Naturstaatslehre: Der äußere Sinn von Hans Kelsens Grundnorm als synthetisches Dogma eines staatenbündischen Weltprinzips mit der Natur [1 ed.] 9783428552146, 9783428152148

Mit dieser Naturstaatslehre wird eine Renaissance der Allgemeinen Staatslehre angestrebt, indem das Phänomen des Umwelt-

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Naturstaatslehre: Der äußere Sinn von Hans Kelsens Grundnorm als synthetisches Dogma eines staatenbündischen Weltprinzips mit der Natur [1 ed.]
 9783428552146, 9783428152148

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Schriften zur Rechtstheorie Band 287

Naturstaatslehre Der äußere Sinn von Hans Kelsens Grundnorm als synthetisches Dogma eines staatenbündischen Weltprinzips mit der Natur

Von Sven Selinger

Duncker & Humblot · Berlin

SVEN SELINGER

Naturstaatslehre

Schriften zur Rechtstheorie Band 287

Naturstaatslehre Der äußere Sinn von Hans Kelsens Grundnorm als synthetisches Dogma eines staatenbündischen Weltprinzips mit der Natur

Von Sven Selinger

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Augsburg hat diese Arbeit im Sommersemester 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: L101 Mediengestaltung, Fürstenwalde Druck: buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 978-3-428-15214-8 (Print) ISBN 978-3-428-55214-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85214-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Der Sinn einer Lehre liegt nicht nur in dem, was sie unmittelbar lehrt, sondern in der Erleuchtung, die sie, wenn auch unbeabsichtigt, bewirkt.“1 Friedrich Tezner (1856–1925)

Vorwort Die Allgemeine Staatslehre schaut auf eine jahrtausendealte Tradition zurück. Ein Blick in die Annalen der staatswissenschaftlichen Galerie bzw. in die akademische Ruhmeshalle gegenwärtiger Staatsrechtslehrer lässt den jungen Wissenschaftler daher in Ehrfurcht erstarren, waren es doch brillan­ te Geister, die sich zeitlebens mit der Erkenntnis vom Wesen des Staates beschäftigt haben. Vor diesem gedanklichen Hintergrund stellt sich die Frage nach der Motivlage bzw. vielleicht auch sogar nach der Berechtigung zur Abfassung einer Naturstaatslehre, die sich um eine systematische Ergän­ zung bzw. Erweiterung des bisherigen staatstheoretischen Wissensbrunnens und des damit in logischem Zusammenhang stehenden Doktrinarismus be­ müht. Denn ein derartiges Vorhaben bedarf grundsätzlich staatswissen­ schaftlicher Erfahrung, insbesondere aber auch einer fundierten Übersicht über die wesentlichen Werke der Könige der Staatstheorie, weshalb das vorliegende Ansinnen einer Naturstaatslehre als Dissertation durchaus kri­ tisch bewertet werden kann. Handelt es sich hierbei daher lediglich um ei­ nen unsensiblen Wagemut, gepaart mit einer indiskreten Überschätzungsmo­ ral, oder liegt der Abhandlung vielleicht ein sonstiger Sinn und Zweck zu­ grunde, der die referierten Befürchtungen zumindest nachrangig, wenn nicht sogar vernachlässigbar erscheinen lässt? In der Allgemeinen Staatslehre werden grundlegende Erkenntnisse oft metaphorisch untermalt, um das kog­ nitive Moment zu verstärken. Man denke sich insoweit für den hier inter­ essierenden Zusammenhang einer naturstaatlichen Dogmatik ein klassisches Schachbrett, auf dem sich die Figuren als repräsentative Gestalten einer soziologischen Wirklichkeitswelt gegenüberstehen. Die kriegerische Simula­ tion, die mit dieser gedachten Spielsituation typischerweise verbunden ist, muss ausgeblendet bleiben; sie spielt für die bildliche Parallele keine Rolle 1  F. Tezner, Das österreichische Administrationsverfahren, Wien 1922, S. CLVII; das Zitat ist auch abgedruckt bei R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), S. 481. Im Originaltext von Friedrich Tezner steht statt dem Wort „Sinn“ das Wort „Bedeutung“.

6 Vorwort

und ist auch sonst abseits des Spiels in jeder Hinsicht abzulehnen. Entschei­ dend ist vielmehr, dass sich das Spielgeschehen ohne den durch das schwarz-weiß gemusterte Schachbrett symbolisierten, weltlichen Kosmos nicht beginnen bzw. fortsetzen lässt. In dieser misslichen Lage stehen die Schachfiguren in ihrer Funktion als Protagonisten der realen Naturwirklich­ keit daher vor einem Ohnmacht indizierenden Dilemma, das mit der staats­ theoretischen Wendung einer fremdbestimmten Souveränität umschrieben werden kann, die sich der autonomen Disposition der politischen Figuren als den soziologischen Wirkmechanismen entzieht. Die Analogie zum mo­ dernen Staat ergibt sich aus der konstituierenden Relevanz der natürlichen Lebensgrundlagen als einem von der staatlichen Individualität nicht wegzu­ denkenden territorialen Element.2 Neben der besonderen Herausforderung, die in der Abfassung einer Naturstaatslehre liegt, und dem wissenschaftli­ chen Ehrgeiz und Eifer hinsichtlich der Bewältigung der ökologischen Krise unter dem Blickwinkel der Staatstheorie war es daher vor allem die Thematik der existentiellen Dimension der natürlichen Lebensgrundlagen für das staatliche Dasein, die dem Verfasser am Herzen liegt und schließlich auch den Ausschlag für die vorliegende Dissertation gegeben hat. Die In­ tention ist deshalb grundsätzlich darauf gerichtet, das am Beispiel der Schachbrettsituation nachgespielte Szenario für den modernen Staat in der Zukunft zu verhindern, weshalb die Arbeit keinen geringeren Anspruch verfolgt, denn als Naturstaatslehre die staatliche Gemeinschaftsbildung in der Perspektive eines naturbezogenen Problemhorizonts verständlicher zu machen, womit gleichsam auch eigene Ansätze einer ökologischen Verfas­ sungstheorie verbunden sind. Darin kommt dann auch eine Kritik gegenüber der gegenwärtigen nationalen wie internationalen Umweltpolitik zum Vor­ schein, die in der Vergangenheit oftmals nur unzureichend das entsprechend notwendige Problembewusstsein haben erkennen lassen. Bei alledem ist aber der Beweggrund nicht zu vergessen, der sich darin erschöpft, dass es auch eine besondere Ehre ist, auf den tief hinterlassenen Spuren der großen Staats(rechts)wissenschaftler3 die nunmehr neu aufgetretene ökologische Herausforderung unter staatstheoretischen Aspekten zu beleuchten. Im Jahre 1925 erschien die Allgemeine Staatslehre von Hans Kelsen. Die vorliegende Naturstaatslehre sieht sich als eine ergänzende Fortentwicklung dieses staatstheoretischen Werkes des Begründers der Wiener Rechtstheo­ retischen Schule. Gegenstand und Methode dieser Dissertation werden im 1. Kapitel dieses Buches dargelegt. Der Naturstaatslehre liegt aber auch hier 2  Vgl. B. Guggenberger, Das Staatsziel Umweltschutz – Erster Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Umweltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 247 f. 3  Im Sinne eines weiten Begriffs der Staatswissenschaften; siehe dazu nur R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 15 f.

Vorwort7

grundsätzlich die Intention zugrunde, einzelne Oberbegriffe im Sinne einer Allgemeinen Staatsrechtslehre zu gewinnen,4 weshalb hier auch sonstige Erkenntnis- bzw. Erklärungstheorien des modernen Staates, aber auch die – im mehrdeutigen Sinne – „materialistische“ (Verfassungs-)Geschichte des Naturschutzes im deutschen Konstitutionalismus berücksichtigt werden. Deshalb ist diese Naturstaatslehre weder ausschließlich als „rein“ noch als „allgemein“ zu bezeichnen, sondern als eine auf den analytischen Formalis­ mus der Reinen Rechtslehre zwar von Grund auf angelegte, in ihrem wis­ senschaftlichen Ehrgeiz aber differenzierend-synthetische Naturstaatslehre.5 Das Unternehmen beschränkt sich hierbei auf den querschnittsmateriellen Ausschnitt der naturstaatlichen Konfiguration des modernen Staates, ohne dass aber die durch allgemeine Rechtsbegriffe gekennzeichnete, formalsystematisierende Staatsorganisationslehre von Hans Kelsen in Frage gestellt ist, vielmehr vorausgesetzt wird. Literatur und Rechtsprechung konnten bis Dezember 2014 berücksichtigt werden. Für die Dissertation relevante politische bzw. rechtliche Ereignisse im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft wurden dagegen bis zuletzt beachtet und eingearbeitet. Einen besonderen Dank möchte ich meinem ehemaligen Lehrer und Dok­ torvater Prof. Dr. Ulrich M. Gassner zukommen lassen, dessen Türe für Fragen, Erklärungen und Anregungen immer offenstand und der sich so im Rahmen der Betreuung der Dissertation stets als überaus wertvoller Ge­ sprächspartner ausgezeichnet hat. Ihm gebührt überdies auch die Anerken­ nung für den entscheidenden Denkanstoß, der dann schließlich in die Aus­ arbeitung dieser Doktorarbeit mündete. Aufrichtiger Dank gilt zudem auch Herrn Prof. Dr. Matthias Rossi, der die aufwendige Zweitkorrektur über­ nommen hat. Zuletzt sei schließlich noch meiner Mutter Petra Selinger für die finanzielle Unterstützung gedankt. Im September 2016

Sven Selinger

F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, Vorwort / S. 11 f. H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 1 f. / 8 ff. 4  Vgl. 5  Vgl.

Inhaltsübersicht Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 § 2 Giovanni Battista Vico – La scienza nuova (1744) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Teil



Der naturstaatliche Volksgeist in der deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte

63

1. Abschnitt

Allgemeine Naturstaatslehre 

67

§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 § 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) . . . 86 § 5 Der dezisionistisch-politische Naturstaatsbegriff (Carl Schmitt) . . . . . . . . . 101 § 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) . . . . . . . . . . . . . 121 § 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 § 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller) . . . . . . . . . . . . . . . 150 § 9 Aus Sicht der Reinen Rechtslehre: Methodische Divergenzen als Anknüp­ fungspunkte verschiedener Naturstaatsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Abschnitt

Besondere Naturstaatslehre 

176

§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs im Spiegel aufkommender naturstaatlicher Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . 176 § 11 Die normative und reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches als sich wechselseitig bedingende Parameter einer entsprechenden naturstaat­ lichen Systemimmanenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 §  12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit als Schlussstein des naturstaatlichen Rechtsnormensystems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

10 Inhaltsübersicht 3. Abschnitt



Naturstaatliche Universallehre aus staats- und gesellschaftsorganisatorischen Momenten der Geschichte um den Naturschutz im deutschen Konstitutionalismus 

409

§ 13 Legitimationskonzepte der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 2. Teil



Hans Kelsens Erbe vor der zensorischen Autorität des naturstaatlichen Weltgerichts

430

1. Abschnitt

Der Übergang zum analytischen Formalismus der Reinen Rechtslehre 

434

§ 14 Naturstaatszwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 § 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 § 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des souveränen umweltstaatlichen Staatskönigtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Abschnitt

Die äußere Grundnorm

491

§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen in ihrem äußeren Sinnge­ halt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 3. Abschnitt

Allgemeine Naturstaatsrechtslehre 

605

§ 18 Demokratie und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 § 19 Bundesstaat und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 § 20 Rechtsstaat und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 § 21 Sozialstaat und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 § 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 § 23 Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 § 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 § 25 Schluss  ‒ Ausblick: Äußere Grundnorm und völkerrechtlicher Weltklima­ vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814

Inhaltsübersicht11 Anhang: Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen – vom 5. Juni 1931 (RGBl. 1931 I, 279 (309 f.))  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 825 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910

Inhaltsverzeichnis Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 § 1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I. Die naturstaatliche Dogmenbildung im Spiegel ideengeschichtlicher Apperzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Aufbau der Naturstaatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 III. Kombinierte Methode im Lichte eines naturzentristischen Weltbil­ des . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 § 2 Giovanni Battista Vico – La scienza nuova (1744) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 I. Das allegorische Bild als abstrakte Verkörperung der Weltgeschich­ te . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 II. Das universale Weltgesetz der Geschichte als Richtschnur der natur­ staatlichen Entfaltung des modernen Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Teil



Der naturstaatliche Volksgeist in der deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte

63

1. Abschnitt

Allgemeine Naturstaatslehre 

67

§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Naturstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 § 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) . . . 86 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 II. Naturstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 § 5 Der dezisionistisch-politische Naturstaatsbegriff (Carl Schmitt) . . . . . . . . . 101 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 II. Naturstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 § 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) . . . . . . . . . . . . . 121 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Naturstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 § 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Inhaltsverzeichnis13 II. Naturstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 § 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller) . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 II. Naturstaatsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 § 9 Aus Sicht der Reinen Rechtslehre: Methodische Divergenzen als Anknüp­ fungspunkte verschiedener Naturstaatsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2. Abschnitt

Besondere Naturstaatslehre 

176

§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs im Spiegel aufkommender naturstaatlicher Entwicklungstendenzen . . . . . . . . . . . . . . . 176 I. Der Naturschutz im wissenschaftlichen Diskurs um einen deutschen Sonderweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Die Entwicklung der geborenen Naturschutzidee im Königreich Preußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 III. Die sukzessive Integration des neugeborenen Naturschutzgeistes in die gesellschaftliche Teilsphäre des Deutschen Kaiserreichs . . . . . . . 197 1. Die staatssystembedingten Grundstrukturen des Deutschen Kaiser­ reichs als makrokosmozentrische Parameter für die Entwicklung des Naturschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 2. Die Mikroebene als authentisches Abbild romantischer und poli­ tisch-liberaler Sehnsüchte der Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Die organisierte Naturschutzgesellschaft als Wegbereiter einer na­ turstaatlichen Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 IV. Die Organisationsmodelle des staatlichen Naturschutzes im Deut­ schen Kaiserreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 V. Die legislative Manifestation des objektiven Naturschutzgeistes . . . . 220 VI. Sonderweg oder instabile Zwischenlage? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 § 11 Die normative und reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches als sich wechselseitig bedingende Parameter einer entsprechenden naturstaat­ lichen Systemimmanenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 I. Die normative Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches (Art. 150 I WRV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Entstehungsgeschichte des Art. 150 I WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Die naturschutzrelevante Norm des Art. 150 I WRV als staatsan­ leitende Direktive im Rahmen des intermediären Verfassungssys­ tems des Deutschen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 a) Materieller Gehalt der Tatbestandsmerkmale des Art. 150 I WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 aa) „Staat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) Dem „Schutz“ und der „Pflege“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

14 Inhaltsverzeichnis cc) Die „Denkmäler der Natur“ und die „Landschaft“ . . . . . . 262 dd) „genießen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 b) Programmatik oder Normativität – die rechtlichen Wirkungen des Art. 150 I WRV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 aa) Die Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers . . . . . . . 269 bb) Die Bindung der Verwaltung und der Rechtsprechung . . . 276 II. Die reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches . . . . . . . . . . 280 1. Der demokratische Naturstaat von Weimar in der ideologischen Ausrichtungsspirale zwischen ökologischer Identität und restaura­ tivem Heimatkult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Die schwierige politische Ausgangslage für den staatlichen Naturschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Die Dolchstoßlegende als Ansatzpunkt der Ideologisierung des Naturschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 c) Die Naturschutzstrategien im Deutschen Reich als Fördergut heimischer Identitätsmystik und völkisch-nationaler Bestre­ bungstendenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 d) Der Naturschutzgedanke als organisches Triebmoment natur­ staatlicher Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Die naturstaatliche Organisationsstruktur des Deutschen Reiches . 298 a) Die Fortentwicklung zum selbstorganisatorischen Gesetzge­ bungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 b) Die legislative Tätigkeit der Landesgesetzgeber auf dem Ge­ biet des Naturschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Naturstaatliche Verwaltungslehre und Gesetzestechnik . . . . . . 303 d) Die Effizienz der tatsächlichen administrativen Naturschutz­ praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 3. Der objektive Geist der Naturschutzgesetze als idealtypischer Pa­ rameter eines Verfassungswandels im Lichte der naturstaatlichen Systemkonfiguration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 a) Das Phänomen des Verfassungswandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 b) Zwischen Dezisionismus und Normativismus – das Wesen des Rechts im Spiegel der Staatstheorien der Protagonisten der Allgemeinen Naturstaatslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 c) Die grammatikalische Bekundung des Fortschritts des Natur­ schutzgeistes in den positivrechtlichen Normen der Länder des Deutschen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 d) Das Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 – Dezisio­ nistisch-subjektive Willkür oder objektiv-idealer Normativis­ mus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 4. Die ökologisch-länderfreundliche Auslegungsvariante Albert Hen­ sels als staatssystemgetreue Quelle naturstaatlicher Verfassungsin­ terpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Die Ausgangslage in Bezug auf die Problematik um das pri­ vate Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336

Inhaltsverzeichnis15 b) Naturschutzrelevante Urteile in der Rechtsprechung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 c) Der konstitutionelle Begriff der Enteignung nach Art. 153 II WRV als Interpretationsproblem in Rechtsprechung und Wei­ marer Staatsrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 d) Albert Hensel und der Grundrechtsteil der Weimarer Reichs­ verfassung als in sich geschlossenes Kultursystem . . . . . . . . . 353 §  12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit als Schlussstein des naturstaatlichen Rechtsnormensystems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 I. Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 05.06.1931 als Dis­ kursmaterial mit Blick auf die staatstheoretische Debatte von Wei­ mar um eine Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 II. Der Reichspräsident als Hüter der Natur im Sinne von Carl Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 III. Argumentationsmuster zur tieferen Entschlüsselung der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 im Kontext der politischen Realität der Spätphase des Deutschen Reiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 IV. Die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 als politischer Inte­ grationsakt im Sinne von Rudolf Smend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 V. Georg Jellinek und Hermann Heller als Mahner in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung eines Verfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 383 VI. Hans Kelsen als Begründer der modernen Verfassungsgerichtsbar­ keit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 VII. Die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 als erster Akt eines Hüters der Verfassung auf dem Gebiet der Naturstaatlichkeit . . . . . . 398 3. Abschnitt



Naturstaatliche Universallehre aus staats- und gesellschaftsorganisatorischen Momenten der Geschichte um den Naturschutz im deutschen Konstitutionalismus 

409

§ 13 Legitimationskonzepte der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 I. Die naturstaatlichen Entfaltungsgesetze des modernen Staates . . . . . 409 II. Die Erzeugungsmethoden (Naturstaatsformenlehre) . . . . . . . . . . . . . . 410 1. Absolute Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 2. Konstitutionelle Monarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 3. Parlamentarische Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 4. Diktatur und totalitäres Regime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 5. Verfassungsgerichtliches Naturstaatskönigtum . . . . . . . . . . . . . . . . 423 6. Sozialistische Staatsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 III. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 IV. Gesamtergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

16 Inhaltsverzeichnis 2. Teil



Hans Kelsens Erbe vor der zensorischen Autorität des naturstaatlichen Weltgerichts

430

1. Abschnitt

Der Übergang zum analytischen Formalismus der Reinen Rechtslehre 

434

§ 14 Naturstaatszwecklehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 I. Die Lehren vom universalen bzw. partikularen objektiven Natur­ staatszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 II. Die Lehren vom kollektivistischen bzw. individualistischen subjekti­ ven Naturstaatszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 III. Soziologische Legitimität und normative Idealität . . . . . . . . . . . . . . . 451 § 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 I. Der ökologische Rechtsstaat bei Klaus Bosselmann . . . . . . . . . . . . . 457 II. Der Staat als Naturstaat bei Peter Cornelius Mayer-Tasch . . . . . . . . 459 III. Der ökologische Verfassungsstaat bei Rudolf Steinberg . . . . . . . . . . 461 IV. Der Staat als Umweltstaat bei Michael Kloepfer . . . . . . . . . . . . . . . . 464 V. Der Staat der Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge bei Ivo Appel . . 467 VI. Der Präventionsstaat bei Erhard Denninger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 VII. Der Umweltgestaltungsstaat bei Norbert Wimmer . . . . . . . . . . . . . . . 472 VIII. Der ökologische Gleichgewichtsstaat bei Peter Saladin und Peter Pernthaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 IX. Exkurs: Der Atomstaat als gefräßiger Makroanthropos bei Robert Jungk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 § 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des souveränen umweltstaatlichen Staatskönigtums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 2. Abschnitt

Die äußere Grundnorm

491

§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen in ihrem äußeren Sinnge­ halt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 I. Die Illusion von der Ungebundenheit des pouvoir constituant . . . . . 491 1. Die staatstheoretische Fundierung der Natur als pouvoir naturel im Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 2. Die (natur)rechtliche Bindung des pouvoir constituant . . . . . . . . . 501 II. Der äußere Sinn des vernünftigen Orientierens im Denken bei Im­ manuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

Inhaltsverzeichnis17 III. Die äußere Grundnorm in ihrem die natürlichen Lebensgrundlagen umfassenden Sinngehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 1. Die Funktionen der hypothetischen Grundnorm . . . . . . . . . . . . . . . 525 2. Die hypothetische Grundnorm im wissenschaftlichen Diskurs . . . 532 a) Die Reine Rechtslehre in methodologischer Konfrontation mit der Kritik der praktischen Vernunft von Immanuel Kant . . . . 534 b) Die Grundnorm als ein auf die Sinnlichkeit reziprok bezoge­ ner, reiner Verstandesbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 c) Die Grundnorm  ‒ platonische Hypothese oder Bezug zum aristotelischen Empirismus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 d) Das Verhältnis von juristischer Geltung und bedingender so­ ziologischer Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 IV. Das Wesen des pouvoir naturel als Konventionalgewalt . . . . . . . . . . 585 V. Rechtspositivistische Folgerungen der Natur als Konventionalgewalt im Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 VI. Resümee – die hypothetische Grundnorm als Gottesnorm . . . . . . . . 599 3. Abschnitt

Allgemeine Naturstaatsrechtslehre 

605

§ 18 Demokratie und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 I. Ökologische Legitimation als geltungstheoretisches Abbild eines na­ turstaatlichen Weltprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 II. Das Wesen der Natur aus rechtstheoretischer Sicht (Annex) . . . . . . . 621 III. Repräsentativer Pragmatismus im Lichte einer naturstaatlichen Idea­ lität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 627 IV. Der demokratische Grundsatz der gemäßigten Soziologie als materi­ elles Dogma einer naturstaatlichen Staatsvernunft . . . . . . . . . . . . . . . 641 V. Unmittelbare Demokratieelemente als unterstützende Kraftquelle na­ turstaatlicher Präsenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 § 19 Bundesstaat und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 I. Die Korrelation zwischen Staat und Natur als staatenbündisches Analogon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 655 II. Die unitarische Grundtendenz eines idealistischen Naturstaates . . . . 660 III. Der Ausbau des kooperativen Föderalismus im Sinne eines konven­ tionalen Naturdirigismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 674 § 20 Rechtsstaat und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 I. Die auf Montesquieu zurückgehende Lehre von der Gewaltenteilung im funktionalen Magnetfeld des naturstaatlichen Weltgeistes . . . . . . 682 II. Die naturstaatliche Systemimmanenz des positiven Rechtsnormen­ systems im sicheren Mantel des formellen Rechtsstaates . . . . . . . . . 687 III. Naturstaatliche Konvention als Sinnprinzip der positiven Verfas­ sung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 700

18 Inhaltsverzeichnis IV. Der verwaltungsrechtliche Mikrokosmos als zu flexibilisierende Re­ ferenzebene im Sinne einer risikovorsorgenden und damit naturstaat­ lichen Konvention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706 1. Der unsichere technische Risikohorizont als rechtsstaatlicher In­ novationsappell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 706 2. Der moderne Naturstaat als die Parlamentssouveränität aufwei­ chender Exekutivstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 § 21 Sozialstaat und Naturstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 726 I. Pflichtenethische Deontologie als Abgrenzungskriterium eines Natur­ staates von dem staatsleitenden Prinzip des Sozialstaates . . . . . . . . . 726 II. Die Prinzipien der Elementarität, der Gesamtverantwortung und der Nachweltvorsorge als die fundamentalen Stützpfeiler der Natur­ staatsverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 731 III. Wohlfahrtsstaatliche Übermacht und die Gefahr der autoritären Öko­ diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 § 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 I. Das Verhältnis des Naturstaates zum wirtschaftsstaatlichen Struktur­ prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 II. Der rechtsökologisch akzentuierte Stufenbau der Rechtsordnung . . . 750 III. Die Verantwortung des Staates für die Energieversorgung  ‒ der na­ turstaatliche Energiestaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 § 23 Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 I. Wissenschaftlicher Diskurs im Spiegel moderner Staatssystemvor­ stellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760 II. Die einzelnen Vorschläge im Visier ihres Eignungspotentials . . . . . . 763 III. Das Verfassungsgericht als Hüter des äußeren Sinns – der Rat der 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 § 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 I. Die grundsätzliche Problematik eines naturkatastrophal bedingten Ausnahmezustands aus der Perspektive der Staatstheorie . . . . . . . . . 783 II. Notstandsverfassungen ausgewählter moderner Staaten . . . . . . . . . . . 792 III. Formallogische Derogation und ökologisches Widerstandsrecht . . . . 800 § 25 Schluss  ‒ Ausblick: Äußere Grundnorm und völkerrechtlicher Weltklima­ vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 814 Anhang: Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen – vom 5. Juni 1931 (RGBl. 1931 I, 279 (309 f.))  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 825 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 910

Abkürzungsverzeichnis* a. A. andere Ansicht Abs. Absatz Abt. Abteilung a. E. am Ende AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AgrarR Agrarrecht ALR Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Amtsbl. Amtsblatt Anh. Anhang AöR Archiv des öffentlichen Rechts ARSP Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Art. Artikel AS Allgemeine Staatslehre Aufl. Auflage Bd. Band Begr. Begründer BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen BGS Bundesgrenzschutz BSGE Entscheidungen des Bundessozialgerichts BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerf-Gesetz Bundesverfassungs-Gesetz der Republik Österreich BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht BVerwGE Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts BVR Akten- / Registerzeichen des Bundesverfassungsgerichts bzw. beziehungsweise CO2 Kohlenstoffdioxid *  Abkürzungen im Rahmen von Namens- und Ortsbezeichnungen werden nicht aufgeführt.

20 Abkürzungsverzeichnis DAR

Deutsches Autorecht

ders. derselbe dgl. dergleichen d. h.

das heißt

d. i.

das ist

dies. dieselbe(n) Diss. Dissertation DJZ

Deutsche Juristenzeitung

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DVBl.

Deutsches Verwaltungsblatt

ebd. ebenda ECC

Environment Compensation Charge

EG

Europäische Gemeinschaft

EGBGB

Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch

Einl. Einleitung etc.

et cetera

EU

Europäische Union

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechte Zeitschrift

e. V.

eingetragener Verein

evtl. eventuell FFpG

Preußisches Feld- und Forstpolizeigesetz (1920)

Fn. Fußnote Fs Festschrift G. B.

Giovanni Battista

GBl. Gesetzblatt GG Grundgesetz GS Gesetzsammlung ha Hektar Habil. Habilitation HamBPflG

Baupflegegesetz der Freien und Hansestadt Hamburg (1912)

HamDNG

Denkmal- und Naturschutzgesetz der Freien und Hansestadt Hamburg (1920)

HdDStR

Handbuch des Deutschen Staatsrechts

HdStR

Handbuch des Staatsrechts

HessDG

Hessisches Denkmalschutzgesetz (1902)

HessNG

Hessisches Naturschutzgesetz (1931)

h. M.

herrschende Meinung

Abkürzungsverzeichnis21 Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben IfS

Institut für Staatswissenschaften

insbes. insbesondere i. S.

im Sinne

JA

Juristische Arbeitsblätter

Jan. Januar Jhrg. Jahrgang JoJZG

Journal der Juristischen Zeitgeschichte

JR

Juristische Rundschau

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Woche

JZ Juristen-Zeitung Kap. Kapitel KrV

Kritik der reinen Vernunft (Kant)

LDNG

Denkmal- und Naturschutzgesetz der Freien und Hansestadt Lübeck (1921)

LHG

Lippisches Heimatschutzgesetz (1920)

m. w. N.

mit weiterem Nachweis

Nachdr. Nachdruck NATO

North Atlantic Treaty Organization

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

No. number Nr. Nummer NS nationalsozialistisch NuR

Natur und Recht

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OLDG

Oldenburgisches Denkmalschutzgesetz (1911)

OLG Oberlandesgericht o.ö.P.

ordentlicher öffentlich-rechtlicher Professor

ÖZöR

Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völker­ recht

PIK

Potsdam Institut für Klimafolgenforschung

PrVerwBl.

Preußisches Verwaltungsblatt

RABl. Reichsarbeitsblatt RBl. Regierungsblatt

22 Abkürzungsverzeichnis ReichsVerwBl. u. PrVerwBl.

Reichs- und Preußisches Verwaltungsblatt

RGBl. Reichsgesetzblatt RGSt

Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RL Richtlinie RN Reichsnaturschutzgesetz Rn. Randnummer RR

Reine Rechtslehre

RV

Verfassung des Deutschen Kaiserreichs (1871)

RVerf. Reichsverfassung S. Seite SammGuV

Sammlung der Gesetze und Verordnungen

SJZ

Süddeutsche Juristenzeitschrift

SL Staatslehre sog.

sogenannte / r / n

SP. Spiegelstrich st. Rspr.

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TOP Tagesordnungspunkt Tsd. Tausend u. und u. a.

und andere

u.Ä.

und Ähnlichem

UFZ Umweltforschungszentrum UN

United Nations

unver. unverändert UPR

Umwelt- und Planungsrecht

usw.

und so weiter

v. von v. a.

vor allem

VBlBW.

Verwaltungsblatt Baden-Württemberg

VerfHessGH

Verfassung für das Großherzogtum Hessen (1820)

VGH Verwaltungsgerichtshof vgl. vergleiche vol.

volume (engl.: -bändig)

Vorw. Vorwort VR Volksrepublik

Abkürzungsverzeichnis23 vs. versus VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechts­ lehrer WRV Weimarer Reichsverfassung WTO Welthandelsorganisation z. B. zum Beispiel ZfP Zeitschrift für Politik ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZUR Zeitschrift für Umweltrecht

Hans Kelsen (1881–1973)

Abstract Mit seiner auf einem formal-juristischen Erkenntnisgrundsatz beruhenden Lehre vom Staat als Rechtsordnung erntete Hans Kelsen im wissenschaftli­ chen Diskurs mitunter polemische Kritik. Demnach sei seine Allgemeine Staatslehre aus dem Jahre 1925 Ausdruck einer „Staatslehre ohne Staat“ (Heller). Er beraube die Normen seiner materialen – soziologischen und teleologischen – Gehalte bis hin zu einer sachlichen Entleerung, einem Nullpunkt (Smend). Zudem sei die Grundnorm letztlich nichts anderes als die „Tautologie einer rohen Tatsächlichkeit“ (Carl Schmitt). Vor diesem Hintergrund soll hier eine kurze Passage von Hans Kelsen aus der Allge­ meinen Staatslehre des Jahres 1925 in der Form eines gedanklichen Ab­ stracts vorangestellt werden, um die kongruente Intention dieser Natur­ staatslehre abrisshaft zu charakterisieren: „Indem die Politik als soziale Ethik allererst das Problem aufwirft, ob der Staat überhaupt sein solle, ist ihr die Frage nach Grund und Zweck des Staates gestellt. Und indem sie dann nach dem besten Staate sucht, ergibt sich für sie eine unbe­ grenzte Reihe weiterer Fragen, wie die nach der besten Staatsform (Monarchie oder Republik?), auf deren eine oder andere gelegentlich auch in diesem Zusam­ menhange hingewiesen werden wird. Von welchem Gegenstande immer aber die Frage ausgeht, die Richtung, die ihr die ethisch-politische Theorie als solche gibt, führt letztlich doch immer wieder in jenen subjektiv-metaphysischen Bereich, der bereits früher charakterisiert wurde. Nicht zuletzt darum muss Allgemeine Staatslehre als Wissenschaft aufs schärfste von der Politik getrennt werden. Diese Trennung liegt schon in der hier präzisier­ ten Verschiedenheit der Problemstellung beider. Nicht ob der Staat, nicht warum und wie er sein soll, wie die Politik, sondern was der Staat und wie er ist, fragt die Staatslehre. Politik als Lehre vom besten, vom ‚wahren‘ und ‚richtigen‘ Staat unterscheidet sich von der Allgemeinen Staatslehre als Lehre vom möglichen, der Besonderen Staatslehre als Lehre von einem konkreten, wirklichen Staat, so wie sich die sogenannte Rechtsphilosophie als Lehre vom besten, wahren, richtigen, d. h. gerechten Recht, nach der schon heute üblichen Auffassung, von der allge­ meinen Rechtslehre als der Lehre vom möglichen Recht und der besonderen Rechtslehre als der Lehre vom positiven als einem konkreten Recht unterscheidet. In der deutlichen Scheidung der Staatslehre einerseits von der Politik als sozialer Ethik und Technik, anderseits von der Naturwissenschaft und der naturwissen­ schaftlich orientierten Soziologie wird das Postulat nach Reinheit der Methode verwirklicht. Scheint es aber nicht, dass man in demselben Maße, als man die Staatslehre von der Ethik der Politik abscheidet, sie in den Bereich der Naturwis­ senschaft drängt? Steht nicht der Politik, als der Lehre vom Sollen des Staates,

26 Abstract die Staatslehre als die Lehre vom Sein des Staates gegenüber? Solcher Einwand – er liegt zu sehr an der Oberfläche, um nicht der übliche zu sein! – übersieht, dass das Sein nicht notwendig das Sein der ‚Natur‘ ist, dass ein ‚Sein‘ des Staates denkbar, das eine ganz andere Existenz, Realität oder Wirklichkeit ist, als jene der Natur; dass der Gegensatz von Sein und Sollen kein absoluter, sondern nur ein relativer ist, dass der Staat oder die Rechtsordnung in ihrer Eigengesetzlichkeit der kausalgesetzlichen Natur als Sollen einem Sein gegenübergestellt werden kann und zugleich als ‚wirklicher‘ Staat, als ‚positive‘ Rechtsordnung den bloß subjek­ tiv-ethischen Postulaten einer Politik als Sein – als das Sein des Sollens – entge­ gentritt. Hat man den Staat als Rechtsordnung erkannt, dann enthüllt sich die den bloß ethisch-politischen Postulaten gegenüberstehende ‚Wirklichkeit‘ oder ‚Reali­ tät‘ des Staates als die Positivität des Rechtes. Der ‚wirkliche‘, ‚seiende‘ Staat ist das positive Recht zum Unterschied von der Gerechtigkeit, d. i. der Forderung der Politik. Das Problem der ‚Positivität‘ ist – wie ja bereits früher gezeigt wurde – das Problem der Realität innerhalb der Sphäre normativer Erkenntnis. Und jede Erkenntnissphäre hat ihr spezifisches Realitätsproblem.“1

1  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 44 f. (Hervorhebungen im Original). Quelle: Bild von Hans Kelsen, Österreichische Nationalbibliothek. Copyright Foto: Studio Fayer, Wien.

§ 1 Einführung I. Die naturstaatliche Dogmenbildung im Spiegel ideengeschichtlicher Apperzeption Berge, Wälder, Wiesen, Felder, Täler, Bäume, Meeresküsten, Seen, Flüs­ se, Bäche und grüne Auen. In staatstheoretischer Hinsicht mutet die folgen­ de Rhetorik als banaler Lehrsatz an, epistemologisch ohne einen sich abhe­ benden, suggestiven Aufklärungsgehalt nach dem Muster eines apriorischen Theorems: der moderne Staat steht bzw. erhebt sich auf den natürlichen Lebensgrundlagen, ohne die eine staatliche Gemeinschaftsbildung nicht denkbar erscheint. Im Kontext mit der Lehre von der Entstehung der sich seit der frühen Neuzeit sukzessiv entwickelnden modernen Staatlichkeit1 wird dieser axiomatische Aphorismus schon von Hans Kelsen in methodi­ scher Kongruenz und Stringenz in der folgenden antinomisch gekleideten Formel anschaulich konkretisiert: „Man kann die in der Sphäre kausalge­ setzlich bestimmten Geschehens liegenden Bedingungen für die Entstehung bestimmter Normvorstellungen im Sinne realpsychischer Akte als den realen Unterbau bezeichnen, auf dem sich die Normen und Normsysteme als spe­ zifisch geistige Gehalte, als der Naturgesetzlichkeit des Unterbaus gegen­ über durchaus eigengesetzliche ‚Ideologien‘ wie ein Oberbau erheben. Doch ist dies nur ein – der Terminologie der materialistischen Geschichtsauffas­ sung entlehntes – Bild für das Verhältnis, in dem das System der Natur zu dem des Geistes und sohin das System der Wirklichkeit zu dem des Wertes 1  Grundlegend auch unter Einbeziehung der antiken und mittelalterlichen Staats­ tradition G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 53 ff. / 287 ff. Zur Geschichte des modernen Staates W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 100 ff. / 406 ff.; ders., Ge­ schichte des modernen Staates, München 2010, S. 7 ff. / 32 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 1 ff.; R. Zippelius, Geschichte der Staats­ ideen, München 2003, S. 82 ff.; P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfas­ sungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 1 ff.; T. Fleiner / L. Fleiner, Allgemeine Staatsleh­ re – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 27 / 32 f. / 39; ergänzend J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidel­ berg 1995, § 13 Rn. 1 ff.; weiterhin lesenswert C. Schmitt, Der Staat als ein konkre­ ter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff, in: ders., Verfassungsrechtli­ che Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1958), 4. Aufl., Berlin 2003, S. 375 ff.

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§ 1 Einführung

vorzustellen ist, als dessen Spezialfall dann das Verhältnis Natur und Ge­ sellschaft in Betracht kommt.“2 Daher wiederhole man mit der Einsicht, dass der Boden das dauernde Zusammenleben einer größeren Menschen­ menge ermöglichen müsse, dass also in Eisregionen, in Wüsten u.Ä. kaum Staaten entstehen können, nur die gleich anfangs festgestellte Selbstver­ ständlichkeit.3 Im 21. Jahrhundert besitzt diese triviale Erkenntnis vor dem 2  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 21 (Hervorhebungen im Original; in der Urschrift sind auch die Begriffe „realen Unterbau“ und „Wirklichkeit“ mit Anführungszeichen verse­ hen). Vgl. hierzu auch F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 50. 3  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 22. Im geographischen Sinne wird von Hans Kelsen überdies die Relativität der Verhältnisse betont: „Aber auch der immer wieder be­ tonte Einfluss, den gewisse ‚natürliche‘ Grenzen, wie Gebirge, Meere, Flüsse usw. auf die Gestaltung der sog. Staatsgrenzen üben, ist keineswegs ein solcher, dass er sich in irgendwelchen festen Regeln ausdrücken ließe. (…) Dazu ist der Begriff der ‚natürlichen‘ Grenze ein sehr relativer und auch von dem Stande der jeweiligen Verkehrstechnik abhängig.“ (Hervorhebungen im Original). Siehe dazu auch R. Sieger, Staatsgebiet und Staatsgedanke, Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft Wien, Wien 1919 (62), S. 3 f.: „Wie immer wir über das Wesen des Staates denken, wir vermögen ihn uns nicht ohne Gebiet vorzustellen. (…) Eskimos und Patagonier haben keinen Staat.“ (Hervorhebung im Original). Zur elementaren Funktion des Staatsgebiets unter Berücksichtigung auch der historischen bzw. staatstheoretischen Entwicklung ausführlich D.-E. Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Tübingen 2004, S.  1 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S.  66 f.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 47; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 52 f.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 85 f.; T. Fleiner / L. Fleiner (Fn. 1), S. 50 f. / 376; W. Graf Vitzthum, Staatsgebiet, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grund­ lagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 16 Rn. 1; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2.  Aufl., München 1984, S.  234 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S.  33 f.; G. Wittkämper / W. Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 3 f.; R.  Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 63; vgl. auch H. Krüger (Fn. 1), S. 15 ff. Einen umfassenden Überblick zum Meinungsstand hinsichtlich des vor allem um die Wende zum 20. Jahrhundert geführten Theorienstreits in Bezug auf das Staatsgebiet findet sich bei W. Henrich, Kritik der Gebietstheorien – ein dogma­ tisch-analytischer Beitrag zur staats- und völkerrechtlichen Lehre vom Staatsgebiet und von der Gebietshoheit, Breslau 1926; siehe hierzu auch die Literaturnachweise bei D.-E. Khan, ebd., S. 9 Fn. 32; zu den damals vertretenen Staatsgebietstheorien auch G. Küchenhoff / E. Küchenhoff, ebd., S. 34; H. Buß / W. Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 41 / 43 f. Siehe auch die kultur(rechts)wissenschaftliche Textstufenanalyse in Bezug auf das Staats­ gebiet betreffende Normen in modernen Verfassungen bei P. Häberle, Verfassungs­ lehre als Kulturwissenschaft, Berlin 1998, S. 620 ff., v. a. S. 631 ff., der dem Staats­ gebiet im verfassungstheoretischen Kontext eine kulturintegrativ-programmatische



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wissenschaftlich-rationalen Abbild der unumkehrbaren globalen Erderwär­ mung nun aber eine ganz andere, über die staatsgründungsrelevante Funkti­ onalität der natürlichen Gegebenheiten hinausgehende, elementare Dimensi­ on, die sich reziprok auf die konkrete Konfiguration des modernen Staates auch notwendigerweise auswirken muss. Durch den in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgekommenen ökologischen Diskurs, der sich für die internationale Weltgemeinschaft der Völker4 vor der synthetischen, geistigen Folie eines weiter anwachsenden irreversiblen Ressourcenverbrauchs sowie eines untragbaren Belastungsgrads der medialen Umweltgüter Luft, Wasser und Boden letztlich mit zunehmender Dauer auch öffentlichkeitswirksam präsentierte, kam daher der allgemeine politische Appell auf, dass sich der moderne Staat einer systematischen Umorientierung unterziehen müsse, um der durch die wirtschaftsstaatlichen Expansionstendenzen des auswuchern­ den industriellen Zeitalters indizierten ökologischen Krisensituation gerecht werden zu können.5 In der Allgemeinen Staatslehre ist daher seit geraumer Funktionalität zuweist. Mit Blick auf den umwelt- bzw. naturstaatlichen Diskurs bereits weiter vorausschauend Michael Kloepfer: „Ist in der heutigen Umweltsitua­ tion die klassische Drei-Elemente-Lehre des Staates zu eng geworden? Ein lebens­ fähiger Staat braucht heute mehr als ein Staatsvolk, eine Staatsgewalt und ein Staatsgebiet. Er bedarf einer Umwelt auf und um sein Gebiet, die seine Fortexistenz nicht gefährdet.“ (M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 39; in diesem Sinne auch P. C. Mayer-Tasch, Po­ litische Theorie des Verfassungsstaates, München 1991, S. 147). 4  Siehe hierzu nur A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisie­ rung, München 2001, S. 225 ff. 5  Dazu I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 42 ff. m. w. N. auf S. 43 Fn. 9; K-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S.  182 ff.; J. Hermand, Grüne Utopien in Deutschland. Zur Geschichte des ökologi­ schen Bewusstseins, Frankfurt a. M. 1991, S. 134; T. Adam, Die Verteidigung des Vertrauten, ZfP 1998 (45), 20 (20 / 27 f.); vgl. auch A. Wurzel, Naturschutz in Deutschland – eine Erfolgsstory?, Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landes­ pflege 75, Meckenburg 2003, S. 11; K. Ditt, Naturschutz zwischen Zivilisationskri­ tik, Tourismusförderung und Umweltschutz. USA, England und Deutschland 1860– 1970, in: M.  Frese / M.  Prinz (Hrsg.), Politische Zäsuren und gesellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert – regionale und vergleichende Perspektiven, Paderborn 1996, S. 526 f. / 530 f. In diesem Zusammenhang kann historisch-geophilosophisch auf die Klimatheorie von Johann Gottfried Herder hingewiesen werden, der bereits im 18. Jahrhundert auf die Relevanz der klimatischen Faktoren als Massenwirkun­ gen hinwies, die nicht nur einzelne Individuen, sondern stets ganze Völkergemein­ schaften in ihrem natürlichen Einwirkungsbereich betreffen. Er gab unterdessen auch zu bedenken, dass die zivilisatorischen Ballungsräume künstlich modifizierte Klima­ te erzeugen, die ein mit menschlicher Wärme funktionierendes Treibhaus der Huma­ nität darstellen. Damit nimmt er zumindest indirekt Bezug auf kulturell bedingte

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§ 1 Einführung

Zeit von einer weiteren ideengeschichtlichen Entwicklungsstufe des moder­ nen Staates die Rede, die sich in terminologischer Kontinuität mit dem Begriff des mehr anthropozentrisch ausgerichteten Umweltstaates bzw. des mehr auf ein ökozentrisches Weltbild programmierten Naturstaates skizzie­ ren lässt.6 Der damit verbundene kosmozentrische Kreisel kann dabei wie­ Klimaveränderungen. Siehe hierzu zusammenfassend S. Günzel, Geographie der Aufklärung – Klimapolitik von Montesquieu zu Kant, Aufklärung und Kritik 2004 (2), 66 (73 ff.); G.-L. Fink, Von Winckelmann bis Herder. Die deutsche Klimatheorie in europäischer Perspektive, in: G. Sauder (Hrsg.), Johann Gottfried Herder 1744– 1803, Hamburg 1987, S. 169 ff. 6  Siehe zur Unterscheidung von Umwelt- und Naturstaat P. Pernthaler (Fn. 1), S. 11 f.; vgl. auch G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, Rechtstheorie 1980 (11), 344 (345 f.); M. Kloepfer, Anthropozentrik versus Ökozen­ trik als Verfassungsproblem, in: ders. (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Um­ weltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 2. Zum anthropozentrischen Umweltbzw. kosmozentrischen Naturstaat im staatswissenschaftlichen Diskurs A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, Tübingen 1999, S. 12 Rn. 76; P. Pernthaler, ebd., S.  11 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a.  M. 1998, S. 41 ff. / 379 ff.; R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T. Ellwein / J. Hes­ se (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S. 49; R.  Wahl / I.  Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S. 19 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedura­ les Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, Ba­ den-Baden 1996, S. 66 ff.; ders., Gerechtigkeit und Umweltschutz. Von subjektivrechtlichen Begründungsparadoxien zu kollektivrechtlichen Lösungsansätzen, ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (180); R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Berlin 1982, S. 457 ff.; H. Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimi­ tät, Universitas 1993 (48), 377 (387 f.); M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., Mün­ chen 2004, S. 128; ders., Umweltstaat (Fn. 3), S. 39 ff.; ders., Vom Umweltrecht zum Umweltstaat?, in: U. Steger (Hrsg.), Handbuch des Umweltmanagements – An­ forderungs- und Leistungsprofile von Unternehmen und Gesellschaft, München 1992, S.  45 ff.; M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloep­ fer (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 55 ff.; R. Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, DÖV 1994, 749 (750 ff.); A. Scherzberg, Diskurse über den Umweltstaat, Die Verwaltung 1995, 543 (543 / 552); K. Bosselmann, Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Stand­ ortbestimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 53 ff.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 36 ff.; N. Wimmer, Raumordnung und Umweltschutz: der Umweltgestaltungsstaat – syste­ matische Bezüge und praktische Probleme, in: Verhandlungen des 6. Österreichi­ schen Juristentages, Wien 1976, S. 21 ff.; D. Murswiek, Umweltschutz als Staats­ zweck – Die ökologischen Legitimitätsgrundlagen des Staates, Bonn 1995, S. 31 ff.; I. Appel (Fn. 5), S. 54 f. / 123 ff.; M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 139 ff.; damals noch zwei­ felnd, tendenziell aber die neue Entfaltungsstufe des modernen Staates bejahend



§ 1 Einführung31

derum als eine kopernikanische Wende gelten, die dem menschlichen Sub­ jekt die würdeimmanente, auf ihn zentrierte Vorrangposition belässt, den Fokus nun aber auch auf die originäre Natur projiziert, ohne deren subtile Beachtung ein staatliches Dasein in der Form eines kollektiven Gemeinge­ bildes in Zukunft nicht mehr möglich sein wird.7 Die Allgemeine Staatsleh­ re steht nun vor der typisierenden und formalisierenden Aufgabe, das überdies auch durch die in den letzten Jahrzehnten zunehmenden Machtde­ monstrationen der Naturgewalt8 bedingte, ideell-ökologisch motivierte Ent­ auch J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstverständnis des demokratischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (566 f. / 575); M.  Linke, Demokratische Gesellschaft und ökologischer Sachverstand, St. Gallen 1991, S. 13; W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S. 421  ff.; P. C. Mayer-Tasch (Fn. 3), S.  139 ff.; E. Denninger, Der Präventions-Staat, Kritische Justiz 1988 (21), 1 (1 ff.); D. Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen – das Verhältnis von Art. 14 Abs. 1 und 2 GG zu Art. 20a GG, Berlin u. a. 2008, S. 3 ff.; vgl. auch P. Huber, Zur Renaissance des Staates, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globa­ lisierung, Warszawa 2012, S. 35; H.  Frhr. v. Lersner, Gibt es Eigenrechte der Na­ tur?, NVwZ 1988, S. 988; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt a. M. 1991, S. 168; M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungsund Umweltrecht, Berlin 1995, S. 10 f.; R. Schmidt, DVBl. 1995, 1198 (1198 f.); K.-P. Sommermann (Fn. 5), S. 182 ff. / 194 ff.; A. Uhle, Das Staatsziel „Umwelt­ schutz“ und das Sozialstaatsprinzip im verfassungsrechtlichen Vergleich, JuS 1996, 96 (98 f.); Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zugleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse, Tübin­ gen 2001, S. 96 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister, Die Umweltstaatlichkeit der Bundesre­ publik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwaltungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bremen 2011, S. 6 ff.; I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Ru­ dolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 422 ff.; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgeset­ zes, Stuttgart u. a. 1999, S. 158 ff.; R. Jungk, Der Atomstaat – Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit, Hamburg 1977. 7  H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 6), NVwZ 1988, 988 (990): „Die Anthropozentrik da­ gegen ist durchaus überwindbar, wenn man sie im Sinne eines philosophischen Wörterbuchs als die Anschauung versteht, wonach der Mensch nicht nur Mittelpunkt der Welt, sondern auch Zweck des Weltgeschehens sei.“ Im Schrifttum ist dagegen von einer „ökologischen Wende“ die Rede.; so G. Hartkopf, Es ist Zeit für die ökologische Wende, Umwelt Nr. 69 (1979), 1 (4); vgl. hierzu auch M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung (Fn. 6), S. 22; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 6), S. 26 ff. 8  P. Koller, Die rechtliche Umsetzung ökologischer Forderungen, in: J. Nida-Rü­ melin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Ba­ den-Baden 2002, S. 127; F. Mauch, Die Natur der Katastrophe – ein umwelthistori­ scher Rückblick auf die Hamburger Sturmflut, in: M.  Heßler / H.  Kehrt (Hrsg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962 – Risikobewusstsein und Katastrophenschutz aus zeit-, technik- und umweltgeschichtlicher Perspektive, Göttingen 2014, S. 132 / 143.

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§ 1 Einführung

wicklungsphänomen des modernen Staates einer substantiellen Untersuchung zu unterziehen, um das grundsätzliche Wesen eines Umwelt- bzw. Natur­ staates zu entschlüsseln. Zu diesem Zweck sind die im staatswissenschaft­ lichen Schrifttum schon vorzufindenden deskriptiven Modellentwürfe von ökologisch orientierten Staaten einer systematischen Prüfung auf ihre au­ thentische Wiedergabeeignung genauso wie die herkömmlichen staatstheo­ retischen Erklärungs- und Strukturmuster auf ihr innovatives Aufnahmepo­ tential mit Blick auf eine notwendige Modifikation des modernen Staates bezüglich der umweltbezogenen Herausforderung zu unterwerfen. Die vor­ liegende Dissertation sieht sich deshalb grundsätzlich in der Funktion einer wissenschaftlichen Aufbereitung des umwelt- bzw. naturstaatlichen Diskurs­ materials unter dem schöpferischen Postulat der synthetischen Erkenntniser­ weiterung im Sinne einer eigenen Naturstaatslehre, die in dogmatischer Plausibilität gleichsam einen Beitrag zur Herausbildung einer entsprechen­ den doktrinären Erfassung der neuen staatstheoretischen Thematik leisten möchte. Neben dieser Grundausrichtung liegt der Arbeit aber eine noch tiefgrün­ digere Konzeption zugrunde. Die Diskursethik der deliberativen Demokra­ tie, die auf eine rationale Entscheidungsfindung unter den legitimierenden Bedingungen von interessengerechten und konsensfähigen Verfahrensproze­ deren ausgerichtet ist,9 kann im Rahmen der Debatte um ein auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen programmiertes modernes Staatswesen in ihrer prospektiven Orientierung auch auf Erkenntnisse der geschichtlichen Vergangenheit nicht verzichten, um ein angemessenes Diskursniveau zu erhalten. Mit der konstitutionellen Norm des Art. 150 I WRV enthielt der als interfraktionelles Parteiprogramm bezeichnete Grundrechtskatalog der Weimarer Reichsverfassung10 bereits eine die Naturdenkmäler und die 9  Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S. 108 ff.; vgl. auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 111 f. 10  So wortschöpfend E. Koch, 54. Sitzung der deutschen Nationalversammlung am 11.07.1919, in: E. Heilfron, Die Deutsche Nationalversammlung im Jahre 1919 in ihrer Arbeit für den Aufbau des neuen deutschen Volksstaates, V. Sitzung und folgende – (1921), Bd. VI, Berlin 1921, S. 3664; C. Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: G.  Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 582 f.; F. PoetzschHeffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl., Berlin 1928, S. 394; F. Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl., Berlin 1931, S. 296; A. Buschke, Die Grundrechte der Weimarer Verfassung in der Rechtsprechung des Reichsge­ richts, Berlin 1930, S. 7; W. Eisenlohr, Die juristische Bedeutung programmatischer Bestimmungen in der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Heidelberg 1932, S. 46; W. Pauly, Grundrechtslaboratorium Weimar: zur Entstehung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung vom 14. August 1919, Tübingen 2004, S. 1  ff.; vgl. auch Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 272 ff. Aufbau und Inhalt des Grundrechtskatalogs der Weimarer Reichsverfas­



§ 1 Einführung33

Landschaft unter den Schutz und die Pflege des Staates stellende Vorschrift, die in ihrem positivrechtlichen Gewand angesichts des mit Blick auf die ökologische Krisis11 relativ frühen verfassungspolitischen Durchbruchs viel­ leicht voreilig dem Verdikt eines konstitutionellen Zufallsprodukts unterfällt. Diese widerlegbare Vermutung wird durch den Ansatzpunkt entkräftet, dass es sich bei einer Verfassung um „die höchstrangige normative Aussage über die Grundprinzipien der Herrschafts- und Wertordnung im Staat“12 handelt, weshalb diese insbesondere vor dem gegenwärtigen Diskurs um eine öko­ logische Ausrichtung des modernen Staates immer bedeutsamer werdende, geheimnisvolle Norm womöglich bereits als geistiger Vorbote einer ganz anderen, naturstaatlichen Moderne anzusehen ist, die sich der systemati­ schen Bewahrung der originären Natur widmete. Denn da sich eine poten­ tielle Staatsaufgabe trotz eines plenoptischen Progresses erst langsam in die staatliche Sphäre integriert, was zunächst ein etappenweise vor sich gehen­ des Hineinwachsen in die individuelle bzw. organisierte Gesellschaft als der soziologischen Wirklichkeitswelt der partikularen Interessen voraussetzt,13 sung werden in ideengeschichtlicher Hinsicht gut dargestellt bei K. Beyerle, Die Bedeutung der neuen Reichsverfassung für Volk und Vaterland, Reichszentrale für Heimatdienst, Berlin 1919, S. 11 ff.; ders., Wesen und Entstehung der Grundrechte in der Reichsverfassung von Weimar, in: Deutsche Einheit, deutsche Freiheit, Ge­ denkblatt der Reichsregierung zum 10. Verfassungstag 2. August 1929, Berlin 1929, S.  151 ff. 11  In Anlehnung an den von Hermann Heller (H. Heller, Die Krisis der Staats­ lehre, Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 1925 (55), S. 289) im Kontext mit der damals für die Krise der Staatslehre im Deutschen Reich verwendeten Ter­ minologie; vgl. hierzu auch H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 27 (in Bezug auf die Krisis des Parlamentarismus); D.  Lehnert, Sozialismus und Nation. Hellers Staatsdenken zwischen Einheit und Vielfalt, in: M. Llanque (Hrsg.), Souveräne Demokratie und soziale Homogenität – das politische Denken Hermann Hellers, Baden-Baden 2010, S. 193; vgl. zum Be­ griff der ökologischen Krise auch H. Theisen, Zukunftsvorsorge als Staatsaufgabe, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (121); P. Koller, Die rechtliche Umsetzung ökologischer Forderungen (Fn. 8), S. 127 ff.; G. Stutzin (Fn. 6), Rechts­ theorie 1980 (11), S. 344; explizierend M.  Porsche-Ludwig, Einführung in die All­ gemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 21. 12  So die Definition bei K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts (Fn. 3), S. 78. Zu Entwicklung, Begriff und Bedeutung einer Verfassung auch U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 171 ff.; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S.  42 ff. 13  G. Jellinek, AS (Fn. 1), S. 261. Den symbiotischen Zusammenhang zwischen allgemeinen und partikularen Interessen im Staat bringt Georg Wilhelm Friedrich Hegel (G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.), Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 257) mit den folgenden auch heute noch geltenden Worten zum Ausdruck: „Der Staat ist die Wirklichkeit der konkreten Freiheit; die konkrete Freiheit aber besteht darin, dass die persönliche

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§ 1 Einführung

kann eine verfassungsrechtliche Verankerung einer naturschutzrelevanten Staatszielnorm bereits als gewichtiges Indiz für ein inzwischen anerkanntes öffentliches Anliegen der Allgemeinheit gelten. Bedeutsam ist in diesem verfassungsgeschichtlichen Zusammenhang überdies das unbestreitbare Fak­ tum, dass sich das republikanische Staatsoberhaupt14 des demokratischen Weimarer Verfassungsstaates in der Gestalt des Reichspräsidenten mit einer späten Notverordnung vom 05.06.1931 ausdrücklich auch dem staatlichen Naturschutz zuwandte,15 als dieser sich im regressiven Antlitz der Folgen der Weltwirtschaftskrise16 in der politischen Defensive befand. Demnach muss die ideelle Erkenntnisbedeutung des Naturschutzes für die nationale Einheitsbildung derart von integrativer Kraft gewesen sein, dass sich dies womöglich sogar in einem heilenden Rechtsakt eines Hüters der Verfassung niedergeschlagen hat.17 Allein diese aus staatstheoretischer Sicht noch weit­ Einzelnheit und deren besondere Interessen sowohl ihre vollständige Entwicklung und die Anerkennung ihres Rechts für sich (im Systeme der Familie und der bürger­ lichen Gesellschaft) haben, als sie durch sich selbst in das Interesse des Allgemeinen teils übergehen, teils mit Wissen und Willen dasselbe, und zwar als ihren eigenen substantiellen Geist anerkennen und für dasselbe als ihren Endzweck tätig sind, so dass weder das Allgemeine ohne das besondere Interesse, Wissen und Wollen gelte und vollbracht werde, noch dass die Individuen bloß für das Letztere als Privatper­ sonen leben, und nicht zugleich in und für das Allgemeine wollen und eine dieses Zwecks bewusste Wirksamkeit haben. Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzuführen und so in ihm selbst diese zu erhalten.“ (Her­ vorhebungen einschließlich des Klammerzusatzes im Original). Siehe hierzu auch H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staats­ lehre Hegels, Altenburg 1917, S. 94 ff.; F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäischen Umweltrecht, Berlin 2005, S. 46 ff. 14  Siehe hierzu nur H. Maurer, Staatsrecht I – Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsorgane, 6. Aufl., München 2010, § 15 Rn. 2 ff.; Ch. Gusy (Fn. 10), S. 98 ff. 15  RGBl. 1931, 279 (309 f.). Diese zweite Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05.06.1931 widmete sich unter der Überschrift „Enteignungen auf dem Gebiete des Städtebaues“ im III. Kapitel des der Wohnungswirtschaft gewidmeten sechsten Teils auch dem staatlichen Naturschutz­ gedanken. 16  Zur Weltwirtschaftskrise bzw. auch grundsätzlich zu den schwierigen politi­ schen Rahmenbedingungen im Deutschen Reich Ch. Gusy (Fn. 10), S. 371 ff. / 400 ff. 17  Angesprochen ist hiermit die damals hitzig geführte staatstheoretische Debat­ te um eine Verfassungsgerichtsbarkeit. Der Begriff eines „Hüters der Verfassung“ geht auf Carl Schmitt zurück.; siehe insoweit C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1958), 4. Aufl., Berlin 2003, S.  63 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung, AöR 1929 (55), S. 161; ders., Der Hüter der Verfassung, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1931), 4. Aufl., Berlin 1996; H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Me­ thodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 175



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gehend ungeklärten Fragen unter dem emphatischen Topos von historisch unbestreitbaren Fakten erwecken einen wissenschaftlichen Erkenntniseifer, der vor allem vor dem ideellen Hintergrund einer naturstaatlichen Dogmatik die deutsche Naturschutzgeschichte zu einem bedeutenden Wissensschatz werden lässt. Dies gilt insbesondere dann, wenn wie vorliegend die Aussicht besteht, dass eine historische Analyse der im Deutschen Kaiserreich im vernebelten Schatten der industriell-revolutionär bedingten wirtschaftsstaat­ lichen Expansionstendenzen entstandenen Naturschutzidee18 im Lichte des zeittypischen Selbstverständnisses der nationalen Verfassungsentwicklung und der politisch-sozialen Grundverfassung des unter dem liberalen Zeichen eines emanzipatorischen Parlamentarismus stehenden deutschen Staates zu erheblichen Ergebnissen beiträgt, die nicht zuletzt bereits an die gegenwär­ tige Problematik um eine naturstaatliche Staatsordnung heranführen wer­ den.19 Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Dissertation das Deutsche Reich einer staatstheoretischen Untersuchung auf eine naturstaatliche Syste­ mausrichtung unterzogen, um das hermetische Rätsel um die deutsche Na­ turschutzgeschichte einer wissenschaftlichen Einsicht zuzuführen, wobei die sonstigen ökologischen Anfangsbestrebungen auf deutschem Boden in Be­ zug auf verschmutzte Gewässer bzw. emissionsbedingte Verunreinigungen der Luft außer Betracht bleiben sollen.20 Ausgespart bleibt überdies weitest­ gehend auch die Geschichte des Naturschutzes im Dritten Reich, die nur im Fn. 71; hierzu auch M.  Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Göbel (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, Berlin 1995, S. 168; B. Schlink, Why Carl Schmitt?, Rechtshistorisches Journal 1991 (10), 160 (164). Hans Kelsen (H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin u. a., S. 576) antwortete auf die reichspräsidiale Hüteroption von Carl Schmitt schließlich mit der Konzeption der modernen Verfassungsgerichtsbar­ keit. Zum Ganzen auch K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S.  193 ff. 18  Siehe dazu nur F. Schmoll, Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S.  11 f.; T. Adam (Fn. 5), ZfP 1998 (45), S. 20. 19  Vgl. nur E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionel­ len Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungs­ geschichte (1815–1914), 2. Aufl., Königstein 1981, S. 147; H. H. v. Arnim, Staats­ lehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 15. 20  Siehe zu den sonstigen umweltrelevanten Entwicklungstendenzen um die Wen­ de zum 20. Jahrhundert A. Knaut, Zurück zur Natur. Landschafts- und Heimatschutz im wilhelminischen Zeitalter, Greven 1993, S. 349 ff.; M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, Berlin 1994, S. 50 ff.; ders., Umweltrecht (Fn. 6), S.  73 ff.; F. Schmoll, Erinnerung an die Natur (Fn. 18), S. 71 ff.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten, Frankfurt a. M. 2011, S. 49 ff. / 60 ff.; R. Schröder, Umwelt­ schutzrecht in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Schübe des Umweltbewusstseins und der Umweltrechtsentwicklung, Bonn 1995, S. 60 ff.; vgl. auch H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 6), S. 22 ff.

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Hinblick auf das Reichsnaturschutzgesetz vom 26.06.193521 partiell ange­ schnitten wird. Die Arbeit wird vor dem geschichtlichen Abbild einer um­ risshaften Skizzierung der konkreten Naturschutzsituation neben der natur­ staatlichen Staats- und Verwaltungsorganisation des Deutschen Reichs, der Rechtsdogmatik und -technik der frühen Naturschutzgesetze sowie des sich in diesen objektiven Normen widerspiegelnden Fortschritts des Weltgeistes auch auf die damalige Debatte um das Eigentumsgrundrecht eingehen, ohne die der unter der staatstheoretischen Fragestellung nach einem Hüter der Verfassung diskutierte reichspräsidiale Notverordnungsakt vom 05.06.1931 letztlich unverständlich bliebe, und die gleichsam in das verfassungsdogma­ tisch abgesicherte Aufspüren des auslegungsmethodischen Gedankens eines naturstaatlichen Bundesstaates münden wird.22 Da sich der zivilisatorischreaktionäre Naturschutzgeist ausweislich der konstitutionellen Bestimmung des Art. 150 I WRV, die im Rahmen dieser Dissertation ebenfalls einer eingehenden verfassungsgeschichtlichen Exegese unterzogen wird, zum Zeitpunkt des verfassungspolitischen Diskurses und Konstituierungsprozes­ ses des Deutschen Reichs im Jahre 1919 bereits als Staatsaufgabe etabliert hatte, ist vor der gedanklichen Folie der staatstypusrelevanten Frage nach einem deutschen Sonderweg bzw. einer bloß provisorischen, instabilen Zwi­ schenlage23 vor allem auch der staatlich-gesellschaftliche Systemdualismus des Deutschen Kaiserreichs auf eine Integration der geborenen Naturschut­ zidee in das autoritär-korporativ geprägte Verfassungsgebilde zu beleuchten. Die deutsche Naturschutzgeschichte bringt auf diese Weise schließlich den weltgeistigen Turnus eines sukzessiven Hineinwachsens einer dann natur­ staatlichen Immanenz in die Organisationsstruktur eines modernen Staates hervor, die aber nicht nur als vorreitendes Exempel anzusehen ist, sondern zudem durch einen erhöhten Abstraktionsgrad zu einer naturstaatlichen Staatsformenlehre beitragen wird. Als mit Hans Kelsen der bedeutendste Staatsrechtslehrer des vergangenen Jahrhunderts und Begründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule24 mit 21  RGBl.

I 1935, S. 821. hierzu nur A. Hensel, Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswirkungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (416 ff.). 23  Dieser Diskurs um einen deutschen Sonderweg sieht auf eine lange Tradition zurück; siehe hierzu nur O.  Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutio­ nelle Verfassung (1911), in: ders., Staat und Verfassung, 3. Aufl., Göttingen 1970, S.  359 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 31 ff. / 114 / 288 ff.; ders., Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches – Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, in: G. Maschke (Hrsg.), Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches, Berlin 2011, S.  5 ff.; H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 337 ff. 24  Im staatswissenschaftlichen Schrifttum wird Hans Kelsen oft als der „Jurist des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet; siehe dazu M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und 22  Siehe



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seiner auf einen objektiven Geist gründenden, folienartig idealtypischen Identitätslehre von Staat und Rechtsordnung25 die unter den kritischen Vor­ zeichen des Weimarer Methoden- und Richtungsstreits stehende und sich damit durch eine methodische Diversität auszeichnende Staatswissenschaft auf eine diskursive Bewährungsprobe stellte,26 war der ökologische Prob­ lemhorizont vorbehaltlich etwaiger sonstiger durch diese Arbeit aufzude­ ckender weitergehender Erkenntnisse politisch wie auch wissenschaftlich der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. VIII; J. Kunz, Die defi­ nitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), S. 375; R.  Walter /  C. Jabloner, Hans Kelsen (1881–1973). Leben – Werk –Wirkung, in: M. Lutter u. a. (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 521; N. Leser, Hans Kelsen (1881–1973), in: Neue Österreichische Biographie ab 1815, Bd. 20, Wien 1979, S. 29; P. Römer, Der Staat 1987 (26), S. 592; H. Dreier, Hans Kelsen (1881–1973): „Jurist des Jahrhun­ derts“?, in: H. Heinrichs u. a. (Hrsg.), Deutsche Juristen jüdischer Herkunft, Mün­ chen 1993, S. 731; O.  Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 179; S. L.  Paulson, Ratio Juris 1988 (1), S. 269. Hans Kelsen ist auch der Begründer der Wiener Schule der Rechtstheorie; hierzu nur H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 5; R.  Walter / C.  Jabloner, ebd., S. 522 f. / 536; P. Badura, Die Methoden der neu­ eren Allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 133; Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, Bern u. a. 2009, S. 103; vgl. auch V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (192 / 198); R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre, Wien 1966, S. 3. Zur Wiener Rechtstheoretischen Schule M. Stolleis, Geschichte des öf­ fentlichen Rechts in Deutschland – Weimarer Republik und Nationalsozialismus, München 2002, S. 163 ff.; A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 73 ff.; E. Wiederin, Die Neue Wiener Schule und die Vereinigung der Deutschen Staats­ rechtslehrer, in: M. Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen und die deutsche Staatsrechtsleh­ re – Stationen eines wechselvollen Verhältnisses, Tübingen 2013, S. 85 ff. Zur Re­ zeption der Reinen Rechtslehre in der wissenschaftlichen Welt nur R.  Walter / C.  Jabloner, ebd., S. 536 ff.; M. Jestaedt / O. Lepsius, Einführung Demokratietheorie, ebd., S. VIII. Siehe hierzu auch den Diskussionsbeitrag von Ernst-Wolfgang Böckenförde zum Thema „Hans Kelsen – Präsenz eines Abwesenden“ E.-W. Böckenförde, Diskus­ sionsbeitrag, in: M. Jestaedt (Hrsg.), Hans Kelsen und die deutsche Staatsrechtsleh­ re – Stationen eines wechselvollen Verhältnisses, Tübingen 2013, S. 141 ff. 25  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 13 ff. / 16 ff.; ders., Die Rechtswissenschaft als Normoder als Kulturwissenschaft. Eine methodenkritische Untersuchung (1916), in: M. Jestaedt (Hrsg.), Werke. Veröffentlichte Schriften 1911–1917, Tübingen 2010, S. 584; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 83 f. 26  Zum Methoden- und Richtungsstreit ausführlich M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III: Staats- und Verwaltungsrechtswissen­ schaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, S. 153 ff.; Ch. Gusy (Fn. 10), S. 420 ff.; P.  Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 23 ff.

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noch in den Kinderschuhen, wenngleich die Folgen des imperialistisch un­ termalten, modernen Industriestaates bereits deutlich sichtbar wurden.27 In der Allgemeinen Staatslehre von Hans Kelsen aus dem Jahre 1925 wird das natürliche wie geographische Fundament des modernen Staates bis auf den eingangs erwähnten Rekurs auf den Entstehungskontext staatlicher Gemein­ schaftsbildung nicht berücksichtigt.28 Dies wirft die analytische Fragekons­ tellation auf, ob es sich bei der weitestgehenden Außerachtlassung der ur­ sprünglichen Natur  ‒ hier verstanden als biologisch-physikalischer Kausal­ nexus, der zwar durchaus nach Naturgesetzen kausalgesetzlich beschreibbar, in seinem konkreten Geschehensablauf aber doch unberechenbar ist, weshalb ihm das Wesen einer metaphysisch-naturrechtlichen Schöpfung entspricht  ‒ im Rahmen der staatstheoretischen Konzeption des österreichischen Staats­ rechtslehrers lediglich noch um die zeittypische, geringwertige Empfin­ dungstoleranz gegenüber einer mehr naturalistisch gefärbten, auf die natür­ lichen Bedingungen abstellenden Anschauung des Staatsgebiets, oder aber ob es sich insoweit vielleicht um einen kleinen Geburtsfehler der ansonsten brillanten Staatslehre handelte. Eine weitere Möglichkeit der Divergenz besteht schließlich in dem methodischen Reinheitspostulat, das eine rationa­ le Naturimmanenz im Staat nur im Rahmen einer positivrechtlichen Nor­ mierung gestattet, eine Erkenntnisoption, die aber mit dem Umstand diver­ giert, wonach die natürlichen territorialen Merkmale bereits vor dem initia­ tiv-originären Konstituierungsakt der verfassunggebenden Gewalt vorhanden sind.29 Ist dies vielleicht ein Anzeichen für die methodische Obsoleszenz der Reinen Rechtslehre im naturstaatlichen 21. Jahrhundert? Oder aber hat Hans Kelsen, als er den inneren Sinn des originären politischen Willens 27  Siehe hierzu aus staatstheoretischer Sicht ausdrücklich G. Jellinek, AS (Fn. 1), S.  75 f.; H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 140. Auf den wissenschaftlichen bzw. politischen Rückstand hinsichtlich eines ökologischen Problembewusstseins weisen überdies auch G. Eigner, Naturpflege in Bayern, München 1908, S. 66; K. Guenther, Der Naturschutz, Stuttgart 1919, S. 105; F. Schmoll (Fn. 18), S. 13 f.; R. Schröder (Fn. 20), S. 55 ff. hin. Ein Zitat von Gottfried Eigner verdeutlicht dies: „Der Mensch ändert nicht ungestraft den Gleichgewichtszustand der Natur, wie er sich im tausendjährigen gegenseitigen Kampfe der Geschlechter, Gattungen, Arten und Individuen der Tier- und Pflanzenwelt herausgebildet hat. Wenn in neuerer Zeit da und dort Schädlinge in einer Menge auftreten, dass es Katastrophen gleichkommt, mögen sie Nonne oder Kiefernspinner, Maikäfer, Rebenstecher oder Peronospora heißen, dann sollte man nicht bloß den nächstliegenden Ursachen des Überhandneh­ mens der Schädlinge nachforschen, sondern auch überlegen, ob nicht die Katastro­ phe überhaupt eine notwendige Folgeerscheinung unserer ganzen Kulturarbeit ist.“ (G. Eigner, ebd.). 28  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 2), Inhaltsverzeichnis. 29  Hierzu bereits deutlich der große französische Staatstheoretiker Montesquieu Ch.-L.  de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, ins Deutsche übersetzt von K. Weigand, Stuttgart 2011, S. 269.



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einer Autorität in der hypothetischen Grundnorm verortete,30 möglicherwei­ se unbewusst, da der damals vorherrschenden erkenntnistheoretischen Ein­ grenzung des Diskurskosmos entsprechend, einen wesentlichen Baustein, ein elementares Kernelement des modernen Staates, schlicht übersehen? Die kausalgesetzlich bestimmte, reale Wirklichkeitswelt der physisch-biologi­ schen Natur zeichnet sich durch eine ursprüngliche naturrechtliche Determi­ nation aus, die sich gegenüber der strengen Reinheitslehre als ein kontra­ diktorisches Gegenteil entpuppt. Denn das Naturrecht besteht aus „Normen, die nicht wie jene des positiven Rechts gelten, weil sie von einer bestimm­ ten menschlichen Autorität gesetzt sind, sondern weil sie ihrem inneren Gehalte nach gut, richtig oder gerecht sind. Der Unterschied zwischen Na­ turrecht und positivem Recht ist somit ein Unterschied des Geltungsgrundes oder – was dasselbe ist – des Geltungsprinzips, das im Falle des Naturrech­ tes ein materielles, im Falle des positiven Rechtes ein formelles ist.“31 In anderem Zusammenhang macht Hans Kelsen dann schließlich noch darauf aufmerksam, dass der Staat niemals mit einem seiner faktischen Elemente, also auch nicht mit seinem Staatsgebiet identisch sein kann,32 die natürli­ 30  Auf die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen wird im Rahmen dieser Dissertation umfassend eingegangen. Hier soll daher zunächst der Verweis auf die historische Entwicklung der Grundnorm des Begründers der Wiener Rechtstheoreti­ schen Schule genügen; siehe hierzu R. Walter, Entstehung und Entwicklung des Gedankens der Grundnorm, in: ders. (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 47  ff.; S. L.  Paulson, Die unterschiedlichen Formulierungen der Grundnorm, in: A. Aarnio u. a. (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirklichkeit, Berlin 1993, S.  53 ff. 31  H. Kelsen, Naturrecht und positives Recht, in: H.  Klecatsky / R.  Mar­ cic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S. 177: „Wenn dieses Verhältnis im Folgenden untersucht wird, so soll dabei das Naturrecht als ein System von Normen vorausgesetzt werden, die – zum Unterschied von denen des positiven Rechtes – nicht ‚künstlich‘, durch menschliche Tat, ‚ge­ setzt‘, sondern ‚natürlich‘ gegeben sind, weil sie aus der Natur, aus Gott, aus der Vernunft oder aus einem ähnlichen objektiven Prinzipe sich ergeben.“ (sämtliche Hervorhebungen im Text wie auch in der Fußnote im Original). 32  Siehe hierzu H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, S 100 Fn. 1; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922, S. 84  f.; J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 176 ff.; vgl. auch M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 32. „Die Körperlichkeit bei den (…) ‚Elementen‘ hätte die Körperlichkeit des Staats­ ganzen zur Folge. Auch müsste das Raumelement nicht – wie dies seltsamerweise geschieht – zweidimensional als Fläche, sondern dreidimensional – etwa als ein im Erdmittelpunkt mündender Kegel (ohne feste Grenzen gegen den Weltraum zu) vorgestellt werden, sofern man den Raum des Staates nicht mit dem Raum identi­ fizieren wollte, den die einzelnen Menschen des ‚Volkes‘ gerade einnehmen, son­ dern darunter den Herrschaftsbereich des Staates versteht. Dieser aber ist doch offenbar auch im Sinne der herrschenden Lehre nicht der Raum, innerhalb dessen

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chen Lebensgrundlagen damit nicht ausschließlich im Reich des objektiven Geistes gedacht werden können. Liegt darin eine methodisch logische Ab­ sage gegenüber einer überbewerteten Naturalisierung des Territoriums, oder steckt darin vielleicht eine besondere Grunderkenntnis, der im naturstaatli­ chen 21. Jahrhundert eine noch viel tiefere Wahrheit zu entnehmen ist? Die Antwort auf die scheinbare Disharmonie zwischen der Reinen Rechtslehre und den natürlichen Lebensgrundlagen ist dann letzten Endes die Grund­ norm in ihrem äußeren Sinn als transzendentallogischem Ausdruck eines staatenbündischen Weltprinzips mit der Natur, die gleichsam auch die gel­ tungstheoretische Grundlage für einen völkerrechtlichen Weltklimavertrag hergibt. II. Aufbau der Naturstaatslehre Der Aufbau der vorliegenden Abhandlung folgt einer linearen Struktur, die trotz ihrer antagonistischen Systematik aus historischen und gegenwär­ tigen Elementen zu einer einheitlichen Erkenntnis im Sinne einer auf einen objektiven Geist gegründeten und damit idealtypischen Naturstaatslehre beiträgt. Die zielorientierte Programmierung wird durch das metaphysische Moment eines naturzentristischen Rekurses auf der gedanklichen Basis der „Prinzipien einer neue Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völ­ ker“ des italienischen Rhetoriklehrers Giovanni Battista Vico erreicht, des­ sen universales weltgeistähnliches Denkgesetz der Geschichte als regulative Idee für eine naturstaatliche Orientierung des modernen Staates nutzbar gemacht wird (§ 2). Im unmittelbaren Anschluss daran wird an einem na­ turstaatlichen Sinnkontinuum gearbeitet, indem zunächst in die Historie des Naturschutzes im deutschen Konstitutionalismus eingetaucht wird, um den naturstaatlichen Volksgeist dieses nationalstaatlichen Zeitalters nach univer­ salen Elementen zu untersuchen. Diese Analyse des frühen Naturschutzgeis­ tes erfolgt insoweit in einer zweifachen Aufbereitung, indem einerseits unter dem Dach eines allgemeinen Abschnitts in der Form einer systematischen Nutzbarmachung von bedeutenden Staatslehren aus dem insoweit als wis­ senschaftliche Königszeit zu bezeichnenden Frühstadium des 20. Jahrhun­ derts bereits auf die naturstaatliche Thematik ausgerichtete Erkenntnisse gesammelt werden (§ 3), die andererseits als staatstheoretische Grundlegun­ gen für eine verfassungsgeschichtliche Untersuchung der geborenen Natur­ schutzidee im Deutschen Kaiserreich bzw. im Deutschen Reich im Sinne Herrschaftsakte des Staates faktisch möglich sind; sondern es ist der Geltungsbereich der staatlichen Ordnung. Damit ist aber der Raum, d. h. das Wo der Geltung als ein Inhaltsbestandteil der staatlichen Sollordnung aufgezeigt.“ (H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, ebd., S. 85; Hervorhebungen im Original).



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eines besonderen Abschnitts verwendet werden, um die ideengeschichtliche, objektive Gesetzlichkeit der Entfaltung eines modernen Staates zum Natur­ staat nach dem Muster eines überragenden Regulativs zum unmittelbaren Bewusstsein zu bringen. Der erste Teil zum Deutschen Kaiserreich folgt dabei der Darstellungslogik der systematischen Nachzeichnung der frühen Integrationserfolge der neugeborenen Naturschutzidee in die staatliche Sphäre, wobei dies zunächst eine Konkretisierung der gesellschaftlichen Naturschutzströmungen nach dem System eines in eine Mikro-, Meso- und Makroebene unterteilten Erklärungsmodells voraussetzt, während sich dann der zweite Teil zum Deutschen Reich in einer umfassenden Konformitäts­ prüfung der normativen und realen naturstaatlichen Verfassung mit einer abschließenden synthetischen Erörterung in dem staatstheoretischen Format einer wissenschaftlichen Entschlüsselung der reichspräsidialen Notverord­ nung vom 05.06.1931 als erstem Akt eines demokratisch legitimierten Hü­ ters der Verfassung auf dem neuen naturstaatlichen Interessengebiet erschöpft (§§ 4‒6). Vor der geschichtlich-ideellen Folie eines objektiven, weltgeistigmetamorphischen Fortschrittsglaubens, wonach die Herausbildung zum äu­ ßerlich allgemeinen Weltgeist „in der Zeit und im Dasein und damit als Geschichte ist, (…) deren einzelne Momente und Stufen die Völkergeister (sind) (…), (so dass) jeder (Staat) als einzelner und natürlicher in einer qualitativen Bestimmtheit (…) nur Eine Stufe auszufüllen und nur Ein Ge­ schäft der ganzen Tat zu vollbringen bestimmt (ist)“33, wird dann auf die gegenwärtige staatstheoretische Wissenschaftsebene übergeleitet, auf der dann nach einer vorgelagerten Erarbeitung und Auswertung einer verschie­ dene Legitimitätselemente verknüpfenden, (staatsauf)bauelementaren Natur­ staatszwecklehre bzw. von im Rahmen des heutigen akademischen staats­ wissenschaftlichen Diskurses repräsentierten Umweltstaatstheorien, d. h. auf dem staatstheoretischen bzw. staatsphilosophischen Fundament des heutigen umwelt- bzw. naturstaatlichen Gesprächsangebots und -materials, das bereits mit einem fortschrittlicheren, bereits selektivere und differenziertere Anfor­ derungen an eine ökologische Staatskonfiguration stellenden Naturgeist durchsetzt ist und insoweit weitere universale Kernelemente zur Geltung bringen kann, eine methodisch und dogmatisch saubere Modifizierung der Allgemeinen Staats(rechts)lehre von Hans Kelsen eingeleitet wird, bei der letztlich eine transzendentallogisch deduzierte Hypothese der Grundnorm in ihrem nunmehr auch die natürlichen Lebensgrundlagen mit umfassenden, äußeren Sinn im Fokus der Betrachtung steht. Die Dissertation trägt auf diese Art zu einer neuen verfassungsdogmatischen Hermeneutik im Sinne eines konventionalen Naturbeachtensbefehls bei, der die immanente Präsenz 33  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund­ risse – (1830), Philosophische Bibliothek, Bd. 33, Nachdruck der 3. Aufl., Hamburg 1991, S. 426; H. Trescher (Fn. 13), S. 84 ff. / 94 f.

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der Naturgewalt innerhalb des modernen Staates ohne Nivellierung der Grundpfeiler einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung stets zur – im wahrsten äquivoken, da auch rechtstheoretischen Sinne des Wortes – Gel­ tung bringt (§§ 7‒10).34 Zum Abschluss wird die so entstandene, von unnö­ tigem materiellem Ballast befreite, ge„reinigte“ und damit nun analytischformal vorgezeichnete Naturstaatslehre anhand einer gegenüberstellenden Austarierung mit sonstigen staatsleitenden Prinzipien veranschaulicht, wobei auch die Frage eines Hüters der naturstaatlichen Verfassung bzw. des natur­ katastrophlen Ausnahmezustandes berücksichtigt werden (§ 11), bevor dann der naturstaatliche Weltgeist des 21. Jahrhunderts in der rationalen Gestalt eines politischen Appells zu einem grundsätzlich gebotenen, auf dem völ­ kerrechtlichen Konsensprinzip beruhenden Weltklimavertrag anmahnt.35 Denn – dies soll hier sowohl in der einzelstaatlichen wie auch der völker­ rechtlich-weltstaatlichen Perspektive gelten  ‒ „als beschränkter Geist ist (…) (die) Selbständigkeit (eines bestimmten Volksgeistes) ein Untergeord­ netes; er geht in die allgemeine Weltgeschichte über, deren Begebenheiten die Dialektik der besonderen Völkergeister, das Weltgericht, darstellt“36 (§ 12). 34  Damit ist die Frage nach dem Geltungsgrund des positiven Rechts aufgewor­ fen. Siehe hierzu vorerst nur H. Kelsen, Vom Geltungsgrund des Rechts, in: H. Kle­ catsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1159 ff. Zu den verschiedenen Methoden der Verfassungsinter­ pretation grundsätzlich E.-W. Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpreta­ tion – Bestandsaufnahme und Kritik, in: ders., Wissenschaft, Politik, Verfassungsge­ richt – Aufsätze, Berlin 2011, S. 120 ff. 35  Zum Zusammenhang von Volksgeist, Weltgeist und objektiver Weltanschauung H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Nach­ druck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 316 ff.; M. Haase, Grundnorm – Gemein­ wille – Geist, Tübingen 2004, S. 24. 36  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie (Fn. 33), S. 426. Bereits an dieser Stelle ist da­ rauf hinzuweisen, dass sich Georg Wilhelm Friedrich Hegel mit der Betonung des staatlichen Souveränitätsdogmas eher gegen eine objektive Weltstaatsordnung der Völker ausgesprochen hat; siehe dazu bereits kritisch H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 35), S. 316 ff.; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, Berlin 2007, S. 219 / 282 ff.; U. Thiele, Von der Volkssouveränität zum Völker(staats)recht. Kant – Hegel – Kelsen: Stationen einer Debatte, in: O. Eberl (Hrsg.), Transnationa­ lisierung der Volkssouveränität, Stuttgart 2011, S. 181 ff.; H.  Ottmann, Die Weltge­ schichte (§§ 341–360), in: L. Siep (Hrsg.), G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philo­ sophie des Rechts, 3. Aufl., Berlin 2014, S. 268 ff.; vgl. dazu auch M. Haase (Fn. 35), S. 24. Aus diesem Grund ist die verwendete Bezeichnung des Weltgerichts lediglich im übertragenen Sinne als national- bzw. weltklimapolitische Konferenz angedacht. Es ist auch zu erwähnen, dass Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Entfaltung des absoluten Weltgeistes von den geographischen Bedingungen abhängig gemacht hat. Demnach besitzen bestimmte Staaten bessere, andere dagegen schlechtere Bedingun­ gen, um zu der Entwicklung des objektiven Weltgeistes beizutragen. Dieser Gedan­ ke besitzt auch heute noch seine Gültigkeit. Denn in den Entwicklungsländern ist



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III. Kombinierte Methode im Lichte eines naturzentristischen Weltbildes Die Komplexität der thematischen Aufbereitung der vorliegenden Disser­ tation ergibt sich mitunter aus einem kombinierten Methodenansatz, der sich in der symbiotischen Nutzbarmachung der historischen und empirisch-wis­ senschaftlichen Methode darstellt, um auf diesem kompetenzträchtigen Fundament ein differenziert-integratives Analysepapier des umwelt- bzw. naturstaatlichen Phänomens zu erhalten, das letztlich zu einer methodenge­ treuen Fortentwicklung37 der dem Reinheitspostulat entsprechenden Kon­ zeption einer durch explizierende Oberbegriffe gekennzeichneten Allgemei­ nen Staats(rechts)lehre von Hans Kelsen führen wird. Die darin notwendi­ gerweise zum Ausdruck kommende epistemologisch unbändige Verfahrens­ strategie sieht sich damit in der Rolle einer bedingenden Funktionalität für eine wissenschaftliche Odyssee, die den interpretierenden Leser auf den Gipfel der rationalen Erkenntnis führen möchte, „von dem aus Theorie, Dogmatik, Geschichte und moderne Sozialwissenschaften gleichermaßen beobachtet und zusammengeführt werden können, ohne die Eigenständigkeit jeder dieser Betrachtungsweisen zu negieren und verbreiteten Konfusions­ bestrebungen anheimzufallen.“38 Zu diesem Zweck bedient sich diese Na­ aufgrund der geographischen Rahmenbedingungen eine Herausbildung eines staats­ leitenden Prinzips der Naturstaatlichkeit ungemein problembehafteter. Siehe zur philosophischen Geographie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1961, S. 137 ff.; H. Trescher (Fn. 13), S. 77 ff.; S. Günzel, Philosophische Geographien Nietzsche und He­ gel, in: A. Arndt (Hrsg.), Phänomenologie des Geistes, Bd. II, Berlin 2002, S. 294 ff. 37  Vgl. J. Kunz (Fn. 24), ÖZöR 1961 (11), 375 (377). Die hier anvisierte Fortent­ wicklung ist in dem doppelten Sinne des Wortes zu verstehen, wie es auch dem Wortspiel von Johannes Masing (J. Masing, Grundstrukturen eines Regulierungsver­ waltungsrechts – Regulierung netzbezogener Märkte am Beispiel Bahn, Post, Tele­ kommunikation und Strom, Die Verwaltung 2003 (36), 1 (32)) im Zusammenhang mit der Typisierung des Netzregulierungsverwaltungsrechts zugrunde liegt: „Das Regulierungsverwaltungsrecht ist insoweit eine ‚Fort‘entwicklung in dem doppelten Sinne des Wortes: Es entwickelt das Ordnungsrecht weiter und von seinem Aus­ gangspunkt aber zugleich auch weg.“ 38  So A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 6), S. 13 f. unter explizitem Rekurs auf das von Georg Jellinek seiner Allgemeinen Staatslehre zugrunde gelegte Methodenverständnis, das von Michael Stolleis (M. Stolleis, Geschichte des öffent­ lichen Rechts, Bd. II: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, München 1992, S. 453) metaphorisch folgendermaßen beschrieben wurde: Georg Jellinek „bewältigte das umfangreiche Darstellungsprogramm seiner Allgemeinen Staatslehre in einem Zuge, in einer gleichmäßigen und konzentrierten Tonlage, gleichsam von einem Feldherrnhügel aus, von dem er die historische Entwicklung der Staaten genauso überblicken konnte wie die der Staatstheorie. Historie, Ideenge­ schichte, Rechtsvergleichung und Dogmatik waren hier auf eine Weise integriert, die

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turstaatslehre zunächst des geschichtsphilosophisch gefärbten Denkaktes eines universalen Weltgesetzes der Geschichte des italienischen Rhetorikleh­ rers Giovanni Battista Vico, um die naturzentristische Perspektive zu bemer­ ken, der sich die Allgemeine Staatslehre im durch die ökologische Krise programmierten, naturstaatlichen 21. Jahrhundert nun stellen muss. Auf der Basis dieser transzendentalen und richtungweisenden, da gemeinsinnbezoge­ nen Dialogskraft werden dann entsprechend der (verfassungs-)geschichts­ wissenschaftlichen Methode39 durch eine aus dem Blickwinkel eines neut­ ralen Beobachters vorzunehmende Untersuchung der naturstaatlichen Ent­ faltungstendenzen im deutschen Konstitutionalismus Erkenntnisse mit uni­ versaler Geltungsprognose gewonnen, wobei dies auf dem gedanklichen Gerüst von verschiedenen Naturstaatsbegriffen erfolgt, die auf dem zeitty­ pischen Erkenntnisschatz von bedeutenden Staatstheoretikern aufbauen und in ihrer bestimmten, originär identitären Ausgestaltung die methodische Diversität und Unentschiedenheit der damaligen Staats(rechts)lehre aufsau­ gen.40 In diesem Sinne einer umfangreichen Expertise entsteht letztlich ein historischer Wissensbrunnen, der den Staatstypus des Naturstaates unter theoretischen Erklärungsmustern, d.  h. dualistisch-symbiotisch, naturalis­ tisch-materialistisch, geistig, dezisionistisch, normativ sowie soziologisch erklärbar macht, so dass unter Beachtung des der Lehre von der zeitbeding­ ten Authentizität der Geschichte geschuldeten und demnach der historischen Erkenntnismethode grundsätzlich immanenten Kriteriums der epistemologi­ schen Relativität41 auf die gegenwärtige, methodisch empirisch-wissen­ schaftliche Diskursebene hinsichtlich einer umwelt- bzw. naturstaatlichen Dogmatik übergegangen wird, um in der Gestalt einer heilsamen Symbiose eine Naturstaatslehre zu erbringen, die dem sachgerechten Anspruch auf eine Überwindung der parallelweltlichen Inkongruenz gerecht werden kann. Damit entsteht insgesamt die Atmosphäre einer staatstheoretischen Metho­ allgemeine Bewunderung hervorrief und sofort zu Übersetzungen führte.“ Eine gute Beschreibung der Methodik von Georg Jellinek findet sich bei dem Staatsrechtsleh­ rer selbst in G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tü­ bingen 1905, S. 13 ff. (Symphonie-Beispiel auf S. 14 f.). Siehe ergänzend zum diffe­ renziert-integrativen Methodenansatz von Georg Jellinek auch noch E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 242 / 253; O.  Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung, München 1994, S. 156 ff. 39  Zur geschichtswissenschaftlichen Methode K. Brunner, Einführung in den Um­ gang mit Geschichte, 4. Aufl., Wien 2004, S. 53 ff. Siehe zur (rechts)historischen Schule bzw. Methode H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 35), S. 90 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 24), S. 124 ff. 40  Siehe hierzu bereits (Fn. 26). 41  W. Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung (1961), in: H. Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, Darmstadt 1969, S. 286 f.; T.  S. Hoffmann, Philosophie in Italien, Wiesbaden 2007, S.  363 f.



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dik, die auf der synthetischen Basis der durch eine Anwendung der histori­ schen Methode gewonnenen Erkenntnisse unter dem weltgeistigen Natur­ zentrismus differenziert-integrativ zu einer methodisch sauberen Ergänzung der dem strengen Reinheitsethos verpflichteten Staatslehre von Hans Kelsen beitragen kann. Der Naturstaatslehre liegt dabei eine gestufte Struktur zu­ grunde, die sich gemäß des Entwicklungsgangs der einzelnen Völkergeister zu einem universalen Weltgeist in einer zunehmenden Tendenz vom Kon­ kreten zum Abstrakten zeigt, was schließlich in einen analytischen Forma­ lismus münden wird, wie er für die meisten Werke von Hans Kelsen be­ zeichnend ist. Dadurch erhält diese Naturstaatslehre im Endergebnis den Charakter einer Allgemeinen Staatsrechtslehre, die das Wesen des Natur­ staates universal und damit für sämtliche modernen Staaten der Welt erklär­ bar macht.42 Die hier gewählte Methode genießt neben einem umfassenden umweltgeschichtlichen Einblick und einer auch heute noch ohne weiteres brauchbaren Nutzbarmachung von staatstheoretischem Gedankengut aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gleichsam den Vorzug, dass sie damit gerade auch die Zeit berücksichtigt, die für die bedeutenden Anfangswerke des Begründers der Wiener Rechtstheoretischen Schule maßgeblich war, ohne dass hierbei aber spätere Änderungen im Werk von Hans Kelsen bzw. das in seinen Schriften immanent mit angelegte Innovationspotential für gegenwärtige Fragestellungen vernachlässigt werden. Dies führt dann auch bereits im historischen Teil dieser Naturstaatslehre zur Illustration von uni­ versal zu verstehenden Gedanken Hans Kelsens, die sich mitunter an der Überlegenheit der normativen Methode unter Zugrundelegung eines objek­ tiven Geistes, der österreichischen Lösung einer konzentrierten Verfassungs­ 42  Siehe hierzu F. Koja, AS (Fn. 2), S. 11 f.: „Diesem Staatsbegriff der Reinen Rechtslehre wurde vorgeworfen, dass er wertneutral sei; auf Qualität, Ursprung, Legitimitätsgrundlage eines Staates, auf die Gerechtigkeit seiner Rechtsordnung etc. könne damit nicht eingegangen werden. (…) Wahr ist, dass ein derart ‚formaler‘ Staatsbegriff nicht die Möglichkeit bietet, bestimmten Gebilden (Rechtsordnungen), welche die erwähnten Staatselemente (Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt) aufweisen und im Großen und Ganzen effektiv sind, aus politisch-ethischen Gründen den Staatscharakter abzusprechen. Darin kommt aber nur der positivistische Grund­ satz der möglichsten Wertneutralität (aber auch Fruchtbarkeit der wissenschaftlichen Begriffsbildung) zum Ausdruck, sowie das Bemühen, alle Phänomene, die gemein­ same Merkmale aufweisen, unter einem Begriff zusammenzufassen. Es wäre un­ zweckmäßig, Rechtsordnungen, die über die typischen Elemente eines Staates ver­ fügen und im Großen und Ganzen wirksam sind, die Staatsqualität vorzuenthalten und sie aus der wissenschaftlichen Behandlung auszuschließen. (…) Immer, (auch im Rahmen einer näheren Typisierung innerhalb des formalen Staatsbegriffs) kommt es darauf an, dass ein Kriterium nach seiner Beschaffenheit universal ist und kon­ sequent durchgehalten wird, sowie dass subjektive Wertungen, die nicht allgemein nachvollziehbar sind, unterbleiben.“ (Hervorhebungen bis auf die Aufzählung der Staatselemente bzw. des Hinweises in Bezug auf eine nähere Typisierung sämtlich im Original).

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gerichtsbarkeit und den Erzeugungsmethoden im Sinne einer Staatsformen­ lehre aufzeigen lassen. Die dogmatische Spezifikation ergibt sich indessen hauptsächlich aus einer sinnvollen Modifizierung der nach dem in der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant entwickelten Deduktionsver­ fahren von reinen Verstandeskategorien43 abgeleiteten Denkkategorie der Grundnorm, die als das hypothetische Abbild einer „Koinzidenz von Nor­ mativität und Positivität des Rechts“44 der systemgetreuen Erweiterung im Sinne der Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen unterworfen wird. Das methodische Grundanliegen der Arbeit wird deshalb um eine durch das grundnormative Ausgangsvehikel der normativen Staatstheorie von Hans Kelsen indizierte Exkursion in die kantische Transzendentalphilosophie zu­ nächst ergänzt, bevor sich dann schließlich der naturstaatliche Weltgeist unter der ursprünglich anvisierten Methode zu einer prospektiven Synthese im Sinne einer Allgemeinen Naturstaatsrechtslehre offenbaren kann.

43  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  25), S.  57 ff. 44  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 25), S. 42.

§ 2 Giovanni Battista Vico – La scienza nuova (1744)1 I. Das allegorische Bild als abstrakte Verkörperung der Weltgeschichte In seiner Scienza nuova aus dem Jahre 1744 stellt Giambattista Vico seiner „neuen kritischen Kunst“2 ein allegorisches Bild voran, um dem Leser einen anderen epistemologischen Horizont zu bereiten. Es ist der Versuch einer perspektivischen Abkehr von der neueren Rationalität im cartesianischen Sinne, indem vermittelt durch die künstlerische Sprache nicht nur der Ver­ stand, sondern auch die Phantasie des Lesers angeregt wird.3 Das Bild zeigt 1  Zum Einfluss von Hans Kelsen auf die italienische Staatstheorie H. Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wien u. a. 1905; A. Merlino, Kelsen im Spiegel der italienischen Rechtslehre – Storia di Kelsen; la recezione della Reine Rechtsleh­ re in Italia, Frankfurt a. M. 2013. Mit der im Text verwendeten Kurzform „La sci­ enza nuova“ ist die dritte und endgültige Fassung des Werkes von Giovanni Battis­ ta Vico mit dem vollständigen Titel „Principi di una scienza nuova d’intorno alla commune natura delle nazioni“ (auf Deutsch: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker) aus dem Jahre 1744 gemeint, die der fol­ genden Darstellung ausschließlich zugrunde liegt. Dies sei an dieser Stelle betont, da es noch zwei frühere Ausgaben der Scienza nuova aus den Jahren 1725 und 1730 gibt (vgl. insoweit L. Amoroso, Erläuternde Einführung in Vicos Neue Wissenschaft, Würzburg 2006, S. 15 ff.; P. König, Giambattista Vico, München 2005, S. 28 ff.), die hier nicht berücksichtigt werden. Im Folgenden wird zudem der Vorname Giovanni Battista durch die geläufigere Koseform Giambattista ersetzt. In staatstheoretischer Hinsicht weist schließlich auch Peter Badura (P. Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), Goldbach 1998, Einleitung S. VIII) auf die hervorzuhebende Bedeutung dieses italienischen Rhetoriklehrers für die Entwicklung der modernen Staatlichkeit hin. Demnach sei der Staat die gebiets­ bezogen definierte politische Organisation einer Gesellschaft in der Gestalt eines rechtlich geordneten Herrschaftsverbandes, der letztlich in seinen vielfältigen Ver­ körperungen von Land zu Land und von Volk zu Volk konkret nur in seiner Ge­ schichtlichkeit sei. Die Scienza nuova von Giambattista Vico stehe deshalb am Be­ ginn einer stets vertieften Einsicht in den neuzeitlichen Weg des Staates. 2  G. Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, ins Deutsche übersetzt von V.  Hösle / Ch. Jermann, Sonderausgabe aus der Reihe „Philosophische Bibliothek“, Hamburg 2009, S. 7. Dieser Textausgabe liegt die dritte und endgültige Fassung der Scienza nuova aus dem Jahre 1744 zugrunde. 3  G. Vico (Fn. 2), S. 3; L.  Amoroso (Fn. 1), S. 24; W. Wehle, Auf der Höhe einer abgründigen Vernunft. Giambattista Vicos Epos einer „Neuen Wissenschaft“, in: R. Galle (Hrsg.), Aufklärung, München 2007, S. 150 f.; T.  S. Hoffmann, Philosophie in Italien, Wiesbaden 2007, S. 359 ff. Giambattista Vico leitet sein Werk mit einer Betonung der Phantasie des Lesers ein: „(…) so zeigen wir hier eine Tafel der po­

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eine Frau mit geflügelten Schläfen, die auf einer Weltkugel steht und ihren Blick auf ein Gott symbolisierendes, leuchtendes Dreieck, das in sich ein schauendes Auge enthält, richtet. Ihr Name ist die Metaphysik, die in ihrer ekstatischen Haltung zum Himmel die göttliche Vorsehung erfährt. Die Welt­ kugel, die als das Symbol der physischen oder natürlichen Welt in Erschei­ nung tritt, stützt sich indessen nur auf eine Seite eines gleichsam abgebilde­ ten Altars, womit die als kritisch zu bewertende Einseitigkeit der Philosophie zum Ausdruck gebracht wird.4 „Denn da die Philosophen die göttliche Vorse­ hung bisher nur unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Ordnung betrachtet haben, haben sie von ihr nur einen Teil erwiesen, und zwar denjenigen, auf­ grund dessen die Menschen Gott als den Geist, der freier und unumschränk­ ter Herr der Natur ist, durch (die) Opfer und andere göttliche Ehren anbeten (…); aber sie haben ihn noch nicht von jener Seite betrachtet, die den Men­ schen eigentümlicher ist, zu deren Natur als Haupteigenschaft gehört, gesel­ lig zu sein.“5 Deshalb scheint der sich aus dem Auge der göttlichen Vorse­ hung abwärts senkende Lichtstrahl durch einen auf der Brust der geflügelten Metaphysik gezeichneten konvexen Edelstein durch, „(…) so dass der Licht­ strahl sich bricht und nach außen ausstrahlt, damit die Metaphysik Gott er­ kenne, wie seine Vorsehung die öffentlichen moralischen Verhältnisse oder die politischen Sitten bestimmt, durch die die Völker auf die Welt gekommen sind und sich erhalten.“6 Giambattista Vico vertritt mit der Scienza nuova damit einen unbändigen Ansatz, um den Leser auf den Gipfel der Erkenntnis steigen zu lassen.7 An die Seite der traditionellen Metaphysik stellt er als litischen Verhältnisse, die dem Leser behilflich sein soll, die Idee dieses Werkes vor der Lektüre zu erfassen und sie nach der Lektüre mit Hilfe der Phantasie leichter im Gedächtnis zu behalten.“ (G. Vico, ebd., S. 3). Giuseppe Cacciatore (G. Cacciatore, Metaphysik, Poesie und Geschichte, Berlin 2002, S. 36) interpretiert deshalb den Rekurs auf die Phantasie von Giambattista Vico mit den folgenden Worten: „(Giambattista) Vico lehrte und lehrt uns, dass nur bewusste Suche nach dem Gleichgewicht zwischen poetischer und rationaler Welt, zwischen kritischer Haltung der Wissenschaft und Kraft der Phantasie die Menschheit vor jedem Exzess abstrak­ ter Aufklärung und ebenso abstrakter Gegenaufklärung bewahren kann.“ 4  G. Vico (Fn. 2), S. 3 f. Das allegorische Bild findet sich abgedruckt vor der ein­ leitenden und die Tafel erklärenden „Idee des Werkes“ (G. Vico, ebd., S. 2). 5  G. Vico (Fn. 2), S. 3 f. 6  G. Vico (Fn. 2), S. 6 f. (Hervorhebung des Wortes „öffentlichen“ im Original). 7  W. Wehle (Fn. 3), S. 151 f. Dazu nur die grundlegende Bestimmung des wissen­ schaftlichen Ansatzes der Scienza nuova: „Also herrscht in dieser Wissenschaft folgende Art von Beweisen: dass, da derartige Ordnungen von der göttlichen Vorse­ hung eingesetzt worden sind, die Angelegenheiten der Völker dergestalt, wie sie von dieser Wissenschaft entwickelt worden sind, verlaufen mussten, verlaufen müssen und verlaufen werden müssen, sollten auch von Ewigkeit her immer wieder unend­ liche viele Welten entstehen; was sicherlich in Wirklichkeit falsch ist. Daher gelangt diese Wissenschaft zugleich dazu, eine ewige ideale Geschichte zu beschreiben,



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höhere Wahrheit ein universales Weltgesetz des Historischen und geht so aus­ drücklich in Frontstellung gegen die Geschichtsskepsis der neueren Rationa­ lität des Cartesianismus, der infolge seines auf eine systematische Neuorien­ tierung der Wissenschaft nach den Methoden der Mathematik ausgerichteten philosophischen Konzepts in dem historischen Material kein würdiges Objekt der Analyse zu erblicken vermag.8 René Descartes hatte in seinem 1637 er­ schienenen Discours de la méthode gesagt: „Wenn ich allem zweifele (…), so kann ich doch nicht daran zweifeln, dass ich zweifele.“9 Aus dieser Erkennt­ nis ergab sich dann der Basissatz der cartesianischen Philosophie „Ich denke, also bin ich.“, das Kriterium einer unbezweifelbaren Wahrheit auf dem Bo­ den eines gewachsenen Skeptizismus.10 Dagegen hob Giambattista Vico das Historische in den Stand einer ewigen Wahrheit, weil es der Mensch selbst war, der die Welt ausgeformt hat: „Doch in solch dichter Nacht voller Fins­ ternis, mit der die erste von uns so weit entfernte Urzeit bedeckt ist, erscheint dieses ewige Licht, das nicht untergeht, folgender Wahrheit, die auf keine Weise in Zweifel gezogen werden kann: dass diese politische Welt sicherlich von den Menschen gemacht worden ist; deswegen können (…) ihre Prinzipi­ en (nur) innerhalb der Modifikationen unseres eigenen menschlichen Geistes gefunden werden.“11 Giambattista Vico verfolgt mit der Scienza nuova entge­ gen der cartesianischen Verstandesdisziplin das Ziel, den kulturellen Ent­ wicklungsstand der Gegenwart als einen historisch gewachsenen Kontinui­ nach der die Geschichte aller Völker in der Zeit abläuft in ihrem Entstehen, ihrem Fortschritt, Höhepunkt, Niedergang und Ende.“ (G. Vico (Fn. 2), S. 154). 8  Hierzu A. U. Sommer, Sinnstiftung durch Geschichte, Basel 2006, S. 190 ff.; W. Wehle (Fn. 3), S. 153 f.; T. S. Hoffmann (Fn. 3), S. 351 ff.; E. Voegelin, in: P. Opitz (Hrsg.), Giambattista Vico – La scienza nuova, München 2003, S. 44; A.  Lumpe, Vico, Gambiattista (Giovanni Battista), in: F.  W.  Bautz / T.  Bautz (Hrsg.), Biogra­ phisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XII: Tibboniden bis Giovanni Antonio Volpe, Herzberg 1997, Sp. 1332; R. Zimmer, Basis-Bibliothek Philosophie: 100 klassische Werke, Stuttgart 2009, S. 107 f.; K. Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Philosophie der Neuzeit – G. B. Vico – Paul Valéry, Stuttgart 1986, S. 196 ff.; er­ gänzend dazu auch J. Habermas, Theorie und Praxis, Sozialphilosophische Studien, Neuwied 1963, S. 206 f. 9  R. Descartes, Meditationes de prima philosophia (1641), in: E. Cassirer (Hrsg.), Philosophische Schriften in einem Band. Descartes’ Wahrheitsbegriff, Hamburg 1996, 2. Meditation, Absatz 3; L. Amoroso (Fn. 1), S. 77 (Zitat dort entnommen). 10  L.  Amoroso (Fn. 1), S. 77 f.; R. Zimmer (Fn. 8), S. 107. 11  G. Vico (Fn. 2), S. 142. Diese Textpassage kann als ein Beleg für das von Giambattista Vico vertretene Prinzip des verum ipsum factum verstanden werden, das gegen René Descartes’ cogito ergo sum in Position gebracht wurde; siehe hierzu nur L.  Amoroso (Fn. 1), S. 77 f.; J. Habermas (Fn. 8), S. 206 f.; A. U. Sommer (Fn. 8), S. 192 ff.; T.  S. Hoffmann (Fn. 3), S. 357 f.; E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 42 ff.; A.  Lumpe, in: F.  W.  Bautz / T.  Bautz (Fn. 8), Sp. 1332; G. Cacciatore (Fn. 3), S. 38 ff.; R. Zimmer (Fn. 8), S. 107 f.; vertiefend S. Woidich, Vico und die Hermeneutik, Würzburg 2007, S. 123 ff.; vgl. auch P. König (Fn. 1), S. 64 f.

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tätsstempel zu erweisen, der epistemologisch die menschenmöglichen Er­ kenntnisse auf ihren wahren metaphysischen Ursprung zurückführt, um den Leser auf dem Weg zum Gipfel des Wissbaren zu begleiten.12 Daher macht der Lichtstrahl der göttlichen Vorsehung an dem konvexen Edelstein auf der Brust der Metaphysik, die zwar mit ihren Füßen auf der Weltkugel steht, gleichsam aber durch die geflügelten Schläfen über ihr schwebt, nicht halt, sondern er wird abgeleitet auf die menschliche Welt, um als erhellender Strahl die Menschheit zu leiten.13 Eine Grenze der menschlichen Erkenntnis­ bildung bildet aber die von Gott gemachte Natur, „von der doch, weil Gott sie schuf, er allein Wissen haben kann“, im Gegensatz zu der Welt der Völker oder der politischen Welt, „von der, weil die Menschen sie geschaffen hatten, die Menschen auch Wissen erlangen konnten.“14 Mit der Historie als Ansatzpunkt für die metaphysische Tränkung durch ein universales Weltgesetz der Völker begibt sich Giambattista Vico in seiner Scienza nuova auf eine Reise durch die Geschichte des Menschengeschlechts, um die gemeinsamen Prinzipien, das natürliche Recht der Völker, zu erhal­ ten.15 Auf seiner Odyssee geht er dabei bis zu den menschlichen Ursprüngen zurück, schreitet dann durch die Antike, um im frühen Mittelalter in dem Zeitalter des rationalen menschlichen Geistes anzukommen.16 In diesem Zeit­ raum ergibt sich bei Giambattista Vico eine stufenweise vor sich gehende 12  W. Wehle

(Fn. 3), S. 151. (Fn. 2), S. 7. 14  G. Vico (Fn. 2), S. 142 f.; W. Wehle (Fn. 3), S. 155 f.; E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 45 ff.; A.  Lumpe, in: F.  W.  Bautz / T.  Bautz (Fn. 8), Sp. 1332; R. Zimmer (Fn. 8), S. 108; K.  Löwith (Fn. 8), S. 195 ff. 15  G. Vico (Fn. 2), S. 92 f.: „Der menschliche Wille, seiner Natur nach höchst ungewiss, festigt und bestimmt sich nach dem gemeinsamen Sinn aller Menschen für die menschlichen Bedürfnisse oder Vorteile, die die beiden Quellen des natürli­ chen Rechts der Völker sind. Dieser Gemeinsinn ist ein Urteil ohne jede Reflexion, allgemein empfunden von einem ganzen Stand, einem ganzen Volksstamm, einem ganzen Volk oder dem ganzen Menschengeschlecht. (…) Entstehen gleichförmige Ideen bei ganzen Völkern, die miteinander nicht bekannt sind, so müssen sie einen gemeinsamen wahren Hintergrund haben. Dieser Grundsatz ist ein großes Prinzip, das festlegt, dass der Gemeinsinn des Menschengeschlechts das Kriterium ist, das die göttliche Vorsehung die Völker gelehrt hat, um das Gewisse bezüglich des na­ türlichen Rechts der Völker zu bestimmen; dessen vergewissern sich die Völker, indem sie die wesentlich einheitlichen Aspekte dieses Rechtes erkennen, in denen sie, mit verschiedenen Modifikationen, alle übereinstimmen.“ (G. Vico, ebd.). Sich seiner Methode klar bewusst, versuche (Giambattista) Vico, eine storia ideale zu errichten, d. h. einen typischen Lauf der Geschichte, der empirisch als Ablauf beob­ achtet werden könne, dem die Nationen in ihrer Geschichte folgen (so E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 59; Hervorhebungen im Original). 16  Hierzu nur W. Wehle (Fn. 3), S. 166; A. U. Sommer (Fn. 8), S. 199 / 203; T. S. Hoffmann (Fn. 3), S. 359 f. / 365 f.; R. Zimmer (Fn. 8), S. 108 f. 13  G. Vico



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Ausformung der Natur der Völker, die „zunächst roh, dann streng, darauf gütig, später zart, schließlich zügellos“ ist, was in staatstheoretischer Hin­ sicht mit der sukzessiven Herausbildung von Familien, Republiken von aris­ tokratischer Form, solchen in denen die Volksfreiheit gegeben ist, Monarchi­ en sowie ihrem Verfall und Ende einhergeht.17 Aber auch die Kultivierung der natürlichen Erde durch den Menschen zeigt eine fortschreitende Ord­ nungslinie: „Zunächst gab es die Wälder, dann die Hütten, darauf die Dörfer, später die Städte, und schließlich die Akademien.“18 Dies hat wiederum Kon­ sequenzen für die charakterliche Ausformung der Menschheit entsprechend den zurückgelegten Stufen des zivilisatorischen Fortschrittsprozesses: „Die Menschen empfinden zunächst das Notwendige, darauf achten sie auf das Nützliche, dann bemerken sie das Bequeme, später erfreuen sie sich am An­ genehmen, alsdann sind sie im Luxus ausschweifend, schließlich verfallen sie der wahnwitzigen Verschwendung ihres Vermögens.“19 In dem allegori­ schen Artefakt wird der weltgeschichtliche Entwicklungszyklus, der den uni­ versalen Horizont der Erkenntnis begründet, durch eine Reihe von Hierogly­ phen symbolisiert, die auch hier die Phantasie des Lesers als ergänzendes Moment des Verstandes animieren. Demnach findet sich in dem Kunstwerk eine Tafel, die das alte lateinische und das letzte Alphabet mit den entspre­ chenden Buchstaben zeigt und sich zwischen den göttlichen und menschli­ chen Hieroglyphen auf einer Säule korinthischen Stils befindet, d. h. inmitten der auf Gott verweisenden Symbole, die als die Grundelemente des allgemei­ nen Weltgesetzes, des Gemeinsinns, angefangen von dem die Weltkugel teil­ weise abstützenden Altar, einem mit Wasser gefüllten Krug und einem Feuer, sowie einer die Ehen symbolisierenden Fackel und einer Aschenurne neben dem Altar, die die menschlichen Begräbnisse zum Ausdruck bringt, bildlich die auf die primitiven Religionen gegründete archaische Welt betonen, und denen, die als menschliche Hieroglyphen auf die in ihrem Daseinsstatus schon zivilisierte, kulturelle Welt der Menschen Bezug nehmen. Als symbio­ tischer Ausdruck der verschiedenen Hieroglyphenarten agieren insbesondere noch ein Pflug, der auf das Zuführen der Felder zum Ackerbau und die spä­ tere Entstehung der ersten Städte verweist, ein Steuerruder, das auf die herr­ schenden Klassenunterschiede zwischen den Menschen und die deshalb her­ aufbeschworene Völkerwanderung Bezug nimmt, die sich letztlich in der Entwicklung von unterschiedlichen Kulturen, in Kriegen und Frieden verfes­ tigte, sowie eben die alphabetische Tafel als Hinweis auf die Sprachen und Buchstaben in ihrer Bedeutung als philologische Zeitzeugen einer fortschrei­ 17  G. Vico (Fn. 2), S. 116; L. Amoroso (Fn. 1), S. 72 f. Überdies weist Giambattis­ ta Vico darauf hin, dass die Regierungsformen der Natur der regierten Menschen angemessen sein müssen (G. Vico, ebd., S. 118). 18  G. Vico (Fn. 2), S. 116; vgl. auch L.  Amoroso (Fn. 1), S. 72 f. 19  G. Vico (Fn. 2), S. 117.

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tenden Humanität.20 Auf diese Weise erhellt sich ein allgemeines Weltgesetz, ein natürliches Recht der Völker, das von Giambattista Vico gleichsam als universale fantastico bezeichnet wird, d. h. ein Produkt der menschlichen Einbildungskraft, die sich in imaginativem Bezug auf dieses Allgemeine den jeweiligen Hintergrund der Welt in einer letzte Gründe und Wahrheiten arti­ kulierenden Phantasie bereitet. Daraus ergibt sich schließlich eine Theorie des konkreten Gemeingeistes als Sprachrohr einer historischen Epoche, eine metaphysische Programmatik als dem Sinnhorizont menschlicher Existenz, wobei aber die sich aus der Universalität ergebende „soziale“ Kompetenz, den konkreten Gemeinsinn zu erkennen und sich danach zu orientieren, maß­ gebend bleibt.21 An dieser Stelle wird deutlich, dass sich Giambattista Vico, der die göttliche Vorsehung über den weltlichen Kosmos strahlen lässt, nicht ganz gegen den neueren Rationalismus seiner Zeit ausrichtet, sondern ihn lediglich um eine historische Komponente ergänzt.22 Dennoch bleibt für ihn aber die Erkenntnis der originären Natur nur Gott als dem eigentlichen Schöpfer vorbehalten, „so wie auch das körperliche Auge, das alle Gegen­ stände außer sich sieht und doch den Spiegel braucht, um sich selbst zu erblicken.“23 20  G. Vico

(Fn. 2), S. 9 ff.; L.  Amoroso (Fn. 1), S. 28 ff. (Fn. 3), S. 359 f. Siehe zu dem senso commune auch E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 91 ff. 22  G. Cacciatore (Fn. 3), S. 39 f.; E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 54 f.; vgl. auch R. Zimmer (Fn. 8), S. 108. 23  G. Vico (Fn. 2), S. 143; W. Wehle (Fn. 3), S. 155 f.; E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 45 f.; A.  Lumpe, in: F.  W.  Bautz / T.  Bautz (Fn. 8), Sp. 1332; R. Zimmer (Fn. 8), S. 108; A. U. Sommer (Fn. 8), S. 193 f.; vgl. auch P. König (Fn. 1), S. 64 f. Diese gottgemachte Natur wird für den Menschen erklärbarer, wenn er im Zuge der kulturellen Entwicklung den kausalgesetzlichen Kreislauf der Natur abändert. Andererseits stellt die Scienza nuova aber selbst einen Spiegel dar, in dem das universale Gesetz der menschlichen Geschichte im Lichte der hinterlassenen Zeichenspuren des zivilisatorischen Fortschritts zu sich selbst kommt, was sich letzt­ lich gegenüber dem Weltgeist von Georg Wilhelm Friedrich Hegel als nicht unähn­ liche Parallele zeigt (W. Wehle (Fn. 3), S. 157; E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 46 ff.). Während für Giambattista Vico aber der Sinn der Geschichte vom mensch­ lichen Denkvermögen, dem rationalen Geist, nicht vollständig erfasst werden kann, ist dies für Georg Wilhelm Friedrich Hegel möglich. Der göttliche Logos offenbart sich zwar für den italienischen Rhetoriker Giambattista Vico in der Schöpfung und im politischen Gemeinschaftsleben, ohne aber von der Welt als Ganzes absorbiert zu werden, womit gleichsam eine Absage an eine pantheistische oder gnostische Ge­ schichtsphilosophie verbunden ist. Dagegen ist der Staat für Georg Wilhelm Fried­ rich Hegel göttlicher Wille, objektiver Geist, in dessen Rechtsordnung als Primär­ instanz sich der Sinn der Geschichte vollständig widerspiegelt, da im reflexiven, geistigen Bewusstsein des Denkers die Identität der anthropogenen Rationalität mit dem historischen Logos erreicht wird. Siehe dazu E. Voegelin, ebd., S. 46 ff. / 58 f. Zum Hegelschen Staatsbegriff G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.), Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, 21  T.  S. Hoffmann



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In der Scienza nuova versucht Giambattista Vico bei der Erforschung der politischen Welt und ihrer Ursprünge scheinbar gegenläufige Perspektiven zu verbinden, nämlich die metaphysisch-theologische und die empirischanthropologische.24 Als die „bekanntesten menschlichen Dinge“ erscheinen auf dem allegorischen Bild die zivilisierten, kulturellen Hieroglyphen, die „der geistreiche Maler schließlich in launischer Anordnung (durch) ein rö­ misches Rutenbündel, ein Schwert und einen Beutel, die sich an das Ruten­ bündel lehnen, eine Waage sowie den Heroldsstab Merkurs (…)“ zum Ausdruck bringt.25 Die menschliche Hieroglyphenreihe symbolisiert die langsam vor sich gehende Zivilisation der Völker, die im Rahmen des his­ torischen Zyklus unter Vermittlung der göttlichen Symbole voranschreitet. Während das römische Rutenbündel noch auf die archaische Zeit des alten Roms verweist, in der sich die Väter als Weise, Priester sowie Oberhäupter der Familien gegen die nach politischen Rechten aufstrebenden Knechte vereinigten, um gegen diese Widerstand zu leisten, was durch Zugeständnis­ se in der Form des Agrargesetzes die Herausbildung der politischen Ord­ nung der Städte begünstigte, steht das Schwert in erster Linie für das hero­ ische Recht der zweiten Turnusphase der Weltgeschichte, die vor allem durch Gewalt geprägt war. Erst der Beutel symbolisiert mit dem Handel die zivilisierte Welt, wobei die sich in dem Beutel befindenden, geprägten Mün­ zen den Zusammenhang mit der vormaligen heroischen Zeit belegen. Am Ende stehen mit der Waage und dem Heroldsstab letztlich die Symbole für die rechtlichen und politischen Verhältnisse in den in der Zwischenzeit entstandenen Staaten sowie die gegenseitigen Beziehungen zwischen ihnen, wozu auch das durch den mit zwei sich windenden Schlangen besetzten Heroldsstab symbolisierte Kriegsrecht zu zählen ist.26 An dem Zeichen der Waage, die für das positive Recht angeführt wird, lässt sich die wechselsei­ tige Bezogenheit von Metaphysik und Jurisprudenz als untrennbare Pole menschlicher Erkenntniskraft und damit aus staatstheoretischer Sicht das Endziel der Scienza nuova mit einem Idealstaat platonischer Prägung ver­ deutlichen.27 Für Giambattista Vico ergab sich aus dem Sündenfall die S. 249 ff. Zur gedanklichen Parallelität zwischen diesen Geschichtsphilosophen vgl. auch T. S. Hoffmann (Fn. 3), S. 363 f.; a. A. aber P. Piovani, Für einen Vivo ohne Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in: M. W. Hebeisen, Ausgewählte Werke von Piet­ ro Piovani in deutscher Übersetzung, Bd. IV: Abt. 1: Moral-, Sozial- und Geschichts­ philosophie. Abhandlungen zur neuen Wissenschaft von Giovanni Battista Vico, Biel 2013, S. 213 ff., der auch den wissenschaftlichen Meinungsstand darstellt. 24  L.  Amoroso (Fn. 1), S. 79; vgl. auch G. Cacciatore (Fn. 3), S. 192 ff. 25  G. Vico (Fn. 2), S. 21. 26  G. Vico (Fn. 2), S. 21 ff.; L.  Amoroso (Fn. 1), S. 38 ff. 27  P. König (Fn. 1), S. 44 ff. / 73 f.; zum Idealstaat Platons H. Kelsen, Politische Weltanschauung und Erziehung, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1228 f. / 1231 ff.

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Zerschneidung des einigenden Bandes zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Geist, was eine Vereinigung der Menschen unter der ewigen Ordnung Gottes ausschloss. In der Autorität, die dem Menschen aber „von Natur aus“ zukommt und ihn so zum „Souverän über die ganze sterbliche Natur“ macht, zeigt sich aber weiterhin ein unverlierbarer Kern an Huma­ nität, der als Ausdruck der göttlichen Vorsehung betrachtet werden kann.28 Die menschliche Absicht ist nun auf die Wiederherstellung der durch den Sündenfall verlorenen Ordnung der Dinge gerichtet, was sich als das Vor­ sehungsprodukt eines überindividuellen geistigen Subjekts erweist: das universale Weltgesetz oder die gemeinsame Natur der Völker.29 Dieser Gemeinsinn ist das menschliche Stadium, in dem sich eine herrschende Kollektivansicht von den Glaubensüberzeugungen und Werten herausgebil­ det hat, die sich dem Wahren der platonischen und christlichen Philosophie annähern, wenn sie sich in den miteinander nicht bekannten Völkern als gleichförmige Ideen zeigen.30 Aus diesem Grund ist für Giambattista Vico auch das Recht selbst Ausdruck der Wahrheit.31 Die legislative Autorität orientiert sich letztlich an dem von der göttlichen Vorsehung gelenkten Gemeingeist, der sich somit in gleitender Dialektik zwischen dem Wahren der Philosophie und dem Sicheren der Philologie als dem universalen Welt­ gesetz ergibt.32 Mit dieser metaphysischen Orientierungsbasis bereitet die Scienza nuova einen Erkenntnishorizont der Universalität, der Giambattista 28  P. König

(Fn. 1), S. 78 f. (Hervorhebungen im Original). (Fn. 1), S. 87. 30  L.  Amoroso (Fn. 1), S. 62 ff. / 75; G. Cacciatore (Fn. 3), S. 191 ff. Die spekula­ tive Tradition des Neoplatonismus, die als überragendes Denkmotiv bei Giambattis­ ta Vico erscheint und sich damit als gedankliches Synthesemittel zwischen den philologischen Materialien und der christlichen Metaphysik darbietet, konnte letzt­ lich in der Scienza nuova des italienischen Rhetoriklehrers nur versteckt zum Aus­ druck kommen, da die heidnische Abstammung das christliche Glaubensbekenntnis der neuen Wissenschaft dem Verdikt der Häresie hätte aussetzen können. Ohne diese neoplatonische Tradition als weiterem Bestimmungsfaktor des spekulativen Prozesses könnten aber die philologischen Materialien vor der sonstigen Prämisse des christlichen Glaubens nicht zum Ergebnis der Neuen Wissenschaft führen (so E. Voegelin, La scienza nuova (Fn. 8), S. 49 f.). 31  L.  Amoroso (Fn. 1), S. 62 ff. 32  L.  Amoroso (Fn. 1), S. 62 ff. Giambattista Vico schreibt in seiner Scienza nuo­ va aus dem Jahre 1744 hierzu nur: „Die Philosophie betrachtet die Vernunft, aus der die Wissenschaft des Wahren hervorgeht; die Philologie beobachtet die Autorität des menschlichen Willens, aus der das Bewusstsein des Gewissen hervorgeht.“ (G. Vico (Fn. 2), S. 92). Die Rolle der Philologie in der Scienza nuova kann dabei treffend folgendermaßen skizziert werden: „In (Giambattista) Vicos Argumentationsgang ist die Philologie jedoch nicht im beschränkten Sinne einer Wissenschaft der Ursprünge und der Bedeutungen der Wörter und einer Sprache zu verstehen. Sie ist historische Wissenschaft im modernen Sinne, sie ist Analyse und Verstehen der Fakten und Phänomene (die durch Scham, Familienbande, Geselligkeit und religiösen Respekt 29  P. König



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Vico als einen Philosophen „auf der Höhe einer abgründigen Vernunft“ er­ scheinen lässt.33 Der ideale Endpunkt ist indessen die Annäherung an den gerechten Staat Platons als Beleg für die heilende Symbiose des Seienden und der ewigen Wahrheit.34 entstehen), welche das Rechtswesen, die Gesellschaft, die Poesie, die Religion bil­ den.“ (so G. Cacciatore (Fn. 3), S. 39). 33  W. Wehle (Fn. 3), S. 149. 34  P. König (Fn. 1), S. 45 f.; W. Wehle (Fn. 3), S. 167. Der gedankliche Rekurs von Giambattista Vico auf den gerechten Idealstaat Platons wird in der Scienza nuova anhand des abschließenden Kapitels offenbar, das mit den inhaltsreichen Wor­ ten überschrieben ist „Schluss des Werkes über einen ewigen natürlichen Staat, der in jeder Art vollkommen ist, nach Fügung der göttlichen Vorsehung“, und weiter steht dann noch: „Schließen wir nun also dieses Werk mit Platon, der eine vierte Art Staat aufstellt, in dem die anständigen und guten Menschen oberste Herren sein sollten, welches die wahre natürliche Aristokratie wäre.“ (G. Vico (Fn. 2), S. 597). Der Verweis auf den an dem Guten als der überragenden Idee orientierten Idealstaat Platons verwundert nicht, weil Giambattista Vico ein Bewunderer des griechischen Philosophen war. Die Bezugnahme erhält aber im Kontext von Metaphysik und Jurisprudenz eine ganz andere Dimension, die letztlich nur verständlich wird, wenn das in der politeia des Platon beschriebene staatliche Idealmodell im Lichte von dessen Erkenntnis- und Ideenlehre betrachtet wird. Für Platon liegen der realen Welt allgemeine Ideen als wahre und unveränderliche Realität abstrahierend voraus, die durch einen stufenweise sich vollziehenden Erkenntnisprozess des Denkens aus der geistigen Dunkelheit geborgen und auf diese Weise in das erinnernde Bewusstsein der Menschen gebracht werden. Diese realen Ideen unterliegen im Gegensatz zu den sinnlichen Attributen der wirklichen Welt nicht dem Wandel und überragen als geis­ tige Direktiven die sinnverhaftete Realität. In diesem Sinne ergibt sich aus ihnen ein ethisch-normativer Charakter als abstrakte Aufforderungs- und Sollensideale, denen die realen Verhältnisse zustreben, um vollkommen zu sein. Über allen Ideen schwebt schließlich die Uridee des Guten als dem höchsten Erkenntnisobjekt, auf das sich sowohl die Ideen als auch die weltliche Sinnhaftigkeit als göttliche Quelle zurück­ führen lassen, so wie die Sonne, die den reichen Ideenhimmel zur Beförderung der Erkenntnis überstrahlt und als ideale Konstante die realen Wirklichkeitsverhältnisse in ihren voranschreitenden Wandlungen bekräftigt. Der Idealzustand der Polisord­ nung wird nun für Platon erreicht, wenn sich die Grundfunktionen der Polis in ei­ nem der Idee der Gerechtigkeit entsprechenden ausgewogenen Verhältnis befinden, was dann der Fall ist, wenn ihre Glieder funktional das erfüllen, was dem Ihrigen angemessen ist. Damit entsteht ein an der Grundidee des Guten orientierter Zustand der Harmonie, in dem sich die realen Verhältnisse im Spiegel der überragenden wahren Ideen zu einem gerechten Idealstaat herausbilden, was nach der politeia vornehmlich in die Staatsform der Aristokratie mündet. Diese dialektische Verknüp­ fung von Sein und Sein-Sollen, die bereits bei Platon deutlich hervortritt, nimmt Giambattista Vico auf und verdeutlicht sie in rechtsdogmatischer Manier an der Waage als menschlicher Hieroglyphe des positiven Rechts. In ihm zeigt sich in gleitender Dialektik zwischen den tatsächlichen Geschehnissen und der rechtlichen Manifestation der gemeinsinnige Fortschritt, der sich mit der Dauer dem Erkennt­ niszustand der philosophischen Wahrheit im Sinne Platons annähert. Die reale Ver­ wirklichung der historischen Zyklen, die sich bei Giambattista Vico in der Annahme des universalen Weltgesetzes zeigen, sind damit nichts anderes als der entwicklungs­

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In seiner abschließenden Funktion nicht ganz eindeutig ist das Symbol eines geflügelten Hutes in der linken unteren Ecke des allegorischen Bildes, in dessen weiterem Hintergrund eine schwarze Gewitterwolke aufsteigt. Die herrschende Meinung geht insoweit heute davon aus, dass es sich hierbei um einen symbolischen Verweis auf die mögliche Wiederkehr der Barbarei handelt, die die Völker am Ende des historischen Zyklus erleiden werden.35 Auch wenn ein Zurückfallen in den absoluten Urzustand ausgeschlossen erscheint, weil eine Gemeinschaft nach einer kulturellen Hochphase nicht mehr in die völlige Ursprünglichkeit zurückfallen wird,36 verdeutlicht sich an diesem letzten Symbol der innere Zwiespalt, mit dem Giambattista Vico zeitlebens gerungen hat. Mit seiner Scienza nuova strebte er letztlich kein geringeres Ziel an, als den Leser auf den Gipfel einer abgründigen Vernunft steigen zu lassen, die nun aber in diesem fortgeschrittenen Stadium geeignet war, die göttliche Vorsehung aus der rationalen Welt des menschlichen Geistes für immer zu verbannen, was mit dem Verlust der Legitimationsba­ sis seiner neuen kritischen Kunst einhergegangen wäre.37 Die Konstellation, die sich nun stellte, war die Frage nach dem in der Objektrolle der Historie verhafteten Menschen als Spielball der göttlichen Vorsehung, der sich nun gerechte wahre Gemeinsinn der Völker, der in der positiven Rechtsordnung seinen normativen Ausdruck findet. Vor diesem Hintergrund bekommt die krönende Anmer­ kung Georg Wilhelm Friedrich Hegels, wonach Platon die substantielle Sittlichkeit in ihrer idealen Schönheit und Wahrheit dargestellt habe (G. W. F. Hegel, Grund­ linien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft, Frankfurt a. M. 2010, S. 342) einen auch auf Giambattista Vico übertragbaren Sinngehalt. Siehe zur Staatsphilosophie Platons R. Weber-Fas, Staatsdenker der Vormoderne, Tübingen 2005, S. 1 ff.; H. Kelsen, Die platonische Gerechtigkeit, in: H. Klecatz­ ky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S. 289 ff.; E.-W. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphiloso­ phie, Antike und Mittelalter, 2. Aufl., Tübingen 2006, S. 71 ff.; zur platonischen Ideenlehre H. Kelsen, Zum Begriff der Norm, in: R.  Dietz / H.  Hübner, Festschrift für Hans Carl Nipperdey, Bd. I, Berlin 1965, S. 65 Fn. 19; H. Görgemanns, Platon, Heidelberg 1994, S. 87 ff. Zum gerechten Idealstaat Platons aus staatstheoretischer Sicht nur R. Zippelius, Platons Idealstaat, in: H. Steuer (Hrsg.), Streifzüge durch die frühen Hochkulturen, München 1997, S. 86 ff.; E.-W. Böckenförde, ebd., S. 82 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S. 129; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 81. Ergänzend sei aber auch auf die Nähe von Giambattista Vico zu der aristotelischen Wahrheit hingewiesen, wonach es die Philosophie nur mit dem Universalen und Immerseien­ den zu tun habe, und auch in der Geschichte die immer gleichartige, idealtypische Geschehensfolge von corso und ricorso darstellen wollte (so K.  Löwith (Fn. 8), S. 196). Auf diese antiken Denkmuster wird in einem späteren Zusammenhang zu­ rückzukommen sein. 35  L.  Amoroso (Fn. 1), S. 40 f. („Petasos“). 36  W. Wehle (Fn. 3), S. 167. 37  W. Wehle (Fn. 3), S. 164 f.



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als der verstehende Herr der idealen Weltentwicklung entpuppte und sich so zum Subjekt der eigenen Geschichte erhob.38 Mit seiner verstehenden Me­ thode hat Giambattista Vico vergangene Zustände in divinatorischer Art beleuchtet und epistemologisch bestiegen, um das eigene menschliche Selbstbewusstsein einer erhellenden Einsicht hinsichtlich seines Selbstver­ ständnisses als ein bereits in menschliche Dinge verwickeltes Sein zu unter­ ziehen und somit eine plausible Reflexion eines älteren Sinnkontinuums für die späteren Epochen als Orientierungshilfe zu erhalten.39 Jetzt aber wende­ te sich das Blatt, weil eine von Menschenhand beförderte kulturelle Ent­ wicklung nicht ausschließlich in einem zyklischen Umlauf vorwärts, sondern in einer Spirale der Rationalität auch aufwärts verläuft, so dass in einem letzten Stadium der vollen Vernunft der Mensch im Grunde befähigt ist, sich über das universale Weltgesetz hinwegzusetzen.40 Aus diesem Grund inszenierte Giambattista Vico die Vision einer Rückkehr in die Barbarei als Folge einer zum Maximum gesteigerten Rationalität.41 Bezogen auf die Epoche der Spätantike wird in der Scienza nuova angeführt: „Diese Völker (hatten) es sich in bestialischer Art zur Gewohnheit gemacht, an nichts anderes zu denken, als jeder Einzelne an seine besonderen eigenen Vorteile, und (sie hatten) sich dem Äußersten der Verwöhntheit (…), des Eigensinns ergeben, (…), nach der Art wilder Tiere (…).“42 Deshalb ist in einer derar­ tigen Zeit der intellektuellen sowie moralischen Dekadenz die Wiederkehr in den Urzustand erforderlich, um die Zivilisation wie den Phönix aus der Asche wieder neu auferstehen zu lassen, was der göttlichen Vorsehung in der Welt der Menschen entspricht.43 Damit schließt sich der zyklische Tur­ 38  W. Wehle

(Fn. 3), S. 164. (Fn. 3), S. 361 f. 40  W. Wehle (Fn. 3), S. 167. 41  W. Wehle (Fn. 3), S. 168 f. Mit der abrundenden Vision einer späteren Rückkehr der anarchistischen Barbarei bleibt die göttliche Vorsehung auch auf dem erreichten Gipfel der menschlichen Rationalität als erstrahlendes Leitelement erhalten. Der Mensch wird also auf dem Höhepunkt der Vernunft wieder von einer leitenden gött­ lichen Hand überlagert. Aus diesem Grund bezeichnet Winfried Wehle Giambattista Vico auch als einen „Aufklärer außerhalb der Aufklärung“, was durch die gegenver­ nünftige Hervorhebung des „homo non intelligendo fit omnia“ durch Giambattista Vico letztlich bestätigt wird (G. Vico (Fn. 2), S. 163 f.). Die bedeutende Passage um die volle Erkenntnisgabe des menschlichen Nichtbegreifens findet sich bei G. Vico, ebd., S. 192. 42  G. Vico (Fn. 2), S. 604. 43  L. Amoroso (Fn. 1), S. 178; R. Zimmer (Fn. 8), S. 109; vgl. auch A. Lumpe, in: F. W. Bautz / T. Bautz (Fn. 8), Sp. 1332. Damit bleibt die göttliche Vorsehung in dem Wirken der Menschen stets gegenwärtig. Aus naturstaatlicher Sicht entspricht dies dem anthropogenen Erkenntnishorizont hinsichtlich der Natur, der nie auf eine ab­ solute Sicherheit und Berechenbarkeit in Bezug auf die ihrem Wesen nach unbere­ chenbare Naturgewalt gerichtet sein wird. 39  T.  S. Hoffmann

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nus der Weltgeschichte auf der Höhe der anthropogenen Rationalität, um letztlich wieder seinen erneuten Ausgang zu nehmen.44 II. Das universale Weltgesetz der Geschichte als Richtschnur der naturstaatlichen Entfaltung des modernen Staates Mit seiner Scienza nuova entwickelte Giambattista Vico eine historische Methode zur Deduktion eines allgemeinen Weltgesetzes aus den Einsichten einer idealen Geschichte, das als universale Richtlinie in dem Geist der positiven Gesetze zum Ausdruck kommt. Das Zeitalter, in dem Giambattis­ ta Vico selbst lebte, war die rationale Zyklusphase des wiedergekehrten historischen Kreislaufs, der in dem finsteren Urzustand des Mittelalters er­ neut seinen rhythmischen Ausgang genommen hat.45 Eine gedankliche Operation, die den Maßstab einer universalen Gesetzlichkeit auf die Ge­ schichte des modernen Staates überträgt,46 führt so auf dieser zeitlichen Dimensionsbasis zu einer epochalen Verortung in der frühen Neuzeit und damit zu einem Diskursbeginn am Wendepunkt zum rationalen Zeitalter des menschlichen Geistes. In dieser Zeit war der Buchdruck bereits lange erfun­ den, so dass eine entsprechende Projektion des staatstheoretischen Fort­ schritts durch die Symbolkraft alter Schriftrollen erzielt werden könnte, um das allegorische Bild nicht aus dem Phantasiefenster des Lesers zu verban­ nen, sondern seine Präsenz in kontinuierlicher Weise zu sichern. Ausgehend von der begrifflichen Fundierung der Souveränität durch den französischen Staatstheoretiker Jean Bodin in seinem Werk „Les six livres de la répub­ lique“ war es im 17. Jahrhundert insbesondere der englische Staatsphilosoph Thomas Hobbes, der in seinem „Leviathan“ die theoretische Basis eines künstlichen Menschen, eines Leviathans, über den natürlichen Menschen aufstellte, um mittels des Gewaltmonopols des modernen Staates den Si­ cherheitszweck zum Schutz der Bürger voreinander zu gewährleisten.47 Als 44  Siehe hierzu nur das Kapitel „Rekursus und ricorso“ bei E. Voegelin, La sci­ enza nuova. (Fn. 8), S. 69 ff. 45  W. Wehle (Fn. 3), S. 156 / 167. 46  Siehe zu der Aktualität der Lehre von Giambattista Vico nur G. Cacciatore (Fn. 3), S. 35 f. „Doch besteht das Argument, das zu (Giambattista) Vicos außeror­ dentlicher Aktualität beiträgt, paradoxerweise nicht so sehr im Wiedervorschlagen des klassischen aufklärerischen Schemas des progressiven Voranschreitens der Welt in Richtung Fortschritt und Verbesserung, in Richtung des Zeitalters der völlig ent­ falteten Vernunft, sondern vielmehr in der frühzeitigen Kritik an den Exzessen des Rationalismus.“ 47  J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit – Zu den Schutzpflichten des frei­ heitlichen Verfassungsstaates, Berlin u. a. 1983, S. 3 ff.; ders., Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstverständnis des demokrati­ schen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (574); R. Zippelius, Allgemeine Staatsleh­



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die vornehmlich absolutistische Realität dieser modernen Staatsidee aber zu einem Schutz der Menschen durch, nicht jedoch vor dem übermächtigen Staat führte, kam es im 18. Jahrhundert, dem siècle des lumières, zu der von dem Wind der Aufklärung begünstigten Entfaltung der Rechtsstaatlichkeit, die sich überdies mit demokratischen Emanzipationsbestrebungen der nach Freiheit strebenden Menschen verband und den geborenen Sicherheitsstaat zu dem durch eine Gewaltenteilung geformten Verfassungsstaat weiterent­ wickelte, in dem fundamentale Rechte anerkannt waren. Durch die erwor­ bene politische sowie wirtschaftliche Freiheit im Zeitalter des Liberalismus und der industriellen Expansion kamen viele Bürger aber in existentielle Notsituationen, weshalb sich der moderne Staat im 19. Jahrhundert aber­ mals, nun zum Sozialstaat ausformen musste, um als demokratischer Recht­ staat auch für die soziale Sicherheit der von den Risiken der freien Markt­ ordnung bedrohten Bürger zu sorgen.48 Gegenwärtig steht der moderne re, 16. Aufl., München 2010, S. 103 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 34), S. 131 ff.; M. Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 137 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 76 ff.; K. Doehring (Fn. 34), S. 82; H. H. v Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutsch­ land, München 1984, S. 18 ff.; G.  Wittkämper / W.  Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 39; U. Preuß, Risikovorsorge als Staats­ aufgabe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Frankfurt a. M. 1996, S. 524 f.; H. Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimität, Universitas 1993 (48), 377 (381 / 383 f.); Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zugleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse, Tübin­ gen 2001, S. 88 ff.; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 1990 (48), S. 27; zur Friedensfunktion des Staates bei Tho­ mas Hobbes ausführlich D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck – Die ökolo­ gischen Legitimitätsgrundlagen des Staates, Bonn 1995, S. 15 ff.; vgl. hierzu auch R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T. Ellwein / J. Hesse (Hrsg.), Staats­ wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S. 30 / 49; B. Wiegand-Hoffmeister, Die Umweltstaatlichkeit der Bundesrepub­ lik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwal­ tungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bremen 2011, S. 7 / 12. 48  J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 47), S. 5 ff. / 17 f.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Re­ formperspektiven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 68; ders., Gerechtigkeit und Umweltschutz. Von subjektiv-rechtlichen Begründungsparadoxien zu kollektivrechtlichen Lösungsansätzen, ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (180); J. Isensee, Wider­ stand (Fn. 47), DÖV 1983, 565 (574); H. Dreier (Fn. 47), Universitas 1993 (48), 377 (384 ff.); R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 142 ff.; R. Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, DÖV 1994, 749 (749 f.); D. Murswiek (Fn. 47), S. 19 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 47), S. 8 / 13; G.  Wittkämper / W.  Jäckering (Fn. 47), S. 39 ff.; H. H. v. Arnim (Fn. 47), S. 23 ff. / 32 ff. / 67 ff.; zu der Entwicklung der rechtsstaatlichen Komponente des modernen Staates auch K. A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat – Zwei kritische Vorträge, Berichte aus den Sitzun­ gen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V., Hamburg, Jahrgang 4 (1986), Heft 3, Hamburg 1986, S. 3 ff.; M. Kriele (Fn. 47), S. 101 ff.; M. Porsche-

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§ 2 Giovanni Battista Vico – La scienza nuova (1744)

Staat vor dem Hintergrund der zunehmenden Belastungen der natürlichen Umwelt mit der Entfaltung zum Umwelt- oder Naturstaat49 in seinem bisher letzten Stadium wertorientierter Ausformung.50 Eine universale Logik, die sich in der Geschichte der modernen Staatlichkeit widerspiegelt, ist unver­ kennbar. Die ökologische Krisenlage im Zeitalter der fast vollen Rationalität besitzt aber eine existentielle Dimension, die der Frage nach einer Natur­ staatlichkeit ein ganz anderes Gewicht verleiht.51 Mit der extensiven Zerstö­ Ludwig (Fn. 47), S. 142 ff.; U. Preuß (Fn. 47), S. 525 f.; Ch. Calliess (Fn. 47), S.  95 f.; Ch. Link (Fn. 47), VVDStRL 1990 (48), S. 43; K. Doehring (Fn. 34), S. 82 f.; vgl. dazu auch R. Wahl, Staatsaufgaben (Fn. 47), S. 30 / 49; H. Frhr. v. Lersner, Gibt es Eigenrechte der Natur?, NVwZ 1988, S. 988; H. Hofmann, Die Aufga­ ben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umwelt­ staat, Berlin u. a. 1989, S. 7 ff. / 19 f. Zur sozialstaatlichen Komponente des modernen Staates B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 34), S. 134 f. 49  Siehe zu der terminologischen Differenzierung von Umwelt- und Naturstaat nur P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Auf., Wien 1996, S. 12. Demnach ist der Umweltstaat mehr anthropozentrisch ausgerichtet, während dem Naturstaat eine ökozentrische Orientierung im Sinne eines allgemeinen Kosmo­ zentrismus zugrunde liegt. 50  Siehe zu dieser weiteren Entwicklungsstufe des modernen Staates A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, Tübingen 1999, S. 12 Rn. 76; R. Steinberg, Der ökolo­ gische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 44 ff.; R. Wahl, Staatsaufgaben (Fn. 47), S. 49; R.  Wahl / I.  Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S.  19 ff.; R. Schmidt (Fn. 47), DÖV 1994, 749 (750 ff.); P. Huber, Zur Renais­ sance des Staates, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globalisierung, Warszawa 2012, S. 35; vgl. dazu auch R. Wolf, Ökologischer Rechtsstaat (Fn. 48), S. 66 ff. / 95; ders. (Fn. 48), ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (180); J. Isensee, Widerstand (Fn. 47), DÖV 1983, 565 (566 f. / 575); U. Preuß (Fn. 46), S.  524 ff.; R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Berlin 1982, S.  457 ff.; H. Dreier (Fn. 47), Universitas 1993 (48), 377 (387 f.); M. Kloep­ fer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropo­ zentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 55  ff.; D. Murswiek (Fn. 47), S. 31 ff.; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvor­ sorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 123 ff.; M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 139 f.; vgl. hierzu auch Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umwelt­ staat (Fn. 47), S. 96 ff.; H. Frhr. v. Lersner (Fn. 48), NVwZ 1988, S. 988; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt a. M. 1991, S. 168; M. Ronellenfitsch, Selbstver­ antwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, Berlin 1995, S. 10 f.; W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997; H. Hofmann (Fn. 48), S. 36 ff. 51  J. Isensee, Widerstand (Fn. 47), DÖV 1983, 565 (566 ff.); vgl. auch U. Preuß (Fn. 47), S. 534 ff.



§ 2 Giovanni Battista Vico – La scienza nuova (1744)61

rung der Natur durch die menschliche Zivilisation wird diese wieder zu einem unberechenbaren Faktor, deren unabdingbare und elementare Funkti­ onsweise für das staatliche Dasein nicht zu bestreiten ist. Unter Rekurs auf das universale Weltgesetz der Völker in der Scienza nuova stellt sich somit die Frage, ob die Entwicklung des modernen Staates zu einem Naturstaat vielleicht noch die einzige Option ist, um einen Rückfall in den Urzustand bzw. die Anarchie zu verhindern. Der Staat als kulturelles Produkt der Menschheit baut sich auf der primären Natur auf, ohne die er nicht bestehen kann. Mit der Missachtung der Natur sägt er an seinem eigenen Ast, der aber schon morsche Anzeichen aufweist und von den Menschen nicht mehr vollends erfasst werden kann. Giambattista Vico hat es in seiner Scienza nuova durch das allegorische Bild aufgezeigt: Der Lichtstrahl, in dem sich die göttliche Vorsehung zeigt und der über den konvexen Edelstein auf der Brust der geflügelten Metaphysik auf die zivilisierte Welt in Form der menschlichen Hieroglyphen strahlt, verleiht der Menschheit mit dem univer­ salen Weltgesetz einen höheren Sinn ihrer leiblichen Existenz. Nun aber muss das erhellende Licht durch einen konvexen Edelstein, der sich auf dem geflügelten Hut befindet, auf die von dem Altar gestützte Seite der Weltkugel, die als Symbol für die von Gott gemachte Natur steht, abgeleitet werden, um die erneute Zeit der Barbarei zu verhindern und den wahren Staat entstehen zu lassen, der ein Eigenrecht der Natur anerkennt. In diesem Sinne ist der moderne Naturstaat dann die denklogische Option einer uni­ versalen Programmatik, deren formaler und relativer Orientierungssinn das erhellende Licht in der menschlichen Welt weiterhin bewahrt.52 52  Von einem sensus communis (common sense) im Kontext mit dem ökologi­ schen Staat spricht ausdrücklich auch Michael Hebeisen (M. Hebeisen (Fn. 50), S. 141 f.), der aber in seiner politischen Direktivkraft relativ und auch formal bleiben muss. Siehe zur Ordnungs- und Orientierungsfunktion der Natur R.-P. Sieferle, Rückblick auf die Natur, München 1997, S. 17 ff.; einen historisch-anthropogenen Fortschrittsglauben unter dem Postulat einer Orientierungsmaxime vertritt auch J. Radkau, Natur und Macht, München 2000, S. 27 ff.; hierzu auch S. Körner / U. Eisel / A.  Nagel, Heimat als Thema des Naturschutzes: Anregungen für eine soziokulturelle Erweiterung, in: Natur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (383), die von Naturbildern als der ökologischen Grundlage des Naturschutzes sprechen und demnach die Natur als normative Basis betrachten; vgl. auch H.-J. Schemel, Heimat und Naturschutz – ein Begriffspaar unter Spannung, in: R. Piecho­ cki / N. Wiersbinski (Hrsg.), Heimat und Naturschutz, Bonn 2007, S. 107; U.  Linse, „Fundamentalistischer“ Heimatschutz. Die „Naturphilosophie“ Reinhard Falters, in: U. Puschner (Hrsg.), Völkisch und national, Darmstadt 2009, S. 166 f.; T. Rohkrämer, Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880–1933, Paderborn u. a. 1999, S. 140; I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Ge­ sellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Rudolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Mög­ lichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 434 f.; a. A. R. zur Lippe, zitiert nach M. Kienzle (Hrsg.), Natur-Schauspiele. Vom Umgang mit der Natur in der Stadt, Tübingen u. a. 1993, S. 10; zum Meinungsstand auch F. Schmoll,

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§ 2 Giovanni Battista Vico – La scienza nuova (1744)

Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S. 26 ff. Das Problem, das sich hier stellt, ist die Frage, ob bzw. inwieweit auf der Grundlage eines universalen Weltge­ setzes, das aus dem konkreten Verlauf der Geschichte gewonnen wird, eine zukünf­ tige Entwicklung prognostiziert werden kann. Dies ist umso kritischer zu sehen, als der Mensch im Zeitalter der Rationalität zu einem selbständigen Vernunftwesen wird, das unter Vermittlung der historischen Erkenntnisse in der Lage ist, seine Zukunft eigenverantwortlich zu gestalten. Aus diesem Grund kreiert Giambattista Vico für den Fall des Höhepunktes der menschlichen Verstandesreife das Szenario einer Rückkehr in die Barbarei, um die göttliche Vorsehung nicht ganz aus der Welt verschwinden zu lassen. Dies bedeutet, dass für ihn der Mensch zwar ein rationales Wesen ist, den aber die göttliche Vorsehung leitet, was durch den Rückfall in die Barbarei wieder offenbar wird. Dieser Rekurs auf eine höhere Macht ist deshalb notwendig, weil nur auf diese Weise der Widerspruch aufgelöst werden kann, der darin besteht, dass der Mensch Subjekt der Geschichte ist, ohne es aber eigentlich wirklich zu sein, da sich die politische Entwicklung der Gemeinschaft noch nach anderen Bestimmungsfaktoren richtet, die wie die Natur unberechenbar sind. Mit anderen Worten verdankt sich der Stoff der Geschichte der menschlichen Freiheit, aber auch sonstigen Einflüssen, weshalb bereits aus diesem Grund die Geschichte nicht einem sicheren Verlaufsschema im Sinne einer Naturgesetzlichkeit folgen kann (vgl. T.  S. Hoffmann (Fn. 3), S. 356 f.). Ein universales Weltgesetz kann deshalb nur dann eine Direktive für eine zukünftige Entwicklung sein, wenn sich der in diesem ausdrückende Gemeinsinn richtungweisend für die gemeinschaftliche Entwicklung entpuppt. Hierbei sieht Jürgen Habermas (J. Habermas (Fn. 8), S. 207 ff.; ebenso G. Cacciatore (Fn. 3), S. 200 f. / 209 f.; in diese Richtung tendiert schließlich auch A. U. Sommer (Fn. 8), S. 200 ff.; vgl. auch G. Mohr, Kants Grundlegung der kriti­ schen Philosophie, in: ders. (Hrsg.), Immanuel Kant – Theoretische Philosophie, Texte und Kommentar, Bd. III, Frankfurt a. M. 2004, S. 184; a. A. dagegen W. Wehle (Fn. 3), S. 167 f.; grundsätzlich hierzu auch F. Kaulbach, Der Zusammenhang zwischen Naturphilosophie und Geschichtsphilosophie bei Kant, Kongressbereicht 1966, S. 430 ff.) nun bei Giambattista Vico eine direkte Parallele zu Immanuel Kant und dessen kategorischem Imperativ als einer regulativen Idee für das sittliche Han­ deln, der aber kein verbindlicher inhaltlicher Handlungsmaßstab zu entnehmen ist. Georg Wilhelm Friedrich Hegel löst das Problem um die prospektive Historie schließlich durch eine Nutzbarmachung des Widerspruchs der fehlenden vollen Iden­ tität des Menschen mit dem Subjekt der Geschichte als vorantreibende Kraft, indem der Weltgeist auf jeder Stufe als ein Fremdes eine Aktualisierung erfährt, die zu einer steten Erneuerung der Geschichte im erzeugenden Akt der Menschheit führt (J. Habermas, ebd. S. 210). Durch diese dialektische Anordnung kommt der objek­ tive Geist als der konkrete, zu einer bestimmten Zeit vorherrschende Gemeinsinn zu sich selbst, der sich letztlich in der Rechtsordnung manifestiert (T.  S. Hoffmann, ebd., S. 363 f.). Eine sinnvolle Verknüpfung dieser Gedanken führt im Hinblick auf die Naturstaatlichkeit zu einer regulativen Idee der steten Beachtung der Natur, was sich mit der Dauer in der erneuernden Projektion der historischen Entwicklung eines Umwelt- und Naturschutzgeistes in der positiven Rechtsordnung niederschlägt. Zur Geschichtsphilosophie in der heutigen Welt auch das kritische Gespräch mit Alfred Schmidt A. Schmidt, „Die Geschichtsphilosophie ist gescheitert“, Neue Gesellschaft, Frankfurter Hefte 1991 (6), Bd. 38, S. 557 ff.

1. Teil

Der naturstaatliche Volksgeist in der deutschen Staatstheorie und Verfassungsgeschichte Eine staatstheoretische Untersuchung der deutschen Naturschutzgeschich­ te vor dem Hintergrund eines gegenwärtig vor sich gehenden Ausbaus einer naturstaatlichen Doktrin zur Erlangung einer universalen Botschaft im Sinne eines staatswissenschaftlichen Idealismus steht von vornherein unter einem weltgeschichtlichen Dilemma, das den allgemeingültigen Erkenntnisgewinn zu nivellieren droht. Demnach steht die unter imperialistischen Vorzeichen der europäischen Umwälzung stehende Epoche des frühen 20. Jahrhunderts, die in ihrer ideologischen Verklärung in mehreren Staaten Europas totalitä­ re Regime hervorgebracht hat,1 teilweise in der Literatur hinsichtlich ihrer erkenntnistheoretischen Brauchbarkeit unter einem kritischen Generalver­ dacht, wonach eine Adaption der vergangenen Diskurse während der Zeit des Deutschen Reichs für heutige Problemkonstellationen infolge der irra­ tionalistischen Abgründe dieser Diskussionsformate nicht möglich ist.2 An­ dererseits stellt sich für eine konfigurationsbezogene Analyse einer natur­ staatlichen Systemimmanenz des Deutschen Reichs die Frage, ob die hier zunächst gewählte historische Methode als Prinzip der Epistemologie ihr gewünschtes Erkenntnisobjekt – den Naturstaat – überhaupt generieren kann, da das für einen naturstaatlichen Leitgrundsatz des modernen Staates entscheidende Verhältnis von Mensch und Natur im Sinne einer ökologi­ 1  Siehe hierzu nur W. Reinhard, Die Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., Mün­ chen 2002, S. 435 ff. / 458 ff. / 467 ff. 2  Dazu nur die kritische Darstellung einzelner Weimarer Staatsrechtslehrer bei W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 160 ff.; mit Blick auf die eu­ ropäische Integration teilweise auch I. Pernice, Carl Schmitt, Rudolf Smend und die europäische Integration, AöR 1995 (120), 100 (108 ff.); a. A. M.  Llanque, Die poli­ tische Theorie der Integration: Rudolf Smend, in: A. Brodocz (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart, Bd. I, Opladen 2009, S. 334; ders., Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Göbel u. a. (Hrsg.), Metamorphosen des Po­ litischen, Berlin 1995, S. 175 f.; indiziell für die auch heute noch bestehende Brauch­ barkeit der damaligen Staatstheorien von Weimar auch die umfassenden Ausführun­ gen bei K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tü­ bingen 2010, S. 17 ff.

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1. Teil: Der naturstaatliche Volksgeist

schen Abhängigkeitsrelation nicht im Mittelpunkt der Betrachtungsweise stehen konnte.3 Mit anderen Worten: Können aus der Geschichte des Na­ turschutzes im deutschen Konstitutionalismus, d. h. aus dem bestimmten Volksgeist dieser nationalstaatlichen Epoche, überhaupt sinnvolle Erkennt­ nisse gewonnen werden, die sich schließlich als universale Elemente einer naturstaatlichen Weisheit der Völker nutzbar machen lassen? Den vorgetra­ genen, kritischen Einwänden in Bezug auf einen Beitrag zu einem univer­ salen Weltgesetz der Naturstaatlichkeit aus der historischen Entfaltungsge­ setzlichkeit des Deutschen Kaiserreichs bzw. des Deutschen Reichs zu einem modernen Naturstaat ist entgegenzuhalten, dass die Zeit um die Wende zum 20. Jahrhundert bzw. die Anfangszeit des demokratischen Staatssystems auf deutschem Boden im Lichte des Weimarer Methoden- und Richtungs­ streits4 die vielleicht fruchtbarste Zeit der deutschen Staatstheorie war, deren reicher Erkenntnisschatz unter dem Dach des heutigen Grundgesetzes rezeptiv weiterlebt.5 Überdies ist die gottgemachte und damit primäre Natur 3  So nur F. Schmoll, Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S. 13 f. / 47; R. Schröder, Umweltschutzrecht in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Schübe des Umweltbewusstseins und der Umweltrechtsent­ wicklung, Bonn 1995, S. 55 ff.; T. Adam, Die Verteidigung des Vertrauten, ZfP 1998 (45), 20 (39 f.); vgl. auch I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 63. Ganz vereinzelte Ansätze eines Ökologiebewusstseins nach heutigem Maßstab waren aber durchaus vorhanden, nur konnten die Wechselbeziehungen zwischen den zivilisatorischen Auswüchsen und den natürlichen Grundlagen wissenschaftlich noch nicht erklärt werden. In diesem unwissenden Sinne beschrieb Konrad Guenther den bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts merklich spürbaren Klimawandel mit den Worten: „Dass unser Klima sich so sehr ändern soll, ist keine aus der Luft gegriffene Be­ hauptung. Schon mehrfach hat, wie die Geologie lehrt, in Deutschland ein Tropen­ klima geherrscht, zum letzten Mal war das während der Tertiärperiode. Dieser folgten in der ständig wechselnden Erdgeschichte die Eiszeiten und nun kann es sehr gut sein, dass wir wieder einer wärmeren Erdepoche in Europa entgegengehen.“ (K. Guenther, Der Naturschutz, Stuttgart 1919, S. 105). Siehe hierzu auch G. Eigner, Naturpflege in Bayern, München 1908, S. 66. Dagegen weist Richard Hölzl (R. Hölzl, „…ob und wieweit auch die Natur einen Schutz gegenüber dem Men­ schen verdiene“, in: N. Mallach (Hrsg.), 100 Jahre kooperativer Naturschutz in Bayern, Laufener Spezialbeiträge 1 / 06, Laufen / Salzach 2006, S. 38 Fn. 19) auf ein schon hohes wissenschaftliches Niveau der Naturschützer hin; vgl. zu Letzterem auch die Ausführungen bei F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl, 26. April 1986, Mün­ chen 1998, S. 123 f. 4  Siehe dazu die umfassenden Darstellungen des Methoden- und Richtungsstreits bei M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III: Staatsund Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, S.  153 ff.; Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1995, S.  420 ff.; P. Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 23 ff.



1. Teil: Der naturstaatliche Volksgeist65

stets ein faktisches Moment eines modernen Staates, dessen ideelle Sinnver­ körperung wandelbar ist, aber nie ganz irrelevant werden kann. Es ist des­ halb durchaus nicht ausgeschlossen, den mit einem kulturellen Wertakzent versehenen Status der Natur im Deutschen Reich für die höhere Einsicht einer metaphysischen Direktive im Sinne von Giambattista Vico zu gebrau­ chen, insofern die einer jeden geschichtlichen Untersuchung innewohnende prospektive Relativität zielbewusst nicht übersehen wird. Wo aber die auf­ zufindenden wissenschaftlichen Tatsachen der vergangenen Zeit einer Er­ kenntnis für das wahre Systemprinzip der Naturstaatlichkeit dennoch im Wege stehen, soll es insbesondere die von Giambattista Vico angesprochene Phantasie des Lesers sein, die diesen Hemmfaktor der doktrinären Bereiche­ rung überwindet. In diesem philosophischen Sinne wird die gedankliche Brücke zu der Geschichte einer Epoche und ihren staatstheoretischen Er­ kenntnissen gebaut, die in erster Linie den menschlichen Wissensrückstand in der damaligen Zeit des Deutschen Reichs hinsichtlich der Relevanz der Natur als elementarer Lebensgrundlage ausgleicht. Im Folgenden werden nun zunächst anhand der Allgemeinen Staatslehren von Georg Jellinek, Rudolf Kjellén, Carl Schmitt, Rudolf Smend, Hans Kelsen sowie Hermann Heller entsprechend der methodischen Ansätze dieser Staatsrechtslehrer unterschiedliche Naturstaatsbegriffe entwickelt, auf deren Grundlage dann das Deutsche Kaiserreich und das Deutsche Reich einer Untersuchung hin­ sichtlich einer naturstaatlichen Systemimmanenz unterzogen werden. Im Fokus der Betrachtung soll dabei stets auch die Frage stehen, ob der Natur­ schutz als Hinweis eines deutschen Sonderwegs, oder aber als wegweisender Parameter einer parlamentarischen Moderne angesehen werden kann. Auf diesem Wege soll letztlich kein anderer Anspruch erhoben werden, als einen staatstheoretischen bzw. verfassungsgeschichtlichen Anteil an der doktrinä­ ren Entwicklung eines allgemeinverbindlichen Weltgesetzes der Naturstaat­ lichkeit zu leisten, das als regulative Maxime die zukünftigen Geschicke der Menschheit anleitet und damit naturbewusst zur Geltung bringt. Dass hier der methodische Umweg über eine historische Untersuchung des naturstaatlichen Volksgeistes im deutschen Konstitutionalismus einge­ schlagen wird, steht dem universalen Charakter dieser Naturstaatslehre als einer Allgemeinen Staatsrechtslehre auf dem Fundament der Reinen Rechts­ lehre in der Endabrechnung nicht entgegen. Hans Kelsen verurteilte die Volksgeistlehre als Anknüpfungspunkt der Historischen Schule zwar als eine „konservative, anti-revolutionäre Naturrechtslehre“ und damit als metaphy­ sisch-materielle Entstehungs- und Geltungsbegründung des Rechts aus der Geschichte, womit der weitere Weg dieser Naturstaatslehre in einer das 5  Statt vieler nur P. Unruh, Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz, Berlin 2004, S.  21 ff.

66

1. Teil: Der naturstaatliche Volksgeist

strenge Reinheitspostulat verstoßenden Weise vorgezeichnet scheint.6 Vor dem Abbild einer objektivistischen Weltanschauung – dies muss hier vor­ weggenommen werden  ‒ bleibt diese Naturstaatslehre aber nicht beim Volksgeist stehen, sondern sie wird sich zum Weltgeist vollenden, was sich in einem analytischen Formalismus manifestieren wird.7

6  H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, Politische Vierteljahres­ schrift 1962 (3), 316 (327); vgl. auch C. Jabloner, Kein Imperativ ohne Imperator – Anmerkungen zu einer These Kelsens, in: S. L. Paulson (Hrsg.), Untersuchungen zur reinen Rechtslehre, Ergebnisse eines Wiener rechtstheoretischen Seminars 1988, Bd. II, Wien 1988, S. 86 f. 7  Hierzu H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völker­ rechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 316 ff.; M. Haase, Grund­ norm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 24.

1. Abschnitt

Allgemeine Naturstaatslehre § 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek) I. Allgemein Eine staatstheoretische Analyse des Deutschen Reiches als einem Natur­ staat ist ohne einen Rekurs auf die Allgemeine Staatslehre von Georg Jel­ linek nicht denkbar.1 Hans Kelsen skizzierte das Werk dieses Staatsrechts­ lehrers als dogmengeschichtlich und literarhistorisch allen wissenschaft­ lichen Bedürfnissen vollauf entsprechende Zusammenfassung der Staatsleh­ re des 19. Jahrhunderts, die in der Mehrzahl der Fälle die durchschnittliche Schulmeinung lieferte.2 In der Tat zeichnet sich die Allgemeine Staatslehre von Georg Jellinek durch ihre systematische Illustration des damaligen staatstheoretischen Erkenntnisstandes aus, weshalb sie auch im vorliegen­ den Kontext einer naturstaatlichen Untersuchung der Option eines synthe­ tischen Abbildes des Wissens- und Forschungszustands der Staatslehre um die Wende zum 20. Jahrhundert dienen soll. Die Staatslehre von Georg Jellinek zeigt den Staat schließlich als ein dual aufgegliedertes Erkenntni­ sobjekt, das sich aus der soziologischen Wirklichkeit, dem realen Sein, 1  Zur Person Georg Jellinek W. Jellinek, Georg Jellineks Werke, AöR 1911 (27), S.  606 ff.; C. Jellinek, Georg Jellinek. Ein Lebensbild, entworfen von seiner Witwe, in: G. Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden, Neudruck der Auflage aus dem Jahre 1911, Bd. I, S. 7 ff.; A. Langer, Die normative Kraft des Faktischen und Georg Jellinek, in: H.  Glassl / O.  Pustejovsky (Hrsg.), Ein Leben  – drei Epochen, München 1971, S.  257 ff.; K.-P. Schroeder, Eine Universität für Juristen und von Juristen, Die Heidelberger Juristische Fakultät im 19. und 20. Jahrhundert, Tübingen 2010, S.  286 ff.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. II: Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, München 1992, S. 450 f.; G. Kleinheyer u. a. (Hrsg.), Deutsche und europäische Juristen aus neun Jahrhunder­ ten – eine biographische Einführung in die Geschichte der Rechtswissenschaft, 5. Aufl., Heidelberg 2008, S. 225 ff.; A.  Fijal / R.-R.  Weingärtner, Georg Jellinek – Universalgelehrter und Jurist, JuS 1987, 97 (98 f.); J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 17 ff. 2  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1.  Aufl. (1925), Wien 1993, Vorrede, S. IX; ders., Der Staat als Integration, Wien 1930, S. 3; A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 64 f.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

sowie einer normativen Ordnung des Sein-Sollens zusammensetzt.3 Damit nimmt Georg Jellinek bewusst Bezug auf die Erkenntnistheorie von Imma­ nuel Kant, der zwischen Sein und Sollen differenzierte und mit seinem Postulat eines erkenntnistheoretischen Dualismus die gedankliche Grundla­ ge für das zweiseitig geprägte Staatsmodell Georg Jellineks legte.4 Gleich­ wohl ist Georg Jellinek aber kein Neukantianer im eigentlichen Sinne, da für ihn der Staat als zu entschlüsselndes Erkenntnisobjekt bereits besteht und nicht erst durch die epistemologische Methodik erzeugt wird.5 Die Staatstheorie Georg Jellineks kann letztlich als rechtspositivistisch ausge­ richtet gelten, da sie trotz ihrer dual geprägten Staatsstruktur den Ansatz verfolgt, das positive Recht durch eine analysierende, unter die Rechtsbe­ griffe zu ordnende Tätigkeit einer rechtlichen Dogmatik zuzuführen.6 Be­ tont sei noch der spätkonstitutionelle Erkenntnishorizont des autoritär-kor­ porativen Obrigkeitsstaates des Deutschen Kaiserreichs, dessen prägnantes 3  Vgl. G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 11; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl., Tü­ bingen 1905, S. 12 ff.; K.  Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 19. 4  Hierzu nur M. Stolleis (Fn. 1), S. 451; J. Kersten (Fn. 1), S. 145 / 149; O.  Lepsius, Die Zwei-Seiten-Lehre des Staates, in: A. Anter (Hrsg.), Die normative Kraft des Faktischen, Baden-Baden 2004, S. 78 ff.; H.-P. Albert, Der Staat als „Handlungs­ subjekt“. Interpretation und Kritik der Staatslehre Georg Jellineks, Heidelberg 1988, S.  45 ff.; M.-E. Geis, Der Methoden- und Richtungsstreit in der Weimarer Staatsleh­ re, JuS 1989, 91 (92); P. Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weima­ rer Republik, Frankfurt a. M. 2002, S. 24; A.  Fijal / R.-R.  Weingärtner (Fn. 1), JuS 1987, 97 (99); G. Kleinheyer u. a. (Hrsg.) (Fn. 1), S. 226; vgl. auch D.  Lehnert, Sozialismus und Nation. Hellers Staatsdenken zwischen Einheit und Vielfalt, in: M. Llanque (Hrsg.), Souveräne Demokratie und soziale Homogenität – das politi­ sche Denken Hermann Hellers, Baden-Baden 2010, S. 184; trotz neukantianischen Anknüpfungspunkten im Ergebnis eher ablehnend H. Boldt, Staat, Recht und Politik bei Georg Jellinek, in: A. Anter (Hrsg.), Die normative Kraft des Faktischen, BadenBaden 2004, S. 15 Fn. 13. 5  J. Kersten (Fn. 1), S. 147 ff.; P. Badura, Die Methoden der neueren allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 206 Fn. 17; differenzierend, im Ergebnis aber zustimmend O.  Lepsius (Fn. 4), S. 80. Für Oliver Lepsius agiert Georg Jellinek gegenstandserzeugend, ohne aber hintergründig die Idee eines einheitlich bestimmten Gegenstandes „Staat“ aufzugeben: „In der neukan­ tianischen Entwicklung bleibt (Georg) Jellinek insofern auf halbem Wege stecken: Einerseits erkennt er die Bedeutung der Methode für die Erkenntnis des Gegenstan­ des, andererseits hält er trotzdem an der Vorstellung eines Dinges-an-sich fest. Die­ se Spannung solle durch die Zwei-Seiten-Theorie des Staates bewältigt werden.“ 6  Siehe hierzu G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 138; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 242; W. Heun, Der staatsrechtliche Positivismus in der Weimarer Republik. Eine Konzeption im Widerstreit., in: Der Staat 28 (1989), 377 (380 f.); W.  Ott, Der Rechtspositivismus, Berlin 1976, S. 65; P.  Otto (Fn. 4), S. 24 / 26; H. Boldt (Fn. 4), S. 15.



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)69

Folienabbild der Allgemeinen Staatslehre von Georg Jellinek zugrunde liegt.7 Die als dualistisch zu bezeichnende Betrachtungsweise des Staates bei Georg Jellinek resultiert aus der grundlegenden Weichenstellung in seiner Allgemeinen Staatslehre, wonach der Staat nicht lediglich ein gesellschaft­ liches Gebilde, sondern auch eine rechtliche Institution sei.8 Denn dem­ nach zerfalle die Allgemeine Staatslehre in die soziale Staatslehre und in die Staatsrechtslehre,9 wobei die erste auf ein Verständnis des Staates als einem Sozialgebilde in der Totalität seines Wesens gerichtet ist, während sich die Staatsrechtswissenschaft als einer Normwissenschaft mit der juris­ tischen Struktur des Staates befasst.10 An dieser Stelle zeigt sich bereits die grundsätzliche Anschauung von Georg Jellinek zu dem Verhältnis von Staat und Recht, welches sich an den in den beiden Bereichen des Staates herrschenden unterschiedlichen Erkenntnismethoden11 verdeutlicht: „Staat und Recht können nicht identisch sein, da das Recht den Staat 7  Siehe hierzu M. Stolleis (Fn. 1), S. 453; J. Kersten (Fn. 1), S. 412; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 77 f. / 85; H. Boldt (Fn. 4), S. 18; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 401 f. Demnach kann insoweit schließlich bei Georg Jellinek von einem politischen Erlebnishorizont im vordemokratischen Machtstaat gespro­ chen werden. Zu den Rahmenbedingungen des Deutschen Kaiserreichs aus verfas­ sungsgeschichtlicher Sicht K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S.  343 ff.; E.-R. Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 2 Rn. 1  ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 281 ff.; W.  Frotscher / B.  Pieroth, Verfassungsgeschichte, 12. Aufl., München 2013, S. 197 ff. 8  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 11; P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 206 ff. 9  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 11; ders., System der subjektiven öffentlichen Rech­ te (Fn. 3), S. 12 ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 4. Jens Kersten (J. Kersten (Fn. 1), S. 145) spricht in seinem Werk zu Georg Jellinek davon, dass die Zwei-Seiten-Lehre für den genannten Staatsrechtslehrer nicht nur das Gliederungsschema für die Allgemeine Staatslehre, sondern auch „die“ Klärungsformel für die Staatslehre überhaupt darstellte. Oliver Lepsius (O.  Lepsius (Fn. 4), S. 64) spricht dagegen von dem „grundlegende(n) Ein­ teilungskriterium“. Die Zwei-Seiten-Lehre erklärt sich daraus, dass es der damaligen im Deutschen Kaiserreich maßgebenden Sichtweise des Alltags entsprach, dass der staatlichen Erkenntnis zwei Auffassungsmöglichkeiten zugrunde liegen konnten; so nur B. v. Schmidt, Der Staat. Eine öffentlich-rechtliche Studie, Leipzig 1896, S.  104 ff.; M. Stolleis (Fn. 1), S. 451. Daran zeigt sich wieder die mit Blick auf die klassische Staatslehre des 19. Jahrhunderts systematisierende Eigenart der Allgemei­ nen Staatslehre von Georg Jellinek, die bereits angesprochen wurde. 10  P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 206 ff.; P.  Otto (Fn. 4), S. 24. 11  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 11 / 138 f.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

voraussetzt.“12 Aus diesem Grund aber ist zunächst eine Erkenntnis des Staates als einem sozialen Wesen erforderlich, bevor die rechtliche Seite des Staates betrachtet werden kann. Dies wird von Georg Jellinek bestä­ tigt, wenn er schreibt: „Auch wenn die Staatsrechtslehre die rechtliche Seite des Staates isoliert, um zu deren gründlicher Erkenntnis zu gelan­ gen, so muss sie von Prinzipien ausgehen, die einer allseitigen Erkenntnis des Staates entsprungen sind.“13 Der Erkenntnisprozess des Staates ist des­ halb in seinem Ausgangspunkt dualistisch, da er verschiedene Systemsphä­ ren zu seiner immanenten Voraussetzung hat. Dennoch sei aber eine Er­ kenntnis des Staates nur im Zusammenhang der beiden Disziplinen mög­ lich, weshalb die juristische Erkenntnisweise des Staates die soziale daher zu ergänzen habe, aber in keiner Weise mit ihr zu vermengen sei.14 Die hier gewählte Darstellung der „Zwei-Seiten-Lehre“15 unter Einbeziehung 12  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 11 / 138 f. Fn. 1. Insoweit opponierte freilich Hans Kelsen, für den der Staat von Grund auf Rechtsstaat ist; hierzu H. Kelsen, Haupt­ probleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, S.  97  ff.; ders., AS (Fn. 2), S. 6 f. / 13 ff.; ders., Reine Rechtslehre, unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 117 ff.; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922, S.  105 ff.; ders., Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 155 ff.; K.  Larenz (Fn. 3), S. 19 / 40; H.-J. Koch, Seminar: Die juristische Methode im Staatsrecht – über Gren­ zen von Verfassungs- und Gesetzesbindung, Frankfurt a. M. 1977, S. 67 ff.; M. Stoll­ eis (Fn. 1), S. 453; J. Kersten (Fn. 1), S. 171 ff.; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 81; H. Boldt (Fn. 4), S. 30 Fn. 60; K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010, S. 118 f.; H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfas­ sungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 127; R. Walter / C. Jabloner, Hans Kelsen (1881–1973). Leben – Werk – Wirkung, in: M. Lutter u. a. (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emi­ granten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 532; vgl. auch M. Stockhammer, Kelsen und die Opposition – Zum Positivitäts­ problem, Revue internationale de la théorie du droit 1934 (8), S. 201 ff. 13  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 11 f. / 138 f. 14  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 12 / 139; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte (Fn. 3), S. 13 ff.; M. Stolleis (Fn. 1), S. 451 f.; P.  Otto (Fn. 4), S. 25. 15  Ausführlich zur Zwei-Seiten-Lehre des Staates J. Kersten (Fn. 1), S. 145 ff.; H.-J. Koch (Fn. 12), S. 63 ff.; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 63 ff.; M. Stolleis (Fn. 1), S. 451 ff. Zum Politikverständnis von Georg Jellinek G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 13 ff.; H.-J. Koch, ebd., S. 63 ff.; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 76 ff.; H. Boldt (Fn. 4), S. 25 ff. Nach den Ausführungen Georg Jellineks habe die Politik nicht wie die soziale Staatslehre Erkenntnisurteile, sondern Werturteile zum Inhalt. Daher erkenne sie wie das Recht ein Sein-Sollen und nicht ein Sein. Dass sich die Unterscheidung von sozialer Staatslehre und Politik verfängt, wird von Hans-Joachim Koch (H.-J. Koch, ebd., S. 67) zutreffend dargelegt, da auch die Politik auf die empirische Feststellung des unter Beachtung der sozialen Realität Möglichen im Hinblick auf Inhalt und Ziel politischen Handelns ausgerichtet ist. Die Differenzierung zwischen Politik, sozialer Staatslehre und Staatsrechtslehre bei Georg Jellinek beruhte darauf, dass die sich



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)71

des Verhältnisses von Staat und Recht soll bereits an dieser Stelle das Bewusstsein für die gegenseitige Beziehung der Sein- und Sein-SollenSphäre schärfen. Der Staatsbegriff Georg Jellineks ist zwar inhaltlich du­ alistisch, er bringt aber gleichwohl den Staat als ein einheitliches Ganzes hervor. Die heilende Symbiose ergibt sich schließlich aus dem Erkenntnis­ objekt und dem synthetischen Erkenntnisbewusstsein des Wissenschaftlers, die als Pole die unterschiedlichen Perspektiven einer staatstheoretischen Erkenntnisbildung integrieren.16 Mit anderen Worten dürfen die reale und normative Betrachtungsweise nicht miteinander vermengt werden, die den Staat als Ganzheit in Erscheinung tretende Position ergibt sich vielmehr aus einer auf den Staat als Erkenntnisgegenstand bezogenen psychischen Integration, in der die vom Staat ausgehenden Kausalfaktoren ihre synthe­ tische Erfassung finden.17 Methodisch bedeutet dies die Abkehr von der neukantianischen epistemologischen Vernunft, wonach die jeweilige Me­ thode den zu erfassenden Gegenstand selbst generiere. Daraus folgt, dass für den Staatsrechtslehrer Georg Jellinek der Staat als das zu erklärende Erkenntnisobjekt bereits vor dem eigentlichen Kognitionsprozess besteht, so dass die angewandte Methodik letztlich nur für die Beschreibung ihres real gegebenen Untersuchungsgegenstands streitet.18 Von dieser synthetischen Erkenntnisleistung des Betrachters abgesehen tritt das dualistische Moment in der Staatslehre von Georg Jellinek deutlich hervor, wenngleich es dem wissenschaftsstrategischen Anliegen des Staats­ rechtslehrers entsprach, zwischen den beiden Sphären des Staates und dem­ zufolge zwischen Faktizität und Normativität zu vermitteln.19 Dies wird an­ schaulich, wenn die Beziehung von Staat und Recht sowie die darauf aufbau­ ende Selbstverpflichtungslehre des Staates betrachtet wird, die schließlich die dogmatische Figur für ein Verständnis des Staates sowohl als einer sozialen Verbandseinheit als auch einer juristischen Körperschaft darstellt.20 Für Ge­ org Jellinek sind die naturalistischen Staatstheorien, die den Staat überwie­ unter machiavellistischen Einflüssen herausentwickelte Dichotomie von Politik und Recht im 19. Jahrhundert noch eine dritte Unterteilung hinnehmen musste, indem die für die damalige Zeit typische Annahme der historisch-politischen, andauernden Veränderungen unterworfenen „sozialen“ Seite des Staates einem soziologischeren Verständnis Platz machte. Fortan war die Politik an der Zukunft orientiert, während die soziale Staatslehre als empirische Wissenschaft vom Seienden, die historische Anschauung dagegen auf das Gewesene, die Vergangenheit, programmiert war; sie­ he hierzu zusammenfassend nur H. Boldt (Fn. 4), S. 26. 16  J. Kersten (Fn. 1), S. 148. 17  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 137; M. Stolleis (Fn. 1), S. 452; J. Kersten (Fn. 1), S. 148; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 64 ff.; H. Boldt (Fn. 4), S. 16. 18  J. Kersten (Fn. 1), S. 147 ff. 19  J. Kersten (Fn. 1). S. 146. 20  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 174 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

gend objektiv, d. h. unabhängig von der inneren Willensstruktur der mensch­ lichen Individuen, als eine naturgegebene Tatsache, als einen aus der bürger­ lichen Natur der Individuen abgeleiteten Herrschaftszustand oder als einen natürlichen Organismus, der unabhängig von den einzelnen Individuen ein eigenes von Naturgesetzen beherrschtes Dasein führt, nicht tragbar, weil sie das soziale Wesen des individuellen Menschen nicht hinreichend berücksich­ tigen.21 Ähnlich verläuft es mit den sozialen Organismustheorien, die zwar das soziale Wesen der Individuen erkennen, diese aber zu einer realen Subs­ tanz, dem Staat als Organismus, zusammenfassen, so dass sich letztlich ein staatliches Gebilde zeigt, wie es sich infolge einer subjektiven, teleologischen Betrachtungsweise darbietet, deren transzendente Bedeutung aber in den Be­ reich der Metaphysik reicht.22 Eine Staatslehre hat daher die vielfachen sozi­ alen, auf den verschiedensten Willen beruhenden Wechselbeziehungen der einzelnen Individuen zu einer Ganzheit zu abstrahieren, wobei die Menschen als das historisch-soziale Substrat erscheinen, ohne dass dies aber zu der fal­ schen Vorstellung eines sinnlichen Objektes anstelle des Substrats führen darf.23 Der Staat ist daher für Georg Jellinek eine Kollektiv- und Verbands­ einheit, die die sozialen Individuen über die jeweiligen Organe zu einer rea­ len Einheit verbindet und damit gleichsam die Kontinuität des staatlichen Daseins im Wechsel der Generationen sichert, was vor allem bei den natura­ 21  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 141 ff. / 148; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 67 ff.; H. Boldt (Fn. 4), S. 14; vgl. auch P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 205 f. In diesem Zusam­ menhang der Theorien vom überwiegend objektiven Sein des Staates wendet sich Georg Jellinek vor allem noch gegen diejenigen Staatstheorien, die den Staat als objektives Wesen mit einem seiner Elemente (Herrscher, Volk, Land) gleichsetzen. Demnach ist eine entsprechende Tendenz zu einer Identität von Staat und Land in der patrimonialen Staatstheorie vorhanden gewesen. In erster Linie kritisiert Georg Jellinek aber die Lehre, die den Staat mit dem Volk identifiziert. In diesem Sinne führte er aus, dass eine Vielheit von Individuen nur durch eine sie einigende Orga­ nisation zum Volke werde. Eine Organisation sei aber nur möglich kraft anerkannter Sätze über die rechtliche Willensbildung einer Vielheit, wodurch diese eben zur Einheit zusammengefasst werde. Schließlich führt nach der Ansicht Georg Jellineks die Annahme einer Identität von Staat und Herrscher oder Obrigkeit zu einer Ver­ körperung des Staates durch eine Person als wahrer Realität (G. Jellinek, AS, ebd., S.  144 ff.). 22  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 152 ff.; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 69; H. Boldt (Fn. 4), S. 14; P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 206 Fn. 15. Angesprochen ist hiermit die Theorie der realen Verbandsperson im Sinne von Otto von Gierke; siehe hierzu G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 22 Fn. 16; H. Helfritz, Allgemeines Staatsrecht – mit einem Abriss der Staatsthe­ orien, 5. Aufl., Detmold 1949, S. 83 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 147 ff.; vgl. auch H. Nawiasky, Grundlegung (Fn. 9), S. 146 ff. Zu den staatstheoretischen Erklärungsansätzen von Georg Jellinek und Otto von Gierke im direkten Vergleich J. Kersten (Fn. 1), S. 273 ff. 23  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 161.



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)73

listischen Staatstheorien unmöglich wäre.24 Das einigende Moment innerhalb des Staates sind dabei in erster Linie konstante, innerlich kohärente Zwecke, die das staatliche Gebilde angesichts der Mannigfaltigkeit an konstanter, re­ lativer Zweckverwirklichung letztlich zu der ausgebildetsten und umfas­ sendsten Verbandsorganisation erheben.25 Als konstituierende und letzte ob­ jektive Bestandteile des Staates fungieren aber stets die Willensverhältnisse zwischen den Herrschenden und Beherrschten, die in zeitlicher und räumli­ cher Kontinuität stehen.26 Der Staat erscheint auf diese Weise als eine auf einem räumlich abgegrenzten Herrschaftsbereich ruhende Verbandseinheit von sesshaften Menschen, die nach dem dual aufgebauten Staatsmodell Ge­ org Jellineks damit gleichsam eine mit ursprünglicher Herrschermacht ausge­ stattete Gebietskörperschaft ist.27 Die Doppelnatur des Staates als Rechtssub­ jekt, das sich aus dem sozialen Substrat der Verbandseinheit bildet, ohne aber mit dieser völlig identisch zu sein,28 wird nur offenkundig, wenn die soziolo­ 24  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 161; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt (Fn. 6), S. 246 ff.; vgl. auch G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 22), S. 21. Dazu auch das folgende Zitat von Georg Jellinek in Bezug auf die generationenüber­ greifende Perspektive eines modernen Staates: „Das Gemeininteresse geht (…) über das Interesse der momentan den Staat bildenden Menschen (hinaus), es umfasst ebenso das Interesse der noch ungeborenen Generationen, es erstreckt sich in die fernste Zukunft.“ (G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte (Fn. 3), S. 68 f.; zitiert auch bei K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S. 188 f.). 25  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 179; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte (Fn. 3), S. 25 ff.; ders., Gesetz und Verordnung – staatsrechtliche Untersu­ chungen auf rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Grundlage, Freiburg i. B. 1887, S.  194 f., P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 208; vgl. auch H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 11 f. Neben den teleologischen Einheiten kommen für Georg Jellinek als Einigungsprinzipien räumliche, zeitliche, kausale und formale Einheitsfaktoren in Betracht (G. Jellinek, AS, ebd., S. 177). 26  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 177. 27  G. Jellinek, AS (Fn. 3). S. 179 / 183; vgl. hierzu grundsätzlich auch G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 22), S. 21 f. 28  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 163; E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt (Fn. 6), S. 246 ff. Die Erkenntnis des realen Daseins des Staates müsse dem Rechtsbegriff des Staates zugrunde gelegt werden, dürfe ihm aber nicht gleichgestellt werden. Auch an dieser Stelle gibt Georg Jellinek einen Überblick zu den sonstigen Lehrmeinungen anderer Staatsrechtslehrer. Demnach erscheine bei Otto von Gierke der Staat als ein durch eine feste Organisation und dauernde Zwecke geeinigter Ver­ band, als eine von den Einzelnen unterschiedene Einheit, die trotzdem nur durch die Vielheit und in der Vielheit der Individuen bestehe. Dies führt letztlich zu dem Staat als einer doppelten Person, weil die juristische Persönlichkeit wie beim Individuum erst durch Rechtssatz entsteht. In klarer Form habe dann Edmund Bernatzik Gemein­ wesen und juristische Person geschieden und jenes als das mögliche Substrat dieser erkannt. Ferner habe Albert Haenel den Staat als korporativen Verband vom Staate als

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

gische Abhängigkeit des Rechts betrachtet wird. Alles Recht habe als not­ wendiges Merkmal das der Gültigkeit, so dass die Positivität des Rechts in letzter Linie immer auf der Überzeugung von seiner Gültigkeit beruhe und sich die (positive) Rechtsordnung auf diesem rein subjektiven Element auf­ baue.29 Außerdem sei (aber auch) alles Recht in einem Volke ursprünglich nichts als faktische Übung.30 Für Georg Jellinek zeigt sich dies bereits an der „Figur“ der normativen Kraft des Faktischen, aus der ein als Norm anerkann­ tes Verhalten eines Staates resultieren könne.31 Abgesehen davon erzeuge die fortdauernde Übung die Vorstellung des Normgemäßen dieser Übung, und die Norm erscheine selbst als autoritäres Gebot des Gemeinwesens, also als Rechtsnorm.32 Nach dieser grundlegenden Einsicht sind aber dann sowohl Entstehungs- als auch Geltungsgrund des positiven Rechts „sozialpsycholo­ juristischer Persönlichkeit geschieden (S. 159 f.). Es bleibt eine Bemerkung Georg Jellineks zu erwähnen, auf die später zurückzukommen sein wird, wonach die Kör­ perschaft eine Form der juristischen Synthese sei, um die rechtlichen Beziehungen der Verbandseinheit, ihr Verhältnis zur Rechtsordnung auszudrücken (S. 183). 29  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 333 f.; A.  Langer (Fn. 1), S. 260 ff.; M. Stolleis (Fn. 1), S. 452; W.  Ott (Fn. 6), S. 65; H. Boldt (Fn. 4), S. 23 f.; P. Badura (Fn. 5), S. 208 f. In diesem Zusammenhang schrieb Georg Jellinek, dass ein Rechtssatz nur dann Bestandteil der Rechtsordnung sei, wenn er gelte; ein nicht mehr geltendes Recht oder ein Recht, das erst Geltung gewinnen solle, sei nicht Recht im wahren Verstande des Wortes. Walter Ott kennzeichnete den Rechtspositivismus von Georg Jellinek schließlich als einen „psychologischen Positivismus“; so auch bereits K. Larenz (Fn. 3), S. 19; S. L.  Paulson, Der Normativismus Hans Kelsens, JZ 2006, 529 (533); ders., Faktum / Wert-Distinktion: Zwei-Welten-Lehre und immanenter Sinn. Hans Kelsen als Neukantianer, in: R. Alexy (Hrsg.), Neukantianismus und Rechts­ philosophie, Baden-Baden 2002, S. 231; E. Kramer, Kelsens „Reine Rechtslehre“ und die „Anerkennungstheorie“, in: M: Imboden u. a. (Hrsg.), Festschrift für Adolf J. Merkl zum 80. Geburtstag, München u. a. 1970, S. 188. 30  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 339; M. Stolleis (Fn. 1), S. 452; P. Badura (Fn. 5), S. 208; A.  Fijal / R.-R.  Weingärtner (Fn. 1), JuS 1987, 97 (99); G. Kleinheyer u. a. (Hrsg.) (Fn. 1), S. 226; siehe zur Lehre des doppelten Gesetzesbegriffs bei Georg Jellinek auch E.-W. Böckenförde (Fn. 6), S. 243 ff. 31  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 338 f.; M. Stolleis (Fn. 1), S. 452; P. Badura (Fn. 5), S. 208; A.  Fijal / R.-R.  Weingärtner (Fn. 1), JuS 1987, 97 (99); weitergehend und vertiefend A. Langer (Fn. 1), S. 260 ff. Carl Schmitt (C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934, S. 37) kritisiert später die von Georg Jellinek angebrachte Wendung von der „normativen Kraft des Fakti­ schen“: „Ein Positivist mit schärferer Logik würde von einer ‚dezisionistischen‘ Kraft des Faktischen sprechen, die natürlich mindestens ebenso groß ist wie die ‚normative‘ Kraft.“ (…) Von einer „ordnenden Kraft des Faktischen ließe sich eher sprechen, doch entspricht das konkrete Ordnungsdenken dem auf die funktionieren­ de Sicherheit und Berechenbarkeit gerichteten positivistischen Bedürfnis nicht in demselben Grade, wie die Verbindung von Normativismus und Dezisionismus, die das rechtswissenschaftliche Wesen des Positivismus ausmacht.“ 32  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 339; A.  Fijal / R.-R.  Weingärtner (Fn. 1), JuS 1987, 97 (99).



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)75

gischer“ Natur, weshalb Georg Jellinek die vorgenommene Trennung des Faktischen von dem Normativen relativiert und sich zu einem soziologischen Methodenmonismus bekennt.33 Entscheidend sind demnach stets die Vorgän­ ge in der realen Wirklichkeit, deren subjektive Einfärbung das Recht erzeu­ gen, beibehalten, ändern und derogieren lässt, so dass das Recht nur unter der immanenten Bedingung der Rechtsüberzeugung Geltung beanspruchen kann.34 Das Recht, das aus den menschlichen Übungen, vermittelt durch die staatlichen Organe, gebildet wird, steht demzufolge unter dem Vorbehalt von 33  P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 208 ff. (Hervorhebung im Original). In diese Richtung ebenso M. Friedrich, Geschichte der deutschen Staatsrechtswissenschaft, Berlin 1997, S. 288 f., der der staatstheoretischen Konzeption von Georg Jellinek das Prädikat „sozialwissenschaftlich“ verleiht. Den Befund eines soziologischen Metho­ denmonismus stützen auch die Ausführungen bei A.  Langer (Fn. 1), S. 260 ff.; H.-J. Koch (Fn. 12), S. 63 ff.; S. L.  Paulson, Faktum / Wert-Distinktion (Fn. 29), S. 231. Nach der Ansicht von Jens Kersten (J. Kersten (Fn. 2), S. 165 ff.) wird bei Georg Jellinek Normativität mit dem Begriff des „Sein-Sollenden“ bereits auf einen Ab­ gleich mit dem realen „Sein“ hin perspektiviert. Der damit verbundenen Faktizitäts­ perspektive der Normativität steht aber keine vergleichbare Normativitätsperspektive der Faktizität gegenüber. Faktizität ist daher unabhängig von Normativität feststell­ bar. Normativität bleibt aber ohne Faktizität unbestimmt. Dennoch bleibt aber Georg Jellinek formal-juristisch orientiert, indem er das Kriterium der unzweifelhaften faktischen Rechtsgeltung als Merkmal der Rechtsnormen verwendet und damit auf der Seite der sozialen Normbeschreibung verharrt; a. A. dagegen bei O.  Lepsius (Fn. 4), S. 67 f. / 71 f. / 76, der die Allgemeine Staatslehre von Georg Jellinek als eine primär juristische Staatstheorie beschreibt; in diese Richtung tendiert auch E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt (Fn. 6), S. 242. Die folgende Passage der Allgemeinen Staatslehre von Georg Jellinek spricht für die herrschende Mei­ nung: „Das Recht führt ein Doppelleben. Einmal als tatsächliche Rechtsübung, als welche es eine der sozialen Mächte ist, die das konkrete Kulturleben eines Volkes ausgestalten. Sodann aber als ein Inbegriff von Normen, der bestimmt ist, in Hand­ lungen umgesetzt zu werden. Das Recht in diesem letzteren Sinne gehört nicht in das Gebiet des Seienden, sondern des Sein-Sollenden, es besteht aus Begriffen und Sätzen, die nicht der Erkenntnis des Gegebenen, sondern der Beurteilung der Wirk­ lichkeit dienen. Durch juristische Normen wird daher kein reales Sein erkannt. (…) Die Rechtswissenschaft ist daher eine Normwissenschaft (…). Wenn auch die Wirk­ lichkeit die Voraussetzung des Rechtes und der Boden ist, auf dem es sich fortwäh­ rend zu erproben hat, so ist es selbst doch rein idealer Natur; der Rechtssatz als solcher führt stets nur eine gedankliche Existenz. (…) Die juristische Erkenntnis des Staates hat zum Gegenstand die Erkenntnis der vom Staat ausgehenden, seine Insti­ tutionen und Funktionen zu beherrschen bestimmten Rechtsnormen und das Verhält­ nis der realen staatlichen Vorgänge zu jenen rechtlichen Beurteilungsnormen. Die juristische Erkenntnisweise des Staates hat die soziale daher zu ergänzen, ist aber in keiner Weise mit ihr zu vermengen.“ (G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 138). 34  A.  Langer (Fn. 1), S. 260 ff.; G. Kleinheyer u.  a. (Hrsg.) (Fn. 1), S. 226 f.; H. Boldt (Fn. 4), S. 23 ff. Die sich in der Formel der normativen Kraft des Fakti­ schen widerspiegelnde erzeugende Bestimmungsfunktion des Rechts ist letztlich von der anderen Dimension zu unterscheiden, die rational auf eine Änderung der gege­ benen Verhältnisse und des positiven Rechts ausgerichtet ist.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

etwaigen Garantien, zu denen neben konstanten Machtverhältnissen auch die staatliche Zwangsordnung zu rechnen ist, welche den wesentlichen Bestand des öffentlichen Rechts zu gewähren vermag.35 Das öffentliche Recht ist für Georg Jellinek aber kein geschlossenes System, weil dieses Dogma nur in den Teilen der Rechtsordnung Geltung beanspruchen kann, in denen dem Richter die letzte Entscheidung des Einzelfalls zusteht.36 Dies ist aber bei den obersten Staatsorganen nicht der Fall, d. h. in dem Bereich, wo die Zuständig­ keiten der Staatsorgane ihre Schranken lediglich an ihrer gegenseitigen Macht finden, weshalb das gleichsam auf einer subjektiven Rechtsüberzeugung ru­ hende Staatsrecht insoweit an juristische Erforschungsgrenzen stößt.37 Dar­ aus folgt, dass an dem Faktum der staatlichen Existenz alles Recht seine un­ übersteigliche Schranke habe, oder anders gewendet, dass die Macht dem Recht vorgehe.38 Doch ist die Staatsgewalt nicht absolut unbeschränkbar. Der Staat stehe nicht derart über dem Rechte, dass er sich selbst des Rechtes ent­ ledigen könne. Nur das „Wie“, nicht das „Ob“ der Rechtsordnung liege in seiner Macht, in seiner faktischen wie in seiner rechtlichen.39 Der Staat bin­ det durch ein Gesetz neben den einzelnen Individuen auch sich selbst und führt damit einen normkonformen Vollzug des Staatswillens durch seine Or­ gane herbei.40 Die dogmatische Figur einer Selbstverpflichtungslehre beruht letztlich auf einer herrschenden Rechtsüberzeugung, einer aus einem subjek­ tiven Geist entsprungenen Forderung nach einer entsprechenden Bindung des Staates an das von ihm geschaffene Recht.41 Und aus diesem Umstand folgt 35  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 343; H. Boldt (Fn. 4), S. 24. Daraus folgen für Ge­ org Jellinek zwei Gedanken des öffentlichen Rechts. Einerseits, dass die dauernde Übung dem öffentlichen Recht zu einer Legitimation zu verhelfen vermag, anderer­ seits, dass in ihm aber auch die Macht des Staates zum Ausdruck kommt. Ein Ge­ gensatz von Macht und Recht ist indessen nicht auszumachen, weil nur die nicht von der Normgemäßheit begleitete Macht als Unrecht empfunden werde (G. Jellinek, AS, ebd., S. 343 f.). 36  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 355 ff.; H. Boldt (Fn. 4), S. 29. 37  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 360. An anderer Stelle in seiner Allgemeinen Staats­ lehre deutet Georg Jellinek aber einen Lösungsansatz für derartige Problemfälle be­ reits an: „Derartige rechtliche Vakua treten aber nur in Ausnahmefällen ein und besit­ zen stets die Tendenz nach Ausfüllung, die entweder durch Einführung streitschlich­ tender Instanz oder, wo dies der Natur der Sache nach möglich ist, durch Erhebung des Faktischen zum Normativen stattfindet (S. 359 f.). Siehe zu dem Ansinnen einer richterlichen Prüfinstanz von Georg Jellinek auch G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, Berlin 1906, S. 12 ff. / 16 / 19 f.; J. Kersten (Fn. 1), S. 212. 38  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 358 f. 39  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 477. 40  Siehe hierzu G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 478; A. Fijal / R.-R. Weingärtner (Fn. 1), JuS 1987, 97 (99); H. Boldt (Fn. 4), S. 23. 41  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 481; A.  Fijal / R.-R.  Weingärtner (Fn. 1), JuS 1987, 97 (99). Siehe zur Selbstverpflichtungslehre des Staates ausführlich J. Kersten



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)77

dann auch die anschließende Definition einer souveränen Staatsgewalt: „Nach der negativen Seite hin (…) bedeutet (…) (Souveränität) die Unmög­ lichkeit, durch irgendeine andere Macht gegen den Willen rechtlich be­ schränkt werden zu können, sei diese Macht nun staatlicher oder nichtstaatli­ cher Art. (…) Nach der positiven Seite hin aber besteht die Souveränität in der ausschließlichen Fähigkeit der Staatsgewalt, ihrem Herrscherwillen einen allseitig bindenden Inhalt zu geben, nach allen Richtungen hin die eigene Rechtsordnung zu bestimmen.“42 Mit dem Kunstgriff der Selbstverpflich­ tungslehre kreierte Georg Jellinek folglich eine auf einem Willen beruhende Rechtsperson, ohne diese aber von Grund auf normativ entstehen zu lassen.43 Der spezifische Zusammenhang des Staates zu seinem Gebiet ist für ein naturstaatliches Verständnis eines Staates von wesentlicher Bedeutung, wes­ halb auf die Staatsgebietstheorie von Georg Jellinek im Besonderen einzuge­ hen ist. Für ihn ist das Staatsgebiet ein Element des Staates, das Land, auf dem der Staat sich erhebt, und das im rechtlichen Sinne als Herrschaftsraum der sich entfaltenden Staatsgewalt anzusehen ist.44 Dies bedeutet, dass das (Fn. 1), S. 409 ff.; ders., Georg Jellineks System. Eine Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Georg Jellinek – System der subjektiven öffentlichen Rechte, Tübingen 2011, Einl. S.  26 ff.; G. Kleinheyer u. a. (Hrsg.) (Fn. 1), S. 227 f.; H. Boldt (Fn. 4), S. 23. 42  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 481 f. 43  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 144 f. / 274; J. Kersten (Fn. 1), S. 410 f.; K.  Larenz (Fn. 3), S. 19 f.; relativierend dagegen G. Kleinheyer u. a. (Hrsg.) (Fn. 1), S. 226. Georg Jellinek vertrat damit die damals vorherrschende rechtspositivistische Positi­ on, die den originären Akt des pouvoir constituant ausschließlich in der Sphäre des Politischen verortete. Siehe zu dieser Ansicht des rechtspositivistischen Lagers W. Hildesheimer, Über die Revision moderner Staatsverfassungen, Tübingen 1918, S.  39 ff.; G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Nachdruck der 14. Aufl. (1933), Bad Homburg 1960, S. 401 f.; R. Thoma, in: G.  Anschütz / ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 154 ff.; U. Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, Berlin 1966, S. 32 f.; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S. 39 ff.; erläuternd H. J. Boehl, Verfassunggebung im Bundesstaat, Berlin 1997, S. 79 Fn. 26 / 102 / 108; Ch. Winterhoff, Verfassung – Ver­ fassunggebung – Verfassungsänderung, Tübingen 2007, S. 138; A. Alvarez, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes unter besonderer Berücksichtigung des deut­ schen und chilenischen Grundgesetzes, Frankfurt a. M. 1995, S. 83 / 85. Damit in Konformität steht letztlich auch der Umstand, dass Georg Jellinek das Wesen des Staates in erster Linie als Herrschaft ansah; ausführlich dazu J. Kersten (Fn. 4), S. 229 ff. Eindrucksvoll und zutreffend Karl Larenz (K.  Larenz, ebd., S. 19 f.): „(…) hier wie dort gelangt der Positivismus nur zu der Tatsache, nicht zu dem Sinne und noch weniger zu der Berechtigung des Rechts.“ 44  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 394. Zu Beginn seiner Ausführungen zu dem „Staatsgebiet“ schafft Georg Jellinek wiederum einen historischen Erkenntniswert, wenn er anführt: „Keine der uns aus dem Altertum überlieferten Staatsdefinitionen erwähnen des Staatsgebietes. Unter dem Einfluss der Antike hat aber auch die neu­ ere Staatslehre zunächst nur das persönliche Element des Staates in Betracht gezo­

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Gebiet eines Staates für Georg Jellinek zunächst ein Moment des Staates als Subjekt ist, was sich aus der sesshaften Eigenschaft der in ihm lebenden Menschen als seinen Mitgliedern ergibt, gleichsam aber auch aus den realen sozialen Verhältnissen, die nach einer raumbezogenen Entfaltung der staatli­ chen Betätigung verlangen.45 Das Territorium ist in diesem Sinne ein einheit­ liches und unteilbares Wesensmerkmal des Staates46, auf dem sich die politi­ sche Herrschaft projiziert und schließlich manifestiert. Eine Okkupation sei­ tens einer fremden Macht führt deshalb zu einer Verletzung der angegriffenen Staatspersönlichkeit, die allein aufgrund ihres staatlichen Daseins grundsätz­ lich einen Anspruch auf Respektierung des räumlichen Herrschaftsraums be­ sitzt.47 Damit ist gleichzeitig eine Absage an die von anderer Seite vertretene Objekttheorie48 verbunden, wonach es ein staatliches Sachenrecht gibt, das dem Staat analog einem Eigentümer die unmittelbare Herrschaft über das Gebiet und damit eine direkte, d. h. ohne Vermittlung der Untertanen, rechtli­ che Verfügungsmacht verleiht.49 Das staatsrechtliche „Recht am Gebiete“ sei nichts als ein Reflex der Personenherrschaft. Es sei Reflexrecht, kein Recht im subjektiven Sinne.50 Zwar kann das Staatsgebiet auch als das Objekt der Staatsherrschaft bezeichnet werden, weil sich die Herrschaftsbefehle des Staates auf dem territorialen Raum verwirklichen sollen.51 Die Herrschaft über das Staatsgebiet sei aber öffentlich-rechtlich, sie sei nicht Dominium, sondern Imperium. Imperium sei (indessen) Befehlsgewalt; befehlen könne man aber nur Menschen. Daher könne eine Sache nur insofern dem Imperium unterliegen, als die Staatsgewalt den Menschen befehle, Einwirkungen auf sie vorzunehmen.52 Aus diesem Grund kann ein bestimmter Raum, auf dem gen, daher auch keine Staatsdefinition vom 16. bis in das 19. Jahrhundert hinein etwas von einem dem Staate wesentlichen festen Gebiet weiß.“ (S. 395). 45  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 395 f. 46  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 402. 47  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 397 f. 48  Zur Objekttheorie W. Henrich, Kritik der Gebietstheorien, Breslau u. a. 1926, S. 63 ff.; vgl. auch H.  Buß / W.  Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 43 f. Die Objekttheorie sieht das Staatsgebiet als (öffentliches) Herrschaftsobjekt an, indem der Staat quasi als Obereigentümer über sein Gebiet verfügt. Die Objekttheorie ist abzulehnen, da staatliche Herrschaft regelmäßig über Menschen und nur ausnahmsweise über Sachen wirksam wird. 49  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 398. 50  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 401. 51  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 398. 52  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 398  f. Der klassischen Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek, die das staatliche Erklärungsmuster auf die konstitutiven Merkmale Staatsgewalt, Staatsgebiet und Staatsvolk festlegt, liegt ein dialektisch-integratives Konzept zugrunde. An dem Staatsgebiet zeigt sich dies daran, dass dem territorialen Unterbau neben dem subjektiven Moment als Element der staatlichen Persönlichkeit auch eine objektive Dimension zukommt, indem sich die politische Herrschaft auf



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)79

eine menschliche Gemeinschaft ausgeschlossen ist, dann auch als Staatsge­ biet nicht in Betracht kommen.53 Der Staat als Verbandseinheit wird stets nur über die in ihm lebenden Menschen wirksam. Zwar mag es in extremen Not­ standssituationen Ausnahmen von diesem sozialen Denkgesetz geben.54 Im Grunde aber ist die staatliche Institution eine als relative Zweck- und Solidar­ gemeinschaft zu bezeichnende Einrichtung, deren planmäßige Betätigung die gesellschaftlichen Belange unter dem Topos vereinender relativer Staatszwe­ cke regulierend verfolgt.55 Und je geistig höher und sozial freier ein Indivi­ duum sei, umso mehr werde es sich als im Dienst der höchsten Solidarinter­ essen stehend betrachten. Ausbildung der Individualität sei deshalb selbst eines der höchsten Solidarinteressen. Die Entwicklung eines Ganzen sei stets durch die Entwicklung seiner Glieder bedingt. In diesem Verlauf werde die Staatstätigkeit immer mehr ausgeweitet,56 die sich auf dem Staatsgebiet als Herrschaftsraum verewigt. Ob eine Tätigkeit indessen vom Staat oder den einzelnen Individuen zweckmäßig realisiert wird, hängt von der jeweiligen Aufgabe ab. Vielfach seien es zunächst Verbände nichtstaatlicher Art, welche die Ergänzung des Individuums vornehmen, so dass der Staat schließlich in Ergänzung sowohl individueller als auch genossenschaftlicher Tat auftrete.57 dem Staatsgebiet manifestiert. Der moderne Staat ist demnach eine dialektisch über das Territorium und dessen Bewohner dauernd integrativ verfestigte Verbandseinheit, was dann wieder auf die subjektive Dimension des Staatsgebiets zurückwirkt. Die­ sem Systemverständnis ist zu entnehmen, dass das territoriale Staatsgebiet ein we­ sentliches Konstituierungsmoment des Staates darstellt, ohne dass damit aber eine weitere Naturalisierung verbunden ist; siehe zur Staatsgebietstheorie von Georg Jellinek J. Kersten (Fn. 1), S. 278 ff.; den Integrationsgedanken in Bezug auf die drei Elemente des Staates bei Georg Jellinek bestätigend auch H. Kelsen, Der soziologi­ sche und der juristische Staatsbegriff (Fn. 12), S. 84 f. (dass „das Staatsding eine mehr oder weniger mechanische Verbindung dieser drei voneinander auch isoliert denkbaren Dinge ist.“). An der integrierenden Zuordnung der Staatselemente bei Georg Jellinek erkennt man die unübersehbaren Tendenzen zum juristischen Staats­ begriff; vgl. G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 22), S. 21; in diesem Sinne kritisch auch R. Herzog (Fn. 7), S. 84 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 51 f.; grundsätzlich ablehnend auch H. Krüger (Fn. 22), S. 145 f. 53  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 401 f. Fn. 3. 54  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 399. Dies deutet Georg Jellinek mit den Worten an: „Im Falle des Notstandes kann auch von Seiten des Staates eine gerechtfertigte Verletzung des Eigentums stattfinden, deren Ausführung sich ebenfalls in nichts von gleichartigen Handlungen eines Privaten unterscheidet.“ (S. 399). „Um eklatante Verletzungen der Staatsordnung zu beschönigen, hat man die Kategorie des Staats­ notrechtes angewendet, die doch nur ein anderer Ausdruck für den Satz ist, dass Macht vor Recht geht.“ (G. Jellinek, AS, ebd., S. 358 f.). 55  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 249 ff.; ders., System der subjektiven öffentlichen Rechte (Fn. 3), S. 25 ff. 56  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 254. 57  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 261.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Festzuhalten bleibt, dass sich die politische Herrschaft auf dem territorialen Staatsuntergrund manifestiert, woraus eine ideelle Bindung resultiert, die sich in Attributen wie der Heimat, dem Vaterland, ausdrückt.58 Andererseits wirkt die Natur in ihrer originären Existenz auf den ganzen Lebensprozess aber auch beeinflussend ein. Das Staatsgebiet ist so der von Natur gegebene, durch dezisionistische Okkupation bestimmte Herrschaftsraum, auf dem sich die kulturelle Entwicklung eines Volkes abspielt. Die einzelnen Naturbedin­ gungen und -eigenschaften, wie z. B. „die Bodenbeschaffenheit, die Frucht­ barkeit, der Reichtum an Naturprodukten, die Größe, die Gestalt und die Ge­ schlossenheit des Territoriums, die Lage an See oder im Binnenlande, das Dasein von (etwaigen) Wasserstraßen, die geographische Breite, das Klima usw.“ wirken entweder direkt oder über den Menschen indirekt, um auf die staatliche Organisation Einfluss zu nehmen.59 Dennoch ist die Natur nach der Ansicht von Georg Jellinek für die staatstheoretische Erkenntnis nur sekundär,60 wobei aber ein Problembewusstsein hinsichtlich der negativen Folgen des kulturellen Produktionsprozesses im Staat zu verzeichnen war. Insoweit führte Georg Jellinek in naturschutzbewusster Manier aus: „Die mo­ derne Technik hat entlegene Teile eines Staates einander angenähert, hat räumliche und zeitliche Entfernungen in ungeahnter Weise überwunden. Sie hat Berge durchstoßen, Seen und Meeresläufe ausgetrocknet, Wasserbecken geschaffen, Flussläufe verändert. Wanderungen der Pflanzen und Tiere, durch den Menschen veranlasst, haben das Aussehen und die wirtschaftlichen Na­ turbedingungen ganzer Länder verändert. Dichte Ansiedlungen, vor allem Städte, gestalten das Terrain von Grund auf um. Selbst das Klima ist durch Ausrottung von Wäldern vielfach ein anderes geworden.“61 Ob die Tendenz zurück zur primären Naturebene sich im Deutschen Reich verfestigt hat, wird die folgende staatstheoretische Betrachtung zeigen.

58  Dies wird von Georg Jellinek freilich nicht explizit angesprochen. Es ergibt sich aber mittelbar aus seinen Ausführungen zu dem Staatsgebiet als Imperium und der Einordnung einer Gebietsbeschränkung als einer Verletzung der Staatspersön­ lichkeit. Im Zusammenhang mit der Nationenbildung spricht Georg Jellinek aber dann ausdrücklich von einem „Heimatstaat“. Eine Nation wird von ihm definiert als „eine Vielheit von Menschen, die durch eine Vielheit gemeinsamer, eigentümlicher Kulturelemente und eine gemeinsame geschichtliche Vergangenheit sich geeinigt und dadurch von anderen unterschieden weiß (…).“ (G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 116 ff. (Zitat auf S. 119). Eine geopolitisch-ideologische Überhöhung liegt darin aber nicht. Siehe zum Begriff der Nation auch M. Kriele, Einführung in die Staats­ lehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 73 ff. 59  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 76 (Aufzählung im Original ohne bestimmte Arti­ kel). 60  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 75 f. 61  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 78.



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)81

II. Naturstaatsbegriff Nach dem staatstheoretischen Modell von Georg Jellinek kann sich ein Naturstaat dann ergeben, wenn eine auf den in seiner inhaltlichen Struktur dualistischen Staat gerichtete, gleichsam aber von einem ganzheitlichen Erkenntnishorizont ausgehende Betrachtung unter einer synthetischen Denk­ leistung des wissenschaftlichen Beobachters zu dem Ergebnis einer natur­ staatlichen Systemausrichtung des Staates gelangt. Dass die sinnkonforme Optimierung des Deutschen Reichs zu einem naturstaatlichen Gebilde kei­ neswegs ausgeschlossen war, zeigen die ein entsprechendes Naturschutzbe­ wusstsein indizierenden Ansätze Georg Jellineks zu den negativen Auswir­ kungen der modernen Technik auf die Natur in seiner Allgemeinen Staats­ lehre, wenngleich nach seiner konservativen Ansicht die natürlichen Bedin­ gungen für die staatstheoretische Erkenntnisbildung lediglich von untergeordneter Relevanz sind. Eine weitere Naturalisierung ist dem Staats­ gebiet bei Georg Jellinek aber nicht zu entnehmen. Das Gebiet ist nicht Dominium, sondern Imperium, auf dem sich vermittelt durch die einzelnen soziologischen Wirkkräfte als Befehlsadressaten des obrigkeitsstaatlichen Regimes die politische Herrschaft widerspiegelt. Damit ist für eine natur­ staatliche Systemimmanenz eines konstitutionell-monarchischen Staates grundsätzlich das subjektive Gutdünken der politischen Entscheidungsträger, zu denen im späten 19. Jahrhundert als inzwischen fest anerkannte Größe auch eine die individuelle Freiheitssphäre der Bürger sichernde und bewah­ rende parlamentarische Volksvertretung gehört, maßgeblich, weshalb sich die Naturschutzidee als öffentliches Gemeinwohlinteresse in der gesell­ schaftlichen Sphäre zunächst etabliert haben muss, um schließlich als legi­ time Staatsaufgabe mit Eingriffscharakter insbesondere gegenüber dem pri­ vaten Eigentum akzeptiert zu werden und somit das formale Vorstellungsbild einer Trennung von Staat und Gesellschaft zu überwinden.62 Deshalb wird sich ein Naturstaat grundsätzlich erst langsam und mit der Zeit herausbil­ den. Insoweit ist es möglich, dass sich die Bedeutungserkenntnis des Natur­ schutzgeistes zunächst in der gesellschaftlichen Sphäre herauskristallisiert, was in der Folge zu einer systematischen Ergänzung der individuellen Na­ turschutzpioniere durch Verbände nichtstaatlicher Art führen wird, bis sich 62  Siehe insoweit nur die zeitgenössische Literatur im Deutschen Kaiserreich zum Denkmal-, Natur- und Heimatschutz bei A. Schmidt, Rechtsfragen des deut­ schen Denkmalschutzes, München u. a. 1914, S. 172 f. / 179 ff.; E. Beyermann, Das Recht an Denkmälern, Halle a. S. 1917, S. 12; K. Heyer, Denkmalpflege und Hei­ matschutz, Berlin 1912, S. 4 ff.; H.  Lezius, Das Recht der Denkmalpflege in Preu­ ßen, Berlin 1908, S. 8; mit Blick auf die damalige Entwicklung im Großherzogtum Hessen A. von Oechelhaeuser (Hrsg.), Denkmalpflege, Auszug aus den stenographi­ schen Berichten des Tages für Denkmalpflege, Bd. I: Vorbildungs- und Stilfragen, Gesetzgebung, Staatliche und Kommunale Denkmalpflege, Leipzig 1910, S. 140 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

der neue Naturschutzgedanke in der staatlichen Sphäre letztlich manifestiert. Es muss sogar betont werden, dass sich die naturstaatliche Entwicklung notwendigerweise in dieser Art und Weise abspielen wird, da der Staat zum einen nur über die Individuen als soziale Wesen wirksam wird, zum anderen der Naturschutz aber auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht zu der Kategorie der ausschließlichen Staatsaufgaben gehörte.63 Festzuhalten bleibt aber, dass mangels der Anerkennung eines vorstaatlichen Rechtes der Naturstaat nach dem rechtspositivistischen Standpunkt von Georg Jellinek immer auf das subjektive Wollen der Individuen bzw. der staatlichen Orga­ ne angewiesen ist, was sich schließlich im Falle des Integrationserfolges in die staatliche Sphäre in positiven Normen manifestiert. Das territoriale Staatsgebiet aber bleibt damit ein Herrschaftsraum ohne einen originären natürlichen Wert. An dieser Stelle zeigt sich damit aber noch eine andere Erkenntnis, die dem naturstaatlichen Verständnis Georg Jellineks zugrunde zu legen ist. Denn wenn der Staat Naturschutz betreibt, handelt es sich in­ soweit um die Verwirklichung eines relativen Staatszwecks und damit auch nur um ein konstituierendes Element der teleologischen Einheitsbildung des Staates. Auf diese Weise ist dann gleichzeitig einer absoluten Staatszweck­ theorie der Boden entzogen, die das Naturschutzfach als wesentliches Wohl­ fahrtsmoment einer expansiven Staatsherrschaft unterstellt.64 Dieser Sys­ temgedanke mag abwegig erscheinen. Doch projiziert sich auf dem Staats­ gebiet als Herrschaftsraum die politische Tätigkeit des Staates, die sich in Attributen wie der Heimat, dem Vaterland, verewigt. Aus diesem Grund ist das besiedelte Land auch der mit nationalen Erinnerungen getränkte Raum der dort lebenden Schicksalsgemeinschaft, was eine emotionale Bindung an die Natur in ihrer kulturellen Ausprägungsform indiziert. Eine ideologische 63  Vgl. G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 255; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 22), S. 113 f. Als ausschließliche Tätigkeiten des Staates nennt Georg Jellinek den Schutz der Gesamtheit und ihrer Glieder, damit auch die Verteidigung des eigenen Gebietes gegen äußere Angriffe, die Expansion des Staates durch Eroberung, die Erhaltung und Förderung der eigenen Existenz und des eigenen Ansehens (u. a. die Gefahren­ abwehr) sowie die Verwirklichung des Rechtszwecks in sämtlichen Bereichen des Staates. 64  Zu den absoluten Staatszwecktheorien G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 242 ff. Hier­ zu zählen die Lehren von den expansiven und den limitierenden Staatszwecken. Während Erstere als eudomänisch-utilitaristische Theorie die „Wohlfahrt“ oder aber als ethische Theorie das „sittliche Wohl“ in den Mittelpunkt der radikalen sowie rücksichtslosen Staatsverwirklichung stellen, sind die limitierenden Theorien auf zweckgebundene Schranken des Staates gegebnüber dem Individuum ausgerichtet. In letzterem Zusammenhang spricht Georg Jellinek davon, dass die reine Rechts­ staatstheorie, d. h. der Staat verfolge ausschließlich den Rechtszweck, gleichbedeu­ tend mit der Forderung der Staatslosigkeit sei (G. Jellinek, AS, ebd., S. 248 f.). Siehe ausführlich zu den absoluten und relativen Staatszwecken G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 22), S. 99 / 108 ff.



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)83

Anreicherung dieses Gedankens könnte unter dem Deckmantel eines politi­ schen „Einheitsvehikels“ zu einer radikalen Staatsmaschinerie führen, was sich dann in einem unverbrüchlichen Wesenskern eines Staates widerspie­ geln kann. Ein absolutes Systemprinzip der Verfassung, das das normgetreue Produkt eines absoluten Willens darstellt, demonstriert den Fall, dass die Rechtsmacht über der Kompetenz des Staates steht.65 Nur ist es ein ent­ scheidender Unterschied, ob der unverbrüchliche Wesenskern in einer for­ mellen Verfassung positivrechtlich festgehalten ist, oder ob er sich im Sein des Staates mit der Zeit unter möglicherweise ideologischer Gesinnung herausbildet.66 In dem rechtstheoretischen Verständnis von Georg Jellinek findet sich sowohl der Entstehungs- als auch der Geltungsgrund des Rechts in der faktischen Übung, die sich in der realen Wirklichkeit abspielt, wes­ halb das Recht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtsüberzeugung steht. Der Staat verpflichtet sich dann selbst, indem er sich dem von ihm verwirk­ lichten Recht unterwirft, was seine dogmatische Grundlage wiederum in der zeitgemäßen Überzeugung der rechtlichen Staatsbindung findet. Ein Natur­ staat ist daher zunächst auf eine dauernde Übung in der soziologischen Wirklichkeit angewiesen, die sich zu einer Rechtsüberzeugung verfestigt. Dies führt notwendigerweise zu einer positivrechtlichen Fixierung der fak­ tischen Kontinuität, soweit sich ein reales Bestandsbewusstsein hinsichtlich des zukünftigen rechtlichen Regulierungsmoments in der staatlichen Ge­ meinschaft zeigt. Dennoch sei das Recht aber Beurteilungsnorm und daher niemals mit den von ihm zu beurteilenden Verhältnissen zusammenfal­ lend.67 Die Einstufung eines Staates als einem Naturstaat führt deshalb nach dem staatstheoretischen Modell von Georg Jellinek zu einer nicht zu vernachlässigenden Schwierigkeit. Es ist möglich, dass sich in der realen Seins-Sphäre Aktivitäten um den Naturschutz ohne weiteres abspielen, wäh­ rend aber womöglich die normative Betrachtung des Staates zu einem hiervon verschiedenen Ergebnis kommt. Die gleiche Problematik stellt sich indessen, wenn sich in der Rechtsordnung ein kultureller Naturschutzgedan­ ke widerspiegelt, der mit einer mehr ökologischen Ausrichtungstendenz in der soziologischen Wirklichkeit nicht Schritt halten kann.68 Denn in diesen 65  G. Jellinek,

AS (Fn. 3), S. 484. kurze Rekurs auf einen absoluten Wohlfahrtszweck des Naturschutzes unter ideologischer Gesinnung nimmt bereits Elemente von sonstigen Naturstaatsbe­ griffen, die noch dargestellt werden, vorweg. Auch hier diente dies wiederum nur der Systembildung im Sinne einer allgemeinen Erkenntnis. 67  G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 355. 68  Siehe hierzu G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 333 ff.; ders., Verfassungsänderung und Verfassungswandlung (Fn. 37), S. 3 / 8 ff. „Durch die Erkenntnis der normativen Bedeutung des Faktischen wird begründet und verständlich, was die soziale Theorie von dem Verhältnis von Staat und Gesellschaft behauptet hat. Ihr zufolge ist ja die Staatsordnung ein fortwährender Kompromiss der einzelnen um die Herrschaft rin­ 66  Dieser

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Fällen ist eine symbiotische Systembetrachtung des Staates nicht eindeutig möglich. Da aber die rechtliche Normierung stets auf einer faktischen Übung beruht und auch ihre weitere Geltung von dem Geschehen in der realen Sphäre abhängt, ist sie letztlich nur der progressive Indikator einer in der Zwischenzeit verfestigten Rechtsüberzeugung. Im Ergebnis liegt des­ halb, von der relativ eindeutigen Konstellation einer nur anfänglich verzö­ gerten Konformität der realen und normativen Naturschutz- verfassung eines Staates abgesehen, ein Naturstaat dann vor, wenn die sich in der realen Wirklichkeit abzeichnende Naturschutztätigkeit eine ideelle Normierungsrei­ fe herausbildet, was ein entsprechendes Naturschutzbewusstsein voraussetzt. Ansonsten aber führt das dualistisch geprägte Staatskonzept von Georg Jellinek zu der Theorie eines ganzheitlichen „Halbmondes“, als dessen pro­ gressives Aushängeschild das Recht fungiert, ohne aber den Staat vollum­ fänglich erklären zu können. Das Recht ist ein die einheitliche Betrachtung ergänzender, dennoch aber nur untergeordneter Faktor; entscheidend ist stets die durch dauernde Übung verfestigte Soziologie.69 Damit bleibt vor diesem gedanklichen Hintergrund die Frage nach der erkenntnisrelevanten An­ schlussfähigkeit der Zwei-Seiten-Lehre von Georg Jellinek mit Blick auf das heute von der Verfassungs- und Grundrechtslehre dominierte System­ verständnis des modernen Verfassungsstaates. Nach der Ansicht von Jens Kersten besteht der auch gegenwärtig immer noch rezeptionsfähige Erfolg der Zwei-Seiten-Lehre von Georg Jellinek letztlich in der grundlegenden Errungenschaft einer juristisch perspektivierten Interdisziplinarität für die Staatslehre, d. h. dass durch das dualistisch geprägte Erkenntnismodell die kompaktbegrifflichen Voraussetzungen eines juristisch perspektivierten Plu­ ralismus geschaffen wurden, die zu einer Öffnung der normativen Argumen­ tation führen, ohne dabei aber das methodische Selbstverständnis der Rechtswissenschaften aufzugeben.70 Im vorliegenden naturstaatlichen Kon­ genden Gruppen und auch die Verfassung des Staates in Wahrheit nichts anderes als das Spannungsverhältnis der gesellschaftlichen Faktoren. Man muss zwischen der geschriebenen und der tatsächlichen Verfassung eines Staates unterscheiden. Die Letztere, in welcher das wirkliche Leben des Staates zum Ausdruck kommt, besteht in der faktischen Machtverteilung, die in jedem Staate unabhängig von geschriebe­ nen Rechtssätzen vorhanden ist. Es sind daher die faktischen Machtverhältnisse, die der Rechtsordnung zugrunde liegen und in ihr den entsprechenden Ausdruck fin­ den.“ „Aus dem Dargelegten ergibt sich auch die Erkenntnis, dass zwischen den realen Vorgängen des staatlichen Lebens und den staatsrechtlichen Normen ein Unterschied obwaltet. Alles Recht ist Beurteilungsnorm und daher niemals mit den von ihm zu beurteilenden Verhältnissen zusammenfallend.“ (G. Jellinek, AS, ebd., S. 341 / 355). 69  Für Hans Kelsen ist diese Art des Rechtspositivismus unkritisch; siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 16 ff.; N. Leser, Hans Kelsen (1881–1973), in: Neue Ös­ terreichische Biographie ab 1815. Große Österreicher, Bd. 20, Wien 1979, S. 36 f. 70  J. Kersten (Fn. 1), S. 181 ff.; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 82 ff.



§ 3 Der dualistische Naturstaatsbegriff (Georg Jellinek)85

text macht die Soziallehre des Staates daher bewusst, dass es abseits der verfassungsrechtlichen Normenordnung noch natürliche Lebensgrundlagen gibt, ohne die der Staat nicht existieren kann.71 Diese naturzentristische Orientierung muss sich schließlich in der Rechtsetzung bzw. der Auslegung des Rechts zeigen, um zu einer naturstaatlichen Systemimmanenz eines modernen Staates beizutragen. Die Zwei-Seiten-Lehre kann letztlich inso­ weit helfen, durch ein interdisziplinäres Gesprächsangebot zwar nicht kon­ stitutiv verbindlich, aber doch erklärend, den Weg für die normative Kons­ truktion einer leistungsstarken Verfassungsnaturstaatlichkeit zu bereiten.72 Darin kann schließlich eine den wissenschaftlichen Empirismus von Georg Jellinek nivellierende, verklärende Metaphysik der Geschichte gesehen wer­ den, die das naturstaatliche Postulat in den Rang eines der letzten Zwecke des rational handelnden Menschengeschlechts erhebt, eine geschichtsmeta­ physische Einfärbung, die Georg Jellinek aber letztlich vielleicht selbst be­ grüßt hätte.73

71  Insoweit ist aber der Umstand zu beachten, dass Georg Jellinek in seiner Allgemeinen Staatslehre das Element des Staatsgebiets im Rahmen des dritten Bu­ ches und damit im Zusammenhang mit der „Allgemeinen Staatsrechtslehre“ behan­ delt. Er geht aber auf den Einfluss der Naturbedingungen des Gebiets auf den Staat im ersten Buch ein, das mit „Einleitende Untersuchungen“ überschrieben ist, wobei diese naturbezogene Thematik von den sonstigen im Rahmen des zweiten Buches mit dem Titel „Allgemeine Soziallehre des Staates“ behandelten Kapiteln (u. a. „Das Wesen des Staates“ (6. Kapitel), „Die Lehren vom Zweck des Staates“ (8. Kapitel) bzw. „Entstehung und Untergang des Staates“ (9. Kapitel)) her ohne weiteres auch diesem zweiten Buch der Sozialseite des Staates zugeteilt werden könnte; siehe dazu G. Jellinek, AS (Fn. 3), Inhaltsverzeichnis, S. XI ff. Die juristisch perspektivierte Interdisziplinarität hinkt daher in Bezug auf das Staatsgebiet etwas, wenngleich die natürlichen Einflussfaktoren des Staatsgebiets als dialektiktaugliche Indikatoren für die juristische Staatsrechtslehre angesehen werden können. 72  Vgl. J. Kersten (Fn. 1), S. 184 f.; O.  Lepsius (Fn. 4), S. 83 f. 73  Siehe dazu G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte (Fn. 3), S.  19 f.; J. Kersten (Fn. 1), S. 159 ff.; A.  Langer (Fn. 1), S. 262 ff.; H. Boldt (Fn. 4), S. 20 Fn. 28; vgl. auch P. Badura, Methoden (Fn. 5), S. 205. In diesen Kontext passt auch ein Zitat von Georg Jellinek (G. Jellinek, AS (Fn. 3), S. 345 f.) in Bezug auf die konstituierende Kraft des Naturrechts bei der Entstehung der deutschen Territo­ rialstaaten im 17. Jahrhundert: „Wenn es (…) das Faktum ist, welches das Recht erzeugt, so erzeugt in diesen Fällen umgekehrt die Vorstellung des Rechtes das Faktum.“ Durch sie wurde zuerst die (naturrechtliche) Überzeugung herrschend, dass die Gewalt des Landesherrn Staatsgewalt sei, die nur an dem Privatrecht eine unübersteigbare Schranke habe, die aber stärker als jedes der Entfaltung der Staats­ hoheit sich entgegenstellende Recht sei.

§ 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) I. Allgemein Ein grundlegender Vorspann, der sich gleichsam in der Form einer Allge­ meinen Naturstaatslehre zeigt und als zeitgemäßer staatstheoretischer Er­ kenntnisbrunnen für eine naturstaatliche Systemausrichtung des Deutschen Reichs agiert, kann auf eine knappe Darstellung der aus der biologischen Staats- und Gesellschaftstheorie bekannten organistisch-naturwissenschaft­ lichen Erklärungsweise des Staates nicht verzichten.1 In diesen Bereich gehören auch die Lehren, die den Staat in Analogie zu bestimmten Tieroder Pflanzenstaaten stellen und ihm damit organische Wesenseigenschaften zuschreiben wollen.2 Im Folgenden soll sich der Diskurs auf den schwedi­ 1  Einen kurzen Überblick der naturwissenschaftlich-organismischen Betrachtungs­ weisen des Staates findet sich bei P. Badura, Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 119 ff. 2  Hierzu nur G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 136; G. Küchenhoff / E. Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 25 f. Siehe in diesem tierstaatlichen Kontext auch W. Goetsch, Die Staaten der Ameisen, 2., ergänzte Aufl., Berlin u. a. 1953, S. 15 ff. Im Rahmen dieser auf die Tier- und Pflanzenstaaten rekurrierenden Erkenntnisart des modernen Staates weist Georg Jellinek mitunter auf die mangelnde Einsichtsfähigkeit hinsichtlich der konstituierenden organischen bzw. psychologischen Kräfte der mit natürlichen Instinkten ausgestatteten Lebewesen hin: „Der Staat findet erstens seine Stelle in der Gesamtheit des Geschehens, er tritt uns entgegen als ein Teil des Welt­ laufs und damit des Realen im Sinne des Objektiven, außer uns Befindlichen. Er ist eine Vielheit von Vorgängen, die in Raum und Zeit sich abspielen. Diese Vorgänge müsste auch der wahrnehmen können, der nichts Näheres über den Menschen und seine Zwecke wüsste, denn das außer uns seiende Reale ist als solches ohne jede In­ nerlichkeit. So sehen und erkennen wir in untermenschlichen Verhältnissen die sozia­ len Handlungen gewisser Tiergattungen. Die Vorgänge im Bienenstock, im Ameisen­ haufen nehmen wir wahr, ohne sie deshalb auch richtig deuten zu können. Noch heute ist die Wissenschaft lange nicht im Klaren, auf welchen organischen oder psy­ chologischen Kräften die diese Tiergesellschaften ins Dasein rufenden Instinkte beru­ hen, d. h. nur die äußeren sich hier abspielenden Vorgänge sind uns genau bekannt, nicht aber die von innen heraus, in jedem Glied der Gesellschaft wirkenden Mächte. Wir deuten sie unwillkürlich durch Analogie mit unserer Innerlichkeit. Wäre uns die nicht gegeben, so würden wir überhaupt nur ein buntes und sinnloses Durcheinander in solchen Gesellschaften nichtmenschlicher Organismen erkennen.“ (G. Jellinek, AS, ebd., S. 136). Auf die Analogie des Staates zu Tier bzw. Pflanzenstaaten wies auch



§ 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) 87

schen Staatstheoretiker Rudolf Kjellén beschränken, der mit seinem Werk „Der Staat als Lebensform“ eine bedeutende organische Staatstheorie ge­ bereits Aristoteles hin, der die entsprechende Erklärungstauglichkeit indessen aber nicht auf eine objektive Erkenntnis begrenzte, sondern in dem Menschen von Natur aus ein staatsbezogenes, politisches Lebewesen erblickte: „Doch die aus mehreren Dörfern zusammengesetzte vollkommene Gemeinschaft ist der Staat, der sozusagen bereits über die Grenze der vollen Selbstgenügsamkeit verfügt, der nun zwar des Le­ bens wegen entstanden ist, aber doch um des guten Lebens willen besteht. Deswegen existiert jeder Staat von Natur aus, wenn das ebenso die ersten Gemeinschaften tun. Denn der Staat ist das Ziel jener Gemeinschaften, die Natur jedoch bedeutet Ziel. (…) Daraus geht nun klar hervor, dass der Staat zu den von Natur aus bestehenden Dingen gehört und dass der Mensch von Natur aus ein staatsbezogenes Lebewesen ist und dass ferner der, der seiner Natur nach und nicht dem Zufall gemäß ohne Bindung an einen Staat ist, entweder schlecht ist oder bedeutender als ein Mensch (…). Dass nun der Mensch in höherem Grade ein staatsbezogenes Lebewesen ist als jede Biene und jedes Herdentier, ist klar. Denn nichts, meinen wir, schafft die Natur vergeblich. Über die Sprache aber verfügt allein von den Lebewesen der Mensch. (…) Doch die Spra­ che ist da, um das Nützliche und das Schädliche klarzulegen und in der Folge davon das Gerechte und das Ungerechte. Denn das ist im Gegensatz zu den anderen Lebe­ wesen den Menschen eigentümlich, dass nur sie allein über die Wahrnehmung des Guten und des Schlechten, des Gerechten und des Ungerechten und anderer solcher Begriffe verfügen. (…) Und der Natur nach früher ist der Staat als (…) jeder Einzelne von uns; denn das Ganze muss früher sein als der Teil. (…) Doch die Gerechtigkeit ist etwas Staatsbezogenes. Denn das Recht bedeutet die Ordnung der bürgerlichen Gemeinschaft.“ (Aristoteles, Politik, herausgegeben und übersetzt v. F. Schwarz, Stuttgart 2010, S. 77  f.; L.  Pitamic, Die Frage der rechtlichen Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 211 f.; zu dem Begriff des zộon politikon (politisches Lebewesen) bei Aristoteles O. Höffe, Aristoteles-Lexikon, Stuttgart 2005, S. 620 f.; M. Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 26 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globali­ sierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 38 f. / 123 f.). Siehe zur Erkenntnismethode von Aristoteles nur E.-W. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie, 2. Aufl., Tübingen 2006, S. 104 ff. Demnach ist das sinnliche Erkenntnismaterial, das auch den Staat und das Recht ausmacht, bereits vorhanden, so dass die Erkenntnisund Seinslehre des Aristoteles über das Bestehende in der realen Wirklichkeitswelt unter Rezeption der Lehre von den Gestaltprinzipien des Seins, zu denen auch die Bewegung als Anknüpfungspunkt einer die Statik überwindenden Dynamik gehört, die ideengeformte Strukturierung eines Seienden als Endprodukt im Sinne einer be­ stimmten und gestaltverleihenden Form hervorbringt. Die Erkenntnislehre des Aristo­ teles bleibt damit nicht in einem logisch-psychischen Prozess der Vernunft verhaftet, sondern sie bleibt zurückbezogen auf die sinnliche Anschauungswelt, deren Ideen­ reichtum sich epistemologisch durch einen Vorgang zunehmender Abstraktion zu ei­ ner sukzessiven Erkenntnis der bereits originär ideenbehafteten Dinge herausbildet. Das Ergebnis ist in der Terminologie des Aristoteles die Natur als „das in der Existenz Aktualisierte, auf das telos hin Ausgeformte und Realisierte.“ (Hervorhebung im Ori­ ginal). Siehe dazu auch A. Graeser, Die Philosophie der Antike, Bd. II: Sophistik und Sokratik, Plato und Aristoteles, 2. Aufl., München 1993, S. 232 ff.; J. Barnes, Aristo­ teles, Stuttgart 2003, S. 83 ff.; vgl. H. Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimität, Universitas 1993 (48), 377 (381).

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schaffen hat.3 Die Auswahl von Rudolf Kjellén für den hier interessierenden Zusammenhang der Untersuchung des Deutschen Reichs als einem Natur­ staat basiert auf dem Umstand, dass sich sein Werk in kritischer Auseinan­ dersetzung mit Georg Jellinek sieht, sich dabei im Gegenzug aber auch selbst eines intensiven Diskurses bei den Staatsrechtslehrern des Deutschen Reichs erfreute.4 Im Übrigen beruht die besondere Relevanz der Organis­ mustheorie von Rudolf Kjellén auf der Rezeption der geopolitischen Ansät­ ze von Friedrich Ratzel, ohne die der ideologische Hintergrund der Natur­ schutzidee im Deutschen Reich nur schwer zu verstehen ist.5 3  So bereits H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 377. 4  Die Frontstellung gegenüber der herrschenden Lehre zeigt sich ganz deutlich im Vorwort und der Einleitung des Werkes von Rudolf Kjellén. Im Mittelpunkt der Kritik steht dabei Georg Jellinek, der in seiner Allgemeinen Staatslehre (Rudolf Kjellén bezieht sich auf die 1. Aufl. (1900)) die Auffassung, dass der Staat das primäre Rechtssubjekt sei, als „jetzt herrschend“ bezeichnet habe (R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, Einl. S. 2). 5  R. Kjellén (Fn. 4), S. 93; P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 121  f.; R. Voigt, Großraum-Denken – Carl Schmitts Kategorie der Großraumordnung in der Diskus­ sion, in: ders. (Hrsg.), Großraum-Denken, Stuttgart 2008, S. 14. Rudolf Kjellén sieht in Friedrich Ratzel sogar den „großen Urbarmacher und Bahnbrecher“ der Geopolitik (R. Kjellén, ebd., S. 93). Siehe zur Geopolitik von Friedrich Ratzel F. Ratzel, Der Lebensraum, Tübingen 1901, v. a. S. 4 ff. / 35 ff. / 51 ff.; ders., Politi­ sche Geographie, durchgesehen und ergänzt von E. von Oberhummer, 3. Aufl., München u. a. 1923, S. 1 ff. Unbestreitbar ist, dass manche geopolitischen Aussagen von Friedrich Ratzel für die naturstaatliche Entwicklung brauchbar sind. Insoweit schrieb er, dass wenn sich die Natur eines Raumes umgestalte, er sich auch immer als Lebensraum verändere (F. Ratzel, Lebensraum, ebd., S. 6). Problematisch ist nur die radikale Form der Geopolitik unter Einbeziehung von rassenhygienischen As­ pekten, wie sie sich in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Unter geopolitischem Einfluss erlangte die organische Staatslehre in Anlehnung an die tier- bzw. pflanzenstaatliche Analogie schließlich so eine wahre Renaissance. Dies exemplifiziert die von Paul Brohmer (P. Brohmer, Mensch – Natur – Staat – Grundlinien einer nationalsozialistischen Biologie, Frankfurt a. M. 1935, S. 84 ff.) angebrachte Beschreibung des Dritten Reichs als einer überindividuellen Ganzheit. Der biologische Staatsbegriff von Paul Brohmer soll bereits hier auszugsweise kurz charakterisiert werden, um die auch schon im Deutschen Reich sichtbaren ideologi­ schen Missbrauchstendenzen zu verdeutlichen. Dabei ist aber zu betonen, dass sich die Staatstheorie von Rudolf Kjellén in dieses radikale Ideologiemuster geopoliti­ scher Verunreinigung nicht einreiht: „Wenn sich eine Lebensgemeinschaft von Menschen bilden soll, muss ein Lebensraum vorhanden sein, also ein Gebiet, das die Lebensbedingungen für die betreffende Zahl von Menschen bietet. (…) Wüsten sind schon aus diesen Gründen nicht zur Staatenbildung geeignet, sie sind kein Le­ bensraum für eine menschliche Lebensgemeinschaft. Entsprechendes gilt von den Polargebieten. Von einem Lebensraum kann demnach nur dort gesprochen werden, wo alle physikalischen und chemischen Lebensbedingungen vorhanden sind, von einem Staatenraum nur dort, wo alle physikalischen, chemischen und biologischen Vorbedingungen für die Existenz einer größeren, genügend dicht wohnenden Men­



§ 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) 89

Mit seiner Staatslehre „Der Staat als Lebensform“ beabsichtigte Rudolf Kjellén ein System der Politik, das auf einer rein empirischen Auffassung des Staates beruht und auf diese Weise eine Abkehr von der formal-juristi­ schen Betrachtung des Staates einleitet.6 Nach der herrschenden Lehre, die unter anderem durch Georg Jellinek als der „tonangebenden Autorität der Gegenwart“7 verkörpert werde, sei der Staat vor allem und im Prinzip ein Rechtssubjekt, d. h. eine Verfassung, und damit sei die Staatswissenschaft reine, ausschließliche Verfassungswissenschaft.8 Die Gestaltung des Staats­ lebens mit den breit und tief liegenden und bestimmenden Kräften besitze aber Vorrang gegenüber dem Staatsrecht,9 weshalb die Staatswissenschaft um ihrer selbst willen erweitert werden müsse, um nicht gegen den grünen Baum des Lebens, in dessen Schatten sie stehe, zur grauen Theorie zu wer­ schenmenge gegeben sind. (…) Eine der Lebensgemeinschaft entsprechende Ganz­ heit ist nach nationalsozialistischer Auffassung der Staat. Er ist nicht nur eine Summe der Einzelmenschen, die in seinem Lebensraum wohnen, sondern er ist mehr als diese Summe. (…) Man hat sie mit Recht als Keimzelle des Staates be­ zeichnet, und wie in einem Organismus die einzelnen Zellen in Wechselwirkung miteinander stehen, so die Familien in den größeren Gemeinschaften, die schließ­ lich in ihrer Gesamtheit den Staat bilden. (…) Wer den Staat als eine Lebensge­ meinschaft, als einen lebenden ‚Organismus höherer Ordnung‘ auffasst, für den ist er weder eine Beamtenmaschinerie noch ein auf parlamentarischem Wege zustande gekommener Zweckverband, wie es die liberalistische Auffassung lehrte. Für den ist er viel mehr: er ist ein Ganzes, zu dessen Teilen jeder einzelne Volksgenosse gehört; er ist ein Lebewesen, dass sich organisch entwickelt hat; weil er ein Orga­ nismus ist, darum gelten für ihn die ewigen Lebensgesetze, denen auch jeder Ein­ zelne unterworfen ist; weil jeder von uns von diesen Gesetzen abhängig ist, darum ist der Staat unsere Lebens- und Schicksalsgemeinschaft; weil wir mit ihm auf Gedeih und Verderb verbunden sind, darum müssen wir ihm dienen, zumal wir uns selbst fördern, wenn wir ihn fördern; er ist entstanden aus Strömen von Blut unse­ rer Vorfahren, er ist die Gesamtheit des Erbgutes unserer Väter; es gibt nichts Wert­ volleres als ihn, er ist unser höchstes Gut, er birgt unser gottgewolltes Schicksal. Unser Leben gehört unserem Volk, unserem Staat, und wer es für seine Brüder hingibt, der leistet das Höchste, was ein Mensch leisten kann. Das Dasein des Gan­ zen ist wertvoller als das des Einzelmenschen; wohl sollen wir unser Leben lieben, aber noch mehr das Leben dessen, von dem wir nur ein Teil sind, das Leben unse­ res Volkes; ist es bedroht, muss das Leben der Einzelnen freudig eingesetzt werden zum Heile des Ganzen. (…) Die nationalsozialistische Regierung lässt sich von rassischem Denken leiten und verhindert durch gesetzliche Maßnahmen die Mi­ schung zwischen Ariern und fremden Rassen. (…) Damit ist (…) der Bestand des Reiches als Lebensgemeinschaft für immer gesichert.“ (P. Brohmer, ebd., S. 84, 86, 93, 97). Siehe zur nationalsozialistischen Staatslehre auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 176 ff. 6  R. Kjellén (Fn. 4), Vorwort V. 7  R. Kjellén (Fn. 4), Einl. S. 2 (Hervorhebung nicht im Original). 8  R. Kjellén (Fn. 4), Einl. S. 1. 9  R. Kjellén (Fn. 4), Einl. S. 3.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

den.10 Rudolf Kjellén untermauert diese mehr auf die politische Wirklichkeit gerichtete Gesinnung dann noch mit einem Ausflug in die schwedische Historie, was dann auch den letzten Zweifel an der nichtpositivistischen Ausrichtung dieser naturalistisch-materialistischen Staatslehre verstummen lässt: „Die Zeit Gustav Adolfs, mit ihrer mangelhaften Gesetzgebung, ist in der Geschichte Schwedens ein Beispiel für alle Zeiten, dass der Staat größer ist als seine Verfassung.“11 Die grundlegende Positionierung für die Erkenntnis des Staates ergibt sich bei Rudolf Kjellén zunächst aus der Einnahme von verschiedenen Be­ trachtungsperspektiven des Staates, die den Staat einerseits in einem enge­ ren Sinne als „Rechtswesen“, andererseits in einem weiteren Sinne als „Machtinstitution“ erscheinen lassen. Ersteres ergibt sich aus einem Blick­ winkel des Staates aus der inneren Bürgersphäre heraus, bei der die Rechts­ ordnung und damit der Rechtscharakter des Staates in den Vordergrund tritt, während die Machtperspektive den Staat völkerrechtlich, d. h. von einem äußeren Standpunkt aus sieht, womit der Staat nicht vor seine eigenen Un­ tertanen, sondern vor seinesgleichen gestellt wird.12 In dem ersten Erkennt­ nishorizont spiegelt sich letzten Endes der Staat als Garant für die Rechts­ idee wider, was geeignet ist, die herrschende Ansicht vom Staat als Rechts­ subjekt zu verstärken.13 Ohne Zweifel wache der Staat über den Rechtszu­ stand, und ebenso unzweifelhaft betätige er sich in der Form des Rechts mit den Mitteln des Rechts.14 Doch sei die Verfassung eine unter mehreren Seiten des Staates. Der Staat als Macht sei der weitere Begriff, der den Staat als Recht umfasse – nicht umgekehrt.15 Und aus diesem Grund darf sich die Staatswissenschaft nicht mit der einseitigen Betrachtung des Staates als sittlichem Organismus zufriedengeben, sondern sie muss ihn auch als natürlichen Organismus erfassen, und zwar nicht mit einer dualistischen 10  R. Kjellén

(Fn. 4), S. 6. (Fn. 4), S. 202; P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 123 f. 12  R. Kjellén (Fn. 4), S. 30 f. 13  R. Kjellén (Fn. 4), S. 9. Der Staatsbürger atmet den Staat in der Rechtsord­ nung ein, die sein friedliches Tun schützt. Der Staat zeigt sich, wenn gegen die Rechtsordnung verstoßen wird. (R. Kjellén, ebd., S. 8). 14  R. Kjellén (Fn. 4), S. 9. 15  R. Kjellén (Fn. 4), S. 32. In dem Kapitel zur „Herrschaftspolitik“ wird die Bedeutung des Rechts innerhalb des Staates von Rudolf Kjellén dann noch konkre­ tisiert: „Auch als Herrschaft im Innern hat der Staat als wirkliches Prinzip nicht das Recht, sondern die politische Zweckmäßigkeit. (…) Der Staat verwirklicht das Recht, weil er dessen Zweckmäßigkeit eingesehen hat. So gefasst wird das Recht die geistige Krone der ganzen Persönlichkeit des Staates. Durch die Rechtsidee sucht er sich als Vernunftwesen zu verwirklichen. Die mit Recht durchsäuerte Herr­ schaft kann als reinster Ausdruck des Geistes des Staates aufgefasst werden.“ (R. Kjellén, ebd., S. 186). 11  R. Kjellén



§ 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) 91

Wesensstruktur, sondern als ganzen Staat, wie er sich in dem wirklichen Leben darstellt.16 Der Staat verwirklicht nicht nur den Rechtszweck, sein Betätigungsradius erstreckt sich auch auf andere Angelegenheiten, sofern sie der politischen Zweckmäßigkeit, dem Nutzen und der Notwendigkeit die­ nen.17 Eine Verengung des Staatsbegriffs auf die „rechtsstaatliche“ Kompo­ nente sei daher nicht nur nicht angezeigt, sondern die Staatswissenschaft müsse der den Staat kennzeichnenden Eigenschaft sozialer und wirtschaftli­ cher Kraft neben seiner Rechtskraft Raum gewähren, was zugleich eine Überwindung der Trennung von Staat und Gesellschaft zur Folge haben müsse.18 Die Einsicht der Betrachtung des Staates als Ganzheit ist für Ru­ dolf Kjellén demnach eine „Einsicht des Lebens und der Persönlichkeit“, und eine Bestätigung der Ansicht, dass es sich bei dem Erkenntnisobjekt des Staates um ein „überindividuelles Leben“ handelt, das sich gegenüber den einzelnen Individuen nur durch den viel größeren und mächtigeren Entwick­ lungsgang auszeichnet.19 Und in der Folge tritt die von Rudolf Kjellén vertretene „Organismustheorie“ dann in voller Kontur hervor. Demnach seien die Staaten unter allen Lebensformen auf dieser Erde die imposantes­ ten, die nicht nur aus sittlichen Rechtselementen, sondern auch aus Macht­ elementen bestehen, die schließlich dem jedem irdischen Persönlichkeitsle­ ben immanenten organischen Trieb entspringen.20 Unter Rekurs auf eine Zitatstelle von Robert Piloty wird diese biologische Einlassung noch bekräf­ tigt, wonach der Staat ein einheitliches Wesen ist, „wenn auch gewisserma­ ßen mit zwei Seelen, einer inneren gesetzmäßigen und einer äußeren freien.“21 Gleichwohl verliert Rudolf Kjellén bei aller organischen Einfär­ bung nicht den Blick für entgegengesetzte Lehren in der wissenschaftlichen 16  R. Kjellén

(Fn. 4), S. 32 f. (Fn. 4), S. 39. Hierzu schreibt Rudolf Kjellén: „Er führt Aufgaben aus, die über denen der Bürger stehen, und er stützt den Einzelnen nur in dem Maße, wie dessen Tätigkeit jenen höheren Aufgaben nützt.“ (R. Kjellén, ebd., S. 11). Zu der sich ausweitenden Staatstätigkeit führt er aus: „Aber die Boden-, Forst-, Berg­ werks- und Wasserpolitik des modernen Staates geht weit über (…) (den Rechts­ zweck) hinaus.“ (R. Kjellén, ebd., S. 12). 18  R. Kjellén (Fn. 4), S. 12 f. 19  R. Kjellén (Fn. 4), S. 34 f. (Hervorhebung nicht im Original). Damit rekurriert Rudolf Kjellén auch auf die Geschichte, um die Staaten als unter dem Grundgesetz des Lebens stehende biologische Organismen zu erweisen; so nur P. Badura, Me­ thoden (Fn. 1), S. 122 f. 20  R. Kjellén (Fn. 4), S. 29 / 38; P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 122; W. Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 22. 21  R. Piloty, Staaten als Mächte und Mächte als Staaten. Ein Wort zu den Grund­ lagen des Völkerrechts, Zeitschrift für Völkerrecht, 1914 (8), 360 (363); R. Kjellén (Fn. 4), S. 31. Rudolf Kjellén weist an dieser Stelle auf den Umstand hin, dass 17  R. Kjellén

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Diskursebene. In diesem Sinne werde die tatsächliche Entwicklungstendenz, die den Dualismus des Staatslebens in eine Oberherrschaft des Rechts über­ winden wolle, nicht verneint, und am wenigsten solle bestritten werden, dass diese Entwicklung gut sei. Dennoch seien die Staaten (aber) sinnlichvernünftige Wesen – genau wie die Menschen.22 Der Staat bei Rudolf Kjellén stellt sich damit insgesamt als ein natürlicher Organismus dar, der in sich gleichsam sittliche Elemente vereinigt. Auf diese Weise zeichnet sich der organisch aufgebaute Staat dadurch aus, dass er sich einerseits im Kampf um sein Dasein aus eigener Kraft entwickeln muss, andererseits aber eine seiner Persönlichkeit entsprechende Entfaltungstendenz von höherer geistiger Bestimmung einnehmen kann.23 Die Struktur des Staates zeigt sich dann als eine ganzheitliche Erscheinung, die sich letztlich in eine Natursei­ te und eine Kulturseite gliedert, wobei sich Erstere aus den natürlichen Faktoren des Gebietes und des Volkes, Letztere aus den Bereichen Wirt­ schaft, Gesellschaft und Herrschaft zusammensetzt.24 Diese Elemente, die Rudolf Kjellén mit den „fünf Fingern an einer Hand, die im Frieden arbei­ tet und im Kriege ficht“25, vergleicht, bilden letzten Endes das „organische Substrat des Staates“, einen unablässigen Kreislauf, bei dem sich die ver­ schiedenen Einheitskategorien wechselseitig bedingen, so dass jede teils für sich, teils aber auch in den übrigen tätig ist.26 Im Ergebnis gleicht der Staat damit einem in sich wirksamen Organismus, der mit den natürlichen Ele­ menten des Gebietes und des Volkes den wesentlichen Kern seiner lebendi­ gen Existenz als Rahmenbedingungen seines freien Willens umfasst,27 was letztlich eine kausale Eigengesetzlichkeit in dem Staat indiziert, ohne aber die sonstigen Faktoren als untergeordnet erscheinen zu lassen. Der Staat Robert Piloty in der Schrift den Dualismus durch ein zunehmendes Überwiegen des Rechts überwinden wollte. 22  R. Kjellén (Fn. 4), S. 29 f. Insoweit vertieft Rudolf Kjellén noch seine organi­ sche Ansicht: „Er ist vor allem Leben, mit dem Risiko des Lebens, den Anforderun­ gen des Lebens und dem Rechte des Lebens (R. Kjellén, ebd., S. 41). Peter Badura (P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 122) weist daraufhin, dass Rudolf Kjellén den Staat analog zum Menschen auch als Dreiheit von Körper, Seele und Geist (Volks­ geist) erfasse. 23  R. Kjellén (Fn. 4), S. 37. 24  R. Kjellén (Fn. 4), S. 42 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 122; vgl. auch R. Sieger, Staatsgebiet und Staatsgedanke, Mitteilungen der Geographischen Gesell­ schaft Wien, Wien 1919 (62), S. 4. Der Naturseite entsprechen letztlich die von Rudolf Kjellén angeführten Kategorien der Geo- und Demopolitik, der Kulturseite dagegen die Herrschafts-, Wirtschafts- und Soziopolitik. Hier wird die nichtpositi­ vistische Ausrichtung der Staatslehre besonders deutlich, wenn er schreibt, dass es statt Staatsrecht Herrschaftspolitik gebe (S. 43). 25  R. Kjellén (Fn. 4), S. 42; P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 123. 26  R. Kjellén (Fn. 4), S. 43. 27  R. Kjellén (Fn. 4), S. 44; vgl. auch R. Sieger (Fn. 24), S. 4.



