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German Pages 188 [192] Year 1994
Charles Lichtenthaeler
†
Neuer Kommentar zu den ersten zwölf Krankengeschichten im III. Epidemienbuch des Hippokrates
Hermes Einzelschriften 65
Franz Steiner Verlag Stuttgart
CHARLES LICHTENTHAELER † NEUER KOMMENTAR ZU DENERSTEN ZWÖLF KRANKENGESCHICHTEN IM III. EPIDEMIENBUCH DES HIPPOKRATES
HERMES ZEITSCHRIFT FÜR KLASSISCHE PHILOLOGIE
EINZELSCHRIFTEN HERAUSGEGEBEN VON
JÜRGEN BLÄNSDORF JOCHEN BLEICKEN WOLFGANG KULLMANN HEFT 65
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
1994
CHARLES LICHTENTHAELER †
NEUER ZU
DEN
KOMMENTAR ERSTEN
ZWÖLF
KRANKENGESCHICHTEN IM
III.
EPIDEMIENBUCH
DES
HIPPOKRATES
XV. HIPPOKRATISCHE STUDIE
MIT EINEM GELEITWORT VON MARKWART MICHLER
FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART 1994
CIP-Einheitsaufnahme Die Deutsche Bibliothek –
[Hermes / Einzelschriften]
Hermes : Zeitschrift fürklassische Philologie. Einzelschriften. –Stuttgart : Steiner. Früher Schriftenreihe Fortlaufende Beil. zu:Hermes NE:Hermes / Einzelschriften H.65. Lichtenthaeler, Charles: Neuer Kommentar zuden ersten zwölf Krankengeschichten imIII. Epidemienbuch 1994 Hippokrates. –
des
Lichtenthaeler, Charles:
Neuer Kommentar zudenersten zwölf Krankengeschichten im III. Epidemienbuch desHippokrates / Charles Lichtenthaeler. Stuttgart : Miteinem Geleitw. vonMarkwart Michler. – Steiner, 1994 (Hermes : Einzelschriften; H.65) (Hippokratische Studie; 15) 7 06361– 515– ISBN3–
NE: 2. GT
Jede Verwertung desWerkes außerhalb derGrenzen desUrheberrechtsgesetzes istunzulässigundstrafbar. Diesgiltinsbesondere fürÜbersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie fürdieSpeicherung inDatenverarbeitungsanlagen. © 1994 by Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, SitzStuttgart. Gedruckt aufsäurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: Druckerei Peter Proff, Eurasburg. Printed inGermany
Für meine Frau
INHALTSVERZEICHNIS
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Geleitwort von Markwart Michler
Liste der in dieser Studie zitierten Schriften
10
Allgemeine Einleitung
13
Kurze Einführung in die Gruppe des III. Epidemienbuches
III AderKrankengeschichten
20
Die zwölf Krankengeschichten der Gruppe III A mitihrer jeweiligen vermutbaren hippokratischen Diagnose
1.
III A, 1: Pythion, der beim Tempel der Erdgöttin wohnte
2.
III A, 2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag (Thasos). –Bösartiges Brennfieber mittödlichem Ausgang III A, 3: DerMann, derimGarten desDealkes krank lag
3.
(Thasos?).
(Thasos).
4. 5.
6.
7. 8.
9. 10. 11.
12.
–Remittierendes
Fieber imViertagerhythmus
–Atypisches Brennfieber
III A, 4: Philistes in Thasos. –Tödliche Phrenitis acutissima III A, 5: Chairion, der bei Demainetos krank lag. – Kontinuierliches undremittierendes Fieber, zunächst in
Dreitage-, später in Viertageordnung III A, 6: Die Tochter desEuryanax (Thasos?). –(Hippokratische) Phthise in einem kontinuierlichen undremittierenden Fieber, wahrscheinlich in einer Phrenitis endend. Disposition zu Melancholie? III A, 7: DasWeib mitHalsbräune ausdemHause desAristion. – Hippokratische Angina (Kehlkopfcroup) III A, 8: DerJüngling, deramLügenmarkt darniederlag (Thasos?). –Atypische tödliche Phrenitis III A, 9: DieFrau, diebeiTeisamenos krank lag. – Ileus (im antiken Sinn) III A, 10: Eine Frau ausdemHause desPantimides. – Tödliches Brennfieber nach einer Fehlgeburt III A, 11: Eine andere, die Frau des Hiketes (Thasos?). – Tödliche Phrenitis ebenfalls nacheiner Fehlgeburt III A, 12: Eine Frau, dieamLügenmarkt darniederlag. – Tödliches Fröstelfieber
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GELEITWORT
Am 18. Mai 1993 ist Charles Lichtenthaeler heimgegangen, kurz nachdem er den ersten Teil seiner XV. Hippokratischen Studie vollendet hatte. Dessen Andruck hat er nicht mehr erlebt, auch Bücher können allzu früh Waisenkinder werden. Dank der Bemühungen der Bibliothekarin des Hamburger Instituts für Geschichte der Medizin, Frau Carla Greulich-Spiess, seiner langjährigen Mitarbeiterin, und der Wissenschaftlichen Mitarbeiterin amSeminar fürKlassische Philologie in Freiburg i.Br., Frau Carolin Oser-Grote, diesich desManuskriptes annahmen, konnte dieses Buch dennoch erscheinen. DieXV. Studie also–dieZahlzeigt, daßL. seinLeben denalten hippokratischen Büchern verschrieben hatte unddamit auch demMann, der schon für denAsklepiadensproß Aristoteles das Leitbild eines bedeutenden Arztes darstellte. Daher mußten das „ Prognostikon“unddie „ Epidemienbücher“I undIII immer stärker in denMittelpunkt seiner Untersuchungen rücken, undseine Studien VI bis X ausden fünfziger Jahren legen davon ausgiebig Zeugnis ab. Höhepunkt undSchlüssel für denvorliegenden Bandaberbildet dieXIII. Studie mitdemTitel: „ DasPrognostikon wurde nicht vor, sondern nach denEpidemienbüchern III undI verfaßt“ , die 1989 erschien. Abermals wandte sich L. also denältesten Schriften des Corpus Hippocraticum zu, die er mit Recht zu den „ Meisterwerken der medizinischen Weltliteratur“zählte. Wie früher stützte er sich in seinen philologischen Voraussetzungen auch hier weitgehend auf Karl Deichgräbers Werk: „ Die Epidemien unddas Corpus Hippo, das zu Anfang der dreißiger Jahre eine grundlegende Wende in der craticum“ Hippokratesforschung herbeiführte. Daneben nutzte Lichtenthaeler aber von philologischer Seite nunauch Bruno Snells Forschungen über „ Die Entstehung des , die ihm eine Handhabe boten, hier europäischen Denkens bei den Griechen“ zugleich denBeginn des medizinischen Denkens zuerfassen undso denHorizont der Studie beträchtlich zu erweitern. Auch diese Bücher entwickeln nämlich nur allmählich das rationale Verständnis für ein Krankheitsgeschehen und enthalten noch immer Reste archaischer Sinnesart. L. klärte damit auch die Stellung des „Prognostikon“innerhalb der drei alten Schriften. Dieses Ergebnis stimmt mitdemEindruck jedes unbefangenen ärztlichen Lesers überein, daßdie Schrift die systematische Sammlung einer größeren Reihe von Krankheitsgeschichten mit der genauen Beobachtung ihrer Einzelheiten voraussetzt. Denn erst ausderen Zusammenfassung undOrdnung, Verallgemeinerung undmedizinischer Begriffsbildung konnte ein prognostisches Werk entstehen, mit dasGegenwärtige, dasVergangene unddasKünftige beiden dessen Hilfe derArzt „ Kranken“vorhersagen konnte, wie es zielbewußt an seinem Anfang, aber auch bereits imersten Epidemienbuch gefordert wird. Zugleich bestätigt seinErgebnis auchdieVermutung Christian Gottfried Gruners (in seiner „Censura librorum Hippocraticorum“, 1772), desärztlichen Hippokrates-
Geleitwort
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Übersetzers Johann Friedrich Carl Grimm undCarl Gottlob Kühns, die Epidemienbücher I und III seien vor dem Prognostikon verfaßt, „ weil zur Stellung einer sicheren Prognose (...) genaue undlangjährige Beobachtung vonKrankheitsfällen nöthig ist“ . Demnach gehört das Prognostikon einem literarischen Genos an, das erst nachdereinfachen Beschreibung vonKrankengeschichten heranwachsen konnte unddessen Lehren nachGrimm „einen völlig reifen Arzt“zumVerfasser haben. Mag ein solches Bemühen auch bei Hippokrates undseinem Kreis zunächst noch von dessen religiösen Bindungen inspiriert sein, da auch ihr alter Heilgott Apollon in Delphi als Mantiker Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges voraussagte, wienicht nurEuripides bezeugt, so zeigt L. andererseits, wiedadurch schrittweise die Ratio in die Heilkunde Eingang findet undin derSemantik sogar eigene medizinische Denkformen erschließt. Auf diesen Erkenntnissen baut er sein nächstes Vorhaben auf, dessen Anfang die vorliegende Studie bietet: L. beabsichtigte, die zweiundvierzig Krankengeschichten derEpidemienbücher III undI miteinem eigenen Kommentar zuversehen, vondenen dieser Banddie Gruppe III A wiedergibt; denner hielt dasIII. Buch fürälter als dasI. Sonst sind nurzusammenhanglose Notizen vorhanden, so daßes kaum gelingen dürfte, weitere Gruppen nachträglich aufzuarbeiten. Doch derhier vorgelegte Teil läßt dieZielsetzung bereits klar erkennen undbefähigt denLeser bei gebührender Vertrautheit mit den Schriften, sich auch einen ungefähren Überblick über den weiteren Gang der Arbeit zu verschaffen; dabei dürfen gelegentliche Verweise auf spätere Abschnitte nicht stören, die nunfürimmer uneingelöst blei-
ben.
Was L. aber besonders am Herzen liegt, läßt diese Studie bereits unschwer erkennen: Klar entwickelt er hier anjedem einzelnen Krankheitsfall, wie sich bei Hippokrates undseinem Kreis auseiner sorgfältigen Kasuistik mitHilfe derSemantik die Kunst der Prognose entwickelt, denn diese drei Schriften sind, wie schon Deichgräber sagte, prognostisch orientiert, underst danach wird der Schritt zur Therapie getan. L. demonstriert so die hippokratische Medizin als eine Krankheitslehre, in der„ dieklinischen Phänomene, Analogiedenken“und–wieeres nennt – „ dasKongruenzprinzip“imMittelpunkt deralten rationalen Denkweise stehen, wie für die moderne Medizin seit dervorigen Jahrhundertmitte experimentelle Fakten, Kausalbeziehungen undNaturgesetze. Damit aber knüpft L. an seine erste hippokratische Studie ausdemJahre 1948 an,undvorderWeite solch eines Hintergrundes mußdervorliegende Bandnotgedrungen wie der letzte Satz einer Symphonie erscheinen, der kurz nach seinem Beginn plötzlich abbricht. Dennoch schenkte erunsmitseinem Gesamtwerk, indem er Deichgräbers Aufruf an die Ärzte folgte, wichtige Einsichten in die rationalen Anfänge derkoischen Heilkunde, undunser aller Dank darf ihmdaher sicher sein. Werihmein Freund sein durfte, weiß freilich auch, daßL. mitseinem lebensalten Meister derGroßen Heilkunst“der Medizin unserer langen Ringen umdie „ hochtechnisierten Zivilisation einToroffenhalten wollte zuihrem geistigen Grund undderihreigenen Fides, deren drohendem Verlust seine stete Sorge galt. Auchin diesem Sinn wollen wirdaher seiner dankbar gedenken.
BadBrückenau, imDezember 1993
Markwart Michler
LISTE DER INDIESER STUDIE ZITIERTEN SCHRIFTEN BOURGEY, L.: Observation et expérience chez les médecins de la Collection hippocratique. Paris 1953. –La relation dumédecin au malade dans les écrits de l’école de Cos, in: La Collection hippocratique et sonrôle dans l’ histoire dela médecine (éd. L. Bourgey et J. Jouanna). Leyde 1975, p. 227. 210– CAPELLE, W.: Hippokrates. Fünf auserlesene Schriften. Zürich 1955. DEICHGRÄBER, K.: DieEpidemien unddasCorpus Hippocraticum. Voruntersuchungen zueiner
Geschichte derKoischen Ärzteschule. Durch Nachwort undNachträge vermehrter photomechanischer Nachdruck der 1.Auflage: AusdenAbhandlungen derPreußischen Akademie der Wissenschaften. Phil. Hist. Klasse Nr.3. Berlin 1933. Berlin– NewYork 1971. – Die Patienten desHippokrates. Historisch prosopographische Beiträge zudenEpidemien des Corpus Hippocraticum, in: Mainzer Akademie derWissenschaften undderLiteratur, Abhandlungen dergeistes- undsozial wissenschaftlichen Klasse, Jg. 1982, Nr.9. Wiesbaden 1982. DEMONT, P.: Les facteurs aggravants dela troisième constitution deThasos, in: DieHippokratischen Epidemien. Verhandlungen des V. Colloque international hippocratique, Berlin 1984 (Hrsg. Gerhard Baader undRolf Winau). Beiheft 27 zu Sudhoffs Archiv. Stuttgart 1989, S.
204. 198– DILLER, H.: Hippokrates, Schriften. Die Anfänge der abendländischen Medizin. Reinbek bei Hamburg 1962.
DUGAND, J.-E.: Hippocrate à Thasos etenGrèce dunord, in:Corpus Hippocraticum. Actes duIIe Colloque hippocratique de Mons. Éditions universitaires de Mons, Série sciences humaines. 245. Université deMons 1977, S. 233– – Lesadresses demalades d’Épidémies I etIII etlespreuves tantarchéologiques qu’épigraphiques duséjour d’Hippocrate à Thasos, capitale del’îledece nom,in:Annales delaFaculté desLettres 155. et Sciences humaines de Nice, No. 35. Paris 1979, p. 131– DUMINIL, M.-P.: Le sang, les vaisseaux, le coeur dans laCollection hippocratique. Paris 1983. DUMORTIER, J.: Le vocabulaire médical d’Eschyle et les écrits hippocratiques. Paris 1935. ÉCOLE FRANÇAISE D’ATHÈNES (éd.): Guide deThasos. 2eédition. Paris 1968. ERMERINS, F. Z.: Specimen historico-medicum inaugurale deHippocratis doctrina a prognostice oriunda. Diss. med.Leyden. Leyden 1832. FÄHREUS, R.: Die erhöhte Senkungsgeschwindigkeit derroten Blutkörperchen undihre Bedeutungfürdieantike Humoralpathologie, in:Bulletin derSchweizerischen Akademie dermedizi80. nischen Wissenschaften, Jg. 3, 1947, Heft 2/3, S. 67– FLASHAR, H.: Melancholie undMelancholiker indenmedizinischen Theorien derAntike. Berlin 1966. 1900. FUCHS, R.: Hippokrates, Sämmtliche Werke. 3 Bde. München 1895– GARDTHAUSEN, V.: Die Unterschrift hippokratischer Krankengeschichten, in: Zeitschrift des 68. Deutschen Vereins fürBuchwesen undSchrifttum, Bd. 6, 1923, S. 60– GRENSEMANN, H.: Die Krankheit der Tochter des Theodoros, in: Clio Medica, Bd. 4, 1969,
S. 71ff.
– DasMonogramm desHippokrates, in: Clio Medica, Bd.20, Heft 1/4, 1985/6, S. 159f. GRMEK, M.: Les maladies à l’aube de lacivilisation occidentale. Paris 1983. HANSON, A.E.: Diseases of Women intheEpidemics, in: DieHippokratischen Epidemien. Ver51. handlungen desV.Colloque international hippocratique, Berlin 1984. Stuttgart 1989, S. 38– HEINIMANN, F.: Nomos undPhysis. Herkunft undBedeutung einer Antithese imgriechischen Denken des 5. Jahrhunderts, in: Schweizerische Beiträge zurAltertumswissenschaft, Heft 1. Basel 1945/1965.
Liste derindieser Studie zitierten Schriften
11
HELLWEG, R.: Stilistische Untersuchungen zudenKrankengeschichten derEpidemienbücher I undIII desCorpus Hippocraticum. Diss. med.Hamburg. Bonn 1985. INDEX HIPPOCRATICUS, herausgegeben von J.-H. Kühn undU. Fleischer. 4 Bde. Göttingen 1989. 1986– JONES, W.H.S.: Hippocrates, withanenglish translation. TheLoeb Classical Library. London & Cambridge, Massachusetts 1957. KITTO, H.D.F.: Die Griechen. VonderWirklichkeit eines geschichtlichen Vorbilds. Deutsche Übersetzung. Stuttgart 1957. KUDLIEN, F.: Der Beginn des medizinischen Denkens bei denGriechen. Zürich undStuttgart 1967. – „Schwärzliche“Organe im frühgriechischen Denken, in: Medizinhistorisches Journal, Bd. 8, 58. Heft 1, 53– KUEHLEWEIN, H.: Hippocratis opera quae feruntur omnia. 2 Bde. Leipzig 1894– 1902. KÜHN, K.G.: Claudii Galeni opera omnia. Editionem curavit Carolus Gottlob Kühn, tomi I– XX. 1833. Leipzig 1821– LANGHOLF, V.: Syntaktische Untersuchungen zu Hippokrates-Texten, in: Abhandlungen der Geistes- undSozialwissenschaftlichen Klasse derAkademie derWissenschaften undderLiteratur. Wiesbaden 1977. – Medical Theories in Hippocrates. Early Texts andthe ‘Epidemics’, in: Untersuchungen zur antiken Literatur undGeschichte (W.Bühler, P. Herrmann undO. Zwierlein, Hrsg.), Bd. 34. NewYork 1990. Berlin– LICHTENTHAELER, Ch.: Études sur le raisonnement clinique. La médecine hippocratique I: Méthode expérimentale
–
et méthode
hippocratique; étude comparée préliminaire. Lausanne
1948.
Études surleraisonnement clinique (II). Lamédecine hippocratique II– V.Introduction àl’étude delamédecine hippocratique. Del’étiologie duchaud inné hippocratique. Del’origine sociale decertains concepts scientifiques et philosophiques grecs. Le premier Aphorisme d’Hippocrate et sesprémisses. Boudry (Suisse) 1957. – Sur la vocation universitaire de l’histoire de la médecine. Leçon inaugurale. Le troisième Hippocrate vient-il vraiment après le premier? Sixième étude hippocratique. Épidémique d’ Genève etParis 1960. – Surl’authenticité, laplace véritable et le style del’„épilogue“duIIIe Épidémique. Del’économieduPronostic d’Hippocrate. Le logos mathématique delapremière clinique hippocratique. Lapremière clinique hippocratique; essai desynthèse. Quatrième série d’études hippocratiques
X). Genève et Paris 1963. (VII– – Thucydide et Hippocrate vusparunhistorien-médecin. Genève 1965. – En 1981comme en1948: Relations decausalité expérimentales etanalogies hippocratiques, in: Formes de pensée dans la Collection hippocratique. Actes du IVeColloque international 391. hippocratique (1981). Genève 1983, p. 383– – Geschichte derMedizin. DieReihenfolge ihrer Epochen-Bilder unddietreibenden Kräfte ihrer Entwicklung. Köln 41987.
– Das Prognostikon
wurde nicht vor, sondern nach denEpidemienbüchern III undI verfaßt. Zweiter Beitrag zurChronologie derechten hippokratischen Schriften. XIII. Hippokratische Studie. Genf undStuttgart 1989. 1861. Hippocrate. Endixtomes. Paris 1839– uvres complètes d’ LITTRÉ, É.: Œ LONIE, I.M.: A Structural Pattern inGreek Dietetics andtheearly History of Greek Medicine, in: 260. Medical History, vol. 21, No.3, 1977, p. 235– MANN, A.: Die auf unsgekommenen Schriften desKappadocier Aretaeus ausdemGriechischen übersetzt. Neudruck derOriginalausgabe 1858. Wiesbaden 1969. écrituimportance del’ PIGEAUD, J.: Écriture etmédecine hippocratique. Quelques réflexions surl’ redans la constitution duCorpus hippocratique. (Épidémies, I et III –Pronostic.) In: Textes et 165. écriture. Université deNantes 1978, p. 134– Langages, cahier 1, L’Ascension à l’
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Liste derindieser Studie zitierten Schriften
POHLENZ, M.: Stoa undStoiker. Zürich undStuttgart 1950. STICKER, G.: Hippokrates, DerVolkskrankheiten erstes unddrittes Buch, in:Klassiker derMedizin, Bd. 28. Leipzig 1923. Nachdruck ebd. 1968.
ALLGEMEINE EINLEITUNG Alses mirnachjahrelangem Suchen endlich geglückt war,dermodern-experimentellen Methode in mehrfacher Hinsicht eine antike und„ hippokratische“Methode gegenüberzustellen, wußte ich sofort, daßnunmehr vorallem in zwei Richtungen weiterzuforschen war. Ich hatte eine allgemeine Geschichte desmedizinischen Denkens zu schreiben auf der Grundlage dieses methodologischen Fortschritts undparallel dazudie Krankheitslehre derechten hippokratischen Schriften wiederaufzubauen nachdenLeitsätzen ihrer ebenwiedergewonnenen eigenen DenkGeschichte derMedizin“ methodologie. Meine „ erschien 1974, einVierteljahrhundert später also, ihr Ergänzungsband 1988, undheute stelle ich meine XV. Hippokratische Studie vor. Bei derEchtheitsfrage hippokratischer Schriften halte ich mich hier nicht auf, verliere sie aber nie aus dem Blick. Die zwölf Krankengeschichten der ersten Gruppe des Epidemienbuches III des Hippokrates untersuche ich unter fünf Gesichtspunkten, die sich voneinem Fall zumanderen gleichbleiben. Ich zähle sie zunächst auf undbespreche sie anschließend der Reihe nach ein wenig ausführlicher. 1. Unmittelbar nach griechischem Originaltext unddeutscher Übersetzung beginnt jeder einzelne Kommentar mit einer Gesamtvorstellung des Falles, die ich jedesmal durch einige Zusätze ergänze. 2. Es folgt ein „laufender Kommentar“ , indemichdenselben Fall noch einmal erläutere, diesmal aber Tag für Tag, je nach denin der Krankengeschichte selbst angeführten Tagen. 3. Daraufhin frage ich nach denBeziehungen desuntersuchten Falles zuden endemischen Krankheiten dervier Katastasen derEpidemienbücher III undI, zum Prognostikon undzudenübrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. 4. AuchFormales gilt es herauszustellen: stehende Ausdrücke, Stilbesonderheiten, rhetorische Figuren. 5. Und am Ende des Kommentars angelangt möchten wir noch folgendes wissen: Warum hatderAutor selbst dieunsvorAugen liegende Krankengeschichte vermutlich festgehalten? Undworin ist sie darüber hinaus nochbedeutsam fürden heutigen Hippokratesexegeten? Beginnen wir mit kurzen Erörterungen zumgriechischen Text undzur deutschen Übersetzung, die wir jedem einzelnen Kommentar vorausschicken. Beim griechischen Text halte ich mich an die Kuehleweinsche Ausgabe; weiche ich einmal vonihr ab, so gebe icheine Erklärung dazu. Wiebeim Hippokratischen Eid beeinträchtigen die Varianten der Handschriften zumGlück nicht die eigentliche Interpretation des Textes. Ich unterteile die Krankengeschichten, wie Jones es schon für ihre Übersetzung getan hat, in mehrere Abschnitte. Denersten bildet das
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Allgemeine Einleitung
Proömium (falls vorhanden) mitOrtsangabe, Vorgeschichte, auslösenden Ursachen undden ersten klinischen Erscheinungen. Alle späteren Phänomene gliedere ich nach denangegebenen Krankheitstagen inebensoviele weitere Abschnitte auf. Den letzten Absatz widme ichderEpikrise, wiederum wenneine solche vorliegt. Aufdie geheimnisvollen „Charakteres“am Ende der Krankengeschichten von Epid. III gehe ich nicht ein, dasie zuihrer Exegese nichts beitragen (vgl. Gardthausen 1923 undGrensemann 1985/6). Eine kunstgerechte Übersetzung hat mehreren Bedingungen zu genügen. Sie mußsich vondenfrüheren deutschen Übertragungen vonFuchs, Sticker, Capelle und Diller deutlich abgrenzen, ohne sie deshalb geringzuschätzen. Fuchs und Sticker schreiben das umständliche Deutsch des Jugendstils, das dembrachylogischen unddeshalb bisweilen hermetischen griechischen Original stracks zuwiderläuft. Bei Bedarf füge ich in Klammern kurze Erläuterungen hinzu. Andererseits bevorzugt der Autor nicht durchweg die knappe Ausdrucksweise. Wir lesen auch
ausgeschriebene Satzteile, ja ganze Sätze; punktuell kanner sogar redselig werden! Damit sind wiraber noch nicht amEnde unserer Überraschungen. Diese Krankengeschichten wimmeln überdies vonTopoi oder stehenden Ausdrücken, für die wir jedesmal eine allenthalben passende Übersetzung auszuwählen haben. Dasverleiht unserem deutschen Text oftmals etwas Schematisches, doch der griechische Autor wollte es so. Es hatte sich auf Koseine Artklinische Kurzschrift ausgebildet, deren Anfänge unsfür immer verborgen bleiben werden. Übersetzungen in andere Sprachen werden diese sprachliche Eigentümlichkeit fortan berücksichtigen müssen. Dieses Schablonenhafte hinderte denAutor übrigens wiederum nicht, seine Krankenberichte mit Stilfiguren zuschmücken, Homoioteleuta, Chiasmen, Ringen zum Beispiel. Auch sie haben wirin derÜbersetzung nach Möglichkeit hervorzuheben. Zu 1. Die Gesamtvorstellung jedes einzelnen Falles hat zugleich statisch und dynamisch zu sein. Bei jedem Patienten mußdas klinische Bild herausgearbeitet werden mitall seinen Krankheitszeichen sowie dermehroderweniger wechselvolle Verlauf vonAnbeginn bis zurGenesung oder zumtödlichen Ende. Diese Krankengeschichten sind indessen keine hingeworfenen Notizen, wie manes lange Zeit angenommen hat. Sie enthalten zwar auch einfach empirische klinische Beobachtungen, daneben aber ebenfalls spekulative Gedankengänge und nicht zuletzt eindeutig wissenschaftliche medizinische Theorie. So haben wirdiese Texte nicht nurzur Kenntnis zunehmen, sondern darüber hinaus zuinterpretieren. Allerdings keinesfalls nach modern-experimentellen Leitlinien und Maßstäben, vielmehr nach denjenigen der hippokratischen Denkmethodologie (vgl. meine I. Geschichte derMedizin“1987, S. 152ff., und Hippokratische Studie 1948, meine „ meinen Beitrag zum Lausanner Hippokrates-Colloquium 1981/83, S. 383ff.). Je mehr wirunsin diese Exegese vertiefen, umso besser lernen wirdieursprüngliche hippokratische Krankheitslehre kennen, die mit Hilfe dieser Denkmethodologie errichtet wurde, undje vollständiger wir diese Krankheitslehre erfassen, um so hilfreicher erweist sie sich wiederum bei unserer Interpretationsarbeit. Wenden wir nundieses exegetische Verfahren aufdiegesamte Krankengeschichte an,sogewinnenwirzunächst die gewünschte Übersicht über denEinzelfall in vollem Umfang, zweitens die ihn kennzeichnende Diagnose und schließlich ein Fresko, das uns
Allgemeine Einleitung
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erlaubt, auchdieweiteren vondemKrankenbericht aufgeworfenen Fragen nachund nach zubeantworten. Allein, gibt es überhaupt eine hippokratische Diagnose, oder blieb diese klinische Errungenschaft nurdenKnidiern vorbehalten? Ichhabe längst nachgewiesen, daßauch die Koer eine Nosologie entwickelt haben unddaßsie sogar fortschrittlicher ist als diearchaische Krankheitenlehre ihrer knidischen Nachbarn (vgl. meine Geschichte derMedizin“1987, S. 126f., unddieXIII. Hippokratische Studie 1989, „ S. 61f. und93ff.). Unsere Fälle haben wiralso zudiagnostizieren. Baldeine leichte Aufgabe, bald eine unsichere Angelegenheit, undwir müssen bei Vermutungen bleiben. Auchkommt es vor, daßbeieinem einzigen Patienten mehrere Diagnosen zustellen sind. Gern hätte ich meinen hippokratischen Diagnosen jeweils moderne Diagnosen hinzugefügt. Aberes hatsichleider keinTropenmediziner gefunden, um mirdabei zuhelfen. In denmeisten Fällen wäre es allerdings beieiner Differentialdiagnose geblieben, doch sie wäre trotzdem aufschlußreich gewesen fürunsheute undauch für spätere Zeiten. Der Gesamtdarstellung der Fälle folgen regelmäßig „zusätzliche Bemerkungen“ . Jede Krankengeschichte hatauchimeinzelnen ihre Besonderheiten, derer wir Rechnung tragen müssen, jedoch ohnedieGeschlossenheit deseinführenden Rundblicks zu beeinträchtigen. An dieser Stelle erübrigt es sich, näher darauf einzuge-
hen.
Bei Galen hingegen halten wirunslänger auf. Bekanntlich hatauchereinst die beiden ersten hippokratischen Epidemienbücher kommentiert. Wiehaben wirseine Exegesen zuverwerten, undwasdürfen wirvonihnen erwarten? DerPergamener ist oft weitschweifig undverliert sich imDetail. Doch nehmen wirihmdies nicht übel: Erhatanderes imSinn alswir, verfolgt andere Ziele. Ererklärt ihmwichtig erscheinende Begriffe undseltene Wörter, treibt philologische Textkritik, polemisiert gegen frühere Kommentatoren... Außerdem unterschiebt er zuweilen demhippokratischen Autor Lehrmeinungen undKenntnisse, die wirerst demspäteren Hellenismus verdanken. Und seine Vorstellungen von der frühen hippokratischen Krankheitslehre stimmen nicht immer mit denunsrigen überein. In dieser Studie Galenismen“ . Dennoch haben wir nenne ich solche Abweichungen gelegentlich „ guten Grund, diese galenischen Kommentare ernst zunehmen. Sie helfen unsbald wenig, bald mehr. Sie bestätigen unsere eigenen Auffassungen undschenken uns damit größere Sicherheit. Sie machen uns auf Zusammenhänge aufmerksam, die wirübersehen hatten; Galen kannte die Hippokratische Sammlung auswendig und wußte immer wieder einzelne Stellen mitanderen innützlicher Weise zuverbinden. Und mehr als einmal erfreut uns der vielgeschmähte Pergamener durch einen befreienden gesunden Menschenverstand, einwahres Tonikum! Als letzten Zusatz füge ichjeder Gesamtvorstellung eine Epikrise des Falles bei. In Form von Stichworten fasse ich die springenden Punkte der Krankengeschichte noch einmal zusammen, umdemLeser eine gedrängte Übersicht über das Wissenswerte anihrzurVerfügung zustellen. Zu2. Derlaufende Kommentar bedeutet eine dritte Vorstellung dergesamten Krankengeschichte, diesmal aber Tag für Tag undohne ein Wort auszulassen, je nach den im Text –dieser stets nachträglich verfaßten Berichte –angegebenen
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Allgemeine Einleitung
Tagen. Wiederholungen sinddabei unvermeidlich; entscheidend istjedoch, daßder Leser aufgrund der frühen hippokratischen Krankheitslehre jeden Einzelfall am Ende voll undganz versteht. Wir begleiten also den koischen Meister bei seinen Krankenbesuchen andenvonihmselbst genannten nichtkritischen oder kritischen Tagen, stellen mit ihm die bemerkenswerten klinischen Zeichen fest undfolgern daraus Diagnose undvorallem Prognose. Denzuerwartenden Verlauf vorauszusagen konnte leicht sein, und der herbeigerufene Arzt beeindruckte damit seinen Patienten unddie oft zahlreiche undlärmende Umgebung, konnte ihm aber auch verzweifelt schwerfallen und ihn zu nur vorläufigen und unsicheren Angaben zwingen. Im Prognostikon, II 170f. L., macht er daraus kein Hehl: „ Die Anfänge sich länger hinziehender (Fieber)leiden sind äußerst ähnlich.“Der laufende Kommentar dieser Krankengeschichten wirddadurch oftdramatischer undfesselnder als ihre Gesamtvorstellung. Damit schließt sich der Kreis dereigentlichen Interpretation dieser Berichte, undwirhaben nurnoch besonderen Fragen nachzugehen. Zu3. DasEpidemienbuch III enthält neben denvonunskommentierten Krankengeschichten auch sogenannte Katastasen. Hauptbestandteil dieser epidemischen Konstitutionen, wie mansie auch nennt, sind die endemischen Krankheiten, undwirverstehen darunter durch plötzlichen Klimawechsel aneinem bestimmten Ort grassierende akute Fieberleiden. Das Volk wird von ihnen überfallen, und ς). Dies ist die genaue Bedeuο π ί, δῆμ Epidemien“(ἐ deshalb sprechen wirvon„ μ έ ω η inderHippokratischen Sammlung, dasmanchmal irrtümιδ tung desVerbs ἐπ licherweise mit „wandern“wiedergegeben wird. Von einem Land zumanderen ί), unsere Pandemien, wiedie ο ιμ ο reisen“imAltertum nurdie großen Seuchen (λ „ Athenische Pest unddie Pest desAntonin. Die beiden ersten Epidemienbücher beschreiben vier solche Katastasen, eine einzige in Epid. III, drei in Epid. I. So haben wirjedesmal zufragen: Besteht eine Beziehung zwischen dervonunsgerade untersuchten Krankengeschichte undeiner dieser vier epidemischen Konstitutionen? Die Antwort wechselt vonFall zu Fall. Bald fehlt jeder Berührungspunkt, baldkönnen wirmitSicherheit oder miteiner an Gewißheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachweisen, daß der eine oder andere Patient als Einzelfall einer bestimmten Volkskrankheit von Epid. III oder I zu betrachten ist. Bei den übrigen Kranken kommen wir über Vermutungen nicht hinaus. Schon Deichgräber ist aufgefallen, daßdieprognostische Bedeutung dereinzelnenklinischen Zeichen in denbeiden ersten Epidemienbüchern mitderjenigen des Prognostikons durchweg übereinstimmt (vgl. 1933, S. 22f.). Seine Vorstellung von derchronologischen Reihenfolge dieser drei Schriften (Prognostikon-Epid. I.-Epid. III) mußte ich allerdings in meinen Hippokratischen Studien VI (1960) undXIII (1989) richtigstellen: Epid. III kommt vorEpid. I, undbeide Traktate wurden vor demPrognostikon verfaßt. Es lohnt sich oft, dieklinischen Zeichen derKrankengeschichten vonEpidd. III und I mit den sie betreffenden prognostischen Aussagen des Prognostikons zu vergleichen. Die Lehrsätze des Prognostikons bestätigen in derRegel unsere Feststellungen indenKrankengeschichten, undumgekehrt erkennen wirindenletzteren klinisches Erfahrungsgut fürdieSentenzen desspäteren Prognostikons. Nicht jedes
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klinische Zeichen der Krankengeschichten findet sich im Prognostikon wieder; warum? darüber können wirnachdenken. Andererseits stützt sich dasPrognostikon nicht allein auf Epidd. III undI, sondern auf zahllose andere, uns nicht erhalten gebliebene klinische Beobachtungen. Erinnern wirunsnuran seine ausführlichen Kapitel über die Lungen- undSeitenleiden, die in Epidd. III undI fast gar nicht vorkommen. Mehr oder weniger zahlreiche klinische Zeichen oder Zeichengruppen jeder einzelnen Krankengeschichte kehren indeneinundvierzig übrigen wieder, ineinem ähnlichen oder anders gearteten klinischen Kontext. Vergleichen wir nun die in Frage kommenden Berichte, so fällt unsauf, daßdasprognostische Gewicht der jeweiligen Phänomene voneinem Kranken zumandern wechselt. Bald begreifen wir, warum, baldmüssen wires einfach empirisch hinnehmen, wievermutlich auch derhippokratische Autor selbst mehrfach dazugezwungen war.Einzweiter Vorteil dieser Gegenüberstellungen: Die Krankengeschichten vonEpidd. III undI werden mitihnen fürunsnoch spannender. Zu 4. Mit dem neuen Abschnitt begeben wir uns auf ein anderes Feld. Den Erörterungen zuFragen derTextauslegung fügen wirsolche über Sprache undStil dieser Krankengeschichten hinzu. Stehende Ausdrücke und rhetorische Figuren stehen dabei imVordergrund. Beginnen wirmitdenformelhaften Redewendungen. Sie begegnen unsin den Berichten zu Dutzenden undAberdutzenden. Manch eine Krankengeschichte besteht fast ausschließlich aus ihnen. Für denAutor hatte dieser eigentümliche Stil mehrere Vorzüge. Er verkürzte die Krankenberichte, ohne sie zu entstellen. Ein hypothetisches Beispiel: Fürdieausgesprochen oft wiederkehrende Formel π τ α ν ά ) wurde vielleicht nur π η („ allgemeine Verschlimmerung“ ρ θ ω ξύ ν π α πin die Staccatostil“gewannen die einzelnen Wachstafeln eingeritzt. Ja, durch diesen „ Protokolle sogar anDeutlichkeit: nacheinander lauter prägnante, klar abgegrenzte, sich selbst genügende Aussagen. Schließlich verliehen diese stereotypen Formulierungen den Krankengeschichten eine außerordentliche Einheitlichkeit. Wiederumnurein Beispiel: Eine so einzigartige Zeichenbeschreibung wie die folgende: finden wir trüber Harn, wie wenn manihn aufrührt, nachdem er sich gesetzt hat“ „ nahezu unverändert indendrei Fällen III A, 3, I,4 und11wieder! Mehrere Formeln derKrankengeschichten vonEpidd. III undI treffen wirauch in deren Katastasen. Einzelne Wörter dieser beiden Traktate sind sogar für sie rundweg spezifisch. Andererseits wurden etliche ihrer stehenden Ausdrücke von den späteren EpideVII übernommen, einige noch darüber hinaus von VI undV– IV– mienbüchern II– anderen echt hippokratischen Schriften. Überhaupt brauchten wir ein besonderes Lexikon aller lediglich in den authentischen hippokratischen Schriften vorliegendenWörter undAusdrücke. Wirgewönnen aufdiese Weise eineindrückliches Bild vonderSonderstellung derkoischen Ärzteschule innerhalb desSammelsuriums der sogenannten Hippokratischen Sammlung und damit ein zusätzliches Argument gegen den hippokratischen Nihilismus der Angelsachsen undihrer Epigonen in anderen Ländern. DieStilfiguren derKrankengeschichten vonEpid. III stelle ichregelmäßig nach der gleichen Reihenfolge vor. Manche drängen sich unseindeutig auf; in anderen
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Fällen müssen wir uns fragen, inwieweit der rhetorische Effekt beabsichtigt war. Gleichwohl sind diese Berichte nicht einfach brachylogisch; auch ein ausgesprochener Sinn für das Schöne ist darin zu entdecken. Einzelne dieser Krankengeschichten sind sogar kleine stilistische Juwelen. Deichgräber hat Kunstprosa bereits in derzweiten Gruppe der hippokratischen Epidemien nachgewiesen (vgl. 1933, S. 64ff., 79f.). Doch derEinfluß desGorgias ist auch schon bei Epidd. III undI zu spüren (vgl. meine VII. Hippokratische Studie, 1963, S. 38f.). Mit denKrankengeschichten dieser beiden Traktate tritt eine neue literarische Gattung an den Tag, sogar eine besonderer Art. Undtrennen wir nicht allzusehr Ästhetik undMedizin bei diesen meist kurzen Texten: Ihre „flores eloquentiae“tragen auch dazubei, den klinischen Inhalt plastisch hervorzuheben. Zu5. Die zweiundvierzig Krankengeschichten vonEpidd. III undI beruhen auf einer Auswahl. Die Zahl der abgefaßten koischen Krankenberichte mußmit den Jahren und Jahrzehnten ins Unermeßliche gestiegen sein. Wir erkennen es noch nachträglich an denspäten Sammelwerken des I. Prorrhetikons undder Koischen Prognosen. Manche Krankengeschichten von Epidd. III undI hängen sicher oder wahrscheinlich mit deren Katastasen zusammen. Allein, bei jedem einzelnen Bericht stellt sich die Frage aufs neue: Warum gerade dieser Fall und nicht ein anderer? Manche Hypothesen drängen sich jedesmal auf, undwir gewinnen neue Einsichten in die koische Krankheitslehre, wenn es unsgelingt, sie klar zu formulieren. Nurvoreiner Illusion sei gewarnt: ZuGewißheit gelangen wirdabei nie. Aufviel sichererem Boden befinden wiruns, wennwirdanach suchen, wasder in hippocraticis“beibringen kann. Er bestätigt eben von uns bearbeitete Fall uns „ einerseits durchweg mehroder weniger zahlreiche koische Lehrmeinungen, dieuns schon vertraut sind oder scheint der einen oder anderen zu widersprechen, und beides ist für uns lehrreich. Andererseits erweitert auch mancher Krankenbericht unsere Vorstellungen vonderhippokratischen Krankheitslehre, bisweilen sogar auf unverhoffte Weise, bringt neue Steine zuihrem Mosaik. AusdenKrankengeschichten von Epidd. III undI lernen wir in dieser Hinsicht ebensoviel wenn nicht gar mehr als aus deren Katastasen. Auch Berührungspunkte mit dergesamten Hippokratischen Sammlung können unsdabei helfen. Undwares nicht schon 1948 eines meiner erklärten Ziele, die ursprüngliche Krankheitslehre des koischen Meisters Schritt für Schritt wieder zuerrichten? Die hippokratischen Schriften werden wieüblich nachdenAusgaben vonLittré (L.), seltener von Kuehlewein (Kw.) zitiert (letzterer bildete für mich die Textgrundlage), die galenischen nach derjenigen vonKühn (K.). Hipp. I ist die Abkürzung für meine I. Hippokratische Studie, Hipp. II für die zweite, undso geht es weiter bis zu dieser XV. Studie. Für das I. Epidemienbuch stehen oft die KurzformenEpid. I oder einfach I, undbei denanderen Epidemienbüchern folge ich dem gleichen Prinzip. Das Prognostikon wird mit P. abgekürzt. Die zwölf ersten Kran12 numeriert, die sechzehn der kengeschichten von Epid. III werden mit III A, 1– 14. Das 16, die vierzehn Patienten vonEpid. I mitI, 1– zweiten Gruppe mitIII B, 1– Literaturverzeichnis am Kopf dieser Studie bietet die genauen bibliographischen Angaben zudenerwähnten Büchern undAufsätzen.
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Voneinem erschöpfenden Kommentar wareben dieRede. Trotzdem wirdman ihnteilweise ergänzen undauchverbessern. Mirlagesdaran, einmal zuzeigen, wie weit manin derInterpretation dieser Krankengeschichten gehen kann, umsie so zu verstehen wiewirihreigener Autor, Hippokrates, sie verstanden hat. Mein Dank gilt Herrn Vincent Sieveking unddemFranz Steiner Verlag, diedie Veröffentlichung dieser Studie übernommen haben, undFrauCarla Greulich-Spiess, die auch diese neue Arbeit Seite für Seite durchgefeilt hat. Hamburg,
den24. September 1992
KURZE EINFÜHRUNG IN DIE GRUPPE III A DER KRANKENGESCHICHTEN DES III. EPIDEMIENBUCHES
Die Krankengeschichten derEpidemienbücher III undI sind nicht nur, wie schon einmal hervorgehoben, das Ergebnis einer Auswahl; sie unterliegen auch allem Anschein zumTrotz einer gewissen Ordnung. Beginnen wirmitdenFällen III A, 10und11.III A, 11schließt sich unmittelbar andie vorhergehende Geschichte an: vgl. eingangs „Eine andere“undDeichgräber 1933, S. 12, Anm. 1. Unddie Krankengeschichten III A, 10 bis 12 berichten alle drei von tödlichen Wochenbettfiebern. Auch die Fälle III A, 4 und8 gehören zusammen: zwei rasch tödliche Phrenitiden.
Das gleiche gilt fürdie drei Patientinnen III A, 6, 7 und9, bei welchen örtliche Beschwerden innerhalb des typisch hippokratischen allgemeinen „ Fiebers“eine entscheidende Rolle spielen: tödliche Phthise imFall III A, 6, „ Halsbräune“(Kehlkopfcroup) bei III A, 7, tödlicher Ileus bei III A, 9. Schließlich besteht auch zwischen denfünf ersten Krankengeschichten dieser Gruppe eine gewisse Gleichartigkeit. Es sind allesamt hippokratische allgemeine Fieber, ein jedes davon jedoch gekennzeichnet durch einen anderen klinischen Verlauf. III A, 1 beginnt mitFieberparoxysmen imQuartanatakt, dannerfolgt eine unvollständige Krise am10.Tagunddieendgültige Genesung 40 Tage später durch zwei Apostasen. Atypisches Brennfieber ist die Diagnose bei III A, 2 mit unvollständigen Krisen undRückfällen, voneinem wirren Gärungsfieber gefolgt vordem tödlichen Ausgang. Beim Patienten III A, 3 gehen die Fieberschübe von einer Tertiana- ineine Quartanaordnung über, er genest nachmehreren vorübergehenden Apostasen. Eine schon nach viereinhalb Tagen tödliche Phrenitis acutissima liegt beim Fall III A, 4 vor. WiederFall III A, 3 beginnt auch derPatient in III A, 5 mit einem Fieber im Tertianatakt; Genesung erfolgt amkritischen 20. Tag nach einem weiteren Verlauf in Quartanaordnung. So ist es sinnvoll, diezwölf Krankengeschichten derGruppe III A vonEpid. III 3 und5; anschließend III A,4 und8, III A, 6, 7 wiefolgt zulesen: zunächst III A, 1– und9; undzuletzt III A, 10 bis 12. Zwei Irrtümer sind also zu vermeiden: zuglauben, diese Krankengeschichten seien einfach in Kurzschrift verfaßt undwirbrauchten sie nureinfach nacheinander zur Kenntnis zu nehmen. Sie sprechen uns mehr an, wenn wir sie nach einer bestimmten Reihenfolge studieren.
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III A, 1, Pythion (in Thasos?)
219. 31 L. –Kw.I 215. –J. I 218– III 24–
Hippokratische Diagnose: Remittierendes Fieber imViertagerhythmus. Heilung nach unvollständiger Krise und späten Apostasen.
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III A, 1: Pythion, derbeim Tempel derErdgöttin wohnte (Thasos?)
III A, 1. –Pythion (in Thasos?). ς ἱρ ό ῆ ν κ ε , Bei Pythion, der in der Nähe des Temςᾤ ι π ν ι, ὃ Π ρ υ θ ίω α ὰΓ ἤ ρ ξ α τ ο τρό μ ο ςἀ π ὸ χειρῶ ν τ ῇ pels der Erdgöttin wohnte, begann es ῃπ ρ ώ τ ρ π υ ε ςὀξύ τ ὸ ς ς. · ρ ῆ ο · λ mitZittern vondenHänden ausgehend; amersten Tag heftiges Fieber, Phantasieren.
ῃπ δ ά ευ ν τ ρ τέ απαρω ξ ύ ν η . θ
Amzweiten merung.
ῃτ ὰα ίτ τρ ὐ τά .
Amdritten desgleichen.
Tag allgemeine Verschlim-
τετά ῃἀ ρ τ π ςὀλ ὸκοιλ η α τ ίγ α ,ἄ ρ ίη , Amvierten Tagging wenig ungemischκ ter galliger Stuhl ab. θ ε . χ ο λ ώ δ ε αδιῆλ
· ὕπ ῃπ η ά π π ξ ν τ έμ ν τ ο α παρω ύ ι Amfünften allgemeine Verschlimmeν θ . η τ ίηἔσ rung; leichter Schlaf; derDarm stockte. λ ε π το ί· κοιλ ρ . α θ α υ ικ ίλ , ὑπ ο ῃπ τύ α απ λ έρ τ ἕκ
Am sechsten ungleichmäßiger rötlicher Auswurf.
. η ύ σ θ ρ ειρ απ μ α τό ῃσ μ ό δ ἑβ
Am siebten Tag war der Mund seitlich verzogen.
μ ο ι Am achten allgemeine Verschlimmeη , τρό ν θ ξ ύ ω ρ ῃπ απ τ ά ν α ό δ γ ὀ ὲ ν rung, dasZittern hielt (immer noch) an; ςμ ρ π εν ο ὰ ρ χ α έμ νο τἀ ρ α αδ ὲκ ὖ
· Urin gleich zuBeginn undbis zumachρ ω ςλ ά τ ,ἄ επ χ η ςὀγδό ρ ι·τῆ έχ α ὶμ κ - tenTagdünn, farblos, mitschwebenden ϕ ε ιν έ ἶχ ε ν ?) ἐπ μ αε ἶχ η ο ν(ε ρ ιώ α ἐν ν . ο λ Wölkchen darin.
ν α π έπ , Amzehnten Schweißausbruch, Auswurf ο ο δ ῃἵδρω εκ σ λ αὑπ ε τ ά α , π τύ etwas ausgereift, –Krise; Urin etwas ν . ι ρ ί σ ὶ κ ρ · ο ρ ε απ τ ό η ὖαὑπ λ ε π ίθ ρ ἐκ dünn (= ein wenig dicker) zur Zeit der Krise. μ ε τ ὰ δ τ α ν κ ο ὲ κ ρ ίσ ιν , τεσσαρά ἡ μ έρ ῃ σ ιν ὕ ὶ μ απ ερ σ τερ η ο π ν ύ , ἐμ τ έν ε ο ςἐγ η ιώ δ ρ υ γ ο γ ν α ὶ στρα , κ η ἕδρ σ ις. τα σ ό π ἀ
NachderKrise jedoch, vierzig Tage später, Eiteransammlung amGesäß, unddie Abstoßung (der Materia peccans) trat unter Harnzwang ein.
III A, 1:Pythion, derbeimTempel derErdgöttin wohnte (Thasos?)
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Dieser Patient leidet, wieübrigens fast alle anderen indenzweiundvierzig Krankengeschichten der Epidemienbücher III undI des Hippokrates auch, an einem „ Fieτ ρ ο ε ί sind im Altertum undbis spät in unsere Neuzeit hinein bei . Die π υ ber“ weitem die häufigste undgefährlichste Krankheit, undin denEntwicklungsländern stehen sie auch heute noch im Vordergrund. Wir nennen sie „ Fieber“nach ihrem hervorstechendsten klinischen Phänomen. Bei Pythion tritt das Leiden plötzlich mit einem Zittern ein, das von beiden Händen ausgehend bald denganzen Körper des Patienten ergreift, heftiges Fieber hervorruft undein leichtes Delirieren als Begleiterscheinung. Auffallend: Die Fieberhitze hebt in diesem Fall dasKältezeichen Zittern nicht auf; noch mehrere Tage lang wirdes zubeobachten sein. Fieber ist also von Anfang an vorhanden undwährt ununterbrochen bis zur unvollständigen Krise des 10.Tages. Es handelt sich demnach umeinkontinuierliches Fieber. Dochesbleibt sich während dieses Zeitraumes keineswegs stets gleich, sondern verschärft sich dreimal zu wahren Paroxysmen, undzwar noch dazu in einem bestimmten Rhythmus, einem Quartanarhythmus, am2., 5. und8. Tag. Wir haben es folglich mit einem regulären remittierenden Fieber zu tun in einem Quartanatakt. Remittierende Fieber sindinderRegel bösartiger alsdieintermittierenden (vgl. Aphorismus IV, 43). DiePrognose dieses Leidens bleibt deshalb zunächst unsicher, zumal sich schon während derersten Tage mehrere Zeichen vonRoheit derMateria peccans und von Dyskrasie der vier hippokratischen Säfte an das Zittern und Fiebern anschließen: dünner undfarbloser Harnmitschwebenden Wölkchen, ungemischter galliger Stuhl mit nachfolgender Verstopfung, ungleichmäßiger, rötlicher Auswurf und am 7., einem kritischen Tag, sogar einer der vielfältigen Züge der lebensgefährlichen Facies hippocratica, eine Mundverzerrung (vgl. II 118,3ff. L.). Doch amEnde erweist sich, daßdie Krankheit des Pythion schrecklicher erschien, als sie es in Wirklichkeit war(vgl. III 74,5 L.). Schon zwei Tage nach dem dritten undletzten Fieberparoxysmus kommt es am 10. Tag zueinem erlösenden Schweißausbruch; vomFieber ist nicht mehr die Rede, undder Autor spricht von einer (günstigen) Krise. Indessen ist die Krankheit damit noch nicht beendet. Beim Auswurf kommt es nurzueiner unvollkommenen Kochung; dasgleiche gilt fürdenHarn, auchwenner sich inzwischen leicht verdickt hat. Undvor allem: Der 10. ist kein kritischer Tag wieder 11. oder 14. Mit demSchweißausbruch wurde eine Krise zwar eingeleitet, aber aller Voraussicht nachkeine vollständige. Erst nacheinem Rückfall werden für diesen Patienten alle Gefahren gebannt sein. Diese nach denklinischen Erscheinungen des 10. Tages unschwer zustellende Prognose bewahrheitet sich dennauch, abererst nachgenau 40 Tagen –der40. Tag gehört wieder4., 7., 11., 14... zurOrdnung derkritischen Tage deshippokratischen Prognostikons (vgl. II 168,6ff. L.): Die noch rückständigen Krankheitsstoffe sammeln sich amGesäß zueinem Abszeß, unddiese günstige Ablagerung derMateria peccans nachunten entleert sichbaldnachaußen nicht ohne dieBlase zureizen; das
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III A, 1: Pythion, der beim Tempel derErdgöttin wohnte (Thasos?)
Harnlassen gelingt eine Zeitlang nurtropfenweise undunter Schmerzen. Aber der Patient ist nunendgültig geheilt. Zusätzliche Bemerkungen. –a) Wie die folgenden Patienten von III A wurde wohl auch unser Pythion in Thasos ärztlich betreut, auf dernordgriechischen Insel gleichen Namens. Ein anderer Pythion, vgl. III B, 3, wohnte beim Tempel des Herakles, dessen Ruinen in Thasos noch heute zusehen sind. Oder handelt es sich um denselben Patienten, der mittlerweile die Wohnung gewechselt hätte? Der Stadtteil wird angegeben; derTempel derErdgöttin wurde allerdings bisher nicht wiedergefunden. Vgl. Dugand 1979, S, 143, 150f.; Deichgräber 1982, S. 17f., 20. b) VonderVorgeschichte dieses Leidens –wennes eine solche gab–erfahren wirnichts. Auchübermögliche unmittelbar auslösende Ursachen, diehippokratischen ϕ ά σ ιε ς (vgl. meine „Geschichte der Medizin“1987, S. 125f.), schweigt sich ρ ο π derAutor aus. Erkrankte Pythion während einer Epidemie (vgl. etwa dieKatastasis vonEpid. III, Kap. 12), oderwarsein Fieber nureinvereinzelter, sporadischer Fall? Auch darüber werden wirnicht unterrichtet. c) Der Krankengeschichte nach erfaßt ihn das Leiden also schlagartig und unerwartet undbeginnt klinisch miteinem Zittern anbeiden Händen; weder rechts nochlinks gewinnt dabei denVorrang wiees durchaus möglich gewesen wäre. Und vondenoberen Extremitäten ab breitet sich dieses Phänomen wohl rasch auf den ganzen Körper des Patienten aus. DerAutor hält schriftlich fest, waser empirisch beobachtet undihmerwähnenswert erscheint. Aber er tutes auch vordemHintergrund einer bestimmten, halb spekulativen, ς, Nachsinnen, sind die ό μ ισ γ ο halb positiven Krankheitslehre. Erfahrung und λ zwei Hauptkriterien derkoischen Klinik. Wieerklärt sich dasZittern „hippocratico ? Kopf und Gehirn speichern das feuchte undkalte Phlegma. Durch die modo“ Adern fließt es zunächst in die Hände, unddieser „innere Katarrh“verbreitet sich später über denganzen Körper. Gewöhnlich ist nicht das Zittern Initialphänomen, sondern Schaudern odergarSchüttelfrost. DasPhlegma desGehirns kannsich auch , aufdieOhren oderdieZunge werfen, unddieKrankheit beginnt dannmit„Taubheit“ ϕ . Bei Pythion „ersetzt“das Zittern den ο ν ίη ,ἀ ϕ ω σ ις , oder „Stimmverlust“ κ ώ . ς ο ῖγ üblichen Schüttelfrost, ῥ Antwort des Körpers auf diesen kalten inneren Katarrh ist sofortiges heftiges Fieber. Die Natur des Patienten wehrt sich spontan gegen denzurMateria peccans gewordenen körpereigenen frostigen Schleim. Nicht experimentelles, sondern Analogiedenken hilft unsbei solchen Vorstellungen weiter. Erinnern wirunsandas Vorbild der Katarrhe (vgl. mein Lehrbuch, S. 129). Die rohen Krankheitsstoffe μ ό ν , die in der νθ ερ ο τ ϕ υ gekocht“werden. Dies geschieht durch dasἔμ müssen „ Erkrankung bei Menschen , die die eingeborene Wärme“ Herzgegend verborgene „ schützt, wiederHausaltar in denWohnungen dieihnpflegende Familie ausGefahr errettet (vgl. ebd., S. 120f., undHipp. III, 1957). So ruft innere Kälte Fieber hervor; dieeingepflanzte Wärme flackert zueinem reinigenden lodernden Feuer auf(vgl. II 420,13f. L.). Zittern und Fieber bilden eine typische Zweiergruppe klinischer Erscheinungen. Wir sprechen seit demAltertum von einer „natura medicatrix“– , , von der „vis medicatrix naturae“ viele Leiden heilen ja tatsächlich von selbst – deren Kampf gegen die Krankheit derArzt zuunterstützen hat. Es handelt sich um
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echt griechisches „agonales“Denken. Undabwegig ist es nicht immer: Auch wir bekommen oft Fieber, wenn wir uns „ erkälten“ , undscheiden nach einiger Zeit ausgereiften Schleim aus. DenHippokratikern genügten solche bildlichen Erklärungen. Wir heute suchen experimentell weiter undfinden –oder finden nicht. Unsere Fieber-pathologie ist noch immer ein weites Forschungsfeld. In aller Regel bringt dasFieber als natürliche Reaktion desKörpers die vorhin aufgezählten anfänglichen Kältezeichen zumVerschwinden. Bei Pythion hingegen setzt sich das Zittern zehn Tage lang fort –es ist ein wahres Leitmotiv dieser Krankengeschichte undansich keine günstige klinische Erscheinung. Wirsehen es ρ amBeispiel der„Fröstelfieber“vonEpid. III, derϕ ικ ώ δ ρ ςπ ε ε τ ε υ ο ί, bei welchen diePatienten vonihren Kältephänomenen nicht loskommen undmeist mitphreniti16). Die Prognose schen Phänomenen daran sterben (vgl. III A, 12; B, 2; 4; 14– dieses Falles ist also zunächst unsicher. d) Harmloser undbanaler ist noch amselben 1. Krankheitstag derλῆρ ς, ein ο leichtes Delirieren, der als häufige Begleiterscheinung des Fiebers aus koischer Sicht mühelos zu verstehen ist. Auch Galen unterscheidet ihn vongefährlicheren Formen derGeistesstörung. Geist undSeele hatten fürHippokrates ihren Sitz inder Zwerchfellgegend, wie schon bei Homer (vgl. Hipp. XIII, 1989, S. 103ff.). Die im ς ergriffen. Auf ρ ν έ ε Fieber sich steigernde eingeborene Wärme hat auch die ϕ dieses psychische Phänomen kommen wirnoch zurück.
, dieintermittierend und e) Pythion leidet nicht aneiner echten „febris quartana“ langwieriger wäre, sondern an einem kontinuierlichen undremittierenden Fieber (ἐ in“ „ ) einem Quartanarhythmus (vgl. II 672,4f. und674,4 L. undHipp. VI, 1960, ν S. 44). Derstehende Ausdruck π ηist mehrdeutig, wieunsandere ν θ ν τ απαρωξύ ά Krankengeschichten von Epidd. III undI lehren, weist hier aber offenkundig auf febris continua“hin. Wir betonen noch zweierFieberparoxysmen während einer „ lei: Am 2. Krankheitstag konnte der behandelnde Arzt noch gar nicht wissen, daßeres miteinem geordneten Fieber zutunhatte, undam8. ebensowenig, daßder dritte Fieberanfall derletzte sein würde; alles ließ imGegenteil neue regelmäßige Paroxysmen erwarten, am11., 14., 17.Tag. So seufzte derAutor desPrognostikons In denAnfängen dieser Perioden ist es äußerst schwierig, die einpaar Jahre später: „ kommende Entwicklung der Krankheit... vorher zuerkennen. Denn ihre Anfänge sind äußerst ähnlich.“(Vgl. II 170,5ff. L.) ηbedeutet „allgemeine Verschlimmerung“. Nicht nurdas ν θ ξ ύ απαρω τ ν ά f) Π ), sondern nochandere klinische Erscheiς ξ ύ Fieber hatsich also „verschärft“(vgl. ὀ nicht darüber, weil sie ihmprognostisch unwichnungen. DochderAutor berichtet tig erscheinen. DasZittern wirddurch einen inneren Fluß rohen Schleims bewirkt. Roh“sind ebenfalls sowohl derdünne undfarblose Harn während über acht Tage – „ das zweite Leitmotiv dieser Krankengeschichte –als auch der ungleichmäßige Auswurf am6. Tag. Daneben istbeiPythion aber aucheinKampf dervier hippokraentmischen“sich undwerden vomKörper durch tischen Säfte zubeobachten. Sie „ verschiedene Reinigungswege ausgestoßen: das Phlegma durch denAuswurf und später durch Schweiß undHarn amTagderKrise; diegelbe Galle durch denStuhl am4. Tagundeinwenig Blut mitdem„rötlichen“Auswurf am6. Nichts Schwarzes undMelancholisches kommt zumVorschein, ein fast ausnahmslos günstiges Zei-
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chen in Epidd. III und I
(vgl. Kudlien 1967, S. 77ff.). Drei weitere klinische Phänomene sindhier nochzubesprechen. Derleichte Schlaf am5. Taginmitten des zweiten Fieberanfalls istprognostisch günstig. Gewöhnlich ruft hohes Fieber SchlafSchwester“der Geistesstörungen. Fieber –und trotzdem losigkeit hervor, eine „ Schlaf: ein vorteilhafter Kontrast zwischen zwei klinischen Zeichen im Verlauf einer Krankheit. Die Verstopfung am selben 5. Tag ist hippokratisch gesehen auf eine „Stockung“im rechten Hypochondrion zurückzuführen. Infolge der inneren Hitze während des Fieberparoxysmus trocknet der Stuhl aus oder es verflüchtigen sich teilweise die eingenommenen Speisen, undder Patient leidet an Stuhlverhaltung. Schließlich wissen wir schon, daß die Mundverzerrung des 7. Tages nicht einfach ungünstig, sondern besorgniserregend ist. g) Damit sind wir beim 9. Krankheitstag angelangt. Bis dahin hat der Arzt seinen Patienten jeden Tag besucht. Thasos war damals wie heute eine kleine . Zeit fürandere Leidende –vonderen Schicksal wirniemals etwas erfahren „ Polis“ werden –stand also Hippokrates reichlich zurVerfügung, unddieambulanten Fälle νauf(vgl. II 604,2 L.). Doch wiedie altgriechischen ῖο ε τρ suchten ihnin seinem ἰη Ärzte um 400 vor unserer Zeitrechnung ihren Unterhalt und denjenigen ihrer Familie bestritten, bleibt noch immer ausQuellenmangel eine ziemlich ungeklärte Frage.
Wiestand es nunumPythion andiesem 9. Tagseiner Erkrankung? Eine längere Reihe ungünstiger klinischer Zeichen haben wir bei ihm festgestellt. Doch nicht alles an seinem Krankheitsverlauf ist negativ einzuschätzen. Die Fieberanfälle folgen einem bestimmten Rhythmus; eine gewisse Ordnung bleibt also gewahrt bis in die Krankheit hinein (vgl. mein Lehrbuch, S. 157, undHipp. XIII, 1989, S. 53). Vom kleinen Schlaf am 5. Tag und von der Abwesenheit jedes „schwarzen“ Phänomens warschon die Rede. Aufschlußreich ist indes noch folgendes: Mehr als acht Tage lang bleibt der Harn dünn und farblos, scheidet also überhaupt keine Materia peccans aus, unddochtreten bei diesem Patienten keine schweren Geistesstörungen auf –eine seltene underfreuliche Ausnahme von der im Aphorismus IV,72 aufgestellten Regel. Am9. Tagfehlen aucheine „vorkritische VerschlimmeScheinbesserung“des klinischen rung“der klinischen Erscheinungen und eine „ Bildes. Überdiesen 9. Tagschweigt sich unser Autor aus. FürdieFolgezeit steht ein neuer regelmäßiger Fieberparoxysmus am 11. Tag zuerwarten, andernfalls würde die Entwicklung den Arzt in große Bedrängnis bringen. Die Lage war während dieser Zeitspanne für denArzt undPatienten äußerst unbequem. h) Der 10. Tag bringt die prognostische Wende. Sie warnoch am9. unvorher. InAuswurf undHarn η ίθ ρ sehbar, ist aberdarum nicht weniger sicher. Wirlesen: ἐκ bahnt sich Kochung der Materia peccans an (zwei Diminutiva). Entscheidend für die günstige Krise warder wohl reichliche undwarme Schweißausbruch, der den Körper vom überschüssigen und schädlich gewordenen Phlegma reinigte. Eine Frage haben wirnoch zustellen: Warum spricht derAutor erst am8. Krankheitstag vom dünnen undfarblosen Harn dieses Patienten, wo er doch von Anfang an zu beobachten war? Der 10. Tag liefert die Antwort: Erst gegen Ende dieser ersten Phase der Krankheit (vom 1. bis zum10. Tag) wirdderHarn prognostisch bedeutsam! Die Krankengeschichten von Epidd. III undI sind alles andere als einfache
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Notizen. Sie wurden stets nachträglich verfaßt – imGegensatz zuKrankenjournalen –undfast durchweg mitgroßer Sorgfalt; sogar rhetorische Figuren verbergen sich darin.
i) Krise ist nicht zwangsläufig gleichzusetzen mit vollständiger Heilung. Die beiden Diminutiva am 10. Tag haben eine bestimmte „ mathematische“Funktion, auch wenn nicht mit Zahlen operiert wird (vgl. Hipp. IX, 1963, S. 128): Beide Angaben weisen darauf hin, daß die Kochung der Materia peccans ungenügend geblieben ist. Und der 10. Tag ist für die Hippokratiker kein kritischer Tag, ein Rückfall bei Pythion daher mehr als wahrscheinlich. Welche Form könnte er annehmen? Das Prognostikon hilft uns hier weiter: „ Bei denen, die lange Zeit dünnen undrohen Harn ausscheiden, mußman, wenn die sonstigen Zeichen auf Genesung deuten, mit einer Apostase in denGegenden unterhalb desZwerchfells 6 L.) Dies genau widerfährt unserem Pythion. 40 Tage – rechnen.“(Vgl. II 142,4– eine typisch hippokratische Zahl –nach derKrise bildet sich bei ihmeine Eiteransammlung amGesäß, die sich später unter Harnzwang nach außen entleert. Auch eine „Dysenterie“hätte dabei auftreten können mitVerhaltungen undBeschwerden beim Stuhlgang. Dieses Empyem ist zweifelsohne eine Ablagerung derrückständigen Krankheitsstoffe bei diesem Patienten. Doch wir können in diesem Fall auch η σ voneiner „Abfolge vonKrankheiten“sprechen (vgl. II 670,11 L., δια δ ο ὶ νου χ α μ ά τω ν ). EinLeiden, derAbszeß amGesäß, „empfängt“(vgl. δέχομ α ι) einanderes, früheres, umes zurendgültigen Heilung zuführen unddenKrankheitszyklus damit vollständig zu schließen. Schon seit dem 10. Tag war bei Pythion das Fieber ? Empyem“ verschwunden. Worum handelt es sich, modern gesehen, bei diesem „ Wirwissen es nicht genau (Prostataabzeß?). Füreinen Hippokratiker hingegen war ιςbezeugt es, underzeigt σ τα σ dieser Fall völlig klar. DerTerminus technicus ἀ ό π uns obendrein, daß die hippokratische Krankheitslehre schon eine gewisse Reife erreicht hatte, als sie schriftlich hervortrat. 528 K.). –Galen j) Galenisches zudieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 480– hatHippokrates ineinem anderen Geist undzuanderen Zwecken kommentiert, als wires heute tun. So wählen wirausseinen baldweitschweifigen, baldallzu knappen Ausführungen nur diejenigen Punkte heraus, die uns bei unserer eigenen Auslegungstätigkeit weiterhelfen. Der Fall des Pythion ist ernst zu nehmen (vgl. S. 484 desgalenischen Kommentars), doch dergute Allgemeinzustand desPatienten trägt ςnurein ρ ο zuseiner Gesundung bei (S. 505). AuchfürdenPergamener bedeutet λῆ flüchtiges Delirieren (S. 481), und er bringt bei dieser Gelegenheit eine Reihe weiterer Ausdrücke für Geistesstörung, geordnet nach steigender Heftigkeit und Gefährlichkeit. Im griechischen Originaltext von III A, 1 bei Galen (und Littré) ), im Gegensatz zuden ν ο εν έμ ρ α steht auch am 5. Tag, daß das Zittern anhielt (π neuesten Ausgaben, wo dieses Phänomen nur am 8. Tag erwähnt wird (S. 486). Galen und Littré könnten hier recht haben, denn das Zittern ist eines der beiden ινam8. Tagkönnte demnach λ ά Leitmotive dieser Krankengeschichte. Auchdasπ richtig sein, daes inEpidd. III undI inähnlichen Zusammenhängen oft auftritt. Mit νam5. Tag waren Kuehlewein undJones vielleicht ο ρ εν έμ α ihrer Athetese vonπ unvorsichtig. Schließlich weist schon Galen aufdie Stelle imPrognostikon hin, die bei chronisch dünnem undrohem Harnnützliche Apostasen indenunteren Körper-
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teilen ankündigt, wennkeine anderen ungünstigen Zeichen diePrognose verdüstern (S. 490). Galen kannte seinen Hippokrates auswendig undpraktizierte auch nach seinen Lehren. k) Epikrise. –Pythion leidet aneinem heftigen remittierenden Fieber mitdrei Paroxysmen im Viertagerhythmus, eingeleitet durch Zittern undanschließend gekennzeichnet durch Roheit undDyskrasie derSäfte. 40 Tage nach einer unvollständigen Krise gelangt dasFieber zurHeilung miteinem Empyem amGesäß, dassich bald unter Harnzwang entleert. Einige Begleiterscheinungen sind zunächst beängstigend, doch dergute Allgemeinzustand desPatienten hilft ihm, sein Fieberleiden zuüberwinden.
2. Laufender Kommentar: „ Bei Pythion, der in der Nähe des Tempels der Erdgöttin wohnte, begann es mit Zittern vondenHänden ausgehend; amersten Tagheftiges Fieber, Phantasieren.“– Bei diesem Patienten tritt das Leiden unvermittelt auf, ohne Vorgeschichte und auslösende Ursachen, vielleicht während einer Epidemie oder als sporadischer Fall. Die erste Krankheitserscheinung ist ebenfalls ungewöhnlich: ein Zittern anbeiden Händen, dassich bald auf denganzen Körper ausdehnt. Als ein Zeichen derKälte es hier dasvertraute anfängliche Schaudern oderdenSchüttelfrost. Kaltes, „ ersetzt“ zumKrankheitsstoff gewordenes rohes Phlegma fließt vonKopf undGehirn herab durch die Adern. Warum zunächst in dieHände, inbeide Hände? Darüber läßt sich nichts Sicheres sagen, mankann es nurempirisch feststellen. Derganze Prozeß ist : DerSchleim dringt indieVenen statt nachaußen durch Nase, ein „innerer Katarrh“ Rachen undBronchien. Auf diesen plötzlichen Einbruch von Krankheitsstoffen in die Adern reagiert der Körper des Patienten schon amersten Tag desLeidens –„natura medicatrix“– angemessen mitFieber. Zittern undFieber sindeine typisch hippokratische Zweier, aber nicht übermäßig. Der heftig“ gruppe von klinischen Zeichen. DasFieber ist „ Schlaf bleibt ungestört, auch von sonstigen Begleiterscheinungen des Fiebers ist nicht die Rede; nurdie Phrenes sind leicht gereizt: Pythion phantasiert ein wenig. Sein Harn ist dünn, farblos, belebt durch schwebende Wölkchen. Daß der Harn roh“ist, verwundert gerade ganz zu Beginn der Krankheit nicht. Bemervöllig „ kenswert ist noch folgendes: DasFieber bringt denTromos nicht zumVerschwinden; die Kälte des Phlegmas wird also durch die Fieberglut nicht sofort bezwungen. Hierbei handelt es sich umeine ungünstige Ausnahme; manwird diesen Umstand festhalten müssen. Am zweiten Tag allgemeine Verschlimmerung.“–Schon am nächsten Tag „ verschärft sich dasanfängliche Fieber zueinem regelrechten Fieberanfall, unddas αverweist stillschweigend aufmehrere Begleiterscheinungen, diedemdamaπ τ ά ν ligen ärztlichen Leser wohlbekannt waren. Am 5. und noch einmal am 8. Tag kommt es zu ähnlichen Paroxysmen; zwischen ihnen wird der Patient niemals ς, fieberfrei. Es handelt sich also um ein kontinuierliches remittierendes ο ρ υ ἄ π
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Fieber in Quartanaordnung, dessen Prognose generell ungünstiger ist als die der , intermittierenden Quartanafieber. „ echten“
All dies können wirmühelos ausderKrankengeschichte herauslesen, undauch Hippokrates wußte schon teilweise darüber Bescheid, als er sie verfaßte, zumal Epid. III vorEpid. I unddenAphorismen entstand. Allein, wiestand es umdenArzt Pythions an dessen zweitem Krankheitstag selbst? Das künftige Schicksal dieses Patienten warzujener Zeit noch völlig ungewiss. UndderRuhm, die δ ό ξ α , das ς des antiken Arztes hing doch weithin von seinen treffsicheren Prognosen λ έ ο κ ab! Es warein unbequemer Augenblick füralle Anwesenden. Zunächst blieb dem Wanderarzt nichts anderes übrig, als das Krankheitsgeschehen Tag für Tag zu verfolgen. Glück hatte er bei größeren Epidemien, wenndieEinzelfälle einigermaßenvergleichbar waren. Dakonnte er sich aufdieErfahrungen bei früheren Betroffenen stützen, umdiespäteren zubeurteilen. „ Am dritten Tag desgleichen.“–Der Autor bleibt wortkarg. Nur sein Bericht über denersten Tag warein wenig ausführlicher undwirkt im Vergleich zuden folgenden wie eine Art Proömium. Diese Krankengeschichten wurden erst nachträglich niedergeschrieben, derVerfasser beschränkte sich auf dasfür ihnklinisch Wesentliche. Auch rein literarisch sind diese Texte vonBedeutung: Mit ihnen tritt eine neueundoriginale schriftstellerische Gattung ansLicht. Derstehende Ausdruck τ ὰα ὐ άzeigt, daßdiebisher aufgetretenen klinischen Phänomene, unter anderen τ Zittern, Fieber, roher Harn, mit unverminderter Stärke fortdauern. Auffallend für denheutigen Kliniker ist der acht Tage lang gleichbleibende dünne undfarblose Harn: Bei hohem Fieber wird er doch bald dunkel! Irgendwie stimmt uns das nachdenklich; derPatient müßte ja getrunken undgetrunken haben... Am vierten Tag ging wenig ungemischter galliger Stuhl ab.“–War der Stuhl „ während der drei ersten Tage wie bei Gesunden, oder litt derPatient an Verstopfung? Unser Text bleibt darüber stumm. Der innere Katarrh beim Zittern undder dünne undfarblose Harnwaren Zeichen derhumoralen Roheit, deren Gegenteil die Kochung der Krankheitsstoffe ist. Amvierten Tagerscheint unsindes bei Pythion die koische Humoralpathologie unter ihrem zweiten undkomplementären Aspekt, dem Gegensatzpaar Dyskrasie-Krasis der vier hippokratischen Säfte: Der Stuhl ungemischt“undgallig. EinKampf derSäfte ist ausgebrochen; jeder einerscheint „ Chymoi“folgt nunmehr seinem eigenen Weg. Wir müssen hier in zelne der vier „ Analogien denken Jede Metapher kennzeichnet nureinen Teil desVorgangs, und diese Bilder ergänzen undbestätigen einander (vgl. 1981/83, S. 386ff.). Es geht auchnur„wenig“Stuhl ab;wegen derHitze imrechten Hypochondrion verflüchtigt sich und verdorrt der Darminhalt. Andererseits wird der Patient durch diesen geringen Stuhlgang nicht geschwächt, wieesbeischweren Durchfällen vorkommen kann. Auch leidet er nicht anAppetitlosigkeit. Im20. Kapitel desPrognostikons ist der 4. Tag ein kritischer Tag. Bei Pythion aber ereignet sich zu diesem Zeitpunkt nichts Entscheidendes. Amfünften Tag allgemeine Verschlimmerung; leichter Schlaf; der Darm „ stockte.“–Am4. Tag waren dasFieber undseine Begleiterscheinungen wohl ein wenig zurückgegangen, denn am5. kommt es erneut zueinem echten Fieberanfall . Der dritte Anfall am8. Tag undder mit einer „allgemeinen Verschlimmerung“
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reguläre Viertagerhythmus des Fiebers waren damals noch nicht vorherzusehen. Der Arzt mußte mit seiner Prognose zurückhaltend bleiben. Eindeutig infaust war sie nicht, zumal gerade andiesem 5. Tag ein erstes günstiges Zeichen auftritt: Der Patient schläft ein wenig. Nur an dieser Stelle wird in dieser Krankengeschichte überdenSchlaf berichtet, daihnhier derVerfasser fürprognostisch bedeutsam hält. Ausgesprochen nachteilig istdannwiederum dievöllige Stuhlverhaltung amselben Tag. Mitdemneuen Fieberparoxysmus istdieschon übermäßige Wärme imrechten Hypochondrion noch weiter angestiegen! Auch am Abend des 5. Tages ist die Zukunft desPythion noch unsicher. Am sechsten Tag ungleichmäßiger, rötlicher Auswurf.“–Der 6. Tag bringt „ nur Ungünstiges, jedoch nichts Gefährliches. Die Krankheitsstoffe werden durch einen dritten Reinigungsweg abgestoßen. Es handelt sich nicht umeine Pleuritis oder eine Lungenentzündung (hippokratisch „Peripleumonie“ ): kein Seitenstechen, kein neuer Fieberschub; Phlegma ist vomGehirn ausin dieLuftwege herabgeflossen–diesmal einnormaler Katarrh –undwirdvomKörper ausgetrieben unter dem doppelten Zeichen von Roheit undDyskrasie. Der Auswurf ist „ ungleichmäßig“ , enthält folglich Materia peccans vonuneinheitlicher Beschaffenheit; dasverzögert die Kochung undverlängert den Krankheitsprozeß, wenn der Patient nicht daran stirbt. Unddie rötliche Farbe bekundet, daßnach Phlegma undGalle auch ein wenig Blut sich verselbständigt hat. Am 6. Tag weiß der Kliniker zumindest, daß mit baldiger Genesung nicht zurechnen ist. Amsiebten Tag verzerrte sich derMund.“–AmMorgen des7. Tages ist der „ Patient immer noch zittrig und fiebrig, und seine Ausscheidungen sind gekennzeichnet durch Roheit undDyskrasie. Während dieses neuen Tages tritt nur ein einziges beachtenswertes klinisches Phänomen hinzu: eine Mundverzerrung, die wie das Zittern ein typisches Kältezeichen ist. Gewiß, wir haben nicht das ganze lebensgefährliche klinische Bild derFacies hippocratica, doch immerhin einen Bekritischen“ standteil davon (vgl. II 118,3ff. L.), unddies noch aneinem 7., einem „
Tag.
