuerst verkündet wurde, ist das Verständnis der religiösen Eigenart der neutestamentlichen Umwelt von Bedeutung.“1 Mit dieser nüchternen, zugleich aber durchaus theologisch verstandenen Begründung religionsgeschichtlicher Arbeit am Neuen Testament hatte sich einst Gerhard Delling, einer der „Urväter“ des Corpus Hellenisticum, dem Studium jüdischer Inschriften der römischen Antike zugewandt. Der in der zitierten Formulierung enthaltene Gedanke der Rezeption neutestamentlicher Texte, Konventionen und Überzeugungen in der kaiserzeitlichen und spätantiken Mittelmeerwelt gehört auch zu den aktuellen Anliegen des Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti, zu dem die folgenden Ausführungen einen Beitrag leisten möchten.2 Gerade an nichtliterarischen Texten und Zeugnissen kann dieser Aspekt der tatsächlichen Wirkung neutestamentlicher Texte vielleicht besonders gut analysiert werden, sind sie doch stärker als literarische Zeugnisse kulturell geprägt und verankert in der hellenistisch-römischen Alltagskultur und in den Konventionen gesellschaftlichen und religiösen Lebens der Antike.

1 GERHARD D ELLING, SPERANDA FVTVRA. Jüdische Grabinschriften Italiens über das Geschick nach dem Tode, in: DERS., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum. Gesammelte Aufsätze 1950–1968, hg. v. F. Hahn u.a., Berlin 1970, 39–44, 39. 2 Vgl. dazu KARL-W ILHELM NIEBUHR, Das Corpus Hellenisticum. Anmerkungen zur Geschichte eines Problems, in: W. Kraus / K.-W. Niebuhr (Hg.), Frühjudentum und Neues Testament im Horizont Biblischer Theologie. Mit einem Anhang zum Corpus JudaeoHellenisticum Novi Testamenti, WUNT 162, Tübingen 2003, 361–382.

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Im Rahmen der Zielstellungen des CJHNT kommt dem Judentum in hellenistisch-römischer Zeit zweifellos eine besondere Rolle zu. Das Projekt geht ja von der Grundannahme aus, dass die Entstehung und Ausbreitung des antiken Christentums nicht denkbar gewesen wäre ohne seine spezifische, wurzelhafte Einbindung in das in sich vielfältige Judentum der hellenistisch-römischen Zeit. Diese Basishypothese hat eine theologische und eine religionsgeschichtliche Seite. Über die theologische Seite will ich hier keine weiteren Aussagen machen. Religionsgeschichtlich betrachtet aber lassen sich auf wohl jeder Seite des Neuen Testaments Belege für die Einbindung des Urchristentums in die Welt des Judentums in hellenistischrömischer Zeit finden. Da dieses Urteil immer noch gelegentlich in dem Sinne missverstanden wird, hier werde einseitig eine jüdische gegenüber einer „hellenistischen“ Prägung des Neuen Testaments und des Urchristentums vertreten,3 sei lediglich angemerkt, dass eine solche Entgegensetzung wohl keiner einzigen der zeitgenössischen Quellen des antiken Judentums, sei es literarischen oder nichtliterarischen, solchen aus Palästina oder aus anderen Teilen der hellenistisch-römischen Welt, angemessen wäre. Wie aber kamen frühchristliche Impulse an in der römischen Welt der ersten Jahrhunderte nach Christus? Diese Frage lässt sich vielleicht etwas besser beantworten, wenn beide Seiten, das frühe Christentum und die hellenistisch-römische Alltagskultur, in wechselseitiger Wahrnehmung erfasst werden. Das jedenfalls war die Grundidee des Leipziger CJHNT-Symposiums, die anknüpft an die beiden vorangehenden, bei denen jeweils ein literarischer Zeuge des hellenistischen Judentums, Philon und Josephus, im Mittelpunkt des Interesses gestanden hatte. Gerade im Vergleich zu den beiden Vorgängersymposien liegen aber auch die besonderen Herausforderungen einer solchen Konferenz zur Alltagskultur auf der Hand: Das Quellenmaterial, dem wir uns hier widmen, ist im Gegensatz zu den überlieferten Werken Philons und des Josephus äußerst disparat. Es umfasst textliche und materiale (nonverbale) Zeugnisse, Quellen, die geographisch und chronologisch weit auseinander liegen, ebenso wie Belege, deren lokale, politische, soziale und zeitgeschichtliche Kontexte oft nur ganz unzureichend erkennbar sind. Für die Analyse und Interpretation dieser Zeugnisse sind unterschiedliche wissenschaftliche Methoden und Kompetenzen erforderlich, über die Neutestamentler ihrer Ausbildung und Profession nach in der Regel nicht verfügen. Wenn wir es dennoch gewagt haben, diese vielfältigen und verschiedenartigen Quellen auf einem einzigen Symposium zu bearbeiten, so war das nur dadurch gerechtfertigt, dass Fachkol3 Vgl. nur die Kritik an Martin Hengel bei UDO S CHNELLE, Paulus und Epiktet – zwei ethische Modelle, in: F. W. Horn / R. Zimmermann (Hg.), Jenseits von Indikativ und Imperativ. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik / Contexts and Norms of New Testament Ethics. Bd. I, WUNT 238, Tübingen 2009, 137–158, 138 Anm. 4.

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legen aus den relevanten Arbeitsgebieten zur Mitarbeit bereit waren und ihre spezifischen Kompetenzen in die gemeinsame Arbeit eingebracht haben.4 Nur die Zusammenarbeit mit allen an der hellenistisch-römischen Antike arbeitenden Fachdisziplinen kann diejenige Welt erschließen, in der das Christus-Evangelium seine ersten Adressaten und Anhänger fand. Der folgende Beitrag möchte im Rahmen der genannten Konzeption an einem Beispiel zeigen (bzw. wenigstens die Frage stellen), wie in christlichen Gemeinden Kleinasiens, die sich in einem religiösen Milieu entfalteten, das durch pagane ebenso wie durch frühjüdische Traditionen beeinflusst war, Impulse des frühen Christentums rezipiert werden konnten. Dazu wähle ich als neutestamentlichen Bezugspunkt den Jakobusbrief, der ja selbst offenkundig Prägungen durch frühjüdische wie hellenistisch-römische Traditionen aufweist. Für das hellenistisch-jüdische Milieu Kleinasiens ziehe ich jüdische Inschriften aus der Kaiserzeit und der Spätantike zum Vergleich heran, ohne damit den Jakobusbrief selbst (oder auch nur seine Rezeption) speziell in dieser Region ansiedeln zu wollen – angesichts der Quellenlage sind wir ja immer darauf angewiesen, mit entsprechender methodischer Vorsicht Analogieschlüsse zu ziehen. Die pagane hellenistisch-römische Welt Kleinasiens soll – auch hier wieder ganz exemplarisch – durch ein Inschriftencorpus repräsentiert werden, das wenigstens punktuell einen Bereich religiösen Alltagslebens illustrieren kann, die so genannten „Beichtinschriften“. Das Themenfeld, auf dem sich die folgenden Beobachtungen ansiedeln, betrifft das Ethos frühchristlicher Gemeinden im Rezeptionsmilieu des kaiserzeitlichen und spätantiken Kleinasien. Auch dafür scheint der Jakobusbrief ein geeignetes Exempel, gilt er doch innerhalb des Neuen Testaments als ein vorwiegend paränetisch-ethisch bzw. „weisheitlich“ ausgerichteter Text. Dass damit sein spezifisches theologisches Potential möglicherweise unterschätzt wird, ist in jüngeren Arbeiten zum Jakobusbrief zunehmend deutlich geworden.5 Hier soll aber der Brief in erster Linie mit

4 Vgl. die Beiträge von Walter Ameling, Renate Pillinger, Achim Lichtenberger und Reinhold Scholl in diesem Band. 5 KARL-W ILHELM NIEBUHR, „A New Perspective on James“? Neuere Forschungen zum Jakobusbrief, ThLZ 129 (2004), 1019–1044; DERS., James in the Minds of the Recipients. A Letter from Jerusalem, in: K.-W. Niebuhr / R. W. Wall (Hg.), The Catholic Epistles and Apostolic Tradition, Waco 2009, 43–54; DERS., Ethik und Anthropologie nach dem Jakobusbrief. Eine Skizze, in: Horn/Zimmermann, Jenseits von Indikativ und Imperativ (s. Anm. 3), 329–346; engl. Übers.: Ethics and Anthropology in the Letter of James: an Outline, in: J. W. van Henten / J. Verheyden (Hg.), Early Christian Ethics, Leiden (im Druck). Zum Zusammenhang zwischen ethischer Orientierung und theologischer Begründung im Jakobusbrief vgl. jetzt auch MATTHIAS KONRADT, Werke als Handlungsdimension des Glaubens. Erwägungen zum Verhältnis von Theologie und Ethik im

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Blick auf die ethischen Vorgaben für seine Rezeption im frühen Christentum Kleinasiens herangezogen werden. Mit dem Begriff „Ethos“ greife ich dabei eine Kategorie auf, die in jüngerer Zeit mehrfach bei der Beschreibung von Identitätsbildungsprozessen im frühen Christentum und im antiken Judentum herangezogen worden ist.6 Ohne diese spezifische Fragerichtung hier weiterführen zu wollen, übernehme ich mit ihm lediglich seine Funktion, habitualisierte Verhaltensweisen und religiöse Überzeugungen, also kulturell und religiös vorgeprägte Lebens- und Glaubensweisen zu beschreiben, die nicht jeweils im Einzelfall ihrer Anwendung noch weiterer eigenständiger Begründungen bedürfen, sondern unhinterfragt und in der Regel auch unreflektiert zur Geltung kommen.7 Gerade im Blick auf nichtliterarische Zeugnisse für den Kontext, in dem neutestamentliche Texte entstanden sind und verstanden wurden, scheint mir diese Kategorie besonders geeignet, da in dieser Quellengattung in aller Regel keine expliziten Begründungen für das geforderte oder beschriebene Verhalten bzw. die ausgedrückten Überzeugungen gegeben werden. Leitfrage eines solchen Ansatzes, die freilich in den folgenden Ausführungen allenfalls ansatzweise beantwortet werden kann, ist eine möglichst differenzierte Erfassung des Zusammenhangs zwischen habitualisierten kulturellen und religiösen Traditionen und spezifischen religiösen Neuprägungen, wie er etwa bei der Herausbildung und Durchsetzung einer neuen Religion wie des Christentums in der römischen Kaiserzeit und der Spätantike zu beobachten sein könnte. Nichtliterarische, in diesem Fall epigraphische Zeugnisse, und neutestamentliche Texte, in diesem Fall der Jakobusbrief, können möglicherweise in wechselseitiger Wahrnehmung zur Erhellung solcher Prozesse beitragen.

Jakobusbrief, in: Horn/Zimmermann, Jenseits von Indikativ und Imperativ (s. Anm. 3), 309–327. 6 Vgl. MICHAEL W OLTER, Ethos und Identität in paulinischen Gemeinden, NTS 43 (1997), 430–444; DERS., Die ethische Identität christlicher Gemeinden in neutestamentlicher Zeit, in: W. Härle / R. Preul (Hg.), Woran orientiert sich Ethik?, MJTh 13, Marburg 2001, 61–90. Für den Bereich des antiken Judentums verweise ich hier summarisch auf den Band: M. Konradt / U. Steinert (Hg.), Ethos und Identität. Einheit und Vielfalt des Judentums in hellenistisch-römischer Zeit, Paderborn u.a. 2002. 7 Vgl. dazu Näheres mit Blick auf das Frühjudentum bei KARL-W ILHELM NIEBUHR, Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora, in: Konradt/ Steinert, Ethos und Identität (s. Anm. 6), 27–50, 27–29.

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1 Jesuanisches Ethos im Jakobusbrief Für die Frage nach der Herausbildung und den Konturen eines christlichen Ethos hat der Jakobusbrief insofern herausgehobene Bedeutung, als hier das Verhältnis zwischen einem nachösterlichen Textzeugnis des Neuen Testaments und dem vorösterlichen Wirken Jesu exemplarisch bedacht werden kann. Das ergibt sich schon aus der impliziten Kommunikationssituation des Textes als eines Briefes des Herrenbruders an die „zwölf Stämme in der Diaspora“.8 Wenn man die Konturen des Gottesverständnisses, des Menschenbildes und der Ethik des Jakobusbriefes mit dem Wirken Jesu in Beziehung setzt, treten Kontinuitäten in den Blick, die auch im Sinne von Grundimpulsen Jesu für das Ethos des Neuen Testaments entfaltet und interpretiert werden können. Dies gilt ganz unabhängig von der Beantwortung der Frage nach dem „historischen“ Autor des Briefes9 oder auch vom Nachweis traditionsgeschichtlicher Verbindungen zwischen einzelnen Textstücken im Jakobusbrief und Teilen der Jesusüberlieferung.10 Maßgebliche Koordinaten für ein „Ethos Jesu“, wie es hier vorausgesetzt wird, ohne im Einzelnen aufgewiesen werden zu können,11 lassen sich herleiten vom Gottesverständnis Israels in Gestalt der in sich vielfältigen Ausprägungen frühjüdischer Religion, von der Tora als Gottes heilsamem Willen für Israel, wie sie insbesondere in den wiederum in sich vielfältigen Formen frühjüdischer Toraparänese rezipiert wurde, sowie von einem Menschenbild, das durch die Horizonte der Schöpfung Gottes, der Zugehörigkeit zum Gottesvolk Israel sowie der endzeitlichen Gegenwart der Gottesherrschaft im Wirken Jesu bestimmt ist. Die Verkündigung dieser endzeitlichen Gegenwart der Gottesherrschaft in seiner eigenen Gegenwart bildete den Kern und das eschatologisch und soteriologisch Neue des Wir-

8

Zur im Brief selbst vorausgesetzten Rezeption des Schreibens vgl. Näheres bei NIE-

BUHR, James in the Minds of the Recipients (s. Anm. 5), 44–48. 9 Ich greife im folgenden Abschnitt auf Überlegungen zurück,

die ich im Rahmen einer in Arbeit befindlichen neutestamentlichen Anthropologie entwickelt und bereits in zwei Aufsätze zum Jakobusbrief einfließen lassen habe, vgl. KARL-WILHELM NIEBUHR, Die Seligpreisungen in der Bergpredigt nach Matthäus und im Brief des Jakobus. Zugänge zum Menschenbild Jesu?, in: Neutestamentliche Exegese im Dialog. Hermeneutik – Wirkungsgeschichte – Matthäusevangelium (FS U. Luz), hg. v. P. Lampe u.a., NeukirchenVluyn 2008, 275–296; DERS., Ethik und Anthropologie nach dem Jakobusbrief (s. Anm. 5). 10 Vgl. dazu zuletzt JOHN S. KLOPPENBORG, The Reception of the Jesus Tradition in James, in: Niebuhr/Wall, The Catholic Epistles and Apostolic Tradition (s. Anm. 5), 71– 100. 11 Etwas näher entfaltet habe ich dies in KARL-W ILHELM NIEBUHR, Jesus’ „Conception of Man“ as an Expression of his „Ethics“, in: R. Zimmermann / J. van der Watt (Hg.), Moral Language in the New Testament, WUNT II/296, Tübingen 2010, 89–104.

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kens Jesu in Wort und Tat und damit die Basis für ein spezifisch jesuanisches Ethos. Wenn sich der Autor des Jakobusbriefes – wer immer es historisch gewesen sein mag – im Präskript als „Gottes und des Herrn Jesu Christi Sklave“ vorstellt, dann unterstellt er damit implizit sämtliche im Brief folgenden Mahnungen, Weisungen und Zusagen „an die zwölf Stämme in der Diaspora“ der Autorität Jesu, als dessen leiblicher Bruder er sich allein durch seinen Namen den Briefadressaten zweifelsfrei zu erkennen gibt. Das Ethos, das sich aus dem Jakobusbrief erheben lässt, muss also im Sinne der Autorintention als „jesuanisch“ angesehen werden, womit natürlich nicht ein nach neuzeitlichen Kriterien historisch rekonstruiertes Jesusbild gemeint sein kann, sondern allein dasjenige, das sich den Adressaten aus dem Brieftext und aus ihrem Vorwissen über Jesus nahelegt. Demnach kann Jesus für sie nicht allein als leiblicher Bruder des Briefschreibers verstanden werden, sondern muss zugleich als ¶  (1,1) im Sinne der Gottesaussagen des Alten Testaments geglaubt und bekannt werden, dem sogar die göttliche ^› zugesprochen wird (2,1). Die Aussagen über den Glauben (%‘ , vgl. 1,3f.6f; 2,1.5.14–26; 5,15) und über das Heil schaffende Wort Gottes (› @‘, 1,18; vgl. 2,7), dem sich das neue Leben der (zweifellos christlichen) Briefadressaten verdankt, sind offenbar vom Christusgeschehen her zu verstehen, ohne dass dessen theologische, christologische und soteriologische Grundzüge nach dem Verständnis des Autors und der Adressaten genau rekonstruiert werden könnten. Sie werden eben im Brief nirgends näher expliziert.12 Insofern gehören sie eher zum „Ethos“, das im Brief bei Autor und Adressaten vorausgesetzt ist, als zu seiner explizit entwickelten theologischen Lehre. Auch Grundzüge des Gottesverständnisses, des Menschenbildes, der Ethik und der Endzeiterwartungen im Jakobusbrief können im Sinne einer österlichen Transformation von Grundimpulsen Jesu verstanden werden. Zentral für das Gottesverständnis des Briefes ist nicht bloß die Einheit des Gottes Israels,13 sondern mehr noch seine schenkende und helfende Zuwendung zu dem, der Gutes von ihm erwartet,14 freilich ebenso sein heimsuchendes Gericht über die Sünde der Menschen.15 Menschsein nach den Maßstäben des Jakobusbriefes realisiert sich in erster Linie in einer Haltung des Bittens und Empfangens guter Gaben von Gott, freilich zugleich 12 Das bedeutet nicht, dass die Suche nach solchen theologischen, christologischen und soteriologischen Grundzügen im Jakobusbrief aussichtslos wäre, wie man eindrücklich an der Monographie von MATTHIAS KONRADT, Christliche Existenz nach dem Jakobusbrief. Eine Studie zu seiner soteriologischen und ethischen Konzeption, StUNT 22, Göttingen 1998, lernen kann. 13 2,19; 4,12. 14 1,5f.12.17.21; 2,5. 15 1,15; 2,9–11; 4,4f.9f.12; 5,1–6.

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auch, daraus entspringend, im Ausleben dessen, was der Mensch von Gott empfangen hat.16 Richtlinie für das in diesem Sinne vom Menschen geforderte Tun ist der Wille Gottes, wie er in der Tora grundsätzlich fixiert ist, freilich auf dieser Basis in konkreten Alltagsentscheidungen jeweils eigenständig aufgefunden und ins tägliche Leben umgesetzt werden muss. Dazu dient die ethische Unterweisung und Ermahnung im Brief, die im Wesentlichen den Bahnen frühjüdischer Toraparänese folgt. Die Tora bietet dort wie hier die Israel von Gott gegebene Grundlage und Ermöglichung für ein Tun und eine Haltung in Verantwortung vor ihm und gegenüber den Mitmenschen. In diesem Sinne sind Hören und Tun, „Glaube und Werke“ auch im Jakobusbrief einander zugeordnet und im vorlaufenden heilsamen Handeln Gottes an den Menschen verwurzelt. Konkretisiert wird das Tun des Menschen im Jakobusbrief, ebenfalls ganz frühjüdischer Toraparänese entsprechend, hinsichtlich bestimmter Anwendungsfelder wie der Sozialethik,17 der Sexualethik18 und, besonders akzentuiert, der so genannten „Zungensünden“.19 Für das Gottes- und das Menschenbild des Jakobusbriefes ebenso wie für seine Ethik und seine Endzeiterwartungen sind darüber hinaus Motive, Sprachformen, Vorstellungen und bisweilen sogar wörtliche Zitate aus der biblisch-jüdischen Überlieferung erkennbar prägend.20 Von daher hat man den Brief bisweilen sogar als ein jüdisches Werk mit lediglich oberflächlichen, vielleicht sogar sekundären christlichen Einschlägen ansehen wollen.21 Wenn eine solche Sicht auch angesichts der oben benannten eindeutig christlichen Grundaussagen dem Brief unangemessen ist, so bleibt doch seine Zuordnung zu Texten der hellenistisch-frühjüdischen Literatur berechtigt, insbesondere mit Blick auf frühjüdische Diasporabriefe.22 Das 16

1,22–27; 2,8–13. 1,9f.27; 2,1–7.15–17; 5,1–6. 18 Im Jakobusbrief eher am Rande, vgl. 2,11. 19 1,26; 3,1–12.14; 4,11f; 5,12. Dass in der frühjüdischen Toraparänese bestimmte Anwendungsfelder gelegentlich besonders ausgeweitet werden können, die im Wortlaut der Tora selbst nur relativ geringes Gewicht haben, zeigen z.B. das Beschneidungs- oder das Sabbatgebot, im Bereich des Ethos etwa auch das Verbot von Mischehen. Vgl. zum Ganzen KARL-WILHELM NIEBUHR, Gesetz und Paränese. Katechismusartige Weisungsreihen in der frühjüdischen Literatur, WUNT II/28, Tübingen 1987. 20 Vgl. nur 2,8.11.23.25; 4,6; 5,2.4f.11. 21 Klassischer Vertreter dieser heute weitgehend aufgegebenen These war ARNOLD MEYER, Das Rätsel des Jacobusbriefes, BZNW 10, Gießen 1930. 22 Vgl. dazu MANABO TSUJI, Glaube zwischen Vollkommenheit und Verweltlichung. Eine Untersuchung zur literarischen Gestalt und zur inhaltlichen Kohärenz des Jakobusbriefes, WUNT II/93, Tübingen 1997, 5–50; KARL-WILHELM NIEBUHR, Der Jakobusbrief im Licht frühjüdischer Diasporabriefe, NTS 44 (1998), 420–443; DONALD J. VERSEPUT, Genre and Story. The Community Setting of the Epistle of James, CBQ 62 (2000), 96– 110, sowie zuletzt LUTZ DOERING, First Peter as Early Christian Diaspora Letter, in: 17

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schließt natürlich Beziehungen zu paganen Konventionen und Konzeptionen keineswegs aus, sondern lässt sie vielmehr gerade in diesem Kontext umso prägnanter hervortreten. Mit dem Gesagten kann man den Jakobusbrief also geradezu als Paradebeispiel für Möglichkeiten, Ziele und Herausforderungen an das Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti ansehen. Im Folgenden sollen dazu unter Verweis auf nichtliterarische, speziell epigraphische Zeugnisse aus römischer Zeit ein paar weiterführende Anregungen gegeben werden.

2 Inschriften aus Kleinasien als Zeugnisse für ein religiös bestimmtes Ethos Die Funktion der folgenden Hinweise auf Inschriften aus Kleinasien ist begrenzt. Es kann nicht darum gehen, traditionsgeschichtliche oder gar historische Linien zwischen einzelnen Aussagen im Jakobusbrief und den hier herangezogenen epigraphischen Zeugnissen aufzuweisen. Dazu fehlen sowohl mit Blick auf die Entstehungsverhältnisse des Jakobusbriefes als auch hinsichtlich der verwendeten Inschriftencorpora ausreichend gesicherte Informationen. Weder nehme ich an, dass die Auftraggeber oder Hersteller der Inschriften den Jakobusbrief kannten, noch dass der Briefautor mit Konventionen und Intentionen der Erstellung solcher Inschriften vertraut war. Mir geht es lediglich darum, anhand von ausgewählten Inschriften aus Kleinasien ein Rezeptionsmilieu zu erschließen, in dem der Jakobusbrief ebenso wie andere neutestamentliche Texte ihre Leser finden konnten. Den äußeren Anknüpfungspunkt für eine solche Fragestellung bildet allein die Benennung der Adressaten im Präskript des Briefes als „die zwölf Stämme in der Diaspora“. Ich befrage die Inschriften also lediglich daraufhin, was sie bezüglich einer möglichen Rezeption und Interpretation solcher neutestamentlichen Aussagen wie derjenigen des Jakobusbriefes im religiösen Kontext von Judentum, Christentum und paganer Religion in Kleinasien zu erkennen geben. Für die im Folgenden herangezogenen jüdischen Inschriften stütze ich mich auf den einschlägigen Band des Corpus der Inscriptiones Judaicae Orientis von Walter Ameling,23 darüber hinaus für die christlichen InNiebuhr/Wall, Catholic Epistles and Apostolic Tradition (s. Anm. 5), 215–236; DERS., Jeremiah and the „Diaspora Letters“ in Ancient Judaism: Epistolary Communication with the Golah as Medium for Dealing with the Present, in: K. de Troyer / A. Lange (Hg.), Reading the Present in the Qumran Library. The Perception of the Contemporary by Means of Scriptural Interpretations, SBL Symposium Series 30, Atlanta 2005, 43–72. 23 W ALTER A MELING (Hg.), Inscriptiones Judaicae Orientis. Bd. II: Kleinasien, TSAJ 99, Tübingen 2004 (= IJO II).

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schriften auf die Sammlung Early-Christian Epitaphs from Anatolia von Gary J. Johnson24 sowie für die kleinasiatischen Beichtinschriften auf die Edition von Georg Petzl,25 ergänzt durch einzelne weitere von Peter Herrmann und Hasan Malay publizierte Inschriften aus derselben Region.26 Diese Auswahl dokumentiert nicht bloß meine begrenzte epigraphische Kompetenz, sondern hat zugleich auch heuristische Funktion. Es wird sich nämlich zeigen, dass bei vielen Inschriften eine sichere Identifikation als jüdisch, christlich oder pagan gar nicht möglich ist. Genau dieser Befund scheint mir aber hinsichtlich der hier ins Auge gefassten Rezeptionsmilieus für neutestamentliche Texte aufschlussreich und lässt sich vielleicht auch mit Blick auf die Funktion nichtliterarischer Quellen im Rahmen des CJHNT verallgemeinern. Offenkundig spiegeln die Inschriften ein Milieu, das durch allgemeine epigraphische Konventionen der hellenistisch-römischen Zeit, speziell der römischen Kaiserzeit, weit stärker geprägt ist als durch spezifische religiöse Traditionen, seien es jüdische, christliche oder pagane. Gleichwohl wird zu fragen sein, ob nicht angesichts einer solchen ‚epigraphischen koine+ bestimmte Aussagen neutestamentlicher Texte, im speziellen Fall des Jakobusbriefes, doch von den Inschriften her noch einmal in einem neuen Licht erscheinen, wenigstens was ihre zu vermutende Rezeption von der römischen Kaiserzeit an bis in die Spätantike betrifft. Natürlich muss zugleich auch diese Auswahl der herangezogenen Inschriftencorpora in ihrer Relevanz wieder eingegrenzt werden. Zwar stammen alle hier betrachteten Inschriften aus Kleinasien, aber weder chronologisch noch lokal lassen sie sich spezifischen Milieus zuweisen. Die Datierungen reichen im Wesentlichen vom 2. bis ins 5. Jh. Die Regionen, aus denen die Inschriften stammen, umfassen hauptsächlich das westliche Kleinasien mit Schwerpunkten in Karien, Lydien und Phrygien, lassen sich aber (abgesehen von den Beichtinschriften) nicht auf einzelne Ortslagen oder auch nur Regionen eingrenzen. Inhaltlich konzentriere ich mich im Folgenden auf Belege für das in den Inschriften hervortretende Ethos. Besonderes Gewicht kommt dabei einerseits im engeren Sinne ethischen Aussagen, also Verhaltensweisen, Mahnungen und Wertbegriffen, zu, darüber hinaus Verweisen auf (einen) Gott (in der Regel als Richter und Rächer für Vergehen) sowie Hinweisen auf religiöse Überzeugungen oder Autoritäten, die dem betreffenden Ethos zugrunde liegen. Als Inschriftengattungen kommen angesichts der herange24 GARY J. J OHNSON, Early-Christian Epitaphs from Anatolia, SBL.TT 35, Atlanta 1995 (= ECEA). 25 GEORG P ETZL (Hg.), Die Beichtinschriften Westkleinasiens, Epigraphica Anatolica 22, 1994 (= BWK). 26 PETER HERRMANN / HASAN MALAY, New Documents from Lydia. With 103 Figures and a Map, Ergänzungsbände zu den Tituli Asiae Minoris 24, Wien 2007 (= NDFL).

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zogenen Corpora in erster Linie Epitaphien, darüber hinaus Votiv- und Stifterinschriften in Frage. 2.1 Jüdische Inschriften aus Kleinasien Beginnen wir bei den jüdischen Inschriften mit den recht zahlreichen Epitaphien aus Hierapolis in Phrygien.27 Ihre Identifizierung als jüdisch hängt, wie bei den Inschriften allgemein, meist allein an entsprechenden ausdrücklichen Zusätzen zum Namen des Begrabenen oder dem seiner Verwandten.28 Hinweise auf die Tora als jüdisches Erkennungszeichen gibt es sehr selten und z.T. nur schwer sicher identifizierbar, allenfalls im Zusammenhang mit Berufsbezeichnungen oder bestimmten biographischen Merkmalen.29 Darüber hinaus lassen sich gelegentlich Inschriften anhand spezifischer Symbole wie der Menorah oder des Lulav als jüdisch identifizieren. Nur bei sehr späten Inschriften finden sich manchmal auch hebräische Wörter oder Schriftzeichen.30 Ansonsten folgen die jüdischen Grabinschriften weitgehend den üblichen Mustern für Epitaphien: Bezeichnung der Grabstelle und ihres Eigentümers, Namen der dort schon und/oder künftig noch Begrabenen, gegebenenfalls deren nähere persönliche Merkmale (Verwandtschaftsverhältnisse, Herkunft, Berufe, Ehrentitel), das Verbot fremder Nutzung oder Schändung der Grabstelle, die Festlegung einer Grabmult bei Zuwiderhandlung und eine Benennung der Adressaten für entsprechende Zahlungen sowie gelegentlich Verweise auf Abschriften in Archiven.31 Spezifisch jüdische Merkmale können, müssen aber keineswegs immer in die genannten Formelemente der Epitaphien einfließen, etwa wenn als Aufbewahrungsort der Kopie der Inschrift ein „Archiv der Juden“ genannt wird32 oder als Empfänger der Grabmult „das Volk der Juden“33 bzw. „die allerheiligste Syna27

IJO II, Nr. 187–209. Vgl. den Index „3. Geographica und Ethnica“ in IJO II, 596–598, s.v. õ!‹, Ê€^‘, Ë€‘@. Eindeutig jüdisch (oder vielleicht christlich?) zu identifizieren sind wohl auch die unter „1. Personennamen“, IJO II, 582–596, s.v. !!¡ , Ê Ì!, ʶ^, Ê¡ , Ê*˜, Ê*•`, Ê*¶, ÊÌ`, ‹, ‘,  ˜, Ì@, Ô!’ , Ô€!• , Å!!¡ , Ř, Å€•, Å¡, ŀÌ , Aufgeführten (Orthographie jeweils nach der Schreibung im Index bei Ameling). 29 Vgl. z.B. IJO II, Nr. 63 (dazu AMELING, a.a.O. 238f); Nr. 14 (AMELING, a.a.O. 87f). 30 Vgl. z.B. für Akmoneia IJO II, Nr. 170 (4. Jh.). Zu den Kriterien für die Aufnahme in ein Corpus jüdischer Inschriften vgl. insgesamt AMELING, IJO II, 8–21. 31 Vgl. zur Einführung auch PIETER W. VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs. An introductory survey of a millennium of Jewish funerary epigraphy (300 BCE – 700 CE), CBET 2, Kampen 1991. 32 IJO II, Nr. 205. 33 IJO II, Nr. 206. 28

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goge“ erscheint.34 Irgendwelche religiösen Aussagen, etwa über Zukunftserwartungen bzw. -hoffnungen, fehlen hier, offenbar gattungsbedingt, völlig.35 Bezeichnend für die Benennung der religiösen Identität des Urhebers der Inschrift und damit für sein Ethos ist eine besonders ausführlich gehaltene Inschrift auf dem Sarkophag eines Glykon.36 Nach einer Beschreibung des Grabbauwerks, der konventionellen Benennung des Grabeigentümers, seiner Frau und seiner künftig dort zu begrabenden Kinder sowie dem Verbot von Fremdbestattungen werden hier mehrere Stiftungen von „Kranzgeldern“ aus seinem Nachlass genannt, aus deren Zinsertrag jährlich zu bestimmten Tagen das Grab geschmückt werden soll: Er hinterließ auch dem ehrwürdigsten Vorstand der Purpurfärber an Kranzgeld (` * [\] [^@ ¡ ]) 200 Denare, damit jedem von den Zinsen sein Anteil gegeben werde im 7. Monat, am Fest der ungesäuerten Brote (| ¥ Ã¥   œ¶* ). Ebenso hinterließ er dem Verein der Teppichweber (?) an Kranzgeld 150 Denare, wovon sie selbst die Zinsen ausgeben werden, indem sie die Hälfte am Fest der Kalenden (| ¥ Ã¥  

 ^  ) verteilen, im vierten Monat, am achten Tag, und die Hälfte am Fest des 50. Tages (| ¥ Ã¥ ˜ % @ ˜).

Die größte (im Vergleich zum Üblichen aber eher kleine) Summe ist für den Grabschmuck zum Passafest bestimmt, eine etwas kleinere zu gleichen Teilen für das „Fest der Kalenden“ und das „Fest des 50. Tages“, also das jüdische Wochenfest. Zwischen zwei spezifisch jüdischen Jahresfesten – über deren Begehung in der Diaspora wir freilich recht wenig wissen37 – steht hier ein paganes. Ob der Bestattete und seine Angehörigen neben den jüdischen Festen auch selbst die Kalenden des Januar festlich begangen haben oder ob durch den Grabschmuck zu diesem Fest lediglich deren öffentliche Bedeutung in der Stadt herausgestellt werden sollte, vielleicht sogar die Empfänger der betreffenden Stiftung selbst gar keine Juden waren, muss und kann hier offen bleiben. Für das Ethos, das aus der Inschrift spricht, ist jedenfalls die unterschiedslose Aneinanderreihung der drei Feste bezeichnend. Vergleichbar erscheint eine Inschrift auf einem kleinen Grabaltar aus Akmonia in Phrygien, die eine Stiftung von Gartenwerkzeug (zwei Hacken, eine Schaufel und ein Spaten) bezeugt, versehen

34

IJO II, Nr. 191. Zu den Zukunftserwartungen in jüdischen Grabinschriften insgesamt vgl. JOSEPH S. PARK, Conceptions of Afterlife in Jewish Inscriptions. With Special Reference to Pauline Literature, WUNT II/121, Tübingen 2000; s. dazu aber auch die ausführliche kritische Rezension von ROLAND DEINES, ZDPV 120 (2004), 86–96. 36 IJO II, Nr. 196 (nach 212 n. Chr.). 37 Vgl. GERHARD DELLING, Die Bewältigung der Diasporasituation durch das hellenistische Judentum, in: DERS., Studien zum Frühjudentum. Gesammelte Aufsätze 1971 – 1987, hg. v. C. Breytenbach / K.-W. Niebuhr, Göttingen 2000, 23–121, 63–70. 35

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mit der Auflage, daß sie jedes Jahr (das Grab) meiner Gattin Aurelia … mit Rosen schmücken. Wenn sie es nicht jedes Jahr mit Rosen schmücken wollen, sollen sie sich vor der Gerechtigkeit Gottes verantworten ([£] ‹ % [] [—] ^  ¶[ @ ] \ \).38

Offenbar steht hier das ursprünglich römische Fest der rosalia im Hintergrund, das schon früh auch von den Christen aufgenommen und beibehalten wurde.39 Die Inschrift endet mit einer Fluchformel gegen Zuwiderhandlungen, einer Variante der sogenannten „Eumeneian Formula“,40 die hier speziell auf die „Gerechtigkeit Gottes“ verweist. Eine Grabinschrift aus Nikomedeia in Bithynien41 unterstellt denjenigen, der das Grab fremdnutzt, dem Gericht Gottes und schließt mit einer Segensformel: Und ich will, daß nach meinem Hineinlegen kein anderer hineingelegt wird, wenn nicht mein Kind. Wer aber dagegen etwas tun wird, der soll sich vor dem Gericht Gottes verantworten (,· ‘ %   › ). Segen für alle (‘ %Í[ ]).42

Auch in einer Inschrift auf einem Familiengrab in Eumeneia begegnet ein theologisch untermauerter Fluch über denjenigen, der unbefugt das Grab nutzen sollte: In ihm wird auch seine Ziehschwester Philete begraben werden, und wenn er es zu Lebzeiten einem anderen gestatten wird. Wer aber versuchen sollte, einen anderen zusätzlich hineinzulegen, der wird vom unsterblichen Gott die ewige Geißel erhalten (•} %~ \  ¡€ \ ¡  Ì  ).43

In einer Grabinschrift aus Akmonia werden bei Fremdnutzung des Grabes gar die „Flüche, die im Deuteronomium aufgeschrieben sind“ angedroht (©  – ’  | š ð€ ‘Õ).44 Bei aller Konventionalität, 38

IJO II, Nr. 171 (nach 212 bzw. 215); AMELING, IJO II, 359, begründet gegen Ramsay u.a. den jüdischen Ursprung der Inschrift. 39 So AMELING, IJO II, 361. 40 S. dazu unten 270. 41 IJO II, Nr. 155 (Mitte 3. Jh.). 42 Nach AMELING, IJO II 329, beweist diese Segensformel den jüdischen Charakter der Inschrift. 43 IJO II, Nr. 186 (nach 212). Auch hier ist wieder mit Blick auf die Fluchformel jüdischer oder christlicher Ursprung zumindest diskutabel, vgl. AMELING, IJO II, 397f. 44 IJO II, Nr. 173 (datiert 248/9), vgl. auch IJO II, Nr. 172: ¡ "  ’  ‘ , am ausführlichsten IJO II, Nr. 174: |% ¡  €\ () "  | š ð€ ‘Õ  ’  š  () ’   () |›   () %  š ’  \ ’  . Eine Inschrift aus Apameia (IJO II, Nr. 179) verweist pauschal auf „das Gesetz der Juden“ ( › []  €^’* ). Gemeint sind offenkundig die Fluchreihen in Dtn 27f. Zu deren Bedeutung im Rahmen frühjüdischer Toraparänese vgl. NIEBUHR, Gesetz und Paränese (s. Anm. 19), 12–15. Der Name ð€ ›  für das fünfte Buch des Pentateuch geht zurück auf eine missverständliche Übersetzung der hebräischen Wendung mishneh-hattora in Dtn 17,18 LXX, wo eine „Abschrift

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die mit solchen Fluchformeln einhergeht, sollte man die Ernsthaftigkeit der religiös begründeten Gerichtsdrohungen nicht unterschätzen. Andernfalls verlören die Formeln ja wohl ihre Funktion!45 Besonders zahlreich und daher in vielerlei Hinsicht aufschlussreich sind die Stifterinschriften in der Synagoge von Sardeis in Lydien.46 Sie betreffen zumeist Stiftungen zur Ausstattung bzw. Renovierung der Synagoge und werden in das 4. Jahrhundert, bei Renovierungen sogar noch später datiert. Ich greife hier nur einen Aspekt auf, der im Blick auf das sich darin spiegelnde Ethos gerade im Vergleich mit dem Jakobusbrief interessant erscheint. Viele der Inschriften verweisen neben dem Stifter und dem Gegenstand der Stiftung formelhaft auch auf die Herkunft der dazu verwendeten finanziellen Mittel. Häufig begegnet dabei (im Unterschied zu der in Stifterinschriften üblichen Wendung |   ^‘* ) die Formulierung „aus den Gaben der Vorsehung“ (|   ˜ % ‘ ^¡* ).47 Gelegentlich wird diese Formel noch variierend erweitert.48 Einmal erscheinen freilich bezeichnenderweise als Quellen des Vermögens, aus dem die Stiftung finanziert werden soll, neben der Vorsehung auch „die Mühen unserer Eltern“ (     –  ¡* ); hier handelt es sich also offenbar um eine Erbschaft.49 des Gesetzes“ erwähnt wird, die der König Israels nach seiner Thronbesteigung anfertigen lassen soll. Als Buchtitel ist die griechische Bezeichnung freilich nur in (christlichen!) Septuagintahandschriften und in der Vulgata sowie lediglich zweimal bei Philo (LegAll III 175; Imm 50), nicht aber bei Josephus und sonst in der jüdisch-hellenistischer Literatur belegt. Sicheres Kriterium für jüdischen Ursprung der Inschriften ist die Bezeichnung somit nicht. 45 Zur Frage, in welcher Hinsicht die Inschrift als jüdisch zu bezeichnen ist und inwiefern die „Flüche des Deuteronomium“ für Juden, Heiden und Christen in Kleinasien Bedeutung haben konnten, vgl. AMELING, IJO II, 367f; VAN DER HORST, Ancient Jewish Epitaphs (s. Anm. 31), 56–58; JOHAN H. M. STRUBBE, Curses against Violation of the Grave in Jewish Epitaphs of Asia Minor, in: J. W. van Henten / P. W. van der Horst (Hg.), Studies in Early Jewish Epigraphy, AGAJU 21, Leiden 1994, 70–128, 89f.; PAUL R. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor, MSSNTS 69, Cambridge 1991, 60–69. TREBILCO, a.a.O., 67f, urteilt: „The inscriptions presume an amount of knowledge on the part of any reader and a great deal of respect for this Book, or perhaps for the God whose curses were written in the Book. The mere mention of ‚Deuteronomy‘ is presumed to be a sufficient deterrent.“ Zu Fluchformeln auf griechischen Inschriften Kleinasiens vgl. umfassend JOHAN H. M. STRUBBE (Hg.), Arai epitymbioi. Imprecations against desecrators of the grave in the Greek epitaphs of Asia Minor. A Catalogue, Inschriften griechischer Städte aus Kleinasien 52, Bonn 1997. 46 IJO II, Nr. 60–145. 47 So (oder ähnlich) IJO II, Nr. 77, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 132. 48 IJO II, Nr. 90: |   ^*  \ %  ¡ (\); IJO II, Nr. 91: |[  

\ ?]\ [^*  …], vgl. auch IJO II, Nr. 19 (Aphrodisias, 4. Jh.): |   \ \ ^¡* . 49 IJO II, Nr. 124.

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Wieweit solche Abwandlungen und Erweiterungen schon als gezielte theologische Vertiefungen zu verstehen sind, kann man natürlich fragen. Vermutlich darf man aber in dem Hinweis auf die himmlischen Quellen des Wohlstands, der offenbar bei jüdischen Auftraggebern von Inschriften besonders beliebt war, einen schönen Beleg für ihr religiös geprägtes Ethos bezüglich des Umgangs mit irdischem Vermögen sehen. Der inschriftlich ebenso belegte Verweis auf das eigene Vermögen bzw. die eigenen Mühen, mit denen es erworben wurde,50 verleiht dieser epigraphischen Konvention ihr spezielles Profil. Natürlich kann das schwerlich als Unterscheidungskriterium zwischen jüdischen, christlichen und paganen Inschriften dienen.51 Gleichwohl belegt es ein geistiges Milieu, in dem ein Satz wie der aus Jak 1,17 auf offene Ohren treffen konnte: „Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk ist von oben“ (%Í ^›  —  %Í

^Ì@ ’  ” *’ | ). 2.2 Christliche Inschriften aus Kleinasien Ob die oben genannten Epitaphien mit Fluchformeln gegen Fremdnutzer von Grabstellen jüdische oder christliche Urheber hatten, muss im Einzelfall offen bleiben. Wenigstens zeigt sich zumindest darin eine gewisse theologische Verwandtschaft von Juden und Christen, dass der Verweis auf den Gott, der im „Deuteronomium“ spricht, für beide Geltung haben konnte, unabhängig davon, welche weiteren spezifischen religiösen Vorstellungen sie mit ihrem Glauben an diesen Gott verbanden. Dass Gott Geber guter Gaben, aber auch strenger Richter ist, war wohl ebenfalls gemeinsame Glaubensüberzeugung von Juden und Christen, und auch auf die Flüche, „die im Deuteronomium aufgeschrieben sind“, konnten sich beide berufen. Wieweit auch Heiden solche Drohungen ernst nahmen, die mit einem Verweis auf das „Deuteronomium“ bzw. das „Gesetz der Juden“ ausgesprochen wurden, ist eine Frage, die kaum zu beantworten sein dürfte. Immerhin werden die Auftraggeber der zitierten Inschriften vermutlich davon ausgegangen sein, dass sie bei jedem in Frage kommenden Leser ihre Wirkung erzielen würden.