§ 4 Der naturalistisch-materialistische Naturstaatsbegriff (Rudolf Kjellén) 93

wird auf den natürlichen Elementen wirksam, die seinen „Urinstinkt“ prä­ gen und im Rahmen der Kulturmomente nicht nur figurieren, sondern von diesen aufgenommen und verarbeitet werden, um dann wieder über den dynamischen Zyklusprozess innerhalb des Staates eine politische Rückwir­ kung auf die Natur als ideelle Momente zu erhalten. Für eine naturstaatliche Betrachtung eines Staates erweisen sich die geo­ politischen Feststellungen einer Staatslehre von wesentlicher Relevanz. Dies gilt umso mehr, wenn die zu beurteilenden Ansätze in der staatstheoreti­ schen Einkleidung als zunächst kritische Konfrontation mit den im sonstigen vertretenen Staatsgebietstheorien erscheinen, was aber darüber hinausgehen­ de Erkenntnisse doch zumindest vermuten lässt. Für Rudolf Kjellén wurden die natürlichen Eigenschaften des Staatsgebiets lange Zeit gar nicht bzw. aber nur unzureichend in den staatstheoretischen Erkenntnisvorgang mitein­ bezogen. In diesem Sinne glich das Territorium trotz vereinzelter Anläufe bisher nur einem Rahmen um das Bild des Staates oder einem Sockel zu seiner Statue, wenn nicht gar nur einem Präsentierteller, worauf die richtige Staatswissenschaft in ihren juridischen Schalen dargeboten wurde.28 Die besondere Bedeutung der natürlichen Lebensgrundlagen29 ergibt sich seiner Ansicht nach bereits aus ihrer staatsbildenden Funktion. Zum staatlichen Dasein genüge nicht der zielbewusste Wille, ja nicht einmal die organisier­ te Macht. Das Land könne aus dem Staat nicht hinweggedacht werden, ohne dass sich der Begriff des Staates verflüchtige. Ohne Land gebe es gesellschaftliche Existenz, aber auch nicht mehr.30 In der Tat ist diese Ein­ sicht nicht zu widerlegen, zumal der Organismus ohne geographischen Stützpunkt nicht zu denken ist. Der Staat könne nicht in der Luft schweben, er sei gleich dem Walde an einen bestimmten Boden gebunden, aus dem er seine Nahrung sauge, und unter dessen Oberfläche auch seine einzelnen Bäume ihre Wurzeln miteinander verflechten.31 Mit dieser bildlichen Einla­ 28  R. Kjellén (Fn. 4), S. 26. Mit dieser Kritik wendet sich Rudolf Kjellén in erster Linie gegen die herrschende Lehre, die den Staat auf seinen Raum stellt, ohne aber die konstitutiven Wirkungen des Staatsgebiets zu berücksichtigen. 29  Es ist an dieser Stelle durchaus vertretbar, bereits von natürlichen Lebens­ grundlagen zu sprechen. Denn sieht man von den radikalen Strömungen der Geopo­ litik ab, so liegt ihr doch eine Erkenntnisrichtung zugrunde, die sich voll umfassend mit dem Verhältnis von Staat und Boden auseinandersetzt. Möchte man dieser An­ sicht nicht folgen, so ist es hier die Phantasie im Sinne von Giambattista Vico, die dem Leser über diese zeitbedingte Schwierigkeit hinweghilft. 30  R. Kjellén (Fn. 4), S. 47; vgl. auch R. Sieger (Fn. 24), S. 4. 31  R. Kjellén (Fn. 4), S. 53. Insoweit vergleicht Rudolf Kjellén den Staat mit Tier- und Pflanzengesellschaften, wobei er diese Analogie in Bezug auf Tierstaaten noch ausweitet, indem er den Individuen die Fähigkeit zuspricht, sich frei zu bewe­ gen, und ihnen daher eine staatliche Interessenverfolgung außerhalb des Territoriums zutraut, wie es etwa auch verteidigende Ameisen zu verrichten vermögen (R. Kjel-

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ge ist der natürliche Zyklus, der von dem Territorium ausgeht und sich letztlich aber in ihm wieder auf einer höheren ideellen Ebene findet, deut­ lich vorgezeichnet. Das Gebiet, die natürlichen Lebensgrundlagen, sind quasi das originäre Lebenselixier des Staates, von denen das staatliche Le­ ben ausgeht. Der freie Wille des Staates liege auf mannigfache Weise in starken, in den Eigenschaften des Reichs32 verankerten Fesseln,33 was in­ dessen eine von Natur gegebene Eigengesetzlichkeit indiziert. Es ist letztlich der natürliche Geist, der sich in einem organischen Trieb zeigt und auf diese Weise die Geschicke des Staates bestimmt. Dies zeigt sich deutlich, wenn es um die Thematik des Landverlusts geht. Das Reich sei der Körper des Staates. Es sei kein Eigentum wie die Hufe des Bauern. Es gehöre mit zur Persönlichkeit des Staates. Es sei der Staat selbst. Er sei „Erde“, entwi­ ckelter Boden.34 Und aus diesem Grund ist das Machtmittel eines Krieges geopolitischer Instinkt.35 Aber auch im Inneren des Staates wird der konkre­ te Organismusprozess durch die Beschaffenheit der natürlichen Lebens­ grundlagen gekennzeichnet. Das Ziel ist eine geographische Individualität, die nach außen eine „natürliche Grenze“, und nach innen einen Zusammen­ hang in einem „Naturgebiet“ voraussetzt.36 Im Idealfall führt eine derartige Politik zu einem durch natürliche Grenzen wie Gebirge, Meere oder Flüsse lén, ebd., S. 53 f.). Der Vergleich des Staates mit einem Ameisenhaufen ist für die naturstaatliche Entwicklung durchaus von Bedeutung. In der Tat entspricht es dem Wesen der Ameisen, Eindringlinge bzw. sonstige Fremdkörper aus dem heimischen Ameisenhaufen schnellstmöglich zu entfernen. In diesem Sinne betreiben auch die Ameisen eine Art Heimat- oder Naturschutz, die als Gefahrenabwehr bezeichnet werden kann. 32  Der Begriff „Reich“ ist ein Synonym für das Gebiet, nur auf einer höheren Entwicklungsstufe. Dies ergibt sich aus der von Rudolf Kjellén angeführten Defini­ tion der Geopolitik (R. Kjellén (Fn. 4), S. 46), wonach diese die Lehre über den Staat als geographischen Organismus oder als Erscheinung im Raum sei: also der Staat als Land, Territorium, Gebiet, oder (aber) am ausgeprägtesten, als Reich. 33  R. Kjellén (Fn. 4), S. 93. 34  R. Kjellén (Fn. 4), S. 57 (Hervorhebung im Original). Insoweit stimmt Rudolf Kjellén trotz der anfänglichen Kritik an der naturblinden Sichtweise der herrschen­ den Lehre mit Georg Jellinek wiederum überein, was er als einen großen Schritt zur wissenschaftlichen Allgemeingültigkeit der Persönlichkeitslehre vom Staat ansieht (R. Kjellén, ebd., S. 57). 35  R. Kjellén (Fn. 4), S. 63. In diesen Kontext passt die Bemerkung von Rudolf Kjellén: „Es gibt Gebiete, die man ohne Gefahr einbüßen könnte, und es gibt ande­ re, deren Verlust der Staat dann nicht überleben würde.“ (R. Kjellén, ebd., S. 61). 36  R. Kjellén (Fn. 4), S. 65 (Hervorhebungen im Original); siehe zur geographi­ schen Individualität auch R. Sieger (Fn. 24), S. 8 f. Ausführlich zum Begriff bzw. zu den Arten von Staatsgrenzen G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 2), S. 29 ff. Zum staatstheoretischen Wortverständnis des Begriffs Autarkie R.  Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S.  36 ff.



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abgegrenzten Territorium, das sich gleichsam durch ein ausgewogenes Ver­ hältnis der einzelnen Naturtypen, d. h. von Ackerboden, Wiesenland, Wäl­ dern, Gebirgen, Wasser, im Staat auszeichnet, so dass für eine angemessene Selbstherrschaft im Sinne der Selbstversorgung der Weg bereitet ist.37 An dieser Stelle zeigt sich dann die elementare Verknüpfung mit den ökonomi­ schen Entwicklungslinien des Staates: die Geopolitik, welche die allgemei­ nen Voraussetzungen der Reiche behandele, d. h. den Grundplan darlege, und die Wirtschaftspolitik, die sich mit der realen Entwicklung der Autarkie und ihren Methoden innerhalb der Reiche beschäftige.38 Mit anderen Wor­ ten bilden die natürlichen Gebietseigenschaften den Grundstock für eine geographische Individualität, die aber ohne eine staatliche Organisation nicht zu bewerkstelligen ist. Die Eigengesetzlichkeit innerhalb des Staates, die von den natürlichen Lebensgrundlagen indiziert wird, bedarf einer sys­ tematischen Korrektur, damit das Gebiet als gewachsenes Naturprodukt am wirtschaftlichen Maßstab effizient ist.39 Die Natur liefere im Grunde nur den Rahmen und den Rohstoff; es liege dem Volk und dem Staat ob, jenen auszufüllen und diesen zu gestalten.40 Das Gebiet ist damit insgesamt das heimatliche Territorium, das nach außen verteidigt, und nach innen entwi­ ckelt werden muss. Und so ergibt sich dann die ideelle Rückwirkung auf den Boden in emotionsgeladener Gestalt: „Mit jeder Generation, die nach beendeter Arbeit auf der Heimaterde in sie hinabgesenkt wird, wächst das Solidaritätsgefühl des Volkes gegen das Land, das ebenso wohl sein Spiel­ platz, sein Arbeitsfeld und sein Friedhof, wie auch sein Nahrung bringender Adler und sein gesichertes Heimwesen ist.“41 An dieser Stelle tritt mit dem Volk das andere natürliche Element im Staat deutlich hervor, das von Ru­ dolf Kjellén unter dem Begriff der Demopolitik diskutiert wird und das gleichsam eine elementare Bedeutung für das staatliche Dasein besitzt. Der entscheidende Unterschied zum Gebiet besteht in der Eigenart des Volkes als handelnder Masse, während das Gebiet in erster Linie das ruhende Ele­ ment des Staates ist.42 Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass die existentielle Dimension des Volkes für den Staat der des Gebietes doch 37  R. Kjellén

(Fn. 4), S. 70 ff. (Fn. 4), S. 76. 39  Vgl. R. Kjellén (Fn. 4), S. 76 f.; R. Sieger (Fn. 24), S. 10 ff. 40  R. Kjellén (Fn. 4), S. 79; R. Sieger (Fn. 24), S. 10 ff. Hierzu ergänzt Rudolf Kjellén in seinem Kapitel zur „Wirtschaftspolitik“: „Die Autarkie ist nichts anderes als die wirtschaftliche Individualität des Staates, gleichwie das Naturgebiet seine geographische und die Nationalität seine demische Individualität ist. (…) Die autar­ kische Wirtschaft ist die national und geographisch differenzierte.“ (R. Kjellén, ebd., S. 162). 41  R. Kjellén (Fn. 4), S. 64. 42  R. Kjellén (Fn. 4), S. 95. 38  R. Kjellén

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ähnlich ist. Denn der Staat sei an sein Volk gebunden. Der Boden allein erschaffe kein Volk. Ein Volk, das sein Land verlasse, töte seinen Staat.43 Im Rahmen des staatlichen Lebens ist der beständige Wechsel an Individu­ en eine nicht zu erwähnende normale Realität, was dazu führt, dass dem Staat dieser Lebensvorgang erst dann in das Bewusstsein kommt, wenn er eine anormale Abweichung erfahren hat.44 Ansonsten sei der Staat eins mit allen Generationen, den lebenden sowohl wie den noch ungeborenen und den toten, gleichwie ein Baum mit seinen Blättern in allen Jahrgängen.45 Die generationenübergreifende Kontinuität des Staates hat letzten Endes Bedeutung für die „Nation“ als dem weiteren organischen „Triebmoment“ innerhalb der staatlichen Gemeinschaft. Im Gegensatz zu der Loyalität als staatsvermitteltem Gehorsam zeichnet sich die Nationalität durch ein „eini­ gendes Band“ der einzelnen Individuen aus, das sich aus objektiven sowie subjektiven Elementen zusammensetzt.46 Subjektiv betrachtet ist Nation „Seelengemeinschaft“, hervorgebracht durch das tägliche Plebiszit, während als objektive Elemente die Blutsverwandtschaft und die Sprachgemeinschaft eine besondere Rolle gespielt haben.47 Auf diese Weise enthält die Nation die gemeinsamen Merkmale der das Volk ausmachenden Individuen, wes­ halb sie ein „lebender Typus“ sei, um den die Individuen stets wechseln und hinneigen. Gleichzeitig ist der Grad dieses Wechsels der Indikator für die Lebenskraft der Nation.48 Demnach sei die Nation eine Persönlichkeit mit größerem Umfang und geringerem Inhalt als das einzelne Individuum – ein „Makroanthropos“, ein „potenziertes Individuum“.49 Und inmitten des Or­ ganismus bildet sich die „Volksseele“ heraus, die sich als Produkt der nati­ onalen Einung in der öffentlichen Meinung manifestiert, was zu einer Fär­ bung des Zeitgeistes mit geistigem Nationalgut führt.50 Der organische Ins­ tinkt der Nation zeichne sich durch den Trieb zur Selbsterhaltung und zum Wachstum, den Willen zum Leben und zur Macht aus, die in der Geschich­ 43  R. Kjellén

(Fn. 4), S. 96. (Fn. 4), S. 98. 45  R. Kjellén (Fn. 4), S. 98. Hier setzt sich Rudolf Kjellén in Gegensatz zu JeanJacques Rousseau: „Er (der Gedanke einer generationenübergreifenden Identität des Volkes) ist dann später auf verschiedene Weise verschoben worden, und in JeanJacques Rousseau sehen wir den weltgeschichtlichen Vertreter der entgegengesetz­ ten, mechanischen Anschauung mit allen ihren politischen und rechtlichen Folgerun­ gen.“ (vollständige Personifizierung nicht im Original). 46  R. Kjellén (Fn. 4), S. 102 ff. 47  R. Kjellén (Fn. 4), S. 105 / 110. 48  R. Kjellén (Fn. 4), S. 112 (Hervorhebung nicht im Original). Die Nationalität sei eine dynamische Erscheinung mit fast unbegrenzter Schwingungszahl, sie gleiche einem Geifer mit „intermittenten“ Ausströmungen (R. Kjellén, ebd., S. 113). 49  R. Kjellén (Fn. 4), S. 112 (Hervorhebungen im Original). 50  R. Kjellén (Fn. 4), S. 115 f. 44  R. Kjellén



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te nicht objektive Wahrheit und Recht, sondern sich und das Ihre wollen.51 Mit der finalen Entstehung der Nation im Bewusstsein der Individuen ist diese aber grundsätzlich zum „Mensch geworden“, was sich in der Forde­ rung nach einem konstituierten Staat manifestiert, der ihre blinden Instinkte an vernünftige Ideen des Rechts bindet und ihr so einen höheren geistigen Inhalt verleiht.52 In diesem Kontext kann von einem Gegenstromprinzip gesprochen werden, bei dem die Nation zum Staat führt, um ihre Triebe in sittliche Bahnen lenken und damit loyalisieren zu lassen, im Gegenzug der Staat aber als Führender die Loyalität zu Nationalität materialisieren möch­ te. Die Folge ist dann der Nationalstaat, in dem das Volk und die Nation auf dem gleichen Gebiet unter demselben staatlichen Schutz vereint sind.53 „In dieser Verbindung des Naturwesens der Nation und des Vernunftstrebens des Staates liegt der moderne Staatsgedanke in seiner größten Tiefe. Dort spiegelt sich auch der Charakter dieser Lebensform am klarsten ab: nicht reiner Trieb, auch nicht abstraktes Recht, sondern ein Kompromiss beider.“54 Hieraus ergibt sich die integrierende Seite des Staates als relativer Einheits­ institution, woraus ihm letzten Endes mit größerer oder geringerer Notwen­ digkeit bestimmte Aufgaben erwachsen.55 In logischer Besinnung ergibt sich so als wesentlicher Zweck des Staates die Wohlfahrt der Nation.56 II. Naturstaatsbegriff Nach dem Staatsmodell von Rudolf Kjellén stellt sich der Staat als ein homogener Organismus dar, der in vermittelnder Abwägung die verschiede­ nen Belange innerhalb der staatlichen Gemeinschaft zu einer nationalen Einheit integriert. Als organische Triebkräfte wirken dabei das Staatsgebiet sowie das Volk, die als natürliche Elemente eine Eigengesetzlichkeit inner­ halb des Staates indizieren. Die grundlegende Voraussetzung für die Entste­ hung eines Staates ist zunächst ein faktisches Willensmoment, was sowohl für die primäre wie auch die sekundäre Staatenbildung gilt.57 Auf dieser willentlichen Grundlage aber wird der Staat bereits wesentlich durch das Land, die natürlichen Lebensgrundlagen, determiniert, was sich bereits in der Einwirkung der klimatischen Bedingungen auf die Staatsverfassung 51  R. Kjellén

(Fn. 4), S. 117 f. (Fn.  4), S.  124  ff. (Hervorhebung im Original). Daraus folge schließlich das Nationalitätsprinzip. 53  R. Kjellén (Fn. 4), S. 137. Siehe zum Nationalstaat unter geopolitischen Ge­ sichtspunkten auch R. Sieger (Fn. 24), S. 13 ff. 54  R. Kjellén (Fn. 4), S. 138. 55  R. Kjellén (Fn. 4), S. 149. 56  R. Kjellén (Fn. 4), S. 229. 57  Insoweit übereinstimmend mit Georg Jellinek R. Kjellén (Fn. 4), S. 205 ff. 52  R. Kjellén

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zeigt.58 Gleiches gilt für die wirtschaftliche Entwicklung innerhalb des Staa­ tes, die sich nur im Rahmen der natürlichen Bedingungen entfalten kann.59 Eine naturstaatliche Systemausrichtung ist in der Staatslehre von Rudolf Kjellén daher bereits immanent angelegt, weil sie den Blick vorrangig auf die Natur legt. Bevor es also ein kulturelles Leben auf der Erde geben kann, sind die natürlichen Lebensgrundlagen als organisches Triebmoment zu berücksichtigen.60 Von ihnen aus erstreckt sich die Nationenbildung, ohne 58  R. Kjellén (Fn. 4), S. 188. Die Erde bestimmt zunächst die Staatsverfassung, was sich an tropischen und kühleren Regionen verdeutlichen lasse. 59  R. Kjellén (Fn. 4), S. 188. 60  Hier ist nun ein kurzer Rekurs auf die Allgemeine Staatslehre von Richard Schmidt angezeigt, der den Organismuscharakter des Staates in seiner Brauchbarkeit für die staatstheoretische Erkenntnisbildung auf die Entstehungsbedingungen des Staates reduziert. Für Richard Schmidt besitzt die Staatslehre die Funktion, als Hilfswissenschaft für die Auslegung und Kritik des Staatsrechts zu fungieren. Zu diesem Zweck werden die verschiedenen Staaten in ihrer jeweiligen geschichtlichen Einmaligkeit methodisch einer rechtsvergleichenden Exegese unterzogen, wobei die rechtlichen Inhalte im Kontext mit den jeweiligen politischen und soziologischen Fragestellungen zu analysieren sind. Aus diesem durch eine genetische und verglei­ chende Deduktion gewonnenen universalgeschichtlichen Material unter Anknüpfung an das juristische Kriterium des Rechts abstrahiert Richard Schmidt schließlich den staatlichen Wesensbegriff, der sich mitunter insbesondere auch auf die historischen Dauerzustände als Indikatoren politischen Handelns stützt. Die naturbezogenen Ent­ stehungsbedingungen des modernen Staates sind für Richard Schmidt nun Parameter für die lebensandauernde Vollkommenheit einer individuellen Staatlichkeit. „Wir nennen (…) den Staat um deswillen einen Organismus, weil er an organische, na­ türliche, von der Natur des Menschen und seinen umgebenden Verhältnissen diktier­ te Bedingungen geknüpft ist, von diesen aber auch mit Notwendigkeit hervorgetrie­ ben wird. Und diese theoretische Erkenntnis wird auch praktisch von großem und unmittelbarem Wert. Denn sie gestattet innerhalb der Erfahrungswelt eine Wertab­ stufung der verschiedenen historischen Staatsgebilde. (…) Und angesichts dieser Erscheinungen liefert der Vergleich des Staates mit dem Organismus in der Tat die Möglichkeit, zwischen mehr oder minder vollkommenen Staaten zu unterscheiden, und zwar je nach dem Grade, in welchem die organischen Vorbedingungen der Staatsentstehung erfüllt sind, und je nachdem hiernach der Staat Dauer, Lebensfähigkeit verspricht.“ (R. Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Bd. I: Die gemeinsamen Grundlagen des politischen Lebens, Leipzig 1901, S. 164; Hervorhebungen im Ori­ ginal). Siehe zur Staatslehre von Richard Schmidt P. Badura, Methoden (Fn. 1), S. 119 f. / 127 ff. Auf den Problemhorizont des naturstaatlichen 21. Jahrhunderts über­ tragen, kann davon gesprochen werden, dass nur ein in Einklang mit den natürlichen Lebensgrundlagen aufgestellter Staat auch dauerhaft lebensfähig sein kann. Im Kontext wiederum mit der organischen Staatstheorie von Rudolf Kjellén scheint auch Hans Kelsen (H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 378) diese elementare Funktionalität des Staatsgebiets zumindest gesehen zu haben, wenngleich nicht im einem ökologi­ schen Zusammenhang, wenn er schreibt: „Die biologischen Lebensgesetze, unter denen der Staat steht, werden von (Rudolf) Kjellén zu durchaus ethisch-politischen Zwecken verwendet. So betont er mit größtem Nachdruck, dass der Boden, die ‚Erde‘, das sogenannte Staatsgebiet, unmittelbar der ‚Körper‘ des Staates und so­



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sie ist eine staatliche Existenz undenkbar. In diesem Sinne kann eine kons­ titutionelle Verankerung der besonderen Eigenart des Staatsgebiets für eine staatsleitende Integritätswirkung förderlich sein,61 was aber an dem Vorrang des Lebens und damit auch der natürlichen Triebkraft der originären Le­ bensgrundlagen nichts ändert, weshalb auch ein Verfassungswandel die ge­ schriebene Verfassung überwindet.62 Damit sich der Staat aber im Sinne geographischer Individualität in einem Gesamtzustand der Selbstversorgung zeigen kann, bedarf er einer effizienten Organisation. Die organische Trieb­ kraft, die sich aus den natürlichen Elementen des Gebiets und des zur Na­ tion strebenden Volkes ergibt, ist gleichzeitig der zu bändigende Strom, der unter Vermittlung übergeordneter Staatsinteressen seine Wertgesetzlichkeit erkennen und an straffe Zügel angelegt werden muss. Dies bedeutet, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung nicht monoton oder gar geographisch einseitig herausbilden darf, sondern dass eine staatliche Steuerung am Maß­ stab politischer Zweckmäßigkeit erforderlich ist, um die verschiedenen In­ teressen im Staat unter besonderer Berücksichtigung der geographischen Einflüsse und der nationalen Tendenzen des Volkes in Einklang bringen zu können. An dieser Stelle zeigt sich die Zweckmäßigkeit des Machtinstru­ ments des Rechts, das geeignet ist, die mannigfachen geistigen Strömungen sittlich zu loyalisieren und ihnen dann eine nationale Identität zu verleihen. Die Funktion des Staates ist daher die eines Regulators, der die in der Na­ tur des Gebiets und der einzelnen Individuen liegenden Kräfte in relative und gemäßigte Bahnen lenkt. Auf diese Weise wirkt das staatliche Leben dann auf die natürlichen Lebensgrundlagen zurück, was sich in einer gestei­ gerten Heimatverbundenheit als Folge der loyalen Integrationstätigkeit des Staates, aber auch in einer zunehmenden Solidarität gegenüber dem natio­ nalen Vaterland zeigt.63 Die von Seiten des Staates zu regulierenden wirt­ schaftlichen wie gesellschaftlichen Aktivitäten können aber auch soziale Probleme hervorrufen, die einer politischen Lösung bedürfen. Insoweit können etwa die ökonomischen Tendenzen zu schädlichen Natureinflüssen führen, die den Produktionskreislauf im Sinne der natürlichen Individualität gefährden können. Der Naturschutz ergibt sich auf diese Weise als ein so­ zialer Reflex64 wirtschaftlicher Expansion, der Naturstaat erscheint so als Reaktionsstaat, der die positiven Eigenschaften der Natur für seinen leben­ mit – wie der Mensch ein Körper ist – der Staat selbst sei. Er folgert daraus das Prinzip der Integrität des Staatsgebiets, eine politische oder völkerrechtliche Norm (…).“ (Hervorhebungen einschließlich einer Betonung des Namens im Original). 61  R. Kjellén (Fn. 4), S. 55 f. 62  R. Kjellén (Fn. 4), S. 189. 63  R. Kjellén (Fn. 4), S. 136. 64  Vgl. R. Kjellén (Fn. 4), S. 174. Rudolf Kjellén spricht die Relevanz des staat­ lichen Naturschutzes in diesem Kontext nicht ausdrücklich aus, sondern er geht

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digen Organismus erhält. Insgesamt scheinen damit die verschiedenen Di­ mensionen eines Naturstaates in der Staatstheorie Rudolf Kjelléns deutlich hervor: Der Naturstaat sieht das Territorium als die natürliche Kraft, den organischen Urtrieb für die staatliche Existenz. Aus diesem Grund hat sich der Blick in erster Linie auf die natürlichen Lebensgrundlagen zu richten, was aber wiederum auch staatliche Maßnahmen als Reaktion auf zu expan­ sive wirtschaftliche Betätigungen der Individuen beinhaltet. Die natürlichen Lebensgrundlagen sind der Körper des Staates, ohne den dieser stirbt. Gleichsam spiegelt sich in ihnen der Stolz eines zum „Menschen“ gewor­ denen Nationalstaates wider, was in bestimmten Symbolen zum Ausdruck kommt. Die Natur wird auf diese Weise ideell getränkt, als heimatliche Natur, dem nationalen Vaterland.

allgemein auf sozialpolitische Reaktionen seitens des Staates im Zuge von wirt­ schaftlichen Interessengegensätzen ein.

§ 5 Der dezisionistisch-politische Naturstaatsbegriff (Carl Schmitt) I. Allgemein Eine Untersuchung der naturstaatlichen Ausrichtung des Deutschen Reichs, die als zeitgemäßes Abbild staatstheoretischer Erkenntnis erscheinen möchte, kann auf eine grundlegende Darstellung der Staats- und Verfassungslehre Carl Schmitts nicht verzichten.1 Auch für Carl Schmitt war es in erster Linie die unzureichende Elastizität einer normativen Betrachtung wie dem juristischen Positivismus hinsichtlich der Erfassung der realen politischen Wirklichkeit, die eine erforderliche Modifikation der überlieferten staats- und verfassungs­ theoretischen Erkenntnis indizierte.2 In diesem Sinne seien manche Formeln und Begriffe ganz von früheren Situationen abhängig und nicht einmal mehr alte Schläuche für neuen Wein, sondern nur noch veraltete und falsche Etiket­ ten gewesen, die (doch) eine längst entschwundene Situation voraussetzten.3 1  Zur Person Carl Schmitt W. Gebhardt, Carl Schmitt, in: W. Bautz (Begr.), Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. IX: Scharling, Carl Henrik bis Sheldon, Charles Monroe, Herzberg 1995, Sp. 486 ff.; R. Mehring, Carl Schmitt, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23: Schinzel  ‒ Schwarz, 3. Aufl., Berlin 2007, S.  236 ff.; H.  Ottmann, Carl Schmitt, in: K. Ballestrem u. a. (Hrsg.), Politische Phi­ losophie des 20. Jahrhunderts, München 1990, S. 61 ff.; A. Brodocz, Die politische Theorie des Dezisionismus: Carl Schmitt, in: ders. / G.  Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart I, 3. Aufl., Opladen u. a. 2009, S. 278 f.; A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 135 ff. Bemerkenswert sind auch die Ausführungen bei Reinhard Mehring zur Aktualität von Carl Schmitt R. Mehring, Carl Schmitt zur Einführung, 4. Aufl., Hamburg 2011, S. 110 ff. 2  C. Schmitt, Verfassungslehre, Neusatz auf der Basis der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, Vorw. S. XIII f.; ders., Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934, S. 11 ff.; M. Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen zu Carl Schmitts Verfassungslehre, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), S. 511; B. Schlink, Why Carl Schmitt?, Rechtshistorisches Journal 1991 (10), 160 (171); M.  Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Göbel (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, Berlin 1995, S. 158 / 160; zur staatstheore­ tischen Ausgangslage R. Mehring, Staatsrechtslehre, Rechtslehre, Verfassungslehre: Carl Schmitts Auseinandersetzung mit Hans Kelsen, Archiv für Rechts- und Sozial­ philosophie 1994 (80), 191 (191 f.). 3  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), Vorw. S. XIII; M. Kraft-Fuchs (Fn. 2), Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), S. 511.

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Die Reaktion von Carl Schmitt auf diesen juristischen Formalismus mündete dann letztlich in die Entwicklung einer politischen Staatslehre, die durch eine stärkere Akzentuierung des Politischen4 über den soziologischen Entstehungsund Wirkungszusammenhang des Rechts hinaus auf eine Überwindung des in der Erfassungsmentalität zu starren, überkommenen Staatsverständnisses aus­ gerichtet war.5 Mit dem daraus hervorgehenden Konzept eines modernen Staates, der sich auf einer konkreten politischen Entscheidung des pouvoir constituant aufbaut und sich auch ansonsten durch den auf Entscheidung pro­ grammierten Willen als dem dominierenden Moment im Rahmen der eigent­ lichen Normsetzung auszeichnet, hat Carl Schmitt dann schließlich den reali­ tätskonformen Dezisionismus in die Verfassungslehre und das konkrete Ord­ nungsdenken in die Rechtswissenschaft eingebracht.6 Da er aber in für eine 4  Zum Begriff des Politischen C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 5. Nach­ druck der Ausgabe von 1963, Berlin 2002, S. 20 ff.; ders., Der Führer schützt das Recht (1934), in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles; 1923–1939, 4. korrigierte Aufl., Berlin 2014, S. 231 f.; H. Hofmann, Le­ gitimität und Legalität – der Weg der politischen Philosophie Carl Schmitts, Neu­ wied 1964, S. 101 ff.; E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 2. erweiterte Aufl., Frankfurt a. M. 2006, S. 344 ff.; A. Hurrelmann, Verfassung und ökologische Krise – Verfassungstheoretische Lösungsansätze für Umweltprobleme, Hamburg u. a. 2000, S. 76 f.; vgl. auch P. Badura, Die Methoden der neueren All­ gemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 199 / 201; D. Wenger, Der Grund des Politischen bei Carl Schmitt, Der Staat 2004 (43), 83 (84 ff.). Werner Hill (W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 182 ff.) sieht dagegen den Gesetzesbegriff von Carl Schmitt als das „Mark seiner Verfassungslehre“ an. Die Differenzierung von Carl Schmitt in einen politischen und rechtsstaatlichen Gesetzesbegriff sei zum „Begriffsskelett der ganzen Lehre“ erwei­ tert worden. 5  P. Badura, Methoden (Fn.  4), S.  199  ff.; R. Mehring (Fn.  2), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1994 (80), S. 191. 6  C. Schmitt, Drei Arten des Denkens (Fn. 2), S. 11 ff. Siehe hierzu nur P. Badura, Methoden (Fn. 4), S. 201; H. Hofmann (Fn. 4), S. 177 ff.; B. Schlink (Fn. 2), Rechtshistorisches Journal 1991 (10), 160 (165 / 167 f. / 171); vgl. auch M. Eichhorn, Carl Schmitts Verständnis des Staates als geschichtliche Größe, in: Institut für Staatswissenschaften der Universität München (Hrsg.), IfS-Nachrichten, München 1998, S. 10 ff.; zum Dezisionismus von Carl Schmitt auch T. Gil, Die gegenaufklä­ rerische Perspektive der Rechts- und Staatsphilosophie C. Schmitts, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988 (74), 521 (528 ff.); A. Brodocz (Fn. 1), S. 280 ff.; vgl. auch die Ausführungen zu Carl Schmitt bei P. Portinaro, Staatslehre und sozi­ alistischer Dezisionismus. Randbemerkungen zu Hellers Rechts- und Staatstheorie, in: Ch. Müller (Hrsg.), Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984, S. 575 ff. Eine Nachskizzierung der in sich inhomogenen Entstehung des Dezisionismus von Carl Schmitt findet sich bei A.-J. Korb (Fn. 1), S. 136 ff. Carl Schmitt unterscheidet drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens: „Ich gehe davon aus, dass es für die Unterscheidung rechtswissenschaftlicher Denkarten darauf ankommt, ob das Recht als Regel, als Entscheidung oder als Ordnung aufgefasst wird. Es ist fast selbstver­



§ 5 Der dezisionistisch-politische Naturstaatsbegriff (Carl Schmitt) 103

politische Staatslehre typischer Manier die staatliche Autorität, das exekutive Machtzentrum, überbetonte, war sein autoritäres und dezisionistisch-techni­ sches Staatsdenken für die Wertepropaganda von politischen Parteiprogram­ men empfänglich,7 was ihn zeitlebens der Kritik einer ideologiegetränkten Staatstheologie aussetzte.8 ständlich, dass jeder der danach bestimmten drei juristischen Denktypen die seinem Typus spezifische Vorstellung – also entweder die Norm, oder die Dezision, oder die konkrete Ordnung – mit dem Begriff des Rechtes selbst gleichsetzt und dem anderen Typus den Anspruch einer ‚streng rechtlichen‘ Denkweise bestreitet.“ Das konkrete Ordnungsdenken wird von Carl Schmitt folgendermaßen beschrieben: „Es gibt aber andere Bereiche menschlichen Daseins, für welche die Übertragung eines derartigen Funktionalismus der Regelhaftigkeit gerade das spezifisch rechtliche Wesen der konkreten Ordnung zerstören würde. Das sind alle Lebensgebiete, die sich nicht verkehrsmäßig-technisch, sondern institutionell gestaltet haben. Sie haben ihre Be­ griffe von dem, was normal, normaler Typus und normale Situation ist, in sich selbst, und ihr Begriff von Normalität erschöpft sich nicht, wie in einer technisierten Verkehrsgesellschaft, darin, berechenbare Funktion einer normierenden Regelung zu sein. Sie haben eine eigene Substanz, die wohl auch generelle Regeln und Regelmä­ ßigkeiten kennt, aber nur als Ausfluss dieser Substanz, nur aus ihrer konkreten ei­ genen, inneren Ordnung heraus, die nicht die Summe jener Regeln und Funktionen ist. Das Zusammenleben der Ehegatten in einer Ehe, der Familienmitglieder in einer Familie, der Sippengenossen in einem Sippenverband, der Standesgenossen in einem Stand, der Beamten eines Staates, der Geistlichen einer Kirche, der Kameraden eines Arbeitslagers, der Soldaten eines Heeres kann weder in den Funktionalismus vorher­ bestimmter Gesetze, noch in Vertragsregelungen aufgelöst werden. Die mancherlei Gewohnheiten, Regelmäßigkeiten und Berechenbarkeiten innerhalb solcher Ordnun­ gen können und sollen das Wesen dieser Ordnung nicht erfassen und erschöpfen, sondern ihr nur dienen. Die konkrete innere Ordnung, Disziplin und Ehre jeder In­ stitution widersteht, solange die Institution andauert, jedem Versuch restloser Nor­ mierung und Regelung; sie stellt jeden Gesetzgeber und jeden, der das Gesetz an­ wendet, vor das Dilemma, entweder die mit der Institution gegebenen, konkreten Rechtsbegriffe zu übernehmen und zu verwenden, oder aber die Institution zu zer­ stören.“ Unter Rekurs auf Santi Romano (S. Romano, L’ordinamento giuridico, Pisa 1918, S. 17) ergänzt Carl Schmitt schließlich dann noch: „Die rechtliche Ordnung (l’ordinamento giuridico) ist ein einheitliches Wesen, eine Entität, die sich teilweise nach Regeln bewegt, wie Figuren auf einem Spielbrett; die Regeln stellen daher eher das Objekt oder auch das Mittel der Rechtsordnung und nicht so sehr ein Element ihrer Struktur dar.“ (C. Schmitt, Drei Arten des Denkens, ebd., S. 11 / 19 f. / 24; Her­ vorhebung im Original). 7  Vgl. P. Badura, Methoden (Fn. 4), S. 199; W. Hill (Fn. 4), S. 197. 8  Siehe hierzu etwa H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin  – Grunewald 1930 / 31, S. 576 ff.; ders., Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichsverfassung, Aussprache, VVDStRL 1927 (3), 53 (54); ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S.  11 f.; M. Kraft-Fuchs (Fn. 2), Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 511 (521 Fn. 1 / 537 ff.) („nationalistisch-diktatorische Verfassungslehre“); S. Rohatyn, Die verfassungsrechtliche Integrationslehre – Kritische Bemerkungen, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), S. 261; R. Mehring (Fn. 2), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1994 (80), 191 (192 ff.); J. Isensee, Das Volk als Grund der Ver­

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Ein tieferes Verständnis des staatstheoretischen Modells von Carl Schmitt, das gleichsam als Basis für die Herausbildung einer Naturstaatstheorie die­ nen soll, ist untrennbar mit dem von dem Staatsrechtler vertretenen positi­ ven Verfassungsbegriff verbunden, der als dezisionistisches Urmoment in­ nerhalb des Staates in Erscheinung tritt. Als Kategorie einer absoluten Verfassung9 wird der einen substantiellen Wesenskern des Staates indizie­ rende positive Verfassungsbegriff als „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit“10 definiert, womit bereits evident die für die Identität des deutschen Volkes maßgebliche, absolute Größe zum Ausdruck fassung – Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt, Opladen 1995, S. 62; vgl. auch H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tü­ bingen 1922, S. 92; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 147. Nach der Ansicht von Reinhard Mehring sind im Ergebnis auch bei Hans Kelsen ideologiekritische Motive auszu­ machen, die heute nur durch die Stilisierung von Hans Kelsen zum Klassiker der analytischen Rechtstheorie verdeckt sind (R. Mehring, ebd., Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1994 (80), S. 191 ff.). 9  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 1 ff.; R. Mehring (Fn. 2), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1994 (80), 191 (196 f.); M.  Llanque (Fn. 2), S. 166; M. Eichhorn (Fn. 6), S. 17; vgl. auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität, Nach­ druck der 1. Aufl. (1932), 8. Aufl., Berlin 2012, S. 46 ff. / 56 f.; P. Otto, Die Entwick­ lung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 90 ff. Carl Schmitt unterscheidet zwischen einem absoluten und einem relativen Verfassungsbegriff. Dabei gehört der von ihm vertretene positive Verfassungsbegriff im Sinne einer „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit“ zu der Kategorie einer Verfassung im absoluten Sinne, weil damit ein Gesamtzustand, eine Ganzheit, ausgedrückt wird. Da die Weimarer Reichsverfassung die wesentli­ chen Grundentscheidungen der politischen Einheit enthielt, war sie für Carl Schmitt insoweit auch geschriebene Verfassung. Abgesehen davon handelte es sich bei den sonstigen Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung nach seiner Ansicht aber um unter dem Vorbehalt der Verfassungsnorm des Art. 76 WRV stehende und damit nur um relative Verfassungsgesetze, die dem verfassungsändernden Gesetzgeber gerade nicht entzogen waren. Diese Differenzierung ist schließlich auch die gedank­ liche Grundlage für eine positivrechtliche Ewigkeitsgarantie, die einen absoluten, nur von der verfassunggebenden Gewalt selbst veränderbaren Wesenskern eines Staates beinhaltet; siehe hierzu G. Dürig, Zurück zum klassischen Enteignungsbe­ griff, JZ 1954, 4 (4 / 7); R. Mussgnug, Carl Schmitts verfassungsrechtliches Werk und sein Fortwirken im Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: H. Qua­ ritsch (Hrsg.), Complexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 517 ff.; M. Herdegen, in: Th. Maunz / G. Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. V: Art. 54–85, München 2014, Art. 79 Rn. 64 f.; B. Schlink (Fn. 2), Rechtshistorisches Journal 1991 (10), 160 (160 f.); H. Schneider, Über Einzelfallgesetze, in: H. Baron u. a. (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 170 Fn. 28; vgl. auch H. P. Ipsen, Über das Grundgesetz – gesammelte Beiträge seit 1949, Tü­ bingen 1988, S. 22; der Gedanke findet sich aber schon bei Georg Jellinek (G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 484), der von einem Vorrang des Rechts vor der Kompetenz sprach. 10  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 20.



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kommt. Der Akt des pouvoir constituant besteht für Carl Schmitt demnach zunächst nicht in der rechtlichen Fixierung einzelner grundlegender Nor­ men, sondern in einer konkreten Entscheidung, einer „Dezision“, in der sich die politische Existenzform des deutschen Volkes in ihrer Ganzheit manifes­ tiert.11 Die so verstandene positive Verfassung ist damit die existentielle Totalentscheidung, in der die konkrete politische Daseinsform des deutschen Volkes, die Substanz sowie das Wesen des Staates festgelegt sind.12 Gleich­ zeitig verleiht sie der Staatsmacht die notwendige Legitimität, ohne dass es dabei auf eine das dezisionistische Willensmoment überlagernde, irgendwie geartete Normativität ankommen würde.13 Mit der Abstraktion der positiven Verfassung von der geschriebenen Weimarer Reichsverfassung wird gleich­ 11  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 21; E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 351 f. / 364; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 150 f.; M. Llanque (Fn. 2), S. 166; A. Brodocz (Fn. 1), S. 289; M. Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 165 f.; J. Isensee, Mythos (Fn. 8), S. 60 f.; H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfas­ sungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 166; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grund­ gesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S. 61 ff.; M. Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten – Kritik des Normsystemdenkens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Theorie des Rechts im Kontext des 10. und 11. Jahrhunderts, Wien u. a. 2009, S. 120 ff. Für Carl Schmitt besteht die politische Einheit vor der Entstehung des Staates, sie erhält durch die konkrete De­ zision nur die besondere Gesamtgestalt, für die sich die politische Einheit entschei­ det. Die politische Einheit ist für Carl Schmitt aber auch Änderungen zugänglich, ohne dass sie in ihrer konkreten Gestalt aufhört zu existieren. 12  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 24; M.  Llanque (Fn. 2), S. 166; A. Brodocz (Fn. 1), S. 289; M. Eichhorn (Fn. 6), S. 17 f.; W. Hill (Fn. 4), S. 192 ff.; H. Wendenburg (Fn. 11), S. 166; vgl. M. Pilch (Fn. 11), S. 120 ff.; B. WiegandHoffmeister, Die Umweltstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwaltungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bremen 2011, S. 10. Dabei wird die Substanz des Staates bei Carl Schmitt als real politisch gegeben, nicht aber dagegen als geistigmetamorphisch im Sinne eines Georg Wilhelm Friedrich Hegel angesehen; so nur M. Eichhorn, ebd.; W. Hill, ebd., S. 194 ff. 13  M. Kraft-Fuchs (Fn.  2), Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 511 (512 f. / 527 ff.); H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 264 f. / 276 ff.; A. Brodocz (Fn. 1), S. 292 f.; A. Hurrelmann (Fn. 4), S. 79 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 4), S.  202 f.; E. Gutmann (Fn. 11), S. 63; zu diesem Stufenverhältnis der positiven Ver­ fassung gegenüber dem relativen Verfassungsgesetz E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 351 f. Margit Kraft-Fuchs führt insoweit aus, dass es auch die Anschauung der normativen Theorie sei, dass jede Verfassung von einem Willen „gegeben“ werde. Um die Handlungen einer Macht als Rechtshandlungen gelten zu lassen und von anderen Machthandlungen unterscheiden zu können, müsse man eine Norm voraussetzen, mit deren Hilfe man die Willensäußerungen als Rechtsakte be­ greifen könne. Indem Carl Schmitt bei der Festlegung der möglichen Subjekte der verfassunggebenden Gewalt (C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 77 ff.) differen­

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sam ein unverbrüchlicher Wesenskern des Staates indiziert, der letztlich von der verfassungsändernden Gewalt nicht angetastet werden darf.14 Zu diesen fundamentalen Dezisionselementen, die fortan als Bedingungen für alle weiteren Normierungen einschließlich der relativen Verfassungsgesetze an­ gesehen werden müssen,15 gehören für Carl Schmitt etwa die das Staatssys­ tem bildenden und leitenden Entscheidungen für die Demokratie, die Repu­ blik, den Bundesstaat, die parlamentarisch-repräsentative Form der Gesetz­ gebung und Regierung sowie die positive Entscheidung für den bürgerlichen Rechtsstaat mit dem Prinzip der Gewaltenteilung und den Grundrechten.16 Die grundlegenden Wertentscheidungen enthalten gleichsam die politische Kultur des deutschen Volkes, das Politische, ohne das der Staat nicht denk­ bar ist und das den Anknüpfungspunkt für die von Carl Schmitt angeführte Freund-Feind-Unterscheidung bildet.17 Es ergibt sich somit aus der politi­ schen Einheit eine „substantielle Homogenität“18, eine materielle Substanz, die sich gleichzeitig als Voraussetzung wie auch als Folge der gegensätzli­ chen Differenzierung zwischen Freund und Feind darstellt und das Politi­ ziert, zeige er (aber) ganz deutlich, dass er auch aufgrund von Wertungen einer Macht rechtserzeugende Fähigkeiten zuschreibe (M. Kraft-Fuchs, ebd., S. 528 f.). 14  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 11 ff. / 23 ff.; ders., Legalität und Legi­ timität (Fn. 9), S. 46 ff. / 56 f.; dazu auch W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetz­ gebung, Berlin 1931, S. 11 / 24; A. Hurrelmann (Fn. 4), S. 81; H. Wendenburg (Fn. 11), S. 172; vgl. auch M.  Porsche-Ludwig (Fn. 11), S. 165 f. 15  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 24; A. Hurrelmann (Fn. 4), S. 77 f. „Alles, was es innerhalb des Deutschen Reichs an Gesetzlichkeit und an Normativi­ tät gibt, gilt nur auf der Grundlage und nur im Rahmen dieser Entscheidungen.“ (C. Schmitt, ebd.). 16  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 23 f.; E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 352 ff.; A. Hurrelmann (Fn. 4), S. 80. Der politische Teil besitzt aber Vorrang vor den rechtsstaatlichen Bestandteilen der Verfassung. Zutreffend schreibt daher Ernst-Wolgang Böckenförde (E.-W. Böckenförde, Der Be­ griff des Politischen, ebd., S. 354 f.; A. Brodocz (Fn. 1), S. 290), dass der rechtsstaat­ liche Teil der Verfassung und seine Gewährleistungen in eine bestehende politische Einheit und Form eingehangen sein müssen und nicht unabhängig davon oder in einem Primat ihr gegenüber Bestand haben und effektive Wirkung zeitigen können. Dem entspricht letztlich, dass bei Carl Schmitt die politische Einheit erst verletzt ist, wenn ein Grundrecht vernichtet wird (so C. Schmitt, Verfassungslehre, ebd., S.  171 ff.). 17  C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 26 ff. / 67 f.; A. Brodocz (Fn. 1), S. 280 ff.; A. Hurrelmann (Fn. 4), S. 76; M.  Llanque (Fn. 2), S. 166 / 169 ff.; zur Freund-Feind-Unterscheidung E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 345 ff.; M. Eichhorn (Fn. 6), S. 18; A. Demandt, Staatsform und Feindbild bei Carl Schmitt, Der Staat 1988 (27), S. 23; M. Kriele, Einführung in die Staats­ lehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 85. 18  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 228 ff.; H. Hofmann, Legitimität und Legalität (Fn. 4), S. 140 ff.; M.  Llanque (Fn. 2), S. 169 ff.; A. Brodocz (Fn. 1), S.  289 f.; E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 351 f.



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sche in einer Angriffsrichtung bestimmt.19 In der Normalsituation, d. h. in dem staatlichen Normalfall in Abgrenzung von dem Eintreten eines Ausnah­ mezustands, vollzieht sich für Carl Schmitt das gemeinschaftliche Leben in geregelten rechtlichen Bahnen, die sich auf der positiven Verfassungsord­ nung aufbauen, weshalb sich der Staat in dieser Lage als „Wächter“ – der Begriff des „Hüters“ soll hier tunlichst vermieden werden – der materiellen Ordnung darstellt. Der Normalfall ist demnach eine Rechtssituation, in der das Recht unter dem Vorbehalt einer substantiellen Änderung der politischen Einheit Geltung beanspruchen kann.20 Jedoch zeigt sich der auf einer kon­ kreten Dezision beruhende wahre Charakter des Staates bei Carl Schmitt im Ausnahmezustand, in einer Lage, in der die homogene politische Einheit des deutschen Volkes durch innere oder äußere „Feinde“ bedroht ist. Dies verdeutlicht bereits der Einleitungssatz von Carl Schmitt in seiner Schrift „Politische Theologie“, wo er schreibt: „Souverän ist, wer über den Ausnah­ mezustand entscheidet.“21 Und kurz danach findet sich die gehaltvolle Äu­ ßerung: „In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall (…) eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden muss, in der Rechtssätze gelten können. (In ihm zeigt sich die Dezision in absoluter Reinheit.) (…) Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. 19  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 162 / 169; M. Kraft-Fuchs (Fn. 2), Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 511 (516); N. Campagna, Carl Schmitt, Berlin 2004, S. 79 ff.; A. Brodocz (Fn. 1), S. 284 ff.; relativierend E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 345 ff.: „Das Politische, wie Carl Schmitt es definiert, ist somit auch im errichteten und als politische Einheit handlungsfähigen Staat nicht verschwunden, abgedrängt etwa in den Bereich der Außenpolitik. Es ist potentiell, als die Möglichkeit eskalierender Freund-Feind-Gruppierung, auch im Staat stets gegenwärtig, selbst wenn es in der Normallage nicht sichtbar hervortritt. (…) Um (…) (der Gefahr von latenten oder offenen Bürgerkriegslagen) zu entgehen, ist es notwendig vorzubauen, die Ordnung im Innern zu stabilisieren, Prophylaxe im Hinblick auf bestehende oder sich ankündigende Spannungen und Konflikte zu be­ treiben, damit es zu einer Eskalation, einem Intensitätsgrad der Dissoziation, der auch die übergreifende Zusammengehörigkeit auf der Grundlage relativer Homoge­ nität – das ist es, was mit Freundschaft im politischen Sinne gemeint ist – aufspal­ tet und in Frage stellt, gar nicht erst kommt. Das ist dann vernünftige Politik, die aus der Einsicht in die Eigenart des Politischen erwächst und davon (mit-)bestimmt wird.“ (so E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen, ebd., S. 348; letzter Klammerzusatz im Original). 20  Siehe hierzu C. Schmitt, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 46; N. Campagna (Fn. 9), S. 70; E.-W. Böckenförde (Fn. 4), S. 348 f.; T. Stein, Grundrechte im Ausnahmezustand, in: D.  Merten / H.-J.  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte, Bd. I: Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 2004, § 24 Rn. 6. 21  C. Schmitt, Politische Theologie, Nachdruck der 2. Aufl. (1933), 7. Aufl., Ber­ lin 1996, S. 13. Zum Souveränitätsbegriff von Carl Schmitt auch U. Schliesky, Sou­ veränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt – die Weiterentwicklung von Be­ griffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 108 ff.

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(…) Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.“22 Damit tritt die Dezision als dominierendes Moment in der Staatstheorie Carl Schmitts23 noch deutlicher hervor: Der Staat wird nicht nur durch die konkrete Ent­ scheidung des pouvoir constituant in seiner homogenen Ganzheit geschaf­ fen, sondern er ist es letztlich auch, der über das „Ob“ und das „Wie“ in der extremen Notsituation als außerhalb der Rechtsordnung stehender, aber infolge der ihm zukommenden Suspendierungskompetenz der normativen Ordnung im Ausnahmefall doch zu ihr gehörender Souverän entscheidet.24 In diesem Extremzustand bleibe der Staat (dann auch) bestehen, während das Recht zurücktrete. Es bestehe im juristischen Sinne immer noch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung. So wie im Normalfall das selb­ ständige Moment der Entscheidung auf ein Minimum zurückgedrängt wer­ den könne, werde im Ausnahmefall die Norm vernichtet.25 Ein noch weiter­ gehendes Verständnis der staatstheoretischen Ausführungen Carl Schmitts ergibt sich aber erst, wenn die Dezision in Abgrenzung zu den rechtsstaatlich normativen Objektivierungstendenzen noch genauer betrachtet wird. Eine Entscheidung gehört für Carl Schmitt zu jeder rechtlichen Perzeption, da sie die sich in Normen ausdrückende Rechtsidee nicht nur in einen anderen Aggregatzustand versetzt, sondern ihr auch ein über den konkreten Inhalt der positiven Rechtsnorm hinausgehendes materielles Moment verleiht.26 Aus diesem Grund wendet sich Carl Schmitt gegen die modernen rechts­ staatlichen Tendenzen, die die Form aus dem Subjektiven ins Objektive verlegen, das Persönliche und den Befehl aus dem Staatsbegriff verschwin­ den lassen und den Souverän verschleiern wollen, so dass die höchste Kompetenz im Staat nicht einer Person oder einem soziologisch-psycholo­ gischen Machtkomplex, sondern nur der souveränen Ordnung selbst in der Einheit dieses Normensystems zukomme.27 Insoweit erschöpfe sich dann 22  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 19; zum Begriff der Souveränität bei Carl Schmitt E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 4), S. 350 f. 23  Der Begriff der Dezision bei Carl Schmitt kann folgendermaßen charakteri­ siert werden: „In den letzten Jahren ist unzähligemal auseinandergesetzt worden, wie der Richter sich keineswegs mit dem positiven Recht begnügen kann, wie die An­ forderungen des Verkehrslebens häufig eine Entscheidung verlangen, obwohl sie eine besondere gesetzliche Regelung noch nicht gefunden haben, so dass der Richter etwas anderes sein muss, als der Mund, der die Gesetzesworte ausspricht, als eine Subsumtionsmaschine, ein Gesetzesautomat oder wie man es immer genannt hat, wenn man einen verächtlichen Ausdruck dafür geben wollte.“ „Die Praxis rechtfer­ tigt sich also durch sich selbst.“ Siehe hierzu C. Schmitt, Gesetz und Urteil, Berlin 1912, S. 9 / 86; H. Wendenburg (Fn. 11), S. 168). 24  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 14. 25  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 18 f. 26  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 36.



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etwa die Objektivität Hans Kelsens darin, dass er alles Personalistische vermeide und die Rechtsordnung auf das unpersönliche Gelten einer unper­ sönlichen Norm zurückführe.28 Doch sei das konstitutive, spezifische Ent­ scheidungsmoment von dem Inhalt der zugrunde liegenden Norm aus be­ trachtet etwas Neues und Fremdes, aus einem Nichts geboren, so dass die rechtliche Kraft etwas anderes als das Resultat der Begründung sei.29 Und dann bringt Carl Schmitt den für das dogmatische Erfassen des realen, sub­ jektiven Geistes inhaltsschweren Satz: „Es wird nicht mit Hilfe einer Norm zugerechnet, sondern umgekehrt; erst von einem Zurechnungspunkt aus 27  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 14 / 26 f. / 35 f.; ders., Drei Arten des Denkens (Fn. 2), S. 13 ff.; R. Mehring (Fn. 2), Archiv für Rechts- und Sozialphi­ losophie 1994 (80), 191 (195). Carl Schmitt schreibt dazu: „Das normativistische Denken kann sich darauf berufen, unpersönlich und objektiv zu sein, während die Entscheidung immer persönlich ist und die konkreten Ordnungen überpersönlich sind. Der Normativist nimmt also die unpersönliche, objektive Gerechtigkeit gegen­ über der persönlichen Willkür des Dezisionisten und dem feudalen, ständischen oder sonstigen Pluralismus der Ordnungen für sich in Anspruch. Zu allen Zeiten hat man verlangt, dass das Gesetz und nicht die Menschen herrschen sollen.“ (C. Schmitt, Drei Arten des Denkens, ebd., S. 13; Hervorhebung im Original). 28  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 35; ders., Drei Arten des Denkens (Fn. 2), S. 15; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 144 f.; R. Mehring (Fn. 2), Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 1994 (80), 191 (195 ff.). In dem Zusammenhang ergänzt Carl Schmitt sogar noch eindringlicher: „Hans Kelsen widerspricht sich selbst, wenn er einmal einen solchen kritisch gewonnenen subjektivistischen Formbegriff zum Aus­ gangspunkt nimmt und die Einheit der Rechtsordnung als eine freie Tat juristischen Erkennens auffasst, dann aber, wo er sich zu einer Weltanschauung bekennt, Objek­ tivität verlangt und selbst dem Hegelschen Kollektivismus den Vorwurf des Staats­ subjektivismus macht.“ (C. Schmitt, Politische Theologie, ebd., S. 35; vollständige Personifizierung nicht im Original). Im Zusammenhang mit dem letzten Geltungs­ grund einer Staatsordnung wird die Abgrenzung zwischen Dezisionismus und Nor­ mativismus folgendermaßen beschrieben (C. Schmitt, Drei Arten des Denkens, ebd., S. 38): „Das dezisionistische Denken dagegen erlaubt die positive Anknüpfung an einen bestimmten tatsächlichen Zeitpunkt, an welchem aus einem vorangehenden Nichts an Norm oder einem Nichts an Ordnung das positiv allein beachtliche posi­ tive Gesetz hervorspringt, das dann aber als positive Norm weitergelten soll. Einmal gesetzt, soll es allerdings auch gegen den Willen gelten, der es gesetzt hat; sonst könnte es einem nicht die nötige Sicherheit hinsichtlich dessen verschaffen, ‚wessen man sich vom Staat zu versehen hat‘. Aber nur der dezisionistische Bestandteil macht es dem Positivisten möglich, die Frage nach dem letzten Geltungsgrund der geltenden Norm zu beantworten, statt sie immer weiter ins Unabsehbare, ‚Metaju­ ristische‘ zu führen, in einem bestimmten Augenblick und an einer bestimmten Stelle abzubrechen und den in einem geschichtlichen Zeitpunkt faktisch vorhande­ nen, sich faktisch durchsetzenden Willen einer souveränen Macht anzuerkennen, ohne diese Macht als eine Institution oder eine sonstige konkrete Ordnung vorzu­ stellen oder überhaupt nach ihrem guten Recht zu fragen.“ 29  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 37 f.; siehe hierzu auch A. Brodocz (Fn. 1), S. 286 f.

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bestimmt sich, was eine Norm und was normative Richtigkeit ist. Von der Norm aus ergibt sich kein Zurechnungspunkt, sondern nur eine Qualität eines Inhalts. Das Formale im spezifisch-rechtlichen Sinne liegt in einem Gegensatz zu dieser inhaltlichen Qualität, nicht zu der quantitativen Inhalt­ lichkeit eines Kausalzusammenhangs.“30 Mit anderen Worten steht die Entscheidung und damit die Rechtsverwirklichung im Mittelpunkt des staat­ lichen Lebens. Der durch eine konkrete Dezision des pouvoir constituant entstandene Staat ist der politische Baumeister, die Jurisprudenz eine sozio­ logisch orientierte Disziplin.31 Das Recht wird von dem Staat geschaffen und in der Normalsituation wird das selbständige Moment der Entscheidung auf ein Minimum zurückgedrängt. Im extremen Ausnahmezustand aber wird der Staat als Souverän eine Maschine32, die die Rechtsordnung suspendieren und entsprechende Maßnahmen zur Herstellung der politischen Einheit, der positiven, materiellen Verfassungsordnung ergreifen kann. Hier tritt die Natur des subjektiven Geistes, der realen Dezision, dann besonders hervor, wenngleich sie auch im normalen staatlichen Leben die im wahrsten Sinne „entscheidende“ Rolle spielt. Denn nach der Konzeption von Carl Schmitt ist die normative Zurechnung stets durch eine vorherige Entscheidung be­ dingt. Der objektive Sinn eines Aktes zeigt sich primär in dem realen De­ 30  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 38. Die Polemik gegenüber dem Normativismus zeigt sich in den folgenden Ausführungen bei Carl Schmitt (C. Schmitt, Drei Arten des Denkens (Fn. 2), S. 17 ff.): „Für den ersten Typus, der das Recht in vorherbestimmten, von der konkreten Sachlage unabhängigen, generellen Regeln und Gesetzen findet, wird jede Entscheidung des Rechtslebens – jeder Befehl, jede Maß­ nahme, jeder Vertrag, jede Entscheidung – zur Norm, jede konkrete Ordnung und Gemeinschaft löst sich in eine Reihe geltender Normen auf, deren ‚Einheit‘ oder ‚System‘ wiederum nur normativ ist. Ordnung besteht für ihn wesentlich darin, dass eine konkrete Lage allgemeinen Normen, an denen sie gemessen wird, entspricht. Dieses ‚Entsprechen‘ ist allerdings ein schwieriges und vielerörtertes logisches Prob­ lem, weil das normativistische Denken, je mehr es rein normativistisch wird, zu einer immer schärferen Trennung von Norm und Wirklichkeit, Sollen und Sein, Regel und konkretem Sachverhalt führt.“ (…) „Alles Recht zieht sich in die von der Sachlage getrennte Norm zusammen; das Übrige ist ‚bloßes Faktum‘ und tatbestandsmäßiger Anlass der ‚Gesetzesbewährung‘. (…) Die abstrakte Norm und Regel (…) schwebt über jeder konkreten Lage und jedem konkreten Tun; durch ein sogenanntes normoder gesetzwidriges Verhalten wird sie nicht außer Kraft gesetzt. Normativität und Faktizität sind ‚ganz verschiedene Ebenen‘; das Sollen bleibt vom Sein unberührt und behält seine für das normativsische Denken unverletzbare Sphäre, während sich in der konkreten Wirklichkeit alle Unterscheidungen von Recht und Unrecht, Ordnung und Unordnung normativistisch gesehen in sachliche Voraussetzungen der Normenanwen­ dung verwandeln. Die Sachlichkeit und Objektivität des reinen Normativismus wird hier zu einer ordnungszerstörenden und auflösenden juristischen Absurdität.“ Zum Rechtsnormbegriff von Carl Schmitt auch M. Porsche-Ludwig (Fn. 11), S. 165 ff. 31  Vgl. P. Kondylis, Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entscheidung, Der Staat 34 (1995), 325 (329 f.). 32  M. Eichhorn (Fn. 6), S. 11 ff.



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zisionsmoment, das das von der konkreten Norm inhaltlich Vorgegebene überlagert. Die Entscheidung ist also Zurechnungspunkt, nicht aber die Rechtsnorm in ihrem ideellen Gehalt. Der Staat kann so zu einer Höllenma­ schinerie avancieren, dessen Grenzen sich aus der Rechtsordnung letztlich nicht ergeben können, sondern eines Rekurses auf die politische Einheit als unverbrüchlicher Seinsidentität des Staates bedürfen.33 Eine weitere Entschlüsselung der staatstheoretischen Ansätze Carl Schmitts ergibt sich aus den staatsphilosophischen Grundlegungen seiner „Politischen Theologie“, die einen signifikanten Hang zu dem Staat als Autorität und eine Sympathie zu den Denkern der konservativen Gegenrevolution34 erkennen lassen, sowie aus seinen Ausführungen zum Staat als einem konkreten, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff35. Hierbei entpuppt sich Carl Schmitt als ein Meister stilistischer Illusion, der es versteht, eine Vielzahl von Passagen aus den Werken von bedeutenden Staatsphilosophen in einem für ihn gerade gelegenen Licht erscheinen zu lassen.36 An dieser Stelle sollen diese Bezugnahmen aber nur insoweit angeführt werden, als sie für den hier interessierenden Zusammenhang einer Entwicklung des Deutschen Reichs zu einer naturstaatlichen Systemordnung zu einem weitergehenden Verständnis des von Carl Schmitt intendierten Staatsgebildes beitragen können. Im Vor­ dergrund steht der bedeutende französische Staatstheoretiker Jean Bodin, der die Dezision in den Souveränitätsbegriff hineingetragen habe.37 Nach Carl Schmitt orientieren sich die Ausführungen Jean Bodins zur Souveränität in 33  M. Eichhorn (Fn. 6), S. 11 ff.: „Die Lehre von der Staatsräson ist bei (Carl) Schmitt hier schlicht das Wissen der politischen Maschinisten, die die Maschine Staat warten und gebrauchen. Sie sind die Spezialisten, deren Hilfe und Unterstüt­ zung sich jeweils Machthaber zu vergewissern suchen; sie tragen nicht die Symbole der Macht, sondern wirken unscheinbar im Hintergrund.“ (M. Eichhorn, ebd., S. 12). 34  Siehe hierzu T. Gil (Fn. 6), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988 (74), S. 521. Der Autor kommt im Rahmen dieses Beitrags zu dem Ergebnis, dass eine einheitliche Interpretation des heterogenen Werks von Carl Schmitt nur vor dem Hintergrund der gegenaufklärerischen, katholisch-theologischen Folie möglich ist. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. Vgl. dazu auch A. Demandt (Fn. 17), Der Staat 1988 (27), 23 (29 f.). 35  C. Schmitt, Staat als ein konkreter, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, unver­ änderter Nachdruck der 1. Aufl. (1958), 4. Aufl., Berlin 2003, S. 375. 36  In diese Richtung auch A. Demandt (Fn. 17), Der Staat 1988 (27), 23 (31 f.); U. Di Fabio, Sicherheit in Freiheit, NJW 2008, 421 (424), der von Carl Schmitt als einem „scharfsinnigen Geistesverwirrer“ spricht. Siehe hierzu auch F. Hartung, Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches, in: ders. (Hrsg.), Staatsbil­ dende Kräfte der Neuzeit  – Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, S. 383 / 391 f. 37  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 15; ders., Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehlschlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938, S. 65 f.

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dessen „Les six livres de la république“ an dem extremen Ausnahmezustand und befreien den absoluten Monarchen in dieser Notfalllage von den gesetz­ lichen Bindungen.38 In seinem Aufsatz über den Staat als einem konkreten, an eine geschichtliche Epoche gebundener Begriff ergänzt Carl Schmitt dann die Souveränitätsvorstellungen des frühmodernen Staates gebietsbezogen, wonach der Staat eine territorial geschlossene Einheit herstelle. Der Rechts­ gedanke der staatlichen Souveränität sei (letzten Endes) der erste entschei­ dende Schritt auf dem weiteren Wege (gewesen), der in den folgenden Jahr­ hunderten zu der räumlich abgeschlossenen, gegen andere Staaten mathema­ tisch scharf abgegrenzten, in sich (aber) zentralisierten und durchrationali­ sierten Einheit Staat geführt habe, was schließlich zu dem souveränen Staat als neuem Raumordnungsbegriff geführt habe.39 Diese „Raumrevolution“ hat für Carl Schmitt im 16. Jahrhundert begonnen,40 womit er indirekt auf den italienischen Staatsdenker Niccolò Machiavelli eingeht, der im XI. Kapitel seines bekannten Werkes „Il principe“ schrieb, dass die etablierten Mächte Italiens „vor allem auf zwei Dinge zu sehen (hatten): erstens, dass kein Frem­ der mit bewaffneter Hand in Italien eindränge, und zweitens, dass keiner un­ ter ihnen übermächtig würde.“41 Aus dieser Passage folgt, dass bei Niccolò Machiavelli der Zugewinn von zusätzlichem Gebiet mit einem entsprechen­ den Machtgewinn gleichzusetzen ist, was bedeutet, dass der Raum die Di­ mension ausdrückt, in der sich die Macht artikuliert und physisch manifes­ tiert.42 Carl Schmitt vertrat demgemäß eine Raumtheorie, das Staatsgebiet war der Herrschaftsraum des Staates, auf dem sich seine reale Macht proji­ zierte. Und die Frage nach der Zugehörigkeit eines Raumes zu einem natio­ nalen Staat ist eine Frage der Okkupation, der Dezision.43 An dieser Stelle kann daher bereits festgehalten werden, dass das Staatsgebiet als der Herr­ schaftsraum nach der Staatstheorie Carl Schmitts denklogisch zu der politi­ schen Einheit gehörte. Und über dieser politischen Einheit, die durch eine konkrete Dezision des pouvoir constituant geformt wurde, stand als der Wächter der souveräne Staat. Dies wird von Carl Schmitt durch einen Ver­ weis auf die gehaltvolle und selbstredende Zitatstelle in dem „Leviathan“ von Thomas Hobbes untermauert, die lautet: „Autorität, nicht Wahrheit 38  C. Schmitt,

39  C. Schmitt,

Politische Theologie (Fn. 21), S. 14 ff. Staat als an geschichtliche Epoche gebundener Begriff (Fn. 35),

S.  378 ff. 40  C. Schmitt, Staat als an geschichtliche Epoche gebundener Begriff (Fn. 35), S. 379. 41  N. Machiavelli, Der Fürst, ins Deutsche übersetzt von F. Oppeln-Bronikowski, Frankfurt a. M. / Leipzig 2001, S. 62; dazu auch P. Nitschke, Raumkonstruktionen des Politischen, in: R. Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken, Stuttgart 2008, S. 52 f. 42  P. Nitschke, in: R. Voigt (Hrsg.) (Fn. 41), S. 53. 43  P. Nitschke, in: R. Voigt (Hrsg.) (Fn. 41), S. 50 f.



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schafft das Gesetz.“44 Zur Verdeutlichung dieser Maxime führt Carl Schmitt einen Vergleich von Thomas Hobbes an, mit dem dieser die Staatssouveräni­ tät in seinem „Leviathan“ bildlich beschreiben wollte: „Eine Gewalt oder Ordnung kann einer andern so unterworfen sein, wie die Kunst des Sattlers der des Reiters unterworfen ist; aber das Wesentliche ist doch, dass trotz die­ ser abstrakten Stufenleiter von Ordnungen niemand daran denkt, deshalb den einzelnen Sattler jedem einzelnen Reiter zu unterwerfen und zum Gehorsam zu verpflichten.“45 Anders gewendet kann für Thomas Hobbes die geistige Gewalt als der höheren Ordnung nicht über der staatlichen Gewalt als der niedrigeren Ordnung stehen, weil sich in der geistigen Ordnung die Staats­ souveränität nicht allein zeigen kann. Sie erscheint in der Autorität, die sich in der normativen Sinnordnung manifestiert, von dieser aber nicht selbst be­ seitigt werden kann, was im Ergebnis bedeutet, dass der Staat rein faktisch stets der personifizierte Souverän bleibt. Der teleologische Hintergrund für die Staatssouveränität bei Carl Schmitt ergibt sich schließlich aus seiner geis­ 44  „Autoritas, non veritas facit legem.“ C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 39; ders., Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (Fn. 37), S. 67 ff.; T. Gil (Fn. 6), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988 (74), 521 (523); A. Brodocz (Fn. 1), S. 278; W. Hill (Fn. 4), S. 184; P. Badura, Methoden (Fn. 4), S. 202 Fn. 381; siehe zum politischen Einfluss von Thomas Hobbes auf Carl Schmitt auch M. Eichhorn (Fn. 6), S. 15. In seinem Werk mit dem Titel „Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes“ verdeutlicht Carl Schmitt den Grundsatz „Au­ toritas, non veritas facit legem“, woraus sich gleichsam eine Konkretisierung des Staatsbegriffs von Carl Schmitt ergibt: „Für die technisch vorgestellte Neutralität ist es entscheidend, dass die Gesetze des Staates von jeder inhaltlich substanzhaften, religiösen oder rechtlichen Wahrheit und Richtigkeit unabhängig werden und nur noch infolge der positiven Bestimmtheit staatlicher Entscheidung als Befehlsnormen gelten. Auctoritas (im Sinne von summa potestas), non Veritas. (…) So wird der Satz zum einfachen, sachlichen Ausdruck eines wert- und wahrheitsneutralen, posi­ tivistisch-technischen Denkens, das den religiösen und metaphysischen Wahrheitsge­ halt vom Befehls- und Funktionswerte abgetrennt und diesen verselbständigt hat. Ein derartig technisch-neutraler Staat kann sowohl tolerant wie intolerant sein; er bleibt in beiden Fällen in gleicher Weise neutral. Er hat seinen Wert, seine Wahrheit und seine Gerechtigkeit in seiner technischen Vollkommenheit. Alle anderen Wahr­ heits- und Gerechtigkeitsvorstellungen werden durch die Entscheidung des Gesetzes­ befehls absorbiert, und ihre Hineinziehung in die juristische Argumentation würde nur neuen Streit und neue Unsicherheit schaffen. Die Staatsmaschinerie funktioniert oder sie funktioniert nicht. Im ersten Falle garantiert sie mir die Sicherheit meines physischen Daseins; dafür verlangt sie unbedingten Gehorsam gegen die Gesetze ihres Funktionierens. Alle weiteren Erörterungen führen in einen ‚vorstaatlichen‘ Zustand der Unsicherheit (…). Aber nicht die Behauptung, Recht zu haben, führt (letztlich) zum Frieden, sondern nur die unwiderstehliche Entscheidung eines sicher funktionierenden, gesetzlichen Zwangssystems, das dem Streit ein Ende macht.“ (C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes, ebd., S. 67 ff.; Hervorhebungen im Original). Siehe zur Autorisierungsformel der Hobbes’schen Staatsphilosophie auch W. Kersting, Politik und Recht, Weilerswist 2000, S. 289 ff. 45  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 39.

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tigen Nähe zu den konservativen Staatsphilosophen der Gegenrevolution, von denen einzig Donoso Cortés hervorgehoben werden soll. Für ihn als „ei­ nem der größten Repräsentanten dezisionistischen Denkens“ war Mitte des 19. Jahrhunderts die Epoche des Royalismus, und damit auch die Zeit der monarchischen Legitimität im überlieferten Sinne zu Ende.46 Das an deren Stelle getretene demokratische Prinzip, das dem Wesen des bürgerlichen Li­ beralismus entspricht, führt aber letztlich in eine Herrschaft der Entschei­ dungslosigkeit hinein, die sich nicht mehr durch das wesentliche Dezisions­ moment, sondern stattdessen durch eine relative Diskussionsplattform aus­ zeichnet. Aus diesem Grund bleibt für Donoso Cortés, der von einem radikal negativen Menschenbild ausgeht, nur noch die Möglichkeit der Diktatur, um den liberalen Zersetzungsprozess des Staates aufzuhalten.47 Carl Schmitt sah in Donoso Cortés einen seelischen Paten für seine absolute Sicht der politi­ schen Einheit und die damit zusammenhängende Radikalisierung im Ausnah­ mefall. Daher kann auch nicht verwundern, dass sich Carl Schmitt bei aller gedanklichen Sympathie mit dem politischen Einheitswillen bei Jean-Jacques Rousseau angesichts dessen nur relativen Bündelungscharakter zu einer Re­ lativierung verleiten lässt. Denn bei dem französischen Staatstheoretiker wer­ de die volonté générale mit dem Willen des Souveräns identisch; gleichzeitig aber erhalte der Begriff des Generellen auch in seinem Subjekt eine quantita­ tive Bestimmung, so dass das Volk zum Souverän werde. Dadurch gehe das dezisionistische und personalistische Element des bisherigen Souveränitäts­ begriffs verloren; die ein Volk darstellende Einheit sei (somit) eine organi­ sche Einheit, und mit dem Nationalbewusstsein entstehen die Vorstellungen vom organischen Staatsganzen, womit der theistische sowie der deistische Gottesbegriff für die politische Metaphysik unverständlich werde.48 Damit 46  C. Schmitt,

Politische Theologie (Fn. 21), S. 55. Politische Theologie (Fn. 21), S. 55 / 65 ff.; ders., Der unbekannte Donoso Cortés (1929), in: C. Schmitt, Positionen und Begriffe im Kampf mit Wei­ mar – Genf – Versailles; 1923–1939, 4. korrigierte Aufl., Berlin 2014, S. 131 ff.; H.  Arias / J.  Rafael, Donoso Cortés und Carl Schmitt. Eine Untersuchung über die staats- und rechtsphilosophische Bedeutung von Donoso Cortés im Werk Carl Schmitts, München u. a. 1998; T. Gil (Fn. 6), Archiv für Rechts- und Sozialphiloso­ phie 1988, 521 (523 ff.); A. Brodocz (Fn. 1), S. 278 / 293. Insoweit führt Carl Schmitt aus: „Diktatur ist der Gegensatz zu Diskussion. Es gehört zum Dezisionismus der Geistesart von Donoso Cortes, immer den extremen Fall anzunehmen, das jüngste Gericht zu erwarten.“ (S. 67). „Das ist aber wesentlich Diktatur, nicht Legitimität. Donoso Cortes war überzeugt, dass der Augenblick des letzten Kampfes gekommen war; angesichts des radikal Bösen gibt es nur eine Diktatur, und der legitimistische Gedanke der Erbfolge wird leere Rechthaberei.“ (S. 69) (vollständige Personifizie­ rungen nicht im Original). 48  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 21), S. 52 f. In der grundlegenden Aus­ richtung des Staates auf einen originären politischen Willen steht Carl Schmitt aber dennoch in der staatsphilosophischen Tradition von Jean-Jacques Rousseau; so nur 47  C. Schmitt,



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wird evident, auf welche Art von Staatswesen die Theorie von Carl Schmitt hinausläuft: es ist dies ein autoritäres Regime, das in der Lage ist, den abso­ luten Kern der politischen Einheit gegen die zersplitternden liberalen Kräfte zu bewahren, wobei die ursprüngliche Dezision als Legitimitätsgrundlage dient.49 II. Naturstaatsbegriff Nach dem staats- und verfassungstheoretischen Modell Carl Schmitts ist die Frage nach einer etwaigen Naturstaatlichkeit nur differenziert zu beant­ worten. Als Ausgangspunkt der systematischen Herleitung soll an dieser Stelle zunächst die von Carl Schmitt vertretene Staatsgebietstheorie in den Mittelpunkt gestellt werden: Für ihn ist das Land der durch konkrete Dezi­ sion festgelegte Herrschaftsraum, auf dem sich die politische Machtaus­ übung projiziert und letztlich ideell verewigt. Damit wird aber – insoweit in Übereinstimmung mit Georg Jellinek  ‒ dem Staatsgebiet eine weiterge­ M. Eichhorn (Fn. 6), S. 16 ff. Siehe zu den im Ergebnis haltlosen, eher irreführenden Versuchen von Carl Schmitt, die Gleichheitsvorstellungen von Jean-Jacques Rous­ seau in dessen Contrat social auf sein absolutes, substantielles Homogenitätsdenken zu übertragen W. Hill (Fn. 4), S. 198 ff. 49  C. Schmitt, Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus, Nachdruck der 2. Aufl. (1926), 9. Aufl., Berlin 2010, S. 21 ff.; ders., Legalität und Legitimität (Fn. 9), S. 10 ff. / 46 ff. / 56 f. / 64 ff. / 82 ff.; A. Hurrelmann (Fn. 4), S. 78 f.; T. Gil (Fn. 6), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988 (74), 521 (525 ff.); R. Mehring (Fn. 2), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1994 (80), 191 (192 ff.); M.  Llanque (Fn. 2), S. 167 ff. / 171; A. Brodocz (Fn. 1), S. 287 ff. / 295 f.; W. Hill (Fn. 4), S. 188 / 191 ff.; vgl. dazu auch M. Eichhorn (Fn. 6), S. 19 ff.; H. Wendenburg (Fn. 11), S. 173; ausführlich hierzu J. Fijalkowski, Die Wendung zum Füh­ rerstaat. Ideologische Komponenten in der politischen Philosophie von Carl Schmitt, Köln 1958. Die autoritär-plebiszitären Tendenzen bei Carl Schmitt verdeutlicht die folgende Passage über den Willen des Volkes im Rahmen der subtilen Skizzierung der geistesgeschichtlichen Lage des damaligen Parlamentarismus: „Der Wille des Volkes kann durch Zuruf, durch acclamatio, durch selbstverständliches, unwider­ sprochenes Dasein ebenso gut und noch besser demokratisch geäußert werden als durch den statistischen Apparat (…). Je stärker die Kraft des demokratischen Ge­ fühls, um so sicherer die Erkenntnis, dass Demokratie etwas anderes ist als ein Registriersystem geheimer Abstimmungen. Vor einer, nicht nur im technischen, sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie erscheint das aus liberalen Gedankengängen entstandene Parlament als eine künstliche Maschinerie, während diktatorische und zäsaristische Methoden nicht nur von der acclamatio des Volkes getragen, sondern auch unmittelbare Äußerungen demokratischer Substanz und Kraft sein können.“ (C. Schmitt, ebd., S. 22 f.; Hervorhebungen im Original); vgl. auch ders., Legalität und Legitimität (Fn. 9), S. 57 ff., v. a. S. 61; siehe zu Letzterem auch H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie: Grundlegung, Strukturelemente, Probleme, in: G. Dux (Hrsg.), Hans Kelsens Wege sozialphilosophischer Forschung, Wien 1997, S.  89 ff.

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hende materielle Bedeutung als natürliche Lebensgrundlagen nicht zuer­ kannt. Auch nach der Staatstheorie Carl Schmitts ist deshalb eine fortge­ schrittene Erkenntnishaltung bezüglich der elementaren Funktion der Natur für die staatliche Existenz erforderlich, um den Staat als einen Naturstaat in Erscheinung treten zu lassen. Nun bestehen nach der Staatstheorie von Carl Schmitt aber dann mehrere Varianten, wie sich eine Naturstaatlichkeit dar­ stellen kann. Es ist zum einen möglich, dass das Naturschutzanliegen als materielles Teilelement zu der konkreten „Gesamtentscheidung über Art und Inhalt der politischen Einheit“ gehört und deshalb an dem unverbrüchlichen Wesenskern des Staates partizipiert. Auf diese Weise ist die in staatliche Obhut gestellte Natur dann ein wesentliches substantielles Identitätsmoment der politischen Existenzform des deutschen Volkes und angesichts dieses grundlegenden positiven Verfassungsstatus einer Beseitigung durch die ver­ fassungsändernde Gewalt – sofern der Naturschutz konstitutionell eine Aufnahme in der Weimarer Reichsverfassung erfahren hat  ‒ nicht zugäng­ lich. Gleichzeitig verleiht die Naturkomponente als politische Grundent­ scheidung der auf der positiven Ordnung errichteten Herrschaft eine willent­ lich fundierte Legitimität, die eine fortschreitende Missachtung der natürli­ chen Lebensgrundlagen nur unter Einbüßung der gerechtfertigten staatlichen Machtlage zulässt. Die staatliche Herrschaftsübung ist daher nur möglich, wenn die Natur als dezisionistisch festgelegte, intermediäre Ausrichtungs­ schranke stets in den politischen Organisationsprozess einbezogen wird. Dies schließt zwar nicht aus, dass sich auch ein nonkonformer Zustand der positiven Naturstaatsverfassung mit der normativen Rechtsordnung ergeben kann, zumal für Carl Schmitt die reale Entscheidung, der subjektive Geist, für die politische Formation des Staates stets maßgebend ist. Auch eine derartige Divergenz lässt die Rechtsgeltung aber unberührt, sofern damit eine substantielle Änderung der politischen Einheit nicht einhergeht. Der positiv fixierte Naturstaatskern erweist sich somit als ein absolutes Wesens­ merkmal des Staates, das die natürlichen Lebensgrundlagen in ihrem Legi­ timitätssinn für die staatliche Machtordnung hervorhebt, ohne aber die Rechtsgeltung ausschließlich auf eine übermäßige Naturschutzpraxis zu stützen.50 Andererseits ist nach der Staatstheorie von Carl Schmitt neben diesem absoluten Naturstaatsbegriff aber auch eine relative Variante mög­ lich, nämlich dann, wenn der Naturschutz an der absoluten Größe der poli­ tischen Einheit als dem substantiellen Wesenskern des Staates nicht teil­ nimmt und damit einer regulären Abschaffung durch die entsprechenden gesetzgebenden Organe nicht entzogen ist. In diesem Fall ist das Anliegen des Naturschutzes nur ein relatives und situationsgebundenes Moment in­ 50  Abweichungen sind insoweit möglich, als die politische Einheit in ihrer Sub­ stanz erhalten bleibt. Damit ergibt sich aus ihr ein Gradmesser für die Abgrenzung der Normalsituation von dem extremen Ausnahmezustand.



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nerhalb der Staatsverfassung, das unter der immanenten Bedingung der Aufrechterhaltung der politischen Einheit steht. Eine legitime Herrschaft kann daher in Konformität mit den natürlichen Lebensgrundlagen ablaufen, sofern dies mit der politischen Einheit des deutschen Volkes vereinbar ist, möglich ist aber auch ein Zustand völliger Nichtbeachtung der Natur, wenn die wirtschaftsstaatliche Entwicklung als wesentliches Grundelement der staatlichen Einheitsbildung, das einen Staatszweck Naturschutz nur minimal zulässt, anzusehen ist. Das wird deutlich, wenn der Fall eines extremen Ausnahmezustandes betrachtet wird, in dem der Staat als der Souverän die Rechtsordnung suspendieren kann, um die politische Einheit wiederherzu­ stellen. In dieser Situation sind die relativen Naturschutzgesetze der Dispo­ sitionsbefugnis des Staates als dem Souverän vollständig unterworfen, während bei einer Zugehörigkeit der Naturschutzkomponente zum positiven Verfassungskern des Staates dieser berufen ist, dem Naturschutz als konsti­ tutivem Element der politischen Einheit mit den erforderlichen Mitteln wieder eine politische Bedeutung zukommen zu lassen. Für Carl Schmitt ist der Ausnahmezustand vergleichbar eines Wunders in der Theologie, das zu einer Überwindung der entstandenen Inhomogenität innerhalb der staatli­ chen Gemeinschaft beiträgt.51 Insoweit der Naturschutzgedanke zu der ab­ soluten Größe der politischen Einheit gehört, ist es der Staat als Souverän, der den natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen der positiven Verfas­ sungsordnung wieder zu einer politischen Bedeutung verhilft.52 Durch die machtbezogene, von Grund auf nicht an eine objektive Normativität gebun­ dene Überbetonung des Staates als Autorität, der im Ausnahmefall den un­ verbrüchlichen Wesenskern des deutschen Volkes wiederherstellt, ist aber nicht auszuschließen, dass sich die Naturschutzidee auch einer mehr ideo­ logischen Gesinnung annähert. Dieser Aspekt ist für eine naturstaatliche Untersuchung des Deutschen Reichs nicht zu vernachlässigen, da er wo­ möglich die emotionale Grundlage für die Anfänge des Naturschutzes im Deutschen Reich bereithält, und deshalb auch für die Herausbildung eines ökologisch ausgerichteten Staatswesens von entscheidender Relevanz sein kann. In diesem Sinne kann dem Staatsgebiet als Herrschaftsraum also auch ein ideologischer Sinn zukommen, der auf dem Weg zur nationalen Ein­ heitsbildung die Massen zu sensibilisieren vermag: es ist der patriotische 51  C. Schmitt,

Politische Theologie (Fn. 21), S. 43. kommissarischen und souveränen Diktatur C. Schmitt, Die Diktatur – von den Anfängen des modernen Souveränitätsgedankens bis zum proletarischen Klas­ senkampf, München u. a. 1921, S. 130 ff.; A. Brodocz (Fn. 1), S. 290 f.; vgl. auch N. Campagna (Fn. 19), S. 35 ff. / 70 ff. Im Gegensatz zu einer kommissarischen Dik­ tatur, die ihre Autorität einer geltenden Verfassungsordnung verdankt und auf eine Wiederherstellung der politischen Einheit gerichtet ist, ist eine souveräne Diktatur dadurch gekennzeichnet, dass sie die Voraussetzungen für eine Aktualität der konstituierenden Gewalt herbeiführen möchte. 52  Zur

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Gedanke der Natur als der „deutschen Heimat“. Friedrich Ratzel schreibt in seinem Werk „Politische Geographie“ aus dem Jahre 1898 über die physi­ sche, aber auch emotional schicksalhafte Verbindungslinie von Staat und Boden: „(…) der Boden, in dem sowohl die zusammenhängende Grundlage des Staates als auch das einzige greifbare und unzerstörbare Zeugnis seiner Einheit gegeben ist. (…) Religiöse und nationale Motive, geschichtliche Erinnerungen und nicht zum wenigsten (auch) der mächtige Wille eines Einzelnen wirken staatenbildend. (…) Soweit nun diese leitenden Gedanken reichen, reicht auch der Staat. (…) Und so ist denn in allen Lebensäuße­ rungen des Staates der geistige Zusammenhang auf der körperlichen Grund­ lage wirksam.“53 In einem weiteren Sinne ist deshalb jeder Raum eine Frage der Macht und auch der Durchsetzungsfähigkeit von Interessen gegen konfligierende Bestrebungen.54 Der Herrschaftsraum ist daher das kulturelle Abbild politischer Machtentfaltung, die geistigen Strömungen innerhalb des Staates finden auf dem Staatsgebiet ihre angemessene Projektion. Die na­ türlichen Lebensgrundlagen werden so auf diesem Weg zu der „Heimat“, dem „Vaterland“, zu „nationalstaatlichen Symbolen“ bis hin zum für die politische Entfaltung notwendigen „Lebensraum“. Vor diesem ideellen Hin­ tergrund bekommt die Naturschutzidee nicht nur ein anderes Gesicht, son­ dern sogar noch eine gesteigerte politische Dimension. Denn Naturschutz wird so zum absoluten Identitätsstempel für den deutschen Nationalstaat, der sich kontinuierlich auf dem Staatsgebiet entwickelt. Und auch wenn Carl Schmitt keine ausgewiesene Organologie des Staates predigte,55 fühlt man sich wieder an Friedrich Ratzel erinnert, wenn dieser deskriptiv anführ­ te: „Der Staat ist uns nicht ein Organismus bloß weil er eine Verbindung des lebendigen Volkes mit dem starren Boden ist, sondern weil diese Ver­ bindung sich durch Wechselwirkung so sehr befestigt, dass beide eins wer­ den und nicht mehr auseinandergelöst gedacht werden können (…).“56 Für den hier relevanten Kontext einer Entwicklung des Deutschen Reichs zu einem Naturstaat wird der kulturelle, auf den Heimatschutz bezogene, gleichsam nationalistisch ausgerichtete Naturschutzaspekt aber zu dem sinn­ tragenden Vehikel einer politischen Ideologie. Im Ausnahmefall zeigt sich dann die einsetzende Dynamik einer möglichen Zugehörigkeit des ideolo­ 53  F. Ratzel, Politische Geographie, durchgesehen und ergänzt von E. von Ober­ hummer, 3. Aufl., München u. a. 1923, S. 11 (Hervorhebung im Original). 54  P. Nitschke, in: R. Voigt (Hrsg.) (Fn. 41), S. 51. 55  M. Eichhorn (Fn. 6), S. 9 ff. Margit Kraft-Fuchs (M. Kraft-Fuchs (Fn. 2), Zeit­ schrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 511, 513) wirft Carl Schmitt aber die Nähe zu einer Organismustheorie des Staates vor, wenn sie schreibt: „Daraus müssen wir schließen, dass der Staat, die ‚politische Einheit‘, irgendein Wesen ist, das einen Willen hat und handeln kann, also nach dem bisherigen Stand der Naturwissenschaf­ ten ein Mensch sein muss.“ 56  F. Ratzel, Politische Geographie (Fn. 53), S. 4.



§ 5 Der dezisionistisch-politische Naturstaatsbegriff (Carl Schmitt) 119

gisch getränkten Naturschutzgedankens zu der absoluten Größe der politi­ schen Einheit als unmittelbarem Bezugspunkt des positiven Verfassungsbe­ griffs. Der Staat erwacht nun zur Maschine, deren souveräne Maßnahmen ausschließlich und damit radikal auf den absoluten Fixstern staatlicher Einheitsbestrebungen ausgerichtet sind. In diesem Zustand kennt der Staat keine rechtlichen Grenzen mehr, die einzige Eindämmung der Macht ergibt sich nur aus den entsprechenden Elementen der politischen Einheit selbst. Die relative Rechtsordnung ist suspendiert und bedarf zunächst wieder der Herstellung des originären Willens, der konkreten Dezision des pouvoir constituant, des positiven Wesenskerns des Staates, um überhaupt wieder eine legitime Geltung erlangen zu können. Ob es der „Machtstaat“ von Niccolò Machiavelli, der „Souveränitätsbegriff“ bei Jean Bodin, der „Levi­ athan“ des Thomas Hobbes oder der „politische Einheitswille“ Jean-Jacques Rousseaus ist, untermauert durch die metaphysischen Diktaturbestrebungen eines Donoso Cortés, sie alle erlangen ihren Geist in der Staatsfigur von Carl Schmitt. Doch was hat dies  – so die berechtigte Frage  ‒ mit einem Naturstaat zu tun, in dem sich die ökologische Komponente mit der Zeit zunehmend herausbildet und die primäre Natur langsam in den Blick ge­ nommen wird? Die Antwort ergibt sich aus einem Rekurs auf etwaige Na­ turkatastrophen, die die Frage nach dem Souverän in der extremen Notsitu­ ation aufwerfen können.57 Eine flächendeckende Überschwemmung, ein großräumiger Waldbrand, können die Heimat, das Vaterland, gefährden. Ob die Naturschutzidee ideologisch getränkt ist oder nicht, spielt hierfür aber eine untergeordnete Rolle. Vielleicht soll an dieser Stelle eine zugegebenermaßen gewagte Zuspit­ zung angeführt werden, die das naturstaatliche Heimatgebilde von Carl Schmitt bildlich veranschaulichen soll. In der für ihn typischen Nähe zu den Denkern der Gegenrevolution mit ihren theologisch und damit metaphysisch geprägten Ansichten von dem Staat als Diktaturgewalt soll hier in Anleh­ nung an die biblische Erzählung – um in einem staatshöheren Kontext zu verbleiben – von den zehn Plagen im Zusammenhang mit der Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei und dem Auszug aus Ägypten im 2. Buch Mose des Alten Testaments58 ein Szenario nachgespielt werden, das sich 57  T. Stein

(Fn. 20), § 24 Rn. 6. der biblischen Erzählung wird Ägypten angesichts der Weigerungen des Pharao, das Volk Israel aus Ägypten ziehen zu lassen, von zehn Plagen heimgesucht. Diese sind in chronologischer Aufzählung Blut, Frösche, Stechmücken, Stechfliegen, Viehpest, schwarze Blattern, Hagel, Heuschrecken, Finsternis und der Tod aller Erst­ geborenen. Das Ziel der Erzählung ist die Vermittlung, dass Gott Himmel und Erde in Bewegung setzen kann, um den Auszug aus Ägypten in das Gelobte Land zu bereiten. Für Carl Schmitt ist es der Staat, der als Souverän die Heil bringenden Entscheidungen trifft. Zu den zehn Plagen das 2. Buch Mose im Alten Testament; 58  In

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

auf diese Weise im Deutschen Reich hätte ereignen können. Das Volk wen­ det sich an den Staat, weil das Land von Plagen heimgesucht wird, die die weitere Entwicklung des Deutschen Reichs im Rahmen seines politischen Daseins in erheblicher Weise belasten. Naturkatastrophen, wie der verderb­ liche Befall von für die Ernährung der heimischen Bevölkerung lebensnot­ wendigen Feldern oder Weiden durch Ungeziefer, zerstörerische Unwetter, oder aber Waldbrände bringen unmittelbare Schäden über das Land bzw. breiten sich aus. Das notgeplagte Volk bittet daher den Staat um Abhilfe, als dieser sprach: „Ich bin der Herr, der Souverän, die einzig wahre Ge­ währinstanz für die politische Einheit. Ich stehe über dem Recht und habe die ausschließlich eine Legitimität begründende Macht. Ich werde den Aus­ nahmezustand, die naturbedingte Bedrohung unserer Heimat, unseres Vater­ landes, beseitigen, glaubet mir.“ Inwieweit der Staat als gottesähnliche Maschine dabei aber an eine materielle Gerechtigkeitsordnung gebunden bleibt, ist fraglich und lässt die Problemstellung des die Verfassung suspen­ dierenden Ausnahmezustandes in einem anderen Licht erscheinen.59

eine wissenschaftliche Erläuterung findet sich etwa bei C.  Moroni / H.  Lippert, Die biblischen Plagen, München u. a. 2009. 59  In diesem Sinne nimmt der französische Staatstheoretiker Jean Bodin, der Urheber einer Verbindung von Souveränität und Dezision nach Carl Schmitt, eine Bindung des absoluten Monarchen an göttliches Recht bzw. Naturrecht an, was Carl Schmitt verschweigt – oder sogar verschweigen muss? Insoweit zu Jean Bodin N. Campagna (Fn. 19), S. 67 ff.; R. Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 75; M. Kriele (Fn. 17), S. 32 ff.

§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) I. Allgemein In der Vorbemerkung benennt Rudolf Smend1 seine Abhandlung „Verfas­ sung und Verfassungsrecht“ sowohl als eine Staats- als auch eine Verfas­ sungstheorie. Es ist gleichzeitig der Versuch einer geisteswissenschaftlichen Methode, ohne die es seiner Meinung nach weder eine befriedigende und fruchtbare Staats- und Verfassungslehre noch eine in dieser Staats- und Verfassungslehre bewusst und methodisch klar begründete, befriedigende und wahrhaft fruchtbare Staatsrechtslehre geben könne.2 Damit ist der Standpunkt Rudolf Smends in seiner Schrift eindeutig festgelegt. Er wendet sich zum einen gegen „die Krisis der Staatslehre“ hinsichtlich ihres Er­ kenntnisobjekts des Staates, zum anderen aber auch gegen die dadurch be­ dingte Staatsfremdheit, aus der schließlich gleichmäßig und vielfach in 1  Zur Person Rudolf Smend P.  Landau, Carl Friedrich Rudolf Smend, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 24: Schwarz – Stader, 4. Aufl., Berlin 2010, S. 510 f.; M. Friedrich, Rudolf Smend 1882–1975, AöR 1987 (112), 1 (2 ff.); K. Hesse, In memoriam Rudolf Smend, Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 1975 (20), 337 (338 ff.); E. R. Huber, Rudolf Smend, 15. Jan. 1882–5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S.  105 ff.; K.-H. Kästner, Rudolf Smend 1882–1975 – Recht im Staat und in der Kirche, in: F. Elsener (Hrsg.), Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Juristenfa­ kultät, Tübingen 1977, S. 135 ff.; G. Leibholz, In memoriam Rudolf Smend, Gedenk­ rede am 17. Januar 1976 in der Aula der Universität Göttingen, Göttingen 1976, S.  16 ff.; U. Scheuner, Rudolf Smend – Leben und Werk, in: G. Beitzke u. a. (Hrsg.), Rechtsprobleme in Staat und Kirche, Festschrift für Rudolf Smend zum 70. Geburts­ tag, Göttingen 1952, S. 433 ff.; A. Frhr. von Campenhausen, Zum Tode von Rudolf Smend, JZ 1975, S. 621 ff.; P. Häberle, Zum Tode von Rudolf Smend, NJW 1975, 1874 (1874 f.); M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration: Rudolf Smend, in: A.  Brodocz / G.  Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart I, Opladen u. a. 2009, S.  314 f.; Ch. Bickenbach, Rudolf Smend (15.1.1882 bis 5.7.1975) – Grundzüge der Integrationslehre, JuS 2005, 588 (588 f.). 2  R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Ab­ handlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 119; P. Badura, Staat, Recht und Verfassung in der Integrationslehre, Der Staat 1977 (16), 305 (310 ff.); erläuternd M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (10 / 12); H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechts­ lehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 157; vgl. G.  Leibholz (Fn. 1), S.  27 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

derselben Seele die unpolitische Staatsenthaltung und ebenso die unpoliti­ sche Machtanbetung als die beiden politischen Hauptmängel des Deutschen erwachsen.3 Als Schreckgespenst sieht er dabei vor allem den juristischen Formalismus, der die Normen seiner materialen – soziologischen und teleo­ logischen – Gehalte beraubt, was sich in der Staatslehre schließlich in einer fortschreitenden Entleerung an sachlichem Ergebnis bis zu dem jetzt ganz bewusst erreichten „Nullpunkt“ von Hans Kelsens Allgemeiner Staatslehre zeige, so dass die Staatsrechtslehre also einer materialen Staatstheorie be­ dürfe.4 Abgesehen davon kritisiert er aber auch andere – soziologische bzw. teleologische – Begründungsansätze des Staates, die diesen in materi­ eller Hinsicht zwar nicht ausbluten lassen, von ihrer Konzeption aber nicht überzeugen können. Demzufolge ist der „Staat“ für ihn nicht als ein teleo­ logisches Zweckgebilde denkbar, weil sich die in dieser Staatstheorie wider­ spiegelnde Hypothese einer Eigengesetzlichkeit des Sozialen angesichts des unentwirrbaren Geflechts natürlicher Anlagen, die der Staat in Anspruch nimmt, nicht aufrechterhalten lässt.5 Dieser Gedanke baut auf der Erkennt­ nis einer Ablehnung der Erklärung des Staates als einem naturalistischen 3  R. Smend (Fn. 2), S. 121 ff.; P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (320); K.-H. Kästner (Fn. 1), S. 145; A. Frhr. von Campenhausen (Fn. 1), JZ 1975, 621 (622 f.); M.  Llanque (Fn. 1), S. 314 / 317 ff. / 326; G.  Leibholz (Fn. 1), S. 26 ff.; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (589); vgl. dazu auch die insoweit kritische Darstellung bei W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 160 ff. Peter Badura führt in diesem Kontext schließlich aus, dass „die integrationstheoretisch gefasste Verfassungslehre zugleich eine praktische Tugendlehre des Bürgers im Ver­ fassungsstaat“ sei. 4  R. Smend (Fn. 2), S. 124 (Hervorhebung nicht im Original); M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (11); P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (308 f.); U. Scheuner, Leben und Werk (Fn. 1), S. 434 ff.; P. Häberle (Fn. 1), NJW 1975, S. 1874; A. Frhr. von Campenhausen (Fn. 1), JZ 1975, 621 (622); K.-H. Kästner (Fn. 1), S. 142 f.; R.  Ch. van Ooyen, Die Integrationslehre von Rudolf Smend und das Geheimnis ihres Erfolgs in Staatslehre und politischer Kultur nach 1945, JoJZG 2008, S. 52; M. Llanque (Fn. 1), S. 315; G. Leibholz (Fn. 1), S. 26 ff. / 35 ff.; M. Morlok / A.  Schindler, Smend als Klassiker: Rudolf Smends Beitrag zu einer modernen Verfassungstheorie, in: R. Lhotta (Hrsg.), Die Integration des modernen Staates, Baden-Baden 2005, S. 14 / 18 f.; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, S. 588; vgl. auch M.  Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Göbel u. a. (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, Berlin 1995, S. 160 f.; M.  Jestaedt /  O. Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einfüh­ rung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. IX. 5  R. Smend (Fn. 2), S. 128 ff.; M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (11); K. H. Kästner (Fn. 1), S. 143; A. Frhr. von Campenhausen (Fn. 1), JZ 1975, 621 (622 f.); vertiefend P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (309 f.). Peter Badu­ ra spricht in diesem Kontext sogar davon, dass die technischen, auf einen bestimm­ ten Effekt oder Nutzen zielenden „Zwecke“ staatlicher Einrichtungen oder Vorgänge



§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) 123

Gebilde auf, weil der Staat gerade ein soziales Ganzes ist und das Indivi­ duum nicht kraft der natürlichen Ausstattung, sondern nur insofern, als es am Gruppenleben teilnimmt, auch ein soziales Individuum ist, das Soziale sich deshalb nicht als ein kausaler Entstehungszusammenhang von dem Individuum zum staatlichen Ganzen erheben kann.6 Mit anderen Worten ist der Staat für Rudolf Smend eben nur geistig zu denken, weil sich weder aus einem naturalistisch kausalen noch aus einem teleologisch bedingten Be­ gründungsansatz des Staates die ihm zukommende soziale und damit geis­ tige Wirklichkeit erklären lässt. Das gleiche Argument gilt für eine kausal­ gesetzlich orientierte Soziologie, die gegenüber der geisteswissenschaftli­ chen Methodik den Nachteil hat, dass sie den Staat nicht als ein dialektisches Gefüge für eine Projektion als geistiges Ganzes verständlich macht, sondern nur als die Beziehungen oder Wechselwirkungen der einzelnen Individuen versteht.7 Aus dieser Kritik an den von anderer Seite vertretenen Erklä­ rungsansätzen des Staates ergibt sich für Rudolf Smend somit schließlich das Bedürfnis eines geisteswissenschaftlichen Ansatzes des Staates, der als materiale Staatstheorie aber abgesehen davon sein Eigenrecht als Geistes­ wissenschaft von dem selbständigen Geistes- und Kulturgebiet des Staatsle­ bens habe.8

durch die Integrationslehre überdeterminiert werden durch die spezifische im Staat sich verkörpernde Wertgesetzlichkeit des Geistes. 6  R. Smend (Fn. 2), S. 125 / 128. Aus diesem Grund widerstrebt es Rudolf Smend auch, „das Staatsgebiet als Kausalfaktor des Staatslebens zu behandeln, den politischen Raum ebenso als natürlichen, lebensbedingenden Lebensraum der Men­ schen zu verstehen, wie den tier- und pflanzengeographischen Lebensraum als Le­ bensbedingung des organischen Lebens, das Gegenstand der Naturwissenschaften ist.“ Gleichwohl hebt Rudolf Smend aber auch hervor, dass es eine Hauptleistung der neueren Geographie und „Geopolitik“ gewesen sei, dass sie eindringlich gezeigt habe, wie sehr das staatliche Leben durch seinen „Lebensraum“, das Staatsgebiet, dessen Eigenschaften, Grenzen und Raumbeziehungen bestimmt werde, so dass man (auch) geradezu von der „besonderen Staatsidee“ jedes Staates als seinem Anpas­ sungsstreben an seine besonderen geographischen Faktoren zu sprechen pflege (R. Smend, ebd., S. 168; Hervorhebungen im Original). 7  R. Smend (Fn. 2), S. 127; U. Scheuner, Leben und Werk (Fn.  1), S. 439; M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (11); P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (313 f.); ders., Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Nach­ druck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 184; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (589). 8  R. Smend (Fn. 2), S. 124. Die von Rudolf Smend beanspruchte Redeweise von einer geisteswissenschaftlichen Methode beschreibt sein Vorgehen letztlich aber nur unvollkommen, vereinfachend und auch irreführend; siehe hierzu nur K. Hesse (Fn. 1), Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 1975 (20), 337 (339 f.); M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (10 f.); vgl. auch P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (312 f.).

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Der Staat als „geistige Ganzheit“ baut sich bei Rudolf Smend auf der so­ ziologischen Wirklichkeit des Staates auf9 und ist letzten Endes als lebender „Prozess beständiger Erneuerung, dauernden Neuerlebtwerdens“ zu begrei­ fen.10 „Er lebt, um Ernest Renans11 berühmte Charakterisierung der Nation (…) hier anzuwenden, von einem Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt.“12 Und dies ist auch die notwendige Bedingung der staatlichen Existenz als geistig-soziale Wirklichkeit, als geistiges Einheitsgebilde, dass „er sich dau­ ernd integriert, in und aus den Einzelnen aufbaut.“13 Aus dem Grund sind es die täglichen Lebensäußerungen, die als „Betätigungen eines geistigen Ge­ samtzusammenhangs“ (…) in Erscheinung treten sowie die schließlich „noch wichtigeren Erneuerungen und Fortbildungen, die lediglich diesen Zusam­ menhang selbst zum Gegenstand haben“14, die den Staat stetig neu konstitu­ ieren. Der Staat als das Ganze in der geistigen Welt werde somit nur als ein dialektisches Gefüge verständlich,15 weil „das politische wie alles geistige Leben in die ideell-zeitlosen Sinnzusammenhänge eintritt und daher nur aus der Gesetzlichkeit des Lebens einer- und des Sinns anderseits zusammenge­ nommen verstanden werden kann“16, weshalb für dessen staatstheoretische

9  R. Smend (Fn. 2), S. 132 ff.; U. Scheuner, Leben und Werk (Fn. 1), S. 439; G.  Leibholz (Fn. 1), S. 28 ff.; M.  Morlok / A.  Schindler (Fn. 4), S. 19. Eine ausführli­ che Darstellung der Integrationslehre von Rudolf Smend findet sich auch bei P. Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S.  104 ff. 10  R. Smend (Fn. 2), S. 136; K. Hesse (Fn. 1), Zeitschrift für evangelisches Kir­ chenrecht 1975 (20), 337 (338 f.). 11  E. Renans, Was ist eine Nation? – Vortrag an der Sorbonne, gehalten am 11.03.1882, in: W. Euchner (Hrsg.), Ernest Renan – Was ist eine Nation? – und andere politische Schriften, Wien u. a. 1995, S. 41 ff. (Zitat: „ein Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt“ auf S. 57); siehe hierzu auch P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 187. 12  R. Smend (Fn. 2), S. 136 (vollständige Personifizierung nicht im Original); dazu G.  Leibholz (Fn. 1), S. 28 f.; M.  Morlok / A.  Schindler (Fn. 4), S. 16. 13  R. Smend (Fn. 2), S. 138; K.-H. Kästner (Fn. 1), S. 142 f.; G.  Leibholz (Fn. 1), S.  28 f.; M.  Morlok / A.  Schindler (Fn. 4), S. 21; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 151; A. Hurrelmann, Verfassung und ökologische Krise – Verfassungstheoretische Lösungsansätze für Umweltprobleme, Hamburg u. a. 2000, S.  96 ff.; A. Frhr. von Campenhausen (Fn. 1), JZ 1975, 621 (623); K. Hesse (Fn. 1), Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht, 1975 (20), 337 (339); R.  Ch. van Ooyen (Fn. 4), JoJZG 2008, S. 52; P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 185; vgl. auch M.  Llanque, Politische Einheitsbildung (Fn. 4), S. 161. Konrad Hesse betont insoweit, dass die Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends niemals vor allem ohne den Menschen gedacht sei. 14  R. Smend (Fn. 2), S. 136. 15  R. Smend (Fn. 2), S. 127; U. Scheuner, Leben und Werk (Fn. 1), S. 439 f. 16  R. Smend (Fn. 2), S. 130 f.



§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) 125

Erkenntnis auch nur eine zyklisch, ganzheit­liche Betrachtung angezeigt ist.17 Das tägliche Plebiszit, welches sich innerhalb der soziologischen Seinswelt abspielt, ist daher der „Kernvorgang des staatlichen Lebens“, der die „Kern­ substanz“, die fortwährende „Integration“ des Staates ausmacht.18 Und gera­ de darin liegt für Rudolf Smend auch das überempirisch aufgegebene Wesen des Staates, nämlich in seinem Charakter als einem souveränen Willensver­ band und seiner Eigenschaft als ein sich durch dauernde Integration zur Wirklichkeit erhebendes Gebilde.19 Aus der dialektischen Verschränkung des zeitlich-realen Lebens und des ideell-zeitlosen Sinns ergibt sich daher die geistige Wirklichkeit des Staates, deren rekapitulierende Besinnung auf ihre „objektiven geistigen Zusammenhänge – es ist eine späte Stufe des Geistes, auf der er durch die Einsicht in seine eigene Gesetzlichkeit, die (wiederum) eine Norm- und Wertgesetzlichkeit ist, zu sich selbst kommt“20, zu einer kon­ stituierenden Bereicherung des geistigen Gesamtzusammenhangs und damit der sachlichen Wert- und Sinnordnung führt.21 Schließlich folgt für Rudolf Smend daraus dann auch der Primat des staatlichen Integrationsvorgangs ge­ genüber dem Staatsrecht als positivem Recht, das zwar die geistes-gesetzli­ chen Möglichkeiten und Aufgaben normiert, in der letzten Konsequenz aber ohne die geistige Wirklichkeit erkenntnislogisch nicht zu verstehen ist.22 Deshalb definiert Rudolf Smend dann auch die Verfassung als „die Rechts­ ordnung des Staates, genauer des Lebens, in dem der Staat seine Lebenswirk­

17  R. Smend (Fn. 2), S. 130; U. Scheuner, Leben und Werk (Fn. 1), S. 436 / 439. Ulrich Scheuner charakterisiert den Staat bei Rudolf Smend daher mit den folgenden Worten: „Der Staat ist für (Rudolf) Smend nicht nur eine formale Einheit, ein nor­ matives System, sondern er ist eine reale geschichtliche Einheit und Kraft, mit der sich bleibende Werte und hohe sittliche Forderungen verbinden.“ (U. Scheuner, Leben und Werk, ebd., S. 436). 18  R. Smend (Fn. 2), S. 136; siehe zum Begriff der Integration S. Korioth, Integ­ ration und Bundesstaat – ein Beitrag zur Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends, Berlin 1990, S. 126 ff.; E. R. Huber (Fn. 1), S. 107 f.; M.  Llanque, Politi­ sche Einheitsbildung (Fn. 4), S. 161. Marcus Llanque bezeichnet den Begriff Integ­ ration als den archimedischen Punkt des Systems von Rudolf Smend, der den Begriff des Politischen ersetze. 19  R. Smend (Fn. 2), S. 139; Ch. van Ooyen (Fn. 4), JoJZG 2008, 52 (52  f.); P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 187; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (590 f.); M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration (Fn. 1), S. 319; vgl. hierzu auch M.  Llanque, Politische Einheitsbildung (Fn. 4), S. 161. 20  R. Smend (Fn. 2), S. 142 (Klammerzusatz im Original (die eine Norm- und Wertgesetzlichkeit ist)). 21  R. Smend (Fn. 2), S. 138 f. / 167; P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (314). 22  R. Smend (Fn. 2), S. 139; P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (318); M.  Morlok / A.  Schindler (Fn. 4), S. 18 / 23 f.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

lichkeit hat, nämlich seines Integrationsprozesses“23 und abstrahiert diese reale Staatsverfassung von der geschriebenen positiven Ordnung.24 Die Entfaltung des Staates als einem geistigen Einheitsgebilde vollzieht sich für Rudolf Smend dabei durch die Integrationsfaktoren der persönli­ chen, funktionellen und sachlichen Integration, wobei sich Letztere durch ihre sachlichen Gehalte auszeichnet und sich so von den formalen Vorgän­ gen der beiden anderen Integrationstypen unterscheidet.25 Dennoch können 23  R. Smend

(Fn. 2), S. 189. (Fn. 2), S. 139. / 192. „Das Staatsrecht ist nur eine Positivierung jener geistesgeschichtlichen Möglichkeiten und Aufgaben und daher nur aus diesen zu verstehen, und umgekehrt bedürfen diese der rechtlichen Positivierung, um sich dauerhaft und befriedigend zu erfüllen.“ „Als positives Recht ist die Verfassung nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit; als Verfassung ist sie integrierende Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit wird nicht durch die Verfassung als das ruhende, beharrende Moment im staatlichen Leben, sondern durch das sich immerfort erneu­ ernde Verfassungsleben immer neu hergestellt.“ Siehe zum Stellenwert der positiven Verfassung bei Rudolf Smend M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (12 f.); U. Scheuner, Leben und Werk (Fn. 1), S. 439 f.; K.H. Kästner (Fn. 1), S. 143 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 189; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 162; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (589); R.  Ch. van Ooyen (Fn. 4), JoJZG 2008, 52 (53); kritisch bereits S. Rohatyn, Die verfassungsrechtliche Integrationslehre – Kritische Bemerkungen, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 261 (264 f.); zum dialek­ tischen Verhältnis von Verfassung und positivem Verfassungsrecht im Sinne der Integrationslehre G.  Leibholz (Fn. 1), S. 30 ff.; P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (310 ff. / 318 ff.); E. R. Huber (Fn. 1), S. 111 / 117 ff.; J.  Limbach, Die Inte­ grationskraft des Bundesverfassungsgerichts, in: H. Vorländer (Hrsg.), Integration durch Verfassung, Wiesbaden 2002, S.  318  f.; K.-H. Kästner, ebd., S.  143  f.; M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration (Fn. 1), S. 317; ders., Politische Einheitsbildung (Fn. 4), S. 162 f.; P.  Otto (Fn. 9), S. 114 ff.; R. Bartlsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlegung einer Staats- und Rechtstheorie, München 1964, S. 20 ff.; M.  Morlok / A.  Schindler (Fn. 4), S. 25 ff.; A. Hurrelmann (Fn. 13), S. 98 f. / 101 f.; H. Wendenburg, ebd., S. 160 ff.; vertiefend hierzu W. Hennis, Integration durch Verfassung?, JZ 1999, S. 485 ff.; vgl. auch U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 172 ff. / 179 ff. Hierzu Gerhard Leib­ holz (G.  Leibholz, ebd., S. 32): „Nach der Smend’schen Integrationslehre kann der wahre Sinn einer verfassungsrechtlichen Bestimmung nicht ohne Einbeziehung der politisch-soziologischen Wirklichkeit, wie sie sich in dem dauernd im Fluss befind­ lichen Lebensprozess aktualisiert, ermittelt werden. Verfassungsnormen schweben nicht im luftleeren Raum. Ohne Bezug auf die vorgefundene Lebenswirklichkeit, ihre soziologischen und teleologischen Gehalte, sind sie in dem ihnen eigenen spe­ zifischen Sinngehalt nicht zu erfassen.“ Daraus ergibt sich dann die Erkenntnis: „Verfassungsrechtsdogmatik und Verfassungstheorie hängen unmittelbar zusammen, die Beschäftigung mit der Verfassung kann die Verfassungstheorie nicht unberück­ sichtigt lassen. Diese Verbindung herzustellen, (…) war (Rudolf) Smends Kernanlie­ gen der Schrift Verfassung und Verfassungsrecht.“ (so M. Morlok / A. Schindler, ebd., S. 25 ff.; Hervorhebungen im Original). Siehe auch die grundsätzliche Kritik an der sozialen Integrationslehre bei H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 134 ff. 24  R. Smend



§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) 127

die verschiedenen25 Integrationsfaktoren als solche nicht isoliert betrachtet werden,26 sondern sie verwirklichen den Staat als geistiges Konstrukt in einem „stetigen Turnus aktualisierter geistiger Erkenntnis“. Als Strukturty­ pen der Integrationsfaktoren sind indessen diejenigen Elemente des staatli­ chen Integrationsprozesses, die ihre geistige Wirkung aus dem einmaligen Auftreten erzielen, von jenen Faktoren zu differenzieren, die wie die geo­ graphischen Verhältnisse oder die geschichtliche Belastung auf eine dauern­ de Integrationswirkung gerichtet sind.27 Das staatliche Leben wird demnach im Sinne persönlicher Integration von Personen oder  ‒ um in der Termino­ logie Rudolf Smends zu bleiben  ‒ von Führern immer aufs Neue angekur­ belt, deren Aufgabe damit in der dauernden Bewährung, in dem integrativen Zusammenhalten der hinter ihnen stehenden politischen Gruppe besteht.28 Für diese eine Einheit herstellende Funktion ist für Rudolf Smend daher insbesondere der Gemeinschaftswerte verkörpernde Monarch geeignet, der in seiner Bedeutung somit gleichzeitig ein sachliches Integrationselement repräsentiert.29 Daneben ist aber auch die Spontaneität und die Produktivität der Geführten entscheidend, „die zwar zum Gruppenleben angeregt werden, aber dies Leben dann alsbald als ihr eigenes leben, (…) in dem sie selbst lebendig und die Führer Lebensform der sozial und geistig in ihnen leben­ dig und aktiv Werdenden sind.“30 Rudolf Smend bezeichnet insoweit die Bildung als bezeichnendes Beispiel des stetigen geistigen Rückkopplungs­ prozesses, der in seiner die lähmende Passivität einer Führerideologie be­ freienden Art den Integrationsprozess in eine bestimmte Richtung lenkt.31 Die Personen sind deshalb Integrationsorgane, wobei dies nach Ansicht von Rudolf Smend nicht im Sinne von Werkzeugen eines „substanziellen, teleo­ 25  R. Smend (Fn. 2), S. 139 f. Insoweit führt Rudolf Smend aus, dass es Sache empirischer Beobachtung sei, die Faktoren der dem Wesen des Staates entsprechen­ den dauernden Integration zur Wirklichkeit aufzuzeigen. Diese formalen wie sachli­ chen Integrationstypen seien (aber) nicht zu verwechseln mit dem Gegensatz von realer Lebensfunktion und ideellem Sinngehalt, da beide real seien. Einen grundsätz­ lichen Überblick zu dem System der Integrationsfaktoren bei Rudolf Smend findet sich bei P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 188 f.; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 158 f.; P. Landau (Fn. 1), S. 510; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (590 f.); M. Llanque, Die politische Theorie der Integration (Fn.  1), S.  318; M. Friedrich (Fn. 1), AöR. 1987 (112), 1 (11 f.); A. Hurrelmann (Fn. 13), S. 98 f.; kritisch W. Hill (Fn. 3), S.  163 ff. 26  R. Smend (Fn. 2), S. 142; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 159 f. 27  R. Smend (Fn. 2), S. 140. 28  R. Smend (Fn. 2), S. 144 f. 29  Siehe hierzu die Ausführungen bei R. Smend (Fn. 2), S. 145; R. Bartlsperger (Fn. 24), S. 12; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 160. 30  R. Smend (Fn. 2), S. 143. 31  R. Smend (Fn. 2), S. 143.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

logischen Ganzen“ zu verstehen ist.32 Demgegenüber handelt es sich bei dem funktionellen Integrationstypus „um Vorgänge, deren Sinn eine soziale Synthese ist, die irgendeinen geistigen Gehalt gemeinsam machen oder das Erlebnis seiner Gemeinschaft verstärken wollen, mit der Doppelwirkung gesteigerten Lebens sowohl der Gemeinschaft wie des beteiligten Einzelnen.“33 Als derartige kollektivierende Lebensformen sind zum einen homogene Verhaltensweisen denkbar, die sich auf einem sinnlichen Gebiet auswirken und den geistigen Gehalt begleiten, anregen oder sogar symboli­ sieren, wie es etwa bei der marschierenden Truppe oder einem demonstrie­ renden Aufzug der Fall ist, zum anderen aber ausschließlich geistig zu verstehende Gemeinschaftstypen wie Wahlen und Abstimmungen.34 Die besondere Eigenschaft dieser Lebensweisen liegt in ihrer konstitutiven Kraft als „Produktions-, Aktualisierungs-, Erneuerungs- und Weiterbildungspro­ zesse des Sinngehalts (…), der den sachlichen Inhalt der Gemeinschaft ausmacht.“35 In diesem Zusammenhang spricht Rudolf Smend aber auch explizit von „Volksabstimmungen“, die als unmittelbare politische Lebens­ 32  R. Smend (Fn. 2), S. 148. Damit wendet sich Rudolf Smend gegen die her­ kömmliche juristische Organlehre, die den Staat als substanzielles, teleologisches Ganzes verstehe, das sich im Dienst dieser Zwecke die erforderlichen Werkzeuge schaffe. 33  R. Smend (Fn. 2), S. 149. Zum demokratischen Charakter der Integrationsleh­ re von Rudolf Smend P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (320 ff.); G. Leibholz (Fn. 1), S. 28 f.; A. Frhr. von Campenhausen (Fn. 1), JZ 1975, 621 (623); K.-H. Kästner (Fn. 1), S. 143; M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration (Fn. 1), S. 317 / 320 ff.; A. Hurrelmann (Fn. 13), S. 96 ff.; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, S. 588 ff.; aufgrund der antipluralistischen und antiparlamentarischen Elemente der Integrationslehre kritisch schon H. Kelsen, Der Staat als Integration, Wien 1930, S.  76 ff.; S. Rohatyn (Fn. 24), Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 261 (275); R.  Ch. van Ooyen (Fn. 4), JoJZG 2008, 52 (52 ff.); J. Meinck, Weimarer Staatslehre und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1978, S. 59 ff.; W. Hill (Fn. 3), S. 160 ff / 166 ff.; relativierend M.  Llanque (Fn. 4), S. 163 ff.; vgl. hierzu auch P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 189 f., der mit einem kritischen Unterton hinsichtlich der Inte­ grationslehre von einer „Ideologisierung der Staatslehre“ spricht. Für Hans Kelsen läuft die Intention der Integrationslehre letztlich auf einen konservativen Volksstaat mit einer diktatorischen Führung hinaus, der mit dem demokratischen Prinzip inso­ weit in Konformität steht, als eine weitmöglichste Aktivbeteiligung des Volkes be­ absichtigt wird, den Parlamentarismus aber dennoch als zu pluralistisch ablehnt (so H. Kelsen, Der Staat als Integration, ebd., S. 80 ff.). Grundsätzlich zum belasteten Verhältnis zwischen Hans Kelsen und Rudolf Smend S. Korioth, „… soweit man nicht aus Wien ist“ oder aus Berlin: Die Smend / Kelsen-Kontroverse, in: S. L. Paul­ son / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen  – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 318 ff. 34  R. Smend (Fn. 2), S. 149 f. Als weitere funktional zu verstehende Integrations­ typen bezeichnet Rudolf Smend dann noch explizit „parlamentarische Verhandlun­ gen, Kabinettsbildungen, Volksabstimmungen“ (S. 154). 35  R. Smend (Fn. 2), S. 150.



§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) 129

weisen gegenüber der nur durch den persönlichen Führer vermittelten Inte­ grationswirkung, insbesondere in Massenbürgerschaften, sinnvoller sein können.36 Schließlich ist Herrschaft für ihn die allgemeinste Form des funktionalen Integrationstypus, welche die fortwährende Bildung und Äuße­ rung von herrschendem Willen zum Gegenstand hat und den Beherrschten insoweit einen stetigen geistigen Austausch vermittelt.37 Doch wird der geistige Identitätsprozess des Staates als ein Ganzes erst durch die sachli­ chen Integrationselemente geschlossen, vervollkommnet, ohne die die for­ mellen Vorgänge ihre Integrationswirkung nicht entfalten können.38 Das staatliche Leben wird auf diese Art und Weise zu einer „individuellen Einheit“, einer „Totalität“, zu einer durch die objektiven Wertgesetzlichkei­ ten konkretisierten „Wertfülle“, auf der letztlich die Legitimität des Staates beruht.39 Allerdings ist es wiederum gerade auch diese Fülle an materiellen Gehalten, die zu einer entfremdeten Empfindung der Angehörigen gegen­ 36  R. Smend (Fn. 2), S. 154 ff.; K.-H. Kästner (Fn. 1), S. 143; M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration (Fn. 1), S. 328; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 159 Fn. 144; A. Hurrelmann (Fn. 13), S. 99. Rudolf Smend wird im staatswissenschaft­ lichen Schrifttum mitunter auch eine Sympathie für einen faschistischen Führer- und Volksgemeinschaftsstaat unterstellt; so bereits H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 33), S. 52 ff.; W. Hill (Fn. 3), S. 160 ff. / 166 ff.; J. Meinck (Fn. 33), S. 52 ff.; ablehnend dagegen M. Friedrich (Fn. 1), AöR 1987 (112), 1 (13 ff.); M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration, ebd., S. 328 ff.; ders., Politische Einheitsbil­ dung (Fn. 4), S. 165; A. Hurrelmann (Fn. 13), S. 100 Fn. 74. 37  R. Smend (Fn. 2), S. 158. 38  R. Smend (Fn. 2), S. 159. 39  R. Smend (Fn. 2), S. 161 ff.; P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (322 ff.); E. R. Huber (Fn. 1), S. 111; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (590 f.). Hierzu führt Rudolf Smend grundsätzlich aus: „Dieser Sachgehalt ist insofern Ge­ genstand der Rechtstheorie, als in ihm zum guten Teile, wenn nicht ganz, die Legi­ timität des Staates und seiner Ordnung beruht. Legitimitätsbegründend sind die konkreten Werte, die die Geltung einer bestimmten staatlichen Rechtsordnung einer­ seits fordern und andererseits tragen. Da diese Werte sehr verschiedener Art sein können, so gibt es verschiedene Legitimitäten und insbesondere auch verschiedene Grade der Legitimität.“ (R. Smend, ebd., S. 166). In seiner Abhandlung mit dem Titel „Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform“ aus dem Jahre 1923 differenziert Rudolf Smend zwischen den Legitimitätsanforde­ rungen an eine Monarchie bzw. an eine parlamentarische Demokratie. Demnach vollzieht sich die Integration in der Monarchie durch die Verkörperung des die Staatsgemeinschaft bestimmenden Wertbestands in der Institution des Königtums und in der Person des Königs, so dass die Integration vorwiegend statischer Natur ist, während dagegen in der parlamentarischen Demokratie für die Legitimität die bewegte politische Dialektik konkurrierender Kräfte entscheidend und damit im Hinblick auf die politische Integrationswirkung dynamisch ausgeformt ist; siehe hierzu R. Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 68 ff.; E. R. Huber (Fn. 1), S. 108.

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über dem Staat führen kann, weshalb es quasi als Ausgleich dieser Tendenz zur Desintegration „zusammengedrängter Momente“ mit integrierender Kraft bedarf. Es sind daher politische Symbole wie Fahnen, Wappen, Staats­ häupter, politische Zeremonien sowie nationale Feste, die zu einer repräsen­ tativen Integrationswirkung im Sinne einer intensiven Totalität führen.40 Der reelle Sachgehalt des geistigen Lebens zeichnet sich dabei grundsätzlich gegenüber dem ideellen Sinngehalt dadurch aus, „dass ein Lebensstrom zu ihm hingeführt hat und in ihm als vergangen, aber nicht untergegangen enthalten ist, und dass dieser Strom durch ihn hindurch weiter fließt und ihm die Tendenz zu einer veränderten Zukunft als Wesensmoment verleiht.“41 Als den für das politische Leben „vielleicht wichtigsten Sachgehalt“ be­ zeichnet Rudolf Smend daher das Staatsgebiet, dem eine etwaige kausale Eigengesetzlichkeit innerhalb des Staates im Sinne der naturalistischen Or­ ganismuslehre nicht zu entnehmen ist, weil es sich bei ihm nur um ein Wesensmoment der geistigen Wirklichkeit handelt, ohne das der Staat zwar nicht zu verstehen ist, das dem politischen Integrationsprozess gleichwohl aber seine soziale Eigengesetzlichkeit belässt.42 In diesem Sinne besitzt das Staatsgebiet als dialektisches, und nicht kausales Moment des geistigen Formierungsvorgangs daher für die Staatslehre Bedeutung als Gegenstand geistiger Erlebnisse, insbesondere aber als gemeinsame politische Schick­ salszone, sofern sich in ihm materielle Staatsaufgaben widerspiegeln, was sich bei der Verteidigung, der Erschließung, der Besiedlung sowie der Aus­ nutzung des Staatsgebiets zeigt.43 Andererseits manifestiert sich in dem Gebiet aber auch die Eigenschaft des Staates als Kulturprodukt, als „an­ schauliche Zusammenfassung der Totalität des Wertbesitzes eines Staats und Volks“.44 Die im Rahmen des politischen Integrationsprozesses stattfindende Gestaltung der staatlichen Wirklichkeit hat auf diese Weise eine rückwirken­ de Besinnung auf den Lebensraum als dem „Vaterland“, der „Heimat“, zur Folge, deren integrativer Wert innerhalb der Wertetotalität im Staat einen Rang von elementarem Gewicht bekleidet.45 Und dennoch handelt es sich 40  R. Smend

(Fn. 2), S. 162 f. (Fn. 2), S. 167; P. Badura (Fn. 2), Der Staat 1977 (16), 305 (314). 42  R. Smend (Fn. 2), S. 168 f. 43  R. Smend (Fn. 2), S. 169; J. Meinck (Fn. 33), S. 58. 44  R. Smend (Fn. 2), S. 169; J. Meinck (Fn. 33), S. 58. 45  R. Smend (Fn. 2), S. 169 f. Hier wendet sich Rudolf Smend gegen den „mas­ siven Gebietsnaturalismus der neueren deutschen Staatsrechtslehre“. Sie stelle den Staat ausdrücklich als räumliche Wirklichkeit auf sein Gebiet als auf eine räumlich tragende Plattform, wie auf eine Untertasse; die rohe Juxtaposition der üblichen Lehre von den drei Elementen setze dann das Staatsvolk auf diese Unterlage und überhöhe sie darauf durch die Kuppel der Staatsgewalt oder lasse sie durch diese zusammengehalten werden wie Puppen eines Marionettentheaters durch das Faden­ bündel des Puppenspielers (R. Smend, ebd., S. 169). 41  R. Smend



§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) 131

bei der eine Aufgabe des Staates indizierenden Wertdimension des Staats­ gebiets nur um einen „Zweck“, der angesichts der Kollision mit anderen Interessen im Staat weder eine teleologisch vorgegebene, autonome Ent­ wicklung hervorbringen, noch die geistige Lebenswirklichkeit absolut, d. h. ausschließlich im Sinne eines vorgegebenen Turnus, determinieren kann.46 II. Naturstaatsbegriff Aus den staatstheoretischen Ausführungen Rudolf Smends ergibt sich damit, dass ein Naturstaat nach seiner Integrationslehre dann vorliegt, wenn sich der Naturschutz als ein abwägungserheblicher Belang im staatlichen Leben, in der geistigen Wirklichkeit, in der Weise etabliert hat, dass er im Rahmen des politischen Integrationsprozesses in beständiger Neu- und Fort­ bildung seiner Bedeutungserkenntnis zur Geltung gebracht wird, was wie­ derum Auswirkungen auf den geistigen Gesamtzusammenhang selbst haben muss. Dies bedeutet, dass der als Reaktion auf die wirtschaftlichen geistigen Strömungen mit der Zeit aufkommende, praktisch aus den gedanklichen Tiefen emporsteigende Naturschutzgeist zunächst die ihn tragende objektive Wertgesetzlichkeit selbst erkennen muss, in der sich letztlich sein Sinnge­ halt manifestiert. In der Folge bedarf der so gewonnene materielle Natur­ schutzwert in der geistigen Sphäre stetiger Erneuerung, die sich dann wie­ derum in dem geistigen Gesamtzusammenhang, in der ideellen, zeitlosen Sinn- und Wertordnung niederschlägt. Der geborene Naturschutzgedanke ist im staatlichen Leben fortan ein Sinn, ein Wert, dessen für die Wirtschaft einschränkende Bedeutung sich im Plebiszit des täglichen Lebens immer aufs Neue entfaltet. Denn nur in dieser Form ist nach der Staatslehre von Rudolf Smend ein Naturstaat denkbar, als ein atmendes,47 geistiges Ein­ 46  R. Smend (Fn. 2), S. 165  f.; vgl. auch H. Nawiasky (Fn. 24), S. 136; hierzu auch bereits (Fn. 4). „In dieser immer neuen Willensbildung und Willenserfüllung liegt der Sinn ihres Lebens (des Menschen und des Staates), der sie verständlich macht – nicht in einem teleologischen Nutzeffekt, unter dessen Gesichtspunkten Verständnis und Rechtfertigung des menschlichen und des staatlichen Lebens gleich unmöglich sind.“ (R. Smend, ebd., S. 166). 47  Der Integrationslehre von Rudolf Smend kann eine Nähe zu der naturalisti­ schen Organismuslehre nicht abgesprochen werden (dazu H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 33), S. 24 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 185 Fn. 260; R. Ch. van Ooyen (Fn. 4), JoJZG 2008, 52 (52 f.)). Der geistige Naturstaat bei Rudolf Smend könnte demnach wie folgt beschrieben werden: „Der auf dem Staatsgebiet als seiner natürlichen Lebensgrundlage thronende Naturstaat atmet auf der Grundla­ ge des fortwährenden politischen Integrationsprozesses unter Berücksichtigung des sachlichen Wert- und Sinngehalts des Naturschutzes den Naturschutzgeist durch seine Lungen und entfaltet auf diese Weise die geistige Naturstaatswirklichkeit, de­ ren förderliche Ergebnisse auf die Beschaffenheit des natürlichen Lebensraums als Heimat, Vaterland, zurückwirken. Es ist der Geist, der Naturschutzgeist, der als Sinn

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

heitsgebilde, in dem der Belang des Naturschutzes dynamisch, immer wie­ der aufs Neue von den ihm angehörenden Menschen geltend gemacht wird, die sich eben nicht nur durch gegenseitige soziale Beziehungen auszeichnen, sondern durch die ständige Integration zu einem über diesen Wechselwir­ kungen stehenden geistigen Ganzen. Die dem Naturschutz zur Geltung verhelfenden Akte können dabei von ganz unterschiedlicher Qualität sein, zumal sich die persönlichen, funktionellen und sachlichen Integrationsfakto­ ren nicht abgegrenzt betrachten lassen. Eine Schlüsselrolle nimmt hier im Sinne der persönlichen Integration der Monarch oder  ‒ auf die Weimarer Verhältnisse übertragen  ‒ der Reichspräsident ein, der als Gemeinschafts­ werte verkörperndes Organ den Naturschutz im Besonderen in das aktuelle Bewusstsein des Volkes bringen kann. Daneben kommt aber insbesondere die organisierte Naturschutzgemeinschaft in Betracht, deren spezifisch aus­ gerichtete Stoßrichtung, womöglich unter bildungspolitischer Unterstützung, die Massen für ihr Begehren sensibilisieren kann. Neben der durch Führung vermittelten Integrationswirkung sind aber auf einem das Gemeinwohl be­ rührenden Interessengebiet wie dem Naturschutz auch unmittelbare politi­ sche Lebensweisen denkbar, die in einer Massenbürgerschaft vielleicht besser zur Durchsetzung geeignet sind. Die formalen Vorgänge bedürfen jedoch nach der Integrationslehre Rudolf Smends der sachlichen Ergänzung durch Wertverkörperungen, die sich vorrangig in Symbolen widerspiegeln. Auf dem Gebiet des Naturschutzes – und hier muss die tatsächliche Ent­ wicklung des Deutschen Reichs in einer Nuance vorweggenommen wer­ den – kann sich eine derartige Symbolkraft aus Naturdenkmälern oder der heimatlichen Landschaft ergeben, die die emotionale Bindung an die Hei­ mat, das Vaterland, zum Ausdruck bringen können. Neben dieser ausschließ­ lich ideellen Bedeutung besitzt das Gebiet des Staates aber noch eine ganz andere Eigenschaft, die gerade für eine naturstaatliche Systementwicklung von besonderer Relevanz ist. Auch wenn Rudolf Smend den politischen Integrationsvorgang als einen stetig vor sich gehenden nationalen Einheits­ bildungsprozess ohne Beginn und Ende begreift,48 so ergibt sich aber zu­ mindest aus den geographischen Voraussetzungen, den natürlichen Lebens­ grundlagen, ein materieller Initialpunkt, der die kulturelle Entwicklung der staatlichen Gemeinschaft zu einer geistigen Realität entscheidend mitbe­ stimmt. Die Natur ist deshalb das dauernde Moment im Staat, das infolge ihrer real-physischen Ist-Beschaffenheit den staatlichen Integrationsprozess in bestimmte Bahnen lenkt und derart vorzeichnet, dass ihre existentielle den Naturstaat immer aufs Neue konstituiert.“ Rudolf Smend selbst leugnete aber ein körperlich-räumliches Denken des Staates; siehe nur R. Smend (Fn. 2), S. 127 f. / 168 ff.; Ch. Bickenbach (Fn. 1), JuS 2005, 588 (589), der insoweit eine Konformität mit der Staatslehre von Hans Kelsen ausmachen möchte (ebd., Fn. 34). 48  P.  Otto (Fn. 9), S. 113; A. Hurrelmann (Fn. 13), S. 102.



§ 6 Der geistig-integrative Naturstaatsbegriff (Rudolf Smend) 133

Funktion nur nicht vernachlässigt werden darf, wenn das politische Leben nicht gefährdet werden soll. Dies zeigt sich insbesondere bei der Besiedlung oder der Ausbeutung des Staatsgebiets, die als kulturell notwendige, wirkli­ che Lebenserscheinungen Ausdruck einer zivilisatorischen Entwicklung sind, die aber gleichsam hinsichtlich ihrer Intensität und Effizienz an die Grenzen der natürlichen Lebensgrundlagen stoßen. Eine kausale Eigenge­ setzlichkeit ergibt sich aus dem Naturfaktor für den staatlichen Einheitspro­ zess aber nicht. Der politische Integrationsvorgang zur Nation durch das tägliche Plebiszit ist vielmehr in seiner geistigen Sinntotalität zu betrachten, was eine teleologische Vorbestimmtheit im Sinne eines organischen Triebs, wie es von der naturalistischen Staatstheorie vertreten wird, ausschließt. Gleichwohl bilden die natürlichen Lebensgrundlagen aber das Fundament des Staates, so dass ihre Eigenschaft als dem vielleicht wichtigsten sachli­ chen Integrationsfaktor in der ideellen, zeitlosen Sinn- und Wertordnung im Besonderen zur Geltung kommen muss. Hierbei kann eine verfassungsrecht­ liche Determinante als Indikator für die progressive Naturschutzidee gelten, ohne dass eine positivrechtliche Bestimmung den politischen Integrations­ prozess aber im Wesentlichen bestimmen kann. Denn vorrangig bleibt im­ mer der reale Wirklichkeitsvorgang, der in seiner Totalität von einer ge­ schriebenen Verfassung niemals voll erfasst werden kann.49 Zum Abschluss der Erörterung dieser geistigen Variante eines Naturstaats bleibt damit nur noch der Hinweis auf einen Gedankengang, dessen unstreitiger Wahrheits­ gehalt im Rahmen eines staatstheoretischen Diskurses um eine etwaige na­ turstaatliche Systemausrichtung stets zu vergegenwärtigen ist. Mit ihrer realphysischen Kontur ist es nicht möglich, die natürlichen Lebensgrundlagen ausschließlich in der Welt des Geistes zu denken. Eine entsprechende Wertgesetzlichkeit, die sich im Staat zu einem „Obhutsvehikel“ hinsichtlich der elementaren Bedeutung der Natur für das staatliche Dasein herausbildet, ist zwar nicht ausgeschlossen. Der Staat als geistige Wirklichkeit liegt den natürlichen Lebensgrundlagen aber nicht voraus, sondern umgekehrt: sie bedingen den Integrationsprozess.50

49  R. Smend 50  Vgl.

(Fn. 2), S. 189; P.  Otto (Fn. 9), S. 115. auch P. Badura, Methoden (Fn. 7), S. 188.

§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen) I. Allgemein In der staatstheoretischen Debatte von Weimar war es vor allem der Staatsbegriff von Hans Kelsen1, der die Gemüter erhitzte. Hermann Heller bezeichnete die Konzeption von Hans Kelsen ein Jahr nach Erscheinen von dessen Allgemeiner Staatslehre im Jahre 1925 sogar als „Staatslehre ohne Staat“, die als „klassischer Ausdruck der schweren Krisis unserer Staatslehre“ gelten müsse.2 Die Formel, auf die sich der Staat bei Hans Kelsen letztlich reduzieren lässt, erscheint fast schon als zu trivial, als dass sie eine derartige Welle der Entrüstung hätte hervorrufen können: „Der Staat als soziale Ordnung ist die (…) Rechtsordnung. Der Staat als Person ist die Personifikation dieser Ordnung.“3 Doch war es die in dieser Theo­ rie in Erscheinung tretende provokante Entleerung des Staates auf einen 1  Zur Person Hans Kelsen H. Schambeck, Hans Kelsen – Leben und Werk. Gedanken zu seinem 40. Todestag, in: A. Janko u. a. (Hrsg.), Herbert Schambeck – Beiträge zum Verfassungs- und Europarecht, Sammlung, Wien 2014, S. 519 ff.; R.  Walter / C.  Jabloner, Hans Kelsen (1881–1973). Leben – Werk – Wirkung, in: M. Lutter u. a. (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwick­ lung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 521 ff.; R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre, Rechtstheorie 1970 (1), 69 (71 f.); N.  Leser, Hans Kelsen (1881–1973), in: Neue Österreichische Biographie ab 1815. Große Österreicher, Bd. 20, Wien 1979, S. 29 ff.; H. Dreier, Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, in: H. L. Arnold (Hrsg.), Kindlers Literatur Lexikon, 3. Aufl., Bd. VIII, Stuttgart 2009, S. 785 ff.; R. Thienel, Hans Kelsen, in: M. Stolleis (Hrsg.), Juristen. Ein biographisches Lexikon, München 2001, S. 354  ff.; P. Koller, Theorie des Rechts, Wien u. a. 1997, S. 150; A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 63 ff.; vgl. dazu auch R. Dreier, Sein und Sollen – Bemerkungen zur Reinen Rechtslehre Kelsens, JZ 1972, S. 329; J. Kunz, Die definitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), S. 375 ff.; M. Jestaedt / O. Lepsius, Der Rechtsund der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. VIII ff. 2  H. Heller, Die Krisis der Staatslehre, Archiv für Sozialwissenschaft und So­ zialpolitik 1925 (55), 289 (308 f.); D.  Lehnert, „Staatslehre ohne Staat“? – Zum kritischen Auftrag der rechts- und demokratietheoretischen Konzeption von Hans Kelsen gegenüber deutschen Staatsvorstellungen, München 1998, S. 7; hierzu auch A.-J. Korb (Fn. 1), S. 150 ff. / 163 ff. 3  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 296. Einen kurzen Überblick der gesamten Staatskonzeption von Hans Kelsen findet sich auch bei R. Hendler, Die Staatstheorie Hans Kelsens, JuS



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)135

normativen und damit relativ ideellen Zusammenhang,4 die teilweise sogar als bedrohendes Moment der Entwicklung des modernen Staates überhaupt angesehen wurde.5 Hinter dieser strengen Identifikation des modernen Staates mit der Rechtsordnung steckt das methodische Reinheitspostulat, das Grundprinzip der Reinen Rechtslehre, die als Theorie des positiven Rechts deshalb als „reine“ Lehre vom Recht bezeichnet wird, „weil sie nur eine auf das Recht gerichtete Erkenntnis sicherstellen und weil sie aus dieser Erkenntnis alles ausscheiden möchte, was nicht zu dem exakt als Recht bestimmten Gegenstande gehört“ (…), „sie will die Rechtswissen­ schaft von allen ihr fremden Elementen befreien“, da sich die Jurisprudenz im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts in völlig kritikloser Weise mit Psy­ chologie und Soziologie, mit Ethik und politischer Theorie vermengt habe, was nur zeige, wie weit diese davon entfernt sei, der Forderung der Rein­ heit zu entsprechen.6 Mit der Identitätslehre von Staat und positiver 1972 (9), S. 489 ff.; A.  Kley / E.  Tophinke, Hans Kelsen und die Reine Rechtslehre, JA 2001 (2), S. 169 ff. 4  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1.  Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 6; ders., Der soziologische und der juristische Staats­ begriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922, S.  75 ff. 5  C. Schmitt, Verfassungslehre, unveränderter Nachdruck der 1.  Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 8; D.  Lehnert (Fn. 2), S. 7. Carl Schmitt schrieb in diesem Kontext, dass das politische Sein oder Werden der staatlichen Einheit und Ordnung (…) in ein Funktionieren verwandelt (werde), der Gegensatz von Sein und Sollen (…) mit dem Gegensatz von substantiellem Sein und gesetzmäßigem Funktionieren beständig vermengt werde (C. Schmitt, ebd., S. 8; Hervorhebungen im Original). 6  Siehe hierzu H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 1; ders., Was ist die Reine Rechtsleh­ re?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 143 f. / 147 f. / 152 f.; ders., Die philosophischen Grundlagen der Na­ turrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 67; A. Verdross, Die Rechtstheorie Hans Kelsens, Juristische Blätter 1930 (20), S. 421; K.  Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 41 f.; R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre (Fn. 1), Rechtstheorie 1970 (1), 69 (83); V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (171 f.); P. Badura, Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 143; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 1), JZ 1972, 329 (330); W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, Ba­ den-Baden 1983, S. 40 f.; J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositi­ vismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frank­ furt a. M. 1967, S. 59; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschafts­ gewalt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 104 / 106; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen in Reiner Rechtslehre und in einer transzendentalen Philosophie des Rechts, in: W. Krawietz (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 350; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 68; H. Wenden-

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Rechtsordnung wandte sich Hans Kelsen aber in seinem methodischen Ausgangspunkt nicht ganz gegen die damals vorherrschende Lehre, die epistemologisch einen Dualismus von Sein und Sollen annahm, sondern er erkannte die unstreitig aufeinander bezogenen Sphären durchaus an,7 nur dass er ihren auflösenden Zusammenhang in einem ideellen Rechtsnormen­ system erblickte.8 Demnach trete in dem Sinne einer supraindividuellen burg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 121 f. / 125; O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 181 f.; zur Reinheitslehre auch R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff.). An anderer Stelle hob Hans Kelsen erklärend und klarstellend hervor (H. Kelsen, FS Giacomet­ ti, ebd., S. 153): „Aber die Reine Rechtslehre ist eine reine Lehre des Rechts, nicht die Lehre eines reinen Rechts (…).“ (Hervorhebungen im Original). Zur kritischen Auseinandersetzung der Reinen Rechtslehe mit sonstigen Staatstheorien auch R. Ch. van Ooyen, Hans Kelsen und die offene Gesellschaft, Wiesbaden 2010, S. 16 ff. 7  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 6; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 4), S. 79 ff. / 95 f.; K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010, S. 109 ff. / 117; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 144; J. Kunz (Fn. 1), ÖZöR 1961 (11), 375 (380); P. Römer, Der Staat 1987 (26), 592 (594). Hans Kelsen ist daher auch ein Neukantianer, der erkenntnistheoretisch davon ausgeht, dass die Methode ihren Erkenntnisgegenstand erzeugt; siehe hierzu nur P. Badura, Methoden, ebd., S. 133 ff.; O.  Weinberger, Normentheorie (Fn. 6), S.  180 ff.; R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (483); H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (297); vertiefend S. L.  Paulson, Faktum / Wert-Distinktion: Zwei-WeltenLehre und immanenter Sinn. Hans Kelsen als Neukantianer, in: R. Alexy (Hrsg.), Neukantianismus und Rechtsphilosophie, Baden-Baden 2002, S. 233 ff. / 251. 8  H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn.  4), S. 75 ff. / 86 ff. („das Recht als ein System von Normen (…) (ist) durchaus in sich vollendet“ (S. 79)); N. Leser (Fn. 1), S. 37; H. Köchler, Zur transzendentalen Struk­ tur der Grundnorm, in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Wien 1980, S. 505; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 5; M.  Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 322 f.; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 76; M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 32 ff.; vgl. auch J. Kunz (Fn. 1), ÖZöR 1961 (11), 375 (380); H. Wendenburg (Fn. 6), S. 121 f.; P. Römer, Der Staat 1987 (26), 592 (594); O. Weinberger, Normentheorie (Fn. 6), S. 182; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 143 f. / 146 f.: „ ‚rein‘ juristische Methode“; R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff.); kritisch zu der strengen Tren­ nung von Sein und Sollen dagegen K.  Larenz (Fn. 6), S. 41 ff. Hans Kelsen: „Wenn ich hier dennoch prinzipielle Gegensätze erblicke und auf Verbindung von Sein und Sollen, von Inhalt und Form zu einer höheren Einheit, die beide einander ausschlie­ ßende Begriffe umfasst, verzichten zu müssen glaube, so finde ich als Rechtferti­ gung dieses meines Standpunktes im Grunde keine andere ehrliche Antwort als die: Ich bin nicht Monist. So unbefriedigend ich auch eine dualistische Konstruktion des Weltbildes empfinde, in meinem Denken sehe ich keinen Weg, der über den unleid­ lichen Zwiespalt hinwegführt zwischen Ich und Welt, Seele und Leib, Subjekt und



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)137

Synthese jene durch eine Norm oder ein System von Normen konstituier­ te „Verbindung“ auf, die in demselben Sinne, in dem sie eine Vielheit von menschlichen Verhaltungen zu einem höheren Ganzen, dem System der Gemeinschaft verbinde, die Individuen „verbinde“, sofern sie sie verpflich­ te; und in diesem Sinne stehe die Gemeinschaft als System der die mensch­ lichen Verhaltungen beinhaltenden Normen, als eine Ordnung, über den Individuen, d. h. sie sei eine überindividuelle Wesenheit, deren spezifische Existenzsphäre nicht der Bereich psychischer und daher individual-psychi­ scher Realität, sondern normativer und nur in diesem Sinne überindividu­ eller Idealität sei; und in eben diesem Sinne bestehe zwischen dem „Ver­ band“ und der „Norm“ oder „Ordnung“ kein Unterschied, sondern der Verband sei die Ordnung, weil nur in der Ordnung, in den die Ordnung bildenden Normen die Verbindung bestehe, als welche sich alles Soziale überhaupt darstelle.9 Infolgedessen wird die Staatslehre von Hans Kelsen dann als besondere Gesellschaftswissenschaft bezeichnet, die als normative Staatslehre auch die Soziologie des Staates sei.10 Dies darf aber schließlich nicht zu der Annahme verleiten, dass es sich bei der Staatslehre Hans Kelsens doch um einen primär soziologischen Begründungsansatz des mo­ dernen Staates handelt, sondern der Staat baut sich nur auf der real-psy­ chischen Sphäre des Naturgeschehens als dem soziologischen Unterbau auf, er erhebt sich durch die synthetische Auflösung des realen Seins in einen normativen Sinnzusammenhang zu einem spezifisch geistigen Ge­ halt, der sich in der ideellen Ordnung, dem Rechtsnormensystem, zeigt.11 Und die dadurch bedingte objektive Existenz des Staates stelle sich daher als nichts anderes als die objektive Geltung der Normen12 dar, eine Gel­ Objekt, Form und Inhalt – oder in welche Worte sonst sich die ewige Zweiheit verbergen mag.“ (H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, Vorrede S. VI; Hervorhebungen im Original; zitiert auch bei A.-J. Korb (Fn. 1), S. 76). Die Identitätslehre wird grundsätzlich abgelehnt bei H. Nawiasky, Allgemei­ ne Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 6. 9  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 8 f. 10  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 16 (Hervorhebung im Original); siehe auch ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 147 („normative() Gesellschaftswissenschaft“). 11  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 144  f. Hans Kelsen beschreibt diesen Zusammenhang bildlich mit den Worten: „Nicht im Reiche der Natur – der physisch-psychischen Beziehungen – sondern im Reiche des Geistes steht der Staat.“ 12  An dieser Stelle muss auf den von Hans Kelsen herausgearbeiteten Unter­ schied zwischen Rechtsnorm und Rechtssatz hingewiesen werden. „Indem die Rechtswissenschaft menschliches Verhalten nur insofern begreift, als es Inhalt von Rechtsnormen, das heißt von Rechtsnormen bestimmt ist, stellt sie eine normative Deutung dieser Tatbestände dar. Sie beschreibt die durch Akte menschlichen Verhal­ tens erzeugten und durch solche Akte anzuwendenden und zu befolgenden Rechts­ normen und damit die durch diese Rechtsnormen konstituierten Beziehungen zwi­

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tung, die darum objektiv sei, da sie von dem subjektiven Wünschen und Wollen der Normadressaten unabhängig sei.13 Das Recht ist daher für sich genommen nicht bereits ein Stück Wirklichkeit, das ohne Rückanbindung an die tatsächliche Seins-Welt etwas bedeutet, also kein Teil einer beste­ henden Kulturrealität, sondern allein Folie, die sich über den Kausalzusam­ menhang des realen Naturgeschehens legen lässt und als ideelles Deu­ tungsschema für die soziologische Wirklichkeit agiert: „als loses, interpre­ tatorisch erhellendes, aber keineswegs unerlässliches und im Grunde höchst artifizielles Gespinst, welches den Dingen und Geschehnissen einen Sinn verleiht.“14 Der Staat ist damit ein Zwangsapparat in der Form eines in schen den von ihnen bestimmten Tatbeständen. Die Sätze, in denen die Rechtswis­ senschaft diese Beziehungen beschreibt, müssen als Rechtssätze von den Rechtsnormen unterschieden werden, die von den Rechtsorganen erzeugt, von ihnen anzuwenden und von den Rechtssubjekten zu befolgen sind. Rechtssätze sind hypo­ thetische Urteile, die aussagen, dass im Sinne einer – nationalen oder internationa­ len – der Rechtserkenntnis gegebenen Rechtsordnung unter gewissen von dieser Rechtsordnung bestimmten Bedingungen gewisse von dieser Rechtsordnung be­ stimmte Folgen eintreten sollen. Rechtsnormen sind keine Urteile, das heißt Aussa­ gen über einen der Erkenntnis gegebenen Gegenstand. Sie sind, ihrem Sinne nach, Gebote und als solche Befehle, Imperative; aber nicht nur Gebote, sondern auch Erlaubnisse und Ermächtigungen (…). (…) Der Unterschied zeigt sich darin, dass die von der Rechtswissenschaft formulierten, das Recht beschreibenden, niemanden und zu nichts verpflichtenden und berechtigenden Sollsätze wahr oder unwahr sein können, während die von der Rechtsautorität gesetzten – die Rechtssubjekte ver­ pflichtenden und berechtigenden – Sollnormen weder wahr noch unwahr, sondern nur gültig oder ungültig sind (…).“ (H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 73 / 75 f.; Hervorhe­ bungen im Original; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 144 / 150 ff.; ders., General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 45; ders., Allgemeine Theorie der Normen, Wien 1979, S. 104 / 119; R.  Walter / C.  Jabloner (Fn. 1), S. 529; R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre (Fn. 1), Rechtstheorie 1970 (1), 69 (86 f.); S. L.  Paulson, Die Funktion der Grundnorm: begründend oder explizierend?, in: C. Jabloner (Hrsg.), Gedenkschrift Robert Walter, Wien 2013, S. 564 Fn. 42; J. Hruschka, Die Zurechnungslehre Kelsens im Vergleich mit der Zurechnungslehre Kants, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen  – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 3; O.  Weinberger, Nor­ mentheorie (Fn. 6), S. 196 f.; R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (487); J. Kunz (Fn. 1), ÖZöR 1961 (11), 375 (386 ff.); vgl. hierzu auch J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm, in: S. L. Paulson, Normativity and norms, Oxford 1998, S. 60 ff. 13  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 1), JZ 1972, 329 (331); F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 6), S. 350 f. Nach der Normtheorie von Hans Kelsen ist mit Norm ihr objektiver Sinn zu verstehen. Ent­ scheidend ist also nicht der subjektive Willensakt und der darin zum Ausdruck kommende subjektive Sinn, sondern der objektive Sinn. 14  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kel­ sen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 83 f.; M. Haase (Fn. 8), S. 36 f.; H. Wendenburg (Fn. 6), S. 122 f.; vgl. auch J. Kunz (Fn. 1), ÖZöR 1961 (11), 375 (381); A. Vonlan-



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)139

sich geschlossenen Systems von Normen und in dieser Eigenschaft besitzt er gleichzeitig die seine Souveränität begründende Legitimierung, ohne dass insoweit ein Rekurs auf ein außerhalb der Ordnung liegendes Moment einer höheren Norm der Gerechtigkeit bzw. auf ein Naturrecht als eine in juristischer Terminologie auftretende Politik erforderlich ist.15 Daher gehö­ re auch zu dem Wesen des modernen Staates kein spezifischer Zweck, sondern dies stelle vielmehr eine unzulässige Verengung des Staatsbegriffs dar.16 Mit dieser staatstheoretischen Weichenstellung – der Identität von Staat und Recht und der Ablehnung einer legitimitätsspendenden Zwecki­ deologie  ‒ wird evident, gegen welches Erklärungsmuster des modernen then, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Berlin 1965, S. 38 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 145; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 1), JZ 1972, 329 (331). 15  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 39 f.; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 4), S. 82 ff.; ders., Was ist juristischer Positivismus?, JZ 1965, 465 (465 f.); J. Kunz (Fn. 1), ÖZöR 1961 (11), 375 (382 f.); M. Haase (Fn. 8), S.  37 ff.; U. Schliesky (Fn. 6), S. 104 f.; vgl. dazu auch H. Wendenburg (Fn. 6), S. 121 f. / 125 / 136; P. Römer, Der Staat 1987 (26), 592 (594); grundsätzlich kritisch zum Staatsbegriff der Reinen Rechtslehre R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 89 ff. Darin spiegelt sich die von Hans Kelsen propagierte Absage an jegliche Form eines materiellen Naturrechts, um der Rechtswissenschaft den Rang echter Wissenschaftlichkeit zu verleihen. Siehe zu Letzterem nur H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251; ders., Naturrecht und positives Recht, in: H. Klecats­ ky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S. 177  ff.; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 154; K. Groh (Fn. 7), S. 109 f. / 116 f. Angesichts des Umstandes, dass das formale Geltungsprinzip des positiven Rechts von dem materiellen Geltungsgrund des Naturrechts streng zu unterscheiden ist, der Rechtsetzungsakt im Rahmen des positiven Rechtsnormen­ systems bei Hans Kelsen damit den wesentlichen Geltungsunterschied darstellt, kann bei dem normativen Rechtspositivismus von Hans Kelsen auch von einem „Geltungspositivismus“ gesprochen werden; so etwa M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen (Fn. 1), S. XIII f.; K. Groh, ebd., S. 110. An dieser Stelle wird das Problem um die hypothetische, da nicht gesetzte Grundnorm als abschließendes Element des dynamischen Stufenbaus der Rechtsordnung noch ausgespart. Das Verhältnis von Recht und Gerechtigkeit be­ schreibt Hans Kelsen folgendermaßen: „Gerechtigkeit ist seinem Wesen nach ein absoluter Wert, und das Absolute im Allgemeinen, absolute Werte im Besonderen liegen jenseits rational-wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Reine Rechtslehre ist Rechtspositivismus; sie ist geradezu die Theorie des Rechtspositivismus; und Rechtspositivismus geht Hand in Hand mit Relativismus.“ (H. Kelsen, FS Giaco­ metti (Fn. 6), S. 153; Hervorhebungen im Original). Im Ergebnis bedeutet Souve­ ränität bei Hans Kelsen also die „logische Autonomie der von der Rechtswissen­ schaft zu widerspruchsloser Einheit konstruierten Rechtsordnung, d. h. ihre Unab­ hängigkeit von jeglichem anderen Normensystem wie dem der Ethik oder dem der Religion.“ (S. Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie, Tübingen 1925, S. 25 f. (Zitat auf S. 26)). 16  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 40; M. Haase (Fn. 8), S. 39.

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Staates sich die kritischen Ausführungen von Hans Kelsen vorrangig rich­ ten. Neben einer grundlegenden Kritik an Rudolf Smends Staat als Integ­ ration17 und einer letztlich ablehnenden Haltung gegenüber dem seiner Ansicht nach in der Erfassungsmentalität unzureichenden soziologischen Denkansatz des Staates18 war es vor allem die herrschende Lehre mit ih­ rem dualistisch aufgebauten System von Staat und Recht und der damit verbundenen hypostasierenden Darstellung des modernen Staates als einem metarechtlichen Wesen, als einer Art übermenschlichem Makroanthropos oder aber als sozialem Organismus, die dem Staatsrechtslehrer Hans Kel­ sen ein Dorn im Auge war.19 Indem die herrschende Lehre in dem Staat ein vom Recht verschiedenes Wesen, gleichzeitig aber auch ein Rechtswe­ sen erblickte, abstrahierte sie die staatliche Ordnung zunächst von der Ma­ terie des Rechts, um den Staat dann als Schöpfer des Rechts als seinem Wesen entsprechender Mindestgehalt erscheinen zu lassen. Das Recht war demnach nur ein Teilinhalt der staatlichen Ordnung, ein Zweck, und zwar der Rechtszweck, den der Staat garantierte und sich so als ein „Rechts­ staat“ emporhob, der dann neben die in Verwirklichung anderer Staatszwe­ cke wie dem Macht- oder Kulturzweck entstehenden Kategorien des „Machtstaates“ und „Kulturstaates“ getreten ist.20 Für Hans Kelsen konnte die ganze Konstruktion von dem Staat als Mittel und dem Recht als Zweck nicht wirklich überzeugen, weil das Recht nicht ein besonderer Inhalt, son­ 17  H. Kelsen, Der Staat als Integration, Wien 1930. In dieser Abhandlung zeigt Hans Kelsen eine Reihe von Widersprüchen in der Staatstheorie Rudolf Smends auf, ohne aber die Gemeinsamkeiten und Parallelen zu seiner Staatslehre zu vernachläs­ sigen. Auf die kontroverse Auseinandersetzung dieser beiden Staatsrechtslehrer wird im Rahmen der Untersuchung des Deutschen Reichs als einem Naturstaat eingegan­ gen werden. 18  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 19; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 148; K. Groh (Fn. 7), S. 126 f. An dieser Stelle wendet sich Hans Kelsen gegen die kausalwissen­ schaftlich orientierte Soziologie, zu deren Vertretern unter anderem auch Max Weber gehörte und deren Makel letztlich in der fehlenden Hervorbringung eines syntheti­ schen Prinzips zur Erklärung des Staates als einem sozialen Gebilde besteht (H. Kelsen, AS, ebd., S. 19). Ausdrucksstark ist aber auch die folgende Passage: „Das Postulat der Reinheit soll dem wissenschaftlichen Juristen nur zu Bewusstsein brin­ gen, dass die spezifische Methode seiner Erkenntnis eine andere ist als jene der kausalen Sozialwissenschaft, und dass daher die so häufigen Versuche, Rechtsfragen ‚soziologisch‘ zu beantworten, entweder auf Selbsttäuschung beruhen oder darauf abzielen, andere über das gegebene Recht hinwegzutäuschen.“ (H. Kelsen, FS Gia­ cometti, ebd., S. 148). Siehe zu der Staatstheorie von Max Weber M.  Porsche-Ludwig (Fn. 8), S. 172 ff. 19  H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 288 f.; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 155 ff. 20  Zum Ganzen H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 42; ders., RR (Fn. 3), S. 288 f. Hans Kelsen hierzu: „So wird der Staat aus einem bloßen Faktum der Gewalt zu einem Rechtsstaat, der sich dadurch rechtfertigt, dass er das Recht fertigt.“ Siehe dazu auch R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (488 f.).



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)141

dern die Form der staatlichen Ordnung sei, der Staat keinen Zweck anders als in der Form des Rechts verfolgen könne und weil das Recht und in ihm der Staat stets ein Mittel und nie ein Zweck sei, so dass auch dasje­ nige, was in der üblichen Terminologie als Rechtszweck bezeichnet werde, nur ein Mittel sei zu einem Zwecke, der nicht Recht, der dem Recht tran­ szendent sei und nach Belieben als Macht- oder Kulturzweck bezeichnet werden könne.21 Deshalb sei die „methodenkritische Auflösung“ des von der traditionellen Staats- und Rechtstheorie vertretenen Dualismus Staat – Recht nichts anderes als „die rücksichtslose Vernichtung einer der wirk­ samsten Legitimitäts-Ideologien“, die auf eine Stärkung der Autorität des Staates abzielte.22 Im Gegensatz dazu sah Hans Kelsen die Staatsgewalt ausschließlich in der Geltung einer effektiven staatlichen Ordnung, wes­ halb die Macht des Staates keine mystische Kraft oder Instanz sei, die hinter dem Staate oder dem Recht verborgen sei, sondern sie sei nichts anderes als die Wirksamkeit der staatlichen Rechtsordnung.23 Der Staat ist demzufolge ein soziales Gebilde, eine Ordnung menschlichen Verhaltens, deren konstitutives Entstehensmoment in der Rechtsordnung liegt, die gleichsam – nach der Staatstheorie Hans Kelsens denklogisch – auch Aus­ gangspunkt der den Staat als Körperschaft, als juristische Person, funk­ tions- und handlungsfähig machenden Organe ist, die ihre Aufgabe als unmittelbar oder mittelbar berufene Funktionsträger in arbeitsteiliger Weise 21  H. Kelsen,

AS (Fn. 4), S. 42; vgl. auch K. Groh (Fn. 7), S. 116 f. RR (Fn. 3), S. 288 f. / 319 f. Es ist die staatstheologische Verklei­ dung, die Hans Kelsen zu dem Zitat veranlasst, wonach der Dualismus von Staat und Recht vergleichbar sei mit dem Dualismus von Gott und Welt: „So wie die Theologie Macht und Wille als das Wesen Gottes behauptet, so wird Macht und Wille von der Staats- und Rechtslehre als das Wesen des Staates angesehen.“ (H. Kelsen, RR, ebd., S. 319). Noch eindringlicher formulierte Hans Kelsen später: „Das heißt aber: die mit dem als gültig vorausgesetzten Rechtsstaatsprinzip unver­ einbare Tatsache zu verhüllen, dass die Regierung in Ausübung ihrer spezifischen Tätigkeit durch gültige, nicht als nichtig erkennbare Akte neues Recht schaffen kann, und dies rechtmäßig, d. h. auf Grund der geltenden Verfassung, sofern diese nicht die Möglichkeit der Vernichtung dieser Akte aus dem Grunde ihrer materiellen Rechtswidrigkeit vorsieht. Worauf es dabei ankommt, ist: diese mit dem Rechts­ staatsprinzip der materiellen Rechtmäßigkeit der Regierungsakte unvereinbare Kom­ petenz der Regierung, neues Recht zu schaffen, als zu diesem Prinzip nicht in Wi­ derspruch stehend erscheinen zu lassen, um so aus politischen Gründen den Schein des rechtsstaatlichen Charakters der geltenden Rechtsordnung (…) aufrechtzuerhal­ ten. Daher muss die Ordnung, nach der der ‚Staat‘ dieser Anschauung nach handeln soll und darf, und nach der er – d. h. die sich als Regierung darstellenden Men­ schen – tatsächlich handelt, nicht oder nicht notwendigerweise die Rechtsordnung sein (…).“ (H. Kelsen, FS Giacometti (Fn. 6), S. 156). Den Vorwurf der Staatstheo­ logie macht er (H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 17), S. 30 ff.) schließlich auch Rudolf Smend mit seiner Integrationslehre. 23  H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 292 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 145 / 150. 22  H. Kelsen,

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

erfüllen.24 In einem weiteren Sinne bestimmt Hans Kelsen deshalb das Recht auch als eine normative Gesellschaftsordnung, die sich von sonsti­ gen Normenordnungen wie der Moral oder der Religion durch das Mo­ ment der Sanktion unterscheidet, weshalb sich das Recht als Zwangsord­ nung menschlichen Verhaltens darstellt, das seine Durchsetzbarkeit dadurch gebietet und sicherstellt, dass es an eine mit der normativen Rechtsord­ nung in Widerspruch geratene Verhaltensart einen entsprechenden Zwangs­ akt knüpft.25 Die Rechtsordnung ist mit dem Staat identisch. Und deshalb kann eine in dieser Rechtsordnung bestimmte Funktion im Allgemeinen dem Staat nur dann zugeschrieben werden, wenn sie von einem durch diese normative Ordnung legitimierten Organ verwirklicht wird.26 Der Staat liegt für Hans Kelsen demnach ausschließlich in der Welt des Geis­ tes, des der kausalgesetzlich orientierten Soziologie der Menschen quasi übergeordneten, da nur so objektiv fassbaren Sinnzusammenhangs, der sich in den Normen zeigt. Und durch den Stufenbau der Rechtsordnung, der sich im Sinne eines Delegationszusammenhanges angeleitet durch eine Normativität und damit juristische Geltung verleihende, hypothetische Grundnorm, um nach oben einen regressus infinitum des setzungsbeding­ ten Rechtserzeugungszusammenhanges zu verhindern, über die geschriebe­ ne Verfassung als der höchsten positiven Norm nach unten weiter in der Form von generellen und individuellen Rechtsnormen und damit durch das ganze Rechtsnormensystem durchzieht, handelt es sich bei dem Staat als juristischer Organisation gleichzeitig um ein dynamisches Gebilde, weil es das Recht in dessen ständigem Selbsterzeugungsprozess erfasst.27 Gleich­ 24  H. Kelsen,

RR (Fn. 3), S. 289 ff.; siehe hierzu auch K. Groh (Fn. 7), S. 120 ff. RR (Fn. 3), S. 25 ff. / 35 ff. / 45 ff.; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S.  144 f.; R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (487 f.); P. Koller (Fn. 1), S. 152; H. Wendenburg (Fn. 6), S. 123 / 129; O.  Weinberger, Nor­ mentheorie (Fn. 6), S. 189 ff.; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 1), JZ 1972, 329 (330). 26  H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 295 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 146; H. Wendenburg (Fn. 6), S. 128. Eine andere Möglichkeit der Zuschreibung zum Staat liegt für Hans Kelsen in dem Vertretungs- oder Repräsentationsbegriff, dem seiner Mei­ nung nach aber ein fiktiver Charakter immanent ist. Daneben macht er auf den Umstand aufmerksam, wonach eine faktische Zuschreibung – wie es von der herr­ schenden Lehre praktiziert wurde – nur möglich ist, wenn man sich den Staat als eine Art Übermensch vorstellt; hierzu nur H. Kelsen, RR, ebd., S. 294 ff. 27  Siehe zur Funktion der hypothetischen Grundnorm als Einheitskonstituante H. Kelsen, FS Giacometti (Fn. 6), S. 148 f.; A. Verdross (Fn. 6), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); E. Bucher, Zur Kritik an Kelsens Theorie von der hypotheti­ schen Grundnorm, in: Die reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 47; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 14), S. 42 f.; R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, in: Die reine Rechtslehre in wissen­ 25  H. Kelsen,



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)143

zeitig stellt die gedachte Grundnorm als transzendentallogisch deduziertem Denkgesetz die Brücke in das Reich einer objektiven Idealität dar, die in ihrer materiell legitimierenden Funktion ein bestimmtes Normensystem als Rechtsordnung hervortreten lässt und damit die soziologische Wirklich­ keitswelt überhaupt erst am Maßstab des positiven Rechts als Deutungs­ schaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S.  38 f.; P. Koller (Fn. 1), S. 153 ff.; W. Schluchter (Fn. 6), S. 40; S. Uecker, Vom Reinheitspostulat zur Grundnorm, Berlin 2006, S. 89 / 91; R. Walter, Entstehung und Entwicklung des Gedankens der Grundnorm, in: ders. (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 47; W. Krawietz, Grundnorm, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. III: G–H, Darmstadt 1974, Sp. 919 f.; O.  Weinberger, Normentheorie (Fn. 6), S. 189; K. Groh (Fn. 7), S. 111; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 149. Zur Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung, die von Hans Kelsen von seinem damaligen Schüler Adolf Merkl übernommen wor­ den war H. Kelsen, Adolf Merkl zum 70. Geburtstag, ÖZöR 1960 (10), S. 313 ff.; ders., AS (Fn. 4), S. 231 ff. / 248 ff.; ders., RR (Fn. 3), S. 228 ff.; ders., Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.), Hans Kelsen – Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Tübingen 2008, S. 1 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 69 f.; A. Verdross, ebd., Juris­ tische Blätter 1930 (20), 421 (421 f.); R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre (Fn. 1), Rechtstheorie 1970 (1), 69 (89 ff.); E. Bucher, ebd., S. 47; P. Koller, ebd., S. 153 ff.; R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 67 / 71 f.; S. Uecker, ebd., S. 89 f.; L.  Pitamic, Die Frage der rechtlichen Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 207 f.; R.  Walter / C.  Jabloner (Fn. 1), S. 529 f.; R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfassungs­ recht 1966 (2), 481 (494 ff.); R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 1), JZ 1972, 329 (331); H. Wendenburg (Fn. 6), S. 124; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 67 f.; kritisch zum Stufenbau der Rechtsordnung J. Moór (Fn. 6), S. 68 ff. / 81. Zum dynamischen Charakter der mit dem Staat identischen Rechtsordnung bei Hans Kelsen H. Kelsen, General the­ ory of law and state (Fn. 12), S. 112 ff.; ders., RR, ebd., S. 283; ders., Der Staat als Integration (Fn. 17), S. 44; ders., The pure theory of law and analytical jurispru­ dence, Harvard law review 1941 (55), 44 (61 ff.); P. Koller, ebd., S. 153 ff.; K. Groh, ebd., S.  123 ff.; H. Wendenburg, ebd., S.  124  f.; P. Badura, Methoden, ebd., S. 146 / 148; O.  Weinberger, Normentheorie, ebd., S. 187 ff.; R. Marcic, ebd., S. 494; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 6), S. 365; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), ebd., S. 207 f.; A.-J. Korb, ebd., S. 67 f.; M. Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen (Fn. 1), S. XIV; vgl. auch M. Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten – Kritik des Normsystemdenkens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsge­ schichte. Theorie des Rechts im Kontext des 10. und 11. Jahrhunderts, Wien u. a. 2009, S. 114 ff. Insoweit spricht Hans Kelsen in gedanklicher Analogie zu Rudolf Smend davon, dass die Rechtsordnung ein ewiger Prozess sei, in dem sich der Staat immer wieder von Neuem erzeuge (H. Kelsen, Der Staat als Integration, ebd., S. 44; ders., RR, ebd., S. 283 f.). In Abgrenzung zu der staatstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen kann ergänzend auf die Ausführungen zur Annahme des Staates als einem Rechtsordnungssubjekt und einem Rechtssubjekt sowie auf die Erläuterungen zum Stufenbau der Rechtsordnung bei H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 2 ff. / 105 ff. hingewiesen werden.

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schema erklärbar macht.28 Dies indiziert aber dann gleichsam stets eine geltungstheoretische Rückanbindung an die soziologische Wirklichkeit, da­ mit das positive Recht überhaupt als ideelles Deutungsschema agieren kann, weshalb die gedachte Grundnorm auch selbst unter der immanenten Bedingung der sozialen Wirksamkeit steht.29 Deshalb gilt schließlich eine Normenordnung nur dann, wenn sie im Großen und Ganzen sozial wirk­ sam ist, was bedeutet, dass sie auch angewendet, befolgt oder anerkannt wird.30 In der logischen Folge ist für Hans Kelsen auch das Staatsgebiet aus­ schließlich in einem normativen Sinne denkbar und eben nicht – wie es die damalige herrschende Lehre annahm  ‒ als ein physikalisch-geographisches Gebilde, auf dem der Staat thront und sich als Naturrealität zu einem Über­ menschen praktisch hypostasiert.31 Nach seiner Ansicht stimmt die Identität des Staatsgebiets mit der Identität der Rechtsordnung überein, weshalb die die staatliche Ordnung bildenden Rechtsnormen in ihrer Geltung örtlich, auf ein bestimmtes Gebiet, eingeschränkt seien, das als Raum das Staatsgebiet sei.32 Mit dieser dem juristischen Formalismus entsprechenden Charakterisie­ 28  Siehe insoweit zur materiell legitimierenden Funktion der gedachten Grund­ norm H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 205; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 149; A. Verdross (Fn. 6), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); E. Bucher (Fn. 27), S. 48; R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm (Fn. 27), S. 38 f.; H. Köchler (Fn. 8), in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerech­ tigkeit, S. 507; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 14), S. 43; W. Schluchter (Fn. 6), S. 40; S. Uecker (Fn. 27), S. 89 / 91; R. Walter / C.  Jabloner (Fn. 1), S. 526 / 528; R. Walter, Entstehung und Entwicklung des Gedankens der Grundnorm (Fn. 23), S. 47; R. Marcic (Fn. 6), Staats- und Verfas­ sungsrecht 1966 (2), 481 (485 / 493 f.); N. Leser (Fn. 1), S. 37; K. Groh (Fn. 7), S.  111 f.; H. Wendenburg (Fn. 6), S. 124 / 126. 29  H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 215 ff.; ders., Juristischer Positivismus (Fn. 15), JZ 1965, S. 465 ff.; vgl. auch ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 146 f.; N. Leser (Fn. 1), S.  37 f.; K. Groh (Fn. 7), S. 125 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 149. Kritisch zu der Abhängigkeit der normativen Rechtsgeltung von der soziologischen Wirksamkeit K. Engisch, Rezension zu Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, in: ZStW 1963, 591 (602 ff.); H. Köchler (Fn. 8), in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Men­ schenwürde und Gerechtigkeit, S. 514 ff.; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 27), S. 213; A. Von-lanthen, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 14), S. 31 f.; relativierend M.  Losano, Das Verhältnis von Geltung und Wirk­ samkeit in der Reinen Rechtslehre, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsens-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 84 f.; J. Raz, Kelsens Theory of the Basic Norm (Fn. 12), S. 57 ff. 30  H. Kelsen, RR (Fn. 3), S. 215 ff.; H. Wendenburg (Fn. 6), S. 126. 31  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 144; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 4), S. 84 f. 32  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 138; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 4), S. 84 f.; ders., RR (Fn. 3), S. 291. „Das Staatsgebiet ist ein



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)145

rung des Staatsgebiets wandte sich Hans Kelsen damit abermals gegen die herrschende Lehre, deren auf naturwissenschaftlich-geographischer Erkennt­ nis aufbauende Theorie eines räumlich fassbaren, fest abgegrenzten Stücks der Erdoberfläche, auf dem sich der Staat als Körper erhebt, dogmatisch nicht überzeugen konnte. Als Beleg weist er auf Widersprüche hin, die nur durch ein rein normatives Verständnis des Staatsgebiets zu vermeiden sind. Etwa sei die Einheit des Staatsgebiets keineswegs eine natürliche, geographi­ sche Einheit, sondern das Staatsgebiet könne auch aus Teilen bestehen, die durch andere Gebiete getrennt seien.33 Des Weiteren zeige sich der normative Charakter des Staatsgebiets daran, dass darunter nur der Raum verstanden werden könne, innerhalb dessen gewisse Tatbestände, speziell die von der Rechtsordnung normierten Zwangsakte, gesetzt werden sollen, nicht aber der Raum, innerhalb dessen sie tatsächlich gesetzt werden. Denn der faktische Raum der faktischen Herrschaftsakte sei faktisch unbegrenzt, weshalb ein Gebiet, auf dem ein Staatsakt gesetzt werde, dadurch noch nicht zum Staats­ gebiet werde, d. h. zum Gebiet desjenigen Staates, der hier faktisch, aber völ­ kerrechtswidrig einen Staatsakt gesetzt habe.34 Es war letztlich nicht nur ein staatstheoretisches Problem, sondern vor allem auch eine rechtstheoretische Frage, die sich für die herrschende Lehre im Zuge ihrer hypostasierenden Betrachtung des staatlichen Wesens stellte: die Erklärung des Verhältnisses zwischen Staat und Staatsgebiet. In diesem Kontext zeigte sich für Hans Kel­ sen nun ihre ganze theoretische Unzulänglichkeit. Zwar könne das Verhältnis des Staates zu seinem Gebiete in eine gewisse Analogie zu einem sachenbzw. personenrechtlichen Verhältnis gesetzt werden, weil die Ausschließlich­ keit der Geltung der staatlichen Rechtsordnung für das Staatsgebiet eine na­ heliegende Parallele in der ausschließlichen Herrschaft des Eigentümers über eine Sache finde, zumal dann, wenn man die Geltung der Rechtsordnung als „Herrschaft“ des Staates über sein Gebiet darstelle.35 Allerdings darf dies nicht im Sinne einer naturrechtlichen Theorie zu einer Anschauung eines per­ sonifizierten Staatswesens führen, in dem die räumlich geltende Rechtsord­ nung als Raum praktisch aufgeht und aus der Persönlichkeit des Staates ma­ teriellrechtlich der Anspruch auf Integrität des Gebietes folgt.36 Denn aus bestimmt abgegrenzter Raum. Es ist nicht ein bestimmt abgegrenztes Stück der Erd­ oberfläche, sondern ein dreidimensionaler Raum, zu dem der Untergrund unterhalb und der Raum oberhalb des von den so genannten Staatsgrenzen eingeschlossenen Gebietes gehören.“ (H. Kelsen, RR, ebd., S. 291). Zu dieser Kompetenztheorie aus­ führlich W. Henrich, Kritik der Gebietstheorien, Breslau u. a. 1926, S. 99 ff. 33  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 138; ders., RR (Fn. 3), S. 291. 34  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 138; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 4), S. 85. 35  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 145. 36  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 146.

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diesem gedanklichen Gut ergibt sich dann notwendigerweise die Gefahr, eine irgendwie geartete Begrenzung oder Beschränkung des Staatsgebiets als Ver­ letzung des „Lebens“ des Staates zu charakterisieren,37 was ideologischer Gesinnung zuträglich wäre. II. Naturstaatsbegriff Eine staatstheoretische Betrachtung des Deutschen Reichs als einem Na­ turstaat muss im Hinblick auf den Staatsbegriff Hans Kelsens auf das „Grün in der Natur“ praktisch verzichten. Mit anderen Worten ist ein Naturstaat für ihn ein Staat, dessen normative Rechtsordnung den Naturschutz ermöglicht. Dies bedeutet, dass sich im Hinblick auf den Naturschutz in der sozialen Sphäre eine Bedeutungserkenntnis entwickeln muss, die sich dann gleichsam in der normativen Ordnung niederschlägt. Denn nur in der ideellen Ordnung ist der allmählich sich entwickelnde Sinngehalt des Naturschutzes zu finden, der sich im Rahmen der soziologischen Realität in Abwägung mit anderen Belangen herauskristallisiert und an dem sich die handelnden Menschen als allgemeingültigem Vorstellungsbild von auf den Naturschutz bezogener staat­ licher Präsenz letztlich orientieren. Der Staat erhebt sich so zu einem geisti­ gen Gebilde, zu einer geistigen Wirklichkeit38, deren verkörpertes Deutungs­ schema die normative Ordnung ist, die Rechtsordnung, die die staatliche Existenz in der Sollenssphäre erklärbar macht.39 Die Annahme eines Natur­ staats setzt deshalb zunächst die Entstehung von Naturschutznormen voraus, die den Kampf des Naturschutzgeistes mit den wirtschaftsstaatlichen Ent­ wicklungstendenzen verständlich machen, die ihn in einen Sinnzusammen­ hang kleiden, dessen gesellschaftliche Rückbezogenheit sich notwendiger­ weise in einer intermediären Ausrichtungsschranke darstellen wird. Dies kann in der Form der Fall sein, dass dem Staat durch den Erlass von Normen die Verhinderung von privaten Naturschutzeingriffen bzw. die Beseitigung von bereits eingetretenen Naturschäden im Rahmen der allgemeinen Gefah­ renabwehr zur Pflicht gemacht wird, oder dass dem Staat im Sinne einer präventiven Obhut die tunlichste Pflege der Natur auferlegt wird. Insoweit sind die von der Rechtsordnung eingesetzten, funktional arbeitsteilig agieren­ den Organe berufen, durch entsprechende in der normativen Ordnung ange­ legte Staatsakte dem Staat auf dem Gebiet des Naturschutzes eine legitime Betätigung zu verleihen. Aber auch Normen, die eine konkrete Sanktion als 37  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 147; vgl. auch D.-E. Khan, Die deutschen Staats­ grenzen, Tübingen 2004, S. 18 f. 38  H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 17), S. 13. 39  Zum Ganzen vgl. nur H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 18 f.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 14), S. 83 f.; H. Wendenburg (Fn. 6), S.  122 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 145.



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)147

Folge von naturschutzwidrigem menschlichem Verhalten vorsehen, können Ausdruck einer naturstaatlichen Entfaltung sein. Entscheidend ist nur stets das Prinzip der Zurechnung, das eine Folge mit einer Bedingung in der spe­ zifischen Weise des „Sollens“ und demnach normativ entsprechend des je­ weils zugrunde liegenden Sinngehalts verknüpft, so dass die Kausalität und die mit ihr verbundene Teleologie als Kriterien staatstheoretischer Erkenntnis nicht mehr anzusehen sind.40 Die ausschließlich normative Betrachtung des Naturstaats führt dann auch zu dem logischen Verhältnis zu der Kategorie des Rechtsstaats. Dieser ist letztlich eine Ordnung, die den Naturstaatsakten die Qualität von Rechtsakten verleiht und garantiert. Der Rechtszweck ist als solcher kein Staatszweck, unabhängig davon, dass Hans Kelsen die Annahme von Staatszwecken sogar grundsätzlich ablehnt, weil die mit ihr verbundenen politischen Postulate als ethische Absichtserklärungen in den konkreten Nor­ men sachlich fassbar werden und sich so in eine legitime Herrschaftsstruktur einfügen lassen.41 Der Naturschutz ist demgemäß lediglich ein bestimmter 40  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 6 f. / 14 f.; ders., RR (Fn. 3), S. 93 ff.; ders., Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung, in: N. Leser (Hrsg.), Hans Kelsen – Demokratie und Sozialismus (Ausgewählte Aufsätze), Wien 1967, S. 81; ders., FS Giacometti (Fn. 6), S. 144 f. / 147; A. Verdross (Fn. 6), Juristische Blätter 1930 (20), S. 421; J. Kunz (Fn. 1), ÖZöR 1961, 375 (386 f.); P. Koller (Fn. 1), S.  151 f.; O.  Weinberger, Normentheorie (Fn. 6), S. 184 ff.; C. Heidemann, Der Be­ griff der Zurechnung bei Hans Kelsen, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S.  17 ff.; J. Renzikowski, Der Begriff der „Zurechnung“ in der Reinen Rechts­ lehre Hans Kelsens, in: R. Alexy (Hrsg.), Neukantianismus und Rechtsphilosophie, Baden-Baden 2002, S. 253 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 6), S. 145 f.; vgl. hierzu auch J. Hruschka (Fn. 12), S. 3 ff. Gemeint ist damit die periphere Zurechnung, die von der zentralen Zurechnung im Werk von Hans Kelsen zu unterscheiden ist. Die periphere Zurechnung konstituiert die generelle Rechtsnorm, indem sie eine Bedingung mit ei­ ner Rechtsfolge derart verknüpft, dass auf einen Tatbestand eine Sanktion notwendig folgen soll. Die zentrale Zurechnung dagegen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Personenbegriff der Rechtswissenschaft und meint die Funktionalität einer Person als gedanklicher Endpunkt einer zentralen Zurechnung menschlicher Handlun­ gen. Der Staatsperson werden dabei die Akte zentral zugerechnet, mit denen Normen gesetzt bzw. angewendet werden. Vor dem Abbild der rechtstheoretischen Leistung von Hans Kelsen beschreibt Alfred Verdross die Abgrenzung von Kausalität und Zu­ rechnung folgendermaßen: „Von dieser Warte aus stellt (Hans) Kelsen der kausalen Verknüpfung der explikativen Wissenschaften die Zurechnung als das Gesetz der normativen Wissenschaften gegenüber. Die Formel jenes lautet: Wenn a ist, wird und muss b sein. Die Formel dieses hingegen: Wenn a ist, dann soll b sein. Hierbei bedeu­ tet a den Tatbestand und b die Rechtsfolge. Diese normative Verknüpfung von Tatbe­ stand und Rechtsfolge leistet der Rechtssatz, durch dessen Analyse die normativen Grundbegriffe, wie die der Rechtspflicht, des subjektiven Rechts, der Schuld, des freien Ermessens usw. gewonnen werden.“ (A. Verdross, ebd., S. 421; Hervorhebun­ gen einschließlich einer Namensbetonung im Original). 41  Zu der Lehre vom Zweck des Staates H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 39 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Sach- bzw. Sinngehalt im Rahmen der den Staat konstituierenden ideellen Ordnung, weshalb so ein außerhalb dieser Rechtsordnung liegender Staats­ zweck Naturschutz und eine darauf aufbauende Legitimitätsvorstellung nicht bestehen können. Der Staat ist vielmehr die Rechtsordnung, und diese ist die legitime Herrschaftsordnung, da sich die Normen nach dem Stufenbau der Rechtsordnung auf die Grundnorm als der Verfassung im logischen Sinne zurückführen lassen, die ihnen unter der immanenten Bedingung der soziolo­ gischen Wirksamkeit normative Geltung verleiht.42 Und da die Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung das Recht in seiner dauernden Bewegung, in dem ständig sich erneuernden Prozess seiner Selbsterzeugung erfasse,43 han­ delt es sich bei dem Naturstaat Hans Kelsens auch um eine dynamische Staatstheorie, nur dass sie das bewegende Moment in der sich stetig erneu­ ernden Rechtsordnung, in dem Recht selbst erblickt. In der logischen Folge ergibt sich dann auch aus der juristisch formalen Beschreibung des Staatsge­ biets als räumlicher Geltungsbeschränkung von Normen für eine naturstaatli­ che Betrachtungsweise des Deutschen Reichs – und das soll in dieser Deut­ lichkeit festgestellt werden – praktisch nichts bzw. zumindest nicht viel. Die von Hans Kelsen in staatstheoretischer Entschiedenheit vertretene „blutleere“ Darstellung des Staatsgebiets als einer reinen Begrifflichkeit, deren innere Beziehung zu dem Staat als der Rechtsordnung ausschließlich in einer Deter­ mination seines räumlichen Geltungsbereichs zu finden ist, lässt die geogra­ phische Bedeutung des Staatsgebiets, seine natürliche Beschaffenheit als Le­ bensraum für Organismen, unberücksichtigt. Dass das Staatsgebiet aber ein besonderer Integrationsfaktor sein oder sich aus ihm eine kausale bzw. teleo­ logisch bedingte Eigengesetzlichkeit ergeben kann, findet in der Staatslehre Hans Kelsens ebenso wenig Erwähnung wie eine Einordnung des Staatsge­ biets als Heimat oder Vaterland. Der maßgebliche Anknüpfungspunkt ist auch hier – wie soll es auch anders sein ‒ ausschließlich ein normativer An­ satz, der im Falle des Naturschutzes zu einer Identität mit den natürlichen Lebensgrundlagen führt, so dass ein Naturstaat eben dann vorliegt, wenn der Schutz des natürlichen Lebensraums als der Natur in der normativen Rechts­ ordnung seinen ideellen Ausdruck findet. Aber auch sonstige Interpretations­ formen der natürlichen Lebensgrundlagen wie Heimat, Vaterland bzw. – mehr geographisch orientiert – Insel, Wüste, Eisregion würden lediglich in einem normativen Sinnzusammenhang erfasst werden, so dass die normative Ord­ nung dann die Bezeichnung eines „Heimat- oder Volksstaates“, eines „Insel­ staates“ oder eines „Wüsten- bzw. Eisstaates“ verdienen würde. Letztendlich könnte dies bei einer besonderen Funktion sogar zu einer Verankerung in der Verfassung als der höchsten positiven Norm führen, was einen verfassungs­ 42  H. Kelsen, 43  H. Kelsen,

RR (Fn. 3), S. 215 ff. / 228 ff. RR (Fn. 3), S. 283.



§ 7 Der normative Naturstaatsbegriff (Hans Kelsen)149

widrigen Eingriff indizieren würde, sofern sich die Identität des Staatsgebiets nicht aufrechterhalten lässt? Was aber, wenn sich die Veränderung naturbe­ dingt ergibt und der Staat berufen ist, den entstandenen Ausnahmezustand zu beseitigen? Die normative Lösung eines Naturstaats hat den Vorzug der rechtsstaatlichen Berechenbarkeit, der offensichtlichen Indikationswirkung, dass ein Naturstaat dann vorliegt, wenn die geistigen Strömungen zu einer rechtlichen Naturschutzerkenntnis gereift sind. Dennoch soll hier noch ein Gedankengang angedeutet werden, dessen physikalisch-theoretische Grund­ legung auch von Hans Kelsen als ein selbstverständlicher Zusammenhang bezeichnet wird. Die normative Betrachtung der Natur im Sinne eines recht­ lich geschützten Objekts findet letztendlich ihre Grenze in der besonderen Beschaffenheit der natürlichen Lebensgrundlagen. Erst wenn sich der Staat als Rechtsordnung erhoben hat, ist die Auflösung der realen physikalischen Existenz des Lebensraums in einen rein normativen Komplex von Schutznor­ men denkbar. Davor aber ist den natürlichen Lebensgrundlagen ein reales, nicht zu bestreitendes Urmoment immanent, das eine staatliche Gemein­ schaftsordnung an bestimmten Orten ausschließen kann, sofern dort eine menschliche Existenz nicht möglich ist.44 Mit anderen Worten muss es des­ halb auch Hans Kelsen unmöglich sein, die besondere faktische Beschaffen­ heit der Natur, der natürlichen Lebensbedingungen, des Lebensraums, aus­ schließlich in der Sollens-Sphäre und damit normativ aufgehen zu lassen. Die natürlichen Lebensgrundlagen haben eine originäre Existenz, die in letzter Konsequenz auf einen anderen Sinnzusammenhang des Naturschutzes in dem Staat als der Rechtsordnung abzielen muss.45

44  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 22. Hans Kelsen spricht hier davon, dass „mit der Einsicht, dass der Boden das dauernde Zusammenleben einer größeren Menschen­ menge ermöglichen muss, dass also in Eisregionen, in Wüsten u.Ä. kaum Staaten entstehen können, (…) man nur die gleich anfangs festgestellte Selbstverständlich­ keit (wiederhole).“ Entscheidend für den weiteren Gang dieser Naturstaatslehre ist zudem der Umstand, dass Hans Kelsen bei Rudolf Kjellén den Gedanken erkennt, dass man das Staatsgebiet bzw. dessen Integrität als völkerrechtliche Norm begreifen kann, was zwar in einem organologischen, naturalistisch-materialistischen Sinne abzulehnen, in einem normativen Sinne aber nicht zu beanstanden ist (H. Kelsen, AS, ebd., S. 378). 45  Mit anderen Worten kann der Staat mit dem faktischen Element des Staatsge­ biets, mit den natürlichen Lebensgrundlagen, nicht identisch sein; siehe hierzu H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (Fn. 8), S. 100 Fn. 1; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 4), S. 84 f.; J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 176 ff.; vgl. auch M. Haase (Fn. 8), S. 32.

§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller) I. Allgemein Nach dem normativen Ansatz von Hans Kelsen, der eine etwaige Natur­ staatlichkeit ausschließlich in der Geltung von auf den Schutz der natürli­ chen Lebensgrundlagen ausgerichteten Rechtsnormen zu erblicken vermag, ist zum Abschluss dieses Abschnitts zur Allgemeinen Naturstaatslehre noch auf den wirklichkeitswissenschaftlichen Begründungs- und Erklärungsansatz des Staates bei Hermann Heller1 einzugehen, der die Natur wieder mehr in ihrer realphysikalischen und -biologischen Seins-Existenz in den Mittel­ punkt stellt. Die Staatslehre von Hermann Heller kann als empirische Sozi­ alwissenschaft bezeichnet werden, weil sie den Staat realitätsgetreu in seiner spezifisch politischen Wirkungsweise inmitten des gesellschaftlichen Ge­ samtzusammenhangs erfassen möchte.2 Die Betrachtung ist deshalb nicht 1  Zur Person Hermann Heller W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates als menschliche Wirksamkeit – Über Hermann Heller (Teschen 1891–Madrid 1933), Oberschlesisches Jahrbuch 1995 (11), S. 149 ff.; I. Staff, Hermann Heller – Demo­ kratische Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, JuS 1984, S. 669 ff.; Ch. Müller, Hermann Heller: Leben, Werk, Wirkung, in: Gesammelte Schriften, Bd. I: Ori­ entierung und Entscheidung, 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 229 ff.; K. Meyer, Hermann Heller – eine biographische Skizze, Politische Vierteljahresschrift 1967, S. 293 ff.; C. Franzius, Hermann Heller (1891–1933). Hermann Heller: Einstehen für den Staat von Weimar, in: S. Grundmann (Hrsg.), Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin u. a. 2010, S. 637 ff.; K. Groh, Demokra­ tische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010, S. 141  ff.; ­A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 149 ff.; T. Rasehorn, Recht und Politik 1983 (19), S. 162. 2  H. Heller, Die Krisis der Staatslehre, Archiv für Sozialwissenschaft und So­ zialpolitik 1925 (55), 289 (312) („empirische Sozialwissenschaft“); ders., Staatsleh­ re, Leiden 1934, S. 43 f. („soziologische Wirklichkeitswissenschaft“); G. Niemeyer, in: H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. IX f. („breit angelegte Soziologie des Staates“); P. Badura, Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Nach­ druck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 190 f.; H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechts­ lehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 185 ff., wo grundsätzlich auch ein kurzer Überblick zu dem methodensynkretistischen Ansatz von Hermann Heller zu finden ist; vgl. auch W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 157. Die methodische Herangehensweise kritisch bewertend E. Hennig, Hermann Heller – Anmerkungen zum Versuch einer Synthese von Nationalismus und Sozialismus, Neue politische Literatur 1971 (16), 507 (511 ff.); ders., Nationalismus, Sozialismus



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)151

auf gesellschaftliche Teilfaktoren beschränkt, was zu einer Verabsolutierung einzelner Momente führen könnte, sondern auf den Staat als dem realen Ganzen bezogen, um die Eigengesetzlichkeit des Politischen als der summa­ rischen Identität der Bestandteile der politischen Wirklichkeit zu erhalten.3 In der Folge ergibt sich daraus dann die staatliche Einheit, die mehr ist als nur die Funktion eines ihrer materiellen Entstehungs- und Wirkmomente, etwa des Rechts oder der geographischen Bedingungen.4 Der moderne Staat steht und wirkt vielmehr in der soziologischen Seinswelt, die durch die gegebenen materiellen Einheitsfaktoren mehr oder weniger konstitutiv beeinflusst wird, wobei letzten Endes aber auch „die ‚utopische‘ Bedingt­ heit der staatlichen Wirklichkeit, ihre Mitbewirkung durch die höchsten ideellen und sittlichen Kräfte des Menschen und ihre Abhängigkeit von der Legitimierung durch überzeitliche Ideen“ in die Erörterung einzubeziehen sind,5 was der Staatslehre von Hermann Heller den Stempel einer nichtpo­ und die „Form aus Leben“: Hermann Hellers politische Hoffnung auf soziale Inte­ gration und staatliche Einheit, in: Ch. Müller (Hrsg.), Staatslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1985, S. 100 f.; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 153; T. Rasehorn (Fn. 1), Recht und Politik 1983 (19), S. 162; K. Groh (Fn. 1), S. 145 ff.; relativierend wiederum C. Franzius (Fn. 1), S. 640 ff. Zu erwähnen bleibt, dass Hermann Heller dem Neukantianismus ablehnend gegenüberstand, da für ihn durch den Gegenstand die Methode und nicht umgekehrt bestimmt wird (so C. Franzius, ebd., S. 640). 3  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 139; G. Niemeyer, in: H. Heller (Fn. 2), S. X  f.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 190; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 190; W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 169 f.; E. Hennig (Fn. 1), Neue politi­ sche Literatur 1971 (16), 507 (511); W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 160. Dazu schreibt Hermann Heller: „Im Folgenden wird die Unzulänglichkeit aller Versuche zu zeigen sein, die darauf ausgehen, den Staat aus seinen geographi­ schen Bedingungen abzuleiten, ihn zum Ausdruck einer Rasse, eines Volksgeistes, einer Nation zu machen oder ihn als bloße Funktion der klassengespaltenen Wirt­ schaftsgesellschaft, der öffentlichen Meinung, des Rechtes oder irgendeiner Idee zu verstehen. Alle diese Zusammenhänge sind als Natur- und Kulturbedingungen für das Entstehen und Bestehen der staatlichen Einheit von der allergrößten Bedeutung. Die staatliche Einheit in ihrer Eigengesetzlichkeit ist aber mehr und etwas anderes als die Funktion einer oder auch aller dieser Bedingungen.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 139). Die staatliche Totalität stellt sich unterdessen als ein organisierter Willens­ verband dar. Denn für Hermann Heller ist letztlich „das Gesetz der Organisation (…) das grundlegendste Bildungsgesetz des Staates.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 230). Das Wesen des Politischen wird dagegen synthetisch im Sinne eines dialektischen Ausgleichs der „unendlichen Vielheit und Verschiedenheit durcheinander schießen­ der gesellschaftlicher Akte zur ordnenden und geordneten Einheit“ verstanden (H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, Berlin 1928, S. 35). 4  P. Badura, Methoden (Fn.  2), S. 190; W. Hill (Fn. 3), S. 177; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 155 / 163 f.; C. Franzius (Fn. 1), S. 640. 5  G. Niemeyer, in: H. Heller (Fn. 2), S. IX (Hervorhebung im Original); P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 190; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 184 f.; vgl. auch W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 162; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 153 f.; I. Staff, Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers, in:

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

sitivistischen Methodik verleiht.6 Auf diese Weise entsteht schließlich dann eine gedachte Dreiteilung des Staates, die als der organisierte Inbegriff der politischen Einheit bezeichnet werden kann.7 In seiner Staatslehre bezeichnet Hermann Heller das Erkenntnisobjekt des Staates als „Kulturgebilde“ – und nicht „Naturgebilde“ –, als „Sozialgebil­ de“ – und nicht „Sinngebilde“ – und als „Struktur“ – und nicht „historische Abfolge“.8 Eine zusammenhängende Erörterung dieser staatlichen Wesens­ merkmale führt letztlich zu einem umfassenden Bild des Staates bei Her­ mann Heller, weshalb sie an dieser Stelle der Reihe nach abgearbeitet werden sollen. Demnach ist die Staatslehre zunächst Kulturwissenschaft und grenzt sich insoweit von den naturwissenschaftlichen Disziplinen ab, weil sich der Mensch durch seine Verhaltensweisen zweckgerichtet unter Verän­ derungen der Natur ein kulturelles Dasein schafft, das sich in dem Staat als einem „Kulturgebilde“ niederschlägt.9 Es ist der typische Zusammenhang des Auf- und Abstiegs von Zivilisationen, die sich auf den natürlichen Le­ bensgrundlagen erheben und auf ihnen unter Berücksichtigung ihrer beson­ deren Ausformungen eine kulturelle Entfaltung zeitigen, der hier in der Staatslehre von Hermann Heller zum Ausdruck kommt. Die Grenzziehung zwischen Natur und Kultur ist aber keine absolute, sondern die physische Eigenart der natürlichen Lebensgrundlagen bedingt vielmehr die kulturelle Ch.  Müller / dies. (Hrsg.), Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984, S. 25 ff.; T. Rasehorn (Fn. 1), Recht und Politik 1983 (19), 162 (163). 6  P. Badura, Methoden (Fn.  2), S. 198  f.; vgl. auch H. Wendenburg (Fn. 2), S.  184 f. 7  Vgl. hierzu H. Wendenburg (Fn. 2), S. 184 f.; W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 160 ff.; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 153 f. Der gedanklichen Dreiteilung des Staates entsprechen die von Hermann Heller angeführten verschiedenen Verfas­ sungen innerhalb der Staatsverfassung. „Danach lassen sich in (…) (jener) die nicht normierte, innerhalb der normierten die außerrechtlich und die rechtlich normierte Verfassung als Teilinhalte der politischen Gesamtverfassung unterscheiden.“ (H. Heller, SL (Fn. 2), S. 250). Siehe zur politischen Einheitsbildung bei Hermann Heller auch M.  Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Gö­ bel u. a. (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, Berlin 1995, S. 172 ff. 8  P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 192 (Hervorhebungen im Original). 9  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 34; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 192; K. Groh (Fn. 1), S. 147 ff.; T. Rasehorn (Fn. 1), Recht und Politik 1983 (19), 162 (164). In diesem Zusammenhang grenzt Hermann Heller schließlich seine „Kulturlehre“ des Staates von der naturwissenschaftlich-materialistischen Staats- und Gesellschaftsauf­ fassung ab, die das Tier- und das Menschenreich mit den gleichen naturwissen­ schaftlichen Mitteln erkennen möchte. Diese „natürliche“ Immanenzauffassung des Staates findet letztlich ihre Grenze an dem Menschen als einem willensgesteuerten und zweckgebundenen Wesen, das die natürliche Welt in ihrer originären Existenz verändern kann (H. Heller, SL, ebd., S. 33 f.).



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)153

Erhebung des Staates durch ihre Naturgesetzlichkeiten erheblich.10 Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass sich die Kultur als ein zweckge­ formtes menschliches Produkt darstellt, das sich trotz des ihr zukommenden objektiven Bedeutungsgehalts nur aus dem subjektiven Erkenntnisverständ­ nis heraus vollständig erfassen lässt. Denn „objektiver Geist ist nur als subjektiver Geist wirklich und hat unabhängig vom realpsychischen Erleben und Verstehen durch (die) Menschen überhaupt keine Existenz.“11 Die Natur dagegen erscheint dem Menschen als äußerlich fremdes Objekt, das sich eben nicht als ein vergeistigtes Leben, von Menschenhand geschaffen, betrachten lässt.12 Mit anderen Worten zeichnet sich der Staat als ein Kul­ turgebilde gegenüber den Naturgegebenheiten durch einen spezifischen, objektiven Kulturgehalt aus, der durch die und in den Menschen lebt, womit er der Eigenschaft als bloßes ideelles Abstraktum ermangelt. Gleichwohl kann der Staat als Kulturform aber nicht unabhängig von den dauernden Elementen des realen Staatsgebiets als geographischem sowie des Staats­ volks als anthropologischem Faktor gedacht werden,13 womit Hermann Heller dem natürlichen Land in seinem von Natur gegebenen Systemzusam­ menhang zum Staat und den auf ihm lebenden Menschen eine originäre und demnach staatsbegründende Existenz beimisst, die  ‒ teleologisch betrach­ tet – eine relative Eigengesetzlichkeit innerhalb des Staates indiziert.14 Dies bedeutet dann weiterhin, dass eine bestimmte kulturelle Entwicklung ohne eine besondere Beschaffenheit der Natur nicht möglich ist, dass auch der Staat nur bestehen kann, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen eine entsprechende zivilisatorische Existenz zulassen. Hermann Heller treibt diesen grundsätzlichen Gedanken sogar noch auf die Spitze, wenn er an­ führt, dass niemand zu bestreiten wagen werde, dass auch alle Gestirne auf unser staatliches Verhalten einwirken,15 womit er den bestimmenden Ein­ 10  H. Heller,

SL (Fn. 2), S. 35. SL (Fn. 2), S. 38. 12  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 35. 13  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 139 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 193. 14  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 139; vgl. auch H. Wendenburg (Fn. 2), S. 188 ff. Es müsse (aber) unentwegt an der Einsicht festgehalten werden, dass alle Naturbedin­ gungen nur auf dem Umweg über das menschliche Handeln politisch wirksam wer­ den (H. Heller, SL, ebd., S. 140). 15  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 140. Insoweit relativiert Hermann Heller seine zuvor geäußerte Darlegung, wonach die Natur nur über den Menschen politisch wirksam werde. Was er damit wirklich meint, ist der Umstand, dass Naturgegebenheiten nur insoweit für die Staatslehre Relevanz besitzen, als sie sich im Staat berechenbar auswirken können. Dass diese Ansicht aber wohl an die damalige Zeit gebunden war, wird wiederum angesichts der heutigen Naturbedrohungen durch den Menschen und die dadurch bedingte steigende Anzahl an Naturkatastrophen keiner zu bestrei­ ten wagen. 11  H. Heller,

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

fluss einer höheren physikalischen Naturgewalt auf die menschlichen Ge­ meinschaftsformen anspricht. Der Staat als ein von den einzelnen Menschen zweckgerichtet geformtes Kulturgebilde ist aber letztlich trotz seiner natürlichen Eingebundenheit nur das gewachsene Produkt der politischen Entwicklung, die sich im Rahmen des gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs vollzieht und die von Her­ mann Heller vorgenommene Einstufung seiner Staatslehre als einer empiri­ schen Sozialwissenschaft rechtfertigt. Der Staat ist daher vor allem ein „Sozialgebilde“, das durch einzelne materielle Faktoren beeinflusst wird, zu denen auch das Recht als „Sinngebilde“ in der Seinssphäre des Staates gehört.16 Der Zusammenhang von Staat und Recht ist dabei nicht einfach zu erfassen, und bedarf daher einer näheren Betrachtung, wobei auch die rechtliche Bedingtheit der Entstehung des Staates als Machtinstitution zu bedenken ist. Für Hermann Heller ist die gesellschaftliche Normenordnung nur dann richtig zu erklären, „wenn Sein und Sollen gerade nicht in „undi­ alektischer“ Beziehungslosigkeit, sondern in korrelativer Zuordnung voraus­ gesetzt werden.“17 Die gegenseitige Bezogenheit und Bedingtheit der bei­ den Sphären zeigt sich hierbei bereits an der Bedeutung des Rechts für die eigentliche staatliche Existenz. Ohne den machtbildenden Charakter des Rechts gebe es weder eine normative Rechtsgeltung noch eine Staatsmacht, ohne den rechtsbildenden Charakter der Staatsmacht aber gebe es weder Rechtspositivität noch einen Staat.18 Daher rekurriert Hermann Heller auf eine überpositivistische Ordnung von Rechtsgrundsätzen, die der staatlichen 16  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 41 ff. / 188 ff.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 191; T. Rasehorn (Fn. 1), Recht und Politik 1983 (19), 162 (164). In diesem Kontext wendet sich Hermann Heller energisch gegen die Integrationslehre Rudolf Smends: „Das Recht als technisch und geistig-sittlich notwendige Erscheinungsform der staatlichen Macht kann nicht gründlicher missverstanden werden, als wenn man es mit (Rudolf) Smend aus dem Kreis der staatlichen Integrationsfaktoren ausschließt und die Rechtsfunktionen gar als ‚Fremdkörper‘ in der Verfassung bezeichnet. (…) Es gibt überhaupt keinen unentbehrlicheren Integrationsfaktor des Staates als das Recht.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 194; Hervorhebung im Original). Marcus Llanque (M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration: Rudolf Smend, in: A. Bro­ docz / G.  Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart I, Opladen u. a. 2009, S. 332) beschreibt den wesentlichen Unterschied auch unter Darstellung von etwai­ gen Gemeinsamkeiten in den Staatstheorien von Hermann Heller und Rudolf Smend zutreffend folgendermaßen: „Für (Hermann) Heller beginnt die Politik erst dort, wo sie bei (Rudolf) Smend bereits endet, nämlich nicht schon bei Sinnstiftung und Sin­ nerlebnis, sondern bei der organschaftlichen Tätigkeit des politischen Verbandes. Politik ist insofern die Organisation von Willensgegensätzen auf Grund einer Wil­ lensgemeinschaft.“ 17  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 185 (Hervorhebung nicht im Original); I. Staff, De­ mokratische Staatsrechtslehre (Fn. 1), JuS 1984, 669 (670). 18  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 191.



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Normsetzungsinstanz ursprünglich Legitimität verleiht und auch in der Fol­ ge quasi als ethischer Verpflichtungsmaßstab für die den Staat ausmachende Herrschaftsordnung agiert.19 Mit diesem „Kunstgriff“ auf eine materielle Werteordnung, die den Staat überragt, verleiht Hermann Heller dem Wil­ lensmoment des Staates eine rechtliche Kontur und schafft auf diese Weise den „vermittelnden Spagat“ zu einer verfassten Herrschaftsmacht.20 In diesem Sinne werde der Staatswille (dann) als eine unbezweifelbare gesell­ schaftliche Seinswirklichkeit zu erkennen sein, der als ein normgeformtes Sein gedacht werden müsse, das sich den nach der Kulturstufe niederen und höheren Forderungen, die in den Lebensbedingungen der Gesellschaft gege­ ben seien, gar nicht entziehen könne.21 In der Folge steht dann auch das 19  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 255 ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 11; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 165 f.; M. Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 205  f.; H. Welzel, An den Grenzen des Rechts – die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln u. a. 1966, S. 16; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 193; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S. 68 f.; vgl. dazu grundsätzlich auch W. Kersting, Politik und Recht, Weilerswist 2000, S. 286 f. 20  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 190 ff.; E. Gutmann (Fn. 19), S. 68 f. An dieser Stel­ le zeigt sich der Gedanke von Hans Kelsen, dass eine Geltung des Rechts nicht auf eine normlose Willensmacht begründet werden kann. Dass hierbei die von Hans Kelsen vorgebrachte Konstruktion über eine Grundnorm nicht richtig sein kann, begründet Hermann Heller wie folgt: „Es ist das große kritische Verdienst Hans Kelsens, immer wieder darauf hingewiesen zu haben, dass die Rechtsgeltung nicht auf die Setzung durch eine normlose Willensmacht begründet werden kann. Seine eigene Lösung des Geltungsproblems durch die Hypothese einer ‚Grundnorm‘, die besagt: verhalte dich so, wie dieser Monarch oder dieses Parlament es befiehlt, be­ steht aber in nichts anderem als in der bloßen Umbenennung des normlosen Staats­ willens. Denn wenn es die Grundnorm sein soll, welche die ‚verfassunggebende Autorität einsetzt‘ (…), und die Verfassung ihre ‚rechtlich relevante Geltung aus dieser Ursprungsnorm‘ bezieht, ihren Inhalt dagegen ‚aus dem empirischen Willens­ akt der konstituierenden Autorität‘, so haben wir wieder auf der einen Seite eine inhaltlose und deshalb normlose Grundnorm, alias Staatswille, auf der anderen eine Verfassung, die ihre Geltung aus dem normlosen Staatswillen holt.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 190; Hervorhebungen im Original). Für Hermann Heller muss daher ein überpositivistischer, ethisch-materieller Verpflichtungsmaßstab in der Form von all­ gemeinen Rechtsgrundsätzen hinzutreten, um der staatlichen Herrschaftsordnung Legitimität zu verleihen. Überdies wendet sich Hermann Heller aber auch gegen den Dezisionismus von Carl Schmitt, der die Rechtsgeltung praktisch nur auf eine kon­ krete Entscheidung ohne einen etwaigen Rekurs auf etwas Normatives zurückführen möchte (H. Heller, SL, ebd., S. 276 ff.). An dieser Stelle muss aber bereits darauf hingewiesen werden, dass auch die positive Verfassung von Carl Schmitt auf etwa­ igen Wertungen beruht und daher auch ihr ein normativer Charakter nicht abgespro­ chen werden kann; grundsätzlich hierzu M. Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkungen zu Carl Schmitts Verfassungslehre, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), S.  511 ff. 21  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 192; vgl. auch A.-J. Korb (Fn. 1), S. 155.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

positive Recht unter dem Vorbehalt der materiellen Werteordnung, nicht im Sinne eines Geltungsvorbehalts, weil auch dem ungerechten Recht eine machtbildende Funktion zukommt, aber im Sinne einer „legitimitätsstiften­ den“ Kraft. Denn das positive Recht ist letztlich die ethisch notwendige Erscheinungsform des Staates, in der sich die überpositivistischen Rechts­ grundsätze manifestieren und dem Staat so den Charakter einer legitimen Ordnungsgewalt verleihen.22 „Die Autorität des souveränen Staatswillens, seine Eigenschaft als ‚höchste‘ Macht, gründet sich auf seine Legitimität.“23 Und durch die Eigenschaften der Normativität und Positivität verleiht das Recht in machtbildender Funktion dem staatlichen Herrschaftsverband gleichsam die dauerhafte politische Struktur, wobei sich die eigentliche Rechtsgeltung wiederum aus der dialektischen Rückkopplung mit dem ent­ sprechenden Machtmoment im Staat ergibt.24 Bei aller rechtlichen Formung der Staatsordnung bleibt Hermann Heller aber einem soziologischen Denk­ ansatz des Rechts treu. Zwar wird der Staat durch die ideelle Normenord­ nung konstituiert, die sich als von den Menschen bewusst geformtes und sie wiederum formendes ideelles Gerüst darstellt.25 Objektiver Geist sei (aber) nur als subjektiver Geist wirklich und habe unabhängig vom realpsychi­ schen Erleben und Verstehen durch Menschen überhaupt keine Existenz, weshalb er im Übrigen nichts sei als eine wissenschaftliche Abstraktion.26 22  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 191 f. / 196 f.; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 155 ff. / 165 f.; I. Staff, Der soziale Rechtsstaat (Fn. 5), S. 25 f.; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 193 f. Hermann Heller deutet dann aber doch noch einen Geltungsvorbehalt gegenüber dem positiven Recht an, wenn er schreibt, dass es diejenigen außerrechtlichen Nor­ mativitäten seien, die als Rechtsgrundsätze für die Geltung und den Inhalt der Ver­ fassungsnormen entscheidend seien (H. Heller, SL, ebd., S. 255 f.). Indessen handelt es sich hierbei jedoch um die „sittliche Verpflichtungskraft“, die der Rechtssatz aus dem übergeordneten ethischen Rechtsgrundsatz empfange, was an der eigentlichen Rechtsgeltung nichts ändert (H. Heller, SL, ebd., S. 232 ff.; Hervorhebung nicht im Original). 23  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 192 (Hervorhebung im Original). 24  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 192 f.; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 155 f.; vgl. auch H. Wendenburg (Fn. 2), S. 192 f.; P.  Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 152 f. „Dauer und Wirkung der Macht können durch Organisation, d. h. dadurch ungemein gesteigert werden, dass eine normative, bewusst gesetzte Ordnung da ist, an der die Machtstützen ihre Leis­ tungen für die Macht ausrichten, sowie Organe, durch welche Einordnung und An­ ordnung einander angepasst werden. Politische Macht ist rechtlich organisierte Macht.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 193). 25  P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 198. 26  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 38 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 193. Hierzu führt Hermann Heller ergänzend und fast schon in gedanklicher Übereinstimmung mit dem materialistischen Ansatz von Rudolf Kjellén aus: „Der Staat ist nicht ob­ jektiver Geist, und wer den Versuch macht, ihn seiner psychophysischen Menschen­ substanz gegenüber zu objektivieren, behält ein Nichts in der Hand. Denn der Staat



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)157

Zudem hat der objektive Geist eine im Verhältnis zu den in der physikali­ schen Sphäre bestehenden quantitativen Kausalitätsbeziehungen, d. h. dass in der Wirkung nie mehr als in der Ursache liegen kann, eine erweiternde qualitative Dimension.27 Daraus ergibt sich, dass für Hermann Heller gemäß seines wirklichkeits­ wissenschaftlichen Erklärungsansatzes des Staates dem subjektiven Moment stets die entscheidende Wirkungsrelevanz zukommt. In der Folge steht dann auch alle positive Rechtsgeltung unter der immanenten Bedingung der Gel­ tungsaktualisierung in der soziologischen Wirklichkeit.28 In der Staatslehre von Hermann Heller erscheinen somit zwei Rechtskreise, deren funktionale Gemeinsamkeit in der Erklärungstauglichkeit des Staates als einem politi­ schen Ganzen besteht. Es sind dies das positive Recht, das als materieller Faktor ein Teilelement der staatlichen Einheit ist, sowie die überpositivisti­ sche, materielle Werteordnung, die über der politischen Gemeinschaft steht und auf den Staat als einem Sozialgebilde einwirkt. Angesichts der ver­ schiedenen Methoden, die in der Wirklichkeitswissenschaft und der Sinnes­ wissenschaft herrschen, muss aber dann die das positive Recht bearbeitende Rechtswissenschaft aus dem Erkenntnisbereich der empirischen Staatslehre abgetrennt werden.29 Aus der Beschreibung des Staates als einem soziologisch bedingten, kul­ turellen Gebilde resultiert dann eigentlich auch das von Hermann Heller angeführte weitere Wesensmerkmal des Staates als „Struktur“ sowie das eigentliche politische Ganze, als das die staatliche Organisationseinheit in Erscheinung tritt. Demnach ist der Staat nicht nur ein aus einer bestimmten Historie erwachsener Komplex, in dem sich eine geschichtliche Abfolge ausdrückt,30 sondern er ist in seiner unbestrittenen konkreten historischen ist nichts anderes als eine menschlich-gesellschaftliche Lebensform, Leben in Form und Form aus Leben.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 42). 27  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 45. 28  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 192 f. / 268. 29  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 42 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 198. An spä­ terer Stelle in seiner Staatslehre spricht sich Hermann Heller letztlich für eine juris­ tische Methode aus, die zwischen den dualen Sphären des Seins und des Sollens vermittelt (H. Heller, SL, ebd., S. 259 ff.). 30  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 48 f.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 195; K. Groh (Fn. 1), S. 150 f.; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 186 f. Hier grenzt Hermann Heller seine „Strukturlehre“ von anderen Staatslehren ab: „Staatslehre ist aber nicht Geschichts­ wissenschaft, deshalb ist eine Staatstheorie prinzipiell verfehlt, die etwa nach dem Vorbild R. (Richard) Schmidts einen weltgeschichtlichen Abriss der ‚Entwicklung‘ des Staates gibt, den man sich irgendwie doch als konstant vorstellt; verfehlt aber auch ist eine Staatslehre, die ihren Angelpunkt in der Integration als dem Prozess beständiger Erneuerung sieht (…); denn in der Vielheit einander ablösender Integra­ tionsprozesse muss gerade das aufgelöst werden und verschwinden, was allein Ge­

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Prägung in erster Linie ein soziologischer Strukturmechanismus, der „das Werdende im Gewordenen“ funktional zur Geltung bringt.31 Denn nur aus dem gleichzeitigen Miteinander der gesellschaftlichen Wirkungsstruktur und dem „Querschnitt des Geschichtsstromes“ seien die historischen Betäti­ gungsformen zu begreifen, weshalb innerhalb der Totalität der geschichtli­ chen Wirklichkeit verschiedene Funktionen und Strukturen zu unterscheiden seien, um das Bild des Stromes zu ordnen.32 In diesem Sinne zeigt sich die „Struktur“ des Staates folglich etwa in Attributen wie der Heimat, dem Vaterland, die als Ausdruck einer geschichtlich emotionalen Bindung ange­ sehen werden können, die in der realen Seinswelt weiterlebt, ohne den Staat aber lediglich auf eine historische Größe zurückzuführen. Unter Rekurs auf den Gestaltbegriff von Christian von Ehrenfels33 stellt sich der Staat bei Hermann Heller folglich dann insgesamt als „Gestalt“ dar, die sich praktisch nicht über die einzelnen Elemente als eine Ganzheit erhebt, sondern als Ist-Existenz eine tatsächliche, nicht zerlegbare, soziale Vollkommenheit darstellt.34 Dem Einwand, dass damit eine stärkere Akzentuierung des Über­ genstand der Staatslehre sein kann: die in allem Wechsel sich behauptende Einheit des Staates.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 49; Hervorhebung im Original). 31  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 50 f. (Hervorhebung nicht im Original); P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 195. 32  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 50 (Hervorhebung nicht im Original). „Das Problem der Staatslehre besteht also darin, den Staat im Werden als Struktur zu begreifen. Denn einerseits ist der Staat nur, indem Menschen in bestimmten Lagen ihn durch ihre wirklichen Willensakte werden lassen. Andererseits haben aber diese Akte eine besondere Verbundenheit und Ordnung, durch welche ihre Vielheit sich zur eigenar­ tigen Einheit des Wirkungsganzen: Staat ordnet. Indem diese Struktur eine Dauer hat, ist der Staatslehre allererst ihr Gegenstand gegeben; sofern aber auch diese Struktur oder Gestalt des Staates ununterbrochen im Fluss der Geschichte steht und in dauernder, wenn auch oft kaum merklicher Wandlung begriffen ist, kann diese Gestalt nicht geschlossen gedacht werden, sondern nur offen; die Geschichte geht durch sie hindurch. Deshalb ist es unumgänglich, dass die Staatslehre das Werdende im Gewordenen, die Entwicklungstendenzen der Staatsstruktur erkennt.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 51). 33  So W. Hill (Fn. 3), S. 181 Fn. 47. Hierzu nur die bekannte Schrift über die Eigenschaften der „Gestalt“ Ch. von Ehrenfels, Über Gestaltqualitäten, in: Viertel­ jahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1890 (14), S. 249 ff. Christian von Ehrenfels liefert für die Gestalt die folgende Definition: „Unter Gestaltqualitäten verstehen wir solche positive Vorstellungsinhalte, welche an das Vorhandensein von Vorstellungscomplexen im Bewusstsein gebunden sind, die ihrerseits aus von einan­ der trennbaren (d. h. ohne einander vorstellbaren) Elementen bestehen. – Jene für das Vorhandensein der Gestaltqualitäten notwendigen Vorstellungscomplexe wollen wir die Grundlage der Gestaltqualitäten nennen.“ (Ch. von Ehrenfels, Vierteljahreschrift für wissenschaftliche Philosophie 1890 (14), 249 (262 f.); Hervorhebungen im Ori­ ginal). 34  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 63; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 196; C. Franzius (Fn. 1), S. 650 f.; K. Groh (Fn. 1), S. 145 ff., v. a. S. 152. Hermann Heller verdeut­



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empirischen verbunden ist, wird von Hermann Heller sodann mit der Dia­ lektik begegnet, wonach die Entzweiung zwischen Sein und Werden nur im Bewusstsein geschehe, in der Wirklichkeit aber nur ein Gegenstand vorhan­ den sei, nämlich der „Gestaltzusammenhang“.35 Der Staat ist daher für Hermann Heller eine historisch geprägte Gestalt, die als politisches Ein­ heitsgefüge eine kulturelle Entwicklung unter Berücksichtigung des gewor­ denen und werdenden Seins vorantreibt, um als ein reales Ganzes in Er­ scheinung zu treten. Der „Zweck“ dieser Gestalt findet sich für Hermann Heller dann auch nicht in einem transzendenten Sinn, sondern – in dogma­ tischer Entschiedenheit – ebenfalls in der realen Wirklichkeit36: „Die Funk­ tion des Staates besteht also in der selbständigen Organisation und Aktivie­ rung des gebietsgesellschaftlichen Zusammenwirkens, begründet in der ge­ sellschaftlichen Notwendigkeit eines (…) status vivendi für alle Interessen­ gegensätze auf einem sie alle umgreifenden Erdgebiet, das, solange es keinen Weltstaat gibt, durch andere Gebietsherrschaftsverbände gleicher Art begrenzt wird.“37 Dies bedeutet, dass der Staat seinen realen „Sinn“, seinen „Zweck“, in seiner ordnenden und entscheidenden Funktion besitzt. Der Staat erhält so seine konkrete Formierung in der soziologischen Wirklich­ keit, ein transzendenter Sinngehalt ist dabei nur von sekundärer Aussage­ kraft.38 licht die Gestaltqualität des Staates anhand des Beispiels der transponierten Melodie von Christian von Ehrenfels. In ihr sei an der Summe der „Elemente“ nichts gleich geblieben, und doch werde die Melodie als identische erkannt. Die Melodie dürfe nicht gedacht werden als sich sekundär auf der Summe der Einzelstücke aufbauend, sondern es sei anzunehmen, dass das, was im Einzelnen vorhanden sei, schon we­ sentlich davon abhänge, wie sein Ganzes sei. Im darauf folgenden Absatz spricht Hermann Heller davon, dass an den Unterschied zwischen der Melodie als Sinnge­ bilde und dem Staat als Sozialgebilde erinnert werden müsse. Insgesamt sei die Gestalt aber weder aus „Elementen“, noch die „Elemente“ aus der Gestalt abzulei­ ten. Vielmehr müsse jede Aussage über die „Momente“ notwendig den Gestaltzu­ sammenhang bereits einschließen und umgekehrt (H. Heller, SL, ebd., S. 63 f.; Hervorhebungen im Original; zum Melodiebeispiel Ch. von Ehrenfels (Fn. 33), Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie 1890 (14), 249 (251 ff.)). 35  P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 196 (Hervorhebung im Original). 36  P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 197; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 192. 37  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 203. 38  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 43  f.; P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 193 f. „Der Staat ist zwar kein Sinngebilde, er hat aber einen Sinn. (…) Nun aber muss sich zeigen, dass das Sinnverstehen der Wirklichkeitswissenschaft einen durchaus ande­ ren Charakter trägt als das der Sinneswissenschaften. In der wirklichkeitswissen­ schaftlichen Staatslehre wird Sinn aus Wirklichkeitszusammenhang, in der sinnes­ wissenschaftlichen Rechtswissenschaft wird Sinn aus Sinnzusammenhang verstan­ den. Es muss, wer den Sinn des Staates wissenschaftlich feststellen will, letztlich immer auf wirkliches menschliches Verhalten und seine Zielsetzungen stoßen. Die subjektiven Zwecke der Einzelnen und der ‚Zweck‘ des Staates müssen bei diesen

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Die Annahme einer naturstaatlichen Systemausrichtung eines Staates ist ohne ein Eingehen auf seine territoriale Dimension nicht möglich. Aus die­ sem Grund ist an dieser Stelle die Gestaltfigur des Staates bei Hermann Heller unter Beachtung des Staatsgebiets noch genauer zu betrachten. Der Staat in seiner realen Erscheinung als durch die historische Tradition ge­ prägtes, kulturelles Sozialgebilde findet für Hermann Heller in der „Gestalt“ von Christian von Ehrenfels seinen wirklichkeitsgetreuen Ausdruck, wobei er sich insoweit als eine wirkende Organisations- und Ordnungseinheit dar­ stellt. Im Mittelpunkt stehen stets die menschlichen Verhaltensweisen, die sich letztlich als soziologische Wirkmechanismen für die den Staat konsti­ tuierenden Ordnungsvorstellungen herausbilden. Dies bedeutet, dass es pri­ mär auf die Leistungseffekte der sich in der staatlichen Einheit potenzieren­ den Einzelkräfte ankommt, die von besonderen Organen zu einem einheit­ lichen Leistungs- und Wirkungszusammenhang aktualisiert werden und da­ durch die politische Machteinheit formen.39 Das den Staat konstitutiv Betrachtungen peinlichst geschieden werden. Unter Zweck verstehen wir den vor­ weggenommenen Willenseffekt, also dasjenige, was von einem realen Subjekt kon­ kret psychisch, bewusst und auch unterbewusst, zu erreichen beabsichtigt wird. Wenn wir vom objektiven Zweck oder besser vom Sinn des Staates sprechen, so meinen wir damit nicht die zahllosen Zwecke, die viele oder alle Menschen mit dem Staat zu erreichen beabsichtigen, sondern denjenigen ‚Zweck‘, den der Staat inner­ halb des wirklichen, von Menschen bewirkten und auf sie wirkenden gesellschaftli­ chen Zusammenhanges zu erfüllen hat.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 43 f.; Hervorhebun­ gen im Original). Im naturstaatlichen Sinne bedeutet dies, dass der Staat eine ein­ heitliche Wirkungs- und Organisationsinstitution ist, die in dialektischer Aufnahme der soziologischen Wirklichkeitsmechanismen die staatliche Einheit auch unter Be­ achtung der naturstaatlichen Idee stets erneuert und damit zur Geltung bringt. 39  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 231 f.; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsen­ tation, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Hannover, Heft 11, Han­ nover 1983, S. 12 ff.; K. Groh (Fn. 1), S 157 ff.; H. Wendenburg (Fn. 2), S. 194 f.; W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 160 f.; I. Staff, Der soziale Rechtsstaat (Fn. 5), S. 25 ff.; W. Hill (Fn. 3), S. 169 ff.; M. Llanque (Fn. 7), S. 172 ff.; vgl. auch M.  Porsche-Ludwig (Fn. 19), S. 202 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 25 ff. In diesem Zusammen­ hang hebt Hermann Heller (H. Heller, SL, ebd., S. 181 f.) die Bedeutung der öffent­ lichen Meinung für den Bildungsprozess einer staatlichen Einheit hervor: „Dass in einer demokratisierten Gesellschaft unabhängig von der Herrschaftsform eine mög­ lichst einheitliche öffentliche Meinung zu den wesentlichen Bedingungen für die Konstituierung der staatlichen Einheit gehört, darf gewiss nicht verkannt werden. Die öffentliche Meinung ist umso uneinheitlicher, je geringer die Willens- und Wert­ gemeinschaft eines Volkes, je größer vor allem seine sozialen Klassengegensätze sind. Der Mangel an sozialer Homogenität hat zur Folge, dass sich in den einzelnen Klassen und Parteien verschiedene und gegensätzliche öffentliche Meinungen poli­ tisch verfestigen und gegeneinander verhärten. Namentlich in einer demokratischen Gesellschaft kann die einheitliche öffentliche Meinung niemals bloß das rationale Organisationsprodukt der staatlichen Herrschaft sein. Soll sie doch im demokrati­ schen Staate umgekehrt die herrschaftliche Organisation ihrerseits legitimieren und



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)161

bildende Moment ist dabei die ideelle Ordnung, der normative Sinnzusam­ menhang, der die organisatorische Einheit des Staates bewirkt und in der tragen. Deshalb muss dort und in dem Maße, als sich die öffentliche Meinung für die staatliche Einheit nicht als tragfähig erweist, an die Stelle der demokratischen Zustimmung der autokrative Zwang treten. (…) Unabhängig (aber) von der eigen­ gesetzlichen Organisation und Repräsentation des Staates gibt es keine aktionsfähige Einheit der öffentlichen Meinung. Aufgabe sowohl der gesellschaftlichen wie der politischen Führung ist es (daher), der öffentlichen Meinung in den staatlichen Le­ bensfragen durch Leitung und Erziehung eine feste und möglichst einheitliche Ge­ stalt zu geben.“ Diese Passage macht deutlich, warum Hermann Heller angesichts der Forderung einer „sozialen Homogenität“ als Vater des demokratischen Grundsät­ zen entsprechenden sozialen Rechtsstaats bezeichnet wird; vgl. etwa E. Hennig (Fn. 1), Neue politische Literatur 1971 (16), 507 (510); ders., Nationalismus, Sozi­ alismus und die „Form aus Leben“ (Fn. 2), S. 102 / 105 ff.; W. Fiedler, Die Wirklich­ keit des Staates, ebd., S. 149 / 161 ff.; I. Staff, Der soziale Rechtsstaat, ebd., S. 25 ff.; dies., Demokratische Staatsrechtslehre (Fn. 1), JuS 1984, S. 669 ff.; K. Groh, ebd., S.  165 ff., v. a. auch S.  172 ff.; T. Rasehorn (Fn. 1), Recht und Politik 1983 (19), 162 (163); C. Franzius (Fn. 1), S. 650 f.; M. Porsche-Ludwig, ebd., S. 209 f.; H. Wendenburg, ebd., S. 194 f.; M. Llanque, ebd., S. 174 f. Soziale Homogenität wird unterdes­ sen nicht in einem sozialistischen Sinne als Abbau von wirtschaftlichen Unterschie­ den definiert, sondern als „sozial-psychologischer Zustand, in welchem die stets vorhandenen Gegensätzlichkeiten und Interessenkämpfe gebunden erscheinen durch ein Wirbewusstsein und -gefühl, durch einen sich aktualisierenden Gemeinschafts­ willen. (…) Entscheidend auch für die soziale Homogenität wird jedes Mal die Sphäre sein, in welcher das Bewusstsein der Epoche vorwiegend beheimatet ist. (…) Der gegenwärtige Zeitgeist, mag er sich idealistisch oder materialistisch gebärden, kennt in Wahrheit immer nur die naturalistische Realitätssphäre. Der geistige ‚Über­ bau‘ verflüchtigt sich zum Derivat, zur machtlosen Ideologie und Fiktion über dem ökonomischen, sexuellen oder rassemäßigen Sein, welche Seinsarten auch für die soziale Homogenität in steigendem Maße ausschlaggebend wurden. Soweit diese Ideologienlehren den positivistischen und historistischen Aberglauben enthüllt, ist sie der menschlichen Hybris überaus gesund.“ (H. Heller, Politische Demokratie (Fn. 3), S. 41 f.; Hervorhebung im Original; erläuternd W. Hill, ebd., S. 178 ff.). Sie­ he hierzu auch D.  Lehnert, Sozialismus und Nation. Hellers Staatsdenken zwischen Einheit und Vielfalt, in: M. Llanque (Hrsg.), Souveräne Demokratie und soziale Homogenität – das politische Denken Hermann Hellers, Baden-Baden 2010, S. 181 ff. Gleichzeitig verdeutlicht aber der alternative Rekurs auf eine autoritär-diktatorische Staatsgestaltung die Ambivalenz in der Staatslehre von Hermann Heller; hierzu nur W. Hill, ebd., S. 171 ff.; vgl. auch grundsätzlich die rezensierenden bzw. eigenen Ausführungen bei E. Hennig, ebd., Neue politische Literatur 1971 (16), S. 507 ff.; relativierend erscheint dagegen die Darstellung bei I. Staff, Der soziale Rechtsstaat, ebd., S. 25 ff. / 30 / 33 / 37 / 41. Siehe zum grundsätzlich ablehnenden, gleichsam aber auch missdeutungsoffenen Verhältnis von Hermann Heller zum Faschismus bzw. zum Nationalsozialismus H. Heller, Rechtsstaat oder Diktatur?, Tübingen 1930, S.  3 ff.; ders., Europa und der Faschismus, 2. Aufl., Berlin 1931; ders., Nationaler Sozialismus, in: Ch. Müller (Hrsg.), Hermann Heller – Gesammelte Schriften, Bd. I: Orientierung und Entscheidung, 2. Aufl., Tübingen 1992, S. 571 ff.; W. von Bauer, Wertrelativismus und Wertbestimmtheit im Kampf um die Weimarer Demokratie, Berlin 1968, S. 383 ff. / 417 ff.; W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechts-

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

Folge auf Dauer gewährleistet, ohne aber die Wirklichkeitsbetrachtung des Staates in Zweifel zu ziehen.40 Auf diese Weise bildet sich der Staat dann als in Gestaltform hervor, die mehr ist als eines ihrer wirkenden Teilelemen­ te, zu denen die geographische Eingebundenheit und das positive Recht als einzelne Natur- und Kulturbedingungen gehören, nämlich eine von einem relativen Gesamtwillen der einzelnen Menschen getragene souveräne Ent­ scheidungs- und Wirkungseinheit, die als legitimer Gebietsherrschaftsver­ band bezeichnet werden kann.41 In dieser Funktion ist der Staat der „Herr­ scher“ über den Raum, so dass auch Hermann Heller unter Rekurs auf Niccolò Machiavelli einen raumtheoretischen Ansatz des Staatsgebiets ver­ tritt.42 Hermann Heller differenziert hier nun zwischen der primären und der sekundären Natur, wobei Erstere die physische Eigenschaft, die Natur in ihrem von den Menschen ursprünglich vorgefundenen Zustand begreift, während die sekundäre Natur bereits ein Kulturprodukt, die politische Ma­ nifestation der zivilisatorischen Entwicklung darstellt.43 In dieser Unter­ scheidung spiegelt sich gleichzeitig die methodische Herangehensweise Hermann Hellers wider, wonach der Staat weder als lediglich unselbständi­ 2. Aufl., Baden-Baden 1983, S. 278 ff.; P. Steinbach, Sozialdemokratie und Verfassungsverständnis – Zur Ausbildung einer liberal-demokratischen Verfassungs­ konzeption in der Sozialdemokratie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Opladen 1983, S. 53 / 57 ff.; M.  Llanque, Die politische Theorie der Integration (Fn. 16), S. 329; W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates, ebd., S. 155 / 159 ff.; K. Meyer (Fn. 1), Politische Vierteljahresschrift 1967, 293 (308 f.); differenzierend E. Hennig, ebd., Neue politische Literatur 1971 (16), 507 (514 f.); ders., Nationalismus, Sozia­ lismus und die „Form aus Leben“, ebd., S. 102 / 105 ff. 40  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 233; M.  Llanque (Fn. 7), S. 173 f.; I. Staff, Demokra­ tische Staatsrechtslehre (Fn. 1), JuS 1984, 669 (670). Hermann Heller schreibt in seiner Staatslehre dazu: „Die Tatsache aber, dass jede Organisation zu ihrer Verste­ tigung einer objektiven Ordnung bedarf, widerlegt in keiner Weise die Feststellung, dass die Organisation als Handlungsgefüge ihre wirkliche, nämlich aktuelle Einheit in nichts anderem besitzt als in dem durch Organe einheitlich aktualisierten Zusam­ menwirken der Beteiligten. Die Einheit der objektiven Ordnung ist die ideelle Ein­ heit eines normativen Sinnzusammenhangs, die Einheit der Organisation ist die wirkliche Einheit eines bewirkten Wirkungszusammenhanges.“ 41  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 234  ff.; ders., Die Souveränität – Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin u. a. 1927, S. 110 ff. (auch unter Be­ rücksichtigung bundesstaatlicher Aspekte); H. Nawiasky, Grundlegung (Fn. 19), S.  139 ff.; W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 164; A.-J. Korb (Fn. 1), S. 156; W. Hill (Fn. 3), S. 170 ff. Zum Staat als Entscheidungs- und Wirkungseinheit ausführlich auch U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im euro­ päischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 114 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 39), S. 25 ff. 42  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 129 / 236 f.; ders., Politische Demokratie (Fn.  3), S. 35. 43  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 140 / 144. staat,



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)163

ger Reflex von naturgesetzlichen Ordnungen, wie es dem Ansatz der natu­ ralistischen Metaphysik entspricht, noch als ein von der physischen Eigen­ schaft der Natur losgelöstes, politisches Eigengesetzlichkeitsgebilde angese­ hen werden kann.44 Der Staat ist vielmehr auf das im Rahmen des gesamt­ gesellschaftlichen Zusammenhangs wirkende Teilelement der natürlichen Lebensgrundlagen bezogen, der „Herrschaftsraum“ ist der Ort, in dem der „Staat als eine konkrete, in Zeit und Raum wirksame Einheit gegeben ist.“45 Für Hermann Heller kommt deshalb der primären Natur in erster Linie die Bedeutung eines originären Indikators zu, ob ein bestimmtes Ge­ biet als Siedlungsraum überhaupt in Betracht kommen kann.46 Insoweit spielt insbesondere auch das Klima eine für den konkreten Standort bestim­ mende Rolle, das sich einerseits in der direkten Wirkung auf den Menschen äußere, wonach allzu viel wie allzu wenig Wärme, Licht und Feuchtigkeit die staatliche Entwicklung wesentlich beeinträchtigen könne, wobei ande­ rerseits der indirekte Einfluss des Klimas auf das staatliche Verhalten durch die Wirkung auf die Wirtschaft noch wichtiger sei, namentlich durch seine Bedeutung für die weitere Entwicklung der Flora und Fauna, sowie durch seine Folgen für die wirtschaftlichen und strategischen Verkehrsverhältnis­ se.47 Für die staatstheoretische Erkenntnis jedoch sind die primären natür­ lichen Lebensgrundlagen nur sekundär und mittelbar heranzuziehen, weil „alle Naturbedingungen nur auf dem Umweg über das menschliche Handeln politisch wirksam werden.“48 Der Staat als reales Einheitsgefüge, das sich durch die menschlichen Handlungen unter dialektischer Vermittlung mit der dem Staat die politische Struktur gebenden positiven Rechtsordnung als ideellem Bewertungsschema in der Form eines wirklichkeitsgetreuen Abbil­ des des gemeinschaftlichen Lebens ergibt, ist so in seiner physischen Ab­ 44  H. Heller,

SL (Fn. 2), S. 139. SL (Fn. 2), S. 139. 46  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 144. 47  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 146 f. 48  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 140. Andererseits führt Hermann Heller (H. Heller, SL, ebd., S. 147) aus, dass in früheren Jahrhunderten der Reichtum an Edelmetallen in erster Linie oft eine Steigerung der Staatsmacht bedeutete, und dass im Zeitalter der angewandten Naturwissenschaften die gleiche Wirkung von Kohle, Eisen und Erdöl ausgehen könne. Damit weist er den primären Naturfaktoren aber doch wieder eine unmittelbare staatsbildende Bedeutung zu, wenngleich auch die Bodenschatz­ vorkommen wieder nur durch den Menschen innerhalb des staatlichen Gesamtzu­ sammenhangs wirksam werden. In Anbetracht der Wirksamkeit der primären Natur ausschließlich auf dem Umweg über die menschlichen Verhaltensweisen ist für Hermann Heller dann „auch die Lehre vom Gebiet als dem ‚Körper‘ des Staates, dem er als ‚Höriger‘ dient“, abzulehnen. Demnach gehe diese Lehre auf die in der Geopolitik so beliebten biologischen Organologien zurück, wonach die Staaten ge­ nau wie die Menschen sinnlich-vernünftige Wesen seien (H. Heller, SL, ebd., S. 143 f.; Hervorhebungen im Original). 45  H. Heller,

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

hängigkeit vom Boden konstituiert, ohne dass der Raum aber das einzige, auch nicht das wichtigste Einheitsmoment bildet. Dennoch aber sei die Raumgenossenschaft wesentliche Bedingung der staatlichen Einheit, die auch tiefgreifende soziale, nationale und sonstige Disparitäten zu überbrü­ cken vermöge, weshalb das Wesen des Staates als einer gebietsuniversalen Entscheidungs- und Wirkungseinheit mit auf der Schicksalsgemeinschaft mit dem Boden beruhe.49 Mit anderen Worten ist die sekundäre Natur die entscheidende Wesensformung des Staates, der Blick der Staatstheorie muss sich daher vorrangig auf den Staat als einem wirksamen Sozialgebilde rich­ ten. Die primäre Natur aber wird zwar als nicht wegzudenkendes Element für die staatliche Existenz betrachtet, ihre Bedeutung im Staat erhält sie aber nur über den Gesichtspunkt der staatlichen Einheitsbildung. Aus der originären Natur wird auf diesem Wege die natürliche Kultur, das politische Abbild staatlicher Einheitsbildung, die Heimat, das Vaterland, während die physikalisch-biologische Komponente der Natur als einem staatlichen Grun­ delement von einem entsprechenden ideellen Sinnzusammenhang im Staat nur begrenzt erfasst wird. Im Ergebnis ist es daher das Verdienst von Her­ mann Heller, in staatstheoretischer Klarheit das Zusammenspiel von dem Staat und den natürlichen Lebensgrundlagen herausgearbeitet zu haben. Für den hier interessierenden Kontext einer naturstaatlichen Entwicklung des Deutschen Reichs wird sich zeigen, inwieweit das herkömmliche Verständ­ nis des Staatsgebiets als kulturellem Herrschaftsraum sich einer mehr öko­ logischen Staatsidee angenähert hat.

49  H. Heller, SL (Fn. 2), S. 144. Hermann Heller nähert sich in der Beschreibung des Staatsgebiets der „Kompetenztheorie“ von Hans Kelsen an. Die Ausführungen indizieren ein nur relatives Einheitsverständnis des Staates, das sich dann auf einem bestimmten Raum zeigt. Ergänzend fügt Hermann Heller hinzu: „Aber auch in ei­ nem Staat, dessen Gebiet aus geographisch nicht zusammenhängenden Räumen be­ steht, bewährt sich die Umschlussfunktion des Raumes, in dem die meisten staatli­ chen Gebote territoriale, nicht personale Geltung haben.“ (H. Heller, SL, ebd., S. 144 f.). An dieser Stelle bleibt letztlich zu erwähnen, dass Hermann Heller dem damaligen Rassenwahn ablehnend gegenüberstand, da er angesichts der völligen Haltlosigkeit und Unsinnigkeit seiner ideologischen Grundlagen als Gefahr für die Einheit des politischen Staatskörpers anzusehen war; H. Heller, SL, ebd., S. 148 ff.; D. Lehnert (Fn. 39), S. 182; insoweit auch teilweise mit kritischem Unterton W. Hill (Fn. 3), S. 173 ff.; vgl. auch P. Badura, Methoden (Fn. 2), S. 190 Fn. 294. Letztend­ lich war Hermann Heller „einer der mutigsten und schonungslosesten Verteidiger der Weimarer Republik gegenüber der immer stärker werdenden nationalsozialistischen Bedrohung.“; so W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 156 / 159 f.; vgl. zu Letzterem auch I. Staff, Demokratische Staatsrechtslehre (Fn. 1), JuS 1984, 669 (671 f.); K. Meyer (Fn. 1), Politische Vierteljahresschrift 1967, 293 (308 f.).



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)165

II. Naturstaatsbegriff Eine naturstaatliche Ausrichtung des Staates, die sich gleichsam als inter­ mediäre Systemgrenze für die wirtschaftsstaatliche Entwicklung entpuppt, setzt damit nach der Staatslehre Hermann Hellers voraus, dass sich im Rahmen des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs Naturschutzaktivitä­ ten tatsächlich abspielen. Ob die Naturschutzidee dabei in der geschriebenen Verfassung bzw. einfachgesetzlich ihren Ausdruck findet, ist für die Errich­ tung einer dauernden Naturstaatsordnung von erheblicher Bedeutung, wenn­ gleich für Hermann Heller das dominierende Moment innerhalb des Staates in der soziologischen Wirklichkeit zu finden ist. Überlagert wird das staat­ liche Gebilde durch eine materielle Werteordnung, die als außerrechtlich normierte Verfassung dem Staat nicht nur ursprünglich ein „verfasstes“ Gepräge verleiht, sondern gleichsam das gesamtgesellschaftliche Staatsge­ schehen quasi als legitimitätsstiftender Faktor überstrahlt. Auf diese Weise entsteht letztlich eine Staatsverfassung, in der der Naturschutz zu einer wirkenden Kraft heranreift, wobei seine Integrationsfähigkeit innerhalb der politischen Einheit an dem progressiven Status seiner Entfaltung in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu messen ist. Nach dem Staatsmodell Hermann Hellers ist der Staat ein historisch ge­ prägtes Sozialgebilde, in dem sich unterschiedliche politische Prozesse un­ ter Wahrung der geschichtlich geistigen Präsenz zu einem neuen Identitäts­ ganzen kontinuierlich herausbilden. Auf diese Weise entsteht eine politi­ sche Ganzheit, die sich als stets gegenwärtiges kulturelles Produkt zeigt und damit zu einer homogenen Entwicklung des Staates als einem Kultur­ gebilde beiträgt. In diesem Sinne ist der Staat gegenüber den vorgegebenen Naturbedingungen ein vergeistigtes Sinnobjekt, das aber gleichsam von der originären Beschaffenheit der natürlichen Lebensgrundlagen als materiel­ lem Einheitsfaktor bestimmt wird. Die Natur wird in der Staatslehre von Hermann Heller daher in ihrer unbestreitbaren real-physischen Ist-Existenz erfasst, die einer ausschließlich normativen Betrachtung nicht zugänglich ist. Zwar ist die ursprüngliche Natur als materielles Teilmoment der staat­ lichen Wirklichkeit nach der zeitbedingten Ansicht Hermann Hellers für die staatstheoretische Erkenntnis nur sekundär. Doch ist es gerade dieser grundsätzliche Gedanke und Besinnungswandel hinsichtlich der elementa­ ren Funktion der Natur für das staatliche Dasein, der als unabdingbare Voraussetzung für eine naturstaatliche Entwicklung anzusehen ist und be­ reits in der wirklichkeitswissenschaftlichen Staatslehre von Hermann Heller eindeutig durchschimmert. Demnach sind es vor allem die klimatischen Bedingungen, die für die Konstituierung der Staatsverfassung maßgeblich sind. Denn in Wüsten, Eisregionen u.Ä. ist ein Staat letztlich nur schwer zu verwirklichen. Gleichzeitig sind die natürlichen Lebensgrundlagen als

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

versinnlichtem Kulturraum aber auch Abbild der nationalen Entwicklung, der Heimat, des Vaterlandes, was sie in den Rang eines fundamentalen Identitätsmoments des modernen Staates erhebt. Damit nach dem empiri­ schen Staatsverständnis von Hermann Heller eine mehr ökologisch orien­ tierte Systemkonfiguration des Staates auch tatsächlich angenommen wer­ den kann, bedarf es in der realen Seinswelt zunächst bestimmte, auf die Problematik des Naturschutzes gerichtete Verhaltensweisen der Menschen, die sich in der gesellschaftlichen Sphäre mit der Zeit in dynamischer Art zu potenzierten Leistungseffekten herausbilden und als soziologische Wirk­ mechanismen für die staatlichen Einheitsbestrebungen von den besonderen Organen zu konkreten Ordnungsbedingungen, zu „Recht“, aktualisiert wer­ den. Die normative Ordnung ist so das konstitutive Organisationsmoment des Staates, das diesem eine politische Struktur dauerhaft verleiht, ohne aber für Hermann Heller die Wirklichkeitsbetrachtung in Frage zu stellen. Zwar besitzen für ihn die kulturellen Handlungen der einzelnen Menschen auch eine objektive Wertgesetzlichkeit, die sich von dem realen, subjekti­ ven Moment der eigentlichen menschlichen Verhaltensweisen unterschei­ det. Allerdings ist der objektive Geist für ihn in erster Linie eine wissen­ schaftliche Abstraktion, dessen Eigenwert hinter der soziologischen Reali­ tät, der Dezision50, dem Willen, zurücktritt, ohne den eine Norm nicht Geltung erlangen kann. Dies bedeutet, dass etwaige Naturschutzgesetze das „verarbeitete“ Produkt subjektiver Willensäußerungen der Menschen sind, die dem Staat die rechtliche Struktur verleihen und damit als progressiver Ausdruck des politischen Status der Naturschutzidee gelten können. Gleich­ zeitig verleiht die fortschreitende Normativität der naturstaatlichen Herr­ schaftsordnung die nötige Legitimität, sofern sich der im positiven Recht manifestierende Naturschutzgeist unter Vermittlung der materiellen Werte­ ordnung als systemimmanentes und legitimes Erfordernis herauskristalli­ siert. Es ist aber auch möglich, dass der ökologische Gedanke sich mit der Zeit zu einem „Moment der Naturstaatlichkeit“ entwickelt, das selbst als ein Element der materiellen Werteordnung angesehen werden muss.51 In 50  Hermann Heller wird vereinzelt der Vorwurf des Dezisionismus gemacht; so A.-J. Korb (Fn. 1), S. 153 ff.; ablehnend dagegen W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates (Fn. 1), S. 160 / 162; M.-E. Geis, Der Methoden- und Richtungsstreit in der Weimarer Staatslehre, JuS 1989, 91 (95); kritisch ebenso P. Portinaro, Staatslehre und sozialistischer Dezisionismus. Randbemerkungen zu Hellers Rechts- und Staats­ theorie, in: Ch. Müller (Hrsg.), Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984, S. 574 / 580 f.; relativierend auch H. Wendenburg (Fn. 2), S. 199 f.; C. Franzius (Fn. 1), S. 642. Peter Badura spricht dagegen bei der Staatslehre Hermann Hellers von einer „geisteswissenschaftlichen“ soziologischen Staatslehre (P. Badura, Metho­ den (Fn. 2), S. 191 Fn. 302; Hervorhebung im Original). 51  Für Hermann Heller wird die Unentbehrlichkeit der überpositivistischen Rechtsgrundsätze für die geschriebene Verfassung durch formelle oder aber mate­



§ 8 Der soziologische Naturstaatsbegriff (Hermann Heller)167

diesem Fall steht die gesamte staatliche Macht bereits ursprünglich unter dem Legitimitätsvorbehalt der naturstaatlichen Ausrichtung, weshalb sich sämtliche staatliche Regulierungsakte an dem ökologischen Gedankengut messen lassen müssen. Ein Naturstaat ist nach der Staatslehre von Her­ mann Heller deshalb letztlich ein staatliches Gemeinschaftsgebilde, dessen Staatsverfassung unter dem Vorbehalt eines soziologischen Naturschutzbe­ wusstseins steht. In diesem Sinne verfolgt der Staat dann einen objektiv fassbaren, realen Sinn, der sich aus dem Wesen als einer regulierenden Organisations- und Ordnungseinheit ergibt. Dies bedeutet, dass der Staat einen Staatszweck Naturschutz realisiert, wenn er den Naturschutz als geistige Erscheinung in rechtlich geordneten Bahnen ermöglicht und somit eine relative Einheitsbildung unter Abwägung der unterschiedlichen Inter­ essen sichert.52 Denn nach dem wirklichkeitswissenschaftlichen Ansatz von Hermann Heller bleibt die „tatsächliche“ Projektion des Staates stets ent­ scheidend, womit der objektive Sinngehalt als geistiges Abstraktum be­ wusst vernachlässigt wird. Exemplarisch zeigt sich dies, wenn der geplan­ te Bau eines Kohlekraftwerks aus etwaigen Naturschutzgründen abgelehnt wird. Auf die Frage, warum der Staat nun ein Naturstaat ist, ergibt sich die Antwort, weil er so ist, nicht weil er so sein soll. Dass aber doch das maßgebliche Deutungsschema die Rechtsordnung ist, was Hermann Heller mit der Einräumung eines normativen Sinnzusammenhangs im Staat selbst sieht, dass sich der Naturschutzgedanke als logische Folge der zerstöreri­ schen Einflüsse der wirtschaftlichen Expansion herausbildet, dass sich so­ mit eine das subjektive Empfinden überlagernde objektive Wertgesetzlich­ keit zeigt, die sich in der ideellen Ordnung manifestiert, wird von Her­ mann Heller zwar nicht ignoriert, aber als sekundär abgetan. Auf diesen Zusammenhang wird einzugehen sein, genauso wie auf den nicht zu be­ streitenden Umstand, dass die natürlichen Lebensgrundlagen eine originäre Ist-Existenz besitzen, ohne die eine rechtlich verfasste Macht nicht denk­ bar ist.

rielle, den Inhalt des Rechtsgrundsatzes formulierende, Verweisungen in der Verfas­ sung zum Ausdruck gebracht. In diesem Sinne enthielt die Weimarer Reichsverfas­ sung materielle Bezugnahmen vor allem im zweiten Hauptteil und damit im Grund­ rechtsteil. Daneben gab es auch formelle Verweisungen, die ohne den inhaltlichen Gehalt festzulegen, auf die guten Sitten, auf Treu und Glauben oder auf die Ver­ kehrssitte das Augenmerk zu legen versuchten (H. Heller, SL (Fn. 2), S. 256 f.). Bereits an dieser Stelle bleibt anzumerken, dass es einer besonderen Kontrollinstanz nicht möglich ist, die Konformität des positiven Rechts mit der materiellen Werte­ ordnung allgemeingültig zu überprüfen und auch festzulegen. 52  Vgl. D.  Lehner (Fn. 39), S. 202 ff.

§ 9 Aus Sicht der Reinen Rechtslehre: Methodische Divergenzen als Anknüpfungspunkte verschiedener Naturstaatsbegriffe Die Allgemeine Naturstaatslehre diente vor dem Folienabbild einer mo­ dernen staatlichen Gemeinschaft der methodisch differenzierten Entschlüs­ selung des durchaus abstrakten Verhältnisses von Natur bzw. naturbedingter Macht einerseits, Geist, Sinn bzw. Wert andererseits, die Natur indessen verstanden als ein reales, organisiertes, funktionales Komplexgebilde eines biologisch-physikalischen Kausalnexus.1 Mit ihrer stringenten naturrecht­ lich-metaphysischen Abstinenz, der ausschließlichen Konzentration auf ei­ nen syllogistischen Formalismus, der sich in einem grundnormativ delegier­ ten und damit kritischen Rechtspositivismus2 manifestiert, scheint die 1  Die Natur ist damit in der Sphäre des Seins eingeordnet und steht der SollensSphäre grundsätzlich wesensfremd gegenüber. Siehe hierzu die Definition von Natur bei Hans Kelsen: „Natur ist, nach einer der vielen Definitionen dieses Gegenstandes, eine bestimmte Ordnung der Dinge, oder ein System von Elementen, die miteinan­ der als Ursache und Wirkung, das heißt also nach einem Prinzip verknüpft sind, das man als Kausalität bezeichnet. Die sogenannten Naturgesetze, mit denen die Wissen­ schaft diesen Gegenstand beschreibt, wie z. B. der Satz: wenn ein Metall erwärmt wird, dehnt es sich aus, sind Anwendungen dieses Prinzips. Die Beziehung zwischen Wärme und Ausdehnung ist die von Ursache und Wirkung.“ (H. Kelsen, Reine Rechtslehre, unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 78). Diese analytische Präzision der Physik kann aber für die natürlichen Lebensgrundlagen keine unbegrenzte Anwendung finden. Denn es herrscht in der Natur zwar das Prin­ zip der Kausalität vor, ohne dass der genaue Geschehensablauf in der Tier- oder Pflanzenwelt, oder aber die konkreten Auswirkungen der menschlichen Einflüsse auf die Natur eindeutig bestimmt bzw. vorkalkuliert werden könnten. Das in der Natur zu findende Naturrecht ist daher wiederum metaphysisch-rechtstheoretisch (vgl. auch H. Kelsen, RR, ebd., S. 80), so wie es auch dem Naturverständnis von Giam­ battista Vico entspricht. Zur Unterscheidung von Kausal- und Normwissenschaft H. Kelsen, RR, ebd., S. 72 f. / 78 ff. / 89 ff.; vgl. dazu auch V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (190). Zur Abgrenzung des kritischen vom dog­ matischen Rechtspositivismus W.  Ott, Der Rechtspositivismus – Kritische Würdi­ gung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatismus, 2. Aufl., Berlin 1992, S. 162. 2  Ausdrücklich in der Terminologie H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 62 ff.; vgl. statt vielen hierzu auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratiethe­ orie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 83 ff. Zur Frontstellung der



§ 9 Aus Sicht der Reinen Rechtslehre: Methodische Divergenzen169

Reine Rechtslehre im naturstaatlichen 21. Jahrhundert erst recht in den Fesseln eines dem Verdikt der Obsoleszenz unterfallenden Methodenansat­ zes zu verhaften. In dieser normativen Einkleidung zeigt sich der Staat als entpersonifizierte Identifikation mit der souveränen positiven Rechtsord­ nung, die sich folienartig abdeckend, als loses, höchst artifizielles Gespinst mit der Eigenschaft einer relativ idealen Objektivität als interpretatorisches Bewertungs- und Deutungsschema über die reale Naturwirklichkeit legt. Daher wird das territoriale Element des Staatsgebiets auch nur kompetenz­ theoretisch im Sinne einer räumlichen Geltungsbeschränkung von Normen verstanden, so dass die originäre Natur als Prototyp eines naturrechtlichen Organismus nur im Rahmen der positiven Rechtsnormenordnung Beachtung finden kann. Nimmt man gleichwohl den normativen Naturstaatsbegriff von Hans Kelsen als grundlegenden, richtungweisenden Ausgangspunkt, verbun­ den mit dem wissenschaftlichen Ehrgeiz und Mandat der Erstellung einer normativ-induktiven Naturstaatslehre, so ergeben sich schließlich gegenüber den sonstigen Staatsentwürfen gewisse methodentypische Erkenntnisse der Abgrenzung, die einerseits zu einer plausiblen Beibehaltung der Axiome der Reinen Rechtslehre, andererseits aber auch zu einer methodisch kongruen­ ten Modifikation anmahnen. In ihrer imperialistisch untermalten Ausformung als einer naturalistischmaterialistischen Organismuslehre begegnet mit der Staatstheorie von Ru­ dolf Kjellén ein dem normativ-positivistischen Ansatz von Hans Kelsen von Grund auf entgegengesetztes Modell einer subtilen Entartungsorganologie.3 Danach kommt dem territorialen Gebiet als dem neben dem Volk zweiten Element der Naturseite im Staat eine absolute Eigengesetzlichkeit im Sinne eines kanalisierenden Gehorsamsbefehls zu, die es seitens des Staates zu loyalisieren und zu versittlichen gilt. Damit einher geht letztlich eine dem Reinheitspostulat widersprechende überpositivistisch-naturrechtliche Deter­ mination, die in ihrer gerechtfertigten, inhaltlichen Dimension den Staat geographisch-naturalistisch überlagert und so das positive Recht materiell mit etwaigen politischen Zweckmäßigkeitserwägungen nivelliert. Auf diese Weise baut sich der durch das Volk sowie das Gebiet in menschlicher Ana­ logie geborene und somit lebendige Staat bei Rudolf Kjellén auf einem naturrechtlichen Metaphysikum auf, das ihn als die überragende Personifi­ Reinen Rechtslehre gegen Konzeptionen des Rechtsrealismus M. Schmidt, Reine Rechtslehre versus Rechtsrealismus, in: R. Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Institutes, Wien 1992, S. 137 ff. Grund­ sätzlich zum Positivismus unter Darstellung des analytischen, kritischen Rechtsposi­ tivismus von Hans Kelsen auch Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, Bern u. a. 2009, S.  100 ff. 3  R.  Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 56.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

kation der Macht in Erscheinung treten lässt. Die Natur erscheint so als konstituierendes Wesensmoment im Staat, der Staat aber gleichsam als Herr über die Natur. Die damit verbundene gekünstelte Hypostasierung des staat­ lichen Apparates lässt diesen als einen mächtigen, autoritär anmutenden Organismus auftreten, dessen geographisch-physikalischen und anthropoge­ nen organischen Triebmomenten in rechtsstaatlich bedenklicher Manier vor dem Hintergrund der nationalen Identitätsfindung keine Grenzen gesetzt sind, da die Macht das Recht stets vorrangig überlagert. Insoweit besteht auch eine immanente Parallele zu der den konkreten Ordnungsgedanken absorbierenden Staatstheorie von Carl Schmitt, wenngleich sich dessen de­ zisionistisches Staatsmodell ausschließlich auf das konstituierende subjekti­ ve Moment eines politischen Willens, einer konkreten Entscheidung des pouvoir constituant gründet, ohne dass es dabei zu einer irgendwie gearteten naturrechtlichen Flankierung kommt. Durch die Annahme einer positiven Verfassung und damit eines absoluten, unverbrüchlichen Wesenskerns des Staates, der eine materielle, substantielle Homogenität indiziert, erscheint das positive Recht bloß als relatives Normenmaterial, als normalzustandsbe­ dingtes Situationsrecht, das nur im Rahmen der positiven Verfassung Gel­ tung besitzt und sich als gerechtfertigt darstellt, womit die ursprüngliche konkrete politische Entscheidung als stets gegenwärtigem, unbedingtem Fixpunkt der in rechtstheoretischer Hinsicht dezisionistisch-normativ zu interpretierenden Rechtsordnung eine geltungsbegründende Legitimität ver­ leiht. Auch wenn das verfassungstheoretische Konstrukt einer positiven Verfassung im Hinblick auf die in ihr zum Ausdruck kommenden Funda­ mentalität einen entsprechenden Ansatzpunkt wie die Grundnorm von Hans Kelsen aufweist, so ist der auf einem radikalen Staatssubjektivismus gebau­ te Staat bei Carl Schmitt gegenüber dem objektiven Normativismus im Sinne der Reinen Rechtslehre doch grundverschieden. Insbesondere duldet die technische Staatsmaschinerie bei Carl Schmitt hinsichtlich des positiven Verfassungskerns keine Fehlertoleranz, sondern die Maßnahmen des auf die politische Einheit als der absoluten Bezugsgröße der originären Entschei­ dung des pouvoir constituant programmierten Staates sind eben entweder richtig oder falsch, d. h. legitim, je nachdem, ob sie sich in Konformität mit der positiven Verfassung befinden oder nicht, was letztlich der rechtsstaat­ lichen, berechenbaren Steuerungsfunktion des Rechts, der – wenn man so will – Legalität, abträglich ist.4 Die damit verbundene ethische Dimension 4  Dies bedarf einer kurzen Erläuterung. Für Carl Schmitt ergibt sich die Legi­ timität eines Rechtssystems aus der positiven Verfassung. Legalität bedeutet dagegen Konformität einer staatlichen Maßnahme mit dem positiven Recht. Ein gesetzesge­ treues Regime ist damit legal, aber unter Umständen nicht mehr legitim, wenn sich eine administrative Maßnahme zwar im Rahmen der gesetzesstaatlichen parlamenta­ rischen Rechtsordnung bewegt, die positive Verfassung unterdessen aber einem sich



§ 9 Aus Sicht der Reinen Rechtslehre: Methodische Divergenzen171

unterscheidet sich schließlich dogmatisch grundlegend von der inhaltsleeren Grundnorm bei Hans Kelsen, die den normativen Formalismus krönt und zu einer abschließenden Vervollkommnung bringt. Aus dem Blickwinkel eines wirklichkeitswissenschaftlichen Methodenan­ satzes, wie er der Staatslehre von Hermann Heller zugrunde liegt, stellt sich die primäre Natur zunächst als ein materielles Moment der politischen Einheit dar, die die zivilisatorische, kulturelle Identität eines Staates durch ihre latent stets gegenwärtigen Gewaltdimensionen unmittelbar wie mittel­ bar beeinflusst. Andererseits erhebt sich über dem Staat eine überpositivis­ tische Werteordnung aus ethisch-materiellen Rechtsgrundsätzen, die den staatlichen Herrschaftsverband im gerechtfertigten Antlitz dieser sittlichen Verfassung von Grund auf normativ entstehen lässt und die positive Rechts­ normenordnung legitimitätsspendend determiniert. In der unreinen Einfär­ bung eines nicht zu leugnenden Methodensynkretismus5 bildet sich der staatliche Verband als eine historisch gewachsene Struktur heraus, eine sich kontinuierlich vollziehenden Zersetzungsprozess ausgeliefert wird. Dies führt dann zu einer im Rahmen der geltenden Verfassung stattfindenden kommissarischen Dik­ tatur. Mit anderen Worten: im Normalzustand fallen bei Carl Schmitt Recht und Rechtsverwirklichung zusammen. Im Ausnahmezustand aber kann es notwendig sein, das positive Recht zu suspendieren, um die Rechtsverwirklichung wieder zu ermöglichen bzw. zu sichern. Damit ist eine staatliche Herrschaft legal und legitim, wenn das positive Recht angewendet wird und die politische Einheit aufrechterhal­ ten bleibt. In diesem Fall gilt das Recht und ist wirksam. Ansonsten aber besteht zwar möglicherweise eine legale Herrschaft, aber ohne entsprechende Legitimität. Siehe hierzu C. Schmitt, Politische Theologie, Nachdruck der 2. Aufl. (1933), 7. Aufl., Berlin 1996, 18 ff.; ders., Legalität und Legitimität, Nachdruck der 1. Aufl. (1931), 8. Aufl., Berlin 2012, S. 19 ff. / 52 ff. / 57 ff. / 64 ff.; N. Campagna, Carl Schmitt – eine Einführung, Berlin 2004, S. 35 ff. / 70 ff.; M. Porsche-Ludwig, Einfüh­ rung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 165 ff. Dieser Zusammenhang wird anhand der folgenden Passage deutlich: „Dennoch ist das Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates damit nicht wieder restituiert. Der jeweilige Wille der jeweiligen Parlamentsmehrheit beruht seit langem nur auf einem Kompro­ miss durchaus heterogener Machtorganisationen, und das Parlament ist zum Schau­ platz eines pluralistischen Systems geworden. (…) Die Parteien suchen die Legalität des jeweiligen Machtbesitzes, vor allem dessen politische Prämien und Mehrwerte nach Kräften auszunutzen, aber sie stoßen in dem gleichen Maße, in welchem sie eben dadurch das Legalitätssystem des parlamentarischen Gesetzgebungsstaates un­ tergraben, auf das dem Legalismus eines Gesetzgebungsstaates entgegengesetzte System einer plebiszitär-demokratischen Legitimität.“ (C. Schmitt, Legalität und Legitimität, ebd., S. 84 f.; Hervorhebung im Original). Zum Zusammenhang von Legalität und Legitimität auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., Mün­ chen 2010, S. 97 f. 5  Ausführlich zum Methodensynkrethismus bei Hermann Heller K. Groh, De­ mokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010, S. 145 ff. Grundsätzlich zum Methodensynkretismus G. Winkler, Wertbetrachtung im Recht und ihre Grenzen, Wien u. a. 1969, S. 6 ff.