Amachten Tagallgemeine Verschlimmerung, dasZittern hielt an;Uringleich „ zu Beginn und bis zum achten Tag dünn, farblos, mit schwebenden Wölkchen darin.“–Am8. Tag, wie schon am5., kontrastiert abermals prognostisch Ungünstiges mitGünstigem. Derneue Fieberparoxysmus ist ansich freilich nicht erfreulich, doch offenbart sich andererseits mit demQuartanarhythmus eine Regelmäßigkeit inmitten des Krankheitsgeschehens, die als vorteilhaft einzuschätzen ist. Der Patient kämpft erfolgreich gegen sein Leiden. Im Gegensatz dazu mußaber als ein
böses Zeichen gelten, daß nach vollen acht Tagen das Zittern noch immer anhält undder innere Katarrh somit trotz des Fiebers nicht bezwungen wurde. Wir haben es hier miteinem Leitmotiv dieser Krankengeschichte zutun. Deren zweites Leitmotiv ist der rohe, dünne undfarblose Harn mit seinen schwebenden Wölkchen; solange sie sich imHarnglas nicht senken, sindauchsie einZeichen derRoheit (vgl. dasPrognostikon, Kap. 12). Alspositiv zubewerten ist wiederum dieTatsache, daß bei einem so eindeutig rohen Harn keine schweren Geistesstörungen ausgebrochen sind. Aber trotz desAuftretens vonungünstigen wiegünstigen Zeichen bleibt auch am8. Tag seiner Krankheit dasweitere Schicksal desPythion ein Mysterium.
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Amzehnten Tag Schweißausbruch, Auswurf etwas ausgereift, –Krise; Urin „ etwas dünn(= einwenig dicker) zurZeit derKrise.“ Aucham9. TagwarHippokrates sicher bei Pythion in der Nähe des Tempels der Erdgöttin. Der Zustand des Patienten wirdsich wohlnicht wesentlich geändert haben, weder imnegativen noch im positiven Sinn; doch wir erfahren nichts darüber, der 9. Tag bleibt für unsein „ weißer Fleck“ . Waskannsich fortan ereignen: vielleicht eine neue undregelmäßige „allgemeine Verschlimmerung“am 11. undam 14. Tag? Langwierig wird das Leiden aufalle Fälle sein, derheterogene Auswurf des6. Tages bezeugt es deutlich genug. Undeines hatschon Galen betont: Chronischer dünner undroher Harn läßt nützliche Apostasen in denunteren Körperteilen erwarten, wenn sich diesem günstigen humoralen Vorgang nichts entgegenstellt. Indes: Wußte Hippokrates das schon, als er Pythion beobachtete? Diese prognostische Sentenz steht nämlich im 6 L.), dasererst mehrere Jahre nachEpid. III verfassen Prognostikon (vgl. II 142,4– konnte (vgl. Hipp. XIII, 1988/89). Mitdem10. TagwirdderFall endlich klarer, aber aufeine völlig unerwartete Weise. Plötzlich kommt es zueinem –allgemeinen undwarmen –Schweißausbruch. Die anfängliche Zweiergruppe klinischer Zeichen Zittern-Fieber vervollständigt sich typisch zur Dreiergruppe Zittern-Fieber-Schweißausbruch. Dieses Fieberleiden kann auch mit einem „inneren Gewitter“verglichen werden. Starke Wärme zieht Feuchtigkeit an.DerPatient stöhnt unter einer Überfülle vonSäften im ganzen Körper, die Fieberglut bringt sie fast zumSieden. Undauf einmal prasselt ein Platzregen herunter: Der Schweiß befreit denbisher Fiebernden zugleich von seinen überschüssigen Säften und seiner übermäßigen Wärme. Auch mit Hilfe dieser dritten Analogie können wir uns die hippokratischen Fieber veranschaulichen. DemPythion geht es nach diesem Schweißausbruch merklich besser. Er ist fieberfrei geworden; im Auswurf bahnt sich Kochung an. Sibyllinisch ist die Formulierung beim Harn. Vorher warerja tagelang dünn undfarblos. Eigentlich ) zurZeit derKrise.“ ρ α α τε χ ύ müßte stehen: „ Harnetwas dicker (π Nach derKrise jedoch, vierzig Tage später, Eiteransammlung amGesäß, und „ dieAbstoßung (der Materia peccans) trat unter Harnzwang ein.“–Am10. Taghat bei Pythion eine erlösende Krise stattgefunden; derAutor selbst stellt es fest, zweimal. Der Patient ist nunmehr außer Gefahr. Doch seine Krankheit ist darum noch nicht beendet. Auszwei Gründen bleibt diese Krise unvollständig: In Auswurf und Harn hatdie Kochung erst begonnen. Undvorallem: Die Krise hatsich am 10. Tag nichtkritischen“Tag (vgl. das Prognostikon, Kap. 20). Weitere ereignet, einem „ Krankheitserscheinungen sind also noch zuerwarten, aber welche? Nurfolgendes läßt sich vorhersagen: ManwirdGeduld aufbringen müssen. Undwennes zueiner Ablagerung von Krankheitsstoffen kommen sollte, dann vorzugsweise unterhalb derZwerchfellgegend. Beides bewahrheitet sich nunbei unserem Pythion, so auffallend es unsauch vorkommen mag. Genau vierzig Tage lassen die Späterscheinungen auf sich warten; der40. Tag ist dafür nach demPrognostikon ein kritischer Tag. Undausgerechnet eine Apostase bildet auch denMittelpunkt des neuen klinischen Bildes, eine Eiteransammlung amGesäß. Eine Ablagerung derMateria peccans in denunteren Teilen ist im allgemeinen günstig. Hat der Fall des Pythion für die Sentenz II
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6 L. desspäteren Prognostikons Pate gestanden? Diese Frage können wirnur 142,4– stellen, nicht beantworten. Keineswegs vorauszusehen war hingegen, daß die Apostase die Form eines Empyems amGesäß annehmen würde. Dort stößt also derKörper desPatienten die rückständigen rohen, scharfen und beißenden Säfte ab, bevor sie selbst unter Schwierigkeiten undSchmerzen beim Wasserlassen denWegnach außen finden – eine zusätzliche Apostase. Nunist der Patient endgültig geheilt.
3. Beziehungen dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden I: übrigen Krankengeschichten vonIII– a) Zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Auch bei sorgfältiger Prüfung der vier Katastasen von Epid. III undI läßt sich darin keine Stelle finden, die uns erlauben würde, einen Zusammenhang zwischen dem Fall des Pythion undirgendeiner in diesen zwei Büchern geschilderten Epidemie glaubhaft nachzuweisen. Alles spricht dafür, daßder Autor diese Krankengeschichte wegen ihrer eigenen Bedeutsamkeit festgehalten hat. Auf einen besonderen Punkt weise ich noch hin: die hippokratische Viersäftelehre, die beim Fieberleiden desPythion eine gewisse Rolle spielt, findet sich auchindenKatastasen wieder, vgl. vorallem , II 50 L. Über die Umwelt“ Epid. III, Kap. 14, und schon die Schrift „ b) Zum Prognostikon. –Auch das Prognostikon spricht von galligem Stuhl, dünnem Harn undrohem Auswurf. Diese klinischen Erscheinungen sind indessen banal. Wirhalten unsdeshalb bei ihnen nicht länger auf. c) Die Mundverzerrung am7. Tag ist Teilaspekt der Facies hippocratica des 5 L. Sie trug dazu bei, denFall des Pythion „schreckPrognostikons, vgl. II 118, 3– licher erscheinen zulassen als wirklich gefährlich“(vgl. III 70,5 undIV 286,10ff.; 378,7f. L.). d) Ferner ist unsere Krankengeschichte vielleicht eine der Quellen der uns 6 L. des Prognostikons: „ Bei denen, die lange schon bekannten Sentenz II 142,4– Zeit dünnen undrohen Harn ausscheiden, mußman... mit einer Apostase in der Gegend unterhalb des Zwerchfells rechnen.“Die Übereinstimmungen zwischen beiden Stellen sind auf alle Fälle offenkundig. e) Das20. Kapitel desPrognostikons führt dieunsvertraute klassische Formulierung derhippokratischen Ordnung kritischer Tage ein. Aberschon Epidd. III und I halten sich an diese Richtschnur (vgl. Deichgräber 1933, S. 21). Auch die Krankengeschichte des Pythion bestätigt diese Regel. f) Zuden übrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –In den Krankengeschichten vonEpidd. III undI lesen wirnormalerweise denNamen desPatienten imAkkusativ: vgl. III A, 2, III 32,2f. L., „Fieberglut ergriff Hermokrates.“Pythion steht imDativ, eine Ausnahme, wiein III B, 14; I, 3; 9; 14. DerAutor verfügt über mehrere Formeln, umseine Patienten vorzustellen. Sie kehren auch in denspäteren Epidemienbüchern wieder.
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g) Auchin I, 13, am7. Tag, „ersetzt“derτρό μ ςeinFrösteln beieinem neuen ο Fieberanstieg. Für die übrigen Stellen mitτρ μ ό ςvgl. denIndex Hippocraticus. ο Vgl. auch ἀ εμ τρ έ ς. ω h)Dasremittierende Fieber imQuartanarhythmus beiPythion hateine Parallele in I, 12, einer tödlichen Phrenitis nachParoxysmen am1., 4., 7. und10.Tag. III A, 5 beginnt ineiner Dreitageordnung undendet vom14.Taganineiner Viertageordnung (vgl. auch III A, 3). Nicht zu verwechseln sind solche Fälle mit einigen längeren Krankengeschichten vonIII– I, inwelchen dieklinischen Phänomene vorzugsweise oder garausschließlich andenkritischen Tagen angegeben werden, die ja bekanntlich ebenfalls einem Viertagerhythmus folgen. Vgl. III A, 2; B, 1; 2; 7; 9; 16; I, 10.
i) Stuhlverhaltung, Stockung des Darmes ist in den Krankengeschichten von Epidd. III undI meist bei tödlichen Fällen zubeobachten. Vgl. III A, 7; B, 1; 2; 14; 15; I, 2; 11.Günstige Ausgänge sindseltener: III A, 1;I, 5; 10.Es handelt sich also bei diesen „Fiebern“umeinernst zunehmendes Zeichen. j) Klinische Kontraste im Verlauf des Fiebers sind kein für III A, 1 (vgl. den 5. Tag) spezifisches Phänomen. Klinische Erscheinungen entgegengesetzter Prognose bekämpfen gleichsam einander. Schon Galen hat davon gewußt, vgl.
XVII A 300,17 K. und I, 3; 5; 10; 11; 13. k) Auswurf kommt indenübrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI nur dreimal vor, in III A, 6; III B, 2 und 8. Diese Parallelstellen sind für uns ohne 18 Interesse. Aufschlußreich ist hingegen folgendes: Die ausführlichen Kapitel 14– des Prognostikons über Seiten- undLungenleiden schöpfen ihre zahllosen Erfahrungen aus Katastasen und Einzelfällen, die uns nicht erhalten geblieben sind. Dieser Kliniker wußte viel mehr, alswiresunsvorstellen können. Eine Ahnung von diesen riesenhaften prognostischen Kenntnissen verraten uns noch heute die viel späteren Kompilationen Prorrhetika I undII undKoische Prognosen. 1)Eine Mundverzerrung kommt einzig in III A, 1 vor. Andere Bestandteile der Facies hippocratica erleben wiraberinIII A,3 und11mitdemSchielen amrechten Auge, vgl. II 116,5 L., inIII B, 2 mitdemHerunterzerren desrechten Kinnbackens, 5 L., undauchinIII B, 15und16: Bei zwei tödlichen Phrenitiden wird vgl. II 118,3– die Haut aufeinmal dürr undringsum gespannt, vgl. II 114,4f. L. m)Harnmitschwebenden Wölkchen erscheint auchinIII A, 3 und5. Es ist ein Zeichen der Roheit der Materia peccans, vielleicht auch der „Abschmelzung“ ). Doch die drei Fälle ξ ις ν τη ύ körperlicher Substanz infolge des hohen Fiebers (σ
mitHeilung. n) Unvollständige Krisen mitdarauffolgenden Rückfällen undVerlängerungen desKrankheitsverlaufs sindin denKrankengeschichten vonEpidd. III undI ausgesprochen häufig: vgl. III A, 1; 2; 3; 5; 6; B, 7; 8; I, 3; 5; 6; 7; 10; 12; 13; 14. Meist gehen die Folgeerscheinungen mit neuen Fieberschüben einher. Drei Ausnahmen gibt es: III A, 1; I, 7 und 10. o) Auch in III A, 6 kommt es zueinem Empyem amGesäß, dasschon am6. Tag, zusammen mit einer unvollständigen Krise, zum Ausbruch gelangt. Das Mädchen leidet an Phthise undstirbt unter Zeichen einer Phrenitis mit Niedergeenden
schlagenheit.
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p) Harnzwang, „Strangurie“ , erscheint in denKrankengeschichten vonEpidd. III undI nurandieser Stelle. Harnflut mitHarnzwang tritt in der2. Katastase von Epid. I, II 616,16 L. auf. Ebendort ist die Rede vonrettenden Apostasen mitHarnzwang, II 630,7ff. und632,7f. L. q) Ablagerungen begegnen unsinübereinem Drittel unserer Krankengeschichten. Die „Apostasen“gehören ja zudenKerndogmen koischer Humoralpathologie. Bei mehreren Patienten tritt trotzdem derTodein, dochdiemeisten überleben ihre Krankheit.
r) Fürdasremittierende Fieber vonIII A, 1 bildet dasEmpyem amGesäß eine Apostase, diedieendgültige Heilung desPatienten einleitet. In diesem Zusammenhang können wir aber auch von einer „Abfolge von Krankheiten“sprechen: Ein neues Leiden, das Empyem, „ empfängt“ein früheres, das Fieber mit seinen rückständigen Krankheitsstoffen, umden Körper des Patienten davon zu befreien. II 670,11 L. nennt derAutor diesen Vorgang eine δια ά τω ὴνουσημ ν . ο χ δ s) Remittierendes Fieber imstrengen Quartanarhythmus, klinische Späterscheinungen am40., einem kritischen Tag: Eine gewisse Ordnung, ein „ Kosmos“bleibt also gewahrt inmitten des Krankheitsgeschehens. Die Natur des Patienten erweist sich in diesem Fall als stark genug, umüber sein Leiden Herr zuwerden.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten:
a) Stehende
Ausdrücke.
–ᾤ κ ε ι. –
ςὀξ ό τ ε τ ρ α ν ο .– π .– π τ ς ρ ά ξ α υ ἤ ύ
ίη ν ο ιλ ε τ π ο ί. –κοιλ θ ε . –ὕπ ς... διῆλ π ὸκ ο ιλ ίη η . –τ ὰα ὐ τ ά . –ἀ θ ρ ν ω ξ ύ π α μ α η ρ .– κ ν ο εν α τἀ ρ έμ .– π η α . – ἐναιώ τ ἔ σ ω , ἄχ ρ ά τ επ α... λ ρ ὖ ς. ο ά χ ρ ρ . ίσ ιν τὰκ η .– μ ε ρ ιν ω ίσ .– π σ ὶ κ ε. –ἐ κρίθ ερ ν . –ἵ δρ ο ελ έϕ ιν ἐπ
᾽ Über ein Drittel der griechischen Wörter dieser Krankengeschichte befindet sich innerhalb stehender Ausdrücke; rechnete mandieAngaben über Krankheitstage mit ihren Zahlen nicht mit, so wäre es gar fast die Hälfte! Längst vor Epidd. III undI hatten die Koer –vielleicht schon derGroßvater undVater des Hippokrates selbst –damit begonnen, eine sachgerechte Terminologie zuentwickeln, umdieklinischen Erscheinungen ihrer Patienten so knapp undprägnant wie irgend möglich avant wiederzugeben. ImGrunde handelt es sich dabei umeine ArtStenographie „ , bevor es denAusdruck dafür gab. la lettre“ ρ α ὖ . –ο ῶ ν ὸχειρ ςἀ π ο μ ι ... τρό ν θ ίω υ b) Stilbesonderheiten. Hyperbaton: Π ... λ ω . ρ επ τ ά , ἄ χ έ. ν , zwei δ έ c) Brachylogie, Lakonismus: nurdrei Partikeln, ein μ d) Wenige ausgeschriebene Sätze: am 1., 4., 8. und40. Tag. ς(vgl. Hipp. IX, 1963, το επ λ ό ν , ὑπ ω ς, ὑπ έπ π ο ο ρ θ υ έρ e) Drei Diminutiva: ὑπ S. 128f.). ς, nur in koischen Schriften. – ο ρ ῆ f) Seltene Wörter, Hapaxlegomena: λ μ α , nur in koischen Schriften, fast ausschließlich in den η ρ ύ ιώ . – ἐν α ω ρ ειρ π α . –Die koische Schule ς -, nurin den„Epidemien“ δη . –στραγγουριώ „ Epidemien“ hatte zumTeil einen eigenen, spezifischen Wortschatz ausgebildet. Für uns ist er Echtheit“bestimmter hippokratischer bisweilen von Bedeutung, wenn wir die „ Schriften nachzuweisen suchen.
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g) Alliterationen: π ά ν τ απαρω ξ μ η η ύ . –ἐναιώ ν ρ θ αε ἶχ ο νἐπ ιν ελ έϕ ο ν . ελ ο ν h) Homoioteleuta: ε νἐπ ο . Steht deshalb εἶχ ἶχ ιν έϕ νstatt desgrammaο tikalisch korrekteren ε ἶχ ν ε ? Vgl. Kw.I, 215 zudieser Stelle. i) Wortwiederholungen zurBetonung, Leitmotive: dreimal π ά ν τ απαρω ξ η ύ ν . θ –Vielleicht zweimal π ρ α έμ εν ο ν , am5. und8. Tag, wenn Galen undLittré gegen unsere sichersten handschriftlichen Quellen recht behalten sollten. Vomrein medizinischen Standpunkt aus hat die Lesart Galens undLittrés manches für sich. – Leitmotive: deracht Tage lang währende dünne undfarblose Harn; dasam8. Tag noch immer anhaltende anfängliche Zittern. j) Häufung asyndetischer Adjektive: ὀλ η τ α ρ α , χολ ίγ ,ἄ κ ώ δ ε α . ρ αὑπ ό λ επ τ ὖ α , λ π ε τ ά(vgl. Hipp. IX, 1963, S. 127ff.). k) Steigerung: ο l) Erst am 8. Tag wird der schon seit Anbeginn dünne und farblose Harn interessant“wird. Diese erwähnt, weil ererst nachdieser Zeitspanne prognostisch „ Krankengeschichten sind kleine Kunstwerke!
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für dieHippokratesexegese?
Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –FürHippokrates warder Fall des Pythion in derNähe desTempels derErdgöttin alles andere als banal. So drängte sich seine Veröffentlichung ausmehreren Gründen auf. a) DasLeiden beginnt miteinem allgemeinen Zittern statt miteinem Frösteln. Tagelang bringt das Fieber dieses Zittern nicht zum Weichen, und der Patient kommt trotzdem mitdemLeben davon. b) Auch das Fieber selbst ist eigenartig: kontinuierlich, remittierend, in einem pünktlich genauen Viertagerhythmus; doch schon nach demdritten Paroxysmus bricht es plötzlich ab. Warum? c) Ungewöhnlich sindauchdieachtTagemitdünnem undfarblosem Harnohne
schwere Geistesstörungen undSchlaflosigkeit. d) Unheimlich mußdemAutor die Mundverzerrung am7. Tag vorgekommen ω ύ , das später in derHippokratiρ ειρ α sein. Er gibt sie mit einem Verb wieder, π schen Sammlung nie mehr wiederkehrt. e) Wirklich aufregend aber waren bei diesem Fall dieschier unüberwindlichen Schwierigkeiten derPrognose andessen Beginn. Niemand, nicht einmal Hippokrates, hätte während derersten Tage voraussagen können, daß dieses Fieberleiden regelmäßig remittierend werden, schon am 10. Tag eine unvollständige Krise durchmachen würde, aber der Patient noch weitere 40 Tage warten müßte, um endlich durch eine zweifache Apostase zur Heilung zugelangen. f) Unschwer vorherzusehen warallein –wennmanes zujener Zeit schon wußte –die Apostase in den„unteren Teilen“desKörpers nach anhaltendem dünnen und rohem Harn.
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ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für die Hippokrates–FürdenKommentator dieser Krankengeschichte undauch aller folgendenist es gewiß fesselnd, die Motive zu erraten, die denärztlichen Autor jeweils bewegt haben, sie zugleich sachgerecht und stilistisch kunstvoll auszuarbeiten. Doch die eigentliche Aufgabe des Hippokratesexegeten ist letztlich anderer Art: Er hat mit Hilfe dieser Quellen die Denkmethodologie und die Krankheitslehre der ursprünglichen koischen Schule Stück für Stück wieder ans Licht zu bringen. Deshalb sinddenvorausgehenden Auskünften nocheine Reihe ergänzender Bemerkungen hinzuzufügen, wobei auch die Hippokratische Sammlung als Ganzes zu berücksichtigen ist. g) In seltenen Fällen stellt der Autor ausdrücklich fest, daß eine auslösende ς ιῆ ξοὐδεμ Ursache desFieberleidens nicht zubeobachten war.Vgl. V 464,17 L., ἐ ϕ ά ς (Epid. VII, § 120). σ ιο ρ ο π h) Zitternde Hände gehören bisweilen zudengefährlichen Kältephänomenen, die sogar denTodankündigen können, wiediejenigen derFacies hippocratica: vgl. .) undV 396,24 L. (Epid. VII, § 25). . δ . ὀ II 314,7 (Π i) In aller Regel bringt das Fieber die Kältezeichen zumVerschwinden. Vgl. den Aphorismus IV, 57, der an mehreren Stellen wiederkehrt: V 658,10; VI 152,23–154,1; IX 295, § 61; 398,20 L. –Vgl. auch den Aphorismus II, 26 unddie Koischen Prognosen, § 350. –UnddieAphorismen V, 5; 17; 22; 70. –Einwahrhaft ! Umso seltsamer ist derFall desPythion, wodasKältezeikanonisches Dogma“ „ chen Zittern trotz desFiebers fortbesteht. j) Über dieGutartigkeit derintermittierenden unddieGefährlichkeit derremittierenden Fieber berichten dieAphorismen IV, 43 undVII, 63, sowie dieKoischen Prognosen, § 114. k) Zudenungemischten undgalligen Stühlen bemerkt Galen richtig: DerAutor αnur dann hinzu, wenn es sich um reine Galle handelt. Wären die τ η ρ κ fügt ἄ αfehlen. τ η ρ κ Entleerungen zugleich gallig undwässerig, so würde dasAdjektiv ἄ Vgl. XVII A 70, 9ff. K. l) Kehren wir noch einmal zumPhänomen derMundverzerrung zurück. Wie bösartig dieses klinische Zeichen fürdie Hippokratiker war, beweisen die AphorismenIV, 49 undVII, 74 unddie Koischen Prognosen, § 72. Pythion wurde nurdurch seinen guten Allgemeinzustand gerettet, wie Galen als scharfsichtiger Kliniker schon erkannt hat, vgl. XVII A 505 K. Wiein allen Krankheitsfällen, so mußman , gemäß dem hippokratischen Konauf die anderen Zeichen achten“ auch hier „ subverbo). Sachindex gruenzprinzip (vgl. Hipp. XIII, 1988/89, von kritischen Apostasen am Fälle drei m) Im IV. Epidemienbuch enthält § 41 Krankheit. –Epid. VII, ganze die auch ihm mit und Gesäß. DasFieber verschwindet § 45, Apostase am Gesäß im Verlauf eines Viertagefiebers; eine Schwellung mit rohem Inhalt bildet sich in derNähe des Mastdarms, öffnet sich schließlich darin undverwandelt sich in eine chronische Fistel (moderne Diagnose: Periproctitis). – , V 478, 3 L., für die Pathogenese dieser Vgl. noch die Schrift „Über die Säfte“ Apostase in antiker Sicht. n) DaßdieApostasen indenunteren Teilen imallgemeinen günstig sind, gehört zu den typischsten hippokratischen Dogmen. Vgl. II 142,8ff.; 160,7ff. und 172,9f. Worin
exegese?
III A, 1: Pythion, der beim Tempel derErdgöttin wohnte (Thasos?)
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L. imPrognostikon undKoische Prognosen, § 156, 390 und566. –Epid. II 1, § 7, undEpid. VI 1, § 12. –Untypischer: VI 296,11ff. L. o) IndenKrankengeschichten vonEpidd. III undI kommt Harnzwang, „Strangurie“ , nurin III A, 1 vor. Wir müssen in derHippokratischen Sammlung nach den Quellen suchen, die unsdieses klinische Phänomen veranschaulichen, woes auch sonst noch auftritt. Strangurie, Harnstrenge, bedeutet zweierlei: Schmerzen beim Harnlassen undvorallem tropfenweise erfolgende Harnentleerung. Bei Schmerzen . Vgl. II 616,16 L. –Die Aphorismen III, 31; IV, 80 –VII, allein steht eher „ Dysurie“ 39; V, 58; VII, 48. –VI 454,5 und456,5ff. L. –VII 496,1; 604,4 L. –VIII 34,2; 234,17; 274,16 L. –Ein verwandtes Phänomen ist die antike „Dysenterie“mit Stuhlzwang, Stuhlverhaltung undSchmerzen bei derDarmentleerung. γ ο υ γ ... κ α ὶ στρα Nachtrag. –Volker Langholf (vgl. 1977, S. 32 unten) liest: „ ρ ιώ ςἐγ η δ έ ν ε Daswürde bedeuten, daßdasEmpyem amGesäß τ ο . Α π ό σ τα σ ις.“ Harnzwang hervorruft, mitoderohne Abstoßung derMateria peccans. DieAussage wäre also unklar. Ich halte mich an denüberkommenen Text. Das Empyem leert sich unter Harnzwang aus.
(2) III A,2, Hermokrates (Thasos) 221. 39 L. –Kw.I 215– 216. –J. I 218– III 32– Hippokratische Diagnose: tödliches Brennfieber.
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III A, 2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag(Thasos)
III A, 2. –Hermokrates (Thasos). ςκ η ν μ ρ ο ά τ κ α ,ὅ τέκ Ἑρ ρ ὰτ ε ιτ οπ α ὸ Den Hermokrates, der an der neuen Stadtmauer darniederlag, ergriff Fieberglut. Erste Schmerzen an Kopf und Kreuz; imHypochondrion (Oberbauch) Spannung bei weichem Bauchinhalt; Zungenoberfläche gleich zu Beginn gedörrt; Ertaubung, sofort; Schlaf fiel ·ἀ π ὸδ ὲ κοιλ ο τ θ ίσ τα α ο ὐ·κ κ aus; Durst nicht imÜbermaß; Urindick, ὐ ςο ίη ε ι. μ έ ν αδιῄ υ ασυγκεκα λ ίγ ὀ rot, gabbeim Stehen keinen Bodensatz; aus dem Leibe ging in nicht geringer Menge ausgebrannter Stuhl ab. α τ ο . ἤρξ β ν ε ρἔλ α ς, π ῦ ο κ α ιν ὸ ντεῖχ ή ν ῦ νὑ γ α δ ε ῖνκεφ λ , ὀσφ ὲἀ λ ν ο χ ο π ς ρ λ ῶ ίο σ υἔν ῶ σ α δ τα σ δ ιςλαπαρ ὲ · γ · ῳἐπ φ ω σ ιςα ὐ τ εκ · κώ ίη μ α ν έ ύ θ ρ χ ο ἀ ςο ὐ η ώ δ ιο · ὕπ ο ν ὐ κἐνῆσα ν διψ α κ νο ν α ε ρ ά ρ απ , κ είμ λ ίη α ὖ χ έ α , ἐρ ·υθ
- Am fünften Tag dünner Harn mit η ιώ σ ελ νἐνα ῃοὔρ επ ά τ , εἶχ ε τ π π έμ )τ ρ η μ α ςνύ ο ρ ,ο έ κ ,ἐ τ απ - schwimmenden Wölkchen darin, diesich α ὐ χἵδρυ(ε nicht setzten; gegen Nacht Verstörtheit. . ν ε σ υ ο ρ κ η , Am sechsten gelbsüchtig, allgemeine θ ν ξ ύ απαρω τ ν ς, π ά η δ ιώ τερ ῃἰκ τ ἕκ Verschlimmerung; nicht bei Verstand. ι. ό ε ο τεν α ὐκ
. Am siebten Tag starkes Unwohlsein, ια ο , ὅμ ά τ ρ ό επ αλ ῃδυσφ ρ ω μ ὖ ,ο ς ό δ ἑβ ς. ίω σ η ρ Harn dünn, wie bisher. An den folgenλ α π α ςπ ν μ έ α ςἑπ ο τὰ denTagen ähnlicher Zustand.
π ρ ὶ δ ε α Umdenelften Tagscheinbare allgemeiτ ν ά έ ἑν η τι π δ ν ἐό ν εκ ά τ τ ο , neMilderung derBeschwerden; Schläfμ αἤρξα ῶ θ ν α ισ ῆ ι· κ ξ ε κουφ ο ἔδ α , κ ρ τ ω rigkeit stellte sich ein; Urin dicker, rötά ο ρ ρ ε θ α ὔ υ ι π α , ὑπ χ τε ύ έρ χ υ ῇκ τ α ε - lich, unten dünn, kein Bodensatz; (Pa· ἡσ λ επ τά ο ο τα τ ίσ θ α ὐκ tient) ruhig, bei Besinnung. ν ό ε ι. ·
ῃἄ ς, ο ρ ο π ὐ υ χ Am vierzehnten Tag fieberfrei, (doch) τεσ ρ σ α εσ κα ιδ ά τ εκ α τ η ιπ ά ν , ohne Schweißausbruch; schlief ein; war ε ή ό θ , κ τεν α ω ἵδρ σ ε ν , ἐκοιμ völlig bei Verstand; Harnunverändert. ή σ ια . π λ ο ρ α απ ὖ ρ α π ιὑ έ τ ν νἐό η ιδ α κ τα εκ τ ρ ά ὶδ π ὲἑπ ε ς ἑπ μ ς ο έ ν α μ η ά ν . τὰ θ σ τρ ε ν εψ ερ , ἐθ ρ έ α ά , π ς, ο τ π ρ αλ ε ς ὀξ ύ ὖ ρ π ε τὸ υ ρ ο υ σ ν . κ ε
Umden siebzehnten Tag Rückfall, (Patient) wurde (wieder übermäßig) warm. An den folgenden Tagen heftiges Fieber, Urin dünn, Verstörtheit.
III A,2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag(Thasos)
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π ά λ ινδ ὲ εἰκ ο σ τ ῇἐκρίθ η , ἄ ς, Wiederum Krise am zwanzigsten Tag, ρ ο π υ ο ὐ χἵδρω σ ε ν . ἀ π ςπ ρ ό σ ιτ ὰπ α ο ά ν τ α fieberfrei, (abermals) ohneSchweißausτὸ ν χρόν ο ν , κ α τεν ό ε ι π ά ν τα , δ ια - bruch. Appetitlos die ganze Zeit über, λ εσ έγ θ α ι ο ὐ κ ἠδύνα τ ο σ σ , γλῶ α völlig bei Verstand, konnte sich (aber) ἐπ ς, ο ρ ο ὐ η κἐδίψ · κ ᾶ τ ο nicht unterhalten; Zungenoberfläche α τεκ ίξ η ο ιμ ς. μ ρ η ικ ά σ μ α τώ , κ δ ω trocken, kein Durst; leichter Schlaf, (aber) schläfrig.
νἐπ η ε τ νκ ρ ὴ ρ α ὶ τετά ὶδ π ε ὲεἰκ τ ο σ ὴπ ο λ μ λ ο ῖσ ι θ ά ρ ν η ερ γ , κ θ ο ιλ ίη ὑ ρ ε ςπ υ μ ς ἑπ λ επ ν α έ το ο ῖσ ι. κ ὶ τὰ α ςὀξ ῶ σ σ ς, γλ ασυνεκαύ τ ὸ η . ύ θ
Um den vierundzwanzigsten Tag neue (abnorme) Erwärmung, Stuhl feucht, reichlich, dünn. Auch andenfolgenden Tagen heftiges Fieber, Zunge (wie) ausgebrannt.
. ε ν τ α ῇἀ π α έθ ῃκ σ ὶ εἰκ ο μ δ ό ἑβ
Amsiebenundzwanzigsten Tag starb er.
ῳκώ φ ε ιὰτέλ ω σ ιςδ ρ έμ το α ςπ ύ τ ε ο ὐ ο , ά ρ θ υ ρ ἐ ὶ α κ α έ χ α π α ρ ὖ ο , ν ε ν ὶ α ωκ ρ α ὶἄ π τ χ ὰκ ε α μ , ἢλ εν τά κ α θ ισ θ α ιδ ὲο ὐ κ · γεύεσ μ αἔχο ν τα η ρ α ιώ ἐν ἠ δ ύ ν α τ ο .
dieTaubheit bis zuletzt an; Urin entweder dick undrot, ohne Bodensatz, oder dünn und farblos mit schwimmenden
(Epikrise:)
Bei diesem
Patienten hielt
Wölkchen; Nahrung konnte er nicht genießen.
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Die Krankengeschichte des Hermokrates in Thasos ist fast zweimal länger als diejenige des Pythion, läßt sich aber ebenso leicht in großen Zügen vorstellen wie die vorige. Hermokrates leidet an einem heftigen kontinuierlichen Fieber ohne bestimmten Rhythmus, auch wenn nach dem6. Tag alle seine klinischen Erscheinungen ankritischen Tagen angegeben werden oder umsie herum (dreimal π ί). ερ Wirhaben es also nicht miteiner eigentlichen Quartanaordnung zutun.Zumgroben Umriß dieses Falles gehören außerdem eine allgemeine Verschlimmerung am 6. Tag, eine Scheinbesserung umden 11., kritischen, zwei unvollständige Krisen ohne Schweißausbrüche am 14. undam20., beidemal ankritischen Tagen, mitnachfolgenden Rückfällen umden 17. undden 24., schließlich der Tod auch an einem kritischen Tag, dem27. Diese Dyskrisie führt den Patienten ins Verderben. Ebenfalls die permanente völlige Roheit derSäfte; es gibt nicht dasgeringste Anzeichen einer Kochung, auch keine Ablagerungen. Wenig ausgesprochen hingegen die Dyskrasie: Blut zeigt sich nicht, auch nicht die schwarze Galle. Wie bei Pythion beginnt die Krankheit auch bei Hermokrates ohne Vorgeschichte undauslösende Ursachen. Aber im Gegensatz zum vorigen Fall geht in diesem demFieber kein Kältephänomen, kein innerer Katarrh kalten Phlegmas voraus. Hermokrates wird unmittelbar von einem starken Fieber überfallen, wahrscheinlich während einer Epidemie. Für die Prognose ist dieses Fehlen jedes anfänglichen Kältezeichens –Frösteln, Zittern und ähnliches –offenbar von ausschlaggebender Bedeutung; wirkommen eingehend darauf zurück. Unter demEinfluß derFieberglut schmilzt imKopf derSchleim. Die Überfülle ς ῆ λ , κεφα an Flüssigkeit erzeugt Kopfschmerzen –es hätte auch „Kopfschwere“ β ά ρ ο ς -, sein können. Der Überfluß an Säften gelangt sodann durch die Adern nach hinten und unten und verursacht Kreuzbeschwerden; es handelt sich um einen inneren Katarrh, der diesmal dem Fieberanfall folgt undnicht vorangeht wie bei Pythion. Weitere unmittelbare Begleiterscheinungen gesellen sich denbeiden ersten hinzu. Wieein Schröpfglas zieht dererhitzte Kopf Säfte ausdemOberbauch zu sich herauf. So spannt sich das Hypochondrion (vgl. Hipp. XIII, 1988/89, S. 37f.), ή , ν ο μ λ εγ doch sein Inhalt bleibt trotzdem weich; von einer Entzündung, einer φ wirder nicht erfaßt. DieZunge widerspiegelt denZustand derEingeweide. Dadiese bei Hermokrates von der Fieberhitze überwältigt werden, erscheint die Zungen) wie gedörrt, trocken undschwarz, undauch der ι– π oberfläche (vgl. das Präfix ἐ Stuhl sieht aus wie ausgebrannt. Das überschüssige Phlegma im Kopf wirft sich . Die Glut imOberbauch erklärt Taubheit“ zudem auf beide Ohren, daher rührt die „ auch das Ausfallen des Schlafes. Sie hätte eigentlich überdies einen brennenden ? Wegen der nicht im Übermaß“ Durst entfachen sollen. Warum aber ist er hier „ Brechreiz auch müßte Plethora Diese Körper? übrigen im Plethora im Kopf und die „ Patient der weil vielleicht Rede, die hervorrufen; doch auch davon ist nicht ganze Zeit über“appetitlos war(vgl. den20. TagunddieEpikrise desAutors). Die letzten Angaben über Initialphänomene betreffen Harn undStuhl. Der dicke und : ein erstes Zeichen von Dyskrasie. gallig“ rote Harn ohne Bodensatz ist roh und„
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Auffallend bei diesem hitzigen Fieber ist nicht der ausgebrannte Stuhl, sondern seine „ nicht geringe“Menge. Eigentlich hätten sich die vor der Krankheit eingenommenen Speisen im rechten Hypochondrion weitgehend verflüchtigen müssen! Die Roheit dieser Ausscheidungen ist imAnfangsstadium desFieberleidens selbstverständlich. Wir kennen nundie klinischen Erscheinungen während dervier ersten Krankheitstage und ihre Pathogenese. Wie steht es mit dem weiteren Verlauf dieses Falles? Amfünften Tag wird zunächst wieder derHarn erwähnt, wasunsnicht zu verwundern braucht: Siebenmal in dieser Krankengeschichte wird über den Harn undseine Veränderungen berichtet; es ist einwahres Leitmotiv imFall desHermokrates undwird nicht das einzige sein. Roter Harn deutet nach demPrognostikon auf Verlängerung derFieberkrankheit hin, desgleichen Veränderungen seiner Beschaffenheit während ihres Ablaufs. Beide Voraussagen bewahrheiten sich bei diesem Patienten. Amsechsten Tagerscheint daszweite undletzte Zeugnis derDyskrasie: Gelbe Galle wird vomInnern des Körpers andie Hautoberfläche abgedrängt, derPatient von Gelbsucht befallen. Dieser Vorgang „ersetzt“vielleicht ein vorteilhaftes Nasenbluten odereinebenso nützliches Erbrechen vongelber Galle. Beides wirddurch dieanfänglichen klinischen Erscheinungen anKopf undHypochondrion mehroder 638, 6 undII 182– weniger angekündigt (vgl. II 636, 5– 186 L.), findet aber nicht statt: ein ungünstiges prognostisches Zeichen. Übrigens folgen noch amselben 6. Tageinneuer Fieberanfall undeine Trübung desVerstandes. Bemerkenswert ist ferner, daß der Patient bei dünnem und farblosem Harn sofort an Geistesstörung leidet, die verschwindet, wenner wieder dick undrötlich wird. Ein Alternieren von klinischen Erscheinungen ereignet sich also nicht nur η–undüberdies mitdemWechsel von μ ώ beim Harn, sondern ebenfalls bei derγν Schlaflosigkeit und günstigem Einschlafen. Noch zahlreicher aber sind in dieser Krankengeschichte die Leitmotive. Über denHarn, die Geistes- undSchlafstörungensind wirschon unterrichtet; auchüber dieanhaltende Appetitlosigkeit. Darüber Taubheit“undvom 11. Tag andas hinaus zählen hierzu die bis zuletzt währende „ α μ , daseine besondere Form derSchläfrigkeit darstellt. κ ῶ Woran stirbt dieser Patient? Derhippokratische Arztwürde sagen: Hier wardie Krankheit weitaus stärker als der Kranke und warf ihn zu Boden. Die Materia peccans erfährt bei ihmnicht einmal ansatzweise eine Kochung! Gegen Ende wütet das Fieber ohne jeden Sinn. Und die durch den Überschuß an Säften bewirkte völlige Anorexie hatihnallmählich hinsiechen lassen mit schwersten Zeichen der Facies hippocratica –auch wenn derAutor nicht davon spricht. Zwei klinische Erscheinungen kündigen das baldige Ende an: der starke Durchfall am24. Tag und wahrscheinlich schon dasplötzliche Verschwinden des Durstes am20. Die hippokratische Diagnose lautet: bösartiges, tödliches Brennfieber. DerPatient warzuBeginn seiner Krankheit ausgesprochen robust; sonst wäre er längst vordem27. Tag gestorben. Neuen Mauer“ . Daß Zusätzliche Bemerkungen. –a) Hermokrates wohnt ander „ sie den Stadtstaat Thasos schützt, wird nicht gesagt. Auch bei denendemischen Krankheiten der Katastasis vonEpid. III wissen wirnicht mit Sicherheit, ob sie zu
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Thasos gehören, imGegensatz zudenen derdrei Katastasen vonEpid. I, woThasos ausdrücklich genannt wird. Gleichwohl haben wir allen Grund anzunehmen, daß sich auch derFall desHermokrates indieser Stadt abspielt (vgl. Grensemann 1969, S. 72; Dugand 1975/77, S. 236, 240; 1979, S. 136f.), und er schenkt uns sogar überdies einen Terminus post quem für die Datierung vonEpid. III, dadiese Neue Mauer nach 411 errichtet wurde; dies ist einzusätzliches undstichhaltiges Zeugnis dafür, daßdieältere Hippokratesexegese imRecht war, diezwei ersten Epidemienbücher zwischen 410 und405 anzusetzen. Fürjedes neue undglaubwürdige Argument müssen wirbei so umstrittenen Fragen dankbar sein. Nehmen wirnureinen Augenblick an, dieses Bauwerk wäre erst um 360 entstanden: In welche Deutungsschwierigkeiten wären wir dadurch geraten! Vielleicht sind alle Fälle der ersten Gruppe der Krankengeschichten von Epid. III in Thasos beobachtet worden, aberwirkönnen es nicht eindeutig beweisen (vgl. schon Deichgräber 1933,
S. 11). b) Bei Hermokrates beginnt die Krankheit jählings ohne Vorboten, d.h. ohne Vorgeschichte undauslösende Ursachen. Vermutlich gehört sein Fall zudenbösar83 L.). Aufschlußreicher tigen Brennfiebern derKatastase vonEpid. III (vgl. III 80– indes ist folgendes: Vordemersten Fieberanfall erscheint kein Kältezeichen, insbesondere kein Frösteln, kein Schüttelfrost. Nunist es in der hippokratischen Klinik eine Regel, vielleicht sogar ein Gesetz –nach Ausnahmen werden wir in den , daßes nach demersten Frösteln unddem übrigen Krankengeschichten fahnden – sich anschließenden Fieber zuSchweißausbrüchen kommt, dieimgünstigsten Fall die endgültige Krise undHeilung herbeiführen. Bei Hermokrates hingegen fehlen sowohl dasInitialfrösteln als auch die Schweißausbrüche, ein trotz zweier unvoll-
ständiger Krisen schlimmes prognostisches Zeichen. Waren demAutor selbst diese Zusammenhänge bewußt? Wirkönnen es annehmen, denn gerade imFall desHermokrates hebt er es deutlich hervor: Während der unvollständigen Krisen des 14. und20. Tages wurde der Patient zwar fieberfrei, ς, ο ὐ χ ρ ο υ π aber jedesmal ohne (allgemeinen und warmen) Schweißausbruch, ἄ Ge; es klingt wie ein zusätzliches Leitmotiv. Zu einem befreienden „ ω σ ν ε ἵδρ witter“kommt es also nicht, weil die Materia peccans so bösartig war, daßder Patient sie weder kochen noch ausscheiden konnte und daran zugrunde ging. c) Gehen wirnunzumFieber selbst über. Es nimmt imVerlauf dieser Krankheit zwei grundverschiendene Formen an(vgl. schon Galen XVII A 551ff. K.). Bis zum 20. Tag ist es bei Hermokrates nichts anderes als ein nützliches Hilfsmittel der Natura medicatrix. Krankheitsstoffe sind auf irgendeine Weise im Körper eines Patienten aufgetaucht, understrebt mittels desFiebers danach, siewieder loszuwerden. Auch wirfiebern ja oft, wenn wiruns„erkälten“undstellen unskeine Frage dabei. So erklären sich bei Hermokrates dererste Fieberanfall undderFieberparoxysmus des 6. Tages, undauch die zwei unvollständigen Krisen bestätigen ihrerseits, daß sich der Patient drei Wochen lang gegen seine Krankheit nicht ganz erfolglos gewehrt hat. Nach demzweiten Rückfall am24. Taghingegen haben wires miteinem ganz anderen Typ von Fieber zu tun. Es ist nicht mehr die eingeborene Wärme in der Herzgegend, die gleichsam auflodert (vgl. II 420,13f. L.), umderMateria peccans
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Herr zuwerden, sondern in denkranken Säften selbst entbrennt ein Gärungs- oder Fäulnisprozeß, derbaldEigenmächtigkeit gewinnt undsein Opfer indenTodtreibt. VonKochung derKrankheitsstoffe kannjetzt nicht mehr dieRede sein; bis zuletzt tobt nurnocheine wild gewordene Hitze. Diewieausgebrannte Zunge desPatientenzeugt davon. Umunsdiese zweite undunentrinnbar tödliche Form desFieberns zuveranschaulichen, haben wir soeben nach zwei weiteren Analogien gegriffen undvon Gärung undFäulnis gesprochen. Inwieweit sind wirhier berechtigt, solche Bilder undMetaphern zuHilfe zurufen? Bei unserem Bemühen, die Krankheitslehre von Epidd. III undI unddemPrognostikon wiederherzustellen, folgen wir ambesten einem Mittelweg. Wir müssen zwischen denZeilen lesen lernen; derAutor bleibt aufdiesem Feld oft wortkarg, undwirdürfen ihmkeine Gedanken unterstellen, die ihmnicht eingefallen sind. Andererseits isteraber auchkeinreiner Empiriker ohne Vorstellungen überdasKrankheitsgeschehen, seine Ursachen undihre Auswirkungen. Von Fäulnis zumBeispiel berichtet er selbst zweimal anläßlich der warmen undfeuchten Katastasis vonEpid. III! (Vgl. III 74,1 und84,8 L.) Mit großer Geduld undVorsicht haben wiralso nachErklärungen zusuchen, auchaufdieGefahr hin, uns gelegentlich zu irren. Übrigens spricht Galen ebenfalls bei diesem bösartigen Fieber der letzten Tage bedenkenlos von einer Fäulnis der Säfte (vgl. XVII A
551,10 und556,13f. K.).
d) Da die Beschwerden an Kopf undHypochondrion weder zu Nasenbluten noch zueinem Erbrechen vonGalle führten, wurde derPatient wohl bald zurAder
gelassen. Daßwirnichts davon hören, liegt daran, daßdieEpidemienbücher III und I unddasPrognostikon nicht Therapie lehren, sondern Prognose zumZweck erfolgtherapeutischen Prognose“(vgl. reicherer Therapie. Deichgräber spricht voneiner „ 1933, S. 11). Therapeutische Maßnahmen werden nurdorteingefügt, wosiefürdie
Prognose des gegebenen Falles aufschlußreich sind. Solchen Angaben werden wir in späteren Krankengeschichten mehrmals begegnen. Bei Hermokrates war der Aderlaß nutzlos; die klinischen Erscheinungen haben danach nicht abgenommen, imGegenteil. e) Bei Brennfieber ist die Zungenoberfläche gewöhnlich einfach trocken. Wir ς, vgl. etwa III A, 3; 10; I, 1; 2. Bei Hermokrates hingegen ρ ο η ίξ λ ῶ σ σ αἐπ lesen γ η : einböses Zeichen, gleich zuBeginn. DerDurst θ ύ α εκ erscheint sie wiegedörrt, ἐπ ν . Der Autor ίη ὐλ ,ο aber ist bei ihm trotz des hohen Fiebers „nicht übermäßig“ denkt hier mathematisch in Verhältnissen, auch wenner keine Zahlen bringt (vgl. Hipp. IX, 1963, S. 112f.) Vermutlich hätte derPatient mehr getrunken, wenn sein Körper nicht vonSäften durchtränkt gewesen wäre. Voneiner trockenen Zunge ist am20. TagdieRede, undgleichzeitig verschwindet derDurst völlig, wasindiesem Fall ein ominöses Zeichen ist, dasalserstes denbaldigen Todankündigt. Ganz am Ende sieht dann die Zunge wie ausgebrannt aus; für denAutor wardies nicht nur bildlich gemeint. f) Ausnahmsweise erscheint in dieser Krankengeschichte der Harn vor dem Stuhl, vielleicht weil die zahlreichen Harnbefunde eines ihrer Leitmotive bilden. DerHarn ist bekanntlich bald dick undrot, bald dünnundfarblos mitschwimmenden Wölkchen. Doch es fehlt durchgehend jeder Bodensatz, der bei günstiger
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Beschaffenheit alseinZeichen gelungener Kochung zubewerten wäre. Gewöhnlich istdiese Ablagerung weiß, abersiekannaucheinmal rotsein (vgl. I, 6). Dicker Harn ohne Bodensatz ist selten kritisch; Ausnahmen bestätigen hier nurdie Regel (vgl. I,
10).
Beim Stuhl ist dreierlei festzustellen. Anfangs erscheint er wie ausgebrannt. Schuld daran ist dieübermäßige Hitze derEingeweide, dieauchdieSchlaflosigkeit undspäter mehrfach Geistesstörungen hervorruft. Die „nicht geringe“Menge dieses Stuhls läßt sich, wie schon einmal gesagt, nur schwerlich erklären. Diesen Tatbestand müssen wir mit demhippokratischen Autor einfach empirisch hinnehmen, wie zumBeispiel auch, daßbei diesem Patienten die „Taubheit“vomersten bis zumletzten Tagbestehen bleibt. Bei allzu starker Glut imHypochondrion kann derStuhl auch zum„Sieden“kommen, vgl. III B, 1, III 108,2 L. Zweitens fällt auf, daßanschließend drei ganze Wochen über denStuhl nichts mehr ausgesagt wird; der Autor hat ihn gleichsam vergessen, vermutlich weil er all diese Zeit über prognostisch nicht zu verwerten war. Schließlich tritt der Stuhl noch einmal kurz vordemTode indenVordergrund, aberdarüber berichten wirerst ineinem späteren Abschnitt. Zubetonen ist hier nurnoch, daßer bis zuletzt rohbleibt wiederHarn. g) π ρ ρ έκ ο α υ σ ε ν , am5. undumden 17.Tag, leitet sich vonκρ ο ύ ω ab, schlagen. DerPatient ist also verwirrt, verstört. Inanderen Krankengeschichten lesen wiraber ο ρ υ σ ε πολ ρ έκ λ auch π ά(vgl. III B, 2; 4; 9...). Dann deliriert der Patient, er α phantasiert wortreich (vgl. π ρ ρ ο ν η ρ α έ α έ λ ω ω ω έ , παραφ , παρανο ...). Beiπαρακρ ο ύ ω istfolglich stets anbeide Auslegungen zudenken. VomAlternieren vonπ ρ ρ α ο κ ύ ω α ο ωbei Hermokrates war schon die Rede. Auffallend sind die verέ ν und κ α τα gleichsweise geringen Geistesstörungen, wenn man die Schwere seiner Fieberα τ krankheit bedenkt. Zu untersuchen ist noch die Stelle δια ο , ιο θ α κἠδύν λ εσ ὐ έγ am 20. Tag. Geist undSeele haben ihren hippokratischen Sitz in der „zentralen“ Zwerchfellgegend. Der antike Patient spricht aber mit der Zunge. Befallen von einem Schleimfluß ist hier also dieses periphere Organ, wie die Ohren bei der φ ω σ ις. Die 35. der Koischen Prognosen bestätigt diese Deutung, eine Sentenz, κ ώ diesich vielleicht aufunseren Fall beruft. Imletzten Teil (§ 5) unseres Kommentars zuIII A, 2 kommen wirauf diese Frage zurück. h) Schon der rote Harn warein Zeichen galliger Dyskrasie. Ein zweites bildet die Gelbsucht des 6. Tages. Die gelbe Galle dringt nicht wie erwartet nach außen durch Erbrechen, sondern ihr Überfluß wird zurEntlastung unter die Hautoberfläche abgestoßen. Es handelt sich hierbei umeine Abwehrreaktion, diein hippokratischer Sicht mitdemHervorbrechen mancher Exantheme vergleichbar ist. Über die Dauer dieser Gelbsucht schweigt sich derAutor aus, undwasspäter ausderüberschüssigen Galle wird, erfahren wirauch nicht. i) Ein hippokratisches Dogma lautet: Gelbsucht vordem7. (kritischen) Tag ist schädlich (vgl. Aphorismus IV, 62). Ungünstige klinische Zeichen müssen also folgen, undzwar zunächst eine unregelmäßige allgemeine Verschlimmerung, wohl mitFieberparoxysmus inmitten deskontinuierlichen Fiebers undmitanderen klinischen Erscheinungen, unter welchen allein eine neue leichtere Geistesstörung erwähnt wird. Handelt es sich andiesem 6. Tag umeine „ vorkritische Verschlimme? Gewiß nicht, denn kein einziges klinisches Phänomen ließ bisher eine rung“
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baldige nützliche Krise erwarten; alles in denSäften blieb ungemischt undroh. Im besten Fall kämejetzt eine Verschlimmerung solcher Artzufrüh. j) Der kritische 7. Tag bringt also keine Besserung. DerPatient empfindet im Gegenteil ein starkes Unwohlsein, bedingt wiederum durch den erhitzten Oberρ ίηkann sich gelegentlich bis zueinem regelrechten Hin- und φ ο bauch; diese δυ σ Herwerfen steigern (vgl. II 424,1 L., ῥ μ ιπ τα σ η λ σ τρ ;β ισ μ ς ό ςinEpidd. III undI). ό Undsein Harn bleibt farblos unddünn wie bisher, ohne Materia peccans auszuscheiden. Abermals sind mithin Geistesstörungen zu befürchten, doch es kommt nicht dazu, auch nicht andenfolgenden Tagen. k) Erst am nächsten kritischen Tag, dem 11., gerät die Krankheit wieder in Bewegung. Dochanstatt derlängst erwarteten Verschlimmerung kommt eszueiner unverhofften Milderung derBeschwerden, ja zueiner allgemeinen klinischen Bes), die offenbar noch durch zusätzliche günstige Zeichen als ν τα ά serung (vgl. π solche bestätigt wird. Der nunwieder rote Harn verdickt sich, der Patient findet σ υ χ ῇnach demδυσφόρ ς am 7. Tag) undist sogar seine Ruhe wieder (vgl. ἡ ω wieder bei Verstand. Doch Galen hat es schon erkannt (vgl. XVII A 539ff. K.): Nichts bei dieser Besserung kündigt eine wirkliche undglaubwürdige Wende desklinischen Geschehens an.Derrote Harnbleibt unten dünn; es zeigt sich keine Spureines (günstigen) schläfrig“ ς. Er schläft η μ α τώ ,κ δ Bodensatzes! Und der Patient wird allmählich „ ω , dieLider fallen ihmschwer aufdieAugen, dieer abernicht fest ein, sondern „döst“ kaumzuöffnen vermag. Dieses klinische Phänomen ist wohl aufeine Überfülle an rohen Säften, vorallem imKopf, zurückzuführen. Am20. Tagwirdes noch einmal ausdrücklich genannt. Wirhaben es also miteiner trügerischen Besserung zutun, undsie ist es sogar umso mehr, als sie sich aneinem kritischen Tagereignet. Wehe demArzt, dersich vonihr täuschen ließe: Er gälte fortan als ein schlechter Prognostiker. Hippokrates selbst warnt seine Leser, indem er von einer „scheinbaren“Milderung der Beξ ε). Wir erleben hier tatsächlich eine falsche Krise, eine ο δ schwerden spricht (ἔ typische Scheinbesserung. Schon Littré hat dieses unheilvolle klinische Ereignis in anderen Schriften derHippokratischen Sammlung beobachtet (vgl. X 480 L., unter ). Amendement sans signes“ „ Améliorations“„ l) Mit denprognostischen Tücken dieses klinischen Falles sind wiraber noch nicht zuEnde. Waswarnach dieser Scheinbesserung vorherzusagen? Offenkundig eine baldige Verschlimmerung des klinischen Bildes, unddennoch kommt es am nächsten kritischen Tag, dem14., zueiner echten günstigen Krise, allerdings einer unvollständigen. Positives gibtesdurchaus zuberichten. DerPatient wirdfieberfrei, , er schläft ein, ein gutes Zeichen, undkommt wieder völlig zuBesinnung ς ρ ο ἄ π υ (vgl. π ά ν τα ). Doch sein Harn bleibt unverändert unten dünn, Krankheitsstoffe werden überhaupt nicht ausgeschieden; der Patient ist in keinerlei Weise von seinem Leiden befreit. UnddasSchlimmste ist, daßderFiebersturz nicht voneinem allgemeinen und warmen Schweißausbruch begleitet wird. Hermokrates ist ein Schulbeispiel für diese alte hippokratische klinische Erfahrungsregel: Wenn dem ersten Fieberanfall kein innerer Katarrh mit einem Kältezeichen vorangeht –ge, so kommt es auch nicht zu wöhnlich ist es ein Frösteln oder ein Schüttelfrost –
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einem rettenden Gewitter mitSchweißausbruch, falls dasFieber wieder fällt. Auch ungünstige Zeichen fehlen also bei dieser ersten Krise nicht. Skepsis bei der Prognose am 11. Tag empfahl sich folglich doch dringend. Eine ähnliche unvollständige Krise wiederholt sich am 20., ebenfalls einem kritischen Tag. Wiederum ist Hermokrates fieberfrei undganz bei Verstand, er schläft sogar ein wenig, wassicherlich keine ungünstigen Zeichen sind. Doch die bösartigen überwiegen zu jener Zeit bei weitem. Die Zungenoberfläche bleibt trocken, die übermäßige innere Hitze hält weiter an. Gleichzeitig wird die Zunge voneinem Schleimfluß befallen; der Patient leidet an „Anaudie“ , kann sich nicht mehr unterhalten. Ein weiteres Zeichen humoralen Überschusses ist die „ Schläfrigkeit“ , diehier wieder erwähnt wird(κ ς, eintypisch koischer Ausdruck wie μ α η τώ δ ω viele andere auch). Einungleich schlimmeres Phänomen humoraler Plethora erfahren wir erst jetzt: Der Patient war von Anfang an, fast drei volle Wochen also, gänzlich appetitlos! Undamselben 20. Tag verschwindet bei ihmauch noch völlig derbisdahin nurmäßige Durst, ausdemgleichen Grund. Denerbärmlichen Zustand desPatienten wirdsich danach jeder Kliniker vorstellen, auchwennderAutor nicht davon spricht. Infaust ist die Prognose schon jetzt deutlich genug. Folgendes verdüstert sie aber noch mehr: Ein zweites Mal sinkt das Fieber wieder plötzlich ohne jeden Schweißausbruch! Keine Kochung, keine Ablagerungen erfolgen; keine Krankheitsstoffe werden nach außen getrieben. Wiederum kommt es nicht zurvorteilhaften Zeichen-Dreiergruppe Initialfrösteln-Fieber-Schweißausbruch. DerAutor wieη σ ρ ς, ο ίθ ρ ο ,ἄ ὐ χἵδρω π ε ν . υ derholt nurwörtlich: ἐκ m)Beide Male, am14.undam20. Tag, drängte sich also demPrognostiker die bange Frage auf: Wannzeigt sich derunausweichliche Rückfall? Umdenkritischen 17. Tag tritt das Fieber wirklich erneut auf undwird während der folgenden Tage sogar heftig, begleitet von einer verhältnismäßig leichten geistigen Verstörtheit. Aber derHarnwirdwieder dünnundfarblos. Einklarer Rückfall also innerhalb des klinischen Verlaufs. Zur Katastrophe indessen wird, wie zu erwarten war, der zweite und letzte Rückfall um den kritischen 24. Tag. Der Autor macht nur wenige, dafür um so beredtere Angaben. Den Patienten befällt erneut Fieber, das bald ansteigt undbis zuletzt hoch bleibt. Die Zunge sieht nunin ihrer Gesamtheit wie ausgebrannt aus. Undtrotzdem leidet der Patient überdies an starken wässrigen Durchfällen: Ein reines Paradox, denn durch die anhaltende innere Glut hätte ja jede Körperflüssigkeit längst verdampfen müssen! Dieser Widerspruch läßt sich jedoch beseitigen. Nach dem20. Tag, amEnde dieses Leidens, haben wir es nämlich mit zwei entgegengesetzten Krankheitsprozessen zu tun, die sich gleichzeitig abspielen. Einerseits mit einer zunehmenden Verdorrung, bedingt durch ein Gärungsfieber, das jeden therapeutischen Nutzen eingebüßt hat und dem Patienten nur noch schaden kann; die wie ausgebrannte Zunge zeugt davon. Bedingt wirddiese Verdorrung aber auchdurch dienicht enden wollende Appetitlosigkeit undseit dem20. Tagobendrein durch dasVerschwinden desDurstes. DerPatient verfällt schließlich einer „Schwindsucht“imeigentlichen Sinn, einem „ Marasmus“(vgl. Galen, XVII A 554,17 K.) mitallen Zügen derFacies hippocratica, auch wenn derAutor es nicht für nötig hält, davon zuberichten.
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Derzweite Krankheitsprozeß ist, parallel zurzunehmenden Verdorrung undso es aucherscheinen mag,eine ständige humorale Plethora. Einem hippokratischen Dogma zufolge ziehen bei Fieber die erhitzten Stellen des Körpers dessen Säfte an sich, die anschließend zumKopf aufsteigen. Dieser Überfluß an Säften erklärt bei Hermokrates die klinischen Phänomene Kopf- und Kreuzschmerzen, Taubheit, Schläfrigkeit, „Anaudie“ , vorallem aberdieunablässige Appetitlosigkeit undalserste Enderscheinung dieAdipsie des20.Tages. Normalerweise hätte dieser humorale Überschuß mitsamt seiner Materia peccans imVerlauf derKrankheit und vorzugsweise an kritischen Tagen ausgeschieden werden müssen. Dies ist es aber genau, wasbei Hermokrates nicht passiert, er wirdmitseinem Leiden nicht fertig. Wenig dünner Harn, vom Stuhl ist fast drei Wochen lang nicht die Rede, und ὐ χἵδρω σ ν ε , kein Schweißausbruch! Über kurz oder lang mußte sich zweimal –ο diese angehäufte Überfülle an rohen Säften einen Weg nach außen öffnen und schlagartig ausbrechen. Umden 24. Tag ist es soweit. Endlich wird wieder vom Stuhl gesprochen, undderPatient erleidet einen starken wässrigen Durchfall. Er ist paradox
ein typisches Endphänomen, das denbaldigen Tod ankündigt, wie bei den Phthisikern der Katastasis vonEpid. III, vgl. III 94,9ff. L. unddenAphorismus V, 14. n) DerPatient „wartet“jetzt nurnochaufdennächsten kritischen Tag, den27., umzusterben. Eine gewisse Regelmäßigkeit wirdalso indiesem Leiden gerettet all seiner Schwere zumTrotz. Der so späte Todunter solchen Umständen mutet uns fast unglaublich an.Woran ist Hermokrates gestorben? Eine Ursache ist das„sinnhohe Fieber derletzten Tage mitdervonihmbewirkten Ausdörrung. Alseine los“ weitere ist dieWucht derKrankheit zunennen, diedenPatienten überrumpelt hat. Das anfängliche Fieber wargewiß eine gesunde Abwehrreaktion, doch sie reichte nicht aus, umder Bösartigkeit der Krankheitsstoffe Herr zu werden. Anzuführen sind schließlich noch die permanente Appetitlosigkeit und die völlige Adipsie der letzten Tage. Ein charakteristisches Zeichen humoraler Plethora ist derBrechreiz. Er fehlt indieser Krankengeschichte. Hätte derPatient aberetwas gegessen, sowäre ihm sofort übel geworden (vgl. Galen, XVII A 74, 1ff. K.). o) Solche Erklärungen lassen sich nicht mit unserer modern-experimentellen Medizin in Einklang bringen. Sie beruhen auf einer anderen Denkmethodologie (vgl. Hipp. I, 1948). In beiden Fällen geht derArzt vonderempirischen Beobachtung aus, aber derHippokratiker macht keine experimentellen Versuche inunserem Sinn, sondern denkt in Analogien. Die hippokratische Methode hatnicht die Stringenzdermodern-experimentellen undführt oft zuFehlschlüssen. Dochsiebedeutet trotzdem einen gewaltigen wissenschaftlichen Fortschritt gegenüber primitiver Magie undarchaischer Spekulation (vgl. die Vorlesungen III bis VI meiner „Geschichte ). Unddervorangehende Kommentar zeigt eseindeutig: AmKrankenderMedizin“ bett ließ sich mitderhippokratischen Denkmethodologie erfolgreich arbeiten. Der koische Arzt konnte auf ihrer Grundlage schrittweise Prognosen stellen, die sich schon kurz darauf bewahrheiteten. DerFall desHermokrates inThasos ist indieser Hinsicht besonders lehrreich. Wir haben es mit Wissenschaft auf bescheidenem Niveau zutun, aber es ist schon Wissenschaft, gleichwohl. 561 K.). – p) Galenisches zu dieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 528– Schon mehrfach haben wir uns im Vorigen auf den galenischen Kommentar zu
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dieser Krankengeschichte berufen. Jetzt betrachten wir ihn eingehender. Er ist wieder recht ausführlich, wie im Fall des Pythion (III A, 1), und enthält manche Galenismen“ „ , woderPergamener die hippokratischen Angaben nach seinen eigenenVorstellungen beurteilt. Beginnen wir mit einigen allgemeinen Feststellungen. Galen unterscheidet richtig zwischen demgutartigen Fieber derersten Wochen unddertödlichen, aus Fäulnis emporsteigenden Glut der letzten Tage (XVII A 551, 555 K.). Auch er betont die Heftigkeit des Fiebers (S. 530, 541), spricht aber auffallenderweise nicht von einem κ ς. Im Kühnschen Index hingegen wird Hermokrates zu Recht α ῦ σ ο febres ardentes“eingereiht (vgl. XX 255a K.). Um so hellsichtiger unter die „ erweist sich Galen aber, wenn er mehrfach aufdie Gefahr vonScheinbesserungen hinweist, die denprognostizierenden Arzt, seine Patienten undihre Umgebung in die Irre zuführen drohen (S. 538ff., 545ff., 556). Hier erleben wirdenPergamener als umsichtigen Kliniker. Galen hebt ferner die Bedeutung derkritischen Tage in dieser Krankengeschichte hervor (S. 549f., 556, 561), undschon für ihn hat der Patient nurdeswegen seinem furchtbaren Leiden solange widerstanden, weil er vor dessen Ausbruch ungewöhnlich kräftig war (S. 554). Auch auf Einzelheiten weist Galen hin. Kopf- und Kreuzschmerzen sowie Taubheit gehen aufein Zuviel anSäften zurück (S. 530). Befallen ist vorallem das , weil sich keine begrenzte rechte Hypochondrion, und es ist deshalb „ weich“ entzündliche Schwellung darin gebildet hat (S. 263 und531f.). Trockene Zunge, Schlaflosigkeit und Geistesstörungen sind Begleiterscheinungen des Fiebers (S. 530f.). Auch Galen ist dasterminale Verschwinden desDurstes trotz hohen Fiebers aufgefallen (S. 533). Dashippokratische Prognostikon belehrt ihndurchweg bei der ία , S. τρ ε Beurteilung der Harnzeichen, die er als „ mäßig“gefährlich einstuft (μ 532,11); bei schlimmeren Harnphänomenen wäre der Patient früher gestorben (S. 532, 536f., 542f., 550f., 557). Undals Ursache derausgebrannten Stühle nennt er ρ ω σ ις, S. 532, 541). ύ ein Aufflammen derEingeweide (π Die meisten galenischen Kommentare zudenKrankengeschichten vonEpidd. III undI sind kürzer als der zumFall des Hermokrates in Thasos, manche sogar allzu kurz. So zeigen uns die vorliegenden Erläuterungen Galens in besonders einprägsamer Weise, was wir Hippokratesexegeten auf diesem Gebiet von ihm lernen können undwasnicht. q) Epikrise. –Hermokrates wird von einem bösartigen Brennfieber befallen, under stirbt daran nach 27 Tagen. Plötzlicher Beginn ohne Vorboten undauslösendeUrsachen. Am11.TagScheinbesserung. Kein Initialfrösteln, zwei unvollständige Krisen am 14. und20. Tag, beidemal ohne Schweißausbruch, voraussehbare Rückfälle umden 17. undden24. Tag. Anschließend tödliches Gärungsfieber. Ein scheinbares Paradox bei diesem Krankheitsfall ist das gleichzeitige Bestehen von zunehmender Verdorrung undhumoraler Plethora. Mehrfaches Alternieren klinischer Phänomene; nochzahlreicher sinddieLeitmotive, deren folgenschwerstes die Appetitlosigkeit ist, diedenPatienten indenHungertod treibt. Wenig ausgeprägt ist die Dyskrasie, dafür umso mehr die Roheit der Säfte, die vondereingeborenen Wärme nicht zur Kochung gebracht werden können. Gegen Ende völliges Verschwinden des Durstes und ominöse Durchfälle. Die Hauptereignisse des klini-
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ankritischen Tagen ab. Der Patient warrobust,
2. Laufender Kommentar: „ Den Hermokrates, der an der neuen Stadtmauer darniederlag, ergriff Fieberglut. Erste Schmerzen an Kopf undKreuz; im (rechten) Hypochondrion Spannung bei weichem Bauchinhalt; Zungenoberfläche gleich zu Beginn gedörrt; Ertaubung, sofort; Schlaf fiel aus; Durst nicht im Übermaß; Urin dick, rot, gab beim Stehen keinen Bodensatz; ausdemLeibe ging innicht geringer Menge ausgebrannter Stuhl ab.“–Wie bei Pythion (III A, 1) fehlen auch bei Hermokrates Vorboten der Krankheit undauslösende Ursachen. Dannaber trennt beide Fälle einprognostisch ausschlaggebender Unterschied: Bei Hermokrates tritt kein einziges anfängliches Kältezeichen, insbesondere kein Initialfrösteln auf; dasLeiden beginnt also unmittelbar mit einem Fieberanfall, vermutlich während einer Epidemie. Manche der anschließend aufgeführten Begleiterscheinungen sind typisch für ausbrechendes hohes Fieber, undwirkennen ihre Pathogenese: Kopf- undKreuzschmerzen, Spannung imOberbauch, Taubheit, Schlaflosigkeit, Darmbeschwerden. Doch wirstellen auch mehr oder weniger Ungewöhnliches fest, undzwar von Anfang an. Vom fehlenden Initialfrösteln war schon die Rede. Bei gutartigen Brennfiebern ist dieZungenoberfläche einfach trocken, nicht wiehier gedörrt. Das zeugt von übergroßer innerer Fieberhitze, wie seinerseits auch der ausgebrannte Stuhl. Die Abwesenheit vonBodensatz im Harn ist während derersten Tage die Regel, nicht aber derdicke undrote Harnselbst, dereine Verlängerung desLeidens ankündigt. Anormal ist ferner die völlige Appetitlosigkeit (vgl. den 20. Tag), ein Zeichen ausgesprochener Plethora derSäfte. Sie erklärt auchandere, schon genannte Anfangserscheinungen undüberdies denallzu mäßigen Durst, derbei heftigem Fieber eigentlich entschieden stärker sein müßte. Wir schließen: Gleich zuBeginn hates derArztmiteinem unsicheren, ja vielleicht unheimlichen Fall zutun,derZurückhaltung beiderPrognose gebietet, sokräftig derPatient zunächst auchaussehen mag. „ Amfünften Tag dünner Harn mit schwimmenden Wölkchen darin, die sich
nicht setzten; gegen Nacht Verstörtheit.“–Entgegen seiner Gewohnheit hat der Autor die vier ersten Tage dieser Fieberkrankheit gemeinsam in denBlick genommen, wohl umderen zahlreiche, teils gewohnte, teils abartige erste klinische Zeichen zu einem einheitlichen Krankheitsbild zusammenzufügen. Erst vom 5. an gewinnen dieeinzelnen Tage ihre klinische Individualität wieder zurück. Zujenem Zeitpunkt wird der Harn auf einmal dünn undfarblos und weist schwimmende Wölkchen auf. Er bleibt also roh, doch seine Beschaffenheit hatsich verändert, was wieder einZeichen dafür ist, daßsich die Krankheit in dieLänge ziehen wird. Geistesstörungen bilden Zweiergruppen klinischer Phänomene mit Fieber, Schlaflosigkeit und dünnem Harn. Die gegen Nacht auftretende Verstörtheit war also zu erwarten; bei der tückischen Schwere des Leidens hätte die geistige Verwirrung sogar stärker ausfallen können.