50

Vgl. dazu AMELING, IJO II, 282f. Vgl. AMELING, IJO II, 121f, zur Wendung |   \ ^¡* in einer Weiheinschrift aus Aphrodisias (IJO II, Nr. 19): „Im Hintergrund der Formel steht die Vorstellung, daß alle Dinge Gott gehören, und daß das, was der Mensch Gott gibt, ohnehin aus Gottes Hand stammt … Auch wenn die ‚Geschenke Gottes+ in unserem Text eher dem jüdischen Formular zu entsprechen scheinen, ist es letztlich doch nicht zu beweisen, daß es sich wirklich um eine jüdische Inschrift handelt, denn die Formel wird auch in christlichen Inschriften häufig benutzt … Selbst die Verwendung durch Heiden ist nicht ausgeschlossen …“ 51

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Sicherstes Kennzeichen für christliche Auftraggeber von Inschriften ist zweifellos die, freilich nur in nordwestphrygischen Inschriften belegte, Formel Christianoi Christianois, ein christliches Erkennungsmerkmal, das öfters noch durch spezifische Symbole bzw. Kürzel wie das ChristusMonogramm, das Alpha/Omega oder das Kreuzeszeichen bestätigt wird.52 Darüber hinaus gibt es natürlich weitere Erkennungszeichen für christliche Epitaphien wie etwa den Verweis auf das Martyrium53 oder die aramäische Wendung ÿ ù´ (Š  Š in griechischen Buchstaben auf einer Stele aus Salamis!).54 Dagegen lässt sich die so genannte „Eumeneian Formula“ , (£ š) %   › nicht eindeutig jüdischem oder christlichem Ursprung zuweisen,55 und selbst pagane Epitaphien scheinen vergleichbare Fluchformeln tragen zu können, wie die Sarkophaginschrift eines Aurelios Chrysogonos, Sohn des Aurelios Hermaios und seiner Frau Aurelia Artemis, aus Termessos zeigt, die als Empfänger der Grabmult „Zeus Solymos“ nennt.56 Oder wollte der Steinmetz mit dieser Bezeichnung in ihm vertrauter Weise den Gott Israels benennen? Jedenfalls erscheint in einer anderen Grabinschrift vom selben Ort offenbar dieselbe Aurelia Artemis, Tochter des Aurelios Hermaios, des Vaters des Aurelios Chrysogonos, ausdrücklich als Jüdin.57 Bei zwei Inschriften aus Eumeneia wird angenommen, dass es sich um christlich verarbeitete bzw. erweiterte Formulierungen mit jüdischem Einfluss handelt. Einmal lautet die Formel hier £ š %   ’

 \ \,58 das andere Mal £ š %   œ     \

 | ¥  ‘Õ –’%.59 Aber auch eine wegen der Formel „Christen für 52

Vgl. dazu JOHNSON, ECEA (s. Anm. 24), 39ff. ECEA, Nr. 4.2, 4.3, 4.4, 4.7. 54 ECEA, Nr. 4.1. 55 Vgl. dazu JOHNSON, ECEA, 41–43; AMELING, IJO II, 393ff, der eine erweiterte Fassung zitiert: £ š %   ’

 \ \. Die ganze Inschrift bei JOHNSON, ECEA, Nr. 1.24. JOHNSON, a.a.O. 42, urteilt: „The major danger in categorizing monuments which bear the Eumeneian Formula is (again) the danger of confusing Christians and Jews. Indeed, such confusion may well be unavoidable, since there is general agreement that both groups probably used the formula. However, Jewish use appears (given our present stage of knowledge) to be the exception, and Christian use appears to be the rule.“ 56 ECEA, Nr. 1.16:  £ š [] %  ½  ‡’ €. 57 IJO II, Nr. 216; AMELING, a.a.O. 453f, erwähnt und zitiert noch eine weitere Inschrift aus derselben Familie mit einer an Zeus Solymos zu zahlenden Grabmult (nach TAM III 1, 612). Darüber hinaus verweist er darauf, dass „Zeus Solymeus … der große Gott von Termessos“ war, „dem die Grabmult in zahlreichen Inschriften zugewiesen wird“, und dass die Solymoi als Ureinwohner Lykiens galten (a.a.O. Anm. 21). 58 ECEA, Nr. 1.24; vgl. dazu AMELING, IJO II, 394 Anm. 150. 59 Zitiert bei AMELING, a.a.O. 394f; weitere Belege für die Formel bei JOHNSON, ECEA, Nr. 2.16 bis 2.19. 53

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Christen“ eindeutig christliche Inschrift aus Kotiaeion in Phrygien endet mit einem unspezifischen Verweis auf das göttliche Gericht:  ›    []½ — ^ ‘  („Bei Gott, der du dies liest, tu kein Unrecht!“).60 Auf einer Grabstele aus Nikaia in Bithynien wird der Grabschänder folgendermaßen dem göttlichen Gericht unterstellt:   ›* ^Ì ›[ ] š | –’% ‘*.61 Weder die Konventionen der Formulierung noch auch theologisch derart ‚aufgeladene+ Wendungen wie die Fluchandrohungen für Grabschänder bieten somit ausreichende Kriterien für die sichere Unterscheidung zwischen jüdischen, griechischen oder paganen Grabinschriften. Auch darin zeigt sich ein charakteristischer Zug des Ethos, das sich in diesen inschriftlichen Zeugnissen spiegelt, dass die Glieder christlicher und jüdischer Gemeinschaften in Kleinasien offenbar wesentliche Auffassungen im Blick auf ein göttliches Gericht nicht nur miteinander, sondern auch mit ihrer paganen Umwelt teilten. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass Juden und Christen darüber hinaus auch noch andere, sehr viel spezifischer in ihren Glauben verwurzelte Überzeugungen über Gott als Richter und über ihr individuelles Geschick im Endgericht vertreten haben mögen. Immerhin mag es doch aber zu denken geben, dass solche Auffassungen offenbar in ihren Grabinschriften keinen Ausdruck gefunden haben. 2.3 Pagane Beichtinschriften aus Kleinasien Dieser letzte Aspekt tritt nun auch deutlich in den eindeutig paganen so genannten „Beichtinschriften“ („confessions“) aus Kleinasien vor Augen. Es handelt sich dabei um in Stein gemeißelte öffentliche Sündenbekenntnisse, oft mit bildlichen Darstellungen versehen, die sämtlich aus dem westlichen Kleinasien, vor allem aus ländlichen Gebieten in Lydien und Phrygien stammen und auf die Zeit zwischen 50 bis 250 n. Chr. datiert werden. Sie sind in der Regel so aufgebaut, dass nach Anrufung einer Gottheit62 die Vergehen des Auftraggebers der Inschrift bzw. seiner Vorfahren oder Angehörigen benannt werden, anschließend die von dem Gott 60 ECEA, Nr. 2.7; JOHNSON, a.a.O. 52, verweist auf „explicitly non-Christian dedications in northwestern Phrygia“ mit denselben Fluchformeln. 61 ECEA, Nr. 2.20 (Übers. Johnson: „the lawbreaker will give account to God on Judgement Day“). 62 Häufig begegnet der Gott Men/Meis, der offenbar in dieser Region in verschiedenen lokalen Ausprägungen besondere Verehrung genoss. Oft wird er auf den Stelen auch bildlich dargestellt, entweder aufrecht stehend mit Skeptron und phrygischer Kappe sowie über den Schultern mit einer nach oben offenen schmalen Mondsichel (Abbildungen bei PETZL, BWK, Nr. 3, 51, 52, 58, 61, 67; HERRMANN/MALAY, NDFL, Nr. 72) oder allein durch das Symbol der nach oben offenen Mondsichel (Abbildungen bei PETZL, BWK, Nr. 4, 5, 6, 18, 57, 59, 62, 63; HERRMANN/MALAY, NDFL, Nr. 51, 52, 70).

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als Strafe hervorgerufenen negativen Folgen, die er bzw. sie deswegen zu erleiden hatte(n) (meist Krankheiten oder Tod, der eigene oder der von Angehörigen). Es folgen die Sanktionen der Gottheit, meist die Errichtung der betreffenden Stele, aber auch materielle Leistungen an den Gott sc. das Tempelpersonal oder Ausgleichszahlungen an Geschädigte, und schließlich Aussagen über Gnadenerweise des Gottes (z.B. Heilungen) und Dankesbezeugungen an ihn.63 Die Vergehen, die hier gebeichtet werden, sind zum großen Teil kultischer Art: das Betreten des Tempels eines Gottes oder seines Bezirks im unreinen Zustand,64 der Verzehr von Speisen, von denen nicht zuvor die vorgeschriebenen Opferanteile dargebracht worden waren,65 mangelhafte oder unreine Kultteilnahme,66 Nichteinlösung von Gelübden,67 wissentliche oder unwissentliche Nutzung von Erträgen aus Tempelgrundstücken,68 das Weiden von Vieh im Tempelhain.69 Manchmal werden die Vergehen nicht konkret benannt, entweder weil sie dem Auftraggeber und seinem Umfeld ohnehin bekannt waren, oder weil es sich um unwissentliche Sünden handelt, die nicht einmal dem Sünder selbst bekannt waren, deren Folgen, etwa Krankheit, er aber spürbar zu tragen hatte.70 In einem Fall besteht das Vergehen einer Kranken darin, Ärzte konsultiert zu haben, ohne zuvor den Gott anzurufen.71 Öfters handelt es sich bei den gebeichteten 63

Vgl. dazu ausführlich PETZL, BWK (s. Anm. 25), VII–XVIII. Zahlreiche der im Folgenden herangezogenen Inschriften werden auch behandelt bei GEORG PETZL, Die Beichtinschriften im römischen Kleinasien und der Fromme und Gerechte Gott, Opladen/Wiesbaden 1998. 64 BWK, Nr. 19: „Da ich, Marcia, Tochter des Arios (oder -es), hineinging (ins Heiligtum?), wobei ein Tag fehlte …“; vgl. auch NDFL, Nr. 83. 65 BWK, Nr. 1: „Meidon, Sohn des Menandros, veranstaltete im Heiligtum des Zeus Trosu ein Trinkgelage, und (seine) Diener aßen Fleisch, das (noch) nicht geopfert war …“ Den besonders dramatischen Fall einer gewaltsamen Tempelschändung durch eine von einem Fest kommende bewaffnete Meute schildert ausführlich und plastisch NDFL, Nr. 84. 66 BWK, Nr. 16: „weil (er [?]fünf / bei) Tage weggeblieben war …“; Nr. 36: „Die Elpis hat den Men Labana(s) verachtet und sein Podium ohne (vorherige) Waschung bestiegen und sein Podium und seine Tabletts untersucht.“; Nr. 43: „… weil ich mich auf dem Platz in unreinem Gewand befunden habe“. 67 BWK, Nr. 45: „Nachdem Diogenes dem Zeus Peizenos für sein Rind ein Gelübde getan und (es) nicht eingelöst hatte …“; vgl. auch NDFL, Nr. 55. 68 BWK, Nr. 9: „Da Menophilos heiliges Gehölz gekauft hatte, wurde er deswegen von dem Gott bestraft …“; Nr. 10: „Stratonikos, Sohn des Euangelos, hatte aus Unwissenheit eine Eiche des Zeus Didymeites gefällt …“; vgl. auch NDFL, Nr. 70. 69 BWK, Nr. 7: „Da die Götter der Perkenoi Zeus Oreites gewarnt hatten, man solle kein Vieh im Hain weiden lassen, sie (d.h. die Leute) nicht gehorchten, bestraften sie (d.h. die Götter) den Eumenes Junior …“ 70 So BWK, Nr. 11, 12, 24, 38. 71 NDFL, Nr. 46.

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Vergehen freilich auch um konkrete Verhaltensweisen aus dem zwischenmenschlichen Bereich wie etwa Meineid,72 Betrug im Geschäftsleben,73 Diebstahl,74 Verleumdung,75 Verfluchung,76 sexuelle Verfehlungen und Eheangelegenheiten77 bis hin zur Missachtung der Schwiegermutter.78 Einige wenige Beispiele seien hier im Wortlaut präsentiert. So bringt etwa eine Inschrift aus dem Territorium von Silandos eine ganze Reihe von sexuellen Verfehlungen des Theodoros zur Sprache, für die er vom Gott mit einer Augenkrankheit bestraft wurde. Die Inschrift insgesamt beleuchtet mit ihrer Wechselrede zwischen dem Gott, dem Übeltäter und dem „Erzähler“ sehr schön den ganzen Vorgang, der sich hinter den Beichtinschriften verbirgt: (Ich – d.h. der Delinquent – habe die Aussöhnung mit der göttlichen Macht in die Wege geleitet) entsprechend ich von den Göttern, (d.h. ?) von Zeus und dem großen Men Artemidoru zur Einsicht gebracht worden bin. – Ich habe den Theodoros an seinen Augen bestraft entsprechend den Sünden, die er begangen hat ( ~ ~ ‘, - |%¶@ ). – Ich bin zusammengekommen mit der Trophime, der Sklavin des Haplokomas, der Frau des Eutyches, im Praetorium (?). – Er nimmt die erste Verfehlung hinweg (%‘ —

%Ì@ ‘ ) mit einem Schaf (bzw. Ziege), einem Rebhuhn und einem Maulwurf. – Zweite Verfehlung (^€’ ‘): obwohl ich ein Sklave der Götter in Nonu war, kam ich mit der unverheirateten Ariagne zusammen. – Er nimmt (die Verfehlung) hinweg mit einem Ferkel (und) einem Thunfisch. – Bei der dritten Verfehlung kam ich zusammen mit der unverheirateten Arethusa. – Er nimmt (die Verfehlung) hinweg mit einem Huhn (oder einem Hahn), einem Spatz und einer Taube; mit einer Kypros GerstenWeizen-Gemisch und mit einer Prochos Wein. Eine Kypros Weizen (hat er) als Reiner ( ›) den Funktionären des Heiligtums (abgeliefert, des weiteren an Wein) eine Prochos. – Als Rechtsbeistand (%¡ @ ) erhielt ich den Zeus. – (Dieser spricht:) ‚Siehe! Ich hatte ihn entsprechend seinen Taten geblendet, jetzt aber hat er die Fehler getilgt / wiedergutgemacht ( ¶ ~ ‘), indem er die Götter gnädig gestimmt und (den gesamten Vorgang) auf einer Stele aufgezeichnet hat.+ – (Der Gott [etwa Men Artemidoru?] verkündet) von dem Rat gefragt: ‚Ich bin gnädig (Á ¦ ), da meine Stele aufgestellt wird an dem Tag, den ich festgesetzt hatte. Du magst das Gefängnis öffnen, ich entlasse den Delinquenten (|`‘*  ¡^  ), da ein Jahr und zehn Monate herumgehen (?).79

72

Vgl. BWK, Nr. 2, 15, 27, 105, 120. Vgl. BWK, Nr. 17, 18, 34. 74 BWK, Nr. 3; vgl. auch Nr. 22, 35; NDFL, Nr. 55, 66. 75 Vgl. BWK, Nr. 25. 76 BWK, Nr. 44: „Theodote [hatte dem] Glykon, ihrem Zögling, [geflucht], als [er] die Hände gegen sie erhoben und sie [mißhandelt] hatte …“ 77 BWK, Nr. 5; NDFL, Nr. 52. 78 BWK, Nr. 21: „Trophimos, der … Sohn des Apollonios, mißachtete seine Schwiegermutter Ammia …“ Innerfamiliäre Konflikte spiegelt auch NDFL, Nr. 85 (vgl. dazu die ausführlichen Erläuterungen bei HERRMANN/MALAY, NDFL, 113–116). 79 BWK, Nr. 5 (235/6 n. Chr.; Übersetzung mit allen Ergänzungen hier wie im Folgenden nach Petzl). 73

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Einen wohl nicht selten vorkommenden, da schwer nachweisbaren Diebstahl in der Therme belegt die folgende Inschrift: Da das Skeptron80 für den Fall aufgestellt worden war, daß jemand aus dem Badehaus etwas entwendet, bestrafte der Gott, als nun ein Hemd gestohlen worden war, den Dieb (   | ’@  ’%@ ) und bewirkte, daß er nach einiger Zeit das Hemd zum Gott brachte, und er tat ein Geständnis. Der Gott nun befahl durch einen Engel, das Hemd zu verkaufen und die Manifestationen seiner Macht (~ ^€ ¡ ) auf einer Stele niederzuschreiben.81

Gemeinsam ist den hier bekannten Verfehlungen zum einen, dass sie in der Regel zwar justiziabel, aber oft nur schwer nachweisbar und daher nicht unmittelbar juristisch sanktionierbar waren. Erst dadurch, dass dem Übeltäter offenkundig Unheil widerfahren war, das er als Strafe des Gottes annahm, fühlte er sich zum öffentlichen Bekenntnis seiner Verfehlungen bewogen. Mit Hilfe seiner am Heiligtum deklarierten Beichte und der damit verbundenen religiösen und materiellen Leistungen suchte er Befreiung von den göttlichen Sanktionen. Auf diese Weise konnte zugleich die öffentliche und die kultische Rechtsordnung wiederhergestellt werden. Damit belegt das uns hier begegnende Verfahren zugleich auch, dass zwischen „ethischen“ und „kultischen“ Vergehen in den kleinasiatischen Gesellschaften der römischen Kaiserzeit und der Spätantike kein kategorialer Unterschied gemacht wurde. Besonders aufschlussreich sind diejenigen Beichtinschriften, bei denen etwa Meineid und kultische Verunreinigung explizit in ein ursächliches Verhältnis miteinander gesetzt werden. So heißt es in einer Inschrift aus dem Heiligtum des Apollon Lairbenos in Phrygien: Ich, Sosandros aus Hierapolis, bin nach einem Meineid (bzw. Bruch eines Eides) in unreinem Zustand in den gemeinsamen Tempel hereingegangen (|%  •  ”   ˜   ¶ !* ); mich traf die Strafe; ich verkünde, daß niemand dem Lairmenos Verachtung entgegenbringen darf, da ihm meine Stele als warnendes Beispiel dienen wird.82

Auch Vergehen im zwischenmenschlichen Bereich bedeuteten eine Versündigung gegenüber dem Gott, der darauf mit empfindlichen Strafen reagieren konnte. Ob Ärger mit der Schwiegermutter oder Tempelraub, jedes Mal ist offenbar auch das Gottesverhältnis berührt, das nur durch die öffentlich in Stein gemeißelte Beichte und entsprechende materielle und religiöse Zusatzleistungen wieder geheilt werden kann. 80 Zum Zeichen dafür, dass man die Ahndung einer im Verborgenen begangenen Straftat dem Gott überließ, konnte im Heiligtum auch schon vorsorglich ein Skeptron, das Zeichen des Gottes Men, aufgestellt werden. Vgl. dazu PETZL, Beichtinschriften (s. Anm. 63), 11. 81 BWK, Nr. 3 (Territorium von Sittai, 164/5 n. Chr.). 82 BWK, Nr. 120.

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Mit Blick auf die Rezeptionsmilieus neutestamentlicher Texte in einem solchen religiösen Kontext sind Bezüge sowohl hinsichtlich der konkreten Vergehen als auch hinsichtlich der Benennung der Gottheiten, an welche die Beichten gerichtet sind, von Gewicht. Die genannten Vergehen aus dem zwischenmenschlichen Bereich weisen ja durchaus enge Verbindungen zu Mahnungen aus den Anwendungsfeldern frühjüdischer Toraparänese auf. Diese wiederum waren offenkundig auch für den Jakobusbrief prägend.83 Und wenn in den Beichtinschriften immer wieder die göttliche ^¶   angerufen wird,84 dann konnten dadurch natürlich ebenfalls biblisch klingende Assoziationen geweckt werden. Dasselbe gilt für abstrakte Gottesprädikate wie „heilig“ (" ) und „gerecht“ (^‘  ), die zwar nicht in Beichtinschriften, aber in zahlreichen Dedikationen aus derselben Region belegt sind.85 Besonders die Richterfunktion der Gottheit, die für die Beichtinschriften zentral ist, konnte mit entsprechenden biblisch-jüdischen Zügen des Gottesbildes in Beziehung treten, das mit den neutestamentlichen Texten an die Glieder christlicher Gemeinden in Kleinasien vermittelt wurde, zumal wenn auch die Vergehen, denen das göttliche Gericht angedroht wurde, sich nicht prinzipiell von denen unterschieden, die auch in der Tora unter göttliche Strafe gestellt waren. So wird etwa in einer Dedikation an den in der Region besonders häufig verehrten Gott Men/Meis dieser als „Richter im Himmel, dem nichts verborgen ist“ ( [ ]— ¡@ |

 š) bezeichnet.86 Auf diesem Hintergrund erscheint auch die Paränese

83

Vgl. dazu oben 257. Vgl. die zahlreichen Belege in den Indices bei PETZL, BWK, und HERRMANN/MALAY, NDFL, s.v. ^¶  . 85 Vgl. dazu ausführlich Petzl, Beichtinschriften (s. Anm. 63), 13–23. Petzl konstatiert unter Berufung auf Louis Robert eine „Tendenz zur Abstraktion, zu einer gegenüber früher spiritualisierteren Religiosität“ und meint: „Ausweislich der Inschriften zeichnen sich besonders die ländlichen Kulte Lydiens und Phrygiens durch Hinwendung zur namenlosen Gottheit aus, für die moralische Qualitäten charakteristisch sind“ (a.a.O. 17). Seine diesbezüglichen Untersuchungen fasst er schließlich folgendermaßen zusammen: „Fromm und gerecht ist derjenige, der in Übereinstimmung mit dem göttlichen sowohl als auch mit dem von den Menschen festgeschriebenen Gesetz lebt. Es ist klar, daß Gottheiten, die in dieser Weise unmittelbar über die Lebensgestaltung der Menschen wachten, als Boten höherer Götter … oder – abstrakter – als Züge ihres Wesens angesehen wurden“ (a.a.O. 21). 86 NDFL, Nr. 51 (Gegend von Maionia, 102/3 n. Chr.). Das in der Inschrift erwähnte Vergehen besteht im Diebstahl von vier Denaren durch Ammion, Frau des Diogas, zusammen mit ihrer Tochter Meltine, von ihrem Schwager, in Verbindung mit Meineid. Eine weitere Inschrift aus derselben Gegend (NDFL, Nr. 52) belegt einen Konflikt um einen Ehevertrag, möglicherweise in Verbindung mit Ehebruch. 84

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im Jakobusbrief mit ihrem Verweis auf den einen göttlichen Gesetzgeber und Richter noch einmal in einem besonderen Licht.87 Maßstab für das Alltagsleben im ländlichen Kleinasien ist somit ausweislich der hier herangezogenen Inschriften ein Ethos, das die zwischenmenschlichen Beziehungen mit Hilfe religiöser Verrichtungen ordnet und allfällige offene oder verdeckte Vergehen unter Verweis auf die strafende und vergebende ^¶   der Gottheit(en) regelt. Ethische Grundsätze, die für die Aufrechterhaltung des Gemeinschaftslebens unumgänglich sind, werden in einer göttlich begründeten Rechtsordnung verankert, ohne dass damit die zivile Rechtspflege gegenstandslos zu werden brauchte. Vielmehr konnten gerade Fälle, die von den Institutionen „irdischer“ Rechtspflege nicht oder nicht ausreichend bewältigt werden konnten, der „himmlischen Rechtspflege“ anvertraut werden, um die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten – offenbar mit einem gewissen Erfolg, wie die Inschriften beweisen. Das Ethos einfacher Menschen in ländlichen Gebieten Kleinasiens im 2. und 3. Jahrhundert erscheint damit als in einer Weise religiös basiert, die Anknüpfungsmöglichkeiten auch für die christliche, ihrerseits jüdisch geprägte Paränese bot. Wenn man von einem „moralischen Rigorismus“ sprechen kann, unter dessen Vorgaben sich das Leben in den ländlichen Gebieten Kleinasiens weitgehend vollzogen haben muss,88 so wird man diesen Befund bei der Frage nach der Rezeption frühchristlicher Texte, Vorstellungen und Überzeugungen kaum außer Acht lassen können.

3 Ergebnisse Das Ethos, das sich anhand der kleinasiatischen Inschriften erheben lässt, seien sie jüdisch, christlich oder pagan, ist religiös bestimmt und ethisch orientiert. Alltägliches Tun und Lassen vollzieht sich vor dem Angesicht Gottes / der Götter und hat seiner / ihrer Allgegenwart gerecht zu werden. Dieser Befund hängt zum einen sicher mit den Funktionen und dem „Sitz im Leben“ der hier herangezogenen Inschriftengattungen zusammen. Beichtinschriften gehören in den lokalen und religiösen Kontext von paganen Heiligtümern, Epitaphien sind Ausdrucksformen menschlichen Glaubens und Verhaltens angesichts des Todes und Stifterinschriften in Synagogen beziehen sich auf den religiösen Begegnungsraum zwischen der Gemeinde und ihrem Gott. Immerhin ist die Präsenz des Religiösen im öffentlichen Raum in Kleinasien ausweislich der Inschriften insgesamt als beträchtlich anzusehen.

87 88

Vgl. Jak 4,12: Î |  ’@   •,  ^€ ¡     %’ . So PETZL, Beichtinschriften (s. Anm. 63), 23.

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Hinsichtlich der religiösen Grundüberzeugungen und der Begründungen für gefordertes oder inkriminiertes Verhalten spielt der Verweis auf ein göttliches Gericht und auf göttliche Strafen eine wesentliche Rolle, ohne dass dabei spezifische Glaubensüberzeugungen jüdischer, christlicher oder paganer Provenienz explizit hervortreten. Vielmehr zeigt sich eine gewisse Tendenz zur Abstraktion im Gottesverständnis, die zumindest in ländlichen Milieus eine breitere Rezeption divergierender religiöser Überlieferungen fördern konnte. Dies ist auch im Blick auf die Wirkungsgeschichte neutestamentlicher Texte in der Kaiserzeit und der Spätantike in Rechnung zu stellen. Relativ breite Übereinstimmung besteht, abgesehen von spezifisch kultischen Pflichten und Vergehen, hinsichtlich der in den Inschriften positiv oder negativ bewerteten ethischen Verhaltensweisen. Unterschiede zwischen jüdischen, christlichen und paganen Inschriften lassen sich in dieser Hinsicht im Grunde nicht feststellen. Im Alltagsleben und für die Ordnung und Gestaltung der Mikrogesellschaft, die sich an den Inschriften besonders gut ablesen lässt, spielten offenbar die Konventionen eines allgemein akzeptierten, religiös und ethisch geprägten Ethos eine weitaus größere Rolle als spezifische Glaubensüberzeugungen einzelner Religionsgemeinschaften, was freilich nicht ausschließt, dass auch diese gelegentlich begegnen können. Dies belegen bei den Inschriften etwa jüdische oder christliche Symbole, einzelne hebräische Wörter, Hinweise auf christliche Märtyrer oder der Ausruf Š  Š. In einer Hinsicht freilich zeigt sich auch eine charakteristische Differenz zwischen jüdischen und christlichen Inschriften einerseits und den eindeutig paganen Zeugnissen andererseits: Für die außerordentlich große Bedeutung, die rituell-kultische Vergehen in den Beichtinschriften haben, gibt es weder in den jüdischen noch in den christlichen Zeugnissen Parallelen.89 Hier setzt sich offenkundig ein spezifisch biblisch-jüdisch bestimmtes Gottesverständnis bis in den Alltag jüdischer und christlicher Gemeinschaften in Kleinasien hinein durch. Ob das für die Ausbreitungsbemühun89 Auf diese Differenz, die für die christlichen Zeugnisse schon im Neuen Testament wurzelt, hat mich Roland Deines aufmerksam gemacht. Freilich gilt sie in der Diaspora offenkundig ebenso für die jüdischen Zeugnisse, im Unterschied zu frühjüdischen Lebensbereichen innerhalb des (biblisch definierten) „Landes“, wie man etwa an Texten aus Qumran oder im Jubiläenbuch einerseits, solchen aus der Diaspora wie dem slavischen Henochbuch oder den jüdischen Sibyllinenbüchern andererseits im Einzelnen zeigen könnte; vgl. dazu KARL-WILHELM NIEBUHR, Tora ohne Tempel. Paulus und der Jakobusbrief im Zusammenhang frühjüdischer Torarezeption für die Diaspora, in: B. Ego u.a. (Hg.), Gemeinde ohne Tempel – Community without Temple. Zur Substituierung und Transformation des Jerusalemer Tempels und seines Kults im Alten Testament, antiken Judentum und frühen Christentum, WUNT 118, Tübingen 1999, 427–460; DERS., Hellenistisch-jüdisches Ethos im Spannungsfeld von Weisheit und Tora (s. Anm. 7).

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gen des frühen Christentums eher von Vorteil oder von Nachteil war, ist freilich nicht leicht zu sagen. In Kreisen, die in ihren religiösen Anschauungen und Praktiken gewisse Sympathien für das hellenistisch-römisch umgeformte Frühjudentum entwickelten,90 mag eine solche Reduktion religiös-kultischer Verrichtungen im Alltag eine gewisse Attraktion ausgeübt haben. Von daher könnte auch ein neutestamentlicher Text wie der Jakobusbrief, der ja ebenfalls durch das klar akzentuierte Bekenntnis zu dem einen Gott wie durch das weitgehende Fehlen spezifisch ritueller Züge religiöser Praxis charakterisiert ist, vielleicht in einem solchen Milieu besonders günstige Rezeptionsbedingungen vorfinden. Andererseits zeugen aber gerade die kleinasiatischen Beichtinschriften nicht bloß von grundsätzlicher Akzeptanz, sondern geradezu von einer gewissen Leidenschaft in ländlichen Bevölkerungsschichten dafür, ihre zwischenmenschlichen bis hin zu ihren geschäftlichen Angelegenheiten durch Formen religiös-kultischer Praxis zu regeln und zu sichern. Auf diesem Hintergrund könnten Gruppen, die sich solchen Formen aus Gründen ihrer Religion prinzipiell entzogen, eher auf Misstrauen und Ausgrenzung gestoßen sein, wovon sich in den inschriftlichen Zeugnissen freilich keinerlei Spuren finden. Vielmehr lassen sich mit Blick auf ebenfalls religiös konnotierte Gegebenheiten wie etwa den Alltag gliedernde Feste im Jahreslauf wenigstens gewisse Indizien für deren Akzeptanz selbst bei Juden und Christen in Kleinasien aufweisen. Die üblicherweise mit Blick auf die öffentliche Religion städtischer Gemeinwesen wie etwa den Kaiserkult schon häufig untersuchte Problematik einer religiösen Sonderstellung des frühen Christentums (wie des Diasporajudentums) in römischer Zeit könnte immerhin von den hier untersuchten Zeugnissen einer eher ländlichen Religionspraxis in Kleinasien her noch einmal in einem etwas anderen Licht erscheinen. Besonders auffällig schließlich ist aber, welch geringe Rolle die jeweils spezifischen Glaubensüberzeugungen von Juden und Christen in den epigraphischen Quellen aus Kleinasien spielen. Dass das implizit oder explizit geforderte Ethos bei Juden in der Tora biblisch verwurzelt und bei Christen in ihrem Christusglauben verankert war, kann man aus den epigraphischen Quellen in den seltensten Fällen ablesen. Natürlich ist davon auszugehen, dass das Frühjudentum und das frühe Christentum in Kleinasien mehr zu bieten hatten als die stillschweigende oder ausdrückliche Übernahme von ethischen Grundsätzen und allgemeinreligiösen Überzeugungen ihrer Umwelt. Nur fand dieses „Mehr“ so gut wie nie Ausdruck in ihren Inschriften, selbst wenn es um derart religiös konnotierte Lebensbereiche 90 Zeugnisse dafür sind durchaus nicht selten, vgl. nur die in den betreffenden Abschnitten bei DELLING, Bewältigung der Diasporasituation (s. Anm. 37), 78–109, aufgeführten Belege.

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wie die Ausschmückung ihrer religiösen Räumlichkeiten oder die Gestaltung ihrer Grabmähler ging. Und selbst wenn einmal spezifisch jüdische oder christliche Symbole wie die Menorah oder der Lulav einerseits, das Kreuz oder das Christusmonogramm andererseits, in Inschriften begegnen, dann hat das keinerlei Folgen für deren Inhalte, Formen und Konventionen, somit im Grunde auch keinen Einfluss auf die Ausprägung ihres Ethos. Man wird somit wohl nicht umhin können, die Impulse, Wege und Methoden der christlichen Mission anderswo zu suchen als in den Ausdrucksformen ihres Ethos. Allerdings dürften die nichtliterarischen Texte und Zeugnisse in dieser Hinsicht überfragt sein.

– Münzen als Ausdruck der politischen Alltagskultur –

Portraits of Rulers in the Book of Revelation ADELA YARBRO COLLINS

In the book of Revelation, both God and Satan are portrayed as enthroned.1 Yet neither rules a kingdom directly. God is the one who is, was, and is to come (1:4, 8). God is also celebrated as the creator of all things (4:11). Satan’s role is summarized as “the one who leads astray the whole inhabited world.”2 Although God is ruler of all ( %  Š*),3 God shares this rule over the world (– !  \ €) with his anointed one ( ‡  \), Jesus (11:15). The exaltation of Christ (12:5) has resulted in Satan’s being cast out of heaven and down to earth (12:7–9). This event is the beginning of the manifestation of God’s kingdom and of the authority of God’s messiah (12:10). The thousand-year reign of Christ on earth is the climax of this theme.4 This earthly reign is followed by the eternal joint reign of God and the Lamb in the new Jerusalem, which is also a new Paradise (22:1–4). As God shares rule and authority with Jesus Christ, so Satan, as “a great fiery red dragon” (^Š * ˆ %€), gives his power (^  ), his throne, and his great authority (|€) to the beast that rises up from the sea (13:1–2). The image of a beast rising up from the sea recalls Daniel’s dream-vision, in which he saw four great beasts coming up out of the sea (Dan 7:1–3). One of Daniel’s beasts (the third) had four heads (7:6). Assuming that the other three had one head each, John may have arrived at the idea of a single beast with seven heads by adding all of these together

1 God in 1:4; 3:21; 4:2–3; 5:1; 6:16; 7:10, 15; 12:5; 19:4; 20:11; 21:3, 5; 22:1, 3; Satan in 2:13; 13:2. 2 12:9. All translations from Revelation are my own. 3 1:8; 4:8; 11:17; 15:3; 16:7, 14; 19:6, 15; 21:22. 4 On the earthly character of the thousand-year reign, see Adela Yarbro Collins, “The Apocalypse of John and Its Millennial Themes,” in Martin McNamara (ed.), Apocalyptic and Eschatological Heritage: The Middle East and Celtic Realms (Dublin: Four Courts Press, 2003), 50–60.

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(Rev 13:1).5 The fourth beast in Daniel’s vision had ten horns (7:7). So also does John’s single beast (13:1). John’s beast is “like a leopard” (13:2), as is Daniel’s third (7:6). John’s beast has feet like a bear (13:2), and Daniel’s second beast “looked like a bear” (7:5). Finally, John’s beast had a mouth like the mouth of a lion (13:2). This characteristic evokes Daniel’s first beast, which was “like a lion” (7:4). In its original context, the vision of Daniel evokes a succession of four kingdoms: the Babylonian, the Median, the Persian, and finally the empire of Alexander the Great.6 Three of the ten horns of the fourth beast are uprooted, and a little horn appears (7:8), which represents Antiochus IV Epiphanes, the villain of chapters 7–12. In John’s time, the fourth kingdom was interpreted as the Roman empire. Josephus provides evidence for such a reading in his rewriting of Nebuchadnezzar’s dream in Daniel 2. He says that the second kingdom “will be destroyed by another king from the west, clad in bronze.”7 The depiction of the king as coming from the west makes clear that he interprets the third kingdom as that of Alexander the Great. He describes the fourth kingdom as like iron, which is stronger than gold, silver, and bronze.8 He omits Daniel’s depiction of it as a mixture of iron and clay, probably because he does not wish to offend his Roman audience by suggesting that their empire has weaknesses. He explicitly refuses to interpret the stone that will destroy the fourth kingdom because his task is to write about the past, not the future.9 Here he probably suppresses the interpretation of many of his fellow Jews that the stone represents the messiah, who will restore the kingdom of Israel, which will then rule the nations. The author of Daniel 7 placed his depiction of the current, Greek empire in the context of a veiled history of the Jewish people from the exile until his own time. John does not adopt this technique. Rather, he focuses even more strongly on the present time, from his point of view and that of his audience, by portraying Rome as combining all the powerful and terrifying attributes of the four kingdoms of Daniel.

5 The notion of a beast with seven heads, however, was traditional. See Adela Yarbro Collins, The Combat Myth in the Book of Revelation (HDR 9; Missoula, Mont.: Scholars Press for the Harvard Theological Review, 1976; repr. Eugene, Oreg.: Wipf and Stock, 2001), 77, 79. 6 John J. Collins, Daniel: A Commentary on the Book of Daniel (Hermeneia; Minneapolis, Minn.: Fortress, 1993), 297–99. 7 Josephus, Ant. 10.209; trans. from Ralph Marcus, Josephus (10 vols.; LCL; Cambridge, Mass.: Harvard University Press 1937), 6.272–73. 8 Ibid. 9 Loc. cit., 6.274–75.

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1 The beast from the sea and Nero As Daniel’s account of the fourth beast focuses on the little horn representing Antiochus, so John’s vision emphasizes “one of the heads” of the beast that was “as it were, slain unto death.” Its mortal wound, however, had been healed (13:3). The identity of this head can be determined on the assumption that the beast that arises from the abyss in 11:7 and the scarlet beast upon which the whore10 rides in chapter 17 are equivalent to the beast that arises from the sea in chapter 13. The beasts of chapters 11 and 13 are clearly identical since they are both described as “the beast that arises (or) is about to arise from the abyss” (11:7 and 17:8). The equivalence of the beasts of chapters 13 and 17 is not excluded by the differing descriptions in which one arises from the abyss and the other from the sea. The “abyss” and “the sea” are closely related in texts of the Hebrew Bible and the Septuagint that reflect combat myths. So the beasts of chapters 11, 13, and 17 are equivalent for all intents and purposes in the context of the book of Revelation as a whole, especially in relation to the mythic texts it resembles.11 Furthermore, a comparison of what is said concerning the beast from the sea with the description of the beast upon which the whore rides suggests that the two are identical. They both have seven heads and ten horns.12 They are both associated with blasphemous names.13 The (dwellers on the) whole earth will be amazed at the beast.14 Now the heads of the beast in chapter 17 are explicitly identified as kings (17:9–10). One would expect, then, that in chapter 13, where one of the heads is singled out for discussion, the heads should be similarly understood.15 So the head that was, “as it were, slain unto death” (13:3) should be taken as one of the emperors. That the mortal wound was inflicted by a sword, not an illness, is indicated by 13:14, “And [the beast that arises from the earth] leads astray the dwellers on the earth because of the signs that it was given to perform on behalf of the beast who has the wound from a sword and came back to life.” The parallel between the beast that was “as it were slain” and “the Lamb” that was “as it were slain” (5:6) implies that the head of the beast refers to an individual who had ac10

On the choice of the word “whore,” see note 41 below. Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 170–71. 12 Rev 13:1; 17:3, 7. 13 Rev 13:1; 17:3. On the textual variant in 13:1, see note 56 below. 14 Rev 13:4; 17:8. 15 See also 4 Ezra 11, a vision of an eagle with twelve wings and three heads. Here also the eagle represents the Roman empire, and the wings and the heads represent individual kings or emperors. See Michael Edward Stone, Fourth Ezra: A Commentary on the Book of Fourth Ezra (Hermeneia; Minneapolis, Minn.: Fortress, 1990), 347–53. 11

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tually died. Since the head as wounded and healed is a mirror image of the death and resurrection of Jesus, it is unlikely that the former image refers to a crisis and its resolution in the empire itself.16 The force of the mirror image requires an individual who not only died but also rose from the dead. The only emperor who conceivably could be cast in such a role is Nero. He died a violent death from a self-inflicted dagger wound. The ground was prepared for the second part of the mirror image by the legend of Nero’s return.

2 The legend of Nero’s return When the provinces had revolted and the senate had declared him a public enemy and intended to execute him, Nero drove a dagger into his throat, aided by his private secretary.17 Earlier, astrologers had predicted that he would be repudiated. Some of these, however, promised him the rule of the East, when he was cast off, and several said that his former fortunes would be restored.18 He had also considered going as a suppliant to the Parthians or appearing before the people of Rome to ask that they allow him at least the prefecture of Egypt.19 Instead he retired to the villa of his freedman in the suburbs.20 Nero had his admirers and supporters in Rome, Greece, and elsewhere in the East. For this reason, and because the circumstances of his death were not well known, rumors soon spread that he had in fact escaped to Parthia and would return with Parthian armies to regain his power as emperor of Rome and to destroy his enemies. The intensity and duration of this expectation is shown by the series of pretenders who appeared from 69 to 88 C.E.21 It is important to note that the Nero legend, in its original form, was based on the assumption that he was still alive. It was not a legend of his return from the dead. The hope, on the part of Nero’s admirers and supporters, that Nero was still alive and would return to power was shared, with a difference, by the part of the Jewish people who had supported the revolt in Palestine in the late 60s and early 70s of the common era and who had experienced the brutality and humiliation of the Roman victory over the rebels. Their perspective is expressed in the fourth book of the Sibyl16 17 18 19 20 21

Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 174, 200, n. 103. Suetonius Lives of the Caesars: Nero 40–49. Loc. cit., 40. Loc. cit., 47. Loc. cit., 48. Loc. cit., 57; Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 176–77.