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

unter repräsentativer Rückanbindung an die soziologischen Wirkmechanis­ men im Gewordenen dynamisch fortentwickelnde Organisations- und Ord­ nungseinheit, die als konglomeratische Gestalt aus Seins- und Sinngebilden die politische Einheit bewirkt. Der Naturstaat entsteht sonach aus einer vermittelnden Dialektik aus dem realen Sein der Natur und der kulturell gewachsenen Erkenntnis eines gebotenen Schutzes dieses natürlichen Ob­ jekts, wobei sich der subjektive Naturschutzgeist in positiven Rechtsnormen manifestiert. Die Staatstheorie von Hermann Heller führt damit in mehrerer Hinsicht zu einer wahren Konkurrenzlehre zu der staatstheoretischen Kon­ zeption von Hans Kelsen. Neben der methodischen Inkonsequenz ist es vor allem die Annahme einer materiellen Grundnorm in der Form einer überpo­ sitivistisch-sittlichen Werteordnung, die dem Reinheitspostulat der Reinen Rechtslehre zuwiderläuft. Zudem aber kann Hermann Heller mit der Kate­ gorie der Gestalt kein taugliches Kriterium liefern, um die staatliche Einheit auch wirklich zu begründen, sondern der Staat erscheint vielmehr als ein loses, irgendwie aber doch zusammenhängendes Gebilde, ohne dass aber die positive Rechtsordnung als einheitsstiftendes Moment anerkannt wird.6 Diese Problematik wird dagegen durch die geisteswissenschaftliche Metho­ dik bei Rudolf Smend, der den Staat als geistige Ganzheit ansieht, vermie­ den. Für Rudolf Smend lebt der Staat als vergeistigtes Synonym des realen politischen Integrationsprozesses durch das tägliche Plebiszit, wobei die dadurch bedingte reale Verfassung die positive Rechtsordnung unter Ein­ schluss der geschriebenen Verfassung durch die totale Lebensfülle der staatlichen Wirklichkeit materiell determinierend überlagert. Denn mit Aus­ nahme von einzelnen gegenüber dem Integrationsvorgang streng heterono­ men Verfassungsartikeln ist die positive Verfassung nur anleitendes und belebendes Moment des sich dynamisch fortbildenden geistigen Turnus des politischen Lebens, ohne dass dessen immanent angelegte Neigung zur Selbstgestaltung beschränkt wird. Folglich stellt sich bei Rudolf Smend der Staat als buntes Abbild einer durch persönliche, funktionale und sachliche Integrationsfaktoren vermittelten zeitlich-realen Gesetzlichkeit des politi­ schen Lebens dar, dessen stetige Erneuerungen und Fortbildungen sich in dialektischer Verschränkung mit der ideell-zeitlosen Sinn- und Werteord­ nung zu der gesamtgesellschaftlichen objektiv-geistigen Wirklichkeit des Staates offenbaren. Die darin zum Ausdruck kommende materiale Staatsleh­ re unterscheidet sich von dem analytischen und dem Vorwurf der Blutleere unterfallenden Formalismus der Reinen Rechtslehre grundlegend, was sich schließlich auch an der Staatsgebietstheorie von Rudolf Smend zeigt. In einer relativ-naturalistischen Ausformung erscheint das territoriale Element 6  Vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 19 f.



§ 9 Aus Sicht der Reinen Rechtslehre: Methodische Divergenzen173

bei ihm inhaltlich als das bedeutendste sachliche Integrationsmoment, in­ dem es einerseits mit seiner originären Fundamentalität und Beständigkeit sowie seiner konkret vorzufindenden Kapazität aus geographischen und natürlichen Gegebenheiten den politischen Integrationsprozess ermöglicht und beeinflusst, sich andererseits aber auch die staatliche Herrschaft auf dem Staatsgebiet manifestiert, was in Form des emotionalen Gedankens der Heimat wieder auf den realen Lebensvorgang zurückwirkt. Mit einem erneuten Rekurs auf das epistemologisch zweiseitig geprägte Naturstaatsmodell von Georg Jellinek, das gleichsam wieder als gedankli­ ches Bindeglied zur Reinen Rechtslehre von Hans Kelsen herangezogen werden soll, wird dieser einführende Abschnitt zur Naturstaatslehre beendet. Durch das mit der Allgemeinen Staatslehre von Georg Jellinek verbundene interdisziplinäre Gesprächsangebot als Voraussetzung für einen juristisch perspektivierten Pluralismus wird systematisch verdeutlicht, dass es neben der rechtlichen Seite des Staates, d. h. der Staatsrechtslehre, noch eine reale Wirklichkeitswelt, eine Seins-Sphäre gibt, ohne deren Reichtum an materi­ ellen Werten und Inhalten die Sphäre des Sein-Sollens unvollkommen bzw. unerklärbar bliebe. Die zuständigen Staatsorgane können daher in lobbyisti­ scher Rezeption eine relative Staatsaufgabe Naturschutz durch den auf die soziologische Übung gestützten Erlass von positiven Rechtsnormen ver­ wirklichen, das natürliche Staatsgebiet ist aber als konstitutives Element des Staates weit mehr, nämlich ein Geltungsgrund der Rechtsordnung, was sich nach der Zwei-Seiten-Lehre des Staates von Georg Jellinek – hier zugege­ benermaßen im naturstaatlich übertragenen Sinne einer mehr naturalisierten Seins-Betrachtung des „juristischen“ Staatsterritoriums als natürliche Le­ bensgrundlagen  ‒ evident ergibt. Denn die natürlichen Bedingungen im Staat besitzen eine originäre Faktizität, die nicht ausschließlich in der Sphä­ re des Sein-Sollens gedacht werden kann. Gerade darin besteht letzten En­ des dann auch der entscheidende Unterschied zu der insoweit kritischen Staats- und Rechtslehre von Hans Kelsen, die den Entstehungs- und Gel­ tungsgrund der positiven Rechtsnormen nicht nach dem unkritischen Muster einer dogmatischen Figur der normativen Kraft des Faktischen nur auf ein soziologisches Moment stützt, sondern sich darüber hinaus auf eine durch eine hypothetische Grundnorm vermittelte, juristische Normativität gründet, ohne die ein legitimer Rechtserzeugungszusammenhang und sonach auch eine legitime staatliche Normenordnung undenkbar wären. Obgleich der dem Vorwurf des Methodensynkretismus unterfallenden dualistisch aufge­ spaltenen Erkenntnisrichtung7 wird für Georg Jellinek dabei die auch von 7  Siehe zur Kritik von Hans Kelsen an der Zwei-Seiten-Lehre von Georg Jellinek J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 169 ff. Für Hans Kelsen ist eine begriffliche Verbindung, eine Einheit, der von Georg Jel­

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1. Teil, 1. Abschn.: Allgemeine Naturstaatslehre

ihm propagierte Reinheit der Methode nicht aufgegeben,8 sondern in seiner zwischen Sein und Sollen vermittelnden Absicht hält er vielmehr die syn­ linek angenommenen zwei Seiten, d. h. der realen Seins-Sphäre und der ideell-nor­ mativen Ordnung, unter dem einheitlichen Begriff Staat nicht möglich, da die beiden Seiten aufgrund divergierender Richtungen der Erkenntnis begriffliche Gegensätze produzieren. Für Hans Kelsen schafft Georg Jellinek mit der dualistisch aufgespal­ tenen gegenstandskonstituierenden Methode zwar zwei begrifflich auseinanderfallen­ de, materiell aber identische Staatsbegriffe, nämlich einen sozialen (Verbandseinheit) und einen juristischen Staatsbegriff (Körperschaft), was schließlich auf eine Identität von Staat und Recht hinausläuft. Dabei resultiert die materielle Übereinstimmung auf einer den beiden Staatsbegriffen zugrunde liegenden gleichen Zwecksetzung. Siehe hierzu zusammenfassend H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tü­ bingen 1922, S. 75 ff.; M. Stockhammer, Kelsen und die Opposition – Zum Positivi­ tätsproblem, Revue internationale de la théorie du droit 1934 (8), S. 201; J. Kersten, ebd., S.  171 ff.; M.  La Torre, Law as institution, Dordrecht 2010, S. 26 ff. Moritz Stockhammer trat dieser Kritik mit dem Argument entgegen, wonach die ideelle und die reale Betrachtung nicht Gegenstände in dem Sinne liefern, wie es z. B. die ju­ ristischen und physischen Erscheinungen seien. Hier handele es sich wirklich um einen echt begrifflichen Unterschied. Die Sphären des Wertes und der (Wert-)Ver­ wirklichung stellen aber einen ontologischen Dualismus dar. Wer die Faktizität von Rechtsregeln konstatiere, habe zwar den reinen Rechtsboden verlassen und einen neuen Weg eingeschlagen, aber noch nicht in ein anderes Begriffssystem eingegrif­ fen, sondern nur die empirische Seite des Rechtsgegenstandes in Augenmerk genom­ men. Zweiseitentheorie bedeute nicht Zweigegenstandstheorie. Die Kluft zwischen der transempirischen und der empirischen Welt sei von ontologischer und nicht begrifflicher Art, darum begriffstechnisch einheitlich überbrückbar (M. Stockhammer, ebd., Revue internationale de la théorie du droit 1934 (8), 201 (205); Hervor­ hebungen im Original). Die Kritik von Hans Kelsen ist berechtigt, wenn man eine reine Wissenschaft vom Recht etablieren möchte, die sich gemäß dem Reinheitspos­ tulat außerjuristischen Einflüssen entzieht. „Sobald der Staat als Ordnungseinheit, als Norm erkannt ist, liegt keine Möglichkeit mehr vor, ihn als ‚Verband‘ dem Recht als Norm entgegenzusetzen. Staat und Recht fallen beide unter die gleiche Kategorie der normativen Ordnung. Und wenn man (…) das Wesen der Rechtsnorm in ihrem Zwangscharakter sieht, dann sind Recht und Staat gleicherweise Zwangsordnungen im Sinne eines Systems zwanganordnender Normen. Und damit wäre eigentlich schon der Nachweis der Identität von Staat und Recht erbracht. Eine Begriffsbestim­ mung des Staates endet bei einer Definition des Rechtes. Insbesondere ist auch die Souveränität ein Wesensmerkmal ebenso des Staates wie des Rechtes. Dass das Recht eine höchste, von keinem anderen Normsystem ableitbare Ordnung sei, dessen wird man sich hier meist nur bewusst, wenn es gilt, die Selbständigkeit des ‚positi­ ven‘ Rechtes gegenüber den Normsystemen der Moral oder der Religion zu behaup­ ten. (…) In dieser Ausschließlichkeit der Geltung der positiven Rechtsordnung liegt, was man bei der Staatsordnung als Souveränität bezeichnet; Positivität des Rechtes und Souveränität des Staates bedeutet – in einem gewissen Sinne – dasselbe. (…) Wollte man die Identität von Staat und Recht in Frage stellen, beide als zwei ver­ schiedene Zwangsordnungen gelten lassen, so müsste man ihr gegenseitiges Verhält­ nis klarstellen. Da beide – dagegen dürfte wohl kein Widerspruch bestehen – zu­ gleich als geltend vorausgesetzt werden müssen, können sie nur entweder zur Gän-



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thetische Einheit der beiden Perspektiven und damit die methodische Rein­ heit des gegenstandskonstituierenden Blicks aufgrund der Einheit des unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachteten Erkenntnisgegenstands und der Einheit des Bewusstseins des Wissenschaftlers für möglich.9 Unabhängig von der methodischen Richtigkeit der Zwei-Seiten-Lehre von Georg Jellinek verdeutlicht sie schließlich mit ihrer inneren Multivalenz des Diskursange­ bots im Ergebnis wie keine andere Staatstheorie, dass die radikale Zuspit­ zung des Reinheitspostulats von Hans Kelsen bezüglich der originären Natur zu einer wahren Bewährungsprobe führen muss, die zu einer methodisch kongruenten Auflösung des biologisch-physikalischen Kausalnexus der Na­ tur in das vom Staat beanspruchte Reich des Geistes, der objektiven Ideali­ tät, anhält. Der einzuschlagende Weg kann nur über die Grundnorm führen, hier in ihrem äußeren Sinn.

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zusammenfallen oder die eine muss der anderen untergeordnet, d. h. als eine von der anderen, der höheren, delegierte oder Teilordnung gelten. (…) Bei der durchgän­ gigen Bezogenheit, die aber der herrschende Sprachgebrauch zwischen Staat und Recht annimmt, muss der Grundsatz gelten, dass kein Stück des Staates außerhalb des Rechtes und kein Stück des Rechtes außerhalb des Staates fällt. (…) Man sagt wohl gerne – angelehnt an (Ferdinand) Lassalles ebenso oberflächlichen wie wir­ kungsvollen Vortrag über Verfassungswesen – ‚Staat‘: das sind die Kanonen und Bajonette, das sind die Produktionsmittel usw. Allein dabei vergisst man, dass all das nur tote, indifferente Dinge sind und dass nur der Gebrauch entscheidend ist, den Menschen von ihnen machen. Nur in Verbindung mit menschlichen Handlungen kommen Maschinen und Maschinengewehre im Bereich des Sozialen in Betracht. Die Regel oder Norm für diese menschlichen Handlungen ist das Letzte, Entschei­ dende, auf das hier alles ankommt. Und irgendeine ‚Macht‘ liegt nicht in der Exis­ tenz dieser Dinge, dieses Galgens oder jenes Maschinengewehrs, sondern aus­ schließlich und allein darin, dass die Galgen und Maschinengewehr bedienenden Menschen sich von den Normen motivieren lassen, die für sie gelten und die in ihrer Totalität als Zwangsordnung den Staat oder das Recht bilden.“ (H. Kelsen, Der soziologische und juristische Staatsbegriff, ebd., S. 86 ff.; Hervorhebungen im Origi­ nal). 8  G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2.  Aufl., Tübingen 1905, S. 12 ff.; vgl. J. Kersten (Fn. 7), S. 172. „Ein und dasselbe Objekt kann zu einer Fülle von Erkenntnisarten Anlass geben. So groß auch die Differenzen unter ihnen sein mögen, so muss deshalb doch kein Widerspruch unter ihnen statthaben. Je nach dem Gesichtspunkte, unter dem es betrachtet wird, ist auch die Erkenntnis des Objektes eine andere. Und es ist sogar ein schwerer methodologischer Fehler, die Betrachtungsweise eines Erkenntnisgebietes den Forschungen auf einem ganz anderen zugrunde zu legen.“ (G. Jellinek, ebd., S. 13 f.). Siehe hierzu auch H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 13 f. 9  J. Kersten (Fn. 7), S. 172.

2. Abschnitt

Besondere Naturstaatslehre § 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs im Spiegel aufkommender naturstaatlicher Entwicklungstendenzen I. Der Naturschutz im wissenschaftlichen Diskurs um einen deutschen Sonderweg War die im Deutschen Kaiserreich geborene Naturschutzidee ein Legiti­ mitätsmoment des autonomen Staatstypus der konstitutionellen Monarchie, oder spiegelten sich in ihr bereits die parlamentarischen Aufbruchstendenzen wider, die als Vorboten eines ökologischen Zeitalters in Deutschland ange­ sehen werden können? Auf diese antithetisch gekleidete Formel lässt sich die Problemstellung bringen, deren planvolle Erörterung auf eine systemge­ rechte Einordnung des Naturschutzgeistes in das intermediäre Verfassungs­ gebilde des Deutschen Kaiserreichs gerichtet ist. In der wissenschaftlichen Forschung ist heute weitestgehend unstreitig, dass der Naturschutzgedanke in der Deutschen Kaisermonarchie seinen Ausgang genommen hat, wenn­ gleich sich der Ursprungsmythos um den im Jahre 1836 in den Besitz des preußischen Königreichs überführten Drachenfels am Rande des Siebenge­ birges hartnäckig in der Erinnerungswelt der Naturschutzgeschichte konser­ viert.1 Dennoch bestehen aber weiterhin Fragen um die grundsätzliche 1  Eine Darstellung der Naturschutzgeschichte um den Drachenfels im Siebenge­ birge findet sich bei F. Schmoll, Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S.  132 ff.; A. Kuntz, Der Drachenfels – Ein volkskundlicher Beitrag zur Naturschutz­ geschichte, in: M.  Simon / H.  Frieß-Reimann (Hrsg.), Volkskunde als Programm, München u. a. 1996, S. 49 ff. Zum sich um den Drachenfels drehenden Ursprungs­ mythus des staatlichen Naturschutzes siehe W. Schoenichen, Naturschutz, Heimat­ schutz – Ihre Begründung durch Ernst Rudorff, Hugo Conwentz und ihre Vorläufer, in: H. W. Frickinger (Hrsg.), Große Naturforscher, Stuttgart 1954, S. 24 f. („erste deutsche amtliche Schutzgebiet“); M. Wettengel, Staat und Naturschutz 1906–1945, Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (357  f.) („vermutlich erstes Gebiet in Deutschland (…) unter Schutz gestellt“); W. Pflug, 200 Jahre Landespflege in Deutschland, in: A.  Boettger / ders. (Hrsg.), Stadt und Landschaft. Raum und Zeit, Köln 1969, S. 244 („das erste deutsche Naturschutzgebiet“); A. Kuntz, ebd., S. 59 („faktisch ersten Naturschutzgebietes“); H. Fischer, 90 Jahre für Umwelt und Na­



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs177

Einordnung des Naturschutzes in das politisch-gesellschaftliche Obrigkeits­ system des Deutschen Kaiserreichs, die sich in den letzten Jahrzehnten turschutz – Geschichte eines Programms, in: Deutscher Heimatbund (Hrsg.), Bonn 1994, S. 8 f. („erste amtliche Naturdenkmal“ / „älteste deutsche Naturschutzgebiet“); A. Stipproweit, Naturschutzbewegung und staatlicher Naturschutz in Deutschland – ein historischer Abriss, in: J. Calliess (Hrsg.), Handbuch Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung, Bd. I: Grundlagen, Düsseldorf 1987, S. 29 („Erste Resultate wa­ ren die Unterschutzstellung des Drachenfelsens im Rheinland (…)“); G. Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn, Landschafts- und Naturschutz, in: D. Krebs (Hrsg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933, Wuppertal 1998, S. 23 („indem er unter Naturschutz gestellt wurde“); zusammenfassend F. Schmoll, ebd., S. 132; vgl. auch Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege, PrVerwBl. 1927 (48), S. 317; M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, Berlin 1994, S. 70; A. Wurzel, Naturschutz in Deutschland – eine Erfolgsstory?, Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege 75, Meckenburg 2003, S. 5; D.  Lukaßen, Grüne Koalitionen, Siegburg 2010, S. 21. Der Konflikt um den Drachenfels im Sie­ bengebirge offenbarte den Konflikt zwischen dem wirtschaftlichen Abbau des Ber­ ges zu Steinbruchzwecken und der ästhetischen Nationalsymbolik. Als im Jahre 1827 die örtliche Steinhauergewerkschaft unmittelbar im Anschluss an den Erwerb des Berges und der darauf thronenden Ruine mit den Abbauarbeiten der Steine be­ gann, signalisierte der preußische König Friedrich Wilhelm III. sein Interesse an der Erhaltung dieses malerischen Naturdenkmals. Im Jahre 1836 kam es letztlich nach schwierigen Kaufverhandlungen und der zwischenzeitlichen Anordnung eines Ent­ eignungsverfahrens seitens des Königs zu einem Kauf des Drachenfels durch den preußischen Staat für 10.000 Thaler, was einen Sieg der Ästhetik gegen die neue Gewerbefreiheit bedeutete. Das Hauptmotiv der staatlichen Besitznahme lag aber nicht in der Bewahrung der Natur, sondern in der nationalen Symbolkraft historisch gewachsener Zeugen einer tiefverwurzelten Romantik. Das romantische Motiv spiel­ te schließlich auch bei der späteren Unterschutzstellung der Teufelsmauer bei Thale am Nordrande des Harzes durch den zuständigen Landrat im Jahre 1852 die ent­ scheidende Rolle. Dieser behördliche Naturschutzakt wurde dabei gegen den Wider­ spruch von benachbarten Gemeinden durchgesetzt; zu Letzterem W. Schoenichen, ebd., S. 25 f. Diese vereinzelten staatlichen Maßnahmen blieben aber punktuelle Ausnahmen, die kulturgeschichtlich in der deutschen Romantik verwurzelt waren und daher noch nicht als Vorboten der erst im Deutschen Kaiserreich allmählich einsetzenden Naturschutzbewegung angesehen werden können. Walther Schoenichen (W. Schoenichen, ebd., S. 86) beschreibt die Relevanz der ersten Naturschutzgebiete folgendermaßen: „Die ersten wirklichen Naturschutzgebiete sind erst im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden, und zwar handelt es sich dabei um verhältnismäßig wenige vereinzelte Fälle, die nicht im Gange einer planvollen Aktion zustande ge­ kommen sind, sondern zumeist lediglich zur spontanen Abwehr einer bedrohlichen Gefahrenlage.“ Siehe zur Verwurzelung der deutschen Naturschutzbewegung in der Romantik W. Schoenichen, ebd., S. 1 ff.; C. J. Fuchs, Denkmalpflege und Heimat­ schutz, Handbuch der Politik, Bd. II, Berlin u. a. 1913, S. 607; H. Fischer, ebd., S.  7 f.; K. Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, Tübingen 2005, S. 40  f.; W.  Oberkrome, Deutsche Heimat, Paderborn u. a. 2004, S. 36 ff.; K. Ditt, Naturschutz zwischen Zivilisationskritik, Tourismusförderung und Umweltschutz. USA, England und ­ Deutschland 1860–1970, in: M.  Frese / M.  Prinz (Hrsg.), Politische Zäsuren und

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

schließlich auf die Frage nach einem deutschen Sonderweg konzentrierten. Diese Debatte blickt auf eine lange Diskurstradition zurück, die es deshalb zunächst erforderlich macht, den gegenwärtigen Meinungsstand in den un­ terschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen darzulegen, um eine sinnvolle Be­ handlung des neueren Naturschutzanliegens im Rahmen dieses Theorien­ streits zu ermöglichen. In der geschichtswissenschaftlichen Literatur stehen sich in der Auseinan­ dersetzung um die Frage, ob das Deutsche Kaiserreich als Beleg für einen deutschen Sonderweg oder aber nur als kompromissvolle und damit insta­ bile Zwischenlage auf dem Weg zur Parlamentarisierung angesehen werden kann, im Wesentlichen die Ansichten von Hans-Ulrich Wehler und Thomas Nipperdey gegenüber.2 Der für die Kontinuitätstheorie eines deutschen Sonderwegs eintretende Historiker Hans-Ulrich Wehler stellt dabei die mo­ dernisierungsfeindlichen und rückwärtsgewandten, obrigkeitsstaatlichen, militaristischen sowie feudalistischen Elemente des im Deutschen Kaiser­ reich etablierten politisch-gesellschaftlichen Systems in den Fokus der Be­ trachtung, das von der zu beobachtenden Entwicklung in den anderen westlichen Industrienationen erheblich abwich. Daher ergab sich die Bildung eines deutschen Sonderwegs, der als politische Hypothek die pluralistischdemokratischen Tendenzen im Deutschen Reich von vornherein zum Schei­ tern verurteilte. In diesem Sinne stellte die Deutsche Kaisermonarchie einen bürokratischen Obrigkeitsstaat mit Scheinparlamentarismus dar, in dem die breite Masse der bürgerlichen Gesellschaft unfrei gelassen wurde, anstatt sie als Mitherren des Staates anzusehen.3 Eine entgegengesetzte Position nimmt der Historiker Thomas Nipperdey ein, der sich unter dem Postulat historischer Korrektheit und Deutungsgerechtigkeit gegen eine sich im Deutschen Kaiserreich stetig herausbildende und bis zu der Machtergreifung gesellschaftlicher

Wandel im 20. Jahrhundert – regionale und vergleichende Perspek­ tiven, Paderborn 1996, S. 499; R. Schröder, Umweltschutzrecht in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Schübe des Umweltbe­ wusstseins und der Umweltrechtsentwicklung, Bonn 1995, S. 74; A. Stipproweit, ebd., S. 29; J. Wüst, Konservatismus und Ökologiebewegung – eine Untersuchung im Spannungsfeld von Partei, Bewegung und Ideologie am Beispiel der ÖkologischDemokratischen Partei (ÖDP), Frankfurt a. M. 1993, S. 45 ff. 2  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. III: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges 1849–1914, München 1995; T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. II: Machtstaat vor der Demokratie, München 1998; ders., 1933 und die Kontinuität der deutschen Ge­ schichte, Historische Zeitschrift 1978 (227), S. 86 ff. 3  Hierzu zusammenfassend T. Kühne, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918 und seine politische Kultur: Demokratisierung, Segmentierung, Militarisierung, in: Neue politische Literatur, Wien 1998, S. 206 ff.; J. Scholtyseck, Deutsches Kaiserreich 1871–1918, Teil I, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1996, 693 (694); vgl. zum gegenwärtigen Meinungsstand auch F. Schmoll (Fn. 1), S. 38 ff.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs179

der Nationalsozialisten im Jahre 1933 andauernde Kontinuitätslinie ausrich­ tet und in diesem Sinne auf die im Deutschen Kaiserreich bereits vorhan­ denen rechts- und sozialstaatlichen Entwicklungstendenzen verweist.4 Dagegen wird im verfassungsgeschichtlichen Schrifttum der Auseinander­ setzung um einen deutschen Sonderweg ein engeres Verständnis zugrunde gelegt, indem sich der Diskurs auf die Frage kanalisiert, ob die konstitutio­ nelle Monarchie des Deutschen Kaiserreichs „als das eigenartig deutschpreußische System“5 einen autonomen Staatstypus im Sinne einer deutschen Sonderprägung darstellte, oder ob es sich hierbei lediglich um einen unech­ ten Kompromiss, eine vorläufige Entscheidung, ein Provisorium, handelte, das unter dem verhüllenden Mantel einer konstitutionellen Staatsform den inneren Zwiespalt zwischen dem dynastischen, konservativ-elitären Form­ prinzip und dem bürgerlich-liberalen Zeitgeist als „etwas Anderes und Tie­ feres“ verschleierte, was sich in einer systemimmanenten Aufbruchstendenz ausdrückte und als Folge einen zunehmend parzellierten Volkswillen herbei­ führte.6 In der neueren Zeit waren es vor allem die Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber sowie Ernst-Wolfgang Böckenförde, die an diese an­ fängliche Kontroverse anknüpften und mit ihren Ansichten die grundsätzlich bestehende Lagereinteilung verfestigten. In diesem Sinne vertritt Ernst Ru­ dolf Huber den Standpunkt, dass es sich bei dem in der Verfassung des 4  T. Nipperdey (Fn. 2), Historische Zeitschrift 1978 (227), 86 (88  ff.). In der gleichen Argumentationslinie wie der Historiker Thomas Nipperdey verweist eine von anderer Seite vertretene Ansicht auf die dynamischen, modernen, bürgerlichen und demokratischen Entwicklungstendenzen im Deutschen Kaiserreich sowie auf die nicht zu leugnenden Aufbruchsmomente der damaligen Zeit und wendet sich damit gleichsam gegen einen zu idealisierten Vergleichsmaßstab in der Form des west­ lichen Demokratisierungsmodells; hierzu ebenfalls T. Kühne (Fn. 3), S. 206 ff. 5  O.  Hintze, Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung (1911), in: ders., Staat und Verfassung, 3. Aufl., Göttingen 1970, S. 359. 6  C. Schmitt, Verfassungslehre, unveränderter Nachdruck der 1.  Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 31 ff. / 114 / 288 ff.; ders., Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches – Der Sieg des Bürgers über den Soldaten, in: G. Maschke (Hrsg.), Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches, Berlin 2011, S. 5, v. a. S. 9 / 12 / 17 / 19 / 20 / 22; in diesem Sinne auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 337 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 1 / 20 / 27; ders., Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 5; ders., Politische Weltanschauung und Erziehung, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechts­ theoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1228 f. / 1231 ff.; H. v. Treitschke, Bundes­ staat und Einheitsstaat, in: P.  Rühlmann / E.  Wilmanns (Hrsg.), Teubners Quellen­ sammlung für den Geschichtsunterricht, bearbeitet von H. Seifert, Leipzig u. a. 1929, S. 1 f.; vgl. auch R. Thoma, Das Staatsrecht des Reiches, in: G.  Anschütz / ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. I, Tübingen 1930, S. 70; M. Stürmer, Die Deutschen und ihre Nation, Bd. III: Das ruhelose Reich – Deutschland 1866–1918, Berlin 1986, S. 118.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Deutschen Kaiserreichs entwickelten konstitutionellen System um eine ei­ genständige Form deutscher Staats- und Verfassungsgestaltung handelte, die sich von der absoluten Monarchie wie der parlamentarischen Demokratie in ihrem strukturellen Aufbau klar abgrenzte und deren entscheidendes We­ sensmerkmal in dem spezifischen Verfassungskompromiss zu sehen war, der als synthetisches Systemprinzip die in ihrer Existenz unstreitigen monarchi­ schen und demokratischen Verfassungsgrundsätze bewahrte und gleichzeitig zu dem konstitutionellen Sondertypus des Deutschen Kaiserreichs unter der nationalstaatlichen Legitimitätsidee überwand.7 Dagegen sah der in dem Schema von Carl Schmitt stehende Ernst-Wolfgang Böckenförde in dem Verfassungsgebilde der konstitutionellen Monarchie nur einen Übergangsund Zwischenzustand, in dem bereits die auslaufende Tendenz zu der Über­ 7  E. R. Huber, Das Deutsche Kaiserreich als Epoche verfassungsstaatlicher Entwicklung, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, Heidelberg 1995, § 2 Rn. 53 ff.; ders., Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III: Bis­ marck und das Reich, 3. Aufl., Stuttgart u. a. 1988, S. 773 ff.; H. Hofmann, Das Problem der cäsaristischen Legitimität im Bismarckreich, in: K. Hammer / P. C. Hart­ mann (Hrsg.), Der Bonapartismus – Historisches Phänomen und politischer Mythos, Beihefte der Francia, Bd. 6 (1977), S. 95 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsge­ schichte, 7. Aufl., München 2013, S. 289 f.; W. Frotscher / B. Pieroth, Verfassungsge­ schichte, 12. Aufl., München 2013, S. 217 ff., die hier aber auch von einer „Über­ gangsstaatsform“ sprechen; K. D. Bracher, Staatsbegriff und Demokratie in Deutsch­ land, in: Politische Vierteljahresschrift 1968 (9), S.  4  ff.; M.  R.  Lepsius, Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: W. Abel u. a. (Hrsg.), Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsge­ schichte, Stuttgart 1966, S. 371 / 376 / 393 (auf S. 393 wird andererseits darauf hinge­ wiesen, dass „der Reichsgründung kein materieller Konsensus über die Gestaltungs­ prinzpien der inneren Ordnung“ zu entnehmen war); vgl. in ablehnender Gesinnung gegen Carl Schmitts Dualismus aus Soldat und liberalem Bürger auch F. Hartung, Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches, in: ders. (Hrsg.), Staatsbil­ dende Kräfte der Neuzeit – Gesammelte Aufsätze, Berlin 1961, S. 376 ff. Hasso Hofmann: „(Otto von) Bismarcks Verfassungskonstruktion (…) bot die Möglichkeit, dass die Erblegitimität der verbundenen Fürsten, und sei es auch nur in der realistischen Deutung als Formel faktisch vorhandener, nicht abgeleiteter Herrschaftsein­ richtungen, sich im Lobpreis der nationalen Einheit als eines von der Vorsehung geleiteten Werkes der deutschen Fürsten mit der legitimierenden Kraft des National­ staatsgedankens zu neuer Wirksamkeit verband. Denn die Verfassung verwirklichte den Gesamtstaat über die Einzelstaaten – nicht die Reichsgewalt trug die Einzelstaa­ ten, sondern deren Staatsethos jene – und gab (…) mit der Einrichtung des Reichs­ tags – ohne das demokratische Legitimitätsprinzip anzuerkennen – doch der Idee nationaler Einheit Raum.“ (…) „Und in diesem Prozess national-staatlicher Integra­ tion war das Kaisertum (…) zweifellos ein hoch bedeutender Kristallisationspunkt, ein nationale(r) Integrationsfaktor von allerhöchster Kraft.“ (H. Hofmann, ebd., S. 94 ff.; Hervorhebungen im Original). Siehe zu Letzterem auch R. Smend, Verfas­ sung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 229 ff.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs181

windung des alten monarchischen Prinzips angelegt war und der in diesem Sinne den kontinuierlichen Übergang in das demokratische Zeitalter einlei­ tete.8 In der Umweltgeschichte wird dieses Diskursformat aufgegriffen und die systemgerechte Einordnung der Naturschutzidee in das Verfassungsgerüst der Deutschen Kaisermonarchie untersucht. Es stellt sich insoweit die Fra­ ge, ob der aufgekommene Naturschutzgeist infolge eines konservativen Grundmusters als Beleg eines deutschen Sonderwegs gesehen werden kann, der unter der ideologiegetränkten Maske der Natur als traditionsreichem Idealreservat eines einheitlichen Volksganzen Kontinuitätslinien bis zu der nationalsozialistischen Machtergreifung erkennen lässt, oder aber ob sich anhand des Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich die selbstorganisatori­ sche Aufbruchsstimmung der Gesellschaft verdeutlicht, die als systemimma­ nenter Vorbote einer parlamentarischen Moderne für die gegenteilige Ansicht einer nur instabilen Zwischenlage angeführt werden kann.9 Demnach wä­ 8  E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monar­ chie im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1914), 2. Aufl., Königstein 1981, S. 154 ff.; W. Reinhard, Die Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 430; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundes­ republik Deutschland, Bd. V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staats­ rechts, München 2000, S. 344 / 350 f. / 355 / 358 f.; vgl. auch U. Scheuner, Staatstheo­ rie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 175. Wolfgang Reinhard sah in der konstitutio­ nellen Monarchie des Deutschen Kaiserreichs ebenfalls eine instabile Zwischenlage, weil die Verfassungsbindung des Monarchen auf Dauer irreversibel wurde, das Budgetrecht der Kammer langfristig zu verstärkter parlamentarischer Kontrolle und zu politischer statt strafrechtlicher Ministerialverantwortlichkeit führen musste, und weil der Monarchie eine verbindliche Legitimationsgrundlage fehlte. 9  Die herrschende Meinung der umwelthistorischen Wissenschaft steht hier im Lager der kontinuitätsbefleckten Sonderwegstheorie, wonach sich der Naturschutz als vornehmlich konservativ-reaktionäre Kulturkritik etablierte und in diesem Sinne als Transferinstanz für das biologisch untermalte, völkisch-nationale Propagandagut der Nationalsozialisten gesehen werden kann (F. Schmoll (Fn. 1), S. 39). Die Ansich­ ten in der Literatur sind aber zum Teil nicht ganz eindeutig, ob bzw. inwieweit der Naturschutz von dem ideologischen NS-Regime für die eigenen Zwecke nur nutzbar gemacht wurde, oder ob sich der neue Gedanke um die Erhaltung der Natur prak­ tisch nahtlos, ohne hinreichende Anpassung, in das Dritte Reich einfügte. Es zeigen sich damit bereits an dieser Stelle Bedenken hinsichtlich des systembildenden Kri­ teriums der Kontinuität. Im Folgenden wird daher das umwelthistorische Schrifttum nach dem Kriterium der ideellen Autonomie des Naturschutzgeists eingeteilt, was der dualistischen Argumentationsstruktur des Meinungsstreits um den deutschen Sonderweg entspricht. In einem konservativeren Sinne und damit als Vertreter eines deutschen Sonderwegs können angeführt werden: K. Guenther, Der Naturschutz, Stuttgart 1919, Vorwort; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (379 / 397 f.) („die Affinität zwischen dem antimodernistisch-völkischen Natur­ schutz und dem Nationalsozialismus begünstigte diese Entwicklung“; „der Natur­ schutz wurde (aber) nicht von den Nationalsozialisten missbraucht, er fügte sich

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

ren ökologischere Tendenzen quasi gleichbedeutend mit einer sich in der soziologischen Wirklichkeit abspielenden emanzipatorischen und damit de­ vielmehr nahtlos in die NS-Ideologie ein“); A. Andersen, Heimatschutz: Die bürger­ liche Naturschutzbewegung, in: F.-J. Brüggemeier (Hrsg.), Besiegte Natur, München 1987, S. 155 („Natur- und Heimatschutz erfuhren eine Untermauerung durch die nationalsozialistische Blut- und Boden-Ideologie“); W. Hartung, Konservative Zivi­ lisationskritik und regionale Identität. Am Beispiel der niedersächsischen Heimatbe­ wegung 1895–1919, Hannover 1991, S. 228; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 39 f. / 44 f. (Naturschutz „als dezidierter Beitrag zur ‚Volkstumspflege‘, der offenbar exklusive­ re Züge (…) (annahm) als seine westlichen Pendants.“); G.  Gröning / J.  WolschkeBulmahn (Fn. 1), S. 30 ff. (es „überwogen unter den Landschafts- und Naturschüt­ zern die traditionell völkisch-reaktionären Haltungen bei weitem“); tendenziell in diese Richtung auch D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 33 („solche (konservativ-völkischen) Vorstellungen waren für den deutschen Natur- und Heimatschutz nicht neu, vielmehr standen sie in der Kontinuität“); K. Ditt (Fn. 1), S. 518 ff. / 527 f. („dieser Kulturna­ tionalismus (…) begann den traditionellen Nationalismus zu ergänzen“; „ganzheit­ lich-organische() Betrachtungsweisen“ im Deutschen Reich als nationalsozialistische Indikatoren); W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes für das Großherzogtum Hessen von 1902, in: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.), 100 Jahre Denkmalschutzgesetz in Hessen, Arbeitsheft 5, Stuttgart 2003, S. 19 ff.; vormals, später dann aber diese Sonderwegsthese aufgebend auch F. Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 68. Die Ge­ genansicht vertreten dagegen unter anderem: T. Adam, Die Verteidigung des Vertrau­ ten, ZfP 1998 (45), 20 (20 / 24 f.) („die Erwartungen der Bewegung an den National­ sozialismus, dem sie sich teils eingedenk ideologischer Überschneidungen, teils aus pragmatischen Gründen rasch annäherte (…), ohne aber – und dies scheint entschei­ dend – grundsätzlich deren Ursache oder Ausfluss (gewesen) zu sein“); T. Rohkrämer, Eine andere Moderne? Zivilisationskritik, Natur und Technik in Deutschland 1880–1933, Paderborn u. a. 1999, S. 138 f. („nationalistische und konservative Argu­ mente (…) (waren) für den Kern der Heimat- und Naturschützer (…) eher peri­ pher“); E. Klueting, Heimatschutz, in: D. Kerbs (Hrsg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933, Wuppertal 1998, S. 55 („die Ideale des Heimat­ schutzes (ließen sich) mit dem nationalsozialistischen Gedankengut vereinbaren und für die Ziele des NS-Staates instrumentalisieren“); U.  Linse, Die Anfänge der deut­ schen Ökologiebewegung, in: Arch plus. Zeitschrift für Architektur und Städtebau 1984 (78), S. 59 (64 f.); F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten, Frankfurt a. M. 2011, S. 57 / 64 f. („von einer national-sozialistischen Durchdringung der Natur­ schutzbewegung oder gar einem fanatisierten ‚völkischen‘ Naturschutz konnte keine Rede sein.“); A. Wurzel (Fn. 1), S. 19; F. Schmoll (Fn. 1), S. 14 / 24 f. / 30 / 47 / 50 / 177  f. / 180 („nicht als Monopol des politischen Konservatismus, sondern als neue Form von Vergesellschaftung“); ders., Die Verteidigung organischer Ordnungen: Natur­ schutz und Antisemitismus zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: J. Radkau (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. u. a. 2003, S.  169 f.; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes, Sonderdruck aus Zentral­ stelle für Naturschutz und Landschaftspflege (Hrsg.), Verhandlungen deutscher Lan­ des- und Bezirksbeauftragter für Naturschutz und Landschaftspflege, Bd. II, Egestorf 1949, S. 14; R. H. Dominick, The environmental movement in Germany, Blooming­ ton u. a. 1992, S. 221 f. („one unique tenet shared by the Nazis and the Naturschut­ zer made the latter particulary susceptible to seduction by Hitler. That was the tenet



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs183

mokratischeren Haltung, während der Naturschutz als nur „verpackte“ konservativ-reaktionäre Kulturkritik das Pendel in die andere Richtung ausschlagen lassen würde. Ein Blick hinter die Kulissen führt in staatstheoretischer Hinsicht zu ei­ nem vertieften Verständnis des Meinungsstreits. Für einen Dezisionisten ist jeder Kompromiss eine unvollkommene Angelegenheit, in der sich ein in­ nerer Zwiespalt zeigt. Dagegen sieht er in der finalen Dezision etwas Ur­ sprüngliches, aus der konkreten Situation heraus Geborenes, in dem sich etwas Neues widerspiegelt.10 Eine konservative Entlarvung des Natur­ schutzgeistes als national-ästhetisch motivierter Zivilisationskritik spricht deshalb eher für eine von Grund auf angenommene autonome Staatstypik der Deutschen Kaisermonarchie, bei der die heimatliche Natur als nationales Legitimitätsmoment des staatlichen Herrschaftsverbandes anzusehen ist, während zunehmend auftretende ökologischere Entwicklungstendenzen die Annahme einer nur instabilen Übergangslösung nahelegen, die ihrem Wesen nach auf Überwindung angelegt war und damit den Weg in eine parlamen­ tarische Moderne vorbereitete. Die Frage nach einer systemgerechten Ein­ ordnung der Naturschutzidee wird auf diese Weise zu einer Legitimitätspro­ blematik, die sich an der materiellen Dimension der originären Entscheidung des pouvoir constituant messen lassen muss. Wenn diese „Dezision“ aber nur ein den tiefen Abgrund zwischen dem monarchischen und demokrati­ schen Prinzip verhüllendes, vorläufiges Provisorium war, ergab sich damit von vornherein ein durchlässiges Legitimitätsgebilde, das zwar unter dem Postulat nationaler Einheit wirken konnte, aber mit Blick auf das auslaufen­ that

an unspoiled Nature helped keep the German national character pure and true to type.“); R. Hölzl, „…ob und wieweit auch die Natur einen Schutz gegenüber dem Menschen verdiene“, in: N. Mallach (Hrsg.), 100 Jahre kooperativer Naturschutz in Bayern, Laufener Spezialbeiträge 1 / 06, Laufen / Salzach 2006, S. 36 ff.; O. Renn, Die alternative Bewegung – Eine historisch-soziologische Analyse des Protestes gegen die Industriegesellschaft, ZfP 1985 (32), 153 (163 f.) („Dennoch wäre es völlig ver­ fehlt, Inhalt und Forderungen der (…) Neoromantik als Ausfluss oder sogar Ursache faschistischer Weltanschauung zu werten.“); J. Wüst, (Fn. 1), S. 47 ff.; tendenziell in diese Richtung auch A. Stipproweit (Fn. 1), S. 35 f. („sehr bald einsetzende ideolo­ gische Ausrichtung weiter Teile des ehrenamtlichen und vereinsmäßig organisierten Naturschutzes“). Einen zwischen Natur- und Heimatschutz vermittelnden Erklä­ rungsansatz, wonach nur Letzterer einem politischen Konservatismus zuzuordnen war, vertreten dagegen R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde?, Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984, S. 170 ff. / 193 ff.; in diesem differenzierenden Sinne auch S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel, Heimat als Thema des Naturschutzes: Anregungen für eine soziokulturelle Erweiterung, in: Na­ tur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (382 / 384 f.); H. Röscheisen, Der Deutsche Naturschutzring, München 2006, S. 60 f. 10  Hierzu nur die Ausführungen zu Carl Schmitt im Rahmen der Allgemeinen Naturstaatslehre 1. Teil, § 5.

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de monarchische Prinzip und den unaufhaltsam voranschreitenden liberalen Geist in eine Rechtfertigungsspirale manövrierte, an deren fixiertem Kreuz­ punkt nur der gleitende Übergang in eine parlamentarische Moderne stehen konnte.11 Im Folgenden wird nun der aufgekommene Naturschutzgedanke auf sei­ nen Integrationsgrad innerhalb des obrigkeitsstaatlichen Verfassungsgerüsts des Deutschen Kaiserreichs untersucht, um seine systemkonforme Rolle für den politischen Prozess zu ergründen. Hierbei wird eine Gesamtanalyse der formal getrennten Sphären des Staates und der Gesellschaft12 die allmäh­ lich gewachsene Erkenntnisbedeutung der Naturschutzidee zur Geltung bringen, bevor der in legislativer Hinsicht zu sich selbst gekommene13 objektive Naturschutzgeist einer tieferen Einsicht unterzogen wird. Auf diese Weise wird schließlich geklärt werden, ob der Naturschutz der Macht­ stabilität der autoritär-konservativen Staatsleitung diente, oder aber ob es sich bei ihm um einen frühen Vorboten einer naturstaatlichen Moderne handelte.14 11  Vgl. E.-W. Böckenförde (Fn. 8), S. 154  ff. Zum (universalen) Nationalstaats­ prinzip K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 343 ff. Siehe zum verfas­ sungspolitischen Entscheidungshorizont unter dezisionistischen Vorzeichen E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 7), S. 773 ff. 12  P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2.  Aufl., Wien 1996, S. 75. 13  Siehe hierzu unter Rekurs auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel S. Blasche, Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. III, München 2008, S. 54. 14  An dieser Stelle muss eine systematische Abgrenzung deutlich gemacht wer­ den. In der Deutschen Kaisermonarchie gab es mit dem Naturschutz und dem Umweltschutz zwei unterschiedliche Entwicklungslinien, von denen Erstere nun im Mittelpunkt der verfassungsgeschichtlichen Darstellung stehen wird. Die andere, umweltbezogene Ausrichtungsform war demgegenüber auf die Wasser-, Luft- und Bodenverschmutzung ausgerichtet und in erster Linie aus hygienischen, volksge­ sundheitlichen und arbeitsschutzrelevanten, aber noch nicht aus ökologischen Ge­ sichtspunkten in einem engeren Sinne heraus motiviert. Dies zeigt sich an dem Problem um die zunehmenden Verschmutzungen der Flüsse im Deutschen Kaiser­ reich, die vornehmlich von der Industrie als Abwasserbecken benutzt wurden. Hier herrschte in der kaiserlichen Monarchie nun die Theorie vor, dass sich dieses Problem durch die Selbstreinigungskraft des Wassers und den Verdünnungsfaktor praktisch von selbst regulieren wird. Eine ähnliche Abhilfemethode fand sich bei der städtischen Luftverschmutzung, wo mit dem Bau höherer Schornsteine der Immissionsbelastung vorgebeugt werden sollte. Auch wenn einzelne staatliche Maßnahmen diesen neuen Umweltproblemen entgegenwirkten, so etwa das preußi­ sche Abwassergesetz aus dem Jahre 1912, das die Abwassereinleitung von dem gemeinen Wohl abhängig machte und die Erlaubniserteilung sowie die Überwa­ chung in den Aufgabenbereich des exekutiven Behördenapparates stellte, waren diese für die damalige Zeit innovativen Bestrebungen gegenüber der aufkommen­ den Naturschutzbewegung nebensächlich, weshalb sich die vorliegende Darstellung auf die Geschichte des heimatlichen Naturschutzes beschränkt. Siehe zu den unter­



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II. Die Entwicklung der geborenen Naturschutzidee im Königreich Preußen15 Mit der Krönung Wilhelms I. zum Deutschen Kaiser und der damit ver­ bundenen Reichsgründung im Spiegelsaal von Versailles am 18.01.1871 begann ein neues Kapitel in der deutschen Geschichte. Die nationalliberalen Visionen eines deutschen Einheitsstaates, die in den Tagen des Vormärzes noch zum Scheitern verurteilt waren, wurden mit diesem feierlich prokla­ mierten Staatsakt Realität, wenngleich die junge deutsche Nation noch in ein vorrangig konservativ-monarchisches Gewand gekleidet war.16 Vor dem schiedlichen Entwicklungssträngen des Umwelt- und Naturschutzes A. Knaut, Zu­ rück zur Natur. Landschafts- und Heimatschutz im wilhelminischen Zeitalter, Gre­ ven 1993, S. 349 ff.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 49 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 23 f.; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (32 ff.); vgl. dazu auch F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl, 26. April 1986. Die ökologische Herausfor­ derung, München 1998, S. 113. Ausgespart bleibt überdies die bereits um die Mit­ te des 19. Jahrhunderts aufflammende Vogelschutzbewegung, die nur insoweit mitbehandelt wird, als Tiere als Gattungen später im Deutschen Reich selbst als schützenswerte Naturdenkmäler anzusehen waren. Siehe zu der Geschichte des Vogelschutzes nur H. Klose, Der Weg des Deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 4 f.; ders., Fünfzig Jahre Staatlicher Naturschutz – ein Rückblick auf den Weg der deut­ schen Naturschutzbewegung, herausgegeben von der Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege, Gießen 1957, S. 9 f.; F. Uekötter, ebd., S. 42 f.; A. Knaut, ebd., S.  350 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 22  f.; zur damaligen Vogelschutzpraxis K. Guenther (Fn. 9), S. 113 ff. / 234 ff. / 253 ff. 15  Im Folgenden steht die Entwicklung des staatlichen Naturschutzes im König­ reich Preußen im Mittelpunkt, da sich anhand der dortigen Naturschutzpraxis die allgemeinen Naturschutzströmungen wie auch die schwierigen Rahmenbedingungen für den Naturschutz im Deutschen Kaiserreich exemplarisch verdeutlichen lassen. Darüber hinaus würde, um mit Hans Klose (H. Klose, Der Weg des Deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 11) zu sprechen, „(…) das hier zu entwerfende Bild, wenn schon an Breite, so doch kaum an Farbe gewinnen.“; vgl. dazu auch F. Schmoll (Fn. 1), S. 170. Damit sollen die Naturschutzaktivitäten in den anderen Ländern des Deutschen Reichs keinesfalls abqualifiziert werden. Vielmehr waren die dort zu beobachtenden Bemühungen im Hinblick auf die eigentliche Naturschutztätigkeit, das Schutzniveau und die verschiedenen Naturschutzkonzepte mit der Entwicklung in Preußen zumindest vergleichbar, weshalb sich anhand der preußischen Natur­ schutztätigkeiten die reale Naturstaatsverfassung im Deutschen Reich angemessen und stellvertretend für die anderen Länder verdeutlichen lässt. Eine zusammenfas­ sende Darstellung der Naturschutzgeschichte in der preußischen Monarchie findet sich bei H.-W. Frohn, in: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906–2006, Bonn 2006, S. 85 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 113 ff. 16  O. Hintze (Fn. 5), S. 379 / 388 f. („Das ist der eigentliche historische Rechts­titel der Monarchie bei uns: sie ist Schöpfer und Hüter des Staatsgedankens gewesen und geblieben bis in die Gegenwart hinein.“); K. Beyerle, Die Bedeutung der neuen Reichsverfassung für Volk und Vaterland, Reichszentrale für Heimatdienst, Berlin

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Hintergrund dieses epochalen Ereignisses deutscher Geschichtsschreibung erscheint die Frage nach der systemkonformen Einordnung der geborenen Naturschutzidee in das Verfassungsgebilde des Deutschen Kaiserreichs als unbedeutende Randnotiz, deren Erkenntniswert auf eine historische Nuance reduziert wird. Die Fragestellung nach dem deutschen Sonderweg macht aber insbesondere dann Sinn, wenn sie in einen erweiterten Bewusstseins­ horizont gestellt wird, der gleichsam auf die Beantwortung der Fragen nach dem Selbstverständnis der eigenen politisch-nationalen Verfassungsentwick­ lung sowie der politisch-sozialen Grundverfassung des 19. Jahrhunderts ausgerichtet ist und auf diese Weise nicht zuletzt bereits an die gegenwär­ tige naturstaatliche Verfassungsproblematik heranführt.17 Nachdem der wirtschaftlichen Entwicklung im Zuge der Industriellen Revolution bis weit in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts praktisch keine Grenzen gesetzt waren, nahmen die Fortschrittsprozesse in Wirtschaft, Technik, Industrie, Verkehr und Wissenschaft um 1900 sichtbar Ausmaße an, die die Natur als Sklavin eines entfesselten Kapitalismus und einer zü­ gellosen Industrialisierung erscheinen ließen.18 Es galt daher, den extensi­ ven Auswüchsen der kulturellen Entfaltung der Zeit Einhalt zu gebieten, um die ursprüngliche Natur nicht ganz den Modernisierungstendenzen zum 1919, S. 5; F. Meinecke, Nach der Revolution – geschichtliche Betrachtungen über unsere Lage, München u. a. 1919, S. 28; H. v. Treitschke (Fn. 6), S. 6 ff.; H. Hofmann (Fn. 7), S. 78 ff. Fn. 2 bzw. 5 / 89; E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 7), S. 767 f.; K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 346 / 353 ff. / 358 f.; W.  Frotscher / B.  Pieroth (Fn. 7), S. 217 ff.; K. D. Bracher (Fn. 7), S. 7; F. Hartung (Fn. 7), S. 390; D. Willoweit (Fn. 7), S. 282 / 285 ff.; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht (Fn. 8), S. 175; vgl. auch D.  Lehnert, Sozialismus und Nation. Hellers Staatsdenken zwischen Einheit und Vielfalt, in: M. Llanque (Hrsg.), Souveräne De­ mokratie und soziale Homogenität – das politische Denken Hermann Hellers, BadenBaden 2010, S. 182; M. Stürmer (Fn. 6), S. 118. Hasso Hofmann fasst die vorder­ gründig ambivalente Ausgangslage folgendermaßen zusammen: „Aus dem Missver­ hältnis zwischen der politischen Rückständigkeit einer solchen Verfassung und der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung (…) erwuchs keineswegs nur das (…) Bestreben der Angleichung durch Parlamentarisierung, sondern zugleich auch die Tendenz zur Stabilisierung durch weitere antiparlamentarische Stärkung und Ver­ selbständigung der Exekutive. Am Ende zeigt das die dualistische Konstruktion der Weimarer Verfassung, welche mit den außerordentlichen Vollmachten des Reichsprä­ sidenten nach Art. 48 die Alternative der plebiszitären Diktatur einschloss, noch deutlich genug.“ (H. Hofmann, ebd., S. 79 f. Fn. 5). 17  Vgl. E.-W. Böckenförde (Fn. 8), S. 147; H. Hofmann (Fn. 7), S. 77 ff. 18  Siehe hierzu W. Bock, Die Naturdenkmalpflege – Die Bestrebungen zur Er­ haltung der Naturdenkmäler und ihre Durchführung, Bd. 10 / Serie A, Stuttgart 1910, Einl. S.  1 f.; M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland – Wei­ marer Republik und Nationalsozialismus, München 2002, S. 44  ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 11 f.; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), S. 20; R. Hölzl (Fn. 9), S. 36.



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Opfer fallen zu lassen.19 Einen authentischen Abriss der Naturschutzströ­ mungen im Deutschen Kaiserreich bietet die damalige Praxis auf dem Ge­ biet des Naturschutzes im Königreich Preußen,20 die nicht nur für andere Einzelstaaten als Vorbild diente, sondern in ihrer progressiven Ausrichtung auch international Beachtung fand.21 Als der Mann, der die Naturschut­ zidee in der preußischen Monarchie begründete, gilt der Naturwissenschaft­ ler und Danziger Museumsdirektor Hugo Conwentz, der bereits früh, um 19  A. Schmidt, Rechtsfragen des deutschen Denkmalschutzes, München u. a. 1914, S. 145; K. Heyer, Denkmalpflege und Heimatschutz im Deutschen Recht, Berlin 1912, S.  1 ff.; K. Guenther (Fn. 9), Vorwort S. III; H.  Lezius, Das Recht der Denk­ malpflege in Preußen, Berlin 1908, S. 3; W. Bock (Fn. 18), Einl. S. 1 ff.; A. Kneer, Heimat und Recht, Mönchengladbach 1922, S. 24; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (21); F. Schmoll (Fn. 1), S. 11 f. 20  Der Denkmal-, Natur- und Heimatschutz fiel im Deutschen Kaiserreich in den Kompetenzbereich der Einzelstaaten, da sich die Reichsverfassung aus dem Jahre 1871 einer Ermächtigung für das Reich vor allem in der Norm des Art. 4 RV enthielt; so K. Heyer (Fn. 19), S. 27; A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 173; J. Krayer, Denkmalschutz, Würzburg 1930, S. 71 / 109; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 44; vgl. dazu auch E. Beyermann, Das Recht an Denkmälern, Halle a. d. Saale 1917, S. 20; K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 363 ff. Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.04.1871 ist unter anderem abgedruckt bei E. R. Huber, Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. II: Deutsche Verfassungsdo­ kumente 1851–1918, 3. Aufl., Stuttgart 1986, S. 385 ff. Die enumerativen Gesetzge­ bungszuständigkeiten des Reiches wurden in ausschließliche und fakultative (später als konkurrierende Zuständigkeiten benannte) Kompetenzen eingeteilt, ohne dass dies aber ausdrücklich festgelegt war. Die ausschließlichen Gesetzgebungskompeten­ zen waren dabei auf Materien ausgerichtet, die auf die Verbindung der Einzelstaaten zu einer höheren Einheit, dem Reich, programmiert waren (so P.  Laband, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, Bd. II, 5. Aufl., Tübingen u. a. 1911, S. 120 f.; R. Thoma, Das Staatsrecht des Reiches (Fn. 6), S. 73 f.). Daraus ergibt sich, dass der unter eine ausschließliche Länderkompetenz fallende Naturschutz im Deutschen Kaiserreich ursprünglich noch nicht auf eine höhere Integrationskraft in Bezug auf eine deutsche Nationenbildung ausgerichtet war. Dieser Befund leuchtet insoweit ein, als der Naturschutzgedanke im Deutschen Kaiserreich erst im Entstehen begrif­ fen war, weshalb er im Rahmen des verfassungspolitischen Prozesses noch keine Rolle spielte. Siehe zu der damaligen Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeiten nach der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs auch K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 363 ff. 21  So K. Guenther (Fn. 9), S. 244 f.; F. Schmoll (Fn. 7), S. 138; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 212 f. / 262 ff.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 17. Zu der gegen Ende des 19. Jahrhunderts einsetzenden internationalen Natur­ schutztätigkeit auch W. Bock (Fn. 18), S. 98 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 171 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (369 f.); vgl. auch H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 92. Eine zusammenfassende Darstellung der internationalen Kooperation auf dem Gebiet des Naturschutzes seit 1900 findet sich bei A.-K. Wöbse, Natur­ schutz global – oder: Hilfe von außen. Internationale Beziehungen des amtlichen Naturschutzes im 20. Jahrhundert, in: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Bonn u. a. 2006, S.  625 ff.

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1890, mit der wissenschaftlichen Inventarisierung seltener Bäume und an­ derer Pflanzen begann, um einerseits Entscheidungsgrundlagen über schutz­ würdige Naturgüter zu erhalten, andererseits aber um den kulturellen und sozialpolitischen Anspruch auf Verwaltung der Naturdenkmäler als dem natürlichen Erbe nach dem Leitbild der Kunst- und Kulturdenkmalpflege gegenüber den sozialen Trägerschichten zur Geltung zu bringen.22 Im Jahre 1898 erreichte der junge Naturschutzgedanke dann erstmals die politische Bühne, als der Abgeordnete der Freisinnigen Volkspartei Wilhelm Wete­ kamp vor dem preußischen Abgeordnetenhaus eine Rede hielt, in deren Rahmen er die Notwendigkeit eines staatlichen Naturschutzes betonte und damit eine zukünftige Staatsaufgabe Naturschutz in den Rang eines allge­ meinen Gesprächsthemas erhob. In dieser für den Naturschutz historischen Stunde plädierte Wilhelm Wetekamp zudem für das Grundmotiv einer un­ berührten Natur sowie unter Verweis auf das Vorbild der Nationalparks in den USA sogar bereits für die Möglichkeit der Ausweisung von eigenen Naturschutzgebieten. Letztere sollten dabei nicht nur den unangetasteten Naturschönheiten zugutekommen, sondern auch als Zufluchtstätten zur Er­ holung der arbeitenden Stadtbevölkerung dienen.23 Mit dieser Initiative vor 22  H. Conwentz, Die Gefährdung der Naturdenkmäler und Vorschläge zu ihrer Erhaltung, Berlin 1904; P. Weber, Heimatschutz, Denkmalpflege und Bodenreform, in: A. Damaschke (Hrsg.), Soziale Zeitfragen. Beiträge zu den Kämpfen der Gegen­ wart, Berlin 1906, S. 10; W. Schoenichen, Merkbuch der Naturdenkmalpflege, Berlin 1925, S.  1 ff.; Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), S. 307; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 6; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Na­ turschutz (Fn. 14), S. 12 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 114 f.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; F.-J. Brüggemeier (Fn. 14), S. 115 f.; A. Andersen (Fn. 9), S. 147 f.; E. Klueting (Fn. 9), S. 52; vgl. auch H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 92 f.; A. Hubel, Denkmalpflege und Naturschutz, in: ders. (Hrsg.), Denkmalpflege, Stuttgart 2006, 95 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 25 ff.; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 52 ff.; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 30 f.; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 1), S. 26; K. Ditt (Fn. 1), S. 519 f.; R. Schröder (Fn. 1), S. 76. Siehe zur Pioniersrolle von Hugo Conwentz als Begründer der Naturdenkmalpflege ausführlich W. Schoenichen (Fn. 1), S. 158 ff. 23  W. Wetekamp, Aus der Geschichte der staatlichen Naturdenkmalpflege, Mittei­ lungen der Brandenburgischen Provinzialkommission für Naturdenkmalpflege, Ber­ lin 1914, S. 208  ff. Wilhelm Wetekamp wörtlich: „Es kommt darauf an, einen Teil unseres Vaterlandes in der ursprünglichen Form zu erhalten, und da handelt es sich nicht allein um die Erhaltung der Pflanzenwelt und der Tierwelt, sondern auch im geographischen und geologischen Interesse um die Erhaltung gewisser Teile der Erdoberfläche im natürlichen Zustande (…). Wenn etwas wirklich Gutes geschaffen werden soll, so wird nichts übrig bleiben, als gewisse Gebiete unseres Vaterlandes zu reservieren, ich möchte den Ausdruck gebrauchen: in ‚Staatsparks‘ umzuwan­ deln, allerdings nicht in Parks in dem Sinne, wie wir sie jetzt haben, das heißt einer künstlichen Nachahmung der Natur durch gärtnerische Anlagen, sondern um Gebiete, deren Hauptcharakteristikum ist, dass sie unantastbar sind. (…) Diese Gebiete sollen einmal dazu dienen, gewisse Boden- und Landschaftstypen zu er­ halten, andererseits der Flora und Fauna Zufluchtsorte zu gewähren, in denen sie



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der preußischen Volksvertretung legte der Parlamentarier damit den Grund­ stein für ein erweitertes Naturschutzverständnis, das nicht lediglich auf eine kulturell ästhetische Besinnung aus nationalen Gründen als Bewahrungsmo­ tiv gerichtet war,24 sondern auch die sozialpolitische Komponente des Ge­ sundheitsschutzes mit Tendenzen zur Beachtung des eigentlichen Naturhaus­ halts einschloss. Allerdings blieb dieser in den westlichen Industrienationen bereits im 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung gewinnende Aspekt in der Naturschutzlandschaft des Deutschen Kaiserreichs noch im Hintergrund. Der Naturschutzgeist wurde anfänglich noch von in der deutschen Romantik wurzelnden, kulturkonservativen und primär antidemokratischen Traditionen geprägt, die angesichts der starren politischen Milieulager noch nicht im sich halten können. Derartige Gebiete haben wir bei uns in Deutschland noch nicht, dagegen ist uns darin Nordamerika (…) in außerordentlich nachahmungswer­ ter Weise vorangegangen.“ (W. Wetekamp, ebd., S. 210 f.). Siehe zur parlamentari­ schen Initiative von Wilhelm Wetekamp F. Schmoll (Fn. 1), S. 115 ff.; A. Knaut (Fn. 14), S. 351 f.; ­H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 88 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), S. 361 f.; A. Andersen (Fn. 9), S. 146; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 87 ff. / 102 ff.; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 6; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 11 f.; W. Bock (Fn. 18), Einl. S. 3; G. Eigner, Naturpflege in Bayern, München 1908, S. 68 / 76 f.; R. Piechocki, Der Staatliche Naturschutz im Spiegel seiner Wegbereiter: Wilhelm Wetekamp (1859–1945). Feind jeder Ver­ weichlichung und Verpimpelung, in: Natur und Landschaft, Bd. 81 (1), S. 46 f.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; F.-J. Brüggemeier (Fn. 14), S. 114 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S.  24 f.; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 131 Fn. 46; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 51 f.; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 30; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 1), S. 27. Zu der Naturparkidee unter Einbeziehung der internationalen Entwicklung insbesonde­ re auch K. Guenther (Fn. 9), S. 211 ff.; H. Conwentz, Naturdenkmalpflege, in: R. Dittler (Hrsg.), Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Bd. VII: Nagelflue – Pyridingruppe, Jena 1912, S. 43 ff.; W. Bock, ebd., Einl. S. 3 / 24 ff. / 102 ff.; Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), S. 317; F. Uekötter, Am Ende der Gewiss­ heiten (Fn. 9), S. 41; vgl. auch F. Moewes, Naturdenkmalpflege, in: P. Herre (Hrsg.), Politisches Handwörterbuch, Bd. II: L – Z, Leipzig 1923, S. 174; M. Kloep­ fer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 71; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 26 f. In den USA war es der Yellowstone Nationalpark, der im Jahre 1872 gegründet wurde und als erster Staatspark das neue amerikanische Sys­ tem von Nationalparks einleitete. Walther Schoenichen erklärte hierzu: „In diese Richtung bedeutete es einen großen Fortschritt, als am 1. März 1872 das Yel­ lowstone-Gebiet zum Nationalpark erklärt wurde, und zwar handelte es sich hier nicht um eine gesetzliche Maßnahme eines Einzelstaates – wie im Falle des Yose­ mite-Tales –, sondern um eine solche der Bundesregierung. Insofern ist Yellow­ stone in der Tat der erste große Nationalpark der USA in ihrer Gesamtheit und somit der Kristallisationspunkt, der späterhin zum Zentrum eines großartigen Sys­ tems von Nationalparken geworden ist, dessen Ausbau auch in der Gegenwart noch fortgesetzt wird.“ (W. Schoenichen (Fn. 1), S. 95). 24  Hierfür steht vor allem die im Jahre 1906 einsetzende staatliche Naturschutz­ praxis im Königreich Preußen.

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parlamentarischen Aufbruch begriffen waren.25 Dennoch machte der politi­ sche Vorstoß des Abgeordneten Wilhelm Wetekamp aber deutlich, dass sich der in der soziologischen Wirklichkeit inzwischen verfestigte Naturschutz­ gedanke zu einem relativen Einheitsfaktor der staatlichen Wirklichkeit ent­ wickelt hatte. Bis zu dieser Offensive wurzelten die Naturschutzbemühungen ausschließlich in der vom Staat abgetrennten gesellschaftlichen Sphäre, in der sich Privatpersonen in erster Linie als konservierende „Naturerwerber“ im Wege des Ankaufs oder der Pacht von Grundstücksflächen entpuppten, um auf diesen wirtschaftliche Auswüchse zu verhindern.26 Auf diese Weise war mit der Zeit ein Naturschutzklima in der Gesellschaft entstanden, das durch die unterstützende wissenschaftliche Vorarbeit von Hugo Conwentz und den Mobilisierungsaufruf von Wilhelm Wetekamp innerhalb des preu­ ßischen Behördenapparates die Bereitschaft zu einer staatlichen Organisati­ on der Naturdenkmalpflege vorantrieb.27 Über diesen Plänen hingen aber lange noch dunkle Wolken, die in der noch nicht abzusehenden Positionie­ rung des staatlichen Naturschutzes innerhalb des Staatsganzen lagen. Inso­ weit stellten sich insbesondere Fragen nach den Kompetenzen einer staatli­ chen Naturschutzstelle, der etwaigen Übernahme einer finanziellen Verant­ wortung seitens des Staates sowie nach dem Verhältnis des Naturschutzbe­ langs zu dem nicht anzutastenden Primat der Ökonomie.28 Im Ergebnis 25  F. Schmoll (Fn. 1), S. 49 / 117 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 24; vgl. auch A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; K. Ditt (Fn. 1), S. 527 f.; Zur sozialen Naturschutzbewegung in den westlichen Industrienationen ausführlich K. Ditt, ebd., S. 500 ff.; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 38 f.; K. Guenther (Fn. 9), S. 211 ff. Zur romantischen Geisteshaltung als dem kulturgeschichtlichen Hintergrund der langsam entstehenden Naturschutzbewe­ gung W. Schoenichen (Fn. 1), S. 1 ff. Dazu auch ein gehaltvolles Zitat von Willi Oberkrome zu den Anfängen des neuzeitlichen Diskurses um das Sinngut „Natur“: „Den Anfang machte die populäre ‚Naturschwärmerei‘ in der Nachfolge (Jean-Jac­ ques) Rousseaus. Ihr erschien die rurale, natürliche Umwelt als prädestinierter Wi­ derpart einer oberflächlichen, ‚dekadenten‘ Rokokokultur. Mit der Parole ‚zurück zur Natur‘ riefen der Genfer Philosoph und seine Anhänger zum Sprung in den Jungbrunnen einer gesunden, arbeitsarmen Lebensführung jenseits der allerorten imitierten prunkvollmanirierten Welt des Versailler Hofes auf.“ (W. Oberkrome, ebd., S. 36; Hervorhebungen im Original). 26  H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 40 / 43; P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 9; A. Kneer (Fn. 19), S. 25 f.; H. Klose, Der Weg des deutschen Natur­ schutzes (Fn. 9), S. 8; vgl. auch W. Bock (Fn. 18), S. 55 ff., v. a. S. 62 ff.; G. Eigner (Fn. 23), S. 67 f.; H. Fischer (Fn. 1), S. 11; J. Krayer (Fn. 20), S. 90; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 72  f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 128; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 53; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 44. Die integrierende Funkti­ onsweise von etwaigen Privatpersonen betonend K. Guenther (Fn. 9), S. 247 f.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (370 f.). 27  F. Schmoll (Fn. 1), S. 118. Wilhelm Wetekamp richtete im Rahmen der parla­ mentarischen Initiative im Jahre 1898 bereits direkt eine Bitte an die Staatsregie­ rung, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen (W. Wetekamp (Fn. 23), S. 212 / 217).



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs191

wurde im Jahre 1906 die Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege mit Sitz in Danzig unter der Leitung von Hugo Conwentz errichtet, deren Funktion in erster Linie inventarisierend und beratend ausgerichtet war und dabei den finanziellen Aufwand auf ein Minimum begrenzte.29 Die Problemlage um den staatlichen Naturschutz mit seiner das Privateigentum einschränkenden Wirkung hing aber wie ein Damoklesschwert über der weiteren Entwick­ lung der sich allmählich in die staatliche Sphäre integrierenden Naturschutz­ idee. Eingriffe in das private Eigentumsrecht wurden als Angriff auf die liberale Wirtschaftsordnung eingestuft, der sich der Staat weitgehend zu enthalten hatte.30 Für eine Überwindung der formalen Trennung von Staat und Gesellschaft bedurfte es daher für den staatlichen Naturschutz als Le­ gitimationsgrundlage eines öffentlichen Interesses, weshalb nicht nur die Aktivitäten von Privatpersonen auf dem Gebiet des Naturschutzes teilweise hinsichtlich des Schutzniveaus weiter gehen konnten, sondern sich der Staat mit einer zu weit gehenden Schutzpraxis zurückhalten musste.31 Der Na­ turschutzgedanke war zwar in der soziologischen Wirklichkeit anerkannt, in den verschiedenen sozialen Trägerschichten bestanden aber noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten im Hinblick auf die eigentlichen Ausmaße der staatlichen Naturschutztätigkeit. Daher etablierte sich in dem Königreich Preußen schließlich ein unter der Regie von Hugo Conwentz stehender defensiver Naturpragmatismus, der eine von breiten Kreisen der Bevölke­ rung intendierte Ausrichtung des staatlichen Naturschutzes als einer ganz­ heitlich orientierten kulturellen Erneuerungsbewegung ablehnte und statt­ dessen den Primat der Ökonomie als vorausgesetzt hinnahm.32 Der Haltung entsprach wiederum die selbst auch in Naturschutzkreisen vorzufindende selbstdisziplinierende Position, wonach insbesondere im Hinblick auf die private Eigentumslage auf ein zu umfassendes staatliches Naturschutzreper­ toire, das womöglich sogar auf eine gesetzliche Grundlage gestützt wird, 28  F. Schmoll

(Fn. 1), S. 119 f. / 145 ff. (Fn. 1), S. 119 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (364 ff.); A. Knaut (Fn. 14), S. 370 f. 30  F. Schmoll (Fn. 1), S. 156. 31  F. Schmoll (Fn. 1), S. 150. 32  K. Friedrichs, Naturschutz und Verunstaltung, Gesetz und Recht – Zeitschrift für allgemeine Rechts- und Staatskunde 1921 (22), 63 (64); F. Schmoll (Fn. 1), S. 152 / 179; A. Andersen (Fn. 9), S. 147; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 131 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 25; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 52 f. An der von Hugo Conwentz bevorzugten Hinnahme des Primats der Ökonomie zeigte sich gleichsam die Igno­ ranz gegenüber ökologischeren Fragestellungen. Demnach wurden Probleme wie etwa die industrielle Gewässerverunreinigung und das hiermit verbundene Fisch­ sterben hinter dem Hauptmotiv der Ästhetik der Natur positioniert, womit weiter­ gehende Umweltschutzströmungen unterbunden wurden; hierzu F. Schmoll, ebd., S.  145 f. 29  F. Schmoll

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verzichtet werden sollte.33 Allein diese Unsicherheiten in der Frage nach dem konkreten Schutzniveau und der damit zusammenhängenden Einwir­ kungsintensität machen deutlich, dass der Naturschutzgedanke in der Ge­ sellschaft zwar präsent war, es sich dabei aber um ein frühes Geburtsstadi­ um handelte, in dem sich der Naturschutz als Gemeinwohlbelang und damit als Herrschaftslegitimität begründendes Anliegen noch nicht endgültig ver­ festigt hatte. Als Beleg dafür kann die parlamentarische Offensive um ein preußisches Naturschutzgesetz gegen Ende des Deutschen Kaiserreichs an­ geführt werden, die nach zunächst parteiübergreifendem Konsens an dem späteren Widerstand von konservativ ausgerichteten Abgeordneten scheiter­ te, womit die eingefahrene politische Milieulager zutage trat. Konservative, Nationalliberale und das Zentrum, die in erster Linie die Interessen der Industrie-, Land- und Forstwirtschaft präsentierten, waren schlussendlich dann mehrheitlich gegen das Gesetz, während sich in den linken Parteien eine breite Zustimmung ausmachen ließ.34 Bei aller kulturellen, auf Ästhetik und nationale Symbolik gerichteten Verwurzelung des Naturschutzes in der Tradition des herkömmlichen Denk­ malschutzes spiegelte sich auch in dem Bedeutungswandel, dem die zentra­ le Schutzkategorie des Naturdenkmals35 unterlag, mit zunehmender Dauer 33  F. Schmoll

(Fn. 1), S. 144 ff.; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 53. F. Schmoll (Fn. 1), S. 160; A. Knaut (Fn. 14), S. 376; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (364); A. Andersen (Fn. 9), S. 148; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 105; D. Lukaßen (Fn. 1), S. 26; vgl. auch W. Schoenichen (Fn. 1), S. 286 f. Eine zusammenfassende Darstellung der Initiative um ein preußisches Na­ turschutzgesetz findet sich bei H.-W. Frohn, ebd., S. 100 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S.  156 ff. 35  Siehe zur Geschichte des Begriffs des Naturdenkmals W. Bock (Fn. 18), S.  4 ff.; Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (317 f.); M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (357  ff.); F. Schmoll (Fn. 1), S. 121 ff. / 171 ff.; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 214 ff.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatli­ cher Naturschutz (Fn. 14), S. 7 f. Die zentrale Schutzkategorie des Naturdenkmals macht eine Abgrenzung des Naturschutzes zu den sonstigen Bestrebungen der Zeit auf den Gebieten des Denkmal- und Heimatschutzes erforderlich. Die weiteste An­ sicht fasste den Denkmal-, Kunst-, Natur- und Heimatschutz im engeren Sinne unter den Gesamtbegriff des Heimatschutzes zusammen, weil alle Tätigkeiten auf diesen kulturellen Teilgebieten der Bewahrung der Heimat dienten (so etwa H. Giesker, Der rechtliche Heimatschutz in der Schweiz, Aarau 1910, S. 95 ff.). Diese summarische Bezeichnung hatte den Vorzug, dass sich Abgrenzungsfragen vermeiden ließen, die ohnehin angesichts der fließenden Übergänge der verschiedenen Kategorien des Heimatschutzes nicht ganz einfach gewesen wären. Deutlich wird dies an dem Schutzobjekt des Naturdenkmals, das bereits grammatikalisch eine Affinität zu der Aufgabe des Denkmalschutzes aufwies, gleichsam aber auch dem auf die ästhetische Landschaft ausgerichteten Heimatschutz nahestand. Andererseits gab es auch beweg­ liche Denkmäler, die etwa als Museumsstücke wiederum nicht unter den auf eine gestaltende Kompromisslösung traditioneller und moderner Elemente ausgerichteten 34  So



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eine spürbare Aufbruchsstimmung wider, die sich von der ursprünglichen Intention des Naturschutzes entfernte. Das Naturdenkmal wurde anfangs als historisch-nationales Identitätsmoment innerhalb des sozialen Lebens ange­ sehen, das als Ausdruck einer kollektiven Gewordenheit integrierend auf die soziale Gemeinschaft einwirken konnte.36 Der Grund für eine Schutzakti­ vität war daher nicht die elementare Bedeutung der Natur für die mensch­ liche Existenz, sondern ihre nationale Symbolkraft für die staatliche Einheit. Auf diese Weise wurde der Natur ein ideeller Wert beigemessen, der sie als schützenswerten Gegenstand in Erscheinung treten ließ. Das relevante Schutzkriterium bildete dabei die Ursprünglichkeit, d. h. die von wirtschaft­ lichen Einflüssen unberührte Naturschönheit, damit sich der nationale Sym­ bolcharakter in seiner reinen Kultur entfalten konnte.37 In diesem engeren Sinne verstand „man unter einem Naturdenkmal eine in sich geschlossene Einzelschöpfung der Natur von überragender Bedeutung, in der bestimmte Kräftewirkungen ihren Ausdruck gefunden haben“, wie etwa bei gewaltigen Baumgestalten, besonderen Wasserfällen, Felsbildungen und -blöcken.38 Heimatschutz fielen. Aus diesem Grund konzentriert sich die folgende Darstellung auf die mit der Schutzkategorie des Naturdenkmals verbundene Naturschutzidee, ohne aber die einflussreichen Tendenzen im Rahmen der sonstigen Kulturgebiete zu vernachlässigen. Zum Ganzen etwa K. Heyer (Fn. 19), S. 18 ff.; H.  Lezius (Fn. 19), S.  5 ff.; E. Beyermann (Fn. 20), S. 14 f.; A. Kneer (Fn. 19), S. 8 f.; E. Gall, Denkmal­ pflege, in: P. Herre (Hrsg.), Politisches Handwörterbuch, Bd. I: A – K, Leipzig 1923, S. 349 f.; eine begriffliche Abgrenzung findet sich auch bei B. Wolf, Das Recht der Naturdenkmalpflege in Preußen, Berlin 1920, S. 1 f.; vgl. auch P. Weber, Heimat­ schutz (Fn. 22), S. 5 ff.; H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 43; Bund Naturschutz in Bayern (Hrsg.), Blätter für Naturschutz und Naturpflege 1925 (8. Jahrgang / Heft 1), Sonderheft zum Ersten Deutschen Naturschutztag in München am 26., 27. u. 28.  Juli 1925, München 1925, S. 1 / 10; A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 146 ff.; J. Krayer (Fn. 20), S. 71 f.; F. Hammer, Die geschichtliche Ent­ wicklung des Denkmalrechts in Deutschland, Tübingen 1995, S. 125 ff. 36  F. Schmoll (Fn. 1), S. 123; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (357 ff.); K.  Odendahl (Fn. 1), S. 40 f.; vgl. auch A. Schmidt, Rechtsfra­ gen (Fn. 19), S. 171. In diesem Zusammenhang kann von einem puristischen Histo­ rismus gesprochen werden, der sich nicht nur auf die stark emotionalen Elemente vergangener Epochen gründete, sondern vor allem nun auch auf die geschichtliche und wissenschaftliche Wertverkörperung eines Kulturguts; den Begriff des „puristi­ schen Historismus“ prägend A. Hensel, Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswirkungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (340); K. Odendahl (Fn. 1), S. 40 f.; allgemein zum Historismus K. Brichetti, Die Paradoxie des postmo­ dernen Historismus, Berlin 2009, S. 25 ff. 37  H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 38; F. Schmoll (Fn. 1), S. 139 f.; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 93; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (358 f.); T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 131; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 44. 38  W. Schoenichen (Fn. 1), S. 216; H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 38; K. Guenther (Fn. 9), S. 218 f.; K. Heyer (Fn. 19), S. 24; W. Bock (Fn. 18), S.  4 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 139; vgl. auch die grundlegende Definition eines Na­

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Dadurch, dass es aber schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa nur noch wenige Überreste unbelassener Natur gab, erwies sich der Begriff des Naturdenkmals in seiner ursprünglichen Bedeutung insoweit als zu eng. Aus diesem Grund wurde er mit der Zeit zunehmend erweitert, was sich letzten Endes sogar in der subsumierenden Ausdehnung auf ganze Naturschutzge­ biete zeigte.39 Der politisch defensive Naturschutzansatz von Hugo Con­ wentz, dem maßgeblich die enge Naturdenkmalvariante zugrunde lag,40 turdenkmals von Leo Schnitzler (L.  Schnitzler, Denkmale, Denkmalpflege, Denk­ malschutz, in: F. Stier-Somlo (Hrsg.), Handwörterbuch der Rechtswissenschaft, Berlin u. a. 1929, S. 10): „Naturdenkmale, d. h. Naturgebilde von hervorragender Eigenart, Seltenheit und Schönheit.“ Joseph Krayer (J. Krayer (Fn. 20), S. 84 ff.) weist insoweit aber auf die grundsätzliche Schwierigkeit bei der Bestimmung des Naturdenkmalbegriffs hin. 39  H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 38 / 40 / 43 ff.; K. Heyer (Fn. 19), S.  24 ff.; G. Eigner (Fn. 23), S. 63 f.; K. Guenther (Fn. 9), S. 218 f.; A. Kneer (Fn. 18), S.  23 f.; F. Moewes (Fn. 23), S. 173; F. Schmoll (Fn. 1), S. 138 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (360); T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 131 f. / 138; A. Knaut (Fn. 14), S. 359 f.; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 216 ff. / 297; vgl. dazu auch K. Friedrichs (Fn. 32), Gesetz und Recht – Zeitschrift für allgemei­ ne Rechts- und Staatskunde 1921 (22), 63 (64); Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318); H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 5 / 8; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 93; F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl (Fn. 14), S. 115; R. Schröder (Fn. 1), S. 76; R. Hölzl (Fn. 9), S. 37. Gegen die unsystematische Aus­ dehnungspraxis des Begriffs des Naturdenkmals polterte Walther Schoenichen schließlich: „Natürlicher wäre es gewesen, zu unterscheiden zwischen Naturdenkmä­ lern als individuellen Schöpfungen der Natur, Naturschutzgebieten und schützens­ werten Pflanzen- und Tierarten – eine Einteilung, die sich später dann auch durch­ gesetzt hat – und diese drei Kategorien unter dem Begriff Naturschutz zusammen­ zufassen.“ (W. Schoenichen, ebd.). In der Kommentierung von Hugo Conwentz zur Naturdenkmalpflege kristallisiert sich im Zusammenhang mit der Ürsprünglichkeit des Naturmaterials bereits deutlich der Kompensationsgedanke heraus, der heute zu den tragenden Prinzipien einer umweltstaatlichen Rechtsordnung zählt: „Bei den Naturdenkmälern im engeren Sinne handelt es sich um Gebilde an ursprünglicher Stelle, aber auch in dieser Beziehung wird man in einzelnen Fällen den Begriff et­ was weiter fassen müssen. Wenn bei Erdarbeiten unter Tage ein großer erastischer Block angetroffen wird, aber dort nicht liegen bleiben kann, ist seine Translozierung und unveränderte Erhaltung an anderer Stelle anzustreben. (…) Was die Behandlung des geschützten Naturdenkmals betrifft, so soll es möglichst unverändert mit seiner natürlichen Umgebung erhalten bleiben.“ (H. Conwentz, ebd., S. 39 f.). 40  K. Friedrichs (Fn. 32), Gesetz und Recht – Zeitschrift für allgemeine Rechtsund Staatskunde 1921 (22), 63 (64); F. Moewes (Fn. 23), S. 173; J. Krayer (Fn. 20), S. 92; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 13; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (365 / 372); T. Rohkrämer (Fn. 9), S.  131 f.; E. Klueting (Fn. 9), S. 52; A. Andersen (Fn. 9), S. 147; F. Schmoll (Fn. 1), S.  138 f.; A. Knaut (Fn. 14), S. 358 f.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 42; R. Hölzl (Fn. 9), S. 37; H. Röscheisen (Fn. 9), S. 57; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 25; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 52 f.; K. Ditt (Fn. 1), S. 519 f.; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 30 f.; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 1), S. 27; vgl. auch



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs195

konnte sich damit auch hier den in den verschiedenen Auslegungen dieses Naturschutzobjekts zum Ausdruck kommenden gesellschaftlichen Forderun­ gen nach einem höheren Schutzniveau nicht mehr entziehen. Flankiert wurde der Naturschutz im Königreich Preußen schließlich aber noch von der um 1890 im Deutschen Kaiserreich einsetzenden Heimatbewegung,41 W. Schoenichen (Fn. 1), S. 211 / 216. Demnach fiel auch die Landschaftspflege nicht unter den engen Begriff des Naturdenkmals, wenngleich sich Hugo Conwentz regel­ mäßig auch mit Fragen des Schutzes der Landschaft beschäftigt hat (so W. Schoenichen, ebd., S. 217 / 222 ff.). 41  Zu dieser Heimatschutzbewegung nur P. Weber, Heimatschutz (Fn.  22), S.  8 ff.; ders., Denkmalpflege und Heimatschutz in der Gesetzgebung der Gegen­ wart, Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt, Bd. XXXV, Heft 3, Jena 1908, S.  14 ff.; E.  Gradmann / W.  Strich-Chapell, Heimatschutz und Landschaftspfle­ ge, Stuttgart 1910; R. Stintzing, Heimatschutz durch Eingriff in den Rechtskreis Privater nach dem Rechte deutscher Bundesstaaten, Jena 1910, S. 9 f.; B. Wolf (Fn. 35), S. 1 f.; A. Kneer (Fn. 19), S. 5 f. / 8 f.; C. J. Fuchs (Fn. 1), S. 609 ff.; H. Wille, Heimatschutz und Heimatpflege, Berlin 1928, S. 1  ff.; A. Andersen (Fn. 9), S.  143 ff.; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (21 ff.); M. Vasold, 1900 – Durchbruch der Moderne, Bamberg 2009, S. 102 ff.; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 129 ff.; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 116 ff.; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 5; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 10  f.; A. Schmidt (Fn. 19), S. 147 f.; H. Fischer (Fn. 1), S. 10 ff.; A. Knaut (Fn. 14), S. 27 ff. / 358 ff.; W. Rollins, „Bund Heimatschutz“. Zur Integration von Ästhetik und Ökologie, in: J. Hermand (Hrsg.), Mit den Bäumen sterben die Menschen – Zur Kulturgeschichte der Ökologie, Köln u. a. 1993, S. 149 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 128 ff.; H. Röscheisen (Fn. 9), S. 55; W. Hartung, Denkmalpflege und Heimatschutz im wilhelmini­ schen Deutschland 1900 bis 1913, Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denk­ malpflege 1989, 173 (174 ff.); E. Klueting (Fn. 9), S. 47 ff.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 22; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S.  14 f.; O.  Renn (Fn. 9), ZfP 1985 (32), 153 (161); A. Stipproweit (Fn. 1), S. 30; M. Kloepfer, Denkmalschutz und Umweltschutz – rechtliche Verschränkungen und Konflikte zwischen dem raumgebundenen Kulturgüterschutz und dem Umwelt- und Planungsrecht, Berlin 2012, S. 25 ff.; zu den Einflüssen der Heimatschutzbewegung auf die Denkmalschutzaktivitäten der damaligen Zeit F. Hammer (Fn. 35), S. 124 ff. Die Positionierung des Heimatschutzes gegenüber der Großindustrie und dem damit verbundenen Fortschritt zeigte der Kampf um den Bau eines Wasserkraftwerks in Laufenburg am Hochrhein in der Spätphase des Deutschen Kaiserreichs. Am Anfang der kontroversen Auseinandersetzungen wurde das Bauvorhaben von den Vertretern des Heimatschutzes noch kategorisch abgelehnt. Als sich sodann aber herausstellte, dass dieses Anliegen politisch nicht durchzusetzen war, wirkte der Bund Heimat­ schutz auf eine ästhetische Gestaltung des Wasserkraftwerks hin, d. h. auf eine har­ monisierende Abwägung einschließlich einer dann versöhnlichen Lösung des Kon­ flikts der ökonomischen Interessen mit dem auf Erhaltung gerichteten Landschafts­ schutz. Als aber auch dies nicht zu verwirklichen war, wurde ein Gemälde von der heimatlichen Landschaft gefertigt, um ihren kulturellen Wert zu verewigen. Der dargelegte Streit um das Wasserkraftwerk in Laufenburg am Hochrhein findet sich erläutert etwa bei F. Schmoll (Fn. 1), S. 415 ff.; U.  Linse, Die Vernichtung der Lau­ fenburger Stromschwellen. Ein „klassischer“ historischer Konflikt zwischen „Volks­ wirtschaft“ und „Heimatschutz“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1997

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als deren Begründer der Komponist und Musikpädagoge Ernst Rudorff gilt. Diese auf eine Integration der natürlichen Zeugnisse in einen nationalkultu­ rellen Herkunftsbestand angelegte Organisation sah in erster Linie in der deutschen Landschaft das harmonische Postulat einer ästhetisch und sozial intakten Heimatidylle, die den wirtschaftlichen Tendenzen der Zeit entge­ gengesetzt werden konnte.42 Die Einordnung dieser Heimatschutzbewegung in den geistigen Gesamtzusammenhang des Deutschen Kaiserreichs ist nicht eindeutig möglich. Einerseits war dieses kulturelle Konzept auf eine Ge­ samtphysiognomie der heimatlichen Landschaft und damit auf eine gestal­ tende Kompromisslösung mit dem industriellen und technischen Fortschritt gerichtet,43 was als integrativ und modern angesehen werden kann. Die herrschende Meinung geht aber davon aus, dass es sich dabei vorrangig um eine auf konservative Erneuerung gerichtete Kritik handelte, die den Öko­ logietendenzen damit eher im Wege stand.44 (48), S.  399 ff.; F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl (Fn. 14), S. 112; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 47; T. Rohkrämer, ebd., S. 135; W. Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte – Denkmalpflege und Staat in Deutschland 1871–1933, Göttingen 1996, S. 371; vgl. auch K. Guenther (Fn. 9), S. 251. Zu den öffentlichen Protestgegnern dieses Vorhabens gehörten unter anderem auch Friedrich Naumann und Max Weber; hierzu nur A. Andersen, ebd., S. 150; F. Uekötter, ebd., S. 47. Zu dem ideellen Hintergrund der konservativen Heimatschutzbewegung statt vieler nur A. Knaut, ebd., S. 11 ff. Zum gegenseitigen Verhältnis von Natur- und Heimatschutz W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 54 f.; K. Ditt (Fn. 1), S. 517 f. 42  K. Heyer (Fn. 19), S. 19; H.  Lezius (Fn. 19), S. 5 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 128; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (359  ff.); T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (21 f.); T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 129 / 133; E. Klueting (Fn. 9), S. 48; A. Andersen (Fn. 9), S. 150; A. Knaut (Fn. 14), S. 12 ff. / 358; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 40 ff.; S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel (Fn. 9), Natur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (382 / 384). 43  R. Stintzing (Fn. 41), S. 9; C. J. Fuchs (Fn. 1), S. 609; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (360); T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 130 f. / 133 f. / 138; E. Klueting (Fn. 9), S. 48 ff.; A. Andersen (Fn. 9), S. 149; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 139 f.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 10 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 129 f.; W. Rollins (Fn. 41), S. 156; S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel (Fn. 9), Natur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (382 / 384); F. Hammer (Fn. 35), S. 126 f.; A. Knaut (Fn. 14), S. 358, der auch einen ausschließlich protektionistischen Flügel des Heimatschutzes ausmacht, gleichsam aber auf die konzeptionelle Untrennbarkeit der verschiedenen Ausrichtungen hin­ weist. 44  F. Schmoll (Fn. 1), S. 129 f.; A. Andersen (Fn. 9), S. 149; im Ergebnis auch S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel (Fn. 9), Natur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (382 / 384 f.); vgl. auch F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl (Fn. 14), S. 114; R. Hölzl (Fn. 9), S. 38  f.; das konservative Lager zusammenfassend W. Rollins (Fn. 41), S. 152 ff.; andere Ansicht aber T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 130 / 136 / 138; W. Rollins, ebd. (Fn. 41), S. 150 / 152 / 155 / 164 ff. / 169 f. / 177 / 179 ff.; A. Knaut (Fn. 14), S. 364 ff. / 392, die neben dem dominierenden ästhetischen Motiv in der Heimat­ schutzbewegung auch ökologischere Bestrebungen sehen. Andreas Knaut weist aber



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Das gezeichnete Bild der Entwicklung auf dem Gebiet des Naturschutzes im Königreich Preußen, das mehr oder weniger stellvertretend für die ande­ ren Einzelstaaten angesehen werden kann,45 ergibt damit vorerst ein auf Umwälzung begriffenes Naturschutzszenario im Deutschen Kaiserreich. In der realen Wirklichkeit spielten sich fortschrittliche Entwicklungstendenzen ab, die aber ihre Grenzen vor allem in der liberalen Wirtschaftsordnung und der damit zusammenhängenden Problematik um das private Eigentum hat­ ten. Die Gesellschaft war in ihrer Aufbruchshaltung innerlich zerrissen und konnte sich insoweit auf einen allgemeingültigen Konsens noch nicht eini­ gen, was die gescheiterte Initiative für ein Naturschutzgesetz in Preußen belegt. Zudem wurden die durchschimmernden ökologischen Tendenzen von konservativen Schutzmodellen und –strategien flankiert, die nicht auf den Naturschutz als solchen gerichtet waren, sondern auf eine kulturelle Heimatidylle, die in erster Linie rückwärtsgewandt auf die Erhaltung der konservativ-monarchischen Tradition programmiert war. Es bedarf daher einer weiteren Untersuchung des Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich, um die eingangs aufgeworfene Frage nach dem deutschen Sonderweg oder der instabilen Übergangslösung zu beantworten. III. Die sukzessive Integration des neugeborenen Naturschutzgeistes in die gesellschaftliche Teilsphäre des Deutschen Kaiserreichs In der klassischen Staatslehre des 19. Jahrhunderts dominierte als histo­ risch gewachsenes und demnach systemimmanent vorausgesetztes Grund­ muster die formale Trennung von Staat und Gesellschaft, was sich gemein­ hin in einer differenzierten Betrachtung der beiden Sphären und einer darauf aufbauenden dualistisch geformten Staatsstruktur ausdrückte.46 Im besonders konsequenten deutschen Staatsdenken, vor allem nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Lorenz von Stein und Robert von Mohl, wird der von dem staatlichen Machtverband abgetrennte Bereich insoweit „definiert, als ‚bür­ letztlich darauf hin, dass der Heimatschutz in enger Bindung mit dem Denkmal­ schutz stand, was letztlich seine kulturelle und nationalkonservative Grundtendenz untermauerte (A. Knaut, ebd., S. 393). Eine zusammenfassende Darstellung dieses Meinungsstreitstandes findet sich auch bei U. Linse, „Fundamentalistischer“ Heimat­ schutz. Die „Naturphilosophie“ Reinhard Falters, in: U. Puschner (Hrsg.), Völkisch und national, Darmstadt 2009, S. 157 ff. 45  H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 11. 46  Zur Trennung von Staat und Gesellschaft in historischer Perspektive nur P. Pernthaler (Fn. 12), S. 75; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S.  51 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S.  204 ff.; F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäischen Um­ weltrecht, Berlin 2005, S. 45 f.

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gerliche Gesellschaft‘, als ‚System der Bedürfnisse‘ (Hegel), das ‚durch das Interesse erzeugt wird‘ (von Stein) und sich auf Kosten der Allgemeinheit durchsetzen möchte, während der Staat ohne Partikularinteresse dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat.“47 Den nicht ganz einfach zu erfassenden Hintergrund dieser formalen Trennung von Staat und Gesellschaft, die prak­ tisch den Erklärungsansatz für die meisten Probleme der konstitutionellen Doktrin bereithält, bildete der sich im Zuge der Aufklärung zusehends ver­ schärfende Gegensatz zwischen der absolutistischen monarchischen Staats­ gewalt und dem in politischer Hinsicht weitgehend entrechteten Bürger­ tum.48 Mit dem durch die Französische Revolution und den sukzessiv vor­ anschreitenden Niedergang der Ständegesellschaft des Feudalsystems einge­ leiteten Ausweg in eine neue gesellschaftliche Moderne änderte sich im Lichte des politischen Liberalismus schließlich die konkrete Ausgangslage, so dass das überkommene monarchische Prinzip nunmehr mit dem Bürger­ tum einen immer gewichtiger werdenden Mitstreiter um die Macht hatte, dem das einseitige monarchische Diktat von politischen Bedingungen nicht mehr angemessen erschien. Denn durch die Wandlung vom Agrar- zum Industriestaat war eine Änderung der wirtschaftlichen Machtverhältnisse einhergegangen, die es aus der Sicht des nun nach politischer Emanzipation, Rechtsstaatlichkeit und ökonomischer Freiheit aufstrebenden Bürgertums nicht mehr gerechtfertigt erscheinen ließ, die vom Monarchen intendierte Ausnutzung der tragenden Kräfte der Wirtschaft zu staatlichen Expansions­ zwecken bedingungslos hinzunehmen.49 Aus dieser grundsätzlichen Wei­ chenstellung ergab sich letztlich dann der spätere Staatstypus der konstitu­ tionellen Monarchie, deren Wesen in der durch die Verfassung begrenzten Herrschaftsausübung des grundsätzlich aber weiterhin über der Verfassung stehenden Monarchen und der eingeschränkten politischen Teilhabe des Volkes und der Volksvertretung lag.50 Übersetzt auf die Naturschutzidee im 47  W. Reinhard (Fn. 8), S. 407 (Hervorhebungen und personell identifizierende Klammerzusätze im Original); vgl. J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit – Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin u. a. 1983, S. 11 f.; zu Lorenz von Steins Konzept des sozialen Königtums auch H. H. v. Arnim, Staats­ lehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 75 ff. In diesem Zusam­ menhang führt Wolfgang Reinhard weiterhin aus, dass dieser grundsätzlichen Ein­ ordnung bei Jean-Jacques Rousseau der Unterschied zwischen dem volonté de tous (Gesamtwillen) und dem volonté générale (Gemeinwillen) entspreche, wobei Letz­ terer sich gegenüber dem Gesamtwillen insoweit abgrenze, als er sich gerade nicht als die Summe der Einzelinteressen darstelle (W. Reinhard, ebd., S. 407). 48  P. Pernthaler (Fn. 12), S. 73 f.; F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 49; R. Herzog (Fn. 46), S. 52 f.; F. Shirvani (Fn. 46), S. 45 f. 49  P. Pernthaler (Fn. 12), S. 74; F. Shirvani (Fn. 46), S. 45 f. 50  E.-W. Böckenförde (Fn. 6), S. 148 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemei­ ne Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 221 f.; vgl. auch F. Shirvani (Fn. 46), S. 46. Dagegen sei nach einer demokratischnationalen Legitimität der König nur



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Deutschen Kaiserreich stellt sich damit die Frage, ob sich der gesellschaft­ liche Naturschutz als oktroyiertes Interesse konservativ-monarchischer Ein­ heitstendenzen darstellte, oder ob er als partikulares Interesse in der Gesell­ schaft anzusehen war und auf diesem Wege die soziologische Wirkbasis für den Aufbruch in ein ökologisches Zeitalter hergab. 1. Die staatssystembedingten Grundstrukturen des Deutschen Kaiserreichs als makrokosmozentrische Parameter für die Entwicklung des Naturschutzes Die Integration der Naturschutzidee in die staatliche Sphäre des Deut­ schen Kaiserreichs wird durch die im Sinne einer Makroanalyse überspan­ nende Dimension von zwei Entwicklungslinien verständlich. Im Zuge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung nach den gescheiterten revolutionären Aufbrüchen in den Jahren 1848 / 49 kam es bereits im Deutschen Bund zu einer gesteigerten wirtschaftlichen Entfaltung, die notwendigerweise mit einer gesellschaftlichen Neustrukturierung einherging.51 Dieser revolutionä­ re Vorgang verfestigte sich im Deutschen Kaiserreich, das sich im Lichte der wirtschaftlichen Expansion mit neuen Herausforderungen konfrontiert sah. Andreas Knaut beschreibt die sich evident verändernde Welt und den damit verbundenen Strukturwandel in der Deutschen Kaisermonarchie mit den folgenden bildhaften Worten: „Neue Produktionsmaschinen erreichten die Landwirtschaft, Maschinen lösten die mühsame Handarbeit ab. Verkop­ pelungen und Begradigungsmaßnahmen veränderten die Landschaft. Die Dorfallmende verschwand, neue Zäune trassierten das Land und mit ihnen Straßen, Weganlagen, Stromleitungen. (…) Die neue Wirtschaftsweise brachte neue Bauformen in die ländliche Umgebung. Da und dort verurteil­ ten die Silhouetten riesiger Fabrikgebäude Dorfhäuser zu einem stillen Schattendasein; (…) Steinbrüche (und) Staudämme verwandelten in einigen Jahren das Erscheinungsbild ganzer Landstriche. In der Stadt illuminierten noch ein Staatsorgan auf dem Boden der Verfassung und daher auch nur pouvoir constitué, und nicht mehr der Souverän (E.-W. Böckenförde, ebd., S. 149). Zur Staatsform der konstitutionellen Monarchie auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 337 ff.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3.  Aufl. Heidelberg 2004, S.  173  f.; H. Buß / W. Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 52 ff.; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht, 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 30. 51  Siehe insoweit zur gesellschaftlichen Neustrukturierung im Zuge der Entste­ hung und Entwicklung einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung G. Kratzsch, Der Kunstwart und die bürgerlich soziale Bewegung, in: E. Mai (Hrsg.), Ideengeschich­ te und Kunstwissenschaft, Berlin 1983, S. 372 f.; A. Knaut (Fn. 14), S. 15; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 29; vgl. auch D. Willoweit (Fn. 7), S. 273 ff.

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Beleuchtungskörper und Leuchtreklame die zunehmende Zahl der Pendler aus den wachsenden Vorstädten. (Und) der wachsende Verkehr, die Autos und die neuen Straßenbahnen forderten ihren Tribut in Form von Erweite­ rungsmaßnahmen in der Innenstadt.“52 Es ist daher nicht verwunderlich, dass sich mit der Zeit als Reaktion auf diese Wandlungen ein zivilisations­ kritisches Konfliktpotential entwickelte, das sich in etwaigen Heimat- und Naturschutzaktivitäten im Rahmen der gesellschaftlichen Sphäre entladen konnte. Neben dieser wirtschaftlichen Aufbruchslinie flankierte und unter­ stützte in der Makroperspektive aber noch ein anderes Ereignis die aufkom­ menden Naturschutztendenzen in ihrer damaligen Frühphase. Es handelt sich dabei um den Sturz von Otto von Bismarck als Reichskanzler im Jahre 1890, was nicht nur im institutionellen Bereich, sondern auch in der politischen Öffentlichkeit zu einem Machtvakuum geführt hat, das in der Folge von verschiedenen Personen und Interessengruppen versucht wurde auszugleichen.53 Auf diese Weise verschärfte sich der Prozess der Heraus­ bildung einer pluralistischen Gesellschaft, der bereits seit dem Jahre 1880 langsam voranschritt und sich insbesondere in der zunehmenden Bedeutung der politischen Parteien als sowohl materielle wie ideelle Interessenvertre­ ter, aber auch in der steigenden Anzahl an Interessenverbänden zeigte,54 was „das System des autoritären Korporativismus, das sich als ein von den unterschiedlichen Interessen geleitetes Zusammenspiel von Regierung, Bü­ rokratie, Parlament, Parteien und Verbänden herausgebildet hatte, ohne auch nur von Ferne einem unzweideutigen Trend zur Parlamentarisierung und 52  A. Knaut (Fn. 14), S. 15; K. Guenther (Fn. 9), S. 63 f.; P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 6 ff.; ders., Gesetzgebung der Gegenwart (Fn. 41), S. 16; A. Wurzel (Fn. 1), S. 9; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (20 f.); W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 14; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 40 f.; W. Hartung (Fn. 41), Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 1989, 173 (174); R. Hölzl (Fn. 9), S. 36; F. Hammer (Fn. 35), S. 124 f.; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 29; W. Rollins (Fn. 41), S. 150 f. In die­ sem Zusammenhang wies Konrad Guenther auch bereits auf einen spürbaren Klima­ wandel hin (K. Guenther, ebd., S. 105). 53  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1000; vgl. dazu auch C. Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6), S.  22 ff.; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzes (Fn. 9), S. 14; F. Hartung (Fn. 7), S. 383 / 387 f. Siehe zur charismatischen Persönlichkeit und Politik von Otto von Bismarck D. Willoweit (Fn. 7), S. 290 ff. Ausführlich zur Ent­ wicklung von Staat und Verfassung im kaiserlichen Deutschland bis zur Entlassung von Otto von Bismarck K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 398 ff. 54  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1038; D. Willoweit (Fn. 7), S. 294 f. / 297 / 303. Ein Grund für das spätere Aufleben des Vereinswesens im Deutschen Kaiserreich war auch der Umstand, dass der Reichstag im Jahre 1890 das Sozialistengesetz („Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der So­ zialdemokratie“) nicht mehr verlängert hatte; siehe zu Letzterem D. Willoweit, ebd., S. 297 / 303.



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Demokratisierung zu folgen“, verstärkte.55 Diese Ausgangslage blieb als „Gedeihbecken“ für den Naturschutz bis zum Ende der Deutschen Kaiser­ monarchie präsent und zeichnete sich durch die stets anhaltenden Graben­ kämpfe zwischen der auf Erhaltung der überkommenen politischen Macht­ ordnung gerichteten und der die wirtschaftliche Modernität und den sozialen Fortschritt billigenden marktgesellschaftlichen Position aus.56 Die Makroe­ bene wird damit mit Blick auf ein Hineinwachsen des Naturschutzgeistes in die staatliche Sphäre des Deutschen Kaiserreichs durch ein autoritär-korpo­ ratives Verfassungsgebilde geprägt, das sich den Strömungen des politischen Liberalismus gegenübersah, ohne dass sich hieraus aber bereits eine system­ konforme Einordnung der Naturschutzidee ergeben würde. 2. Die Mikroebene als authentisches Abbild romantischer und politisch-liberaler Sehnsüchte der Menschen Mit den kapitalistischen Wirtschaftsmechanismen, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu sichtbaren Wandlungen in der gesellschaftlichen Struk­ tur geführt hatten, entstand mit der Zeit eine pluralistische Konfliktgesell­ schaft, in der sich die nunmehr entfesselten Kräfte des Wirtschafts- und Erwerbslebens zusehends in Interessenorganisationen bündelten, wobei sich die innere Zersplitterung der Gesellschaft insbesondere auch in den von Gegensätzen geprägten Parteien ausdrückte.57 Bevor sich aber auf dieser Mesoebene eine organisierte Gesellschaftsstruktur hinsichtlich der Natur­ schutzidee entwickeln konnte, kam es auf die mobilisierenden Kräfte ein­ zelner Individuen auf der Mikroebene an, die als Vorkämpfer für den auf­ kommenden Naturschutzgeist plädierten. Insoweit war die soziologische Realität aber durch einen mannigfaltigen Interessenreichtum geprägt, der eine kanalisierende Erkenntnis des Naturschutzes als einem allgemeinen Interesse erschwerte. Durch den wirtschaftlichen Fortschritt entwickelte sich in der gesellschaftlichen Sphäre der Deutschen Kaisermonarchie ein geisti­ ges Weltklima, das zunehmend offen war „für das Profit- und Karrierestre­ ben, für ein entfesseltes Nutz- und Zweckdenken, das des Überkommenen und Gewordenen nicht achtet, für eine ungehemmte Genusssucht, (…) ins­ gesamt: für die Zerstörung des nationalen und sozialen Zusammenhalts.“58 Während sich viele ethische Idealisten mit dieser Entwicklung abfanden, 55  H.-U. Wehler,

Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1042. H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1003. 57  G. Kratzsch (Fn. 51), S. 372 f. 58  Frhr. M. von Biegeleben, Protokoll der erweiterten Ausschuss-Sitzung des Tages für Denkmalpflege, Außerordentliche Tagung Berlin 1919, S. 117; G. Kratzsch (Fn. 51), S. 373; F. Schmoll (Fn. 1), S. 11 f.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 19; R. Hölzl (Fn. 9), S. 36; S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel (Fn. 9), in: Natur und Landschaft 2003 56  Vgl.

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kleideten sich andere dagegen in einen resignierenden Pessimismus und wandten sich stattdessen dem Genuss kultureller Romantik zu.59 Anderer­ seits ist aber zu bedenken, dass mit der erkämpften politischen Freiheit, der dadurch bedingten, dem Gedankengut des politischen Liberalismus entspre­ chenden Anspruchssaturierung hinsichtlich der wirtschaftlichen Freiheit auch der Anreiz nach politischer Aktivität reduziert war, womit die gleich­ zeitige Zuneigung zu sonstigen naturwissenschaftlichen und kulturellen In­ teressenterrains korrespondierte.60 Mit der weiter anwachsenden Welle der industriellen Zerstörung wurde die noch übrig gebliebene ursprüngliche Natur ideell immer wertvoller,61 was sich in ihrer gesteigerten nationalen Symbolkraft als historisch getränktem Kulturerbe ausdrückte.62 Anderer­ seits spiegelte die durch die wirtschaftliche Entwicklung ausgelöste Zivili­ sationskritik den Gemütszustand vieler Menschen wider, die sich in einem staatssystembedingten Dilemma zwischen einem kränkelnden Individualis­ mus und eines nur oberflächlichen Kosmopolitentums fanden und in der antimodernistischen Naturschutzidee eine heilende Kompensationsmöglich­ keit erblickten.63 Die Fortschrittskritik, die vor allem von dem gebildeten (78), Heft 9 / 10, S. 382; vgl. auch P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 8 f. / 12 / 15; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 50. 59  G. Kratzsch (Fn. 51), S. 373; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 71; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (359); T. Adam (Fn. 9), S. 21 / 36; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 127 f.; F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl (Fn. 14), S. 110 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 231; H. Fischer (Fn. 1), S. 17 f.; O. Renn (Fn. 9), ZfP 1985 (32), 153 (161); vgl. hierzu auch P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 9; ders., Gesetzgebung der Gegenwart (Fn. 41), S. 3 f.; R.-P. Sieferle, Rückblick auf die Natur, München 1997, S. 21; A. Knaut (Fn. 14), S. 13; vgl. auch K. Ditt (Fn. 1), S. 499 / 527 f. In diesem Sinne wurde bzw. wird die Natur immer wieder zu einer Art Gegenpol gegen künstliche, von Menschen erfundene Ordnun­ gen bzw. Gefahrenlagen des menschlichen Daseins; vgl. hierzu nur J. Radkau, Natur und Macht, München 2000, S. 32. 60  H. Kelsen, Politische Weltanschauung und Erziehung (Fn. 6), S. 1228 ff. 61  H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 27; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 71 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 18; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 127 f.; vgl. auch R.-P. Sieferle, Rückblick auf die Natur (Fn. 59), S. 21; W.  Oberkrome (Fn. 1), S.  50 f.; K. Ditt (Fn. 1), S. 499 / 518 f. Nach der Ansicht von Willi Oberkrome führte dieses Nervosität indizierende Zeitalter zu der Begünstigung von intensivierten Pla­ nungen von Erholungsflächen – städtischen Grünanlagen und Parks – sowie auch generell des Naturschutzgedankens (W.  Oberkrome, ebd., S. 51). 62  W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 38; H. Fischer (Fn. 1), S. 17 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S.  19 f.; K. Ditt (Fn. 1), S. 499 / 518 f. 63  K. Bergmann, Agrarromantik und Großstadtfeindschaft, Meisenheim 1970; erläuternd F. Schmoll (Fn. 1), S. 40; vgl. auch A. Wurzel (Fn. 1), S. 19; A. Knaut (Fn. 14), S. 13; W. Hartung (Fn. 41), Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 1989, 173 (173 ff.). Friedemann Schmoll skizziert die für viele Men­ schen im Deutschen Kaiserreich befremdliche Situation folgendermaßen: „In der Kritik an wachsender Naturausbeutung mischten sich ethischer Idealismus, sakral



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Mittelstand initiiert wurde, war indessen nicht gegen die wirtschaftliche und technische Modernität sowie ihre zivilisatorischen Leistungen als solche ausgerichtet, sondern intendiert wurde stattdessen vielmehr eine gemäßigte Entwicklung unter Achtung der Reformvernunft.64 In diese subjektive Welt der individuellen Empfindungen mischte sich überdies eine fast unüber­ schaubare Interessenvielfalt, die aber mehr oder weniger auf eine Bewah­ rung der Natur programmiert war. Demnach wurde das Naturgut aus kultu­ rellen, nationalen, wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Motiven he­ raus einer konservierenden Gesinnung unterzogen.65 Dominierend waren hier gleichwohl die kulturell und national motivierten Heimatschutztenden­ zen, wenngleich sich bereits die sozialpolitische Idee von Erholungsreserva­ ten in der Form von ganzen Naturschutzgebieten für die arbeitende Stadt­ bevölkerung bzw. auch etwaige ökologische Umweltschutzgedanken im Rahmen des soziologischen Diskurses ausbreiteten.66 In personeller Hinsicht ging die gesellschaftliche Aufbruchsstimmung auf dem Gebiet des Natur­ schutzes zumeist von naturwissenschaftlich gebildeten Personen aus, d. h. etwa von Oberlehrern und Professoren an höheren Schulen und Universitä­ ten, aber auch von Apothekern oder Museumsdirektoren.67 Daneben bildeten überhöhter Naturglaube und tiefes Unbehagen in einer als dekadent, oberflächlich und entseelt erfahrenen Gegenwartskultur, deren Komplexität und Undurchschaubar­ keit mit dem Gegenbild einfacher und authentischer Natürlichkeit kontrastiert wur­ de.“ (F. Schmoll, ebd., S. 17). 64  So G. Kratzsch (Fn. 51), S. 373; P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 11  ff.; K. Guenther (Fn. 9), Vorwort S. III; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (36); A. Knaut (Fn. 14), S. 16 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 231; R. Hölzl (Fn. 9), S. 37 / 39; S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel (Fn. 9), Natur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, S. 382; vgl. F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl (Fn. 4), S. 111. Zu dem Bildungsbürgertum als entscheidendem Faktor der neueren Natur- und Heimatschutzbewegung G. Kratzsch (Fn. 51), S. 372; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (362 / 372); T. Adam, ebd., ZfP 1998 (45), 20 (40 f.); A. Andersen (Fn. 9), S. 143; A. Knaut, ebd., S. 16; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 134; E. Klueting (Fn. 9), S. 47; W. Rollins (Fn. 41), S. 157 f. / 160 f.; vgl. hierzu auch K. Odendahl (Fn. 1), S. 41. 65  R. Hölzl (Fn. 9), S. 37 / 41; F. Schmoll (Fn. 1), S. 22 / 188 / 230; ders., Die Ver­ teidigung organischer Ordnungen (Fn. 9), S. 180. 66  F. Schmoll (Fn. 1), S. 230 ff. 67  H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 41; M. Wettengel (Fn. 1), His­ torische Zeitschrift 1993 (257), 355 (369); G. Kratzsch (Fn. 51), S. 372; H. Behrens (Hrsg.), Lexikon der Naturschutzbeauftragten, Bd. III: Naturschutzgeschichte und Naturschutzbeauftragte in Berlin und Brandenburg, Friedland 2010, S. 26; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 38; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 30; K. Ditt (Fn. 1), S. 517 f. / 533; W. Rollins (Fn. 41), S. 161; vgl. auch M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 71; F. Schmoll (Fn. 1), S. 18; R. Hölzl (Fn. 9), S. 38 / 40 f.; H. Fischer (Fn. 1), S. 8 / 10. Durch Ministerialerlass von 1907 wurden Universitätsprofessoren zudem ersucht, in ihren Vorlesungen an passenden Stellen auf den wissenschaft­ lichen und ästhetischen Wert der Naturdenkmäler hinzuweisen (so H. Conwentz, ebd., S. 41).

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insbesondere die Lehrer an den Schulen eine starke Initiativkomponente hinsichtlich des sich ausbreitenden Naturschutzgeistes, was seinen Grund in den volkspädagogischen und ästhetischen Tendenzen der klassischen Natur­ denkmalpflege, zudem aber in ihrer Grundstellung als kompetente Vermittler und Ansprechpartner für Lerninhalte hatte, die auf die Entstehung eines neuen Naturbewusstseins ausgerichtet waren.68 Auf diese Weise leisteten sie überdies einen Beitrag zur Herausbildung einer Jugendbewegung, die sich in und mit der Natur betätigte und so einen ganz neuen Umgang mit einem Medium übte, das als historisch gewachsenes Kulturerzeugnis in der moder­ nen Welt zu einem fast vergessenen Relikt mutiert war.69 Auch wenn es in der Gesellschaft der Deutschen Kaisermonarchie hinsichtlich der Natur­ schutzidee gegensätzliche Bestrebungen gab, als deren Vertreter vorrangig die konservative Landbevölkerung und die proletarische Arbeiterschicht anzusehen waren,70 entstand so mit der Zeit ein gemischtes Naturschutzkli­ ma, das die weitere Entfaltung des jungen deutschen Nationalstaates zu ei­ nem auf die Bewahrung der Natur gerichteten Staatswesen förderte. Dies zeigte sich auch in der zunehmenden Berichterstattung über Natur- und Heimatanliegen in Zeitungen und der damit verbundenen Mobilisierung der öffentlichen Meinung, aber auch in dem wachsenden ehrenamtlichen Enga­ gement in etwaigen Naturschutzorganisationen.71 Damit entstand auf der

68  H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 41; M. Wettengel (Fn. 1), His­ torische Zeitschrift 1993 (257), 355 (371 f.); T. Adam (Fn. 9), S. 41; G. Kratzsch (Fn. 51), S. 372 / 375; H. Behrens (Hrsg.) (Fn. 67), S. 12 f. / 26; O.  Renn (Fn. 9), ZfP 1985 (32), 153 (162 f.); vgl. auch W. Rollins (Fn. 41), S. 161. Richard Hölzl (R. Hölzl (Fn. 9), S. 40 f.) sieht dagegen die Lehrer zumindest nicht als die tragenden Prota­ gonisten der frühen Naturschutzbewegung im Deutschen Kaiserreich an. Ausführlich zu der Thematik der Naturdenkmalpflege in der Schule auch die wegweisenden Vorschläge bei W. Bock (Fn. 18), S. 31 ff. 69  M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (362 f.); T. Adam (Fn. 9), S. 41; A. Knaut (Fn. 14), S. 20; F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl (Fn. 14), S.  117 f.; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 1), S. 28; vgl. auch H. Röscheisen (Fn. 9), S. 57 f.; W. Rollins (Fn. 41), S. 158; J. Wüst (Fn. 1), S. 48 f. Ausführlich zum Ganzen U. Hermann, Wandervogel und Jugendbewegung im geistes- und kulturge­ schichtlichen Kontext vor dem Ersten Weltkrieg, in: ders. (Hrsg.), „Mit uns zieht die neue Zeit …“ – der Wandervogel in der deutschen Jugendbewegung, München u. a. 2006, S.  30 ff. 70  A. Andersen (Fn. 9), S. 144 (Arbeiterschaft). 71  M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (367 ff. / 372); T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (42 ff.); G. Kratzsch (Fn. 51), S. 383 f.; A. Knaut (Fn. 14), S. 18 f. / 370; vgl. auch W. Bock (Fn. 18), S. 7; F. Schmoll (Fn. 1), S. 22; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 43 f. Als Beleg hierfür können insoweit vor allem die Ko­ mitees angeführt werden, die als dezentrale Hilfsorganisationen den gegen Ende des Deutschen Kaiserreichs entstandenen halbamtlichen Staatsorganisationen angeschlos­ sen waren.



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Mikroebene ein allgemeines Entfaltungsklima, das sich auf der Mesoplatt­ form festigte. 3. Die organisierte Naturschutzgesellschaft als Wegbereiter einer naturstaatlichen Moderne Mit dem politischen Kontinuitätsbruch durch den Sturz des charismati­ schen Reichskanzlers Otto von Bismarck kam es zu einer allmählichen Ge­ wichtsverschiebung im Rahmen des autoritär-korporativen Verfassungsgebil­ des des Deutschen Kaiserreichs. Ein Anzeichen für diese Systemmodifikation war das aufblühende Erscheinen einer Vielzahl von Interessenvereinigungen, die sich auch auf dem Gebiet des Natur- und Heimatschutzes herausbilde­ ten.72 Exemplarisch können insoweit der noch im ausgehenden Jahrhundert, im Jahre 1899, gegründete Bund für Vogelschutz, der Verein zum Schutz und zur Pflege der Alpenpflanzen aus dem Jahre 1900, der 1902 entstandene Isar­ talverein im Königreich Bayern, der im Jahre 1904 initiierte Bund Heimat­ schutz73, eine deutsche Ortsgruppe des in Wien im Jahre 1895 gegründeten 72  Hierzu nur H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 112 ff.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 20 ff. / 181 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (362); P. Weber, Hei­ matschutz (Fn. 22), S. 9; W. Bock (Fn. 18), S. 55 ff.; K. Guenther (Fn. 9), S. 250 ff.; T. Adam (Fn. 9), S. 22 / 42; G. Kratzsch (Fn. 51), S. 374 f.; W. Schoenichen, Merkbuch der Naturdenkmalpflege (Fn. 22), S. 47 ff.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8 ff.; H. Fischer, (Fn. 1), S. 8 ff.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 40 ff.; H. Röscheisen (Fn. 9), S. 55 ff.; vgl. auch H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 42; J. Krayer (Fn. 20), S. 90 f.; D. Lukaßen (Fn. 1), S. 22; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 14; W. Rollins (Fn. 41), S. 158 f.; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 38. Friedemann Schmoll: „Die wertorientierten und auf po­ litische Partizipation drängenden Vereine bildeten ein weit verzweigtes gegenkulturel­ les Netzwerk. (…) Die Naturschützer nützten bei der Durchsetzung ihrer Interessen die vorhandenen kommunikativen und politischen Möglichkeiten zur Herstellung von Öffentlichkeit. Sie starteten Medienkampagnen und bildeten erste Bürgerinitiativen. Solche Initiativen setzten den politischen und wirtschaftlichen Interessen ein oft nicht präzise benanntes, in jedem Falle nicht-materielles Interesse an der Erhaltung der Natur entgegen.“ (F. Schmoll, ebd., S. 22). Allgemein zur Soziologie des Vereinswe­ sens in Deutschland O. Dann Vereinswesen und bürgerliche Gesellschaft in Deutsch­ land, Historische Zeitschrift, Beiheft 9, München u. a. 1984; F. Schmoll, ebd., S. 181 f. Siehe zum aufblühenden Pluralismus in Bezug auf das Parteien- und Verbändewesen grundsätzlich auch E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 7), S. 781 ff. 73  Siehe zum im Jahre 1904 gegründeten Bund Heimatschutz P. Weber, Heimat­ schutz (Fn. 22), S. 9 f.; ders., Gesetzgebung der Gegenwart (Fn. 41), S. 16 f.; K. Guenther (Fn. 9), S. 251; C. J. Fuchs (Fn. 1), S. 610; W. Bock (Fn. 18), S. 60; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 153 ff. / 291; G. Eigner (Fn. 23), S. 74; H. Fischer (Fn. 1), S. 19 ff.; A. Hubel (Fn. 22), S. 96 ff.; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 132 ff.; W. Rollins (Fn. 41), S.  149 f.; W. Hartung (Fn. 41), Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmal­ pflege 1989, 173 (174 ff.); A. Andersen (Fn. 9), S. 148 ff.; G.  Gröning / J.  WolschkeBulmahn (Fn. 1), S. 25 f.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Touristenvereins „Die Naturfreunde“ aus dem Jahre 190574, der im Jahre 1909 ins Leben gerufene Verein Naturschutzpark und der ebenfalls in diesem Jahr entstandene Bund zur Erhaltung der Naturdenkmäler aus dem Tier- und Pflanzenreich75 angeführt werden.76 Der Umstand, dass sich in der Verfas­ sung der Deutschen Kaisermonarchie aus dem Jahre 1871 kein Grundrechts­ katalog vorfand, war kein Hindernis für eine organisierte Gesellschaftsstruk­ tur, weil die entsprechenden fundamentalen Gewährleistungen wie die Ver­ eins- oder Versammlungsfreiheit einfachgesetzlich garantiert waren.77 Als gebündeltes Sprachrohr von partikularen Interessen der einzelnen Individuen der Mikroebene war diese organisierte Natur- und Heimatschutzgesellschaft aber schon ein aussagekräftiger Indikator für ein sich formierendes Gemein­ wohlinteresse, dessen regulierende und freiheitsgewährende Durchsetzung gemäß des eingangs dieses Teilabschnitts erwähnten Auszugs hinsichtlich der dualen Trennungsstruktur von Staat und Gesellschaft, d. h. der partikularen und der allgemeinen Sphäre, grundsätzlich dem Staat oblag. Dies galt in dem durch einen autoritären Korporativismus gekennzeichneten Staatssystem des Deutschen Kaiserreichs umso mehr, als die Interessenverbände im Rahmen des tarierenden Zusammenspiels mit Regierung, Bürokratie, Parlament und Parteien zu einem maßgeblichen politischen Einfluss fähig waren, indem sie über eine mit Berufsfunktionären ausgestattete Organisation verfügten, deren propagandistisch verstärkte Stoßrichtung auf Abgeordnete bzw. deren Unter­ stützung im Rahmen von parlamentarischen Gesetzesentwürfen gerichtet war, was sich im Deutschen Kaiserreich mit der Zeit zu einer gewohnten 74  Siehe zu dem der proletarischen Arbeiterklasse zuzurechnenden Verein „Die Naturfreunde“ H. Röscheisen (Fn. 9), S. 54; A.  Upmann / U.  Rennspieß, Organisa­ tionsgeschichte der deutschen Naturfreundebewegung bis 1933, in: J. Zimmer (Hrsg.), Mit uns zieht die neue Zeit. Die Naturfreunde. Zur Geschichte eines alter­ nativen Verbandes in der Arbeiterkulturbewegung, Köln 1984, S. 66 ff.; J. Zimmer, Soziales Wandern. Zur proletarischen Naturaneignung, in: F.-J. Brüggemeier (Hrsg.), Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahrhundert, 2. Aufl., Mün­ chen 1989, S. 158 ff.; G. Wendt, Proletarischer Naturschutz in der Weimarer Repub­ lik – Der „Touristenverein ‚Die Naturfreunde‘ “ im Rheinland, Geschichte im Westen 2004 (19), S. 42 ff.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 36 ff.; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 1), S. 25. 75  Hierzu zusammenfassend F. Schmoll (Fn. 1), S. 224 ff. 76  H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 89 / 112 ff.; ausführliche Darstellungen dieser frühen Naturschutzvereine finden sich bei F. Schmoll (Fn. 1), S. 196 ff. 77  E. R. Huber, Das Deutsche Kaiserreich als Epoche (Fn.  7), § 2 Rn. 37; K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 355 / 358 / 360 ff.; D. Willoweit (Fn. 7), S. 298 f.; vgl. dazu auch U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht (Fn. 8), S. 175. Die entscheidende politische Liberalisierung des sich zunächst dennoch nur langsam entwickelnden Verbände-, Vereins- und Versammlungswesens gelang aber erst mit dem späteren Reichsvereinsgesetz aus dem Jahre 1908; so D. Willoweit (Fn. 7), S. 298.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs207

Normalität entwickelte.78 Die fortschrittliche Benennung als organisierte Na­ turschutzgesellschaft trifft den Kern der realen Verhältnisse aber nur partiell. Dies wird schon an den Verbänden und Vereinen auf dem Gebiet des Heimat­ schutzes deutlich, die sich zwar auch die Naturschutzidee auf ihre Fahnen geschrieben hatten, als vorrangigen Programmpunkt aber einem gesamtphy­ siognomischen Ansatz gemäß die heimatliche Landschaft in ihrer ästheti­ schen Darbietung als historisch gewachsenes Kulturprodukt bewahren woll­ ten.79 Ein vergleichbares Bild ergibt sich aus einer Analyse der sonstigen Naturschutzverbände, deren Entstehung zu Beginn des neuen Jahrhunderts eine Selbstorganisation der Gesellschaft gefördert hat. In diesem Sinne enga­ gierte sich der Verein zum Schutz und zur Pflege der Alpenpflanzen zwar im naturwissenschaftlichen Bereich der Naturdenkmalpflege und wollte durch eine Kooperation mit den Behörden das Ziel einer von Menschenhand ver­ edelten, floristischen Ideallandschaft verwirklichen, was sich letztlich auch mit Forderungen nach etwaigen Reservaten für die ursprüngliche Natur ver­ mischte. Neben Naturschutzaspekten stand bei diesem auf die Bergwelt aus­ gerichteten Betätigungsfeld insbesondere aber auch der Gesichtspunkt von der Natur als Ware im Fokus der Schutz- und Gestaltungsaktivitäten, um wirtschaftliche und touristische Interessen zu fördern.80 Ein ähnliches Aus­ richtungspotential verfolgten die zahlreich entstandenen Verschönerungsver­ eine, die auf den Bau von Infrastruktureinrichtungen unter der Beachtung von Ordnungs- und Reinlichkeitsgeboten programmiert waren, wobei sich mit der Zeit auch auf den Landschaftsschutz bezogene, romantischere Motive daruntermischten. Auch diese privaten Organisationen waren nur mittelbar an dem noch neuen Naturschutzgedanken interessiert, was das Schutzniveau im Lichte vorrangiger ökonomischer Belange erheblich schmälerte, wenngleich hier bereits die Tendenz vorhanden war, die Landschaft ebenfalls als Natur­ denkmal zu sehen und ihr damit einen Bewahrungswert als Naturgut zukom­ 78  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1042; F. Schmoll (Fn. 1), S. 22 / 181 f.; H. Röscheisen (Fn. 9), S. 58; K. Ditt (Fn. 1), S. 531 f.; W. Rollins (Fn. 41), S. 160; vgl. auch D. Willoweit (Fn. 7), S. 302; K. Guenther (Fn. 9), S. 247; R. Hölzl (Fn. 9), S. 40 f.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 49; R. Schröder (Fn. 1), S. 76. Aufgrund der finanziellen Abhängigkeit der auf dem Gebiet des Naturschutzes tätigen Verbände und Vereine von staatlichen Mitteln agierten diese aber mit politischen Forderungen eher zurückhaltend; hierzu nur T. Adam (Fn. 9), S. 45. Siehe zu der Bedeutung einer organisierten Gesellschaft grundsätzlich auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 6), S. 18 ff.; vgl. auch E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 7), S. 781. 79  Vgl. F. Schmoll (Fn. 1), S. 190 / 195. Friedemann Schmoll spricht insoweit von einer Anzahl von Naturschutzvereinen im Deutschen Kaiserreich von weit mehr als 250 Verbänden, wobei es neben Vereinen, die sich ausschließlich oder vorwiegend dem Schutz der Natur widmeten, auch eine Reihe anderer Organisationen gab, denen neben ihrem originären Vereinszweck Naturschutz zu einem Anliegen erwuchs. 80  F. Schmoll (Fn. 1), S. 208 ff.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

men zu lassen.81 Den Weg in eine naturstaatliche Moderne bereiteten dage­ gen aber bereits der Isartalverein sowie der Verein Naturschutzpark. Ersterer avancierte im Königreich Bayern in kürzester Zeit zu einem Sprachrohr der Öffentlichkeit bei der Verhinderung von Großprojekten sowie zu einem allge­ meinen Anwalt in Natur- und Umweltschutzangelegenheiten. Zwar stand sei­ ne grundsätzliche Orientierung in der Tradition der auf die Ästhetik des Landschaftsbildes ausgerichteten Verschönerungsvereine, was in der kaiserli­ chen Monarchie auch seine Hauptbetätigung bleiben sollte. Daneben entzog er aber durch den Ankauf von Grundstücken bzw. eine entsprechende Einwir­ kung auf die staatlichen bzw. kommunalen Stellen eine Reihe von Flächen der städtebaulichen Entwicklung und der industriellen Nutzung, was sein sonstiges Engagement in Form des Anlegens von Spazierwegen und Alleen auf erworbenen Grundstücken sowie des Eintretens für den Schutz der baye­ rischen Seen ergänzte. Durch vereinzelte Mitglieder, die sich in hohen staat­ lichen Ämtern befanden, wuchs auf diese Weise sein Einfluss auf die öffent­ liche Meinung beträchtlich, was ihn bereits zu einem geistigen Vorreiter einer thematischen Umweltraison machte.82 Dagegen nahm der Verein Natur­ schutzpark die schon im Jahre 1898 von Wilhelm Wetekamp vor dem preußi­ schen Abgeordnetenhaus geäußerte Idee von durch urwüchsige Natur be­ stimmte Staatsparks auf. Geplant war die Einrichtung von einem Hochge­ birgspark in den österreichischen Alpen, einem Park im deutschen Mittelge­ birge und einem Naturgebiet in der norddeutschen Tiefebene.83 Auch hier zeitigten aber fehlende finanzielle Ressourcen Schwierigkeiten in der prakti­ schen Durchführung, was sich in der Aufgabe mancher Ankaufsprojekte von Grundstücken äußerte und erst im Jahre 1913 im Erwerb eines 1000 ha um­ fassenden Grundstocks eines Alpenparks in den Hohen Tauern Salzburgs ei­ nen mittleren Erfolg zu verzeichnen hatte. Das Schutzvorhaben wurde aber von Kaiser Wilhelm II. mit 50.000 Mark unterstützt,84 was als Vorzeichen einer ökologischeren Staatsgesinnung angesehen werden kann. Diese staatli­ 81  F. Schmoll

(Fn. 1), S. 197 ff.; vgl. auch W. Bock (Fn. 18), S. 57 f. F. Schmoll (Fn.  1), S.  203  ff.; zum Isartalverein auch W. Bock (Fn. 18), S. 57 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 23 f.; ergänzend hierzu auch H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 44; A. Knaut (Fn. 14), S. 359. 83  F. Schmoll (Fn. 7), S. 212 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (372); R. Piechocki (Fn. 23), S. 47. 84  K. Guenther (Fn. 9), S. 228; A. Knaut (Fn. 14), S. 379. Von den deutschen Bundesfürsten traten zudem der König von Württemberg, der König von Sachsen, der Prinzregent von Bayern, die Großherzöge von Baden, Hessen, Sachsen-CoburgGotha und Sachsen-Weimar und der Herzog von Anhalt mit „namhaften Beiträgen“ dem Verein Naturschutzpark bei (so nur R.  Lüer, Geschichte des Naturschutzes in der Lüneburger Heide, Bispingen 1994, S. 62 unter Rekurs auf ein Protokoll der Hauptversammlung dieses Vereins). Daran zeigt sich die konservativ-monarchische sowie die naturstaatliche Dimension des damaligen Naturschutzes ganz deutlich. 82  Zusammenfassend



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs209

chen Reformtendenzen hatten sich aber bereits im Jahre 1910 angekündigt, als dieser Verein die Lüneburger Heide in ein Naturschutzgebiet umfunktio­ nieren wollte, wofür ein Gelände für die Summe von 100.000 Mark ange­ kauft wurde, wovon auf nationalliberalen Antrag hin 85.000 Mark seitens des preußischen Landtags zur Verfügung gestellt wurden. Im Jahre 1911 wurde dann dem Verein von dem preußischen Staat unter persönlichem Engagement wiederum von Kaiser Wilhelm II. eine Spiellotterie gewährt, die neben jähr­ lichen Zuschüssen seitens der Hansestädte die finanziellen Aufwendungen für die Aufrechterhaltung des Naturschutzgebietes sichern sollten. Ein Jahr später wurde dem Verein dann von Kaiser Wilhelm II. das Enteignungsrecht zuerkannt, um drohende Bau- und Jagdaktivitäten in dem geschützten Natur­ park zu unterbinden.85 Neben dieser evident ökologischen Leitidee der Pro­ grammatik des Vereins Naturschutzpark bestanden aber auch ästhetische und wirtschaftliche Motive, die auf eine touristische Anbindung der Naturparks sowie auf den national-historischen Erkenntniswert der Urnatur gerichtet wa­ ren.86 Durch die öffentlichkeitswirksame Projektion der Naturschutzarbeit dieses Vereins kam es gleichwohl zu einer enormen Mobilisierungswirkung, die sich in den kontinuierlich steigenden Mitgliederzahlen ausdrückte. Diese waren von 2273 Mitgliedern im Jahre 1910 auf 12.649 Mitglieder im Jahre 1912 gestiegen.87 Es war aber auch ein klares Anzeichen für die generelle 85  Zum Ganzen R.  Lüer (Fn. 84), S. 60 ff.; A. Knaut (Fn. 14), S. 379; F. Schmoll (Fn. 1), S. 212 ff.; vgl. auch H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 43 f.; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 221 / 277; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 73; H. Röscheisen (Fn. 9), S. 56; zu der von der preußischen Krone ge­ währten Lotterie auch bereits W. Wetekamp (Fn. 23), S. 208; B. Wolf (Fn. 35), S. 16; K. Guenther (Fn. 9), S. 228; A. Kneer (Fn. 19), S. 26; W. Schoenichen, ebd., S. 277; F. Schmoll (Fn. 1), S. 218; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 48. Die finanzielle Aufstockung durch staatlich genehmigte Lotterien bzw. die Übertra­ gung des staatlichen Enteignungsrechts an private Vereine waren zeittypische Hand­ lungen, um das Bewahrungspotential auf dem Gebiet des Naturschutzes zu erhöhen. Dies zeigte sich insbesondere auch am Beispiel des Verschönerungsvereins für das Siebengebirge, dem im Jahre 1888 bzw. 1899 seitens der preußischen Krone ein selbständiges Lotterierecht eingeräumt bzw. das Enteignungsrecht zuerkannt wurde. Hinter dem Kalkül des Königreichs Preußen standen aber in erster Linie national­ staatliche Propagandaversuche; hierzu nur A. Kuntz (Fn. 1), S. 56 ff.; W. Schoenichen, ebd., S. 86 f.; vgl. auch F. Schmoll, ebd., S. 132 ff. / 200 f. Gesamtdarstellungen zu den Erfolgen des Vereins Naturschutzpark finden sich auch bei A. Kneer, ebd., S.  25 ff.; A. Andersen (Fn. 9), S. 146; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 38. 86  F. Schmoll (Fn. 1), S. 214 ff.; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 1), S. 27. 87  A. Knaut (Fn. 14), S. 379; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 115; F. Schmoll (Fn. 1), S.  216 f.; R.  Lüer (Fn. 84), S. 62 f. Nach Konrad Guenther (K. Guenther (Fn. 9), S. 228) hatte der Verein im Jahre 1918 dann in Deutschland 14.000, in Österreich 2.000 Mitglieder. Friedemann Schmoll (F. Schmoll, ebd., S. 216 f.) spricht dagegen bereits im Jahre 1913 von rund 16.000 Personen und über 600 korporativen Mitglie­ dern. Die Naturparkidee dieses Vereins wurde von Vertretern des Heimatschutzes

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Aufbruchstendenz des Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich, die sich all­ mählich auch bereits in den starren politischen Milieulagern der Parteien­ landschaft angedeutet hatte.88 Dort waren die Parteien dem Naturschutzbe­ lang mit der Zeit zwar nicht grundsätzlich, aber doch merklich spürbar posi­ tiver zugewandt. Dies zeigte sich deutlich an der inneren Programmreform des in erster Linie auf die katholischen Kleinstädte sowie die ländlichen Re­ gionen gerichteten katholischen Deutschlands.89 Insoweit erlebte das Zen­ trum während der Dauer des Deutschen Kaiserreichs eine Abkehr vom erz­ grundsätzlich begrüßt, weil sie ebenfalls auf einen Gesamtschutz der Natur als Gan­ zem gerichtet war, was seine Parallele in dem Ansatz einer Gesamtphysiognomie der Landschaft fand. Die diskutierten konzeptionellen Fragen um den Verein Natur­ schutzpark zeigen die unterschiedlichen Naturschutzmethoden, die im Deutschen Kaiserreich vertreten waren, die aber mehr oder weniger mit der Zeit ineinander übergingen. In diesem Sinne öffnete sich allmählich die von staatlicher Seite letzt­ lich bevorzugte kleinflächige Naturdenkmalpflege, wie sie vornehmlich im König­ reich Preußen betrieben wurde, der Naturschutzgebietsidee, was gleichzeitig auch eine Annäherung an den heimatlichen Landschaftsschutz bedeutete; zu der im Deut­ schen Kaiserreich auch kritischen Debatte um den Verein Naturschutzpark A. Knaut, ebd., S. 380 ff. / 392. 88  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1040 f.; vgl. auch D. Willoweit (Fn. 7), S. 294 f. / 303. Im Hinblick auf die mehr ökologische Ausrich­ tung und die Effizienz des Vereins Naturschutzpark äußerte sich Hans Klose (H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 7) aber noch kritisch: „Vielleicht hätte ein universaler Naturschutzbund von gleicher Homogenität und Werbekraft Keimzelle einer (echten) ‚Bewegung‘ werden können, doch die Zeit war dafür noch nicht gekommen.“ Dirk Lukaßen (D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 21 f.) spricht dagegen davon, dass die entstehende heterogene Naturschutzbewegung trotz ver­ schiedener Argumentationsmuster, Naturkonzeptionen und Interessen Fürsprecher in allen politischen Lagern fand. Dieser Ansicht kann zugestimmt werden. Der Natur­ schutz war materiell derart facettenreich und pluralistisch ausgeprägt, so dass eine Anbindung an sämtliche Parteizentralen durchaus plausibel erscheint. Siehe zu dem Umstand der starren Parteienlandschaft K. D. Bracher (Fn. 7), S. 7; D. Willoweit (Fn. 7), S. 294 f. Zur Entwicklung der (politischen) Parteien im Deutschen Kaiser­ reich K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 396 ff.; E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 7), S. 781 ff.; M.  R.  Lepsius (Fn. 7), S. 377 ff., dort auch über­ zeugend zur inneren Starrheit des Parteiensystems. Michael Stürmer dazu treffend: Die Parteien „verharrten in jenem Vorhof der Macht, den Verfassung und Staatsleben ihnen zuwiesen, und überwiegend fanden sie ihn wohnlich.“ (M. Stürmer (Fn. 6), S. 119; zitiert auch bei K. Stern, ebd., S. 397). Nach der Ansicht von Ernst Rudolf Huber war das Bismarcksche Reich kein (echter) Parteienstaat. Die Parteien besaßen im Deutschen Kaiserreich zwar eine bedeutende verfassungspolitische und verfas­ sungsrechtliche Funktion; aber sie waren in der konstitutionellen Monarchie nicht die einzigen staatstragenden Kräfte mit politischem Einfluss. Insbesondere besaßen die Parteien gegenüber dem Parlament nur einen nachgeordneten verfassungspoliti­ schen Rang. Denn „die Parteien waren Organe der Willensbildung, keine Organe der politischen Herrschaft.“; zusammenfassend E. R. Huber, Bismarck und das Reich, ebd., S.  782 f.). 89  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1055.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs211

konservativen und der katholischen Kurie verpflichteten Ultramontanismus hin zu einer Öffnung als politischer Partei, die sich insbesondere auch nach der Zäsur im Jahre 1890 und der zunehmenden sozialökonomischen Interes­ senvertretung in dem sich weiter ausbauenden Vereinswesen in der pluralisti­ schen Gesellschaftsstruktur der wilhelminischen Polykratie auswirkte und das Zentrum zu einem kooperationsfähigen Partner avancieren ließ.90 Mit der Zeit zeigte sich so ein ländlicher Populismus, der sich als eine „regional dif­ ferenzierte Mischung von rückwärtsgewandter und moderner, antiliberaler und antisemitischer“, aber auch demokratischer Kritik verstand und sich als eine Art Gegenbewegung zu den ökonomischen, sozialen und gesellschaftli­ chen „Reformen“ interpretierte.91 Daneben bildete sich eine bürgerliche Auf­ bruchsbewegung, die sich in der modernen Welt wiederfand und das katholi­ sche Bildungsdefizit unter dem euphorischen Drang nach einheitsstiftender Nationalität ausgleichen wollte, sowie eine katholische Arbeiterbewegung heraus, die sich von der ständestaatlich-antikapitalistischen Harmonisie­ rungslehre langsam befreite und gegen die Ablehnung der Sozialdemokratie opponierte.92 Auf diese Weise gelang der Naturschutzgedanke gleich unter mehreren Gesichtspunkten in die Parteihalle des Zentrum, indem die Bewah­ rung der originären Natur als kulturell-ästhetisches, nationales, soziales, aber auch bildungsnotwendiges Anliegen erkannt wurde. Gleichwohl war das Zentrum aber weiterhin auch der Vertreter einer überkommenen ländlichen Ordnung, was dem Naturschutz mit Blick auf die Eigentumsfrage hinderlich sein konnte.93 In diesem Punkt bestand schließlich eine geistige Übereinstim­ mung mit den Deutschkonservativen, die als Partei der protestantischen Großagrarier und Bauern, der Beamten und Pfarrer sowie kleinstädtischen Bürger auf die Beibehaltung der alten elitären Ordnung abzielten, was ihnen aber angesichts des freiheitlichen Pluralismus als Ausdruck eines zunehmen­ den politischen Liberalismus im Deutschen Kaiserreich immer weniger ge­ lang.94 Für sie war die geborene Naturschutzidee vorrangig ein national-his­ torischer Topus, der sich gegen Ende der kaiserlichen Monarchie mit seiner 90  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn.  2), S. 1056  f. Zu der Entwicklung der Zentrumpartei im Deutschen Kaiserreich ausführlich auch T. Nipperdey, Deutsche Geschichte (Fn. 2), S. 337 ff. / 541 ff. 91  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1057; vgl. auch M.  R.  Lepsius (Fn. 7), S. 380 / 383 ff. 92  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1057 f. 93  H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 105 / 122; vgl. auch W. Schoenichen (Fn. 1), S. 284. 94  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn.  2), S. 1060  f.; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 105 / 122; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 284; vgl. auch O.  Renn (Fn. 9), ZfP 1985 (32), 153 (162). Eine Ausnahme bildete der preußische Landtag, wo das Dreiklassenwahlrecht den Deutschkonservativen bis zum Ende des Deut­ schen Kaiserreichs noch einen entscheidenden politischen Einfluss sicherte (H.-U. Wehler, ebd., S. 1061).

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Öffnung zu dem Gedankengut eines völkischen Nationalismus und Antisemi­ tismus in eine ideologische Irrationalität verwandelte.95 Einen vermittelnden Standpunkt hinsichtlich des Naturschutzgeistes nahm demgegenüber das li­ berale Lager im Deutschen Kaiserreich ein, das sich in Nationalliberale, Se­ zessionisten, Fortschrittliche, Freisinnige, Nationalsoziale und Volksparteiler aufteilte und seine Anhänger sowohl in der städtischen wie auch in der länd­ lichen Gesellschaft, quer durch die verschiedenen Schichten des Bürgertums verteilt, vorfand.96 Mit dem politischen Frühling, der in der sich ausweiten­ den Urbanisierung und Industrialisierung seine Gründe hatte, kam es aber immer mehr zu Spaltungsprozessen der liberalen Kräfte voneinander, was sich durch die anbahnende weitere Entwicklung zum Interventions- und So­ zialstaat weiter verfestigte und die Durchsetzungskraft auf Reichsebene be­ grenzte.97 Der allgemeine Verfall des liberalen Lagers war zudem auf eine Resignation gegenüber der nationalen Programmatik zurückzuführen, die in einer verfehlten Parlamentarisierungspolitik und dem Fehlen neuer nationaler Zielsetzungen begründet lag.98 Aus diesem Grund passte auch hier die Sym­ bolik der Natur als Kraftquelle nationaler Einheitswünsche in das Schema der liberalen Parteien, wobei dieses kulturell-ästhetische Motiv um die sozialpo­ litische Komponente des Naturschutzes als Erholungsreservat für die Stadt­ bevölkerung partiell ergänzt wurde. Den Weg in eine naturstaatliche Moderne bereitete in der Deutschen Kaisermonarchie aber vor allem die Sozialdemo­ kratie, die ihre Anhängerschaft in erster Linie in den protestantischen Ar­ beitsvierteln der Großstädte hatte, während sie bei der ländlichen Gesell­ schaft auf Widerstände stieß, die einerseits in den alten, verkrusteten, ländli­ chen Strukturen begründet waren, „wo die Landarbeiter einer straffen sozia­ len Organisation durch adelige, bäuerliche und bürgerliche Arbeitgeber im Schulterschluss mit der Verwaltung unterlagen“, andererseits aber in der fort­ währenden Ausrichtung auf das Industrieproletariat, was eine sinnvolle Ag­ rar- und Bauernpolitik ausschloss und so zu einer fatalen Blockade gegen­ über der auf dem Land beheimateten Bevölkerung führte.99 Auch wenn die 95  Vgl. hierzu H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1062; F. Schmoll (Fn. 1), S. 185; T. Nipperdey, Deutsche Geschichte (Fn. 2), S. 331 ff. / 536 ff., v. a. S.  541. 96  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1050 f. 97  Siehe hierzu H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn.  2), S.  1051 ff.; T. Nipperdey, Deutsche Geschichte, (Fn. 2), S. 314 ff. / 521 ff. 98  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1051. 99  H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1046  f.; M. Stürmer (Fn. 6), S. 119. Zur Integration der Arbeiterbewegung (Sozialdemokratische Partei und Gewerkschaften als Organisationsformen) in das korporative Verfassungs­ gebilde des Deutschen Kaiserreichs und der damit in Zusammenhang stehenden Rolle der aufstrebenden Sozialdemokratie nur M. R. Lepsius (Fn. 7), S. 380 / 387 ff. / 392; allgemein auch T. Nipperdey, Deutsche Geschichte (Fn. 2), S. 351 ff. / 554 ff.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs213

Sozialdemokratie noch entfernt war von dem Status einer Volkspartei, entwi­ ckelte sie sich mit der Zeit zu einer kooperationsfähigen politischen Integra­ tionskraft und war in diesem Sinne ein überwindender Faktor der eingefahre­ nen innenpolitischen Pattsituation, die sich in der Frontstellung eines rechten Konservativismus und eines linken Reformverlangens ausdrückte.100 Auf dem neuen Gebiet des Naturschutzes zeichnete sich der Ansatz dagegen durch eine ästhetische Romantik mit sozialpolitischer Färbung aus, um die von der materialistischen Fortschrittsmaschinerie geplagten Menschen wie­ der mit der Natur zu vereinen.101 Hier fanden sich auch schon ökologische Muster, deren objektiver Geist aber noch weitgehend verborgen lag. 4. Zwischenergebnis Ein Querschnitt durch die soziologische Wirklichkeit des autoritär-korpo­ rativen Verfassungsgebildes der Deutschen Kaisermonarchie bringt ein fortschrittlicheres Naturschutzverständnis hervor, als in der wissenschaftli­ chen Forschung bisher zumeist angenommen wurde. Die Natur wurde aus mannigfachen Motiven geschützt, wobei die historisch gewachsene, kultu­ rell-ästhetische Nationalsymbolik der Natur als herrschende Leitidee gelten kann. Durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung und ihre sichtbaren Zeugen der Naturzerstörung stieg aber mit der Dauer ein Naturschutzgeist empor, der sich unter dem vordergründigen Deckmantel einer antimodernis­ tischen Zivilisationskritik ausbreitete und mit weiteren Zielvorstellungen einherging. In diesem Sinne waren die Naturschutzaktivitäten oft Ausdruck anderer Interessen, was aber zumindest mittelbar auch der Natur zugute kam. Als Initiatoren dieser geborenen Naturschutzidee agierten vorrangig Vertreter der gebildeten Mittelschicht, die sich nach dem Sturz von Otto von Bismarck als Reichskanzler im Jahre 1890 und der anschließenden Welle eines in kollektiven Einrichtungen ausgelebten, organisierten Betätigungs­ drangs in neu gegründeten Interessenverbänden und -vereinen wiederfanden, wo sie den Naturschutzbelang mit gebündelten Kräften forcieren konnten. Auf diese Weise ist eine organisierte Naturschutzgesellschaft entstanden, die mit dem im Jahre 1909 initiierten Verein Naturschutzpark einen fortschritt­ lichen Vertreter aufwies, der die Natur aus sozialen, aber auch ökologischen Interessen bewahrte und dessen öffentlichkeitswirksame Kooperation mit der preußischen Monarchie das Naturschutzbewusstsein in der Gesellschaft weiter steigerte. Aber auch die Parteienlandschaft, die sich in der Konstel­ lation eines strikten politischen Milieusystems eingebunden sah, machte mit 100  H.-U. Wehler,

Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1043 / 1049. hierzu H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 103 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 159 f. / 185; vgl. auch D. Willoweit (Fn. 7), S. 303. 101  Siehe

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

der Zeit einen Schritt auf dem Weg in eine naturstaatliche Moderne, wenn­ gleich die nationale Relevanz des Naturschutzes bis zum Ende des Deut­ schen Kaiserreichs vorherrschend blieb. Es war letztlich ein langsamer Prozess, der in der zweiten Hälfte des neuen deutschen Nationalstaats in Gang gekommen war, da sich der Zeitgeist mit den materialistischen Aus­ wüchsen konfrontiert sah und die politische Lage eine Ausweitung des Naturschutzgedankens begünstigte. In diesem Sinne war der politische Li­ beralismus nicht nur der geistige Urheber einer kapitalistischen Werteord­ nung, die primär an der Gewinnmaximierung orientiert war, sondern auch der Wegbereiter einer organisierten Struktur der Gesellschaft, die eine par­ lamentarische Ausrichtung des Staatsapparats vorbereitete. IV. Die Organisationsmodelle des staatlichen Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich Das Hineinwachsen der Naturschutzidee in die staatliche Sphäre des Deutschen Kaiserreichs entpuppte sich angesichts der verschiedenartigen Interessen in der pluralistischen Gesellschaft als eine schwierige Aufgabe. Es bestand zwar gegen Ende des Deutschen Kaiserreichs durchaus ein all­ gemeines Interesse, dass das Naturschutzanliegen staatlich organisiert wer­ den sollte. Allerdings stand hinter dem „Wie“ der konkreten Ausgestaltung noch ein Fragezeichen, was sich insbesondere aus dem nicht anzutastenden Primat der Ökonomie und der damit zusammenhängenden Eigentumsproble­ matik, aber auch aus dem eine zaghafte Zurückhaltung indizierenden Um­ stand ergab, dass noch nicht abzuschätzen war, ob sich der Belang des Naturschutzes zukünftig auch wirklich als Staatsaufgabe etablieren konn­ te.102 Die Folge war eine organisatorische Heterogenität in den Einzelstaaten des Deutschen Kaiserreichs, wobei sich insoweit drei Modelle eines staat­ lichen Naturschutzes herausbildeten.103 Eine Organisationsform verortete das neue Betätigungsfeld des Staates in einer Grauzone zwischen der staatlichen und der gesellschaftlichen Sphä­ re.104 An diesem Typus zeigt sich, mit welcher legitimitätsbelasteten Hypo­ thek der Naturschutzgedanke ausgestattet war, was zu weitgehende Einrich­ 102  H.-W. Frohn

(Fn. 15), S. 98 f. / 120 ff. F. Schmoll (Fn. 1), S. 161 ff. 104  Eine Übersicht dieses Organisationsmodells, dem die Königreiche Preußen, Bayern und Württemberg folgten, ist abgedruckt in Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.), Beiträge zur Naturdenkmalpflege, Bd. II, Heft 2, Organisation der Naturdenkmalpflege in Deutschland, Berlin 1911, S. 169 ff. In den genannten Staa­ ten variierten die Geschäftsbereiche, in die die Naturdenkmalpflege fiel. Während der Naturschutz in der preußischen Monarchie in den Ressortbereich des Kultusmi­ nisteriums gehörte, war er im Königreich Bayern dem Geschäftsbereich des Staats­ 103  Zusammenfassend



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs215

tungen und Maßnahmen von Seiten des Staates auf diesem Gebiet ausschloss. Als Beleg für dieses Organisationsmodell kann die strukturierte Natur­ schutzverwaltung im Königreich Preußen angeführt werden, wo im Jahre 1906 mit der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege die erste staatliche Naturschutzinstitution gegründet worden war.105 Ihr Aufgabenbereich bezog sich auf die Inventarisierung und Begutachtung der kleinflächigen Natur­ denkmäler sowie auf die Beratung und Anregung von Privatpersonen in Bezug auf etwaige Schutzmaßnahmen, die diese in erster Linie selbst durch­ führen mussten. Daneben bestand die Verpflichtung mit Behörden, Kommu­ nen und Vereinen in Kontakt zu treten, um dem Naturschutzanliegen in der politischen Arena zum Erfolg zu verhelfen.106 Das war umso notwendiger, als die Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege weder über Eingriffsbefug­ ministeriums des Innern und im Königreich Württemberg dem Geschäftsbereich des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens zugeordnet (S. 169 / 174 / 176). 105  K. Guenther (Fn. 9), S. 217; A. Kneer (Fn. 19), S. 25; W. Bock (Fn. 18), S. 74; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (364 ff.); T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (23); W. Schoenichen (Fn. 1), S. 231; G. Eigner (Fn. 23), S. 78; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 13 / 15; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 46; H. Röscheisen (Fn. 9), S. 57; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 52; K. Ditt (Fn. 1), S. 519. Die im Jahre 1906 im Königreich Preußen gegründete Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege mit ursprünglichem Sitz in Danzig wurde von Hugo Conwentz anfangs nur neben­ amtlich geleitet, was sich ab dem Jahre 1909 und dem späteren Umzug der Staatli­ chen Stelle für Naturdenkmalpflege nach Berlin im Jahre 1911 aber änderte; siehe hierzu B. Wolf (Fn. 35), S. 2 / 4; M. Wettengel, ebd., S. 366; A. Knaut (Fn. 14), S. 370; F. Moewes (Fn. 23), S. 173; W. Schoenichen, ebd., S. 231 / 233; F. Schmoll (Fn. 1), S. 120 / 148 f.; R. Piechocki (Fn. 23), S. 47; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 24 ff.; vgl. auch A. Stipproweit (Fn. 1), S. 31. Mit dieser staatlichen Naturschutzeinrichtung erkannte in der weltweiten Staatenwelt erstmals ein moderner Staat den Naturschutz als Staatsaufgabe an. Institutionengeschichtlich war die Staatliche Stelle für Naturdenk­ malpflege der ideengeschichtliche Vorreiter einer langen institutionellen Entwick­ lungskette: Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen (1906–1936), Reichsstelle für Naturschutz (1936–1949), Zentralstelle für Naturschutz und Land­ schaftspflege (1949–1952), Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftspflege (1950–1962), Bundesanstalt für Vegetationskunde, Naturschutz und Landschaftspfle­ ge (1962–1976), Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie (1976–1993), Bundesamt für Naturschutz (ab 1993); siehe dazu H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 85 f. / 106; A. Stipproweit, ebd., S. 31 / 36 f.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 11. 106  Hierzu H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 39; K. Guenther (Fn. 9), S. 217; W. Bock (Fn. 18), S. 74 f.; A. Kneer (Fn. 19), S. 25; B. Wolf (Fn. 35), S. 2 ff.; H.  Lezius (Fn. 19), S. 186 f.; Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), S. 317; F. Moewes (Fn. 23), S. 173; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 72; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 13 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (367); A. Andersen (Fn. 9), S. 148; A. Knaut (Fn. 14), S. 370 f.; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 106; F. Schmoll (Fn. 1), S. 121; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 231 f.; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 26; K. Ditt (Fn. 1), S. 519; A.  Stipproweit (Fn. 1), S. 31; M.  Lücke, Geschichte des Naturschutzes im

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

nisse verfügte, noch mit ausreichenden finanziellen Mitteln ausgestattet war, um effiziente Schutzmaßnahmen zu ergreifen.107 Damit aber auch auf regi­ onaler Ebene eine effizient arbeitende staatliche Naturdenkmalpflege mög­ lich war, wurden auf der rechtlichen Grundlage eines Ministerialerlasses vom 30.05.1907 Provinz-, Bezirks-, Landschafts- und Ortskomitees geschaf­ fen, in denen als ehrenamtliche Einrichtungen Bedienstete, Vereinsmitglie­ der sowie Privatpersonen zusammenarbeiteten.108 Die Provinzialkomitees standen dabei in der Regel unter dem Vorsitz der Oberpräsidenten der ein­ zelnen Provinzen, in den Bezirkskomitees waren es indessen die Regie­ rungspräsidenten, als deren Vertreter die Landeshauptmänner agierten.109 Dagegen wurde die eigentliche Komiteetätigkeit von Arbeitsausschüssen verrichtet, die jeweils unter der Leitung eines Geschäftsführers standen.110 Land Oldenburg, Oldenburg 2007, S. 62 f.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; R. Lüer (Fn. 84), S. 75; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 47. 107  Siehe dazu B. Wolf (Fn. 35), S. 2 ff. / 14 f.; W. Bock (Fn. 18), S. 75; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (367); W. Schoenichen (Fn. 1), S.  231 f.; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 47; K. Ditt (Fn. 1), S. 519; R.  Lüer (Fn. 84), S. 75 f.; vgl. auch K. Guenther (Fn. 9), S. 217; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 32. Im Deutschen Kaiserreich waren die Reichsbehörden angewiesen bzw. angeleitet, den Naturschutz im Rahmen von Ver­ waltungsentscheidungen zu beachten. Die Reichspostverwaltung ordnetet insoweit sogar an, dass bei Anlagen von Telegraphenleitungen ausgezeichnete Bäume und andere Naturdenkmäler zu schonen sind. (hierzu nur H. Conwentz, Naturdenkmal­ pflege (Fn. 23), S. 42; vgl. auch W. Bock (Fn. 18), S. 95 f.). 108  B. Wolf (Fn. 35), S. 6 ff.; H. Lezius (Fn. 19), S. 188; W. Bock (Fn. 18), S. 76 f.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (367 f.); A. Knaut (Fn. 14), S. 370; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 106 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 148 f.; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 247 ff.; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (23); D. Lu­ kaßen (Fn. 1), S. 26; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 53; vgl. auch G. Eigner (Fn. 23), S. 78; Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), 317; F. Moewes (Fn. 23), S. 173; A. Wurzel (Fn. 1), S. 8; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 7; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 16; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 46; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 31. Eine Übersicht zum Entwicklungsstand der Komitees im Königreich Preußen im Jahre 1920 bietet B. Wolf, ebd., S. 10 ff. Die Komitees wurden finanziell von den Provin­ zen, Kreisen oder Stadtgemeinden unterstützt; so F. Moewes, ebd., S. 173; vgl. auch H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 42. 109  B. Wolf (Fn. 35), S. 7; H.  Lezius (Fn. 19), S. 188; M. Wettengel (Fn. 1), His­ torische Zeitschrift 1993 (257), 355 (368 f.); H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 108; A. Knaut (Fn. 14), S. 370; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 247 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 149; vgl. auch A. Stipproweit (Fn. 1), S. 31. Bei den Kreiskomitees waren es in der Regel die Landräte, bei den Ortskomitees der Oberbürgermeister (so B. Wolf, ebd.). 110  B. Wolf (Fn. 35), S. 8; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (369); W. Schoenichen (Fn. 1), S. 248; vgl. auch F. Schmoll (Fn. 1), S. 149. Ab dem Jahre 1924 bekleideten diese Geschäftsführer die Bezeichnung „Kommissar“; siehe hierzu nur H. Behrens (Fn. 67), S. 19; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 16; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 31 f.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs217

Auch wenn dieses dezentrale Netzwerk, das sich von der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege bis zu den Ortskomitees auf der untersten Ebene erstreckte, nicht hierarchisch strukturiert war, weil dies dem freiwilligen Charakter der Komitees widersprochen hätte, so fand über jährliche Konfe­ renzen in Berlin doch ein reger Informationsaustausch und eine Verständi­ gung auf von der Naturdenkmalpflege zu erreichende gemeinsame Ziele statt.111 Eine ähnliche Organisationsstruktur wie in der preußischen Monar­ chie fand sich auch in den Königreichen Bayern und Württemberg, wo der Naturschutz durch den im Jahre 1905 gegründeten Landesausschuss für Naturpflege bzw. den 1908 ins Leben gerufenen Landesausschuss für Naturund Heimatschutz gleichsam halbamtlich organisiert war und zudem eben­ falls auf ein durch ein entsprechendes Ausschusssystem gegliedertes, dezen­ trales Organisationsnetz blicken konnte.112 Im Unterschied zu der preußi­ schen Praxis war die Ausrichtung des von staatlicher Seite betriebenen Naturschutzes aber weiter gehender, was sich in der Einbeziehung von et­ waigen Heimatschutzmotiven zeigte, die von dem kleinflächigen musealen Naturdenkmalansatz im Königreich Preußen nicht erfasst waren und dort der organisierten Heimatschutzgesellschaft vorbehalten blieben. Demnach waren die Bestrebungen in den Königreichen Bayern und Württemberg auch auf die Erhaltung der landschaftlichen Eigenart und die Herausbildung eines 111  B. Wolf (Fn. 35), S. 5; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (368); W. Schoenichen (Fn. 1), S. 249 ff.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatli­ cher Naturschutz (Fn. 14), S. 17; T. Rohkrämer (Fn. 9), S. 132; A. Stipproweit (Fn. 1), S. 34; vgl. auch D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 26 f. Ein Fazit zu den Erfolgen des preußischen Naturschutzes im Deutschen Kaiserreich findet sich bei K. Guenther (Fn. 9), S. 218. 112  K. Guenther (Fn. 9), S. 252; C. J. Fuchs (Fn. 1), S. 610; W. Bock (Fn. 18), S.  93 f.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 22 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 161 ff.; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (366 f.); R. Hölzl (Fn. 9), S. 41; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 46; P. Weber, Gesetzgebung der Gegenwart (Fn. 41), S. 19; D.  Lukaßen (Fn. 1), S.  29 ff.; H. Behrens (Fn. 67), S. 49 Fn. 61; vgl. auch F. v. Wissel, in: Bund Natur­ schutz in Bayern (Hrsg.), Blätter für Naturschutz und Naturpflege 1925 (8. Jahr­ gang / Heft 1), Sonderheft zum Ersten Deutschen Naturschutztag in München am 26., 27. u. 28. Juli 1925 (Fn. 35), S. 5; F. Moewes (Fn. 23), S. 173; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 1), S. 72; T. Adam (Fn. 9), ZfP 1998 (45), 20 (23); A. Stipproweit (Fn. 1), S. 33 f. Der Landesausschuss für Naturpflege in Bayern war aber keine eigentliche Behörde, sondern vielmehr ein staatlich beauf­ tragtes Gremium von Sachverständigen (so W. Schoenichen (Fn. 1), S. 282; R. Hölzl (Fn. 9), S. 36). Siehe zum Landesausschuss für Naturpflege in Bayern auch Bund Naturschutz (Hrsg.), Zum 25-jährigen Bestehen des Landesausschusses für Natur­ pflege in Bayern, Blätter für Naturschutz und Naturpflege 1930 (2), S. 1  ff.; J. Krayer (Fn. 20), S. 90. In Württemberg hieß der Landesausschuss für Natur- und Heimatschutz später dann Staatliche Stelle für Naturschutz; hierzu F. v. Wissel, ebd., S. 5.

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eigenen Heimatbewusstseins ausgerichtet, was zu eine natur- und heimat­ pflegerischen Ergänzung der konservierenden Schutztätigkeit führte.113 Ein Hauptproblem dieses halbamtlichen Organisationstyps blieb aber die finan­ zielle Ausstattung, was die eigentliche Naturschutztätigkeit erheblich er­ schwerte.114 Die anderen Organisationsmodelle des staatlichen Naturschutzes im Deut­ schen Kaiserreich standen in der Leistungsfähigkeit dem halbamtlich orga­ nisierten Systementwurf in nichts nach.115 Im Königreich Sachsen agierte der private Landesverein Sächsischer Heimatschutz quasi im staatlichen Auftrag auf dem Gebiet des Naturschutzes, wobei sich seine durch staatli­ che Zuschüsse subventionierte Tätigkeit sowohl auf den herkömmlichen Naturdenkmalschutz als auch auf den gegen Verunstaltung gerichteten Landschaftsschutz bezog. Das von staatlicher Seite geförderte Mandat wur­ de indessen teilweise durch private Vertrauensmänner unterstützt, die vor allem mit Blick auf den Schutz der Tierwelt ein Netz der Informationsbe­ schaffung spannten.116 Im Gegensatz zu diesem sächsischen Kooperations­ modell wurde im Großherzogtum Baden mit dem Badischen Landesverein für Naturkunde ein sowohl botanisch wie zoologisch orientierter Naturverein und nicht ein Heimatverein beauftragt. Auch dieser private Verein wurde 113  F. Schmoll (Fn. 1), S. 161 ff.; A. Knaut (Fn. 14), S. 392; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 282. Im Königreich Württemberg wurde das heimatliche Landschaftskon­ zept schon explizit unter Naturschutzaspekten diskutiert und nicht mehr unter dem Deckmantel des Heimatschutzes. 114  Hierzu M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (368 f.); A. Knaut (Fn. 14), S. 370; vgl. auch W. Schoenichen (Fn. 1), S. 247 f.; für das Kö­ nigreich Preußen B. Wolf (Fn. 35), S. 14 f. In der preußischen Monarchie mussten die Komitees ihre entstandenen Kosten selbst begleichen. Finanzielle Unterstützung er­ hielten sie von den Selbstverwaltungskörperschaften, d. h. von den Provinzialverbän­ den und den Gemeinden, sowie teilweise auch vom jeweiligen Oberpräsidium. Da­ neben wurden Privatpersonen gesucht, die die Naturdenkmalpflege mit finanziellen Mitteln unterstützten. Zu erwähnen bleibt schließlich noch, dass auch in der preußi­ schen Monarchie noch weitere private Vereine vorhanden waren, die den Natur­ denkmalgedanken unterstützten und Schutztätigkeiten entfalteten; siehe dazu nur K. Guenther (Fn. 9), S. 252; B. Wolf (Fn. 35), S. 10. 115  Vgl. H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 118 f. Friedemann Schmoll (F. Schmoll (Fn. 1), S. 170): „Insgesamt ergab sich aufgrund des föderativen Aufbaus des Deutschen Reiches ein heterogenes Bild des staatlichen Naturschutzes. (…) Die Vorstellung einer vermittelnden Instanz, welche im Zweifelsfall den Primat der Ökonomie res­ pektierte, private Eigentumsrechte unangetastet beließ und den Staat vor finanziellen Zumutungen schützte, führte auch außerhalb Preußens zu Organisationsformen zwi­ schen staatlicher Verantwortung und gesellschaftlicher Selbstorganisation.“ 116  F. Schmoll (Fn. 1), S. 167 ff.; Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.) (Fn. 104), S. 176; vgl. auch F. Moewes (Fn. 23), S. 173; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 47; W. Rollins (Fn. 41), S. 175. Im Königreich Sachsen gehörte die Naturdenkmalpflege zum Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs219

durch den badischen Staat durch Zuschüsse unterstützt, wobei sein Betäti­ gungsfeld vorrangig auf dem Gebiet der Naturdenkmalpflege lag und der Heimatschutzgedanke der sonstigen organisierten Gesellschaft überlassen wurde.117 Neben diesem „subventionierten Auftragsmodell“ bildete sich in den kleineren Staaten noch eine weitere Organisationsform heraus, wo die neue Naturschutzaufgabe in den Dienstbereich einzelner Ministerien gestellt wurde.118 Aber auch hier waren die zuständigen Stellen nicht bzw. nur be­ grenzt mit Exekutivbefugnissen ausgestattet, was symptomatisch für den staatlichen Naturschutz im Deutschen Kaiserreich war. Die staatlichen bzw. im staatlichen Auftrag durchgeführten Aktivitäten beschränkten sich vorran­ gig auf die Inventarisierung und Beratung sowie auf die Anregung von et­ waigen privaten Naturschutzmaßnahmen. Im Deutschen Kaiserreich lautete das allgemeingültige Motto: staatlicher Naturschutz ja, aber eigentlich noch nein.119 Die schwierige Integration des Naturschutzes in die staatliche Sphäre verdeutlichte schließlich auch ein Kompetenzgerangel zwischen der Legis­ lative und der Exekutive im Königreich Preußen, das als Beleg für die de­ mokratischen Emanzipationsbestrebungen des preußischen Abgeordneten­ hauses, zudem aber auch für die scharfe Waffe des der Volksvertretung zustehenden Budgetrechts ins Feld geführt werden kann.120 In der politi­ schen Arena der preußischen Monarchie bestand zu Beginn des 20. Jahrhun­ derts zwar durchaus ein breiter Konsens über die Erforderlichkeit einer staatlichen Institutionalisierung der entstandenen Naturschutzaufgabe. Die aber nur nebenamtliche Besetzung der im Jahre 1906 errichteten Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege verdeutlichte aber die eingefahrene Problem­ lage, die sich in den zeittypischen Diskursthemen der Eigentumsfrage, der finanziellen Verantwortung des preußischen Staates, der mangelnden Prog­ nosefähigkeit einer dauerhaften staatlichen Naturschutzaufgabe sowie in dem ungelösten Problem der Exekutivbefugnisse der staatlichen Einrichtung ausdrückte. Aus diesem Grund mahnte der Vertreter des Finanzministeriums verfassungsrechtliche Bedenken an und verwahrte sich gegen einen unzuläs­ sigen Eingriff der Legislative in die Prärogative der Krone im Hinblick auf die Behördenorganisation, als die parlamentarische Budgetkommission im Jahre 1908 auf eigene Initiative den Kultusetat änderte, indem sie ihn um 117  F. Schmoll (Fn. 1), S. 169; Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.) (Fn. 104), S. 177; vgl. auch F. Moewes (Fn. 23), S. 173; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 47. Der Belang der Naturdenkmalpflege gehörte im Großher­ zogtum Baden zum Geschäftsbereich des Ministeriums des Kultus und Unterrichts. 118  F. Schmoll (Fn. 1), S. 167. 119  F. Schmoll (Fn. 1), S. 179. 120  Eine zusammenfassende Darstellung dieses Kompetenzstreits findet sich bei H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 96 ff.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

einen weiteren Titel „Unterhaltung der Staatlichen Denkmalpflege in Preu­ ßen mit dem Sitz in Berlin“ ergänzte.121 Dieser Vorstoß sollte die in Danzig ursprünglich ins Leben gerufene Naturschutzstelle in das zentralere Berlin verlegen und zudem als hauptamtlich geführte Einrichtung dauerhaft si­ chern. Auch wenn sich vor allem Vertreter der Konservativen und des Zentrum gegen die durch die Offensive der Budgetkommission drohende zukünftige Kostenbelastung auf dem Gebiet des Naturschutzes aussprachen, wurde dem ergänzten Titel letztlich zugestimmt, was mit eigenen Mitteln im preußischen Staatshaushalt für den staatlichen Naturschutz ab dem Jahre 1909 einherging.122 Entscheidender aber war der Erfolg des Parlaments über die Exekutive in demokratischer Hinsicht, weil sich wiederholt gezeigt hat­ te, dass das verfassungsrechtlich verankerte Budgetrecht zu einer die auto­ ritär-konservative Verfassungsordnung überwindenden Befehlsgewalt wer­ den konnte, die einen kontinuierlichen Überging in eine Selbstorganisation der Gesellschaft unterstützend zu befördern geeignet war.123 V. Die legislative Manifestation des objektiven Naturschutzgeistes In seiner Allgemeinen Staatslehre hat Georg Jellinek die Entwicklungs­ stufen beschrieben, die für eine systematische Integration der Naturschut­ zidee in das dualistisch geprägte Staatsschema des Deutschen Kaiserreichs zurückzulegen waren. Demnach kam es zunächst auf die mobilisierenden Kräfte einzelner Individuen an, die sich mit der Zeit einem organisierten Durchgangsstadium widmeten, bevor sich der Naturschutzgedanke schließ­ lich in der staatlichen Sphäre manifestierte.124 Die Grundbedingung für das 121  H.-W. Frohn

(Fn. 15), S. 96 ff. (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (366); A. Knaut (Fn. 14), S. 371; vgl. auch W. Schoenichen (Fn. 1), S. 233; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 6; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 14), S. 15. Mit der Umwandlung zu einer hauptamtlichen Stelle für Naturdenk­ malpflege ging zudem einher, dass diese Behörde nun unmittelbar dem Kultusminis­ terium unterstand, während sie als nebenamtliche Einrichtung zuvor der Abteilung für Kunst und Wissenschaft im preußischen Kultusministerium unterstellt war (A. Knaut, ebd., S. 370 f.). 123  Zu der besonderen Bedeutung des parlamentarischen Budgetrechts für den demokratischen Emanzipationsprozess siehe C. Schmitt, Staatsgefüge und Zusam­ menbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6), S. 7 ff. / 26 f.; E.-W. Böckenförde (Fn. 8), S.  155 ff.; R. Wahl, Der preußische Verfassungskonflikt und das konstitutionelle System des Kaiserreichs, in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfas­ sungsgeschichte (1815–1914), 2.  Aufl., Königstein 1981, S.  208  ff.; vgl. auch H. Hofmann (Fn. 7), S. 89 f.; F. Hartung (Fn. 7), S. 381 ff. 124  Hierzu die Ausführungen zu Georg Jellinek im Rahmen der Allgemeinen Na­ turstaatslehre 1. Teil, § 3. Siehe zu diesen Intervallstufen auch W. Bock (Fn. 18), S.  55 ff. 122  M. Wettengel



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs221

Überwinden der formalen Trennungslinie von Staat und Gesellschaft war die gewachsene Bedeutungserkenntnis des Naturschutzes als einem allge­ meinen Interesse, weil nur auf diesem Wege eine legitime staatliche Tätig­ keit auf diesem neuen Gebiet entstehen konnte, die folglich von den auf eine partikulare Interessenverfolgung ausgerichteten gesellschaftlichen Fak­ toren als gerechtfertigt angesehen wurde.125 Diesen dialektischen Spagat zwischen dem Gemeinwohlbezug der staatlichen Machtinstitution und den in der gesellschaftlichen Sphäre herrschenden Sonderinteressen bringt Ge­ org Wilhelm Friedrich Hegel auf die folgende Formel: „Das Prinzip der modernen Staaten hat diese ungeheure Stärke und Tiefe, das Prinzip der Subjektivität sich zum selbständigen Extreme der persönlichen Besonderheit vollenden zu lassen und zugleich es in die substantielle Einheit zurückzu­ führen und so in ihm selbst diese zu erhalten.“126 Die Naturschutzidee musste also in sich anerkennenswert sein, wobei der in der soziologischen Wirklichkeit bestehende innere Motivpluralismus hinsichtlich des Natur­ schutzes ebenso irrelevant war wie die gegensätzlichen Interessen, weil der Gemeinwille nicht mit dem Gesamtwillen, dem volonté de tous im Sinne Jean-Jacques Rousseaus, identisch ist.127 Ein legislatives Zeugnis des Natur­ schutzes im Deutschen Kaiserreich war damit Ausdruck eines progressiven Erkenntnisstatus, der ein staatliches Gemeinwohlinteresse als Legitimitäts­ basis etwaiger Eingriffsmaßnahmen indizierte. Es überrascht daher nicht, dass der Weg zu einem eigenen Naturdenkmalgesetz, wie es die Großher­ zogtümer Hessen und Oldenburg in der späten Phase erlassen haben, schwierig war, wobei sich auch hier die Eigentumsfrage als hindernder 125  A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 172 f. / 179 ff.; E. Beyermann (Fn. 20), S. 12; P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 10; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 100; F. Schmoll (Fn. 1), S. 13; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmal­ schutzgesetzes (Fn. 9), S. 18; ders., Die Verwaltung der Geschichte (Fn. 41), S.  365 ff.; E.-R. Hönes, Zum Hessischen Denkmalschutzgesetz vom 16. Juli 1902, 100 Jahre Denkmalschutzgesetz in Hessen, Stuttgart 2003, S. 50; mit der Frage der Berechtigung des Denkmal- und Heimatschutzes beschäftigte sich umfassend K. Heyer (Fn. 19), S. 4 ff.; hierzu auch H.  Lezius (Fn. 19), S. 8; vgl. auch W. Bock (Fn. 18), S. 73. Die Problematik war eines der Hauptdiskursthemen auf dem Tage für Denkmalpflege in Freiburg im Jahre 1901, wo unter anderem über einen Entwurf zum späteren Hessischen Denkmalschutzgesetz aus dem Jahre 1902 gesprochen wurde; dazu A.  von Oechelhaeuser (Hrsg.), Denkmalpflege, Auszug aus den steno­ graphischen Berichten des Tages für Denkmalpflege, Bd. I: Vorbildungs- und Stilfra­ gen, Gesetzgebung, Staatliche und Kommunale Denkmalpflege, Leipzig 1910, S. 140 / 144 / 146 / 148 f. Siehe zum Begriff des öffentlichen Interesses auch C. Gurlitt, Öffentliches Interesse an Kunstdenkmälern, Zeitschrift für Denkmalpflege 1926 / 27, S.  81 ff. 126  G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts in: R. Weber-Fas, Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 257. 127  W. Reinhard (Fn. 8), S. 407.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Topos erwies.128 Hierbei wurden auch privatrechtliche Argumentationsmus­ ter laut, die in der soziologischen Sphäre einen abgeschlossenen Privatbe­ reich erblickten, in den der Staatsapparat nicht eingreifen durfte, womit die Problematik der getrennten Sphären von Staat und Gesellschaft unter der Fragestellung nach einer legitimen Herrschaftsausübung evident wurde.129 Daneben flammte immer wieder die Problemstellung auf, ob denn der Staat durch einen etwaigen Gesetzesakt auf dem neueren Gebiet des Naturschut­ zes auch selbst verpflichtet werden würde, was mit einer erheblichen Belas­ tung der finanziellen Ressourcen der Staatskassen verbunden gewesen wä­ re.130 Obgleich dieser diskutierten Fragen manifestierte sich schließlich der objektive Naturschutzgeist in den Denkmalschutzgesetzen der kleineren Großherzogtümer Hessen und Oldenburg, was einen weiteren wichtigen Schritt in eine naturstaatliche Moderne darstellte.131 128  Zu der Problematik um das private Eigentum zusammenfassend A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 176 ff.; auch K. Heyer (Fn. 19), S. 6 ff.; K. Beyerle, Reich, Denkmalpflege und Heimatschutz, Stenographischer Bericht der dritten gemeinsa­ men Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz in Eisenach 1920, Berlin 1920, S. 31; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 15 / 17 ff.; vgl. auch L. Schnitzler (Fn. 37), S. 11; G. Eigner (Fn. 23), S. 64; P. Weber, Gesetzgebung der Gegenwart (Fn. 41), S. 4 / 11; Frhr. M. von Biegeleben (Fn. 58), Protokoll der erweiterten Ausschuss-Sitzung 1919, S. 116 f.; F. Schmoll (Fn. 1), S. 232; W.  Oberkrome (Fn. 1), S. 53; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 42; vgl. auch F. Hammer (Fn. 35), S. 132; E.-R. Hönes (Fn. 125), S. 58. 129  Hierzu A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 174 ff. Der Einwand unter Beru­ fung auf das bürgerliche Recht lief deshalb ins Leere, weil nach Art. 109, 111, 119 EGBGB Eigentumsbeschränkungen rechtlicher und tatsächlicher Art im öffentlichen Interesse selbst vorgesehen waren. Vgl. auch L.  Schnitzer (Fn. 37), S. 11; G. Eigner (Fn. 23), S. 64; K. Beyerle, Stenographischer Bericht 1920 (Fn. 128), S. 32  f.; K. Heyer (Fn. 19), S. 27 f.; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmal­ schutzgesetzes (Fn. 9), S. 15. Andererseits befürchteten die Kirchen nach dem Kul­ turkampf weiterhin eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten, die Kommu­ nalverwaltungen dagegen eine Beschränkung ihrer Selbstverwaltungsrechte; so K. Heyer (Fn. 19), S. 9; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 42; F. Hammer (Fn. 35), S. 101 ff.; W. Speitkamp, ebd., S. 15. 130  Hierzu am Beispiel des preußischen Rechts H.  Lezius (Fn. 19), S. 12 ff.; vgl. grundsätzlich auch H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 101 ff.; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 42; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 15. Daran zeigt sich die in der klassischen Staatslehre des 19. Jahrhunderts vorzufindende Selbstverpflichtungslehre des Staates, wonach dieser unter soziologischer Vermittlung die gesetzlichen Normen schafft und sich damit selbst verpflichtet, weil dies der herr­ schenden Rechtsüberzeugung entspricht; hierzu die Ausführungen zur Selbstver­ pflichtungslehre bei Georg Jellinek im Rahmen der Allgemeinen Naturstaatslehre 1. Teil, § 3. Eine Zusammenfassung der damaligen Widerstände gegen gesetzliche Vorhaben auf dem Gebiet des Kulturgüterschutzes findet sich bei J. W. Hedemann, Die Fortschritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert, Bd. II / 1: Die Entwicklung des Bodenrechts von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart; Das materielle Bodenrecht, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1930), Berlin 1968, S. 264 ff.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs223

Das Großherzogtum Hessen war in der Monarchie des Deutschen Kaiser­ reichs der erste Staat, der den Naturschutz mit dem Denkmalschutzgesetz vom 16.07.1902 auf eine gesetzliche Grundlage stellte.132 In diesem Geset­ zesakt wurden die Naturdenkmäler in den Art. 33, 34 HessDG neben den sonst von dieser Denkmalkodifikation erfassten Baudenkmälern, bewegli­ chen Denkmälern, Ausgrabungen und Funden unter die Obhut des Staates gestellt, wobei mit dem Art. 35 HessDG noch eine Bestimmung vorhanden war, die ganz in der geistigen, verunstaltungsbekämpfenden Tradition des Heimatschutzes stand.133 Der Weg bis zu dieser legislativen Errungenschaft war nicht ganz ohne Probleme, wenngleich sich zeigte, dass in einem Klein­ staat wie dem Großherzogtum Hessen angesichts der übersichtlicheren und einfacheren Verhältnisse eher praktikable Lösungen hinsichtlich der disku­ tierten Naturschutzfrage gefunden werden konnten als in einem Großstaat wie dem Königreich Preußen.134 Dennoch wurde ein Regierungsentwurf des hessischen Gesamtministeriums, wobei die Initiative des gesetzlichen Schut­ zes auch der Naturdenkmäler auf einen gestellten Antrag der Vertretung der 131  Die ersten legislativen Spuren auf dem Gebiet des Naturschutzes finden sich in dem Gesetz den Denkmalschutz betreffend vom 16.07.1902 des Großherzogtums Hessen, Großherzoglich-Hessisches Regierungsblatt (RBl.) 1902, S. 275 (im Folgen­ den HessDG) sowie in dem ein knappes Jahrzehnt später erlassenen Denkmalschutz­ gesetz für das Großherzogtum Oldenburg vom 18.05.1911, Gesetzblatt für das Herzogtum Oldenburg (GBl.) 1911, S. 959 (im Folgenden OLDG). Den im Vergleich zu anderen Einzelstaaten des Deutschen Kaiserreichs am stärksten fortgeschrittenen Rechtszustand auf dem Gebiet des Denkmalschutzes würdigt auch A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 149 f. 132  P. Weber, Heimatschutz (Fn. 22), S. 8 / 10; K. Heyer (Fn. 19), S. 72 / 84; E. Beyermann (Fn. 20), S. 23; A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 165; G. Eigner (Fn. 23), S. 79; A. Kneer (Fn. 19), S. 13 / 15; F. Moewes (Fn. 23), S. 174; J. W. Hedemann (Fn. 130), S. 266; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmal­ schutzgesetzes (Fn. 9), S. 13; M. Wettengel (Fn. 1), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (363); F. Schmoll (Fn. 1), S. 156; H.-W. Frohn (Fn. 15), S. 100; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 9), S. 46; D.  Lukaßen (Fn. 1), S. 29; M.  Lücke (Fn. 106), S. 62; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 43 / 45 f.; R. Schröder (Fn. 1), S. 75; E.-R. Hönes (Fn. 125), S. 55 f. / 57 f.; vgl. auch H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 40; C. J. Fuchs (Fn. 1), S. 608 f.; W. Bock (Fn. 18), S. 92 f.; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 9), S. 7; U. Linse, Die Vernichtung der Laufenbur­ ger Stromschwellen (Fn. 41), S. 409 f. 133  A. von Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 177 ff.; K. Heyer (Fn. 19), S. 72 ff., v. a. S.  84 ff.; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 16. 134  Siehe hierzu nur A.  von Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 149 / 152; W. Wetekamp (Fn. 23), S. 218; A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 150 f.; K. Heyer (Fn. 19), S. 28; A. Kneer (Fn. 19), S. 13; E. Beyermann (Fn. 20), S. 40; vgl. auch K. Beyerle, Stenographischer Bericht 1920 (Fn. 128), S. 25; E.-R. Hönes (Fn. 125), S.  57 f.; W. Schoenichen (Fn. 1), S. 284; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 15.

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Forst- und Kameralverwaltung in dem Ministerium der Finanzen zurückzu­ führen war,135 von der landständischen Ersten Kammer des nach Art. 51 der Verfassung für das Großherzogtum Hessen vom 17.12.1820136 konstitutio­ nell eingerichteten Zweikammersystems abgelehnt, während die Zweite Kammer den Entwurf bereits zuvor mit unwesentlichen Änderungen gebil­ ligt hatte.137 Nach Art. 52 VerfHessGH wurde die Erste Kammer aus den Prinzen des Großherzoglichen Hauses, den Häuptern von standesherrlichen Familien, dem Senior aus der Familie der Freiherren von Riedesel, einem katholischen Landesbischof sowie protestantischen Geistlichen, dem Kanz­ ler der Landesuniversität und aus maximal zehn ausgezeichneten Staatsbür­ gern, die von dem Großherzog auf Lebenszeit berufen wurden, gebildet.138 Der Widerstand kam weniger von den Vertretern der katholischen bzw. der protestantischen Kirche, sondern von den standesherrlichen Mitgliedern der Ersten Kammer, die als alte Elite an der überkommenen Ordnung festhalten wollten.139 Damit in Zusammenhang stand wieder das Problem um einen schonenden Umgang mit dem privaten Eigentum, aber auch die Frage, ob es wirklich notwendig war, dass sich der Staat dem Naturschutz durch die organisatorische Einschaltung des Behördenapparats widmete, obwohl diese neue Aufgabe auch durch halbamtliche Denkmalpflege-Kommissionen durchführbar gewesen wäre.140 Nachdem vertrauliche Verhandlungen zwi­ schen der Regierung und den standesherrlichen Mitgliedern der Ersten Kammer stattgefunden hatten, kam es letztlich zu einem modifizierten Re­ gierungsentwurf, der als eine Kompromisslösung gewisse Zugeständnisse enthielt, ohne aber das Grundanliegen in der Sache aufzugeben. Dieser neue Gesetzesentwurf wurde dann am 29.04.1902 durch das Plenum der Ersten Kammer einstimmig angenommen,141 womit der Weg zu den einzelnen 135  A.  von

Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 139. Verfassung für das Großherzogtum Hessen vom 17.12.1820 ist abgedruckt bei E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. I: Deutsche Verfassungsdokumente 1803–1850, 3. Aufl., Stuttgart 1978, S. 221. 137  A.  von Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 176. Grundsätzlich zu den konsti­ tutionellen Monarchien der Einzelstaaten K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 353 ff. 138  Die Zweite Kammer der Landstände war gemäß Art. 53 VerfHessGH zusam­ mengesetzt aus sechs Abgeordneten, die der in dem Großherzogtum genügend mit Grundeigentum angesessene Adel aus seiner Mitte wählte, aus zehn Abgeordneten aus den Städten, denen, um die Interessen des Handels oder alte achtbare Erinne­ rungen zu ehren, ein besonderes Wahlrecht zustand, sowie aus vierunddreißig wei­ teren Abgeordneten, die nach Wahldistrikten gebildet und von den nicht mit einem besonderen Wahlrecht begabten Städten und den Landgemeinden gewählt wurden. 139  A.  von Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 176 / 180; W. Speitkamp, Entste­ hung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 16. 140  A.  von Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 176. 136  Die



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs225

Naturschutzregelungen bereitet war. In Art. 33 I, II HessDG waren nun Naturdenkmäler sowie ihre Umgebung unter gesetzlichen Schutz gestellt, d. h. „natürliche Bildungen der Erdoberfläche, wie Wasserläufe, Felsen, Bäume und dergleichen, deren Erhaltung aus geschichtlichen oder naturge­ schichtlichen Rücksichten oder aus Rücksichten auf landschaftliche Schön­ heit oder Eigenart im öffentlichen Interesse“ lag.142 Als Gesetzestechnik wurde die aus dem französischen Recht bekannte Klassierung („classement“) eingeführt, wonach bestimmte Naturdenkmäler einschließlich ihrer Umge­ bungen seitens des Kreisamtes auf Antrag des Ministeriums der Finanzen, Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung, nach Art. 33 I HessDG einem besonderen Schutz unterstellt werden konnten.143 Im Gegensatz zu der sons­ tigen gesetzlichen Konzeption wurde in diesem mit „Naturdenkmäler“ überschriebenen sechsten Abschnitt nicht zwischen privaten und öffentlichen Schutzobjekten unterschieden, so dass alle schützenswerten Naturdenkmäler unterschiedslos in den sachlichen Anwendungsbereich des Gesetzes fie­ len.144 Dies stellte jedoch nur auf den ersten Blick eine unangemessene Ausweitung der staatlichen Eingriffswirkungen dar. Durch die Klassierung fielen nämlich nur diejenigen Naturdenkmäler unter staatliche Obhut, die durch einen Verwaltungsakt gegenüber dem Berechtigten in das Aussonde­ rungsmodell aufgenommen worden waren, was eine bewusste Handhabe darstellte, um die wirtschaftlichen Interessen von Privatpersonen, aber auch der Kommunen, die etwa ganze Waldparzellen zu Steinbrüchen ausbeuteten, 141  A.  von Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 176 f. Eine Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte des hessischen Denkmalschutzgesetzes aus dem Jahre 1902 findet sich auch bei F. Hammer (Fn. 35), S. 151 f.; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 9), S. 15  f.; E.-R. Hönes (Fn. 125), S. 49 f. In materieller Hinsicht bieten Winfried Speitkamp und Ernst-Rainer Hönes (W. Speitkamp, ebd., S. 16 ff.; E.-R. Hönes, ebd., S. 50 ff.) einen umfassenden Über­ blick dieses Gesetzes. 142  HessDG, RBl. 1902, S. 287. Für Karl Heyer war die Umgebung der Ansatz­ punkt für einen weitergehenden Naturschutz im Wege von ganzen Naturschutzgebie­ ten (K. Heyer (Fn. 19), S. 85). 143  Zur Klassierung allgemein und zur hessischen Variante A. Schmidt, Rechtsfra­ gen (Fn. 19), S. 187 ff.; K. Heyer (Fn. 19), S. 29 / 32 ff.; G. Eigner (Fn. 23), S. 79; P. Weber, Gesetzgebung der Gegenwart (Fn. 41), S. 5 f. / 11 / 17; vgl. auch C. J. Fuchs (Fn. 1), S. 608; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 45. Karl Heyer macht noch geltend, dass es sich nicht um eine Klassierung im eigentlichen Sinne handelte, da besondere Natur­ denkmallisten vom Gesetz nicht vorgesehen waren (K. Heyer, ebd., S. 85). Nur zum hessischen Modell Großherzogliches Ministerium des Innern (Hrsg.), Die Denkmal­ pflege in Hessen 1818–1905, Gesetz, den Denkmalschutz betreffend vom 16. Juli 1902 nebst den zugehörigen Ausführungsvorschriften, Amtliche Handausgabe mit Motiven, Erläuterungen und einem Sachregister, Darmstadt 1905, S. 23; F. Moewes (Fn. 23), S. 174; A. Kneer (Fn. 19), S. 14; E.-R. Hönes (Fn. 125), S. 50 / 55 f. 144  K. Heyer (Fn. 19), S. 85; Großherzogliches Ministerium des Innern (Hrsg.) (Fn. 143), S. 23 f.

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nicht über Gebühr zu belasten.145 Deshalb besaß der Verfügungsberechtigte grundsätzlich auch eine nach Art. 33 II, III HessDG gesetzlich vorgesehene Einspruchsoption innerhalb von vier Wochen seit der schriftlichen Bekannt­ gabe der Anordnung der Unterschutzstellung des Naturdenkmals, worüber nach Art. 33 V HessDG dann der Kreisausschuss zu entscheiden hatte, so­ fern das Kreisamt zuvor nicht gewillt war, dem Einspruch stattzugeben.146 Die Folge eines klassierten Naturdenkmals bestand in einer direkten Verhal­ tenssteuerung in der Form einer nach Art. 34 I HessDG nun bestehenden Genehmigungspflicht für Arbeiten, die den Fortbestand des Naturdenkmals gefährden oder dessen Umgebung verunstalten konnten. Der Berechtigte war somit in seinen Dispositionen über das Schutzobjekt insoweit be­ schränkt, als er nur auf einen entsprechenden Antrag bei dem zuständigen Kreisamt hin Veränderungen an dem geschützten Naturobjekt vornehmen durfte. Im Falle der Versagung oder nur bedingten Erteilung der Genehmi­ gung besaß der Berechtigte gemäß Art. 34 III, 14 I, II HessDG wahlweise einen Schadensersatz- oder Übernahmeanspruch des Eigentums an dem Naturdenkmal unter Zahlung einer entsprechenden Entschädigung gegen den Staat, wobei nach Art. 34 III, 14 IV HessDG dem Geschädigten der Rechtsweg offenstand, wenn eine gütliche Einigung nicht zu erzielen war.147 Auch wenn das Hessische Denkmalschutzgesetz aus dem Jahre 1902 dem Naturschutz eine legislative Stütze verschafft hat, so enthielt es aber doch unübersehbare Schlupflöcher, die in dem späteren Denkmalschutzgesetz des Großherzogtums Oldenburg im Jahre 1911 nicht mehr verwirklicht waren. In diesem Sinne unterlagen nach Art. 34 III, 7 HessDG Handlungen der Staatsverwaltung nicht dem Genehmigungsregime des Art. 34 I HessDG, weshalb ein klassiertes Naturdenkmal in staatlicher Hand trotz einer Klas­ sierung nicht effektiv geschützt war. Zudem war das Kreisamt nach Art. 34 III, 12 HessDG zu einer entsprechenden Vorprüfung verpflichtet, ob die finanziellen Mittel für einen etwaigen Schadensersatz- oder Entschädigungs­ 145  A.  von

Oechelhaeuser (Hrsg.) (Fn. 125), S. 148 f.; K. Heyer (Fn. 19), S. 45. Ministerium des Innern (Hrsg.) (Fn. 143), S. 51 f. Erst im Falle einer negativen Entscheidung seitens des Kreisausschusses stand dem Berech­ tigten dann der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offen, vgl. dazu Art. 33 V HessDG; Großherzogliches Ministerium des Innern (Hrsg.), ebd., S. 23. 147  Hierzu G. Eigner (Fn. 23), S. 80; vgl. auch F. Schmoll (Fn. 1), S. 156. Die Vorschrift des Art. 14 I, II HessDG, auf die Art. 34 III HessDG verweist, lautete: „(1) Wird eine nach Art. 11 beantragte Genehmigung durch rechtskräftige Entschei­ dung versagt oder nur bedingungsweise erteilt, so kann der Antragsteller binnen sechs Wochen von der Rechtskraft der Entscheidung an bei dem Ministerium des Innern Ersatz des ihm durch die Versagung der Genehmigung oder durch nur bedin­ gungsweise Genehmigung zugefügten Schadens seitens des Staates verlangen. (2) Der Eigenthümer kann, insofern die Umstände dies rechtfertigen, wahlweise an Stelle des in Absatz 1 bezeichneten Schadensersatzes verlangen, dass der Staat ihm gegen Uebertragung des Eigenthums (…) Entschädigung leistet.“ 146  Großherzogliches



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs227

anspruch im Falle einer Versagung oder nur bedingten Erteilung der Geneh­ migung vorhanden waren, was in einer verneinenden Konstellation gemäß Art. 34 III, 12 II HessDG zu einer gebundenen Gestattungsentscheidung führte.148 Darüber hinaus besaß der Staat noch kein gesetzlich vorgesehenes eigenes Enteignungsrecht zum Schutz von Naturdenkmälern, eine Lücke des Gesetzes, die bei den anderen vom sachlichen Anwendungsbereich erfassten Objekten, d.  h. den Baudenkmälern, Ausgrabungen und Funden, nach Art. 19, 30 HessDG geschlossen war.149 Insgesamt war das Hessische Denk­ malschutzgesetz aus dem Jahre 1902 daher nur ein begrenzter Fortschritt, der die in der gesellschaftlichen und staatlichen Sphäre diskutierten aktuel­ len Problemstellungen offenbarte.150 In organisatorischer Hinsicht wurde die Arbeit des Kreisamtes bzw. Kreisausschusses im Großherzogtum Hessen nach Art. 36 I, 33 I HessDG durch eine Gutachtertätigkeit der örtlich zu­ ständigen oberen Forstverwaltungsbeamten bzw. der Ministerialabteilung für Forst- und Kameralverwaltung ergänzt,151 was im Rahmen eines Verfahrens im Sinne der Art. 33, 34 HessDG auf Antrag des belasteten Berechtigten um die Expertise eines privaten Sachverständigen erweitert werden konnte. In Art. 35 HessDG atmete schließlich der zivilisationskritische Heimatschutz­ geist, der verunstaltende Aufschriften und störende Reklameschilder an bzw. in der Nähe von amtlich geschützten Naturdenkmälern verbot und insoweit dem Kreisamt eine Eingriffsbefugnis zuwies.152 Auch dies war gegenüber den nationalkonservativen Ansätzen in den sonstigen Einzelstaaten der Deutschen Kaisermonarchie ein Fortschritt,153 wenngleich auch in dem Hes­ sischen Gesamtmodell antimodernistische Züge nicht zu verbergen waren. 148  Die Norm des Art. 12 II HessDG hatte den folgenden Wortlaut: „Sind die erforderlichen Mittel nicht vorhanden, so hat das Kreisamt (…) die Genehmigung zu erteilen.“ 149  K.  Odendahl (Fn. 1), S. 46. 150  Tendenziell auch W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmal­ schutzgesetzes (Fn. 9), S. 18 f. 151  K. Heyer (Fn. 19), S. 86; Großherzogliches Ministerium des Innern (Hrsg.) (Fn. 143), S. 52. Die Arbeit der zuständigen Denkmalschutzbehörden wurde überdies durch die Mitwirkung der Denkmalpfleger und des Denkmalrates ergänzt; hierzu K.  Odendahl (Fn. 1), S. 46, die auch noch von Provinzialausschüssen spricht. 152  G. Eigner (Fn. 23), S. 80. 153  Der legislative Fortschritt auf dem Gebiet des Natur(denkmal)schutzes in der späten Phase der Deutschen Kaisermonarchie war nur eine „fluchtartige“ Erschei­ nung des objektiven Naturschutzgeistes, deren Ausnahmecharakter nicht bestritten werden kann. Neben Denkmalschutzvorschriften war der Rechtsstand in den ver­ schiedenen Einzelstaaten des Deutschen Kaiserreichs vor allem durch Bestimmun­ gen auf dem Gebiet des Heimatschutzes geprägt, die sich in erster Linie gegen eine Verunstaltung des Straßen-, Orts- und Landschaftsbildes durch das Reklamewesen richteten. Mit der Zeit erweiterte sich dieser Ansatz dann in Richtung auf eine Hei­ matpflege, was mit gesetzlichen Regelungen gegen etwaige bauliche Verunstaltun­

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Ein in systematischer Hinsicht hochwertiges Gesetz stellte dagegen das Denkmalschutzgesetz für das Großherzogtum Oldenburg vom 18.05.1911 gen einherging, die im Sinne eines gestaltenden Ausgleichs eine Kompromisslösung ermöglichen sollten. Der in den verschiedenen Einzelstaaten vorrangig bestehende Heimatschutzgeist soll durch eine abrisshafte Darstellung unter Beachtung der Na­ turschutzströmungen, die unter der konservativen Kruste teilweise bereits mehr oder weniger durchschimmerten, verdeutlicht werden: Großherzogtümer Hessen und Oldenburg: Im Großherzogtum Hessen wurde bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs kein eigenes Heimatschutzgesetz mehr erlas­ sen, weshalb die Unterbindung von verunstaltenden Eingriffen in das Straßen-, Ortsund Stadtbild sowie für die landschaftliche Umgebung auf der Grundlage entspre­ chender gesetzlicher Regelungen im Wege der Baupolizei erfolgte. Dagegen wurde aber im Großherzogtum Oldenburg mit dem Gesetz vom 11.01.1910 gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden noch ein spezielles Gesetz auf dem Gebiet des Heimatschutzes geschaffen, was zu einer Behebung der insoweit bestehenden Schutzlücke führte. Königreich Preußen: Im Königreich Preußen blickt der von staatlicher Seite be­ triebene Denkmalschutz auf eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzende Tradi­ tion zurück. Hinzu kamen mit der Dauer vereinzelte Normen, die einer Verunstaltung von Städten, Straßen oder öffentlichen Plätzen Einhalt gebieten sollten und auch für das aufkommende Reklamewesen nutzbar gemacht wurden. Einen nennenswerten Fortschritt auf dem Gebiet des Heimatschutzes brachten aber erst die Verunstal­ tungsgesetze von 1902 und 1907, mit denen Ortschaften und landschaftlich hervor­ ragende Gegenden vor kommerziell motivierten Verunstaltungen bewahrt werden konnten. Auf dem Gebiet des Naturschutzes blitzten hier und da bereits vereinzelte Rechtsvorschriften bzw. Maßnahmen wie beispielsweise regierungspräsidiale Poli­ zeiverordnungen auf, ohne dass dies aber schon als Ausdruck eines fortgeschrittenen Naturschutzgeistes angesehen werden konnte. Die verschiedenen Handlungen kamen dem Naturschutz oft nur mittelbar zugute und waren meistens aus anderen Beweg­ gründen heraus ergriffen worden. Bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs war der gesetzliche Naturschutz daher als Begleitmotiv auf den architektonischen Land­ schaftsschutz angewiesen. Königreich Bayern: Auch das Königreich Bayern blickt auf eine lange Denkmal­ schutztradition zurück, die sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Dennoch wurde bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs ein eigenes Denkmalbzw. Verunstaltungsgesetz nicht erlassen, sondern der Schutz wurde auch weiterhin durch ein unübersichtliches Repertoire an Bestimmungen gewährt, die vor allem in der Gemeinde- und Bauordnung zu finden waren. Daher wurde ein Schutz des Stadtund Straßenbildes gegen das ausufernde und verunstaltende Reklamewesen in erster Linie durch ortspolizeiliche Vorschriften erreicht. In Bezug auf die aufgekommene Naturschutzidee war das Königreich Bayern trotz der Nichtverwirklichung von ge­ setzlichen Regelungen auf dem Gebiet der Naturdenkmalpflege im bundesstaatlichen Vergleich schon fortschrittlicher. In diesem Sinne ist im Jahre 1842 ein königlicher Erlass ergangen, der die Beseitigung und Verunstaltung von Alleen an den Straßen und Spaziergängen unter ein Genehmigungserfordernis stellte. Darüber hinaus wurde in einer Vollzugsvorschrift zum bayerischen Wassergesetz das Augenmerk auf Na­ turschönheiten einschließlich der landschaftlichen Eigenart gelenkt. Daneben gab es noch eine Reihe von Gesetzen (u. a. Forst-, Berg- und Jagdgesetz), die dem Natur­ schutz mittelbar zugutekamen.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs229

Königreich Sachsen: Im Königreich Sachsen wurden die Heimatschutztendenzen durch das Gesetz gegen Verunstaltung von Stadt und Land vom 10.03.1909 wesent­ lich verbessert. Bis zu diesem Zeitpunkt gab es in Baugesetzen vereinzelte Rechts­ vorschriften, die auf eine ästhetischere Bauweise ausgerichtet waren, um Verunstal­ tungen für Straßen, Plätze oder Ortsteile zu unterbinden. Mit dem Verunstaltungsge­ setz aus dem Jahre 1909 änderte sich dann die Rechtslage hinsichtlich des Heimatschutzes, nachdem sich die vormals bestehenden Baugesetze in ihrer prakti­ schen Effizienz als unzureichend erwiesen hatten. Das Gesetz stellte nunmehr neben den Straßen und Plätzen auch einzelne Bauwerke, das Ortsbild und das Landschafts­ bild unter Schutz, wobei vor allem das ausufernde Reklamewesen eingedämmt werden sollte. Daneben fielen die Baudenkmäler in den Anwendungsbereich des Gesetzes, was sich aber in den letzten Jahren der Deutschen Kaisermonarchie nicht auf die Naturdenkmäler erstrecken sollte. Großherzogtum Baden: Auch wenn die Anfänge auf dem Gebiet des Denkmal­ schutzes im Großherzogtum Baden bis in das 18. Jahrhundert zurückreichen, wurde ein eigenes Denkmalschutzgesetz bis zum Ende des Deutschen Kaiserreichs nicht geschaffen. Der Schutz der Denkmäler basierte daher auf anderen Vorschriften, wo­ von die Landesbau(ver)ordnung und das Ortsstraßengesetz hervorzuheben sind. Durch diese wurde auch die Bewahrung des Orts-, Straßen- und Landschaftsbildes vor Verunstaltungen im Wege eines baupolizeilichen Einschreitens ermöglicht. Mit der Zeit manifestierte sich schließlich auch der Naturschutzgeist in der Landesbau­ verordnung, was aber noch ganz in der Tradition des ästhetisch-kulturellen Land­ schaftsschutzes stand. Herzogtum Braunschweig: Im Großherzogtum Braunschweig wurde am 01.02.1911 das Gesetz gegen Verunstaltung von Stadt und Land erlassen, das sowohl Denkmalals auch Heimatschutzvorschriften enthielt. Auch hier wurde das Straßen-, Orts- und Landschaftsbild vor Verunstaltungen geschützt, wobei die Baupolizeibehörde insbe­ sondere im Falle ausufernder Reklame zum Einschreiten befugt war. Das Gesetz sah zudem aber auch ausdrücklich bereits den Schutz von Naturdenkmälern vor Verun­ staltungen vor, wobei die Frage der Klassierung gesetzlich nicht entschieden worden war (Gesetz gegen die Verunstaltung von Stadt und Land vom 01.02.1911, Gesetzund Verordnungssammlung für die Herzoglich-Braunschweigischen Lande 1911, S. 27 ff. (dort § 7 II)). Freie und Hansestadt Lübeck: Nachdem in der Freien und Hansestadt Lübeck frühzeitig, d. h. bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ein Augenmerk auf den his­ torischen Denkmalschutz gelegt worden war, ist ein Denkmalschutzgesetz gegen Ende des Deutschen Kaiserreichs auf den Weg gebracht worden. Davor wurde eine Unterbindung von Verunstaltungen des Straßenbildes, von historischen Bauten oder der landschaftlichen Umgebung durch bauordnungsrechtliche Bestimmungen ermög­ licht. Dem Naturschutz kam folglich auch hier nur die Option des ästhetischen Landschaftsschutzes zugute. In dem Entwurf des geplanten Denkmalschutzgesetzes wurde trotz etlicher Vorkommen innerhalb des Staatsgebiets auf einen Schutz der Naturdenkmäler noch bewusst verzichtet. Kleinere Staaten: Die kleineren Staaten waren teilweise hinsichtlich des Heimat­ schutzgeistes rückständig. Daher fanden sich nur ganz vereinzelt Normen, die auf ein Einschreiten gegen verunstaltende Beeinträchtigungen gerichtet waren. Anderer­ seits gab es auch kleinere Staaten wie die Freie und Hansestadt Hamburg, die bereits den Naturdenkmälern gedachten (so das Hamburgische Baupflegegesetz vom 03.04.1912, Amtsblatt der Freien und Hansestadt Hamburg 1912, S. 195 ff., das ne­

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dar,154 in dessen sachlichen Anwendungsbereich nach § 1 Nr. 2, 3 OLDG auch der Schutz von Naturdenkmälern und deren Umgebung fiel, wobei sich die dort angeführte Definition von der hessischen Gesetzesfassung nur insoweit unterschied, als von „besonders charakteristischen Gebilden der heimatlichen Natur“ gesprochen wurde.155 Die betonende Bezugnahme auf den im Deutschen Kaiserreich ebenfalls lebendigen Heimatgedanken hatte aber keine gesonderte teleologische Relevanz, weil es im Großherzogtum Oldenburg mit dem Gesetz vom 11.01.1910 gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorragenden Gegenden156 auch ein spezi­ elles Heimatschutzgesetz gab, so dass sich die Hervorhebung der charakte­ ristischen heimatlichen Natur als zeitgemäße Besinnung auf die historisch gewachsene, ästhetische Nationalsymbolik verstand.157 Auch im Großher­ ben Naturdenkmälern auch bereits „Gegenden“ in den sachlichen Anwendungsbe­ reich miteinbezog (§§ 1, 4 HamBPflG)). Zum Ganzen K. Heyer (Fn. 19), S. 66 ff.; A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S.  148 ff.; E. Beyermann (Fn. 20), S. 21 ff.; W. Speitkamp, Die Verwaltung der Ge­ schichte (Fn. 41), S. 287 ff.; umfassend mit dem betonenden Akzent auf den Heimat­ schutz F. W. Bredt, Die Heimatschutzgesetzgebung der deutschen Bundesstaaten, Düsseldorf 2012; R. Stintzing (Fn. 41), S. 23 ff.; zum damaligen Rechtsstand im Königreich Preußen H.  Lezius (Fn. 19), S. 149 ff.; A. Kneer (Fn. 19), S. 15 ff.; zum Rechtsstand im Großherzogtum Odenburg M.  Lücke (Fn. 106), S. 65 ff.; allgemein hierzu auch F. Hammer (Fn. 35), S. 130 ff.; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 50; K. Brichetti (Fn. 36), S. 71 ff. Die Notwendigkeit dieser Natur- und Heimatschutzgesetze ergab sich insbesondere aus einem Urteil des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 14.06.1882 („Kreuzbergurteil“), durch das die Beeinträchtigung der Umgebung des Berliner Kreuzbergnationaldenkmals durch ein vierstöckiges Wohngebäude und da­ mit die kulturell dominierten Interessen des Heimatschutzes nicht unter die zu den polizeilichen Aufgaben gehörenden Interessen des öffentlichen Wohls subsumiert wurden, so dass der kulturelle Eingriff nicht durch das Polizeiverordnungsrecht ver­ hindert werden konnte; siehe hierzu Entscheidungen des Preußischen Oberverwal­ tungsgerichts, Bd. IX, S. 353 ff.; Die Kreuzbergurteile des Preußischen Oberverwal­ tungsgerichts, Dokumentation zum 100. Jahrgang DVBl., DVBl. 1985, 216 (219 ff.); E.-R. Hönes (Fn. 125), S. 48; H.  Lezius, ebd., S. 8 ff.; Frhr. v. Dungern (Fn. 1), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318); F. Hammer, ebd., S. 130; vgl. auch M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, Berlin 1995, S. 14. 154  Auf die Entstehungsgeschichte des Denkmalschutzgesetzes im Großherzogtum Oldenburg wird nicht eingegangen, da sich hieraus keine weitergehenden Erkennt­ nisse hinsichtlich der Grundfragen eines gesetzlichen Naturschutzes ergeben; siehe zur Geschichte daher nur M.  Lücke (Fn. 106), S. 61 ff. Auf den in systematischer Hinsicht fortschrittlichen Charakter des Denkmalschutzgesetzes weist A. Schmidt, Rechtsfragen (Fn. 19), S. 162 hin. 155  OLDG, GBl. 1911, S. 960; M.  Lücke (Fn. 106), S. 73. 156  Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und landschaftlich hervorra­ genden Gegenden des Großherzogtums Oldenburg vom 11.01.1910, GBl. 1910, S. 402. 157  Vgl. hierzu M.  Lücke (Fn. 106), S. 65.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs231

zogtum Oldenburg galt die Gesetzestechnik der Klassierung („classement“), wobei wie im Hessischen Denkmalschutzgesetz aus dem Jahre 1902 zwi­ schen öffentlichen und privaten Naturdenkmälern ebenfalls nicht unterschie­ den wurde.158 Demnach wurden von den nach § 2 OLDG zuständigen Denkmalschutzbehörden, im Großherzogtum das Ministerium des Innern, in den Fürstentümern die jeweiligen Regierungen, gemäß § 5 OLDG Denkmal­ listen geführt, in die dann die Eintragung des Naturdenkmals nach Anhörung des Berechtigten, sofern diese nicht im Einzelfall wegen Gefahr im Verzug nach § 6 II OLDG entbehrlich war, auch von ihnen verfügt wurde. Gegen diesen Verwaltungsakt stand dem die Verfügungsbefugnis über das Natur­ denkmal zustehenden Berechtigten gemäß § 7 I OLDG der Rechtsweg zu dem Oberwaltungsgericht, in den Fürstentümern zu den Verwaltungsgerich­ ten innerhalb von zwei Wochen offen, wobei die Klage nach § 7 II OLDG keine aufschiebende Wirkung hatte. Der konkrete gesetzliche Schutz der Naturdenkmäler und ihrer Umgebungen bestand nun in einer direkten Ver­ haltenssteuerung, wonach der Berechtigte nach § 11 OLDG zu etwaigen Arbeiten an den jeweiligen Naturobjekten einer Genehmigung bedurfte,159 wobei in den Fällen, in denen ihm die beantragte Erlaubnis versagt bzw. nur unter gewissen Auflagen erteilt wurde, diese negative Entscheidung nach § 15 OLDG vor den genannten verwaltungsgerichtlichen Instanzen wieder innerhalb von zwei Wochen angegriffen werden konnte. Nach § 17 I, II OLDG stand einem privaten Berechtigten überdies ein Entschädigungsan­ spruch bzw. eine Übernahmemöglichkeit der eingetragenen Naturerschei­ nung von Seiten des Staates zu, wobei zwischen diesen die rechtsstaatliche Verhältnismäßigkeit der verwaltungsrechtlichen Dispositionen herstellenden Möglichkeiten eine alternative Wahloption des Berechtigten bestand.160 Dass der Naturschutzgeist aber bereits tief in der politischen Sphäre des Großherzogtums Oldenburg verankert war, zeigte sich noch an anderen 158  Zur oldenburgischen Variante einer Klassierung mit Naturdenkmallisten K. Heyer (Fn. 19), S. 121 f.; M. Lücke (Fn. 106), S. 73 f.; K. Odendahl (Fn. 1), S. 46; vgl. auch F. Moewes (Fn. 23), S. 174. 159  M.  Lücke (Fn. 106), S. 73. 160  Hierzu K. Heyer (Fn. 19), S. 123, der den Übernahmeanspruch nach § 17 II OLDG aus gesetzessystematischen Gründen nicht für die Naturdenkmäler gelten lassen wollte. Dieser Ansicht ist zuzustimmen, weil die Norm des § 17 II OLDG nach ihrem Wortlaut nur von Baudenkmälern und ihrer geschützten Umgebung so­ wie von beweglichen Gegenständen spricht, und im Gegensatz zu § 17 I OLDG auf die für Naturdenkmäler wesentliche Bestimmung des § 11 OLDG nicht verweist. Nach der Norm des § 17 III OLDG erfolgte die Festlegung der Entschädigungshöhe durch ein dreiköpfiges Schiedsgericht, wobei je ein diesem Gremium angehöriges Mitglied durch die Denkmalschutzbehörde, den Verfügungsberechtigten selbst sowie der Obmann durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts in Oldenburg gewählt wurde. Die Kosten dieses schiedsgerichtlichen Verfahrens trug nach § 17 III 2 OLDG der Staat. Zur Übernahmemöglichkeit auch M.  Lücke (Fn. 106), S. 74.

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Stellen des Oldenburgischen Denkmalschutzgesetzes aus dem Jahre 1911. In die Organisation des Naturdenkmalschutzes in diesem großherzoglichen Einzelstaat des Deutschen Kaiserreichs waren nach §§ 3, 4 OLDG jeweils drei in den einzelnen Fürstentümern tätige Denkmalpfleger und Denkmalrä­ te involviert, die dem staatlichen Obhutsapparat beratend beiseitestanden, wobei Erstere zudem nach § 3 II OLDG auch zu persönlicher Einwirkung auf Privatpersonen befähigt waren, um unangemessene Verunstaltungen von Naturdenkmälern zu verhindern. Andererseits stand dem großherzoglichen Staat, dem Ministerium des Innern, in den Fürstentümern den Regierungen, nach § 24 Nr. 1 OLDG selbst ein eigenes Enteignungsrecht zu, „sofern es erforderlich ist zum Zwecke der Erhaltung eines (Natur)Denkmals, dessen Unterhaltung oder Sicherung in einer seinen Bestand oder wesentliche Teile gefährdenden Weise vernachlässigt wird.“161 Im Gesamten war das Olden­ burgische Denkmalschutzgesetz ein Progress auf dem Weg in eine natur­ staatliche Moderne, in dem sich der mit der Zeit zu sich selbst gekommene objektive Naturschutzgeist nicht nur verewigt hat, sondern das auch in rechtsstaatlicher Hinsicht den obrigkeitsstaatlichen Dominanzvorwürfen, wie sie auf der wissenschaftlichen Diskussionsplattform um das Deutsche Kaiserreich immer wieder zu finden sind, den Boden entzieht. Es ist nur ein weiterer Beleg für die selbstorganisatorische Aufbruchsstimmung, die in den letzten Jahren der kaiserlichen Monarchie vorherrschte und das gesamte autoritär-korporative Verfassungsgebilde zusehends erschütterte.162 Ein systematischer Vergleich der in der späten Phase der Deutschen Kai­ sermonarchie verabschiedeten Gesetzesakte auf dem Gebiet des Naturschut­ zes in den Großherzogtümern Hessen und Oldenburg zeigt noch einmal eine gewachsene Erkenntnisbedeutung der Naturschutzidee innerhalb der letzten Jahre vor dem Ausbruch des 1. Weltkrieges. Während sich in dem Hessischen Modell noch schwerwiegende, aus dem unstreitigen Konfliktpo­ tential des neueren Naturschutzgeistes resultierende Bremsmechanismen 161  OLDG, GBl. 1911, S. 968 f.; K. Heyer (Fn. 19), S. 123; K.  Odendahl (Fn. 1), S. 47. Andererseits fand das Gesetz nach Art. 28 OLDG auf Denkmäler und deren Umgebung, über die der Staat verfügungsberechtigt war, keine Anwendung (K. Heyer (Fn. 19), S. 124; M. Lücke (Fn. 106), S. 74). Dies galt nach § 18 OLDG nicht für Gemeinden und sonstige Kommunalverbände, die verpflichtet waren, für die ord­ nungsgemäße und würdige Unterhaltung und Wiederherstellung der Naturdenkmäler, über die sie die Verfügungsberechtigung besaßen, Sorge zu tragen, was nach § 18 II OLDG durch die staatliche Aufsichtsbehörde auf Kosten der Säumigen auch durch­ gesetzt werden konnte. Nach § 19 OLDG fand die Vorschrift des § 18 OLDG auch auf sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts Anwendung, wobei in diesem Fall an Stelle der Gemeindeaufsichtsbehörde die jeweils vorgesetzte Behörde trat; dazu wiederum K. Heyer (Fn. 19), S. 123. 162  Siehe zum eher restriktiven Gesetzesvollzug aber auch M.  Lücke (Fn. 106), S.  76 ff.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs233

ausmachen ließen, verfolgte das Oldenburger Denkmalschutzgesetz bereits einen innovativeren Ansatz, der manche ungereimte Diskursposition integ­ rativ überwand.163 Beide Konzeptionen waren aber bereits in rechtsstaatli­ cher Hinsicht fortschrittlich ausgestaltet, was vor allem die einfachgesetzlich garantierte Eigentumsfreiheit und eine adäquate Rechtsweggarantie bewei­ sen. Auch wenn sich die Legislativakte in den anderen Einzelstaaten der Deutschen Kaisermonarchie mehr durch einen nationalkonservativen Hei­ matgeist auszeichneten, so war in diesen bereits fortschrittlicheren Großher­ zogtümern der selbstorganisatorische Gemeinsinn zu spüren, der sich mit der Zeit in eine naturstaatliche Moderne aufmachte; zumindest war es aber der aufgekommene objektive Naturschutzgeist, der sich mit der staatlichen Sphäre zusehends integrativ verband. VI. Sonderweg oder instabile Zwischenlage? Die staatstheoretische Einordnung des Diskurses ist von entscheidender Relevanz. Es handelt sich nicht um den typischen Konflikt einer dezisionis­ tischen Position mit der Theorie eines irgendwie gearteten objektiven Geis­ tes, dessen abstraktes, unschlüssiges sowie unvollständiges Wesen aus der Sicht eines Dezisionisten nur Folge, nicht aber das aus der Situation heraus geborene Neue in seiner originären Gestalt als konkrete Entscheidung ist. Eine konkrete Dezision lag nämlich durch einen Akt des pouvoir constituant vor. Nur stellte dieser unabhängig von seiner formalen Korrektheit in mate­ rieller Hinsicht nach der Ansicht von Carl Schmitt einen „unechten Kom­ promiss“, eine „vorläufige Entscheidung“ und ein „Provisorium“ dar, dessen unentschiedene Verschleierung des tiefen Abgrunds zwischen „Heer und Verfassung, Staat und Gesellschaft, Politik und Wirtschaft“, „Soldat und liberalem Bürger“, die immanente Überwindungstendenz zum Ausbruch in eine parlamentarische Moderne in sich trug und so die politische Einheit parzellierte.164 Damit stand für ihn das Verfassungsgebilde der Deutschen hierzu auch K.  Odendahl (Fn. 1), S. 46 f. Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6), S. 5 ff. / 20. „Das Repräsentativsystem eines liberalen Verfassungsstaates ist aber ganz darauf angelegt, der parlamentarischen ‚Volksvertretung‘ das Monopol des Volkswil­ lens zu verschaffen und jede andere Führung oder unmittelbare Beziehung zum Volk als verfassungswidrig zu verhindern. Der bürgerliche Konstitutionalismus beseitigte die Führung des Volkes durch seinen König und Obersten Kriegsherrn, den Zusam­ menhalt des preußischen Königs mit seinem Volk, und unterwarf das deutsche Volk der offenen oder getarnten Leitung durch einen Menschentypus, der artmäßig dem bürgerlichen Verfassungsdenken, nicht aber dem preußischen Soldatenstaat zugeord­ net war. Durch diese Verfassung war jeder echte unmittelbare Appell der Regierung an das Volk unmöglich gemacht. (…) Aber das System einer parlamentarischen Parteienherrschaft mediatisierte den politischen Willen des Volkes; es verhinderte die 163  Vgl.

164  C. Schmitt,

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Kaisermonarchie im Lichte einer nationalen Legitimität, ohne dass dies aber einen autonomen Staatstypus, das eigenartig deutsch-preußische System in einer den Abgrund heilsam überwindenden Symbiose nationalstaatlicher Einheit begründet hätte. Carl Schmitt führt insoweit das bekannte Zitat von Gerhard Anschütz an: „Das Staatsrecht hört hier auf.“165 Deshalb besaß das Deutsche Kaiserreich eigentlich keine Verfassung,166 es stand auf dem „di­ latorischen Formelkompromiss“, den der politische Liberalismus den über­ kommenen Ordnungsmächten auferlegt hatte, ohne dass er in seiner Stoß­ kraft den konservativ-monarchischen Geist aber schon endgültig hätte überwinden können. Andererseits ist aber auch die Argumentationslinie von Ernst Rudolf Huber beachtlich, der als wahres Kennzeichen des Deutschen Kaiserreichs das der eigenen Gegenwart zugewandte Selbstwertgefühl einer dem industriellen, technischen und wissenschaftlichen Zeitalter angehören­ den, sich der Pflege von Bildung und Kultur verpflichtet wissenden moder­ nen Nation erblickte. Daher bestand für ihn das Legitimitätsprinzip in Form eines nationalstaatlichen Identitätsbündnisses, das sich nicht nur aus den überlieferten Ideen, sondern auch aus den demokratischen Errungenschaf­ ten, in denen die neu in das Staatssystem eingefügten liberalen Grundideen sowie Verfassungsfaktoren das Fundament ihres Ringens um die Fortent­ wicklung des Reichsganzen hatten, zusammensetzte.167 Etwas anders ge­ wendet, aber in demselben Kritikmuster verbleibend, sprach Otto Hintze von dem deutschen Staatsmodell konstitutioneller Prägung als einer Meta­ morphose des aufgeklärten Absolutismus, der auf den typischen Säulen des monarchischen Konstitutionalismus, d. h. Absolutismus, Militarismus sowie Bürokratie, beruhte und durch die kriegerisch und nicht industriell ausge­ richtete Verfassungsstruktur in seinem Wesen auf eine stetige Unterordnung der sozialen Klassengegensätze unter das Staatsinteresse angelegt war.168 politische Auswirkung des Volkswillens und stellte eine Mehrzahl wohlorganisierter Parteien wie eine feste Mauer zwischen den politischen Willen der Regierung und den Willen eines durch eben dieses von Parteien zerrissenen und parzellierten Vol­ kes.“ (C. Schmitt, ebd., S. 20). 165  G. Anschütz, in: G.  Meyer / ders. (Hrsg.), Lehrbuch des Deutschen Staats­ rechts, 7. Aufl., München 1919, S. 906; darauf Bezug nehmend C. Schmitt, Staats­ gefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6), S. 8. 166  C. Schmitt, Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6), S.  8 f. 167  E. R. Huber, Das Deutsche Kaiserreich als Epoche (Fn. 7), § 2 Rn. 4 ff. / 52 ff. Hierzu die Gegenposition von Carl Schmitt (C. Schmitt, Staatsgefüge und Zusammen­ bruch des Zweiten Reiches (Fn. 6), S. 11): „Denn Soldat und liberaler Bürger, preußi­ sches Heer und bürgerliche Gesellschaft, sind Gegensätze zugleich der Weltanschau­ ung, der geistigen und sittlichen Bildung, des Rechtsdenkens und vor allem auch der fundamentalen Ausgangspunkte für die staatliche Struktur und Organisation.“ 168  O.  Hintze (Fn. 5), S. 364 f.; in diesem Sinne auch K. D. Bracher (Fn. 7), Po­ litische Vierteljahresschrift 1968 (9), S. 4 ff. Karl Dietrich Bracher auszugsweise:



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs235

Der Meinungsstreit in dem Gewand der Naturschutzidee gekleidet wird damit zu einer perspektivischen Zerreißprobe staatstheoretischer Systemer­ kenntnis, deren weise Einordnung in diesen Diskurs den inneren Wider­ spruch aufzeigen kann, mit dem die Frage nach einem deutschen Sonderweg belastet ist. Denn es ist ohne weiteres möglich, mehr oder weniger Konti­ nuitätslinien zu ziehen, deren Endpunkte in der nationalsozialistischen Herrschaft zu finden sind.169 Überdies spricht aber auch die Dauer des Deutschen Kaiserreichs für ein eigenes politisches Formprinzip, wie auch Ernst-Wolfgang Böckenförde zugesteht.170 Ein unechter, dilatorischer For­ melkompromiss aber würde einen systemimmanent angelegten Umbruchs­ prozess mit einer die politische Einheit parzellierenden Stoßkraft indizieren, der einen deutschen Sonderweg ausschließen würde, obwohl es die pluralis­ tischen Gewichte auf dem politischen Massenmarkt polykratischer Prägung waren, die zu den nationalsozialistischen Einheitsbestrebungen beigetragen haben. Kontinuität ist daher von vornherein ein dehnbarer Begriff, der in seiner konkreten Verwendung grundsätzlich positiver oder negativer ange­ haucht sein kann.

„Gewiss hat sich dies letztlich erst mit dem Scheitern des zweiten Anlaufs der Ver­ fassungsbewegung nach 1848 entschieden. Aber eben dies Scheitern war mehr als eine Konsequenz unglücklicher Zufälle; dahinter stand die Ambilvalenz des deut­ schen Liberalismus, der sich eingeklemmt fand zwischen unerfülltem Nationalstaats­ verlangen und obrigkeitsstaatlichen Herrschaftsstrukturen.“ „Es war eine preußische, autoritäre Ersatzlösung für den liberal-demokratischen Nationalstaat, den man vor 1848 erstrebt hatte. Aber er erfüllte den ersten Wunsch der Einheitsbewegung und konnte deshalb zugleich auch die bürgerlich-liberale Emanzipationsbewegung in die Struktur eines scheinkonstitutionellen, halbabsoluten Feudal-, Militär- und Beamten­ staates absorbieren.“ „Die Monarchie blieb an historische Lebensformen gebunden, die den modernen politischen und sozialen Kräften nicht mehr entsprachen. Sie befand sich im Widerspruch mit der Tendenz der Epoche, die zu fortschreitender Demokratisierung aller Lebensbereiche drängte.“ „Unverkennbar ist die enge Ver­ knüpfung mit der Entwicklung des deutschen Nationalgedankens, der sich ursprüng­ lich in enger Verbindung mit liberalen und demokratischen Emanzipationsbewegun­ gen entfaltet hatte, dann aber besonders entschieden in die antiwestliche Staatsideo­ logie einmündete, in deren Zeichen der (…) Nationalstaat begründet wurde.“ „Die Ausbildung des Nationalbewusstseins hat zum Aufstieg demokratischer Bewegungen beigetragen, sie hat aber auch zur unpolitischen Stützung und Überhöhung autoritä­ rer Regime, zur Entpolitisierung und Ablenkung der Freiheits- und Demokratisie­ rungsansprüche der Massen auf ideologische und imperial-machtpolitische Ziele geführt.“ (K. D. Bracher, ebd., S. 5 / 6 / 7 / 8 / 10). 169  T. Nipperdey (Fn. 2), Historische Zeitschrift 1978 (227), 86 (86 f. / 101 ff.). 170  E.-W. Böckenförde (Fn. 8), S. 154. Allerdings gibt Ernst-Wolfgang Böckenför­ de zu bedenken: „Aber auch ein Übergangs- oder Zwischenzustand kann lange währen, gerade wenn er seiner Funktion, den Wechsel grundlegender politisch-sozi­ aler Ordnungsprinzipien, nicht abrupt, sondern in Form eines allmählichen, kontinu­ ierlichen Ab- und Aufbaus zu ermöglichen, in besonderer Weise gerecht wird.“

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Die systemgerechte Einordnung der im späten 19. Jahrhundert aufgekom­ menen Naturschutzidee in das Staatsgebilde des Deutschen Kaiserreichs wird durch den gewachsenen Interessenpluralismus, auf dem der Natur­ schutzgeist beruhte, aber vor allem auch durch die mit konservativ-monar­ chischen Elementen dominierte Verfassungshülle des neuen deutschen Nati­ onalstaats erschwert, die einem ökologischeren Staatsbekenntnis doch eher im Wege stand. Die Naturschutzidee musste sich deshalb in den autonomen Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs unter nationalstaatlicher Flagge nahtlos integrieren lassen, oder als Zeichen einer systemimmanent angeleg­ ten Umbruchstendenz erscheinen, die zwar auch unter dem Postulat natio­ naler Legitimität voranschritt, ohne aber ihr Fernziel einer naturstaatlichen Moderne aus den Augen zu verlieren. Otto Hintze überträgt diesen grund­ legenden Maßstab auf den Gegensatz von kriegerischem und industriellem Staatstypus. Während das monarchisch-konstitutionelle System in die erste Kategorie fällt und als obrigkeitlicher Herrschaftsverband geneigt ist, unter der autoritären Staatsleitung die bestehenden Klassengegensätze dem über­ ragenden Staatsinteresse unterzuordnen, ist für ihn das parlamentarische System dem industriellen Staatsmodell zuzuordnen, wo sich die einflussrei­ chen gesellschaftlichen Klassen aufmachen, den Staat ihren Interessen und Bedürfnissen anzupassen, um die unteren Schichten dann mit der Zeit in das staatliche Gemeinschaftsgebilde zu integrieren.171 In diesem Sinne ergänzt Carl Schmitt unter Rekurs auf die Komponente der Volksbildung: „Auch die Antithese von Geist und Macht, Bildung und Unbildung, arbeitete für die liberale, bürgerliche Gesellschaft (…). Die propagandistische Gegenüber­ stellung des friedliebenden, besitzenden und gebildeten Bürgers gegen den machthungrigen, ungebildeten und ungeistigen (…) Militarismus ist nur der gröbste, aber auch der folgerichtigste Anwendungsfall dieses allgemeinen Dualismus.“172 Der aufgekommene Naturschutz im Deutschen Kaiserreich 171  O.  Hintze (Fn. 5), S. 365. Zu der Einordnung des obrigkeitsstaatlichen Deut­ schen Kaiserreichs als einen autonomen Staatstypus führt Otto Hintze aus: „In sei­ nem Verhältnis zum Heer ist der Monarch durch keine konstitutionellen Rücksichten gebunden. Die konstitutionelle Verfassung bezieht sich eigentlich nur auf das Volk in seiner Eigenschaft als bürgerliche Gesellschaft. Da aber die Kriegsverfassung doch das Rückgrat der staatlichen Organisation ausmacht, so kann die Vertretung der bürgerlichen Gesellschaft, d. h. der Landtage, niemals zum beherrschenden Einfluss im Staate gelangen. Es kommt hinzu, dass es ihm durchaus an der nötigen inneren Einheit und Geschlossenheit fehlt, die unter allen Umständen die Vorbedingung für eine politische Machtrolle sein würde.“ „Bei uns sind die Parteien eigentlich keine politischen, sondern mehr wirtschaftlich-soziale oder religiös-konfessionelle Bildun­ gen. (…) Das ist aber eine Gestaltung des Parteiwesens, die mehr zu monarchischer Staatsleitung als zu parlamentarischem Einfluss führt. Und vollends der himmelwei­ te Abstand in Politik und Weltanschauung, wie er z. B. zwischen dem Zentrum und der Sozialdemokratie besteht, schließt die Möglichkeit eines abwechselnden Partei­ regiments ganz und gar aus.“ (O.  Hintze, ebd., S. 377 f.).



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs237

ist ein prädestiniertes Abbild für die innere Zerrissenheit dieses verhüllen­ den Mischsystems, das ohne den noch vorherrschenden konservativ-liberalen Zeitgeist in dieser Form wohl nicht dauerhaft entstanden wäre. Als die ka­ pitalistische Wirtschaftsordnung die Natur zunehmend zum Sklaven des industriellen und technischen Fortschritts avancieren ließ, zeigte sich in der soziologischen Wirklichkeit mit der Zeit ein emotionales Bewusstsein für die heimatliche Natur, das sich in der Form einer antimodernistischen Zivi­ lisationskritik präsentierte und als mobilisierende Kraftquelle nach einer anderen Moderne strebte. Hier engagierten sich insbesondere Vertreter aus dem gebildeten Mittelstand, die von Berufs wegen vornehmlich als Univer­ sitätsprofessoren, Lehrer oder Museumsdirektoren, aber auch in ehrenamtli­ cher Funktion die geborene Naturschutzidee im Rahmen der geistigen Dis­ kursebene der Deutschen Kaisermonarchie verbreiteten. Mit dem Sturz von Otto von Bismarck als Reichskanzler im Jahre 1890 hatten sich zudem die politischen Rahmenbedingungen geändert, indem sich unter dem Vorwand des Ausfüllens des durch die Demission sowohl in der Politik wie auch in der Öffentlichkeit entstandenen Machtvakuums das autoritär-korporative Verfassungssystem des Deutschen Kaiserreichs in pluralistischer Hinsicht zu einem politischen Massenmarkt fortentwickelte,173 was sich auch auf dem Gebiet des Natur- und Heimatschutzes strukturell ausdrückte. Dort bildeten sich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend organisierte Vereini­ gungen heraus, die angesichts ihrer gebündelten Kraft und der ihnen zu­ kommenden besonderen Staatsnähe174 als Indikatoren eines entstehenden allgemeinen Naturschutzinteresses angesehen werden konnten. Die Motiv­ varietät des Naturschutzes war aber derart uneinheitlich, dass es vor allem auch schwierig ist, diese nicht zu bestreitende Diversität unter leitende Themen oder gar Legitimitätsideen zu fassen. Eine Ausnahme bildete inso­ weit aber die im Rahmen der neueren Heimatschutzbewegung getätigte Naturschutzarbeit, die zumindest bis auf die letzten Jahre der Deutschen Kaisermonarchie in einem antimodernistischen Kulturmuster verhaftet blieb und nur in ihrer auf die Gesamtphysiognomie der heimatlichen Landschaft ausgerichteten Konzeptidee eine über den ästhetisch-nationalen Sinngehalt hinausgehende Modernität zeitigte. Der geborene Naturschutzgedanke dage­ gen war kulturell-ästhetisches, nationales, wirtschaftliches, soziales sowie ökologisches Anliegen zugleich, wobei aber auch hier der emotionale An­ satz der historisch gewachsenen, nationalen Symbolkraft der ästhetischen Natur die Motivlage dominierte. Dies galt insbesondere auch für die in der späten Phase des Deutschen Kaiserreichs einsetzende staatliche Schutztätig­ 172  C. Schmitt,

S. 15.

Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6),

173  H.-U. Wehler, 174  P. Pernthaler

Deutsche Gesellschaftsgeschichte (Fn. 2), S. 1000. (Fn. 12), S. 81 f.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

keit, die wegen des unantastbaren Primats der Ökonomie in einer konserva­ tiven Abwehrhaltung gegenüber den noch fortschrittlicheren Impulsen aus der gesellschaftlichen Sphäre verhaftet blieb, wenngleich sich anhand der sich allmählich erweiternden Bedeutungserkenntnis um den Begriff des Naturdenkmals auch in der staatlichen Sphäre ein weitergehendes Natur­ schutzverständnis herausbildete, das sich aber gegen die kulturell-ästhetische Dominanz und den wirtschaftlichen Tabuimperativ nur begrenzt durchsetzen konnte. Es ist daher in der kontrovers diskutierten Legitimitätsfrage durch­ aus möglich, den staatlichen Naturschutz im Deutschen Kaiserreich als ein nationalstaatlich motiviertes Kulturbedürfnis anzusehen, das die obrigkeits­ staatliche Herrschaftsmentalität in ihren verfassungsrechtlichen Grundfesten abermals rechtfertigte. Dieser antimodernistische Nationalkult wurde zudem durch eine verkrustete Parteienlandschaft gefördert, die sich aus in ihrer Entwicklung zu politischen Organisationen noch rückständigen Parteien bildete und infolge der starren Grenzziehung in die politischen Parteimilieus eher die monarchische Staatsleitung als den langsam aufblühenden parla­ mentarischen Liberalismusgeist begünstigte.175 Das Verfassungsgerüst des Deutschen Kaiserreichs war ein zeitgemäßer und damit bewusster Kompro­ miss aus konservativen und bürgerlich-liberalen Elementen, der in der Na­ turschutzidee ein Instrument zu einer heilsamen Synthese unter national­ staatlicher Flagge erblicken konnte. Dieser nationale Gemeinsinn wurde mit der immer sichtbarer werdenden industriellen Expansionswelle weiter ge­ stärkt, was das restliche Naturreservat als ästhetisch-kulturelles National­ symbol erscheinen ließ. Die kapitalistische Wirtschaftsordnung führte so zu einer das konkrete Staatsgebilde des Deutschen Kaiserreichs erschütternden Erosion, deren negative Folgen aber unter dem gemeinsamen Nationalgut der Natur abgefedert werden konnten. Dennoch zeichnete sich mit der Zeit ein parlamentarischer Frühling ab, der die zunehmenden Risse in der durch den pouvoir constituant festgeleg­ ten Fassade eines „dilatorischen Formelkompromisses“176 offen zutage tre­ ten ließ und nach einer weiteren Anpassung an den Geist des politischen Liberalismus verlangte. Dies zeigte sich bereits an der organisierten Natur­ schutzgesellschaft, die ihre mobilisierende Kraft aus der Mitte der gebilde­ ten Gesellschaft empfing und als Vorreiter eines selbstorganisatorischen Staatssystems in Erscheinung trat. In den halbamtlich organisierten Komi­ tees bzw. Ausschussmodellen als Komponenten eines dezentralen Netzwerks verfestigte sich dieser liberale Emanzipationssinn, was als gleitender Über­ gang auf dem Weg zur Parlamentarisierung gedeutet werden kann. Der 175  O.  Hintze

(Fn. 5), S. 378. Staatsgefüge und Zusammenbruch des Zweiten Reiches (Fn. 6),

176  C. Schmitt,

S. 16 f. / 22.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs239

Naturschutz war aber zudem nicht ausschließlich eine nationale Identitäts­ symbolik, sondern er vereinte in sich eine emotionale Bindung mit einem unübersichtlichen Motivpluralismus, was als demokratische Interessenan­ sammlung gelten kann, auch wenn sich die von staatlicher Seite betriebene Naturschutztätigkeit noch ganz in die traditionalistische Staatsgesinnung einfügte, was weitergehenden Ansätzen auf dem Gebiet dieser neuen staat­ lichen Aufgabe im Wege stand. In der gesellschaftlichen Sphäre setzte sich aber mit der Dauer zunehmend ein ökologischeres Naturbewusstsein durch, was sich in der lauten Kritik an dem zu engen herkömmlichen Begriff des Naturdenkmals entlud, der auch bereits ganze Naturschutzgebiete umfassen sollte, insbesondere aber auch in der im gleichen Kontext stehenden Betä­ tigung des Vereins Naturschutzpark, dessen öffentlichkeitswirksame Unter­ stützung seitens der preußischen Monarchie zu einer sinntragenden Stütze des Naturschutzes als Gemeinwohlbelang beigetragen hat. Dieses Vorhaben verdeutlicht auch die allmähliche Akzeptanz des sozialpolitischen Motivs der Naturschutzidee, wie es in den USA, England und Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits vertreten war. Ein ähnlicher Progress zeigte sich an den Naturschutzbestimmungen der Großherzogtümer Hessen und Oldenburg, die bereits im direkten Vergleich noch einmal einen gewissen Fortschrittsdrang aufzeigen. Auch wenn der sachliche Anwen­ dungsbereich dieser beiden Gesetze auf etwaige Naturdenkmäler und ihre Umgebungen beschränkt blieb, so war dies gegenüber der im Deutschen Kaiserreich hauptsächlich betriebenen konservativen Heimatschutzgesetzge­ bung ein wesentliches Aufblühenszeichen des Naturschutzgedankens, der zudem in Gesetzeswerken verankert wurde, die sich in rechtsstaatlicher Hinsicht, insbesondere mit Blick auf die Eigentumsgarantie und Rechts­ schutzgewährleistungen, in keiner Weise rückständig zeigten. Die Fort­ schrittlichkeit des Naturschutzgeistes wurde in dem Denkmalschutzgesetz des Großherzogtums Oldenburg überdies durch ein dem Staat eingeräumtes eigenes Enteignungsrecht zugunsten von Naturschönheiten hervorgehoben, was als sicherer Indikator für ein gewachsenes Allgemeininteresse an der Natur und damit für eine Aufbruchstendenz in eine naturstaatliche Moderne angesehen werden kann. Dies belegt zudem ein Kompetenzgerangel zwi­ schen der Legislative und der Exekutive im Königreich Preußen um die dauerhafte staatliche Institutionalisierung des Naturschutzes, aus dem die parlamentarische Initiative trotz gewisser Vorbehalte von konservativen Abgeordneten als Sieger hervorgegangen war. Der Naturschutz hatte sich letztlich in der Deutschen Kaisermonarchie in der staatliche Sphäre verbrei­ tet und teilweise auch schon verfestigt, was in direktem Kontext mit dem demokratischen Emanzipationsprozess stand, wenngleich gegensätzliche Belange wie die Eigentumsfrage die Integrationstendenzen des Naturschut­ zes innerhalb des Staates erheblich verzögerten.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Ein Resümee unter Aufnahme der eingangs gestellten Frage nach der systemgerechten Einordnung der Naturschutzidee in das autoritär-korporati­ ve Verfassungsgebilde des Deutschen Kaiserreichs lässt sich nur differenzie­ rend abfassen. Der Naturschutzgeist war dominiert von einer nationalen Emotionalität, die ihn als legitimes Vehikel für einen konservativ-monarchi­ schen Staatsapparat erscheinen ließ, der in der Zeit des politischen Libera­ lismus verfassungsrechtliche Zugeständnisse machen musste, ohne aber den Charakter einer autoritären Sonderstellung aufzugeben. In dieses konserva­ tive Schema passte sich der national-kulturelle Heimatschutzgedanke nahtlos ein, der in dem ästhetischen Naturschutz insoweit einen verlässlichen und gleichgesinnten Partner vermutete. Der Naturschutzgedanke war aber facet­ tenreich und damit offen für weitergehende Bestrebungen, was sich in einem gesellschaftlichen Bündel von verschiedenen Schutzmotiven der Natur aus­ drückte. In diesem Sinne war die Naturschutzidee ein geeigneter Untersatz für selbstorganisatorische Umbruchstendenzen, die sich mit der Zeit verbrei­ teten und das verkrustete Kompromissgerüst der Deutschen Kaisermonar­ chie unter einer systemimmanenten Fortentwicklung der demokratischen Elemente zusehends erschütterten. Der geborene Naturschutzgeist war so Stützpunkt konservativ-monarchischer Erhaltungsmaßnahmen und zugleich innovativer Wegbereiter einer naturstaatlichen Moderne.177 Das dilatorische und formelhaft verhüllende Provisorium einer Verfassungsentscheidung war deshalb dem unaufhaltsam aufstrebenden politischen Liberalismus nur noch zeitweise gewachsen, was sich auch an dem Naturschutz im Deutschen Kaiserreich aufzeigen lässt. Insgesamt bleibt damit das Ergebnis einer ledig­ lich instabilen Zwischenlage, die systematisch auf einen parlamentarischen Frühling unter nationaler Flagge ausgerichtet war. Die konkrete Dezision des pouvoir constituant war daher ein unvollkommener Kompromiss, der im 177  Dies bestätigt die Ansicht von Hasso Hofmann (H. Hofmann (Fn. 7), S. 100 f.), wonach der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs eine zu geringe Integrationskraft zukam, da sie sich eines materiellen Konsenses über die nationalen Einheitsprinzi­ pien entzog. Daher kommt Hasso Hofmann zu dem Ergebnis, dass im Deutschen Kaiserreich nationalstaatlicher und demokratischer Legitimitätsprozess auseinander­ fielen, sich Nationalismus mit autoritärer Staatsführung verband, was sich im Deut­ schen Reich schließlich fortsetzen sollte. Angesichts des Facettenreichtums des Na­ turschutzes war dieser aber nicht nur Element der nationalen Legitimitätsidee, son­ dern auch ein aufblühender Indikator für eine naturstaatliche Moderne, der dem statischen Integrationshebel des kaiserlichen Nationalstaates eine dynamisch-demo­ kratische Pluralismusnote verlieh. Siehe zu dem Problem des kränkelnden Nationa­ lismus, der sich später mit der autoritären Staatsführung verband und damit einen Ausgleich für den abweichenden demokratischen Legitimitätsprozess verwirklichte K. D. Bracher (Fn. 7), Politische Vierteljahresschrift 1968 (9), S. 2 ff.; ders., Über das Verhältnis von Nationalbewusstsein und Demokratie – eine Betrachtung zur deutschen Pathologie, in: G. Ritter (Hrsg.), Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft, Berlin 1970, S. 168 ff.



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs241

Lichte des Naturschutzgeistes zwar nicht ganz offen, aber doch zunehmend sichtbar zutage trat. Mit dem abbildenden Spiegeleffekt einer illustrativen Anekdote soll die­ ses Kapitel um den Naturschutz im Deutschen Kaiserreich mit einem Rekurs auf die Gesinnung des Deutschen Kaisers Wilhelm II. in Bezug auf den aufgekommenen Gedanken um eine Bewahrung der Natur abgeschlossen werden. Geht man davon aus, dass die Integration in der Monarchie durch eine statische Note geprägt ist, indem sich die Legitimität auf den die Staatsgemeinschaft bestimmenden Wertbestand und dessen Verkörperung in der Institution des Königtums und in der Person des Königs gründet, die legitimierende Integration in einer parlamentarischen Demokratie dagegen durch den bewegten politischen Dialektikprozess von konkurrierenden Kräf­ ten gekennzeichnet und damit dynamisch ausgestaltet ist,178 so ist der hei­ matliche Naturschutzgeist in der Deutschen Kaisermonarchie ein Beispiel für ein Konglomerat gegensätzlicher Legitimitätsstränge, von denen sich der eine auf dem konstitutionellen Gedankengut eines verkappten Spätabsolutis­ mus aufbaute, „der die Einrichtungen der modernen Repräsentativverfassung (Parlament, Parteien, allgemeines und gleiches Wahlrecht, parlamentarische Gesetzgebung, Budgetfeststellung und Budgetkontrolle) nur benutzte, um unter der Maske pseudoverfassungsrechtlicher Zugeständnisse die Herrschaft der traditionellen Machthaber (Krone, Adel, Klerus, Großgrundbesitz und Großbürgertum) gegen die politischen Forderungen der ‚breiten Massen‘ abzuschirmen“, der andere sich aber auf das Ethos eines verkappten Parla­ mentarismus stützte, „also ein System, in dem die überlieferte Monarchie und die mit ihr verbündeten alten Ordnungen in hinhaltendem Widerstand gegen die aufsteigende Parteienmacht begriffen waren und ihre in der Sache bereits entschiedene Niederlage hinter der Fassade formaler Vorbehaltsrech­ te zu verbergen suchten, ohne dass sie sich im politischen Ernstfall gegen­ über den vordringenden progressiven Kräften hätten behaupten können“.179 Mit anderen Worten war die in erster Linie monarchisch-konservativ gestal­ tete Verfassungsordnung der Deutschen Kaisermonarchie den aufstrebenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Aufbruchstendenzen in der 178  So R. Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat und das Problem der Staatsform, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 68 ff.; hierzu auch E. R. Huber, Rudolf Smend, 15. Jan. 1882–5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S. 105 ff. / 108. Kritisch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 326 f., der aber in der Identität der Persönlichkeit des Monarchen auch größere Garantien für die Ste­ tigkeit der allgemeinen staatlichen Richtung erblickte, nur dass diese Statik von dem dynamischen Erzeugungsvorgang des Staatswillens, d. h. des Rechts, zu unterschei­ den ist. 179  E. R. Huber, Das Deutsche Kaiserreich als Epoche (Fn. 7), § 2 Rn. 52.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

realen Wirklichkeit nicht mehr gewachsen,180 weshalb sich auch eine innere Ambivalenz im Hinblick auf den höchst facettenreichen Naturschutz ausma­ chen ließ. Nach der Ansicht des für einen deutschen Sonderweg streitenden Ernst Rudolf Huber war es aber gerade das Deutsche Kaisertum, das sich mit der Zeit zu einem Symbol der neu gewonnenen Reichseinheit und so zu einer national-unitarischen Institution mit politischer Würde ausbildete, so dass sich der Deutsche Kaiser ohne den Kontinuitätsstempel eines histori­ schen Vorbilds zu dem überformenden, legitimierenden Signum einer ein­ heitlichen Nationalität entwickelte.181 Es ist schon gezeigt worden, dass sich der Deutsche Kaiser Wilhelm II. auch auf dem Gebiet des Naturschutzes engagierte, indem er vor allem die Aktivitäten des Vereins Naturschutzpark finanziell unterstützte. Raymond H. Dominick kommt deshalb zu dem Er­ gebnis, dass es sich bei diesen staatlichen Zuschüssen um besondere Maß­ nahmen handelte, die Kaiser Wilhelm II. als ein „model for conservative patronage of preservationist causes“ erscheinen lassen.182 Tatsächlich stand der Deutsche Kaiser als Protektor an der Spitze des Vorhabens um die Aus­ weisung von größeren Staatsparks, womit sich in der grundsätzlich imperi­ alistisch-nationalen Staatsgesinnung auch ein naturstaatliches Moment zeigte, das sich mit der Bewahrung von ganzen Naturreservaten beschäftig­ te, und dem eine ähnliche Relevanz beigemessen wurde wie der ZeppelinSache als öffentlichkeitswirksamer Demonstration der eigenen wirtschaft­ lich-technischen Stärke des Deutschen Kaiserreichs.183 Mit der Natursymbo­ lik wurde daher seitens des Deutschen Kaisers durchaus in statischer Integ­ rationsmanier ein bestimmter Wert der Staatsgemeinschaft repräsentiert, der dem monarchisch-konservativ dominierten Obrigkeitsstaat eine notwendige elitäre Legitimitätsreserve vermitteln konnte. Darunter schimmerte aber gleichsam bereits der ökologische Gedanke durch, der durch die breiten Massen zunehmend initiiert nach einer Befreiung verlangte und auf eine 180  H. Hofmann

(Fn. 7), S. 100 f.; vgl. auch H. v. Treischke (Fn. 6), S. 1 ff. Das Deutsche Kaiserreich als Epoche (Fn. 7), § 2 Rn. 59; ders., Bismarck und das Reich (Fn. 7), S. 773 ff. Zu bedenken ist insoweit aber, dass es zumindest in der Anfangszeit des Deutschen Kaiserreichs noch keinen „Kaiser von Deutschland“ als Reichsmonarchen geben konnte, da dies die Eigenstaatlichkeit der bundesstaatlichen Gliedstaaten in Frage hätte stellen können. Erst mit der späteren Regierungsoffensive von Kaiser Wilhelm II., deren Berechtigung in der verfassungs­ geschichtlichen Wissenschaft ebenfalls umstritten ist, konnte sich daher der Kaiser als hinreichend legitimitätsstiftendes Einheitssymbol präsentieren; siehe hierzu D. Willoweit (Fn. 7), S. 288 / 300 f. 182  R. H. Dominick (Fn. 9), S. 221. 183  R.  Lüer (Fn. 84), S. 60. Zum weltpolitischen Anspruch und Engagement von Kaiser Wilhelm II. D. Willoweit (Fn. 7), S. 301. Ausführlich zur Wilhelminischen Ära K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 8), S. 435 ff.; T. Nipperdey, Deutsche Geschichte (Fn. 2), S. 621 ff. 181  E. R. Huber,



§ 10 Der konstitutionelle Staatstypus des Deutschen Kaiserreichs243

naturstaatliche Moderne zusteuerte. Deutlich wird dies zudem an dem Um­ stand, dass die Reichskolonialverwaltung auch einen Schutz des Regenwal­ des in Ost-Usambara betrieb.184 Es wird damit deutlich, dass der staatliche Naturschutz in der Deutschen Kaisermonarchie viel mehr war als nur die Konservierung einer gewachsenen Nationalsymbolik; nämlich der Beginn der ökologischen Bewegung auf deutschem Boden.

184  So H. Conwentz, Naturdenkmalpflege (Fn. 23), S. 42. Siehe zu weiteren deut­ schen Schutzgebieten in Afrika auch W. Schoenichen, Merkbuch der Naturdenkmal­ pflege (Fn. 22), S. 106. Grundsätzlich zum weltpolitischen Flotten- und Kolonialwe­ sen in der späten Phase des Deutschen Kaiserreichs D. Willoweit (Fn. 7), S. 292 / 301 / 305 f.

§ 11 Die normative und reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches als sich wechselseitig bedingende Parameter einer entsprechenden naturstaatlichen Systemimmanenz Die reale und normative Verfassung eines Staates sind keine abgetrennten Bildnisse von kategorischen Zustandsgrößen, sondern es handelt sich bei ihnen um wechselseitig aufeinander bezogene Ordnungen, die sich gegen­ seitig bedingen und den Staat als Konglomerat einer Seins- und SollensWirklichkeit zu einem politischen Einheitsgebilde gestalten.1 In ihrer ur­ sprünglichen, auf Aristoteles zurückgehenden Bedeutung wurde die reali­ tätsbezogene Verfassung als die Ordnung des Staates verstanden, wobei sich die systematische Darstellung der staatlichen polis als staatsformgetreuer Wesenheit sowohl auf die einzelnen Ämter als auch auf die Regierung im Ganzen bezog.2 Bereits vor Aristoteles hatte der für die klimatische Deter­ mination der Antike bekannte Hippokrates dem komplexen Wirkungsgefüge in Form der Jahreszeiten, der Winde, der Gewässer, der Lage gegenüber der stets aufgehenden Sonne sowie der Beschaffenheit des Bodens einen be­ 1  Vgl. hierzu H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 16 ff.; J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 13 Rn. 129 ff.; K. Hesse, Die normative Kraft der Verfassung, Tübingen 1959, S. 6 ff.; U. Scheuner, Staatstheorie und Staats­ recht, Berlin 1978, S. 173 f. / 182 f.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 264 ff.; zu undifferenziert dagegen die Gegenansicht im Zusammen­ hang mit der Lehre von Hans Kelsen bei M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 33. Das Zitat von Hans Kelsen an dieser Stelle darf nicht missverstanden werden. Oliver Lepsius und Matthias Jestaedt bringen dies unter der Fragestellung eines „wirklichkeitsverweigernde()n Normativismus“ zutreffend auf den Punkt: „Wenn (Hans) Kelsen auf der strikten Trennung von Sein und Sollen beharrt, so nicht deswegen, weil er der Auffassung wäre, dass das Sein mit dem Sollen nichts zu tun habe (und umgekehrt), sondern weil aus der Sicht des Sollens, der Welt der Normen, das Verhältnis zum Sein einseitig vom Sollen her bestimmt wird. Normative Kraft kommt dem Faktischen eben nicht kraft bloßer Faktiziät zu, sondern ausschließlich kraft normativer Zuschreibung.“ (O.  Lepsius / M.  Jestaedt (Hrsg.), Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie. Abhandlungen zur Demokratietheorie, Tübingen 2006, S. XV; Zweiter Klammerzusatz und Hervorhe­ bung des Namens im Original). 2  J. Isensee, Staat und Verfassung (Fn. 1), § 13 Rn. 129.