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Am sechsten Tag gelbsüchtig, allgemeine Verschlimmerung; nicht bei Ver„ stand.“–Kopfschmerzen, verbunden mit Spannung im Oberbauch, kündigen oft günstiges Nasenbluten oder Erbrechen von Galle an (vgl. II 636– 639 und 182–187 L.). Aber bei Hermokrates wirdnurgelbe Galle unter dieHautoberfläche gejagt, er wird gelbsüchtig. Dies ist an sich kein schlimmes Zeichen, doch der Autor kennt vielleicht schon die Lehre des Aphorismus IV, 62, nach welcher eine nützliche Gelbsucht nicht vordem7. Tag auftreten darf. Derneue Paroxysmus inmitten des heftigen kontinuierlichen Fiebers wirdsomit verständlich. Alles bleibt inderSchwebe; vergessen wirnicht die fortdauernde Appetitlosigkeit. UndmitdemFieber hält auch die Geistesstörung an, sie ändert nurihren Namen. Ausrhetorischen Gründen vermeidet derAutor eine Wortwiederholung; er ist eben auch Stilist! „ Amsiebten Tagstarkes Unwohlsein, Harndünn, wiebisher. Andenfolgenden Tagen ähnlicher Zustand.“–Mit dem7., demersten gesondert behandelten kritischen Tag, war eine Wendung in beiden Richtungen möglich. Doch nichts im Vorangegangenen bereitete eine zumBesseren vor. DerHarn bleibt dünn, farblos undvöllig rohwiebisher. Ein zusätzliches Zeugnis übermäßiger innerer Hitze tritt hinzu, nämlich starkes Unwohlsein, das sich jedoch nicht zu Hin- undHerwerfen steigert. Die ständige Überfülle anSäften hätte leicht zuBrechreiz führen können, doch auch davon hören wirnichts. Während mehrerer Tage harrt der Prognostiker imungewissen undwartet aufdennächsten kritischen Tag. Umdenelften Tagscheinbare allgemeine Milderung derBeschwerden; Schläf„ rigkeit stellte sich ein; Urin dicker, rötlich, unten dünn, kein Bodensatz; (Patient) ruhig, bei Besinnung.“–Umden 11.Tagändert sich tatsächlich dasklinische Bild, aber in derForm einer unerwarteten allgemeinen Verringerung derBeschwerden. Für die Zeit umeinen kritischen Tag ist dies nichts Ungewöhnliches, undeinige spezielle klinische Zeichen könnten als Bestätigung dafür gelten, daß es dem Patienten besser geht: Sein Harn wird wieder dicker undgewinnt seine ursprünglicherote Farbe zurück; andieStelle desUnwohlseins tritt innere Ruhe ein, undder Kranke ist wieder bei Verstand. Andererseits bleibt derHarnunten dünn, weist also nicht die Spur einer Kochung auf, undderÜberschuß an Säften macht sich durch , wirdschläfrig, ohne wirklich eineinneues Zeichen bemerkbar: DerPatient „döst“ zuschlafen. DerArzt wirdsich fragen müssen, wiees mitdemHermokrates weitergehen wird, zumal seine Appetitlosigkeit ihn zunehmend schwächt. Hippokrates ), ο ξ ε weist ja selbst darauf hin: Umeine Scheinbesserung handelt es sich (vgl. ἔδ nicht umeine echte. Eine plötzliche Verschlimmerung ist also zubefürchten. „ Amvierzehnten Tagfieberfrei, (doch) ohne Schweißausbruch; schlief ein; war völlig bei Verstand; Harn unverändert.“–Umden 11. Tag war der Zustand des Patienten zweifellos unsicher. Wares eine Ruhe vordemSturm? DenPrognostiker erwartet indes eine neue Überraschung: Am nächsten kritischen Tag, dem 14., kommt es zu einer echten günstigen Krise; beim Arztbesuch liegt Hermokrates fieberfrei, hat inzwischen geschlafen und ist nun völlig bei Verstand. Doch vorschneller Jubel wäre wiederum fehl amPlatze. Der Harn ist unverändert gänzlich roh, und, wasnoch schlimmer ist, derFiebersturz wurde nicht voneinem allgemeinenundwarmen Schweißausbruch begleitet, derdie Krankheitsstoffe ausgetrieben hätte. Noch einmal: Kein Initialfrösteln, kein nützlicher kritischer Schweiß! Es
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handelt sich um eine unvollständige Krise. Ein Rückfall ist unvermeidlich, er läßt nuraufsich warten. DieSorgen am11.Tagwaren also dochberechtigt. „ Um densiebzehnten Tag Rückfall, (Patient) wurde (wieder übermäßig) warm. Andenfolgenden Tagen heftiges Fieber, Urin dünn, Verstörtheit.“–Dererwartete Rückfall bricht umden 17., einen kritischen Tag, ausmithohem undanhaltendem Fieber. Der durch seine mehr als zweiwöchige Appetitlosigkeit gewiß schon stark geschwächte Patient findet also dennoch die Kraft, sich gegen sein Leiden zu wehren. Und mit dem hohen Fieber vollzieht sich zugleich ein doppelter schädlicher Wechsel: DerHarnwirdwieder dünnundfarblos, undTrübung desVerstandes stellt sich erneut ein. Miteiner Verlängerung derKrankheit ist fest zurechnen. „ Wiederum Krise amzwanzigsten Tag, fieberfrei, (abermals) ohne Schweißausbruch. Appetitlos die ganze Zeit über, völlig bei Verstand, konnte sich (aber) nicht unterhalten; Zungenoberfläche trocken, kein Durst; leichter Schlaf, (aber) schläfrig.“–Amkritischen 20. Tagfindet erneut (π ά λ ιν ) eine Krise statt, dieinder Rückschau einsicherer Beweis dafür ist, daßsich aucham14.eine solche ereignet hatte, obgleich derentsprechende stehende Ausdruck ἐκ ηdort fehlt. Die „ ρ ίθ vis medicatrix naturae“ist also bei Hermokrates noch nicht erloschen: Fieberschub um den 17. Tag, günstige Krise mitFieberschwund am20. DerPatient ist noch einmal , undschläft sogar einwenig. Doch auch völlig bei Verstand –erstaunlicherweise – diese letzte Krise ist nurunvollständig. Wieder kein Schweißausbruch, trotz allem Säfteüberfluß; Taubheit undSchläfrigkeit dauern weiter fort. Hinzu kommt noch : Phlegma wirft sich aufdiedurch dieFieberhitze verdorrte Zunge. eine „Anaudie“ Und als bösestes klinisches Zeichen gesellt sich zur vollständigen Appetitlosigkeit jetzt das Verschwinden des schon bis dahin zu schwachen Durstes. Ein typisches Endphänomen, dasauchbisweilen beitödlichen Phrenitiden zubeobachten ist. Der 20. Tag bedeutet für denFall des Hermokrates die entscheidende Wendung zum Schlechteren. Er wird sterben, was auch bis zu seinem Todestag noch geschehen
mag.
Umden vierundzwanzigsten Tag neue (abnorme) Erwärmung, Stuhl feucht, „ reichlich, dünn. Auchandenfolgenden Tagen heftiges Fieber, Zunge (wie) ausgebrannt.“–Nach dem 20. Tag hätte der Patient allmählich der Kälte erliegen und unter Krämpfen zugrunde gehen können. Um den kritischen 24. überrascht ihn jedoch ein zweiter Fieberrückfall, allerdings unter hoffnungslosen Umständen. Trotz neuer Fieberglut ist derStuhl –endlich hören wirwieder davon –dünn und ungekocht. Zweckloses Fieber also, dasnurnoch zusätzlich schaden kann. Diewie ausgebrannte Zunge bezeugt es zur Genüge. Dabei besteht zugleich die Säfteplethora weiter fort, die sich plötzlich mit dem reichlichen und feuchten Stuhl entlädt. Eineindeutiges Endphänomen. DerPrognostiker fragt sichnurnoch, obder gänzlich abgezehrte Patient bis zumnächsten kritischen Tagüberleben wird. Amsiebenundzwanzigsten Tag starb er.“–Gestorben ist derPatient aneinem „ kritischen Tag, dem27., fast vier volle Wochen nach demjähen Beginn seiner Fieberkrankheit. Ein gewisser Rhythmus hatsich ihr also bis zuletzt aufgedrängt, all ihrer Bösartigkeit zumTrotz. Wir können unsüber diesen klinischen Verlauf nur wundern, zudessen Aufklärung aucheinvorzüglicher Gesundheitszustand vordem Leiden nurwenig beiträgt.
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(Epikrise:) Bei diesem Patienten hielt dieTaubheit biszuletzt an;Urinentwe„ der dick und rot, ohne Bodensatz, oder dünn und farblos mit schwimmenden Wölkchen; Nahrung konnte er nicht genießen.“–Auf einen Kommentar zureigenen Epikrise des Autors können wir verzichten. Im Vorigen haben wir alle ihre Angaben schon berücksichtigt, diejenigen inbegriffen, dieauchdieTaubheit alsein Leitmotiv hervorheben (vgl. δ ιὰτέλ ). Die Katastasen von Epidd. III und I εο ς kennen mörderische Brennfieberepidemien. Wir werden uns bald fragen, ob der Fall desHermokrates in dieser Hinsicht bedeutsam sein könnte.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden I: übrigen Krankengeschichten vonIII–
a) Zuden endemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Im Gegensatz zur ersten Krankengeschichte der Gruppe III A ist es bei Hermokrates sinnvoll, nach Beziehungen zwischen seinem Fall unddenvier Katastasen vonEpidd. III undI zu suchen. Alle vier berichten vonBrennfieberepidemien, die dritte vonEpid. I sogar vonGelbsucht am6. Tag, wiebei unserem Patienten (vgl. II 642,12 L.), doch der Kontext in Epid. I ist dermaßen verschieden, daß er jeden weiteren Vergleich verbietet. Daher müssen wirvielmehr bei derKausosepidemie desIII. Epidemienbuches 83 L.), da uns dort auffallende Übereinstimmungen mit selbst verweilen (III 80– unserem Fall erwarten. Beiden Dokumenten gemeinsam sind Schläfrigkeit (vgl. auch Kap. 11 von Epid. III), mäßiger Durst, Aphonie, der häufige Wechsel bezüglich Körperwärme, Schlaf undgeistigem Zustand, derTodumdie kritischen Tage, vor allem aber eine Appetitlosigkeit vonseltenem Ausmaß (vgl. Kap. 9) unddas völlige Ausbleiben jeglicher günstiger Ausscheidungen (vgl. Kapp. 8 und 10.); Dyskrasie herrscht bis zuletzt (vgl. Kap. 12). Nicht wegzudenken sind allerdings auch mehrere offenkundige Unterschiede, doch derAutor verweist immer wieder aufdie Vielfalt derklinischen Verläufe während dieser Epidemie, unddie Konkordanzen zwischen demFall des Hermokrates und dieser endemischen Krankheit sind andererseits so zahlreich undschwerwiegend, daß wir fast gezwungen sind, den einen der anderen beizuordnen. Würde sich diese Hypothese bestätigen, sokönnte sie unshelfen, die Katastase von Epid. III zu „orten“ . Von dendrei Katastasen vonEpid. I erfahren wir vom Autor selbst, daßer sie im Stadtstaat Thasos verfolgt hat (vgl. II 598,4; 614,8; 638,8 L.). Von Hermokrates wissen wir nun, daß auch er in Thasos erkrankte. Gehörte sein Fall zu den Brennfiebern des III. Epidemienbuches, so wäre auch dessen Katastase in Thasos zulokalisieren. Über eine Vermutung kommen wir hier nicht hinaus, doch es wäre ein Versäumnis, die festgestellten Übereinstimmungen unbeachtet zulassen. Übrigens scheinen auch die Krankengeschichten III B, 1 und2 unsere Hypothese zubewahrheiten. b) ZumPrognostikon. –Klinische Erscheinungen anKopf undHypochondrion können günstiges Erbrechen vongelber Galle undNasenbluten ankündigen (vgl. II 187 L., Kap. 24). Beides fehlt bei unserem Hermokrates. 182–
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c) Während desFiebers leidet eranSchlaflosigkeit, schläft abereinzurZeit der beiden fieberfreien unvollständigen Krisen des 14. und20. Tages (vgl. II 134 L., Kap. 10).
d)BeimHarnsinddieÜbereinstimmungen mitdemPrognostikon amlehrreichsten. Dünner Harn ist immer schädlich. Bei rotem Harn undWechsel seiner Beschaffenheit verlängert sich die Krankheitsdauer. Schlimm ist es für die Prognose, wenn sich kein günstiger Bodensatz bildet, wenn die schwimmenden Harnwölkchen nicht nach unten tendieren und der Harn bis zuletzt dünn bleibt (Kap. 12). e) Vonausgebranntem Stuhl undvonDurchfällen alsklinischem Endphänomen istimPrognostikon nicht dieRede. Reichlicher, feuchter unddünner Stuhl wirddort aber als ungünstig bezeichnet (Kap. 11). f) Im 6. Kapitel „vergißt“derAutor des Prognostikons dasFehlen vonallgemeinem und warmem Schweißausbruch zu erwähnen. Aber der ungünstige Charakter dieses „ negativen“Phänomens ergibt sich unmittelbar aus dem Kontext. Das Nichtauftreten eines guten klinischen Zeichens kann niemals vorteilhaft sein. g) Sich unwohl zu fühlen im Verlauf einer Fieberkrankheit ist ein ungünstiges Zeichen, sie in Ruhe zuertragen ein günstiges (vgl. II 150,2 und 148,9f. L., Kap. 15).
h) Scheinbesserungen undunvollständige Krisen führen zwangsläufig zuRück8 L., Kap. 24). Diese prognostische Sentenz gilt auch, wenn fällen (vgl. II 180,6– sich solche Vorfälle ankritischen Tagen ereignen. i) DerTodamkritischen 27. Tag steht in vollem Einklang mitdenLehren des 20. Kapitels des Prognostikons. j) Zudenübrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –ImUnterschied zu III A, 1 hatIII A, 2 den„normalen“Anfangssatz: „Einen Patienten (im Akkusativ) Fieber“mit π ρbezeichnet, wie ergriff Fieber.“In diesem ersten Satz wird „ ῦ ρ ετ υ regelmäßig in der Gruppe III A undim Gegensatz zurGruppe III B, woπ ς ό ρ , wiein derGruppe III A. DasI. ῦ ς; nurIII B, 10hatπ ύ ξ steht, meist ergänzt mitὀ ρ . AusI, 5 undI, 10ist leicht zuerkennen, ςbaldπ ῦ ό ε τ ρ υ Epidemienbuch hatbaldπ ςzukommt; inbeiden Fällen wirdein ξ ύ ςὀ ρ ὸ ε τ υ daßdemπ ρ dieBedeutung vonπ ῦ Patient von einem heftigen Fieber erfaßt. Bemerkenswert sind diese Beobachtungen, denn sie beweisen, daß in den drei Gruppen der Krankengeschichten von Epidd. III undI trotz aller Ähnlichkeiten auchkleine Unterschiede zuermitteln sind. Eine andere Abweichung besteht darin, daßindenGruppen III B undI diePartikeln imganzen zahlreicher sindals inderGruppe III A. Diedrei Gruppen vonKrankengeschichten gewinnen aufdiese Weise allem Anschein zumTrotz docheine gewisse stilistische Individualität. k) Kopf- undKreuzschmerzen kommen als früheste Begleiterscheinungen des ,β ά ρ ο ς, stehen, beides Fiebers oft vor; statt Schmerzen kann auch „Kopfschwere“ verursacht durch ein Zuviel an Schleim in der Schädelkapsel infolge des Fiebers. Die Phänomene amKreuz können auch denen amKopf vorangehen, vgl. III A, 11;
I, 2; 7; 13.
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l) Erscheinungen amHypochondrion: Zuunserem Fall gibt es in denKrankengeschichten von III– I keine aufschlußreichen Parallelen. Hermokrates stirbt an seinem Fieberleiden, aber seine Beschwerden im Oberbauch –Spannung bei weichem Bauchinhalt –sind ansich nicht besonders gefährlich. m)Gedörrte, trockene Zungenoberfläche, ausgebrannte Zunge; nicht übermäßigerDurst, Verschwinden desDurstes als Endphänomen: DerFall desHermokrates steht auch in dieser Hinsicht in III– I völlig für sich. n) Taubheit: Fürκώ φ ω σ ιςα ὐ τίκ αvgl. I, 10. Taubheit als Begleiterscheinung des Fiebers: vgl. III B, 9 undI, 3 während des Rückfalls. Taubheit als KältephänomenvordemFieberanfall: III A,4, am2. Tag; III B, 7, am8. Tag; B, 9, am14. Tag; I, 3, am5. Tag. Taubheit als Leitmotiv: vgl. auch III B, 7 und9. In diesen beiden Fällen begleitet dieTaubheit mehrmals dasAnsteigen desFiebers undverschwindet mitdessen Sinken; eintypisches Alternieren bei klinischen Phänomenen. o) Dünner Harn kündigt oft Verstörtheit undPhantasieren an. Die Harnwölkchen können bei günstigen wiebeitödlichen Fällen auftreten; hier sind sie bösartig, weil sie sich „nicht setzen“ , einstehender Ausdruck. Roter oder rötlicher (galliger) Harn begegnet uns in mehreren anderen Krankengeschichten: in I, 5, am21. Tag; Heilung. In I, 6, mitrotem Bodensatz; Heilung. Undimtödlichen Fall I, 12. p) In I, 4 sind die Eingeweide wie ausgebrannt, nicht die Stühle (II 692,2 L.). Auch dieser Fall endet tödlich. q) Wie schon berichtet, werden auch die Brennfieberpatienten der dritten Katastase vonEpid. I am6. Taggelbsüchtig (II 642,12 L.). In III B, 13gehört dieses Phänomen zur langen Vorgeschichte des Kranken (III 138,2 L.). Epidd. III undI. sind fürunsin diesem Punkt wenig lehrreich. . Ein ρ ίη ο ή π , ἀ ρ α χ , τα ρ ίη ο ς : vgl. auch (ὑ ρ φ ο έ ω )δ ρ , δυσφ ω υ σ φ π ο ό σ r) δυ Zeichen übermäßiger Hitze im Oberbauch, oft bei tödlichen Brennfiebern und Phrenitiden, nicht selten verbunden mit Schlaflosigkeit. s) Scheinbesserung am 11. Tag: vgl. hier unter h). Auffallend: Der Ausdruck ι kehrt bei III B, 3 am 5. Tag wieder. α θ ν ῆ ισ εκουφ ξ ο ἔδ t) Schläfrigkeit: Die Pathogenese dieses häufigen klinischen Phänomens ist uneinheitlich undschwer zuumreißen. Inunserem Fall trifft es mitdemNachlassen desFiebers zusammen, am 11. undam20. Tag, undläßt sich wohl aufdie Plethora unddie völlige Roheit derSäfte zurückführen. ν σ : AuchimFall III A, 6 fehlen Schweißausbruch, Initialfrösteln, ε χἵδρω ὐ u)ο Appetit undDurst, unddasLeiden endet mit demTodderPatientin. I, 10 beginnt νbei der ε σ χἵδρω ὐ ebenfalls unmittelbar mit demersten Fieberanstieg, unddasο Krise des20. Tages weist darauf hin, daßwiebei Hermokrates dieser kritische Tag nicht denAusklang derBeschwerden einläutet. v) Unvollständige Krisen: Vgl. unseren Kommentar zuIII A, 1 unter § 3, n). ςπ ρ π α ό σ ιτ ο ὰπ w) ἀ ά ν τ ατὸ νχρόν ο ν : Vgl. dieähnlichen oder sinnverwandindenKatastasen 1und2 vonEpid. Und 6. I, B, in III 2; A, 6; 1; tenFormulierungen I die Stellen II 608,15 und628,1 L. : μ α ι: Dieses Verb bedeutet das genaue Gegenteil von „Anaudie“ ο γ λ έ x) δια peripheres“ sprechen, sich unterhalten imGegensatz zumVerlust derSprache. Ein„ von Schleim auf α μ ῦ ε Phänomen. „Anaudie“wird durch einen Phlegmafluß, ein ῥ
III A, 2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag(Thasos)
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die Zunge erzeugt. Vgl. in III A, 6, III 52,7f. L., die doppelte Formulierung: „ Patientin schwieg, sprach nicht“ . Ähnlich in III B, 2, III 112,8f. L. Drei tödliche Fälle. Vgl. noch III 82,3 und6 L., bei denbösartigen Brennfiebern der Katastase von Epid. III.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: α τέκ ) π μ ειτ ρ a) Stehende Ausdrücke. –κ ο ο ρ . – (Ἑ κ ά ρ ῦ ν τη ἔλ β α ε ν .– ἤ ρ ξ α το δ ὲἀλ γ ε ῖν κ α ή εφ ν λ ο , ὀσ φ χ ῦ ν . –ὑ π ο ν ρ δ ίο υἔν τα σ ις λ α π ρ ς. – α ῶ ῳ .– κ φ ω σ ώ ις α μ ὐ ρ έν τίκ χ ο ἀ α . ὕπ ν ο ιο ὐ κἐν ῆ σ ςο α ν . – διψ η ώ δ ὐλ ν ίη .– ο ρ α... κ ὖ ε ν αο ὐκ είμ α θ ίσ τα το .– ἀ ὸδ π η ὲκ ρ ο ιλ σ ε. – ε ι. – οὔ ς ... δ ιῄ ίη ν ύ κ ταπ μ α , ο η ρ α ὐ κἱ δρ έκ ύ ρ ρ το ε . –ἐς ο ιώ α υ νἐ ν σ ε ἶχ ε ε ν .– π ά ν τα ) κ ).– δυσφ α τεν ά ν ὐ ό τα ε ι (π η . – (ο ρ ω ρ ξ ύ ν θ ς. – τὰ π ό ω α ςἑπ μ έν ο ς. – α ι. – π ὶδ τ ισ ν ρ ὲ ... ἐό θ ν τ α ἔδ ῆ ν ά ο ξ α π ε ε κουφ ι. – κῶ μ α μ , κω α ς. – τώ η δ ἡ σ υ χ ῇ .– ἄ ς, ο ρ π ο υ ὐ χἵδρω η σ ή θ .– ὑ ε ν . – ἐκ )ε ο ιμ π έσ θ π ε τρ εψ ν ρ ε . – (ἐ μ ά ν η θ .– π π ς ὀξ ρ ό η υ ε σ . –ἀ τ ιτ ὸ ύ ς . –ἐκρίθ ςπ ο ρ α ὰπ ά ν τ ατὸ νχρόν ο ν . –δια λ έγ εσ θα ι, γεύεσ θ α ιο σ ὐ κἠδύ ν σ α τ αἐπ ο . –γλῶ ὐ κἐδίψ η . ς. –ο ρ ο η ίξ –κ α τεκ ο ιμ ᾶ τ οσμ ικ ρ ά . –κοιλ ήmit Beiwörtern im Dativ. –ἀ ίηὑ ρ γ π έθ α ν ε . –το ύ ῳ(Epikrise). –δ τ ιὰτέλ ε ς. – π ο ρ έμ α εν ε ν . η ν... π β ε ν ρἔλ . ρ ά τ α ῦ ο κ b) Stilbesonderheiten. –Hyperbaton: Ἑρμ α ί in derEpikrise. c) Polysyndeton: mehrere κ έ . Dabei handelt es sich um eine d) Brachylogie, Lakonismus: nur sieben δ wechselvolle Krankengeschichte, deren klinische Kontraste leicht durch weitere Partikeln hätten hervorgehoben werden können. e) Gleichwohl treffen wirauch aufeinige ausgeschriebene Sätze undSatzteile, nämlich zuBeginn, am5., 11., 17. Tag undin derEpikrise. ή ν ῦ α ν , ὀσφ . – Ein Dativus λ γ ε ῖνκεφ τ οδ ξ α ὲἀλ f) Accusativi Graeci: ἤρ ῳ . τ sympatheticus zuBeginn derEpikrise: το ύ g) Ein Diminutiv: ὑπ ρ α , am 11.Tag. υ θ έρ ά ω , κα μ τα ά ω ικ ρ ά ρ ο σ ο ρ σ . κ υ ιμ έκ ε ν ό ,ο ε ι. –κοιμ ὐκ τεν α α h) Metabolai: π –ἀ π ό σ ιτ ο ς, γενεσ θ α ιο ὐ κἠδύ ν α τ . ο ς, ο σ ε ν . Mehrere ὐ ρ ο χἵδρω π υ i) Wortwiederholung zurBetonung: zweimal ἄ Leitmotive: gedörrte Zunge, Taubheit, Alternieren bei Schlaf, Geisteszustand und Harn, Schläfrigkeit seit dem 11. Tag, fehlende Schweißausbrüche, permanente Appetitlosigkeit. j) Häufung von Asyndeta: mehrmals, doch hier wenig ausgeprägt. ρ ὖ απ α χ έ α ς, συνεκαύ , η ρ ο . –ο θ η ίξ αἐπ σ σ ῶ k) Mehrere Steigerungen: γλ ς ὀξ η ρ μ ς. , π ε τ ὸ ά ν υ θ ύ ερ . –ἐθ α τεν τ α ό ν ε ι. κ ά ό ιπ τεν ε α . –κ α ρ τε π α χ ύ ά επ τ , ο ὐ ωλ τ ι ... κ ά ρ ε l) Doppelte Formulierungen, positiv undnegativ: οὔ η ς. , ἄ ρ ο π υ . –ἐκρίθ ο τ τα ίσ θ κ α m)Eigene Epikrise desAutors. ) am7., ς μ α έρ ς(ἡ α ν μ έ ςἑπ ο n)Zeugnisse fürnachträgliche Abfassung: vgl.τὰ 14. und24. Tag. –Das durchgehende Leitmotiv der Appetitlosigkeit wird erst am 20. Tag undin derEpikrise angegeben. –Diese Epikrise selbst.
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III A, 2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag(Thasos)
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für dieHippokratesexegese? Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten?
a) Umdieser Frage nachzugehen, müssen wiroffensichtlich zunächst die Epikrise desAutors indenBlick nehmen, daeres fürnützlich hielt, seiner Krankengeschichte diesen Nachtrag beizufügen. Derkurze Text setzt anmiteiner Ergänzung: DieTaubheit oder Ertaubung, vonderschon ganz zuBeginn dieRede war, hielt bis zumtödlichen Ende an. Ein zusätzliches Leitmotiv also; wirerwähnten es mehrmals undbefaßten uns auch mit der Ursache dieses klinischen Zeichens. Es wird demAutor besonders aufgefallen sein. Aber warum? Ansich ist es nicht immer gefährlich. Auch in III B, 7 und9 ist die Taubheit ein Leitmotiv, doch beide Kranke kommen trotzdem mitdemLeben davon. Soll mitdiesem Phänomen dasFortdauern derSäfteplethora zuletzt noch einmal unterstrichen werden? b) Mühelos hingegen verstehen wir, warum das Alternieren der klinischen Erscheinungen beim Harn abermals herausgestellt wird (vgl. auch II 434,10ff. L., die Koischen Prognosen §§ 564, 583 und586 undIX 284, § 24). Derdurchweg roh undungekocht bleibende Harn istja sicherlich eine derTodesursachen in diesem Fall. Auf den Wechsel bei Schlaf undGeisteszustand kommt die Epikrise nicht mehr zurück; derPrognostiker maßihmeine geringere Bedeutung bei. c) Von größtem Gewicht aber ist die zum Schluß nochmals angeführte Anorexie. Hermokrates ist auch anseinem Marasmus zugrunde gegangen. d) Doch auch im Hauptteil dieser Krankengeschichte sind mehrere Punkte aufzufinden, die denAutor zu ihrer Veröffentlichung bewegen konnten. Zunächst der empirisch feststellbare, aber auch erklärliche Tatbestand, daß bei fehlenden anfänglichen Kältezeichen die zu erwartenden Krisen unvollständig bleiben. Der Fiebersturz wird nicht voneinem allgemeinen undwarmen Schweißausbruch begleitet; dies ist, wie auch bei anderen Fällen zu beobachten, ein prognostisch schlimmes Zeichen. e) Lehrreich in dieser Krankengeschichte ist ferner der seltene und scharfe Kontrast zwischen dem zunehmenden fieberbedingten Verdorren der Zunge und demschwachen undschließlich völlig verschwindenden Durst bei diesem Patienten. Ein paradoxer undvorallem ominöser Vorfall neben derschon anundfür sich todbringenden immerwährenden Anorexie. f) Ein anderer Gegensatz ist ebenso auffällig. Am20. Tag seines Leidens ist Hermokrates schon seit fast drei Wochen appetitlos unddaher äußerst schwach. Dennoch wird er während seiner letzten sieben Tage von einem wilden Fieber überfallen, dasihmnurnoch zusätzlich schaden kann. Es ist kein heilendes Fieber also mitdarauffolgender Kochung derbösen Säfte undnützlichen Ausscheidungen, sondern eineigenmächtiges, verrückt spielendes Gärungs- oderFäulnisfieber. Auch dieses Vorkommnis warerwähnenswert. g) Der durch die Glut hervorgerufene Überschuß anrohen Säften bricht nach langer Verhaltung endlich aus. Demstarken Durchfall am24. Tag folgt bald der Tod. An dieses typische Endphänomen klingt die 126. der Koischen Prognosen noch einmal an.
III A, 2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag(Thasos)
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h) Aushippokratischer Sicht ist für die Prognose nicht nurdaseinzelne klinische Zeichen vonBelang, sondern außerdem derZeitpunkt seines Auftretens. Am kritischen 7. Tagwäre dieGelbsucht fürdenPatienten günstig gewesen, nicht aber schon am 6. (vgl. Aphorismus IV, 62 unddie Koische Prognose § 118). Ein Grund mehr, sich diesen Fall zu merken. Zur Entstehung der Gelbsucht vgl. VI 244,8f. L. i) Auch an den späten Tod an einem kritischen Tag ist hier noch einmal zu
denken. Dasbösartige Brennfieber mußdenPatienten inmitten blühender Gesundheit überfallen haben. Sonst wäre sein Widerstand schon früher zusammengebrochen. Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten?
j) Fürdenheutigen Kommentator istdiese Krankengeschichte nochausanderen Gründen beachtenswert. Bei Hermokrates kommt es nurdannzuGeistesstörungen, wenn sein Harn dünn undfarblos ist mit schwimmenden Wölkchen; Verstörtheit undPhantasieren verschwinden jedoch, wenn er sich verdickt undrot wird, auch ohne Bodensatz. In der gesamten Hippokratischen Sammlung kenne ich keine Parallele zudiesem Fall. k) Der 14. Taglehrt, wiekapriziös akute Fieberleiden verlaufen können. Nach derScheinbesserung am11.Tagwareine baldige Zunahme derBeschwerden oder garein neuer Paroxysmus zuerwarten. Gleichwohl findet eine günstige Krise statt, allerdings eine unvollständige. DerPrognostiker hatte also doch recht, mißtrauisch zu sein. Auch eine andere Überraschung ist unswiderfahren: bei „ausgebrannter“ Zunge die anhaltende Säfteplethora; gleichzeitig herrscht ausgeprägtestes Verdorrenundhumoraler Überschuß. l) DerAutor kannte klinische Endphänomene, die demTodderPatienten kurz vorausgehen: Krämpfe, Aphonie unddergleichen mehr. Hier sindes derreichliche unddünne Durchfall am 24. Tag undwahrscheinlich schon das völlige Versiegen desDurstes am20. m) Zuletzt stellen wirnoch einen stilistischen Kontrast fest. Diese Krankengeschichte ist ausgesprochen brachylogisch, unddoch wird sie vonacht Leitmotiven durchzogen! (Vgl. § 4, i) Leicht ist es nicht, diese Krankenberichte mit ihrem Autor nachzuerleben, will manauch ihre letzten Winkel erhellen. n) Anhang. –Im Prorrhetikon I, § 32, wird unter demNamen Hermippos der Fall desHermokrates stillschweigend verallgemeinert: „Taubheit undtiefroter Harn, ohne Bodensatz, mitschwimmenden Wölkchen, deuten aufVerstörtheit hin. Wenn in solchen Fällen Gelbsucht auftritt, ist es schlimm; schlimm ist aber auch die auf Gelbsucht folgende Stumpfsinnigkeit. Solche Patienten verlieren bisweilen die Sprache, behalten aber die Empfindung. Ich glaube indes, daßauch Durchfall bei (Vgl. auchKoische Prognosen, ihnen eintritt, wie bei Hermippos, under starb.“ § 194.) ZuRecht hebtGalen dieWillkür dieser Generalisierung hervor (vgl. XVII A 534,2ff. und 560f. K.). Es handelt sich um einen typischen Einzelfall mit seinen mannigfachen Besonderheiten. Undfalsch ist auchderName: Gemeint isthier nicht
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III A,2: Hermokrates, derneben derNeuen Mauer krank lag(Thasos)
Hermippos (vgl. II 661und705 L.), sondern unser Hermokrates inIII A, 2. Auchin seinem Kommentar zum I. Prorrhetikon hat Galen diese Namensverwechslung übersehen (vgl. XVI 573ff. K.). Auffallend ist noch folgendes: Auch die nächste Sentenz des I. ProrrhetiWenn Taubheit auf akute kons, § 33, scheint aus III A, 2 entnommen zu sein: „ Krankheiten undschwere Störungen folgt, ist es schlimm.“(Vgl. Koische Prognosen, § 186.) Die Kompilation desI. Prorrhetikons ist vorderjenigen derKoischen Prognosen entstanden, wieschon Littré bemerkt hat(vgl. V 504 L.). Vgl. noch die ν α δ ία ιdort entsprechen der Formulierung „(er) υ Koische Prognose § 35: Die ἀ konnte sich nicht unterhalten“in unserer Krankengeschichte.
(3) III A,3, ohneNamen (Thasos) 227. 218. –J. I 222– 45 L. –Kw.I 216– III 38– Hippokratische Diagnose: atypisches Brennfieber.
III A, 3: DerMann, derimGarten desDealkes krank lag(Thasos)
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III A, 3. –Der Mann, der im Garten des De(i)alkes in Thasos wohnte. λ κ ο ς DerMann, derimGarten desDe(i)alkes Ὁκα τα υ κ ῷΔε(ι)ά ςἐ ντ ε ο εν ίμ ρ ῳκεφ ς βά ῆ ςκ ο α λ α ὶ κρότα ή π κ φ ο ν (krank)lag, hatte (schon) lange Zeit δ εξ νἐπώ ιὸ δυ ν ο νεἶχ ν εχρό ο νπ ο λ ύ ν . Kopfschwere undSchmerzen inderrechμ ε τ ὰδ φ ὲ π ρ ά ο σ ιο ς π ρ ἔλ ῦ β ε α , ten Schläfe. Nach Eintreten einer Neλ τεκ α κ benursache ergriff ihn Fieberglut, er ίθ . η
mußte sich hinlegen.
ξἀ ρ ισ ρ ο τε ῦὀλ ῃἐ ο η νἄ ίγ τ δ ρ ο ν ρ ευ τέ κ · ἀ π ς κόπρ ὸδ α ν α η ὲ κ ο ιλ ίη ύ ρ ἐρ ρ ε αλ ςδιῆλθ ν ε π τ ὰπ ο κ α λ ῶ , ο ὖ ικ ίλ α , μ α τ ρ ὰ αἔχο ή ικ τ ακ α ν τ ὰσμ ρ ι-ω α ἐν ν ο α ο ἷο ειδ . νκρίμ έ α , γον
Am zweiten Tag floß aus dem linken Nasenloch wenig reines („ ungemisch) Blut; fester Stuhl ging gutab, Urin tes“ dünn, wechselfarbig, mit spärlichen schwimmenden Wölkchen wieGerstenschrot, samenähnlich.
μ ή α τ α ρ ς, δια ίτῃπ υ τρ ε τὸ ς ὀξ ρ ύ ω χ μ έλ α ν α , λ ρ α επ , ὑ τ φ ά π ό σ , ἔπ τα α σ ις μ α σ ιν , ὑπ ρ ο ή τ ο εκ ῦ α , ρ ὴδια χ ω ν π ελ ιδ ς, ά σ ια α σ τ ἀ ν ς ὰ ρ τ ὶ ρ ε ι π ε ό φ σ υ ἐδ ή γ ισ λ , ὑπ ό ν ιδ ελ σ τα ιςπ ό σ π ρ ο ιςὑ ο ὔ
Am dritten heftiges Fieber, Stuhl
χ ρο
ς
.
ίε ν θ ὰὀλ σ δ ώ αξα ε εχολ ῃἤμ ρ τ τετά γ α , διαλιπ ρ ιδ νἰώ ο ε α ὼ νὀλ , ἐ ξἀ ίγ η , δια ύ χ ω νἐρρ τ η ο ρ σ ρ τε ο νἄ ῦὀλ ο κ ίγ ή μ ρ α τ αὅμ ω σ ε ίδρ ο ια ια ο αὅμ , ἐφ ρ ,ο ὖ ὴ ν ς, σπ ῖδ λ η α ὶ κ λ νκ ὴ α α λ ρ ὶ κεφ π ε τ α κ η ν ύ δ ὀ ο ῦ π ο ρ ὑ , η ν μ ι , η ἴξ θ ρ ή ἐπ π ο α λ ά ιςὑπ σ τα ν ίο ιο ρ υδεξ ῦσύ δ ν ο χ ρ ς, νυκ ο ρ η ρ ο υ έκ θ α ή ,᾽π ςο τὸ ὐ κἐκοιμ ρ ά . ικ σ εσμ
schwarz, dünn, obenauf schaumig, bläulicher Bodensatz beidiesem Stuhl, leichte Benommenheit, Übelbefinden beim Aufstehen, im Harn bläulicher Bodensatz, etwas klebrig.
Am vierten Tag wenig gallig-gelbes, nach kurzer Pause wenig rostfarbenes Erbrechen; aus dem linken Nasenloch floß wenig ungemischtes Blut; Stuhl wie vorher, Harnwievorher; dabei schwitzte er an Kopf und Schlüsselbein, die Milzschwoll an,Schmerz imOberschenkel in Richtung aufdieMilz; imrechten Oberbauch Spannung bei eher weichem Bauchinhalt; nachts schlief er nicht ein, leicht verwirrt.
απ λ τ α μ ε ίω α έλ - Amfünften mehr Stuhl, schwarz, oben, μ ή ῃδια π π τ έμ ρ χ ω α auf schaumig, schwarzer Bodensatz bei σ ιν έλ α τα ρ ν σ α α ό φ , ὑ , ἔπ π α ις μ , diesem Stuhl; nachts schlief er nicht, ε σ ὐ ν ω χ ὕπ μ αο ή α τ σ ι, νύ κ δ ρ ια ω χ phantasierte. ρ ρ ο έκ υ σ π α ε ν . , Amsechsten Stuhl schwarz, fettig, klebά ρ α ν α ιπ α , λ έλ αμ τ μ α ή ρ ω χ ῃδια τ ἕκ γ λ ι rig, übelriechend; schlief, warbesser bei ε ό ίσ σ τεν ρ α ω ε ,κ χ ν α · ὕπ , δυσώ δ α ε Verstand. μ ᾶ λ λ ο ν .
III A, 3: DerMann, derimGarten desDealkes krank lag(Thasos)
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ῃγλ ῶ σ σ αἐπ μ ό δ ς, διψ ρ ο η ἑβ ίξ ς, Amsiebten Tag Zungenoberfläche trokώ η δ ο η κ ἐκοιμ ὐ ή , π θ ρ α έκ ρ ο υ σ ε ν , ο ρ α ken, Durst, konnte nicht einschlafen, ὖ λ τά επ , ο ὐ κεὔχ ρ ω . phantasierte, Urin dünn, keine gute Farbe.
ῃδια μ ή α ρ χ τ ω αμέλ α ν ό δ αὀλ γ α ίγ ὀ , Amachten wenig schwarzer, geformter κ ό ν τα τη εσ , ὕπ σ υ ν ω σ ε , κ α τεν ό ε ι, Stuhl; schlief, warbei Besinnung, Durst ςο η ν ώ δ ὐλ . ίη διψ nicht imÜbermaß. ω σ ίγ ρ ε ρ ε , π ς ὀξ τ ῃ ἐπ ὸ υ ερ τ ά ἐν ύ , Amneunten fröstelte er, heftiges Fieber, ς ω σ ε ύ ξ ις, π ρ , ψ ἵδρ α ρ ο έκ υ σ ε , δεξ ιῷ er schwitzte, Kältegefühl, Verstörtheit, σ ἴλ λ σ αἐπ α ιν ε ς , γλῶ ς, διψ , schielte aufdemrechten Auge; Zungenη ο ρ ώ δ η ίξ ρ ς. υ π ν γ ο ἄ oberfläche trocken, Durst, Schlaflosigkeit.
ρ ὶτ ῃπ ὰα ε ὐ τ ά . δ ά τ εκ
Amzehnten
τεν ό ῃκ ς, ε τ α α ιπ , ἄ ν ρ ά ο τ π υ δ ά εκ ἑν ρ ὶ κρίσ αλ . ιν ρ ε π τ σ ν ὰπ ε ω ε ν ,ο ὖ π ὕ
Amelften Tag völlig klar, fieberfrei, er
ς ν ψ , ὑπ έσ ε ρ ο νἄ ε ε π τρ υ ο διέλιπ δ ύ ῃ ρ εσ κ , α εκ ά τ α ιδ τίκ αδ τεσ σ α ὐ κ ὲν ύ η , π ή θ απ ρ ά ν τ ρ ο υ τ αο α έκ κἐκοιμ ὐ . ν σ ε
Zwei Tage fieberfreie Unterbrechung, Rückfall am vierzehnten Tag; sofort nächtliche Schlaflosigkeit, völlig ver-
ungefähr dasselbe.
schlief; Urin dünnzurZeit derKrise.
stört.
ρ ο νθ ῃοὖ τεκ ο π εν λ α ιδ τ εκ ό ά ερ ν ν Amfünfzehnten Urin schlammig, wie ,ο ἷο ίν νγ ε ω ό τ τα κ ι, ὅ τη τ α τεσ ν wenn man ihn aufrüttelt, nachdem er α κτῶ νκ ἐ ς ὀξ ς, π ρ α ύ ρ ὸ ν α χ θ ε τ ἀ τα ῇ ά ν , π υ τ α sich gesetzt hat, heftiges Fieber, völlige η ή ρ θ ρ ο , γούν έκ υ π α σ ν ε α τ ,ο α Verwirrung, konnte nicht einschlafen, ὐ κἐκοιμ ςἐπώ δ αεἶχεν ἀ ν μ υ α ὶ κνή α κ ὲ Knie- undWadenschmerzen; nach Einὸδ π μ έλ α ν α setzen eines Zäpfchens ging indes ν ο νπροσθ εμ έ ςβάλα ν ιλ ο ίη κ ·ῳ schwarzer fester Stuhl ab. ε ν . ρ α ν αδιῆλθ π ό κ
αλ ρ επ τ ά ὖ , ε ἶχ ν Amsechzehnten Urin dünn, mit schweῃ ο ε τ ά εκ ιδ κ α ἑξ ν ρ ,π ο μ ρ ο ελ α έκ αἐπ υ σ ιν ε ν . benden Wölkchen darin; phantasierte. η έφ ρ α ιώ ἐν ρ ά ρ ω ῒ ἄκ ρ , υ χ ε ῃπ αψ τ ά εκ τα ιδ κ α ἑπ ςὀξ ς, ἵδρ ύ ω σ ε ιεσ π ερ ρ τέλ ὸ ε τ ο λ τ ε ,π υ δ ι᾽ὅλ τεν ν ο η α , ,κ ό ε ίσ θ ι μᾶλλ υ ο , ἐκουφ ε ς, ἤμ σ η εχο λ ώ ώ δ ς, διψ ο κἄ ὐ ο ρ π υ ς δ ε α α ίη π , ἀ ὸδ , ξαν θ ά ὲ κοιλ , ὀλ ίγ θ ε τ᾽ ὀλ ε , μ ρ ὲ α ν αδιῆλ κ ό π νδ ο ίγ μ έλ α ν α , ὀλ α ά , τ ρ , λεπ ίγ τά ο αλ επ ὖ · ρ ω . κεὔχ ο ὐ
Amsiebzehnten Tagfrühkalte Extremi-
mandeckte ihnwarmzu;heftiges Fieber, allgemeiner Schweißausbruch, Erleichterung, besser beiVerstand; nicht fieberfrei, Durst; wenig gallig-gelbes Erbrechen; aus dem Leibe ging fester täten,
Stuhl ab, nach kurzer Zeit aber schwarzer, dünner Stuhl in geringer Menge; Urin dünn, keine gute Farbe.
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ὀ κ τω κα ῃο ὐκ ιδ εκ α ά τεν τ ό ε ι, κω μ α - Am achtzehnten nicht bei Besinnung, ς. η τώ δ Schläfrigkeit.
ιὰτῶ να ῃδ ν εκ ιδ ά τ εα κ α ἐν ὐ τῶ ν .
Amneunzehnten desgleichen.
εἰκ τεν ο σ τ ν ω σ ῇ ὕπ ε , κα ι π ε ν ό ά τ α , Amzwanzigsten Tag Schlaf, völlig klar, ω ἵδρ σ η ς, ο ε ν ,ο ρ ,ἄ ρ αδ ο ὐ κἐδίψ ὖ π υ ὲ Schweißausbruch, fieberfrei, keinDurst, τ ά . λ επ Harn aber blieb dünn.
ρ ὰπ ρ ικ ρ ο α έκ ῃσμ υ σ ν ε τ ώ , Am einundzwanzigsten leichte Verwirο σ τ εἰκ ῇπρ ςκ ρ ίο υπ ό ρ ν α ὶπ ὶ rung, etwas Durst, Schmerz im Hypoο ε η ,ὑ π ο ν δ ο χ ίψ π εδ ὑ ςδ ιὰτέλ ς. ε ο φ α μ ὸ λ μ ὸ νπαλ ὀ chondrion, undumdenNabel Klopfen bis zumEnde. ο ισ ῃοὔρ ινὑ ρ τ ῇτετά π ό σ τ α - Amvierundzwanzigsten Tag Bodensatz εἰκ ο σ τ imUrin; völlig bei Verstand. . α τ ν ό ε ιπ ά τεν α σ ις, κ
η ίο υδεξ , Amsiebenundzwanzigsten TagSchmerz ῃἰσ χ ιο ν ῦὀδύ μ ε ἰκ ο σ τῇἑβδό τ λ λ α ἔσ ὰ δἄ ν ἐπ ε χ α τ ιεικ τα , in der rechten Hüfte, im übrigen aber έσ bestes Befinden; im Harn (wiederum) ρ ο σ ις. π ό σ τα ο ισ ινὑ ὔ ᾽
Bodensatz.
ο μ ῦ Um den neunundzwanzigsten aber λ α θ νὀφ η τ νἐνά ὴ τ σ ο ὲεἰκ ὶδ ρ π ε Schmerz imrechten Auge, Urin dünn. τ ά . επ αλ ρ η , ο δ ὖ εξ ν ιο ῦὀδύ
- Amvierzigsten Tagziemlich viel schleiμ α τώ λ εγ σ η εφ ρ τεσ ρ τ ο σ α κ ῇδιεχώ σ α ῷ miger, weißer Stuhl, allgemeiner starker λ επολ σ ω , ἵδρ α ν χ υ σ ό δ ε α ά , ὑπ ,λ κ ευ Schweißausbruch, endgültige Krise. . η δ ι᾽ ὅλ ςἐκρίθ ω έ , τελ υ ο
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Dieser dritte Krankheitsfall weist gegenüber demvorigen mehrere Gemeinsamkeiten auf. Es handelt sich wieder umein langwieriges Brennfieber mitFebris continua, Scheinbesserungen, unvollständigen Krisen und Rückfällen; die kritischen Tage bilden auch hier oft echte Meilensteine, derPatient wehrt sich kräftig gegen sein Leiden. Doch die Unterschiede sind ebenso stark ausgeprägt. Imneuen Krankenbericht fehlen die durchgehende Appetitlosigkeit undvor allem derdramatische undtodbringende Marasmus bei wildem Fieber; es kommt vielmehr zurHeilung, allerdings erst nach zahlreichen Wechselfällen. Einem malignen folgt also ein gutartiger, wenn auch atypischer Kausos. Er beginnt mit einer langen Vorgeschichte mit klinischen Erscheinungen an Kopf undSchläfe undeiner seltsamerweise vomAutor nicht näher gekennzeichneten auslösenden Ursache. ImVerlauf dereigentlichen Krankheit ereignet sich eine Vielzahl abnormer Phänomene: Frösteln, Fieber, Schweißausbrüche; mehrere Kontraste zwischen klinischen Zeichen, unvollständige Krisen mitnachfolgenden Rückfällen. Auch der Oberbauch ist befallen; Nasenbluten undErbrechen von Galle treten auf. Stuhl und Harn bleiben lange Zeit ungünstig und wechselhaft, den Krankheitsprozeß verlängernd. Neben der Dyskrisie herrschen auch fast während des ganzen Leidensverlaufs Roheit derSäfte undeine vollständige Dyskrasie, ein wahrer Kampf der vier hippokratischen Humores, die durch verschiedene Reinigungswege ausgeschieden werden. VonAnfang anverschieben sichauchdieKrankheitserscheinungen mehrfach baldnachrechts, baldnachlinks undverzögern damit ihrerseits denHeilungsvorgang. Auch Leitmotive sind zuermitteln beim Spiel der Veränderungen von Körpertemperatur, Stuhl, Harn, Schlaf, Geisteszustand; als Leitphänomene sind ebenfalls die sechs oder sieben Ablagerungen zu betrachten Klopfen“inderNabelgegend. Eine undnoch dasfast drei Wochen lang anhaltende„ Sonderform des Leitmotivs ist dasAlternieren klinischer Phänomene, das auch in diesem Fall deutlich hervortritt. Entweder leidet derKranke anSchlaflosigkeit und Geistesstörung, oderer findet Schlaf undVerstand wieder zurück; entweder ist sein Harn einfach dünn, oder es charakterisieren ihn andere Eigenschaften. Schließlich genest der Patient aneinem kritischen Tag, dem40., durch eine typische Abfolge von Krankheiten (wie bei Pythion, vgl. III A, 1, S. 31). Das Brennfieber wird von einer schleimigen Dysenterie gleichsam aufgefangen undfindet mit dieser letzten Ablagerung sein Ende. Diesmal wardieNatur desPatienten stärker als dieFieberkrankheit, undauchvonAppetitlosigkeit warniemals dieRede. Zusätzliche Bemerkungen. –a) In derRegel steht derName desPatienten im . Ein typisches Beispiel dafür ist die Akkusativ, und „ das Fieber ergreift ihn“ Krankengeschichte III A, 2. III A, 1 bildet dazu eine Ausnahme, die sich auch in anderen Fällen wiederholt (vgl. III A, 1, § 3, f). III A, 3 stellt ebenfalls eine DerMann“ Abweichung dar, unddarüber hinaus noch auseinem anderen Grund: „ in diesem Bericht bleibt namenlos. Es handelt sich wahrscheinlich umeinen Skla-
ven.
b) Beim Namen seines Meisters treffen wiraufmehrere Varianten: De(i)alkes, De(i)alkos, Delearkes (vgl. Dugand 1979, S. 144, 148, 151; Deichgräber 1982, S. 13, 17ff., 24f.).
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c) Dugand und Deichgräber sind sich dessen sicher, daß dieser „Mann“im Stadtstaat Thasos erkrankte, undwir dürfen ihnen bedenkenlos darin folgen. Auf thasischen Inschriften kommt der Name seines Meisters mehrmals vor. III B, 15 berichtet vomFieberleiden derFraudesDealkes. Undwirkönnen unssogar fragen, wo sich dessen „Garten“befand. Dealkes’Frau lag nämlich „auf dem Ebenen“ krank, undinEpid. VII, § 122, wohnt einEunuch „ beiderQuelle desDealkes“(vgl. Deichgräber 1982, S. 24f.). Der Landbesitz dieses Bürgers wird ziemlich groß gewesen sein (vgl. ebd., S. 13). Dugand sieht ihn an der Küste in der Nähe des Hafens (vgl. 1979, S. 142ff.). All dies bleibt gewiß Hypothese, doch es ist schon erfreulich, daßwirüberhaupt solche Vermutungen anstellen können. d) Betrachten wir die Vorgeschichte unddie „Prophasis“zusammen, die mit diesem Fall inIII Aerstmals erscheinen, sofällt unsauf, daßeiniges darin ausgesagt und anderes verschwiegen wird. Zu diesem Patienten wurde Hippokrates erst gerufen, als jener bereits fieberte. Über die Vorgeschichte und die auslösende Ursache berichtete ihmalso derPatient selbst oderseine Umgebung. Wiekameszu dieser Kopfschwere unddenSchmerzen in derrechten Schläfe? Darüber erfahren wirnichts. Wirwissen nur, daßaushippokratischer Sicht Phänomene rechts ungünstiger sind als links. Auch gabes eine unmittelbar auslösende Ursache desFiebers, ϕ α σ wirhören ja ausdrücklich voneiner π ις; aber welche? ρ ό ρ , und wir fragen: ῦ e) Als nächstes klinisches Phänomen kommt Fieberglut, π Besteht ein Zusammenhang zwischen diesem heftigen Fieber unddereben besprochenen Vorgeschichte odernicht? Beginnt dieses Fieberleiden sofort alsallgemeine Krankheit ohne für uns erkennbare Ursachen, oder wird es ausgelöst von einer Plethora im Kopf mitanschließendem Herabfließen desSchleims in denAdern bis zumOrt der eingepflanzten Wärme in der Zwerchfellgegend? Die zweite Hypothese mit dem örtlichen Ausgangspunkt unddem inneren Katarrh wird wohl die bessere sein, dader Autor die anfängliche Kopfschwere unddie Schmerzen in der Schläfe fürerwähnenswert gehalten hat. f) Das Fieber steht im Mittelpunkt einer typischen hippokratischen Zeichentrias: Frösteln-Fieber-Schweißausbruch. Wie offenbart sie sich in diesem neuen Fall? Zunächst auf abnorme Weise. DemFieberanfall amersten Tag geht weder Frösteln noch ein anderes Kältezeichen voraus, unddasgleiche gilt fürdenzweiten Paroxysmus am3. Tag. Wie bei III A, 2 treten ungünstige Erscheinungen auf, die entweder den Tod oder eine Verlängerung des Leidens ankündigen. Bösartig ist ferner der Schweiß an Kopf undSchlüsselbein amkritischen 4. Tag (vgl. Prognostikon, § 6, II 124,5f. L.). Eine Wende zumBesseren zeigt sich erst am9. Tagmitderendlich vollständigen und nützlichen Trias Frösteln-Fieber-Schweißausbruch. Dem Schweiß folgt ψ ύ ξ ις, Kältegefühl, weil der Schweiß oft die Eigenschaft hat, überschüssige Fieberhitze nach außen zu entladen (vgl. VI 318,8f. L.). Unddieses Kältegefühl ist nur eine derBeschwerden, diedenPatienten andiesem nichtkritischen Tagplagen. Zu echten, aber unvollständigen Krisen kommt es später, am 11., 17.und20. Tag.
Als seltenes Phänomen mußgelten, daßamkritischen 17. Tag in unserer Trias die . Endgültige Krise erfolgt erst ersetzen“ kalten Extremitäten dasgewohnte Frösteln „ amkritischen 40. Tag. Dieses dyskritische Leiden bestätigt also die hippokratische
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Regel: Fehlendes Frösteln zu Beginn der Fieberkrankheit verlängert bestenfalls ihren Verlauf. Eines ist nochhinzuzufügen: DieKrankheitserscheinungen bevorzu-
genbis zum 11. Tag einen Dreitage- undvondiesem Tag anbis zurHeilung einen Viertagerhythmus. g) Das nächste klinische Zeichen, das Nasenbluten zu Beginn des 2. Tages, führt uns vonder Dyskrisie bei diesem Fiebernden zu seiner Dyskrasie. Letztere kann in den Krankengeschichten von Epidd. III undI zwei Formen annehmen. Entweder gewinnt eine einzige unter denvier hippokratischen Humores die Oberhandüber diedrei anderen, oderes beginnt einKampf dervier Säfte; alle vier (oder auch nurdrei) kommen ansLicht undwerden durch verschiedene Reinigungswege ausgeschieden. Bei unserem „Mann“beobachten wirdiese zweite Form derDyskrasie. Am2. und4. Tag läuft ihm Blut aus der Nase, undzwar „ungemischtes“ , von anderen Säften nicht temperiertes reines Blut. Schwarze Galle erscheint mehrmals in Stuhl , gelbe Galle undHarn –Harn „ohne gute Farbe“bedeutet schwärzlichen Harn – zeigt sich am 4. und 17. Tag im Erbrochenen, und der Schleim wird mit den Schweißausbrüchen, demBodensatz imHarnundschließlich derDysenterie abgestoßen. Alle vier hippokratischen Farben werden also sichtbar: Rot, Schwarz, Gelb, Weiß. Auf alle diese klinischen Phänomene kommen wirin anderen Zusammenhängen wieder zurück. h) Die koische Humoralpathologie hat ein doppeltes Gesicht. Sie kennt eine Lehre derKrasis undDyskrasie dervier hippokratischen Säfte undeine derRoheit undKochung derMateria peccans. Die Brücke zwischen beiden Lehren bildet das Phlegma, dasin denäußeren undinneren Katarrhen zurMateria peccans wird. Und die Dyskrasie gehört selbstverständlich zurPhase derRoheit imgesamten Krankheitsverlauf. Wie äußern sich nun Roheit und Kochung in unserem Fall? Bemerken wir zunächst, daß sich Stuhl undHarn in ihrer Beschaffenheit fortwährend ändern und die Dauer desFieberleidens dadurch offenkundig verlängern (vgl. III A, 2, § 5, b). Beginnen wirmitdemStuhl. Hier begegnet unszunächst Unerwartetes. Am2. Tag geht fester Stuhl „gut“ ς! Was bedeutet dies? Der Patient ist von seinem ab, κ λ α ῶ ν α α ρ ό π akuten Fieber gleichsam überrascht worden. Wirbeobachten diese normalen κ bisweilen auch zuBeginn äußerst akuter undtödlicher Phrenitiden (vgl. III A, 4; B, , daß die Vorgeschichte α ν 4; I, 8). In der Rückschau bezeugen uns diese κόπρα unseren Patienten nicht schwer geplagt hat. Vom3. Taganhingegen wirdderStuhl : schwarz, dünn, obenauf schaumig, mit bläulichem, später roh“ ausgesprochen „ schwarzem Bodensatz, fettig, klebrig, übelriechend, undvonderterminalen schleimigen, weißen undschmerzlosen Dysenterie warschon in derGesamtvorstellung des Falles die Rede. Einige dieser Zeichen sprechen für eine starke Erhitzung (κ α μ ῦ ) der Eingeweide. Schwarze Galle im Stuhl und in seinem Bodensatz ist α ) hervorgeις σ έ verbrannte Galle, undderSchaum obenauf wurde durch Sieden (ζ bracht. Weitere Zeugnisse dieser inneren Glut sind das rostfarbene Erbrechen – , übermäßiger Durst, trockene Zungenoberfläche, wiederum geröstete gelbe Galle – Spannung undSchmerz imHypochondrion. Mit derinneren Erhitzung hängt auch der fettige und klebrige Stuhl zusammen; sie bewirkt ein „Abschmelzen“des
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Speckigen im Körper, das durch die Adern in denDarm sickert. Der üble Geruch des Stuhls deutet auf Fäulnis (σ ψ ) desDarminhalts hin. Unddie schleimige Dysenή terie ist dieletzte Ablagerung (ἀ π ό σ τα ) amEnde dieser langen Fieberkrankheit. σ ις Wenn Hippokrates in seinen Krankengeschichten am selben Tag Stuhl und Harn erwähnt, so pflegt er den Stuhl vor demHarn zu behandeln (vgl. auch die Kapp. 11und12 desPrognostikons). Diese Regel wirdin III A, 3 streng eingehalten. Und wie in III A, 2 stellen wir auch in III A, 3 beim Harn ein typisches Alternieren klinischer Phänomene fest. Bald erscheint er nur „dünn“ , bald mit anderen Merkmalen: wechselfarbig, schwärzlich („ keine gute Farbe“ ), schlammig, mitschwimmenden Wölkchen undBodensatz verschiedener Art. Alles bleibt „roh“ bis zumkritischen 24. Tag, wodernicht näher bestimmte Bodensatz als günstig und gekocht zu betrachten ist. i) Bleiben wirnoch imRahmen derkoischen Humoralpathologie. Schnell oder langsam bewegen sich die Säfte in diesem Fall. Unter anderem in Richtung aufdie Zwerchfellgegend. Schlaf- und Geistesstörungen sind die Folge, die gleichzeitig
auftreten undwieder verschwinden –ein zweites Alternieren klinischer Phänomene. In Richtung auf die Milz, die voneinem Tag zumandern anschwillt. Auf den Oberbauch, dersich plötzlich spannt undnochmals schmerzhaft wird. Auch aufdie Nabelgegend, wo es zu einem Zusammenstoß zwischen festem Darminhalt und ῦ σ α ι) kommt, derein „Klopfen“dort erzeugt. Fast alle Reinigungswege Winden (ϕ werden in Anspruch genommen, umdesÜberflusses anSäften Herr zuwerden, es fehlt eigentlich nurder Auswurf! Die „ vis medicatrix naturae“hilft sich, wie sie kann. Auch die sechs oder sieben Ablagerungen an allen möglichen Orten sind solche humoralen Abwehrerscheinungen. Die Säfte irren gleichsam im ganzen Körper umher; in der Volksmedizin spricht manvoneinem „ . Es folgen Wandern“ aufeinander Milzschwellung (schon eine erste Apostase?) unddann Schmerzen an mehreren Stellen nach kürzeren oder längeren zeitlichen Abständen: anOberschenkel, beiden Knien undWaden, Hüfte, Auge. ZudenAblagerungen gehören ebenfalls daseinseitige Schielen unddie kritische Dysenterie des40. Tages, die andie Stelle eines dicken gekochten Harnbodensatzes tritt, umdenPatienten vonseinem Leiden endgültig zubefreien (vgl. II 650,3f. L.). j) Schließlich bleibt noch auf dem Feld der koischen Säftelehre die Lateralisierung bestimmter Vorkommnisse zu erwähnen, bei den klinischen Zeichen, den Ausscheidungen unddenAblagerungen. Schon inderVorgeschichte treten Schmerzenin derrechten Schläfe auf, am2. Krankheitstag Nasenbluten links, Schmerz im (linken) Oberschenkel „ τ᾽ ἴξ α ς) κ η ν ὸ π λ , (σ in Richtung auf die Milz“ , und ιν Spannung imrechten Oberbauch, am9. TagSchielen aufdemrechten Auge, am27. Schmerz in der rechten Hüfte undam 29. im rechten Auge. Kurzum: Die Krankheitsstoffe bewegen sich von rechts nach links und umgekehrt innerhalb eines geschlossenen Adernsystems, und sie können auch zur gleichen Zeit beidseitig einspekulativer, ausbrechen, wiebei denKnie- undWadenschmerzen am15.Tag– zwei Jahrtausende vorWilliam Harvey. Blutkreislauf“ imaginärer „ ensmorbi“haben wirbei diesem „Mann“zu k) Welche Krankheitsart, welche „ ς, auch wenn Galen verο σ α ῦ diagnostizieren? Zweifelsohne ein Brennfieber, ein κ gißt, es zubestätigen. Alles spricht dafür: die Kopfschwere unddie Kopfschmerzen,
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die Dreiergruppe Kältezeichen-Fieber-Schweißausbruch, die Schläfrigkeit, die Zweiergruppe trockene Zungenoberfläche-übermäßiger Durst, dasNasenbluten und das Erbrechen von gelber Galle, die Zweiergruppe Schlaflosigkeit-Geistestrübung unddieStörungen beiStuhl undHarn. Wirvermissen nurdengewohnten Brechreiz, doch zumErbrechen vonGalle kommt es trotzdem. Also liegt Brennfieber voroder zumindest brennfieberartiges Fieber, κ ςπ η α ώ δ υ σ ρ υ ε ς. τ ό 1) Doch ebenso sicher ist, daß es sich hier um ein atypisches Brennfieber Bei Brennfieber bringen die(ersten) handelt. Die 134. Koische Prognose lautet: „ 14 Tage die Entscheidung, sei es, daßBesserung, sei es, daßderTodeintritt.“(Vgl. auch IX 280 L., §§ 11und14.) Unser „Mann“hingegen erleidet am 14. Tageinen Rückfall undgenest erst am40. nach einem wechselvollen Krankheitsverlauf. Und eine längere Reihe anderer klinischer Phänomene fällt ebenso ausdemRahmen des klassischen Brennfiebers, zumBeispiel der schaumige Stuhl mit Bodensatz, die Benommenheit, die Milzschwellung, das Klopfen in der Nabelgegend. Weitere solche Abweichungen erwähnen wir erst im laufenden Kommentar (§ 2), um Wiederholungen zuvermeiden. m) Galenisches zudieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 561– 575 K.). –Der Praktiker Galen macht diesem Patienten zunächst Vorwürfe (S. 564). Mit seinen Kopfbeschwerden hätte er einen Arzt aufsuchen sollen. Vorbeugen ist besser als Heilen. So wäre es nicht zu diesem schweren Fieberleiden gekommen. Auch für αdes2. Tages ein günstiges klinisches Zeichen, imGegenν α ρ π ό Galen sind die κ satz zu allen folgenden (S. 566). Die Milzschwellung ist für ihn schon eine erste Apostase, worin er vielleicht recht hat (S. 567). Am8. Tag stellt der Pergamener scharfsinnig fest, daßalle bislang erwähnten Zeichen trügerisch sind (S. 568). Der ς, schwerster Art; diePrognoισ έγ το Patient ist zwarkräftig, seine Krankheit aberμ se bleibt also vorläufig unsicher, desgleichen nach denkritischen Phänomenen des 9. und 11. Tages (S. 569f.). Das Schielen auf dem rechten Auge beängstigt Galen nicht übermäßig; solche Einzelbestandteile der Facies hippocratica sind wohl bei heftigen akuten Fiebern öfter zubeobachten gewesen (S. 569). Dielange Dauer des Leidens und seine Wechselfälle erklären sich aus der Menge und Roheit der kranken Säfte, doch denSieg erringt amEnde derPatient. Entscheidendes ereignet sich regelmäßig an den kritischen Tagen (S. 571ff.). Auch andere Stellen der Kommentare Galens zu denEpidd. III undI können unsbeim Fall III A, 3 weiterhelfen. XVII A 52 und265 K. definiert er die hippoα ὶα ἰτία ι. XVII A 111und ϕ ά ςals sichtbare Ursachen, ϕανερ σ ιε ρ ο kratischen π 170 K. erklärt er das Nasenbluten wie folgt: Durch dasheftige Fieber erhitztes Blut steigt indenKopf, sprengt dieAdern inderNaseundfließt nachaußen. Rostfarbene Galle im Erbrochenen ist geröstete gelbe Galle ausdenallzu heißen Eingeweiden (XVII A 152 und761 K.). ZumZusammenhang zwischen übelriechendem Stuhl undFäulnis vgl. XVIII B 143 K.; zuden schwimmenden Wölkchen wie Gerstenschrot XVIII B 151f. K. n) Epikrise. –Die Krankengeschichte dieses „Mannes“ist dielängste inEpidd. III undI. Einechtes Brennfieber, jedoch mitatypischem Verlauf wegen der„Grö(Galen) dieses Leidens. Beginn mitVorgeschichte, auslösender Ursache, aber ße“ ohne Initialfrösteln vordemFieber. Dyskrisie, Dyskrasie; dievier Humores werden
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durch verschiedene Reinigungswege abgestoßen; rohe Säfte „wandern“rastlos im ganzen Körper vonunten nach oben, vonrechts nach links undumgekehrt, sechs oder sieben Ablagerungen; mehrere ungewöhnliche Krankheitszeichen. Klinische Kontraste im Verlauf desLeidens, Scheinbesserungen, vorkritische Verschlimmerungen, unvollständige Krisen und Rückfälle, Leitmotive, Alternieren klinischer Phänomene. Genesung am kritischen 40. Tag mit einer typischen Abfolge von Krankheiten. Die klinischen Vorfälle folgen zunächst einem Dreitage-, nach dem 11. Tageinem Viertagerhythmus. Derrobuste Patient verliert nie seinen Appetit.
2. Laufender Kommentar: Der Mann, der im Garten des De(i)alkes krank lag, hatte (schon) lange Zeit „ Kopfschwere undSchmerzen inderrechten Schläfe. NachEintreten einer NebenurMann“ist wahrsache ergriff ihn Fieberglut, er mußte sich hinlegen.“–Dieser „ scheinlich ein Sklave; als er erkrankte, hat sein Herr denArzt Hippokrates herbeigerufen; wo die Besitzung des thasischen Bürgers De(i)alkes lag, können wir heute nicht mehr mit Sicherheit bestimmen. Dieser Sklave klagte schon längere Zeit überKopfbeschwerden vorwiegend auf der rechten Seite. Wir denken an eine Überfülle an Schleim in der Schädelkapsel, undklinische Erscheinungen rechts sind gefährlicher als links. Plötzlich tritt eine
nicht näher angegebene auslösende Ursache hinzu, es kommt zu einem heftigen Fieberanfall, und der Patient legt sich auf seine Schlafstelle. Der Überfluß an Phlegma im Kopf wird wohl eine Rolle dabei gespielt haben; dieses allgemeine Fieberleiden hat also wahrscheinlich einen örtlichen Ausgangspunkt ή ). μ ϕ ρ ο (ἀ ) Blut; ungemischtes“ Amzweiten Tagfloß ausdemlinken Nasenloch reines („ „ fester Stuhl ging gutab. Urin dünn, wechselfarbig, mit spärlichen schwimmenden Wölkchen wie Gerstenschrot, samenähnlich.“–Bis zum11. Taghatdieser Sklave jeden Tag seinen Arzt gesehen oder vielleicht dannundwanneinen seiner Schüler, desgleichen zwischen dem14.unddem21. Tag. Am2. Taggehen dieBeschwerden vonrechts nachlinks über. NachdenSchmerzen inderrechten Schläfe während der Vorgeschichte blutet der Patient jetzt aus demlinken Nasenloch. Die Lateralisierung der klinischen Vorfälle nach rechts oder links bildet ein Leitmotiv dieser Krankengeschichte wie auch die Dyskrasie, der Kampf der vier hippokratischen Säfte, derebenfalls schon am2. Tag mitdemreinen und„ungemischten“Blut in Erscheinung tritt. Gleichsam als ein Andenken andenguten Allgemeinzustand dieses Mannes vordemersten Fieberschub ist derfeste Stuhl zubetrachten, derkurz nach λ α ῶ ς, ordentlich) abgeht. DerHarn wird wie gewöhndemNasenbluten „schön“(κ lich nach demStuhl beschrieben, erweist sich aber imGegensatz zujenem schon als : dünn, wechselfarbig mit spärlichen Wölkchen, die im Harnglas roh“ typisch „ Gerstenschrot“und„samenähnschwimmen undsomit nicht nachunten tendieren. „ lich“sind originale Metaphern, diejedoch prognostisch ungünstige Erscheinungen kennzeichnen.