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line Oracles. The Jewish redaction of this book dates to about 80 C.E.22 In this work a king from Italy, identified as a matricide and thus as Nero, is described as fleeing, like a fugitive slave, “beyond the Parthian land.”23 He will bring war to Rome and will restore twofold to Asia the wealth stolen by Rome (4:138–148). In this work, the original form of the Nero legend is taken over and used as anti-Roman propaganda. Nero is not portrayed here as any sort of demonic being or eschatological adversary.24 Nero appears also in the fifth book of the Sibylline Oracles, in passages that were written in Egypt and are dated between 80 and 132 C.E.25 Here the Nero legend is modified in such a way as to reverse its original intent. Instead of a savior, Nero is cast as the eschatological adversary. He is introduced in lines 28–34 as a murderer, even of his own family, and “even when he disappears he will be destructive. Then he will return declaring himself equal to God. But he will prove that he is not.”26 He reappears as “the Persian” in line 93. Having “obtained the land of the Persians,” he will apparently conquer Rome first,27 and then lay Alexandria and Asia waste (5:93–105). Finally, he will attempt to destroy “the city of the blessed ones” (line 107), that is, Jerusalem, but “a certain king sent from God against him will destroy all the great kings and noble men. Thus there will be judgment on men by the imperishable one” (lines 108–10).28 This great battle is described in more detail and more vivid language in lines 361–385 and is explicitly set “in the last time.”29 The great battle will be followed by a time of peace for a “wise people” (line 384). Now the five passages in Sib. Or. 5 that refer to Nero all seem to assume that he is alive somewhere in the East. As we have seen, in the first passage (lines 28–34), a brief description of Nero’s career is followed by the comment, “but even unseen he will be destructive; then he will return, making himself equal to God; but he will prove that he is not.” The sense seems to be that even when Nero has fallen from power, he will still be destructive, in that he will be seeking allies and preparing for battle. Neither the being “unseen” nor the “returning” here implies that Nero is 22 On the date and place of the Jewish redaction of Sib. Or. 4, see John J. Collins, “Sibylline Oracles,” in James H. Charlesworth (ed.), The Old Testament Pseudepigrapha (2 vols.; Garden City, N.Y.: Doubleday, 1983–1985), 1.382. 23 Sib. Or. 4:119–123; trans. from Collins, “Sibylline Oracles” (see n. 22), 387. The translations of the Sibylline Oracles not explicitly attributed to John J. Collins are my own. 24 Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 177–78. 25 Collins, “Sibylline Oracles” (see n. 22), 390. 26 Sib. Or. 5:33–34; trans. from Collins, “Sibylline Oracles” (see n. 22), 393. 27 See line 104 and note b2 in Collins, “Sibylline Oracles” (see n. 22), 395. 28 Trans. from ibid. 29 Quotation from line 361; trans. loc. cit., 401.

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thought to have died. The passage expresses no interest in or awareness of Nero’s death and no conception of Nero’s return from the abode of the dead.30 Another passage in the fifth book shows even more clearly that Nero is portrayed as still alive (lines 137–154). Lines 137–142 give a summary of Nero’s career. Then it is said, “a terrible and shameless king will flee from Babylon, whom all mortals and excellent men despise … He will come to the Medes and to the kings of the Persians, the ones whom he first desired and to whom he gave glory, making his den with these wicked men against a true people” (lines 143–149). “Babylon” here is most likely a reference to Rome. In the immediate context (lines 150–151), a reference is made to the destruction of the temple. By analogy with the first destruction, the power responsible for the deed is called Babylon. Furthermore, a few lines later (158–161), it is said that a star will fall from heaven and burn the deep sea, Babylon itself, and the land of Italy. The association of Babylon and Italy makes clear that Babylon stands for Rome. Thus the passage under discussion refers to Nero’s flight from Rome to the East, which is presumed to have happened rather than his suicide. A third passage (5:214–227) makes use of mythological language but does not imply that Nero is thought to have died. It opens with an exhortation to Corinth to mourn her fate and continues, “For when … the three sister Fates lead him who now flees by guile beyond the bank of the isthmus on high so that all may see him who once cut the rock … he will destroy and smite your land, as is predetermined” (215–219). The point here is the contrast between the present hiddenness and future manifestation of Nero, as well as between the deed that was welcomed by Corinth (the cutting of a canal through the isthmus) and the fated destruction he will wreak on the city upon his return. The way in which Nero’s present hiddenness is described – fleeing guilefully beyond the Isthmus – is better understood as a reference to Nero’s sojourn among the Parthians than among the dead. A fourth passage has already been discussed (Sib. Or. 5:93–110). It prophesies that “the Persian” will come to destroy Alexandria and then turn to attack Jerusalem. The most probable interpretation of this passage is that it refers to Nero’s return in alliance with the Parthians, who were also referred to as Persians.31 Nero’s role here is eschatological in that he is cast in opposition to the king sent from God (line 108). There is no indication, however, that Nero has died or that his return is from the realm of the dead. The fifth passage (5:361–384) is often cited as an example of the Nero redivivus myth. The text reads, “There will be at the last time, around the 30 31

Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 179, 203, n. 136. Collins, “Sibylline Oracles” (see n. 22), 84.

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time of the waning of the moon, a world-convulsing war deceitful in guilefulness, and there will come from the ends of the earth (| %Š* @) a matricide fleeing and devising sharp-edged plans in his mind. He will ruin every land … That for which he himself perished (. ‡Š /) he will seize at once. And he will destroy many men and great kings, and will burn all men as none other ever did …” (361–369). The verb / here could be understood as a reference to the death of Nero. The verb € is often used of living beings to indicate their death, especially a violent death. It can, however, also be used to mean “to be undone, to be ruined.”32 For several reasons it seems best to understand / here not as a reference to the death of Nero but rather to his fall from power. First of all, the description of the return “from the ends of the earth” reflects the idea that Nero is in the distant East somewhere rather than in the realm of the dead. Secondly, 5:143 and 216 refer explicitly to the flight of Nero, namely, to the legend that he fled from Rome to the Parthians rather than taking his own life. If / were taken here as referring to the death of Nero, it would be the only such reference in the entire fifth book, which refers to Nero five times. It seems then that the passage refers to Nero’s fall from power, to his loss of the throne and of the city of Rome, which he is expected to recover upon his return (. ‡Š / … Ë @ %‡˜). The original form of the legend of Nero’s return in the East may be interpreted as a form of anti-Roman propaganda in the framework of the centuries-old conflict of East and West. In this context, for the peoples of the East, the expectation of Nero’s return constituted a kind of savior myth.33 In the fourth book of the Sibylline Oracles, the legend is simply incorporated in its non-Jewish, eastern form as anti-Roman propaganda. In the fifth book, however, the legend is adapted to a Jewish context by reversing Nero’s role from savior-king to eschatological adversary. In both forms of the legend, however, Nero is assumed to be still alive. Thus neither can appropriately be called a “Nero redivivus” legend or myth. The Nero legend is adapted in a different way in Sib. Or. 3:63–64, an oracle that was added to its present context sometime after 70 C.E.34 In line 63 it is said that Beliar will come afterward | ^' Å!@   . The latter phrase may be translated “from the inhabitants of Sebaste (Samaria)” or “from the line of the Augusti.” The latter translation is the more likely since Nero appears numerous times in the Sibylline collection, whereas Samaria appears nowhere else.35 If the second is the better translation, then 32 33 34 35

Aeschylus, Persae 255. Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 177. Collins, “Sibylline Oracles” (see n. 22), 360. Ibid.

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this passage is evidence for the identification of Nero with Beliar in the Sibylline tradition. The activities attributed to him suggest that it is his second career described here rather than his first. In other words it is a new version of the Nero legend. Upon his return Nero will perform cosmic signs, raise the dead, and deceive mortals so that they put their trust in him. In this adaptation of the legend, the point is that Beliar, the leader of evil spirits, is either identical with or active in Nero. According to the Ascension of Isaiah 4:2–4, at the time of the consummation of the world, Beliar “will come down from his firmament in the form of a man, a lawless king, a slayer of his mother …”36 The account of the deeds of Beliar-Nero includes both Nero’s historical career and the sorts of deeds described in Sib. Or. 3:63–74. Neither passage shows any interest in the event of Nero’s death or in his sojourn in the abode of the dead. There is thus no interest in either work in a Nero redivivus, that is, in a Nero returning from the dead. The interest in the death of Nero and thus in his return as a return from the dead is new with the book of Revelation. The author’s creative adaptation of the Nero legend serves the purpose of characterizing Nero, the agent of Satan, as the antithetical mirror image of Christ, the agent of God. Just as Jesus had died and returned to life,37 so also one of the heads of the beast had received a mortal wound that was healed (13:3). As the Lamb had been slain (5:6), the head of the beast that represented Nero had also been slain (13:3).

3 Imperial cults in Revelation Chapter 13 also alludes to the imperial cults. The whole earth follows the beast with wonder and worships (literally, bows down to) the beast. The worship of the beast, that is, the imperial cults, is equated with the worship of Satan, because the authority of the beast comes from him, not from God. The motivation for the worship of the beast is explained in terms of the empire’s military might (13:3b–4). The empire’s authority is also described in terms of political hegemony. Authority was given to the beast “over every tribe and people and tongue and nation” (13:7).

36 Asc. Isa. 2; trans. from C. Detlef G. Müller, “The Ascension of Isaiah,” in Edgar Hennecke and Wilhelm Schneemelcher (eds.), New Testament Apocrypha (2 vols.; James Clarke/Westminster John Knox, 1991–1992), 2.609. The work as a whole dates to the second century C.E., but this portion of the work could be as early as the first; Müller, “The Ascension of Isaiah,” 604–5; Yarbro Collins, Combat Myth (see n. 5), 182–83. 37 Jesus is the firstborn of the dead (1:5), was dead and returned to life (1:18; 2:8).

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The second main part of chapter 13 focuses on the beast from the land. The pair of beasts, one from the sea and one from the land, calls to mind the two mighty beasts of Job 40–41, Leviathan and Behemoth. Each beast in Revelation, however, also has a political referent. The second beast represents the aristocracy of the province of Asia, whose cities vied with one another in their efforts to honor the reigning emperor.38 The second beast is said to make everyone receive the mark of the first beast on the right hand or on the forehead. This remark brings to mind the practices of masters marking their slaves and devotees receiving the mark of a deity.39 The term used for the mark in the latter practices, however, is , whereas John uses the term ‡Š. It is noteworthy that the latter term is also used for images impressed upon coins.40 The required reception of the mark of the beast in Revelation is an imaginative adaptation of the practices of marking slaves and devotees of a deity in order to make a point about Roman power and propaganda. Coins were expressions of both, and in John’s view made blasphemous and idolatrous claims.

4 The great whore, the city of Rome, and the goddess Roma Revelation 17 contains both portraiture and prophecy related to Roman rule. Both are complex, multi-layered, and at times ambiguous. The beginning of the passage links it with the preceding account of the seven bowls and also to the vision of the new Jerusalem later in the work. One of the seven angels who had the seven bowls approaches John and offers to show him “the judgment of the great whore who is seated by many waters.”41 The vision of the bride, the wife of the Lamb, is introduced in a similar way in 21:9. The parallel introductions suggest that two women, representing two cities, are being contrasted rhetorically to move the audience to 38 See Steven J. Friesen, “Provincial Cults from Gaius to Domitian,” chapter 3 of idem, Imperial Cults and the Apocalypse of John (New York: Oxford University Press, 2001), 39–55. 39 Walter Bauer, W. F. Arndt, F. W. Gingrich, and Frederick William Danker (eds.), A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature (3rd ed.; Chicago: University of Chicago Press, 2000), s.v. . Cf. Gal 6:17. 40 Loc. cit., s.v. ‡Š. 41 In American English, “whore,” “prostitute,” and “harlot” all have the primary meaning of a woman who engages in promiscuous sexual intercourse for pay. In contemporary usage, however, “prostitute” is preferred for such a woman, whereas “whore” is also used more generally for a promiscuous woman who is not technically a sex-worker. “Harlot” has become archaic. An advantage of the term “whore” and its related verb is that the latter especially can also be used of men. This usage corresponds to the use of the verb %  with a male subject in Revelation, e.g., 17:2.

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avoid the first and choose the second. The reference to “the judgment of the great whore who is seated by many waters” introduces the whole of 17:1–19:10. The phrase “many waters” recalls the oracles of judgment against Babylon in Jeremiah 50–51.42 This inter-textual connection fits with the depiction of the whore’s forehead in verse 5, on which “a name is written, a mystery, Babylon the great, the mother of whores and of the abominations of the earth.” Verses 3–6 in chapter 17 include an £ ` , a picture composed with words.43 The introduction and portrait of the woman emphasize that she is a “great whore” (v. 1) and “the mother of whores and of the abominations of the earth” (v. 5). The term % @ here probably has primarily a metaphorical meaning (whore), but it may also suggest a comparison with a professional prostitute. Hosea apparently created the dominant metaphorical meaning of the term ]RQDin the Hebrew bible and thus, indirectly, of the term % @ in the Septuagint. Hosea used ]RQD “to characterize and indict Israel’s worship.” Israel is “represented as the land, mother of the inhabitants, but interchanging with the inhabitants themselves, always conceived as male.” She “is depicted as a promiscuous wife who abandons her husband for lovers, behaving like a common prostitute in search of hire. The activity represented by the metaphor is cultic activity,” that is, worship of “the baals,” rather than the God of Israel.44 In the Hebrew Bible and the Septuagint, the term “whore” (and the related verb) is most often used of Israel, Samaria, Judah, and Jerusalem.45 42 Especially Jer 51:13. In the LXX the phrase is ©  \  |` Ï^ %‹. Cf. David E. Aune, Revelation 17–22 (WBC 52C; Nashville, Tenn.: Thomas Nelson, 1998), 926. See also Ps 137:1 (136:1 LXX). 43 Adela Yarbro Collins, “The Apocalyptic Ekphrasis,” in 1900th Anniversary of St. John’s Apocalypse: Proceedings of the International and Interdisciplinary Symposium (Athens – Patmos, 17–26 September 1995), (Athens: Monastery of St. John the Theologian on Patmos, 1999), 449–64; Aune, Revelation 17–22 (see n. 42), 919–28; Robert M. Royalty, Jr., The Streets of Heaven: The Ideology of Wealth in the Apocalypse of John (Macon, Ga.: Mercer University Press, 1998), 177–79; Barbara R. Rossing, The Choice between Two Cities: Whore, Bride, and Empire in the Apocalypse (HTS 48; Harrisburg, Pa.: Trinity Press International, 1999), 21–25, 77–82. Usually an £ `  is a detailed verbal description of a work of art; I use the term here, however, to refer to a portrait constructed verbally. 44 Phyllis A. Bird, “‘To Play the Harlot’: An Inquiry into an Old Testament Metaphor,” in Peggy L. Day (ed.), Gender and Difference in Ancient Israel (Minneapolis, Minn.: Fortress Press, 1989), 75–94. Reprinted as chapter 10 in Phyllis A. Bird, Missing Persons and Mistaken Identities: Women and Gender in Ancient Israel (OBT; Minneapolis, Minn.: Fortress, 1997), 219–36. The reprint is cited here; quotations in the paragraph above are from p. 236. 45 Hos 4:10–19 (Israel); Isa 1:21 (Jerusalem); 57:3 (the postexilic community in Judah); Jer 3:3 (Israel and Judah); Ezek 16:30, 31, 35 (Jerusalem); 23:43, 44 (Samaria and Jerusalem).

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On two occasions it is used of foreign cities: of Nineveh in the book of Nahum and of Tyre in Isaiah 23. It would seem that the usage in relation to foreign cities is more relevant to its use in Revelation of “Babylon.” In both Nahum and Isaiah 23, the literary context suggests a variety of reasons for the use of language of whoring. At the beginning of the relevant oracle against Nineveh, bloodshed, deceit, and plunder are mentioned (Nahum 3:1). The immediate context has a different nuance: Because of the countless debaucheries46 of the prostitute, gracefully alluring,47 mistress of sorcery, who enslaves (Hebrew, sells48) nations through her debaucheries, and peoples through her sorcery, I am against you, says the Lord of hosts, and will lift up your skirts over your face; and I will let the nations look on your nakedness and kingdoms on your shame. I will throw filth at you and treat you with contempt, and make you a spectacle. Then all who see you will shrink from you and say, “Nineveh is devastated; who will bemoan her?” Where shall I seek comforters for you? (Nahum 3:4–7; trans. NRSV)

The language here is open to a number of interpretations. The references to bloodshed and plunder link the oracle to the violent military conquests of the Assyrians.49 In this light, the beauty and graceful allure of the personified city may express the attraction exercised by power and dominance. Isa 23:1–14 is “an ironic injunction to others to lament.”50 This passage may have been a model for Revelation 18, which is also an ironic lament. The two texts also share references to merchants, trade upon the sea, and princes, rulers, or kings.51 The poem of Isa 23:1–14, however, does not use imagery of prostitution. Such imagery occurs in the later addition to the poem in verses 15–18.52 These verses reflect or envision an improvement in the condition of Tyre, seventy years after the destruction reflected in the preceding poem. The addition goes on to say: At the end of seventy years, it will happen to Tyre as in the song about the prostitute: Take a harp, go about the city, you forgotten prostitute! Make sweet melody, sing many songs, that you may be remembered. At the end of seventy years, the Lord will visit Tyre, and she will return to her trade, and will prostitute herself with all the kingdoms of the world on the face of the earth. Her merchandise and her wages will be dedicated to 46

The word is %  in the LXX. Greek: % @ —  |% ‡• (variant: |%‡ ). 48 The Greek also reads “sells” (%*\). 49 On the date of Nahum, see Kevin J. Cathcart, “Nahum, Book of,” ABD 4.998– 1000, especially 998–99. 50 Joseph Blenkinsopp, Isaiah 1–39 (AB 19; New York: Doubleday, 2000), 344. 51 Merchants: Isa 23:8; Rev 18:3, 11 (£% in LXX and Revelation); trade upon the sea: Isa 23:2–3; Rev 18:17, 19; rulers: Isa 23:8 (MT: whose merchants were princes; LXX: whose merchants were glorious rulers of the earth), kings of the earth: Rev 18:3, 9. 52 The poem of Isa 23:1–14 is difficult to date. It may come from the neo-Assyrian period, the Babylonian period, or even the Hellenistic period; Blenkinsopp, Isaiah 1–39 (see n. 50), 344–45. The addition in vv. 15–18 is relatively later, so could come from the Babylonian, Achaemenid, or Hellenistic period (345). 47

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the Lord; her profits will not be stored or hoarded, but her merchandise will supply abundant food and fine clothing for those who live in the presence of the Lord. (Isa 23:15b– 18; trans. NRSV)

It is somewhat paradoxical that the trade and merchandise of Tyre is associated with prostitution yet will be dedicated to the Lord and used by the people of the Lord. A reason for the use of imagery of prostitution may be found in the preceding poem: Who has planned this against Tyre, the bestower of crowns, whose merchants were princes, whose traders were the honored of the earth? The Lord of hosts has planned it – to defile the pride of all glory, 53 to shame all the honored of the earth. (Isa 23:8–9; trans. NRSV)

From this point of view, it is not trade and merchandise themselves that are problematic. Rather, it is the pride of the people of the city of Tyre and their associates that is offensive. This interpretation explains the reversal by which it is the people of the Lord who will enjoy the profits of Tyre’s trade. The additional verses, however, speak about Tyre returning to her trade and prostituting herself with all the kingdoms of the world on the face of the earth. Such language implies that there is something wanton or immoral about such trade. This implication may be due to the assumption that dishonesty and exploitation are inevitably involved in inter-city or international trade. Another possibility is that the prostitute metaphor expresses a conservative social perspective that values wealth resulting from land more highly than wealth deriving from commerce.54 Finally, economic changes may be viewed in moral terms.55 53 Blenkinsopp, Isaiah 1–39 (see n. 50), 341–42, translates “to puncture all pride and splendor,” following 1QIsaa. See also Ezek 28:16–18, part of a lament over Tyre, which attributes its downfall to violence, pride, and injustice in trade. 54 Cf. Royalty, Streets of Heaven (see n. 43), 102–11, 209–10. 55 Marvin L. Chaney has argued that in the eighth century B.C.E. the kings of Israel and Judah (Jeroboam II and Uzziah), reorganized their economies to facilitate participation in international trade. The creation of more efficient, large farms destroyed the old system of subsistence farming by the peasants and made their lives less stable and secure; “Bitter Bounty: The Dynamics of Political Economy Critiqued by the Eighth-Century Prophets,” in Norman K. Gottwald and Richard A. Horsley (eds.), The Bible and Liberation: Political and Social Hermeneutics (rev. ed.; Maryknoll, N.Y.: Orbis; London: SPCK, 1993), 250–63; idem, “Micah – Models Matter: Political Economy and Micah 6:9–15,” in Philip F. Esler (ed.), Ancient Israel: The Old Testament in Its Social Context (London: SCM, 2005), 145–60, especially 146–49. For an analysis of similar changes in the economy of Judea in the first century C.E., see Martin Goodman, The Ruling Class of Judea: The Origins of the Jewish Revolt against Rome A.D. 66–70 (Cambridge: Cambridge University Press, 1987), 51–75. See also Keith Hopkins, “Taxes and Trade in the Roman Empire (200 B.C. – A.D. 400),” JRS 70 (1980), 101–25. He describes the hardship imposed on simple cultivators by the Roman imposition of money taxes and their

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The significance of the “whore” metaphor in Revelation 17 may be sought first of all in verse 2: “the kings of the earth went whoring [with her] and the inhabitants of the earth became drunk with the wine of her whoredom.” This imagery could signify the great attractiveness of Rome’s power and wealth. The language of whoring and drunkenness implies that all who dwell on the earth, including kings, took leave of their senses and acted irrationally in seeking to fulfill their desires, desires that the woman was able to satisfy. The angel then transports John “in the spirit” to an uninhabited place. The £ `  proper then begins. John sees a woman seated upon a scarlet beast. The color of the beast (   ) is the same as one of the colors of her luxurious garments (v. 4). This scarlet or generally red color recalls the great dragon of 12:3, which is fiery or red (%€). The beast of chapter 17 is also described as full of blasphemous names. The beast from the sea is described as having blasphemous names on his seven heads.56 The beast of chapter 17, like the dragon and the beast from the sea, has seven heads and ten horns. As argued earlier, the beast of chapter 17 is, for all intents and purposes, equivalent to the beast from the sea. Like the beast from the sea, it symbolizes the Roman empire and individual emperors. In chapter 17 the focus broadens to include the whore who symbolizes the city of Rome.

5 The whore as tyrant The £ `  then turns to the clothing and adornment of the woman. She is wearing purple and scarlet and is adorned with gold, precious stones, and pearls. This portrait is similar to some versions of the rhetorical contrast between two women. One of the most similar occurs in the Life of Apollonius of Tyana written by Philostratus in the early third century. The contrast is placed on the lips of Thespesion, the eldest of the naked philosophers who live near the Nile:

expenditure outside the region where they were levied (101). For a defense of the market economies of ancient Israel and Judah and criticism of the prophets’ economic and social views, see Morris Silver, Prophets and Markets: The Political Economy of Ancient Israel (Social Dimensions of Economics; Boston et al.: Kluwer-Nijhoff, 1983), 247–51. I am grateful to Peter Machinist for calling the studies of Chaney and Silver to my attention. 56 The variants in 13:1 are

 and . Aune, Revelation 17–22 (see n. 42), 716, note on 1c, argues that the plural in 17:3 strongly suggests that the plural is original in 13:1.

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You have seen in picture-books the representation of Heracles by Prodicus; in it Heracles is represented as a youth, who has not yet chosen the life he will lead; and vice and virtue stand on each side of him plucking his garments and trying to draw him to themselves. Vice is adorned with gold and necklaces and with purple raiment, and her cheeks are painted and her hair delicately braided and her eyes underlined with henna; and she also wears golden slippers, for she is pictured as strutting about in these; but virtue in the picture resembles a woman worn out with toil, with a pinched look; and she has chosen for her adornment rough squalor, and she goes without shoes in the plainest of raiment, and she would have appeared naked if she had not too much regard for feminine decency.57

Kings and other rulers also wore purple clothing, so the dress of the woman of Revelation 17 may be read as associating her with political power. Dio Chrysostom wrote a discourse on kingship for the emperor Trajan in which he reinterpreted the two women as Lady Royalty and Lady Tyranny.58 Like the kings and inhabitants of the earth in the portrait of the great whore of Revelation, “the majority of men are infatuated” with Lady Tyranny. She also wears a multicolored dress: “Her raiment was of many colours, purple, scarlet, and saffron.”59 The hypothesis that the woman of Revelation 17 is portrayed as a tyrant is supported by the erotic theme in chapters 17 and 18.60 The kings of the earth whore after her, and the inhabitants of the earth are drunk with the wine of her whoredom (17:2). In the portrayal of the great whore’s downfall in chapter 18, one of the reasons for the judgment against her is that “all the nations have collapsed because of the wine of her passionate 57 Philostratus, Vit. Apoll. 6.10; trans. (slightly modified) from F. C. Conybeare, Philostratus (2 vols.; Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1912), 2.33–35. Cited by Rossing, Choice between Two Cities (see n. 43), 78; she also cites Silius Italicus, a first century C.E. politician and poet who wrote an epic about the Second Punic War. In this work he contrasts Pleasure and Virtue (Punica 15.18–31). Pleasure’s robe was of Tyrian purple embroidered with gold. Philo also uses the topos to contrast Pleasure and Virtue. He portrays Pleasure as a prostitute (% @  ‡ %@) in On the Sacrifices of Abel and Cain 21; text from F. H. Colson and G. H. Whitaker, Philo (10 vols.; LCL; Cambridge, Mass.: Harvard University Press; London: William Heinemann, 1927), 2.106; cf. Rossing, ibid. 58 Christopher P. Jones has argued that, in Dio’s first oration, the closing story of Heracles’ choice is a symbolic comparison between Domitian, the “tyrant” personified, and Trajan, a king who “will have Heracles’ protection so long as he remains one”; The Roman World of Dio Chrysostom (Loeb Classical Monographs; Cambridge, Mass.; London: Harvard University Press, 1978), 118; cf. Rossing, Choice between Two Cities (see n. 43), 32. 59 Dio Chrysostom Orations 1.78–81; cited by Rossing, Choice between Two Cities (see n. 43), 32–33. 60 François Hartog has said that “despotic power has eros as its vocation”; The Mirror of Herodotus: The Representation of the Other in the Writing of History (trans. Janet Lloyd; Berkeley: University of California Press, 1988), 330. I am grateful to my colleague Christina Kraus for calling this reference to my attention.

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whoredom” (18:3).61 Another reason is that “all the nations have been deceived by” her sorcery (18:23). The reference to “Babylon’s” sorcery may be an allusion to Isa 47:9.62 The context in Isaiah suggests that the sorceries and enchantments of personified Babylon were insufficient to guarantee her safety and security. The statement in Revelation 18:23, however, picks up and forms an inclusio with the remark about all the nations falling down drunk because of the wine of her passionate whoredom in 18:3. This intra-textual relationship suggests that her “sorcery” in 18:23 alludes to a specific kind of magic, love spells of attraction63 or spells for binding a lover.64 In this case the term “sorcery” (` ) has a metaphorical sense, like the woman’s whoredom. The history of the tyrant-motif began with Greek tragedy.65 It flowered in Greek declamation, and made an impact on Roman rhetoric, historiography, and literature.66 Plato’s discussion of the tyrant in the Republic became particularly influential. Socrates describes how the son of a democratic man becomes a tyrant67 by the engendering of a ruling passion to be the protector of his appetites. He then asks, “And is not this analogy” “the reason why Love ( 0*) has long since been called a tyrant?”68 He and his interlocutor then go on to characterize the tyrant as similar to a drunken man, a mad man, and a deranged man. Socrates concludes, “a man becomes tyrannical in the full sense of the word” “when either by nature or by habits or by both he has become even as the drunken, the erotic, the maniacal.”69 The tyrant’s life revolves around “feasts and carousals and 61 The variant %%* ( ) is to be preferred over %ˆ%*  , contra Nestle-Aland27 and with Aune, Revelation 17–22 (see n. 42), 966, note 3c. In 18:3 and 14:8,  means “intense passion” (contra the NRSV and with Aune, ibid.), whereas in 14:10 it means “fury, intense anger.” In the former two passages, the word refers to the desire experienced and awakened by the whore; in the latter it refers to the wrath of God. 62 Aune, Revelation 17–22 (see n. 42), 1010. 63 See, e.g., PGM IV.94–153; English translation in Hans Dieter Betz (ed.), The Greek Magical Papyri in Translation (2nd ed.; Chicago/London: University of Chicago Press, 1992), 39–40. This spell may be used with either a woman or a man as object. 64 See, e.g., PGM IV.296–466; English translation in Betz, Greek Magical Papyri (see n. 63), 44–47 (a woman is the object); for love spells of attraction in which men are the objects, see Augustus Audollent (ed.), Defixionum Tabellae (Paris: Fontemoing, 1904; repr. Frankfurt am Main: Minerva, 1967), nos. 270–71 (pp. 370–77). 65 In his study of Boethius’s Consolation of Philosophy, Gerard O’Daly devotes a whole chapter to “The Motif of the Tyrant”; The Poetry of Boethius (London: Duckworth, 1991), 74–103. He discusses its origins in Greek tragedy on p. 75. I am grateful to my colleague Christina Kraus for bringing O’Daly’s work to my attention. 66 Loc. cit., 76. 67 Or how a democratic polity leads to tyranny. 68 Plato, Republic 573B; text and trans. from Paul Shorey, Plato: The Republic Books VI–X (LCL; Cambridge, Mass./London: Harvard University Press, 1935), 342–43. 69 Republic 573C; Shorey, Plato (see n. 68), 342–45.

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revellings and courtesans and all the doings of those whose souls are entirely swayed by the indwelling tyrant Eros.”70 Tacitus apparently drew upon the tyrant-type in characterizing Augustus and Tiberius, and Suetonius did the same in portraying “the Caesars and their reigns” “in terms of the misuse of power by autocrats who abandon themselves to luxury and lust.”71 Boethius also made use of the tyrantmotif. He was a wealthy aristocrat who had a stellar career in Rome in the sixth century C.E. In spite of his wealth and power, he “was found guilty of treason and executed, at the instigation of the Ostrogothic king of Italy, Theodoric.” It is striking, in comparison with the book of Revelation, that though Theodoric was the tyrant Boethius knew, it was to the example of Nero that he turned. The reason may have been caution, in part, but he apparently turned to tradition to articulate what was happening to him.72 In his work The Consolation of Philosophy, in the second Nero poem, he observes, “Much as he might deck himself proudly in Tyrian purple and snow-white pearls, Nero was still hated by everybody, rank in his raging excess.”73 Whether by design or coincidence, the portrayal of the whore in Revelation 17–18 has much in common with the Greek and Roman tyrantmotif.

6 The whore as the goddess Roma and a further connection with the moralist tradition The description of the great whore includes the detail that she is holding a golden cup in her hand, which is full of abominations and the unclean things of her whoredom. The term “abomination” (!^ˆ€) signifies anything detestable in the sight of God. In the Greek version of the Jewish scriptures it often refers to things connected with idolatry.74 In the writing prophets, however, the term is also used as synonymous, for example, with injustice ( ) or unjust deeds (  ).75 The term “unclean” ( Š) also has two usages: cultically impure and morally impure. 70

Republic 573D; Shorey, Plato (see n. 68), 344–45. O’Daly, Boethius (see n. 65), 81. 72 Loc. cit., 1, 74. 73 Boethius, Consolation of Philosophy, book 3, poem 4, lines 1–4; trans. from O’Daly, Boethius (see n. 65), 91. 74 Jer 13:27; 39:35 LXX; 51:22 LXX; Ezek 5:9, 11. See Werner Foerster, “!^ , !^ˆ€, !^€ ,” TDNT 1 (1964), 598–600. 75 Jer 4:1 LXX (parallel to % @), Ezek 11:18 LXX (parallel to   ), 20:30 LXX (parallel to   ), Amos 6:8 LXX, where God declares, “I abhor (!^ ) the pride of Jacob;” Ps 5:7 LXX (Thou wilt destroy all who speak falsehood; the Lord abhors [!^ ] a man of blood and deceit); 13:1 LXX (those who are abominable 71

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“The abominations and the unclean things” in the cup are connected with “her whoredom” (% ). As already discussed, the metaphor of whoring is used in a variety of ways in the writing prophets. Similarly, the image can be interpreted variously in Revelation 17–18. If the “abominations and the unclean things” are understood as cultic impurities, the woman’s whoredom can be interpreted as a metaphor for idolatry. This interpretation would make most sense if the idolatry refers to the worship of the goddess Roma and the imperial cults, rather than to the worship of the traditional gods of Rome. This reading would also provide an appropriate segue to the next verse about the name of mystery written on her forehead (17:5). If “Babylon” here signifies the goddess “Roma,” as well as the city of Rome, she is “the mother of whores and of the abominations of the earth” in the sense that the earth is filled with images and temples of Roma and the Caesars. Chapter 13 gives the impression that the imperial cults were highly offensive to John the prophet: “the whole earth followed the beast with amazement, and they worshipped the dragon, because it had given its authority to the beast, and they worshipped the beast, saying ‘who is like the beast and who is able to do battle with it’?” (13:3–4). If “abominations and unclean things” have moral significance, then the woman’s whoredom involves violence, bloodshed, luxurious and exploitative trade, and pride.76 The helmeted head of Roma appeared on the obverse of coins during the Roman republic. Before Cicero, however, Roma was neither a collective nor a goddess; she was simply the personified city. It was the Greeks of Asia Minor who invented the goddess Roma.77 Her oldest known cult, which involved a temple dedicated to her, was established in Smyrna in 195 B.C.E.78 The worship of Roma was one of a variety of cults with in their devices are those who do not do what is good, honest, and upright [‡@@]); 52:1 LXX (abominations are   and being abominable is failure to do what is good [ ]), 118:163 LXX (I hate and abhor [|!^€Š@ ] unrighteousness [^ ], but I love your law), Job 15:16 (being abominable is parallel to drinking unrighteousness). See Foerster, !^ˆ€ (see n. 74), 598. 76 Violence and bloodshed (17:6; 18:24); luxury (18:3, 7a, 9, 11–13, 16); exploitative trade (18:13 end); pride (18:7b). 77 Ronald Mellor, $%& *+ ~  ‘ % %‘%* \ Ã’€ ^›* % ›  Ì! \ ^‘€ ›%€ , 111. |¡   \ Ã’€ @•· ¿1 ^ !— % •@ , œ@ (¶*) (^‡~) @. |¡    ,

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     ^›·. „Wenn sich aber jemand fehlverhält28, soll er bestraft werden, wie es der Verein beschließt. Wenn aber jemandem eine Versammlung angekündigt wird und er nicht hingeht, soll er im Dorf mit einer Drachme bestraft werden, in der Stadt aber mit vier Drachmen. Und wenn jemand heiratet, soll er 2 Drachmen zahlen, bei Geburt eines Knaben 2 Drachmen, eines Mädchens 1 Drachme, beim Kauf eines Grundstücks 4 Drachmen, einer Herde von Schafen 4 Drachmen, von Vieh 1 Drachme. Wenn jemand einen in einer Notlage übersieht und nicht Beistand leistet, ihn gemeinsam aus der Notlage zu befreien, soll er 8 Drachmen zahlen. Jeder, der sich aber bei den Mählern vor einen anderen auf die Liege drängelt, soll noch zusätzlich drei Obolen für den eigenen Platz zahlen. Wenn aber jemand den anderen klagt oder eine Verleumdung verübt, soll er mit 8 Drachmen bestraft werden. Wenn jemand gegen den anderen intrigiert oder seinen Haushalt schädigt29, soll er mit 60 Drachmen bestraft werden. Wenn jemand wegen privater Schulden in Gewahrsam genommen wird, sollen ihm bis zu 100 Silberdrachmen als Darlehen bis zu 30 Tagen gegeben werden, in denen er die Männer (= Gläubiger) auszahlen muss. Es herrsche Wohlergehen.30 Wenn jemand von den Vereinsmitgliedern stirbt, sollen sich alle das Haupthaar scheren lassen und 1 Tag lang ein Mahl halten, wobei jeder sogleich einen

28 A. E. R. BOAK versteht darunter in P.Mich. V S. 92 „the misconduct of a member under the influence of wine“. 29 Gemeint ist wohl Ehebruch mit der Frau eines Vereinsmitglieds; vgl. MEES, Organisationsformen (s. Anm. 22), 387. Der Ehebruch eines Mitglieds war mit MARIANO SAN NICOLÒ, Zur Vereinsgerichtsbarkeit im hellenistischen Ägypten, in: EPITUMBION. Heinrich Swoboda dargebracht, Reichenberg 1927, 255–300: 276, ein gravierendes Vergehen, weil die Vereine „besonderen Wert auf die sittliche Reinheit ihrer Mitglieder“ legten, was einer „allgemeinen hellenistischen Anschauung“ entsprach. 30 Der Wunsch nach allgemeinem Wohlbefinden ist – in einer alternativen Formulierung – auch am Beginn der Vereinssatzung P.Lond. VII 2193 (69–58 v. Chr.) zu lesen – Z. 3: ˜ ¶‡@ („möge sich [alles] wohl verhalten!“).

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Beitrag von 1 Drachme zahlt und zwei Laib Brot, aber bei anderem Menschlichem31 sollen sie 1 Tag lang Mahl halten. Wer sich nicht das Haupthaar schert, soll mit 4 Drachmen bestraft werden. Wer sich nicht am Begräbnis beteiligt und nicht einen Kranz auf das Grab niederlegt, soll mit 4 Drachmen bestraft werden. Das andere aber (soll so geregelt werden), wie auch immer die Gemeinschaft beschließt.“

Einzelne Regelungen sind auch in anderen Vereinssatzungen nachweisbar, so in SB XXII 15460,19–21 (5 v. Chr.)32, P.Mich. V 244,7–8.16–18 (26. August 43 n. Chr.) und 245,24–29 (18. August 47 n. Chr.).33 Ferner ist auf die Satzung einer Genossenschaft, BGU XIV 2371,3.4.6 (1. Jh. v. Chr.), zu verweisen (beachte dort vor allem Z. 3–6) sowie auf P.Lond. VII 2193,13– 19 mit BL X 111 (69–58 v. Chr.?). Verschiedene Dokumente belegen, dass die vom Verein mehrheitlich beschlossenen Regelungen34 mehr oder weniger konsequent umgesetzt und die versprochenen Leistungen auch eingeklagt wurden.35 Dass es in Ägypten auch jüdische Vereine gegeben hat,36 ist von einem Ostrakon aus Apollonopolis (O.Edfou III 368 [= C.Pap.Jud. I 139; 1. Jh. v. Chr.]) und einem Papyrus unbekannter Herkunft (P.Ryl. IV 590 [= C.Pap.Jud. I 138; 51–30 v. Chr.?]) her wahrscheinlich zu machen. Auf dem Ostrakon sind Beitragszahlungen zu Trinkgelagen verzeichnet, die u.a. von einem jüdischen Priester namens Joseph (Z. 5 ÊÌ@%), einem Sephthaïs (Z. 4), einem Themas (Z. 8) und einem Teuphilos (Z. 10) geleistet werden. Alle diese Namen sind vor allem jüdisch belegt oder überhaupt semitischen Ursprungs.37 Der genannte Papyrus ist nur in schlechtem Zustand erhalten und lässt nicht mehr erkennen, welchem vorrangigen Zweck die 31 Gemeint ist vermutlich der Todesfall eines Verwandten (vgl. MEES, Organisationsformen [s. Anm. 22], 387 Anm. 1005). 32 Zum gesamten Dokument siehe ausführlich BRASHEAR, Vereine (s. Anm. 22), 12–18. 33 Siehe dazu auch AMPHILOCHIOS P APATHOMAS, Juristische Begriffe im ersten Korintherbrief des Paulus. Eine semantisch-lexikalische Untersuchung auf der Basis der zeitgenössischen griechischen Papyri, Tyche. Supplementband 7, Wien 2009, 52f. 34 Zur geforderten Stimmenmehrheit siehe KARL H EINRICH SCHNÖCKEL, Ägyptische Vereine in der frühen Prinzipatszeit. Eine Studie über sechs Vereinssatzungen (Papyri Michigan 243–248), Xenia 48, Konstanz 2006, 23–28.98. 35 P.Ryl. II 94 (15–36 n. Chr.) ist ein praktisches Beispiel für Gestellungsbürgschaft durch Vereinskollegen (siehe dazu SCHNÖCKEL, Vereine [s. Anm. 34], 77f), durch SB XXIV 16296 (6. April – 5. Mai 182 oder 31. März – 29. April 158 v. Chr.) ist die Vergabe eines Darlehens an ein Vereinsmitglied bezeugt (siehe dazu ausführlich DAVID MARTINEZ / MARY W ILLIAMS, Records of Loan Receipts from a Guild Association, ZPE 118 [1997], 259–263). 36 Einen guten Überblick über jüdische Vereine in der Diaspora aufgrund literarischer Quellen bietet JOHN M. G. BARCLAY, Money and Meetings. Group Formation among Diaspora Jews and Early Christians, in: Gutsfeld/Koch (Hg.), Vereine (s. Anm. 22), 113–127. Zu den vergleichbaren Strukturen zwischen antiken Vereinen und jüdischen Synagogen siehe HARLAND, Associations (s. Anm. 22), bes. 177–269. 37 Vgl. V. A. TSCHERIKOVER und A. FUKS in C.Pap.Jud. I 254f.

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€ *•, also die „Versammlung“ diente, die laut Z. 1 | ˜ %€‡˜ , also in einem jüdischen „Gebetshaus“ stattfand.38 Eine für unseren Zusammenhang besonders interessante Studie hat kürzlich Andrew Monson vorgelegt,39 der anhand von Beitragszahlungen und Strafbestimmungen in demotischen Vereinssatzungen aus ptolemäischer Zeit festgestellt hat, dass gerade die Verstöße gegen Verhaltensnormen mit besonders harten Strafen belegt wurden. Das durchschnittliche Strafgeld für ein Vergehen entspricht in den demotischen Satzungen in etwa dem Jahresmitgliedsbeitrag, mit besonders hohen Geldstrafen werden Ehebruch mit der Frau eines Vereinsmitgliedes, Gewalttätigkeit und Verleumdung belegt, und zwar mit der drei- bis sechsfachen Höhe des jährlichen Mitgliedsbeitrages.40 In den oben zitierten Vereinsregeln von P.Mich. V 243 ist das Verhältnis von Mitgliedsbeitrag zu Strafgelder zwar nicht derart drastisch, doch werden auch hier Intrige und Ehebruch mit besonders hohen Strafen belegt, immerhin dem fünffachen Monatsbeitrag. Demgegenüber nehmen sich die acht Drachmen, die im Falle der Verweigerung einer Hilfeleistung, bei Klage gegen ein Vereinsmitglied oder aufgrund von Verleumdung einzuheben sind, gering aus. Sämtlichen Satzungstexten ist gemeinsam, dass den Mitgliedern sowohl der ptolemäischen als auch der kaiserzeitlichen Vereine offensichtlich an der Integrität und einer ethisch hochstehenden Lebensweise und Gesinnung besonders gelegen war. Im Anschluss an Charles Tilly41 hat Monson das Konzept eines „trust networks“ auf antike Vereine angewandt. Durch den Beitritt zu einem Verein im Sinne einer auf Vertrauen und Zuverlässigkeit aufgebauten Gesellschaft würden die Mitglieder sowohl nach innen als auch nach außen hin zum Ausdruck bringen, dass sie vertrauenswürdig sind und die Maximen des Vereins teilen. Dies würde auch wirtschaftliche Vorteile bringen, da geschäftliche Beziehungen zwischen Vereinsmitgliedern weniger riskant wären. Durch ihre Beitragszahlungen würden die Vereinsmitglieder einander signalisieren, dass ihrer Institution tatsächlich zu trauen ist. Vergehen, die diese Vertrauenswürdigkeit ganz besonders gefährden würden, werden mit besonders hohen Strafen bedroht (im Falle von P.Mich. V 243 wären dies Intrige und Ehebruch).

38

Vgl. C. H. ROBERTS und E. G. TURNER in P.Ryl. IV S. 63; V. A. TSCHERIKOVER und A. FUKS in C.Pap.Jud. I S. 252–254; PETER RICHARDSON, Early Synagogues as Collegia in the Diaspora and Palestine, in: Kloppenborg/Wilson (Hg.), Voluntary Associations (s. Anm. 22), 90–109: 94 (mit Anm. 18 auf S. 106). 39 MONSON, Ethics (s. Anm. 26). 40 Vgl. die Tabellen bei MONSON, Ethics (s. Anm. 26), 224–233. 41 CHARLES TILLY, Trust and Rule, Cambridge 2005.