§ 11 Normative und reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches245

stimmenden Einfluss auf die Gesundheit und die Gemütssituation der Be­ wohner zuerkannt.3 Dieser historische Befund der Antike beweist für den gegenwärtigen Diskurs um eine naturstaatliche Systemausrichtung des mo­ dernen Staates, dass die natürlichen Bedingungen als nicht wegzudenkendes Wesensmoment der realen Staatsverfassung die politische Realität latent stets prägen, während die normative Verfassung insoweit auf eine gewach­ sene Bedeutungserkenntnis in Bezug auf die Natur als einem notwendigen Element der materiellen Werteordnung einer geschriebenen Verfassung an­ gewiesen ist.4 Dennoch ist die noch aus dem 19. Jahrhundert von Ferdinand Lassalle stammende, verpönende Relativierung der positivrechtlichen Ver­ fassungsurkunde als gegenüber den realen Verfassungsverhältnissen stets nachrangigem „Blatt Papier“5 in dieser Absolutheit nicht gerechtfertigt, wenngleich die normative Verfassung als von einem Willen getragenes Menschenprodukt die Natur dauernd ignorieren kann, während das realitäts­ bezogene Abbild des staatlichen Herrschaftsverbandes ohne die physischbiologische Wirklichkeit der natürlichen Lebensgrundlagen zu einem exis­ tentiellen Dasein nicht in der Lage ist. Die Naturstaatlichkeit steht daher vor einem anthropogenen Dilemma, das sich an der Geltung bzw. der normati­ ven Kraft einer naturrelevanten Verfassungsnorm verdeutlichen lässt. Es ist einerseits nicht ausgeschlossen, dass die konstitutionelle Sinnverkörperung mit den realen Entfaltungstendenzen nicht mithalten kann, vielmehr in ih­ rem verfassungspolitischen Progress die soziologische Realität überfordert, was die Wirksamkeit der Vorschrift im Sinne einer lästigen Verfassungsrhe­ torik erschüttern kann. Andererseits besteht die Möglichkeit, dass eine na­ turrelevante Direktive, die in ihrer konkreten Wertmanifestation noch in einem restaurativen Geist gefangen ist, sich als positiver Bote eines ewig 3  Siehe hierzu O.  Maull, Politische Geographie, Berlin 1925, S. 3 ff.; G.-L.  Fink, Von Winckelmann bis Herder. Die deutsche Klimatheorie in europäischer Perspekti­ ve, in: G. Sauder (Hrsg.), Johann Gottfried Herder 1744–1803, Hamburg 1987, S.  157 f.; S. Günzel, Geographie der Aufklärung. Klimapolitik von Montesquieu zu Kant, Aufklärung und Kritik 2004 (2), 66 (71). „Des Hippokrates Auffassung ist dualistisch; denn neben der Landesnatur sieht er in der Verfassung und in dem Ge­ setz gleichberechtigte Faktoren.“ (O.  Maull, ebd., S. 4; Hervorhebung im Original). 4  Darin spiegelt sich der typische Zusammenhang von Sein und Sollen, Natur und Wert bzw. Geist. 5  F.  Lassalle, Über Verfassungswesen, in: Gesammelte Reden und Schriften, Bd. II: Die Verfassungsreden. Das Arbeiterprogramm und die anschließenden Vertei­ digungsreden, hrsg. v. E. Bernstein, Berlin 1919, S. 41 ff.; J. Isensee, Staat und Verfassung (Fn. 1), § 13 Rn. 130. „Wir haben bisher gesehen, meine Herren, wie es sich mit den beiden Verfassungen eines Landes verhält, mit der wirklichen Verfas­ sung, den realen tatsächlichen Machtverhältnissen, die in einer Gesellschaft beste­ hen, und mit der geschriebenen Verfassung, die wir im Unterschied von der Ersteren etwa das Blatt Papier nennen können.“ (F. Lassalle, ebd., S. 43; Hervorhebungen im Original).

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wahren Postulats der politischen Ethik6 erweist, so dass sich möglicherwei­ se ein gewohnheitsrechtlicher Verfassungswandel im Spiegel einer prospek­ tiven naturstaatlichen Strukturpräsenz eines Staates ergeben kann.7 Auf jeden Fall ist das Spannungsverhältnis zwischen der normativen und der ­ realen Verfassung aber eine notwendige Brücke in dem Sinne einer legiti­ mitätsbewussten Projektion der staatlichen Herrschaft. Die realen Wirkme­ chanismen streben nach einem rechtlichen Anerkenntnis und damit nach dem Ausdruck einer legitimen Ausübung der politischen Ausrichtung, wäh­ rend die normative Verfassung zwecks ihrer Normativität nicht in den Ver­ dacht eines illusorischen Abbilds einer nicht zu leistenden Realität kommen darf.8 Dieser Spagat zu einer relativ vollkommenen Kongruenz dieser auf die innere Einheit des Staates gerichteten Kategorien der realen und norma­ tiven Verfassung wird heute vornehmlich durch eine unabhängige Hüterins­ tanz in Gestalt eines Verfassungsgerichts gewährleistet, wobei eine derartige Garantieinstitution als Führerin der damaligen Verfassungsinterpretation im Deutschen Reich noch nicht etabliert war.9 Bevor nun das Deutsche Reich einer Untersuchung auf eine naturstaatliche Systemimmanenz in den Kate­ gorien einer normativen und realen Verfassungsmanifestation des Natur­ schutzgeistes unterzogen wird, ist noch ein Gedanke im Voraus zu erbringen. Denn der verobjektivierte Weltgeist hinsichtlich der Natur, der auch bereits in einem universalen Weltgesetz der Naturschutzgeschichte in Bezug auf den deutschen Konstitutionalismus durchschimmert, ist innerhalb eines mo­ dernen Staates stets unterschwellig zugegen. Es liegt deshalb in der Hand der Menschen selbst, den wahren Sinn dieses natürlichen Mediums zu er­ kennen und das Verhalten entsprechend auszurichten. Dabei ist aber zu bemerken, dass sich die Natur nicht selbst vertreten kann, sie vielmehr auf Artikulation und Repräsentation durch die Menschen angewiesen ist.10 Nur eine sich im Lichte der wirtschaftlichen Expansionstendenzen herausbilden­ de, gewandelte Bedeutungserkenntnis hinsichtlich der Natur, ein gewachse­ 6  Zur politischen Ethik nur Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S.  84 ff. 7  Vgl. J. Isensee, Staat und Verfassung (Fn. 1), § 13 Rn. 132. 8  J. Isensee, Staat und Verfassung (Fn. 1), § 13 Rn. 132. 9  M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd.  III: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, S. 156. 10  Auf diesen wesentlichen Gesichtspunkt der Repräsentation der Natur wird zurückzukommen sein. Siehe hierzu vorerst nur P.  Saladin / J.  Leimbacher, Mensch und Natur, in: H.  Däubler-Gmelin / W. Adlerstein (Hrsg.), Menschengerecht, Heidel­ berg 1986, S. 207 / 210 f.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, BadenBaden 1996, S. 63; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S.  68 f.



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nes Naturschutzbewusstsein, kann deshalb zu einer weltgeistigen Modifika­ tion der Verfassungsordnung im Sinne einer naturstaatlichen Systemkonfi­ guration anmahnen, um normative Konformität mit den realen Verhältnissen zu erringen. Die repräsentative Frage wird demnach zu einem Kernproblem der naturstaatlichen Thematik, um die Natur als kapitalistische Sklavin aus den anthropogenen Fesseln zu befreien. I. Die normative Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches (Art. 150 I WRV) 1. Entstehungsgeschichte des Art. 150 I WRV Mit der verfassungspolitischen Entscheidung für die Aufnahme der Norm des Art. 150 I WRV in die Weimarer Reichsverfassung verwirklichte die den pouvoir constituant des Volkes ausübende Nationalversammlung11 die erste gezielt in einer modernen europäischen Verfassung positivrechtlich verankerte naturschutzrelevante Bestimmung12 und legte damit den feierli­ 11  Hierzu Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 84  f. Die verfassunggebende Nationalversammlung übte den pouvoir constituant des deut­ schen Volkes aus. Dies wurde entweder damit begründet, dass sie als gewähltes Organ des souveränen Volkes handelte, dem durch die erste reichsweite Verhältnis­ wahl vom 19.01.1919 der Konstituierungsauftrag ausdrücklich erteilt worden war, oder aber dass die verfassunggebende Nationalversammlung durch diese Wahl den pouvoir constituant vom Volk delegiert bekommen hatte. 12  So A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grund­ pflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Bd. III, Berlin 1930, S. 99; bestätigend W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes für das Großherzogtum Hessen von 1902, in: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.), 100 Jahre Denkmalschutzgesetz in Hessen, Ar­ beitsheft 5, Stuttgart 2003, S. 19. Arthur Schmidt spricht im Rahmen der Kommen­ tierung zu Art. 150 I WRV davon, dass diese Norm in den älteren deutschen Verfas­ sungen sowie in den ausländischen Verfassungen keinen geschichtlichen Vorläufer hatte. Eine abgleichende Durchsicht der europäischen Verfassungen bis in das Jahr 1920 in J.  Masing / D.  Gosewinkel, Die Verfassungen in Europa 1789–1949, Mün­ chen 2006 bestätigt diesen Befund insoweit, als diese Norm von ihrem materiellen Gehalt, insbesondere hinsichtlich der konstitutionellen Verwirklichung der Natur­ denkmäler und der Landschaft, ein staatsrechtliches Novum darstellte. Es kann auch behauptet werden, dass sie die erste naturschutzrelevante Verfassungsbestimmung war, die gezielt in eine moderne europäische Verfassung aufgenommen worden ist, wenngleich ein materieller Naturschutzgehalt bereits in zwei Vorschriften der Bun­ desverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29.05.1874 enthalten war. In diesem Sinne lautete die Norm des Art. 24 II dieser schweizerischen Kons­ titution: „Er (der Bund) wird die Korrektion und Verbauung der Wildwasser, sowie die Aufforstung ihrer Quellengebiete unterstützen und die nöthigen schützenden Bestimmungen zur Erhaltung dieser Werke und der schon vorhandenen Waldungen aufstellen.“ Daneben regelte die Vorschrift des Art. 25: „Der Bund ist befugt, gesetz­

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chen Grundstein für die naturstaatliche Konfiguration eines Staatswesens. In diesem epochalen Sinne hieß es nunmehr am Ende des mit dem Titel „Bildung und Schule“ überschriebenen vierten Abschnitts des zweiten Hauptteils und demzufolge inmitten des neuen Grundrechtskatalogs13 der Weimarer Reichsverfassung: „Die Denkmäler der Kunst, der Geschichte und der Natur sowie die Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates.“14 Obgleich ihrer inhaltlichen Plausibilität hat sich um diese Norm in den letzten Jahren vor dem Hintergrund der Entwicklung einer naturstaatlichen Doktrin ein verfassungsgeschichtlicher Diskurs ergeben, der bisher aber noch nicht zu einer abschließenden Entschlüsselung gelangt ist. Dies hat seinen Grund vor allem in den vielen Rätseln, die diese na­ turschutzrelevante Vorschrift dem Verfassungshistoriker aufgibt, was sie parallel in den Rang eines verfassungsrechtlichen Mysteriums erhebt. Es scheint dabei zunächst, als ob der verfassungspolitische Progress seine ei­ genen Kinder fraß,15 wenn Albert Hensel im Jahre 1928 die Verfassungs­ norm des Art. 150 I WRV als „ein Grundrecht (benannte), das bisher in der Rechtswissenschaft kaum Beachtung gefunden hat.“16 Andererseits liche Bestimmungen über die Ausübung der Fischerei und Jagd, namentlich zur Erhaltung des Hochwildes sowie zum Schuze der für die Land- und Forstwirtschaft nüzlichen Vögel zu treffen.“ Auch wenn mit diesen Verfassungsnormen wohl vor­ rangig ökonomische Interessen verfolgt wurden, so enthielten sie zumindest mittel­ bar naturschutzrelevante Inhalte. Siehe in diesem Zusammenhang auch den nicht in einer förmlichen Verfassung verankerten ungarischen § 7 des X. Gesetzesartikels der 31 Gesetzesartikel vom 11.04.1848, wo letztlich den „(…) Comitaten zur strengen Pflicht gemacht (wird), über die Erhaltung der Wälder im guten Zustande zu wa­ chen.“ Die genannten Normen finden sich abgedruckt bei J. Masing / D. Gosewinkel, ebd., S. 461 / 1429. 13  Hierzu nur G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, unveränderter Nachdruck der 14. Aufl. (1933), Darmstadt 1960, S. 507. 14  Die Bestimmung des Art. 150 I WRV ist abgedruckt bei G.  Dürig / W.  Rudolf, Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte, 3. Aufl., München 1996, S. 207; D. Willoweit / U.  Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003, S. 658. 15  Das grundsätzlich auf die Schreckensherrschaft der Französischen Revolution bezogene Zitat stammt von Pierre Vergniaud kurz vor seiner Hinrichtung im Jahre 1793 und steht in der Geschichtswissenschaft unter anderem für den eigenen Verrat an propagierten Idealen; hierzu etwa W. Markov, Revolution im Zeugenstand. Frank­ reich 1789–1799, Bd. I: Aussagen und Analysen, Frankfurt a. M. 1987, S. 362; E. Schulin, Die Französische Revolution, 4. Aufl., München 2004, S. 225. Tatsäch­ lich lag die fehlende Bearbeitung der Bestimmung des Art. 150 I WRV an den schwierigen politischen Verhältnissen nach dem Ende des 1. Weltkrieges, vor allem aber auch an dem gegenüber den neuen Grundrechtsvorschriften bestehenden allge­ meinen Skeptizismus in der Weimarer Staatsrechtslehre zu Beginn des Deutschen Reichs; zu Letzterem M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutsch­ land – Weimarer Republik und Nationalsozialismus, München 2002, S. 110; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III / 1: Allgemeine Lehren der Grundrechte, 2. Aufl., München 1988, S. 124.



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handelte es sich bei der Norm nun aber um eine der vielen in der Weima­ rer Reichsverfassung verankerten Aufgabennormen,17 die als eine staatsan­ leitende Richtlinie mit Verfassungsrang den politischen Prozess im Sinne einer intermediären Ausrichtungsschranke mitbestimmen sollte. Der Haupt­ grund für die geheimnisvolle Kraft dieser Norm liegt aber schließlich in dem Umstand, dass eine vollständige Aufklärung ihrer Entstehungsge­ schichte nicht mehr möglich ist, nachdem die Sitzungsprotokolle des da­ maligen Verfassungsausschusses durch den Reichstagsbrand vom 28.02.1933 zerstört wurden.18 Auch wenn die Entstehungsgeschichte der Norm des Art. 150 I WRV nicht mehr in allen Einzelheiten rekonstruiert werden kann, so bestehen aber doch ausreichende Anhaltspunkte und Hinweise, die einen aussagekräf­ tigen Eindruck von der konkreten Genese dieser Bestimmung erlauben. Es ist hierbei auch zu bedenken, dass eine geschriebene Verfassung stets als „die höchstrangige normative Aussage über die Grundprinzipien der Herr­ schafts- und Wertordnung im Staat“ bezeichnet werden kann, in der sich 16  A. Hensel, Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswirkungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (324). 17  Ausdrücklich in Bezug auf die Bestimmung des Art. 150 I WRV L.  Schnitzler, Denkmale, Denkmalpflege, Denkmalschutz, in: F. Stier-Somlo (Hrsg.), Handwörter­ buch der Rechtswissenschaft, Berlin u. a. 1929, S. 10; H. Behrens (Hrsg.), Lexikon der Naturschutzbeauftragten, Bd. III: Naturschutzgeschichte und Naturschutzbeauf­ tragte in Berlin und Brandenburg, Friedland 2010, S. 28; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 25; E. Klueting, Heimatschutz, in: D. Kerbs (Hrsg.), Handbuch der deutschen Reformbewegungen 1880–1933, Wuppertal 1998, S. 54; vgl. hierzu auch H. Schwenkel, Vom Naturschutz in Württemberg, Stuttgart 1927, S. 15; allge­ mein K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte, in: J. Isen­ see / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd V: Allgemeine Grundrechtslehren, 2. Aufl., Heidelberg 2000, § 108 Rn. 27; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 272. 18  Nach Auskunft des für den Reichstag zuständigen Referenten des Bundesar­ chivs wurden die Akten inklusive der Protokolle des Verfassungsausschusses durch den Reichstagsbrand vom 28.02.1933 zerstört. Aus diesem Grund sind schließlich nur die Protokolle der späteren Plenumssitzungen überliefert (so H.-W. Frohn, in: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Natur und Staat. Staatlicher Naturschutz in Deutschland 1906–2006, Bonn 2006, S. 124 Fn. 174). Auszüge der Protokolle des Verfassungsausschusses in erster und zweiter Lesung finden sich jedoch abgedruckt bei F. Purlitz (Hrsg.), Deutscher Geschichtskalender, Der Europäische Krieg, Ergän­ zungsband: Die deutsche Reichsverfassung vom 11. August 1919, Leipzig 1919, S. 140 ff. Es ist anzunehmen, dass der zuständige Referent des Bundesarchivs die Protokolle des Unterausschusses meinte, da auch die sonstigen Protokolle des Ver­ fassungsausschusses als Anlagen dokumentiert und vorhanden sind. Siehe hierzu nur Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bericht des Verfassungsausschusses 1920, S. 380, Anlage Nr. 391, wo auf einen Antrag des Unterausschusses verwiesen wird.

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grundsätzlich „bestimmte traditionelle Bestandteile“ widerspiegeln,19 so dass der dargestellten Historie um die Entwicklung der Naturschutzidee im Deutschen Kaiserreich unter dem Vorbehalt wesentlicher Systemveränderun­ gen Indizcharakter für die Interpretation der naturschutzrelevanten Bestim­ mung des Art. 150 I WRV zukommen kann. Vor diesem historischen Hin­ tergrund erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der in der kai­ serlichen Monarchie gewachsene Naturschutzgeist von dem pouvoir consti­ tuant womöglich bewusst in der Weimarer Reichsverfassung verankert worden ist.20 Gegen eine zufällige konstitutionelle Aufnahme der Program­ matik des Art. 150 I WRV spricht zunächst aber auch der Umstand, dass die Norm der Ideengeschichte der Grundrechte am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts entsprach, die in Abkehr von der politischen Weltan­ schauung des Individualismus auf die konstitutionelle Verwirklichung von Gemeinschaftswerten ausgerichtet war, um die bis zu diesem Zeitpunkt vorherrschende negative Einstellung der Staatsbürger zum Staat durch eine mehr positive zu ersetzen.21 Der Staat sollte sich zukünftig vermehrt Ge­ meinschaftsaufgaben widmen, zu denen nach der Weimarer Konstitution nun auch der heimatliche Naturschutz gehören sollte. Gleichwohl fehlte in den Verfassungsentwürfen des Jahres 1919 zunächst aber noch ein der spä­ teren Norm des Art. 150 I WRV entsprechender Artikel.22 Erst eine Initiati­ 19  K. Stern,

Allgemeine Lehren der Grundrechte (III / 1) (Fn. 15), S. 78. Naturschutzidee war gegen Ende der Deutschen Kaisermonarchie ein gewachsenes Symbol nationaler Einheitsbildung, dem eine überwindende Tendenz hin zu einer naturstaatlichen Moderne innewohnte. Dies führte schließlich auch allmählich zu der Herausbildung einer eigenen Naturschutzbewegung; hierzu nur A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 105; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes, Egestorf 1949, S. 10 ff.; F. Uekötter, Umweltgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 21 f. / 26 f.; H.-W. Frohn (Fn. 18), S.  88 ff. 21  Hierzu nur H. Planitz, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsver­ fassung, Bd. III, Berlin 1930, S. 622; K. Beyerle, Die Bedeutung der neuen Reichs­ verfassung für Volk und Vaterland, Reichszentrale für Heimatdienst, Berlin 1919, S.  12 f.; ders., Wesen und Entstehung der Grundrechte in der Reichsverfassung von Weimar, in: Deutsche Einheit, deutsche Freiheit, Gedenkblatt der Reichsregierung zum 10. Verfassungstag 2. August 1929, Berlin 1929, S. 149 ff.; A. Kneer, Heimat und Recht, Mönchengladbach 1922, S. 21; J. Topf, Die normative Kraft der Wei­ marer Reichsverfassung nach Albert Hensel (1895–1933), Hamburg 2009, S. 17 ff.; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 12), S.  19 f. 22  A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 99; J. Krayer, Denkmal­ schutz, Würzburg 1930, S. 108; bestätigt insoweit auch in F. Purlitz (Hrsg.) (Fn. 8), nach S. 126 (VI) / 361. Zu den Entwürfen W. Jellinek, Revolution und Reichsverfas­ sung, in: R.  Piloty / O.  Koellreutter (Hrsg.), Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Bd. IX, Tübingen 1920, S. 46 ff.; Ch. Gusy (Fn. 12), S. 69 ff.; F. Ham20  Die



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ve des Abgeordneten des Zentrum Prof. Dr. Konrad Beyerle im Verfas­ sungsausschuss von Weimar bereitete den Weg für eine verfassungsrechtliche Aufnahme der naturschutzrelevanten Bestimmung, wobei das Abstimmungs­ verhalten der Parlamentarier in Bezug auf den Naturschutz den Anschein eines selbstverständlichen Konstituierungsakts erweckte. Dieser Befund er­ gibt sich daraus, dass ein von Prof. Dr. Konrad Beyerle in erster Lesung des Verfassungsausschusses zunächst zur Abstimmung gestellter Antrag auf Verankerung eines ausschließlich den Heimatschutz beinhaltenden Artikels noch mit einer kleinen Mehrheit abgelehnt wurde. Der Abgeordnete nahm aber im Rahmen der weiteren Verhandlungen in zweiter Lesung des Verfas­ sungsausschusses seinen Antrag noch einmal auf, nur dass dieser nunmehr um die Naturdenkmäler und die Landschaft erweitert war, was prompt zu einer Annahme des so modifizierten, hinsichtlich des späteren Absatz II darüber hinaus mit einer geringfügigen redaktionellen Änderung versehenen Denkmalschutzartikels als Art. 147 des Ausschuss-Entwurfs führte, der auch im Plenum keine weitere Änderung mehr erfuhr.23 Es ist zudem überliefert, mer, Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, Tübingen 1995, S. 200. 23  Eine Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte der mit naturschutzrele­ vanten Inhalten versehenen Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV findet sich bei A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 99; J. Krayer (Fn. 22), S. 108. Zu dem zweiten (nochmaligen) Antrag von Prof. Dr. Konrad Beyerle Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung, Bericht des Verfassungs­ ausschusses 1920, S. 380 f. / 509, Anlage Nr. 391 (der zweite Antrag wurde auf drin­ genden Ruf des Zentralausschusses des Deutschen Denkmalpflegetages gestellt); F. Purlitz (Hrsg.) (Fn. 18), S. 253; W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 2. Aufl., München u. a. 1964, S. 117; F. Hammer (Fn. 22), S. 200 f.; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifen­ den Normensystems, Tübingen 2005, S. 58. Der genaue Wortlaut des ersten Antrags lautete: „Der Schutz der Heimat und ihrer Naturdenkmäler sowie die Pflege der Stammesart bilden dauernde Sorge von Staat und Gemeinde.“ Damit wurden aus­ weislich des grammatikalischen Wortlauts des ersten Antrags die Naturdenkmäler der konservativen Heimatschutzkomponente zugeordnet. Ob mit der erneuten An­ tragstellung die Naturdenkmäler von der heimatlichen Landschaftskomponente abge­ hoben werden sollten, bleibt im Dunkeln. Siehe zur konkreten Genese auch das Protokoll der erweiterten Ausschuss-Sitzung des Tages für Denkmalpflege, Außeror­ dentliche Tagung Berlin 1919, S. 48 ff. Bemerkenswert ist insoweit überdies, dass Prof. Dr. Konrad Beyerle den Antrag eigentlich für den Abschnitt „Grundrechte und Grundpflichten auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens“ und nicht für den späteren vierten Abschnitt „Bildung und Schule“ vorgesehen hatte (F. Purlitz (Hrsg.), ebd., S. 253). Überdies weist Martin Heckel (M. Heckel, Staat, Kirche, Kunst, Tübingen 1968, S. 62 ff.) zu Recht daraufhin, dass die Norm des Art. 150 I WRV vor allem als Protest und Gegenwehr gegen eine drohende Säkularisierung des Kulturbegriffs der Verfassung entstanden sei. Sie sollte die Spaltung der deutschen Denkmalpflege verhindern, ihre Verengung und Verstoßung ins Profane ausschließen, der Sakral­ kunst den Schutz und die Förderung des Staates erhalten und die laizistische Tren­

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dass es der Hessische Gesandte Exzellenz Maximilian Freiherr von Biege­ leben war, der bei der Redaktion der späteren Verfassungsnorm des Art. 150 WRV einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat.24 Beide Redaktions­ väter sprachen auf der Dritten Gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz im Jahre 1920 in Berlin schließlich von der verfassungs­ politischen Verwirklichung der Denkmalpflege und des Heimatschutzes, was nach der Entstehungsgeschichte des Art. 150 I WRV auf eine in erster Linie konservativ-nationale Färbung des in dieser Verfassungsnorm positivrecht­ lich verankerten und auf den Naturschutz ausgerichteten Sinngehalts hin­ deutet.25 Beachtlich und die These einer sich praktisch von selbst verstehen­ nung von Kirche, Staat und Kunst auf diesem Feld im Keim ersticken. Siehe zu Letzterem auch M. Kloepfer, Denkmalschutz und Umweltschutz – rechtliche Ver­ schränkungen und Konflikte zwischen dem raumgebundenen Kulturgüterschutz und dem Umwelt- und Planungsrecht, Berlin 2012, S. 23 f. 24  So Frhr. M. v. Biegeleben, Protokoll der erweiterten Ausschuss-Sitzung des Tages für Denkmalpflege, Außerordentliche Tagung Berlin 1919, S. 48 ff.; K. Beyerle, Reich, Denkmalpflege und Heimatschutz, Stenographischer Bericht der Drit­ ten Gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz in Eisenach 1920, Berlin 1920, S. 22. In Bezug auf die Mitarbeit des Freiherrn Maximilian von Biegeleben führte Prof. Dr. Konrad Beyerle auf der Tagung im Jahre 1920 aus, dass er aber „mit Nachdruck zu bemerken (habe), dass das Hauptverdienst Exzel­ lenz v. Biegeleben zufällt, der (…) (ihn) auch bei der Redaktion der entsprechen­ den Anträge bereitwilligst unterstützt hat.“ Auf S. 53 des stenographischen Berichts der Dritten Gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz weist Maximilian Freiherr von Biegeleben des Weiteren auf „Verfassungsverhandlungen“ im Hinblick auf den späteren Art. 150 I WRV hin, deren Inhalt und Umfang aber nicht mehr vollständig nachvollzogen werden können. Vgl. auch M. Heckel (Fn. 23), S. 62 f. Fn. 204. 25  Im Zusammenhang mit der Norm des Art. 150 I WRV spricht Prof. Dr. Kon­ rad Beyerle davon, dass durch die Bestimmung „Denkmäler und Heimat dem Schutz und der Pflege des Staates unterstellt (worden sind).“ Das wird von Maximilian Freiherr von Biegeleben später mit den Worten unterstrichen, „dass in den Grund­ rechten der Gedanke der Denkmalpflege und des Heimatschutzes anerkannt wurde.“; Stenographischer Bericht 1920 (Fn. 24), S. 22 / 53. Damit wurde der Naturschutzge­ danke von den Redakteuren des Art. 150 I WRV auf der Tagung nicht explizit an­ gesprochen, was freilich auch an dem Anlass dieser im Jahre 1920 stattfindenden Versammlung liegen konnte. Es belegt aber den noch ganz konservativ ausgerichte­ ten Geist dieser Verfassungsnorm, bei deren verfassungspolitischem Verwirkli­ chungsprozess von einzelnen Tier- und Pflanzengattungen bzw. von Naturschutzge­ bieten noch keine Rede war. Die Entstehungsgeschichte des Art. 150 I WRV beweist folglich, dass der im Deutschen Kaiserreich begonnene Aufbruch in eine naturstaat­ liche Moderne verfassungspolitisch noch keine durchgreifende Relevanz besaß. Der materielle Naturschutzgehalt des Art. 150 I WRV war somit primär kulturell-ästhe­ tisch dominiert. Dies beweisen auch die folgenden konservativen Worte von Prof. Dr. Konrad Beyerle (K. Beyerle, Stenographischer Bericht 1920, ebd., S. 27): „(…) dass aber das Ideal dort liegt, wo Kunst- und Natursinn, Heimatliebe und patrioti­ sches Fühlen breite Schichten unseres Volkes ergriffen haben und zu Gemeinbürgen



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den Konstituierung bestätigend war aber überdies insbesondere eine Bemer­ kung des Berichterstatters im Plenum der verfassunggebenden Nationalver­ sammlung, der in Bezug auf den späteren Art. 150 I WRV betonte, dass diese Vorschrift den „Anträgen (entspreche), die gestellt wurden, die einer Begründung aber nicht bedurften, weil sie das eigene Schwergewicht in sich selbst haben.“26 Dementsprechend verlief dann auch die letzte Abstimmung im Plenum ohne Probleme und mit dem nach außen vermittelten Eindruck einer zeitgemäßen Normalität. Angesichts der wissenschaftlichen Erkenntnisse hinsichtlich der Entwick­ lung der Naturschutzidee im Deutschen Kaiserreich ist es nun auch nicht mehr unmöglich, die redaktionelle Ausformung der Norm des Art. 150 I WRV weithin lückenlos zu klären. Nach dem grammatikalischen Wortsinn vereinigt die Vorschrift mit der positivrechtlichen Vernetzung der konstitu­ tionell verwirklichten Naturschutzobjekte mit den Denkmälern der Kunst und der Geschichte offenbar verschiedene Themenkreise, deren innere Be­ ziehung zueinander im ersten Moment nicht offen zutage tritt. Freilich be­ stehen zwischen dem herkömmlichen Denkmalschutz und dem Naturschutz gewisse Berührungspunkte, was sich insbesondere an der Kategorie des Naturdenkmals verdeutlichen lässt. Doch muss die grundrechtliche Verknüp­ fung genauer betrachtet werden, um den ideellen Hintergrund der hier in Frage stehenden Norm zu erhellen. Wolfgang Reinhard schreibt im Zusam­ unseres Schatzes von Kunst, Geschichte und Natur werden lassen. (…) Dennoch geht unser Aufstieg nur über die geistig sittliche Erneuerung des Volkes.“ Bestätigt wird dieser konservative Befund insoweit auch von dem Bericht des Verfassungs­ ausschusses (Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversamm­ lung, Bericht des Verfassungsausschusses 1920, S. 380 f. / 509, Anlage Nr. 391), wo von Heimat- und Landschaftsschutz die Rede ist, zu dem nach diesem Aktenstück auch die Naturdenkmäler gehören sollten. 26  So der Berichterstatter Weiß, Verhandlungen der Verfassunggebenden Deut­ schen Nationalversammlung, Stenographischer Bericht, Berlin 1919, S. 1674; hierzu auch A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 99 Fn. 4; vgl. auch F. Köster, Entstehungsgeschichte der Grundrechtsbestimmungen, Göttingen 2003, S. 274. In erster Lesung des Verfassungsausschusses (Verhandlungen der Verfassunggeben­ den Deutschen Nationalversammlung, Bericht des Verfassungsausschusses 1920, S. 380, Anlage Nr. 391) opponierte der Abgeordnete Dr. Delbrück aber: „Ich trage Bedenken, einen solchen Artikel in die Verfassung aufzunehmen. Der Gedanke an und für sich ist uns allen sympathisch, aber seine Konsequenzen machen uns die Aufnahme unmöglich. Ich erinnere mich dabei eines Vorfalls aus meiner früheren amtlichen Tätigkeit. Als damals einmal eine notwendige Flusskorrektur vorgenom­ men werden sollte, beschwerte sich der Verein für Heimatschutz darüber, dass da­ durch ein Wald beseitigt würde, in dem sich noch besonders seltene Pflanzen und Tiere erhalten hatten. Solchen Konflikten dürfen wir hier in der Verfassung nicht noch eine besondere Grundlage geben. Der Heimatschutz ist eine ideale Aufgabe, deren Erfüllung man der Bevölkerung und den Behörden nach eigenem Ermessen überlassen muss.“

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menhang mit der Entwicklung zu Nationalstaaten die folgende Sentenz und gibt damit praktisch die Steilvorlage für die geistige Grundlage der Verfas­ sungsnorm des Art. 150 I WRV: „Mehr als ein Symbol dieses Wandels ist die Verdrängung des religiösen durch den politischen Märtyrer, die Erset­ zung der Heiligenstatue durch das Kriegerdenkmal.“27 Es geht bei dieser Vorschrift demnach in erster Linie um die förderlichste Konservierung der über mehrere Jahrhunderte hinweg gewachsenen deutschen Kultur und des dahinterstehenden nationalstaatlichen Gedankenguts. Die Symbiose mit dem Naturschutz kommt über den alles überspannenden emotionalen Gedanken des Heimatschutzes zustande, der auf die Erhaltung der deutschen Heimat gerichtet war und deshalb neben den Naturdenkmälern auch die deutsche Landschaft als Schutzkategorien ansah.28 Die konstitutionelle Norm stand deshalb ganz in dem durch die geistige Tradition des Deutschen Kaiser­ reichs untermalten, zeittypischen Zusammenhang mit dem staatlichen Kulturauftrag,29 wie der positivistische Wortlaut des Art. 150 I WRV und 27  W. Reinhard, Die Geschichte der Staatsgewalt, 3.  Aufl., München 2002, S. 406. 28  Auf die besondere Affinität der Norm des Art. 150 I WRV zu dem emotiona­ len Gedanken des Heimatschutzes weist schon Hasso Hofmann (H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 17), S. 25 ff.; ders., Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, JZ 1988, 265 (272) hin, was durch die Äußerungen der Redakteure des späteren Art. 150 I WRV auf der Dritten Gemeinsame Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz in Eisenach im Jahre 1920 unterstrichen wird (Fn. 25). Es ist unterdessen zu bedenken, dass die Kategorie der Heimatpflege den Oberbegriff für den Denkmalschutz und den Heimatschutz im engeren Sinne dar­ stellte, weshalb auch die Naturdenkmalpflege in diesen ideellen Gesamtzusammen­ hang der Heimat eingeordnet war (so etwa A. Kneer (Fn. 21), S. 8 ff. / 22 ff.). Damit war der grammatikalische Wortsinn des Art. 150 I WRV mit den positivrechtlichen Begriffen des Naturdenkmals und der Landschaft Ausdruck der grundsätzlich un­ terschiedlichen Denkmustern folgenden Entwicklungsstränge des Natur- und Hei­ matschutzes im Deutschen Kaiserreich, wobei dieser kulturbezogene Dualismus unter dem emotionalen Gedanken der Heimatpflege vereinigt war. Im Deutschen Reich hat sich diese Symbiose unter dem Deckmantel der politischen Einheit wei­ ter verfestigt (so F. Schmoll, Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S. 138), weshalb die Bestimmung des Art. 150 I WRV insoweit als zeitgemäße Direktive einer heimatkonformen Naturgestaltung angesehen werden konnte. Eine umfassende Darstellung des aus damaliger Sicht schutzbedürftigen und schutzwürdigen Heimat­ erbes findet sich bei H. Wille, Heimatschutz und Heimatpflege, Berlin 1928, S. 10 ff. Dort werden bestimmte Naturerscheinungen als eine dritte Gruppe unter dem Titel „heimische Natur und Landschaft“ (S. 12) aufgezählt, wobei unter der „Landschaft“ in erster Linie das zu schützende heimatliche Landschaftsbild ver­ standen wurde. 29  So A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (364 ff.); M. Kloepfer, Umwelt­ schutz und Verfassungsrecht, DVBl. 1988, 305 (306); R. Scholz, in: Th. Maunz /  G.  Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. III: Art. 17–22, Stand Juli / 2014, München 2014, Art. 20a Rn. 4; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutz­



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seine Stellung am Ende des vierten Abschnitts „Bildung und Schule“ des zweiten Hauptteils der Weimarer Konstitution auch belegen. Die Naturdenk­ mäler und die Landschaft wurden folglich zunächst und vorrangig als Kul­ turgüter wahrgenommen, die sich dadurch auszeichneten, dass ihnen ein besonderer Wertakzent von der deutschen Kulturgemeinschaft beigelegt wurde,30 weshalb die integrierende Wirkung der Vorschrift vorrangig auf dem Gedankengut eines „musealen Naturschutzes“ beruhte.31 In der Wei­ marer Staatsrechtswissenschaft wurde deshalb auch fast einhellig die Auf­ fassung vertreten, dass es sich im Hinblick auf die in Art. 150 I WRV ge­ nannten Kunstdenkmäler nur um eine Spezialisierung der dem Staate durch Art. 142 S. 2 WRV32 obliegenden Pflicht zur Teilnahme an der Kunstpflege handelte und dieser Verfassungsauftrag nun auch auf die Denkmäler der Geschichte sowie die heimatliche Natur ausgedehnt wurde.33 Allein aus diesem Grund kann bei der als Staatsziel ausgeformten Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV auch nicht von der konstitutionellen Verankerung eines Naturstaatsprinzips im Sinne eines staatsleitenden Prinzips ausgegangen werden. Der Naturschutzgeist stand nach der Weimarer Reichsverfassung vielmehr noch ganz im Schatten eines nachhaltig zu betreibenden staatli­ chen Kulturauftrags, weshalb nach der normativen Verfassung von einer naturstaatlichen Ausrichtung des Deutschen Reichs noch nicht gesprochen werden konnte. Im Ergebnis kann die Norm des Art. 150 I WRV damit durchaus als zeitgemäßes Verfassungspolitikum der Weimarer Constituante bezeichnet werden. Normiert war aber ein noch ganz der kulturellen Ästhe­ gesetzes (Fn. 12), S. 19 f.; vgl. auch Th. Hense, Konrad Beyerle, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S.  139 ff. 30  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (366); H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 17), S. 25 ff.; vgl. auch C. Gurlitt, Öffentliches Interesse an Kunstdenkmälern, Zeitschrift für Denkmalpflege 1926 / 27, 81 (81 f.). 31  H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 17), S. 26; ders., Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts (Fn. 28), JZ 1988, 265 (272); M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts, Berlin 1994, S. 74; R. Scholz, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 29), Art. 20a Rn. 4; L.  Gebhard, Handkom­ mentar zur Verfassung des Deutschen Reichs, München u. a. 1932, S. 537, der aber in der späten Phase des Deutschen Reichs nunmehr auch von einem „naturwissen­ schaftlichen Wert“ sprach. 32  G.  Dürig / W.  Rudolf (Fn. 14), S. 205; D.  Willoweit / U.  Seif (Fn. 14), S. 657. Die Verfassungsnorm des Art. 142 WRV war der erste Artikel des vierten Abschnitts mit der Überschrift „Bildung und Schule“ des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung und lautete: „Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei. Der Staat gewährt ihnen Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ 33  So G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; F. Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, 8. Aufl., Berlin 1931, S. 311; ebenso A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100; tendenziell auch L.  Gebhard (Fn. 31), S. 537; A. A. aber A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (327 ff.); J. Krayer (Fn. 22), S. 110.

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tik verhafteter Naturschutz, weshalb der Weg in eine naturstaatliche Moder­ ne zunächst unter restaurativen Vorzeichen verharrte. 2. Die naturschutzrelevante Norm des Art. 150 I WRV als staatsanleitende Direktive im Rahmen des intermediären Verfassungssystems des Deutschen Reiches a) Materieller Gehalt der Tatbestandsmerkmale des Art. 150 I WRV Ausweislich des grammatikalischen Wortsinns der naturschutzrelevanten Verfassungsbestimmung des Art. 150 I WRV gehörten die Naturdenkmäler und die Landschaft dem Kreis der unter dem Schutz und der Pflege des Staates stehenden Fürsorgeobjekte an, womit dem naturgemachten Staats­ gebiet erstmals in der Deutschen Verfassungsgeschichte ein materieller Be­ deutungswert zuerkannt wurde.34 Nachdem aber der Norm des Art. 150 I WRV ein kultureller Wertakzent immanent war, stellt sich die Frage nach der konkreten normativen Tragweite der unterschiedlichen Tatbestands­ merkmale für den hoheitlichen Naturschutz im Deutschen Reich. Mit an­ deren Worten ist abzuklären, welche materiellen Vorgaben der naturschutz­ relevanten Vorschrift des Art. 150 I WRV für den politischen Prozess zu entnehmen waren. aa) „Staat“ Nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 150 I WRV war Adressat der Bestimmung nur der Staat und nicht auch der einzelne Bürger. Unter „Staat“ im Sinne dieser Verfassungsnorm wurden in der Literatur weitgehend unbe­ stritten sowohl das Reich als auch die einzelnen Länder verstanden, weshalb sie gleichzeitig auch eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz auf dem 34  Nach der Ansicht von Hans Jarass handelte es sich bei der mit naturschutzre­ levanten Inhalten versehenen Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV um einen „ge­ wissen Vorgänger“ des heutigen Staatsziels Umweltschutz in Art. 20a GG; so in: ders. / B.  Pieroth, Grundgesetz, Kommentar, 13. Aufl., München 2014, Art. 20a Rn. 1. Dieser Ansicht kann grundsätzlich zugestimmt werden. Auch wenn der Ver­ fassungsnorm des Art. 150 I WRV ein kultureller Wertakzent immanent war, so war sie doch die erste Vorschrift, die mit der Kategorie des Naturdenkmals einen natur­ schutzrelevanten Inhalt enthielt und damit als eine auf die Natur bezogene Direktive den Staat im Sinne einer intermediären Ausrichtungserweiterung anleiten sollte. Dabei ist auch zu bedenken, dass die Norm des Art. 150 I WRV mit ihren positiv­ rechtlichen Begriffen des Naturdenkmals und der Landschaft grundsätzlich entwick­ lungsoffen war, weshalb ein Verfassungswandel im Lichte des Naturschutzes keines­ falls ausgeschlossen war. Dies galt vor allem für die Kategorie der Landschaft, die auch ökologischer interpretiert werden konnte.



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Gebiet des Naturschutzes normierte.35 Die von anderer Seite vertretene Ansicht, wonach die Weimarer Reichsverfassung die Zuständigkeitsvertei­ lung zwischen Reich und Länder in Bezug auf diesen Kulturzweig gegen­ über der Rechtslage im Deutschen Kaiserreich unberührt lassen und dem­ nach ausschließlich eine Länderbefugnis vorsehen wollte,36 kann nicht überzeugen, da auch außerhalb der ausdrücklichen Vorschriften der Art. 6 ff. in der Weimarer Reichsverfassung Gesetzgebungskompetenzen normiert worden waren und der Begriff Staat im Rahmen der Verfassungsinterpreta­ tion grundsätzlich in einem das Reich wie auch die Länder umfassenden Sinn ausgelegt wurde.37 Die Direktive des Art. 150 I WRV richtete sich im Rahmen der Gewaltenteilung in erster Linie an die legislativen Gewalten, die zu dem Erlass von Gesetzen auf dem Gebiet des Natur- und Land­ schaftsschutz angeleitet werden sollten, womit der dem Wesen einer parla­ 35  So G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; O.  Bühler, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, 3. Aufl., Berlin / Leipzig 1929, S. 149; A. Hensel (Fn. 16), S. 344 ff. („jedenfalls Grundsatzkompetenz“ entsprechend Art.  10 WRV (dort Fn.  49)); Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege, PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318); F. Poetzsch-Heffter, Handkommentar der Reichsverfassung, 3. Aufl., Berlin 1928, S. 479; A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100 f.; K. Beyerle, Ste­ nographischer Bericht 1920 (Fn. 24), S. 24 / 26; L.  Gebhard (Fn. 31), S. 538; W. Schoenichen, in: Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.), Beiträge zur Naturdenkmalpflege, Bd. XV (1): Vierter Deutscher Naturschutztag in Berlin vom 8. bis 12. April 1931, Berlin 1932, S. 43; A. Kneer (Fn. 21), S. 20; ebenso wohl auch F. Giese (Fn. 33), S. 311, der für etwaige Eingriffe auf dem Gebiet des Naturdenk­ mal- und Landschaftsschutzes auf die Notwendigkeit einer reichs- oder landesge­ setzlichen Grundlage hinweist; K. Odendahl (Fn. 23), S. 58 f.; W. Speitkamp, Entste­ hung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 12), S. 20; vgl. auch J. Krayer (Fn. 22), S. 109 / 111; F. Hammer (Fn. 22), S. 201 f. Prof. Dr. Konrad Beyerle weist in diesem Zusammenhang auch auf den bundesstaatlichen Wettstreit der Landesgesetzgebungen hin, der zu einer Auslese des Bestbewährten in den einzelnen Gesetzen der verschiedenen Gliedstaaten führen kann (K. Beyerle, Stenographischer Bericht 1920, ebd., S. 25). 36  So Frhr. M. v. Biegeleben, Protokoll der erweiterten Ausschuss-Sitzung 1919 (Fn. 24), S. 49 / 119; ders., Reich, Denkmalpflege und Heimatschutz, Stenographi­ scher Bericht der Dritten Gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und Heimat­ schutz in Eisenach 1920, Berlin 1920, S. 53; erläutert auch bei A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100. Die Ansicht ist deshalb von Relevanz, da sie als Ausdruck der Entstehungsgeschichte des Art. 150 I WRV angesehen werden kann. Nach dem eindeutigen Plädoyer von Maximilian Freiherr von Biegeleben sollte der Begriff „Staat“ nach dem Willen des Verfassungsausschusses ausschließ­ lich im Sinne einer Länderkompetenz verstanden werden. Da sich das Reich aber auf dem Gebiet des Natur- und Landschaftsschutzes legislativ fast gar nicht betätig­ te, wurde die Frage nach der Auslegung dieses Tatbestandsmerkmals in der Recht­ spraxis nicht relevant. Ein Jahr zuvor auf der außerordentlichen Tagung für Denk­ malpflege in Berlin im Jahre 1919 sprach er aber noch von einer mittelbaren Auf­ sichtskompetenz des Reiches, die nun neben die Länderbefugnis getreten sei (S. 49). 37  So A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100 f.

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mentarischen Demokratie entsprechende Primat des Gesetzgebers beachtet wurde.38 Zwar wurde vereinzelt auch die Verwaltung als direkter Träger des in der Norm des Art. 150 I WRV positivrechtlich verankerten Naturauftrags angesehen.39 Doch gibt es nur bedingt Anhaltspunkte dafür, dass dies schon eine über die Ausführung der Gesetze hinausgehende Relevanz in dem Sin­ ne haben sollte, dass die Naturschutzdirektive nun stets im Rahmen der Auslegung von Rechtsnormen, der Ermessensausübung oder sonst bei der administrativen Aufgabenbewältigung unmittelbar beachtet werden sollte.40 Dagegen wurde die Justiz als Adressat der naturschutzrelevanten Verfas­ sungsnorm des Art. 150 I WRV nicht in Betracht gezogen.41 Eine noch weitergehende Interpretation des Tatbestandsmerkmals „Staat“ in der Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV nahm schließlich Albert Hensel 38  Die Frage nach der Anerkennung des Primats des Gesetzgebers war im Deut­ schen Reich ebenfalls umstritten; so Ch. Gusy (Fn. 11), S. 219. Die Ansicht, dass der parlamentarische Gesetzgeber berufen war, die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV zunächst einfachgesetzlich auszuformen, entsprach aber der herrschenden Meinung; so G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; O.  Bühler (Fn. 35); F. Giese (Fn. 33), S. 311; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (342); A. Schmidt, in: H. C. Nip­ perdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100 f.; insoweit wohl auch M. Frhr. von Biegeleben, Stenographischer Bericht 1920 (Fn. 36), S. 53. 39  G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; F. Giese (Fn. 33), S. 311; weitergehend A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (344 ff.), der die Einbeziehung der Verwaltung als selbstverständlich ansah und somit auch alle öffentlich-rechtlichen, nichtstaatlichen Körperschaften einschließlich der Kirche als Adressaten des Art. 150 I WRV be­ trachtete; K.  Odendahl (Fn. 23), S. 59. 40  Dies bedarf einer Erläuterung. In den früheren Kommentarauflagen von Ger­ hard Anschütz und Friedrich Giese findet sich noch keine Bezugnahme auf die Verwaltung als Adressat des Art. 150 I WRV. Es stellt sich deshalb die Frage, was die beiden Kommentatoren mit dieser Erweiterung ausdrücken wollten. Letztendlich gibt es hierfür wohl zwei Erklärungsansätze: Zum einen könnte dies auf die admi­ nistrative Aufgabe der Verwirklichung von Naturschutzgebieten zurückzuführen sein, die in der Spätphase des Deutschen Reichs immer bedeutsamer wurde, so dass die Verwaltung im Rahmen der Ausführung der Gesetze politisch angeleitet werden sollte. Zum anderen könnte es sich bei der ausdrücklichen Nennung der Verwaltung aber auch um Spuren eines Verständniswandels hinsichtlich der unmittelbaren An­ wendbarkeit von Programmsätzen handeln. 41  Dies deckt sich mit dem Befund von Christoph Gusy, wonach den Programm­ sätzen innerhalb des Grundrechtskatalogs der Weimarer Reichsverfassung gegenüber der Justiz nur ganz begrenzt unmittelbare Rechtswirkungen zukamen; dazu Ch. Gusy (Fn. 11), S. 285. In der Entscheidung RGZ 116, 268 (273) nahm das Reichsgericht letztlich Bezug auf die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV, um die Entschädi­ gungspflicht des hamburgischen Staates aufgrund der Eintragung eines Grundstücks in eine Denkmalliste zu untermauern. Insoweit sei dieser Norm keine gegenteilige Rechtsfolge zu entnehmen gewesen, womit das Reichsgericht der verfassungsrecht­ lichen Vorschrift des Art. 150 I WRV aber negativ eine unmittelbare Geltungswir­ kung entnahm. Insoweit nicht ganz eindeutig K.  Odendahl (Fn. 23), S. 59.



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als Vertreter der neueren Staatsrechtslehre an. Für ihn waren unter Staat die gesetzgebenden Organe und die Verwaltung zu verstehen, wobei ebenso alle öffentlich-rechtlichen, nichtstaatlichen Körperschaften einschließlich der Kirche als Adressaten dieser naturschutzrelevanten Direktive anzusehen waren. Daneben bezog er aber auch die Kulturgemeinschaft in den persön­ lichen Anwendungsbereich der Norm ein, ohne die ein angemessener und leistungsstarker Natur- und Landschaftsschutz nicht zu verwirklichen war.42 In der Auslegungsmethodik zeigt sich das Anliegen der von ihm im Rahmen des Weimarer Methoden- und Richtungsstreits vertretenen Position, den als zu starr empfundenen Rechtspositivismus zu überwinden, was er bei seiner Abhandlung zu der hier in Frage stehenden naturschutzrelevanten Vorschrift mit einem Verweis auf die Integrationslehre von Rudolf Smend explizit hervorhob.43 Demnach war Albert Hensel bei der weiten Interpretation des staatlichen Adressatenkreises von dem der Methodik zugrunde liegenden Gedanken geleitet, „dass alle staatsrechtlichen Einzelheiten nicht an sich und isoliert zu verstehen sind, sondern nur als Momente des durch sie zu verwirklichenden Sinnzusammenhanges, der funktionellen Totalität der Integration.“44 Die Norm des Art. 150 I WRV wurde daher als bedeutendes sachliches Integrationsmoment angesehen, das den Staat nicht nur im Sinne einer Impulsfunktion anleiten, sondern auch die Kulturgemeinschaft in die Pflicht nehmen sollte, um den Staat im Sinne des Integrationswerts der heimatlichen Natur angemessen weiterzuentwickeln.45 Die damit gleichsam verbundene Erziehungsfunktion der einzelnen Bürger des Deutschen Reichs führte so zu einer wortsinngetreuen Relevanz der verfassungspolitischen Aufnahme dieser Verfassungsnorm in dem mit dem Titel „Bildung und Schule“ überschriebenen vierten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Wei­ marer Reichsverfassung, was sich schließlich in einer naturbezogenen Um­ erziehung des deutschen Volkskörpers manifestieren sollte.46 Überdies gab 42  A. Hensel

(Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (344 ff.). (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (321 ff.). Hierzu nur der Einleitungs­ satz der Abhandlung Albert Hensels zu der Norm des Art. 150 I WRV: „Die hier vorgelegten Untersuchungen im Bereiche des Denkmalschutzartikels der Reichsver­ fassung gehen von der Auffassung aus, dass die Weimarer Grundrechte ein innerlich geschlossenes ‚Kultursystem‘ bilden, zum mindesten (aber) nach der Absicht des Verfassungsgesetzgebers bilden sollten.“ 44  R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Ab­ handlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 239; vgl. hierzu auch A. Bertram, Das Fluchtlinienurteil des Reichsgerichts, Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (411 f.). 45  Vgl. R. Smend (Fn. 44), S. 191 / 265. 46  So ausdrücklich K. Beyerle, Stenographischer Bericht 1920 (Fn.  24), S. 22 / 27 f.; ders., Wesen und Entstehung der Grundrechte in der Reichsverfassung von Weimar (Fn. 21), S. 153 f. Die verfassungspolitische Aufnahme der Norm des 43  A. Hensel

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die weite Auslegungsmethodik des in der Norm des Art. 150 I WRV positiv enthaltenen Begriffes Staat durch Albert Hensel Ansätze eines Kooperati­ onsprinzips zu erkennen, indem sich der politische Integrationsprozess nur in arbeitsteiliger Organisation zwischen Staat und Privaten zur natur- und landschaftskonformen Einheit des staatlichen Ganzen fortbilden konnte.47 bb) Dem „Schutz“ und der „Pflege“ Als materielle Vorgaben für die Art der von staatlicher Seite zu treffenden Maßnahmen auf dem Gebiet des Natur- und Landschaftsschutzes dienten die in Art. 150 I WRV positivrechtlich verwirklichten Begriffe des „Schut­ zes“ und der „Pflege“. Das symbiotische Leitprinzip dieser deskriptiven Anweisungen zur Erfüllung der staatlichen Fürsorge war die Erhaltung des durch die sinnliche Eindrucksfindung erzeugten ideellen Wertakzents der Naturdenkmäler und der heimatlichen Landschaft, um auch für die Zukunft und damit generationenübergreifend die Möglichkeit zur geistigen Produk­ tion von kulturellen Werten anhand der Naturschönheiten nachhaltig zu gewährleisten.48 Im Einzelnen verstand man unter Schutz die Sicherung gegen Beschädigungen, Zerstörungen sowie Verunstaltungen, während Pfle­ ge als die tunlichste Erhaltung des Bestehenden in seinem kulturellen Wert definiert wurde.49 Der Begriff des Schutzes war demnach in erster Linie auf eine effiziente Gefahrenabwehr gerichtet, indem die Kulturgegenstände ge­ Art. 150 I WRV in den mit dem Titel „Bildung und Schule“ überschriebenen vierten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung bekommt damit einen besonderen Sinn. Im Rahmen des verfassungspolitischen Prozesses um das spätere Staatsziel Umweltschutz in Art. 20a GG ist ebenfalls die Möglichkeit einer politischen Erziehungsfunktion in die Waagschale geworfen worden; dazu Bundesminister des Innern / Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverstän­ digenkommission „Staatszielbestimmungen / Gesetzgebungsaufträge“, Bonn 1983, Rn. 166). Allerdings hängt eine solche edukatorische Wirkung stets auch von der praktischen Umsetzung des Staatsziels ab; so nur statt vieler L.  Michel, Umwelt­ schutz als Staatsziel, NuR 1988, 272 (282). Zudem erscheint es abwegig, dass sich die einzelnen Bürger durch die Verfassung erziehen lassen, da dies eine Lektüre der einschlägigen Normen voraussetzen würde. 47  Siehe dazu A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (347 ff.). Zum umwelt­ rechtlichen Kooperationsprinzip R. Sparwasser / R. Engel / A. Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl., Heidelberg 2003, § 2 Rn. 48 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz, in: R. Schmidt (Begr.), Umweltrecht, 9. Aufl., München 2014, § 4 Rn. 26 f.; W.  Erbguth / S. Schlacke, Umweltrecht, 5. Aufl., Baden-Baden 2014, § 3 Rn. 17 ff. 48  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (367 f.). 49  So G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; J. Krayer (Fn. 22), S. 72 / 110 f.; R. Schröder, Umweltschutzrecht in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Schübe des Umweltbewusstseins und der Umweltrechtsentwicklung, Bonn 1995, S. 75.



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gen drohende Beeinträchtigungen für den wertbehafteten Reflexionsgehalt abgesichert und damit vor einer Schadensverursachung bewahrt werden sollten. Angesichts des Umstandes, dass in den kulturellen Originalwerken ein oft nicht wiederherstellbarer Wertakzent innewohnte, waren die im Sin­ ne eines Gefahrenabwehr- und Schutzprinzips vorzunehmenden staatlichen Abwehrhandlungen vor allem auf eine weitgehende Schonung des ursprüng­ lichen kulturellen Naturwerts bezogen.50 Neben der eigentlichen Störerab­ wehr beinhaltete der verfassungsrechtliche Begriff des Schutzes auch Inst­ rumente der direkten Verhaltenssteuerung wie Verbote, Erlaubnisvorbehalte, Anzeigepflichten sowie die Option von Nebenbestimmungen, was ihn auch in die Nähe eines Verursacherprinzips brachte, wenngleich die Kostentra­ gung für etwaige Natur- und Landschaftsschäden regelmäßig nur mittelbar über geldbewährte Sanktionen zu erreichen war.51 Der Begriff der Pflege war dagegen mehr vorsorgend motiviert, indem die zu bewahrenden Natur­ güter von vornherein als ausrichtungsgerechter Abwägungsmaßstab für ei­ nen kultur- und heimatkonformen wirtschaftlichen Entwicklungsfortschritt angesehen werden sollten.52 Im Zuge der zunehmend sichtbarer werdenden Bedrohungen der Natur und der heimatlichen Landschaft in der Folge der negativen Einwirkungen des industriellen Sektors war mit der Zeit die Er­ kenntnis gereift, dass ein von staatlicher Seite betriebener Natur- und Hei­ matschutz im Sinne von Heimaterhaltung dem modernen Anforderungsprofil der kapitalistischen Wirtschafts- und Sozialordnung nicht mehr genügen konnte. Es war vielmehr auch eine staatliche Präventionsmaxime im Sinne einer Heimatschaffung und Heimatgestaltung notwendig, um dem Anliegen des Natur- und Landschaftsschutzes dauerhaft gerecht zu werden.53 Entge­ gen des Tatbestandsmerkmals des Schutzes war der Begriff der Pflege auf eine von Beginn an mit der heimatlichen Natur und Landschaft in Einklang stehende Wirtschaftsgestaltung ausgerichtet, was sich etwa in der nachhalti­ gen Beachtung der Naturbelange im Rahmen von Infrastruktur- und sonsti­ gen Baumaßnahmen auswirken sollte, womit der verfassungsrechtliche Be­ griff der Pflege als richtungweisende Anleitung für die Erweiterung des 50  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (368 f.). Siehe zum Gefahrenabwehrund Schutzprinzip nur R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 47), § 2 Rn. 15 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 47), § 3 Rn. 2. 51  Vgl. A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 106 ff.; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (399); L. Gebhard (Fn. 31), S. 537 f. Zum Verursacher­ prinzip im Umweltrecht nur R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 47), § 2 Rn.  31 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 47), § 4 Rn. 23 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 47), § 3 Rn. 11 ff. 52  Kritisch hierzu C. Gurlitt (Fn. 30), Zeitschrift für Denkmalpflege 1926 / 27, 81 (82 f.). 53  Zusammenfassend etwa H. Wille (Fn. 28), S. 14 ff.; C. J. Fuchs, Denkmalpfle­ ge und Heimatschutz, Handbuch der Politik, Bd. II, Berlin u. a. 1913, S. 611.

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planungsrechtlichen Instrumentariums verstanden werden konnte.54 Damit enthielt die naturschutzrelevante Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV ne­ ben Ansätzen eines Nachhaltigkeitsprinzips auch bereits eine angemessene Vorsorgedirektive, die auf eine vorbeugende Verhütung von etwaigen Natur­ schäden ausgerichtet war, um gleichzeitig die kulturellen Naturwerte lang­ fristig zu sichern.55 In diesem Kontext konnte daher von einem verfassungs­ rechtlichen Entwicklungsgebot gesprochen werden, das durch die staatlichen Schutzmaßnahmen ergänzt wurde, so dass der Norm des Art. 150 I WRV obgleich der primär kulturellen Sinnimmanenz ein fortschrittliches Natur­ konzept zugrunde lag. cc) Die „Denkmäler der Natur“ und die „Landschaft“ Die in der konstitutionellen Norm des Art. 150 I WRV positivrechtlich verankerten Bewahrkategorien der „Denkmäler der Natur“ und der „Land­ schaft“ machten die vorrangig einem kulturellen Wertakzent geschuldete Ausrichtung der Bestimmung deutlich. Die Auswahl der tatsächlich unter staatliche Obhut zu stellenden Kulturgegenstände lag in der Hauptsache in einem wertenden Ermessen der zuständigen Behörde, wenngleich finanziel­ le Erwägungen im Rahmen des Wertungsspielraums zu beachten waren, was das von der Weimarer Reichsverfassung nur punktuell vorgegebene Schutz­ niveau auf dem Gebiet des Natur- und Landschaftsschutzes herabsetzte.56 Die Naturdenkmäler wurden gemeinhin definiert als „Naturschöpfungen, charakteristische Gebilde der heimatlichen Natur, die sich trotz der zerstö­ renden Einflüsse der wirtschaftlichen Entwicklung (…) erhalten haben, (wie etwa) bedeutsame Bildungen der Erdoberfläche (…), Höhlen, bedeutsame Bildungen von Wasserläufen und Felsen, Vertreter der Tier- und Pflanzen­ welt, die sich durch Schönheit, Alter, Seltenheit, eigenartigen Wuchs oder A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (359 f.). zum Vorsorge- und Nachhaltigkeitsprinzip R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 47), § 2 Rn. 18 ff. / 23 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 47), § 4 Rn. 20 ff. / 28 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 47), § 3 Rn. 2 ff. 56  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (365 / 370 f.). Dieses Problem ist ty­ pisch für die praktische Umsetzung von programmatischen Verheißungen der Verfas­ sung. Albert Hensel führte insoweit konkretisierend an: „Wertdifferenzierungen sind unvermeidlich. Der Staat kann nicht sämtlichen an sich unter den Begriff des (Na­ tur)Denkmals fallenden Gegenständen in gleicher Weise Schutz und Pflege gewäh­ ren; wollte er das, so müsste er über unbegrenzte Geldmittel verfügen. Ebensowenig kann er jede mit dem Wertakzent ‚Landschaft‘ zu belegende Gegend vor Entstellung oder Zerstörung ihrer ästhetischen Reize schützen, das würde auf eine Erklärung fast des gesamten Deutschen Reiches zum Naturschutzgebiet herauskom­ men; ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen Kulturwert und Wirtschaftsord­ nung wäre die unausbleibliche Folge.“ 54  Vgl.

55  Siehe



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wissenschaftlichen Wert auszeichnen.“57 Dagegen wurde der Begriff der Landschaft als zusammenhängender Landkomplex interpretiert, der in seiner Eigenart erhalten und gegen Verunstaltung geschützt werden sollte, wobei in erster Linie Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch Reklame­ schilder oder Ähnliches zu vermeiden waren.58 Die Norm des Art. 150 I WRV war demnach die positivrechtliche Manifestation der aus dem Deut­ schen Kaiserreich bekannten Entwicklungsstränge des Natur- und Heimat­ schutzes, so dass sich in ihr der naturbezogene Kulturgeist als nationalstaat­ lichem Einheitsmoment widerspiegelte.59 Im Einzelnen zeigte sich in dem Begriff des Naturdenkmals der Ansatz eines musealen Naturschutzes, der besondere Einzelobjekte erfasste und auf ein kleinflächiges Schutzkonzept gerichtet war.60 In dem Tatbestandsmerkmal der Landschaft kam dagegen der konservative Heimatgedanke zum Ausdruck, der in seiner gestaltenden Grundtendenz auf die Gesamtphysiognomie der kulturgeladenen Landschaft und damit im Sinne eines holistisch-ästhetischen Naturschutzansatzes auf eine harmonische Heimatidealität angelegt war, was ein Ganzheitskonzept im Sinne eines Integrationsprinzips indizierte.61 Dieser Ansatz stand aber 57  A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 104. In der Norm des Art. 150 I WRV waren die Naturdenkmäler explizit als verfassungsrechtliche Schutz­ objekte normiert worden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine öster­ reichische Verfassungsbestimmung, die sich in dem Bundesgesetz vom 26.06.1928 zum Schutze der Naturhöhlen (Naturhöhlengesetz) befunden hat. Diese Norm (Arti­ kel I.) lautete: „Verfassungsbestimmung, inwieweit der Denkmalschutz (Artikel 10, Z. 13, Bundesverfassungsgesetz) auch Naturhöhlen umfasst, wird bundesgesetzlich bestimmt.“ Dies zeigt ganz deutlich auf, dass die naturschutzrelevante Verfassungs­ norm des Art. 150 I WRV für die damaligen Verhältnisse ein „Fortschritt“ war (so bereits Frhr. M. von Biegeleben, Stenographischer Bericht 1920 (Fn. 36), S. 53), deren materieller Sinngehalt in den Verfassungen von anderen europäischen Staaten erst mit der Zeit seine Verankerung gefunden hat. Die angeführte verfassungsrecht­ liche Vorschrift findet sich in Bundesdenkmalamt Wien (Hrsg.), Wichtige Gesetze und Verordnungen über Denkmalpflege, Heimat- und Naturschutz in Österreich, 3. Aufl., Wien 1929, S. 7. Zu der österreichischen Bundesverfassung vom 01.10.1920 und den Verfassungsnovellen aus den Jahren 1925 und 1929 nur W. Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, 10. Aufl., Wien 2005, S. 211 ff. 58  A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 106; zum Begriff der Landschaft exemplifizierend auch J. Krayer (Fn. 22), S. 71 ff. 59  Vgl. A. Kneer (Fn. 21), S. 8 ff. / 22 ff.; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (331 Fn. 10); F. Moewes, Naturdenkmalpflege, in: P. Herre (Hrsg.), Politisches Handwörterbuch, Bd. II: L – Z, Leipzig 1923, S. 173 f.; J. W. Hedemann, Die Fort­ schritte des Zivilrechts im XIX. Jahrhundert, Bd. II / 1: Die Entwicklung des Boden­ rechts von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart; Das materielle Boden­ recht, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1930), Berlin 1968, S. 266. 60  H. Hofmann, Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts (Fn. 28), JZ 1988, 265 (272). 61  Zum holistischen Naturschutzkonzept Lexikon der Geowissenschaften, Bd. II, Heidelberg / Berlin 2000, S. 438. In Bezug auf den in dem Begriff der Landschaft

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letztlich vor der Problemstellung, dass generalisierende Maßstäbe für die heimatgetreue Gestaltung der Landschaft aufgrund der subjektiven Empfin­ dungsabhängigkeit der betroffenen Menschen nur begrenzt zu ermitteln waren.62 Das Kriterium der landschaftlichen Schönheit war zu vieldeutig, als dass es einen brauchbaren Abgrenzungsparameter zu einer verunstalten­ den Gegend abgeben konnte.63 Die Verfassungsgüter des Naturdenkmals und der Landschaft waren überdies offen für sozialpolitische Zwecksetzun­ gen, was sich in der Idee von ganzen Naturparks ausdrücken konnte.64 dd) „genießen“ In der Kommentarliteratur zu der Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV findet sich kein Auslegungshinweis auf das ebenfalls in der Vorschrift posi­ tivrechtlich verankerte Wort „genießen“. Ein Abgleich mit der Norm des Art. 142 WRV als lex generalis, die der Kunst nur staatlichen Schutz ge­ währte, ergibt einen gesteigerten Wertgehalt, der im Sinne des staatsrechtli­ chen Positivismus eine positive Zuneigung des Staates zur Aufgabe des Natur- und Landschaftsschutzes zum Ausdruck bringt. In der Tat wurde das Wort „genießen“ im Deutschen Reich mit den Attributen Freude, Genuss und Wohlbehagen interpretiert, wenngleich auch die Vorteilsnahme unter zum Ausdruck kommenden ganzheitlichen Naturschutzansatz kann von einem frühen Nachweis des heute im Umweltrecht anerkannten Integrationsprinzips gesprochen werden. Siehe zum ganzheitlichen Integrationsprinzip nur R.  Sparwasser / R.  Engel / A. Voßkuhle (Fn. 47), § 2 Rn. 38 ff.; W. Kahl / K. F. Gärditz (Fn. 47), § 4 Rn. 31 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 47), § 3 Rn. 2; J. Masing, Kritik des integrierten Um­ weltschutzes, DVBl. 1998, S. 549 ff. 62  K. Heyer, Denkmalpflege und Heimatschutz im Deutschen Recht, Berlin 1912, S. 13 ff. / 34 ff.; Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (319); A. Hensel (Fn.  16), AöR 1928 (53), 321 (342 ff. / 369 ff.); J. Krayer (Fn. 22), S. 71 f.; M. Lücke, Geschichte des Naturschutzes im Land Oldenburg, Oldenburg 2007, S. 69 f. / 74 ff. Das Problem eines fehlenden generalisierenden Maßstabs ist für einen ganzheitlichen Integrationsansatz typisch; hierzu J. Masing (Fn. 61), DVBl. 1998, 549 (551 f.); U. Di Fabio, Integratives Um­ weltrecht – Bestand, Ziele, Möglichkeiten, NVwZ 1998, 329 (333 ff.). 63  K. Heyer (Fn. 62), S. 13 ff. / 34 ff. 64  So A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 106; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 17), S. 26 f.; ders., Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts (Fn. 28), JZ 1988, 265 (271 f.); M. Kloepfer, Umwelt­ recht, 3. Aufl., München 2004, S. 87 f.; ders., Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 31), S. 74. Als sozialpolitische Zwecksetzung kam insbesondere die Schaffung von ganzen Naturschutzgebieten in Betracht, um Erholungsreservate für die von dem Industriekapitalismus gesundheitlich geplagte Stadtbevölkerung zu gewährleisten. Nicht ausgeschlossen war, dass die Bestimmung des Art. 150 I WRV, möglicherwei­ se im Rahmen eines Verfassungswandels, mit der Zeit um die soziale Komponente des Naturschutzes im Sinne dieser Staatsparkidee erweitert werden konnte.



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den Begriff subsumiert werden konnte.65 Damit fand der euphorische Ein­ druck der Entstehungsgeschichte in dem Wortlaut der Verfassungsvorschrift des Art. 150 I WRV seinen positivrechtlichen Ausdruck, was gleichsam eine besondere Bedeutung der Kulturaufgabe des Naturschutzes im Deutschen Reich bestätigt. b) Programmatik oder Normativität – die rechtlichen Wirkungen des Art. 150 I WRV Der zweite Hauptteil der Weimarer Reichsverfassung kann in seiner kon­ kreten Ausformung als Beleg für die höchst verschiedenen Verfassungser­ wartungen und Gestaltungsideen gesehen werden, die in der gesellschaft­ lichen Sphäre wie der verfassunggebenden Nationalversammlung nach dem innerdeutschen Zusammenbruch und den kriegsbedingten Reformturbulen­ zen des Jahres 1918 vorherrschten.66 Zwar trug dieser gegenüber der Ver­ fassung des Deutschen Kaiserreichs mit dem Hall eines staatsrechtlichen Novums behaftete Verfassungsteil die fast schon apodiktisch anmutende Überschrift „Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen“.67 In Wirk­ lichkeit enthielt er aber letztlich neben den überkommenen „klassischen“ Grundrechten der Paulskirchenverfassung und ihren ideengeschichtlichen Vorläufern in Nordamerika und Frankreich auch institutionelle Gewährleis­ tungen, kultur- und wirtschaftspolitische Festlegungen sowie in gewissem Sinne auch „soziale Grundrechte“.68 Im Angesicht der Inhomogenität die­ ses neuen Grundrechtskatalogs der Weimarer Reichsverfassung urteilte demnach Carl Schmitt: „So wirkt der zweite Hauptteil in seiner Heteroge­ nität, Inkohärenz und Pleonexie als ein ‚interfraktionelles Parteiprogramm‘ (…) und es scheint kaum möglich, hier etwas anderes zu finden als eine Frei­gabe des Wettkampfes aller Richtungen, die nun versuchen sollen, aus der Fülle der Anerkennungen, Gewährleistungen und Zielsetzungen sich der für ihre Interessen brauchbaren Sätze zu bemächtigen.“69 Es war deshalb R.  Loewe, Deutsches Wörterbuch, Berlin 1919, S. 53. Gusy (Fn. 11), S. 272. 67  G.  Dürig / W.  Rudolf (Fn. 14), S. 200; D.  Willoweit / U.  Seif (Fn. 14), S. 651. 68  K. Beyerle, Wesen und Entstehung der Grundrechte in der Reichsverfassung von Weimar (Fn. 21), S. 148 f.; K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte (Fn. 17), § 108 Rn. 27; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 272; C. Mainzer, Die dogmatische Figur der Einrichtungsgarantien, Baden-Baden 2003, S. 57 ff. 69  C. Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfas­ sung, in: G.  Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 582 f.; ders., Legalität und Legitimität, Nachdruck der 1. Aufl. (1932), 8. Aufl., Berlin 2012, S. 38 ff.; P. Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, Tübingen 2002, S. 306 Fn. 318. 65  Vgl. 66  Ch.

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auch nur eine logische Folge, dass die mit naturschutzrelevanten Inhalten versehene Vorschrift des Art. 150 I WRV der verfassungspolitischen Kon­ zeption gemäß in diesem Grundrechtskatalog verwirklicht wurde.70 Die ­negative Kehrseite dieser Heterogenität der Vorschriften in diesem Verfas­ sungsteil bestand aber dann letztlich in erheblichen Zweifeln an der recht­ lichen Wirksamkeit dieser Normen, was in der Weimarer Staatsrechtslehre anfangs zu einem ignorierenden Skeptizismus gegenüber diesen Grund­ rechtsbestimmungen geführt hat.71 Demgemäß kann eine Bewertung der rechtlichen Bedeutung der Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV nur im Zusammenhang und nicht unabhängig von der sich im Deutschen Reich erst relativ spät abzeichnenden Entwicklung einer Grundrechtsdogmatik erfol­ gen, weshalb auslegungsbedingte Durchbrechungen der unmittelbaren Gel­ tungswirkung dieser Vorschrift nach oben oder nach unten in der gebotenen Relativität zu analysieren sind. Andererseits wurde dieser grundrechtstheo­ retische Diskurs um die angemessene Interpretationsmethodik der Normen des zweiten Hauptteils der Weimarer Konstitution von der staatstheoreti­ schen Debatte um die Anerkennung eines auch materiellen richter­ lichen Prüfungsrechts überlagert,72 deren thematische Kenntnis gleichsam als un­ 70  In verfassungssystematischer Hinsicht bildet die Bestimmung des Art. 150 I WRV in der Zusammenschau mit der positivrechtlichen Staatsgebietsnorm des Art. 2 WRV den sachlichen Anknüpfungspunkt für eine in der Weimarer Reichsverfassung ausdrücklich verankerte Naturstaatlichkeit. Es sind insbesondere die von Rudolf Smend im Rahmen seiner Integrationslehre getätigten Ausführungen, die eine derarti­ ge Interpretation nahelegen. Demnach könne die verfassungsmäßige Festlegung von sachlichen Integrationsfaktoren ein Bekenntnis zu Grundsätzen (Präambel und Grund­ rechte), eine Konstatierung anderweitig festgelegten konkreten Bestandes (Staatsge­ biet) sowie die Festlegung und Symbolisierung des Verfassungstypus (Staatsform und Nationalflagge) sein. Das Staatsgebiet sei der konkreteste Integrationsfaktor mit ei­ nem legitimierenden sachlichen Gehalt, dem dieser materielle Gehalt wesensnotwen­ dig gegeben sei. Der Erwähnung des Gebiets in der Verfassungsurkunde komme aber in der Regel keine konstitutive Zwecknormierung zu – „ist ja doch das formale Da­ sein und Leben des Staates und die Gewährleistung dieses Daseins und Lebens zu­ nächst Selbstzweck und damit einzige wesentliche Aufgabe der Verfassung.“; R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (Fn. 44), S. 197 f. / 217 ff. Den Hinter­ grund dieser Ansicht bildet die verneinende Haltung von Rudolf Smend gegenüber dem Staat als einem teleologischen Zweckgebilde, in dem sich die Wertgesetzlichkeit des Geistes systematisch auf einen Zweck hin und damit vorgezeichnet herausbildet, da eine Eigengesetzlichkeit des Sozialen angesichts des unentwirrbaren Geflechts an natürlichen Anlagen im Staat ausgeschlossen ist. Dadurch wird der fundamentale Sinn der Natur für die staatliche Existenz zwar gesehen, aber noch vernachlässigt. 71  C. Schmitt, Legalität gegen Legitimität (Fn. 69), S. 44 ff.; K. Stern, Idee der Menschenrechte und Positivität der Grundrechte (Fn. 17), § 108 Rn. 29. 72  Im Deutschen Kaiserreich waren die Gerichte nach der herrschenden Lehre auf ein formelles richterliches Prüfungsrecht beschränkt, nämlich auf die Überprü­ fung, ob ein von dem monarchischen Staatsoberhaupt des Kaisers ordnungsgemäß als Reichsgesetz ausgefertigter und verkündeter Akt der Reichsgesetzgebung vorlag.



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abdingbare Voraussetzung für ein Verständnis der unterschiedlichen Ansich­ ten zu der normativen Geltungskraft des Art. 150 I WRV gelten muss. Bei dieser instrumentellen Problemstellung ging es in erster Linie um die Frage, ob dem einzelnen Richter nicht nur eine Prüfkompetenz zur Beurteilung der verfassungsmäßigen Konformität eines Gesetzes zukam, sondern ob ihm auch im Falle eines negativen Befundes das Recht zustand, das Gesetz unangewendet zu lassen bzw. zu verwerfen.73 Demnach drehte sich der Diskurs vor allem auch um den staatssystemrelevanten Gegensatz von Par­ lamentssouveränität und Bindung des Gesetzgebers an Verfassung sowie positives Recht.74 Heinrich Triepel hatte insoweit bereits frühzeitig mit Blick auf den Schutz der bürgerlichen Freiheit eindringlich vor den Aus­ wuchstendenzen eines machthungrigen Parlamentes gewarnt: „Es ist eine alte Wahrheit, dass der Ausschluss des richterlichen Prüfungsrechts (…) eine der Türen öffnet, durch die sich der Absolutismus Eingang in den Staat verschafft. Ob es monarchischer oder parlamentarischer Absolutismus ist, macht dabei wenig aus. (…) Wenn der deutsche Reichstag mit vollkomme­ ner Souveränität darüber entscheiden darf, ob sich seine Gesetzesbeschlüsse mit der Verfassung in Einklang befinden, so ist vor allem ein großer Teil der Grundrechte seines verfassungsmäßigen Schutzes beraubt.“75 Diesem rechtsstaatlichen Bewusstsein stand in der Weimarer Staatsrechtslehre die Ein aber im formellen Sinne erweitertes Prüfungsrecht, das auch die verfassungsmä­ ßige Kontrolle der dem Ausfertigungs- und Verkündungsakt vorausgehenden Stadien des Gesetzgebungsverfahrens einschloss, wurde dagegen nur von einer Mindermei­ nung vertreten. Ein materielles richterliches Prüfungsrecht wurde dagegen überwie­ gend verneint, um die Autorität und Entscheidungskompetenz des Monarchen nicht zu beschneiden, dessen gehobene Stellung als Reichsoberhaupt ihn als besonderen Hüter der Verfassung legitimierte. Dass mit der Frage nach dem richterlichen Prü­ fungsrecht im Deutschen Kaiserreich notwendigerweise auch die Frage nach dem Verhältnis von positiver Verfassung und einfachen Gesetzen verbunden war, zeigte sich auch an dem Umstand, dass eine richterliche Überprüfung von Reichsverord­ nungen, Landesgesetzen und Landesverordnungen am Maßstab der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs unstrittig war. Unter diese inzidente Normenkontrollkompe­ tenz fiel nach herrschender Lehre auch der kaiserliche Erlass einer Verordnung, um staatspolitisch den Vorrang der Gesetzgebungsgewalt vor der Verordnungsgewalt zu sichern. Zum Ganzen E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., Stuttgart u. a. 1988, S. 1055 ff. 73  So H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 44. 74  H. Wendenburg (Fn. 73), S. 44. 75  H. Triepel, Der Weg der Gesetzgebung nach der Reichsverfassung, AöR 1920 (39), 456 (537); vgl. auch M. Stolleis, Weimarer Republik und Nationalsozialismus (Fn. 15), S. 111. Zur Gesamtkonzeption von Heinrich Triepel in Bezug auf das rich­ terliche Prüfungsrecht ausführlich U. M. Gassner, Heinrich Triepel – Leben und Werk, Berlin 1999, S. 374 ff. Ein kurzes Gesamtporträt von Heinrich Triepel findet

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allgemeine Befürchtung eines schleichenden Wandels zum Jurisdiktionsstaat gegenüber, die Hans Nawiasky gehaltvoll als „Zentralismus und Richter­ königtum“76 benannte.77 Dies hatte auf der erkenntnistheoretischen Basis des Methoden- und Richtungsstreits78 Austarierungsprozesse zur Folge, die bei einer zunehmenden Akzeptanz der richterlichen Kontrollbefugnis Gren­ zen der praktischen Handhabung hervorbringen sollten.79 Indessen wurde die reale Organisationsstruktur der Gerichtslandschaft unter Beachtung der Kompetenzsituation zum authentischen Abbild des Diskursfortschritts um ein richterliches Prüfungsrecht im Deutschen Reich. Demnach war bereits in der verfassunggebenden Nationalversammlung die Instanz eines Staatsge­ richtshofs nicht mehr umstritten gewesen, insoweit dessen Kompetenzen unter Ausschluss der Prüfbefugnis von Gesetzen am Maßstab der Verfassung begrenzt blieben.80 In diesem Sinne war der Staatsgerichtshof schließlich dann neben Anklageverfahren gegen den Reichspräsidenten, den Reichs­ kanzler und einzelne Reichsminister gemäß Art. 59 WRV für bundesstaat­ liche Streitigkeiten zwischen dem Reich und den Ländern bzw. zwischen Ländern sowie nach Art. 19 WRV auch noch subsidiär für etwaige Organ­ streitigkeiten in den Ländern zuständig.81 Dieser anfänglichen Skepsis ­entsprach die zunächst überwiegend ablehnende Haltung gegenüber einem richterlichen Prüfungsrecht in der Weimarer Staatsrechtslehre, die sich mit der Zeit aber legen sollte, nachdem vor allem auch das Reichsgericht bereits frühzeitig ein in dogmatischer Weise aber nicht überzeugendes Prüfungs­ recht für sich in Anspruch genommen hatte.82 Nachdem ein in der Hand sich ebenfalls bei U. M. Gassner, Heinrich Triepel, in: H.-Ch. Kraus (Hrsg.), Berli­ nische Lebensbilder, Bd. 10: Geisteswissenschaftler II, Berlin 2012, S. 189 ff. 76  H. Nawiasky, Mitbericht zu „Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichsverfassung“, VVDStRL 1927 (3), S. 41; zu der Position von Hans Nawiasky auf der 4. Staatsrechtslehrertagung im März 1926 in Münster H. Wendenburg (Fn. 73), S. 64 f. Hans Kelsen (H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin  – Grunewald 1930 / 31, S. 597 f.) schrieb später zu der Thematik der nicht gewollten Machtverlagerung auf die (Ver­ fassungs-)Gerichte: „Das ist das uralte, platonische Dilemma: Politeia oder Nomoi, Richterkönige oder königlicher Gesetzgeber.“ 77  Vgl. auch E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 72), S. 1057. 78  Siehe dazu die umfassenden Darstellungen des Methoden- und Richtungs­ streits bei M. Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft (Fn. 9), S. 153 ff.; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 420 ff. 79  H. Wendenburg (Fn. 73), S. 62 ff. 80  Zusammenfassend H. Wendenburg (Fn. 73), S. 46 ff. 81  Ch. Gusy (Fn. 11), S. 209 ff.; F. Hase, Richterliches Prüfungsrecht und Staats­ gerichtsbarkeit, Gießen 1981, S. 12. 82  Siehe hierzu nur W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, Berlin 1931, S.  2 f.; A. Buschke, Die Grundrechte der Weimarer Verfassung in der Recht­ sprechung des Reichsgerichts, Berlin 1930, S. 25 ff.; F. Hase (Fn. 81), S. 11 ff.;



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eines jeden einzelnen Richters liegendes richterliches Prüfungsrecht die Rechtssicherheit im Sinne des staatsrechtlichen Positivismus aber nicht nur unerheblich beeinträchtigen konnte, konzentrierte sich die staatstheoretische Diskussion später schließlich dann auf die Kompromisslösung einer Verfas­ sungsgerichtsbarkeit, die aber im Deutschen Reich nicht mehr realisiert wurde.83 Dieser Umstand, d. h. das Fehlen eines Reichsverfassungsgerichts als Interpretationsführer der Weimarer Reichsverfassung,84 aber auch der methodisch untermalte Diskurs um die richtige Auslegung der Grundrechts­ normen vor dem Hintergrund der langsamen Etablierung des richterlichen Prüfungsrechts, erklärt letztlich die allseitige Unsicherheit um die rechtliche Bedeutung des zweiten Hauptteils der Weimarer Konstitution, was sich sogleich in den zaghaften Auslegungsversuchen eines Staatsrechtslehrers ­ manifestieren konnte. Aus diesem Grund besteht auch insoweit das Bedürf­ nis einer relativen Sicht auf die rechtlichen Wirkungen der Norm des Art. 150 I WRV, was aber der Herausbildung einer herrschenden Ansicht nicht unbedingt von vornherein entgegenstand. aa) Die Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers Nach der überwiegenden Ansicht in der Weimarer Staatsrechtslehre hatte die konstitutionelle Norm des Art. 150 I WRV eine neue Gesetzgebungs­ kompetenz geschaffen, die neben die bisherige Befugnis der Landesgesetz­ geber getreten ist, weshalb fortan eine konkurrierende Gesetzgebungskom­ petenz auf dem Gebiet des Natur- und Landschaftsschutzes bestand.85 Aller­ dings können derartige Kompetenznormen staatliches Handeln lediglich le­ gitimieren, begründen jedoch keine konkreten Handlungspflichten zum Schutz und zur Pflege der jeweiligen Fürsorgeobjekte86, so dass sich daraus K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 193; H. Wendenburg (Fn. 73), S. 51 ff.; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 209 ff. 83  M. Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft (Fn. 9), S. 156; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 210; K.  Schlaich / S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl., München 2012, S. 1 ff. Siehe zur Unterscheidung zwischen inzidenter und institutio­ neller, konzentrierter Normenkontrolle auch E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 72), S. 1057 f. 84  M. Stolleis, Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft (Fn. 9), S. 156. Siehe zur Problematik eines Verfassungsgerichts als Interpretationsführer der Verfassung auch K. Doehring (Fn. 82), S. 193 f. 85  So etwa G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; O.  Bühler (Fn. 35), S. 149; F. PoetzschHeffter (Fn. 35), S. 479; A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100 f.; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (361 f.). A. A. dagegen Frhr. M. von Biegeleben, in: K. Beyerle, Stenographischer Bericht 1920 (Fn. 24), S. 53; erläutert auch bei A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), ebd., S. 100. 86  G. Anschütz (Fn. 13), S. 74.

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keine Rückschlüsse in Bezug auf die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm ableiten lassen. Darüber hinaus entsprach es der herrschenden An­ sicht, dass die Vorschrift des Art. 150 I WRV keine unmittelbare Eingriffs­ grundlage für administrative Maßnahmen beinhaltete.87 Es bedurfte daher einfachgesetzlicher Rechtsnormen, um die Bestimmung hinsichtlich des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes anwendbar zu machen. Ob der parlamentarische Gesetzgeber insoweit einer gegebenenfalls auch justiziab­ len rechtlichen Bindung unterlag, war in der Weimarer Staatsrechtslehre aber durchaus umstritten. An diesem Punkt zeigte sich nun das Problem des Fehlens eines Reichsverfassungsgerichts als Interpretationsführer der Ver­ fassung ganz deutlich. Denn die Herausbildung einer verbindlichen und allgemein anerkannten Auslegung der Norm des Art. 150 I WRV war im Deutschen Reich nur dann möglich, wenn sich eine Ansicht als ein mehr­ heitsfähiges methodisches Interpretationsergebnis erwies, was bei der An­ nahme eines einem jeden einzelnen Richter zustehenden richterlichen Prü­ fungsrechts weiter erschwert worden wäre.88 In Bezug auf die mit natur­ schutzrelevanten Inhalten versehene Vorschrift des Art. 150 I WRV wurden letztlich drei Ansichten vertreten. Die weiteste Interpretation, die unter an­ derem von Friedrich Giese in seinem Kommentarwerk zur Weimarer Reichsverfassung angeführt wurde, sah eine unbeschränkte Pflicht des par­ lamentarischen Gesetzgebers bei der einfachgesetzlichen Ausgestaltung des Art. 150 I WRV vor.89 Demnach waren das Reich und die Länder „berech­ 87  So nur G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; F. Giese (Fn. 33), S. 311; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 331; L.  Schnitzler, Denkmale, Denkmalpflege, Denkmalschutz (Fn. 17), S. 11; H. Schwenkel (Fn. 17), S. 15; A. Kneer (Fn. 21), S. 20. 88  Siehe zu diesem Problemkreis R. Thoma, Das richterliche Prüfungsrecht, AöR 1922 (43), S. 267 ff.; H. Wendenburg (Fn. 73), S. 45. 89  Hier muss nunmehr noch einmal auf die Integrationslehre von Rudolf Smend eingegangen werden. Da die Grundrechte für den genannten Staatsrechtler sachliche Elemente des politischen Integrationsprozesses darstellen, wäre es doch naheliegend, diesen Grundrechten eine unbeschränkte verbindliche Wirkung für den parlamenta­ rischen Gesetzgeber zukommen zu lassen. Dies scheint Rudolf Smend auch selbst anzunehmen, wenn er im Rahmen seiner Verfassungslehre zu den Grundrechten ausführt, dass diese „doch wenigstens als Auslegungsregel für das spezielle Recht aus dem ihm normativ im Grundrechtskatalog zugrunde gelegten Kultursystem her­ aus zu gelten (beanspruchen); mindestens in diesem Sinne sind sie Richtschnur für die Verfassung, die Gesetzgebung und die Verwaltung.“ Gegen eine regelmäßig anzunehmende Verbindlichkeit der Grundrechte gegenüber der Legislative spricht aber bereits die Intention der Verfassungslehre Rudolf Smends, die grundsätzlich auf eine Überwindung des als zu starr empfundenen Rechtspositivismus gerichtet ist. Denn für Rudolf Smend ist die geschriebene Verfassung angesichts ihrer unzurei­ chenden Erfassungskapazität hinsichtlich der ganzen Fülle des staatlichen Lebens auf den fortwährenden politischen Integrationsprozess angewiesen, ohne den eine Verfassung nicht bestehen kann. Gerade dieser von dem Staatsrechtler angeführte Umstand führt aber gerade zu einer Überbetonung des Politischen, weshalb es wi­



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tigt und verpflichtet, die bezeichneten Werte gegen Verletzung und Beein­ trächtigung jeder Art in Schutz zu nehmen, in ihrem Zustande zu erhalten und ihnen besondere Förderung zuteil werden zu lassen.“90 Dagegen wurde dersprüchlich erscheint, einer Verfassungsnorm eine verbindliche Wirkung grund­ sätzlich zukommen zu lassen, die durch den vorrangigen und die Existenz einer Verfassung überhaupt erst ermöglichenden fortwährenden politischen Integrations­ prozess wiederum überwunden werden kann. Aus diesem Grund unterscheidet Ru­ dolf Smend zwischen den unterschiedlichen Vorschriften einer Konstitution, wenn er insoweit formuliert, dass Verfassungen „der allgemeinen, durch die Einzelbestim­ mungen nur hier und da positiv festgelegten Integrationstendenzen des Verfassungs­ lebens und seiner Neigung zur Selbstgestaltung freien Lauf (lassen) – abgesehen von den Fällen, in denen sie dies Leben strikt festlegen, ihm gegenüber als streng hete­ ronome Norm gelten wollen, die dann auch nur durch echtes Gewohnheitsrecht beseitigt werden kann.“ In Bezug auf die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV bedeutet dies, dass eine (unbeschränkte) rechtliche Verpflichtung des parlamentari­ schen Gesetzgebers im Hinblick auf den Natur- und Heimatschutz nach der Verfas­ sungslehre von Rudolf Smend nicht angenommen werden kann. Dagegen spricht insbesondere auch die von Rudolf Smend hinsichtlich der Verfassungsnorm des Art. 142 WRV, die nach h. M. gegenüber der hier in Frage stehenden Bestimmung des Art. 150 I WRV lex generalis darstellte, angenommene „institutionelle Garantie“ (Fn. 95). Denn eine unbeschränkte rechtliche Verpflichtung des parlamentarischen Gesetzgebers würde mit Ausnahme des durch die rechtliche Institutsgarantie beding­ ten Denaturierungsverbots den Sinn und Zweck einer nur beschränkt verbindlichen institutionellen Garantie der heimatlichen Natur hinfällig machen; die zitierten Pas­ sagen finden sich wiederum in dem staats- und verfassungstheoretischen Hauptwerk von Rudolf Smend R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (Fn. 44), S. 191 / 265. 90  F. Giese, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Kommentar, 1. Aufl., Berlin 1919, S. 375. Diese Ansicht wurde von dem Kommentator während der Dauer des Deutschen Reichs nicht aufgegeben. Insoweit formulierte der Staatsrechtslehrer in der 8. Auflage seines Kommentarwerks 1931 (F. Giese (Fn. 33), S. 299 / 311), dass „das Reich und die Länder zu positiven Leistungen verpflichtet sind, nämlich zur Gewährung von Rechtsschutz gegen von dritter Seite her drohender oder erfolgender Eingriffe sowie zur aktiven Beteiligung an der Pflege von (…) (Naturdenkmälern und der Landschaft).“ Die Reichweite dieser Ansicht muss aber relativiert werden. Friedrich Giese nennt als Adressaten der Norm sowohl das Reich als auch die Län­ der. Da der Naturschutz im Deutschen Kaiserreich fast ausschließlich Ländersache war, ist mit Reich und Länder vor allem auch der parlamentarische Gesetzgeber gemeint, da eine andere Interpretation vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes keinen Sinn machen würde. Der Wortlaut der Kommentierung ist auch insoweit eindeutig, als das Reich und die Länder recht­ lich verpflichtet sein sollten. Allerdings ergibt sich aus einem Vergleich der Ausfüh­ rungen zu Art. 150 WRV insbesondere mit der Kommentierung zu Art. 157 WRV, dass Friedrich Giese gerade nicht davon ausging, dass die Adressaten des Art. 150 I WRV zu einem über den allgemeinen Rechtsschutz hinausgehenden besonderen Rechtsschutz verpflichtet gewesen wären, was bedeutet, dass das Reich und die Länder nicht verpflichtet waren, besondere Naturschutzgesetze zu schaffen. Zwar ist diese aus einer Gesamtbetrachtung des Kommentarwerks hergeleitete Interpretation dem Vorwurf einer systemwidrigen Auslegungsmethodik ausgesetzt, da in der Wei­ marer Staatsrechtslehre gemeinhin die Ansicht maßgeblich war, die in jedem Einzel­

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von einer anderen Ansicht eine rechtliche Pflicht der Legislative in vollem Umfang abgelehnt.91 Einer der Vertreter dieser restriktiven Auslegungsme­ thode war der ein richterliches Prüfungsrecht zunächst strikt ablehnende Rechtspositivist Gerhard Anschütz,92 dessen Begründung sich aus einer vergleichenden Durchsicht seines Kommentars zur Weimarer Reichsverfas­ sung ergibt. Für ihn standen die Naturdenkmäler und die Landschaft in der fall anhand Wortlaut, Sinn und Zweck des einzelnen Grundrechtssatzes überprüfte, ob er Positivität und Aktualität oder nur Richtlinien- bzw. Programmcharakter besaß (G. Anschütz (Fn. 13), S. 514 f.; K. Stern, Allgemeine Lehren der Grundrechte (III / 1) (Fn. 15), S. 124). Jedoch muss dieser Gedanke insoweit zurückstehen, als ansonsten Auslegungsergebnisse gefunden werden könnten, die in unüberbrückbarem Wider­ spruch mit dem ganzen Kommentarwerk stehen würden. Aus diesem Grund muss schließlich davon ausgegangen werden, dass die Legislative zwar rechtlich ver­ pflichtet war, diese Pflicht aber ihre Grenze in der Gewährung allgemeinen Rechts­ schutzes fand. Letztendlich spiegelte sich hier, wie noch zu zeigen sein wird, die reale Wirklichkeit des Naturschutzes im Deutschen Reich wider. Der Naturschutz wurde im Deutschen Reich, sofern er Eingriffsmaßnahmen erforderte, von den poli­ zeilichen Kräften bzw. sonstigen Verwaltungsstellen durchgeführt. Dementsprechend wurden viele Naturschutznormen im Rahmen des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts erlassen. Der Naturschutz war im Deutschen Reich als Staatsaufgabe anerkannt. Die Ansicht, dass dieses Anliegen auch besondere Naturschutzgesetze erforderte, hatte sich aber noch nicht durchgesetzt; so im Ergebnis auch F. Poetzsch-Heffter (Fn. 35), S. 459 / 479 („der Staat hat“); B. Wolf, Das Recht der Naturdenkmalpflege in Preu­ ßen, Berlin 1920, S. 51; A. Kneer (Fn. 21), S. 20; L.  Schnitzler, Naturschutz und Gesetz, in: W. Schoenichen (Hrsg.), Wege zum Naturschutz, Breslau 1926, S. 10; H. Schwenkel (Fn. 17), S. 15; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (359 f.); F. Hammer (Fn. 22), S. 204; H. Behrens (Fn. 17), S. 28; H. Klose, Fünfzig Jahre Staatlicher Naturschutz – ein Rückblick auf den Weg der deutschen Naturschutzbe­ wegung, herausgegeben von der Bundesanstalt für Naturschutz und Landschaftspfle­ ge, Gießen 1957, S. 19. 91  Frhr. M. v. Biegeleben, Protokoll der erweiterten Ausschuss-Sitzung 1919 (Fn. 24), S. 49; G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; K. Friedrichs, Naturschutz und Verun­ staltung, Gesetz und Recht – Zeitschrift für allgemeine Rechts- und Staatskunde 1921 (22), 63 (66); J. Krayer (Fn. 22), S. 109; wohl auch (durch vergleichende Durchsicht des Kommentars ermittelt) O.  Bühler (Fn. 35), S. 149; F. Moewes (Fn. 59), S. 174 („werden durch den Art. 150 der Weimarer Verfassung angeregt“); T. Adam, Die Verteidigung des Vertrauten, ZfP 1998 (45), 20 (24); M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 31), S. 74; G.  Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn, Landschafts- und Naturschutz, in: D. Krebs (Hrsg.), Handbuch der deutschen Re­ formbewegungen 1880–1933, Wuppertal 1998, S. 28 f. („politische Willenserklä­ rung“); K. Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 59, die aber nicht zwischen einer Bindung des parlamentarischen Gesetzgebers und der nachrangigen Gewalten unter­ scheidet. 92  Zur Position des staatsrechtlichen Positivismus und der Ansicht von Gerhard Anschütz H. Wendenburg (Fn. 73), S. 97 ff. / 112 ff.; A. Buschke (Fn. 82), S. 27 f. Fn. 9. Ein umfassendes Porträt des Staatsrechtslehrers Gerhard Anschütz findet sich mitunter bei E.-W. Böckenförde, Gerhard Anschütz 1867–1948, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2006, S. 367 ff.



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Bestimmung des Art. 150 I WRV lediglich unter dem Schutz und der Pflege des Staates, während nach anderen Bestimmungen der Weimarer Konstitu­ tion Schutzobjekte unter den besonderen Schutz gestellt waren. Aus diesem grammatikalischen Unterschied leitete der ganz dem Rechtspositivismus verhaftete Kommentator ab, dass das Reich und die Länder in Bezug auf Art. 150 I WRV letztendlich nicht einer rechtlichen Verpflichtung unterla­ gen, einen über den allgemeinen Rechtsschutz hinausgehenden besonderen Rechtsschutz zu schaffen. Darüber hinaus sah der Staatsrechtslehrer in dem konstitutionell verwirklichten Auftrag der Naturpflege einen guten Vorsatz des Reichs sowie eine an die Länder gerichtete Aufforderung, ohne dass dies aber ein Gebot mit rechtsverbindlicher Kraft darstellen sollte.93 Es kann deshalb nicht überraschen, dass sich zwischen diesen beiden extremen Auslegungsvarianten mit zunehmender Dauer des Deutschen Reichs noch eine vermittelnde Meinung herausbildete, die die Bedenken um das richter­ liche Prüfungsrecht abfederte, ohne aber das Bedürfnis einer Kontrolle auch und gerade des parlamentarischen Gesetzgebers völlig aufzugeben. Nach dieser Ansicht beinhaltete die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV ein Institut der „Natur“, das es dem Gesetzgeber verbot, „in der Ausgestaltung des Instituts diejenigen äußersten Grenzen zu überschreiten, jenseits deren 93  G. Anschütz (Fn. 13), S. 695. Auch hier ergibt sich dieses Interpretationser­ gebnis aus einem Vergleich der Ausführungen zu Art. 150 I WRV vor allem mit der Kommentierung zu Art. 157 WRV, weshalb auch insoweit der Vorwurf einer system­ widrigen Auslegungsmethodik bestehen muss (Fn. 90). Allerdings lässt sich die Auslegung auch ohne diesen systematischen Vergleich eindeutig belegen. Denn Gerhard Anschütz verwendet in seiner Kommentierung zu Art. 150 I WRV zunächst den Begriff „Richtschnur“, was nach seinem ganzen Kommentarwerk zunächst auf eine unverbindliche Direktive hindeutet (Vgl. G. Anschütz, ebd., S. 514). Darüber hinaus spricht der Staatsrechtler bei seiner Kommentierung zu der Verfassungsnorm des Art. 142 WRV (G. Anschütz, ebd. S. 665 f.), die gegenüber Art. 150 I WRV lex generalis war, aber auch ausdrücklich davon, dass dessen zweiter Satz „Der Staat gewährt ihnen (der Kunst, der Wissenschaft und ihrer Lehre) Schutz und nimmt an ihrer Pflege teil.“ rechtlich bedeutungslos war, was dann auch für die speziellere Norm des Art. 150 I WRV Geltung beanspruchen muss. Insbesondere bestätigt der Kommentator im Rahmen seiner Ausführungen zu Art. 142 S. 2 WRV das sich aus einem systematischen Vergleich des ganzen Kommentarwerks ergebende Ausle­ gungsergebnis sogar ausdrücklich, wenn er ausführt, dass „der hier zugesicherte ‚Schutz‘ – kein besonderer, sondern der allgemeine Rechtsschutz, den der Staat je­ der erlaubten Tätigkeit schuldet – auch zu gewähren sein (würde), wenn Satz 2 nicht geschrieben stünde (…).“ Interessant bleibt aber die Schlussfolgerung des Staats­ rechtslehrers aus der fehlenden Nennung des Wortes „besonderen“ in der Vorschrift des Art. 150 I WRV. Während Friedrich Giese hier davon ausging, dass das Reich und die Länder gleichwohl rechtlich verpflichtet waren, allgemeinen Rechtsschutz zu gewähren, sprach Gerhard Anschütz der hier in Frage stehenden Bestimmung deshalb jegliche Bindung für die Legislative ab, eine Ansicht, die heute angesichts der elementaren Bedeutung der Natur undenkbar wäre.

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das Institut als solches vernichtet oder denaturiert (worden) wäre.“94 Die Legislative war demnach rechtlich verpflichtet, das Institut der „Natur“95 zu 94  Dazu nur R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsver­ fassung, Bd. I, Berlin 1929, S. 30; W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen, Stuttgart 1926, S. 37. 95  Ausdrücklich R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 94), S. 31; ab der 10. Auflage (1929) seines Kommentarwerks G. Anschütz, Die Verfassung des Deut­ schen Reichs vom 11. August 1919, 10. Aufl., Berlin 1929, S. 572 / 599 („institutio­ nelle Garantie“ zu Art. 142 WRV); ab der 8. Auflage (1931) seines Kommentars F. Giese (Fn. 33), S. 299 („Staatseinrichtung“ zu Art. 142 WRV); so wohl auch C. Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfassung, in: G.  Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tü­ bingen 1932, S. 595 / 604 („institutionelle Garantie“ zu Art. 142 WRV). Bei Gerhard Anschütz und Friedrich Giese ergibt sich die entsprechende Geltung der Ausführun­ gen zu Art. 142 WRV für die Norm des Art. 150 WRV aus einem eindeutigen Ver­ weis auf den Art. 150 WRV (F. Giese (Fn. 33), S. 311) bzw. aus einer ausdrücklichen Hervorhebung der Spezialität des Art. 150 I WRV gegenüber der insoweit allgemei­ neren Verfassungsnorm des Art. 142 WRV (G. Anschütz (Fn. 13), S. 695). Dagegen findet sich bei Carl Schmitt ein derartiger Hinweis nicht. Aus einer systematischen Durchsicht der Ausführungen Carl Schmitts in dem Handbuch des Deutschen Staats­ rechts (S. 572 ff.) ergibt sich aber, dass es nach der Ansicht des genannten Staats­ rechtlers praktisch keinen rechtlichen Unterschied zwischen dem Art. 142 WRV und der Norm des Art. 150 I WRV gab. Aus diesem Grund können die dort getätigten Ausführungen zu Art. 142 WRV für die naturschutzrelevante Norm des Art. 150 I WRV entsprechende Geltung beanspruchen, wenngleich dies angesichts der explizi­ ten Einordnung der Norm des Art. 142 WRV als „institutionelle Garantie“ (S. 604) auch wiederum in Zweifel gezogen werden kann. Daneben gab es noch weitere Staatsrechtslehrer, die in dem Art. 142 WRV, der nach h. M. lex generalis gegenüber der Norm des Art. 150 I WRV war, eine Einrichtungsgarantie sahen, ohne aber auf die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV ausdrücklich Bezug zu nehmen; so etwa R. Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung (1928), in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 109; F. Kitzinger, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.), Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Bd. II, Berlin 1930, S. 465. Bemerkenswert ist darüber hinaus die Weiterentwicklung der Auffassung Friedrich Gieses. Es stellt sich insbesondere die Frage, welche Schlussfolgerungen aus der Annahme einer „Staatseinrichtung“ für den Naturschutz zu ziehen sind. Da der Staatsrechtslehrer bereits früh eine unbeschränkte rechtliche Verpflichtung des par­ lamentarischen Gesetzgebers angenommen hatte, war die Einordnung des Art. 150 I WRV rechtlich nur insoweit von Bedeutung, als die Legislative die institutionelle Garantie der Natur nun nicht mehr beseitigen konnte. Eine gewagte Interpretation, die jedoch einer genaueren Untersuchung bedarf, ist aber, dass der Staatsrechtslehrer davon ausging, dass die parlamentarischen Gesetzgeber nun ebenso zum Erlass von besonderen Naturschutzgesetzen verpflichtet waren. Albert Hensel dagegen, der sich mit der hier in Frage stehenden Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV im Rahmen einer staatstheoretischen Abhandlung intensiv beschäftigte, lehnte ein Rechtsinstitut ausdrücklich ab. Nach seiner Ansicht mangelte es den in Art. 150 I WRV genannten Schutzobjekten grundsätzlich an einer gegenwärtigen (staatlichen) Kulturwertung,



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beachten und alle Maßnahmen zu ergreifen, die dem Institut zur Wirksam­ keit verhalfen bzw. solche Handlungen zu unterlassen, die den Bestand des staatlichen Naturschutzes hätten gefährden können. Im Lager des staats­ rechtlichen Positivismus wurde dieser Grundsatz noch dahin präzisiert, dass der institutionelle Verfassungsrechtssatz ein der inhaltlichen Ausgestaltung durch den parlamentarischen Gesetzgeber zugängliches „formales Blankett“ war, dessen dogmatische Relevanz formal in einer durchbrechungsimmunen Verfassungsgarantie lag, d. h. dass sich hinsichtlich des konstitutionell ver­ bürgten Instituts „die Kategorie der Verfassungsänderung in ihrer existenti­ ellen Aufhebung (erschöpfte), während die substantielle Alterierung nach Art der Durchbrechung oder der Überschreitung rechtsinhaltlich ausge­ schlossen“ war.96 Demnach war die legislative Gewalt befugt und auch verpflichtet, das verfassungsrechtlich garantierte Institut inhaltlich zu kon­ kretisieren, ohne dass dies aber in einer nivellierenden Beseitigungstendenz ausarten durfte, was schließlich ein verfassungsänderndes Aufhebungsgesetz erfordert hätte.97 Aus diesem Grund wäre eine gänzliche Untätigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers auf dem Gebiet des Naturschutzes sowie die vollständige Abschaffung von sämtlichen Naturschutznormen dem Ver­ dikt einer möglichen Verfassungswidrigkeit ausgesetzt gewesen.98 Die Leh­ re von der Institutsgarantie, die auf Martin Wolff zurückgeht und von Carl Schmitt zu einer Unterscheidung von „Institutsgarantie“ und „institutioneller Garantie“ fortentwickelt wurde99, hat sich mit der Dauer neben der Ansicht weshalb die Einstufung als Rechtsinstitution (vorerst) nicht möglich war (A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (326 ff.); in diesem Sinne auch J. Krayer (Fn. 22), S. 109 f.). Letztendlich stellte sich hier die Frage, ob eine Institution abstrakt oder konkret zu bestimmen ist. Warum jedoch der aktuellen Kultur, geschützt durch die Verfassungsnorm des Art. 142 WRV, der Charakter einer Rechtsinstitution zukom­ men sollte, der überkommenen Kultur aber nicht, bleibt fraglich. Die Argumentation von Albert Hensel kann insoweit nicht überzeugen, als auch die aktuelle Kultur ei­ ner Wertung unterworfen werden musste, ob sie wirklich als zeitgemäße Kultur angesehen werden konnte. Zudem widerspricht die Ansicht aber auch dem Sinn und Zweck einer Institutionsgarantie, die den parlamentarischen Gesetzgeber gerade ei­ ner rechtlichen Bindung unterwerfen sollte. Es wäre widersinnig, wenn der Gesetz­ geber bzw. die ein formelles Gesetz vollziehende Verwaltung durch eine entspre­ chende Wertung die Institution zur Entstehung hätte bringen können, an welche die Legislative sodann gebunden gewesen wäre. Damit hätte sich der Gesetzgeber einer Bindung ohne weiteres entziehen können, indem er eine staatliche Konkretisierung praktisch unterließ. 96  So K.  Loewenstein, Erscheinungsformen der Verfassungsänderung, Tübingen 1931, S.  270 ff.; U. Mager, Einrichtungsgarantien, Tübingen 2003, S. 41 ff.; C. Mainzer (Fn. 68), S. 76 f. 97  K.  Loewenstein (Fn. 96), S. 288 ff.; U. Mager (Fn. 96), S. 41 ff. 98  C. Schmitt, in: G. Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.) (Fn. 95), S. 596. 99  Hierzu M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, in: Festgabe für W. Kahl, Teil IV, Tübingen 1923, S. 5 f.; C. Schmitt, Verfassungslehre, unveränderter Nach­

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einer umfassenden rechtlichen Verpflichtung der gesetzgebenden Gewalt etabliert, weshalb in der späten Phase des Deutschen Reichs letztlich nur noch der Umfang der verbindlichen Kraft der Norm des Art. 150 I WRV, nicht aber mehr die prinzipielle Anerkennung einer unmittelbaren Geltungs­ kraft gegenüber der Legislative streitig war. Es bleibt damit festzuhalten, dass die gesetzgebende Gewalt bezüglich der naturschutzrelevanten Verfas­ sungsnorm des Art. 150 I WRV zumindest rechtlich verpflichtet war, einer ausblutenden Denaturierung dieses Rechtsinstituts, genauer: der institutio­ nellen Garantie der „Natur“, vorzubeugen und entgegenzuwirken. Auch wenn sich bei der relativen Annahme eines institutionellen Verfassungs­ rechtssatzes damit eine umfassende Rechtspflicht zu entsprechenden gesetz­ geberischen Aktivitäten auf dem Gebiet des heimatlichen Naturschutzes nicht ergab, so wirkte die hier zur Untersuchung stehende Bestimmung des Art. 150 I WRV doch wie die konstitutive Vorgabe eines Schutzniveaus, das praktisch nicht unterschritten werden durfte.100 bb) Die Bindung der Verwaltung und der Rechtsprechung Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der unmittelbaren Anwendbar­ keit der Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV. Mit anderen Worten stellt sich noch die Frage, inwieweit diese Vorschrift auch ohne eines Ausgestal­ tungsakts des parlamentarischen Gesetzgebers einer unmittelbaren Anwend­ barkeit für die Exekutive und die Judikative als nachrangige Gewalten zu­ gänglich war. Hierzu muss die Struktur des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung genauer betrachtet werden. Der Grundrechtsteil der Wei­ marer Konstitution beinhaltete neben Grundrechten auch eine Vielzahl von Vorschriften, die niemandem ein „Recht“, d. h. ein subjektives Recht verlie­ hen, sondern nur Recht im objektiven Sinne darstellten. Darunter gab es dann wieder Rechtssätze im engeren und strengen Sinne, d. h. Normen mit sofortiger und aktueller Wirksamkeit und bloße Rechtsgrundsätze und Pro­ gramme, also Normen, die so wie sie in der Weimarer Reichsverfassung druck der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 170  ff.; ders., in: G. An­ schütz / R. Thoma (Hrsg.) (Fn. 85), S. 595 f. (die Unterscheidung von Institutsgarantie und institutioneller Garantie hervorhebend); zu dieser Grundrechtstheorie der Insti­ tutsgarantien auch Ch. Gusy (Fn. 11), S. 277 f. 100  Offen bleibt die Frage, ob die Gesetzgeber verpflichtet waren, besondere Na­ turschutzvorschriften zu erlassen. Angesichts des Umstandes, dass die institutionelle Garantie der „Natur“ für ihre praktische Wirksamkeit besonderer Naturschutznormen nicht bedurfte, ist dies wohl zu verneinen. Andererseits kann dies aber insoweit wiederum in Zweifel gezogen werden, als die institutionelle Garantie neben den (staatlichen) Einrichtungen des Naturschutzes auch den dazugehörigen Normenkom­ plex gewährleistete. Gerade dann erscheint es aber denklogisch, auch entsprechende spezifische Naturschutznormen zu verlangen.



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standen, nicht unmittelbar anwendbar waren und somit der Aktualisierung durch den parlamentarischen Gesetzgeber als oberstem Souverän bedurf­ ten.101 Die Staatsrechtslehre stand demnach vor der schwierigen Aufgabe, die verschiedenartigen Grundrechte auf ihre rechtlichen Wirkungen zu un­ tersuchen. Dabei blieb weithin die Auffassung maßgebend, die in jedem Einzelfall anhand Wortlaut, Sinn und Zweck des einzelnen Grundrechtssat­ zes überprüfte, ob er Positivität und Aktualität oder lediglich Richtlinienbzw. Programmcharakter besaß.102 Jedoch entzog sich die hier in Frage stehende naturschutzrelevante Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV weitge­ hend eines umfassenden staatsrechtswissenschaftlichen Diskurses um ihre unmittelbare Anwendbarkeit. Es bestand vielmehr durchaus Einigkeit darin, dass diese dem objektiven Recht angehörende Vorschrift103 nur programma­ tischer Natur war104 und für ihre Anwendbarkeit eines legislativen Aktes benötigte. Der Norm fehlte deshalb als unverbindlichem Programmsatz die unmittelbare Geltungskraft.105 Es handelte sich lediglich um eine an die Legislative adressierte, diese rechtlich jedoch nur partiell verpflichtende Direktive, der ansonsten ausschließlich politische Bedeutung zukam.106 Al­ 101  G. Anschütz

(Fn. 13), S. 514; vgl. auch J. Krayer (Fn. 22), S. 109 f. (Fn. 13), S. 514 f.; K. Stern, Allgemeine Lehren der Grundrechte (III / 1) (Fn. 15), S. 124. 103  R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 94), S. 30  f.; C. Schmitt, in: G.  Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.) (Fn. 95), S. 594; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 272. In die­ sem Sinne formulierte der Staatsrechtler Carl Schmitt: „Für die geltende Reichsver­ fassung ergeben sich solche Ansprüche des Einzelnen, soweit es sich nicht um verfassungsgesetzliche Einzelbestimmungen handelt, nicht aus der Verfassung, son­ dern erst aus einem (…) Gesetz (…). Das gilt grundsätzlich für alle Ansprüche auf Schutz, Pflege und Fürsorge, die in den verschiedenen Bestimmungen des zweiten Hauptteils gewährt sind: (…) 150 (Denkmäler der Kunst, Geschichte und der Natur); (…) Diese Bestimmungen sind Richtlinien für den Gesetzgeber, im zuständigen Bereich auch für die Verwaltung und (die) Rechtspflege. Das Wort „Anspruch“ be­ weist nicht, dass hier unmittelbar rechts- oder gar klagebegründende (Leistungs-, Unterlassungs- oder Schadloshaltungs-) Ansprüche der Interessenten vorliegen.“ Letztlich gehörte die Vorschrift des Art. 150 I WRV zu der Kategorie des objektiven Rechts, aus denen der Einzelne keine subjektiv-öffentlichen Rechte geltend machen konnte. 104  A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100; J. Krayer (Fn. 22), S. 109; T. Adam (Fn. 91), ZfP 1998 (45), 20 (24); M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 31), S. 74; R. Scholz, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 29), Art. 20a Rn. 4. 105  A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 100; J. W. Hedemann (Fn. 59), S. 266; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 59; hinsichtlich dieser Kommentarstelle vermutend auch M. Kloepfer (Fn. 29), S. 306; R. Scholz, in: Th.  Maunz / G.  Dürig (Fn. 29), Art. 20a Rn. 4. 106  G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; F. Giese (Fn. 33), S. 311. Zur politischen Bedeu­ tung derartiger Programmsätze R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 94), S. 30, der dort aber auch schon von einer „rechtlichen Verpflichtung“ spricht. Dies 102  G. Anschütz

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lerdings wird eine derartige eindimensionale Sichtweise vor dem Hinter­ grund der intensiven grundrechtstheoretischen Aktivitäten der damaligen Weimarer Staatsrechtswissenschaft dem Anspruch wissenschaftlicher Kor­ rektheit nicht gerecht. Zum einen setzte sich in der späten Phase des Deut­ schen Reichs die mit der Rechtstechnik der Vermutung handhabbar gemach­ te Erkenntnis durch, wonach „die Jurisprudenz (…) von mehreren, mit Wortlaut, Dogmengeschichte und Entstehungsgeschichte vereinbaren Ausle­ gungen einer Grundrechtsnorm allemal derjenigen den Vorzug zu geben hat, die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet.“107 Zum anderen wandelte sich mit der Zeit aber auch das gene­ relle Verständnis hinsichtlich der unmittelbaren Geltung von im Grund­ rechtsteil der Weimarer Konstitution vorzufindenden Programmsätzen. Demnach wurde immer öfter die Ansicht vertreten, dass man auch solchen Normen „greifbare Rechtswirkungen abgewinnen (konnte), mindestens ein­ schränkende, meist aber auch positiv verpflichtende.“108 In diesem Sinne entschied das Reichsgericht dann auch bereits im Jahre 1927 hinsichtlich des Hamburger Denkmal- und Naturschutzgesetzes, dass dem Art. 150 I WRV nicht zu entnehmen war, dass entsprechende auf den Denkmalschutz gerichtete staatliche Maßnahmen zulasten des Eigentums Dritter gehen durf­ ten.109 Zudem war in der Weimarer Staatsrechtslehre aber auch eine sich im Vordringen befindliche Tendenz zu erkennen, die den im zweiten Hauptteil der Weimarer Konstitution verankerten Programmen nun generell eine un­ mittelbare Wirkung entnehmen wollte.110 Insoweit erklärte Erich Kaufmann zeigt, dass sich das Grundrechtsverständnis im Wandel befand, weshalb die Frage nach den rechtlichen Wirkungen der Bestimmung des Art. 150 I WRV nicht im Sin­ ne eines ausschließlich Geltung beanspruchenden Auslegungsergebnisses beantwor­ tet werden kann. 107  R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 94), S. 9; K. Stern, Allgemeine Lehren der Grundrechte (III / 1) (Fn. 15), S. 124. 108  R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 94), S. 14. 109  RGZ 116, 268 (273). Das Reichsgericht führte insoweit aus: „Nicht gesagt ist hier (durch die Norm des Art. 150 I WRV) aber, dass der Schutz auf Kosten Dritter ausgeübt werden dürfe. Wenn der Beklagte beim Denkmalschutz die Rechte Dritter beeinträchtigt oder verletzt, so muss er die gesetzlichen Folgen tragen.“ 110  Zu dieser aus damaliger Sicht „neueren“ Tendenz E. Kaufmann, Gesammelte Schriften, Bd. III: Rechtsidee und Recht, Göttingen 1960, S. 260 f.; R. Thoma, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 94), S. 14; R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht (Fn. 44), S. 265; C. Schmitt, in: G.  Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.) (Fn. 95), S. 604; M. Stolleis, Weimarer Republik und Nationalsozialismus (Fn. 15), S. 110; vgl. auch H. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung und Vorzugsaktien, Berlin u. a. 1924, S. 15 f.; A. Hensel, Die fünfte Tagung der Vereinigung Deutscher Staatsrechtslehrer (Mün­ chen, 23. – 26. März 1927), AöR 1927 (13), 97 (103 ff.); zur weiteren Entwicklung der Lehre von den Einrichtungsgarantien in der Weimarer Staatsrechtswissenschaft U. Mager (Fn. 96), S. 34 ff.; C. Mainzer (Fn. 68), S. 60 / 63 ff. Insoweit formulierte



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bereits im Jahre 1926 mit einer gewissen Weitsicht: „Die Tatsache, dass die Legitimationsanschauungen des Zeitalters und der deutschen Volksgemein­ schaft in diesem Abschnitt bezeugt worden sind, macht ihn so wichtig für den Juristen, der aus ihm für die Auslegung zweifelhafter gesetzlicher Be­ griffe und für die Anwendung der Gerechtigkeitsprinzipien die letztlich maßgebenden und leitenden Gesichtspunkte selbst da ablesen kann und soll, wo die einzelnen grundrechtlichen Sätze kein unmittelbar aktuell geltendes Recht geschaffen haben. Als Zeugnisse für die auch den Richter bindenden Legitimitäts- und Wertauffassungen sind daher auch diese Sätze von prak­ tisch juristischer Bedeutung.“111 Es kann deshalb, auch wenn sich diese Meinung bis zum Ende des Deutschen Reichs noch nicht ganz durchgesetzt hatte, die These aufgestellt werden, dass dann, wenn die grundrechtstheore­ tischen Bemühungen in der Staatsrechtslehre noch wenige Jahre hätten un­ gestört fortgesetzt werden können, sich die unmittelbare Geltungskraft der­ artiger Programme im Deutschen Reich etabliert hätte. So blieb die vollum­ fängliche rechtliche Verbindlichkeit der Norm des Art. 150 I WRV eine Mindermeinung112 und lediglich die Idee einer vordringlichen Tendenz.

Carl Schmitt hinsichtlich der naturschutzrelevanten Norm des Art. 150 I WRV aus­ drücklich: „Grundsätzliche, bereits für die Gegenwart richtunggebende (und in die­ sem Sinn aktuelle) Weisungen an alle staatlichen Instanzen. (…) Sie sollen in Ge­ setzgebung, (…), Verwaltung oder Justiz und nach Lage der Sache verschieden, als allgemeine, nach Möglichkeit zu beachtende Handlungs- oder Auslegungsgesichts­ punkte wirksam werden.“ Zum Ganzen unter Darlegung des damaligen Meinungs­ standes in der Weimarer Staatsrechtslehre und die hier angeführte Ansicht von Carl Schmitt wiederum bestätigend W. Eisenlohr, Die juristische Bedeutung programma­ tischer Bestimmungen in der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, Heidelberg 1932, S. 45 ff. / 63 f. 111  E. Kaufmann (Fn. 110), S. 260 f. 112  F. Giese (Fn. 33), S. 299; F. Poetzsch-Heffter (Fn. 35), S. 479; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (371). Albert Hensel: „Die Denkmalschutzorganisation muss aber schließlich zur vollen sachgemäßen Ausübung ihres Ermessens so konst­ ruiert sein, dass in ihrem Bereiche nicht nur die Erwägungen des Kulturschutzes, sondern auch sämtliche im einzelnen Fall von der Verwaltung zu berücksichtigenden Interessen (und namentlich die dem Kulturschutz entgegengesetzten Interessen) zu Worte kommen. Nur dann ist gewährleistet, dass sich die Schutzauswahl im einzel­ nen Fall ohne erhebliche Widersprüche mit anderen gleichfalls schutzwürdigen Ge­ bieten staatlicher Verwaltungstätigkeit vollzieht.“ (Hervorhebung bzw. Klammerzu­ satz im Original). Von der Justiz als Normadressatin ist bei Albert Hensel aber noch nicht (ausdrücklich) die Rede.

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II. Die reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches 1. Der demokratische Naturstaat von Weimar in der ideologischen Ausrichtungsspirale zwischen ökologischer Identität und restaurativem Heimatkult a) Die schwierige politische Ausgangslage für den staatlichen Naturschutz Die reale Staatsverfassung des Deutschen Reichs stand in Bezug auf den Ausbau der naturstaatlichen Systemimmanenz von Beginn an unter den Vorzeichen der für den Naturschutz als schwerwiegend zu bezeichnenden Folgen der Niederlage im 1. Weltkrieg sowie der Änderung der Staatsform hin zu einer parlamentarischen Demokratie, was eine grundlegende Neuaus­ richtung des Naturschutzes erforderlich machte.113 Während im Deutschen Kaiserreich noch ein Naturschutzklima herrschte, das von der Lobbyarbeit einzelner Pioniere des neuen Kulturfaches gegenüber dem obrigkeitsstaatli­ chen Exekutivapparat abhängig war, war es nun die Gesellschaft selbst, die nach dem verwirklichten demokratischen Prinzip die weitere naturstaatliche Entfaltung des Deutschen Reichs forcieren konnte.114 Carl Schmitt schrieb zu der Abkehr von dem unrühmlichen, provisorischen Staatstypus der kon­ 113  Siehe allgemein zur Ausgangslage des Deutschen Reichs O. Kimminich, Deut­ sche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., Baden-Baden 1987, S. 474 ff.; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 7.  Aufl., München 2013, S.  310  ff.; W. Frotscher / B.  Pieroth, Verfassungsgeschichte, 12.  Aufl., München 2013, S.  270  ff.; H. Schneider, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, in: J.  Isensee / P.  Kirch­ hof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 3 Rn. 1 ff. / 18 ff.; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 17 ff.; M. Stolleis, Weimarer Republik und Nationalsozialismus (Fn. 15), S. 74 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. V: Weltkrieg, Revolution und Reichserneuerung 1914–1919, Stuttgart u.  a. 1978, S.  673 ff.; F. Hammer (Fn. 22), S. 188; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten, Frankfurt a. M. 2011, S. 58. 114  Diese Aussage ist freilich in der nötigen Relativität zu betrachten. Auch im Deutschen Kaiserreich ging die Naturschutzidee von gesellschaftlichen Impulsen aus, die sich durch die Lobbyarbeit einzelner Naturschützer im korporativen Span­ nungsfeld mit dem obrigkeitlichen Staatsapparat mit der Zeit schließlich zu einer staatlichen Aufgabe verfestigten. Durch die Kategorie des materiellen Gesetzesbe­ griffs war die Volksvertretung an in die private Eigentumssphäre eingreifenden Natur- und Heimatschutzgesetzen beteiligt (hierzu nur E.-W. Böckenförde, Der Ver­ fassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Moderne Deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1914), Königstein 1981, S. 150 f.; vgl. auch K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S.  366 f.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt a. M. 1991, S. 162 f.). Durch den politischen Systemwechsel hin zu einer parlamentarischen Demokratie änderte



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stitutionellen Kaisermonarchie: „Alle bisher üblichen, unter der Vorausset­ zung des neutralen Staates stehenden Gegenüberstellungen, die im Gefolge der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auftreten und nur Anwen­ dungsfälle und Umschreibungen dieser Unterscheidung sind, hören auf. Antithetische Trennungen wie: Staat und Wirtschaft, Staat und Kultur, Staat und Bildung, ferner: Politik und Wirtschaft, Politik und Schule, Politik und Religion, Staat und Recht, Politik und Recht, die einen Sinn haben, wenn ihnen (…) getrennte, konkrete Größen oder Sachgebiete entsprechen, verlie­ ren ihren Sinn und werden gegenstandslos. Die zum Staat gewordene Ge­ sellschaft wird ein Wirtschaftsstaat, Kulturstaat, Fürsorgestaat, Wohlfahrts­ staat, Versorgungsstaat; der zur Selbstorganisation der Gesellschaft gewor­ dene, demnach von ihr in der Sache nicht mehr zu trennende Staat ergreift alles Gesellschaftliche, d. h. alles was das Zusammenleben der Menschen angeht.“115 Aus diesem Grund musste sich der neuartige Naturschutzgedan­ ke in dem selbstorganisatorischen politischen Klima nun der gesellschaft­ lichen Stoßkraft öffnen, um sich auch weiterhin als wichtiges Allgemeinin­ sich die Angewiesenheit auf den autoritär-korporativ bedingten Aktionismus und an dessen Stelle trat eine repräsentative Volksherrschaft. 115  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Nachdruck der 1. Aufl. (1931), 4. Aufl., Berlin 1996, S. 79. Für den Staatsrechtslehrer Carl Schmitt war der Weimarer Ge­ setzgebungsstaat der Beginn einer Wendung zum totalen Staat: „Die im Staat sich selbst organisierende Gesellschaft ist auf dem Wege, aus dem neutralen Staat des liberalen 19. Jahrhunderts in einen potentiell totalen Staat überzugehen. Die gewal­ tige Wendung lässt sich als Teil einer dialektischen Entwicklung konstruieren, die in drei Stadien verläuft: vom absoluten Staat des 17. und 18. Jahrhunderts über den neutralen Staat des liberalen 19. Jahrhunderts zum totalen Staat der Identität von Staat und Gesellschaft.“ (C. Schmitt, Hüter der Verfassung, ebd., S. 79). Siehe hier­ zu auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 69), S. 87. Diese Ansicht kann aber nicht überzeugen. Denn der Pluralismus, der für den parlamentarischen Gesetz­ gebungsstaat kennzeichnend ist, setzt gerade eine staatsfreie Sphäre des gesellschaft­ lichen Lebens voraus, weshalb in der Ansicht von Carl Schmitt ein innerer Wider­ spruch mithallt. Die Entwicklung zum totalen Staat daher relativierend E. R. Huber, Der Staat als Wirtschaftsstaat, Tübingen 1931, S. 25 ff.; H. Göppert, Staat und Wirtschaft, Tübingen 1924, S. 23 ff.; vor allem auch H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 76), Die Justiz 1930 / 31, 576 (602). Allgemein zu der Thematik um den totalen Staat W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt (Fn. 27), S. 467 ff.; P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 79 ff. Für den totalen Staat ist die folgende Begriffsbestimmung von Wolfgang Reinhard kenn­ zeichnend: „Die Volksordnung beruht auf der Einheit des Willens, die aus dem Bewusstsein rassischer Gleichartigkeit und eines gemeinsamen historischen Schick­ sals erwächst. Aber dieser Wille ist nicht die volonté généneral der Demokratie, sondern eine neue, totale Gemeinschafts- und Staatsgesinnung. Trotz eines gewissen privaten Handlungsspielraums für den Einzelnen gibt es keine individuelle Freiheit mehr im Sinne von 1789, sondern nur noch die totale Inpflichtnahme jedes Einzel­ nen für die Nation, die den privaten Charakter der Einzelexistenz aufhebt. Der An­ spruch des Staates ist ein totaler.“ (W. Reinhard, ebd., S. 470).

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teresse profilieren zu können, was vor allem nach einer Intervention bei den dem heimatlichen Naturschutz gegenüber abgeneigten Arbeitern und Ange­ stellten verlangte.116 Damit einher ging letztlich dann während der Dauer 116  So nur H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 137 / 156; D.  Lukaßen, Grüne Koalitionen, Siegburg 2010, S. 28; H. Röscheisen, Der Deutsche Naturschutzring, München 2006, S. 54; vgl. auch H. Fischer, 90 Jahre für Umwelt und Naturschutz – Geschichte eines Programms, in: Deutscher Heimatbund (Hrsg.), Bonn 1994, S. 17; relativie­ rend aber dagegen G. Wendt, Proletarischer Naturschutz in der Weimarer Republik – Der „Touristenverein ‚Die Naturfreunde‘ “ im Rheinland, Geschichte im Westen 2004 (19), S. 42  ff.; M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts (Fn. 31), S. 72; F.-J. Brüggemeier, Tschernobyl, 26. April 1986, München 1998, S.  116 ff.; J. Zimmer, Soziales Wandern. Zur proletarischen Naturaneignung, in: F.-J. Brüggemeier (Hrsg.), Besiegte Natur. Geschichte der Umwelt im 19. und 20. Jahr­ hundert, 2. Aufl., München 1989, S. 159 ff.; vgl. auch R. Hölzl, …ob und wieweit auch die Natur einen Schutz gegenüber dem Menschen verdiene, in: N. Mallach (Hrsg.), 100 Jahre kooperativer Naturschutz in Bayern, Laufener Spezialbeiträge 1 / 06, Laufen / Salzach 2006, S. 39; F. Schmoll, Erinnerung an die Natur (Fn. 28), S. 184 f.; insoweit auch W. Rollins, „Bund Heimatschutz“. Zur Integration von Äs­ thetik und Ökologie, in: J. Hermand (Hrsg.), Mit den Bäumen sterben die Men­ schen  – Zur Kulturgeschichte der Ökologie, Köln u. a. 1993, S. 157 Fn. 12 / 161. Nach der Ansicht von Gunnar Wendt war der proletarische Naturschutz obgleich der nicht zu bestreitenden bürgerlichen Dominanz auf diesem neuen Kulturfeld nicht nur eine unbedeutende Randnotiz auf dem Weg in eine naturstaatliche Moderne. Dem­ nach befand sich die Arbeiterschaft zwar in dem Dilemma, dass sie einerseits auf den industriellen Fortschritt mit Blick auf die Schaffung von Arbeitsplätzen ange­ wiesen war, der die heimatliche Natur in Mitleidenschaft zog. Andererseits führte aber gerade diese wirtschaftliche Expansionskraft zu einem gesteigerten Bedürfnis nach naturnahen Erholungsräumen, so dass vor allem die soziale Komponente von ganzen Staatsparks seitens des Proletariats befürwortet wurde. Für die proletarische Arbeiterschaft war der Umgang mit der Natur aber auch gleichsam eine sozialisti­ sche Frage, die einen neuen Menschen hervorbringen sollte, der sich mit der Dauer sukzessive von den kapitalistischen Fesseln befreien konnte. Neben dieser ideologi­ schen Sichtweise rückte der Naturschutzgedanke aber auch deshalb in das Blickfeld des Proletariats, da insbesondere die Wohnviertel der arbeitenden Klasse mit einer immissionsbelasteten Luftqualität zu kämpfen hatten. Als zu verhindernde industrie­ bedingte Naturzerstörung galt der Arbeiterschaft letztlich vor allem die Abholzung der Wälder, die im Sinne eines nachhaltigen Aufforstungskonzepts wieder erneuert werden sollten, sowie der Stein- und Braunkohleabbau mit seinen die heimatliche Landschaft verunstaltenden Auswirkungen. Untermauert wurde die kapitalismus­ feindliche Gesinnung durch den mobilisierenden Anspruch einer „Natur für alle“, was die sozialistischen Bestrebungen im Sinne einer das private Eigentum verge­ meinschaftenden Haltung bestätigte. Siehe zur nachhaltigen Aufforstungskultur der Wälder F.-J. Brüggemeier, ebd., S. 41 ff. / 59 ff.; zu dem damit in Zusammenhang stehenden Begriff der Kompensation A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, Tü­ bingen 1999, S. 116 f.; das dargestellte Problem um die immissionsbedingten Um­ weltverschmutzungen in den proletarischen Wohnvierteln wird genauer dargelegt von J. Radkau, Technik in Deutschland. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 1989, S. 207 f.; G. Wendt, ebd., S. 47 Fn. 31. Demgemäß richtete sich die zulässige Umweltbelastung nach der Ortsüblichkeit in einer Stadtzone, was sich



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des Deutschen Reichs die Ablösung des aus dem Deutschen Kaiserreich bekannten „Honoratioren-Naturschutzes“ durch einen „populären Natur­ schutz“,117 was sich auch in einer dem parlamentarischen Regierungssystem entsprechenden Ausbreitung von den Naturschutz repräsentierenden Partei­ politikern zunehmend äußerte.118 Die politischen Rahmenbedingungen stan­ den aber von Anfang an der weiteren Festigung des Naturschutzgedankens in der soziologischen Wirklichkeit negativ gegenüber, da sie eher eine wirtschaftsstaatliche Expansion als eine naturstaatliche Systemimmanenz angezeigt erscheinen ließen. Insbesondere die von den konkreten Sieger­ mächten aufdiktierten Bedingungen des Friedensvertrages von Versailles führten angesichts der auferlegten Reparationsleistungen zur Inbetriebnahme von neuen Steinbrüchen, zu weiteren Eingriffen in das natürliche Wasserre­ giment deutscher Flüsse sowie zum Neubau von Wasserkraftwerken, um den durch die Kohlereparationen ansonsten nicht mehr zu deckenden Strom­ bedarf des Deutschen Reichs zu gewährleisten.119 Daneben kam es infolge grundsätzlich zulasten der proletarischen Bevölkerungsschichten und zugunsten der wohlhabenden Wohnviertel auswirkte. Auch wenn der proletarische Naturschutz der unterklassigen Arbeiterschaft im Deutschen Reich gegenüber den von bürgerlicher Seite betriebenen Aktivitäten durchaus rückständig war, so zeigte er in der Gesamt­ betrachtung aber doch die mit der Zeit zunehmende Relevanz der sozialpolitischen Dimension des Naturschutzes an. Vgl. zu der geistig-kulturellen Kampfhaltung der proletarischen Naturschutztendenzen exemplarisch an der Entwicklung des Vereins die Naturfreunde auch A.  Upmann / U.  Rennspieß, Organisationsgeschichte der deut­ schen Naturfreundebewegung bis 1933, in: J. Zimmer (Hrsg.), Mit uns zieht die neue Zeit. Die Naturfreunde. Zur Geschichte eines alternativen Verbandes in der Arbeiterkulturbewegung, Köln 1984, S. 91 ff. 117  R. Hölzl (Fn. 116), S. 40  f.; vgl. auch K. Stern, Geschichtliche Grundlagen (Fn. 114), S. 397; E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 72), S. 781; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 290 f.; H. Röscheisen (Fn. 116), S. 59. Diese Entwicklung hin zu einem populären Naturschutz fand aber nur ganz allmählich statt. Auch im Deutschen Reich war die Komponente des den Natur­ schutz fördernden Bildungsbürgertums lange Zeit noch vorherrschend; siehe hierzu H. Behrens (Fn. 17), S. 26. 118  D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 30; R. Hölzl (Fn. 116), S. 40. Auch im Deutschen Reich blieb die Naturschutzaufgabe ein bürgerlich dominiertes Betätigungsfeld; so G. Wendt (Fn. 116), Geschichte im Westen 2004 (19), 42 (48). 119  Siehe hierzu H.-W. Frohn (Fn. 18), vgl. dazu auch H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 10; G. Wendt (Fn. 116), Geschichte im Westen 2004 (19), 42 (54); W.  Oberkrome, Deutsche Heimat, Paderborn 2004, S. 57; allge­ mein zu der schwierigen Lage des heimatlichen Naturschutzes nach dem Ende des 1. Weltkrieges F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 58 f.; H. Behrens (Fn. 17), S. 15 / 29; A. Hubel, Denkmalpflege und Naturschutz, in: ders. (Hrsg.), Denkmalpflege, Stuttgart 2006, S. 95 f.; H. Klose, Fünfzig Jahre Staatlicher Natur­ schutz (Fn. 90), S. 25; A. Andersen, Heimatschutz: Die bürgerliche Naturschutzbe­ wegung, in: F.-J. Brüggemeier (Hrsg.), Besiegte Natur, München 1987, S. 152 f.; vgl. auch C. Gurlitt (Fn. 30), Zeitschrift für Denkmalpflege 1926 / 27, 81 (81 f.); Charig,

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des genannten Vertragswerkes oder im Anschluss an Volksabstimmungen im Jahre 1921 zu empfindlichen Gebietsabtretungen mit eklatanten Verlusten auf dem Gebiet der heimatlichen Natur, was den kriegsbedingt entstandenen Siedlungsdruck auf die verbliebene Landschaft noch weiter steigerte.120 Der im Deutschen Kaiserreich gewachsene Naturschutzgedanke stand so zu Beginn des Deutschen Reichs im Schatten der nun oberste Priorität zukom­ menden Bewältigung der schweren Folgen des vergangenen Krieges, was bedeutete, „die Millionen Geflüchteten, Expatriierten und alten ehemaligen Soldaten zu reintegrieren, den Hunger zu bekämpfen, den Verfall der Wirt­ schaft und die Inflation zu beseitigen, die politische Instabilität in erträgli­ chen Grenzen zu halten, der Arbeitslosigkeit zu steuern.“121 Der damit einhergehenden Dringlichkeit in der Frage nach der Kultivierung der restli­ chen Naturflächen zu Wohn- und Gewerbezwecken stand der staatliche Naturschutz ohnmächtig gegenüber. In Preußen hatte dies Anfang der 20erJahre sogar zur Konsequenz, dass eine Abschaffung der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege in Erwägung gezogen wurde, die nach dem Tode ihres Gründungsvaters Hugo Conwentz im Jahre 1922 sowieso in den Ruf ihres teleologischen Überdauerns gekommen war.122 Auch wenn dieser po­ litische Übergriff auf die staatliche Naturschutzorganisation in Preußen vermutlich am sozialdemokratischen Widerstand innerhalb der Großen Ko­ alition scheiterte,123 so verdeutlichte er doch die prekäre Situation des Na­ turschutzes, der nun auf die Dynamik aus dem Deutschen Kaiserreich nicht mehr zurückgreifen konnte. Andererseits führte gerade diese Sinnkrise des staatlichen Naturschutzes im Spiegel des zunehmenden Kultivierungsdrucks zu einer Aufwertung der in der kaiserlichen Monarchie noch untergeordne­ ten sozialen Komponente des Naturschutzgedankens, der nun im Sinne eines extensiv betriebenen Freiraumschutzes auf die Schaffung von Erholungsräu­ men für die aus der Heimatidylle entflohene Stadtbevölkerung gerichtet war. Der mit der Zeit zusehends anerkannte Gebietscharakter des Naturschutzes Zum Entwurf eines Gesetzes über den Schutz der Denkmäler, DJZ 1927, Sp. 1405 f.; A. Stipproweit, Naturschutzbewegung und staatlicher Naturschutz in Deutschland – ein historischer Abriss, in: J. Calliess (Hrsg.), Handbuch Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung, Bd. I: Grundlagen, Düsseldorf 1987, S. 32 / 38; F. Hammer (Fn. 22), S. 124 f. / 188 f.; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 55 ff.; vgl. R. Pfister, Deutsche Denkmalpflege, Die Denkmalpflege 1932, 201 (203 f.). Aus­ führlich zum Versailler-Friedensvertrag M. Stolleis, Weimarer Republik und Natio­ nalsozialismus (Fn. 15), S. 86 ff. 120  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 125; G. Wendt (Fn. 116), Geschichte im Westen 2004, 42 (54); F. Hammer (Fn. 22), S. 124 f. / 188 f.; vgl. auch H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 10. 121  R. Schröder (Fn. 49), S. 56; vgl. auch F. Hammer (Fn. 22), S. 188. 122  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 128. 123  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 128 f.



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wurde auf diese Weise mit Blick auf den nachkriegstypischen Siedlungs­ druck zum Wegbereiter der raumordnungs- sowie bauplanungs- und damit raumbezogenen Bewältigung von planungsrechtlichen Gesamtkonzeptionen, wie es die naturschutzrelevante Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV mit dem Terminus der Pflege auch vorgesehen hatte.124 b) Die Dolchstoßlegende als Ansatzpunkt der Ideologisierung des Naturschutzes Mit der Niederlage im 1. Weltkrieg entstand im Deutschen Reich aber auch ein geistiges Klima, das für ideologiegetränkte Radikalisierungsten­ denzen zugänglich war. Insoweit kam eine ähnlich aktivierende Impulswir­ kung wie der in rechten Politikkreisen verlautbarten Dolchstoßlegende, die eine verbliebene militärische Kampfstärke simulierte,125 auch dem aus dem Deutschen Kaiserreich bekannten Begriff der Heimat zu, der nun zum Ideo­ logievehikel eines intensivierten nationalen Einheitsstrebens avancieren sollte.126 Die gedankliche Parallele zu der mystisch verklärten Dolchstoßle­ 124  Siehe hierzu bereits die Ausführungen im Rahmen dieser Naturstaatslehre hinsichtlich des Abschnitts zu der normativen Naturschutzverfassung des Deutschen Reichs 1. Teil, § 11 I. 2. a) bb). Zur Landesplanung auch Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.), Beiträge zur Naturdenkmalpflege, Bd. XV (1): Vierter Deutscher Naturschutztag in Berlin vom 8. bis 12. April 1931, Berlin 1932, S. 20 ff.; A. Wurzel, Naturschutz in Deutschland – eine Erfolgsstory?, Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege 75, Meckenburg 2003, S. 16. Die landesplaneri­ sche Bedeutung des sozialen Naturschutzgedankens wird auch unterstrichen von H. Behrens (Fn. 17), S. 29 / 38 f. „Eine allgemein für Preußen gesetzlich geregelte Pflicht für Behörden, den Naturschutz bei Planungen zu beteiligen, gab es bis zum Erlass des Reichsnaturschutzgesetzes (aber noch) nicht.“ (H. Behrens, ebd. S. 39). 125  D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte (Fn. 113), S. 321 ff.; M. Salewski, Das Weimarer Revisionssyndrom, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 2 (1980), S. 14 ff. Es bleibt zu erwähnen, dass erst die konkreten Erfahrungen im 1. Weltkrieg viele heimgekehrte Soldaten für das heimatliche Naturschutzanliegen sensibilisier­ ten; so etwa nur H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 10. 126  F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen: Naturschutz und Anti­ semitismus zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus, in: J. Radkau (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. u. a. 2003, S. 174 ff.; R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde?, Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart, München 1984, S. 193 ff.; vgl. dazu auch F. Hammer (Fn. 22), S. 196; A. Hubel (Fn. 119), S. 102 f. Willi Oberkrome (W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 57 f.) weist daraufhin, dass von den Länderregierungen bereits zu Beginn des Deutschen Reichs übereinstimmend der Entschluss gefasst wurde, die Heimatkunde als ein Fach der staatsbürgerlichen Erziehung im Unterricht der Elementarschulen behandeln zu lassen. Damit nahm der nationale Heimatkult bereits in der Schule seinen dynamischtriebhaften Ausgang. Siehe zur Bedeutung der Heimat für den schulischen Unterricht D. Peukert, Didaktik der Heimatgeschichte, in: K. Bergmann u. a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, 3. Aufl., Düsseldorf 1985, S. 310 ff.;

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gende äußerte sich indessen in dem Argumentationsmuster, wonach die deutsche Nation in den kriegerischen Schlachten die nötige Homogenität hat vermissen lassen, die sie zu noch wehrhafterer Durchschlagskraft getrieben hätte.127 In der konservativen Heimatschutzszene war das Ziel daher auf eine reinigende Kongruenz von prägnant abgesonderten Stammesgebieten und den ihnen zugehörigen ethnokulturellen Volksgruppen gerichtet, um aus der gelebten Konvergenz von Landschaft und dazugehörender Bevölkerung einen homogenen, föderalen Reichsaufbau entstehen zu lassen, der das his­ torisch diversifizierte Deutschtum quasi optimal in seinen Lebensraum ein­ passte.128 Die Heimatkategorie wurde auf diese Weise zur heilenden Ideolo­ vgl. zu diesem Problemkreis von Geschichte und politischer Bildung auch grund­ sätzlich H. Kelsen, Politische Weltanschauung und Erziehung, in: ders. u. a. (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1228 f. / 1231 ff.; H.-D. Schmid, Vorurteile und Feindbilder, in: K. Bergmann u. a. (Hrsg.), Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Seelze-Velber 1997, S. 319 ff.; vgl. auch H. Behrens (Fn. 17), S. 21 ff. 127  W. Hoppe, Heimatkunde und Staat, Naturschutz 1932 / 1933 (14), 141 (144); W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 56  ff.; vgl. auch R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde? (Fn. 126), S. 194 / 205. Willi Oberkrome schreibt hierzu: „Die Desillusionierung über die Effizienz des bislang verherrlichten Machtstaats aktualisierte (…) den Mythos des streitbaren Riesen Antaios. So wie dieser unbesiegbar blieb, so schien das deut­ sche Volk unüberwindlich zu werden, wenn es hinfort eine stetige, innige Verbin­ dung zu den Natur- und Kulturgütern der Heimat hielt. Die nach 1918 zum Durch­ bruch gelangende Heimatideologie lud sich vor diesem Überzeugungshintergrund tribalistisch auf.“ (W.  Oberkrome, ebd., S. 59). 128  W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 60. Die gedankliche Parallelität dieses heimatbe­ wussten Landschaftsidealismus zu einer Textstelle in der Integrationslehre von Ru­ dolf Smend ist praktisch unverkennbar. Im Rahmen der konkretisierenden Ausfüh­ rungen zu dem Wesen des Bundesstaates schreibt er: „Eine Bundesstaatstheorie (…) hat darzutun, wieso sinngemäß die Einzelstaaten im Bundesstaat nicht unvermeidli­ che Hypotheken auf der als Ideal zu wünschenden konsolidierten Einheitsstaatlich­ keit des Gesamtstaates, auch nicht lediglich in ihrem Ansichsein nützliche Neben­ einrichtungen und Entlastungen des Ganzen sind, sondern gerade eine positive Kraftquelle für das Ganze, in ihrer Selbständigkeit ‚gerade die Stärke des Reiches‘, und wie eben deshalb zugleich die Einordnung in das Ganze eine positive Wesensund Lebenserfüllung für die eingeordneten Glieder ist. (…) Der Kern liegt aber darin, dass die Einzelstaaten in einem gesunden Bundesstaat nicht nur Integrations­ objekt, sondern vor allem auch Integrationsmittel sind. (…) Als deutsches Beispiel mögen die erst hier und da genauer untersuchten Gegensätze der politischen Erfass­ barkeit der verschiedenen deutschen Landschaften genannt sein: die mit moderner staatsbürgerlicher, d. h. wesentlich städtisch bürgerlicher Gesellschaft, die vom mo­ dernen Nationalstaat auch als unitarischem ergriffen wird, und die mit Bevölkerun­ gen, die wesentlich durch andere, territorialstaatliche, konfessionelle Momente zu­ sammengehalten werden, für die daher der Einzelstaat die notwendige Integrations­ hilfe für das Reich ist. (…) Die Lehre vom Bundesstaat ist im letzten Grunde die Lehre von seiner (funktionalen) Legitimität.“ (R. Smend, Verfassung und Verfas­ sungsrecht, (Fn 44), S. 225 f.; Hervorhebung im Original). Eine zu starke Kritik hat



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gie einer zerrissenen industriekapitalistischen Welt, die mit ihren inneren Widersprüchen den Gegensatz zur harmonischen Naturlandschaft bildete, die als Abbild der sehnsüchtig herbeigesehnten Volkseinheit die deutsche Heimat idealtypisch und inhaltsreich repräsentierte.129 Mit der damit einher­ gehenden engen Verbindungslinie von Natur und Kultur wurde ein emotio­ nales Moment nationaler Identität geschaffen, das die naturnahe Kultur idealisierte, während sich parallel hierzu das Feindbild einer zivilisatori­ schen Realität projizierte, das als Bedrohungsfaktor des politischen Volks­ ganzen in Erscheinung trat.130 Damit wurde das wertbezogen untermalte Merkmal der Heimat zum völkisch-nationalen Idealtypus staatlicher Mobi­ lisierungspolitik, der in seiner immanent angelegten, zivilisationskritischen Eliminierungstendenz von andersartigen Lebens- und Denkmustern „zur kulturellen, sozialen und biologischen Integrations- und Ausgrenzungsideo­ logie“ avancierte, was parallelspurig in einem „Kampfbegriff gegen rassi­ sche Überfremdung und biologische Degeneration“ gipfelte.131 In diesen insoweit zu unterbleiben, da der Integrationscharakter eines föderalen Staatsaufbaus nicht zu leugnen ist. Es bleibt aber die wissenschaftliche Tatsache, dass dem von Rudolf Smend getätigten Rekurs auf die deutschen Landschaften im Rahmen seiner Bundesstaatstheorie im Lichte der teilweise radikal untermalten Heimatideologie das Mobilisierungspotential für einen den Föderalismus überwindenen Pakt mit dem Teufel innewohnt. Denn von einer föderalen Stammeslehre unter nationaler Identi­ tätsbehauptung ist der Weg zu einer Abgrenzungsideologie nicht mehr weit. In dem Sinne bezeichnete Rudolf Smend auch bestimmte Personen als integrationsuntaug­ lich; R. Smend, ebd., S. 145; hierzu auch H. Kelsen, Der Staat als Integration, Wien 1930, S. 51; R.  Ch. van Ooyen, Die Integrationslehre von Rudolf Smend und das Geheimnis ihres Erfolgs in Staatslehre und politischer Kultur nach 1945, JoJZG 2008, 52 (54); vgl. auch W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 160 ff.; a.  A. dagegen ausdrücklich D.-E. Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Tübingen 2004, S. 10 Fn. 37. 129  K. D. Sievers, Völkischer Heimatschutz, in: Kieler Blätter zur Volkskunde, Teil II: 1998 (30), S. 26 ff.; U. Linse, „Fundamentalisischer“ Heimatschutz. Die „Na­ turphilosophie“ Reinhard Falters, in: U. Puschner (Hrsg.), Völkisch und national, Darmstadt 2009, S. 159; R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde? (Fn. 126), S. 194 / 197 ff.: „Die Verschandelung von Stadt und Land ging unaufhaltsam weiter (…). Es dräng­ te sich der Eindruck auf, dass eine sehr elementare Kraft am Werke sein musste, die diese Zerstörung bewirkte.“ (S. 199). 130  K. D. Sievers (Fn. 129), S. 31; U. Linse (Fn. 129), S. 159; den ganzen Prozess der national-rassistischen Radikalisierung nachzeichnend R. P. Sieferle, Fortschritts­ feinde? (Fn. 126), S. 193 ff.; vgl. auch A. Andersen (Fn. 119), S. 152. 131  Siehe hierzu F. Schmoll, Erinnerung an die Natur (Fn. 28), S. 448 f.; ders., Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 174 ff.; in diesem Sinne auch U.  Linse (Fn. 129), S. 158; R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde? (Fn. 126), S. 194 ff.; vgl. zur Entwicklung der völkischen Ideologie in Europa seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch G. Hartung, Völkische Ideologie, in: U. Puschner (Hrsg.), Handbuch zur Völkischen Bewegung, München 1999, S. 22 f. Friedemann Schmoll fasste diesen völkisch-national und damit ideologisch untermal­

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weltanschaulichen Zusammenhang gehören auch die Staatsgebietstheorien, die im Sinne einer Raumlehre das Territorium als Projektionsfläche der staatlichen Herrschaft beschreiben und folglich heimatbezogen ideell aufla­ den. Die typische Folge ist dann die Annahme einer körperlichen Verwun­ dung der staatlichen Persönlichkeit, insofern es zu einem Gebietsverlust oder zu einer sonstigen Beeinträchtigung des staatlichen Herrschaftsberei­ ches kommt, wie es von Rudolf Kjellén und Carl Schmitt staatstheoretisch vertreten wurde. Der Staat bäumt sich quasi im Lichte der ideologisch ge­ tränkten Natur zu einer organisch getriebenen Maschinerie auf, die mit der Zeit auch den in der kaiserlichen Monarchie noch für den Aufbruch in eine naturstaatliche Moderne unter demokratischer Flagge stehenden und von dem restaurativen Heimatschutzgedanken zu trennenden Naturschutzgeist erfasste.132 Daraus resultierte dann ein andersartiges Gedankenmodell, das Friedemann Schmoll mit den inhaltsvollen Worten beschrieb: „Die Ideolo­ geme und Deutungsmuster des Naturschutzes, seine xenophobische Grund­ orientierung und seine Tendenz zur Naturalisierung des Gesellschaftlichen in der Idee der Heimat als naturhafter Ordnung, ließen antisemitische Inten­ tionen passgenau einfügen in ein Ideenkonglomerat, das als Mixtur darwi­ nistischer Ideen, idealistischer Geschichts- und Lebensphilosophie, Neuro­ mantik und ästhetischer Ideologie vielfältige politische, soziale und gesell­ schaftliche Intentionen zusammenbrachte.“133 Die naturstaatliche Entfaltung des Deutschen Reichs wurde demnach ideologisch von einem rückwärtsge­ ten Heimatkult in der Gestalt einer propagandistischen Ausgrenzungsparole mit den folgenden Worten zusammen: „Das diffuse Unbehagen der bürgerlichen Kulturkritik im Kapitalismus ließ sich nun durch die Verknüpfung antikapitalistischer Affekte und dem Stereotyp des jüdischen Kapitalisten mühelos reduzieren auf eine Reini­ gungsideologie. Aus einem kulturellen wurde ein völkischer Antikapitalismus.“ (F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.), ebd., S. 175). 132  F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 176 f.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 25 f. 133  F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 181; R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde? (Fn. 126), S. 194 ff. Rolf Peter Sieferle schreibt dazu: „Die Immobilität, die ‚Verwurzelung‘ der bäuerlichen Ahnen­ reihe auf ihrem Boden (der Heimat) waren Garant für Sittlichkeit und Zufrieden­ heit – für Werte einer konservativen Ordnung, wonach jeder das ihm Zustehende erhalten und die natürliche Ungleichheit der Menschen und ihrer Beschäftigungen staatlich in einem Ständesystem abgebildet werden sollte. Gegenbegriff dazu war der ‚entwurzelte‘ Städter, ohne Heimat und mit schlechtem, absterbendem Blut, ein En­ semble von Proletariat, Sozialdemokratie, Geld, Industrie, Materialismus und Juden­ tum – Fermente der Auflösung einer alten Ordnung, Kräfte, die letztlich ins Chaos führen mussten. Die uralte Bindung von Blut und Boden wurde als im Grunde un­ einnehmbare Festung gedacht, an der die Woge der Modernisierung zerschellen sollte.“ (R. P. Sieferle, Fortschrittsfeinde?, ebd., S. 203; Hervorhebungen einschließ­ lich des Klammerzusatzes im Original).



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wandten Heimatkult quasi überlagert, dem vor dem einschneidenden Hinter­ grund der schwierigen politischen Krisenlage radikale Triebtendenzen nicht abzusprechen waren, der aber das gewachsene Naturschutzanliegen auch nicht ganz absorbierte.134 Gleichwohl ist die weitere Entfaltung des Natur­ schutzgeistes im demokratischen Verfassungsstaat von Weimar nur im Spie­ gel der aufblühenden Heimatideologie verständlich, weshalb der als Nähr­ boden zu bezeichnende völkisch-nationale Einheitsmythos eines deutschen Reinheitsglaubens im Rahmen einer naturstaatlichen Systemuntersuchung gegenwärtig bleiben muss. Dass mit einem idealisierten Heimatkult quasi auch die Option eines plebiszitär-autoritären Diktaturregimes eröffnet wur­ de, bedarf keines weiteren Begründungsaufwandes. Die Kategorie der Hei­ mat und damit auch die deutsche Naturpräsenz wurden zum Identitätsstem­ pel der politischen Einheit des deutschen Volkes und ermöglichten so auch eine profunde Ausgrenzungspolitik im Sinne der Freund-Feind-Unterschei­ dung von Carl Schmitt.135 c) Die Naturschutzstrategien im Deutschen Reich als Fördergut heimischer Identitätsmystik und völkisch-nationaler Bestrebungstendenzen Die politischen Rahmenbedingungen, mit denen sich der Naturschutzbe­ lang nach der Niederlage im 1. Weltkrieg und den innerdeutschen Unruhen konfrontiert sah, verhießen anstatt einer naturstaatlichen Programmatik eher einen wirtschaftsstaatlichen Ausrichtungsschub, um mit dem Deutschen Reich das gesunkene deutsche Flaggschiff wiederaufzurichten.136 Der Na­ turschutz musste sich demgemäß mit der Frage nach seiner Existenzberech­ tigung auseinandersetzen, was weitergehende Naturschutzansätze von vorn­ herein ins Abseits stellte, insoweit sie eine administrative Ausweitung inten­ dierten.137 Andererseits war das politische System unter dem Dach der Weimarer Reichsverfassung nun auf eine demokratische Partizipation ausge­ richtet, so dass die gesellschaftliche Stoßrichtung auf dem Gebiet des Na­ turschutzes gleichwohl die legislative Fundierung weiter vorantreiben konn­ te.138 Die politische Situation zu Beginn des Deutschen Reichs indizierte 134  Vgl. F. Schmoll, Erinnerung an die Natur (Fn. 28), S. 30; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 64 f.; vgl. zu den organischen Triebtendenzen auch T. Adam (Fn. 91), ZfP 1998 (45), 20 (37 ff.). 135  Vgl. zur Ab- bzw. Ausgrenzungsdimension von damaligen völkischen Ideolo­ giemomenten G. Hartung (Fn. 131), S. 22. 136  H. Behrens (Fn. 17), S. 15; W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 64. 137  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 125  ff.; vgl. auch D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 27 f.; H. Behrens (Fn. 17), S. 26 f. 138  Hierzu nur H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 30 f. Tatsächlich sollte sich die legislative Verbreitung des Naturschutzgeistes als äußerst

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daher für den Naturschutzgeist eine Phase des defensiven Innehaltens, die aber durch parlamentarische Vorstöße turnusgerecht ergänzt werden sollte. Unabhängig davon war der Naturschutz angesichts des neuen parlamentari­ schen Regierungssystems in einer strategischen Ausrichtungsmühle ange­ kommen, da nur eine konzeptionelle Öffnung zu der selbstorganisatorischen gesellschaftlichen Sphäre ein allgemeines politisches Akzeptanzklima für die neuartige Staatsaufgabe schaffen und damit den dauerhaften Erfolg der gewachsenen Naturschutzidee sichern konnte. Dies war letztlich der initia­ tive Ansatzpunkt für die Herausbildung von öffentlichkeitswirksameren Naturschutzstrategien, von denen die in Preußen vorherrschenden Konzep­ tionsentwürfe von Walther Schoenichen und Hans Klose symptomatisch für das ganze Deutsche Reich werden sollten.139 Im Sinne eines auf die bil­ dungspolitische Komponente des Naturschutzbelangs abzielenden Organisa­ tionsmodells standen bei Walther Schoenichen als dem Nachfolger des im Jahre 1922 verstorbenen Hugo Conwentz als Direktor der preußischen Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege pädagogische und heimatkundli­ che Aspekte im Mittelpunkt der staatlichen Naturschutzarbeit, wie es durch die verfassungsrechtliche Verankerung der naturschutzrelevanten Norm des Art. 150 I WRV in dem mit der Überschrift „Bildung und Schule“ versehe­ nen vierten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung von dem pouvoir constituant auch vorgegeben worden war. Das Augenmerk lag daher schwerpunktmäßig auf Fragen der didaktischen Aufbereitung des Naturschutzprogramms für den Unterricht in der Schule und der damit ver­ bundenen Aus- und Weiterbildung pädagogischer Lehrkräfte, aber auch sonstiger fachkundiger Personen, die sich im Rahmen des dezentralen Na­ schwierig erweisen. Die Naturschutzbemühungen blieben insbesondere mit Blick auf das Schutzniveau eingeschränkt. Gegen Ende des Deutschen Reichs wurde deshalb immer mehr der Schrei nach einem heilsamen Reichsgesetz laut; in diese Kerbe schlug auch Walther Schoenichen; siehe hierzu W. Schoenichen, in: W. Weber / ders., Das Reichsnaturschutzgesetz, Kommentar, Berlin 1936, S. 7; H. Klose, Fünfzig Jah­ re staatlicher Naturschutz, ebd., S. 30 f.; vgl. auch F. Uekötter, Am Ende der Gewiss­ heiten (Fn. 113), S. 59. Albert Hensel (A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (351)) beschrieb die Bedingungen für eine demokratische Anerkennung der staatli­ chen Naturschutzaufgabe folgendermaßen: „Die durch Art. 150 gestellten Aufgaben lassen sich ohne sehr erhebliche Geldmittel nicht durchführen. Die ‚Gesellschaft‘ ist nicht imstande, diese Mittel aus sich heraus aufzubringen. Da sie im Haushaltsplan der beteiligten öffentlichen Körperschaften erscheinen, müssen sie eine Mehrheit der Mittel bewilligenden Parlamente hinter sich haben. Das durch diese Etatposten der Allgemeinheit auferlegte Finanzopfer muss seinem Kulturzweck adäquat erscheinen. Kulturposten im öffentlichen Haushalt sind in der Regel keine Notwendigkeit; wer­ den sie bewilligt, so müssen sie eine starke und einflussreiche Kulturgemeinschaft in den Parlamenten und in der Wählerschaft hinter sich haben.“ (Hervorhebung im Original). 139  Siehe hierzu H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 130 ff.



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turschutznetzwerks in Preußen engagierten.140 Daher nahm die Initiierung von Lehrgängen, Fortbildungen und Studienfahrten in dem Aufgabenspekt­ rum der Staatlichen Stelle für Naturdenkmalpflege einen weiten Betäti­ gungsraum ein.141 Daneben bemühte sich Walther Schoenichen aber auch um eine reichsweite Austauschplattform für den Naturschutzgedanken, wie sich an den mitunter auf seine Initiative zurückgehenden Deutschen Natur­ schutztagen zeigte, die in einem zweijährigen Turnus ab dem Jahre 1925 in München, Kassel, Dresden sowie Berlin stattfanden und zu einem hohen Diskursniveau zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Naturschutzver­ tretern beitrugen, wobei sich die angesprochenen Themen mit zunehmender Dauer auch auf landschafts- bzw. landesplanerische und umweltspezifische Fragen erweiterten.142 Diese dem liberalen Geist geschuldete stärkere Ein­ beziehung der Öffentlichkeit in den hoheitlichen Naturschutzvorgang änder­ te aber nichts daran, dass Walther Schoenichen eine konzeptionelle Neuori­ entierung des staatlichen Naturschutzes im Grunde nicht beabsichtigte, sondern in einem konservativen und heimatlichen Ansatz verhaftet blieb, was ihn in die Nähe deutsch-völkischer und rassenhygienisch ideologisierter Vorstellungen trieb.143 Für ihn sollte der staatliche Naturschutz auch weiter­ hin auf einem reaktionären und nicht auf einem mehr präventiv-gestalteri­ schen Konzept aufgebaut werden, was indessen dem zeitgemäßen Natur­ schutzgeist nicht mehr entsprach, so dass sich ab dem Jahre 1925 auch in Preußen von staatlicher Seite ein von der organisierten Naturschutzgesell­ schaft geforderter, erweiterter Ansatz durchsetzte, der den Naturschutz als Subdisziplin der entstehenden Landesplanung ansah, womit die soziale 140  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 130 f.; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschut­ zes (Fn. 20), S. 11; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 27 f.; H. Behrens (Fn. 17), S. 21 / 25 f.; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 28; A. Stipproweit (Fn. 119), S. 35; den pädagogischen Bildungs- und Erziehungsgedanken bezüglich des aufgekommenen Naturschutzgeistes bestätigend auch den umfassenden und in­ haltsreichen Aufsatz von W. Schoenichen, Naturschutz und Schule, in: ders. (Hrsg.), Wege zum Naturschutz, Breslau 1926, S. 192 ff. 141  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 131; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 29 f.; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 28; H. Behrens (Fn. 17), S. 25; A. Stipproweit (Fn. 119), S. 34. 142  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 132; H. Behrens (Fn. 17), S. 41; zu den Naturschutz­ tagen auch A. Wurzel (Fn. 124), S. 6 f.; H. Klose, Der Weg des deutschen Natur­ schutzes (Fn. 20), S. 12; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S.  39 f.; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 32; A. Stipproweit (Fn. 119), S. 34. 143  So H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 130; F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 177; H. Klose, Fünfzig Jahre staatli­ cher Naturschutz (Fn. 90), S. 28; W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 64 f.; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 28 / 33; A. Stipproweit (Fn. 119), S. 35; vgl. auch S. Körner / U.  Eisel /  A. Nagel, Heimat als Thema des Naturschutzes: Anregungen für eine sozio-kulturel­ le Erweiterung, in: Natur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (384 f.).

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Disziplin der Ausweisung von Naturschutzgebieten unter dem Gesichtspunkt der Volksgesundheit immer bedeutender wurde.144 Als Vertreter eines volks­ nahen Naturschutzes, der auch die großstädtischen Massen der Arbeiter­ schaft erfassen sollte, stellte sich dagegen Hans Klose als ein früher Ver­ fechter der sozialpolitischen Richtung des Naturschutzes dar, womit vor allem die Option von Naturschutzgebieten als Erholungsreservate für die Stadtbevölkerung in den Fokus rückte.145 Der ehemalige Schüler von Hugo Conwentz war geübt in der Klaviatur der Lobbyarbeit in einer pluralistischdemokratischen Gesellschaft, so dass seine Absicht auf eine strukturelle Reformierung der Naturschutzszene gerichtet war, um den in der frühen Phase des Deutschen Reichs nur marginalen politischen Druck auf diesem neuartigen Kulturgebiet mit der Dauer kontinuierlich zu erhöhen und damit die Idee der siedlungsgerechten Einpassung ganzer Naturflächen in der re­ alen Wirklichkeit näherzubringen.146 Es bedurfte also integrierender Impulse einer politischen Naturstaatsstruktur, die sich von der unteren bis zur oberen Ebene erstrecken musste, damit sich der geborene Naturschutzgeist im Sin­ ne der Integrationslehre Rudolf Smends in der soziologischen Realität unter Vermittlung des sachlichen Abwägungsfaktors der naturschutzrelevanten Verfassungsvorschrift des Art. 150 I WRV finden und stets in dem geistigen Gesamtzusammenhang manifestieren konnte. In diesem Sinne war deshalb eine Intensivierung der Mobilisierungsversuche der Öffentlichkeit angezeigt, was sich im Kontext der Naturschutzstrategie von Hans Klose in der Grün­ dung des dann unter seinem Vorsitz agierenden Volksbundes Naturschutz zeigte, der ab dem Jahre 1924 schließlich die Märkischen Naturschutztage in der Region Berlin-Brandenburg ausrichtete.147 Dies war jedoch nur ein erster Schritt auf dem Weg zu einer Selbstorganisation im Sinne eines auf dem demokratischen Prinzip basierenden Naturstaates, was sich in der Gründung des Naturschutzrings Berlin-Brandenburg verdeutlichte, dem ne­ ben staatlichen Naturschutzstellen mehrere Vereine aus dem Milieu des Natur- und Heimatschutzes sowie Jugend- und Landnutzerverbände ange­ schlossen waren.148 An diesem „Ringmodell“ lässt sich die in der Folge wiederholt angewandte integrative Konzeption aufzeigen, die Hans Klose 144  H.-W. Frohn

(Fn. 18), S. 134. (Fn. 17), S. 15 f.; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 28; G. Gröning / J.  Wolschke-Bulmahn (Fn. 91), S. 29. 146  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 213. 147  H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 26 / 46 f.; ders., Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 10 f.; H. Behrens (Fn. 17), S. 41 f.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 59 f. Die Märkischen Natur­ schutztage fanden im Jahre 1925 in Potsdam, 1926 in Eberswalde, 1928 in Frankfurt an der Oder sowie 1930 in Cottbus statt. 148  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 140; H. Behrens (Fn. 17), S. 42; dazu auch H. Röscheisen (Fn. 116), S. 58. 145  H. Behrens



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propagierte. Der Sinn dieses Modells war die Etablierung eines gesell­ schaftspolitischen Naturschutzebenensystems, das bildlich in drei konzentri­ sche Kreise eingeteilt war, wobei der innere Kreiskörper die staatlichen Naturschutzstellen repräsentierte, während der sie kegelförmig umringende mittlere sowie äußere Kreis für die organisierte bzw. nichtorganisierte Na­ turschutzgesellschaft stand. Auf diese Weise sollte letztlich eine starke Na­ turschutzfront entstehen, die im Rahmen des politischen Integrationsvor­ gangs auf allen Ebenen des staatlichen Lebens intervenieren und ihren Einfluss geltend machen konnte.149 Gleichzeitig wurde damit aber auch eine noch weitergehende mobilisierende Schubkraft des auf den heimatlichen Naturschutz programmierten Organisationskegels erwartet, die auch die unterste Arbeiterebene für ihre Zwecke sensibilisieren konnte. Das Natur­ schutzformat von Hans Klose war deshalb insgesamt auf ein anderes poli­ tisches Gewicht der neuartigen Kulturaufgabe gerichtet, um dem schutzwür­ digen Naturgut im Rahmen von etwaigen Abwägungsprozessen im Sinne einer praktischen Konkordanz zunehmendes Gehör zu verschaffen. Inwie­ weit letztlich die von Walther Schoenichen bevorzugte, schwerpunktmäßig pädagogische Konzeption bzw. das unmittelbar auf die Gesellschaft ausge­ richtete Partizipationsmodell von Hans Klose erfolggekrönt waren, ist nicht einfach zu beantworten. Hans-Werner Frohn vertritt in diesem Zusammen­ hang die Ansicht, dass beide Naturschutzstrategien scheiterten, da sich die Arbeiter und kleinen Angestellten gegenüber den völkisch-nationalen Erzie­ hungsversuchen im Sinne des primär konservativen Didaktikkonzepts von Walther Schoenichen als weitgehend unbelehrbar erwiesen und so den ver­ lockenden Angeboten der Massenkultur auch weiterhin erlagen, aber auch infolge der Tatsache, dass die politischen Milieu- und Lagergrenzen noch derart starr und unüberwindbar waren, weshalb die Mobilisierungskräfte des integrativen Kegelmodells von Hans Klose wirkungslos verpuffen muss­ ten.150 Dem kann nur bedingt zugestimmt werden. Der Naturschutzgeist 149  H.-W. Frohn

(Fn. 18), S. 136 ff. (Fn. 18), S. 156; W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 66 ff. Die von Wal­ ther Schoenichen infolge der Resignation und Ignoranz des Proletariats gegenüber dem Naturschutzgedanken gelebte Klagestellung wird an dem folgenden Zitat offen­ bar: „Es liegt dies zum Teil wohl daran, dass sich die Sucht nach dem Sensationel­ len und Jahrmarkthaften, die infolge des raschen Sinkens des gesamten Bildungsni­ veaus immer weitere Kreise beherrscht, durch Berichte über Angelegenheiten des Naturschutzes meist nicht voll befriedigt werden kann. Wenn wir unsere Elche dressierten, dass sie nach den Klängen des Saxophons sich in irgendeinem nigger­ haften Tanzschritt wiegten, wenn wir unsere Kolkraben so weit brächten, dass sie jeweils die neuesten Schlager aus dem Metropoltheater pfiffen, dann vielleicht könn­ ten wir der Anteilnahme des großen Publikums sicher sein.“ (W. Schoenichen, Na­ turschutz und deutsche Kulturpolitik, Naturschutz 1934 (14), 3 (19); W.  Oberkrome, ebd, S. 67). 150  H.-W. Frohn

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blieb in der praktischen Umsetzung im Deutschen Reich zunächst aufgrund der nachkriegstypischen wirtschaftlichen Prioritäten noch ganz in der klein­ flächigen, musealen Naturdenkmaldefensive verhaftet,151 wenngleich das organische Triebmoment des bereits grundsätzlich mit antidemokratischem Gedankengut belasteten Heimatschutzes im Lichte ideologisierter national­ völkischer Motive nach dem Schema der irrationalen Dolchstoßlegende seine Hand nach der ursprünglich abgetrennten Wissenschaftsdisziplin des Naturschutzes ausstreckte.152 Der mobilisierende Gedanke einer kraftschöp­ fenden Heimatquelle zeigte sich nun mit der Zeit auch in dem sozialpoliti­ schen Argument des Naturschutzes, womit die schon in der kaiserlichen Monarchie geborene Idee von ganzen Naturschutzgebieten in den Fokus des nationalen Interesses trat. Nur eine mit der deutschen Heimatidylle konfor­ me Natur- und Landschaftsgestaltung konnte demnach in einer das ange­ kratzte Nationalbewusstsein stärkenden Weise den Zusammenhalt des deut­ schen Volkes fördern.153 Mit diesem eine Eigendynamik indizierenden Stimmungsklima gingen die Naturschutzstrategien zwar nicht vollständig, aber doch eine sichtbare Allianz ein, was sich an dem Heimatkundeunter­ richtsformat von Walther Schoenichen, aber auch dem mit Repräsentanten des ideologisierten Heimatschutzgeistes ebenfalls besetzten gesellschaftspo­ litischen Kegelmodells von Hans Klose verdeutlichen lässt. Es ging bei dem Naturschutz im Deutschen Reich um eine die Kriegsmisere ausgleichende Konservierung von nationalen Kulturwerten, was nach einem restaurativen Innehalten entsprechend der politischen Krise zu Beginn des demokratischen Verfassungsstaates von Weimar im Zuge des Siedlungsdrucks in raumord­ nungsrechtlicher Manier auf die soziale Disziplin eines gebietsbezogenen Erholungsnaturschutzes ausgeweitet wurde. Es galt daher eine pflegerische Symbiose mit den wirtschaftsstaatlichen Tendenzen zu erzielen, um das deutsche Volk im Sinne eines einheitlichen Nationalstrebens wiederauferste­ hen zu lassen. Dieses Weltklima flankierte als organische Triebfeder die staatliche Naturschutzarbeit, was sich schließlich auch in einer gesteigerten Durchschlagskraft des Naturschutzgeistes manifestierte, der nach der zeitli­ chen Zäsurlinie im Jahre 1925 damit zu einer Blütephase ansetzte. Dies zeigt insbesondere die in den letzten Jahren des Deutschen Reichs kontinu­ ierlich zunehmende Anzahl an Naturschutzgebieten, die in Preußen von 20‒25 im Jahre 1925 auf 400 im Jahre 1933 gestiegen ist.154 Die von Hans151  W.  Oberkrome

(Fn. 119), S. 64. die „ungemeine Popularität“ und das „starke() Durchsetzungsvermögen“ der insbesondere auch kämpferischen Heimatschutzbewegung weist auch F. Hammer (Fn. 22), S. 124 / 134 ff. hin, der aber letztlich die völkisch-nationale Ausrichtung des Heimatschutzes in die Betrachtung nur ganz marginal miteinbezieht. 153  Vgl. F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 174 ff. / 180 f. 152  Auf



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Werner Frohn vertretene Ansicht muss damit bei der Richtigkeit ihrer pes­ simistischen Grundhaltung in Bezug auf die Naturschutzstrategien der in Frage stehenden Protagonisten insoweit relativiert werden, als sie den ideologiegeladenen Heimatkult als organisches Triebmoment einer nationa­ len Identitätskurierung nicht hinreichend berücksichtigt. Mit anderen Worten war der Facettenreichtum des Naturschutzgeistes derart breit ausgestattet, dass er ohne weiteres als Einfallstor eines ideologisierten Missbrauchs agie­ ren konnte, was bei der Analyse seiner historischen Entfaltung beachtet werden muss. Auch wenn sonach mit Blick auf das spätere NS-Regime noch keine Lanze über den Naturschutz gebrochen werden kann, so ist aber doch zu erkennen, dass der antimoderne Heimatschutzgedanke die eigentli­ che Triebkraft für eine Symbiose mit dem Naturschutzgeist war ‒ und eben nicht umgekehrt. d) Der Naturschutzgedanke als organisches Triebmoment naturstaatlicher Expansion In staatstheoretischer Hinsicht bietet die reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reichs demnach einen Erkenntnisreichtum, der an dieser Stelle noch einmal zusammengefasst werden soll. Die diffizile politische Aus­ gangslage hatte unter dem Dach der Weimarer Reichsverfassung ein aufge­ heiztes Klima bereitet, das die immanenten antidemokratischen Tendenzen des Heimatschutzes hat aufblühen lassen. Auf diesem Wege wurde die heimatliche Natur der ideelle Identitätsbeweis einer geschlagenen Nation und damit zu einem die Massen mobilisierenden Urmoment, das mit einem organischen Triebverhalten im Sinne der naturalistischen Staatstheorie von Rudolf Kjellén erklärt werden kann. Der ideologisierte Lebensraum wurde demnach zur mobilisierenden Kraft des deutschen Volkes als dem anderen Element der Naturseite, was sich in einer nationalstaatlichen Expansion 154  Dies ergibt sich aus einer Zusammenschau der zahlenmäßig bezifferten Be­ funde bei L. Schnitzler, Naturschutz und Gesetz, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 90), S. 22 sowie M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 87. Der soziale Naturschutzgeist gegen Ende des Deutschen Reichs lässt sich zudem daran erkennen, dass im Jahre 1931 auf deutschem Boden insgesamt 500 Naturschutzgebiete verwirklicht waren, im Jahre 1935 schließlich dann sogar 700; hierzu nur L.  Sick, Das Recht des Natur­ schutzes, Bonn 1935, S. 21 Fn. 54; W. Weber, in: ders. / W. Schoenichen, Das Reichs­ naturschutzgesetz (Fn. 138), S. 24. Es wird noch zu zeigen sein, dass diese histori­ sche Erkenntnis umso bedeutender ist, als die reichspräsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 (RGBl. 1931, 279 (310)), die den staatlichen Naturschutz in der Spät­ phase des Deutschen Reichs erleichtern sollte, die soziale Kategorie von ganzen Naturschutzgebieten nicht privilegierte, d. h. diese auf die Volksgesundheit ausge­ richteten Schutzaktivitäten des Staates blieben unter dem vollen Entschädigungsvor­ behalt für Enteignungen nach Art. 153 II WRV stehen.

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entladen konnte. Eine derartige Tendenz wird letztlich sogar noch begüns­ tigt, wenn eine positive Verfassung im Sinne Carl Schmitts mit einer abso­ luten Bezugsgröße der politischen Einheit einen nicht anzutastenden und damit unverbrüchlichen Staatskern indiziert, der fortan als substantieller Selektionsparameter einer volksgemäßen Entwicklung agiert. Die Folge ist eine weltanschaulich verklärte staatliche Aus- und Abgrenzungsmaschine, die mit ihrer feindlichen Gesinnungsart gegenüber andersartigen Lebensund Denkstilen im Ausnahmezustand zu einer weit aufgeblähten staatlichen Diktaturgewalt werden kann, die auf den ideologisierten Heimatkult als Teilmoment der originär dezisionistisch festgelegten Legitimitätsquelle der politischen Einheit zurückgreift. Abgesehen davon agiert der Staat aber nach beiden staatstheoretischen Konzeptionen im Grunde als eine zentrale Regulierungsinstanz, die auf der Grundlage der durch den pouvoir constitu­ ant konkret bestimmten positiven Verfassung bzw. einer geographischen Naturpräsenz die soziologischen Triebmomente des sich zur Nation aufma­ chenden Volkes steuert und reguliert. Der Naturschutzbelang wurde deshalb im demokratischen Verfassungsstaat von Weimar unter ideologischer Fär­ bung zu einem politischen Topos, der in rechtliche Bahnen gelenkt und loyalisiert wurde, wobei die Legitimitätsidee der politischen Einheit den staatlichen Steuerungsprozess stets überragte. Nicht zu bestreiten war damit eine Tendenz zur zentralisierten Demokratie, die zwar eine geteilte, dann aber auf einzelne bestimmte Staatsorgane konzentrierte Staatsgewalt vor­ sah.155 Eine solche Ausrichtungsintention sah Hans Kelsen letztlich auch bei der Integrationslehre von Rudolf Smend, die seiner Ansicht nach auf ein autoritäres Staatssystem im Sinne eines politischen Konservativismus ge­ richtet war.156 Diese nichtpositivistischen Staatstheorien gründeten sich vor 155  Zur zentralisierten Demokratie nur P. Pernthaler (Fn. 115), S. 189 f. Friede­ mann Schmoll (F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 180) schrieb indessen hinsichtlich des Naturschutzgeistes: „Die Naturfrage förderte genauso Pluralisierungs- und Demokratisierungstendenzen der bürgerlichen Gesellschaft, wie sie später Autokratisierungstendenzen stützen sollte.“ Frank Uekötter (F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 67) spricht im Zusammenhang mit dem späteren NS-Regime davon, dass das Erstarken des Natur­ schutzes in dem Bündnis mit einem autoritären Staat wurzelte, der gegen eine wi­ derstrebende Gesellschaft in Stellung gebracht wurde. 156  H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 128), S. 76 ff.; zur politischen Theo­ rie des Konservativismus ders., AS (Fn. 1), S. 31 ff.; in diesem Sinne auch R. Ch. van Ooyen, (Fn. 128), JoJZG 2008, 52 (52 ff.); auch W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat. Hermann Heller und die staatstheoretische Diskussion in der Weimarer Republik, 2. Aufl., Baden-Baden 1983, S. 80 f.; a. A. dagegen etwa P. Badura, Staat, Recht und Verfassung, Der Staat 1977 (16), 305 (320 f.). Hans Kelsen sah den autoritär-diktatorisch untermalten Konservativismus von Rudolf Smend kritisch und verurteilte das scheindemokratische Konzept mit den Worten: „Und diese Atmosphäre ist erfüllt von einem unausgesprochenen Wohlwollen für die



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dem Hintergrund des Gedankens einer imperialistischen Staatsraison bzw. einer weltkriegsbedingten Resignation auf ein anderes Verständnis vom Staat, dem nicht nur ein erweitertes gemeinschaftliches Aufgabenspektrum zugrunde lag, sondern ebenso ein die Autorität des Staates betonendes Welt­ bild, um den staatlichen Herrschaftsapparat in politisch schwierigen Zeiten zu stärken. Die berechenbare und vorhersehbare Steuerungsfunktion des Rechts wurde demnach bewusst vernachlässigt, was spiegelbildlich eine zunehmende Machtdimension der Staatsgewalt zur Folge hatte, die im Spie­ gel ideologisierter Motivbündel noch an Intensität zunahm.157 Hierin lag letzten Endes dann auch der Grund für staatstheoretische Modellkonstrukti­ onen, die den Staat als lebendigen Organismus angesehen haben, der auf dem Staatsgebiet als einer räumlichen Plattform thronte und auf diese Wei­ se als Makroanthropos eine autoritätserhöhende persönliche Identität er­ fuhr.158 Die im Deutschen Reich zu beobachtende Entwicklung auf dem Gebiet des heimatlichen Naturschutzes ist für die Erarbeitung einer natur­ staatlichen Dogmatik deshalb von entscheidender Relevanz, da eine Ent­ ideologisierung zu einem physisch-biologischen Gebietsverständnis führt, ohne dass die materielle Dimension des Staatsgebietes vernachlässigt wird. Mit der naturschutzrelevanten Norm des Art. 150 I WRV wurde zum ersten Mal in der deutschen Verfassungsgeschichte dem staatlichen Territorium ein materieller Wertakzent beigelegt, nur dass dieser noch ganz in einem kultu­ rellen Kontext verhaftet war. Die Umweltprobleme von heute zeichnen sich aber gerade dadurch aus, dass sie eine mobilisierende Massenwirkung ent­ falten können, die etwa bei ölbedingten Wasserverschmutzungen bzw. einem alltäglichen Smogzustand gezielte staatliche Handlungsmuster heraufbe­ Diktatur, wenngleich Rudolf Smend im Gegensatz zu Carl Schmitt das Wesen des Staates doch nicht am reinsten in der Diktatur findet. Festzuhalten bleibt aber, dass für ihn der diktatorische Integrationswert Vorrang vor dem Verwaltungs- und Rechts­ wert hat. (…) Im Gegensatz zu der Monarchie liegt das Wesen der Demokratie in der möglichsten Ausdehnung der Aktivbürgerschaft, d. h. in Autonomie. (…) In Wirklichkeit bekämpft Rudolf Smend den Parlamentarismus, indem er die Demokra­ tie aber begrüßt. Letztere sei mit Diktatur vereinbar. (…) Letztendlich läuft die In­ tegrationslehre (daher) auf eine Republik mit dem Kaiser an der Spitze hinaus, auf eine Diktatur, die mit der Demokratie vereinbar ist, aber den Parlamentarismus ab­ lehnt (H. Kelsen, Der Staat als Integration, ebd, S. 76 f. / 80 / 83 f.). 157  Insoweit nur die nichtpositivistischen Staatslehren von Rudolf Kjellén, Carl Schmitt und auch Rudolf Smend. Zu der damit verbundenen Staatstheologie H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 128), S. 25  ff.; ders., Hüter der Verfassung (Fn. 76), Die Justiz 1930 / 31, 576 (623 ff.); M. Kraft-Fuchs, Prinzipielle Bemerkun­ gen zu Carl Schmitts Verfassungslehre, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 511 (521 Fn. 1 / 537 ff.); R.  Ch. van Ooyen (Fn. 128), JoJZG 2008, 52 (53); ders., Der Staat der Moderne. Hans Kelsens Pluralismustheorie, Berlin 2003, S. 192 ff. 158  Zur Organismustheorie H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 10 ff.; P. Pernthaler (Fn. 115), S. 76.

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schwören können, die auf eine unmittelbare Beseitigung der Gefahren ge­ richtet sind. Die Intensität der entsprechenden Staatsmaßnahmen hängt in­ dessen von der konkreten Ausformung der Umweltrisiken ab. Mit der Be­ zugnahme auf die Historie sollen damit in keiner Weise Bestrebungen einer Ökodiktatur159 unterstützt werden. Es soll aber hervorgehoben werden, dass sich die staatlichen Handlungsmuster vor dem Hintergrund einer Bedrohung der Natur in ihrem Verständnis als elementarem Wesensmoment der realen Staatsverfassung ähneln können, ein Befund, der mit Blick auf universale Momente der Geschichte im Auge zu behalten ist.160 2. Die naturstaatliche Organisationsstruktur des Deutschen Reiches a) Die Fortentwicklung zum selbstorganisatorischen Gesetzgebungsstaat Die hier beanspruchte Redewendung von naturstaatlichen Strukturen des Deutschen Reichs erscheint womöglich übertrieben, und vielleicht bedarf es eines erhellenden Rekurses auf die von Giambattista Vico angesprochene 159  Dazu M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Um­ weltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 68 ff.; ders., Droht der autoritäre ökologische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein, 1994, S.  42 ff. 160  Vgl. B. Guggenberger, Das Staatsziel Umweltschutz – Erster Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Umweltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 243; M. Kloepfer, Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 159), S. 45 ff.; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgeset­ zes, Stuttgart u. a. 1999, S. 162 ff. In der Literatur, aber auch in politischen Kreisen, wird deshalb neuerdings auch eine Renaissance des Begriffs der „Heimat“ für den Naturschutz diskutiert, um den seit den 1970er-Jahren einseitig ökologisch ausge­ richteten und technisch betriebenen Naturschutz um die sozio-kulturellen Argumen­ tationsmuster der Vergangenheit zu erweitern. Auf diesem Wege soll eine stärkere emotionale Mobilisierung der Gesellschaft für Umweltthemen erreicht werden; hierzu zusammenfassend U.  Linse (Fn. 129), S. 156 f.; Bund Heimat und Umwelt (Hrsg.), Dokumentation zum Symposium „Hundert Jahre für den Naturschutz – Hei­ mat und regionale Identität“, Bonn 2004; S. Körner / U. Eisel / A. Nagel (Fn. 143), in: Natur und Landschaft 2003 (78), S. 382 ff. Die Brauchbarkeit des Begriffs der Hei­ mat für den gegenwärtigen Naturschutz wird in der Wissenschaft durchaus differen­ ziert beantwortet; zustimmend R. Piechocki, Heimat und Naturschutz – Gefahren und Potentiale einer unauflöslichen Verbindung, in: Bund Heimat und Umwelt (Hrsg.), ebd, S. 38 ff.; H.-J. Schemel, Heimat und Naturschutz – ein Begriffspaar unter Spannung, in: R.  Piechocki / N. Wiersbinski (Hrsg.), Heimat und Naturschutz, Bonn 2007, S. 105 ff.; S. Körner / U.  Eisel / A.  Nagel, ebd., in: Natur und Landschaft 2003 (78), 382 (382 / 388); ablehnend dagegen U. Puschner, Die völkische Bewe­ gung im wilhelminischen Kaiserreich, Darmstadt 2001, S. 145 ff.; F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen, in: J. Radkau (Hrsg.) (Fn. 126), S. 180 f.; eine kurze Übersicht der heutigen Debatte um den emotionalen Idealcharakter des Hei­ matschutzes findet sich wiederum bei U.  Linse, ebd., S. 157 ff.



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Phantasie des Lesers, um das Gefühl des Erstaunens konstruktiv zu über­ winden. Die historischen Fakten, angelegt an den strengen Maßstab wissen­ schaftlicher Redlichkeit, zeigen aber eine reale Konstitution des Deutschen Reichs auf dem Gebiet des Naturschutzes an, die gegenüber den noch unter dem Eindruck der formalen Trennung von Staat und Gesellschaft stehenden verschiedenen Organisationsmodellen eines staatlichen Naturschutzes in der Deutschen Kaisermonarchie zumindest nicht rückständiger war, sich aller­ dings in legislativer Hinsicht einem rechtsstaatlichen Anforderungen genü­ genden Naturstaat immer mehr annäherte. Den Ausgangspunkt für diese Expansion eines naturgetreuen Gesetzesstaates bildete der politische Sys­ temwandel zu einer parlamentarischen Demokratie, der das Prinzip der ge­ setzgebenden Körperschaft grundlegend veränderte. Carl Schmitt beschreibt die funktionale Neuausrichtung des Parlaments mit den folgenden Worten: „Seine bisherige Stellung und Überlegenheit, sein Expansionsdrang gegen­ über der Regierung, sein Auftreten im Namen des Volkes, alles das setzte eine Unterscheidung von Staat und Gesellschaft voraus, die (aber) nach dem Sieg des Parlaments jedenfalls in dieser Form nicht mehr weiter bestand. Seine Einheit, sogar seine Identität mit sich selbst, war bisher durch den innenpolitischen Gegenspieler, den früheren monarchischen Militär- und Beamtenstaat, bestimmt.“161 Anders gewendet war die parlamentarische Volksvertretung innerhalb des autoritär-korporativen Verfassungsgebildes des Deutschen Kaiserreichs der relativierende Gegenpart des obrigkeitsstaat­ lichen Exekutivapparates der Krone, was sich in der realen Wirklichkeit in einer neutralisierten Stellung des Staates zu der Gesellschaft in Bezug auf Interventionen und Eingriffe ausdrückte.162 Demnach war ein Gesetz im materiellen Sinne nur legitim, wenn es unter Beteiligung der als Garantie­ instanz für die Freiheit und das Eigentum der Staatsbürger handelnden Volksvertretung zustande kam, was gleichsam ein öffentliches Interesse für das jeweilige Gesetzesvorhaben voraussetzen musste, damit es letztlich als gerechtfertigte Rechtsgrundlage für administrative Eingriffsmaßnahmen überhaupt in Betracht kommen konnte.163 Mit der Etablierung des demokra­ 161  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 115), S. 82; vgl. H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 31 f. 162  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 115), S. 77; vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 161), S. 31 f. 163  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 115), S. 75; E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie (Fn. 114), S. 150 f.; ders., Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 244 ff.; K. Stern, Die geschichtlichen Grundlagen (Fn. 114), S. 366 f.; K. Doehring, Allgemeine Staatsleh­ re, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 175 f.; I. Staff, Hermann Heller – Demokratische Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, JuS 1984, 669 (671). Der materielle Gesetzesbegriff war „eine besondere Eigentümlichkeit des deutschen Staatsrechts“ (so E.-W. Böckenförde, Der Verfassungstyp der konstitutionellen Monarchie, ebd.,

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tischen Prinzips durch die Weimarer Reichsverfassung änderte sich diese dualistisch ausgeformte Balancierungsstruktur zwischen Regierungs- und Gesetzgebungsstaat von Grund auf und an diese Stelle trat eine Selbstorga­ nisation der Gesellschaft, die parallel eine Politisierung der gesellschaftli­ chen Sphäre zur Folge hatte.164 Zudem stand nunmehr auch mit der Norm des Art. 150 I WRV nach dem verfassungspolitischen Willen des pouvoir constituant eine anleitende Naturschutzdirektive im Mittelpunkt des politi­ schen Integrationsprozesses, die den Volksvertretungen den verbindlichen Auftrag zum Schutz und zur Pflege der Natur erteilte. So wurden mit der verfassungspolitischen Entscheidung der Weimarer Nationalversammlung letztlich die normativen Bedingungen für die Staatsform einer naturstaatli­ chen Demokratie verwirklicht, deren Umsetzung den parlamentarischen Volksvertretungen obliegen sollte.165 b) Die legislative Tätigkeit der Landesgesetzgeber auf dem Gebiet des Naturschutzes Die Entfaltung eines modernen Staates zum Naturstaat kann nur im Rah­ men und nicht unabhängig von den rechtsstaatlichen Errungenschaften er­ folgen.166 Oft deutet sich eine derartige Wandlungstendenz im polizei- und sicherheitsrechtlichen Bereich an, was dem typischen Muster eines sich unterschwellig zu einem Naturstaat entwickelnden modernen Staatswesen entspricht.167 Auch die reale Verfassung des Deutschen Reichs stand in S. 151). Die parlamentarische Volksvertretung war demnach auf die sachlichen Ma­ terien beschränkt, die die individuellen Interessen der einzelnen Bürger, allen voran Fragen der Eingriffe in Freiheit und Eigentum, tangieren konnten, während staatli­ che sowie politische Fragen dem exklusiven monarchischen Verordnungsrecht vor­ behalten blieben. Der materielle Gesetzesbegriff kann als rechtsstaatliche Vorstufe der heute anerkannten Wesentlichkeitstheorie angesehen werden, wonach besonders wichtige Staatsentscheidungen regelmäßig unter Parlamentsvorbehalt stehen (so K. Doehring, ebd., S. 175 f.). 164  C. Schmitt, Hüter der Verfassung (Fn. 115), S. 78 ff.; ders., Legalität und Le­ gitimität (Fn. 69), S. 7 ff.; zum Gesetzgebungsstaat auch H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 15 ff. 165  Zu der Thematik Demokratie und Ökologie vorerst nur der grundlegende Bei­ trag von M.  Linke, Demokratische Gesellschaft und ökologischer Sachverstand, Kann die Demokratie die ökologische Krise bewältigen, oder brauchen wir eine „Ökodiktatur“?, St. Gallen 1991, S. 1 ff. 166  P. Pernthaler (Fn. 115), S. 12 f.; M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 140; J. Kölble, in: Do­ kumentation zur 9. wissenschaftlichen Fachtagung der Gesellschaft für Umweltrecht e. V.  in Berlin vom 8.  – 9.11.1985, Berlin 1986, S. 5 f.; M. Kloepfer, Zur Rechtsum­ bildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 46.



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Bezug auf das kulturdominierte Gebiet des Natur- und Landschaftsschutzes zunächst unter dem Eindruck einer umfassenden Betätigung der Landesge­ setzgeber.168 Darin kam nicht nur die dem Wesen der parlamentarischen Demokratie entsprechende Achtung des Primats des Gesetzgebers zum Ausdruck, sondern diese legislative Konkretisierung war auch in rechtsstaat­ licher Hinsicht notwendig. Denn angesichts des Umstandes, dass der Ver­ fassungsnorm des Art. 150 I WRV keine unmittelbare Eingriffsgrundlage für administrative Maßnahmen zu entnehmen war,169 wurden mit diesem ge­ setzgeberischen Fortschritt die nach dem anerkannten Grundsatz vom Vor­ behalt des Gesetzes für die naturstaatliche Entwicklung des Deutschen Reichs erforderlichen Rechtsnormen verwirklicht. Diesem von der Norm des Art. 150 I WRV intendierten Ausgestaltungsvorbehalt durch die legisla­ tive Gewalt wurde schließlich durch Vorschriften im Rahmen des Gefahren­ abwehrrechts genüge getan, wenngleich die erlassenen Gesetzesnormen des Landesrechts einem einheitlichen Realisierungsschema nicht untergeordnet werden konnten, d. h. manche Länder verwirklichten einzelne Naturschutz­ normen gesondert, während andere die naturschutzrelevanten Normen in sonstigen Gesetzen mit unterbrachten, was sich vornehmlich in Denkmalund Heimatschutzgesetzen niederschlug.170 Eine umfassende Naturschutzko­ difikation im Sinne einer „großen Lösung“ entstand zudem erst gegen Ende des Deutschen Reichs im Jahre 1931 durch das Reichsland Hessen, was als entwicklungsgetreues Abbild der naturstaatlichen Umbruchstendenzen ange­ sehen werden kann.171 Indessen blieb der Natur- und Landschaftsschutz bis 167  P. Pernthaler (Fn. 115), S. 12. Dieses naturstaatliche Entfaltungsgesetz ver­ deutlicht die zunächst dem Sicherheitszweck als dem fundamentalsten aller Staats­ zwecke dienende Ausrichtungsmotivation eines Naturstaates. Im Deutschen Reich war der Naturschutz anfangs noch kulturell-ästhetisch dominiert, weshalb es in erster Linie um die Abwehr der drohenden Gefahren für die bestehenden nationalen Kulturgüter ging. Mit der Zeit erweiterte sich aber das Interesse auch auf ökologi­ schere Beweggründe. 168  Hierzu die Übersicht der landesrechtlichen Bestimmungen bis in das Jahr 1928 bei A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 109 ff. Eine vollstän­ dige Aufstellung der im Deutschen Reich entstandenen Naturschutznormen findet sich bei W. Weber, in: ders. / W. Schoenichen, Das Reichsnaturschutzgesetz (Fn. 138), S.  125 f. Vgl. auch A. Stipproweit (Fn. 119), S. 38 f. 169  So G. Anschütz (Fn. 13), S. 695; F. Giese (Fn. 33), S. 311. 170  H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 8; ders., Fünfzig Jahre Staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 19; H. Behrens (Fn. 17), S. 28. 171  Die folgenden Gesetze wurden auf dem Gebiet des Naturschutzes während der Dauer des Deutschen Reichs erlassen, wobei manche Länder erst nach der Macht­ergreifung Adolf Hitlers am 31.01.1933 und damit schon im Dritten Reich auf dem Gebiet des Naturschutzes tätig waren: Anhalt: Naturschutzgesetz vom 14.06.1923; Braunschweig: Heimatschutzgesetz vom 17.09.1934; Bremen: Tier- und Pflanzenschutzgesetz vom 15.12.1922; Hamburg: Denkmal- und Naturschutzgesetz

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zu dem Ende des Deutschen Reichs weitestgehend Sache der Länder, da das Reich von der ihm durch die Vorschrift des Art. 150 I WRV zugewiesenen konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz praktisch keinen Gebrauch machte.172 Die legislative Wirklichkeit auf dem Gebiet des Naturschutzes vom 06.12.1920; Hessen: Naturschutzgesetz vom 14.10.1931; Lippe: Heimatschutz­ gesetz vom 17.01.1920; Lübeck: Denkmal- und Naturschutzgesetz vom 10.12.1921; Mecklenburg-Schwerin: Naturschutzgesetz vom 14.06.1923, Denkmalschutzgesetz vom 13.12.1929; Mecklenburg-Strelitz: Naturschutzgesetz vom 10.04.1924; Preu­ ßen: eine Vorschrift vom 08.07.1920 im Rahmen des Feld- und Forstpolizeigesetzes; Sachsen: Heimatschutzgesetz vom 13.01.1934. In Baden, Bayern und Württemberg waren noch vorkonstitutionell naturschutzrelevante Bestimmungen jeweils im Rah­ men des Polizeistrafgesetzbuchs erlassen worden. Auch in Oldenburg galt das Denk­ malschutzgesetz vom 18.05.1911 während der Zeit des Deutschen Reichs fort. Gleiches galt für das Hessische Denkmalschutzgesetz vom 16.07.1902 bis zu dem Erlass der „großen“ Naturschutzlösung im Jahre 1931. In Thüringen und Schaum­ burg-Lippe wurden im Deutschen Reich keine Naturschutzregelungen verwirklicht. Es fällt insgesamt auf, dass nach dem Jahr 1933 nur noch Heimatschutzgesetze re­ alisiert worden sind, was schließlich für die endgültige Heimatideologisierung des Naturschutzgedankens durch die Nationalsozialisten spricht. Zum Ganzen nur die umfassenden Nachweise bei A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S.  109 ff.; W. Weber, in: ders. / W.  Schoenichen, Das Reichsnaturschutzgesetz (Fn. 138), S. 125 f. 172  Siehe hierzu A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 106 ff.; vgl. auch E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. VI: Die Weimarer Reichs­ verfassung, Stuttgart u. a. 1981, S. 484; H. Klose, Der Weg des deutschen Natur­ schutzes (Fn. 20), S. 8. Dies änderte sich erst mit dem Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935, das schließlich dann sämtliche landesrechtliche Naturschutznormen außer Kraft setzte. Es war der ersehnte Rechtsakt, der die als unbefriedigend emp­ fundene, zersplitterte Rechtslage auf dem Gebiet des Naturschutzes heilsam über­ wand; in diesem Sinne W. Schoenichen, in: W. Weber / ders., Das Reichsnaturschutz­ gesetz (Fn. 138), S. 7; dazu ausführlich auch H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes, ebd., S. 12 ff. Die Anhänger des gewachsenen Naturschutzgedankens waren oftmals den rechten Parteien zugewandt, die das Deutsche Reich als zu schwach ablehnten und die spätere Errichtung des Dritten Reichs deshalb durchaus begrüßten. Nicht zu leugnen ist hierbei, dass gerade die sozialpolitische Komponen­ te des Naturschutzes, die sich in der Staatsparkidee ausdrückte, von den Nationalso­ zialisten nutzbar gemacht wurde, wie sich an der Präambel des Reichsnaturschutz­ gesetzes (RGBl. I 1935, S. 821) erkennen lässt, die mitunter lautete: „Die deutsche Reichsregierung sieht es als ihre Pflicht an, auch dem ärmsten Volksgenossen seinen Anteil an Deutscher Naturschönheit zu sichern.“ Siehe zu diesem Themenkomplex nur D. Blackbourn, „Die Natur als historisch zu etablieren“: Natur, Heimat und Landschaft in der modernen deutschen Geschichte, in: J. Radkau (Hrsg.), Natur­ schutz und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 2003, S. 67; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 33 ff.; M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts (Fn. 31), S. 77 ff.; M. Wettengel, Staat und Naturschutz 1906–1945, in: Historische Zeitung 1993 (257), 355 (379 ff.); A. Andersen (Fn. 119), S.  155 ff.; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 63 ff.; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 33 ff.; H. Röscheisen (Fn. 116), S. 60 f.; K. Ditt, Naturschutz zwischen Zivilisationskritik, Tourismusförderung und Umweltschutz. USA, England und



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entsprach so ganz dem normativen Ausgestaltungsbefehl der naturschutzre­ levanten Norm des Art. 150 I WRV, obwohl dies mit Blick auf den Um­ stand, dass sich manche Länder auch mit der Beibehaltung des vorkonstitu­ tionellen Rechtszustandes auf diesem Kulturgebiet begnügten,173 auch in Frage gestellt werden kann. Die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV enthielt gegenüber der gesetzgebenden Gewalt einen verbindlichen Hand­ lungsauftrag, wobei die Reichweite der unmittelbaren Geltung der Direktive in der Weimarer Staatsrechtslehre noch nicht konsensfähig war. Es ist dem­ nach davon auszugehen, dass eine Nichtbetätigung eines Landes insoweit nicht verfassungswidrig war, als die institutionelle Garantie der Natur durch Gesetzesnormen gewährleistet war, so dass die Existenz eines vorkonstitu­ tionellen Naturschutzregimes dem Verdikt einer etwaigen Verfassungswid­ rigkeit nicht ausgesetzt war. Anders ist dies aber für eine gänzliche Untä­ tigkeit eines Gesetzgebers zu beurteilen, wie es in den Ländern Thüringen und Schaumburg-Lippe der Fall war.174 Hier bestand die Gefahr einer an­ dauernden Nichtbeachtung der Natur, was dem naturschutzrelevanten Be­ achtensbefehl des Art. 150 I WRV widersprach. c) Naturstaatliche Verwaltungslehre und Gesetzestechnik Eine Darstellung der naturstaatlichen Organisationsstrukturen im Sinne einer rudimentär angelegten Verwaltungslehre ergibt in der Gesamtanalyse gegenüber den in der kaiserlichen Monarchie teilweise auch schon instituti­ onell angelegten Bestrebungen auf dem Gebiet des Naturschutzes einen verfestigten Befund, wenngleich sich weitere Fortschritte kaum erkennen lassen. Dies ist nicht unbedingt negativ zu bewerten, da die schwierige politische Ausgangslage zu Beginn des Deutschen Reichs den Naturbelang zunächst nachrangig erscheinen ließ, was auch wieder restaurative Gedan­ ken an die Abschaffung eines staatlichen Naturschutzes kurzfristig zur Deutschland 1860–1970, in: M.  Frese / M.  Prinz (Hrsg.), Politische Zäsuren und ge­ sellschaftlicher Wandel im 20. Jahrhundert – regionale und vergleichende Perspekti­ ven, Paderborn 1996, S. 520 ff.; T. Adam (Fn. 91), ZfP 1998 (45), 20 (24 f.). Zur NS-Herrschaft grundsätzlich auch R. Grawert, Die nationalsozialistische Herrschaft, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 4 Rn. 1 ff. 173  Dies gilt insbesondere für die Reichsländer Baden, Bayern, Oldenburg und Hessen. Vgl. hierzu nur F. Moewes (Fn. 59), S. 174. 174  Auf die gänzliche Untätigkeit des Reichslandes Thüringen weisen auch H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 8; ders., Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 19; H. Behrens (Fn. 17), S. 26; M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 87; ders., Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts (Fn. 31), S. 74 hin; vgl. auch R. Schröder (Fn. 49), S. 79.

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Folge hatte.175 Daher war die Aufrechterhaltung des status quo unter einer relativen Aufbruchstendenz durchaus ein Erfolg, der vor dem Hintergrund des Ausbaus des administrativen Naturschutzes nach dem Jahre 1925 im Deutschen Reich zusätzlich an Glanz gewann. Der Verwaltungsaufbau war damit weiterhin unsystematisch, was vor allem in dem unübersichtlichen, da in den einzelnen Ländern unterschiedlich ausgestalteten Kooperationsge­ flecht zwischen Staat und Gesellschaft begründet lag, das zumindest in den größeren sowie mittleren Staaten einem einheitlichen Verwaltungsapparat stets entgegenstand. Die Frage war insoweit nicht darauf gerichtet, ob an der staatlichen Aufgabenverwirklichung auf dem Gebiet des Naturschutzes womöglich Private beteiligt werden konnten, sondern ob diese den Kultur­ auftrag noch weitestgehend selbständig bewerkstelligen sollten.176 Demnach gab es im Deutschen Reich noch kein eigenes Ressort Naturschutz mit ei­ nem entsprechenden Ministerium für Naturschutz als oberster Naturschutz­ behörde.177 Zudem findet sich auch der Terminus der Naturschutzbehörde in den landesrechtlichen Naturschutzgesetzen noch nicht.178 Dafür waren aber in allen Ländern des Deutschen Reichs bei den jeweiligen Zentralregierun­ gen Referate für Naturschutz eingerichtet.179 Daneben bestanden mit Aus­ 175  H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 128; K. Ditt (Fn. 172), S. 520; vgl. auch W. Schoenichen, Naturschutz, Heimatschutz – Ihre Begründung durch Ernst Rudorff, Hugo Conwentz und ihre Vorläufer, in: H. W. Frickinger (Hrsg.), Große Naturforscher, Stuttgart 1954, S. 248; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 29; F. Hammer (Fn. 22), S. 189 f. /  198 / 211; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 55 ff. Exemplarisch für den schweren Stand des Naturschutzes im Lichte der politischen Krisensituation nach dem 1. Weltkrieg die Entwicklung in Preußen und Brandenburg bei H. Behrens (Fn. 17), S. 12 ff. 176  Diese noch aus dem Deutschen Kaiserreich bekannte Gesinnung veränderte sich mit der Dauer des Deutschen Reichs aber zunehmend. Der Natur- und Heimat­ schutz wurde als Identitätsmoment des deutschen Volkes immer wichtiger, was sich auch auf die staatliche Schutztätigkeit auswirkte. Den Höhepunkt dieser Entwick­ lung bildete dann schließlich die zweite präsidiale Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05.06.1931 (RGBl. 1931, 279 (309 f.)), mit der der Staat den nationalen Stellenwert des Natur- und Heimatschutzes gegen sonstige In­ teressen noch einmal hervorhob. 177  Vgl. hierzu nur W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation und Aufga­ ben der Naturdenkmalpflege, in: ders. (Hrsg.), Wege zum Naturschutz, Breslau 1926, S. 124; H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 106. 178  Im allgemeinen Sprachgebrauch war der Begriff der Naturschutzbehörde aber im Deutschen Reich anerkannt; vgl. hierzu nur Frhr. von Dungern, Fällt der Natur­ schutz unter den Begriff der Enteignung?, JR 1927, Sp. 646 ff.; K. Soelling, Eigen­ tumsbeschränkung und Enteignung nach der Reichsverfassung, JR 1928, S. 40 ff. Erst mit dem späteren Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 (RGBl. I 1935, S. 821) änderte sich dies auch offiziell, indem explizit die Errichtung von Reichsna­ turschutzbehörden vorgesehen wurde; vgl. A. Stipproweit (Fn. 119), S. 33; R. Schröder (Fn. 49), S. 82.



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nahme von kleineren Staaten, die den Naturschutz von vornherein ganz in den Dienstbereich eines Ministeriums stellten, in allen Ländern noch staat­ liche Stellen oder aber Verbände und Vereine der organisierten Naturschutz­ gesellschaft, die entweder im staatlichen Auftrage bzw. in enger Verbindung mit den zuständigen Regierungsinstanzen die Aufgaben des Naturschutzes pflegten.180 Insoweit sind zu nennen die Staatliche Stelle für Naturdenkmal­ pflege in Preußen, das Landesamt für Denkmalpflege in Württemberg, ein Denkmalrat in Lübeck und auch in Oldenburg, der Ausschuss für Denkmal­ pflege in Braunschweig oder jeweils eine eigene Denkmalschutzbehörde in Anhalt und Hamburg. Dagegen gab es an privaten Fürsorgepartnern, die teilweise als subventionierte Auftragnehmer für den Staat die Naturschutz­ pflicht erfüllten, den Landesausschuss für Naturpflege in Bayern, den Lan­ desverein Sächsischer Heimatschutz und den Badischen Landesverein für Naturkunde und Naturschutz.181 In Preußen, Bayern und Württemberg hatten sich zudem die dezentralen Netzwerke bestehend aus Komitees bzw. Aus­ schüssen obgleich vermehrtem Personalmangel bewährt, weshalb in diesen Ländern von einer straff durchorganisierten Naturschutzstruktur182 gespro­ chen werden konnte.183 Gleichwohl kam den genannten Stellen bzw. priva­ 179  W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 177), S. 120; für Preußen ausdrücklich B. Wolf (Fn. 90), S. 2. Diese Referate waren zum Teil bei den Ministerien für Volksbildung (z. B. in Preußen, Württemberg, Baden, Thüringen), bei den Ministerien des Innern (z. B. in Bayern, Sachsen, Oldenburg) und endlich bei dem Ministerium der Finanzen (z. B. in Hessen) eingerichtet. HansWerner Frohn (H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 86) weist insoweit auf den Umstand hin, dass der Naturschutz in seiner Geschichte mehrmals die Ressorts wechselte. 180  W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 177), S. 120; ders., Merkbuch der Naturdenkmalpflege, Berlin 1925, S. 10 ff.; S. Prager, in: Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.), Beiträge zur Naturdenkmalpfle­ ge, Bd. XV (1): Vierter Deutscher Naturschutztag in Berlin vom 8. bis 12. April 1931, Berlin 1932, S. 29. 181  W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 177), S.  120 f. 182  Die Naturschutzverwaltung im Deutschen Reich war von ihrer Leistungsfähig­ keit im europäischen Vergleich führend, wie eine niederländische Studie im Jahre 1931 belegte; so F. Uekötter, Umweltgeschichte (Fn. 20), S. 26 f. Felix Hammer (F. Hammer (Fn. 22), S. 223 ff.) kommt aber hinsichtlich der Denkmalschutzgesetz­ gebung zu dem Ergebnis, dass diese gegenüber denjenigen anderer Staaten weit schwächer ausgeprägt war. Für den Naturschutz ist diese Ansicht nicht aussagekräf­ tig, da der Naturschutzgeist im Deutschen Reich über die kleinflächige Naturdenk­ malvariante doch weit hinausging. 183  Hierzu W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 177), S. 122; Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), S. 317; H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 153 f.; F. Schmoll, Erinnerung an die Natur (Fn. 28), S. 161 ff. Als derartige Zweigstellen waren in Preußen entsprechend den Organisationsstrukturen im Deutschen Kaiserreich Provinzial-, Bezirks-, Kreissowie auch Ortskomitees vorhanden. Auf Provinzebene standen diese Komitees

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ten Verbänden sowie Vereinen noch keine Exekutivgewalt zu. Es handelte sich vielmehr lediglich um beratende und inventarisierende Funktionsträger, die Naturschutzmaßnahmen zwar vorbereiten, aber nicht vollziehen konn­ ten.184 Hierzu waren im Deutschen Reich vielmehr die allgemeinen polizei­ lichen Kräfte bzw. sonstige Verwaltungsstellen berufen, die das Naturschutz­ anliegen im Sinne einer effizienten Gefahrenabwehr durchführen konnten, wenngleich sich mit der Dauer auch innovativere Naturschutzkonzepte her­ ausbildeten, die auf eine planungsrechtliche Prävention unter Einbeziehung des gewachsenen Naturanliegens ausgerichtet waren.185 Abgesehen von unter der Führung eines Kommissars für Naturdenkmalpflege. Die Komitees bestan­ den aus Mitgliedern, die nicht nur ausschließlich dem Naturschutz zugeordnet wa­ ren, sondern es fanden sich hier auch Vertreter von sonstigen, insbesondere wirt­ schaftlichen Interessen. Ähnliche Strukturen wie in Preußen fanden sich auch in Bayern und Württemberg. 184  Ausdrücklich S. Prager (Fn. 180), S. 29; so auch im Hinblick auf die Staatli­ che Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 177), S. 124; H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 106. Für die sonstigen (staatlichen) Stellen in den anderen Ländern vgl. F. Schmoll, Erinne­ rung an die Natur (Fn. 28), S. 161 ff. Der pauschale Befund der vollständigen Nicht­ ausstattung mit Exekutivbefugnissen bedarf aber einer Relativierung. In diesem Sinne waren den Personen, die sich der staatlichen Naturschutzaufgabe annahmen, teilweise bereits Betretungsrechte hinsichtlich fremder Grundstücke eingeräumt, ohne die ein effizienter Schutz von Tier- und Pflanzenarten bzw. von ganzen Natur­ schutzgebieten nicht zu bewerkstelligen gewesen wäre: siehe hierzu etwa das Gesetz der Freien und Hansestadt Bremen über den Schutz heimischer Tier- und Pflanzen­ arten vom 15.12.1922, Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen 1922, S. 700; die Anhaltische Ministerialverordnung zur Ausführung des Naturschutzgesetzes vom 23.01.1924, Gesetzsammlung für Anhalt 1924, S. 1 f. / 5; Art. 28 und 29 des Hessi­ schen Naturschutzgesetzes vom 14.10.1931, Regierungsblatt 1931, S. 225; abge­ druckt auch bei L. Sick (Fn. 154), S. 102. Zu bedenken ist überdies, dass auch in­ soweit eine Ausnahme anzunehmen ist, als die Naturschutzaufgaben unmittelbar von einer (sonstigen) Behörde wahrgenommen wurden, wie es beispielsweise in den kleineren Staaten praktiziert worden war. Zu erwähnen bleibt, dass nach der Bestim­ mung des Art. 31 I des Hessischen Naturschutzgesetzes aus dem Jahre 1931 „Natur­ heger“ vorgesehen waren, denen bereits polizeiliche Befugnisse übertragen werden konnten. Als „Beliehene“ handelte es sich dabei um die ersten ausdrücklich mit Eingriffsbefugnissen ausgestatteten eigentlichen Naturschutzkräfte. 185  Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (317 f.); S. Prager (Fn. 180), S. 29 („Die Exekutive liegt bei den zuständigen Ministerien und den nachgeordneten Verwaltungsbehörden des Staates.“). Vgl. zur Landesplanung nur M. Wettengel (Fn. 172), Historische Zeitschrift 1993 (257), 355 (397); A. Wurzel (Fn. 124), S. 16; K. Ditt (Fn. 172), S. 529; Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.), Beiträge zur Naturdenkmalpflege, Bd. XV (1): Vierter Deutscher Naturschutztag in Berlin vom 8. bis 12. April 1931, Berlin 1932, S. 20 ff. Demnach war die Landesplanung gegen Ende des Deutschen Reichs in erster Linie freiwillig organisiert und wurde von Verbänden in Kooperation mit den zuständigen Naturschutzstellen durchgeführt (ebd., S. 21).



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diesem raumordnungsrechtlichen Fortschritt folgte die Gesetzestechnik der Naturschutzvorschriften im Deutschen Reich im Wesentlichen zwei Grund­ typen, die unterscheidbar als hessisches und preußisches Modell bezeichnet wurden.186 Das hessische System beruhte auf dem Gedanken eines dingli­ chen Naturschutzes, indem der Eigentümer aufgrund einer Klassierung sei­ nes Naturdenkmals grundsätzlich in der Verfügung beschränkt war und deshalb gegebenenfalls einen Entschädigungsanspruch besaß. Dagegen gründete sich das preußische Modell auf den Grundsatz der ästhetischen Polizei, so dass im Wege der Baupolizei etwaige Störungen unterbunden werden konnten, die eine Privatperson einem Landschaftsbild bzw. einem Naturdenkmal zufügte. Demnach war das an der Störermaxime orientierte preußische System insoweit gegenüber dem hessischen Modell verschieden, als der Eigentümer in der Verfügung prinzipiell frei blieb und nur die für die Allgemeinheit relevanten Störungen abgewehrt wurden, was zu einer die Entschädigungsoption regelmäßig ausschließenden geringeren Eingriffsin­ tensität führte.187 Im Grunde waren aber beide Systementwürfe geeignet, dem Belang des heimatlichen Naturschutzes nachzukommen. Während die nach dem hessischen Modell vorgesehene Klassierung durch Verwaltungsakt erfolgte, war die Schutzpraxis unter der preußischen Regelungstechnik durch allgemeine Anordnungen und Einzelverfügungen gekennzeichnet, wobei Erstere sich vor allem auf Tier- und Pflanzenarten unter Schutz stel­ lende Polizeiverordnungen bezogen.188 Effizienter waren aber bestimmte Einzelverfügungen, die eine Beeinträchtigung an einem konkreten Natur­ denkmal oder Landschaftsteil interessengerecht abwehren konnten.189 Dage­ 186  So nur K. Heyer (Fn. 62), S. 29; A. Kneer (Fn. 21), S. 19; vgl. auch A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (375 ff.). 187  K. Heyer (Fn. 62), S. 29; A. Kneer (Fn. 21), S. 19. Siehe auch zu der weite­ ren Unterscheidung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Schutz ebenfalls K. Heyer, ebd., S. 30 ff.; A. Kneer, ebd., S. 19. Hierzu August Kneer: „Die unmit­ telbare Anwendbarkeit gestattet das Einschreiten der Behörde im gegebenen Falle auf Grund des Gesetzes selber; sie sichert den Schutz am besten, trägt aber örtli­ chen Notwendigkeiten durch die allgemeine Gesetzesfassung weniger Rechnung. Die mittelbare Anwendbarkeit berechtigt nur eine andere Dienststelle, für ein grö­ ßeres oder kleineres Gebiet geltende Vorschriften zu erlassen (etwa Ministerien, Regierungspräsidenten, Bürgermeister usw.); hier kann individuellen Bedürfnissen vollkommener Rechnung getragen werden – vorausgesetzt, dass sich die maßge­ bende Behörde überhaupt zum Erlass eines Ortsstatuts, einer Verfügung oder dgl. versteht (…).“ 188  B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.), Wege zum Naturschutz, Breslau 1926, S. 148; K. Friedrichs, Naturschutz und Verunstaltung (Fn. 91), Gesetz und Recht 1921 (22), 63 (68); Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318). 189  B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 150.

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gen erwies sich die praktische Unterschutzstellung von Naturschutzgebieten als zum Teil langwieriges Verwaltungsdefizit. Angesichts des Umstandes, dass eine Klassierung nach dem preußischen System nicht vorgesehen war, kam es insoweit oft zu unverbindlichen Ausweisungen, die erst später durch Polizeiverordnungen oder Einzelverfügungen bestätigt wurden.190 Darin spiegelte sich anfangs noch die Distanz zu dieser auch sozialpolitisch mo­ tivierten Schutzkategorie, was sich aber mit der Dauer des Deutschen Reichs änderte.191 In Preußen wurde der Problematik dadurch begegnet, dass der Landrat als Polizeibehörde bis zur Abklärung, ob es sich tatsächlich um ein schutzwürdiges Terrain handelte, zunächst eine vorläufige Anordnung erlas­ sen sollte, die dann von dem jeweils zuständigen Regierungspräsidenten bestätigt wurde.192 Dabei wurden die staatlichen Behörden von den Natur­ schutzstellen unterstützt, die sich insbesondere als beratende Gutachter be­ währten.193 Dies zeigte Tendenzen eines formellen Integrationsprinzips an, was den administrativen Naturschutzzirkel in einigen Ländern zur effizien­ ten Vollendung brachte.194 d) Die Effizienz der tatsächlichen administrativen Naturschutzpraxis Eine Bewertung des Fortschritts einer naturstaatlichen Systemimmanenz innerhalb des intermediären Verfassungsgebildes des Deutschen Reichs kann letztlich nur erfolgen, wenn die tatsächliche Effizienz der administra­ tiven Naturschutzpraxis anhand empirisch nachweisbarer Fakten belegt werden kann. Im Deutschen Reich änderte sich zunächst die museale An­ schauung von Tieren und Pflanzen als Elemente des kulturwertbezogenen Auslesebegriffs des Naturdenkmals, was sich in mehreren Verordnungen zum Schutz von bestimmten Tier- und Pflanzenarten ausdrückte.195 Daneben 190  Vgl. B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 149 / 153 f.; K. Friedrichs (Fn. 91), Gesetz und Recht 1921 (22), 63 (68 f.). 191  Zur sozialpolitischen Stimmungslage auf dem Gebiet des Städtebaus in der Spätphase des Deutschen Reichs H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 141 f. 192  B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 149. Siehe aber auch grundsätzlich zu den Vollzugsdefiziten auf dem Gebiet des Naturschutzes in Preußen bzw. im Deutschen Reich W.  Oberkrome (Fn. 119), S. 68; D.  Lukaßen (Fn. 116), S. 27. 193  B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 149. 194  Zu der formellen Dimension des heute im Umweltrecht anerkannten Integra­ tionsprinzips W.  Kahl / K.  F.  Gärditz, in: R. Schmidt (Begr.) (Fn. 49), § 7 Rn. 38 f. 195  Exemplarisch seien an dieser Stelle nur die Anhaltische Ministerialverordnung zur Ausführung des Naturschutzgesetzes vom 23.01.1924, Gesetzsammlung für An­ halt 1924, S. 1; Lübeckische Verordnung betreffend den Schutz von Tieren und



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wurde aber weiterhin auch die klassische Naturdenkmalpflege betrieben, was Ludwig Sick im Jahre 1935 hinsichtlich des Erhebungsjahres 1931 für Preußen mit dem Befund „(…) einer fast unübersehbaren Fülle von Natur­ denkmälern (in der Hauptsache Bäume)“ dokumentierte.196 Außerdem ver­ wirklichten die für den Naturschutz im Deutschen Reich zuständigen Exe­ kutivstellen auch eine Vielzahl von Naturschutzgebieten.197 Während in Preußen um das Jahr 1925 gerade einmal etwa 20 solcher Schutzreservate vorhanden waren,198 stieg die Zahl bis zum Ende des Deutschen Reichs im Pflanzen vom 01.02.1924, Sammlung der lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1924, S. 28; Nachtrag vom 15.01.1927, Sammlung der lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1927, S. 3; Nachtrag zu der Verordnung vom 01.02.1924, betreffend den Schutz von Tieren und Pflanzen vom 15.01.1927, S. 3; eine entsprechende Vor­ schrift des Tier- und Pflanzenschutzes einschließlich konkreter Schutzlisten enthielt auch die aber in Gesetzesform ergangene Bestimmung der Freien und Hansestadt Bremen über den Schutz heimischer Tier- und Pflanzenarten vom 15.12.1922, Ge­ setzblatt der Freien Hansestadt Bremen 1922, S. 699. In den größeren und mittleren Staaten bestand die Problematik, dass es kein einheitliches Schutzniveau gab, son­ dern gemäß der Verwaltungsorganisation und der Zuständigkeit verschiedener Poli­ zeibehörden auch mehrere Schutzverordnungen mit unterschiedlichen Listen von geschützten Tier- und Pflanzenarten; vgl. hierzu für Preußen B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 148 f. Die rege Schutzbetätigung im Deutschen Reich auf dem Gebiet des Tier- und Pflanzen­ schutzes bestätigend L. Sick (Fn. 154), S. 21. Diese konkrete Tier- und Pflanzenarten unter Schutz stellenden Verordnungen sind aus heutiger Sicht gleichsam ein Beleg für die extensive Zerstörung der Natur durch den Menschen, da viele der damaligen Schutzobjekte gegenwärtig nicht bzw. kaum mehr vorhanden sind. Dies wird deut­ lich an der genannten Ausführungsverordnung für Anhalt, die an Vögeln etwa den Zwergsteißfuß, die Zwergtrappe, Adler, Bussarde, Falken, den Wasserschwätzer und den Eisvogel unter Schutz stellte. An Säugetieren waren beispielsweise der Sieben­ schläfer, der Gartenschläfer, der Baumschläfer oder der Baum- oder Edelmarder geschützt. Gleiches galt im Hinblick auf Pflanzen für die Hirschzunge, das Feder­ gras, die Blaue Schwertlilie, die Wassernuss, die ausdauernden Arten von Enzian oder aber die Silberscharte. Daran wird letztlich auch die ideelle Verbindung zu dem Begriff der Heimat evident. 196  L.  Sick (Fn. 154), S. 21. 197  Dazu H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 154 f.; L. Sick (Fn. 154), S. 21. Bereits während des 1. Weltkrieges ist es zu einer umfassenden Kultivierung von Mooren gekommen. Der Grund hierfür lag in der notwendigen Beschäftigung der vielen Kriegsgefange­ nen; zu dieser kriegsbedingten Kultivierung ebenfalls H.-W. Frohn, ebd., S. 119 f.; W. Schoenichen, Naturschutz, Heimatschutz (Fn. 175), S. 252 ff.; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 18; F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 59; H. Behrens (Fn. 17), S. 34 f. 198  L.  Schnitzler, Naturschutz und Gesetz, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 90), S. 22. Ludwig Sick (L. Sick (Fn. 154), S. 21) spricht in Bezug auf das Erhebungsjahr 1931 für Preußen von 22 durch Polizeiverordnung geschützten Naturschutzgebieten, wobei insgesamt aber bereits 178 Schutzreservate vorhanden gewesen sein sollen. Dies legt in der Folge den Schluss nahe, dass sich der zahlenmäßige Befund von Leo Schnitzler nur auf die verbindlich ausgewiesenen Naturschutzgebiete bezieht,

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Jahre 1933 auf 400 Naturschutzgebiete an.199 Im Jahre 1935 waren sogar bereits 700 Naturschutzgebiete auf deutschem Boden anerkannt worden, was gegenüber dem Erhebungsjahr 1931 einen Zuwachs von 40 % ausmach­ te.200 Außerdem zeigte sich aber auch ein grundsätzlicher Bedeutungswandel hinsichtlich des Naturschutzgedankens. Dieser war mittlerweile als ein ab­ wägungserheblicher Belang und damit als relevante Ausrichtungskomponen­ te der staatlichen Entwicklung erkannt worden, weshalb die ökonomischen Interessen und Zielvorstellungen immer öfter zurückstecken mussten.201 In diesem Sinne ist etwa der Bau eines Wasserkraftwerks im preußischen Krei­ se Herrschaft Schmalkalden im Hinblick auf die zerstörenden und verunstal­ tenden Einwirkungen abgelehnt worden, was kein Einzelfall war, sondern das öffentliche Anliegen des Naturschutzes wurde zunehmend zum Versa­ gungsgrund eines expandierenden Städtebauwesens.202 Die Gesinnung, die womit das angesprochene Verwaltungsdefizit in diesem Bereich (Fn. 190 / 192) be­ legt wird. 199  M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 87; ders., Zur Geschichte des Umwelt­ rechts (Fn. 31), S. 74 f. Im Jahre 1931 waren es in Preußen etwa 300 Naturschutz­ gebiete; so H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 32. Die Auflistung bei Walther Schoenichen (W. Schoenichen, Merkbuch der Naturdenkmal­ pflege (Fn. 180), S. 86 ff.) kommt dagegen für das Jahr 1925 schon auf ca. 330 Schutzgebiete, die auf deutschem Boden verwirklicht waren. 200  Im Vergleich W. Weber, in: ders. / W.  Schoenichen, Das Reichsnaturschutzge­ setz (Fn. 138), S. 24; L.  Sick (Fn. 154), S. 21 Fn. 54. Hans Klose (H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 14 f.) spricht dann noch von über 800 Naturschutzgebieten im Jahre 1940; so auch R. Schröder (Fn. 49), S. 83, der gleich­ sam die Anzahl an Naturdenkmälern im Jahre 1940 auf 50.000 beziffert. 201  Vgl. H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 146. Einige Beispiele hierzu etwa bei B. Schae­ fer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 148 ff. Ein ausdrucksstarkes Beispiel bietet ein Schreiben des Vorstandes des Reichsbahn-Betriebsamts Kempten (Allgäu) an den Stadtkreis Kempten (Allgäu) hinsichtlich des geplanten Naturschutzgebietes Hermannstobel. In diesem Schreiben teilt der Vorstand im Namen der Reichsbahn mit, dass von Seiten der Reichsbahn keine Erinnerungen gegen das Naturschutzgebiet bestehen, insofern damit keine besonderen Lasten verbunden seien. Die Reichsbahn behielt sich aber vor, von dem in ihrem Eigentum befindlichen Gelände schließlich freien Gebrauch zu machen, wenn es die Unterhaltung, die Erneuerung oder die Erweiterung ihrer Anlagen er­ fordere. Auch wenn dieser Schriftverkehr vom 02.02.1938 datiert, zeigt sich an diesem Beispiel der gewandelte Stellenwert des Naturschutzes. Der Naturschutz war in der Zwischenzeit als abwägungserheblich durchaus anerkannt; das Schreiben be­ findet sich im Stadtarchiv Kempten (Allgäu), Unterlagen zur Naturschutzgeschichte der Stadt Kempten (Allgäu). Siehe zur Rolle der Eisenbahnverwaltung in Bezug auf den Naturschutz auch H. Conwentz, Naturdenkmalpflege, in: R. Dittler (Hrsg.), Handwörterbuch der Naturwissenschaften, Bd. VII: Nagelflue – Pyridingruppe, Jena 1912, S. 41; vgl. grundsätzlich auch J. Krayer (Fn. 22), S. 75. 202  B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 151 ff.



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hinter dieser Naturschutzfassade steckte, wurde von Bernhard Schaefer mit den folgenden Worten zum Ausdruck gebracht, womit er vor allem auch die soziale Relevanz der Natur für den Menschen unterstrich: „Dem erzielten wirtschaftlichen Nutzen würde ein ebenso bedeutender wirtschaftlicher Schaden gegenüber gestanden haben, da der Zustrom der Besucher in gera­ dem Verhältnis steht zu der Eigenart und Schönheit der Landschaft, dazu noch ein sozialer, da Wanderer ohne Unterschied des Standes und des Geld­ beutels hier Erholung und Erquickung finden und an der schönen Natur sich erfreuen können. (…) Die Erkenntnis gilt es zu wecken, dass es sich (…) (bei dem Naturschutz) um bedeutende ethische und soziale Aufgaben han­ delt, dass es hohe ideale Ziele sind, denen wir nachstreben.“203 Damit blieb der aus dem Deutschen Kaiserreich bekannte Facettenreichtum des Natur­ schutzes erhalten, wenngleich immer mehr die Bedeutung der unberührten Natur für den erholungsbedürftigen Menschen in den Mittelpunkt rückte, was weiterhin durch die nationale Symbolkraft der Natur bestärkt wurde. Auch wenn mit dieser Erhaltungsabsicht der Natur notwendigerweise auch auf den Naturhaushalt ausgerichtete und demnach ökologischere Tendenzen zu erkennen waren,204 so war es aber insbesondere die soziale Dimension des Naturschutzes, die unter dem nationalen Identitätscharakter der heimat­ lichen Natur durchschimmerte.205 Dies wird mitunter auch durch das preu­ ßische Gesetz zur Erhaltung des Baumbestandes und Erhaltung und Freiga­ be von Uferwegen im Interesse der Volksgesundheit vom 29.07.1922206 203  B. Schaefer, Aus der Praxis der Naturdenkmalpflege, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 188), S. 152 / 157. 204  W. Schoenichen, in: W.  Weber / ders., Das Reichsnaturschutzgesetz (Fn. 138), S. 25; H. Küster, Die wissenschaftliche Botschaft der Umweltgeschichte für den Umgang mit Natur, Umwelt und Landschaft, in: W. Siemann (Hrsg.), Umweltge­ schichte, München 2003, S. 36 ff.; eher zurückhaltend M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 31), S. 76 f. 205  So auch K. Ditt (Fn. 172), S. 529; R. Schröder (Fn. 49), S. 74. 206  Preußisches Gesetz zur Erhaltung des Baumbestandes und Erhaltung und Frei­ gabe von Uferwegen im Interesse der Volksgesundheit vom 29.07.1922, Preußische Gesetzsammlung 1922, S. 213. Ausdrucksstark sind insoweit die folgenden Normen: „§ 4 (1) Soweit die Holznutzung von Baumbeständen der in § 1 gedachten Art zu­ gunsten der Gesundheit oder Erholung der Bevölkerung stärker als es nach forstwirt­ schaftlichen Grundsätzen und Vorschriften zulässig ist, eingeschränkt wird, ist von den Gemeinden oder Kreisen, in deren Interesse die Aufnahme des Baumbestandes in das Verzeichnis erfolgt ist, angemessene Entschädigung zu leisten. (…).“ „§ 7 (1) Für die Freigabe der Uferwege und, sofern das Grundstück bereits eingezäunt war, für die Kosten der Herstellung einer die übrigen Teile des Grundstücks gegen den Wanderweg abschließenden zweckentsprechenden Einfriedung ist Entschädigung zu gewähren.“ „§ 10 (1) Wer die in das Verzeichnis (§ 1) aufgenommenen Uferwege, sobald ihre Freigabe von der zuständigen Behörde (§ 6 I) verlangt ist, vorsätzlich einzäunt oder durch Beseitigung von Brücken oder Ziehung von Gräben oder in sonstiger Weise für den freien Wanderverkehr ungangbar macht oder sperrt, wird mit

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belegt, das während der Zeit des Deutschen Reichs zunehmend an Bedeu­ tung gewann.207 Der Sinn und Zweck dieses Gesetzes wurde in der Ausfüh­ rungsanweisung vom 14.12.1922 umfassend beschrieben und charakterisiert den Naturschutzzustand im Deutschen Reich inhaltsschwer: „Das Gesetz ist im Interesse der Volksgesundheit und der Siedlung ergangen. Es will der Großstadt- und Industriebevölkerung die Baumbestände erhalten, die als Lungen in den Großstädten noch vorhanden sind, die der arbeitenden Be­ völkerung in ihrer freien Zeit die Möglichkeit zum Aufenthalt in der Natur, zur Auffrischung der Nervenkraft, zum Lagern, zum Spielen, zum Wandern bieten können, die in Bade- und Kurorten den Erholungssuchenden schatti­ ge Wege und Sitzgelegenheiten gewähren sollen. Das Gesetz will sodann weiterhin der Bevölkerung ganz allgemein die Zugänglichkeit der Wasser­ flächen, der Seen, Flüsse, Kanäle, Bäche usw. erleichtern, um ihr die schö­ nen Erholungspunkte der Heimat zu erhalten und um die Wanderlust anzu­ regen und zu fördern. Wälder und Wasserflächen stehen in notwendiger Wechselbeziehung zu einer dichten Besiedlung.“208 An dieser teleologischen Konkretisierung zeigen sich damit einerseits Bestrebungen zu einer die Natur mit umfassenden Planungskonzeption, die überdies ein weitergehen­ des Verständnis der heimatlichen Natur als natürliche Lebensgrundlage in­ diziert. Nicht von der Hand zu weisen ist andererseits aber die hier zum Geldstrafe bis zu 5.000 Mark, im Unvermögensfalle mit entsprechender Haft be­ straft.“ (S.  215 f.). 207  Hierzu nur L. Schnitzler, Naturschutz und Gesetz, in: W. Schoenichen (Fn. 90), S. 18; H. Klose, Der Weg des deutschen Naturschutzes (Fn. 20), S. 8 f.; H. Behrens (Fn. 17), S. 29 / 41; R. Schröder (Fn. 49), S. 78 f.; M. Kloepfer, Zur Geschichte des Umweltrechts (Fn. 31), S. 75 f.; relativierend hinsichtlich der Anwendungsstringenz W. Schoenichen, Naturschutz, Heimatschutz (Fn. 175), S. 223; G. Wendt (Fn. 116), S. 55; zu diesem Gesetz auch Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (319 f.); A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (408 f.); W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Berlin 1931, S. 410; H. Klose, Fünf­ zig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 23: „zu den bisher für die Erhaltung von Teilen der heimatlichen Natur angeführten Gründe der Forschung und des Un­ terrichts sowie der Pflege der heimatlichen Eigenart und Schönheit gesellten sich bedeutsame sozialpolitisch-sozialhygienische Argumente“; G.  Gröning / J.  WolschkeBulmahn (Fn. 91), S. 29. Das preußische Baumschutzgesetz 29.07.1922 enthielt ein Klassierungsmodell nach hessischem Vorbild. Vgl. dazu auch Regierungsrat v. d. Lühe, Zusammenhänge anderer Gesetze mit dem kommenden Städtebaugesetz, PrVerwBl. 1926 (47), S. 523 ff. 208  Preußisches Ministerialblatt für Volkswohlfahrt 1923, S. 28. Jochen Zimmer (J. Zimmer (Fn. 116), S. 165), weist darauf hin, dass der proletarische Arbeitertou­ rismus in Frankreich im Vergleich zum Deutschen Reich viel mehr im Spannungs­ verältnis zu zentralen Orientierungen der organisierten Arbeiterbewegung stand. Demnach war das politische Klima für die Ausweitung der sozialen Naturschutzge­ bietsidee im Deutschen Reich förderlicher, was sich mit der Zeit schließlich an der stark ansteigenden Anzahl an ausgewiesenen Schutzgebieten zeigte.



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Bewusstsein kommende Verbindung von nationalem und sozialem Gedan­ kengut: beabsichtigt war nicht nur die Bewahrung der natürlichen Bedin­ gungen als unverbrüchlichem Identitätsstempel des deutschen Volkes, son­ dern dies wurde auch noch mit der Reservatsidee sozialpolitisch untermalt. Bei aller wissenschaftlichen Neutralität deutete sich somit bereits das spä­ tere NS-Regime an.209 3. Der objektive Geist der Naturschutzgesetze als idealtypischer Parameter eines Verfassungswandels im Lichte der naturstaatlichen Systemkonfiguration a) Das Phänomen des Verfassungswandels Die Verfassungsnorm, da auf höchster Stufe, entspricht der Eigenart des Rechts, die eigene Erzeugung, d. h. von generellen Rechtsnormen, zu be­ stimmen.210 Nach der ihr zugrunde liegenden politischen Idee findet sie in der Ist-Sphäre ihre faktische Entsprechung.211 Als delegierende Norm steht sie somit stets im Spannungsverhältnis mit der Verfassungswirklichkeit, was sich gleichsam in Fragen nach der richtigen Interpretation einer Verfas­ 209  Es ist die Symbiose der nationalen Natur und ihrer sozialen Bedeutung als Erholungsbecken für die Stadtbevölkerung, die eine derartige Schlussfolgerung zu­ lässt. Nationalsozialismus bedeutet Aufopferung des einzelnen Individuums für die Volksgemeinschaft und Fürsorge der Volksgemeinschaft für die Individuen (so J. Fest, Hitler. Eine Biographie, Hamburg 2007, S. 426 ff., v. a. 442 ff.). In diesen Kontext passt schließlich auch das Schlusswort des vortragenden Landesoberbaurats Dr. Stephan Prager auf dem Vierten Deutschen Naturschutztag in Berlin im Jahre 1931 (S. Prager (Fn. 180), S. 35 f.): „Die Landesplanung will der Gesamtwirtschaft dienen; sie rückt den Menschen in den Mittelpunkt aller Erwägungen. Der Mensch bedarf zur seelischen und körperlichen Gesunderhaltung der Natur und der Erhal­ tung der Heimat. Die Siedlung mit ihren Gärten und die Erholungsgebiete werden dem Nachwuchs wieder die Freude und die Wertschätzung der Natur vermitteln. So gilt denn für beide – für Landesplanung und für Naturdenkmalpflege – der von der Naturdenkmalpflege aufgestellte Leitspruch: Dienst an der Wissenschaft, Dienst am Volke und Dienst an der Menschheit.“ Eine national und sozial motivierte Naturdik­ tatur zulasten der privaten Eigentümer in der Spätphase des Deutschen Reichs wür­ de diesen Befund bestätigen. 210  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 234 / 253 ff. Zu den Funktionen einer Verfassung K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl., München 1984, S. 78 ff.; vgl. auch R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T. Ell­ wein / J.  Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Her­ ausforderung?, Baden-Baden 1990, S. 45 ff. 211  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 253 f.; E. R. Huber, Das Deutsche Reich als Wirt­ schaftsstaat (Fn. 115), S. 4.

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sungsnorm verfestigen kann.212 Ein Verfassungswandel ist eine Erscheinung, nach der „sich die Handhabung der Verfassungsnormen allmählich und un­ merklich dadurch ändert, dass den unverändert bleibenden Worten des Verfassungstextes ein anderer als der ursprüngliche Sinn beigelegt wird.“213 Entscheidend ist also eine gewandelte Bedeutungserkenntnis hinsichtlich eines vormaligen Wertakzents in der soziologischen Wirklichkeit, die sich in das ideelle Deutungsschema der geschriebenen Verfassung als der höchs­ ten positiven Norm einpassen lässt, ohne dass bereits ein heilsamer Akt des pouvoir constitué notwendig erscheint.214 Die Kategorie des Verfassungs­ wandels als staatsrechtlichem Gewohnheitsrecht entpuppt sich damit als relativierende Einsicht in eine notwendige Flexibilisierung der politischen Idee einer Kongruenz der normativen und realen Verfassung, weil sich in der soziologischen Realität stets Tendenzen abzeichnen können, die sonsti­ gen bzw. vielleicht auch nur weitergehenden gesellschaftlichen Strömungen ein relativ übergeordnetes Gewicht beimessen.215 In der naturschutzrelevan­ ten Verfassungsbestimmung des Art. 150 I WRV waren mit den unter staat­ liche Obhut gestellten Schutzobjekten des Naturdenkmals und der Land­ schaft zwar ästhetische Kulturwerte verankert worden, deren immanente bildungspolitische Relevanz verfassungssystematisch durch ihre Stellung im vierten Abschnitt des zweiten Hauptteils der Weimarer Konstitution unter­ strichen wurde.216 Die Aktivitäten auf dem Gebiet der geborenen Natur­ schutzidee waren aber gegen Ende der Deutschen Kaisermonarchie in der gesellschaftlichen Sphäre bereits derart stark ausgeprägt, dass ein Erkennt­ niswandel dieser sinntragenden Verfassungsbegriffe während der Dauer des Deutschen Reichs zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, zumal als Bedingung einer gewohnheitsrechtlichen Fortbildung der Verfassung auch eine nicht mehr zu vernachlässigende Konkretisierung eines Verfassungs­ rechtssatzes durch etwaige Normen unterhalb der Verfassungsebene in Be­ tracht kommen kann.217 212  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 253 f. / 285 ff.; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 210), S. 99 f. / 161; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht (Fn. 1), S. 173 f. / 182 f. 213  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 254; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 210), S. 160 f. 214  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 234 / 252 ff.; G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, Berlin 1906, S. 44. 215  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 234 / 252 ff. / 285 ff.; E. R. Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat (Fn. 115), S. 4. 216  Siehe hierzu bereits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 1. Teil, § 11 I. 1. 217  So P.  Lerche, Stiller Verfassungswandel als aktuelles Politikum, in: H. Span­ ner u. a. (Hrsg.), Festgabe für Theodor Maunz zum 70. Geburtstag am 1. September 1971, München 1971, S. 285 f.; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 210), S. 161. Diese Problematik zeigt sich insbesondere bei Verfassungsrechtssätzen, die



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b) Zwischen Dezisionismus und Normativismus – das Wesen des Rechts im Spiegel der Staatstheorien der Protagonisten der Allgemeinen Naturstaatslehre Die rechtstheoretische Frage nach dem Wesen des Rechts wird von den Vertretern der Allgemeinen Naturstaatslehre den verschiedenen staatstheo­ retischen Ansätzen gemäß nicht einheitlich beantwortet. Für den Dezisio­ nisten Carl Schmitt bildet die Entscheidung den Grundstein seiner Ansicht vom Recht, die einer Norm ein über den positiven Gehalt hinausgehendes materielles Moment verleiht und folglich etwas Neues, aus der Situation heraus Geborenes, darstellt, das als rechtspolitischer Zurechnungspunkt im Grunde das Wesen und den Inhalt einer Norm ausmacht.218 Nach diesem theoretischen Ansatz ist ein Naturschutzgesetz somit die zeitgerechte legis­ lative Projektion des subjektiven Naturschutzgeistes, dem eine situations­ gebundene Erkenntnis innewohnt und in diesem Sinne eine originäre Wert­ bildung aufzeigt. Dies wird anhand des folgenden Zitats von Carl Schmitt deutlich: „Den letzten Rechtsgrund aller rechtlichen Geltungen und Werte kann man juristisch in einem Willensvorgang, in einer Entscheidung fin­ den, die als Entscheidung überhaupt erst ‚Recht‘ schafft und deren ‚Rechts­ kraft‘ nicht aus der Rechtskraft von Entscheidungs-Regeln abgeleitet wer­ den kann. Denn auch eine der Regel nicht entsprechende Entscheidung schafft Recht. Diese Rechtskraft normwidriger Entscheidungen gehört zu jeder ‚Rechtsordnung‘. Demgegenüber müsste ein folgerichtiger Normati­ vismus zu der Absurdität führen, dass die normgemäße Entscheidung ihre Rechtskraft aus der Norm, die normwidrige Entscheidung dagegen ihre Kraft nur aus sich selbst, aus ihrer Normwidrigkeit schöpft!“219 Dem De­ zisionismus wird vorgeworfen, dass er aufgrund der Betonung der freien Entscheidung ein willkürliches Element enthält, was sich auch in der ver­ neinenden Haltung gegenüber der Existenz von übergesetzlichen Normen, die nicht ausschließlich auf den Akt einer bestimmten Rechtsetzungsinsti­

sich als staatsanleitende Direktiven erweisen, ohne aber von ihrem materiellen Ge­ halt über abstrakte Handlungsanweisungen hinausgehen zu können. Am Maßstab des Stufenbaus der Rechtsordnung ist ein Verfassungswandel ein geistiger Rückkopp­ lungseffekt „von unten“. 218  Siehe zum Dezisionismus von Carl Schmitt prägend C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934, S. 11 ff., v. a. S. 25 ff.; vgl. auch H. Ottmann, Carl Schmitt, in: K. Ballestrem u. a. (Hrsg.), Politische Philo­ sophie des 20. Jahrhunderts, München 1990, S. 63 ff.; R. Mehring, Macht im Recht – Carl Schmitts Rechtsbegriff in seiner Entwicklung, Der Staat 2004 (43), 1 (2 ff.). 219  C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Fn. 218), S. 21 (Hervorhebung im Original).

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tution zurückzuführen sind, zeigt.220 Eine politische Staatslehre wie die von Carl Schmitt führt demnach notwendigerweise zu einer Überbetonung der staatlichen Machtinstitution, die Grenzen nur in früheren Dezisionen erkennt, ohne auf die regulative Idee eines objektiven Geistes zu vertrau­ 220  Siehe hierzu H.  Lübbe, Theorie und Entscheidung, Freiburg 1971, S. 16 ff. / 21 f. / 27 f.; vgl. C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens (Fn. 218), S. 20 ff. / 24 ff. Allgemein zum politischen Dezisionismus A. Brodocz, Die politische Theorie des Dezisionismus, in: Politische Theorien der Gegen­ wart, Bd. I, Opladen 2009, S. 277  ff.; in rechtstheoretischer Hinsicht ergänzend H. Wendenburg (Fn. 73), S. 168 ff.; R. Mehring, Staatsrechtslehre, Rechtslehre, Ver­ fassungslehre: Carl Schmitts Auseinandersetzung mit Hans Kelsen, Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 1994 (80), S. 191 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung (Fn. 164), S. 15 ff.; H. Welzel, An den Grenzen des Rechts – die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln u. a. 1966, S. 6 f.; insoweit immer noch lesens­ wert P. Schneider, Ausnahmezustand und Norm. Eine Studie zur Rechtslehre von Carl Schmitt, Stuttgart 1957. Das Phänomen der Dezision muss vor dem Hintergrund der Entfaltung zu einer naturstaatlichen Systemimmanenz in einem weiteren Zusammen­ hang beleuchtet werden. Der auf dem Wesensmoment einer Legitimität vermittelnden Entscheidung des pouvoir constituant gegründete Staat im Sinne von Carl Schmitt beruht unter anderem auf dem konkreten Willensmoment von Jean-Jacques Rousseau, das dieser in seinem Contrat social dem Staat zugrunde legt (so nur M. Eichhorn, Carl Schmitts Verständnis des Staates als einer geschichtlichen Größe, München 2009, S. 16). Dies wird augenscheinlich, wenn die folgende Passage über den Gesellschafts­ vertrag von Jean-Jacques Rousseau (J.-J. Rousseau, Gesellschaftsvertrag, ins Deut­ sche übersetzt von H. Brockard, Stuttgart 2008, S. 18) betrachtet wird: „Wenn man also beim Gesellschaftsvertrag von allem absieht, was nicht zu seinem Wesen gehört, wird man finden, dass er sich auf Folgendes beschränkt: Gemeinsam stellen wir alle, jeder von uns seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste Richtschnur des Gemeinwillens; und wir nehmen, als Körper, jedes Glied als untrennbaren Teil des Ganzen auf. Dieser Akt des Zusammenschlusses schafft augenblicklich (…) eine sitt­ liche Gesamtkörperschaft (…), die durch eben diesen Akt ihre Einheit, ihr gemein­ schaftliches Ich, ihr Leben und ihren Willen erhält.“ Gegen diesen originären Ent­ scheidungsakt macht Georg Wilhelm Friedrich Hegel schließlich den Vorwurf der Willkür geltend. In seinen Grundlinien der Philosophie des Rechts schreibt er hierzu: „In Ansehung des Aufsuchens dieses Begriffes hat (Jean-Jacques) Rousseau das Ver­ dienst gehabt, ein Prinzip, das nicht nur seiner Form nach (…), sondern dem Inhalte nach Gedanke ist, und zwar das Denken selbst ist, nämlich den Willen als Prinzip des Staates aufgestellt zu haben. Allein indem er den Willen nur in bestimmter Form des einzelnen Willens (…) und den allgemeinen Willen nicht als das an und für sich Ver­ nünftige des Willens, sondern nur als das Gemeinschaftliche, das aus diesem einzel­ nen Willen als Bewusstem hervorgehe, fasste: so wird die Vereinigung der Einzelnen im Staat zu einem Vertrag, der somit ihre Willkür, Meinung und beliebige, ausdrück­ liche Einwilligung zur Grundlage hat, und es folgen die weiteren bloß verständigen, das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät zerstörenden Konsequenzen.“ (G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.), Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 255 f.). Es ist dies der Ausdruck des Umstandes, dass die subjektive Dezision von ihrem Wesen hinsichtlich der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit gegenüber dem objektiven Geist unterlegen ist.



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en.221 Dies wird anhand von Passagen aus der Schrift von Carl Schmitt mit dem Titel „Der Führer schützt das Recht“ aus dem Jahre 1934 evident, als der vorhersehbare und berechenbare Normativismus bereits als zerstö­ rendes Moment der politischen Einheit diskreditiert war.222 Der Führer „zeigte den Gegensatz eines substanzhaften, von Sittlichkeit und Gerech­ tigkeit nicht abgetrennten Rechts zu der leeren Gesetzlichkeit einer unwah­ ren Neutralität und entwickelte die inneren Widersprüche des Weimarer Systems, das sich in dieser neutralen Legalität selbst zerstörte (…). (…) Das Richtertum des Führers entspringt derselben Rechtsquelle, der alles Recht jedes Volkes entspringt. In der höchsten Not bewährt sich das höchs­ te Recht und erscheint der höchste Grad richterlich rächender Verwirkli­ chung dieses Rechts. Alles Lebensrecht stammt aus dem Lebensrecht des Volkes. Jedes staatliche Gesetz, jedes richterliche Urteil enthält nur so viel Recht, als ihm aus dieser Quelle zufließt. Das Übrige ist kein Recht, son­ dern ein ‚positives Zwangsnormengeflecht‘ (…). (…) In einem Führerstaat aber, in dem Gesetzgebung, Regierung und Justiz sich (aber) nicht, wie in einem liberalen Rechtsstaat, gegenseitig misstrauisch kontrollieren, muss das, was sonst für einen ‚Regierungsakt‘ rechtens ist, in unvergleichlich höherem Maße für eine Tat gelten, durch die der Führer sein höchstes Führertum und Richtertum bewährt hat. (…) Außerhalb oder innerhalb des zeitlichen Bereichs der drei Tage fallende, mit der Führerhandlung in kei­ nem Zusammenhang stehende, vom Führer nicht ermächtigte ‚Sonderakti­ onen‘ sind umso schlimmeres Unrecht, je höher und reiner das Recht des

221  Siehe hierzu C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 115), S. 37 f.: „Die besondere Stellung des Richters im Rechtsstaat, seine Objektivität, seine Stellung über den Parteien, seine Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit, alles das beruht nur darauf, dass er eben auf Grund eines Gesetzes entscheidet und seine Entscheidung inhaltlich aus einer anderen, messbar und berechenbar im Gesetz bereits enthaltenen Entscheidung abgeleitet ist.“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. hierzu auch H. Lübbe (Fn. 220), S. 16 ff.; H. Wendenburg (Fn. 73), S. 181 f.; M. Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 167 ff.; zum Gesetzesbe­ griff von Carl Schmitt C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 99), S. 146 ff.; H. Wendenburg, ebd., S. 170 ff.; W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 182 ff. Demnach unterscheidet Carl Schmitt einen politischen und einen rechtsstaatlich vernünftig-allgemeinen Gesetzesbegriff, wobei sich ein politisches Gesetz als kon­ kreter Wille und Befehl und damit als Akt der Souveränität darstellt. Zu bedenken ist freilich, dass die antiparlamentarischen Tendenzen in der Staats- und Verfas­ sungslehre Carl Schmitts ein durch die legislative Gewalt verwirklichtes Natur­ schutzgesetz stets als unvollkommen erscheinen lassen müssen. 222  C. Schmitt, Der Führer schützt das Recht (1934), in: ders., Positionen und Begriffe im Kampf mit Weimar – Genf – Versailles; 1923–1939, 4. korrigierte Aufl., Berlin 2014, S. 227 ff. Hier ist zur Verdeutlichung des willkürlichen Dezisionismus ein kurzer Rekurs auf das Dritte Reich angezeigt.