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„ Am dritten Tag heftiges Fieber, Stuhl schwarz, dünn, obenauf schaumig, bläulicher Bodensatz bei diesem Stuhl, leichte Benommenheit, Übelbefinden beim Aufstehen, imHarnbläulicher Bodensatz, etwas klebrig.“ –Derdritte Tagbringt in diesem kontinuierlichen Fieber einen neuen Paroxysmus, wiederum ohne auslösendes Kältephänomen; ein Dreitagerhythmus stellt sich ein, der bis zum 11. Tag fortdauern wird. Dannberichtet derAutor wieder überdenStuhl, undzwarausführlich. Wir hören jetzt von schwarzfarbigen undschaumigen Durchfällen undauch voneinem bläulichen Bodensatz (nachdem mandasAusgeschiedene stehen gelassen hat). Die Eingeweide sind also bis zumSieden erhitzt, die gelbe Galle wird bläulich oder gar schwarz: ein neues Zeichen derDyskrasie; unddie Änderung in der Beschaffenheit des Stuhls kündigt eine Verlängerung des Leidens an. Da ähnliche Wechselfälle auch beim Harn zubeobachten sind, gesellt sich ein drittes Leitmotiv zudenzwei schon erwähnten hinzu. ςangegeben. Es handelt ο ρ Alsnächstes Zeichen wirdeine leichte Formdesκά ρ sich umeinen Halbschlaf wie nach einer Kopferschütterung (vgl. π ο ), in ρ ύ ω α κ α diesem Fall verbunden miteinem Übelbefinden beim Aufstehen undAnflügen von Ohnmacht beim Stuhlgang. DieAngaben zum3. Tagenden miteinem Harnphänomen: bläulicher, schwarzgalliger Bodensatz wie beim Stuhl undnoch „klebrig“ Abschmelzen“desSpeckigen dazu, also leicht fettig; dashohe Fieber bewirkt ein „ im Körper. Kein einziges günstiges Zeichen gibt es andiesem 3. Tag; alles bleibt dyskrasisch undroh unddie Prognose völlig unsicher. „ Amvierten Tag wenig gallig-gelbes, nach kurzer Pause rostfarbenes Erbrechen; ausdemlinken Nasenloch floß wenig ungemischtes Blut; Stuhl wie vorher, Harn wie vorher; dabei schwitzte er an Kopf undSchlüsselbein, die Milz schwoll an, Schmerz im Oberschenkel in Richtung auf die Milz; im rechten Oberbauch Spannung bei eher weichem Bauchinhalt; nachts schlief er nicht ein, leicht verwirrt.“–Der kritische 4. Tag bedeutet denHöhepunkt der Dyskrasie bei diesem Patienten. Alle vier Humores tunsich plötzlich in denAusscheidungen hervor. Die gelbe Galle imErbrochenen; bald erscheint sie rostfarben infolge derübermäßigen Hitze im Oberbauch. Das Blut fließt wie am2. Tag ungemischt aus demlinken , bläulich Nasenloch. In Stuhl und Harn überwiegt weiterhin „ Melancholisches“ oder schwarz. Undmit demungünstigen örtlichen Schweißausbruch an Kopf und Schlüsselbein kommt der Schleim als letztes Glied deshippokratischen Säftequartetts zum Vorschein. Nützlich hingegen sind die Milzschwellung auf der linken Seite, die nach Galen schon eine erste Apostase darstellt, und der Schmerz im gleichseitigen Oberschenkel („ ), derzweifellos aufeine Ablagerung von Splenitis“ Krankheitsstoffen nach unten hinweist. Schädliches und Vorteilhaftes wird in einem typischen günstigen Kontrast zwischen klinischen Zeichen im Verlauf dieser Krankheit gezeigt; dieser Kontrast ist ein erster vonmehreren anderen. Auffallend ist vonneuem die Lateralisierung nach links undrechts. So spannt sich auch noch der Oberbauch auf der rechten Seite, hier vielleicht ebenfalls ein Zeugnis derFieberglut in dieser Körpergegend; ) derStelle kommt es nicht. Der ή ν ο μ λ εγ doch zueiner wirklichen Entzündung (ϕ Tagendet mitderZweiergruppe klinischer Zeichen Schlaflosigkeit-Geistesstörung, deren AufundAbwirindiesem Fall nochoftmals verfolgen werden. Wirbemerken
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viele bösartige Phänomene, aber auch eine oder zwei Ablagerungen, die die Prognose andiesem ersten kritischen Tagetwas aufhellen. „ Amfünften Tag mehr Stuhl, schwarz, obenauf schaumig, schwarzer Bodensatz bei diesem Stuhl; nachts schlief er nicht, phantasierte.“–Die vier ersten Tage boten demAutor die Gelegenheit, schon fast alle klinischen Phänomene dieses Fieberleidens vorzuführen. So zeigt unsdessen weiterer Verlauf vorwiegend dasSpiel dieser Erscheinungen bei seinen zahlreichen Wechselfällen. Auch am 5. Tag bleibt der Stuhl gleich, nurhatdie Hitze imOberbauch noch zugenommen, sogar derBodensatz istjetzt schwarz. Undwie schon am4. Tag wird auch am5. die Zwerchfellgegend in Mitleidenschaft gezogen: Nachts kann der Patient nicht schlafen, unddie Geistesstörung nimmt zu. Am sechsten Tag Stuhl schwarz, fettig, klebrig, übelriechend; schlief, war „ besser bei Verstand.“–Der Autor faßt sich kurz, umso mehr springen uns seine Angaben indieAugen. Wirbeobachten einen zweiten günstigen Kontrast zwischen klinischen Zeichen. Der Stuhl sieht böse aus: immerfort schwarz, dazu fettigklebrig durch fieberbedingte Abschmelzung undnoch übelriechend wegen Fäulnis imDarminhalt. Aber bei derZweiergruppe Schlaf-Geisteszustand zeigt sich Positives: DerPatient schläft ein, under hatte seinen Verstand teilweise wiedergefunden. Damit bessert sich auch seine Prognose merklich. „ Amsiebten Tag Zungenoberfläche trocken, Durst, konnte nicht einschlafen, phantasierte, Urin dünn, keine gute Farbe.“–Handelte es sich am6. Tag nurum eine Scheinbesserung? Jedenfalls kommt es amkritischen 7. Tag zu einer deutlichen Verschlimmerung des Leidens; dessen Dreitagerhythmus setzt sich offenkundig fort. Kein Fieberschub, dafür aber eine neue Zweiergruppe klinischer Zeichen, die nach vielen früheren Phänomenen die Diagnose Kausos endgültig bestätigt: trockene Zungenoberfläche und (übermäßiger) Durst; die Eingeweide „ brennen“ weiter. Bei der Zweiergruppe Schlaf-Geisteszustand schlägt das Pendel wieder in die entgegengesetzte Richtung aus: Schlaflosigkeit, Phantasieren. Undauch beim Harn stellen wirjetzt einAlternieren fest: Er ist einfach dünnundschwärzlich. Wie am3. und5. Tag sind dies lauter ungünstige klinische Erscheinungen; alles bleibt dyskrasisch undroh. Die Prognose ist darum nicht infaust, doch alles spricht für eine längere Krankheitsdauer. „ Amachten Tagwenig schwarzer, geformter Stuhl; schlief, warbei Besinnung, Durst nicht im Übermaß.“–Hier findet sich ein neuer eindeutiger günstiger Kontrast zwischen klinischen Zeichen im Verlauf der Krankheit. Der Stuhl ist immer noch schwarz unddyskrasisch, jedoch nunandererseits geformt, undalle weiteren klinischen Erscheinungen sind prognostisch erfreulich: Der Patient schläft undist wieder bei Besinnung, sein Durst nicht mehr zustark im Verhältnis zumanhaltenden kontinuierlichen Fieber. Ohne Zweifel widersteht dieser „Mann“erfolgreich seiner Krankheit. Doch Vorsicht ist geboten. Wie der 6. so ist auch der 8. kein kritischer Tag, die neue Scheinbesserung daher ebenso unheilschwanger wie die erste. „ Am neunten Tag fröstelte er, heftiges Fieber, er schwitzte, Kältegefühl, Verstörtheit, schielte aufdemrechten Auge; Zungenoberfläche trocken, Durst, Schlaflosigkeit.“–Eines steht fest andiesem 9. Tag: Daskontinuierliche Fieber unterliegt
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einer Dreitageordnung. DenFieberanfällen am 1. und3. Tag folgt nunein dritter Anfall, indessen erstmals innerhalb dervollen Dreiergruppe Frösteln-Fieber-Schweißausbruch. Dendrei typischen klinischen Erscheinungen entsprechen drei stehende Ausdrücke inderFormulierung. Statt derbefürchteten Verschlimmerung kommt es zueiner Krise, allerdings einer unvollständigen. KeinWunder: Dergrößte Teil der Krankheitsstoffe verbirgt sich noch immer dyskrasisch und roh im Körper des Patienten. Klinisch Ungünstiges ist demnach zuerwarten, undes läßt hier nicht einmal auf sich warten. DemSchweißausbruch folgt unmittelbar ein Kältegefühl ander Körperoberfläche, aber derOberbauch bleibt innen übermäßig warm allen Krisenphänomenen zum Trotz. Die beiden Zweiergruppen Schlaflosigkeit-Geistesstörung undtrockene Zungenoberfläche-heißer Durst zeugen davon. Doch angsterregend sinddiese klinischen Erscheinungen nicht. Eine halbe Krise hatgleichwohl stattgefunden, undeine günstige Ablagerung kommt noch hinzu, ein Schielen desrechten Auges. Dieses Zeichen gehört zwar zurFacies hippocratica, undrechts ist gefährlicher als links. Auf eine Apostase weist es aber trotzdem hin, undes ist schon die dritte. Ein weiteres Leitmotiv dieser Krankengeschichte bahnt sich hiermit an. Die Prognose bleibt imganzen günstig. „ Amzehnten Tagungefähr dasselbe.“–Tagszuvor waren nachderunvollständigen Krise undvonderApostase amAuge abgesehen alle klinischen Erscheinungenungünstig. Der 10. Tag bringt keine Besserung; wasist vom 11. zuerwarten? Die Beschwerden können gleichbleiben oder sich gar verschlimmern; dasist die eine Möglichkeit. Oder wir haben es am9. und 10. Tag mit einem klinischen Ereignis zutun, demwirbisher nochnicht begegnet sind. Der 11.Tagist einkritischer Tag. Nunkommt es bisweilen vor, daßsich voreiner Krise aneinem kritischen Tag dasFieberleiden mehr oder weniger dramatisch zuspitzt, bevor diese Krise daraufhindie Erlösung bringt. Wirkönnen dieses Phänomen eine vorkritische Verschlimmerung nennen (französisch: exacerbation précritique). AmAbend des 10. Tages mußderPrognostiker aufbeide Eventualitäten gefaßt sein. „ Amelften Tagvöllig klar, fieberfrei, er schlief; Urin dünnzurZeit derKrise.“ –Der 11. Tag bringt tatsächlich die Entscheidung. Die klinischen Erscheinungen des 9. und 10. Tages sahen gefährlicher aus, als sie es in Wirklichkeit waren. Der Patient ist erstmals fieberfrei, völlig bei Verstand, er schläft. AufdasAlternieren bei diesen zwei letzten Zeichen brauchen wir fortan nicht mehr zurückzukommen. Allein, auch Ungünstiges ist zuvermerken. DasFieber verschwindet ohne gleichzeitigen Schweißausbruch, undderHarnbleibt dünn, völlig roh. DerAutor spricht bewußt voneiner Krise. Daßsieunvollständig istwieam9. Tag, mußderLeser aus denAngaben selbst erraten. DerRückfall wird nicht lange auf sich warten lassen. Hier zeigt sich klassische hippokratische Krankheitslehre, von der Klinik bestätigt. Zwei Tage fieberfreie Unterbrechung, Rückfall am vierzehnten Tag; sofort „ nächtliche Schlaflosigkeit, völlig verstört.“–Ein leichtes Brennfieber heilt in 14Tagen. Unser „Mann“wirdnicht so schnell davonkommen, wirwissen es schon fast von Anfang an. Der befürchtete Rückfall ereignet sich am 14. Krankheitstag, nicht schon am 13. Die bisherige Dreitageordnung weicht fortan einem Quartanatakt. Der griechische Originaltext besteht fast ausschließlich aus stehenden Aus-
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drücken –die Krankengeschichten der Gruppe III A sind wahrhaftig nicht die ersten, die Hippokrates verfaßt hat! „ Rückfall“bedeutet hier zunächst „ heftiges Fieber“ ρ ςὀξ ,π υ ε τὸ ύ ς, den vierten Fieberparoxysmus; der Autor rechnet mit der gedanklichen Mitwirkung des Lesers. Folgeerscheinung der neuen inneren Erhitzung ist wiederum dieZweiergruppe Schlaflosigkeit-Geistesstörung. FürHippokrates sind beide Phänomene engstens miteinander verbunden; er „zeigt“es uns eindeutig in diesem Krankenbericht. „ Amfünfzehnten Tag Urin schlammig, wie wenn manihnaufrüttelt, nachdem er sich gesetzt hat, heftiges Fieber, völlige Verwirrung, konnte nicht einschlafen, Knie- undWadenschmerzen; nachEinsetzen eines Zäpfchens ging indes schwarzer –Dererste Eindruck täuscht nicht: Dieser Rückfall hält auch am fester Stuhl ab.“ 15. Tag an undverschärft sich sogar noch. Erörtert wird zunächst derZustand des Harns, vielleicht umauch hier ein Alternieren klinischer Phänomene herauszustellen. Nach mehreren Tagen mitdünnem Harn wird er plötzlich schlammig, enthält aber keinen Bodensatz undbleibt also roh, wenn auch in anderer Form; zu seiner Kennzeichnung dient ein ganzer Satzteil, denwirals stehenden Ausdruck in anderen Krankengeschichten wiederfinden (vgl. I, 4; 11). Es folgen allgemeine Beschwerden: wiederum hohes Fieber, die Zweiergruppe Schlaflosigkeit-Geistesstörung, wobei wie beim 14. Tag aufdie „ völlige Verwirrung“hingewiesen wird. Neues kommt hinzu mit einer weiteren Apostase. Kranke Säfte fließen nach unten, unddieser innere Katarrh verursacht Schmerzen inbeiden Knien undWaden, sozusagen eine Lateralisierung nach rechts undlinks zugleich. Dies ist obendrein einnützliches Phänomen, dasdiekurzzeitig etwas düstere Prognose wieder verbessert. Mit anderen Worten ausgedrückt haben wir hier einen neuen günstigen Kontrast zwischen klinischen Zeichen im Verlauf dieser Krankheit. Der Arzt aber gibt sich mit diesen Vorkommnissen nicht zufrieden. Er will seinem Patienten helfen undzusätzliche prognostische Aufschlüsse gewinnen. DasZäpfchen ist bei Fieberleiden das mildeste Abführmittel gegen Verstopfung. Diesmal bringt es Doppeldeutiges zutage. Ungünstiges: Der Stuhl bleibt noch immer dyskrasisch und schwarz; und Günstiges: Er ist aber fest undgeformt. Dieser Rückfall ist ernst zu nehmen, jedoch keine Katastrophe. „ Amsechzehnten Tag Urin dünn, mit schwebenden Wölkchen darin; phanta–DasAlternieren beim Harn, derwieamVortag alserste klinische Erscheisierte.“ nung genannt wird, geht weiter. Jetzt ist er wieder dünn mit ungünstigen schwimmenden Wölkchen, die sich nicht setzen. Dieser durchweg rohe Harn tritt auch auf als erstes Glied derZweiergruppe klinischer Zeichen dünner Harn-Geistesstörung. DerPatient „phantasiert“nurnoch; sein Geisteszustand hatsich also gebessert. Die Prognose amVorabend deskritischen 17. Tages ist ungewiß, jedoch nicht schlecht in Anbetracht desgesamten bisherigen Verlaufs dieses Fieberleidens. „ Am siebzehnten Tag früh kalte Extremitäten, man deckte ihn warm zu; heftigesFieber, allgemeiner Schweißausbruch, Erleichterung, besser bei Verstand; nicht fieberfrei, Durst; wenig gallig-gelbes Erbrechen; ausdemLeib ging fester Stuhl ab, nachkurzer Zeit aber schwarzer, dünner Stuhl ingeringer Menge; Urindünn, keine –Vorherzusehen waramvorherigen Tagauchnicht, daßdernächste so gute Farbe.“ reich anVorfällen sein würde. Dererste ist einneuer Fieberanfall nach demjenigen
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des 14. und15. Tages. Wie am9. ist dasFieber wieder Mittelglied in derDreiergruppe Kältezeichen-Fieberschub-Schweißausbruch. Indes miteinem Unterschied: Statt des vertrauten Initialfröstelns klagt derPatient über kalte Extremitäten, man mußihnwarmzudecken. Nachdieser ungewöhnlichen Krise fühlt er sich trotzdem wohler undist auch besser bei Verstand. Doch es handelt sich abermals nur um eine unvollständige Krise, um eine ausgesprochen unvollständige sogar. Zahlreiche klinische Erscheinungen zeugen davon. Als erstes fällt auf, daßderallgemeine Schweißausbruch dasFieber nicht völlig zumErliegen gebracht hat. ImOberbauch herrscht weiter Hitze, derPatient ist durstig und stößt wie am 4. Tag überschüssige (heiße) gelbe Galle durch Erbrechen ab, was zumjetzigen Zeitpunkt des Krankheitsverlaufs eigentlich kein schlechtes Zeichen ist, sondern eher eine ArtApostase nach außen. Stuhl undHarn hingegen verändern sich wieder, bleiben aberdyskrasisch undroh.Beide sinddünn, schwarz oder schwärzlich (für denHarn vgl. den7. Tag). DieBesserung waralso nur vorübergehend; ein Rückfall ohne neuen Fieberschub. Die Heilung kommt, aber nicht vonheute aufmorgen. Am achtzehnten Tag nicht bei Besinnung, Schläfrigkeit. Am neunzehnten „ desgleichen. Am zwanzigsten Tag Schlaf, völlig klar, Schweißausbruch, fieberfrei, kein Durst, Harn aber blieb dünn.“–DieHauptmomente dieser Krankengeschichte sind unsjetzt bekannt; wir können uns fortan kürzer fassen. Nach der flüchtigen Scheinbesserung zuBeginn des 17.Tages verschärft sich derRückfall während der zwei folgenden Tage. Die Geistesstörung nimmt stark zu,undderPatient fängt an . Sein Kopf hat als Schröpfglas gewirkt, d.h. aus dem erhitzten Oberzu „dösen“ bauch warme Säfte zu sich heraufgezogen undist dadurch plötzlich plethorisch geworden. Kurzum, es ist zueiner zweiten vorkritischen Zuspitzung derBeschwerdengekommen. Der 20. Tag enttäuscht mit seiner unvollständigen Krise. In manchem ist sie durchaus günstig. Nacheinem neuen Schweißausbruch ist derPatient fieberfrei, bei Besinnung, erkannschlafen undhatseinen übermäßigen Durst verloren. Dochauch : Es warkein„allgemeiέ Negatives wirdberichtet, eingeleitet miteinem beredten δ ι᾽ὅλ Schweißausbruch (δ ner“ ), derHarnist wieder heillos dünn. Die Krankheitsυ ο stoffe wollen und wollen nicht aus dem Körper heraus. Die Heilung läßt noch immer auf sich warten. „ Am einundzwanzigsten Tag leichte Verwirrung, etwas Durst, Schmerz im Hypochondrion, undumdenNabel Klopfen biszumEnde. Amvierundzwanzigsten Bodensatz im Urin; völlig bei Verstand.“–Die erwartete Verschlimmerung tritt schon amnächsten Tagein. VonFieber istnicht mehrdieRede, aberderOberbauch wird wieder übermäßig warm. Der Patient ist leicht verwirrt, durstig, klagt über Schmerzen vornunter denRippen, undumdenNabel bricht plötzlich einneues und ς, dasdenPatienten bis ό μ α λ ,π Klopfen“ seltenes klinisches Phänomen hervor: ein„ ς, auch ein stehender Ausdruck) seines Leidens nicht mehr ο ε ιὰτέλ zumEnde (δ verläßt. Ein letztes Leitmotiv, dasderAutor in seinem nachträglichen Krankenbeῦ σ ι) auf α richt als solches bewußt herausstellt. Im Darm stoßen die Winde (ϕ Hindernisse undbewegen sich nurruckweise fort.
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Ein Grund zurBesorgnis? Derkritische 24. Tag beruhigt Arzt, Patienten und Umgebung. ImHarnzeigt sich (weißer) Bodensatz, unser „ Mann“ist daher wieder völlig bei Besinnung. Endlich kommt einwenig Materia peccans greifbar zumVorschein. „ Amsiebenundzwanzigsten TagSchmerz inderrechten Hüfte, imübrigen aber bestes Befinden; im Harn (wiederum) Bodensatz. Um den neunundzwanzigsten aber Schmerz imrechten Auge, Urin dünn.“–Auchdiezwei vorletzten vorgestellten Tage können wir zusammen nehmen. Aus demkritischen 27. Tag tritt noch einmal ein günstiger Kontrast zwischen klinischen Zeichen hervor. Die Ablagerung nach rechts ist ungünstig undkündigt eine Verlängerung desLeidens an.Apostasen gibt es also bis zuletzt, ein wahres Leitmotiv dieser Krankengeschichte. Hier nach unten undaufeingroßes Gelenk, dieHüfte. Beides indes sindgünstige Zeichen. Der Patient ist überdies bei bestem Befinden, sein Arzt selbst legt Wert darauf, es zu betonen. Auch der neue Bodensatz im Harn ist nützlich. Fast vollzieht sich eine kleine Krise gegen Ende dieses Fieberleidens. Der nichtkritische 29. Tag beginnt mit einem unerwünschten Zwischenfall: einer letzten Apostase rechts, nach oben dazu undeinem füreine Ablagerung von Krankheitsstoffen ungeeigneten weil zu„ kleinen“Ort, demAuge. Undbeim Harn ereignet sich ein letztes schädliches Alternieren; jetzt ist er plötzlich wieder völlig dünn undroh. Vor dem glücklichen Ende erfolgt einmal noch eine vorkritische Zuspitzung. AuchdasKlopfen inderNabelgegend hältja an.Alle werden nochwarten müssen; allzu vieles spricht füreine weiter sich hinziehende Krankheit. „ Am vierzigsten Tag ziemlich viel schleimiger, weißer Stuhl, allgemeiner starker Schweißausbruch, endgültige Krise.“–Nach mehreren unvollständigen η ελ , nocheinstehender ςἐκρίθ έ ω Krisen kommt es endlich zurendgültigen Krise (τ Ausdruck), undzwar genau aneinem kritischen Tag, dem40., nicht umihnherum (π ί). Stets ist also eine Ordnung in diesem langen Krankheitsgeschehen erkennερ bar, zuerst im Tertiana-, danach im Quartanarhythmus. Wie vollzieht sich diese immer wieder angehaltene Erlösung? DerKörper befreit sich vonderÜberfülle an rückständigen kranken Säften durch zwei Reinigungswege. Durch einen banalen, denallgemeinen undstarken Schweißausbruch, undeinen ungewöhnlichen undunerwarteten: eine offenbar schmerzlose undschleimige (nicht blutige) Dysenterie, den fehlenden terminalen weißen Bodensatz im Harn gleichsam ersetzt. Rotes, Schwarzes, Gelbes wurde schon früher ausgeschieden, undjetzt kommt noch massenhaft Materia peccans in derForm (weißen) Phlegmas hinzu. Voneinem anderen Standpunkt ausist aber noch folgendes zubemerken: Eine neue Krankheit, die Dysenterie, empfängt hier das atypische und dyskritische Brennfieber, tritt sozusagen als letzte Ablagerung seine Nachfolge anundführt es zumgünstigen Ende. Im späteren I. Epidemienbuch nennt derselbe Autor diesen (vgl. II ν ω ά τ ὴνουσημ χ ο δ Vorgang, denwirschon vonIII A, 1 herkennen, eine δια 670, 10f. L.). Eine Reihe ähnlicher Fälle wird ihnwohl plötzlich auf denGedanken gebracht haben, diesen originalen undpassenden Fachausdruck zuprägen. Imganzen handelt es sich umeine wahrlich beispielhafte hippokratische Krankengeschichte: durch die lange Dauer des Leidensverlaufs, die Vielfalt der klinischen Geschehnisse unddie Akribie ihrer ursprünglichen Schilderung. Es lohnte sich daher, diesen laufenden Kommentar so ausführlich wiemöglich zugestalten.
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3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII– I:
a) Zudenendemischen Krankheiten dervier Katastasen. –Diesmal machen wir eine Ausnahme undfragen nach den Beziehungen zwischen dieser Krankengeschichte unddenvier Katastasen vonEpidd. III undI, obgleich sich darüber nichts Sicheres sagen läßt. DerGrund dafür liegt inderTatsache, daßdervorige Fall III A, 2 ein Brennfieber ist, der vielleicht (wahrscheinlich?) zur Kausosepidemie von Epid. III gehört, undes sich bei dem„ Mann“ inIII A, 3 ebenfalls umeinBrennfieber handelt. Ist er also trotz allem in dieselbe Katastase einzuordnen?
Aneinigen Gemeinsamkeiten
mangelt
es nicht. WieinderKatastase vonEpid.
III ist auch das Brennfieber in III A, 3 langwierig, dyskritisch und gefährlich; in beiden Berichten kommen Nasenbluten, erhebliche Störungen bei Stuhl undHarn und sogar eine Dreitageordnung in den klinischen Erscheinungen vor. Doch die Unterschiede sind andererseits allzu groß. Verheerende Appetitlosigkeit in der Katastase, während unser „ Mann“nie denAppetit verliert. Absolutes Fehlen von Ablagerungen inderKatastase; inIII A, 3 dagegen sind sie geradezu einLeitmotiv! Sinnvoll ist es folglich, denFall III A, 3 als einen unabhängigen Krankenbericht hinzunehmen. b) ZumPrognostikon. –Epid. I undPrognostikon, wirwissen es schon, kennen Zusammenhänge zwischen Beschwerden an Kopf undHypochondrion einerseits, 6 Nasenbluten undErbrechen vongelber Galle andererseits (vgl. II 636– 8 und182– L.). In III A, 3 kommen alle diese Phänomene vor, aber ihre Beziehungen zueinander sind nicht offenkundig. c) Mehrere klinische Befunde inStuhl undHarntreffen wirindenKapp. 11und 12 desPrognostikons wieder. Wirheben nureinige Einzelheiten hervor. Auch das Prognostikon berichtet über Erschöpfung oder gar Ohnmacht bei häufigem Stuhlgang (II 136,1– 3 L.). Veränderungen in der Stuhlbeschaffenheit verlängern das Fieberleiden (II 138,2f. L.). Von Bodensatz im Stuhl ist in diesem Traktat nicht die Rede; in III A, 3 ist er stets ungünstig. Dauernd roher Harn ist bei langwierigen Fiebern gefährlich; inIII A,3 bleibt erüberdreiWochen langunreif, undderPatient übersteht trotzdem sein Leiden. Wird hingegen dieses ungünstige Zeichen durch einige gutartige aufgewogen, so kann manmitnützlichen Apostasen unterhalb des 4 L.). InIII A, 3 begegnen wirsolchen Ablagerungen, Zwerchfells rechnen (II 142– aberauchzweien amAuge! Dieklinische Wirklichkeit istebenoft phantasiereicher ςderÄrzte, undHippokrates warsich dessen voll bewußt. ό μ γ ισ als derλ ο d) Im Gegensatz zu den günstigen allgemeinen Schweißausbrüchen an kritischen Tagen deutet örtlicher Schweiß anKopf undNacken aufTododer Verlänge4 L.). rung der Krankheit hin (vgl. Kap. 6, II 122– e) Apostasen. –III A, 3 weicht in mancherlei Hinsicht vondenAngaben im Kap. 24 des Prognostikons ab. Die erste Ablagerung findet schon am 4. Tag statt (vielleicht sogar schon die zwei ersten Apostasen). Nicht allein die Hüfte, sondern mehrere andere Körperteile werden befallen, unten, oben, rechts, links, beidseitig. Gegenüber dieser Vielfalt anPhänomenen erscheint dasentsprechende Kapitel des
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Prognostikons dürftig. Sinnvolle prognostische Regeln aufzustellen warnicht immer leicht. f) Hypochondrion. –Vgl. III A, 2, § 3, 1). Wie beim vorigen Fall sind auch in III A, 3 die Beschwerden imOberbauch eher geringfügig. Dasüberrascht umso mehr, als eine lange Reihe klinischer Zeichen auf eine fürBrennfieber charakteristische starke Erhitzung derEingeweide hinweist: schwarzer, schaumiger Stuhl, Erbrechen von rostfarbener Galle, Schlaflosigkeit, Geistesstörung, trockene Zungenoberfläche, Durst. Entscheidend ist einmal mehr der empirische klinische Befund, nicht . unsere „ Logik“ g) Schlaf und Geisteszustand. –Auch in III A, 3 treten Schlaflosigkeit und Geistesstörungen aufundverschwinden wieder zusammen, doch dasPrognostikon , dieses mögliche Alternieren zuerwähnen (vgl. Kap. 10, II 134 L.). Bei „ vergißt“ denWechselfällen desFieberleidens wares allerdings nureine Begleiterscheinung ohne eigene prognostische Bedeutung. h) Unvollständige Krisen undRückfälle. –Vgl. Kap. 24, II 180,6– 8. III A, 2 und 3 beweisen überdies, daßes ebenfalls zuRückfällen kommt, wenndasFieber ohne ausreichende Genesungszeichen ankritischen (!) Tagen sinkt. Entscheidend ist, ob die Krankheitsstoffe zugleich abgeschlossen werden oder nicht (vgl. schon Epid. I,
Kap. 11 Kw. i) Schielen auf dem rechten Auge. –Dieses Phänomen ist Bestandteil der ominösen Facies hippocratica, woallerdings beide Augen sich verdrehen. Vgl. II μ α ο ι statt ἰλ ω . ίν λ α έϕ τρ σ 116,5 L., δια j) Kalte Extremitäten. –Nach Kap. 9, II 132 L., stets ein schlechtes Zeichen. Übrigens: Auch der Kopf wird hier als eine Extremität behandelt! Bei III A, 3 jedoch sind die kalten Extremitäten am 17. Tagerstes Glied derDreiergruppe Kältezeichen-Fieber-Schweißausbruch, die zujener Zeit eine günstige unvollständige Manmußauch (bei der Krise einleitet. Im Prognostikon steht an anderer Stelle: „ Prognose) die übrigen klinischen Zeichen mit berücksichtigen.“(II 132,14f. L.,
Kongruenzprinzip.) k) Klopfen in der Nabelgegend. –Im Kap. 7 berichtet das Prognostikon von ςim Oberbauch, der Aufruhr in den Eingeweiden oder Delirien μ ό γ ϕ υ einem σ ςumden Nabel gewiß ein unμ ό α λ ankündigt (II 126,4 L.). In III A, 3 ist der π günstiges Zeichen, doch prognostisch läßt sich mit ihmwenig anfangen. 1)Genesung aneinem kritischen Tag. –Vgl. Kap. 20 desPrognostikons. ρ α ν α am 2. m) Zuden übrigen Krankengeschichten vonEpid. III undI. –κόπ und 17. Tag: vgl. den Index Hippocraticus sub verbo. Nurin Epidd. III undI und I enden tödlich mit einmal in den Koischen Prognosen, § 211. Alle Fälle in III– Ausnahme desunsrigen. Die Patienten wurden vonihrem Fieberleiden meist überς. ῶ λ α rascht. Bei I, 11 auch mitκ n) Harnwölkchen, diesich nicht setzen: Auchdieweiteren Harnzeichen biszum 20. Tag deuten auf Verlängerung derKrankheit hin. ςist ἀ ς. In beiden Fällen sind ρ ο η δ ώ ρ ϕ o) Ein ungefähres Synonym für ἔπαϕ dieEingeweide übermäßig erhitzt. ρ ό ω : ausschließlich in Epidd. III undI. p) ὑπ ο α κ
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q)Ablagerungen: 10.
Krankengeschichten
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mitmehreren Apostasen: III B, 2; 9; I, 5;
r) Geformter Stuhl: Am 8. Tag stehen statt κόπρ α ν αdie beiden Wörter μ α τ ή ασυ ρ δια ν χ ω εσ τη κ ό τ α . Hat sich diesmal der Stuhl verdickt, ist er „fest geworden“ ? s) Urin wiewennmanihnaufrüttelt, nachdem er sich gesetzt hat: vgl. I, 4 und 11. Die drei Gruppen vonKrankengeschichten inEpidd. III undI hängen engstens zusammen. t) Knie- undWadenschmerzen als Ablagerung: vgl. I, 3 und5 (σ κ έλ ε α ). ςin derNabelgegend: vgl. III B, 16 (in derMagengrube, tödliche Phreμ ό λ α u)π nitis) undI, 2 (im Hypochondrion, tödliches Brennfieber). v) Schmerz inderHüfte alsAblagerung. InIII B, 5 istdieser Schmerz hingegen örtlicher Ausgangspunkt eines akuten undtödlichen Fiebers. w) Schleimige undschmerzlose Dysenterie als letzte Ablagerung: vgl. III B, 9 (schmerzhafte Ablagerung) undI, 10(rettende Ablagerung gegen Endeeines Brennfiebers aus der 3. Katastase von Epid. I; vgl. auch II 644, 13 und 15; 650,3 L., statt Thucydide et Hippoeines Harn-Bodensatzes; vgl. noch IX 50 L., § 22, undmein „ crate“1965, S. 48). x) Dreitageordnung vor Viertageordnung: vgl. auch III A, 5, § 5, b), f), und schon III A, 1, § 3, h). y) Nachtrag. Kleiner ungünstiger Kopfschweiß: vgl. III A, 3; 11; 12; B, 3; I, 2; 11.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: ϕ ο ν ςβά ῆ ρ ο ς . –κρότα λ ς . –κεϕα ο εν είμ κ τα α κ a) Stehende Ausdrücke. –Ὁ η .– β ε. – ρἔλ ϕ ς. – π κ α α τεκ ίθ ῦ ά λ σ ιο ο ρ .– ν ύ λ ο ἶχ ε. – νπ νε ο τὰπ ο ν ν ε δυ μ ό ώ ρ ἐπ χ π ὸδ ς κόπρ ὲ κοιλ α ν η . –ἀ ς ακα ίη ύ λ ῶ νἐρρ η τ ο νἄκρ ο ίγ ὀλ ῦ ο τερ ξἀρισ ἐ εκ ρ ςὀξ ο ς. –ὑπ α ῦ τ ύ ο . μ α τ αἔχο ή τ α... – ν ρ ε τ ὸ ρ ρ π α υ ὖ ... ἐναιω θ .–ο λ ν ε διῆ –ἐδυ σ ϕ ό ρ ε ι. –ἤ ὴ ν ίδρ α ω λ σ επ ὶ κεϕ ερ μ λ ιπ ε ὼ σ ο ν . –ὅ νὀλ ε... –δια ίγ . –ἐϕ ια ο μ η α .– π ιςὑπολά ρ θ κ τα σ υσύν τ᾽ἴξ α ίο ή ρ νἐπ ὴ ν ο -δ χ ς. – σ π λ ο π α .– ῖδ ὑ η ιν ὶ κλ κ α λ κ τ ε αο ίω ρ ὐ χ . –νύ α ρ έκ ρ ο ά . –π υ σ ικ ε σμ η ςο . –π τὸ ρ θ ή ο ὐ ς κἐκοιμ . –νυκ ς. – ρ η αλ ο επ τά ὖ δ , ο ὐ ώ κ ς, διψ ρ ο η ίξ ν .– ο λ ᾶ λ αἐπ σ ιμ σ ε ῶ ό λ γ τεν .– α ν κ ε σ ω ν π ὕ – ς . ψ ύ ξ ι – – γ ω ρ σ ς ξ ὀ ί ἐ ρ ε π ρ , ε π ε τ ὸ υ . σ ε ω ρ ύ ς η ν ο . ὐ δ ί η λ ἳ ψ , ώ ς δ δ – ι . ω ρ χ εὔ ρ ὶ ε ς. –π ο ρ α τεν ν ό τ ά α . –ἄ π υ ε ιπ ρ ὶτ ὰα τ ά ὐ . –κ λ α ιν ε. –ἄ ε π ς. – δε ξ ιῷἴλ ο ν π υ ρ γ ν τ ῶ ἷ ο ν ἐ κ ο ... ν ο ρ . ο ν σ – ε ὖ ο υ ρ ρ έ κ α π α τ ν . α ά τ . κ π ν ί – ὐ ψ α – ε ρ ε .– τ ιν π ὑ έσ ρ ίσ κ ςἐπώ δ ν α μ υ α α τ ακ α ὶ κνή η . –γούν χ θ ά ρ τα ν α νἀ α α ι, ὅ τ τ ε ίν νγ τω ό κ τη θ εσ α κ -λ ε τ ο . –ἵδρ ι᾽ ω σ εδ ιεσ ερ τέλ ρ ά ρ . –π υ χ ε αψ ῳ . –ἄκ ν έ εμ ν ο νπροσθ . –βάλα ν ε ἶχ ε .– η ιὰτῶ να ν . –ἐδίψ τῶ ὐ ς. –δ η μ ε α τώ δ ω τ᾽ὀλ η . –μ ίσ ν . –κ θ ο ίγ . –ἐκουϕ υ ο λ ὅ λ λ α .– ὰδ ἄ τ η . – ςδ ιὰτέλ ν ς. – ίο υ... ὀδύ χ ἰσ ε ο μ ὸ ς. –παλ ο ν ό ίο υπ ρ δ ν ο χ ο π ὑ η . ςἐκρίθ ο υ . –τελ ῷ δ ι ὅλ έ ω λ σ επολ ω ἵδρ ᾽ , sonst keine Partikeln, έ b) Stilbesonderheiten. –Brachylogie: nursiebenmal δ ᾽ wasbei dieser langen undwechselvollen Krankengeschichte auffällt. c) Aber auch eine Reihe ausgeschriebener Sätze oder Satzteile.
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γ λ d) Mehrere Diminutiva: ὑπ ισ ρ ό ο χ ς , ὑπ ο λ ά π ρ ς, ὑπ ο α ο κ ρ α ό ω , ὑπ ο δ ιψ ά ω . κ τό ς, ὀδύ η ς, νύκ . –νυ e) Metabolai: π ο ν ν ό τ α ύ . –σ ν τα σ ις, des Oberbauchs, vgl. III A, 2, ἔν η τα ή σ ις. –ο θ ,ο ὐ κἐκοιμ ὐ κὕπ ν ω σ ε ρ ,ἄ γ υ π ν ς. ο ρ α ν f) Seltene Wörter: κόπ ν ο , ὑπ ο ρ κ ό α ω , δυσϕ ρ ο έ ω , ἰλ λ α ίν ω . g) Wortwiederholungen zur Betonung: δια μ ή χ α τ ρ ω α ο ια ὅμ ρ , ο α ὖ . ο ια ὅμ ςδ ιὰτέλ Explizites Leitmotiv: π μ ε ς. ὸ ο λ α h) Mehrere Häufungen asyndetischer Epitheta; bis zuvier, am6. Tag. i) Steigerungen: κ τεν ό α ε ι undπ ρ έκ ρ ο α υ σ εσμ ικ ρ ά , μᾶλλ ο ν ὐ , π κ ά ν τ α . –ο
ςο η ὐλ ώ δ η η , διψ , δίψ ν , ὑ ίψ π εδ ς. – ίψ η ἐδ ίη δ ώ ἵδρ ω σ ε, ἳδρ ω σ εδ ιὅ ο υ λ , ἳδρ ω σ ε ῷδ ιὅ π ο λ λ λ ο υ . Chiasmus: zweimal δια μ α τ ή α..., ... δια ρ χ ω μ ή α σ ρ ι. ᾽ χ ω ᾽ μ ςδ ὸ k) Zeugnis fürnachträgliche Abfassung: παλ ιὰτέλ ε ςam21. Tag. ο 1)Phantasie desAutors bei seiner Wortwahl: κρίμ ν α , γονοείδ ε α ,θ ο λ ό ν ερ .
j)
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten? Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten?
Vorbemerkung. –Schon in derallgemeinen Einleitung zuunserem Kommentar der Gruppe III A der42 Krankengeschichten vonEpidd. III undI kündigten wires an: Die drei ersten Krankenberichte dieser Gruppe hängen miteinander zusammen. Alles ist nicht Unordnung in diesen Berichten, weder in ihren Beziehungen zueinander noch innerhalb dieser Krankengeschichten selbst. Sie sind alles andere als einfach hingeworfene Notizen. Erinnern wirunskurz andieklinischen Geschehnisse: III A, 1 berichtet über ein akutes „Fieber“mit einem Rückfall nach einer unvollständigen Krise an einem nichtkritischen Tag; Heilung durch eine späte günstige Apostase. III A, 2 über Rückfälle nach unvollständigen Krisen an kritischen Tagen; Todbei wildem Fieber undvölliger Roheit der Krankheitsstoffe. III A, 3 über Rückfälle nach unvollständigen Krisen an kritischen Tagen; Genesung nachvielen Wechselfällen undmehreren Apostasen. UndinIII A, 1und3 endet das Abfolge von Krankheiten“ Fieberleiden noch durch eine nützliche „ . Der ärztliche Verfasser dieser drei ersten Berichte hatsicherlich andiese offensichtlichen Zusammenhänge gedacht. Er hatte wohl auchandere gute Gründe, denatypischen Kausos vonIII A, 3 zu Mann“inThasos auf veröffentlichen. Bemerken wirzunächst, daßwirbei diesem „ nahezu alle Vorfälle treffen, die sich bei einem typischen akuten hippokratischen Fieber ereignen können, das mit Genesung endet. So bietet er unsgleichsam eine Zusammenfassung koischer Krankheitslehre, Klinik undPrognose. Im laufenden Kommentar (vgl. § 2) haben wir alle diese Vorkommnisse ausführlich geschildert, so daßes sich hier erübrigt, deren lange Reihe nocheinmal anzuführen. b) Darüber hinaus enthält derFall III A,3 abernocheinige Besonderheiten, die derVerfasser vielleicht ebenfalls hervorheben wollte: unter anderen denÜbergang von einem ausgesprochenen Dreitage- zueinem Viertagerhythmus der klinischen
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Erscheinungen, vgl. III A, 5 § 5, b) undf), dieseltenen undungünstigen Bodensätze beim Stuhl, die Vielzahl vonAblagerungen unddasanhaltende Klopfen in derNa-
belgegend. Worin
ist sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten?
Doch Anregungen empfangen wir aus dieser Krankengeschichte auch aus eigenen Nachforschungen. c) Veränderungen in Stuhl undHarn verlängern die Krankheitsdauer. Für die Parallelstellen beim Harn vgl. III A, 2, § 5, b). Beim Stuhl: vgl. II 138,2f. L.; Aph. IV, 21: Koische Prognosen §§ 596, 601, 621; IX 284 L., § 22. d)FürdenBodensatz imStuhl vgl. denIndex Hippocraticus unter ὑ π ό σ τα σ ις. e) Schielen aufdemrechten Auge. –DieParallelstelle inderFacies hippocratica hat ein anderes Verb (vgl. § 3, i), das sich in der Koischen Prognose § 214 wiederfindet, V 630,17 L.; vgl. aber V 632,7 L. in derselben Sentenz auch ἰλ ω ίν λ α in einem späten Zusatz. In IX 290 L., § 44, bedeutet das Schielen eine günstige Apostase. Vgl. auch Aph. IV, 49 mitderentsprechenden Koischen Prognose § 72; vgl. Aph. VII, 74. Vgl. noch VII 132,7 und298,13 L., zwei Fälle vonTetanus, der . ω κ zweite mitἕλ f) DasProrrhetikon I, § 36, unddie Koischen Prognosen §§ 31 und294 haben Stellen aus III A, 3 übernommen, die über Wadenschmerzen, Klopfen in der Nabelgegend undGeistesstörungen berichten. Dieselbe Sentenz § 31 derKoischen Prognosen steht mitIII B, 5 in Beziehung, wieauch dasProrrhetikon I, § 37. Vgl. schon denAnhang zum§ 5 unseres Kommentars zuIII A, 2 über ähnliche Zusammenhänge sowie Prorrhetikon I, § 10, unddie Koische Prognose § 165 mit ihren Übernahmen von Gedankengut aus III A, 4. Solche Beispiele ließen sich leicht vermehren. ZumKlopfen inderNabelgegend vgl. nochEpid. IV, § 20, V 158,4f. L. μ ο γ ί. Übernimmt υ ῶ νσϕ λ εβ Nurhandelt es sich hier umeinPulsieren derAdern, ϕ , der Autor an dieser Stelle Lehren aus demTraktat „Über die heilige Krankheit“ Kapp. 4ff.? g) Bei den klassischen akuten hippokratischen Fiebern bringen die ersten 14 Tage die Entscheidung; diese Regel gilt auch für die Brennfieber. Vgl. Aph. II, 23; die Koischen Prognosen §§ 134 und 143; IX 280 L., §§ 11 und 14. h) In III A, 3 endet einatypisches Brennfieber miteiner schleimigen Dysenterie statt miteinem reichlichen weißen Bodensatz imHarn. In II 650,3f. L., imspäteren I. Epidemienbuch also, fragt sich der Autor, ob Dysenterien deswegen auftraten, weil bei denPatienten derHarn dünnblieb. Im selben Epid. I taucht einige Seiten weiter, II 670,10f. L., die „ Abfolge vonKrankheiten“auf. Wirkönnen hier unmittelbar nacherleben, wieeinneuer Begriff koischer Klinik allmählich Formgewinnt. 4 L. weiß derAutor schließlich noch, daßdasViertagefieber anderen UndII 674, 1– 5 L. imnoch schweren Krankheiten als Apostase dienen kann (vgl. auch II 182,1– späteren Prognostikon). Einen ersten Ansatz zudieser Lehre finden wirschon inder , II 44, 12f. L. Über die Umwelt“ Schrift „
(4) III A, 4, Philistes, in Thasos
227 219. –J. I 226– III 44– 47 L. –Kw.I 218– Hippokratische Diagnose: akute tödliche Phrenitis.
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III A, 4. –Philistes in Thasos.
ςκεϕ α ῳΦ ὴ λ νἐπ ι λ ισ τῆ σ ά ό νΘ ν Ἐ ε ι Im (Stadtstaat) Thasos litt Philistes lanνπολ ν ό ο ρ ὺ νκ χ α ίπ ο τ εκ α ὶ ὑποκα ρ ω - geZeit anKopfschmerzen, undwenner α τεκ κ sich zuweilen noch dazu leicht benomτεκ η(κ θ ε ὶςκα λ λ ίν ηL., J.)· ἐ ίθ δ ὲπ νπ ρ ό τω ε υ τῶ νσυνεχ έ ω νγεν ο - men fühlte, legte er sich zu Bett. Als μ έν ω νὁπ ό ν ςπ ο ρ α ω ξ ύ ν η θ . νυκτὸ ς - aber infolge von Trinkerei kontinuierητ ρ ῶ ὸπ το μ ά θ ν ν . ἐπ εθ ερ liche Fieber entstanden waren, verschlimmerte sich derSchmerz; die erste Hitze kamgegen Nacht. ε σ ε χολ ῃἤμ ρ ώ τῇπ τ ώ δ ε α α , ὀλ , Amersten Tag erbrach er wenig Galliίγ ρ ῶ το ν ε τ ὰδ θ ὸπ ὰτ ν , μ ξ α ὲ τα α ges, Gelbes zunächst, später aber Rostῦ τ ἰώ δ ε απ λ ρ ςκόπ α - farbenes in größerer Menge; er hatte inείω ,ἀ π ὸδ ὲκοιλ ίη θ ν αδιῆλ κ ε· νύ τ αδυσϕ . ς ρ ω dessen festen Stuhl; schlechte Nacht. ό ϕ ω σ ῃκ ς, ώ δ ρ ευ τέ ς ὀξ ις ύ ρ τὸ ε υ , π ν ρ νδεξ η ιο ε , ἔρρεπ ιὸ νσυνετά ο χ ό ν δ θ ὑ π τ ϕ α ν έ α , ρ αλ ά επ τ ·ο ὖ , δια ὰἔσ ω ςτ ἐ ο ιμ ς, σ ι- δ μ ε αγον η έ ρ νἐναιώ ε ἶχ ε ς. η έρ έ σ ο νἡμ ρ ὶμ ηπ ε ν ν ἐξεμ ά ό κρ
· ϕ σ ίτῃδυ τρ ς. ω ρ ό
Am zweiten Taubheit, heftiges Fieber; Spannung imrechten Oberbauch, er zog sich nach den inneren Teilen hin; Urin dünn, durchscheinend mitwenig samenähnlichen Wölkchen; Raserei um die Mittagszeit.
Amdritten starkes
Unwohlsein.
ά ν Amvierten Tag Krämpfe, (allgemeine) η(π μ θ ο ξύ ν ῃσπ ί, παρω α σ ρ τ τετά τα L.). - Verschlimmerung. ρ ῃπ ω ὶἀ π π τ έθ α ν π . ε ν έμ
Amfünften früh starb er.
III A, 4: Philistes inThasos
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Schon eine oberflächliche Betrachtung dieser neuen Krankengeschichte verrät uns unmittelbar, wiegrundverschieden sie sich vondendrei ersten ausnimmt, namentlich vonderen letzter. III A, 3 ist ein langwieriges undatypisches Brennfieber, das schließlich mitGenesung endet, III A,4 hingegen eine inkaumfünf Tagen tödliche Phrenitis acutissima! Dennoch fallen zwischen III A, 3 und4 zahlreiche teilweise ungewöhnliche Übereinstimmungen auf: chronische Kopfbeschwerden in derVorgeschichte, Ausbruch der Krankheit nach einer auslösenden Ursache, Dreitagerhythmus innerhalb eines kontinuierlichen Fiebers, dasäußerst seltene Verb ὑ π ο κ α ρ ό ω , rostfarbenes Erbrechen, κόπρ ν αzuBeginn desLeidens undsamenähnliche α Harnwölkchen. Lesen wirIII A, 4 sofort nach III A, 3 wegen dieser vielen Berührungspunkte trotz dertiefgreifenden Unterschiede derKrankheitsverläufe inbeiden Fällen? Die Frage drängt sich auf, auch wenn wir sie nicht sicher beantworten können. Eine zweite Vorbemerkung: Die Krankengeschichte III A, 4 ist zwar kein Einzelfall ausdenendemischen Krankheiten dervier Katastasen derEpidd. III und I, aber ihr Gedankengut hat Hippokrates selbst undspätere koische Autoren stark beeindruckt, denn wirbegegnen ihmverstreut in mehrfacher Weise in Epid. I, im Prognostikon, in denAphorismen undweiteren hippokratischen Sentenzensammlungen wieder. Auchausdiesem Grund ist III A,4 alles andere alseinFremdkörper in derersten Gruppe derKrankengeschichten vonEpid. III. Dem eigentlichen Leiden geht eine längere Vorgeschichte voraus mit Kopfschmerzen undeiner leichten Benommenheit, die den Patienten hin und wieder zwingen, sich hinzulegen. Erklärt wird unsdies nicht; wir denken an eine Anhäufung vonPhlegma in derSchädelkapsel ausirgendwelchem Grund. Bei derauslösenden Ursache wird der Autor beredter. Aus bestimmtem Anlaß hat der Patient zuviel Wein getrunken, hatsich also plötzlich stark erhitzt. Nunwirder voneinem kontinuierlichen Fieber ergriffen, undseine Kopfbeschwerden nehmen gehörig zu, der Kopf als Schröpfglas zieht zusätzliche Körperflüssigkeit zu sich herauf. Diese Fieberkrankheit beginnt gegen Nacht, was vielleicht nicht ohne Bedeutung ist für die Prognose bei diesem schweren Fall. So lang die Vorgeschichte ist, so dramatisch kurz verläuft das Fieber selbst; )! η Raserei“(vgl. ἐξ ν ά εμ schon nach knapp zwei Tagen kommt es zurominösen „ Nicht miteinem einzigen Phänomen bahnt sie sich an, sondern einem Zusammentreffen mehrerer klinischer Phänomene; mankönnte voneinem phrenitischen Syndrom sprechen. Übermäßige innere Hitze offenbart sich zunächst durch reichliches Erbrechen gelber, später wie gerösteter Galle; durch nächtliches starkes Unwohlsein; durch völlig dünnen Harn ohne jegliche nützliche Ausscheidung. Der gespannte rechte Oberbauch senkt sich undzieht sich nach innen zurück. Die dort angesammelte Materia peccans drängt zudenPhrenes hinunderfaßt sie. DerPatient wirdzumPhrenitiker. Diesen Tobsuchtsanfall überlebt er noch drei Tage, während derer er weiter anstarkem Unwohlsein leidet undamVortag seines Todes vonallgemeinen Krämpfen als schwerem peripherem Kälte- undtypischem Endphänomen befallen wird.
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Nurdie gelbe undspäter rostfarbene Galle bezeugt nach außen hindenKampf der Säfte in diesem Fall. Das Zuviel an Phlegma müssen wir erraten, nämlich ausdenanfänglichen Kopfbeschwerden, der Ertaubung am 2. und den Krämpfen am 4., kritischen Tag, den beiden letzten Phänomenen als Folgen innerer Katarrhe. Blut und schwarze Galle treten nicht in Erscheinung. Der Patient ist wahrscheinlich zurAder gelassen worden, daer ausderNase nicht blutete; doch genützt hat es ihm nicht. Seine Krankheitsstoffe sind auch völlig roh geblieben: Es gibt keine Spur von Kochung, keine günstige Ausscheidung oder Ablagerung. Die Krankheit hat diesen trinkfreudigen Philistes gleichsam überrumpelt. Die samenähnlichen Harnwölkchen sind vielleicht ein Zeichen der „ Abschmelzung“von Körpersubstanz durch die innere Glut. Die günstigen κ ρ α ό ν π α des 1. Tages sind prognostisch gegenüber allen folgenden schlechten klinischen Zeichen kein ernstzunehmendes Gegengewicht (vgl. S. 73f.). Schon einen Tag später verfällt der Patient dem stets tödlichen ἐκ μ α ίν ε ιν . Zusätzliche Bemerkungen. –a) In III A, 4 wird Thasos erstmals in Epid. III ausdrücklich erwähnt. Philistes isteinthasischer Bürger; nurderStadtteil, indemer seinen Wohnsitz hat, wird nicht genannt. b) Die Vorgeschichte weist auf eine primäre Säfteplethora im Kopf hin, die durch die auslösende Ursache der Trinkerei sekundär zunimmt. Schmerzen und Benommenheit, eine Art Dämmerzustand, sind die Folgen davon. Diese Angaben wird der Arzt teilweise vondemPatienten selbst oder seiner Umgebung erfahren haben. Es gibt auch eine hippokratische Anamnese (vgl. Hipp. X, 1963, S. 159f.). Kopfbeschwerden zu Beginn einer Krankheit können in der Folge zu Krämpfen führen; darauf kommen wirin den§§ 3 und5 zurück. c) DasFieber erscheint hier nicht als Reaktion derNatura medicatrix aufeinen inneren Katarrh kalten Schleims mit Frösteln oder Schüttelfrost, sondern infolge einer äußeren Ursache; auchkalt getrunkener Weinerwärmt denKörper übermäßig, vor allem wenn der Patient schon vor seiner eigentlichen Erkrankung nicht bei ν ο ι am Kopf bestanden bereits vor dem Fieber, ό voller Gesundheit war. Die π werden aber durch dieses verschärft unddamit zurBegleiterscheinung desFiebers, das von vornherein als kontinuierlich bezeichnet wird. Doch vom Kopf selbst geht in diesem Fall alles aus. Wir haben es also bei III A, 4 mit einem Fieber mit örtlichem Ausgangspunkt zu tun. Dieser Vorgang ist nicht selten in den Krankengeschichten von Epidd. III und I und erscheint darin in mannigfacher Form. d) Über die folgenden klinischen Zeichen wurde schon berichtet. Vom 2. Tag an ist wieder einiges nachzutragen. Er beginnt mit „Taubheit“und Fieber. Die Taubheit „ ersetzt“hier Frösteln oder Schüttelfrost. Phlegma ist vomKopf her in beide Ohren herabgeflossen, unddasheftige Fieber zeugt dafür, daßderPatient zu diesem Zeitpunkt seines Leidens noch fähig ist, sich dagegen kräftig zu wehren. Normalerweise wäre daraufhin früher oder später ein erlösender allgemeiner und warmer Schweißausbruch aneinem kritischen Tagzuerwarten. Doch die Schwere der Krankheit undihr schneller Verlauf lassen dem Körper des Patienten weder Möglichkeit noch Gelegenheit dazu.
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e) Betrachten wirdiefolgenden Bestandteile desklinischen Bildes. DasHypochondrion spannt sich undzieht sich nachinnen hin, odergenauer: nachdeninneren ). Vomrechten Oberbauch „ Teilen“hin(vgl. II 710,15 L., I, 12,ἐ ς εο κτο μ ῦἔ σ έρ ω ist dieRede, waseine ungünstige Lateralisierung darstellt; aber nicht vonSchmerzendurch Entzündung odervonSchwellung. Wieistes zudieser Spannung gekommen?Durch einen Saugeffekt derSchädelkapsel (vgl. S. 47) oderdurch dieübermäßige Hitze indenEingeweiden? MitderBauchwand unter denRippen zieht sich indessen auchderInhalt desHypochondrions ankranken Stoffen nachinnen undoben zu den Phrenes zurück; die Raserei schon umdie Mittagszeit desselben 2. Tages beweist es zurGenüge (vgl. III 46f. L., Anm. 23, dieErläuterungen desFoesius zu diesem Fall). Nicht zuletzt kündigt sie auchderdurchscheinende Harnan(vgl. den späteren undunsschon vertrauten Aphorismus IV, 72 undIII A, 1, S. 7). f) Der3. Tagbringt nach demhohen Fieber undderRaserei am2. unverhofft eine vorübergehende Beruhigung, während derer derPatient nurüber starkes Unϕ ρ ο ίηist das einzige wohlsein klagt (vgl. III A, 2, § 1, j) undII 422 L.). Diese δυ σ Leitmotiv dieser Krankengeschichte; fürweitere besondere klinische Geschehnisse (Krisen, Scheinbesserungen...) hatihrallzu rascher Verlauf keinen Platz. g) Das starke Unwohlsein am 3. Tag war bedingt durch übermäßige innere Hitze im rechten Hypochondrion. Der kritische 4. Tag beginnt mit (allgemeinen) Krämpfen, also miteiner heftigen peripheren Erkaltung nach einem diesmal massenhaften inneren Katarrh. Das Blut stockt dadurch in denAdern undkommt nur stoßweise voran. Nach einer kurzen Remission am 3. Tag verschärft sich die Krankheit wieder, wieam2., undfolgt somit einem Dreitagerhythmus; inmitten des schweren Fieberleidens deutet sich docheine gewisse Ordnung an. Zwei Fragen stellen sich hier, die wir beide nicht überzeugend beantworten ηvergessen? (Vgl. ν ξύ θ α τ vor oder nach παρω ν ά können. Hatein früher Kopist π Kw. adloc.) Undwardieser neue undschwere Anfall mitFieber verbunden oder nicht? Hätte der innere Katarrh kalten Phlegmas jede Wärme im Körper des η . Der ξ ν θ ύ ) παρω ν ά τ α Patienten „ , soläsen wirwohlkaumanschließend (π besiegt“ Leidende scheint also aufdenplötzlichen Kälteeinbruch dochnocheinletztes Mal mitFieber reagiert zuhaben. h) Verloren ist derPatient auf alle Fälle. Raserei undKrämpfe als Endphänomenüberlebt kein hippokratischer Phrenitiker. Auch Aphonie oder kalte undbläuliche Extremitäten hätten denbaldigen Tod ankündigen können. Er überfällt den Kranken schon amMorgen des5. Tages. Vonfehlendem Durst wirdnicht gesprochen; Adipsie gehört bisweilen zum klinischen Bild der Phrenitis. Überhaupt fällt vom3. Tag an derLakonismus in diesem Krankenbericht auf. Der Autor konnte sich kurz fassen; die klinischen Erscheinungen sprachen ja fürsich genug. 587 K.). –Der i) Galenisches zudieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 585– diesmal kurze Kommentar ist auchnochunergiebig dazu. Galen hält esfürüberflüssig, diesem schweren Leiden einen Namen zu geben; die Diagnose „Phrenitis“ suchen wirvergebens in seinen Erläuterungen. Ausgelöst wirddieKrankheit durch einen Rausch, der die schon bestehenden Kopfbeschwerden noch verstärkt und infolgedessen denPatienten in wenigen Tagen umbringt (S. 586). ZuRecht führt der Pergamener die Raserei auf einen Hirnschaden zurück (S. 587). Doch für
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Hippokrates hatten die kranken Säfte das Zwerchfell erfaßt. Auch der übrige galenische Kommentar erklärt den koischen Originaltext anhand hellenistischen Gedankengutes. j) Epikrise. –Philistes in Thasos. Sichere akute Phrenitis mit tödlichem Ende schon am 5. Tag. Kopfbeschwerden während der Vorgeschichte. Eine Prophasis entfacht kontinuierliches Fieber in einer Dreitageordnung (2, 4). Übermäßige Hitze indenEingeweiden, starkes Unwohlsein alsLeitmotiv, Erbrechen vonrostfarbener Galle; Spannung des rechten Oberbauchs, die nach innen drängte; durchscheinenderHarn; Raserei schon am2. Tag. Zwei Kältezeichen: Ertaubung undallgemeine Krämpfe, letztere auch als bösartiges Endphänomen. κ ρ α ν ό π αals trügerisches günstiges Zeichen gleich am 1. Krankheitstag. Das eigentliche Leiden begann gegen Nacht.
2. Laufender Kommentar: Nicht jede Trinkerei führt zueiner tödlichen Phrenitis, undtrotz seiner Kürze ist der Krankheitsverlauf bei diesem Philistes nicht so geradlinig, wie er sich zunächst ausnimmt. Manches läßt sich an diesem Krankenbericht „modo hippocratico“erklären, einiges müssen wireinfach empirisch hinnehmen, wiees derAutor selbst auch getan hat. Betrachten wirnundieses Fieberleiden TagfürTag. „ Im(Stadtstaat) Thasos litt Philistes lange Zeit anKopfschmerzen, undwenner sich zuweilen noch dazu leicht benommen fühlte, legte er sich zu Bett. Als aber infolge vonTrinkerei kontinuierliche Fieber entstanden waren, verschlimmerte sich der Schmerz; die erste Hitze kam gegen Nacht.“–Folgt man den klinischen Ereignissen, ohne dasbaldige böse Ende zukennen, so beginnt diese Krankengeschichte eigentlich nicht allzu dramatisch. Als Vorboten werden Kopfschmerzen angegeben undBenommenheit dazu. Der Patient mußsich manchmal hinlegen, – ), denwir schon π ο aber es handelt sich nurumeinen leichten Dämmerzustand (ὑ vonIII A,3 herkennen, einem Brennfieber mitgünstigem Ausgang (vgl. S. 77). Die Trinkerei verschlimmert zwar die Kopfschmerzen, der Autor stellt es selbst fest, und sie löst ein kontinuierliches Fieber aus, dasjedoch zunächst nicht als heftig (π ρ ῦ , π ρ ς) bezeichnet wird. DasLeiden hateinen örtlichen Ausgangsςὀξ υ ε τὸ ύ punkt, einen Überfluß anSchleim inderSchädelkapsel, derdurch denRausch noch verstärkt wird, und es bricht gegen Nacht aus. Ob dies ein schlechtes Zeichen darstellt, ist nochungewiß, dennzudiesem Zeitpunkt bleibt prognostisch noch alles in derSchwebe. Amersten Tag erbrach er wenig Galliges, Gelbes zunächst, später aber Rost„ –Am farbenes in größerer Menge; er hatte indessen festen Stuhl; schlechte Nacht.“ Vorabend überwog im Kopf das Phlegma. Amersten ganzen Tag dieses Fieberleidens quillt imOberbauch ein anderer Kardinalsaft über–eintypisches Zeugnis für Dyskrasie: DerPatient erbricht zunächst gewöhnliche gelbe undspäter, nachfieberbedingter weiterer Erhitzung des Hypochondrions, rostfarbene Galle. Die Krankheit verschlimmert sich also; auch der an sich günstige feste Stuhl ändert daran nichts. Ein erster Beweis dafür folgt sogleich: Während der nächsten Nacht fühlt
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sich derPatient ausgesprochen unwohl, baldige Geistesstörungen sind zubefürchten. Obwohl sein Leben nochnicht inGefahr zusein scheint, ist derweitere Verlauf ungewiß.
„ Amzweiten Tag Taubheit, heftiges Fieber; Spannung imrechten Oberbauch, er zog sich nach den inneren Teilen hin; Urin dünn, durchscheinend mit wenig samenähnlichen Wölkchen; Raserei umdie Mittagszeit.“–Derzweite Tag hingegen schafft Klarheit, wenn auch eine traurige, dank zweier Überraschungen. Es kommt zu einem unerwarteten Fieberparoxysmus, unddie klinischen Ereignisse überstürzen sich aufgefährlichste Weise. Tatsächlich wirddasvomAutor selbst als kontinuierlich gekennzeichnete Fieber durch einen typischen Anfall unterbrochen undverschärft sich mitderZweiergruppe Kältezeichen-heftigem Fieber. Die beidTaubheit“ersetzt hier Frösteln oder Schüttelfrost, unddieser kalte innere seitige „ Katarrh ruft eine starke Abwehr derNatura medicatrix hervor. Einallgemeiner und warmer Schweißausbruch könnte gewiß früher oder später denPatienten ausseiner Notlage befreien, doch die Wucht der Krankheit läßt ihm nicht die Zeit dazu. Das hohe Fieber facht die Glut in den Eingeweiden an. Das rechte Hypochondrion spannt sich –eine ungünstige Lateralisierung –undzieht sich mit seinem Inhalt zurück, der mit seinen kranken Stoffen die Zwerchfellgegend umso mehr bedroht, als auch derHarn vollständig rohunddurchscheinend bleibt undüberhaupt keine Materia peccans ausscheidet; auchdie schwimmenden samenähnlichen Harnwölkchen lassen nichts Gutes erwarten. Schwere Geistesstörungen sind zubefürchten, undschon umdieMittagszeit bricht dieschlimmste unter ihnen aus, dieRaserei. Amdritten Tag starkes Unwohlsein. Amvierten Krämpfe, (allgemeine) Ver„ schlimmerung. Amfünften früh starb er.“–Raserei ist spezifisch für Phrenitis, wenn auch nicht konstant bei ihr anzutreffen, undin Epidd. III undI ausnahmslos ein tödliches Zeichen. Wir können hier also eine sichere hippokratische Diagnose stellen, doch auffallenderweise tritt der Tod nicht sofort ein. Es kommt am 3. Tag sogar im Gegenteil zu einer Remission, während welcher der Patient wieder nur über starkes Unwohlsein klagt –ein unauffälliges Leitmotiv in dieser kurzen Krankengeschichte. Fieber undinnere Glut halten an. Ein zweiter Anfall überrascht Patienten, Umgebung undArzt am4. Tag mit (allgemeinen) Krämpfen und (allgemeiner) Verschlimmerung der Beschwerden. Ein Dreitagerhythmus scheint sich hier anzudeuten, doch mehr läßt sich darüber nicht sagen. Die Krämpfe beruhen auf einem massiven inneren Katarrh, der vom Kopf her die Extremitäten überfällt. Schon am2. Tag geschah ähnliches mit der Taubheit. Schwierigkeiten bereiten demExegeten die sich daran anschließende . Wasüberschlägt sich dabei? Kommen weitere Kältezeichen Verschlimmerung“ „ zudenKrämpfen hinzu, wiekalte Extremitäten oder Aphonie, oder beides zusammenundnochsonstiges obendrein? Oderhandelt es sich umeinen letzten Fieberanfall als Reaktion der Natura medicatrix auf das Kältezeichen Krämpfe? Mir erscheint letzteres wahrscheinlicher, weil ich in Epidd. III und I keinen Fall von „ Paroxysmus“kenne, derausschließlich ausKältezeichen bestünde. Sicher ist dagegen das Ende. Kein Patient überlebt Raserei undKrämpfe als nicht Endphänomen! So stirbt derPatient schon am5. TaginderFrühe und„wartet“ auf den nächsten kritischen Tag, den 6. in dieser Dreitageordnung. Er litt an
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Phrenitis acutissima, im Gegensatz zu den drei ersten Einzelfällen, die allesamt länger dauerten, obdiePatienten starben oder genasen.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII-I:
a) Zu den endemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Dann und wann lesen wir, die Krankengeschichten derGruppe III A seien teilweise Einzelfälle aus der 3. Katastase vonEpid. I (vgl. Demont 1984/89, S. 201). In Wirklichkeit weiß manseitjeher, daßsolche Fälle inEpid. I selbst zusuchen sind, wiezumBeispiel I, 1, 2 und 10. In den zwei ersten Katastasen von Epid. I kommen Phrenitiden überhaupt nicht vor, unddiejenigen der3. Katastase sterben erst am11.odergaram 655 L.) 20. Tagnacheinem offensichtlich anderen Krankheitsverlauf! (Vgl. II 650– Trotzdem haben wir auch hier einigen Grund, unsmit denBeziehungen zwischen III A, 4 unddenendemischen Krankheiten vonEpidd. III undI zubeschäftigen. In diesem Fall können wirnämlich sicher sein, daßdasFieberleiden desPhilistes nicht zudenPhrenitiden derKatastase vonEpid. III gehört. Dennihrklinisches Bild war regelwidrig. Die Kranken verfielen nicht wiegewohnt in Raserei, sondern starben ineinem Zustand bösartiger Stumpfheit, verbunden miteinem allgemeinen Schweregefühl (vgl. III 82f. L.). Alle Krankengeschichten der Gruppe III A stammen also nicht ausderKatastase vonEpid. III; diese Vermutung hatten wirschon beiIII A, 1 ausgesprochen (vgl. S. 36f.). b) Inder2. Katastase desI. Epidemienbuches hingegen, imKapitel 6 vonLittré, ist dieerste prognostische Sentenz zumTeil eine Verallgemeinerung derklinischen Schmerzen undschmerzhaftes Schweregefühl in Kopf Phänomene von III A, 4: „ undNacken treten bei Fiebern undohne Fieber auf; bei Phrenitikern kommt es (dabei) zu Krämpfen, undsie erbrechen Rostfarbenes, manche vonihnen sterben schnell.“(Vgl. II 636,5ff. L. undHipp. XIII, 1989, S. 33.) Auchbei denPhrenitiden III B, 4 und14 treffen wiraufähnliche Erscheinungen; vgl. außerdem denFall I, 8. Noch einmal: Epidd. III wurde nicht nach, sondern vorEpid. I verfaßt (vgl. Hipp. VI, 1960, undXIII, 1989). c) In der letzten prognostischen Sentenz desselben 6. Kapitels von Epid. I wird auch vonKrämpfen gesprochen, aber nurbei Kindern. Krämpfe bei Erwachsenen tauchen erst in der Parallelstelle des späteren Prognostikons auf (vgl. Hipp. XIII, 1989, S. 38ff.). Anpassender Stelle kommen wirbalddarauf zurück, vgl. hier unter i).
d) Zum Prognostikon. –Erbrechen von ungemischter gelber Galle ist in der Regel ungünstig. Andererseits kann das Ausscheiden von überschüssiger gelber , rostfarbene geröstete“ „ Cholè“m anchmal nützlich sein. Das gleiche gilt für die „ Galle, die jedoch im Prognostikon nicht erwähnt wird (vgl. Kap. 13, II 142ff. L.).
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e) Nächtliches starkes Unwohlsein bedeutet zugleich Schlaflosigkeit, die bei akuten Fiebern oft zuDelirien führt (vgl. Kap. 10, II 134f. L.). f) Die Spannung imrechten Hypochondrion ist gewiss in zweifacher Hinsicht ein zusätzliches schlechtes Zeichen, doch es hilft unshier prognostisch nicht recht weiter (vgl. Kap. 7, II 124ff. L.). Nicht anders verhält es sich mit dem „starken Unwohlsein“des 3. Tages (vgl. Kap. 15, II 150, 2 L.). g) Mitgroßer Wahrscheinlichkeit weist hingegen derwäßrige HarnaufdenTod hin(vgl. Kap. 12,II 142, 1L.); imdurchscheinenden, völlig rohen Zustand befreit er denFiebernden inkeiner Weise vonseinen Krankheitsstoffen. Vonsamenähnlichen schwimmenden Harnwölkchen ist im Prognostikon nicht die Rede, doch nützlich sind sie gewiß nicht. h) Zu schweren undtödlichen Geistesstörungen kommt es, wenn sich böse Säfte zum Zwerchfell „ , um es zu ergreifen, und wenn überdies alle verlagern“ übrigen klinischen Zeichen ungünstig sind (vgl. Kap. 19, II 164f. L., undKoische Prognosen, § 107). i) „Größere Kinder undErwachsene werden beiFiebern nicht mehrvonKrämpfen erfaßt, wenn nicht eins derheftigsten undschlimmsten Zeichen hinzukommt, wie es bei der Phrenitis geschieht.“Im Fall des Philistes ist dieses schädliche Zeichen zweifelsohne die Raserei am 2. Tag. Vgl. Kap. 24, II 186,11 ff. L., und Hipp. XIII, 1989, S. 38ff. j) Zu den übrigen Krankengeschichten von Epidd. III und I. –Stets tödliche Phrenitiden sindnicht selten indenKrankengeschichten beider Schriften: vgl. III A,
16; I, 8; 9; 12. 4; 6; 8; 11 (?); B, 2; 4; 5; 13– k) Kontinuierliche Fieber, als solche ausdrücklich vermerkt: vgl. III A,4; B, 1; ρ ἱπ ε υ το ί(im Plural): III A, 4; B, 2; 8; 9; 12; 13; 15; I, 6; 8. Vgl. auch III 2; 6. –ο 74,5 undII 636,6 L. ν α α am1.Tag„erinnern“andenverhältnismäßig guten Allgemeinl) Dieκόπρ zustand des Patienten unmittelbar vor demAusbruch dereigentlichen Krankheit. Vgl. schon III A, 3, § 3, m).Sie sindnicht spezifisch fürPhrenitis, kommen aber oft bei ihr vor: vgl. III A, 4; B, 4; 16; I, 8. Alle diese Fälle enden tödlich. m) Spannung im rechten Hypochondrion: Erscheinungen im Oberbauch bei ςτ ὰ Phrenitis: vgl. III A, 4; 8; B, 13 (mit Leberschwellung dazu); 16; I, 8; 12. Zuἐ . ς ρ ε ο μ έ ) vgl. τ I, L., ο ἐ κ ῦ ἔ σ II, ω 12, 710,15 ρ ε α έ ( μ ω σ ἔ n) Dünnem Harn folgen regelmäßig psychische Störungen. Typisch aber für III ς(statt λ ς), das wir im Aphorismus IV, 72 ή ε π τό ν α φ δια wiederfinden (vgl. auch die Koischen Prognosen, § 568), wahrscheinlich einer Durchscheinendem“Harnbegegnen wirin der Verallgemeinerung unseres Falles. „ gesamten Hippokratischen Sammlung sonst nurnoch in der2. Krankengeschichte vonEpid. I, einem tödlichen Brennfieber. o) Raserei: Sie ist pathognomonisch für Phrenitis, kann aber darin fehlen. Mit ςvor, doch ein ρ ε ν ι τικ ό III B, 4 zumBeispiel stellt derAutor ausdrücklich einen φ ε ινsuchen wir bei ihm vergebens; im Fall III B, 5 wird es durch eine μ ίν α ἐκ ίν α ε ινtreffen wir dagegen bei den ς„ersetzt“ η . Das ἐκμ μ ς γνώ ὴτῆ ρ α κ ο π π α Phrenitiden III B, 13; 14; 16; I, 8; 9. Brennfieber undandere Fieberleiden können durchaus mit heftigen Geistesstörungen einhergehen, doch in Raserei gipfeln sie nie.
A, 4 ist das Beiwort
III A,4: Philistes inThasos
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p) Krämpfe: σπ μ ο ίsind häufig bei Phrenitis, treten aber auch bei anderen α σ Fieberleiden auf, oft mit tödlichem Ausgang. Phrenitiden mit Krämpfen als Endphänomen: III A, 4; B, 4 (nach allgemeinen π α μ λ ο ί; Taubheit ersetzt durch Aphonie); 14; I, 8. Tödliche Phrenitiden ohne Krämpfe: III A, 6; 11; B, 2; 5; 13; 15; 16; I,
9; 12. q) Rascher Tod bei Phrenitis: vgl. III A, 4 (am 5. Tag); 8 (7. Tag); 11 (7. Tag); B, 4 (3. Tag); 5 (4. Tag); I, 8 (5. Tag; wie bei III A, 4 Paroxysmen am2. und4.
Tag!); 9 (2. Tag).
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: ὴ νἐπ α λ ό ν ε ν ι. –χρό ο νπ ο λ ο a) Stehende Ausdrücke. –κεφ ύ ν κ . –ὑπ ρ α ό ω . – ἱπ ρ υ ε τ ο κδ ὶσ . –ο τω ν ό ὲπ υ ν ε χ . –ἐ ω ίν λ κ τα α κ έ ςπαρω ς. -ὁ π . η ν ξ ό ο ύ ε ν θ – νυκ τ ό ς. – ἐ π ιθ ερ μ α ίν ω .– τ ὸπρῶ ε το σ ν .– μ ε mit einer Reihe von π ὸδ ςκόπρ ὲκοιλ λ ίη α ν είω . –ἀ αδιῆλ θ κ ε τ . –νύ αδυσφ Adjektiven. –π ρ ς ό ω . –κ ώ φ ω σ ι ς. – π υ ρ ς. –ὑ π ετὸ ο ςὀξ χ ό ύ ν ρ δ ιο νδ εξ ιὸ νσ υ ν ετά η (vgl. θ , σ ε ν ).– ο ύ ν τα σ ς). –ἔρρεπ ἐς τὰ έρ ι ε ἔσ α ω(μ ρ ὖ α... ε ις σ ἔντα ἶχ ν ε ς. – σ η έρ ηπ ά ν ὶ μ ερ έσ ο νἡμ π ς. –ἐ ξεμ α ο μ ν ο ειδ σ έ ο μ αγ ί. – η ρ ιώ α ἐν ). – π ρ ω ὶἀπ έθ ά ν τα α ν ε ν . η(π θ ω ν ξ ρ ύ π α b) Stilbesonderheiten. –Auch III A, 4 hateinen ungewöhnlichen Anfang. Für normalen“vgl. III A, 2, § 3, j). einen „ α ί. τ εκ ο α ίπ c) Ein Polysyndeton: κ ; keine anderen Partikeln. έ d)Brachylogie: nurdrei δ e) Trotzdem gibt es mehrere ausgeschriebene Sätze. f) ἐ κmit Genitiv: typisch für die Vorstellung derauslösenden Ursachen (Prophasies) in Epidd. III und I. g) Ein Accusativus Graecus: κεφ ὴ νἐπ ό ν ε α λ ι. ω . ό ρ α κ ο h) Ein Diminutiv: ὑπ ςsteht hier für ἐ , νυκ τὸ ςνύκ τ ςundνύκ α τ α , gegen τό i) Eine Metabolè: νυκ Nacht, wahrscheinlich ausGründen derEuphonie. j) ἐπιθ μ α ίν ερ ω bezeichnet hier ausnahmsweise denersten Fieberanfall. In der Regel steht dieses Verb füreinen neuen Fieberanstieg imVerlauf eines Fiebers (vgl.
ἤ
). π ι– dasPräfix ἐ ρ ε τ ο ί. Vgl. dazuJones ,ο ἱπ υ k) ImVorspann lesen wirdenPlural „dieFieber“ III und I oft vor Epidd. und ist also fürdie in kommt I 270, Anm. 1.Dieser Ausdruck letzten Fälle der Gruppe III B nicht spezifisch. Vgl. III A, 4; B, 2; 8; 9; 12; 13; 15 undIII 74, 4ff. L., II 636,6 L. undI, 6; 8. . ω ό ρ α κ ο l) Ein seltenes Wort: ὑπ ν . ω ρ έν ε τῶ νσυνεχ υ νπ ω ω νγενομ τ έ ό )π ὲ κδ m) Homoioteleuta (?): (ἐ ςin dieser kurzen Krankengeρ ω ό n) Angedeutetes Leitmotiv: zweimal δυσφ schichte.
o)
μ ε σ ) χολ ε ώ δ ά... ε α ν θ α , ξα , ὀλ ίγ Häufung asyndetischer Epitheta: (ἤ
ἰώ δ ε α .
ὰδ ε τ ὲτα ν ῦ τ το , μ α... ῶ ρ p) Ein Chiasmus: ... τ ὸπ
III A, 4: Philistes inThasos
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q) Zeugnis fürnachträgliche Abfassung: „ DieFieber“werden gleich zuBeginn als kontinuierlich verkündet.
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für dieHippokratesexegese? a) Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –III A, 4 ist zunächst undvorallem die Geschichte einer tödlichen Phrenitis acutissima. Sie ist sogar derart charakteristisch, daßwireine ganze Reihe ihrer klinischen Zeichen zu Sentenzen gebündelt in mehreren späteren koischen Schriften wiederfinden! Die Prodrome –Kopfschmerzen, Benommenheit – deuten aufeine primäre Plethora von Phlegma in der Schädelkapsel hin, die sich sekundär durch Trinkerei noch deutlich verschärft. Dasdarauffolgende kontinuierliche Fieber wirddiesmal also nicht durch einen inneren Katarrh kalten Schleims, sondern durch einÜbermaß aninnerer Hitze entfacht. Derfeste Stuhl am1. Tagerinnert andenrelativ guten Allgemeinzustand desPatienten vordemFieberausbruch; vielleicht ist auchdasErbrechen überschüssiger gelber Galle noch als ein prognostisch günstiges Zeichen zu bewerten. Alle weiteren klinischen Phänomene hingegen sind schlimmer oder garschlimmster Art underklären somit den frühen Tod dieses Phrenitikers. Auch das nächtliche Unwohlsein magdazubeigetragen haben. Die Hauptereignisse aber in diesem Krankheitsgeschehen sind auf zwei Vorgänge entgegengesetzter Natur zurückzuführen: auf übermäßige innere Hitze und periphere starke Erkaltung. Zumersten Prozeß gehören außer demFieber dasErbrechen gerösteter gelber Galle, das fortwährende Unwohlsein, die Spannung im rechten Oberbauch, der durchscheinende Harn mit seinen ungünstigen Wölkchen undzueinem wesentlichen Teil die Raserei nach derVerlagerung derKrankheitsstoffe zudenPhrenes hin. Zumzweiten Vorgang gehören ineiner Dreitageordnung die Taubheit am2. unddie allgemeinen Krämpfe amkritischen 4. Tag. Kein Wunder ist es also, wennderPatient schon am5. Tagfrühmorgens stirbt, ohne sich in irgendeiner Weise –durch Kochung, Ausscheiden kranker Stoffe, Ablagerungen –gegen sein Leiden wehren zukönnen, vondessen Wucht er vollends erschlagen wird. Wir haben hier ein Schulbeispiel bösartigster Phrenitis mit mannigfachen undbeachtenswerten klinischen Erscheinungen. Mußte es da unseren Arzt nicht beeindrucken? Ichwiederhole es nur: Die Koer hatten einen Sinn fürdie verschiedenen Krankheitsarten undihre Varianten. b) Worin istdiese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für dieHippokratesexegese? –Die Koische Prognose § 170 knüpft direkt an die Vorgeschichte von III A, 4 an: „Kopfschmerzen mit Benommenheit undSchweregefühl (in der Schädelkapsel) rufen Krämpfe hervor (auf dem Wege eines inneren Schleimkatarrhs).“Vgl. auch § 167. Vgl. dazu die Krankengeschichte I, 11, die Koischen Prognosen §§ 507 und523 unddas I. Prorrhetikon, § 103. Diese fünf prognostiςbildet ihr ο ρ ά schen Sentenzen gehören mehr oder weniger zusammen; der κ Bindeglied.
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III A, 4: Philistes inThasos
c) Das „Syndrom“Kopfschmerzen, Kopfschwere, Fieber, rostfarbenes Erbrechen, Phrenitis mitKrämpfen wirdschon vonEpid. I übernommen, vgl. hier § 3, b) und die verwandten Krankengeschichten in Epidd. III und I. Im I. Prorrhetikon widerspiegelt die 10.Sentenz unmittelbar unseren Fall: „ Bei Kopfschmerzen führen rostfarbenes Erbrechen, Taubheit und Schlaflosigkeit schnell zu Raserei.“Vgl. Koische Prognosen, § 165. Dievielen Übereinstimmungen zwischen denKrankengeschichten vonEpidd. III undI unddemZweigespann Prorrhetikon I –Koische Prognosen waren denhellenistischen Hippokratesexegeten wohlbekannt. Die Neuzeit hatsie allzuoft vernachlässigt. d) Für nächtliches Unwohlsein undKrämpfe vgl. die Koische Prognose § 81. (Nicht besonders aufschlußreich.) e) Auchunter demStichwort Taubheit wirdunser Fall vonspäteren KompilatoBei einem akuten Fieber ist renberücksichtigt. Vgl. die Koische Prognose § 192: „ Taubheit ein Vorbote von Raserei.“Untypischere Parallelen im Prorrhetikon I, § 33, undin derKoischen Prognose § 186; vgl. noch IX 290 L., § 49. f) Gleiches gilt für das gespannte Hypochondrion. Vgl. Koische Prognose § 116: „ Bei einem akuten Fieber schlagen Kopfschmerzen und Einziehung der Der Oberbauchwand, wenn kein Bluterguß ausderNase erfolgt, in Phrenitis um.“ belesene Kompilator denkt hierbei auchnochandiebekannten Stellen II 636 undII 184 L.
g) Zumdurchscheinenden Harn vgl. § 3, n), unddie dort schon angeführten Parallelstellen imCorpus hippocraticum. h)Bei Fiebern sindRemissionen ungünstiger als (vollständige) Intermissionen. Vgl. Aphorismen IV, 43 undVII, 63 unddie Koische Prognose § 114.
(5) III A, 5, Chairion, der bei Demainetos krank lag 220. –J. I 226– 229. 49 L. –Kw. I 219– III 46– Hippokratische Diagnose: Kontinuierliches undremittierendes Fieber, zunächst in Dreitage-, später in Viertageordnung.