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Bei allen Assoziationen, die nun im Blick auf 1Tim und Tit angestellt werden könnten, ist freilich festzuhalten, dass diese Vereinssatzungen keine ethischen Weisungen im engeren Sinn enthalten. Genau genommen geht es bereits um die normierte Fassung von ethischen Weisungen. Hier geht es nicht mehr darum, an die Vereinsmitglieder zu appellieren, sich ethisch korrekt zu verhalten, sondern es wird bereits durch Mehrheitsbeschluss festgelegt, wie Verstöße gegen die zur Norm erhobenen Verhaltensweisen zu ahnden sind. In 1Tim und Tit ist dies – allein schon von der Textsorte her bedingt – anders.

5 Dokumente der (jüdischen) Politeumata Ein weiterer und maßgeblich jüdischer Bereich war ebenfalls relativ stark vom Ziel allgemeiner Integrität und Lauterkeit geprägt: die Politeumata der ptolemäischen Zeit und des frühen Prinzipats.42 Verstöße konnten in relativ umfangreicher Eigengerichtsbarkeit geahndet werden. Die Kenntnis über den jüdischen Bereich haben uns die vor einigen Jahren edierten „Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis“ (P.Polit.Jud.)43 ganz wesentlich bereichert. Der Ausdruck %‘€ konnte Unterschiedliches bezeichnen: „Kultgemeinschaften mehr oder weniger festgefügter ethnischer Gruppen von Soldaten oder Zivilisten oder Soldaten und Zivilisten gemeinsam, oder auch Gruppen von Soldaten ohne einheitlichen ethnischen Hintergrund.“44 Im Falle eines jüdischen Politeuma ist Letzteres natürlich konstitutiv. Die aus Mumienkartonage gewonnenen Papyri von P.Polit.Jud. haben nicht nur die Existenz jüdischer Politeumata im ptolemäischen Ägpyten erwiesen,45 sondern sie legen darüber hinaus nahe, dass der bekannte Brief des Claudius an die Alexandriner (P.Lond. VI 1912 [= C.Pap.Jud. II 153; 10. November 41 n. Chr.]) und das bei Josephus erwähnte Edikt des Claudius (Ant 19,281–285) auf das alexandrinische Politeuma der Juden Bezug nehmen. All dies lässt obendrein vermuten, dass auch die jüdischen Politeumata der Chora in der frühen Prinzipatszeit unverändert weiterbestan42 Siehe dazu u.a. SYLVIE HONIGMAN, Politeumata and Ethnicity in Ptolemaic and Roman Egypt, AncSoc 33 (2003), 61–102. 43 Urkunden des Politeuma der Juden von Herakleopolis (144/3–133/2 v. Chr.) (P.Polit.Iud.). Papyri aus den Sammlungen von Heidelberg, Köln, München und Wien, bearbeitet von JAMES M. S. COWEY und KLAUS MARESCH, PapyCol 29, Köln 2001. Siehe dazu auch SYLVIE HONIGMAN, The Jewish Politeuma at Herakleopolis, SCI 21 (2002), 251–266; DIES., Politeumata (s. Anm. 42). 44 COWEY/MARESCH in P.Polit.Jud. (s. Anm. 43), 7. 45 Über weitere Zeugnisse für die Existenz jüdischer Politeumata in Ägypten siehe a.a.O. 4–9.

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den.46 Selbst unter der Annahme, dass zur Zeit der Abfassung der Pastoralbriefe die Bedeutung der jüdischen Bevölkerung in Ägypten stark abgenommen hatte, könnte die grundsätzliche Bedeutung der Politeumata und ihrer gesellschaftlichen Möglichkeiten noch in Erinnerung gewesen sein.47 Hier ist nun nicht die Zeit, um auf die Struktur der jüdischen Politeumata und die Kompetenzen der Archonten und des Politarches umfassend einzugehen. Inwiefern die Politeumata-Texte unser Thema berühren, vermögen zwei Beispiele ohne weiteren Kommentar zu illustrieren: Beim ersten Text, P.Polit.Jud. 1, handelt es sich um die Eingabe eines gewissen Andronikos, der sich am 7. Oktober 135 v. Chr. als Angehöriger des jüdischen Politeuma an den Politarchen Alexandros wendet; er schreibt – Z. 5–22: ˜ ! \ | | 11 11 @1 1 11 | ޑ ‡   % \ | "€ €11@¡ ›11 | 11[ ] |1%1‘@^ | | ˜ %‘ | ` ‘ ,* ' | | ^›  %~ |  1‡1•1 , | Ï11 ^'  |%’|`’  ’ @ | ‘ %› * |    1 %   |  `¶* . | ^ 1 1 11 1  %| ’ € 1 1 | ^1 !1‹1 1 %111[] | 1\1 (Übersetzung der Hg.: „Am 12. des gegenwärtigen Monats fing Nikarchos, zugehörig zu den Hafenbewohnern, absichtlich auf der Straße einen Streit an. Er beschimpfte mich lange und unziemlich, dann beschuldigte er mich auch grundlos in Anwesenheit einiger Personen, sowohl von Mitgliedern des Politeuma als auch von Nichtjuden. Daher bitte ich, ihn vorzuladen und eine Entscheidung gegen ihn zu treffen“).

Um die Eingabe eines gewissen Petaus handelt es sich bei P.Polit.Jud. 2 (ca. 135 v. Chr.); der erhaltene Text lautet: ¡ ^* % ¡‡@   1 1 | % ¶ | %~ æ’€ \ 6 ‘%%€ | Ê€^1‘€ \ € ‡’ € | | ˜ `€ ˜ . |% | €‡¡ *{ } ‘* |  €11@11’1 1, |  %‹ `€ 1˜ | 111@1`  © 1 1¡11  | –’ `1|’  7 |1%11 1’ 1@1, |  £‡*

~   ‹, |    ^›  × © |‘ — $1%11 1^11‹1  | × |1~1 1 `1‘1 @111 1   !|1’ €1 11€1 € ¡ |   ’1111‘  | ˜ | [`€ ˜ ---] (Übersetzung der Hg.: „An den Politarchen Alexandros und an das Politeuma von Petaus, Sohn des Philippos, Jude, der im Gefängnis festgehalten wird. Da ich gebührend zurechtgewiesen bin, Bekanntschaft mit dem Gefängnis gemacht habe und (nun schon) hinreichend lange zugrunde gehe, zumal ich in der Fremde bin und nicht das Nötige habe, bitte ich als Schutzflehender inständig, mich nicht zu übersehen, sondern Euch um mich zu kümmern, wenn es gerecht erscheint, und anzuordnen, mich aus dem [Gefängnis] herbeizurufen …“).

46

Vgl. a.a.O. 8f. Für Berenike (Cyrenaica) ist ein jüdisches Politeuma für das Jahr 24/25 n. Chr. inschriftlich belegt. 47

Formen ethischer Weisungen in dokumentarischen Papyri

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6 Kritische Überlegungen und Anfragen in Richtung 1Tim und Tit Echte Parallelen zu den umfangreichen ethischen Weisungen und Tugendund Lasterkatalogen in 1Tim und Tit bieten die dokumentarischen Papyri nicht, freilich aber liefern sie Belege für und Bezüge auf das offensichtlich breite Vorhandensein von Verhaltensregeln in verschiedensten Bereichen der Gesellschaft. Im Blick auf den 1Tim (und vielleicht in abgeschwächter Form auf 2Tim und Tit) ist von daher zu fragen: Warum tauchen diese umfangreichen und lehrhaft formulierten Weisungen in einem Brief auf, der vorgibt, ein Gelegenheitsschreiben des Paulus von Tarsus an einen seiner engsten Mitarbeiter zu sein? Sprengen diese den 1Tim kennzeichnenden Abschnitte den Charakter eines an sich situationsbezogenen Briefes oder dient die Briefform – und damit möchte ich die Pseudepigraphie-Frage ein wenig antippen – vielleicht dazu, die Weisungen in eine Form zu kleiden, die damit eher als die des großen Briefeschreibers Paulus ausgegeben werden kann?48 Ist im Hinblick auf die Tatsache, dass alle drei Pastoralbriefe die Situation so beschreiben, als würde „Paulus“ erstmals die Adressaten in den für das gesamte Gemeindeleben notwendigen Regeln unterweisen, eine paulinische Verfasserschaft überhaupt denkbar, wenn man berücksichtigt, dass es sich bei den Adressaten um zwei der engsten Mitarbeiter, Gesandten und – im Falle des Timotheus – sogar Mitabsender einiger Protopaulinen handelt?49 Aus papyrologischer Sicht scheint mir jedenfalls die Frage auf der Hand zu liegen: Warum gibt es die Pastoralbriefe? Und warum haben sie jene Form, in der sie uns vorliegen?

48 Die auffallend wenigen Bezüge zu einer aktuellen Situation (das Magenleiden des Timotheus in 1Tim 5,23; die Nennung der Gefährten, die den Adressaten verlassen haben oder noch bei ihm sind, sowie die Bitte um einen Mantel, um Papyrusrollen und Pergamente in 2Tim 4,9–17.20; beachte ferner 2Tim 1,15–18; 2,17f; Tit 3,12f) könnten fingiert sein und genau diesem Anliegen dienen. 49 Timotheus wird als Mitabsender von 1Thess, 2Kor, Phil und Phlm genannt (ferner von 2Thess und Kol) und wurde von Paulus offenbar mehrmals auch mit mündlichen Weisungen in mehrere Gemeinden gesandt (vgl. 1Kor 4,17; 16,10; Phil 2,19; 1Thess 3,2.6); nach Röm 16,21 weilt er auch während der Abfassung des Röm bei Paulus und lässt die Gemeinde grüßen. Zu Titus als engem Vertrauten und Gesandten des Paulus beachte vor allem 2Kor 2,13; 7–9; 12,18; Gal 2. – Beachte in diesem Zusammenhang noch einmal, dass die Briefe keinen Hinweis auf eine davorliegende mündliche oder briefliche Unterweisung enthalten (vgl. 1Tim 3,14f gegen 1,18), was im Unterschied dazu z.B. bei P.Tebt. III.1 703,258–261 der Fall ist (siehe in der Einleitung zu diesem Artikel).

Die Pastoralbriefe im Licht der dokumentarischen Papyri des hellenistischen Judentums JENS HERZER

Auf den ersten Blick scheint die Annahme, die sich mit dem gestellten Thema verbindet, nicht besonders naheliegend zu sein: dass die Pastoralbriefe etwas mit den jüdisch-hellenistischen Papyrusurkunden zu tun haben und diese zur Erklärung jener etwas beitragen könnten. Es ist in der Arbeit des CJHNT-Projektes bereits an verschiedenen Stellen grundsätzlich herausgearbeitet worden, dass sich die Erforschung und Interpretation des Neuen Testaments im Kontext der hellenistisch-jüdischen Literatur und Kultur nicht auf das Auffinden von Parallelen beschränken kann, durch die eine Erhellung sachlicher und philologischer Befunde oder auch methodischer Fragestellungen im Blick auf das Neue Testament möglich wird. Es geht vielmehr darum, diese Parallelen in ihrer Wertigkeit angemessen zu beurteilen und dabei zu bedenken, inwiefern nicht nur die Interpretation des Neuen Testaments, sondern auch das Verständnis und die Interpretation der hellenistisch-jüdischen Literatur durch die Korrelation mit dem Neuen Testament befördert wird. Während die Frage nach dem Ertrag außerneutestamentlicher Quellen für die Interpretation des Neuen Testaments geläufig ist, erscheint die umgekehrte Interpretationsrichtung nach wie vor ungewöhnlich und bedarf daher einer besonderen methodischen Präzisierung. Das sich stellende Problem ist bereits hinsichtlich der Verhältnisbestimmung literarischer Texte nicht einfach zu beschreiben. Dies gilt umso mehr für die Auswertung nichtliterarischer Texte. Hinzu kommt, dass die Heranziehung nichtliterarischer Papyri als Dokumente der Alltagskultur für die Interpretation des Neuen Testaments einschließlich der dazu notwendigen methodischen Reflexion noch keineswegs so selbstverständlich ist wie diejenige literarischer Texte und daher gegenwärtig (noch) keine zentrale Rolle spielt. Dies steht jedoch in einem gewissen Widerspruch zum Ertrag, den die Einbeziehung derartiger Zeugnisse für das Verstehen neutestamentlicher Schriften haben kann, wie Peter Arzt-Grabner an konkreten Beispielen an-

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schaulich demonstriert hat.1 Das hier im Hinblick auf die Pastoralbriefe gestellte Thema ist relativ offen formuliert, da es zunächst um die methodische Reflexion einer intertextuellen Perspektive geht: Was kann die Wahrnehmung von Form und Inhalt dokumentarischer Papyri als Dokumente des Alltagslebens und der Alltagskultur an Einsichten generieren, die für bestimmte philologische, literarische und theologische Aspekte der Pastoralbriefinterpretation bedeutsam sind? Die methodischen Fragen dieser intertextuellen Perspektive sind vor allem deshalb wichtig, weil mit den dokumentarischen Papyri ein Genre in den Blick gerät, das im Unterschied zu den Pastoralbriefen kein literarisches ist, und dennoch die Pastoralbriefe als zumeist literarisch charakterisierte Briefe einige Gemeinsamkeiten mit den Papyrusbriefen aufweisen. Der Fokus der folgenden Ausführungen liegt zunächst auf diesen methodischen Aspekten, um unter den damit gegebenen Voraussetzungen sowohl die Frage nach dem Genre der Pastoralbriefe als auch Einzelaspekte ihres Inhalts zu untersuchen. Das Folgende versteht sich dabei als eine erste Bestandsaufnahme und Annäherung an diesen Vergleich konkret im Blick auf die Pastoralbriefe. Die Bedeutung der Papyri für die Erforschung des Neuen Testaments zu erkennen und diese neben der selbstverständlichen Heranziehung der literarischen Texte des Altertums zu erschließen, ist schon aufgrund der Aufbereitung und Erschließung der textlichen Grundlagen schwierig, obwohl der Zugang zu den Papyrustexten durch moderne Datenbanken2 inzwischen erheblich erleichtert wurde.3

1 Methodische Überlegungen Hinsichtlich der Untersuchung hellenistisch-jüdischer Papyri ist zunächst zu bedenken, dass sich diese als Dokumente der Alltagskultur in Form und 1

Vgl. dessen Beitrag in diesem Band. Vgl. bes. die Duke Data Bank of Documentary Papyri (DDBDP), erstellt von WILLIAM H. W ILLIS und JOHN F. OATES, zugänglich über http://www.perseus.tufts.edu/hop per/collection?collection=Perseus:collection:DDBDP oder das Portal http://www.papyri. info/; vgl. auch http://www.papyrusportal.de/ (Zugriff jeweils März 2010). 3 Vgl. dazu vor allem das von Peter Arzt-Grabner initiierte und mit einem Band zum Philemonbrief eröffnete Projekt der „Papyrologischen Kommentare zum Neuen Testament“ an der Universität Salzburg; vgl. PETER ARZT-GRABNER, Philemon, Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament 1, Göttingen 2003; weiterhin sind bisher ein Band zum 1Kor (PETER ARZT-GRABNER / RUTH ELISABETH KRITZER / AMFILOCHIOS PAPATHOMAS / FRANZ WINTER, 1. Korinther. Mit zwei Beiträgen von Michael Ernst, unter Mitarbeit von Günther Schwab und Andreas Bammer, Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament 2, Göttingen 2006) sowie zum 2Thess (CHRISTINA KREINECKER, 2. Thessaloniker, Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament 3, Göttingen 2010) erschienen. 2

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Inhalt in der Regel – sofern sie in griechischer Sprache geschrieben sind – nicht oder nur unwesentlich von den Papyrusurkunden nichtjüdischer Provenienz unterscheiden. Oft sind sie als jüdische Papyri gar nicht unmittelbar erkennbar, sondern können lediglich durch bestimmte kontextuelle Beobachtungen und Daten bzw. Namen als solche identifiziert, gelegentlich auch nur vermutet werden. Diese Feststellung ist zugegebenermaßen recht formal und allgemein. Mit ihr verbinden sich jedoch weitere methodische Überlegungen, zumal die Betrachtung der Pastoralbriefe im Licht der Papyrusurkunden nur einen Teilaspekt ihrer Interpretation darstellen kann. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der literarische Charakter der Pastoralbriefe und ihre komplexe Beziehung zur Paulustradition insgesamt nach wie vor sehr umstritten sind. In der Forschung dominiert darüber hinaus ein interpretatorisches Paradigma, wonach die Pastoralbriefe nicht nur als ein literarisch konzipiertes „Corpus Pastorale“ eines Autors verstanden,4 sondern maßgeblich aus der Perspektive hellenistisch-römischer Popularphilosophie erklärt werden, ohne dass dabei speziell ein jüdischer Hintergrund vorausgesetzt wird.5 Unter pseudepigraphischer Voraussetzung ist zudem zu beachten, dass Paulus als ein jüdisch-hellenistischer Autor nicht tatsächlich, sondern lediglich fiktiv6 eine Rolle spielt und demgegenüber der (oder die) eigentliche(n) Verfasser nicht unbedingt als jüdisch4

Vgl. dazu vor allem den maßgeblichen und programmatischen Aufsatz von PETER TRUMMER, Corpus Paulinum – Corpus Pastorale. Zur Ortung der Paulustradition in den Pastoralbriefen, in: K. Kertelge (Hg.), Paulus in den neutestamentlichen Spätschriften. Zur Paulusrezeption im Neuen Testament, QD 89, Freiburg u.a. 1981, 122–145. 5 Vgl. exemplarisch im Blick auf konkrete Aspekte z.B. ABRAHAM J. MALHERBE, Medical Imagery in the Pastoral Epistles, in: W. E. March (Hg.), Texts and Testaments. Critical Essays on the Bible and Early Church Fathers (FS S. D. Currie), San Antonio 1980, 19–35; ANGELA STANDHARTINGER, Eusebeia in den Pastoralbriefen. Ein Beitrag zum Einfluss römischen Denkens auf das entstehende Christentum, NT 48 (2006), 51–82; sowie für eine Gesamtinterpretation TIMO GLASER, Paulus als Briefroman erzählt. Studien zum antiken Briefroman und seiner christlichen Rezeption in den Pastoralbriefen, NTOA/StUNT 76, Göttingen 2009. Bei der Frage nach der Identifikation traditionsgeschichtlicher Bezüge und Interpretationsvoraussetzungen spielt auch die differenzierte Betrachtung konkreter inhaltlicher Aspekte einerseits und eine generelle literarische Einordnung der Schriften andererseits sowie die Verhältnisbestimmung dieser unterschiedlichen Perspektiven eine Rolle. Zu berücksichtigen ist ferner, dass nicht auf jeden der drei Pastoralbriefe dieselben Kategorien in demselben Maße zutreffen wie auf die jeweils anderen, so dass auch innerhalb der Pastoralbriefe nochmals hinsichtlich Genre und Inhalten zu differenzieren wäre. Daraus resultiert eine sehr komplexe Ausgangslage für die Interpretation. 6 Vgl. dazu bes. ANNETTE MERZ, Die fiktive Selbstauslegung des Paulus. Intertextuelle Studien zur Intention und Rezeption der Pastoralbriefe, NTOA/StUNT 52, Göttingen/Fribourg 2004, sowie den Beitrag von MICHAELA ENGELMANN, „Ich, Paulus.“ Die Paulusbilder der Pastoralbriefe, in: M. Lang (Hg.), Paulus und Paulusbilder, Arbeiten zur Bibel und ihrer Geschichte 31, Leipzig (im Druck).

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hellenistische Autoren angesehen werden müssen. Im Gegenteil: Aufgrund der hochgradig von griechisch-römischen Kontexten und Intertexten geprägten Inhalte der Pastoralbriefe kann dies unter der gegebenen Voraussetzung mit guten Gründen bezweifelt werden. Wenn die Pastoralbriefe ein literarisches Korpus darstellen und ihre Bedeutung aus literarischen Zusammenhängen zu erschließen ist, dann spielen notwendig die Parallelen zu hellenistisch-römischer Literatur eine erhebliche Rolle. Das wiederum bedeutet, dass man für eine Interpretation der Pastoralbriefe im Licht nichtliterarischer Papyri zunächst einmal sehr gründlich reflektieren muss, inwiefern ein solcher Vergleich aufgrund der Verschiedenartigkeit der zu vergleichenden Korpora überhaupt möglich ist, was dabei eigentlich zueinander ins Verhältnis gesetzt werden soll und mit welcher Zielsetzung dies geschieht.7 Bei den als echt geltenden Paulusbriefen ist immerhin eine authentische Situation und Relation von Autor und Adressaten gegeben, wie sie auch bei Papyrusbriefen und -urkunden vorauszusetzen ist. Bei den Pastoralbriefen hingegen liegt – folgt man dem verbreiteten Konsens8 – beides auf einer fiktiven Ebene,9 auf der die Fiktion eines hellenistisch-jüdischen Autors (Paulus) mit den Absichten des oder der mutmaßlich nichtjüdischen Autors bzw. Autoren der Pastoralbriefe vermischt wird. Für die Adressaten gilt dies analog. Wenn allerdings die Pastoralbriefe einen tatsächlich aktuellen Briefcharakter besitzen, dann verschiebt sich notwendig auch die Interpretationsperspektive. Damit würden intertextuelle Bezüge zu literarischen Werken der Antike zwar keineswegs obsolet, aber sie wären doch insofern zu relativieren, als ein alltagshermeneutischer Aspekt für das Verstehen von Eigenart und Pragmatik der Schreiben hinzutritt. Wenn die bekannte Einschätzung Henry Meechams stimmt, ein nichtliterarischer Brief könne „only be adequately interpreted in close relationship with its writer and reader(s) and their circumstances“10, dann ist nicht nur für die Pastoralbriefe evident, dass es hier ein 7 Vgl. zu den methodischen Fragen besonders ARZT-GRABNER, Philemon (s. Anm. 3), 37.44–49 u.ö.; vgl. auch DERS., Analyse der Paulusbriefe auf dem Hintergrund dokumentarischer Papyri, Protokolle zur Bibel 3 (1994), 99–114; DERS., Ägyptische Papyri und das Neue Testament. Zur Frage der Vergleichbarkeit von Texten, Protokolle zur Bibel 6 (1997), 21–29. 8 Vgl. dazu kritisch JENS H ERZER, Abschied vom Konsens? Die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe als Herausforderung an die neutestamentliche Wissenschaft, ThLZ 129 (2004), 1267–1282, sowie das Themenheft ThQ 187 (2007). 9 Man spricht in diesem Zusammenhang von „doppelter Pseudonymität“; vgl. WERNER STENGER, Timotheus und Titus als literarische Gestalten. Beobachtungen zur Form und Funktion der Pastoralbriefe, Kairos 16 (1974), 252–267, 254f; vgl. auch HARALD HEGERMANN, Der geschichtliche Ort der Pastoralbriefe, in: ThV 2 (1970), 47–64, 56. 10 HENRY G. MEECHAM, Light from Ancient Letters. Private Correspondence in the Non-Literary Papyri of Oxyrhynchus of the First Four Centuries and Its Bearing on New Testament Language and Thought, London 1923, 37.

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interpretatorisches Problem gibt, sondern erst recht auch für deren Vergleich mit nichtliterarischen jüdischen Papyri. Die Komplexität dieses Vergleichs und das Problem im Hinblick auf das hier gestellte Thema wird dadurch verstärkt, dass natürlich auch das hellenistische Judentum auf literarischer Ebene stark von popularphilosophischen Traditionen der griechisch-römischen Welt beeinflusst ist und auf nichtliterarischer Ebene an den sprachlichen Konventionen der griechischen Alltagskultur partizipiert, und zwar so selbstverständlich, dass eine scharfe Trennung beider Bereiche nicht möglich ist und allenfalls punktuell spezifisch jüdische Vorstellungen eine Rolle spielen. Die jüdischen Alltagspapyri bzw. nichtliterarischen Papyri sind selbstverständlich Teil der griechisch-römischen Alltagskultur insgesamt und folgen in Sprache und Formen unterschiedlichen Typs im Wesentlichen auch den allgemeingültigen gestalterischen Gesetzen und Konventionen. Wie in anderen Bereichen auch, so verwischen insbesondere im Blick auf das Genre der Alltagskorrespondenz die Grenzen zwischen jüdisch und pagan, so dass für viele der im Folgenden darzustellenden Aspekte selbstverständlich auch pagane Papyri herangezogen werden könnten.11 Dieser Umstand macht allerdings nur einmal mehr deutlich, in welch hohem Maße jüdisches Alltagsleben mit seinen unterschiedlichen Dimensionen in die hellenistisch-römische Kultur verwoben ist, und zwar sehr viel stärker als dies etwa bei literarischen Werken der Fall ist, die auf der Ebene des Literarischen jüdische Tradition entfalten und damit auf ganz andere Weise jüdische Identität reflektieren können. Damit hängt das bereits erwähnte methodische Problem zusammen, dass die Pastoralbriefe in der Forschung zumeist als ein literarisches Werk in Form eines literarischen Briefkorpus, einer Briefsammlung bzw. eines Briefromans angesehen werden und als solches vielfach eher mit literarisch-philosophischen Briefsammlungen wie etwa den Sokrates- und Sokratikerbriefen, den Chionbriefen oder auch dem Briefwechsel zwischen Paulus und Seneca verglichen und vor diesem Hintergrund interpretiert werden.12 Der pseudepigraphische Charakter und die damit verbundene Absicht können unter dieser Voraussetzung nur aufgrund von Vergleichen mit den literarischen Briefen und Briefsammlungen der Antike plausibel erklärt werden. Das bedeutet, dass der Vergleich der Pastoralbriefe mit den 11

Vgl. ARZT-GRABNER, in diesem Band. Vgl. dazu bes. GLASER, Briefroman (s. Anm. 5), passim, sowie KATHARINA LUCHNER, Pseudepigraphie und antike Briefromane, in: J. Frey u.a. (Hg.), Pseudepigraphie und Verfasserfiktion in frühchristlichen Briefen – Pseudepigraphy and Author Fiction in Early Christian Letters, WUNT 246, Tübingen 2009, 181–232; JENS HERZER, Fiktion oder Täuschung? Zur Diskussion über die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe, a.a.O. 489–536, bes. 516–523. 12

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nichtliterarischen Papyri bzw. Alltagsdokumenten vor allem im Blick auf bestimmte Einzelaspekte sinnvoll erscheint, die sich – wie Peter ArztGrabner gezeigt hat – auf die Interpretation bestimmter inhaltlicher Details, Stereotypen, Formeln, Clichés usw. beziehen – eine Perspektive, die die Pastoralbriefe allerdings mit allen anderen neutestamentlichen Briefen teilen. Für eine umfassende Einschätzung der spezifischen literarischen oder epistolographischen Charakteristik und Intention der Pastoralbriefe scheint der Ertrag eines solchen Vergleichs mit nichtliterarischen Dokumenten eher begrenzt zu sein. Schließlich ist damit die Frage aufgeworfen, ob bzw. inwiefern die Pastoralbriefe als „wirkliche“ Briefe gelten können, die aus einer tatsächlich gegebenen, aktuellen Situation geschrieben wurden, oder ob sie vor allem aus der Perspektive der pseudepigraphischen Fiktionalität rein literarische Werke sind. Dann stünde ein aktueller Bezug gerade nicht im Vordergrund, sondern eine literarische Absicht, die auf Traditionssicherung, Traditionsweitergabe und Normativität ausgerichtet ist. Unter diesem Gesichtspunkt wäre der literarische Anspruch mit der Tatsache ins Verhältnis zu setzen, dass die Pastoralbriefe Elemente enthalten, die in literarischen Briefen eher ungewöhnlich sind, insofern sie auf Alltäglichkeiten verweisen, deren literarische Funktion nicht eindeutig bestimmt werden kann. Hier verbindet sich die Frage nach dem literarischen Anspruch und dem Ausmaß der Verwendung alltagsbrieflicher Elemente bei der konkreten Gestaltung einerseits mit der notwendigen und umstrittenen Unterscheidung zwischen Fiktion oder bewusster Täuschung andererseits.13 Es ist daher deutlich, dass mit den hier angerissenen methodischen Fragen die Interpretation der Pastoralbriefe vor dem Hintergrund literarisch-philosophischer Briefkorpora in eine gewisse Spannung tritt zu Vergleichen mit dokumentarischen Schreiben aus dem Alltagsleben. Diese Problematik hat insbesondere bei der Diskussion um das Genre der Pastoralbriefe eine Rolle gespielt. Hervorzuheben ist dabei etwa die Auseinandersetzung über die Bedeutung des Papyrus Tebtunis III 703, eines ptolemäischen Memorandums ($% @) aus der hellenistischen Zeit des 3. Jh. v. Chr. mit Anweisungen eines Vorgesetzten an einen neu eingesetzten Verwalter, sowie die Verwandtschaft14 dieser Gattung mit den späteren römischen mandata principis, die seit den Arbeiten von Ceslas Spicq15 und insbesondere Benjamin Fiore16 als Vergleichstexte zu Form und Anlage des 1Tim und 13

Vgl. HERZER, a.a.O. passim. Vgl. ARTHUR S. HUNT / J. GILBART SMYLY, The Tebtunis Papyri, Bd. III/1, London 1933, 72f; vgl. dazu unten 2.2. Zur Vergleichbarkeit von Papyrusdokumenten aus unterschiedlichen Zeiten und Regionen vgl. ARZT-GRABNER, Ägyptische Papyri (s. Anm. 7), passim; DERS., Philemon (s. Anm. 3), 50–56. 15 CESLAS S PICQ , Saint Paul. Les Épîtres Pastorales, Bd. I, Paris 1969, 33ff. 16 BENJAMIN F IORE, The Function of Personal Example in the Socratic and Pastoral Epistles, AnBib 105, Rom 1986, 79–84. 14

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Tit herangezogen wurden.17 Die Relevanz dieser Parallelen ist in der Literatur jedoch nicht durchgängig akzeptiert worden.18

Dennoch muss man natürlich sehen, dass auch literarisch-philosophische und vor allem auch diplomatische Korrespondenz zumindest bis zu einem gewissen Grad zur Alltagskultur gehört, auch wenn diese Art von „Alltag“ nur bestimmte gesellschaftliche Kreise und Gruppen betrifft. Hierbei zeigt sich, dass die Definition des Begriffes „Alltagskultur“ eine sozialgeschichtliche Relevanz hat, die nicht vernachlässigt werden darf und die im konkreten Fall recht differenziert zu beschreiben und zu beurteilen ist. Alltag ist nicht für jede gesellschaftliche Schicht auf dieselbe Weise definiert. Was für den Alltag der Aristokratie selbstverständlich ist, tangiert noch lange nicht den Alltag einfacher Handwerker, Tagelöhner oder Bauern, deren höchste „literarische“ Leistung sich möglicherweise in Quittungen für geliefertes Holz oder Getreide erschöpft. Diese kurzen Bemerkungen müssen hier als eine methodische Problemanzeige genügen. Sie haben allerdings bereits deutlich werden lassen, dass die Beurteilung der Pastoralbriefe aufgrund ihrer literarisch-epistolographischen und inhaltlichen Eigenarten eine komplexe Herausforderung darstellt, die sich einfachen Lösungen entzieht. Die Perspektive auf ihr Genre und ihre Inhalte von den nichtliterarischen Papyri her ist dabei nur ein Aspekt unter anderen, der mit bisherigen Interpretationsansätzen zu korrelieren wäre und ihnen keinesfalls entgegengestellt werden darf. Im Folgenden sollen neben der Frage nach dem Genre der Pastoralbriefe einige konkrete Beispiele erläutert werden, die sich im Vergleich zu den dokumentarischen Papyri jüdischer Provenienz ergeben. Aus rein pragmatischen Gründen erfolgt hier eine Beschränkung auf das von Victor Tcherikover und Alexander Fuks edierte Corpus Papyrorum Judaicarum, obwohl darüber hinaus auch weitere Textkorpora zu berücksichtigen wären.19 Bei der Frage nach dem Genre der Pastoralbriefe ist auf den P.Tebt. III 703 zurückzukommen, auch wenn dieser nicht zu den jüdischen Papyri gehört.

17 Vgl. weiterhin z.B. MICHAEL W OLTER, Die Pastoralbriefe als Paulustradition, FRLANT 146, Göttingen 1988, 161–177; LUKE TIMOTHY JOHNSON, The First and Second Letters to Timothy. A New Translation with Introduction and Commentary, AncB 35A, New York u.a. 2001, 139–142; MERZ, Selbstauslegung (s. Anm. 6), 180f. 18 S. dazu unten (2.2). 19 VIKTOR A. TCHERIKOVER / ALEXANDER FUKS / MENAHEM S TERN (für Bd. III), Corpus Papyrorum Judaicarum I–III, Cambridge 1957–1964. Zu den Papyri jüdischer Provenienz vgl. vor allem die Papyri des jüdischen Politeuma in Herakleopolis (P.Polit.Iud., 2. Jh.), dazu den Beitrag von PETER ARZT-GRABNER in diesem Band sowie den Überblick in: DERS., Ägyptische Papyri (s. Anm. 7), 22f.

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2 Materiale Beobachtungen 2.1 Zu Form und Genre der Pastoralbriefe Wie Peter Arzt-Grabner zu Recht hervorhebt, ist die „Abgrenzung der Textsorte ‚Brief‘ … insofern schwierig, als im antiken griechisch-römischen Alltag nahezu alles in Briefform abgefasst werden konnte, also nicht nur Briefe in unserem heutigen Sinn, sondern auch Verträge, Quittungen, Anträge an die Behörde usw.“20 Daraus ergibt sich das Problem der Unterscheidung von Privatbrief und Dokumenten mit mehr oder weniger offiziellem Charakter – eine Differenzierung, die auch für die Beurteilung der Pastoralbriefe wichtig ist. Während für den Privatbrief gilt: „Not a word of it is for the public eye”,21 ist es für die Plausibilisierung der pseudepigraphischen Absicht der Pastoralbriefe im Sinne der normativen Traditionssicherung entscheidend, diese Schreiben trotz der persönlichen Adressierung nicht nur als Privatbriefe anzusehen, sondern ihren quasi-offiziellen Charakter hervorzuheben. Es kommt daher darauf an, Analogien für einen solchen öffentlichen Charakter von an Einzelpersonen adressierten Schreiben zu finden. Unter dieser Voraussetzung hat man immer wieder den bereits erwähnten P.Tebt. III 703 als ein anschauliches Beispiel herangezogen, worauf noch näher einzugehen sein wird. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass unter gewissen Umständen auch eine solche Unterscheidung zwischen den Kategorien „privat“ und „öffentlich“ zu kurz greift, denn auch persönliche, familiäre Briefe können – nicht zuletzt mit einem zeitlichen Abstand zu ihrer ursprünglichen Entstehungssituation – gesammelt und herausgegeben werden. Damit verlieren sie ihren ursprünglich privaten Charakter und bekommen eine andere, nunmehr literarische Bedeutung. Die Cicerobriefe etwa sind ein anschauliches Beispiel dafür. Von den paulinischen Briefen gilt der Philemonbrief als der, wie es Adolf Deißmann ausdrückte, „brieflichste Paulusbrief“, der auf ein einziges Papyrusblatt passe.22 Schon 20

ARZT-GRABNER, Philemon (s. Anm. 3), 57 Anm. 4. MEECHEM, Light (s. Anm. 10), 37, in Anlehnung an G. A. Deißmann (vgl. GUSTAV A DOLF DEISSMANN, Bible Studies. Contributions Chiefly from Papyri and Inscriptions to the History of the Language, the Literature, and the Religions of Hellenistic Judaism and Primitive Christianity, Edinburgh 1901, 3; = Übersetzung von: Bibelstudien. Beiträge, zumeist aus den Papyri und Inschriften, zur Geschichte der Sprache, des Schrifttums und der Religion des hellenistischen Judentums und des Urchristentums, Marburg 1895); vgl. auch DERS., Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 41923, 118: „Alle diese Texte, Mietsvertrag, Quittung, Eingabe, Brief und tausend andere, sind unliterarische Blätter, geschaffen nicht von der Kunst, sondern vom Leben, bestimmt nicht für die Öffentlichkeit und die Nachwelt, sondern für den Augenblick und den Alltag.“ 22 GUSTAV ADOLF D EISSMANN, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen 21925, 14f: „Wer den intimsten Charakter der Paulusbriefe am leichtes21

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von seiner äußeren Gestalt sei er daher ein gutes Beispiel für einen Privatbrief und eigne sich hervorragend für einen Vergleich mit Papyrusbriefen als den „authentischsten Zeugnissen“ der Alltagswelt.23 Nicht ohne Grund widmet sich der erste Band der Reihe „Papyrologische Kommentare zum Neuen Testament“ diesem Brief, von dem man im 19. Jh. gerade wegen dieses nichtliterarischen Charakters der Meinung war, er müsse dem Paulus abgesprochen werden.24 Allerdings kann die Länge bzw. Kürze eines Briefes nur ein Aspekt sein, der für sich genommen keine konkreten Schlüsse zulässt.25

Immerhin sind unter diesem Aspekt auch die Pastoralbriefe interessant, weil sie in ihrer Gestaltung in unterschiedlichem Maße Privates und weniger Privates enthalten. Margaret Mitchell bezeichnete sie nicht zuletzt aus diesem Grund als „an odd mix of the personal and the public, of church order and personal exhortation, of instruction and command, of the particular and the general”, woraus sich nach Mitchell seit jeher die Frage ergeben habe, welche Art Text die Pastoralbriefe eigentlich darstellen.26 Und in der Tat legt der Vergleich der Pastoralbriefe mit den dokumentarischen Papyri genau diese Frage nahe: Warum gibt es die Pastoralbriefe überhaupt? Was konkret stellen sie literarisch dar? Wie sind sie literarisch und epistolographisch zu beurteilen? Eine pseudepigraphische Interpretation unter den gegenwärtig vorherrschenden Voraussetzungen macht diese Fragen umso relevanter, je konsequenter von einer einfachen oder auch doppelten Fiktionalität ausgegangen wird. Daher muss man gerade in diesen Punkten mit einem hohen Aufwand argumentieren. ten kennen lernen will, darf nicht mit dem jetzt am Anfang des Corpus Paulinum stehenden Römerbrief beginnen … Man sollte besser mit dem Philemonbriefe beginnen. Dieser ist der kürzeste und wohl auch der brieflichste Paulusbrief, auf ein einziges Papyrusblatt geschrieben, wie zahlreiche gleichzeitige Briefe aus Ägypten auch. Bei ihm versagt die doktrinäre und literarische Auffassung völlig. Es ist eine Entgleisung des historischen Urteils nicht bloß, sondern auch des menschlichen Geschmacks, wenn man dieses köstliche Blatt als einen Traktat über die Stellung des Christentums zur Sklaverei bezeichnet hat.“ Vgl. dazu auch DERS., Licht (s. Anm. 21), 16f. 23 ARZT-GRABNER, Philemon (s. Anm. 3), 45. 24 Vgl. FERDINAND CHRISTIAN BAUR, Vorlesungen über neutestamentliche Theologie, hg. v. F. F. Baur, mit einer Einführung zum Neudruck von W. G. KÜMMEL, Darmstadt 1973 (= Leipzig 1864), 40f, der „das ächte Gepräge seines [sc. des Apostels, J.H.] Geistes“ vermisst (a.a.O. 40); vgl. dazu jedoch bereits HEINRICH JULIUS HOLTZMANN, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament, Freiburg 21886, 274f, der die Unechtheit für nicht erwiesen hält. 25 Vgl. ARZT-GRABNER, Philemon (s. Anm. 3), 58, mit Hinweis auf P.Congr. XV 22 (Mitte 4. Jh. n. Chr.), einen Privatbrief aus Alexandria eines Aurelios Ammon an seine Mutter Senpetechensis, in dem es um das Familienvermögen und darüber hinaus um das Priesteramt für den Neffen geht und der in seiner Länge immerhin mit dem Gal vergleichbar ist; vgl. auch den ebenfalls alexandrinischen Privatbrief BGU IV 1141 (14–13 v. Chr.?). 26 MARGARET M. MITCHELL, PTEBT 703 and the Genre of 1 Timothy. The Curious Career of a Ptolemaic Papyrus in Pauline Scholarship, NT 44 (2002), 344–370, 344.

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Konkret besteht das Problem vor allem darin, dass – im Unterschied zum 1Tim – der Tit und der 2Tim am Schluss jeweils einen längeren Abschnitt enthalten, der über die im Briefkorpus erörterten Themen hinausgeht und persönliche, zum Teil eher banale und alltägliche Dinge anspricht, wie sie in vielfältiger Weise auch für dokumentarische Papyri typisch sind. Sowohl Tit 3,12–15 als auch 2Tim 4,9–22 sind hinsichtlich ihrer Länge und ihres Inhaltes genau das, was man in den Papyrusbriefen zuhauf vorfindet: Ein kurzes persönliches Schreiben mit Anweisungen persönlichster Art, Beschwerden über Dritte (2Tim 4,10), Auskünften über gemeinsame Bekannte (2Tim 4,11f.20), Warnungen vor gefährlichen Menschen (2Tim 4,14f), Hinweisen auf juristische Auseinandersetzungen (2Tim 4,16; Tit 3,13), der Bitte um persönliche Gegenstände (2Tim 4,13), Grüßen an und von Freunden und Bekannten z.T. auch ohne Nennung von Namen (2Tim 4,19–21; Tit 3,15) und eher vagen Andeutungen der persönlichen Umstände (2Tim 4,11.16–18; Tit 3,12). Für jede dieser Notizen ließen sich zahllose Parallelen aus den Alltagspapyri anführen. Dieser Umstand ist so evident, dass hier der Hinweis darauf genügen kann. Die Parallelität dieser Textabschnitte zu Alltagsbriefen sorgte in der Auseinandersetzung um die Pseudepigraphie der Pastoralbriefe immer wieder für Diskussionsstoff. Würde man Tit 3,12–15 oder auch 2Tim 4,9– 22 aus dem Kontext der Briefe herauslösen, hätte man zwei kurze Schreiben, die auf ein Papyrusblatt passen und deren Authentizität unter diesen Voraussetzungen genauso wenig infrage stehen würde, wie die der zahllosen Papyrusbriefe,27 und zwar deshalb, weil man ihre Existenz sonst nur schwer erklären könnte. Die Annahme, hier handele es sich um authentische Stücke, die den ansonsten fiktiven Schreiben angefügt wurden, erscheint vor diesem Hintergrund einmal mehr als eine Notlösung, die dem Problem abhelfen soll, dass diese Textabschnitte unter pseudepigraphischem Vorzeichen noch schwieriger zu erklären sind. Bereits Adolf von Harnack hat in den genannten Passagen der Pastoralbriefe authentische Fragmente erkannt, die der pseudepigraphische Autor an seine fiktiven Ausführungen angefügt hat.28 Für ihn spielte vor allem die Unerfindlichkeit dieser persönlichen Notizen 27 Abgesehen vielleicht von gefälschten Quittungen oder Urkunden. Aber auch das ließe sich nicht nachweisen. 28 Vgl. ADOLF VON HARNACK, Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, Teil II: Die Chronologie, Bd. I: Die Chronologie der Literatur bis Irenäus nebst einleitenden Untersuchungen, Leipzig 1897 (Nachdruck 1958), 480–485, der vermutete, dass aus der Zeit zwischen 59 und 64 stammende persönliche Passagen zwischen 90–100 in drei komponierte Briefe eingefügt wurden, die schließlich ab 130 mit weiteren Interpolationen versehen wurden. Vgl. DERS., Die Briefsammlung des Apostels Paulus und die anderen vorkonstantinischen christlichen Briefsammlungen: sechs Vorlesungen aus der altkirchlichen Literaturgeschichte, Leipzig 1926, 19f: „Mischung von Paulinischem und Fremdem“.