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Führers ist.“223 In diesen Worten hallt bereits das Odium des willkürlichen nationalsozialistischen Totalitarismus. Von diesen totalitären Entartungsten­ denzen bei Carl Schmitt abgesehen finden sich hinsichtlich der Betonung des subjektiven Geistes ähnliche Denkansätze bei Hermann Heller, der aber gleichsam auch einen objektiven Geist anerkennt, der sich mitunter in der materiellen Werteordnung als der über dem Staat schwebenden sittli­ chen, überpositivistischen Ordnung von Rechtsgrundsätzen manifestiert. Für ihn stellt das positive Recht eine soziologische Fortschrittsbekundung dar, die der staatlichen Herrschaftsmacht eine politische Struktur verleiht und so deren dauerhafte Existenz sichert. Die ideelle Ordnung konstituiert damit den Staat, indem sich die positiven Gesetze als Individualisierungen der sittlichen Rechtsgrundsätze darstellen, und erscheint als das fortwäh­ rende Produkt des dialektischen Prozesses von Sein und Sollen. Dennoch bleibt Hermann Heller aber in einem soziologischen Denkansatz verhaftet, indem er den objektiven Geist mit dem Identitätsstempel eines wissen­ schaftlichen Abstraktums belegt, dem eine über die in der physikalischen Sphäre bestehenden quantitativen Kausalitätsrelationen hinausgehende, qua­ litative Dimension zukommt, ohne aber unabhängig vom realpsychischen Erleben sowie Verstehen durch Menschen überhaupt eine Existenz haben zu können. Ein Naturschutzgesetz stellt sich auch hier als subjektive Be­ kundung eines Naturschutzbewusstseins dar, das in der Rechtsordnung zum Ausdruck kommt, ohne aber von der soziologischen Wirklichkeit derart abgesondert zu sein, dass eine isolierte Erkenntnis als objektiver Geist in Betracht kommt.224 Einen anderen Weg schlägt dagegen der Vater der In­ 223  C. Schmitt, Der Führer schützt das Recht (1934) (Fn. 222), S. 227 / 229 / 230 (Zitate). 224  H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 38 ff.; ders., Die Souveränität – ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin u. a. 1927, S. 31 ff. / 68 ff. In diesem Zusammenhang verweist Hermann Heller mitunter auf Georg Simmel. Die­ ser hatte in seinem Werk Das individuelle Gesetz. Philosophische Exkurse, heraus­ gegeben von M. Landmann, Frankfurt a. M. 1968, S. 116 ff. unter dem Titel „Der Begriff und die Tragödie der Kultur“ als objektiven Geist die Gesamtheit der Gebil­ de bezeichnet, die als geistige, historische und überindividuelle Erzeugnisse zwecks der kultivierenden Personenwerdung der einzelnen Individuen bestehen. Dazu gehör­ ten die Kunst, die Sitte, die Wissenschaft, zweckgeformte Gegenstände, die Religi­ on, das Recht, die Technik und die gesellschaftlichen Normen. Demnach ist der objektive Geist im Begriff der Kultur insoweit enthalten, als sich diese als Bildungs­ plattform des subjektiven Geistes im Spiegel des objektiven Geistes entpuppt. Dar­ aus folge dann die „Strömung von Subjekten durch Objekte zu Subjekten.“; zusam­ menfassend S. Blasche, Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. III: G – Inn, München 2008, S. 54. Demzufolge wird der objektive Geist insgesamt zwar als real erfahrbar sowie existent anerkannt, in seiner Bedeutung aber als in letzter Konsequenz zu vernachlässigende Disziplin im Sinne eines erforderlichen Durch­ gangsstadiums wieder relativiert. Siehe zu der Rechtstheorie von Hermann Heller auch M.  Porsche-Ludwig (Fn. 221), S. 205 f.; H. Wendenburg (Fn. 73), S. 198 ff.;



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tegrationslehre Rudolf Smend ein, der mit seiner geisteswissenschaftlichen Methode einen weiteren Erklärungsansatz des Staates geschaffen hat. Für ihn ist der Staat als geistige Einheit identisch mit dem politischen Integ­ rationsprozess, der als Betätigungen eines geistigen Gesamtzusammenhangs erscheint und zu einer stetigen Erneuerung des Staates als einem ganzheit­ lichen geistigen Gebilde beiträgt. Die Integration besteht hierbei schließlich in einer abwägenden Fortbildung der ideell-zeitlosen Sinn- und Wertzu­ sammenhänge durch den vermittelnden Antrieb des politischen Vorgangs, der als Ausdruck der realen Lebenswirklichkeit die ideelle Ordnung in dialektischer Anordnung weiterentwickelt.225 In dieser Staatstheorie ist die A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 153 ff.; P. Portinaro, Staatslehre und sozialistischer Dezisionismus. Randbemerkungen zu Hellers Rechts- und Staatstheo­ rie, in: Ch. Müller (Hrsg.), Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984, S. 574 / 578 ff.; P. Badura, Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 191 ff.; vgl. auch D.  Lehnert, Sozialis­ mus und Nation. Hellers Staatsdenken zwischen Einheit und Vielfalt, in: M. Llanque (Hrsg.), Souveräne Demokratie und soziale Homogenität – das politische Denken Hermann Hellers, Baden-Baden 2010, S. 204 f. Der in der sittlichen Werteordnung zum Ausdruck kommende sozio-kulturelle Geist kann auch als relatives Naturrecht bezeichnet werden; siehe zu diesem Begriff G. Scheidle, Das Widerstandsrecht – entwickelt anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1969, S. 110 ff. 225  Zur Rechtstheorie von Rudolf Smend P. Badura, Recht und Verfassungsrecht in der Integrationslehre, Der Staat 1977 (16), S. 305 ff.; R. Bartelsperger, Die In­ tegrationslehre Rudolf Smends als Grundlage einer Staats- und Rechtstheorie, Mün­ chen 1964; vgl. auch S. Rohatyn, Die verfassungsrechtliche Integrationslehre – Kri­ tische Bemerkungen, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 261 (264  f.); vertiefend S. Obermeyer, Integrationsfunktion der Verfassung und Verfassungs­ normativität – die Verfassungstheorie Rudolf Smends im Lichte einer transdiszipli­ nären Rechtstheorie / Rechtliche und Nichtrechtliche Wirkungen der Verfassung, Berlin 2008, S. 116 ff. Nach der Integrationslehre von Rudolf Smend bilden der Staat und das Recht zwei zu unterscheidende Schaltkreise des staatlichen Lebens, wobei der politische Vorgang am Integrationswert, das rechtliche Leben dagegen am Rechtswert orientiert ist. Dabei bilden aber die rechtlichen Faktoren des Rechtslebens „untereinander ein System, das sich vermöge der Wertgesetzlichkeit des Geistes hier auch zur positiven Wirklichkeit des konkreten Rechtslebens der Rechtsgemeinschaft zusammenschließt, wie dort das der Integrationsfaktoren zum System der staatlichen Wirklichkeit – beide Male vom geschriebenen Recht teils vorgeschrieben, teils angeregt, teils zugelassen.“ (R. Smend, Verfassung und Verfas­ sungsrecht (Fn. 44), S. 207 ff.). Gegen diesen rechtsgeleiteten Dualismus des staat­ lichen Geistgebildes wandte sich letztlich insbesondere Hans Kelsen, der die inne­ re Unlogik der gesamten Konstruktion bewusst polemisch aburteilte: „Und da an verwirrenden Widersprüchen offenbar noch nicht genug ist, versichert Rudolf Smend nach der Entgegensetzung von Integration und Recht, Integrationsfaktoren und Faktoren des Rechtslebens, von integrierter Staatsgemeinschaft und nicht-inte­ grierter, jedoch ‚zusammengeschlossener‘ Rechtsgemeinschaft, dass diese Integra­ tion zur Wirklichkeit des Staatslebens und dieser Zusammenschluss zur Wirklich­ keit des Rechtslebens ‚beide Male vom geschriebenen Recht teils vorgeschrieben,

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Rechtsordnung das ideelle Gesamtgerüst des Staates, an dem sich fortwäh­ rend die subjektiven Verhaltensweisen der Menschen als protagonistische Spielarten im Rahmen des politischen Integrationsprozesses deuten und messen lassen, was zu einer dynamischen Fortbildung des staatlichen Ge­ meinwesens beiträgt. Das Ergebnis besteht dann in dem objektiven Geist, der sich aus der geistigen Gesamtheit des staatlichen Lebens ergibt, was sich auf dem Gebiet des Naturschutzes in der Form von Gesetzen aus­ drückt, die sich als intermediäre Schranken der wirtschaftsstaatlichen Ex­ pansion herauskristallisieren. Damit ist der gedankliche Spagat zu der nor­ mativen Staats- und Rechtstheorie Hans Kelsens praktisch bereits vollzo­ gen, der in der Rechtsordnung eine überindividuelle Idealität sieht, die als synthetische Ganzheit die menschlichen Verhaltensweisen als den Bereich der individuell-psychischen Wirklichkeit überlagert und so als objektives Deutungsschema das gemeinschaftliche Staatssystem ausmacht.226 Für teils angeregt, teils zugelassen‘ sei; dass das ‚Verfassungsrecht‘ ein ‚Integrations­ system‘ sei, und dass ‚das in sich geschlossene System der Rechtsfunktionen‘ – nämlich Gesetzgebung und Justiz – ‚innerhalb der Verfassung‘ zu suchen sei. Demnach ist Verfassungsrecht bei Rudolf Smend ‚Integrationsrecht‘.“ (H. Kelsen, Der Staat als Inte­gration, Wien 1930, S. 63 f.; Hervorhebungen im Original). Diese Verwirrungstaktik zwecks der Begründung einer staatlichen Integrationseinheit führt damit notwendigerweise zu einer Identität von Staat und Recht (so H. Kelsen, Der Staat als Integration, ebd., S. 62 ff.). In diesen Kontext gehört auch der rechtstheo­ retische Ansatz in der naturalistisch-materialistischen Staatstheorie von Rudolf Kjellén, wonach das Recht die vernünftige Idee zur Versittlichung des von dem natürlichen Staatsgebiet ausgehenden organischen Triebs und der blinden Instinkte der gewachsenen Nation ist. Durch das Recht wird der politische Prozess in rela­ tive und gemäßigte Bahnen gelenkt, was den Staat als Regulator in Erscheinung treten lässt (R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 124 ff. / 138 / 149). 226  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 14 f.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatsso­ ziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S.  83 f.; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff. / 487 f.); A. Vonlanthen, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Berlin 1965, S. 30 f.; M. Haase, Grund­ norm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 32 ff. / 189 ff. Die für die Staats- und Rechtstheorie von Hans Kelsen typische Vernachlässigung der bestimmten Entschei­ dungsmomente wird deutlich, wenn seine Ausführungen zu dem eigentlichen Staats­ willen betrachtet wird. In Abgrenzung zu Georg Jellinek, der entsprechend der ZweiSeiten-Lehre mit dem soziologischen Volkswillen und dem von den verfassungs­ rechtlich vorgesehenen Staatsorganen repräsentativ für den Staat als der organisierten Einheit des Volkes vermittelten Staatswillen explizit noch zwei Willensmomente unterscheidet (G. Jellinek, Die rechtliche Natur der Staatenverträge, Wien 1880, S. 1 ff.), sieht Hans Kelsen den Staatswillen ausschließlich in den Gesetzen veran­ kert. Demnach werde der in der Tätigkeit dieser physischen Personen gelegene Tatbestand nicht diesen Personen selbst, sondern einer anderen zugerechnet. Die Zurechnung gehe gleichsam durch die physisch Handelnden und deren psychischen Willensakt hindurch und mache also nicht in einer anderen physischen Person halt. Vielmehr vereinigen sich alle Zurechnungslinien dann in einem gemeinsamen, au­



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Hans Kelsen ist eine Norm der Sinn eines Willensaktes.227 Die Norm zeichnet sich dabei durch die tragenden Elemente einer Bedingung und einer Folge aus, wobei diese durch eine Kopula des „Sollens“ miteinander verbunden sind. Im Unterschied zu den Kausalgesetzen der Natur wird diese normative Verbindung als Zurechnung bezeichnet. Der in der Norm enthaltende Sinn eines Willensaktes ist mit der Kopula identisch, d. h. eine Bedingung und eine Folge sind entsprechend eines normativen Sinnzusam­ menhanges miteinander verbunden.228 Der Rechtsbegriff von Hans Kelsen ist rein formal zu verstehen, was zur Folge hat, dass jeder Inhalt Recht sein kann.229 Darüber hinaus ist jede Auslegung einer Norm gestattet, in­ sofern sie sich im Wortlaut der Norm wiederfindet, weshalb die anwenden­ ßerhalb jedes physischen Subjektes gedachten Punkte. Die Individuen, bei denen eine solche Zurechnung stattfinde, seien die Staatsorgane und der gemeinsame Treff­ punkt aller Zurechnungslinien, die von den als Organhandlungen qualifizierten Tat­ beständen ausgehen, sei der Staatswille (H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechts­ lehre, Tübingen 1911, S. 183; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 161), S. 35; hierzu auch K. Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 44 f.). Die grundsätzlich vernachlässigende Haltung gegenüber dem subjektiven (Dezisions-)Geist wird in folgendem Zitat deutlich: „Doch fasst man auch nur den psychischen Willen der zustimmenden Parlamentsmitglieder ins Auge, dann zeigt sich, dass dieser zunächst keinen anderen Inhalt hat, als den, eine zustimmende Erklärung abzugeben, die Hand zu erheben, ‚ja‘ zu rufen etc. (…) Der Wille, dass ein Vorschlag Gesetz werde, ist doch ein wesentlich anderer als der im Gesetz selbst ausgedrückte! (…) Jedenfalls ist der Inhalt der oft sehr umfangreichen und kompli­ zierten Gesetze beim Abstimmungsakt nicht im Bewusstsein des Stimmenden gegen­ wärtig.“ (H. Kelsen, Hauptprobleme, ebd., S. 169 f.; vgl. hierzu auch J. Kunz, Die definitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), 375 (380, v. a. Fn. 8). Ausdrucksstark auch Hans Kimmel: „Recht entsteht wohl durch, aber nicht aus einem Willen, Norm nur aus Norm.“ (H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298); Hervorhebungen im Origi­ nal). Siehe zu der Konzeption des juristischen Staatswillens bei Hans Kelsen O.  Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 189 ff.; vgl. auch M. Jestaedt, Geltung des Systems und Geltung im Sys­ tem, JZ 2013, 1009 (1012). René Marcic (R. Marcic, ebd., S. 488) beschreibt die Intention der Reinen Rechtslehre in Abgrenzung zum Dezisionismus folgenderma­ ßen: „Weil die Entscheidung, die Dezision, im Willensakt geschieht, dessen Sinn eine Norm ist; weil das Entscheiden ein Unterscheiden voraussetzt, ein Abheben des Rangniederen gegen das Ranghöhere und Sondern zwischen Sein und Schein, zwi­ schen Form und Formmangel, Recht und Scheinrecht, Recht und Unrecht, Fug und Unfug: deshalb ist jedes Handeln, das es auf die Sicherung der Rechtmäßigkeit der Staatsfunktionen anlegt, bedingt von der reinen Erkenntnis des Rechts.“ (Hervorhe­ bung im Original). 227  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 3 ff. 228  H. Kelsen, RR (Fn. 227), S. 79 ff.; ders., AS (Fn. 1), S. 47 ff. 229  H. Kelsen, RR (Fn. 227), S. 200 ff.; ders., AS (Fn. 1), S. 44; Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, Bern u. a. 2009, S. 103 f.

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de Norminterpretation in rechtsdogmatischer Hinsicht für etwaige Verände­ rungen in der realen Wirklichkeitswelt empfänglich ist.230 Der Sinn eines Willensaktes ist zwar das Produkt eines realen Setzungsakts, er ist aber dennoch objektiver Geist, d. h. die Situation der subjektiven Entscheidung, der typisch rechtspositivistische Rechtsetzungsakt wird bei grundsätzlicher Anerkennung vernachlässigt, womit ein Zugang zur Norm ausschließlich aus der Sphäre des objektiven Geistes, des Normativen, erfolgt. „Die Norm, die der Sinn eines Willensaktes ist, muss von der Tatsache des Willensaktes, dessen Sinn sie ist, durch den sie erzeugt oder gesetzt wurde, unterschieden werden; eine Unterscheidung, die dem Juristen durchaus ge­ läufig ist, der den Gesetzgebungsprozess und sein Produkt: das Gesetz, als zwei verschiedene Gegenstände betrachtet. Der Gesetzgebungsprozess ist eine in Raum und Zeit vor sich gehende Tatsache oder ein Tatsachenkom­ plex; das Gesetz ist eine Norm oder eine Mehrheit von Normen, die der Sinn dieser Tatsache oder dieses Tatsachenkomplexes sind. Die Aussage, dass eine Norm gilt, das ist die Aussage über das spezifische Gegebensein, die spezifische Existenz einer Norm, bezieht sich nicht auf die Tatsache des Willensaktes, durch den sie gesetzt ist, d. h. – nicht metaphorisch aus­ gedrückt – nicht auf die Tatsache, dessen Sinn sie ist, sondern auf den Sinn dieser Tatsache.“231 Der sich darin widerspiegelnde (relative) Recht­ sidealismus wird durch die Unabhängigkeit der sozialen Wirksamkeit der objektiven Norm von der subjektiven Motivlage der Normadressaten er­ gänzt, weshalb eine Norm, um wirksam zu sein, lediglich befolgt und an­ gewendet werden muss, aus welchen Gründen auch immer.232 Damit ent­ hält der Rechtsbegriff von Hans Kelsen ein doppeltes rechtsideales Mo­ ment in sich. Damit die Normen als ein Sollen erkannt werden können, bedarf es einer Grundnorm, die eine Transformation der realen Wirklich­ keit in das Reich einer relativ ideellen Objektivität ermöglicht. Nach dieser rechtstheoretischen Konstruktion ist der objektive Geist in dem subjektiven Moment der Normerzeugung bereits mit angelegt, enthalten, was eine di­ rekte Parallele zu der List der Vernunft von Georg Wilhelm Friedrich He­ gel nahelegt. Denn für diesen Staats- und Rechtsphilosophen zeigt sich im realen Geschehen, nicht in den einzelnen subjektiven Äußerungen und Ver­ 230  Zur Interpretation von Normen H. Kelsen, RR (Fn.  227), S. 346  ff., v.  a. S.  348 f.; Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie (Fn. 229), S. 103 f. 231  Siehe zum Zusammenhang von Willensakt und Norm bei Hans Kelsen H. Kelsen, Vom Geltungsgrund des Rechts, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Scham­ beck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1160 (Hervorhebungen im Original); vgl. auch ders., AS (Fn. 1), S. 54 f. 232  H. Kelsen, Das Wesen des Staates, Revue internationale de la théorie du droit 1926 / 27, 5 (7 ff.); ders., RR (Fn. 227), S. 215 ff. (Fn.); E. Kramer, Kelsens „Reine Rechtslehre“ und die „Anerkennungstheorie“, in: M: Imboden u. a. (Hrsg.), Fest­ schrift für Adolf J. Merkl zum 80. Geburtstag, München u. a. 1970, S. 187 ff.



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haltensweisen der willkürlichen Individuen das Objektive, das sich schließ­ lich im Recht als der Primärinstanz des objektiven Geistes manifestiert. Demnach  – so die objektive Geistnatur  ‒ verlässt im Willen der Geist die subjektive Sphäre, um der vorgefundenen Welt eine noch nicht vorhandene Geiststruktur zu geben. Dies ist die Absage an das Unbekannte in der Welt und der Übergang in eine selbst gemachte geistige Wirklichkeit, in der der Wille nur noch mit den eigenen Produktionen konfrontiert wird. Das Er­ gebnis ist der Staat als der allgemeine überindividuelle Wille und damit als objektiver Geist.233 Agostino Carrino spricht insoweit von einem „im­ pliziten Hegelianismus“ in der Reinen Rechtslehre von Hans Kelsen, wenn „auch mit umgekehrten Vorzeichen“, da auch die Reinheitslehre von Hans Kelsen „im realen Prozess der sozialen und politischen Veränderungen das Wirken des Sollens oder der rationalen Idee erkennt.“234 Damit ist die Rechtsordnung der Fels in der Brandung als dem den juristischen Staats­ willen verkörpernden ideellen Deutungs- und Bewertungsschema, das als allgemeingültige Zurechnungsbasis das gesamte soziologische Geschehen in sich vereinigt und weiterentwickelt. Eine naturschutzrelevante Verfas­ sungsnorm wie der Art. 150 I WRV ist demnach Ausdruck eines Sinnak­ zents, dem eine in der realen Wirklichkeit gewachsene Bedeutungserkennt­ nis zuteilgeworden ist. Einfachgesetzliche Normen stellen nach dem von Hans Kelsen vertretenen pyramidenförmigen Stufenbau der Rechtsordnung stets konkretisiertes Verfassungsrecht dar, das sich im Rahmen der verfas­ sungsrechtlichen Maßgaben halten muss. Es ist die diametral verlaufende Rückkopplung, die möglicherweise einen Verfassungswandel im Lichte des Naturschutzes indiziert und den objektiven Geist im dynamischen Turnus der zu sich selbst kommenden Stufen in einem naturstaatlichen Sinne ver­ ewigt.

233  Hierzu zusammenfassend S. Blasche (Fn. 224), S. 54; vgl. auch P. Piovani, Für einen Vico ohne Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in: M. W. Hebeisen, Ausge­ wählte Werke von Pietro Piovani in deutscher Übersetzung, Bd. IV: Abt. 1: Moral-, Sozial- und Geschichtphilosophie. Abhandlungen zur neuen Wissenschaft von Gio­ vanni Battista Vico, Biel 2013, S. 209 ff. Zum impliziten Hegelianismus in der Rei­ nen Rechtslehre von Hans Kelsen H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 247 ff. / 316; M. Haase (Fn. 226), S. 23 ff. / 33 ff. / 53 ff.; A. Carrino, Die Normenordnung – Staat und Recht in der Lehre Kelsens, Wien u. a. 1998, S. 152; vgl. auch H. Kelsen, We­ sen der Demokratie (Fn. 161), S. 77; ders., Politische Weltanschauung und Erzie­ hung, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheore­ tische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1228 f. / 1231 ff. 234  A. Carrino, Die Normenordnung (Fn. 233), S. 152.

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c) Die grammatikalische Bekundung des Fortschritts des Naturschutzgeistes in den positivrechtlichen Normen der Länder des Deutschen Reiches Nachdem sich der Naturschutzgeist inmitten der autoritär-korporativ ge­ prägten Verfassungsstruktur der Deutschen Kaisermonarchie von ganz ver­ einzelten Ausnahmeerscheinungen abgesehen nur in den Großherzogtümern Hessen und Oldenburg gesetzlich manifestieren konnte, änderte sich die politische Ausgangslage mit der konstitutionellen Aufnahme des Naturschut­ zes in der Norm des Art. 150 I WRV und der Konstituierung des Deutschen Reichs als einer parlamentarischen Demokratie maßgeblich. Die angesichts der legislativen Abstinenz des Reichs zuständigen Landesgesetzgeber waren nun nicht nur verfassungsrechtlich verpflichtet, dem noch neuen Natur­ schutzanliegen durch den Erlass von Gesetzen eine rechtliche Handhabe zu verleihen, sondern anstelle der obrigkeitsstaatlichen Machtverteilung, die den neuen Naturschutzbelang nur aufgrund von staatsfixierten gesellschaft­ lichen Interventionen in ihr Kalkül miteinbezog, trat eine dem politischen Liberalismus entsprechende künftige Selbstorganisation der Gesellschaft, die den Naturschutzauftrag nun mit Kräften unmittelbar fördern konnte. Die dadurch bedingte Entfaltung des Deutschen Reichs zu einem Naturstaat wird dabei augenscheinlich, wenn der allgemeine Bedeutungswandel der in Art. 150 I WRV verankerten verfassungsrechtlichen Begriffe des Naturdenk­ mals und der Landschaft vergegenwärtigt wird, wie er sich im Deutschen Reich allmählich vollzogen hat. Demnach standen zu Beginn des Deutschen Reichs die in der Norm des Art. 150 I WRV positivrechtlich fixierten natur­ schutzrelevanten Schutzkategorien noch ganz in der geistigen Tradition des Deutschen Kaiserreichs. Dies bedeutet, dass der Begriff des Naturdenkmals in einem engeren Sinn interpretiert wurde, was ihn an der Leitvorgabe der kulturellen Ästhetik zu einem grammatikalischen Abbild für besondere Na­ turbildungen wie bedeutsame Wasserläufe und Felsen, Höhlen sowie Vertre­ ter bestimmter Tier- und Pflanzenarten, die sich durch Schönheit, Alter, Seltenheit, eigenartigen Wuchs oder wissenschaftlichen Wert auszeichneten, machte.235 Dagegen wurde das konstitutionelle Rechtsgut der Landschaft als zusammengehöriger Landkomplex definiert, der nach der reaktionären Aus­ richtung des Heimatschutzes in erster Linie vor dem verunstaltenden Rekla­ mewesen bewahrt werden sollte.236 In der gesellschaftlichen Sphäre des Deutschen Kaiserreichs hatten sich aber bereits weitergehende Naturschutz­ ansätze herausgebildet, deren geistiger Siegeszug nur noch nicht zu errei­ chen gewesen war. Als Beleg für den wertbezogenen Progress kann vor allem die von dem Abgeordneten Wilhelm Wetekamp im Jahre 1898 vor 235  Hierzu

A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 104. in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 106.

236  A. Schmidt,



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dem preußischen Abgeordnetenhaus verkündete Idee von staatlichen Natur­ parks angeführt werden, deren legislativer Durchdringung in der Deutschen Kaisermonarchie noch kein Erfolg beschieden war. Vor dem Postulat einer künftigen Naturstaatlichkeit kann auch hier wieder auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel Bezug genommen werden: „Diese Bewegung ist der Weg der Befreiung der geistigen Substanz, die Tat, wodurch der absolute End­ zweck der Welt sich in ihr vollführt, der nur erst an sich seiende Geist sich zum Bewusstsein und Selbstbewusstsein und damit zur Offenbarung und Wirklichkeit seines an und für sich seienden Wesens bringt, und sich auch zum äußerlich allgemeinen, zum Weltgeist, wird.“237 Folglich handelte es sich um eine sinnbezogene Findungsphase des objektiven Geistes, der sich in den verschiedenen Naturschutzgesetzen der Länder des Deutschen Reichs zeigte, um in der Zeit seinen bewussten und wirklichen Wesenszug zu er­ kennen. Deshalb waren auch einzelne Schwankungsmomente im legislativen Schutzniveau nicht unüblich, insoweit sich nur der allgemeine Geist mit der Dauer endlich äußerlich erwies.238 Mit der Norm des Art. 150 I WRV war eine kulturellästhetische Direktive in der Weimarer Reichsverfassung veran­ kert worden, so dass die wortsinngetreue Umsetzung in den einfachgesetz­ lichen Vorschriften des Landesrechts zu Beginn des Deutschen Reichs nicht verwundert hätte. Die Realität sah aber anders aus und ließ bereits ein ge­ wachsenes Schutzniveau auf dem Gebiet des Naturschutzes erkennen. Dies zeigte sich in der zeitgemäßen Erweiterung des sachlichen Anwendungsbe­ reichs der Naturschutzgesetze, die neben den klassischen und auf kleine Flächen begrenzten Naturdenkmälern nun regelmäßig auch die Kategorie 237  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund­ risse – (1830), Philosophische Bibliothek, Bd. 33, Nachdruck der 3. Aufl., Hamburg 1991, S. 426. 238  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie (Fn. 237), S. 426. „Diese Befreiung des Geistes, in der er zu sich selbst zu kommen und seine Wahrheit zu verwirklichen geht, und das Geschäft derselben ist das höchste und absolute Recht. Das Selbstbewusstsein eines besonderen Volkes ist Träger der diesmaligen Entwicklungsstufe des allgemei­ nen Geistes in seinem Dasein und die objektive Wirklichkeit, in welche er seinen Willen legt. Gegen diesen absoluten Willen ist der Wille der andern besondern Volksgeister rechtlos, jenes Volk ist das weltbeherrschende; ebenso aber schreitet er über sein jedesmaliges Eigentum als über eine besondere Stufe hinaus und übergibt es dann seinem Zufall und Gericht.“ „Aber es ist der in der Sittlichkeit denkende Geist, welcher die Endlichkeit, die er als Volksgeist in seinem Staate und dessen zeitlichen Interessen, dem Systeme der Gesetze und der Sitten hat, in sich aufhebt und sich zum Wissen seiner in seiner Wesentlichkeit erhebt, ein Wissen, das jedoch selbst die immanente Beschränktheit des Volksgeistes hat. Der denkende Geist der Weltgeschichte aber, indem er zugleich jene Beschränktheiten der besondern Volks­ geister und seine eigene Weltlichkeit abgestreift, erfasst seine konkrete Allgemein­ heit und erhebt sich zum Wissen des absoluten Geistes, als der ewig wirklichen Wahrheit (…).“ (G. W. F. Hegel, ebd., S. 430 f.; Hervorhebungen im Original).

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des Naturschutzgebietes umfassten.239 Einen Progress in diesem Sinne stell­ te mit § 9 des Lippischen Heimatschutzgesetzes vom 17.01.1920240 schon die erste landesgesetzliche Naturschutznorm, die unter der demokratischen Flagge des Weimarer Verfassungsstaates erlassen worden war, dar. Diese dem konstitutionellen Auftrag des Art. 150 I WRV nachkommende Rechts­ vorschrift lautete: „Bei drohender Veränderung oder Verunstaltung hinsicht­ lich solcher Grundflächen, deren unveränderte Erhaltung mit ihrem gesam­ ten Bestande aus geschichtlichen oder naturgeschichtlichen Rücksichten oder im Hinblick auf landschaftliche Schönheit oder Eigenart im öffentli­ chen Interesse liegt (Naturdenkmäler, Naturschutzgebiete), steht der Regie­ rung das Recht zu, dem Eigentümer diese Veränderung zu untersagen oder nur unter gewissen Bedingungen zu gestatten (…).“241 Eine ähnliche geisti­ ge Wandlung ist an der Abänderung des § 34 des Preußischen Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 08.07.1920242 zu erkennen, der den Naturschutz­ 239  R. Schröder (Fn. 49), S. 76  f. Grundsätzlich zu den Verschiebungen in der Dogmatik der Verwaltungsrechtslehre im Deutschen Reich M. Stolleis, Weimarer Republik und Nationalsozialismus (Fn. 15). S. 211 ff. 240  Lippisches Heimatschutzgesetz vom 17.01.1920, Lippische Gesetzsammlung 1920, S. 15 (Nr. 4) (im Folgenden: LHG). Den Befund der ersten Naturschutznorm im Deutschen Reich bestätigend K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 62. 241  LHG, GS (1920), S. 17. Das Lippische Heimatschutzgesetz vom 17.01.1920 besaß mit der Bestimmung des § 9 LHG eine gesetzliche Handhabe, Beeinträchti­ gungen an Naturdenkmälern und Naturschutzgbieten zu untersagen bzw. diese nur unter gewissen Bedingungen zuzulassen. Diese Eingriffskompetenz stand nach §§ 9 I a. E., 7 I LHG aber unter dem Vorbehalt, dass sich die Regierung spätestens inner­ halb von vier Wochen nach Erstattung der Anzeige des Eigentümers des Natur­ schutzobjekts an eine vermittelnde Polizeibehörde, dass er eine Veränderung beab­ sichtige, zur Übernahme des dem Eigentümer durch die Versagung oder nur beding­ ten Erteilung der Genehmigung erwachsenden Schadens bereit erklärte. Nach §§ 9 II, 7 II LHG konnte der Eigentümer des Naturdenkmals oder Naturschutzgebiets, sofern die konkreten Umstände es rechtfertigten, anstelle des Schadensersatzes auch einen Übernahmeanspruch des Eigentums gegenüber dem Staat geltend machen. Das Gesetz sah in § 10 LHG zudem die im Ermessen der Regierung stehende Option einer Naturdenkmalliste vor, was zu der Einführung eines Klassierungsmodells im Sinne des § 8 LHG neben den Baudenkmälern auch bei den Naturschutzobjekten geführt hätte. Nach §§ 12, 15 LHG fand das Gesetz schließlich auch Anwendung auf Stadt-, Amts- und Dorfgemeinden sowie die Kirchen- und Schulgemeinden, die Na­ turdenkmäler in Besitz hatten, aber auch auf den Staat selbst. Zum Lippischen Hei­ matschutzgesetz aus dem Jahre 1920 auch F. Moewes (Fn. 59), S. 174; F. Hammer (Fn. 22), S. 215; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 62. 242  Preußisches Gesetz zur Änderung des Feld- und Forstpolizeigesetzes vom 08.07.1920, Preußische Gesetzsammlung 1920, S. 437 (im Folgenden: FFpG). Eine ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte und der Beweggründe zu dieser Vorschrift findet sich bei L.  Sick (Fn. 154), S. 22 ff.; L.  Schnitzler, Naturschutz und Gesetz, in: W. Schoenichen (Hrsg.) (Fn. 90), S. 21 ff.; K. Friedrichs, Naturschutz und Verunstaltung (Fn. 91), Gesetz und Recht 1921 (22), 63 (67 f.); allgemein zu dieser Naturschutznorm Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35),



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geist wie folgt konkretisierte: „Die zuständigen Minister und die nachgeord­ neten Polizeibehörden können Anordnungen zum Schutze von Tierarten, von Pflanzen und von Naturschutzgebieten sowie zur Vernichtung schäd­ licher Tiere und Pflanzen erlassen, und zwar auch für den Meeresstrand und das Küstenmeer.“243 Auch wenn die Norm von ihrer grammatikalischen Fassung einen sichtbaren Fortschritt gegenüber der als nicht so leistungsfä­ hig kritisierten und auf kleine Flächen bezogenen Naturdenkmalpflege her­ vorbrachte, so wurde in ihr im damaligen Rechtsausschuss nur eine typische Fortsetzung der bis zu diesem Zeitpunkt herrschenden Verunstaltungsgesetz­ gebung gesehen,244 was ihr progressives Naturschutzprogramm relativiert. Damit kann die These aufgestellt werden, dass es bei dieser Naturschutz­ norm primär um die positivrechtliche Fixierung des herkömmlichen Natur­ denkmalschutzes ging, der von nun an auch mit einer gesetzlichen Handha­ be ausgestattet sein sollte, wenngleich die Schutzobjekte „Tierarten“ und „Naturschutzgebiete“ bereits ein neues Gattungsschutzverständnis bzw. eine extensivere Schutzhaltung mit Blick auf ganze Naturreservate indizierten.245 Ein ähnliches Naturschutzkonzept verfolgten die Freien und Hansestädte Hamburg und Lübeck, die in ihren jeweils als Denkmal- und Naturschutz­ gesetz bezeichneten Gesetzesvorhaben aus den Jahren 1920 und 1921246 vom Wortlaut den gleichen sachlichen Anwendungsbereich vertraten. Dem­ nach waren jeweils nach § 1 „Naturdenkmäler, d. h. besonders charakteristi­ sche Gebilde der heimatlichen Natur, wie Seen, Wasserläufe, Hügel, Felsen, Bäume, Gebiete mit bemerkenswerten Pflanzen- und Tiergemeinschaften PrVerwBl. 1927 (48), 317 (317 f.); F. Moewes (Fn. 59), S. 174; H. Klose, Fünfzig Jahre Staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 19; H.-W. Frohn (Fn. 18), S. 125; vgl. auch H. Behrens (Fn. 17), S. 28 f.; R. Schröder (Fn. 49), S. 77 f. 243  FFpG, GS (1920), S. 437. Die Vorschrift des § 34 FFpG war der einzige Ar­ tikel des Änderungsgesetzes. 244  L. Sick (Fn. 154), S. 27; K. Friedrichs, Naturschutz und Verunstaltung (Fn. 91), Gesetz und Recht 1921 (22), 63 (68) („es fehlte der begeisterte Wille zur Tat“); vgl. auch Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318); A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (413). 245  Hierzu nur L.  Sick (Fn. 154), S. 32 ff. Die konkrete Ausrichtung des Natur­ schutzes war im Deutschen Reich noch lange umstritten. Dies manifestierte sich in den verschiedenen Auslegungsvarianten der unbestimmten Rechtsbegriffe der Vor­ schrift des § 34 FFpG. 246  Hamburgisches Denkmal- und Naturschutzgesetz vom 06.12.1920, Amtsblatt der Freien und Hansestadt Hamburg 1920, S. 1441 (im Folgenden: HamDNG); Lü­ beckisches Gesetz, betreffend den Denkmal- und Naturschutz vom 10.12.1921, Sammlung der lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1921, S. 299 (Nr. 200) (im Folgenden: LDNG); Nachtrag zum Gesetz vom 10.12.1921, betreffend den Denk­ mal- und Naturschutz, Sammlung der lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1925, S. 9 (Nr. 9). Auf die Ähnlichkeiten der beiden Gesetze weisen auch F. Hammer (Fn. 22), S. 211; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 62 f. hin.

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und dgl., deren Erhaltung aus geschichtlichen oder naturgeschichtlichen Rücksichten im öffentlichen Interesse“ lag, sowie „die Umgebung von Na­ turdenkmälern“, aber auch „Naturgegenstände bestimmter Art, deren Erhal­ tung im ganzen Staatsgebiet oder in einzelnen Bezirken aus Gründen der Wissenschaft oder der Schönheit oder des Heimatschutzes im öffentlichen Interesse“ lag, unter gesetzlichen Schutz gestellt.247 Bereits an diesen zu 247  HamDNG, Amtsbl. (1920), S. 1441; LDNG, SammGuV. (1921), S. 299  f. Diesen Denkmal- und Naturschutzgesetzen lag jeweils die dingliche Gesetzestech­ nik der Klassierung zugrunde. Das Hamburgische Gesetz aus dem Jahre 1920 stellte dies in § 1 a. E. HamDNG bereits explizit klar, wonach der Schutz von Naturdenkmälern und deren Umgebung von der Eintragung in eine Denkmalliste im Sinne des § 5 abhing. Für die Handhabung und Ausführung des Gesetzes war die Baupflegekommission als Denkmalschutzbehörde zuständig, die eine entspre­ chende Eintragung in die Denkmalliste stets durch Verwaltungsakt nach § 6 I HamDNG verfügte. Die Folge war ein Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich der Beseitigung eines Naturdenkmals oder Arbeiten an einem Naturdenkmal, wobei dieser nach der Bestimmung des § 14 HamDNG ausdrücklich als präventives Ver­ bot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet war („darf nur versagt werden, wenn“). Im Umkehrschluss aus § 16 HamDNG, der vom Wortlaut nur auf die Baudenkmäler des § 9 HamDNG Bezug nahm, war eine Entschädigungsmöglichkeit für den Ei­ gentümer weder für die Umgebung eines Baudenkmals noch für Naturdenkmäler und deren Umgebung vorgesehen (vgl. §§ 10, 11, 16 HamDNG). Nach § 17 HamDNG waren des Weiteren juristische Personen des öffentlichen Rechts dem Gesetzesregime ausdrücklich unterworfen. Die Denkmalschutzbehörde war nach § 22 HamDNG befugt, bestimmte Naturgegenstände im Wege einer Verordnung unter Schutz zu stellen. Dem Staat stand schließlich nach § 23 Nr. 1 HamDNG auch ein Enteignungsrecht „zum Zwecke der Erhaltung eines gefährdeten Denk­ mals“ zu. In der Freien und Hansestadt Lübeck war nach dem Gesetz vom 10.12.1921 dagegen für die Aufgabe des Naturdenkmalschutzes ein Denkmalrat zuständig, § 2 LDNG. Auch hier bestand im Sinne der §§ 7, 8 LDNG eine klas­ sierende Naturdenkmalliste, wobei der Schutz ebenfalls von der konkreten Eintra­ gung eines Naturdenkmals in die Naturdenkmalliste abhing. Einen Erlaubnisvorbe­ halt bezüglich der Beseitigung oder Veränderung eines eingetragenen Naturdenk­ mals ordnete die Bestimmung des § 6 LDNG an. Nach § 10 LDNG durfte die Genehmigung in dem Sinne eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt „nur (dann) versagt werden, wenn die Erhaltung des bestehenden Zustandes aus den in § 1 angegebenen Gesichtspunkten im öffentlichen Interesse“ lag. Der Verweis auf die Regelung des § 1 LNDG zeigte dabei die noch vorrangige geschichtliche sowie naturgeschichtliche Motivation des lübeckischen Naturschutzes auf. Im Gegensatz zu dem hamburgischen Modell sah das lübeckische Modell gemäß § 11 LNDG eine Schadensersatz- bzw. Übernahmemöglichkeit des Grundstücks durch den Staat ge­ gen Entschädigung vor. Außerdem konnte dem Staat auf Antrag des Denkmalrats nach § 12 Nr. 1 LNDG „zur Erhaltung eines Denkmals oder Naturdenkmals“ durch besonderen Rat- und Bürgerschluss das Enteignungsrecht verliehen werden. Nach § 20 LNDG war schließlich auch hier der Denkmalrat befugt, bestimmte Naturge­ genstände zu schützen. Es bleibt letztlich hervorzuheben, dass die Denkmal- und Naturschutzgesetze dieser beiden Freien und Hansestädte in Bezug auf den indivi­ duellen Rechtsschutz fortschrittlich ausgebildet waren. Der Naturschutz hatte sich ausschließlich im Rahmen der rechtsstaatlichen Errungenschaften entwickelt (vgl.



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Beginn des Deutschen Reichs erlassenen Naturschutzgesetzen wird klar, in welche Richtung sich der Naturschutz entwickeln sollte. Im Mittelpunkt standen nun nicht mehr kleinflächige, „museale“ Einzelobjekte wie noch im Deutschen Kaiserreich, sondern der Weg führte hin zu einer begrifflichen Erweiterung der Schutzgegenstände, die nun auch Tier- und Pflanzengattun­ gen sowie ganze Landschaftsteile als Naturgebiete umfassten. Dies zeigte sich auch an der Entwicklung der Freien und Hansestadt Bremen, die zwar zunächst noch durch Gesetz vom 27.03.1921 eine Rechtsgrundlage gegen „die Beseitigung oder Verstümmelung einzelner Bäume, von Baumreihen oder Baumbeständen (…), wenn dadurch ein hervorragendes Landschafts­ bild gröblich beeinträchtigt“ worden ist, geschaffen hat,248 sogleich aber mit dem Gesetz über den Schutz heimischer Tier- und Pflanzenarten vom 15.12.1922249 das Naturschutzniveau in Abkehr von dem in der Zwischen­ zeit als zu restriktiv empfundenen herkömmlichen Naturdenkmalbegriff er­ weitert hat. Dieser Trend setzte sich in der Folge fort, wie das Naturschutz­ gesetz Anhalts vom 14.06.1923250, das ebenfalls an diesem Tag erlassene mecklenburg-schwerinsche Naturschutzgesetz251 sowie das Naturschutzge­ hierzu P. Pernthaler (Fn. 115), S. 12). Zum Hamburgischen Denkmal- und Natur­ schutzgesetz aus dem Jahre 1920 auch F. Moewes (Fn. 59), S. 174; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 62 f. Zum Lübeckischen Denkmal- und Naturschutz­ gesetz aus dem Jahre 1921 vor allem auch Baltzer, Stenographischer Bericht des Tages für Denkmal- und Heimatschutz am 28. / 29.  September 1922 in Stuttgart, Karlsruhe 1922, S. 95 ff.; auf das Klassierungsmodell in beiden Gesetzeswerken weist auch F. Hammer (Fn. 22), S. 214 hin. 248  Bremer Gesetz wegen Änderung des Gesetzes vom 04.03.1909, betreffend den Schutz von Baudenkmälern und Straßen- und Landschaftsbildern vom 27.03.1921, Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen 1921, S. 109. Dieses Gesetz war in erster Linie von dem Gedanken des konservativen Heimatschutzes motiviert. 249  Bremer Gesetz über den Schutz heimischer Tier- und Pflanzenarten vom 15.12.1922, Gesetzblatt der Freien Hansestadt Bremen, S. 699. 250  Anhaltisches Naturschutzgesetz vom 14.06.1923, Gesetzsammlung für Anhalt 1923, S. 93. Dieses Naturschutzgesetz des Reichslandes Anhalt enthielt insgesamt drei Paragraphen: eine Ermächtigungsnorm für das anhaltische Staatsministerium und die nachgeordneten Polizeibehörden zum Schutz von Tierarten, Pflanzen und Naturschutzgebieten, eine Strafvorschrift sowie eine formale Inkrafttretensnorm. Siehe hierzu auch die Verordnung, betreffend die Schaffung von Naturschutzgebie­ ten vom 25.01.1926 (Amtsblatt für Anhalt 1926, Nr. 9), die auf der rechtlichen Grundlage des genannten Naturschutzgesetzes sowie einer entsprechenden zur Aus­ führung dieses Gesetzes erlassenen Ministerialverordnung ergangen ist. Nach dieser Verordnung gab es in Anhalt im Jahre 1926 bereits 27 ausgewiesene Naturschutzge­ biete. Die Anzahl wurde durch die Zweite Verordnung über die Schaffung von Na­ turschutzgebieten vom 04.07.1927 (Amtsblatt für Anhalt 1927, Nr. 52) im Jahre 1927 noch einmal um 4 Naturschutzgebiete erweitert. 251  Mecklenburg-schwerinsches Naturschutzgesetz vom 14.06.1923, Regierungs­ blatt für Mecklenburg-Schwerin 1923, S. 405. Das Gesetz enthielt eine Ermächti­ gungsnorm nach dem Vorbild des preußischen § 34 FFpG und eine Strafbestimmung.

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setz Mecklenburg-Strelitz vom 10.04.1924252 belegen, die von ihrem mate­ riellen Gehalt der im Reichsland Preußen bereits im Jahre 1920 Gesetz gewordenen Fassung einer auf den Naturschutz ausgerichteten Rechtsnorm entsprachen. Bezogen auf die bundesstaatliche Struktur des Deutschen Reichs kann somit gedanklich erneut auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel zurückgegangen werden, der über den zu sich selbst kommenden Weltgeist zudem ausführte: „Er geht in die allgemeine Weltgeschichte über, deren Begebenheiten die Dialektik der besondern Völkergeister, das Weltgericht, darstellt. (…) Indem diese Entwicklung in der Zeit und im Dasein und damit als Geschichte ist, sind deren einzelne Momente und Stufen die Völ­ kergeister; jeder als einzelner und natürlicher in einer qualitativen Be­ stimmtheit ist nur Eine Stufe auszufüllen und nur Ein Geschäft der ganzen Tat zu vollbringen bestimmt.“253 Mit anderen Worten zeigt sich das födera­ tive Weltgericht im objektiven Geist der einheitsstiftenden Verfassung, so dass ein langsam sich abzeichnender Verfassungswandel im Lichte des Naturschutzes die unmittelbare Manifestation eines neuen naturstaatlichen Systemprinzips gewesen wäre. Im Deutschen Reich waren die Naturschutz­ tendenzen schon in der Anfangsphase derart ausgebildet, dass die verfas­ sungspolitische Aufnahme des Naturschutzes in die demokratische Weimarer Reichsverfassung durch die verfassunggebende Nationalversammlung in der Form der Schutzobjekte des Naturdenkmals und der Landschaft bereits als rückständig bezeichnet werden muss. Es bildete sich daher unter Vermitt­ lung der zwar nicht von messbarem Erfolg gekrönten, aber dennoch allge­ genwärtigen politischen Naturschutzstrategien ein geistiges Klima heraus, das sich mit den restriktiven Staatsaktivitäten auf diesem neuen Aufgaben­ feld nicht mehr zufriedengeben wollte. Der dadurch bedingte und endlich durch die selbstorganisatorische Gesellschaft fortwährend erneuerte politi­ sche Denkansatz führte somit mit der Zeit eine naturstaatliche Systemaus­ richtung des Deutschen Reichs herbei, die sich zunächst anhand des mate­ 252  Mecklenburg-strelitzsches Naturschutzgesetz vom 10.04.1924, MecklenburgStrelitzscher Amtlicher Anzeiger 1924, S. 165. Auch hier bestand das Naturschutz­ gesetz mit einer Ermächtigungsnorm des mecklenburg-strelitzschen Staatsministeri­ ums zu Anordnungen zum Schutz von Tierarten, Pflanzenarten sowie Naturschutz­ gebieten im Interesse des Naturschutzes und einer Strafvorschrift aus lediglich zwei Paragraphen. In Mecklenburg-Strelitz gab es ab dem Jahre 1927 auch ein Wald­ schutzgesetz, mit dem Waldverwüstungen unterbunden werden konnten; siehe hierzu Mecklenburg-strelitzsches Waldschutzgesetz vom 07.04.1927, Mecklenburg-Strelitz­ scher Amtlicher Anzeiger 1927, S. 135 ff. 253  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie (Fn. 237), S. 426 (Hervorhebungen im Origi­ nal); H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staatslehre Hegels, Altenburg 1917, S. 86; vgl. H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 233), S. 247 ff. / 316; im Hinblick auf den Föderalismus P. M. Huber, Deutschland in der Föderalismusfalle, Heidelberg 2003, S. 41.



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riellen Gehalts der landesrechtlichen Naturschutzregelungen keimend an­ deutete. Demnach kristallisierte sich mit der Zeit ein anderer Naturdenkmal­ begriff heraus, der nun in einem weiteren Sinne verstanden wurde und neben besonderen kulturellen Einzelschöpfungen auch Tier- und Pflanzen­ gattungen sowie ganze Naturschutzgebiete erfasste.254 Daneben wurde die vormals mit einem ästhetisch-nationalen Heimatakzent behaftete deutsche Landschaft als schutzwürdiges Naturgut erkannt und nicht mehr nur das Landschaftsbild im Sinne einer reaktionären Zivilisationskritik vor verun­ staltenden Baueinwirkungen bewahrt.255 Überdies bereitete die anerkannte Kategorie des Naturschutzgebietes den staatlichen Aktivitäten den Zugang zur gestaltenden Natur- und Landschaftspflege, was sich mit der Dauer sodann in dem Instrumentarium der Landes- und Regionalplanung verfes­ tigte.256 Als markantes Beispiel kann hierbei die Grünflächenpolitik des 254  Siehe zu dem sukzessiv vor sich gehenden Bedeutungswandel der Ausleseka­ tegorie des Naturdenkmals L.  Sick (Fn. 154), S. 1 ff.; W. Schoenichen, Bemerkungen über Organisation, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 177), S. 121 f.; ders., Naturschutz, Heimat­ schutz (Fn. 175), S. 216; H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 9 f. / 25; vgl. auch J. W. Hedemann (Fn. 59), S. 264. 255  Siehe hierzu nur das Schutzprogramm des Reichsnaturschutzgesetzes aus dem Jahre 1935 (RGBl. I 1935, S. 821). Nach § 5 dieses Gesetzes waren nun auch sonstige Landschaftsteile geschützt, die im Interesse der Tierwelt Erhaltung verdienten. Dazu K. Ditt (Fn. 172), S. 521. Dies zeigt gleichzeitig eine auf den dynamischen Naturhaus­ halt ausgerichtete und damit ökologischere Naturschutztendenz an. Vgl. zu diesem neueren Naturschutzansatz nur W. Schoenichen, in: W. Weber / ders., Das Reichsnatur­ schutzgesetz (Fn. 138), S. 25 (die im Rahmen des „§ 4 Naturschutzgebiete“ getätigten Ausführungen gelten insoweit für die Auffangnorm des § 5 entsprechend); H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz (Fn. 90), S. 35 f.; H. Küster, Die wissenschaft­ liche Botschaft der Umweltgeschichte (Fn. 204), S. 36 ff.; G. Wendt (Fn. 116), S. 65; K. Ditt, ebd., S. 522 f / 529; W. Rollins, „Bund Heimatschutz“. Zur Integration von Ästhetik und Ökologie, in: J.  Hermand (Hrsg.), Mit den Bäumen sterben die Men­ schen – Zur Kulturgeschichte der Ökologie, Köln u. a. 1993, S. 150 / 152 / 155 / 164 ff. /  169 f. / 177 / 179 ff. Eine derartige Interpretation hatte sich freilich bereits im Deutschen Reich angekündigt (hierzu A. Schmidt, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 12), S. 106), aber noch nicht positivrechtlich niedergeschlagen. Ein Grund hierfür lag an der im Deutschen Reich frühzeitig anerkannten Kategorie der Naturschutzgebiete, die in den überwiegenden Fällen ein weiteres Naturschutzobjekt der Landschaft hinfällig mach­ te. Zu erwähnen bleibt schließlich, dass dem damaligen Naturschutzgeist eine kultu­ relle Dimension freilich grundsätzlich innewohnte und er deshalb in diesem Sinne auch politisch interpretiert wurde (so S. Körner / U. Eisel / A. Nagel (Fn. 143), in: Na­ tur und Landschaft 2003 (78), Heft 9 / 10, 382 (385)), weshalb sich eine weitere Kate­ gorie eines Naturschutzobjekts der Landschaft nicht unbedingt aufdrängte. Siehe zum Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 F. Uekötter, Am Ende der Gewissheiten (Fn. 113), S. 65 ff.; D. Lukaßen (Fn. 116), S. 34; K. Ditt, ebd., S. 521 f. Dieses Gesetz wurde von den Naturschützern im Deutschen Reich herbeigesehnt; siehe hierzu nur H. Klose, Fünfzig Jahre staatlicher Naturschutz, ebd., S. 31. 256  Zur aufkommenden Landesplanung vgl. A. Wurzel (Fn. 124), S. 16; Staatliche Stelle für Naturdenkmalpflege (Hrsg.), Beiträge zur Naturdenkmalpflege, Bd. XV

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bereits im Jahre 1920 durch ein von Kommunen und Vertretern der Wirt­ schaft initiiertes und von der Verfassunggebenden Preußischen Landesver­ sammlung später mit einstimmiger Zustimmung angenommenes Gesetz, die Verbandsordnung, konstituierten Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk an­ geführt werden, dem als Träger der Regionalplanung die Sicherung und Schaffung größerer, von der Bebauung freizuhaltender Flächen wie Wälder, Heiden und Wasserflächen mit Erholungswert oblag, womit der gestalteri­ sche Naturschutz, der dann ab 1935 weiter zunehmend an Bedeutung ge­ winnen sollte, zum Ausdruck kam.257 Dies änderte aber nichts an der kompensatorischen Grundhaltung, die sich im Sinne einer effizienten Ge­ fahrenabwehr sowie präventiven Einwirkungsabwehr in den staatlichen Naturschutzmaßnahmen bis zum Ende des Deutschen Reichs noch überwie­ gend zeigte.258 Im Lichte der als progressiv zu bezeichnenden Geisteshal­ tung auf dem Gebiet des Naturschutzes entwickelte sich so das allgemeine Weltklima für die Entstehung eines naturstaatlichen Prinzips, das als sys­ temimmanente Schranke den wirtschaftsstaatlichen Expansionstendenzen der Zeit entgegengesetzt werden konnte. Der veränderte Sinnakzent der Natur willen zeigte sich auch an dem Denkmalschutzgesetz Mecklenburg(1): Vierter Deutscher Naturschutztag in Berlin vom 8. bis 12. April 1931, Berlin 1932, S.  20 ff.; K. Ditt (Fn. 172), S. 522 („Landespflege als neues Aufgabenfeld“); vgl. auch M. Kloepfer, Zur Geschichte des deutschen Umweltrechts (Fn. 31), S. 75 f. Auf dem vierten Deutschen Naturschutztag resümierte der Kölner Regierungsbau­ meister Schürmann: „Wie schon die Städte es unternahmen, für ihre Gebiete durch Planungen die zukünftige Lage neuer Industrien, neuer Wohngebiete, neuer Erho­ lungsflächen festzulegen, so sieht die Landesplanung ihre Hauptaufgabe darin, eine Ordnung derselben Dinge für größere Gebiete vorzunehmen. (…) Die Landespla­ nung überträgt diese bisher nur innerhalb gemeindlicher Grenzen wahrgenommenen Gesichtspunkte auf größere, mehrere Gemeinden umfassende Flächen. (…) Durch solche Maßnahmen können (schließlich) die Forderungen des Naturschutzes Berück­ sichtigung finden.“ Im Anschluss daran betonte der Düsseldorfer Landesoberbaurat Dr. Prager noch einmal explizit den Unterschied zwischen der Landesplanung und Stadtplanung: „Die Landesplanung beschäftigt sich im Gegensatz zur Stadtplanung mit den Entwicklungsfragen größerer Gebiete. Das bisherige Städtebaurecht erstreckt sich auf die Fluchtlinienpläne in Verbindung mit der Ortssatzung und die Bauord­ nungen in Verbindung mit dem Bauverbot. (…) Schwieriger ist die Lage bei größe­ ren Wirtschaftsgebieten; bei ihnen erschwert die Trennung durch politische Grenzen ein einheitliches Arbeiten. Die Landesplanung stellt auf Grund von siedlungs- und verkehrstechnischen Untersuchungen zwischengemeindliche Planungen (Nutzungs­ pläne, Wirtschaftspläne, Flächenaufteilungspläne) auf, die den Versuch darstellen, Verkehrsflächen, Grünflächen, Wohnflächen, Bergbauflächen und Industrieflächen so sachgemäß anzuordnen, dass eine Förderung der Gesamtwirtschaft erreicht wird.“ 257  Siehe dazu F. Halstenberg, Grünflächenpolitik im Siedlungsverband Ruhrkoh­ lenbezirk, in: A. Boettger / W. Pflug (Hrsg.), Stadt und Landschaft, Raum und Zeit – Festschrift für Erich Kühn zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, Köln 1969, S.  281 f.; M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 87 f. 258  F. Uekötter, Umweltgeschichte (Fn. 20), S. 27.



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Schwerins vom 13.12.1929259, das unter explizitem Rekurs auf die Norm des Art. 150 I WRV erstmals im Rahmen der Darstellung des sachlichen Anwendungsbereichs die Naturdenkmäler vor den ebenfalls geschützten Bau- und Geschichtsdenkmälern anführte.260 Das Ergebnis dieses ideellen Fortschritts war gleichsam als terminologische Errungenschaft die Heraus­ bildung eines weiten Naturschutzprogramms, das auch heute noch in den nationalen Naturschutzgesetzen zu erkennen ist.261 Dies wird evident, wenn das Hessische Naturschutzgesetz vom 14.10.1931262 gesehen wird, das in Art. 1 als dem Naturanliegen unterstellte Schutzobjekte seltene oder scho­ nungsbedürftige Tier- und Pflanzenarten, Naturdenkmäler im engeren Sinne einschließlich ihrer Umgebung, das nun als Naturgut erkannte Landschafts­ bild sowie ergänzend durch Art. 23 des Gesetzes auch Naturschutzgebiete festlegte.263 Daneben kann auch auf das Reichsnaturschutzgesetz vom 259  Mecklenburg-schwerinsches Denkmalschutzgesetz vom 05.12.1929, Regie­ rungsblatt für Mecklenburg-Schwerin 1929, S. 309. 260  Auf den expliziten Rekurs auf die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV weist auch K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 63 hin. Zu dem Inhalt dieses Denkmalschutzgesetzes aus dem Jahre 1929 K.  Odendahl, ebd., S. 63 f. 261  Natürlich muss dies in einem weiten Sinne gesehen werden. In der Spätphase des Weimarer Verfassungsstaates entstand ein umfassendes Naturschutzprogramm, das sich in den nationalen Naturschutzgesetzen durchaus widerspiegelt. In dem heu­ tigen Bundesnaturschutzgesetz findet sich etwa die folgende Struktur: Kapitel 3 (Allgemeiner Schutz von Natur und Landschaft); Kapitel 4 (Schutz bestimmter Tei­ le von Natur und Landschaft); Kapitel 5 (Schutz der wild lebenden Tier- und Pflan­ zenarten, ihrer Lebensstätten und Biotope). In Kapitel 4 werden Naturschutzgebiete, Landschaftsschutzgebiete, Naturdenkmäler (i. e. S) und geschützte Landschaftsbe­ standteile als eigenständige Schutzobjekte aufgeführt. Vgl. hierzu K. Ditt (Fn. 172), S. 531; A. Wurzel (Fn. 124), S. 12, der auf die historische Kontinuität der Schutzka­ tegorien abstellt. 262  Hessisches Naturschutzgesetz vom 14.10.1931, Hessisches Regierungsblatt 1931, S. 225 (im Folgenden: HessNG). 263  HessNG, RBl. (1931), S. 225 / 230. Nach Art. 1 Nr. 3 HessNG war der Schutz des Landschaftsbildes ein Gegenstand des Naturschutzes im Sinne dieses Gesetzes. Gleichwohl standen die diesbezüglichen Vorschriften der Art. 20, 21, 22 aber noch ganz in der geistigen Traditionslinie des rückwärtsgewandten Heimatschutzes, wes­ halb das Landschaftsbild insbesondere vor verunstaltenden Eingriffen bewahrt wer­ den sollte. Die landschaftliche Eigenart wurde dann im Rahmen der die Kategorie der Naturschutzgebiete regelnden Bestimmungen beachtet, vgl. Art. 23 HessNG. Ins­ gesamt war das Hessische Naturschutzgesetz aus dem Jahre 1931 gegenüber dem Denkmalschutzgesetz aus dem Jahre 1902 ein wesentlicher Fortschritt, der vor allem auch die aufstrebenden Entfaltungstendenzen des Naturschutzes im Deutschen Reich verdeutlicht. Es finden sich hier umfassende Regelungskomplexe zum Tier- und Pflanzenschutz, zum Naturdenkmalschutz und zum Schutz von Naturschutzgebieten. Als Gesetzestechnik ist in hessischer Kontinuität wiederum das dingliche Natur­ schutzmodell in der Form der Klassierung gewählt worden. Demnach konnten nach Art. 14, 23 HessNG Naturdenkmäler sowie Naturschutzgebiete auf Antrag der obe­ ren Forstbehörde von dem zuständigen Kreisamt unter Schutz gestellt werden. Her­

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26.06.1935264 Bezug genommen werden, das mit den in § 1 aufgeführten Gegenständen des Naturschutzes dem hessischen Gesetzesprogramm in nichts nachstand, wenngleich nach diesem reichseinheitlichen Modell nun gemäß § 1 „sonstige Landschaftsteile in der freien Natur“ explizit geschützt waren und das Landschaftsbild nach dem Wortlaut des § 5 nur noch subsi­ diär in den Kreis der Schutzobjekte einbezogen war.265 Damit entfernte sich die reale Naturschutzverfassung immer mehr von der normativen Grundord­ nung, die in ihrer durch Art. 150 I WRV repräsentierten ästhetisch-kulturel­ len Ausrichtung im freien Spiel der politischen Kräfte mit den naturstaatli­ chen Tendenzen nicht Schritt halten konnte. Es zeichnete sich damit ein Verfassungswandel im Lichte des Naturschutzes ab, der den wertbezogenen Idealstatus einer objektiven Ordnungsdimension als einem allgemeinen staatsleitenden Prinzip des Deutschen Reichs zum Ausdruck brachte. Der Geist fand auf diese Weise in der Naturstaatlichkeit seinen wahren Sinn als systemimmanente Schranke wirtschaftsstaatlicher Expansion. Damit waren die den Naturschutz bedenkenden Gesetze Ausdruck eines naturstaatlichen Staatswillens, der im Sinne eines Gegenstromprinzips die prospektive Sys­ temimmanenz des Deutschen Reichs in der Form eines naturstaatlichen Staatswesens bis zu der höchsten positivrechtlichen Ebene der Verfassung reziprok vorbereitete und auch durchsetzte. Es war dies die Geburt eines Naturstaats, indem der objektive Geist zu sich selbst kam und sich sogleich als ideelles Deutungsschema für die zukünftige Entwicklung des Deutschen Reichs entpuppte.

vorzuheben bleibt das umfassende Schutzregime in Bezug auf Tiere und Pflanzen, das in dieser Form im Deutschen Reich seinesgleichen suchte. Insoweit bestanden gesetzliche Verbotsbestimmungen, die der Erhaltung von Tier- und Pflanzenarten, „deren Erhaltung wegen ihrer Seltenheit aus geschichtlichen, naturgeschichtlichen, wissenschaftlichen oder unterrichtlichen Gründen geboten“ war, dienten. Der eigent­ liche Schutzvorgang konnte auf Antrag des Ministeriums der Finanzen, Abteilung für Forst- und Kameralverwaltung, für das ganze Land oder Teile des Landes bzw. für den Bezirk eines Kreises auch durch das Kreisamt vorgenommen werden, Art. 2 HessNG. Das Gesetzesregime ermöglichte nach Art. 6, 7 HessNG auch den Schutz von sonstigen Tier- und Pflanzenarten, insoweit dies „zur Erhaltung ihres Bestandes oder aus sonstigen Gründen, insbesondere solchen der Landeskultur“, notwendig war. 264  Reichsnaturschutzgesetz vom 26.06.1935, RGBl. I 1935, S. 821 (im Folgen­ den: RN). Siehe hierzu auch M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 88 f. 265  RN, RGBl. I 1935, S. 821 / 823. Entscheidend ist insoweit § 5 S. 2 RN: „Der Schutz kann sich auch darauf erstrecken, das Landschaftsbild vor verunstaltenden Eingriffen zu bewahren.“ Auch wenn das Reichsnaturschutzgesetz erst im Dritten Reich unter dem Regiment des Ermächtigungsgesetzes durch die Reichsregierung zustande gekommen ist, kann es als gehaltvoller Beleg für die Naturschutzströmun­ gen im Deutschen Reich gelten.



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d) Das Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 – Dezisionistisch-subjektive Willkür oder objektiv-idealer Normativismus? Als Musterbeispiel für den rechtstheoretischen Unterschied zwischen subjektivem Dezisionismus und objektivem Normativismus kann schließ­ lich ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1954 ange­ führt werden.266 In dieser für den Naturschutz bedeutenden Entscheidung kam das Bundesverwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass das Reichsna­ turschutzgesetz vom 26.06.1935267 nicht mit nationalsozialistischem Ge­ dankengut getränkt ist. Dabei ließ es bei seiner Bewertung die Präambel, die lautete: „Die deutsche Reichsregierung sieht es als ihre Pflicht an, auch dem ärmsten Volksgenossen seinen Anteil an Deutscher Naturschönheit zu sichern“, und sonstige wirtschaftliche sowie militärische Bestimmungen unberücksichtigt.268 Die Entscheidung diente einem politischen Bedürfnis, da ohne die Weitergeltung des Reichsnaturschutzgesetzes aus dem Jahre 1935 als Landesrecht269 in einigen Bundesländern eine rechtliche Rege­ lungslücke auf dem Gebiet des Naturschutzes bestanden hätte, die erst mit dem Bundesnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1976 als Rahmenvorschrift endgültig aufgehoben worden wäre.270 Aus der Sicht eines Dezisionisten wird man insbesondere unter Berücksichtigung der Präambel an einer ideo­ logischen Verunreinigung des Reichsnaturschutzgesetzes keine Zweifel ha­ ben können. Zu dem konkreten Zeitpunkt der realen Rechtsetzung dieses reichseinheitlichen Naturschutzgesetzes waren die totalitären staatlichen Mobilisierungstendenzen im volkseigenen Lichte der verbrecherischen na­ tionalsozialistischen Weltanschauung bereits deutlich sichtbar, so dass eine reine Naturschutzgesetzgebung ausgeschlossen erscheint.271 Andererseits muss aber eigentlich auch ein Normativist auf dieses Ergebnis kommen, weil das Reichsnaturschutzgesetz vom 26.06.1935 ausweislich des gram­ matikalischen Wortlauts eindeutige Anzeichen einer unterschwelligen Ideo­ logisierung aufweist. Der objektive Geist ist dem subjektiven, aus der kon­ kreten Situation heraus geborenen Geist aber überlegen, da er einen zeit­ losen Sinnzusammenhang enthält. Damit war der objektive Sinn des Ge­ setzes auf Naturschutz programmiert, ein unverbrüchliches Sollen, das die 266  BVerwG, DÖV 1955, 186 (187); vgl. auch BVerwGE 2, 35. Vgl. insoweit zur Fragestellung Dezisionismus bzw. Normativismus auch D. Lukaßen (Fn. 116), S. 34. 267  RGBl. 1935 I, S. 821. 268  BVerwG DÖV 1955, 186 (187); vgl. auch BVerwGE 2, 35 (35 f.); BGHZ 23, 30 (34); das Urteil zusammenfassend Ch.  Maaß / P.  Schütte, in: H.-J.  Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 3. Aufl., München 2010, S. 368. 269  BVerfGE 8, 186 (192). 270  Vgl. auch BVerwGE 2, 35. 271  Vgl. auch M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 89.

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subjektiven, willkürlichen Beweggründe der Rechtsetzung überdauern konnte.272 „Zwar, der vernunftmäßig handelnde, den Akt setzende Mensch verbindet mit seinem Akt einen bestimmten Sinn, der sich in irgendeiner Weise ausdrückt und von anderen verstanden wird. Dieser subjektive Sinn kann, muss aber nicht, mit der objektiven Bedeutung zusammenfallen, die der Akt von Rechts wegen hat. (…) Was diesen Tatbestand zu einem Rechts-(…)Akt macht, das ist nicht seine Tatsächlichkeit, nicht sein natür­ liches, das heißt kausalgesetzlich bestimmtes, im System der Natur be­ schlossenes Sein, sondern der objektive Sinn, der mit diesem Akt verbun­ den ist, die Bedeutung, die er hat. Den spezifisch juristischen Sinn, seine eigentümliche rechtliche Bedeutung, erhält der fragliche Tatbestand durch eine Norm, die sich mit ihrem Inhalt auf ihn bezieht, die ihm die rechtli­ che Bedeutung verleiht, so dass der Akt nach dieser Norm gedeutet wer­ den kann. Die Norm fungiert als Deutungsschema.“273 Im Ergebnis wird die objektive Norm, die inhaltlich den spezifisch juristischen Sinn des Tat­ bestandes enthält, ausschließlich in der ideellen Erkenntnissphäre des Rechts bzw. der Rechtswissenschaft interpretiert, ihr objektiver Sinn ist von der subjektiven Willkür, den psychisch-realen Wünschen und Wollun­ gen der Individuen, unabhängig. Sie überdauert mit ihrem objektiven Sinn den typisch rechtspositivistischen Setzungsakt, der in sich unvollkommen sein kann. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung des Bundesver­ waltungsgerichts zum Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 unter Beachtung der Nichtberücksichtigung der Präambel bzw. sonstiger Artikel nicht zu beanstanden.274 4. Die ökologisch-länderfreundliche Auslegungsvariante Albert Hensels als staatssystemgetreue Quelle naturstaatlicher Verfassungsinterpretation a) Die Ausgangslage in Bezug auf die Problematik um das private Eigentum Die naturstaatlichen Entfaltungstendenzen des Weimarer Verfassungsstaa­ tes standen aber weiterhin im Schatten der expansiven wirtschaftsstaatli­ chen Fortschrittsbestrebungen, die sich in der komplexen Problematik um 272  Siehe hierzu H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, hrsg. v. K. Ringho­ fer und R. Walter, Wien 1979, S. 21 ff.; vgl. auch BVerwG, DÖV 1955, 186 (187): „Bestrebungen zum Schutz der Natur bestanden in Deutschland schon lange vor 1933, etwa seit der Jahrhundertwende. (…) Das (…) (Reichsnaturschutzgesetz) brachte also kein völlig neues Gedankengut, sondern lediglich eine Vereinheitlichung und Verbesserung der vorhandenen Rechtsgrundlagen.“ 273  H. Kelsen, RR (Fn. 227), S. 2 f. 274  Im Ergebnis auch M. Kloepfer, Umweltrecht (Fn. 64), S. 89.



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das private Eigentum kanalisierten. Während sich in der Deutschen Kaiser­ monarchie der staatsrechtliche Diskurs auf die Frage nach der Naturschutz­ idee als einem legitimen Gemeinwohlbelang, der eine staatliche Eingriffs­ aktivität auf diesem neuen Aufgabengebiet überhaupt rechtfertigen konnte, konzentrierte, rückte im industriellen Massenstaat des Deutschen Reichs mit den veränderten politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen275 die Fragestellung nach der Art und Intensität eines Eingriffs in das nunmehr nach Art. 153 der Weimarer Reichsverfassung auch verfassungsrechtlich garantierte Privateigentum und der gegebenen­ falls damit verbundenen staatlichen Entschädigungslast in den Mittelpunkt des Interesses von Rechtsprechung und Weimarer Staatsrechtslehre.276 Die Hauptthematik, die sich hier nun stellte, war das Auslegungsproblem um den Begriff der Enteignung nach Art. 153 II WRV und dessen verfassungs­ systematische Abgrenzung zu einer bloßen Festsetzung von Inhalt und Schranken des Eigentums gemäß Art. 153 I 2 WRV.277 Dabei blickte der nun positivrechtlich in der Weimarer Konstitution verankerte Rechtszu­ stand um das private Eigentum auf eine rechtshistorische Tradition zurück, deren hintergründiges Abbild im Lichte des Verfassungssatzes des Art. 153 II 2 WRV der neuen Streitfrage um den verfassungsrechtlichen Enteig­ nungsbegriff noch eine weitergehende Dimension verlieh. Im Deutschen Kaiserreich war nämlich gemeinhin ein engeres Verständnis einer Enteig­ nung maßgebend gewesen, wonach darunter nur administrative Maßnah­ men durch Verwaltungsakt für ein konkretes öffentliches Unternehmen fie­ len, die entweder die Entziehung oder aber die Belastung von Grundstü­ 275  So E. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, Bd. I: Allgemeiner Teil, 10.  Aufl., München 1973, S.  331; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., München 2011, § 27 Rn. 11; vgl. auch Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318). 276  Die Norm des Art. 153 WRV ist abgedruckt bei G.  Dürig / W.  Rudolf (Fn. 14), S. 207; D.  Willoweit / U.  Seif (Fn. 14), S. 658. Ihr konkreter grammatikalischer Wortsinn war: „(1) Das Eigentum wird von der Verfassung gewährleistet. Sein Inhalt und seine Schranken ergeben sich aus den Gesetzen. (2) Eine Enteignung kann nur zum Wohle der Allgemeinheit und auf gesetzlicher Grundlage vorgenom­ men werden. Sie erfolgt gegen angemessene Entschädigung, soweit nicht ein Reichsgesetz etwas anderes bestimmt. Wegen der Höhe der Entschädigung ist im Streitfalle der Rechtsweg bei den ordentlichen Gerichten offen zu halten, soweit Reichsgesetze nichts anderes bestimmen. Enteignung durch das Reich gegenüber Ländern, Gemeinden und gemeinnützigen Verbänden kann nur gegen Entschädi­ gung erfolgen. (3) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“ 277  W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen, Rechtsgutachten für den Deutschen Städtetag, Schriftenreihe des Deutschen Städte­ tages, Heft 7, Berlin 1929, S. 3 f. / 6 f.; R. Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, München 1976, S. 46.

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cken oder dinglichen Rechten an ihnen zum Gegenstand hatten und daher nur gegen eine Entschädigung möglich waren.278 Die ausgleichende Ent­ schädigungsleistung wurde indessen durch die erlassenen Enteignungsge­ setze der Länder oder reichs- und landesrechtliche Spezialgesetze vorgese­ hen, ohne dass sich aber eine allgemeine Entschädigungspflicht entspre­ chend des im Königreich Preußen herangezogenen § 75 der Einleitung zum Allgemeinen Landrecht aus dem Jahre 1794279 für das gesamte kaiserliche

278  So W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 402; ders., Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 6; W. Schelcher, Die Grund­ rechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, Kommentar zum zweiten Teil der Reichsverfassung, Bd. III, Berlin 1930, S. 209 f. / 219 f.; M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 21 f.; E.  Forsthoff (Fn. 275), S. 330 / 332; W. Weber, Ei­ gentum und Enteignung, in: F. Neumann u. a. (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. II: Die Freiheitsrechte in Deutschland, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 338; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 346; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 275), § 27 Rn. 7; vgl. auch W. Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte – Denkmalpflege und Staat in Deutschland 1871–1933, Göttingen 1996, S. 366. Die Zulässigkeit dieser klassischen Enteignung setzte ihre Notwendigkeit für ein öffentliches Unternehmen voraus. Hierzu zählten die Erbauung von Schulhäusern, Spitälern, die Herstellung von neu­ en Gottesäckern, der Bau von Straßen sowie die Errichtung von Elektrizitätswerken usw., wobei eine Enteignung im Hinblick auf das rein fiskalische Interesse des Staates nicht möglich war. Die Notwendigkeit war letztlich dann zu verneinen, wenn der Vorteil, den das bestimmte Grundstück für das öffentliche Unternehmen bot, durch die Nachteile der Enteignung für die Allgemeinheit aufgewogen wurde (W. Jellinek, Verwaltungsrecht, ebd., S. 404). 279  Die Thematik einer Entschädigung für Eingriffe in das Eigentum reicht von ihren historischen Wurzeln bis in die Zeit des aufgeklärten Absolutismus des 18. Jahrhunderts. Den Hintergrund bildete die Anschauung von wohlerworbenen Rechten, die nur aus besonderen Gründen des Gemeinwohls und gegen eine Ent­ schädigung zur Disposition des Landesherrn stehen sollten. In den §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (ALR) aus dem Jahre 1794 fand dieser Gedanke erstmals seinen positivrechtlichen Ausdruck. Die Vorschriften lauteten: „§ 74. Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staates müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen. § 75. Dagegen ist der Staat denjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vor­ teile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten.“ Siehe dazu E. Forsthoff (Fn. 275), S. 327 ff.; R. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 275), § 27 Rn. 3 f., wo die genannten Bestimmungen jeweils auch abgedruckt sind. Die Normen galten schließlich auch im Deutschen Reich un­ ter der Geltung des neuen Art. 153 WRV als ergänzende Auffangtatbestände fort; so RGZ 118, 22 (24 ff.); W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 411 Fn. 3. Zum Ganzen auch die rechts- bzw. dogmengeschichtliche Abhandlung bei L.  Menninger, Die Inanspruchnahme Privater durch den Staat – das Recht der Aufopferung und Enteignung im 18. und 19 Jahrhundert, Baden-Baden 2014; aus verfassungsge­ schichtlicher Perspektive zur aufklärerischen Raison des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten W.  Frotscher / B.  Pieroth, Verfassungsgeschichte (Fn. 113),



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Reichsgebiet herleiten ließ.280 Dies hatte zur Folge, dass eine entsprechen­ de Entschädigung für staatliche Enteignungsmaßnahmen nur dann gewährt werden musste, wenn dies in einer Rechtsnorm auch ausdrücklich vorge­ sehen war.281 Im Jahre 1921 sprach deshalb das Reichsgericht mit Blick auf diese als unsystematisch empfundene Rechtslage auch von „der in Theorie und Praxis verworrenen und zweifelvollen Lehre über die Entschä­ digungspflicht bei hoheitsrechtlichen Eingriffen in wohlerworbene Rechte“282. Der in rechtsstaatlicher Hinsicht unbefriedigende Zustand fand aber vor allem in der Norm des Art. 109 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch eine positivrechtliche Grundlage, wonach die lan­ desgesetzlichen Vorschriften über die im öffentlichen Interesse erfolgende Entziehung, Beschädigung oder Benutzung einer Sache, die Beschränkung des Eigentums und die Entziehung oder die Beschränkung von Rechten unberührt blieben, und zwar ohne dass eine entsprechende Entschädigungs­ pflicht des Staates hätte vorgesehen werden müssen.283 Erst mit der Ver­ ankerung des Art. 153 in der Weimarer Reichsverfassung änderte sich die­ se vorkonstitutionelle Ausgangslage grundlegend, weil nun nach Art. 153 II 2 WRV entschädigungslose Enteignungen nur noch durch ein Reichsgesetz möglich waren, was die Landesgesetzgeber in einigen ihnen zustehenden Kompetenzbereichen angesichts der obligatorischen Entschädigungsver­ pflichtung in die verfassungsrechtliche Defensive brachte. Diese Situation verschärfte sich mit der reichsgerichtlichen Erweiterung des Enteignungs­ begriffs nach Art. 153 II WRV als Reaktion auf die zunehmenden Belas­ tungsoptionen des Rechtsinstituts des Privateigentums im Zuge des Aus­ baus des sozialstaatlichen Aufgabenkreises, was die Frage nach der Ab­ grenzung einer entschädigungspflichtigen Enteignung auf landesrechtlicher Grundlage nach Art. 153 II WRV und einer ohne eine entsprechende Ent­ § 5 Rn. 146 ff.; vgl. auch die Ausführungen bei W. Weber, Eigentum und Enteignung (Fn.  278), S.  338 ff., v. a. S.  344 f. 280  H. Furler, Das polizeiliche Notrecht und die Entschädigungspflicht des Staa­ tes, Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (392 f.). 281  W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 3 f.; vgl. auch H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (392 f.); W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S. 211; W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen, Stuttgart 1926, S. 46 f. In Betracht kamen noch gewohnheitsrechtliche Ableitungen, die aber freilich nicht allgemeinver­ bindlich waren; so H. Furler, ebd., S. 392 f. 282  RGZ 102, 166 (174); H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (393 Fn. 132); vgl. auch R. Schröder (Fn. 49), S. 80. 283  Zu dieser Norm ausführlich A. Schmidt, Rechtsfragen des deutschen Denk­ malschutzes, München u. a. 1914, S. 174 ff.; H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (396); W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 44 ff.

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schädigungspflicht möglichen Festsetzung von Inhalt und Schranken durch ein Landesgesetz gemäß Art. 153 I 2 WRV in den Fokus des staatsrechtli­ chen Diskurses brachte.284 b) Naturschutzrelevante Urteile in der Rechtsprechung des Reichsgerichts Auf dem Gebiet des Naturschutzes waren es vor allem zwei Urteile des Reichsgerichts, denen eine naturstaatliche Relevanz nicht abgesprochen werden kann. Zum einen handelte es sich hierbei um die am 11.03.1927 ergangene reichsgerichtliche Entscheidung zum Denkmal- und Naturschutz­ gesetz der Freien und Hansestadt Hamburg vom 06.12.1920,285 in der die Eintragung einer dem Kläger gehörenden Parzelle in eine Denkmalliste als Umgebung des als Baudenkmal eingestuften und demnach ebenfalls klas­ 284  Hierzu M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 23 f.; A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (413 f.); K. Arndt, JW 1930, S. 789; Meyer, Enteignung und Städtebaugesetz, ReichsVerwBl. u. PrVerwBl. 1928 (49), 130 (131); W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Fn. 278), S. 216 ff.; E. Forsthoff (Fn. 275), S. 330 ff.; W. Weber, Eigentum und Enteignung (Fn. 278), S. 338 ff.; vgl. auch W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, Berlin 1931, S. 5; A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (414); K. Friedrichs, Naturschutz und Verunstal­ tung (Fn. 91), Gesetz und Recht 1921 (22), 63 (68); Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (319); W. Hofacker, Grundrech­ te und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 48 ff.; R. Schröder (Fn. 49), S. 80; R. Breuer (Fn. 277), S. 102 f. Einen Gesamtüberblick zur rechtlichen Ausgangslage bieten auch J.  Eckert / W.  Gase / A.  Olscher, Die Notverordnung vom 5. Juni 1931, München 1931, S. 394 ff. Die Verfassungsnorm des Art. 153 WRV und damit die regelmäßig bestehende Entschädigungspflicht für Enteignungen fand aber auf vor dem Inkrafttreten der Weimarer Reichsverfassung vorgenommene Enteignungen kei­ ne Anwendung; so RGZ 109, 11 (15 f.); 128, 18 (30); W. Schelcher, ebd., S. 196 Fn. 1 / 211 f.; J.  Eckert / W.  Gase / A.  Olscher, ebd., S. 405. Das Reichsgericht (RGZ 128, 18 (30)) betonte dabei: „Der Art. 153 Abs. 2 RVerf. enthält unmittelbar anwend­ bares Recht und greift daher auch älteren Landesgesetzen gegenüber Platz. Nur bei Inkrafttreten der Reichsverfassung schon vollzogene Enteignungen bemessen sich in ihren Wirkungen ausschließlich nach altem Recht.“ 285  RGZ 116, 268. Zu diesem Urteil und seinen schwerwiegenden Auswirkungen auf den heimatlichen Naturschutz A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (415 ff.); Frhr. v. Dungern, Fällt der Naturschutz unter den Begriff der Enteignung? (Fn. 178), Juristische Rundschau 1927 (23), Sp. 646 ff.; J. Krayer (Fn. 22), S. 53; P. Krückmann, Enteignung, Einziehung, Kontrahierungszwang, Änderung der Rechtseinrich­ tung, Rückwirkung und die Rechtsprechung des Reichsgerichts, Berlin 1930, S.  15 ff.; A. Buschke (Fn. 82), S. 120 ff.; W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 18 f.; O. Kirchheimer, Die Grenzen der Ent­ eignung, Berlin u. a. 1930, S. 56 ff.; E. Forsthoff (Fn. 275), S. 331 f. Fn. 1; K.  Odendahl, Kulturgüterschutz (Fn. 23), S. 56 f.; W. Speitkamp, Die Verwaltung der Ge­ schichte (Fn. 278), S. 385 f.; F. Hammer (Fn. 22), S. 212 ff.; R. Breuer (Fn. 277), S. 105 ff.; vgl. auch Meyer (Fn. 284), Reichs-VerwBl. u. PrVerwBl. 1928 (49), 130 (130 f.); R. Schröder (Fn. 49), S. 80 ff.



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sierten Galgenbergs als Enteignung im Sinne des Art. 153 II WRV angese­ hen wurde. Dem Kläger war fortan die Disposition über das Grundstück, das er weiter für Ausschachtungsarbeiten für Sand und Kies nutzen wollte, insoweit beschränkt, als er nach § 10 des Hamburgischen Gesetzes ohne Erlaubnis der zuständigen Baupflegekommission als Denkmalschutzbehörde die seit dem Jahre 1919 in seinem Privateigentum stehende Parzelle weder durch bauliche Anlagen noch sonst negativ verändern durfte. Das Reichsge­ richt sah in diesem auch naturschutzrelevanten Vortrag des Klägers zu die­ sem Zeitpunkt bereits in ständiger Rechtsprechung eine tatbestandliche Enteignung im Sinne des Art. 153 II WRV, da das Recht des Eigentümers, mit seiner Sache gemäß § 903 BGB nach Belieben zu verfahren, zugunsten eines Dritten beeinträchtigt wurde.286 Im Hinblick auf die Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV fügte das Reichsgericht schließlich hinzu, dass „wenn der Beklagte beim Denkmalschutz die Rechte Dritter beeinträchtigt oder verletzt, so muss er die gesetzlichen Folgen tragen.“287 Ein ähnlicher Sach­ verhalt lag auch dem anderen den Naturschutz tangierenden Urteil des Reichsgerichts zugrunde, das in der späten Phase des Deutschen Reichs die staatlichen Aktivitäten auf diesem neuen Interessengebiet erschütterte. Das so genannte Fluchtlinienurteil des Reichsgerichts vom 28.02.1930288 aktua­ 286  Hierzu nur in ständiger Rechtsprechung RGZ 105, 251 (253); 107, 261 (269 f.); 108, 252 (253); 111, 224 (226); 112, 189 (191); 116, 268 (272). 287  RGZ 116, 268 (273). Das Reichsgericht erkennt in dieser Entscheidung zudem ausdrücklich an, dass das Hamburgische Denkmal- und Naturschutzgesetz in der Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV eine reichsgesetzliche Unterlage finde. Zudem stellte sich auch die Frage nach dem Verhältnis der reichsrechtlichen Gewerbeord­ nung zu den landesrechtlichen Polizei- und Ordnungsvorschriften auf dem Gebiet des Naturschutzes. Die Ausweisung eines Naturschutzgebietes konnte die Gewerbe­ freiheit erheblich beschränken, wenn auf dem Grundstück nunmehr eine bestimmte gewerbliche Nutzung nicht mehr möglich war. Da nach Art. 13 der Weimarer Reichsverfassung das Reichsrecht dem Landesrecht vorging, war problematisch, ob denn die Naturschutzgebietsausweisung die Gewerbefreiheit überhaupt begrenzen konnte. Nach der Ansicht von dem Freiherrn von Dungern (Frhr. v. Dungern, Na­ turschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (319)) waren derarti­ ge auf landesrechtlichen Maßnahmen beruhende Beschränkungen der wirtschaftli­ chen Gewerbefreiheit zulässig, so wie auch sonstige Begrenzungen aus sicherheits-, ordnungs- und baupolizeilichen Gründen möglich waren. 288  RGZ 128, 18. Zu diesem reichsgerichtlichen Urteil A. Bertram (Fn. 44), Ver­ waltungsarchiv 1930 (35), S. 411 ff.; W. Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte (Fn. 278), S. 386; R. Breuer (Fn. 277), S. 111 ff.; C. Sass, Enteignungen auf dem Gebiete des Städebaues nach der dritten Notverordnung Kap. III, Berlin u. a. 1932, S. 3 ff. Siehe hierzu auch die Besprechungen dieses Urteils von K. Schlichting, JW 1930, S. 1955 ff. sowie von JR Friedrichs, JW 1930, S. 2426 f. und A. Steiniger, JW 1930, S. 2427 f. Daneben gab es noch ein zweites Fluchtlinienurteil des Reichsge­ richts vom 03.03.1931 (RGZ 132, 69 (71 ff.)), das die Rechtsprechung aus dem ersten Fluchtlinienurteil aber lediglich bestätigte. Siehe zu diesem zweiten Fluchtli­ nienurteil R. Breuer (Fn. 277), S. 117 ff.

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lisierte hierbei wiederum den nach Art. 153 II WRV konstitutionell vorpro­ grammierten Konflikt mit dem Privateigentum, dem es im Zuge des fort­ schreitenden und unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten erforderlichen Städtebaus an praktischem Gewicht nicht fehlte.289 Den Klagegegenstand dieses für die naturstaatliche Entwicklung des Deutschen Reichs gleichsam relevanten reichsgerichtlichen Verfahrens bildete unter anderem eine Flucht­ linienfestsetzung der Stadtgemeinde Berlin als Beklagte, mit der diese den südlichen Abschnitt des klägerischen Grundbesitzes zur Freifläche erklären wollte, um das Anwesen dem in ihrem Besitz stehenden Dauerwalde zu­ schlagen zu können. Die Beklagte Stadt Berlin berief sich dabei im Rahmen des Verfahrens auf ihre Verpflichtung zur Freiflächenfestsetzung im Interes­ se der Allgemeinheit,290 was dem naturstaatlichen Gedanken eine besondere Dimension verlieh. Der Kläger, der das Grundstück zu Wohnzwecken be­ bauen wollte, was überdies baupolizeilich abgelehnt wurde, nachdem das Bezirksamt aufgrund eines auf der Rechtsgrundlage von § 12 des Berliner Fluchtliniengesetzes vom 02.07.1875291 erlassenen Ortsgesetzes die Zustim­ mung zu dem geplanten Bauprojekt versagt hatte, begehrte mitunter eine Entschädigung für die spätere Fluchtlinienfestsetzung. Das Reichsgericht entschied auch hier, dass es sich bei der gemeindlichen Maßnahme der Fluchtlinienfestsetzung um eine Enteignung im Sinne des Art. 153 II WRV handelte, was eine Auslösung der konstitutionellen Entschädigungspflicht zur Folge hatte. In der Urteilsbegründung wurde hierbei der Sonderopferge­ danke argumentativ hervorgehoben,292 der als historisch gewachsenes und 289  Im Gegenteil war der Städtebau nach den schweren Kriegsfolgen eines der bestimmenden Themen im Deutschen Reich; so K. Arndt, JW 1930, 789 (789 f.); R. Schröder (Fn. 49), S. 56. 290  RGZ 128, 18 (21): „Zur Feststellung des neuen Fluchtlinienplans, der den südlichen Grundstücksteil zur Freifläche mache, sei die Beklagte im Interesse der Allgemeinheit berechtigt, ja sogar verpflichtet gewesen, auch wenn dadurch Interes­ sen eines Einzelnen, des Klägers, verletzt worden seien.“ Damit wurde die Erho­ lungsdimension der Wälder für die Stadtbevölkerung unterstrichen, was die soziale Komponente des Naturschutzes in den Vordergrund stellte. 291  Preußisches Fluchtliniengesetz (Straßen- und Baufluchtengesetz) vom 02.07.1875, Preußische Gesetzsammlung, S. 561. Das Gesetz wurde durch das Woh­ nungsgesetz vom 28.03.1918, GS (1918), S. 23, partiell verändert. Die dieser Ent­ scheidung zugrunde liegenden Vorschriften des Fluchtliniengesetzes lauteten: „§ 1 (1): Für die Anlegung oder Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften sind die Straßen- und Baufluchtlinien vom Gemeindevorstan­ de im Einverständnisse mit der Gemeinde, bezüglich deren Vertretung, dem öffent­ lichen Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde festzuset­ zen.“ „§ 12 (1): Durch das Ortsstatut kann festgestellt werden, dass an Straßen oder Straßentheilen, welche noch nicht gemäß der baupolizeilichen Bestimmungen des Orts für den öffentlichen Verkehr und den Anbau fertig hergestellt sind, Wohngebäu­ de, die nach diesen Straßen einen Ausgang haben, nicht errichtet werden dürfen.“ 292  Siehe hierzu auch K. Arndt, JW 1930, S. 789; R. Breuer (Fn. 277), S. 51 ff.



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wesenstypisches Merkmal einer Enteignung für das Reichsgericht, auch was das konkrete Ausmaß der personellen Eingriffsrelevanz anging, in dem Fluchtlinienfall nicht zu beanstanden war. Demnach handelte es sich „bei der Pflicht des Eigentümers, das in eine Fluchtlinie fallende Gelände nicht zu bebauen, nicht um eine allgemeine, alle Eigentümer beim Vorliegen ge­ wisser Voraussetzungen treffende Pflicht. (…) Eine solche Belastung einzel­ ner oder mehrerer einzelner bestimmter Grundstücke, die unmittelbar an­ knüpft an die Festsetzung des Fluchtlinienplans, also an einen Verwaltungs­ akt, und die für das öffentliche Unternehmen der Anlegung oder Änderung von Straßen und Plätzen erfolgt, ist vielmehr als Enteignung zu kennzeichnen.“293 Tatsächlich aber enthüllte dieses reichsgerichtliche Urteil den schmalen Grad, der zwischen einer entschädigungspflichtigen Enteig­ nung und einer allgemeinen Regelung, die nur Inhalt und Schranken des Eigentums festlegte, bestand. Dies wurde offenbar, als das Reichsgericht die Fluchtlinienfestsetzung zu einem durch gemeindliches Ortsstatut anberaum­ ten Bauverbot nach § 12 des Fluchtliniengesetzes abgrenzte. Ein derartiges Bauverbot sei eine Änderung des in der Gemeinde geltenden öffentlichen Baurechts und trage nicht den Charakter eines Verwaltungsakts, sondern sei Gesetz im weiteren Sinne. Innerhalb des Bezirks treffe ein solches gemeind­ liches Ortsstatut sämtliche Grundstücke, die an einer unfertigen Straße lie­ gen, nicht einzelne Grundstücke oder einen engen Kreis von ihnen, sondern eine unbeschränkte Zahl nach Lage und Umfang völlig unbestimmter Grundflächen, so dass ein derartiges Gesetz nicht enteigne.294 Die angeführ­ ten Urteile des Reichsgerichts können als Hemmschuh des naturstaatlichen Systemprinzips des Deutschen Reichs angesehen werden, da durch die all­ gemeine Finanzknappheit der öffentlichen Hand die stets zu leistende Ent­ schädigung bei staatlichen Enteignungsmaßnahmen den hoheitlichen Natur­ schutz in die verfassungsrechtliche Defensive brachte.295 Durch den weiten 293  RGZ

128, 18 (29 f.). 128, 18 (28). Ausführlich zu dieser Abgrenzungsproblematik W. Jelli­ nek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 22 ff.; kritisch hierzu auch R. Breuer (Fn. 277), S. 113 ff. 295  K. Arndt, JW 1930, S. 789. In einem weiteren Sinne naturstaatsrelevant war letztlich noch ein Urteil des Staatsgerichtshofs vom 23.03.1929 (RGZ 124, Anh. 19 (32 ff.)), das die Gültigkeit der preußischen Notverordnung vom 10.10.1927 (Preu­ ßische Gesetzsammlung 1927, S. 189) über einen erweiterten Staatsvorbehalt zur Aufsuchung und Gewinnung von Steinkohle und Erdöl betraf. Der Eingriff in das Eigentum der Grundeigentümer lag insoweit darin, dass sie durch die genannte preu­ ßische Notverordnung ihre Berechtigung zur Förderung der fossilen Brennstoffe verloren. Der Staatsgerichtshof sah in diesem Eingriff in das Eigentum gleichwohl keine entschädigungspflichtige Enteignung, sondern lediglich eine Inhalt und Schranken des Grundeigentums festlegende Neuregelung der Gesetzgebung. Siehe hierzu nur W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 19 f.; R. Breuer (Fn. 277), S. 108 ff. 294  RGZ

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Enteignungsbegriff der Rechtsprechung wurde zwar der Schutz des privaten Eigentums gestärkt, der staatliche Naturschutz aber im Gegenzug erheblich erschwert, weshalb eine dogmatisch überzeugende Lösung des Abgren­ zungsproblems einer Enteignung von einer allgemeinen Regelung, die ledig­ lich Inhalt und Schranken des Privateigentums festlegte, immer wichtiger wurde. In die gleiche Richtung gingen Versuche, den Enteignungstatbestand in materieller Hinsicht einer Korrektur zu unterziehen, um dem allgemeinen Rechtsempfinden bei der schwierigen Bestimmung einer Enteignung im Sinne des Art. 153 II WRV Genüge zu tun.296 c) Der konstitutionelle Begriff der Enteignung nach Art. 153 II WRV als Interpretationsproblem in Rechtsprechung und Weimarer Staatsrechtslehre Das Problem um die auslegungsmethodische Ermittlung des konkreten Wortsinns des verfassungsrechtlichen Begriffs der Enteignung nach Art. 153 II WRV wurde damit im Lichte der naturstaatlichen Entfaltung des Deut­ schen Reichs in Rechtsprechung und Weimarer Staatsrechtslehre zum juris­ tischen Interpretationswettstreit, der die direkte Verknüpfung der untrennbar aufeinander bezogenen Sphären von Sein und Sollen und die damit verbun­ dene politische Dimension der Verfassungsauslegung zeigte. Während eine zu enge Interpretation des Begriffs der Enteignung die privaten Eigentümer im Zuge der zeitgerechten Erweiterung des sozialstaatlichen Aufgabenspek­ trums des Deutschen Reichs teilweise in unbilliger Weise getroffen hätte, ermöglichte ein in seinem Wortsinn zu stark erweiterter Enteignungstatbe­ stand zwar einen effizienteren verfassungsrechtlichen Schutz, der sich dann aber wiederum auf die naturstaatlichen Entwicklungstendenzen aufgrund der für Enteignungen nach der Verfassungsnorm des Art. 153 II 2 WRV regel­ mäßig zu leistenden Entschädigung negativ ausgewirkt hätte. Dagegen war die Option einer unmittelbar durch ein Gesetz erfolgenden Legalenteignung in Abkehr von dem noch im Deutschen Kaiserreich maßgebenden engen Verständnis der Enteignung, wonach diese nur durch einen Verwaltungsakt aufgrund eines Gesetzes durchführbar war, mit der Zeit allgemein anerkannt,297 so dass auf diese Thematik nur am Rande eingegangen wird. 296  Die materiellen Korrekturtheorien zusammenfassend A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (415 f.); A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (417 f.); R. Breuer (Fn. 277), S. 54 ff.; R. Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädi­ gung, Hamburg 1933, S. 201 ff.; R. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 275), § 27 Rn. 17; W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 413 f.; E. Isay, Die entschä­ digungspflichtige Enteignung durch Fluchtlinienfestsetzung, Das Grundeigentum 1931 (43), 1166 (1167). 297  Siehe dazu nur W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn.  278), S. 210 f. / 216 / 227 f.; Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn.  35),



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Carl Schmitt kritisierte zwar auch insoweit die für ihn weiter voranschrei­ tende Auflösung des Enteignungsbegriffs,298 was sich aus seiner dezisionis­ tischen Grundhaltung und dem Bezugspunkt auf die Konstituierung im Jahre 1919 erklären lässt. Hinsichtlich des Naturschutzes im Deutschen Reich standen aber – wie die dargestellten reichsgerichtlichen Urteile bele­ PrVerwBl. 1927 (48), 317 (319); H. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung (Fn. 110), S.  15 ff.; K. Arndt, JW 1930, S. 789; A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (412); A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (417 f.); W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 50; H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (395); M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 21; W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 409; OR Reiß, Das Ver­ bot der entschädigungslosen Enteignung als Schranke für den Gesetzgeber, Danziger Juristische Monatsschrift 1926 (5), 49 (51); E. Forsthoff (Fn. 275), S. 331 f. mit Fn. 1; R. Breuer (Fn. 277), S. 48. Walter Jellinek weist indessen auf die zunehmen­ de allgemeine Tendenz hin, dass das Gesetz die Natur vor Zerstörung und Abschlie­ ßung schütze (W. Jellinek, Verwaltungsrecht, ebd., S. 410); a. A. C. Schmitt, Die Auflösung des Enteignungsbegriffs, JW 1929, 495 (497); vgl. auch E. Forsthoff, ebd., S.  331 ff. 298  C. Schmitt (Fn. 297), JW 1929, S. 495; O.  Kirchheimer (Fn. 285), S. 52; P. Krückmann (Fn. 285), S. 3; A. Steiniger (Fn. 288), JW 1930, S. 2427; siehe hier­ zu auch W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 9 f.; vgl. W. Weber, Eigentum und Enteignung (Fn. 278), S. 342. Carl Schmitt führt insoweit unter Skizzierung der Rechtsprechung aus: „Es ist sehr inte­ ressant zu beobachten, wie ein Begriffsmerkmal des alten Enteignungsbegriffs nach dem anderen entfällt, ganz unsystematisch von Fall zu Fall, aber immer in der Rich­ tung einer Ausdehnung des Eigentumsschutzes. Nachdem man einmal den Begriff der Enteignung in den der Rechtsentziehung oder Rechtseinschränkung aufgelöst hatte, konnte leicht auch jede Interessenverletzung Enteignung sein; nachdem das Merkmal der Überführung des enteigneten Gegenstandes aus dem Vermögen des Enteigneten in das eines Begünstigten entfallen war, blieb nur noch ‚der Eingriff‘ übrig, bei dem sich leicht ein irgendwie Begünstigter findet, wenn es nicht mehr auf die präzise Gegenständlichkeit des enteigneten Objekts ankommt; da endlich jeder Gesetzgebungsakt eine Enteignung i. S. des Art. 153 sein konnte, entstanden auch gegenüber einem Gesetz, das Rechts- und Vermögensnachteile mit sich brachte, sofort Entschädigungsansprüche aus Enteignung nach Art. 153. Die drei genannten Begriffserweiterungen (Erweiterung des Eigentumsbegriffs, Wegfall des Merkmals der gegenständlichen Überführung und Ausdehnung auf die Gesetzgebung) führen, miteinander kombiniert, zu einem erstaunlichen Ergebnis, denn es gibt kaum ein Gesetz, das nicht irgendwie in Rechte und Interessen eingreift.“ „Um so auffälliger, dass die gerichtliche Praxis seit einigen Jahren den Eigentumsschutz des Art. 153 gegenüber dem Recht des 19. Jahrhunderts so weit ausgedehnt hat, dass ein völlig neues Rechtsinstitut entstanden zu sein scheint.“ Dabei kristallisiert sich freilich auch das konkrete Ordnungsdenken von Carl Schmitt heraus. Gleichzeitig sah Carl Schmitt in der reichsgerichtlichen Ausweitung des Enteignungsmerkmals die Gefahr der Entstehung eines politisch unverantwortlichen Jurisdiktionsstaats (C. Schmitt, ebd., JW 1929, 495 (496 f.); Hervorhebungen im Rahmen der direkt zitierten Passa­ gen im Original). Gegen den Bezug der Auslegung der Norm des Art. 153 WRV auf den Rechtszustand von 1919 ausdrücklich A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (411 f.); a. A. C. Schmitt, ebd., JW 1929, 495 (496 f.).

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gen  ‒ administrative Maßnahmen auf der Grundlage eines Gesetzes im Mittelpunkt des Diskurses, so dass die in Rechtsprechung und Weimarer Staatsrechtslehre vertretenen Enteignungstheorien anhand dieser für eine naturstaatliche Systemimmanenz des Deutschen Reichs relevanten Entschei­ dungen des Reichsgerichts nun verdeutlicht werden. Nach einer Ansicht, die von Martin Wolff im Rahmen der Debatte um die Auslegung des verfassungsrechtlichen Enteignungsmerkmals vertreten wur­ de, lag eine Enteignung nur dann vor, „wenn, zugleich mit der Entziehung privater Rechte auf der einen Seite, für den durch sie Begünstigten auf der anderen Seite gleichartige Privatrechte gewonnen werden.“299 Deshalb musste das, was der Enteignete durch den gezielten Eingriffsakt in das Privateigentum einbüßte, dem von der Enteignung Begünstigten zufallen, was nichts anderes bedeutet, als dass nach dieser engen Theorie Enteignung gleich Übereignung war.300 In seiner Schrift „Reichsverfassung und Eigen­ tum“ aus dem Jahre 1923 hob Martin Wolff aber hervor, dass dieser auf Gerhard Anschütz zurückgehende Ausspruch einer Gleichstellung von Ent­ eignung und Übereignung301 nicht technisch zu verstehen sei, sondern dass die Kategorie einer Enteignung etwa auch dann vorliegen könne, wenn die Staatsgewalt bestehende Rechte des Enteigneten belaste, um aus ihnen kon­ stitutiv neue Rechte zugunsten des Begünstigten „abzusplittern“.302 Dies bedeutet, dass auch die hier diskutierten Rechtsakte der Eintragung eines Grundstücks in die Denkmalliste bzw. die abschließende Festsetzung einer Fluchtlinie nach dieser Ansicht unter den verfassungsrechtlichen Enteig­ nungsbegriff nach Art. 153 II WRV fielen, da den administrativen Rechts­ beschränkungen des Privateigentümers ein entsprechender Übereignungszu­ 299  M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn.  99), S. 24; W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 46. Siehe zur Übereig­ nungstheorie auch H. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung (Fn. 110), S. 16 f. 300  E. Isay (Fn. 296), Das Grundeigentum 1931 (43), 1166 (1167). 301  G. Anschütz, Der Ersatzanspruch aus Vermögensbeschädigungen durch recht­ mäßige Handhabung der Staatsgewalt, Drei öffentlich-rechtliche Studien, Berlin 1897, S. 34; M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 25. 302  M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 25 f. (Hervorhebung des Wortes „absplittern“ im Original). „Dabei kommt es nicht darauf an, in welcher Rechtsform die ‚Überführung‘ aus dem Vermögen des Enteigneten in das des Be­ günstigten geschieht.“ Martin Wolff sah bereits zum Zeitpunkt der Abfassung seines Werkes „Reichsverfassung und Eigentum“ im Jahre 1923 die Gefahr, dass eine zu weite Interpretation des Enteignungsmerkmals nach Art. 153 II WRV dazu führen könnte, dass ein Reichsland die ihm zukommenden Wohlfahrtsaufgaben nicht mehr realisieren konnte. Hierbei wies er explizit auf den Waldschutz, den Schutz von nationalen Denkmälern sowie Naturschönheiten hin (M. Wolff, ebd., S. 28). Walter Jellinek machte in diesem Kontext darauf aufmerksam, dass sich wohl bei allen Beschränkungen, auch solchen, die in ein Verbot ausmünden, ein Berechtigter auf der anderen Seite ermitteln lasse (W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 413).



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wachs korrespondierte, der in der gemeindlichen Befugnis bestand, die Bebauung oder Veränderung des jeweiligen Grundstücks zu verhindern, sofern dies mit dem Sinn und Zweck des Denkmalschutzes oder der Bau­ fluchtlinienfestsetzung unvereinbar war, was inhaltlich einer Grunddienst­ barkeit der Unbebaubarkeit nahekam.303 Auch wenn diese formale Interpre­ tationsmethodik einer Enteignung nach Art. 153 II WRV obgleich ihrer nicht zu leugnenden Traditionslinie zu dem herkömmlichen Verständnis ei­ ner Enteignung, wie es noch in der kaiserlichen Monarchie maßgebend war,304 die nötige Flexibilität hinsichtlich eines erweiterten Schutzbereichs der Eigentumsgarantie sowie einer rechtsschutzintensiveren Einsicht in ein untechnisch zu verstehendes Übereignungsmerkmal nicht vermissen ließ, führte sie in mehreren Fällen zu dem Erfordernis von phantasievollen Kon­ struktionen, um eine Enteignung begründen zu können, was einer Rechts­ unsicherheit Vorschub leisten konnte. Im Deutschen Reich war bereits frühzeitig die Ansicht herrschend, wonach neben dem privaten Eigentum im engeren Sinne auch sonstige private Vermögensrechte wie Forderungen, Aktien und Urheberrechte in den verfassungsrechtlichen Schutzbereich fielen,305 was die Gefahr von schwierigen Fragen zu dem formalen „Über­ eignungskriterium“ beförderte. Insbesondere konnte diese Enteignungstheo­ 303  W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 9; zustimmend E. Isay (Fn. 296), Das Grundeigentum 1931 (43), 1166 (1167), der aber die grundsätzlich untechnisch zu verstehende Enteignungslehre von Martin Wolff im Ausgangspunkt verkannte; zur Dienstbarkeit der Unbebaubarkeit RGZ 63, 298 (300); 128, 18 (29 f. / 33). 304  K. Arndt, JW 1930, S. 789. 305  Siehe hierzu nur RGZ 109, 310 (319); 111, 320 (328); G. Anschütz (Fn. 13), S. 704; F. Giese (Fn. 33), S. 315; M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 3; H. Triepel, Goldbilanzen-Verordnung (Fn. 110), S. 16; C. Schmitt (Fn. 297), JW 1929, S. 495; H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (395); Meyer (Fn. 284), ReichsVerwBl. u. PrVerwBl. 1928 (49), 130 (130 f.); OR Reiß (Fn. 297), Danziger Juristische Monatsschrift 1926 (5), 49 (51); E. Forsthoff (Fn. 275), S.  330 ff.; W. Weber, Eigentum und Enteignung (Fn. 278), S. 339 f. Eine zusammen­ fassende Übersicht des Diskurses um den Schutzbereich des Art. 153 I WRV findet sich bei W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S. 198 ff. Walter Schel­ cher vertrat insoweit eine Mindermeinung, als sich für ihn aus der historischen Tradition des Eigentumsschutzes sowie der Entstehungsgeschichte des Art. 153 WRV nur ein enger Eigentumsbegriff im Sinne einer absoluten Rechtsposition erge­ ben konnte, wozu auch Grunddienstbarkeiten, Pfandrechte, grundbücherlich einge­ tragene persönliche Nutzungs- und Gebrauchsrechte, Pacht- oder Mietrechte, das rechtlich geschützte geistige Eigentum, Erfinder- und Autorenrechte, mit Inhaberpa­ pieren verbundene Rechte von Gläubigern und Mitgliedern einer Aktiengesellschaft sowie der Besitz einer Sache gehören sollten. Eine noch engere Ansicht, die sich ausschließlich auf das Privateigentum im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs be­ schränkte, vertraten unter anderem noch A. Köttgen, Juristische und wirtschaftliche Gedanken zum thüringischen Wasserrecht, Jena 1925, S. 83 ff.; W. Hofacker, Grund­ rechte und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 34 ff. Gleichwohl konnte die

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rie aber mit der Vernichtung des privaten Eigentums den schwersten und rechtswirkungsintensivsten der möglichen Eingriffe in das wirtschaftliche Grundrecht nach Art. 153 I WRV nicht angemessen erfassen, was ihre prak­ tische Brauchbarkeit überdies erheblich in Frage stellte.306 Die wohl herrschende Meinung in Rechtsprechung und Weimarer Staats­ rechtslehre nahm deshalb eine Enteignung im Sinne des Art. 153 II WRV dann an, wenn ein bestimmter Rechtsakt, der den Charakter eines Einzelein­ griffs hatte, vorlag, „indem er bestimmte Personen oder einen verhältnismä­ ßig eng begrenzten Personenkreis mit besonderen Opfern zugunsten der Allgemeinheit belastete.“307 Nachdem das Reichsgericht in der Anfangszeit Ansicht eines erweiterten Schutzbereichs des Art. 153 I WRV als herrschend be­ zeichnet werden (a. A. ausdrücklich W. Schelcher, ebd., S. 204 f. Fn. 9). 306  So G. Anschütz (Fn. 13), S. 713; W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 413; H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (397); E. Isay (Fn. 296), Das Grundeigentum 1931 (43), 1166 (1167); grundsätzlich auch ableh­ nend K. Arndt, JW 1930, S. 789; W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S.  223 ff.; Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Naturpflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (318 f.). Martin Wolff schränkte insoweit aber auch wiederum ein, dass unter einer Enteignung auch der Fall zu verstehen sei, bei dem auf der einen Seite ein Recht „vernichtet“ werde, auf der anderen Seite aber ein „neues“ Recht entstehe (M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 26; Hervorhebungen im Ori­ ginal). Walter Schelcher dagegen (W. Schelcher, ebd, S. 223 f.) sah die Abgrenzung gegenüber etwaigen staatlichen Maßnahmen, die nur die Vernichtung eines Objekts zum Zweck hatten, als das bestimmende Motiv für die Entwicklung dieser „Über­ eignungstheorie“ an. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass Martin Wolff das Er­ fordernis „zum Wohle der Allgemeinheit“ nicht als ein konstitutives Begriffsmerk­ mal der Enteignung ansah, was von ihm ebenfalls als kritisch angesehen wurde (W. Schelcher, ebd., S. 223 f., v. a. auch Fn. 38 a). Siehe zu dem ursprünglich kons­ titutiven Erfordernis für eine klassische Enteignung, dass die konkrete Eingriffsmaß­ nahme „zum Wohle der Allgemeinheit“ durchgeführt wurde, was im Deutschen Reich ebenfalls veränderten Auslegungsansätzen ausgesetzt war W. Weber, Eigentum und Enteignung (Fn. 278), S. 339 f. 307  So G. Anschütz (Fn. 13), S. 710 ff.; Frhr. v. Dungern, Naturschutz und Natur­ pflege (Fn. 35), PrVerwBl. 1927 (48), 317 (319); M. Cornils, BVerfGE 58, 300 – Nassauskiesung; Grundwasser vs. Kiesbaggerei: Die Rückeroberung der Interpreta­ tionshoheit über die Eigentumsgarantie, in: J.  Menzel / R.  Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung, 2. Aufl., Tübingen 2011, S. 338 f.; vgl. auch W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 50 ff.; R. Breuer (Fn. 277), S. 47 f. / 110; E. Forsthoff (Fn. 275), S. 332 f.; W. Weber, Eigentum und Enteignung (Fn. 278), S. 338 ff.; J.  Eckert / W.  Gase / A.  Olscher (Fn. 284), S. 397 ff. Siehe zur herrschenden Einzelaktstheorie auch W. Jellinek, Entschädigung für bau­ rechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 10 ff.; A. Bertram (Fn. 44), Ver­ waltungsarchiv 1930 (35), 411 (412); Meyer (Fn. 284), ReichsVerwBl. u. PrVerwBl. 1928 (49), 130 (132). Zu der der Einzelaktstheorie folgenden Rechtsprechung W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen, ebd., S. 17 ff., v. a. S. 20 f. / 30. Nunmehr war eine Enteignung nicht mehr nur zum Zweck eines öffentlichen Unternehmens zulässig, sondern es genügte auch ein gemeinnüt­



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des Deutschen Reichs noch zu der formalen Übereignungstheorie im Sinne Martin Wolffs tendiert hatte, stand es mit der Dauer vorzugsweise und spä­ ter dann in ständiger Rechtsprechung im Lager der Einzelaktstheorie,308 wobei für die Annahme des Enteignungstatbestandes nach Art. 153 II WRV genügte, dass „das Recht des Eigentümers, mit seiner Sache gemäß § 903 BGB nach Belieben zu verfahren, zugunsten eines Dritten beeinträchtigt wird“, was nicht nur durch einen Verwaltungsakt, sondern auch unmittelbar durch ein Gesetz erfolgen konnte.309 Damit traten die mit der Norm des Art. 153 WRV verbundenen Problemstellungen deutlich hervor. Es stellte sich zum einen die Frage nach der Eingriffsintensität, die für die positive Einstufung einer staatlichen Maßnahme als einer Enteignung gemäß Art. 153 II WRV gegeben sein musste. Daneben trat durch das für eine Enteignung konstitutive Merkmal des überschaubaren Personenkreises die Abgrenzungs­ thematik zu einer lediglich Inhalt und Schranken des Eigentums festlegen­ den allgemeinen Bestimmung nach Art. 153 I 2 WRV in den Fokus des staatsrechtlichen Diskurses. Die Argumentationsmuster, die dabei gegen den erweiterten Enteignungsbegriff geltend gemacht wurden, waren in der Grundtendenz zumindest ähnlich. Insoweit wurde vorgebracht, dass durch eine Norm wie dem Hamburgischen Denkmal- und Naturschutzgesetz oder dem Berliner Fluchtliniengesetz die Schranken des Eigentums im Vorab bestimmt worden sind, so dass der Inhalt des Eigentums die jeweiligen Eigentümerbefugnisse nicht mehr umfasste, was eine weitergehende Be­ schränkung durch enteignenden Verwaltungsakt quasi denklogisch aus­ schloss.310 Als Indiz für die Richtigkeit dieses Denkansatzes wurde immer wieder auf die Gesetzesnorm des Art. 111 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch verwiesen, die in systematischer Ergänzung zu dem Enteignungsvorbehalt des Art. 109 EGBGB landesgesetzliche Regelun­ gen ermöglichte, durch die das Eigentum in Ansehung tatsächlicher Verfü­ gungen im öffentlichen Interesse beschränkt werden konnte.311 Dies führte sogar soweit, dass die genannten Rechtsnormen des Art. 109 und des ziges Vorhaben, das die Entziehung oder Beschränkung des Eigentums motivierte; so W. Schelcher, in: H.  C.  Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S. 222 / 227. Zur Entwick­ lung der Rechtsprechung O.  Kirchheimer (Fn. 285), S. 51 ff. 308  G. Anschütz (Fn. 13), S. 712 ff.; im Ergebnis zustimmend A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (417 ff.); H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (398 ff.); W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S. 225; siehe hierzu auch R. Breuer (Fn. 277), S. 47 ff. 309  G. Anschütz (Fn. 13), S. 715; W. Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte (Fn. 278), S. 386; hierzu auch R. Schröder (Fn. 49), S. 80. 310  RGZ 116, 268 (270 f.). 311  RGZ 116, 268 (273); 128, 18 (27 f.); M. Wolff, Reichsverfassung und Eigen­ tum (Fn. 99), S. 24. Zur Auslegung des Art. 111 EGBGB Meyer (Fn. 284), Reichs­ VerwBl. u. PrVerwBl. 1928 (49), 130 (131).

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Art. 111 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch als kaiser­ reichsrechtliche Regelungen hervorgehoben wurden, die damit mittelbar den von der Weimarer Konstitution vorgesehenen reichsgesetzlichen Vorbehalt des Art. 153 II 2 WRV erfüllten, weshalb nun entschädigungslose Enteig­ nungen durch ein Landesgesetz wieder möglich sein sollten.312 Das Reichs­ gericht folgte diesen teilweise auf vorkonstitutionellem Gedankengut basie­ renden Argumentationen nicht. Insbesondere sah es in der wiederholten Berufung auf die Normen des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Ge­ setzbuch den unzulässigen Versuch einer Umgehung der Konzeption der Weimarer Reichsverfassung.313 Zudem verneinte es den allgemeingültigen Charakter des Hamburgischen Denkmal- und Naturschutzgesetzes bezüglich des konkreten Eintragungsvorgangs in die Denkmalliste damit, dass dieses Gesetz nicht allgemein ausgesprochen habe, dass im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg kein Eigentümer sein Grundstück ohne Genehmigung der zuständigen Denkmalschutzbehörde verändern dürfe, sondern es habe vielmehr nur die Möglichkeit gegeben, dass durch eine besondere Verwal­ tungsmaßnahme die Eigentümer bestimmter Grundstücke in ihrem Recht, mit der Sache nach Belieben zu verfahren, beschränkt werden, weshalb also ausnahmsweise einzelne Eigentümer an der Ausübung der in ihrem Eigen­ tum liegenden Befugnisse gehindert werden können.314 Die durch das Reichsgericht repräsentierte Einzelaktstheorie führte so infolge der weiten Interpretation des Enteignungsmerkmals nach Art. 153 II WRV auf dem Gebiet des Naturschutzes zu einem für den Weimarer Verfassungsstaat gna­ denlosen Rechtszustand, der seiner Pflicht gemäß Art. 150 I WRV nur mit erheblichen finanziellen Einbußen nachkommen konnte. Angesichts der Tatsache, dass schon eine ganz marginale Begrenzung der Eigentümerbefug­ nisse ausreichen konnte, um die Entschädigungslast auszulösen, standen die naturstaatlichen Bestrebungen unter einem sinkenden Stern, wenn nicht eine verfassungssystematische Korrektur Abhilfe schaffen konnte.315 Mit der Anknüpfung an das Merkmal der Übereignung gemäß der Ent­ eignungstheorie Martin Wolffs, aber auch durch das Abstellen auf einen Einzelakt als Ansatzpunkt der herrschenden Meinung, standen formelle 312  RGZ

128, 18 (31). 128, 18 (31). 314  RGZ 116, 268 (271). Gegen diese Argumentationslinie des Reichsgerichts wandte sich insbesondere Karl Arndt (K. Arndt, JW 1930, S. 789): „Die Gültigkeit eines Gesetzes würde ja geradezu davon abhängen, ob der Landesgesetzgeber hab­ gierig und besitzfeindlich genug war, um nicht einzelne unter den Besitzenden, sondern alle oder alle Angehörigen einer bestimmten Klasse (Gutsbesitzer in der Umgebung von Städten, Jagdberechtigte u.Ä.) mit seinen konfiskationsähnlichen Maßnahmen zu überziehen.“; so auch R. Breuer (Fn. 277), S. 48. 315  So W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 413. 313  RGZ



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Kriterien im Mittelpunkt der systematischen Abgrenzung zu einer Inhalt und Schranken des Eigentums festlegenden allgemeinen Bestimmung. Mit der herrschend gewordenen Einbeziehung eines Gesetzes als unmittelbar wir­ kendem Rechtsakt in den Kreis der Enteignungsmaßnahmen war die Frage nach der Grenzziehung zwischen diesen Eingriffsoptionen in das private Eigentum immer bedeutsamer geworden, zumal der pouvoir constituant mit der konkreten Fassung des Art. 153 WRV eine derartige Differenzierung grammatikalisch bereitet hatte.316 Ironischerweise führte deshalb die Mög­ lichkeit einer Legalenteignung, was auch ein Anzeichen für die Ausweitung des richterlichen Prüfungsrechts auf den parlamentarischen Gesetzgeber war, ein neues Verfassungsauslegungsproblem herbei, das damit unter Rechtsschutzgesichtspunkten wiederum geeignet war, die vormalig unbe­ grenzten Machtkompetenzen der legislativen Gewalt teilweise wiederherzu­ stellen.317 Ein weiter Enteignungsbegriff, wie er von der herrschenden An­ sicht vertreten wurde, konnte dieser Tendenz entgegenwirken, während die Annahme einer ausgedehnten Spielwiese einer Inhalts- und Schrankenbe­ stimmung des Eigentums die nach der Weimarer Reichsverfassung entschä­ digungslos möglichen allgemeinen Inhaltsbegrenzungen befördert hätte. Walter Jellinek stellte daher im Rahmen der von ihm entwickelten Schutz­ würdigkeitstheorie fest, dass „das Eigentum (…) eine gewisse Schwäche dem Gesetze gegenüber in dem Sinne (hat), dass nicht alle Eingriffe des Gesetzgebers als Enteignungen empfunden werden. Geschichte, allgemeine Anschauungen, Sprachgebrauch, Andeutungen der Gesetze ermöglichen die Abgrenzung des Schutzwürdigen vom Schutzunwürdigen.“318 Dies führte 316  M. Wolff,

Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 23 f. M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum (Fn. 99), S. 23 f.; W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S. 210 f. 318  W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 413; ders., Entschädigung für bau­ rechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 12 f.; grundsätzlich zustimmend E. Isay (Fn. 296), 1166 (1167 f.); K. Arndt, JW 1930, 789 (790); A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (415 ff.) stimmt dem Sinn und Zweck der mate­ riellen Korrekturtheorien grundsätzlich zu, infolge ihrer unscharfen Abgrenzungsei­ genschaft folgt er letztlich aber doch der Einzelaktstheorie; kritisch zu dieser Ent­ eignungstheorie auch O.  Kirchheimer (Fn. 285), S. 58; R. Breuer (Fn. 277), S. 54 ff. Karl Arndt sieht in der Schutzwürdigkeitstheorie von Walter Jellinek auch den vom Reichsgericht stets unterbewusst im Rahmen der Abgrenzung einer Enteignung von einer entschädigungslosen Eigentumsbegrenzung angewandten materiellen Grund­ satz aufgehoben (in diesem Sinne auch R. Breuer, ebd., S. 49); dem wird ausdrück­ lich von Alfred Bertram (A. Bertram, ebd., Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (416 ff.)) widersprochen, wonach formale und materiale Methode wegen der Ver­ schiedenheit ihres Ausgangspunktes keine derartige Verbindung dulden. Später rela­ tiviert er diese Ansicht, indem im tiefsten Kern auch die Einzelaktstheorie auf eine materiale Lösung hinauslaufe. Halte die Einzelaktstheorie nämlich die entschädi­ gungslose Eigentumsbeeinträchtigung durch Gesetz für statthaft, durch Einzeleingriff für unzulässig, so bedeute dies schließlich dann nur, dass das Eigentum im rechtlich 317  Vgl.

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für ihn schließlich zu der Verneinung einer Enteignung im Falle der Eintra­ gung eines in der Nähe eines Baudenkmals liegenden Grundstücks in die Denkmalliste kraft einer landesrechtlichen Rechtsnorm, „wenn die Eintra­ gung ein gebundener, vor Verwaltungsgerichten anfechtbarer Verwaltungsakt ist.“319 Ähnliches musste seiner Meinung nach für die Aufhebung der Bauf­ reiheit zugunsten des Städtebaus durch Gesetz oder ermächtigte Satzung gelten,320 was angesichts der Anlegung eines materiellen Schutzmaßstabs anstelle eines formellen Abgrenzungsmerkmals dann auch für eine adminis­ trative Fluchtlinienfestsetzung ins Feld geführt werden konnte. Gegen den materiellen Ansatz von Walter Jellinek ist vorgebracht worden, dass er dem richterlichen Ermessen zu viel Raum lasse und infolge seiner Unschärfe abzulehnen sei.321 Auch wenn Walter Jellinek den gleichen Vorwurf der reichsgerichtlichen Fluchtlinienentscheidung machte, bei der es nach seiner Meinung insbesondere im richterlichen Ermessen lag, ob nun mit Blick auf die konkrete Anzahl an betroffenen Grundstückseigentümern noch eine Ent­ eignung, oder aber schon eine allgemeine Regelung gegeben war, die bloß Inhalt und Schranken des Eigentums bestimmte,322 so war die materielle Gradmessung der subjektiven Empfindung unterworfen, die in Rechtsunsi­ cherheit verursachender Weise in der Mehrzahl von Fällen unterschiedlich ausfallen konnte. Die Enteignungstheorie Walter Jellineks machte aber das allgemeine Unbehagen deutlich, dass bei vielen unter den weiten Enteig­ nungsbegriff des Reichsgerichts fallenden Maßnahmen bestand. Dieser auf anerkannten Inhalt seines Begriffs bis hierher reiche, d. h. bis zur gesetzlich gezoge­ nen Schranke, und nicht weiter. Vgl. zur Schutzwürdigkeitstheorie von Walter Jelli­ nek grundsätzlich auch die Ausführungen bei R. Stödter (Fn. 296), S. 204 f.; W. Speitkamp, Die Verwaltung der Geschichte (Fn. 278), S. 386. 319  W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 414; ders., Entschädigung für bau­ rechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 13; a. A. dagegen W. Schelcher, in: H. C. Nipperdey (Hrsg.) (Fn. 278), S. 213 Fn. 26). 320  W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 414. 321  G. Anschütz (Fn. 13), S. 713. Walter Jellinek stellt insoweit eine Skala von 0 bis 100 für etwaige Eigentumseingriffe auf, wobei die Zahl 40 die Grenze zwischen Eigentumsschranke nach Art. 153 I 2 WRV und Enteignung im Sinne von Art. 153 II WRV angebe (W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschrän­ kungen (Fn. 277), S. 13 ff.). 322  W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 14 ff.; zustimmend K. Arndt, JW 1930, 789 (790). Walter Jellinek sah in diesem Manko seiner Schutzwürdigkeitstheorie keinen Grund für ihre praktische Unbrauchbarkeit: „Die Lehre mag mit einem etwas unbestimmten Begriffe arbeiten (…), dafür ist sie ihnen (…) in der Richtigkeit überlegen. Zudem ist ein auf wis­ senschaftlichem Wege gefundenes Ergebnis, das einen gewissen Spielraum bei der Handhabung lässt, solange einwandfrei, als der Gesetzgeber selbst mit unbestimmten Begriffen, wie Treu und Glauben, Billigkeit, guten Sitten, Ordnungswidrigkeit arbei­ tet.“ (W. Jellinek, Verwaltungsrecht (Fn. 207), S. 413).



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einen formellen Einzelakt abstellende Interpretationsansatz einer verfas­ sungsrechtlichen Enteignung nach Art. 153 II WRV bedurfte in vielen Kon­ stellationen der Korrektur, um vor dem gesunden Rechtsempfinden zu be­ stehen.323 d) Albert Hensel und der Grundrechtsteil der Weimarer Reichsverfassung als in sich geschlossenes Kultursystem In der Weimarer Staatsrechtslehre war es vor allem Albert Hensel, der auf den gedanklichen Spuren von Walter Jellinek ebenfalls für eine materielle Korrektur plädierte, ohne aber die dogmatische Feinheit am Maßstab der geschriebenen Weimarer Reichsverfassung zu vernachlässigen. Den Grund 323  Neben der Übereignungstheorie, der Einzelaktstheorie und der Schützwürdig­ keitstheorie wurden in der Weimarer Staatsrechtslehre noch weitere Enteignungsthe­ orien vertreten, die hier kurz skizziert werden sollen. In der traditionellen Linie des engen Enteignungsbegriffs aus der Zeit des Deutschen Kaiserreichs stand die klas­ sische Unternehmenstheorie, die eine zu entschädigende Enteignung nur dann als gegeben ansah, wenn ein Eingriff in das Eigentum zum Zwecke eines bestimmten Unternehmens erfolgte (so OR Reiß (Fn. 297), Danziger Juristische Monatsschrift 1926 (5), 49 (51 f.); W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen (Fn. 281), S. 46 ff. / 53 f.; vgl. E. Forsthoff (Fn. 275), S. 331 ff. Fn. 1). Der Nachteil dieser Unternehmenstheorie lag darin, dass sie zwar mit dem Anknüpfungspunkt eines konkreten Unternehmens eine Bindung der Verwaltung zugunsten des Eigen­ tümers annahm, dabei aber etwaige Eingriffe, die keinem bestimmten Vorhaben dienten, dennoch nach Art und Weise aber als Enteignungen eingestuft werden konn­ ten bzw. mussten, aber nicht erfassen konnte. Daneben wurde ebenfalls in Anleh­ nung an den traditionellen, engen Enteignungsbegriff aus dem Deutschen Kaiserreich noch die Verwaltungsaktstheorie vertreten, die eine Enteignung nur im Falle des Vorliegens eines entsprechenden Verwaltungsakts annehmen wollte (M. Pollwein, Steht eine entschädigungslose Aufhebung von Eigenjagden durch Änderung der Jagdgesetze in Widerspruch mit Art. 153 der Reichsverfassung?, Leipziger Zeit­ schrift für Deutsches Recht 1929 (23), 979 (980 f.); O.  Kirchheimer (Fn. 285), S. 58 f.), was aber dann zu einer Schutzlücke gegenüber legislativen Eingriffsmaß­ nahmen geführt hätte. Schließlich findet sich noch eine Enteignungstheorie, die nach dem Maß des Eingriffs in das Eigentum differenzierte („Intensitäts- bzw. Schwere­ theorie“; so K. Soelling, Eigentumsbeschränkung und Enteignung nach der Reichs­ verfassung, Juristische Rundschau 1928 (4), 40 (43); vgl. R. Stödter (Fn. 296), S.  203 ff.; a. A. O.  Kirchheimer (Fn. 285), S. 57 f.). Zum Ganzen nur W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen (Fn. 277), S. 6 ff.; vgl. auch E. Forsthoff (Fn. 275), S. 331 ff., v. a. mit Fn. 1. Einige der im Deutschen Reich vertretenen Enteignungstheorien wirkten letztlich unter dem Grundgesetz fort bzw. wurden in der Staatsrechtslehre sowie der Rechtsprechung neu aufgegriffen, modifi­ ziert und weiterentwickelt. Siehe hierzu zusammenfassend R. Breuer (Fn. 277), S. 43 ff.; dazu auch die weiteren Nachweise in Bezug auf materielle Korrekturtheo­ rien bei H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht (Fn. 275), § 27 Rn. 17. Zur schwierigen Abgrenzung von formalen und materiellen Enteignungstheorien bereits A. Bertram (Fn. 44), S. 416 ff.

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für die eingefahrene politische Situation auf dem Gebiet des Naturschutzes bildete in erster Linie die konkrete redaktionelle Ausformung der Vorschrift des Art. 153 WRV durch den pouvoir constituant im Rahmen des verfas­ sungspolitischen Prozesses. Nach dieser Norm war eine entschädigungslose Enteignung nur durch ein entsprechendes Reichsgesetz möglich, so dass vor dem Hintergrund der weiten Interpretation des verfassungsrechtlichen Ent­ eignungsmerkmals nach Art. 153 II WRV durch das Reichsgericht und der allgemeinen Finanzknappheit der öffentlichen Hand nunmehr nur noch das Reich in der Lage war, umfassende Naturschutzmaßnahmen zu ergreifen.324 Dies wurde durch die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts unter­ mauert, wonach Landesgesetze, die eine entschädigungslose Enteignung vorsahen, verfassungswidrig waren und die Länder deshalb für entsprechen­ de Betätigungen auf dem Gebiet des Naturschutzes eine Entschädigung gesetzlich anordnen und entrichten mussten.325 Daran änderte auch ein sich mit der Zeit abzeichnender Rechtsprechungswandel des Reichsgerichts nichts, das in den eine entschädigungslose Enteignung vorsehenden Landes­ gesetzen nun verfassungskonforme Legislativakte erblickte und einen Ent­ schädigungsanspruch direkt aus der Weimarer Reichsverfassung ableitete.326 Der staatliche Naturschutz, der bereits vorkonstitutionell in erster Linie Ländersache war, befand sich somit in einem verfassungsrechtlichen Dilem­ ma, das durch den weiten Enteignungsbegriff der herrschenden Meinung als 324  Zu den negativen Folgen des vom Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung vertretenen weiten Enteignungsbegriffs für den staatlichen Naturschutz im Deut­ schen Reich siehe A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (416 f. / 421); W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 2. Aufl., München 1964, S. 342; Ch. Gusy (Fn. 11), S. 331. Siehe zur allgemeinen Finanzknappheit der öffentlichen Hand C. Gurlitt (Fn. 30), Zeitschrift für Denkmalpflege 1926 / 27, 81 (81 f.); R. Pfister, Deutsche Denkmalpflege, Die Denkmalpflege 1932, 201 (203); L. Schnitzler, Denk­ male, Denkmalpflege, Denkmalschutz (Fn.  17), S.  11; F. Hammer (Fn. 22), S. 189 / 213; R. Schröder (Fn. 49), S. 84; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes für das Großherzogtum Hessen von 1902, in: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.), 100 Jahre Denkmalschutzgesetz in Hessen, Ar­ beitsheft 5, Stuttgart 2003, S. 20. 325  A. Buschke (Fn. 82), S. 110 ff. 326  So ausdrücklich in RGZ 128, 18 (34); H. Furler (Fn. 280), Verwaltungsarchiv 1931 (33), 340 (403 ff.); A. Buschke (Fn. 82), S. 119 ff.; M. Cornils (Fn. 307), S. 338; zu der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung lange umstrittenen Frage, ob der Verstoß einer landesrechtlichen Bestimmung gegen Art. 153 II 2 WRV deren Un­ wirksamkeit oder nur einen unmittelbaren Entschädigungsanspruch aus der Weima­ rer Reichsverfassung zur Folge hatte, siehe K. Arndt, JW 1930, 789 (790). Offenge­ lassen in RGZ 132, 69 (76). In dieser Entscheidung spricht das Reichsgericht von einem „Widerspruch“ der landesrechtlichen Bestimmungen zu der Bestimmung des Art. 153 II WRV, ohne aber deren Verfassungswidrigkeit ausdrücklich festzustellen. Aus dem Urteil ergibt sich letztlich auch nicht, ob sich der Entschädigungsanspruch nun unmittelbar aus der Weimarer Reichsverfassung ergeben sollte.



§ 11 Normative und reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches355

Ausgleichshebel für die zunehmende Erweiterung des sozialstaatlichen Aufgabenkreises des Deutschen Reichs befördert worden war. Albert Hensel kritisierte daher die genannte Entscheidung des Reichsgerichts zum Ham­ burgischen Denkmal- und Naturschutzgesetz aufs Schärfste und benannte es  – seine Richtigkeit unterstellt  ‒ sogar als „Todesurteil dieses Kulturzweiges“327. Für ihn konnte der reichsgerichtliche Urteilsspruch in dieser Streitsache bereits deshalb nicht überzeugen, da die von dem Gericht angenommene weite Interpretation des Enteignungstatbestandes nach Art. 153 II WRV primär auf privatwirtschaftlichen Aspekten beruhte und so für das inzwischen anerkannte öffentliche Interesse des heimatlichen Natur­ schutzes in Bezug auf eine nach Art. 153 III WRV grundsätzlich zu erwä­ gende Sozialbindung des Eigentums nicht hinreichend aufnahmefähig war.328 Zudem führte die Entscheidung des Reichsgerichts seiner Ansicht nach vor allem zu einer von der Weimarer Reichsverfassung nicht intendier­ ten Kompetenzverlagerung von den im Grunde zuständigen Reichsländern auf das Reich, was die Richtigkeit des Urteils allein deshalb wesentlich in Frage stellte.329 Für Albert Hensel mussten daher in der letzten Konsequenz auch Landesgesetze möglich sein, die eine entschädigungslose „Enteignung“ anberaumen konnten.330 Anders gewendet ging es hier nun um die Abgren­ zung einer durch Landesrecht ermöglichten Enteignung, die nicht ohne fi­ nanziellen Entschädigungsausgleich zulässig war, und einer sonstigen Ei­ gentumsbegrenzung, die nur Inhalt und Schranken des Eigentums nach Art. 153 I 2 WRV festlegte und nach der Weimarer Reichsverfassung ent­ schädigungslos möglich war, was die Frage nach der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 153 III WRV wiederum aktualisierte. Aus naturstaatli­ 327  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (416). „Mit einem Worte: Die gesam­ te Kulturschutzgesetzgebung wäre durch das Reichsgerichtsurteil als verfassungs­ widrig jedenfalls insoweit anzusehen, als es Zwangseingriffe mit wirtschaftlichen Folgen ohne angemessene Entschädigung zu deren Ausgleich für zulässig erklärt.“ (A. Hensel, ebd., S. 417). 328  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (418 f.); in diese Richtung auch Frhr. v. Dungern, Fällt der Naturschutz unter den Begriff der Enteignung? (Fn. 178), Ju­ ristische Rundschau 1927 (23), Sp. 646, (Sp. 648 ff.). Albert Hensel hob dies mit den Worten hervor: „Das Reichsgericht behandelt die hier zur Entscheidung stehen­ den Fälle zwischen Individuum und Kulturverwaltung nicht anders, als ob es sich um die Entscheidung einer Streitigkeit zwischen den Privatpersonen A und B han­ delte, die völlig im Bereiche der privaten Wirtschaftsordnung und Wertordnung liegt.“ (A. Hensel, ebd., AöR 1928 (53), 321 (418 f.)). 329  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (419 ff.); A. Steiniger (Fn. 14), JW 1930, S. 2427; vgl. zu dieser Problematik grundsätzlich auch Frhr. v. Dungern, Fällt der Naturschutz unter den Begriff der Enteignung? (Fn. 178), Juristische Rundschau 1927 (23), Sp. 646 (646 f.); W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deut­ schen (Fn. 281), S. 54 f. 330  R. Schröder (Fn. 49), S. 80 f.

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cher Perspektive war die Auslegungsmethodik Albert Hensels ein Meilen­ stein auf dem Weg zu einem mehr ökologisch orientierten Interpretations­ ansatz einer geschriebenen Verfassung, wenngleich die hiermit verbundene ökologisch-länderfreundliche Dimension der Auslegung nur vollends ver­ ständlich wird, wenn die von Albert Hensel im Rahmen des Weimarer Methoden- und Richtungsstreits repräsentierte Position hinreichend Beach­ tung findet. Als Repräsentant der auf eine Überwindung des als zu starr und unelastisch empfundenen Rechtspositivismus gerichteten neuen Staatsrechts­ lehre stand Albert Hensel unter dem Eindruck der Verfassungslehre von Rudolf Smend, was er zu Beginn seiner Abhandlung zu Art. 150 I WRV auch betonte.331 Daher war für ihn der zweite Hauptteil der Weimarer Kon­ stitution „ein innerlich geschlossenes Kultursystem“332, was sich im Kontext der dargestellten Rechtsprechungskritik daran zeigte, dass er dem Urteil des Reichsgerichts insoweit widersprach, als das Gericht in Bezug auf die na­ turschutzrelevante Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV annahm, dass die­ ser Vorschrift gerade nicht entnommen werden konnte, dass eine Maßnahme auf dem Gebiet des Denkmalschutzes zulasten Dritter und somit auch ohne eine entsprechende Entschädigungsleistung möglich war. Für ihn standen die im Grundrechtskatalog der Weimarer Reichsverfassung verankerten Nor­ men des Art. 150 I und des Art.153 WRV nach der verfassungspolitischen Gesamtkonzeption des pouvoir constituant gleichrangig gegenüber, weshalb der Landesgesetzgeber auch selbst die zulässige Grenze eines entschädi­ gungslosen Eingriffs in das Eigentum bestimmen sollte.333 Auch wenn Al­ bert Hensel unterdessen die Frage bewusst unbeantwortet ließ, ob diese aus dem geschlossenen Grundrechtssystem abgeleitete Auslegung ebenso dann Geltung beanspruchen konnte, wenn unstreitig eine Enteignung im engen Sinne vorlag,334 wird die restriktive Interpretationstendenz dieser Ausle­ gungsmethodik evident. Für Albert Hensel stellte das mit Verfassungsrang ausgestattete Gemeinwohlinteresse des Denkmal- und Naturschutzes eine im 331  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), S. 321 ff. Neben Rudolf Smend fühlte sich Albert Hensel auch Carl Schmitt, Heinrich Triepel, Erich Kaufmann, Günther Hol­ stein und Gerhard Leibholz verbunden, „soweit deren methodische Einstellung für das hier gewählte Untersuchungsgebiet fruchtbar zu machen ist.“ (A. Hensel, ebd., S. 321 f. Fn. 1). Siehe zu dem methodischen Einfluss dieser Staatsrechtslehrer auf das Methodenverständnis von Albert Hensel hinsichtlich des neuen Grundrechtsteils der Weimarer Reichsverfassung nur J. Topf, Die normative Kraft der Weimarer Reichsverfassung nach Albert Hensel, Hamburg 2009, S. 26 ff. 332  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), S. 321; in diesem Sinne auch A. Bertram (Fn. 44), Verwaltungsarchiv 1930 (35), 411 (411 f.). Zu den positivrechtlichen Fol­ gen der Integrationslehre hinsichtlich der Auslegung der Verfassung R. Smend, Ver­ fassung und Verfassungsrecht (Fn. 44), S. 237 ff. 333  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (420); R. Schröder (Fn. 49), S. 80. 334  A. Hensel (Fn. 16), AöR 1928 (53), 321 (420).



§ 11 Normative und reale Naturstaatsverfassung des Deutschen Reiches357

Rahmen der Sozialpflichtigkeit nach Art. 153 III WRV zu beachtende, im­ manente Schranke des Eigentums dar, so dass die legislative Gewalt schon einen wirkungsintensiven Eingriff in das private Eigentumsrecht vornehmen musste, um die bereits von Grund auf bestehende und auf die Norm des Art. 150 I WRV in ihrer Bedeutung als Teilelement des geschlossenen Kul­ tursystem zurückgehende verfassungsrechtliche Inhaltsbegrenzung des Ei­ gentums zu überschreiten. Diese Interpretation war länderfreundlich gebo­ ten, da ansonsten nur noch das Reich befähigt gewesen wäre, dem staatli­ chen Schutz- und Pflegepostulat der naturschutzrelevanten Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV nachzukommen, was dem Willen des pouvoir constitu­ ant auch im Hinblick auf die historische Verwurzelung des Naturschutzbe­ langs in den Händen der Einzelstaaten nicht entsprach. Demnach war über den positiven Verfassungsrechtssatz des Art. 153 III WRV eine dogmatisch saubere Korrektur vorzunehmen, der den zu weit geratenen Begriff der Enteignung ökologisch-länderfreundlich einschränkte, ohne das aufgenom­ mene Grundrechtssystem in seinen Grundfesten zu erschüttern.335 Einen 335  Diese ökologisch-länderfreundliche Auslegungsmethodik beruhte mithin auf dem Integrationsgedanken von Rudolf Smend, wonach die Verfassung in ihrer funk­ tionalen Totalität und damit als Einheit zu interpretieren ist. Es besteht deshalb eine nicht zu übersehende Parallele zu dem auf Rudolf Smend zurückgehenden Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens, der im bundesstaatlichen Kontext zu einem ko­ operativen Verhalten von Bund und Ländern anmahnt, um die gedeihliche Existenz des gesamtstaatlichen Gebildes zu realisieren. Aus diesem Grund ist der ökologischländerfreundliche Auslegungsansatz von Albert Hensel ein wichtiger Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Annahme eines naturstaatlichen Bundesstaates, in dem nur in funktionaler Rücksichtnahme und gegenseitigem Zusammenwirken das Ge­ samtziel eines Staatswesens unter einer Berücksichtigung der lebensnotwendigen Komponente der natürlichen Bedingungen verwirklicht werden kann. Siehe zu dem staats- und verfassungstheoretischen Fundament von Rudolf Smend bezüglich des gegenwärtig anerkannten Grundsatzes des bundesfreundlichen Verhaltens R. Smend, Ungeschriebenes Verfassungsrecht im monarchischen Bundesstaat, in: ders., Staats­ rechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3.  Aufl., Berlin 1994, S. 39  ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, 2. Aufl., München 1984, S.  699 ff.; J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders. / P.  Kirchhoff (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. VI: Bundesstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2008, § 126 Rn. 160 ff.; E. R. Huber, Rudolf Smend, 15. Jan. 1882–5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissen­ schaften in Göttingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S. 105 f.; S. Korioth, Inte­ gration und Bundesstaat – ein Beitrag zur Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends, Berlin 1990, S. 38 ff.; P. Badura (Fn. 156), Der Staat 1977 (16), 305 (323); U. Scheuner, Rudolf Smend – Leben und Werk, in: Rechtsprobleme in Staat und Kirche, S. 439 / 441; K.-H. Kästner, Rudolf Smend 1882–1975 – Recht im Staat und in der Kirche, in: F. Elsener (Hrsg.), Lebensbilder zur Geschichte der Tübinger Ju­ ristenfakultät, Tübingen 1977, S. 140 f.; M. Friedrich, Rudolf Smend 1882–1975, AöR 1987 (112), 1 (3 ff.); M. Llanque, Die politische Theorie der Integration: R ­ udolf Smend, in: A.  Brodocz / G.  Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart I, Opladen u. a. 2009, S. 333; G.  Leibholz, In memoriam Rudolf Smend, Gedenkrede

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ähnlichen Ausweg aus der politischen Misere auf diesem neuartigen Kultur­ gebiet des Naturschutzes suchte auch Walter Jellinek, der – wie bereits dargelegt ‒ bei der Eintragung einer Parzelle als Umgebung eines Baudenk­ mals den Enteignungstatbestand verneinte, insofern es sich bei dem konkre­ ten Verwaltungsakt um eine gebundene Entscheidung handelte, die vor den Verwaltungsgerichten anfechtbar war. Damit hob Walter Jellinek nicht nur die Möglichkeit eines vorrangigen Primärrechtsschutzes hervor, er stellte auch einen administrativen Einzelakt dem streitigen Landesgesetz gleich, wenn es sich bei dem Verwaltungsakt um eine gebundene Entscheidung handelte, die ohne Ermessensspielraum beim Vorliegen der entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen nur in einer bestimmten Art und Weise erge­ hen konnte und daher die landesrechtliche Bestimmung lediglich konkret aktualisierte. Eine Ermessensentscheidung dagegen wäre als Enteignung einzustufen gewesen, da sie das Landesgesetz als Inhalt und Schranken festsetzende allgemeine Regelung womöglich in dem bestimmten Einzelfall abweichend konkretisiert hätte.336 Eine ähnliche Unsicherheit in der Hand­ habung bot auch das konstitutive Einzelaktsmerkmal des überschaubaren Personenkreises, das im Fluchtlinienurteil vom Reichsgericht explizit betont und als Abgrenzungskriterium zu einem gemeindlichen Ortsstatut herange­ zogen worden war. Gleichwohl konnten sich aber die materiellen Korrektur­ varianten bis zum Ende des Deutschen Reichs gegen die formellen Enteig­ nungstheorien kaum durchsetzen. Für den staatlichen Naturschutz gab es daher schließlich nur noch eine Rettung: den heilenden Akt eines Hüters der Verfassung!

am 17. Januar 1976 in der Aula der Universität Göttingen, Göttingen 1976, S. 34; R. Bartlsperger (Fn. 225), S. 23 ff.; A.  Schindler / M.  Morlok, Smend als Klassiker: Rudolf Smends Beitrag zu einer modernen Verfassungstheorie, in: R. Lhotta (Hrsg.), Die Integration des modernen Staates, Baden-Baden 2005, S. 22 ff. Der Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens wird heute vom Bundesverfassungsgericht aus dem in Art. 20 I GG positivrechtlich verankerten Bundesstaatsprinzip als staatslei­ tendem Rechtsprinzip hergeleitet; siehe hierzu insbesondere BVerfGE 1, 299 (315); 61, 149 (205); 103, 81 (87 f.); so ausdrücklich auch H. Maurer, Staatsrecht I, Mün­ chen 2010, 6. Aufl., § 10 Rn. 50 ff.; A.  Schindler / M.  Morlok, ebd., S. 24. 336  Siehe hierzu W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschrän­ kungen (Fn. 277), S. 11 f. / 18 f.; R. Breuer (Fn. 277), S. 49. „Denn einmal gibt es Eingriffe durch gebundene Verwaltungsakte, die also nur ausführen, was das Gesetz bindend vorschreibt. (…) Obgleich in diesem Falle der Eingriff nicht unmittelbar auf einem Rechtssatze, sondern auf einem Verwaltungsakte beruht, ist er nicht anders zu beurteilen als ein rechtssatzmäßiger Eingriff, da der Verwaltungsakt kraft seiner Gebundenheit die Beteiligten ebenso gleichmäßig trifft wie der Rechtssatz selbst.“ (W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen, ebd., S.  11 f.).

§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit als Schlussstein des naturstaatlichen Rechtsnormensystems I. Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 05.06.1931 als Diskursmaterial mit Blick auf die staatstheoretische Debatte von Weimar um eine Verfassungsgerichtsbarkeit Mit der Aufwertung der privaten Eigentümerrechte aufgrund der weiten Auslegungsmethodik des in Art. 153 II WRV normierten Enteignungsmerk­ mals durch das Reichsgericht kam der Naturschutzgeist in das Visier einer rochadeähnlichen Front, der auf rechtlichem Wege nur ganz bedingt beizu­ kommen war. Die Rechtsprechung stand damit im Zeichen einer rechtsstaat­ lichen Garantiefunktion anstatt einer naturstaatlichen Präsenz, was sich in den praktischen Wirkungen der richterlichen Interpretationskunst auf dem Gebiet des Naturschutzes im Deutschen Reich manifestierte. Infolge der allgemeinen Finanzknappheit der öffentlichen Hand1 sah sich der nach der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Art. 150 I WRV vorrangig in den Händen der Reichsländer liegende staatliche Naturschutz fast schon in einer ausweglosen politischen Situation verhaftet, die durch die verfassungs­ politische Entscheidung des pouvoir constituant, wonach gemäß Art. 153 II 2 WRV entschädigungslose Enteignungen lediglich durch ein Reichsgesetz 1  So etwa C. Gurlitt, Öffentliches Interesse an Kunstdenkmälern, Zeitschrift für Denkmalpflege 1926 / 27, 81 (81 f.); Frhr. v. Dungern, Fällt der Naturschutz unter den Begriff der Enteignung?, Juristische Rundschau 1927 (23), Sp. 646 (646 f.); R. Pfister, Deutsche Denkmalpflege, Die Denkmalpflege 1932, 201 (203); L. Schnitzler, Denkmale, Denkmalpflege, Denkmalschutz, in: F. Stier-Somlo (Hrsg.), Hand­ wörterbuch der Rechtswissenschaft, Berlin u. a. 1929, S. 11; A. Steiniger, Bespre­ chung des Fluchtlinienurteils des Reichsgerichts RGZ 128, 18, JW 1930, S. 2427; siehe hierzu auch den thematisch einschlägigen Beitrag von Hermann, in: Bund Naturschutz in Bayern (Hrsg.), Blätter für Naturschutz und Naturpflege 1925 (8. Jahrgang / Heft 1), Sonderheft zum Ersten Deutschen Naturschutztag in München am 26., 27. u. 28. Juli 1925, München 1925, S. 18; F. Hammer, Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, Tübingen 1995, S. 189 / 213; R. Schröder, Umweltschutzrecht in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Schübe des Umweltbewusstseins und der Umweltrechtsent­ wicklung, Bonn 1995, S. 84; W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denk­ malschutzgesetzes für das Großherzogtum Hessen von 1902, in: Landesamt für Denkmalpflege Hessen (Hrsg.), 100 Jahre Denkmalschutzgesetz in Hessen, Arbeits­ heft 5, Stuttgart 2003, S. 20; vgl. auch ders., Die Verwaltung der Geschichte – Denkmalpflege und Staat in Deutschland 1871–1933, Göttingen 1996, S. 387.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

vorgesehen werden konnten, noch bekräftigt wurde. Es bedurfte demnach einer neutralen Instanz, die der gewachsenen Naturstaatlichkeit als interme­ diärer Ausrichtungsschranke des demokratischen Verfassungsstaates von Weimar wieder eine politische Bedeutung zuerkennen konnte. Die damit verbundene Problemstellung um einen „Hüter der Verfassung“2 bekam im Hinblick auf den staatlichen Naturschutz im Deutschen Reich mit der Zwei­ ten Notverordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05.06.19313 Nahrung, in der das Staatsoberhaupt in dem mit der Überschrift „Enteignungen auf dem Gebiete des Städtebaues“ ver­ sehenen III. Kapitels des der Wohnungswirtschaft gewidmeten sechsten Teils dem Naturschutz gedachte.4 Mit diesem präsidialen Notverordnungs­ 2  Die Bezeichnung „Hüter der Verfassung“ geht auf Carl Schmitt zurück und kann als Synonym für eine Gewährinstanz der Verfassung angesehen werden. Es ist aber zu bedenken, dass im Deutschen Reich noch kein Konsens in Bezug auf Wesen und Bedeutung einer Verfassung gegeben war, so dass sich die Anschauungen über einen Verfassungshüter nach dem jeweiligen staats- und verfassungstheoretischen Ansatz eines Staatsrechtslehrers richteten. In der Spätphase des Deutschen Reichs spitzte sich der staatstheoretische Diskurs um einen „Hüter der Verfassung“ in einer Auseinandersetzung zwischen Carl Schmitt und Hans Kelsen zu, die gleichsam als Höhepunkt der hitzig geführten Debatte gelten kann. Unterdessen verwendete Carl Schmitt den Begriff „Hüter der Verfassung“ erstmals in seinem gleichnamigen Bei­ trag aus dem Jahre 1929 in AöR 1929 (55), S. 161, der dann später im Rahmen seiner staatstheoretischen Abhandlung mit dem Titel Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, noch weiter ausgeformt und überarbeitet wurde. 3  RGBl. 1931, 279; abgedruckt auch bei K. Pannier, Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen, Leipzig 1931, S.  89 ff.; F. Koppe, Dritte Notverordnung (Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen) vom 5. Juni 1931, Berlin u. a. 1931, S.  110 ff. 4  Es besteht auch heute noch ein Meinungsstreit darüber, ob die präsidiale Not­ verordnung vom 05.06.1931 auch wirklich den staatlichen Naturschutz erfassen sollte. Zustimmend insoweit bereits damals das Reichsgericht in RGZ 139, 285 (286 f.); so auch R. Breuer, Die Bodennutzung im Konflikt zwischen Städtebau und Eigentumsgarantie, München 1976, S. 120; dagegen ablehnend R. Künkler, JW 1933, 1191 (1191 f. Fn. 1); aus Gründen der Gesetzessystematik auch F. Hammer (Fn. 1), S. 213; nicht ganz eindeutig J.  Eckert / W.  Gase / A.  Olscher, Die Notverord­ nung vom 5.  Juni 1931, München 1931, S. 405 / 412. Die infolge der damaligen politischen Lage auf dem Gebiet des Naturschutzes überlebensnotwendige Subsum­ tion dieses Kulturzweiges unter die den Städtebau betreffenden Regelungen der Notverordnung vom 05.06.1931 kann in ihrer damaligen Zulässigkeit und Korrekt­ heit nicht in Zweifel gezogen werden. Dafür spricht bereits die in § 1 des III. Ka­ pitels des sechsten Teils der Notverordnung positivrechtlich hervorgehobene Enteig­ nungsmaßnahme „zur Erhaltung des Baumbestandes und zur Freigabe von Uferwe­ gen“, was dem gleichnamigen preußischen Gesetz aus dem Jahre 1922 entspricht, weshalb der Naturschutz in dieser Wendung ausdrücklich normiert worden ist. Mit der Notverordnung vom 05.06.1931 sollten aber vor allem die durch die Rechtspre­ chung des Reichsgerichts bedingten Missstände auf dem Gebiet des Städtebaus be­



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit361

akt stellte der Reichspräsident die vorkonstitutionelle Rechtslage wieder her, indem er „Enteignungen, die nach dem 13. August 1919 und vor dem 1. April 1933 auf dem Gebiete des Städtebaues, insbesondere der Planung, Fluchtlinien-(Baulinien-)Festsetzung und Grundstücksumlegung sowie zur Erhaltung des Baumbestandes und zur Freigabe von Uferwegen5 gemäß landesrechtlichen, vor Inkrafttreten dieses Kapitels erlassenen Vorschriften vollzogen worden sind oder noch vollzogen werden“, nach § 1 einem Ent­ schädigungsprogramm nach §§ 2 bis 5 dieses III. Kapitels unterstellte, das in § 2 den Satz enthielt, dass „für die Enteignungen (…) eine Entschädigung vorbehaltlich des § 3 zu leisten (ist), wenn und soweit dies in den in § 1 Satz 1 genannten landesrechtlichen Vorschriften vorgesehen ist.“6 Damit waren die negativen Folgen der reichsgerichtlichen Judikatur für den Natur­ schutz insoweit beseitigt, als einerseits die vormals für verfassungswidrig erklärten Regelungen des Landesrechts, die entschädigungslose Enteignun­ gen auf dem Gebiet des Naturschutzes vorgesehen hatten, durch außeror­ dentlichen Geltungsbefehl des Reichspräsidenten wieder in Kraft gesetzt wurden, andererseits durch ein Reichsgesetz entsprechend der Norm des Art. 153 II 2 WRV die interpretationsbedingte Rechtsunsicherheit im Hin­ blick auf das wirtschaftliche Eigentumsgrundrecht nach Art. 153 WRV zu­ gunsten des Naturschutzgeistes allgemeinverbindlich gelöst war.7 Es galt hoben werden, so dass auch der Sinn und Zweck des Notverordnungsakts für eine Erfassung des Naturschutzes spricht. Insbesondere passt die in § 3 enthaltene gram­ matikalische Hervorhebung „vorwiegend aus Gründen der Volksgesundheit und Volkserholung“ eindeutig zu der kommunalen Idee von Freiflächen, die der Stadtbe­ völkerung Erholungsräume bieten sollten. Insoweit wurde mitunter die Unterschutz­ stellung von großflächigen Waldparzellen betrieben, was auch die Luftqualität ver­ bessern sollte. 5  Angesichts der begrifflichen Parallele zu dem preußischen Gesetz zur Erhal­ tung des Baumbestandes und zur Freigabe der Uferwege bietet sich eine entspre­ chende Interpretation an. Damit beabsichtigte der Reichspräsident mit dieser Notver­ ordnung aus dem Jahre 1931 im Interesse der Volksgesundheit oder Volkserholung insbesondere auch Baumbestände zu sichern, um der Großstadt- und Industriebevöl­ kerung Aufenthaltsflächen in der Natur, Frischluftreservate und Wander- und Spiel­ stätten zu verschaffen. Daneben sollte die Zugänglichkeit zu Wasserflächen, Seen, Flüssen, Kanälen und Bächen erleichtert werden, was auch zwecks der Verwirkli­ chung von Bademöglichkeiten für die Stadtbevölkerung in Betracht gezogen wurde. Hierzu nur die Ausführungsanweisung vom 14.12.1922 zum Gesetz zur Erhaltung des Baumbestandes und Erhaltung und Freigabe von Uferwegen im Interesse der Volksgesundheit vom 29.07.1922, Ministerialblatt für Volkswohlfahrt, Berlin 1923, S. 28; ebenfalls L.  Schnitzler, Naturschutz und Gesetz, in: W. Schoenichen (Hrsg.), Wege zum Naturschutz, Breslau 1926, S. 18. 6  RGBl. 1931, 279 (309 f.). 7  R. Künkler (Fn. 4), JW 1933, 1191 (1191 f.); R. Breuer (Fn. 4), S. 119 ff.; vgl. dazu auch den Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigungspflicht und den Rechtsweg bei Enteignungen auf dem Gebiete des Städtebaues, RABl. 1931 I,

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aber nach § 3 des III. Kapitels des sechsten Teils der Notverordnung eine beachtenswerte Ausnahme, insofern „ein Grundstück (Grundstücksteil) in dem landesrechtlich vorgeschriebenen Verfahren (durch Fluchtlinien, Bauli­ nien, Freiflächengrenzen oder auf sonstige Weise) als Freifläche zum Zwe­ cke des öffentlichen Gebrauchs vorwiegend aus Gründen der Volksgesund­ heit oder Volkserholung mit der Wirkung ausgewiesen (wird), dass eine Bebauung auf die Dauer ausgeschlossen ist.“8 In diesem Fall konnte der Eigentümer für die entstehende Wertminderung seines Grundstücks eine angemessene Entschädigung verlangen, wobei eine relevante Wertminde­ rung nach § 3 I 2 nicht gegeben war, „wenn und soweit durch die Auswei­ sung eine bei Eintritt der Beschränkung tatsächlich ausgeübte oder nach Lage der Verhältnisse mögliche Benutzungsart nicht eingeschränkt wird.“9 Mit dieser Differenzierung innerhalb der präsidialen Notverordnung waren in erster Linie soziale Naturschutzgebietsausweisungen gemeint, die sich im Deutschen Reich erst mit der Zeit als Indikator eines mehr ökologisch mo­ tivierten naturstaatlichen Weltgeistes durchsetzten. Die Notverordnung des Reichspräsidenten vom 05.06.1931 war insgesamt in ihrem materiellen Gehalt der erste Akt eines Hüters der Verfassung auf dem Gebiet des Na­ turschutzgeistes, was sie in den Rang einer rechtlichen Faszination erhebt, S. 89 ff. Das Städtebaugesetz wurde im Deutschen Reich nicht mehr verwirklicht. Der Entwurf hat aber Indizcharakter für die Notverordnung vom 05.06.1931, da er einerseits ähnliche Regelungen vorsah, andererseits am 09.04.1931 dem Reichsrat vorgelegt wurde, weshalb der Notverordnungsakt in zeitlicher Hinsicht in direktem Zusammenhang mit dem Städtebauentwurf stand. 8  RGBl. 1931, 279 (310). In der notverordnungsrechtlichen Wendung „zum Zwecke des öffentlichen Gebrauchs vorwiegend aus Gründen der Volksgesundheit oder Volkserholung“ zeigte sich die auf Wilhelm Wetekamp zurückgehende Idee von ganzen Staatsparks, die in erster Linie sozialpolitischen Motiven geschuldet war. Durch das Wort „vorwiegend“ wird aber der Facettenreichtum des damaligen Natur­ schutzgedankens unterstrichen, so dass die soziale Komponente zwar das bestim­ mende Motiv für ganze Naturschutzgebiete war, andererseits aber auch auf den Naturhaushalt ausgerichtete und damit ökologischere Bestrebungen durchaus Be­ rücksichtigung finden konnten; hierzu W. Schoenichen, in: W.  Weber / ders., Das Reichsnaturschutzgesetz, Kommentar, Berlin 1936, S. 25; auch H. Küster, Die wis­ senschaftliche Botschaft der Umweltgeschichte für den Umgang mit Natur, Umwelt und Landschaft, in: W. Siemann (Hrsg.), Umweltgeschichte, München 2003, S. 36 ff. 9  RGBl. 1931, 279 (310); R. Stödter, Öffentlich-rechtliche Entschädigungen, Hamburg 1933, S. 201 ff., der in der Norm des § 3 der reichspräsidialen Notverord­ nung die Verwirklichung einer materiellen Korrekturtheorie hinsichtlich des zu wei­ ten Enteignungsmerkmals nach Art. 153 II WRV erkennt. Nach § 3 I 3 des III. Ka­ pitels des sechsten Teils der Notverordnung vom 05.06.1931 war für die Bemessung der Wertminderung der Zeitpunkt der Beschränkung des Eigentums maßgebend. Betrug die Wertminderung dabei mehr als die Hälfte des Grundstückswerts, stand dem privaten Eigentümer gemäß § 3 III gegenüber der Gemeinde oder dem Gemein­ deverband anstatt der Entschädigung ein Übernahmeanspruch des Grundstücks oder des betroffenen Teils durch einen Ankauf bzw. eine Enteignung zu.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit363

an der sich der staatstheoretische Diskurs um eine Verfassungsgerichtsbar­ keit in der Zeit von Weimar10 anschaulich erörtern lässt, um weitere Er­ kenntnisse für die Herausbildung einer naturstaatlichen Doktrin zu erhalten. In der anschließenden Darstellung sollen hierbei die Theorie von Carl Schmitt, der den Reichspräsidenten als den demokratisch legitimierten Hü­ ter der Verfassung ansah, und der rechtsstaatliche Ansatz von Hans Kelsen eines eigenen Verfassungsgerichts im Mittelpunkt der Betrachtung stehen, wobei das skizzierte Abbild dieser Debatte anhand des staatlichen Natur­ schutzes im Deutschen Reich durch die vertretenen Theorien der sonstigen Protagonisten der Allgemeinen Naturstaatslehre flankiert und damit abge­ rundet wird. Überdies soll hier eine Verfassungsgerichtsbarkeit ganz in dem Sinne von Hans Kelsen in Rede stehen, die sich von dem in der nordame­ rikanischen Traditionslinie stehenden Einheitsmodell insoweit unterscheidet, als sie sich als eine konzentrierte Instanz zur Ausübung des richterlichen Prüfungsrechts mit umfassenden Kompetenzen darbietet, deren Spruchpra­ xis überdies allgemeinverbindlich ist.11 Zum Schluss ist noch zu bedenken, dass der wissenschaftliche Wert der folgenden Darstellung nur dann gewährt werden kann, wenn die für die damalige Zeit oft typische ideologiegetränk­ te Färbung der Argumentationsmuster vernachlässigt wird, was bei der Analyse des Naturschutzes im Rahmen dieses Diskursforums stets präsent bleiben muss.12 10  Eine umfassende Darstellung des staatstheoretischen Diskurses um das rich­ terliche Prüfungsrecht bzw. eine konzentrierte Verfassungsgerichtsbarkeit mit den verschiedenen damals in der Weimarer Staatsrechtslehre vertretenen Positionen fin­ det sich bei H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S.  43 ff. 11  Dazu H. Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.), Hans Kelsen – Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Tübin­ gen 2008, S. 48  f.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S.  774 f.; H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 63; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3.  Aufl., Heidelberg 2004, S. 191 f.; vgl. auch F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 313 ff. 12  H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin  – Grunewald 1930 / 31, 576 (627); ders., Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 152 ff. / 161; ders., Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 14 f.; ders., Wissenschaft und Demokratie (1937), in: M.  Jestaedt / O.  Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 238; ausführlich auch K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübin­ gen 2010, S. 112 ff.; H. Köchler, Zur transzendentalen Struktur der Grundnorm, in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Wien 1980, S.  505 ff.; R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre, Rechts­ theorie 1970 (1), 69 (83 / 86); H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298); M. Haase, Grundnorm – Gemeinwil­

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

II. Der Reichspräsident als Hüter der Natur im Sinne von Carl Schmitt Die durch die reichsgerichtlichen Entscheidungen bedingte schwierige Si­ tuation auf dem Gebiet des Naturschutzes, die angesichts der einschneiden­ den Folgen der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 noch verstärkt wurde, führte gegen Ende des Deutschen Reichs eine ganz im Sinne der sozialen Komponente des Naturschutzes liegende Initiative der organisierten Gesell­ schaft herbei, die auf eine Beseitigung der allgemeinen politischen Missstän­ de dieses Kulturzweigs durch eine reichsgesetzliche Regelung gemäß Art. 153 II 2 WRV gerichtet war.13 Es bedurfte folglich der Entscheidung einer höchs­ ten Hüterinstanz, die auf eine mäßigende Regulierungswirkung angelegt war, um dem Naturschutzgedanken im Rahmen des politischen Prozesses wieder eine Stimme zu geben. Mit der reichspräsidialen Notverordnung vom 05.06.1931, die den vorkonstitutionellen Rechtszustand wiederherstellte, so dass teilweise auch wieder Enteignungen auf landesrechtlicher Grundlage oh­ ne Entschädigungsleistung möglich waren, wurde der Naturschutz daher zum Spielball des staatstheoretischen Diskurses um eine Verfassungsgerichtsbar­ keit erhoben, was möglicherweise als Krönung der naturstaatlichen Entwick­ lung des Deutschen Reichs angesehen werden kann. Die in Frage stehende Notverordnung vom 05.06.1931 brachte zunächst Wasser auf die Mühlen der Theorie von Carl Schmitt, der in der intensiv geführten Debatte um einen Hüter der Verfassung für eine politische Lösung plädierte und deshalb dem Reichspräsidenten diese bewahrende Funktion zuweisen wollte.14 Der Grund le – Geist, Tübingen 2004, S. 35; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 121 f. / 125; O.  Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 179; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre, Wien 1966, S. 4 f.; vgl. hierzu auch S. Rohatyn, Die verfassungsrechtliche Integrationslehre – Kritische Bemerkungen, Zeitschrift für Öffentliches Recht 1930 (9), 261 (261 f.). 13  H.-W. Frohn, in: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Natur und Staat. Staatli­ cher Naturschutz in Deutschland 1906–2006, Bonn 2006, S. 142. Nach Art. 153 II 2 WRV war nur ein entsprechendes Reichsgesetz in der Lage, Abhilfe gegen die mit der Erweiterung des Schutzbereichs der Eigentumsgarantie gemäß Art. 153 I WRV ein­ hergehende Zunahme von staatlichen Entschädigungslasten zu schaffen. Das Problem, das sich im Deutschen Reich aber stellte, war das Nichtzustandekommen von politi­ schen Mehrheiten, um eine entschädigungslose Enteignung durch ein Reichsgesetz durchzusetzen (so nur Ch. Gusy, Die Weimarer Reichsverfassung, Tübingen 1997, S. 347). Aus diesem Grund bedurfte es schließlich einer reichsrechtlichen Notverord­ nung, um auf dem Gebiet des Naturschutzes die eingefahrene politische Situation zu entspannen und die inzwischen anerkannte Kulturaufgabe wieder zu ermöglichen. Dass eine Notverordnung den Gesetzesvorbehalt des Art. 153 II 2 WRV ausfüllen konnte, entsprach allgemeiner Meinung; st. Rspr. RGSt 55, 88 (91); RGZ 102, 161 (165); 107, 370 (375); 137, 183 (186 f.); 139, 285 (286); G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, unveränderter Nachdruck der 14. Aufl. (1933), Darmstadt 1960, S. 717; F. Giese, Die Verfassung des Deutschen Reiches, Berlin 1931, S. 317.



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für diese erweiterte Exekutivgewalt des Staatsoberhauptes des Deutschen Reichs liegt wieder in dem von der geschriebenen Weimarer Reichsverfas­ sung abstrahierten und dem gesamten Staatsdenken von Carl Schmitt zugrun­ de liegenden Verständnis der Verfassung als „Gesamtentscheidung über Art und Form der politischen Einheit“15, womit er einen unverbrüchlichen We­ senskern als absoluter Seinsidentität des deutschen Volkes schafft, der als legitimitätsbegründender Substanzkern der politischen Einheit die staatliche Herrschaftsordnung grundlegend determiniert.16 Die normativen Regelungen wie die Weimarer Reichsverfassung sind für ihn in der Folge nur sekundär und auf die absolute Bezugsgröße der politischen Einheit bezogen, die nach der Meinung von Carl Schmitt bereits ursprünglich existiere, dem Staat vor­ ausliege und durch einen Konstituierungsakt des pouvoir constituant ihre konkrete Gestalt erhalte.17 In dieser verfassungstheoretischen Abstraktion der positiven Verfassung von dem normativen Regelwerk der Weimarer Konsti­ tution zeigt sich ein Stufenverhältnis, das die Existenz der geschriebenen Verfassung von dem unverbrüchlichen Wesensgehalt der positiven Verfas­ sungsordnung abhängig macht, was eine absolute Änderungsfestigkeit gegen­ 14  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931, S. 132 ff. Bis zu der von Carl Schmitt im Deutschen Reich dann schließlich propagierten Endlösung des Reichspräsidenten als dem Hüter der Verfassung stand Carl Schmitt dem richterli­ chen Prüfungsrecht keineswegs absolut ablehnend gegenüber, wobei er aber die konzentrierte Form eines Verfassungsgerichts angesichts der Gefahr einer zunehmen­ den Politisierung der Justiz vehement bekämpfte. Dies verdeutlicht mitunter die folgende Passage in seiner Verfassungslehre aus dem Jahre 1928 (C. Schmitt, Ver­ fassungslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 195 f.): „(…) denn die Frage ist nicht, ob verfassungswidrige Gesetze ungültig sind – das versteht sich von selbst –, sondern es fragt sich, wer den Zweifel über Verfassungsmäßigkeit oder Nichtverfassungsmäßigkeit eines Gesetzes entscheidet: wer also zuständig ist, diese eigenartige Entscheidung zu treffen, und ob die für den Erlass von Gesetzen zuständige Behörde im Rahmen ihrer Zuständigkeit den Zwei­ fel entscheidet, wie das im Allgemeinen jede zuständige Behörde tut; oder ob die Gerichte für die Entscheidung solcher Zweifel zuständig sind. Diese Frage ist nicht damit erledigt, dass man sagt, die Verfassung bestimme keine andere Stelle und infolgedessen seien die Gerichte zuständig. (…) Trotzdem möchte ich die (akzesso­ rische) richterliche Prüfungszuständigkeit hinsichtlich der Verfassungsgesetzlichkeit einfacher Gesetze bejahen, weil nämlich das Prinzip der Gewaltenunterscheidung trotzdem gewahrt bleibt.“ Siehe insoweit bzw. zur gesamten Konzeption von Carl Schmitt nur H. Wendenburg (Fn. 10), S. 175 ff. 15  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 20. 16  Siehe hierzu neben den Ausführungen zu Carl Schmitt im Rahmen der Allge­ meinen Naturstaatslehre 1. Teil, § 5, insbesondere auch die verfassungsgeschicht­ liche Erläuterung zu Art. 79 III GG bei M. Herdegen, in: Th. Maunz / G.  Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. V: Art. 54–85, Stand Juli / 2014, München 2014, Art. 79 Rn. 64 f., in deren Rahmen der Kommentator mitunter auf die Verfassungs­ lehre von Carl Schmitt eingeht. 17  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 21 ff.

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über den Akten des pouvoir constitué indiziert.18 An dieser Stelle spiegelt sich daher der Gedanke einer Ewigkeitsgarantie wider, wie er gegenwärtig in der verfassungsrechtlichen Norm des Art. 79 III GG positiv verankert ist, wo­ nach bestimmte Wertentscheidungen einer Aufhebung durch den pouvoir constitué entzogen sind.19 Während aber die Grundrechte heute mit Ausnah­ me der unantastbaren Garantie der Menschenwürde nach Art. 1 GG als dem obersten Konstitutionsprinzip der Ewigkeitsgarantie gemäß Art. 79 III GG 18  An dieser Stelle zeigt sich wiederum die von Carl Schmitt vorgenommene Unterscheidung zwischen einem absoluten und relativen Verfassungsbegriff. Wäh­ rend der von ihm vertretene positive Verfassungsbegriff einen Gesamtzustand, eine Ganzheit, ausdrückt und daher zu der Kategorie einer absoluten Verfassung gehört, handelt es sich für den genannten Staatsrechtler bei den Bestimmungen der Weima­ rer Reichsverfassung lediglich um relative und demnach unter dem Vorbehalt der Norm des Art. 76 stehende Verfassungsgesetze, insofern sie die politische Einheit nicht positivrechtlich ausformen; dazu C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 1 ff.; vgl. auch ders., Legalität und Legitimität, Nachdruck der 1. Aufl. (1932), 8. Aufl., Berlin 2012, S. 46 ff. / 56 f. Diese grundlegende Weichenstellung wird ungenau her­ ausgearbeitet bei P.  Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 2002, S. 90 ff. 19  Siehe hierzu G. Dürig, Zurück zum klassischen Enteignungsbegriff, JZ 1954, 4 (4 / 7); R. Mussgnug, Carl Schmitts verfassungsrechtliches Werk und sein Fortwir­ ken im Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, in: H. Quaritsch (Hrsg.), Com­ plexio Oppositorum. Über Carl Schmitt, Berlin 1988, S. 517 ff.; M. Herdegen, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 16), Art. 79 Rn. 64 f.; B. Schlink, Why Carl Schmitt?, Rechtshistorisches Journal 1991 (10), 160 (160 f.); H. Schneider, Über Einzelfallge­ setze, in: H. Baron u. a. (Hrsg.), Festschrift für Carl Schmitt zum 70. Geburtstag, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 170; vgl. auch H. P. Ipsen, Über das Grundgesetz – gesam­ melte Beiträge seit 1949, Tübingen 1988, S. 22; M. Stolleis, Geschichte des öffent­ lichen Rechts in Deutschland – Weimarer Republik und Nationalsozialismus, Mün­ chen 2002, S. 113 f.; H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat, in: K.-H. Kästner u. a. (Hrsg.), Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 1999, S. 828 f.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 20 f. In dem gleichen Sinne verfasste Carl Bilfinger bereits im Jahre 1926 einen Beitrag zur Verfassungsumgehung (C. Bilfinger, Verfassungsumgehung. Betrachtungen zur Aus­ legung der Weimarer Verfassung, AöR 1926 (11), 163 (181 f.), in dessen Rahmen er ebenfalls einen unverbrüchlichen Wesenskern der Weimarer Reichsverfassung an­ nahm: „Die Weimarer Verfassung ist, trotz mancher Mängel und Anomalien, ein bestimmtes Ordnungssystem. (…) Dieses System besitzt demnach einen Kern inte­ grierender Bestandteile, durch welche die Einheit des Ganzen, im Sinne der Verfas­ sung, bedingt wird. Daher kann es rechtlich nicht zulässig sein, aus diesem System eine Grundlage herauszubrechen oder fundamental umzugestalten, die anderen Grundlagen aber unberührt stehen zu lassen. (…) Aber es widerspricht ihrem ver­ nünftig ausgelegten Sinn, dass es zulässig sein sollte, ihr System durch einseitige Einbrüche und Verstümmelungen dermaßen zu destruieren, dass dem übrigbleiben­ den Torso die Merkmale eines in sich geschlossenen Verfassungssystems nicht mehr zugesprochen werden können.“ Dieser Ansicht von Carl Bilfinger ausdrücklich zu­ stimmend C. Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 56 f.



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und damit einem absoluten Abänderungsverbot weder als solche noch in ih­ rem besonderen Wesensgehalt unterliegen,20 ist dies nach der Verfassungsleh­ re Carl Schmitts insoweit verschieden, als die politische Einheit bei einer völligen Vernichtung eines Grundrechts verletzt sei.21 In der logischen Folge müsste dieser Grundsatz dann auch für das von Carl Schmitt als institutionel­ le Garantie der Natur eingestufte Grundrecht des Art. 150 I WRV Geltung beanspruchen,22 weshalb die politische Einheit als absolutem Identitätsmo­ ment des deutschen Volkes bei einer den konstitutionellen Naturschutzauftrag vollständig außer Acht lassenden staatlichen Naturschutzpraxis angetastet worden wäre. Für diesen Fall bedurfte es deshalb nach der Ansicht von Carl Schmitt einer neutralen Gewalt als einem Hüter der Verfassung, der die einen unverletzlichen Wesenskern des Staates indizierende absolute Größe der po­ litischen Einheit als Bezugspunkt seiner positiven Verfassung gegen die dem Wesen einer pluralistisch-demokratischen Gesellschaft entsprechenden po­ tentiell zersplitternden Kräfte des Pluralismus, der Polykratie sowie des Fö­ deralismus zu verteidigen bzw. gegebenenfalls wiederherzustellen hatte.23 Erforderlich war demnach eine starke Hand, die Carl Schmitt in dem Staats­ oberhaupt des Reichspräsidenten erblickte, der als eines der konstitutiven Elemente der politischen Einheit von der Weimarer Reichsverfassung mit der erheblichen Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV ausgestattet worden war.24 Die damit einhergehende Ablehnung der Institution eines Verfassungsgerichts stützte er neben dem Argument einer Unvereinbarkeit von Politik und Justiz vor allem auf Gründe der Gewaltenteilung, die eine derartige besondere Ins­ titution praktisch ausschlossen.25 20  So M. Herdegen, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 16), Art. 79 Rn. 115; K.-H. Seifert / D.  Hömig, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl., Baden-Baden 2013, Art. 79 Rn. 4. Umstritten, im Ergebnis aber zu bejahen, ist jedoch, ob der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG in Bezug auf bestimmte Grundrechte nicht ein vom Grundsatz der Menschenwürde umfasster Kerngehalt unterliegt; so die Tendenz in BVerfGE 84, 90 (126 f.); 95, 48 (60 ff.); 109, 279 (313 f.); hierzu wiederum M. Herdegen, ebd., Art. 79 Rn. 115. 21  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 171 ff. / 177. 22  C. Schmitt, Inhalt und Bedeutung des zweiten Hauptteils der Reichsverfas­ sung, in: G.  Anschütz / R.  Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 595 / 604 (zu der Norm des Art. 142 WRV als lex genera­ lis). 23  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 71 ff. 24  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 132 ff.; F. Hase, Richter­liches Prüfungsrecht und Staatsgerichtsbarkeit, Gießen 1981, S. 87 ff., v. a. S. 95; W. Hill, Gleichheit und Artgleichheit, Berlin 1966, S. 186 ff.; A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 146 f.; P.  Otto (Fn. 18), S. 94 ff.; vgl. auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 64 ff. 25  Eine zusammenfassende Darstellung findet sich bei R.  Ch. van Ooyen, Hans Kelsen – Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Tübingen 2008, S. VIII  f.;

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Unabhängig von der inneren Stringenz dieser Theorie von dem Staats­ oberhaupt des Reichspräsidenten als einer von der Weimarer Reichsverfas­ sung vorgesehenen neutralen Hüterinstanz offenbarte sie aber eine zu erheb­ licher Rechtsunsicherheit führende Schwäche des von Carl Schmitt vertre­ tenen positiven Verfassungsbegriffs. Denn angesichts der Tatsache, dass es an einer exakten Definition bzw. sonstigen begrifflichen Umgrenzung der durch die verfassunggebende Gewalt konkret determinierten politischen Einheit fehlte,26 stellte sich die Frage, was zu der absoluten Bezugsgröße der positiven Verfassung und damit zu dem substanzhaften Wesenskern des Staates nun im Einzelnen gehörte. Carl Schmitt spricht insoweit nur ganz oberflächlich von den „konkreten politischen Entscheidungen, welche die politische Daseinsform des deutschen Volkes angeben und die grundlegen­ den Voraussetzungen für alle weiteren Normierungen, auch diejenigen der Verfassungsgesetze, bilden.“27 In diesen Kreis gehören für ihn etwa die H. Wendenburg (Fn. 10), S. 179 ff.; vgl. auch K. Doehring (Fn. 11), S. 193 f.; zum Argument der Unvereinbarkeit von Politik und Justiz C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung, in: ders., Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1958), Berlin 2003, S. 73 ff. / 97 ff.; ders., Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 35 f.; ders., Die Auflösung des Enteig­ nungsbegriffs, JW 1929, 495 (496 f.); E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen als Schlüssel zum staatsrechtlichen Werk Carl Schmitts, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 2., erweiterte Aufl., Frankfurt a. M. 2006, S. 355 ff.; H. Wendenburg, ebd., S. 179 ff. Der prägnante Satz von Carl Schmitt zu der Unvereinbarkeit von Politik und Justiz lautete unter Rekurs auf François Pierre Guillaume Guizot (F. P. G. Guizot, Des conspirations et de la justice politique, Paris 1821, S. 100 ff.), dass bei solchen Juridifizierungen „die Politik nichts zu gewinnen und die Justiz alles zu verlieren hat.“ Im französischen Original ist insoweit zu lesen: „Il y a des juges pour démêler et décider qui a droit: de même il y a un gouvernement pour reconnaître si le mécontentement a des causes légitimes ou seulement naturelles, et pour y porter remède. Le pouvoir a autre chose a faire qu’à se défendre de l’opposition; il est institué à charge de se juger lui-même, et de se réformer, si l’opposition a raison contre lui. (…) Mais quand il s’est trompé sur les causes de ces dispositions, il se trompe aussi sur leurs caractères.“ 26  Ausdrücklich von Carl Schmitt offengelassen in seinem anlässlich des zehn­ jährigen Bestehens der Weimarer Konstitution verfassten Aufsatz aus dem Jahre 1929 C. Schmitt, Zehn Jahre Reichsverfassung, JW 1929, 2313 (2314); hierzu wie­ derum M. Herdegen, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 16), Art. 79 Rn. 65; M.  Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Göbel (Hrsg.), Me­ tamorphosen des Politischen, Berlin 1995, S. 171, der davon spricht, dass Carl Schmitt bei dem Versuch einer Überwindung der formalistischen Grenzen der Staatslehre durch die Betonung des Politischen diesen Gedanken derart radikalisiert habe, dass sich das Politische letztlich von einem Begriff für die prozessuale politi­ sche Einheitsbildung inmitten verfassungsrechtlich fixierter normativer Bestimmung bis zur Unkenntlichkeit gewandelt hatte. 27  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 24.



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Grundsatzentscheidungen für die Demokratie, die Republik, den Bundes­ staat, die parlamentarisch-repräsentative Form der Gesetzgebung und Regie­ rung sowie für den bürgerlichen Rechtsstaat mit den anerkannten Grundsät­ zen der Gewaltenteilung und der Grundrechte.28 Ob hierzu aber auch der in der Weimarer Reichsverfassung positiv in der Bestimmung des Art. 150 I WRV verankerte Naturschutz zu rechnen war, muss zweifelhaft erschei­ nen. Dagegen spricht zunächst vor allem die explizite Einstufung der Ver­ fassungsnorm des Art. 150 I WRV als institutionelle Garantie der Natur, da nach der Ansicht von Carl Schmitt solche Denaturierungsverbote dem ein­ fachen Gesetzgeber zwar durchaus Schranken setzen können, in ihrer grund­ sätzlichen Bedeutung von echten Grundrechten aber insoweit verschieden seien, als sie dem Staat gerade nicht vorausliegen, weshalb bei ihrer voll­ ständigen Beseitigung durch den verfassungsändernden Gesetzgeber die politische Einheit nicht verletzt sei.29 Indessen bedarf diese verfassungs­ theoretische und demnach systembildende Einschränkung bei der institutio­ nellen Garantie der Natur womöglich einer Durchbrechung, da es sich inso­ weit nicht nur um eine Institutionsgarantie, sondern auch um die langsam vor sich gehende Entwicklung eines neuen Systemprinzips der modernen Staatlichkeit und demzufolge um ein die politische Einheit durchaus kons­ tituierendes Element handeln konnte. In diesem Sinne scheint dann auch Carl Schmitt selbst bei der nicht ganz einfachen Festlegung der absoluten Größe der politischen Einheit eine relativierende Ansicht eingenommen zu haben, wenn er ein Jahr nach dem Erscheinen seiner Verfassungslehre im Jahre 1928 im Rahmen einer Festschrift zum zehnjährigen Bestehen der Weimarer Reichsverfassung anmerkte, dass eben nichts anderes übrig blei­ be, „als für die verschiedenartigen Bestimmungen dieses (zweiten) Verfas­ 28  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 23 f. Es fällt auf, dass es sich bei den von Carl Schmitt aufgezählten Elementen der absoluten Größe der politischen Ein­ heit um Staatsstrukturprinzipien handelt, die das grundsätzliche Wesen des modernen Staates bestimmen (so H. Maurer, Staatsrecht I – Grundlagen, Verfassungsorgane, Staatsfunktionen, 6. Aufl., München 2010, § 6 Rn. 9). Eine Zuordnung des Natur­ schutzes zu der absoluten Bezugsgröße der politischen Einheit hätte dem Deutschen Reich eine naturstaatliche Wesensstruktur verliehen, ohne dass diese zur Disposition des pouvoir constitué gestanden hätte. Auf dem Boden der Hütertheorie von Carl Schmitt ist die reichspräsidiale Notverordnung im Umkehrschluss eigentlich ein gewichtiges Indiz dafür, dass der Naturschutzgedanke zu dem unverbrüchlichen We­ senskern des Deutschen Reichs gehören musste. Denn der Reichspräsident hat durch seine Dezision den staatlichen Naturschutz erst wieder ermöglicht. Angesichts der begrifflichen Unbestimmtheit der politischen Einheit als konstitutivem Moment der positiven Verfassung war diese Frage aber nicht eindeutig zu beantworten. 29  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 176 ff. Darin spiegelt sich der Ge­ danke von Carl Schmitt wider, dass die ursprüngliche Dezision des pouvoir consti­ tuant den Staat in seiner konkreten Form zur Entstehung bringt, weshalb eine insti­ tutionelle Garantie nicht zu der politischen Einheit gehören kann.

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sungsteiles das Maß der Gewährleistung zu suchen und das Minimum zu umschreiben, das für den Landes- oder den Reichsgesetzgeber oder sogar für den verfassungsändernden Gesetzgeber nach Art. 76 WRV unantastbar ist.“30 Es bedurfte somit einer Auslegung der Norm des Art. 150 I WRV, wobei die besseren Gründe für eine Zugehörigkeit des Natur- und Heimat­ schutzes zu der begrifflich nicht genau umschriebenen absoluten Größe der politischen Einheit sprechen. Bereits die Entstehungsgeschichte der verfas­ sungsrechtlichen Bestimmung des Art. 150 I WRV kann für eine derartige Einordnung angeführt werden. Es handelte sich bei den Kategorien des Naturdenkmals sowie der Landschaft um heimatliche Kulturgüter, deren verfassungspolitische Aufnahme in die Weimarer Reichsverfassung infolge ihrer erheblichen Relevanz für den deutschen Nationalstaat noch nicht ein­ mal einer Begründung bedurfte. Als nationalstaatliche Symbole waren sie mehr als nur unter staatlichen Schutz gestellte Kulturobjekte. In ihrer allge­ meinen Bedeutung standen sie vielmehr mit ihrer einheitsbildenden und damit volksintegrierenden Kraft in der Verfassungshierarchie ganz oben, weshalb auch die grammatikalische Auslegung des Art. 150 I WRV mit seinem nationalstaatlichen Gedankengut für die Zuordnung zu der absoluten Größe der politischen Einheit spricht. Gestützt wird diese Interpretation zudem durch systematische, aber auch teleologische Erwägungen. Die Ein­ ordnung der Norm des Art. 150 I WRV in dem vierten Abschnitt „Bildung und Schule“ des zweiten Hauptteils der Weimarer Konstitution hebt die bildungspolitische Dimension des damaligen Naturschutzgedankens hervor, dessen förderlichstes Begehren eine Entwicklung der jungen Generationen unter Gewährleistung deutschen und damit heimatlichen Naturguts war. Die Natur- und Heimatschutzaktivitäten nahmen daher eine besondere Rolle in der geistigen Heilung des geschlagenen deutschen Volkes ein, deren kurie­ rende Wirkung das Erblühen der Nation begünstigen sollte. Flankiert wurde dies dabei von dem emotionalen Gedanken einer nationalen Heimatidylle, die als sinntragendes Mobilisierungsvehikel die politische Einheit substanti­ ell stärken und festigen konnte. Demnach war der Reichspräsident nach den staats- und verfassungstheoretischen Ansätzen von Carl Schmitt als neutra­ ler Schiedsrichter im Spannungsspiel zwischen der wirtschaftlichen Eigen­ tumsfreiheit nach Art. 153 WRV und dem staatlichen Naturschutzauftrag nach Art. 150 I WRV auf der Grundlage der Verfassungsnorm des Art. 48 II WRV berufen, die negativen Auswirkungen der reichsgerichtlichen Urteile 30  C. Schmitt, Zehn Jahre Reichsverfassung (Fn. 26), JW 1929, 2313 (2314); vgl. auch ders., Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 38 ff., v. a. S. 44 f. / 49 / 56 f. Carl Schmitt: „Wenn eine Verfassung die Möglichkeit von Verfassungsrevisionen vor­ sieht, so will sie damit nicht etwa eine legale Methode zur Beseitigung ihrer eigenen Legalität, noch weniger das legitime Mittel zur Zerstörung ihrer Legitimität liefern.“ (C. Schmitt, Legalität und Legitimität, ebd., S. 56 f.).



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zu beseitigen, um das einende Element des heimatlichen Naturschutzes wiederherzustellen.31 III. Argumentationsmuster zur tieferen Entschlüsselung der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 im Kontext der politischen Realität der Spätphase des Deutschen Reiches Die innere Divergenz der reichspräsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 zwischen den normalen staatlichen Naturschutzmaßnahmen und solchen, die im Sinne des § 3 I des III. Kapitels des sechsten Teils dieses reichsrechtli­ chen Gesetzesakts „durch Fluchtlinien, Baulinien, Freiflächengrenzen oder auf sonstige Weise“, was im Zusammenhang mit dem gewachsenen Natur­ schutzgeist vor allem durch die in § 1 explizit enthaltene Tatbestandsvarian­ te „zur Erhaltung des Baumbestandes und zur Freigabe von Uferwegen“ konkretisiert werden konnte, „zum Zwecke des öffentlichen Gebrauchs vorwiegend aus Gründen der Volksgesundheit oder Volkserholung“ ergriffen wurden,32 wirft die Frage nach dem Sinn der nicht privilegierten Behand­ lung der unter dem Eindruck des sozialen Volkswohls stehenden hoheitli­ chen Naturschutzmaßnahmen auf. Aus der systematischen Zusammenschau 31  Relativierend aber M.  Llanque (Fn. 26), S. 167 f. Letztlich stellte sich bei der Zuordnung des heimatlichen Naturschutzes als Komponente der Verfassungsbestim­ mung des Art. 150 I WRV zu der absoluten Größe der politischen Einheit die Frage, ob der Staat ohne das auf nationalstaatlichem Gedankengut beruhende Na­ turschutzelement noch derselbe Staat gewesen wäre. Hartmut Maurer nutzt diese Formel für die Abgrenzung von Staatsstrukturprinzipien und Staatszielbestimmun­ gen, wobei eine Abschaffung von Staatszielen das Wesen und die Struktur des Staates unberührt lasse (H. Maurer (Fn. 28), § 6 Rn. 9). Eine Übertragung dieses Gedankens auf den heimatlichen Naturschutz im Deutschen Reich könnte schließ­ lich in beide Richtungen tendieren. Eine Berücksichtigung der im Vergleich zu anderen europäischen Staaten doch schwierigen Herausbildung eines deutschen Nationalstaats im 19. Jahrhundert musste dem in der Weimarer Reichsverfassung positiv verankerten nationalstaatlichen Gedankengut aber eine besondere Dimension verleihen. Es ist hier deshalb davon auszugehen, dass das Deutsche Reich ohne den nationalen Natur- und Heimatschutz nicht mehr der gleiche Staat gewesen wäre, wie er durch die Reichsgründung im Jahre 1871 ins Leben gerufen worden war. Das Problem um die staatsrechtliche Einordnung des in der Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV positivrechtlich verankerten Naturschutzes zeigt aber die eine Rechtsunsicherheit heraufbeschwörende Systemverwässerung des Deutschen Reichs, die sich auf dem Boden des staats- und verfassungstheoretischen Ansatzes von Carl Schmitt einstellen musste. 32  RGBl. 1931, 279 (309 f.). Der Umstand, dass mit der Wendung „zur Erhal­ tung des Baumbestandes und zur Freigabe von Uferwegen (…) vorwiegend aus Gründen der Volksgesundheit oder Volkserholung“ ausdrücklich die sozialpolitische Naturschutzgebietsidee angesprochen werden sollte, wurde bereits im Rahmen die­ ses Kapitels in Fn. 4 und 5 erläutert.

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der Regelungen der §§ 2 und 3 der in Frage stehenden Notverordnung ergibt sich, dass praktisch sämtliche auf landesrechtlicher Grundlage betriebenen Naturschutzmaßnahmen im Geist des vorkonstitutionellen Rechtszustandes grundsätzlich ohne Entschädigung möglich waren, während aber insbeson­ dere die Möglichkeit von der sozialpolitischen Komponente dienenden Na­ turschutzgebieten nur gegen den angemessenen Ausgleich der erlittenen Wertminderung des Grundstücks in Erwägung gezogen werden durfte.33 Ein Erklärungsansatz dieser bewussten Differenzierung könnte in den 33  R. Breuer (Fn. 4), S. 120 f. In Rechtsprechung und Weimarer Staatsrechtslehre war insoweit zudem heftig umstritten, ob der Reichspräsident überhaupt befugt war, eine Notverordnung zu erlassen, die Wirkungen für die Vergangenheit, zumal auch noch nachträglich in einem gegenüber der ständigen Rechtsprechung abweichenden Sinne, entfalten konnte, d. h. ob die Notverordnung auf Fälle anwendbar war, die vor Erlass des präsidialen Rechtsakts bereits eingetreten und rechtlich höchstrichterlich geklärt waren. Die Folge wäre gewesen, dass damit sämtliche bereits entstandenen Enteignungsansprüche rückwirkend wieder erloschen wären. Nach Art. 48 II 2 WRV durfte der Reichspräsident während des Bestehens der Störung der öffentlichen Si­ cherheit und Ordnung bestimmte Grundrechte, zu denen auch die Eigentumsgarantie gehörte, vorübergehend suspendieren, weshalb auch Art. 153 WRV in der Notstands­ situation keine verfassungsrechtliche Schranke der Exekutive bei der Wiederherstel­ lung des normalen verfassungsmäßigen Zustandes darstellte. Es stellte sich nun aber die Frage, ob dies auch rückwirkend insofern möglich war, als durch § 1 des III. Ka­ pitels des sechsten Teils der Notverordnung vom 05.06.1931 sämtliche Entschädi­ gungen für Enteignungen nach dem 13.08.1919 hinfällig waren, wenn und soweit das Landesrecht nach § 2 keine Ausnahme kannte, was nicht nur einer Suspension der Entschädigungsleistungen für die Vergangenheit, sondern einer gänzlichen Auf­ hebung gleichkam, da die Ausgleichspflichten nach der zeitlichen Geltungsdauer der Notverordnung nicht wieder auflebten. Dennoch bejahte das Reichsgericht in stän­ diger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit des präsidialen Notverordnungsakts. Siehe zur Rechtsgültigkeit der Notverordnung vom 05.06.1931 nur RGZ 137, 183 (186 ff.); 139, 285 (286); 141, 155 (158 ff.); 144, 325 (329 ff.); hierzu auch die Rechtsprechungsnachweise bei G. Heilmann, Rückwirkende Aufhebung von Ansprü­ chen durch Notverordnung, ReichsVerwBl. u. PrVerwBl. 1932 (53), 807 (808 ff); vgl. auch R. Breuer, ebd., S. 121. Das Reichsgericht sah in der Notverordnung in­ soweit keine Rückwirkung, sondern vielmehr „ein(en) sich im Augenblick des In­ krafttretens der Notverordnung vollziehende(n) Eingriff“, wobei „die Folgen der Maßnahme (…) nicht wieder zu beseitigende sein (…) (konnten)“ (so in RGZ 137, 185 (186 ff)). Gegen eine rückwirkende notverordnungsrechtliche Anordnungskom­ petenz OLG Rostock, Urteil vom 11.03.1932, Das Grundeigentum 1932 (44), S. 461; E. Isay, Die entschädigungspflichtige Enteignung durch Fluchtlinienfestsetzung, Das Grundeigentum 1931 (43), 1166 (1168 f.); ders., Rückwirkende Aufhebung von An­ sprüchen durch Notverordnung, ReichsVerwBl. u. PrVerwBl. 1932 (53), 807 (810 f.). Gundsätzlich zu der Bedeutung der Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung als Kampfmittel gegen die präsidialen Notverordnungen nur M. Stolleis, Weimarer Re­ publik und Nationalsozialismus (Fn. 19), S. 110. Die im Jahre 1931 ergangene Not­ verordnung war somit vor allem auch sozialpolitisch motiviert; zu der sozialpoliti­ schen Stimmungslage auf dem Gebiet des Städtebaus gegen Ende des Deutschen Reichs H.-W. Frohn (Fn. 13), S. 141 f.



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schwereren Einwirkungsfolgen der Ausweisung von ganzen Naturschutzge­ bieten für das private Eigentum liegen, so dass insoweit eine Wertminderung zu erstatten war, während sonstige staatliche Naturschutzaktivitäten unter dem Ausnahmevorbehalt von Entschädigungsregelungen entsprechend des § 75 Einleitung zum Allgemeinen Preußischen Landrecht keine finanzielle Ausgleichspflicht auslösen konnten, wenn das Landesrecht nichts anderes normierte.34 Ein anderer Begründungsversuch rekurriert dagegen auf die originäre Statik des positiven Verfassungsbegriffs von Carl Schmitt, der auf den Dezisionszeitpunkt des pouvoir constituant im Jahre 1919 angelegt war.35 Der Reichspräsident war nach der Hütertheorie von Carl Schmitt grundsätzlich berufen, die absolute Bezugsgröße der politischen Einheit wiederherzustellen, was letztlich mit der Notverordnung vom 05.06.1931 und der hiermit einhergehenden Renaissance der vorkonstitutionellen Rechtslage auch geschehen ist. Nun ist aber zu bedenken, dass die Katego­ rie von Naturschutzgebieten im Zeitpunkt der originären Konstituierung im Jahre 1919 noch nicht vom Willen des pouvoir constituant aufgenommen worden war, weshalb sich ein präsidialer Hüterakt auch nicht auf dieses sozialpolitische Optionsmodell eines volksnahen Naturschutzes beziehen konnte. Es wäre demnach nur konsequent gewesen, wenn das Staatsober­ haupt diese naturstaatliche Schutzkategorie unbeachtet gelassen und demzu­ folge die durch die Weimarer Reichsverfassung positivrechtlich konkreti­ sierte Urordnung nicht angetastet hätte. Dieser Theorie kann auch nicht mit dem Argument begegnet werden, dass im Moment der originären Dezision 34  Vgl. den Entwurf zum Städtebaugesetz (Fn. 7), RABl. 1931 I, S. 92. Die Regelung des § 75 Einleitung zum Allgemeinen Preußischen Landrecht blieb von der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 unberührt; so RGZ 139, 285 (288 f.); R. Künkler (Fn. 4), JW 1933, 1191 (1191 f., auch Fn. 2); R. Breuer (Fn. 4), S. 120 Fn. 84; vgl. auch G. Anschütz (Fn. 13), S. 720 f.; differenzierend dagegen Reuß, DJZ 1933, 1188 (1188 f.), wonach § 75 Einl. ALR stets, (aber auch nur) dann verdrängt wird, wenn ein bestimmtes Spezialgesetz einen konkreten Fall in seinem Anwendungsfall erfasst („Einklang mit den Grundsätzen über das Verhältnis einer lex specialis zur lex generalis“); a. A. H. Furler, Das polizeiliche Notrecht und die Entschädigungspflicht des Staates, Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (393 ff. / 404 ff.), der davon ausging, dass durch die Norm des Art. 153 II WRV die allgemeine Entschädigungsregelung des § 75 Einl. ALR vollständig aufgehoben worden war. Die weiterhin geltende Anwendbarkeit des § 75 Einl. ALR war auch mit § 2 des III. Kapitels des sechsten Teils der Notverordnung vereinbar, da dieser ausdrücklich eine Entschädigung für staatliche Naturschutzmaßnahmen nur dann versagte, wenn und soweit dies mit dem Willen der in erster Linie zuständigen Landesgesetzgeber übereinstimmte, d. h. die gesetzgebende Landesgewalt konnte grundsätzlich von dem durch die Vorschrift des Art. 153 II WRV festgelegten Min­ deststandard an Eigentumsrechten stets nach oben abweichen; so G. Anschütz, ebd., S. 720. 35  So P.  Otto (Fn. 18), S. 93 f.; zur grundsätzlich statischen Ausrichtung des po­ sitiven Verfassungsbegriffs von Carl Schmitt M.  Llanque (Fn. 26), S. 166 ff.

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des pouvoir constituant das rechtsstaatliche Gedankengut der Eigentumsga­ rantie gemäß Art. 153 WRV bereits Bestand hatte, so dass nach diesem Maßstab dann auch der reichspräsidiale Notverordnungsakt hätte ausgestal­ tet werden müssen, was eine grundsätzliche Entschädigungsfreistellung für die sonstigen Maßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes auch ausge­ schlossen hätte, da einerseits bezüglich des Eigentumsgrundrechts des Art. 153 WRV nach der Verfassungslehre von Carl Schmitt die politische Einheit nur im Falle einer vollständigen Beseitigung verletzt worden wäre, was aber nicht gegeben war, andererseits aber die von Carl Schmitt zur Hüterkompetenz umfunktionierte Diktaturgewalt explizit die Möglichkeit einer Suspension des Art. 153 WRV zuließ.36 Dieser Erklärungsansatz beweist wiederum, wie problematisch die Verortung von wesentlichen Ver­ fassungsfragen in den verfassungstheoretischen Raum ist, insbesondere wenn die absolute Bezugsgröße der abstrahierten Grundordnung begrifflich nur ganz begrenzt erfasst werden kann.37 Abgesehen von der dadurch bedingten Interpretationsunsicherheit sprechen aber gewichtige Gründe für die Theorie einer Bezogenheit der präsidialen Notverordnung auf den origi­ nären Dezisionszeitpunkt des pouvoir constituant im Jahre 1919. Denn nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 2 wurden von der Notverordnung nur Enteignungen nach dem 13. August 1919 und vor dem 01. April 1933 er­ fasst, so dass sich hier bereits ein konkreter Anhaltspunkt für die Rückbezogenheit des reichspräsidialen Notverordnungsakts vom 05.06.1931 auf die dezisionistische Konstituierung durch den pouvoir constituant im Jahre 1919 ausmachen lässt. Zudem ordnete das Staatsoberhaupt mit der Bestim­ mung des § 3 I des III. Kapitels im sechsten Teil der Notverordnung vom 05.06.1931 für staatliche Naturschutzgebietsausweisungen zum Zwecke der Volksgesundheit oder -erholung einen regelmäßig zu erstattenden Wertmin­ derungsausgleich für das betroffene Grundstück an, womit er den Passus einer „angemessenen Entschädigung“ nach Art. 153 II 2 WRV in Konformi­ tät mit der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts ausfüllte, wenn­ gleich nicht von der Hand zu weisen ist, dass mit der Ausnahmenorm des § 3 I ebenso eine Eigentumsentziehung „unter Wert“ einhergehen konnte, indem sie weitergehende landesrechtliche Entschädigungsregelungen als reichsrechtlicher Akt derogierte und damit nur den Mindeststandard an Ei­ 36  Nach der herrschenden Meinung handelte es sich bei der Suspensionsmög­ lichkeit von Grundrechten nach Art. 48 II 2 WRV um eine limitative Aufzählung, so dass nur die in dieser Norm explizit genannten Grundrechte zeitweilig suspendiert werden konnten; so G. Anschütz (Fn. 13), S. 289; F. Giese (Fn. 13), S. 138 f. Eine andere Ansicht vertrat dagegen Carl Schmitt, der eine exemplifikative Aufzählung annahm, weshalb der Diktaturgewalt auch in Bezug auf sonstige Grundrechtsbestim­ mungen nur bedingt Grenzen gesetzt waren (C. Schmitt, Diskussionsbeitrag zu „Die Diktatur des Reichspräsidenten“, VVDStRL 1924 (1), S. 103 f.). 37  M. Herdegen, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 16), Art. 79 Rn. 65.



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gentumsrechten nach Art. 153 II WRV gewährte.38 Überdies ist die These einer originären Statik der positiven Verfassung von Carl Schmitt zwar nicht 38  Die Erstattung der erlittenen Wertminderung des Grundstücks entsprach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts; so etwa in RGZ 109, 310 (322 f.); 112, 189 (192); 128, 18 (31 f.). Der Erklärungsversuch einer materiellen Bezogenheit der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 auf den originären Dezisionszeit­ punkt des pouvoir constituant im Jahre 1919 ist nur dann sinnvoll, wenn der Reichs­ präsident mit dem Notverordnungsakt gegenüber dem in der Weimarer Konstitution nach Art. 153 II 2 WRV vorgegebenen Entschädigungsniveau eines angemessenen Ausgleichs nicht zurückstand. Damit stellt sich die Frage, wer für die konkrete Fest­ legung des Maßstabs einer angemessenen Entschädigung gemäß Art. 153 II 2 WRV berufen war. Tatsächlich wurde in der Weimarer Staatsrechtslehre die Ansicht ver­ treten, dass Landesgesetze, die die Frage der angemessenen Entschädigung im Sinne des Art. 153 II 2 WRV selbst regelten, durch die reichspräsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 nicht aufgehoben waren, um den Vorrang der parlamentarischen Landesgesetzgeber zu achten, was letztlich auch weitergehende Entschädigungsleis­ tungen über die Wertminderung des Grundstücks hinaus ermöglichte; so etwa RGZ 112, 189 (192); 116, 268 (274); 128, 18 (32); 129, 189 (198); G. Anschütz (Fn. 13), S. 718 f.; vgl. auch W. Hofacker, Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen, Stuttgart 1926, S. 54; W. Weber, Eigentum und Enteignung, in: F. Neumann u. a. (Hrsg.), Die Grundrechte, Bd. II: Die Freiheitsrechte in Deutschland, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 345; J.  Eckert / W.  Gase / A.  Olscher (Fn. 4), S. 408 ff.; a. A. aber M. Wolff, Reichsverfassung und Eigentum, Festgabe für Wilhelm Kahl, Tübingen 1923, S. 18; H. Furler (Fn. 34), Verwaltungsarchiv 1928 (33), 340 (404). Der von der Rechtspre­ chung und Gerhard Anschütz vertretenen Ansicht ist zuzustimmen. Nach § 2 des III. Kapitels des sechsten Teils der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 wa­ ren die normalen, nicht zu dem Zwecke der Volksgesundheit oder Volkserholung ergriffenen staatlichen Naturschutzhandlungen vorbehaltlich der Norm des § 3 grundsätzlich ohne Entschädigung möglich, wenn und soweit dies landesrechtlich nicht abweichend geregelt war. Demnach wollte der Reichspräsident die Notlage auf dem Gebiet des heimatlichen Naturschutzes nur insoweit beheben, als dies dem Willen der Landesgesetzgeber entsprach, die für bestimmte Fälle die Entschädi­ gungspflicht ausdrücklich normiert hatten. Deshalb mussten auch die landesgesetz­ lich festgelegten Regelungen einer angemessenen Entschädigung unberührt bleiben, um den Primat der Landesgesetzgeber grundsätzlich nicht anzutasten. Dies stand aber unter dem Vorbehalt des § 3, der nunmehr reichsrechtlich eine Wertminderungs­ bemessung für die zu leistenden Entschädigungen aufgrund der Ausweisung von Naturschutzgebieten im Sinne des Art. 153 II 2 WRV enthielt, so dass weitergehen­ de Ausgleichsregelungen derogiert wurden. Denn dies entspricht nach der Entste­ hungsgeschichte der Eigentumsgarantie dem Sinn des Verfassungsrechtssatzes nach Art. 153 II 2 WRV, willkürliche Vorschriften des Landesrechts durch etwaige reichs­ einheitliche Regelungen zu verhindern (vgl. nur G. Anschütz, ebd., S. 709; W. Jellinek, Entschädigung für baurechtliche Eigentumsbeschränkungen, Rechtsgutachten für den Deutschen Städtetag, Schriftenreihe des Deutschen Städtetages, Heft 7, Berlin 1929, S. 4 ff.). Nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 2 des III. Kapitels des sechsten Teils der präsidialen Notverordnung ergibt sich dieses Ergebnis aber auch aus dem expliziten Vorbehaltsverweis auf die Bestimmung des § 3, so dass insoweit nun die grundsätzliche Abweichungskompetenz der Länder „nach oben“ (Fn. 34) ausgeschlossen war. Vgl. hierzu auch grundsätzlich die Ausführungen im

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in ihrem Ausgangspunkt überzeugend, was aber keine widerlegende Rele­ vanz für die Frage nach der Bezogenheit der Notverordnung vom 05.06.1931 auf den Dezisionszeitpunkt im Jahre 1919 besitzt. Carl Schmitt schreibt in seiner Verfassungslehre aus dem Jahre 1928 selbst, dass „(…) die scharfe Trennung von Statisch und Dynamisch (…) etwas Künstliches und Gewalt­ sames (hat).“39 Für ihn ist es demnach nicht ausgeschlossen, dass sich eine wesentliche politische Entscheidung erst im Laufe der Zeit konkret in der realen Wirklichkeit manifestiert und so die positive Verfassung vervoll­ ständigt, unabhängig, ob „ein einfaches Gesetz die Entscheidung bringt oder auch ein bloßer Präzedenzfall, dessen folgenreiche Wirkung alsdann nur dadurch erklärlich ist, dass man in ihm den Willen des Volkes als des Trä­ gers der verfassunggebenden Gewalt zu erkennen vermag.“40 Damit ist auch der positiven Verfassung von Carl Schmitt ein dynamisches Moment immanent, wenngleich eine konkretisierende Entscheidung in Bezug auf die sozialpolitische Kategorie von ganzen Naturschutzgebieten im Deutschen Reich vor dem Hüterakt des Reichspräsidenten wohl noch nicht vorlag, was schließlich im Umkehrschluss durch die Notverordnung vom 05.06.1931 belegt wird.41 Es scheint deshalb, als ob der Notverordnungsakt in der Tat Reichsarbeitsblatt

aus dem Jahre 1931 zum Entwurf eines Städtebaugesetzes (Fn. 7), RABl. 1931 I, S. 89 ff. Damit ließ die reichsrechtliche Notverordnungsregelung des § 3 auch Wertminderungsentschädigungen „unter dem eigentlichen Wert“ des Grund­ stücks zu (G. Heilmann (Fn. 33), ReichsVerwBl. u. PrVerwBl. 1932 (53), 807 (808); a. A. wohl aber C. Sass, Enteignungen auf dem Gebiete des Städebaues nach der dritten Notverordnung Kapitel III, Berlin u. a. 1932, S. 12, der eine Kongruenz von landesrechtlicher und der reichsnotverordnungsrechtlich vorgesehenen „angemesse­ nen Entschädigung“ annimmt), was gegen eine statische Ausrichtung der reichsprä­ sidialen Notverordnung vom 05.06.1931 am dezisionistischen Abbild des ursprüng­ lichen Konstituierungszeitpunkts im Jahre 1919 sprechen könnte. Es ist aber zu bedenken, dass das Staatsoberhaupt das von der Rechtsprechung seit Beginn des Deutschen Reichs gebilligte, regelmäßige Entschädigungsniveau mit der Wertminde­ rungsbemessung durch Reichsrecht festgelegt hat, so dass dieser Punkt einer Dezi­ sion des Reichspräsidenten am Maßstab der originären Entscheidung des pouvoir constituant nicht entgegensteht. 39  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 6. 40  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 14), S. 29; vgl. auch C. Schmitt, Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 82. 41  Ein derartiges einfaches Gesetz oder ein bloßer Präzedenzfall, der einen er­ weiterten Gesinnungsausdruck auf dem Gebiet des Naturschutzes unter Einschluss von Tieren und Pflanzen als Gattungen bzw. ganzen Naturschutzgebieten indiziert und so den Weg in eine naturstaatliche Moderne weiterhin bereitet hätte, wäre etwa in dem Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 (RGBl. 1935, S. 821) zu sehen gewesen, das in reichsvereinheitlichender Weise ein umfassendes Naturschutzpro­ gramm eingeführt hat. Dagegen war die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 auf dem Boden der Hütertheorie von Carl Schmitt selbst nicht geeignet, die absolu­ te Größe der politischen Einheit zu verändern, da dies der Funktion eines Verfas­ sungshüters gerade widersprochen hätte. Es zeigt sich aber an diesem Gedankenmo­



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eine innere Differenzierung am Maßstab der ursprünglichen Dezision des pouvoir constituant vorgenommen hat, wobei die materielle Dimension des reichspräsidialen Rechtsakts noch eine weitere Interpretationsvariante be­ reithält. Der Naturschutz war im Rahmen des nationalen Einheitsvorgangs ein von der Ideologie des Heimatschutzes flankierter Identitätsbaustein des deutschen Volkes, dem folglich eine besondere Integrationsrelevanz zukam. Demnach konnte eine diktatorische Naturherrschaft ohne Entschädigungs­ zahlungen im Fall von Enteignungen aus nationalen Motiven durchaus legi­ tim sein, um die nationalstaatliche Entfaltung voranzutreiben. Dagegen of­ fenbarten sich in der Ausnahmevorschrift des § 3 I der Notverordnung vom 05.06.1931 möglicherweise schon nationalsozialistische Übergangstenden­ zen, indem sie unter sozialer Zielsetzung im Sinne der Erholungsgebietsidee eine staatliche Fürsorge um den Preis einer individuellen Aufopferung zu­ gunsten der deutschen Volkseinheit vorsah, was bereits unter dem braun gefärbten Deckmantel einer scheinbaren Legalität am Maßstab der Weimarer Reichsverfassung geschehen sollte. Mit der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 stand das Naturschutzszenario im Deutschen Reich demnach schon ganz im Zeichen der aufopferungsvollen Hingabe des Individuums für seine Volksgemeinschaft aus nationalen Motiven und der sozialen Ver­ antwortung der Volksgemeinschaft für das Individuum,42 was einen glei­ dell wieder wie interpretationsvariabel sich das ganze Staatssystem nach der Kon­ zeption von Carl Schmitt darstellte. Eine andere Frage ist dagegen, ob es sinnvoll sein kann, einen unverbrüchlichen Wesenskern des Staates in der geschriebenen Verfassung positivrechtlich zu fixieren. Zu der Problematik der damaligen Rechts­ zersplitterung auf dem Gebiet des Naturschutzes im Deutschen Reich W. Schoenichen, in: W.  Weber / ders., Reichsnaturschutzgesetz, Kommentar (Fn. 8), S. 7. 42  So die nationalsozialistische Ideologie; siehe hierzu nur J. Fest, Hitler. Eine Biographie, Hamburg 2007, S. 426 ff., v. a. S. 442 ff. In diese Richtung geht bereits der Aufruf der Reichsregierung zur Notverordnung vom 05.06.1931, abgedruckt bei J. Eckert / W. Gase / A. Olscher (Fn. 4), S. VII ff.: „Vor dem Aberglauben, man könnte ohne Opfer zu einem gedeihlichen Erfolge gelangen, muss eine verantwortungsbe­ wusste Regierung warnen. (…) Oft haben die Deutschen in ihrer Geschichte verkannt, dass in kitischer Lage nicht der Kampf der Parteien, sondern der Wille des gesamten Volkes, sich zu behaupten, entscheidend ist.“ (S. X f.); vgl. dazu auch H. Wachenheim, Die zweite Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 5. Juni 1931 und die Politik, Die Arbeiterwohlfahrt 1931 (13), S. 385 ff. Zur Ansicht Carl Schmitts in Bezug auf eine dauerhafte Legitimität der nationalsozialistischen Bewegung C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934, S. 24 ff.; in diese Richtung gehen auch die Ausführungen in „Legalität und Legitimität“ (1932) ders., Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 52 ff. / 57 ff. / 64 ff. /  82 ff.; vgl. insoweit im Zusammenhang mit Carl Schmitt auch A. Koenen, Der Fall Carl Schmitt. Sein Aufstieg zum „Kronjuristen des Dritten Reiches“, Darmstadt 1995; B. Schlink (Fn. 19), Rechtshistorisches Journal 1991 (10), 160 (170 ff.); M.  Llanque (Fn. 26), S. 171; A. Brodocz, Die politische Theorie des Dezisionismus: Carl Schmitt, in: ders. / G.  Schaal (Hrsg.), Politische Theorien der Gegenwart I, 3. Aufl., Opladen u. a. 2009, S. 278 f.; vgl. auch E. Hennig, Nationalismus, Sozialismus und die „Form

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tenden Wandel in das nationalsozialistische Regime des späteren Dritten Reichs indizierte. In diese Argumentationslinie passt dann auch der getätig­ te Erklärungsansatz einer schwerwiegenderen Eingriffsintensität der Aus­ weisung von Naturschutzgebieten, die eine von staatlicher Seite propagierte Aufopferung eines Grundstückseigentümers zugunsten des Volksganzen si­ mulieren sollte. Dabei war nicht auszuschließen, dass angesichts der dyna­ mischen Eigenschaft der positiven Verfassung von Carl Schmitt die soziale Naturreservatskomponente irgendwann auch zu der politischen Einheit ge­ hörte, ein Umstand, der das entartete Staatswesen unter ideologiegetarnter Deckung noch mehr auf den totalitären Kurs des späteren Nationalsozialis­ mus gebracht hätte.43 Denn vorrangig war stets die Verfassungstheorie, nicht aber das geltende Verfassungsrecht der Weimarer Reichsverfassung. IV. Die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 als politischer Integrationsakt im Sinne von Rudolf Smend Eine das dynamische Wesen des Staates betonende und damit ganz im Zeichen der Integrationslehre stehende Ansicht vertrat dagegen der Staats­ rechtler Rudolf Smend im Rahmen des vorherrschenden staatstheoretischen Diskurses um eine Verfassungsgerichtsbarkeit, was ihn zu einem Anhänger der Idee einer den politischen Staatskreislauf abrundenden und die Gewähr aus Leben“: Hermann Hellers politische Hoffnung auf soziale Integration und staat­ liche Einheit, in: Ch. Müller (Hrsg.), Staatslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. 1985, S.  109 f.; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsge­ walt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 108 ff. / 117 ff.; grundsätzlich zur damaligen Lage im Deutschen Reich H. Kelsen, Verteidigung der Demokratie (1932), in: M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tü­ bingen 2006, S. 230 ff.; J. Tkaczynski, Vom Wesen und Wert der Demokratie von Hans Kelsen aus heutiger Sicht, Der Staat 2008 (47), 108 (108 f.); E. Hennig, Die weltwirtschaftliche Konstellation am Ende der Weimarer Republik – Weltwirtschafts­ krise und der Aufstieg des Faschismus im internationalen Vergleich, in: V. Rittberger (Hrsg.), 1933, Wie die Republik der Diktatur erlag, Stuttgart 1983, S. 40 ff. 43  Deshalb wird in der umweltgeschichtlichen Literatur weiter die Ansicht eines kontinuitätsbefleckten Sonderwegs des Naturschutzes vertreten, der sich bis hinein in das spätere nationalsozialistische Regime fortsetzte; so etwa M. Wettengel, Staat und Naturschutz 1906–1945, in: Historische Zeitung 1993 (257), 355 (379 / 397 f.); A. Andersen, Heimatschutz: Die bürgerliche Naturschutzbewegung, in: F.-J. Brügge­ meier (Hrsg.), Besiegte Natur, München 1987, S. 155; vgl. auch W. Hartung, Kon­ servative Zivilisationskritik und regionale Identität. Am Beispiel der niedersächsi­ schen Heimatbewegung 1895–1919, Hannover 1991, S. 228: „Aus der Sicht vieler Heimatschützer hatte die politische Mission der Heimatbünde in dem Moment ihr Ziel erreicht, als der Staat seine lang andauernde Vernachlässigung der Naturdenk­ malpflege aufgab und damit begann, diesen ‚idealen‘ Belang in die Exekutive zu integrieren.“ (Hervorhebung im Original).



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit379

der politischen Einheit bewirkenden Ausgleichsinstanz als „Schlussstein des Integrationssystems“ machte.44 Der Staat ist für Rudolf Smend eine geis­ tige Wirklichkeit, ein lebendiger Prozess der täglichen Integration, der sich stets aufs Neue in ein geistiges Abbild der soziologischen Realität wandelt, was sich in den turnusgemäßen Fortbildungen des geistigen Gesamtzusam­ menhanges ausdrückt.45 Demnach versteht er die Verfassung auch nicht im Sinne des juristischen Positivismus und Formalismus, sondern als „Rechts­ ordnung des Staates, genauer des Lebens, in dem der Staat seine Lebens­ wirklichkeit hat, nämlich seines Integrationsprozesses.“46 In diesem Sinne ist der politische Vorgang auf die fortbildende Herstellung der staatlichen Lebenstotalität gerichtet, was durch die geschriebene Verfassung mit der positivrechtlichen Fixierung einzelner Seiten dieses Integrationsprozesses punktuell angeregt wird.47 Dieser letzte Gedanke beruht auf dem Umstand der begrenzten Erfassungskapazität der positivrechtlichen Verfassung im Hinblick auf die Lebensfülle der staatlichen Wirklichkeit, weshalb „die Verfassung selbst (…) zu ihrer Ergänzung, um überhaupt in politisches Leben umgesetzt zu werden, auf die Triebgrundlage dieses Lebens und die ganze sonstige Fülle sozialer Motivierungen rechnen (muss).“48 Es ergibt sich daraus ein anzuerkennender Primat des politischen Integrationsvor­ gangs, der von den geschriebenen Verfassungsartikeln zwar angeleitet wird, ohne aber seine immanente Neigung zur Selbstgestaltung zu beschränken – „abgesehen von den Fällen, in denen sie dies Leben strikt festlegen, ihm gegenüber als streng heteronome Norm gelten wollen, die dann auch nur durch echtes Gewohnheitsrecht beseitigt werden kann.“49 Diesem unechten Dualismus50 entspricht auch das von Rudolf Smend der Integrationslehre 44  R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Ab­ handlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 202 f. 45  Hierzu die Ausführungen zu Rudolf Smend im Rahmen der Allgemeinen Naturstaatslehre 1. Teil, § 6. 46  R. Smend (Fn. 44), S. 189. 47  R. Smend (Fn. 44), S. 189 f. Rudolf Smend ergänzt diese verfassungstheoreti­ sche Einsicht mit den Worten: „Als positives Recht ist die Verfassung nicht nur Norm, sondern auch Wirklichkeit; als Verfassung ist sie integrierende Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit wird nicht durch die Verfassung als das ruhende, beharrende Moment im staatlichen Leben, sondern durch das sich immerfort erneuernde Verfas­ sungsleben immer neu hergestellt.“ (R. Smend, ebd., S. 192). 48  R. Smend (Fn. 44), S. 189. 49  R. Smend (Fn. 44), S. 191. 50  Es handelt sich letztlich um einen unechten Dualismus, da die aufeinander bezogenen Sphären von Sein und Sollen nach der Integrationslehre von Rudolf Smend nur scheinbar einheitlich aufgelöst werden, tatsächlich aber das Zwei-SeitenSchema des Staates bestehen bleibt; zu der insoweit bestehenden Parallelität der Integrationslehre zur Staatslehre von Georg Jellinek als dem Abbild der vormaligen herrschenden Lehre nur H. Kelsen, Der Staat als Integration, Wien 1930, S. 15 f. / 34 f.

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zugrunde gelegte Verhältnis von Staat und Recht „als zwei zwar untrennbar verbundene, aber doch je in sich geschlossene, der Verwirklichung je einer besonderen Wertidee dienende Provinzen des geistigen Lebens“, (weshalb) „die Wirklichkeit des Staates einerseits in seinem Leben als Integration und ordnende und gestaltende Machtentfaltung, die Wirklichkeit des Rechts anderseits in seiner Positivierung, Sicherung (und) Anwendung durch Ge­ setzgebung, Gericht und Leben (bestehe).“51 Die Folge ist, dass sich inner­ halb des Staates mit dem System der staatlichen Wirklichkeit und dem System des Rechtslebens zwei Schaltkreise herausbilden, die von dem ge­ schriebenen Recht jeweils organisiert werden, wobei sich das durch die Integrationsfaktoren geprägte staatliche Leben am Integrationswert, das durch die rechtlichen Faktoren wie Gesetzgebung und Justiz gebildete Rechtsleben dagegen am Rechtswert bemisst, was sich in Bezug auf die Justiz in ihrem von der politischen Staatsleitung grundsätzlich unabhängi­ gen Status ausdrückt.52 Dagegen wird die von Rudolf Smend entsprechend der abstrakten Aufgabenerkenntnis der Justiz ebenfalls als „Fremdkörper in der Verfassung“ verstandene Gesetzgebung, die zwar auch zu den staatli­ chen Lebensformen gehört, ohne aber in diesem Systemkreislauf ihre schwerpunktmäßige Aufgabe zu finden, demgemäß in einen formellen und materiellen Funktionszusammenhang gestellt, wobei Ersterer ihre immanen­ te Rolle als staatliches Integrationsorgan in der Beziehung zur Exekutive benennt, während sie in der Funktion als Gesetzgebung im materiellen Sinne die am Gerechtigkeitswert orientierte Normsetzung vornimmt.53 In der in die beiden geistigen Sphären innerhalb des Staates eingeteilten Struk­ turweise liegt dann letztlich auch der Erklärungsansatz für ein Verständnis der von Rudolf Smend vertretenen Position in Bezug auf das richterliche Prüfungsrecht und eine etwaige Verfassungsgerichtsbarkeit. Ein dem rechts­ staatlichen Denken entsprechender und mit einer erheblichen Kompetenz­ breite ausgestatteter Staatsgerichtshof als einer „obersten und vornehmsten unverantwortlichen Stelle für höchstrichterliche Entpolitisierung und Neu­ tralisierung letzter Entscheidungen“54 hätte demnach seinen Platz innerhalb des Staates in der Mitte zwischen den Sphären des staatlichen Lebens und der Rechtsgemeinschaft, weshalb eine solche Instanz auch über Verfas­ 51  R. Smend

(Fn. 44), S. 207. (Fn. 44), S. 207 ff. 53  R. Smend (Fn. 44), S. 208 f.: „Die Justiz ist als Stück des staatlichen Gewal­ tensystems en quelque façon nulle, d. h. sie dient nicht dem Integrations-, sondern dem Rechtswert. (…) Praktisch mag sie (…) der staatlichen Integration dienen (…).“ 54  R. Smend (Fn. 44), S. 202 f. unter Rekurs auf L.  Wittmayer, Österreichisches Verfassungsrecht, Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft, Nachtrag von 1926 zur ersten Ausgabe Berlin 1923, S. 7 / 20 ff. 52  R. Smend



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit381

sungsfragen entscheiden müsste, die in erster Linie am politischen Integra­ tionswert zu messen sind.55 Dies wird an der naturstaatlichen Problemstel­ lung im Deutschen Reich offenbar, bei der ein Reichsverfassungsgericht am Maßstab der Weimarer Konstitution eine Entscheidung hätte treffen müssen, die den Naturschutzgedanken entweder wieder politisch salonfähig gemacht oder aber beerdigt hätte. Eine Bestätigung der naturschutzrelevanten Ent­ scheidungen des Reichsgerichts hätte somit einen Zustand herbeigeführt, den Albert Hensel als „Todesurteil dieses Kulturzweigs“ bezeichnet hatte.56 Mit Blick auf den für Rudolf Smend gegenüber der Weimarer Reichsverfas­ sung grundsätzlich vorrangigen politischen Integrationsturnus ist daher eine differenzierte Ansicht zu dem richterlichen Prüfungsrecht angezeigt. Eine Anerkennung dieses gerichtlichen Kontrollinstrumentariums war für Rudolf Smend insoweit nicht zu beanstanden, als es den Kreis des rechtlichen Le­ bens im Sinne des nordamerikanischen Einheitsmodells57 nicht verlassen hätte. Denn in diesem Fall hätte die unabhängige Justiz lediglich den Rechtswert als Beurteilungsfaktor zu beachten gehabt, ohne dass sich der Integrationswert bestimmend in den Vordergrund gestellt hätte. Dagegen muss angenommen werden, dass für die politischen Fragen von Rudolf Smend auch eine politische Lösung bevorzugt wurde.58 Hierfür spricht auch das integrative Verständnis der Gewaltenteilung bei Rudolf Smend, der die 55  H. Wendenburg

(Fn. 10), S. 163 f. Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswirkungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (416). Die Folge war letztlich die öko­ logisch-länderfreundliche Auslegungsmethodik unter Beachtung der materiellen Re­ levanz des Art. 150 I WRV im Rahmen einer zu berücksichtigenden Sozialpflichtig­ keit des Eigentums nach Art. 153 III WRV. 57  P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2.  Aufl., Wien 1996, S.  238 ff. 58  So im Ergebnis auch H. Wendenburg (Fn. 10), S. 165; F. Hase (Fn. 24), S. 70 ff.; tendenziell auch E.-W. Böckenförde, Der Begriff des Politischen (Fn. 25), S.  357 f.; R. Bartlsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlegung einer Staats- und Rechtstheorie, München 1964, S. 22 f. Nach der Ansicht von Ri­ chard Bartlsperger weist Rudolf Smend der Verfassungsgerichtsbarkeit nur die Funk­ tion einer politischen Schlichtungsstelle ohne rechtsstreitentscheidender Eigenschaft zu. Ein Verfassungsgericht stellt sich damit lediglich als eine politische Verhand­ lungsstelle dar, die dem Integrationswert dient. Aus dieser zeittypischen Zurückhal­ tung in Bezug auf die Kompetenzen eines Verfassungsgerichts kann schließlich die Präferenz von Rudolf Smend hinsichtlich der Entscheidung von verfassungsrechtli­ chen Streitigkeiten für eine politische Instanz abgeleitet werden. Dafür spricht auch die von Richard Bartlsperger angeführte Anschauung von Rudolf Smend, wonach sich die politisch vermittelnde Funktion eines Verfassungsgerichts auch aus der Na­ tur dieser Gerichtsbarkeit und dem von ihr anzuwendenden materiellen Recht erge­ be. Es bleibt aber festzuhalten, dass letzterer Punkt wiederum auch gegen ein allge­ meines richterliches Prüfungsrecht angeführt werden kann. Vgl. hierzu auch R. Smend (Fn. 44), S. 202 f. / 214 / 240. 56  A. Hensel,

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funktionale Bedeutung der Staatsorgane als bewegende Kräfte im Rahmen des politischen Integrationsvorgangs versteht und sich so gegen eine zu starre und formale Funktionsauslegung der klassischen Gewalten aus­ spricht.59 In diesem Sinne zeigt sich vor allem das Staatsoberhaupt des Monarchen oder des Reichspräsidenten geeignet, eine effiziente Integrati­ onswirkung für den Einheitsmythos der deutschen Nation zu erzielen.60 Für einen politischen Hüter der Verfassung in der Regulierungsgestalt des Reichspräsidenten spricht aber auch die Betonung der „Regierung“ von Rudolf Smend, die als abschließendes Moment in der herkömmlichen Ge­ waltenteilungslehre fehle und die nach innen und außen eigens dem staatli­ chen Integrationszweck diene.61 Es ist im Ergebnis demnach davon aus­ zugehen, dass nach der Staats- und Verfassungstheorie von Rudolf Smend der Reichspräsident als hütende Schlussinstanz die politische Bedeutung des Naturschutzgeistes wiederherstellen musste, was schließlich durch die Not­ verordnung vom 05.06.1931 geschehen ist. Dass damit in rechtsstaatlicher Hinsicht kritisch zu bewertende Einwirkungsfolgen für das private Eigentum verbunden waren, war nur von untergeordneter Relevanz, solange der sach­ liche Integrationswert einer deutschen Natur- und Heimatraison optimal zum Volksbewusstsein gebracht werden konnte. In dieses Argumentations­ muster passt letztlich auch Rudolf Kjellén, der das Regiment als innerstes Element des Staates benennt und damit „die Staatsmacht im ausgeprägten Sinne des Wortes, die Herrschaft, die Obrigkeit, die rechtliche Organisation zu Regierungszwecken“62, meint. Für ihn stellt sich der Staatskörper vor­ rangig als zentrale Regulierungs- sowie Loyalisierungsinstanz dar, die das national bedingte Aufgabenspektrum in relativen Bahnen bewältigt. Ent­ scheidend bleibt aber stets die politische Zweckmäßigkeit, die das Recht als wirkliches Prinzip ausschließt.63 Als eine wesentliche Richtschnur für das 59  R. Smend (Fn. 44), 199 f. / 205 ff.; vgl. G.  Leibholz, In memoriam Rudolf Smend, Gedenkrede am 17. Januar 1976 in der Aula der Universität Göttingen, Göttingen 1976, S. 28. Unter Rekurs auf das Werk von Hildegard Trescher (H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staatslehre Hegels, Leipzig 1918) versteht Rudolf Smend die Gewaltenteilung ganz im Sinne der von ihr geltend gemachten Weiterentwicklung dieses rechtsstaatlichen Funda­ ments einer Verfassung durch Georg Wilhelm Friedrich Hegel als „die lebendigste Durchdringung aller gesellschaftlichen Sphären durch den Staat zu dem allgemeinen Zwecke, alle vitalen Kräfte des Volkskörpers für das Staatsganze zu gewinnen.“ (R. Smend, ebd., S. 105). 60  R. Smend (Fn. 44), S. 243 f. 61  R. Smend (Fn. 44), S. 207 / 211; siehe hierzu auch E. R. Huber, Rudolf Smend, 15. Jan. 1882–5. Juli 1975, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften in Göt­ tingen für das Jahr 1976, Göttingen 1977, S. 106 f.; G.  Leibholz (Fn. 59), S. 28. 62  R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 185. 63  R. Kjellén (Fn. 62), S. 186.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit383

Organ der Regierung steht der Nationalgeist bereit, der das Staatsschiff at­ mosphärisch bestimmt.64 „So behauptet das Leben sein Vorrecht auch gegen das feierlichst beschworene Grundgesetz. (…). (Es) steht heute wie ein alter Baum da, den hier und da ein grünendes Buschwerk der ‚Praxis‘ überwu­ chert hat; das Volk hat sich unter der Macht neuer Zeitideen verändert, und diese Veränderungen haben sich auch ohne Abänderung des Grundgesetzes in der wirklichen, lebenden Staatsverfassung widergespiegelt.“65 Die nicht­ positivistische Schlussfolgerung aus dieser Betonung der realen Verfassung ist dann, dass die Zeit Gustav Adolfs mit ihrer mangelhaften Gesetzgebung in der Geschichte Schwedens ein Beispiel für alle Zeiten sei, dass der Staat größer sei als seine Verfassung.66 Vor diesem Abbild einer Staatstheorie, die den Machtfaktor des Staates, der das Recht schafft und überwindet, derart hervorhebt, muss daher die Ansicht vertreten werden, dass ein gedanklicher Übertrag dieses Lehrgebildes auf die eingefahrene Situation des Naturschut­ zes im Deutschen Reich nur den kompetenzstarken Reichspräsidenten als den legitimierten Hüter der Verfassung hätte wählen können. Denn die von dem Gebiet und dem Volk ausgehende organische Triebkraft im Staat ist durch ein Verfassungsgericht nicht zu mäßigen. V. Georg Jellinek und Hermann Heller als Mahner in Bezug auf die konkrete Ausgestaltung eines Verfassungsgerichts Ein dezenter Aufbruchswille in Bezug auf die Anerkennung des richter­ lichen Prüfungsrechts und der gegebenenfalls damit verbundenen Errichtung einer eigenen verfassungsgerichtlichen Institution zeigt sich im Rahmen der staatstheoretischen Konzeption von Georg Jellinek, wobei sich der Staats­ rechtslehrer auch mit den Kritikpunkten an dieser Konzeptidee befasste. Als Ausgangspunkt der getätigten Überlegungen stellt Georg Jellinek entspre­ chend seiner dualistisch geprägten Staatstheorie hierbei das scheinbar un­ überwindbare Spannungsverhältnis von Sein und Sollen in den Mittelpunkt, dem auch der juristische Formalismus ohnmächtig gegenübertritt. „Die Entwicklung der Verfassungen bietet uns die (…) gewürdigte Lehre, dass Rechtssätze unvermögend sind, staatliche Machtverteilung tatsächlich zu beherrschen. Die realen politischen Kräfte bewegen sich nach ihren eigenen Gesetzen, die von allen juristischen Formen unabhängig wirken.“67 Dem­ 64  R. Kjellén

(Fn. 62), S. 199 f. (Fn. 62), S. 189 (in Bezug auf die Verfassung Schwedens aus dem Jahre 1809; Hervorhebung im Original). 66  R. Kjellén (Fn. 62), S. 202. 67  G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, Berlin 1906, S. 72. 65  R. Kjellén

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nach sei in den meisten Staaten bei dem Mangel eines richterlichen Prü­ fungsrechts der Gesetze auf ihre materielle Verfassungsmäßigkeit kein Schutzmittel gegeben, um die Verfassung vor einer rechtswidrigen Wand­ lung durch eine unrichtige Interpretation zu schützen.68 Ein derartiges rechtsstaatliches Garantieinstrument eines richterlichen Prüfungsrechts kennt Georg Jellinek deshalb im Grunde an, um eine staatliche Machtausübung in den positivrechtlich festgelegten Bahnen des Verfassungsrechts zu gewähr­ leisten.69 Darin liegt dann aber auch gleichsam eine Grenze einer gericht­ lichen Kontrollinstanz verborgen, die letztlich nur insoweit ihrer Prüfkom­ petenz nachgehen kann, als der politische Vorgang durch positives Recht fixiert ist, weshalb ein richterlicher Ausspruch ausscheiden müsse, wenn Zuständigkeiten der obersten Staatsorgane verfassungsmäßig gar nicht vor­ gesehen seien, oder die Organe sich weigern, die ihnen obliegenden Staats­ funktionen zu vollziehen, oder dies aus einem anderen Grunde unterlassen.70 68  G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung (Fn.  67), S. 13 f. / 16. 69  G. Jellinek, Ein Verfassungsgerichtshof für Österreich, Wien 1885, S. 52 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 362; J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 212. „Die Betätigung der rechtlichen Macht kann aber Zustände schaffen, die von der geschriebenen oder ungeschriebenen Norm der Verfassungen und Gesetze abwei­ chen. In diesem Fall kann ein logisches Urteil über deren Nichtübereinstimmung mit der Norm gefällt werden, aber kein rechtliches, weil eben jeder wie immer geartete Richter mangelt und mangeln muss. Für diese Fälle ist aber gleichwohl die Mög­ lichkeit eines Rechtsspruchs vorhanden.“ (G. Jellinek, AS, ebd., S. 362). In diesem Sinne war Georg Jellinek als Repräsentant des konstitutionellen Zeitalters des Deut­ schen Kaiserreichs durchaus fortschrittlich. Im Deutschen Kaiserreich wurden die heutigen verfassungsgerichtlichen Aufgaben teilweise auch vom Bundesrat übernom­ men und ausgeübt; siehe hierzu nur E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. III: Bismarck und das Reich, 3. Aufl., Stuttgart u. a. 1988, S. 1064 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V: Die geschicht­ lichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, S. 381 f. 70  G. Jellinek, AS (Fn. 69), S. 360 / 368. Diese Ansicht erklärt auch die Aufgabe der ursprünglichen Ansicht von Georg Jellinek, wonach eine entsprechende Überprü­ fungsbefugnis der einfachen Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit dem Monarchen zustehen sollte. „Denn schwerlich kann man der Natur der Sache nach den Richter als obere Instanz für Urteile betrachten, die das Parlament gefällt hat. Nur dem Monarchen steht es zu, eine Prüfung der parlamentarischen Beschlüsse auf ihre Verfassungsmäßigkeit vorzunehmen und durch Verweigerung der Sanktion den ver­ fassungswidrigen Beschluss in seinen möglichen rechtlichen Wirkungen zu vernich­ ten. (…) Indem das Staatsoberhaupt ein Gesetz ausfertigt, bekundet es in erster Linie, dass das von ihm Ausgefertigte Gesetz sei. In dieser Beurkundung liegt eben­ falls ein Urteil und zwar ein Urteil, welches nur dann einer Überprüfung unterliegen kann, wenn eine solche ausdrücklich durch Gesetz angeordnet ist.“ (G. Jellinek, Gesetz und Verordnung – staatsrechtliche Untersuchungen auf rechtsgeschichtlicher und rechtsvergleichender Grundlage, Freiburg i. B. 1887, S. 401  ff. (Zitat auf S. 402)). Siehe dazu auch E. R. Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 69), S. 1058 ff.



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Damit spricht Georg Jellinek eine mit einem richterlichen Prüfungsrecht verbundene Gefahr an, die in der Abstraktheit der Verfassungsrechtssätze begründet liegt. Es besteht die Möglichkeit, dass sich mit der Dauer ein Jurisdiktionsstaat herausbildet, der den unter dem direkten Eindruck der politischen Öffentlichkeit stehenden Richter an die Stelle des Verfassungs­ gesetzgebers treten lässt.71 Daneben machte Georg Jellinek aber auch praktische Mängel in der Umsetzung des richterlichen Prüfungsrechts gel­ tend, die sich vor allem in dem Antragserfordernis, der Revisionsoption eines anderen Richters mangels umfassender Geltungskraft eines Urteils bzw. der auf die Parteien des Gerichtsverfahrens beschränkten Rechtskraft kulminierten.72 In dieses allgemeine Stimmungsklima einer tendenziell zu überwindenden Skepsis passte sich die von Hermann Heller zu der hier in 71  G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung (Fn. 67), S. 19 f.; W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, Berlin 1931, S. 19. 72  G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung (Fn. 67), S. 13 ff. In Abkehr von den verfassungsgerichtlichen Überlegungen seines Vaters bevorzugte Walter Jellinek dagegen eine politische Lösung. Die folgenden Ausführungen bestä­ tigen das Plädoyer von Walter Jellinek für eine Bevorzugung einer reichspräsidialen Hüterfunktion: „Tatsache ist, dass sich das richterliche Prüfungsrecht trotz der War­ nungen (…) durchgesetzt hat (…). Denn der Reichspräsident ist für den Umkreis des Deutschen Reiches Hüter des Völkerrechts, weil er das Reich völkerrechtlich vertritt, repräsentiert, darstellt. (…) Solange er jedoch Hüter des Völkerrechts ist, ist es seine verfassungsmäßige Pflicht, einem Gesetze, auch einem mit verfassungsän­ dernder Mehrheit beschlossenen, die Ausfertigung zu versagen, wenn es sich mit einer völkerrechtlichen Verpflichtung des Reiches in Widerspruch setzt. (…) Ob darüber hinaus der Richter ein verfassungsänderndes Gesetz auf Innehaltung der autonomen Schranken prüfen kann, hängt mit der Frage des richterlichen Prüfungs­ rechts überhaupt zusammen. Bejaht man es nach der leider zur Herrschaft gelangten Lehre für einfache Gesetze, so muss man es auch für verfassungsändernde Gesetze tun, da auch für sie die richtig verstandene Verfassung den Maßstab bildet. (…) Wenn die Verfassung anordnet, der Richter sei nur dem Gesetz unterworfen, so will sie ihm vermutlich nicht die Befugnis zur Prüfung eines Gesetzes auf Verfassungs­ mäßigkeit geben, sonst hätte sie sich so ausgedrückt: der Richter sei nur der Verfassung unterworfen. (…) Und da es über dem im Rechtszuge höchsten Richter keine weitere Instanz gibt, ist diese tatsächliche Ohnmacht der Verfassung zugleich ein rechtliches Versagen. (…) Aber (…) die politische Notwendigkeit sprengte die im ursprünglichen Sinne des Art. 48 liegenden Fesseln und lehrte, dass es der Verfas­ sung nicht gestattet ist, ihre Sicherheitsventile zu sehr zu drosseln. (…) Und wenn der Reichspräsident einem nach seiner Ansicht die Grenzen des politisch Möglichen überschreitenden Gesetze die Ausfertigung versagen sollte, so wird er kaum die politische Unmöglichkeit als eine vom Willen der Verfassung unabhängige Schranke anerkennen, vielmehr, möglicherweise unter Berufung auf Art. 48, sich sagen, dass es gerade im Sinne der Verfassung liegen müsse, die Ausfertigung des verfassungs­ ändernden Gesetzes dann zu versagen, wenn durch die Verkündung des Gesetzes die Verfassung selbst in ihrem Bestande gefährdet würde.“ (W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung (Fn. 71), S. 2 / 6 f. / 13 / 19 / 22 / 26; Hervorhebungen im Ori­ ginal).

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Frage stehenden Thematik eines richterlichen Prüfungsrechts vertretene Position nahtlos ein. Auch er stand der Option einer gerichtlichen Prüfbe­ fugnis als „metaphysische(r) Gerechtigkeitsidee“73 im Grunde nicht abge­ neigt gegenüber, insbesondere auch angesichts des Umstandes, dass die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts zu dem Enteignungstatbestand des Art. 153 II WRV seiner Ansicht nach den anerkannten Rechtsstaatsge­ danken nivellierte.74 Dieses gedankliche Grundgerüst ist erst dann ver­ ständlich, wenn die von Hermann Heller zu einer Frage der politischen Zweckmäßigkeit stilisierte Bedeutungserkenntnis eines richterlichen Prü­ fungsrechts beachtet wird.75 Die entscheidende Weichenstellung liegt dabei in der von Hermann Heller getätigten Differenzierung zwischen zwei Be­ griffen des Politischen, namentlich einem rechtsstaatlich notwendigen und einem allgemeinen.76 Ersterer soll nach seiner Definition sämtliche Akte erfassen, „die nicht justiziabel, einer Gerichtsentscheidung nicht fähig sind, weil sie entweder positivrechtlich davon ausgenommen oder aber positiv­ rechtlich nicht normierbar sind“, während der allgemeine Begriff des Poli­ tischen „jeden auf die Einheitsbildung des Staates, d. h. eine souveräne Gebietsentscheidung bezogenen Akt“, umfasst.77 In dieser theoretischen 73  Vgl. H. Heller, Aussprache zu „Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichsverfassung“, VVDStRL 1927 (3), S. 57; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 195. 74  Eine Zusammenfassung der Ansicht von Hermann Heller zum richterlichen Prüfungsrecht findet sich bei H. Wendenburg (Fn. 10), S. 195 ff. Aus diesen Ausfüh­ rungen kann ersehen werden, dass die von Hermann Heller vertretene Position ei­ gentlich als ambivalent zu bezeichnen ist. Erst später auf der Staatsrechtslehrerta­ gung im Jahre 1928 in Wien sprach er letztlich davon, dass es ein Missverständnis wäre, wenn man nach den Bekenntnissen, die in einem für positive Juristen erstaun­ lichen Umfang für und gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit abgelegt wurden, an­ nehmen wollte, dass irgendjemand da wäre, der die Verfassungsgerichtsbarkeit grundsätzlich abgelehnt hätte oder ablehnen wollte. Tatsächlich sei die entscheiden­ de Frage diejenige über die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit (H. Heller, Aussprache zu „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“, VVDStRL 1929 (5), S. 112). Die Präferenz Hermann Hellers hinsichtlich einer verfassungsgerichtli­ chen Lösung bestätigend auch C. Franzius, Hermann Heller (1891–1933). Hermann Heller: Einstehen für den Staat von Weimar, in: S. Grundmann (Hrsg.), Festschrift 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin u. a. 2010, S. 645. 75  H. Heller (Fn.  73), VVDStRL 1927 (3), S. 57; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 195. „(Gerhard) Anschütz’ Bedenken bezüglich der Konsequenzen (insbes. was das richterliche Prüfungsrecht anbelangt) sind gewiss sehr ernst zu würdigen, sind aber Fragen politischer Zweckmäßigkeit.“ (H. Heller, ebd.; Hervorhebung im Origi­ nal). 76  H. Heller (Fn. 74), VVDStRL 1929 (5), S. 112  f.; H. Wendenburg (Fn. 10), S.  195 f. 77  H. Heller (Fn. 74), VVDStRL 1929 (5), S. 112  f.; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 195 f.; siehe hierzu auch A.-J. Korb (Fn. 24), S. 161 f. Hermann Heller präzisiert



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Gabelung zeigt sich letzten Endes nichts anderes als die aus der soziologi­ schen Staatslehre von Hermann Heller bekannte Annahme einer materiellen Werteordnung aus überpositivistischen Rechtsgrundsätzen, die als sittlicher Maßstab den wirklichkeitsgemäßen Staat legitimierend überstrahlt, und der positivrechtlichen Rechtsordnung mit der geschriebenen Verfassung als par­ tiellem Ausdrucksdokument der moralischen, außerrechtlichen Legitimitäts­ ordnung.78 Mit anderen Worten sieht Hermann Heller einen dem Richter entzogenen und unkontrollierbaren Bereich des rechtsstaatlich notwendigen Politischen, während die sonstigen politischen Akte dem richterlichen Prü­ fungsrecht unterzogen werden können, was infolge des geltenden Maßstabs des positiven Rechts nicht zu beanstanden ist.79 Das Leitmotiv dieses An­ satzes bildet die von Hermann Heller beabsichtigte Achtung des Primats des parlamentarischen Gesetzgebers und in geistiger Verbundenheit mit Georg Jellinek die Verhütung eines schleichenden Übergangs zum Jurisdiktions­ staat.80 Denn eine verfassungsgerichtliche Prüfungskompetenz kann dazu führen, dass eine politisch eingefärbte Entscheidung über die materielle Verfassungskonformität eines legislativen Aktes ergeht, die sich in einer den Primat des parlamentarischen Gesetzgebers als dem obersten Souverän im Deutschen Reich missachtenden Weise auf eine unzulässige Anmaßung der Konkretisierung der überpositivistischen Sittlichkeitsordnung stützt. Aus diesem Grund steht die staatstheoretische Option eines Verfassungsgerichts für Hermann Heller schließlich unter dem Akzeptanzvorbehalt einer sozio­ logisch-empirischen Verfestigung der materiellen Werteordnung und einer genauen Benennung der konkreten Kompetenzen einer verfassungsgerichtli­ chen Hüterinstanz in der geschriebenen Verfassung.81 Damit in Zusammen­ diese Unterscheidung letztlich in unmittelbarer Konfrontation mit der Reinen Rechts­ lehre: „In der Anerkenntnis einer solchen politischen, von Rechtssätzen nicht erfass­ baren, wohl aber Rechtsgrundsätzen unterworfenen Staatssphäre kommt der ganze positivrechtliche, aber auch metaphysisch-ethische Gegensatz meiner Auffassung gegenüber derjenigen der reinen Rechtslehre zum Ausdruck, deren formalistisches und rationalistisches Sekuritätsideal das Politische nicht zu ertragen vermag.“ 78  H. Heller (Fn. 74), VVDStRL 1929 (5), S. 113; vgl. H. Wendenburg, (Fn. 10), S. 196. 79  Siehe hierzu nur die umfassenden Ausführungen bei H. Wendenburg (Fn. 10), S. 198 ff. Hermann Heller (H. Heller, Die Souveränität – ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin u. a. 1927, S. 70) betont insoweit den Primat des positiven Rechts: Die ethischen Rechtsgrundsätze sind „dem positiven Recht gegen­ über nur Rechtsmöglichkeiten, Rechtswirklichkeit ist nur das positive Recht.“; so auch E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – ein Grenzbe­ griff des Verfassungsrechts, Frankfurt a. M. 1986, S. 29. 80  H. Heller (Fn. 74), VVDStRL 1929 (5), S. 113; H. Wendenburg (Fn. 10), S.  196 f. 81  Siehe hierzu H. Heller (Fn. 74), VVDStRL 1929 (5), S. 112 ff.; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 204; A. Korb (Fn. 24), S. 161 f.; vgl. auch M. Stolleis, Weimarer

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hang steht auch die Forderung des Staatsrechtlers nach einer hinreichenden demokratischen Legitimation einer derartigen Einrichtung, was ihn wie Georg Jellinek zu einem Mahner der konkreten Ausgestaltung eines Verfas­ sungsgerichts werden ließ.82 Die Problematik um den gleitenden Wandel zu einem Jurisdiktionsstaat lässt sich anhand der naturschutzrelevanten Bestim­ mung des Art. 150 I WRV exemplarisch verdeutlichen. Diese Vorschrift enthielt mit ihrem materiellen Gehalt eines noch ganz in der Ästhetik ver­ hafteten Natur- und Heimatschutzes einen vorrangig konservativen Wert­ maßstab, der gleichsam als positivrechtliche Konkretisierung eines Postulats der politischen Ethik angesehen werden konnte, die heimatliche Natur den wirtschaftsstaatlichen Entwicklungstendenzen der Zeit nicht völlig zum Republik und Nationalsozialismus (Fn. 19), S. 118. Hermann Heller betont hierbei die Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit: „In keinem Falle kann es also um Be­ kenntnisse für oder gegen die Verfassungsgerichtsbarkeit handeln, denn die Verfas­ sungsgerichtsbarkeit ist bereits eine Selbstverständlichkeit geworden, sondern nun die Einsicht, dass man die Verfassungsgerichtsbarkeit am besten dadurch schützt, dass man klar ihre Grenzen erkennt und die Grenzen dort zieht, wo politische, d. h. nicht justiziable Streitigkeiten vorliegen.“ (H. Heller, ebd., S. 114). Auf der Staats­ rechtslehrertagung im Jahre 1928 in Wien bezeichnete Hans Kelsen die von Her­ mann Heller vorgenommene Unterscheidung von überpositivistischen Rechtsgrund­ sätzen und positiven Rechtssätzen im diskursiven Kontext mit der Frage nach einer Verfassungsgerichtsbarkeit zudem als „sehr gefährliches Spiel mit Worten.“ (H. Kelsen, Schlusswort zu „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“, VVDStRL 1929 (5), S. 123). Nach der Ansicht von Helge Wendenburg (H. Wendenburg, ebd., S. 204) scheide ein allgemeines richterliches Prüfungsrecht bei Hermann Heller aber aus, da der Primat des parlamentarischen Gesetzgebers bei der Individualisierung der ethischen Rechtsgrundsätze zu beachten sei. Dieser Ansicht ist zuzustimmen. 82  Vgl. H. Wendenburg (Fn. 10), S. 204. Diese Erkenntnis passt aber in das staats- und rechtspraktische Bild von Hermann Heller in der späten Phase des Deut­ schen Reichs. Hermann Heller war stets Demokrat, dessen visionär-appellatives Einstehen für einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat auch gegen Ende des Deutschen Reichs in Opposition gegen faschistische sowie nationalsozialistische Autoritätsmodelle in Stellung gebracht war. Die Diktatur war für ihn lediglich ein letzter Ausweg, insofern sich die notwendigerweise auf einem Mindestgehalt an sozialer Homogenität aufbauende politische Einheit nicht realisieren ließ. Nach der Staatslehre von Hermann Heller oblag die Hervorbringung der staatlichen Einheit den besonderen Staatsorganen als Repräsentanten, die in vermittelnder Dialektik mit den soziologischen Wirkmechanismen die organisierte staatliche Wirk- und Willens­ einheit herzustellen hatten. Dem Gesetzgeber kam bei der Schaffung der sozialen Homogenität ein der Eigenart einer parlamentarischen Demokratie entsprechender Primat zu, weshalb nach der Konzeption von Hermann Heller ein Verfassungsgericht zumindest nicht uneingeschränkt zugelassen werden konnte. Andererseits aber wi­ dersprach eine politische Lösung in der Form einer Notverordnung des Reichspräsi­ denten dem parlamentarisch-rechtsstaatlichen System, so dass ein derartiges Vorge­ hen nur im Ausnahmefall zulässig sein sollte; vgl. hierzu nur I. Staff, Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers, in: Ch. Müller / dies. (Hrsg.), Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984, S. 25 ff. / 30 / 33 / 37 / 41.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit389

Opfer fallen zu lassen. Das sich in der weiteren Interpretationsvariante des Naturdenkmalbegriffs widerspiegelnde ökologischere Ausrichtungsmoment im Sinne einer naturstaatlichen Systemimmanenz gehörte dagegen anfangs nur latent zu dem geistigen Repertoire des kulturbezogenen Staatswesens, so dass sich ein empirisch-soziologischer Verfestigungsnachweis der sach­ lich erweiterten Naturschutzidee in der Weise eines vollzogenen Verfas­ sungswandels im Lichte des Naturschutzes zwar andeutete, aber noch nicht begründet war. Ein Verfassungsgericht hätte es demnach in der eigenen Hand gehabt, durch eine prospektive Entscheidung im Sinne des mit der Dauer wachsenden ökologisch-sozialen Zeitgeistes eine weitergehende poli­ tische Naturschutztendenz praktisch am parlamentarischen Gesetzgeber vorbei zu verwirklichen, was dem Primat der legislativen Gewalt widerspro­ chen hätte. Damit wird die bereits im Rahmen der Hütertheorie von Carl Schmitt diskutierte Frage nach dem konkreten Sinn der inneren Differenzie­ rung des präsidialen Notverordnungsakts vom 05.06.1931, der die Auswei­ sung von ganzen Naturschutzgebieten aus sozialpolitischen Gründen der Volksgesundheit oder Volkserholung von der grundsätzlich angeordneten Entschädigungsfreiheit staatlicher Eingriffshandlungen auf dem Gebiet des Naturschutzes ausdrücklich ausnahm und stattdessen einen Wertminderungs­ ausgleich anberaumte, um eine formelle Begründungsdimension ergänzt. Denn der Reichspräsident als Staatsoberhaupt beachtete somit im Rahmen der Notverordnung die Vorrangstellung des parlamentarischen Gesetzgebers, zu was er als politisches Organ beim Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 48 II WRV im Grunde nicht verpflichtet gewesen wäre.83 Auf der Basis des theoretischen Entwurfs von Hermann Heller führt diese Erkennt­ nis demnach zu dem Schluss, dass der Reichspräsident mit der Notverord­ nung die dem Wesen der parlamentarischen Demokratie entsprechenden Grenzen eingehalten hat, die ein Verfassungsgericht im Hinblick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers zu beachten gehabt hätte, wenn­ gleich angesichts einer ausdrücklichen Regelung in der Weimarer Reichs­ verfassung eine Kompetenzkollision ausgeschlossen war. Dabei ist aber re­ lativierend der Umstand zu beachten, dass nur ein entsprechendes Reichs­ gesetz im Sinne des Art. 153 II 2 WRV in der Lage gewesen wäre, die Nichtprivilegierung der sozialen Naturschutzgebietsidee während der Gel­ tungsdauer der reichspräsidialen Notstandsmaßnahme aufzuheben, da ein Landesgesetz durch den auf der Grundlage der Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV ergangenen reichsrechtlichen Notverordnungsakt vom 05.06.1931 stets suspendiert worden wäre.84 Die Naturstaatlichkeit als Gebot der poli­ 83  C. Schmitt,

Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 64 ff. G. Anschütz (Fn. 13), S. 280 f. Nach der Ansicht des Kommentators mussten die reichspräsidialen Maßnahmen nach Art. 48 II WRV auf eine vorüberge­ hende, d. h. zeitlich auf die Dauer des Notstands beschränkte Regelung gerichtet 84  Hierzu

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tischen Ethik stand damit partiell unter dem Vorbehalt des reichseinheit­ lichen Willens. VI. Hans Kelsen als Begründer der modernen Verfassungsgerichtsbarkeit In der hitzig geführten Debatte um eine Verfassungsgerichtsbarkeit war es schließlich vor allem der Staatsrechtslehrer Hans Kelsen, der im Sinne der rechtstheoretischen Wiener Schule für die Errichtung einer entpolitisierten Garantieinstanz für die geschriebene Verfassung als der höchsten positiven Norm und der von ihr ausgehenden verfassungsunmittelbaren wie -mittelba­ ren Staatsfunktionen plädierte.85 Der Staat als wesenskonformes Gleichnis sein. Das Staatsoberhaupt war überdies auch verpflichtet, die Notverordnungen so­ bald wie möglich wieder aufzuheben. Bei dieser Beurteilung kam dem Reichspräsi­ denten aber ein freier Ermessensspielraum zu, der sich einer gerichtlichen Überprü­ fung weitestgehend entzog. Folglich war die Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV gegenüber der Norm des Art. 13 I WRV, die den Grundsatz „Reichsrecht bricht Landesrecht“ aufstellte, grundsätzlich vorrangig, da sie entgegenstehende Landesge­ setze durch reichsrechtliche Notverordnungen suspendierte, aber nicht derogierte, wie es den rechtlichen Wirkungen des Art. 13 I WRV entsprochen hätte (G. Anschütz, ebd., S. 103 f.). Damit stellt sich die Frage, ob dies auch dann Geltung be­ anspruchen konnte, wenn der Reichspräsident als Hüter der Verfassung agierte und bei dieser Gelegenheit womöglich rechtliche Änderungen von unbeschränkter Gel­ tungsdauer herbeiführen wollte. Die ganz herrschende Lehre lehnte eine derartige Dauerkompetenz, die einer Derogation gleichgekommen wäre, aber ab, was wiede­ rum eine Achtung des Primats des parlamentarischen Gesetzgebers indizierte; dazu G. Anschütz, ebd., S. 280 f.; F. Giese (Fn. 13), S. 138 f.; vgl. zu diesem Problemkreis auch J.  Eckert / W.  Gase / A.  Olscher (Fn. 4), S. 408 f. Dass nur ein Reichsgesetz im Sinne des Art. 153 II 2 WRV in der Lage gewesen wäre, die nicht privilegierte Naturschutzgebietsidee entschädigungslos zu ermöglichen, ergab sich auch explizit aus § 1 S. 2 des III. Kapitels des sechsten Teils der reichspräsidialen Notverordnung vom 05.06.1931, der davon sprach, dass § 3 ebenso für Enteignungen galt, die nach künftigen landesrechtlichen Vorschriften innerhalb des Geltungszeitraums der Not­ verordnung ergingen, d. h. zwischen dem 13.08.1919 und dem 01.04.1933; zur all­ gemeinen Zulässigkeit eines Reichsgesetzes in der durch die Notverordnung überla­ gerten Rechtssituation siehe nur G. Anschütz, ebd., S. 294. 85  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn.  11), S.  1 ff.; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 129 ff. „Staatsgerichtsbarkeit ist VerfassungsGerichtsbarkeit und als solche eine gerichtliche Garantie der Verfassung. Sie ist ein Glied in dem System rechtstechnischer Maßnahmen, die den Zweck haben, die Rechtmäßigkeit der Staatsfunktionen zu sichern. Staatsfunktionen haben selbst Rechtscharakter, sie treten als Rechtsakte auf. Es sind Akte, durch die Recht, das heißt aber: Rechtsnormen erzeugt, oder erzeugtes Recht, gesetzte Rechtsnormen, vollzogen werden. Demnach unterscheidet man herkömmlicherweise die Staatsfunk­ tionen in Gesetzgebung und Vollziehung und setzt der Ersteren als der Rechtsschöpfung, der Erzeugung, der Produktion des Rechtes die Rechtsanwendung als eine bloße Reproduktion entgegen.“ (Hervorhebungen im Original); siehe zur Garantie­



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit391

der Rechtsordnung ist für Hans Kelsen eine überindividuelle Idealität, die sich über die soziologischen Wirkmechanismen hinweg erhebt und demnach in der Form eines objektiv vergeistigten Abbildes der sozialen Wirklichkeit das normative Deutungsschema für die in rechtsstaatlichen Bahnen ablau­ fende, reale Staatspräsenz bereithält.86 Vor diesem Hintergrund stellt eine verfassungsgerichtliche Institution letzten Endes den Schlussakkord eines von der Grundnorm als der Verfassung im logischen Sinne ausgehenden Kreislaufmodells dar, das sich gemäß dem Stufenbau der Rechtsordnung pyramidenförmig von dem positiven Ausgangspunkt der geschriebenen Ver­ fassung über die sonstigen staatlichen Rechtsnormen erstreckt, um in dem Verfassungsgericht schließlich einen legitimierten Hüter dieser ideellen Ordnung am Maßstab der positivrechtlichen Verfassung zu finden.87 funktion des Verfassungsgerichts auch R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre (Fn. 12), S. 1 ff.; ders., Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (492 / 501 ff.). Unter Rekurs auf ein Zitat Otto von Gierkes (O.  v. Gierke, Johannes Altusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, Neudruck der 1. Aufl. (1880), 5. Aufl., Aalen 1958), der darauf hingewiesen habe, dass wo der Wille den Willen normiere, sich mit logischer Notwendigkeit immer der Begriff der Macht ergebe, sieht Rene Marcic es als müßig an, die Frage nach der Verfassungsgerichtsbarkeit überhaupt zu stellen, wo diese dezisionistische Grundhaltung vorherrsche. Für ihn ist ein Verfassungsgericht auch die Vervollkommnung der klassischen Naturrechts­ lehre, die stets auch auf die Rechtmäßigkeit der Staatsfunktionen ausgerichtet ist (R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre, ebd., S. 6 ff.). Von Bedeutung ist auch die folgende kurze Anmerkung von Adolf Merkl (A. Merkl, Aussprache zu „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“, VVDStRL 1929 (5), S. 102: Der Gesetzgeber hat „insolange irgendwelche Kontrollen oder Garantien der Verfassungsmäßigkeit nicht Platz greifen, von Rechts wegen die Wahlmöglich­ keit (…) zwischen der Beachtung der Bestimmungen der Verfassung, die ihm ge­ wissermaßen als ius dispositivum entgegentreten, und anderen Wegen, die ihm ein­ zuschlagen beliebt.“ 86  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1.  Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 14 ff. 87  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Fn.  11), S. 2  ff.; R. Marcic (Fn. 85), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (496 f. / 504 f.); vgl. auch H. Wendenburg (Fn. 10), S. 130 ff. René Marcic schreibt dazu zutreffend: „Die Grundnorm diente zum Gespött, überträfe jeder sonstige (…), wesensnotwendig rangtiefere Rechtsakt, der seine Geltung aus der Grundnorm holt, ebendiese Grund­ norm an Geltungskraft und Wirksamkeit. Ein Organ, das die Geltungskraft und Wirksamkeit der denkbar ranghöchsten Stufe der Rechtsordnung verbürgen soll, muss wohl mit dem denkbar äußersten Maß an Unabhängigkeit ausgestattet sein: das Gericht schlechthin.“ (R. Marcic, ebd.). Einem Verfassungsgericht als Hüter der Verfassung kommt auch eine politische Integrationsfunktion zu; siehe hierzu R. Smend, Zehn Jahre Bundesverfassungsgericht, in: H. Lübke (Hrsg.), Führung und Bildung in der heutigen Welt, Stuttgart 1964, S. 235 ff.; S. Korioth, Integration und Bundesstaat – ein Beitrag zur Staats- und Verfassungslehre Rudolf Smends, Berlin 1990, S.  273 ff.; J.  Limbach, Die Integrationskraft des Bundesverfassungsgerichts,

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Die Konsequenz ist letztlich ein berechenbarer und vorhersehbarer Staatsansatz, in dem das Recht die oberste Autorität bildet, womit sich das auf einem institutionellen Gewährprinzip für die geschriebene Verfassung aufbauende Konzept eines Verfassungsgerichts in einer klaren Abwehrhal­ tung gegenüber der von dem Staatsrechtslehrer Carl Schmitt vertretenen Theorie des Reichspräsidenten als dem Hüter der Verfassung verortet sah. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Hans Kelsen zunächst vor allem die extensive Machtposition des Reichspräsidenten missfiel, die diesem von Carl Schmitt unter Rekurs auf die aus dem System der konstitutionellen Doktrin ursprünglich stammende88 und auf den französischen Royalisten Benjamin Constant zurückgehende Lehre vom pouvoir neutre des Staats­ oberhauptes89 unter dem Postulat einer zusätzlichen Eigenschaft als Hüter der Verfassung zugewiesen wurde, was sich nach der Ansicht von Carl in: H. Vorländer (Hrsg.), Integration durch Verfassung, Wiesbaden 2002, S. 315 ff.; E. R. Huber, Rudolf Smend (Fn. 61), S. 117  f.; G.  Leibholz (Fn. 59), S. 30 f.; M. Morlok / A. Schindler, Smend als Klassiker: Rudolf Smends Beitrag zu einer mo­ dernen Verfassungstheorie, in: R. Lhotta (Hrsg.), Die Integration des modernen Staates, Baden-Baden 2005, S. 16 Fn. 21; A. Hurrelmann, Verfassung und ökologi­ sche Krise – Verfassungstheoretische Lösungsansätze für Umweltprobleme, Ham­ burg u. a. 2000, S. 101 f. 88  Für Hans Kelsen ist es die Grundtendenz der konstitutionellen Doktrin, „den Machtverlust wieder auszugleichen, den das Staatsoberhaupt durch den Übergang von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie erfahren hatte.“ Aus diesem Grund stellt die von den am monarchischen Prinzip orientierten Vertretern der kon­ stitutionellen Theorie des 19. Jahrhunderts angebrachte These vom Monarchen als dem „Hüter der Verfassung“ für Hans Kelsen lediglich einen weiteren Versuch dok­ trinärer Ideologienbildung dar; hierzu H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (577); ders., AS (Fn. 86), S. 329 ff. 89  Eine Kurzbiografie von Benjamin Constant findet sich bei H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (581 f. (Fn. 1)). Demnach war Benjamin Constant ursprünglich gemäßigter Republikaner, er wurde aber nach der Französischen Revolution Monarchist. Während der zweiten Ära Napoleons, d. h. nach dessen Rückkehr von Elba, verfasste er mitunter die Zusatzakte zu den Kons­ titutionen des Französischen Kaiserreichs. Zu der auf den französischen Staatstheo­ retiker Benjamin Constant zurückgehenden Lehre vom pouvoir neutre des Staats­ oberhaupts das Originalwerk B. Constant, Cours de politique constitutionnelle ou collection des ouvrages publiés sur le gouvernement représentatif, Nachdruck der Ausgabe Paris 1872, Witney 1993; hierzu auch die erläuternde Darstellung bei K. Doehring, Der „pouvoir neutre“ und das Grundgesetz, Der Staat 1964 (3), 201 (202 ff.). Zu der Relevanz der Lehre vom pouvoir neutre des Staatsoberhauptes für den staatstheoretischen Diskurs um eine Verfassungsgerichtsbarkeit C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 132 ff.; H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (579 ff.). Die staatstheoretische Errungenschaft von Benja­ min Constant des monarchischen Hüters der Verfassung verwirklichte sich unter anderem auch im Deutschen Kaiserreich, wo dem Deutschen Kaiser ein entsprechen­ des Prüfungsrecht der einfachen Gesetze auf ihre Verfassungsmäßigkeit zustand; dazu nur E. R Huber, Bismarck und das Reich (Fn. 69), S. 1057 ff.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit393

Schmitt durch die weite Auslegung der Diktaturgewalt nach Art. 48 II WRV in dogmatisch nicht zu beanstandender Form begründen ließ.90 Für Hans Kelsen konnte diese durchaus gekünstelte Option einer präsidialen Hüterinstanz bereits deshalb keine allgemeine Gültigkeit besitzen, da es ausgeschlossen sein musste, dass die Prüfkompetenz und damit die Garan­ tie der Verfassung und der darauf aufbauenden Staatsfunktionen einer be­ stimmten Gewährinstitution übertragen wird, die wie der Reichspräsident selbst zu kontrollierende Rechtsakte setzte und sich deshalb quasi als „Richter in eigener Sache“ aufspielen konnte.91 Denn die politische Funk­ tion der Verfassung sei es, der Ausübung der Macht rechtliche Schranken zu setzen, weshalb Verfassungsgarantie bedeute, Sicherheit dafür zu schaf­ fen, dass diese Rechtsschranken nicht überschritten werden. Damit stehe unbezweifelbar fest, dass zu solcher Funktion keine andere Instanz weniger geeignet sei als gerade jene, der die Verfassung die Ausübung der Macht – sei es zur Gänze, sei es zu einem Teil – übertrage, und die deshalb in erster Linie die rechtliche Gelegenheit und den politischen Antrieb habe, die Verfassung zu verletzen.92 Das Problem wird evident, wenn mit der in Frage stehenden Notverordnung vom 05.06.1931 der reichspräsidiale Hü­ terakt auf dem Gebiet des Naturschutzes berücksichtigt wird. Mit diesem Rechtsakt hatte der Reichspräsident den vorkonstitutionellen Rechtszustand wiederhergestellt, so dass auf Landesrecht basierende Enteignungshandlun­ gen zum Zwecke des staatlichen Naturschutzes zukünftig wieder ohne Ent­ schädigung möglich waren. Der Reichspräsident erstreckte den Wegfall der Entschädigungsleistung aber auch rückwirkend auf Enteignungen, die be­ reits nach dem 13.08.1919 und damit kurz nach dem Inkrafttreten der Wei­ marer Konstitution von staatlicher Seite ergriffen worden waren, weshalb sich die Frage nach der Verfassungskonformität des reichsrechtlichen Not­ standsakts selbst stellte.93 Überdies wohnten dieser Hütermaßnahme des Reichspräsidenten diktatorische Tendenzen inne, die sich in dem Umstand zeigten, dass fortan mit Ausnahme von etwaigen Ausweisungen von Natur­ schutzgebieten aus Gründen der Volksgesundheit oder Volkserholung staat­ liche Aktivitäten auf dem Gebiet des Naturschutzes zulässig waren, die auf die privaten Eigentümerbefugnisse nun keine Rücksicht mehr nehmen 90  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 115 ff.; ders., Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 64  ff.; kritisch hierzu H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (623 ff.). 91  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (577); H. Wendenburg (Fn. 10), S. 132. 92  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (577). 93  Insoweit war insbesondre die Frage umstritten, ob der Reichspräsident auf der Ermächtigungsgrundlage der Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV Entschädi­ gungsleistungen auch rückwirkend wieder beseitigen durfte. Hierzu bereits oben Fn. 33.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

mussten.94 Dieser rechtliche Radikalzustand wurde durch die Rechtspre­ chung des Reichsgerichts noch begünstigt, die im Hinblick auf den weiten Ermessensspielraum des präsidialen Staatsoberhauptes eine Überprüfung des Notverordnungsakts nur insoweit vornahm, als sich „eine offensichtli­ che Verkennung der rechtlichen Erfordernisse für ein Vorgehen aufgrund des Art. 48 WRV oder ein willkürlicher Missbrauch der Ermächtigung zur Verfolgung ihr völlig fremder Zwecke feststellen ließe.“95 Es stellte sich aber auch grundsätzlich die Frage, wann denn nun der Reichspräsident wirklich als legitimer Hüter der Verfassung agierte, da eine Abgrenzung zu den „normalen“ Maßnahmen gemäß der Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV formal nicht möglich war. Damit verlagerte sich die Problematik auf dem Boden der Theorie von Carl Schmitt wieder auf die begrifflich in ihrer Substanz nicht genau umgrenzte Identitätsgröße der politischen Einheit und damit in den verfassungstheoretischen Raum, was eine systematische Ver­ schleierung der konstitutionellen Kompetenzgrenzen der positiven Weima­ rer Reichsverfassung und die weitere Einbüßung ihrer rechtsstaatlichen Ordnungsfunktion zur Folge haben musste.96 Aus diesen Gründen war die politische Option einer überproportionierten Exekutivgewalt des Staats­ oberhaupts als dem Hüter der Verfassung im Sinne eines neutralen „Herren des Staates“ abzulehnen,97 vor allem aber auch, da das von Carl Schmitt gegen eine verfassungsgerichtliche Instanz angebrachte Argument einer et­ waigen Unvereinbarkeit von Politik und Justiz nicht überzeugen konnte. Das Naturschutzszenario im Deutschen Reich ist ein mustergültiger Beleg dafür, dass dieses Kollisionsprinzip im Hinblick auf ein Verfassungsgericht keine überzeugende Tragkraft besitzt, da einer gerichtlichen Entscheidung 94  H. Kelsen,

Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (581). 137, 183 (188); R. Breuer (Fn. 4), S. 121. 96  Vgl. M. Herdegen, in: Th. Maunz / G.  Dürig (Fn. 16), Art. 79 Rn. 64. Damit war auf dem Boden der Staats- und Verfassungstheorie von Carl Schmitt der Grund­ stein für den gleitenden Wandel des Deutschen Reichs von einem autoritären Dikta­ turregime zu einem totalitären System gebahnt worden, in dem sich eine Orientie­ rung an materiellen Rechts- und Gerechtigkeitsprinzipien nicht mehr ausmachen ließ. Denn der staatstragende Maßstab war ausschließlich in dem unantastbaren Wesensgehalt der politischen Einheit als absoluter Bezugsgröße der positiven Ver­ fassung zu erblicken, der angesichts seiner fehlenden begrifflichen Präzision für eine unbegrenzte Legitimitätsvision des staatlichen Herrschaftsverbandes offenstand; siehe dazu nur W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S.  475 ff.; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 178 f.; W. Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 37 f.; vgl. hierzu auch K. A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat – Zwei kritische Vorträge, Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V., Hamburg, Jahrgang 4 (1986), Heft 3, Hamburg 1986, S. 9 f. 97  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (581). 95  RGZ



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit395

stets ein politisches Dezisionselement mehr oder weniger immanent ist.98 In diesem Sinne haben die genannten Urteile des Reichsgerichts99 zum Hamburgischen Denkmal- und Naturschutzgesetz im Jahre 1927 und zur Berliner Fluchtlinienfestsetzung im Jahre 1930 praktisch zu einem Erliegen der staatlichen Schutzmaßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes ge­ führt, da angesichts der allgemeinen Finanzknappheit der öffentlichen Hand die enteignungstypischen Entschädigungsfolgen für auf landesrechtli­ cher Grundlage durchgeführte Verwaltungseingriffe nicht mehr angemessen bewältigt werden konnten. Zwar wird indessen auch von Hans Kelsen nicht bestritten, dass der Entscheidung eines Verfassungsgerichts eine hö­ here politische Bedeutung zukomme als denjenigen von sonstigen Gerich­ ten.100 Das kann aber seiner Ansicht nach nichts daran ändern, dass der politische Machtausübungsprozess auf legislativer Ebene grundsätzlich nicht beendet werde, sondern in der Verwaltung sowie in der Gerichtsbar­ keit womöglich erst seinen realen Anfang nehme,101 so dass aus dem ab­ strakten Widerspruchsargument von Politik und Justiz eine Ungeeignetheit eines Verfassungsgerichts als „Hüter der Verfassung“ nicht resultiere.102 In 98  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (585 f.); A.-J. Korb (Fn. 24), S. 146 f. 99  Es ist noch einmal zu betonen, dass das Reichsgericht im Rahmen der natur­ schutzrelevanten Entscheidungen den privaten Eigentümern nicht nur jeweils einen Entschädigungsanspruch zuerkannt, sondern dabei auch ein richterliches Prüfungs­ recht bereits ausgeübt hat. Mit dieser reichsgerichtlichen Spruchpraxis, die auch eine mögliche Alternative für das richterliche Prüfungsrecht im Sinne eines in der nord­ amerikanischen Tradition stehenden Einheitsmodells war, war die Weimarer Staats­ rechtslehre im Rahmen des staatstheoretischen Diskurses um eine Verfassungsge­ richtsbarkeit insoweit bereits praxisbewährt konfrontiert; hierzu H. Maurer, Das richterliche Prüfungsrecht zur Zeit der Weimarer Verfassung, DÖV 1963, S. 683 ff.; Ch. Schönberger, Die Verfassungsgerichtsbarkeit bei Carl Schmitt und Hans Kelsen: Gemeinsamkeiten und Schwachstellen, in: O.  Beaud / P.  Pasquino (Hrsg.), La cont­ roverse sur le „gardien de la Constitution“ et la justice constitutionnelle. Kelsen contre Schmitt. Der Weimarer Streit um den Hüter der Verfassung und die Verfas­ sungsgerichtsbarkeit. Kelsen gegen Schmitt, Paris 2007, S. 179 ff.; zur Einheitslö­ sung eines richterlichen Prüfungsrechts statt vieler P. Pernthaler (Fn. 57), S. 283 ff. 100  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (587). 101  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (586). 102  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (585 ff.); R. Marcic (Fn. 85), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (508 f.). Nachdem Carl Schmitt über lange Zeit eine „Automatentheorie“ vertreten hatte, wonach die Gerichte ausschließlich eindeutige Gesetze ohne inhaltliche Zweifel anwendende Spruchkörper seien, hat er diese Ansicht mit der grundsätzlichen Anerkennung eines politischen Dezisionsmoments einer jeden gerichtlichen Entscheidung später letztlich dann aufgegeben; dazu C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 18 f. / 37 f. /  45 f. Im Zusammenhang mit der von Carl Schmitt ursprünglich vertretenen Automa­ tentheorie machte Hans Kelsen letztlich die kritische Bemerkung: „Und wohl noch nie ist über die Justiz eine Aussage gemacht worden, die ihr Wesen so völlig ver­

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

der Terminologie von Rudolf Smend bedeutet dies, dass eine verfassungs­ gerichtliche Gewährinstanz ebenso dazu berufen ist, staatliche Lebensvor­ gänge am politischen Integrationswert zu messen, um am Maßstab der ideellen Sinnordnung die Wertgesetzlichkeit des die reale Wirklichkeit überragenden zeitlosen Geistes als abrundenden Schlussstein des Integrati­ onsprozesses zu garantieren.103 Etwas anderes ergibt sich für Hans Kelsen letztlich auch nicht aus dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gewaltenteilung. Auch er sieht zwar in der allgemeinverbindlichen Kassation eines mit der positiven Verfassung nicht in Einklang stehenden, einfachen Gesetzes durch ein Verfassungsgericht als negativem Ersatzgesetzgeber grundsätzlich einen Eingriff in den Aufgabenbereich der legislativen Gewalt.104 Dies stellt für ihn aber abgesehen von dem Umstand, dass im Rahmen der kon­ stitutionell abgesicherten Notverordnungspraxis des Reichspräsidenten als Staatsoberhaupt des Deutschen Reichs auch eine Art der Ersatzgesetzge­ bung stattfinde, keinen Widerspruch zum klassischen Prinzip der Gewal­ tenteilung dar, da darunter auch die Übertragung der gesetzgebenden Ge­ walt auf zwei Organe verstanden werden könne.105 Eine derartige Funk­ tionsaufspaltung ist vor allem dann nicht zu beanstanden, wenn die Kom­ kennt wie diese (…).“ (H. Kelsen, Hüter der Verfassung, ebd., Die Justiz 1930 / 31, 576 (589)). 103  Hierzu vor allem R. Smend (Fn. 44), S. 202 f. Es bleibt das Geheimnis von Rudolf Smend, warum er die klaren Parallelen seiner Staats- und Verfassungstheorie zu der Wiener Schule nicht anerkannte (in diesem Sinne nur H. Kelsen, Der Staat als Integration (Fn. 50), S. 3 ff.). Unabhängig davon hat er aber mit der Bezeichnung eines Staatsgerichtshofs als Schlussstein des Integrationssystems recht, nur dass eine derartige Instanz den pyramidenförmigen Stufenbau der Rechtsordnung abrundet und damit den Kreislauf zu der alles überragenden rechtslogischen Verfassung der Grundnorm als dem inneren Sinn des pouvoir constituant abschließt. Der Staat als dynamisches Gebilde, das ausschließlich in der Welt der vergeisterten Normen lebt, ergibt sich schließlich dann aus dem ständigen Selbsterneuerungsprozess des Rechts (H. Kelsen, Reine Rechtslehre, unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 283). 104  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S.  24 f. 105  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 25; R. Marcic (Fn. 85), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (509 f.). Hans Kelsen weist hier insbesondere auf die Tatsache hin, dass eine solche Übertragung der Gesetzgebung auf zwei Organe oftmals in den Verfassungen konstitutioneller Monarchien anzutreffen sei, so etwa wenn dem Monarchen in Verbindung mit den Ministern für gewisse Ausnahmefälle der Erlass von gesetzersetzenden bzw. gesetz­ ändernden Notverordnungen vorbehalten sei. In der Folge kann dieses von Hans Kelsen angeführte Argument auf das Staatsoberhaupt des Reichspräsidenten übertra­ gen werden, zumal dieser nach der historischen Entwicklung an die Stelle des abso­ luten bzw. konstitutionell gebundenen Monarchen getreten ist; zu Letzterem H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 28), § 15 Rn. 2 ff.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit397

petenzen eines negativen verfassungsgerichtlichen Ersatzgesetzgebers in der geschriebenen Verfassung eindeutig fixiert worden sind.106 Für den Staatsrechtslehrer Hans Kelsen ist deshalb ein Verfassungsgericht weniger eine mit der bürgerlich rechtsstaatlichen Verfassung unvereinbare Instituti­ on, als vielmehr die wesenskonforme Bestätigung und im Sinne einer ge­ steigerten Gewaltenbeschränkung vor sich gehende Weiterentwicklung des in seinem Ursprung auf Montesquieu zurückgehenden Prinzips der Gewal­ tenteilung.107 Eine eigene Verfassungsgerichtsbarkeit ist für ihn damit die Krönung der Rechtsstaatsidee, die als Garantieinstanz für die positivrecht­ liche Verfassung und der auf ihr aufbauenden Staatsfunktionen anzusehen ist und so im demokratischen Verfassungsstaat, wo infolge der pluralisti­ schen Kräfte ein ausgeweitetes Kontrollvolumen erforderlich ist, als eine die stets wechselnden Majoritäten mäßigende und deshalb auch unter de­ mokratietheoretischen Gesichtspunkten Minderheitenschutz garantierende Gewalt ihre angemessene Bedeutung erhält.108 Damit ist eine verfassungs­ gerichtliche Instanz der neutrale Schlussstein auf dem von der Grundnorm 106  Vgl. H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 25: „Wird einem ‚Gericht‘ die Befugnis übertragen, ein Gesetz aufzuheben, dann wird es zur Setzung einer generellen Norm ermächtigt. Denn die Aufhebung eines Gesetzes hat den gleichen generellen Charakter wie die Erlassung (…)(,) mit einem negativen Vorzeichen gleichsam.“ 107  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 25; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 75 f.; R.  Ch. van Ooyen, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 25), S. XIV. Zu der auf Montesquieu zu­ rückgehenden klassischen Gewaltenteilung nur H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 28), § 12 Rn. 8 ff. „Es würde zu weit führen, hier auf die politischen Motive einzugehen, aus denen dieses ganze Prinzip der Trennung der Gewalten entstanden ist. (…) Soll es auch für die demokratische Republik einen vernünftigen Sinn haben, dann kommt von seinen verschiedenen Bedeutungen nur jene in Betracht, die besser als in dem Worte ‚Trennung‘ in dem der ‚Teilung‘ der Gewalten zum Ausdruck kommt. Es ist der Gedanke der Aufteilung der Macht auf verschiedene Organe, nicht so sehr zum Zweck ihrer gegenseitigen Isolierung, als vielmehr zu dem ihrer gegenseitigen Kontrolle. Und dies (…) (auch) zu dem Zwecke, um (…) die Rechtmäßigkeit der Funk­ tion der verschiedenen Organe zu garantieren.“ (H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, ebd., S. 25). An dieser Stelle ist ein vorausschauender Gedankengang angezeigt: Wäre denn nicht auch alles verloren, wenn die konstituierten Gewalten die natürli­ chen Lebensgrundlagen missachten würden? Zur Zeit des französischen Staatsden­ kers Montesquieu war die ökologische Frage noch weit entfernt. Nun aber ist mög­ licherweise eine entsprechende Färbung der Gewaltentrias angezeigt. 108  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S.  50 f.; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 107), S. 75 f.; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 129; vgl. hierzu auch R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtsleh­ re (Fn. 12), S. 3 f.; ders. (Fn. 85), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (506 f. / 510 f.); R. Wahl, Der Vorrang der Verfassung, Der Staat 1981 (20), 485 (499). Hans Kelsen: „Demokratie ohne Kontrolle ist auf die Dauer unmöglich. Denn das Fallenlassen jener Selbstbeschränkung, die das Prinzip der Legalität darstellt, bedeu­

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

vermittelten Geltungsgebilde der normativen Rechtsordnung, die den poli­ tischen Vorgang in seinem dynamischen Wesen am Maßstab des positiven Rechts zur rechtsstaatlichen Vollkommenheit bringt. VII. Die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 als erster Akt eines Hüters der Verfassung auf dem Gebiet der Naturstaatlichkeit Für den staatlichen Naturschutz im Deutschen Reich ergeben die skizzier­ ten Darlegungen damit das folgende Bild. Der Reichspräsident hat mit der Zweiten Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05.06.1931 im Sinne der Theorie von Carl Schmitt einen neutralen Akt ei­ nes Hüters der Verfassung inszeniert, mit dem er das durch die naturschutz­ relevanten Urteile des Reichsgerichts bedingte politische Fiasko auf dem Gebiet des Naturschutzes entspannte.109 Die Hauptursache für diese schwie­ rige Ausgangskonstellation lag in der weiten Interpretationsvariante des verfassungsrechtlichen Enteignungsmerkmals nach Art. 153 II WRV durch das Reichsgericht begründet, so dass sich der staatliche Naturschutz auch bei ganz marginalen Eigentumsbegrenzungen auf landesrechtlicher Grundla­ ge mit hohen finanziellen Ausgleichslasten konfrontiert sah, da eine ent­ schädigungslose Enteignung nach Art. 153 II 2 WRV nur durch ein Reichs­ gesetz möglich war. Die reichsrechtliche Notverordnung vom 05.06.1931 als Integrationsakt des den nationalen Einheitswillen symbolisierenden Reichspräsidenten im Sinne von Rudolf Smend führte deshalb den vorkon­ stitutionellen Rechtszustand wieder ein, mit der Folge, dass die nach dem 13.08.1919 und vor dem 01.04.1933 betriebenen bzw. in der Zukunft noch zu betreibenden staatlichen Naturschutzhandlungen grundsätzlich auch nach Regelungen des Landesrechts entschädigungslos möglich waren, insofern das entsprechende Landesgesetz nichts anderes bestimmte und keine sonsti­ ge Entschädigungsnorm in Betracht kam. In der präsidialen Notverordnung zeigte sich damit auch die ökologisch-länderfreundliche Auslegungsmetho­ dik von Albert Hensel, der letzen Endes ein Selbstentscheidungsrecht der Länder in Bezug auf die entschädigungspflichtige Eingriffsintensität gefor­ dert hatte. Das nach der Norm des Art. 41 WRV direkt durch das Volk de­ mokratisch legitimierte Staatsoberhaupt des Reichspräsidenten war zu dem neutralen Hüterakt nach der Weimarer Konstitution auch ermächtigt, da die in der Vorschrift des Art. 48 II WRV enthaltenen unbestimmten Rechtsbe­ griffe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in der Weimarer Staats­ tet die Selbstauflösung der Demokratie.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 76). 109  W. Apelt, Geschichte der Weimarer Verfassung, 2. Aufl., München / Berlin 1964, S. 342.