III A, 5: Chairion, derbeiDemainetos
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krank
lag
III, A, 5. –Chairion, derbei Demainetos darniederlag. ίω ν α Χ α ιρ ςκ ,ὃ τέκ α μ ε ιτ α ρ η οπ ι- DenChairion, der bei Demainetos darὰΔ α η λ ῳ(Δ ία ν Kw.), ἐ ν έ τ κπ ό το υπ ρ niederlag, ergriff infolge von Trinkerei ῦ ς βάρ ο ς ῆ - Fieberglut. Sofort schmerzhafte Schweα λ τίκ αδ ὐ ὲ κεφ . α ν ε β α ἔλ ν , ο ν ο ὐ ᾶ δυ κἐκ το ώ ο ιμ , κοιλ ἐπ ίητα re des Kopfes, kein Schlaf; Darm in ρ α χ ώ ςλ η δ επ το ῖσ ιν , ὑπ ο χ ο λ ώ δ ε σ ι. - Aufruhr mitdünnen, etwas galligen Abgängen.
ό ς τρ ςὀ ρ ξ τὸ υ ίτῃ π ε ῆ τρ ύ α λ ς, κεφ μ ο ς, μ ά λ ισ τ αδ ὲχείλ ςτο · ε ῦκ ο τ ά ω μ ε τ᾽ὀλ ο νδ ίγ ὲῥ ν ά ο ί, π μ σ α ς, σπ ο ῖγ ρ ς . ρ ρ τ ω ο απ έκ υ σ α ό ε τ κ αδυσφ , νύ
Am dritten Tag heftiges Fieber, Zittern des Kopfes, vor allem der Unterlippe; kurz darauf Schüttelfrost, Krämpfe, völlige Verwirrung; schlechte Nacht.
σ υ χ ίη ς, σμικ ρ ὰἐκοιμή η θ , Am vierten Tag Ruhe, leichter Schlaf, ῃδ ιἡ ρ τ τετά ε. ᾽ ρ έλ εγ π α Irrereden.
η , Amfünften stärkere Beschwerden, allξ ύ ν θ ν τ ς, π απαρω ά ν ό ω τῃἐπ ιπ π π έμ η . gemeine Verschlimmerung, phantasierς, νύ ρ ρ ο θ ό ῆ κ τ αδυσφ λ ω κἐκοιμή ς ὐ ,ο te, schlechte Nacht, konnte nicht einschlafen.
. ν τῶ να ὐ ιὰτῶ ῃδ τ ἕκ
Amsechsten gleicher Zustand.
ς, Amsiebten Tag Frösteln, heftiges Fieς ὀξ ύ ὸ σ τ ω ε ρ ρ ε ίγ , π ῃἐπ υ ερ μ δ ό ἑβ ῳδ ιὰ ber, allgemeiner Schweißausbruch, Kriτ ύ , το ι᾽ ὅλ ἵδρ ω σ εδ η ο , ἐκρίθ υ α se. –Bei diesem Patienten blieb derStuhl τ μ α τέλ ή π ςἀ ὸ κοιλ ε ο ρ ω χ ς δια ίη - bis zuletzt gallig, spärlich, ungemischt. ρ αλ π ε ὖ ·ο η τ α ρ κ α , ἄ ο ίγ χ λ ώ δ α , ὀλ ε - –Urin dünn, (keine) gute Farbe, mit φ ε ) εὔχρ αἐπ μ ιν έ η τ ω ά ὐ ρ κ , ἐνα ιώ , (ο schwebenden Wölkchen unter derOberλ ο νἔχον τ α . fläche. α , Umden achten hatte der Urin bessere ρ τε η σ νεὐχροώ ε η ν οὔρ π ρ ε ό ὶ ὀγδ ν , Farbe undetwas weißen Bodensatz; Paη ίγ ν ὀλ ὴ κ ευ ιν λ σ τα σ ό π αὑ τ ν ο ἔχ tient beiVerstand, fieberfrei; Remission. δ ι έ . λ ι ν π ε ς ο ρ υ π κ α τεν ό ε ι, ἄ ·
ε. εψ τρ έσ π ῃὑ τ ά ἐν
Amneunten Rückfall.
ρ ε νπ υ η τ ά ⁻ Um den vierzehnten Tag heftiges Fieιδ εκ α κ εσ π ρ ρ ε ὶ δ ὲ τεσσα ber. ςὀ ς. ξ ύ τὸ
, Am sechzehnten erbrach er Galliges, ά θ α , ξαν ε δ ώ εχολ σ ε ῃἤμ τ ά ιδεκ α κ ἑκ Gelbes, in ziemlicher Menge. . α ν σ υ π ό χ ὑ
III A,5: Chairion, derbeiDemainetos
ω ρ ίγ σ ε , πυρετὸ ῃἐπ ερ τ εκ ά ιδ α κ ς τα ἑπ ρ , ο α ὖ η ςἐκρίθ ο ρ , ἄπυ ν ε σ , ἵδρω ς ξ ύ ὀ μ ε τ ὴ ὰὑ νκ φ α π ὶκ ο ο ρ σ τρ ίσ ινεὔχ ρ ω , υ τα , ο ινἔχον ὐ τα σ δ σ ὲ παρέκρο ό π ὑ ῇ . φ ο ο τρ σ ντῇὑπ σ νἐ ε
krank
lag
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Amsiebzehnten Tag Frösteln, heftiges Fieber, Schweißausbruch; fieberfrei, Krise. UrinnachRückfall undKrise von guter Farbe, mit Bodensatz; keine Geistesverwirrung (mehr) imRückfall.
ρ ά μ , Am achtzehnten leichtes Fieber, etwas α ίν ικ ε τ οσμ ῃἐθ ερ τ ά εκ ὀ κ α ιδ κ τω α Durst, Urin dünn mit schwebenden μ η ρ τ ά , ἐναιώ επ ρ αλ ὖ η , ο ίψ εδ π ὑ Wölkchen darin, leichte Verwirrung. ο ρ ρ . υ σ ν ε α έκ ὰπ ρ ικ , σμ ν ο ελ έφ ιν ἐπ λ ν Am neunzehnten fieberfrei, (jedoch) ο ς, τράχη ρ ο π υ ῃἄ τ ά εκ ιδ α κ εα ν ἐν - Nackenschmerzen; imUrin Bodensatz. α τ ν σ ι ό σ π ι ὑ ο ρ ὔ ο , ν χ ἶ ε ε ς ω ν δύ ω ἐπ σι ς
.
τ ῇ . σ ηεἰκ ο ίθ ςἐκρ τελ ω έ
Endgültige Krise amzwanzigsten Tag.
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III A,5: Chairion, derbeiDemainetos krank lag
1. Gesamtvorstellung desFalles: Schon bei einer flüchtigen Betrachtung dieser neuen Krankengeschichte fällt uns zweierlei auf. Sie ähnelt den Fällen III A, 1 bis 3 durch ihre Länge, und ihre Formulierung besteht fast ausschließlich ausstehenden Ausdrücken. Einmal mehr kommen wirsomit zuderErkenntnis, daßeine Unzahl vonKrankengeschichten auf Wachstafeln oder Papyrusbögen festgehalten wurde längst vor denFallberichten, die uns erstmals mit der ersten Gruppe der Krankengeschichten von Epid. III begegnen. Diese neue und originale schriftstellerische Gattung hat also bei den Koern –bei Hippokrates selbst undvielleicht schon bei seinen Vorfahren –eine Vorgeschichte, die sich uns gänzlich entzieht. Ein weiterer Schluß drängt sich uns nach demVorausgehenden auf. Ein mit vorherbestimmten undfestgelegten Ausdrücken derart durchsetzter Krankenbericht kann nur weithin banal sein, under ist es denn auch in Wirklichkeit, von zwei Eigentümlichkeiten abgesehen, aufdie wirimfolgenden zurückkommen, vgl. § 1,
d) undi).
Dieser Chairion leidet tatsächlich weder an einem Brennfieber noch an einer Phrenitis noch an irgendeiner namentlich bezeichneten Krankheitsentität, sondern lediglich an einer gutartigen Febris continua. Ganz einfach ist sie freilich nicht, denn sie verlischt nicht schon nach wenigen Tagen. Drei Fieberschübe punktuieren diesen Fall, unterbrochen jeweils durch zwei unvollständige Krisen an kritischen Tagen mit zwei nachfolgenden Rückfällen, dessen letzter undgelinder am kritischen 20. Tagzurendgültigen Krise führt. DieHauptfieberschübe ereignen sich am 1. und 14. Tag, die unvollständigen Krisen am7. und17., die Rückfälle am9. und 18. Tag. Genesung erfolgt durch Schweißausbrüche undgünstigen Harnbodensatz. Die Verlängerung bei diesem aus hippokratischer Sicht gängigen remittierenden Fieber erklärt sich leicht durch die Überfülle an kranken Stoffen, die bei diesem Patienten auszustoßen war. Dauert ein Fieberleiden fast drei Wochen, so sind während seiner Entwicklungskurve mehrere typische Krankheitsprozesse undklinische Verlaufsformen zu erwarten, und so verhält es sich denn auch bei diesem Chairion in der Tat. Von seiner Dyskrisie und Säfteplethora war schon die Rede; am vorletzten Tag der Krankheit kommt es noch zu einer kleinen Ablagerung am Nacken. Doch um Wiederholungen zuvermeiden, behandeln wirdiese Vorfälle erst in denfolgenden Abschnitten. Zusätzliche Bemerkungen. –a) In Epid. II 2, § 1 wird auf einen gewissen Chairion hingewiesen, bei welchem Erbrechen aufgetreten war. Nunerbricht auch unser Chairion am 16. Tag gelbe Galle. Handelt es sich umdenselben Patienten? (Vgl. schon Deichgräber 1982, S. 6, Anm. 2.) Für Dugand ist er ein Sklave (vgl. 1979, S. 148). Ein thasischer Sklave? Wir können es nur vermuten. Auch der Stadtteil wird nicht angegeben. b) Ebensowenig spricht der Autor von der Vorgeschichte dieses Patienten – falls es eine solche gab. Mit demvorigen Fall III A, 4 teilt der Kranke hingegen die Prophasis. Auch Chairion wird vonseinem Fieber nach einem Trinkgelage erfaßt. κmit Genitiv. Die Formulierung für die auslösende Ursache ist klassisch: ἐ
III A,5: Chairion, derbeiDemainetos
krank
lag
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c) Dieses Fieber ist auf Anhieb heftig. Wir lesen π ρ ῦ , vgl. III A, 2, § 3, j). Ob es sich umein endemisches Fieber oder umeinen sporadischen Fall handelt, wissen wir nicht. Sicher aber ist, daßdas Initialfieber nicht durch einen inneren Katarrh kalten Schleims hervorgerufen wird, sondern durch unmittelbare übermäßige Erhitzung infolge derTrinkerei, vgl. III A, 4, § 1, c). d)Überdienähere Eigenart dieses Fiebers schweigt sich derAutor aus. Anuns ist es, sie aus denWechselfällen desklinischen Verlaufs herauszulesen. Die Paroxysmen finden zunächst am 1., 3., 5., 7. und9. Tag statt; anschließend ist der 14., 17. und20. Tag entscheidend. VonderDyskrisie wurde schon eingangs berichtet. Wirhaben es also miteinem kontinuierlichen undremittierenden Fieber zutun, in welchem nachdem9. Tageine Dreitage- ineine Viertageordnung übergeht, vgl. III A, 3, § 5, b). Wardiese Besonderheit einer derGründe, warum derAutor denFall desChairion veröffentlicht hat? e) Kaumist dasFieber entbrannt, soklagt derPatient schon übereine schmerzhafte Schwere in seinem Kopf. Zuihrer Erklärung vgl. III A, 2, S. 47. Die Zweiergruppe klinischer Zeichen Fieber-Kopfbeschwerden ist in denKrankengeschichten vonEpidd. III undI eine Banalität. Fürunsere Vorstellung vonderfrühesten hippokratischen Krankheitslehre istjedoch folgendes vonBelang. Klinische Phänomene am Kopf treten fortan bis zumEnde dieser Krankengeschichte nicht mehr in Erscheinung, abgesehen voneinem Zittern als Kältezeichen am3. Tag. Dieser Tatbestand fällt hier umso mehr auf, als sich bei diesem Patienten während des ersten großen Fieberschubes –vom1. bis zum8. Tag–heftige Geistesstörungen einstellen. Für den Autor von Epidd. III undI (und anderer früher „echter“Schriften) sitzen eben Leben undSeele nicht imKopf, sondern nochhomerisch undarchaisch in der Zwerchfellgegend. f) Amselben 1. Tagleidet Chairion außerdem anSchlaflosigkeit, undauch am 3. und 5. wird über nächtliches starkes Unwohlsein berichtet. Beides kündigt Geistesstörungen an,diedennauchschon am3. Tagauftreten, aberbaldnachlassen undverschwinden. Völlige Verwirrung tritt am3. Tagein, Irrereden nach leichtem Schlaf am4. undnurnoch Phantasieren am5. Tag. Danach bleibt derPatient bei Verstand bis zu seiner Genesung, mit Ausnahme einer leichten Verwirrung zu Beginn desletzten undharmlosen Fieberschubes des 18.Tages. MitdenGeistesstörungen verflüchtigt sich auch die Schlaflosigkeit. Beide klinischen Phänomene gehören wiederum engstens zusammen. g) Nicht nurDyskrisie, sondern auchDyskrasie ist indieser Krankengeschichte festzustellen, undzwar, wiedasFieber undseine Begleiterscheinungen, ebenfalls schon vonAnfang an.Welche Säfte tragen dazubei, denFall III A, 5 klinisch zu gestalten? Nasenbluten fehlt, dasunter günstigen Umständen denKrankheitsverlauf hätte verkürzen können. Undschwarzgallig ist, wenn überhaupt, nur der dunkle Harn des7. Tages. Zwei Säfte allein beherrschen diesmal dasklinische Bild: gelbe Galle undPhlegma. h) Die gelbe Galle überwiegt imrechten Hypochondrion undfärbt durchgehend den Stuhl während des ganzen Verlaufs dieses Fieberleidens, wie es der Autor ) hervorτῳ ύ selbst in einer –seltenen –epikritischen Zwischenbemerkung (vgl. το hebt; ein erstes Leitmotiv in dieser Krankengeschichte. Ein Überschuß an gelber
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III A,5: Chairion, derbeiDemainetos krank lag
in denEingeweiden entlädt sich auch inziemlicher Menge durch Erbrechen am 16. Tag. i) Ungleich bedeutsamer ist das Phlegma bei diesem Chairion. Wir betrachten es unter drei Gesichtspunkten vonzunehmender Tragweite. DieRolle desSchleims bei denKopfbeschwerden kennen wirschon, vgl. hier unter e). Bald begegnen wir ihm wieder in dieser Eigenschaft als Ursache der starken Kältephänomene bei diesem Patienten. Bei denBeziehungen zwischen Phlegma undHarnhalten wiruns etwas länger auf. Dreimal enthält der Harn weißen Bodensatz, am8., 17. und 19. Tag, wasjedesmal eingünstiges Zeichen ist, daskritisch aufRemission undbaldige Genesung hinweist. Nuram 8. Tag wird der Bodensatz ausdrücklich als weiß bezeichnet; am 17. und 19. müssen wirdasEpitheton gedanklich mitlesen. Zweimal werden schwebende Wölkchen vermerkt, am7. und18. Tag; dasLeiden zieht sich eben in die Länge. Dreimal ist im Harn des Chairion weißer Bodensatz zu beobachten, aber er wird an keiner Stelle als reichlich angegeben. Massiv hingegen sind die inneren Katarrhe, diebeidiesem Patienten zuKältephänomenen führen. Am7. und ρ υ ε τ ςὀ ὸ ς– ξ ω σ ύ ρ ίγ ε–π 17. Tag zeigt die Triade stehender Ausdrücke ἐπ ερ ω σ ) die zwei unvollständigen Krisen bei diesem ἵδρ ε(am 7. Tag mit δ ι ὅλ ο υ Fieberleiden an. Undder 3. Tag ist in dieser Beziehung noch auffallender –und ᾽ ςὀξ ρ ε τ ὸ υ aufregender. Ausnahmsweise beginnt er nämlich mitdemπ ύ , underst ς danach brechen dieKältephänomene aus, undsie sindheftigster Art. DerKopf, dem ja dieser innere Katarrh kalten Schleims entspringt, zittert vorKälte, vorallem die Galle
Unterlippe. Und schon bald darauf kommt es zu Schüttelfrost und (allgemeinen) Krämpfen. undes sind bei weitem die Am 3. Tag folgen also die Kältezeichen demFieber – , statt ihmwiegewöhnlich vorauszugemächtigsten in dieser Krankengeschichte – hen. Was bedeutet prognostisch diese umgekehrte Zeichenfolge; kündigt sie GünEs ist besser, stiges oder Bösartiges an? Der Aphorismus II, 26 klärt unshier auf: „ wenn sich Fieber zu Krämpfen, als wenn sich Krämpfe zu Fieber gesellen.“Vgl. auch die Koische Prognose § 350 unddie Aphorismen IV, 57 und66. In derTat zerteilt Fieber deninneren Katarrh kalten Schleims undlöst ihnauf; kaltes Phlegma löscht hingegen bereits vorhandene fieberhafte Hitze undverzögert oderverhindert gar dadurch die Genesung. Kältephänomene nach Fieber sind folglich ausgesprochen gefährlich, undsie werden sogar ominös, wennzusätzliche schlechte Zeichen noch hinzukommen, wie in unserem Fall völlige Verwirrung undstarkes nächtliches Unwohlsein. Werden wirhier andenPhrenitiker vonIII A, 4 erinnert? Sind Raserei undnochmals Krämpfe oder andere Kältezeichen bald zu erwarten? Wir können es nicht ausschließen, denn zu Beginn bestehen zwischen beiden Fällen deutliche Parallelen. : Wir lesen als erstes Am kritischen 4. Tag jedoch geschieht ein „Wunder“ σ υ χ ς. DerPatient schläft sogar ein wenig. Wieder handelt es sich um ίη ιἡ ,δ „ Ruhe“ einen Fall, der zunächst schrecklicher aussah, als er in Wirklichkeit war (vgl. III ᾽ III A, 1, S. 27). Trotz Irreredens erfolgt eine echte Remission; der 74,5 L. und Krankheitsverlauf normalisiert unddiePrognose bessert sich. Wardieses völlig unvorhersehbare Vorkommnis für den Autor der zweite Hauptgrund, den Fall des Chairion schriftlich festzuhalten?
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j) Diestarken Kältephänomene indieser Krankengeschichte sindwohlaufeine Plethora vonSchleim in derSchädelkapsel zurückzuführen. Sie bedrohen zwar am 3. Tag die eingeborene Wärme, ersticken siejedoch nicht. Die Natura medicatrix wehrt sich weiter miteiner Reihe vonFieberanfällen, undneben demFieber stellen wir mehrere andere Zeugnisse innerer übermäßiger Wärme fest: Schlaflosigkeit, Geistesstörungen, gallige Dyskrasie in denEingeweiden, rohen Harn mit schwebenden Wölkchen, Durst. Unterscheiden können wir bei Chairion nicht nur zwischen Kälte- und Wärmezeichen, sondern außerdem zwischen Bewegungen der kranken Säfte nach oben undunten: Plethora im Kopf, galliges Erbrechen, eine späte kleine Ablagerung im Nacken einerseits, Ausscheiden vonMateria peccans durch Stuhl undHarn andererseits. Einzelne dieser Flüsse vollziehen sich rasch. Schließlich werden gelbe Galle undPhlegma durch verschiedene Reinigungswege ausgestoßen: jene durch Stuhl undErbrechen, dieses durch Schweißausbrüche und mehrmaligen weißen Harnbodensatz. Über einige weitere Punkte berichten wirim laufenden Kommentar (§ 2). 589 K.). –Der k) Galenisches zudieser Krankengeschichte (Vgl. XVII A 588– galenische Kommentar wirkt kurzbiszurBedeutungslosigkeit. DerPatient leidet an einer Plethora vor allem galliger Art. Allein, die Überfülle anPhlegma ist ebenso deutlich. Kritisch ist fürGalen zuRecht letztlich derHarn, doch ohne dievorangegangenen Schweißausbrüche wäre es nicht zurendgültigen Krise amkritischen 20. Taggekommen. Ananderer Stelle ist auchfürdenPergamener derSchüttelfrost ein heftigeres Kältephänomen als daseinfache Frösteln (vgl. XVII A 122,11 ff. K. und schon Morb. I, § 24, VI 188ff. L.). Auffallend ist, daßGalen sowohl denÜbergang vom Dreitage- zumViertagerhythmus als auch die lebensgefährlichen klinischen . übersieht“ Erscheinungen des 3. Krankheitstages „ l) Epikrise. –Das Leiden des Chairion ist zunächst einmal ein banales kontinuierliches undremittierendes Fieber, das nach zwei unvollständigen Krisen mit nachfolgenden Rückfällen amkritischen 20. Tag durch günstige Schweißausbrüche und weißen Harnbodensatz zur Genesung gelangt. Zwei Besonderheiten sind jedoch zu vermerken: der Übergang voneinem Dreitagerhythmus mitungeraden Tagen (1, 3, 5, 7, 9) zueiner Viertageordnung mitHöhepunkten am14., 17. und20. Tag; undam3. Tageine bedrohliche Umkehrung in derklassischen Zweiergruppe Fieber-Kältezeichen: Letztere erscheinen nicht vor, sondern nach demFieber, und der Patient wird trotzdem wieder gesund. Gallige und schleimige Dyskrasie liegt vor. Unvollständige Krisen undWechsel imHarnverlängern die Krankheitsdauer. Anfangs treten starke Geistesstörungen auf, dienachkurzer Zeit wieder verschwinden. Durchgehend bilden gallige Stühle das ausdrückliche Leitmotiv. Eine kleine Ablagerung zeigt sich gegen Ende derKrankheit. 2. Laufender Kommentar: „ Den Chairion, der bei Demainetos darniederlag, ergriff infolge von Trinkerei Fieberglut. Sofort schmerzhafte Schwere desKopfes, kein Schlaf; Darmin Aufruhr mit dünnen, etwas galligen Abgängen.“–Chairion ist wohl ein Sklave des thasi-
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schen (?) Bürgers Demainetos, undderName desMeisters, derHippokrates in sein Anwesen bestellte, zeigt zugleich denStadtteil an,wohin derArzt sich zubegeben hatte. Ob Chairion während einer Epidemie erkrankte oder seine Krankheit ein sporadischer Fall ist, erfahren wirnicht. Die Vorgeschichte spielt keine Rolle. Für dieauslösende Ursache hingegen wählt derAutor einen stehenden Ausdruck: ἐ κ mit Genitiv; Chairion erkrankte „ infolge von“ Trinkerei. Hohes Fieber ergreift ihn, und sofort, α ὐ τίκ α , klagt erüber schmerzhafte Kopfschwere. EinFieber durch unmittelbare Erhitzung undmit primärer sowie sekundärer Plethora von Schleim in der Schädelkapsel; das Phlegma schmilzt im Kopf wegen der Fieberglut, und der erhitzte Kopf zieht zusätzlich Körpersäfte zu sich herauf durch Saugwirkung. Wir haben damit die typische Zweiergruppe klinischer Zeichen Fieber-Kopfbeschwerden. Zweite Begleiterscheinung desFiebers ist die Schlaflosigkeit. Auch die Zwerchfellgegend ist in Mitleidenschaft gezogen, Geistesstörungen werden bald folgen. Schließlich erfaßt dasFieberleiden auchnochden„unteren Bauch“(„ oberer Bauch“ ist die Brusthöhle). Eine Dyskrasie bricht dort aus mit dünnen galligen Stühlen. Am 1. Krankheitstag stehen also zwei Säfte imVordergrund: Phlegma undgelbe Galle. Amdritten Tagheftiges Fieber, Zittern desKopfes, vorallem derUnterlippe; „ kurz darauf Schüttelfrost, Krämpfe, völlige Verwirrung; schlechte Nacht. Amvierten Ruhe, leichter Schlaf, Irrereden.“–Vom 2. Tag wird nicht gesprochen, im Gegensatz zu allen folgenden bis zum9. Tag inbegriffen. Die Beschwerden des 1. Tages blieben wohl weiter bestehen, ließen aber wahrscheinlich einwenig nach. Dennder3. Tagbeginnt miteinem eindeutigen neuen Anfall undheftigem Fieber, ρsindechte Synonyma. Dochwirwissen es schon ςundπ ξ ῦ ύ ςὀ ὸ τ ρ ε υ wieam 1.; π ausderGesamtvorstellung dieses Falles: Hierin liegt nicht die wahre klinische und prognostische Bedeutung dieses 3. Tages undauch nicht seiner Folgeerscheinungen. Spannend wird er erst durch die Tatsache, daßschon kurz nach Beginn dieses Leidens die gleich danach angeführten Kältephänomene dem neuen Fieberanfall nicht wie gewohnt vorauseilen, sondern über den erhitzten Körper des Patienten unerwartet herfallen, undes handelt sich umeinen äußerst starken inneren Katarrh kalten Schleims mitZittern, Schüttelfrost undKrämpfen; nicht zuletzt trüben noch schwere Geistesstörungen undnächtliches Unwohlsein dasKrankheitsbild. Fürden Prognostiker ist dies ein peinlicher Augenblick, in der Rückschau der kritischste während des ganzen Leidensverlaufs. Mankonnte binnen kurzem aufdie bösartigsten klinischen Zeichen gefaßt sein wie Raserei, Hin- und Herwerfen, neue Krämpfe, weitere heftige Kältephänomene. Oder malte mansich denZustand des Patienten zu düster aus, übte mansich in Schwarzseherei? Alles warmöglich zu diesem Zeitpunkt –undauch das Gegenteil von allem. Erst der 4. Tag bringt die Ruhe, leichter Schlaf, Irrereden.“Die Prognose verängstlich erwartete Lösung: „ bessert sich also schlagartig; statt tödlicher Zeichen eine sichere Remission. Noch zeigen sich allerdings keine günstigen Ausscheidungen, vielmehr redet derPatient irre. Ein typischer Kontrast zwischen klinischen Zeichen im Verlauf des Leidens. Doch regularisiert sich letzteres wieder zurBeruhigung aller. Amfünften Tagstärkere Beschwerden, allgemeine Verschlimmerung, phanta„ sierte, schlechte Nacht, konnte nicht einschlafen.“–Betrachten wir zunächst den bisherigen Verlauf dieses Leidens. Der 4. Tag brachte ein kurzes Nachlassen der
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Beschwerden, wiewahrscheinlich auchder2. Der 1.undder3. Taghingegen waren durch Fieberanfälle gekennzeichnet, unddas gleiche gilt nunauch für den5.; die stehenden Ausdrücke lassen darüber keinen Zweifel. Mitdemἐπ ςverschärft ιπ ό ν ω sich die Krankheit schon wieder; π ά ν ταπαρω ηbedeutet einen neuen Fieberξύ θ ν paroxysmus mit den gewohnten Begleiterscheinungen; die innere Erhitzung reizt insbesondere die Zwerchfellgegend, Geistes- undSchlafstörungen zeugen zusammendavon. EinDreitagerhythmus mitungleichen Zahlen scheint sich anzubahnen. Die größte Gefahr ist indessen überwunden. Der λ ς ist nur noch eine leichte ο ρ ῆ Geistestrübung. Mit Ruhe und Zuversicht wird man dem weiteren Geschehen entgegensehen. „ Am sechsten Tag gleicher Zustand. Am siebten Frösteln, heftiges Fieber, allgemeiner Schweißausbruch, Krise. –Bei diesem Patienten blieb der Stuhl bis zuletzt gallig, spärlich, ungemischt. –Urin dünn, (keine) gute Farbe, mit schwebendenWölkchen unter derOberfläche. Umdenachten hatte derUrin bessere Farbe und etwas weißen Bodensatz; Patient bei Verstand, fieberfrei; Remission.“–Wir können zwischen dem6. und7. Tag etwa dasgleiche Verhältnis voraussetzen wie zwischen dem2. und3. Anbeiden Tagen, dem2. unddem6., ähneln dieklinischen Phänomene denjenigen des vorigen Tages, des 1. unddes 5. also, nehmen gleichwohl jeweils ihnen gegenüber vermutlich ein wenig ab, denn an den folgenden Tagen, dem3. unddem7., haben wires mitneuen undechten Paroxysmen zutun, fortwährend in einem Dreitagetakt mit ungeraden Zahlen. Die Diagnose des Leidenssteht vonnunanfest: kontinuierliches undremittierendes Fieber, zuBeginn jedenfalls in Dreitageordnung. Dennoch besteht zwischen dem 3. unddem 7. Tag ein wesentlicher Unterschied. Wir erinnern unsandie unheimliche Reihenfolge Fieber-Kältephänomene am 3. Tag. Am 7. hingegen tritt uns das normale und „gesunde“Dreigespann Frösteln-heftiges Fieber-allgemeiner Schweißausbruch entgegen undmündet sogar noch dazuineine günstige Krise ein. MitdemSchweiß werden schleimige Materia peccans undüberschüssige Wärme ausgeschieden, glücklicherweise aneinem kritischen Tag. Unerwartet fügt daraufhin derAutor einen Einschub mitepikritischem Charak) in seinen Krankenbericht ein. Er stellt –nachträglich –fest, daßdie τῳ ter(vgl. τού Stühle während des ganzen Leidens ungemischt gallig waren. Nicht nurPhlegma, sondern auch gelbe Galle sind für dieses Fieber charakteristisch; ein typisches Leitmotiv. NachdemStuhl wirdderHarnerwähnt –diese Reihenfolge istfürunseren Arzt , undschon findet die vorliegende Krankengeschichte ihren Faden die natürliche – η , dochdiese Krise istbeileibe keine vollständige. Der ίθ ρ zurück. Wirlasen ebenἐκ Harn ist dünn und dunkel, schwarzgallig, mit schwebenden Wölkchen, die sich nicht setzen, undauchder8. Taghateindoppeltes Gesicht. Vordergründig sindalle seine klinischen Erscheinungen ausgesprochen günstig. DerHarnhatbessere Farbe undetwas nützlichen weißen Bodensatz; der Patient ist bei Verstand undvöllig νist der stehende Ausε ιπ ιέλ fieberfrei; der Autor spricht voneiner Remission, δ druck dafür. Doch sind noch längst nicht alle Krankheitsstoffe schon gekocht und ausgeschieden. Kein günstiges Nasenbluten oder galliges Erbrechen erfolgt. Und
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der 8. Tag ist kein kritischer Tag. Die Prognose bleibt gut. Unsicher ist nur, wann sich derRückfall ereignen wird. „ Amneunten Tag Rückfall. Umdenvierzehnten heftiges Fieber.“–Beginnen wir mit einer Frage, auch wenn wir sie nicht beantworten können. Der Autor berichtet über den7. undden9. Krankheitstag. Warum schreibt er dann „ umden“ (π ρ ε ί) undnicht „am“ 8. Tag? Andiesem 8. Tagendet ausdrücklich (vgl. διέλ ιπ ) ν ε dererste Hauptfieberschub dieses Fieberleidens mitseinen vier Paroxysmen am 1., 3., 5. und 7. Tag, und wir erwarten aus uns bereits bekannten Gründen einen Rückfall. Schon am9. Tagsetzt erein; auchὑ π ψ έσ ε τρ εisteinTerminus technicus. Noch wird der Dreitagerhythmus eingehalten, aber derAutor bleibt wortkarg. Wir wissen nurzweierlei: derPatient fiebert undhatgallige Stühle. Docherst am14.Tagerscheint dernächste Paroxysmus –einem kritischen Tag, der den akuten Fieberkrankheiten oft ein Ende setzt – , und wir wundern uns darüber, dennder 11., 13. oder 15.wäre eigentlich „ logischer“gewesen. Bahnt sich daein Wechsel in derOrdnung derFieberanfälle an? „ Amsechzehnten Tag erbrach er Galliges, Gelbes, in ziemlicher Menge. Am siebzehnten Frösteln, heftiges Fieber, Schweißausbruch; fieberfrei, Krise. Urin nach Rückfall undKrise vonguter Farbe, mitBodensatz; keine Geistesverwirrung (mehr) imRückfall.“–Am16. Tag findet kein neuer Fieberanfall statt, dafür aber ein starkes Erbrechen vongelber Galle. Ein dramatisches Ereignis. Dadernächste Tageinkritischer ist, können wirvoneiner vorkritischen Zuspitzung sprechen. Andererseits ist diese Galle einfach gelb, nicht geröstet. Der Körper des Patienten befreit sich von überschüssigen Säften, wasgegen Ende eines Fiebers immer ein gutes Zeichen ist. Mitdemkritischen 17.Tagoffenbart sich derAutor einmal mehralsStilist. Für dieTriade Frösteln-heftiges Fieber-Schweißausbruch greift er zudenselben stehendenAusdrücken wie am7. Tag, undabermals führen diese drei klinischen Phänomene zu einer günstigen Krise. Damit endet auch der zweite Hauptfieberschub, diesmal nach nur zwei Anfällen in einer Viertageordnung, am 14. und 17. Tag. Letzte Übereinstimmung mitdem7. Tag: Auchdiese zweite Krise istunvollständig. –undder ι ὅ DerSchweißausbruch istkein „allgemeiner“–es fehlt derZusatz δ υ ο λ (weiße) Bodensatz nicht reichlich genug. Die Prognose bleibt ausgezeichnet, aber ᾽ derPatient kommt aneinem neuen undkleinen Rückfall nicht vorbei. „ Amachtzehnten Tag leichtes Fieber, etwas Durst, Urin dünn mit schwebenden
Wölkchen darin, leichte Verwirrung. Amneunzehnten fieberfrei, (jedoch) Nackenschmerzen; im Urin Bodensatz. Endgültige Krise am zwanzigsten Tag.“–Der erwartete zweite Rückfall meldet sich schon amfolgenden Tag, dem18.Esgibt nur ungünstige klinische Zeichen, aber alle sindgelinder Art. Einschwerer Fieberanfall bleibt aus; dergeringe Durst weist aufeine leichte fieberbedingte innere Erhitzung hin, von einer trockenen Zungenoberfläche ist nicht die Rede. Allein der dünne Harn mit seinen schwebenden Wölkchen ist bösartiger undkündigt Geistesstörungenan,diewährend desersten Rückfalls niemals auftraten; derAutor hebtes am17. Tageigens hervor. Derhäufige Wechsel beim Harn–daszweite Leitmotiv dieser Krankengeschichte neben dengalligen Stühlen –verlängert die Dauer desFieberleidens, vgl. III A, 2, § 5, b), wie auch die zwei unvollständigen Krisen.
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Schon am19.Tagindes ist dieses kleine Nachspiel fast verklungen, derPatient fieberfrei, imHarnwieder etwas (weißer) Bodensatz. Abträglich istgewissermaßen nur eine plötzliche Ablagerung nach oben, die sich durch Nackenschmerzen bemerkbar macht undeinen zweiten Kontrast zwischen klinischen Zeichen beim Ausklang derKrankheit darstellt. Dieendgültige Krise am20. Tagfolgt wiediebeiden letzten echten Fieberanfälle am14.und17.Tagstreng einer Viertageordnung. Der zweite Rückfall warnur ein letztes kurzes Aufflackern des Leidens vor seiner Heilung. Der Patient behielt stets einen guten Allgemeinzustand undeinen normalen Appetit. Auch die dauernden spärlichen galligen Stühle änderten daran nichts. Allein am3. Krankheitstag bestand einiger Grund zuBeunruhigung.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI undzumPrognostikon:
a) Zuden endemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Indizien, wonach der Fall III A, 5 zuderKatastase vonEpid. III oder denzwei ersten vonEpid. I gehörte, fehlen völlig. Überraschenderweise stellen wir hingegen Berührungspunkte zwischen derKrankengeschichte desChairion undderdritten undletzten Katastase von Epid. I fest, obgleich sie doch mehrere Jahre nach dem III. Epidemienbuch verfaßt wurde! (Vgl. Hipp. XIII, 1989, S. 28).
Diese dritte Katastase von Epid. I handelt bekanntlich von einer schweren Brennfieberepidemie besonderer Artmitstarken Nasenblutungen, Frösteln, Schweißausbrüchen zurZeitderKrisen, Gelbsucht, Verdauungsstörungen, ruhrartigen Durchfällen undSchwellungen an denOhren (vgl. II 640ff. L.). Im Kap. 19 Kw., II 656ff. L., berichtet derAutor außerdem über vier klinische Zeichen, die fürdie Patienten besonders günstig waren: ordentliches Nasenbluten, viel Harn mit reichlichem Bodensatz, rechtzeitigen Darmaufruhr mitgalligen Stühlen undschließlich Ruhran22 Kw., II 660ff. L., schildert erbeidiesen Brennfiebern fälle. UndindenKapp. 20– eine lange undbunte Reihe klinischer Verläufe mitunvollständigen Krisen, Remissionen, Rückfällen undendgültigen kritischen Genesungen. Ist nununser Fall dieser dritten Katastase vonEpid. I undihrer BrennfieberFremdepidemie zuzurechnen? Er wäre dann im früheren III. Epidemienbuch ein „ körper“auseiner umJahre späteren endemischen Krankheit! Mehrere Argumente widerlegen freilich diese Hypothese. Bei Chairion fehlen die spezifischen klinischen Zeichen desKausos; er leidet vielmehr aneinem kontinuierlichen undremittierenden Fieber mit einem Übergang von einer Dreitage- zu einer Viertageordnung. Ferner weist derFall III A, 5 auch keine wirklich überzeugenden Parallelen mitdenvier günstigen klinischen Erscheinungen desKap. 19 Kw.vonEpid. I auf: kein Nasenbluten, keinen Ruhranfall als rettende Schlußapostase; gegen Ende sind der Harn undsein Bodensatz zwar nützlich, werden aber keineswegs als reichlich angegeben, undbeim Stuhl handelt es sich nicht umeine einmalige rechtzeitige gallige Entladung; spärliche gallige Stühle begleiten im Gegenteil diesen Krankheitsfall vom ersten bis zumletzten Tag (vgl. die epikritische Bemerkung am 7. Tag). Nicht zuletzt sind Fieber mit unvollständigen Krisen und Rückfällen das
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Banalste in den hippokratischen „ Epidemien“ . Wir sind also ganz undgar nicht gezwungen, denFall III A, 5 mit denFällen der Kapp. 20– 22 Kw. vonEpid. I in Zusammenhang zubringen. Wir können ihn gedanklich ebensogut mit denersten Krankengeschichten vonIII A verbinden, denen er mitseinen Eigentümlichkeiten, Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten nahesteht. Andererseits sind die Überein22 Kw. der dritten Katastase von Epid. I nicht stimmungen mit den Kapp. 20– wegzudeuten (vgl. schon Deichgräber 1982, S. 11, derallerdings noch irrtümlich Epid. I vorEpid. III ansetzte). In summa müssen wirdieFrage nach denBeziehungenzwischen demFall III A, 5 undderletzten Katastase vonEpid. I offenlassen. b) ZumPrognostikon. –Schlaflosigkeit undGeistesstörungen: vgl. II 134 L.,
Kap. 10.
c) Spärliche ungemischte gallige Stühle sind zu Beginn der Krankheit gewiß schädlich. Auchsollen Stühle dicker werden, wenndasLeiden sichderKrise nähert (vgl. II 134ff. L., Kap. 11). Bei Chairion ist dies aber nicht derFall. Werden diese Abgänge im Verlauf dieses Fieberleidens deswegen günstig, weil sie einen Überschuß an gelber Galle ausstoßen? Der Autor gibt uns darüber keine Auskunft. Ebenso unklar ist dieprognostische Bedeutung desgalligen Erbrechens am16.Tag (vgl. II 142ff. L., Kap. 13); ichbetrachte es aberdocheher alseingünstiges Zeichen (vgl. S. 113). d) Krämpfe bei Erwachsenen sind selten, aber umso gefährlicher (vgl. II 186 L., Kap. 24). Auch in unserem Fall erscheinen sie gerade am„unheimlichen“3. Krankheitstag, dochderPatient übersteht letztlich trotzdem sein Leiden. ρ ο , während eines Fiebers gehört zur Reihe der stets ίη e) Unwohlsein, δυσφ ungünstigen klinischen Zeichen: vgl. II 150,2 L., Kap. 15. f) Unvollständige Krisen lösen regelmäßig einen Rückfall aus, auch wenn sie 8 L., Kap. 24. sich aneinem kritischen Tag ereignen: vgl. II 180,6– g) Allgemeine warme Schweißausbrüche sind immer nützlich, vor allem an kritischen Tagen, bei vollständigen wie bei unvollständigen Krisen: vgl. II 122ff.
L., Kap. 6.
h) Dünner, schwärzlicher Harnundschwebende Harnwölkchen, die sich nicht setzen, sind schlechte Zeichen. Veränderungen imHarnverlängern die Krankheitsdauer. (Weißer) Harnbodensatz am 19.Tagleitet bei Chairion dieendgültige Krise ein. Vgl. II 138ff. L., Kap. 12.
24.
i) Zurkleinen Apostase am 19. Tag (Nackenschmerzen) vgl. II 180ff. L., Kap.
j) ZurGenesung am20., einem kritischen Tag, vgl. II 168ff. L., Kap. 20. 4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten:
.– ε β ρἔλα π ῦ τ ο υ(Prophasis). – ό . -ἐκπ ο ειτ τέκ a)Stehende Ausdrücke. -κα – κ ο – ι λ ο ὐ κ μ ἐ τ ᾶ ο ). . κ ο ( ε ι ἶ ίη χ ε ν ο ς υ ν ἐ π ώ δ ρ ο β ά ς ῆ – φ α κ λ ε . α κ α τ ί ὐ ε τ᾽ ςτρόμ ς. –μ ο ῆ λ ςὀξ ρ τ ὸ ς. –κεφα ε υ ύ ςmitEpitheta imDativ. –π η ρ α χ ώ δ τα κ τ α ρ ο σ υ . –νύ ρ ε έκ τ ὰπ ά ν ρ α α , οὐ ικ δ έ , σμ ί. –π ο μ π α σ . –ῥ ν ο ς. –σ ίγ ο λ ὀ ῖγ ς. – ιπ ν ό ω ρ έλ α γ ε. –ἐπ ε η . –π ή θ ρ ά ικ , ο ὐ κἐκοιμ ι᾽ ἡ ς. –σμ ρ φ ό ω ς . –δ δ σ σ υ ίη υ χ
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ξ ύ ρ ν η ῆ ς. – θ . –λ ο ρ ω ν τ π ά απ α δ ιὰτῶ να ὐ τῶ ν .– ἐ ρ ω π ίγ σ ερ ε. – ἵδρ ω σ ε, einmal mit ι᾽ ὅλ δ ῳ(epikritische Bemerkung). – η(amEnde mitτελ ίθ υ . –ἐκρ ο ύ τ ). –το ς έ ω μ ή α ρ χ τ ω α δ ιὰτέλ ς.–δια , mitEpitheta. – εο ) εὔχ ο ρ αλ ὖ επ ὐ π ά κ , (ο ρ ω , εὐχροώ τ ε ) ἐναιώ ὖ ρ ρ α α . –(ο μ η ρ αἐπ ιν έφ ελ ο ν , einmal mit ἔχον ) ἔχο ρ ὖ α ν τ τ α α . –(ο ή ν ινὑ . –οὔροισ ιν , einmal mitλ τα σ σ ό π ευ ὑ π κ ό σ τα σ ις. – κ α τεν ό ε ι. –ἄ ς. – ρ ο π υ ε σ ε mit Epitheta. –ὑπ π ψ έσ ε ε τρ . –ἤμ ιπ ν ιέλ ε . –ὑ δ ό σ υ χ ή ο ν α σ φ .– . –ὑπ τρ ο
μ α ίν ρ ά ίσ ις. –ἐθ μ .–ὑ ρ ερ ικ η ε τοσ π .– κ εδ η ίψ ά τρ λ χ ο νἐπ ω δύ ςε ν ω ἶχ ε ν . b) Stilbesonderheiten. –Hyperbaton: Χ ίω ιρ α ν α... π β ρἔλ ε ν ῦ α . c) Brachylogie: viermal δ έbis zum 14. Tag; später keine Partikeln mehr.
Ausgesprochener Lakonismus. d) Damit kontrastierend gleichwohl einige ausgeschriebene Sätze. e) ἐ κmitGenitiv, „infolge von“ , ist typisch fürdie Angabe einer Prophasis. ῳ f) Dativus sympatheticus: τού , inderepikritischen Bemerkung am7. Tag. τ g) Einfache Diminutiva: ὑπ ώ δ ο χ ο λ ε α , ὑπ ό σ ν χ α ά υ ω . , ὑπ ο διψ ρ ς. ο ῆ γ ω ρ ο ω ,λ ύ , παραλ ρ έ α κ α h) Metabolai: π ά i) Seltene Wörter: ὑ ω . διψ ο π j) Eine Alliteration: π ῃἐπ ς, π π τ ιπ ό ν ά ν ξ ω τ απαρω έμ η . ύ ν θ ῃ . ηεἰκ ο σ τ ίθ k) Homoioteleuta (?): ἐκρ l) Leitmotive: spärlicher ungemischt galliger Stuhl bis zuletzt, δ ιὰτέλ . ς ε ο Änderungen derBeschaffenheit beim Urin. m) Häufungen asyndetischer Epitheta am 1., 7., 8. und16. Tag. ) εὔχρ ὐ ρ κ ὖ α(ο ω , η . –ο ή θ ρ ὰἐκοιμ ικ ο ᾶ τ , σμ ιμ ο ὐ κἐκ n) Besserungen: ο ρ γ ρ ο έλ ρ ε υ σ έκ , λῆρ ε ε α ,π α ω ρ ρ τ απ .– α π ν , εὔχ ά ρ ο τε ς. ώ εὐ χ ο ὴ ν..., ... ἐ φ ῇ .– ῃ φ ο ν ν ἐ εα τρ σ ντ ῇὑπ ιδ ο κ α εκ τ ο ά ο σ τρ ὰὑπ ε τ o)Chiasmen:... μ ηεἰκ ο σ τ ῇ . ίθ ςἐκρ ... τελ ω έ μ α τ αχολώ ή η . τ α δ p)Doppelte Formulierung, positiv undnegativ: δια ρ ε ρ α ,ἄ ω χ κ q) Epikrise: diesmal ausnahmsweise inmitten der Krankengeschichte, am 7. ῳ . Tag, mitdemtypischen τού τ r) Zeugnis für nachträgliche Abfassung: vgl. unter q).
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für dieHippokratesexegese? Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? a) Auf den ersten Blick erscheint der Fall III A, 5 ziemlich banal. Diese Krankengeschichte ist langwierig wiediedreiersten derGruppe III A,undwiejene hat auch sie ihre typischen Eigentümlichkeiten. Zwei davon hebt derAutor selbst hervor: Bei diesem Patienten bleiben dieStühle durchweg spärlich undungemischt gallig; undwährend desersten Rückfalls kommt es trotz desheftigen Fiebers nicht zuGeistesstörungen (undauch nicht zuSchlaflosigkeit). Imganzen handelt es sich jedoch um ein gängiges kontinuierliches Fieber mit unvollständigen Krisen und Rückfällen bis zurendgültigen Genesung aneinem kritischen Tag. b) Doch sucht manweiter, so findet manimmerhin mindestens zwei Gründe, die den Autor trotz allem bewegen konnten, diesen Fall denvorigen beizufügen.
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Beide haben wirindenAbschnitten §§ 1und2 eingehend geschildert; hier kommen wir nur noch kurz darauf zurück. Am3. Krankheitstag folgen (!) die auffallend starken Kälteerscheinungen demheftigen Fieber, statt ihmwie gewohnt voranzugehen; schwere Geistesstörungen treten nochhinzu, auchSchlaflosigkeit. Schlimmstes ist also zuerwarten wie beim vorigen undbald tödlichen Fall III A, 4. Doch unverhofft beruhigt sich alles schon am folgenden 4. Tag, undnach nicht allzu angsterregenden Fieberanfällen am5. und7. Tagkommt es schon amselben 7. Tag zurersten unvollständigen Krise. Zweifelsohne wardies fürdenKliniker kein alltägliches Ereignis! Und beeindruckt hat den Autor wohl auch der in diesem Fall während des Krankheitsverlaufs absolut typische Übergang voneinem Dreitage- zueinem Viertagerbythmus derFieberanfälle. Entscheidende Tage sindtatsächlich zuBeginn der 1., 3., 5., 7. und9. TagundamEndeder14., 17.und20. Daswarvöllig abnorm (wie im Fall III A, 3) undmußte auffallen. Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für die Hippokratesexegese? c) Unsererseits können wir noch einige Bemerkungen hinzufügen. Für ein Zittern derUnterlippe vgl. auch II 314,7f. L. undfürdieses Kältezeichen anbeiden Lippen Epid. IV, § 55. d)Einechtes Tertianafieber würde anders verlaufen: vgl. II 620 L., Aph.IV, 59 und IX 280 L., § 12. Vgl. auch Epid. II 3, § 10; VI 2, § 9, die Koische Prognose § 144 undGeorg Sticker 1923/1968, S. 110. e) Die Aphorismen IV, 43 undVII, 63 hingegen könnten eine VerallgemeineAlle Fieber, welche, ohne zuintermittieren, am3. Tage rung unseres Falles sein: „ heftiger werden, sind gefährlich; wenn sie aber irgendwie intermittieren, so bedeutet das, daßsie ungefährlich sind.“ImFall III A, 5 ereignet sich wirklich am8. Tag eine echte Intermission. Vgl. auchdieKoische Prognose § 114. f) Der Übergang voneiner Dreitage- zueiner Viertageordnung der Fieberanfälle hat zu unserer Überraschung in der Hippokratischen Sammlung Parallelen: vgl. Aph. IV, 36 undIX 280 L., § 15. Vgl. dazu auch Hipp. XIII, 1989, S. 59. g) Auf ein mögliches Mißverständnis mußnoch hingewiesen werden. Im Fall III A, 5 endet das kontinuierliche undremittierende Fieber im Dreitagerhythmus nicht in einem Viertagefieber als Apostase; vgl. II 622, 672, II 180 L.; Koische Prognose § 574; VI 226 L., § 18; VII 60 L., § 43. Ein solches echtes Viertagefieber würde nicht schon nach sechs Tagen vorbei sein, sondern zwischen dem 14. und dem20. Tag, undwäre vorallem nicht remittierend, sondern eindeutig intermittierend. h) Denprognostisch günstigen weißen Harnbodensatz am8., 17. und19. Tag haben wirmehrmals erwähnt. Während derallgemeinen Fieberleiden ist er ebenso pusbonum et laudabile“bei denörtlichen Wunden. Vgl. Hipp. vorteilhaft wiedas„ XIII, 1989, S. 108f., undEpid. VI 3, § 4.
(6) III A, 6, die Tochter desEuryanax (Thasos?) 231. 221. –J. I 228– 53 L. –Kw. I 220– III 50– Hippokratische Diagnose: (hippokratische) Phthise in einem kontinuierlichen undremittierenden Fieber, wahrscheinlich in einer Phrenitis endend.
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III A, 6: DieTochter desEuryanax (Thasos?)
III A, 6. –Die Tochter des Euryanax.
Τ νΕὐρυά ὴ ν γ α ςθ α ρ τέ κ α τ ο υ , π ρ θ α έ - Die Tochter des Euryanax, eine Jungν ο ν , π ρἔλ β ῦ ε ν . ἦ α νδ ὲἄ ςδ ο ιὰ frau, ergriff Fieberglut. Sie hatte aber δ ιψ τέλ ς εο α τ αο ρ ο ὐπ σ · γεύμ εδ έχ ε τ ο . bis zuletzt keinen Durst (und) mochte ἀ π ρ ς σμ ικ ὸδ ὰδιῄ ὲκ ε ο ιλ ι, ο ίη ρ ὖ α (auch) keine Speisen zu sich nehmen. λ α επ τά ,ο , ὀλ μ ίγ ρ χ ο ν ὐ έ ο κεὔχ ρ ω .ἀ υ Aus dem Darm ging wenig Stuhl ab; δ ὲτο η ρ ῦπ νἐπ ε το ρ υ ῦπ ὶ ἕδρ ε ό ν ε ι. Urin dünn, spärlich, keine gute Farbe. ZuBeginn desFiebers Beschwerden am Gesäß.
ω σ ε ν Am sechsten Tag fieberfrei ohne zu ςο χἵδρ ὐ ο τα ρ ἑκ αἄ υ π σ ῦ ὲἐο ίηδ ρ η ὰ ,τ νσμ ικ ὸδ ρ ὶτ ὲπ η νἕδρ ὴ ε ρ ίθ ἐκ · schwitzen; (eswareine) Krise. DerHerd amGesäß eiterte einwenig, er kammit ἐξ επ ι. ε ίσ ρ ακ ν , ἐῤῥ μ ε σ η ηἅ ύ γ ά derKrise zumAusbruch.
μ ε τ ὰδ ὲκ ρ ίσ μ α ιν ἑβ δ ο ίη ἐο ῦ σ α Nach der Krise, am siebten, Frösteln, η , leichte neue Erhitzung, sie schwitzte. μ ά θ ν ρ ὰ ἐπ μ ερ ω σ εθ ικ ε, σ ρ ίγ ἐρ ρ ὰ Danach stets kalte Extremitäten. υ ω νδ χ ρ ἵδρ ν . ὕστερ σ ο ε αψ ε ὲ ἄκ α ἰε ί.
τ ῶ α Umdenzehnten TagnachdemSchweißε τ ὰτὸ ρ νἱδρ η νμ ὶδ π ε ὲδεκά τ ά - ausbruch war sie verstört, doch bald ρ ρ ο τὸ υ έκ σ νγενόμ εν νπ ο α εκ ὶπ α σ α - wieder bei Besinnung; mansagte indes, νδ ο ὲγευ γ ε ι· ἔλ ε ό λ ιντα χ τεν ὺκ α μ έν η νβ ό τρ υ ς. ο sie hätte von einer Weintraube gegessen. δια ο λ - Nach einer Remission phantasierte sie ῃπ ινπ λ λ ά ιπ τ ο ῦ σ αδ δ εκ ά ὲδω η amzwölften Tag wieder stark; Darm in χ ά θ ρ ετα ρ ίη ἐπ ε ι, κοιλ ρ ελ ή ὰπ λ α ο ισ ι, Aufruhr mit galligen, ungemischten, ίγ ιν ισ , ὀλ το ή χ ο λ ρ ώ δ ιν , ἀ εσ κ α - spärlichen, dünnen, beißenden Abgänτ λ ν ίσ επ ὰἀ ν ι, πυ κ το ν κ ώ σ ῖσ ι, δα δ ε gen, sie mußte oft aufstehen. τ ο .
ν ο , Am siebten Tag, von der letzten Verτερ σ ετ υ σ ὸὕ ο φ ρ ρ έκ ἀ α ςδ ὲπ ᾽ἧ störtheit ab gerechnet, starb sie. ῃ . ἀ π μ δ ό έθ ν α εἑβ
ς το μ α ή μ έ ν ρ ο α χ ο ηἀ ῦ νουσ υ το ὕ τ ἤ λ γ ε ρ ι φ ά γ γ υ α , κ α ς ὶ δ ε ιὰ τέλ ο σ α π εσ ν νἀ ὼ ε ευ ςε ἔρ θ ο , γαργαρ ε ἶχ μ έν ρ ιά , δ ο ς. ῥεύμ ρ ικ , σμ ά α λ τ λ ο απ μ έ γ ν ε α ῆ η . ἔβ σ σ επ ν έπ α ο ν , οὐ δ νἀ ὲ ν ατὸ τ ν ά ὰπ ρ α νπ ν τ ω ά ἀ π ςπ ό σ ο ιτ · ς. ό εν δ ὐ νο σ ε η μ δ ὐ νο ρ ό ν ο ύ χ εθ ᾽ ἐπ ό νλ ιο ξ δ ὐ νἄ δ ς, ο ὲ νοὐ ο δ ιψ ἄ ε ιν ᾽ἔπ γ ο σ υ υ . δ . σιγῶ ο σ α τ , οὐ ε δ έγ νδιελ ὲ
(Epikrise:) Diese Patientin hatte zu Beginn der Krankheit Schmerzen im Rachen, der bis zuletzt gerötet blieb; das Zäpfchen war nach oben zurückgezogen. (Im Rachen hatte sie) oftmals wenig scharfen Ausfluß. Sie hustete Gekochtes (Ausgereiftes), holte aber aus der Lunge nichts herauf (?). Appetitlos dieganze Zeit über, verlangte auchnach
III A,6: DieTochter desEuryanax (Thasos?)
ςεἶχ ςἑω ῆ υ τ ,ἀ π ν ελ ίσ τω μ ίη ν θ υ .ἦ ν ε ῶ ς. ιν δ θ ε ὸ νφ ὶ συγγενικ α ικ δ έτ
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gar nichts; ohne Durst, sie trank auch garnichts vonBelang. Sie schwieg, unterhielt sich nicht; warmißmutig, hoffnungslos sich selbst gegenüber. Es war bei ihr auch eine gewisse Anlage zur Schwindsucht vorhanden.
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Mit demFall III A, 6 kommt in der Gruppe III A eine neue Art von Krankengeschichten zumVorschein, in derneben demtypisch hippokratischen undallgemeinen „Fieber“auch örtliche Krankheitsprozesse eine Rolle spielen, die bei den vorherigen Fällen nicht festzustellen waren. Hier tritt eine besondere, „ nosologische“Komponente hinzu, wiespäter auchmitderAngina inIII A, 7 unddemIleus
in III A, 9.
Inmancher Hinsicht ähnelt derFall III A,6 trotz allem denKrankengeschichten III A, 1, 2, 3 und5. Auch bei ihm haben wir es mit einem kontinuierlichen und dyskritischen Fieber zutunmit Störungen bei Stuhl undHarn. Die kritischen Tage sind zwar in dessen Verlauf unwichtig, dochauchdieser Fall zieht sich einwenig in dieLänge. So betrachtet haterebenfalls seine eigenen Besonderheiten wiedievier früheren auch. Die wirklichen Unterschiede beginnen gleichsam erst danach, und sie sind, wie schon eingangs angekündigt, erheblich. Schon zuBeginn legt derAutor Wert darauf zubetonen, daßdie Patientin bis zumEnde ihres Leidens völlig durst- undappetitlos war,undinseiner Epikrise stellt er diese beiden ominösen klinischen Zeichen absichtlich noch einmal heraus: ein stilistisches Mittel, umdie Tragweite dieser Phänomene zu unterstreichen. Auch rhetorisch ist diese Krankengeschichte besonders wertvoll. Undwirahnen es schon von Anfang an: Wer über vier Wochen lang von Adipsie undAnorexie gequält wird, endet in Marasmus mit vollausgeprägter Facies hippocratica, auch wenn davon nicht die Rede ist (vgl. den Fall III A, 2). Einkleiner Abszeß amGesäß, derschon am6. Tagausbricht undvielleicht eine eiternde Fistel hinterläßt, ist für denweiteren Verlauf der Krankheit ohne Bedeu. DasEntscheidende indes fürdenWerdegang des vergessen“ tung; er wirdeinfach „ gesamten Leidens erfahren wirerst, erstaunlich genug, ausderEpikrise. Die wahrscheinlich von Kind auf dazu disponierte Patientin wurde von einer Phthise im ). Rohes undscharfes Lungentuberkulose“ hippokratischen Sinn ergriffen (unserer „ Phlegma fließt vomKopf herin denRachen unddieoberen Luftwege undruft dort Entzündung, Schmerzen undHusten hervor; dasgereizte Zäpfchen zieht sich nach oben zurück. Zum Krankheitsbild der Tochter des Euryanax gehören aber noch als dritte Erscheinung, nach Adipsie-Anorexie und Phthise, die Geistesstörungen. In der Krankengeschichte selbst treten sieerst am21. Tagmiteiner flüchtigen Verstörtheit auf, die sich am 23. zu einem starken Phantasieren verschärft. Doch von den schwersten psychischen Phänomenen berichtet wiederum nurdie Epikrise. Die Patientin verweigert jedes Gespräch, fällt dem Trübsinn anheim, hat jede Hoffnung ? auf Genesung verloren. Ist ihr Temperament schwarzgallig, „kalt“und„trocken“ Vom 12. Tag ab erkalten auf alle Fälle ihre Extremitäten und verschwindet gleichzeitig jede fieberhafte Hitze, undwährend desgesamten Krankheitsverlaufs bleiben alle Ausscheidungen stets spärlich. Oder endet diese Phthise in einer trägen und stumpfen FormderPhrenitis, wiewirsie vonderKatastase vonEpid. III herkennen (vgl. III 82 L.)? OhneZweifel ist diese Krankengeschichte mitdenvorherigen nicht ohne weiteres zuvergleichen.
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Zusätzliche Bemerkungen. –a) Euryanax warin Thasos ein geläufiger Name (vgl. Dugand 1979, S. 150) unddas Mädchen wahrscheinlich die Tochter eines bekannten thasischen Bürgers, denn auch derOrt seines Besitztums wird nicht angegeben. b) Auch voneiner Vorgeschichte ist nicht die Rede; es wird nurfestgehalten, daß die Patientin eine Jungfrau warmit einer gewissen angeborenen Anlage zur Phthise. Die Vorstellung von der Erblichkeit dieses Leidens hat sich in der Volksmedizin bis heute erhalten underklärt sich leicht ausdenfrüheren sozialen Verhältnissen. Die Tuberkulose grassierte allerorten, undin dertraditionellen Großfamilie steckten die „ alten Huster“ihre Enkel mit ihrer Krankheit an. Immerhin wußte 338) vonderKontagion beiderPhthise (vgl. II schon derRhetor Isokrates (um436– 586f. L.); dochdenHippokratikern blieb sie unbekannt, underst nach Robert Koch setzte sich diese Erkenntnis allmählich durch. Obeine Disposition zurMelancholie bei diesem Mädchen bestand, können wir heute nicht mehr beweisen, undwir wissen ebenfalls nicht, ob die schleimigen undscharfen Kopfflüsse die Patientin nicht schon längst belästigten, bevor derArzt sieerstmals sah. Sicher ist nur,daßer voneiner auslösenden Ursache bei diesem Leiden nicht spricht. , zudenFiebererscheinungen über. Die Kranc) Gehen wirnunzum„Fieber“ Fieberglut ergriff einen Patienkengeschichte beginnt mitderklassischen Formel: „ ten (imAkkusativ).“Am6. Tag ist dasMädchen fieberfrei; derAutor selbst spricht voneiner Krise. Doch sie stellt sich ohne Schweißausbruch ein, undder6. Tag ist kein kritischer Tag; ein Rückfall ist daher unvermeidlich. Am 12. Tag erscheint denn auch die typische Zeichentrias Frösteln-Fiebern-Schwitzen. Allein, sie bewirkt diesmal keine Krise mehr. DieErhitzung bleibt mäßig, derSchweißausbruch unvollständig, undzweierlei haben wirin derGesamtvorstellung schon hervorgehoben: Es kommt unmittelbar danach zueinem endgültigen Erkalten derExtremitäten, undauch dasFieber schwindet dahin. Nach demSchwitzen erlischt somit die innere Wärme. Bei dieser Krankengeschichte dürfen wirunsdurch dieNumerierung derKrankheitstage nicht irreführen lassen. Der7. TagnachderKrise ist nicht der7., sondern der 12. Krankheitstag (nach altgriechischer Zählweise wird der 6. Tag mitgerechnet). Der 10.TagnachdemSchweißausbruch istsomit nicht der10., sondern der21. Krankheitstag, der 12., der23. Krankheitstag, unddie Patientin stirbt 7 Tage nach dem 23., also am 29. Krankheitstag (vgl. Langholf 1990, S. 111). d)Dieunvollständige Krise am6. unddenRückfall am12.Krankheitstag haben wir schon erwähnt. Weitere Verschlimmerungen, fieberlos, aber beidemal mit Geistesstörungen verbunden, erfolgen am 21. Tag, nach einem kleinen überraschenden Diätfehler, undnach einer kurzen Remission schon wieder am23. Tag. Bis zum Tode, 7 Tage später, fand der Autor nichts Nennenswertes mehr zu berichten. Das Fieber war demnach kontinuierlich und dyskritisch, anfangs stark, doch schon nachetwazweiWochen verschwunden. DieDyskrasie beidieser Kranken ist nicht weniger beachtenswert. Wirwissen es schon: Kälte undTrockenheit überwiegenbei dieser Phthise. Alle Ausscheidungen bleiben darüber hinaus, voneiner auffallenden Ausnahme, demAuswurf, abgesehen, rohundungekocht. DerStuhl ist zu
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Beginn spärlich; er istes aucham23. Tagundwirddort nochalsungemischt gallig, dünn undbeißend bezeichnet: ein gefährliches Endphänomen, auf das wir in den §§ 3 und5 zurückkommen. VomHarnwirdnureinmal gesprochen, undzwareingangs in gewohnter Reihenfolge nach demStuhl; auch er ist spärlich unddünn, undnoch ungünstig schwärzlich dazu. Zuletzt ist noch über die Kopfflüsse in den Rachen und die Luftwege zu berichten. Im Rachen sind sie ebenfalls rohundsogar scharf undentzündungserregend. In denLuftwegen hingegen ist der Auswurf „ gekocht“ ; aber die entsprechende Textstelle ist unsicher undwurde auf verschiedene Weise interpretiert. Ich halte mich andieDeutung Littrés (vgl. III 52 L., Anm. 16): Dieῥ μ α τ α , diein die εύ Luftwege eindringen, gelangen wohl darin zur „ Reifung“ , können jedoch wegen ihrer Zähflüssigkeit nicht ausgestoßen werden. So kommt es zwar zueinem feuchten Husten, aber er holt ausderLunge nichts (Gekochtes) herauf. Typisch für die frühen koischen Schriften ist, daßhier mitdemKopf zwar die ῥ μ α τ α εύ in Beziehung gebracht werden, nicht aber die vielfältigen psychischen Störungen. e) Fehlen von Hunger undDurst kann auf eine Säfteplethora zurückzuführen sein, doch nicht in diesem ausgesprochen „ trockenen“Fall. DaßdasMädchen nach nichts verlangt, erklärt sich hier örtlich aus den scharfen Kopfflüssen in ihren Rachen undüberdies wahrscheinlich allgemein aus ihrer niedergeschlagenen Geistesverfassung undmitderZeit auchausderSchwäche, diedurch dieAnorexie und Adipsie selbst hervorgerufen wird. So endet ihr Leiden buchstäblich in einer . Schwindsucht“ „ f) Aufeinige Besonderheiten desklinischen Verlaufs ist nochhinzuweisen. Die Leitmotive sind in dieser Krankengeschichte auffallend zahlreich, undder Autor stellt sie bewußt als solche heraus: vgl. die Ausdrücke δ ιὰ ἰε τέλ ς(eingangs), α ε ο ί (7. Tag), π ρ ὰ π ν ά τ α α τ ὸ νχρό ν ο ν(Epikrise). Adipsie undAnorexie begleiten das Mädchen während seines ganzen Leidens. Das gleiche gilt für die Entzündung im Rachen undindenLuftwegen. DieErkaltung beginnt erst mitdem12.Tag. Bei den psychischen Störungen müssen wirunterscheiden. Die banalen kommen nicht vor dem 21. Tag vor und sind vorübergehender Natur. Wann hingegen Schweigen, Mißmut undHoffnungslosigkeit ausbrechen, können wir nicht näher bestimmen. Die Wechselfälle beim Fieber unddasUnveränderliche derLeitmotive kennzeichnensomit diesen Krankheitsfall. Sonstige Eigentümlichkeiten sindeher selten, z.B. eine Scheinbesserung am21. Tag, die einen klinischen Kontrast in derEpikrise darstellt: Der Auswurf ist zwar , trägt aber nicht zur Genesung der Patientin bei. Auch die anfängliche gekocht“ „ . EinEndphänomen istderdyskrasinutzlos“ Apostase amGesäß warprognostisch „ sche Durchfall des 23. Tages. Merkwürdig ist das Fehlen von Schlafanomalien allen Geistesstörungen zumTrotz. g) Die Patientin stirbt am29. Tag, „sieben“Tage nach ihrer letzten undwohl vorübergehenden Geistestrübung des 23. Tages. Für den Autor sind Adipsie und Anorexie eine Hauptursache ihres Todes. Bemerken wirnebenbei, daßdie Kranke gleichwohl dannundwannetwas zusich genommen haben muß, vorallem Getränke; sonst wäre sie schon viel früher verschieden. Zweite Todesursache ist die bis zuletzt anhaltende Roheit der Säfte, sowohl im Körper selbst als auch in den spärli-
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chen Ausscheidungen.
Drittes entscheidendes Moment ist die geistige Verfassung dieses Mädchens. ObesnunanMelancholie leidet oderaneiner „ruhigen“ Phrenitis als tödlicher Enderscheinung, es hat auf alle Fälle jede Hoffnung auf Genesung aufgegeben undkämpft nicht gegen seine Krankheit an.Die Auszehrung schreitet unerbittlich fort; Arzt undUmgebung sind nurnoch ohnmächtige Zeugen. h) Galenisches zudieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 591– 593 K.). –Der Pergamener hält sich nicht mit den Zahlenangaben für die Krankheitstage auf; in dieser Frage wichen dieverfügbaren Handschriften allzusehr voneinander ab (vgl. S. 593 und III 50 L., Anm. 1 von Littré). Ohnehin folgte dieser Fall keiner bestimmten Ordnung derkritischen Tage (S. 593) –imGegensatz zudenPhthisen 3 und vonEpid. I, die sich einem Halbdrittagerhythmus unterwerfen (vgl. II 608, 1– 675 L.; persönliche Bemerkung). Erwähnenswert beidieser Patientin sindhingegen die schädlichen Kopfflüsse unddie Disposition zur Phthise. Es gibt also zweifelsohneangeborene Krankheiten, auchwenneinige „Sophisten“anderer Meinung sind (S. 591, 593). Doch dasrasche tödliche Ende erklärt sich erst ausderunbezwingbaren Adipsie undAnorexie (S. 591ff. undschon ebd., S. 552ff.). Fügen wirnoch zwei galenische Angaben hinzu. Beißende Stühle nötigen die Patientin, oft aufzustehen, undschwächen sie dadurch zusätzlich (XVII A71 K.). Undbeiverbissenem Schweigen während akuten Fiebern denkt auch Galen an lastenden Stumpfsinn (vgl. die Phrenitiden der Katastase von Epid. III) oder Melancholie (XVII A
213 K.).
i) Epikrise. –Hintergrund bei diesem Krankheitsfall ist ein kontinuierliches Fieber“mit Dyskrisie undDyskrasie, das die von ihm ergriffene hippokratisches „ junge Patientin nach 29 Tagen zu einem tödlichen Ende führt. Innerhalb dieses Fiebers verläuft überdies aufgrund angeborener Anlage eine Phthise imhippokratischen Sinn, gekennzeichnet durch Kopfflüsse scharfen Phlegmas, das im Rachen Schmerzen undEntzündung hervorruft, dasZäpfchen reizt undin denLuftwegen zwecklosen“Husten entfacht. einen feuchten, aber „ Verschlimmert wirddieses Leiden durch eine radikale Durst- undAppetitlosigαverursacht wird und allgemein durch den τ α μ εύ keit, die örtlich durch die ῥ Widerwillen der Kranken, die sich in ihr schweres Schicksal ergeben hat. Das Fieber schlägt in Erkaltung um; alle Ausscheidungen bleiben mangelhaft undroh. Die Krankheit endet in einer „Schwindsucht“im vollen Sinn des Wortes. Ein anfänglicher Abszeß amGesäß bringt keinen Nutzen, ebensowenig eine Scheinbesserung am21. Tag. DerDurchfall am23. isteinbösartiges Endphänomen. Mehrere Leitmotive sind in derBeschreibung enthalten. Vielleicht handelt es sich umeine , falls diese Phthise gegen Ende von einer ruhigen „ Abfolge von Krankheiten“ Phrenitis abgelöst wird.
2. Laufender Kommentar: „ Die Tochter des Euryanax, eine Jungfrau, ergriff Fieberglut. Sie hatte aber bis zuletzt keinen Durst (und) mochte (auch) keine Speisen zusich nehmen. Ausdem Darm ging wenig Stuhl ab; Urin dünn, spärlich, keine gute Farbe. ZuBeginn des
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Fiebers Beschwerden amGesäß.“–Dieses Mädchen erkrankt vermutlich während einer Epidemie. Es gibt keine Vorgeschichte, keine auslösenden Ursachen, kein Initialfrösteln. Alles beginnt dem Autor nach plötzlich mit einem heftigen Fieber. Dochunmittelbar danach wirder beredter. DiePatientin erfaßt einwahrer Abscheu vorjeder Art vonGetränken undSpeisen, derbis zumtödlichen Ende anhält. Den wahrscheinlich entscheidenden Grund dieses Widerwillens erfahren wirallerdings erst aus der eigenen Epikrise des Verfassers, die wir deshalb in diesem Fall von vornherein in unseren Kommentar mit einbeziehen müssen. Rohes und scharfes Phlegma –wares schon vordemersten Fieberanfall vorhanden? –fließt vomKopf in den Rachen der kleinen Kranken herab undbewirkt dort Schmerzen undeine entzündliche Rötung; das mitbetroffene Zäpfchen zieht sich nach oben zurück, feuchter Husten verschlimmert noch die starken Leiden, die schon an sich völlig genügten, umeinem heftig Fiebernden jeden Appetit lahmzulegen. Doch vielleicht kommen noch andere Ursachen fürdiese Appetitlosigkeit in Betracht, über die wir erst gegen Ende dieses Kommentars berichten. Dieübrigen klinischen Anfangserscheinungen sindnicht günstiger: wenig Stuhl, dünner, spärlicher, schwärzlicher Harn. Dazunoch treten Schmerzen amGesäß auf. Alle sind in großer Sorge umdieses Kind. Amsechsten Tag fieberfrei ohne zuschwitzen; (es wareine) Krise. DerHerd „ amGesäß eiterte einwenig, erkammitderKrise zumAusbruch.“–Mitdem6. Tag kehren wirzurtypisch hippokratischen Krankheit, dem„ Fieber“ , zurück. Während derersten Tage ist es einfach kontinuierlich. Am6. ereignet sich eine erste Remission, dasFieber verschwindet überraschend, docheinerlösender Schweißausbruch bleibt aus, undder6. Tag ist noch dazukein kritischer Tag–auch wennderAutor selbst zweimal voneiner Krise spricht. Ein Rückfall wirddaher bald kommen. Inzwischen haben sich die anfänglichen Beschwerden amGesäß dortselbst zu einer kleinen Apostase entwickelt, die gleichzeitig mit der unvollständigen Krise nach außen ausbricht. Wenig Eiter kommt zum Vorschein, undes ist eine der Eigentümlichkeiten dieser Krankengeschichte, daß alle Ausscheidungen während ihres Verlaufs –Stuhl, Harn, Kopfflüsse, Auswurf in denoberen Luftwegen, Eiter am Gesäß –spärlich ausfallen. Wir haben es demnach mit einem „trockenen“ Leiden zutun. Amnächsten erwähnten Krankheitstag erfahren wir, daßes überdies „ kalter“Natur ist, undvonbeidem wird amEnde desKommentars noch einmal die Rede sein. Modern gesprochen handelt es sich bei diesem Fall vermutlich umeine Tuberkulose. Hatsich amGesäß eine Analfistel gebildet, dieauchnachdem6. Tagnoch Eiter absondert? Wirkönnen diese Frage nurstellen, aber nicht beantworten. „ Nach der Krise, amsiebten Tag, Frösteln, leichte neue Erhitzung, sie schwitzte. Danach stets kalte Extremitäten.“–Dererwartete undunvermeidliche Rückfall bricht 6 Tage (nach unserer Zählweise, vgl. S. 113), also am 12. Krankheitstag aus. Die Dreiergruppe Frösteln-Fieber-Schweißausbruch, die unsandiesem Tag entgegentritt, ist zwarvollständig, doches gibt anihraucheiniges zubemängeln. Bemerkenwirvorweg, daßmit demFrösteln neben demPhlegmafluß in denRachen ein Rheuma desselben kalten Saftes auch in die Adern der Patientin vordringt. Doch bedeutsamer ist folgendes: Dieses innere Rheuma ruft lediglich eine geringe Fieber-
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reaktion hervor, keinen π ρ ε υ τ ςὀξ ὸ ; derSchweißausbruch ist nicht allgemeiner ς ύ Art, undandiesem 12.Krankheitstag spricht derAutor auchnicht voneiner andiese Zeichentrias sich anschließenden Krise. Es tritt imGegenteil eine generelle Erkaltung derExtremitäten –Kopf, Hände undFüße (vgl. II 132, 6 L., imPrognostikon, ύ ξ ιςim Fall III A, 3, III 40, 19 L. undS. 72 dieser Studie) –ein, die die unddie ψ Patientin bis zu ihrem Tode nicht mehr verläßt; dies ist ein drittes Leitmotiv der Krankengeschichte nachderpermanenten Adipsie undAnorexie. Diewenige Wärmein diesem armen Geschöpf flüchtet nachinnen (vgl. II 422 L.), undFieber wird fortan nicht mehr vermerkt. ZumTrockenen kommt also in diesem Fall wie angekündigt noch das Kalte hinzu. Umdenzehnten Tag nach demSchweißausbruch warsie verstört, doch bald „ wieder bei Besinnung; mansagte indes, sie hätte voneiner Weintraube gegessen.“ – Am21. Krankheitstag, 9 Tage also (nach unserer Zählweise) nachdemungünstigen Schweißausbruch des 12. Krankheitstages, treten die ersten Geistesstörungen auf, doch sie verschwinden wieder ebenso rasch, wiesie gekommen sind. Eine flüchtige Reizung derZwerchfellgegend durch übermäßige innere Wärme oder durch Kälte, Krankheitsstoffe? Das Mädchen hatplötzlich auf Weinbeeren Appetit gehabt; der Arzt erfährt es vonderUmgebung. Die Patientin wird immer schwächer; wird sie noch zuretten sein? „ Nach einer Remission phantasierte sie amzwölften Tagwieder stark; Darmin Aufruhr mitgalligen, ungemischten, spärlichen, dünnen, beißenden Abgängen, sie mußte oft aufstehen.“–Waren die Trauben daran schuld? Nach einer kurzen Remission rezidivieren schon zweiTage später (am23. Krankheitstag) dieGeistesstörungen in derForm starken Phantasierens. Ist es bereits als einerstes ominöses Endphänomen einzuschätzen? Das zweite ist der gallige Durchfall mit seinen beißenden Ausscheidungen, diediedurch Adipsie undAnorexie schon ausgezehrte Patientin zwingen, oft aufzustehen, undsie dadurch noch zusätzlich schwächen. Wanntritt derTodein, aneinem dernächsten kritischen Tage? Amsiebten Tag, vonderletzten Verstörtheit ab gerechnet, starb sie.“–Weder „ der 23. noch der 29., der Todestag, sind demPrognostikon nach kritische Tage. Allein, diePatientin stirbt (nach altgriechischer Zählweise) genau 7 Tage nachihrer letzten Geistesstörung. Das starke Phantasieren undder gleichzeitige völlig rohe Durchfall deuteten also unverkennbar aufdasbaldige Ende hin. DerAutor stand bei diesem Fall vorderschwierigen Aufgabe, einbesonderes Leiden, die Phthise, als ein „ Fieber“darzustellen wiealle anderen undgewohnten. Das ist ihm nur teilweise gelungen. Er hat daher in einer stilistisch besonders ausgefeilten eigenen Epikrise dasbis dahin Versäumte nachgeholt. Ihrwenden wir
unsnunzu.