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eine wichtige Rolle, verbunden mit der kaum zu beantwortenden Frage nach deren Funktion unter pseudepigraphischer Perspektive. Hermann von Soden bezeichnete Tit 3,12f (.14f); 2Tim 1,1f.15–18; 4,(6–8.)9–22 als „paul[inische] Reliquien“.29 Die Voraussetzung der Unerfindlichkeit der persönlichen Passagen, insbesondere der Schlussabschnitte des 2Tim und Tit, ist seitdem freilich massiv infrage gestellt worden,30 und man hat immer wieder mit unterschiedlichen Intentionen versucht, die persönlichen Notizen so zu deuten, dass sie das mutmaßliche Anliegen des pseudonymen Autors positiv unterstreichen.31 In einer für die Fragmententheorie maßgeblichen Arbeit hat Percy N. Harrison32 folgende Stücke identifiziert: Tit 3,12–15; 2Tim 4,13–15.20.21a; 2Tim 4,16–18a; 2Tim 4,9– 12.22b; 2Tim 1,16–18; 3,10f; 4,1.2a.5b.6–8.18b.19.21b.22a, diese dann aber auf insgesamt drei Fragmente reduziert. 33 Obwohl diese These weitere Modifikationen erfahren hat,34 wird ihre Überzeugungskraft durch die unterschiedliche Identifizierung der als

29 HERMANN VON SODEN, Die Briefe an die Kolosser, Epheser, Philemon. Die Pastoralbriefe, HC III/1, Freiburg/Leipzig 21893, 181. 30 Vgl. nur MARTIN D IBELIUS / H ANS CONZELMANN, Die Pastoralbriefe, HNT 13, Tübingen 41966, 97: „Allein da das Prädikat ‚unerfindlich‘ hier nichts besagen kann – wie viele Todesnähe atmende Szenen alter und neuer Dichtwerke sind doch ‚erfunden‘! –, so ist jenes Bedenken [sc. gegen die Erfindung von persönlichen Notizen, J.H.] kein Beweis.“ 31 Vgl. dazu z.B. NORBERT BROX, Zu den persönlichen Notizen der Pastoralbriefe, in: ders. (Hg.), Pseudepigraphie in der heidnischen und jüdisch-christlichen Antike, WdF 484, Darmstadt 1977, 272–294; PETER TRUMMER, „Mantel und Schriften“ (2Tim 4,13). Zur Interpretation einer persönlichen Notiz in den Pastoralbriefen, BZ 18 (1974), 193– 207. 32 PERCY N EALE HARRISON, The Problem of the Pastoral Epistles, Oxford 1921, passim, bes. 115–124; zustimmend z.B. CHARLES KINGSLEY BARRETT, The Pastoral Epistles in the New English Bible. With Introduction and Commentary, NCB.NT, Oxford 1963; vgl. kritisch bereits PHILIP CARRINGTON, The Problem of the Pastoral Epistles. Dr. Harrison’s Theory Reviewed, AThR 21 (1939), 32–39; BROX, Notizen (s. Anm. 31), 274. Vgl. dazu ferner HANS BINDER, Die historische Situation der Pastoralbriefe, in: F. C. Fry (Hg.), Geschichtswirklichkeit und Glaubensbewährung (FS F. Müller), Stuttgart 1967, 70–83; WALTER SCHMITHALS, Art. Pastoralbriefe, RGG3 V (1961), 144–148; JAMES D. MILLER, The Pastoral Letters as Composite Documents, MSSNTS 93, Cambridge 1997. 33 PERCY N EALE HARRISON, The Authorship of the Pastoral Epistles, ET 67 (1955– 1956), 77–81, 80f. 34 Vgl. z.B. PIERRE DORNIER, Les Épîtres Pastorales, SBi, Paris 31969, der davon ausgeht, dass die Pastoralbriefe eine später ausgearbeitete Fassung dreier ursprünglicher Schreiben des Apostels Paulus repräsentieren, vgl. dazu jedoch ALFONS WEISER, Der zweite Brief an Timotheus, EKK XVI/1, Neukirchen-Vluyn 2003, 55. Auch STEPHEN G. WILSON, Luke and the Pastoral Epistles, London 1979, passim, konnte seine These, Lukas habe die Pastoralbriefe als Abschluss seines Werkes geschrieben, nur unter Annahme der Verwendung von „travel notes“ des Paulus begründen (vgl. a.a.O. 130f). Dabei muss er freilich zugleich einige ‚Irrtümer‘ des Lukas korrigieren, z.B. dass 2Tim 4,9f ursprünglich von Cäsarea und nicht von Rom aus geschrieben wurde (vgl. a.a.O. 131). MILLER, Letters (s. Anm. 32), passim, bes. 149–151, versteht 2Tim als eine Komposition aus Stücken, die als zwei authentische Notizen des Paulus gelten müssen: 2Tim A (erste Notiz): 2Tim 1,1f(3–5?).15–18; 4,6–8.22a; 2Tim B (zweite Notiz): 2Tim 4,9–21.22b.

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authentisch angesehenen Stücke erheblich eingeschränkt. Norbert Brox hat darüber hinaus auf den Mangel an verlässlichen Kriterien für eine solche Rekonstruktion hingewiesen,35 zumal insbesondere die persönlichen Notizen wortstatistisch auch unter pseudepigraphischer Voraussetzung eher unauffällig sind.36 Jürgen Roloff hat daher zu Recht auf das überlieferungsgeschichtliche Problem aufmerksam gemacht und bestreitet unter Aufnahme einer inzwischen verbreiteten Interpretation der persönlichen Notizen von Peter Trummer die Annahme der Unerfindlichkeit der Fragmente, die eine wichtige Grundlage der Fragmentenhypothese bildet.37 Eine Kombination der Sekretärs- mit der Fragmentenhypothese hat Gottfried Holtz vorgeschlagen.38 Er setzt für 1Tim und Tit voraus, sie seien von einem Sekretär verfasst worden, während der 2Tim aus zwei authentischen Brieffragmenten zusammengesetzt worden sei, dessen erstes „einen ehemals selbstständigen, also dritten Timotheusbrief darstellt, der in den heutigen zweiten Timotheusbrief eingearbeitet ist“.39

Auch wenn neben 2Tim 4,9–22 und Tit 3,12–15 noch einzelne Verse aus dem Briefkorpus aller drei Pastoralbriefe als authentische Fragmente vermutet wurden, ist doch formal auffällig, dass der 1Tim keinen solchen persönlichen Schluss aufweist wie die beiden anderen Briefe. Will man die genannten Abschnitte aus 2Tim und Tit nicht im Sinne einer recht spekulativen Fragmententheorie beurteilen und sie als originären Abschluss der Briefe verstehen, dann ist auf jeden Fall deutlich, dass der 1Tim einen anderen Duktus aufweist und literarisch anders angelegt ist, insofern er offenkundig nicht den Anschein der Authentizität durch übertriebene persönliche Notizen im Stile echter Briefe erwecken will. Zwar ist der Unterschied zum 2Tim immer schon gesehen worden und vom Genre des 2Tim als eines testamentarischen Schreibens her evident,40 aber dies gilt immerObwohl dieser Versuch vor allem wegen des stilistisch unzulässigen Vergleichs mit hellenistisch-jüdischer Literatur, letztlich aber auch wegen der fehlenden Einordnung der Fragmente in die paulinische Mission nicht überzeugt, ist die Feststellung Millers hervorzuheben, dass die Annahme eines einzelnen Verfassers für alle drei Briefe mehr Probleme mit sich bringt, als sie lösen hilft. 35 BROX, Notizen (s. Anm. 31), 274. Vgl. auch CHARLES FRANCIS D IGBY MOULE, The Problem of the Pastoral Epistles. A Reappraisal, BJRL 47 (1964–1965), 430–452, passim. BROX, Notizen (s. Anm. 31), 85.94, sieht in den persönlichen Notizen eine „typisierende Tendenz“ und behauptet „in erheblichem Umfang einen literarischen Charakter“: „Die scheinbar konkreten, historischen Konstellationen sind in Wirklichkeit typische Situationen des kirchlichen Amtes … und werden zu diesem Zweck ‚historisiert‘, ‚einmalig‘ und ‚damalig‘ gemacht.“ Aber auch diese Einschätzung bleibt ein bloßes Postulat. 36 Vgl. DIBELIUS /CONZELMANN, Pastoralbriefe (s. Anm. 30), 3. Nach DAVID COOK, The Pastoral Fragments Reconsidered, JTS 35 (1984), 120–131, stammen die Fragmente von derselben Hand wie der Rest der Briefe. 37 JÜRGEN ROLOFF, Der erste Timotheusbrief, EKK 15, Neukirchen-Vluyn 1988, 32; vgl. TRUMMER, Corpus (s. Anm. 4), 126. 38 GOTTFRIED H OLTZ, Die Pastoralbriefe, ThHK 13, Berlin 1980, 13–17. 39 A.a.O. 17. 40 Vgl. DIBELIUS /CONZELMANN, Pastoralbriefe (s. Anm. 30), 94–97.

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hin auch für den Tit, der mit dem 1Tim hinsichtlich des Genres zumeist in einem Atemzug genannt wird. Michael Wolter etwa hat in seiner Untersuchung zu den Pastoralbriefen von 1988 die notwendige Unterscheidung des 1Tim vom 2Tim im Blick auf das unterschiedliche Genre hervorgehoben, den Unterschied zwischen 1Tim und Tit bei seinem Vergleich des 1Tim mit den offiziellen Behördenschreiben jedoch nicht eigens berücksichtigt.41 Fast zeitgleich mit Wolter hat John L. White in seinem Buch „Light from Ancient Letters“ auf eine wichtige formale Differenzierung für die Einschätzung von Alltagsbriefen hingewiesen: „Generally speaking, if the opening and closing are full, the letter is a family letter or a letter between friends in which the ongoing maintenance of friendship is an important consideration. By contrast, if the opening and closing are minimal, the letter is probably a business letter, a legal transaction in epistolary form, or a piece of administrative correspondence. When the above information is applied to the Christian letter tradition, it is evident that the preservation of friendly or ‚family‘ ties was an important aspect of the correspondence.“42 Auch wenn dies zugegebenermaßen nur ein genereller Anhaltspunkt sein kann, so ist doch deutlich, dass man den 1Tim aufgrund des Fehlens (fast) jeglicher persönlicher Bemerkung mit Schreiben wie den griechischen $%  oder den römischen mandata principis vergleichen kann. Für den Tit ist dies jedoch aufgrund seines persönlichen Schlusses, der zumindest auch Merkmale eines freundschaftlichen Schreibens aufweist, sehr viel weniger plausibel. Dieser Befund macht es notwendig, den Tit noch einmal anders zu bewerten – und zwar unabhängig davon, ob man ihn für authentisch hält oder ob man auch die persönlichen Notizen einer pseudepigraphischen Fiktion zuschreibt. Unter dieser Perspektive stellt der 1Tim in seiner literarischen Gestalt kein Problem dar, wohl aber der Tit und der 2Tim. So hat Wolter sicher Recht, wenn er schreibt: „Briefe sind … literarische Rahmengattungen, in die eine Fülle von Kleingattungen oder auch Einzelelementen anderer Rahmengattungen aufgenommen werden können, ohne daß die jeweilige Großform nur die Summe der in sie aufgenommenen Klein- und Teilgattungen wäre.“43 Allerdings müssen eben auch die Kleingattungen zueinander in ein angemessenes Verhältnis gesetzt werden, um dem Ganzen gerecht zu werden.

41 42 43

WOLTER, Paulustradition (s. Anm. 17), passim. JOHN L. WHITE, Light from Ancient Letters, Philadelphia 1986, 19. WOLTER, Paulustradition (s. Anm. 17), 133.

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2.2 Hypomnemata und mandata principis als Vergleichsmuster für den 1Tim und Tit Bereits Ceslas Spicq hatte in seinem materialreichen Kommentar zu den Pastoralbriefen44 auf die Form der griechischen $%  bzw. der römischen mandata principis hingewiesen, mit denen der 1Tim und der Tit vergleichbar seien. Als herausragendes Beispiel gilt der oben schon erwähnte P.Tebt. III 703, dessen Gattung – wie Michael Rostovtzeff gezeigt hat45 – eine gewisse Verwandtschaft46 mit den späteren römischen mandata principis aufweist. Es handelt sich hierbei zwar nicht um jüdische Dokumente, aber derartige Schreiben werden immerhin auch in jüdischen Texten wie 2Makk oder in Philos Flaccus erwähnt.47 Michael Wolter hat dies 44 SPICQ, Épîtres I (s. Anm. 15), 33; im Anschluss an ihn FIORE, Exemplum (s. Anm. 16), 81–83. 45 MICHAEL ROSTOVTZEFF, 703. Instructions of a Dioecetes to a Subordinate, in: A. S. Hunt / J. G. Smyly (Hg.), The Tebtunis Papyri, Bd. III/1, London 1933, 66–102, bes. 71. 46 Vgl. a.a.O. 72f, wonach eine Abhängigkeit vorauszusetzen wäre: „The influence of the Ptolemaic $% @ is probably to be recognized outside the Roman administration of Egypt. As observed above, in the Gnomon of the idiologus Augustus evidently adopted an existing institution, and it seems most likely that in introducing the use of mandata principis into Roman administrative practice he was equally following the example of the Ptolemies. The mandata show the closest affinity not to the Ptolemaic |  … but to the $% . The same style, the same expressions characterize them.“ Vorsichtiger urteilt ULRICH WILCKEN, Urkunden-Referat, Leipzig 1931, 149, der lediglich von einer Entsprechung und Parallelbildung ausgeht. 47 2Makk 4,24f (von Menelaus):  ^' € š ! ‹  ^¡  š %Ì%Õ ˜ |€‘  À • @ — ‡ *¶ @ $%!  Ê¡*  ¡  €‘€   ›  ! ^' ~ !  ~ | ~ %’  ˜ '

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€  @  !!¡€ ~ £‡* – „Er [sc. Menelaus] empfahl sich dem König, versicherte ihn persönlich seiner Wertschätzung und verschaffte sich (schließlich) das Hohepriesteramt, indem er Jason um 300 Talente Silber überbot. Daraufhin empfing er zwar die königlichen Verfügungen (| ) und kehrte zurück, hatte aber nichts vorzuweisen, was des Hohepriesteramtes würdig gewesen wäre, sondern hatte den Charakter eines rohen Tyrannen und den Grimm eines wilden Tieres.“ Vgl. Philo, Flacc 74 (in der Anklage gegen Flaccus erwähnt Philo schriftliche Verfügungen [| ‘] des Augustus an Magius Maximus zugunsten der jüdischen Gemeinde Alexandrias): ˜ ~ –’ €‘, "  *—  ’@ Å!  |% @’ @   Ê€^   Á ~ — \  ¡‡€ €—

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^˜ ¶ ,  ‘ — %%— ^ ~ ’@ Í %!¶ ^‘€ |@ * ’ €, ½ ' ©¡ , ½ ^'  ^@‹ ¶ ,   ’ ¡ ’  ‘@   *¡@ š  š – „Denn von unserem Ältestenrat, den nach dem Tod des Genarchen der Retter und Wohltäter Augustus zur Fürsorge für die jüdischen Angelegenheiten erwählt und in dieser Angelegenheit |  an Magius Maximus (gesandt) hatte, welcher im Begriff war, erneut Gouverneur von Alexandrien und der Gegenden zu werden, nahm er [sc. Flaccus] 38 gefangen, die in den Häusern aufgefunden

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als Vergleichsmuster für den 1Tim und den Tit aufgegriffen: „Es dürfte kein Zweifel daran bestehen, daß es sich hier um den ptolemäischen Memoranda und den römischen Mandata principis vergleichbare Instruktionen für die Versehung eines neuen Amtes handelt.“48 Dem ist neuerdings auch Luke T. Johnson gefolgt: „Examples like the Tebtunis Papyrus 703 also help account for the odd mixture of personal and public elements in 1 Timothy and Titus, since the combination is found in such letters.“49 Margaret Mitchell hingegen hat zur Vorsicht gemahnt und darauf hingewiesen, dass Johnson den Begriff „Brief“ zu Unrecht auf die memoranda ($% ) bzw. die mandata principis anwende, da diese keine Briefe im eigentlichen Sinne seien.50 Die mandata seien ein Genre administrativer bzw. juristischer Schreiben neben anderen.51 Man könnte die Kritik Mitchells dadurch erweitern, dass man neben der zeitlichen Differenz zwischen P.Tebt. III 703 (3. Jh. v. Chr.) und den Pastoralbriefen (1./2. Jh. n. Chr.) im Anschluss an die von Peter Arzt-Grabner erarbeiteten Kriterien auch auf die grundsätzlich anderen und daher nur schwer vergleichbaren Kontexte beider Überlieferungen hinweist.52 Die Aufnahme des Vergleichs bei Wolter und Johnson sowie die Kritik bei Mitchell markieren somit zugleich das Problem: Während Wolter damit die pseudepigraphische Absicht der Pastoralbriefe plausibilisiert, untermauert die Parallele für Johnson die authentische Verfasserschaft des Paulus. Die Frage ist also auch hier: Was trägt der Vergleich der Pastoralbriefe mit dieser Art von Allwurden und befahl, sie sofort zu fesseln, und veranstaltete eine großartige Prozession mitten über die Agora, die Ältesten mit den Armen auf dem Rücken gebunden – die einen mit Stricken, die anderen mit eisernen Ketten, und führte sie zum Theater als erbärmliches Spektakel und zudem zu einer unmöglichen Zeit.“ Vgl. dazu WOLTER, Paulustradition (s. Anm. 17), 164–170; zu Philos Text vgl. PIETER WILLEM VAN DER HORST, Philo’s Flaccus. The First Pogrom. Introduction, Translation and Commentary, Philo of Alexandria Commentary Series 2, Atlanta 2005, 168–170. 48 W OLTER, Paulustradition (s. Anm. 17), 168f. 49 JOHNSON, Timothy (s. Anm. 17), 141. 50 MITCHELL, Genre (s. Anm. 26), 363f. 51 Nach LEOPOLD W ENGER, Die Quellen des römischen Rechts, DÖAW 2, Wien 1953, 424–438, sind folgende Formen zu unterscheiden: leges datae, orationes et epistulae imperatorum, edicta, mandata, decreta et rescripta, adnotationes, leges generales sowie die sanctio pragmatica. 52 Vgl. dazu die Kriterien für einen sinnvollen Vergleich bei ARZT-GRABNER, Analyse (s. Anm. 7), 107–109: Zum Vergleich geeignet sind Texte aus dem geschichtlichen Umfeld des Neuen Testaments ohne erkennbaren Einfluss des Neuen Testaments, in zeitlicher Nähe und mit vergleichbaren geographischen, kulturellen und sozialen Rahmenbedingungen; vgl. DERS., Philemon (s. Anm. 3), 45–49. All dies trifft auf den Vergleich zwischen den Pastoralbriefen und offiziellen Memoranda bzw. Mandatsbriefen nur bedingt zu. Vgl. dazu die vorsichtigen, aber im Ergebnis doch zuversichtlichen Bemerkungen bei WOLTER, Paulustradition (s. Anm. 17), 169f, mit Hinweis vor allem auf die vergleichbare Kommunikationsstruktur.

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tagspapyri zum Verstehen bei bzw. wo liegen die Grenzen dieses Vergleichs?53 8%  bzw. lat. memoranda bezeichnen Erinnerungen, Ermahnungen oder Aufträge, etwas zu tun. Es gibt sie sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. Bei offiziellen Memoranda handelt es sich um administrative Schreiben, in denen ein höher gestellter Beamter oder gar der Kaiser Anweisungen, Empfehlungen und Aufträge an einen anderen, zumeist im Rang tiefer stehenden Beamten gibt. Michael Rostovtzeff definiert das Genre folgendermaßen: „$% @ is in fact what the word implies, a memorandum. It may be a memorandum for private use, a reminder of either some business to be carried out in the future (e.g. P.S.I. 429, 430) or dealt with in the past (e.g. P. Cairo Zen. 59218, 59297). Or it may be a memorandum addressed to another person in order to remind him of something or to ask him to remind somebody else; to this class, of which many instances occur in Zenon’s correspondence, belong the various official and private reports and petitions or complaints.“54 P.Tebt. III 703, der in dieser Hinsicht einzigartig ist,55 beinhaltet administrative Anweisungen eines gewissen Zenodoros an einen Beamten, vielleicht einen    (der Titel ist nicht genannt) des Distriktes (Nome) Arsinoïte, Ägypten (zitiert werden die Zeilen 254–280, verso, Kolumne III und IV):56 … ž\ ~ $[ 

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[–] Æ ^*  [  ] % \ ![€ % \  $Í %% …

53

Indem ihr nämlich dies tut, erfüllt ihr durch Taten das Erforderliche und (somit) wird für euch alle Sicherheit gegeben sein. Aber über diese Dinge soll es genug sein. Was aber deine Sendung in die Nome angeht, so hielt ich es für gut, das, worüber ich mich mit dir unterredet habe, auch in Form des Memorandums aufzuschreiben. Denn ich war der Meinung, dass ihr im Blick auf höchste Führungsqualitäten sorgsam, korrekt und auf das Beste han-

Vgl. dazu auch MITCHELL, Genre (s. Anm. 26), 367–370. ROSTOVTZEFF, Instructions (s. Anm. 45), 68. 55 Vergleichbare Beispiele sind P.Hib. 77; SB I 5675 (184–183 v. Chr.); UPZ I 110 (164 v. Chr.); vgl. ROSTOVTZEFF, a.a.O. 69; die Abkürzungen erfolgen nach J. F. Oates u.a. (Hg.), Checklist of Editions of Greek, Latin, Demotic and Coptic Papyri, Ostrake and Tablets (aktuell unter http://scriptorium.lib.duke.edu/papyrus/texts/clist_papyri.html; Zugriff März 2010). 56 Der griechische Text ist zitiert aus ROSTOVTZEFF, Instructions (s. Anm. 45), 81f. Die Zitation erfolgt aus praktischen Gründen vereinfacht und weitestgehend ohne die Angabe von unsicheren Buchstaben oder Varianten. Bei den deutschen Texten handelt es sich (auch im Folgenden) um eigene vorläufige Übersetzungen. Für die Durchsicht und wertvolle Hinweise danke ich Annette Graeber und Dr. Christian Streibert. 54

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[Z. 265–269 fragmentarisch] …

delnd vorzugehen in der Lage sein solltet. …

Ò €@ˆ @ ˜ × –  `˜  * , ~ ^' \ [€]  [‹ ]   %‹ | ‹ % , — €[%ˆ]  `  , ` [%]  € ^€

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… wenn unser Wandel und Bemühen in gutem Leumund steht, darüber hinaus aber sollt ihr ordentlich und unnachgiebig in Distrikten agieren, euch nicht verstricken in schlechte Gesellschaft und überhaupt alle Intrige meiden, die auf Bosheit beruht, (und) daran denken: Wenn ihr in diesen Dingen unbescholten seid, werdet ihr höherer (Ämter) gewürdigt werden. Habt stets die Memoranden zur Hand und erstattet über alles Bericht, wie es angeordnet ist.

Aufgrund des eher allgemeinen Charakters besonders der Anweisungen in den letzten 24 Zeilen (257–280) beschreibt Rostovtzeff dieses Dokument als „a kind of vademecum for the oeconomus, who in the closing sentence is advised £‡ ~ $%  ^ ~ ‡ ,  % à Š* |% ˆ[ ] ~ € ˆ  . It is, so to say, his appointment-charter.“57 Es handelt sich also um eine Art Handbuch, einen Verhaltenskodex, der neben Konkretem auch Grundsätzliches und Allgemeingültiges thematisiert, auf dessen Basis der Beamte den konkreten Herausforderungen seines Amtes gerecht werden kann und soll (vgl. Zeile 234–239: „Es ist nicht einfach, alles zu erfassen und euch durch memoranda zu überbringen, wegen der vielfältigen Umstände der Dinge, die sich aus der Situation von Zeit zu Zeit ergeben“).58 In Zeile 257 wird deutlich ein Übergang markiert von den konkreten Handlungsanweisungen zur Aufsicht der Landwirtschaft, von Transporten und anderen konkreten Dingen zu eher allgemeinen Instruktionen. Zeile 258 erwähnt die Sendung59 in die Nome und die Erinnerung, sich an die gegebenen Anweisungen zu halten, die in Gestalt des Memorandums nochmals festgehalten werden (- ^'  %ˆ*    

%^ ˆ‡@ \  ^ ~ \ $%    £‡ $%ˆ! Š}  , 258–261). Darauf folgen Ermahnungen zu einem aufrechten und unbescholtenen Verhalten ( ˆ @), schlechte Gesellschaft zu meiden und dergleichen (270–277).60

57

A.a.O. 69. Der Anklang an Dibelius’ Charakterisierung der Pastoralbriefe als ‚vademecum‘ der Ketzerbekämpfung ist sicher kaum zufällig; vgl. DIBELIUS/CONZELMANN, Pastoralbriefe (s. Anm. 30), 6. 59 %ˆ ist in den Papyrusdokumenten terminus technicus für die mit einer Beauftragung verbundene Sendung einer Person durch eine andere. 60 Zu kritischen Anmerkungen im Blick auf verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten vgl. MITCHELL, Genre (s. Anm. 26), 351–353. 58

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„In our view, then, 703 is one of the many copies of the standard instruction of the dioecetes to the oeconomi. Like the Gnomon of the idiologus, these instructions were modified from time to time, possibly, as the edicts of the praetors and of the governors of the Roman provinces were, by every new dioecetes; and the same will be true of instructions given by the king and other higher officials of the Ptolemaic administration. Similar instructions were doubtless issued by the dioecetes to other subordinates and by the king to the dioecetes himself. It seems likely that certain parts of these instructions were common to all of them, especially those of general character, which represented, so to say, the philosophy of the bureaucracy.“61

Für Rostovtzeff hat sich daher auch nahegelegt, die $%  als Vorläufer der römischen Mandatsschreiben zu verstehen,62 die dann wiederum zeitlich sehr viel näher bei den Pastoralbriefen liegen als der P.Tebt. III 703 aus dem 3. Jh. v. Chr., so dass Mitchells kritische Bemerkungen zur Rezeption von P.Tebt. III 703 in dieser Hinsicht durchaus berechtigt sind. Man muss sicher nicht so weit gehen, hier eine direkte Ableitung zu vermuten, aber die Parallelen derartiger Dokumente in Struktur und Inhalt vor allem zum 1Tim und Tit liegen auf der Hand und machen deutlich, dass diese beiden Briefe sich an das administrative Genre der $%  bzw. mandata anlehnen oder zumindest Aspekte dieses Genres aufnehmen und auch sprachlich Affinitäten dazu aufweisen. Wolter führt diese Affinitäten auf die vergleichbare Kommunikationsstruktur zurück.63 Die strukturelle Nähe der Pastoralbriefe zu diesen Dokumenten – das hat Wolter besonders betont – legt nahe, dass die Anweisungen (zumindest in Auszügen) veröffentlicht werden, wie dies in manchen Memoranda oder auch Inschriften ausdrücklich festgehalten ist. Dies weise darauf hin, „daß die Mandate nicht nur für die Lektüre der Adressaten bestimmt waren, sondern z. T. in Übersetzung publiziert und so in ihrem Wortlaut auch den Provinzialen zur Kenntnis gebracht wurden … Insofern ist es vielleicht auch kein Zufall, daß 1. Tim 6,13 die inhaltlichen Anweisungen des 1. Tim mit dem entsprechenden griechischen Äquivalent (| ) zusammenfaßt.“64 So kann die Heranziehung von Papyrusurkunden wie P.Tebt. III 703 durchaus zur Erhellung des Genres des 1Tim und des Tit beitragen und damit zur Beschreibung der Funktion dieser Schreiben, die sie in einer ak-

61

ROSTOVTZEFF, Instructions (s. Anm. 45), 71. A.a.O. 73. Schwierig bleibt dennoch die Verhältnisbestimmung zwischen $%  und den sog. |  bzw. mandata; vgl. dazu FIORE, Exemple (s. Anm. 16), 81; MITCHELL, Genre (s. Anm. 26), 365, sowie die oben genannten Beispiele aus Philo, Flacc 74 und 2Makk 4,25; vgl. weiterhin z.B. Dio Cassius, Romanike Historia 53.15,4: „Der Imperator gibt Anweisungen (| Š) an die Prokuratoren, die Prokonsuln und die Proprätoren, damit diese genaue Anweisungen hätten, wenn sie in die Provinzen gehen“; P.Vind. 25824b: Mandat des Mettius Rufus unter Trajan. 63 Vgl. W OLTER, Paulustradition (s. Anm. 17), 163f. 64 Vgl. a.a.O. 163.166, mit Hinweis auf BGU VII 1768; IGLS 1998. 62

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tuellen und eben gerade nicht fiktiven Situation hatten,65 obwohl man freilich auch den aktuellen Bezug für eine Fiktion halten kann. Die Herausforderung, die sich daraus ergibt, ist vor allem die Verhältnisbestimmung des Genrevergleichs der Pastoralbriefe mit den dokumentarischen Papyri auf der einen und literarischen Texten auf der anderen Seite. Dies wird besonders beim Vergleich der Arbeiten von Wolter und Fiore deutlich: Während Wolter das Genre von 1Tim und Tit in Analogie zu den memoranda/mantata principis bestimmt, bleibt Fiore skeptisch und beschreibt die Pastoralbriefe primär in Analogie zu literarischen Briefen.66 Allerdings ist hinzuzufügen, dass aus dem Vergleich mit den memoranda und mandata principis über die konkrete Absicht und die Entstehungsverhältnisse des 1Tim und Tit nichts abgeleitet oder begründet werden kann, wie es bisher oft geschehen ist. Mit der Bestimmung einer solchen Gattungsparallele ist die Aufgabe noch nicht gelöst, andere literarische Formmerkmale der Pastoralbriefe dazu ins Verhältnis zu setzen. Dabei ist vor allem deutlich, dass die Frage nach dem Genre im Blick auf 1Tim und Tit unterschiedlich zu beantworten ist. Während der 1Tim erkennbar dem Muster der mandata entspricht, kann der Tit aufgrund seines deutlicher ausgeprägten persönlichen Charakters nicht unmittelbar als ein solches Schreiben gelten. Die Nähe zu Elementen des Genres ist hier vielmehr durch die Briefsituation und offenbar auch durch das im Vergleich zum 1Tim veränderte Verhältnis zwischen Empfänger und Absender veranlasst. Hierher gehört auch die Frage nach der Briefform als solcher: Inwiefern handelt es sich um wirkliche Briefe bzw. – wie bei den mandata – um administrative Schreiben in brieflicher Form, die gelegentlich von einem „cover-letter“ begleitet wurden,67 und zwar aus primär pragmatischen Gründen (man muss auch solche Schreiben „senden“)? Dies könnte eine sinnvolle Differenzierung sein, die auch für die Pastoralbriefe neu zu bedenken wäre, insofern dadurch die persönliche Adressierung und die gemeindeöffentliche Perspektive glei65 Vgl. etwa auch OTTO ROLLER, Das Formular der paulinischen Briefe. Ein Beitrag zur Lehre vom antiken Brief, BWANT 58, Stuttgart 1933, 409: „Die Mandate und Konstitutionen der römischen Kaiser z. B. wurden in den Formen eines echten Briefes erlassen und hießen darum auch epistulae, ebenso wie auch der dienstliche Bericht des Claudius Lysias an den Landpfleger Felix (Acta 23, 26–30), der ganz in das Briefformular gekleidet ist, darum auch (in Acta 23, 25) als |%  bezeichnet ist. Für die Paulinischen Briefe ist dies alles insoferne von Bedeutung, als sich dadurch erweist, daß sie ihrem Formular nach als reine Briefe zu bewerten sind.“ 66 Vgl. FIORE, Example (s. Anm. 16), 84: „The difference lies largely in the rhetorical features of the Pastorals which characterize them as something different from the purely regulatory documents.“ Für den Vergleich mit der sokratischen Brieftradition vgl. a.a.O. 163. 67 Vgl. ROSTOVTZEFF, Instructions (s. Anm. 45), 66. Anfang und Ende von P.Tebt. III 703 sind weitgehend korrumpiert bzw. fehlen.

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chermaßen plausibel würde: Handelt es sich etwa bei Tit 3,12–15 um den „cover-letter“ eines ansonsten (semi-)offiziellen Schreibens? Das wäre unter pseudepigraphischer Perspektive ebenso interessant wie unter der Voraussetzung, dass es sich um ein authentisches Schreiben handelt. 2.3 Zwei konkrete Beispiele: %  und ^ %˜   Nach der Erörterung methodischer Fragen sowie der Relevanz des Genrevergleichs sollen zwei ausgewählte Beispiele angeführt werden, die in der Deutung umstrittener Begriffe der Pastoralbriefe inhaltlich bedeutsam sind. Damit kommen nun speziell die jüdischen Papyrusbriefe in den Blick. Allerdings ist erneut darauf hinzuweisen, dass in diesem Rahmen aus rein pragmatischen Gründen eine Beschränkung auf die in den Bänden des Corpus Papyrorum Judaicarum (CPJ) zusammengestellten jüdischen Papyri erfolgt und damit kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird, zumal diese ohnehin nicht möglich ist. 2.3.1 æ  Es ist in der Forschung bei der Begründung der pseudonymen Abfassung der Pastoralbriefe immer wieder hervorgehoben worden, dass wichtige paulinische Begriffe hier anders verwendet werden als in den authentischen Paulusbriefen. Da für Paulus der Begriff der %  einen hohen Stellenwert einnimmt, erscheint die Bedeutungsverschiebung in den Pastoralbriefen gerade an dieser Stelle besonders signifikant. Otto Merk hat in einem Aufsatz die enge Korrelation zwischen %  und Evangelium in den Pastoralbriefen betont und dabei im Vergleich zu Paulus insofern eine Erstarrung des Glaubensbegriffes konstatiert, als %  maßgeblich auf das Leben in den gegebenen Ordnungen ausgerichtet sei und damit als „Christentum“ die bleibende Gegenwart des Evangeliums garantiere: „Die bleibende Gegenwart des Evangeliums ist ihm [sc. dem Verfasser der Pastoralbriefe, J.H.] in solchen Ordnungen auf dieser Grundlage gewährleistet und die %  als Christentum auch in dieser Form der ‚Erstarrung‘ auf dem in seinem Bestand selbst nicht hinterfragbaren Evangelium gegründet.“68 Bereits für Heinrich Julius Holtzmann changierte die Bedeutung des Begriffes %  – im Unterschied zu Paulus – zwischen vertrauensvoller Aneignung der Wahrheit, der Tugend der Treue („wenigstens 1 Tim. 5,12; Tit. 2,10“) und Rechtgläubigkeit (1Tim 1,5; 2Tim 1,5 wegen des Attributes „ungeheuchelt“) bzw. einer fides quae creditur (1Tim 1,19; 4,1; 6,10.21; Tit 1,4).69 „Ihrer principiellen Stellung entrückt und zur blossen Recht68

OTTO MERK, Glaube und Tat in den Pastoralbriefen, ZNW 66 (1975), 91–102, 99. Vgl. HEINRICH JULIUS HOLTZMANN, Die Pastoralbriefe kritisch und exegetisch behandelt, Leipzig 1880, 179f. Vgl. auch IAN HOWARD MARSHALL, A Critical and Exegeti69

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gläubigkeit geworden, muss die %  es sich freilich gefallen lassen, nur als ein Moment neben der nicht minder wichtigen praktischen Bethätigung des Christenthums, durch die sie wesentlich ergänzt wird, zu erscheinen.“70 Die wie auch immer zu beschreibende „Verobjektivierung“ des Glaubensbegriffes gilt weithin als Ausweis einer nachpaulinischen Entwicklung.71 Allerdings stellt sich angesichts der semantischen Breite des Begriffes %  und der sich daraus ergebenden Abhängigkeit seiner Bedeutung von der konkreten kontextuellen Vernetzung die Frage, ob sich der Begriff in den Pastoralbriefen tatsächlich auf einen solchen einfachen bzw. eindimensionalen Nenner bringen lässt. Die folgenden Beispiele sollen den Gebrauch des % -Begriffes in ausgewählten Papyrusurkunden veranschaulichen, in denen er durch die semantische Verknüpfung mit anderen Termini für die Pastoralbriefe besonders interessant erscheint. 1) CPJ III 490,4 (BGU III 887,4; Mitte 2. Jh., Arsinoïte): !! \   ¥ ^‘% %‘ ¶ [] õ‘€ ` Í $ ˜ | ^ ¡ (s. auch Zeile 8:  []\[] $%' \ ¥ []^‘% %[‘]  !! Ì ¦  | ’€ õ‘ ` Í, u.ö.). Hermeias bestätigt (sc. den Kauf) und beauftragt mit eigener Sicherheit den redlichen/ korrekten Hephaistes auf Anordnung. (Zeile 8: Und dieses an seiner statt zu sein, mit eigener Sicherheit und Bestätigung, hat Hermeias dem Hephaistes aufgetragen.)

In dieser Urkunde wird der Verkauf einer phrygischen Sklavin beschrieben. Dabei bezeichnet %  im juristischen Sinn die Sicherheit für den Kaufvertrag. Die mehrfache Wiederholung der Wendung ¥ ^‘% %‘ – noch dazu durch unterschiedliche Hand – lässt auf einen formelhaften bzw. stereotypen Gebrauch des Ausdrucks in diesen Kontexten schließen. 2) Dieselbe juristische Bedeutung der Sicherheit bzw. Garantie der Rechtmäßigkeit des Geschäftes hat %  auch in CPJ III 508,5 (P.Ant. I 42; 6. Jh., Antinoopolis), einer Quittung über den Verkauf und die Auslieferung einer Sendung Weins:

cal Commentary on the Pastoral Epistles, in collaboration with Philip H. Towner, ICC, Edinburgh 1999, 214–216. 70 HOLTZMANN, Pastoralbriefe (s. Anm. 69), 180. 71 HERMANN VON LIPS, Glaube – Gemeinde – Amt. Zum Verständnis der Ordination in den Pastoralbriefen, FRLANT 122, Göttingen 1979, 29. Vgl. demgegenüber MARSHALL, Pastoral Epistles (s. Anm. 69), 214f, der für eine objektivierende Tendenz zumeist Belege aus dem 1Tim anführt und im Übrigen der Meinung ist, dass die Pastoralbriefe insgesamt sich nicht so weit von Paulus entfernen, wie zumeist angenommen (vgl. a.a.O. 215: „… the usage is not significantly different from that of Paul“).

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Ú•  æ 1@€\ | %  %  @  ‚’  11[×] |€@\ \ |€*’ € %  %Í %‘  %›^ $%  11[’ @]   \  ‡’ |\ Ú@‘€ æ’€. Aurelios Peieuoutos, dessen Vater Apollos und die Mutter Thekla sind, mit dem Bürgen Aurelios Petros, der auf ‚Treu und Glauben‘ und für die für dich hinterlegte Zahlung in dieser meiner Angelegenheit bürgt.

3) Bei CPJ II 143,16f (BGU IV 1151; Ende 1. Jh. v. Chr., Alexandrien) handelt es sich um einen Vertrag bzw. eine Quittung über die Auszahlung einer Geldsumme, wobei auch hier der Begriff %  im Sinne von „Sicherheit“ verwendet wird: £  \ Š ^(€)  |   $%‡( * ) š %Š (* ) Š[% | ^ @]  — |% `ˆ( ) %  … 1( \ ) … von Alexander selbst und von allem, was ihm rechtmäßig gehört, halten wir es für gerechtfertigt, dass er keine Sicherheiten erbringen muss.72

4) Interessant ist ein privater Brief in CPJ II 424 (P.Bad. II 35; datiert auf den 16. Dezember 87 n. Chr.), auch wenn dabei nicht klar zu identifizieren ist, worum es eigentlich geht. Doch auch hier wird der Begriff %  gebraucht und zwar im Blick auf eine persönliche finanzielle Angelegenheit. Eine gewisse Johanna schreibt an einen ihr offenbar nahestehenden Epagathos und beklagt sich, dass er ursprüngliche Vereinbarungen eine Geldsumme betreffend nicht eingehalten hat: ÊŠ1[

]@ %ŠÕ š ^Õ %[‹ ‡ ]·  []  |%@ %11  $%1[Š]  %1[]!Š € — € —[ — ]  |% ^ˆ @  [€ ¦  ] (^‡  )     * ”` `1[Š] [ ] º‡ €Šœ*, %  1— % € ¤ . Johanna, ihrem Epagathos, beste Grüße! Du hast nicht korrekt in allen Dingen gehandelt, indem du deinen Vertrag verändert und nicht eingehalten hast, obwohl ich darin als Bevollmächtigte eingetragen bin. Veranlasse, dass ich von den 20 Drachmen und den Zinsen über den Hauptanteil verfügen kann. Ich wundere mich, wieso du deine Zusage/Verpflichtung/Versicherung aufgekündigt hast.

5) Etwas anders konnotiert – dem Kontext entsprechend im Sinne politischer Loyalität – ist %  in CPJ II 450,32 (P.Oxy. IV 705; Anf. 3. Jh.), einer Petition eines alexandrinischen Mäzens namens Aurelius Horion an den Kaiser um eine Garantie zur Durchführung eines jährlichen Festes in Erinnerung an den Sieg über die Juden, wobei die Wohlgesonnenheit, die Treue bzw. Loyalität und die Freundschaft der Alexandriner Rom gegenüber im Kampf gegen die Juden betont wird: 72

Vgl. auch CPJ II 146,42–45 (BGU IV 1106; 13 v. Chr., Alexandrien, Vertrag mit einer Amme):  |   $%‡ * ‹ %Š * Š% | ^ @,  [*]  

 ¾ |[~ |]% ˆ * %* %[ ]  ˆ%[@] %Š@. – Und von allem, was ihnen rechtmäßig gehört, auch wenn es nicht eigens autorisiert ist, und wovon – wenn sie alle Sicherheiten erbringen – jede (Kosten-) Deckung (vorhanden ist).