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rechtslehre, der gängigen Staatspraxis und der Rechtsprechung weit verstan­ den wurden110 und damit auch entsprechende Missstände auf dem Gebiet des Naturschutzes darunterfallen konnten. In diesem Sinne waren nach dem Kommentarwerk von Gerhard Anschütz unter erheblichen Störungen bzw. Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gemäß der positiv­ rechtlich verankerten Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV neben den engen „polizeiwidrige(n) Zustände(n)“ auch sonstige „Erscheinungen zu verstehen, deren Bekämpfung völlig außerhalb der Zuständigkeit der Polizeibehörden“ lag, wie es bei der „Erkrankung des Wirtschafts- und Finanzorganismus“ indiziert war. Der Tatbestand der Norm war aber zudem verwirklicht im „Falle des Auftretens von Störungen des Staats-, insbesondere des parla­ mentarischen Apparats, die ein normales, die Staatsnotwendigkeiten sichern­ des Funktionieren der Gesetzgebungs- und Regierungstätigkeit“ unterban­ den.111 Daher konnte ein polizeiwidriger Zustand des staatlichen Natur­ schutzes als kränkelnder Ableger der angeschlagenen Finanzkraft des Staates die Zuständigkeit des präsidialen Staatsoberhaupts zu etwaigen Abwehr­ handlungen begründen. Möglich war aber auch ein Rekurs auf die konstitu­ tionelle Bestimmung des Art. 150 I WRV als einer institutionellen Garantie der Natur, deren verbindlicher Umsetzungsbefehl an die vorrangig zuständi­ gen Landesgesetzgeber infolge der eingefahrenen Krisenlage auf dem Gebiet des Naturschutzes an die realpolitischen Grenzen des finanziell Machbaren stieß, was zu einer funktionalen Störung des parlamentarischen Gesetzge­ bungsorganismus, insbesondere auch vor dem Hintergrund der besonderen Relevanz des staatlichen Naturschutzes für den Einheitsprozess des deut­ schen Volkes, führen musste. Mit der Notverordnung vom 05.06.1931 hat der Reichspräsident dem staatlichen Naturschutz gleichwohl wieder zu einer Bedeutung als politischer Ausrichtungsschranke für die wirtschaftsstaatli­ chen Expansionstendenzen verholfen, was den Rechtsakt angesichts der Tatsache, dass das Naturschutzanliegen auch in der späten Phase des Deut­ schen Reichs noch zu einem von einer kleinen Bevölkerungsgruppe initiier­ ten Politikfeld gehörte, in die Kategorie eines Minderheitenschutz gewäh­ 110  Hierzu G. Anschütz (Fn. 13), S. 278 f.; F. Giese (Fn. 13), S. 137; F.-K. Fromme, Ausnahmezustand und Notgesetzgebung – Ein Beitrag zur Systematik und Ge­ schichte des staatlichen Notstandsrechts, DÖV 1960, 730 (732 ff.) („präsidiale Er­ satzgesetzgebung im Verfassungsnotstand“ (S. 735)). Friedrich Giese vertritt in die­ sem Zusammenhang ein Subsidiaritätsprinzip. Demnach ist die Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erheblich im Sinne des Art. 48 II WRV, „wenn der gewöhnliche staatliche Apparat versagt; in leichteren Fällen hat zunächst die Landesgewalt mit polizeilichen Mitteln einzuschreiten; erst wenn diese sich als unzulänglich erweisen oder von vornherein als unzulänglich erscheinen, kommen die diktatorischen Maßnahmen der Reichsgewalt in Betracht.“ (F. Giese, ebd., S. 137). 111  G. Anschütz (Fn. 13), S. 278 f.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

renden Staatsakts erhebt. An der inneren Differenzierung der in Frage ste­ henden Notverordnung wird zudem erkennbar, dass das präsidiale Staats­ oberhaupt den rechtsstaatlich notwendigen Begriff des Politischen im Sinne von Hermann Heller beachtete, was bedeutet, dass der Reichspräsident den dem Wesen einer parlamentarischen Demokratie entsprechenden Primat des Gesetzgebers achtete, was sich in der nur begrenzten Hüterfunktion des Rechtsaktes mit Blick auf die sozialpolitisch motivierte Form von Natur­ schutzgebieten zu Zwecken der Volksgesundheit oder Volkserholung zeigte, für die auch weiterhin ein Ausgleich für die Wertminderung des privaten Grundstücks durch die Schutzausweisung zu leisten war. Die auf der Er­ mächtigungsnorm des Art. 48 II WRV beruhende Notverordnung machte aber gleichsam auch deutlich, dass sich das präsidiale Staatsoberhaupt zu einem „souveränen Herren des Staates“ machen konnte, was sich nicht nur in der beschränkten gerichtlichen Überprüfbarkeit der Voraussetzungen des Art. 48 II WRV infolge des weiten Ermessensspielraums des Reichspräsi­ denten, sondern auch in der umfassenden Machtdichte des Staatsoberhauptes äußerte.112 Eine staatstheoretische Basisannahme wie der positive Verfas­ sungsbegriff von Carl Schmitt musste deshalb notwendigerweise zu einer schleichenden Auflösung der Ordnungsfunktion der geschriebenen Konstitu­ tion führen, was sich etwa daran zeigte, dass formal nicht mehr zu erkennen war, wann der Reichspräsident nun als ein Hüter der Verfassung agierte. Nicht auszuschließen war zudem, dass sich die soziale Komponente der Natur als Erholungsbecken für die arbeitende Stadtbevölkerung aufgrund einer nachträglichen Dezision als zugehöriger Elementarbaustein der politi­ schen Einheitsformel im Sinne der positiven Verfassung von Carl Schmitt entpuppte, was auf der Grundlage seiner Hütertheorie unter Beachtung der nationalsozialistischen Ideologisierung einen gleitenden Übergang in das spätere NS-Regime hätte vorbereiten können. Die Notverordnung vom 05.06.1931 hat zwar den sozialen Naturschutz aus der Hüterfunktion noch ausgespart. Dies ändert aber letztlich im Ergebnis nichts an der Tatsache, dass auf der Grundlage der staatstheoretischen Konzeption von Carl Schmitt der Reichspräsident als republikanisches Staatsoberhaupt mit Blick auf die 112  Im Kontext mit der Möglichkeit einer Verfassungsgerichtsbarkeit als konzen­ trierter Form des richterlichen Prüfungsrechts insbesondere H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (581 f.). Zu dem weiten Ermessens­ spielraum des Reichspräsidenten hinsichtlich der Voraussetzungen des Art. 48 II WRV RGZ 137, 183 (188); G. Anschütz (Fn. 13), S. 281 f. / 294; F. Giese (Fn. 13), S.  137 ff.; R. Breuer (Fn. 4), S. 121. Die Einschätzungsprärogative des Staatsober­ haupts des Deutschen Reichs war nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nur dann verletzt, wenn eine offensichtliche Verkennung der rechtlichen Erfordernisse eines Vorgehens aufgrund des Art. 48 WRV oder ein willkürlicher Missbrauch der Ermächtigung zur Verfolgung ihr völlig fremder Zwecke gegeben war; RGZ 137, 183 (188); R. Breuer (Fn. 4), S. 121.



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begrifflich wenig umgrenzte Bezugsgröße der politischen Einheit auf dem Gebiet des Naturschutzes quasi ohne rechtsstaatliche Steuerungsmechanis­ men machen konnte, was er gerade wollte, was in einer diktatorischen Enteignung der privaten Grundstückseigentümer zugunsten des Naturschut­ zes und einer vorläufigen Aussparung der noch nicht zur politischen Einheit gehörenden Naturschutzgebietsoption gipfelte. Die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 war damit unter dem Deckmantel eines legitimen Hüterakts nichts anderes als der Wegbreiter in eine Naturdiktatur, die im Hinblick auf die verwässernden Kompetenzgrenzen der Weimarer Reichsverfassung schon gegen Ende des Deutschen Reichs totalitäre Züge annahm.113 Die innere Rechtfertigung der gesamten Konstruktion bildete unterdessen stets die ausschließlich maßgebende Größe der politischen Einheit als der nach der Ansicht von Carl Schmitt im parlamentarischen Regierungssystem durch die zersplitternden Kräfte des Pluralismus, der Polykratie und des Födera­ lismus gefährdeten absoluten Wesenssubstanz des Staates, was für ihn schließlich zu einer präsidialen Hüterinstitution führen musste, die den durch die Weimarer Reichsverfassung verwirklichten Gesetzgebungsstaat als totalen Staatstypus im Sinne einer absoluten Garantiefunktion vor seinem parzellierenden Verderben bewahrte.114 Dass Carl Schmitt insoweit schon von widersprüchlichen Prämissen ausging, was sich insbesondere daran zeigt, dass der Pluralismus zur Entfaltung stets eine staatsfreie Sphäre des gesellschaftlichen Lebens benötigt, was die Kategorie eines totalen Staates, der eine absorbierende Identität von Staat und Gesellschaft verlangt, ausschließt,115 ist mit Blick auf die im Deutschen Reich auf dem Gebiet des Naturschutzes zur praktischen Wirksamkeit gewordene Theorie dieses Staatsrechtslehrers von nur sekundärer Bedeutung. An dem scheinneutralen 113  Siehe dazu auch die Theorie von den Einrichtungsgarantien als Rechtsfiguren des nationalen Staates bei Bodo Dennewitz, der insoweit die Weimarer Reichsver­ fassung von den politischen Verhältnissen her interpretiert, was mit einer Überlage­ rung der Sollens-Ordnung durch das Politische einhergeht; B. Dennewitz, Die insti­ tutionelle Garantie, Berlin 1932; zusammengefasst bei U. Mager, Einrichtungsgaran­ tien, Tübingen 2003, S. 59 ff. 114  C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 62 ff. / 71 ff.; vgl. auch ders., Legalität und Legitimität (Fn. 18), S. 56 f. / 64 ff. / 82 ff., v. a. S. 84 / 87; kritisch dazu H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576, (601 ff., v. a. S.  607); R.  Ch. van Ooyen, in: ders. (Hrsg.) (Fn. 25), S. XXII; vgl. hierzu auch R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 189. Letztendlich scheint es so, als ob Carl Schmitt (C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung (Fn. 14), S. 84) den inneren Widerspruch seiner staatstheoretischen Konzeption selbst erkannt hat, wenn er relativierend davon spricht, dass „durch die Pluralisierung (…) die Wendung zum Totalen nicht aufgehoben, sondern nur sozusagen parzelliert (ist), indem jeder organisierte soziale Machtkomplex soviel wie möglich (…) die Totalität in sich selbst und für sich selbst zu verwirklichen sucht.“ 115  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 12), Die Justiz 1930 / 31, 576 (602).

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

Diktaturakt des Reichspräsidenten kann auch der erfolgreiche Integrations­ effekt dieser Notverordnung im Sinne der dynamischen Theorie von Rudolf Smend nichts mehr ändern, da der Staat in der Folge „volkseinheitsintegra­ tiv“ entartete, was die steuernde Funktion des Rechts in ihr Gegenteil ver­ kehrte.116 Damit ergibt sich vor allem auch angesichts des Umstandes, dass das Argument einer Inkompatibilität der Koinzidenz von Politik und Justiz infolge des jeder gerichtlichen Entscheidung mehr oder weniger immanen­ ten politischen Dezisionsmoments, das sich an dem reichsgerichtlich gesteu­ erten Naturschutzschauspiel im Deutschen Reich in fast schon überwälti­ gender Manier gezeigt hat, nicht überzeugt, eine allgemeine Würdigung der staats- und verfassungstheoretischen Ansätze von Hans Kelsen und folglich ein Plädoyer für eine verfassungsgerichtliche Instanz als abschließendem Schlussstein im Rahmen des von der inhaltsleeren Grundnorm als der Ver­ fassung im logischen Sinne vermittelten Geltungssystems einer supraindivi­ duellen Idealität, die sich in der positiven Rechtsordnung ausdrückt und damit in einer die Staatsfigur entpersonifizierenden Weise den berechenba­ ren und vorhersehbaren Deutungsmaßstab für die soziologische Wirklichkeit bereithält.117 Ein Verfassungsgericht ist somit der legitime Hüter des sinn­ bezogenen Gebildes einer objektiven Geistordnung, der als entpolitisierende Instanz am im Grunde zeitlosen Maßstab des geschriebenen Verfassungs­ 116  Zu der Rechtstheorie von Rudolf Smend S. Obermeyer, Integrationsfunktion der Verfassung und Verfassungsnormativität, Berlin 2008, S. 116 ff.; P. Badura, Recht und Verfassungsrecht in der Integrationslehre, Der Staat 16 (1977), S. 305 ff.; R. Bartelsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlage einer Staatsund Rechtstheorie, München 1964. 117  Eine Darstellung der vermeintlichen Schwächen in der Theorie von Hans Kelsen findet sich bei Ch. Schönberger, Die Verfassungsgerichtsbarkeit bei Carl Schmitt und Hans Kelsen (Fn. 99), S. 188 ff. Im Ergebnis ist diese Argumentation vor dem Hintergrund der Meisterleistung von Hans Kelsen aber zu kritisch. Dies gilt umso mehr, als – wie der Autor selbst ausführt (ebd., S. 179) – auch Hans Kelsen im Hinblick auf eine Verfassungsgerichtsbarkeit insgesamt noch vor einem der Zeit von Weimar entsprechenden geringen institutionellen Erfahrungshorizont stand. In­ soweit war es deshalb insbesondere die Dokumentation der praktischen Bewährung des schon im Jahre 1920 errichteten Österreichischen Verfassungsgerichtshofs, die die normative Sichtweise des Begründers der Wiener Rechtstheoretischen Schule hinsichtlich einer grundsätzlichen verfassungsgerichtlichen Gebotenheit bestimmten. Zur Entstehung und Historie des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs nur H. Wendenburg (Fn. 10), S. 27 ff.; K. Heller, Der Verfassungsgerichtshof, Die Ent­ wicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart, Wien 2010, S. 149 ff.; H. Schambeck, Verfassungsgerichtsbarkeit und Gesetzgebung in Österreich, in: A. Janko u. a. (Hrsg.), Herbert Schambeck – Beiträ­ ge zum Verfassungs- und Europarecht, Sammlung, Wien 2014, S. 179 ff.; zu den originären Kompetenzen des österreichischen Verfassungsgerichtshofs im Jahre 1920 (Änderung durch das Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahre 1920) W. Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, 10. Aufl., Wien 2005, S. 201 ff. und 223.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit403

werks die Gewähr für eine neutrale Entscheidung des zu beurteilenden Politikbausteins bietet, ohne aber den – um in der Terminologie von Rudolf Smend zu sprechen – am Integrationswert orientierten politischen Gesamt­ zustand zu vernachlässigen.118 Nach der von Hans Kelsen vertretenen Stuf­ entheorie der Rechtsordnung ist demnach die Verfassung die höchste posi­ tive Norm, die ihre Geltung unter dem immanenten Vorbehalt der soziolo­ gischen Wirksamkeit aus der Grundnorm ableitet, was die naturschutzrele­ vante Vorschrift des Art. 150 I WRV in den Rang einer durch den pouvoir constituant originär festgelegten, verbindlichen Direktive für den politischen Dauerprozess erhob.119 Da die materielle Verfassung für Hans Kelsen eben­ so aus ungeschriebenen, gewohnheitsrechtlich erzeugten Normen bestehen kann, stand auch der sich als staatsrechtliches Gewohnheitsrecht im Lichte des mehr sozial und ökologisch orientierten Naturschutzes abzeichnende Verfassungswandel der Geltung der Norm des Art. 150 I WRV nicht entge­ gen, insoweit eine Rückführung auf die Grundnorm weiterhin möglich war.120 Zudem wurde die Wirksamkeit der naturschutzrelevanten Norm, die nach der Ansicht von Hans Kelsen als notwendige Immanenzbedingung für die auf die Grundnorm zurückzuführende Geltung der Bestimmung bestehen musste, auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Vorschrift des Art. 150 I WRV unangewendet geblieben ist. Denn im Gegenteil besaß diese Norm mit der Dauer in der soziologischen Wirklichkeit des Deutschen Reichs eine zunehmende Relevanz als intermediärer Ausrichtungsschranke, weshalb der Einwand eines unangewendeten Umsetzungsbefehls für die verfassungs­ rechtliche Bewertung unbrauchbar ist. Dies wird auch nicht dadurch wider­ legt, dass nach den von Hans Kelsen im Rahmen der Reinen Rechtslehre gemachten Ausführungen die positive Verfassung in Bezug auf den Inhalt von künftigen Gesetzen zumeist nur abstrakte Verheißungen zu erlassender Gesetze enthalte, um unangemessene und nicht zu verwirklichende Sankti­ onen im Falle des gesetzgeberischen Untätigbleibens zu verhindern,121 da das hiermit gleichsam verbundene Risiko eines schleichenden Übergangs zu einem Jurisdiktionsstaat nur begrenzt besteht, insofern die Kompetenzen einer verfassungsgerichtlichen Hüterinstanz in der geschriebenen Konstitu­ tion genau festgelegt sind.122 Die Institution eines Verfassungsgerichts kann 118  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn.  11), S. 1 ff. / 22 ff. 119  H. Kelsen, RR (Fn. 103), S. 215  ff.; vgl. hierzu auch R. Marcic (Fn. 85), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (505). 120  H. Kelsen, RR (Fn. 103), S. 215 ff. 121  H. Kelsen, RR (Fn. 103), S. 228 ff. 122  Daher aber grundsätzlich auch die mahnenden Worte von Hans Kelsen in Be­ zug auf zu unbestimmte Verfassungsnormen, die im Falle der Einsetzung eines Ver­ fassungsgerichts durch die Konstitution zu einer von der Verfassung weder gewollten,

404

1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

auf diesem Wege zur Interpretationsführerin der Verfassung werden,123 was dann nicht zu beanstanden ist, insofern der politische Prozess ausschließlich am Maßstab der Verfassung als der nach der Stufentheorie höchsten positi­ ven Norm erfolgt und dabei nicht über Gebühr beschränkt wird, was durch einen enumerativen Zuständigkeitskatalog sowie ein regelmäßiges Antrags­ erfordernis realisiert werden kann.124 Anders gewendet ist ein Verfassungs­ gericht keine Superrevisionsinstanz,125 sondern nur der gebotene Schluss­ stein eines Rechtsstaatssystems, das auf Anruf den politischen Prozess am Maßstab der positiven Verfassung allgemeingültig reguliert. Mit der einge­ fahrenen politischen Situation auf dem neueren Gebiet des Naturschutzes im Deutschen Reich wäre ein antragsgemäßes Einschreiten eines Reichsverfas­ sungsgerichts indiziert gewesen, da durch die ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts eine erweiternde Auslegung des Enteignungsbegriffs im noch politisch angebrachten Machtverschiebung vom Parlament zu einer anderen In­ stitution führen könnten. Eine derartige Gefahr einer Entwicklung zum Jurisdiktions­ staat bestand bei der naturschutzrelevanten Norm des Art. 150 I WRV aber nur be­ grenzt, weil aus dem positivrechtlichen Inhalt dieser Bestimmung der entsprechende Schutzauftrag des Staates mehr oder weniger konkret entnommen werden konnte. In der Spätphase des Deutschen Reichs hatte sich bereits der mehr ökologisch orientier­ te Naturdenkmalbegriff im weiteren Sinne herausgebildet, der auch unter die positiv­ rechtlichen Verfassungsbegriffe des „Naturdenkmals“ und der „Landschaft“ subsu­ miert werden konnte. Zu diesem Problemkreis H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. v. Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 69 f.; H. Wendenburg (Fn. 10), S. 133 ff. Abgese­ hen davon besteht bei der Aufnahme von etwaigen Staatszielen in eine Verfassung grundsätzlich die Gefahr einer übermäßigen Einschränkung der parlamentarischen Entscheidungskompetenz und damit einer unangemessenen Verrechtlichung des poli­ tischen Prozesses, was in letzter Konsequenz auch einen „gleitende(n) Übergang vom parlamentarischen Gesetzgebungsstaat zum verfassungsgerichtlichen Jurisdiktions­ staat“ (E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 1990 (29), 1 (25)) mit sich bringen kann. Das Argument wurde auch als einer der wesentlichen Kritikpunkte in Bezug auf die verfassungsrechtliche Verankerung des Art. 20a GG in Stellung gebracht; so etwa L.  Michel, Umweltschutz als Staatsziel?, NuR 1988, 272 (283); D. Rauschning, Aufnahme einer Staatszielbestimmung über Umweltschutz in das Grundgesetz?, DÖV 1986, 489 (495 f.); H. Klein, Staatsziele im Verfassungsge­ setz – Empfiehlt es sich, ein Staatsziel Umweltschutz in das Grundgesetz aufzuneh­ men?, DVBl. 1991, 729 (734 ff.). Siehe zu der Problematik um die Konkretisierungs­ bedürftigkeit von Staatszielen bzw. grundrechtlichen Schutzpflichten grundsätzlich auch R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T.  Ellwein / J.  Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Ba­ den 1990, S. 40 ff. 123  Siehe hierzu die umfassenden Darstellungen des Methoden- und Richtungs­ streits bei M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. III: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914–1945, München 1999, S. 156. 124  Siehe zum Enumerations- bzw. Antragsprinzip H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 28), § 20 Rn. 20 / 23. 125  H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 28), § 20 Rn. 3 ff.



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit405

Sinne des Art. 153 II WRV maßgeblich war, die den politischen Naturstaats­ prozess fast zum Erliegen brachte. Ein gedachtes Reichsverfassungsgericht hätte dem Reichsgericht deshalb im Hinblick auf die Normen des Art. 153 III und 150 I WRV eine Verkennung des konstitutionellen Enteignungs­ merkmals vorgeworfen, indem auch nur ganz marginale Eigentumsbeschrän­ kungen die Entschädigungsbelastung des Staates auslösen konnten.126 Der weite Auslegungsansatz einer Enteignung nach Art. 153 II WRV war zwar unter dem Aspekt des sozialstaatlichen Aufgabenzuwachses grundsätzlich zu begrüßen, um die rechtsstaatliche Garantiefunktion des wirtschaftlichen Ei­ gentumsgrundrechts zu stärken. Allerdings ergab sich aus der Verfassungs­ norm des Art. 150 I WRV, dass auch die gewachsene Naturschutzidee in der Zwischenzeit zu einem anerkannten Allgemeininteresse geworden war, dessen Relevanz für das Volksganze mit der Akzeptanz der sozialpolitischen Dimension des Naturschutzes sogar noch zunahm. Demnach forderte das naturstaatliche Verfassungsprinzip mit der Dauer eine systematische Beach­ tung des öffentlichen Naturschutzanliegens, was sich in einer Begrenzung des Enteignungsmerkmals gemäß Art. 153 II WRV unter formalen und da­ mit die Rechtsstaatlichkeit garantierenden Kriterien hätte auswirken müssen. Dies bedeutet, dass etwa das konstitutive Abgrenzungskriterium der teilwei­ sen oder ganzen Entziehung des Eigentums für eine Enteignung hätte vor­ liegen müssen, um eine „saubere“ Trennung von einer entschädigungslosen Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 153 I 2 WRV zu gewährleis­ ten.127 Eine materielle Korrektur wäre dann nur in Ausnahmefällen ange­ zeigt gewesen, vor allem im Rahmen einer Inhalts- und Schrankenbestim­ 126  So im Ergebnis auch F. Hammer (Fn. 1), S. 213 f. Die sozialpolitische und damit öffentliche Integrationskomponente des Naturschutzes war im Deutschen Reich im Begriff sich durchzusetzen; siehe hierzu A. Steiniger (Fn. 1), JW 1930, 2427 (2428). Siehe zur rechtlichen Bedeutung des Art. 153 III WRV G. Anschütz (Fn. 13), S. 721 („Richtschnur“) m. w. N. auch zur Gegenansicht; F. Giese (Fn. 13), („direktiver Grundsatz“ gegenüber Gesetzgeber, „Auslegungsregel“ gegenüber dem Richter); W. Speitkamp, Entstehung und Bedeutung des Denkmalschutzgesetzes (Fn. 1), S. 20 („nur als Programmsatz“). 127  Entscheidend ist ein formales Abgrenzungskriterium. Siehe zur Rückkehr zu einem formalen Enteignungsbegriff unter dem Grundgesetz H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 18. Aufl., München 2011, § 27 Rn. 27 ff.; A. Voßkuhle, Das Kom­ pensationsprinzip, Tübingen 1999, S. 261 ff. / 361 f. Für die Verfassungsdogmatik bezüglich des Eigentumsgrundrechts nach Art. 14 GG ist insbesondere das Nassaus­ kiesungsurteil des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich. Siehe zu Letzterem BVerfGE 58, 300 – Nassauskiesung; M. Cornils, BVerfGE 58, 300 – Nassauskie­ sung; Grundwasser vs. Kiesbaggerei: Die Rückeroberung der Interpretationshoheit über die Eigentumsgarantie, in: J.  Menzel / R.  Müller-Terpitz (Hrsg.), Verfassungs­ rechtsprechung, 2. Aufl., Tübingen 2011, S. 338 ff. Die Parallelen des dem Nassaus­ kiesungsurteil zugrunde liegenden Sachverhalts mit der damaligen Konstellation in der Entscheidung des Reichsgerichts zum Hamburgischen Denkmal- und Natur­ schutzgesetz aus dem Jahre 1920 (RGZ 116, 268) sind unverkennbar.

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

mung nach Art. 153 I 2 WRV, um unbillige Härten für private Grundstücks­ eigentümer im Falle dieser Eingriffsart zu vermeiden. Dagegen hätte ein Festhalten an der reichsgerichtlichen Rechtsprechung dazu geführt, dass die in erster Linie zuständigen Landesgesetzgeber von dem konstitutionellen Naturschutzauftrag des Art. 150 I WRV ausgeschlossen gewesen wären, was einem geschlossenen Kultursystem des zweiten Hauptteils der Weimarer Reichsverfassung und damit auch der ökologisch-länderfreundlichen Ausle­ gungsmethodik von Albert Hensel widersprochen hätte. Dennoch hingt dieses gesamte Denkgebilde in einem Punkt der Realität hinterher, weshalb die Option eines politischen Hüters der Verfassung an dieser Stelle noch einmal aufkeimt. Der Reichspräsident konnte beim Vorliegen der Tatbe­ standsvoraussetzungen des Art. 48 II WRV von Amts wegen tätig werden, um die Natur mit seiner Dezision wieder einem staatlichen Schutz zu un­ terstellen, was grundsätzlich nicht in den Kompetenzbereich eines gedachten Reichsverfassungsgerichts gefallen wäre. Das Reichsgericht, das im Deut­ schen Reich bereits früh ein richterliches Prüfungsrecht im Sinne eines Einheitsmodells nach amerikanischem Vorbild für sich in Anspruch genom­ men hatte,128 konnte wenigstens anlässlich eines konkreten Einzelfalles das richterliche Prüfungsrecht mit ausüben, was zu einer allgemeinen Indizwir­ kung über die Grenzen der an dem Rechtsstreit beteiligten Parteien hinaus führen konnte. Damit wird hier gleichsam die Frage nach dem Sinn einer verfassungsrechtlichen Naturschutznorm aufgeworfen, wenn ihre Nichtbe­ achtung nur beschränkt sanktionierbar ist. Im Deutschen Reich lag das Problem darin, dass das Reichsgericht die individuelle Rechtsposition inso­ weit gestärkt hatte, als dass für die Mehrzahl an Eingriffen in das Privatei­ gentum eine Entschädigung zu leisten war, so dass der Rechtsbehelf einer Verfassungsbeschwerde im Falle von staatlichen Naturschutzaktivitäten oft nicht hätte greifen können, in deren Rahmen der Naturschutz hätte abwä­ gungsrelevant mit beachtet werden müssen.129 Ein subjektives Grundrecht 128  Das Reichsgericht hatte im Deutschen Reich bereits früh ein in dogmatischer Hinsicht aber nicht überzeugendes richterliches Prüfungsrecht für sich in Anspruch genommen (so A. Buschke, Die Grundrechte der Weimarer Verfassung in der Recht­ sprechung des Reichsgerichts, Berlin 1930, S. 25 ff.). Die dadurch bedingte Möglich­ keit der Kassation von abstrakt-generellen Normen war aber nur eine punktuelle, auf den Einzelfall beschränkte Beseitigung, die im Falle von verschiedenen Rechtsan­ sichten der zur Überprüfung berufenen Gerichte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge haben konnte.; hierzu nur H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 48 f. Mit dieser reichsgerichtlichen Praxis im Sinne eines Einheitsmodells war die Weimarer Staatsrechtslehre während ihres Diskurses um eine Verfassungsgerichtsbarkeit bereits konfrontiert; zu Letzterem H. Maurer, Das richterliche Prüfungsrecht zur Zeit der Weimarer Verfassung (Fn. 99), DÖV 1963, S. 683; Ch. Schönberger (Fn. 99), S. 178 f. 129  Zur Verfassungsbeschwerde F. Koja, AS (Fn. 11), S. 323 f.; H. Simon, Verfas­ sungsgerichtsbarkeit, in: E. Benda u. a. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der



§ 12 Die Verfassungsgerichtsbarkeit407

auf die Natur war freilich überdies noch nicht vorgesehen, dessen Verlet­ zung die Antragsbefugnis einer etwaigen Verfassungsbeschwerde hätte be­ gründen können. Möglich wäre dagegen eine abstrakte oder konkrete Nor­ menkontrolle gewesen, in deren Rahmen ein ausschließlich wirtschaftliche Interessen verfolgendes Städtebaugesetz vielleicht kassiert bzw. dem zustän­ digen Landesgesetzgeber unter Fristsetzung eine Nachbesserung mit Blick auf den staatlichen Naturschutzauftrag aufgegeben worden wäre.130 Damit hätte ein Reichsverfassungsgericht unter demokratietheoretischen Gesichts­ punkten Minderheitenschutz gegen die sich in einer pluralistisch-demokra­ tischen Gesellschaft in regelmäßigem Turnus verändernden Majoritäten ge­ währleisten und so die Bedingungen für einen gemäßigten politischen Pro­ zess realisieren können.131 Die Folge wäre parallel dazu eine Vervollkomm­ nung des rechtsstaatlichen Gedankens gewesen, indem auch der parlamentarische Gesetzgeber dem richterlichen Prüfungsrecht unterworfen worden und damit letztlich eine Garantie der positiven Verfassung und der von ihr ausgehenden unmittelbaren sowie mittelbaren Staatsfunktionen im Sinne eines pyramidenförmigen Stufenaufbaus der Rechtsordnung verwirk­ licht gewesen wäre. Darin hätte auch keine Unvereinbarkeit mit dem Prinzip der Gewaltenteilung gelegen, da nach den Worten von Hans Kelsen die wesentliche Bedeutung der Trennung der Gewalten weniger in ihrer Isolie­ rung, als mehr in ihrer gegenseitigen Kontrolle liege, so dass ein Verfas­ sungsgericht kein Widerspruch zum Prinzip der Trennung der Gewalten, sondern im Gegenteil dessen Bestätigung sei.132 Auf diesem Wege wäre dann schließlich auch die Gefahr einer rückwirkenden Beseitigung von einmal rechtmäßig entstandenen Entschädigungsansprüchen aufgrund von Eingriffen in das Privateigentum gebannt gewesen. Es mag dahingestellt bleiben, ob das Reichsgericht den Begriff der Enteignung nach Art. 153 II WRV auch dann derart weit ausgelegt hätte, wenn eine Verfassungsgerichts­ instanz noch gesondert für einen effizienten Individualrechtsschutz gesorgt hätte.133 Nach der verfassungspolitischen Aufnahme des Naturschutzes in Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 1994, § 34 Rn. 21 f.; K.  Schlaich /  S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl., München 2012, S. 142 ff. 130  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 40  ff. Siehe zur Normenkontrolle F. Koja, AS (Fn. 11), S. 315 ff.; H. Simon (Fn. 129), § 34 Rn. 23 f.; K.  Schlaich / S. Korioth (Fn. 129), S. 85 ff. 131  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 43 ff. / 50 f.; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre (Fn. 12), S. 3. 132  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 11), S. 25. 133  In den Entscheidungen RGZ 137, 183 (188); 139, 285 (288  f.); 144, 325 (329 f.) äußerte sich das Reichsgericht zu den schweren Folgen auf dem Gebiet des Naturschutzes durch seine eigene Rechtsprechung. „(…) Die Städte, die im Vertrau­

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1. Teil, 2. Abschn.: Besondere Naturstaatslehre

die Weimarer Reichsverfassung wäre ein Reichsverfassungsgericht die Krö­ nung des naturstaatlichen Gedankens gewesen. Für ein universales Weltge­ setz der Geschichte soll aber hier das Einschreiten des Reichspräsidenten von Amts wegen präsent bleiben, vor allem da der politische Integrations­ prozess im Sinne von Rudolf Smend in den natürlichen Lebensgrundlagen seinen elementaren Ausgang nimmt. Oder – so könnte Hans Kelsen schrei­ ben – ohne einen Erzeugungs- und Delegationszusammenhang unter Ein­ schluss der Natur keine Geltung der positiven Rechtsordnung.

en auf die Rechtsgültigkeit der maßgebenden landesgesetzlichen Bestimmungen im Interesse des Städtebaues durch Fluchtlinienfestsetzungen Beschränkungen des Ei­ gentums an Grundstücken in weitem Umfange vorgenommen hatten, (sahen sich) infolge der Entscheidung des Reichsgerichts vom 28. Februar 1930 (RGZ 128, S. 18) plötzlich ungeahnten Entschädigungsansprüchen in ganz außerordentlichem Ausmaß ausgesetzt, die für ihre Vermögenslage um so verhängnisvoller waren, als die zunehmende Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf der einen Seite, ein dauernder Rückgang der Einnahmen aus Steuern auf der anderen Seite ein ständiges Anwachsen der Wohlfahrtslasten verursachte. Hierdurch war die öffentli­ che Sicherheit und Ordnung im Deutschen Reich erheblich gefährdet. Zu ihrer Wie­ derherstellung brachte die Zweite Notverordnung vom 5. Juni 1931 im Sechsten Teil Kap. III Bestimmungen über Enteignungen auf dem Gebiet des Städtebaues (…).“ (RGZ 144, 325 (329 f.)). Rüdiger Breuer (zum Ganzen R. Breuer (Fn. 4), S. 119 ff.) vertritt daher die Ansicht, dass es das Reichsgericht nicht ungern gesehen habe, durch die Notverordnung des Reichspräsidenten aus den Verstrickungen seiner eigenen Judikatur befreit worden zu sein. Dem ist zuzustimmen. Die für den Natur­ schutz relevanten Urteile haben diesen Kulturzweig angesichts der allgemeinen Fi­ nanzknappheit der öffentlichen Hand zum Erliegen gebracht, weshalb der Hüterakt des Reichspräsidenten eine heilsame Wirkung als Reaktion auf die Rechtsprechung hatte. Ob aber das Reichsgericht in Bezug auf das weite Enteignungsmerkmal des Art. 153 II 2 WRV grundsätzlich anders entschieden hätte, wenn bereits ein Reichs­ verfassungsgericht vorhanden gewesen wäre, ist fraglich, im Ergebnis aber wohl zu verneinen. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts verkannte vielmehr lediglich die abwägungsrelevante Bedeutung des Art. 150 I WRV als wesentlichen Bestandteil des geschlossenen Systems des Grundrechtskatalogs der Weimarer Reichsverfassung und seine Bedeutung im Rahmen einer zu beachtenden Sozialbindung des Eigentums im Sinne des Art. 153 III WRV, ohne dass es aber auf den „rettenden“ Akt einer im System noch inzident mitangelegten Hüterinstitution spekuliert hätte. J.  Eckert /  W.  Gase / A.  Olscher (Fn. 4), S. 396 weisen insoweit dagegen ausdrücklich darauf hin, dass die präsidiale Notverordnung vom 05.06.1931 keine Korrektur der Recht­ sprechung durch die Gesetzgebung darstellen sollte. In ihren rechtlichen Wirkungen ist die Hüterfunktion aber offenkundig und kann eigentlich nicht bestritten werden.

3. Abschnitt

Naturstaatliche Universallehre aus staats- und gesellschaftsorganisatorischen Momenten der Geschichte um den Naturschutz im deutschen Konstitutionalismus § 13 Legitimationskonzepte der Verfassung I. Die naturstaatlichen Entfaltungsgesetze des modernen Staates Ein universales Weltgesetz der Geschichte in dem metaphysischen Sinne von Giambattista Vico steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt einer nur bedingten Einsicht und einer prospektiven Relativität. Die historische Ent­ wicklung des Menschengeschlechts ist stets das konkrete Abbild eines fortgeschrittenen Turnus, der sich in einer ständigen Dialektik zwischen Sein und Sollen vorwärtsbewegt und sich damit zu einer geschichtlichen Reife herausbildet, die als zukunftsbezogener Erfahrungsschatz die Geschi­ cke der Menschen zumindest unterbewusst mitbestimmt. Nach Immanuel Kant ist in demselben Atemzuge aber eine Voraussagbarkeit von histori­ schen Fortschrittstendenzen überhaupt nur dann möglich, „wenn der Wahr­ sager die Begebenheiten selber macht (…), die er zum Voraus verkündet.“1 Darin spiegelt sich das Problem der nur begrenzten Urteilskraft des Men­ schen hinsichtlich der zukünftigen Historie wider, weshalb das Erkenntnis­ programm eines mit dem Anspruch einer allgemeinverbindlichen Richtlinie der Geschichte ausgestatteten Weltgesetzes stets relativiert beleuchtet wer­ den muss. Die Naturstaatlichkeit steht daher in zweifacher Hinsicht vor ei­ nem Zirkeldilemma. Ist eine naturstaatliche Systemausrichtung bereits von den Menschen als mündige Individuen der Geschichte anerkannt, ist der dadurch bedingte „weltbürgerlich geordnete Dauerfriedenszustand ihrem sittlichen Tun als Ziel vorgeschrieben und nur im Verhältnis zur tatsächli­ chen Pflichterfüllung auch voraussagbar.“2 Andererseits ist aber der mo­ derne Staat mit seiner existentiellen Bezogenheit auf die natürlichen Grund­ lagen von der Natur als einem unberechenbaren Faktor abhängig, was von 1  I. Kant, Gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe Bd.  VII: Der Streit der Fakultäten. Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, Berlin 1907, S. 79 f.; J. Habermas, Theorie und Praxis, Neuwied 1963, S. 209 f. 2  Vgl. J. Habermas (Fn. 1), S. 209 unter Rekurs auf Immanuel Kant.

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1. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

vornherein bei einer reflektierten Betrachtung der Geschichte der Mensch­ heit eine Naturstaatlichkeit indizieren müsste, insofern als Ziel der Maßstab einer stetig vor sich gehenden Entwicklung des zivilisatorischen Fortschritts vorgegeben wird.3 Mit anderen Worten ist ein universales Weltgesetz der Naturstaatlichkeit lediglich der rationale Baustein für eine menschliche Ge­ meinschaft, die mit ihren extensiven wirtschaftlichen Auswüchsen und der damit verbundenen Versklavung der Natur den Weg in eine naturstaatliche Moderne ohnehin bereitet. Damit wird gleichsam die These aufgestellt, dass es neben dem zu Beginn dieser Naturstaatslehre am Maßstab der Geschich­ te des modernen Staates dargelegten weiten Turnus hin zu einem naturstaat­ lichen Staatswesen auch einen Kreislaufzyklus im engeren Sinne gibt, der sich in der kaiserlichen Monarchie und im Deutschen Reich niedergeschla­ gen hat. Dabei müssen die sich hieraus ergebenden universalen Momente der Geschichte in der gebotenen Nüchternheit analysiert werden, um ihre prospektive Objektivität zu bewahren, aber auch damit die damals zeittypi­ sche Ideologisierung nicht zu einem verunreinigenden Störfeuer der allge­ meingültigen Projektion mutiert. Es ist dies nun der letzte Schritt, bevor dann der Weltgeist zu sich selbst kommen soll. Denn „weil die Menschen das immer auch schon sind, was aus der Geschichte als ein Fremdes von außen auf sie zukommt, wiederholt sich auf jeder Stufe die Aneignung des zuvor Entäußerten; der Begriff durchbohrt den Gegenstand und erweckt das in der vorgängigen Vergegenständlichung Erstorbene zu neuem Leben.“4 Dann steht das naturstaatliche Weltgericht an.5 II. Die Erzeugungsmethoden (Naturstaatsformenlehre6) Die Staatsform beschäftigt sich mit der eigentlichen Natur des Staates. Sie betrifft die Organisation der die staatliche Herrschaft ausübenden Auto­ J. Habermas (Fn. 1), S. 209 f. (Fn. 1), S. 210 unter Rekurs auf Georg Wilhelm Friedrich Hegel. 5  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund­ risse – (1830), Philosophische Bibliothek, Bd. 33, Nachdruck der 3. Aufl., Hamburg 1991, S. 426. 6  Auf dem staatstheoretischen Fundament anderer Denker der griechischen An­ tike wie Herodot und Platon war es der Staatsphilosoph Aristoteles, der in seiner Politik eine Klassifizierung der unterschiedlichen Herrschaftsformen vornahm und damit die erste umfassende Staatsformenlehre kreierte. Für Aristoteles gab es letzt­ lich mit der Monarchie, der Aristokratie sowie der Politie drei Staatsformen, die sich nach einem quantitativ-personalen Kriterium differenzierten, wobei dieses auf die Anzahl der Herrschaftsübenden abstellende Merkmal bei der Aristokratie und bei der Politie um ein qualitativ-personales Kriterium ergänzt wurde. Demnach wurde die Auswahl der Herrschaftsmitglieder in einer Aristokratie nach dem qua­ litativen Merkmal der Besten bzw. der Eliten in Bezug auf ihre Tugendhaftigkeit 3  Vgl.

4  J. Habermas



§ 13 Legitimationskonzepte der Verfassung411

und Tüchtigkeit vorgenommen, in der Politie dagegen nach dem Besitzstand, so dass die wohlhabenden Bürger zur Herrschaft berufen waren. Jeder dieser idealty­ pischen Staatsformen korrespondierte eine Entartungsform, die sich nach dem Kri­ terium des (mangelnden) Gemeinwohlbezugs von den jeweiligen guten Staatsfor­ men unterscheiden ließ. Die Entartungsformen waren die Tyrannis (Despotie) als entartetes Gegenstück zur Monarchie als dem wahrhaftigen Königtum, die von Eigennutz der Elite geprägte Oligarchie als Gegenstück zur Aristokratie und die Demokratie (Ochlokratie) als missratenem Gegenstück zur Politie. In den klaren Worten des Aristoteles wird diese Staatsformenlehre folgendermaßen beschrieben: „Gewöhnlich aber nennen wir von den Monarchien diejenige, die auf das gemein­ same Nützliche achtet, die Königsherrschaft, die Herrschaft von wenigen jedoch, aber von mehreren als Einem, pflegen wir Aristokratie zu nennen, entweder weil da die Besten herrschen oder weil sie im Hinblick auf das Beste für den Staat und für die an ihm gemeinsam Teilhabenden herrschen. Wenn aber die Volksmasse mit Rücksicht auf das gemeinsam Nützliche den Staat verwaltet, dann heißt das mit dem gemeinsamen Namen aller Staatsverfassungen ‚Politie‘. (…) Abweichungen von den genannten Verfassungen sind von der Königsherrschaft die Tyrannis, von der Aristokratie die Oligarchie, von der Politie die Demokratie. Die Tyrannis be­ deutet nämlich eine Alleinherrschaft mit Rücksicht auf den Nutzen des Alleinherr­ schers, die Oligarchie eine Herrschaft mit Rücksicht auf den Nutzen der Wohlha­ benden, die Demokratie aber eine Herrschaft mit Rücksicht auf den Nutzen der Mittellosen. Keine von ihnen aber ist für den gemeinsamen Nutzen da.“ Aristoteles, Politik, herausgegeben und übersetzt von F. Schwarz, Stuttgart 2010, S. 169 f.; sie­ he insoweit auch B.  Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Mün­ chen 2013, S. 168 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S.  130 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitu­ tionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S.  374 f.; H. Maurer, Staatsrecht I, Grundlagen – Verfassungsorgane – Staatsfunktionen, 6. Aufl., München 2010, § 7 Rn. 4 f. Für den vorliegenden Zu­ sammenhang einer Naturstaatsformenlehre ist die von Niccolò Machiavelli in sei­ nem „Il principe“ vorgenommene klassische Einteilung von Fürstentümern und Republiken relevant, die auch heute noch das Differenzierungskriterium für ein monarchisches oder republikanisches Staatsoberhaupt hergibt. Dort heißt es: „Alle Staaten, alle Gewalten, welche Macht über die Menschen gehabt haben oder noch haben, sind Republiken oder Fürstentümer.“ (N. Machiavelli, Der Fürst, ins Deut­ sche übersetzt von F. Oppeln-Bronikowski, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 19; hierzu auch B.  Schöbener / M.  Knauff, ebd., S. 171; H. Maurer, Staatsrecht I, ebd., § 7 Rn. 6 / § 15 Rn. 2 ff.). Hinzuweisen ist noch darauf, dass in der Staatstheorie zwi­ schen einer Staatsformenlehre im engeren und weiteren Sinne differenziert wird, wobei sich Letztere nicht nur im engeren Sinne mit den Herrschaftsformen und dem jeweiligen Inhaber der Staatsgewalt auseinandersetzt, sondern auch die Regie­ rungsformen miteinbezieht, so dass auch nach der Art und Weise der Ausübung der Staatsgewalt gefragt wird. Zu der Unterscheidung zwischen Staatsformen im enge­ ren und weiteren Sinne G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 209 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, ebd., S. 168. Zur Staatsformenlehre von Hans Kelsen H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränder­ ter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 320 ff.; vgl. auch ders., Die Funktion der Verfassung, Verhandlungen des Zweiten Österreichischen Juris­ tentages Wien 1964, Bd. II: Bericht über den Ablauf der Arbeitssitzung der Verfas­ sungs- und Völkerrechtlichen Abteilung, Teil 7, Wien 1967, S. 67 f. Siehe auch die

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rität, oder, anders formuliert, die Gestaltung der staatlichen Willensbildung.7 Die unterschiedlichen Erzeugungsmethoden, die für die Staatsform maßgeb­ lich sind, kreieren den Willen des Staates, der nur juristisch verstanden werden kann, da es sich hierbei nur um das Sollen einer Ordnung, um ein einheitliches System von Normen, handeln kann.8 Das Problem der Staats­ form ist damit ein Rechtsinhaltsproblem, das sich in der Methode der Er­ zeugung der Rechtsnormen erschöpft, weshalb der Begriff der Staatsform auch synonym für die typischen Inhalte der die Rechtserzeugung betreffen­ den Normen verwendet werden kann.9 Ist der Staat die Rechtsordnung, so „gilt“ eine bindende Ordnung für das gegenseitige Verhalten der Menschen, d. h. der Mensch ist nicht mehr natürlich frei, sondern nur noch in einem politischen Sinne, wobei die insoweit von der positiven Rechtsnormenord­ nung garantierten politischen Freiheitsrechte prinzipiell als Gradmesser für eine Unterscheidung der verschiedenen Staats- und Gesellschaftsformen anzusehen sind.10 In der Demokratie ist das Spannungsverhältnis zwischen dem Willen des Einzelnen, der als Ausgangspunkt der Forderung nach Frei­ heit gesehen werden kann, und dem durch die Rechtsordnung repräsentier­ ten fremden Staatswillen auf ein Mindestmaß herabgesetzt, während in einer Autokratie die Autonomie der Menschen zugunsten der auf einer Verfassung beruhenden Willensbildung eines einzelnen Menschen auf ein Mindestmaß herabgedrückt werden kann.11 Entscheidend bleibt aber stets der rechtlich determinierte Erzeugungsvorgang, wobei ein geregeltes Verfahren, das unter anderem auch Vorstufen wie Beratungen, Diskurse und vorbereitende Be­ schlüsse umfasst, für die Festlegung der Staatsform nur von sekundärer Bedeutung ist.12 Im Folgenden werden nun Demokratie und Autokratie als Idealtypen behandelt, die als extreme Außenpole für eine Erfassung der durch die soziale Wirklichkeit des positiven Rechts realisierten Realtypen an Staatsformen fungieren.13 Dies bedeutet, dass sich rechtlich festgelegte allgemeinen Darstellungen zur Staatsformenlehre bei F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 418  ff.; H.  Buß / W.  Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 49 ff.; G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff, ebd., S.  209  ff.; R.  Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 98 ff.; W. Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S.  23 ff. 7  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 320; ders., Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 283 f. 8  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 320. 9  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 321. 10  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 321 f. 11  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 326. 12  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 326 f.



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Realtypen mehr oder weniger an die Idealtypen annähern können. Geht man nun davon aus, dass in der absoluten Monarchie der allein herrschende Monarch, in einer konstitutionellen Monarchie der verfassungsrechtlich ge­ bundene Monarch in Kooperation mit einer Volksvertretung, in einer parla­ mentarischen Demokratie das Volk insbesondere in der Gestalt eines durch Wahl berufenen Parlaments bzw. in einer Diktatur wiederum eine einzelne Person zur Rechtserzeugung befähigt ist,14 so ergibt die dargestellte Ge­ schichte des Naturschutzes im deutschen Konstitutionalismus ein entschlüs­ selndes Zyklusschema, das verschiedene Staatsformen hervorbringt, wobei auch die soziologischen Interventionen gegenüber den Rechtserzeugungsor­ ganen in die Betrachtung miteinzubeziehen sind. Mit dieser systematisieren­ den Vorgehensweise wird nun bereits eine induktivere und damit abstrakte­ re Sichtweise eingeleitet, die den besonderen Volksgeist in dem verdeutli­ chenden Schema einer normativen Naturstaatsformenlehre nach universalen Momenten in den Blick nimmt, womit gleichsam auch eine erste Annähe­ rung an einen analytischen Formalismus eingeleitet wird. Da sich aber die Anfänge des deutschen Naturschutzes entwicklungshistorisch erst auf die spätere Staatsform der konstitutionellen Monarchie beziehen konnten, soll hier der Vollständigkeit halber die naturstaatliche Entwicklung in einer ab­ soluten Monarchie vorab dargestellt werden. 1. Absolute Monarchie In der absoluten Monarchie liegt die Erzeugungskompetenz von Normen ausschließlich in der Hand des allein herrschenden, unbeschränkten Monar­ chen, der in sich folglich die funktionalen Gewalten der Legislative, der Ex­ ekutive und der Judikative vereinigt. Der monarchischen Staatsgewalt, ver­ standen als die Sollens-Geltung der souveränen Rechtsordnung, liegt damit in ihrem sich aus generellen und individuellen Rechtsnormen zusammenset­ zenden Aufbau, der durch die einen absoluten Monarchen einsetzende Grund­ norm unmittelbar bzw. mittelbar geltungstheoretisch vermittelt wird, ein ju­ ristischer Staatswille zugrunde, der in der positiven Rechtsordnung zum ­Ausdruck kommt.15 Demnach besitzt der absolute Monarch die rechtliche Möglichkeit, „jede Entscheidung an sich zu ziehen, die Tätigkeit der unterge­ ordneten Organe bedingungslos zu bestimmen und einmal gesetzte Normen jederzeit mit allgemeiner Geltung oder nur besonderer Geltung aufzuheben oder abzuändern“, wenngleich sich seit dem aufgeklärten 18. Jahrhundert 13  H. Kelsen, AS (Fn.  6), S. 327  f.; vgl. hierzu auch F. Ermacora (Fn. 6), S. 430 ff. / 478 ff. 14  F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 109. 15  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 334 ff. / 338 (hier auch zur Abgrenzung zur Despotie).

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Tendenzen in Bezug auf eine Abkapselung der Straf- und Zivilgerichtsbarkeit von der bedingungslosen Machtvollkommenheit des absoluten Monarchen abzeichneten.16 Die absolute Monarchie hat in Europa seit dem 16. Jahrhun­ dert mehrere konkrete Ausformungen erfahren, wobei diese Staatsform in erster Linie mit der epochemachenden Herrschaft des französischen Sonnen­ königs Ludwig XIV. („L’état c’est moi“) identifiziert wird. In der Gegenwart gibt es auch noch absolute Monarchien, wie die Staaten Oman, Saudi-Arabi­ en, Katar bzw. in politischer Hinsicht auch der kirchliche Vatikanstaat beweisen,17 weshalb die Darstellung eines absolutistisch-monarchisch regier­ ten Typus eines Naturstaats einen aktuellen Bezug nicht vermissen lässt. Die­ se autokratische Staatsform zeichnet sich durch eine bestimmte Grundstruk­ tur aus, wobei die monarchische Befreiung von sämtlichen positiven Geset­ zesbindungen bzw. mitunter auch von der ständevertreterischen Mitbestim­ mung bei dessen genereller Rechtserzeugung nur ein besonderer Wesenszug der absoluten Monarchie ist. Die Herrschaft des unbeschränkten Fürsten wur­ de zunächst religiös, später dann in einem säkularisierteren Weltklima zuneh­ mend aber auch naturrechtlich begründet.18 In diesem Sinne könnte sich ein absoluter Monarch bereits einer Herrschaft entsprechend der gottgemachten Natur verpflichtet sehen, was eine Nichtigkeit von Rechtsakten indizieren könnte, insofern sie gegen das Göttliche Recht bzw. das Naturrecht verstoßen,19 womit gleichsam die Tore für eine unberechenbare, materiellethische Willkür im Staat geöffnet werden. Denn der Fürst ist die alleinige Quelle des Rechts, d. h. er setzt, interpretiert, verändert und hebt das positive Recht auf, wobei sich etwaige Grenzen nur aus überpositivistischen Grund­ sätzen ergeben können.20 Die absolute Monarchie verfügt indessen über be­ stimmte Machtmittel, namentlich die Bürokratie und die Armee, mit denen sie einen effektiven Zugriff auf die einzelnen Untertanen erlangt. Der könig­ liche Staatsapparat ist dabei an der staatlichen Wohlfahrt orientiert, um die wirtschaftliche Macht zu erhöhen. Das Augenmerk liegt in der Förderung von Produktion und Handel, um die Bevölkerungszahl, die Steuer- und Abga­ benkraft sowie das militärische Heer zu erhöhen bzw. zu verbessern, damit 16  H. Kelsen,

AS (Fn. 6), S. 336. zum Absolutismus einschließlich der unterschiedlichen Entwicklungen in den europäischen Staaten nur W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 50 ff. 18  Vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 335 f. 19  Siehe hierzu nur die naturrechtliche Position von Thomas von Aquin bei P. C. Mayer-Tasch, Politische Theorie des Verfassungsstaates, München 1991, S.  156 f.; W. Blum, Thomas von Aquin, in: W. Blum u. a. (Hrsg.), Politische Philo­ sophen, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 3. Aufl., München 1997, S. 76 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, Poli­ tische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (320 f.). 20  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 335. 17  Siehe



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der Verdienst und das Ansehen des fürstlichen Monarchen als Abbild des Staates gesteigert werden.21 Die Erzeugungskompetenz über das positive Recht ist letztlich aber nur theoretisch absolut. Denn der Fürst besitzt die vornehmste Herrscherpflicht, die in der Aufrechterhaltung der überkomme­ nen Ordnung, der bestehenden Rechte und Privilegien, besteht. Dies bedeu­ tet, dass der absolute Monarch auf einen informellen Konsens mit den Be­ herrschten angewiesen bleibt, womit der fürstliche Anspruch einer absoluten Unbeschränktheit oft nur programmatischen Charakter besitzt. Eine absolute Staatsherrschaft hat sich daher, um legitim zu sein, auch an den Bedürfnissen der Beherrschten auszurichten, um nicht dem Verdikt der Tyrannei zu verfal­ len.22 Zu diesem Zweck dient vornehmlich der königliche Hof, der nicht nur der Repräsentation, sondern auch als Ort der diskursiven Verständigung vor­ gesehen ist.23 Von der prunkvollen und in diesem Sinne kulturell-ästhetischen Gestaltung des Hofs bzw. der Residenz auch in Bezug auf die Vorgärten ab­ gesehen werden sich naturstaatliche Elemente nur dann im Rahmen dieser normativen Staatsform etablieren, wenn die beherrschten Individuen bzw. etwaige Ständevertreter mit einer entsprechenden Staatsführung bzw. damit verbundenen Eingriffen in die bestehenden Rechte und Privilegien einver­ standen sind. Zwar besitzt der absolute Monarch die legislative Machtvoll­ kommenheit, weshalb die autokratische Erzeugung von auf den Schutz der Natur gerichteten generellen Rechtsnormen und deren unmittelbar anschlie­ ßende Vollziehung ohne formale Begrenzungen möglich sind. Die absolute Monarchie ist aber grundsätzlich auf eine weitere Expansion der wirtschaftli­ chen, politischen sowie militärischen Vormacht programmiert, weshalb nur beschränkt Kapazitäten für eine naturstaatliche Entfaltung vorhanden sind, da sich der wirtschaftsstaatliche Regierungskurs regelmäßig durchsetzen wird. Auch hier ist deshalb grundsätzlich eine auf den absoluten Monarchen fixier­ te Lobbyarbeit von Staats- und Ständevertretern nötig, um dem Naturschutz­ anliegen überhaupt Gehör zu verschaffen. Andererseits läuft ein der Naturrai­ son verfallener absoluter Monarch Gefahr, als Despot entlarvt zu werden, insofern seine Bestrebungen gegenüber dem in der Gesellschaft vorhandenen naturstaatlichen Zeitgeist zu innovativ anmuten.24 21  Siehe zu staatlichen Machtbildungsprozessen und dem sukzessiven Wachs­ tum, dem extensiven Aufblühen der Staatsgewalt W. Reinhard (Fn. 17), S. 20 ff. 22  M. Wrede, in: F. Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd I: Abend­ land – Beleuchtung, Darmstadt 2005, Sp. 24 f.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S.  335 f.; W. Reinhard (Fn. 17), S. 50. 23  Zur Bedeutung des Hofs in der absoluten Monarchie W. Reinhard (Fn. 17), S.  81 ff. 24  Siehe zur Staatsform der absoluten Monarchie die Darstellungen bei H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 334 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 33; W. Reinhard (Fn. 17), S. 50 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 6), S. 212 f. / 220 f.; M. Wrede, in: F. Jaeger (Hrsg.) (Fn. 22), Sp. 24 ff.; J. Ku-

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2. Konstitutionelle Monarchie Die durch den absoluten Staatsapparat, die unbeschränkt und demnach ab­ solut monarchisch generierte positive Rechtsordnung einerseits, die weitest­ gehend politisch entrechteten, seit dem 18. Jahrhundert wirtschaftlich aber zunehmend emanzipatorischer auftretenden Menschen, später dann das Bür­ gertum, andererseits, bedingte Trennung von Staat und Gesellschaft mündete schließlich in die Staatsform der konstitutionellen Monarchie, die sich im Hinblick auf die Erzeugungsmethode von generellen Rechtsnormen durch ein koordiniertes Zusammenspiel von nunmehr auch verfassungsrechtlich gebun­ denem Monarchen und Parlament auszeichnete, die in einem Organ zusam­ mengefasst waren, wobei aber auch ein monarchisches Verordnungsrecht pra­ eter legem als rettender Anker der auf monarchische Machterhaltung ausge­ richteten Ideologie der konstitutionellen Doktrin weiterhin anerkannt war.25 In dieser Staatsform ist das Bürgertum bereits in den politischen Prozess durch die Gewährleistung von Grundrechten eingebunden, wenngleich sich deren Bedeutung im 19. Jahrhundert noch weitgehend auf eine Absicherung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung be­ schränkte.26 Angesichts dieses Umstandes verläuft der Entfaltungsvorgang zu einem Naturstaat unter dieser Staatsform grundlegend anders als in der unbe­ schränkten absoluten Monarchie, was sich letztlich anhand der Entwicklung des Naturschutzes in der konstitutionellen Monarchie des Deutschen Kaiser­ reichs verdeutlichen lässt. Es begann im Deutschen Kaiserreich zunächst mit einer Initiative von einzelnen Naturschutzpionieren, die sich infolge der ne­ gativen Folgen der kapitalistischen Wirtschaftsordnung in ihrer erfahrenen Affinität mit der heimatlichen Natur gestört fühlten und nach einer Beschrän­ kung der ökonomischen Expansion verlangten. Diese vorrangig aus der ge­ bildeten Mittelschicht stammenden Hochschulprofessoren, Museumsdirekto­ ren, Lehrer, aber auch vereinzelte Apotheker, versuchten die gesellschaft­ nisch, Absolutismus – europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Régime, 2. Aufl., Göttingen 1999, S. 20 ff.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 6), S. 52; W.  Eckhardt / L.  Schmidt (Fn. 6), S. 24 / 27 ff.; P. Baumgart, Abso­ lutismus ein Mythos? Aufgeklärter Absolutismus ein Widerspruch?, Zeitschrift für historische Forschung 2000 (27), 573 (576 ff.). 25  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 338; vgl. auch W. Reinhard (Fn. 17), S. 422. 26  Siehe hierzu nur R. Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grund­ rechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: E.-W. Böckenför­ de (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815–1914), 2. Aufl., König­ stein 1981, S. 346 ff. Siehe zum einfachgesetzlich gewährten Grundrechtsschutz im Deutschen Kaiserreich E. R. Huber, Das Kaiserreich als Epoche verfassungsstaat­ licher Entwicklung, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 2 Rn. 37 f.



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lichen Kräfte zu mobilisieren, um eine größere Resonanz für das Naturschutz­ interesse zu erlangen, was sich vor allem in Bildungsmaßnahmen und Exkursionen in die Natur niederschlug. Mit der Dauer führte dieses ambitio­ nierte Engagement auf dem noch im Entstehen begriffenen neuen Kultur­ zweig schließlich zu der Herausbildung einer organisierten Naturschutzge­ sellschaft, die mit ihrer Staatsnähe und der gegenüber den einzelnen privaten Individuen verstärkten Stoßkraft nun auch in der Lage war, einen noch wei­ tergehenden Adressatenkreis zu erreichen, was sich in einer allmählichen In­ tegration des Naturschutzes in die staatliche Sphäre widerspiegelte. In die­ sem Sinne kam es zu einem öffentlichen Diskurs um eine Gemeinwohlrele­ vanz der bereits etablierten Naturschutzidee, der als Wegbereiter für die spä­ teren staatlichen Institutionalisierungen auf diesem neuen Interessengebiet angesehen werden konnte. An der universalen Aussagekraft dieser frühen Sattelzeit im Deutschen Kaiserreich27 ändert unter Staatsformaspekten auch die als besonders zu bezeichnende autoritär-korporative Verfassungsstruktur dieser im parlamentarischen Aufbruch begriffenen konstitutionellen Monar­ chie mit ihrer zeittypischen Trennung von Staat und Gesellschaft im Grunde nichts. Aufgrund des obrigkeitsstaatlichen Exekutivapparates war eine staats­ fixierte Lobbyarbeit der frühen Naturschutzpioniere notwendig, um die Na­ turschutzidee politisch anzuprangern, d. h. die generelle Rechtserzeugung zu initiieren. Daneben wurde aber auch immer mehr die Kontaktaufnahme zu parlamentarischen Abgeordneten gesucht, um in bewusster Ausnutzung des autoritär-korporativen Staatsaufbaus der kaiserlichen Monarchie den politi­ schen Einfluss zu erhöhen und so die intendierten Bestrebungen auf dem Ge­ biet des Naturschutzes als Gemeinwohlinteresse zu legitimieren. Die natur­ staatliche Entwicklung unter einer demokratischen Staatsform verläuft inso­ weit nur vordergründig verschieden. Denn auch hier sind es zunächst einzel­ ne Pioniere des neuen Kulturfachs, die sich ebenfalls in organisierten Vereinigungen wiederfinden, um Gehör für das Naturschutzanliegen zu er­ halten. Aufgrund der Selbstorganisation der Gesellschaft aber ist ihre Stoß­ richtung auf das Parlament ausgerichtet, um über Naturschutzgesetze den naturstaatlichen Gesetzesstaat politisch zu organisieren. Da aber eine Eigen­ tumsrelevanz eines staatlichen Naturschutzes stets gegeben ist, war auch im Deutschen Kaiserreich durch ein entsprechendes Gesetz im materiellen Sinne die Partizipation der Volksvertretung gewährleistet, nur dass die Gesetzesini­ tiative regelmäßig von den Regierungen der Länder ausging bzw. ausgehen musste.28 27  Zum Begriff der Sattelzeit in diesem Kontext F. Uekoetter, Umweltgeschich­ te im 19. und 20. Jahrhundert, München 2007, S. 14; vgl. hierzu auch F. Schmoll, Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S. 24 f. 28  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 338 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 6), S. 26 f.: „Im genossenschaftlichen Staatserlebnis wird der Staat als die notwendige

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3. Parlamentarische Demokratie29 Die Staatsform der Demokratie beruht auf der Idee der Freiheit. Da der Staat eine soziale Ordnung, eine Rechtsordnung ist, besteht für die einzel­ nen Individuen grundsätzlich eine objektivrechtliche Bindung. Die natürli­ che Freiheit der Individuen transformiert sich daher unterhalb der staatlichen Rechtsordnung zu einer politischen Freiheit, wobei das relative Majoritäts­ prinzip als demokratietheoretische Grundlage für die größte Freiheitsbetäti­ gung der Bürger anzusehen ist.30 In dieser normativen Staatsform geht der generelle Rechtserzeugungszusammenhang vom Volk aus, wobei sich das repräsentative Regierungssystem insbesondere auf ein Parlament stützt, das die generellen Rechtsnormen im Namen des Volkes erzeugt.31 Im Deut­ schen Reich fiel die Staatsform der parlamentarischen Demokratie – der ebenfalls zur generellen Normerzeugung befugte Reichspräsident bleibt hier (noch) ausgespart – mit einer gemäßigten Festigungsphase der naturstaat­ Ordnung des Zusammenlebens zum Wohle aller (Gemeinwohl) empfunden, in obrig­ keitsstaatlicher Sicht erscheint der Staat als isolierter Apparat oder Zwang (in der Sicht von unten) oder als Mittel eigener Machtentfaltung seitens des abstrakten Staates oder der konkreten Inhaber der staatlichen Macht, sei es eines Einzelnen, sei es einzelner Gruppen (in der Sicht von oben).“ (S. 27; Hervorhebungen in Original). Siehe hinsichtlich einer demokratischen Staatsorganisation G. Wittkämper / W. Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 98 / 100. 29  Die Ausführungen gelten auch für die Staatsform einer parlamentarischen Monarchie.; siehe hierzu nur H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 6), § 7 Rn. 9 ff. Vgl. grundsätzlich auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 342 ff. 30  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 320 ff. Diese Staatsform fällt mit den in der Literatur zu findenden Ökoliberalismus- und Ökokonservatismus-Modellen zusammen; hierzu nur H.-G. Marten, Ökologische Krise und demokratische Politik, Stuttgart 1983, S. 65 ff. / 87 ff. 31  H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 314; ders., Vom Wesen der Demokratie (Fn. 24), S.  27 f.; J. Tkaczynski, Vom Wesen und Wert der Demokratie von Hans Kelsen aus heutiger Sicht, Der Staat 2008 (47), 108 (110 f.). Dazu grundsätzlich auch F. Koja (Fn. 14), S. 155 f.: „Ein besonders deutliches Beispiel ist der Gesetzgebungsakt, wie er in den parlamentarischen Demokratien der Gegenwart üblicherweise gestaltet ist; er zeigt bekanntlich folgende Stadien: a) Initiativantrag der Regierung oder einer Gruppe von Abgeordneten, evtl. Volksbegehren; b) Beschluss des Parlaments, genau­ er: übereinstimmende Beschlüsse zweier Kammern oder Unterlassung des Einspruchs der Zweiten Kammer; c) Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens des Gesetzesbeschlusses durch das Staatsoberhaupt; d) Kundmachung (Publikation) durch das Staatsoberhaupt oder durch ein Mitglied der Regierung. (…) So wie alle diese Tatbestände Teilakte sind, die nur in ihrer Gesamtheit den Gesetzgebungsakt bilden, so sind alle genannten Organe nur Teilorgane eines Gesamtorgans. Es ist daher zumindest ungenau, das Parlament allein als das Gesetzgebungsorgan zu be­ zeichnen, auch wenn signifikante Unterschiede hinsichtlich des Einflusses auf die Willensbildung nicht übersehen werden können.“ (Hervorhebungen im Original). Zur Demokratie der Gesetzgebung grundsätzlich auch H. Kelsen, AS, ebd., S. 352 ff.



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lichen Systemidee zusammen, die die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein­ geleiteten staatlichen Institutionalisierungen bzw. die von staatlicher Seite unterstützten privaten Auftragsmodelle beibehielt und im Hinblick auf eine nunmehr bestehende Selbstorganisation der Gesellschaft auf eine Verbrei­ tung des Naturschutzes in der demokratischen Gesellschaft ausgerichtet war. Am Anfang der Entwicklung stand aber zunächst mit der verfassungspoliti­ schen Entscheidung des pouvoir constituant für die naturschutzrelevante Vorschrift des Art. 150 I WRV die Ausstattung des Naturschutzes mit Ver­ fassungsrang, was eine naturstaatliche Ausrichtung des Deutschen Reichs normativ-dynamisch indizierte. Denn „die Abfolge der Rechtserzeugungs­ stufen von der Grundnorm über die Verfassung im positivrechtlichen Sinne, die Gesetze, Verordnungen und individuellen Rechtsakte, charakterisiert sich durch einen eigentümlichen Parallelismus von Seinstatbestand und Norm. Die Norm jeder höheren Stufe umschreibt – als Bestandteil ihres Inhalts – einen Tatbestand, der als Rechtserzeugung der niederen Stufe zu gelten hat. Damit der Rechtsprozess fortschreite, muss der von der Norm höherer Stufe bestimmte Tatbestand tatsächlich gesetzt werden.“32 Die parlamentarische Volksvertretung war daher nun durch die im Sinne einer institutionellen Garantie der Natur zu interpretierenden Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV auf den Schutz und die Pflege von Naturdenkmälern und der Landschaft verpflichtet, was zudem nach der normativen Verfas­ sung nicht nur im Sinne eines Gefahrenabwehr- und Schutzprinzips, sondern entsprechend der Pflegemaxime auch vorsorgend und nachhaltig betrieben werden sollte. Daneben enthielt die Norm des Art. 150 I WRV mit dem positivrechtlichen Begriff der Landschaft einen gesamtphysiognomischen und damit integrationsprinzipiellen Ansatz. Dagegen wurde eine unmittelba­ re Geltungskraft gegenüber den nachrangigen Gewalten der Exekutive und der Judikative in der Weimarer Staatsrechtslehre zwar mit der Dauer zuneh­ mend vertreten, diese Ansicht hatte sich aber noch nicht allgemeinverbind­ lich durchgesetzt. Im Deutschen Reich lag dies insbesondere auch an dem Umstand einer skeptischen Haltung der Staats(rechts)wissenschaft gegen­ über den in der Weimarer Konstitution verankerten neuen Grundrechtsnor­ men, aber auch an dem Diskurs um ein richterliches Prüfungsrecht. Der parlamentarische Rechtserzeugungsprozess wurde im Deutschen Reich schließlich durch das organische Triebmoment des rückwärtsgewandt-kon­ servativen Heimatschutzes flankiert, womit Tendenzen hin zu einer zentra­ lisierten Demokratie einhergingen. Abgesehen davon aber entstand im Deutschen Reich zunächst ein dem Demokratieprinzip entsprechender natur­ staatlicher Staatsaufbau, d. h. ein Stufenbau der Rechtsordnung, der sich durch die vor dem Hintergrund der anerkannten Lehre vom Vorbehalt des 32  H. Kelsen,

AS (Fn. 6), S. 249.

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Gesetzes gebotenen Rechtsnormen auszeichnete, auf deren rechtsstaatlicher Grundlage die administrative und gerichtliche Vollzugstätigkeit in der Form von individuellen Rechtsnormen durchgeführt werden konnte. Unterdessen herrschte zudem eine stetige Zusammenarbeit zwischen Staat und Privaten vor, so dass von einer adäquaten Naturstaatsorganisation gesprochen werden konnte, die den Naturschutz mit der Dauer als abwägungsrelevanten Belang im Rahmen politischer Entscheidungsprozesse installierte. 4. Diktatur und totalitäres Regime Die Diktatur bzw. die sozialistische Staatsform zeichnen sich in ihren po­ sitivrechtlichen Variationen als der Autokratie als Idealtypus verhaftete staat­ liche Systeme aus. Während sich die Diktatur auf das autoritäre Regiment einer einzelnen Person stützt, die die Erzeugungsbefugnis von generellen Rechtsnormen innehat,33 beruhen die oftmals als scheinlegitime Volksdemo­ kratien in Erscheinung tretenden sozialistischen Regime auf der Rechtserzeu­ gung durch eine parteidominierte Exekutivstelle, die sich ihres zentralverwal­ tungswirtschaftlichen Auftrags zur Überwindung kapitalistischer Ungleich­ heit bewusst ist. Im Deutschen Reich war die diktatorische Staatsform zu beobachten, die am Übergang zum Dritten Reich sogar totalitäre Entartungs­ tendenzen aufwies. Der zu beobachtende Naturschutzgeist war in der End­ phase des Deutschen Reichs derart stark ausgeprägt, dass sich sogar ein Ver­ fassungswandel im Lichte des Naturschutzes andeutete, was sich vor allem an den künftigen Schutzanforderungen von Tieren- und Pflanzen als Gattun­ gen und ganzen Naturschutzgebieten zeigte. Mit der größeren Relevanz des Naturschutzes innerhalb des Deutschen Reichs kam es letztlich auch zu einer Befassung der Justiz mit naturschutzerheblichen Sachverhaltskonstellationen, die vor allem die Frage nach dem Spannungsverhältnis des Naturschutzes zu der wirtschaftlichen Eigentumsgarantie nach Art. 153 WRV aufwarfen. Ange­ sichts des Umstandes, dass das Reichsgericht auf der Grundlage der Einzel­ aktstheorie eine weite Auslegung des Enteignungsmerkmals nach Art. 153 II WRV vertrat, kam der staatliche Naturschutz in das defensive Fahrwasser einer politischen Mattsituation, die vor dem zeittypischen Hintergrund einer allgemeinen Finanzknappheit der öffentlichen Hand notwendigerweise zum Erliegen der staatlichen Naturschutzaktivitäten führen musste. In der Weima­ rer Staats(rechts)lehre wurden deshalb materielle Korrekturtheorien entwi­ ckelt, um die verheerenden Folgen der zu weit geratenen Interpretation des Begriffs der Enteignung nach Art. 153 II WRV abzufedern. Dies führte unter dem methodischen Postulat einer integrativ-ganzheitlichen Verfassungsausle­ 33  Vgl. hierzu H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin  – Grunewald 1930 / 31, 576 (581 f.).



§ 13 Legitimationskonzepte der Verfassung421

gung mitunter zu dem ökologisch-länderfreundlichen Interpretationsansatz von Albert Hensel, der den Grundrechtsteil der Weimarer Reichsverfassung als geschlossenes Kultursystem betrachtete und daher eine von der Norm des Art. 150 I WRV vermittelte Abwägungsimmanenz des Naturschutzes als ei­ nem öffentlichen Interesse im Rahmen der grundsätzlich zu beachtenden So­ zialpflichtigkeit des privaten Eigentums nach Art. 153 III WRV annahm, was einem zu weiten Auslegungsansatz des Enteignungsbegriffs unter einem wei­ testgehenden Ausschluss der im Deutschen Reich für den konstitutionellen Naturschutzauftrag in erster Linie zuständigen Länder entgegengestanden hätte. In diesem Kontext wurde deshalb auch die Forderung nach einem Hü­ ter der Verfassung laut, der entweder im Wege des politischen Aktionismus oder unter Ausübung eines konzentrierten richterlichen Prüfungsrechts im Rahmen einer Verfassungsgerichtsbarkeit die naturstaatliche Verfassungs­ struktur wiederherstellen konnte. Mit der Notverordnung vom 05.06.1931 führte der Reichspräsident als republikanisches Staatsoberhaupt des Deut­ schen Reichs unter Achtung des Primats des parlamentarischen Gesetzgebers und der Gewährung von Minderheitenschutz im Wege einer erhellenden Re­ naissance den vorkonstitutionellen Rechtszustand wieder ein und ermöglichte auf diese Weise, dass der durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts in die Defensive geratene staatliche Naturschutz weiterhin eine politische Relevanz besaß. Angesichts der inneren Divergenz dieses ersten Hüteraktes war die präsidiale Maßnahme aber auf den Dezisionszeitpunkt des pouvoir constitu­ ant im Jahre 1919 und damit auf die positive Verfassung im Sinne von Carl Schmitt bezogen, was sich in dem absoluten Bezugspunkt der politischen Einheit kanalisierte. Die Natur war somit ein unverbrüchliches Identitätsmo­ ment des deutschen Volkes, was durch die Notverordnung vom 05.06.1931 schließlich in die Einführung einer Naturdiktatur mündete. Dies bedeutet, dass die durch den ideologisch getränkten Gedanken des national-rassenhygi­ enischen Heimatschutzes flankierte Naturschutzaufgabe als Einheitsstrategie des deutschen Volkes gegen Ende des Deutschen Reichs in radikalster Form sogar gegen den Willen der Grundeigentümer durchgesetzt wurde, indem Enteignungsmaßnahmen auf dem Gebiet des Naturschutzes nicht nur ent­ schädigungslos möglich waren, sondern ein finanzieller Ausgleich auch für bereits in der Vergangenheit vollzogene staatliche Maßnahmen rückwirkend wieder versagt wurde.34 Dabei blieben die Naturschutzgebiete bewusst unbe­ 34  Der im umweltrechtlichen Schrifttum diskutierte Staatsformtypus des Ökofa­ schismus geht von der Prämisse aus, dass es eine effiziente ökologische Weltord­ nung nicht geben kann. Daher ist der Nationalstaat nach den Parametern der Autar­ kie und der Bevölkerungszahl berufen, die ökologische Krise zu bewältigen. Dies bedeutet, dass die Staatsverfassung durch Zwang und Verzicht geprägt ist, hinter denen ein starker autoritärer Staat steht und dominiert. Der ökofaschistische Staat zeichnet sich daher durch ein das private Eigentum und die sonstigen Freiheitsrech­ te einschränkendes Gewaltregime insbesondere in Bezug auf knappe Umweltgüter

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rücksichtigt, da sie zum Zeitpunkt der konstitutiven Urdezision des pouvoir constituant noch nicht zu der absoluten Größe der politischen Einheit gehör­ ten und auch später nicht noch nachträglich in den substantiellen, positiven Verfassungskern einbezogen wurden. Entscheidend unter dem Aspekt einer normativen Staatsform ist aber, dass sich der Rechtserzeugungsvorgang nun auf den direkt demokratisch legitimierten Reichspräsidenten kanalisierte, der die generellen Normen nunmehr, später dann regelmäßig, anstatt des zersplit­ terten Reichstags erließ.35 Damit kam es auf der verfassungstheoretischen Grundlage der positiven Verfassung von Carl Schmitt zu einem auf totalitä­ ren Tendenzen gegründeten Entartungszustand des Deutschen Reichs, in dem die Weimarer Reichsverfassung ihre rechtsstaatliche Ordnungsfunktion nicht mehr verwirklichen konnte, womit ein gleitender Übergang zu dem national­ sozialistischen Regime eingeleitet war.

aus, das etwaige Eingriffe durch eine nationalstaatliche Zweckrationalität im Sinne einer auch ökologischen Effizienzmentalität und -identität legitimiert. In einem der­ artigen Staatssystem sind damit etwa auch Geburtenkontrollen zulässig, insofern sie dem Ziel geographischer Autarkie und Individualität dienen können. Da sich der territoriale Bedarf primär nach der Relation Raum und Bevölkerungszahl bemisst, wohnen diesen autoritären Nationalstaaten Tendenzen der geopolitischen Ausweitung inne, was im umweltbezogenen Kontext auch zu einer Verlagerung von unternehme­ rischen Produktionsstätten führen kann, um das eigene Staatsgebiet in ökologischer Hinsicht zu entlasten. In dieser diktatorischen Staatsform herrscht damit das Gewalt­ moment zur Verwirklichung einer naturstaatlichen Adäquanz vor, wobei das System programmatisch auch auf eine Abwälzung von etwaigen Umweltgefahren auf andere Staaten der Welt gerichtet ist. Siehe zum Ökofaschismus A. Gorz, Ökologie und Politik, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 75 ff. („Es handelt sich insgesamt darum, aus den Menschen Roboter zu machen, die durch einen die universelle Ordnung garan­ tierenden Ordinator gesteuert werden.“; der „technokratische Faschismus würde ebenso die maximale Unterordnung der Menschen – sowohl als Produzenten als auch als Konsumenten – unter die Werkzeuge sichern.“ (ebd., S. 87)); H.-G. Marten (Fn. 30), S. 115 ff.; H. Gruhl, Ein Planet wird geplündert – die Schreckensbilanz unserer Politik, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1992, S. 271 ff. / 306 ff.; M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S.  68 f.; ders., Droht der autoritäre ökologische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 46 f.; vgl. dazu auch V. Ronge, Staats- und Politikkonzepte in der sozio-ökologischen Diskussion, in: M. Jänicke (Hrsg.), Umweltpolitik, Opladen 1978, S. 233 ff.; R. Heilbronner, An inquiry into the Human Prospect, 2. Aufl., New York u. a. 1991. Zum autoritären Staat grundsätzlich M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S.  12 f.; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 178 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 6), S. 212 f.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 6), S. 51. 35  H. Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.), Hans Kelsen – Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Tübingen 2008, S. 25.



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5. Verfassungsgerichtliches Naturstaatskönigtum Als eigene Staatsform soll abschließend noch eine parlamentarische De­ mokratie unter der konstitutionellen Vorsehung der Institution eines konzen­ trierten Verfassungsgerichts dargestellt werden. Dies ist deshalb vertretbar, da sich vor dem Hintergrund des Rechtserzeugungszusammenhangs mit ei­ nem Verfassungsgericht ein negativer Ersatzgesetzgeber finden lässt, der auch zu der Kassation von generellen Rechtsnormen befugt ist.36 Ein Ver­ fassungsgericht ist die Krönung der Rechtsstaatsidee, indem es als Hüter die Konformität der normativen und der realen Verfassung eines modernen Staates garantiert. Im Deutschen Reich wurde eine derartige Institution als Interpretationsführerin der Weimarer Reichsverfassung zwar nicht mehr verwirklicht. Ein etwaiges Reichsverfassungsgericht wäre aber der konstitu­ tionell festgelegte, negative Ersatzgesetzgeber gewesen, der den in der Verfassung positivrechtlich verankerten Auftrag zum Schutz von Naturdenk­ mälern und der Landschaft nach Art. 150 I WRV angemessen hätte zur Geltung bringen können, indem es den politischen Prozess am Maßstab der geschriebenen Weimarer Konstitution in vorhersehbaren und berechenbaren Bahnen reguliert hätte. Ein konzentriertes Verfassungsgericht im Sinne der Theorie eines Hüters der Verfassung von Hans Kelsen hätte den von der gedachten Grundnorm als der rechtslogischen Verfassung ausgehenden Stu­ fenbau eines normativen Rechtsordnungssystems im Sinne einer weiteren Gewaltenverschränkung rechtsstaatlich vervollkommnen können, indem der normativ-geistige Willensbildungsprozess des Staates sich nicht nur in posi­ tiven Rechtsnormen manifestiert, sondern zudem auch bis zu der verfas­ sungsunmittelbaren Vollzugsebene einer richterlichen Kontrollbefugnis auf seine formelle und materielle Konformität mit der geschriebenen Weimarer Verfassung unterlegen hätte. Die Konsequenz wäre möglicherweise der Urteilsausspruch einer verfassungssystematischen Verkennung des Enteig­ nungsbegriffs nach Art. 153 II WRV durch das Reichsgericht gewesen, womit der politische Vorgang in einer mäßigenden und Minderheitenschutz gewährenden Weise unter Beachtung des Naturschutzes reguliert worden wäre. In der späten Phase des Deutschen Reichs wirkte sich darüber hinaus schon der weitere Naturdenkmalbegriff programmatisch aus, so dass im Rahmen von etwaigen hypothetischen Prozessen vor einem Reichsverfas­ sungsgericht auch dieser maßgeblich gewesen wäre, was eine naturstaatliche Systemimmanenz unter der bei Staatszieldirektiven grundsätzlich nicht wegzudiskutierenden Problematik eines jurisdiktionsstaatlichen Richterkö­ nigtums weiter befördert hätte. Der wesentliche Unterschied zu dem dezisio­ nistischen Legitimitätsmodell einer positiven Verfassung bei Carl Schmitt 36  F. Ermacora,

Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 775.

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bzw. einer materiellen Werteordnung als außerrechtlicher Verfassung bei Hermann Heller wäre jedoch der ideelle Sinnzusammenhang gewesen, der sich als objektiver Geist unter Herausbildung einer normativen Sphäre von seinesgleichen in der zeitlosen Werteordnung manifestiert hätte. Damit wäre eine Naturdiktatur sowie der gleitende Übergang in ein totalitäres Unrechts­ system zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, aber unter demokratischen und rechtsstaatlichen Staatsmechanismen gebannt gewesen. Eine Naturstaatsleh­ re, die anhand der Geschichte auf universale Momente programmiert ist, muss diese erkenntnisreife Dimension eines Naturstaates im Auge behalten, da nur sie Gewähr für ein berechenbares naturstaatliches Rechtsordnungs­ system bietet. 6. Sozialistische Staatsform Im Rahmen der Typisierung der autoritären Staatsform der Diktatur wur­ de bereits die weitere normativ zu verstehende Staatsform eines sozialisti­ schen Regimes bzw. einer sozialistischen Volksdemokratie angesprochen. Dies war möglich, da auch bei dieser sozialistischen Staatsform, unabhängig von der konkreten positiven Ausgestaltung im Rahmen der Rechtsordnung, das autokratische Moment überwiegt, sei es, dass eine einzelne Person, eine oberste, parteidurchsetzte, anordnende Verwaltungsstelle wie etwa ein Mi­ nisterrat in Kooperation mit den gesellschaftlichen Organen der Partei oder sonst ein von unten nach oben zentralisiert strukturiertes Exekutivsystem im Namen des (proletarischen) Volkes zur generellen Normerzeugung berufen ist.37 Zwar fand sich eine derartige sozialistische Entartungstendenz im Deutschen Reich nicht. Treibt man aber die soziale Idee von ganzen Natur­ schutzgebieten zugunsten der Volksgesundheit und -erholung auf die Spitze, so dass die private Eigentumsordnung für eine staatliche Zentral- und Plan­ verwaltungswirtschaft auch hinsichtlich der Natur, d. h. mit Blick auf die natürlichen Ressourcen Wasser, Luft, Boden bzw. insbesondere auch knappe Bodenschätze, hätte Platz machen müssen, dann ergibt sich eine Affinität zu der im gegenwärtigen staatstheoretischen Schrifttum diskutierten Staatsform des Öko- oder Natursozialismus, dem es vorrangig um eine gleiche Vertei­ lung der natürlichen Ressourcen bzw. den gleichen Zugang der Menschen zu der Natur geht.38 Der Begriff des Öko- oder Natursozialismus ist dabei 37  Ausführlich dazu H. Kelsen, Sozialismus und Staat – Eine Untersuchung der politischen Theorie des Marxismus, hrsg. von N. Leser, 3. Aufl., Wien 1965; F. Ermacora (Fn. 6), S. 153 ff. / 394 ff. / 423 f.; ders. II (Fn. 36), S. 808 ff. 38  Siehe zum Ökosozialismus die Nachweise bei H.-G. Marten (Fn. 30), S. 18 ff. / 37 ff.; K. Engert, Ökosozialismus – das geht!, Köln u. a. 2010, S. 110 ff.; R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J. Listl / H. Scham­ beck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Berlin 1982, S. 463 f.;



§ 13 Legitimationskonzepte der Verfassung425

primär an der Staats- und Gesellschaftstheorie von Karl Marx orientiert. Der Ökosozialismus zeichnet sich durch eine Überführung der notwendigen Produktionsmittel zur allgemeinen Bedürfnisbefriedung in öffentliches Ei­ gentum aus, so dass die damit systembedingt einhergehende öffentliche Kontrolle die ungleiche Trennung der Gesellschaft in Arme und Reiche, Produzierende und Nichtproduzierende, zugunsten einer homogenen, auf absoluter Gleichheit gegründeten Gesellschaftsstruktur überwindet. Die Pro­ duktion von wirtschaftlichen Gütern wird in einem öko- bzw. natursozialis­ tischen System demnach nicht nach den Kriterien der Betriebsökonomie und Rentabilität gemessen, sondern an der gesellschaftlichen Nützlichkeit und nach den ökologischen Gesetzen imperativer Redlichkeit.39 Mit die­ sem Natursozialismus wird schließlich eine umweltgerechte Politik möglich, die unter kapitalistischen Gewinnvorzeichen regelmäßig einen nicht zu un­ terschätzenden Wettbewerbsnachteil bieten würde. Andererseits wird damit auch die staatliche Privilegienpolitik zugunsten gesellschaftlicher Machteli­ ten überwunden, die einer Ökologisierung des gesamten Staatswesens aus machtpolitischen, elitären Gründen entgegenstehen kann.40 Der öko- bzw. natursozialistisch ausgerichtete Bildungsapparat ist zudem auf die Vermitt­ lung einer ökologisch-sozialistischen Vernunft und damit typischerweise ideologisch programmiert, die sich demnach nicht auf dem herkömmlichen kapitalistisch-hierarchischen Fortschritts- und Wachstumsdenken aufbaut, sondern auf dem Prinzip der egalitären Gesellschaft unter effizienter Vertei­ lung der und kontemplativer Gesinnung zugunsten der Natur. Im Mittelpunkt steht als Bildungsziel der Abbau von kapitalistischem Konkurrenzdenken und der Aufbau egalitärer, solidarischer Gesellschaftsstrukturen. Der Natur­ sozialismus beruht demnach auf dem Grundsatz einer Erhöhung der Lebens­ qualität durch gleiche Bedingungen unter der Ausmerzung einer parasitären, M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 34), S. 68 f.; ders., Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 34), S. 46 f.; H.-M. Schönherr, Philosophie und Ökologie, Essen 1985, S. 81 ff.; N. Kunz, Ökosozialismus, Bd. II, Bonn 1987, S. 1 ff.; vgl. zur ökosozialistischen Wirtschaftsdemokratie auch K.-J.  Scherer / F.  Vilmar, Ökosozialismus, Berlin 1986, S. 104 ff.; grundsätzlich zum Begriff des Sozialismus und dessen theoretischer Fun­ dierung H. Kelsen, Sozialismus und Staat (Fn. 37), S. 24 ff.; ders., Foundations of democracy (1955), in: M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 250 ff. / 347 ff.; H. Brandt, Sozialismus, in: F. Jaeger (Hrsg.), En­ zyklopädie der Neuzeit, Bd. XII: Silber – Subsidien, Darmstadt 2010, Sp. 263 ff.; vgl. auch J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit – Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin u. a. 1983, S. 18 f. Siehe zur sozialistischen Volksdemokratie W.  Eckhardt / L.  Schmidt (Fn. 6), S. 39 f.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 155 f. 39  K. Engert, Ökosozialismus (Fn.  38), S. 110  ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 25 f. / 32; ders., RR (Fn. 7), S. 136. 40  K. Engert, Ökosozialismus (Fn. 38), S. 107 ff. / 112 ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 25 f. / 32.

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Inhomogenität indizierenden und profitgeleiteten Wirtschaftsexpansion.41 Die natursozialistische Gesellschaft ist dabei weniger durch eine zentrali­ sierte Aufbaustruktur als durch dezentralisierte Subsysteme geprägt, die zu einer autonomen Versorgungs- und Verteilungsgerechtigkeit an Naturgütern in der Lage sind. Denn das Endziel des Öko- bzw. Natursozialismus ist – so wie es der sozialistischen Ideologie grundsätzlich entspricht  ‒ wieder die Abschaffung des modernen Staates, an dessen Stelle schließlich eine gleich­ berechtigte Weltgemeinschaft treten könnte.42 III. Kritische Würdigung Nachdem nun hier in dialektischer Vermittlung mit dem besonderen Volksgeist des Naturschutzes im deutschen Konstitutionalismus universale Elemente einer Naturstaatsformenlehre aufgefunden wurden, muss nun noch einmal – das verlangt der Anspruch wissenschaftlicher Redlichkeit und Korrektheit – die kritische Frage aufgeworfen werden, ob die naturstaatliche Entwicklung in den Anfangsjahrzehnten der gesamtdeutschen Verfassungs­ geschichte wirklich für eine universale Maxime im Sinne eines Beitrags zu einer umwelt- bzw. naturstaatlichen Doktrin herhalten kann. Nicht zu leug­ nen ist, dass es sich im Deutschen Reich um eine inhomogene, geschlagene deutsche Nation handelte, die sich im Lichte ideologischer Irrationalitäten bezüglich der realen Verfassung stets im innenpolitischen Ausnahmezustand befand. Dies führte zu trieborganisch untermalten Tendenzen zu einer zent­ ralisierten Demokratie, die sich dann auf dem Fundament des nationalvöl­ kischen Heimatkults zu einer diktatorischen Ordnungsgewalt auf dem Gebiet des Naturschutzes emporhob. Dabei wird aber leicht übersehen, dass der Naturschutz mit seiner inneren Pluralität den weltanschaulichen Vereinnah­ mungsbestrebungen der damaligen Epoche lange Zeit standhielt. Als Aus­ druck eines modernen, dynamischen Moments der Integration war er fort­ schrittlich und zukunftsoffen, womit er auf eine Überwindung des national­ konservativen, kulturellen Gedankenguts heimatlicher Identitätsfindung ausgerichtet war. Dies beweisen auch die im Deutschen Reich erlassenen Naturschutzgesetze, die sich in ihrem materiellen Regelungsgehalt jeglicher Ideologisierung enthielten. Auch die soziale Komponente des Naturschutzes war nicht ausschließlich im Sinne eines heimatlichen Erholungswerts zu interpretieren, sondern darin zeigten sich auch mehr ökologisch orientierte 41  K. Engert, Ökosozialismus (Fn. 38), S. 112 ff. Siehe zum Zusammenhang von Bildung und Weltanschauung grundsätzlich H. Kelsen, Staatsform und Weltanschau­ ung, Tübingen 1933; ders., Wissenschaft und Demokratie (1937), in: M.  Jestaedt /  O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie – Abhandlungen zur Demokratietheorie, Tübingen 2006, S. 238 ff. 42  K. Engert, Ökosozialismus (Fn. 38), S. 122 ff.; H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 26 / 32 f.



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Versuche, ganze Schutzgebiete unter der fortschrittlichen Zielsetzung einer Bewahrung des Naturhaushalts zu sichern. Eine Brauchbarkeit dieses natur­ staatlichen Volksgeistes im deutschen Konstitutionalismus für ein universa­ les Sinnkontinuum ergibt sich aber vor allem aus dem formalen Kern der sukzessiven Integration der Naturschutzidee in den damaligen deutschen Staat, womit ein „relatives Gesetz der Reihenfolge“ für eine naturstaatliche Entfaltung eines modernen Staates gewonnen wurde: erst sind es einzelne Individuen, später dann eine organisierte Gesellschaft, es kommt zu staatli­ chen Institutionalisierungen, der verfassungsrechtlichen Verankerung einer Naturschutznorm, dann zu einer stabilisierenden Phase, bevor letztlich ein Naturstaat diktatorisch entarten oder rechtsstaatlich verfassungsgerichtlich vervollkommnet werden kann. Vielleicht zeigt die Entwicklung des Natur­ schutzes in der deutschen Verfassungsgeschichte aber auch noch etwas ganz Anderes, etwas viel Grundsätzlicheres auf, auf das Hans Kelsen stets hin­ gewiesen hat. Eine Vermengung von (Rechts)wissenschaft und Politik hat stets zu unterbleiben.43 Die Rechtswissenschaft muss rein bleiben, darf also nicht durch Politik, Soziologie, Ethik, Religion oder sonstige außerrechtli­ che Domänen verunreinigt, materiell nivelliert werden. In diesem Sinne ist der Naturschutzgeist im Deutschen Reich ein Musterbeispiel für eine irrati­ onale Ideologisierung und damit die „Unreinheit“ einer auf das positive Recht als Erkenntnismaterial ausgerichteten Rechtswissenschaft, die gegen­ über der vor allem durch die völkisch-nationale Heimatideologie symboli­ sierten politischen Einheit nachrangig, wenn nicht sogar vernachlässigbar wurde.44 Wenn man also etwas aus der deutschen Naturschutzgeschichte entnehmen kann, dann die Erkenntnis, dass die Rechtswissenschaft von außerrechtlichen Einflüssen grundsätzlich rein bleiben muss. Es ist der Ruf nach der Reinen Rechtslehre. IV. Gesamtergebnis Damit bleibt zum Abschluss dieses historischen Abschnitts noch die zu Beginn aufgeworfene Frage zu beantworten, ob die Entwicklung des Natur­ schutzes in der kaiserlichen Monarchie bzw. im Deutschen Reich als Hin­ weis für einen deutschen Sonderweg oder eine instabile Zwischenlage an­ gesehen werden kann. Für das Deutsche Kaiserreich ist diese Frage bereits in dem Sinne eines auf Überwindung angelegten Provisoriums geklärt worden, wonach der mehr wissenschaftlich orientierte Naturschutzgedanke nicht als geistiger Zwilling, sondern vielmehr als ein Gegenstück zu dem rückwärtsgewandten Heimatschutz zu betrachten war. Beides waren zwar 43  H. Kelsen, 44  Siehe

Hüter der Verfassung (Fn. 33), Die Justiz 1930 / 31, 576 (627). hierzu nur U. Mager, Einrichtungsgarantien, Tübingen 2003, S. 59 ff.

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auch Angelegenheiten von nationaler Relevanz, die je für sich dem obrig­ keitsstaatlichen Exekutivapparat in der Deutschen Kaisermonarchie Legiti­ mität stifteten. Der Naturschutz war aber viel facettenreicher und vereinigte in sich nationale, kulturelle, ökonomische, soziale und ökologische Motive, weshalb er angesichts seiner inneren Pluralität und polykratischen Gesin­ nung als Indikator einer naturstaatlichen Moderne unter demokratischer Flagge angesehen werden muss. Anders verlief dagegen die Entwicklung des Heimatschutzes, der sich von seiner konservativen Grundtendenz nie befreien konnte und später im Sinne einer romantischen Zivilisationskritik zu einem national-völkisch gefärbten Missbrauchsvehikel mutierte, das die nationalsozialistischen Bestrebungen in der Spätphase des Deutschen Reichs untermauerte. Die herrschende Meinung in der Umwelthistorie geht heute davon aus, dass demgegenüber der Naturschutzgeist zu nationalsozialisti­ schen Zwecken nur missbraucht wurde, ohne dass ein gleitender und damit die Sonderwegsthese unterstützender Übergang in das totalitäre NS-Regime gegeben war. Dieser Ansicht kann nicht zugestimmt werden. Der staatsthe­ oretische Befund zeigt anhand der präsidialen Notverordnung vom 05.06.1931 die Einführung einer nationalen Naturdiktatur auf, die den poli­ tischen Systemwandel in die nationalsozialistische Herrschaft vorbereitete. Zudem stieg die Anzahl der aus Gründen der Volksgesundheit und -erholung motivierten Naturschutzgebiete trotz der durch den Notverordnungsakt des Reichspräsidenten beibehaltenen verfassungsrechtlichen Ausgleichspflicht in den letzten Jahren des Deutschen Reichs überproportional an, was den Ge­ danken einer Fürsorge der Volksgemeinschaft für die einzelnen Individuen unterstrich. Damit bewegte sich der Naturschutzgedanke nicht nur in Rich­ tung auf eine ökologischere Naturstaatsimmanenz des Deutschen Reichs zu, sondern er war von vornherein latent mit nationalsozialistischem Gedanken­ gut behaftet, was den gleitenden Übergang in das totalitäre NS-Regime begünstigte.45 In der Folge war der Naturschutz also Indikator einer insta­ 45  Nach der Ansicht von Hasso Hofmann (H. Hofmann, Das Problem der cäsa­ ristischen Legitimität im Bismarckreich, in: K.  Hammer / P.  C.  Hartmann (Hrsg.), Der Bonapartismus – Historisches Phänomen und politischer Mythos, Beihefte der Francia, Bd. 6 (1977), S. 79 Fn. 5 / 101) beschwor das Missverhältnis zwischen der politischen Rückständigkeit der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs und der da­ maligen wirtschaftlichen bzw. sozialen Entwicklung nicht nur ein Bestreben der Angleichung durch Parlamentarisierung, sondern auch eine Tendenz zur Stabilisie­ rung durch weitere antiparlamentarische Stärkung und Verselbstständigung der Exe­ kutive hervor, was sich in der alternativ auch plebiszitär nutzbaren Diktaturgewalt des späteren Art. 48 II WRV fortsetzte.; vgl. hierzu auch wiederum K. D. Bracher, Staatsbegriff und Demokratie in Deutschland, in: Politische Vierteljahresschrift 1968 (9), S.  2 ff.; ders., Über das Verhältnis von Nationalbewusstsein und Demokratie, in: G. Ritter (Hrsg.), Entstehung und Wandel der modernen Gesellschaft, Berlin 1970, S. 166 ff. Vor diesem gedanklichen Hintergrund kann der Notverordnungsakt des Reichspräsidenten vom 05.06.1931 als Instrument zur Stabilisierung des nationalen



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bilen Zwischenlage im Deutschen Kaiserreich und eines Sonderwegs im Deutschen Reich, was die Brauchbarkeit dieser Systemfrage ad absurdum führen muss. Kontinuität ist ein dehnbarer Begriff, der in der einen oder anderen Weise verschieden ausgelegt werden kann.46 Überdies kommt es auf die Kriterien an, die der systematischen Einordnung zugrunde liegen. Ein Abstellen nur auf die nationale Relevanz des Naturschutzes würde so zu der überzeugenden Annahme eines deutschen Sonderwegs führen, wäh­ rend eine bewusste Vernachlässigung der sozialen Komponente des Natur­ schutzes im Deutschen Reich die Meinung eines ursprünglichen provisori­ schen Formelkompromisses zumindest nicht vollständig entkräften würde. Damit bleibt festzuhalten, dass die Naturschutzidee im Grunde fortschrittlich war, aber von der Vergangenheit eingeholt wurde.

Zusammenhalts angesehen werden, der durch die Tätigkeit des zersplitterten Reichs­ tags nicht mehr gewährt werden konnte. Die Diktaturgewalt des Art. 48 II WRV wurde damit zum präsidialen Machtmittel, um die politische Einheit, die auch durch den heimatlichen Naturschutz im Sinne der Norm des Art. 150 I WRV symbolisiert war, wiederherzustellen. Damit setzte sich die konservative Tendenz des Naturschut­ zes schließlich durch, die von den demokratischen Bestrebungen auf diesem neuen Kulturgebiet lange Zeit zumindest teilweise verdeckt war. Der Grund hierfür war auch die nationalistisch-völkische Heimatideologie, die mit ihrer radikalen Grundge­ sinnung den Naturschutz in das rückwärtsgewandte Fahrwasser manövrierte. Den Gemeinschaftsgeist stützte zudem die soziale Naturschutzgebietsidee, die im Deut­ schen Reich zunehmend an Bedeutung gewann. Irritierend ist freilich weiterhin, dass der Reichspräsident mit der Notverordnung vom 05.06.1931 die Naturschutzgebiete von der Entschädigungsbefreiung ausnahm. Die stark anwachsende Anzahl an Na­ turschutzgebieten in den letzten Jahren des Deutschen Reichs beweist aber die be­ sondere Relevanz dieser sozialen Komponente für den politischen Einheitsprozess, weshalb darin ein vermittelnder Drang zu einem nationalen Zusammenhaltsgefühl zum Ausdruck kommt, der die Sonderwegsthese unterstreicht. 46  T. Nipperdey, 1933 und Kontinuität der deutschen Geschichte, Historische Zeitschrift 1978 (227), 86 (86 f. / 101 ff.). Zu demselben Ergebnis kommt unter Be­ zugnahme auf die Kontinuitätsfrage auch F. Schmoll, Die Verteidigung organischer Ordnungen: Naturschutz und Antisemitismus zwischen Kaiserreich und Nationalso­ zialismus, in: J. Radkau (Hrsg.), Naturschutz und Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. u. a. 2003, S.  169 f.

2. Teil

Hans Kelsens Erbe vor der zensorischen Autorität des naturstaatlichen Weltgerichts Als Kulminations- und Fluchtpunkt universaler Erkenntnis, eingebunden in strategische Elemente „als Keime einer dialektischen Thematisierung der Verbindungen zwischen Vernunft und Geschichte(,) (…) Metaphysik des Geistes und Historizität der politischen Ordnungen (…), Universalität und Partikularität, zwischen dem philosophischen Ideal des Sein-Sollens und politisch-rechtlicher Wirklichkeit der gesellschaftlichen Institutionen“, er­ weist sich der idealtypische Gemeinsinn bei Giambattista Vico als syntheti­ sches Abbild einer gewöhnlichen Weisheit der Völker,1 das nach einem epistemologischen Ventil der Dogmatisierung verlangt. Während bei dem italienischen Rhetoriklehrer Giambattista Vico der geschichtsphilosophische Schwerpunkt auf der prozessualen Dialektik des Werdenden liegt, steht bei der methodischen Konzeption von Georg Wilhelm Friedrich Hegel das auf der List der Vernunft gegründete Gewordene, der Weltgeist, im Fokus der Erkenntnis.2 In beiden Fällen aber kanalisiert sich die geschichtliche Er­ kenntnis einer vergangenen partikularen Wirklichkeitsordnung in auch uni­ versale Momente einer verobjektivierten, idealen Gesetzlichkeit allgemein­ verbindlicher Projektion, die nun in Bezug auf die verfassungsgeschichtliche Entwicklung der Naturschutzidee im Deutschen Kaiserreich bzw. im Deut­ schen Reich nach einer doktrinären Aufbereitung in der Form eines staats­ theoretischen Systems aus Lehrsätzen durstig ist. Mit anderen Worten kommt der Geist nun zu sich selbst: „Diese Befreiung des Geistes, in der er zu sich selbst zu kommen und seine Wahrheit zu verwirklichen geht, und das Geschäft derselben ist das höchste und absolute Recht.“ „Aber es ist der 1  G. Cacciatore, Metaphysik, Poesie und Geschichte, Berlin 2002, S. 191  ff. (Zitat auf S. 200 f.). 2  Siehe dazu P. Piovani, Für einen Vivo ohne Georg Wilhelm Friedrich Hegel, in: M. W. Hebeisen, Ausgewählte Werke von Pietro Piovani in deutscher Überset­ zung, Bd. IV: Abt. 1: Moral-, Sozial- und Geschichtsphilosophie. Abhandlungen zur neuen Wissenschaft von Giovanni Battista Vico, Biel 2013, S. 215 f. Zur Hegelschen List der Vernunft erläuternd H.  Ottmann, Die Weltgeschichte (§§ 341–360), in: L. Siep (Hrsg.), G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 3. Aufl., Berlin 2014, S. 275 ff.



2. Teil: Hans Kelsens Erbe431

in der Sittlichkeit denkende Geist, welcher die Endlichkeit, die er als Volks­ geist in seinem Staate und dessen zeitlichen Interessen, dem Systeme der Gesetze und der Sitten hat, in sich aufhebt und sich zum Wissen seiner in seiner Wesentlichkeit erhebt, ein Wissen, das jedoch selbst die immanente Beschränktheit des Volksgeistes hat. Der denkende Geist der Weltgeschich­ te aber, indem er zugleich jene Beschränktheiten der besondern Volksgeister und seine eigene Weltlichkeit abgestreift, erfasst seine konkrete Allgemein­ heit und erhebt sich zum Wissen des absoluten Geistes, als der ewig wirk­ lichen Wahrheit (…).“3 In diesem Sinne wird damit jetzt auf die gegen­ wärtige wissenschaftliche Diskursebene im Hinblick auf das noch neuartige „Phänomen“ der Umwelt- und Naturstaatlichkeit übergegangen, um unter Berücksichtigung der gesammelten historischen Erkenntnisse eine idealisti­ sche Naturstaatslehre zu bereiten, die sich im Wesentlichen auf eine metho­ disch kongruente Fortentwicklung der Allgemeinen Staatslehre von Hans Kelsen konzentrieren wird.4 Dem ungeduldigen Leser dieser Naturstaats­ lehre mag der hier beschrittene Weg unter synthetischer Vermittlung der deutschen Geschichte um den Naturschutz außergewöhnlich, vielleicht auch abenteuerlich erscheinen. Das naturstaatliche Weltgericht5 aber zieht auf und bündelt das konkrete Geflecht aus geschichtlichem und gegenwärtigem Diskursmaterial zu einem universalen Diktat abstrahierter Allgemeingültig­ keit, womit das Sein in den Deduktionsprozess einbezogen wird.6 Der archimedische Punkt ist die Grundnorm in ihrem äußeren Sinngehalt. Mit der entsprechenden Adaption an den Hegelschen Terminus von einem Weltgericht ist letztlich eine viel tiefere methodische Konsequenz verbun­ den, die hier bereits kurz angedeutet werden muss. Hans Kelsen warf Georg Wilhelm Friedrich Hegel vor, dass dieser zwar zweifellos der Vertreter einer 3  G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grund­ risse (1830), hrsg. von F. Nicolin, Nachdruck der 3. Ausgabe, Philosophische Bib­ liothek 33, 8. Aufl., Hamburg 1991, S. 430 f. 4  Damit ist eine Ablehnung der phänomenologischen Methode in der Staatsleh­ re verbunden, die „das Wesen einer im Sein verwurzelten, empirischen Gestalt, das Objekt, durch eine auf sie gerichtete, material-intuitive Schauung in synoptischer Analyse evident (…) machen, sie damit zugleich der ihr historisch anhaftenden Zu­ fälligkeiten (…) entkleiden und sie in ihrer außerhistorischen Wesensnotwendigkeit (…) erweisen möchte. Wesensanalysen sozialer Erscheinungen sind somit an einem bestimmten, isolierten Gebilde möglich und erfordern nicht wie bei der empirischinduktiven Massensynthese die Herausstellung und Bearbeitung eines umfassenderen Materials.“ (G.  Leibholz, Das Wesen der Repräsentation und der Gestaltwandel der Demokratie im 20. Jahrhundert, 2. Aufl., Berlin 1960, S. 18 ff. (Zitat auf S. 18 f.)). Kritisch zu dieser phänomenologischen Methode auch W. Mantl, Repräsentation und Identität, Wien u. a. 1975, S. 154 ff. 5  Vgl. G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1830) (Fn. 3), S. 426. 6  Vgl. P. Piovani (Fn. 2), S. 207 f.

432

2. Teil: Hans Kelsens Erbe

objektivistischen Weltanschauung gewesen sei, dass dessen Kollektivismus aber im Staate stecken geblieben sei. Denn sei eine schärfere Zuspitzung des Staats- oder Volksindividualismus möglich als die Vorstellung einer „auserwählten“ Nation, als die Hegelsche Idee, dass der Weltgeist in einer Nation allein seinen Thron aufgeschlagen habe?7 Diese Kritik machte Hans Kelsen vor dem Hintergrund einer auf dem Primat der Völkerrechts­ ordnung beruhenden Konzeption eines objektiv-idealen Weltstaates, der das Souveränitätsdogma, den willkürlichen Staatssubjektivismus, zugunsten ei­ ner gemeinschaftlichen Gleichheitsordnung der Staaten überwinden sollte. Im staatswissenschaftlichen Schrifttum ist dem Begründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule immer wieder der Vorwurf gemacht worden, dass er schließlich mit seiner auf einer ethisch-materiellen Abstinenz ge­ gründeten Reinheitsmethode, mit dem für ihn typischen analytischen For­ malismus, auch autoritäre bzw. totalitäre Unrechtsregime legitimierte.8 Dieses widerlegbare Urteil lässt sich am besten anhand der unantastbaren Menschenwürde verdeutlichen, die als oberster Ethikwert nach der Tren­ nungsthese von dem Recht getrennt zu betrachten ist, insofern sie keine positivrechtliche Normierung erfahren hat.9 Gleichwohl war Hans Kelsen ein Verfechter der Menschenwürdegarantie, nur dass sein analytischer For­ malismus und seine Werterelativität nach einer Aussonderung (absoluter) moralischer Werte verlangte.10 Die hier zu erbringende normative Natur­ staatsrechtslehre konzentriert sich ebenfalls auf die Vorgaben eines reinen Formalismus, um eine universale Deskription eines Naturstaates zu bereiten, die dann auch auf sämtliche moderne Staaten angewendet werden kann. In diesem Sinne bleibt diese Naturstaatslehre nun eben nicht beim besonderen Volksgeist, dem national-kulturell dominierten Naturschutzgeist des deut­ 7  Hierzu H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völ­ kerrechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 316 ff.; M. Haase, Grund­ norm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 24. 8  Siehe hierzu nur W. Krawietz, Grundnorm, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. III: G – H, Darmstadt 1974, Sp. 920; A. Vonlanthen, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Berlin 1965, S. 38; H. Köchler, Zur transzendentalen Struktur der Grundnorm, in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Wien 1980, S. 517; H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298); R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm, in: F. A. v. d. H ­ eydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 68; M.  Jestaedt /  O. Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einfüh­ rung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. XVI. 9  Zur Trennung von Recht und Moral H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nach­ druck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 68 f. 10  Statt vieler K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Re­ publik, Tübingen 2010, S. 137 ff.



2. Teil: Hans Kelsens Erbe433

schen Konstitutionalismus stecken, sondern der Weg der Befreiung führt diesen doch frühen Geist hinsichtlich der Natur zu einer subtileren Ausfor­ mung im Sinne einer universalen, objektivistischen Weltstaatsordnung mit der Natur, die sich der materiellen Ballastmomente nach dem Muster eines Staatsobjektivismus entledigt. In den Worten von Hans Kelsen schlägt der Thron des Weltgeistes also nicht in einer Nation auf, sondern in einem völkerrechtlichen Weltprinzip einer Staatengemeinschaft, das aber unabhän­ gig davon vor allem auch in der einzelstaatlichen Perspektive Geltung be­ sitzt.

1. Abschnitt

Der Übergang zum analytischen Formalismus der Reinen Rechtslehre § 14 Naturstaatszwecklehre Die klassische Staatszwecklehre gründet sich auf einen traditionellen Bestand an außerrechtlichem Gedankengut, dessen normative Maßstäbe „der Philosophie des Naturrechts, kritischen Untersuchungen über die Ursachen des Wohlergehens oder des Unglücks der Menschen im Staate, über den Niedergang und den Zerfall, den Reichtum und das Aufblühen der Natio­ nen, schließlich aus verschiedenen Vorstellungen über die ethischen Aufga­ ben des Menschen in der Welt und der notwendigen Unterstützung in der Entfaltung seines Wesens durch die Gemeinschaft“ entnommen wurden.1 Mit dem Aufkommen des politischen Liberalismus, dem staatsrechtlichen Positivismus sowie der damit verbundenen konstitutionellen bzw. einfachge­ setzlichen Fixierung der Staatsaufgaben in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­ hunderts nahm die Bedeutung dieser überpositivistisch legitimierenden 1  P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2.  Aufl., Wien 1996, S. 111; vgl. auch Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 1990 (48), S. 10 f. Siehe hierzu die zusammenfassenden Darstellungen der Rechtfertigungslehren des Staates bei F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 382 ff.; P. Pernthaler, ebd., S. 111 ff.; G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 96 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 94 ff.; B. Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2.  Aufl., München 2013, S.  113  ff.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 80 ff.; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Staatsgewalt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 181 ff.; W. Brugger, Staatszwecke im Verfassungsstaat, NJW 1989, S.  2445 ff.; H. P. Bull, Staatszwecke im Verfassungsstaat, NVwZ 1989, S. 801 ff.; vgl. auch R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 41 ff.; in Bezug auf das deutsche Grundgesetz auch H. H. v. Arnim, Staats­ lehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 174 ff. Gemeinhin wird zwischen einer Rechtfertigung der Institution des Staates als solcher und der zweck­ ideologischen Erfüllung von bestimmten Staatszwecken durch den (modernen) Staat unterschieden; siehe hierzu statt vieler nur G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, ebd., S. 96. Instruktiv in diesem Kontext auch die systematische Übersicht über die Leh­ ren des Staates bei F. Ermacora, ebd., S. 67 ff. / 75 ff.



§ 14 Naturstaatszwecklehre435

Fundierungen in Ideen, Werten und Traditionen ab, wenngleich sich heute in der Folge der Entstehung und Festigung supranationaler bzw. internatio­ naler Einrichtungen auch wieder eine Art Renaissance der Staatszwecklehre erkennen lässt.2 Die anschließende Lehre vom Naturstaatszweck möchte nun den modernen Staat unter dem Gesichtspunkt einer ethisch gerechtfer­ tigten bzw. anerkennungswürdigen ökologischen Staatsherrschaft untersu­ chen, um auf diese Weise zu einer weiteren Typisierung dieses Staatsmodells beizutragen. Trotz der von einem rechtspositivistisch-normativen Standpunkt im Sinne von Hans Kelsen indizierten, letztlich dann ablehnenden Haltung gegenüber einer überkommenen Staatszwecklehre3 sollen hier gleichwohl zunächst sämtliche diskutierten Argumentationsmuster dargestellt werden, um ein umfassendes Abbild der Begründungsansätze ökologischer Staats­ herrschaft zu bekommen, wobei auf eine Differenzierung zwischen norma­ tiven und empirisch-analytisch vergleichbaren Staatszwecklehren verzichtet 2  P. Pernthaler (Fn. 1), S. 111 f.; Ch. Link (Fn.  1), VVDStRL 1990 (48), S. 12 ff.; vgl. zur Geschichte der Staatszwecklehre auch K. Hespe, Zur Entwicklung der Staatszwecklehre in der deutschen Staatsrechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, Köln 1964, S. 73 f.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Um­ weltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 3 ff.; vgl. Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zugleich ein Beitrag zur Grundrechtsdog­ matik im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse, Tübingen 2001, S. 85 ff. Ein weiterer Aspekt für die Krise der Staatszwecklehre war auch die Expan­ sion des Wohlfahrts- und Kulturzwecks im modernen Staat; siehe dazu und zur begrifflichen Abgrenzung von Staatsfunktion, Staatszweck, Staatsziel und Staatsauf­ gabe R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T.  Ellwein / J.  Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Ba­ den 1990, S. 29 ff. / 35 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 144 ff.; G. Küchenhoff / E. Küchenhoff (Fn. 1), S. 98 f.; Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 17 ff.; J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat, in: ders. / P.  Kirch­ hof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III: Das Handeln des Staates, 2. Aufl., Heidelberg 1988, § 57 Rn. 115 ff.; vgl. hierzu auch Ch. Calliess, ebd., S. 85 ff. 3  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 39 ff.; F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 44 ff.; vgl. auch K.  Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 48. Eine Staatszwecklehre trotz der Notwendigkeit einer positivrechtlichen Fixierung der Staatsaufgaben letztlich bejahend Ch. Calliess (Fn. 2), S. 85 ff.: „So betrachtet stören sich das den Staat konstituierende Verfassungsrecht und die den Staat legitimierenden Staatszwecke nicht, vielmehr stehen sie in einem Verhältnis er­ kenntnistheoretischer Ergänzung.“ In diese dialektische Richtung weist auch das deut­ sche Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 46, 214 (222 f.); 49, 24 (53 ff.), wie Christian Calliess zutreffend hervorhebt. Einer herkömmlichen Staatszwecklehre im Zusammenhang mit der Entwicklung eines Umweltstaates ebenfalls zustimmend ge­ genüberstehend B. Wiegand-Hoffmeister, Die Umweltstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwal­ tungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bremen 2011, S. 9 ff.

436 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

wird.4 An dieser Stelle sei bereits relativierend darauf hingewiesen, dass Hans Kelsen lediglich dem Terminus und der kategorisierenden Pauschali­ sierung von überpositivistischen Zweckvorstellungen kritisch gegenüber­ stand, er aber das metamorphisch-weltgeistige und damit idealtypische Fortschrittsdenken begrüßte, das sich eben nur in der positiven Rechtsnor­ menordnung als Staatsaufgabenkanon manifestierte.5 I. Die Lehren vom universalen bzw. partikularen objektiven Naturstaatszweck Als kategoriales Abbild einer objektiven Transzendenzvorstellung erschei­ nen in der systemorientierten Diskursplattform der Allgemeinen Staatslehre mit den methodisch verwandten Lehren vom universalen bzw. partikularen objektiven Staatszweck6 zwei Rechtfertigungsansätze staatlicher Herr­ schaftsübung, die nicht auf einen subjektiv-individuellen Welt- und Werte­ kosmos, sondern stattdessen vielmehr auf eine allgemeinverbindliche Rich­ tigkeit im Sinne einer idealtypischen Objektivität programmiert sind.7 Demnach kann einerseits gefragt werden, „welcher Zweck der Institution des Staates in der Ökonomie des historischen Geschehens im Hinblick auf die letzte Bestimmung der Menschheit zukomme, ferner welchen Zweck ein individuell bestimmter Staat im geschichtlichen Zusammenhang gehabt ha­ be oder habe (…).“8 Die universale objektive Staatszwecklehre verdankt ihre Legitimationsrelevanz für den staatlichen Apparat dabei insoweit vor allem den theologischen Lehren, als sie „(…) die geschichtlichen Erschei­ nungen nicht als eine jeder Ordnung entbehrende Abfolge menschlicher hierzu P. Pernthaler (Fn. 1), S. 113 ff. AS (Fn. 3), S. 42 f.; vgl. auch ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 15 / 77; F. Koja (Fn. 3), S. 44 ff. Dazu auch B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 139 ff.; U. Schliesky (Fn. 1), S. 166 ff. Bei Hans Kelsen fallen damit Legitimität und Legalität entsprechend der rechtspositivistischen Ausrichtung zusammen. Damit ist letztlich auch der anfängliche Rekurs auf das universale Weltgesetz der Geschichte des italienischen Rhetorikers Giambattista Vico mit Blick auf eine normative Naturstaatslehre kein Widerspruch in sich. Denn die historischen Intervallstufen spiegeln sich zumindest in der positiven Rechtsord­ nung wider. Überdies besitzen die natürlichen Lebensbedingungen Relevanz als Geltungsgrund der Staatsordnung. Darauf wird zurückzukommen sein. 6  Siehe zu dieser terminologischen Einteilung G. Jellinek, Allgemeine Staats­ lehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 230 ff. 7  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn.  3), S.  40. Grundsätzlich zu außermenschlichen Rechtfertigungsversuchen des Staates G. Küchenhoff / E. Küchenhoff (Fn. 1), S. 100 ff. 8  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 230 f.; kritisch hierzu Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 17; vgl. hierzu auch J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfassungsstaat (Fn. 2), § 57 Rn. 116 f. mit Fn. 176. 4  Siehe

5  H. Kelsen,



§ 14 Naturstaatszwecklehre437

Erlebnisse, sondern als eine einem bestimmten Ziele zusteuernde Entfaltung auffassen.“9 Damit ist sie in ihrer Erkenntnisform auf den objektiven End­ zweck des staatlichen Herrschaftsverbandes in der Welt gerichtet und in diesem epistemologischen Kontext auf eine die reale Wirklichkeit folienartig überlagernde, ewige Objektivität aus, die empirisch-naturwissenschaftliche und historisch-evolutionäre Erkenntniskraft zugunsten einer Transzendenz der allgemeingültigen Wahrheit auflöst.10 In diesem universalen Staats­ zweckverständnis kann im Hinblick auf die naturstaatlichen Entwicklungs­ tendenzen als der finale objektive Weltsinn ein gerechter Idealstaat nach dem antiken Vorbild eines Platon angenommen werden, der sich mit seinem allgemeinverbindlichen Gerechtigkeitspostulat ebenso auf ein angemessenes Verhältnis der Menschen mit der Natur bezieht.11 Der universale objektive Endzweck der staatlichen Weltordnung würde sich in diesem Fall auf die weitere menschliche Existenz richten, die angesichts der gemeinschaftlichen Natur des Menschen als geselligem Wesen ohne den Staat nicht zu bewerk­ stelligen wäre.12 In diesem auf die Fähigkeit des Staates als einer Freiheit 9  G. Jellinek,

AS (Fn. 6), S. 231. AS (Fn. 6), S. 232 f. 11  H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Verantwortung für die ethische Zivilisation, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1985, S. 303 ff., v. a. S. 308; M. Kloep­ fer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropo­ zentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 30 f.; vgl. auch G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 231; H. Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimi­ tät, Universitas 1993 (48), 377 (377 / 387); I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Ent­ wicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S.  58 f.; R. Steinberg (Fn. 1), S. 58 ff.; U. Di Fabio, Wachsende Wirtschaft und steu­ ernder Staat, Berlin 2010, S. 107 ff.; K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatsziel­ bestimmungen, Tübingen 1997, S. 189 f.; H. Lenk, Erweiterte Verantwortung – Natur und künftige Generationen als ethische Gegenstände, in: D. Mayer- Maly / P. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen, Berlin 1983, S. 833 ff., Bezug nehmend auf Hans Jonas S. 837 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 24 ff. Hans Jonas entscheidet sich letztlich für ein kollektives Wohlfahrtsstaatsmodell, das im Sinne ökologischer Gerechtigkeit zulasten der individuellen Freiheit geht (so M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, ebd., S. 30 f. / 40 f.). In der Literatur wird im Zusam­ menhang mit der Begründung eines Staatszwecks Umweltschutz darüber hinaus auf die Gerechtigkeitstheorie von John Rawls rekurriert; siehe hierzu J. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt a. M. 2006, S. 319 ff.; zustimmend B. WiegandHoffmeister, ebd., S. 31 ff. Grundsätzlich zur Platonischen Gerechtigkeitsordnung B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 129. 12  Siehe hierzu nur Aristoteles, Politik, herausgegeben und übersetzt von F. Schwarz, Stuttgart 2010, S. 77  f.; R. Zippelius (Fn. 1), S. 99 ff.; B. Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 129 ff.; zur gemeinschaftlichen Natur des Menschen auch L.  Pitamic, Die Frage der rechtlichen Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 211 f.; vgl. auch Ch. Calliess (Fn. 2), S. 96 ff. Das Bundesverfassungsgericht betont ebenfalls die „Gemeinschafts­ 10  G. Jellinek,

438 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

verwirklichenden Institution abstellenden Zusammenhang kann auch auf Josef Isensee rekurriert werden, der in Form einer Staatszweckpyramide auf den Sicherheitsstaat, den Rechtsstaat, den Sozialstaat und den ökologischen Staat als historische Entfaltungsstufen des modernen Staates verweist, die sich aber letztlich alle unter dem objektiven Endzweck der Sicherheit zu­ sammenfassen lassen.13 Demnach haben sich die verschiedenen Abschnitte eines ausdifferenzierten Sicherheitsprogramms des Staates in einem fort­ schreitenden Turnus herausgebildet, in dessen Rahmen es zunächst um ein Staatswesen als dem Schutz- und Friedensgaranten im Hinblick auf das von Natur aus wütende Menschengeschlecht, dann um die rechtsstaatliche Si­ cherheit vor der überproportionalen Machtinstitution des Staates ging, bevor sich letztlich mit der sozial- und naturstaatlichen Entwicklung der modernen Staatlichkeit die zweckrationale Fortbildung im Sinne einer sozialen und ökologischen Wohlfahrtssicherheit ereignet hat.14 Dennoch ist aber auch eine interpretatorische Analyse dieser von Josef Isensee vertretenen Staats­ zwecklehre im Sinne eines objektiven, zweckrationalen Partikularismus möglich, die den historischen Erkenntnisvorgang auf ein konkretes Staats­ wesen angelegt sieht. Dieses epochebezogene Typisierungsmodell geht von der grundbestimmten Prämisse aus, dass „jeder Staat seinen (ganz) beson­ deren, nur ihm zukommenden, seine geschichtliche Stellung und Beurteilung bedingenden Zweck gehabt habe und haben werde.“15 Nach dieser Staats­ bezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit der Person“, ohne dabei aber deren individuellen „Eigenwert“ anzutasten (BVerfGE 4, 7 (15 f.); R. Zippelius, ebd., S. 100). 13  J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit – Zu den Schutzpflichten des frei­ heitlichen Verfassungsstaates, Berlin u. a. 1983, S. 17 f. (hier spricht Josef Isensee ausdrücklich davon, dass in dem alten Rechtfertigungsmodus ein geschichtliches Entwicklungsgesetz stecke); ders., Staat und Verfassung, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 13 Rn. 102 f. (hier jeweils noch ohne Berücksichtigung des Umweltstaatszwecks); ders., Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstverständnis des demokratischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (566 f. / 575) („Der Staat (…) ist der höchste Hüter der Sicherheit (…)“); in diesem Sinne auch Ch. Calliess (Fn. 2), S. 98 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Reformperspekti­ ven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 75; R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfas­ sungsrecht (Fn. 2), S. 49; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 8; vgl. dazu auch U. Preuß, Risikovorsorge als Staatsaufgabe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Frankfurt a. M. 1996, S. 524 ff. 14  J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 17 f.; ders., Staat und Verfassung (Fn. 13), § 13 Rn. 102; ders., Widerstand gegen den technischen Fort­ schritt (Fn. 13), DÖV 1983, 565 (566 f. / 574 f.); Ch. Calliess (Fn. 2), S. 98 ff.; R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht (Fn. 2), S. 49; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 8; U. Preuß (Fn. 13), S. 524 ff. 15  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 233.



§ 14 Naturstaatszwecklehre439

zwecktheorie wäre der moderne Staat nun auf der weiteren ideengeschicht­ lichen Stufe einer partikularen Identität angekommen, deren dialektisches Fortschrittsprinzip eine ökologische Immanenz der Staatsrealität indizieren musste.16 In diesem Sinne schaukeln sich die verschiedenen Staatswesen praktisch in ihrem Innovationsbestreben immer weiter nach oben, um als ewige objektive Wahrheit einer Epoche die Naturstaatlichkeit als das unbe­ streitbare Weltprinzip der Staaten zu erlangen. Nicht anders zu interpretieren ist insoweit auch der terminologische Vorstoß von Dietrich Murswiek, der dem Umweltschutz explizit den Charakter eines in seiner ethisch-normativen Geltung von der geschriebenen Verfassung abgehobenen und somit überpo­ sitivistischen Grundsatzes zuweist, der zwar in der Perspektive eines Indi­ vidualrechtsgüterschutzes von dem Sicherheitszweck als dem fundamentals­ ten aller Staatszwecke mit erfasst wird, überdies aber auch eine eigenstän­ dige und notwendige, umweltbezogene Legitimitätsdimension innehat.17 16  Im staatstheoretischen Schrifttum ist die ideengeschichtliche Entwicklungs­ stufe der Umwelt- bzw. Naturstaatlichkeit heute allgemein anerkannt; siehe hierzu nur R. Steinberg (Fn. 1), S. 44 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 36; M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 140; R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verant­ wortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewäh­ rung, Berlin 1982, S. 483 („Staatszweck Zukunftssteuerung“); so auch D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Die Zukunft der Verfassung, Frankfurt a. M. 1991, S. 168; A. Scherzberg, Diskurse über den Umweltstaat, Die Verwaltung 1995, S. 543; vgl. auch BVerfGE 30, 292 (312); R. Wolf, Gerechtigkeit und Umweltschutz. Von subjektiv-rechtlichen Begründungs­ paradoxien zu kollektivrechtlichen Lösungsansätzen, ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (174 / 180); M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungsund Umweltrecht, Berlin 1995, S. 10 f. 17  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck – Die ökologischen Legitimi­ tätsgrundlagen des Staates, Bonn 1995, Vorwort / S. 31 ff.; hierzu auch R. Steinberg (Fn. 1), S. 56 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 135 f. Die Idee eines Umwelt­ staates geht bis auf die Anfänge der Entstehung des modernen Staates zurück. Be­ reits gegen Ende des 16. Jahrhunderts verfasste der französische Staatstheoretiker Jean Bodin in seinem bekannten Werk mit dem Titel „Les six livres de la répub­ lique“ eine Charakteristika des frühmodernen Staates, in deren Rahmen er mitunter die Notwendigkeit einer besonderen Beschaffenheit der natürlichen Lebensgrundla­ gen in den Vordergrund stellte. Unter der Überschrift „Der Zweck eines wohlgeord­ neten Staatswesens“ schrieb der französische Denker: „Der Staat muss ein Territori­ um haben, das groß und fruchtbar genug ist, um die Einwohner zu ernähren und zu kleiden. Um sie gesund zu erhalten, braucht er ein mildes Klima und gutes Wasser. (…) Dies sind (mitunter) die grundlegenden Dinge, für die man in jedem Staat zu­ erst sorgen muss.“ Auch wenn Jean Bodin bei der Abfassung dieser Passage in erster Linie mit dem Sicherheitszweck den fundamentalsten aller Staatszwecke im Blick hatte, so zeigt dieses Zitat aber doch ganz deutlich, dass er die Erreichung dieses überhaupt erst eine Legitimität begründenden Staatszwecks ohne eine be­ stimmte Beschaffenheit der natürlichen Lebensgrundlagen nicht für möglich hielt.

440 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

Demnach sei der Umweltschutz ein besonderer Staatszweck, dessen Be­ gründung sich sowohl aus dem Gesichtspunkt des Schutzes faktischer Vor­ aussetzungen von fundamentalen Individualgütern als auch aus dem Gedan­ ken eines die natürlichen Lebensgrundlagen einbeziehenden Gesellschafts­ vertrages sowie letzten Endes aus der Verantwortlichkeit des Staates für lebensnotwendige öffentliche Güter ergebe.18 Hervorgehoben sei insoweit insbesondere die naturrechtliche Fiktion, wonach durch den Gesellschafts­ vertrag in Anlehnung an den für die Sicherheit zwischen den Menschen stehenden souveränen Leviathan des Thomas Hobbes auch für die Natur der Naturzustand des Krieges aller gegen die Umwelt beendet und der Rechts­ zustand für die Umwelt hergestellt werde.19 Georg Jellinek spricht insoweit von einem „ganz willkürlich(en)“ Prozedere dieser Lehre vom partikularen objektiven Staatszweck,20 womit die von ihm als soziologische Teilsphäre des Staates angesehene und an dem subjektiven Wollen und Empfinden der einzelnen Menschen orientierte soziale Staatslehre in den Vordergrund sei­ nes Staatsdualismus tritt. Dabei spiegelt sich doch gerade in dem objektiven Geist die idealtypische Werterepräsentation wider, wie sie sich von dem realen Subjektivismus der Menschen unabhängig in vermittelnder Dialektik über das tatsächliche Geschehen legt, um ein überindividuelles Muster des überlagernden Sinnmoments zu erhalten.21 Nach der partikular objektiven Staatszwecktheorie besteht der allgemeingültige Zweck des modernen Na­ turstaats aber zunächst in einer transzendenten Objektivität, wenngleich Das Zitat findet sich ins Deutsche übersetzt bei G. Niedhart, Jean Bodin – Über den Staat, Ditzingen 1986, S. 11; hierzu auch R. Laun, Allgemeine Staatslehre im Grund­ riss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 55. In der Umwelt­ geschichte wird insoweit von einer Form des Umwelt-Determinismus gesprochen, die in der Tradition der Antike steht und sich auf die Wirkung von Klima, Standort und Bodenbeschaffenheit auf den Menschen konzentriert. Eingehend hierzu nur C. Glacken, Zum Wandel der Vorstellungen über den menschlichen Lebensraum, in: R. P. Sieferle (Hrsg.), Fortschritte der Naturzerstörung, Frankfurt a. M. 1988, S. 183; V.  Winiwarter / M.  Knoll, Umweltgeschichte, Köln 2007, S. 269 ff. Freilich entsprach der Klimaschutz damals noch nicht dem objektiven Geist der Zeit. Die politische Ethik, die mit dieser Staatszweckpassage bei Jean Bodin ausgedrückt wird, beweist aber den Weitblick des französischen Staatstheoretikers hinsichtlich eines naturbe­ wussten Gemeinwesens. Siehe zu Letzterem auch O.  Maull, Politische Geographie, Berlin 1925, S. 8 f.; E. Böhlke, „Esprit de nation“ – Montesquieus politische Philo­ sophie, Berlin 1999, S. 194 f.; vgl. im Zusammenhang mit den verheerenden Folgen der europäischen Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts auch H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 2), S. 6 f. 18  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 55 f. 19  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 52. 20  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 233. 21  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 13 ff.; vgl. auch ders., Die philosophischen Grund­ lagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 62 ff.



§ 14 Naturstaatszwecklehre441

diese Lehre den Weg zu einer auf einem transzendentalen Fundament basie­ renden, normativen Staatstheorie im Sinne von Hans Kelsen bereits vorbe­ reitet.22 Georg Wilhelm Friedrich Hegel schließlich kombinierte diese ob­ jektiven Staatszwecktheorien, indem er den universalen, absoluten Weltgeist aus den verschiedenen Entwicklungshöhen der Staaten hervorkommen lässt, was mit einer regelmäßigen Aussonderung der historisch bedeutendsten Staaten, die den Weltgeist am idealsten fortentwickeln konnten, einhergeht.23 In dieser Denkstrategie besitzt damit ein konkretes Staatswesen stets eine objektive Relevanz im Sinne eines fortzuentwickelnden Idealstatus eines dann irgendwann vollkommenen Staates. Damit avanciert die Naturstaat­ 22  H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 21), S.  62 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S.  25 f.; R.  Laun (Fn. 17), S. 79. In diesem Zusammenhang kann auf den Unter­ schied von dem Transzendenten und dem Transzendentalen bei Hans Kelsen hinge­ wiesen werden: „Und tatsächlich besteht die Gefahr, dass, wenn man die Wahrheit nicht im Absoluten eines aller menschlichen Erkenntnis transzendenten Jenseits verankert, man in den bodenlosen Abgrund des Subjektivismus versinkt, einem schrankenlosen Solipsismus verfällt. Gerade gegen diesen aber verteidigt sich der hier gezeichnete Typus auf das Entschiedenste dadurch, dass er immer wieder die Gesetzlichkeit der die Gegenstände erzeugenden Erkenntnis betont und in dem Nachweis dieser Gesetzlichkeit eine seiner Hauptaufgaben erblickt. Das ist es näm­ lich, das hier an Stelle der metaphysischen Spekulation tritt: die Gesetze, das heißt aber: die objektiven Bedingungen zu bestimmen, unter denen der Erkenntnisprozess vor sich geht. Bis zu diesem Punkt und nicht weiter kann der Mensch dringen, wenn er über den Bereich der materialen Erfahrungswissenschaft hinausstrebt; an die Stel­ le der Metaphysik tritt die Erkenntniskritik, an Stelle des Transzendenten das Transzendentale. Immerhin: dualistisch ist auch dieses Weltbild noch. Nur, dass es kein metaphysischer, sondern ein erkenntnistheoretischer, erkenntniskritischer Dualismus ist, auf dem die Weltanschauung beruht. Man kann sie daher im Gegensatz zur metaphysischen als erkenntniskritische bezeichnen.“ (H. Kelsen, Die philosophi­ schen Grundlagen der Naturrechtslehre, ebd., S. 62 f.; Hervorhebungen im Original). Vgl. zu Letzterem H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung, in: N. Leser (Hrsg.), Hans Kelsen – Demokratie und Sozia­ lismus (Ausgewählte Aufsätze), Wien 1967, S. 81 f. 23  H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staatslehre Hegels, Altenburg 1917, S. 84 ff. / 94 f.; G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 233 Fn. 1. Grundsätzlich gegen das Hegelsche Staatsmodell D.-E. Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Tübingen 2004, S. 4 Fn. 10. Zu beachten ist freilich, dass die Ent­ wicklung des modernen Staates zum Naturstaat nicht linear verläuft bzw. verlaufen muss, sondern sich ideengeschichtliche Differenzierungen sowie Verzögerungen einstellen können; siehe hierzu nur I. Appel (Fn. 11), S. 54 f. / 123 ff.; R.  Wahl / I. Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S. 19 ff.; vgl. dazu auch H. Trescher, ebd., S. 77 ff.; S. Günzel, Philosophische Geographien Nietzsche und Hegel, in: A. Arndt (Hrsg.), Phänomenologie des Geistes, Bd. II, Berlin 2002, S.  294 ff.

442 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

lichkeit zu einer notwendigen Entwicklungsstufe der modernen Staatlichkeit und wird so zu einem idealen Weltprinzip ethischer Richtigkeit. II. Die Lehren vom kollektivistischen bzw. individualistischen subjektiven Naturstaatszweck Mit den als Lehren vom kollektivistisch bzw. individualistisch ausgerich­ teten subjektiven Staatszweck gekennzeichneten Rechtfertigungsansätzen staatlicher Herrschaft24 wird die idealorientierte Perspektive einer wahren Objektivität zugunsten einer mehr auf einer subjektiven Welt- und Wertean­ schauung aufbauenden Legitimitätsvorstellung ersetzt, wenngleich die Über­ gänge im Grunde fließend bleiben und derartige Rechtfertigungsformen auch unter der methodischen Adaptation an die objektive Geistnatur ohne weiteres auftreten können.25 Nicht zu übersehen ist aber dennoch die natur­ gemäße Affinität dieser in der soziologischen Horizontalen aufkommenden, subjektiven Staatszwecklehren zu dem politischen Durchsetzungsstreben von einzelnen Machteliten, die unter dem Postulat eines absoluten Zwecks, d. h. eines „einzigen, dem Staate für alle Zeiten und in all seinen Erschei­ nungsformen stets gleichbleibenden Zweck(s) (…), der in sich einheitlich ist und alle anderen in sich schließt“, und damit mit einem starken politischagitatorischen Akzent die Geschicke des Staates bestimmen.26 Gemeint sind hiermit zunächst in erster Linie die Lehren von den expansiven Staatszwe­ cken, die sich nach der systematischen Einordnung von Georg Jellinek in die auf die Wohlfahrt des Einzelnen sowie der Gesamtheit programmierten eudämonistisch-utilitaristischen und die auf das vom Staatsapparat zu ge­ währleistende sittliche Wohl ausgerichteten ethischen Lehren grundsätzlich unterteilen lassen.27 In beiden Formen dieses expansiven Staatszwecktypus bestehen Anknüpfungspunkte für ein naturstaatliches Legitimitätsdogma, indem der Umwelt- und Naturschutz als wohlfahrtsstaatliche bzw. sittliche Gerechtigkeitsmaxime begriffen wird, die angesichts der Relevanz der na­ türlichen Lebensgrundlagen als elementarem Wesensmoment des modernen 24  Siehe zu dieser Unterscheidung G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 239 ff.; B. Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 122 ff. 25  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 40 f. 26  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 242; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 122 ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 40. 27  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 242 ff.; F. Koja (Fn. 3), S. 45; G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 108 f.; H.  Buß / W.  Oetelshoven, Allgemeine Staatsleh­ re und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 28; B. Schöbener / M. Knauff (Fn. 1), S. 122 ff.; vgl. auch Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 15 f. Im Vor­ dergrund steht bei diesen expansiven Theorien stets der kollektive Einheitskern des Staates.



§ 14 Naturstaatszwecklehre443

Staates eine exorbitante Ausdehnung der Staatsgewalt ohne konkret be­ stimmte Wachstumsgrenzen legitimieren kann. Denn da eine staatliche Existenz ohne die Natur undenkbar ist, ist insoweit der Gedanke einer un­ eingeschränkten ragione di natura28 nicht weit, der dann zur rechtfertigen­ 28  Der italienische Terminus „ragione di natura“ wird hier nun in geistiger Ana­ logie zu dem bekannten staatstheoretischen Begriff der Staatsraison eingeführt. Als geistiger Begründer einer radikalen Staatsvernunft ist der italienische Staatsdenker Niccolò Machiavelli anzusehen, der in seinem weltberühmten „Il principe“ die Tu­ genden eines auf Staats- und Machterhalt ausgerichteten Fürsten beschrieb. Auszugs­ weise können die Gedanken von Niccolò Machiavelli folgendermaßen zusammenge­ fasst werden: „Daher muss ein kluger Fürst dafür sorgen, dass seine Bürger unter allen Umständen und in allen Zeitläufen ihn und den Staat nötig haben.“ „Ein Fürst darf (…) (aber) die Nachrede der Grausamkeit nicht scheuen, um seine Untertanen in Treue und Einigkeit zu erhalten; denn mit einigen Strafgerichten, die du ver­ hängst, bist du menschlicher, als wenn du durch übertriebene Nachsicht Unordnun­ gen einreißen lässt, die zu Mord und Raub führen. Diese treffen ein ganzes Gemein­ wesen, wogegen die Strafgerichte, die der Fürst verhängt, nur dem Einzelnen scha­ den. (…) Nichtsdestoweniger muss der Fürst sich derart gefürchtet machen, dass er, wenn er auch keine Liebe erwirbt, doch auch nicht verhasst wird; denn gefürchtet und nicht gehasst zu werden, ist wohl vereinbar. Das kann er erreichen, indem er Hab und Gut seiner Bürger und ihre Frauen unangetastet lässt. Und wenn es nötig ist, einem das Leben zu nehmen, so geschehe es nur, wenn die gerechte Ursache offenbar ist. (…) Da die Liebe der Menschen von ihrem Gutdünken, ihre Furcht aber vom Benehmen des Fürsten abhängt, so muss ein weiser Fürst sich auf das verlassen, was von ihm abhängt, und nicht auf das, was von den anderen abhängt, und nur darauf achten, dass er nicht gehasst werde. (…) Wie löblich es ist, wenn ein Fürst sein Wort hält und rechtschaffen und ohne List verfährt, weiß jeder. Trotz­ dem zeigt die Erfahrung unserer Tage, dass die Fürsten, die sich aus Treu und Glauben wenig gemacht und die Gemüter der Menschen mit List zu betören verstan­ den haben, Großes geleistet und schließlich diejenigen, welche redlich handelten, überragt haben. Man muss wissen, dass es zwei Arten zu kämpfen gibt, die eine nach Gesetzen, die andere durch Gewalt (…). Da jedoch die erste oft nicht aus­ reicht, so muss man seine Zuflucht zur zweiten nehmen. Ein Fürst muss daher so­ wohl den Menschen wie die Bestie zu spielen wissen. (…) Und weil denn ein Fürst imstande sein soll, die Bestie zu spielen, so muss er von dieser den Fuchs und den Löwen annehmen; denn der Löwe entgeht den Schlingen nicht, und der Fuchs kann dem Wolf nicht entgehen. Er muss also ein Fuchs sein, um die Schlingen zu kennen, und ein Löwe, um die Wölfe zu schrecken. (…) Ein kluger Herrscher kann und soll daher sein Wort nicht halten, wenn ihm dies zum Schaden gereicht und die Gründe, aus denen er es gab, hinfällig geworden sind. (…) Freilich ist es nötig, dass man diese Natur geschickt zu verhehlen versteht und in der Verstellung und Falschheit ein Meister ist. (…) Ein Fürst braucht also nicht alle oben genannten Tugenden zu besitzen, muss aber im Rufe davon stehen. Ja, ich wage zu sagen, dass es sehr schädlich ist, sie zu besitzen und sie stets zu beachten; aber fromm, treu, mensch­ lich, gottesfürchtig und ehrlich zu scheinen ist nützlich. Man muss nur sein Gemüt so gebildet haben, dass man, wenn es nötig ist, auch das Gegenteil vermag. Und dies ist so zu verstehen, dass ein Fürst, insbesondere ein neuer Fürst, nicht all das beachten kann, was bei anderen Menschen für gut gilt; denn oft muss er, um seine Stellung zu behaupten, gegen Treu und Glauben, gegen Barmherzigkeit, Menschlich­

444 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

den Zauberformel der staatlichen Auswuchstendenzen herangezogen werden kann. Die wesentliche Gefahr dieser auf die Wohlfahrt oder das sittliche Wohl gerichteten subjektiven Lehren von einem expansiven Staatszweck ist ihr Rekurs auf eine in den grammatikalischen Konturen unbestimmte Staats­ absolutheit, die in praktisch unberechenbarer Weise zu staatlicher Willkür und Freiheitsvernichtung führen kann.29 In diesen Kontext gehören deshalb keit und Religion verstoßen. Daher muss er ein Gemüt besitzen, das sich nach den Winden und nach dem wechselnden Glück zu drehen vermag, und, wie gesagt, zwar nicht vom Guten lassen, wo dies möglich ist, aber auch das Böse tun, wenn es sein muss. (…) Der Fürst sehe also nur darauf, wie er sich in seiner Würde behaupte; die Mittel werden stets für ehrbar befunden und von jedermann gelobt werden.“ N. Machiavelli, Der Fürst, ins Deutsche übersetzt von F. Oppeln-Bronikowski, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 58 / 82 ff.; dazu auch H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 90; R.  Laun (Fn. 17), S. 53. Der begriffliche Schöpfer der Staatsraison war dagegen der italienische Schriftsteller Giovanni Botero mit seinem Werk mit dem Titel „Della ragione di stato“ aus dem Jahre 1598. Darin beschrieb er die Staatsraison etwas gemäßigter als sein radikaler Vorgänger Niccolò Machiavelli mit der Formel: „Ragione di stato (…) ist die Kenntnis der Mittel, die geeignet sind, einen Staat zu gründen, zu erhalten und zu vermehren.“ (zitiert nach F. Meinecke, Botero und Boccalini, in: W. Hofer (Hrsg.), Die Idee der Staatsräson in der neueren Geschichte, 4. Aufl., München u. a. 1976, S. 78; Hervorhebung im Original). Zur Geschichte der Staatsraison in Italien auch E.  Baldini / A.  M.  Battista, Staatsräson, Tacitismus, Ma­ chiavellismus, Utopie, in: J.-P. Schobinger (Hrsg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. I: Allgemeine Themen; Ibe­ rische Halbinsel; Italien, Basel 1998, S. 545 ff. In dem Zusammenhang einer Natur­ staatslehre wird der Terminus ragione di natura nun entsprechend der auf Niccolò Machiavelli gegründeten Machtstaatstheorie definiert, wonach „die Erhaltung der Macht, die Einheit und das Überleben des Staates ein Wert an sich (ist) und (…) letztlich den Einsatz aller Mittel, unabhängig von Moral oder Gesetz (rechtfertigt).“ (D. Nohlen, Staatsraison, in: K.  Schubert / M.  Klein, Das Politiklexikon, 5. Aufl., Bonn 2011, S. 286). In diesem absolutistischen bzw. obrigkeitsstaatlichen Sinne ist die Naturraison damit die Aufrechterhaltung bzw. die Wiederherstellung der natürli­ chen Lebensgrundlagen als Legitimationsgrundlage des modernen Staates mit sämt­ lichen Mitteln, ohne rechtliche bzw. ethische Grenzen. Siehe zur Entwicklung der Staatsraison auch C. J. Friedrich, Die Staatsräson im Verfassungsstaat, Freiburg u. a. 1961, S. 50 ff. Vgl. hierzu im Kontext mit der Naturstaatlichkeit in relativierender Ausformung auch W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfas­ sungsstaatlichkeit, München 1997, S. 424 („in denen Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen absoluten Vorrang haben müssen, (…) dann könnte nur ein Rückgriff auf die in den Art. 1 und 20 GG niedergelegten und durch Art. 79 III GG als unabänderlich fixierten ‚Grundsätze‘ helfen.“). 29  Siehe hierzu G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 243 ff.; H. Kelsen, Die philosophi­ schen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 21), S. 60 ff.; ders., AS (Fn. 3), S. 40 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 122 f.; vgl. auch H. Jonas (Fn. 11), S. 303 ff.; Ch.  Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 39; M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus (Fn. 11), S. 30 f. / 40 f.; M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Um­ weltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 43 f. / 68 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 12; D. Grimm (Fn. 16), S. 159. Hierzu das verteidigende Plädoyer von Hans Kelsen



§ 14 Naturstaatszwecklehre445

auch Legitimitätsvorstellungen im Sinne der positiven Verfassung von Carl Schmitt, die mit der politischen Einheit als unverbrüchlicher Bezugsgröße ein dezisionistisch bestimmtes Wesenssubstrat des Staates zum Ausdruck bringt, auf das sich das Staatsleben zentriert und so zum legitimitätsspen­ denden Ansatzpunkt einer expansiven Staatsmaschinerie werden kann.30 Dies führte im Deutschen Reich zu das private Eigentum vernichtenden Tendenzen einer Naturdiktatur, die sich mit dem Erhalt der politischen Ein­ heit als dem Identitätskern des deutschen Volkes ohne weiteres rechtfertigen ließen.31 Dieses Risiko gilt es zu bannen, da vor allem die natürlichen Le­ bensgrundlagen in ihrer elementaren Wesensrelevanz für die moderne Staat­ lichkeit als nicht wegzudenkendes Element einer politischen Einheit anzu­ sehen sind, die im 21. Jahrhundert zunehmend bedroht erscheinen. Abgerun­ det werden die kollektivistischen Expansionsstaatszwecklehren schließlich noch von ideologisch untermalten Denkfiguren eines staatlichen Totalitaris­ mus, die den Staat instrumentell auf eine konkrete Weltanschauung hin entwerfen und so eine unermesslich ausgeweitete Staatsmacht unter Aus­ schluss einschränkender Rechtsstaatsmomente aufkommen lassen, um dann im Namen der Ideologie unter dem absorbierenden Deckmantel einer Scheinlegitimation das totale Staatsdiktum gewaltvoll durchsetzen zu kön­ nen.32 Auch hier hat schon die Verfassungshistorie in naturstaatlichem Zu­ bezüglich seiner objektiv-normativen Methodik gegenüber den willensgetreuen Aus­ wüchsen eines expansiven Staatssubjektivismus: „Soll der psychologische Habitus charakterisiert werden, dem diese anti-metaphysische, erkenntniskritische Haltung entspricht, so darf vielleicht angenommen werden, dass hier die Kräfte des Verstan­ des und sohin das Erkenntnisstreben prävalieren. Dem Charakter dieses Typus kommt es mehr darauf an, die Welt zu erkennen, sie erkennend zu erleben, als sie willensmäßig zu erfassen, sie seinen auf die Befriedung seiner Affekte zielenden Wünsche entsprechend zu gestalten, umzugestalten oder gar zu beherrschen. (…) Die Idee des Absoluten hat ihre psychologischen Wurzeln mehr in der Willens- als in der Erkenntnissphäre.“ (H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Natur­ rechtslehre, ebd., S. 63; Hervorhebungen im Original). Zur Frage, ob das „Gemein­ wohl“ auch selbst als „Staatszweck“ angesehen werden kann, kritisch D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 25 ff.; bejahend dagegen Ch. Link, ebd., VVDStRL 1990 (48), S. 18 ff.; J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Ver­ fassungsstaat (Fn. 2), § 57 Rn. 1 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 22), S. 129; K.-P. Sommermann (Fn. 11), S. 199 f.; Ch. Calliess (Fn. 2), S. 85. Zum Zusammenhang von (formaler) Staatsaufgabe (Rechtsform) und (materiellem) öffentlichen Interesse (inhaltliche Dimension) H. Kelsen, AS, ebd., S. 42 f.; F. Koja (Fn. 3), S. 48 f. 30  Siehe hierzu den dezisionistisch-politischen Naturstaatsbegriff bei Carl Schmitt im Rahmen dieser Naturstaatslehre 1. Teil, § 5. Dazu auch B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 133 f. 31  Siehe hierzu das Kapitel zur Notverordnung vom 05.06.1931 im Rahmen dieser Naturstaatslehre 1. Teil, § 12. 32  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 40 ff. / 368 ff.; ders., Staatsform und Weltan­ schauung, Tübingen 1933, S. 14 ff.; ders., Verteidigung der Demokratie (1932), in:

446 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

sammenhang den Beweis geliefert, wie sich die zu einem Anliegen des öffentlichen Gemeinwohls gewachsene Naturschutzidee unter dem Ideolo­ gievehikel einer national-kulturellen Heimatidylle letztlich zu einem totalen Fixpunkt des staatlichen Herrschaftssystems entwickeln konnte. Das kontra­ diktorische Gegenstück dieser auf die Ausdehnung der staatlichen Befugnis­ se unter dem Postulat eines zentrierten Kollektivismus angelegten expansi­ ven Staatszwecklehren bilden die Lehren vom limitierenden Staatszweck, die insoweit auf eine Begrenzung der Kompetenzen des Staates ausgerichtet sind.33 Diese einschränkenden Theorien können mit der zweckrationalen Attributtrias Sicherheit, Freiheit und Recht charakterisiert werden, wobei aber im Grunde diese Staatszweckformen zusammenfallen, nur dass die Sicherheit die Wirkung des Rechts sei, die Freiheitstheorie das subjektive, die Rechtstheorie (dagegen) das objektive Recht in den Vordergrund stelle.34 Mit ihren den Staat im Sinne eines Nachtwächterstaates35 auf ein Minimum fürsorgender Betätigung reduzierenden Richtungen wurden die limitierenden Staatszwecklehren im 19.  Jahrhundert zur individualistisch geprägten

M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübin­ gen 2006, S. 230 f. / 234 f.; F. Ermacora (Fn. 1), S. 176 ff.; Ch. Link (Fn. 1), VVD­ StRL 1990 (48), S. 13. 33  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 246 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S.  109 ff. 34  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 246; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 109 ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 40 ff. / 154 ff.; F. Koja (Fn. 3), S. 45; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 10 f.; Ch. Link (Fn. 1), VVD­ StRL 1990 (48), S. 34; vgl. auch H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 121 f.; siehe zur liberalen Gesellschaftsauffas­ sung des 19. Jahrhunderts auch A. Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz“ und das Sozialstaatsprinzip im verfassungsrechtlichen Vergleich, JuS 1996, 96 (98). 35  Zum Nachtwächterstaat begriffsprägend F.  Lassalle, Arbeiterprogramm über den besonderen Zusammenhang der gegenwärtigen Geschichtsperiode mit der Idee des Arbeiterstandes 1862 / Offenes Antwortschreiben an das Central Comité zur Be­ rufung eines Allgemeinen Deutschen Arbeitercongresses zu Leipzig, 1863, hrsg. von A. Skalweit, Frankfurt a. M. 1948, S. 47 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 109; G.  Wittkämper / W.  Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 12; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 12; K. Doehring (Fn. 1), S. 172 f.; J. Tkaczynski, Vom Wesen und Wert der Demokratie von Hans Kelsen aus heutiger Sicht, Der Staat 2008 (47), 108 (118); vgl. auch D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 24. Ferdinand Lassalle: „Dies ist eine Nachtwächteridee, (…) eine Nachtwächteridee deshalb, weil sie sich den Staat selbst nur unter dem Bilde eines Nachtwächters denken kann, dessen gan­ ze Funktion darin besteht, Raub und Einbruch zu verhüten. Leider ist diese Nacht­ wächteridee (…) oft genug anzutreffen. Wollte die Bourgeoisie konsequent ihr letztes Wort aussprechen, so müsste sie gestehen, dass nach diesen ihren Gedanken, wenn es keine Räuber und Diebe gebe, der Staat überhaupt ganz überflüssig sei.“ (F.  Lassalle, ebd., S. 47 f.).



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Grundlage der Staatstheorie des politischen Liberalismus,36 der auf eine staatsfreie Sphäre individueller Entfaltung programmiert war.37 Die Übertra­ gung dieser limitierenden Grundtendenz gegen den Staat auf den wohl­ fahrtsstaatlichen Umweltschutz führt aber letztlich zu einer inneren Diver­ genz, die in dem konfliktträchtigen Spannungsverhältnis von Sicherheit und bürgerlicher Freiheit zum Ausdruck kommt.38 Ein weitgehender Rückzug aus sowie eine grundsätzliche Abstinenz des Staates gegenüber dem ökolo­ gischen Zukunftsauftrag würde eine Verantwortlichkeit von Privaten indizie­ ren, der sie möglicherweise aus individuellen Motiven wie wirtschaftlichem Gewinnstreben oder mangels leistungsstarken Umwelthandlungsformen nur unzureichend nachkommen könnten.39 Deshalb kann ein die moderne Staat­ 36  H. Kelsen, Sozialismus und Staat, hrsg. v. N. Leser, 3. Aufl., Wien 1965, S. 25; G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 246; K. Doehring (Fn. 1), S. 172 f.; G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 109; R. Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 92 Rn. 1; vgl. J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 10 ff. Als bedeutender Vertreter des liberalen Konzepts beschrieb der klassische Nationalöko­ nom Adam Smith den Aufgabenradius des liberalen Staates mit den folgenden Wor­ ten: „(…) secondly, the duty of protecting, as far as possible, every member of the society from the injustice or oppression of every other member of it, or the duty of establishing an exact administration of justice (…).“ (A. Smith, An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations, In two volumes, London 1776, Book IV, Chapter IX, 51 (IV.9.51); zitiert auch bei J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, ebd., S. 11 Fn. 20; ausführlich zum wirtschaftsliberalen Konzept von Adam Smith H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland (Fn. 1), S. 38 ff.). Dar­ über hinaus klingen bei Adam Smith aber auch bereits wohlfahrtsstaatliche Tenden­ zen an (siehe wiederum nur J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, ebd., S. 11). 37  H. Kelsen, Sozialismus und Staat (Fn. 36), S. 25; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abtei­ lung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u.  a. 1974, S. 31 f. / 36 f.; R. Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft (Fn. 36), § 92 Rn. 1; J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 10 f. / 20 f.; vgl. F. Ermacora (Fn. 1), S. 389 ff.; A. Uhle (Fn. 34), JuS 1996, 96 (98). 38  A. Uhle (Fn. 34), JuS 1996, 96 (98  f.); M. Kloepfer, Droht der autoritäre ökologische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 42 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 8. Siehe zu den An­ fängen des sozialen Wohlfahrtsgedankens bzw. dem grundsätzlichen Verhältnis von Freiheit und Sicherheit J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 11 f. /  21 ff.; R. Schmidt, Staatliche Verantwortung für die Wirtschaft (Fn. 36), § 92 Rn. 1 f.; K. Doehring (Fn. 1), S. 173; siehe zum Staatszweck Wohlfahrt auch B.  Schöbener /  M. Knauff (Fn. 1), S. 134 f.; Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 34 ff.; G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 109 / 113. 39  M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 29), S. 48 ff. / 71 f.; R. Zippelius (Fn. 1), S. 281 f. / 291 f.; D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, 2. Aufl., Stuttgart 1995, S. 264 f.; vgl. P. Huber, Zur Renaissance des Staates, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globalisierung, Warszawa

448 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

lichkeit auf eine bloße Gewährleistungsverantwortung zurückdrängendes Umweltstaatsmodell nicht sinnvoll erscheinen, bei dem der Staat als gesetz­ licher Vorgabengeber eines privaten Betätigungsrahmens und gewährleisten­ der Garant eines nicht zu unterschreitenden Mindestmaßes an Umweltvor­ sorge fungiert.40 Die Argumentationslinien müssen deshalb vielmehr im Rahmen einer gemäßigten umweltrationalen Denkart in die andere Richtung verlaufen, wobei zu stark expansiv ausgerichtete Staatszweckformeln ver­ mieden werden müssen. In diesem Zusammenhang wird letztlich insbeson­ dere die Machtkomponente des modernen Staates in den Vordergrund ge­ stellt, wonach einzig der Staat mit seinem Rechtsetzungs- und Gewaltmo­ nopol in der Lage ist, dem komplexen und von der zeitlichen Dimension langfristig in die Zukunft orientierten Umweltschutzauftrag gerecht zu werden.41 Demnach ist der Staat in seiner gemeinschaftsbezogenen Ord­ nungsfunktion berufen, „als politische, als umfassend dem Prinzip der (un­ antastbaren) Menschenwürde verpflichtete, den Menschen als Ganzes wür­ digende, damit heute notwendig an vielen Fronten kämpfende Organisation (…), die Komplexität mittelbarer Auswirkungen einer bestimmten Techno­ logie in Raum und Zeit abzuschätzen und zu steuern und entsprechend die 2012, S.  46 ff.; Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 45 f.; H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland (Fn. 1), S. 175 f. / 506 f. Siehe in diesem Zusammenhang auch den publizierten Vortrag von Gertrude Lübbe-Wolff G. LübbeWolff, Recht und Moral im Umweltschutz, Baden-Baden 1999, S. 11 ff. 40  M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 29), S. 48 ff.: „Der Staat ist der entscheidende Patron für die Zukunft.“ (S. 49); vgl. hierzu auch P. Huber, Zur Renaissance des Staates (Fn. 39), S. 46 ff.; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 51; vgl. Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 45 f. Grundsätzlich zum Sub­ sidiaritätsprinzip in Bezug auf das Verhältnis von staatlichem Handeln und individu­ eller Persönlichkeitsentfaltung F. Ermacora (Fn. 1), S. 387 f.; H. H. v. Arnim, Staats­ lehre der Bundesrepublik Deutschland (Fn. 1), S. 65; R. Zippelius (Fn. 1), S. 101 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 136 ff. 41  So D. Rauschning, Staatsaufgabe Umweltschutz, VVDStRL 1980 (38), S. 172; M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 29), S. 45; D. Murswiek (Fn. 17), S. 53; I. Appel (Fn.  11), S.  61  ff.; vgl. auch G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 97 f. / 105; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 22), S. 122; R. Zippelius (Fn. 1), S. 103 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 131 ff. In den Kategorien des Gewalt- und Rechtsetzungsmonopols kulminiert sich das, was herkömmlich als der Macht- bzw. der Rechtszweck des Staates bezeichnet wurde. Nach einer normativen Staatstheorie wird die Macht aber zum Recht, so dass sich das staatliche Gewaltmonopol in der geltenden souveränen Rechtsordnung manifestiert. Das Recht ist damit auch kein eigener Zweck des Staates, sondern das Recht ist ein Mittel, um die vielen Staats­ aufgaben als „Kulturzwecke“ zu verwirklichen. Siehe zum Macht- und Rechtszweck des Staates H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 43 f.; F. Koja (Fn. 3), S. 44 ff.; K. Doehring (Fn. 1), S. 82; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 103 / 109 ff.; R. Zippelius, ebd., S.  93 f.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 27), S. 45. Zum Begriff des Gewaltmo­ nopols entschlüsselnd J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit (Fn. 13), S. 24 f.; ausführlich hierzu Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 27 ff.



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Technologie zu ‚verfassen‘.“42 Diese ethische Schutzdimension des Staates muss sich schließlich auch auf einen Nachweltschutz erstrecken, da es für den Sicherheitszweck nicht darauf ankomme, ob ein bestimmter Mensch, sondern dass überhaupt jemand gefährdet sei, wobei die Zukunftsreichweite allein durch die Voraussehbarkeit und Berechenbarkeit von Langzeitwirkun­ gen begrenzt werde.43 Der Staat sei (daher) eine auf Dauer angelegte, ge­ nerationenübergreifende Institution, der seine Funktion, politische Einheit, Friedenseinheit zu sein, nur dann wirksam erfüllen könne, wenn seine Existenz und sein Zweck nicht an das Leben der Gründungsgenerationen gebunden seien.44 Nach alledem ist der moderne Staat damit mit dem Rechtsetzungs-, Streitentscheidungs- und Gewaltmonopol als Wesensmerk­ male für eine langzeitorientierte Bewältigung der existentiellen Herausfor­ derung eines effektiven Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen prädes­ tiniert, um auch generationenübergreifend ein menschenwürdiges Dasein auf dem Planeten Erde zu sichern.45 In diesem Argumentationsmuster klingen dogmatische Feinheiten an, die in dieser Form auch von Hans Kelsen nicht bestritten wurden, ohne dass damit aber eine unkritische Absolutheit einher­ gehen kann. Nach der methodischen Stringenz von Hans Kelsen liege eben­ so dann ein „eigentlicher“, ein „wahrer“ Staat vor, wenn er seinen Bürgern nur Pflichten auferlege und keine subjektiven Rechte einräume bzw. wenn dessen Ordnung alle Bürger zu Sklaven eines einzelnen Herrschers mache.46 Diese durchaus missverständliche Passage richtete sich gegen die limitieren­ de Annahme eines individualistischen Naturrechts, das mit dem reinen An­ spruch einer ausschließlich auf dem Boden des Positivismus stehenden Rechtslehre unvereinbar ist.47 In Bezug auf den Naturstaatszweck bedeutet diese rechtstheoretische Einlassung, dass ein Umwelt- bzw. Naturstaat grundsätzlich nur in der positivistischen Art einer zu Recht gewordenen Macht gesehen werden kann, da „irgendein Akt als Staatsakt begriffen, ir­ gendein Tatbestand als staatlich gedeutet, dem Staate zugerechnet werden 42  P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip – ein neuer Schlüssel zur Lehre vom modernen Rechtsstaat, Bern u. a. 1984, S. 130 (Hervorhebung im Original); I. Appel (Fn. 11), S. 61; vgl. auch G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 109 ff. Hier stellt sich auch die Frage nach einer grundsätzlich innovativeren, zukunftsori­ entierten Ausrichtung des Staatswesens; siehe hierzu unter Rechtfertigungsgesichts­ punkten R. Zippelius (Fn. 1), S. 105 / 112 ff. 43  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 37 f. 44  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 38. 45  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn.  17), S. 40  ff.; vgl. auch I. Appel (Fn. 11), S. 60 f. Siehe zum Zusammenhang von Menschenwürde und dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ausführlich B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S. 25 ff., v. a. S. 41 ff. 46  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 41. 47  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 41.

450 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

kann nur aufgrund einer normativen Ordnung, die das Recht selbst ist. Für eine positivistische Betrachtung, die das Recht nicht im Naturrecht verab­ solutiert, ist der Staat ein König Midas, dem alles, was er ergreift, zu Recht wird. Und darum muss (dann), vom (formalen) Standpunkt des Rechtsposi­ tivismus aus gesehen, jeder Staat ein Rechtsstaat in dem Sinne sein, dass alle Staatsakte Rechtsakte sind, weil und sofern sie eine als Rechtsordnung zu qualifizierende Ordnung realisieren.“48 Die Freiheit sei deshalb nur der Ausdruck für die Normgesetzlichkeit des Wertes oder Geistes zum Unter­ schied und in bewusstem Gegensatz zu der Kausalgesetzlichkeit der Wirk­ lichkeit der Natur, so dass der Staat die Freiheit nicht nur bezwecke, sondern dass er die Freiheit sei, da er das Rechtsgesetz sei.49 Daraus ergibt sich, dass ein Naturstaat auf der Grundlage von je unterschiedlich ausgestalteten Rechtsordnungen entstehen kann, was der naturstaatlichen Systemimmanenz eine pluralistische Staatsformenkompatibilität bescheinigt. Nun ist aber auch für Hans Kelsen der fundamentalste Zweck eines Staates die Herstellung einer Friedensordnung, einer politischen Einheit, die als formelles Moment in der die Staatsmacht vermittelnden Grundnorm als der Verfassung im rechtslogischen Sinne aufgehoben ist.50 Die besondere Dimension des exis­ tentiellen Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen indiziert daher vor dem Abbild der rechtstheoretischen Inständigkeit des Positivismus, dass ein Naturstaat in allen Rechtsformen, d. h. in mehr expansiver, mehr limitieren­ der Form auftreten kann, ein modifiziertes Fundamentalverständnis, das die 48  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 44 (Hervorhebungen im Original); F. Koja (Fn. 3), S. 45 ff.; vgl. auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 34), S. 121. In diesem Sinne auch I. Appel (Fn. 11), S. 57 f. (siehe aber auch relativierend auf S. 63 Fn. 89); G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung – rechtliche Grundstrukturen netz­ gebundener Transport- und Übertragungssysteme zwischen Daseinsvorsorge und Wettbewerbsregulierung am Beispiel der leitungsgebundenen Energieversorgung in Europa, Tübingen 1998, S. 158 f.; vgl. auch F. Koja (Fn. 3), S. 44 / 47 ff.; R. Steinberg (Fn. 1), S. 53 ff.; Ch. Calliess (Fn. 2), S. 86 ff., die auf die Notwendigkeit der positivrechtlichen Fixierung von Staatsaufgaben hinweisen, um staatliche Verantwor­ tung rechtlich begründen zu können. Zur staatspersonalen Identität H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 80 ff. 49  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 44. 50  Siehe hierzu nur A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grund­ norm, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheore­ tische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1813; H. Kelsen, General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 22 f. Die Achtung der natürlichen Lebensgrundlagen ist überhaupt die Grundbedingung für eine Friedensordnung. Wie will der Staat die Friedensordnung, die mit der durch das errichtete Gewaltmonopol einhergehenden Sicherheitsfunktion besteht, gewährleisten, wenn das Staatsgebiet überschwemmt ist? In diesem Fall zeigt sich die naturbedingte Ohnmacht, der der Staat gegenüber­ stehen kann. Mit einem derartigen Naturereignis entsteht die Gefahr der Auflösung der Friedensordnung, da die Bedingungen der staatlichen Herrschaft praktisch „weg­ gespült“ sind.



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Natur als Geltungsbedingung der staatlichen Rechtsordnung ansieht, ohne dass dies aber eine unzulässige Vermengung von Normensystemen im Sinne der Naturrechtslehre zur Folge haben darf. Die Lehren vom expansiven bzw. limitierenden Staatszweck zeigen daher auf der Legitimitätsebene den konkreten Intensitätsgrad des Staates als positiver Naturstaatsordnung an, wobei sie in ihrem kollektivistischen und individualistischen Subjektivismus die essentielle Systemdimension des Schutzes der natürlichen Lebensgrund­ lagen nur unzureichend zum Ausdruck bringen. Insoweit ist auch kein Un­ terschied zu relativen Staatszwecktheorien vorhanden, die die Rechtferti­ gungsgründe „aus dem jeweiligen Bewusstseinsinhalt eines Volkes und einer Zeit entnehmen“ und dabei vornehmlich für die Bestimmung des staatlichen Betätigungsbereichs auf die Gemeinwohlrelevanz rekurrieren.51 III. Soziologische Legitimität und normative Idealität Die profane Differenzierung zwischen ethisch-normativen und soziologi­ schen Legitimitätstheorien erweitert die Vorstellung von Rechtfertigungs­ gründen der staatlichen Herrschaft im Sinne des in seiner grundsätzlichen Existenz nicht zu bestreitenden Sein-Sollen-Dualismus um eine wirklich­ keitskonforme Perspektive, die sich auf das reale Abbild der hoheitlichen Machtausübung konzentriert. Während sich die ethisch-normativen Staats­ zwecklehren mit der allgemeinen Rechtfertigung eines umweltbezogenen Staatswesens befassen und in dieser wertenden Analyse auch die spezifi­ schen Regierungsformen innerhalb eines Umwelt- bzw. Naturstaates ein­ schließen, rückt bei den soziologischen Legitimitätstheorien dagegen die Frage nach der tatsächlichen Akzeptanz und Billigung der staatlichen Ord­ nung durch die konkret der Staatsherrschaft Unterworfenen in den Fokus der Betrachtung.52 Nach der auf Max Weber zurückgehenden idealtypi­ schen Kategorialisierung sind insoweit aus soziologischer Sicht die rationa­ le, die traditionale sowie charismatische Legitimation von staatlicher Herr­ schaft zu unterscheiden, wobei sich die rationale Rechtfertigung auf eine „Fügsamkeit gegenüber formal korrekt und in der üblichen Form zustande 51  G. Jellinek, AS (Fn. 6), S. 249; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 138 f.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 27), S. 28 f.; vgl. auch Ch. Link (Fn. 1), VVDStRL 1990 (48), S. 11 f. / 47. 52  B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 116; R. Zippelius (Fn. 1), S. 94 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 22), S. 25 / 126; U. Schliesky (Fn. 1), S. 151 ff. / 159 ff.; im Zusammenhang mit dem ökologischen Staatszweck ausführlich D. Murswiek, Um­ weltschutz als Staatszweck (Fn. 17), S. 65 ff.; vgl. auch G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 99 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 17 ff. / 22 ff.; U. Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, Berlin 1966, S. 27 ff.

452 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

gekommenen Satzungen“ stützt, was diese Anschauungsform mit der Forde­ rung nach einer der Legalität verpflichteten hoheitlichen Herrschaftsaus­ übung identifiziert, die traditionale bzw. charismatische auf dem Glauben einer durch Tradition vermittelten Richtigkeit einer überkommenen Ordnung und Herrschermoral oder auf einer außergewöhnlichen Präsenz bzw. beson­ deren Fähigkeiten des Herrschers beruhen.53 In Bezug auf die Konfiguration des modernen Staates zu einem Naturstaat ist diese Typisierung umso wich­ tiger, als der Gedanke eines leistungsstarken Umweltschutzes in der doch wirtschaftlich dominierten Weltgemeinschaft immer noch mit Bremsklotz­ vorurteilen zu kämpfen hat.54 Dem rationalen Postulat einer legalen Natur­ staatsherrschaft kann eigentlich nichts hinzugefügt werden. Eine naturstaat­ liche Systemimmanenz kann sich grundsätzlich nur im Rahmen der rechts­ staatlichen Errungenschaften entfalten, ohne dass es vor allem zu ungerecht­ fertigten Übergriffen auf grundrechtlich geschützte Individualgüter kommen darf.55 Insoweit wäre bereits eine überpositivistische Ordnung aus materiel­ len Gerechtigkeitspostulaten im Sinne der wirklichkeitswissenschaftlichen Staatsbetrachtung bei Hermann Heller problematisch, die durch einen natur­ staatlichen Ökologiegrundsatz das Staatsleben aus den gewohnten und for­ malen Bahnen des Verfassungsrechts entheben könnte.56 Zudem entspricht ein ökologisch orientiertes Staatswesen heute einer zumindest überwiegen­ den Vernunftvorstellung der Menschen, die angesichts der existentiellen Dimension des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen eine naturstaat­ liche Gesetzesherrschaft soziologisch weiterhin legitimieren kann.57 Für eine traditionale Rechtfertigung, die sich auf das soziologische Vertrauen in eine ökologische Richtigkeit vergangener Herrschaftshandlungen stützt, kommt insbesondere eine überzeugende Umweltpolitik in Betracht, die sich in der parteienstaatlich geprägten Landschaft auf die traditionelle Sachkompetenz 53  Grundlegend hierzu M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. I, Tübingen 1922, S. 19 f. / 122 ff.; R. Zippelius (Fn. 1), S. 95 f.; G.  Leibholz, Repräsentation, in: R. Herzog u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II: N – Z, 3. Aufl., Stutt­ gart 1987, Sp. 2986 (2991 ff.); M.  Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 177 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 116 f.; T. Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 22), S. 126 f.; U. Schliesky (Fn. 1), S. 153 ff. 54  Vgl. B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 3), S. 17 ff. 55  R. Zippelius (Fn. 1), S. 95 f.; P. Pernthaler (Fn. 1), S. 12; U. Schliesky (Fn. 1), S. 154 / 166 ff. 56  H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 255 ff. Genau darauf laufen aber die Ver­ suche von Dietrich Murswiek hinaus, einen überpositivistischen Staatszweck zu kon­ struieren und den Grundrechten umweltimmanente Schranken anzulegen; siehe zu Letzterem nur D. Murswiek, Privater Nutzen und Gemeinwohl im Umweltrecht – Zu den überindividuellen Voraussetzungen der individuellen Freiheit, JZ 1994, 77 (79 ff.). 57  Siehe zu dieser erweiterten Dimension der rationalen Legitimation durch allgemeine Vernunftvorstellungen B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 108 f.; R. Zippelius (Fn. 1), S. 95 f.



§ 14 Naturstaatszwecklehre453

von politischen Vereinigungen zurückführen lässt, die auch für die weitere Zukunft Gewähr für eine Effektuierung der lebensnotwendigen umweltstaat­ lichen Systemausrichtung bietet. Als charismatische Rechtfertigung ist ein von der Persönlichkeit oder der Fachkompetenz herausragender Minister oder sonstiger Staatsmann möglich, der mit seiner Umweltpräsenz die ge­ sellschaftlichen Massen zu überzeugen weiß und auf diesem Wege funktio­ nal integrierend die politische Akzeptanz für den Umweltschutz fördert.58 Als ein derart charismatisch anmutender Staatsakt erschien im Deutschen Reich auf dem Gebiet des kulturellen Naturschutzes letztlich die Notverord­ nung vom 05.06.1931, die – von ihren diktatorischen Wirkungen abgese­ hen – den Reichspräsidenten als sachlich den Naturschutzgeist präsentieren­ des Staatsoberhaupt persönlich-funktional in den Vordergrund stellte und damit eine die politische Einheit untermauernde Symbolik zum Ausdruck brachte.59 Eine solche Integrationskraft im Sinne eines strahlenden Charis­ mas kann die naturstaatliche Herrschaft stärken, wobei machtorientierte Diktaturtendenzen bzw. sonstige Übergriffe auf die freiheitlich-demokrati­ sche Grundordnung vermieden werden müssen. Aus der Sicht der normati­ ven Staatstheorie von Hans Kelsen kann diese soziologische Rechtferti­ gungstypisierung vielleicht ein Erklärungsmuster für die staatliche Herrschaft sein und in diesem Sinne das „Warum“ der tatsächlichen Staatsordnung legitimieren, sie kann aber gleichwohl nicht den Staat als Ganzes, d. h. das ursprüngliche „Ob“ der staatlichen Ordnung in ihrer Existenz, erklären. Von dem Standpunkt der „verstehenden Soziologie“ ergibt sich deshalb „die Aufgabe, ein Kriterium dafür aufzuzeigen, dass ein bestimmter Komplex von menschlichen Handlungen gerade (der) ‚Staat‘ ist, das synthetische Prinzip anzugeben, das aus der unbegrenzten Fülle tatsächlicher Handlun­ gen der Menschen einen besonderen ‚Komplex‘ zur Einheit des Staates erhebt und so aus einer Menge einzelmenschlicher Akte ein soziales ‚Gebil­ de‘ konstituiert.“60 Mit anderen Worten ist die kausalwissenschaftliche 58  Siehe zur traditionellen bzw. charismatischen Legitimation nur B. Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 116 f.; R. Zippelius (Fn. 1), S. 95 f.; U. Schliesky (Fn. 1), S. 154 f. Als charismatischer Vorstoß auf dem Gebiet des Umweltschutzes kann der nationale Appell des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika Barack Oba­ ma im Jahre 2014 angesehen werden, wonach sich die USA in Zukunft vermehrt der internationalen Aufgabe des Umweltschutzes widmen werden. 59  Siehe zur durch das Präsidentenamt vermittelten persönlichen Integrations­ wirkung am Beispiel des ersten amerikanischen Präsidenten George Washington unter ausdrücklichem Rekurs auf die Lehre von Rudolf Smend F. Muß, Präsident und Ersatzmonarch – die Erfindung des Präsidenten als Ersatzmonarch in der ame­ rikanischen Verfassungsdebatte und Verfassungspraxis, München 2013, S. 163 ff. /  185 ff. 60  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 19; ders., The pure theory of law and analytical jurisprudence, Harvard law review 1941 (55), 44 (50 ff.); ders., General theory of law and state (Fn. 50), S. 162 ff.; vgl. auch H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre,

454 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

Methode der Soziologie durchaus geeignet, „die Chance festzustellen, mit der Handlungen eines gewissen Sinnes tatsächlich erfolgen, insbesondere (dann) zu untersuchen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Rechts­ normvorstellungen tatsächlich wirksam werden.“61 Das synthetische Prinzip aber, das den Staat als Ganzes konstituiert, ist der objektive „Sinngehalt der Vorstellungen, an denen sich die handelnden Menschen orientieren“, die überindividuelle Ordnung, die sich über den soziologischen Unterbau ideal­ typisch legt und als ideelles Deutungsschema den konkreten Sachgehalt enthält, der das tatsächliche Verhalten der Menschen determiniert.62 Und aus diesem Grund ist für eine naturstaatliche Staatsverfassung zunächst eine umwelt- bzw. naturspezifische Verfassungsnorm erforderlich, die als positiv­ rechtlicher Ausdruck einer supraindividuellen Idealität das staatliche Leben anleitet und steuert, um den Naturstaat in einer dynamischen Dialektik wachsen zu lassen.63 Auf diese Weise werden die objektiven Staatszweck­ lehren lebendig, indem sie als verrechtlichte Direktiven den politischen Prozess fördern. Unterdessen vergisst Hans Kelsen aber keineswegs die soziologische Relevanz eines ausschließlich in der Welt des Geistes gedach­ ten Staates. Denn die Normen, die ihre Geltung aus der alles überragenden Grundnorm als der Verfassung im rechtslogischen Sinne ableiten, stehen unter der immanenten Bedingung einer soziologischen Wirksamkeit, was einer Norm die verbindliche Kraft durch Derogation entziehen kann.64 Auch wenn dies angesichts des im 21. Jahrhundert anerkannten Weltgeistes einer Naturstaatlichkeit nicht wirklich zu erwarten ist, besteht damit aber stets die Option einer nivellierenden Verkommung des Naturstaates, der von dem Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 6 f. Den Zusammenhang von norma­ tiver reiner Staatslehre und soziologischer Staatsbetrachtung in der Lehre von Hans Kelsen zusammenfassend H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratie­ theorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1991, S. 136 ff. In die entgegenge­ setzte Richtung, d. h. gegen die Staatsbegriffe des Rechtspositivismus, wendet sich dagegen Roman Herzog R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S.  91 ff. 61  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 20; ders., The pure theory of law and analytical jurisprudence (Fn. 60), Harvard law review 1941 (55), 44 (50 ff.); M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts – ein kritischer Vergleich, Berlin 1993, S. 165. 62  Hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 19; vgl. auch ders., Wesen der Demokratie (Fn. 5), S. 7 ff. / 15; ders., Wissenschaft und Demokratie (1937), in: M.  Jestaedt /  O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S.  238 ff. 63  Vgl. H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 5), S. 23 in Bezug auf eine ver­ fassungsrechtliche Verankerung der Parteien als politische Faktoren des staatlichen Willensbildungsprozesses. 64  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S.  215 ff.



§ 14 Naturstaatszwecklehre455

Gutdünken der realen Wirklichkeit partiell abhängig bleibt. In diesem Sinne sind etwaige überpositivistische Gerechtigkeitspostulate durchaus sinnvoll, die aber mit der Reinen Rechtslehre und einer Staatstheorie des Rechtspo­ sitivismus nicht vereinbar sind. Indiziert dies aber vielleicht nicht ein grund­ sätzliches Umdenken? Die originäre Dezision eines pouvoir constituant beinhaltet grundsätzlich auch eine Entscheidung über einen natürlichen Raum mit einer ganz konkreten physisch-biologischen Beschaffenheit.65 Der Staat als Souverän wird daher in Analogie zu der auf die Eigentümerver­ hältnisse abstellenden patrimonialen Staatstheorie66 zu einem Herrn über diesen Naturraum erhoben, der keiner bestimmten Nutzungsbegrenzung der natürlichen Lebensgrundlagen unterliegt. Dies ist die zeittypische Fehlvor­ stellung eines auf das Souveränitätsdogma gegründeten Staatskönigtums, das sich die Natur als einen Haussklaven hält, der zu eigenen Ausbeutungs­ zwecken uneingeschränkt gebraucht werden kann, ohne dabei aber den Anleihecharakter des Verhältnisses von Staat und Natur zu beachten. Hans Kelsen betonte stets, dass der Staat nicht im Reiche der Natur, sondern im Reiche des Geistes stehe,67 womit die methodisch unzulässige Vermengung der naturrechtlich-materiellen und positivrechtlich-formellen Normensyste­ me scheinbar metaphorisch ausgedrückt wurde. Der Staat steht aber „auf der Natur“, die sich in dieser Perspektive nicht als Zweck, sondern als Staatssystemvoraussetzung und demnach als Mittel darstellt. In dem Sinne wie jeder Staat Rechtsstaat ist, da er seinem Wesen nach ein System von Normen, die Rechtsordnung, ist, was die Annahme eines Rechtszwecks ad absurdum führt,68 so muss jeder Staat als Naturstaat qualifiziert werden, da aus einer wirklichkeitswissenschaftlichen Perspektive heraus der Staat ohne natürliche Plattform nicht gesehen werden kann. Dennoch besteht aber ein nicht zu vernachlässigender Unterschied zwischen dem Recht und der Natur als Mittel des Staates. Denn das Recht beruht als positivrechtlicher Aus­ druck des Staatswillens auf der Autonomie des Staates, während es sich bei der Natur um eine (partiell) fremdbestimmte Determinante handelt. Die Natur ist deshalb mit einem fremden Kapital, einer Anleihe der Natur ver­ gleichbar, die in ihrer Gewaltdimension für den modernen Staat nur bis zu 65  P. Nitschke, Raumkonstruktionen des Politischen, in: R. Voigt (Hrsg.), Groß­ raum-Denken, Stuttgart 2008, S. 50 f. 66  C. Schmitt, Verfassungslehre, Neusatz auf der Basis der 1.  Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 283; H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 332 f.; R. Zippelius (Fn. 1), S.  92 f. 67  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 14. Hans Kelsen wollte mit der bildlichen Einlage, wonach der Staat nicht im Reiche der Natur, sondern im Reiche des Geistes stehe, primär die seelisch-körperliche, psychische Sphäre von der idealen Geistsphäre des Staates unterscheiden. Im naturstaatlichen Kontext ist in dem Zitat eine tiefere, na­ turrechtlich flankierte Wahrheit zu finden. 68  H. Kelsen, AS (Fn. 3), S. 16 f. / 42 ff.; F. Koja (Fn. 3), S. 45 ff.

456 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

einem gewissen Rationalitätsgrad berechenbar bleibt. Die Annahme eines objektiven Naturstaatszwecks – wenn diese Terminologie von dem Zweck des Staates überhaupt Verwendung finden muss69  ‒ ist damit nur insoweit brauchbar, als sich in der geschriebenen Verfassung eine umwelt- bzw. na­ turrelevante Norm befinden muss, die als objektives Produkt des Weltgeistes die Naturstaatlichkeit formal präsentiert und den Staat mit ihrem materiellen Richtliniengehalt anleitet und dirigiert. Unabhängig davon aber indiziert ein Verständnis der Natur als einem notwendigen Systemmittel des Staates, das einer physischen Fremdbestimmung unterliegt, dann eine staatliche Legiti­ mation (ebenso) von der Natur, so dass eine staatliche (Rechts)Ordnung nur dann legitim sein kann, wenn eine ökologische Legitimationskette ange­ nommen wird, die lediglich in Ausnahmefällen zugunsten des in der letzten Konsequenz stets vorrangigen demokratischen Staatswillens durchbrochen werden darf. Es ist dies die dogmatische Geburt eines formalen Naturbeach­ tensbefehls und eine späte Bestätigung der von Hans Kelsen stets im Auge behaltenen Erkenntnis, dass es sich bei dem Staatsgebiet lediglich um eine Bedingung der staatlichen Herrschaft handelt, die aufgrund ihrer Faktizität nicht ausschließlich in der Welt des (objektiven) Geistes gedacht werden kann.70

69  H. Kelsen,

AS (Fn. 3), S. 39 ff. Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, S.  100 Fn. 1; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersu­ chung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922, S. 84 f.; J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 176 ff.; vgl. auch M. Haase, Grundnorm  – Gemeinwille  – Geist, Tübingen 2004, S. 32. Ähnlich auch F. Ermacora (Fn. 1), S. 52 f. (Land als „wesentliche Voraussetzung“ des Staates). 70  H. Kelsen,

§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien im gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskurs I. Der ökologische Rechtsstaat bei Klaus Bosselmann Ein dynamisches Grundverständnis liegt dem von Klaus Bosselmann entwickelten Staatsmodell eines ökologischen Rechtsstaats zugrunde, dessen fortlaufende Aufgabe darin liegt, ökologischen Ausgleich anzustreben.1 Für Klaus Bosselmann kränkelt der moderne Staat zumeist an einem selbstbe­ grenzenden Staatsbürokratismus, indem sich der gesamte staatliche Apparat durch eine politik- und fachspezifisch orientierte Organisationsstruktur des politisch-administrativen Staatssystems sowie eindimensionale, auf die Querschnittsmaterie der Ökologie kaum zugeschnittene Entscheidungsme­ chanismen praktisch der neuen Staatsaufgabe Umweltschutz systematisch verschließt, was seinen Grund mitunter in der unzureichenden rechtstheore­ tischen Innovationsoffenheit findet.2 Deshalb ist eine nachhaltige Integra­ tion im Sinne einer naturkonformen Wirtschaftsstaatlichkeit geboten, die den für die staatliche Entwicklung unverzichtbaren Staat-Markt-Mechanis­ mus im Sinne eines konkreten ökologischen Ordnungsrahmens unter Wah­ rung der rechtsstaatlichen Errungenschaften fortentwickelt.3 Neben einer mehr ökologischen Steuerungsoption des Rechts sind damit auch die Insti­ tution des Marktes regulierende Instrumente zur Überwindung der anthro­ pogen bedingten Ökokrise sinnvoll, wobei stets ein grundsätzliches Umden­ ken unter dem Leitbild einer dauerhaft-nachhaltigen Maxime und damit entsprechend einer Naturvernunft, die die Natur wachstumsbezogen nicht überfordert und ihre natürlichen Kapazitätsgrenzen schließlich in den markt­ wirtschaftlichen Systemkreislauf integriert, maßgebend ist.4 Der ökologi­ sche Rechtsstaat zeichnet sich damit durch direkte wie indirekte Instrumen­ te der Verhaltenssteuerung aus, die mit Blick auf die ökonomische Überle­ genheit durch einen grundlegenden Kalkulationswandel ergänzt werden 1  K. Bosselmann, Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Standortbe­ stimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Tau­ nusstein 1994, S. 53. Hierzu auch Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zu­ gleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen mehrpoliger Verfassungs­ rechtsverhältnisse, Tübingen 2001, S. 32 f. 2  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 56 f. 3  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 57 ff. / 67 f. 4  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 57 ff. / 61.

458 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

müssen, der als Basis von betriebs- und volkswirtschaftlichen Berechnungen die notwendigen Kosten für den umweltbewussten Fortschritt internali­ siert.5 Dies indiziert schließlich dann in rechtsstaatlicher Perspektive ein ganz anderes Grundrechtsverständnis, das die materielle Freiheitswerteord­ nung von Grund auf im Kontext mit der physisch-biologischen Begrenztheit der Natur betrachtet.6 In diesem Sinne sieht Klaus Bosselmann die system­ relevante Gebotenheit, dass die Natur einer relativen Sichtweise gemäß nicht mehr lediglich als ein Gemeinwohlbelang unter vielen betrachtet wird, sondern als anerkannter Eigenwert mit inhaltlicher Determination im Rah­ men der positivistischen Rechtsordnung Beachtung findet.7 Geeignet er­ scheint ihm hierfür eine ausdrückliche Ergänzung der Schrankentrias des Art. 2 I GG durch den Naturwert bzw. eine entsprechende grundrechtsim­ manente Begrenzung des Eigentumsinhalts nach Art. 14 GG, da eine noch so weit gefasste Sozialpflichtigkeit des Eigentums eine derart weitreichende Freiheitsbeschränkung nicht rechtfertigen kann, und ansonsten für einen leistungsstarken Umweltschutz von dieser Art nur noch der Notnagel einer Enteignung übrig bleibt.8 Im Ergebnis läuft die Theorie des ökologischen Rechtsstaats damit letztlich auf den Versuch einer nachhaltigen Integrations­ lehre hinaus, die sich in den Bahnen des Rechts auf eine ökologisch geeich­ te Transformationspolitik des Staates ausrichtet, ohne dass dies aber in eine Ökodiktatur mündet.9 Der ökologische Rechtsstaat steht damit auch im Spannungsverhältnis zwischen unabhängigem Sachverstand und demokrati­ scher Legitimation, wie sich an dem von Klaus Bosselmann gebilligten Diskurs um einen ökologischen Rat zeigt, der vielleicht als eine den politi­ schen Kräften nichtverantwortliche Institution das anerkannte Umweltstaats­ prinzip innerhalb des Staatssystems angemessen zur Geltung bringen könn­ te.10 Abgesehen davon aber besitzt die Einbindung der Öffentlichkeit in Planungs- und Genehmigungsverfahren oberste Priorität, was mit einer Stärkung der organisierten Gesellschaft als Anwälte der Natur einhergehen muss.11 Dies alles ist letztlich Ausdruck einer integrierenden Eigenwert­ theorie der Natur, die den stetigen Progress eines von der Marktwirtschaft getragenen sozialen Staatswesens nachhaltig sichern möchte.

5  K. Bosselmann

(Fn. 1), S. 58 f. (Fn. 1), S. 61 ff. 7  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 63 f. 8  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 64 ff. 9  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 53 f. / 60 f. / 67 f. 10  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 66 f. 11  K. Bosselmann (Fn. 1), S. 68. 6  K. Bosselmann



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien459

II. Der Staat als Naturstaat bei Peter Cornelius Mayer-Tasch In dem auf Peter Cornelius Mayer-Tasch zurückgehenden Terminus des Naturstaats klingen dagegen semantisch von vornherein ernste Zweifel an der Möglichkeit einer Herrschaft des Menschen über die Natur an, die die dominierende Haltung einer anthropozentrischen Orientierung des ökologie­ bewussten Gedankenguts zu relativieren versuchen.12 In diesem Sinne ver­ steht der Urschöpfer dieses Begriffes die sich dahinter verbergende system­ immanente Staatskonzeption als eine auf den Eigenwert der Natur gerichte­ te Ökozentrik, die „sowohl Tiere, Pflanzen und sonstige Naturerscheinungen wie auch die Natur als originären Funktionszusammenhang zu Schutzgütern (…) (erklärt), die um ihrer selbst willen zu bewahren sind“.13 Ein Naturstaat sieht die Natur deshalb nicht ausschließlich als technisch-ökonomisches Medium zur konkreten Deckung von anthropogenen Ver- und Entsorgungs­ bedürfnissen an, sondern er nimmt überdies denklogisch die Leistungsfähig­ keit des gesamten Naturhaushalts als ökologisches Leitmotiv, was ein ande­ res Verständnis von Naturbewahrung indiziert, das über den auf den Men­ schen als zentralistischem Mittelpunkt der Welt bezogenen „Um“weltschutz hinausgeht.14 Dies indiziert darüber hinaus angesichts der anthropogenen Naturbedingtheit und Naturabhängigkeit nicht nur eine staatliche Präsenz, die auf eine wechselseitige Beziehung von Mensch und Natur am Maßstab einer nachhaltigen Rationalität programmiert ist, sondern auch auf den in­ neren Frieden der Natur selbst, ohne den sich der Mensch einer unabschätz­ baren Gefahr ausgeliefert sieht.15 Daraus ergibt sich dann, dass der Natur­ staat im Rahmen seines Gemeinwohlauftrags den fundamentalen Sicher­ heitszweck des dauerhaften Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zu verwirklichen hat, wobei eine naturstaatliche Systemausrichtung überdies grundsätzlich voraussetzt, dass der politische Selbstentfaltungsvorgang durch eine strukturelle Konfiguration des Gemeinwesens im Sinne eines Eigenwertkonzepts der Natur bestimmt wird.16 Einen wichtigen Schritt in diese Richtung bildet deshalb ein normiertes Staatszielprinzip, das dem staatlichen Herrschaftsverband als „vollgültige Direktive“ vorgegeben ist und in diesem Sinne womöglich zu einer unterschwelligen Ergänzung des anerkannten Werterelativismus führt, so dass sich hieraus im Rahmen des politischen Abwägungsprozesses eine de-facto-Priorität des positivrechtlich

12  P. C. Mayer-Tasch, Politische Theorie des Verfassungsstaates, München 1991, S. 139. 13  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 148 f. 14  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 141 f. 15  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 142 f. 16  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 143.

460 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

verankerten Staatsziels ergeben könnte.17 Denn „eine wirkliche Verbesse­ rung wird sich (…) nur aus der steten Wechselwirkung normativer Setzun­ gen und faktischer Entwicklungen ergeben, aus einer Art von Kosakentanz, der auf die Vereinigung von Idee und Wirklichkeit zielt.“18 Dabei hat der Staat als institutioneller Repräsentant des Gemeinwohls gerade im Interesse der Wirtschaft, die auf die natürlichen Lebensgrundlagen als Reservat für Produktions- und Entsorgungsstoffe dringend angewiesen ist, eine langzeit­ ökonomische Präventionspolitik zu betreiben, die im Sinne einer ökologi­ schen Seriosität auf den Nachweltschutz zu erstrecken ist. Es ist daher eine rationale Wirtschaftslenkung erforderlich, die bei einer leistungsstarken Output-Quote die gebotenen Umweltstandards zumindest nicht auf ein mi­ nimales Niveau herabsinken lässt.19 Aus naturstaatlicher Immanenzperspek­ tive ist indessen der folgende Gedanke einer Parallele zu dem mittelalterli­ chen Lehnswesen von Relevanz: Die Natur in ihrem Wert als Ressource lässt sich im Gegensatz zu kapitalisiertem Eigentum weder berechnen, noch austauschen oder gar besitzen, sondern lediglich vor anthropogenen Über­ griffen absondern. Dies indiziert schließlich den Vergleich zu einem Lehen, d. h. „als jene Art von Besitz also, der einem nach mittelalterlicher Rechts­ vorstellung zu treuen Händen anvertraut wurde und über dessen sorgliche Behandlung man immer wieder Rechenschaft zu geben hatte“.20 Damit be­ darf es insgesamt eines grundlegend anderen Verständnisses von Staatlich­ keit, das die Natur weitestgehend unanhängig von einem Recht setzenden Willensmoment etabliert.21 Dies indiziert freilich keine Relativierung der Rechtsstaatsidee als solcher. Der Naturstaat wird vielmehr im regelmäßigen Wege der praktischen Konkordanz ein weiteres rechtsstaatliches Potential hervorbringen, das sich aber erst im Lichte der naturstaatlichen Entwicklung im Rahmen eines verfassungsstaatlichen Ordnungsrahmens ausschöpfen wird.22 Letztendlich liegt es an der Menschheit selbst, ob sie durch eine weitere ökonomische Expansionsmaschinerie das Gefährdungspotential für die staatliche Existenz, das sich mit Blick auf die herkömmliche Ausbeu­ tung der natürlichen Lebensgrundlagen notwendigerweise stellen wird, för­ dert und sich so in die dann unausweichliche Option einer Ökodiktatur er­ geben muss, oder ob sie durch einen gemäßigten Lebenswandel den syste­ matischen Anschluss an die demokratische Tradition finden kann.23 Aus diesem Grund ist weiterhin eine ökologische Bildungs-, Erziehungs- und 17  P. C. Mayer-Tasch

(Fn. 12), S. 168 (Hervorhebung nicht im Original). (Fn. 12), S. 173. 19  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 146 f. 20  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 147. 21  Vgl. P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 173. 22  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 168 / 170. 23  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 169. 18  P. C. Mayer-Tasch



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien461

Aufklärungsarbeit seitens des Staates notwendig, um das allgemeine Um­ weltbewusstsein konsensfähig zu fördern. Auf diesem Wege muss sich mit der Zeit unter demokratietheoretischer Perspektive eine starke soziale Trä­ gerschicht finden lassen, die die wandelbare und mit einer Überwindungs­ tendenz behaftete Eigenschaft des volonté générale in naturstaatlich sinnvol­ le Grenzen weist.24 Im Ergebnis ist der Naturstaat für Peter Cornelius Mayer-Tasch ein zukunftsträchtiges Projekt, ohne das der moderne Staat ansonsten bald nicht mehr erklärbar sein wird. Es indiziert ein anderes, materielles Verständnis des Staatsgebiets, ohne das die Drei-Elemente-Lehre von Georg Jellinek in naher Zukunft stets unzureichend erscheinen wird.25 Auch wenn auch hier der Gedanke der Integration im Sinne einer prakti­ schen Konkordanz die naturstaatliche Systemorientierung stets erweitern soll, so ist es aber doch noch ein tieferes Verständnis von Natur, das diesem ökozentrischen Staatsmodell zugrunde liegt. Der Naturstaat bei Peter Cor­ nelius Mayer-Tasch zeigt Ansätze eines überpositivistischen Rechtsprinzips der Natur, das die geschriebene Verfassung unterschwellig zu überlappen scheint. Gleichwohl wird aber die anthropozentrische Option eines Natur­ staates bzw. die rechtsstaatliche Berechenbarkeit nicht aus den Augen ver­ loren.26 III. Der ökologische Verfassungsstaat bei Rudolf Steinberg Ein ganz anderes Modell eines umweltorientierten Staatswesens liegt dem kooperativen Konzept eines ökologischen Verfassungsstaates bei Rudolf Steinberg zugrunde. Dieser innovative Systemansatz sieht sich dabei von vornherein in apokalyptischer Synthese der Grundstimmung einer zukünftig möglichen Abdankung des modernen Verfassungsstaates „zugunsten der Selbststeuerung der Technostruktur“ ausgesetzt, da ein entsprechendes ord­ nungsrechtliches Imperativregime eine legitime Staatsmacht voraussetzen würden, die der Staat aufgrund der sich weiter ausbauenden Dominanzstel­ lung der technisierten Wirtschaft nicht mehr haben kann.27 Die Ursachen dieser allmählichen Umwälzung der demokratisch-rechtsstaatlichen Verfas­ sungskruste sind mannigfaltig: „die Abhängigkeit der staatlichen Behörden von Informationen und von technisch-wissenschaftlichem Sachverstand, worüber zunächst einmal die Regelungsadressaten verfügen; deren recht­ 24  P. C. Mayer-Tasch

(Fn. 12), S. 170 f. (Fn. 12), S. 147. 26  P. C. Mayer-Tasch (Fn. 12), S. 149 / 170. 27  R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 388 f. Siehe zum ökologischen Verfassungsstaat bei Rudolf Steinberg auch Ch. Calliess (Fn. 1), S. 33 f. 25  P. C. Mayer-Tasch

462 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

liche und faktische Obstruktionsmöglichkeiten; die politische Stärke der von ihnen verkörperten ökonomischen Interessen (…); schließlich die schwieri­ gen Bedingungen eines Handelns in Risikosituationen, d. h. in Lagen, in denen nicht nur das Vorliegen einer Gefahr im Sinne einer zu erwartenden Rechtsgutbeeinträchtigung, sondern auch die Wirksamkeit der angeordneten Vorkehrungen zweifelhaft bleibt.“28 Das Szenario, das sich hier nun stellt, ist die Situation eines vollzugsdefizitären Staatswesens, das unter Legitima­ tionsgesichtspunkten auf eine kollaborative und abnahmebereite Gesellschaft angewiesen ist, um ein hoheitliches Umweltregime unter dem Topos eines öffentlichen Interesses akzeptanzgetreu und somit gerechtfertigt ausüben zu können.29 Angezeigt ist daher eine verfahrensmäßige Kooperation zu instal­ lieren, die die späteren Entscheidungsempfänger frühzeitig in die komplexen Informations- und Abwägungsprozesse einbezieht und auf diesem Wege ein adäquates Legitimationsniveau hervorbringen kann.30 Der ökologische Ver­ fassungsstaat bei Rudolf Steinberg ist dabei gegenüber dem Phänomen des Sozialstaates ein sogar noch gesteigerter Typus eines präventiven Koopera­ tionsstaates, der sich durch die in gleitender Dialektik abspielende Diskur­ spraxis zwischen ihm und den gesellschaftlichen Kräften eine hinreichende Legitimationsgrundlage sichert und somit mit der Zeit eine gefestigte, um­ weltimmanente Systemausprägung erhält.31 Der umweltbezogene Staatsap­ parat versteht sich unterdessen als moderierender Regulator, der durch eine weiter abnehmende zentralistisch-hierarchische Interventionspraxis, stattdes­ sen aber in der Gestalt einer den gesetzlichen Ordnungsrahmen vorgebenden Gewährinstanz die autonomen gesellschaftlichen Akteure und Systeme im Staat im Sinne eines umweltkonfigurierten Staatswesens vorantreibt. Dieses kooperative Kontextsteuerungsverhältnis hat den bedeutenden Vorzug einer adäquaten Beachtung der neuesten technischen Standards, ohne dass aber das Recht in die Verlegenheit eines rückständigen und damit nachrangigen, da ineffizienten Steuerungsmittels kommt, das gegenüber dem neuesten Technologieniveau schlicht kapitulieren müsste.32 Der ökologische Verfas­ sungsstaat steht damit in einem stetigen, regen Austausch mit den das de­ mokratische Staatssystem tragenden Kräften, denen die Umweltschutzaufga­ be durch das staatlich geförderte Kooperationssystem partiell übertragen wird, was sich funktional in einer Gewährleistungsüberwachung privater Akteure seitens des Staates auswirkt, ohne aber die ordnungsrechtliche Di­ mension des Umweltschutzes aus den Augen zu verlieren.33 Diesem kommt 28  R. Steinberg 29  R. Steinberg 30  R. Steinberg 31  R. Steinberg 32  R. Steinberg 33  R. Steinberg

(Fn. 27), (Fn. 27), (Fn. 27), (Fn. 27), (Fn. 27), (Fn. 27),

S. 385. S. 396. S. 397 f. S. 397 ff. S. 400 f. S. 385 f. / 402.



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien463

letztlich auch weiterhin die wachende Funktion motivierender Impulse zu­ gunsten des kooperativen Modells, der Durchsetzung von übernommenen Verhaltenspflichten und der Sanktion einer etwaigen Nichterfüllung zu.34 Der Staat wird damit in der Form eines reziproken Kreislaufmodells ver­ standen, das hinsichtlich des in der imperativen Befehlsstruktur ablaufenden klassischen Umweltordnungsrechts auf die Mitarbeit der technisierten Machtgesellschaft angewiesen ist, sich aber gleichzeitig in Freiheit sichern­ der Weise auf die gesellschaftliche Überwachung mittels eines ökologischen Controllings besinnt.35 Damit sichert der ökologische Verfassungsstaat durch stetige staatlich-gesellschaftliche Kooperationsformate, die zudem die Lang­ zeitverantwortung im Sinne eines generationenübergreifenden Nachwelt­ schutzes einschließen, ein hinreichendes Legitimationsniveau, das angesichts der noch weiter anwachsenden Technostruktur der Gesellschaft in den be­ kannten demokratisch-rechtsstaatlichen Strukturen nicht zu erreichen wäre.36 Insgesamt ist der ökologische Verfassungsstaat damit als Präventions- und Vorsorgestaat zu verstehen, der immer öfter dem technisch Ungewissen und den nicht kalkulierbaren Folgen, auch hinsichtlich der Endlichkeit der na­ türlichen Ressourcen gegenübersteht, wobei eine staatliche Entwicklung zum totalen Überwachungsstaat vermieden werden muss.37 Im Mittelpunkt des Integrationsprozesses steht letztlich eine umweltspezifische Verfassungs­ direktive, die im Sinne einer praktischen Konkordanz mit anderen Verfas­ sungsprinzipien in einen abwägenden Ausgleich gebracht werden muss, womit die geschriebene Verfassung als die umfassende Ordnung des ökolo­ gischen Kooperationsgeschehens angesehen werden kann, unter deren Dach der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen abläuft.38 Damit steht auch fest, dass die Basis der Verfassung ein Sozialkontrakt bleibe und nicht etwa zu einem Naturkontrakt werde, bei dem das gesamte Universum zum Rechtssubjekt werde.39 Die Verfassungsgerichtsbarkeit ist dabei der legiti­ mierte Hüter des ökologischen Rechtsgehalts der umweltrelevanten Richtlinie,40 so dass sich der ökologische Verfassungsstaat in integrierender Kooperation in rechtsstaatlichen Bahnen vollenden kann. Ein ökologischer 34  R. Steinberg

(Fn. 27), S. 385 / 403. (Fn. 27), S. 401 ff. 36  R. Steinberg (Fn. 27), S. 385 / 401 ff. Eine Ineffizienz des kooperativen Sys­ tems führe letztlich notwendigerweise zu einer ordnungsrechtlichen Überforderung des Staates und zu einer langfristigen Steuerungsunfähigkeit, was die Systemstruktur des ökologischen Verfassungsstaates in ihr Gegenteil verkehren könne (R. Steinberg, ebd., S. 403). 37  R. Steinberg (Fn. 27), S. 383. 38  R. Steinberg (Fn. 27), S. 406 / 415. 39  R. Steinberg (Fn. 27), S. 407. 40  R. Steinberg (Fn. 27), S. 417. 35  R. Steinberg

464 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

Rat als staatsorganisatorische Erweiterung wird von Rudolf Steinberg dage­ gen mit Blick auf die Gefahr einer „ökologischen Expertenherrschaft, die nicht besser demokratisch legitimiert ist als die Technokratie“, kritisch be­ trachtet. Für ihn ist der ökologische Verfassungsstaat vielmehr auf transpa­ rente Entscheidungsprozesse unter diskursiver Mitarbeit der pluralistischen Gesellschaft angewiesen, um eine angemessene Akzeptanz der umweltpoli­ tischen Aktivitäten zu erhalten. Dadurch wird dann dem demokratischen Mehrheitsprinzip und damit einer hinreichenden Legitimationsgrundlage des politischen Umweltsystems Rechnung getragen, was einen ökologischen Rat entbehrlich macht.41 Das entworfene Umweltstaatsmodell bei Rudolf Stein­ berg kann demnach auf die einfache Formel gebracht werden: Ökologischer Verfassungsstaat ist gleich integrierende Kooperation. IV. Der Staat als Umweltstaat bei Michael Kloepfer In terminologischer Kontinuität im Hinblick auf sonstige staatsleitende Formprinzipien und substantiell einen anthropozentrischen Umweltakzent betonend begegnet schließlich der Begriff des Umweltstaates bei Michael Kloepfer. Dabei ist die charakteristische Kurzformel, auf die der begriffliche Schöpfer das Zukunftsmodell des auf den Umweltschutz ausgerichteten Staa­ tes bringt, eigentlich zu trivial, als dass sie eine wirkliche Innovationskraft indizieren könnte. In diesem deskriptiven Sinne ist ein Umweltstaat ein „Staatswesen, welches die Unversehrtheit der Umwelt zu seiner Aufgabe so­ wie zum Maßstab und zum Verfahrensziel seiner Entscheidungen macht“.42 Eine weitere Präzisierung des Staatsmodells wird überdies dadurch nicht un­ wesentlich erschwert, dass die umweltstaatstheoretischen Bausteinelemente bei Michael Kloepfer oft nur optional bzw. alternativ formuliert werden, wes­ halb von eindeutigen und spezifischen Wesensmerkmalen des Umweltstaates abgesehen die Darstellung der konkreten Formung eines solchen Staatsstruk­ turtypus nur mit dem Anspruch einer entwicklungsoffenen Relativität erfol­ gen kann. In der Tat drängen die Ausführungen von Michael Kloepfer letzt­ lich auf ein staatssystemoffenes Verständnis eines Umweltstaates, der zwar unter dem Grundgesetz in seiner Entfaltung an bestimmte verfassungsmäßige Wert- und Ordnungsentscheidungen gebunden ist, der sich aber unabhängig davon etwa auch unter totalitärer, aristokratischer oder sozialistischer Flagge entwickeln kann.43 Im Fokus der hier vorzunehmenden Typisierung steht 41  R. Steinberg

(Fn. 27), S. 340 f. Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 42 f. Zum Umweltstaat bei Michael Kloepfer auch Ch. Calliess (Fn. 1), S. 30 ff. 43  M. Kloepfer (Fn. 42), S. 68 ff. 42  M. Kloepfer,



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien465

freilich die umweltstaatliche Entwicklung im Rahmen der vom Grundgesetz vorgegebenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Dementsprechend verweist der Terminus des Umweltstaates auch keinesfalls auf eine generelle Ausgrenzung der Gesellschaft aus der Umweltaufgabe, sondern ein leistungs­ starker staatlicher Umweltschutz setzt stattdessen vielmehr eine auf einem entsprechend gewachsenen Umweltbewusstsein gegründete, wirkungsvolle Zusammenarbeit von Staat und Gesellschaft voraus, insofern ein die bürger­ liche Freiheit erheblich beschneidendes Eingriffsregime unter einem ver­ stärkten Einsatz von staatlicher Gewalt vermieden werden soll.44 In einem demokratischen Umweltstaat, der sich auf eine vertretungsgerechte Reprä­ sentativverfassung stützt, hat der parlamentarische Gesetzgeber grundsätzlich eine umfassende Ausgestaltungskompetenz bezüglich der gebotenen hoheitli­ chen Umweltschutzdisziplin, was auch die „vorrangige Aufgabenerfüllung durch nichtstaatliche Träger (…) (einschließt), solange (…) (der Staat) sich dadurch nicht Aufgaben aus dem Kernbereich staatlichen Umweltschutzes begibt.“45 Dennoch kann die integrierende Abwägungspraxis im Sinne einer praktischen Konkordanz in einer pluralistischen Gesellschaft zu Legitimati­ onsschwund führen, der die repräsentative Demokratie zusehends in die Kri­ se führen kann, wenn sich das Volk als Souverän in den umweltrelevanten Staatsentscheidungen nicht wiederfindet.46 Des Weiteren stellt sich aber auch grundsätzlich die Frage, ob die staatliche Umweltschutzaufgabe in einem parlamentarischen Regierungssystem, das auf den zeitlichen Faktor einer be­ grenzten Legislaturperiode programmiert ist, überhaupt angemessen erfüllt werden kann.47 Ein Umweltstaat sollte deshalb einen Mittelweg begehen, der sich in einem umweltpolitischen Instrumentarium erschöpft, das neben dem klassischen Ordnungsrecht auch sonstige Handlungsalternativen umfasst, na­ mentlich etwa indirekte Verhaltenssteuerungen, die überwachende Kontrolle von konkreten Beschaffungsvorgängen, ökonomische Instrumente sowie Ab­ sprachen und informelles Verwaltungshandeln oder die staatliche Planung.48 Ergänzend zu diesem instrumentellen Dualismus ist an eine weitere koopera­ tive Einbindung der gesellschaftlichen Kräfte in den politischen Integrations­ prozess zu denken, was durch die Möglichkeit von Verbandsklagen bzw. aus­ geweiteten Mitwirkungsrechten der Bürger im Rahmen von Planungs- und Genehmigungsverfahren erreicht werden kann.49 Als oberstes Postulat ist aber stets eine effiziente Umweltpolitik zu betrachten, ohne dass diese mit den grundsätzlichen Wertentscheidungen der Verfassung in Konflikt gerät. 44  M. Kloepfer 45  M. Kloepfer 46  M. Kloepfer 47  M. Kloepfer 48  M. Kloepfer 49  M. Kloepfer

(Fn. 42), (Fn. 42), (Fn. 42), (Fn. 42), (Fn. 42), (Fn. 42),

S. 43 ff. S. 50. S. 55. S. 41. S. 56. S. 58 ff.

466 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

„Denn die Qualität des Lebens wird nicht nur durch eine lebenswerte Um­ welt, sondern auch durch ein humanes politisches System bestimmt.“50 In dem Sinne kann die Aufnahme einer entsprechenden Staatszielbestimmung Umweltschutz grundsätzlich ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu der Konstituierung eines Umweltstaates sein.51 Überdies steht auch die bundes­ staatliche Struktur eines Staatswesens einer effizienten umweltstaatlichen In­ tegration nicht von vornherein entgegen.52 Neben dem klassischen Gefahren­ abwehr- und Schutzprinzip ist der Umweltstaat auf eine vorsorgende Tätig­ keit programmiert, die eine Vorverlagerung gegenüber der Gefahrenschwelle bewirkt.53 Da die objektivrechtlichen Garantien der Verfassung auch einen generationenübergreifenden Nachweltschutz beinhalten, avanciert der Staat schließlich zum „entscheidende(n) Patron der Zukunft“, zumal eine private Umweltvorsorge von ihren Wirkungen oft zu kurz greift und somit ineffizien­ te Züge aufweist. Zudem erstreckt sich die staatliche Vorsorgeverantwortung auch auf eine Risikoprävention, deren Betätigungsradius sich unter Aus­ schluss der Kategorie eines mit der praktischen Vernunft vereinbaren Restri­ sikos auf einen zulässigen Risikopragmatismus stützt, um zu weite Ein­ schneidungen der technischen Entwicklung zu unterbinden.54 Um den Cha­ rakter einer Naturstaatslehre zu unterstreichen, sollen an dieser Stelle trotz einer grundsätzlich ablehnenden Haltung von Michael Kloepfer gegenüber diesen Ökostaatsformen noch manche Begriffsbildungen angesprochen wer­ den, die die eingangs angesprochene Entfaltungsoffenheit einer umweltstaat­ lichen Systemkonfiguration bestätigen. In dem Sinne ist eine totale Ökodik­ tatur möglich, wobei sich eine solche autoritäre Ökostaatsform letztlich „un­ ter Aufrechterhaltung der bisherigen Eigentumsverhältnisse“ durchsetzen, (sog. Ökofaschismus), oder aber gleichsam „unter Aufhebung privater Verfü­ gungsmacht über umweltrelevante Güter“, (sog. Ökosozialismus), ereignen kann.55 Denkbar ist aber auch eine Ökoaristokratie, in der sich ein bürokra­ tisch-technokratisches Regime einer „ökologischen Elite“ als zentral geführ­ tes und organisiertes Staatswesen entpuppt.56 Der Umweltstaat kann damit unter sämtlichen Staatssystemoptionen konstruiert werden, eine Erkenntnis, die schon die Geschichte bewiesen hat.

50  M. Kloepfer

(Fn. 42), S. 77 f. (Fn. 42), S. 52. 52  M. Kloepfer (Fn. 42), S. 54. 53  M. Kloepfer (Fn. 42), S. 56. 54  M. Kloepfer (Fn. 42), S. 48 f. Die Dimension eines generationenübergreifen­ den Nachweltschutzes ergibt sich unter dem Dach des Grundgesetzes inzwischen freilich in erster Linie aus der Verfassungsnorm des Art. 20a GG. 55  M. Kloepfer (Fn. 42), S. 68 f. 56  M. Kloepfer (Fn. 42), S. 69 f. 51  M. Kloepfer



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien467

V. Der Staat der Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge bei Ivo Appel Mit dem staatstheoretischen Modellentwurf eines modernen Staates der Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge verwirklicht Ivo Appel in systemati­ scher Fortsetzung einer koproduzierten Konzeptinitiative mit Rainer Wahl57 einen auch an sonstige Umweltstaatstheorien angelehnten,58 dennoch aber mit einer eigenen Ausrichtungsnote versehenen Systemansatz eines ökolo­ gisch orientierten Staatswesens. Als in ihrer Wirkungsrelevanz für die grundlegende Umgestaltung des Staates im Sinne des Umweltschutzes real erfahrbare Ausgangsmaxime fungiert insoweit die grundsätzlich gewandelte Perspektive, der sich die moderne Staatlichkeit nun gegenübersieht. In die­ sem Sinne haben „zahlreiche Ereignisse und Erfahrungen (…) den Blick darauf gelenkt, dass der Gesamthaushalt der Natur sich nicht in einem stabilen Gleichgewichtszustand befindet, sondern (vielmehr) ein komplexes und dynamisches Wirkungsgefüge, ein sich ständig veränderndes System ist, dessen Tragfähigkeit und Beherrschbarkeit erhebliche Grenzen gesetzt sind.“59 Damit ist die Endlichkeit der rationalen Erkenntniskraft des Men­ schen hinsichtlich der Natur angesprochen, die sich letztlich notwendiger­ weise in einer Neuformierung des Staatswesens auswirken muss. Demnach gehören zu den neueren staatlichen Betätigungsfeldern „insbesondere die wachsende Folgenorientierung, die stärkere Ausrichtung an Fortbestand und langfristigem Überlebensbedürfnis der Menschen, der Umgang mit of­ fenen und entgrenzten Lebensverhältnissen, die verstärkte Ausrichtung auf Prävention und Vorsorge, die Aufwertung der staatlichen Verantwortung für die außermenschliche Natur sowie die allgemeine Ausweitung der (um­ weltkonformen) Staatstätigkeit (…).“60 Der Staat und das Recht stehen da­ bei vor der hyperkomplexen Aufgabe eines relativen Ausgleichs der öko­ nomischen Dispositionsnotwendigkeit über bestimmte knappe Umweltge­ meinschaftsgüter mit den langfristigen Erhaltungsinteressen, die überdies bezüglich der Ursache-Wirkungszusammenhänge und einer im jeweiligen Einzelfall stets differierenden Bewahrungsnot unter unüberschaubaren Rah­ 57  R.  Wahl / I.  Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur recht­ lichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S.  13 ff. 58  I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge – Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Ent­ wicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 42 ff. / 123 ff. (in den Fußnoten finden sich teilweise Verweise auf sonstige Systementwürfe eines ökologischen modernen Staates). 59  I. Appel (Fn. 58), S. 47. 60  I. Appel (Fn. 58), S. 44.

468 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

menbedingungen auszuführen ist.61 Dem geht unter dem Postulat eines le­ gitimen Gemeinwohlinteresses eine grundsätzlich gesteigerte gesellschaftli­ che Resonanz für die unliebsamen Folgen des technischen Fortschritts und seines fast unbändigen Innovationsmechanismus, sowie eine dadurch geän­ derte Bedürfnisskala voraus, die auch die informationsabhängige Langzeit­ verantwortung grundsätzlich einschließt und so zu der allgemeinen Forde­ rung nach einer erweiterten Staatstätigkeit im Bereich des Umweltschutzes führt.62 Die gebotene Langzeitperspektive gestaltet das moderne Staatswe­ sen schließlich grundlegend um. Das zeigt sich etwa an gegenwärtigen politischen Entscheidungen und Dispositionen, die nunmehr eine globale, die ferne Zukunft bzw. das anthropogene Dasein beinhaltende Dimension besitzen, was sie in den Rang von Risiko- und Prognoseentscheidungen erhebt, deren umweltbewusste Gebotenheit sich aus der Unsicherheit in Bezug auf den technischen Fortschrittsprozess ergibt.63 Die angesichts der eingeschränkten Erkenntnisleistung des Menschen implizierte Risikoimma­ nenz von zukunftsträchtigen Entscheidungen führt so zu einem Bedeu­ tungszuwachs der Vorsorgekomponente innerhalb des Staates, weshalb sich aus der zusehends erkennbaren Gabelung von technischer Innovation und anthropogener Ungewissheit ein Tätigkeitsspektrum des Staates ergibt, das auf ein grundlegendes Vorsorgenetzwerk programmiert ist.64 Eine wesent­ liche Charakteristik des Zukunfts- und Entwicklungsvorsorgestaates bei Ivo Appel ergibt sich darüber hinaus weiterhin aus der Betonung der zuneh­ menden Entgrenzung der individuellen Lebens- und Rechtsverhältnisse, die sich im Hinblick auf einen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen räum­ lich und zeitlich ergeben hat. Denn dieses Phänomen muss letztlich mit einer gesteigerten Flexibilität der Staatstätigkeit einhergehen, die nicht nur eine langfristige und globale Zielperspektive einnimmt, sondern insbeson­ dere auch staatliche Dispositionen einem der grundsätzlichen Ungewissheit der ökonomischen und technischen Innovation und Rationalität geschulde­ ten Revisions- und Korrekturmodell zugänglich macht.65 Insgesamt gilt damit: Die wesentliche Änderungstendenz der modernen Staatstätigkeit „führt von der Gefahrenabwehr, von Nachsorge und Schadensbeseitigung hin zu Prävention und Vorsorge. (…) (Sie) ist der Tendenz nach prospek­ tiv, ziel- und zukunftsorientiert, nicht retrospektiv und reagierend.“66 Diese Programmatik geht letzten Endes mit einer Vorverlagerung der staatlichen Besorgnis- und Eingriffsschwellen einher, die gegenüber einer sozialstaat­ 61  I. Appel 62  I. Appel 63  I. Appel 64  I. Appel 65  I. Appel 66  I. Appel

(Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58),

S. 49. S. 46 f. S. 48. S. 47 ff. S. 50. S. 50.



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien469

lichen Systemimmanenz die vorsorgende Komponente des Staates noch einmal anhebt.67 Gleichzeitig muss der Staat an dem Ziel einer Internali­ sierung von externen Effekten auf die privaten Verursacher und einer in diesem Kontext auch relevanten Kollektivverantwortung der Umweltstörer ausgerichtet sein, um seiner Funktion als langfristigem Sicherheits- und Steuerungsstaat, als Staat der Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge, wirk­ lich nachkommen zu können.68 Der demokratische Staatstypus steht dabei grundsätzlich vor einem Dilemma. Denn „das strukturelle Problem einer Diskrepanz zwischen demokratischer Kurzzeitlegitimation und Langzeitver­ antwortung hat zur (kritischen) Folge, dass selbst Notwendigkeiten, die in Diskussionen über die zukünftige Entwicklung längst konsensfähig sind, nur schwer gegen die Widerstände kurzfristiger Partikularinteressen und die Anspruchshaltungen einer Massendemokratie durchgesetzt werden können.“69 Damit wird aber keineswegs der Option einer autoritären Öko­ diktatur das Wort erteilt, wenngleich dem Recht vor dem Hintergrund der intendierten Aufgabe der Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge des Öfteren eine Steuerungsineffizienz untergeschoben wird, was aber insoweit unbe­ gründet ist, als es nur um eine Bestandsaufnahme des Bewährten ebenso wie um die Suche nach neuartigen, subtileren Instrumenten gehe, um den gewachsenen Aufgaben gerecht zu werden.70 In diesem konservativen Sin­ ne wendet sich Ivo Appel dann auch gegen die in der Wissenschaft ver­ tretene Ansicht von umweltimmanenten Grundrechtsschranken, die die ma­ terielle Freiheitswerteordnung auf Schutzbereichsebene bzw. über verfas­ sungsimmanente Schranken von vornherein umweltkonform begrenzen, da sie der dem Wesen einer parlamentarischen Demokratie geschuldeten Vor­ rangstellung des Gesetzgebers, dem diffizilen Eingriffs- und Abwägungs­ system, das sich in den Grundrechtsregelungen vorfindet, bzw. dem dog­ matischen Bedürfnis nach Rechtssicherheit nicht entspricht.71 Der propa­ gierte Staat der Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge hat sich im Ergebnis im Rahmen eines gemäßigten Vorgangs der Integration herauszubilden, wobei eine umweltspezifische Staatszielnorm zu dem sinnvollen Repertoire einer ökologisch ausgerichteten Verfassung gehören kann.72 Eine besondere Institution, die dem Umweltschutzbelang im Rahmen des politischen Vor­ gangs repräsentativ eine gewaltigere Stimme verleiht, ist dagegen im Hin­ blick auf das demokratische Legitimationsproblem kritisch zu werten.73 67  I. Appel

68  I. Appel 69  I. Appel 70  I. Appel 71  I. Appel 72  I. Appel 73  I. Appel

(Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58), (Fn. 58),

S. 50 f. S. 51 ff. S. 87. S. 99 f. S. 106 f. S. 96. S. 89 ff.

470 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

Die vielleicht entscheidende Aussage der gesamten Konzeption findet sich letztlich aber in einer Fußnote, die an staatstheoretischer Erkenntniskraft eigentlich nicht überboten werden kann. Demnach habe die Tendenz, das menschliche Überlebensbedürfnis als relevanten Faktor in die Betrachtung einzubeziehen und mit einem bestimmten Niveau des Schutzes der natür­ lichen Lebensgrundlagen zu verknüpfen, die lange als grundlegend gegen­ sätzlich wahrgenommene Unterscheidung zwischen anthropozentrischen und ökozentrischen Konzepten des Umweltschutzes relativiert.74 Ist dies womöglich die erforderliche Abkehr von dem vorherrschenden umwelt­ staatlichen Staatskönigtum? Darauf wird zurückzukommen sein. VI. Der Präventionsstaat bei Erhard Denninger In der grundsätzlichen Absicht einer materialen Ergänzung im Sinne einer profanen Umakzentuierung der geltenden Stützpfeiler des Rechtssystems begegnet bei Erhard Denninger das Systemmodell eines Präventionsstaats, der innerhalb der unbestreitbaren Komplexität der Rechtsidee auf einen vermehrten Rechtsgüterschutz ausgerichtet ist.75 In diesem Konzept spielt die mit der Eigenschaft einer inhaltlichen Richtigkeit nach dem Gebot einer allgemeinen Vernunft ausgestattete Naturrechtspräsenz eine nicht zu ver­ nachlässigende Rolle, deren programmatische Fortgeltung in einem akzen­ tuierten Postulat sozialer Gerechtigkeit wieder zum Bewusstsein kommt.76 Dies verdeutlichen die folgenden Worte: „Je mehr das Naturrecht seine unbezweifelbare Verbindlichkeit als inhaltlich gerechtes Recht einbüßte, umso heller erstrahlte das positive Recht als ein zwar nicht per se Gerech­ tigkeit verbürgendes, aber doch eine gesicherte und realisierbare Ordnung, klare Verantwortlichkeiten und die Fähigkeit der Anpassung an sich wan­ delnde soziale Verhältnisse versprechendes Recht. Eben dieser Glanz, der wenigstens sicheres und günstigstenfalls auch gerechtes Recht verhieß, verblasst im heutigen projektiv-programmatischen Aktivismus zahlloser am Rechtserzeugungsprozess beteiligter Instanzen.“77 Damit wird schließlich die Perspektive eines Zirkeldilemmas aufgeworfen, das sich in einer über­ forderungsbedingten Ineffizienz der bürgerlich-liberalen Verfassung mani­ festiert. Denn das politische System ist möglicherweise von sich aus zu einem umverteilenden Sozialmaßstab mit verbindlicher Regulierungsfunk­ tion nicht in der Lage, während die gegenwärtige Industriegesellschaft „mit 74  I. Appel

(Fn. 58), S. 53 Fn. 46. Der Präventions-Staat, Kritische Justiz 1988 (21), S. 1 ff. 76  E. Denninger (Fn. 75), Kritische Justiz 1988 (21), 1 (3 ff.). 77  E. Denninger (Fn. 75), Kritische Justiz 1988 (21), 1 (6) (Hervorhebungen im Original). 75  E. Denninger,



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien471

ihrer massendemokratischen, verbands- und parteienpluralistischen, aber privategoistischen Wirklichkeit“ die systematische Ausweitung der Staatstä­ tigkeit fordert, ohne aber eine generell verbindliche Prioritätsskala vorlegen zu können.78 Aus diesem Grund verwässert der Präventionsstaat mit seiner neuartigen Orientierung an der Rechtsgütersicherheit die Idee des formalen Rechtsstaats, die untrennbar mit dem Gedanken der Rechtssicherheit ver­ bunden ist, indem er „nicht nur die Positivität der Rechtsordnung und die Rechts- bzw. Bestandskraft richterlicher oder administrativer Entscheidun­ gen (…), sondern eine Fülle einzelner, in vielen Einzelvorschriften positi­ vierter Elemente auf allen Stufen des Rechtserzeugungs- und -anwendungs­ prozesses“ durch den Anspruch einer materiellen Gerechtigkeit modifiziert bzw. sogar auflöst.79 Anders gewendet macht der soziale Aufgabenzuwachs bis hin zu der Notwendigkeit von generationenübergreifenden, die Existenz eines ganzen Volkes betreffenden Entscheidungen eine strukturierte Reform der Grundlagen eines Rechtssystems erforderlich, damit der Präventionsstaat als Rechtsgütersicherheitsstaat die seinem Wesen entsprechenden Funktio­ nen verwirklichen kann. Nach einer charakteristischen Aufzählung von Er­ hard Denninger soll der Staat demnach „die Realgüter, jedenfalls im Infra­ strukturbereich, in weitem Maße selbst produzieren bzw. die Versorgung mit diesen Gütern organisieren und gewährleisten – Daseinsvorsorge; die gesell­ schaftlich produzierten realen Rechtgüter und die Möglichkeiten ihrer Pro­ duktion optimal schützen – Rechtssicherheit –, aber gleichzeitig (auch) die dabei mitproduzierten externen Risiken und negativen Folgen neutralisie­ ren – Risikovorsorge – und schließlich (dann) die permanente Revision der realen Verteilungsordnung wenigstens als realmögliche Alternative offenhal­ ten – soziale Gerechtigkeit.“80 Die präventivstaatliche Durchdringung führt unterdessen in ihrer umorientierenden Tendenz von Rechtsetzung und Rechtsanwendung im Wege eines nach unten zunehmend bestimmter wer­ denden Stufenbaus der Rechtsordnung von der primären Ebene der legisla­ tiven Gewalt in der Form von abstrakten Vollzugsvorgaben wie General­ klauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen zu den dem Postulat der mate­ riellen Einzelfallgerechtigkeit entsprechenden nachrangigen Gewalten.81 Derart kann dann schließlich dem Umstand der generationenübergreifenden Langzeitverantwortung und dem damit in Zusammenhang stehenden, zu­ künftig noch vermehrt ungewissen Entscheidungshorizont ausreichend Rechnung getragen werden, womit synthetisch die generelle Forderung nach formaler Rechtssicherheit im Sinne einer dogmatisch erweiterten Güterver­ 78  E. Denninger

(Fn. 75), (Fn. 75), 80  E. Denninger (Fn. 75), 81  E. Denninger (Fn. 75), 79  E. Denninger

Kritische Kritische Kritische Kritische

Justiz Justiz Justiz Justiz

1988 1988 1988 1988

(21), (21), (21), (21),

1 1 1 1

(2). (3). (14 f.). (4 ff.).

472 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

antwortung unter der Legitimationsrelevanz einer auch weiterhin soziologi­ schen Akzeptanz der Rechtswerteordnung gewährleistet werden kann.82 VII. Der Umweltgestaltungsstaat bei Norbert Wimmer Die prädikative Emphase eines Umweltgestaltungsstaates bei Norbert Wimmer steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer verwaltungsdog­ matischen Perspektive, die mit Blick auf die aufgekommene Umweltraison einen strukturellen wie funktionalen Systemwandel des modernen Staates indiziert. Der Aufgabenradius der Staatlichkeit erweitert sich angesichts der langfristig angelegten Verantwortung für die Umwelt um das Handlungs­ ziel einer präventiven Vorsorge insoweit, als es gilt, „die für die Umwelt positiven Lebensbereiche so zu gestalten, dass ihr optimaler Umweltwert gesichert erscheint.“83 In der Folge wird der Staat daher zu einem sozialwie auch umweltgestaltenden Staat, bei dem der klassische verwaltungs­ dogmatische Dualismus aus Hoheits- und Leistungsverwaltung um die Komponente einer besonderen Gestaltungsfunktion systematisch ergänzt wird.84 Geprägt wird diese Metamorphose durch das grundlegend neue staatliche Anforderungsprofil, das sich mit den folgenden Attributen in­ haltsreich darlegen lässt und die gegenüber dem herkömmlichen Leistungs­ staatsmodell andersgeartete Dimension der auf die Zukunft gerichteten Ge­ staltungsmaxime zum Ausdruck bringt: „Pluralistische Gesellschaft, Erstre­ ckung der sozialen Existenzsicherung auf Umweltsicherung, kaum über­ schaubare Komplexität der Umwelt selbst, Realitätsentzug und damit zusammenhängend staatlicher Informationsnotstand.“85 Demnach orientiert sich die Qualität der staatlichen Leistungserbringung nicht mehr aus­ schließlich im Sinne eines status positivus an der traditionellen Aufgabe der Daseinsvorsorge, sondern als zukunftsgetreue Handlungsdirektiven des Staates treten neben dem Sättigungsgrad der Bürger zusehends auch die 82  E. Denninger

(Fn. 75), Kritische Justiz 1988 (21), 1 (3). Wimmer, Raumordnung und Umweltschutz: der Umweltgestaltungsstaat – systematische Bezüge und praktische Probleme, in: Verhandlungen des 6. Österrei­ chischen Juristentages, Wien 1976, S. 21. 84  N. Wimmer (Fn. 83), S. 21 f. / 25. 85  N. Wimmer (Fn. 83), S. 29 / 37. Mit dem Realitätsverlust sei die Langzeitper­ spektive der staatlichen Umweltgestaltung angesprochen. Demnach projiziere auch der Leistungsstaat seine Maßnahmen in die Zukunft; sein Ausgangspunkt seien je­ doch reale Fakten der Gegenwart wie Existenzminimum, Bedarfslücken und Versor­ gungsaufgaben. Der Umweltgestaltungsstaat jedoch könne sich mit den vorhandenen Daten nicht zufriedengeben. Mit ihrer Fortführung in die Zukunft käme es ja zu einer Akzellierung der Umweltbedrohung und damit zur Krise der die soziale Exis­ tenz einkleidenden Umwelt (N. Wimmer, ebd., S. 28). 83  N.



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien473

Bedürfnisse der Umwelt.86 Die Finalität der staatlichen Betätigung ist da­ bei nicht zuletzt aus Gründen der langfristigen Leistungsversorgung der Bürger in reziproker Turnusmanier mehrdimensional ausgestaltet, um auch für die weitere Zukunft die natürlichen Lebensgrundlagen als Grundvor­ aussetzung des leistungsstaatlichen Prinzips zu gewährleisten. Der vorsor­ gende Umweltgestaltungsstaat fungiert damit als zukunftsgetreuer Fürsor­ geverwalter für eine langzeitkompatible Sicherung der Rahmenbedingun­ gen gemeinschaftlichen Daseins.87 Diese positive Systemprognostik führt aber zu staatsorganisatorischen Folgeproblemen, denen sich der gestaltende Umweltstaat stellen muss. Denn die präventive Immanenz führt zu einem weiter anwachsenden Wertepluralismus, der den zielorientierten, auf eine Endkontrolle programmierten Staat überfordert. Die infolge der vorsorgen­ den Umweltschutzdimension zunehmende „Diffusität des sozialen Fer­ ments“ führt zu einer Rückzugstaktik des parlamentarischen Gesetzgebers auf beschwichtigende Formelkompromisse, die zudem auch wegen ihrer Vorgabenkomplexität für die Verwaltung an richtungweisender Steuerungs­ effizienz vermissen lassen.88 Aus diesem Grund tritt im Umweltgestal­ tungsstaat an die Stelle der lenkungsfunktionalen Ordnungsgewalt des par­ lamentarischen Gesetzgebers zusehends eine verstärkte administrative Selbststeuerungstendenz, um das gebotene Maß an den ungewissen Ent­ scheidungsrahmen kompensierender Flexibilität zu gewährleisten.89 Gleich­ wohl besteht dabei aber die Gefahr einer Überanstrengung der grundsätz­ lich gleich bleibenden Rechtsformen der Verwaltung, wenn angesichts der im Lichte des gestaltenden Umweltschutzes weiter zunehmenden Disparität zwischen Aufgabe und traditionellem Instrumentarium die Verwaltung zu einer Anwendung von für diese konkrete Funktion nicht geschaffenen und demnach überdies von ihrer inhaltlichen Typik ineffizienten Rechtsformen getrieben wird, was letztlich dann notwendigerweise zu einer Ausdehnung des administrativen Formelmissbrauchs führen muss.90 Darüber hinaus steht das klassische Bürokratiemodell dem gewachsenen Informationsbe­ darf für gestalterisches Handeln infolge der Komplexität der zu beurteilen­ den Umweltkonstellationen praktisch ohnmächtig gegenüber, so dass eine Abkehr von der hierarchischen Verwaltungsorganisation zu mehr kommu­ nikativen Subsystemen angezeigt ist, um der Umweltschutzaufgabe ange­ messen gerecht zu werden.91 Der Umweltgestaltungsstaat ist nach alledem 86  N.

Wimmer (Fn. 83), S. 25. Wimmer (Fn. 83), S. 26 f. 88  N. Wimmer (Fn. 83), S. 27 f. 89  N. Wimmer (Fn. 83), S. 32. 90  N. Wimmer (Fn. 83), S. 24. 91  K. König, Planung und Koordination im Regierungssystem, Verwaltungsar­ chiv 1971 (62), 9 (12); N. Wimmer (Fn. 83), S. 33 f. 87  N.

474 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

der Prototyp eines zukunftsorientierten Staatswesens, das neben der Ho­ heits- und Leistungsverwaltung eine gestaltende Suchmaschine beinhaltet, die nicht auf Herrschen und Teilen, sondern stattdessen auf die bewusste Lösungsfindung für komplexe Sachverhalte unter ungewissen Prognosevo­ raussetzungen gerichtet ist.92 Exemplarisch lässt sich dies für den Sekto­ renbereich der Planung verdeutlichen, wo dem Umweltgestaltungsstaat das Prinzip von Zweckprogrammen entspricht, die der Verwaltung hinsichtlich der Gestaltungs- und damit Bewältigungsalternativen einen umfassenden Planungsspielraum belassen, was mit einer Verlagerung des Schwerpunkts der Rechtsgestaltung von dem parlamentarischen Gesetzgeber auf die Voll­ ziehung einhergeht.93 Das dadurch indizierte unbestimmte Systemverständ­ nis eines Staates ist sonach der Preis für das rechtstheoretische Motto: „Präventiver Umweltschutz bedingt die Meisterung der Zukunft durch das Recht.“94 Da sich aber die zukunftsbewusste Umweltgestaltung einer ge­ setzlichen Determination weitestgehend entzieht, wird das Legalitätsprinzip als zentrales Strukturmerkmal rechtsstaatlicher Ordnungsvorstellung zuse­ hends überlastet, indem politisches Kalküldenken den administrativen Ziel­ steuerungsprozess in verwaltungsdogmatischer Relativierung überlagert.95 Auf diese Krise des Rechts hat der Umweltgestaltungsstaat unter dem As­ pekt der Legitimation einen grundlegenden Wandel von inhaltlichen zu mehr verfahrensmäßigen Kriterien zu entwickeln, die neben einer demo­ kratischen auch eine objektiv-legitimierende Funktion vermitteln.96 Das gestaltende Staatsmodell von Norbert Wimmer ist somit im Ergebnis ein suchender Verwalter einer unter ungewissen Prämissen stehenden Zukunfts­ verantwortung, die zu staats- wie verwaltungsorganisatorischer Struktur­ innovation tendiert. Als leistender Sozialträger ist der Umweltgestaltungs­ staat damit ein auf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gerichte­ ter Staatstypus, mit dem Ziel, den auf den Menschen ausgerichteten Leis­ tungshorizont des Staates auch für die Zukunft zu erhalten.