Diese Patientin hatte zuBeginn derKrankheit Schmerzen imRachen, derbis „ zuletzt gerötet blieb; dasZäpfchen warnachobenzurückgezogen. (ImRachen hatte sie) oftmals wenig scharfen Ausfluß. Sie hustete Gekochtes (Ausgereiftes), holte aber ausderLunge nichts herauf (?). Appetitlos dieganze Zeit über, verlangte auch nach gar nichts; ohne Durst, sie trank auch gar nichts von Belang. Sie schwieg, unterhielt sich nicht; warmißmutig, hoffnungslos sich selbst gegenüber. Es warbei ihr auch eine gewisse angeborene Anlage zurSchwindsucht vorhanden.“–Aufdie
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örtlichen klinischen Erscheinungen amRachen brauchen wirhier nicht mehr lange zurückzukommen, da wir sie schon zu Anfang dieses laufenden Kommentars ausführlich berücksichtigt haben. DasMädchen leidet aneiner Phthise, wie sie die Koer verstehen. Rohes undscharfes Phlegma fließt vomKopf in denRachen und die Luftwege herab, verdirbt ihren Opfern jeden Appetit; ihr Körper schmilzt allmählich ab,undsiesterben mitallen Zeichen desMarasmus undderbefürchteten Facies hippocratica. Auch bei der Tochter des Euryanax bleiben alle Ausscheidungen –Stuhl, Harn, Eiter –roh, mitAusnahme desAuswurfs, dochbei letzterem stoßen wiraufUnstimmigkeiten inderTextüberlieferung, dievondenExegeten auf zweierlei Weise bewältigt wurden. Die einen haben mit Galen (vgl. VII 883,2 K.) η σ σ ε die Stelle wiefolgt gelesen: ἔβ ,π έ π ο ν δ᾽ο γ ν unddemnach übersetzt: ε ῆ ν ἀ ν δ ε ὐ „ Sie hustete, holte abernichts Gekochtes (Ausgereiftes) herauf.“Dieanderen haben sich an die meisten Handschriften gehalten, die ἔβ η σ σ επ ν ο α έπ , οὐ γ ν ε δ νἀ ν ὲ ῆ bringen, unddann handelt es sich im Gegensatz zu einem trockenen umeinen gekochten“undsomit schleimigen Husten, deraberebenfalls ausderLunge nichts „ herausfördert. Indessen sind beide Deutungen für die Prognose dieses Falles gleichermaßen ungünstig. Von Anbeginn fehlt dem Mädchen jeder Appetit auf Getränke –trotz des anfänglichen hohen Fiebers –und auf Speisen, und die Ausscheidungen bleiben allesamt roh. Beides kann für sich allein schon zumTode führen. Gegen Ende des klinischen Verlaufs treten bei Phthisen als Komplikationen bisweilen auchGeistesρ ο ιindenPhthisen derKatastase vonEpid. III, III 96,2f. η ά ρ λ α störungen (vgl. dieπ L., undder 1.Katastase vonEpid. I, II 610,1L.) undDurchfälle auf(für letztere vgl. den Aphorismus V, 14). Andererseits fügt derAutor in seiner Epikrise nochweitere geistige Anomalien hinzu, überderen Herkunft wirunszubefragen haben. DiePatientin läßt sichgehen, lehnt jeden Kampf gegen ihrLeiden undjede äußere Hilfe ab.Sie sagt kein Wort, ist mißmutig undhoffnungslos. Sindandieser Misere nochandere Momente alseinzig undallein die Phthise beteiligt? DerAutor selbst spricht amEnde seiner Epikrise voneiner gewissen angeborenen Anlage zur Phthise bei dieser Kranken. Besteht vielleicht bei ihr zusätzlich noch eine Disposition zurMelancholie? (vgl. III 98, 1ff. L. unddenFall III B, 2, III 112,11f. L.) Wir verstünden dannbesser die Vielfalt derGeistesstörungen imklinischen Bild, dasobendrein, wie bei dentypisch Schwarzgalligen, imganzen „trokund„kalt“ist. ken“ Phrenitiden der ruhigen“ Andererseits können wiraber auchandieatypischen „ Katastase vonEpid. III denken, dieineinem bösartigen Zustand stumpfer Lethargie (κ φ ρ α τα ο ή , III 82,17 L.) dahinsterben, und in diesem Fall hätten wir es wieder Abfolge von Krankheiten“zu tun: Eine Phthise endete in einer einmal mit einer „ Phrenitis. Über Hypothesen kommen wirhier nicht hinaus. Sicher ist nureines: Schon für Hippokrates ist die seelische Verfassung der Patienten für die Prognose vonentscheidender Bedeutung, und die klassische Klinik hat dies immer berücksichtigt. Die sogenannte psychosomatische Medizin ist keineswegs eine Erfindung der Moderne.
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3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII– I:
a) Zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Dadie Krankengeschichte III A, 6 voneiner hippokratischen Phthise innerhalb eines hippokratischen Fiebers“handelt undsowohl die Katastase vonEpid. III wie auch die 1. Katastase „ von Epid. I Epidemien von Phthisen beschreiben (vgl. III 92ff. und II 604ff. L.), haben wirzuprüfen, ob unser Fall einer derbeiden zuzuordnen ist. Diese Frage ist bei denPhthisen vonEpid. I leicht zubeantworten. DasFieber, „ in“ welchem sie verlaufen, unterliegt nämlich einem Halbdrittagerhythmus (vgl. II 608, 1ff. und 674,4ff. L.), undbei derTochter desEuryanax ist dasFieber kontinuierlich, dyskritisch undataktisch, ohne jede bestimmte Ordnung der Verschlimmerungen. Die Phthisen vonEpid. I scheiden somit alsBezugspunkt vonvornherein aus. Bei denPhthisen derKatastase vonEpid. III ist dasFieber kontinuierlich und mitFrösteln gepaart, wieinIII A,6, vgl. III 94,7 L. Vergleiche wären also möglich, doch wir stoßen hier auf neue Hindernisse. Unterschiede im klinischen Bild und Verlauf sind ebenso ausgeprägt wie die Ähnlichkeiten. Die Unterschiede sind beträchtlich. Auffallend sind vorallem die massiven Abgänge vonSchweiß, Stuhl, trockenen“ Harn, Auswurf und Kopfflüssen, im Gegensatz zur ausgesprochen „ Krankengeschichte III A, 6. Bei den Patienten der Phthisisepidemie kommt es außerdem zu häufigem Frösteln, ihr Rachen ist nur wenig gereizt; Wassersucht erscheint oft als bösartiges Endphänomen. Doch Übereinstimmungen sindebenfalls unverkennbar. AuchdiePhthisen der Katastase sind vonlängerer Dauer unddeutlich eher „ kalt“ alswarmoder garheiß. Adipsie undAnorexie gehören zuihren klinischen Haupterscheinungen; diePatienten husten, undihr Auswurf wird als gekocht bezeichnet, Durchfälle undGeistesstörungen kündigen auch bei ihnen denbaldigen Todan. Dasunmittelbar darauf folgende 14. Kapitel beschreibt denKonstitutionstyp derPhthisiker, und,wieschon mehrfach betont, wir können für die zusätzlichen Geistestrübungen bei diesem Mädchen überdies noch andieruhigen Phrenitiden derselben Katastase denken. Die 1. Katastase vonEpid. I fällt als Vergleichspunkt aus. Aber wiesteht es mit derKatastase vonEpid. III? Übereinen völlig sicheren Anhaltspunkt, dieKrankengeschichte III A, 6 als einen Einzelfall der Phthisisepidemie vonEpid. III zu betrachten, verfügen wirnicht; die Argumente proundcontra halten sich in etwa die Waage. Einschlagender Beweis fürdieZugehörigkeit könnte diefast totale Adipsie ν ό κ νκα τ ο ισ έγ ὺμ λ ο und Anorexie sein, die auch in der Katastase als das π herausgestellt wird(vgl. III 94,18 L.). DannwäredieKrankengeschichte III A,6 ein , seinem Abszeß amGesäß Trockenheit“ Sonderfall in dieser Epidemie mit seiner „ undderVielfalt seiner eigentümlichen Geistesstörungen. Allein, wirkönnen dessen nicht gewiß sein undmüssen dies bedauern, denn wäre Euryanax nachweislich ein thasischer Bürger undseine Tochter einFall ausderPhthisisepidemie vonEpid. III, sobesäßen wireinweiteres Zeugnis dafür, daßauchdieKatastase dieser Schrift im Stadtstaat Thasos beobachtet wurde (vgl. schon die Krankengeschichte III A, 2, S. 59f. dieser Studie). Doch es mußleider nureine Vermutung bleiben.
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Enden wir mitzwei zusätzlichen Bemerkungen. Bei derPhthisisepidemie von Epid. I werden die Stühle mit den gleichen Beiwörtern gekennzeichnet wie in unserem Fall III A, 6, vgl. III 50,12– 52,2 undII 608,4– 6 L. Hierhatdieser Einzelbericht bei der Abfassung der späteren Schrift Epid. I wahrscheinlich Pate gestanden. Und wenn wir in Epid. I lesen, daß die „Natur“der Schwindsüchtigen ἐ ὸ π ὶτ φ θ ιν ῶ δ ε ςneigte (II 604,7– 606,1 L.), sobezieht sich dieser Traktat aufdasKapitel 14 vonEpid. III, dasEpid. I derNumerierung beider Bücher zumTrotz vorangeht, vgl. schon Hipp. VI, 1960, S. 60f. b) Zum Prognostikon. –Dünner Harn, ein banales klinisches Zeichen, ist bekanntlich ungünstig: vgl. Kap. 12, II 138ff. L. c) Unvollständige Krisen in nichtkritischen Tagen führen zu Rückfällen: vgl. 8 L. Kap. 24, II 180,6– d) Kalte Extremitäten kündigen Verschlimmerungen an: vgl. Kap. 9 und15, II 132 und 150,4ff. L. e) Am 23. Krankheitstag ist der Stuhl ungünstig. Das Prognostikon bestätigt es injeder Weise: vgl. Kap. 11, II 134ff. undinsbesondere 136,1ff. L. f) Auch bei anderen Lungenkrankheiten ist es schädlich, wenn der Auswurf nicht ausgestoßen wird: vgl. Kap. 14, II 146,4ff. L. g) Zudenübrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. – Leitmotive: Adipsie, Anorexie, kalte Extremitäten, entzündliche Rötung des Rachens werden ausdrücklich als Leitmotive bezeichnet. Zuihnen gehören außerdemdieinderEpikrise angeführten Geistesstörungen. h) Anorexie: vgl. III A, 2; B, 1; 2. Drei tödliche Fälle. Genesung bei III B, 11, aber nach einem kurzen unddramatischen Verlauf. Vgl. hier unter g). i) Dünner Harn: in diesem Fall ausnahmsweise ohne nachfolgende Geistesstörungen. j) Abszeß amGesäß: vgl. III A, 1, § 3, o); es ist eine günstige Apostase, diedem Leiden ein Ende setzt. k) Diebanalen Geistesstörungen wieVerstörtheit undPhantasieren können wir hier übergehen. Das Schweigen in der Epikrise kommt sonst nur in den drei μ ίηvgl. die tödliche σ θ υ tödlichen Phrenitiden III B, 14, 15 und 16 vor. Für δυ Phrenitis III A, 11; derFall III B, 11beginnt mitbedrohlichen Phänomenen, endet aber schon am 3. Tag mit Genesung. Vgl. noch die gefährlichen herbstlichen ςbei dermelancholischen Phrenitiμ ο θ υ Brennfieber der3. Katastase vonEpid. I. ἄ ιν λ ά α ὶπ kerin III B, 2. Auffallend: Alle Fälle, bei denen nach Geistesstörungen κ (τ α χ )κ ὺ α τεν ό ε ιsteht, enden tödlich. Vgl. III A, 6; 11; 12; B 2; 14; I, 4; 11. l) Diätfehler während des klinischen Verlaufs: vgl. III B, 13, zu Beginn. m) Rheumata im Rachen: Bei I, 5 handelt es sich umein Kindbettfieber, aber auchmiteinem schmerzhaften undentzündlich geröteten Rachen undscharfen, bei) ist ebenfalls nach oben zuν ίω ßenden Kopfflüssen, unddasZäpfchen (diesmal κ 698,1 L. Der Patient III B, 8 leidet an einer hippokrarückgezogen. Vgl. II 696,15– tischen Seiten- undLungenkrankheit mitSeitenstechen, Husten undAuswurf. Vgl. γ επ έπ ο α ν π ο λ ά λ . ῆ ε ,ἀ σ ν σ η III 126,3f. L.: ἔβ n) Dyskrisie ohnejegliche Ordnung bei denVerschlimmerungen: Diese „Ataxie“ist eine Ausnahme.
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4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: a) Stehende Ausdrücke. –π ρἔλ β ῦ ε (mit Patientin im Akkusativ). –ἦ α νδ ὲ ς. -διὰτέλ ο ιψ δ ἄ ε ο ς . –ἀ π ὸδ ὲκοιλ ς... διῄ ίη ε ι. –ἀ μ έ ν ο ο υτο χ ρ ῦπ ρ υ ετ ο ῦ .– η νἐπ ὶ ἕδρ π ερ ό ν ε ι. –ἑκ τα ίηδ ὲἐοῦ σ α . –ἄ π ρ ς. – υ ο ο ὐ χἵδρ ω σ ε ν . –ἐκρίθ , -ἅμ η α ίσ ρ ε ι. –μ κ ιν . –ἑβδομ τ ὰδ ὲκρίσ ε σ ίηἐοῦ α α . –ἐρρίγω σ ε . –σμικ ρ ὰἐπεθ μ ά ν η ερ θ . –ὕ σ τερ ο ν . –ἄκ ρ ε αψ υ χ ρ ά . -α ἰε ί. -παρέκρο υ σ εκ α ὶπ ά λ ιντα χ ὺκ α τεν ό ε ι. – δια λ ιπ ο σ ῦ α . –πά λ ινπολ ρ λ ρ ε ή ὰπ α ι. –κοιλ ελ ίηἐπ ρ ετα ά χ η θ mitfünfAdjektiven κ im Dativ. –πυ ν ὰἀ ν π ίσ έθ τα τ α η(Epikrise). –ἤλ ο ν ὕ . –ἀ ε τ . –α γ ε ιφ ά ρ γ γ υ α .– έ ω νἀνεσπ α μ έν σ ς. –ῥεύμ ς. –γαργαρ ο α ο τ θ ευ αmit Adjektiven. –ἔβ ἔρ η σ σ ε ν α ο ,ο π έπ ὐ δ γ νἀ ὲ ε ῆ ςπ ν ν . -ἀπ ά ν σ ό τω ιτο ν . –π ρ ὰπ α ά ν τατὸ νχρ ό ν ο ν . –ἄ ν ιο ξ σ α , οὐ γ ο υ . –σιγῶ λ ό δ ὲ νδιελ έγ ε τ ο . -δυσθ . –ἀ ςεἶχ μ ίη υ ν ελ π ίσ ῆ ςἑω τ ω ε υ ν τ .– ἦ ντι συγγενικ ὸ νφ θ ιν ῶ δ ς. ε b) Stilbesonderheiten. –Hyperbaton (angedeutet): τ νΕὐρυάνακ ὴ τ ςθυ γ ο α τέ ρ
α
...
πῦ
ρ
ἔλ βε α
ν
.
έ c) Brachylogie: nurzwölf δ . d)Mehrere ausgeschriebene Sätze undSatzteile. γ α γ . ρ υ ά γ ε ιφ e) Accusativus Graecus: ἤλ ρ ν ὰπ ά τ ατὸ νχρό ν ς, α ί, π α ο ἰε ν(bei den Leitιὰτέλ f) Metabolai: δ ο ε ρ ο ύ ρ motiven). Lehrreich: AmTodestag hatπ ω α diegleiche Bedeutung wieam κ α ρ η έ ω ρ . α λ α 23. Tagπ g) Alliterationen: π ρ ε ι. – ἀπ ή ό ςπ ρ σ ρ ὰ ιτ ά ελ ν ο τω νπ α α ά λ ινπολ λ ὰπ ), vgl. III A, 2. ὸ νχρόνο ν π ά ν τ α(τ ο το ισ ισ ή ι, λ ιν ε π το ῖσ ίγ ι. , ὀλ ρ κ h) Homoioteleuta: ἀ
i) Leitmotive, ausdrückliche: Adipsie, Anorexie, kalte Extremitäten, entzündliche Rötung des Rachens. Auch die Geistesstörungen in derEpikrise sind langὐ δ έundοὐ δ έ ν werden ebendort mehrmals wiederholt, umdieungünstige wierig. –ο Prognose herauszustellen. Ähnliche Wiederholungen inV 334,4f. L. j) Mehrere Häufungen asyndetischer Epitheta, bis fünf am23. Krankheitstag. ρ ε ή ι(23. Krankρ ελ ὰπ λ α ρ ο σ ε(21. Krankheitstag), πολ ρ υ έκ α k) Steigerung: π heitstag). γ ε η ν . σ σ δ ῆ επ ο ν α ὲ νἀ , οὐ έπ ν l) Chiasmus: ἔβ m) Ringstrukturen: Adipsie undAnorexie zuBeginn undin derEpikrise; sie bilden sogar zusammen eingeschachtelte Ringe! –Die Phthise wirdzuBeginn der Epikrise beschrieben undanihrem Ende nochmals erwähnt. n)Doppelte Formulierungen, positiv undnegativ: viermal unmittelbar nacheinander gegen Ende derEpikrise, wasbeidiesem imganzen lakonischen Krankenbericht auffällt. Solche doppelten Formulierungen begegnen uns auch in denKatastasen. ν... η νἕδρ ὴ ὶτ ρ ε è π ὸδ o) Pronominalwendung: τ p) Eigene Epikrise des Autors. q) Zeugnisse für nachträgliche Abfassung der Krankengeschichte: vgl. die Leitmotive unddieRingstrukturen. Wenige Krankengeschichten der Epidd. III undI sind stilistisch so sorgfältig undkunstvoll ausgearbeitet worden wiediederTochter desEuryanax.
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III A, 6: Die Tochter desEuryanax (Thasos?)
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für die Hippokratesexegese? Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Die Phthise war im Altertum eine bekannte undweit verbreitete Krankheit. Sie trat oft epidemisch auf, wie uns die Katastasen der hippokratischen Epidemienbücher lehren. Im 14. Kapitel vonEpid. III werden diezudiesem Leiden prädisponierten Naturen beschrieben. Einige Jahrzehnte später sprach derRhetor Isokrates (um436– 338) sogar schon von der Ansteckung bei derPhthise (vgl. II 586f. L.), doch denKoern blieb
diese Einsicht versagt. Auf Banales treffen wir ebenfalls bei unserem Krankheitsfall. Er verläuft in einem gewöhnlichen kontinuierlichen undremittierenden Fieber. DieAusscheidungen bleiben roh bis zuletzt. Durchfälle sind bei der Phthise ein häufiges Endphänomen. Die scharfen schleimigen Kopfflüsse rufen Appetitlosigkeit hervor. Sie führt notwendig zueinem allmählichen „ ), „Schwindξ ύ Abschmelzen“ ν τη ις desKörpers (σ sucht“genannt, unddie Patienten verenden in einem elenden Zustand des MarasmusmitFacies hippocratica undGeistestrübung. Warum wurde derAutor vondiesem Krankheitsgeschehen trotzdem so gefesselt, daßer seiner Schilderung teilweise die Form vonKunstprosa verlieh? Einige Vermutungen dazukönnen wiranstellen. Zunächst fielen bei dieser kleinen Patientin Adipsie undAnorexie durch ihre außergewöhnliche Heftigkeit völlig aus dem Rahmen undverdüsterten dadurch von vornherein die Prognose. Merkwürdig ist auch folgendes: Dasdurch denMangel anDurst undAppetit bewirkte „AbschmeldesKörpers hätte sich eigentlich durch vermehrte undfettige Ausscheidungen zen“ melancholisch“trocken bekunden müssen; unser Fall hingegen bleibt durchweg „ undkalt! Schließlich waren bei dieser Phthisikerin die Geistesstörungen deutlich zahlreicher undmannigfaltiger, als sie bei diesem Leiden in der Regel aufzutreten pflegen. Unser Arzthatte also schon gewichtige Gründe, diese eigenartige Schwindsucht zuveröffentlichen. Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für die Hippokrates-
exegese?
a) Adipsie und Anorexie: Überfülle an Säften scheidet hier als ätiologischer Faktor aus, ganz im Gegensatz zur warmen und feuchten Katastase desselben Epidemienbuches. Bestimmend sind die scharfen Kopfflüsse undgegen Ende des Verlaufs außerdem die Niedergeschlagenheit, derdie Patientin anheimgefallen ist. b) Abszeß am Gesäß: vgl. III A, 1, § 5, m). c) ZudenKernpunkten gelangen wirabererst mitdenzweiletzten Abschnitten. Wir haben uns noch einmal mit der hippokratischen Phthise auseinanderzusetzen undin derHippokratischen Sammlung nach Parallelen zudenbesonderen Geistesstörungen bei unserer Patientin zusuchen. Der Klarheit halber müssen wir bei der Phthise auf zwei Gebieten zu unterscheiden lernen. Ausheutiger Sicht ist die alte „Phthise“eine Lungenaffektion mit ) undpathologischen AuswirLungentuberkulose“ organischen Läsionen (unsere „ kungen auf den gesamten Organismus der von ihr betroffenen Patienten. Die
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hippokratische Phthise hingegen besteht ausFlüssen kalten Phlegmas, dievonder Schädelkapsel aus in Rachen undLuftwege herabfallen. Die zweite Unterscheidung, die wir vorzunehmen haben, ist ebenso bedeutungsschwer. Innerhalb der Hippokratischen Sammlung als ganzer wird die Phthise in densogenannten knidischen oder nosologischen Schriften nach archaischem Muster als selbständige Krankheitseinheit beschrieben mit ihren klinischen Zeichen, ihrer Diagnose, Prognose undTherapie. Auch die Koer kennen sporadische Fälle von Phthise und darüber hinaus ihr Auftreten in epidemischer Form. Aber fürdiese Ärztegruppe ist dashöchste Leitbild nicht diese besondere Krankheitsart, sondern wieschon mehrmals betont das „Fieber“ , unddie eigenen klinischen Phänomene unddereigene Verlauf derPhthise werden demWerdegang dieses Leidens höheren Ranges untergeordnet. Auch in unserem konkreten Einzelfall beginnt derKrankenbericht mit der Darstellung derFieberkrankheit; vonderPhthise erfahren wirerst in derEpikrise, undes handelt sich obendrein nochumeine atypische Krankheitsentwicklung. Eine Geschichte der Phthise in der griechischen Archaik undKlassik gehört nicht in diesen Kommentar. Zurersten Orientierung bringen wirnureinige Meilensteine zumThema. Diefrüheste Belegstelle fürdieses Leiden befindet sich ineinem verschollenen Traktat, densogenannten Knidischen Sentenzen. Typisch archaisch undnosologisch unterscheiden sie sogar drei eigenständige Erscheinungsformen der Phthise (vgl. II 199 L. und XV 4228,2 K.). Auf drei verschiedene Phthisen treffen wir auffallenderweise ebenfalls in der späteren und erhaltenen pseudohippokratischen Schrift „ Über die inneren Krankheiten“(vgl. VII 188ff. L., Kap. 12); auch sie verfährt ganz archaisch-nosologisch nach knidischem undschon 10– altägyptischem Beispiel. Fürähnliche nosologische Schilderungen vgl. noch dasII. Buch der Krankheiten, VII 72ff. L., Kapp. 48ff., ferner die Schrift „Über die Stellen , VI 302ff. L., Kapp. 14 und19,undfüreine allerdings nurskizzenamMenschen“ , VIII 568ff. L., Kap. 14. Über die Drüsen“ hafte Schilderung die Schrift „ Die Koer hingegen zeichnet ihre Fähigkeit zu integrativem Denken aus, ein Reflektieren auf höherer geistiger Ebene. Die überkommene Nosologie knidischer Art ist ihnen wohlvertraut, undsie verschmähen die traditionelle klinische Erfahrung keineswegs. Nursuchen sie selbst voneiner ihrer Schriften zuranderen und nächsten überdies einerseits nach supra-nosologischen prognostischen Standpunkten, in diesem Fall nach den verschiedenen Ordnungen der Fieberanfälle, und bemühen sich andererseits darum, mitHilfe desvonihnen erfundenen Kongruenzprinzips diePrognose dereinzelnen Patienten bis zum Äußersten zuindividualisieren (vgl. Hipp. XIII, 1989, Kap. IV, §§ 3 und6). Im VII. Epidemienbuch, Kapp. 51, werden drei Fälle von Phthise in typisch hippokratischer Weise vorgestellt. 49– Führender klinischer Vorgang ist dasFieber undsein Verlauf. Die besondere Lungenkrankheit entwickelt sich im Rahmen dieses Fiebers. Bei den zwei letzten Kranken treten auch Durchfälle als bösartiges Endphänomen auf (vgl. Aphorismus
V, 14). Die Epikrise dieser Krankengeschichte endet mitdemHinweis aufeine angeborene Anlage zurSchwindsucht bei derPatientin. Ganz allgemein als prognostiÜber die Säfte“zweimal die schen Faktor erwähnt die echt hippokratische Schrift „ kongenitale Prädisposition (zubestimmten Krankheiten), V 476,7 und492,7 L. Für
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die besondere Veranlagung zur Phthise vgl. neben Epid. III, Kap. 14, noch Epid. I, 606,1 L., Epid. VI 3, § 10, und 7, § 6, die Schrift „Über die heilige II 604,7– Krankheit“ , Kap. 2, unddasII. Prorrhetikon, Kap. 5. DerIndex vonLittré undder Index Hippocraticus verweisen ferner auf zahlreiche andere angeborene underb-
liche Leiden in derHippokratischen Sammlung. Schon derArchaik waren solche Einsichten bekannt. e) Parallelen in dieser Sammlung finden wir schließlich auch für die in der Epikrise angeführten selteneren Geistesstörungen. FürdasSchweigen vgl. imVII. Epidemienbuch den § 89 und den zweiten Teil der Koischen Prognose § 472; Erinnerung“anunseren Fall. FürdenMißmut vgl. denAphorismus vielleicht eine „ VI, 23, bei Melancholikern; Melancholie auchinMul. II, Kap. 182, VIII 364,14 L. Zum „Hunger- und Durststreik“der Patientin und zu ihrer Hoffnungslosigkeit fügen wirnoch folgende Bemerkung hinzu. InEpid. I, II 636,3f. L., hatderPatient mitHilfe desArztes“(vgl. Bourgey 1972/1975, sein (Fieber)leiden zubekämpfen „ S. 212ff.). Im Prognostikon hingegen hat der Arzt selbst diesen Kampf aufzunehmen (vgl. II 112, 1f. L.). Diese zwei Stellen widersprechen sich nicht, sondern ergänzen einander. Aus hippokratischer Sicht sind Arzt, Patient undUmgebung νgegen die Krankheit (vgl. den 1. Aphorismus). Allein, ώ γ Verbündete in ihrem ἀ läßt der Patient sich gehen, so stehen auch Arzt undUmgebung oft machtlos da.
(7) III A, 7, die Angina-Kranke... 233. 55 L. –Kw. I 221. –J. I 230– III 52– Hippokratische Diagnose: „Angina“(imhippokratischen Sinn).
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III A,7: DasWeibmitHalsbräune ausdemHause desAristion
III A, 7. –Die Angina-Kranke...
ρ ὰἈρισ α Ἡκυνα ς, Das Weib mit Halsbräune (hippokratiγ ὴἡπ τίω χ ικ ο ν ᾗ πρῶ το ν ἤρξ α τ ο ἀσα ή ω ςφ ὴ . sche Angina) aus demHause des Ariν φ γ λ ῶ σ σ αἐρυθ ή , ἐπ ρ ρ η ά η εξ ν . θ stion (oder Biton? Bion?) hatte als erstes, als (die Krankheit) begann, eine undeutliche Stimme; Zunge rot, ober-
flächlich trocken.
ς, ἐπ ρ η ρ ικ τ η . ώ ῃφ δ ώ ῇπ μ τ ά θ ν εθ ερ
Amersten Tag Frösteln, dann (Fieber-) Hitze.
ῃῥ ςὀξ ίτ α Am dritten Schüttelfrost, heftiges Fieτρ μ τ ε ρ η ὸ υ ς, π ο ύ ἴδ ῖγ , ο ς
ὶ ber, rötliche harte Schwellung amHals λ α ο υκ ν τραχή ὸ ρ η ρ ν ο , σκλ υ θ π έρ ὑ ε α und über die Brust von beiden Seiten ρ ν ο τέρ ω φ , ἄκ μ ξἀ ςἐ ὶ στῆ ο π θ ἐ ψ υ χ ρ ά , π ελ ν ο , her; Extremitäten kalt, bläulich; Halsatρ ιδ ετέω μ αμ ν ν ά , π ε ῦ κ mung; Getränk kamdurch die Nase zuὐ ιν ο ίν ε π α ν τα , κ ῶ π ο τὸ νδ ιὰῥιν ἠ δ ύ ν α τ μ α τ ο ή ακ α rück, (Patientin) konnte (es) nicht hinρ , δια α ὶ ο ρ ὖ χ ω . η τ σ έ ἐπ
unterschlucken; (später) Stocken von Stuhl undHarn.
η . ξ ν θ ύ ῃπ απαρω ά ν τ ρ τετά τ
Amvierten Tag allgemeine Verschlimmerung.
ῃἀ π π τ π ε. έμ ν α έθ
Amfünften starb sie.
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Schon in derKrankengeschichte III A, 6 könnte mansich vorstellen, daßdieersten kalten undscharfen Phlegmaflüsse –vonderSchädelkapsel herzumRachen hinab –bereits denimeigentlichen Krankenbericht angegebenen klinischen Phänomenen vorausgingen, auchwennsich derbeobachtende Arztdarüber ausschweigt. InIII A, 7 hingegen steht wie in III A, 4 der örtliche Ausgangspunkt des Leidens außer Frage. Diesem ersten Unterschied zwischen den beiden Fällen fügen wir einen zweiten hinzu. In III A, 6 werden die örtlichen Beschwerden der Phthise von vornherein innerhalb eines hippokratischen, kontinuierlich-remittierenden Fiebers dargestellt. InIII A,7 aberlösen dieörtlichen klinischen Vorgänge dieFieberkrankheit eindeutig erst aus; vor der ersten fieberhaften Erwärmung wird die Stimme plötzlich heiser unddieZunge rotundtrocken. Eines jedoch haben dieFälle III A, 6 und7 zweifellos gemeinsam: ObPhthise oderHalsbräune (hippokratische Angina), inbeiden Fällen handelt es sichumKrankheiten, dieschon derarchaischen griechischen Nosologie vertraut waren, und die wir in den knidischen Traktaten der Hippokratischen Sammlung mehrfach wiederfinden. Der koische Autor des III. Epidemienbuches behandelt sie indessen auforiginale Weise, indem er sie in seine differenziertere Krankheitenlehre aufnimmt undsie als besondere Fieberarten versteht undvorführt. ήzu diagnostizieren? Am γ χ ικ α Welche Krankheit haben wir bei dieser κ ν υ wahrscheinlichsten ist Diphtherie anzunehmen mit einem schnell tödlichen Kehlkopfkrupp (oder -croup), vgl. Sticker 1923/1968, S. 102ff. In den modernen HandundLehrbüchern der inneren Medizin, Kinderheilkunde undHals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten kehren in deneinschlägigen Kapiteln alle in unserem Fall angeführten klinischen Phänomene wieder. Diese Hilfe ausderSekundärliteratur ist uns hier umso willkommener, als derhippokratische Autor in seinem Krankheitsproηhanγ χ ά ν υ tokoll auffallend wortkarg geblieben ist. Daß es sich um eine κ delt, warihmwohl offenkundig nurallzu klar; er selbst gibt die Diagnose ja sofort
an.
Betrachten wir nundenWerdegang dieses Krankheitsgeschehens. Die heisere Stimme deutet aus hippokratischer Sicht auf Störungen in denoberen Luftwegen. Sie sind wohl entzündlicher Natur, denndieZunge erscheint nicht nurrot, sondern wie bei Brennfieber oberflächlich trocken. Ist auch derRachen in Mitleidenschaft gezogen? Wirkönnen es zumindest vermuten. Mehr über denörtlichen Ausgangspunkt dieses Leidens erfahren wirzunächst α τ μ α ausderSchädelεύ gestalten. Dieῥ Fieber“ nicht. DerAutor will esja alsein„ kapsel fließen nicht nurindenHalshinab, sondern überdies indieAdern, undschon amersten Tag rufen sie ein allgemeines Schaudern unddaraufhin eine fieberhafte Körpererwärmung als Abwehrreaktion hervor. Wirkennen diese typische Zweiergruppe klinischer Phänomene. Anfangs deutet sie sich nur an, und was noch auffallender ist, wenn mandas rasche tödliche Ende bedenkt: Über denzweiten , als ob sich schon Genesung anbahnte! Krankheitstag bleibt der Autor „stumm“ Gleich hernach allerdings überstürzen sich die klinischen Ereignisse. Der dritte Krankheitstag setzt ein mit Schüttelfrost undheftigem Fieber. Der massive und
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kalte innere Katarrh löst eine entsprechend starke undanhaltende Körpererhitzung aus. Auch beim Folgenden müssen wir weiter „koisch“denken, umdie örtlichen unddie allgemeinen klinischen Erscheinungen mit denAugen unseres Autors zu beurteilen. Beginnen wirmitdenörtlichen Erscheinungen. Die„ –überdiebisher Angina“ noch kein Wort gefallen ist –drängt unerwartet nach außen. Es bildet sich ein hartes undleicht entzündliches ÖdemamHalsundauchüberdieBrust „ vonbeiden Seiten . Die erste Bedeutung vonκυνά her“ ηist nach denWörterbüchern „Hundehalsγ χ . Der altgriechische Gott Hermes wurde auch „Hundswürger“ band“ ς, , κυ η γ ν ά χ genannt, weil er den viehtreibenden Hund Ἄ ς erdrosselt hatte. Als Hippoο γ ρ kratesexegeten schauen wir aber in eine andere Richtung. Mit diesem Ödem versucht derkranke Körper dieMateria peccans unter dieHautoberfläche zutreiben; es handelt sich umeine ArtApostase, die ansich ebenso günstig zubewerten ist wie dashohe Fieber als Äußerung derNatura medicatrix (vgl. das23. Kapitel desPrognostikons). Allein, diese nützliche Ablagerung erweist sich als unzureichend. Gefährliche örtliche undallgemeine krankhafte Vorgänge bezeugen es baldeindeutig. ρ ν ετέω ο : Die Patientin atmet wahrscheinlich bei aufgerichteμ αμ ν εῦ Wir lesen π tem Oberkörper (Orthopnoe), sicher aber nur mit der oberen Brusthälfte; wir sprechen heute von Halsatmung. Durch Verengung des Schlundeingangs fließen die Getränke durch die Nase zurück, von festen Speisen ist nicht einmal mehr die Rede. Undverschlimmert wird dieses äußerst schwere Krankheitsbild noch durch Störungen desAllgemeinzustandes. DieExtremitäten werden kalt undgarbläulich, wasein ominöses Zeichen ist! Ein Stocken vonStuhl undHarn tritt als schlimmes Endphänomen hinzu. Amvierten Tag verschärfen sich noch die örtlichen unddie allgemeinen klinischen Erscheinungen. Undamfünften stirbt die Patientin an Erstickung, gleichsam aneiner inneren Erwürgung. AmEnde wird derAutor lakonischer dennje. Wozu noch viele Worte? Hätte sich nicht eine Apostase angedeutet, sowäre dertödliche Verlauf dieser „Angina“nochkürzer gewesen. Dieletzten klinischen Zeichen waren ja allesamt bösartig. Weib mit Zusätzliche Bemerkungen. –a) Nach dem Fall III A, 6 ist das „ Halsbräune“–wahrscheinlich eine Sklavin –die zweite Frau in Epidd. III undI, Fieber“bei Männern deren Fieberkrankheit ebenso selbstverständlich wie die „ dargestellt wird, ohnejeden Zusammenhang miteiner Schwangerschaft. AlsWohnort können wir Thasos vermuten, doch weder Stadtstaat noch Stadtviertel werden angegeben. Nicht einmal desNamens ihres Herrn sind wirsicher. In Epid. V, § 41, treffen wirebenfalls auf einen Aristion, aber Galen hatBiton, undes könnte auch ein Bion sein, vgl. Epid. I, II 650, 1 L., Epid. II 2, § 23, Epid. VII, § 19, undIII 53 L.,
Anm. 28; Kw.I 221, Anm. zuZ. 3. b) Der Beginn dieses Krankenberichts ist untypisch, vgl. III A, 1, § 3, f). Er ist es sogar auf besonders auffällige Weise, da der Autor dem Leser die fertige ς... ιτικ ρ ὸ εν Diagnose sofort mitteilt. Ähnlich verhält es sich im Fall III B, 4: Ὁφ Vgl. auch die §§ 3 und4 desvorliegenden Kommentars. c) Epidemien von Diphtherie grassierten auch in der Antike, vgl. X Iff. Littré. Doch von Vorgeschichte und „Prophasies“hören wir hier nichts. Eine weitere, schon erwähnte Eigentümlichkeit besteht darin, daß demhippokratischen Fieber
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örtliche Beschwerden vorauseilen, die es erst in Gang bringen. Derkoische Fachή μ , vgl. Epidd. II 1, § 11, und VI 3, § 12. Nacheinander ausdruck dafür ist ἀ ρ φ ο betrachten wir die krankhaften Veränderungen an Stimme undZunge, dasFieber mit seinen unmittelbaren Begleiterscheinungen undschließlich die örtlichen und die allgemeinen Störungen, diediePatientin in denTodtreiben. d) Alles beginnt –vgl. dastypische Verb ἄρχο μ α ι–miteiner „undeutlichen Stimme“ . In I, 13, II 714,4f. L., ist die Zunge undeutlich, γλῶ σ σ αἀ φ ή ς; der σ α hippokratische Patient spricht mit der Zunge, und hier fehlt ihm teilweise die Fähigkeit zuartikuliertem Sprechen. Bei III B, 3, III 114,3 L., haben wirbeides: die Sprach- unddieStimmlosigkeit; derPatient istἄ ςundἄφ ςzugleich. Und ν ω ν α υ δ ο ο bei unserer Kranken breitet sich dieEntzündung aufdieZunge aus, die als rotund oberflächlich trocken bezeichnet wird. e) AndieZweiergruppen klinischer Zeichen Schaudern-Fieberanfall undSchüttelfrost-Fieberparoxysmus brauchen wir hier nur zu erinnern. Nach dem 3. Tag steigt das Fieber unaufhaltsam weiter; die Krankheit gewinnt dermaßen die Vorherrschaft, daßeinrettender kritischer allgemeiner Schweißausbruch nicht mehr zu erhoffen ist. ρ ο νbedeutet in diesem Fall kein Nasenflügelatmen, sondern ν μ ετέω αμ εῦ f) π entweder Orthopnoe (vgl. S. 140 undIII 54 L., Anm. 8, nach Galen) oder Atmung mit der oberen Brusthälfte. Folgendes fällt auf: Moderne Kliniker sprechen bei Kehlkopfcroup voneinem Atmen mit zurückgelegtem Kopf, Hippokrates aber im Prognostikon vonOrthopnoe (vgl. II 176,5 L.). Weiter kommen wirhier nicht. g) Zubemerken ist ferner, daßbeiheftigstem Fieber dieExtremitäten gleichzeitig stark erkalten und sogar bläulich werden. Alle Wärme flüchtet nach innen, d.h. derZwerchfell- undderBrustgegend zu(vgl. II 420ff. L.). h) DieStockung vonStuhl undHarnkannausmehreren Gründen entstehen, die einander ausschließen: Verdorrung oder Verdampfen der Inhalte in Eingeweiden undAdern durch die Fieberhitze, Verhinderung derNahrungsaufnahme durch die Dyspnoe unddie Schlundstenose, undnicht zuletzt infolge derdurch das schwere örtliche Leiden verursachten Qualen. 613 K.). –Der i) Galenisches zu dieser Krankengeschichte (XVII A 593– galenische Kommentar ist diesmal wieder erheblich länger, enthält aber zahlreiche „ Galenismen“(vgl. III A, 2, § 1, p) und lange Abschweifungen, die uns nicht weiterhelfen. DerPergamener hatmehrere Bestandteile deshippokratischen KranAngina“(S. 594 undpaskenberichts festgehalten. Die Patientin leidet an einer „ sim); dieGetränke kommen bei ihrdurch dieNase zurück (S. 598f.); ihre Extremitäten werden kalt undbläulich (S. 599f., 609); es kommt zu Stuhl- undHarnverhaltung (S. 599f., 608f.). Wirklich lehrreich für uns ist indessen die ausführliche (S. 595ff.), dochwirhaben sie schon in ο ν ρ galenische Exegese desπ ετέω αμ μ ν ε ῦ derGesamtdarstellung desFalles undunter f) ausgiebig berücksichtigt. AuchGalen hat das hippokratische Prognostikon aufmerksam gelesen und weiß, daß diese Anginakranke schon vordem5. Taghätte sterben können. Sie warrobust, daher der , auf das vergißt“ verhältnismäßig späte Tod (S. 609). Es fällt dabei auf, daß er „ Hals- undBrustödem als nützliche Apostase hinzuweisen.
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j) Epikrise. –DiePatientin leidet aneiner schweren hippokratischen „Angina“ (Kehlkopfkrupp), die in 5 Tagen tödlich endet. Möglicherweise lebt die Kranke in Thasos undist wahrscheinlich eine Sklavin. Es gibt weder eine Vorgeschichte noch „ Prophasies“ ή . Örtliche ἀφ μ mitheiserer Stimme undroter, trockener Zunge. Die ρ ο allgemeinen Störungen brechen ausnach inneren Katarrhen mitnachfolgender, bis zuletzt steigender Fieberhitze. Auch die örtlichen Schäden verschärfen sich zu Halsatmung undSchlundstenose; nicht einmal einGetränk konnte diePatientin bei sich behalten. Hinzu kommen bösartigste Endphänomene, nämlich kalte undbläulicheExtremitäten, Stuhl- undHarnverhaltung. Diekräftige Anginakranke wehrt sich zwar mit heftigem Fieber und einer Hals- und Brustschwellung als günstiger Apostase. DochamEnde siegen dieallzu mächtigen Krankheitsstoffe. DiePatientin stirbt aneiner „ . inneren Erwürgung“ 2. Laufender Kommentar: „ Das Weib mit Halsbräune“(hippokratische Angina) ausdemHause des Aristion (oder Biton? Bion?) hatte als erstes, als (die Krankheit) begann, eine undeutliche Stimme; Zunge rot, oberflächlich trocken.“–Wir haben es vermutlich mit der Sklavin eines bestimmten thasischen Bürgers zutun. Ihr Leiden beginnt plötzlich, möglicherweise während einer Epidemie, ohne Vorgeschichte undoffenkundige a limine“die Diagnose an, unddaserklärt auslösende Ursachen. DerAutor gibt „ sich vielleicht daraus, daßdie anfänglichen klinischen Phänomene verhältnismäßig gutartig erscheinen. Werkönnte ahnen, daßeine Kranke mitheiserer Stimme, roter undtrockener Zunge schon 5 Tage später an„innerer Erdrosselung“sterben würde?
AusdemSichtbaren haben wirdasUnsichtbare zuerschließen, lehrt Anaxagoras. Die Zunge warentzündet, die oberen Luftwege undder Rachen waren es folglich auch, und Rheumata kalten und scharfen Schleims aus der Schädelkapsel sind als
Ursache anzunehmen. „ Amersten Tag Frösteln, dann (Fieber-)Hitze.“–Auch die ersten Allgemeinphänomene –dieZweiergruppe Schaudern-Fieberanfall nacheinem inneren Phlegmakatarrh –erscheinen noch ziemlich ungefährlich, zumal der Autor über den zweiten Krankheitstag nichts Nennenswertes zu berichten vermag. Wüßten wir ηbefallen wurde, so brauchten wir χ γ ν ά υ nicht schon, daßdie Patientin voneiner κ unsüber ihr weiteres Schicksal nicht übermäßig zuängstigen. „ Am dritten Tag Schüttelfrost, heftiges Fieber, rötliche harte Schwellung am Hals undüber die Brust von beiden Seiten her; Extremitäten kalt, bläulich; Halsatmung; Getränk kamdurch die Nase zurück, (Patientin) konnte es nicht hinunterschlucken; (später) Stocken von Stuhl und Harn.“–Vom 3. Tag an hingegen verdüstert sich diePrognose schlagartig. Nacheinem zweiten undstärkeren inneren Phlegmafluß mit Schüttelfrost wird das Fieber deutlich heftiger. Auch die örtlichen klinischen Erscheinungen verschlimmern sich aufdramatische Weise. DiePatientin wirdvonschwerster Atemnot überrascht, dasGetränk kommt wegen Schlundverengung durch die Nase zurück. DasFieber bedeutet freilich eine nützliche Abwehrreaktion, desgleichen dieAblagerung vonMateria peccans anHals undBrust. Doch
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der Krankheitsprozeß wird dadurch nur leicht aufgehalten. Schon melden sich schlimmste Endphänomene: kalte undbläuliche Extremitäten, Stuhl- undHarnverhaltung.
„ Amvierten Tag allgemeine Verschlimmerung. Amfünften starb sie.“–Die Patientin hätte schon am3. Tag umkommen können undohne die Apostase sogar noch früher. Tatsächlich aber hatsie erst am5. TagdieErstickung umgebracht. Da derAutor am4. und5. Tagkeine neuen undbesonderen klinische Zeichen anführt, dürfen wir bedenkenlos annehmen, daßdie meisten am3. Tag genannten Phänomene sich bis zuletzt verschlimmert haben. Therapeutisch ist gewiß alles Verfügbare versucht worden: örtliche Mittel, Aderlaß, Einläufe; die Tracheotomie allerdings wardamals noch unbekannt.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII-I:
a) Zu den endemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Unser Fall weist keine Übereinstimmungen mitdendrei Katastasen vonEpid. I auf, nicht einmal mit der kalten und nassen zweiten, wo Krankheiten des Rachens und der oberen Luftwege durchaus möglich gewesen wären, vgl. II 616ff. L. Die Katastase desIII. Epidemienbuches berichtet von Rachenbeschwerden, Schädigungen der Stimme undMundausschlägen, vgl. III 70,5f. und76,5ff. L. mitdereingehenden Anmerkung21 vonLittré. Mankönnte daher versucht sein, das„ WeibmitHalsbräune“mit dieser Katastase in Beziehung zubringen, doch eindeutige hippokratische „ Anginen“ werden auch dort nicht beschrieben. Wie mehrere andere in Epid. III ist also auch III A, 7 einisolierter Fall. b) ZumPrognostikon. –Mit demPrognostikon hingegen verhält es sich ganz Anginen“undderPrognose ihrer verschiedenen anders. Sein 23. Kapitel ist den„ klinischen Formen gewidmet. Unser Fall nimmt darin aus koischer Sicht eine typische Mittelstellung ein. Er verläuft tatsächlich weder in ein, zwei, drei Tagen durch Erstickung tödlich ohne jede sichtbare klinische Erscheinung noch günstig mit Genesung durch eine ausreichende Apostase an Hals undBrust. Für unseren Autor mußalso diese Krankengeschichte besonders kennzeichnend gewesen sein. Eine ausgeprägte Ablagerung hatte zwar stattgefunden, doch sie blieb unvollständig; daher erfolgte derTodam5. Tag. c) Zuden übrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –Dieses „Weib“ ausdemHause desAristion ist wahrscheinlich eine Sklavin. d) Die Krankheitsdiagnose wird gleich zuBeginn verkündet: vgl. auch die Fälle III A, 9, Ileus; III B, 1, kontinuierliches, brennfieberartiges Fieber; III B, 2, akutes Fröstelfieber; B, 4, Phrenitis mitFröstelfieber; B, 5, brennfieberartiges Fieber; B, 7, 9 und 12, desgleichen; B, 15, Fröstelfieber; bei I, 1, 2 und10 handelt es sich um Brennfieber ausder3. Katastase vonEpid. I; Kindbettfieber sind allesamt dieFälle 12; B, 2; 14; I, 4; 5; 11 und 13. III A, 10–
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e) Für Stimme undZunge vgl. schon die Erörterungen unter § 1, d). In den Krankengeschichten vonEpidd. III undI kommt φ ήnurin III A, 7 vor. Aphonie ω ν hingegen ist ein häufiges Endphänomen bei tödlichen Fiebern. Die oberflächlich trockene Zunge bildet meist mit übermäßigem Durst eine typische Zweiergruppe klinischer Zeichen bei Brennfiebern undanderen akuten Fieberkrankheiten. f) DieZweiergruppe Frösteln-Fieberanfall: Ansichistsieprognostisch günstig, zumal wenn sie wie bei dieser Patientin zweimal vorkommt. Eine rettende Krise durch allgemeinen undwarmen Schweißausbruch wäre eigentlich zuerwarten. Da sieabernicht eintritt, würde derhippokratische Autor sagen: HierwardieKrankheit eben stärker als die Kranke undhatsie erdrosselt. g) ο μ ἴδ η α : In den Krankengeschichten vonEpidd. III undI findet sich dieser Ausdruck nurnocheinmal in I, 9 beieinem Anthrax (?) wieder. In III A, 7 bedeutet ereine günstige, aber ungenügende Apostase; inI, 9 dagegen gehört erzurörtlichen ήeines schon am2. Tagtödlichen Fiebers mitphrenitischer Raserei. μ ρ ο φ ἀ h) Extremitäten kalt undbläulich: vgl. diezwei Stellen II 132,6f. und150,6 L. imPrognostikon. μ α : Nurhier undals örtliches Phänomen in derGruppe III A der Kranν εῦ i) π kengeschichten. In denGruppen III B undI hingegen gehören die Atemstörungen durchweg zu denallgemeinen undbösartigen Erscheinungen bei meist tödlichen α μ ν εῦ Fiebern. Vgl. die Fälle III B, 3; 8; 15; 16; I, 1; 2; 11. Für die Stellen mit π μ ετέω ρ ο νvgl. denIndex Hippocraticus unddie sinnverwandten Ausdrücke bei V
336,2; 412,7f.; VI 160,7f.; 202,17f. undVIII 278,8 L. j) Stockung bei Stuhl undHarn: vgl. denKommentar unter § 1,h). DieParallelstellen zur Stuhlverhaltung: vgl. III A, 1, § 3, i). Zur Harnverhaltung: die tödlichen Fälle III B, 14; 16; I, 2; 8. DaßderStuhl in gewohnter Reihenfolge vordemHarn genannt wird, erklärt sich wohl ausden(spekulativen) physiologischen Vorstellungendes Autors.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: σ σ α ή ςφ ω . –γλῶ ν ή , ὴ ρ τ φ . – ἀσα ο ἐ ρυθ a) Stehende Ausdrücke. –ἤρξα μ α η ἴδ ς ὀξ ς. –ο ρ ύ υ ε τὸ η μ . –ῥ ά ν θ εθ ερ ς. – π ο ς. –ἐπ ρ ῖγ ικ η ώ δ η . –φ θ ν ρ ά η εξ ἐπ ά ρ , φ ω ο ν τέρ υ χ . –ἄ ξἀμ ρ ε αψ κ ςἐ ο θ ὶ στῆ ο ὶἐ π λ υκ α ντραχή ρ ὸ η ν , σκλ ο ρ υ θ έρ π ὑ .– ο τ ν α κἠδύ ινο ὐ ε τα ίν ιὰῥιν ῶ ν νδ , κ α π τ ὸ ο . -π ν ο ρ ετέω αμ μ ιδ ν ά ν εῦ π ελ π .– η . –ἀ ν α ε . π έθ ν θ ξ ύ απαρω τ ν ά η . –π τ έσ αἐπ ρ μ α τ ακ ὶο α ὖ ή ρ χ ω δια b) Stilbesonderheiten. –Untypischer Beginn dieser Krankengeschichte: vgl. III A, 1, § 3, f).
ή ω . ν ςφ ὴ φ α τ τ οἀσα ῶ ρ ο νἤρξ ικ ὴ... ᾗπ χ γ α ν υ κ c) Hyperbaton: Ἡ d) Brachylogie: keine einzige Partikel! e) Ein einziger ausgeschriebener Satz. ς. ο ρ θ υ έρ f) EinDiminutiv: ὑπ g) Häufung asyndetischer Epitheta, zweimal. ιν ε ίν π τα α ,κ ν ῶ ιὰῥιν νδ ὸ τ ο h)Doppelte Formulierung, positiv undnegativ: π ο . τ α ν κἠδύ ο ὐ
III A, 7: DasWeib mitHalsbräune ausdemHause desAristion
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i) Zeugnisse fürnachträgliche Abfassung: Die endgültige Diagnose desLeidens wird demKrankenbericht bereits vorangestellt. Alle Verben treten in derVergangenheitsform auf. j) Zusatz: dreimal dasPräfix ἐπ ι- vorVerben –ἐπεξηράν η θ , ἐπ εθ μ ερ ά ν η θ ,ἐ η–in dieser kurzen Krankengeschichte, vielleicht umdie rasche Verschlimσ τ π έ merung
desLeidens hervorzuheben.
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für dieHippokratesexegese?
Warum wurde diese Krankengeschichte vom Autor festgehalten? –In diesem Abschnitt können wirunskurz fassen, daalles Wesentliche des Krankenberichts schon im Vorhergehenden besprochen wurde. Das „ Weib“stirbt nicht sofort an seiner Halsbräune, kommt aber andererseits auchnicht zurGenesung. Indiesem besonderen Sinn handelt es sich umeinen „ mittelschweren“Krankheitsfall (vgl. § 3, b). Die Patientin leidet an einer zunehmenden Halsenge. Speisen kann sie nicht mehr zu sich nehmen. Wegen der Schlundstenose kommt das Getränk durch die Nase zurück. Undindenoberen Luftwegen verstärken sich dieHindernisse dermaßen, daß die Kranke demErstickungstod erliegt. Die beiden Zweiergruppen Frösteln-Fieberanfall hätten ihr zwar zugute kommen können, doch der Wucht des Leidens vermochte sie nicht zuwiderstehen. Schon am3. Tagkündigen Endphänomene den unentrinnbaren Tod an: kalte undbläuliche Extremitäten, Stuhl- und Harnverhaltung. Die kräftige Patientin wehrt sich vergeblich mit Fieber undeiner Apostase an Hals undBrust. Der Autor kann sich diesmal mit wenigen Worten begnügen. Dieser Fall warfürihnvöllig klar, wennauch denheutigen Kliniker die Darstellung teilweise spekulativ anmutet.
Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für die HippokraWeibes mitHalsbräune“zunächst tesexegese? –a) Fürunsheute ist derFall dieses „ einmal deshalb lehrreich, weil er, wie bei der Phthise in III A, 6, von einer Krankheitseinheit berichtet, die schon derarchaischen Nosologie vertraut warund vonunserem Autor aufdieanspruchsvollere Ebene eines hippokratischen „Fiebers“ erhoben wurde. Diese bewundernswerte geistige Leistung haben wirschon mehrmals hervorgehoben (vgl. III A, 6, §§ 1 und5, c), III A 7, § 1, undHipp. XIII, 1989, S. 93ff.). So können wir sogleich zumnächsten Punkt übergehen. Anginen“verfügen wir Nicht nur bei den Phthisen, sondern auch für die „ glücklicherweise in der Hippokratischen Sammlung selbst über Beispiele aus der und„Knidos“überKos“ archaischen Nosologie, die unsdenKontrast zwischen „ zeugend verdeutlichen. Amtypischsten sinddiesbezüglich dieZeugnisse inKap. 10 des III. Buches der Krankheiten, VII 128ff. L., und im Kap. 6 des Anhangs zum , II 408ff. L. Hier ist vonFieber Über die Diät bei akuten Krankheiten“ Traktat „ Angiüberhaupt nicht die Rede; nurdie örtlichen klinischen Erscheinungen der „ ist übrigens einausgesprochen uneinheitAnhang“ werden angeführt. Dieser „ nen“
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III A,7: DasWeibmitHalsbräune ausdemHause desAristion
liches Dokument; neben echt Koischem enthält er unter anderem auch archaische Nosologie. Im Kap. 9 des II. Buches der Krankheiten, VII 16ff. L., überwiegen die örtlichen Phänomene; zumFiebern kommt es nurdannundwann. Die Kapp. 26 und 27 desselben Buches, VII 40ff. L., bilden eine Art Übergang zwischen den beiden Richtungen. DieAnginen beginnen mitFieber, inKap.26 sogar mitnachfolgendem Schüttelfrost. Aber auch an diesen Stellen werden sie nicht koisch eindeutig als Fieber“behandelt, das Hauptgewicht liegt weiterhin auf denörtlichen klinischen „ Phänomenen. Die Koer kannten die archaischen nosologischen Schriften undbenutzten sie gleichsam als „ Steinbruch“für ihre eigenen, geistig höherstehenden Krankheitsdarstellungen. b) Nach denallgemeinen Bemerkungen zudieser Krankengeschichte betrachten wir ihre einzelnen klinischen Erscheinungen undbeginnen mit der ersten, der . Zum Unterschied zwischen Stimme und artikuliertem „ undeutlichen Stimme“ 7; Sprechen vgl. schon § 1, d) undaußerdem VI 524,5ff.; VIII 608, § 18; VIII 18,5– 450,1 L. Auch die Stoiker haben diese Lehre vertreten, vgl. Pohlenz II 448,17– 1950, S. 207. Fürdie verschiedenen krankhaften Veränderungen vonStimme und σ σ α ῶ . Es sind „unsichtbaή undγλ ν ω Sprache vgl. denIndex Hippocraticus unter φ re“Phänomene, nur dem Ohr wahrnehmbar, doch sie helfen uns trotzdem bei 20 L. In den KrankengeDiagnose undPrognose, vgl. VI 22,5ff. undIX 12,18– schichten vonEpidd. III undI ist Aphonie zumeist ein Endphänomen bei tödlichen Fiebern, vgl. schon § 3, e); wir würden vonBewußtseinsverlust oder Koma sprechen. Doch wissen die hippokratischen Autoren gelegentlich auch zu unterscheiden: Es kommt vor, daßPatienten Stimme oder Sprache verlieren undgleichwohl Löst“sich die Stimme, völlig bei Verstand bleiben, vgl. typisch VIII 608 L., § 18. „ nachdem sie verloren ging, so ist die Prognose günstig, vgl. Epid. II 6, §§ 2 und4, undKoische Prognosen §§ 77 und160. DasGegenteil kann tödlich sein, vgl. Epid.
VII, § 41.
c) Zunge rot, oberflächlich trocken: vgl. unter § 3, e). Die Hippokratische Sammlung bietet keine weiteren nützlichen Parallelen. d)DieZweiergruppe Frösteln-Fieberanfall: vgl. in § 3, f) diedort angegebenen Hinweise. e) Hals- und Brustödem: Die Lehre im 23. Kapitel des Prognostikons ist verbindlich für die echten koischen Schriften. Fehlt diese Apostase, so nimmt die Erstickungsgefahr zu. Vgl. Epidd. V, § 104, undVII, § 18; Koische Prognosen §§ 260, 271, 357 und370. Eine Ausnahme: Der Fall Epid. VII, § 9, kommt nach 14 Tagen zurGenesung. Findet hingegen diese Ablagerung statt, sorettet sie zwarden Patienten nicht immer, ist aber ansich vorteilhaft. Vgl. Epidd. V, § 63, undVII, § 360. Ominös undoft 28; Aphorismen VI, 37; VII, 49; Koische Prognosen §§ 358– bereits ausgebrochezuvor μ ο einer ρ ) δ ιν λ α ίη tödlich ist derRückfluß nachinnen (𠧧 359, 360. Prognosen Koische Vgl. Schwellung. und Rötung mit nen Apostase Fürähnliche Beobachtungen bei Wunden vgl. Epid. II 3, § 18. f) Kalte undbläuliche Extremitäten: vgl. § 3, h). g) π ρ ο ν ετέω : vgl. dieGesamtvorstellung desFalles unddie §§ 1, f), i), ν μ αμ εῦ 3, i). Ein typisches Beispiel vonOrthopnoe: Epid. VII, § 6, V 376,17ff. L. Undvon Nasenflügelatmen: Epid. VII, § 41, V 408,17f. L.
III A,7: DasWeibmitHalsbräune ausdemHause desAristion
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ν ο : vgl. denIndex Hippocraticus τ α ίν ε ινο π ὐ κἠδύ ν τα ῶ , κ α h) πο ιὰῥιν τ ὸ νδ . Bei denmeisten Fällen handelt es sich umhippokratische „Angiω π ίν τα α unter κ nen“ . i) Stockung vonStuhl undHarn: vgl. § 3, j).
(8) III A,8, derJüngling amLügenmarkt...
233. 57 L. –Kw. I 221. –J. I 232– III 56–
Hippokratische Diagnose: atypische Phrenitis.
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III A, 8: DerJüngling, deramLügenmarkt
darniederlag (Thasos?)
III A, 8. –Der Jüngling amLügenmarkt... τέκ ε ειρ υ - DenJüngling, der amLügenmarkt darά α Τ ὸμ κ ιο ν οἐ ε ιτ π , ὅκ ὶψ β ῇ ε ρἔλ νἐ , π α ῦ κκό ν niederlag, ergriff Fieberglut infolge von ρ π ω γ ο δ νἀ έ ω μ ρ ὸ Anstrengungen, gymnastischen Übungen ω ὰτ νπ α κ α ὶ π ὶ δρό ό ν α ω νκ ς. ο ἔθ und(Wett)läufen gegen seine Gewohnheit.
ρ ῃκοιλ τ ώ τ ῇπ ε δ ςχολ ώ - Amersten TagDarminAufruhr mitviel η δ ίηταραχώ ά , galligem, dünnem Stuhl; Urin dünn, τ ρ αλ σ ι, λ ιν ,ο επ ῖσ ὖ ο ε λ λ ο π ι, π το ῖσ ς. η δ ώ μ σ ε , διψ έλ ω ν ὑ π ο α ν α ,ο χὕπ ὐ schwärzlich; kein Schlaf; Durst.
ή - Am zweiten allgemeine Verschlimmeρ η ω , δια χ ύ ν ξ θ ῃπ ν τ δ ά απαρω ευ ρ τέ μ α τ α π λ ε ρ σ , rung; Durchfall (noch) reichlicher, unε α .ο ω ὐ χὕπ ν ίω τε ό ,ἀ ιρ α κ ὰ günstiger. Kein Schlaf; Wirrnis (auch) ρ χ ώ ικ ςταρα δ ε α η , σμ μ ςγνώ τ ὰτῆ ω σ φ ίδρ ε . ὑ im Denken; er schwitzte ein klein wenig.
ς -, δη ς, ἀσώ ρ η ό ῃδυσφ δ ώ ίτ τρ ω , διψ ς ρ έ α , π ρ ίη ς, ἀ π ο ό μ ισ η σ τρ λ ςβ λ π ο ὺ , ά ρ χ υ ὶψ α ὰκ ν ιδ ελ ρ ρ ο σ απ υ ε ε ν , ἄκ κ ξ ςἐ ο ρ α π ά λ ο ιςὑπ σ τα ίο υἔν ρ δ ν ο χ ο π ὑ φ ο τέρ μ ω ν . ἀ
starkes Unwohlsein, Durst, Übelkeit, viel Hin- undHerwerfen (auf seinem Lager), Bangigkeit, geistige Verstörtheit, Extremitäten bläulich undkalt; im Hypochondrion Spannung von beidenSeiten herbeieher weichem Bauchinhalt.
. ν ο νἐ ε σ ῃο ὸχεῖρ ρ τ ὐ χὕπνω ὶτ π τετά
Amvierten Tag kein Schlaf; (es ging) zumSchlimmeren.
·
Amdritten
α Amsiebten Tag starb ὶ ἔτε ρ ε νπ ίη ικ , ἡλ ν ε ν α ῃἀ π έθ μ ό δ ἑβ etwa zwanzig Jahren. σ ο ιν . ἴκ ε
er, im Alter von
III A, 8: DerJüngling, deramLügenmarkt darniederlag (Thasos?)
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Betrachtet man diese Krankengeschichte in ihrer Gesamtheit, so fällt als erstes das hohe Fieber auf. Es handelt sich umein„essentielles“Fieber, imGegensatz zuden zwei vorigen Fällen III A, 6 und7, bei welchen örtliche Leiden ausderarchaischen Nosologie, nämlich Phthisis und„Angina“ , in denRahmen eines koischen „Fieeingefügt werden. Vonvornherein spricht derAutor voneiner Fieberglut. Sie bers“ wird am2. Tag mit der „allgemeinen Verschlimmerung“noch zugenommen und denPatienten bis zu seinem tödlichen Ende kontinuierlich begleitet haben. Merkwürdig ist in diesem verhältnismäßig kurzen Bericht neben demFieber aber noch ein zweites: Dreimal nacheinander lesen wir denselben Ausdruck ο χὕπ ὐ ν ; ω σ ε Schlaflosigkeit wird also hervorgehoben als ein explizites Leitmotiv. Wir kennen die Zweiergruppen klinischer Zeichen Schlaflosigkeit-Geistesstörungen in diesen Krankengeschichten underwarten demgemäß daszweite Glied dieses Zeichenpaaηbei demPatienten μ res. Enttäuscht werden wirnicht, nurist dieTrübung derγν ώ nicht so heftig, wie es die anhaltende Schlaflosigkeit vorhersehen ließ. Wir hören lediglich von einer Wirrnis im Denken am2. Krankheitstag undeiner geistigen Verstörtheit am3. Umso ausgeprägter sind aber dasUnwohlsein, die Bangigkeit undvor allem das Hin- undHerwerfen amselben 3. Tag, wasein stets tödliches Zeichen inEpidd. III undI ist. Wirdenken folglich aneine Phrenitis, allerdings eine μ ίν ) α ε ιν κ atypische, dennes fehlen diefürdiese Krankheitsart spezifische Raserei (ἐ ο μ ί) als ominöses Endphänomen, undder Patient wird π α σ und die Krämpfe (σ andererseits zweimal als übermäßig durstig beschrieben, wasnicht zumklinischen Bild der koischen Tobsucht gehört. Fügen wirnocheiniges hinzu, umdieVorstellung dieser vermutlich atypischen Prophasies“kommen wirbaldzurück, vgl. § 1, Phrenitis abzurunden. Aufdiedrei „ b). Sofort herauszustellen ist abernochdiestarke innere Hitze, dieeine ganze Reihe wiein weiterer klinischer Erscheinungen hervorruft: Aufruhr indenEingeweiden – ς–mit reichlichen galligen Stühlen, η δ ώ χ α ρ Gnomè“ der „ , typisch beidemal τα dünnem undschwärzlichem Harn, Übelkeit, spärlichem Schweiß. Die anderen HitFiebers“ zephänomene haben wir schon bei der Suche nach derDiagnose dieses „ Zeichen klinischen Alle beachtenswert: aufgezählt. Schließlich ist noch zweierlei bei dieser Krankengeschichte sind ausnahmslos ungünstig, und, wie schon Galen richtig feststellte, das Leiden verschlimmert sich unaufhaltsam vomersten Tag bis zumletzten. Bedrohlichster Tag ist bereits der3. mitzwei tödlichen Zeichen: dem Hin- undHerwerfen unddenbläulichen undkalten Extremitäten. Wäre Raserei noch dazugekommen, so hätte der Tod gewiß nicht bis zum7. Tag auf sich warten lassen. Zusätzliche Bemerkungen. –a) Berichtet wird vom Leiden eines Jünglings. ά μ ; derPatient ist also zwischen 16 κ α ξ ειρ ιο ῖρ ε ν ist vermutlich einDiminutiv vonμ und 21 Jahren alt, so auch die Schätzung des Autors selbst ganz am Ende des Krankenberichts. Da der Name fehlt, könnte man wiederum an einen Sklaven denken, doch ein Unfreier geht nicht zum Gymnasion, um dort körperliche Übungen zutreiben. Dieser Jüngling warwohl derSohn eines thasischen Bürgers. FürDeichgräber undDugand befand sich derLügen- oder Lügnermarkt (vgl. auch
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III A, 8: DerJüngling, deramLügenmarkt
darniederlag (Thasos?)
III A, 12) tatsächlich inThasos (vgl. 1933, S. 11, Anm. 3; 1982, S. 13–und1979, S. 144f.). Einen Diebesmarkt kennen auch dieChinesen in Peking. Voneiner Vorgeschichte wird nicht gesprochen, aber die „ Prophasies“sind diesmal so schwerwiegend, daßes sich wahrscheinlich umeinen sporadischen undisolierten Fall handelt. b) Mitdrei solcher offenkundigen Ursachen wartet derAutor aufundverbindet sie noch dazu miteinander anhand zweier rhetorischer Figuren, nämlich mitParallelrhythmik undeinem Homoeoteleuton: κ –δρόμ ν ό π ω ω ν–πό ω ν , κό ν π ςbedeuο tet hier Erschöpfung durch körperliche Anstrengung: π ό ν ο ι sind gymnastische Übungen (vgl. auchIII B, 3) undδρ μ ο ιWettläufe aufderLaufbahn desGymnasions. ό ςist eigentlich nur eine Sonderform der π μ ο ό δρ ό ν ο ι. Deshalb haben sich schon antike Exegeten gefragt, ob mannicht π τω ν ό , Trinkerei, statt πό ν ω νlesen sollte, vgl. III 56 L., Anm.5 vonLittré, nach Galen, unddenParallelfall I, 2. Befremdlich wäre dannaber, inIII A, 8 wieinI, 2, dieErwähnung derTrinkerei „zwischen“zwei Angaben vonphysischer Überanstrengung. Für das Verständnis unseres Falles ist dieser Streitpunkt zum Glück ohne jede Bedeutung, denn alle diese Momente führen ausnahmslos zueiner übermäßigen körperlichen Erwärmung. c) Diedrei Prophasies stehen imGenitiv nacheinem ἐ κ , eine unsjetzt vertraute Ausdrucksweise. Undaufdreierlei Arthatsich dieser Jüngling „ gegen dieGewohnheit“körperlich überfordert. Im späteren I. Epidemienbuch erscheint dasἔ ςals θ ο einer der maßgeblichen prognostischen Faktoren der koischen Klinik (vgl. II 670, 6 L.). d) Wer„wider dieGewohnheit“handelt, wirdbestraft. Fieber „ergreift“unseren Gymnastiker –ein weiterer stehender Ausdruck. Auch fällt auf, daß kein Frösteln oder Schüttelfrost demFieber vorausgeht. Die Fieberglut ist hier keine Abwehrreaktion gegen einen inneren Katarrh kalten Phlegmas, sondern wie bei der Phrenitis III A, 4 die unmittelbare Folge erhitzender auslösender Ursachen. Übermäßige körperliche Hitze erzeugt gleichsam Fieberhitze. Späterhin wird dasFieber ηam2. Tag ξύ ν τ απαρω nicht mehrnamentlich erwähnt, dochdieAusdrücke π ά ν θ νam 4. zeugen beredt dafür, daßes bis zuletzt nicht nur anο und ἐ π ὶτ ὸχεῖρ gehalten, sondern sich sogar noch verschärft hat. Ein erlösender allgemeiner und warmer Schweißausbruch wardanicht mehr zuerwarten. e) Wir kennen nun alle klinischen Erscheinungen dieser atypischen Phrenitis undheben nurnoch einige ihrer Besonderheiten hervor. Fieber, dünner Harn und Schlaflosigkeit bilden jeweils mit denGeistesstörungen Zweiergruppen klinischer ηankündigen. Letztere ist für denkoiμ ώ Zeichen, die allesamt Trübungen derγν schen Autor kein rein geistiges Prinzip, sondern vielmehr ein „Organ“(vgl. Heiniς), der ο έρ Teil“(μ mann 1945/1965, S. 136, Anm.40) oderbesser nochein Körper-„ an einem bestimmten Ort, der Zwerchfellgegend, angesiedelt ist. Charakteristisch “anhäuft undsie η μ umdieγνώ dafür ist derFall III B, 2, wosich Schwarzgalliges „ verletzt. Ebenso typisch, diesmal jedoch fürunseren Fall III A, 8, ist die Tatsache, ηvom 2. Tag an von der Fieberkrankheit befallen wird, aber von μ ώ daß die γν η ist inEpidd. III undI μ ν ώ klinischen Phänomenen amKopf niedieRede ist. Dieγ XIII, 1989, S. 103ff.). Hipp. (Vgl. eben nicht im Kopf zusuchen! f) Ursächlich verbunden mit der übermäßigen Erwärmung ist in III A, 8 auch die gallige Dyskrasie. Zuviel gelbe Galle findet sich imStuhl, verbrannte Galle im
III A,8: DerJüngling, deramLügenmarkt darniederlag (Thasos?)
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schwärzlichen Harn. Die zwar vorhandene Übelkeit führt aber nicht zu einem Erbrechen, daseine Befreiung vongelber Galle bewirkt hätte. Auchkein nützliches Nasenbluten stellt sich ein. Bezeichnend für unseren Fall ist schließlich noch die gleichzeitige innere und äußere Unruhe. Innerer Aufruhr durch die schädliche Erhitzung derEingeweide, äußeres Beben mitdemHin- undHerwerfen. g) Galenisches zu dieser Krankengeschichte (XVII A 614– 625 K.). –Der verhältnismäßig lange Kommentar Galens ist bei diesem Fall ausgesprochen lehrreich. Dieser Jüngling war von Natur besonders kräftig; daher erklären sich die heftige Krankheit undsein später Tod am7. Tag (S. 615, 616, 622f., 625). Der Pergamener hat uns schon geholfen, die drei Prophasies sachgemäß zudeuten (S. 614f., 623ff.). Seiner Meinung nach ließen sie für sich allein keineswegs die Gefährlichkeit dieses Leidens ahnen; esmußwohleine Vorgeschichte gehabt haben (S. 623). Doch denKernpunkt desgalenischen Kommentars bildet derkonsequent durchgeführte Beweis, daßsich bei diesem Jüngling dieKrankheit unaufhörlich bis zumtödlichen Ende verschlimmert hat (S. 615, 620ff.). Entscheidend warder 3. Krankheitstag mit zwei infausten Zeichen: dem Hin- und Herwerfen und den bläulichen undkalten Extremitäten (S. 615, 616, 621, 622). Nurbei derDiagnose weiche ichvonGalen ab.Ichglaube nicht, daßmandiese akute undtödliche FieberApepsie“betrachten kann (S. 625). Durchfälle werden krankheit einfach als eine „ fürden 1. und2. Tagangegeben, nicht mehr fürdie folgenden. Undes gibt Phrenitiden ohne Raserei undKrämpfe, vgl. densicheren Fall III B, 15. So erscheint mir dieDiagnose „atypische Phrenitis“wahrscheinlicher, wofür diepermanente Schlaflosigkeit, die Geistesstörungen, das Hin- undHerwerfen unddie bläulichen und kalten Extremitäten sprechen. h) Epikrise. –Diesen Jüngling erfaßt Fieberglut unmittelbar nach drei Spielarten körperlicher Überanstrengung. Herausragendes klinisches Begleitphänomen des Fiebers ist die Schlaflosigkeit als wahres Leitmotiv dieses Falles. Bahnt sich damit eine Phrenitis an?DasFehlen vonRaserei undKrämpfen spricht dagegen; die Schlaflosigkeit, dasHin- undHerwerfen unddiebläulichen undkalten Extremitäten scheinen jedoch diese Diagnose trotz allem zu bestätigen. Atypische Phrenitis ist daher die Wahrscheinlichkeitsdiagnose. Außerdem gibt es viele bekannte Phänomene übermäßiger innerer Erhitzung. Der Tod kommt erst am kritischen 7. Tag nach fortwährender Verschlimmerung desklinischen Zustandes; kein einziges günstiges Zeichen ist erkennbar.