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– %  Ô*‘€ 21 1[ ]¡   %‘   ` ‘ " | ^‘  [] ~  %  Ê€^‘€ %› €‡•   £  \ —   |% ‘* –’ à ¡€ £€ % @€‘œ . Das Wohlwollen, die Treue/Loyalität und die Freundschaft zu den Römern, die sie auch im Kampf gegen die Juden erwiesen haben, indem sie mit uns kämpften und auch jetzt noch den Tag des Sieges jedes Jahr festlich begehen …

Als ein vorläufiges Resümee aus diesen beispielhaften Befunden lässt sich festhalten, dass die Bedeutung des Begriffes %  in den dokumentarischen Papyri mit ökonomischen Inhalten das semantische Feld Verlässlichkeit/Sicherheit/Zuverlässigkeit/Loyalität abdeckt. Dabei stehen zwar in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Konnotationen im Vordergrund, die Grundbedeutung weist jedoch jeweils in eine vergleichbare Richtung. Im politisch-administrativen Bereich bezeichnet %  die Treue, Loyalität und Zuverlässigkeit von Personen, in juristisch-ökonomischen Kontexten die Sicherheit bzw. Beglaubigung für eine vertragliche Vereinbarung im persönlichen wie öffentlichen Verkehr, und zwar materiell wie ideell, etwa: „auf Treu und Glauben“.73 Für die Pastoralbriefe bzw. konkreter für den 1Tim und den Tit lassen sich aufgrund ihres mit Mandatsschreiben des öffentlichen Lebens vergleichbaren Charakters daraus durchaus einige Schlussfolgerungen ziehen. Wenn in 1Tim 1,4f der Begriff %  im Zusammenhang mit dem aus dem Wirtschaftskontext stammenden und theologisch transformierten Begriff    verwendet wird, so legt sich auch aufgrund solcher Parallelen an dieser Stelle die Bedeutung „Treue, Zuverlässigkeit“ näher als die des „Glaubens“. Ein    muss vor allem zuverlässig sein (vgl. 1Kor 4,2; 1Tim 1,12), und dementsprechend beruht die    auf dem Grundprinzip der Verlässlichkeit. Sie muss ungeheuchelt sein, d.h. sie darf nicht nur einen äußeren Anschein haben. Interessanterweise kommt die Verbindung %   €%   auch in 2Tim 1,5 vor, allerdings in einem anderen Zusammenhang, nämlich dem veränderten Genre entsprechend bezogen auf die persönlich-biographische Ebene, wo sehr deutlich der Gottesglaube im eigentlichen Sinne angesprochen ist. Die Aufnahme dieser Wendung in 1Tim 1,4f in einem veränderten Kontext und unter dem Vorzeichen eines anderen Briefgenres lässt daher eine semantische Transformation des % -Begriffes erkennen. Es wäre zu prüfen, ob sich eine solche begriffliche Transformation auch an anderen Stellen wahrnehmen ließe. Das zumeist im Sinne von „treu, zuverlässig“ verwendete Adjektiv %  (1Tim 1,12; 3,11; 4,3.10; 5,16; 2Tim 2,2; Tit 1,6) sowie die %    -Formel (1Tim 1,15; 3,1; 4,9; 2Tim 2,11; Tit 3,8) legen dies zumindest nahe (vgl. auch |% @ in 1Tim 1,11). 73

Vgl. ARZT-GRABNER, Philemon (s. Anm. 3), 178f.

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Der unter 4) aufgeführte Text CPJ II 424 (P.Bad. II 35) bietet weiterhin eine anschauliche Parallele zu 1Tim 5,12, wonach Timotheus die jüngeren Witwen abweisen und nicht in die Versorgungsliste der Gemeinde aufnehmen soll, weil sie dann doch u.U. heiraten wollen und so ihre (frühere/primäre) Treueverpflichtung (— %Æ@ % ), die sie offenbar mit ihrer Aufnahme in den Witwenstand der Gemeinde und damit Christus gegenüber (V. 11b) eingegangen sind, wieder aufkündigen. Gegen das Heiraten selbst ist ja nichts einzuwenden. Der Autor empfiehlt es selbst (V. 14!), und zwar als Konsequenz aus dem zuvor Gesagten (Ò ). Aber er legt eben Wert darauf, dass eine eingegangene Verpflichtung auch eingehalten wird, weil sonst aus seiner Sicht die Gemeindeordnung in Gefahr ist (V. 13). Interessant sind darüber hinaus auch einige Details, wie z.B. die kontextuelle Verknüpfung von %  mit dem Wortstamm $  in dem unter 1) genannten Kaufvertrag CPJ III 490,4 (BGU III 887,4) in der Bedeutung „korrekt“ bzw. „vereinbarungsgemäß“.74 Ähnliches findet sich auch in den Zeilen 5–7: |~ ^’  ¶* 9 [¿ — 9 $ ' ¿ |%`]— \ ¿ | ’€ ’ @  | @¥, › ^ %˜ —  — ‡* %‘[ [   ^˜  ] %‘ |%@Ì@ ‘^* [] 1[‘€] %‘ ^\ [ ]. Falls aber etwas davon eintreten sollte – sei es, dass es nicht korrekt oder anfechtbar sei oder teilweise auch (anderweitig) beansprucht ist, dann (ist) redlicherweise der doppelte Preis ohne (weitere) Ankündigung ‚auf Treu und Glauben‘ zu zahlen. Artemidoros (Sohn des) Kaisios bittet, ‚auf Treu und Glauben‘ zu zahlen.

Insbesondere die Korrelation zum Adjektiv %  lässt erkennen, dass auch das Nomen %  neben dem von Paulus herkommenden Gebrauch im Sinne des Christusglaubens (vgl. Tit 1,1.4) die Bedeutung der Treue und Zuverlässigkeit annehmen kann. Darüber hinaus korrelieren die Begriffe $  und %  bzw. %  in einem sehr spezifischen Sinn. Eine ähnliche semantische Verbindung beider Wortstämme findet sich etwa in Tit 1,13–15, wo es um das Zurechtbringen der  Š   ”%  geht: Á  $  * | ¥ % , sowie in Tit 2,2, wo von den älteren Frauen gefordert wird, sie sollen $    ¥ % sein. Nimmt man den semantischen Zusammenhang zwischen $  und % /%  in den 74 S.o. Vgl. auch P.Oxy. I 82 (3. Jh.), wo von einem Strategos erwartet wird, dass er die öffentlichen Aufgaben $    %   („korrekt und zuverlässig“) ausführt: Ÿ  ~  ^›     €  % • $    %    %   ¥ @‘% ^ ‘%*   | @^  `˜  , ¿ £ ‡ º@ š " Õ. %’‡ ^× |€\ |€@— Ú•  Ì [ . ]. – „… so dass auch die Abgaben/Verteilungen für die Arbeiter korrekt und zuverlässig erfolgen. Und du sollst unermüdlich ausharren im Amt, damit du in keiner Sache getadelt wirst oder ich einer (falschen) Versicherung schuldig werde. Als meinen Bürgen benenne ich Aurelios Ammonos.“

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Papyrusdokumenten ernst, dann könnte dies auch jene Belege in den Pastoralbriefen erhellen: Es ist nicht der Glaube an Christus, der gewissermaßen zu „heilen“ wäre, sondern es ist die Treue zur Gemeinschaft, die zurechtgerückt und im positiven Sinne korrigiert werden soll. In Tit 2,2 ließe sich daher sogar übersetzen: „sorgfältig/sorgsam/gewissenhaft in der Treue, der Liebe und der Geduld“. Dennoch ist damit das Potential der Begriffe für die Interpretation noch nicht ausgeschöpft, denn diese aus den nichtliterarischen Papyrusbriefen erhobene Konnotation wäre auch mit anderen Bezügen zu korrelieren, wie sie in literarischen Texten zu finden sind.75 Dies würde aber auch eine präzisere Semantik in die für die Pastoralbriefe typische Formel der „gesunden Lehre“ eintragen, wonach „gesund“ im Sinne von „korrekt“, „der Überlieferung treu bleibend“ verstanden werden könnte. In der Wendung  $ ˜  Š * (Tit 2,8) ginge es folglich um das Wort (sc. Gottes, vgl. 2,5), das dem Anspruch der Verkündigung gemäß korrekt und daher unantastbar und unverkennbar sein soll. 2.3.2 ð %˜   Das zuletzt angeführte Beispiel aus CPJ III 490,5–7 (BGU III 887,5–7) ist nicht nur ein Beleg für die Zusammengehörigkeit des Wortfeldes % und $ , sondern auch für den Begriff der ^ %˜  , der im Kontext von 1Tim 5,17 umstritten ist:76 Die ihren Leitungsaufgaben gut (  ) nachkommenden Presbyter sollen einer ^ %˜   gewürdigt werden. Unklar dabei ist, ob sich dies auf eine besondere („doppelte“) materielle Versorgung der Presbyter bezieht77 oder ob damit eine eher ideelle Würdigung gemeint ist.78 Die ergänzende Präzisierung in 5,17b: „vor allem diejenigen, die sich um Wort und Lehre mühen“, klärt das Problem nicht. Dem alltäglichen Sprachgebrauch des Begriffes   eignet eher die materielle Kon75

Vgl. zu $  bes. MALHERBE, Imagery (s. Anm. 5), passim. Vgl. GEORG SCHÖLLGEN, Die ^ %˜   von 1Tim 5,17, ZNW 80 (1989), 232– 239, 232: „crux interpretum“; J. SCHNEIDER, Art.   ., ThWNT VIII (1969), 170– 182, 178 Anm. 42, nennt lediglich Aelius Aristides, Orationes 32,3, als einzige Parallele zu ^ %˜  . 77 Dafür plädieren z.B. DIBELIUS /CONZELMANN, Pastoralbriefe (s. Anm. 30), 61: „sicher ein Honorar“; JOACHIM JEREMIAS / AUGUST STROBEL, Die Briefe an Timotheus und Titus, NTD 9, Göttingen 111975, 42: „Ehrerbietung mit Einschluß der Ehrenbezahlung“; NORBERT BROX, Die Pastoralbriefe, RNT 7/2, Regensburg 41969, 199; PHILIP H. TOWNER, The Letters to Timothy and Titus, NICNT, Grand Rapids/Cambridge 2006, 363f; SCHNEIDER, Art.   (s. Anm. 76), 178. Abwegig ist die aus einer Polemik Tertullians gewonnene These von SCHÖLLGEN, ^ %˜ (s. Anm. 76), bes. 236–238, ^ %˜   beziehe sich vor dem Hintergrund der Mahlpraxis antiker Vereine auf die doppelte Portion für die Presbyter beim Abendmahl. 78 So z.B. LORENZ OBERLINNER, Die Pastoralbriefe. Erste Folge: Kommentar zum Ersten Timotheusbrief, HThK XI/2,1, Freiburg 1994, 253. 76

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notation.79 Demgegenüber steht die Verwendung im Neuen Testament, wo der ideelle Aspekt in den Vordergrund tritt, ohne freilich den materiellen selbst in theologischen Zusammenhängen zu verdrängen (vgl. etwa 1Kor 6,20; 7,23; 1Petr 2,7). Ein solcher doppelter Gebrauch liegt auch im 1Tim vor (vgl. 1Tim 1,17; 5,3; 6,1.16). Blickt man vor diesem Hintergrund auf den Gebrauch der Wendung in den Alltagspapyri, so fällt zunächst die Fülle der Belege80 aus dem wirtschaftlichen Bereich auf. Nur einige Beispiele müssen hier zur Veranschaulichung genügen: 1) BGU I 313,5–7 (vermutlich ein Pachtvertrag, 4.–7. Jh.): …  — — % •* [¿ | ‘  — %]’ @  — ^ %˜

 % [ … ] … und die Weide werden wir von ‚Schulden und Lasten‘ befreien oder dir den vorgeschriebenen doppelten Preis zahlen …

2) BGU I 350,15ff (Kaufvertrag, Anf. 2. Jh. n. Chr., Arsinoïtes): [@^' ^ ` !@• ›%Õ @^ ‘. "] ^×   %’ * %€`•    ¿ $%' \ %% ¡* ˜ [ž `’  ~  @*’] 1 ^ %Í  #  º[]@[`]  — ^ %˜  |%‘  €‘€ ^‡~ ^  ‘ % •[      ^@›  ] 1~1 º  @^' . ~ ^ *@’  ¶  ¦  . … und in keiner Weise zu streiten. Denn wenn der Vertragspartner, nachdem sie eine Vereinbarung getroffen haben, den Vertrag brechen wird, so bezahle er oder der ihn Vertretende der Tanephremmis die doppelten Ausgaben, d.h. den doppelten Preis, den sie erhalten hat, sowie eine Strafgebühr von 250 Silberdrachmen, und in die öffentliche Kasse denselben Betrag, und nicht geringer soll die zugestandene Vollmacht sein.

3) P.Dura 26,25 (Vertrag über Schadensersatz, 227 n. Chr.): | ‘1 1 1[š — ] 1[ ]1— ^ %˜   !¡! ‘* … er zahle ihm den doppelten Wert/Preis und ebenso den Schaden …

Es ließen sich leicht weitere Belege anführen,81 aber schon diese Auswahl zeigt, dass ^ %˜   als ein terminus technicus für die Benennung des doppelten Wertes bzw. Preises einer Sache oder einer Dienstleistung gelten kann. Inwiefern dies für die Interpretation von 1Tim 5,17 relevant ist, muss freilich noch geprüft werden. Der Kontext, in welchem es um die

79

Vgl. SCHNEIDER, Art.   (s. Anm. 76), 170f. In den Datenbanken werden insgesamt weit über 100 Belege ausgewiesen. 81 Vgl. weiterhin z.B. CPJ III 500 (P.Bad. IV 53; 4. Jh., Liste einer Weinrechnung); P.Amh. II 95,11 (109 n. Chr., Landverkauf); II 96,10 (213 n. Chr., Landverkauf); P.Ant. II 101,3 (3. Jh., Kaufvertrag); P.Coll.Youtie II 75,12 (3. Jh., Kauf einer Sklavin) u.a. 80

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Regelung finanzieller Versorgungsleistungen geht, legt es zumindest sehr nahe, den materiellen Aspekt nicht zu unterschätzen. Dennoch muss „doppelt“ nicht notwendig eine konkrete numerische „Verdoppelung“ implizieren, sondern kann auch eine Verstärkung der Wertigkeit einer Sache bzw. einer Dienstleistung bezeichnen – eine Konnotation, die für 1Tim 5,17 immer wieder vermutet wird. Der Kontext von 1Tim 5,17, in welchem es um die materielle Versorgung der Witwen geht, legt allerdings auch im Blick auf besonders verdienstvolle Presbyter eine materielle Deutung von ^ %˜   nahe.

3 Schlussfolgerungen und Ausblick Im Ergebnis lassen sich zwei Aspekte festhalten. Zum einen ist deutlich geworden, dass die Heranziehung von Papyrusurkunden aus dem diplomatischen Bereich (memoranda/$% , mandata) durchaus zur Erhellung des Genres des 1Tim und in gewisser Weise auch des Tit beiträgt. Es lässt sich mit diesem Vergleich einmal mehr wahrscheinlich und plausibel machen, dass diese Briefe keine rein persönlichen Schreiben darstellen, sondern über den Empfänger hinaus in eine Gruppe hineinwirken bzw. den Empfänger in dieser Gruppe legitimieren sollten. Es hat sich aber auch gezeigt, dass dies für den 1Tim in besonderer Weise zutrifft, da er in seiner äußeren Gestaltung diesem Gattungsmuster eher entspricht als der Tit. Demgegenüber wäre beim Tit noch einmal verstärkt nach der Bedeutung und der Funktion der persönlichen Gestaltung zu fragen. Daneben konnte zum anderen gezeigt werden, dass auch im Detail der sprachliche Vergleich der Pastoralbriefe mit den Papyrusurkunden hilfreich ist, um die Bedeutung von Begriffen und Vorstellungen zu erfassen, die auf der literarischen Ebene nur schwer zu interpretieren sind. Auch hier steht wieder der 1Tim im Unterschied zu Tit und 2Tim in besonderer Weise im Vordergrund. Wie in der Forschung hinreichend dargelegt wurde, ist vor allem dieser Brief mit seinem mandatsähnlichen Charakter und seiner gemeindeordnenden Absicht in hohem Maße von Vorstellungen aus der antiken Ökonomie geprägt, so dass es sinnvoll ist, zur Interpretation die im weitesten Sinne aus der Ökonomie und Administration stammenden Papyrusbriefe sowie auch Dokumente anderer Bereiche der Alltagskultur heranzuziehen.82 82

Weitere Beispiele wären (nicht nur im Blick auf die Pastoralbriefe) etwa die Bitte, schnell (‡ˆ*) zu kommen (2Tim 4,9; vgl. Tit 3,12), vgl. CPJ III 469,5 (P.Princ. II 73; 3. Jh.); die Grüße an die „im Haus“ (2Tim 4,19), vgl. CPJ III 486b (P.Mich. VIII 466, Anf. 2. Jh.); die Bitte um bzw. der Hinweis auf die Sendung von Personen (2Tim 4,9–12; Tit 3,13), vgl. P.Masada 741 (73/74 n. Chr.); BGU I 37 (50 n. Chr.; vgl. dazu ARZT-

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Dabei zeigt sich zugleich im Blick auf die Perspektive des Corpus Judaeo-Hellenisticum, in welch hohem Maße die jüdische Alltagskultur mit der paganen griechisch-römischen Alltagswelt verbunden war.

GRABNER, Ägyptische Papyri [s. Anm. 7], 24f); die Bitte um die Überbringung von Gegenständen (2Tim 4,13), vgl. CPJ III 499 (P.Princ. II 103, 5. Jh.); die Bedeutung des semantischen Feldes von ‹ / (1Tim 3,16; 6,12f), vgl. P.Dura 13a; 30; 31; 32 u.ö.; BGU VIII 1736,11 u.a. (vgl. dazu ARZT-GRABNER, a.a.O. 27–29). Speziell zum Begriff `  @ (2Tim 4,13), dessen Deutung schwierig und umstritten und der literarisch kaum belegt ist, gibt es in den Papyri erstaunlich viele (auch recht frühe) Belege (BGU XVI 2558 [12 v. Chr.]; P.Yale I 82 [2. Jh.]; P.Giss.Apoll 20 [113 n. Chr.]; P.Fam.Tebt. 49 [Anf. 2. Jh.]; P.Oxy.Hels. 40 [2. Jh.]; BGU III 816 [3. Jh.] u.a.).

– Spuren hellenistisch-jüdischer Alltagskultur in Kleinasien –

The Traces of Jewish Life in Asia Minor IRINA LEVINSKAYA

We do not know when Jews first appeared in Asia Minor. Clearchus, Aristotles’ disciple, reports that his teacher met a Hellenized Jew (who “not only spoke Greek, but had the soul of Greek”) who had travelled from the interior of Asia Minor to the coast (Josephus, Ag. Ap. I.176–182), but this does not imply that Jewish settlers lived in this part of the world. It is quite possible that there was a Jewish community in Sardis in the Persian period.1 According to Josephus (A.J. XII.119) Jews not only lived in Asia Minor at the time of Seleucus I Nicator, but enjoyed privileges which he bestowed on them and which put them on equal footing with the Macedonians and Greeks (a claim however which many scholars have quite rightly questioned). The same Josephus (A.J. XII.148–153) quotes a letter from Antiochus III to Zeuxis, the governor of Lydia, which is probably authentic.2 In the letter the Hellenistic king gives instructions to transport 2,000 Jewish families from Mesopotamia and Babylonia to Lydia and Phrygia, in order to maintain order in these rebellious provinces. There is no direct archaeological or epigraphic confirmation of this information. Excavations of the Jewish synagogue in 1963, among other important documents from the Hellenistic period, yielded a letter from Antiochus III dating from 213 B.C.E. It was inscribed on a marble block which was built into the piers of the synagogue. Written in the aftermath of the siege of Sardis by Antio1 The Jewish refugees who came to Sardis after Jerusalem was destroyed by Babylonians in 587 B.C.E. were mentioned in Obadiah 20 where Sardis had its Semitic name, Sepharad. See Walter Kornfeld, “Die jüdische Diaspora in Ab., 20,” in Mélanges Bibliques: Rédigés en l’honneur de André Robert (Travaux de l’Institut Catholique de Paris; Paris: Bloud & Gay, 1956); Menahem Stern, “The Jewish Diaspora,” in The Jewish People in the First Century: Historical Geography, Political History, Social, Cultural and Religious Life and Institutions (ed. Schmuel Safrai and Menahem Stern; CRINT 1.1; Assen: Van Gorcum, 1974), 143; Andrew R. Seager and A. Thomas Kraabel, “The Synagogue and Jewish Community,” in Sardis from Prehistoric to Roman Times: Results of the Archaeological Exploration of Sardis 1958–1975 (ed. George M. A. Hanfmann; Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1983), 178. 2 Paul R. Trebilco, Jewish Communities in Asia Minor (SNTSMS 69; Cambridge: Cambridge University Press, 1991), 167–69.

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chus and the execution of the general Achaeus the letter informs that Antiochus III permitted a synoikismos, i.e. a re-peopling of the city which as some scholars think included the Jewish veterans from Mesopotamia mentioned in the letter quoted by Josephus.3 Material traces of the Jewish presence in Asia Minor start from the late Hellenistic-early Roman period though the inscriptions which can be dated to this period are very few. The latest corpus of Jewish inscriptions from Asia Minor4 includes about 260 texts. More than 95 percent of them are written in Greek.5 Their chronological distribution deserves attention. The “epigraphic habit,” i.e. the tradition of inscribing fact upon stone6 varies over time. The number of inscriptions both in the western and eastern provinces of the Roman Empire grew steadily over the first and second centuries, peaked around the turn of the second and third centuries and fell off sharply in the third.7 Walter Ameling claims that the Jewish epigraphic heritage from Asia Minor reveals the same pattern: “Es gibt … eine große Masse von Inschriften, die in das ausgehende zweite und die erste Hälfte des 3. Jhs. gehören – also in die Hochzeit der paganen Epigraphik. Auch jüdische Texte nehmen während der Reichskrise ab, und sie nehmen – zusammen mit nichtjüdischen Texten – in der 2. Hälfte des 4. Jhs. wieder zu.”8 Statistical analysis of the relevant inscriptions, however, leads me to disagree: the number of Jewish inscriptions in Asia Minor shows the growth 3 George M. A. Hanfmann, Louis Robert, and William E. Mierse, “The Hellenistic Period,” in Sardis from Prehistoric to Roman Times (see n. 1), 113 (contribution by G. M. A. Hanfmann); Marianne P. Bonz, “The Jewish Community of Ancient Sardis: Deconstruction and Reconstruction,” in Evolution of the Synagogue: Problems and Progress (Harrisburg: Trinity, 1999), 121. Bonz thinks that by reusing the marble block with inscription the Jews demonstrated the importance of the inscription to the historical memory of the community. This argument does not hold water: among inscriptions excavated together with the synoikismos one there were three others which are irrelevant to the Jewish community: a decree of the city honoring Heliodorus, ambassador to Antiochus III, a letter from Antiochus, addressed to the city, a decree in honour of Queen Laodice and her thank you note responding to the honour, see Hanfmann, Robert, and Mierse, “The Hellenistic Period,” in Sardis from Prehistoric to Roman Times, 110 (contribution by G. M. A. Hanfmann). 4 Inscriptiones Judaicae Orientis, Band 2: Kleinasien (Walter Ameling [ed.], TSAJ; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004) (IJudO II). 5 Walter Ameling, “Die jüdische Diaspora Kleinasiens und der ‘Epigraphic Habit’,” in Jewish Identity in the Greco-Roman World (ed. Jörg Frey, Daniel R. Schwartz, and Stephanie Gripentrog; Ancient Judaism and Early Chrisitanity; Leiden: Brill, 2007), 253– 82, 255. 6 Ramsay MacMullen, “The Epigraphic Habit in the Roman Empire,” AJP 103:3 (1982): 233–46, 233. 7 See, for instance, John Bodel, Epigraphic Evidence: Ancient History from Inscriptions (Approaching the Ancient World; London: Routledge, 2001), 6. 8 Ameling, “Die jüdische Diaspora Kleinasiens” (see n. 5), 256–57.

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Variations in the dating of individual inscriptions affect the distribution insignificantly as can be seen from the graphs. The incommensurable impact of the anomalous big number of inscriptions from Sardis and Hierapolis was eliminated by introducing the coefficients. 1) The chronological distribution of inscriptions, relying on their earliest dating; 2) The chronological distribution of inscriptions, relying on their latest dating; 3) Standardized chronological distribution of inscriptions, relying on their earliest dating; 4) Standardized chronological distribution of inscriptions, relying on their latest dating.

of the number of inscriptions in the third and fourth centuries and the insignificant decrease in the fifth and the sixth (see graphs above). In his pioneering and often quoted article R. MacMullen trying to explain the rise and fall of the epigraphic habit tentatively argued that “in the exercise of the habit, people … counted on their world still continuing in existence for a long time to come, so as to make nearly permanent memorials

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worthwhile; and they still felt themselves members of a special civilization, proud (or obliged) to behave as such. Later, in not bothering any more to record on stone their names or any other claim to attention, perhaps they expressed their doubts about the permanence or importance of that world.”9 It seems that if MacMullen is right in his explanation, the Jews from Asia Minor were less prone to express doubts about the permanence or importance of their world than their Gentile neighbours in the period after the mid fourth century when the Roman Empire became a Christian state and “a Jewish Diaspora in an emphatically Christian empire” started to represent “a quite new and distinctive phase in religious history.”10 Jewish communities were scattered over the large territory of Asia Minor. The traces of their life span a wide period of time and our sources are very scant. For some cities the epigraphic data are virtually nonexistent. We know, for instance, from the documents preserved by Josephus (A.J. XIV.223–230, 234, 237–240, 262–264; XVI.167–168, 172–173) and Philo (Legat. 315), as well as from the Book of Acts (Acts 18:19–21, 19:8, 17) that the Jewish community in Ephesus was a quite sizeable and significant. The excavations of this city have yielded more than 5,000 inscriptions, but only eight of them were produced by Jews11 and just a handful of objects have been found which may be more or less safely identified as Jewish, since they are decorated with Jewish symbols. The explanation is quite obvious: the part of the city where Jews had their quarters has not been excavated. No synagogue has yet been found,12 although there is no doubt that in Ephesus there was at least one. The consistent reference in the Book of Acts to “the synagogue” seemingly implies that there was only one synagogue in Ephesus, although it can be argued that Paul visited the main synagogue with a bigger and more influential community.13 The lack of evidence for Ephesus is in sharp contrast with an abundance of materials from Sardis: a big proportion of Jewish inscriptions in Asia Minor14 came from the synagogue in Sardis, the biggest of all the synagogues ever excavated in the ancient world. The building which was initially a wing of the city’s gymnasium, was taken over by the Jewish com9

MacMullen, “The Epigraphic Habit” (see n. 6), 246. Fergus Millar, “Christian Emperors, Christian Church and the Jews of the Diaspora in the Greek East, CE 379–450,” JJS 55:1 (2004): 1–24, 3. 11 IJudO II nos. 30–35. Two inscriptions with Hebrew letters are still unpublished (IJudO II, 151). 12 Paul Trebilco, The Early Christians in Ephesus from Paul to Ignatius (WUNT I/166, Tübingen: Mohr Siebeck, 2004), 43. 13 Rudolf Pesch, Die Apostelgeschichte (EKK V/2; Zürich: Benziger Verlag, 1986), 167; Trebilco, The Early Christians in Ephesus (see n. 12), 44. 14 IJudO II nos. 60–145. 10

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munity in the second half of the third century, i.e. before Christianity got the upper hand as a state religion professed by the Emperor. And despite the harsh anti-Jewish legislation the synagogue flourished and stayed in the central part of Sardis until finally the city was destroyed in 616 by Persians.15 When an inscription is found in situ in a synagogue there is no problem with its identification as Jewish or related to the Jewish community. But this is not always the case. The methodological issue of the criteria for singling out Jewish inscriptions is notoriously difficult. We can identify as Jewish only materials which have Jewish symbols (though even in this case it is not always clear whether these symbols – even the most Jewish ones, such as menorah – were used by Jews, or by Samaritans, or Jewish Christians, or Christians, or even Gentiles),16 or make reference to Jewish institutions (such as synagogues, for instance), or have Hebrew words, names or quotations from Scripture, or address Jewish concerns (the last issue is especially elusive). Without these kind of indications it is impossible to identify materials as Jewish. A good example is a mid-2nd century B.C.E. inscription from Asia Minor, one of the earliest included in the latest corpus of Jewish inscriptions (IJudO II no. 21). It is a list of contributions from Iasos (between Miletus and Halicarnassus) towards a festival in honour of Dionysios. One of the contributors is a certain metic Nicetas, son of Jason, a Jerusalemite who donated 100 drachmas. Nicetas’ father’s name was quite popular with Jews “because of its outward likeness to Yêshu’ or Yêshua’.”17 This, and Nicetas’ Jerusalem origin lead many scholars to believe this inscription to be a classic example of Jewish involvement in Greek cultural life.18 Some scholars, however, have reservations.19 15

The synagogues were under the protection of the Christian state and the Christian legislation explicitly made illegal any attacks on synagogues, but the legal prohibition did not stop Christians from destroying and despoiling of the synagogues in other cities as can be seen from the reiteration of the prohibition (Amnon Linder, The Jews in Roman Imperial Legislation [Detroit, Mich.: Wayne State University Press, 1987], 189: the law of 29 September 393; 197: the law of 17 June 397). See a useful summary of the essentials of the Jewish legal status in the Roman Empire since Constantine in Millar, “Christian Emperors,” (see n. 10), 4. 16 Leonard V. Rutgers, The Hidden Heritage of Diaspora Judaism (CBET; Leuven: Peeters, 1998), 85–86. 17 Gerard Mussies, “Jewish Personal Names in Some Non-Literary Sources,” in Studies in Early Jewish Epigraphy (ed. Jan Willem van Henten and Pieter W. van der Horst; AGJU 21; Leiden et al.: Brill, 1994), 249. 18 Margaret H. Williams, The Jews Among the Greeks and Romans: A Diasporan Sourcebook (London: Duckworth, 1998), 112. 19 Thus for instance Jan N. Sevenster, The Roots of Pagan Anti-Semitism in the Ancient World (NovTSup; Leiden: Brill, 1975), 73, noted that “A non-Jew could equally be a man from Jerusalem, but probably this was not what was meant.”

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In Greek and Latin literature one can find quite a number of negative stereotypes of, and hostility to, other peoples,20 Jews being just one amongst them.21 Greek and Latin authors made negative comments about Jewish customs and practices like circumcision and abstention from pork. Jews were viewed as extremely superstitious, impious and were sometimes accused of being atheists. Sabbath leisure was criticised as an absurd tradition since in Seneca’s words the Jews “lose in idleness almost a seventh part of their life.”22 But first and foremost in Gentile eyes Jews were completely unsociable, even antisocial, misanthropic and xenophobic, and being such cut themselves off from other peoples. These accusations23 were mentioned by Hecataeus of Abdera,24 Manetho,25 and Apollonius Molon.26 They were cited by Diodorus from Hecataeus27 and repeated by Pompeius Trogus, Lysimacus,28 Apion,29 Tacitus,30 Juvenal,31 Celsus,32 and – in especially strong language – by Philostratus33 who said that Jews had long been in revolt against humanity and had been separated from Romans by a greater gulf than divided them from Susa or Bactra or the more distant Indies. Jewish antisocial behaviour was considered to have been “the ultimate in barbarism” and “unforgivable” since Jews were “not a remote mountain people or nomads.”34 No doubt some authors repeat these allegations as a kind of a literary cliché, or were motivated by their hatred of Jews, but some of them, such as Apollonius Molon who was born in Caria “did not lack the opportunity to obtain first-hand knowledge of Jews.”35 20 In Latin there was even a term for greeks, graeculus, which was used in contemptuos or disparaging sense. 21 Greek and Roman attitudes toward “others” with a specific accent on hostility and xenophobia are thoroughly investigated by Benjamin Isaac in his important book The Invention of Racism in Antiquity (Princeton: Princeton University Press, 2004). 22 GL>JJ I, no. 186. 23 See a detailed analysis of different aspects of alleged Jewish xenophobia/misanthropy in Peter Schäfer, Judaeophobia: Attitudes toward the Jews in the Ancient World (Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1997), 170–79. 24 GLAJJ I, no. 11. 25 GLAJJ I, no. 21. 26 GLAJJ I, no. 49, 50. 27 GLAJJ I, no. 63. 28 GLAJJ I, no. 158. 29 GLAJJ I, no. 173. 30 GLAJJ II, no. 281. 31 GLAJJ II, no. 301. 32 GLAJJ II, no. 375. 33 GLAJJ II, no. 403. 34 Isaac, The Invention of Racism (see n. 21), 479. 35 GLAJJ I, 149.

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Such descriptions of Jewish behaviour imply that Jews cut themselves off from the other peoples. This kind of alienation is usually correlated with a number of quite distinct and visible features. Thus, for instance, Jews who in imperial Russia lived in the Pale of Settlement differed significantly from their Russian neighbours: they spoke a different language (even if they mastered Russian which was not always the case, their accent was markedly peculiar), they wore different clothes and had names which sounded exotic to the Russian ear. They were immediately recognizable. The literary evidence show that it was quite different in antiquity. Shaye Cohen in a very instructive article asked the following question: “How did people know a Jew in antiquity when they saw one?” He came to the conclusion that even the authors most hostile to the Jews never described them as any different from other inhabitants of the Mediterranean world: “Jews looked like everyone else, dressed like everyone else, had names and occupations like those of everyone else, and in general, closely resembled their Gentile neighbours … Like many other diaspora peoples ancient and modern, the Jews of antiquity succeeded in maintaining their identity without becoming conspicuous.”36 The notion that Jews were indistinguishable from their neighbours is important. The absence of such visible differences implies that the Jews were well integrated into the fabric of Mediterranean society and that contact with their neighbours was an essential part of their everyday life. The epigraphic and other non-literary evidence supports this notion. However the picture which can be drawn from them is so fragmented, complicated and sometimes contradictory, that it is clear that no generalization can suffice to describe accurately how Jews behaved, identified themselves, were viewed and reflected upon by their Gentile or later Christian neighbours. And the most elusive topic remains Jewish daily life. We know very little if anything about it. This is in marked contrast to the situation in the land of Israel where, as Andrea Berlin writes in his article on the archaeological evidence of Jewish life before the revolt in Palestine, the materials from the excavations “comprise tangible data by which Jewish praxis, actual behaviour, as well as attitudes, can be identified and dated.”37 Did Jews in Asia Minor follow the rules of kashrut? We know from Josephus (A.J. XIV.261, for instance) that the senate and people of Sardis 36

Shaye J. D. Cohen, “‘Those Who Say They Are Jews and They Are Not’: How Do You Know a Jew in Antiquity When You See One?” in Diasporas in Antiquity (ed. Shaye J. D. Cohen and Ernest S. Frerichs; Brown Judaic Studies, 288; Atlanta: Scholars Press, 1993), 1–45; repr. Shaye J. D. Cohen, The Beginnings of Jewishness: Boundaries, Varieties, Uncertainties (Berkeley et al.: University of California Press, 1999), 25–68. 37 Andrea M. Berlin, “Jewish Life before Revolt: The Archaeological Evidence”, JSJ 36:4 (2005): 417–470, 417.

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decreed that those responsible for provisions for Sardis should take care that “such sorts of food as Jews esteem fit for consumption be imported into the city.” But we do not know whether in other cities the magistrates were at pains to supply Jews with suitable food or how scrupulously Jews in different locations followed all kosher food regulations. Interestingly, in the decree quoted by Josephus (A.J. XII.119–120) which he ascribed to Seleucus Nicator (321–281 B.C.E.),38 though quite possibly wrongly, special privileges were given to Jews in Asia Minor and Syria, allowing them to receive a fixed sum of money from gymnasiarches to pay for their own olive oil (used as ointment) with the following proviso: this privilege was granted for those Jews who were unwilling to use foreign oil. It is obvious from this provision that there were at least some Jews who were quite happy to use pagan oil. According to the b. Abodah Zarah 36a section 5 the prohibition concerning oil did not spread among the large majority of Israelites. The ban on “Grecian oil” was finally abolished and “since soon after the time of R. Judah Nesiah, all Jews, it seems, have used such oil with a good conscience.”39 In 49 B.C.E. the consul L. Lentulus Crus issued an edict which exempted from military service Jews in Ephesus with Roman citizenship who followed the Jewish religious rites (Josephus, A.J. XIV.228). Should we interpret it as proof that all Ephesian Jews with Roman citizenship followed kashrut? Or, perhaps, the phrase meant that not all Roman citizens of Jewish origin were religious, and hence not all of them were exempt. Our sources give ample evidence for Jewish craftsmen, traders and retailers. One face of the famous Jewish inscription from Aphrodisias in Caria, dated by the first editors40 to the third century (before the Constitutio Antoniana) and recently redated to the forth41 (face b according to Reynolds-Tannenbaum, face I according to Chaniotis), mentioned nine Jewish professionals: a rag-dealer (second-hand cloth dealer), a greengrocer, a grocer (retailer?), a poulterer, two confectioners, a sheeprearer (shepherd), a bronzesmith, a goldsmith, a dealer in horse-fodder. It is worthwhile to note the high percentage in this list of people involved in production and sales 38 This privilege was quite possibly granted by Antiochus III (see Ralph Marcus, “Appendix C”, Josephus, Jewish Antiquities, Books XII–XIV (LCL, 7; Cambridge, Mass.: Harvard University Press, 1976), 741. 39 Martin Goodman, “Kosher Olive Oil in Antiquity,” in idem, Judaism in the Roman World: Collected Essays (Leiden: Brill, 2007), 203. 40 Joyce Reynolds and Robert Tannenbaum, Jews and Godfearers at Aphrodisias: Greek Inscriptions with Commentary; Texts from the Excavations at Aphrodisias Conducted by Kenan T. Erim (Cambridge Philological Society, Supplementary vol. 12; Cambridge: Cambridge Philological Society, 1987). 41 Angelos Chaniotis, “The Jews of Aphrodisias: New Evidence and Old Problems,” SCI 21 (2002): 209–26.

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of food which, given Jewish dietary laws, is what one would expect though, of course, no conclusion about whether the Jews in Aphrodisias actually respected these laws can be drawn. We have epigraphic evidence for Jews at least in some cities of Asia Minor visiting pagan public entertainments on a regular basis as the reservations of seats in the theatre at Miletus (one inscription is dated to the end of the 2nd–beginning of the 3rd century or possibly later, another to the 5th century) and in the Odeon in Aphrodisias (dated to the second half of the 5th–6th century) testify. In both cities Jews were supporting the Blues, one of the two circus factions which in the 5th century took over the organization of theatrical and other entertainments, including chariot-racing. How widespread this love for traditional Gentile entertainments was we do not know. Were there many Jews in Asia Minor who held Roman citizenship? It is usually assumed that only a minority of Jews enjoyed this privilege.42 E. M. Smallwood thinks that the number of Jews affected by the Lentulus’ edict “must have been infinitesimally small,” and that the significance of his action “lies in the principal of toleration which it embodied.”43 M. Bonz in rather categorical manner, insists that with very few exceptions Jews in Sardis did not possess Greek or Roman citizenship before the Constitutio Antoniana. She refers to Trebilco who enumerates only five individual Jews who held Roman citizenship.44 The question is, how could we know how many Jewish Roman citizens were there in Sardis or in Asia Minor generally? As Leonard Rutgers puts it: “How would one recognize a Jewish town councillor with a Latin triple name responsible for erecting an inscription in Greek commemorating the construction of an aqueduct?”45 One definitely would not. It is reasonable to suppose the daily routine of the Jewish communities to have been quite different in different geographical and cultural environments as it was different in the Gentile milieu. On the whole I tend to agree with Joseph Geiger who considers that “being Jewish would make little difference in daily life and may well have gone all but unnoticed by most ‘Others.’”46 The excavations of the shops in Sardis from the Byzantine period, which lined both the south wall of the bath-gymnasium-synagogue com42

Williams, The Jews among Greeks and Romans (see n. 18), 143. E. Mary Smallwood, The Jews under Roman Rule: From Pompey to Diocletian: A Study in Political Relations (SJLA, 20; Leiden: Brill, 1981), 127–28. 44 Bonz, “The Jewish Community” (see n. 3), 110. 45 Rutgers, The Hidden Heritage (see n. 16), 40. 46 Joseph Geiger, “The Jew and the Other: Doubtful and Multiple Identities in the Roman Empire,” in Jewish Identities in Antiquity: Studies in Memory of Menahem Stern (ed. Lee L. Levine and Daniel R. Schwartz; TSAJ, 130; Tübingen: Mohr Siebeck, 2009), 146. 43

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plex and the north side of the main avenue of Sardis, demonstrate that Jewish and Christian shops stood side by side. Architecturally and structurally they are indistinguishable. Only the presence of either Jewish menorahs and graffiti with typically Jewish names, or Christian symbols such as crosses or the Chi-Rho sign, can be decisive. The ownership of some shops was especially difficult to define. Thus a glass shop (E12) contained a graffito of the name John. This name can be both Christian and Jewish. Only the discovery of a marble slab with an incised menorah in the room on the upper floor of the shop, where a tradesman lived, made the picture clear.47 There is every reason to suppose that in earlier periods the situation was pretty much the same. Who were the customers of Jewish shops in Sardis? One would expect that that local Jews preferred to buy goods from shops owned by their coreligionists, but I doubt that the existence of Jewish paint/dye shops excavated in Sardis depended on Jewish custom alone. We know that in Rome Jews bought goods from the same workshops as their gentile and Christian neighbours. Thus among the 14 fragments of Jewish golden glasses found there two pieces have a decoration which is so similar in colour and pattern to four non-Jewish glasses that the conclusion that all six pieces were manufactured in the same workshop seems very probable, in other words the workshop had a mixed Jewish, pagan and Christian clientele.48 The same phenomenon is observable for the land of Israel. We know of several lead sarcophagi which came from the same mould and were decorated either with menorahs or crosses in accordance with demands of Jewish or Christian buyers.49 I have no doubt that this is true of the Jewish communities in Asia Minor. It seems that in the Mediterranean milieu in terms of daily life Jews were indistinguishable from their Gentile neighbours as individuals, but were recognizable as a group. The institution which played a central role in maintaining Jewish identity was the synagogue. We know of 13 synagogues in Asia Minor from literary and epigraphic evidence. Only three of them have been excavated, – the synagogues in Apamea, Sardis and Priene. The synagogue in Priene was transformed from a private residence into a community building sometime in the second or third century. The building which housed the Sardian synagogue was taken over by the Jewish community in the second half of the third century. The synagogue at Apamea was built in the late forth century, but functioned as a synagogue 47

George M. A. Hanfmann, Firket. K. Yegül, and John C. Crawford, “The Roman and Late Antique Period,” in Sardis from Prehistoric to Roman Times (see n. 1), 166 (contribution by John S. Crawford). 48 Rutgers, The Hidden Heritage (see n. 16), 77. 49 Ibid. 78.

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only for a few decades before it was destroyed and converted into a church at the beginning of the fifth century. The relevant inscriptions are all dated to the second century or later. The earliest one the so called Julia Severa inscription which deals with the restoration of the synagogue built in the reign of Nero by a woman from one of the city’s leading families, is dated to the 80s or 90s. To understand what kind of institution the synagogue in the period pre-70 in Asia Minor was, we have to turn to literary sources, first of all on the Book of Acts and Philo. It is generally assumed that the synagogue was the focal point of Jewish communal life. There are no grounds to question this assumption. The synagogue was a religious institution – a house of prayer, which is implied by the earliest term for a synagogue (%€‡•, which literally means “prayer”), used for teaching of the Law and preaching. It also operated as a community social centre in which, for instance, a dining hall might be found (Stobi, Macedonia, late 3rd century C.E.). It was also a centre of education and of legal transactions. This latter function of the synagogues is well documented by a series of manumission inscriptions from the Bosporan Kingdom, dating from the year 17 C.E. to the second century. These manumission inscriptions record that slaves were set free in the prayer house, that the Jewish community (€ *—  

Ê€^‘* ) appeared as the guardian of this legal act and that the freedmen were connected by certain obligations to the synagogue. There is no evidence that such legal acts took place in the synagogues of Asia Minor, or indeed in any other Mediterranean synagogue, but our information is very fragmentary and is based on defective collections of data. Which synagogue functions predominated in particular times and cities in Asia Minor we do not know. What we do know from epigraphic evidence is that this central Jewish institution was not isolated or alienated from the surrounding culture. Ten years ago Tessa Rajak published a very interesting article entitled “The Synagogue within the Greco-Roman City”50 in which – after a detailed discussion of the Julia Severa inscription (IJudO II 168) and an inscription from Phocaea (or Cymae) from Ionia in which the Jewish community honoured a female benefactor for building a synagogue out of her own resources (IJudO, no. 36) – she argued that “these two texts could be transferred to a civic context and ascribed to the local council, the boule, without changing anything material” (p. 165). She concludes that the Jewish communities appear to have been an organic part of society in Asia Minor and that their monotheistic cult did not undercut their capacity for integration. The Greek cities had a profound impact even on those Jews who, not being citizens, had no real share in the larger unit. 50 In Stephen Fine, ed., Jews, Christians and Polytheists in the Ancient Synagogue: Cultural Interaction During the Greco-Roman Period (Baltimore Studies in the History of Judaism; London: Routledge, 1999), 161–73.