92  N.

Wimmer (Fn. 83), S. 36 ff. Wimmer (Fn. 83), S. 38 ff. 94  N. Wimmer (Fn. 83), S. 28 / 35 ff. 95  N. Wimmer (Fn. 83), S. 31 f. 96  N. Wimmer (Fn. 83), S. 35 / 41. „Am Beginn einer solchen Realanalyse muss jedenfalls die Feststellung stehen, dass sich sowohl Rationalität als auch Objektivität des behördlichen Handelns im Rahmen der Zweckprogrammierung mit dem Hinweis auf die Gesetzesbindung nicht mehr ausreichend begründen lassen. Anstelle inhalt­ licher Maßstäbe treten (deshalb) als neue Legitimationskriterien verfahrensmäßige Grundsätze, so insbesondere die Beteiligung der vom Verwaltungsgeschehen Betrof­ fenen am Entscheidungsprozess.“ 93  N.



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien475

VIII. Der ökologische Gleichgewichtsstaat bei Peter Saladin und Peter Pernthaler Einen idealtypischen Ansatz eines ökologisch orientierten Staatswesens verwirklicht Peter Saladin mit dem Modell eines multisozialen Gleichge­ wichtsstaates, dessen konzeptioneller Grundausrichtung sich Peter Perntha­ ler mit Blick auf die gegenwärtig zu beobachtende umwelt- bzw. naturstaat­ liche Systemkonfiguration der modernen Staatlichkeit schließlich ausdrück­ lich anschließt.97 Als Ausgangspunkt des staatstheoretischen Entwurfs fun­ giert dabei die Charakteristik von mittleren und insbesondere großen Unternehmungen als Atome bzw. Makromoleküle der strukturell korporati­ ven Wirtschaftsordnung, die das soziale Kraftfeld moderner Industriestaaten machtbewusst mitbestimmen.98 Peter Saladin nimmt insoweit den aus der älteren Staatslehre bekannten Terminus des „pouvoir intermédiaire“, um das aus einer unüberschaubaren Fülle an verschiedenartigen Mächtigkeiten be­ stehende soziale Netzwerk eines industriell geprägten Staatswesens zu um­ schreiben, das die Entwicklung der politischen Gemeinschaft durch wan­ delnde Allianzen und sonstige Interventionsmechanismen richtunggebend beeinflusst.99 Aus diesem Grund ist es auch absurd, in staatstheoretischem Traditionsformalismus die multifunktionalen Unternehmungen ausschließ­ lich in der gesellschaftlichen Sphäre zu denken, um sie als organisierten Gegenpol zum modernen Staat ansehen zu können.100 Die Staatsgewalt sieht sich vielmehr zunehmend von der mächtigen unternehmerischen Dominanz­ stellung in einer die Souveränität aushöhlenden Weise überspielt, was schließlich in ein Staatsstrukturverständnis mündet, bei dem der moderne Staat und die korporative Wirtschaft ineinander verwachsen bzw. verschränkt sind, wobei darunter nicht eine naturgemäße Korrelation, sondern vielmehr eine in politischen Konkurrenzkämpfen erfolgende Kooperation im Sinne

97  P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2.  Aufl., Wien 1996, S. 14 / 108 f. 98  P. Saladin, Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, in: VVDStRL 1977 (35), S. 34 f. / 37. „Die mittlere und vor allem große Unternehmung ist machtbewehrte Organisation. Ihre Entscheidungen sind folgenreich für eine kleinere und größere Zahl von Individuen (Arbeitnehmer, Kunden, Nachbarn), für andere Unternehmungen (Kunden, Lieferanten, Konkurren­ ten), ebenso für politische Körperschaften: von der Sitzgemeinde, die von der Un­ ternehmung mit Steuerzahlungen und Infrastrukturleistungen beglückt und mit In­ frastrukturkosten und Emissionen belastet wird und an deren politischen Entschei­ dungen sie vielfach – direkt oder indirekt – partizipiert, über Region und Staat bis hin zur Staatengemeinschaft.“ (Hervorhebung im Original). 99  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 37. 100  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 35.

476 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

einer notwendigen Brüderschaftsanleihe zu verstehen ist.101 Denn der Staat ist infolge dieser gegenseitigen Verkettung auf Emanzipation und Kollabo­ ration zugleich angewiesen, da er sowohl den grundsätzlichen Vorrang des Politischen sowie auch die staatliche Abhängigkeit von dem technischen Fortschritt in sein Kalkül mit einfließen lassen muss.102 Demnach erweist sich „das Beziehungsgeflecht zwischen Staat und ‚korporativer Wirtschaft‘ (…) als ein hoch differenziertes Gefüge der Macht- und Funktionenzuord­ nung, und der Schlüssel, der den kognitiven und den normativen Zugang hierzu am besten öffnet, ist die Figur der Gewaltenteilung in juristischer, des ‚countervailing power‘ (…) in sozioökonomischer Diktion.“103 Da „menschliche Macht nur als verantwortete Macht legitim sein kann“, muss ein verantwortungsbewusster Zustand von Autonomie der Unternehmungen hergestellt werden, der die systemwesentliche Frage nach dem Verteilungs­ prinzip der politischen Verantwortung auf Staat und intermediäre Gewalten aufwirft.104 Die Antwort ist der verfassungsrechtlich verankerte und somit garantierte Gleichgewichtsstaat („equilibrium state“), der ein unkontrollier­ tes Wachstum von etwaigen übermäßig agierenden Zivilisationsfaktoren ausschließt.105 Nur auf diesem Wege ist eine langfristige und generationen­ übergreifende Sicherung der menschlichen Existenz möglich, was im Be­ reich des umweltrelevanten Zukunftsprojektes „eine rechtliche Steuerung des Rohstoffverbrauchs, staatliche Sorge für sparsamen Energiekonsum, staatliche Abwehr unbalancierten Wachstums des Sozialprodukts“ usw. ein­ 101  P. Saladin

(Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 36 / 38. (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 36. 103  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 39 f. (Hervorhebungen im Ori­ ginal). Der Begriff des „countervailing power“ geht auf John Kenneth Galbraith (J. K. Galbraith, American Capitalism – the concept of countervailing power, Bos­ ton u. a. 1952) zurück, auf den Peter Saladin in der Fußnote (Fn. 112) verweist. Peter Pernthaler konkretisiert diese Passage mit den Worten: „(…) Dieses Gleichge­ wichtskonzept (…) (kann) selbst nicht isoliert vom Staat oder den Einzelunterneh­ men hergestellt werden, sondern setzt wiederum eine Art Balance und Kooperation zwischen Staat und Unternehmen als ‚countervailing powers‘, als Glieder eines übergreifenden Gewaltenteilungs-Systems voraus.“ (P. Pernthaler (Fn. 97), S. 109; Hervorhebung im Original). Die Gewaltenteilung sei somit die überragende Ord­ nungsidee (P. Saladin, ebd., S. 39 f. Fn. 111, wiederum unter ausdrücklichem Rekurs auf eine Abhandlung von Werner Kägi (W. Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung (1961), in: H. Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Pro­ blematik der Gewaltentrennung, Darmstadt 1969, S. 286 ff.)). 104  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 40 ff. (Zitat auf S. 40; im Origi­ nal hervorgehoben). 105  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 45. Der Begriff „state of global equilibrium“ geht, auf was Peter Saladin ausdrücklich hinweist (P. Saladin, ebd., S. 45 Fn. 135), auf D.  H.  Meadows / D.  L.  Meadows / J.  Randers / W.  W.  Behrens III (Hrsg.), Die Grenzen des Wachstums – The limits to growth, Stuttgart 1972, S. 174 zurück. 102  P. Saladin



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien477

schließt.106 Der Gleichgewichtsstaat geht somit von einem idealen sozialen Gleichgewichtszustand aus, der von der Verfassung vorgegeben und von dem parlamentarischen Gesetzgeber dann rechtlich ausgestaltet bzw. erwei­ tert wird, was nicht nur eine umweltspezifische Verfassungsnorm, sondern vor allem dann eine weitsichtige Integrationspolitik umfasst, die der wach­ senden Umweltraison durch die verpflichtende Einbindung der korporierten Wirtschaft unter Beachtung der ökonomischen Autonomie gerecht wird.107 Das anvisierte Endziel ist dann schließlich „eine andere, übergreifende Ba­ lancierung“, indem die exponentiellen Wachstumstendenzen in makro- und mikroökonomischer Perspektive „in die sozialen, geschichtlichen und öko­ logischen Determinanten des (realen) Lebensraumes der jeweiligen politi­ schen Ordnung“ eingebunden werden.108 Die ausschließlich in den Bahnen des Rechtsstaates verlaufende Umweltimmanenz des modernen Staates wird hierbei austarierend produziert, ohne dass sie in Verlegenheit geraten darf, den Grundprinzipien der menschlichen Würde und Verantwortung zu wider­ sprechen.109 Vielleicht bringt Peter Saladin mit der folgenden Sentenz den Idealstatus dieses sozialen Gleichgewichtstypus selbst am besten zum Aus­ druck, deren Aussagekraft selbstredend ist: „Es bedarf einiger Phantasie, sich die Folgen umfassender Gleichgewichtssicherung systematisch auszu­ malen – aber diese Phantasie wird besser heute bemüht als erst morgen!“110 IX. Exkurs: Der Atomstaat als gefräßiger Makroanthropos bei Robert Jungk Mit dem von Robert Jungk angestrengten Modell eines Atomstaates wird vor dem für die anthropogene Existenz potentiell bedrohlichen Hintergrund einer technischen Nutzbarmachung der Kernspaltung das Szenario eines modernen Staates skizziert, das nicht nur durch die nicht auszuschließende Möglichkeit einer kriegsbedingten Nuklearanwendung, sondern vor allem durch den für die innere Entwicklung des Staates fortschrittsrelevanten, gleichsam aber auch unkalkulierbaren Wachstumsfaktor der Kerntechnik negativ assoziativ, wenn nicht sogar apokalyptisch anmutet.111 Denn „eine durch technisches Versagen, menschliche Unzulänglichkeit oder böswillige 106  P. Saladin

(Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 45 f. (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 42 ff. Ein verfassungsrechtlich verankertes Umweltstaatsprinzip werde (durch Gesetzgebung) konsequenter auszu­ führen sein (P. Saladin, ebd., S. 43; Klammerzusatz im Original). 108  P. Pernthaler (Fn. 97), S. 14 / 108. 109  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 46 f. / 50. 110  P. Saladin (Fn. 98), VVDStRL 1977 (35), S. 47. 111  R. Jungk, Der Atomstaat – Vom Fortschritt in die Unmenschlichkeit, Ham­ burg 1977, S. 9. 107  P. Saladin

478 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

Einwirkung112 hervorgerufene Atomkatastrophe würde nicht nur unmittelbar größten Schaden stiften“, sondern gleichsam auf lange Sicht gesehen einen nicht zu verantwortenden Katastrophenzustand hinterlassen.113 Deshalb wird die Nuklearkraft zu einem stets präsenten Restrisiko, „sei es als Giftspur, die unauslöschlich bleibt, sei es auch nur als Schatten einer Sorge (…).“114 Die andersgeartete Gefahrendimension wird überdies an der Irreversibilität der Nutzung der Atomtechnik deutlich, deren energetischer Gebrauch einen Reaktorprozess in Gang bringt, der in zeitlicher Perspektive einen generati­ onenübergreifenden Strahlenmechanismus zur Folge hat und somit das po­ litische Überwachungsklima mitbestimmen wird.115 Dementsprechend be­ sitzt der Atomstaat das Potential einer schleichenden Nivellierung der per­ sönlichen Freiheit und Menschlichkeit innerhalb des Staates, was durch den Drang nach innerer Sicherheit vor Gefahren von Atomsabotage und Atom­ terror noch verstärkt werden kann.116 Die Nuklearenergie verpestet auf diesem Wege nicht nur die natürliche Umwelt, sondern sie führt auch zu der allmählichen Vergiftung des gesellschaftlichen wie politischen Klimas, eine Folge, die letztlich in einen disziplinierenden Staatsapparat münden kann, der die Freiheit und Würde der Menschen zunehmend gefährdet.117 „Denn ein Land, das seine Atomindustrie ausbaut, wählt damit den ‚starken Staat‘ in Permanenz.“118 Die politische Wirklichkeit dieser Atomstaatlichkeit be­ ruht letztlich auf der wirtschaftlichen Entscheidung für eine extensive Tech­ nologiepolitik, die ein ungezügeltes Wachstum über die maximale Kapazi­ tätsgrenze hinaus rücksichtslos über die Interessen der Menschen stellt119 und somit antidemokratischen Tendenzen zugänglich ist. Dies spiegelt sich etwa an dem vorzufindenden Staatsabbild einer atomaristokratischen Eliten­ steuerung wider, die als dominanter Lobbypartner die Fäden im Kampf gegen ein Aufhalten der wirtschaftsstaatlichen Maschinerie zieht.120 Darüber hinaus kann die Nuklearkraft zu einem mächtigen Beihelfer autokratischer 112  Siehe hierzu das eigene Kapitel mit dem Titel „Atomterroristen“ R. Jungk (Fn. 111), S. 118 ff. 113  R. Jungk (Fn. 111), S. 9. 114  R. Jungk (Fn. 111), S. 9. 115  R. Jungk (Fn. 111), S. 14. 116  R. Jungk (Fn. 111), S. 10. 117  R. Jungk (Fn. 111), S. 12 f. 118  R. Jungk (Fn. 111), S. 13 (Hervorhebung im Original). 119  R. Jungk (Fn. 111), S. 12. 120  R. Jungk (Fn. 111), S. 13. Siehe zum Begriff einer Ökoaristokratie auch H. Schönherr, Philosophie und Ökologie, Essen 1985, S. 81 f.; M. Kloepfer, Um­ weltstaat (Fn. 42), S. 69 f.; vgl. auch ders., Droht der autoritäre ökologische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein, 1994, S.  48 f.; T. Stein, Warum wir einen ökologischen Rat brauchen, in: B. Guggenberger /  A. Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 258 ff.



§ 15 Umwelt- und Naturstaatstheorien479

Regime avancieren und so den Charakter eines dauerhaften Vernichters ei­ ner mehr demokratischen Staatskultur in Ländern der Dritten Welt einneh­ men.121 Das politische Weltklima sei bereits derart ausgeprägt, dass der gelebte Widerstand von Menschen gegen die weltweit operierende und sich weiter ausbreitende Atommafia als „Glaubenskrieg“ verketzert worden sei, den von Obrigkeit und Mehrheit gewählten Unheilskurs abzulehnen.122 Auch wenn Robert Jungk am Ende seines Buches gleichwohl positiv resü­ miert, dass es die Menschen verstanden haben, dass es im Zeitalter der Atomindustrie sowie der exorbitant ansteigenden Möglichkeiten einer den modernen Staat andiktierenden Großtechnik „um mehr als Energie, Konsum und Wachstum geht, nämlich um das Überleben in Würde gegen Bedrohun­ gen, wie es sie nie zuvor gegeben hat“123, so schwingt in dem Ausdruck des Atomstaates die unbändige Macht der Nuklearenergie mit, der der Mensch hilflos ausgeliefert sein kann. Es ist der Terminus der politischen Staats­ theologie, der im Zusammenhang mit dem Atomstaat notwendigerweise begegnen muss, die raumbezogene und übermächtige Illusion eines „gefrä­ ßigen Makroanthropos“, der organisch gegenüber der soziologischen Innen­ welt, aber auch der völkerrechtlichen Außenwelt, an Potenz und Autorität stetig zunimmt.124 Die negative Assoziation ergibt sich ausschließlich aus der bedrohlichen Dimension dieses personifizierten Tyrannen, der nicht nur prädeterminierend, sondern vor allem postperspektiv ein apokalyptisches Unheil über unseren Planeten Erde bringen kann. Das dies nicht zu bestrei­ ten ist, zeigen die traurigen Ereignisse in Tschernobyl und Fukushima, an denen die schweren Folgewirkungen von Nuklearunfällen deutlich werden. Gleichwohl kann es die Stärke der Demokratie sein, den Atomstaat zu über­ winden. In diesem Sinne wurde in der Bundesrepublik Deutschland etwa die Kehrtwende nach einem allgemeinen politischen Aufschrei der Bevölke­ rung als Folge des japanischen Unglücks in Fukushima unmittelbar einge­ leitet.125

121  R. Jungk

(Fn. 111), S. 13. (Fn. 111), S. 15 (Hervorhebung im Original). 123  R. Jungk (Fn. 111), S. 160; vgl. auch Ch. Bouton, Le temps de l’urgence, Lormont 2013, S. 86 ff. 124  Zur Organismuslehre der organischen Staatstheorie nur H. Kelsen, Allgemei­ ne Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 10 ff.; P. Pern­ thaler (Fn. 97), S. 76. 125  P. Huber, Zur Renaissance des Staates, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globalisierung, Warszawa 2012, S. 46 / 49; F. Illing, Energiepolitik in Deutschland, Baden-Baden 2012, S. 241 ff. 122  R. Jungk

§ 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des souveränen umweltstaatlichen Staatskönigtums Der gegenwärtige umwelt- bzw. naturstaatliche Diskurs kränkelt an einer konzentrierten Fokussierung auf eine willensgetreue Staatssubjektivität, de­ ren majestätisches Herrschertum als die Dominanz eines souveränen Staats­ königtums über die anthropogen schwer gebeutelte Natur identifiziert werden kann. Im Konkreten ist damit die gelebte staatstheoretische Ignoranz gegen­ über dem wahren Charakter der Natur angesprochen, der in den skizzierten Umweltstaatsmodellen nur unzureichend, wenn überhaupt, zum Ausdruck kommt. Ein erster Schritt in die richtige Richtung ist der Versuch einer Her­ leitung von Eigenrechten der Natur, die den elementaren Existenzbedingun­ gen staatlicher Gemeinschaftsbildung den Status eines Rechtssubjekts ver­ mitteln sollen.1 Mit dieser juristischen Konstruktion geht aber dann auch die 1  Damit wird Bezug genommen auf den in der umweltrechtlichen Literatur zu findenden Diskurs um eine anthropozentrische bzw. ökozentrische Ausrichtung des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen. Siehe hierzu nur H.  Frhr. v. Lersner, Gibt es Eigenrechte der Natur?, NVwZ 1988, S. 988; G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, Rechtstheorie 1980 (11), S. 344 ff.; K. M. MeyerAbich, Vom bürgerlichen Rechtsstaat zur Rechtsgemeinschaft der Natur, Scheidewe­ ge 1982 (12), S. 581 ff.; K. Heinz, Eigenrechte der Natur, Der Staat 1990 (29), S.  415 ff.; Ch. Stone, Should trees have standing? – Law, morality and the environ­ ment, 3. Aufl., New York u. a. 2010, S. 1 ff.; P. van Heijnsbergen, The rights of animal and plant life, Environmental policy and law 1977 (3), S. 85 ff.; R. Wahl / I. Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S. 15 ff.; K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S. 192 ff.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 33 ff. m. w. N. in (Fn. 89); vgl. hierzu auch H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Verantwortung für die ethische Zivilisation, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1985, S. 26 ff.; H.  Lenk, Erweiterte Verantwor­ tung – Natur und künftige Generationen als ethische Gegenstände, in: D. MayerMaly / P.  Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen, Berlin 1983, S.  833 ff.; M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umwelt­ staat, Berlin u. a. 1989, S. 63; ders., Anthropozentrik versus Ökozentrik als Verfas­ sungsproblem, in: ders. (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 1 ff.; ders., Anthropozentrik versus Ökozentrik als Verfassungsproblem, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – juristische, ökono­ mische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 195 ff.; I. Appel, Staatliche Zu­ kunfts- und Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht,



§ 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des Staatskönigtums481

Gefahr einher, das ein notwendiges Mindestmaß an Anthropozentrik indizie­ rende Grundverständnis einer von rationalen Menschen gebauten Rechtsord­ nung unzulässigerweise zu nivellieren, insofern der Natur eine ebenbürtige Position mit der nicht anzutastenden Menschenwürde eingeräumt wird.2 Die Naturstaatlichkeit steht deshalb vor einem symptomatischen Dilemma. Es geht letztlich um den tauglichen Entwurf eines staatlichen Ansatzes, der den unbestreitbaren subjektiven Determinismus in einer die Menschenwürde als oberstem Postulat staatsgewollter Präsenz nicht beschränkender Weise sys­ temgerecht relativiert und modifiziert, ohne aber eine radikale Einordnung des Natursinns als einer unabdingbaren Komponente mit absoluter Geltungs­ immanenz zu installieren. Die Legitimitätstheorien gehen stets von einem Betrachtungshorizont aus, der die moderne Staatlichkeit als mit einem Rechts- und Gewaltmonopol ausgestattete Machtinstitution kennzeichnet, die angesichts dieses Umstandes für die Herausforderung der existentiellen Um­ weltaufgabe einschließlich der generationenübergreifenden Dimension einer Nachweltvorsorge prädestiniert ist. Als ruhmvolle Expertise dieser staatsthe­ oretischen Plausibilität wird dann schließlich eine umweltspezifische Norm Tübingen 2005, S. 64 ff. m. w. N.; vgl. auch W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S. 430 ff. 2  Siehe hierzu daher kritisch im Hinblick auf Eigenrechte der Natur R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 63 f.; ders., Gerechtig­ keit und Umweltschutz. Von subjektiv-rechtlichen Begründungsparadoxien zu kol­ lektiv-rechtlichen Lösungsansätzen, ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (169  ff.); R.  Wahl / I.  Appel, Prävention und Vorsorge (Fn. 1), S. 16 f.; H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 1), NVwZ 1988, 988 (990 f.); M. Kloepfer, Anthropozentrik versus Ökozentrik als Verfassungsproblem, in: ders. (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umwelt­ schutz in rechtlicher Sicht (Fn. 1), S. 9; C.  F.  Gethmann / A.  Klapperich, Anthropo­ zentrisches Denken im Umweltstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zu­ kunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 194; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge (Fn. 1), S. 67; vgl. hierzu auch K.-P. Sommermann (Fn. 1), S. 194 f.; K. M. Meyer-Abich (Fn. 1), Scheidewege 1982 (12), 581 (581 ff. / 587 / 591). Grundsätzlich zur Subjektivierungsproblematik in Bezug auf die Natur M. Schröter, Mensch, Erde, Recht, Baden-Baden 1999, S. 223 ff. Zur Staatsfundamentalnorm der Menschenwürdegarantie des Art. 1 I GG und der damit verbundenen Charakterisierung des Staates des Grundgesetzes als anthropo­ zentrischen Staat R. Herzog, in: Th. Maunz / G.  Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. II: Art. 12–21, Stand Juli / 2014, München 2014, Art. 20 Rn. 15; M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 48; ders., Anthro­ pozentrik versus Ökozentrik als Verfassungsproblem (Fn. 1), S. 16 f. / 20 f.; M. Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthro­ pozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 30; H.-G. Hennecke, Abkehr von der Anthropozentrik im Umwelt- und Planungsrecht, AgrarR 1986, S.  192 ff.; A. Scherzberg, Diskurse über den Umweltstaat, Die Verwaltung 1995, S. 543; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S.  66 ff.; I. Appel, ebd., S. 66 ff.

482 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

in der positivrechtlichen Verfassung installiert, um im Sinne eines problem­ kritischen Dezisionismus den Heldenstatus des modernen Staates als dem legitimen Hüter der Langzeitverantwortung in hellem Glanz erstrahlen zu lassen, wobei eine programmatische Überforderung der soziologischen Wirk­ lichkeit durch den materiellen Rechtsgehalt der Richtlinie und dementspre­ chend deren von der realen Anwendung bedingte Wirksamkeit im Auge be­ halten werden muss.3 Für die durchdringende Erkenntnis des Zukunftsmo­ dells eines Naturstaates ist aber eine andere Perspektive erforderlich, die in der naturalistisch-materialistischen Staatstheorie von Rudolf Kjellén zumin­ dest anklingt. Demnach kann der Staat aus verschiedenen Sichtweisen be­ trachtet werden, die ihn dann sowohl als Rechtswesen als auch als Machtin­ stitution erscheinen lassen. Ersteres ergibt sich aus einem epistemologischen Blickwinkel des Staates aus der inneren Bürgersphäre heraus, bei der die Rechtsordnung und damit der Rechtscharakter des Staates in den Vorder­ grund tritt, während die Machtperspektive den Staat völkerrechtlich, d. h. von einem äußeren Standpunkt aus sieht, womit der Staat nicht vor die eigenen Untertanen, sondern vor seinesgleichen gestellt wird.4 In diesen Fällen thront der moderne Staat aber stets auf dem natürlichen Gebiet, das sich als organi­ sches Triebmoment für die biologisch verstandene Entwicklung des gesamten Staatsapparates erweist.5 Eine entsprechende Parallele dieses Betrachtungs­ dualismus besteht aber auch bezüglich der Natur als zu entschlüsselndem Er­ kenntnisobjekt. Die Natur kann vom Standpunkt eines inneren Beobachters beleuchtet werden, dem dann vorrangig die rechtliche Dimension des Natur­ rechts in den Blick geraten wird, das sich als ein in sich geschlossenes, stati­ sches Normensystem darstellt.6 „Es sind (dies) Normen, die nicht wie jene des positiven Rechts gelten, weil sie von einer bestimmten menschlichen Au­ torität gesetzt sind, sondern weil sie ihrem inneren Gehalte nach gut, richtig oder gerecht sind. Der Unterschied zwischen Naturrecht und positivem Recht ist somit ein Unterschied des Geltungsgrundes oder – was dasselbe ist – des Geltungsprinzips, das im Falle des Naturrechtes ein materielles, im Falle des positiven Rechtes (aber) ein formelles ist.“7 Aus einer anderen Perspektive, 3  Siehe zur Problematik um das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit einer Rechtsnorm H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S.  215 ff.; K. Röhl, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit, JZ 1971, S. 576 ff. 4  R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 30 f.; vgl. auch H. Kel­ sen, RR (Fn. 3), S. 333 ff. 5  R. Kjellén (Fn. 4), S. 93. 6  H. Kelsen, Naturrecht und positives Recht, in: H.  Klecatsky / R.  Mar­ cic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S. 179. Zur Unterscheidung von statischen und dynamischen Normensystemen bei Hans Kelsen statt vieler P. Koller, Theorie des Rechts, Wien u. a. 1997, S. 154 f. 7  H. Kelsen (Fn. 6), Naturrecht und positives Recht, S. 177 (Hervorhebungen im Original); R.  Walter / C.  Jabloner, Hans Kelsen (1881–1973). Leben – Werk –



§ 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des Staatskönigtums483

die ihren Erkenntnishorizont auf eine außerhalb der natürlichen Provenienz verlegte Standposition stützt, erscheint die Natur dagegen als eine nicht zu Wirkung, in: M. Lutter u. a. (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 531; P. Römer, Der Staat 1987 (26), 592 (594); vgl. auch R. Marcic, Verfassungsgerichtsbar­ keit als Sinn der reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff.); A. Somek, Ermächtigung und Verpflichtung – ein Versuch über Normativi­ tät bei Hans Kelsen, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen  – Staats­ rechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 58 f.; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts – ein kriti­ scher Vergleich, Berlin 1993, S. 152 f.; M. Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohn­ heiten – Kritik des Normsystemdenkens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalter­ lichen Rechtsgeschichte. Theorie des Rechts im Kontext des 10. und 11. Jahrhun­ derts, Wien u. a. 2009, S. 112 ff.; P. Koller (Fn. 6), S. 154 f. „Wenn dieses Verhältnis (von Naturrecht und positivem Recht) im Folgenden untersucht wird, so soll dabei das Naturrecht als ein System von Normen vorausgesetzt werden, die – zum Unter­ schied von denen des positiven Rechtes – nicht ‚künstlich‘, durch menschliche Tat, ‚gesetzt‘, sondern ‚natürlich‘ gegeben sind, weil sie aus der Natur, aus Gott, aus der Vernunft oder aus einem ähnlichen objektiven Prinzipe sich ergeben.“ (Hervorhebun­ gen jeweils im Original). Siehe zu dem ablehnenden Standpunkt Hans Kelsens ge­ genüber jeder Form des Naturrechts zudem auch H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S.  60 ff.; ders., Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichs­ verfassung, Aussprache, VVDStRL 1927 (3), S. 53 f.; ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre – entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 2. Aufl., Tübingen 1923, Vorrede S. V; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kri­ tische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922, S. 78; ders., Vom Geltungsgrund des Rechts, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1164 ff.; ders., Zum Begriff der Norm, in: R. Dietz / H. Hübner, Festschrift für Hans Carl Nipperdey, Bd. I, Berlin 1965, S. 60 f.; ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, Politi­ sche Vierteljahresschrift 1962 (3), S. 316 ff.; S. Marck, Substanz- und Funktionsbe­ griff in der Rechtsphilosophie, Tübingen 1925, S. 25 ff.; J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm, in: S. L. Paulson, Normativity and norms, Oxford 1998, S. 53 ff.; J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frankfurt a. M. 1967, S. 59; W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, Baden-Baden 1983, S.  40 f.; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen in Reiner Rechtslehre und in einer transzendentalen Philosophie des Rechts, in: W. Krawietz (Hrsg.), Rechts­ system und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 364 f.; A. Vonlanthen, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Berlin 1965, S. 34 f.; H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (295); K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Repu­ blik, Tübingen 2010, S. 109 f.: „(Hans) Kelsen orientierte sich hierbei an seinem Ziel, die Rechtswissenschaft als Lehre vom gesetzten Recht in die Höhen echter Wissenschaftlichkeit zu führen.“ Siehe zum Ganzen unter dem Gesichtspunkt der Differenzierung zwischen einem statischen und dynamischen Normensystem auch H. Kelsen, General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 112 ff.; O. Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 188.

484 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

bändigende Macht, eine Gewalt, die angesichts der elementaren Bezogenheit des modernen Staates auf die natürlichen Lebensbedingungen sowohl in qua­ litativer wie auch quantitativer Hinsicht einen latent stets vorhandenen Risi­ kofaktor darstellt, insofern nicht ein Friede mit der Natur dauerhaft ange­ strebt wird. In der Konsequenz stellt auch die kausalgesetzlich determinierte Naturpräsenz ein Einheitssystem dar, dessen inneres Prinzip die synthetische Decodierung des Seins als einem tatsächlichen Geschehen ist.8 Andererseits muss die Natur in Analogie zu dem Dogma einer Staatssouveränität von einer außerhalb eingenommenen Perspektive als ein machtvoller Gegenspieler er­ scheinen, den der Staat zu respektieren hat, insofern er existentiell fortbeste­ hen möchte. Von einem normativen Betrachtungsstandpunkt aus, wie er von Hans Kelsen vertreten wurde und wie er letztlich auch dieser Naturstaatsleh­ re zugrunde gelegt werden soll, besteht nun unter dem Postulat der Einheit eines normativen Systems die Problematik einer notwendigen Antinomie der Ordnungen, deren Geltungsprinzipien grundlegend verschieden sind. Denn die gebotene Einheit, die einem normativen Methodenansatz gemäß von ei­ ner auf die Erkenntnis geltender Normen ausgerichteten Perspektive postu­ liert wird, ist die systematische Schlüssigkeit eines normativen Systems, des­ sen geltungstheoretische Brückenkonstruktion eine synthetische Hypothese im Sinne eines einheitlichen Geltungsgrundes darstellen muss.9 An dieser Stelle wird nun der Machtaspekt der Natur als einer nur in rationalen Gren­ zen berechenbaren Gewalt relevant, der der Mensch in ihrem Potenz- und Reservatpotential hilflos ausgeliefert sein kann. Demnach ist das wechselsei­ tige Verhältnis von Staat und Natur im Sinne von zwei sich gegenüberstehen­ den Mächten geprägt, was sich auf die rechtliche Einordnung der Natur in­ nerhalb des Staates notwendigerweise auswirken muss. In der Form eines metaphorischen Kunststils untermalt, ist die Natur nämlich kein Zinnsoldat des Staates, sondern Natur und Staat stehen sich auf dem Schachbrett als antretende Garnisonen gegenüber, deren heilsamer Symbiosegrad nur in einer das Matt eindämmenden Korrektur des ganzen Spielsystems erfolgen kann. Das umweltbezogene Staatskönigtum, das eine entsprechende Bindung der verfassten Staatsgewalt nur unter einer subjektiven Disposition des Willens ermöglicht, gründet sich auf eine perspektivische Betonung der Staatssouve­ ränität. Damit wird die Natur zu einem Sklaven des Staates, dem es als Herrn obliegt, ein entsprechendes Schutzniveau für die natürlichen Lebensgrundla­ gen auszuwählen. Dies gilt ebenso dann, wenn der Natur im Rahmen der nationalen Rechtsordnung im Sinne einer ökozentrisch ausgerichteten Staats­ 8  Vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1.  Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 121. 9  H. Kelsen, AS (Fn. 8), S. 121; vgl. auch H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsgerichtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Wei­ marer Republik, Göttingen 1984, S. 121 f.



§ 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des Staatskönigtums485

konfiguration etwaige Eigenrechte zuerkannt werden. Auch hier wird letzt­ lich der Primat auf die einzelstaatliche Rechtsordnung gelegt, was wiederum notwendigerweise zu der Selbstverpflichtungslehre des Staates führt.10 Denn es entsprach der obrigkeitsstaatlichen Doktrin, den Staatsapparat als Mittel über das Recht herrschen zu lassen und somit seine politische Autorität zu stärken. Die Selbstverpflichtungslehre ist in diesem Kontext schließlich nur die dogmatische Denkfigur, die als Schnittstelle der dual geprägten Erkennt­ niswelt die methodologisch unüberbrückbare Inkongruenz von Staat und Recht überspielt. In ihr spiegelt sich das Machtdogma der Staatssouveränität, anstatt das Postulat einer berechenbaren Objektivität, die aus einer noch so starken soziologischen Verbindung nie gewonnen werden kann, in der Gestalt einer ideellen Ordnung unter der Geltungshypothese einer den staatlichen Normenkosmos überstrahlenden Grundnorm als der Verfassung im rechtslo­ gischen Sinne Einzug gebieten zu lassen.11 Wenn aber unabhängig davon die 10  H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 253 f. Fn. 2; vgl. auch M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 55 f.; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge (Fn. 1), S. 65 f.; R.  Wahl / I.  Appel, Prävention und Vorsorge (Fn. 1), S. 17; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 1), S. 35. Eine treffende Skizzierung des umweltstaatlichen Staatskönigtums findet sich bei Rainer Wolf (R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 2), S. 62 ff.): „Als Gegenstand objektiv-rechtlicher Rechtssätze konturiert damit die staatlich ge­ setzte und exekutiv implementierte Rechtsordnung den Schutz der ökologischen Ressourcen. Dies erfolgt allerdings ohne die Distanz und Autonomieverbürgungen subjektiver Rechte. Der Staat kann Natur und Umwelt schützen, er kann sie jedoch auch zur Nutzung und Ausbeutung durch Dritte oder seine eigene umweltverbrau­ chende Infrastruktur freigeben. Und die Exekutive kann dies häufig sogar entgegen der für sie verbindlichen Rechtsprogramme tun, ohne eine korrigierende Kontrolle durch die Dritte Gewalt fürchten zu müssen. Gerade davor schützt das subjektive Recht das Rechtssubjekt.“ Vgl. auch ders. (Fn. 2), ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (173 / 178 ff.); H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 1), NVwZ 1988, 988 (990); siehe zur staatli­ chen Selbstbindung auch D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 159 f.; vgl. dazu auch W. Berg (Fn. 1), S. 431 f. 11  An dieser Stelle soll der historische Kontext der obrigkeitsstaatlichen Pers­ pektive bei Georg Jellinek nicht aus den Augen verloren werden, so dass auf das herkömmliche Dogmenverständnis der Selbstverpflichtungslehre rekurriert wird. Dabei ist die Selbstverpflichtungslehre des Staates auch heute noch ohne weiteres anschlussfähig, was sich etwa im Rahmen einer systemtheoretisch inspirierten Staatstheorie verdeutlicht; siehe hierzu und zur Rezeption der Selbstverpflichtungs­ lehre in der heutigen Staatsrechtslehre J. Kersten, Georg Jellinek und die klassische Staatslehre, Tübingen 2000, S. 444 ff.: „Der liberale (Georg) Jellinek formuliert (…) (die Selbstverpflichtungslehre) im monarchischen Obrigkeitsstaat. Er muss folglich ohne den demokratischen und rechtsstaatlichen Grundkonsens des Verfassungsstaates des späten 20. Jahrhunderts auskommen. Um seine formale Lehre von der Selbstbin­ dung der Staatsgewalt zu stabilisieren, ist er deshalb gezwungen, auf der materiellen Seite restriktiver zu formulieren. (…) Demgegenüber können sich aktuelle Versionen

486 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

anthropogene Überschätzungsmoral durch ein völkerrechtlich geprägtes (Welt)staatsbild ersetzt wird, das auf der Prämisse einer Gleichartigkeit des Verhältnisses basiert, „das zwischen der einzelstaatlichen Rechtsordnung und ihren Subjekten einerseits, der Völkerrechtsordnung und ihren Subjekten – den Staaten – andererseits besteht: das Verhältnis einer objektiven, von dem Wollen der (einzelnen) Rechtsunterworfenen unabhängigen Geltung“12, und wenn die Natur nicht nur als ein Rechtssubjekt, sondern als Macht angesehen wird, ist dies die einzig richtige Option einer objektiven (Welt)staatsordnung, die sich ihres Auftrags zu einer Beachtung der Natur als einer elementaren Bedingung für das menschliche Überleben bewusst ist. Nicht individuelle Freiheit, Willensdominanz, Selbstverpflichtungslehre und Souveränitätsdog­ ma, sondern eine objektive (Welt)staatsordnung zwischen Staat und Natur mit einem von vornherein eingeschränkten Betätigungsradius der Staatsge­ walt mit Blick auf die natürlichen Lebensgrundlagen ist der brauchbare Schlüssel zu einer lebenswerten objektiven Gemeinschafts(welt)staatsord­ nung der Menschen mit der Natur.13 Dazu ist letztlich ein dogmatischer Kunstgriff erforderlich, der die Antinomie der normativen Rechtsordnung und der realen Naturrechtsordnung überwindet. Hans Kelsen sieht mit Blick auf die Installierung einer völkerrechtlichen Weltstaatsordnung grundsätzlich keine unüberwindbare Hürde an einer Hypothese, einer geltungstheoretischen Grundnorm, die einen naturrechtlichen Charakter besitzt, insoweit „diese ‚na­ turrechtliche‘ Grundlegung sich lediglich darauf beschränkt, als juristische Hypothese eine durch positive Satzung fortzubildende, inhaltlich zu erfüllen­ de Rechtsordnung zwischen koordinierten Subjekten zu ermöglichen (…). Und in diesem Sinne ist zwischen Naturrecht und positivem Recht gar kein Gegensatz vorhanden.“14 Den Hintergrund dieser gebotenen Klarstellung stellt eine auf den Inhalt der (materiellen!) Grundnorm15 abstellende Ur­ der Selbstverpflichtungslehre wegen des offengelegten Grundkonsenses im Verfas­ sungsstaat funktionaler geben. Sie vermögen das gesellschaftliche Risiko der Positi­ vierung des Rechts und der rechtlichen Selbstbindung von politischer Herrschaft offen zu benennen: Im Gegensatz zur Naturrechtsordnung lässt sich (daher) die rechtliche Bindung von Herrschaft nicht mehr normativ ‚lösen‘, sondern nur noch in der verfassungsrechtlichen Institutionalisierung der normativen Selbstbindung des politischen Systems ‚aufheben‘.“ (J. Kersten, ebd., S. 451; Hervorhebungen im Ori­ ginal). Vgl. zu den Ansätzen im Werk von Georg Jellinek in Bezug auf die Selbst­ verpflichtungslehre des Staates J. Kersten, Georg Jellineks System. Eine Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Georg Jellinek – System der subjektiven öffentlichen Rechte, Tü­ bingen 2011, Einl. S. 26 ff.; H. Kelsen, AS (Fn. 8), S. 74 ff. 12  H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 10), S. 248. 13  H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 10), S. 247 f.; vgl. auch A. Verdross, Zum Prob­ lem der völkerrechtlichen Grundnorm, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1815 ff. 14  H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 10), S. 252 f. (Hervorhebungen im Original).



§ 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des Staatskönigtums487

sprungsidee einer völkerrechtlichen Weltstaatsordnung, der civitas maxima, dar,16 folglich „eine Rechtsgemeinschaft, in der die Freiheit der Subjekte (der Staaten) durch ihre grundsätzliche rechtliche Gleichheit beschränkt wird.“17 Der angekündigte Kunstgriff für ein verobjektiviertes, einzelstaatliches Na­ turstaatsverständnis im Sinne einer ewig wahren Richtlinie eines auf den existentiellen Erhalt der Erde geeichten Weltgeistes besteht nun darin, die Natur als ein reales, naturrechtlich aber doch konstituiertes Ebenbild des sou­ veränen Staates diesem als gleichberechtigten Partner gegenüberzustellen, da sich im 21. Jahrhundert das positive Recht ohne eine stetige Immanenz des formalen Beachtensbefehls der Natur nicht mehr denken lässt. Mit anderen Worten bedarf es in terminologischer Anknüpfung an die englische Verfas­ 15  Die Grundnorm ist grundsätzlich inhaltsleer. Dies indiziert ein Umdenken in der völkerrechtlichen Machtperspektive! 16  Siehe hierzu nur H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 10), S. 249 ff.; M. Haase (Fn. 10), S. 53 ff.; zur monistischen Weltstaatskonzeption bei Hans Kelsen A. EmmerichFritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, Berlin 2007, S. 256 f.; J. v. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht – Zur Völkerrechtstheorie Hans Kelsens und seiner Schüler, Baden-Baden 2001, S. 96 ff.; vgl. dazu auch H. Nawiasky, Allgemei­ ne Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 7 f.; A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht, München 2001, S. 170 ff. Zu der in erster Linie auf Christian Wolff zurückzuführenden Konzeption einer weltstaatlichen civitas maxima F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 1198 ff.; T. Kleinlein, Konstitutionalisierung im Völkerrecht – Konstruktion und Elemente einer idealistischen Völkerrechtslehre, Berlin u. a. 2012, S. 271 ff.; M. Mulsow, Das Planetensystem als Civitas Dei – Jenseitige Lohn- und Strafinstanzen im Wolffianis­ mus, in: L. Hölscher (Hrsg.), Das Jenseits, Göttingen 2007, S. 53 („Gemeinschaft aller Gemeinschaften“). Die civitas maxima bei Christian Wolff ist demnach ein auf fiktiver Vertragsgrundlage beruhender Assoziationenstaat, ein Weltstaat, wobei im Sinne geteilter Souveränität sowohl der civitas maxima als auch den Einzelstaaten Staatsqualität zukommt. Der civitas maxima liegt dabei als oberster Wertnorm der Vollkommenheitspflicht das Gebot zugrunde, in einer organisierten Weltgemein­ schaft koordiniert zu sein. Ihr liegen dabei naturrechtliche Normen voraus, zu denen die Rechtsgleichheit der Staaten, die Gleichheit ihrer Pflichten sowie das Gewaltan­ wendungsmonopol der civitas maxima gegenüber den Einzelstaaten gehören. Letzte­ res ist schließlich der interpretatorische Anknüpfungspunkt für Hans Kelsen, eine rein formale Konstituierung des Völkerrechts zu vertreten und zu begründen. Die civitas maxima bei Hans Kelsen in ihrer formalisierten Form erläuternd J. v. Berns­ torff, ebd., S. 97 f. Jochen von Bernstorff weist daraufhin, dass das universale Recht bei Hans Kelsen weder einen Weltstaat im politischen Sinne noch eine Weltgesell­ schaft im soziologischen Sinne und auch nicht eine über gemeinsame Werte verbun­ dene „Menschheit“ im christlich-naturrechtlichen Sinne voraussetzte. Das universale Rechtsverständnis reduzierte demnach das Recht auf seine „reine“ Form, die aus rechtswissenschaftlicher Perspektive jeden beliebigen Inhalt in sich aufnehmen konnte, so dass das Völkerrecht wie auch das staatliche Recht, befreit von vorge­ fassten ethischen und politischen Beschränkungen, als inhaltlich unbegrenztes Me­ dium sozialer Gestaltung eingesetzt werden konnte (J. v. Bernstorff, ebd., S. 97 f.). 17  H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 10), S. 252 (Hervorhebung im Original).

488 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

sungstradition nunmehr einer „Magna Charta der Natur“, d. h. einer Urkunde, welche die Rechte der Natur anerkennt,18 wobei dass sich diese ratifizierte Verbriefung nur als schriftlicher Ausdruck einer welt- bzw. staatsimmanenten Einsicht, einer normativ-objektiven Welterkenntnis in die Elementarität der Natur darstellt. Die gesamte Konstruktion basiert in ihrer Stringenz damit auf einer sinnvollen Staatsanalogie, die dem modernen Staat die Natur unter dem völkerrechtlichen Machtaspekt als rechtliches Gleichnis zuordnet, so dass das formale Autoritätsformat der Natur und nicht die materielle Dimension des unkünstlichen Naturrechts in den perspektivischen Mittelpunkt rückt. Gleich­ wohl ist der formale Naturbeachtensbefehl nur das normative Produkt eines analogen Übertrags, der die souveräne Rechtsordnung überstrahlt, ohne aber die verfasste Staatsgewalt in ihren konstitutionell verankerten Grundfesten zu erschüttern. Denn „wenn (…) eine objektivistische Weltanschauung (…), um zum Ich zu gelangen, von der Welt ausgeht, wenn sie eine objektive Weltver­ nunft, einen Weltgeist voraussetzt, dessen Subjektivationen oder Konkretisa­ tionen, dessen nur sehr ephemere und vorläufige Erscheinungsformen die erkennenden und wollenden Individuen sind, deren Geister nur als integrie­ rende Teile des universalen Weltgeists, deren erkennende Vernunft nur Aus­ strahlungen der höchsten Weltvernunft, deren Ich nur Lehen des allein souve­ ränen Welt-Ich einander koordiniert und gleichartig, nicht aber wie im Sub­ jektivismus das Du dem Ich wesensfremd und unbegreiflich gegenüberste­ hen: So ist dies nur das Bild, das Vorbild der für die Rechtswelt gültigen Hypothese einer Weltrechtsordnung, (…) (einer) auf der Objektivität des Rechts fußenden Theorie (…), unter de(r) die einzelstaatlichen Rechtsord­ nungen zwar als koordinierte, gleichartige und gleichgeordnete Gemeinwe­ sen, aber – als bloße Teilordnungen – nicht mehr als ‚Staaten‘ im Sinne von Gesamt(rechts)ordnungen von höchsten, souveränen Subjekten zu einer höchsten Einheit, (letztlich) zur Allheit der allein souveränen civitas maxima zusammengefasst werden.“19 Mit anderen Worten geht der souveräne Staat eine Liaison mit einer gewaltidentischen Natur ein, die unter dem Sinn eines objektiven Weltgeistbildes insoweit zu einer (materiellen) Begrenzung der souveränen Staatsrechtsordnung führt, als nun ein Staatsleben auf der Basis einer objektivistischen Staatsverfassung nicht ohne den gleichberechtigten Partner der Natur erfolgen „soll“. Bevor nun aber die feierliche Proklamation eines naturstaatlichen Staatsobjektivismus einsetzen kann, ist noch eine er­ 18  P. van Heijnsbergen (Fn. 1), Environmental policy and law 1977 (3), S. 85 ff.; G. Stutzin (Fn. 1), Rechtstheorie 1980 (11), 344 (350). 19  H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 10), S. 316; M. Haase (Fn. 10), S. 23 ff. / 33 ff. / 53 ff.; vgl. hierzu auch A. Carrino, Die Normenordnung – Staat und Recht in der Lehre Kelsens, Wien u. a. 1998, S. 152; H. Kelsen, Politische Weltanschauung und Erzie­ hung, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheore­ tische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1231 ff.



§ 16 Kritik: Die majestätische Dominanz des Staatskönigtums489

klärende Begründung erforderlich, die den rekursiven Umweg über die au­ ßenperspektivische Machtkomponente der Natur darlegen kann. Nach der Ansicht von Hans Kelsen entspricht die Grundnorm oder die Verfassung im rechtslogischen Sinne bis zu einem gewissen Grade dem für die Naturrechts­ theorie so bedeutsamen Begriff des den Staat allererst konstituierenden Urvertrages oder Gesellschaftsvertrages.20 Die naturrechtliche Vertragstheorie könne auf den Gedanken reduziert werden, dass die staatliche Ordnung, ja soziale Ordnung überhaupt nur gelte, weil und sofern das der Ordnung unter­ tane Subjekt sie wolle, ihrem Inhalt zustimme, ihn in seinen Willen aufneh­ me, so dass die Geltung der sozialen Ordnung (schließlich) auf dem überein­ stimmenden Willen, also dem Vertrag beruhe.21 Daraus folgt nun, dass unter einem einzelstaatlichen Blickwinkel ein entsprechender gesellschaftlicher Grundvertrag zwischen den Menschen und der Natur22 abzuschließen wäre, was aber dann eine unvereinbare Kollision mit dem obersten Konstitutions­ prinzip der Menschenwürde zur Folge hätte.23 Einer solchen unzulässigen Belastungsprobe wird auf dem beschrittenen Wege einer Einordnung von Staat und Natur als vergleichbare Machtpartner vorgebeugt, abgesehen da­ von, dass eine derartige Vertragstheorie stets auf verhüllenden Fiktionen be­ ruhen muss und ihre soziale Geltungsrelevanz stets auf einen subjektiven Willensdeterminismus gestützt ist.24 Ein anderes Argument ergibt sich aus dem grundsätzlich inhaltsleeren, auf die Einsetzung einer Autorität be­ schränkten Charakter der Grundnorm als einer rechtslogischen Hypothese bei Hans Kelsen.25 „Während die rechtstheoretisch zulässige, (…) unentbehrli­ che Grundnorm keinen absoluten Inhalt, (…) a priori überhaupt keinen Inhalt hat, sondern sich nach dem Material richtet, das als Recht einheitlich zu deu­ ten ihre ausschließliche Funktion ist, hier also einen Autokraten, dort das Volk als oberste normsetzende Instanz einsetzt, nimmt der naturrechtliche Grundvertrag einen absoluten Inhalt an. Und gerade darin zeigt sich wieder der spezifisch naturrechtliche Charakter der Vertragstheorie, dass die einen Theoretiker dem Gesellschaftsvertrag, ein für allemal und mit Geltungsan­ spruch für überall und immer, einen demokratischen, die anderen aber in dem 20  H. Kelsen,

AS (Fn. 8), S. 250. AS (Fn. 8), S. 35. 22  Von einem Gesellschaftsvertrag zwischen Mensch und Natur spricht unter anderem I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Rudolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie. Festschrift für Helga Grebing, Essen 1995, S. 422 ff. 23  Siehe hierzu bereits in Fn. 2 dieses Kapitels. 24  H. Kelsen, AS (Fn.  8), S. 35  f. Denselben Fehler wie die Vertragstheorie macht letztlich auch die Anerkennungstheorie, die die Welt des Wertes, die Welt des Sozialen, den Staat, als im Willen des Subjektes beschlossen, als Wille des Subjek­ tes zu begreifen versuche (H. Kelsen, AS, ebd., S. 37). 25  H. Kelsen, AS (Fn. 8), S. 251; O.  Weinberger (Fn. 7), S. 189. 21  H. Kelsen,

490 2. Teil, 1. Abschn.: Analytischer Formalismus der Reinen Rechtslehre

gleichen Sinne einen autokratischen Inhalt geben und dann gezwungen sind, den Widerspruch, der sich zwischen ihrem subjektiven Standpunkt und dem objektiven positiven Recht ergibt, (letztlich) durch künstliche Fiktionen zu überbrücken.“26 Demnach müssen dezisionistisch anmutende Versuche einer grundsätzlich materiellen Tränkung des Normensystems unterbleiben, wenn den Grundsätzen des Positivismus Rechnung getragen werden soll. Denn „ist der Staat ein Normensystem, kann er nur die positive Rechtsordnung sein, weil neben dieser die Geltung einer anderen Ordnung ausgeschlossen sein muss.“27 Mit diesem Postulat einer Reinen Rechtslehre ist aber die formale Akzeptanz einer sonstigen Gewalt vereinbar, die nicht als materielles Nor­ menmuster, sondern als formale Beachtensgröße in der staatlichen System­ ordnung zu berücksichtigen ist. Es ist dies die Begründung einer unterschwel­ lig stets im Sinn zu behaltenden Naturgewalt und gleichzeitig der Tod des umweltstaatlichen Staatskönigtums zugunsten einer konventionalen objekti­ ven Staatssystemimmanenz mit Blick auf die Natur!

26  H. Kelsen, AS (Fn. 8), S. 251; ders., Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 154; O.  Weinberger (Fn. 7), S. 197; vgl. auch R.  Walter / C.  Jabloner (Fn. 7), S.  526 ff. 27  H. Kelsen, AS (Fn. 8), S. 17.

2. Abschnitt

Die äußere Grundnorm § 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen in ihrem äußeren Sinngehalt I. Die Illusion von der Ungebundenheit des pouvoir constituant 1. Die staatstheoretische Fundierung der Natur als pouvoir naturel im Staat Als Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès im Angesicht der wütenden Franzö­ sischen Revolution, die mit der Abschaffung der Ständegesellschaft des „Feudalsystems“ zu einem Wegbereiter der europaweiten Entwicklung einer zunehmend gleichberechtigten politischen Partizipation werden sollte,1 in seiner im Jahre 1789 veröffentlichten politischen Appellschrift „Qu-est-ce que le tiers état“ die grundlegende Unterscheidung von pouvoir constituant und pouvoir constitué proklamierte,2 war die Problematik um einen Schutz der Natur noch nicht einmal in den Kinderschuhen.3 Dabei hatte eigentlich 1  W. Reinhard,

Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 406 f. zu der Entwicklung der verfassunggebenden Gewalt im Zeitalter der Französischen Revolution grundlegend E. Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constitu­ ant, Tübingen 1909. Den Schwerpunkt auf die staatstheoretische Leistung von Em­ manuel Joseph Abbé de Sieyès legend nur J. Isensee, Das Volk als Grund der Ver­ fassung – Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt, Opladen 1995, S. 26 ff.; E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, Frankfurt a. M. 1986, S. 11 f.; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S. 37 ff.; A. Alvarez, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und chilenischen Grundgesetzes, Frankfurt a. M. 1995, S. 51 ff. / 72 ff.; Ch. Winterhoff, Verfassung – Verfassunggebung – Verfassungsänderung, Tübingen 2007, S. 126 f.; B. Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S. 180 f.; H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat, in: K.-H. Kästner u. a. (Hrsg.), Festschrift für Martin Heckel zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen 1999, S. 828. Siehe dazu auch grundsätzlich unter Darlegung der Geschichte der Französischen Revolution einschließlich einzelner Revolutionsverfassungen bzw. -abschnitte M. Kriele, Einfüh­ rung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 119 ff. 3  Vgl. D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, Bonn 1995, S. 51. 2  Siehe

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

im Jahre 1755 ein schweres Erdbeben in Lissabon mit einer anschließenden Tsunamikatastrophe mit tausenden von Toten ein apokalyptisch geprägtes Weltklima bereitet, das die Menschen in den Bann eines gött­lichen Diskurses der Theodizee brachte.4 Der Erkenntnishorizont der zeitgemäßen Rationalität war aber noch nicht derart geweitet, dass an Spätfolgen ausbeuterischer Aus­ nutzung der Natur auch nur ansatzweise gedacht wurde.5 Das staatstheoreti­ 4  Das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 fiel in die Epoche der europäi­ schen Aufklärung und veranlasste daher die Denker der Zeit, Gründe für die Natur­ katastrophe zu suchen bzw. das Ereignis philosophisch und schriftstellerisch zu verarbeiten. Andererseits führte dieses Erlebnis die Menschen wieder zurück zu der Frage, wie Gott denn ein derartiges naturbedingtes Massensterben überhaupt zulas­ sen konnte. Demnach erschütterte dieses Erdbeben einerseits die Welt der Aufklä­ rung wieder, andererseits war es aber Ansporn, auf dem neuen Weg einer anderen Rationalität im Denken zu verbleiben. Siehe zu dieser bis heute nachwirkenden Naturkatastrophe Ch. Eifert, Das Erdbeben von Lissabon 1755 – Zur Historizität einer Naturkatastrophe, Historische Zeitschrift 2002 (274), S. 633 ff.; G.  Lauer /  Th. Unger, Angesichts der Katastrophe. Das Erdbeben von Lissabon und der Kata­ strophendiskurs im 18. Jahrhundert, in: dies. (Hrsg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, Göttingen 2008, S. 13 ff.; zum göttlichen Diskurs der Theodizee H. Günther, Das Erdbeben von Lissabon und die Erschütterung des aufgeklärten Europas, Frankfurt a. M. 2005, S. 56 ff. Grundsätzlich zum Verhältnis von Staatsunrecht und Theodizee H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 76 ff. 5  Siehe hierzu nur F. Schmoll, Erinnerung an die Natur, Frankfurt a. M. 2004, S. 11 ff.; vgl. hierzu auch A. Stipproweit, Naturschutzbewegung und staatlicher Na­ turschutz in Deutschland – ein historischer Abriss, in: J. Calliess (Hrsg.), Handbuch Praxis der Umwelt- und Friedenserziehung, Bd. I: Grundlagen, Düsseldorf 1987, S. 29; U. Preuß, Risikovorsorge als Staatsaufgabe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsauf­ gaben, Frankfurt a. M. 1996, S. 524. Das Gewaltverhältnis zwischen Mensch und Natur war ursprünglich sogar so ausgestaltet, dass der Mensch schützende Maßnah­ men gegen die Natur ergreifen musste, d. h. die Natur in ihrer physisch-biologischen Eigenart war der besorgniserregende Feind der menschlichen Entwicklung. Erst mit dem industriellen Zeitalter änderte sich diese Ausgangslage, indem die Natur immer mehr zum technischen Sklaven der wirtschaftlichen Expansion avancierte. Nachdem der kulturelle Wertakzent für die Anfänge der im Laufe des 19. Jahrhunderts einset­ zenden Naturschutzidee von dominierender Relevanz war, wurde schließlich im 20. Jahrhundert der ökologische Aspekt der Bewahrung der natürlichen Lebens­ grundlagen zunehmend bedeutsamer. Nun scheint allmählich wieder eine planetari­ sche Wende einzutreten, die die primäre Natur endgültig in den (natur)staatlichen Fokus zurückbringt. Denn die Natur wird für die Menschheit nun angesichts der klimatischen Veränderungen wieder vermehrt zu einer unberechenbaren Größe, wo­ mit sich die Natur wieder der originären Gewalterkenntnis annähert. Siehe hierzu auch grundsätzlich M. Ronellenfitsch, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung durch das Verwaltungsrecht, DVBl. 1989, 851 (853 f.); H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 21 f. Zu der in der Wissen­ schaft diskutierten Unterscheidung zwischen den Gefahren aus dem Zustand der Sozialität und aus dem Urzustand der Natur P. Preu, Polizeibegriff und Staatszweck­



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen493

sche Fundament, das auf Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès zurückgeht, lässt sich mit einem von ihm geäußerten Diktum akzentuieren: Die Verfassung ist „(…) das Werk der verfassunggebenden Gewalt, nicht aber der von der Ver­ fassung (ein)gesetzten Gewalt. Keine übertragene Gewalt, welcher Art sie auch sei, kann an den Bedingungen ihrer Übertragung irgendetwas ändern. Nur so verstanden und nicht anders sind die Verfassungsgesetze Grundgesetze.“6 „Es sind eben verschiedene Gewalten. Die eine kann nur im Rahmen der Regeln und Bedingungen handeln, die man ihr vorgeschrieben hat. Die andere unterliegt (dagegen) keiner besonderen Form (…). Das sind keine nutzlosen Unterscheidungen. Alle eben genannten Grundsätze sind für die gesellschaftliche Ordnung sehr wesentlich; diese Ordnung wäre unvoll­ ständig, wenn auch nur ein einziger Fall denkbar wäre, für den sie nicht voll wirksame Verhaltensregeln an die Hand gäbe.“7 In dieser grundlegenden Ein­ teilung, die bis heute ihre unbestrittene Geltung besitzt, tritt die Natur als Moment der staatlichen Einheit noch nicht in Erscheinung. Im Gegenteil: „Der Nationalwille (…) braucht, um immer gesetzlich zu sein, nur seine blo­ ße Existenz, denn er ist der Ursprung aller Gesetzlichkeit. Nicht nur dass die Nation keiner Verfassung unterworfen ist, sie kann und darf es auch nicht sein, was so viel bedeutet, als dass sie es eben nicht ist. Sie kann es nicht sein. Wer in der Tat hätte ihr eine positive Form geben sollen? Gibt es viel­ leicht eine (noch) ursprünglichere Gewalt, die zu einer Masse von Einzelper­ sonen hätte sagen können: ‚Ich unterstelle euch gemeinsam diesen Gesetzen; ihr werdet nach den Bedingungen, die ich euch vorschreibe, eine Nation bil­ den‘? (…) Doch selbst wenn sie es könnte, eine Nation darf sich auch nicht die Fesseln einer bestimmten Verfassungsform anlegen. Dadurch würde sie sich der Gefahr aussetzen, ihre Freiheit unwiederbringlich zu verlieren (…).“8 Hinter dieser appellativen Eindringlichkeit verbirgt sich die Durchsetzung ei­ nes an­thropozentrisch ausgerichteten Weltbildes, das die präsente Vorstellung einer von Gott gemachten Urverfassung der Natur obsolet werden ließ und an deren Stelle ein anderes Verständnis der Verfassung als eigenverantwort­liches und künstliches Produkt menschlicher Setzung getreten ist.9 Erst aber durch lehre, Göttingen 1983, S. 108 f.; F. Ewald, L’Etat providence, Paris 1986, S. 17 ff.; U. Preuß, Risikovorsorge als Staatsaufgabe, ebd., S. 525. 6  E.  J.  Abbé de Sieyès, Was ist der Dritte Stand?, in: O.  W.  Lembcke / F.  Weber (Hrsg.), Was ist der Dritte Stand?, ins Deutsche übersetzt von den Herausgebern, Berlin 2010, S. 150 (Hervorhebung im Original). 7  E.  J.  Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 154. 8  E.  J.  Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 151 f. (Hervorhebungen im Original). 9  Siehe zu der Wandlung in der Vorstellungswelt der Menschen E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 13; Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 123 f.; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII: Normativität und Schutz der Verfassung – Internationale Beziehungen, 2. Aufl., Heidelberg 1992,

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewachsene Erkenntnis der existentiellen Relevanz der natürlichen Lebensgrundlagen für die moderne Staatlichkeit kommt die elementare Bedeutung der Natur als einer unbere­ chenbaren, da bestimmten Grenzen epistemologischer Rationalität unterlie­ genden Größe in das allgemeine Bewusstsein der Weltbevölkerung zurück, wenngleich diese naturstaatliche Entwicklung infolge der kapitalistischen Expansion bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts ihre vornehmlich noch mit einem kulturell-nationalen Wertakzent versehenen ideengeschichtlichen Vorläufer hatte.10 Was aber genau ist denn nun die Natur im bzw. für den Staat? Hans Kelsen spricht unter dem Postulat einer staats- und rechtstheore­ tischen Reinheit davon, dass der Staat nicht im Reiche der Natur – der phy­ sisch-psychischen Beziehungen –, sondern im Reiche des Geistes stehe.11 § 158 Rn. 18 f.; vgl. auch H. Hofmann, Das Problem der cäsaristischen Legitimität im Bismarckreich, in: K.  Hammer / P.  C.  Hartmann (Hrsg.), Der Bonapartismus  – Historisches Phänomen und politischer Mythos, Beihefte der Francia, Bd. 6 (1977), S. 87 f. Mit der Verfassunggebung ist immer auch die Frage nach dem letzten Gel­ tungsgrund einer positiven Verfassung verbunden. Bis in das späte Mittelalter war es ausschließlich Gott, auf den sich die gesamte Staatsgewalt zurückführen ließ. In der frühen Neuzeit setzte sich sodann das monarchische Prinzip durch, das dem Fürsten das Privileg als Inhaber der verfassunggebenden Gewalt zuerkannte, bevor sich letztlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts allmählich das demokratische Prinzip durchsetzte, was in Nordamerika und Frankreich sogar bereits zu der feierlichen Proklamation der verfassunggebenden Gewalt des Volkes bzw. der Nation geführt hat. Im konstitutionellen 19. Jahrhundert herrschte im Deutschen Bund bzw. im spä­ teren Deutschen Kaiserreich gleichwohl noch eine restaurativere Grundstimmung vor, was sich in einseitig vom Fürsten erlassenen und damit oktroyierten Verfassun­ gen, zum anderen aber auch in zwischen der Krone und den Landständen zur ge­ samten Hand vereinbarten Verfassungen manifestierte. Der endgültige Durchbruch des demokratischen Prinzips und der damit gleichsam verbundenen Zuweisung des pouvoir constituant an das Volk setzte sich schließlich aber erst im Deutschen Reich durch, wenngleich das Bestreben nach politischer Partizipation bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts immer spürbarer geworden war.; hierzu zusammenfassend nur H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt, ebd., § 158 Rn. 9 ff. Anzumerken ist noch, dass der Monarch, dessen überragende Stellung auf der rechtlich konstitu­ ierten Einrichtung einer Monarchie und einer Thronfolgeordnung aufbaute, selbst nicht als Geltungsursprung der politischen Ordnung erscheinen konnte. Dies war letztlich nur dann möglich, wenn er als irdischer Repräsentant des allmächtigen Gottes sakral legitimiert auftrat; so bereits C. Schmitt, Verfassungslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 1993, S. 80 f.; E.-W. Böckenförde, Die verfas­ sunggebende Gewalt, ebd., S. 12 f.; vgl. auch H.-P. Schneider, Die verfassunggeben­ de Gewalt, ebd., § 158 Rn. 11 f. 10  Eine exemplifizierende Bestätigung dieser These bietet freilich die deutsche Naturschutzgeschichte. 11  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14. Für Hans Kelsen besitzt das natürliche Staats­ gebiet nur die Bedeutung einer räumlichen Geltungsbeschränkung von Normen (H. Kelsen, AS, ebd., S. 137 ff.). Gleichwohl bezeichnet er die Faktizität des Staats­ gebiets aber auch als Bedingung der staatlichen Herrschaft, die nicht ausschließlich



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen495

Der Staat steht aber „auf der Natur“, was von den sonstigen Vertretern der Allgemeinen Naturstaatslehre teilweise unter dem Verdeck einer Staatsge­ bietstheorie beachtet wurde. In dem Sinne sieht etwa Rudolf Smend das staatliche Territorium als ein Wesensmoment der geistigen Wirklichkeit des Staates an, ohne das der Staat zwar nicht zu verstehen ist, das dem politi­ schen Integrationsprozess aber die soziale Eigengesetzlichkeit belässt. Das natürliche Staatsgebiet avanciert auf diesem Wege zu einer dialektischen Spielwiese der durch den politischen Vorgang vermittelten geistigen Produk­ tion, die sich dann in der ewig zeitlosen Sinn- und Wertordnung manifes­ tiert.12 Der wirklichkeitswissenschaftliche Erklärungsansatz im Sinne von Hermann Heller sieht das natürliche Staatsgebiet dagegen als Element der im Reich des Geistes gedacht werden kann (H. Kelsen, Hauptprobleme der Staats­ rechtslehre, Tübingen 1911, S 100 Fn. 1; J. Kersten, Georg Jellinek und die klassi­ sche Staatslehre, Tübingen 2000, S. 176 ff.). 12  R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatstheoretische Ab­ handlungen, 3. Aufl, Göttingen 1994, S. 168 f. Angesichts der Tatsache, dass Rudolf Smend den politischen Integrationsvorgang als einen durch das tägliche Plebiszit stetig vor sich gehenden nationalen Einheitsprozess ohne Beginn und Ende versteht (so P. Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frank­ furt a. M. 2002, S. 113), ist es für ihn trotz der expliziten Einordnung des Territori­ ums als Wesensmoment des Staates und dem bedeutendsten sachlichen Integrations­ faktor schwierig, eine zeitlose Fundamentalität im Staat anzunehmen, die sich der geistigen Sinntotalität des Integrationsvorgangs in gewisser Weise entzieht. Dies zeigt sich bereits im Kontext mit der Frage nach dem letzten Geltungsgrund der Verfassung und damit der Anerkennung eines pouvoir constituant, da sich die reale Staatsverfassung in geistiger Dynamik doch immer wieder aufs Neue fortbildet (sie­ he hierzu nur K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., Heidelberg 1999, S. 16  ff.; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 172 ff. / 182 f.; H. J. Boehl, Verfassung­ gebung im Bundesstaat – ein Beitrag zur Verfassungslehre des Bundesstaates und der konstitutionellen Demokratie, Berlin 1997, S. 79; W. Henke, Staatsrecht, Politik und verfassunggebende Gewalt, Der Staat 1980 (19), 181 (186 ff.). Gleichwohl an­ erkennt Rudolf Smend aber auch starre Momente des politischen Integrationsvor­ gangs, so dass die Annahme einer originären Fundamentalität im Staat, auf der sich der geistige Turnus der realen Wirklichkeitswelt dauerhaft entfaltet, zumindest nicht gänzlich ausgeschlossen ist (vgl. nur R. Smend, ebd., S. 191 / 265; in diesem Sinne ausdrücklich K. Hesse, ebd., S. 10 / 17 f., wenn er davon spricht, dass es entscheidend auf jenen Willen ankomme, der seinerseits auf dem grundsätzlichen Konsens beruhe und der rechtlichen Ordnung dauerhaft Bestand sichere; die Einigkeit des histori­ schen Verfassunggebers müsse prinzipiell unter denen fortbestehen, deren Wirken und Zusammenwirken er in den Normen der Verfassung zu leiten und zu bestimmen unternommen habe. Der grundsätzliche Konsens gewährleiste nicht notwendig „Richtigkeit“, wohl aber den dauerhaften Bestand rechtlicher Ordnung. Wo er fehle, möge autoritärer Zwang an seine Stelle treten; gesicherte, als legitim und deshalb als aufgegeben angesehene Ordnung vermöge er nicht zu begründen; ebenso W. Henke, ebd., Der Staat 1980 (19), 181 (188); vgl. auch U. Scheuner, Staatstheo­ rie und Staatsrecht, ebd., S. 179 f.; E. Gutmann (Fn. 2), S. 70.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

nicht normierten Verfassung an, das mit seinen klimatischen Rahmenbedin­ gungen das staatliche Leben von Grund auf originär beeinflusst, ohne aber eine absolute Eigengesetzlichkeit zu indizieren.13 Die natürlichen Lebens­ grundlagen spielen für den konkreten Standort insoweit eine wesentliche Rolle, als sie eine direkte Wirkung auf den Menschen haben, wonach allzu viel wie auch allzu wenig Wärme, Licht und Feuchtigkeit die staatliche Ent­ wicklung beeinträchtigen könne, wobei der indirekte Einfluss des Klimas auf das staatliche Verhalten durch die Wirkungen auf die Wirtschaft sogar noch wichtiger sei, namentlich durch seine Bedeutung für die weitere Entwicklung der Flora und Fauna sowie durch seine Folgen für die wirtschaftlichen und strategischen Verkehrsverhältnisse.14 Bei Carl Schmitt wird der Raum sogar zu einem natürlichen Wesensmoment der realen Seinsidentität des deutschen Volkes, indem das dezisionistisch festgelegte Herrschaftsgebiet stets zu der absoluten Bezugsgröße der positiv verfassten politischen Einheit gehören muss. Die natürlichen Lebensgrundlagen partizipieren damit in der Konse­ quenz regelmäßig an dem unverbrüchlichen Wesenskern des Staates, was Carl Schmitt mit den Worten zu bestätigen scheint: „Jede existierende politi­ sche Einheit hat ihren Wert und (auch) ihre ‚Existenzberechtigung‘ nicht in der Richtigkeit oder Brauchbarkeit von Normen, sondern in ihrer Existenz. Was als politische Größe existiert, ist, juristisch betrachtet, wert, dass es exis­ tiert. Daher ist ihr ‚Recht auf Selbsterhaltung‘ die Voraussetzung aller weite­ ren Erörterungen; sie sucht sich vor allem in ihrer Existenz zu erhalten, ‚in suo esse perservare‘ ((Baruch de) Spinoza15); sie schützt ‚ihre Existenz, ihre 13  H. Heller,

Staatslehre, Leiden 1934, S. 139 / 144 ff. / 250. SL (Fn. 13), S. 146  f. Diesem naturrealistischen Gedanken von Hermann Heller liegt die von Giambattista Vico (G. Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, ins Deutsche übersetzt von V.  Hösle / Ch. Jermann, Sonderausgabe aus der Reihe „Philosophische Bibliothek“, Hamburg 2009, S. 142 f.) in seiner Scienza nuova vorgenommene Differenzierung zwischen der primären und sekundären Natur zugrunde, wonach sich die von Men­ schenhand verwirklichte, sekundäre Natur als kultureller Produktion der politischen Gemeinschaftswelt auf der originären Natur erhebt. 15  Siehe zu der Konzeption der Staatsraison von Baruch de Spinoza nur C. J. Friedrich, Die Staatsräson im Verfassungsstaat, Freiburg / München 1961, S. 50 ff. Bei Baruch de Spinoza sind eine gewaltvolle und eine rechtsstaatlichfrei­ heitliche Staatskonzeption zu unterscheiden, wobei sich Carl Schmitt letztlich die Erstere der beiden Varianten zu eigen machte. In diesem Sinne identifizierte Baruch de Spinoza Gewalt bzw. Macht mit Recht und Gesetz, was grausam in der natura­ listischen Staatstheologie gipfelte, wonach „der große Fisch (…) den kleinen nach Naturgesetz und -recht (verschluckt)“. Die Staatsraison ist damit die synthetische Umschreibung für das, was die absoluten Herrscher mit einer konzentrierten Staats­ gewalt in der Hand für die Sicherheit und die autoritäre Selbsterhaltung des Staats­ wesens für geboten erachten. Mit dieser radikalen Form einer Staatsvernunft ist schließlich der legitimierende Rechtsbruch verbunden, da das Recht in der Macht stets aufgeht und immer nur soweit gehen kann, wie es die Macht zulässt. Damit 14  H. Heller,



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Integrität, ihre Sicherheit und ihre Verfassung‘ – alles existentielle Werte.“16 Andererseits spricht Rudolf Kjellén in seiner naturalistisch-materialistischen Staatsgesinnung von dem natürlichen Boden als einem organischen Triebmo­ ment, das die staatlichen Geschicke im Sinne einer absoluten Entartung vor­ bestimmt17 und so unter dem staatlichen Kosmos unterschwellig stets wirk­ sam ist. Zum staatlichen Dasein genüge nicht der zielbewusste Wille, ja nicht einmal die organisierte Macht. Das Land könne aus dem Staat nicht hin­ weggedacht werden, ohne dass sich der Begriff des Staates verflüchtige. Oh­ ne Land gebe es gesellschaftliche Existenz, aber auch nicht mehr.18 Damit ist wieder der Zusammenhang hergestellt zu den eingangs angeführten staatsthe­ oretischen Fundierungen des Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès, die nun ei­ ner ergänzenden Einsicht im Hinblick auf die Staatsrelevanz der Natur zu­ gänglich sind. Mit der appellativen Bestimmtheit eines politischen Reformers ergänzte Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès seine fundamentalen Einsichten im spiegelnden Abbild der Französischen Revolution um die folgende in­ haltsreiche Sentenz: „Es versteht sich, dass (…) (die Verfassung) nur die Regierung bindet. Es wäre lächerlich anzunehmen, die Nation binde sich selbst durch die Regeln oder die Verfassung, die sie ihren Beauftragten gibt. Hätte sie, um eine Nation zu werden, eine positive Existenzform abwarten müssen, wäre sie nie eine geworden. Allein nach natürlichem Recht bildet sich die Nation. Die Regierung dagegen gehört notwendig in den Bereich des positiven Rechts.“19 Bevor sich nun aber eine positive Rechtsordnung in ihrer ver­ geistigten Präsentation einer idealtypischen Objektivität unter Einschluss ei­ nes umwelt- bzw. naturrelevanten Sinngehalts als deutungsschematisches Folienabbild über der soziologischen Realität erheben kann, besteht die Na­ tur schon in ihrer realen Fundamentalität. Die moderne Staatlichkeit wird demnach auf der natürlichen Plattform errichtet und erst eine abgewogene steht fest, dass der Rekurs von Carl Schmitt auf diese Konzeption von Baruch de Spinoza dazu diente, den absoluten Geltungsanspruch der positiven Verfassung zu untermauern. Auf die Thematik der Naturstaatlichkeit übertragen, bedeutet dies nichts anderes als die Theorie eines Naturstaates in Permanenz, der alle Mittel er­ greifen darf, insofern es der Verteidigung des absoluten Wesenskerns des Staates entspricht. In diesem Fall wird die bürgerliche Freiheit schlicht von der Machtinsti­ tution des Staates wie ein kleiner Fisch verschluckt. 16  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 22 (Hervorhebungen im Original). Im Deutschen Reich partizipierte der Naturschutz an dem durch die positive Verfassung festgesetzten unverbrüchlichen Verfassungskern, da die heimatliche Natur als ein Element der politischen Einheit anzusehen war. Diese existentielle Dimension recht­ fertigte schließlich später dann die Errichtung einer Naturdiktatur. 17  Siehe hierzu nur R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 63 /  93. 18  R. Kjellén (Fn. 17), S. 47. 19  E.  J.  Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 151 (Hervorhebungen im Original).

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(Welt)geisterkenntnis im Lichte der ausbeuterischen Praxis einer kapitalisti­ schen Wirtschaftsordnung lässt einen Ökologiewert in der normativen Ord­ nung einer objektiven Idealität in Erscheinung treten.20 Das natürliche Staatsgebiet ist damit ein elementares Wesensmoment der realen Staatsverfassung und in diesem Sinne das politische Betätigungsfeld, auf dem sich in dialektischer Dynamik die materiellen Staatsaufgaben in ihrem geistgetreuen Erlebniswert widerspiegeln21 und so die fundamentale Relevanz der Natur für die staatliche Existenz unterstreichen. Diesen Aspekt sieht zumindest indirekt auch Hans Kelsen, wenn er das reale Staatsgebiet zu einer (bloßen) Bedingung der Staatsherrschaft degradiert und insoweit hervorhebt, dass streng genommen der Staat niemals das Volk, auch nicht das organisierte Volk, sei, ebenso wenig wie der Staat mit seinem (natürli­ chen) Gebiete oder sonst mit irgendeinem der realen „Staatselemente“ identisch sei.22 Die natürlichen Lebensgrundlagen sind in diesem Sinne auch ein notwendiges Teilelement des unverbrüchlichen Wesenskerns eines modernen Staates und bilden in ihrer realen Faktizität eine unabdingbare Staatssystembedingung, eine materielle Naturrealverfassung, die originär bereits vor dem staatlichen Konstituierungsakt vorhanden ist.23 Aus dieser 20  Vgl. hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 13 ff.; ders., Reine Rechtslehre, Nach­ druck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 2 ff. / 16 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staats­ soziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S.  83 ff. 21  R. Smend (Fn. 12), S. 169. 22  H. Kelsen, Hauptprobleme (Fn. 11), S 100 Fn. 1; J. Kersten (Fn. 11), S. 176 ff. Ähnlich F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 52 f. 23  Es entspricht deshalb einem typischen umweltstaatlichen Staatssubjektivis­ mus, wenn trotz der elementaren Erkenntnis der natürlichen Lebensgrundlagen als unabdingbarer Systemvoraussetzung des modernen Staates immer noch nicht allge­ meinverbindlich eingesehen wird, dass es ohne eine nachhaltige Bewahrung der Natur im Staat nicht geht. Vor diesem Hintergrund muss die Entstehungsgeschichte des Art. 20a GG mit ihrer sich über zwei Jahrzehnte hinziehenden Diskursdauer und der nur zögerlich anmutenden generellen Aufnahmetendenz im Nachhinein fast schon als beschämend erscheinen, wenngleich freilich die Freiheit eines (verfas­ sungs-)politischen Prozesses grundsätzlich relativierend in Rechnung gestellt werden muss. Von den natürlichen Lebensgrundlagen als einer Systemvoraussetzung spricht insbesondere auch D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 3), S. 51 ff.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 5), S. 32. Zur langwierigen Entstehungsgeschichte der Norm des Art. 20a GG Bundesminister des Innern / Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Bericht der Sachverständigenkommission „Staatsziel­ bestimmungen / Gesetzgebungsaufträge“, Bonn 1983; M. Kloepfer, in: W.  Kahl /  Ch.  Waldhoff / Ch. Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Bd. VI: Art. 20a  – 24, Heidelberg 2014, Stand: 12 / 2014, Art. 20a Rn. 1 ff.; R. Scholz, in: G.  Dürig / Th. Maunz (Begr.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III: Art. 17–27, Stand Juli / 2014, München 2014, Art. 20a Rn. 19 ff.; K. Meyer-Teschendorf, Verfassungs­ mäßiger Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, ZRP 1994, S. 73 ff.; ­H.-G. Hen-



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Perspektive ist damit jeder Staat Naturstaat, da der moderne Staat auf dem natürlichen Untergrund steht, ohne den ein Staat unvorstellbar ist. Dennoch bildet die tatsächliche Naturrealverfassung stets einen Fremdkörper im Staat, da die Natur in ihrer biologisch-physikalischen Organisations- und Ordnungsstruktur als einem materiellen Normensystem einem ganz anderen Geltungsgrund bzw. den Naturgesetzlichkeiten unterliegt, weshalb sie in ihrer kausalgesetzlichen Richtigkeit von der von Menschen gesetzten, dem­ zufolge künstlichen, positiven Rechtsnormenordnung zu unterscheiden ist.24 Vor diesem Hintergrund bekommt die zitierte Formel der Nichtidentität von Hans Kelsen einen noch tieferen Sinn, der sich nicht nur aus dem Postulat der staats- und rechtstheoretischen Reinheit der Wiener Schule speist, son­ dern überdies den atypischen Charakter der Natur als einem fremden Nor­ menkomplex betont. An dieser Stelle geht es nun um das Auffinden eines staatstheoretischen Terminus für die Natur, ohne diese zu glorifizieren, zu horrifizieren bzw. schlicht als irrelevant abzutun. In ihrem stets gegenwär­ tigen Wesen ist die Natur vom äußeren staatlichen Erkenntnishorizont gese­ hen eine fremdbestimmte Machtgröße und damit eine Gewalt, die mit ihren positiven wie negativen Einflusswirkungen die Geschicke im Staat mitbe­ stimmt, so wie es in der Staatslehre von Hermann Heller anklingt. Die positive Einwirkung der Natur besteht in ihrer physisch-biologischen Ge­ waltdimension, der sich der Mensch nicht entziehen kann. Darunter fallen insbesondere die klimatische Atmosphäre, Hitze durch die Sonne, unbändige Regenfälle, kalte Winter, die Gezeiten, Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrü­ che, Tornados usw. Die negative Dimension bezieht sich dagegen auf die Relevanz der Natur als einer intermediären Ausrichtungsschranke, die im 21. Jahrhundert immer bedeutsamer wird. In diesem negativ beschränkenden Sinne ist der Mensch der ausbeutende Herr über den Planeten Erde, die sowohl Aufnahme- als auch Ausnutzungsgrenzen unterliegt, die mit Blick auf Schadstoffe bzw. Ressourcen nicht überschritten werden dürfen, um nicht die positive Gewaltdimension der Natur zu verstärken. Daher ist die Natur im Staat ein pouvoir naturel, der sich von der verfassten Staatsgewalt in seiner Eigenschaft als einer fremdbestimmten Determinante unterschei­ det. Es handelt sich dabei um eine vorkonstitutionelle Naturgewalt, die so­ gar noch vor dem pouvoir constituant gegenwärtig ist und im Rahmen des neke, Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Art. 20a GG, NuR 1995, 325 (325 f.); eine ausführliche und zusammenfassende verfassungspolitische Würdigung des intendierten Vorhabens der konstitutionellen Verankerung eines Staatsziels Um­ weltschutz im Grundgesetz findet sich bei L.  Michel, Umweltschutz als Staatsziel?, NuR 1988, 272 (281 ff.). 24  H. Kelsen, Naturrecht und positives Recht, in: H.  Klecatsky / R.  Mar­ cic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S.  177 ff.

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ursprünglichen Konstituierungsakts zumindest insoweit Beachtung finden muss, als sich aus der Faktizität der Natur unüberbrückbare Bindungen er­ geben können.25 Mit dieser Grunderkenntnis soll vor dem Hintergrund der 25  Es ist der Gedanke einer unbestreitbaren Originalität und Fundamentalität, die sich in dem Wesen des pouvoir naturel offenbart. Insoweit besteht eine staats­ gründungsrelevante Parallele zu der Urgewalt des pouvoir constituant, die bereits Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès in seiner politischen Appellschrift (E. J. Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 148 f.) mit einem dreistufigen Organisationsmodell der Bildung einer politischen Gesellschaft zum Ausdruck gebracht hat. Demnach sei die erste Epoche gekennzeichnet durch das Spiel der Einzelwillen, die erst die gesellschaftli­ che Vereinigung schaffen und der Ursprung aller öffentlichen Gewalt seien. Die zweite Epoche sei gekennzeichnet durch das Handeln des gemeinschaftlichen Wil­ lens, um der Vereinigung Beständigkeit zu verleihen, da die Einzelwillen zwar nach wie vor Ursprung und Grundbestandteile der öffentlichen Gewalt seien, aber jeder einzelne für sich genommen in seiner Macht gleich null sei. Die Macht liege nur im Ganzen, weshalb die Gemeinschaft eines gemeinschaftlichen Willens als politischer Einheit bedürfe. Die dritte Epoche unterscheide sich dadurch von der zweiten Epo­ che, dass nun nicht mehr der wirkliche gemeinschaftliche Wille handele, sondern ein stellvertretender gemeinschaftlicher Wille. Für den vorliegenden Zusammenhang einer pouvoir naturel ist die zweite Epoche von entscheidender Relevanz, die eine gebündelte politische Machtkomponente hervorbringt als dem organisierten Abbild einer originären Fundamentalität. Es ist dies der Gedanke, der insbesondere der von Carl Schmitt propagierten Unterscheidung einer positiven Verfassung von dem nur relativen Verfassungsgesetz zugrunde liegt (C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 20 ff.), der sich hier zeigt. Die Ähnlichkeit zu dieser konkreten Entscheidung über Art und Form der politischen Einheit bei Carl Schmitt sah auch Hans Kelsen, wenn er in seiner Allgemeinen Staatslehre davon spricht, dass die das System der Rechts­ ordnung begründende Grund- oder Ursprungsnorm zu ihrem typischen Inhalt habe, dass eine Autorität, eine Rechtsquelle eingesetzt werde, deren Äußerungen als rechtsverbindlich zu gelten haben (H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 99); zu der konzeptio­ nellen Parallele zu der Lehre von Carl Schmitt auch A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 144 f.). Wenn Paul Kirchhof im Kontext mit der verfassunggeben­ den Gewalt davon spricht, dass es keinen Spontanakt eines „juristischen Urknalls“ gebe, der ein auf die Wirklichkeit abgestimmtes, in seinen Wertungen ausgewogenes und die Anfragen an das Recht beantwortendes Regelwerk hervorbringe (P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung in ihren unabänderlichen Inhalten, in: J. Isen­ see / ders. (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 19 Rn. 16; Her­ vorhebung im Original; vgl. auch T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 32), so muss dieser Ansicht bereits an dieser Stelle zumindest insoweit widersprochen werden, als es einen solchen grundlegenden und konzentrierten politischen Bündelungsakt von Macht geben muss, da es ohne ein derartiges Baufundament eine objektive Idealität im Staat nie geben kann (siehe hierzu nur H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 18 f.). Freilich ist zu bemerken, dass der ange­ führten Ansicht von Paul Kirchhof eine Unterscheidung von Verfassung und Verfas­ sungsgesetz nicht zugrunde liegt. Es muss aber bereits hier – insbesondere auch hinsichtlich der natürlichen Lebensgrundlagen – festgehalten werden, dass es ein unverbrüchliches Kernelement im Staat geben muss. Nur kann dieses Moment nur



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen501

naturstaatlichen Entfaltung des modernen Staates nun noch einmal auf die politische Appellschrift des Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès rekurriert werden, dessen klangvolle Worte heute scheinbar noch einer tieferen Wahr­ heit zusteuern. Denn „ist die Nation doch zuerst da, ist sie doch der Ur­ sprung von allem. Ihr Wille ist immer gesetzlich, denn er ist das Gesetz selbst. Vor und unter ihr gibt es (aber) nur das Naturrecht.“26 2. Die (natur)rechtliche Bindung des pouvoir constituant In der Staatswissenschaft teilt sich die Lehre vom pouvoir constituant in zwei verschiedene Lager, die sich epistemologisch auf den kategorialen Gegensatz eines rechtlichen Dürfens und eines faktischen Könnens reduzie­ ren lassen.27 Dahinter verbirgt sich eine systematische Einteilungsabsicht, die sich auf das grundsätzliche Wesen des pouvoir constituant bezieht und auf diesem Wege zu der Frage nach den (natur)rechtlichen bzw. politischen Bindungen der verfassunggebenden Gewalt unmittelbar vorstoßen möchte. Dennoch sind die vertretenen Variationen an staatswissenschaftlichen An­ sichten hinsichtlich der Lehre vom pouvoir constituant derart mannigfaltig, dass sich eine zu strikte Grenzziehung auf den entschlüsselnden Darstel­ lungswert dieses originären Aktes einer Verfassunggebung negativ auswir­ ken könnte. Denn die verfassunggebende Gewalt ist in ihrer vorkonstitutio­ nellen Eigenschaft nicht irgendeine Gewalt: sie ist die Gewalt der Gewal­ ten.28 In ihrem ursprünglichen Status ist sie an keine positive staatliche die grundnormative Verkörperung einer formalen Gewaltdimension sein, da inhaltli­ che Traditionen sowie Werte in ihrer Legitimtät stiftenden Eigenschaft im Wandel begriffen sind und deshalb die grundsätzlich zeitlose Fundamentalität im Staat im Sinne einer materiellen Überflutung des ganzen Systems der dynamischen Rechts­ normenerzeugung zerstören würden (vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251). ErnstWolfgang Böckenförde bezeichnet die Fragestellung nach der Fundamentalität im Hinblick auf den pouvoir constituant als verfassungsdogmatisch, die darauf gerichtet sei, die normale Änderung der Verfassung durch den verfassungsändernden Gesetz­ geber von einer grundlegenden, den Kerngehalt der Verfassung betreffenden Umbil­ dung oder Beseitigung der Verfassung abzugrenzen, die nur (noch) dem pouvoir constituant des Verfassunggebers vorbehalten sei (E.-W. Böckenförde, Die verfas­ sunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 9). Infolge des Umstandes, dass die Natur selbst eine originäre Gewalt darstellt, bedeutet dies, dass die dauerhafte Ignoranz der Natur den verfassten Staat zur zerstörenden Disposition dieser physischen Urgewalt stellt. 26  E.  J.  Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 150 (nur die Hervorhebung des Begriffs Naturrecht im Original). 27  H. J. Boehl (Fn. 12), S. 85 f.; Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 133. 28  So K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grund­ begriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl., München 1984, S. 146 (im Original mit Hervorhebung); vgl. auch E. Gutmann (Fn. 2), S. 58 f. / 94. Nach der systematischen Einordnung von Josef Isensee (J. Isen-

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Rechtsnorm gebunden, sondern die von ihr verwirklichte Verfassung gibt als ranghöchstes Gesetz der Legislative die rechtlichen Regeln für den dynami­ schen Prozess der Rechtserzeugung vor, ohne aber die Erzeugung ihrer selbst konstitutiv festzulegen.29 Demnach ist diese „verfassunggebende Gewalt (…) diejenige (politische) Kraft und Autorität, die in der Lage ist, die Verfassung in ihrem normativen Geltungsanspruch hervorzubringen, zu tragen und aufzuheben. Sie ist nicht mit der verfassten Staatsgewalt iden­ tisch, sondern liegt ihr voraus.“30 Die positivistische Negierung des Stand­ punktes des pouvoir constituant führt letztlich zu der Problematik der we­ sensgetreuen Einordnung dieser Urgewalt, wenngleich sich der Diskurs in­ soweit auf die Frage nach einer Rechtsqualität der verfassunggebenden Gewalt konzentriert.31 Die konträren Meinungen im Schrifttum lassen sich deshalb auf den Gegensatz von rechtlicher Zuständigkeit bzw. Kompetenz und real politischer Willensphänomenologie bringen, eine notwendige Wei­ chenstellung, die dann auch für die rechtlichen und politischen Bindungs­ theorien des pouvoir constituant Relevanz besitzt. Dementsprechend wird in der Staatswissenschaft von einigen Autoren eine Rechtsbefugnis zur Verfas­ sungsschöpfung angenommen, die sich aus dem Naturrecht32 oder dem see, Mythos (Fn. 2), S. 12) liege eine Verfassunggebung in zwei idealtypischen Si­ tuationen vor: zum einen, dass ein Gemeinwesen seine erste Verfassung erhalte, dass also Staatsgründung und Verfassunggebung zeitlich zusammenfallen (staatsbegrün­ dende Verfassunggebung); zum anderen, dass innerhalb eines bestehenden Staates die gegebene Verfassung auf revolutionärem Wege wechsele, dass also die überkom­ mene Ordnung gestürzt und eine neue auf eigener Legitimationsgrundlage errichtet werde (revolutionäre Verfassunggebung). 29  Siehe dazu H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 203; K. Stern, Grundbegriffe und Grund­ lagen (Fn. 28), S. 148 f.; E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 10; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 9; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Ge­ walt (Fn. 9), § 158 Rn. 24; E. Gutmann (Fn. 2), S. 56; T. Fleiner / L. Fleiner (Fn. 25), S. 32; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 80 f. / 87 / 104 ff. / 114 f. / 128; P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung (Fn. 25), § 19 Rn. 15; H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteien­ staat (Fn. 2), S. 828; A. Alvarez (Fn. 2), S. 86; Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 131 f. 30  E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 11; vgl. hierzu auch U. Steiner, Verfassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, Ber­ lin 1966, S. 25 f. Letzteres ist freilich bereits die grundlegende Erkenntnis von Em­ manuel Joseph Abbé de Sieyès gewesen, die der Unterscheidung von pouvoir cons­ tituant und pouvoir constitué zugrunde liegt. Nach der hier nun vertretenen Ansicht ist aber auch der pouvoir naturel keine (zumindest nur) verfasste Gewalt, sondern sie liegt der modernen Staatlichkeit ebenfalls voraus, so dass sie als Anknüpfungs­ punkt für eine den staatlichen Kosmos von Grund auf überlagernde Weltstaatsord­ nung mit der Natur in Betracht kommt, die in ihrem verobjektivierten Maßstab die Geschicke im Staat anleitet und latent dirigiert. 31  Siehe hierzu nur die zusammenfassenden Darstellungen bei A. Alvarez (Fn. 2), S. 80 ff.; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 82 ff.; Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 131 ff. 32  So E.  J.  Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 151; K. Stern, Grundbegriffe und Grund­ lagen (Fn. 28), S. 146; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 9),



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen503

völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrecht über den eigenen politischen Status im Inneren33 ergeben kann, während die Gegenansicht von einem (vor-)rechtlichen Nichtdeterminismus des pouvoir constituant ausgeht.34 Den letzteren Ansatz vertritt etwa der Rechtspositivismus, der die Existenz eines vorstaatlichen Rechts nicht anerkennt.35 Daneben wird der originäre Entstehungsakt der Verfassung im formellen Sinne36 ausschließlich auf ei­ § 158 Rn. 15; P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung (Fn. 25), § 19 Rn. 17; A. Alvarez (Fn. 2), S. 81; U. Storost, Das Ende der Übergangszeit – Erinnerung an die verfassunggebende Gewalt, Der Staat 1990 (29), 321 (325); D. Murswiek, Die ver­ fassunggebende Gewalt nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1978, S. 30; vgl. auch U. Steiner (Fn. 30), S. 25 f. / 31 f. 33  In diesem völkerrechtlichen Sinne J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 15; D. Blumenwitz, Braucht Deutschland ein neues Grundgesetz?, ZfP 1992 (39), 1 (6); A. Alvarez (Fn. 2), S. 99 ff.; zusammenfassend Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 136 ff.; vgl. auch T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 25), S. 33; D. Murswiek, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 32), S. 29 f. Das innere bzw. äußere Selbstbestimmungsrecht bildet auch die dogmatische Basis für ein staatenbündisches Verhältnis von Staat und Natur. 34  So C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 73; W. Henke (Fn. 12), Der Staat 1980 (19), 181 (204 ff.); zusammenfassend Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 138 ff.; vgl. auch T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 25), S. 33. 35  Siehe zu diesem rechtspositivistischen Standpunkt G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 144 f. / 274; W. Hildesheimer, Über die Revision moderner Staatsverfassungen, Tübingen 1918, S.  37 ff.; G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Nachdruck der 14. Aufl. (1933), Bad Homburg 1960, S. 401 f.; R. Thoma, in: G.  Anschütz / ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 154 ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 4; U. Steiner (Fn. 30), S. 31 ff.; E. Gutmann (Fn. 2), S. 39 ff.; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 79 Fn. 26 / 102 / 108; Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 138; A. Alvarez (Fn. 2), S. 83 / 85; vgl. auch W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, 2. Aufl., Zürich 1971, S. 159; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsge­ walt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 166 ff. Insoweit übereinstim­ mend auch R. Kjellén (Fn. 17), S. 205 ff., wobei es sich bei dieser naturalistischmaterialistischen Organismustheorie freilich um einen nichtpositivistischen Erklä­ rungsansatz des Staates handelt. 36  Siehe zu der Differenzierung von der Verfassung im formellen und materiel­ len Sinne J. Isensee, Staat und Verfassung, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 13 Rn. 136 ff.; ders., Mythos (Fn. 2), S. 58 f. Das Verfassungsgesetz ist von der materiellen Verfassung zu unterscheiden, die die rechtliche Grundordnung des Staates darstellt und in ihrem kontinuitären Bestand der geschichtlichen Entwicklung unterliegt. Daraus folgt letztlich, dass sie gegen­ über der verfassungsgesetzlichen Normierung hinsichtlich einzelner Materien weiter, aber auch enger sein kann. Das Problem schlägt sich in der Verfassungsinterpretati­ on nieder, insofern der positivrechtliche Verfassungstext den materiellen Grundkern des Staates nicht adäquat wiederzugeben vermag, was unter anderem eine als me­ thodisch zweifelhaft zu bezeichnende, verfassungssystematische Deduktion erfordern

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nen politischen Willen gestützt,37 wobei dann ethische Aspekte eine Rolle spielen können, die den pouvoir constituant als durch einen materiellen überpositivistischen Sittlichkeitsmaßstab bereits vordeterminierte Größe er­ scheinen lassen.38 Ein synthetisches Prinzip bei der Charakteristik dieser erzeugenden Urgewalt verfolgt dagegen Ernst-Wolfgang Böckenförde, wenn er schreibt, dass die verfassunggebende Gewalt nicht bloß als hypothetische und auch nicht allein als naturrechtliche Grundnorm bestimmt werden kön­ ne, sondern dass sie auch als reale politische Größe verstanden werden müsse, die die normative Geltung der Verfassung begründe.39 Unterdessen wirft er der hypothetischen Grundnorm von Hans Kelsen das Merkmal einer antwortlosen Hülsenkonstruktion hinsichtlich der Legitimationsfrage vor und degradiert eine materielle Naturrechtsunterlage zu einem ideell-norma­ tiven Zurechnungspunkt der Verfassung, der die Verknüpfung zwischen Faktischem und Normativ-Legitimierendem von vornherein beiseitelasse.40 kann, um der Inkongruenz von formeller und materieller Verfassung begegnen zu können. Die natürlichen Lebensgrundlagen als Moment des staatlichen Legitimati­ onsursprungs gehören ohne weiteres zu der rechtlichen Grundordnung dazu, nur dass die essentiale Bedeutung der Natur in den Verfassungsgesetzen oft nur unzureichend zum Ausdruck kommt. Erforderlich ist daher eine verstärkende Einsicht, die sich aus einem staatenbündischen Kooperationsverhältnis mit der Natur ergibt und zu einer besonderen Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen im modernen Staat an­ mahnt, ohne dass dadurch aber die subjektive Dispositionsbefugnis der Menschen über Gebühr eingeschränkt werden darf. Siehe zu der materiellen Verfassung eines Staates eingehend insbesondere W. Kägi (Fn. 35), S. 39 ff. / 45 ff. 37  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 20 f. / 75; H. Maurer, Verfassungsän­ derung im Parteienstaat (Fn. 2), S. 828; W. Henke (Fn. 12), Der Staat 1980 (19), 181 (204 ff.); ders., Das Ende der Revolution und die verfassunggebende Gewalt des Volkes, Der Staat 1992 (31), 265 (276); vgl. auch W. Kägi (Fn. 35), S. 160; E. Gutmann (Fn. 2), S. 61 ff.; die Lehre von Wilhelm Henke findet sich zusammengefasst bei Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 138 f.; E. Gutmann, ebd., S. 64 f. / 75 f. 38  So im Sinne einer materiellen Grundnorm H. Heller, SL (Fn.  13), S. 190 ff. / 255 ff.; H. Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision – Das Postulat der richtigen Verfassung als normative Schranke der souveränen verfassunggebenden Gewalt (Betrachtung zum Wiederaufbau einer materialen Rechtslehre), Zürich 1946, S.  84 ff.; H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat (Fn. 2), S. 828 Fn. 20; siehe zur Verfassungslegitmität auch Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 143 ff.; U. Steiner (Fn. 30), S. 27 ff. 39  E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 10 f.; die poli­ tische Dimension einer naturrechtlichen Kompetenz des pouvoir constituant eben­ falls betonend H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 9), § 158 Rn. 1 / 15. In dieses multivalente Schema kann auch Henner Jörg Boehl (H. J. Boehl (Fn. 12), S. 87 / 91; ders., Landesverfassunggebung im Bundesstaat, Der Staat 1991 (30), 572 (577)) eingeordnet werden, der die verfassunggebende Gewalt schließlich als „Befugnis und die dieser Befugnis korrespondierende Kraft und Autorität“ be­ schreibt. 40  E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 9 f.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen505

Mit der Betonung des pouvoir constituant (auch) als einer politischen Grö­ ße hat Ernst-Wolfgang Böckenförde den legitimierenden Vorgang vor Au­ gen, in dem sich der originäre Wille einer Autorität samt der normativen Rechtfertigungskraft in die Welt setzt und die Transformation des Faktischen in das Reich des Geistes vorbereitet und bewirkt.41 Die Grundnorm von Hans Kelsen sieht diesen politischen Willen der Autorität durchaus, nur verortet sie ihn in einem hypothetischen Denkgesetz, da nur auf diesem Wege der methodische Widerspruch vermieden werden kann, der ein Sollen aus einem Sein ableiten möchte. Die Grundnorm ist aber auch selbst eine Art naturrechtlicher Konstruktion,42 die sich des Einflusses des materiellen Normensystems des Naturrechts entledigt, um die gedachte Hypothese einer dem Postulat der Reinheit verpflichteten Lehre des positiven Rechts darstel­ len zu können. Indem Hans Kelsen also den politischen Willen einer Auto­ rität in der Grundnorm auffängt, verleiht er der Staatsherrschaft eine hinrei­ chende Legitimation, ohne dass die verfassunggebende Gewalt als einer politischen Größe in Frage gestellt wird. Gleichsam stellt die Grundnorm eine formale Naturrechtskompetenz dar, die im Rahmen einer Verfassung­ gebung als einer notwendigen Stufe des Rechtserzeugungsprozesses schließ­ lich betätigt wird.43 Die monierte Hülseneigenschaft der Grundnorm be­ 41  Siehe hierzu die von Ernst-Wolfgang Böckenförde (E.-W. Böckenförde (Fn. 2), S. 11) angeführte, abschließende Definition der verfassunggebenden Gewalt: „Verfassunggebende Gewalt ist diejenige (politische) Kraft und Autorität, die in der Lage ist, die Verfassung in ihrem normativen Geltungsanspruch hervorzubringen, zu tragen und aufzuheben. Sie ist nicht mit der verfassten Staatsgewalt identisch, son­ dern liegt ihr voraus. Sie wirkt aber, wenn sie sich äußert, auf diese ein und je nach ihrer Äußerungsform auch in sie hinein.“ (Klammerzusatz im Original). 42  So H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, Politische Vierteljah­ resschrift 1962 (3), 316 (324 f.); ders., Die philosophischen Grundlagen der Natur­ rechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 65; ders., Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 252 f.; vgl. auch ders., Vom Geltungsgrund des Rechts, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1167; ders., in: F.-M. Schmölz (Hrsg.), Das Naturrecht in der politischen Theorie, Internationales Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften in Salzburg, 1. Forschungsgespräch, Wien 1963, S. 147; ders., AS (Fn. 11), S. 250; A. Verdross, Die Rechtstheorie Hans Kelsens, Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); A.-J. Korb (Fn. 25), S. 72. Die Grundnorm ist das gedachte Denkgesetz, die Hypothese, die sich aus einem politischen Willen einer Autorität bzw. – in dem erweiterten Verständnis eines auch äußeren Sinns – aus der macht­ vollen Natur ergibt. Es wäre daher sinnlos, die analoge naturrechtliche Dimension zu leugnen. 43  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 250  ff. Demnach ist der pouvoir constituant nach der staatstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen eine ganz normale Stufe im Rahmen des gesamten Systems der Normenerzeugung; in diesem Sinne auch J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 19; A. Alvarez (Fn. 2), S. 86; Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 134.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

schränkt sich damit auf eine Kritik an der inhaltsleeren Form und damit an der Legitimität der Verfassung, was aber das grundsätzliche Wesen eines pouvoir constituant unberührt lässt. Der Akt der verfassunggebenden Gewalt ist damit ein (natur)rechtlich determinierter Rechtsetzungsakt, der sich in der Form eines politischen Willens äußert und damit die Transformation in das Reich des objektiven Geistes bewirkt, wobei die machtvolle Autorität dabei methodisch bereits normativ gedacht werden muss.44 Mit dem thematischen Diskurs um das Wesen der verfassunggebenden Gewalt steht die weitere Frage nach den rechtlichen bzw. politischen Gren­ zen des pouvoir constituant in direktem Zusammenhang. In der Staatswis­ senschaft werden auch insoweit wieder verschiedene Schrankenaspekte vertreten, wobei zwischen formellen und materiellen Determinanten der originären Verfassungserzeugung differenziert werden kann.45 Die grund­ sätzliche Lagereinteilung gilt freilich auch hier, da ein Rechtsverständnis des pouvoir constituant rechtliche Grenzen indizieren, sowie auch ein Re­ 44  S. Marck, Substanz- und Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie, Tübin­ gen 1925, S. 28 ff.; H. Heller, SL (Fn. 13), S. 276 f.; H. Haug (Fn. 38), S. 90; vgl. auch N. Bobbio, Dal potere al diritto e viceversa, Rivista di filosofia 1981 (72), 343 (356); M.  La Torre, Law as institution, Dordrecht u. a. 2010, S. 29. Das Wesen der hypothetischen Grundnorm wird deshalb verkannt bei H. J. Boehl (Fn. 12), S. 87 f. / 131. Bereits hier kann vorläufig resümiert werden, dass die Charakterisie­ rung der verfassunggebenden Gewalt von Ernst-Wolfgang Böckenförde, wonach sie nicht bloß als hypothetische und auch nicht allein als naturrechtliche Grundnorm bestimmt werden könne, sondern auch als eine reale politische Größe verstanden werden müsse (Fn. 39), in ihrer Multivalenz das wahre Wesen des pouvoir constitu­ ant zum Ausdruck bringt. Wenn Hans Kelsen (H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 253) davon spricht, dass es sich bei der Lehre von dem pouvoir constituant nur um einen der positivrechtlich zu begründenden Fälle erschwerter Normänderung handeln könne, so liegt dem eine rechtspositivistische Normalität zugrunde, die letztlich in der Wei­ marer Staatsrechtslehre noch herrschend war (siehe dazu nur G. Anschütz (Fn. 35), S. 401). Diese Zitatstelle ist dann auch der Anlass dafür, dass in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion dem pouvoir constituant in der Staatslehre von Hans Kelsen keine besondere Stellung zuerkannt wird (Fn. 43). Dies erscheint aber als nicht schlüssig, zumal nach der Ansicht des Begründers der Wiener Rechtstheoreti­ schen Schule in die Grundnorm eine oberste Autorität eingesetzt werde (so H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251), womit sich die Frage nach der Bedeutung des „inhaltlich“ autoritär konstituierten Denkaktes stellt. Es ist schließlich der verobjektivierte poli­ tische Wille einer Autorität, des pouvoir constituant, der sich in der Grundnorm widerspiegelt. Daher wird dann aber auch keine Autorität „eingesetzt“, sondern die Grundnorm ist der hypothetische, da nicht positiv gesetzte Denkakt, dem ein reales Pendant in der Naturwirklichkeit entspricht; vgl. hierzu auch J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 9 f. / 18 ff., wobei die Reziprozität auf das reale Sein der Naturwirklichkeit wohl nur scheinbar mit dem Verweis auf das Gorgonenhaupt der Macht angenom­ men wird. 45  Siehe zu dieser Einteilung zwischen formellen und materiellen Determinan­ ten Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 150 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen507

kurs auf die politische Willensphänomenologie moralischen Legitimitätsvor­ stellungen unterliegen kann. In formaler Hinsicht werden demnach naturrechtliche,46 gewohnheitsrechtliche47 und sogar vorwirkende Bin­ dungen an anerkannte Rechtsprinzipien wie Demokratie und Rechtsstaat48 angenommen. Daneben wird in völkerrechtlicher Perspektive wieder auf den inneren Selbstbestimmungsaspekt eines Staates hingewiesen, dessen Volk als Träger dieser autonomen Rechtsposition schlicht zu einer freien Willensbetätigung imstande sein muss, weshalb ein demokratisches Verfah­ ren der Verfassunggebung denklogisch angezeigt ist.49 Die Gegenposition lehnt dagegen verfahrensrechtliche Bindungen ab,50 was insbesondere auch für den die Existenz eines vorstaatlichen Rechts aberkennenden Rechtspositivismus Geltung beansprucht.51 Dabei zielen die mehr auf das 46  W. Kägi (Fn. 35), S. 158; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 28), S. 150. 47  W. Kägi (Fn. 35), S. 158; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 28), S. 150; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 110; D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1992 (39), 1 (6 ff.). 48  In diesem Sinne H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt (Fn.  9), § 158 Rn. 7 / 20 ff. / 25 ff.; P. Häberle, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes im Verfassungsstaat – eine vergleichende Textstufenanalyse, AöR 1987 (112), 54 (86 ff.); H. J. Boehl (Fn. 12), S. 94 / 119 ff.; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht (Fn. 12), S. 173; E. Gutmann (Fn. 2), S. 84 ff.; wohl auch P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung (Fn. 25), § 19 Rn. 16 f., der zwar grundsätzlich davon spricht, dass es für das Verfahren der Verfassunggebung keine Vorschrift gebe, Verfassungsgeset­ ze aber nicht zu einem Anfang unverfasster Ursprünglichkeit zurückkehren, sondern nur Vorgefundenes, Gewachsenes ändern, fortbilden können; vgl. auch T. Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 25), S. 33; U. Steiner (Fn. 30), S. 25 f. 49  Tendenziell in diese Richtung D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1990 (39), 1 (6 f.); A. Alvarez (Fn. 2), S. 103 ff.; vgl. auch T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 25), S. 33. 50  So C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 73; W. Henke (Fn. 12), Der Staat 1980 (19), 181 (204 ff.). Als Streitpunkt kann angesehen werden, ob letztlich Em­ manuel Joseph Abbé de Sieyès von einer naturrechtlichen Verfahrensbindung des pouvoir constituant ausgeht (verneinend Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 153). Denn „auf welche Art und Weise eine Nation auch will, allein die Tatsache, dass sie will, ist ausreichend; dazu sind alle Formen gut, und ihr Wille ist immer das höchste Ge­ setz.“ Dennoch gebe es vor und unter ihr (nur) das Naturrecht (E. J. Abbé de Sieyès (Fn. 6), S. 151 f.). Die dezisionistische Eingangsformel lässt in der Tat eine verfah­ rensrechtliche Bindung des pouvoir constituant zweifelhaft erscheinen. Die natur­ rechtliche Basis spricht aber doch für eine formelle Bindung des höchsten Willens der Nation und damit gleichsam für eine Abkehr von jeglichen Erscheinungsformen der Despotie. Für diese Interpretation kann auch der (radikal)demokratische Einfluss von Jean-Jacques Rousseau auf das politische Wirken des Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès angeführt werden, so dass ein emanzipatorischer Freigeist im Angesicht der Französischen Revolution gegenwärtig war. Siehe zu Letzterem nur A. Alvarez (Fn. 2), S. 72 ff. 51  In dem Sinne W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, Berlin 1931, S.  13 ff.; A. Alvarez (Fn. 2), S. 89. Walter Jellinek erkennt aber gleichwohl gewisse Bindungen des pouvoir constituant an. Diese ergeben sich praktisch aus der

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faktische Können ausgerichteten Ansichten aber dann vermehrt auf histori­ sche bzw. moralische Legitimitätsformen, die überpositivistisch doch noch zu außerrechtlichen Schranken führen sollen.52 In materieller Hinsicht wer­ den die Argumentationsmuster schließlich beibehalten, was sich wieder in der lagerkonformen Annahme von naturrechtlichen und (völker-)gewohn­ heitsrechtlichen Bindungen, die sich insbesondere auf die Menschenwürde, die Menschenrechte sowie die Freiheit der Person beziehen,53 bzw. in der Möglichkeit von sittlichen Legitimitätsgrenzen in überpositivistischen Natur der Sache, indem der Verfassungsgesetzgeber infolge des ursprünglichen Auf­ trags der Verwirklichung einer dann später auch rechtliche Geltung beanspruchenden Konstitution daran gebunden ist, einerseits sich nicht zu weit von der soziologischen Wirklichkeit zu entfernen, andererseits aber auch eine volksverständliche Verfassung zu schaffen (W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, ebd., S. 13 ff.; zu­ sammenfassend A. Alvarez, ebd., S. 89 f.). In diese Richtung geht auch die Annahme von Theodor Maunz (Th. Maunz, Die verfassunggebende Gewalt im Grundgesetz, DÖV 1953, 645 (646 f.); siehe zur Lehre von Theodor Maunz zusammenfassend auch E. Gutmann (Fn. 2), S. 66 ff.), der hinsichtlich des pouvoir constituant nicht von vor- und überstaatlichen Rechtsbindungen, sondern von immanenten Begrenzun­ gen spricht. Aus diesen auf den sozialen Faktor der verfassungserzeugenden Gewalt abstellenden Anschauungen ergibt sich demnach die typische Selbstverpflichtungs­ lehre des Staates, der sich gemäß den soziologischen Mehrheitsvorstellungen an das Recht selbst binden muss. In diesem Sinne stellt eine umwelt- bzw. naturrelevante Verfassungsnorm lediglich ein notwendiges Übel des umweltstaatlichen Staatskönig­ tums dar, dem auch bei einer etwaigen Anerkennung von ökozentrischen Eigenrech­ ten der Natur keine weiteren Zacken aus der majestätischen Krone fallen würden. Ein derartiges soziologisches Staatsmodell, das als methodische Konsequenz einem von Hans Kelsen als unkritisch gekennzeichneten Rechtspositivismus das Wort reicht (vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 18 f.), kann vielleicht die sich im positiven Recht ausdrückende Normalität der subjektiven Machtsetzungsdimension erklären, der zeitlose Sinn, der objektive Wert der Natur als existentieller Konstituierungs­ grundlage des Staates, wird aber vernachlässigt und in der Folge zugunsten einer soziologischen Überschätzungswillkür der Menschen aufgeweicht. Siehe zu der grundsätzlichen Selbstbindung eines pouvoir constituant auch H. J. Boehl (Fn. 12), S. 99 ff. Eine Übersicht zu den verfahrensrechtlichen Positionen im Hinblick auf eine Bindung der verfassunggebenden Gewalt findet sich bei Ch. Winterhoff (Fn. 2), S.  150 ff. 52  In diese Richtung J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 53; H. J. Boehl (Fn. 12), S.  119 f.; U. Storost (Fn. 32), Der Staat 1990 (29), 321 (330 f.); H. Maurer, Verfas­ sungsänderung im Parteienstaat (Fn. 2), S. 828 Fn. 20; zusammenfassend Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 155 f. 53  P. Häberle (Fn. 48), AöR 1987 (112), 54 (86 ff.); W. Kägi (Fn. 35), S. 158; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 15 / 53; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Ge­ walt (Fn. 9), § 158 Rn. 32 f.; P. Kirchhof, Die Identität der Verfassung (Fn. 25), § 19 Rn. 16; D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1992 (39), 1 (6 ff.); E. Gutmann (Fn. 2), S. 72 ff.; A.  Alvarez (Fn. 2), S. 92 / 96 / 108 ff.; zusammenfassend Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 156 ff.; vgl. auch T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 25), S. 33; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 106 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen509

Rechtsgrundsätzen manifestiert.54 Andererseits findet sich aber auch noch die Ansicht einer materiellen Ungebundenheit des pouvoir constituant.55 Ergänzend betont seien für den staatstheoretischen Diskurs um eine natur­ staatliche Systemimmanenz insbesondere noch eine Dispositionsschranke des originären pouvoir constituant, die sich aus dem verfassungspolitischen Anspruch der Schaffung einer dauerhaft Geltung beanspruchenden Grund­ 54  H. Heller, SL (Fn. 13), S. 190 ff. / 255 ff.; H. Haug (Fn. 38), S. 91 f.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 57 f.; E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 30; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 108 ff.; H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat (Fn. 2), S. 828 Fn. 20; U. Storost (Fn. 32), Der Staat 1990 (29), 321 (327 ff.); D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1992 (39), 1 (7 f.); vgl. auch E. Gutmann (Fn. 2), S. 68 f.; guter Überblick bei Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 161 ff. 55  So etwa C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 21 / 73; W. Henke (Fn. 37), Der Staat 1992 (31), 265 (277); E. Tosch, Die Bindung des verfassungsändernden Gesetzgebers an den Willen des historischen Verfassunggebers, Berlin 1979, S. 18 f.; vgl. auch E. Gutmann (Fn. 2), S. 61 ff. / 75 f.; W. Kägi (Fn. 35), S. 160. Dogmatisch stellt sich die positive Verfassung von Carl Schmitt als ein Sonderfall der Selbstver­ pflichtungslehre dar. Die politische Dezision des pouvoir constituant verwirklicht einen absoluten Legitimitätskern, auf den der Staat als Ordnungs- und Organisati­ onsverband in der Gestalt einer relativen Rechtsfabrik stets bezogen bleibt. Eine absolute Selbstbindung des Staates tritt daher erst mit der ursprünglichen politischen Dezision der verfassunggebenden Gewalt ein, weshalb angesichts dieses ausschließ­ lich subjektiven Moments der Fundamentalität die Tore für die Willkür innerhalb des Staates von Grund auf geöffnet sind. Dieser Befund wird dadurch untermauert, dass sich die politische Einheit als der absoluten Bezugsgröße der positiven Verfassung begrifflich nicht eindeutig fixieren lässt; siehe hierzu nur in Bezug auf das von Carl Schmitt übernommene Willensmoment von Jean-Jacques Rousseau (so nur M. Eichhorn, Carl Schmitts Verständnis des Staates als einer geschichtlichen Größe, Mün­ chen 2009, S. 16) G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.), Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 255 f.; H.  Lübbe, Theorie und Entscheidung, Freiburg 1971, S. 16 ff. / 21 f. / 27 f.; H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin – Grunewald 1930 / 31, S. 580 ff. Unabhängig davon sind die hier angeführten Ansichten aber auch grundsätzlich abzulehnen. Dies gilt insbesondere für die von Erich Tosch aufgestell­ te These, dass nicht einmal die Menschenrechte rechtliche bzw. ethische Schranken des pouvoir constituant ausmachen können (E. Tosch, ebd., S. 17 ff. / 82). Die Men­ schenwürde ist unantastbar und darf daher nicht zur Disposition von gewaltbereiten Staatsregimen stehen. Diese Ansicht ist demnach trotz der in ihr zum Ausdruck kommenden, bedauerlichen Einsicht von auch heute noch Realität besitzenden, men­ schenverachtenden Staatssystemen unhaltbar. Ein Staat, der sich nicht zu diesem absolute Geltung beanspruchenden Wert bekennt, hat daher überhaupt keine Verfas­ sung; siehe hierzu bereits die Bestimmung des Art. 16 der französischen Déclaration des droits de l`homme et du citoyen vom 26.08.1789, abgedruckt etwa bei D. Willoweit / U.  Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, München 2003, S. 254; P. Häberle (Fn. 48), AöR 1987 (112), 54 (86 ff.); J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 53; A. Alvarez (Fn. 2), S. 92. Der Menschenwürde kommt unabhängig von einer positivrecht­ lichen Normierung absolute Geltung zu, da sie den Stempel einer unbestreitbaren Welterkenntnis besitzt (vgl. H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 219 f.).

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ordnung ergeben kann,56 bzw. noch die materielle Bindung an einen Welt­ geist, der zu einer gemeinsinnverträglichen Verfassungsstruktur (rechtlich) anmahnen kann.57 Das Problem einer rechtlichen oder mehr politischen Bindung des pouvoir constituant mit Blick auf einen naturstaatlichen Staats­ systemansatz muss notwendigerweise an dem Zirkeldilemma ansetzen, dem die verfassunggebende Gewalt unterliegt. Damit ist der Umstand gemeint, dass der pouvoir constituant auf eine vorhandene (positive) Verfassung im Rahmen des Konstituierungsprozesses nicht zurückgreifen kann, anderer­ seits das eigentliche Staatsvolk erst durch die neue Konstitution entsteht, wenngleich es bei der Verfassunggebung bereits zugegen sein müsste.58 Die 56  So W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung (Fn.  51), S. 15  ff.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 49 / 53 ff.; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 9), § 158 Rn. 30 f.; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 113 f. / 129; D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1992 (39), 1 (7); U. Storost (Fn. 32), Der Staat 1990 (29), 321 (327 / 330), der insoweit im Kontext mit der erneuten Ausübung des pouvoir consti­ tuant anlässlich der gesamtdeutschen Wiedervereinigung (Art. 146 GG a. F.) sogar ausdrücklich von einer verfassunggebenden Notwendigkeit sprach, um den nunmehr anstehenden Herausforderungen der Zukunft, namentlich der Bevölkerungsexplosi­ on, dem Ressourcenabbau und der Umweltvergiftung nachkommen zu können. In dem Punkt der Realisierung einer dauerhaften Verfassungsordnung und damit der Notwendigkeit einer mächtigen Autorität sind sich auch Hans Kelsen und Carl Schmitt einig; siehe hierzu nur H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 212 ff.; ders., Die philo­ sophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 65; ders., General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 22 f.; C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 22 f. 57  So P. Häberle (Fn. 48), AöR 1987 (112), 54 (86  ff.); J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 53 / 57 ff.; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 9), § 158 Rn. 25 / 32 f.; E. Gutmann (Fn. 2), S. 72 ff.; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 113 f.; A. Alvarez (Fn. 2), S. 92; vgl. hierzu auch U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht (Fn. 12), S. 173; H. Maurer, Verfassungsänderung im Parteienstaat (Fn. 2), S. 828 Fn. 20. 58  So W. Hildesheimer (Fn. 35), S. 39; Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u.  a. 2007, S.  237; J. Isensee, Mythos (Fn.  2), S.  47; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 80 ff. / 92 f. / 105; vgl. auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 35), S. 4 / 132. Josef Isensee verweist insoweit auf eine konkrete Passage von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in dessen Grundlinien der Philosophie des Rechts, die sich mit dem Begriff der Verfassung befasst: „Eine andere Frage bietet sich leicht dar: wer die Verfassung machen soll? Diese Frage scheint deutlich, zeigt sich aber bei näherer Betrachtung sogleich sinnlos. Denn sie setzt voraus, dass keine Verfassung vorhanden ist, somit ein bloßer atomistischer Haufen von Individuen zusammen sei. Wie ein Haufen, ob durch sich oder andere, durch Güte, Gedanken oder Gewalt, zu einer Verfassung kommen würde, müsste ihm überlassen bleiben, denn mit einem Haufen hat es der Begriff nicht zu tun. – Setzt aber jene Frage schon eine vorhandene Verfassung voraus, so bedeutet das Machen nur eine Veränderung, und die Voraussetzung einer Verfassung enthält es unmittelbar selbst, dass die Veränderung nur auf verfassungs­ mäßigem Wege geschehen könne. – Überhaupt aber ist es schlechthin wesentlich, dass die Verfassung, obgleich in der Zeit hervorgegangen, nicht als ein Gemachtes angesehen werde; denn sie ist vielmehr das schlechthin an und für sich Seiende, das darum als das Göttliche und Beharrende, und als über der Sphäre dessen, was ge­



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verfassunggebende Gewalt ist sonach die Ursprünglichkeit in persona, der scheinbar unbegrenzte Konstituierungsmacht zukommt. Gleichwohl sind die geographische Lage, die natürlichen Lebensgrundlagen, ebenfalls bereits originär vorhanden, weshalb im 21. Jahrhundert zumindest eine völlige Ig­ noranz ihrer realen Faktizität unmöglich ist. Mit anderen Worten wird durch den verfassunggebenden Akt einer Autorität die Macht zu einer verfassten Staatsgewalt, das Volk wird durch diese Transformation des Faktischen in das Reich des Geistes zum Staatsvolk, der originäre politische Willensakt enthält zudem eine Dezision über den konkreten Raum der Herrschaft, der so zum Staatsgebiet wird,59 die Natur, die natürlichen Lebensgrundlagen, werden aber in ihrer unbestreitbaren Wirklichkeit von dem Konstituierungs­ akt nur unzureichend erfasst. Dabei sind sie als elementares Fundament des modernen Staates eine natürliche Existenzbedingung, die eine entsprechende Bindungswirkung für den pouvoir constituant indizieren muss.60 Rudolf Kjellén spricht in seiner ausartenden Staatsorganismuslehre davon, dass der freie Wille des Staates in starken, in den Eigenschaften des Gebiets veran­ kerten Fesseln liege, das Reich der Körper des Staates sei, das mit zu der Persönlichkeit des Staates gehöre und eigentlich selbst der Staat sei.61 Damit wird hervorgehoben, dass der moderne Staat ohne die Natur nicht zu den­ ken ist, dass die natürlichen Lebensbedingungen in ihrer konstitutiven Fun­ damentalität das Wesen eines Staates von Grund auf bestimmen können. Es ist für die reale Staatsverfassung demnach von entscheidender Relevanz, ob die geographischen Faktoren eine konkrete Staatsform bzw. ob sie über­ haupt eine staatliche Existenz zulassen. In diesem profanen Sinne resümier­ te bereits Montesquieu: „Die unterschiedlichen Bedürfnisse nämlich haben in den (…) Klimazonen unterschiedliche Lebensweisen ausgeprägt. Und macht wird, zu betrachten ist.“ (G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.) (Fn. 55), S. 269 f.; Hervorhebungen im Original). 59  Siehe hierzu nur P. Nitschke, Raumkonstruktionen des Politischen, in: R. Voigt (Hrsg.), Großraum-Denken, Stuttgart 2008, S. 50 f.; vgl. auch M. Kriele (Fn. 2), S. 67 f. An dieser Stelle soll zunächst der Hinweis genügen, dass sich die Staatsgewalt nach einer normativen Staatslehre schließlich dann als Geltung einer effektiven staatlichen Rechtsordnung definieren lässt; hierzu nur F. Koja, Allgemei­ ne Staatslehre, Wien 1993, S. 38. 60  So zu den geographischen Bedingungen schon H. Heller (Fn. 13), S. 35 / 199 ff.; R. Kjellén (Fn. 17), S. 57 / 93; in diesem auf die natürliche Essentialität bezogenen Sinne auch H. Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung als Verfassungs­ problem, Berlin 1953, S. 92 („geographische Lage“); E. Gutmann (Fn. 2), S. 73 („gesellschaftlichen Verhältnisse des politischen Gemeinwesens“); im Ergebnis eben­ falls M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin 1989, S. 38; a. A. dagegen aber bei A. Alvarez (Fn. 2), S. 92, der insoweit eine über ein Berücksichtigungsgebot hinausgehende Bindung des pouvoir constituant ausdrücklich ablehnt. 61  R. Kjellén (Fn. 17), S. 57 / 93.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

diese unterschiedlichen Lebensweisen haben die Andersartigkeit der Gesetze veranlasst. Innerhalb einer Nation, deren Angehörige in vielfältiger Verbin­ dung miteinander stehen, sind bestimmte Gesetze nötig. Innerhalb eines Volkes, in dem keine Verbindung herrscht, sind ganz andere nötig.“62 Und hinsichtlich der geographisch beeinflussten Regierungsformen eines Staates betonte er: „Die Staatsgewalt muss in Asien allzeit despotisch sein. Wäre die Knechtschaft dort nämlich nicht außerordentlich hart, so würde es als­ bald zu einer Spaltung kommen, welche die Natur des Landes nicht zulässt. Die natürliche Gespaltenheit Europas führte zur Ausbildung mehrerer Staa­ ten von mittlerer Größe. Die Regierung nach Gesetzen ist in diesen keines­ wegs unverträglich mit der Erhaltung des Staates: im Gegenteil, sie ist hier so vorteilhaft, dass dieser Staat ohne Gesetze dem Untergang geweiht wäre 62  Ch.-L.  de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (im Text abge­ kürzt nur Montesquieu), Vom Geist der Gesetze, ins Deutsche übersetzt von K. Wei­ gand, Stuttgart 2011, S. 269. Montesquieu führt in diesem Zusammenhang weiter aus: „Bei einer Nation, deren Seele derart von einer Klimakrankheit angegriffen wird, dass der Widerwille gegen alle Dinge bis zum Lebensüberdruss führen kann, ist offensichtlich eine Regierung am Platze, die sich für Leute, denen alles unerträg­ lich ist, am meisten eignet. Das wäre eine Regierung, in der sie keinen Einzelnen als Urheber ihres Ärgers dingfest machen können. Hier müssen (dann) mehr die Gesetze als die Menschen regieren. Um den Staat zu ändern, müsste man daher die Gesetze selbst umkehren.“ Andererseits schreibt er aber: „In diesen Ländern entnervt und erdrückt die übermäßige Hitze, und die Ruhe ist so wonnevoll, die Bewegung so lästig, dass dies metaphysische System als das natürliche erscheint. (…) Je mehr (aber) die physischen Ursachen die Menschen zur Ruhe verleiten, desto mehr müs­ sen die moralischen Ursachen sie davon wegführen. (…) Die schwerste Arbeit der Menschen ist die Bodenbestellung. Je mehr das Klima dazu verleitet, diese Arbeit zu fliehen, desto mehr müssen Religion und Gesetze sie dazu ermuntern.“ Und: „In manchen Ländern entnervt die Hitze den Körper und schwächt die Tatkraft so sehr, dass die Menschen nur durch Furcht vor Strafe zur Übernahme einer mühseligen Pflicht zu bringen sind.“ (siehe zu den letzteren Zitaten Ch.-L.  de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, ebd., S. 266 f. / 275). Zu der Klimatheorie von Mon­ tesquieu die zusammenfassenden Darstellungen bei S. Günzel, Geographie der Auf­ klärung, Aufklärung und Kritik 2004 (2), S. 66 ff.; G.-L. Fink, Von Winckelmann bis Herder. Die deutsche Klimatheorie in europäischer Perspektive, in: G. Sauder (Hrsg.), Johann Gottfried Herder 1744–1803, Hamburg 1987, S. 161 ff.; E. Böhlke, Esprit de nation“ – Montesquieus politische Philosophie, Berlin 1999, S. 78 ff. Zu erwähnen ist, dass die Gesetze der Natur für Montesquieu das relationale Muster für die positiven Gesetze abgeben, so dass die Gesetze bei ihm nicht als Setzungsakte erscheinen, sondern sich auf der Grundlage der Sitten und Gewohnheiten vor Ort als das auf der menschlichen Vernunft basierende Allgemeine der unterschiedlichen rechtlichen Relationen darstellen; in diesem Sinne nur S. Günzel, ebd., S. 66 f.; ­E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt – Von den Anfängen der deut­ schen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 33 f. („Natur der Sache“ als dem Prinzip auch der Sollensgesetze“; „Gesetz ist also zunächst eine sachbezogene vernünftige Regel, ratio, nicht volun­ tas.“). Es ist dies die Form eines naturrechtlichen Gesetzespositivismus.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen513

und schwächer als alle anderen würde.“63 Bestätigt wird diese naturrecht­ liche Vordetermination ebenso von Jean-Jacques Rousseau: „(…) In jedem Klima (bestehen) natürliche Voraussetzungen, nach denen man die Form der Regierung bestimmen kann, zu der es durch das Klima notwendig kommen muss (…). Karge und unfruchtbare Plätze, wo der Ertrag die Arbeit nicht (ent)lohnt, müssen unbebaut und wüst bleiben oder dürfen nur von Wilden bewohnt werden. Plätze, wo die Arbeit der Menschen nur gerade das Nö­ tigste erbringt, müssen (dagegen) von barbarischen Völkern besiedelt wer­ den, jede Staatsordnung wäre dort unmöglich: Plätze, wo der Überschuss des Ertrags über die Arbeit mittelmäßig ist, sind für freie Völker geeignet; Plätze, wo (aber) das im Überfluss fruchtbare Land bei wenig Arbeit viel trägt, wollen monarchisch regiert werden, damit (so) durch den Luxus des Fürsten der zu große Überfluss der Untertanen aufgezehrt wird; denn es ist besser, dass dieses Übermaß von der Regierung aufgesogen als von den Einzelnen vergeudet werde. Es gibt Ausnahmen, ich weiß; aber diese Aus­ nahmen bestätigen die Regel, weil sie früher oder später Revolutionen hervorrufen, die die Dinge wieder in die natürliche Ordnung bringen.“64 Ein Staatsleben gegen die Natur ist daher anfällig für revolutionäre Umwälzun­ gen, wenngleich im 21. Jahrhundert die Natur als zunehmend unberechen­ bare Größe aufgrund der kapitalistischen Ignoranz immer öfter die Rolle des natürlichen Diktators übernimmt, der innerhalb des modernen Staates zu einer Modifikation der positiven Rechtsordnung mahnt, insofern nicht eine Naturkatastrophe eine konstitutionell geregelte Staatsherrschaft sogar grund­ legend erschüttert. Diese Möglichkeit indizieren auch die Worte von Hans Kelsen, wenn er die selbstverständliche Einsicht beschreibt, dass der Boden ein dauerndes Zusammenleben einer Menschenmenge überhaupt ermög­ lichen müsse, in Eisregionen, in Wüsten und Ähnlichem kaum Staaten entstehen können.65 Der pouvoir constituant ist deshalb naturrechtlich deter­ miniert, er ist in dem Sinne bereits von Natur aus verfasst, als das durch 63  Ch.-L.  de

Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (Fn. 62), S. 288. Vom Gesellschaftsvertrag, ins Deutsche übersetzt von H. Brockard, Stuttgart 2003, S. 86 f.; dazu ebenfalls Ch.-L.  de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (Fn. 62), S. 290 f. Überdies bestätigt auch die folgende Erkenntnis von Jean-Jacques Rousseau die besondere Klimaabhängigkeit der kon­ kreten Staatsverfassungen: „Auch wenn der gesamte Süden von Republiken bedeckt wäre und der ganze Norden von despotischen Staaten, wäre es deshalb nicht weniger wahr, dass sich der Despotismus wegen der Wirkung des Klimas für heiße Länder eignet, die Barbarei für kalte Länder und eine gute Staatsordnung für die dazwischen liegenden Gebiete. Ich sehe auch, dass man, den Grundsatz zugegeben, über seine Anwendung streiten kann: man kann sagen, dass es sehr fruchtbare kalte Länder gibt und karge südliche. Aber diese Schwierigkeit besteht nur für diejenigen, die die Sache nicht in allen ihren Bezügen untersuchen. Man muss, wie ich schon gesagt habe, (auch) die der Arbeit, der Kräfte, des Verbrauchs etc. in Rechnung ziehen.“ 65  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 22. 64  J.-J. Rousseau,

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

die Annahme einer Rechtsbefugnis bedingte Verständnis der originären Verfassunggebung als einem rechtlichen Dürfen von vornherein unter einer naturrechtlich vorausgesetzten formalen Beachtenspflicht steht.66 In diesem primär verfahrensrechtlich zu verstehenden Sinne kann sich eine (gewohn­ heits)rechtliche Bindung der verfassungserzeugenden Gewalt aber auch un­ ter dem Gesichtspunkt der naturstaatlichen Vorwirkung ergeben, die ein späteres staatsleitendes Naturstaatsprinzip im Rahmen der verfassungsrecht­ lichen Ordnung als anerkanntes Essential propagiert.67 Damit scheint der objektive Weltgeist hervor, der mit der Dauer das allgemeine Prinzip einer ewigen Idealität heraufbeschwört, das auch in einer materiellen Dimension zutage treten kann. Möglich ist daher auch eine natur- bzw. völkerrechtliche Bindung an ein materielles Gebot einer menschenwürdigen Wertigkeit der Natur, was den pouvoir constituant der inhaltlichen Direktive eines richtigen Umgangs mit den natürlichen Lebensgrundlagen unterstellen würde. Eine ähnliche Funktion würde überpositivistischen Legitimitätsvorstellungen un­ ter Zugrundelegung einer politischen Willensphänomenologie zukommen, die als ethisch-moralische Verpflichtungsgebote die verfassunggebende Ge­ walt an ein ökologisches Sittlichkeitsprinzip materiell anbinden könnten, so dass sich das faktische Können im Sinne einer nicht zu überschreitenden roten Linie politisch beschränkt sehen könnte. Nach der Ansicht von ErnstWolfgang Böckenförde sind diese überpositivistischen Rechtsgrundsätze aber „(noch) nicht Teil des positiven Rechts, sondern eben vor-positiv; sie liegen dem positiven Recht voraus und verleihen ihm die erforderliche Le­ gitimation. (…) Sie sind es, die den positiven Rechtssätzen sittliche Ver­ 66  Siehe zu der Relevanz des Naturrechts als Schranken des positivrechtlichen Verfassungsrechts in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 1, 13 (61 f.); 1, 208 (243 f.); 3, 225 (230 ff.); 10, 59 (81); 15, 126 (144); 29, 166 (176 f.). Nach dieser Rechtsprechung können naturrechtliche Grundsätze aufgrund der Vielfalt der Naturrechtslehren nur dann und insoweit als verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab in Betracht kommen, als der Bereich fundamentaler Rechtsgrund­ sätze nicht verlassen wird. Da sich die Naturstaatlichkeit auf dem Wege zu einem universalen Weltprinzip befindet, ist schon jetzt die Einstufung als naturrechtlichem Grundprinzip angezeigt, das zu einer erweiterten Natureinsicht im Staat führt. 67  Diese naturstaatliche Vorwirkung wird grundsätzlich im 21. Jahrhundert im­ mer bedeutsamer. Gleichwohl zeigen etwa die gegenwärtigen Konstituierungsprozes­ se im Rahmen des nordafrikanischen Frühlings, dass auf die Natur bei der Verfas­ sunggebung keine Rücksicht genommen wird. Die Naturstaatlichkeit ist daher das Produkt einer bestimmten kulturellen Höhe, was aber mit der Fundamentalität der natürlichen Lebensgrundlagen nicht vereinbar ist. Denn ohne lebenswerte Bedingun­ gen der Natur ist eine staatliche Existenz zumindest auf Dauer nicht möglich. Es ist dies eine typische Zuspitzungsmanier des umweltstaatlichen Staatskönigtums, das die originäre Natur – wenn Zeit bleibt – in einer verfassungsrechtlichen Randnotiz doch noch irgendwie zu erfassen vermag. Der objektive Weltgeist der Naturstaatlich­ keit spricht aber bereits eine ganz andere Sprache.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen515

pflichtungskraft verleihen – oder entziehen. (…) Ihren Sitz haben sie im ethisch-sittlichen Bewusstsein der Gesellschaft (der Bürger). Von dort wir­ ken sie (danach) als Quellen und Richtpunkte des positiven Rechts, ohne aber schon dessen Teil zu sein.“68 Gleichwohl ist diese moralische Bindung des pouvoir constituant sinnvoller als die strenge Ansicht des vorstaatliche Determinanten vollständig ablehnenden Rechtspositivismus, der die neue naturstaatliche Dimension nur über die soziologischen Geltungs- und Wirk­ samkeitsvorstellungen eines umwelt- bzw. naturschutzbezogenen positiven Rechts erfassen kann.69 Eine vermittelnde Position zwischen der Natur­ rechtslehre und der Legitimitätstheorie nimmt dagegen Klaus Stern ein, wenn er aus dem Erfordernis der Legitimität der Verfassung gewisse recht­ liche Bindungen des pouvoir constituant ableitet.70 Demzufolge könne eine völlige Rechtsfreiheit nicht angenommen werden, wenn man der Legitimi­ tätsidee folge. Aber die Rechtsbindung könne sich nur auf oberste, allge­ mein anerkannte Rechtsprinzipien erstrecken, auf die wichtigsten unserer Rechtskultur gemeinsamen Rechtsgrundsätze.71 Dies ist die synthetische Offenbarung des Weltgeistes in dem idealtypischen Sinne von Georg Wil­ helm Friedrich Hegel, der in der realen Wirklichkeit aufkommt und sich irgendwann in einer objektiven Normenordnung manifestiert. Er bestimmt aber bereits davor das staatliche Leben, indem er sich als dialektisches Element einer sittlichen Legitimitätsleiter immer mehr in dem bürgerlichen Bewusstsein und dann in der Rechtsordnung manifestiert.72 Genau dieses Stufenverhältnis der Naturrelevanz im Staat indiziert das einzig richtige Verständnis einer Naturstaatlichkeit, das sich bereits in dem originären Akt 68  E.-W. Böckenförde,

Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 29. zu diesem aus der Sicht von Hans Kelsen unkritischen Rechtspositivis­ mus bereits oben Fn. 35 und 51. 70  So Ch. Winterhoff (Fn. 2), S. 162. 71  K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 28), S. 150. 72  Vgl. S. Blasche, Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. III, München 2008, S. 54. Auf das propagierte Weltprinzip der Naturstaatlichkeit kann die folgende sich in der Manier einer gleitenden Dialektik des geschichtlichen Fort­ gangs darstellende Prozessbeschreibung von Georg Wilhelm Friedrich Hegel hin­ sichtlich der weltgeistigen Herausbildung der Staatsform einer konstitutionellen Monarchie analog herangezogen werden: „Die Ausbildung des Staates zur konstitu­ tionellen Monarchie ist das Werk der neueren Welt, in welcher (letztlich) die subs­ tantielle Idee die unendliche Form gewonnen hat. Die Geschichte dieser Vertiefung des Geistes der Welt in sich, oder was dasselbe ist, diese freie Ausbildung, in der die Idee ihre Momente – und nur ihre Momente sind es – als Totalitäten aus sich entläßt und sie eben damit in der idealen Einheit des Begriffs enthält, als worin die reelle Vernünftigkeit besteht, – die Geschichte dieser wahrhaften Gestaltung des sittlichen Lebens ist die Sache der allgemeinen Weltgeschichte.“ (G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.) (Fn. 55), S. 267; Hervorhebung im Original). 69  Siehe

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

des pouvoir constituant zeigt. Die verfassunggebende Gewalt ist bereits naturrechtlich an die Autorität der Natur, ihre Dimensionen der Macht, ge­ bunden, wobei dies nur im Sinne eines formalen Beachtensbefehls verstan­ den werden darf, der aber stets über dem staatlichen Kosmos gegenwärtig bleibt und zu einer gedanklichen Synthese der Menschen mit der Natur anmahnt. Nicht auszuschließen ist zudem, dass sich die Naturstaatlichkeit noch weiter zu einem universalen (völker)rechtlichen Weltprinzip entwi­ ckelt, dem dann auch unabhängig von einer etwaigen positivrechtlichen Fixierung absolute Geltung zukommt. Die konkrete (auch) materielle Aus­ gestaltung bleibt aber mit Blick auf die unantastbare Menschenwürde den Individuen der soziologischen Realität vorbehalten, die aber bereits aus Gründen der Legitimität zumindest zur konstitutionellen Verankerung einer naturrelevanten Norm angehalten sind. Der formale Naturbeachtensbefehl ist aber immer im Hinterkopf zu behalten, da er letztlich die ökologische Legitimation der Staatsherrschaft bereitet. Die Konstruktion führt so zu ei­ nem notwendigen Partnerschaftsverhältnis des Staates mit der Natur, ohne dass das Postulat der Reinheit des Rechtspositivismus aufgegeben wird. Damit bleibt die grundlegende Erkenntnis, dass jeder Staat Naturstaat ist, da er doch auf der Natur steht, dass es aber den Menschen obliegt, sich der Verantwortung für die Natur als staatlicher Existenzbasis bewusst zu wer­ den. Aus der Natur ergibt sich lediglich der formale Naturbeachtensbefehl, der von Grund auf eine naturrechtliche Bindung indiziert. Als politische Macht aber ist der richtige Platz dieser Natur in einer hypothetischen Grundnorm, die ihrem grundsätzlichen Wesen gemäß unter dem Vorbehalt eines Effizienzgebots eine bestimmte Autorität einsetzt, um dauerhaft die Geltung einer Friedensordnung zu gewährleisten.73 Nur ist dies im natur­ staatlichen 21. Jahrhundert nur noch möglich, wenn die Natur als ebenbür­ tiger Partner anerkannt wird, was eine verstärkte formale Geltungskraft der Natur innerhalb des modernen Staates indiziert. Die Grundnorm von Hans Kelsen stellt demnach auch die Hypothese für eine naturstaatliche Rechts­ ordnung dar, was zudem ein doppeltes Begriffsverständnis dieses fundamen­ talen Denkgesetzes nahelegt. Demnach ist die Grundnorm auch die natürli­ che Lebens(grund)lagen(norm), ein Wortspiel, das die Fundamentalität der Natur zum Ausdruck bringt; die Grundnorm, es ist dies ihr äußerer Sinn!

73  So A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm, in: H. Kle­ catsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1813; H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S.  22 f.; L.  Pitamic, Die Frage der rechtlichen Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 211 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen517

II. Der äußere Sinn des vernünftigen Orientierens im Denken bei Immanuel Kant Im 21. Jahrhundert ist der apodiktische Appell nach einer naturbewussten Orientierungsweise deutlich zu vernehmen, wenngleich die herkömmlichen Klänge des wirtschaftsstaatlichen Primats immer noch dominant sind. Die moderne Staatlichkeit steht deshalb gegenwärtig mit der rekursiven Adapti­ on an den naturstaatlichen Weltgeist und der damit verbundenen Herausbil­ dung eines neuen staatsleitenden Prinzips vor einer neuen Herausforderung ideengeschichtlicher Zirkulation, die eine Kompatibilität der staatlichen Beständigkeit mit der ökologischen Unumgänglichkeit begünstigen wird.74 In dem im Jahre 1786 in der Berlinischen Monatsschrift publizierten Essay mit dem Titel „Was heißt: sich im Denken orientieren?“ setzt Immanuel Kant im Sinne eines aufgeklärten Geistes seine in der Kritik der reinen Vernunft begründete Transzendentalphilosophie fort und erweitert sie gleich­ zeitig um eine besondere Abhandlung der Geographie,75 die sich vor dem Abbild des naturstaatlichen Fortschritts zu einer neuen politischen Maxime der umwelt- und naturbezogenen Orientierung entwickeln könnte. In seiner Kritik der reinen Vernunft beschäftigt sich Immanuel Kant auch unter An­ knüpfung an die Richtungen des Empirismus und Rationalismus mit einer allgemeineren Reflexionsstufe, die in ihrer Grundabsicht auf das epistemo­ logische Auffinden und damit auf eine grundsätzliche Entschlüsselung der apriorischen Bedingungen wissenschaftlicher Erkenntnis gerichtet ist.76 Als methodische Prämisse geht Immanuel Kant indessen von einer „Revolution

74  Siehe zur Umwelt- bzw. Naturstaatlichkeit als einer weiteren ideengeschicht­ lichen Entwicklungsstufe der modernen Staatlichkeit P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 11 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 44 ff.; H. Hofmann, Die Auf­ gaben des modernen Staates (Fn. 5), S. 1 ff. 75  I. Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren?, Berlinische Monatsschrift 1786, S. 304; F. Kaulbach, Weltorientierung, Weltkenntnis und pragmatische Ver­ nunft bei Kant, in: ders. / F.  Ritter (Hrsg.), Kritik und Metaphysik, Heinz Heimsoeth zum achtzigsten Geburtstag, Berlin 1966, S. 65; S. Günzel, Die philosophische Geographie Kants, in: V. Gerhardt (Hrsg.), Kant und die Berliner Aufklärung. Sek­ tionen XI – XIV, Bd. 4, Berlin 2001, S. 533; W. Stegmaier, „Was heißt: Sich im Denken orientieren?“ – Zur Möglichkeit philosophischer Weltorientierung nach Kant, Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 1992, 1 (2 / 4 f.). Siehe zu Immanuel Kant als wissenschaftlichem Geographen K. Hoheisel, Immanuel Kant und die Konzeption der Geographie am Ende des 18. Jahrhunderts, in: M. Büttner (Hrsg.), Wandlungen im geographischen Denken von Aristoteles bis Kant, Paderborn u. a. 1979, S.  263 ff. 76  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  20), S.  57 f.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

der Denkart“77, analog der kopernikanischen Wende aus, wonach letzten Endes „der Verstand, der in Verbindung mit der Sinnlichkeit, welche uns die Anschauung gibt, Erkenntnis ermöglicht, (…) die systembildenden Katego­ rien an die Natur heran(trägt), (…) ihr die Gesetze (gibt), statt ihr diese zu entnehmen.“78 Anders gewendet ist es für Immanuel Kant der Mensch, der in Abkehr von der dezentrierten Position der Erde im planetarischen System als das Zentralgestirn anzusehen ist, da er es ist, um den sich die Erkennt­ nisgegenstände drehen.79 Dementsprechend verbirgt sich „hinter der „koper­ nikanischen Wende“ (…) die cartesianische Figur des Denkens als metrische Erfassung des Raumes: Objektive Wahrheit wird von den im Tageslicht erscheinenden Gegenständen bedingt, die für alle Erkennenden gleich – un­ ter derselben ‚Sonne‘ – erscheinen. In dem von (Immanuel) Kant vorge­ schlagenen Bild würde also jedes Zentralgestirn, d. h. jeder Mensch, welches die Erde, d. h. die Dinge, beleuchtet, in seinem Licht dasselbe ‚sehen‘ und 77  I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, Köln 2011, Vorrede zur zweiten Auflage, S. 33 / 135 f.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 58. Soweit ersichtlich, hat Immanuel Kant den Begriff „Revolution ihrer Denkart“ auf die naturwissenschaftliche Physik bezogen, so dass die Sprechweise „Revolution der Denkart“ wohl nur eine indirekte Interpretation darstellt, die sich lediglich mittelbar aus der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Ver­ nunft ergibt; siehe hierzu nur die Erläuterung bei G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie, in: ders. (Hrsg.), Immanuel Kant – Theoretische Philosophie, Texte und Kommentar, Bd. III, Frankfurt a. M. 2004, S. 73 f. 78  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  20), S. 58. Eine zusammenfassende Darstellung unter Berücksichtigung der Geschichte der Philosophie findet sich unter anderem auch bei E. Cassirer, Das Erkenntnispro­ blem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, Bd. II, bearbeitet von D. Vogel, in: B. Recki (Hrsg.), E. Cassirer, Gesammelte Werke, Hamburger Ausga­ be, Hamburg 1999, S. 559 ff.; zur kopernikanischen Wende auch G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Fn. 77), S. 70 ff. / 181 f. 79  I. Kant, KrV (Fn. 77), Vorrede zu zweiten Auflage S. 34 ff. / 147 ff.; S. Günzel, Geographie der Aufklärung – Klimapolitik von Montesquieu zu Kant, Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (27); vgl. auch E. Cassirer (Fn. 78), S. 562 f. Immanuel Kant führte unter Rekurs auf Nikolaus Kopernikus aus: „Es ist hiermit eben so als mit den ersten Gedanken des (Nikolaus) Copernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegung nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer drehe sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser ge­ lingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließe.“ (I. Kant, ebd., Vorrede zur zweiten Auflage, S. 35). Horst Dreier (H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 62) bringt diesen veränderten Erkenntnishorizont auf die inhaltsschwere Kurzformel: „Nicht die Er­ kenntnis richtet sich nach den Objekten, die Objekte richten sich nach der Erkennt­ nis: das ist der Kern der in der Kritik der reinen Vernunft vollzogenen kopernikani­ schen Wendung (Immanuel) Kants.“ (Hervorhebung im Original). Siehe zur koper­ nikanischen Wende erläuternd auch G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Fn. 77), S. 70 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen519

erscheinen lassen. Dies ist die Tageserkenntnis; die ‚dunkle‘ Erkenntnis, in Abwesenheit des (erhellenden) Lichtes der Vernunft, ist ausgeschlossen bzw. metaphysisch-spekulativ.“80 Daher seien dann nicht die nicht sinnlich zu erfassenden Gegenstände das Zentrum des anthropomorphen Kosmos, sondern der vernunftbegabte Mensch selbst, der diesen bewohne und zu­ gleich strukturiere.81 Mit der Geographie und der Geschichte, die aber der Anthropologie nachfolgt und somit ihr gegenüber als subsidiär einzustufen ist, differenziert Immanuel Kant nun die beiden Wissensgebiete als die „ausschließlichen und voneinander distinkten Bereiche der Ermöglichung von Erkenntnis durch Anschauung“, die in ihrem funktionalen Potential den gesamten Umfang der Erkenntnis ausmachen und sich schließlich in den Bereich des Raumes als dem äußeren Sinn sowie den Bereich der Zeit als des inneren Sinns unterteilen lassen.82 Daraus ergibt sich, dass nun „die Welt, als Gegenstand des äußeren Sinns, (…) Natur (ist), als Gegenstand des inneren Sinns (dann) aber, Seele oder der Mensch.“83 „Wenn man dem­ nach von diesem oder jenem sagt, er kenne die Welt: so versteht man dar­ unter dies, dass er den Menschen und die Natur kenne.“84 Gleichwohl aber setzt die Erkenntnis  – wie bereits angesprochen  ‒ stets eine Anschauung sowie eine Verstandesleistung voraus, die als wechselseitige Komponenten Licht in das Dunkel der wirklichen Objektwelt bringen können.85 „Verbin­ dung liegt (…) nicht in den Gegenständen, und kann von ihnen nicht etwa durch Wahrnehmung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufge­ nommen werden, sondern ist allein eine Verrichtung des Verstandes, der 80  S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (27) (Hervorhebun­ gen einschließlich des hier nicht betonten Namens des Aufklärers im Original; „ko­ pernikanische Wende“ und „cartesianische Figur“ im Original großgeschrieben). 81  S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (27). Stefan Günzel nutzt in der für die Philosophie von Immanuel Kant typischen Terminologie als Synonym für die nicht sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände den Begriff „Noume­ na“. Nach R. Eisler, Kant-Lexikon, Nachdruck der Ausgabe von 1930, Hildesheim 2008, S. 388 ff. verstand Immanuel Kant im Konkreten unter dem Begriff Noumenon einen „Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche“, nämlich das als nicht sinnlich zwar nicht erkannte, aber „im negativen Verstande“ gedachte Ding, das zugleich als positiver Gegenstand einer nichtsinnlichen Anschauung vorgestellt wird. 82  Siehe hierzu nur I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 81 ff.; S. Günzel, in: V. Gerhardt (Hrsg.) (Fn. 75), S. 530; ders. (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (25 f.); dazu auch F. Kaulbach, Weltorientierung (Fn. 75), S. 61 f.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 59. 83  I. Kant, Kant’s gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, Abt. 1, Bd. IX: ­Logik. Physische Geographie. Pädagogik, Berlin 1923, S. 158. 84  I. Kant, Physische Geographie (Fn. 83), S. 158. 85  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  20), S.  59 f.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

selbst nichts weiter ist, als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebener Vorstellungen unter Einheit der Apperception zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntniß ist.“86 Damit setzt die Geltung eines durch Erkenntnis gewonnenen Ver­ nunftprinzips a priori eine synthetische Verstandesleistung unter Rezeption der durch den Verstand schon stets transzendental präformierten Gegen­ standswelt des Sinnlichen voraus.87 Als selektierender Ausgangspunkt der geographischen Raumerkenntnis der äußeren Welt erscheint bei Immanuel Kant zunächst die sich von der inneren Sinnlichkeit der Zeit abhebende Charakteristik der Geographie bzw. des Raumes als dem Schauplatz der anthropogenen Geschichte, der damit den Boden des menschlichen Lebens darstellt.88 Demnach sei die Welt das Substrat und der Schauplatz, auf dem das Spiel unserer Geschichtlichkeit vor sich geht. Sie sei der „Boden“, auf dem unsere Erkenntnisse erworben und angewendet werden.89 In dem Aufsatz „Was heißt: sich im Denken orientieren?“ leitet der Philosoph der Aufklärung nun im Wege einer drei­ stufigen Ableitungsmethodik die vernünftige aus der geographischen Orien­ tierung her, wobei die mathematische Orientierung als Zwischenglied dieser Deduktionskette fungiert.90 „Sich (im geographischen Sinne) orientieren heißt (nun), in der eigentlichen Bedeutung des Worts: aus einer gegebenen Weltgegend (in deren vier wir den Horizont eintheilen) die übrigen, nament­ lich den Aufgang zu finden. Sehe ich nun die Sonne am Himmel, und weiß, dass es nun die Mittagszeit ist, so weiß ich Süden Westen Norden und Osten zu finden.“91 Dabei könne sich die Erkenntnis aber nur durch das 86  I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 149; das Zitat wird auch von H. Dreier, Rechtsleh­ re, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 58 angeführt. Siehe zu der Definition von synthetischen Urteilen in Abgrenzung von analytischen Urteilen E. Cassirer (Fn. 78), S. 563 ff.; vgl. hierzu auch G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Fn. 77), S. 183 f. / 231 f. 87  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  20), S.  58 ff. 88  S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), S. 25. Der Wesensunter­ schied, der zwischen Raum und Zeit besteht, ist der, dass der Raum äußerlich wahr­ nehmbar ist, während die inneren Empfindungen der Anschauungswelt entzogen sind; siehe hierzu I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 81 ff.; H. Arendt, Das Denken, in: M. v. McCarthy (Hrsg.), Vom Leben des Geistes, 4. Aufl., Zürich u. a. 2008, S. 49; S. Günzel, ebd., Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (38 Fn. 10). 89  Siehe hierzu I. Kant, Physische Geographie (Fn.  83), S.  158; S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (38 Fn. 13); vgl. auch F. Kaulbach, Weltorientierung (Fn. 75), S. 61 f. 90  S. Günzel, in: V. Gerhardt (Hrsg.) (Fn. 75), S. 533; siehe hierzu auch W. Stegmaier (Fn. 75), Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 1992, 1 (4 ff.). 91  I. Kant (Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, 304 (307).



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen521

Gefühl des Unterschiedes an meinem eigenen Subjekte, nämlich der rechten und der linken Hand, und damit durch ein Gefühl einstellen.92 Dieses sub­ jektive Prinzip eines gefühlten Unterscheidungsvermögens resultiert aus einem Selbsterhaltungsbedürfnis der Vernunft, die sich zu einer Orientierung geneigt sieht.93 Die Erweiterung dieses geographischen Prozedere führt bei Immanuel Kant letztlich zu der mathematischen Fähigkeit, sich in einem gegebenen Raum überhaupt zu orientieren, was der Philosoph dann meta­ phorisch exemplifiziert: „Im Finstern orientiere ich mich in einem mir be­ kannten Zimmer, wenn ich nur einen einzigen Gegenstand, dessen Stelle ich im Gedächtnis habe, anfassen kann. Aber hier hilft mir offenbar nichts als das Bestimmungsvermögen der Lagen nach einem subjektiven Unterschei­ dungsgrunde: denn die Objekte, deren Stelle ich finden soll, sehe ich gar nicht (…). So aber orientiere ich mich bald durch das bloße Gefühl eines Unterschiedes meiner zwei Seiten, der rechten und der linken.“94 Eine noch­ mals erweiterte Ausdifferenzierung führt schließlich zu der vernünftigen Orientierung, d. h. der Eigenschaft, sich im Denken überhaupt logisch ori­ entieren zu können.95 Denn „allein hierdurch, nämlich durch den bloßen Begrif (der Orientierung), ist doch noch nichts in Ansehung der Existenz dieses Gegenstandes und der wirklichen Verknüpfung desselben mit der Welt (…) ausgerichtet. Nun aber tritt das Recht des Bedürfnisses der Ver­ nunft ein, als eines subjektiven Grundes etwas vorauszusetzen und anzuneh­ men, was sie durch objektive Gründe zu wissen sich nicht anmaßen darf; und folglich sich im Denken, im unermesslichen und für uns mit dicker Nacht erfüllten Raume des Uebersinnlichen, lediglich durch ihr eigenes (subjektives) Bedürfnis zu orientieren.“96 Die vernünftige Orientierung bringt auf diese Weise eine Regel des Denkens hervor, die von der sinnli­ chen Wahrnehmung, der bestimmten Anschauungsform, abstrahiert, um ei­ nen reinen Verstandesbegriff als einer allgemeinen Maxime der Vernunft zu erhalten.97 Dieser als transzendental zu bezeichnende Boden für rationale Begriffe besitzt schließlich eine Entsprechung in dem Boden der Natur bzw. des Erfahrungsraums, wobei der Bereich des vernunftgesteuerten Denkens dem realen Bereich nicht nur ähnlich ist, sondern sogar strikt dieselben Merkmale aufweist.98 Die Vernunftbegriffe haben aber auch selbst einen 92  I. Kant

(Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, 304 (307 f.). (Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, 304 (307 f. / 310); dazu W. Stegmaier (Fn. 75), Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 1992, 1 (5 f.). 94  I. Kant (Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, 304 (308 f.). 95  I. Kant (Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, 304 (309). 96  I. Kant (Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, 304 (311) (Hervorhebung im Original). 97  Siehe dazu I. Kant (Fn. 75), Berlinische Monatsschrift 1786, S. 304. 98  S. Günzel, in: V. Gerhardt (Hrsg.) (Fn. 75), S. 534. 93  I. Kant

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Bereich, der über den transzendental erschlossenen Boden hinausgeht und somit als Bereich der unmöglichen Erkenntnis bezeichnet werden kann.99 In den übertranszendentalen Sektor fällt etwa auch die Natur in ihrer nicht zu bestreitenden physischen Totalität, die den Menschen im Angesicht dieser realen Faktizität an Grenzlinien der Erkenntnis bringt.100 Diesen Umstand hat auch bereits Giambattista Vico angesprochen, wenn er der von Gott geschaffenen Natur den Charakter eines undurchschaubaren Mysteriums zuweist, da sich die Natur von der künstlichen Welt der Menschen in ihrer nicht anthropogenen Ursprünglichkeit unterscheidet.101 Abgesehen von die­ sen Erkenntnisgrenzen entdeckt der Mensch aber im Sinne der kopernikani­ schen Wende die geographische sowie begriffliche Welt durch eine Annexi­ on, die den Menschen zu der „den Boden erhellende(n) und zur Vermessung ausleuchtende(n) Sonne“ macht.102 Das anvisierte Resultat dieses philoso­ phischen Geographiediskurses bei Immanuel Kant ist die apriorische Erlan­ gung eines Kompasses der Orientierung, der dem Kapitän, fokussiert auf die geographische Sonne und die transzendentalen Begriffe, das Steuern eines Schiffes erleichtert und ihn so in den sicheren Hafen manövriert. In der kartographischen Redart von Immanuel Kant heißt dies: Es kommt darauf an, dem Schiff „einen Piloten zu geben, der nach sicheren Prinzipien der Steuermannskunst, die aus der Kenntnis des Globus gezogen sind, mit einer vollständigen Seekarte und einem Kompass versehen, das Schiff sicher führen könne, wohin es ihm gut dünkt.“103 Die analoge Anwendung der transzendentallogischen Vernunftidee auf das naturstaatliche Phänomen führt gleichsam zu einer rationalen Orientierungs­ maxime im Denken, die dem staatlichen Kosmos auf dem Weg durch die unberechenbaren Fluten der Natur die sichere Seekarte und den nötigen Kompass verleiht. Eine gemeinschaftliche Staatsorganisation, die auf dem Weltschauplatz der Natur angesiedelt ist, sieht in dieser eine elementare Bedingung ihrer eigenen Existenz, ohne die sie nicht bestehen kann. Durch die unmittelbare Anschauung des natürlichen Raumes ergibt sich demgemäß 99  S. Günzel, 100  Vgl.

in: V. Gerhardt (Hrsg.) (Fn. 75), S. 534 f. S. Günzel, in: V. Gerhardt (Hrsg.) (Fn. 75), S. 535; E. Cassirer (Fn. 78),

S.  570 f. 101  G. Vico (Fn. 14), S. 153. 102  S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (34). 103  I. Kant, Kant’s gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, Abt. 1, Bd. IV: Kritik der reinen Vernunft. Prolegomena. Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Berlin u. a. 1911, S. 262. Die Passage ist eine der bedeutendsten der gesamten Geophilosophie von Immanuel Kant; ausführlich hierzu S. Günzel, in: V. Gerhard (Fn. 75), S. 535 ff.; W. Stegmaier (Fn. 75), Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 1992, 1 (6 ff.); F. Kaulbach, Welt­ orientierung (Fn. 75), S. 60 f.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen523

unter Vermittlung einer synthetischen Verstandesleistung der staatsangehöri­ gen Menschen ein kritisches Analysepapier der gegenwärtigen Situation um die Natur, die dem modernen Staat entsprechend der geographischen Ein­ ordnungskriterien die konkrete Standortbestimmung und damit die politische Orientierungsvorgabe hinsichtlich der ökologischen Herausforderung gibt. Dieser naturstaatlich indizierte Erkenntnisprozess kann metaphorisch mit dem geographischen Suchautomatismus eines Menschen verdeutlicht wer­ den, der sich an der die klimatischen Bedingungen symbolisierenden und den staatlichen Weltkosmos stets überstrahlenden Sonne ausrichtet, um sich das ausleuchtende Licht einer ökologischen Orientierung zu sichern. Damit ist der vernünftig handelnde Mensch im Sinne der kopernikanischen Wende zwar auch weiterhin das Zentralgestirn, er hat sich aber an den natürlichen Lebensgrundlagen zu orientieren, um auf lange Sicht ein global dimensio­ niertes, apokalyptisches Szenario zu verhindern. Wann aber ist eine solche (Neu-)Orientierung überhaupt notwendig? Es muss letztlich ein subjektives Bedürfnis bestehen, das einen Selbsterhaltungsdrang der Vernunft indiziert. In diesem Wortverständnis muss folglich eine Situation eingetreten sein, die zu einer Modifikation einer bereits bestehenden Programmatik anhält, was stets mit einer wertenden Betrachtung einhergeht.104 Eine vernünftige Ori­ entierung ausschließlich im Denken muss daher hinsichtlich der naturstaat­ lichen Frage einen bestimmten Begriff produzieren, der die Essentialität der natürlichen Lebensgrundlagen für das staatliche Dasein zum Ausdruck bringt, ohne aber im Rahmen dieses Findungsprozesses einer apriorischen Bedingung der Naturerkenntnis im Staat in den übertranszendentalen Boden des Unmöglichen abzugleiten. Denn „derjenige, welcher jene (transzenden­ 104  Vgl. nur F. Kaulbach, Weltorientierung (Fn. 75), S. 75 Fn. 19: „Das wahre Motiv hierfür ist in der prinzipiellen Auffassung von (Immanuel) Kant() vom Wesen der Vernunft überhaupt begründet, dass sie nämlich auf dem Wege eines immer besseren und reineren Verständnisses ihrer selbst sei.“ Immanuel Kant verfasste überdies eine Anthropologie der pragmatischen Vernunft, die von Friedrich Kaul­ bach von der reinen und der praktischen Vernunft unterschieden wird und folgender­ maßen beschrieben werden kann: „Die pragmatische Vernunft hat Interesse an der Erfahrenheit, sie hat das Bedürfnis, das Leben überlegen beurteilen zu können und die verschiedenen Erscheinungen von Natur und Menschenwelt in einem Zusam­ menhang denken zu können, der freilich nicht theoretisch sein kann. So schließt die Erfahrenheit zugleich auch immer ein Bewusstsein des eigenen Standes ein, der durch Geschichte gewonnen worden ist und der den Erfahrenen jeweils in den Stand setzt, sein Leben angemessen zu führen und die Welt richtig zu beurteilen. Nicht also bloß der der Vorstellung präsente Erfahrungsbesitz, sondern auch zugleich der subjektive Stand den Dingen gegenüber wird bei der Ausbildung der Erfahrenheit bewusst: das heißt, dass es sich hier zugleich auch immer um eine Orientierung in der Welt handelt, die die pragmatische Vernunft leistet.“ (F. Kaulbach, Weltorientie­ rung, ebd., S. 67). Für die naturstaatliche Weltorientierung spielt dieser Pragmatis­ mus ebenfalls eine besondere Rolle.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

talen) Begriffe als solche der Erfahrung, und eben nicht als regulierende Ideen, von denen die Begriffe ihrerseits abhängig sind, ausweisen wolle, muss sich nach (Immanuel) Kant dazu vom Boden eben dieser Erfahrung entfernen und in die Höhe der Vernunft-Spekulation steigen.“105 Ein aus der Rationalität erwachsener Orientierungsbegriff, der als eine transzendentale Richtschnur erscheint, ist auch hier die vernünftige Denkregel einer hypo­ thetischen Grundnorm, mit Blick auf die natürlichen Lebensgrundlagen als elementarem Wesensmoment der realen Staatsverfassung aber in ihrem äußeren Sinn.106 Diese mit einem komplementären Formeldualismus ausge­ stattete Grundnorm stellt daher als transzendentallogisches Denkgesetz eine apriorische Bedingung der Erkenntnis dar, die die objektive (Rechts)Normen­ ordnung in ihrer (auch) naturabhängigen Identität komplettiert. Aus der Grundnorm in ihrer äußeren Dimension ergibt sich damit die notwendige 105  S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (33  f.) (Name des Aufklärers im Original hervorgehoben). 106  Bereits an dieser Stelle ist auf ein Zitat von Hans Kelsen zu verweisen, das die Existenz einer äußeren Grundnorm in Frage stellen kann. Im Jahre 1953 schreibt Hans Kelsen zur Abgrenzung der Reinen Rechtslehre von der Naturrechtslehre (Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokra­ tie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 145 f.): „Dieser Unterschied zwischen dem kausalen Naturgesetz als einem Gesetz des Seins und dem Rechtssatz als einem Gesetz des Sollens geht im Rahmen einer religiös-metaphysischen Weltanschauung verloren. Denn dieser zufolge wird die Verknüpfung von Ursache und Wirkung durch einen, dem menschlichen Akt der Rechtserzeugung analogen Akt, dem Natur­ erzeugenden Akt des göttlichen Schöpfers hergestellt. Daher werden auch die Natur­ gesetze als Normen gedeutet, die, von einem göttlichen Willen ausgehen, der Natur ein bestimmtes Verhalten vorschreiben. Und daher glaubt denn auch eine metaphy­ sische Rechtslehre in der Natur als einer Manifestation des göttlichen Willens ein Natur-Recht zu finden, d. h. aber aus einem Sein auf ein Sollen schließen zu können. Das ist ein Trugschluss; und auf diesem Trugschluss ist die Naturrechtslehre gegrün­ det. Dies ist der Grund – nicht der einzige – aus dem die Reine Rechtslehre als rationale Wissenschaft vom Recht die Naturrechtslehre als eine in letzter Linie irra­ tionale, der Logik sich nicht unterwerfende Metaphysik des Rechts ablehnt.“ (Her­ vorhebungen im Original). Jedoch hat Hans Kelsen die Möglichkeit einer aus dem Staatsgebiet objektiv deduzierten, völkerrechtlichen bzw. politischen Norm, wenn auch nicht in einem naturstaatlichen Kontext, selbst gesehen (H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 378). In der äußeren Grundnorm spiegeln sich die natürlichen Lebensgrundlagen wider, wobei die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen selbst eine Art Natur­ recht darstellt (siehe hierzu nur Fn. 42). Die Grundnorm ist ein transzendentales Produkt einer synthetischen Verstandesleistung, einer reinen Apperzeption unter Vermittlung der sinnlichen Anschauungswelt. Auch für Giambattista Vivo ist die Natur für den Menschen nicht vollständig entschlüsselbar, da die Naturwirklichkeit von Gott gemacht wurde. Der in der äußeren Grundnorm sich abbildende und hier angesprochene konstruktive Widerspruch kann nur dann aufgelöst werden, wenn diese Hypothese nun eingehend untersucht und erklärt wird. Es wird sich zeigen, dass es sich bei der äußeren Grundnorm um eine Frage der Symbiose von Natur­ rechtsdoktrin und Legitimitätslehren handelt.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen525

Einheit des Systems der Normen auch unter Beachtung der Natur, ohne die eine normative Rechtsordnung in ihrer idealtypischen Objektivität im 21. Jahrhundert nicht mehr gedacht werden kann.107 Diese äußere Grundre­ gel im Orientierungsdenken enthält demnach einen formalen Naturbeach­ tensbefehl, den sich die Vernunft aus objektiven Gründen nicht anmaßen darf. Auf diese Weise wird die Natur in ihrer nicht zu bestreitenden realen Faktizität als eine Sollens-Norm in die objektive Rechtsordnung eingeführt, was die immanente Naturpräsenz innerhalb des Staates verstärkt. Dadurch wird letzten Endes den nur zu oft auf subjektiver Dezisionswillkür beruhen­ den naturrelevanten Verfassungsnormen die objektive Idealität verliehen, womit das umweltstaatliche Staatskönigtum zugunsten einer transzendenta­ len Naturvernunft gemäßigt wird. Die äußere Grundnorm ist folglich der gedachte Zurechnungspunkt, auf den sich alle Rechtsakte im Sinne einer ökologischen Legitimationskette zurückführen lassen müssen, um normative Geltung zu erhalten.108 III. Die äußere Grundnorm in ihrem die natürlichen Lebensgrundlagen umfassenden Sinngehalt 1. Die Funktionen der hypothetischen Grundnorm109 In einem frühen Stadium seiner staats- und rechtstheoretischen Fundie­ rung am Maßstab eines „reinen“ Postulats der Methode charakterisierte 107  Zu der Funktion der hypothetischen Grundnorm als Einheitskonstituante vor­ erst nur H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 43; R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, in: Die reine Rechtsleh­ re in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 38 f.; R. Walter, Entstehung und Entwicklung des Gedankens der Grundnorm, in: ders. (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Wien 1992, S. 47. 108  Der Begriff der ökologischen Legitimationskette ist freilich an den Terminus einer „ununterbrochene(n) (demokratischen) Legitimationskette“ angelehnt; siehe dazu nur BVerfGE 83, 60 (72 f.); H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl., München 2010, § 7 Rn. 28; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 213 f. Die Natur ist damit ein letzter Geltungsgrund im Staat, auf den sich sämtliche Staatsak­ te zurückführen lassen müssen. 109  In dem staats- und rechtstheoretischen Werk von Hans Kelsen besitzt die Grundnorm unterschiedliche Bezeichnungen. In diesem Sinne ist unter anderem von einer Hypothese, einer transzendentallogischen Voraussetzung, einer Annahme oder auch von einer Fiktion die Rede. Die unterschiedlichen Bezeichnungen sollen hier vernachlässigt werden, zumal mit ihnen keine grundlegenden Änderungen in der Funktion der Grundnorm verbunden sind. Lediglich die spätere Einstufung der Grundnorm als Fiktion stellt eine mehr oder weniger einschneidende konzeptionelle Wandlung dar. Siehe hierzu insgesamt S. L.  Paulson, Die unterschiedlichen Formu­

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Hans Kelsen die später als Grundnorm gekennzeichnete oberste Norm eines Staatssystems aus Normen als den „gleichsam (…) archimedische(n) Punkt, von dem aus die Welt der juristischen Erkenntnis in Bewegung gesetzt wird.“110 Diese aus der Physik entstammende Metapher eines fundamenta­ len Dreh- und Angelpunktes wird durch sekundärliterarische Skizzierungen auch heute noch untermauert, wenn etwa die Rede ist von einem „gedankliche(n) Fluchtpunkt (…) (als) Gipfel der Pyramide“111, einem „Nullpunkt des ganzen Systems“112, oder aber von einem „oberste(n) Zu­ rechnungspunkt (…), der es ermöglicht, die Gesamtheit aller Einzelnormen einer Rechtsordnung auf einen einheitlichen Brennpunkt zu beziehen“113. Andererseits wird die Denkregel der Grundnorm aber auch als eine dem Anspruch der Rechtslehre von Hans Kelsen entsprechende Konstruktion gepriesen, „an der Normativität des Rechts festzuhalten, ohne seine Positi­ vität zu überschreiten“, wobei diese Fundamentalnorm aus der doppelten Frontstellung gegen die Usurpation der Objektivität der Rechtsgeltung durch lierungen der Grundnorm, in: A. Aarnio u. a. (Hrsg.), Rechtsnorm und Rechtswirk­ lichkeit, Berlin 1993, S. 53 ff.; ders., Die Funktion der Grundnorm: begründend oder explizierend?, in: C. Jabloner (Hrsg.), Gedenkschrift Robert Walter, Wien 2013, S.  555 ff.; ders., Faktum / Wert-Distinktion: Zwei-Welten-Lehre und immanenter Sinn. Hans Kelsen als Neukantianer, in: R. Alexy (Hrsg.), Neukantianismus und Rechtsphilosophie, Baden-Baden 2002, S. 224 Fn. 3; R. Walter, Gedanke der Grund­ norm (Fn. 107), S. 47 ff.; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts – ein kritischer Vergleich, Berlin 1993, S. 153 Fn. 24; vgl. auch M. Jestaedt, Geltung des Systems und Geltung im System, JZ 2013, 1009 (1010 f. / 1015); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 42 ff.; W. Krawietz, Grundnorm, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wör­ terbuch der Philosophie, Bd. III: G – H, Darmstadt 1974, Sp. 920; F. Koja, Hans Kelsen oder die Reinheit der Rechtslehre, Wien u. a. 1988, S. 43; A.-J. Korb (Fn. 25), S. 71 Fn. 20. Hinsichtlich des Gesamtwerks von Hans Kelsen werden zudem drei Phasen der wissenschaftlichen Entwicklung unterschieden: Die Phase des Konstruk­ tivismus (bis etwa 1920), die neukantianische Phase und die Phase der Spätlehre (ab 1960). Siehe zu Letzterem S. L.  Paulson, Der Normativismus Hans Kelsens, JZ 2006, 529 (530 Fn. 11); ders., Die Funktion der Grundnorm, ebd., S. 554 Fn. 3; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (158 ff.). 110  H. Kelsen, Reichsgesetz und Landesgesetz nach österreichischer Verfassung, AöR 1914 (32), 202 (217); vgl. auch ders., Rechtswissenschaft oder Rechtstheolo­ gie?, ÖZöR 1966 (16), 233 (241). 111  S. Uecker, Vom Reinheitspostulat zur Grundnorm, Berlin 2006, S. 91. Alfred Verdross (A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422)) spricht auch von der „Krone des Kelsenschen Rechtssystems“. 112  H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (293). 113  E. Bucher, Zur Kritik an Kelsens Theorie von der hypothetischen Grund­ norm, in: Die reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 47.



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die Kausalwissenschaften einerseits, die metajuristische, naturrechtliche Überformung andererseits, erwachsen sei.114 Mit diesen grammatikalischen 114  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  20), S. 42 / 51 / 55 f.; H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völ­ kerrechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 88 ff.; S. Marck (Fn. 44), S.  25 ff.; S. L. Paulson, Die Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 555 / 561 ff.; ders., Normativismus (Fn. 109), JZ 2006, 529 (530 Fn. 15); ders., Die unterschiedlichen Formulierungen der Grundnorm (Fn. 109), S. 53 ff.; M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1013 f.); J. Kunz, Die definitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), 375 (389 ff.); M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm als eine Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung, Rechtstheorie 1994 (25), 451 (452 / 454 f.); ders., Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 152 f.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 18 f.; A.-J. Korb (Fn. 25), S. 70; W.  Ott, Der Rechts­ positivismus – Kritische Würdigung auf der Grundlage eines juristischen Pragmatis­ mus, 2. Aufl., Berlin 1992, S. 160; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen in Reiner Rechtslehre und in einer transzendentalen Philosophie des Rechts, in: W. Krawietz (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 350; vgl. hierzu auch S. L.  Paulson, Faktum / Wert-Distinktion (Fn. 109), S. 223 ff.; H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (293 / 297 f.); V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (162 / 172 f. / 176); E. Bulygin, Das Problem der Geltung bei Kelsen, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen  – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 80; G. N. Dias, Rechts­ positivismus und Rechtstheorie – das Verhältnis beider im Werke Hans Kelsens, Tübingen 2005, S.  225; W. Kersting, Politik und Recht, Weilerswist 2000, S. 286 ff. / 390; vgl. hierzu auch bereits M. Stockhammer, Kelsen und die Oppositi­ on – Zum Positivitätsproblem, Revue internationale de la théorie du droit 1934 (8), 201 (212 f.). In der Vorrede der 2. Auflage zu den Hauptproblemen der Staatsrechts­ lehre (H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre – entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 2. Aufl., Tübingen 1923, Vorrede S. V) kommt diese doppelte Frontstellung ganz klar zum Ausdruck: „Die Reinheit der Lehre oder – was gleich­ bedeutend ist – die Selbständigkeit des Rechtes als eines Gegenstandes wissen­ schaftlicher Erkenntnis bin ich schon in meiner Erstlingsarbeit bemüht, nach zwei Richtungen hin sicherzustellen. Einmal gegen die Ansprüche einer sogenannten ‚soziologischen‘ Betrachtung, die sich des Rechtes wie eines Stückes naturgegebe­ ner Wirklichkeit nach kausalwissenschaftlicher Methode bemächtigen will. Dann aber gegen die Naturrechtslehre, die – weil sie die ausschließlich und allein im positiven Recht gegebene Beziehungsgrundlage ignoriert – die Rechtstheorie aus dem Bereiche positiver Rechtssätze in den ethisch-politischer Postulate zieht.“ (Her­ vorhebungen im Original). Siehe zur Grundnorm als Grenzbegriff J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesell­ schaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frankfurt a. M. 1967, S. 70 f.; R. Moore, Legal norms and legal science – a critical study of Kelsen’s pure theory of law, Honolulu 1978, S. 109; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratiethe­ orie, ebd., S. 42 / 50 ff. m.  w. N. Ronald Moore: „Thus, the basic norm is able to serve as catalyst for the fusion of the two sorts of meaning by being itself a mean­ ing. But, of which kind, subjective or objective? Since it is specifically identified as the meaning ‚of an act of thinking‘, it cannot be subjective. But can it be objec­

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Pointierungen sind die Wesensmerkmale der hypothetischen Grundnorm bereits hinreichend angesprochen. Als Erkenntnis- oder Identifikationskrite­ rium des positiven Rechts fungiert sie letztlich mit ihren Regeln als bedin­ gendes Deutungsmittel, das Verhaltensnormen als Korrelate von Machtver­ hältnissen in positive Rechtsnormen transferiert, so dass die Grundnorm mit ihrer normativen Formulierung des Rechtsbegriffs alle Eigenschaften enthält, die das Recht als positives Recht erkennen lässt.115 In den Worten von Hans Kelsen heißt dies: „In dem die Geltung einer Rechtsordnung begründenden normativen Syllogismus bildet der die (hypothetische) Grundnorm aussa­ gende Soll-Satz: Man soll sich der tatsächlich gesetzten Verfassung gemäß verhalten, den Obersatz; der die Tatsache aussagende Seins-Satz: die Ver­ fassung wurde tatsächlich gesetzt und ist wirksam, das heißt: die ihr gesetz­ ten Normen werden im Großen und Ganzen angewendet und befolgt, den Untersatz; und der Soll-Satz: man soll sich d(ies)er Rechtsordnung gemäß verhalten, das heißt: die Rechtsordnung gilt, den Schlusssatz.“116 Der Grundnorm kommen daher eigentlich zwei grundlegende Funktionen zu. Sie ist zum einen eine formale Einheitskonstituante, die als notwendige Folge­ rung der Theorie vom Stufenbau der Rechtsordnung, wonach sich eine Norm stets auf eine ihr gegenüber höhere Ermächtigungsnorm zurückführen lassen können muss, um normative Geltungskraft zu haben, die aus gesetz­ ten, positiven Normen bestehende Rechtsordnung nach oben denklogisch abschließt, was einen apagogischen Beweisschluss indiziert.117 In diesem tive in the sense in which other norms are, by dint of its agency objective? Clearly not. (…) It is not difficult to see that in the notion of Grundnorm (Hans) Kelsen has expressed his realization of the limit of legal positivism. This is the place in Pure Theory where explanations come to an end.“ (R. Moore, ebd., S. 108 f.; Her­ vorhebungen im Original). 115  So H. Kelsen, Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? – Eine Erwide­ rung, Wien 1928, S. 23 ff.; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (454 f.); ders., Die Reine Rechtslehre und die Rechts­ theorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 168; R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 39; W. Kersting (Fn. 114), S. 385. 116  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 219. 117  Siehe hierzu H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 110 f.; ders., FS Giacometti (Fn. 106), S. 148 f.; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tü­ bingen 1922, S. 93 ff.; ders., The pure theory of law and analytical jurisprudence, Harvard law review 1941 (55), 44 (61 ff.); A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); E. Bucher (Fn. 113), S. 47; H. Dreier, Rechtslehre, Staatsso­ ziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 42 f.; R. Dreier, Bemerkungen Grund­ norm (Fn. 107), S. 38 f.; W. Schild, Theorie und Praxis bei Hans Kelsen, Rechtsthe­ orie 1979 (10), 199 (217); J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm, in: S. L. Paul­ son, Normativity and norms, Oxford 1998, S. 48 ff.; M. Jestaedt (Fn. 109), 1009 (1012 / 1014 f.); J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (389); P. Koller, Theorie des Rechts, Wien u. a. 1997, S. 153 ff.; M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille –



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen529

Sinne gliedert sich die Rechtsordnung demnach in höhere und tiefere Nor­ men, namentlich in die Verfassung, Gesetze, Verordnungen, gerichtliche Urteile, Verwaltungsakte und private Rechtsgeschäfte, so dass sich eine kontinuierliche Konkretisierungsleiter der Rechtserzeugung und -anwendung nach unten ergibt, die auf die in ihrer Abstraktheit als Garant der inhaltli­ chen Flexibilität des positiven Rechts agierende Denkregel der hypotheti­ schen Grundnorm stets bezogen bleibt.118 Durch den in dieser Grundnorm Geist, Tübingen 2004, S. 32 / 39 ff.; U. Schliesky (Fn. 35), S. 104 ff.; Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, Bern u. a. 2009, S. 104; S. Uecker (Fn. 111), S. 89 / 91; R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 47; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 919 f.; M. Pilch, Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten – Kritik des Normsystemden­ kens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte. Theorie des Rechts im Kontext des 10. und 11. Jahrhunderts, Wien u. a. 2009, S. 117; A.-J. Korb (Fn. 25), S. 71; K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Repub­ lik, Tübingen 2010, S. 111; H. Wendenburg, Die Debatte um die Verfassungsge­ richtsbarkeit und der Methodenstreit der Staatsrechtslehre in der Weimarer Republik, Göttingen 1984, S. 124 f.; W. Schluchter, Entscheidung für den sozialen Rechtsstaat, Baden-Baden 1983, S. 40; vgl. auch P. Römer, Der Staat 1987 (26), 592 (594); W. Kersting (Fn. 114), S. 288 f.; A. Vonlanthen, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Berlin 1965, S. 33 ff. / 38; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 18 f.; A. Peczenik, On the nature and function of the Grundnorm, in: A. Aarnio u. a. (Hrsg.), Methodologie und Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, Berlin 1981, S.  279 f.; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (454); ders., Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 150 f.; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (173 ff.). Erwähnenswert sind aber auch die Kritikpunkte von Joseph Raz an der Einheitsfunktion der hypothetischen Grundnorm J. Raz, ebd., S. 51 ff. 118  Zum Stufenbau der Rechtsordnung H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 231 ff. / 248 ff.; ders., RR (Fn. 20), S. 228 ff.; ders., Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbar­ keit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.), Hans Kelsen – Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Tübingen 2008, S. 1 ff.; ders., Die Funktion der Verfassung, Verhandlungen des Zweiten Österreichischen Juristentages Wien 1964, Bd. II: Bericht über den Ablauf der Arbeitssitzung der Verfassungs- und Völkerrechtlichen Abteilung, Teil 7, Wien 1967, S. 65 ff. / 72 f.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 69 f.; A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (421 f.); E. Bucher (Fn. 113), S. 47; R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 67 / 71 f.; P. Koller (Fn. 117), S. 153 ff.; M. Haase (Fn. 117), S. 41; J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 48 ff.; M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1012); S. Uecker (Fn. 111), S. 89 f.; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 207 f.; N. Leser, Hans Kelsen (1881–1973), in: Neue Österreichische Biographie ab 1815. Große Österreicher, Bd. 20, Wien 1979, S. 38; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 920; M. Pilch (Fn. 117), S. 114 ff.; R.  Walter / C.  Jabloner, Hans Kel­ sen (1881–1973). Leben – Werk – Wirkung, in: M. Lutter u. a. (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 529 f.; A. Peczenik (Fn. 117), S. 279 f.; W. Kersting (Fn. 114), S. 288; vgl. hierzu auch S. Marck (Fn. 44), S. 28; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (160); W. Schluchter (Fn. 117), S. 40;

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

verkörperten formalen Aspekt der ausschließlichen Einsetzung einer Autori­ tät wird gleichsam eine Absage an ein materielles Geltungsprinzip erteilt, mit der Folge, dass sich das empirische Rechtsmaterial ohne die Bindung an ein bestimmtes Wertesystem als relativ apriorisches Deutungsschema einer äußeren Zwangsordnung herausbilden kann.119 Darüber hinaus kommt der Grundnorm zum anderen eine materielle Legitimierungsfunktion einer bestimmten Normenordnung als Rechtsordnung zu, womit die geltungsthe­ oretische Transformation des Realen in das Reich der objektiven Idealität verstanden wird.120 Mit dieser legitimierenden Geltungsfunktion der hypo­ A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 117), S. 37. Siehe auch die Kritik an dem Verhältnis von Grundnorm und sonstigen Rechtsnormen in der Lehre von Hans Kelsen bei M. Haase (Fn. 117), S. 189 ff. 119  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251; ders., RR (Fn. 20), S. 208 (Fn.); ders., Rechts­ geschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 25 ff.; ders., Value Judgments in the science of law, Journal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (326); ders., Science and politics, American political science review 1951 (45), 641 (650); ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik, Archiv für Rechts- und Sozialphiloso­ phie 1966 (52), 545 (548); ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 72; ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 63 ff.; A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); H. Dreier, Rechtslehre, Staatsso­ ziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 53 / 84; F. Koja, Reinheit der Rechtsleh­ re (Fn. 109), S. 43; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (172); U. Schliesky (Fn. 35), S. 105; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 153; R. Thienel, Geltung und Wirk­ samkeit, in: S. L. Paulson (Hrsg.), Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Wien 1986, S.  28 f.; M. Haase (Fn. 117), S. 32; J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 56 f.; H. Köchler, Zur transzendentalen Struktur der Grundnorm, in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Wien 1980, S.  506 ff.; M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1015); S. Uecker (Fn. 111), S. 90; W. Schluchter (Fn. 117), S. 40 f.; W. Kersting (Fn. 114), S. 288; K. Groh (Fn. 117), S. 110 ff.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 18  f.; vgl. auch E. Patterson / G.  Goble, Jurisprudence. Men and ideas of the law / Contracts, Brooklyn 1953, S. 390; A. Somek, Ermächtigung und Verpflichtung – ein Versuch über Normativität bei Hans Kelsen, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen  – Staatsrechts­ lehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 69 f.; P. Koller (Fn. 117), S. 156; A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 117), S. 34 / 37; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 919 f.; R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 59 Fn. 44; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 365; M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demo­ kratie, Tübingen 2006, S. XIV / XVI. 120  H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 115  ff.; ders., RR (Fn. 20), S. 205; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S.  100 ff.; ders., Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 23 f.; ders., Science and politics (Fn. 119), American political science review 1951 (45), 641 (649); ders., FS Giacometti (Fn. 106), S. 149; ders., Vom Geltungsgrund des Rechts, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1162 ff.; ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen531

thetischen Grundnorm antwortete Hans Kelsen auf den sich selbst gestellten Forschungsauftrag: „Wie ist eine nicht auf metarechtliche Autoritäten wie Gott oder Natur zurückgreifende Deutung des subjektiven Sinns gewisser Tatbestände als ein System in Rechtssätzen beschreibbarer objektiv gültiger Rechtsnormen möglich?“121 Damit ist die Grundnorm der hypothetische Balanceakt zwischen den auf das reale Sein programmierten Kausalwissen­ schaften und der metajuristischen Naturrechtsdoktrin, die Schnittstelle zwi­ (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (547 / 550); ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 65  ff.; ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 63 ff.; A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); E. Bucher (Fn. 113), S. 48; R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 38 f.; ders., Sein und Sollen – Bemerkungen zur Reinen Rechtslehre Kelsens, JZ 1972, 329 (331 f.); J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 56 f.; H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 507; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 42 ff. (v. a. S.  46 ff. Fn.  119); F. Koja, Reinheit der Rechtslehre (Fn. 109), S. 43; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 151 f.; M. Haase (Fn. 117), S. 41 ff.; W. Schluchter (Fn. 117), S. 40; W.  Ott (Fn. 114), S.  160 f.; S. Uecker (Fn. 111), S. 89 / 91 f.; R.  Walter / C.  Jabloner, Der Einfluss deut­ scher Emigranten (Fn. 118), S. 526 / 528; R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 47; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der reinen Rechts­ lehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (485); N. Leser (Fn. 118), S. 37; R. Thienel (Fn. 119), S. 29; J. Harris, When and why does the grundnorm change?, The Cambridge Law Journal 1971 (29), 103 (106 f.); K. Groh (Fn. 117), S. 111 f.; J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (389 f.); J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 19; vgl. auch S. L.  Paulson, Die Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 561 ff.; R. Moore (Fn. 114), S. 108; P. Koller (Fn. 117), S. 156; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (453 f.); W. Kersting (Fn. 114), S. 288 / 382 ff.; A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn.  117), S. 33 ff. / 37; A. Peczenik (Fn. 117), S. 284 ff. / 290 ff.; H. Wendenburg (Fn. 117), S. 124 / 126. Ralf Dreier differenziert im Rahmen des geltungstheoretischen Diskur­ ses einen juristischen, soziologischen und einen ethischen Geltungsbegriff, wobei die juristische Geltung dem von Hans Kelsen seinem Rechtsbegriff zugrunde geleg­ ten Geltungskriterium entspricht. Demnach gelte eine Norm rechtlich, wenn sie von einem dafür zuständigen Organ in der dafür vorgeschriebenen Weise gesetzt sei und nicht gegen höheres Recht verstoße. Sie gelte sozial, wenn sie entweder befolgt oder ihre Nichtbefolgung sanktioniert werde. Sie gelte moralisch, wenn sie ethisch ge­ rechtfertigt sei (R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm, ebd., S. 39 f.). 121  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 205. Im unmittelbaren Anschluss an diese sich selbst gestellte Frage schreibt Hans Kelsen: „Die erkenntnistheoretische Antwort der Reinen Rechtslehre lautet: unter der Bedingung, dass man die Grundnorm voraus­ setzt: man soll sich so verhalten, wie die Verfassung vorschreibt, das heißt: wie es dem subjektiven Sinn des verfassunggebenden Willensaktes, den Vorschriften des Verfassunggebers, entspricht. Die Funktion dieser Grundnorm ist: die objektive Gel­ tung einer positiven Rechtsordnung, das ist der durch menschliche Willensakte ge­ setzten Normen einer im Großen und Ganzen wirksamen Zwangsordnung, zu be­ gründen, das heißt: den subjektiven Sinn dieser Akte als ihren objektiven Sinn zu deuten.“

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

schen Faktizität und ethisch-materiell überhöhender Normativität, um einen kritischen Positivismus zu begründen.122 2. Die hypothetische Grundnorm im wissenschaftlichen Diskurs Die hypothetische Konstruktion einer Grundnorm als geltungstheoreti­ schem Garanten der einheitlichen und in sich geschlossenen Rechtsordnung in ihrer objektiven Idealität ist im staatswissenschaftlichen Schrifttum stets auch kritisch betrachtet worden. Carl Schmitt etwa verhöhnte das gesamte staats- und rechtstheoretische System von Hans Kelsen als künstlichen For­ malismus inhaltsleerer Normativität, da sich eine normative Einheit oder Ordnung nur aus systematischen, ohne Rücksicht auf „positive“ Geltung normativ konsequenten, also in sich selbst, kraft ihrer Vernünftigkeit oder Gerechtigkeit richtigen Sätzen, ableiten lasse.123 Deshalb wurde die ver­ nünftig gedachte Grundnorm mit den folgenden Worten angegriffen: „Hier hört plötzlich das Sollen auf und bricht die Normativität ab; statt ihrer er­ scheint die Tautologie einer rohen Tatsächlichkeit: etwas gilt, wenn es gilt und weil es gilt. Das ist ‚Positivismus‘. Wer im Ernst darauf besteht, dass ‚die‘ Verfassung als ‚Grundnorm‘ gelten und alles andere Geltende sich daraus ableiten soll, darf nicht beliebige, konkrete Bestimmungen, weil sie von einer bestimmten Stelle gesetzt werden, also nur faktisch wirksam sind, zur Grundlage eines reinen Systems von Normen nehmen.“124 Damit sind die hauptsächlichen Kritikpunkte deutlich dargetan: die gedachte Grund­ norm ist die transzendentallogische Transferstelle, die denknotwendig im grammatikalischen Gewand eines inhaltsleeren Pleonasmus die subjektiven Machtverhältnisse in das ideale Reich des objektiven Geistes überführt, wobei sie als abstrahierte Form einer Faktizität eigentlich nicht geeignet ist, dieser Aufgabe angemessen nachzukommen. Mit anderen Worten ist sie kein „Sollen“, überdies fehlt ihr aber auch das ethische Moment einer nor­ 122  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 18 f. „Das Problem der Positivität erscheint demnach als das – keineswegs auf das Gebiet der Rechts- und Staatstheorie beschränkte – Pro­ blem der inhaltlichen Beziehungen zwischen einem System des Wertes und dem ihm korrespondierenden System der Wirklichkeit, d. h. als das Problem der sogenannten Wertverwirklichung.“ (H. Kelsen, AS, ebd., S. 19). Horst Dreier (H. Dreier, Rechts­ lehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 42) charakterisiert die Lehre von der Grundnorm daher als Koinzidenz von Normativität und Positivität des Rechts, ohne dass die Positivität (aber) überschritten werde; vgl. auch A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422). 123  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 8 f. 124  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 9; zu dieser Kritik von Carl Schmitt auch M. Pilch (Fn. 117), S. 118 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die kriti­ schen Ausführungen bei J. Moór (Fn. 114), S. 67 ff.; V. Hartmann, Repräsentation in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, Berlin 1979, S. 176 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen533

mativen Geltungskraft.125 Eine dogmatische Klärung dieser Kritikpunkte bedarf einer systematischen Aufschlüsselung, wobei zunächst das transzen­ dentale Wesen der Grundnorm im Spiegel der Kritiken der reinen und praktischen Vernunft von Immanuel Kant zu analysieren ist. Die Reassump­ tion wird unter thematischer Einbeziehung der natürlichen Lebensgrundla­ gen und damit des äußeren Sinns der Grundnorm die methodische Richtig­ keit des von Hans Kelsen praktizierten Rekurses auf die Transzendentalphi­ losophie belegen, was gleichsam eine Ablehnung der späteren Einstufung der hypothetischen Grundnorm als einer Fiktion im Sinne der „Als-ob“Philosophie von Hans Vaihinger nahelegen wird.126 In einem zweiten Schritt 125  Hierzu auch E. Bucher (Fn. 113), S. 49 ff.; P.  Otto, Die Entwicklung der Ver­ fassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 90 ff., v. a. S. 92. Siehe zu der von Hans Kelsen vertretenen strengen Trennungsthese von Recht und Moral bzw. von positivem Recht und Gerechtigkeit H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 13 f. / 112 f. / 395 ff.; ders., Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung, in: N. Leser (Hrsg.), Hans Kelsen – Demokratie und Sozialismus (Ausgewählte Aufsätze), Wien 1967, S. 81 f.; ders., Was ist juristischer Positivismus?, JZ 1965, 465 (468); ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 42), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (323 f.); ders., RR (Fn. 20), S. 60 ff.; ders., Was ist Gerechtigkeit?, Wien 1953; R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 40 ff.; ders., Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (333 ff.); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 83 ff.; M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1013 ff.); J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 55 / 60 / 65 f.; H. Hart, The concept of law, New York u. a. 1961, S. 246; vgl. auch J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (383 f.); M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn.  119), S. XIV / XVI; W. Schluchter (Fn. 117), S. 40 f. Grundsätzlich zur rechtspositivisti­ schen Trennungsthese M. Pilch (Fn. 117), S. 112 ff.; W. Kersting (Fn. 114), S. 286 f. 126  Siehe zu Letzterem H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, hrsg. v. K.  Ringhofer / R.  Walter, Wien 1979, S. 206 f. In ihrer transzendentallogischen For­ mung im Sinne der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant wird die nicht durch einen menschlichen Willensakt gesetzte und damit nur hypothetische Grund­ norm kritisch gesehen etwa von E. Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechtsphi­ losophie – eine Betrachtung über die Beziehungen zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft, Tübingen 1921, S. 20 ff. („Die Metaphysik dieses rationalisti­ schen Logizismus ist so grotesk, dass sie fast etwas Grandioses bekommt.“ (E. Kaufmann, ebd., S. 29)); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 44 / 83 ff., v. a. S. 88; S.  L.  Paulson, Die Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 563 ff.; H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 509 ff.; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 353 ff.; G.  Luf, Über­ legungen zum transzendentallogischen Stellenwert der Grundnormkonzeption Kel­ sens, in: W. Krawietz u. a. (Hrsg.), Theorie der Normen, Berlin 1984, S. 576 ff.; M. Haase (Fn. 117), S. 37; H. Haug (Fn. 38), S. 89 f.; L.  Pitamic, in: F. A. v. d Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 210; tendenziell auch M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1010 f.); S. Uecker (Fn. 111), S. 90 ff., der sie aber im Ergebnis gleichwohl als eine notwendige Bedingung einer Sollens-Ordnung des Rechts charakterisiert; vgl. auch H. Kelsen, Professor Stone and the Pure Theory of Law, Stanford law review 1964 (17), 1128 (1140 ff.); U. Schliesky (Fn. 35), S. 107. In diesem Zusammenhang

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wird dann die rechtstheoretische Geltungskomponente des Denkgesetzes der Grundnorm untersucht werden, wobei auch hier die Berücksichtigung der natürlichen Lebensgrundlagen die Axiome der Reinen Rechtslehre bestäti­ gen wird. a) Die Reine Rechtslehre in methodologischer Konfrontation mit der Kritik der praktischen Vernunft von Immanuel Kant Die methodisch durch Deduktion gewonnene Transzendentale der hypo­ thetischen Grundnorm als einer apriorischen Bedingung der Erkenntnis des Rechts sieht sich in ihrem theoretischen Wesen einer reinen Vernunft im Sinne von Immanuel Kant auch heute noch dem kritischen Einwand eines im Hinblick auf die praktische Kritik der Rechtserkenntnis dieses bedeuten­ den Aufklärers konzeptionswidrigen Bruchs ausgesetzt, der die gesamte Konstruktion der Grundnorm in Frage stellt.127 In diesem Zusammenhang ist die Rede davon, dass Hans Kelsen im Sinne einer konsequenten Anwen­ dung der eigenen Systemvoraussetzungen und eines kategorial gerechtfertig­ ten Vergleichs die Struktur der Grundnorm dem Begriff des Postulats ge­ genüberstellen hätte können, wie ihn Immanuel Kant in der Kritik der praktischen Vernunft entfaltet habe.128 Ein Postulat ist nach der Definition von Immanuel Kant ein „theoretische(r), als solche(r) aber nicht erweisliche(r) Satz (…), (der) einem a priori unbedingt geltenden praktischen Gesetze unzertrennlich anhängt.“129 Demnach sei die Zuordnung zur normativen Ebene gerade dadurch gegeben, dass dieser Satz angenommen, postuliert werden müsse, damit ein bestimmtes normatives, d. h. praktisches Gesetz, seinen Sinn erhalte.130 Angesichts des Umstandes, dass Hans Kelsen aber den Begriff der praktischen Vernunft, der für die Rechtserkenntnistheorie von Immanuel Kant konstitutiv sei, als in sich widersprüchlich abgelehnt habe, sei der Zugang zu der Kritik der praktischen Vernunft verstellt gewe­ sen, so dass Hans Kelsen genötigt gewesen sei, die Rolle des Sollensbegriffs spricht Horst Dreier (H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheo­ rie, ebd., S. 88) von einem „Platzhalter der Idee der Normativität“; dem Rekurs auf die Kritik der reinen Vernunft zustimmend dagegen N. Leser (Fn. 118), S. 37; R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 58; E.  Patterson / G.  Goble (Fn. 119), S. 390; W. Kersting (Fn. 114), S. 384 f. 127  Vgl. R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 44. 128  So H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 510 (Hervorhebungen im Original); R. Bindschedler (Fn. 118), S. 72 f. 129  I. Kant, Kant’s gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, Abt. 1, Bd. V: Kritik der praktischen Vernunft. Kritik der Urteilskraft, Berlin u. a. 1908, S. 42 / 220 (Zitat); R. Eisler, Kant-Lexikon (Fn. 81), S. 427 f. 130  H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 510 f.; vgl. auch R. Bindschedler (Fn. 118), S. 73.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen535

im Vorgang der Rechtserkenntnis vom Standpunkt der theoretischen Ver­ nunft aus zu analysieren.131 Dieser Befund erscheint plausibel, vor dem Abbild eines Zitats von Immanuel Kant in dessen Metaphysik der Sitten aber auch befremdlich und irgendwie unvorstellbar: „Es kann also eine äußere Gesetzgebung gedacht werden, die lauter positive Gesetze enthielte; alsdann aber müsste doch ein natürliches Gesetz vorausgehen, welches die Autorität des Gesetzgebers (d. i. die Befugnis, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) begründete.“132 Hat Hans Kelsen diese Passage viel­ leicht doch nur übersehen? Die Antwort auf diese Frage führt notwendiger­ weise zu dem Rechtsbegriff von Immanuel Kant, den dieser „über das Ge­ setz der Freiheit als dem einzigen, schlechthin geltenden Legitimationsprin­ zip definiert.“133 Freiheit ist also das „einzige, ursprüngliche, jedem Men­ schen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht“, die „Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür (…) (zu haben), sofern sie mit jedes anderen Freiheit nach einem allgemeinen Gesetz zusammen bestehen kann.“134 Mit dieser Konzeption einer praktischen Vernunft im Recht, die 131  R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 44. Ralf Dreier ist über­ dies auch der Ansicht, dass diese Konzeptionswidrigkeit zu der Kritik der prakti­ schen Vernunft von Immanuel Kant schließlich dann auch zu dem von Hans Kelsen vorgenommenen Kurswechsel der Aufgabe der Grundnorm als transzendentallogi­ scher Bedingung der Rechtserkenntnis und dem Umsatteln der Grundnorm auf die „Als-ob“-Philosophie von Hans Vaihinger geführt hat (R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm, ebd., S. 38 / 44). 132  I. Kant, Kant`s gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe, Abt. 1, Bd. VI: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Die Metaphysik der Sitten, Berlin u. a. 1914, S. 224. Die Kantische „Grundnorm“ des natürlichen Gesetzes wird erläutert bei S. L.  Paulson, Konstitutive und methodologische Formen. Zur Kanti­ schen und neukantianischen Folie der Rechtslehre Hans Kelsens, in: M.  Heinz /  Ch. Krijnen (Hrsg.), Kant im Neukantianismus – Fortschritt oder Rückschritt?, Würzburg 2007, S. 149 ff.; R. Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 5. Aufl., Frei­ burg i. B. u. a. 2011, S. 186 ff.; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 918. 133  Siehe hierzu die Ausführungen bei O.  Höffe, Der kategorische Rechtsimpe­ rativ. „Einleitung in die Rechtslehre“, in: ders. (Hrsg.), Immanuel Kant, Metaphysi­ sche Anfangsgründe der Rechtslehre, Berlin 1999, S. 42 ff. / 49 ff.; G.  Luf (Fn. 126), S. 575; A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, Berlin 2007, S. 217 f.; vgl. auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 64 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 109. Siehe unter dem Blickwinkel eines transzendentalen Idealismus auch G. Irrlitz, Die Bedeutung des Kantschen Rechtsbegriffs für Kants Theorie eines transzen­ dentalen Idealismus, in: H. Dreier (Hrsg.), Philosophie des Rechts und Verfassungs­ theorie, Berlin 2000, S. 87 ff. 134  I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Werkausgabe, herausgegeben von W. Wei­ schedel, Bd. VIII, 15. Nachdruck der 1. Aufl. (1797), Frankfurt a. M. 2009, S. 345; R. Eisler (Fn. 81), S. 453 ff.; O.  Höffe (Fn. 133), S. 50; A. Emmerich-Fritsche (Fn. 133), S. 217 f.; vgl. auch F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 358 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie

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sich auf die Idee einer intelligiblen Natur des Menschen bzw. einer Kausa­ lität aus Freiheit gründet, besteht aber letztlich dann eine grundsätzliche Divergenz zum realen Wirklichkeitsverständnis von Hans Kelsen, der diese mit der Faktizität des gegenständlich Seienden im Sinne einer kausal-me­ chanischen Identität gleichsetzt und damit gänzlich auf eine sittlich-freiheit­ liche Vordetermination eben auch des positiven Rechtsmaterials verzich­ tet.135 Aus diesem Grund muss sich die praktische Grundlegung der Rechtserkenntnis bei Immanuel Kant für Hans Kelsen folglich als eine Art transzendenter Gegenwelt der Metaphysik aufbauen, die in ihrem unver­ söhnlichen Dualismus aus Tatsachen und Werten vor dem methodischen Postulat der Reinen Rechtslehre dem rechtstheoretischen Verdikt einer un­ wissenschaftlichen Vermengung und Unbrauchbarkeit unterliegen muss.136 Eine solche Definition von Freiheit, wie sie von Immanuel Kant seinem praktischen Rechtsbegriff zugrunde gelegt wird, begründet für Hans Kelsen daher einen wirklichkeitswidrigen Antagonismus zu der normativen Ord­ nung als Zwangsordnung, so dass sie als sittliche Legitimationsbasis für die Geltungsansprüche des positiven Rechts ausscheiden muss.137 Denn „die (Fn. 20), S. 64 ff.; ders., Rechtsethik und staatliche Legitimität, Universitas 1993 (48), 377 (382 / 386 f.); M. Pilch (Fn. 117), S. 124 ff.; vgl. im Zusammenhang mit der Zurechnungslehre von Hans Kelsen J. Hruschka, Die Zurechnungslehre Kelsens im Vergleich mit der Zurechnungslehre Kants, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübin­ gen 2005, S. 7 ff. / 12 ff. 135  Siehe zu dieser Divergenz mit dem realen Wirklichkeitsverständnis von Hans Kelsen H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichts­ auffassung (Fn. 125), S. 81 f., v. a. (Fn. 14); ders., Naturrechtslehre und Rechtsposi­ tivismus (Fn. 42), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (319 ff.); ders., Juris­ tischer Positivismus (Fn. 125), JZ 1965, 465 (468); G.  Luf (Fn. 126), S. 573 ff.; J. Hruschka (Fn. 134), S. 8 ff.; vgl. auch M. Jestaedt / O. Lepsius, Einführung Demo­ kratietheorie (Fn. 119), S. XV; W. Schluchter (Fn. 117), S. 45; M. Haase (Fn. 117), S. 32; W. Kersting (Fn. 114), S. 391 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 64 / 83 f. / 87; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kel­ sens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (190). 136  H. Kelsen, Die Philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 76; ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 42), Politische Vierteljah­ resschrift 1962 (3), 316 (321 ff.); ders., Zum Begriff der Norm, in: R. Dietz / H. Hüb­ ner, Festschrift für Hans Carl Nipperdey, Bd. I, Berlin 1965, S. 64 ff.; ders., Allgemei­ ne Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung (Fn. 125), S. 82 Fn. 14; G.  Luf (Fn. 126), S. 576; J. Hruschka (Fn. 134), S. 7 ff.; S. L.  Paulson, Nor­ mativismus (Fn. 109), JZ 2006, 529 (533); ders., Konstitutive und methodologische Formen (Fn. 132), S. 151 f.; H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 510 f. 137  H. Kelsen, RR (Fn.  20), S. 97; G.  Luf (Fn. 126), S. 576; J. Hruschka (Fn. 134), S. 12  ff.; vgl. auch J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (384); M. Rath, Fiktion und Heteronomie – Hans Kelsens Normtheorie zwischen Sein und Sollen, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988, 207 (208). Hans Kelsen schrieb insoweit: „Dass der einer (…) Rechtsordnung unterworfene Mensch ‚frei‘



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen537

Annahme, dass nur die Freiheit des Menschen, und das heißt die Tatsache, dass er dem Kausalgesetz nicht unterworfen ist, Verantwortung und das heißt Zurechnung möglich macht, steht (…) zu den Tatsachen des gesell­ schaftlichen Lebens in offenem Widerspruch. Die Errichtung einer normati­ ven, das Verhalten der Menschen regelnden Ordnung, auf Grund deren allein Zurechnung erfolgen kann, setzt gerade voraus, dass der Wille der Men­ schen, deren Verhalten geregelt wird, kausal bestimmbar, also nicht frei ist. Denn die unbezweifelbare Funktion einer solchen (Rechts)Ordnung ist, die Menschen zu dem von der Ordnung gebotenen Verhalten zu veranlassen, die ein bestimmtes Verhalten gebietenden Normen zu möglichen, den Willen der Menschen bestimmenden Motiven eines den Normen entsprechenden Verhaltens zu machen; das heißt aber, dass die Vorstellungen der ein be­ stimmtes Verhalten gebietenden Norm zur Ursache eines dieser Norm ent­ sprechenden Verhaltens wird.“138 In dieser grundlegenden Positionierung kommt die Eigenart einer objektivistischen Staatsrechtsordnung zum Aus­ druck, die sich durch eine die Freiheit ausschließende, von der real-psychi­ schen Willkür der sozialen Naturwirklichkeit unabhängige Vordetermination auszeichnet. Es ist dies der objektive Weltgeist, der sich über die durch das Merkmal der Wertneutralität geprägte, soziologische Realität legt und das Deutungs- und Bewertungsschema für das Verhalten der Menschen ab­ gibt.139 Mit dieser Konzeption ist die Vorgabe eines sittlich-freiheitlichen ist, bedeutet, dass er Endpunkt einer nur auf Grund dieser normativen Ordnung möglichen Zurechnung ist. Nach üblicher Anschauung wird allerdings Freiheit als das Gegenteil kausaler Bestimmtheit verstanden. Als frei gilt, was nicht dem Gesetz der Kausalität unterworfen ist. Es ist üblich, zu sagen: Weil der Mensch frei ist oder einen freien Willen hat, und das heißt, nach der üblichen Anschauung, dass er dem sein Verhalten bestimmenden Kausalgesetz insofern nicht unterworfen ist, als sein Wille zwar Ursache von Wirkungen, selbst aber nicht die Wirkung von Ursachen ist, ist er verantwortlich, das heißt moralischer oder rechtlicher Zurechnung fähig. Nur weil der Mensch frei ist, kann man ihn für sein Verhalten verantwortlich machen (…).“ (H. Kelsen, RR, ebd., S. 97). 138  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 97  f. Dieser Ansatzpunkt steht freilich auch in krassem Gegensatz zu der „verstehenden Soziologie“ eines Max Weber: „Wir ken­ nen aber die subjektiven Vorgänge im ‚Urmenschen‘ nicht, und mit den stets wie­ derkehrenden Redensarten von der angeblichen absoluten Urtümlichkeit oder gar ‚Apriorität‘ des ‚Rechts‘ oder der Konvention kann keine empirische Soziologie etwas anfangen. Nicht weil eine ‚Regel‘ oder ‚Ordnung‘ als ‚verbindlich‘ gilt, zeigt das Sichverhalten des ‚Urmenschen‘ nach außen, insbesondere zu seinesgleichen, faktische ‚Regelmäßigkeiten‘, sondern umgekehrt: an die von uns in ihrer psycho­ physischen Realität hinzunehmenden, organisch bedingten Regelmäßigkeiten knüpft sich die Konzeption ‚verbindlicher Regeln‘ an.“ (M. Weber, Wirtschaft und Gesell­ schaft – Grundriss der verstehenden Soziologie, Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 242; Hervorhebungen im Original). 139  Siehe hierzu hinsichtlich des Rekurses auf den objektiven Weltgeist explizit H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 114), S. 247 ff. / 316. In seinem Aufsatz „Staatsform

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Rechtsbegriffs unvereinbar, der sich durch eine der praktischen Vernunftkri­ tik entsprechende, subjektive Disposition einer Kausalität aus bzw. durch Freiheit kennzeichnet. Die idealtypische Objektivität des Staates setzt viel­ mehr eine hypothetische Grundnorm voraus, die zwar als transzendentallo­ gischer Denkformel einer machtvollen Autorität die normative Gewähr für eine auf Dauer angelegte Friedensordnung bietet, sich aber ansonsten durch und Weltanschauung“ aus dem Jahre 1933 spricht Hans Kelsen im Zusammenhang mit einer völkerrechtlichen Gemeinschaft aus gleichberechtigten Staaten in der Terminologie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel von „einem Weltgericht, als dem ersten Ansatz der Entwicklung zu einem Weltstaat“ (H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 21, vgl. auch S. 6); dagegen wird in H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 42), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (327); vgl. auch C. Jabloner, Kein Imperativ ohne Imperator – An­ merkungen zu einer These Kelsens, in: S. L. Paulson (Hrsg.), Untersuchungen zur reinen Rechtslehre, Bd. II, Wien 1988, S. 86  f.) der „Volksgeist“ wiederum als Anknüpfungspunkt der Historischen Schule für eine „konservative, anti-revolutio­ näre Naturrechtslehre“ bezeichnet. Siehe zur hegelianischen Weltgeistparallelität in der reinen Rechtskonzeption von Hans Kelsen auch M. Haase (Fn. 117), S. 23 ff. / 33 ff. / 53 ff.; A. Carrino, Die Normenordnung – Staat und Recht in der Lehre Kelsens, Wien u. a. 1998, S. 152; vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokra­ tie (Fn. 118), S. 77; ders., Politische Weltanschauung und Erziehung, in: ders. u. a. (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1231 ff.; im Zusammenhang mit der Hegelschen Staatslehre auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 146 ff.; in diese Richtung auch J. Hruschka (Fn. 134), S. 8 ff. („metaphysischer Determinismus“); K.  Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Philosophie der Neuzeit – G. B. Vico – Paul Valéry, Stuttgart 1986, S. 219 ff.; vgl. auch R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre, Rechtstheorie 1970 (1), 69 (73 / 81); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 49 ff. Fn. 130 / 53 ff. m. w. N.; a. A. dagegen K.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Nachdruck der 1.  Aufl. (1960), 6. Aufl., Berlin 1991, S. 73 f. Grundsätzlich zur Hegelschen List der Vernunft als unsichtbarer Hand, die sich im objektiven Geschehen, nicht in den Köpfen der einzelnen Individuen manifestiert H.  Ottmann, Die Weltgeschichte (§§ 341–360), in: L. Siep (Hrsg.), G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 3. Aufl., Berlin 2014, S. 275 ff. Insoweit besteht eine eindeutige Parallele zu der staats- und rechtstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen. Agostino Carrino unterstellt der Reine Rechtslehre von Hans Kelsen deshalb zutreffend einen „im­ pliziten Hegelianismus“, wenn „auch mit umgekehrten Vorzeichen“, da auch die Reinheitslehre von Hans Kelsen „im realen Prozess der sozialen und politischen Veränderungen das Wirken des Sollens oder der rationalen Idee erkennt.“ (A. Carrino, ebd., S. 152). Nicht ganz eindeutig dagegen M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einfüh­ rung Demokratietheorie (Fn. 119), S. XV / XVIII.  Horst Dreier zeigt dies anhand der Funktion der Grundnorm auf: „Weit davon entfernt, Grundlage eines allgemeinen Imperativs zu bilden, demzufolge sich die Menschen den Normen der jeweils durchsetzungsfähigen Macht entsprechend zu verhalten hätten, verweist die Selbst­ setzung der Grundnorm auf die Relativität aller Aussagen der Rechtswissenschaft: sie erlaubt die Beschreibung und Deutung effektiver Zwangsordnungen nur, ‚als ob‘ diese Rechtsordnungen wären.“ (H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie, ebd., S. 49; Hervorhebung im Original).



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen539

eine inhaltliche Nichtbestimmtheit bewährt.140 Ein sittlich-freiheitlich ge­ prägtes Postulat würde dagegen von vornherein konkrete Anforderungen an das positive Recht stellen, die der objektiven Idealität abträglich wäre, in­ dem nicht mehr alles Inhalt des Rechts sein könnte, sondern nur noch ein metaphysisch getränktes (Natur-)Rechtsmaterial, das den postulierten Prä­ missen entspricht.141 Dies wird augenscheinlich, wenn ein Rechtspostulat der Umwelt angenommen wird, das dann nur noch ein umwelt- bzw. natur­ bewusstes und damit ökologisch-sittliches positives Recht akzeptieren wür­ de. Demnach ist ein rechtliches Postulat im Sinne der Kritik der praktischen Vernunft von Immanuel Kant mit der Reinen Rechtslehre gänzlich unver­ einbar, insofern nicht die Forderung nach einer Reinheit des Rechts aufge­ geben werden soll. Dies gilt sogar dann, wenn das Rechtspostulat von Im­ manuel Kant im Sinne der Konstruktion einer formalen Rechtsstaatlichkeit interpretiert wird,142 was mit der Stufenbaukonzeption der Reinen Rechts­ 140  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251; A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S.  56 f.; H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 506  f.; S. Uecker (Fn. 111), S. 90 / 93 f.; R. Walter (Fn. 107), S. 59 Fn. 44; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 919 f.; kritisch hierzu auch H. Haug (Fn. 38), S. 90 f. 141  H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichts­ auffassung (Fn. 125), S. 81 f.; ders., Juristischer Positivismus (Fn. 125), JZ 1965, 465 (468); vgl. auch ders., AS (Fn. 4), S. 251; E. Husserl, Logische Untersuchun­ gen, Bd. I: Prolegomena zur reinen Logik, 2. veränderte Aufl., Tübingen u. a. 1913, S.  45 f.; W. Kersting (Fn. 114), S. 391 ff. „Statt schlicht, d. h. hypothetisch (relativ) und formal zu behaupten: Dass die einen nicht nur faktisch befehlen und die anderen nicht nur faktisch gehorchen, sondern dass die einen von Rechts wegen befehlen sollen und die anderen von Rechts wegen gehorchen sollen, das kann nur unter der Voraussetzung einer Norm angenommen werden, die eine oberste Autorität einsetzt, auf deren mittelbare oder unmittelbare Delegation alle Befehlsakte – als Normset­ zungsakte – zurückgehen; behauptet die Naturrechtsdoktrin apodiktisch (absolut) und material: Die Menschen haben vereinbart, dass die einen befehlen und die an­ deren gehorchen sollen. Weil an Stelle der reinen, bloß vorausgesetzten und nicht als Tatbestand gesetzten Norm ein Tatbestand als Grundlage gewählt wird, wird, was nur eine die Einheit der Rechts- oder Staatsordnung begründende hypothetische Annahme ist, zu einem historischen Faktum missdeutet und verliert durch solche Fiktion seinen ursprünglichen immanenten Sinn. (…) (Damit) nimmt der naturrecht­ liche Grundvertrag einen absoluten Inhalt an.“ (H. Kelsen, AS, ebd., S. 251; Hervor­ hebungen im Original). An dieser Stelle ist noch einmal zu resümieren, dass aber auch die Grundnorm in der hier eingeführten äußeren Dimension insoweit auch ei­ nen materiellen Gehalt besitzen muss, als sie die gewaltige Autorität der Natur als gleichberechtigten Partner einsetzt. 142  Siehe zu der formal-rechtsstaatlichen Interpretationsoption der praktischen Rechtsvernunft von Immanuel Kant R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 45; vgl. dazu auch R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis – Wirt­ schaftsüberwachung in gewerbepolizeilicher Tradition und wirtschaftsverwaltungs­ rechtlichem Wandel, Tübingen 1992, S. 343; A. Emmerich-Fritsche (Fn. 133), S. 218. Ralf Dreier vertritt aber letztlich als einen adäquaten Ausdruck des Erkenntnis- und

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lehre letztlich insoweit in Konformität stehen würde, als nur das positive Recht als Ordnungs- und Organisationsform der realen Macht in Betracht kommen kann.143 Denn auch in diesem Fall wird das Recht von vornherein sittlich-freiheitlich vorprogrammiert, was wiederum dem metaphysisch-na­ turrechtlichen Einfluss das Tor öffnen und die objektive Idealität gefährden könnte. b) Die Grundnorm als ein auf die Sinnlichkeit reziprok bezogener, reiner Verstandesbegriff Die methodische Rekursivität von Hans Kelsen bei der Gewinnung des Denkakts einer hypothetischen Grundnorm auf die von Immanuel Kant in der Kritik der reinen Vernunft behandelte transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe erscheint vor dem Hintergrund der fehlenden Ad­ äquatheit der Rechtsgrundsätze der praktischen Vernunft für dieses Vorhaben eigentlich als nicht zu beanstanden.144 Eine Begutachtung des Original­ des Geltungskriteriums des positiven Rechts im demokratischen und sozialen Rechtsstaat einen die formal-rechtsstaatliche Anschauung der praktischen Vernunft des Rechts im Sinne von Immanuel Kant noch um die Radbruchsche Formel erwei­ terten Formulierungsvorschlag der Grundnorm, der lautet: „Man soll sich so verhal­ ten, wie es einer im Großen und Ganzen sozial wirksamen und im Großen und Ganzen ethisch gerechtfertigten Verfassung entspricht, und den ihr gemäß gesetzten Normen, sofern diese, für sich betrachtet, ein Minimum an sozialer Wirksamkeit bzw. Wirksamkeitschance und ein Minimum an ethischer Rechtfertigung bzw. Rechtfertigungsfähigkeit aufweisen.“ (R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm, ebd., S. 45 f.). Diese Formel ist angesichts ihrer ethisch-materiellen Tränkung mit der Reinen Rechtslehre gänzlich ungeeignet, wenngleich sich auch bei Hans Kelsen über das Kriterium einer Friedensordnung eine ethische Annäherung vorfinden lässt; sie­ he zu Letzterem insoweit ausdrücklich A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtli­ chen Grundnorm (Fn. 73), S. 1813; H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 22 f.; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 211 ff. Auf den von Ralf Dreier getätigten Rekurs auf die Radbruchsche Formel wird im Rah­ men des naturkatastrophalen Ausnahmezustands zurückzukommen sein. 143  Siehe hierzu nur die plastische Beschreibung des formellen Rechtsstaats bei H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 44: „Und darum muss, vom Standpunkt des Rechtspositi­ vismus aus gesehen, jeder Staat ein Rechtsstaat in dem Sinne sein, dass alle Staats­ akte (eben) Rechtsakte sind, weil und sofern sie eine als Rechtsordnung zu qualifi­ zierende Ordnung realisieren.“ Zu der Unterscheidung von materiellem und formel­ lem Rechtsstaat H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 108), § 8 Rn. 7 f. Das Recht ist nach der Reinen Rechtslehre ein Mittel und damit eine notwendige Systemvoraussetzung. Dieses Prädikat trifft aber auch auf die fremdbestimmte Natur zu, ohne die der gleichsam stets die Qualifikation als Naturstaat innehabende moderne Staat nicht bestehen kann. 144  Im Ergebnis zustimmend hinsichtlich des von Hans Kelsen getätigten Rekur­ ses auf die transzendentalen Grundsätze der Kritik der reinen Vernunft N. Leser (Fn. 118), S. 37.



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werks unter Einbeziehung der Aufgabe der Integration der natürlichen Le­ bensgrundlagen in die staats- und rechtstheoretische Konzeption von Hans Kelsen wird nun überdies die methodische Richtigkeit dieses Rekurses auf die Kritik der reinen Vernunft darlegen. Die reine, ursprüngliche Apperzep­ tion – so der Philosoph der Aufklärung – sei dasjenige Selbstbewusstsein, das die Vorstellung „Ich denke“ hervorbringe, woraus sich die transzenden­ tale Einheit des Selbstbewusstseins als einer erwachsenen Einheit ergebe. Synthetische Einheit des Mannigfaltigen der Anschauungen, also a priori gegeben, sei also der Grund der Identität der Apperzeption selbst, die a priori allem meinem bestimmten Denken vorgehe. Eine Verbindung liege aber nicht in den Gegenständen und kann ihnen nicht etwa durch Wahrneh­ mung entlehnt und in den Verstand dadurch allererst aufgenommen werden, sondern sei allein eine Verrichtung des Verstandes, der selbst nichts weiter sei als das Vermögen, a priori zu verbinden und das Mannigfaltige gegebe­ ner Vorstellungen unter Einheit der Apperzeption zu bringen, welcher Grundsatz der oberste im ganzen menschlichen Erkenntnis sei. Das sei dann so viel, als dass ich mir einer notwendigen Synthesis derselben a priori bewusst bin, die die ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption heiße, unter der alle mir gegebenen Vorstellungen stehen, aber unter die sie auch durch eine Synthesis gebracht werden müssen.145 Die Verbindung, die als Grundlage der Kategorie eines Verstandesbegriffs anzusehen ist, kann als Vorstellung einer synthetischen Einheit des Mannigfaltigen einer sinnli­ chen Anschauung, also eine Synthesis als einem selbsttätigen Akt der Ver­ standeshandlung des Subjekts, bezeichnet werden, durch den ein reines Selbstbewusstsein a priori die von dem empirischen Anschauungsmaterial abstrahierte Deduktion des Verstandesbegriffs als einer Einheit im Denken hervorbringt.146 Deshalb sei der Verstand vor dem Hintergrund, dass alles Mannigfaltige der Anschauung unter Bedingungen einer ursprünglich-syn­ thetischen Einheit der Apperzeption stehe, letztlich das Vermögen der Er­ kenntnisse, die in bestimmter Beziehung gegebener Vorstellungen auf ein Objekt bestehen, so dass die Einheit des Bewusstseins dasjenige, was allein die Beziehung der Vorstellungen auf einen Gegenstand, mithin ihre objekti­ ve Gültigkeit, folglich dass sie Erkenntnisse werden, ausmache, und worauf folglich selbst die Möglichkeit des Verstandes beruhe.147 Aus diesem Grund kann die äußere, sinnliche Wahrnehmung des Raumes noch keine Erkennt­ nis sein, sondern aus ihr ergibt sich lediglich das umfassende Anschauungs­ 145  I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 147  ff. Ausführlich zur Transzendentalphilosophie im Sinne der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 57 ff. 146  I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 146 f. / 156 f.; G. Mohr, Kants Grundlegung der kri­ tischen Philosophie (Fn. 77), S. 183 f. / 231 f. 147  I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 150 ff.

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material einer möglichen Erkenntnis.148 Für die Deduktion der transzenden­ talen Grundnorm von Hans Kelsen als reinem Verstandesbegriff ist nun aber eine von Immanuel Kant getroffene Differenzierung maßgebend, die sich mit dem Gegensatzpaar einer subjektiven und objektiven Einheit der Apper­ zeption kennzeichnen lässt: „Die transscendentale Einheit der Apperception ist diejenige, durch welche alles in einer Anschauung gegebene Mannigfal­ tige in einen Begriff vom Object vereinigt wird. Sie heißt darum objectiv und muss von der subjectiven Einheit des Bewußtseins unterschieden wer­ den, die eine Bestimmung des inneren Sinnes ist, dadurch jenes Mannigfal­ tige der Anschauung zu einer solchen Verbindung empirisch gegeben wird. (…) Daher (auch) die empirische Einheit des Bewußtseins durch Associati­ on der Vorstellungen selbst eine Erscheinung betrifft und ganz zufällig ist. (…) Jene (transscendentale) Einheit ist (deshalb) allein objectiv gültig; die empirische Einheit der Apperception (…) (dagegen) hat nur subjective Gül­ tigkeit. Einer verbindet die Vorstellung eines gewissen Worts mit einer Sa­ che, der andere (aber) mit einer anderen Sache; und die Einheit des Be­ wußtseins in dem, was empirisch ist, ist in Ansehung dessen, was gegeben ist, nicht notwendig und allgemein geltend.“149 Darin spiegelt sich schließ­ lich eine thematische Differenz zwischen einer transzendentalen Objektivität und einer subjektiven Darlegung der kognitiven Psychologie wider, woraus eine epistemologische Verschiedenheit der jeweiligen Behauptungen und Theorien resultiert.150 Ein objektives Urteil, das sich von den subjektiven Assoziationen unterscheidend, als ein methodisches Resultat der transzen­ dentalen Einheit der Apperzeption beschreiben lässt, zeichnet sich durch objektive Prinzipien der Bestimmung sämtlicher Vorstellungen aus, womit die relativ subjektive Wahrnehmung zugunsten einer objektiven Gültigkeit überwunden wird.151 Die synthetische Verstandeshandlung einer transzen­ dentalen Apperzeption stellt sich somit als logische Funktion für die als 148  I. Kant,

KrV (Fn. 77), S. 151. KrV (Fn. 77), S. 153; zur Objektivität der reinen Verstandesbegriffe E. Cassirer (Fn. 78), S. 555 ff.; vgl. hierzu auch W. Kersting (Fn. 114), S. 288. 150  W. Carl, Die transzendentale Deduktion in der zweiten Auflage (B 129–B 169), in: G. Mohr (Hrsg.), Immanuel Kant – Kritik der reinen Vernunft, Berlin 1998, S. 199. Die Aussage ist für den Normcharakter der Grundnorm erheblich. Wolfgang Carl führt aus, dass die Unterscheidung von objektiver und subjektiver Einheit des Be­ wusstseins eine Unterscheidung sei, die auf eine Abgrenzung zwischen den Bedin­ gungen, unter denen meine Vorstellungen als Erkenntnisse von Objekten stehen, und den Bedingungen hinauslaufe, unter denen ich als kognitives Subjekt innerhalb mei­ ner mentalen Biographie bestimmte Vorstellungen habe. Sie basiere auf der Differenz zwischen einer transzendentalen Betrachtung der Bedingungen von Erkenntnis und einer empirischen Betrachtung der Bedingungen der kognitiven Beschaffenheit epis­ temischer Subjekte (W. Carl, ebd., S. 199). 151  I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 154 f.; G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Fn. 77), S. 231 f. 149  I. Kant,



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen543

Kategorien benannten Urteile dar, wobei die reinen Verstandesbegriffe aber nur insofern Erkenntnisse bewirken, als diese auf eine Anschauung ange­ wandt werden können.152 Diese Objektivitätskomponente, die aber stets auf „die momentane Zuständlichkeit des Einzelbewusstseins“153 bezogen bleibt, soll an dieser Stelle noch vertieft werden, da sie den entscheidenden Erklä­ rungsansatz der Grundnorm als einer „Norm“ bietet. Die Deduktion von reinen Verstandesbegriffen führt letztlich zu objektiven Erfahrungsurteilen, indem ein Tatbestand als Symbol einer allgemeingültigen Verknüpfung an­ gesehen wird, was eine logische Wertkategorie zur Folge hat. Der logische Gesichtspunkt der Beurteilung überführt damit die bunte und wirre Mannig­ faltigkeit von subjektiven Eindrücken der Wahrnehmung in das Reich der Objektivität, womit der Charakter einer geformten Einheit resultiert. Der daraus resultierende normative Begriff „ist der Ausdruck nicht eines Seins, sondern eines reinen logischen Wertverhältnisses; er bezeichnet lediglich die neue Befugnis, er bezeichnet die Zugehörigkeit zu einer neuen logischen Ordnung, die eine Verknüpfung gewinnt, wenn wir sie nicht lediglich nach ihrem tatsächlichen Vollzug im empirischen Subjekt betrachten, sondern sie kraft allgemeiner Prinzipien als gefordert ansehen.“ Die Synthesis ist dabei die gedankliche Umprägung, durch welche der gegebene Inhalt der sinnli­ chen Anschauungswelt die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit eines Erfahrungsurteils erhält. „Der Einheit der (begrifflichen) Gattung (aber) geht also die Einheit einer ideellen Norm, der abstraktiven Vergleichung geht eine konstruktive Verknüpfung voraus. Der Begriff ist seiner eigentli­ chen Grundbedeutung nach nichts anderes als das Bewusstsein dieser Ein­ heit der Synthesis.“154 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen steht vor allem insoweit am methodischen Pranger, als sie das im Wege der Deduktion gewonnene, begriffliche Verstandespendant in dem reinen Sinne einer übersinnlichen Ap­ perzeption eines realen Seins ist, das aber gleichwohl als apriorischer Er­ kenntnissatz die objektiv geistige und damit normative Funktionalität eines Rechtsordnungssystems erklären soll.155 Demnach sei mithin der grundsätzli­ 152  I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 155 f. / 157 f.; E. Cassirer (Fn. 78), S. 569; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 68. 153  E. Cassirer (Fn. 78), S. 556 f. 154  Die Ausführungen zur Vertiefung der Objektivitätskomponente der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant sind sämtlich entnommen und zitiert aus E. Cassirer (Fn. 78), S. 555 ff. Vgl. zum naturphilosophischen Postulat der Objekti­ vität auch H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 67. 155  H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 509 f. Dieses Sein-Sol­ len-Dilemma hat Hans Kelsen freilich selbst gesehen, weshalb er die gedachte Grundnorm als Erkenntnisbedingung des positiven Rechts nur per analogiam nach den methodischen Grundsätzen der Transzendentalphilosophie von Immanuel Kant

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che kategoriale Unterschied durch die kategoriale Verschiedenheit des fakti­ schen (deskriptiven) und des normativen Bereichs gegeben, d. h. es werde nicht etwas faktisch Vorgegebenes als Möglichkeitsbedingung eines konkre­ ten Denkaktes aufgewiesen, sondern (eben) ein Gesolltes als die notwendige Voraussetzung für die Anerkennung der Verbindlichkeit einer konkreten Norm postuliert.156 Andererseits wird aber auch die Eigenschaft der gedach­ ten Grundnorm als Norm in Frage gestellt, womit ebenfalls die faktische An­ bindung dieser Hypothese betont wird.157 Allein diese Anklagen machen deutlich, dass es sich bei der Grundnorm um den Dreh- und Angelpunkt der Reinen Rechtslehre handelt,158 um die notwendige Schnittstelle, die den ge­ deduziert und damit gewonnen hat. Siehe hierzu nur H. Kelsen, RR (Fn. 20), S.  204 f.; ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (550 f.); ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 69 f. 156  H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 509 f. (Hervorhebungen im Original); M. Haase (Fn. 117), S. 42 Fn. 37. 157  M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 153 f.; den Normcharakter bestreitet ausdrücklich auch W. Kersting (Fn. 114), S. 385. 158  So nur S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 553 („das Herz und die Seele der Reinen Rechtslehre“); G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung – Kelsens Lehre von der Grundnorm und das Hypothesis-Theorem Cohens, in: P.  Schmid / S. Zurbuchen (Hrsg.), Grenzen der kritischen Vernunft, Basel 1997, S. 180 („Herzstück der Reinen Rechtslehre, ihr theoretisches Zentrum und systema­ tischer Kern“; R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 38 („herausragen­ den Platz“, „konstitutiver Bestandteil“); A.-J. Korb (Fn. 25), S. 70 („Schlüssel der gesamten Kelsenschen Rechts- und Staatstheorie“); J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (389); kritisch dagegen E. Kaufmann (Fn. 126), S. 21; A. Vonlanthen (Fn. 117), Anschauung über die Rechtsnorm, S. 30, der die Grundnorm als „eine der fundamentalsten Erfindungen der Reinen Rechtslehre (…) (kennzeichnet), weil sie das ganze Kelsensche Rechtsgebäude wie der Riese Atlas die ungeheure Last der Erde tragen muss.“; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (172 Fn. 51); tendenziell in diese kritische Richtung auch G. N. Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie (Fn. 114), S. 103 ff. / 257 ff.; ablehnend dagegen M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1011 ff.), der die These der Grund­ norm als „Herz und Seele“ der Reinen Rechtslehre jeweils aus einem genealogi­ schen, systematischen und teleologischen Indiz als unbegründet erachtet. Demnach entwerfe Hans Kelsen nicht etwa die Reine Rechtslehre, um der von Anfang an gesetzten Grundnorm einen hinreichenden Resonanzboden zu verleihen, sondern er konzipiere, geradezu umgekehrt, sowohl unter genealogischen als auch unter syste­ matischen Auspizien die Grundnorm, um eine konzeptionelle Leerstelle zu schlie­ ßen. Diese Argumentation von Matthias Jestaedt überzeugt, wenngleich sie vor dem Abbild eines stets sukzessive vor sich gehenden Entstehungsprozesses einer in sich schlüssigen Rechtstheorie zu kritisch anmutet. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden! Robert Walter (R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 47) bestätigt den Befund von Matthias Jestaedt, sieht die Grundnorm aber dennoch als „heute (…) aus der Reinen Rechtslehre nicht (mehr) wegzuden­



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen545

wohnten Dualismus von Sein und Sollen zugunsten einer ausschließlichen Herrschaft von Normen auflösen soll, um das Rechtsmaterial schließlich dann als wirkliche Rechtsnormen im Sinne einer objektiven Idealität deuten zu können.159 Mit „Norm“ ist nach Hans Kelsen der vorausgesetzte Typus verbunden, „dass etwas sein oder geschehen, insbesondere dass sich ein Mensch in bestimmter Weise verhalten soll.“160 Das sei der Sinn, den gewis­ se menschliche Akte haben, die intentional auf das Verhalten anderer gerich­ tet seien, wobei aber zu bemerken sei, dass eine Norm nicht nur der Sinn eines Willensaktes, sondern ‒ als Sinngehalt – auch der Inhalt eines Denkak­ tes sein könne, so dass eine Norm nicht nur gewollt, sondern auch bloß ge­ dacht sein könne, ohne gewollt zu sein. Dann sei sie keine gesetzte, keine positive Norm, woraus folge, dass eine Norm nicht gesetzt sein müsse, sie könne bloß im Denken vorausgesetzt sein.161 Die hypothetische Grundnorm bildet ein derartiges Denkgesetz und kann deshalb trotz ihres genuinen Er­ kenntnisauftrags, der eine Willensfunktion ausschließt,162 grundsätzlich als ken“ an. Ähnlich, wiederum aber kritischer auch W. Schluchter (Fn. 117), S. 40 ff. In seinem Aufsatz mit dem Titel „Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? – eine Erwiderung“ aus dem Jahre 1928 bezeichnet Hans Kelsen die Ansicht, wonach die Grundnorm die Grundlage der ganzen Reinen Rechtslehre bildet, selbst als Irrtum (H. Kelsen, Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 23). 159  Hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 13 ff. / 251; ders., RR (Fn. 20), S. 2 ff. / 16 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 83 ff. Im Ergebnis geht es im Rahmen der grundnormativen Konzeption darum, durch die An­ nahme einer gedachten Hypothese das Recht, die Rechtsordnung, als objektiv ver­ bindliche Sollensanordnungen von den realen Machtverhältnissen im Staat unter­ scheidbar zu machen. Die insoweit bestehenden formalistischen Divergenzen in der Reinen Rechtslehre von Hans Kelsen können letztlich als „terminologische Inkonsis­ tenzen“ angesehen werden, ohne dass dies aber eine besondere methodische Inkonse­ quenz oder Unschlüssigkeit indizieren würde; eine zusammenfassende Übersicht zu der Transformationsfunktion der hypothetischen Grundnorm findet sich bei H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie, ebd., S. 46 ff. Fn. 119. 160  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 4; ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S.  65 f. 161  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 4 / 9; ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S.  68 ff.; ders., Zum Begriff der Norm (Fn. 136), S. 59 / 62 f.; vgl. insoweit auch M. Haase (Fn. 117), S. 32 f. 162  So H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 206 ff.; ders., Value Judgments (Fn. 119), Jour­ nal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (326). Später gibt Hans Kelsen diese Ansicht aber ausdrücklich auf, so dass die Grundnorm als gedachter Willensakt eingestuft wird; siehe nur H. Kelsen, Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 70 f.; ders., Zum Begriff der Norm (Fn. 136), S. 63; ders., Rechtswissenschaft oder –theo­ logie? (Fn. 110), ÖZöR 1966 (16), 233 (242). Siehe zum Charakter der hypotheti­ schen Grundnorm als nicht positiv gesetzter Norm H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 226; ders., Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 24 f.; ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), S. 545; ders., Rechtswissenschaft oder -theologie?, ebd., ÖZöR 1966

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Norm angesehen werden. Gleichwohl wird in die Grundnorm aber eine Au­ torität, ein politischer Wille, eingesetzt, der unbestreitbar (auch) eine reale Größe darstellt, weshalb der deduktiven Struktur dieses Verstandesbegriffes vor dem Abbild der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant genauer nachgegangen werden muss. Die realen Faktizitäten der Naturwirklichkeit genießen ein denklogisches Vorrecht vor der menschlichen Vernunft, so dass ein Staat nie ganz ohne die tatsächlichen Machtinstitutionen sowie -konstel­ lationen auskommen kann. Die natürlichen Lebensgrundlagen stellen inso­ weit genauso ein nicht wegzudenkendes Faktum dar wie der politische Wille eines pouvoir constituant, der zwar visuell nicht sichtbar ist, aber dennoch als ein real erfahrbares Moment erscheint.163 Wenn nun die reinen Grundsätze der transzendentalen Apperzeption auf diese realen Phänomene angelegt wer­ den, ergeben sich als synthetische Verstandesprodukte jeweils die transzen­ dentalen Denkregeln einer inneren und äußeren Grundnorm, die nun eine objektive Gültigkeit in Anspruch nehmen können, da sie die gesamten Vor­ stellungen, der zeitbedingten Revolution, des verfassungspolitischen Konsti­ tuierungsakts bzw. des Zustandes der Natur, beachten, womit sie sich von subjektiven Assozia­ tionen und der nicht allgemeinverbindlichen Vorstel­ lungswelt der einzelnen Menschen befreien.164 Dies wird klar, wenn die Na­ (16), 233 (242); ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 64; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 45 Fn. 113; J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (389); F. Koja, Reinheit der Rechtslehre (Fn. 109), S. 43; I. Tebaldeschi, Rechtswissenschaft als Modellwissen­ schaft, Wien u. a. 1979, S. 151 f.; K.  Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Ge­ genwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 46; J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 49 f.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 19; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 919. 163  Siehe hierzu I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 81 ff.; H. Arendt, Das Denken (Fn. 88), S. 49; S. Günzel (Fn. 79), Aufklärung und Kritik 2005 (1), 25 (38 Fn. 10). Immanu­ el Kant beschreibt den Unterschied insoweit mit den folgenden Worten: „Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüth sich selbst oder seinen inneren Zustand an­ schauet, giebt zwar keine Anschauung von der Seele selbst als einem Object; allein es ist doch eine bestimmte Form, unter der die Anschauung ihres inneren Zustandes allein möglich ist, so daß alles, was zu den inneren Bestimmungen gehört, in Ver­ hältnissen der Zeit vorgestellt wird. Äußerlich kann die Zeit nicht angeschaut wer­ den, so wenig wie der Raum als etwas in uns.“ (I. Kant, KrV, ebd., S. 82). Marco Haase (M. Haase (Fn. 117), S. 33 ff. / 42 f.) charakterisiert das in der Grundnorm enthaltene, reine Willensmoment als einen freien Willen, der imaginär ist. Das in ihm zum Ausdruck kommende Wollen ist willkürlich, beliebig und zufällig, dabei inhaltlich nicht vernünftig oder gar allgemeingültig. Er legt sich über die soziologi­ sche Wirklichkeitswelt als Folie und gibt sonach das von den subjektiven Sinnmo­ menten der einzelnen Individuen unabhängige Deutungsschema ab. Siehe zur politi­ schen Rechtserzeugungsdimension der Reinen Rechtslehre M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 119), S. XV f. 164  Hierzu nur die schlüssigen Ausführungen von Edmund Husserl (E. Husserl (Fn. 141), S. 47 f.): „Es ist nun leicht einzusehen, dass jede normative (…) Disziplin eine oder mehrere theoretische Disziplinen als Fundamente voraussetzt, in dem Sin­



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tur in das Kalkül einer verstandesgetreuen Synthesis einbezogen wird. Ein Mensch beurteilt eine Situation, die sich durch die tatsächliche Existenz von fünf Bäumen vor seinem Haus auszeichnet, als angemessen, während ein an­ derer Mensch in dieser Lage die Zerstörung der anderen fünf Bäume beklagt, die den Baumbestand auf die nun noch vorhandenen fünf Bäume dezimiert hat. Entscheidend muss deshalb eine Gesamtbetrachtung der realen Faktizitä­ ten sein, um ein Urteil mit objektiver Gültigkeit zu erhalten. Dies setzt aber eine die bestimmten Anschauungen bereits vor dem synthetischen Dedukti­ onsakt durch den Verstand stets überlagernde Sichtweise voraus, so dass sich die verbindende Verstandesleistung auf die summarischen Vorstellungen be­ ziehen und auf diesem Wege dann eine Gewähr für eine überindividuelle und damit auch nicht-assoziative Erkenntnis bieten kann. Daraus ergibt sich schließlich ein objektiver Wert, der die natürlichen Lebensgrundlagen als ele­ mentare Voraussetzung der menschlichen und staatlichen Existenz gefährdet sieht und demnach eine normative Orientierung im Sinne des formalen Na­ turbeachtensbefehls ermöglicht.165 Das Ergebnis ist letztlich eine natürliche ne nämlich, dass sie einen von aller Normierung ablösbaren theoretischen Gehalt besitzen muss, der als solcher in irgendwelchen, sei es schon abgegrenzten oder noch zu konstituierenden, theoretischen Wissenschaften seinen natürlichen Standort hat. Die Grundnorm (…) bestimmt (…) die Einheit der Disziplin; sie ist es auch, die in alle normativen Sätze derselben den Gedanken der Normierung hineinträgt. Aber neben diesem gemeinsamen Gedanken der Abmessung an der Grundnorm be­ sitzen diese Sätze einen eigenen, den einen vom anderen unterscheidenden theoreti­ schen Gehalt. Ein jeder drückt den Gedanken einer abmessenden Beziehung zwi­ schen Norm und Normiertem aus; aber diese Beziehung selbst charakterisiert sich – wenn wir von dem wertschätzenden Interesse absehen – objektiv als eine Beziehung zwischen Bedingung und Bedingtem, die in dem betreffenden normativen Satze als bestehend oder nicht bestehend hingestellt ist.“ Hans Kelsen hat das Werk von Ed­ mund Husserl gekannt und in seiner zweiten wissenschaftlichen Schaffensperiode (vgl. Fn. 109) berücksichtigt; dazu nur H. Kelsen, Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (551 f.); V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (162 /  177 / 189 f.). 165  Immanuel Kant beschreibt diese transzendentallogische Transformationsme­ thodik einer assoziativen Vorstellungswelt in das Reich einer objektiven Gültigkeit in der Kritik der reinen Vernunft selbst (I. Kant, KrV (Fn. 77), S. 154 f.) plastisch mit den folgenden Worten: „Wenn ich aber die Beziehung gegebener Erkenntnisse in jedem Urtheil genauer untersuche und sie als dem Verstande angehörige von dem Verhältnisse nach Gesetzen der reproductiven Einbildungskraft (welches nur subjec­ tive Gültigkeit hat) unterscheide, so finde ich, daß ein Urtheil nichts andres sei, als die Art, gegebene Erkenntnisse zur objectiven Einheit der Apperception zu bringen. Darauf zielt das Verhältnißwörtchen ist in denselben, um die objective Einheit ge­ gebener Vorstellungen von der subjectiven zu unterscheiden. Denn dieses bezeichnet die Beziehung derselben auf die ursprüngliche Apperception und die nothwendige Einheit derselben, wenn gleich das Urtheil selbst empirisch, mithin zufällig ist, z. B. die Körper sind schwer. Damit ich zwar nicht sagen will, diese Vorstellungen

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Grund(lagen)norm, die der Rechtsnormenordnung die verstärkende Einsicht in einen gebotenen Schutz der Natur verleiht und damit das Recht in seiner objektiven Idealität sichert. Ähnlich kann auch der politische Wille der Auto­ rität des pouvoir constituant durch das Denkgesetz der Grundnorm transzen­ dentallogisch erklärt werden. Als politische Größe, die durch eine Revolution bzw. die historische Annahme einer verfassunggebenden Versammlung visu­ ell sichtbar wird, wird auch sie in ihrer wertenden Gesamtheit an unterschied­ lichen Vorstellungen durch eine Synthesis des Verstandes unter vermittelnder Projektion des inneren Anschauungskosmos übersinnlich erfasst, um ein Ur­ teil mit objektiver Gültigkeit zu erhalten, d. h. der politische Wille wird als Grundnorm gesehen, die sich aber auf die Festlegung der machtvollen Auto­ rität beschränkt, um den objektiven Weltgeist, der sich in der Rechtsordnung manifestiert, nicht zu nivellieren. Im Jahre 1918 war dies im Deutschen Reich letztlich die revolutionär-umstürzende Abkehr von der konstitutionel­ len Monarchie und der gleitende Übergang zu einer parlamentarischen De­ mokratie.166 Auch hier ist die Einordnung der vorgestellten Grundnorm als gehören in der empirischen Anschauung nothwendig zu einander, sondern sie gehö­ ren vermöge der nothwendigen Einheit der Apperception in der Synthesis der An­ schauungen zu einander, d. i. nach Principien der objectiven Bestimmung aller Vor­ stellungen, sofern daraus Erkenntniß werden kann, welche Principien alle aus dem Grundsatze der transscendentalen Einheit der Apperception abgeleitet sind. Dadurch allein wird aus diesem Verhältnisse ein Urtheil, d. i. ein Verhältniß, das objectiv gültig ist und sich von dem Verhältnisse eben derselben Vorstellungen, worin bloß subjective Gültigkeit wäre, z. B. nach Gesetzen der Association, hinreichend unter­ scheidet. Nach den Letzteren würde ich nur sagen können: wenn ich einen Körper trage, so fühle ich einen Druck der Schwere; aber nicht: er, der Körper, ist schwer: welches so viel sagen will als: diese beide Vorstellungen sind im Object, d. i. ohne Unterschied des Zustandes des Subjects, verbunden und nicht bloß in der Wahrneh­ mung (so oft sie auch wiederholt sein mag) beisammen.“ (Hervorhebungen im Ori­ ginal). Es ist dies das Tor für den denkgetreuen Übergang eines Seins in das Reich des Sollens, das der Erkenntnis einer realen Anschauungswelt in der Sphäre einer idealtypischen Objektivität dient. 166  Siehe zu dem konkreten politischen Willensmoment C. Schmitt, Verfassungs­ lehre (Fn. 9), S. 84; Th. Maunz (Fn. 51), DÖV 1953, 645 (646); E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 2), S. 20; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 11; W. Henke (Fn. 12), Der Staat 1980 (19), 181 (182); H. J. Boehl (Fn. 12), S. 118; das politische Willensmoment wird dagegen bei A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 117), S. 37 verkannt. Hans Kelsen (H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 65) spricht insoweit auch von einem „besondere(n), historisch(en) Faktum“ als Inhalt der Grundnorm. Dennoch muss hier darauf hingewiesen werden, dass für Hans Kelsen eine Kopplung von Politik und Recht an der Stelle der Grundnorm nicht stattfindet (so M. Pilch (Fn. 117), S. 122). Die Errichtung eines Staates ist aber immer politisch, weshalb der freie Wille der in die Grundnorm eingesetzten Autorität stets eine politische Färbung enthält, nur dass es sich auch hier um den formalen und nicht um einen materiell-inhaltlichen Cha­ rakter des Politischen handelt, um das Reinheitspostulat nicht zu nivellieren. Zur



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Norm nicht zu beanstanden, da sie zwar nicht positiv gesetzt, aber dennoch eine Verhaltensregel aufstellt, die von den Menschen als objektiv gültiger Appell zu befolgen ist. Damit bleibt noch der eingangs dargelegte Kritik­ punkt des methodischen Sein-Sollen-Dilemmas, das der Grundnorm anlasten soll. Dabei ist zunächst anzumerken, dass Hans Kelsen lediglich per ana­ logiam auf die Transzendentalphilosophie von Immanuel Kant rekurrierte,167 so dass der anzutreffende Vorwurf einer Inkonsequenz in der Handhabung des strengen Dualismus aus Sein und Sollen teilweise bereits ausgehebelt wird und daher von Grund auf an wissenschaftlicher Überzeugungskraft ein­ büßen muss. Unabhängig davon aber wäre es insoweit zunächst möglich, den originären Konstituierungsakt des pouvoir constituant als einen umfassenden politischen Rechtsetzungsakt zu begreifen, der transzendentallogisch zur Synthesis der kategorialen Grundnorm wird, um dann als apriorische Er­ kenntnisbedingung des real gesetzten und damit positiven Rechtsmaterials zu dienen, so dass sich der Prozess der Erkenntnis reziprok wieder auf eine sinn­ liche Anschauung in Form der künstlich gesetzten Rechtsnormen, d. h. auf ein positivistisches Sein, beziehen könnte.168 Diese Interpretation verkennt konkreten verfassungsgeschichtlichen Entwicklung statt vieler K. Stern, Das Staats­ recht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V: Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, München 2000, § 128 f.; D. Willoweit, Deutsche Verfas­ sungsgeschichte, 7. Aufl., München 2013, S. 310 ff. Insoweit eigentlich eindeutig schreibt Hans Kelsen zur Spezifikation der Grundnorm: „Deren (der Eigengesetzlichkeit der Rechts- oder Staatsordnung) normatives System beginnt erst mit der Grund- oder Ursprungsnorm; ist diese, deren Normcharakter unzweifelhaft ist, ein­ mal (…) vorausgesetzt, dann ist die reine Geltungssphäre gewonnen und jeder Ein­ bruch der Faktizität ausgeschaltet. Dass die Willensakte der von der Grundnorm – unmittelbar oder mittelbar – eingesetzten Autoritäten Seinstatsachen sind, das kann den Sollenscharakter der (positiven) Normen nicht berühren, die dem Inhalt dieser Willensakte konform sind, die – wie man sich ausdrückt – ihren Inhalt aus jenen Willensakten ‚holen‘. Und ebenso wenig wie die Grundnorm darum, weil ihr Inhalt in Übereinstimmung mit gewissen Seinstatsachen bestimmt wurde, aufhört eine Norm zu sein, ebenso wenig verliert das auf dieser Grundnorm beruhende System von Normen (…) seinen normativen Charakter.“ (H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S. 100 ff.; Hervorhebungen im Original). 167  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 204 f.; ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S.  69 f.; ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (550 f.); R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 57 f.; W. Kersting (Fn. 114), S. 384. 168  In diesem Sinne G. Winkler, Wertbetrachtung im Recht und ihre Grenzen, Wien u. a. 1969, S. 8; vgl. dazu auch F. Koja, Reinheit der Rechtslehre (Fn. 109), S. 44. Die Reine Rechtslehre beschreibt das positive als empirisches Recht, d. h. wie es ist, und nicht, wie es sein sollte.; siehe hierzu nur H. Kelsen, Eine „Realistische“ und die Reine Rechtslehre – Bemerkungen zu Alf Ross: On Law and Justice, ÖZöR 1959 (10), 1 (5); R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (332 f.). Hans Kelsen: „Um empirisch zu sein, muss die Rechtswissenschaft nicht das Unmögliche unternehmen, Soll-Normen in Seins-Sätzen zu beschreiben. ‚Empirisch‘, im Gegen­

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aber das grundsätzliche Wesen einer Sollens-Norm als Abbild eines objekti­ ven Geistes,169 zudem muss sie bezüglich der natürlichen Lebensgrundlagen gänzlich scheitern, da diese zwar durch eine synthetische Apperzeption zu einer objektiven Einheit des Verstandes gemacht werden können, die daraus resultierende äußere Grundnorm sich nun aber nicht als apriorische Bedin­ gung zur Erkenntnis der Natur darstellt, sondern zur verstärkenden Einsicht von Rechtnormen im Sinne einer transzendentalphilosophischen Naturstaats­ doktrin dienen soll, so dass die Divergenz zwischen dem deskriptiven Sein und dem normativen Sollen offen zutage tritt. Vor dem Hintergrund wird er­ klärbar, warum Hans Kelsen mit der Dauer von der Beschreibung der Grund­ norm als transzendentallogischer Hypothese Abstand genommen und sie zu­ letzt dann sogar als eine echte Fiktion im Sinne der „Als-ob“-Philosophie von Hans Vaihinger bezeichnet hat.170 In diesem letzteren Sinne führte er satz zu ‚metaphysisch‘, ist eine Wissenschaft nicht nur, wenn sie in Raum und Zeit sich abspielende Tatsachen, sondern auch wenn sie den Sinn gewisser menschlicher Akte beschreibt. Eine Theorie des Rechts bleibt empirisch, wenn sie sich auf die Beschreibung von Normen beschränkt, die der Sinn empirischer, in Raum und Zeit gesetzter, von Menschen gesetzter Akte sind, ohne sich auf Normen zu beziehen, die von übermenschlichen Instanzen, wie Gott oder eine von Gott geschaffene Natur, ausgehen, solange das ‚Sollen‘ der Normen, die sie beschreibt, nicht das Sollen ei­ ner metaphysischen Gerechtigkeit ist.“ (H. Kelsen, Eine „Realistische“ und die Reine Rechtslehre, ebd., ÖZöR 1959 (10), 1 (5); Hervorhebungen im Original). 169  R. Walter, Reine Rechtslehre und „Wertbetrachtung im Recht“, in: A. Merkl (Hrsg.), Festschrift für Hans Kelsen zum 90. Geburtstag, Wien 1971, S. 311 f. 170  H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (Fn. 126), S. 206 f.; ders., Ver­ handlungen Juristentag (Fn. 118), S. 70  f.; R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 56 ff.; A. Peczenik (Fn. 117), S. 284; M. Rath (Fn. 137), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988, 207 (214 f.). Ausdrücklich die Kennzeichnung der Grundnorm als einer der Wirklichkeit widersprechenden Fiktion noch ablehnend H. Kelsen, Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 24 f. Zur Vai­ hingerschen „Als-ob“-Philosophie H. Vaihinger, Die Philosophie des Als Ob, 2. Aufl., Leipzig 1924. Siehe zur Geschichte der Grundnorm R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 47 ff. Demnach war es eigentlich Walter Jellinek, der schon im Jahre 1913 von einem „höheren Rechtssatz() des Inhalts (gesprochen hat), dass die Anordnungen des jeweils höchsten Gewalthabers Recht sind. (…) (Der) ‚oberste Satz aller Rechtsordnungen‘ (…) hat die gleiche Unverbrüchlichkeit wie das Natur­ gesetz; wie dieses ist es unabhängig von der Wirklichkeit; die Wirklichkeiten sind nur Anwendungsfälle des allgemeinen Gesetzes: Revolutionen, Staatenbildungen, Staatenvernichtungen, Verfassungsgesetze u. dgl. sind Tatbestände, an die der höchs­ te Satz Wirkungen knüpft. (…) Der gefundene oberste Satz ist unaufhebbar; er wird unwahr, wenn man ihn verneint. Zwar kann eine bewertende Betrachtungsweise die Gültigkeit des Satzes vom Standpunkt der Ethik oder der Politik missbilligen, aber beseitigen kann sie ihn nicht. (…) Der oberste Satz der Rechtsordnung dagegen ist so wenig wie das Naturgesetz eine Handlung; er ist ein unabänderliches Urteil über das Entstehen und Vergehen eines rechtlichen Sollens. (…) Nicht einer Handlung verdankt der Satz seine Geltung, sondern einer Denknotwendigkeit.“ (W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung, Tübingen 1913,



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen551

über den geltungstheoretischen Denkzweck der vorgestellten Grundnorm aus: „Dieses Ziel ist nur im Wege der Fiktion zu erreichen. Daher ist zu beachten, dass die Grundnorm im Sinne der Vaihingerschen Als-ob-Philosophie keine (gedachte) Hypothese ist ‒ als was ich sie selbst gelegentlich gekennzeichnet habe – sondern eine Fiktion, die sich von der Hypothese dadurch unterschei­ det, dass sie von dem Bewusstsein begleitet wird oder doch begleitet werden soll, dass ihr die Wirklichkeit nicht entspricht (…).“171 Gleichwohl ist die Bezeichnung der Grundnorm als Fiktion nicht sinnvoll,172 zumal sich diese transzendentallogische Hypothese grundsätzlich in ihrer objektiven Gültig­ keit auf ein reales Pendant der tatsächlichen Naturwirklichkeit bezieht, nur dass sich dieser Verstandesbegriff nun als eine apriorische Bedingung der Erkenntnis von Sollens-Normen sieht, der einerseits legitimierend Normen als Rechtsnormen erkennbar macht, andererseits die ideale Objektivität der Rechtsnormenordnung um den im 21. Jahrhundert nicht mehr ignorierbaren, formalen Naturbeachtensbefehl ergänzt. Letztendlich ist es das alte staatsthe­ oretische Lied vom scheinbar irgendwie doch unauflösbaren Dualismus von Sein und Sollen, der sich in dieser Problematik offenbart. Die Kritik über­ sieht aber die Funktion der Grundnorm als gedachter Transferstelle des Seins in das Reich des objektiven Geistes und verkennt damit die unbestreitbare Relevanz dieser Hypothese für eine propagierte Identität des Staates mit der S.  27 f.; ders., Grenzen der Verfassungsgesetzgebung (Fn. 51), S. 15 ff.; hierzu auch H. Kelsen, Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (549); ders., Rechtswissenschaft oder -theologie? (Fn. 110), ÖZöR 1966 (16), 233 (241); R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 50; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 919). Einerseits ist das Denkgesetz nach den Ein­ lassungen von Walter Jellinek von der Wirklichkeit unabhängig, andererseits wird es unwahr, wenn man dessen Existenz aber verneint. Zudem knüpft das Denkgesetz als oberstes, allgemeines Gesetz Wirkungen an die reale Wirklichkeit. Auch hier stellt sich also die Frage, woher die Geltung der positiven Rechtsordnung denn nun kommt. Die Antwort kann nur lauten: aus der Macht einer bestimmten Autorität, die sich dann schließlich in der souveränen Rechtsordnung manifestiert. Was Walter Jellinek hier daher ausspricht, ist wahr: „Der gefundene oberste Satz ist unaufheb­ bar; er wird unwahr, wenn man ihn verneint.“ (W. Jellinek, Gesetz, Gesetzesanwen­ dung und Zweckmäßigkeitserwägungen, ebd., S. 28). 171  H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (Fn. 126), S. 206 f. (Namensher­ vorhebung im Original); ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 70 f. 172  R. Dreier, Bemerkungen Grundnorm (Fn. 107), S. 38; ders., Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (331 Fn. 40); I. Tebaldeschi (Fn. 162), S. 151 f.; W.  Ott (Fn. 114), S. 161; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 44 m. w. N. Ivanhoe Tebaldeschi: „Aber wenn die eine bestimmte Norm schaffende Autorität eine fiktive Autorität ist, dann gibt es in Bezug auf die betref­ fende Norm überhaupt keine Autorität: also ist diese Norm ohne eine normsetzende Autorität, das heißt ein Imperativ ohne Imperator.“ (I. Tebaldeschi, ebd., S. 152; Hervorhebung im Original). Vgl. zu Letzterem auch V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (157 / 165).