2. Laufender Kommentar: Den Jüngling, der am Lügenmarkt darniederlag, ergriff Fieberglut infolge von „
Anstrengungen, gymnastischen Übungen und (Wett)läufen gegen die Gewohnheit.“ Wirsindoffenbar wieder inThasos, amRande desLügen- oderLügnermarktes. Deretwazwanzigjährige Patient istwohlderSohneines thasischen Bürgers. Es handelt sich wahrscheinlich umeinen sporadischen Fall. Keine Vorgeschichte. Um so folgenreicher sinddafür drei auslösende Ursachen: Derjunge Mannhatsich auf demstädtischen Gymnasion gegen seine Gewohnheit zuviel zugemutet beimWett-
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laufen undbei anderen gymnastischen Übungen undkörperlichen Anstrengungen. Er hat sich dabei übermäßig erhitzt und wurde unmittelbar in ein heftiges Fieber gestürzt.
„ Amersten TagDarmin Aufruhr mitviel galligem, dünnem Stuhl, Urin dünn; –Dieplötzliche Fieberhitze führt alsbald zueiner schwärzlich; kein Schlaf; Durst.“ galligen Dyskrasie mit dünnem Stuhl und Harn. Der Stuhl ist gelb-, der Harn schwarzgallig durch verbrannte gelbe Galle. Ergänzt werden diese Befunde durch zwei weitere Zeugnisse innerer Erwärmung: Schlaflosigkeit undstarken Durst. „ Amzweiten Tag allgemeine Verschlimmerung; Durchfall (noch) reichlicher, ungünstiger. Kein Schlaf; Wirrnis (auch) im Denken; er schwitzte ein wenig.“– Fieberhitze undinnere Unruhe nehmen also anfallsweise noch zu. Die durch die Fieberglut zum Darm ziehende Säfteplethora entleert sich mit neuen heftigen Durchfällen, die den Patienten zusätzlich schwächen. Die Schlaflosigkeit wird zum Leitmotiv undkündigt Geistesstörungen an. Tatsächlich „trübt“sich der Verstand ς!). Undderzuletzt erwähnte η ώ δ χ α ρ wievorher schon derDarminhalt (beidemal τα geringe Schweißausbruch bringt keine Besserung, sondern ist eher als eine durch dashohe Fieber bedingte Körperausdünstung zubetrachten. Wäreüberdies dieZungenoberfläche trocken, so könnte man an ein akutes Brennfieber denken. Die Prognose bleibt jedenfalls ungewiß. „ Amdritten Tag starkes Unwohlsein, Durst, Übelkeit, viel Hin- undHerwerfen (auf seinem Lager), Bangigkeit, geistige Verstörtheit, Extremitäten bläulich und kalt; imHypochondrion Spannung vonbeiden Seiten herbeieher weichem Bauch–Wäre diese Fieberkrankheit intermittierender oder remittierender Art, so inhalt.“ hätten dieklinischen Erscheinungen nachdemParoxysmus des2. Tages am3. mehr oder weniger nachgelassen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall, wie schon Galen richtig erkannte. DieZeichen innerer Hitze häufen sich undnehmen noch an Heftigkeit zu. Der Patient leidet weiter anübermäßigem Durst undaußerdem auch anÜbelkeit, kann sich aber durch galliges Erbrechen nicht befreien. MitFieberglut inderZwerchfellgegend verbunden sindferner dasstarke Unwohlsein, dieBangigkeit, die geistige Verstörtheit; die innere Unruhe verschärft sich schließlich zu einem Hin- undHerwerfen aufderLagerstätte. Undschon andiesem 3. Krankheitstag kommt es zueinem infausten Endphänomen: Die Extremitäten –Füße, Hände undKopf –werden bläulich undkalt. Alle äußere Fieberwärme flüchtet nach innen . vonrechts undlinks her“ undführt zu einer Spannung im gesamten Oberbauch „ Wie geworden. bösartig äußerst Dieses Fieber ist also voneinem Tagzumanderen lange läßt derTodnoch aufsich warten? Am vierten Tag kein Schlaf; (es ging) zumSchlimmeren.“–Der kritische „ 4. Tagbringt erwartungsgemäß keinen neuen Paroxysmus. DerTodtritt noch nicht ein, „nur“eine weitere erhebliche Verschlimmerung des klinischen Zustandes. Auffallend ist, daß der Arzt noch einmal die Schlaflosigkeit bei diesem Patienten hervorhebt. „ Amsiebten Tag starb er, imAlter vonetwa zwanzig Jahren.“–Warum dieses späte Ende erst amnächsten kritischen Tag? Erklärt es sich allein aus der Jugend undder Stämmigkeit des Kranken? Seltsam ist auch das Schweigen des Autors über die klinischen Erscheinungen der letzten Tage (vgl. III A, 10). Der fortwährenden
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Schlaflosigkeit mußten eigentlich schwere Geistesstörungen folgen bishinzuRaserei. Waren diebläulichen undkalten Extremitäten schon am3. Krankheitstag Vorboten terminaler phrenitischer Krämpfe? Seit diesem 3. Tag warderJüngling hoffnungslos verloren; ist dies derSchlüssel zumLakonismus seines ärztlichen Beobachters? Wirkönnen diese Fragen nurstellen, aber nicht beantworten.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII-I:
a) Zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Bei diesem schwerenFall können wirandieBrennfieber unddiePhrenitiden derKatastase vonEpid. 83 L.) undder3. Katastase vonEpid. I (vgl. II 650– 656 L.) denken. III (vgl. III 80– Doch beidemal sind die Abweichungen so zahlreich unddeutlich, daß sie keine sichere Zuordnung zulassen. Erinnern wir uns nur an die κ ήbei den ρ φ ο α τα Phrenitiden von Epid. III (vgl. III 82,17 L.). Ohnehin sind die drei Prophasies bei unserem Jüngling so schwerwiegend, daß wir es hier allem Anschein nach mit einem isolierten Fall zutunhaben. b) ZumPrognostikon. –Dyskrasisch-galliger Stuhl ist ungünstig. Das gleiche gilt für den Harn. Vgl. Kapp. 11 und 12, II 134ff. L. c) Heftige Schlaflosigkeit kündigt Delirien an; vgl. Kap. 10, II 134f. L. d) Fürbösartige Erscheinungsformen desSchweißes vgl. Kap. 6, II 122ff. L. e) Zudenschlimmen Zeichen gehören auch Unwohlsein, Bangigkeit undHinς). μ ό λ υ σ undHerwerfen: vgl. II 150,2 L. inKap. 15undII 120,2 L. inKap. 3 (hier ἀ f) Kalte Extremitäten als schädliche klinische Erscheinungen: vgl. Kapp. 9 und 15, II 132f. und 150f. L. g) Spannung im Oberbauch, ein schädliches Phänomen: vgl. Kap. 7, II 126f. L. h) Tod amkritischen 7. Tag: vgl. Kap. 20, II 168ff. L. ς : ρ ὰτ α ὸἔθ ο i) Zudenübrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –π nurandieser Stelle in Epidd. III undI. j) Fieberglut ohne vorangehendes Schaudern, unmittelbar infolge vonübermäßiger Erhitzung: vgl. u.a. III A, 4. ςmitAdjektiven imDativ: stehender Ausdruck in Epidd. η χ ώ δ ίηταρα k) κοιλ III undI. l) Schlaflosigkeit undGeistesstörungen: AuchinIII A, 10istSchlaflosigkeit ein Leitmotiv. m) Durst: Übermäßiger Durst ist untypisch bei Phrenitiden. ηnoch in B, 2; 5. μ ώ ρ α χ ώ δ ε α : vgl. III A, 8; B, 1; 7. γν ςτα η μ ςγνώ ὰτῆ n) Τ ρ o) ἀ π ο : nurhier inEpidd. III undI. ίη p) In III A, 10, einem Kausos oder brennfieberartigen Fieber, werden diegleichen Krankheitstage erwähnt. Dies ist lehrreich für das Verständnis beider tödlichen Fälle.
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III A, 8: D er Jüngling, der am Lügenm arkt dam iederlag (Thasos?)
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: a) Stehende Ausdrücke. – κ α τ έ κ ε ι τ ο . – πῦρἔλαβεν. –ἐκκόπωνκαὶ πόνωνκαὶ δρόμων. –παρὰτὸἔθος. –κοιλίηταραχώδης mit Epitheta im Dativ. – οὐχ ὕπνωσε. – διψώδης. – πάντα παρωξύνθη. – διαχωρήματα πλείω. – τὰ τῆς γνώμης ταραχώδεα. – δυσφόρως. – ἀσώδης. – πολὺς βληστρισμός. – παρέκρουσεν. – ἄκρεα πελιδνὰ καὶ ψυχρά. – ὑποχονδρίου ἔντασις ὑπολάπαρος. – ἐξ ἀμφοτέρων. – ἐπὶ τὸ χεῖρον. – ἀπέθανεν. b) Stilbesonderheiten. -Hyperbaton: Τὸ μειράκιον ... πῦρ ἔλαβεν. c) Polysyndeton: ἐκ κόπων καὶ πόνων καὶ δρόμων. d) Brachylogie: wie bei III A, 7 keine einzige Partikel. e) Einige ausgeschriebene Sätze. f) ἐκ mit Genitiv bei den „Prophasies“. g) Diminutiva: ὑπομέλανα, ὑπολάπαρος. – Verstärktes Diminutiv: σμικρὰ ὑφίδρωσε (vgl. Hipp. IX, 1963, S. 128). h) Seltene Wörter: ὑφιδρόω, ἀπορίη. i) Parallelrhythmik und Homoioteleuta: κόπων, πόνων, δρόμων. – διψώδης, ἀσώδης. j) Ein ausdrückliches Leitmotiv: dreimal οὐχ ὕπνωσε. k) Häufungen asyndetischer Epitheta: zweimal. l) Steigerungen: beim Stuhl und bei den Geistesstörungen. m) Ringkomposition: Τὸ μειράκιον und ἡλικίην περὶ ἔτεα εἴκοσιν (vgl. Epid.: IV, § 15). n) Pronominalwendung: τὰ τῆς γνώ μης ταραχώ δεα. o) Zeugnis für nachträgliche Abfassung: alle Verben in der Vergangenheitsform. 5. Warum wurde diese Krankengeschichte vom Autor festgehalten? – Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für den Hippokratesexegeten? Warum wurde diese Krankengeschichte vom Autor festgehalten? – Der Fall bereitet uns in dieser Hinsicht Schwierigkeiten. Freilich könnten wir es uns leichtmachen, denn schon Galen hatte erkannt, daß bei diesem Jüngling die Fieberkrankheit mit jedem neuen Tag schlimmer wird. Daher macht es keinen Sinn, über die letzten Tage ausführlich zu berichten. Der Patient stirbt am kritischen 7. Tag. Alles scheint einfach und klar zu sein. So klar? Schauen wir genauer hin, so stoßen wir auf Merkwürdigkeiten, die vielleicht auch schon dem Autor selbst aufgefallen sind. Viele klinische Zeichen sprechen hier für ein Brennfieber, doch es fehlen die trockene Zunge und das Nasenbluten; ein typischer Kausos ist dieses Fieber nicht, auch keine typische Phrenitis. Zeugten dafür die anhaltende schwere Schlaflosigkeit, die Geistesstörungen, das Hin- und Herwerfen, so ist aber von Raserei und Krämpfen nicht die Rede (von den Verschlimmerungen des 5. und 6. Tages erfahren wir allerdings nichts Näheres). Schließlich fällt noch folgendes aus dem Rahmen: Obwohl schon
III A,8: DerJüngling, deramLügenmarkt darniederlag (Thasos?)
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am3. Krankheitstag zwei tödliche
klinische Phänomene hervorbrechen, Hin- und Herwerfen, bläuliche undkalte Extremitäten, stirbt derPatient erst 4 Tage später! Auch fürunseren Autor konnte dieser Fall also seltsam sein. Undnurhier nennt er noch eine besondere Form desUnwohlseins, die„Bangigkeit“ ,ἀ ρ ίη π ο . Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für den Hippokratesexegeten? –Unsere Diagnose „atypische Phrenitis“stützt sich auf die Schlaflosigkeit als Leitmotiv, die Geistesstörungen, das Hin- undHerwerfen unddie weitere Verschlimmerung des klinischen Bildes bis zumtödlichen Ende. Ob der Autor ihr zugestimmt hätte? a) Aufschlußreich fürunssindferner diedrei erhitzenden Prophasies, diedirekt ein akutes Fieber hervorrufen ohne vorausgehenden inneren Katarrh. ςvgl. vorallem Epid. VI 8, § 23, wodieser Ausdruck imZusammenb) Zuἔθ ο hang mit einem Sachverhalt vorkommt, derbei Galen unter derBezeichnung der ς ist besonders ρ ὰτ ὸἔθ ο α sex res non naturales“auftritt. Die Wortgruppe π „ häufig in der echten hippokratischen Schrift „ Über die Diät bei akuten Krank. heiten“ c) Schwärzlicher Harn ist immer ungünstig, vgl. II 434,9f. L. unddie Koische Prognose § 569, undder Prognostiker freut sich stets, wenn er in der Folge eine „ bessere Farbe“annimmt, vgl. II 682,11 und13undII 688,12 und690,4 L. d) Der 3. Krankheitstag weist eine seltene Vielfalt klinischer Zeichen auf, die aufeine übermäßige Hitze imOberbauch zurückzuführen sind. e) Übelkeit: Sie führt hier nicht zueinem Erbrechen vongelber Galle. Vgl. II 638 undII 182ff. L. ς: vgl. II 686 L., die Anm. 31 von Littré; Hipp. XIII, 1989, μ ό ισ η σ τρ λ f) β S. 115; II 342 und422 L. Bemerkenswert sindauchdieParallelstellen Prorrhetikon Mitstarker Erkaltung verbundenes Übelbefinden, I, § 27 –Koische Prognose § 69: „ bei nicht abwesendem Fieber undmit einem Schweißausbruch der oberen Teile, . Haben die deutet aufPhrenitis hin, wiebeiAristagoras, ja esführt sogar zumTode“ späteren Kompilatoren hier auch anunseren Fall gedacht mitseinem Unwohlsein, seiner Bangigkeit, seinem Hin- undHerwerfen undseinen bläulichen undkalten Extremitäten? g) ἀ ρ : vgl. denIndex Hippocraticus subverbo undinsbesondere Morb. III, π ίη ο § 7, VII 126,5 L.; ferner mein„Thucydide et Hippocrate“ , 1965, S. 60, zuThukydiα μ τ αdie gleiche Bedeutung. ή ρ ο π des II, 49,6. In II 314,4 L. haben die δια , der4. Tagweist aufden7. hin“ h)Krankheitstage: vgl.denAphorismus II, 24, „
undden Fall III A, 10.
(9) III A, 9, dieFrau, diebei Teisamenos krank lag. 235. 222. –J. I 232– 59 L. –Kw. I 221– III 58– Hippokratische Diagnose: Ileus (imantiken Sinn).
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III A, 9: DieFrau, diebeiTeisamenos krank lag.
III A, 9. –Die Frau, die bei Teisamenos
krank lag.
ήκ α τέκ ε ι- Bei derFrau, dieimHause desTeisameυ μ ν ν ε ο ῦγ ὰΤεισα ρ π α Ἡ η μ ςὥ σ ρ ε ὰεἰλεώ ν . nos krank lag, setzten sich ileusartige τ ο , ᾗτ ρ ω δ ε ό αδυσφ , π ο λ ί, π λ ο ετ ο ι ο τέχ τ νκ ινο α ε ὐ κ Beschwerden (Darmverschlingung) in ὸ ἔμ ἠ δ ύ ν α τ ο .π ό ν ο ιπ ,κ ρ ε ὶ ὑπ ρ α ὶ Gangmitstarkem Unwohlsein. Viel Erια δ ο χ ό ν νο ἱ brechen, Getränk konnnte sie nicht bei ίη ωκ ι κ τ ά τ ῖσ ὰ κοιλ α ν το ἐ ς. sich behalten. Dumpfe Schmerzen im φ ο η ισ ώ υ ν δ π ό ν ε ς. ο ο χ ι, στρό έ ὐδιψ ε ρ ιὰτ ὰδ έ - Hypochondrion, undauch in denunteχ μ υ α ίν ρ ε τ ο ε αψ ,ἄ ἐπ εθ ερ κ ί- renTeilen desLeibes Schmerzen, stänρ αὀλ ὖ ς, ο ρ υ ο γ ν ς, ἄ π η ς. ἀ σ ώ λ δ ε ο γ α - diges Leibschneiden. KeinDurst. Estrat , λ επ τά δια μ ά , λ π ε αὠ τ μ α ή ρ ω χ τ ο , Fieber hinzu; Extremitäten (aber) kalt φ ελ ,· ὠ ε ῖνοὐ ι ἠδύνα τ α κ έ τ ά , ὀλ ίγ bis zuletzt. Übelkeit, Schlaflosigkeit. . ἀ π ν έθ α ν ε Urin spärlich, dünn; Stuhl roh, dünn, spärlich. Es half nichts mehr; sie starb.
III A,9: DieFrau, diebeiTeisamenos krank lag.
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1. Gesamtvorstellung des Falles: Diese neue Krankengeschichte erinnert unszwingend andiePhthise III A, 6 unddie „ Angina“III A, 7, mit dem Unterschied freilich, daß es bei diesem Ileus dem koischen Autor noch schwerer fiel als bei den beiden vorigen Fällen, das typisch örtliche Leiden im Rahmen eines allgemeinen „ Fiebers“darzustellen. Dennoch ist ihm dieses Kunststück gelungen, wenn auch mit einigem Kopfzerbrechen. Der Krankenbericht beginnt zwar den klinischen Umständen gemäß mit der sofortigen diagnostischen Kennzeichnung des lokalen Geschehens in derBauchIleusartiges“setzt sich dortplötzlich inBewegung undruft beiderPatientin höhle. „ schweres Unbehagen hervor. Dazu gesellt sich folgerichtig heftiges undhäufiges Erbrechen, sogar vonGetränk. Auch die Schmerzen imOberbauch undimUnterleib gehören zudiesem Krankheitsbild sowie dieanhaltenden undquälenden Koliken. Allein dasFehlen vonDurst ist eher ungewöhnlich. Doch die Epidemienbücher III undI gehören zu „Kos“ , nicht zur knidischen Nosologie. Die eingangs angeführten örtlichen Beschwerden mußten also wie angekündigt einem „ Fieber“untergeordnet werden. Imzweiten Teil derKrankengeschichte überwiegen denn auch die Allgemeinerscheinungen dieses Ileus als Begleitphänomene deskoischen Fiebers. Wirlesen zunächst ἐπ μ α ίν τ ε ο . Fieεθ ερ berhafte Wärme kommt zudenörtlichen Läsionen hinzu, diesostürmisch sind, daß sie zudemführen, waswirheute einen Collapsus nennen; dieExtremitäten –Kopf, Hände undFüße –erkalten, undzwar endgültig. Die Schlaflosigkeit wird hier durch Leibschmerzen verursacht unddaher nicht vonGeistesstörungen begleitet. Wiebei . Es fällt nurauf, allen schweren koischen Fiebern sind Stuhl undHarnvöllig „roh“ daß vor der Schlaflosigkeit Übelkeit erwähnt wird, der normale Platz für dieses klinische Zeichen wäre eigentlich zwischen Unwohlsein undErbrechen gewesen. Therapeutisch konnte derkoische Arzt damals nurresignieren. Aufdie aggressive Behandlungsmethode der Knidier beim Ileus hat er jedenfalls verzichtet; darauf kommen wirspäter zurück. Runden wirdie Vorstellung noch miteinigen Beobachtungen ab. Obgleich wir es miteiner koischen Krankengeschichte zutunhaben, werden diesmal ausnahmsweise die klinischen Erscheinungen nicht nach Krankheitstagen aufgegliedert. Sie sind ferner allesamt ungünstig wie bei dem im übrigen so grundverschiedenen vorigen Fall III A, 8, undwiebei diesem verschlimmert sich ebenfalls derZustand desOpfers unaufhaltsam biszumtödlichen Ende. Dieses tritt zudem soschnell ein, nach 2 oder 3 Tagen, daßbesondere klinische Wechselfälle wie Krisen, klinische Kontraste, Ablagerungen nicht zuerwarten sind. Auchfehlt jeder Hinweis aufeinen dervier hippokratischen Säfte. Zusätzliche Bemerkungen. –a) Unsere Patientin wirdnicht voneinem heftigen . DerBeginn derKrankengeschichte istungewöhnlich wieimFall Fieber „ ergriffen“ III A, 7. Vgl. schon III A, 1, § 3, f). b) Es handelt sich wahrscheinlich umeine Sklavin. Weder Stadtstaat noch Stadtteil werden angegeben, aber wir dürfen an Thasos denken. Auch von einer Vorgeschichte undauslösenden Ursachen istnicht dieRede. Wegen destypisch ört-
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III A,9: DieFrau, diebeiTeisamenos krank lag.
lichen Ausgangspunktes desLeidens in derBauchhöhle sind wir fast gezwungen, dieses als sporadisch zubetrachten, dochσ φ ο τρ ό ιundbösartige ἀ ν ή σ ειλ ιε ςtreten auch gehäuft in der Katastase von Epid. III auf (vgl. III 88, 1 L.). Diesen Punkt haben wiralso später noch einmal zubesprechen (vgl. § 3, a). c) Die Patientin wirdvon„Ileusartigem“überfallen. Ist es einechter Ileus oder ein Leiden, das diesem nur ähnelt? Gegen den typischen Ileus spricht das AusbleibenvonStuhl- undHarnverhaltung. Andererseits kanndieses Ileusartige auch eine einfache undansich unbedeutende Umschreibung von Ileus sein. In II 650,13 L. werden zumBeispiel sichere Brennfieber als κ α υ σ ςbezeichnet, in III 80,3 L. ώ δ ε ε Phrenitiden alsτ ρ εν ιτικ ὰφ ά . Weiter kommen wirerst, wennwirdieBeziehungen dieser Krankengeschichte zuderKatastase vonEpid. III untersuchen (vgl. § 3). ρ φ ω ό ς . –In der Regel geht schweres Übelbefinden auf übermäßige Hitze σ d) δυ in denEingeweiden zurück, vgl. II 422 L. Auchin unserem Fall kann derAutor an ήim Oberbauch gedacht haben. Bei denKnidiern gibt es Parallelen μ ν ο λ εγ eine φ dazu, vgl. § 5). Doch die Darmverschlingung allein vermochte ebenfalls schon dieses Unbehagen zuentfachen. e) Dasunmittelbare undhäufige Erbrechen hingegen ist ein charakteristisches Zeichen des Ileus. Leider berichtet der Autor nicht von der Beschaffenheit des Erbrochenen. Welche ArtdesIleus hier vorliegt, wissen wirnicht. Nicht einmal ein Getränk konnte die Kranke bei sich behalten. Dieörtliche Störung warvonAnfang anschwerster Natur. ρ ίbedeutet „ ε in derGegend“desOberf) Schmerzen imHypochondrion. –π ι ῖσ ντο bauchs. Rechts undlinks; Hypochondrion steht hier füreinmal imPlural. ἐ ι ergänzen; auch in den unteren σ ε έρ ωmüssen wir wohl gedanklich mit μ τ κ ά φ ο ιwären ό τρ „ Teilen“desBauchs klagte diePatientin über Schmerzen. Einfache σ nicht spezifisch für Ileus; hier aber sind die Leibkrämpfe „anhaltend“unddrängen unsdaher diese Diagnose auf. g) DerAutor hebtdasFehlen vonDurst hervor. Erklärt es sich dadurch, daßdie Kranke vonAnbeginn undimmer wieder alles erbricht? ήin derBauchhöhle kommt daskoische „Fieber“ μ ρ ο h) Nach derörtlichen ἀφ ι-), vielleicht als Reaktion aufdievorausgehenden Leibstöπ hinzu (vgl. dasPräfix ἐ rungen. Auch wirheute beobachten bisweilen Erhöhung derTemperatur bei Ileus. i) Die kalten Extremitäten sind für den koischen Autor alles in allem Begleitphänomen eines bösartigen Fiebers, das einzige ausdrückliche Leitmotiv ς), und eine ominöse Enderscheinung. ο ιὰτέλ ε dieser Krankengeschichte (vgl. δ j) Übelkeit. –Wir sagten es schon: Eigentlich hätte dieses klinische Zeichen in Verbindung mit demErbrechen angeführt werden müssen. Hier steht es aber als zweites Begleitphänomen des Fiebers, bewirkt durch innere Säfteplethora. Wir können unsüber diese Versetzung nurwundern. k) Die Schlaflosigkeit hängt in diesem Fall nicht allein mitdemFieber zusammen, sondern wird auch durch die heftigen Leibschmerzen bedingt. Mittelbar bezeugt sie uns indes obendrein, daß die Patientin mindestens 2 oder drei Tage gelitten hat, bevor sie starb. l) Wieimersten Stadium eines heftigen Fiebers erscheinen Stuhl undHarnganz , daßein Ileus gemeinhin Verhaltung vonStuhl undgar „roh“ . DerAutor „vergißt“
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undWinden bewirkt. Die Zweiergruppe Stuhl undHarn steht hier in umgekehrter Reihenfolge. Schließlich fällt nochauf, daßbeide als„dünn“ bezeichnet werden, wo doch die Patientin alles erbricht... All dies nehmen wir stutzig zur Kenntnis; erklären können wires nicht. m)Therapeutisch ist vielleicht daseine oder andere versucht worden: Aderlaß, Zäpfchen, Darmeinlauf. Oder derArzt wurde zuspät gerufen undstellte nurfest, daßnichts mehr helfen konnte. Ganz Koer ist er aber beim Grundsatz geblieben: primum nil nocere“ „ . Die Krankheit wareinmal mehrstärker alsdieKranke. n) Galenisches zudieser Krankengeschichte (XVII A 625– 629 K.). –Für den Pergamener handelt es sich bei dieser Frau eindeutig umeinen Ileus. Zeugen dafür sind dashäufige Erbrechen, auch vonGetränk, die Schmerzen imHypochondrion unddasReißen imLeib (S. 626). Diekalten Extremitäten unddieÜbelkeit gehören zwar nicht zumKrankheitsbild desIleus, sind aber nicht minder bösartig (S. 626). Es folgt einlängerer Exkurs überdendünnen Harn, derbeidieser Patientin diePrognose ebenfalls verdüstert (S. 626ff.). Lehrreicher fürdenGalenforscher istdieTatsache, daß unser Kommentator dieses Leiden für eine φ ή μ ο ν der Eingeweide λ εγ hält (S. 627) undvor allem scharf zwischen demIleus des Dünn- unddes Dickdarms zuunterscheiden weiß (S. 628). Auch die Stuhlverhaltung beim Ileus ist ihm bekannt, und er weist darauf hin, daß dieses Zeichen in unserer Krankengeschichte fehlt (S. 628). Dasörtliche Leiden warakutester Art, derArzttherapeutisch machtlos. Die Patientin starb schon nach 2 oder wohl eher nach 3 Tagen. o) Epikrise. –WiebeidenFällen III A, 6 und7 handelt es sich umeintypisch örtliches Leiden. Galen stellt die richtige Diagnose: Ileus des Dünndarms. Starkes Übelbefinden, häufiges Erbrechen, Beschwerden überall in der Bauchhöhle und ständige Leibkoliken kommen hinzu. Daraufhin bricht wieder einkoisches „ Fieber“ ausmitmehreren bekannten Begleiterscheinungen: kalten Extremitäten alsLeitmotiv, Übelkeit, Schlaflosigkeit, rohem Harn. Ein Paradox ist der spärliche dünne Stuhl trotz derDarmverschlingung! Therapeutisch warderPatientin nicht zuhelfen. Sie starb schon nach 2 oder 3 Tagen.
2. Laufender Kommentar: DainderKrankengeschichte III A,9 dieklinischen Erscheinungen gegen dieRegel nicht mitbestimmten Tagen in Verbindung gebracht werden, kannunser laufender Kommentar nicht allzusehr von der Gesamtvorstellung dieses Falles abweichen. Etliche Wiederholungen sind hier unvermeidlich. Die Frau imHause desTeisamenos ist wahrscheinlich eine Sklavin. Vielleicht in Thasos, auch derStadtteil wird nicht angegeben. Wirerfahren ebenfalls nichts über eine Vorgeschichte und auslösende Ursachen. Epidemisches Auftreten von Ileus ist unsunbekannt, wirdenken also aneinen sporadischen Fall. Daes sich umein ausgesprochen örtliches Leiden handelt, beginnt derAutor folgerichtig mit der Angabe der dafür charakteristischen klinischen Zeichen. Die Patientin leidet sofort anstarkem Unwohlsein, häufigem undheftigem Erbrechen, Schmerzen imrechten undlinken Hypochondrion sowie imUnterleib undan
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permanentem Leibschneiden. Alle diese klinischen Erscheinungen bestätigen die Krankheitsdiagnose Ileus, diederAutor seinem Bericht voranstellt. Er wundert sich nurüber dasFehlen vonDurst ineinem solchen Fall. Allein, dieser Arztist auchein„ Koer“ . Dielokalen Beschwerden müssen durch ein „Fieber“umrahmt werden, eine Fieberkrankheit mitihren gewohnten Begleiterscheinungen: kalten Extremitäten, Übelkeit –die maneher vor demErbrechen , Schlaflosigkeit, hier als Folge der heftigen Leibschmerzen, rohem erwartet hätte – Harn, schließlich dünnem Stuhl, derDarmverengung zumTrotz. Dochderüberstürzte Verlauf bestätigt mitSicherheit dieDiagnose. Um400 vor unserer Zeitrechnung versagte bei ausgeprägtem Ileus jede Therapie. DerTodtrat 3 Tagen ein. schon nach 2–
3. Beziehungen dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII-I:
a) Zuden endemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Zwischen unserem Fall III A, 9 unddendrei Katastasen vonEpid. I gibt es keine Berührungspunkte. Zahlreich sind sie hingegen mitdereinzigen vonEpid. III, undwirhaben über ihre Tragweite nachzudenken. Schon in Kap. 3, III 70,7 L., wird von Aufruhr in den Eingeweiden berichtet, vor allem aber in Kap. 8 vonDurchfällen, Leibschneiden (σ τρ φ ό ο ι) und bösartigen Blähungen (ἀ ή σ ς). Therapieversuche brachten ιε ν ειλ mehr Schaden als Nutzen, plötzlicher Todwarkeine Seltenheit. Ist nununsere Patientin ein Einzelfall innerhalb dieser wahren Epidemie von Verdauungsstörungen? Manches spricht dafür, manches dagegen. Ileusartiges wird gewiß darin angeführt, aber von Übelkeit undErbrechen ist nicht die Rede und schon gar nicht von Stuhlverhaltung. Im Grande können wir höchstens an einen echten Ileus denken inmitten einer Vielzahl mannigfacher Darmerkrankungen. Auch dieser Fall hilft uns leider nicht, die Katastase von Epid. III sicher zu „ orten“ . b) ZumPrognostikon. –Windverhaltung ist unserem Autor bekannt, vgl. Kap. 11, II 138,7 L. mit der Anm. 17 von Littré und II 630,6f. L. in Epid. I. Im Fall III A, 9 bleibt sie allerdings unerwähnt. ςvgl. Kap. 15, II 150,2 L. Gewöhnlich wirddies hervorgerufen ρ ω ό c) Zuδυσφ durch übermäßige innere Hitze indenEingeweiden, vgl. II 422 L. Auchinunserem ήim Oberbauch gedacht haben. Anν ο λ εγμ Fall kann der Autor an eine φ dererseits genügen schon die starken Leibschmerzen, um dieses Unwohlsein zu erklären. d) Bei dendrei Ausscheidungen Erbrechen, Harn undStuhl sind die Angaben der Krankengeschichte so knapp, daßdasPrognostikon unshier nicht weiterhelfen kann. e) Kalte Extremitäten: vgl. Kapp. 9 und15, II 132f. und150f. L. f) Schlaflosigkeit: vgl. Kap. 10, II 134f. L.; sie ist durch die Leibschmerzen bedingt. Daher fehlen die begleitenden Geistesstörungen.
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krank
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g) Zuden übrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –Für Ileusartiges gibt es in denKrankengeschichten vonEpidd. III undI keine Parallelen. h) π ο τὸ τέχ νκ α ε ινο ὐ κἠδύ ν α τ ο : vgl. III A, 9; B, 6; 16. i) Fehlender Durst: In III B, 16 auchmitἄ ρ γ υ π ν ς. ο
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: α τέκ ρ ό ε ω ε ιτ ς τ a) Stehende Ausdrücke. –κ ο . –ἔμ ο . –δυσφ ιπ ο λ ο λ τὸ ο ί. –π ν ο τ α ν .– τέχ ο ὐ ιπ ε ινο κἠδύ ρ ὶ ὑπ α ν ρ κ π ό ε ο ια χ δ ν ό . –ἐ ντο (μ έρ ῖσ ε ικ σ ά ι?).– τ ω φ η ο ς. –ἐπ ι. – ώ δ ό ο ὐδιψ μ σ τρ α ίν εθ ερ ε τ ο . –ἄ ρ ρ ε υ ὰδ κ χ αψ ιὰτέλ ς. – ε ο ς. ἀ η σ ώ δ –ἄ γ ρ υ π ν ο ς. –ο ὖ ρ α ὀλ ίγ α επ . –λ τ ά . –δια ή μ χ ρ ω α τ α μ ά ὠ , λ επ τ ά , ὀλ α .– ίγ φ ελ τ ε ῖνοὐ ο κ . –ἀ ὠ ι ἠδύνα έ τ π έθ ν α ν ε . b) Stilbesonderheiten. –Brachylogie: wie bei III A, 8 gibt es keine einzige Partikel. c) Einige ausgeschriebene kurze Satzteile. ὰεἰλ d) Seltene Ausdrücke: τ δ ε εώ α : nurhier in derHippokratischen Sammlung. ρ υ ς. π γ ν ο ς, ἄ η ώ σ δ e) Alliteration: ἀ ρ ὰδ ιὰτέλ υ χ ρ αψ ε ε ς . ο f) Leitmotiv: ἄκ g) Häufungen asyndetischer Epitheta: hier nurwenig ausgeprägt. α ίγ ν , λ ο ι ..., ... ο ό h) Chiasmen (nur angedeutet): π ε ό ν π ἱπ ο τ ι. –ὀλ ά... . α , ὀλ τά ίγ λ επ i) Zeugnisse für nachträgliche Abfassung: vgl. das Leitmotiv unter f). Alle Verben stehen in derVergangenheitsform.
5. Warum hat der Autor diese Krankengeschichte festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten? Warum hat der Autor diese Krankengeschichte festgehalten? –Um diese Frage angemessen zubeantworten, müssen wirdenKrankenbericht auszwei verschiedenen Blickwinkeln betrachten, je nachdem ob der Fall III A, 9 zur Katastase von Epid. III gehört oder nicht. Vomersten Standpunkt aus gesehen wird der Autor folgendes gedacht haben: Bei dieser Frau hat sich die Krankheit wie bei vielen anderen Patienten aufdieEingeweide geworfen, aberaufschwerere Weise, hatdort Fieber“ . Kein heftigste Beschwerden ausgelöst undüberdies typisches allgemeines „ Heilmittel half. Baldiger Tod war die unvermeidliche Folge. So wurde dieser ominöse Fall mitteilungswert. Er kann aber auch–zweite Möglichkeit –sporadisch gewesen sein. Dannliegt ήin derBauchhöhle und μ ρ ο φ der Schwerpunkt des Interesses auf derörtlichen ἀ demsich daran anschließenden „Fieber“mitseinen Begleiterscheinungen. Beides 3 Tagen. Auchvondiesem zweiten zusammen führt denTodherbei schon nach 2– Standpunkt auskonnte derFall die besondere Aufmerksamkeit des Autors beanspruchen. Weiter kommen wir hier nicht, dawir nicht mit Sicherheit entscheiden
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III A, 9: DieFrau, diebeiTeisamenos
krank lag.
können, ob der Fall III A, 9 zu den endemischen Krankheiten von Epid. III gerechnet werden soll oder alseinisoliertes Leiden anzusehen ist. In diesem Zusammenhang ist noch folgendes erwähnenswert. In III A, 6 werden die örtlichen Erscheinungen erst nach dem„ Fieber“geschildert, in einem epikritischen Anhang. In III A, 7 stehen sie teils gleich zuBeginn desBerichts und teils wieder andessen Ende. UndinIII A, 9 schließlich besetzen sie denersten Teil desProtokolls, unddas„Fieber“mitseinen Begleiterscheinungen füllt denzweiten Teil aus. Ist dasreiner Zufall? Auchdiese Frage müssen wirunswenigstens stellen. Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für den Hippokratesexegeten? –Beginnen wirmitNebensächlichkeiten. Nach demAphorismus VII, 10 undder 461. Koischen Prognose ist Erbrechen bei Ileus schlecht. Schlecht sind auch kalte Extremitäten bei heftigen Leibschmerzen, vgl. Aphorismus VII, 26. Hat derKompilator hier anunseren Fall gedacht? Die aufschlußreichsten Parallelen der Hippokratischen Sammlung betreffen aber die Krankheitseinheit Ileus selber. Epid. II 6, § 26, gibt therapeutische Maßnahmen an bei Ileus mit weichem und mit gespanntem Hypochondrion; unter Umständen kann er sich „ lösen“ ,λ ύ ιν . Epidd. V, § 98, undVII, § 29, berichten ε über einen Fall von Kriegsverletzung des Abdomens durch einen Pfeilschuß. Es ; derTodtritt nach7 Tagen kommt zueiner Entzündung imBauch „ wiebeimIleus“ μ α τ αundähnή ν ειλ ein. In der Schrift „Über die Winde“ , Kap. 9, werden Ileus, ἀ gebracht. Gelindert werden die α τ μ α σ α ιoderπ liches inVerbindung mitdenφ ῦ ν εύ Bauchschmerzen durch warme Umschläge. , Kap. 21, haben wires miteinem echten Ileus zu ImTraktat „Über dieLeiden“ tun, einer Darmverlegung voninnen her. Harter Bauch, heftige örtliche Schmerzen, Stuhlverhaltung (!), Fieber, Durst undgalliges Erbrechen sind die Symptome. Bei derTherapie geht derArzt zunächst vorsichtig vor. Bleibt er aber damit erfolglos, so wechselt erzuden aggressiven therapeutischen Praktiken der Knidier über (vgl. Bourgey 1953, S. 70, Anm.1): Erbindet einRöhrchen andenZipfel eines Schlauchs, bläst diesen auf und führt mit dieser Apparatur viel Luft in den Bauch ein. Die Patienten sterben meistens am7. Tag. Die letzte Parallelstelle, in Morb. III, Kap. 14, ist bei weitem die lehrreichste vonallen, denn sie könnte geradezu als Vorlage fürunseren Fall gedient haben. Wie bei III A, 6 und 7 fußt auch bei III A, 9 Koisches auf Knidischem. In Morb. III verursacht derDarmverschluß Stuhl- undWindverhaltung, ferner schleimiges, galὰ ὶτ ρ ε ), Durst, Schmerzen π miserere“ liges, gegen Ende sogar kotiges Erbrechen („ ιαund danach im ganzen Leib, schließlich Blähsucht, Schluckauf und ρ δ ν ό χ ο π ὑ Fieber. Nurdie Darmkoliken fehlen in diesem klinischen Bild. Die Therapie ist grundsätzlich dieselbe wie im vorigen Fall: zuerst schonend, später aber, wenn erforderlich, knidisch brutal. Todwiederum in derRegel am7. Tag.
Anhang. –Beachtenswert ist derTherapievorschlag desPneumatikers Aretaios bei schmerzhaftem und hoffnungslosem Ileus: Aderlaß bis zur Ohnmacht (vgl. Mann 1858/1969, S. 176). Denn dadurch erreichte er „Schmerzlosigkeit oder Betäubung der Sinne.“So nützte der Arzt seinen Patienten ohne ihnen zu schaden, ganz in hippokratischem Geiste.
(10) III, A, 10, eine Frau ausdemHause desPantimides (Thasos?)
III 60–61 L. –Kw. I 222. –J. I 234–235. Hippokratische Diagnose: Kausos.
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III A, 10:Eine FrauausdemHause desPantimides (Thasos?)
III. A, 10.–Eine Frau ausdemHause desPantimides ...
ςν ηπ ίο ῆ υτῶ ν ρ θ ο ν α αἐ Γ υ ῖκ ξἀποφ ρ ῃπ ῦ ώ τ ν τῇ πρ ρ η ὶ Π π ε τιμ ίδ α ν ς , η -, διψ ώ δ , γλῶ σ σ β αἐπίξηρος ε ἔλ α ς η δ ίηταραχώ ς, κοιλ ρ υ ο π ν γ ς, ἄ η σ ώ δ ἀ μ ι. ο ῖσ ,ὠ ιν ῖσ ῖσ ι, π λ ο επ το ο λ λ
Eine Frau aus demHause des Pantimides ergriff infolge der Fehlgeburt einer
kleinen Leibesfrucht am ersten Tag Fieberglut. Zungenoberfläche trocken, Durst, Übelkeit, Schlaflosigkeit. Darm in Aufruhr mit viel dünnen, rohen Abgängen.
ςὀξ ς , Am zweiten Tag Schaudern, heftiges ύ ρ ε τ ὸ ω σ ε , π υ ρ ῃἐπ ίγ ρ ερ δ ευ τέ . ε σ ω ν π χ ὕ ὐ ο , ὸκοιλ ά π ἀ Fieber; viel Stuhl, kein Schlaf. λ λ ο π ς ίη ι. ο ν ό ἱπ ςο ο υ είζ ῃμ ίτ τρ
Amdritten Tag stärkere Beschwerden.
. ν σ ε υ ο ρ ρ έκ ῃπ α τ ρ τετά
Amvierten TagVerstörtheit.
π ν ε. ῃἀ α έθ μ ό δ ἑβ
Amsiebten Tag starb sie.
- (Bei dieser Patientin war der) Darm α μ ή ρ ὴδιαχω ρ γ ςὑ ὸ τ ν ιὰπ α ο ιλ ίηδ κ α dauernd feucht mit viel dünnen, rohen ρ ὖ νο ῖσ ο μ ,ὠ ιν ῖσ το ι, λ λ λ επ ο ῖσ ιπ ο σ . Abgängen; Urin spärlich, dünn. τά αλ επ ίγ λ ὀ ·
III A, 10: Eine FrauausdemHause desPantimides (Thasos?)
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Nach demIleus vonIII A, 9, einem typisch örtlichen Leiden, dasjedoch koisch als Fieber“ geschildert wurde, hängen diedreiletzten Krankengeschichten derGruppe „ III A,vonIII A, 10bisIII A, 12,engzusammen, wieschon Deichgräber 1933, S. 12, Anm. 1, festgestellt hat. Allem Anschein zumTrotz herrscht also in derGruppe III A docheine gewisse Ordnung. Bei diesen drei Fällen würden wir heute mit Sicherheit von Kindbettfiebern sprechen, in III A, 10 und 11 nach einer Fehlgeburt, in III A, 12 nach einer qualvollen Erstgeburt. Unser Autor hingegen betrachtet die drei Entbindungs-
anomalien lediglich als auslösende Ursachen einer Krankheit. In III A, 10 und 11 führt er diese Prophasies sogar bewußt miteinem ἐ κ mitGenitiv an,genau wieeres bei einer körperlichen Übermüdung odereinem Diätfehler getan hätte. Die Hauptkrankheit aber, daseigentliche Leiden, ist fürihnin denletzten drei Krankengeschichten wiederum ein akutes allgemeines „ Fieber“ , dasdie eben genannten geburtshilflichen Störungen nur entfacht haben. In unserem Fall III A, 10 handelt es sich umein schon nach 7 Tagen tödliches Brennfieber. Die gleichen Krankheitstage 1, 2, 3, 4 und7 werden darin erwähnt wiebeim Fall III A, 8, einer ebenfalls tödlichen atypischen Phrenitis; auch die Patientin in III A, 11 stirbt nach 7 Tagen anphrenetischen Beschwerden. III A, 10 aber ist ein klassisches Brennfieber mit fast all seinen typischen klinischen Zeichen: heftigem Fieber, Schaudern, der für diese Krankheitseinheit spezifischen Zweiergruppe trockene Zungenoberfläche-Durst, Übelkeit, Schlaflosigkeit, Unregelmäßigkeiten bei Stuhl undHarn; amkritischen 4. Tagwirdobendrein das Zwerchfell ergriffen, die Patientin gerät in geistige Verwirrung und wartet“ „ nunmehr aufdennächsten kritischen Tag, den7., umzusterben. Es fehlen ς), Nasenbluten, galliges Erbrechen ρ ο ά nur Kopfschmerzen (oder Kopfschwere, β undkalte Extremitäten, doch dasklinische Bild des Kausos ist hier deutlich genug, undderAutor magauchdaseine oder andere Phänomen nicht aufgezeichnet haben. Zubemerken ist nochfolgendes: Wiebeimsonst sogrundverschiedenen Fall III A, 9 begegnen wirauchinIII A, 10keinem einzigen günstigen klinischen Zeichen, und das Befinden der Patientin verschlechtert sich ebenfalls unerbittlich bis zum tödlichen Ende. Es fragt sich nur, warum unser Kliniker einen so typischen Fall von infaustem Brennfieber überhaupt veröffentlicht hat; vielleicht eben gerade deswe-
gen?
Zusätzliche Bemerkungen. –a) Die Frau aus demHause des Pantimides ist wahrscheinlich eine Sklavin. In Thasos? Wir können es nurvermuten. Auch der Stadtteil wird nicht erwähnt. b) Als Vorgeschichte ist die Schwangerschaft zunennen. Entweder haben wir es miteinem Einzelfall zutun,oderdieses Brennfieber unmittelbar nacheiner Fehlandere“Fall (vgl. III geburt ist während einer Epidemie ausgebrochen wie der „ ), diePhrenitis inIII A, 11.Mehrläßt sichdarüber nicht aussagen. ν η 60,10 L., Ἑ τέρ c) Zumklinischen Bild desBrennfiebers ist nurwenig hinzuzufügen: Es gibt drei Zweiergruppen klinischer Zeichen, nämlich trockene Zungenoberfläche-Durst, was eine Äußerung übermäßiger innerer Hitze (Kausos!) ist, Schaudern-heftiges
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Fieber und Schlaflosigkeit-geistige Störung. Wir lesen π ρ α έκ ρ ο υ σ ε ν , nicht ἐξ ε μ ά η , wasfüreine Phrenitis gesprochen hätte. Wiederum typisch füreine Schädiν gung der Phrenes ist die wie im Fall III A, 8 auftretende Geistesstörung ohne klinische Erscheinungen amKopf! (Vgl. III A, 8, § 1,e). d) Weiterhin fallen zwei Leitmotive auf: ein ausdrückliches mit demAufruhr imDarmδ ο ιὰπ α ν ς(τ ῦχρόνο τ ὸ ), während derganzen Dauer desLeidens. Die υ starken Durchfälle treiben diedurch Schwangerschaft undFieber bewirkte Überfülle anSäften ausdemKörper derPatientin heraus, schwächen sie aber andererseits dadurch in zunehmendem Maße. Die Übelkeit deutet ihrerseits auf diese Säfteplethora hin. Als zweites Leitmotiv ist die Schlaflosigkeit zunennen. e) Hervorzuheben ist ferner dasFehlen jedes äußeren Zeichens vonDyskrasie, und die Ausscheidungen bleiben auch durchgehend roh. Das Schaudern rührt allerdings voneinem inneren Katarrh kalten Schleims her, dochvongalligem Stuhl, HarnundErbrechen oder vonGelbsucht ist nicht dieRede. f) Die Krankengeschichte endet mit einer typischen Epikrise, die aber nicht ῃeingeführt wird. Der Autor erinnert noch durch den stehenden Ausdruck τα τ ύ einmal andieDarmbeschwerden indiesem Fall (Ringkomposition). Daßnurwenig Harn ausgeschieden wird, erklärt sich ausdenstarken Durchfällen (vgl. III A, 11); aber der heutige Arzt hätte hier dicken Harn erwartet undkeinen dünnen; denken wirandashohe Fieber unddie Durchfälle. g) Schließlich zeichnet sich dieses Leiden nicht durch besondere klinische Wechselfälle aus wie Krisen oder ähnliches. Dafür ist sein Verlauf, wiewohl bösartig, viel zu gleichförmig. h) Warum ist diese Frau gestorben? Der hippokratische Arzt würde sagen: Einmal mehr wardie Krankheit stärker als die Patientin. Nichts kommt ihr zu Hilfe: weder günstiges Nasenbluten oder galliges Erbrechen noch befreiender Schweißausbruch (nach der Zweiergruppe Schaudern-heftiges Fieber) noch Kochung oder Ablagerungen der Krankheitsstoffe. Verschlimmert wurde ihr Zustand obendrein durch den ständigen Durchfall. Dennoch wird eine gewisse Ordnung in diesem tödlichen Leiden gewahrt. Ein Höhepunkt mit der Verstörtheit amkritischen 4. Tag undderTodam7. zeugen dafür. 634 K.). –Das i) Galenisches zudieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 629– Kausalverhältnis zwischen Fehlgeburt undFieber hatGalen (wie imnächsten Fall III A, 11)irrtümlich umgekehrt. FürihnhatdasFieber dieFehlgeburt verursacht. So istes auchtatsächlich beimanchen Brennfiebern der3. Katastase vonEpid. I, vgl. II 648,5f. L., nicht aber –ausderSicht desAutors –fürunsere Patientin, bei welcher dieFehlgeburt imGegenteil dieProphasis, also dieauslösende Ursache desFiebers, ςbedeutet eigentlich Kleinkind. Hier aber ή π ιο darstellt (vgl. S. 630 und635f.). ν steht dieser Ausdruck metaphorisch für ein allzufrüh geborenes unddaher nicht lebensfähiges Kind (S. 630, 635). Auch für Galen ist das Fieber heftig, unddie Übelkeit betrachtet er als ein ominöses Zeichen (S. 630). Brennfieber, wirerinnerten schon daran, ist eine gallige Krankheit. So wundert sich auch Galen schon beschrieben werden (S. 630f.). In vielen roh“ darüber, daßStuhl undHarnnurals „ ςoder σ ο ῦ α damaligen Handschriften endete derhippokratische Originaltext mitκ um Recht, zu wohl sich, es handelt Pergamener ähnlichen Formulierungen. Fürden
III A, 10:Eine FrauausdemHause desPantimides (Thasos?)
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die Randglosse eines frühen Abschreibers, die später in den „ Text“(vgl. ὕ φ ο , S. ς 634,7) eingegangen ist. j) Epikrise. –Die Frau aus dem Hause des Pantimides erleidet nach einer
Schwangerschaft als Vorgeschichte undeiner Fehlgeburt als Prophasis gleichsam einen Schulfall von Brennfieber mit einem nahezu vollständigen Krankheitsbild dieser „ ens morbi“undkeiner einzigen davon abweichenden klinischen Erscheinung. Andererseits findet sich kein einziges günstiges Zeichen. Regelmäßig verschlimmert sich das Leiden bis zumtödlichen Ende. Entscheidendes ereignet sich andenkritischen Tagen: geistige Störungen am4. undTodam7. Tag. Eine starke Säfteplethora, durch Schwangerschaft undFieber bedingt, entlädt sich aus dem Darm durch dünne Abgänge. Drei Zweiergruppen klinischer Zeichen sind erkennbar, darunter dasfürBrennfieber pathognomonische Zeichenpaar trockene Zungenoberfläche-übermäßiger Durst. Zwei Leitmotive fallen auf, nämlich Schlaflosigkeit undvor allem wiederholte Durchfälle, die die Patientin schwächen unddadurch für deren frühen Todmitverantwortlich sind.
2. Laufender Kommentar: Eine Frau aus dem Hause des Pantimides ergriff infolge der Fehlgeburt einer „ kleinen Leibesfrucht amersten Tag Fieberglut. Zungenoberfläche trocken, Durst, Übelkeit, Schlaflosigkeit. Darm in Aufruhr mit viel dünnen, rohen Abgängen.“– Diese Patientin ist wahrscheinlich eine thasische Sklavin. Ausihrer Vorgeschichte ist uns nur eine Schwangerschaft bekannt. Die Fehlgeburt eines νή π ς wird ιο ausdrücklich als auslösende Ursache desFiebers bezeichnet durch die Präposition ἐ κ mitGenitiv. Undschon diezweiersten klinischen Zeichen trockene Zungenoberfläche-(übermäßiger) Durst verraten uns, daßwires miteinem Brennfieber zutun haben mit heftiger Hitze im Oberbauch. Dafür sprechen ebenfalls die Schlaflosigkeit und die Unruhe im Darm. Mit Hitze und zugleich mit Säfteplethora, die ihrerseits Übelkeit hervorruft. Ausnahmslos sind diePhänomene typisch füreinen Kausos, kein einziges fällt ausdemRahmen. Auffallend ist nurdieRoheit derAusscheidungen ohne äußere Erscheinungen einer galligen Dyskrasie. Prognostisch Fieber“nach Fehlgeburten sind meist bösartig. läßt sich zunächst nureines sagen: „ „ Am zweiten Tag Schaudern, heftiges Fieber; viel Stuhl, kein Schlaf.“–Einen Überfluß anGalle imHypochondrion können wirbeieinem Brennfieber annehmen. Sicher ist ein innerer Katarrh kalten Schleims beim Schaudern, dasunmittelbar als Reaktion der„natura medicatrix“heftiges Fieber entfacht. DerZustand derPatientinverschlechtert sich merklich: ausdemDarmkommen erneut viele rohe Abgänge, wiederum wird die Kranke von Schlaflosigkeit geplagt. Damit bahnen sich zwei Leitmotive dieser Krankengeschichte an, wobei dasletztgenannte baldige Geistesstörungen ankündigt, dieebenfalls charakteristisch fürschweres Brennfieber sind. „ Am dritten Tag stärkere Beschwerden. Am vierten Verstörtheit. Am siebten Tag starb sie.“–DerAutor faßt sich so kurz über den3., 4. und7. Krankheitstag, daß wir seine Angaben zusammen betrachten können. Am 3. Tag nehmen die bisherigen Beschwerden einfach weiter zu. Keine anfallartige Verschlimmerung
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tritt ein, aber auch keine günstigen Zeichen als Gegengewicht, vgl. § 1, h). Der4. Krankheitstag ist kritisch. Wider Erwarten wäre eine Wende zumBesseren denkbar. Statt dessen werfen sich die Krankheitsstoffe aufdie Zwerchfellgegend: Dem Fieber undder Schlaflosigkeit folgt die voraussehbare geistige Verwirrung. Die Patientin ist verloren, der Prognostiker wird es ihrer Umgebung mitteilen. Warum schweigt er sich über den5. und6. Krankheitstag aus? Vielleicht hatsich zujener Zeit außer derzunehmenden klinischen Verschlechterung nichts Neues undErwähnenswertes zugetragen. Oder war der Fall für den Arzt so klar, daß er weitere Aufzeichnungen fürentbehrlich hielt? DiePatientin erliegt derWucht ihres Fieberleidens amkritischen 7. Tag, entkräftet außerdem durch dieanhaltenden Durchfälle. Bekannt waren die kritischen Tage in Epid. III, bevor ihre klassische Reihenfolge einige Jahre später im 20. Kapitel des Prognostikons endgültig festgelegt wurde. (Bei dieser Patientin war der) Darm dauernd feucht mit viel dünnen, rohen „ Abgängen; Urin spärlich, dünn.“–Diese Krankengeschichte schließt mit einer kurzen Epikrise. In einem Nachtrag erfahren wir, daßdie bereits anfangs ausführlich beschriebenen Durchfälle überdies die Eigenschaft eines durchgehenden Leitmotivs hatten. Undwirhören auchzumerstenmal, daßderHarnimmerfort spärlich war, undzwarwohl deswegen, weil dieSäfteplethora denDarmalsReinigungsweg bevorzugt hatte. Warum aber warer dünn? Wir waren eher auf einem spärlichen
unddicken Harngefaßt.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden I: übrigen Krankengeschichten von III–
a) Zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Einen Fehler haben wirunbedingt zuvermeiden: diese Krankengeschichte inZusammenhang mitder3. Katastase vonEpid. I zubringen. Denn dort sind die Brennfieber die Ursache der Fehlgeburten (vgl. II 648,5f. L.), wogegen in III A, 10 die Fehlgeburt vomAutor ausdrücklich als auslösende Ursache desBrennfiebers bezeichnet wird, vgl. schon § 1, i).
DieÜbereinstimmungen unseres Falles mitdenBrennfiebern derKatastase von Epid. III selbst hingegen sind zahlreich und teilweise verblüffend. Auch diese Kausoi enden oft tödlich (III 80,5 L.). Die Verdauungsstörungen sind besonders 8). DieAbgänhäufig undsogar meist Hauptursache destödlichen Ausgangs (88,6– ge werden genau wie zweimal bei III A, 10 als „roh, dünn undreichlich“gekenn-
zeichnet (82,7f.). Und der Verfasser hebt noch dazu mit aller Deutlichkeit das 13). Fehlen jedes günstigen Zeichens hervor (82,9– Andererseits brauchen wirdieDarstellung derBrennfieber dieser Katastase nur zulesen, umauchetliche eindeutige Abweichungen festzustellen. Gehört unser Fall zu den Kausoi von Epid. III? Der Autor betont zwar mehrfach die Mannigfaltigkeit derklinischen Verläufe bei dieser Seuche, aber zueinem sicheren Ergebnis gelangenwirhier nicht. Es kannsich ebensogut umeinen sporadischen Fall handeln. Bei den beiden nächsten Krankengeschichten III A, 11 und 12 ist dies sicher, wir werden unsbald davon überzeugen.
III A, 10: Eine FrauausdemHause desPantimides (Thasos?)
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b) ZumPrognostikon. –Bei der Kommentierung unserer Krankengeschichte lehrt uns das Prognostikon nichts Neues. Die Beziehungen zwischen Schlaf- und Geistesstörungen sindunsbekannt (vgl. Kap. 10dieses Traktats). Dünner undroher Stuhl und Harn sind ungünstig (Kapp. 11 und 12). Und die Bedeutung des 20. Kapitels fürdieOrdnung derkritischen Tage istunslängst vertraut. Sie gilt übrigens auch fürdie Kindbettfieber, vgl. II 172f. L. c) Zuden übrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –Vorgeschichte: 12; B, 2; 14; Schwangerschaft. Fälle in III– I, die Frauenleiden erwähnen: III A, 10– 1,4; 5; 11; 13. d)Fehlgeburt alsProphasis: Fehlgeburt noch inIII A, 11, sonst nirgends in den I. Krankengeschichten von III– e) Leitmotive: Die Schlaflosigkeit wird als Leitmotiv nur angedeutet, der ςausdrücklich alseinsolches vorgeιὰπ ν τ ό α Aufruhr imDarm hingegen durch δ stellt.
f) Viel Stuhl,
wenig Harn: vgl. die Fälle
III B, 15 und 16. Auch sie enden
tödlich.
g) Zweiergruppe Schaudern-heftiges Fieber: Hiererfolgt kein kritischer Schweißausbruch. ρ ρ ο α κ ύ ω : Die Geistesstörung wird durch heftige Hitze im Hypochondrion α h) π hervorgerufen.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: ὡ σ σ α ρἔλ ῦ ηπ ςν β ε. –γλ ίο α υ . –π ῆ ξἀποφθ ρ ο a) Stehende Ausdrücke. –ἐ ςmitEpitheta im η ώ δ α χ ς. –κοιλ ρ υ ο γ π ν ίητα-ρ ς. -ἄ η δ ώ σ ς. -ἀ η δ ώ ς. –διψ ο ρ η π ίξ ἐ ς ο υ ν ε. – χὕπ σ ω ς... -οὐ ίη είζ μ ς . –ἀ ςὀξ ύ π ὸκοιλ ὸ ε τ ρ υ π ε .– ω σ Dativ. – ρ ίγ ἐ π ερ α ὴδιαχωρήμ ρ γ ίηὑ .– ιλ ν ε ο α κ ρ π έθ ο σ ν υ ε .– ἀ ρ έκ α ). -π ς ω ό ν ο ἱπ ο όν ι (vgl.ἐπ ιπ ). – ρ αὀλ α ίγ . ο ,λ τ ά επ ὖ υ ο ῦχρόνο ς(τ τ α ν ὸ ιὰπ σ ιmitEpitheta imDativ. –δ ε . β α ρἔλ ῦ ... π α ῖκ b) Stilbesonderheiten. –Hyperbaton: Γυνα c) Brachylogie: wiederum gibt es keine einzige Partikel. d) Einige ausgeschriebene Sätze oder Satzteile. ξmitGenitiv bei derauslösenden Ursache. e) ἐ . ε σ ω ν χὕπ ὐ ς, ο ο ν π υ ρ γ f) Variatio: ἄ g) Alliteration: ἀσώ ς. ν ο π ρ υ γ ς -, ἄ δη ). ς η δ ώ ρ χ α α ς ... (τ η δ ς , ἀσώ η δ ώ h) Homoioteleuta: διψ i) Leitmotive: vgl. § 3, e). j) Häufungen asyndetischer Adjektive: mehrmals. k) Ringkomposition: Darmin Aufruhr, zuBeginn undin derEpikrise. l) Eigene Epikrise des Autors. m)Zeugnisse fürnachträgliche Abfassung: alle Verben stehen in derVerganςin derEpikrise. τό ν α ιὰπ genheitsform. DerAusdruck δ
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5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten?
a) Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Stellen wirzunächst fest, daßes kein Zufall sein kann, wennbei dendrei letzten Fällen der ersten Gruppe der Krankengeschichten von Epid. III geburtshilfliche Störungen eine entscheidende Rolle spielen. Doch wirhaben schon darauf hingewiesen: Das Hauptgewicht bei diesen drei Fällen III A, 10, 11 und 12 liegt für unseren Autor nicht auf den Entbindungsanomalien, sondern auf den„ Fiebern“ , die sie auslösen (vgl. § 1).
Bei III A, 10 ist dieses Fieberleiden ein Kausos, und zwar ein tödliches Brennfieber, wiees regelmäßiger nicht verlaufen könnte, vgl. ebd., § 1, g), und§ 2. So müssen wir uns noch einmal fragen, warum denn der Verfasser diesen klassischen Fall von bösartigem Brennfieber für erwähnenswert gehalten hat. Die einfachste Antwort wäre: ebengerade weilerso„normal“ ist! Eine andere Möglichkeit wäre, weil dieser Fall einen willkommenen Kontrast zudenzwei anderen Kausoi dieser Gruppe, denatypischen Brennfiebern III A, 2 und3, bildet. AuchderFall III A, 2 endet tödlich, aber nacheinem zügellosen Gärungsfieber undfast vier Wochen gänzlicher Appetitlosigkeit. Bei III A, 3 wiederum kommt es zwar zurGenesung, jedoch erst am40. Tag undnach vielfältigen Ablagerungen. Vielleicht sind auch noch die beiden Krisentage in III A, 10 dem Autor aufgefallen: der 4. mit den vermutlich schweren geistigen Störungen undder tödliche 7. Mehr läßt sich aus seiner Sicht wohl kaum sagen. b) Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für den Dieser fast als„ Idealfall“ Hippokratesexegeten? – zubezeichnende tödliche Kausos weist uns zunächst einmal auf eine Tatsache hin, die ich immer wieder hervorgehoben habe: Eine echte Nosologie besitzen nicht nurdie Knidier, sondern auch die Koer. Unddiekoische Krankheitslehre ist sogar fortschrittlicher alsdiefrühere und archaische knidische. WenneinFall vonBrennfieber nachdemKrankheitsbild und demVerlauf voneinem anderen abweicht, so sprechen die Koer nicht voneinem Polyschidie“(vgl. II 226,12 L), „ anderen Kausos“wiedie Knidier es tunmitihrer „ sondern betrachten ihn lediglich als eine Erscheinungsform unter vielen anderen einer einzigen Krankheitseinheit, des Brennfiebers eben. Die drei Kausosfälle der Gruppe III A, 2, 3 und10, sinddafür typische Beispiele wiedieBrennfieber dervier Katastasen von Epidd. III undI. Vgl. noch die Kausoi in Epid. II 3, § 1. ens morbi“Kausos nicht c) Umgekehrt gilt aber auch, daß die Koer die „ entdeckt oder erfunden haben. Schon die Archaik kannte sie wie ebenfalls die Phrenitis undweitere mehroderweniger fest umrissene Fieberarten, diederTraktat Über die Diät bei akuten Krankheiten“zusammenstellt (vgl. II 232,5ff. L.). Die „ Hippokratische Sammlung liefert unsnoch heute Beispiele davon. So berichtet der „ Anhang“zudieser Schrift II 394,3ff. L. voneinem Kausos undII 396,13ff. L. von ς des Brennfiebers. έν ο einem „anderen γ “ einpaar besondere Übereinstimmungen. Füreine weitere d) ZumSchluß noch ξundGenitiv vgl. Epid. VI 1, § 1. ZumThema „viel Fehlgeburt als Prophasis mitἐ Stuhl, wenig Harn“vgl. II 650,3f. L. mit demgalenischen Kommentar XVII A 173f.
III A, 10: Eine FrauausdemHause desPantimides (Thasos?)
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unddie Stelle XVII A 850,4ff. K. Vgl. noch den § 23 des II. Prorrhetikons. Auch die Bei Brennfieber verläuft Durchfall tödKoische Prognose § 126 ist lesenswert: „ lich.“Vgl. dazu die Aphorismen I, 2; 25; IV, 3. Ein gewöhnlicher Kausos dauert 14 Tage, obdiePatienten genesen oder sterben, vgl. III A, 3, § 5, g).
(11) III A, 11, die Frau desHiketes 237. 223. –J. I 234– 63 L. –Kw. I 222– III 60– Hippokratische Diagnose: Phrenitis.
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III A, 11: Eine andere, dieFraudesHiketes (Thasos?)
III A, 11. – Die Frau des Hiketes.
ςπ ῆ ρ η ε νἐ ὶ π ρ ξ ἀποφ θ ρ τέ Ἑ ε ο ν - Eine andere, die Frau des Hiketes, ergriff infolge einer Fehlgeburt um den fünften Monat Fieberglut. Anfangs war sie schläfrig, dann wieder schlaflos;
η ν ο ν μ , Ἱκ τά έ τε γ ω υ ν α ῖκ α ,π ρἔλ ῦ α β ε ν . ἀ ρ χ ο μ έ ηκω ν μ α τώ ςἦ η δ ν , κ α ὶ ρ π γ υ ά λ ιν ἄ ς, ὀσφ π ν ο ς ὀδύ ύ ο η ν , ςβ ά ρ ς. ο ῆ α λ κ εφ
ῃκοιλ ρ δ ευ ηὀλ τέ ο ρ ίηἐπ ισ ά χ ίγ ετα θ ι, ή το ισ ρ ιτ ὸπ ῶ λ επ το ῖσ ιν το . ν , ἀ ρ κ
Kreuzschmerzen, Kopfschwere.
Amzweiten Taggeriet überdies derDarm in Aufruhr mit wenig dünnem, ungemischtem Stuhl, zumerstenmal.
ῃπ ίτ λ · νυκ είω τρ ς οὐ , χ τὸ ω δ είρ ὲ ν Am dritten (Stuhlgang) reichlicher, η . ή θ ἐκ ο ιμ schlimmer; nachts gar kein Schlaf. β ο ι, δυσθ ῃπ ρ ό ρ ο υ Amvierten Tag Verstörtheit, Schübe von έκ ρ τ α υ σ ε τετά , φ -ὶ Angst und Mißmut. Schielte auf dem μ ία ι. δεξ λ ιῷἴλ α ιν ω σ ε επ ερ , ἵδρ ῷ , ἄκ ψ ρ ρ ῳ υ ά ρ υ ε χ χ αψ . rechten Auge; am Kopf etwas kalter ὴ νὀλ ίγ α λ κ εφ Schweiß; kalte Extremitäten.
η λ ὰ Amfünften allgemeine Verschlimme, πολ θ ν ξ ύ ῃπ τ ν ά απαρω τ π π έμ ι· rung; viel Irrereden und bald darauf ε χ ὺκατενό ιντα λ ά γ ὶπ α εκ ρ ε έλ π α ιν wieder bei Verstand. Kein Durst, kein ς, κ οιλ ῖσ ο ο λ ν ρ π λ υ ο γ ς, ἄ ο ίηπ ιψ δ ἄ α , Schlaf; viel ungünstiger Stuhl bis zuίγ αὀλ ρ ς ὖ · ο ισ ιδ ο ιὰτέλεο ἀ κ α ίρ ρ ά , letzt; Urin spärlich, dünn, schwärzlich; υ χ ρ αψ ε · ἄκ α ν μ α έλ ο , ὑπ τά λ επ Extremitäten kalt, leicht bläulich. . ν α π ιδ έλ ο ὑ π . ν τῶ ὐ να ιὰτῶ ῃδ τ ἕκ
Amsechsten desgleichen.
. ε ῃἀ ν α π έθ μ δ ό ἑβ
Am siebten Tag starb sie.
III A, 11:Eine andere, dieFraudesHiketes (Thasos?)
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Diese Krankengeschichte fällt vonAnfang andurch ihre zahlreichen Übereinstimmungen mit der vorigen auf. Bei beiden besteht Schwangerschaft in der Vorgeschichte undwirkt eine Fehlgeburt als Prophasis der Fieberglut (ἐ ξἀ φ θ π ρ ο ο ῆ ς, π ρἔλ ῦ β ). Beide Patientinnen sterben amkritischen 7. Krankheitstag undleiden α ε anVerstörtheit (π ρ ρ ο έκ α υ σ ) amkritischen 4. Undnicht nurdas. In beiden Fällen ε III A, 10 und 11 stellen wir kein einziges günstiges klinisches Zeichen fest, und beide verschlimmern sichregelmäßig biszumtödlichen Ende– voneiner flüchtigen Zuspitzung am 5. Tag bei III A, 11 abgesehen. Beiden sind zwei Leitmotive gemeinsam, nämlich Schlaflosigkeit undAufruhr im Darm, undauch der spärliche unddünne Harn, da sich ebenfalls bei III A, 11 die Plethora der Säfte mit demStuhl denWegnach außen schafft. Schließlich halten sich beide Krankheitsverläufe trotz all ihrer Schwere andie Ordnung derkritischen Tage. DerAutor wußte umdiese vielen undteilweise verblüffenden Berührungspunkte undgewiß ebenso umdieAbweichungen, deren Anzahl sich fürunsumsomehr vergrößert, je mehr wir uns in denneuen Krankenbericht vertiefen. Unterschiede stellen wirschon aufAnhieb fest. Unmittelbar nach demFieber steht beim Fall III A, 10bereits diefürKausos spezifische Zweiergruppe trockene ZungenoberflächeDurst. III A, 11 hingegen berichtet überhaupt nicht über dieZunge, undvomDurst erfahren wir nurgegen Ende –daßer verschwindet! Sodann sind die Geistesstörungen in III A, 11 vielfältiger: Außer derVerstörtheit leidet die Patientin anAnfällen vonAngst undMißmut, aneinem Alternieren vonIrrereden undlichten Augenblicken. UnddieKrankengeschichte schließt miteiner ArtVierergruppe ominöserklinischer Zeichen: Schielen aufdemrechten Auge, kaltem Kopfschweiß, kalten undbläulichen Extremitäten unddemweiteren bösartigen Endphänomen Adipsie. ens morbi“haben wirhier zudenken? Handelt es sich umeinen An welche „ ausgesprochen atypischen Kausos als Gegenstück zumklassischen Fall III A, 10? Mitdengefährlichen Herbstbrennfiebern der3. Katastase vonEpid. I zumBeispiel (vgl. II 650ff. L.) weist III A, 11 tatsächlich einige Übereinstimmungen auf. Wir könnten auch ein einfaches tödliches kontinuierliches Fieber diagnostizieren. Unklar bleibt jedenfalls die Deutung der „allgemeinen Verschlimmerung“des 5. Tages: Hat auch das Fieber daran teilgenommen? War die Patientin zujener Zeit überhaupt noch fiebrig? Ein früher Abschreiber hat sie ganz zumSchluß als eine φ ρ ε ν ιτια ία bezeichnet. DasFehlen vonἐκ undterminalen Krämpfen spricht ε ιν ίν α μ zwar gegen diese Diagnose. Doch sie hat auch manches für sich. Beide Zeichen gehören nicht notwendig zumklinischen Bild derPhrenitis. Andererseits leidet die Patientin anSchlaflosigkeit, schweren Geistesstörungen, starkem Erkalten aller Extremitäten „ a capite ad calcem“undzuletzt noch an Adipsie, einem für Phrenitis typischen Endphänomen. DemAbschreiber istwohlrecht zugeben. AuchGalen hat sich für Phrenitis entschieden. Zusätzliche Bemerkungen. –a) Weder Dugand noch Deichgräber kennen einen thasischen Bürger Hiketes. Auch vom Stadtteil, den er bewohnte, erfahren wir nichts. Wie bei III A, 10 besteht Schwangerschaft in der Vorgeschichte und wirkt eine Fehlgeburt als örtlicher Ausgangspunkt der allgemeinen Fieberglut. Der Arzt
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spricht voneiner Leibesfrucht im5. Monat. Hater sie selbst gesehen oder HebammeundPatientin befragt?
b) Das sofort ausbrechende hohe Fieber entsteht ohne vorheriges Schaudern unmittelbar als Reaktion der Natura medicatrix gegen die durch die Fehlgeburt erzeugten Krankheitsstoffe. Schläfrigkeit (vgl. κ μ ) kann auch zusammen ς ω α τώ η δ mit Kältezeichen vorkommen. Hier erscheint sie direkt in Zusammenhang mitder Fieberglut. Beruht diese Schlafsucht (vgl. III A, 2, § 1, k) auf einem Schmelzen des Phlegmas in der Schädelkapsel oder einem Sog des Kopfes auf Säfte der tieferliegenden Körperteile? Die Schlaflosigkeit ihrerseits erklärt sich wohl durch eine Reizung derZwerchfellgegend. Am3. und5. Tagkehrt sie wieder: Sie ist einerstes Leitmotiv dieser Krankengeschichte; Geistesstörungen sind also zu erwarten. „ Aufregend“sind dann wiederum die zwei folgenden Begleiterscheinungen des Fiebers: Die Kreuzschmerzen werden vorderKopfschwere genannt! Zieht hier der Kopf als Schröpfglas überschüssige Säfte aus dem Unterleib zu sich herauf? An Plethora litt die Patientin ja gewiß wegen Schwangerschaft undFieber, wie imFall III A, 10. Doch das sind allein Hypothesen. Teilweise haben wires vielleicht auch nurmiteinfach empirischen klinischen Beobachtungen zutun. Sicher dagegen ist, daßsich die Kopfschwere später weder durch Nasenbluten noch durch galliges Erbrechen entlädt, wasprognostisch kein günstiges Zeichen ist. c) Nach Kopf undZwerchfellgegend leidet unter Fieber undMateria peccans auch das Hypochondrion. Dort nämlich gerät zusätzlich derDarm in Aufruhr, und derKliniker erkennt esamdünnen und„ungemischten“Stuhl, demzweiten Leitmoς bedeutet hier gallig. Bei III A, 11 herrscht folglich η το ρ κ tiv bei diesem Leiden. ἄ nicht nurRoheit, wie im Fall III A, 10, sondern außerdem Dyskrasie. Auch beim Harn, derleicht schwarzgallig ist, macht sich diese bemerkbar. NurderKardinalsaft Blut spielt bei derKranken keine Rolle. d) Vom4. Tag an kommen Geistesstörungen hinzu. Fieber unddasLeitmotiv Schlaflosigkeit kündigten sie an,undsie sind deutlich vielfältiger als imFall III A, 10: Verstörtheit, Ängste, Mißmut undIrrereden imWechsel mitMomenten klaren Verstandes; nach denErfahrungen desAutors vonEpidd. III undI weist dasletzte Phänomen stets auf denTodhin. e) Bestätigt wird diese düstere Prognose noch durch ein drittes und letztes Leitmotiv, diekalten undbald auchbläulichen Extremitäten –einzweites „schwarzes“ Zeichen nach demdunklen Harn. Gefährlich sind obendrein der kalte Kopfschweiß, das Schielen auf dem rechten Auge –eine Teilerscheinung der Facies hippocratica, und auch die Lateralisierung nach rechts ist ungünstig –und die terminale Adipsie. f) Woran ist die Patientin gestorben? An der Schwere ihrer Phrenitis. Keine bis Kochung der Krankheitsstoffe erfolgte, keine einzige nützliche Apostase. Und„ zuletzt“ schwächten wieimFall III A, 10diestarken Durchfälle dasAbwehrvermögender Kranken. 641 K.). –Inder g) Galenisches zudieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 634– Ursache wiederum verwechselt Kranken, vorigen Ätiologie irrt Galen wiebei der undWirkung, vgl. III A, 10, § 1, i). Lehrreich für denMedizinhistoriker undden heutigen Kliniker ist dagegen, daßderPergamener anschließend alle zuseiner Zeit
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bekannten Ursachen der Fehlgeburt aufzählt (vgl. S. 635f.). Daraufhin zitiert er wörtlich die 1.Sentenz desI. Prorrhetikons undbespricht kurzihre Beziehungen zu unserem Fall (S. 636). In § 5 kommen wirdarauf zurück, stellen aber schon jetzt fest, daßdiese Sentenz an eine Phrenitis denkt undGalen demnicht widerspricht. „ Ungemischter“Stuhl ist einfach gallig, vongelber bis rotbrauner Farbe. Wäre er rostfarben oder schwarz gewesen, so hätte es der Autor eigens hervorgehoben (S. 636f.). Auch für Galen mußhier Schlaflosigkeit zu Geistesstörungen führen. Fügt mannoch das Schielen auf demrechten Auge unddenkalten Kopfschweiß hinzu, dann ist die Diagnose Phrenitis sicher, derFall äußerst ernst, unddie kalten Extremitäten weisen aufeinen baldigen Todhin, zumal alle diese Phänomene noch am 5. und6. Krankheitstag zubeobachten sind (S. 637f.). Sodann kritisiert Galen wieder einmal dieLeitsätze desI. Prorrhetikons undihre willkürlichen undtrügerischen Verallgemeinerungen von Einzelbeobachtungen aus früheren Krankenberichten. Diese Polemik ist als solche zu begrüßen, doch für uns bedeutet sie nur einen Exkurs (S. 638ff.). WiebeiIII A, 10einAbschreiber κ ςhinzugefügt hat, α σ ο ῦ so steht in manchen Handschriften fürdenFall III A, 11φ ρ ε ν ῖτιςals Schlußwort. Die Diagnose ist wieder richtig, stammt aber auch diesmal nicht vom Autor selbst (S. 641). h)Epikrise. –Wiederum Schwangerschaft inderVorgeschichte undFehlgeburt als Prophasis der Fieberglut. Doch diesmal kein Kausos, sondern eine Phrenitis, wenn auch ohne Raserei undterminale Krämpfe. Gleichwohl etliche phrenitische Phänomene: geistige Störungen, Schlaflosigkeit, gallige Dyskrasie, Adipsie, kalter Schweißausbruch am Kopf, kalte undbläuliche Extremitäten, Schielen auf dem rechten Auge. Auch Galen spricht sich für Phrenitis aus. Mehrere Zweiergruppen klinischer Zeichen. Drei Leitmotive: Schlaflosigkeit, Durchfälle, kalte Extremitäten. Ungünstige Lateralisierung nachderrechten Seite. Ominöse Endphänomene: Adipsie, bläuliche Extremitäten. Auchindiesem Fall ist dieFieberkrankheit stärker als die Patientin, die überdies durch die anhaltenden Durchfälle zunehmend geschwächt wird. Keine einzige nützliche klinische Erscheinung. Doch wiederum eine gewisse Ordnung in diesem bösartigen Krankheitsgeschehen: mehrere ungünstige Zeichen amkritischen 4. Tag, Todam7.