Die jüdische Diaspora in der Apostelgeschichte JENS SCHRÖTER

1 Das Diasporajudentum in der Geschichtstheologie des Lukas Maßgeblich für die Sicht des Lukas auf das Diasporajudentum ist dessen Rolle im Prozess der Ausbreitung der Christusbotschaft. Innerhalb dieses von Gott gelenkten Geschehens ist das Verhalten des Judentums dadurch gekennzeichnet, dass es sich der Christusverkündigung mehrheitlich widersetzt und dadurch den Übergang zu den Heiden provoziert. Ihm kommt damit die Rolle zu, den Weg der Christusverkündigung geographisch ,* |‡¡€ ˜ ˜ und ethnisch im Blick auf die Heiden zu öffnen,1 wie es im Geschichtsplan Gottes seit jeher vorgesehen war.2 Das Judentum tritt dabei gleich zu Beginn der Darstellung als über die gesamte  €’ @ verstreutes in den Blick, das darum auch überall, wohin die christlichen Missionare gelangen, zuerst mit der Christusbotschaft konfrontiert wird. Dieser universale Horizont tritt bereits bei der Schilderung des Pfingstgeschehens in den Blick. Dort formuliert Lukas, dass Juden % %   £ €   $%   › in Jerusalem wohnten (Apg 2,5.14), und zählt außerdem in einer ausführlichen Liste diejenigen Gebiete auf, aus denen die Juden stammen, die in Jerusalem anwesend sind und dadurch zu Zeugen der Geistausgießung auf die Apostel und des darauf gründenden Sprachwunders werden (2,9–11).3 Hier hat Lukas offenbar eine Liste ver-

1 Vgl. Apg 1,8 sowie die Aufnahme in 13,47, wo die geographische Perspektive durch das Wort des ¶  (Jes 49,6) ausdrücklich mit der ethnischen (`  |   ) verbunden wird. 2 Zum Zusammenhang von Israelthematik und „Parusieverzögerung“ in der lukanischen Theologie vgl. MICHAEL WOLTER, Israels Zukunft und die Parusieverzögerung bei Lukas, in: DERS., Theologie und Ethos im frühen Christentum. Studien zu Jesus, Paulus und Lukas, WUNT 236, Tübingen 2009, 311–335. 3 Zur Problematik der lukanischen Adressatenangaben in Apg 2,5.11 und 2,14 vgl. DIETRICH-ALEX KOCH, Proselyten und Gottesfürchtige als Hörer der Reden von Apostelgeschichte 2,14–39 und 13,16–41, in: DERS., Hellenistisches Christentum. Schriftverständnis – Ekklesiologie – Geschichte, NTOA 65, Göttingen 2008, 250–271.

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arbeitet, in der Gebiete mit einem großen jüdischen Bevölkerungsanteil verzeichnet waren.4 Das weltweit zerstreute Judentum ist damit von Beginn an in den Prozess der Ausbreitung der Christusbotschaft und der Entstehung der christlichen Kirche einbezogen. Es ist Erstadressat der Christusbotschaft,5 teilt mit der entstehenden Kirche eine gemeinsame Geschichte und dieselben Schriften,6 es erweist sich schließlich durch seine Ablehnung der Christusbotschaft als verstockt, weshalb die Heiden als alleiniger Adressat der Verkündigung verbleiben.7 Zu dieser spezifischen Perspektive gehört auch, dass es Diasporajuden sind, unter denen der Konflikt über die Konsequenzen der Christusbotschaft für Tempel und Gesetz entsteht, woraus dann die Mission in Samaria sowie die Gründung der Gemeinde von Antiochia resultieren.8 Lukas macht damit deutlich, dass sich Interpretation und Verbreitung der Christusbotschaft zunächst gänzlich innerhalb des Judentums bewegen und dieses auch bei der geographischen Ausbreitung stets der Erstadressat der Verkündigung bleibt.9 4 Zur Analyse dieser Liste vgl. MARTIN H ENGEL, Ê€^‘ in der geographischen Liste Apg 2,9–11 und Syrien als „Großjudäa“, in: DERS., Studien zum Urchristentum (Kleine Schriften VI), WUNT 234, Tübingen 2008, 191–211. 5 Vgl. Apg 3,26; 13,46 wo Petrus bzw. Paulus und Barnabas die Juden ausdrücklich als Erstadressaten der Verkündigung bezeichnen. 6 Zur Bedeutung der Schriften Israels im lukanischen Werk vgl. DIETRICH RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas, BZNW 112, Berlin/New York 2003. Die Sicht der Geschichte Israels ist anhand der Stephanus- sowie der ersten Paulusrede untersucht worden von JOACHIM JESKA, Die Geschichte Israels in der Sicht des Lukas. Apg 7,2b–53 und 13,17–25 im Kontext antik-jüdischer Summarien der Geschichte Israels, FRLANT 195, Göttingen 2001. 7 So wird es am Ende der Apg von Paulus konstatiert. Dass mit dieser Verstockung keine endgültige Verwerfung Israels impliziert ist, sondern Lukas durchaus mit einer endzeitlichen Aufhebung der Verstockung durch Gott rechnet, wurde in der neueren Diskussion um das Israelproblem bei Lukas mehrfach betont. Vgl. etwa HELMUT MERKEL, Israel im lukanischen Werk, NTS 40 (1994), 371–398, 396–398; REINHARD VON BENDEMANN, Paulus und Israel in der Apostelgeschichte des Lukas, in: K. Wengst / G. Sass (Hg.), Ja und Nein. Christliche Theologie im Angesicht Israels (FS W. Schrage), Neukirchen-Vluyn 1998, 291–303; ROBERT C. TANNEHILL, The Story of Israel within the Lukan Narrative, in: D. P. Moessner (Hg.), Jesus and the Heritage of Israel. Luke’s Narrative Claim upon Israel’s Legacy, Luke the Interpreter of Israel 1, Harrisburg, Pa. 1999, 325– 339. 8 In Apg 6,9 werden Mitglieder verschiedener Diasporasynagogen in Jerusalem aufgezählt, die sich gegen Stephanus wenden. Dadurch werden sowohl dessen Rede als auch die damit im Zusammenhang stehenden Vertreibungen und Gemeindegründungen ausgelöst (8,4; 11,19). 9 Das ist auch noch in Rom der Fall. Der strittige Punkt ist dabei die Öffnung des Gottesvolkes für die Heiden. Das wird besonders in 13,46f deutlich: Die Öffnung hin zu den Heiden ist bereits in der Schrift vorgesehen, die Ablehnung der Juden ist der konkrete Anlass, sie geschichtlich zu realisieren (auch wenn dies nicht sofort nach dieser An-

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Eine weitere Formulierung über das weltweit verbreitete Judentum findet sich in der Jakobusrede auf dem Jerusalemer Aposteltreffen, die mit dem Hinweis endet, Mose habe von alters her ~ %› – also in allen Städten – seine Verkündiger und werde in den Synagogen an jedem Sabbat verlesen (15,21).10 Auch hier wird die universale Perspektive deutlich, in der Lukas das Judentum sieht. Zugleich hat dieser Vers eine eigene Bedeutung für das Verhältnis von Judentum und christlichem Gottesvolk: Beim Jerusalemer Treffen werden die grundlegenden Regeln festgelegt, die für den › aus den Heiden (Apg 15,14) gelten sollen. Dieser steht damit künftig neben dem jüdischen ›, für den das Gesetz des Mose gilt.11 Das Judentum ist in der Perspektive des Lukas also über die ganze bewohnte Welt verteilt, wie dies in ähnlicher Weise auch Philo und Josephus formulieren.12 Zu dieser Diasporaperspektive gehört schließlich die Episode über die Beschneidung des Timotheus in Apg 16,1–3. Die Formulierung, Paulus habe Timotheus ^ ~ ½ Ê€^‘€ ½

 | ‹ ›%  | ‘   beschnitten (16,3), lässt erkennen, dass Lukas um die Schwierigkeit der Konstellation eines Sohnes aus der Ehe eines heidnischen Mannes und einer jüdischen Frau wusste, auch wenn nicht völlig deutlich ist, wie er selbst die religiöse Zugehörigkeit des Timotheus beurteilt.13 Eine derartige Probkündigung geschieht). Vgl. auch CHARLES K. BARRETT, A Critical and Exegetical Commentary on the Acts of the Apostles. Vol. I. Preliminary Introduction and Commentary on Acts I–XIV, ICC XXXV/1, Edinburgh 1994, 657. 10 Zur Interpretation dieses Satzes, der in seinem Bezug auf das Vorangegangene verschiedene Deutungen zulässt, vgl. jetzt BETTINA ROST, Das Aposteldekret im Verhältnis zur Mosetora. Ein Beitrag zum Gottesvolk-Verständnis bei Lukas, in: J. Frey u.a. (Hg.), Die Apostelgeschichte im Kontext antiker und frühchristlicher Historiographie, BZNW 162, Berlin/New York 2009, 563–604, 599–602. Sie versteht den Vers wohl zu Recht im Sinne einer Nebeneinanderstellung von Heidenmission und Synagogenpredigt: Für die Heiden gilt das unmittelbar zuvor (V. 20) genannte Dekret, das Mosegesetz wird dagegen von alters her in den Synagogen verkündigt. 11 Anders etwa HANS CONZELMANN, Die Apostelgeschichte, HNT VII, Tübingen 2 1963, 93f; ERNST HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 71977, 433, die durch V. 21 das Dekret selbst begründet sehen. Der Duktus der gesamten Passage zielt jedoch gerade darauf, dass sich die Heiden nicht an die Gesetzesforderungen halten müssen. Die Auflagen des Dekretes sind in dieser Perspektive deshalb kaum als „ermäßigtes Gesetz“, sondern als Konsequenz des Glaubens an den einen Gott anzusehen. 12 Vgl. Philo, Flacc 46; LegGai 281–283; Josephus, Bell VII 43. Der historische Befund wird durch zahlreiche jüdische Inschriften an diversen Orten des Mittelmeerraumes (Nordafrika, Kleinasien, Rom) illustriert. Vgl. die Zusammenstellung bei LOUIS H. FELDMAN / REINHOLD MEYER (Hg.), Jewish Life and Thought among Greeks and Romans. Primary Readings, Minneapolis 1996. 13 Ungeachtet der Frage nach den historischen Umständen der Episode geht Lukas vermutlich davon aus, dass Timotheus aufgrund seiner jüdischen Mutter als Jude anzusehen ist und darum beschnitten werden muss. Zu beachten ist allerdings, dass nicht ganz eindeutig ist, ab wann sich das matrilineare Abstammungsprinzip im Judentum durchge-

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lematik war vornehmlich in der Diaspora virulent, wo Juden inmitten einer heidnischen Umgebung lebten. Die Sicht des Lukas auf das weltweite Judentum weist eine enge Vertrautheit mit zentralen Merkmalen des Judentums wie dem Glauben an den einen Gott,14 die Bedeutung des Jerusalemer Tempels,15 Gesetz,16 Sabbat,17 Beschneidung und Speisevorschriften auf.18 Er kennt jüdische Feste19 und setzt hatte. Bezeugt ist es jedenfalls nicht vor dem Beginn des 2. Jahrhunderts. Vgl. SHAYE J. COHEN, Was Timothy Jewish (Acts 16:1–3)? Patristic Exegesis, Rabbinic Law, and Matrilineal Descent, JBL 105 (1986), 251–268. Bei der anderen Lösung (Lukas stellt sich Timotheus als Heiden vor) ergäbe sich das Problem, dass Paulus gegen das unmittelbar zuvor beschlossene Aposteldekret verstoßen würde. 14 In Missionsreden vor Juden wird der „Gott unserer Väter“ (3,13) bzw. der Gott Israels (13,17) genannt. Programmatisch kommt der Glaube an den einen Gott dann in den Missionsreden vor Heiden (14,15–17; 17,24–30) sowie im Gebet der Jerusalemer Gemeinde (4,24–30) zur Sprache, wo von dem lebendigen Gott, dem Schöpfer, die Rede ist, der auch ^%›@ genannt werden kann (4,24; vgl. Lk 2,29). Zu diesen Bezeichnungen bzw. Gottesvorstellungen vgl. CHRISTIANE ZIMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Hintergrund, AJEC 69, Leiden/Boston 2007, 290–313.345–383.385–427. 15 Der Tempel kommt in Lk 1,8–20; 2,25–52; 19,47 und Apg 3,1 als Ort des Gebetes, der Gottesoffenbarung sowie der Lehre in den Blick. In Lk 24,53 sowie in Apg 2,46 ist er Versammlungsort der Jünger bzw. der Jerusalemer Gemeinde. Daneben gibt es auch eine kritische Haltung des Urchristentums gegenüber dem Tempel. Diese wird, wie vor allem die Anklage gegen Stephanus und dessen Rede (Apg 6,8–15; 7,2–53) zeigen, von Juden aus der Diaspora vorgetragen. Sie geht zudem in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung deutlich über die von Jesus vorgebrachte Kritik an der Zweckentfremdung des Tempels als des ¦  %€‡˜ (Lk 19,45f) hinaus. In Apg 21,27–29 wird der Vorwurf der Verunreinigung des Tempels durch das Hineinführen von Heiden schließlich zur Ursache für die Verhaftung des Paulus. In der Haltung gegenüber dem Tempel kommt demnach eine wichtige Differenz zwischen Judentum und entstehender Kirche zum Ausdruck, die Lukas allerdings als eine innerjüdische Kontroverse darstellt. 16 Im LkEv kommt das Gesetz vor allem in seiner positiven Bedeutung in den Blick: In Lk 2,22–39 wird die Beschneidung Jesu gemäß dem Gesetz des Mose dargestellt; nach 10,25–28 enthält es die Anleitung zum ewigen Leben; nach 24,44 enthält es, gemeinsam mit Propheten und Psalmen, die Verheißungen, die in Jesus zur Erfüllung gelangen sollten. In der Apg ist vom Gesetz dagegen vornehmlich im Blick auf seine durch die Christusverkündigung veränderte Bedeutung die Rede. So kommt es bereits in der ersten Erwähnung in 6,13 innerhalb des Vorwurfes an Stephanus vor, er rede gegen Tempel und Gesetz. Im weiteren Verlauf wird dann deutlich, dass der › nicht gerecht machen kann (13,38), den Heiden deshalb nicht aufzuerlegen ist (15,10.19f), sondern recht verstanden zum Glauben an Jesus und die Auferstehung führt (24,14f; 25,8–10; 28,23). 17 Es begegnen immer wieder Hinweise auf die Synagogengottesdienste am Sabbat, in denen das Gesetz und die Propheten verlesen werden. Vgl. Lk 4,16; 13,10; Apg 13,14.27; 15,21; (16,13;) 17,2; 18,4. 18 Für die Entstehung der Kirche aus Juden und Heiden spielt für Lukas die Speisebzw. Reinheitsthematik eine entscheidende Rolle, weil es ihm um die Frage nach den Voraussetzungen einer Gemeinschaft aus Juden und Heiden geht. Dies wird anhand der

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besitzt intensive Kenntnisse über Geschichte und Schriften Israels.20 Die beiden Teile seines Doppelwerkes weisen demnach einen Umgang mit jüdischen Traditionen auf, der sich deutlich von der Art und Weise unterscheidet, in der sich heidnische Autoren über das Judentum äußern.21 Das legt die Annahme nahe, dass es sich bei dem auctor ad Theophilum um einen Diasporajuden22 oder um einen mit jüdischen Schriften und Traditionen vertrauten Heiden, also um einen der in seinem Werk häufiger begegnenden !›   › , handelt.23 Möglicherweise lassen sich auch die impliziten Adressaten der Apg als Gottesfürchtige identifizieren.24 Charakteristisch ist jedenfalls, dass die in der Apg ab Kap. 10 begegnenden, zunächst als `!¶   › ,25 dann als !›   › 26 bezeichneten Heiden, die in Antiochia ad Pisidiam und Athen neben den Juden als direkte Adressaten der Synagogenpredigt genannt werden, eine wichtige Gruppe beim Übergang von der Mission unter den Juden zu den Heiden

Vision des Petrus und ihrer Deutung in Apg 10,9–16.28 entwickelt, die damit diejenige Funktion übernimmt, die bei Mk die Reinerklärung aller Speisen durch Jesus selbst erfüllt (Mk 7,19). Die Beschneidungsthematik ist dem nachgeordnet und wird in Apg 15,1– 21 in der Weise gelöst, dass die Beschneidung den Heiden nicht aufzuerlegen sei. Die Gewichtung ist demnach andersherum als bei Paulus. 19 In Apg 2,1; 20,16 findet sich die im Neuen Testament neben 1Kor 16,8 einzige Erwähnung des jüdischen Wochenfestes (– %  •). Apg 12,4 nennt, wie auch Lk 2,41 sowie 22,1–15, das Passa. 20 Dies geht aus den zahlreichen Schriftzitaten hervor, mit denen Lukas die Geschichte Jesu und der Ausbreitung des Christentums deutet. Diese entstammen stets der LXX, wobei Lukas darüber hinaus des Öfteren auf jüdische Auslegungstraditionen zurückgreift. Vgl. dazu GERT JACOBUS STEYN, Septuagint Quotations in the Context of the Petrine and Pauline Speeches of the Acta Apostolorum, Contributions to Biblical Exegesis and Theology 12, Kampen 1995; RUSAM, Das Alte Testament bei Lukas (s. Anm. 6). 21 Das lukanische Werk lässt sich deshalb der Tradition apologetischer hellenistischjüdischer Geschichtsschreibung zuordnen, zu der auf je eigene Weise auch die fragmentarisch erhaltenen Werke hellenistisch-jüdischer Historiker wie Artapanos und Eupolemos sowie Josephus zu rechnen sind. Vgl. dazu GREGORY E. STERLING, Historiography and Self-Definition. Josephos, Luke-Acts and Apologetic Historiography, NT.S 64, Leiden u.a. 1992. Zu etwa zeitgleichen, jedoch ganz anders gearteten Äußerungen über das Judentum aus heidnischer Perspektive wären etwa Juvenal Sat 14,96–106; Sen.ep. 95,47 oder Tacitus Hist V 3,1 zu vergleichen. 22 Vgl. MICHAEL W OLTER, Das Lukasevangelium, HNT V, Tübingen 2008, 9f. 23 So JACOB J ERVELL, Die Apostelgeschichte, KEK III, Göttingen 1998, 84, mit der allerdings etwas verwirrenden Formulierung „Er [sc.: der Verfasser der Apg, J.S.] ist Judenchrist, und wenn er als Heide geboren ist, dann gehört er offenbar zu den Gottesfürchtigen mit ihren Wurzeln im hellenistisch-jüdischen Christentum.“ 24 Vgl. JOSEPH B. TYSON, Jews and Judaism in Luke-Acts. Reading as a Godfearer, NTS 41 (1995), 19–38. 25 Apg 10,2.22; 13,16.26. 26 Apg 13,43; 16,14; 17,4.17; 18,7.

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darstellen.27 Für die Darstellung des Diasporajudentums in der Apg ist das insofern von Interesse, als Lukas auf diese Weise eine Facette – nämlich die Attraktivität des jüdischen Glaubens für Heiden – besonders herausstellt. Die Darstellung der jüdischen Diaspora in der Apg hat demnach an keiner Stelle lediglich historisch-informierenden Charakter. Sie ist vielmehr durchgehend in das geschichtstheologische Konzept der Entstehung der heidenchristlichen Kirche aus dem Judentum eingebunden. „Hellenistisch-jüdische Alltagskultur“, die im Titel der Tagung zum Corpus Judaeo-Hellenisticum 2009 in Leipzig genannt wird, begegnet im Rahmen dieser übergreifenden Perspektive in Form von Notizen über von Juden(christen) ausgeübte Berufe,28 jüdische Speisegewohnheiten29 oder Pilgerfahrten nach Jerusalem.30 Ein von dieser geschichtstheologischen Perspektive unabhängiges Interesse an der Darstellung jüdischer Diasporagemeinden ist bei Lukas dagegen nicht zu erkennen. Anders als bei dem etwa zeitgleich schreibenden Josephus, bei dem sich ausführlichere Berichte über Entstehung und Größe jüdischer Diasporagemeinden, ihr Verhältnis zur heidnischen Gesellschaft oder ihre rechtliche Stellung im Imperium 27 Zum Phänomen der sogenannten Gottesfürchtigen vgl. FOLKER SIEGERT, Gottesfürchtige und Sympathisanten, JSJ 4 (1973), 109–164; IRINA LEVINSKAYA, The Book of Acts in its First Century Setting, Volume 5: Diaspora Setting, Grand Rapids/MI 1996; SHAYE J. COHEN, Crossing the Boundary and Becoming a Jew, HTR 82 (1989), 13–33; BERND WANDER, Gottesfürchtige und Sympathisanten. Studien zum heidnischen Umfeld von Diasporasynagogen, WUNT 104, Tübingen 1998; DIETER SÄNGER, Heiden – Juden – Christen, in: DERS., Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 185–212; MARTIN HENGEL / ANNA MARIA SCHWEMER, Paulus zwischen Damaskus und Antiochia. Die unbekannten Jahre des Apostels. Mit einem Beitrag von Axel Knauf, WUNT 108, Tübingen 1998, 101– 132; DIETRICH-ALEX KOCH, The God-fearers between Facts and Fiction. Two TheosebeisInscriptions from Aphrodisias and their Bearing for the New Testament, in: DERS., Hellenistisches Christentum (s. Anm. 3), 272–298. Zu beachten ist auch: SHAYE J. COHEN, Respect for Judaism by Gentiles according to Josephus, HTR 80 (1987), 409–430. 28 Vgl. Apg 18,3: Aquila, Priscilla und Paulus als  @ % ‘. Welche Tätigkeit genau damit bezeichnet wird, ist allerdings weniger eindeutig als oftmals angenommen. In der Bedeutung „Zeltmacher“ ist der Begriff jedenfalls nicht belegt, sondern als Berufsbezeichnung nur als „Hersteller von Theaterrequisiten“. Vgl. die Ausführungen bei WALTER BAUER, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, 6., völlig neu bearbeitete Auflage, hg. v. K. und B. Aland, Berlin / New York 1988, 1508f, sowie vor allem in: A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature, Third Edition, revised and edited by Frederick William Danker, Chicago/London 2000, 928f. 29 Vgl. Apg 10,48–11,2: Petrus hält sich mehrere Tage im Haus des Cornelius auf und muss anschließend in Jerusalem darüber Rechenschaft ablegen, dass er mit Heiden zusammen gegessen hat. Die Petrusvision in 10,10–16 (vgl. 11,5–10) veranschaulicht die Unterscheidung von reinen und unreinen Speisen. 30 Die Anwesenheit von Diasporajuden zum Pfingstfest in Jerusalem ist in Apg 2 vorausgesetzt. Vgl. oben Anm. 3.

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Romanum31 finden, sind auch hier entsprechende Notizen in der Apg in der Regel indirekter Natur und finden sich im Kontext der Darstellung von Konflikten, die durch die christliche Verkündigung hervorgerufen werden.32 Von dieser Perspektive unabhängige Bemerkungen über des Alltagsleben jüdischer Gemeinden,33 wie sie nicht nur in literarischen Texten, sondern auch auf Inschriften und Papyri begegnen,34 und sich durch archäologische Funde, etwa Ausgrabungen von Wohnhäusern, präzisieren lassen,35 kommen in der Apg dagegen nicht vor.36 Kennzeichnend ist des Weiteren, dass bei Lukas diejenigen jüdischen Gemeinden besonders in den Blick treten, die für die Ausbreitung der Christusbotschaft durch die von Jesus beauftragten Zeugen von Bedeutung sind. Städte oder Regionen mit einer bedeutenden jüdischen Diaspora wie etwa Alexandria, die Cyrenaika oder Rom37 werden dagegen aufgrund der Ausrichtung der Darstellung an der Mission des Zwölferkreises, der Hellenisten und des Paulus nur am Rande erwähnt und spielen – mit Ausnahme

31 Vgl. etwa Josephus, Ant XII 119–153 (Verleihung des Bürgerrechts an die Juden in der Asia durch die seleukidischen Könige sowie die Ansiedlung babylonischer Juden in Lydien und Phrygien, die dort nach ihren eigenen Gesetzen leben dürfen); XIV 185– 267 (Beschlüsse der Römer und Griechen über die freie Religionsausübung der Juden); XVI 162–178 (Erlasse des Augustus und Agrippas sowie der Prokonsuln Gaius Norbanus Flaccus und Julius Antonius betreffs der Rechte der Juden in der Cyrenaika und der Asia); XIX 278–312 (Erlasse des Claudius und Petronius über die den Juden zu gewährenden Privilegien). Vgl. dazu MIRIAM PUCCI BEN ZEEV, Jewish Rights in the Roman World. The Greek and Roman Documents Quoted by Josephus Flavius, TSAJ 74, Tübingen 1998. Vgl. auch Bell VII 43–45 (Zerstreuung des jüdischen Volkes über die ganze  €’ @ sowie ihre Stellung im syrischen Antiochia). 32 So lässt sich etwa den Bemerkungen in Apg 16,20 und 19,34 entnehmen, dass die heidnische Bevölkerung den Juden in Philippi und Ephesus ablehnend gegenüberstand und sich dies auf die christlichen Verkündiger übertrug. 33 Dazu zu rechnen wären etwa Geburt und Tod, Familienleben, Feste, Ehe, Freundschaft, Ernährung, Arbeit, Krankheit, Reisen usw. 34 Instruktiv sind jüdische Grabinschriften, die nicht nur die Einstellung zum Tod beleuchten, sondern auch die Verbindung mit dem jüdischen Mutterland herausstellen, oder ein frommes Leben nach dem Gesetz betonen. Vgl. exemplarisch GERHARD DELLING, SPERANDA FVTVRA. Jüdische Grabinschriften Italiens über das Geschick nach dem Tode, in: DERS., Studien zum Neuen Testament und zum hellenistischen Judentum. Gesammelte Aufsätze 1950–1968, Berlin 1970, 39–44. 35 Vgl. BRADLEY BLUE, Acts and the House Church, in: D. W. J. Gill / C. Gempf (Hg.), The Book of Acts in its First Century Setting, Volume 2: Graeco-Roman Setting, Grand Rapids/MI 1994, 119–222. 36 Für einen Überblick über verschiedene Aspekte der Alltagskultur in neutestamentlicher Zeit vgl. Klaus Scherberich (Hg.), Neues Testament und Antike Kultur. Band 2: Familie, Gesellschaft, Wirtschaft, Neukirchen-Vluyn 2005. 37 Vgl. dazu JOHN M. G. BARCLAY, Jews in the Mediterranean Diaspora. From Alexander to Trajan (323 BCE – 117 CE), Edinburgh 1996.

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von Rom38 – für die Geschichtsdarstellung der Apg nur eine untergeordnete Rolle.39 Wie die bereits erwähnte Völkerliste in Apg 2,9–11 zeigt, kann Lukas jedoch über die konkrete Darstellung einzelner Städte und Regionen hinaus in summarischer Form auf das auch in anderen Gebieten lebende Judentum hinweisen. Aus dem Ausgeführten folgt schließlich, dass für Lukas die Unterscheidung zwischen dem Judentum Palästinas und demjenigen der Diaspora der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von Judentum und christlicher Kirche untergeordnet ist. Im Prozess der Trennung beider unterscheidet sich das Diasporajudentum nur insofern von demjenigen in Jerusalem und Judäa, als es erst zu einem späteren Zeitpunkt und durch andere Zeugen mit der Christusverkündigung konfrontiert wird. Die grundlegende Frage nach dem Verhältnis von Christusbotschaft und Israel stellt sich dagegen in der jüdischen Diaspora in der gleichen Weise wie bereits zuvor in Jerusalem und Judäa. Sie wird stets dadurch ausgelöst, dass die Christusbotschaft eine Spaltung unter den Juden hervorruft, insofern sich ihr einige anschließen, wogegen sie bei anderen – oft handelt es sich dabei um die Autoritäten – auf massiven Widerstand stößt und sogar zu dem Versuch führt, die politischen Machthaber für die Unterbindung der christlichen Verkündigung zu gewinnen.40 Die jüdische Diaspora kommt in der Apg demnach im Rahmen derjenigen geschichtstheologischen Perspektive in den Blick, deren Thema die Ausbreitung der Christusbotschaft von Jerusalem nach Rom und die damit zusammenhängende Herauslösung der christlichen Kirche aus dem Judentum ist. Dabei ist zu erkennen, dass Lukas über spezifische Konstellationen in den jeweiligen Städten und Regionen informiert ist, auch wenn diese häufig im Hintergrund bleiben. Zu erkennen ist zudem eine unterschiedliche Intensität des jeweiligen Lokalkolorits. Dieses ist in der syrischen 38

Die jüdische Gemeinde von Rom ist insofern ein Sonderfall, als der lukanische Paulus hier den Juden noch einmal auf „neutralem“ Boden begegnet, um dann das Verstockungswort des Propheten Jesaja über sie zu sprechen. Vgl. dazu auch ECKHARD PLÜMACHER, Rom in der Apostelgeschichte, in: DERS., Geschichte und Geschichten. Aufsätze zur Apostelgeschichte und zu den Johannesakten, J. Schröter / R. Brucker (Hg.), WUNT 170, Tübingen 2004, 135–169. 39 In Apg 6,9 werden Synagogen von Juden aus der Cyrenaika, Alexandria, Kilikien und der Asia in Jerusalem erwähnt, in 18,24–19,1 der Jude Apollos aus Alexandria, in 28,17–28 die Juden Roms. 40 Dies ist bereits in Jerusalem der Fall, wo einerseits viele Juden zum Glauben kommen (2,41; 4,4), andererseits die Apostel verhaftet und verhört werden. Bei der Missionsunternehmung von Barnabas und Paulus wiederholt sich das insofern, als deren Verkündigung wiederum eine zwiespältige Reaktion unter den Juden Antiochias und Ikonions hervorruft (13,42–50; 14,4f). In Thessaloniki, Beröa (17,5–9.13) und Korinth (18,6.12–17) werden ähnliche Konstellationen geschildert, die schließlich zur Verhaftung des Paulus in Jerusalem auf Betreiben der Juden aus der Asia führen (21,27–36).

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Diaspora sowie in den Regionen, die bei der Mission von Barnabas und Paulus erreicht werden – also auf Zypern, in Pisidien, Lykaonien und Pamphylien – geringer, verdichtet sich dagegen in den Provinzen um die Ägäis und nimmt in Rom wieder ab, wo Lukas von einer zweifachen Begegnung des Paulus mit den dortigen %    “{€^‘* berichtet. Dem soll nun etwas genauer nachgegangen werden.

2 Die jüdische Diaspora in Damaskus und Antiochia als Ausgangspunkt für die Entstehung christlicher Gemeinden Die ersten jüdischen Diasporagemeinden, die – nach den genannten summarischen Notizen – konkreter in den Blick treten, sind diejenigen von Damaskus sowie im syrischen Antiochia. Dies geschieht in dem Moment, in dem die christliche Mission diejenige Region erreicht, in der Josephus zufolge der größte Teil des über die  €’ @ verstreuten jüdischen Volkes lebt, wobei Antiochia aufgrund der Größe seines jüdischen Bevölkerungsanteils noch einmal besonders hervorgehoben wird.41 Im Blick auf Damaskus spricht Lukas davon, dass Saulus im Zuge seiner Verfolgertätigkeit Anhänger des „Weges“ in den dortigen Synagogen aufspüren wollte (Apg 9,1f), in Bezug auf Antiochia erwähnt er, dass sich die Verkündigung der Hellenisten zunächst nur an die Juden richtete (Apg 11,19). Die Synagogen der Diaspora sind demnach diejenigen Orte, an denen Jesusanhänger zu finden sind, denen die Christusbotschaft ausgerichtet wird. Darüber hinausgehende Informationen über die jüdischen Gemeinden an diesen Orten finden sich in der Apg nicht. Allerdings kann vorausgesetzt werden, dass Lukas darum wusste, dass an beiden Orten bedeutende jüdische Diasporagemeinden existierten. So spricht er von mehreren Synagogen in Damaskus und setzt voraus, dass bereits vor dem Kommen des Saulus die Christusverkündigung dort Anhänger gefunden hatte (Apg 9,2). Offenbar konnte es in einer Stadt mit einem namhaften jüdischen Bevölkerungsanteil – Josephus spricht von einem Massaker in Damaskus, dem 10.500 bzw. sogar 18.000 Juden zum Opfer gefallen seien42 – am ehesten zur Entstehung einer Gemeinschaft von Jesusanhängern kommen, wobei wir über die konkreten Umstände, durch die dies erfolgt ist, keine Informationen besitzen.43 Die Notiz des Josephus, viele Frauen der Stadt hätten sich der jüdischen Gottesverehrung angeschlossen (Bell II 561), findet in der Apg allerdings keine Entsprechung. Ob Lukas von solchen „gottesfürchtigen Frauen“ in Damaskus wusste, muss deshalb offen 41 42 43

Josephus, Bell VII 43. Josephus, Bell II 561 bzw. VII 368. Vgl. HENGEL/SCHWEMER, Paulus (s. Anm. 27), 80–101.

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bleiben. Deutlich ist dagegen, dass sich seine Darstellung im Blick auf Damaskus noch gänzlich im jüdischen Kontext bewegt. Der jüdische Verfolger Saulus will andere Juden verfolgen und ins Gefängnis bringen, die nach seiner Ansicht durch das Christusbekenntnis dem Glauben an den Gott Israels abtrünnig geworden sind.44 Der Bericht von der Gründung der antiochenischen Gemeinde (Apg 11,19–26) lässt auf eigene Weise Charakteristika der vorausgesetzten Situation erkennen.45 Antiochia gehörte zu den Städten mit dem größten Anteil jüdischer Bevölkerung im Mittelmeerraum,46 denen Josephus zufolge bereits im zweiten vorchristlichen Jahrhundert die gleichen Bürgerrechte zugestanden worden waren wie den Makedoniern und Griechen.47 Sie wurden „Antiochener“ genannt, weil der Stadtgründer Seleukos I. ihnen das Bürgerrecht (% ‘) verliehen hatte.48 Zwar ist umstritten, ob dies in der pauschalen Weise zutrifft oder zwischen den von Josephus gebrauchten Termini % ,   (beides Ant XII 119) und ^  Ì (Bell VII 110) zu differenzieren und diese Begriffe noch einmal von der völligen Gleichstellung, also der % ‘ zu unterscheiden sind, von der Josephus an anderen Stellen spricht, um etwa die Gleichstellung der Juden von Alexandria auszudrücken.49 Dessen ungeachtet ist dennoch davon auszugehen, dass die Juden in Antiochia einen namhaften Anteil der Bevölkerung darstellten und ihre Stellung auf einer wie auch immer näher zu bestimmenden rechtlichen Basis beruhte. Dies führte nicht zuletzt dazu, dass sich jüdischer Einfluss auf die griechischen Einwohner der Stadt bemerk44 Lukas zeichnet in Apg 9,1 das Bild des „Drohung und Mord schnaubenden“ Paulus. Vgl. dazu PIETER W. VAN DER HORST, Drohung und Mord schnaubend (Acta IX 1), NT 12 (1970), 257–269. Dieses wird dann durch die Bezeichnung œ@*• in 22,3 sowie durch die Zugehörigkeit zu den Pharisäern (26,5) präzisiert. Bei Paulus entsprechen dem die Selbstbeschreibungen in Gal 1,13f; Phil 3,6. 45 Zu Antiochia vgl. FRANK K OLB, Antiochia in der frühen Kaiserzeit, in: H. Cancik u.a. (Hg.), Geschichte – Tradition – Reflexion (FS M. Hengel), Bd. II, Tübingen 1996, 97–118; WAYNE A. MEEKS / ROBERT L. WILKEN, Jews and Christians in Antioch in the First Four Centuries of the Common Era, SBibSt 13, Missoula/Mont. 1978; HENGEL/ SCHWEMER, Paulus (s. Anm. 27), 286–293. Vgl. auch bereits die gründliche Darstellung von CARL H. KRAELING, The Jewish Community at Antioch, JBL 51 (1932), 130–160. Die besondere Stellung der antiochenischen Juden wird auch durch das bei Josephus erwähnte Ölprivileg bezeugt (Ant XII 119f). 46 Nach Josephus, Bell III 29, war es die drittgrößte Stadt des römischen Imperiums. 47 Ant XII 119; Bell VII 44. 48 Ap II 39. 49 Vgl. OTTO MICHEL / O TTO BAUERNFEIND, Flavius Josephus: De Bello Judaico/Der Jüdische Krieg. Griechisch und Deutsch, Band II,2: Buch VI–VII, Darmstadt 1969, 227f Anm. 27; EMIL SCHÜRER, The History of the Jewish People in the Age of Jesus Christ (175 B.C. – A.D. 135). A New English Version, revised and augmented by G. Vermes u.a., Volume III/1, Edinburgh 1973, 126–129; HENGEL/SCHWEMER, Paulus (s. Anm. 27), 288.

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bar machte. Josephus zufolge zogen die Juden durch ihre Gottesdienste eine große Menge von Griechen an und machten sie sogar „auf irgendeine Weise (›%Õ  ‘) zu einem Teil von ihnen“.50 Diese Formulierung deutet die Stellung dieser Griechen zu bzw. in den Synagogengemeinden zwar nur vage an, wird sich aber vermutlich so interpretieren lassen, dass es sich nicht um Proselyten handelte, sondern um als von der Forschung als „Gottesfürchtige“ bezeichnete Heiden, die eine Affinität zum Judentum hatten, ohne selbst zu diesem überzutreten. Diese dem Judentum zugeneigten Heiden spielen bekanntlich für die Ausweitung der Christusbotschaft über das jüdische Volk hinaus bei Lukas eine wichtige Rolle, auch wenn sie in historischer Hinsicht ein disparates Phänomen darstellen und nicht als fest umrissene Gruppe – etwa als dritte Größe zwischen Juden und Heiden – aufzufassen sind.51 Für die Darstellung der Apg ist die mit Hilfe der Angaben bei Josephus für Antiochia zu rekonstruierende Situation demnach vor allem deshalb von Interesse, weil Lukas den entscheidenden Schritt der Herauslösung der Jesusanhänger aus dem Judentum mit dieser Stadt verbindet. Dies wird durch den paulinischen Bericht über die Konfrontation mit Kephas in Antiochia in Gal 2,11–14 auf eigene Weise bestätigt. Lukas zufolge werden die Jünger in Antiochia bekanntlich zum ersten Mal als eigene Gruppe neben dem Judentum erkennbar und deshalb auch mit der eigenen, von dem Christusnamen abgeleiteten Bezeichnung ‰   ‘ belegt (Apg 11,26). Diese Notiz, für deren historische Zuverlässigkeit vor allem die (latinisierende) Wortbildung ‰   ‘ selbst spricht,52 ist im Blick auf die Darstellung der Apg insofern bemerkenswert, als sie hier eine deutliche Programmatik gewinnt. Die Formulierung ‡@‘  %Ì* | “Ú  ‡‘% ½ @~ ‰   ¶ macht deutlich, dass die Jesusjünger zum ersten Mal als eigenständige Gruppe neben dem Judentum wahrgenommen werden, die Ausrichtung der Christusbotschaft an Juden und Griechen demnach zu einer Gemeinschaft mit eigenem Profil geführt hat. Diese Pro50

Bell VII 45. Vgl. die oben, Anm. 27, genannte Literatur zur Diskussion über die sogenannten „Gottesfürchtigen“. 52 Die Analogien zu Bezeichnungen wie Õ^  ‘ und “Ú  ‘ zeigen, dass es sich um eine vom Christusnamen abgeleitete Gruppenbezeichnung handelt. Dass sie den Jesusanhängern von außen beigelegt wurde, wird durch Tacitus, Ann 15,44; Plinius Ep 10,96 (Christiani), aber auch durch die beiden neutestamentlichen Stellen Apg 26,28; 1Petr 4,16 unterstützt. Als Selbstbezeichnung begegnet der Begriff zuerst bei IgnEph 11,2; IgnMagn 14,1; IgnRöm 3,2f. Dass das Verbum ‡@œ auf eine amtliche Bezeichnung der neuen Gruppe durch römische Behörden hinweise, wie mitunter angenommen, ist dagegen angesichts seiner keineswegs auf einen vornehmlich offiziellen Gebrauch hindeutenden Verwendung wenig wahrscheinlich. Vgl. HAENCHEN, Apostelgeschichte (s. Anm. 11), 353f Anm. 3. 51

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grammatik wird dadurch unterstrichen, dass Lukas zunächst von einer dezidierten Beschränkung der Verkündigung auf die Juden spricht – @^  \  ›  — ›  “{€^‘  (11,19) – um dem dann die Verkündigung an die Griechen gegenüberzustellen: |¡€  %  ½ ǁ@ ~53  œ›   ¶  “{@\ (11,20). Wenn Lukas mit seinem Bericht über die Entstehung der antiochenischen Gemeinde den Eindruck erweckt, die Christusbotschaft sei hier zum ersten Mal an Heiden ausgerichtet worden, muss das allerdings als historisch unwahrscheinlich gelten. Dass die urchristliche Mission bereits zuvor bzw. zeitlich parallel auch an anderen Orten die Grenzen des Judentums überschritten hatte, lässt Lukas in seinen Berichten über die Mission in Samaria und die @‘ in Damaskus selbst erkennen, es wird zudem durch andere, oft nicht bis ins letzte aufzuhellende urchristliche Entwicklungen – wie etwa das Wirken des Paulus zwischen seiner Bekehrung und dem Kommen nach Antiochia, die Entstehung christlicher Gemeinden in verschiedenen Provinzen Kleinasiens sowie der stadtrömischen Gemeinde – nahegelegt.54 Daraus folgt im Blick auf die lukanische Darstellung der urchristlichen Geschichte, dass die Situation der jüdischen Diaspora in Antiochia in besonderer Weise dazu angetan war, mit ihr den entscheidenden Schritt der Öffnung von der nur an Juden gerichteten Evangeliumsverkündigung hin zu den Griechen zu verbinden. Zwar werden die õ@ ‘, die hier als Adressaten der Christusverkündigung genannt werden, nicht ausdrücklich als `!¶  oder !›   › bezeichnet, wie dies an späteren Stellen der Fall ist. In Anbetracht der gleich noch näher zu entfaltenden Darstellung der urchristlichen Mission in der Apg liegt es jedoch nahe, dass Lukas auch in Antiochia mit der Nennung der õ@ ‘ solche Griechen bezeichnet, die bereits eine Affinität zum jüdischen Gottesglauben hatten.55 Die jüdische Diaspora in Antiochia dient Lukas demnach dazu, mit dieser Stadt einen entscheidenden Wendepunkt der urchristlichen Mission zu markieren.