2. Laufender Kommentar: „ Eine andere, dieFraudesHiketes, ergriff infolge einer Fehlgeburt umdenfünften Monat Fieberglut. Anfangs warsie schläfrig, dannwieder schlaflos; Kreuzschmerzen, Kopfschwere.“–Vermutlich warsie dieFrau eines thasischen Bürgers; mehr läßt sich dazu nicht sagen. Wie imFall III A, 10 bestand Schwangerschaft in der Vorgeschichte undereignete sich eine Fehlgeburt im 5. Monat, ein wenig später also als bei dervorigen Kranken. Unddie Fehlgeburt ist ebenfalls zugleich auslösende Ursache undörtlicher Ausgangspunkt der schweren Fieberkrankheit. Bei diesem neuen Fall wirdanschließend vomFieber nicht mehrgesprochen; wirhören nur von einer „allgemeinen Verschlimmerung“am 5. Krankheitstag. Es handelt sich demnach umein kontinuierliches Fieber, daszuletzt durch eine zunehmende Erkaltung abgelöst wird.
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Kurz nach demheftigen Fieber verfällt die Patientin schon in Schläfrigkeit, die mit Schlaflosigkeit alterniert; bald „döst“sie, bald kann sie nicht einschlafen. Wir denken an ein Zuviel an Phlegma in der Schädelkapsel und eine Reizung der Phrenes durch die Fieberglut. Hitze zieht Säfte an, und zwar nach oben. Hier stammen sie imÜbermaß noch vonderSchwangerschaft herundvomeben ausgebrochenen Fieber. VondenSchamteilen eilen sie durch dieAdern überdieLenden zumKopf hinauf; nochamselben ersten Tagklagt diePatientin überKreuzschmer-
zen und Kopfschwere. So können wir uns diese Begleitphänomene des Fiebers
vorstellen, doch solche Erklärungsversuche bleiben zumindest teilweise nur Vermutungen. „ Am zweiten Tag geriet überdies der Darm in Aufruhr mit wenig dünnem, ungemischtem Stuhl, zumerstenmal.“–Nach demKopf undderZwerchfellgegend reizt die Fieberhitze auch die Eingeweide. Es kommt zu Durchfällen, der Körper befreit sich vonseiner Plethora mitdünnem Stuhl, derauchals(einfach) gelbgallig einZeichen derDyskrasie. „ vorgestellt wird– Zumerstenmal“ , fügtderAutor noch hinzu. Er hat wie üblich seinen Krankenbericht erst nachträglich abgefaßt. Diese Störung imHypochondrion ist eines derLeitmotive, undein ausdrückliches sogar: Der Aufruhr im Darm belästigt die Patientin „ bis zuletzt“ ς. ,δ ιὰτέλ ο ε Amdritten Tag (Stuhlgang) reichlicher, schlimmer; nachts garkein Schlaf.“– „ DieDarmentleerungen nehmen zuundfangen an,unsere Kranke zuschwächen; aus demStadium derRoheit kommt ihrLeiden nicht heraus. Undauch die Schlaflosigkeit wird fortan zum Leitmotiv. Die Prognose verschlechtert sich merklich. Wann treten die ersten Geistesstörungen auf? Amvierten Tag Verstörtheit, Schübe vonAngst undMißmut, schielte auf dem „ rechten Auge; amKopf etwas kalter Schweiß; kalte Extremitäten.“–Der kritische 4. Tagbringt die Antwort. Diepsychischen Anomalien sind schwerer undvielfältiger als beim vorigen tödlichen Brennfieber. AnPhrenitis ist zudenken, zumal die folgenden klinischen Zeichen diese Diagnose zubestätigen scheinen. DasSchielen auf dem rechten Auge ist Bestandteil der berüchtigten Facies hippocratica; die Lateralisierung nachrechts ist stets ungünstig. Unddiezwei letzten Zeichen weisen aufeingefährliches Flüchten aller in Kopf, Händen undFüßen enthaltenen Körperwärmenach innen. Kommt es amnächsten Tag zu Raserei undterminalen Krämp-
fen?
Amfünften Tagallgemeine Verschlimmerung; viel Irrereden undbald darauf „ wieder bei Verstand. Kein Durst, kein Schlaf; viel ungünstiger Stuhl bis zuletzt; Urin spärlich, dünn, schwärzlich; Extremitäten kalt, leicht bläulich.“–Der 5. α τ , spitzt ν ά ,π Alles“ Krankheitstag beginnt unerwartet mit einem Paroxysmus. „ sich zu. Auch das eingangs genannte Fieber? Wir können es nur vermuten. Die gefürchtete Raserei wird gleichsam ersetzt durch ein regelmäßig schlechtes Zeichen, ein Alternieren von Delirien und klaren Augenblicken. Die als nächstes angeführte Adipsie ist ein ominöses Endphänomen bei schweren Fieberleiden und zeugt voneinem Erlöschen derfür die Kochung derMateria peccans unentbehrlichen Fieberhitze. Auch die äußere Wärme schwindet immer weiter dahin, wasein drittes und letztes Leitmotiv dieser Krankengeschichte darstellt nach Schlaflosigkeit und Darmstörung; die Extremitäten bleiben kalt und werden sogar bläulich.
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Gegen Ende wirdauchnochderHarnerwähnt, wieimFall III A, 10.Abermals ister spärlich und dünn, weil die überschüssigen Säfte vornehmlich durch den Darm ausgeschieden werden. Bei unserer Kranken ist er darüber hinaus schwärzlich, dyskrasisch also wie der Stuhl, nur diesmal etwas schwarzgallig. Die sichere Diagnose lautet: tödliche Phrenitis. Nurzwei Tage trennen diePatientin noch vom kritischen 7. Tag. „ Amsechsten Tag desgleichen. Amsiebten starb sie.“–Trotz der Schwere des Leidens undderSchwächung durch dieanhaltenden Durchfälle überlebt diePatientin noch den6. Krankheitstag, über denderAutor nichts berichtet, da sich nichts Neues undNennenswertes mehr ereignet. Amkritischen 7. Tagbefreit sie derTod vonihren Beschwerden.
3. Beziehungen dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII-I:
a) Zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen. –In drei dervier Katastasen vonEpidd. III undI weckt unsere Krankengeschichte einen gewissen Widerhall. Folgende klinische Erscheinungen kennzeichnen auchdieFieberleiden der 2. Katastase von Epid. I (vgl. II 624ff. L.): wenig Schweiß, kalte Extremitäten, Schlaflosigkeit und Schläfrigkeit, Darmstörungen, ungünstiger Harn. Aber es sind meist langwierige, schweifende Fieber mit Appetitlosigkeit, vielfältigen Ablagerungen, undinjenem Jahr wurden keine Phrenitiden beobachtet. Erwähnenswert sindebenfalls diebösen Herbstepidemien der3. Katastase von Epid. I (vgl. II 650ff. L.). Parallelphänomene sind heftiges Fieber, Schlaflosigkeit, Kopfschweiß, Irrereden, Ängste, Mißmut, kalte undbläuliche Extremitäten, spärlicher dünner undschwarzer Harn undterminale Adipsie! Doch deutlich sind auch dieUnterschiede, nämlich daßbei denBrennfiebern Paroxysmen angeraden Tagen stattfinden, ferner die Stuhlverhaltung undgeringes Nasenbluten. Unddie Patienten sterben schweißgebadet am6. Tag. Auch bei denPhrenitiden sind mehrere dieser Phänomene festzustellen, aber derTodtritt bei dieser Fieberart erst am11.oder 20.
Tagein.
Übereinstimmungen gibt es schließlich noch bei denBrennfiebern undPhrenitiden der Katastase von Epid. III. Deren Fieber enden oft tödlich, vgl. III 70,12; 82,17 L. DieDarmstörungen sindheftig undwichtigste Todesursache, vgl. III 70,7; 82,7f.; 84,10; 88,8; 92,8f. Adipsie wirdbei denPhrenitiden hervorgehoben, vgl. III 82,15; bei den Brennfiebern ein Alternieren von Schläfrigkeit undSchlaflosigkeit, 92,4, undauch das Fehlen jedes nützlichen klinischen vgl. III 70,8, 82,6f., 90,14– Zeichens, vgl. III 82,9ff. Andererseits fließt reichlicher Harn, vgl. III 70,8; 82,8ff.; 90,7ff. DerAutor erschrickt vordemeinmaligen Ausmaß derAppetitlosigkeit bei allen Kranken, vgl. III 70,7; 90,1ff. UnddiePhrenitiker versinken ausnahmsweise ineinen Zustand lastender Geistesstumpfheit, vgl. III 82,16f.
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Auffallende Gemeinsamkeiten stehen auf der einen, Abweichungen auf der anderen Seite. Keiner dieser drei Katastasen können wirunsere Krankengeschichte sicher zuordnen. Es handelt sich also wohl umeinen sporadischen Fall oder um einen Einzelfall innerhalb einer vonunsnicht erfaßbaren Epidemie. b) ZumPrognostikon. –Schlaflosigkeit undGeistesstörungen: vgl. II 134f. L.,
Kap. 10.
c) Kopf- undKreuzbeschwerden: vgl. II 182ff., Kap. 24. Bei unserer Patientin kommt es allerdings weder zugalligem Erbrechen noch zuNasenbluten. d) Dünner und ungemischter Stuhl, ein ungünstiges Zeichen: vgl. II 134ff.,
Kap. 11. e) Schielen aufdemrechten AugeundFacies hippocratica: vgl. II 116,5, Kap.2. f) Kalter Kopfschweiß, tödlich bei akuten Fiebern: vgl. II 124,5ff., Kap. 6. g) Schwärzlicher Harn, eininfaustes Zeichen: vgl. II 142,3, Kap. 12. h) Bläuliche Extremitäten kündigen einen baldigen Tod an: vgl. II 132,12f., Kap. 9. i) Ordnung derkritischen Tage (4, 7): vgl. II 168f., Kap. 20. j) Zuden übrigen Krankengeschichten vonEpidd. III undI. –Fehlgeburt: vgl.
III A, 10.
k) Schläfrigkeit: Hier in unmittelbarem Zusammenhang mit Fieberglut und Schlaflosigkeit. l) Schlaflosigkeit: Nach Fieberglut undanfangs alternierend mit Schläfrigkeit. m) Schwächende Durchfälle: vgl. III A, 2; 10; 11. n) Verstörtheit, Schübe vonAngst undMißmut, Alternieren vonIrrereden und normaler Geistesverfassung: Dasletzte Phänomen ist stets tödlich in denKrankengeschichten von III– I, vgl. schon III A, 6, § 3, k). o) Kleiner ungünstiger Kopfschweiß: vgl. III A, 3; 11; 12; B, 3; I, 2; 11. p) Kalte Extremitäten: Hier werden die Extremitäten noch bläulich dazu, ein ρ ε αausnahmsweise für kurze κ stets tödliches Zeichen, auch im Fall I, 2, wodie „ἄ “ Zeit wieder warm werden. q) Terminale Adipsie: Oft bei Phrenitis, aber auch bei anderen bösartigen Fiebern, vgl. bei denHerbstbrennfiebern der 3. Katastase vonEpid. I die Stelle II 652,8 L.
r) Schwärzlicher Harn: Schwarzer, schwärzlicher Harn undHarn von „nicht guter Farbe (ο ὐ κεὔχρ )“sind allesamt ungünstig, aber nicht immer tödlich. Der ω Harn wird hier nach demStuhl genannt.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: ή , die auslösende ρ ο θ φ ο κmit Genitiv für die ἀπ a) Stehende Ausdrücke. –ἐ ὶ α ς. κ ο ν π υ ρ γ ινἄ λ ά ὶπ α νκ ςἦ η δ β ν ε . –ἀ τώ α ρἔλ α Ursache. – π μ ῦ μ ω ο κ χ .– ρ έ η ν η .– ν ς ὀδύ ο ύ ινist typisch für das Alternieren klinischer Phänomene. –ὀσφ π ά λ ν .– το ρ ῶ ὸπ ηmit Epitheta im Dativ. –τ ρ ρ ς. –κοιλ ίηἐπ ά ά θ ο χ ετα ςβ ῆ λ α κ εφ μ ία ι. – υ β ο ι. –δυσθ ό ρ ρ ο υ σ έκ ε . –φ α η . –π ή ςο θ ὐ κἐκοιμ τὸ ω . –νυκ π λ ε ίω . –χείρ τα ν ρ ά ά . –π υ χ ῷ . –ἄ ρ εαψ κ ρ υ χ ῳψ λ ίγ νὀ ὴ α λ ὶκ εφ λα ιν ερ ω σ επ ε . –ἵδρ δ εξ ιῷἴλ
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ρ π ω α η ξ λ . –πολ ύ ν θ ὰπ α ρ έλ γ ε εκ α ὶπ ά λ ιντα χ ὺκ α τεν ό δ ε ιψ ι. –ἄ ς. –κοιλ ο ίη einfach mit Epitheta im Dativ. –δ ιὰτέλ ε ς. – ο δ ιὰτῶ να ὐ τω ν . –ἀ π έθ α ν ε. b) Stilbesonderheiten. –Hyperbaton: Ἑ τέ η ν... π ρ ρἔλ ῦ β ε α ν . c) Brachylogie: wiederum keine einzige Partikel.
d) Doch einige ausgeschriebene Sätze oder Satzteile. κ mitGenitiv fürdieauslösende Ursache. e) ἐ f) Diminutiva: ὑπ μ ο έλ α ν α , ὑπ ο π έλ ιδ ν α . g) Metabolai: ἄ ρ γ υ π ν ς, οὐ ο δ ὲ νἐκοιμ ή η . θ ς, ἄγρυπ δ h) Parallelrhythmik: π ο ιψ ν ς (letztere auch mit λ είω ο , χείρ ω . –ἄ
Alliteration). i) Leitmotive: Schlaflosigkeit, kalte Extremitäten. Ein ausdrückliches Leitmotiv ist derAufruhr im Darm δ ιὰτέλ ε ς ο . j) Häufungen asyndetischer Epitheta: mehrmals. ρ ρ ά ε υ ; ἀκ ρ κ αψ χ k) Steigerung: ἄ ε ρ υ αψ ὰὑπ χ ο π ν έλ ιδ α . ἴλ λ α ή ν . l) Chiasmus: δεξ ιν ιῷ ε ω α , ἵδρ σ λ επ ρ ὶ κεφ ε m)Zeugnisse fürnachträgliche Abfassung: Verben inderVergangenheitsform. –τ ὸπ ρ ῶ το ν(2. Tag). –δ ιὰτέλ ς(5. Tag). ε ο
5. Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten? Warum wurde diese Krankengeschichte vomAutor festgehalten? –Bei diesem Fall liegen die Dinge so klar zutage, daßwirunskurz fassen können. DerAutor selbst hat ja die Krankengeschichte in Zusammenhang mit der vorigen gebracht (vgl. ν , zuBeginn). Indem erbeide unmittelbar nacheinander stellte, wollte erihre η τέρ Ἑ zeigen“ zahlreichen Gemeinsamkeiten undihre ebenso vielfältigen Diskrepanzen „ undsie aufunswirken lassen. Somit liefert ereinweiteres Beispiel fürdastypisch altgriechische „architekturale“Denken, auf dasHumphrey Kitto scharfsinnig hingewiesen hat (vgl. 1957, S. 234). Diese Übereinstimmungen undAbweichungen haben wir in § 1 ausführlich dargestellt; wirbrauchen nicht mehr darauf zurückzukommen. Beachtenswert ist hier nurnoch derFall III A, 8, derebenfalls am7. Tag stirbt. So steht das klassische tödliche Brennfieber III A, 10 zwischen zwei tödlichen atypischen Phrenitiden, III A, 8 undIII A, 11.
Worin ist sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten? –AmEnde hinzugeία ιτια ν ρ ε unserer Krankengeschichte hatein Abschreiber die Diagnose φ fügt. Wir haben auch schon in § 1 nachgewiesen, daßsie wahrscheinlich richtig ist. Raserei undterminale Krämpfe fehlen zwar, doch mehrere andere klinische Zeichen sprechen trotzdem für Phrenitis. Wir heben noch einige Besonderheiten her-
vor.
αeinspezifisch koisches Wort. Schläfμ ῶ ςist imGegensatz zuκ η δ α τώ μ a) κω rigkeit kann auch ein Zeichen von Kälte sein, vgl. die Koische Prognose § 324: Werden die Patienten von‘Koma’undhierauf vonKrämpfen befallen, so sterben „ sie“ . In unserem Fall hingegen wird sie sofort nach demersten klinischen Zeichen
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Fieberglut angeführt. Das Prorrhetikon I, § 1, unddie Koische Prognose § 175 könnten aufIII A, 11 anspielen, wieschon Galen erkannt hat(vgl. XVII A 636 und
538). b) Schlaflosigkeit: vgl. § 3, 1). c) Kreuzschmerzen: vgl. unter a) dievonGalen zitierten Stellen. Die Sentenz § 69 im I. Prorrhetikon unddie Koische Prognose § 308 sind wahrscheinlich eine (willkürliche) Verallgemeinerung unseres Falles (vgl. schon XVII A 638f. K.). ηmitEpitheta imDativ: wörtlich nurinEpidd. III undI. θ ρ ά χ ετα ίηἐπ d) κοιλ e) Kalter Kopfschweiß: vgl. § 3, f), die Koischen Prognosen §§ 561f., den Aphorismus IV, 37, undIX 284 L., §§ 21 und26. Vgl. noch dasProrrhetikon I, § 39, unddie Koischen Prognosen §§ 41, 42, 49 und53. f) Kalte Extremitäten: vgl. § 3, p), unddieKoischen Prognosen §§ 66 und483. g) Schwärzlicher Harn: vgl. III A, 8, § 5, c). Spärlicher Harn: vgl. III A, 10, § 5, d).
(12) III A, 12,eine Frau, dieamLügenmarkt darniederlag. 239. 224. –J. I 236– 67 L. –Kw. I 223– III 62– Hippokratische Diagnose: Fröstelfieber.
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III A, 12:Eine Frau, dieamLügenmarkt
darniederlag
III A, 12. –Eine Frau, die amLügenmarkt darniederlag.
τις κ α τέκ Γ υ ν α ῖκ α , ἥ ιτ ε ε οἐ π ὶ ψ υ ῇ , τεκοῦ ρ γ ρ ο σ ῶ α ντό τ τ ο ν νἀ επ δ έ ω ρ σ ρἔλα ε νπ ςἄ β ε ῦ ν . α ὐ τίκ ω ν α ό ιπ ἐπ σ ώ δ η ς, κ α ρ δ ίη ν ς, ἀ η ηδιψ ώ δ μ ν έ ρ ο χ ἀ γ ή ε λ ι, γλῶ σ σ α ἐπ η ιλ ί ο ὑ π ς , κ ο ρ ίξ η · ηλ ο ισ ιν ,ο ὐ χ επ το ῖσ ινὀλ χ ίγ ά ρ θ ετα ἐπ . σ ε ω ν π ὕ
Eine Frau, die am Lügenmarkt darnie-
derlag, ergriff Fieberglut, nachdem sie unter großen Schmerzen ihrerstes Kind, einen Knaben, geboren hatte. Gleich zu Anfang Durst, Übelkeit, leichte Magenschmerzen, Zungenoberfläche trocken, DarminAufruhr mitwenig dünnen Stüh-
len, kein Schlaf.
ω ρ σ ίγ ρ ρ ε ὰἐπ ε - Am zweiten Tag leichtes Frösteln, hef, π ῃσμικ υ ερ ρ δ ευ τέ ς ὀξ ν tiges Fieber, am Kopf etwas kalter ὴ α λ τὸ ὶ κεφ ρ ε ὰπ ρ ικ ύ , σμ ς ῷ . ρ υ χ ω σ εψ ἵδρ Schweiß.
ς ἀ ῃἐπιπόν ίτ ω τρ , Amdritten stärkere Beschwerden, Stuhl ά μ ιλ ο ὸκ π ςὠ ίη ·ε ι. ging rohunddünnin großer Menge ab. λ ὰδιῄ λ τ ὰπολ ε π ω Am vierten Tag Frösteln, allgemeine ρ ω σ ίγ ε ν τ απαρ ά , π ῃἐπ ερ τ ρ τετά - Verschlimmerung; Schlaflosigkeit. ρ ς. υ ν π γ ο ·ἄ η ξ ν θ ύ
ς. ῃἐπ ιπ ν ω ό π τ π έμ
Amfünften stärkere Beschwerden.
ς Am sechsten desgleichen; es ging viel ίη π ὸκοιλ νἀ ναὐτῶ ιὰτῶ ῃδ τ κ ἕ ἦ λ θ εὑ γ ρ ὰπ ο λ λ ά . · feuchter Stuhl ab. ςὀ ξ ρ τὸ ε υ σ ω ε, π ρ ίγ ύ ῃ ἐπ ς, ερ μ ό δ ἑβ ν μ η ρ ι σ σ τ η λ ί β ε λ δ α ὶ ό ρ , πο λ ς δ ίψ π ε , ς ὺ α ε ρ ύ ξ ις, ἄκ ῷ , ψ ω σ ρ εδι ὅ ἵδρ χ υ ο υψ λ ψ υ ρ χ ά , οὐ α ὶ · κ μ α ίν κ τ ε ο έ τ ερ ν εθ ι ἀ α ω ρ ε σ ρ ίγ ε ν ς᾽νύ ,ἄ κ κ τ ερ αἐπ π ά λ ινἐ , ε σ ω ν ὐ , ο χ ὕπ το μ ε α ίν ο κἀ ὐ ν εθ ερ ὺ χ ρ ὰπ μ ιντα ρ ικ ρ ὶπ σ ε ά λ α ο υ , κ α έκ σ τεν ό ε α ι. κ
Am siebten Tag Frösteln, heftiges Fieber, Durst, viel Hin- und Herwerfen, gegen Abend allgemeiner kalter Schweißausbruch, sie fror, kalte Extremitäten, konnten (zu jener Zeit) nicht mehr warm werden; undwiederum gegen Nacht Frösteln, Extremitäten wurden nicht warm, kein Schlaf, leichte Verstörtheit undkurz darauf wieder bei Verstand.
- Amachten umdieMittagszeit wurde sie ρ ς ἀνεθ η ε έρ ῃπ ρ νἡμ ε ο έ σ ὶ μ γ δ ό ὀ μ ά ς, wieder warm; Durstigkeit, Schläfrigkeit, ν η θ η , διψ ς, ἀ μ ς, κ δ α η ώ τώ σ η ώ δ ω δ ἤ μ ε σ ε χολώ . Übelkeit; etwas galliges, leicht gelbliα τ ν ρ α ὰὑπ ξ δ ό ε α , σμικ ε ches Erbrechen. Schlechte Nacht, konnσ η η , οὔρ θ ν ρ ύ κ τ ό αδυσφ ω κἐκοιμή ὐ ,ο ς . ῖα π te nicht einschlafen; ließ auf einmal ό ο ρ νο ο λ ὺἀθ κεἰδυ ὐ reichlich Harn unter sich, ohne es zu merken.
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ῃσυνέδω ἐν ά τ κ επ ά ν τ α μ ς , κω α η τώ . Amneunten allgemeine Erleichterung, δ ς δείλ η ν σμ ικ ρ ρ ὰἐπ ὸ π ρ ίγ ω ερ σ ε ν , Schläfrigkeit. Gegen Abend leichtes ἤ μ ε σ εσμικ ρ ὰχολ ώ δ ε α . Frösteln, etwas galliges Erbrechen. ῃῥ δ εκ ά τ η ξ ύ ν θ , ς παρω ῖγ τ ε ρ ὸ υ ο , π ς ο ὐ χ ὕπ ν ν οὐδέν π η ω σ ε σ ὶ οὔρ ρ ε ω π ο λ ὺὑ τα σ π ό σ ιν ο ν ρ ὐ ο , ἄκ ε α ·κἔχ η . μ ά ν θ ἀ ν εθ ερ
Am zehnten Schüttelfrost, das Fieber spitzte sich zu; schlief überhaupt nicht; frühmorgens viel Urin, der keinen Bodensatz hatte; Extremitäten wurden (allerdings) wieder warm.
ε σ ε χολ ώ δ α δ ε ε . α , ἰώ ῃ ἤμ τ ά δ εκ ἑν ο ω σ λ ύ ε τ ὰπ , κ α ὶ ε νο ρ ίγ ὐμ ερ ἐπ ςδείλ ς, η νἱδρ ώ ρ ά ,ἐ υ χ ρ αψ ε ινἄ κ λ π ά ι τα ἐπ κ ά , νύ λ λ ο ε π σ ε ς, ἤμ ῥ ο ῖγ π ό νως .
Am elften Tag galliges, (später) rostfarbenes Erbrechen. Fröstelte bald darauf, und wiederum kalte Extremitäten; gegen Abend Schweißausbruch, Schüttelfrost, viel Erbrechen; Nacht noch unerträglicher.
- Amzwölften viel schwarzes übelriechenε αδυ ν σ σ α επολ λ ὰμέλ ῃἤμ δ ω δ εκ τ ά λ ι des Erbrechen, viel Schluckauf, Durst ς π ο ς ἐπ ὸ μ ο γ ύ ώ δ ε α , λ υ , δίψ ς - noch quälender. ς. π ό ν ω ὰ Amdreizehnten schwarzes, übelriechenλ ο λ π δ α ε α , δυσώ ν ῃμέλα ιδ τ α κ ά ισ εκ τρ ἤ μ ς desErbrechen in Menge, Schüttelfrost; ε η σ ε έρ ,ῥ νἡμ ο σ έ ὶδ ὲμ ερ ςπ ο ῖγ · umdieMittagszeit Verlust derStimme. ς. ο φ ν ω ἄ ν Am vierzehnten ῶ ιὰῥιν αδ ἷμ ῃα τ ά ιδ εκ α ρ κ εσ α σ τεσ ε. ν α έθ π ἀ · starb.
Tag Nasenbluten; sie
ή · Bei dieser Kranken war der Stuhl bis ίη ὑγρ ς κοιλ ο ε ιὰ τέλ τα ῃδ ύ τ φ ρ ικ ώ ς η δ αἑπ τα zuletzt feucht; sie litt unter Frostschau· ἡλ ρ ικ ὶ ἔτε ε ίηπ - ern. Etwa siebzehn Jahre alt. . κ α ίδ εκ α
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1. Gesamtvorstellung desFalles: Wie bei denFällen III A, 10 und 11 beginnt auch dieser letzte Krankenbericht der Gruppe III A mit einer geburtshilflichen Vorgeschichte, und auch diese junge „ Frau, die amLügenmarkt darniederlag“ , stirbt anihrem Leiden. Viel beachtenswerter indes isteindrittes Moment, dasebenfalls denletzten drei Krankengeschichten der Gruppe III A gemeinsam ist: Ausschlaggebend für den hippokratischen Autor ist auch beim Fall III A, 12 die Fieberart, die durch die Vorgeschichte undProphasis hervorgerufen wird. Bei den Patientinnen III A, 10 und 11 hatten wir jeweils einen Kausos und eine Phrenitis diagnostiziert. Um welches tödliche Fieber handelt es sich beim neuen Fall III A, 12? Dieses letzte Fieberleiden beginnt offenkundig mit einem brennfieberartigen klinischen Bild. Mit Ausnahme derKopfbeschwerden (Schmerzen oder Schwere) erkennen wir alle seine typischen Bestandteile wieder: heftiges Fieber, die für Kausos charakteristische Zweiergruppe trockene Zungenoberfläche-Durst, Übelkeit, hier noch verbunden mit leichten Schmerzen am Magenmund, Aufruhr im Darmundstarke Schlaflosigkeit, dieGeistesstörungen ankündigt. Derneue Bericht erinnert unssomit auf Anhieb andenklassischen Kausos III A, 10. Doch die klinische Wirklichkeit zwingt uns bald schon zum Umdenken. Betrachten wir nämlich den Krankenbericht in seiner Gesamtheit, so fallen uns zu unserer größten Überraschung neun regellose Schübe vonFrösteln oder Schüttelfrost auf, die zunächst durchweg Fieberanfälle als Reaktion derNatura medicatrix entfachen. Hinzu kommen drei kalte Schweißausbrüche, eine allgemeine Erkaltung (ψ ύ ξ ις, am7. Tag) undkalte, hernach warme undzuletzt wiederum kalte Extremitäten. Anein Brennfieber ist plötzlich nicht mehr zudenken. Mitwelcher Fieberform haben wires diesmal zutun? Wirsind ihrbisher noch nicht begegnet. Sie fehlt auch in der Katastase von Epid. III, sei es daß sie darin nicht vorkam oder daßderAutor sie als solche noch nicht kannte. Er stellt zwar in der eigenen Epikrise unseres Falles III A, 12 fest, daß die Patientin unter Frostς), aber auf die ersten sogenannten „Fröstelfieber“, η ρ ικ δ ώ schauern litt (vgl. φ φ ρ ικ ώ δ ε ςπ ε ρ υ ε τ ο ί, treffen wirerst inderzweiten Gruppe derKrankheitsgeschichten vonEpid. III bei denFällen III B, 2, 4, 14, 15 und16. Sie enden alle tödlich mit phrenitischen Erscheinungen. Welcher Natur sind nundiese Fröstelfieber undwie haben wirunsdenKrankheitsprozeß bei ihnen vorzustellen? Das Frösteln erklärt sich durch eine fieberbedingte Überfülle ankalten Säften, diesich durch dieAdern überdenganzen Körper der Patientin ausbreitet. Wie bei denanderen akuten Krankheiten löst sie auch bei denFröstelfiebern eine heftige Fieberreaktion aus, nurkommt es bei ihnen nicht zur günstigen Dreiergruppe Frösteln-Fieber-warmer undkritischer Schweißausbruch. ) hier nicht denkalten „inneren τέ α ω ρ ικ π Die „ vismedicatrix naturae“überwindet (ἐ ; neue Fröstelanfälle treten auf, die der Patient abermals nicht bewältigt, Katarrh“ undamEnde geht er erschöpft andemaussichtslosen Kampf zugrunde. Im Fall III A, 12 allerdings ist das klinische Bild des Fröstelfiebers noch deutlich vielfältiger. Neun Fröstelschübe sind auch für diese eigenartige Fieberform außergewöhnlich, ja vielleicht einmalig. Außerdem beobachten wir drei kalte
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Schweißausbrüche, den ersten auf den Kopf beschränkt, die zwei letzten sich auf ausdehnend. Schließlich kommt es noch zueiner allgemeinen Erkaltung undkalten Extremitäten. Als die Patientin amkritischen 14. Tag stirbt, ist auch ihre „eingeborene Wärme“gänzlich erloschen. Wahrscheinlich litt sie an einem Fröstelfieber besonderer Art! Kältephänomene begleiten die Patientin vom2. Krankheitstag an (vgl. ἐπ ρ ε ρ ίγ ω σ ε ) bis zuihrem Tod. Sie bilden also auch ein Leitmotiv dieser Krankengeschichte und gewiß das typischste. Das dramatischste aber ist das mehrfache und sich stetig verschlimmernde Erbrechen. Zunächst wirdnurbeiläufig vonBrechreiz berichtet, am 1. und am 8. Krankheitstag. Hierauf überstürzen sich jedoch die Ereignisse: Die Patientin erbricht Schlag auf Schlag leicht Galliges, später ausgesprochen Gelbgalliges, Rostfarbenes undzuletzt sogar viel übelriechendes Schwarzes, wir sprechen von Koterbrechen, Miserere, dasbaldigen Todanzeigt. Weitere Leitmotive sind deranhaltende Durst, dieDarmstörungen, die Schlaflosigkeit und außerdem die Häufung desAdverbs ἐπ ς(einmal auchδυσφόρ ν ω ό ιπ ςundsogar ω β λ η σ τρ ισ μ ς ), umdie unaufhaltsame Zuspitzung desklinischen Verlaufs fühlbar ό zumachen. Die vorhin erwähnten kalten Extremitäten und das Miserere sind nicht nur Leitmotive, sondern zugleich auch infauste klinische Endphänomene. Zurgleichen Gattung gehören in diesem Fall noch Schluckauf, Aphonie unddas Nasenbluten kurz vor dem Tode. Wie bei III A, 10 und 11 gibt es kein einziges günstiges Zeichen; aufdiedrei Scheinbesserungen am7., 9. und10.Tagkommen wirzurück. Es herrscht vollständige Dyskrasie: Phlegma zeigt sich bei allen Kältephänomenen, gelbe undschwarze Galle findet sich im Erbrochenen, Blut kommt ausderNase. Auch sind die Säfte ausgesprochen roh, ohne eine Spur vonKochung. DasNasenbluten am 14.Tagmageine günstige Apostase sein, doch sie kommt zuspät undist auf alle Fälle zuklein, umwirklich zunützen. Woran ist diese Patientin gestorben? Hauptursache sind diewiederholten inneren Katarrhe kalten Schleims, derer die „eingeborene Wärme“nicht Herr wurde. Aber auch ein anderer Faktor ist zuberücksichtigen. Die übermäßigen Ausscheidungen beraubten die Kranke immer mehr ihrer Widerstandskraft: die anhaltenden Durchfälle (vgl. die Epikrise), der reichliche Harnfluß, ganz zu schweigen vom terminalen starken Miserere. Am11.Tagzeugt dasrostfarbene Erbrechen noch von letzter innerer Fieberhitze. Doch sofort danach setzte dieendgültige völlige Erkaltung ein. DiePatientin warverloren. Dennoch stirbt sieerst amkritischen 14.Tag, 7 Tage nachdenPatientinnen von III A, 10 und 11. Vielleicht weil sie jünger undausgesprochen kräftig war. Und vielleicht hat der Autor gerade deswegen ihr Alter angegeben. Wiederum interessierte ihn nicht hauptsächlich die geburtshilfliche Vorgeschichte, sondern dasFieberleiden, das sich daran anschloß. Zusätzliche Bemerkungen. –a) Diese Patientin ist wahrscheinlich eine Sklavin. Zumthasischen Lügen- oderLügnermarkt vgl. denFall III A, 8, § 1,a). Es besteht Schwangerschaft inderVorgeschichte wiebeiIII A, 10und11. AberdieProphasis κ mitGenitiv: schwere Erstgeburt ist eine andere, diesmal auch ohne dastypische ἐ eines Knaben, vgl. Hanson 1984/1989, S. 48. Wie bei den zwei vorigen hat das Fieber bei dieser Frau ebenfalls einen örtlichen Ausgangspunkt.
denganzen Körper
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b) DasFieber „ergreift sie“ ,π ρἔλ β ῦ ε α , wiebeiIII A, 10und11,ist aber weder ein Kausos (III A, 10) noch eine Phrenitis (III A, 11), sondern ein remittierendes „ Fröstelfieber“mit mehreren unregelmäßigen Paroxysmen. Die Fröstelschübe rufen am2., 4., 7. und10. Krankheitstag heftige Fieberreaktionen hervor. Schon am 10. steigern sie sich zueinem Schüttelfrost (ῥ ς), werden aber am11.undam13. ο ῖγ Tag nicht mehr voneinem Fieberanstieg gefolgt. Zujener Zeit ist die Krankheit schon in diePhase derzunehmenden Erkaltung eingetreten. c) Nach Schaudern undFieber erwartet derhippokratische Prognostiker in der Regel günstige warme undkritische Schweißausbrüche. Bei dieser Patientin sind siejedoch allesamt kalt, zunächst amKopf (vgl. dentödlichen Fall III A, 11), später amganzen Körper (vgl. die Tage 2, 7 und11). Außerdem wird am8. und10. Tag zwar berichtet, daßdie Extremitäten wieder warm werden, doch schon am7. sind sie kalt, undvom 11. anerkalten sie endgültig. Bei derSchwere dieses Falles fällt auf, daßsie gegen Ende nicht noch dazu bläulich werden; oder hatderAutor nur
es zuerwähnen? d) Die zweitwichtigste
vergessen,
Gruppe klinischer Zeichen in diesem Fall sind die Magen- undDarmerscheinungen. Von Aufruhr im Darm ist schon am 1. Krankheitstag innerhalb eines brennfieberartigen Kontextes die Rede, sodann nur noch am3. und6. Tag, aber die Epikrise zeigt unseindeutig, daßdie Darmbeschwerden in Wirklichkeit zu den Leitmotiven der Krankengeschichte gehören und ihrerseits dazu beitragen, die Patientin mehr undmehr zuschwächen. Doch noch schlimmer sind die Magenstörungen. Auch sie kündigen sich schon am 1. Krankheitstag an durch Übelkeit und Kardialgie. Jene tritt am 8. Tag wieder auf, verbunden mit Schläfrigkeit; beide zusammen sind Zeichen von Säfteplethora nach Schwangerschaft undmehreren Fieberschüben, undamselben 8. Krankheitstag beginnen auch diesich ständig verschlimmernden Anfälle vonErbrechen, diewiralsVorboten des Todes bereits vorgestellt haben. Auch derheftige Schluckauf des 12. Tages gehört zudieser Zeichengruppe. e) DemBrechreiz zumTrotz ist die Patientin gleich zuAnfang durstig, undsie bleibt es während ihres ganzen Leidens. Durst und trockene Zungenoberfläche lassen uns zunächst an ein Brennfieber undseine innere Glut denken, doch auch während des sich bald anbahnenden Fröstelfiebers dauert dieses klinische Zeichen unvermindert an undnimmt am 12. Tag sogar noch zu, ungeachtet der völligen äußeren undinneren Erkaltung. Ist dasübelriechende Koterbrechen daran schuld? Wir können es nurvermuten. Am8. und10. Tag gewinnt derHarn für denAutor prognostisches Interesse. Er wirdbeidemal alsreichlich angegeben. Am10.Tagist . Handelt ergänzlich roh, am8. läßt ihndiePatientin unter sich, „ohneeszumerken“ ις, wiebei denBrennfiebern der Kataφ σ ε ,ἄ es sich dabei umeine „Abspannung“ stase von Epid. III (vgl. III 82,3 L.)? f) Auch die Schlaflosigkeit ist eintypisches Leitmotiv bei dieser Frau. Erstaunlich ist nur, daßweder dieses Phänomen noch derrohe Harn noch die zahlreichen Fieberschübe starke Geistesstörungen verursachen. Wirhören nureinmal vonVerstörtheit, aber die Patientin ist „kurz darauf wieder bei Verstand“(7. Tag). Alle I. Es Fälle mit dieser Formel enden tödlich in den Krankengeschichten von III– allgemeinen Erleichterung“ handelt sich also umeine Scheinbesserung wiebeider„
am9. Tag.
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g) Über zwei klinische Zeichen haben wir noch zu berichten. Die Aphonie erscheint in der Gruppe III A der Krankengeschichten hier zumerstenmal. Ein innerer Katarrh kalten Schleims hatsich aufdieStimme geworfen. Auchinanderen Fällen ist dasoft eininfaustes Endphänomen. Ist auchdasNasenbluten am14.Tag einsolches, oderbedeutet es eine allzu späte undunzureichende Apostase? h) Die Patientin stirbt am kritischen 14. Tag, was das einzige Element der Ordnung ineinem sonst düsteren Krankheitsgeschehen darstellt. i) Galenisches zu dieser Krankengeschichte (vgl. XVII A 641– 645 K.). –In Athen gibt es einen Schurkenmarkt, bemerkt Galen ironisch (vgl. S. 643). Er übertreibt ein wenig, wenner schon vonAnfang andastödliche Ende voraussehen will, denndasbrennfieberartige klinische Bilddes1.Krankheitstages läßt nocheine Wendung zum Besseren durchaus zu (S. 643). Anschließend zählt er mehrere spätere klinische Zeichen auf, wobei er irrtümlicherweise die trockene Zunge erst beim 7. Tag erwähnt (S. 644 undIII 64 L., Anm. 30 vonLittré). Wegen der„Größe“ (μ έγ εθ ς) desLeidens hätte diePatientin schon am9. oder 11.Tagsterben müssen. ο Doch sie war jung und kräftig. Noch am 14. Tag wehrt sie sich gegen die „ vis morbi“ miteinem Nasenbluten alsgünstiger Ausscheidung (S. 643, 644 undXVII A 166K.). Wieschwer dieKrankheit war,bezeugt schließlich dasterminale Koterbrechen mitseiner unbezwingbaren Fäulnis; Galen erinnert sich hier andashippokratische Prognostikon (S. 644 undXVIII B 143,1f. K.). EinAbschreiber hatte „Kausos“ Phrenitis“am hinzugefügt –für denPergamener eine „ Atopie“wiedie Diagnose „ Ende von III A, 11 (S. 644f.). Aber von einem Fröstelfieber spricht er nicht. Nasenbluten ist fürGalen nicht immer eingutes Zeichen, vgl. XVII A 181und691 K. Zur Aphonie bei Galen vgl. XVII A 757 K. j) Epikrise. –Wiebei denFällen III A, 10 und11beginnt auch dasLeiden der FrauamLügenmarkt miteiner geburtshilflichen Vorgeschichte. DochdasHauptgewicht dieses Krankenberichts liegt wiederum aufdemvonihrausgelösten „ Fieber“ . Dessen Eigentümlichkeit ist einWechsel desklinischen Bildes: Auseinem scheinbar typischen Kausos, sogar mitderZweiergruppe trockene Zunge-Durst, entwikkelt sicherstmals inderGruppe III AderKrankengeschichten einSchulbeispiel des Fröstelfiebers mit einer Vielzahl von ataktischen Schüben vonFrösteln, zunächst mitdarauffolgenden Fieberparoxysmen, später ohne solche Fieberreaktionen. Weitere hervorstechende klinische Phänomene sind Durst, Darmstörungen, Schlaflosigkeit, kalte Schweißausbrüche, ungünstiger Harn, kalte Extremitäten und Erbrechen. Von ein paar Endphänomenen abgesehen besteht diese Krankengeschichte fast nurausLeitmotiven, die sich obendrein meist noch drastisch verstärken. Durst undSchlaflosigkeit werden heftiger, derkalte Kopfschweiß weitet sich zuallgemeinen kalten Schweißausbrüchen aus, dasFrösteln spitzt sich zuSchüttelfrösten zu,die Patientin kommt amEnde ausdemErkalten nicht mehr heraus, und das einfache gallige Erbrechen entartet schließlich in tödliches Miserere. Hinzu kommen noch als ungünstige Zeichen Übelkeit, Kardialgie, Hin- und Herwerfen, Schläfrigkeit, unbewußtes Harnlassen, Schluckauf, Aphonie. In den Körpersäften herrscht völlige Dyskrasie. Alle Ausscheidungen bleiben bis zuletzt rohundreichlich undschwächen diePatientin dadurch zusätzlich. Scheinbesserungen helfen nicht, und das Nasenbluten am letzten Tag ist im besten Fall eine
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ungenügende Apostase. Schluckauf, Aphonie undvorallem dasKoterbrechen des 12. und13. Tages sind ominöse Endphänomene. Bei totaler Erkaltung undFäulnis derSäfte versiegt jedes natürliche Heilvermögen. Galen hatrecht: Wäre diese Frau nicht jung undkräftig gewesen, so wäre sie schon mehrere Tage früher gestorben.
2. Laufender Kommentar: „ Eine Frau, die amLügenmarkt darniederlag, ergriff Fieberglut, nachdem sie unter großen Schmerzen ihrerstes Kind, einen Knaben, geboren hatte. Gleich zuAnfang Durst, Übelkeit, leichte Magenschmerzen, Zungenoberfläche trocken, Darm in –Diese Frauhatkeine Fehlgeburt Aufruhr mitwenig dünnen Stühlen, kein Schlaf.“ erlitten wiediezwei vorigen. Ihre erste Schwangerschaft scheint normal verlaufen zu sein. Prophasis ist diesmal eine schwere Geburt eines Knaben, undwirkennen die Formel: Fieberglut ergriff die Patientin. Wieder handelt es sich also umein Fieber mit örtlichem Ausgangspunkt. Unmittelbar danach schildert derAutor dastypische undbeinahe vollständige klinische Bild eines Kausos mitderZweiergruppe trockene Zunge-Durst. Es fehlen nurdie Kopfbeschwerden unddasNasenbluten, doch dieses letzte Phänomen zeigt sich selten schon am 1. Krankheitstag. Fieber nach einer geburtshilflichen Vorgeschichte ist gefährlich, aber nicht immer tödlich, undes gibt auch gutartige Brennfieber. DerArzt mußmitseiner Prognose vorsichtig sein; eingünstiger Ausgang ist jedoch noch nicht auszuschließen. „ Am zweiten Tag leichtes Frösteln, heftiges Fieber, am Kopf etwas kalter Schweiß.“–Mit einem Kausos vereinbar ist auch die Zweiergruppe Frösteln-heftigesFieber, diesich gewöhnlich früher oderspäter miteinem warmen undkritischen allgemeinen Schweißausbruch zu einer typischen Zeichentrias ausweitet. Doch kalter Kopfschweiß tritt hier an seine Stelle wie beim tödlichen Fall III A, 11. Im Prognostikon wird er als ominös gekennzeichnet. Wir verstehen jetzt besser die Befürchtungen Galens. „ Am dritten Tag stärkere Beschwerden, Stuhl ging roh und dünn in großer –Mit dem3. Tag tritt eine deutliche Verschlimmerung desklinischen Menge ab.“ ω ν ό ιπ ς, unddernunreichliche rohe Stuhl schwächt die Patientin Bildes ein, vgl. ἐπ noch zusätzlich. DasBrennfieber ist also gefährlich –falls es sich umein solches handelt. „ Am vierten Tag Frösteln, allgemeine Verschlimmerung; Schlaflosigkeit.“– Der Arzt hat die Patientin jeden Tag untersucht undgewiß auch behandelt, bis zu ihrem Tode; wirkönnen deshalb ihren Krankheitsverlauf besonders genau verfolgen. Die Zweiergruppe Frösteln-hohes Fieber wiederholt sich an diesem ersten kritischen Tag. ImTertianatakt, wie bei denKausoi vonEpid. III unddenHerbstbrennfiebern von Epid. I, 3? Wir werden es bald erfahren. Wird die Schlaflosigkeit zumersten Leitmotiv? Zusammen mitdemhohen Fieber kündigt sie aufalle Fälle Geistesstörungen an.
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„ Amfünften Tag stärkere Beschwerden. Am sechsten desgleichen; es ging (wieder) viel feuchter Stuhl ab.“ –ἐπιπό ν ςoffenbart sich als zweites Leitmotiv, ω das Leiden spitzt sich weiter zu. Von einem Dreitagerhythmus kann jetzt schon nicht mehr die Rede sein. Undein drittes Leitmotiv bildet der rohe undfeuchte Stuhl, eine Feststellung, die auch durch die eigene Epikrise des Autors bestätigt wird. „ Amsiebten Tag Frösteln, heftiges Fieber, Durst, viel Hin- undHerwerfen, gegen Abend allgemeiner kalter Schweißausbruch, sie fror, kalte Extremitäten, konnten (zu jener Zeit) nicht mehr warm werden; und wiederum gegen Nacht Frösteln, Extremitäten wurden nicht warm, kein Schlaf, leichte Verstörtheit und darauf wieder bei Verstand.“–Der kritische 7. Tag bringt keine Besserung –wer , sondern beginnt im Gegenteil wieder mit derZweierhätte sie schon erwartet – gruppe Frösteln-heftiges Fieber wieam2. und4. Tag, unddasFrieren undFrösteln wiederholt sich amselben 7. Tag noch einmal bei Sonnenuntergang –ein viertes Leitmotiv. Weitere ungünstige Kältephänomene kommen hinzu: kalter Schweiß wie am 2. Tag, diesmal jedoch auf den ganzen Körper ausgebreitet, undkalte Extremitäten, die auch gegen Nacht nicht mehr warmwerden. So müssen wir die Diagnose dieses Leidens neuüberdenken. Handelt es sich immer noch umein schweres Brennfieber, oder haben wir es mit einer anderen Krankheitseinheit zu tun? Die Fröstelschübe mehren sich, begleitet von weiteren Kältephänomenen. Eine Überfülle anPhlegma entlädt sich durch wiederholte innere Katarrhe, derer die Patientin nicht Herr wird. Das klinische Bild verschlechtert sich vonTag zu Tag undscheint vor allem sich zu verwandeln. Ausder zweiten Gruppe der Krankengeschichten von Epid. III kennen wir einige stets tödliche ρ ο ί(vgl. unter § 3). Ist III A, 12 vielleicht schon ε τ υ ςπ ε , φρικώδε „ Fröstelfieber“ ein erster Fall dieser Fieberart? Die folgenden Tage werden es zeigen. Amselben 7. Tagverdüstern nochmehrere zusätzliche klinische Zeichen längst die schon infauste Prognose. Die Patientin ist wieder durstig; wegen des hohen Fiebers oder ihrer starken Durchfälle? Auch der Durst wird zu einem Leitmotiv dieser Krankengeschichte. DasHin- undHerwerfen deutet aufübermäßige Hitze im Oberbauch. Fieber underneute Schlaflosigkeit rufen endlich eine Geistestrübung hervor. Auffallend ist jedoch folgendes: Sie wird nur als leicht eingestuft, verschwindet bald schon undkommt nicht wieder zumVorschein trotz der Schwere undkurz darauf wieder bei Verstand“täuscht eine des Falles, unddie Formel „ Besserung nur vor; in den Krankengeschichten von Epidd. III und I wird sie (zufällig?) ausschließlich bei tödlichen Fällen verwendet. Galen wundert sich zu Recht darüber, daßdiePatientin danach nochmehrere Tage amLeben geblieben ist. Am achten Tag um die Mittagszeit wurde sie wieder warm; Durstigkeit, „ Schläfrigkeit, Übelkeit; etwas galliges, leicht gelbliches Erbrechen. Schlechte Nacht, konnte nicht einschlafen; ließ auf einmal reichlich Harn unter sich, ohne es zu merken. Am neunten allgemeine Erleichterung. Gegen Abend leichtes Frösteln, –Diezweinächsten Tage helfen unsnicht weiter beider etwas galliges Erbrechen.“ Diagnosestellung. Wirbegegnen unsschon bekannten Leitmotiven undauchneuen klinischen Erscheinungen, vondenen dieeinen günstig, dieanderen abträglich oder garbösartig sind. Am8. TagwirddiePatientin wieder warm, am9. hören wirsogar
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von einer allgemeinen Erleichterung. Die Widerstandskraft ist also noch nicht völlig gebrochen, doch es handelt sich nurumScheinbesserungen anunkritischen Tagen. Im Kontrast dazu sind alle übrigen Zeichen beunruhigend. Die Patientin ist wieder durstig, kannwieder nicht einschlafen undmerkt trotzdem nicht einmal, daß sie Wasser unter sich läßt! (Bisher wurde über den Harn noch nicht berichtet.) Schläfrigkeit und Übelkeit zeugen von Säfteplethora, und schon am 8. Tag bahnt sich einletztes Leitmotiv an,dassich inderFolge als immer gefährlicher erweisen wird: Die Kranke erbricht Galliges, zunächst allerdings nurin kleiner Menge und auch nur leicht gelblich. Am zehnten Tag Schüttelfrost, das Fieber spitzte sich zu; schlief überhaupt „ nicht; frühmorgens viel Urin, der keinen Bodensatz hatte; Extremitäten wurden (dennoch) wieder warm.“ –Nacheinem kleinen Frösteln schon amvorigen 9. Tag kommt es am 10. abermals zueinem vonheftigem Fieber gefolgten Fieberparoxysmuswie am2., 4. und7. Tag –es ist schon der sechste innere Katarrh, unddas Frieren verschärft sich noch zueinem ersten Schüttelfrost. Die Diagnose Fröstelfieber wird somit immer wahrscheinlicher. Auch sonst verschlimmert sich der Zustand derPatientin merklich. Ihre Schlaflosigkeit wird noch bedrückender, und im Harn fehlt jeder Bodensatz. Trotzdem geht der Kampf gegen die Krankheit weiter; wie am 8. Tag werden die Extremitäten wieder warm. Im Gegensatz zu Kuehlewein und Jones erklärt sich Littré diese Erwärmung durch das nützliche Vorhandensein eines solchen Harnbodensatzes (vgl. III 66,3f. L. undAnm. 12). Für denweiteren Verlauf desLeidens ist dieser Meinungsunterschied zumGlück ohne Bedeutung. Amelften Taggalliges, (später) rostfarbenes Erbrechen. Frösteln balddarauf, „ undwiederum kalte Extremitäten; gegen Abend Schweißausbruch, Schüttelfrost, viel Erbrechen; Nacht noch unerträglicher.“–Andiesem Punkt der Krankheitsentwicklung ist vomkritischen 11. Tag nichts Gutes mehr zuerwarten. Das Fröstelfieber nimmt seinen unerbittlichen schlimmen Lauf: Frösteln, neuer Schüttelfrost, (gewiss kalter allgemeiner) Schweißausbruch, undkeine Fieberreaktion mehr! Erstaunlich indessen ist nach dem gelben das rostfarbene Erbrechen: Im rechten Oberbauch weste also noch immer Fieberglut. Unddie Schlaflosigkeit wird noch lästiger. Wann kommt für die Patientin derTag derErlösung? Amzwölften Tag viel schwarzes übelriechendes Erbrechen, viel Schluckauf, „ Durst noch quälender. Am dreizehnten schwarzes, übelriechendes Erbrechen in Menge, Schüttelfrost; umdie Mittagszeit Verlust der Stimme.“–Schwarze Galle ist verbrannte underkaltete gelbe Galle undbeim Erbrechen ein fast immer tödliches Phänomen (seltene Ausnahme: derFall I, 5). Zugleich ist sie ein Zeichen vonEr) Miserere“ . Derüble Geruch desErbrochenen („ sticken der„ eingeborenen Wärme“ geht aus hippokratischer Sicht auf Fäulnis zurück. Er erklärt wahrscheinlich auch das weitere Anhalten des Durstes, dajede Hitze im Hypochondrion nunmehr verschwunden ist. DasFröstelfieber offenbart sich nocheinmal durch einen dritten und letzten Schüttelfrost, der zugleich als der neunte und letzte innere Katarrh zu betrachten ist. Zweiominöse Endphänomene kündigen denbaldigen Todan:SchluckaufundAphonie. „Wartet“wieder einmal eine Patientin aufdennächsten kritischen Tag, umzusterben?
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„ Am vierzehnten Tag Nasenbluten; sie starb. –Bei dieser Kranken war der Stuhl bis zuletzt feucht; sie litt unter Frostschauern. Etwa siebzehn Jahre alt.“–Die Patientin stirbt wieerwartet am 14.Tag. Neunaufeinanderfolgende innere Katarrhe hatten ihre eingepflanzte Wärme ausgelöscht. Daher rührt auchdasAdjektiv φ ρ ικ ς ώ η δ in dereigenen Epikrise desAutors. Wirhaben es miteinem Fröstel- undBrechfieςπ ςκ ρ η α ὶ ἀσώ υ η ε ρ ικ δ τό ώ δ ς . Unddie Epikrise nennt auch die ber zu tun, φ zweite Hauptursache des Todes: die Schwächung derPatientin durch allzu starke Ausscheidungen, Durchfälle (und Erbrechen). Zubesprechen ist noch die BedeutungdesNasenblutens amletzten Krankheitstag: Handelt es sich umeine späte und ungenügende Apostase? Um ein drittes infaustes Endphänomen? Galen hat es schon erkannt: Die Erwähnung desAlters amEnde derEpikrise erklärt denlangen Widerstand derjungen undkräftigen Patientin gegen ein unbezwingbares Leiden (vgl. auch den Fall III A, 8). Sie stirbt sogar noch „ordnungsgemäß“an einem kritischen Tag. EinRätsel bleibt, warum derAutor schreibt: „ Etwa(π ί)“siebzehn ερ Jahre alt. Er hätte ja fragen können! Oderwußten es Patientin undUmgebung nicht genau? Seltsam bleibt auch dasFehlen vonstarken Geistesstörungen undwährend derletzten Tage auch vonbläulichen Extremitäten bei diesem besonders schweren Krankheitsverlauf.
3. Beziehungen
dieser Krankengeschichte zudenendemischen Krankheiten der vier Katastasen vonEpidd. III undI, zumPrognostikon undzuden übrigen Krankengeschichten vonIII-I.
a) Zuden endemischen Krankheiten der vier Katastasen. –Wegen seiner Einzigartigkeit –neun Anfälle vonSchaudern oder Schüttelfrost, bis zum 10. Krankheitstag immer mit heftigen Fieberschüben verbunden –ist dieser Fall in denvier Katastasen vonEpidd. III undI ohne Parallelen. Wirheben nurhervor, daßinder 1. Fröstelfiebern“dieRede ist, II 606,9 und612,1 Katastase vonEpid. I zweimal von„ L. Diejenigen von II 612,1 L. sind gutartig. b) ZumPrognostikon. –Roher Stuhl undroher Harnsindungünstig: vgl. Kapp. 11, II 134ff. und 12, II 138ff. L.
c) Die Schlaflosigkeit erklärt sich in diesem Fall aus den übrigen starken Beschwerden. Ausgesprochen gering bleiben hingegen die erwarteten geistigen Störungen: vgl. Kap. 10, II 134f. L. d) Kalter Schweiß ist schädlich: vgl. Kap. 6, II 124f. L. Littré fügt noch hinzu: Schlimm ist auch der allgemeine Schweißausbruch, der demjenigen des (kalten) Kopfschweißes ähnelt. Galen hat diese Stelle getilgt, weil sie nicht in allen Handschriften zulesen war. Aber sie entspricht genau demBefund unserer Krankengeschichte undwurde vielleicht unmittelbar ausihrentnommen. e) Hin- undHerwerfen ist ominös: vgl. Kap. 3, II 120,2 L. DasPrognostikon hat ς. ό μ dafür ἀ σ λ υ f) Kalte Extremitäten sindeinschlechtes Zeichen: vgl. Kapp. 9, II 132f. und15, II
150f.
L.
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g) Das gleiche gilt für das Unwohlsein, δυ ς φ ρ ό : vgl. Kap. 15, II 150,2 L. σ ω δ υ σ π ςimPrognostikon. ετ έ ω h) Schwarzes undübelriechendes Erbrechen isttödlich: vgl. Kap. 13,II 144f. L. i) Tod amkritischen 14. Tag: vgl. Kap. 20, II 168f. L. j) Zu den übrigen Krankengeschichten von Epidd. III und I. –κ ο ιλ ίη : Die häufigen und starken Durchfälle schwächen die Patientin wie bei den vorigen Kranken. k) Frösteln oder Schüttelfrost undheftiges Fieber: Nur zweimal, gegen Ende, ohne Fieberreaktion. l) Kalter Kopfschweiß: vgl. III A, 11, § 3, r). Allgemeiner kalter Schweißausbruch: vgl. III B, 3; I, 2; beide Fälle tödlich. Günstiger warmer Kopfschweiß: vgl.
III B, 7 und8.
m) Verstörtheit undkurz darauf wieder bei Verstand: Alle Fälle mit dieser I enden tödlich. Vgl. schon III A, Formulierung indenKrankengeschichten vonIII– 6, § 3, n).
n) Erbrechen: Tödliches schwarzes Erbrechen im Fall I, 12. Schwarzes aber nicht übelriechendes Erbrechen undGenesung beim Fall I, 5. o) Schläfrigkeit: Plethora als Ursache (nach Schwangerschaft undhohem Fieber). Nachfolgendes Erbrechen. p) Schluckauf: nurhier undII 670,12 L., in der3. Katastase vonEpid. I. q) Verlust der Stimme: hier zum erstenmal. Ominöses Endphänomen. Wir würden wohl vonBewußtlosigkeit sprechen. r) Nasenbluten: Späte undunzureichende Apostase? Ominöses Endphänomen. 16. VomFall III A, ρ ικ ς: vgl. dieφρικώδε η ώ ρ s) φ δ ςπ υ ε ί in III B, 2; 4; 14– το ε 12 abgesehen stets tödliche Phrenitiden.
4. Stehende Ausdrücke. Stilbesonderheiten: ς, ιπ ν ω ό α τέκ ειτ ο . –ἐπ ν β . –κ ε α... π ρἔλ ῖκ α ῦ a) Stehende Ausdrücke. –Γυνα ς, η δ ώ η . –διψ μ έ ν ο χ ρ αἀ τίκ ὐ ς, νύ αἐπ τ ν κ ό ιπ ω ςἐπ ο . –α δ ίψ ς ω ρ ό ιπ ό ν , δυσφ ω ς ς. –ἤ η ς. –ἀ ο σ ρ ώ δ η σ εmit Epitheta im Akkusativ. ε μ ίξ λ γ ῶ σ σ αἐπ ς. – ο α , δ ίψ δ ίψ –λ υ γ μ ό ς. –καρ ή δ λ ίηὑπ γ ε π ὸ ι. – κ ηmitEpitheta imDativ. –ἀ ο ρ ά ιλ θ χ ίηἐπ ετα ὐ χὕπ σ ω ν ε , ή–ο ρ γ ίηὑ ιλ ο κ θ εmitEpitheta imAkkusativ. – ι, ἦλ ε ςδιῄ ίη ιλ ο κ ς τὸ ρ ε ω ε σ ,π υ ίγ ρ ὰἐπ ερ ρ . –σμικ δ ν έ νοὐ σ ε ν ω η ,ο ὐ χὕπ θ ή ς, ο ρ υ ν ὐ π ο κἐκοιμ γ ἄ ις, ξ ύ . ψ η θ ξ ν ύ ς παρω τὸ η . ῥ ρ ε θ ν υ ύ ξ ω ς, π ρ ο α τ απ ν ά ε σ , π ω ῖγ ρ ίγ ερ ς. ἐπ ὀ ξ ύ . φ ῷ ρ ω σ ι᾽ὅ εδ ικ . ἵδρ ρ ω ώ υ χ υψυχρ ικ ρ ο σ εψ δ η ς. –σμ νἵδρ ω ὰπ ρ ὴ λ α ὶ κεφ ε λ .– ν η ρ ς δείλ ὶ, π ς. –π ερ μ ό ό ισ τρ ς, ἐ η σ λ ςβ ιὰτῶ λ ὺ . –πο ν να τῶ ὐ ς. –δ ώ ἱδρ ρ α ε λ ινἄκ ά ὶπ α .κ η θ ν ά μ ερ εθ αἀν ε ρ κ . –ἄ ο τ ίν ε α μ ερ ν εθ ιἀ τ κ έ ρ ά , οὐ χ υ αψ ε ρ κ ἄ ρ ὶ π ε – ι. ε ό τεν α χ ὺκ ψ φ ρ ρ ιντα λ ὰπ ά ω υ α έκρου σ ὶπ ν ρ ε , κ χ α ς. –σμικ ά ο . –ἄ ν ι σ α τ σ ό π ὑ ; ... α ῖ κεἰδυ νο ὐ ο ό μ έ σ ὺἀθρ η επ λ ς. – ο η σ ς. – ρ ο νἡμ έρ η ο ὔ μ τώ δ κ α ω αδ ν .– ιὰῥιν ῶ ἷμ . –α ύ ὰπ ο λ τ ε ὐμ ω ρ ί. –ο . –π α τ ν ά κ επ . –συνέδω ν ο ο κἔχ ὐ . α κ ε δ ί α κ α τ π ὶ ἑ ρ α τ ἔ η ε π ε ί ικ λ ς. –ἡ ο ε ιὰτέλ δ ν ε. – α π έθ ἀ
III A, 12:Eine Frau, dieamLügenmarkt darniederlag
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b) Stilbesonderheiten. –Hyperbaton: Γυνα ῖκ α... π ρἔλ ῦ β ε α ν . c) Brachylogie: eine einzige Partikel (δ ) in diesem langen Krankenbericht. έ d) Mehrere ausgeschriebene Sätze undSatzteile. e) Accusativus Graecus: κα γ ρ νὑ ή δ ίη λ ε π ι. f) Dativus sympatheticus: τα ῃ , zuBeginn derEpikrise. ύ τ g) Einfaches Diminutiv: ὑπ γ έ α λ ω . Verstärktes Diminutiv: σμικ ρ ὰὑπόξαν θ α . h) Metabolai: διψ ς , δίψ η α ώ δ , δίψ ς. –DerAufruhr im Darm wird viermal ο angegeben, jedesmal aufandere Weise. –Ähnliches gilt fürdenSchlaf, wobei noch eine Steigerung festzustellen ist. – ςδείλ ρ η π ό ί, ἐ ερ ,π ς ν . –ἤμ α ν α ὰμέλ λ σ επολ ε δ υ σ ώ ν δ α ε , δυσώ . μέλα α ε σ δ ε(Metabole undChiasmus zugleich). ε απολ λ ὰἤμ i) Homoioteleuta: διψ ς, ἀ ς. –διψ η η ς, κ σ η ώ ώ δ δ ώ μ δ α ω τώ ς, ἀ η δ ς. δ η ώ δ Sieht manvon den infausten Endphänomenen ab, so besteht dieser ganze Krankenbericht fast nurausLeitmotiven.
j)
k) Häufung asyndetischer Epitheta: mehrmals. ςbis zuδίψ η ςἐπ ώ δ ο l) Steigerungen: Beim Durst, vonδιψ ιπ ό ς. –Beim ν ω Schlaf, vonο σ ω νοὐ χὕπν εbiszuο ὐ ν σ χὕπ ω ὐ ε δ νundνύ έ κ τ αἐπ ς. – ιπ ό ν ω Beim ρ Erbrechen, vonχ ὰὑπόξα ικ θ ώ ν ο λ α δ α ε , σμ bis zuπο λ λ ὰμέλ α ν αδυσ ώ δ ε α ! m) Chiasmen: am 12. Tagπολ λ ὰ undπ ε σ ο λ ε... ς . –Am12. und13. Tagἤμ ύ ἤ μ ε σ ε , vgl. schon unter h). n) Ringstruktur: persönliche Angaben zuBeginn undganz amEnde derKrankengeschichte. o) Eigene Epikrise des Autors. p) Zeugnisse für nachträgliche Abfassung: das τό τ εin der Einleitung (vgl. Deichgräber 1933, S. 12)unddiezahlreichen Verben inderVergangenheitsform. q) Stilistisch vorbildlicher Krankenbericht.
5. Warum hat der Autor
diese Krankengeschichte festgehalten?
–Worin ist
sie darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten?
a) Warum hat der Autor diese Krankengeschichte festgehalten? –Weitaus besser als bei vielen anderen Krankengeschichten vonEpidd. III undI können wir Frau“in seine Sammlung aufverstehen, warum derAutor gerade denFall dieser „ genommen hat. Er beginnt tatsächlich mit demfast vollständigen klinischen Bild eines Brennfiebers. Schon nach wenigen Tagen aber geht er über in ein ebenso typisches Fröstelfieber mitneunSchüben vonSchaudern oderSchüttelfrost, undals Brechfieber“ Komplikation gesellt sich ihm vom 9. Krankheitstag an noch ein „ hinzu, das am 12. und 13. Tag in ein tödliches Koterbrechen entartet. Über einen solch unglaublichen Fall mußte berichtet werden. Überdies durchziehen sechs Leitmotive die Krankengeschichte undgestalten sie zugleich weitestgehend: Durst, Darmstörungen, Schlaflosigkeit, die Zweiergruppe Frösteln-Fieberreaktion, Erbrechen undmit demmehrmaligen Erwähnen ςdasBetonen derimmerfort zunehmenden klinischen Verschlimmeω ν ό ιπ vonἐπ rungdesLeidens. Kurze Scheinbesserungen ändern dieinfauste Prognose inkeinerlei Weise.
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III A, 12:Eine Frau, dieamLügenmarkt darniederlag
DerAutor hebt dieklinische Verschlimmerung nocheigens hervor: Durst und Schlaflosigkeit werden immer unerträglicher, dasErbrechen überschlägt sich inein Miserere, die Erkrankung erdrosselt amEnde die innere Wärme. Ganz zu schweigen vondenschlimmen Endphänomenen Schluckauf undAphonie undderunbewußten Harninkontinenz bereits am8. Tag. Es warschon wahrlich ratsam, diesen Krankenbericht so kunstvoll auszufeilen. b) Worin ist diese Krankengeschichte darüber hinaus bedeutsam für denHippokratesexegeten? –Als erstes haben wirunsmitderDiagnose dieses Leidens zu befassen. Handelt es sich um ein Brennfieber, wie der Abschreiber bei Galen meinte, oder umein Fröstel- oder umein Brechfieber? Typisch für Brennfieber wäre dasklinische Bild des 1. Krankheitstages; doch dergesamte weitere Verlauf spricht gegen diese Hypothese. Das Brechfieber bahnt sich erst am 9. Tag und zunächst fast unmerklich an. Am wahrscheinlichsten ist ein Fröstelfieber, das brennfieberartig beginnt undgegen Ende durch ein Brechfieber kompliziert wird. Eine „Abfolge von Krankheiten“findet nicht statt, denn dasFröstelfieber bleibt bis zuletzt bestehen. Eine Frage können wirallerdings nicht beantworten: Kannte der , alser diesen Fall darstellte? Fröstelfieber“ Autor die Krankheitseinheit „ c) „Frauenkrankheiten“in denEpidd. III undI: vgl. III A, 10, § 3, c) d)Schmerzen amMagenmund: vgl. denAphorismus IV, 65, undEpid. IV, § 16. e) Frösteln: vgl. § 3, q). Im I. Prorrhetikon könnte § 65 auf dasEnde unseres Falles anspielen. Nach der Sentenz in Epid. VI 1, § 8, sind Apostasen selten bei fröstelnden Patienten, wasleicht zuerklären ist: Diekatarrhalischen Säfte verharren dannja indenAdern undsetzen sich nirgends fest. Eine typische Ausnahme ist das Fröstelfieber inIII B, 2, dasmehrere Ablagerungen aufweist. AuchdasNasenbluten inunserem Fall könnte eine Apostase sein. FürdieFröstelfieber vgl. § 3, s), undden ς. η δ ρ ικ ώ Index Hippocraticus unter φ f) Kalter Schweiß: vgl. § 3, d), undschon III A, 11. § 5, e). g) Kalte Extremitäten: vgl. die Aphorismen IV, 48 undVII, 73, außerdem die Koische Prognose § 113. Über ein Alternieren vonKälte undWärme berichten die Aphorismen IV, 40 undVII, 61 unddie Sentenz IX 285 L., § 28. Vgl. noch das I. Prorrhetikon, §§ 43 und66, unddie Koischen Prognosen §§ 50 und52. h) Erbrechen: vgl. § 3, n) und die Koische Prognose § 545. § 102 weist vielleicht aufunseren Fall hin. Vgl. auch §§ 119und560 undimI. Prorrhetikon § 79 (vgl. schon Langholf 1990, S. 227). i) Harnlassen, ohne es zumerken: vgl. Prorrhetikon I, § 101, unddie Koischen Prognosen §§ 20, 464 und569. j) Schluckauf: vgl. § 3, y), die Aphorismen VI, 39 undVII, 3 unddie Koischen Prognosen §§ 45 und554. k) Im Prorrhetikon I bildet § 23 eine „Brücke“zwischen Schluckauf undAphonie. Unser Fall warhier wahrscheinlich Vorbild. l) Aphonie: vgl. § 3, z). m)Nasenbluten: vgl. § 3, aa). n) Tod amkritischen 14. Tag: vgl. III A, 3, § 5, g).
HERMES-EINZELSCHRIFTEN Herausgegeben
vonJürgen Blänsdorf, Jochen Bleicken, Wolfgang Kullmann
9. Karl Büchner: Der Aufbau von Sallusts Bellum Jugurthinum. 2., unveränd. Aufl. 1956. VII, 104 S., kt.
ISBN3-515-00230-8 10. Adalbert Briessmann: Tacitus und das flavische Geschichtsbild. 2. Aufl. 1961. VIII, 105 S., kt. 6 0231– 11. Josef-Hans Kühn: System- und Methodenprobleme
(vergriffen)
im Corpus Hippocraticum 4 0232–
12. Walter Schmid: Überdieklassische Theorie und Praxis des antiken Prosarhyth2 0233– mus. (vergriffen) 13. Winfried Bühler: Die Europa des Moschos. Text, Übersetzung undKommentar. 0 0234– 1960. VII, 247 S., kt. 14. Wolfgang Kullmann: Die Quellen der Ilias (Troischer Sagenkreis). 1960. XIV, 407 9 0235– S., kt. 15. Hermann Tränkle: Die Sprachkunst des Properz und die Tradition der lateinischen Dichtersprache. 1960. VII, 190S., kt.
7 0236– 16. Walter Wimmel: Kallimachos in Rom. Die Nachfolge seines apologetischen DichtensinderAugusteerzeit (vergriffen)
5 0237– 17. Fritz Lossmann: Cicero und Caesar im Jahre 54. Studien zurTheorie undPraxis der römischen Freundschaft. 1962. XIV, 172 S., 3 0238– kt. 18. Eckart Schäfer: Das Verhältnis von Erlebnis undKunstgestalt bei Catull. 1966. 1 0239– VIII, 115 S., kt. 19. Manfred Erren: DiePhainomena desAratos von Soloi. Untersuchungen zumSachundSinnverständnis. 1967. XXVIII, 339 S., 5 0240– 11 Abb., 6 Falttaf., kt. 20. Jürgen Blänsdorf: Archaische Gedankengänge indenKomödien desPlautus. 1967. 3 0241– VIII, 320 S., kt. 21. Bernard Fenik: Typical Battle Scenes in the Iliad. Studies in the Narrative Techniques of Homeric Battle Description. 1968. 1 XII, 256., kt. 0242– 22. Hermann Walter: Die „Collectanea Rerum Memorabilium“des C. Iulius Solinus. Ihre Entstehung unddieEchtheit ihrer Zweitfassung. 1969. XII, 92 S., kt. 0243-X 23. Charles Paul Segal: Landscape in Ovid’s Metamorphoses. A Study in theTransformations of a Literary Symbol. 1969. X, 109 8 S., kt. 0244– 24. Michael Wigodsky: Vergil and Early 6 Latin Poetry. 1972. X, 168 S., kt. 0245– 25. William M. A. Grimaldi S. J.: Studies in the Philosophy of Aristotle’s Rhetoric.
1972. VIII, 151 S., kt. 4 0246– 26. Joachim Adamietz: Untersuchungen zu Juvenal. 1972. VI, 171 S., kt. 2 0247– 27. Joachim Laufs: DerFriedensgedanke bei Augustinus. Untersuchungen zum XIX. Buch des Werkes „ De Civitate Dei“ . 1973. VII, 146 S., kt. 0 0248– 28. John Richmond: Chapters onGreek Fish9 Lore. 1973. VI, 83 S., kt. 0249– 29. Joe Park Poe: Caesurae intheHexameter LineofLatin Elegiac Verse. 1974. X, 115S. m. 12Tab., kt. 1795-X 30. Bernard Fenik: Studies in the Odyssey (vergriffen) 5 1775– 31. Konrad Heldmann: Untersuchungen zu denTragödien Senecas. 1974. VIII, 194 S., 1 1830– kt. 32. Damianos Tsekourakis: Studies in the Terminology of Early Stoic Ethics. 1974. 6 XIV, 140 S., 1 Taf., kt. 1914– 33. Hunter Ripley Rawlings III: A Semantic Study of Prophasis’ to 400 B.C. 1975. ‘ kt. VIII, 113 S., 1943-X 34. Felix Preisshofen: Untersuchungen zur Darstellung desGreisenalters inderfrühgriechischen Dichtung. 1977. X, 126S., kt. 0 2002– 35. David Sansone: Aeschylean Metaphors for Intellectual Activity. 1975. XII., 100S., 2 2001– kt. 36. Karl Büchner: Somnium Scipionis. (vergriffen) 2 2306– 37. Walter Wimmel: Tibull undDelia. Erster Teil: Tibulls Elegie 1,1. 1976. XII, 120S., kt. 7 2312– 38. Philip Theodore Stevens: Colloquial Expressions in Euripides. 1976. XI, 72 S., kt.
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FRANZ STEINER VERLAG STUTTGART
0064 ISSN0341–
Franz Steiner Verlag Stuttgart