53 Die Lesart :@  (P74, 2, A, D*) ist sicher sachlich zutreffend, in der Textüberlieferung jedoch vermutlich eine Verdeutlichung des in der Apg uneinheitlich gebrauchten õ@ ‘ (vgl. 6,1; 9,29). 54 Die Anfänge der Heidenmission vor und neben Paulus sind im Einzelnen schwer zu greifen. Zu den Anfängen der römischen Gemeinde vgl. jedoch PETER LAMPE, Die stadtrömischen Christen in den ersten beiden Jahrhunderten. Untersuchungen zur Sozialgeschichte, WUNT II/18, Tübingen 21989. 55 Vgl. DIETRICH-ALEX KOCH , Crossing the Border. The „Hellenists“ and their Way to the Gentiles, in: DERS., Hellenistisches Christentum (s. Anm. 3), 213–231.

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3 Die jüdische Diaspora in Zypern, Pisidien, Lykaonien und Pamphylien und die Anfänge der paulinischen Mission Der zweite Bereich, in dem Diasporajuden in der Apg begegnen, sind die auf der Missionsreise von Paulus und Barnabas erreichte Insel Zypern sowie die Landschaften Pamphylien, Pisidien und Lykaonien (Apg 13–14). Für Zypern ist durch verschiedene Quellen eine jüdische Bevölkerung seit dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert belegt.56 In der Apg findet dies in der Notiz einen Niederschlag, dass die Missionare dort „das Wort Gottes in den Synagogen der Juden“ verkündigten (13,5). Des Weiteren wird mit Barnabas einer der führenden Köpfe der Jerusalemer und dann der antiochenischen Gemeinde als ¶%  š ’  bezeichnet (4,36), und die im Zusammenhang des Konfliktes um Stephanus aus Jerusalem Vertriebenen gelangen auch nach Zypern (11,19).57 Schließlich kehrt Barnabas nach der Trennung von Paulus gemeinsam mit Johannes Markus nach Zypern zurück (15,39). Eine antiochenische Mission in Zypern gewinnt demnach dadurch an Plausibilität, dass offenbar personale Beziehungen zwischen den urchristlichen Gemeinden in Jerusalem und Antiochia sowie der jüdischen Diaspora in Zypern existierten.58 Allerdings wird dies von Lukas nicht ausdrücklich erwähnt, wie überhaupt seine Darstellung der Zypernmission nichts über den Inhalt der Botschaft verrät, die dort von den Missionaren verkündigt wurde. Stattdessen stehen die Bekehrung des Prokonsuls Sergius Paul(l)us59 sowie das Strafwunder an Barjesus/Elymas im 56 1Makk 15,23; Philo, LegGai 282; Josephus, Ant XIII 284–287. Vgl. auch die Bemerkung bei Dio Cassius, Romanike Historia 68,32,2 über den Aufstand unter Trajan, in dessen Folge die Juden von Zypern vertrieben wurden. 57 Vgl. ALANNA E. NOBBS, Cyprus, in: Gill/Gempf, Graeco-Roman Setting (s. Anm. 35), 279–289. 58 Die Nachricht über eine antiochenische Zypernmission wird deshalb auch in der Regel als historisch glaubwürdig beurteilt. Vgl. etwa JÜRGEN ROLOFF, Die Apostelgeschichte, NTD V, Göttingen 1981, 194f. Etwas anders urteilt GERD LÜDEMANN, Das frühe Christentum nach den Traditionen der Apostelgeschichte. Ein Kommentar, Göttingen 1987, 157f. Er hält die Mission des Barnabas und Johannes Markus auf Zypern für historisch, die Beteiligung des Paulus dagegen für ein lukanisches Konstrukt. Paulus habe nur die Reise mit Barnabas nach Derbe, Lystra, Ikonium und Antiochien unternommen (a.a.O. 163–172). Eine derartige Aufteilung ist allerdings mit einer gegenüber den Quellen größeren Hypothek belastet als die Annahme einer Paulusmission in beiden Gegenden. Dafür könnte nicht zuletzt die über Sergius Paul(l)us herzustellende Verbindung zwischen beiden Gebieten sprechen (vgl. die nächste Anmerkung). 59 Zu dessen inschriftlicher Bezeugung vgl. CILLIERS BREYTENBACH, Paulus und Barnabas in der Provinz Galatien. Studien zu Apostelgeschichte 13f; 16,6; 18,23 und den Adressaten des Galaterbriefes, AGJU 38, Leiden u.a. 1996, 38–45; RAINER RIESNER, Die Frühzeit des Apostels Paulus. Studien zur Chronologie, Missionsstrategie und Theologie, WUNT 71, Tübingen 1994, 121–129. Die verschiedenen Inschriften, auf denen Mitglie-

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Zentrum und lenken den Blick auf den Erfolg der Mission bei einem Heiden sowie auf die Überwindung eines Magiers (Apg 13,4–12). 60 In den Städten, in denen Barnabas und Paulus anschließend wirken – Antiochia und Ikonion, die Lukas zufolge in Pisidien liegen, tatsächlich jedoch zu Phrygien gehörten, sowie die lykaonischen Städte Lystra und Derbe – sind von Lukas ebenfalls jüdische Gemeinden und Synagogengebäude vorausgesetzt.61 Die Synagoge von Antiochia wird dabei zum programmatischen Ort einer Missionsrede vor Juden. Ähnlich wie auch beim syrischen Antiochia – sowie in analoger Weise auch später der Areopag, der in Kap. 17 zum Ort des großen Auftritts des Paulus vor heidnischen Philosophen wird – lässt sich wiederum vermuten, dass auch das pisidische bzw. phrygische Antiochia nicht zufällig zum Ort einer programmatischen Szene wird. Das an der Grenze zu Pisidien gelegene62 Antiochia war – wie auch Ikonion und Lystra – 25 v. Chr. von Augustus als römische Kolonie gegründet worden und durch die Via Sebaste mit den anderen Städten verbunden. Die Stadt war von Phrygiern, Pisidiern und Römern besiedelt. Dementsprechend wurden zahlreiche lateinische Inschriften in Antiochia gefunden, und die religiöse Situation war von verschiedenen Kulten phrygischer, pisidischer und römischer Provenienz geprägt.63 Die im lukanischen Bericht erwähnte jüdische Bevölkerung wird offenbar auch von Josephus vorausgesetzt, der einen Brief Antiochus des Großen an seinen Feldherrn Zeuxis überliefert, in dem dieser die Ansiedlung von 2000 jüdider der Sergii Paul(l)i erwähnt werden, weisen auf eine Verbindung zwischen Zypern, Antiochia und Rom hin. 60 Damit wird an dieser Stelle zugleich deutlich gemacht, dass sich die frühchristliche Mission in einem hochgradig differenzierten religiösen Milieu bewegt. Das zeigen sowohl die Begegnung mit dem als ¡ und }€^%`•@ bezeichneten Juden Barjesus/Elymas als auch die Bekehrung des heidnischen  ¶%. 61 In Antiochia und in Ikonion erwähnt Lukas Synagogen. In Apg 14,19 spricht er davon, dass die aus diesen Orten nachgereisten Juden die ‡ von Lystra aufgewiegelt hätten, also nicht die einheimische jüdische Bevölkerung. Damit wird ein Unterschied zwischen den erstgenannten Orten und Lystra angezeigt, der durch das Lokalkolorit der Lystraszene unterstrichen wird: Hier wird auf die phrygische Volkssage von Zeus und Hermes als auf Erden wandelnde Götter angespielt (vgl. Ov.met. 8,611–724). 62 Strabon nennt es deshalb – %  (¥) æ  ^‘% ( €’ @) (Strab. 12,6,4; 8,14). Die von Lukas verwendete Formulierung — æ  ^‘ könnte eine spätere Perspektive reflektieren. 63 Vgl. HARTWIN BRANDT, Gesellschaft und Wirtschaft Pamphyliens und Pisidiens im Altertum, Asia Minor Studien 7, Bonn 1992, 109f sowie 140f zu den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Brandt weist auf die römische Stadtanlage mit cardo und decumanus, zwei Foren, Theater, Stadion und Aquädukt hin, ferner auf die große Zahl lateinischer Inschriften, die auf einen hohen Anteil italischer Bevölkerung schließen lässt, schließlich auf die römische Verwaltungsstruktur.

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schen Familien anordnet, die wegen ihrer Gottesfurcht und des guten Zeugnisses, das sie bei den Vorfahren des Antiochus gefunden haben, treue Besatzungen der durch die ausgebrochenen Aufstände gefährdeten Orte sein würden.64 Des Weiteren ist auf eine jüdische Grabinschrift aus dem zweiten oder dritten Jahrhundert hinzuweisen, die eine Frau aus Antiochia namens Debora als „Tochter von hochgeehrten Eltern“ bezeichnet.65 Dass mit dem auf der in Apollonia in Phrygien gefundenen Inschrift erwähnten Antiochia das zu Pisidien hin gelegene gemeint ist, ist allerdings nicht sicher, vermutlich sogar eher unwahrscheinlich.66 Möglicherweise hat Lukas Antiochia aufgrund seiner zentralen Lage an der Via Sebaste als Ort der großen Rede des Paulus gewählt. Der Ort könnte sich auch deshalb eher für eine derartige Szene angeboten haben als die weiter südöstlich gelegenen Ikonion und Lystra, weil Lukas dort die Motive der phrygischen Volkssage von Philemon und Baucis aufnehmende Erzählung von den als Zeus und Hermes verehrten Missionaren Barnabas und Paulus lokalisieren wird.67 Nähere Informationen über die Stadt und die dortige jüdische Gemeinde erhält man dagegen nicht.68 Es gibt weder eine Personaltradition noch eine konkretere Beschreibung der lokalen politischen Verhältnisse. Stattdessen heißen die Behörden nur allgemein %  ˜ %›* und werden nicht, wie später an anderen Orten, mit spezifischen administrativen Termini bezeichnet. Immerhin findet sich die Information, dass zu der Stadt ein von den Stadtoberen kontrolliertes Territorium gehörte, das Lukas als ‡Ì (13,49) bzw. als ~ "    (V. 50) bezeichnet. Insgesamt aber sind die Informationen – aus welchem Grund auch immer – spärlich und typisiert. Die Episode in Antiochia erhält dadurch den Charakter einer für die Paulusmission der Apg repräsentativen Szene, die sich in analoger Form auch an anderen Orten hätte abspielen können. Die Synagoge Antiochias wird zu demjenigen Ort, an dem Juden und Gottesfürchtige mit der Christusbotschaft in Berührung kommen. Bemerkenswert an der lukanischen Darstellung ist dabei, dass die Rede des Paulus auf die Bitte der Synagogenvorsteher hin gehalten wird, nach der Verlesung von Gesetz und Propheten ein Wort der Auferbauung zu der ver64

Ant XII 148–153. Die hier interessierende Formulierung lautet: “Ú  ›‡  %¡@  ’* %€‘* 2  ð!!*¡. Vgl. SCHÜRER, History (s. Anm. 49), 32; LEVINSKAYA, Diaspora Setting (s. Anm. 27), 150. 66 Die detaillierten Angaben auf dem Epitaph legen es näher, dass nicht das pisidische, sondern ein weiter entfernt gelegenes Antiochia gemeint ist. 67 Vgl. Anm. 61. 68 Vgl. PETER P ILHOFER, Was wußte Lukas über das pisidische Antiochien? in: DERS., Die frühen Christen und ihre Welt. Greifswalder Aufsätze 1996–2001, WUNT 145, Tübingen 2002, 113–122. 65

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sammelten Gemeinde zu sprechen (13,15). Die Rede, die einen Rückblick auf die Entstehung des israelitischen Königtums gibt, der auf die Auferweckung Jesu zuläuft, ist zudem durch die zahlreichen Schriftzitate deutlich als Auslegung der Schriften Israels gekennzeichnet.69 Der Synagogengottesdienst in der jüdischen Diaspora von Antiochia wird somit zum Ort der Christusverkündigung vor Juden und Gottesfürchtigen, die dadurch mit einem neuen Verständnis der Schriften Israels konfrontiert werden. Damit verbindet sich die zweite Facette, die Lukas anhand des Diasporajudentums in den genannten Gebieten verdeutlicht. Die Ausrichtung der Christusbotschaft führt zur zwiespältigen Reaktion von Akzeptanz und Ablehnung. Dabei gewinnt die Szene in Antiochia dadurch paradigmatischen Charakter für die folgende Darstellung der Paulusmission, als einerseits viele Juden und gottesfürchtige Proselyten Paulus und Barnabas nachfolgen, andererseits die Ablehnung von Seiten der Juden zur Ankündigung der Hinwendung zu den Heiden führt (13,42–52). Die konkrete Situation der jüdischen Diaspora in den betreffenden Gebieten bleibt dabei allerdings im Hintergrund. Die Informationen beschränken sich darauf, dass es in den betreffenden Orten jüdische Gemeinden und Synagogen gibt, gottesfürchtige Heiden im Synagogengottesdienst anwesend sind und die Verkündigung von Barnabas und Paulus bei den Juden zu einer zwiespältigen Reaktion führt. Die Entstehung christlicher Gemeinden in den betreffenden Gebieten wird in Form summarischer Notizen erwähnt, die von der Gewinnung von @‘ und der Einsetzung von %!¶ in den einzelnen | @‘ berichten (14,21–23).

4 Die jüdische Diaspora in Makedonien, Achaia und der Asia und die Entstehung christlicher Gemeinden Mit dem Erreichen der Regionen um die Ägäis verdichten sich die Angaben zu den lokalen Spezifika der entsprechenden Orte. Das betrifft zum einen die jeweiligen politischen Verhältnisse, die durch administrative Bezeichnungen wie die @‘ und ¹!^\‡ von Philippi, die % ¡‡ von Thessaloniki, den  ¶% Gallio in Korinth, die “Ú ¡‡ und den ¶ von Ephesus, die Darstellung der jeweiligen Anklagen und Gerichtsszenen70 sowie die auffallend genaue Charakterisierung Phi69 Vgl. die Analyse des ersten Teils der Rede bei JESKA, Geschichte (s. Anm. 6), 221–249, sowie JOSEF PICHLER, Paulusrezeption in der Apostelgeschichte. Untersuchungen zur Rede im pisidischen Antiochien, IThS 50, Innsbruck/Wien 1997. 70 Vgl. ALFRED W IKENHAUSER, Die Apostelgeschichte und ihr Geschichtswert, NTA 8/3–5, Münster 1921, 346–353. Zu Ephesus vgl. auch PAUL R. TREBILCO, Asia, in: Gill/ Gempf, Graeco-Roman Setting (s. Anm. 35), 302–357. Zu den Asiarchen vgl. die Dar-

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lippis als Kolonie im ersten Bezirk Makedoniens71 wesentlich konkreter werden. Es betrifft aber auch die Personaltraditionen, die mit den entsprechenden Orten in Verbindung gebracht werden. Es tritt nunmehr eine ganze Reihe von Personen in den Blick, die sich als Juden oder gottesfürchtige Heiden zu Christus bekehren. Die detaillierter werdende Darstellung betrifft auch Informationen über das Diasporajudentum an den entsprechenden Orten. So ist bereits die Formulierung in 16,13 ¥  –’%   !!¡* |• £* ˜ %¶@ %~ %  | ‘œ %€‡— ¦  bemerkenswert präzise.72 Sie unterscheidet sich darin von allen anderen Schilderungen, dass Lukas nur hier von einer %€‡• als Versammlungsort der Juden spricht und sogar deren Lage angibt. Der Ausdruck %€‡• dient häufig zur Bezeichnung von Synagogengebäuden, muss also nicht zwingend bedeuten, dass es sich um eine Gebetsstätte unter freiem Himmel handelte.73 Allerdings bleibt die singuläre Verwendung auffällig, die darauf hindeutet, dass Lukas diesen Ort von den als € *• bezeichneten Versammlungsstätten an anderen Orten unterscheiden will. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass der Ort oder das Gebäude in Philippi als %€‡• bezeichnet wurde, wogegen Lukas ansonsten den in seinem Sprachgebrauch gebräuchlichen Ausdruck € *• verwendete. Schließlich lässt die Philippi-Episode durch die Erwähnung der Lydia erkennen, dass Gottesfürchtige an den Gebetsversammlungen der Juden teilnahmen. Dies war bereits bei der Anrede des Paulus an die in der Synastellung des epigraphischen Befundes durch ROSALINDE A. KEARSLEY, The Asiarchs, a.a.O. 363–376; zu den makedonischen Politarchen: GREG H. R. HORSLEY, The Politarchs, a.a.O. 419–431. 71 Zu der konjizierten, aber gleichwohl plausiblen Lesart %Ì@ ‘^ ˜  ^ ‘ %›  in 16,12 vgl. PETER PILHOFER, Philippi. Band I: Die erste christliche Gemeinde Europas, WUNT 87, Tübingen 1995, 159–165; COLIN J. HEMER, The Book of Acts in the Setting of Hellenistic History, hg. v. C. H. Gempf, WUNT 49, Tübingen 1989, 113f. Das entscheidende Argument für diese Lesart lautet, dass sie die einzige ist, die den tatsächlichen historischen Verhältnissen entspricht, dass nämlich Philippi eine Stadt „des ersten Teils Makedoniens“ war, das von den Römern 167 v. Chr. in vier von Ost nach West durchnummerierte Regionen aufgeteilt worden war. Philippi gehörte zum östlichsten, also ersten dieser Teile. Auch die nur hier begegnende Verwendung von ’  (statt ’) spricht dafür, dass hier ein terminus technicus verwendet wird. Die anderen Lesarten sind offenbar der Unkenntnis dieser historischen Umstände geschuldet und stellen Versuche dar, der Formulierung einen irgendwie gearteten Sinn abzugewinnen. 72 Vgl. PILHOFER, Philippi (s. Anm. 71), 165–174. 73 Vgl. MARTIN HENGEL, Proseuche und Synagoge, in: DERS., Judaica et Hellenistica (Kleine Schriften I), WUNT 90, Tübingen 1996, 171–195. Hengel zufolge hat Lukas hier auf eine Quelle zurückgegriffen, in der mit %€‡• ein Gebäude bezeichnet war (187). Vgl. auch die Auswertung des epigraphischen Materials bei LEVINSKAYA, Diaspora Setting (s. Anm. 27), 207–225.

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goge von Antiochia versammelte Gemeinde in 13,16.26 deutlich geworden, es geht auch aus 17,4 und 18,7 hervor. Lukas gibt damit ein Charakteristikum des synagogalen Gottesdienstes in der Diaspora zu erkennen, das ungeachtet der programmatischen Funktion für die Darstellung der Apg Anhalt an den historischen Verhältnissen haben dürfte.74 Von Thessaloniki, Korinth und Ephesus berichtet Lukas von der Verkündigung des Paulus in den örtlichen Synagogen.75 Diese sind allerdings nur literarisch belegt.76 Im Fall von Korinth lassen sich dabei mit den in Apg 18 erwähnten Aquila und Priscilla, Krispus und Sosthenes Verbindungen zu Paulusbriefen herstellen.77 Auch dies zeigt, dass die Informationen nunmehr an Konkretion gewinnen. Im Blick auf das Leben in der jüdischen Diaspora lässt sich erkennen, dass Juden in der römischen Kolonie Korinth ein Handwerk betreiben konnten,78 ihren Einfluss bei den städtischen Behörden geltend zu machen versuchten und dass das Leben in einer heidnischen %›  sowohl zur Ausstrahlung des jüdischen Glaubens als auch zu feindseligen Haltungen gegenüber dem Judentum führte.79

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Vgl. dazu etwa auch die Schilderung bei Josephus, Ap II 281–284. Die Synagogen werden in Apg 17,1 (Thessaloniki); 18,4 (Korinth; vgl. auch die in V. 8 und 17 erwähnten ‡ € ¡* Krispus und Sosthenes) sowie 18,19; 19,8 (Ephesus) genannt. 76 Eindeutige archäologische oder epigraphische Belege für diese Synagogen sind bislang nicht bekannt. Für Thessaloniki ist von drei diskutierten Inschriften vermutlich nur die von PANTELIS M. NIGDELIS in ZPE 102 (1994), 297–306, publizierte SarkophagInschrift heranzuziehen, die allerdings auch nur an den Anfang des dritten, evtl. ins zweite Jahrhundert führt. In ihr verfügt ein Markos Aurelios, dass den Synagogen (!) neu geprägte Denare als Grabmult gegeben werden sollen. Bei der häufiger genannten   Ï} -Inschrift CIJ 693d (IG X 2,2 Nr. 72) ist dagegen der jüdische Charakter unsicher. Vgl. zur Diskussion der Inschriften CHRISTOPH VOM BROCKE, Thessaloniki – Stadt des Kassander und Gemeinde des Paulus. Eine frühe christliche Gemeinde in ihrer heidnischen Umwelt, WUNT II/125, Tübingen 2001, 217–233. Die bekannte Synagogeninschrift aus Korinth [ņÞÚ]÷Û èÝ[Ú{÷Þ] ist ebenfalls späteren Datums. Die in SEG 29 (1979/1982), Nr. 300, publizierte Inschrift aus Korinth ist sehr fragmentarisch und bleibt deshalb als Beleg für eine Synagogengemeinde in Korinth unsicher. Vgl. die Diskussion bei GREGORY H. R. HORSLEY, NewDocs 4 (1979), 213–220. Auch für Ephesus ist keine Synagoge für das erste Jahrhundert archäologisch bezeugt. Zum epigraphischen Befund vgl. SCHÜRER, History (s. Anm. 49), 22f. 77 Aquila und Priscilla: 1Kor 16,19; Röm 16,3–5 (; 2 Tim 4,19); Krispus: 1Kor 1,14; Sosthenes: 1Kor 1,1. Es spricht einiges dafür, dass es sich bei den beiden Letztgenannten um die auch von Paulus erwähnten Personen handelt. 78 Vgl. oben Anm. 28. 79 Dabei gilt grundsätzlich, dass es sich um von Lukas aus bestimmter Perspektive gestaltete Szenen handelt, die innerhalb seiner Geschichtsdarstellung programmatischen Charakter besitzen. Das spricht nicht dagegen, dass in diesen gleichwohl charakteristische Merkmale des Diasporajudentums zum Ausdruck kommen. 75

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In der lukanischen Darstellung verstärkt sich dabei die seit der bereits erwähnten Situation in Antiochia erkennbare Tendenz des Anklangs der christlichen Verkündigung bei Teilen der Juden sowie bei gottesfürchtigen Heiden bei gleichzeitiger Feindseligkeit derjenigen Juden, die sich der Christusbotschaft verschließen. Letzteres zeigt sich nunmehr darin, dass konkrete Anschuldigungen genannt werden, mit denen Paulus bzw. seine Anhänger vor den städtischen Behörden verklagt werden. In Thessaloniki lautet die Anklage vor den Politarchen auf Unruhestiftung in der gesamten  €’ @ sowie der Verletzung der ^› des Kaisers durch die Verkündigung eines anderen ! ¶ (17,6f); in Korinth auf gesetzeswidrige Aufforderung zur Verehrung Gottes (18,13). In diesen Kontext gehört schließlich auch die Anklage, die Juden aus der Asia nach Apg 21,27 in Jerusalem gegen Paulus erheben, der dort der Verkündigung gegen Volk und Gesetz sowie der Verunreinigung des Tempels bezichtigt wird. In signifikanter Korrespondenz zu diesen Denunziationsversuchen, denen nur mäßiger oder gar kein Erfolg beschieden ist,80 werden die Missionare von heidnischer Seite – nämlich in Philippi und Ephesus – als Juden wahrgenommen, die durch ihre Verkündigung die öffentliche Ordnung stören bzw. deren Wirken geschäftsschädigende Auswirkungen zeitigt.81 Bemerkenswert bei diesen Darstellungen ist, dass sie sich mitunter nicht direkt auf Paulus beziehen, sondern die durch sein Wirken hervorgerufene Situation in der jeweiligen Stadt schildern. So stehen sowohl in Thessaloniki als auch in Korinth und Ephesus die Konstellationen zwischen den Juden und den städtischen Behörden bzw. der heidnischen Bevölkerung im Zentrum, wogegen Paulus selbst nur am Rande von den Ereignissen betroffen ist.82 Lukas schildert auf diese Weise die Situation, dass die Juden sich von den Christen distanzieren und sie vor den lokalen Behörden denunzieren wollen. Dies gelingt ihnen jedoch nicht, da die Christen von heidnischer Seite ungeachtet dieser Versuche weiterhin als Teil des Judentums 80 Das lukanische Anliegen besteht erkennbar darin, das Desinteresse der Behörden an den Anklagen der Juden herauszustreichen. Damit macht er deutlich, dass die Diskussion über die christliche Verkündigung nicht auf die Ebene der politischen Anklage gehört, sondern die Kontinuität und Legitimität der Fortsetzung der Geschichte Israels durch die Christusbotschaft, also eine innerjüdische Angelegenheit, zur Disposition steht. 81 Dabei arbeitet Lukas mit feiner Ironie die Spannung zwischen einem Geschäftsinteresse (vgl. die Erwähnung der |‘ in 16,16 und 19,24) und den religiös motivierten Vorwürfen (16,20: Verbreitung unrömischer Sitten durch die Juden Paulus und Silas; 19,26f: Paulus würde mit seiner Verkündigung die Grundlagen des Artemiskultes gefährden) heraus. 82 In Thessaloniki werden nicht Paulus und Silas, sondern Jason und einige Brüder vor die Politarchen gebracht (17,6). Der Zorn der Menge in Korinth richtet sich auf Sosthenes (18,17). In Ephesus nimmt sich Paulus bereits vor dem Aufstand der Silberschmiede vor, Ephesus zu verlassen (19,21) und wird von den Jüngern und den Asiarchen daran gehindert, zu dem Volksauflauf ins Theater zu gehen (19,30f).

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betrachtet werden. Damit wird deutlich, dass der lukanischen Darstellung zufolge Judentum und christliche Kirche aus der Sicht heidnischer Behörden auch dann eng zusammengehören, wenn sie sich de facto bereits voneinander zu trennen beginnen.

5 Fazit Die vorstehenden Überlegungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen. 1. Das Diasporajudentum ist in der Apg keine eigene Größe, sondern Bestandteil des Judentums und seiner Rolle im Geschichtsplan Gottes. Das Judentum der Diaspora wird dabei mit der Christusbotschaft im Zusammenhang der Ausbreitung der Christusbotschaft konfrontiert. 2. Die geographischen Stationen, an denen das Diasporajudentum in Erscheinung tritt, sind die syrischen Orte Damaskus und Antiochia, die auf der gemeinsamen Missionsreise von Barnabas und Paulus besuchten Gegenden sowie schließlich die Städte der Paulusmission in den Provinzen Makedonien, Achaia und Asia. Einen Sonderfall bilden die stadtrömischen Juden, mit denen Paulus an seiner letzten Station zusammentrifft und die von den zuvor erzählten Geschehnissen nichts wissen (28,21f). Dadurch gewinnt diese Begegnung einen eigenen, grundsätzlichen Charakter. 3. Bei der Beschreibung der politischen, religiösen und kulturellen Bedingungen in den einzelnen Regionen und Städten zeigt Lukas Kenntnisse spezifischer lokaler Verhältnisse, die sich auch auf die jüdischen Gemeinden beziehen. In den Städten um die Ägäis sind diese konkreter, in Syrien und Phrygien bzw. Pisidien bleiben sie dagegen eher im Allgemeinen. Grundsätzlich geht es Lukas nicht um die Vermittlung historischer Informationen über die diasporajüdischen Gemeinden, sondern um deren Rolle im Prozess der Entstehung der christlichen Kirche. Dies zeigt sich etwa daran, dass er Städte wie das syrische und das (pisidische bzw. phrygische) Antiochia als Orte heraushebt, an denen sich grundlegende Ereignisse der urchristlichen Geschichte zugetragen haben. Es zeigt sich aber auch daran, dass die Informationen über die jüdischen Gemeinden sehr sparsam sind und stets der Darstellung der Verbreitung der Christusbotschaft dienen. Diesem Umstand ist es auch geschuldet, dass das Alltagsleben der jüdischen Diasporagemeinden nur in sehr wenigen, eher zufälligen Bemerkungen zur Sprache kommt. 4. Die jüdischen Gemeinden sind in der Apg zumeist Ausgangspunkt der christlichen Verkündigung. Die durch diese Gemeinden mit dem jüdischen Glauben in Berührung gekommenen sogenannten „Gottesfürchtigen“ sind dabei derjenige Kreis von Heiden, der zuerst mit der Christusbotschaft

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konfrontiert wird. Das Diasporajudentum spielt für die lukanische Geschichtstheologie deshalb eine wichtige Rolle bei der Vermittlung des Glaubens an den einen Gott sowie der Schriften Israels an die heidnischen Hörer, der dann auch die Grundlage für die Annahme der Christusbotschaft bildet. 5. Eine weitere zentrale Funktion des Diasporajudentums besteht darin, dass es mit seiner Ablehnung der christlichen Verkündigung zur Trennung von Kirche und Judentum und damit zur Hinwendung des Heils zu den Heiden beiträgt. Dabei wird erkennbar, dass es sich in der Sicht des Lukas um einen inneren Differenzierungsprozess handelt. Die christliche Verkündigung knüpft an die Schriften Israels an und setzt die Geschichte Israels gemäß dem Heilsplan Gottes fort. Das Judentum, sofern es sich der Einsicht in diese Fortsetzung verweigert, ist dagegen gegenwärtig aus dieser Geschichte ausgeschlossen. Dem Diasporajudentum kommt Lukas zufolge demnach die geschichtstheologische Funktion zu, diesen Trennungsprozess bis zur Einsicht des Paulus in die bereits durch die Schrift bezeugte Verstocktheit eines Teils seines Volkes voranzubringen.

Beiträge aus den Arbeitsgruppen

Jewish Inscriptions and Jewish Life ANDREW CHESTER

1 Introduction Jewish inscriptions form an integral part of the material culture and everyday world of Jewish communities, and of the ancient world more generally, over several centuries.1 As such, they have an intrinsic importance of their own; they are also able to provide information and insights that would not be readily available otherwise. For this chapter, I have limited myself to inscriptions from the Diaspora;2 and although the main focus is 1 These inscriptions, variously, span a period from roughly the 2nd century B.C.E. to the 6th century C.E. Although I am alone responsible for the writing of this chapter (and any inadequacies in it), I am very grateful to the members of the Inscriptions Group at the Leipzig Symposium for their lively interest in and helpful contributions to our sessions studying these inscriptions; I am above all grateful to Walter Ameling, who has in addition very kindly read a draft of this chapter and given me the benefit of his expertise. Two important articles appeared too late for me, unfortunately and to my great regret, to be able to take account of them here: Friedrich Avemarie, “Jüdische Diasporagemeinden in der Antike: Ihr Selbstverständnis im Spiegel der Inschriften,” in Ulrich H. J. Körtner (ed.), Kirche – Christus – Kerygma: Profil und Identität evangelischer Kirche(n) (Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2009), 21–61; Walter Ameling, “The epigraphic habit and the Jewish diasporas of Asia Minor and Syria,” in Hannah M. Cotton et al. (eds.), From Hellenism to Islam: Cultural and Linguistic Change in the Roman Near East (Cambridge: Cambridge University Press, 2009), 203–34. 2 I use the following abbreviations for collections and editions of Jewish inscriptions (in all cases, where a number on its own follows the abbreviation, it denotes a numbered inscription in that volume; specific page references are denoted by the use of p. or pp.): BS ii: Moshe Schwabe and Baruch Lifshitz, Beth She‘arim. Vol. 2: The Greek Inscriptions (Jerusalem: Massada, 1974); CIJ i-ii: Joseph B. Frey, Corpus Inscriptionum Iudaicarum (2 vols.; Vatican City: Pontificio Istituto di Archeologia Cristiana, 1936–52; vol. I reprinted with a prolegomenon by Baruch Lifshitz, New York: Ktav 1975); CJZC: Gert Lüderitz, Corpus jüdischer Zeugnisse aus der Cyrenaika (TAVO.B 53; Wiesbaden: Reichert, 1983); DF: Baruch Lifshitz, Donateurs et fondateurs dans les synagogues juives: répertoire des dédicaces greques relatives à la construction et à la réfection des synagogues (CahRB 7; Paris: Gabalda, 1967); JIGRE: William Horbury and David Noy, Jewish Inscriptions of Graeco-Roman Egypt (Cambridge: Cambridge University Press,

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on what these inscriptions can reveal about Jews and Judaism in the setting of everyday life, I also draw attention briefly to ways in which the inscriptions can (however indirectly) shed some light on the New Testament. There are inevitably very considerable limitations to what we can learn about Jewish life from the inscriptions. In an earlier essay I noted some of the problems and limitations involved,3 and to a large extent they apply here as well. A very large proportion (about 80%) of the inscriptions are epitaphs; these are mostly very short and throughout use mainly conventional, stereotyped expressions. The inscriptions are also (with only a few exceptions) very difficult to date, and altogether span a period of about eight centuries; mostly, however, they come from the second to the fourth centuries C.E.; hence their precise relevance for the first century C.E. is inevitably problematic. Equally, of course, they span a large geographical area; Jewish inscriptions from various parts of the Diaspora are obviously bound up with their local context. Hence to generalize about ‘Jewish life’ in the Diaspora on the basis of this evidence will be to beg questions unless the specific context is respected.4 It also needs to be noted that the inscriptions that have survived are almost entirely those inscribed on stone or marble, and this would be expensive even where the inscription is very short. Hence the very strong probability is that virtually all these inscriptions emanated from the economically well-off and socially superior within the various Jewish communities. 1992); JIWE i: David Noy, Jewish Inscriptions of Western Europe. Vol. I: Italy (excluding the City of Rome), Spain and Gaul (Cambridge: Cambridge University Press, 1993); JIWE ii: David Noy, Jewish Inscriptions of Western Europe. Vol. II: The City of Rome (Cambridge: Cambridge University Press, 1995); IJO i: David Noy, Alexander Panayotov and Hanswulf Bloedhorn, Inscriptiones Judaicae Orientis. Vol. I: Eastern Europe (TSAJ 101; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004); IJO ii: Walter Ameling, Inscriptiones Judaicae Orientis. Vol. II: Kleinasien (TSAJ 99; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004); IJO iii: David Noy and Hanswulf Bloedhorn, Inscriptiones Judaicae Orientis. Vol. III: Syria and Cyprus (TSAJ 102; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004). The translations are my own. I also added punctuation to the inscriptions taken from CJZC. Otherwise the inscriptions are reproduced here as found in the above mentioned editions without any further changes or attempts to provide new readings. 3 Andrew Chester, “The Relevance of Jewish Inscriptions for New Testament Ethics,” in Jan W. van Henten and Joseph Verheyden (eds.), Early Christian Ethics in Jewish and Hellenistic Contexts (Studies in Theology and Religion: Leiden: Brill, forthcoming), section 1. 4 It would be desirable to provide at least some comparison between the discussion here of Diaspora inscriptions (and the conclusions reached) and the evidence provided by Palestinian inscriptions. Sadly there is not space here to undertake that, and it must be left to a further essay I hope to write on this theme. It does in any case need to be noted that the distinction between Palestine and the Diaspora is in some respects an artificial one; cf. Tessa Rajak, The Jewish Dialogue with Greece and Rome (AGJU 48; Leiden: Brill, 2000 [paperback ed. Boston: Brill, 2002]), ix, 379–80.

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We are therefore very much more likely to gain a picture (as far as we can gain that at all) of Jews of this kind, rather than Jewish communities as a whole and poorer Jews in particular. There is also the further, and in many ways intractable, problem of being able to establish adequate criteria for deciding which inscriptions are indisputably Jewish.5 Nevertheless, despite all the limitations and qualifications that have to be borne in mind (and also the fact that within the limits of this chapter I can only cite, and refer to, a small selection from the two thousand or more inscriptions that can probably be seen as Jewish), we can gain potentially valuable insights into Jewish life in and around the Mediterranean area in the early centuries C.E.

2 Jews and Civic Society 2.1 Jewish ‘Guilds’: Jews and public entertainment A surprising amount can be gleaned from a few very short inscriptions from Miletus (IJO ii 37–39): IJO ii 37 IJO ii 38 IJO ii 39

% €^ˆ*    []!

Place of the Jews, who are also (called) Godfearers. [?]!

(Place) of the Godfearers. ! ˆ* {Ù.÷Þ (Place) of the blue Jews.

All three of these inscriptions, which were used as seat-markers in the theatre in Miletus, are relatively late; they have been dated to the third century C.E., but could in fact be as late as the fifth or sixth century. In the case of the first two, there is also the complicating factor of the use of the term ! ; discussion of this belongs to the larger question of Gentiles and Godfearers in relation to Jews, which I will come to in section 3.2. Suffice it here simply to note that at IJO ii 37 it is best understood not as referring to Gentiles as “Godfearers,” but as a further designation (perhaps pious self-designation) of the Jews, and is used on its own in this sense in IJO ii 38.6 In any case, it is clear from IJO ii 37 and 39 that these seat-markers show that Jews, as a group, had a whole row, or even whole block, of seats designated as reserved for them. Obviously then, at least by this time, at Miletus Jews (or some Jews, at any rate) attended the theatre on a regular 5

Some of the literature where this issue is discussed is noted in Chester, “Relevance” (see n. 3); cf. also e.g. Alice J. Bij de Vaate and Jan Willem van Henten, “Jewish or NonJewish? Some Remarks on the Identification of Jewish Inscriptions from Asia Minor,” BO 53 (1996), 16–28, and the discussion by Ameling, IJO ii, pp. 8–21. 6 See the discussion by Ameling, IJO ii, pp. 169–72.

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basis, and thus participated fully and openly in the everyday life of the polis, its culture and entertainment. Nor is this the only inscriptional evidence we have for Jews regularly being part of the audience at public entertainment. Thus there are two (fifth- or sixth-century) inscriptions from the Odeon in Aphrodisias, which again clearly marked the row or block that had been assigned to the Jews. One (IJO ii 15) reads “place of the Hebrews” (% õ!ˆ* ), and the other (IJO ii 16) “place of the blue Jews, the older ones” (% è ˆ*

õ!•*   %   ).7 It is not clear whether the “older Jews” formed a separate group within the Jewish community, or at least those who attended the Odeon. There is, certainly, inscriptional evidence (IJO ii 47: from the late second or early third century C.E. in Hypaepa, near Sardis) for a group of “younger Jews” (Ê€^[]* *ˆ* ); it is not clear, however, whether there was a specific, separate, Jewish guild, or association, with this name, or whether it was a seat-marker within the palaestra for younger Jews who were part of a larger group belonging to the gymnasium, and consisting of newly-qualified ephebes within the polis.8 Nor, of course, is it clear that it can be related directly at all to the designation %  from Aphrodisias at a much later date. Nevertheless, at very least, Jews in both Miletus and Aphrodisias obviously attended public entertainments regularly. In both places they were also associated with the “blue” faction within the audience; that does not mean that Jews always and everywhere must have been supporters of this particular faction,9 but it does again imply their close involvement in the everyday cultural life of the polis. Although this is the limit of inscriptional evidence for Jewish attendance at such entertainments, it is not the only indication we have of such involvement. Thus Philo portrays himself as attending both the theatre and the hippodrome.10 We cannot, of course, simply extrapolate from this scattered and disparate evidence (from Alexandria in the early first century C.E. and from two cities in Asia Minor in the fifth century or later) that such attendance was the practice for Jews throughout the Diaspora and over several centuries. There is, however, no reason in principle to doubt that at least some Jews in Mediterranean Diaspora communities would, as a matter of 7 Assuming, that it is right to understand %   as equivalent to %* ; cf. IJO ii p. 116, on the problems involved in this. 8 Cf. IJO ii pp. 200–1; Paul Trebilco, Jewish Communities in Asia Minor (SNTSMS 69; Cambridge: Cambridge University Press, 1991), 177. 9 Cf. IJO ii pp. 114–16; cf. also Alan Cameron, Circus Factions (Oxford: Clarendon, 1976), who provides discussion of the evidence overall for the different factions, and at pp. 79, 149–52, argues that while the Jews associating themselves with one or another of these factions may have provided a focus for anti-Semitism, this was part of a much more general phenomenon and not because the Jews belonged to a particular faction. 10 Ebr. 177; Prov. 2.158.

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course, have attended the theatre and similar entertainment. Indeed, Philo also frequented the gymnasium (e.g. Opif. 78), and in addition to IJO ii 47, above, it is clear from other inscriptions (e.g. IJO ii 22, from Iasos, first or second century B.C.E., and CJZC 6 and 7a, from Cyrene in the first century C.E., or earlier) that Jews belonged to the ephebes in some places at least, and had thus undergone a (Greek) gymnasium education.11 It is not, then, simply a matter of Jews enjoying pleasurable activities in their leisure time. By participating in this way in the everyday, common social and cultural life of their civic communities, they also express their belonging (or at least, an attempt to belong) fully and integrally to their city and civic community. Indeed, it goes further than that: for as Ameling points out, what is involved in the Miletus inscriptions (and the same will apply with those from Aphrodisias) is the Jews being recognized by the authorities, and assigned a place in the theatre (or Odeon), in exactly the same way and on the same basis as various guilds, or associations, within the polis.12 In other words, the Jews are perceived, and treated, as just such a ‘guild’ themselves; and that is a striking phenomenon, with far-reaching implications. That is, for Jews to have applied for these places implies that there has been a conscious and collective decision (on the part of a considerable number of Jews at least) to identify themselves as part of their polis; it represents, therefore, one of the non-religious matters that the Jewish congregations must (at times at least) have voted on. Correspondingly, it also represents a specific recognition by the polis authorities that the Jews do indeed constitute such a guild, on the pattern of other guilds. Hence it represents a way for the polis to integrate Jews themselves into the society. The Jews thus undertake to conform to this civic, social model, and are accepted as conforming in this way. We cannot of course be certain how widespread such recognition was throughout the Hellenistic Diaspora, or how many Jews in each community it involved. Yet the fact that we have this chance evidence of such a phenomenon in Jewish communities of Asia Minor is potentially of the highest significance. 2.2 Bestowing of honours by Jews It would appear, at first sight at least, that there is further evidence of Jewish attendance at the theatre and involvement in civic society in two in-

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Cf. also e.g. Louis H. Feldman, Jew and Gentile in the Ancient World (Princeton: Princeton University Press, 1993), 59–61; Rajak, Dialogue (see n. 4), 368–69. 12 Walter Ameling, “Die jüdische Diaspora Kleinasiens und der ‘epigraphic habit,’” in Jörg Frey, Daniel R. Schwartz, and Stephanie Gripentrog (eds.), Jewish Identity in the Greco-Roman World (AJEC 71; Leiden: Brill, 2007), 253–82: 271–77.

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scriptions from Berenice, in Cyrenaica, in the first century B.C.E. or C.E.:13 CJZC 70: … 6[]   “ |% ‡ *  \ […………] ð**  \ æ€,  € \ [] €, *  \ […] , Å[%]*  \ ^Š‡€, Þ  [\……………]Ú[.] ÅÚ[……] \ Å* . |% [ðˆ ] Ù[ˆ  ] [€ ð  ]  æÝÛæٞÛÅ [……………]÷ÛÅ  —      / ^ [‹ ?Õ  £Õ  ©]ˆ  %   

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13 The reference to the year is missing at the start of CJZC 70, but CJZC 71 must be dated to 24/25 C.E. at the latest, and very plausibly comes from considerably earlier, in the first century B.C.E; cf. Margaret H. Williams, The Jews among the Greeks and Romans: A Diasporan Sourcebook (London: Duckworth, 1998), 194.

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Dec[i]mus Valerius Dionysios, son of Gaius, has had the floor and the amphitheatre plastered and had it painted at his own expense, as a contribution to the politeuma. CJZC 71: [Ø]€