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

normativen Rechtsordnung. Das Recht sei lediglich eine Ordnungs- und Or­ ganisationsform der Macht173, so dass der Staat, der zwar im Reiche des Geistes und nicht der Natur stehe,174 nicht ohne diese Machtfaktoren gedacht werden kann. Die Grundnorm überführt deshalb im Wege einer Synthesis, einer einheitlichen Verstandesleistung, die realen Faktizitäten des politischen Willens bzw. der Natur in den reinen Stand einer Kategorie, die sich nicht durch die real-psychischen Assoziationen der einzelnen Individuen auszeich­ net, sondern durch eine objektive Gültigkeit in Form einer synthetischen Wertprojektion, die nur auf diesem Wege die objektive Idealität der Rechts­ ordnung gewähren kann, da sie von der subjektiven Willkür gänzlich unab­ hängig ist. Das kontradiktorische Gegenteil wäre eine empirische Dezision über die Naturstaatlichkeit im Rahmen des positiven Verfassungsmanifests von Carl Schmitt, das zwar auch eine Fundamentalität, eine absolute Identi­ tät, indiziert, dabei aber die dezisionistische Willkür niemals ganz ausmerzen kann.175 Aus diesem Grund ist eine objektive Denkregel in der Form einer rationalen Synthesis notwendig, um die realen Mächte in das Reich des Geis­ tes zu überführen. Da dem Denkakt aber eine wertende Einsicht im Sinne einer ganzheitlichen Vorstellungswelt zugrunde liegt, ist dieser transzenden­ tale Verstandesbegriff als eine Norm zu qualifizieren, die zudem als Willens­ akt angesehen werden kann, da sie die einzelnen Menschen anhält, dem poli­ tischen Willen eines pouvoir constituant bzw. der physischen Machtpotenz der Natur zu gehorchen.176 Damit ist dann die – innere wie äußere – Grund­ norm die objektive Fundamentalnorm, die den Stufenbau der Rechtsnormen­ ordnung nach oben abschließt und gleichsam die legitimierende Garantie für die Erkenntnis der Normen als Rechtsnormen bietet, was nicht möglich wäre, wenn der Rechtsordnung eine materielle Wertenorm als Dach verliehen wür­ 173  H. Kelsen,

RR (Fn. 20), S. 221. AS (Fn. 4), S. 14. 175  H.  Lübbe, Theorie und Entscheidung (Fn. 55), S. 16 ff. / 21 f. / 27 f. 176  Vgl. hierzu E. Cassirer (Fn. 78), S. 558 / 565. Diese Norm ist der Ausdruck einer Relativität. Denn „dieser synthetische Prozess hat andererseits keine andere Bestimmung und kennt kein anderes Ziel als das bloße Wahrnehmungsurteil, indem er ihm den Charakter der Allgemeingültigkeit und Notwendigkeit gibt, zum Erfah­ rungsurteil zu machen. Die Notwendigkeit selbst ist somit nicht als ‚absolut‘, nicht als losgelöst von allen empirischen Zusammenhängen gedacht; sondern sie grenzt sich von Anfang an innerhalb dieser ein bestimmtes Feld, einen fest umschriebenen Bezirk ihrer Wirksamkeit ab. Nur in Bezug auf dieses Gebiet besitzt sie Gehalt und Erfüllung, während sie abgetrennt von ihm zur bloßen logischen Schablone ver­ blasst.“ (E. Cassirer, ebd., S. 569 f.). Diese Charakterisierung entspricht der von Hans Kelsen vorgenommenen Beschreibung der Grundnorm als bedingte, hypothe­ tische Voraussetzung; siehe hierzu H. Kelsen, Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (547 / 549 / 550); ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 70; R. Dreier (Fn. 120), Sein und Sollen, JZ 1972, 329 (332). 174  H. Kelsen,



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen553

de. Insoweit besteht nun aber ein nicht zu vernachlässigender Unterschied zwischen der inneren und der äußeren Grundnorm. Denn beide schließen als verobjektivierte Geltungsgründe des Staates den dynamischen Stufenbau der Rechtsordnung zwar nach oben ab, die äußere Grundnorm steht aber zu der herkömmlichen Stufenbaukonzeption der Rechtsordnung vertikal, nicht wie die innere Grundnorm in horizontaler – unmittelbarer bzw. mittelbarer ‒ gel­ tungstheoretischer Kontinuität. Dies bedeutet, dass der gesamte Kreislauf des inneren Sinns, der dynamische Rechtserzeugungs- und -anwendungsprozess, stets unter dem immanenten Naturbeachtensgebot steht. Die äußere Grund­ norm hat also nicht nur eine exklusive unmittelbare Geltungsfunktion im Ver­ hältnis zur positiven Verfassung, sondern sie überstrahlt den ganzen staatli­ chen Kosmos.177 Das einheitliche Vorstellungsbild eines komplementären Formeldualismus aus innerer und äußerer Wertigkeit ist daher „schief“, da die äußere Grundnorm aufgrund ihrer völkerrechtlichen Ableitung den sich in der positiven Rechtsordnung darbietenden, inneren Sinngehalt in seiner zu Recht gewordenen Ganzheit erfasst. Abgesehen davon aber ist das apriori­ sche Prinzip, auf dem das Konstrukt der gedachten Grundnorm basiert, das der Zweckmäßigkeit, ohne das eine Überwindung des Dualismus aus Sein und Sollen nicht vorgenommen werden könnte. In seiner Kritik der Urteils­ kraft aus dem Jahre 1790 versuchte Immanuel Kant gerade ein verbindendes Glied zwischen den Kritiken der reinen und praktischen Vernunft herzustel­ len, das er in der Urteilskraft als einem apriorischen Erkenntnisprinzip der Zweckmäßigkeit fand.178 Der entscheidende Gedanke, der für den hier disku­ 177  So in Bezug auf die herkömmliche Grundnorm M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1015 ff.). Die exklusive Geltungsfunktion der Grundnorm im Verhältnis zur historisch ersten positiven Verfassung ist von Hans Kelsen nie bestritten worden; sie­ he hierzu nur H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 248 ff.; ders., RR (Fn. 20), S. 248 ff. Dadurch, dass die äußere Grundnorm angesichts ihres völkerrechtlichen Wesens den gesamten staatlichen Kosmos überragt, handelt es sich bei ihr erst recht nicht um eine „needless reduplication“, als was sie in Bezug auf ihren herkömmlichen inneren Sinn von Her­ bert Hart betitelt wurde (H. Hart, The concept of law, Nachdruck der 1. Aufl. (1961), 3. Aufl., Oxford 2012, S. 293): „It seems a needless reduplication to suggest that t­here is a further rule to the effect that the constitution (or those who ‚laid it down‘) are to be obeyed.“; Hervorhebung im Original; dazu auch M. Pilch (Fn. 117), S. 118 ff.; in diesem Sinne auch J. Moór (Fn. 114), S. 70 ff. („überflüssig“). Denn die äußere Grundnorm transferiert die natürlichen Lebensgrundlagen in das Reich einer objekti­ ven Idealität. Dadurch wird das positive Recht unter einen relativen, verstärkenden Naturbeachtensbefehl gestellt, der das Rechtsnormenmaterial im Sinne einer natur­ staatlichen Vernunft prägt. Die äußere Grundnorm hat somit auch eine individuell differenzierte Geltungsvermittlung, die der inneren, herkömmlichen Grundnorm aber abgeht (zu Letzterem nur M. Jestaedt, ebd., JZ 2013, 1009 (1018)). 178  I. Kant, Kritik der Urteilskraft, Berlin / Libau 1790, Einleitung S. XX ff. Siehe zu dem Problem um ein Verbindungsglied zwischen den strengen Gegensatzwelten des Seins und des Sollens auch S. L.  Paulson, Faktum / Wert-Distinktion (Fn. 109), S. 246 ff. Demnach liegt der die Antinomie der beiden Reiche der Wirklichkeit und

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

tierten Zusammenhang Relevanz besitzt, ist der, dass – einfach formuliert – aus einem Sein kein Sollen abgeleitet werden kann, dass aber dagegen umge­ kehrt das normative Sollen derart gestaltet werden muss, dass es auf den Menschen bzw. die Natur auch anwendbar ist.179 Demnach könnte die hypo­ thetische Grundnorm als vermittelnder, reiner Verstandesbegriff180 zwischen den Sphären von Sein und Sollen, als die denklogische Transferstelle für eine objektive Idealität, angesehen werden, die der Rechtsordnung als dem nor­ mativen Ausdruck der Sittlichkeit in Entsprechung mit der sinnlichen An­ schauungswelt die zweckrationale Typisierung verleiht. Die kategoriale Welt des Wertes überwindende, synthetische Gedanke bei Hans Kelsen in der neukantia­ nischen Tradition von Heinrich Rickert und dessen Konzeption eines „immanenten Sinns“, d. h. in einer dem subjektiven Sinn eines Rechtsakts bereits innewohnenden Bedeutung für den (objektiven) Wert. Hans Kelsen dagegen rekurriert insoweit ähn­ lich auf eine mögliche Inhaltsgleichheit zwischen einem subjektiven und objektiven Sinn; dazu H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Wien u. a. 1934, S. 4 ff. 179  I. Kant, Kritik der Urteilskraft (Fn. 178), Einleitung S. LI f. „Der Verstand ist a priori gesetzgebend für die Natur als Object der Sinne, zu einem theoretischen Erkenntnis derselben in einer möglichen Erfahrung. Die Vernunft ist a priori gesetz­ gebend für die Freyheit und ihre eigene Caussalität, als das Uebersinnliche in dem Subjecte, zu einem unbedingtpractischen Erkenntnis. Das Gebiet des Naturbegrifs, unter der einen, und das des Freyheitsbegrifs, unter der anderen Gesetzgebung, sind gegen allen wechselseitigen Einflus, den sie für sich, (ein jedes nach seinen Grund­ gesetzen) auf einander haben könnten, durch die große Kluft, welche das Uebersinn­ liche von den Erscheinungen trennt, gänzlich abgesondert; der Freyheitsbegrif be­ stimmt nichts in Ansehung der theoretischen Erkenntnis der Natur: der Naturbegrif eben so wohl nichts in Ansehung der practischen Gesetze der Freyheit, und es ist in so fern nicht möglich eine Brücke von einem Gebiete zu dem andern hinüberzu­ schlagen. – Allein, wenn die Bestimmungsgründe der Caussalität nach dem Frei­ heitsbegriffe (und der practischen Regel die er enthält) gleich nicht in der Natur belegen sind und das Sinnliche das Uebersinnliche im Subject nicht bestimmen kann, so ist dieses doch umgekehrt (zwar nicht in Ansehung des Erkenntnisses der Natur, aber doch der Folgen aus dem Ersteren auf die Letztere) möglich und schon in dem Begriffe einer Caussalität durch Freyheit enthalten, deren Wirkung diesen ihren formalen Gesetzen gemäß in der Welt geschehen soll, ob zwar das Wort Ursache, von dem Uebersinnlichen gebraucht, nur den Grund bedeutet, die Caussalität der Naturdinge, zu einer Wirkung gemäs dieser ihrer eigenen Naturgesetzen, zu­ gleich aber doch auch mit dem formalen Princip der Vernunftgesetze einhellig zu bestimmen, wovon die Möglichkeit zwar nicht eingesehen, aber der Einwurf von einem vorgeblichen Widerspruch, der sich darin fände, hinreichend widerlegt werden kan. – Die Wirkung nach dem Freyheitsbegriffe ist der Endzweck, der (oder dessen Erscheinung) in der Sinnenwelt existieren soll, wozu die Bedingung der Möglichkeit desselben in der Natur (des Subjects als Sinnenwesens, nämlich als Mensch) vor­ ausgesetzt wird.“ (I. Kant, ebd., S. LI ff.; Hervorhebungen einschließlich der Klam­ merzusätze im Original). Die folgenden Ausführungen gelten wiederum nur per analogiam. 180  Die Urteilskraft gehört weiterhin zu der kategorialen Welt der reinen Ver­ nunft.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen555

einer apriorischen Erkenntnis nach den Kriterien einer reinen Vernunft stellt sich für das reflektierende Subjekt nicht als ein loses, unsystematisches Ge­ bilde dar, sondern als eine Naturordnung. Die zweckprogrammierte Urteils­ kraft erzeugt damit mit der Grundnorm die Kategorie der Kategorien, die als notwendiges Tor den Weg in das Reich der objektiven Idealität bereitet. Denn die praktische Vernunft, die auf die Frage nach dem sittlichen Verhalten der Menschen ausgerichtet ist, neigt zu der rationalen Bestimmung der urteils­ kraftgemäßen Erkenntnis, was sich in der Logik einer ganzen Rechtsnormen­ ordnung zeigt, die von der gedachten Grundnorm angeleitet wird und den Anforderungen an ein auf die reale Naturwirklichkeit auch anwendbares Deutungs- und Bewertungsschema entspricht.181 Damit ist schließlich ganz in dem reinen Sinne der Vernunftkritik von Immanuel Kant eine denklogi­ sche Brücke der Zweckmäßigkeit errichtet, die den symptomatischen Vor­ wurf eines methodischen Rekursfehlers von Hans Kelsen im Rahmen der Deduktion des reinen Verstandesbegriffs der Grundnorm aushebelt. Überdies muss dieser Kritik aber auch grundsätzlich entgegengehalten werden, dass sie den objektiven Idealismus in der Staatslehre von Hans Kelsen verkennt. Dass es mit einem Vorrecht der realen Faktizität versehene Machtkomponenten im modernen Staat gibt – die politische Willensautorität bzw. die Natur –, kann nicht bestritten werden, so dass sich der staatliche Herrschaftsapparat stets auf originäre Fundamentalitäten gründet. Die daraus resultierende zeitliche Zäsur, die zwischen dem Sein und dem subjektiven Bedürfnis der Vernunft nach Orientierung bestehen muss, ist keine unzulässige Exazerbation des zu 181  Vgl. nur I. Kant, Kritik der Urteilskraft (Fn. 178), Einleitung S. XXXI ff. / LIII f. „Ob er (der reine Verstand, nicht die praktische Vernunft) also gleich in Ansehung derselben (Objecte) a priori, nichts bestimmen kann, so muß er doch, um diesen empirischen sogenannten Gesetzen nachzugehen, ein Princip a priori, dass nämlich nach ihnen eine erkennbare Ordnung der Natur möglich sey, aller Reflexion über dieselbe zum Grunde legen, dergleichen Princip nachfolgende Sätze ausdrücken: daß es in ihr eine für uns faßliche Unterordnung von Gattungen und Arten gebe, daß jene sich einander wiederum einem gemeinschaftlichen Princip nähern, damit ein Uebergang von einer zu der anderen, und dadurch zu einer höheren Gattung möglich sey (…).“ (Einleitung S. XXXIII; erster Klammerzusatz nicht im Original). „Der Verstand giebt, durch die Möglichkeit seiner Gesetze a priori für die Natur, einen Beweis davon, daß diese von uns nur als Erscheinung erkannt werde, mithin zu­ gleich Anzeige auf ein übersinnliches Substrat derselben; aber läßt dieses gänzlich unbestimmt. Die Urtheilskraft verschaft durch ihr Princip a priori der Beurtheilung der Natur, nach möglichen besonderen Gesetzen derselben, ihrem übersinnlichen Substrat (in uns sowohl als außer uns) Bestimmbarkeit durchs intellectuelle Vermögen. Die Vernunft aber giebt eben demselben durch ihr practisches Gesetz a priori die Bestimmung; und so macht die Urtheilskraft den Übergang vom Gesetze des Naturbegrifs zu dem des Freyheitsbegrifs möglich.“ (Einleitung S. LIII f.; Hervorhe­ bungen im Original). Siehe zum Begriff der Kategorie bei Immanuel Kant R. Eisler (Fn. 81), S. 282 ff.; G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Fn. 77), S.  181 ff.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

überwindenden Dualismus von Sein und Sollen, sondern die unausweichliche Anerkennung einer unwiderlegbaren Plausibilität, so wie die realen Mächte trotz ihrer methodisch grundnormativen Vergeistigung präsent bleiben. Wenn die Kritiker Hans Kelsen nun aber ein durch die deduktive Grundnorm ver­ mitteltes Sein-Sollen-Dilemma und mithin eine methodische Inkonsequenz vorwerfen, übersehen sie nicht nur das reale Fundament, auf dem sich der Staat gründet, sondern verfallen zudem in einen dezisionistischen bzw. sozio­ logischen Staatssubjektivismus, der Norm und Wirklichkeit gleichsetzt und die Existenz eines objektiven Geistes nicht anerkennen möchte.182 Denn das Recht als eine bestimmte Ordnungs- und Organisationsform ist durch eine, wenn auch nur relative, idealtypische Objektivität geprägt, die das folienarti­ ge Deutungs- und Bewertungsschema für die soziologische Wirklichkeit be­ reithält. Damit wird die Grundnorm aber zu einer reinen Verstandeskategorie, die schließlich dazu dient, als hypothetisches Bindeglied die reale Wirklich­ keit am Maßstab des Rechts erklärbar zu machen. Die Grundnorm wird so zu der apriorischen Erkenntnisbedingung der real-psychischen und -physischen Naturpräsenz, womit sich die Normen als Rechtsnormen erkennen lassen und der Staat als Rechtsordnung erscheint.183 Ohne die Reziprozität der funda­ mentalen Hypothese auf die sinnliche Anschauungswelt aber wäre ein objek­ tiver Idealismus im Staat nicht möglich, so dass der deskriptive Rekurs hin­ sichtlich der Grundnorm auf die Grundsätze der „Als-ob“-Philosophie Hans Vaihingers nicht überzeugen kann.184 Für die Naturstaatlichkeit bedeutet die 182  Siehe hierzu die dezisionistischen bzw. soziologischen Positionen im Rah­ men dieser Naturstaatslehre 1. Teil, § 5, § 8. 183  Zu dieser Funktion der hypothetischen Grundnorm bereits oben Fn. 120. 184  In diesem Zusammenhang ist noch einmal auf die Eigenart der positiven Rechtsordnung bei Hans Kelsen als einer relativ objektiven Idealität einzugehen. Denn nach dem Neuhegelianer Karl Larenz (K. Larenz, Rechts- und Staatsphiloso­ phie (Fn. 162), S. 46 ff.) kann bei der normativen Staatslehre von Hans Kelsen nicht von einem irgendwie gearteten Idealismus gesprochen werden, da sich der Neukan­ tianismus zumindest durch eine die Idealität indizierende, metaphysische Grenzzie­ hung, wenn nicht durch Seinshöhere Elemente auszeichnet, die der Kelsenschen Staatskonzeption aber abgehen. Aus diesem Grund ist Hans Kelsen lediglich der Vertreter eines radikalen Nominalismus, womit „eine Denkrichtung (gemeint ist), die besagt, dass die einzelnen Dinge das einzig Reale, alle Allgemeinbegriffe lediglich unsere Vorstellungen sind, bloße Nomina, zusammenfassende Bezeichnungen für eine Mehrheit gleichartiger Dinge.“ Der Nominalismus sei daher nur die konsequen­ te Folge des positivistischen Wirklichkeitsbegriffs. Diese Ansicht wird von Hans Kelsen eindrucksvoll widerlegt. Denn die Grundnorm bildet gerade die Linie der Grenzziehung, die ein Abtrifften des positiven Rechtsmaterials in den Einflussbe­ reich der Naturrechtsdoktrin verhindert. Die Grundnorm als das für einen kritischen Rechtspositivismus notwendige Minimum an Naturrecht, als transzendentallogisches Naturrecht, bildet gerade die nicht zu überschreitende Grenze zur Metaphysik, die eine auf objektiven Erkenntnisbedingungen gegründete Wissenschaftlichkeit vom Recht erst ermöglicht (siehe nur H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen557

äußere Grundnorm sonach, dass eine ideale Rechtsordnung nur unter einer stetigen Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen möglich ist. Dies schließt freilich aber nicht aus, dass die äußere Grundnorm als einer trans­ zendentallogischen Bedingung nicht vorausgesetzt wird, da es sich auch hier lediglich um eine bedingte, hypothetische Voraussetzung des ideellen Rechts­ normensystems und nicht um eine absolute, unbedingte Kategorie handelt.185 Mit anderen Worten „kann“ die hypothetische Grundnorm vorausgesetzt wer­ den, was eine objektive Idealität im Staat auch unter steter Beachtung der Natur indiziert, ein „Muss“ ist der inneren wie äußeren Grundnorm aber nicht zu entnehmen.186 Im ersten Fall aber begründet sie einen objektiven Idealis­ mus im Zeichen der natürlichen Machtdimension; es ist dies das allgegen­ wärtige Gebot einer gedanklichen Synthese auf das Weltstaatsprinzip mit der Natur.

Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 62 ff.; R. Bindschedler (Fn. 118), S. 73; vgl. F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 350 ff.). Zur relativ objekti­ ven Idealität des Rechts auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demo­ kratietheorie (Fn. 20), S. 49 f. / 89 f.; E. Kramer, Kelsens „Reine Rechtslehre“ und die „Anerkennungstheorie“, in: M. Imboden u. a. (Hrsg.), Festschrift für Adolf J. Merkl zum 80. Geburtstag, München u. a. 1970, S. 190. Zudem ergibt sich die relative objektive Idealität bei Hans Kelsen aus dem Umstand, dass die Rechtsnormen von den real-psychischen Wünschen und Empfindungen der Normadressaten unabhängig sind und damit eine objektive Geltung besitzen; zu Letzterem H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14. Siehe zu der Unvollkommenheit der realen Wirklichkeitswelt H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung (Fn. 139), S. 7 ff. 185  H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 42), Politische Vier­ teljahresschrift 1962 (3), 316 (324); ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (547 / 549 / 550); ders., Science and politics (Fn. 119), American political science review 1951 (45), 641 (650); ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 70; R. Dreier (Fn. 120), Sein und Sollen, JZ 1972, 329 (332); M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1010); J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (390); F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 364 f.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 19; vgl. auch A. Peczenik (Fn. 117), S. 282 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokra­ tietheorie (Fn. 20), S. 48 ff. / 53; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (453 f.); ders., Die Reine Rechtslehre und die Rechts­ theorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 153 f.; J. Moór (Fn. 114), S. 72 ff. 186  Für Hans Kelsen ist auf der höchsten Stufe, d. h. auf der Stufe der hypothe­ tischen Grundnorm, nur ein Verständnis des Sollens als „Können“ möglich, da ein über dieser Ermächtigungsstufe stehendes Sanktionsorgan fehlt (S. L.  Paulson, Die Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 559 f. Fn. 27; vgl. zum Können auf der Ebe­ ne der Grundnorm auch J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (383)). Damit korrespondiert der Charakter der Grundnorm als bedingte, hypothetische Vorausset­ zung. Das „Können“ als Korrelat des freien Willens in der Grundnorm gewährleistet zudem den Werterelativismus.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

c) Die Grundnorm  ‒ platonische Hypothese oder Bezug zum aristotelischen Empirismus? Die Deduktion der inneren wie äußeren Grundnorm im Wege der synthe­ tischen Apperzeption ist nach der hier vertretenen Ansicht in der Ausgangs­ lage und der erkenntnistheoretischen Kategorialisierungsfunktion auf die reale Naturwirklichkeit bezogen, wenngleich die transformationelle Legiti­ mierung, die per analogiam einen idealtypischen Perspektivenwechsel indi­ ziert und formal zu einer Konformität mit dem normativen Syllogismus der objektiven Rechtsnormenordnung beiträgt, beachtet werden muss. Diese Metamorphose der stets bedingten Subjektivität in einen relativ idealen Objektivismus wird dann verständlich, wenn der in der Grundnorm verorte­ te reine, da nicht metaphysisch-naturrechtlich und somit materiell belastete, freie Wille, der innere Sinn, als im Staat stets gegenwärtig vorgestellt wird, so dass dieser im besonderen subjektiven Wollen der Menschen in der rea­ len Wirklichkeitswelt aufgeht, wobei unterstellt werden muss, dass der Handelnde wie der Betrachter der ideellen Rechtsordnung auch den Staat als entsprechende Ganzheit in den Blick nimmt. „Das tatsächliche Wollen trägt den ‚objektiven‘ Sinn, den ‚normativen‘ Willen, in sich. Denn das besondere, ‚psychologische‘ Wollen ist selbst ein Teil des Ganzen und Aus­ druck des reinen, vernünftigen Willens.“187 Damit wird immanent eine weitere Funktion der Grundnorm angesprochen, die im Rahmen des rechts­ theoretischen Diskurses behandelt und mit dem philosophischen Begriff der „empirischen Hypothese“ in dem Sinne einer verifizierbaren Annahme be­ schrieben wird.188 Die damit verbundene Fragestellung kann verkürzt auf den folgenden Nenner gebracht werden: Handelt es sich bei der Konstruk­ tion der Grundnorm um ein korrelatives Reflexionsaxiom, eine ideentheore­ tische Grundlegung im Sinne einer platonischen Hypothese, die ohne die substantielle Funktionsweise einer materiell begründenden Legitimierung als ein apriorisches Theorem im Sinne Hermann Cohens189 die Wissenschaft vom Recht nur fundiert, d. h. dass der Grundnorm zunächst eine explizie­ rende Funktion zukommt, oder beinhaltet der Denkakt der vorausgesetzten Grundnorm vielleicht die bereits in der realen Naturwirklichkeit immanent angelegte Idee einer geltungstheoretischen Hypotaxe der positiven Rechts­ 187  M. Haase (Fn. 117), S. 191 ff. (Hervorhebungen im Original); F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 351 ff.; zur Parallele zu Georg Wil­ helm Friedrich Hegel vgl. auch J. Moór (Fn. 114), S. 67 ff., v. a. S. 73 Fn. 1; K.  Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Philosophie der Neuzeit (Fn. 139), S. 219 f. 188  Vgl. S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 554 Fn. 4. 189  Siehe zum Verhältnis von Hans Kelsen zu der Methode der Hypothesis von Hermann Cohen G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung (Fn. 158), S. 178 ff.; S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 561 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen559

ordnung, die in der Nähe des aristotelischen Empirismus einzuordnen ist?190 Mit anderen Worten: „Ist die Grundnorm erforderlich, weil das positive Recht gilt, oder gilt das positive Recht, weil es die Grundnorm gibt?“191 Das Wesen der Grundnorm als empirischer Hypothese, d. h. einer Annah­ me, die verifizierbar und beweisbar ist, wird im rechtstheoretischen Schrift­ tum überwiegend verneint.192 Diese Ansicht gilt es zu widerlegen, wenn hier auch zugegeben werden muss, dass Hans Kelsen die Ansicht eines beweisbaren Empirismus hinsichtlich der Grundnorm nie explizit vertreten hat.193 Im Gegenteil hat er sogar einen inneren Zusammenhang zwischen der hypothetischen Grundnorm und der tatsächlich existenten Staats- und 190  Vgl. zur Abgrenzung einer empirischen Hypothese von einer platonischen Hypothese im Sinne von Hermann Cohen nur G. Edel, Zum Problem der Rechtsgel­ tung (Fn. 158), S. 183; S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 565 ff.; J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (390 ff.); F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 353 ff. sieht dagegen in der Grundnorm eine begründen­ de Aporie aufgehoben, die sich einerseits aus dem Anspruch der Reinen Rechtsleh­ re ergibt, jede Rechtsnorm normlogisch aus dem reinen Gelten der Grundnorm ab­ zuleiten, wobei andererseits auch der gegenteilige Anspruch besteht, die Rechtsnor­ men auf die faktische Wirklichkeit des Anerkanntseins der Geltung der Grundnorm zurückzuführen. In dem letzteren Fall besteht schließlich eine empirische Hypothese F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen, ebd., S. 356 f. 191  G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung (Fn. 158), S. 189: „Nicht Legitima­ tion, nicht Affirmation, sondern Erkenntnis des positiven Rechts ist das Ziel seiner transzendentalen Geltungsbegründung und die Faktizität seines Geltungsanspruchs ihr unmittelbarer Grund. Sie ist notwendig, nicht damit, sondern weil das positive Recht gilt. Das macht die Frage unabweisbar: Was ist und woher stammt das Sollen, das sich im staatlichen Zwangsakt unmittelbar-praktisch Geltung verschafft.“ 192  Ablehnend etwa S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 554 Fn. 4; R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre (Fn. 139), Rechts­ theorie 1970 (1), 69 (80 Fn. 44); H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S.  509 ff.; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 920; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (331 Fn. 40); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratie­ theorie (Fn. 20), S. 44 Fn. 109 / S. 50; A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechts­ norm (Fn. 117), S. 37; W.  Ott (Fn. 114), S. 161; W. Kersting (Fn. 114), S. 385; M. Haase (Fn. 117), S. 43; K. Röhl, Rechtsgeltung und Rechtswirksamkeit, JZ 1971, 576 (579 Fn. 15); J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 50 f. („non factual starting-point.“); G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung, ebd., S. 191; R. Bindschedler (Fn. 118), S. 73; A. Peczenik (Fn. 117), S. 282 ff. („falsifiable hy­ poth­esis“); J. Harris (Fn. 120), The Cambridge Law Journal 1971 (29), 103 (117 Fn. 57 a); B. Wiegand-Hoffmeister, Die Umweltstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwal­ tungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bremen 2011, S. 11; so auch bereits A. Verdross (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (423); vgl. auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie, ebd., S. 44 Fn. 109. Kritisch bejahend dagegen K.  Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 162), S. 46 f.; in diesem Sinne auch S. Marck (Fn. 44), S. 26 ff. 193  Vgl. hierzu S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 554 Fn. 4.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Zwangsgewalt verneint, indem er die Frage nach deren Ursprung als histo­ risch-soziologisches und nicht rechtstheoretisches Problem einstufte.194 Das Argument, wonach sich der normative Syllogismus den Prinzipien der Lo­ gik entzieht, kann in Bezug auf das Konstrukt der Grundnorm von Hans Kelsen keine Anwendung finden. „Vor allem darum nicht, weil Wahrheit und Unwahrheit Eigenschaften einer Aussage sind, Geltung aber nicht Ei­ genschaft einer Norm, sondern ihre Existenz, ihre spezifische, ideelle Exis­ tenz ist. Dass eine Norm ‚gilt‘, bedeutet, dass sie vorhanden ist. Eine nichtgeltende Norm ist eine nicht existente, also keine Norm. Aber eine unwahre Aussage ist auch eine Aussage; sie ist als Aussage vorhanden, auch wenn sie unwahr ist. Eine Norm tritt in Geltung, d. h. beginnt in der Zeit zu gelten, und tritt außer Geltung, d. h. hört auf in der Zeit zu gelten, ver­ liert ihre Geltung. Eine Aussage beginnt nicht und hört nicht auf, wahr zu sein. Sie ist, wenn sie wahr ist, immer wahr gewesen und wird immer wahr sein. Sie kann ihre Wahrheit nicht verlieren.“195 Damit ist gemeint, dass beispielsweise eine generelle Rechtsnorm in der Form einer strafrechtlichen Vorschrift, die den Diebstahl unter Strafe stellt, nicht notwendigerweise mit einer individuellen Rechtsnorm korrespondieren muss. Das Prinzip der Lo­ gik greift im Falle von Rechtsnormen nicht, da der Dieb, auch wenn er tatsächlich gestohlen hat, nicht unbedingt auch bestraft wird, da beispiels­ weise Gründe für eine Schuldlosigkeit bestehen können. Die Grundnorm aber steht zu der positiven Verfassung in einer verifizierbaren Beziehung. Denn ein moderner Staat gründet sich stets auf die Komponenten eines in­ 194  H. Kelsen, Rechtswissenschaft oder -theologie? (Fn. 110), ÖZöR 1966 (16), 233 (241 f.); vgl. auch S. Marck (Fn. 44), S. 27; J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (378). Später relativierte Hans Kelsen aber diese Ansicht, als er von dem „Pos­ tulat der bestimmten Relation zwischen dem Inhalt des durch die Ursprungsnorm zu begründenden Sollens und dem Inhalt des korrespondierenden Seins“ gesprochen hat (zitiert nach S. Marck, ebd., S. 30). 195  H. Kelsen, Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 74; siehe zu dem Verhält­ nis von Recht und Logik nach der Konzeption von Hans Kelsen auch H. Kelsen, Recht und Logik, Forvm 1965 (12), 421 (421 f.); ders., Recht und Logik, Forvm 1965 (12), S. 495 ff.; ders., Nochmals: Recht und Logik – Zur Frage der Anwend­ barkeit logischer Prinzipien auf Rechtsnormen, Forvm 1967 (14), 39 (39 f.); ders., RR (Fn. 20), S. 209 ff.; ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (546); V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (157 f.); M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 119), S. XIV; zu den Begriffen des normenlogi­ schen Skeptizismus und des Setzungspositivismus bzw. kritisch zu der skeptizisti­ schen Position von Hans Kelsen O.  Weinberger, Der normenlogische Skeptizismus, Rechtstheorie 1986 (17), 13 (13 ff. / 41 ff.); vgl. auch M. Rath (Fn. 137), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988, 207 (208). Siehe aber auch die Ausführungen bei C. Jabloner, Kein Imperativ ohne Imperator (Fn. 139), S. 88 ff., wo sich insoweit wiederum relativierende Durchbrechnungen von der Grundregel einer Nichtanwend­ barkei der Prinzipien der Logik auf Rechtsnormen ausfindig machen lassen.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen561

neren und äußeren Sinns, nur dass sich die deduktive Objektivität dieser Sinnelemente einer allgemeinen Konstituierung entzieht. Dies ist aber nach der staats- und rechtstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen nicht pro­ blematisch, da es sich bei der Grundnorm nicht um eine kategorisch unbe­ dingte, sondern nur bedingte, hypothetische Voraussetzung handelt.196 In unmittelbarem Zusammenhang mit der Relativität der Grundnorm steht schließlich ein weiterer Aspekt, der letztlich eine gewagte Anschlussthese indiziert. Denn im Rahmen des staatswissenschaftlichen Diskurses um die hypothetische Grundnorm scheint mit der kategorialen Gewinnung von in ihrer Substanz objektiv gültigen Urteilen einer der bedeutendsten Gesichts­ punkte der transzendentalen Deduktion von reinen Verstandesbegriffen bei Immanuel Kant nur unzureichend erfasst zu sein. Freilich hat Hans Kelsen den getätigten Rekurs auf die Transzendentalphilosophie des Philosophen der Aufklärung nur per analogiam vorgenommen.197 Dieser kritische Ein­ druck haftet aber auch bereits den Originalquellen von Hans Kelsen zu dem transzendentallogischen Denkgesetz der Grundnorm an. In diesem Kontext stellt sich die Frage, warum denn eine Autorität in die hypothetische Grund­ norm „eingesetzt“ werden muss.198 Dagegen wird in der zweiten Auflage der Reinen Rechtslehre aus dem Jahre 1960 dann davon gesprochen, dass die Grundnorm nicht das Produkt freier Erfindung sei. Ihre Voraussetzung erfolge nicht willkürlich in dem Sinne, dass man die Wahl habe zwischen verschiedenen Grundnormen, wenn man den subjektiven Sinn eines verfas­ sunggebenden Aktes und der dieser Verfassung gemäß gesetzten Akte als den objektiven Sinn, d. h.: als objektiv gültige Rechtsnormen deute. Dies sei nur dann möglich, wenn man die auf eine ganz bestimmte Verfassung be­ zogene Grundnorm voraussetze.199 In dem postum erschienenen Werk „All­ gemeine Theorie der Normen“ aus dem Jahre 1979 wird, nachdem von Hans Kelsen immer wieder andere Versuche unternommen worden waren, die hypothetische Grundnorm zu spezifizieren,200 die Transzendentalphilo­ sophie im Sinne der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant dann sogar ausdrücklich verlassen: „Als solche ist (…) (die Grundnorm) eine echte oder ‚eigentliche‘ Fiktion im Sinne der Vaihingerschen Philosophie des Als-Ob, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie nicht nur der Wirklich­ 196  H. Kelsen, Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn.  119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (547 ff.); ders., Verhandlungen Juris­ tentag (Fn. 118), S. 70; R. Dreier (Fn. 120), Sein und Sollen, JZ 1972, 329 (332). 197  Siehe hierzu bereits Fn. 167. 198  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251. 199  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 204. 200  Siehe insoweit die zusammenfassenden Darstellungen bei S. L.  Paulson, Die unterschiedlichen Formulierungen der Grundnorm (Fn. 109), S. 53 ff.; R. Walter, Gedanke der Grundnorm (Fn. 107), S. 53 ff.

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keit widerspricht, sondern auch in sich selbst widerspruchsvoll ist. Denn die Annahme einer Grundnorm (…) widerspricht nicht nur der Wirklichkeit, da keine solche Norm als Sinn eines wirklichen Willensaktes vorhanden ist, sie ist auch in sich selbst widerspruchsvoll, da sie die Ermächtigung einer höchsten Moral- oder Rechtsautorität darstellt, und damit von einer noch über dieser Autorität stehenden – allerdings nur fingierten – Autorität ausgeht.“201 Mit dem letzten Satz wird die Reziprozität auf die reale Wirk­ lichkeit scheinbar ganz aufgegeben, oder – so die durchaus provokante Frage – hat es diese Rückbezogenheit auf die sinnliche Anschauungswelt im Rahmen des grundnormativen Diskurses vielleicht überhaupt nie gegeben? Die Grundnorm kann jedenfalls zumindest insoweit nur als Hypothese be­ griffen werden, als es sich nicht um eine gesetzte und damit künstlich-po­ sitive Norm handeln kann.202 Dennoch ist sie aber als verobjektiviertes Pendant der realen Wirklichkeit ein Denkgesetz mit normativer Gültigkeit. Deshalb ist die hypothetische Grundnorm nicht nur ein plumper Einset­ zungsvorgang einer bestimmten Autorität, auch nicht einfach nur der zur Norm umgedeutete politische Wille dieser Autorität, sondern in diesem Denkakt spiegelt sich bereits eine Fundamentalität mit nicht-assoziativer Gültigkeit, ohne die ein objektiver Idealismus im Staat nicht erreicht wer­ den kann. Der Staat ist ein Werdendes im Gewordenen; auf diese Kurzfor­ mel bringt Hermann Heller die dialektische Fortschrittsimmanenz einer staatlichen Historie.203 Jeder moderne Staat ist daher in seiner konkreten Ausformung in gewisser Hinsicht von Grund auf ein Unikat, was sich be­ reits in der hypothetischen Grundnorm zeigen muss. Die Annahme einer nur erklärenden Funktion der Grundnorm wird vor allem auf die folgende Passage der Reinen Rechtslehre in der zweiten Auf­ lage aus dem Jahre 1960 gestützt: „Mit ihrer Theorie der Grundnorm inau­ guriert die Reine Rechtslehre durchaus nicht eine neue Methode der Rechts­ erkenntnis. Sie hebt nur ins Bewusstsein, was alle Juristen, zumeist unbe­ wusst, tun, wenn sie die oben bezeichneten Tatbestände nicht als kausalge­ setzlich bestimmte Fakten begreifen, sondern ihren subjektiven Sinn als objektiv gültige Normen, als normative Rechtsordnung deuten, ohne die Geltung dieser Ordnung auf eine höhere, metarechtliche – das heißt: auf eine von einer der Rechtsautorität übergeordneten Autorität gesetzte – Norm zurückzuführen; wenn sie das Recht ausschließlich als positives Recht be­ greifen. Die Lehre von der Grundnorm ist nur das Ergebnis einer Analyse des Verfahrens, das eine positivistische Rechtserkenntnis seit jeher ange­ 201  H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (Fn. 126), S. 206 f.; ders., Ver­ handlungen Juristentag (Fn. 118), S. 70 f. 202  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 197. 203  H. Heller, SL (Fn. 13), S. 48 ff.



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wendet hat.“204 Damit wird Hans Kelsen im Sinne der transzendentalen Philosophie von Hermann Cohen interpretiert, der in seinem Werk mit dem Titel „Logik der reinen Erkenntnis“ aus dem Jahre 1902205 wiederholt nach den Bedingungen gefragt hat, welche der Wissenschaft erlauben, den Gel­ tungsanspruch ihrer Erkenntnisse zu verstehen.206 Nach dem „System der Philosophie“ von Hermann Cohen ist dies die Einheit des Bewusstseins, aufgehoben in einem obersten Grundsatz als der „letzten“ und „höchsten“ transzendentalen Bedingung wissenschaftlicher Erfahrung. Daraus ergibt sich schließlich, dass die Erkenntnisse der Wissenschaft nicht wegen diesem obersten Grundsatz gelten, sondern sie gelten, so dass der oberste Grundsatz notwendig ist. Die Geltungsbedingungen der Wissenschaft bleiben aber er­ kenntnisimmanent, d. h. sie dürfen nur im Rahmen des wissenschaftlichen Erkenntnisraums gesucht werden, ohne Rückgriff auf das erkennende Sub­ jekt oder auf die Welt der materiellen Dinge. Die Geltungsbedingungen sind damit reine Erkenntnisse, die logische Grundlage der Wissenschaft, weil und insofern sie sich aus der Wissenschaft ergeben und darin schon immer in Kraft sind und waren, ohne dass auf die sinnliche Anschauungswelt re­ kurriert wird.207 Das daraus sich ergebende Theorem des Ursprungs bzw. das Hypothesis-Theorem, das von Hermann Cohen auch als „Summe“, „Zentrum“ bzw. „Schwerpunkt“ der Logik bezeichnet wird, kann signifikant mit der folgenden Formel beschrieben werden: „Alle wissenschaftliche Un­ 204  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 209; ders., Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilo­ sophie? (Fn. 115), S. 24 ff., wo der explikative Charakter der Grundnorm gut be­ schrieben wird, wenngleich die gesamten dort getätigten Ausführungen auch einen weitergehenden Ansatz im Sinne einer wirklichen Geltungsbegründung des Rechts stützen; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (454 f.); vgl. auch V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (162 f. / 189). Weitere Bezugspunkte von Hans Kelsen in sei­ nen Werken in Bezug auf eine erklärende Funktion der Grundnorm finden sich bei S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 570. Siehe zur explizierenden Funktion der Grundnorm auch E. Bucher (Fn. 113), S. 48 f. 205  H. Cohen, Logik der reinen Erkenntnis, Berlin 1902. 206  So G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung (Fn. 158), S. 181; F. Koja, Reinheit der Rechtslehre (Fn. 109), S. 43. Grundsätzlich zur neukantianischen Rechtstheorie von Hermann Cohen H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 76 ff.; vgl. auch W. Kersting (Fn. 114), S. 347 ff. 207  Zusammenfassend G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung (Fn.  158), S.  180 ff.; W. Kersting (Fn. 114), S. 341 f. Als verdeutlichende Passage der transzen­ dentalen Methode von Hermann Cohen kann das folgende Zitat angebracht werden: „Nicht am Himmel sind die Sterne gegeben, sondern in der Wissenschaft der Astronomie (…).“ (H. Cohen, Das Princip der Infinitesimal-Methode und seine Geschich­ te, Berlin 1883, S. 127; Hervorhebungen im Original; ders., Kants Begründung der Ethik, Berlin 1877, S. 20; hierzu auch erläuternd G. Edel, Von der Vernunftkritik zur Erkenntnislogik – die Entwicklung der theoretischen Philosophie Hermann Cohens, 2. Aufl., Waldkirch 2010, S. 242 f.).

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tersuchung, alles Denken und Erkennen, welches auf alle Tatsachen der Kultur gerichtet sein muss, jede einzelne Untersuchung, wie alle Forschung im Allgemeinen, hat zu ihrer methodischen Voraussetzung nicht sowohl eine Grundlage als vielmehr eine Grundlegung.“208 Mit dieser transzenden­ talen Methode von Hermann Cohen ist letztlich wiederum eine geistige Verwandtschaft mit der Hypothesis Platons verbunden, der darunter Defini­ tionen und Axiome versteht, „Voraussetzungen, die Grundlagen (…) (der) Deduktionen und Beweise (der Wissenschaft) sind, deren Wahrheit deshalb von ihnen abhängig bleibt.“209 Die Frage der Grundnorm von Hans Kelsen wird somit auch zur Frage, ob sich der Ursprung des Rechts ausschließlich in einem von der sinnlichen Wahrnehmungswelt abstrahierten, platonischen Denkgebäude befindet, oder ob eine empirisch fassbare Rückbezogenheit notwendig ist, um letztlich die Geltung des positiven Rechts von Grund auf zu begründen.210 208  G. Edel (Fn. 158), S. 183 f. Siehe hierzu auch die Originalquellen bei H. Cohen, Ethik des reinen Willens, 2. Aufl., Berlin 1907, S. 84 f.; ders., Ästhetik des reinen Gefühls, Bd. I, Berlin 1912, S. 72 ff. „Die Grundlagen sind Grundlegungen. Die Tätigkeit des Legens eines Grundes setzt das Objekt voraus, dem der Grund zu legen sei.“ (H. Cohen, Ethik des reinen Willens, ebd., S. 85; Hervorhebung im Ori­ ginal). „Die Hypothesis ist es, in deren schlichter, nüchterner Methodik die Idee das mystische Feierkleid ablegt, um als Grundlegung aller wissenschaftlichen Methodik aufzuerstehen, als Zentrum und Schwerpunkt der reinen Logik.“ (H. Cohen, Ästhetik des reinen Gefühls, ebd., S. 73; Hervorhebung im Original). 209  Siehe hierzu G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung (Fn. 158), S. 183; ausdrücklich im Zusammenhang mit der Grundnorm auf eine platonische Hypothese Bezug nehmend, im Ergebnis aber dann zu einer empirischen Hypothese tendierend S. Marck (Fn. 44), S. 28 ff.; vgl. auch H. Cohan, Kants Begründung der Ästhetik, Berlin 1889, S. 20. Siehe zur platonischen Ideenlehre E.-W. Böckenförde, Geschich­ te der Rechts- und Staatsphilosophie, Antike und Mittelalter, 2. Aufl., Tübingen 2006, S. 71 ff. Dazu auch bereits die Ausführungen oben im Rahmen dieser Natur­ staatslehre 1. Teil, § 2. Eine ausdrückliche Opposition von Hans Kelsen gegenüber der dem Naturrecht analogen Ideenlehre Platons findet sich auch in H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 42), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), S. 316. 210  In das rechtstheoretische Lager, das ausschließlich eine explizierende Funk­ tion der Grundnorm annimmt, gehören etwa G. Edel, Zum Problem der Rechtsgel­ tung (Fn. 158), S. 191 ff.; R. Bindschedler (Fn. 118), S. 73 Fn. 22; H. Hart (Fn. 177), S. 293; S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 570 ff., der zumindest eine explizierende Funktion annimmt; in diesem Sinne sind letztlich auch M. Je­ staedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1013 ff.) bzw. J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 19 f. zu interpretieren; vgl. auch M. Pilch (Fn. 117), S. 123 f.; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (459 ff. / 471) („Beobach­ tung erster Ordnung“); ders., Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 153 ff.; J. Moór (Fn. 114), S. 71. Die h. M. vertritt dagegen auch eine geltungsbegründende Transformationsfunktion der Grundnorm; hierzu nur die Nachweise in Fn. 120. Zur Begründung der ausschließlich explizie­ renden Funktion der Grundnorm schreibt Geert Edel das Folgende: „Dieses ist die



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen565

Damit sind die rechtsphilosophischen bzw. -theoretischen Grundlagen gelegt, um der Frage nach dem Wesen der Grundnorm von Hans Kelsen noch einmal vertieft nachzugehen, insbesondere ob ihr nun (auch)211 eine begründende Funktion zukommt, die das positive Recht als geltendes „Sol­ len“ im Sinne einer relativ idealen, gültigen objektiven Rechtsordnung in Erscheinung treten lässt, und zwar insoweit, als dass die objektiv gültigen Rechtsnormen als irreduzible normative Gegenstände anzusehen sind und sich somit auf faktische Tatbestände der realen Naturwirklichkeit nicht un­ Grundnorm. Anders als die Normen, deren Geltung sie eben dadurch begründet, dass diese norm-, mithin grundnormgemäß erzeugt, also gesetzt sind, kann sie ih­ rerseits (als letzte oder höchste Norm) nicht mehr normgemäß erzeugt oder gesetzt sein, sondern muss vielmehr vorausgesetzt werden. Da sie als Norm weder irgend­ wo in der Natur vorhanden und ‚verborgen‘ noch auf geheimnissvolle Weise ir­ gendwie vom Himmel gefallen sein kann, muss sie als letzter Geltungsgrund der Normen zugrunde gelegt werden, ist also keine an sich (in der Natur oder von Gott) gegebene Grundlage, sondern Grundlegung, d. h. Hypothesis. Sie ist keine empirische Hypothese, die durch Erfahrung verifiziert oder falsifiziert werden könnte, da Normen, die kein Sein be-, sondern ein Verhalten vorschreiben, über­ haupt nicht wahr oder falsch sein können, sondern entweder gültig oder ungültig sind. (…) In der Grundnorm ist also der Zwangscharakter des Rechts, der seinen Geltungsanspruch in der realen, empirischen Welt oder dem System der Natur äu­ ßerlich sichtbar macht und unmittelbar praktisch manifestiert, ebenso enthalten wie seine spezifische Eigengesetzlichkeit, die es als Sollen vom Sein der Natur unter­ scheidet.“ (Hervorhebungen im Original). Diese rechtstheoretische Begründung vernachlässigt das konstitutive Moment einer Rechtsordnung als Zwangs­ ordnung vollständig. Dem Staat fehlt – bildlich gesprochen – der Motor zur Erzeugung des objektiven Normensystems. Wenn eine Revolution die durch die Grundnorm ver­ mittelte Geltung hinfällig machen kann (vgl. nur H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 212 ff.), so muss auch ein sinnlicher Ansatzpunkt in der realen Naturwirklichkeit gegeben sein, um die Geltung zu begründen. Man stelle sich die Frage eines Kindes an seine Mutter vor, warum es nicht stehlen dürfe. Die Antwort der Mutter kann nur lauten: „Weil das Recht gilt, weil es auf der Grundprämisse des Rechts aufbaut.“ Hinter dem Recht steht aber immer eine Macht, ein unbestreitbares Faktum, das sich in dem Erzeugungskontext des Rechts offenbart, wobei diese Kraft in der Grundnorm verobjektiviert aufgehoben ist. Zu erwähnen bleibt, dass die Grund­ norm im Schrifttum auch noch als bloße Annahme charakterisiert wird; so nur R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre (Fn. 139), Rechtstheorie 1970 (1), 69 (80); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 89; W.  Ott (Fn. 114), S. 161 f.; ablehnend insoweit S. L.  Paulson, Funk­ tion der Grundnorm, ebd., S. 573; ders., Konstitutive und methodologische Formen (Fn. 132), S. 153. 211  Die explizierende Funktion der Grundnorm geht in der begründenden Funk­ tion letztlich auf (H. Kelsen, Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 23 ff.; so ausdrücklich S. L.  Paulson, Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 570; vgl. auch J. Moór (Fn. 114), S. 71 ff.). Allein die vielen über eine nur erklärende Funktion der Grundnorm hinausgehenden Äußerungen von Hans Kelsen bezüglich der Grundnorm sprechen aber für eine tiefere, eben auch begründende Funktion dieser Ursprungskonstruktion des Rechts.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

mittelbar, sondern nur mittelbar zurückführen lassen.212 Auch diese Interpre­ tationsvariante findet einen Anhaltspunkt in der zweiten Auflage der Reinen Rechtslehre aus dem Jahre 1960: „Die Funktion der Grundnorm ist: die objektive Geltung einer positiven Rechtsordnung, das ist der durch mensch­ liche Willensakte gesetzten Normen einer im Großen und Ganzen wirksa­ men Zwangsordnung, zu begründen, das heißt: den subjektiven Sinn dieser Akte als ihren objektiven Sinn zu deuten. (…) Die Norm, deren Geltung im Obersatz (der Grundnorm) ausgesagt ist, legitimiert so den subjektiven Sinn des Befehlsaktes, dessen Existenz im Untersatz ausgesagt ist, als dessen objektiven Sinn.“213 Darin spiegelt sich insbesondere die typische Frontstel­ lung gegen den unkritischen Rechtspositivismus von Georg Jellinek wider, der mit seinem herkömmlichen, auf realen Fakten beruhenden und damit naturrealistischen Rechtspositivismus Willen und Norm identifiziert und die Normativität des positiven Rechts ausschließlich auf die Komponenten der tatsächlichen Setzung und der sozialen Wirksamkeit gründet.214 Wenn ein Hase auf einem Feld sitzt und ein Wolf vorbeikommt, gibt es mehrere mög­ liche Szenarien: 1. Der Wolf frisst den Hasen; 2. Der Wolf beachtet den Hasen nicht und läuft vorbei; 3. Ein weiterer Wolf kommt herbei und beide Wölfe fressen den Hasen; 4. Der Hase kann fliehen usw. Dass etwas sein soll, kann aus dieser Seins-Realität nicht entstehen. Aus dem Sein lässt sich damit kein Sollen ableiten.215 Ähnlich erscheint die Situation, wenn in ei­ nem Staat mehrere Autoritäten vorgestellt werden, die potentiell als legitime Machtträger im Staat in Betracht kommen und jeweils über einen gleichen Regelungsgegenstand Recht verwirklichen. In diesem Fall erlässt etwa ein absoluter Monarch, der sich gegen die Abkehr von dem monarchischen Prinzip wehrt, ein bestimmtes Dekret, während das Volk eine andere gesetz­ liche Regelung intendiert und eine autonome Gruppe ein radikales Geset­ zesexempel statuieren möchte. Eine relativ objektive Idealität ist in diesem 212  Vgl. H. Kelsen, Zum Begriff der Norm (Fn. 136), S. 58; S. L.  Paulson, Funk­ tion der Grundnorm (Fn. 109), S. 570. 213  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 205. 214  Siehe hierzu G. Jellinek, AS (Fn. 35), S. 333 f. / 338 f.; S. L. Paulson, Funk­tion der Grundnorm (Fn. 109), S. 561. Siehe insoweit zur Abgrenzungsfunktion der Grundnorm zum naturalistischen Rechtspositivismus auch M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1013 ff.) („„Firewall“ für das positive Recht.“) (S. 1015); S. L. Paulson, Faktum / Wert-Distinktion (Fn. 109), S. 223 ff.; vgl. hierzu auch A.-J. Korb (Fn. 25), S. 70 („theoretisches Abschottungsinstrument“). 215  Siehe dazu verdeutlichend nur H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechtspositi­ vismus (Fn. 42), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (317); ders., Zum Be­ griff der Norm (Fn. 136), S. 58; R. Thienel (Fn. 119), S. 20 f. / 28; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 350 m.  w.  N. in (Fn. 2); vgl. auch S.  L.  Paulson, Faktum / WertDistinktion (Fn. 109), S. 226 ff.; vgl. auch M.  Jestaedt /  O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 119), S. XIV f.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen567

Fall ebenso wenig denkbar, wie wenn sich die Frage nach einem soziologi­ schen Grad für die Geltung einer positiven Rechtsordnung als entschei­ dungserheblich darstellt. Aus diesem Grund bedarf es einer ganz bestimmten Autorität, die sich im Rahmen der realen Naturwirklichkeit in der Form einer verobjektivierten, da auf ein ganzheitliches Bewusstsein des Staates bezogene Instanz der Vernunft herauskristallisiert. Das dahinterstehende Auswahlkriterium ist das Effizienzgebot, d. h. die Autorität muss stark ge­ nug sein, um dauerhaft eine Friedensordnung zu sichern.216 Und diese starke Autorität steckt in der hypothetischen Grundnorm; sie kristallisiert sich letztlich aus der realen Naturwirklichkeit heraus und erscheint damit als legitimierender Garant für die relativ ideale Rechtsordnung, die nun insoweit einem objektiven Idealismus entspricht, als eben nicht subjektive Willkür die Materie des Rechts beherrscht, sondern ausschließlich eine le­ gitime Herrschaftsgewalt, was sich schließlich in den bekannten Formeln manifestiert, wonach alle Staatsgewalt von einer konkreten Autorität aus­ geht. Ein erneuter Rekurs auf die Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant zeigt diese Objektivitätskomponente noch einmal auf, die aber stets auf die momentane Zuständigkeit des Einzelbewusstseins des Betrachters bezogen bleibt. Denn die Deduktion von reinen Verstandesbegriffen ist nichts anderes als der synthetische Gewinn von objektiven Erfahrungsurtei­ len, denen eine allgemeine Verknüpfung zu Wertkategorien verholfen hat. Die apperzeptive Beurteilung überführt damit die bunte und wirre Mannig­ faltigkeit von subjektiven Eindrücken der Wahrnehmung in das Reich der Objektivität, womit der Charakter einer bewusst geformten Einheit resultiert. Daraus ergibt sich eine allgemeine Forderung, in der sich der Erfahrungs­ wert kanalisiert hat und damit zur Norm gereift ist. Die Synthesis ist indes­ sen die gedankliche Umformung, durch welche die konkret begutachtete sinnliche Anschauungswelt die Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit eines Erfahrungsurteils, einer ideellen Norm als synthetischem Einheitsprodukt,

216  H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 117  ff.; ders., RR (Fn. 20), S. 212 ff.; ders., Value Judgments (Fn. 119), Journal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (327). Diese konkret legitimierende Funktion der Grundnorm wird verkannt bei A. Peczenik (Fn. 117), S. 290 ff. Kritisch zu der damit zusammenhängenden Identitätsfunktion der Grundnorm J. Raz, The concept of a legal system – An introduction to the theory of legal system, 2. Aufl., Oxford 1980, S. 95 ff., v. a. S. 100 ff.: „(…) that the basic norm cannot play the role assigned to it by (Hans) Kelsens’s criteria of membership and identity, and, hence, that this crite­ ria fail to fulfil their function. The concept of a basic norm should determine ­where every validity chain ends and what is its scope, but it fails to do so. In fact it does not contribute anything to the criteria of identity and membership.“ (Zitat auf S. 104). In diesem letzteren Sinne kritisch auch G. N. Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie (Fn. 114), S. 228.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

erhält.217 Wird dieser transzendentale Maßstab nun auf eine bedeutende Passage von Hans Kelsen angelegt, die auf dem Zweiten Österreichischen Juristentag in Wien im Jahre 1964 infolge der krankheitsbedingten Abwe­ senheit des Urhebers vorgelesen wurde, wird der empirische Charakter der hypothetischen Grundnorm doch evident: „Wenn man verschiedene Staats­ formen – wie Monarchie, Aristokratie, Demokratie – unterscheidet, so liegt das entscheidende Kriterium darin, dass die (positive) Verfassung in dem ersten Fall ein einzelnes bestimmt qualifiziertes Individuum, in dem zweiten Fall eine verhältnismäßig beschränkte Gruppe bestimmt qualifizierter Indi­ viduen; im dritten Falle – wie man ungenau zu sagen pflegt – das ganze Volk, richtiger: eine Volksversammlung oder ein vom Volk gewähltes Par­ lament ermächtigt, generelle Normen zu erzeugen. (…) Die() Grundnorm (aber) ermächtigt das Individuum, das, oder die Individuen, die die histo­ risch erste Verfassung gesetzt haben, zur Setzung der (positiven) Normen, die die historisch erste Verfassung darstellen. Ist die historisch erste Verfas­ sung durch den Beschluss einer Versammlung gesetzt worden, sind es die diese Versammlung bildenden Individuen, ist die historisch erste Verfassung im Wege der Gewohnheit entstanden, ist es diese Gewohnheit, richtiger: sind es die Individuen, deren Verhalten die die historisch erste Verfassung erzeugende Gewohnheit bildet, die durch die Grundnorm ermächtigt wer­ den. (…) Die Grundnorm ist somit nicht das Produkt freier Erfindung. Sie ist auf bestimmte, in der natürlichen Wirklichkeit existente Tatsachen, auf eine wirklich gesetzte und wirksame Verfassung und die ihr gemäß tatsäch­ lich gesetzten normerzeugenden und normanwendenden Tatbestände bezo­ gen. (…) Gegen die Annahme einer nicht durch einen realen Willensakt gesetzten, sondern nur im juristischen Denken vorausgesetzten Norm kann man geltend machen, dass eine Norm nur der Sinn eines Willensaktes, nicht eines Denkaktes sein kann, dass zwischen Sollen und Wollen eine wesent­ liche Korrelation besteht. Diesem Einwand kann man nur dadurch begegnen, dass man zugibt, dass mit der gedachten Grundnorm auch eine imaginäre Autorität mitgedacht werden muss, deren – fingierter – Willensakt die Grundnorm zu seinem Sinn hat.“218 Die Grundnorm besitzt deshalb durch­ 217  Sämtliche Ausführungen zur Objektivität im Rahmen der Deduktion von rei­ nen Verstandesbegriffen bei Immanuel Kant sind entnommen aus E. Cassirer (Fn. 78), S. 555 ff. 218  H. Kelsen, Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 67 ff.; ders., Der soziolo­ gische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S. 100 ff.; ders., Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 23 ff. / 29; ders., Value Judgments (Fn. 119), Journal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (326 ff.) („It (the basic norm) is an assumption made in juristic thinking, but by no means an arbitrary as­ sumption. An analysis of juristic thinking shows that jurists consider a constitution as valid only when the legal order based thereupon is effective. This is the princi­ple of Effectiveness.“); vgl. auch H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56),



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen569

aus einen empirischen Charakter im Sinne der Erkenntnis- und Seinslehre des Aristoteles, wonach die menschliche Erkenntnis die ideengeformte Strukturierung eines real Seienden als Endprodukt im Sinne einer bestimm­ ten und gestaltverleihenden Form hervorbringt. Die Erkenntnislehre des Aristoteles bleibt nicht in einem logisch-psychischen Prozess der Vernunft verhaftet, sondern sie bleibt zurückbezogen auf die sinnliche Anschauungs­ welt, deren Ideenreichtum sich epistemologisch durch einen Vorgang zuneh­ mender Abstraktion zu einer sukzessiven Erkenntnis der bereits originär ideenbehafteten Dinge herausbildet. Das Ergebnis ist in der Terminologie des Aristoteles die Natur als „das in der Existenz Aktualisierte, auf das telos hin Ausgeformte und Realisierte.“219 Die hypothetische Grundnorm ist dem­ S. 115 ff. In seiner philosophischen Auseinandersetzung mit der Naturrechtslehre und dem Rechtspositivismus spricht Hans Kelsen – insoweit ebenfalls eindeutig – von dem Inhalt der Grundnorm, der das besondere, historisch gegebene Faktum, das durch die Grundnorm als erster rechtserzeugender Tatbestand qualifiziert wird, dar­ stellt. Danach schreibt er: „Indem der positive Jurist bei der Bestimmung der Grund­ norm von der Tendenz geleitet ist, möglichst viel der empirisch gegebenen Akte, die subjektiv als Rechtsakte – sei es der Rechtserzeugung, sei es der Rechtsvollzie­ hung – auftreten, die sogenannte historisch-politische Wirklichkeit, auch objektiv als Recht zu begreifen, bedeutet die Grundnorm in einem gewissen Sinne die Transformation der Macht zum Recht.“ (H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 65; Hervorhebungen im Original). Eindeutig die empi­ rische Komponente der Grundnorm hervorhebend auch die Ausführungen von Hans Kelsen aus dem Jahre 1942: „The same is true of a juristic value judgment maintai­ ning the legality of the constitution. This judgment, as we have seen, asserts that the constitution conforms with the presupposed basic norm. The presupposition of the basic norm is conditioned by the fact that the legal order, enacted on the basis of the constitution, is effective. This fact can be verified in an objective way. The value of law, consisting in a relation between an object and a positive legal norm or the presupposed basic norm, is in this sense an objective value. The existence of the value of law is objectively verifiable.“ (H. Kelsen, Value Judgments, ebd., Jour­ nal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (328)). Wie soll eine Grund­ norm einer modernen Staatsordnung die Geltung verleihen, wenn sie der realen Naturwirklichkeit nicht entspricht? Da dies unmöglich ist, muss ein empirischer Bezug bereits denklogisch gegeben sein. Damit wird auch der Ausspruch von Hans Kelsen (H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251) bestätigt, wonach es bei der Grundnorm schlicht darum gehe, hypothetisch und formal zu behaupten, dass die einen von Rechts wegen befehlen sollen und die anderen von Rechts wegen gehorchen sollen. Vgl. zum empirischen Bezug auch H. Haug (Fn. 38), S. 89; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (453 f.). 219  E.-W. Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 209), S. 104 ff. Siehe hierzu bereits die Ausführungen oben S. 38 Fn 2. Insoweit besteht letztlich auch ein Zusammenhang zwischen dem Begriff der Kategorie bei Immanu­ el Kant und Aristoteles: „ ‚Kategorien‘ nennt Aristoteles solche Begriffe, die nicht selbst in Aussagen verwendet werden, um Sachverhalte zu beschreiben, sondern die die grundlegenden Arten und Weisen sind, solche Aussagen zu bilden. Kategorien sind ‚Weisen des Aussagens‘. In Aussagen werden Prädikate verwandt. Sind Kate­

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nach das synthetische Produkt einer zur objektiven  ‒ inneren wie nun auch äußeren  ‒ Sinnhaftigkeit verkörperten Seinswelt, das notwendige Minimum an Naturrecht im modernen Staat,220 ohne das dieser rein normativ, da an­ sonsten geltungstheoretisch leerlaufend, weder erscheinen könnte noch verständlich wäre.221 Dieses Naturrecht aber ist durchsetzt mit einem legi­ timierenden Sinn, einem allgemeinen Grundsatz der synthetischen Projekti­ on, deren tragende Objektivität unter vermittelnder Einsicht in die reale Wirklichkeitswelt die Mächte im Staat in das Reich der rechtlichen Idealität einweist und so zu der relativ objektiven, da materiell durch die eine dau­ erhafte Friedensordnung garantierenden Autoritäten gerechtfertigten, ideel­ len Ordnung in der konkreten rechtspositivistischen Ausformung beiträgt. In diesem Kontext kann auf Giambattista Vico Bezug genommen werden, der die aristotelische Wahrheit teilte, wonach es die Philosophie nur mit dem Universalen und Immerseienden zu tun habe, und auch in der Geschichte die immer gleichartige, idealtypische Geschehensfolge des zyklischen Laufs gorien Weisen des Aussagens, so sind sie Prädikatenklassen. Sie sind Grundbegriffe insofern, als sie weder aus anderen Begriffen oder Urteilen noch auseinander abge­ leitet werden können. Jede dieser Kategorien ist irreduzibel, auf nichts anderes zu­ rückzuführen.“ (G. Mohr, Kants Grundlegung der kritischen Philosophie (Fn. 77), S. 181; Hervorhebungen im Original). Siehe hierzu auch J. v. Kirchmann, Aristote­ les’ Kategorien oder Lehre von den Grundbegriffen, Leipzig 1876, S. 2 ff.; B. Hafemann, Aristoteles’ transzendentaler Realismus – Inhalt und Umfang erster Prinzipien in der „Metaphysik“, Berlin u. a. 1998, S. 34 ff., v. a. S. 37 f. u. 41 / 90 ff. 220  H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 66; ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre (Fn. 114), 2. Aufl., Tübingen 1923, S. 9 f.; vgl. auch H. Haug (Fn. 38), S. 89. Demnach sei die Erkenntnis des Rechts ohne dieses Minimum an Naturrecht nicht möglich (H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre, ebd., S. 66). Insoweit bestehen schließlich unüber­ sehbare Parallelen zu der Lehre Erich Kaufmanns vom „institutionellen Wesensna­ turrecht“ bzw. von den „Seinsgesetzen des menschlichen Gemeinschaftslebens“; siehe hierzu zusammenfassend nur die Ausführungen bei U. Mager, Einrichtungsga­ rantien, Tübingen 2003, S. 141 ff. 221  So S. Marck (Fn. 44), S. 26 ff.; J. Moór (Fn. 114), S. 72  ff.; tendenziell in diese Richtung auch I. Tebaldeschi (Fn. 162), S. 152 f.; H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (297); H.-L.  Schreiber, Der Be­ griff der Rechtspflicht, Berlin 1966, S. 140 ff.; vgl. auch H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 7 ff. / 159 ff.; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (157 / 165); H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 122 ff. In diesem Sinne ist die Kritik von Erich Kaufmann (E. Kaufmann (Fn. 126), S. 20 ff.) zutreffend; ähnlich auch K. Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie (Fn. 162), S. 46 f.; vgl. auch H.-L. Schreiber, ebd., S. 142 f. Es bleibt aber festzuhalten und zu betonen, dass Hans Kelsen die Notwendigkeit eines naturrechtlichen Minimums gesehen hat (siehe Fn. 220). Den empirischen Bezug der Grundnorm als formaler Geltungs­ grundlage der positiven Rechtsordnung klar hervorhebend H. Kelsen, Rechtsge­ schichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 23 ff., v. a. S. 24 f.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen571

der Völker darstellen wollte,222 wobei das universalgeistige Sinnkontinuum nun im 21. Jahrhundert zur naturstaatlichen Systemkonfiguration des moder­ nen Staates anmahnt. In zahlreichen modernen Staaten der Welt ist eine ideale Rechtserkenntnis überhaupt nur noch dann möglich, wenn das demo­ kratische Prinzip ausschließliche Geltung beansprucht. Gleiches gilt nun für die natürlichen Lebensgrundlagen, die in ihrem objektiven Sinn als eine bedrohte Größe erscheinen, so dass eine Staatsherrschaft nur noch mit und nicht mehr ohne die Natur erfolgen sollte. Die Menschen in der Bundesre­ publik Deutschland würden beispielsweise im 21. Jahrhundert einen dikta­ torischen Wirtschaftsstaat nicht mehr akzeptieren, der um jeden Preis der Natur zu einer Steigerung der staatlichen Wohlfahrt errichtet wird. Daraus folgt, dass die objektive Idealität im Recht, die relativ ideale staatliche Rechtsnormenordnung auf ein festes, historisch gewachsenes Fundament, auf einen zu sich selbst gekommenen absoluten Weltgeist angewiesen ist, um eine hinreichend legitimierende Geltung zu besitzen. Der politische Wille einer Autorität wird damit auch nicht in die Grundnorm eingesetzt, sondern diese Grundnorm ist das objektive Pendant dieses Willens als einer real erfahrbaren Größe, was letztlich entsprechend für die in dem transzen­ dentalen Denkgesetz im äußeren Sinne aufgelöste Natur gilt. Damit geht dann auch keine metaphysische Überhöhung einher, wie sie der späten Beschreibung der Grundnorm als Fiktion methodenwidrig anlastet. Die äu­ ßere Grundnorm als apriorische Erkenntnisbedingung indiziert nunmehr, insofern sie freilich als relative, hypothetische Erkenntnisbedingung wirk­ lich vorausgesetzt wird, ein absolut Geltung beanspruchendes (Welt-)Prin­ zip, das sich aber erst allmählich in der internationalen Staatengemeinschaft etabliert. Dies bestätigt die getätigten Ausführungen. Denn die transzenden­ tallogische Grundnorm in ihrer äußeren Sinndimension ist erst jetzt mit dieser normativen Naturstaatslehre geboren worden, obwohl nach der wirk­ lichkeitswissenschaftlichen Betrachtung jeder neuzeitliche moderne Staat bereits Naturstaat hätte sein müssen, da der Staat doch auf der Natur steht. Dennoch begann der Siegeszug des naturstaatlichen Weltgeistes erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, was letztlich die Eigenschaft der Grundnorm als einer verobjektivierten Norm bestätigt. Mit der nicht-assozi­ ativen Gültigkeit ist damit auch kein Rückfall in die von Georg Jellinek propagierte normative Kraft des Faktischen verbunden,223 sondern der Denkakt der hypothetischen Grundnorm ist vielmehr eine transzendentale Erkenntnisbedingung, der eine gesamtsituationsbedingte Analyse mit objek­ tiver Gewähr zugrunde liegt, ohne dass sich diese aber als gewohnheitsmä­ ßiger Kraftakt einer willkürbehafteten Faktizität darstellt. Andererseits wird 222  K.  Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Philosophie der Neuzeit (Fn. 139), S. 196. 223  G. Jellinek, AS (Fn. 35), S. 338 f.; vgl. auch W. Kersting (Fn. 114), S. 385 ff.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

letztlich aber auch kein die positive Rechtsnormenordnung überlagernder, metaphysischer Wert angenommen, was eines der Axiome der Reinen Rechtslehre ist.224 Denn durch die innere wie äußere Grundnorm werden nur die verfahrensmäßigen Koordinaten der staatlichen Herrschaftsordnung festgelegt, ohne dass dies aber grundsätzlich zu einer Vordeterminierung des positiven Rechtsnormenmaterials führen würde. Im Ergebnis schließt sich damit der Kreis, was mit den Worten von Hans Kelsen zum Ausdruck ge­ bracht werden soll: „Wer den Schleier hebt und sein Auge nicht schließt, dem starrt das Gorgonenhaupt der Macht entgegen.“225 Und, so könnte hinzugefügt werden, wer in die sinnliche Anschauungswelt blickt, der er­ kennt die formalen Legitimationsmodalitäten im Staat als Grundlage der Rechtsnormenordnung, den objektiven Geist des inneren wie äußeren Sinns.226 224  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 204. In seinen Hauptproblemen der Staatsrechts­ lehre führt Hans Kelsen insoweit Folgendes aus: „Allein dabei muss man sich stets bewusst sein, dass diese Art der Betrachtung, sofern sie das Sollen aus dem Sein ableitet, das Sollen nicht mehr in jenem formallogischen Sinne als Gegensatz zum Sein erfasst. Vielmehr erscheint hier tatsächlich von vornherein schon das Sollen als ein Spezialfall des Seins. Denn worauf allein gibt diese Erkenntnis von der norma­ tiven Kraft des Faktischen eine Antwort, was allein wird durch sie ‚erklärt‘? Tat­ sächliche Vorgänge, sei es äußerer oder innerer Art. Erklärt wird, warum gewisse Gebote an die Einzelnen gerichtet werden, jener tatsächliche Vorgang, jene beson­ deren psychischen Willensakte, in denen man bestimmte Normen an Subjekte erge­ hen lässt; und weiter: die real-psychischen Willensakte jener, die diesen Geboten sich unterwerfen, sie zur Richtschnur ihres eigenen Handelns machen; und endlich: diese normentsprechenden Handlungen selbst. All dieses Wollen und Handeln ist aber kein Sollen – im formal-logischen Sinne – sondern ein Sein, ein tatsächliches psychisches oder körperliches Geschehen, ist der Inhalt eines Sollens, aber nicht dieses Sollen selbst, das nur eine Form ist.“ Andererseits aber: „Es ist außerordent­ lich bezeichnend, dass man die Frage nach dem Anfange und dem Ende, der Ent­ stehung und Zerstörung des Soll nur insofern beantworten kann, als man aus der Welt des Soll in die des Seins übergeht; und dass man bei derselben Frage in Bezug auf das Sein in die Welt des Soll gerät.“ (H. Kelsen, Hauptprobleme der Staats­ rechtslehre (Fn. 114), 2. Aufl., Tübingen 1923, S. 9 f.). 225  H. Kelsen, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichsverfassung, Aussprache, VVDStRL 1927 (3), S. 55; R. Dreier, Sein und Sol­ len (Fn. 120), JZ 1972, 329 (332); J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 20; B. WiegandHoffmeister (Fn. 192), S. 11; H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozial­ philosophie 1961 (47), 289 (297). 226  Die Philosophie von Giambiattista Vico vereinigt die sich in der Grundnorm widerspiegelnden Elemente von antikem und neuzeitlichem philosophischem Gedan­ kengut. Giambattista Vico schaut in die reale Weltgeschichte, in das Universale und immer Seiende (Aristoteles), um einen idealtypischen Verlauf des Laufs der Völker zu kreieren (Hegel). Das dadurch letztlich gewonnene historische Sinnkontinuum stellt sich als regulative Idee dar (Kant), wobei sich der darin enthaltene Fortschritts­ glaube in gleitender Dialektik zu dem sinnvollen Fundament eines Idealstaates ent­ wickelt (Platon).



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen573

d) Das Verhältnis von juristischer Geltung und bedingender soziologischer Wirksamkeit Nach der staats- und rechtstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen steht die Geltung der einzelnen Normen bzw. der gesamten Rechtsordnung unter der immanenten Bedingung der Wirksamkeit als dem soziologischen Abbild des Seins der realen Naturwirklichkeit.227 In der Rechtswissenschaft 227  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 215 ff.; ders., Der soziologische und der juristi­ sche Staatsbegriff (Fn. 117), S. 92 ff.; ders., General theory of law and state (Fn. 56), S. 39 ff. / 115 ff.; ders., Professor Stone and the Pure Theory of Law (Fn. 126), Stan­ ford law review 1964 (17), 1128 (1139 ff.); ders., Juristischer Positivismus (Fn. 125), JZ 1965, S. 465 ff.; ders., Eine „Realistische“ und die Reine Rechtslehre (Fn. 168), ÖZöR 1959 (10), 1 (9 ff.); vgl. auch ders., FS Giacometti (Fn. 106), S. 146 f.; ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 67 f. „Eine positi­ vistische Rechtstheorie ist vor die Aufgabe gestellt, zwischen zwei Extremen, die beide unhaltbar sind, den richtigen Mittelweg zu finden. Das eine Extrem ist die These, dass die Geltung des Rechts mit seiner Wirksamkeit identisch ist. Der erste­ ren Lösung des Problems neigt eine idealistische, der zweiten eine realistische The­ orie zu. Die Erste ist falsch, denn es kann nicht geleugnet werden, dass eine Rechts­ ordnung als Ganzes ebenso wie eine einzelne Rechtsnorm ihre Geltung verliert, wenn sie aufhört wirksam zu sein; und dass auch insofern eine Beziehung zwischen dem Sollen der Rechtsnorm und dem Sein der Naturwirklichkeit besteht, als die positive Rechtsnorm, um zu gelten, durch einen Seinsakt gesetzt werden muss. Die zweite Lösung ist falsch, denn es kann nicht geleugnet werden, dass es (…) zahl­ reiche Fälle gibt, in denen Rechtsnormen als gültig angesehen werden, obgleich sie nicht oder noch nicht wirksam sind.“ (H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 218 f.; siehe zu dieser Problematik um die in der Reinen Rechtslehre anzutreffende strenge Unter­ scheidung von Geltung und Wirksamkeit M.  Losano, Das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit in der Reinen Rechtslehre, in: Die Reine Rechtslehre in wissen­ schaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsens-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S.  82 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 121 ff.; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (332); G. N. Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie (Fn. 114), S. 225 ff.; N. Leser (Fn. 118), S.  37 f.; M. Pawlik, Die Lehre von der Grundnorm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (464 ff.); ders., Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 163 ff.; J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (381); P. Koller (Fn. 117), S. 156 f.; E. Kramer (Fn. 184), S. 187 ff.; R. Thienel (Fn. 119), S. 20 f. / 28 ff.; S. Uecker (Fn. 111), S. 95 ff.; W. Schluchter (Fn. 117), S. 42 ff.; J. Moór (Fn. 114), S.  87 ff.; A.-J. Korb (Fn. 25), S. 71 f.; zusammenfassend erläuternd auch K. Groh (Fn. 117), S. 125 ff.; K. Röhl (Fn. 192), JZ 1971, 576 (579 f.); vgl. auch L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 211 ff.; H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298 f.); grundsätzlich zum Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit auch J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 13 f.; U. Steiner (Fn. 30), S. 27 ff. Zur Unterscheidung der Wirksamkeit einer Norm bzw. der Rechts­ ordnung M.  Losano, ebd., S.  87 ff.; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H.  L.  A.  Harts, ebd., S. 164 f. / 170 ff.; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 109), ÖZöR 1980 (31), 155 (176): „Nur eine solche Rechtsord­ nung ist gültig, die eine Exequierbarkeit und Faktizität im Durchschnitt aufweist.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

ist diese die legitimierende Transformationsfunktion der transzendentallogi­ schen Grundnorm nivellierende, soziale Abhängigkeit der Geltung auf er­ hebliche Kritik gestoßen, die die Reine Rechtslehre teilweise sogar in der Nähe eines soziologischen Methodenmonismus verortete.228 Das von Hans Kelsen selbst als „eines der wichtigsten und zugleich schwierigsten Proble­ me einer positivistischen Rechtstheorie“ bezeichnete Verhältnis zwischen der Geltung und der Wirksamkeit des Rechts229 wird von ihm folgender­ Dagegen ist eine einzelne Rechtsnorm nur gültig, wenn man sie logisch in ein System der Rechtsordnung einreihen kann.“ (Hervorhebungen im Original). Zur Kom­ plettierung soll hier noch ein Zitat von Hans Kelsen angeführt werden, das eine Parallele zu Georg Jellinek zum Ausdruck bringt: „Aber die Geltung einer Rechts­ ordnung im Allgemeinen und einer einzelnen Rechtsnorm im Besonderen ist durch Tatsachen bedingt. Dabei ist zu beachten, dass diese Tatsachen, als Seins-Tatsachen, nur die Bedingung der Geltung, nicht die Geltung sind, die ein Sollen ist. Darin, dass die Geltung des Rechts durch diese Tatsachen bedingt ist, besteht die Positivität des Rechts. Welches sind nun diese Tatsachen? Es sind zwei. Die eine ist, dass das Recht durch in bestimmter Weise qualifizierte Akte gesetzt (ius positivum) sein, die andere, dass das Recht in einem gewissen Grade wirksam sein muss. Das ist der Sinn, in dem allein man von einer ‚normativen Kraft des Faktischen‘ sprechen kann.“ (H. Kelsen, Juristischer Positivismus, ebd., S. 465; Hervorhebungen im Ori­ ginal). Siehe allgemein zur Problematik um die Rechtswirksamkeit ebenfalls K. Röhl, ebd., JZ 1971, S. 576 ff. 228  So nur S. Marck (Fn. 44), S. 31; K. Engisch, Rezension zu Kelsen, Hans: Reine Rechtslehre, in: ZStW 1963, 591 (602 f.); H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 514 ff.; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 213; H. Welzel, An den Grenzen des Rechts – die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln u. a. 1966, S. 28; H.-L.  Schreiber (Fn. 221), S. 140 ff.; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (332) (eine „soziologische Rechtstheorie im norma­ tiven Gewand“); A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 117), S. 31 f.; R.  Lippold, Reine Rechtslehre und Strafrechtsdoktrin, Wien u. a. 1989, S. 88 ff.; W. Schluchter (Fn. 117), S. 42 f. („(…) Tendenz zu einer Theorie von der normativen Kraft des Faktischen“); J. Moór (Fn. 114), S. 72 ff. / 87 ff.; vgl. zu dieser Kritik auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 51 ff.; R. Thienel (Fn. 119), S. 30 ff.; insoweit relativierend dagegen M.  Losano (Fn. 227), S.  84 f.; J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm (Fn. 117), S. 57 ff.; G. N. Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie (Fn. 114), S. 226. Hans Köchler (H. Köchler, ebd., S. 515) bringt den inzidenten Vorwurf eines soziologischen Methodenmonis­ mus auf die folgende kritische Kurzformel: „Wenn die Normen eines Rechtssystems zwar gelten, weil die Grundnorm vorausgesetzt wird, aber nur wenn diese Rechts­ ordnung wirksam ist, wie (Hans) Kelsen formuliert, wenn mithin eine ‚rechtserzeu­ gende Funktion der Gewohnheit‘ anerkannt wird, dann ist damit der Begriff des Geltens einer Norm auf eine empirisch-faktische Ebene bezogen, die den allgemei­ nen systematischen Anspruch des Grundnorm-Postulates relativiert.“ (Hervorhebun­ gen einschließlich des hier nicht betonten Namens im Original). 229  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 215 ff.; ders., Juristischer Positivismus (Fn. 125), JZ 1965, S. 465 ff. Siehe letztlich zum schwierigen Verhältnis zwischen Geltung und Wirksamkeit in der Reinen Rechtslehre von Hans Kelsen vertiefend A. Somek (Fn. 119), S. 58 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen575

maßen beschrieben: „Ebenso wie die Sollnorm als Sinn des sie setzenden Seinsaktes nicht mit diesem Akte, ist die Soll-Geltung einer Rechtsnorm nicht mit ihrer Seins-Wirksamkeit identisch; die Wirksamkeit der Rechts­ ordnung als Ganzes und die Wirksamkeit einer einzelnen Rechtsnorm sind – ebenso wie der Normsetzungsakt – Bedingung der Geltung, und zwar Wirksamkeit in dem Sinne Bedingung, dass eine Rechtsordnung als Ganzes und eine einzelne Rechtsnorm nicht mehr als gültig angesehen werden, wenn sie aufhören wirksam zu sein.“230 Demnach seien Setzung und Wirk­ samkeit in der vorgestellten Grundnorm zur Bedingung der Geltung ge­ macht; Wirksamkeit in dem Sinne, dass sie zur Setzung hinzutreten müsse, damit die Rechtsordnung als Ganzes ebenso wie eine einzelne Rechtsnorm ihre Geltung nicht verliere.231 Daraus ergibt sich dann als Maxime, dass die Wirksamkeit eine Bedingung der Geltung, aber nicht diese Geltung sei, dass die Normen einer positiven Rechtsordnung gelten, weil die die Grund­ regel ihrer Erzeugung (ab-)bildende Grundnorm als gültig vorausgesetzt werde, nicht weil sie wirksam seien, wobei sie nur gelten, wenn und solan­ ge als diese Rechtsordnung wirksam sei, was dann der Fall sei, wenn ihre Normen im Großen und Ganzen wirksam seien, d. h. tatsächlich auch befolgt und angewendet werden, eine Regel, die auch für die einzelne Rechtsnorm analog gilt.232 Andererseits könne aber aus der dauerhaften Nichtbefolgung 230  H. Kelsen,

RR (Fn. 20), S. 218 f. RR (Fn. 20), S. 219. 232  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 219 f. Hier ist nun eine rechtstheoretische Präzi­ sierung erforderlich. Durch die hypothetische Grundnorm wird eine idealistische Lösung im Sinne einer hermetischen Trennung von Sein und Sollen verwirklicht, wobei diese objektive Idealität, d. h. dass die Normen unabhängig von der realen Wirklichkeit sind und damit ein über- bzw. außerhalb der Menschen stehendes Sol­ len bedeuten, durch die in der Grundnorm verortete immanente Bedingung der so­ zialen Wirksamkeit wieder relativiert wird. Dennoch bleibt Hans Kelsen seiner rechtsidealistischen Linie treu. Dies ergibt sich daraus, dass er die durch die Befol­ gung bzw. Anwendung der Normen indizierte Wirksamkeit als Bedingung der Gel­ tung der einzelnen Normen sowie der Rechtsordnung von den subjektiven Wollun­ gen, dem subjektiven Anerkenntnis der überwiegenden Zahl der Normadressaten wiederum unabhängig stellt. Damit stellt er sich grundsätzlich gegen die Grundsätze der generellen Anerkenntnistheorie und sieht die subjektive Akzeptanz nicht als Wesensmoment des Rechts an (zum Ganzen H. Kelsen, Das Wesen des Staates, Revue internationale de la théorie du droit 1926 / 27, 5 (7 ff.); ders., RR (Fn. 20), S.  215 ff. (Fn.); E. Kramer (Fn. 184), S. 187 ff.). Ein verfassungsrechtlicher Natur­ staat zeichnet sich so dadurch aus, dass eine entsprechende Umweltnorm wirksam wird, d. h. befolgt und angewendet wird, aus welchen Gründen auch immer, womit der Boden des Rechtsrealismus wieder idealistischeren Konturen zu weichen hat. Beachtlich ist freilich der folgende Einwand, der sich auf die Geltung einer einzel­ nen positiven Rechtsnorm bezieht. Denn die Wirksamkeit könne keine Bedingung der Geltung gerade neu gesetzter Normen sein, weshalb die Begründung ihrer Gel­ tung unabhängig von der Wirksamkeit sei. Bei der ganzen Rechtsordnung stelle sich 231  H. Kelsen,

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

und -anwendung eine desuetudo, d. h. eine negative Gewohnheit, resultieren, deren wesentliche Funktion darin bestehe, die Geltung der bestehenden Norm aufzuheben.233 Gerade diese Möglichkeit einer etwaigen Derogation unter negativen Seins-Vorzeichen hat die methodische Ermahnung einge­ bracht, dass durch einen gewohnheitsrechtlichen Geltungsverlust eine mate­ rielle Determinierung des Rechts eintritt, die den von Hans Kelsen propa­ gierten, strukturellen Formalismus von positiven Rechtsordnungen system­ widrig aushebelt.234 Auch wenn diesem Einwand mit der Interpretation der desuetudo als einer schlichten Praxis der Gewohnheit, die Rechtsnorm nicht anzuwenden, die letztlich von dem negativen Gewohnheitsrecht zu unter­ scheiden ist, begegnet werden kann,235 so bleibt gleichwohl der Eindruck einer inkonsequenten Handhabung des strengen Dualismus von Sein und Sollen und demnach eines geltungstheoretischen Übergewichts der soziolo­ gischen Wirklichkeit gegenüber dem von der hypothetischen Grundnorm dagegen das Problem, dass keine Rechtsordnung Festlegungen über ihre Geltung als Ganze treffen könne, da die Geltung solcher Regelungen ja bereits von der Geltung der Rechtsordnung abhängig sei. Daraus folge letztlich das erkenntnistheoretische Erfordernis der Voraussetzung einer relativen Grundnorm als Bedingung der norm­ wissenschaftlichen Untersuchung einer bereits wirksamen Zwangsordnung als Rechtsordnung (so R.  Lippold (Fn. 228), S. 86 ff.; zum problematischen Phänomen des Beginns der Normgeltung auch E. Kramer (Fn. 184), S. 189; G. N. Dias, Rechts­ positivismus und Rechtstheorie (Fn. 114), S. 227 f.). Gegen den ersten Einwand kann vorgebracht werden, dass bereits die Setzung einer positiven Norm durch ein legiti­ miertes Staatsorgan eine Wirksamkeit indiziert (in diesem Sinne genügt Hans Kelsen eine „potentielle Wirksamkeit“, d. h. dass die Norm wirksam werden kann; H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 10 f.; ders., Eine „Realistische“ und die Reine Rechtslehre (Fn. 168), ÖZöR 1959 (10), 1 (10); H. Rottleuthner, Rechtstheorie und Rechtssozio­ logie, Freiburg u. a. 1981, S. 94 f.; R. Thienel (Fn. 119), S. 30 / 33). Nicht von der Hand zu weisen ist dagegen der Umstand, dass Hans Kelsen in Bezug auf die Geltung der ganzen Rechtsordnung einen abgeschwächten Rechtsrealismus vertritt (so nur R.  Lippold, ebd., S. 91; vgl. auch R. Thienel, ebd., S. 31 f.). 233  H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 119  f.; ders., RR (Fn. 20), S. 220; vgl. auch M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 171; R. Lippold (Fn. 228), S. 88 f.; R. Thienel (Fn. 119), S. 30 / 33. Im staatswissenschaftlichen Schrifttum wird diese Position von Hans Kel­ sen insoweit kritisch gesehen, als die Annahme der desuetudo die Anwendbarkeit der Reinen Rechtslehre auf bestimmte Rechtssysteme wie das Common Law, die diese nicht anerkennen, ausschließt; so M. Losano (Fn. 227), S. 82 / 91 ff.; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts, ebd., S. 171 f.; J. Harris, Law and Legal Science – An inquiry into the concepts legal rule and legal systems, Oxford 1979, S. 122 f.; R. Thienel, ebd., S. 34 f.; G. N. Dias, Rechtspositi­ vismus und Rechtstheorie (Fn. 114), S. 230 f.; vgl. auch K. Röhl (Fn. 192), JZ 1971, 576 (578); R.  Lippold, ebd., S. 88 Fn. 26. 234  So etwa M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts (Fn. 109), S. 171; vgl. auch H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechtsund Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298 f.); R.  Lippold (Fn. 228), S. 92 f. 235  So S. Uecker (Fn. 111), S. 99 (Hervorhebungen im Original).



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen577

angeleiteten „Sollens“ des Stufenbaus der normativen Rechtsordnung.236 In der Rechtswissenschaft hat dies neben der schon von Carl Schmitt ange­ brachten Typisierung der Grundnorm als der „Tautologie einer rohen Tatsächlichkeit“237 zu weiteren verpönenden Umschreibungen des Verhält­ nisses von Geltung und Wirksamkeit nach der Rechtslehre von Hans Kelsen geführt, wonach sich etwa das vom Sein getrennte Sollen über den gedach­ ten Umweg der Grundnorm im Ergebnis doch „aus dem als solchen für (Hans) Kelsen sinn- und wertfremden Sein, der (bloßen) Faktizität“ ergebe,238 die Geltung nur mittelbar aus der soziologischen Wirklichkeits­ welt resultiere,239 was schließlich „geradewegs zur absoluten Rechtsgel­ tungslehre des Rechtsrealismus, zum ‚Gesetzespositivismus‘ (…) als Spielart naturrechtlichen Denkens“240 führen müsse.241 An anderer Stelle wird die transzendentallogische Konstruktion der hypothetischen Grundnorm als das verschleiernde Gesicht des „Gorgonenhaupt(s) der Macht, das sich hinter dem Recht verbirgt“, benannt,242 womit die Kritik einer nur scheinbar durchgehaltenen Dualismusstringenz von Sein und Sollen eindeutig zum Ausdruck gebracht wird. Die Aushebelung dieser Kritikpunkte bedarf einer tieferen Einsicht in das staats- und rechtstheoretische Gesamtkonzept von Hans Kelsen, wobei gerade die Einbeziehung der natürlichen Lebensgrund­ lagen in ihrer originären Faktizität zu einer Bestätigung der Richtigkeit der axiomatischen Systemstrukturierung von Hans Kelsen führt. Für den Be­ gründer der rechtstheoretischen Wiener Schule ist der Staat mit der norma­ tiven Rechtsordnung identisch, die eine überindividuelle, da von der subjek­ tiven Willkür der dem Staat angehörenden Menschen, von der Summation subjektiver Willensakte unabhängige, objektive Idealität darstellt.243 Eine naturstaatliche Ordnungsimmanenz des modernen Staates setzt also nicht 236  M.  Losano (Fn. 227), S. 89; vgl. auch H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (297 ff.); R. Thienel (Fn. 119), S. 32. 237  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 8 f. 238  K.  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Fn. 139), S. 74; vgl. hier­ zu auch R. Wolf, Gerechtigkeit und Umweltschutz. Von subjektiv-rechtlichen Be­ gründungsparadoxien zu kollektiv-rechtlichen Lösungsansätzen, ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (173). 239  M. Rath (Fn. 137), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1988, 207 (209 /  215). 240  R.  Lippold (Fn. 228), S. 86. 241  Die Aufzählung dieser negativen Einordnungen hinsichtlich des Verhältnisses von Geltung und Wirksamkeit bei Hans Kelsen ist bis auf das angeführte Zitat von Carl Schmitt der Darstellung von S. Uecker (Fn. 111), S. 101 nachgebildet. 242  H. Kelsen, Die Gleichheit vor dem Gesetz (Fn. 225), VVDStRL 1927 (3), S. 55; M.  Losano (Fn. 227), S. 88; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (332); J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 20. 243  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

einen konkreten Grad der real-psychischen Umwelt- und Naturraison der Menschen voraus, die sich in tatsächlichen Machtverhältnissen äußert, son­ dern entscheidend ist der objektive Sinngehalt, der sich als inhaltliche Wertgesetzlichkeit der Naturwirklichkeit versteht und dabei als dialektisches Korrelat der soziologischen Wirkmechanismen supraindividuell und sonach mit einer objektiven Idealität die Sphäre des realen Seins überlagert.244 Auf diese Weise stellt sich die Rechtsordnung „allein (als) Folie (dar), die sich über den Kausalzusammenhang des Naturgeschehens legen lässt (…) (und) als loses, interpretatorisch erhellendes, aber keineswegs unerlässliches und im Grunde höchst artifizielles Gespinst, welches den Dingen und Gescheh­ nissen einen Sinn verleiht“, in Erscheinung tritt.245 Als Deutungs- und Be­ wertungsschema für das wirkliche Verhalten der Menschen in der realen Naturprovenienz bietet das Recht damit den objektiven Maßstab eines Wert­ urteils, wobei diese Eigenschaft unter der Bedingung der sozialen Wirksam­ keit einer gültigen Rechtsnorm steht, d. h. dass die entsprechende Norm von den zuständigen Rechtsorganen angewendet und von den der Rechtsordnung unterworfenen Subjekten befolgt werden müsse.246 Damit spricht vieles dafür, den kritischen Ansichten hinsichtlich des Verhältnisses von Geltung und Wirksamkeit zuzustimmen. Denn eine naturrelevante Verfassungsnorm als einer nach dem dynamischen Stufenbau des gesamten Rechtsnormensys­ tems höchsten positivrechtlichen Norm steht stets unter dem immanenten Geltungsvorbehalt der soziologischen Wirksamkeit, so dass es die dem Staat angehörenden Menschen in der Hand haben, den Naturstaat wieder aufzu­ heben, wenn es der Willkür des umweltstaatlichen Staatskönigtums in den Sinn kommt. Das Gorgonenhaupt der Macht, das sich durch die tautologi­ sche Grundnorm verschleiert sieht, überlagert demnach das normative Rechtssystem in seiner Ganzheit und lässt den monistischen Schrei nach einer ausschließlichen soziologischen Geltungsbegründung laut werden. Ei­ ne methodenkonforme Auflösung dieser Problematik wird von Hans Kelsen durch einen gewählten Rekurs auf die von ihm als „alte Wahrheit“ bezeich­ nete Beziehung von Recht und Macht anvisiert, wonach das Recht zwar nicht ohne Macht bestehen könne, dass es aber doch nicht identisch sei mit der Macht, sondern vielmehr eine bestimmte Ordnung oder Organisation der Macht sei.247 Anders gewendet wird die Macht zum Recht, ohne aber in 244  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14 f.; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S. 75 ff. / 91 f. 245  H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn.  20), S. 84. 246  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 11; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 126 f. 247  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 221; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S. 91.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen579

ihm ganz auflösend aufzugehen. Denn dies würde zu einer unkritischen Koinzidenz von Norm und soziologischer Wirksamkeit führen und somit den objektiven Idealwert zerstören, der sich aus der realen Sphäre der Na­ turwirklichkeit allein nie ergeben kann.248 Andererseits dürfen aber auch die grundnormative Geltung und die soziale Realität nicht zu weit ausein­ anderliegen, da ansonsten das Recht als eigengesetzliches System die Funk­ tion als supraindividuellem Deutungsschema für das Verhalten der Menschen einbüßen würde.249 Die objektive Wertverwirklichung als das methodenge­ treue Postulat des kritischen und idealistisch programmierten Positivismus im Sinne der Reinen Rechtslehre wird deshalb zum aushebelnden Ansatz­ punkt der Kritik an der soziologischen Machtüberlagerung der durch die Grundnorm vermittelten normativen Geltung, womit der Weg zurück zum Ausgangspunkt, d. h. zur Beantwortung der Frage nach den Funktionen der in ihrem Status von der sozialen Wirksamkeit bedingten Grundnorm, führt. Die geäußerte Kritik, die in einer summarisch grammatikalischen Zuspit­ zung die hypothetische Grundnorm als tautologisches Gorgonenhaupt einer gesetzespositivistischen Faktizität beschreibt, verkennt die wesentlichen Funktionen dieses transzendentallogischen Denkgesetzes. Die Grundnorm besitzt eine formale Einheitsfunktion, die einen infinitiven Regress des ge­ samten Normerzeugungszusammenhangs verhindert und damit eine Abge­ schlossenheit der Rechtsnormenordnung durch einen anvisierten letzten Zurechnungspunkt als gedanklichem Fluchtpunkt ermöglicht. Zudem über­ sieht diese Kritik aber auch die materielle Funktion der Hypothese als dem 248  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 14; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S. 92 ff. / 98 ff.; ders., Eine „Realistische“ und die Reine Rechtslehre (Fn. 168), ÖZöR 1959 (10), 1 (9  f.); E. Kramer (Fn. 184), S. 187 / 193 f.; S. Uecker (Fn. 111), S. 96; vgl. auch H. Janzen, Kelsen’s theory of law, The American political science review 1937 (31), 205 (208 f. / 221 f.); H. Rottleuthner, Rechtstheorie und Rechtssoziologie (Fn. 232), S. 93 f.; H. Dreier, Rechts­ lehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 124 Fn. 201. Ausführlich zu den verschiedenen rechtstheoretischen Positionierungsoptionen in Bezug auf das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit R. Thiele (Fn. 119), S. 21 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie, ebd., S. 123 f. Siehe zum un­ kritischen Positivismus auch R.  Walter / C.  Jabloner, Der Einfluss deutscher Emig­ ranten (Fn. 118), S. 526 ff. Henry Janzen: „However, the normative sphere and that of actual occurences must not coincide; to regard them as identical amounts to a negation of law, for laws, being rules of conduct, obviously have a meaning only if a difference between the two spheres is possible. And, if the disparity is too great, law cannot be used as a criterion for the evaluation of human conduct. (…) Never­ theless, in his attempt to explain the imperative character of law in a strictly legal fashion, (Hans) Kelsen distinguishes between effectiveness and validity. He says first of all that effectiveness is not the decisive factor for the validity of law.“ (H. Janzen, ebd., American political science review 1937 (31), 205 (208 f.)). 249  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 18 f.; E. Kramer (Fn. 184), S. 187 / 193 f.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

gebotenen Denkmittel für die Transformation der realen Machtverhältnisse in das Reich des objektiven Geistes im Sinne eines (relativen) Idealis­ mus.250 In ihrer Eigenschaft als transzendentallogischer Denkregel für eine apriorische Erkenntnis des Normensystems als Rechtsordnung ist sie aber gleichsam auch Ausdruck einer originär gegebenen Fundamentalität. Die Naturseite im Staat, d. h. das Volk und das natürliche Gebiet,251 besitzt ein denklogisches Vorrecht der realen Faktizität vor der subjektiven Vernunft, weshalb es eines rationalen Denkaktes bedarf, um die soziologischen Machtverhältnisse in das geistige Reich der idealtypischen Objektivität zu überführen, ohne dass die politischen Urgrößen252  ‒ pouvoir constituant und pouvoir naturel – dabei aber aufhören würden, real zu existieren, d. h. sie sind aus dem Staat als Machtfaktoren nicht wegzudenken.253 Damit steht dann aber auch fest, dass eine objektive Idealität nur unter der Beachtung der politischen Machtdimensionen möglich ist, da eine objektive Rechtsnor­ 250  So S. Uecker (Fn. 111), S. 102 f. Siehe zu diesen Funktionen der Grundnorm bereits oben Fn. 117 / 120. 251  R. Kjellén (Fn. 17), S. 42 ff. 252  Nach der naturalistischen Staatsorganismuslehre von Rudolf Kjellén steht der aus den politischen Urgewalten des Gebiets und des Volks bestehenden Naturseite die Kulturseite gegenüber, zu der auch die Kategorie des Rechts gehört. Ohne diese Urgewalten kann es aber gar keinen Staat geben; so R. Kjellén (Fn. 17), S. 42 ff. /  47 / 96. 253  Darin spiegelt sich die Permanenz, d. h. die fortdauernde Existenz der verfas­ sunggebenden Gewalt innerhalb des modernen Staates, wider; in diesem Sinne be­ reits C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 77; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II: Verfassungsstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2008, § 24 Rn. 7; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 95 ff.; A. Alvarez (Fn. 2), S. 71; D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1992 (39), 1 (5); W. Henke (Fn. 12), Der Staat 1980 (19), 181 (207 f.); differenzierend E. Gutmann (Fn. 2), S. 100 ff.; a. A. etwa K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 28), S. 153; M. Kriele (Fn. 2), S. 237 ff.; die konträren Positi­ onen (Deismus / Theismus) erläuternd J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 33 f. Henner Jörg Boehl skizziert das permanente Zugegensein des pouvoir constituant innerhalb des Staates mit den folgenden Worten: „Der pouvoir constituant ist also zwar permanent und unveräußerlich beim Volk; er wirkt sich aber in der Normallage des Verfas­ sungsstaates nur als Potentialität aus, als das sich in der Kooperation, Duldung oder Abwesenheit von Revolution äußernde Forttragen der Verfassungsentscheidung.“ (H. J. Boehl, ebd.). Eine ähnliche Relevanz besitzt der permanent vorhandene pou­ voir naturel im Staat, dem in der verfassungsmäßigen Normallage nur die Bedeutung einer den Staat notwendig mittragenden Erscheinung zukommt. Aber auch die Na­ turgewalt kann entsprechend einer Revolution das gesamte Staatssystem mit einer Katastrophe grundlegend erschüttern, was ihre Funktion als einem der letzten Gel­ tungsgründe einer verfassten Staatsherrschaft untermauert. In Bezug auf die Natur kann deshalb nur eine theistische Annahme überzeugen, da die Natur als unbere­ chenbarer Faktor im Staat stets gegenwärtig verbleibt, d. h. als fremdbestimmte Souveränität.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen581

menordnung sich auf eine hypothetische Grundnorm zurückführen lassen können muss, die aber nur den transzendentalen Begriff des realen Pendants einer tatsächlichen Anschauungsform einer Naturwirklichkeit darstellt. Der innere, herkömmliche Sinn der Grundnorm von Hans Kelsen setzt eine politische Autorität ein, ein politisches Willensmoment als Größe,254 das real erkennbar wird, wenn der pouvoir constituant als verfassunggebende Versammlung bzw. als wütende Revolution vorgestellt wird, während die Natur in ihrer realen Faktizität stets gegenwärtig und daher sichtbar ist, weshalb der äußere Sinn der Grundnorm insoweit plausibler erscheinen muss. Die Fundamentalität im Staat bedingt deshalb die ewige und zeitlose, objektive Idealität, so dass eine Wertverwirklichung nur unter dem stetigen Balanceakt zwischen der juristischen Geltung und der soziologischen Wirk­ samkeit in Betracht kommen kann. Daraus ergibt sich nun aber dann gleich­ zeitig, dass ein legitimes Staatsleben ohne einen formalen Naturbeachtens­ befehl nicht möglich sein kann, da eine objektive Idealität sonst nie erreicht werden würde. In diesem Ansatz steckt zugegebenermaßen eine Parallele zu der positiven Verfassung von Carl Schmitt, der das Staatswesen auf dem materiellen Fundament einer absoluten Einheitsvorstellung entstehen lässt, nur dass die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen inhaltsleer bleibt.255 Die Rechtsordnung als folienartiges Deutungs- und Bewertungsschema für das Verhalten der Menschen ist somit zwar durch die soziologische Wirk­ samkeit bedingt, weshalb eine juristische Geltung der Rechtsnormen nur dann vorliegen kann, wenn sie angewendet und befolgt werden, wobei eine objektive Wertverwirklichung stets nur unter einer Rückkopplung an die fundamentale Grundnorm möglich ist. Die gedachte Hypothese behält der normativen Rechtsordnung eine originäre Idealität, die durch einen unkriti­ schen Rechtspositivismus nivelliert werden würde. Der pouvoir constitué ist demnach an die geschriebene Verfassung gebunden und kann etwaige Revi­ sionen nur im Rahmen der konstitutionellen Vorgaben für eine Verfassungs­ änderung tätigen. Insoweit bedarf es daher bestimmter Voraussetzungen, die zumindest eine erschwerende Hürde auf dem Weg zu einer totalen Staats­ umwälzung darstellen, wobei eine positivrechtlich verankerte Ewigkeitsga­ rantie einen unverbrüchlichen Verfassungskern gegen ändernde Durchgriffs­ 254  Siehe zu der Einordnung der konstituierenden Autorität bzw. Macht C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 9), S. 20 f. / 75; E.-W. Böckenförde, Die verfassung­ gebende Gewalt (Fn. 2), S. 10 f.; H.-P. Schneider, Die verfassunggebende Gewalt (Fn. 9), § 158 Rn. 1 / 15; H. J. Boehl (Fn. 12), S. 87 / 91. Zu bedenken ist freilich aber, dass es einen wesentlichen Unterschied ausmacht, ob zwischen einer funda­ mentalen Verfassung und dem Verfassungsgesetz differenziert wird, oder ob die Verfassung als einheitlicher Setzungsakt des pouvoir constituant aufgefasst wird. 255  Auf einer Staatsrechtslehrertagung hat Hans Kelsen in Richtung von Carl Schmitt sogar ausdrücklich moniert, dass seine Grundnorm doch etwas Ähnliches sei, wie dessen positive Verfassung. Vgl. hierzu W. Kersting (Fn. 114), S. 289 f.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

praktiken absichert. Noch deutlicher wird die Relevanz einer originären Fundamentalität im Staat, wenn die natürlichen Lebensgrundlagen als reale Entsprechung der Grundnorm in ihrem äußeren Sinn einbezogen werden. Die äußere Ausformung des hypothetischen Denkgesetzes vervollständigt die Rechtsordnung nicht nur um den sie bedingenden Boden und transfor­ miert die Faktizität der Machtkomponente der Natur in das Reich einer objektiven Vorstellungswelt, sondern sie ist zudem der transzendentallogi­ sche Begriff einer denklogischen Basis, ohne den der moderne Staat als ideelle Normenordnung nicht mehr gedacht und eine objektive Wertverwirk­ lichung im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich ist. Aus dem der Grundnorm von Hans Kelsen zugrunde liegenden Effizienzgebot ergibt sich letztlich nichts anderes. In die hypothetische Denkregel wird eine Autorität einge­ setzt, die Gewähr für eine dauerhafte Friedensordnung bieten kann.256 Zu­ dem aber wird die Natur als kooperative Autorität gedacht, die dem einge­ setzten politischen Willen formal zugeordnet ist, woraus sich eine normati­ ve Naturbeachtensregel ergibt, ohne dass diese angenommene Denkgesetz­ lichkeit aber als ein verbindlicher kategorischer Imperativ missdeutet werden darf, um den souveränen politischen Willen nicht zu untergraben.257 Damit wird schließlich klargestellt, dass sich das grundnormative Effizienzgebot auch auf eine transzendentallogische, gedankliche Absicherung der natürli­ chen Lebensgrundlagen bezieht, um eine dauerhafte Friedensordnung auch unter Einbeziehung einer generationenübergreifenden Nachweltverantwor­ tung zu sichern.258 Berücksichtigt man nun, ohne aber den methodischen Formalismus der Reinen Rechtslehre zu durchbrechen, dass Hans Kelsen in der Staatsform der Demokratie die bestmögliche Gewähr für eine soziale Integration und einen dauerhaften Frieden in individueller Freiheit und Selbstbestimmung erblickte, wobei er zudem aber auch materielle Elemente der Demokratie wie einen konkreten einheitlichen Bestand an soziokulturel­ len Bedingungen annahm, so kann letztlich in dem in der  ‒ inneren wie 256  Siehe hierzu H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 22 f.; A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm (Fn. 73), S. 1813; ders. (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (423); L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 211 ff. Leonidas Pitamic skizziert das Problem mit den Worten: „Der Begriff ‚Ordnung‘ ist mit dem Begriff ‚Wirksamkeit‘ so verknüpft, dass die Ordnung aufhört Ordnung zu sein, wenn sie nicht mehr wirksam ist, und der Begriff ‚Recht‘ ist mit dem Begriff ‚Ordnung‘ so verknüpft, dass das Recht aufhört Recht, d. h. geltendes Recht, zu sein, wenn es nicht mehr Ordnung ist. Darum muss die rechtliche Grundnorm die Wirksamkeit der das äußere Verhalten der Menschen an­ ordnenden Normen zum Inhalt haben.“ (L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), ebd., S. 213). 257  Auf dieser Stufe lediglich ein „Können“; insoweit bereits (Fn. 186). 258  Siehe zur Nachweltverantwortung M. Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 192 f.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen583

äußeren – Grundnorm verorteten Effizienzgebot auch grundsätzlich eine Absage an anarchistische Zustände und totalitäre Systeme gesehen werden, die eine dauerhafte Friedensordnung und ein die Menschenwürde garantie­ rendes Dasein überhaupt nicht gewährleisten können, sowie durch den äu­ ßeren Sinngehalt der Grundnorm aber auch eine ablehnende Haltung gegen­ über kapitalistischen, sozialistischen bzw. sonstigen expansiv ausgerichteten staatlichen Wirtschaftsordnungen, die den ökonomischen Erfolg skrupellos unter ständiger Missachtung der Bedeutung der natürlichen Lebensgrundla­ gen erkaufen und das Bedürfnis nach einer menschenwürdigen Umwelt unter dem Dampf und Qualm der industriellen Schornsteine begraben.259 259  In diesem Sinne nur L. Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 211 ff. Im staatswissenschaftlichen Schrifttum ist Hans Kelsen aufgrund der ausschließlich formalen, inhaltsleeren Dimension der Grundnorm vorgeworfen worden, dass er mit diesem radikalen Formalismus beliebige, im Extremfall auch autoritäre bzw. totalitäre staatliche Unrechts- und Gewaltregime legitimiere; vgl. dazu W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 920; A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 117), S. 38; H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298); R. Bindschedler (Fn. 118), S. 68; H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 517; M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 119), S. XVI; W. Schluchter (Fn. 117), S. 43; W. Kersting (Fn. 114), S. 289. Die Reine Rechtslehre ist eine Lehre des künstlichen, positiv gesetzten Rechts. Materiell-ethische Werte im Sinne der unvollkommenen Naturrechtsdoktrin sind ihr fremd, insofern sie nicht im Sinne der antiken-mittelalterlichen Tradition ihren Niederschlag in etwaigen positiven Rechtsnormen gefunden haben. Diese strenge Trennung von Recht und Moral führt grundsätzlich auch zu einer formalen Nichtberücksichtigung des absoluten, unantast­ baren Werts der Menschenwürde, der eigentlich nicht der subjektiven und damit will­ kürlichen Disposition eines bewussten menschlichen Setzungsakts unterliegen dürfte, um als Rechtsnorm mit unbestreitbarem und unbedingtem Geltungsanspruch aner­ kannt zu sein. Die Reine Rechtslehre kann diesen höchsten Ethikwert aber nur im Rahmen der rechtswissenschaftlichen Behandlung des positiven Rechtsnormenmateri­ als erfassen, da sie sich ausschließlich mit dem normlogischen Zusammenhang und dem Wesen des Sollens, nicht aber mit den außerjuristischen Domänen der Ethik und der Soziologie beschäftigt (H. Kelsen, FS Giacometti (Fn. 106), S. 153). Daraus darf aber keinesfalls gefolgert werden, dass sich Hans Kelsen der Bedeutung der unantast­ baren Menschenwürde nicht bewusst war bzw. deren Anerkennung gar kritisch gegen­ überstand. Andererseits muss aber auch konstatiert werden, dass der methodische Ausgangspunkt der Reinen Rechtslehre der realen modernen Staatenpraxis entspricht. Denn es gibt auch heute noch eine Vielzahl von Staaten, in denen die Menschenwürde als absoluter und damit unantastbarer Ethikwert nicht anerkannt ist. Hans Kelsen war Demokrat. Für ihn verwirklicht sich die Ideologie der Freiheit am besten im Rahmen einer demokratischen Staatsform, die auf dem relativistischen Modus des absoluten Mehrheitsprinzips in Bezug auf die staatliche Willensbildungs- und Entscheidungsfin­ dung basiert. Die Idee der Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht eines Volkes bil­ den für den Demokraten Hans Kelsen als Ausdruck der Volkssouveränität sonach die Grundpfeiler einer menschenwürdigen Ordnung, die im Hinblick auf die Notwendig­ keit staatlicher Herrschaft nur unter dem Postulat der individuellen Autonomie mög­ lich ist. In einem späteren Werk nähert sich Hans Kelsen zudem einer Überwindung des von ihm vormals selbst vertretenen Dualismus von Demokratie und Liberalismus

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Dies indiziert sonach eine absolute Verbindlichkeit der Menschenwürde, die nicht einmal als eine gesetzte, positivrechtliche Norm bestehen muss, um (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 118), S. 10 f.; H. Dreier, Kelsens Demokratie­ theorie: Grundlegung, Strukturelemente, Probleme, in: G. Dux (Hrsg.), Hans Kelsens Wege sozialphilosophischer Forschung, Wien 1997, S. 93 f.; K. Groh (Fn. 117), S. 131) an, indem er bestimmte Freiheitsgrundrechte als wesensimmanente Elemente der Staatsform einer Demokratie betrachtet (siehe zum später veränderten Verständnis von Demokratismus und Liberalismus bei Hans Kelsen H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung (Fn. 139), S. 14 f.; ders., Foundations of democracy, in: M. Jesta­ edt / O. Lepsius (Hrsg.), Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 253 f. / 291 f. / 303 ff. / 365 ff.; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie, ebd., S. 94 ff.). Zudem geht Hans Kelsen davon aus, dass zum Wesensbestand moderner parlamentarischer Demo­ kratien auch ein positivrechtlicher Katalog an Menschen- und Grundrechten gehört. In diesem Sinne formulierte er: „Denn die Majorität setzt ihrem Begriffe nach die Existenz einer Minorität und es setzt somit das Recht der Majorität die Existenzberechtigung einer Minorität voraus. Daraus ergibt sich zwar nicht die Notwendigkeit, aber doch die Möglichkeit des Schutzes der Minorität gegenüber der Majorität. Dieser Minoritätsschutz ist die wesentliche Funktion der sogenannten Grund- und Freiheitsoder Menschen- und Bürgerrechte, die in allen modernen Verfassungen parlamentari­ scher Demokratien garantiert sind.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 118), S. 53; Hervorhebungen im Original). Darin spiegelt sich die Einsicht wider, wonach die Staatsform der Demokratie auch bestimmter materieller Determinanten der Homo­ genität bedarf, eines Grundbestands an einheitlichen soziokulturellen Bedingungen, ohne dass dadurch aber der rechtswissenschaftlich bedingte Formalismus der Reinen Rechtslehre aufgegeben werden würde (H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie, ebd., S.  94 ff.; W. Schneider, Wissenschaftliche Askese und latente Wertepräferenz bei Hans Kelsen, Freiburg 1996, S. 80 f.). Damit läuft auch das in der Grundnorm verortete Effizienzgebot konform, wonach die Autorität derart stark sein muss, um eine dauer­ hafte Friedensordnung sichern zu können (vgl. auch M. Haase (Fn. 117), S. 53; K. Groh, ebd., S. 134). Denn nur auf diesem Wege ist eine Staatsordnung überhaupt möglich, die zumindest den Frieden unter den Menschen sichert, was als Ausfluss der Menschenwürdegarantie betrachtet werden kann. Es ist nur das formale Prinzip, das das ganze Werk von Hans Kelsen durchfährt und im Anspruch einer reinen Analytik materielle Momente ausblendet (vgl. H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung (Fn. 125), S. 81 f.; ders. (Fn. 42), in: F.-M. Schmölz, Das Naturrecht in der politischen Theorie, S. 149; M. Haase, ebd., S. 53; G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung (Fn. 158), S. 192; G. Luf (Fn. 126), S. 578), ohne dass damit aber eine grundsätzliche Absage an die Ethik und die Soziologie verbunden wäre. Mit anderen Worten ist ein Naturstaat nach der Reinen Rechtslehre in allen möglichen Staatsformen denkbar, was ja auch der Wirklichkeit der Staaten­ welt entspricht. Dies ändert aber nichts daran, dass Hans Kelsen ausschließlich für die Demokratie stritt, die sich nur bei einer grundsätzlichen Anerkennung der Garantie der Menschenwürde und von besonderen liberalen Freiheitsrechten bewerkstelligen lässt; siehe zu Letzterem nur J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (386); K. Groh, ebd., S.  137 ff.; W. Schneider, ebd., S. 80 f. Zur Problematik des Anarchismus in Ab­ grenzung zum Etatismus H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 28 ff.; R. Zippelius (Fn. 133), S.  115 ff.; B. Schöbener / M. Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S.  118 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S.  114 ff.



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verbindliche Geltung zu besitzen,260 die sich auch auf die Fundamentalität der originären Natur erstreckt, sofern die natürliche Existenzgrundlage der modernen Staatlichkeit in die unverletzliche Menschenwürde antastbarer Weise gefährdet wird.261 Es bleibt damit festzuhalten, dass es der Mensch in der soziologischen Wirklichkeit in der Hand hat, umwelt- bzw. naturspe­ zifische Verfassungsnormen unwirksam und folglich ungültig werden zu lassen. Der souveräne Staat kann sich in der Manier eines umweltstaatlichen Staatskönigtums stets über die Natur stellen und diese zerstören, auch wenn er dies nicht „soll“. Der transzendentallogische Denkakt einer Grundnorm transformiert die realen Mächte, die politischen Autoritäten in der Form eines subjektiven Willens bzw. der Natur, in das Reich des objektiven Geis­ tes, um eine Idealität der Rechtsordnung zu ermöglichen. Entfernen sich die Menschen in ihrem willkürlichen Wesen aber von den gegebenen Funda­ mentalitäten im Staat zu weit, ist das Staatswesen zumindest auf Dauer nicht mehr zu retten. In diesem Fall ist dann die Grundnorm in ihrem inne­ ren und auch äußeren Sinn tatsächlich eine das Gorgonenhaupt der Macht verschleiernde Konstruktion, da die realen Mächte innerhalb des Staates stets gegenwärtig bleiben. IV. Das Wesen des pouvoir naturel als Konventionalgewalt Die komplementäre Verortung des pouvoir naturel in der den staatlichen Weltkosmos überstrahlenden Grundnorm als der Verfassung im rechtslogi­ schen Sinne führt letztlich zu einer geltungstheoretischen Parallelisierung, die neben einer obersten Autorität eine weitere Befehlsgewalt einsetzt und auf diese Weise einen hypothetischen Formeldualismus verwirklicht, auf dessen unmittelbarer oder mittelbarer Delegation alle Normsetzungsakte zurückgehen müssen.262 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine staat­ 260  Vgl. zu dieser Möglichkeit einer absoluten Geltungsnorm H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 219 f. Siehe zur Anerkennung der unantastbaren Menschenwürde bei Hans Kelsen K. Groh (Fn. 117), S. 137 ff.; vgl. auch H. Dreier, Kelsens Demokra­ tietheorie (Fn. 259), S. 95. Grundsätzlich dazu auch Ph. Mastronardi, Menschenwür­ de als materielle „Grundnorm“ des Rechtsstaates?, in: D. Thürer u. a. (Hrsg.), Ver­ fassungsrecht der Schweiz – droit constitutionnel Suisse, Zürich 2001, S. 238 ff.; M. Kriele (Fn. 2), S. 181  ff. auch unter Berücksichtigung historischer Aspekte; M.  Linke, Demokratische Gesellschaft und ökologischer Sachverstand, St. Gallen 1991, S.  2 f. 261  Siehe zu der menschenwürdigen Dimension der natürlichen Lebensgrundla­ gen nur W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaat­ lichkeit, München 1997, S. 428 f.; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S. 25 ff., v. a. S. 41 ff. 262  Siehe zur Funktion der hypothetischen Grundnorm als der Verfassung im rechtslogischen Sinne H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 250 f.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

liche Herrschaft am Maßstab der ideellen Normenordnung ohne einen ste­ ten formalen Rekurs auf den eine ökologische Legitimation vermittelnden Naturbeachtensbefehl nicht mehr möglich ist, was die Kritiker zu dem Verdacht einer unterschwelligen Nivellierung des postulierten Grundsatzes einer von einem materiellen Normensystem im Sinne der ungekünstelten Naturrechtslehre losgelösten und gänzlich befreiten Reinen Rechtslehre veranlassen könnte. Eine an der inhaltlichen Richtigkeit der von Natur ge­ gebenen (Natur-)Rechtsordnung orientierte ökologische Rechtstheorie wür­ de aber nicht nur den Rechtspositivismus in methodisch unzulässiger Art von Grund auf materiell flankieren, sondern auch radikale Naturstaatsten­ denzen bis hin zu einer ökodiktatorischen Option erheblich begünstigen und so die berechenbare wie vorhersehbare Steuerungseigenschaft des Rechts zugunsten eines Anschauungskampfspiels um eine naturkonforme materielle Gerechtigkeit aufgeben.263 Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die Geltung der Rechtsordnung und mit ihr eine dauerhafte Friedensordnung als Korrelat einer zu Recht gewordenen Macht wesentlich bedroht sind, wenn sich das Gewaltpotential der Natur in Form einer un­ bändigen Katastrophe über den modernen Staat erhebt.264 In diesem Fall 263  Vgl. H. Kelsen, Naturrecht und positives Recht, in: H.  Klecatsky / R.  Mar­ cic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S. 177; H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251. Siehe zu Entwürfen einer ökologischen Ethik und Rechtstheorie die Beiträge in J.  Nida-Rümelin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Öko­ logische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Baden-Baden 2002; vgl. auch W. Berg (Fn. 261), S. 428 f.; G.  Lübbe-Wolff, Recht und Moral im Umweltschutz, BadenBaden 1999, S. 11 ff. 264  In dem Autoritätsformat (der Grundnorm) spiegelt sich der auch von Hans Kelsen gebilligte Gedanke wider, dass letztlich nur eine solche (Rechts)ordnung den sozialen Frieden zu sichern vermöge, welche die sozialen Reibungen auf ein Mini­ mum herabdrücke. Siehe dazu nur A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm (Fn. 73), S. 1813; ders. (Fn. 42), Juristische Blätter 1930 (20), 421 (423); H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 56), S. 22 f.; ders., Die phi­ losophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 42), S. 65; ders., Value Judg­ ments (Fn. 119), Journal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (326 f.); E.  Patterson / G.  Goble (Fn. 119), S. 390; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 73), S. 211 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 118), S. 68; ders., Foundations of democracy (1955) (Fn. 259), S. 294 / 371 f.; R. Bindschedler (Fn. 118), S. 74; M. Haase (Fn. 117), S. 53; K. Groh (Fn. 117), S. 134; J. Kunz (Fn. 114), ÖZöR 1961 (11), 375 (383 f.), der davon spricht, dass Hans Kelsen auch den absoluten Wert der Rechtssicherheit mit dem Argument zurückgewiesen habe, dass die nationalsozialistische Rechtsordnung im höchsten Grad effektiv war und gleichzeitig die größte Rechtsunsicherheit für die Individuen erzeugte; vgl. auch J. Harris (Fn. 120), The Cambridge Law Journal 1971 (29), 103 (103 ff. / 116 ff.); E. Bucher (Fn. 113), S. 54 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 1087 ff. Julius Moór (J. Moór (Fn. 114), S. 73 ff.) spricht sogar von der objektiven Sollgeltung des Rechts als absoluter Geltung, wobei er diese bei Hans Kelsen angesichts dessen Betonung der relativen, bedingten Dimension des Rechts



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen587

wird das von Thomas Hobbes mit dem biblischen Fabeltier des Behemoth symbolisierte Schreckensszenario eines Rückfalls in den staatsherrschafts­ losen Naturzustand des Bürgerkrieges265 wieder relevant, da der Staat und mit ihm das Recht möglicherweise zumindest partiell nicht mehr bestehen können. Denn ist das Staatsgebiet in der Folge einer Tsunami bedingten Naturkatastrophe zur Hälfte buchstäblich „unter Wasser gestellt“, wird die von Carl Schmitt ausgewählte Bezeichnung des Rechts als von der positi­ ven Verfassung abstrahiertem Situationsrecht bedeutsam, mit der er die vom Nichteintritt eines konkreten Ausnahmezustands abhängige Rechtsver­ bindlichkeit und demnach die Relativität des positiven Rechts hervorheben wollte.266 In der äußersten Folge  – und das muss hier betont werden  ‒ wieder verneint. Dabei ist aber zu beachten, dass die von Josef Kunz angeführte Passage den rechtsstaatlichen „Zweck“ des Schutzes der Menschen vor dem Staat betrifft, nicht aber mit dem Sicherheitszweck den fundamentalsten aller Staatszwe­ cke. Alfred Verdross betont insoweit: „Die Wahl der Grundnorm erklärt sich offen­ kundig daraus, dass auch (Hans) Kelsen das Recht, im Sinne der traditionellen Rechtslehre, als Friedensvertrag betrachtet. Da nun aber bloß eine regelmäßig wirk­ same Macht Ruhe, Ordnung und Sicherheit im (menschlichen) Zusammenleben zu stiften vermag, muss durch die Grundnorm eine effektive Autorität inthronisiert werden, wenn das Recht als Friedensordnung definiert wird.“ (A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtliche Grundnorm, ebd., S. 1812). Zu dem Umstand, dass sich die Macht im Recht manifestiert H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 44. Aus den Ausfüh­ rungen ergibt sich, dass nur eine Autorität in der Grundnorm installiert werden darf, die Gewähr für die Beibehaltung der Friedensordnung bietet. Da aber nur ein menschlicher Wille als Autorität, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen demokratischen oder autoritären Willen handelt, in der Grundnorm zum Ausdruck kommen kann, muss diese Autorität von Grund auf gemäßigt werden, um die fun­ damentale Friedensfunktion verwirklichen zu können. Denn ohne die natürlichen Lebensgrundlagen, die als Geltungsgrund der Rechtsnormenordnung anzusehen sind, ist der aus einem System von Normen bestehende Staat nicht (mehr) existenzfähig. Der Natur kommt so die grundlegende Funktion einer elementaren Friedensbedin­ gung zu, die der Autorität zu Effizienz gereicht. Siehe zum elementaren Zusammen­ hang von Friedensordnung und Umweltschutz M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 60), S. 78; J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstverständnis des demokratischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, S. 565 ff.; vgl. insoweit auch die Ausführungen bei D. Murswiek, Umweltschutz als Staats­ zweck (Fn. 3), S. 40 ff.; W. Berg (Fn. 261), S. 434. 265  B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 259), S. 133; vgl. hierzu auch J. Isensee, Wi­ derstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 264), DÖV 1983, 565 (575); D.-E. Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Tübingen 2004, S. 5 Fn. 16; U. Thiele, Von der Volkssouveränität zum Völker(staats)recht. Kant – Hegel – Kelsen: Stationen einer Debatte, in: O. Eberl (Hrsg.), Transnationalisierung der Volkssouveränität, Stuttgart 2011, S. 180. Zu der den Naturzustand überwindenden Funktion des Staates D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 3), S. 15 ff. 266  C. Schmitt, Politische Theologie, Nachdruck der 2.  Aufl. (1933), 7. Aufl., Berlin 1996, S. 19: „In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetre­ ten, wenn erst die Situation geschaffen werden muss, in der Rechtssätze gelten

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

kann es ohne Naturgeltung zumindest vorübergehend auch keine Rechtsgeltung (mehr) geben.267 Allein diese Tatsache wäre geeignet, eine überpo­ können. In ihm zeigt sich die Dezision in absoluter Reinheit. Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muss eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale Zu­ stand wirklich herrscht. Alles Recht ist ‚Situationsrecht‘. Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Totalität. Er hat (stets) das Monopol dieser letzten Entscheidung.“ 267  Die Grundnorm symbolisiert damit die Geltungsgrundlage des positiven Rechts; siehe hierzu nur H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 205; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 117), S. 93 ff.; ders., Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn. 115), S. 24 f.; ders., Vom Geltungsgrund des Rechts (Fn. 120), S. 1162 ff.; ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 42), Poli­ tische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (324); ders., Recht, Rechtswissenschaft und Logik (Fn. 119), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), S. 545; ders., Verhandlungen Juristentag (Fn. 118), S. 68; S. Marck (Fn. 44), S. 27; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 20), S. 42 f.; W. Krawietz (Fn. 109), Sp. 918 f.; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 120), JZ 1972, 329 (332); E. Bucher (Fn. 113), S. 53 f.; P. Koller (Fn. 117), S. 153 ff.; J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 19; W. Schluchter (Fn. 117), S. 40; vgl. hierzu auch S. L.  Paulson, Die Funktion der Grundnorm (Fn. 109), S. 557 ff.; M. Pawlik, Die Lehre von der Grund­ norm (Fn. 114), Rechtstheorie 1994 (25), 451 (454); M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1015); F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 114), S. 365; A.-J. Korb (Fn. 25), S. 71; A. Vonlanthen, Anschauung über die Rechtsnorm (Fn. 117), S. 32; W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung (Fn. 51), S. 15 ff. Grundsätzlich zum Untergang des modernen Staates im Zusammenhang mit Natur­ katastrophen H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 35), S. 135. Gehaltvoll ist insoweit die folgende Passage von Hans Kelsen: „Tritt an Stelle der alten Ordnung eine neue, so ist nicht danach die Frage, ob die Menschen ihr tatsächliches Verhalten geändert haben, sondern ob die Rechtsordnung verfassungsmäßig geändert wurde. Ist das Letztere nicht der Fall, liegt Revolution vor. Und dieses Geschehen ist vom Stand­ punkt der dadurch gebrochenen Staats- oder Rechtsordnung staats- oder rechtswidrig, nichtig, ist Nichtrecht, Nichtstaat, sondern Gewalt.“ (H. Kelsen, Der soziologi­ sche und der juristische Staatsbegriff, ebd., S. 96 f.; Hervorhebungen im Original). Ein naturbedingter Übergriff, eine Naturkatastrophe, ist ebenfalls staatserschütternde Revolution, Nichtrecht, Gewalt. Im schlimmsten Fall führt dies zu dem Erlöschen der Geltung der staatlichen Ordnung. Das Revolutionäre besteht schließlich darin, dass zwischen dem Zustand vor und nach der wütenden Naturkatastrophe „nicht die Kontinuität, nicht die Einheit eines gesetzlichen Zusammenhangs besteht.“ (H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff, ebd., S. 97). Mit anderen Worten: Durch die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen wird der verobjek­ tivierte Geltungszusammenhang zwischen Staat und Natur durchbrochen. In der Folge kann die Rechtsordnung unter anderem zumindest kurzfristig keine natürliche Geltung mehr beanspruchen. So wird ein Staatsgebiet nach einer nuklearen Katast­ rophe wie im ukrainischen Tschernobyl im Jahre 1986 unbewohnbar. Dies streitet aber dann gleichsam auch für die kontinuierliche Beachtung der Natur im Rahmen des „normalen“ Staatslebens. Siehe zur nicht wegzudenkenden Relevanz des Gebie­ tes für den modernen Staat D.-E. Khan (Fn. 265), S. 1 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen589

sitivistisch fundierte, materielle und sittliche Durchdringung des Rechts mit ökologischen Gedankeninhalten zu legitimieren, was im schlimmsten Fall zu einem demokratischen Leerlaufen führen könnte, wenn nicht mehr alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, sondern zunächst der pouvoir naturel ab­ solute Beachtung verdienen müsste, bevor der Rechtserzeugungs- und -an­ wendungsprozess beginnen kann. Dass ein derartiges, die unantastbare Menschenwürde tangierendes und die Rechtsordnung unter einen grund­ sätzlichen Geltungsvorbehalt der Natur stellendes Verständnis des in der Grundnorm verankerten Formeldualismus nicht richtig sein kann, versteht sich von selbst, da sich der Mensch als autonomes und rational denkendes Wesen stets über die Natur stellen kann, ohne dies aber eigentlich zu sollen. Den Schlüssel zu einer angemessenen Umgangsresonanz mit der Natur im Staat bietet wieder die völkerrechtliche Außenperspektive, die in der Natur einen gleichberechtigten Machtpartner erkennt, der zwar staatsanalog auch eine materielle Naturrechtsordnung im Innenbereich der Natur besitzt, dem modernen Staat aber als positiv sowie negativ dimensionierte Macht erscheinen muss, mit der eine dauerhafte Kooperation erforderlich ist, um die staatliche Existenz letztlich auch im Sinne der Nachweltverantwortung generationenübergreifend zu sichern. Die souveräne Rechtsordnung wird daher grundsätzlich durch das materielle Normensystem des Naturrechts nicht angetastet, die gekünstelte, da von Menschen gesetzte, positive Rechtsordnung bleibt für sich damit unbefleckt und rein. Der Mensch kann folglich den ganzen Bodensee zuzementieren, wenn dies von der Rechts­ ordnung als dem maßgeblichen Deutungsschema und Ausdruck der objek­ tiven Idealität nicht verboten ist, wenngleich er dies nicht soll. Vermittelt wird dies womöglich verfassungsrechtlich durch eine spezifische Norm, wenngleich die Erfahrung zeigt, dass es sich bei diesen kunstvollen Be­ stimmungen oft mehr um Verfassungsrhetorik handelt, als dass sie den po­ litischen Prozess effizient ankurbeln können.268 Daher ist eine verstärkende Einsicht erforderlich, die den Umgang mit der Natur im Rahmen der Rechtsschöpfung unterstreicht, ohne die Menschenwürde anzutasten bzw. diktatorischen Tendenzen das Wort zu reichen, wobei an dieser Stelle aus­ drücklich betont sei, dass ein moderner Staat der heute überhaupt keinen Umweltschutz betreibt, den Menschen in verantwortungsloser Manier zum 268  Siehe zu der verfassungsrhetorischen Problematik von Programmsätzen in der Verfassung nur P. Badura, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII: Normativität und Schutz der Verfassung – Internationale Beziehungen, Heidelberg 1992, § 160 Rn. 42; die dies­ bezüglich kritischen Positionen in Bezug auf das spätere Staatsziel Umweltschutz in Art. 20a GG zusammenfassend M. Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht, DVBl 1988, 305 (315 f.); kritisch hinsichtlich des späteren Staatsziels Tierschutz in der Verfassungsnorm des Art. 20a GG M.  Kloepfer / M.  Rossi, Tierschutz in das Grundgesetz?, JZ 1998 (53), 369 (375 / 378).

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

potentiellen Objekt staatlichen Handelns macht.269 Für diese naturbezogene Forderung einer systemimmanenten Ergänzung gibt es in der Rechtswis­ senschaft bereits eine terminologische Kategorie, die auf den Charakter der im Staat stets zu beachtenden Natur passt und dabei den notwendig nach­ giebigen Naturgewalttypus unter garantierter Beibehaltung einer gleichsam eindringlichen Befehlsform hervorhebt: die Konventionellen Verfassungsregeln.270 Diese im Gegensatz zu den positiven Rechtssätzen der geschriebe­ nen Verfassung stehenden Konventionalregeln bilden nichtpositivistische, aber realtypische Normvollzugsregelungen, die in der Gesamtheit eine po­ litische Ethik271 zum Ausdruck bringen, deren Gebote stets streng befolgt werden und befolgt werden müssen. Sie bilden Recht, insoweit sie aner­ kannte und garantierte Normen für die Ausübung der Staatsgewalt enthal­ ten, aber sie haben in den meisten Fällen nicht den Charakter von zwin­ gendem, sondern nachgiebigem Recht, das fortwährend an die sich verän­ dernden politischen Verhältnisse angepasst werden kann, so dass eine Ab­ weichung von diesen Konventionalregeln keinen Rechtsbruch bedeutet.272 Hans Kelsen präzisiert das faktische Wesen dieser Konventionalregeln, indem er sie den formalen Rechtssätzen gegenüberstellt. Demnach handle es sich bei den normativ-juristisch noch nicht fassbaren und damit im Vor­ stadium des Rechts anzusiedelnden Konventionalregeln um eine auf das reale Handeln der Staatsorgane, auf das faktische Funktionieren des Rechtsapparates, das wirkliche Geschehen also, und nicht bloß auf die for­ malen Rechtssätze gerichtete, eine dem Sein und nicht dem Sollen zuge­ wendete Betrachtung, die als motivierende Anweisung auf das handelnde Organ wirke und so als Ursache auch eine Wirkung aus der Vergangenheit in die Zukunft übe.273 Um nun eine dogmatische Brauchbarkeit für die 269  Siehe zu der Objektformel nur M. Antoni, in: K.-H.  Seifert / D.  Hömig, Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl., Baden-Baden 2013, Art. 1 Rn. 4 m. w. N. Dem­ nach dürfe der Mensch keiner Behandlung ausgesetzt werden, die ihn zum bloßen Objekt degradiere und seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stelle oder Ausdruck der Verachtung des Wertes sei, der dem Mensch kraft des Personseins zukomme. Damit verbunden ist schließlich die Forderung nach einem ökologischen Existenz­ minimum; siehe zu Letzterem M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umwelt­ schutz, Heidelberg 1990, S. 41. 270  Siehe hierzu nur G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, Berlin 1906, S. 28 ff. 271  Siehe zur politischen Ethik Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u.  a. 2007, S.  84 ff. 272  G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung (Fn.  270), S.  28 ff. 273  So H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, S. 103 / 105. Dies deckt sich mit der soziologischen Definition einer Konvention bei Max Weber: „Unter ‚Konvention‘ wollen wir dagegen den Fall verstehen, dass auf ein bestimmtes Verhalten zwar eine Hinwirkung stattfindet, aber durch keinerlei



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen591

naturstaatliche Entfaltung auf der Grundlage der normativen Staatstheorie von Hans Kelsen zu inszenieren, ist noch ein Rekurs auf eine bestimmte Kategorie von diesen Konventionalregeln geboten, die von Julius Hatschek als Hypotaxe bezeichnet wird.274 Die „Hypotaxe oder (auch) die Vorlage­ rung eines Rechtssatzes vor eine Konventionalregel, die man zur Anwen­ dung bringen will, besteht darin, dass man behauptet, die in Frage stehen­ de Konventionalregel, die man als Rechtsregel ausgibt, sei zur Realisie­ physischen oder psychischen Zwang, und überhaupt zum mindesten normalerweise und unmittelbar durch gar keine andere Reaktion als durch die bloße Billigung oder Missbilligung eines Kreises von Menschen, welche eine spezifische ‚Umwelt‘ des Handelnden bilden.“ (M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft (Fn. 138), S. 240; Her­ vorhebungen im Original; hierzu auch M. Porsche-Ludwig, Einführung in die Allge­ meine Staatslehre, Wien 2008, S. 187 f.). 274  J. Hatschek, Konventionalregeln oder über die Grenzen der naturwissen­ schaftlichen Begriffsbildung im öffentlichen Recht, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 1909 (3), 1 (33). Neben der Kategorie der konventionellen Hypotaxe bzw. Parataxe unterscheidet Julius Hatschek schließlich noch weitere Fallgruppen von Konventionalregeln, die von Hans Kelsen (H. Kelsen, Hauptprobleme, 1. Aufl. (1911) (Fn. 273), S. 104) aussagekräftig zusammengefasst werden: „Als Konventio­ nalregeln erkennt (Julius) Hatschek die durch Rechtsanmaßung oberster, durch den Richter nicht kontrollierter Staatsorgane geschaffenen Normen, die – obgleich keine Rechtssätze – dennoch in der Praxis beobachtet werden; Konventionalregeln erblickt er (zudem) in einer der positiven Rechtsordnung widersprechenden Verwendung und analogischen Übertragung von Normen des einen Rechtsgebietes auf ein anderes Rechtsgebiet (Allonomie); ferner in der Heranbildung einer neuen, mit der gelten­ den, herrschenden in Widerspruch stehenden Rechtsordnung auf dem Wege richter­ licher Spruchpraxis (Rechtsspaltung). Konventionalregeln treten (ebenso) im Organisationsparallelismus auf, worunter (Julius) Hatschek jenes Phänomen der ­ Rechtsbildung versteht, ‚wo Rechtsnormen, die für eine Organisation von Staatsein­ richtungen gelten, für eine parallele Organisation, d. h. eine in ihrer Struktur der ersten analogen, ebenfalls zur Anwendung kommen, aber nicht kraft Rechtsgebots, sondern als Konventionalregeln‘. Als Konventionalregeln und nicht als Rechtssätze gelten (überdies) jene Fälle der Praxis, die (Julius) Hatschek als Formentartung be­ greift, bei denen ‚die verfassungsmäßige Form des Zusammenwirkens mehrerer Staatsorgane ersetzt wird, durch eine nicht verfassungsmäßige und daher widerrecht­ liche, was mitunter für die Beteiligten bequemer sein kann, einzig und allein aber deshalb möglich wird, weil keines der beteiligten Staatsorgane dagegen Einspruch erhebt‘. Auch wenn Gesetzestexte durch ‚Interpretationswandel‘ ihren Sinn geändert haben, liegen keine Rechtssätze mehr, sondern Konventionalregeln vor, die sich nur ‚das Mäntelchen des Gesetzes antun‘.“ (Hervorhebungen einschließlich der hier nicht betonten Namensbenennungen im Original). Zum Ganzen ausführlich das Ori­ ginal bei J. Hatschek, ebd., S. 9 ff.; vgl. zu der Kategorie der Konventionalregel im Zusammenhang mit der Staats(rechts)lehre von Julius Hatschek grundsätzlich auch P. Badura, Die Methoden der neueren Allgemeinen Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1959), 2. Aufl., Goldbach 1998, S. 127. Siehe in diesem Zusammenhang auch D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, Stuttgart 1995, S.  197 ff.; M. Kriele (Fn. 2), S. 236 f.; vgl. dazu auch U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht (Fn. 12), S. 173 f.

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rung der feststehenden Rechtsregel unbedingt erforderlich.“275 Mit anderen Worten kann der in der Grundnorm als äußerer Sinn enthaltene formale Naturbeachtensbefehl als denklogische, besser: rechtslogische (!) Hypotaxe bezeichnet werden, ohne deren Funktion als der Rechtsordnung hypothe­ tisch vorgegebenem Orientierungssinn ein am Maßstab einer ideellen Ord­ nung als Deutungsschema vor sich gehendes Staatsleben nicht bestehen kann. Die Konventionalregel führt letztlich zur Einführung von politischen Zweckmäßigkeitserwägungen, die den mit der Eigenschaft der rechtlichen Qualifikation versehenen formalen Rechtssätzen vorgelagert sind.276 Damit wird aber in dem Kontext einer formaldualistischen Ergänzung der Grund­ norm von Hans Kelsen als der Verfassung im rechtslogischen Sinne kei­ neswegs einer rechtssatzwidrigen Praxis Vorschub geleistet, indem die na­ turbezogene Hypothese als interpretatorische Direktive im Sinne einer ma­ teriellen Zweckrealisation angesehen wird.277 An dieser Stelle wird nun das Wesen der Konventionalregel als nachgiebig relevant, so wie es von Georg Jellinek beschrieben wurde. Die Grundnorm mit ihrem äußeren Sinn überstrahlt die ganze ideelle Ordnung, das ganze System der Normen, und gibt dem modernen Staat so einen alles überragenden absoluten Sinn, der aber nur als ein formaler Naturbeachtensbefehl wirksam wird. Die souve­ räne Rechtsordnung bleibt damit im Grunde unangetastet, nur dass der aus Geltungsgründen indizierte formale Naturbeachtensbefehl denklogisch stets gegenwärtig ist, was zu einer Mäßigung des Rechtserzeugungs- und -an­ wendungsprozesses führt, ohne dabei aber eine Übernormativität der posi­ tiven Rechtsordnung im Sinne einer materiell getränkten Naturideologie zu verwirklichen.278 Insoweit wird der Grundsatz der gemäßigten Soziologie 275  J. Hatschek

(Fn. 274), S. 33. Hauptprobleme, 1. Aufl. (1911) (Fn. 273), S. 106. 277  Das ist nämlich die „normale“ Konsequenz von Konventionalregeln, dass sie die formalen Rechtssätze in widriger Weise überlagern und so einem abweichenden Gewohnheitsrecht das Wort erteilen (so H. Kelsen, Hauptprobleme, 1. Aufl. (1911) (Fn. 273), S. 103 ff.). Dieser nicht zu billigende Effekt ist im vorliegenden Fall aber zu vernachlässigen, da nur der (Rechts)gedanke der Konventionalregel für die for­ maldualistische Ergänzung der Grundnorm erforderlich ist, ohne dass die Grund­ norm aber wirklich zu einer derartigen rechtssatzwidrigen Praxis materiell anleiten soll. Der äußere Sinn der Grundnorm bleibt ein formaler Naturbeachtensbefehl, der in seinem Wesen aus demokratietheoretischen Erwägungen nachgiebig bleibt. 278  Ein derartiges Ergebnis wird aber insbesondere dann erreicht, wenn eine materielle Werteordnung aus überpositivistischen Rechtsgrundsätzen im Sinne von Hermann Heller anerkannt wird, die den staatlichen Herrschaftsverband ursprünglich nicht nur rechtlich verfasst, sondern auch weiterhin im Staat als womöglich natur­ staatliches Legitimitätsvehikel den politischen Prozess determiniert bzw. zumindest beeinflusst. Diese materielle Lösung hat den Nachteil, dass sie zwischen dem posi­ tiven und dem überpositiven Recht irgendwann nicht mehr unterscheiden kann, da sich die wandelbare materielle Werteordnung ihrem Wesen nach nie konkret bestim­ 276  H. Kelsen,



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen593

geboren, der gleichsam den Werterelativismus im Sinne eines äußeren Ge­ bots zugunsten der Natur formallogisch begrenzt. Gleichwohl bleibt aber das Volk als der Souverän aufgrund des inneren Sinns der alles überragen­ den Grundnorm als Abbild des originären Rechtsanwendungsbefehls279 auch weiterhin stets der „Herr im eigenen Haus“, wenngleich der gleich­ berechtigte Machtpartner der Natur im 21. Jahrhundert zu einer streng zu beachtenden Rechtsgröße wird. Die äußere Grundnorm enthält zwar eine Autorität, was sich aber nicht als Ermächtigung, sondern als mäßigende Akzentuierung im Rahmen des Stufenbaus der Rechtsordnung auswirkt. Rechtsakte, die gegen das äußere Sinnmoment verstoßen, sind deshalb nicht nichtig, nicht Nicht-Recht, auch nicht grundsätzlich aufhebbar, son­ dern sie widersprechen der äußeren Erzeugungsregel, die aber gegenüber dem inneren Sinn nachgiebig ist und sich in der Form einer Erkenntnisbe­ dingung lediglich als akzentuierende Rechtsgröße im Sinne einer verstär­ kenden verfahrensmäßigen Einsicht auswirkt.280 Im Falle des Untergangs der äußeren Grundnorm aber verliert die Rechtsordnung und mit ihr die Normen des gesamten Rechtssystems ihre natürliche Geltung. Allein dieser Gedanke führt im Rahmen der Rechtserzeugung und -anwendung zu dem Erfordernis einer kontinuierlichen Beachtung der Natur im Sinne einer ökologischen Legitimation, als ob eine objektive Norm eine Regel be­ stimmt, wie die generellen und individuellen Rechtsnormen der auf der äußeren Grundnorm beruhenden Rechtsordnung erzeugt werden sollen. Da­ mit hat jede Norm eine natürliche Geltung in sich, die ihre Existenz legi­ timiert, auch wenn das äußere Sinnmoment aufgrund des internen Selbst­ bestimmungsrechts nachgiebig bleibt. Die äußere Grundnorm bildet damit einen Ausgangspunkt eines Verfahrens: des Verfahrens der positiven Rechtserzeugung.281 Die Nachgiebigkeit des formalen Naturbeachtensbe­ fehls ist damit Ausdruck des grundsätzlich, abgesehen von einer völker­ men lässt. Damit wird das Recht stets politisch überlagert, was einer Berechenbar­ keit und Vorhersehbarkeit des positiven Rechts abträglich ist. Siehe zu der Legitimi­ tätsfunktion der materiellen Ordnung aus überpositivistischen Rechtsgrundsätzen bei Hermann Heller nur H. Heller, SL (Fn. 13), S. 190 ff. / 255 ff. In diesem Sinne kann auch Dietrich Murswiek (D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 3), Vor­ wort) interpretiert werden, wenn er einen Staatszweck Umweltschutz auch ohne eine positivrechtliche Verankerung anerkennen möchte. Vgl. in diesem Zusammenhang des naturstaatlichen Konventionalprinzips auch M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 269), S. 45 f. („da der Zweck ‚Erhaltung der natürlichen Umwelt‘ durch die Verknüpfung mit der ‚Erhaltung der menschlichen Existenz‘ tendenziell ein Überge­ wicht gegenüber privaten Belangen bekommt.“; Hervorhebungen im Original). 279  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251. 280  Siehe insoweit zum Vergleich die Ausführungen zur herkömmlichen Grund­ norm H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 196 ff.; ders., AS (Fn. 4), S. 125. 281  Vgl. H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 200 ff.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

rechtlich analogen Delegation, nicht anzutastenden souveränen Staatswil­ lens, der sich in der positiven Rechtsordnung manifestiert. Naturstaatlich­ keit heißt damit Konvention, die den Werterelativismus zugunsten eines „Mehr“ für die natürlichen Lebensgrundlagen modifiziert, womit die Natur im Staat letztlich als Konventionalgewalt angesehen werden kann.282 Gleichwohl bleibt aber die traurige Erkenntnis, dass ohne ein gewachsenes Naturbewusstsein in der realen Wirklichkeit das umweltstaatliche Staatskö­ nigtum überleben kann.283 V. Rechtspositivistische Folgerungen der Natur als Konventionalgewalt im Staat Die kategoriale Annahme der Natur als einer Konventionalgewalt im Staat führt notwendigerweise zu positivrechtlichen Folgerungen, die sich in dem geschriebenen Verfassungsgesetz ausdrücken müssen. Nach dem Stu­ fenbau der Rechtsordnung bildet die Grundnorm als der Verfassung im rechtslogischen Sinne den obersten Geltungsgrund des einheitlichen Nor­ mensystems, das sich regressiv in dem räumlichen Bild der dynamischen Über- und Unterordnung eines einheitlichen Erzeugungszusammenhangs von generellen und individuellen Rechtsnormen immer wieder auf diese gedachte Hypothese zurückführen lassen muss.284 Die Verfassung wird nun von Hans Kelsen zunächst in einem materiellen Sinne interpretiert, wonach 282  Vgl. G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, Rechtsthe­ orie 1980 (11), 344 (350 f. / 355); M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 60), S. 63; D. Birnbacher (Fn. 274), S. 197 ff. 283  R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roß­ nagel (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 62 ff.; H. Kimmel (Fn. 112), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298 f.); vgl. auch N. Leser (Fn. 118), S. 39: „(…) ebensowenig kann eine (Reine) Rechtslehre eine Art Ausfallhaftung für fehlerhaftes menschliches Handeln überneh­ men und verhindern, dass die Menschen von ihrer Möglichkeit, ihre Freiheit in verschiedene Richtungen zu nützen, einen schädlichen Gebrauch machen.“ In diesen Zusammenhang gehören letztlich auch die objektiven Gründe bzw. subjektiven Mo­ tive für den Untergang eines Staates. Denn die (freiwillige) Staatsaufgabe – auch wenn ein derartiges Szenario im 21. Jahrhundert doch konstruiert erscheint – ent­ spricht ebenfalls dem Selbstbestimmungsrecht eines Volkes, wenngleich die unfrei­ willigen Beweggründe in der Summe überwiegen. Siehe grundsätzlich zur Staatsent­ stehung bzw. zum Staatsuntergang G. Jellinek, AS (Fn. 35), S. 266 ff.; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 35), S. 132 ff.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 49 ff.; G. Küchenhoff / E. Küchenhoff (Fn. 259), S. 107 ff. / 269 ff.; R.  Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Blecke­ de a. d. Elbe 1961, S. 62 ff.; H.  Buß / W.  Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 25 ff.; G. Thurnburg, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, Berlin u. a. 1982, S. 34 ff. 284  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 228.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen595

darunter „die positive Norm oder die positiven Normen (…) (zu verstehen sind), durch die die Erzeugung der generellen Rechtsnormen geregelt wird.“285 Dagegen ist die Verfassung in einem formellen Sinne der weitere Begriff, der die regelmäßig in einer geschriebenen Konstitution enthaltenen materiellen Erzeugungsregeln umfasst, daneben aber auch andere Gegen­ stände von politischer Wichtigkeit sowie erschwerte Revisionsbedingungen für die Aufhebung bzw. die Abänderung der Verfassung enthält.286 Eine naturrelevante Norm mit einer materiellen Direktivkraft besitzt demnach in dem formellen Verfassungsgesetz ihre angemessene Verortung, da nur auf diesem Wege gewährleistet werden kann, dass die Thematik eines Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen im Rahmen eines dynamisch strukturier­ ten Stufenbaus der Rechtsordnung beachtet wird. Die Naturstaatlichkeit ist heute aber schon mehr als ein normales staatsleitendes Prinzip. Sie begrün­ det einen neuen Verfassungstypus, womit gleichsam die Frage verbunden ist, ob ein moderner Staat ohne ein solches Bekenntnis zu einer ökologi­ schen Ausrichtung überhaupt noch eine Verfassung haben kann. Als Proto­ typ eines objektiven Weltgeistes kann eine Norm in der französischen Dé­ claration des droits de l`homme et du citoyen vom 26.08.1789 betrachtet werden, die lautet: „Art. 16. Eine Gesellschaft, in der weder die Gewähr­ leistung der Rechte gesichert noch die Trennung der Gewalten bestimmt ist, hat keine Verfassung.“287 In einer analogen Anwendung der berühmten Gewaltenteilungsformel von Montesquieu auf die naturstaatliche Geboten­ heit kann insoweit gesagt werden, dass alles verloren wäre, wenn die sepa­ rierten Gewalten die positiv wie negativ dimensionierte Naturgewalt im Staat nicht beachten würden.288 Daraus ergibt sich ein normatives Modell einer Verfassung, die sich in Konformität mit dem naturstaatlichen Weltgeist zu einem staatlichen Verantwortungsprinzip für die Natur bekennen muss, insofern sie nicht ihre Relevanz als dauerhafte Friedensordnung einer kon­ 285  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 228; ders. (Fn. 42), in: F.-M. Schmölz (Hrsg.), Das Naturrecht in der politischen Theorie, S. 148; F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 108 ff. 286  H. Kelsen, RR (Fn. 20), S. 228 f.; F. Koja, AS (Fn. 285), S. 105 ff. 287  Art. 16. der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26.08.1789 ist abgedruckt bei D.  Willoweit / U.  Seif, Europäische Verfassungsgeschichte, Mün­ chen 2003, S. 254. Siehe hierzu auch H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 108), § 12 Rn. 10; H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 48; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 25), S. 403 ff. 288  Die Analogie bezieht sich auf das 6. Kapitel des 11. Buches „Über die Ver­ fassung Englands“ in dem De l’ésprit des lois Montesquieus (Ch.-L.  de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (Fn. 62), S. 216 ff.), wo er schrieb: „Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise die gleiche Körper­ schaft entweder der Mächtigsten oder der Adligen oder des Volkes folgende drei Machtvollkommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.“ (S. 217).

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

stituierten Staatsgemeinschaft verlieren möchte.289 In dem Sinne wie der erleuchtende Geist der Aufklärung unveräußerliche Menschenrechte sowie die rechtsstaatliche Gewaltenteilung hervorgebracht hat, so ist es nun der ökologische Weltgeist, der sich als ein allgemeines Prinzip des dialektischen Völkerfortgangs in der geschriebenen Verfassung manifestieren muss.290 Der äußere Sinn der hypothetischen Grundnorm begünstigt diese naturstaat­ liche Entwicklung, wenngleich sich der formale Naturbeachtensbefehl nicht als kategorischer Imperativ darstellen kann.291 Angesichts des Umstandes, dass jeder Staat eine natürliche Betätigungsplattform besitzt, die damit zum unverbrüchlichen Wesenskern des modernen Staates gehören muss, ist ein Staat auch stets Naturstaat, weshalb der Standort einer umwelt- bzw. natur­ spezifischen Verfassungsnorm die Partizipation an einer etwaigen Ewig­ keitsgarantie beinhalten muss.292 Im Grundgesetz ist diese konstitutionelle Logik nicht realisiert worden, wenngleich insoweit im Schrifttum die An­ 289  P. Pernthaler, AS (Fn. 74), S. 26; vgl. auch P. Häberle (Fn. 48), AöR 1987 (112), 54 (86 ff.). In der Bundesrepublik Deutschland ist dieser normativen Auffor­ derung mit einem Staatsziel Umweltschutz in Art. 20a GG Genüge getan worden; zum Begriff der Staatszielbestimmung R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T.  Ellwein / J.  Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S. 30 f. / 40. Hierzu auch die Umweltver­ fassungen ausgewählter Staaten bei B. Schöbener / M. Knauff (Fn. 259), S. 233 ff.; für die Schweiz R. Rhinow, Die neue Verfassung in der Schweiz, Der Staat 2002 (41), 575 (592 f.). 290  Vgl. H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staatslehre Hegels, Altenburg 1917, S. 84 ff.; in Bezug auf Menschenrechte und Gewaltenteilung auch J. Isensee, Mythos (Fn. 2), S. 52 f. 291  Siehe zum kategorischen Rechtsimperativ bei Immanuel Kant O.  Höffe (Fn. 133), S. 42 ff. / 49 ff., der sich freilich durch das formale Moment auszeichnet. Zu den unterschiedlichen Imperativarten bei Immanuel Kant R. Eisler (Fn. 81), S. 267 ff. Zu dem Gedanken eines ökologischen Imperativs H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Verantwortung für die ethische Zivilisation, 4. Aufl., Frankfurt a. M. 1985, S. 35 ff. / 57 f.; vgl. auch A. Scherzberg, Diskurse über den Umweltstaat, Die Verwaltung 1995, 543 (550); B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 192), S.  24 ff.; K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S.  189 f.; H.  Lenk, Erweiterte Verantwortung – Natur und künftige Generatio­ nen als ethische Gegenstände, in: D.  Mayer-Maly / P.  Simons (Hrsg.), Das Natur­ rechtsdenken heute und morgen, Berlin 1983, S. 833 ff.; H. Gruhl, Ökologische Politik zum Überleben notwendig, Nation Europa 1982 (32), 25 (33 f.); H. Köchler, in: L. Adamowich (Hrsg.) (Fn. 119), S. 506; D. Birnbacher (Fn. 274), S. 202; I. Fet­ scher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Rudolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S.  427 f.; P. Koller, Die rechtliche Umsetzung ökologischer Forderungen, in: J.  Nida-Rümelin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Baden-Baden 2002, S. 131 ff. 292  Siehe zu dem Gedanken einer positivrechtlichen Ewigkeitstheorie grundle­ gend bereits G. Jellinek, AS (Fn. 35), S. 484.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen597

sicht vorherrschend ist, dass nach der verfassungssystematischen Stellung der Vorschrift des Art. 20a GG in unmittelbarer Nähe zu den an der Ewig­ keitsgarantie des Art. 79 III GG teilnehmenden Staatsstrukturprinzipien des Art. 20 I GG der als Staatsziel ausgestalteten Umweltnorm eine ähnliche Bedeutung zukommt.293 Abgesehen von dem nach dem klaren Wortlaut des Art. 79 III GG eindeutigen Befund der entsprechenden Nichtberücksichti­ gung des Art. 20a GG im Hinblick auf den absoluten Verfassungskern des Grundgesetzes wird damit nur ganz unzureichend zum Ausdruck gebracht, dass es ohne die natürlichen Lebensgrundlagen überhaupt keine staatliche Existenz (mehr) geben kann. Dieser Umstand müsste sich zudem auch in der Präambel einer positivistischen Verfassung manifestieren, um den legi­ timierenden Charakter der Natur als einem der letzten Geltungsgründe verfasster Staatsherrschaft auszudrücken. Im Hinblick auf die Präambel des Grundgesetzes müsste dies zu einer grammatikalischen Erweiterung führen, wonach sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassunggebenden Gewalt das Grundgesetz „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott, der Natur und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in ei­ nem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“, gegeben hat.294 Andererseits ist aber wieder eine zu nahe Position einer umweltrelevanten Verfassungsnorm bzw. eine sonstige Bezugnahme im Bereich der nicht zur Disposition stehenden Menschenwürde zu vermeiden, um Missdeutungen vorzubeugen. Zwar besitzt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen einen menschenwürdigen Bezug insofern, als ein menschliches Dasein in Würde auch im Hinblick auf zukünftige Generationen nur mit der und nicht ohne die Natur möglich ist, weshalb eine verfasste Staatsorganisation stets zumindest ein ökologisches Existenzminimum zu garantieren hat.295 Als Ausfluss der unantastbaren Menschenwürde als oberstem Konstitutionsprin­ zip mit absoluter Geltungskraft muss es aber stets den real-psychischen Willensmomenten der Menschen vorbehalten bleiben, ob die natürlichen 293  Hierzu statt vieler R. Scholz, in: Th. Maunz / G.  Dürig, Grundgesetz, Kom­ mentar, Bd. III: Art. 17–22, Stand Juli / 2014, München 2014, Art. 20a Rn. 28 ff.; vgl. auch A. Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz“ und das Sozialstaatsprinzip im verfas­ sungsrechtlichen Vergleich, JuS 1996, 96 (96 f.). 294  Es ist aber zu beachten, dass der Rekurs auf Gott im Rahmen der Präambel im Schrifttum im Sinne einer überpositiven Bindung interpretiert wird, so dass die naturrechtliche Bindung an die äußere Grundnorm eigentlich nicht explizit erwähnt werden müsste. Eine Klarstellung würde aber die Legitimationsrelevanz der Natur im Staat unterstreichen. Siehe zu der Interpretation des Rekurses auf Gott als Bin­ dungsindiz an überpositivistische Maßstäbe M. Kloepfer, Anthropozentrik versus Ökozentrik als Verfassungsproblem, in: ders. (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 21 ff.; vgl. auch K. Heinz, Eigen­ rechte der Natur, Der Staat 1990 (29), 415 (423 f.); D. Blumenwitz (Fn. 33), ZfP 1992 (39), 1 (5 ff.). 295  B. Söhnlein (Fn. 261), S. 25 ff., v. a. S. 41 ff.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

Lebensgrundlagen geschützt werden oder nicht. Dies folgt aus dem Wesen der Natur als Konventionalgewalt innerhalb des Staates, die den Menschen einen verstärkenden Naturbeachtensbefehl an die Hand gibt, ohne aber re­ gelmäßig absoluten Gehorsam einzufordern, was die Menschen zum Objekt staatlichen Handelns degradieren und die unverletzliche Menschenwürde auf Dauer nivellieren würde.296 Wie kann aber nun dieser von der äußeren Grundnorm vermittelte, formale Naturbeachtensbefehl auf positivrechtli­ chem Wege in die geschriebene Verfassung integriert werden, um einen überwindbaren Werterelativismus zu installieren, wenngleich die Fundamen­ talität der Natur als einer vorkonstitutionellen Größe immer nur ansatzweise erfasst werden kann? Insoweit hat es vor der Aufnahme des Art. 20a GG in das Grundgesetz im Jahre 1994297 mehrere Vorschläge gegeben, die aber nicht aufgenommen wurden.298 Eine denklogische Modifikation des Art. 20a GG im Sinne eines formalen Naturbeachtensbefehls könnte etwa so ausse­ 296  Siehe zu dieser Problematik einer (auch) naturbedingten Menschenwürde, d. h. einer Gleichstellung von Mensch und Natur R. Wolf, Der ökologische Rechts­ staat als prozedurales Programm (Fn. 281), S. 63 f.; ders., Gerechtigkeit und Um­ weltschutz. Von subjektiv-rechtlichen Begründungsparadoxien zu kollektiv-rechtli­ chen Lösungsansätzen, ARSP 1994 (Beiheft 56), 163 (169 ff.); H.  Frhr. v. Lersner, Gibt es Eigenrechte der Natur?, NVwZ 1988, 988 (990 f.); M. Kloepfer, Anthropo­ zentrik versus Ökozentrik als Verfassungsproblem (Fn. 294), S. 9; C.  F.  Gethmann /  A. Klapperich, Anthropozentrisches Denken im Umweltstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 194; vgl. auch I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwick­ lungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 66 ff. Den anthropozentrischen Charakter des Grundgesetzes bekräftigen etwa R. Herzog, in: Th. Maunz / G.  Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Bd. II: Art. 12–21, Stand Juli / 2014, München 2014, Art. 20 Rn. 15; M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 269), S. 48; M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 30; A. Scherzberg, Diskurse über den Umweltstaat (Fn. 291), Die Verwal­ tung 1995, S. 543; vgl. auch K.-P. Sommermann (Fn. 291), S. 194 f. Karl-Peter Som­ mermann weist zutreffend darauf hin, dass bei bzw. trotz der Etablierung eines ökologisch orientierten Staatswesens der Schutz der Menschenwürde das vorrangige Ziel bleiben muss. 297  Die Aufnahme der umweltspezifischen Verfassungsnorm des Art. 20a in das Grundgesetz grundsätzlich befürwortend R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungs­ recht (Fn. 289), S. 48 ff.; M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 269), S. 41 f.; ders., Umweltstaat (Fn. 60), S. 51 f.; B. Guggenberger, Das Staatsziel Umweltschutz – Ers­ ter Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Umweltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 241 ff.; wohl auch I. Appel (Fn. 296), S. 94 ff. / 119 ff. 298  Siehe hierzu M. Kloepfer, Umweltschutz und Verfassungsrecht (Fn. 268), DVBl. 1988, 305 (311 ff.); D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 3), S.  74 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen599

hen: „Art. 20a. Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen als elementare Voraussetzung der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Es ist dies die Überwindung einer Abwägungsmoral zu­ lasten des Staatsziels Umweltschutz und die Einführung eines „als ob“Primats zugunsten der Natur, ohne die verfassungsrechtliche Struktur zu erschüttern.299 Alles andere ist traurige Heuchelei, die sich zu dem politi­ schen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen bekennt, ohne die Relevanz der Natur als einer elementaren Existenzbedingung des modernen Staates wirklich zu erfassen. Die Natur aber ist eine Gewalt, ein fremdbestimmter Dirigent des gesamten Staatsorchesters, der die moderne Staatlichkeit, wie es auch die Menschen selbst können, jederzeit zerstören kann.300 VI. Resümee – die hypothetische Grundnorm als Gottesnorm Die Lehre von der Ungebundenheit der verfassunggebenden Gewalt ge­ hört in das Reich der Fabeln und Märchen. Die moderne Staatlichkeit ist bereits von Grund auf naturrechtlich determiniert, indem sie in den originä­ ren Fesseln des natürlichen Territoriums liegt und dieser physisch-geogra­ phisch bedingten Korrelation entsprechend auf den mit einer positiven wie auch negativen Gewaltdimension versehenen pouvoir naturel stets bezogen bleibt. Demnach stellen die natürlichen Lebensgrundlagen ein elementar logisches Wesensmoment der realen Staatsverfassung, ein unverbrüchliches substantielles Kernelement des modernen Staates dar, das aber in seiner Eigenschaft als materiellem Verfassungsbaustein nicht wie das Mittel des Rechts autonom, sondern fremdbestimmt ist, weshalb der Staat mit Blick auf die immer gravierender werdenden Gewaltentartungen der Natur auf ein Kooperationsverhältnis mit diesem in der staatlichen Sphäre stets gegenwär­ tigen, grundsätzlich gleichberechtigten Machtpartner angewiesen ist, um sein existentielles Dasein auch hinsichtlich einer etwaigen Nachweltverant­ wortung zu sichern. Mit der Dauer wird sich die naturrechtliche Determina­ tion gemäß den dialektischen Entwicklungsgesetzen eines objektiven Welt­ geistes noch weiter zu einem (völker-)rechtlichen Universalprinzip heraus­ bilden, dem irgendwann in naher Zukunft eine von positivrechtlicher Fixie­ 299  Vgl. zur „als ob“-Geltung der Grundnorm auch M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1018). 300  Vgl. H. Jonas (Fn. 291), S. 26 ff.; H. Gruhl (Fn. 291), Nation Europa 1982, 25 (34). In der Bundesrepublik Deutschland ist diese Gefahr freilich nur latent vor­ handen. Die verheerende Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 hat aber gezeigt, dass auch hierzulande die Existenz der Menschen bedrohende Naturkatastrophen möglich sind.

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

rung unabhängige, absolute Geltung zukommen wird. Es ist dies der Ausdruck einer objektiven Weltstaatsordnung mit der Natur, weshalb die moderne Staatlichkeit stets unter dem gebietenden Vorbehalt eines formalen Naturbeachtensbefehls steht, der die brisante Relevanz der natürlichen Le­ bensgrundlagen im Staat im Sinne eines objektiven Idealismus mit einem verstärkenden Denkakzent zur Geltung bringt. Gleichwohl handelt es sich bei der fremdbestimmten Naturgewalt nur um eine dispositive und damit nachgiebige Komponente innerhalb des Staates, die gegenüber dem sozio­ logischen Staatswillen obgleich der weltgeistigen Aussicht auf die Entwick­ lung eines (völker)rechtlichen Prinzips mit absoluter Geltungskraft subsidiär bleiben muss, um die in ihrer materiellen Substanz unantastbare Würde des Menschen nicht zu nivellieren. Dies bedeutet, dass es der Mensch stets in der Hand hat, sich selbst und auch den Staat zur vernichtenden Disposition des im 21. Jahrhundert wieder zu einer unberechenbaren Machtgröße auf­ steigenden pouvoir naturel zu stellen, wobei schließlich Letzteres selbst mit der unverletzlichen Menschenwürde nicht in Konformität stehen würde. Allein aus diesem Konklusionsargument ergibt sich deshalb bereits heute eine besondere Rechtspflicht zur Beachtung der natürlichen Lebensgrundla­ gen, wenngleich sich diese vorerst nur auf einen unverbrüchlichen Mindest­ standard an natürlichen Voraussetzungen eines Staates beziehen kann, ohne den eine staatliche Gemeinschaftsform als würdige Friedensordnung nicht mehr möglich ist.301 Die durch das komplementäre Stufenverhältnis von Staat und Natur begründete Konvention im Staat findet ihren dogmatischen Legitimationsursprung in der transzendentallogischen Grundnorm von Hans Kelsen in ihrem äußeren Sinn, womit gleichzeitig die Frage nach den letz­ ten Geltungsgründen der verfassten Staatsherrschaft auch zugunsten der natürlichen Lebensgrundlagen beantwortet ist. Denn im Falle einer verhee­ renden Naturkatastrophe gibt es ohne Naturgeltung keine Rechtsgeltung mehr, so dass vor dem Hintergrund des stets präsenten pouvoir naturel im modernen Staat die grundsätzliche Beachtung der Natur geltungstheoretisch indiziert ist. Mit der Annahme einer objektiven Weltstaatsordnung mit dem Kooperationspartner der Natur wird das sich durch subjektive Willkür aus­ zeichnende umweltstaatliche Staatskönigtum letztlich überwunden, indem die ökologische Systemausrichtung des modernen Staates nicht dem sozio­ logischen Gutdünken der Menschen ausgeliefert wird, sondern einem zu sich selbst kommenden Weltgeist, dessen zeitgetreue Sinnprojektion das Ergebnis eines rationalen Dialektikprozesses der anthropogenen Weltge­ schichte ist. Damit ist eine methodologische Absage an das rechtspositivis­ tische Lager verbunden, das ein vorstaatliches Recht nicht anerkennt und damit, von dem bindenden Auftrag der Realisierung einer dauerhaften Ver­ 301  B. Söhnlein

(Fn. 261), S. 25 ff.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen601

fassungsordnung einmal abgesehen, nur den selbst auferlegten Grenzen der dogmatischen Selbstverpflichtungslehre unterliegt, aber auch an das dezisi­ onistische Kunstprodukt einer positiven Verfassung im Sinne von Carl Schmitt, bei dem es ebenfalls von der subjektiven Disposition des pouvoir constituant abhängt, ob das naturstaatliche Postulat in die fundamentale Staatsprogrammatik überhaupt aufgenommen wird. Eine materielle Werte­ ordnung als sittlicher Legitimitätsmaßstab im Sinne von Hermann Heller würde dagegen mit einem ökologisch getränkten Gedankengut zu einer in­ haltlichen Überflutung der positiven Rechtsordnung führen, was aus der Perspektive der Reinen Rechtslehre nicht nur methodisch unzulässig wäre, sondern grundsätzlich auch zu einem Aufweichen des Rechts zugunsten einer überlagernden Politologie führen würde, was dem Recht auf Dauer seine berechenbare und vorhersehbare Steuerungsfunktion entziehen müsste. Es ist deshalb in der Konsequenz nicht zu beanstanden, wenn die geistes­ wissenschaftliche Richtung in den natürlichen Gebietsstrukturen eine politi­ sche Spielfläche erblickt, auf dem sich der dynamische Prozess der geistigen Integration abspielt, was zumindest eine nicht wegzudenkende Fundamenta­ lität indiziert, ohne die sich das Staatskarussell nicht drehen kann. Denn für eine von der soziologischen Willkür der Menschen unabhängige, systemim­ manente Naturstaatlichkeit kann nur die abstrahierte Annahme eines verob­ jektivierten Weltstaatskosmos entscheidend sein, bei dem sich die Machtdi­ mensionen Staat und Natur nicht analog eines Verhältnisses zwischen einem majestätischen Herrn und einem despotisch geknechteten Sklaven, sondern als staatenbündische Kooperationspartner gegenüberstehen, was aber von Grund auf eine naturrechtliche Bindung der modernen Staatlichkeit an die elementare Fundamentalität der Natur beinhaltet. Die materiell mit dem legitimierenden Formeldualismus ausgestattete Grundnorm stellt daher das nicht-assoziative, verobjektivierte Koordinatensystem als dem transzenden­ tallogischen Pendant eines räumlich-zeitlichen Schemas der realen Erkennt­ niswelt dar,302 in dessen Rahmen sich die soziologische Naturwirklichkeit 302  Siehe zu der Analogie hinsichtlich eines ordnenden Koordinatensystems auch C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934, S. 40: „Das Schicksal des rechtswissenschaftlichen, ganz auf Sicherheit und Vermeidung subjektiver Willkür angelegten Positivismus hat mit diesem Verlauf ei­ nige Ähnlichkeit. Entfällt die in der positiven Norm vorausgesetzte, aber positivjuristisch unbeachtliche Normalität der konkreten Lage, so entfällt jede feste, bere­ chenbare und unverbrüchliche Normenanwendung. Auch die ‚Gerechtigkeit der Po­ sitivität‘ (…) hört dann auf. Ohne das Koordinatensystem einer konkreten Ordnung vermag der juristische Positivismus weder Recht und Unrecht, noch Objektivität und subjektive Willkür zu unterscheiden.“ Die transzendentallogische Grundnorm in ih­ rem inneren und äußeren Sinn bietet den normativen Platzhalter für das positive Rechtsnormensystem in seiner objektiven Idealität. Sie ist der gedachte Ausdruck eines transzendental deduzierten Koordinatensystems, in dessen Rahmen sich die Rechtssicherheit verbürgende Herrschaft des positiven Rechts bereiten kann. Ohne

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

am Maßstab des idealtypischen Deutungs- und Bewertungsmusters der ob­ jektiven Rechtsordnung abspielt. Allein aufgrund dieser reziproken Anbin­ dung an die anschauungsbedingte Sinnlichkeit kann ein methodischer Rekurs auf die postulierenden Grundsätze der praktischen Vernunftkritik von Imma­ nuel Kant nicht richtig sein, unabhängig davon, dass diese „unreine“ Ansicht die flutenden Tore für eine Vordetermination des positiven Rechts im Sinne einer freiheitlich-sittlichen Tränkung öffnet. Dies darf freilich nicht missver­ standen werden. Aber nur auf diesem Wege ist eine idealtypische Objekti­ vität möglich, die nach dem Reinheitspostulat der Reinen Rechtslehre gebo­ ten ist. Abzulehnen ist aber auch die von Hans Kelsen in einem späteren wissen­ schaftlichen Schaffensstadium vorgenommene Beschreibung der Grundnorm als einer Fiktion im Sinne der „Als ob“-Philosophie von Hans Vaihinger, da sie auf eine höhere, über dem pouvoir constituant anzusiedelnde Autorität abstellt, was die Frage aufwirft, ob Hans Kelsen im Rahmen des grundnor­ mativen Diskurses überhaupt je ein reales Pendant, nämlich den realen po­ litischen Willen einer Autorität, im Auge hatte. Denn nur durch die gedank­ liche Transformation der letzten Geltungsgründe im Staat – des politischen Willens und der Natur – in das Reich einer objektiven Gültigkeit ist eine idealtypische Rechtsordnung möglich, die sich von der Willkür der soziolo­ gischen Wirklichkeit lossagt und den Weg für den objektiven Weltgeist bereitet. Gleichwohl bleibt aber die durch die Grundnorm vermittelte Rechtsgeltung im Staat stets auf die soziologische Wirksamkeit rückbezo­ gen, was nur der denktypische Ausdruck des Umstandes ist, dass es ohne die immer gegenwärtig bleibenden Machtkomponenten im Staat keine ver­ bindliche Geltungskraft des positiven Rechts geben kann. Geht man daher im Ergebnis davon aus, dass zwischen Sein und Sollen eine notwendige Verbindung besteht, um gültige Rechtsnormen zu begründen, und darf sich die ideelle Ordnung nicht zu weit von der soziologischen Wirklichkeit ent­ fernen, so dass eine Rechtsnorm stets reale Bezugspunkte in der Naturwirk­ lichkeit haben muss, um juristische Geltung zu erlangen, wobei eine Iden­ tität von ideeller Norm und real-psychischer und -physischer Wirklichkeit zwecks einer objektiven Wertverwirklichung verhindert werden muss; geht man überdies weiter davon aus, dass eine objektive Norm ohne eine rezip­ roke Bezugnahme auf die soziologische Ist-Welt des realen Seins nicht existieren kann, dass also eine ideelle Norm stets auf einen tatsächlichen Zusammenhang in der Naturwirklichkeit bezogen bleibt, und sieht man deshalb die aus der nicht-normativen Naturwirklichkeit vermittelte Notwen­ digkeit einer ordnungsgetreuen Kongruenz des Sollens ein, dann ist die diese durch die Elemente der sinnlichen Anschauungswelt – den politischen Willen und die Natur – indizierte Fundamentalität ist ein Rechtsnormensystem undenkbar.



§ 17 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen603

hypothetische, da nicht positiv gesetzte Grundnorm nicht nur die zweckra­ tionale Brücke in das Reich einer objektiven Idealität, sondern letztlich ein denklogisches „Faktum“, dem schließlich ein säkularisiertes, normatives Ursollen, eine Gottesnorm,303 entsprechen muss, die als das transzendenta­ 303  In seinem frühen Werk mit dem Titel „Die Staatslehre des Dante Alighieri“ beschreibt Hans Kelsen den für die mittelalterliche Staatstheorie symptomatischen Universalstaat bzw. Gottesstaat des italienischen Dichters und Philosophen. Nach der Ansicht von René Marcic (R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit und Reine Rechtslehre, Wien 1966, S. 11 f.) enthalte diese Schrift bereits das Gerüst der gran­ diosen Schöpfung von Hans Kelsen, da darin zumal die drei Leitmotive hell und mächtig zu vernehmen seien, die das Gesamtwerk des Meisters, der hier an einem wuchtigen Geist, einem Meister der Dichtkunst zu wachsen beginne, prägen: die (hypothetische) Grundnorm, der rechtliche Stufenbau, den jene trage, die Weltrechts­ ordnung, die dem Menschengeschlecht den Frieden sichere. Im Keime sei alles da: Anfang, Mitte und Ende des Denkweges. Ohne die Begegnung mit dem italienischen Ordnungsdichter und -denker Dante Alighieri, den man nur mit Thomas von Aquin messen könne, hätte Hans Kelsen die Leistung der Reinen Rechtslehre niemals voll­ bracht, noch mit der Verfassungsgerichtsbarkeit deren Sinn gefunden. Der Ansicht kann zugestimmt werden. Die von Hans Kelsen geschaffene wissenschaftliche Dar­ stellung der mittelalterlichen Staatslehre des Dante Alighieri kann insoweit folgen­ dermaßen zusammengefasst werden (H. Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, in: E.  Bernatzik / E.  v. Philippovich (Hrsg.), Wiener Staatswissenschaftliche Studien, Bd. VI (3), Wien u. a. 1905, S. 38 ff.): Die staatsrelevanten Erörterungen von Dante Alighieri beziehen sich auf den Universalstaat des Weltkaisertums, den der italieni­ sche Dichter in dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation als der Fortset­ zung des Imperium romanum erblickte. Dieser kaiserlichen Weltmonarchie gegen­ über besitzen die übrigen Reiche und Länder lediglich provinziellen Charakter. Demnach ist das Staatsgebiet die Erde, dessen Volk die Menschheit ist und dessen Gewalt im Kaisertum repräsentiert ist. Für Dante Alighieri ist der Staat im Gegen­ satz zu der alten Lehre des Kirchenvaters Augustinus, der in dem Staat selbst eine Folge des Sündenfalls, ein irdischen Zwecken dienendes und daher zu überwinden­ des Werk des Bösen sah, das erst durch eine göttliche Heilung in der Form von Sakramenten bzw. durch eine grundsätzliche göttliche Ausrichtung die existentielle Rechtfertigung auf Erden erlangte, ein auf Gott als dem unmittelbaren Schöpfer zurückgehendes und damit wohlgefälliges Gebilde, das zwar im Notstand der Sünde begründet ist, aber unterdessen nicht in diesem sündhaften Zustand verharrt, sondern vielmehr als irdischer Schutzwall gegen diese Sünde anzusehen ist. Damit offenbart und vervollkommnet sich der göttliche Wille in der staatlichen Institution, die eben von Grund auf gottgewollt ist. Der irdische Staat ist dabei ein Teil des gesamten Weltgebäudes, ein organisches Glied des Himmel und Erde umspannenden Gottes­ staates. Der Staat ist somit genauso wie andere Einzel- und Gemeinwesen ein auto­ nomes Einheitsgebilde, das zur Herrschaft Gottes im Verhältnis des Mikrokosmos zum Makrokosmos steht und daher nur ein Abbild des obersten göttlichen Einheits­ prinzips des universalen Kosmos darstellt. Dieser äußeren Weltordnung wird schließ­ lich entsprechend eine sittliche Weltordnung zugeordnet, deren Aufgabe als Rege­ lung des menschlichen Zusammenlebens beschrieben werden kann, so dass die po­ etische Kosmologie von Dante Alighieri um dieses sittliche Element zu dem Bildnis der göttlichen Weltherrschaft vervollständigt wird. Das Einsein ist für den italieni­ schen Denker die Wurzel des Guten, während dagegen die Vielheit als Ausdruck des

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2. Teil, 2. Abschn.: Die äußere Grundnorm

le Produkt der energetischen Antriebskräfte im Staat angesehen werden kann und in diesem Sinne die Entfaltung einer objektiven Idealität im Recht von Grund auf bereitet.304 In der juristischen Sprache heißt dies dann: machtbedingte Faktoren der Legitimation von Herrschaft.

Bösen, als Quelle des Schlechtseins, agiert. Einheit bedeutet folglich Friede, Ein­ tracht und Ruhe, während Kampf und Unfriede als Produkte der Vielheit anzusehen sind. Dabei wird die intendierte Einheit durch Gott symbolisiert, was zu der mittel­ alterlichen Doktrin von dem persönlichen Willen Gottes beiträgt. Dennoch sieht Dante Alighieri wie Aristoteles den Staat auch als Notwendigkeit an, in dem der Mensch eine höhere Bestimmung erfährt, durch den aber auch das Verlangen der Menschen nach Frieden vor dem Hintergrund ihrer geselligen Natur gesichert wird. Der Staat ist damit insgesamt ein Produkt des persönlichen Willens Gottes, der als Urquelle anzusehen ist, wobei sich dieser Antrieb mittelbar im Gange der Geschich­ te als Offenbarung zeigt. Durch die hypothetische Grundnorm wird die soziologische Vielheit zu einer Einheit gebündelt, um die reale und geistige Welt in der objektiven Rechtsordnung zu vereinigen. In ihr manifestiert sich eine starke Autorität, die Ge­ währ für die Aufrechterhaltung einer Ordnung und damit für Frieden sichert. Der hier verwendete Begriff einer Gottesnorm ist missverständlich und erinnert an den von Hans Kelsen in seiner Allgemeinen Theorie der Normen vorgenommenen Re­ kurs auf eine höhere Autorität, die eine andere Autorität in die Grundnorm einsetzt (H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen (Fn. 126), S. 206 f.). Dennoch soll die­ se Terminologie hier beibehalten werden, ohne dass hiermit eine metaphysische Überhöhung stattfinden soll. Durch den Begriff der Gottesnorm wird nicht nur die Parallele der Grundnormkonstruktion zu der mittelalterlichen Staatslehre des Dante Alighieri betont, sondern er bringt auch zum Ausdruck, dass es unstreitig ein Ursol­ len geben muss, das die Voraussetzung jeglicher Normativität bildet. Zum Ganzen auch N. Leser (Fn. 118), S. 38. Siehe zur Nähe der Grundnorm von Hans Kelsen zum kosmologischen Gottesbeweis Thomas von Aquins M. Jestaedt (Fn. 109), JZ 2013, 1009 (1020). Eine Darstellung der Staatslehre des Augustinus findet sich bei F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 76 ff. 304  Die analoge Heranziehung des aus der Physik stammenden Higgs-Teilchens oder Gottesteilchens hatte sich angeboten, da dieses dem Higgs-Feld zugeordnete Teilchen mitunter die Bedingung dafür darstellt, dass die fundamentalen Elementar­ teilchen durch Wechselwirkung mit dem allgegenwärtigen Higgs-Feld überhaupt Masse bekommen. Siehe hierzu G. Kane, Das Geheimnis der Masse, Spektrum der Wissenschaft 2 / 2006, S. 36 ff.; M.  Riordan / G.  Tonelli / Sau Lan Wu, Der lange Weg zum Higgs, in: Th. Körkel, Vom Higgs zur Quantengravitation, Spektrum der Wis­ senschaft Spezial 1 / 2013, S. 16 ff. Mit der hypothetischen Grundnorm besteht inso­ weit eine Parallele, als sich das Recht im Sinne eines objektiven Idealismus nur dann als solches deuten lässt, wenn die Grundnorm vorausgesetzt wird. Damit aber erhält das positive Normensystem nur „Masse“, wenn dieses hypothetische Denkge­ setz an den Anfang des pyramidenartigen Rechtserzeugungszusammenhangs gestellt wird; grundsätzlich kritisch hinsichtlich der interdisziplinären Überschreitung von fachspezifischen Erkenntnisgrenzen W. Henke (Fn. 12), Der Staat 1980 (19), 181 (196 ff.).

3. Abschnitt

Allgemeine Naturstaatsrechtslehre Der folgende, auf der dogmatischen Figur der empirischen Hypothese ei­ ner äußeren Grundnorm aufbauende, eigene Ansatz einer Naturstaatslehre bezieht sich nun auf den modernen demokratischen Verfassungsstaat,1 wenn­ gleich auch ökodiktatorische Entartungstendenzen Berücksichtigung finden. Dabei wird auf dem methodischen und geistigen Fundament der dem Rein­ heitspostulat verpflichteten staats- und rechtstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen in synthetischer Durchdringung und Rezeption der eingangs dieses Schlussabschnitts zum naturstaatlichen Weltgericht gewonnenen Er­ kenntnisse im Hinblick auf den gegenwärtigen umwelt- und naturstaatlichen Diskurs in Abgrenzung zu sonstigen Staatsstrukturprinzipien eine systemati­ sche Entschlüsselung des im 20. Jahrhundert geborenen naturstaatlichen Er­ scheinungsphänomens vorgenommen, wobei der für die Werke von Hans Kelsen typische analytische Formalismus erhalten bleibt, wenngleich verein­ zelt auch Elemente einer besonderen Staatsrechtslehre mit einfließen, um die allgemeinen Darlegungen beispielhaft zu untermalen. Um etwaigen Missver­ ständnissen vorzubeugen, die sich aus verschiedenen Interpretationsvarianten der Kelsenschen Schriften ergeben können, sollen an dieser Stelle noch ein­ mal die Axiome der Reinen Rechtslehre2 angeführt werden, auf denen die 1  Bemerkenswert sind insoweit die Ausführungen von Horst Dreier zum Ver­ hältnis der Reinen Rechtslehre zur politischen Demokratietheorie von Hans Kelsen H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 249 ff. / 278 ff.: „(Hans) Kelsens Bestimmung des demokratischen Staatstypus entspricht bis ins Detail jener relativierenden Identifika­ tion von Recht und Staat, die einen der zentralen Punkte der Reinen Rechtslehre als einer Theorie des positiven Rechts bildet.“ (H. Dreier, ebd., S. 278). 2  E. Bulygin, Das Problem der Geltung bei Kelsen, in: S. L.  Paulson / M.  Stoll­eis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhun­ derts, Tübingen 2005, S. 81 f.; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (165 ff.); M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und der Demokratie­ theoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Vertei­ digung der Demokratie. Abhandlungen zur Demokratietheorie, Tübingen 2006, S.  XI ff.; Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, Bern u. a. 2009, S. 103 f. /  106 ff. / 119 f.; T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutio­ nelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 25 f. Der von Hans Kelsen beanspruchte analytische Formalismus wird von

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

dann anschließende normative Naturstaatslehre basieren wird. Vernachlässigt werden vor allem auf dem im Jahre 1979 postum erschienen Werk von Hans Kelsen mit dem Titel „Allgemeine Theorie der Normen“ beruhende, teilweise sogar krasse Gegensätze zur normativen Theorie der Reinen Rechtslehre. Dies gilt insbesondere für die Annäherung zu einer nominalistischen Begrün­ dung des Rechts, wie sie in dem berühmten späteren Diktum von Hans Kel­ sen zum Ausdruck kommt: „(…) Kein Imperativ ohne Imperator. Aber (…) auch (…): kein Imperativ ohne Imperaten (…).“3 Die methodische Reinheit, auf der axiomatisch die Allgemeine Natur­ staatsrechtslehre beruhen wird, kann mit den folgenden inhaltsreichen Zita­ ten von Hans Kelsen aus der 2. Auflage der Reinen Rechtslehre aus dem Jahre 1960 noch einmal veranschaulicht werden: „Die Reine Rechtslehre ist eine Theorie des positiven Rechts; des positiven Rechts schlechthin, nicht einer speziellen Rechtsordnung. Sie ist allgemeine Rechtslehre, nicht Interpretation besonderer nationaler oder internationaler Rechtsnormen. Aber sie gibt eine Theorie der Interpretation. Als Theorie will sie ausschließlich und allein ihren Gegenstand erkennen. Sie versucht, die Frage zu beantworten, was und wie das Recht ist, nicht aber die Frage, wie es sein oder gemacht werden soll. ihm selbst auch mathematisch als „Geometrie der totalen Rechtserscheinung“ be­ zeichnet (H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, S. 93). Zur Mathematikjurisprudenz bei Hans Kelsen auch S. Marck, Substanz- und Funkti­ onsbegriff in der Rechtsphilosophie, Tübingen 1925, S. 25 / 28 f. 3  H. Kelsen, Allgemeine Theorie der Normen, hrsg. v. K.  Ringhofer / R.  Walter, Wien 1979, S. 23. Siehe hierzu C. Jabloner, Kein Imperativ ohne Imperator – An­ merkungen zu einer These Kelsens, in: S. L. Paulson (Hrsg.), Untersuchungen zur reinen Rechtslehre. Ergebnisse eines Wiener rechtstheoretischen Seminars 1988, Bd. II, Wien 1988, S. 75 ff.; kritisch V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens (Fn. 1), ÖZöR 1980 (31), 155 (157 / 165); M. Rath, Fiktion und Heteronomie – Hans Kelsens Normtheorie zwischen Sein und Sollen, Archiv für Rechts- und Sozialphi­ losophie 1988, 207 (211 ff.). Clemens Jabloner relativiert zutreffend die insoweit in der Literatur bestehenden Angriffspunkte gegen die späte Hervorhebung der subjek­ tiven Befehlsgewalt eines Imperators durch Hans Kelsen: „(…) es bleibt aber jeden­ falls festzuhalten, dass er (Hans Kelsen) am Ende zwar nicht bei einer ‚Imperativen­ theorie‘ landet, die Norm und Imperativ identifiziert, aber doch bei einer Theorie, die die Bedeutung des realpsychischen Willensaktes, also das Element des ‚subjek­ tiven Sollens‘, deutlich in den Vordergrund stellt.“ „Vielleicht können wir (…) das folgende Fazit ziehen: die Einführung der Imperatortheorie bedeutet eine Verschär­ fung des positivistischen Elans der Reinen Rechtslehre. (…) Die Problematik der Imperatortheorie liegt unmittelbar in ihrem Ansatz. Der Willensakt, von dem (Hans) Kelsen offenbar die Vorstellung eines ‚realpsychischen‘ Phänomens hat, ist jeden­ falls nicht so evident, dass man ihn unkritisch zum Ausgangspunkt für weitere Überlegungen nehmen könnte. Sobald man aber Überlegungen von der Art anstellt, wie wir dies getan haben, zeigt sich die Tendenz, wieder zu jenem ‚objektiven‘ Konzept der Zurechnung zurückzukehren, wie es von (Hans) Kelsen ansonsten ver­ treten wurde.“ (C. Jabloner, ebd., S. 76 / 95; Hervorhebungen sowie betonte Namens­ bezeichnungen im Original).



2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre607 Sie ist Rechtswissenschaft, nicht aber Rechtspolitik. Wenn sie sich als eine ‚reine‘ Lehre vom Recht bezeichnet, so darum, weil sie nur eine auf das Recht gerichte­ te Erkenntnis sicherstellen und weil sie aus dieser Erkenntnis alles ausscheiden möchte, was nicht zu dem exakt als Recht bestimmten Gegenstande gehört. Das heißt: sie will die Rechtswissenschaft von allen ihr fremden Elementen be­freien.“4 „Der Unterschied zwischen Sein und Sollen kann nicht näher erklärt werden. Er ist unserem Bewusstsein unmittelbar gegeben. Niemand kann leugnen, dass die Aussage: etwas ist ‒ das ist die Aussage, mit dem eine Seins-Tatsache beschrieben wird – wesentlich verschieden ist von der Aussage: dass etwas sein soll – das ist die Aussage, mit der eine Norm beschrieben wird; und dass daraus, dass etwas ist, nicht folgen kann, dass etwas sein soll, so wie daraus, dass etwas sein soll, nicht folgen kann, dass etwas ist.“5 „Wenn eine Theorie des positiven Rechts die Forderung erhebt, Recht und Moral im Allgemeinen und Recht und Gerechtigkeit im Besonderen von einander zu unterscheiden, nicht miteinander zu vermengen, so richtet sie sich gegen die tra­ ditionelle, von den meisten Juristen für selbstverständlich gehaltene Anschauung, die voraussetzt, dass es nur eine, allein gültige, das heißt aber: absolute Moral und sohin eine absolute Gerechtigkeit gebe. Die Forderung einer Trennung von Recht und Moral, Recht und Gerechtigkeit bedeutet, dass die Geltung einer posi­ tiven Rechtsordnung von der Geltung dieser einen, allein gültigen, absoluten Moral ‚der‘ Moral, der Moral par excellence, unabhängig ist. (…) Erhebt man auch unter Voraussetzung bloß relativer Werte die Forderung, Recht von Moral im Allgemeinen und Recht und Gerechtigkeit im Besonderen zu trennen, so bedeutet diese Forderung nicht etwa, dass Recht mit Moral, Recht mit Gerechtigkeit nichts zu tun habe, dass der Begriff des Rechts nicht unter den Begriff des Guten falle. (…) Die unter Voraussetzung einer relativistischen Wertlehre erhobene Forderung, Recht und Moral und sohin Recht und Gerechtigkeit zu trennen, bedeutet nur, dass, wenn eine Rechtsordnung als moralisch oder unmoralisch, gerecht oder ungerecht bewertet wird, damit das Verhältnis der Rechtsordnung zu einem von vielen möglichen Moralsystemen und nicht zu ‚der‘ Moral ausgedrückt und sohin nur ein relatives, kein absolutes Werturteil gefällt wird; und dass die Geltung einer positiven Rechtsordnung von ihrer Entsprechung oder Nichtentsprechung im Ver­ hältnis zu irgendeinem Moralsystem unabhängig ist.“6

Daraus ergeben sich die folgenden Thesen, auf denen die Reine Rechts­ lehre basiert: – Normativer Rechtspositivismus: Alles kann Recht sein, wobei Recht nur das positive Recht ist, d. h. es besteht aus Normen, die durch menschliche Akte gesetzt und auch wieder vernichtet werden. Die Geltung des wirk­ samen positiven Rechts ergibt sich aus einer Grundnorm.

4  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2.  Aufl. (1960), Wien 2000, S. 1 (Hervorhebung im Original). 5  H. Kelsen, RR (Fn. 4), S. 5. 6  H. Kelsen, RR (Fn. 4), S. 68 f. (Hervorhebungen im Original).

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– Moralischer Skeptizismus: Recht und Moral sind streng zu scheiden. Es gibt keine absoluten, wahren bzw. richtigen Normen. – Trennung von Sein und Sollen: Aus einem Sein kann nicht folgen, dass etwas sein soll, wie umgekehrt aus einem Sollen nicht auf ein Sein ge­ schlossen werden kann. – Wertfreie Rechtswissenschaft: Die Rechtswissenschaft beschreibt das positive Recht, bewertet es aber nicht. Die Bewertung der positiven Rechtsordnungen als gerecht oder ungerecht ist Aufgabe der Politik, nicht der (reinen) Rechtswissenschaft.

§ 18 Demokratie und Naturstaat I. Ökologische Legitimation als geltungstheoretisches Abbild eines naturstaatlichen Weltprinzips Als apodiktische Emphase des weitestgehend anerkannten Dogmas von der Volkssouveränität wird das demokratische Prinzip heute mit der die staatliche Herrschaftsordnung von Grund auf legitimierenden, rechtsfunkti­ onalen Formel ausgedrückt, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht.1 In historischer Perspektive bedeutete dies vor allem die sukzessive Abkehr von dem monarchischen Prinzip, das den ursprünglich unter Rekurs auf das heilige Band des Fürsten zu Gott und damit im Sinne einer Regentschaft in 1  Siehe zum demokratischen Prinzip H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 1 ff. / 30 f.; ders., Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 344 / 362; ders., Foundations of democracy (1955), in: M.  Jestaedt / O.  Lepsius (Hrsg.), Verteidigung der Demo­ kratie, Tübingen 2006, S. 250 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie als Verfassungs­ prinzip, in: J. Isensee / P. Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd.  II: Verfassungsstaat, 3.  Aufl., Heidelberg 2008, §  24 Rn.  2 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt. a. M. 1971, S. 201 ff. / 208 ff.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 177 ff. / 237 ff.; Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S. 252 ff.; P. Pernthaler, Allge­ meine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 171 ff. / 193 ff. / 213 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S. 175 ff. unter Darstellung auch der ideengeschichtlichen Grundlagen; H. Meyer, Repräsenta­ tion und Demokratie, in: H. Dreier (Hrsg.), Rechts- und staatstheoretische Schlüs­ selbegriffe, Berlin 2005, S. 102 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Verteidigung der Demokra­ tie (1932), in: M. Jestaedt / O. Lepsius, Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 229; M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und der Demokratie­ theoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Ver­ teidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. XIX f.; M.  Linke, Demokratische Ge­ sellschaft und ökologischer Sachverstand, St. Gallen 1991, S. 1 ff.; U. Steiner, Ver­ fassunggebung und verfassunggebende Gewalt des Volkes, Berlin 1966, S. 25 f.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 136 ff. Bereits in der Spätphase des Deutschen Reichs schrieb Hans Kelsen im Hinblick auf die Durchsetzungskraft des demokratischen Prinzips: „Die bürgerlichen Revolutionen von 1789 und 1848 hatten das demokratische Ideal beinahe zu einer Selbstverständ­ lichkeit des politischen Denkens gemacht; selbst wer sich seiner Verwirklichung mehr oder weniger zu widersetzen unternahm, glaubte dies meist nur mit einer höflichen Verbeugung vor dem grundsätzlich anerkannten Prinzip oder hinter einer vorsichtigen Maske demokratischer Terminologie wagen zu dürfen.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 1).

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Gottesgnaden begründeten, später dann in einem mehr säkularisierten Welt­ klima zusehends auf patriarchalische Vorstellungen dynastischer Gewohnheit der Erbmonarchie abgestützten, alleinigen Herrschaftsanspruch des souverä­ nen Monarchen rechtfertigte,2 wobei sich schließlich der im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts vorherrschende Staatstypus der konstitutionellen Monarchie als symbiotisches Provisorium zwischen dem monarchischen und demokratischen Prinzip entpuppte, das als ein auf Über­ windung angelegter, dilatorischer Formelkompromiss gedeutet werden konnte.3 Bei der Frage nach der Legitimation einer verfassten Staatsherr­ schaft geht es grundsätzlich um „den letzten Grund (…) (der) Verbindlich­ keit (einer Verfassung), damit (…) (um die) Rechtfertigung der staatlichen Herrschaftsordnung, die auf der Verfassung aufbaut, und der staatlichen Rechtsordnung, die in der Verfassung gipfelt.“4 Dabei müssen die Rechtfer­ tigungskategorien Legitimation und Legitimität obgleich ihres in der Litera­ tur üblichen synonymen Gebrauchs unterschieden werden.5 „Legitimation 2  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 331 ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 282 ff.; dazu auch die grund­ legende Typisierung der Monarchie sowie der monarchische Diskurs bei W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 31 ff. / 100 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 99 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikultu­ rellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 383; E. Denninger, Der Präventions-Staat, Kritische Justiz 1988 (21), 1 (11 f.); H. Hofmann, Das Problem der cäsaristischen Legitimität im Bismarckreich, in: K.  Hammer / P.  C.  Hartmann (Hrsg.), Der Bonapartismus – Historisches Phänomen und politischer Mythos, Bei­ hefte der Francia, Bd. 6 (1977), S. 88 f. 3  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 31 ff. / 114 / 288 ff.; ders., Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, in: G. Maschke (Hrsg.), Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, Berlin 2011, S.  5, insbesondere S. 9 / 12 / 17 / 19 / 20 / 22; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 337 ff.; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 20: „Und noch heute ist man sich nicht genügend bewusst, dass die Parteifeindlichkeit der alten Monarchie und dass der Wesensgegensatz, den die Ideologie speziell der konstitutionellen Monarchie zwischen der politischen Partei und dem Staate konstruierte, nichts anderes als eine schlecht verhüllte Feindschaft gegen die Demokratie bedeutete.“ (Hervorhebungen im Original). Siehe hierzu auch ders., Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 5. 4  J. Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung – Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt, Opladen 1995, S. 74; vgl. auch R. Herzog (Fn. 1), S. 194 ff. Dass es bei der transzendentallogischen Bedingung der Grund­ norm insbesondere um die Frage nach dem Geltungsgrund der staatlichen Ordnung geht, ist bereits ausführlich dargelegt worden. In ihr symbolisiert sich damit die Legitimation der relativ ideellen Rechtsnormenordnung. 5  J. Isensee, Mythos (Fn. 4), S. 75; H. Hofmann (Fn. 2), S. 81 / 98 ff.; vgl. hier­ zu auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 204 ff. / 212 ff. Grundsätzlich zur multivalenten Bedeutung des Begriffs der Legi­ timität U. Steiner (Fn. 1), S. 28 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch unter Darle­



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vollzieht sich als Prozess. Legitimität ist (dagegen) das Resultat einer (er­ folgreichen) Legitimation, der Zustand, der eintritt, nachdem der Prozess vollendet worden ist. Legitimation fließt der Verfassung (sonach) zu, Legi­ timität aber hat sie.“6 Wenn damit von einer demokratischen Legitimation gesprochen wird, ist auf die rechtfertigende Herleitung von rechtlicher Herrschaft von Menschen über Menschen verwiesen, die voraussetzt, dass „die Ordnung des Zusammenlebens in einem Volk (…) auf die Anerken­ nung derer zurückgeführt werden können (muss), die unter ihr leben; sie hat (folglich) Ausdruck der Freiheit und Selbstbestimmung des Volkes zu sein.“7 Nun gibt es aber mit dem originären pouvoir naturel noch eine weitere Machtkomponente innerhalb des modernen Staates, die in ihrem gewaltdi­ mensionierten Wesen als fremdbestimmte Determinante die Autonomie der Menschen zwar grundsätzlich unberührt lässt, im konkreten Einzelfall aber gung der Geschichte um die Lehre von der Republik und ihrer Abgrenzung zur Monarchie W. Henke, Die Republik, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 21 Rn. 10 ff. 6  J. Isensee, Mythos (Fn. 4), S. 75 (Klammerzusätze bis auf „(erfolgreichen) Legitimation“ nicht im Original); H. Hofmann (Fn. 2), S. 81 / 98 ff.; ausführlich zum Zusammenhang von Legitimität und Legitimation U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsgewalt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staats­ lehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 149 ff.; vgl. auch B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 114 f.; M. Kriele (Fn. 1), S. 8 ff. / 237 ff. Dieses differenzierte Verständnis von Legitimation und Legitimität liegt auch dem rechts- und staatstheoretischen Gesamtwerk von Hans Kelsen zu­ grunde. Demnach sei der dynamische Typus dadurch gekennzeichnet, dass die vor­ ausgesetzte Grundnorm nichts anderes beinhalte als die Einsetzung eines normerzeu­ genden Tatbestandes, die Ermächtigung einer normsetzenden Autorität oder eine Regel, die bestimme, wie die generellen und individuellen Normen der auf der Grundnorm beruhenden Ordnung erzeugt werden sollen. Dagegen sei aber das Prin­ zip, dass die Norm einer Rechtsordnung so lange gelte, bis ihre Geltung auf eine durch diese Rechtsordnung bestimmte Weise beendet oder durch die Geltung einer anderen Norm dieser Rechtsordnung ersetzt werde, das Prinzip der Legitimität (H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 199 / 213; vgl. dazu im Ergebnis aber eher kritisch H. Welzel, An den Grenzen des Rechts – die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln u. a. 1966, S. 28). Damit wird bei Hans Kelsen Legitimität mit Legalität identifiziert; siehe hierzu U. Schliesky, ebd., S. 166 ff. 7  E.-W. Böckenförde, Demokratie (Fn. 1), § 24 Rn. 3. Insoweit in Konformität mit Hans Kelsen.; siehe hierzu H. Kelsen (Fn. 1), Wesen der Demokratie, S. 3 ff.; ders., AS (Fn. 1), S. 321 ff. / 344 / 362; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie: Grund­ legung, Strukturelemente, Probleme, in: G. Dux (Hrsg.), Hans Kelsens Wege sozial­ philosophischer Forschung, Wien 1997, S. 80 ff.; J. Tkaczynski, Vom Wesen und Wert der Demokratie von Hans Kelsen aus heutiger Sicht, Der Staat 2008 (47), 108 (110 ff.); K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tü­ bingen 2010, S. 130 ff. Das demokratische Prinzip ist Ausdruck der Idee der Freiheit und Selbstbestimmung, was für den Staatsrechtslehrer Hans Kelsen gleichsam der ideologische Ausgangspunkt der Demokratie ist.

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zu zerstörerischen Auswirkungen in der Lage ist, die den staatlichen Ver­ band in die Situation eines existentiellen Notstandes bringen können. Damit müssen die natürlichen Lebensbedingungen in ihrer konstituierenden Eigen­ art für die staatliche Herrschaftsordnung mehr sein als nur eine gewöhnliche Plattform, auf der sich der Rechtserzeugungs- und -anwendungsprozess abspielt. In der patrimonialen Staatslehre waren es die mächtigen Monar­ chen, die infolge einer durch die Analogie zum Privateigentum modifizierten Wendung der theokratisch-patriarchalischen Theorie als Grundherren, als dominus, d. h. Eigentümer, erschienen.8 In diesem Sinne weist Georg Jelli­ nek auf die naturrechtliche Lehre vom Territorium als Staat hin, die in der neuzeitlichen Phase des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation zu einer Herausbildung der faktischen Überzeugung von der Staatsgewalt der Landesherren geführt und auf diesem Wege die Entstehung der Territorial­ staaten befördert hat.9 Als im Zuge der aufkommenden Geopolitik gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine allgemeine Naturalisierung des Staatsgebiets einsetzte,10 kam es schließlich auch zu organischen Entartungslehren, die das Wesen einer staatlichen Gemeinschaftsordnung von den geographischen und natürlichen Bedingungen absolut vordeterminiert sahen. Dies lässt sich etwa anhand der naturalistisch-materialistischen Staatslehre von Rudolf Kjellén verdeutlichen, dessen organische Hypostasierung des Staates auf der Überbetonung der sich aus dem Gebiet und dem Volk zusammensetzenden Naturseite beruht, ohne die es letztlich keinen modernen Staat geben kann.11 Das Land könne aus dem Staat nicht hinweggedacht werden, ohne dass sich 8  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 332 f. / 336; C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 283; G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3. Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 199 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S.  92 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stutt­ gart u. a. 1977, S. 34; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 52 / 54; H.  Buß / W.  Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 26 / 43; vgl. zur patrimonialen Staatstheorie auch H. Krüger, Allgemeine Staats­ lehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 137 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 142; D.  Lehnert, Sozialismus und Nation. Hellers Staatsdenken zwischen Einheit und Vielfalt, in: M. Llanque (Hrsg.), Souveräne Demokratie und soziale Homogenität – das politi­ sche Denken Hermann Hellers, Baden-Baden 2010, S. 183. 9  G. Jellinek, AS (Fn. 8), S. 345 f.; vgl. auch R. Zippelius (Fn. 8), S. 92 f. „Das Naturrecht ist in seinem innersten Kern die Gesamtheit der Forderungen, die eine im Laufe der Zeiten veränderte Gesellschaft oder einzelne Gesellschaftsklassen an die rechtsschöpfenden Mächte stellen. Wenn es das Faktum ist, welches Recht er­ zeugt, so erzeugt in diesen Fällen umgekehrt die Vorstellung des Rechtes das Fak­ tum.“ (G. Jellinek, AS, ebd., S. 345 f.). 10  So R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 167 ff. 11  R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 47 / 96; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 378.



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der Begriff des Staates verflüchtige. Ohne Land gebe es gesellschaftliche Existenz, aber auch nicht mehr.12 Daher sei der Staat gleich dem Walde an einen bestimmten Boden gebunden, aus dem er seine Nahrung sauge, und unter dessen Oberfläche auch seine einzelnen Bäume ihre Wurzeln mitein­ ander verflechten.13 Auch wenn dieser eine absolute Eigengesetzlichkeit indizierenden Relevanz der Natur im Staat nicht gefolgt werden kann, so zeigen diese auf das natürliche Land bezogenen Lehrbeispiele, dass dem physisch-biologischen Territorium für ein Staatswesen eine konstituierende Wirkung zukommen kann, die von den Menschen aber lange Zeit vollstän­ dig ignoriert wurde. Das umweltstaatliche Staatskönigtum, das sich durch eine besondere Affinität zu einem dem willensgetreuen Souveränitätsdogma unterwürfigen Staatssubjektivismus bekennt, zeichnet sich durch eine Selbstverpflichtungsmoral aus, bei der die originäre Natur, wenn überhaupt, nur nachrangig in Erscheinung tritt. Damit wird die naturrechtliche bzw. später vielleicht auch völkergewohnheitsrechtliche Bindung des modernen Staates an sein natürliches Land und damit die Realität verkannt, die zu einer verobjektivierten Betrachtung der sich einheitlich zeigenden Welt­ staatsordnung zwischen Staat und Natur anmahnt. Demnach muss das na­ turstaatliche Weltprinzip analog dem Freiheit und Selbstbestimmung verbür­ genden demokratischen Prinzip zu einer beschränkenden Synthese im Sinne einer ökologischen Legitimation anhalten. Das demokratische Prinzip steht für die autonome Staatsgestaltung des souveränen Volkes, das sich als alleiniger Inhaber der verfassunggebenden Gewalt darbietet.14 Durch das naturstaatliche Weltprinzip ist die in völki­ scher Freiheit und Selbstbestimmung konstituierte Staatsgewalt von Grund auf kontrastiert, indem die Natur als natürlicher Geltungsgrund des moder­ nen Staates anzusehen ist. Darin liegt nicht die metaphysische Annahme einer höheren Autorität, sondern im Gegenteil eine gehobene Rationalität, die sich hinsichtlich des pouvoir naturel nicht mehr mit der wirklichkeits­ fremden Utopie einer komplett ungebundenen Volkssouveränität auseinan­ dersetzt. Auch kann darin keine unzulässige, metaphysische Durchbrechung des von Hans Kelsen vertretenen demokratischen Werterelativismus gesehen werden, der die Erkenntnis der absoluten Wahrheit, die transzendente Ein­ sicht in eine Fundierung in absoluten Werten ablehnt, um das grundsätzlich kritisch-relativistische Ideal einer Wettbewerbsdemokratie nicht unter­ 12  R. Kjellén

(Fn. 11), S. 47. (Fn. 11), S. 53. 14  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 248 ff. / 321 ff. / 344 / 362; vgl. auch ders., Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 3 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie (Fn. 1), § 24 Rn. 5 ff.; J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (110 ff.); K. Groh (Fn. 7), S. 130 ff. Zu bedenken ist, dass die verfassunggebende Autorität in der Grundnorm aufgehoben ist. 13  R. Kjellén

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schwellig zu nivellieren,15 da die in der äußeren Grundnorm eingesetzte Natur nur in der formalen Dimension eines Rechtserzeugungsmoments der 15  Zum von Hans Kelsen vertretenen demokratischen Werterelativismus H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 98 ff.; ders., Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 60 ff.; ders., Staatsform und Weltanschauung (Fn. 3), S. 13 ff., v. a. S. 24 ff.; ders., Allge­ meine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung, in: N. Leser (Hrsg.), Hans Kelsen – Demokratie und Sozialismus (Ausgewählte Aufsätze), Wien 1967, S.  80 f.; ders., Verteidigung der Demokratie (1932) (Fn. 1), S. 233 ff.; ders., Wissenschaft und Demokratie (1937), in: M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kel­ sen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 240 ff.; ders., Foundations of democracy (1955) (Fn. 1), S. 251 f. / 269 ff. / 286 ff. / 303 ff.; ders., General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 285 ff.; ders., Sozialismus und Staat, hrsg. v. N. Leser, 3. Aufl., Wien 1965, S. 160 ff.; H. Schambeck, Hans Kelsen – Leben und Werk. Gedanken zu seinem 40. Todestag, in: A. Janko u. a. (Hrsg.), Herbert Scham­ beck – Beiträge zum Verfassungs- und Europarecht, Sammlung, Wien 2014, S.  538 ff.; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 80 / 96 ff.; ders., Rechts­ lehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., BadenBaden 1990, S. 83 ff. / 259 ff.; M. Jestaedt / O. Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 1), S. XVI f. / XXIII f.; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 374 f.; J. Kunz, Die de­ finitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), 375 (383  ff.); R. Walter, Der gegenwärtige Stand der Reinen Rechtslehre, Rechtstheorie 1970 (1), 69 (73); K. Groh (Fn. 7), S. 129 f. / 134 ff.; W. Schneider, Wissenschaftliche Askese und latente Wertepräferenz bei Hans Kelsen, Freiburg 1996, S. 79 ff.; V. Kubeš, Das neueste Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zu­ kunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (171 f.); vgl. auch H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (295); Ch.  Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 1990 (48), S. 21 ff. / 25 f.; F. Hase, Richterliches Prüfungsrecht und Staats­ gerichtsbarkeit, Gießen 1981, S. 147. Die direkten Worte von Hans Kelsen hierzu schallen wie ein unabweisbares Plädoyer für die parlamentarische Demokratie: „Wer absolute Wahrheit und absolute Werte menschlicher Erkenntnis für verschlossen hält, muss nicht nur die eigene, muss auch die fremde, gegenteilige Meinung zumindest für möglich halten. Darum ist der Relativismus die Weltanschauung, die der demokratische Gedanke voraussetzt. Demokratie schätzt den politischen Willen jeder­ manns gleich ein, wie sie auch jeden politischen Glauben, jede politische Meinung, deren Ausdruck ja nur der politische Wille ist, gleichermaßen achtet. Darum gibt sie jeder politischen Überzeugung die gleiche Möglichkeit, sich zu äußern und im frei­ en Wettbewerb um die Gemüter der Menschen sich geltend zu machen. (…) Die für die Demokratie so charakteristische Herrschaft der Majorität unterscheidet sich von jeder anderen Herrschaft dadurch, dass sie eine Opposition – die Minorität – ihrem innersten Wesen nach nicht nur begrifflich voraussetzt, sondern auch politisch aner­ kennt (…). Je stärker aber die Minorität, desto mehr wird die Politik der Demokra­ tie eine Politik des Kompromisses, wie auch für die relativistische Weltanschauung nichts charakteristischer ist als die Tendenz zum vermittelnden Ausgleich zwischen zwei gegensätzlichen Standpunkten, von denen man sich keinen ganz und vorbehalt­ los und unter völliger Negation des anderen zu eigen machen kann.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 101 f.; Hervorhebungen im Original). Zu der aber auch kritischen Missbrauchseignung des Werterelativismus J. Tkaczynski (Fn. 7),



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positiven Rechtsordnung, und nicht in der materiellen Normierungskultur einer physisch-absolutistischen, auf metaphysischen Geltungsgründen aufge­ bauten Gerechtigkeits- bzw. Zweckideologie betrachtet wird.16 Das rechts­ positivistische Lager dagegen, das in methodischer Stringenz ein vorstaatli­ ches Naturrecht nicht anerkennt, kann die geltungstheoretische Legitimati­ onsrelevanz der Natur für die Staatsrechtsordnung nicht verstehen, weshalb es auf eine von den Menschen beabsichtigte Korrektur im Sinne der dog­ matischen Figur der Selbstverpflichtungslehre ankommt, ob ein Naturstaat entsteht oder nicht.17 Um dem souveränen Volk einen adäquaten Einfluss an der Ausübung der verfassten Staatsgewalt zu sichern, werden letzten Der Staat 2008 (47), 108 (108 f.); H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie, ebd., S. 99. In diesen letzteren Kontext passt das berühmte Zitat von Hans Kelsen (H. Kelsen, Verteidigung der Demokratie (1932), ebd., S. 237): „Eine Demokratie, die sich gegen den Willen der Mehrheit zu behaupten, gar mit Gewalt sich zu behaupten versucht, hat aufgehört, Demokratie zu sein. Eine Volksherrschaft kann nicht gegen das Volk bestehen bleiben. Und soll es auch gar nicht versuchen, d. h. wer für die De­ mokratie ist, darf sich nicht in den verhängnisvollen Widerspruch verstricken lassen und zur Diktatur greifen, um die Demokratie zu retten. Man muss seiner Fahne treu bleiben, auch wenn das Schiff sinkt; und kann in die Tiefe nur die Hoffnung mit­ nehmen, dass das Ideal der Freiheit unzerstörbar ist und dass es, je tiefer es gesun­ ken, um so leidenschaftlicher wieder aufleben wird.“ (Hervorhebungen im Original). 16  Vgl. H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 101  ff. Demnach sei der metaphysisch-absolutistischen Weltanschauung eine autokratische, der kritisch-rela­ tivistischen die demokratische Haltung zugeordnet (S. 101, auch (Fn. 45)). 17  Siehe zu dem rechtspositivistischen Lager, das ein vorstaatliches Recht nicht anerkennt und die Frage nach der originären Entstehung eines modernen Staates ausschließlich in dem rechtlich ungebundenen Bereich der politischen Willensauto­ nomie verortet G. Jellinek, AS (Fn. 8), S. 144 f. / 274; W. Hildesheimer, Über die Revision moderner Staatsverfassungen, Tübingen 1918, S. 37 ff.; G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Nachdruck der 14. Aufl. (1933), Bad Homburg 1960, S.  401 f.; R. Thoma, Die Funktionen der Staatsgewalt – Grundbegriffe und Grundsätze, in: G.  Anschütz / ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 154 ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 4 / 133; erläuternd U. Steiner (Fn. 1), S. 32 f.; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S. 39 ff.; siehe hierzu auch H. J. Boehl, Verfassungge­ bung im Bundesstaat, Berlin 1997, S. 79 Fn. 26 / 102 / 108; Ch. Winterhoff, Verfas­ sung – Verfassunggebung – Verfassungsänderung, Tübingen 2007, S. 138; A. Alvarez, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und chilenischen Grundgesetzes, Frankfurt a. M. 1995, S. 83 / 85; vgl. auch W. Kägi, Die Verfassung als rechtliche Grundordnung des Staates, 2. Aufl., Zürich 1971, S. 159; U. Schliesky (Fn. 6), S. 166 ff.; M. Jestaedt, Geltung des Sys­ tems und Geltung im System, JZ 2013, 1009 (1014); J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frankfurt a. M. 1967, S. 71. Kritisch zur Selbstverpflich­ tungslehre H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 74 ff.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

Endes verschiedene Formen der demokratischen Legitimation unterschie­ den.18 Mit der funktionellen bzw. institutionellen Legitimation ist die origi­ näre Autorisierung der vom Volk als dem Inhaber des pouvoir constituant als Funktionen und Organe konstituierten Gewaltentrias aus der gesetzge­ benden, vollziehenden und rechtsprechenden Gewalt angesprochen, durch die das Volk die von ihm ausgehende Staatsgewalt ausübt. Die staatliche Herrschaftsübung über dafür betraute Organwalter hat dabei im Sinne einer organisatorisch-personellen demokratischen Legitimation eine auf das Volk zurückzuführende, ununterbrochene Legitimationskette erkennen zu lassen, wobei die nötige Lückenlosigkeit durch die eine niedere demokratische Dignität gewährleistende mittelbare Rückführung auf das souveräne Volk nicht aufgehoben wird. Abgerundet werden die demokratischen Legitimati­ onsformen letztlich von einer sachlich-inhaltlichen Legitimation, die die Ausübung der Staatsgewalt auch in ihrem Inhalt von dem Willen des Volkes ableiten möchte, was durch ein Gesetzgebungsrecht des Parlaments verbun­ den mit dem staatsorganisatorischen Primat der legislativen Gewalt gegen­ über den nachrangigen Gewalten, sowie eine stufenweise demokratische Verantwortlichkeit garantiert wird, die sich vor allem in Einfluss sichernden Kontroll- und Aufsichtsrechten manifestiert.19 Im umweltrechtlichen Bereich ist es die Problematik um eine Kodifizierung von auf privatem Sachverstand beruhenden Umweltstandards zur Konkretisierung von Technikstandards in der Form von in Umweltgesetzen enthaltenen unbestimmten Rechtsbegrif­ fen, die konkrete Fragen nach der demokratischen Legitimation aufwirft. Dies gilt insbesondere dann, wenn an der Erarbeitung von normkonkretisie­ renden Umweltstandards private Normungsverbände beteiligt sind, was schließlich die Gefahr von partikularen Interessendurchsetzungen und sach­ widrigen Kompromissen auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner verur­ sacht.20 In negativer Assoziation wird in diesem Kontext im staatswissen­ 18  Siehe dazu ausführlich E.-W. Böckenförde, Demokratie (Fn. 1), § 24 Rn. 14 ff.; H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl., München 2010, § 7 Rn. 21 ff. Demokratie bedeu­ te politische Freiheit und Selbstbestimmung. Die individualistische Idee der Freiheit stelle damit aber einen mit ihrem alles Soziale und Politische grundsätzlich negie­ renden Ansatzpunkt einen Kontrapunkt der Staatspraxis dar, weshalb sie sich mit ihr fremden Elementen notwendigerweise amalgamieren müsse (H. Kelsen, AS (Fn. 1), S.  321 ff.; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 27 ff.). Als Korrektiv des Verlustes an individueller Freiheit erscheint die politische Freiheit, die sich unter anderem in den verschiedenen Formen demokratischer Legitimation manifestiert. Siehe zum demokratischen Grundsatz der Selbstbestimmung auch T. Fleiner / L. Fleiner (Fn. 2), S. 379 f. / 383. 19  Zusammenfassend E.-W. Böckenförde, Demokratie (Fn. 1), § 24 Rn. 14 ff. 20  So H.-P. Vierhaus, Sachverstand als Vierte Gewalt, NVwZ 1993, S. 36  ff.; I.  Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, Verfahren zur Erarbeitung von Um­ welt- und Technikstandards, Baden-Baden 1995, S. 212 ff.; R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl., Heidelberg 2003, § 1 Rn. 199; M. Kloepfer,



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schaftlichen Schrifttum sogar von einer „umgekehrten Wesentlichkeitstheo­ rie“ gesprochen, wonach die wesentlichen Entscheidungen mit entsprechen­ der Grundrechtsrelevanz eben nicht von der unmittelbar demokratisch legitimierten parlamentarischen Volksvertretung, sondern von der Techno­ kratur, den mit technischem Sachverstand ausgestatteten politischen Macht­ trägern der organisierten gesellschaftlichen Funktionärswelt, getroffen wer­ den.21 Auch wenn der Staat mit der Rezeption der Umweltstandards die inhaltliche Verantwortung übernimmt, sind deshalb vor der Folie einer de­ mokratischen Legitimation schon die Entscheidungsprozesse organisatorisch und verfahrensrechtlich derart auszugestalten, dass in rechtlich-administrati­ ver und technologisch-ökonomischer Kollaboration und Vernetzung eine Gewähr für Neutralität und Vielfältigkeit des wissenschaftlichen Sachver­ standes einerseits, für Transparenz und Nachvollziehbarkeit andererseits, abgesichert wird.22 Was bedeutet nun aber ökologische Legitimation? Die Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S.  54 f.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform – Ansätze am Beispiel des Umweltschutzes –, in: ders. u. a. (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungs­ rechts – Grundfragen, Baden-Baden 1993, S. 160 f. 21  So R. Wahl, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsgerichtsbarkeit, VBlBW. 1988, 387 (391); ders., Diskussionsbeitrag zu „Die Bewältigung der wis­ senschaftlichen und technischen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht“, VVD­ StRL 1990 (48), S. 293; H. Dreier, Die drei Staatsgewalten im Zeichen von Euro­ päisierung und Privatisierung, DÖV 2002, 537 (542); vgl. auch M. Kloepfer, Um­ weltstaat (Fn. 20), S. 54; zur Problematik grundsätzlich auch I. Appel, Konkretisierung rechtlicher Anforderungen durch technische Regeln: Immissionsschutzrecht, Gewäs­ serschutzrecht und Bodenschutzrecht, in: R. Hendler u. a. (Hrsg.), Technische Regeln im Umwelt- und Technikrecht. 21. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technik­ recht vom 4. bis 6.  September 2005, Berlin 2006, S. 68 f. / 89 ff.; P. Marburger / T.  Gebhard, Gesellschaftliche Umweltnormierungen, in: A.  Endres / P.  Marbur­ ger (Hrsg.), Umweltschutz durch gesellschaftliche Selbststeuerung – Gesellschaft­ liche Umweltnormierungen und Umweltgenossenschaften, Bonn 1993, S. 1 ff. 22  I.  Lamb (Fn. 20), S. 229 ff.; R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 20), § 1 Rn. 199; M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat, in: C. F. Gethmann (Hrsg.), Handeln unter Risiko im Umweltstaat, Berlin u. a. 1993, S.  82 ff.; ders., Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 43 ff.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 20), S. 158 ff. Zu der privaten Beteiligung bei der normkonkretisierenden Regelsetzung grundsätzlich auch T. Bahke, Technische Regelsetzung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene: Organisation, Aufgaben, Entwicklungsperspektiven, in: R. Hendler u. a. (Hrsg.), Technische Regeln im Umwelt- und Technikrecht. 21. Trierer Kolloquium zum Um­ welt- und Technikrecht vom 4. bis 6.  September 2005, Berlin 2006, S. 13 ff. / 23 ff.; F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäischen Umweltrecht, Berlin 2005, S. 176 ff.; P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, Köln 1979, S.  110 f.; M. Kloepfer, Technik und Erkenntniswandel als rechtsstaatliche Herausfor­ derung, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 187 f.; ders., Umweltstaat (Fn. 20), S. 54 f.; R. Pitschas, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

fremdbestimmte Machtkomponente der Natur ist nach alledem ein rechtfer­ tigender Geltungsgrund der staatlichen Rechtsordnung, ein elementarer Baustein der rechtlich verfassten Staatsgemeinschaft, ohne den ein positives Ordnungssystem aus sanktionsbewährten Rechtsnormen im Ausnahmefall einer verheerenden Naturkatastrophe mitunter keine Geltung mehr besitzen kann. Ohne Naturgeltung gibt es demnach auch keine Rechtsgeltung (mehr), was aber nicht eine Hypostasierung der originären Natur zu einem bedin­ genden Höheren im Sinne der Metaphysik nahelegen soll. Dennoch ist die Natur aber eine – aus der Sicht eines modernen Staates ‒ autonome Souve­ ränität, ein autoritärer pouvoir naturel innerhalb des Staates, der im natur­ staatlichen 21. Jahrhundert zu einer kooperativen Weltstaatsordnung an­ mahnt, womit dogmatisch die Begründung eines äußeren, verobjektivierten Naturbeachtensbefehls als transzendental deduziertem Denkgesetz verbun­ den ist. Andererseits wiederum ist die Natur nach ihrem unpersönlichen Wesen aber nicht in der Lage, bestimmte Repräsentativorgane in dem de­ mokratischen Sinne einer funktionellen bzw. institutionellen Legitimation zu realisieren, so dass sie grundsätzlich auf Artikulation und Repräsentation durch die jeweiligen Rechtssubjekte bzw. die entsprechenden Staatsorgane angewiesen ist. Möglich ist aber der Anspruch einer ununterbrochenen Le­ gitimationskette von der in der äußeren Grundnorm aufgehobenen Natur zu den demokratisch legitimierten Organen der Staatsperson, so dass der for­ male Naturbeachtensbefehl stets präsent sein muss. Damit ist schließlich auch bereits die Form einer sachlich-inhaltlichen Legitimation angesprochen, was zu einer materiellen Immanenz der existentiellen Dimension der natür­ lichen Lebensgrundlagen im Rahmen der positiven Normenordnung anhal­ ten muss. Der dynamische Stufenbau der Rechtsordnung steht daher unter dem normativen Einflussbereich der vertikal zum positiven Normensystem stehenden äußeren Grundnorm, womit eine formale Akzentuierung im Sinne des formalen Naturbeachtensbefehls einhergeht. Deshalb sind sämtliche durch die arbeitsteilig funktionierenden, zentralen Staatsorgane erlassenen bzw. zu erlassenden Rechtsetzungs- bzw. -anwendungsakte  ‒ Gesetze, Par­ lamentsbeschlüsse, Verwaltungsakte, Gerichtsurteile usw. – unter der recht­ sökologischen Weltmaxime einer steten Beachtung der Natur zu interpretie­ ren bzw. zu sehen, womit ein  ‒ nach dem Muster einer staatenbündischen Dezentralisation  ‒ naturzentristisch-normativer Delegationszusammenhang verbunden ist.23 Diese formale Naturalisierung betrifft unmittelbar freilich nur Rechtsgebiete bzw. -entscheidungen, die eine naturstaatliche Relevanz durch das Verwaltungsrecht, DÖV 1989, 785 (787 ff.); H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen 1991, S. 204 ff.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform, ebd., S. 151 ff. unter Berücksichtigung von konsensualen Einzelfallentscheidungen. 23  Dazu bereits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 2. Teil, § 17 IV.



§ 18 Demokratie und Naturstaat619

aufweisen.24 Ein Richter etwa, der einen Dieb abzuurteilen hat, wird sich freilich keine unmittelbaren Gedanken über eine zu berücksichtigende Be­ achtensmanier hinsichtlich der Natur machen. Außerdem indiziert diese „Abrundung“ der positiven Rechtsordnung im Sinne einer verobjektivierten Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen in Permanenz keine unzuläs­ sige Tränkung des Normensystems mit ethisch-materiell getränktem Gedan­ kengut der Ökologie. Denn entscheidend sind nur die formalen Gewaltdi­ mensionen der Natur, deren implizite Berücksichtigungen im Sinne eines pouvoir intermédiaire25 im Rahmen der nationalen Rechtsordnung durch die Rechtsfunktionen von Gesetzgebung, Verwaltung (einschließlich Regierung) und Rechtsprechung über das Prinzip der zentralen Zuschreibung zu einer naturzentristischen Färbung der Sollordnung beitragen.26 Das souveräne Rechtsnormensystem wird so im Sinne der äußeren, die natürlichen Lebens­ grundlagen mit umfassenden, empirischen Hypothese der Grundnorm gemä­ ßigt. Die materielle Dimension der Natur aber, ihre metaphysisch-­ naturrechtlich verfasste Ordnung im Sinne eines wahren, richtigen biolo­ gisch-physikalischen Kausalnexus, der in seiner naturgesetzlichen Struktu­ rierung auf einem inhaltlich gerechtfertigten Geltungsgrund beruht, bleibt der Rechtswissenschaft verschlossen, ist vielmehr Erkenntnisobjekt der einzelnen naturwissenschaftlichen Disziplinen. Dies folgt nicht nur aus dem strengen Reinheitspostulat der Reinen Rechtslehre, sondern – gedanklich bereits auf einer Vorstufe – aus dem neukantianischen Erkenntnisprinzip, wonach die Methode den Gegenstand, hier das positive Recht, erzeugt.27 Denn das Recht ist zwar mit der Erkenntnisbedingung der äußeren Grund­ norm geltungstheoretisch als relativ naturzentristisch-normativ bedingtes Erkenntnismaterial rechtswissenschaftlich fassbar, nicht aber das materielle „Innen“leben des Rechtswesens der Natur, das einer außerrechtlichen Do­ mäne angehört.28 Insgesamt ergibt sich aus alledem die Notwendigkeit, den staatsorganisatorischen Stufenbau der positiven Rechtsordnung in der Weise auszugestalten, dass die formalen Gewaltdimensionen der originären Natur innerhalb des Rechtsnormensystems auch stets wirksam werden, um eine ökologische Legitimation zu garantieren. Ob dies zudem auch die Errich­ 24  R. Weimar, Rechtsökologie – Ethik oder Sozialtechnologie?, in: ders. (Hrsg.), Einheit und Vielfalt der Rechtstheorie, Berlin 2008, S. 171. 25  Siehe insoweit zum Gebrauch dieses Begriffes in der älteren Staatslehre P. Saladin, Unternehmen und Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 1977 (35), S. 37 ff. 26  Zur Zuschreibung und zum Staat als juristischer Person H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 71 ff. / 108; ders., RR (Fn. 5), S. 293 ff. 27  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 6; F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 10 ff.; vgl. auch H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Erster Teil: Grundlegung, Zürich u. a. 1958, S. 13. 28  Hierzu nur H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 1.

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tung einer eigenen ökologischen Instanz, eines Hüters der naturstaatlichen Verfassung, verlangt, um dem heutigen Ansinnen des naturstaatlichen Pro­ gresses entsprechenden Nachdruck zu verleihen, kann an dieser Stelle noch offenbleiben. Ökologische Legitimation kann demnach definiert werden als die Gebotenheit der Rückführung staatlichen Handelns auf die Natur. Auch wenn sich die autonome Staatsgewalt, aufgefangen in der geltenden Rechtsnormenordnung,29 stets über die Natur hinwegsetzen können muss, um das innere Selbstbestimmungsrecht eines souveränen Volkes nicht zu nivellieren, besteht die Notwendigkeit der steten Konvention hinsichtlich des pouvoir naturel im Staat. Ohne die Beachtung des formalen Naturbe­ achtensbefehls wird eine rechtlich verfasste Staatsordnung im 21. Jahrhun­ dert immer an einem Mangel an Legitimität leiden.30 29  H. Kelsen,

AS (Fn. 1), S. 13 ff. / 71 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 293. zur ökologischen Legitimation auch I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Bei­ spiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 85 ff. Nach dem von Hans Kelsen vertretenen Verständnis vom Wesen der Demo­ kratie steht im Mittelpunkt einer demokratischen Staatsform das Postulat der Frei­ heit. Diese individuelle Freiheit wandelt sich aber im Staat zu einer spezifischen, politischen Freiheit unter der Herrschaft einer sozialen Ordnung. In dieser wird die Idee der Freiheit am besten durch das absolute Mehrheitsprinzip verwirklicht. Denn dass die Idee der Freiheit in dem Kalkül des von ihr negierten Sozialen, ja sogar des Politisch-Staatlichen eingehen könne, sei nur möglich vermittels eines Bedeu­ tungswandels, in dem aus der absoluten Negation sozialer Bindung im Allgemeinen und daher des Staates im Besonderen eine spezielle Form derselben werde, die in Verbindung mit ihrem dialektischen Gegensatz alle mögliche Form des Staates, ja der Gesellschaft überhaupt repräsentiere. Von der natürlichen Freiheit löse sich die soziale oder politische Freiheit ab. Politisch frei sei, wer zwar untertan, aber nur seinem eigenen, keinem fremden Willen unterworfen sei (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 4). Die Folge dieser objektivistischen Betrachtung der sozia­ len Ordnung, der Rechtsnormenordnung, ist, dass der Staat als Freistaat erscheint, die Individuen aber als unfrei gelten, insofern sie der Staatsordnung unterworfen sind. Das staatsleitende Prinzip der Demokratie werde damit am besten realisiert, dass – wenn schon nicht alle – so doch möglichst viele Menschen frei seien, d. h. möglichst wenige Menschen mit ihrem Willen in Widerspruch zu dem allgemeinen Willen der sozialen Ordnung geraten sollen, was vernünftigerweise zu dem (absolu­ ten) Majoritätsprinzip führe (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 8 ff.). „Wenn der Gemeinschaftswille mit mehr Individualwillen in Einklang als in Widerspruch steht – und das ist (…) bei einem Majoritätsbeschluss der Fall –, ist das Maximum des möglichen Freiheitswertes – Freiheit als Selbstbestimmung vorausgesetzt – er­ reicht.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 55; Hervorhebungen im Origi­ nal). Die freie Staatsperson liegt aber in den fremden Fesseln des pouvoir naturel. Die freie Staatsperson ist deshalb konventional dem fremden Willen der Naturgewalt unterworfen, woraus sich eine Obhutspflicht gegenüber den der sozialen Rechtsnor­ menordnung unterworfenen Staatsbürgern ergibt. Indem der moderne Staat damit Umwelt- und Naturschutz betreibt, ergänzt er die Metamorphose des Freiheitsbe­ griffs, der sich grundsätzlich von der individuellen Freiheit vor staatlicher Herrschaft 30  Siehe



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II. Das Wesen der Natur aus rechtstheoretischer Sicht (Annex) Der Begriff der ökologischen Legitimation bezeichnet den Geltungs- bzw. Delegationszusammenhang zwischen dem pouvoir naturel und dem durch die positive Rechtsnormenordnung verkörperten inneren Sinn, alias Staats­ wille. Gleichsam als Annex soll nun versucht werden, das Wesen des pou­ voir naturel aus rechtstheoretischer Sicht klarzustellen. Mit anderen Worten: Was ist die Natur im Staat im Sinne einer Staatslehre als Allgemeiner Staatsrechtslehre?31 Im Zusammenhang mit dem Staat als juristischer Per­ son führt Hans Kelsen in der Reinen Rechtslehre aus dem Jahre 1960 aus: „Auch der Staat ist eine Körperschaft, das heißt eine Gemeinschaft, die durch eine normative Ordnung konstituiert wird, die arbeitsteilig funktionie­ rende, zu ihrer Funktion mittelbar oder unmittelbar berufene Organe ein­ setzt; und die diese Gemeinschaft konstituierende Ordnung ist die Rechts­ ordnung, die zum Unterschied von der internationalen, das heißt der Völ­ kerrechts-Ordnung, als nationale oder staatliche Rechtsordnung bezeichnet wird. So wie die durch ein Statut konstituierte Körperschaft unter der staatlichen Rechtsordnung steht, die ihr – als juristischer Person – Pflichten auferlegt und Rechte gewährt, so kann der Staat als unter der VölkerrechtsOrdnung stehend angesehen werden, die ihm, als juristischer Person, Pflich­ ten auferlegt und Rechte gewährt. Und so können (…) auch in Bezug auf den Staat, als einer dem Völkerrecht unterstehenden Körperschaft, externe und interne Pflichten und Rechte unterschieden werden: die einen werden durch das Völkerrecht, die anderen durch die staatliche Rechtsordnung statuiert.“32 Diese letzte Differenzierung zwischen einem internen und externen Rechtskreis ist für die Bestimmung des rechtlichen Wesens der Natur im Staat von grundlegender Bedeutung. Das Staatsgebiet sei ein drei­ dimensionaler Raum, zu dem der Untergrund unterhalb und der Raum zu einer politischen Beteiligung an der staatlichen Herrschaft wandelt, mittelbar um „eine Rolle rückwärts“. Denn der moderne Naturstaat sichert die Existenzbasis der Staatlichkeit, die natürlichen Lebensgrundlagen als Systemvoraussetzung der objek­ tiven Rechtsnormenordnung, weshalb die Staatsbürger auf diesem Wege wieder ei­ nen Teil des ursprünglichen Grundbestandes an individueller, natürlicher Freiheit zurückerlangen. Siehe zum Ganzen H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 321 ff.; ders., Wesen der Demokratie, ebd., S. 3 ff.; ders., Verteidigung der Demokratie (1932) (Fn. 1), S. 230 ff. / 236; ders., Staatsform und Weltanschauung (Fn. 3), S. 10 ff.; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 80 ff.; ders., Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 15), S. 251 ff.; M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demo­ kratietheorie (Fn. 1), S. XVIII ff.; J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (110 f.); K. Groh (Fn. 7), S. 130 ff. 31  Zu dem Terminus der Allgemeinen Staatsrechtslehre in Abgrenzung zu sons­ tigen Disziplinen der Allgemeinen Staatslehre H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 6 f. / 13 ff. / 44 ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Grundlegung (Fn. 27), S. 1 ff. 32  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 293.

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oberhalb des durch die Staatsgrenzen eingeschlossenen Gebietes gehöre, wobei sich die Einheit dieses staatlichen Raumes nicht aus den natürlichen geographischen Gegebenheiten, sondern durch juristische Erkenntnis ergebe, was dann schließlich bei Hans Kelsen in die Begriffsbestimmung mündet, wonach das Staatsgebiet nur als der räumliche Geltungsbereich der staatli­ chen Rechtsordnung definiert werden könne.33 Allein diese Passage macht deutlich, dass die Natur, die natürlichen Lebensgrundlagen, in der Allgemei­ nen Staatslehre von Hans Kelsen nur eine ganz untergeordnete Rolle spielen konnten, da sie für die Erkenntnis des Staates als Rechtsordnung rechtlich wesensfremd und damit irrelevant anmuten mussten. Dennoch werden die von den arbeitsteilig funktionierenden, zentralen Organen gesetzten Akte, deren räumlicher Geltungsbereich sich auf das im juristischen Sinne ver­ standene Staatsgebiet erstreckt, auf diesem – nun im natürlich-physikalischen Sinne verstandenen  ‒ Hoheitsgebiet wirksam, d. h. dass sich die Folgen als „gesollte“ Auswirkungen von rechtsnormativ festgelegten Bedingungen, die (sanktionierten) Rechtswirkungen auf dem natürlichen Staatsgebiet manifes­ tieren.34 „Das rechtliche Sollen, das ist die Kopula, die im Rechtssatz Bedingung mit Folge verknüpft, umfasst (…) drei Bedeutungen: die eines Gebotenseins, die eines Ermächtigtseins und die eines (positiven) Erlaubt­ seins der Folge; (…): mit dem ‚Sollen‘, das der Rechtssatz aussagt, werden alle (…) normativen Funktionen bezeichnet. Dieses ‚Sollen‘ drückt nur den spezifischen Sinn aus, in dem die beiden Tatbestände durch eine Rechts­ norm, und das heißt: in einer Rechtsnorm, miteinander verbunden sind.“35 Im naturstaatlichen Kontext kann dies mitunter dazu führen, dass eine staat­ 33  Das Staatsgebiet besitzt damit in erster Linie die normative Funktion einer räumlichen Geltungsbeschränkung von Normen. Siehe hierzu H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 15), S. 207 f. / 217 f.; ders., AS (Fn. 1), S. 138; ders., RR (Fn. 5), S. 291; ders., Der soziologische und der juristische Staatsbegriff – kritische Untersuchung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tübingen 1922, S. 84  f.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 17. Zur Kompetenztheorie einschließlich ihrer dogmatischen Herleitung ausführlich W. Henrich, Kritik der Gebietstheorien, Breslau u. a. 1926, S. 80 ff. / 99 ff. 34  Differenziert werden muss hier typischerweise aber zwischen zwei räum­lichen Geltungsbereichen der Zwangsnorm, nämlich einem räumlichen Tatbestandsbereich und einem räumlichen Sanktionsbereich. Der erste bezieht sich dabei auf den Be­ reich, in dem der Tatbestand vermieden werden muss, um eine Sanktion zu verhin­ dern, während der zweite Geltungsbereich den Bereich umfasst, in dem ein Staats­ organ die Sanktion setzen soll. Insoweit kann auch von Gebotsbereich und Sankti­ onsbereich gesprochen werden. Der Unterschied zwischen diesen Geltungsbereichen besteht darin, dass der räumliche Gebotsbereich über das Staatsgebiet hinausgehen kann (z. B. ein Verbrechen eines Staatsbürgers im Ausland), der örtliche Sanktions­ bereich ist dagegen auf das Staatsgebiet beschränkt. Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 137 ff.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 17 f.; vgl. hierzu auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 17), S. 46 ff. 35  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 81; ders., AS (Fn. 1), S. 48 ff.



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liche Behörde rechtsfunktional als Verwaltungsstelle ein beantragtes Bau­ projekt genehmigt, da im konkreten Fall die Tatbestandsvoraussetzungen vorlagen. Die Rechtsordnung normierte insoweit eine „Soll“-Pflicht des Staates, dem ein Rechtsanspruch eines individuellen Rechtssubjekts korres­ pondierte, dass beim Vorliegen bestimmter Bedingungen eine konkrete Folge, indiziert durch die Kopula „Sollen“ als Ausweis des Prinzips der Zurechnung, eintreten sollte. Der Rechtsakt der staatlichen Behörde wird letztlich dem Staat als Körperschaft, als juristischer Person, zugeschrieben. Andererseits kann der Staat aber auch durch eine objektive Rechtsnorm in die Pflicht genommen werden, wenn der in der Rechtsnorm enthaltene ob­ jektive Sinn des Willensaktes auf staatliche Schutzmaßnahmen zugunsten der natürlichen Lebensgrundlagen abzielt.36 In beiden Fällen handelt es sich um den internen Rechtskreis, der dem modernen Staat Rechte und Pflichten zuordnen kann, wobei diese hier jeweils zu Rechtswirkungen auf dem rechtlich verfassten Hoheitsraum führen. Die originäre Natur als solche ist aber zumindest nicht notwendigerweise ein eigenes Rechtssubjekt, d. h. ihr können von der positiven Rechtsordnung zwar Eigenrechte zuerkannt werden, was aber regelmäßig nicht geschieht. Abgesehen davon würde sich aber dann das Problem der Vertretungskompetenz stellen, da die Natur im Rechtsverkehr nicht selbst handeln kann.37 Dogmatisch ist damit vor dem 36  H. Kelsen,

RR (Fn. 5), S. 4 / 9; ders., AS (Fn. 1), S. 66 ff. diesem Problemkreis der Natur als Rechtssubjekt befürwortend unter anderem G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, Rechtstheorie 1980 (11), S. 344 ff.; K. M. Meyer-Abich, Vom bürgerlichen Rechtsstaat zur Rechts­ gemeinschaft der Natur, Scheidewege 1982 (12), 581 (598 ff.); J.  Leimbacher, Die Rechte der Natur, Basel u. a. 1988, S. 479 ff.; P. Saladin / J. Leimbacher, Mensch und Natur, in: H.  Däubler-Gmelin / W.  Adlerstein (Hrsg.), Menschengerecht, Heidelberg 1986, S.  204 ff.; P.  Saladin / C. A.  Zenger, Rechte künftiger Generationen, Basel u. a. 1988, S.  109 ff.; K. Bosselmann, Eigene Rechte für die Natur?, Kritische Justiz 1986, S. 1; ders., Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Standortbestimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S.  63 f.; M. Schröter, Mensch, Erde, Recht, Baden-Baden 1999, S. 223 ff.; kritisch dagegen K. Heinz, Eigenrechte der Natur, Der Staat 1990 (29), 415 (438 f.); R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 63 ff.; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge (Fn. 30), S. 66 ff.; ablehnend unter anderem H. Hofmann, Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, JZ 1988, 265 (277 f.). Eine zusammenfassende Übersicht dieses Themenkreises findet sich bei I. Appel, ebd., S. 64 ff.; P. Pernthaler, AS (Fn. 1), S. 271 ff. Hierzu auch die Beiträge in J.  Nida-Rümelin / D.  v.  d.  Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Baden-Baden 2002. In diesem Zusammenhang von Eigen­ rechten der Natur werden auch kontrolldefizitäre Auswirkungen der Schutznormthe­ orie diskutiert; siehe hierzu K. Heinz, ebd., Der Staat 1990 (29), 415 (435 f.). Siehe zur Ausstattung von „heiligen Tieren“ mit Rechtspersönlichkeit H. Nawiasky, Staats­ rechtslehre (Fn. 17), S. 13 f. Rechtshistorisch zu Tierrechten (ethischer Ansatz unter Rekurs auf die Leidensfähigkeit der einzelnen Tiere J. Bentham, An introduction to the principles of morals and legislation, Bd. II, London 1828, S. 235 f. 37  Zu

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Hintergrund einer anthropozentrisch ausgerichteten Rechtsordnung die ent­ sprechende Anwendung der Selbstverpflichtungslehre des Staates verbun­ den, die der Natur einen eigenen Rechtsstatus zuerkennt, da dies im 21. Jahrhundert angesichts der hohen Belastung der Natur soziologisch an­ gezeigt erscheint. Eine derartige Sichtweise der Natur steht aber mit der Realität in einem unauflösbaren Widerspruch. Denn die Natur ist eine na­ türliche Machtinstitution, ein pouvoir naturel, dessen souveränes Gewaltpo­ tential das normale Geschehen im modernen Staat stets latent beeinflusst und im naturkatastrophalen Ausnahmezustand zu etwaigen Staatsnotstands­ maßnahmen anhält. Angesichts dieser Eigenschaft als fremdbestimmter Souveränität stellt sich die Natur in staatsanaloger Eigenart als ein Völker­ rechtssubjekt dar, das im Innern durch eine naturrechtliche Ordnung geprägt ist, die freilich von der staats- und rechtstheoretischen Erkenntnisbildung nicht erfasst werden darf, um den analytischen Formalismus im Sinne des Reinheitspostulats der Reinen Rechtslehre nicht zu nivellieren.38 Legt man nun aber den Überlegungen einen materiellen Souveränitätsbegriff zugrunde,39 könnte das Verhältnis von Staat und Natur als bundesstaats­ ähnlich charakterisiert werden. Dafür spricht, dass es dem Wesen eines Bundesstaates entspricht, dass seine Gliedstaaten nicht einfach aus der auf einer gemeinsamen rechtlichen Grundlage gegründeten bundesstaatsrechtli­ chen Verbindungsform austreten können, der bundesstaatliche Zusammen­ schluss unauflöslich ist,40 womit dem Umstand Rechnung getragen wird, dass die Natur im Staat stets gegenwärtig ist, der Staat ohne natürliches Gebiet nicht gedacht werden kann. Allein sich aber eine verfassungsrechtli­ che Kompetenzordnung vorzustellen, in der die Kompetenzen zwischen Staat und Natur unter Beachtung der Kompetenz-Kompetenz des Bundes aufgeteilt werden, bedarf einer kreativen Phantasie.41 Insbesondere hat es der moderne Staat durch das innere Selbstbestimmungsrecht selbst in der Hand, die Natur vollständig zu ignorieren, quasi ein Staatsleben gegen die Natur zu führen, was einer grundsätzlichen Ablehnung der Natur als Glied­ 38  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 1; ders., AS (Fn. 1), S. 250 f.; F. Koja, AS (Fn. 27), S.  10 ff. 39  Siehe zur Souveränität als Rechtsinhaltsbegriff H. Kelsen, AS (Fn. 1), S.  109 ff.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 37 ff. Beim materiellen Souveränitätsbegriff geht es um den konkreten Bestand an inhaltlichen Befugnissen, die ein moderner Staat letztlich (noch) besitzen muss, um souverän zu sein. 40  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 222 ff.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 8), S. 79; vgl. auch Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 241. 41  Zur Kompetenz-Kompetenz H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 208 f.; M. Kriele (Fn. 1), S. 60 ff.; F. Koja (Fn. 27), S. 357; Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 241; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 17), S. 151 ff. Die Kompetenz-Kompetenz muss nicht notwendig beim Bund liegen, hierzu H. Kelsen, AS, ebd., S. 208 f.; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre, ebd., S. 151 ff.



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staat gleichkommt, was aber dem bundesstaatlichen Ausschlussverbot wi­ derspricht. Die Natur verfügt aber auch selbst nicht über Staatsorgane, weshalb im Hinblick auf eine bundesstaatsähnliche Konstruktion die Analo­ gie hinsichtlich der Natur als Staat überfordert wird.42 Es wird zu zeigen sein, dass es sich vielmehr um eine staatenbündische Verbindung handelt. Um das Wesen der originären Natur rechtstheoretisch zu klären, bedarf es eines differenzierten Verständnisses. Die Raumtheorie besagt, dass das Staatsgebiet der Herrschaftsraum ist, auf dem die unterschiedlichen politi­ schen Staatsakte wirksam werden.43 Im Sinne eines normativen Methoden­ ansatzes resultiert daraus die Kompetenztheorie, wonach sich die Bedeutung des Staatsgebiets auf eine Festlegung des räumlichen Geltungsbereichs von Normen beschränkt.44 Die Objekttheorie, die den Staat eigentümerähnlich als Oberherrn über das Rechtsobjekt des Staatsgebiets betrachtet, ist grund­ sätzlich abzulehnen, da rechtlich verfasste Herrschaft regelmäßig über Men­ schen wirksam wird und sich nur ausnahmsweise unmittelbar auf Sachen erstreckt.45 Dieses letztere Verständnis bedarf aber im naturstaatlichen 21. Jahrhundert einer Durchbrechung. Denn die von den arbeitsteilig funk­ tionierenden, zentralen Staatsorganen im Rahmen ihres rechtlichen Zustän­ digkeitsbereichs erlassenen Rechtsakte, die dem Staat zugeschrieben werden,46 haben Rechtswirkungen auf das natürliche Staatsgebiet.47 Aus diesem Grund stellt sich die Natur ähnlich einem Rechtsobjekt dar, das der Staat über seine Organe bewirtschaftet, nutzt bzw. schützt. Die Rechtswir­ 42  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 241; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn.  17), S. 151: „Nehmen wir zunächst eine Vielheit an, so besteht diese aus einem Zentral­ staat und den mehreren Gliedstaaten. Jeder dieser Teile verfügt über eine Gesetzgebung und hat demgemäß eine eigene Rechtsordnung, und dieser Umstand verleiht jedem der Teile (des Bundesstaates) den Charakter eines Staates. Durch ihre Rechts­ ordnung herrschen alle Teile über die Normadressaten derselben. Neben der Gesetz­ gebung kommt auch eine Normvollziehung in Betracht, und auch eine solche Norm­ vollziehung ist regelmäßig bei allen Teilen, dem Zentralstaat und den Gliedstaaten, zu finden.“ (Hervorhebungen im Original). 43  Vgl. H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 17), S. 45. 44  H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 15), S. 207  f.; ders., RR (Fn. 5), S. 291; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 17), S. 45; W. Graf Vitzthum, Staatsgebiet, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bun­ desrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 16 Rn. 6. 45  H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 8), S. 43 f.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatsleh­ re, Grundlegung (Fn. 27), S. 151; vgl. auch H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 15), S. 218; W. Graf Vitzthum, Staatsgebiet (Fn. 44), § 16 Rn. 6. Zur Ob­ jekttheorie grundsätzlich W. Henrich (Fn. 33), S. 63 ff. 46  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 293 ff. 47  Siehe zum Objektcharakter der Natur nur J.  Leimbacher, Die Rechte der Natur (Fn. 37), S. 480; P.  Saladin / J.  Leimbacher (Fn. 37), S. 195.

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kungen werden also der Natur zugerechnet, wobei es sich hier nur um eine derivative, dezentrale Zurechnung im Sinne eines Naturzentrismus handelt.48 Andererseits ist die Natur aber analog einem Völkerrechtssubjekt zu be­ trachten, das im Falle von gegen die Völkerrechts-Ordnung verstoßenden Maßnahmen eines Staates entsprechende Repressalien in der Form von Naturkatastrophen ergreifen wird, womit der externe Rechts- und Pflichten­ kreis des Staates angesprochen ist.49 Aus dieser Stellung der Natur als Na­ turstaat im Staat, dem eine rechtsobjektive wie völkerrechtssouveräne Ei­ genschaft zukommt, ergibt sich damit rechtstheoretisch, dass sich das Wesen der Natur auf eine akzentuierende Rechtsgröße kanalisiert. Sie ist einerseits Betätigungsfeld, andererseits aber auch eine mit einem Achtungsanspruch ausgestattete souveräne Machtinstitution. Mit anderen Worten ergeben sich aus bzw. mit ihr die Bedingungen für eine entsprechende ökologische Nor­ mierung innerhalb des Staates, d. h. sie beeinflusst den Inhalt von Normen, indem sie die Grenzen der Natur, die negativen wie positiven Gewaltdimen­ sionen zum Bewusstsein der Staatsorgane bzw. der Individuen im Staat bringt. Demnach ist die Natur in ihrem Wesen eine Akzentsouveränität, die auf eine Mäßigung ihrer Dimension als Rechtsobjekt gerichtet ist. Damit in Konformität steht die Grundnorm in ihrem äußeren Sinn, die in ihrer nor­ mativen Eigenart als geltungstheoretischem Rechtfertigungsabbild der posi­ tiven Rechtsnormenordnung Legitimation verleiht.50

48  Das Gegenstück hierzu ist die zentrale Zurechnung zum Staat als Körper­ schaft H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 71 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 293 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 265 ff. 49  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 293. Siehe zur Souveränität als Rechtswesensbe­ griff H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 71 ff.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 33 ff. Demnach werde die im Staat personifizierte Ordnung als höchste, nicht weiter ableitbare Ordnung vorausgesetzt, die Geltung der staatlichen Rechtsordnung somit aus keiner anderen Norm abgeleitet sei. Diese Begriffsbestimmung kann in staatsanaloger Ausrichtung auf die Natur übertragen werden, die sich ebenfalls als grundsätzlich höchste, nicht weiter ableitbare Ordnung darstellt, die ihren materiellen Geltungsgrund im Natur­ recht findet. 50  Dies steht auch in Konformität mit dem auf eine objektive Weltanschauung gegründeten Weltstaatsmodell zwischen Staat und Natur, das Ausdruck des Primats der Völkerrechtsordnung ist. Denn der Staat ist aufgrund dieser übergeordneten Staatenverbindung des Völkerrechts nur noch als relativ höchste, da nun auch dem Naturbeachtensbefehl unterstellte Rechtsordnung anzusehen. Vgl. hierzu nur H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 71 / 123 ff.; F. Ermacora Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 1165; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 35 ff. Zu beachten ist aber, dass es sich hinsichtlich der Natur nur um eine Analogie in Bezug auf die Staatsqualität handelt. Die einzelstaatliche Perspektive bleibt also erhalten!



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III. Repräsentativer Pragmatismus im Lichte einer naturstaatlichen Idealität Der moderne Staat ist Repräsentativstaat, wobei sich der staatstheoretische Diskurs mit der kontinentaleuropäischen Durchsetzung des juristischen Par­ lamentarismus unter den Vorzeichen von weiteren, den überkommenen Restbestand an obrigkeitsstaatlichem Monarchiekult überwindenden Entfal­ tungslinien des demokratischen Prinzips auf den Staatstypus einer repräsen­ tativen Demokratie konzentrierte.51 Im Rahmen dieser auf dem Grundsatz der Repräsentation beruhenden Form staatlicher Volksherrschaft ist mit der Volkssouveränität ein politisches Dogma maßgeblich, wonach die legislative Gewalt eigentlich nur dem Volk zustehen kann, so dass die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz auf das Parlament lediglich als einschränkende Ausnahme des vorherrschenden Dogmas angesehen werden muss.52 Diese parlamentarische Delegation ist aber notwendig, um den Klagen einer uner­ füllten Demokratie, die sich bereits in ihrem unmittelbaren Ausgangspunkt 51  H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 1 f. / 26 ff.; vgl. auch ders., AS (Fn. 1), S. 310; U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 179; F. Ermacora II (Fn. 50), S. 571 ff.; H. Buß / W. Oetelshoven (Fn. 8), S. 64; J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstver­ ständnis des demokratischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (570 f.); G. Wittkämper / W.  Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 122 ff.; vgl. auch P. Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: J. Isen­ see / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutsch­ land, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 23 Rn. 20 ff. / 34 ff. / 45 ff. Zur Geschichte des Parlamentarismus vor dem Abbild der Entwicklung des parlamentarischen Enquêterechts auch J. Masing, Parlamentarische Untersuchungen privater Sachverhalte – Art. 44 GG als staatsgerichtetes Kontroll­ recht, Tübingen 1998, S. 7 ff. 52  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 314; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 27 f.; vgl. auch J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (110 f.). Diese Sentenz wird von Hans Kelsen eindrucksvoll untermauert: „Parlamentarismus ist: Bildung des maßgeblichen staatlichen Willens durch ein vom Volke aufgrund des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, also demokratisch gewähltes Kollegialorgan, nach dem Mehrheitsprinzip. Versucht man, sich der Ideen bewusst zu werden, die das parla­ mentarische System bestimmen, so zeigt sich, dass es der Gedanke der demokrati­ schen Selbstbestimmung, also der Gedanke der Freiheit, ist, der hier dominiert. Der Kampf für den Parlamentarismus war ein Kampf für die politische Freiheit.“ „Zwar sind Demokratie und Parlamentarismus nicht identisch. Allein da für den modernen Staat die unmittelbare Demokratie praktisch unmöglich ist, darf man wohl nicht ernstlich daran zweifeln, dass der Parlamentarismus die einzige reale Form ist, in der die Idee der Demokratie innerhalb der sozialen Wirklichkeit von heute erfüllt werden kann. Darum ist die Entscheidung über den Parlamentarismus zugleich die Entscheidung über die Demokratie.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 27 f.; Hervorhebung im Original). Zum Volk als Rechtsbegriff H. Kelsen, AS, ebd., S.  149 ff.

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eines plébiscite de tous les jours einem nachweisbaren, verhüllten Irrealis­ mus hingibt, der sich nur in einer schlechten, defizitären oder auch illegiti­ men Wirklichkeit von  Demokratie erschöpfen kann, zu entgehen.53 Damit ist gleichsam der kritische Umstand angesprochen, dass sich in ausschließ­ lich auf direkten Elementen der Demokratie aufgebauten Staatswesen kein individueller Einheitskern, keine substantielle Identität des Volksganzen, herausbilden kann, da das Volk bei diesem scheinbaren Idealzustand des Prinzips der Identität in ein unterpolitisches Dasein absinkt, was zu einer sukzessiven Auflösung der existentiellen Eigenständigkeit eines Volkes füh­ ren muss.54 In diesem Sinne wies bereits Georg Wilhelm Friedrich Hegel hinsichtlich des von ihm als göttlicher Wille, objektiver Geist beschriebenen Staates auf das von Jean-Jacques Rousseau seiner radikaldemokratischen Theorie zugrunde gelegte, nur gemeinschaftliche, und nicht auch vernünftige Willensmoment hin, weshalb die vertragliche Vereinigung der Einzelnen im Staat „Willkür, Meinung und beliebige, ausdrückliche Einwilligung zur Grundlage hat, und es folgen die weiteren bloß verständigen, das an und für sich seiende Göttliche und dessen absolute Autorität und Majestät zerstören­ den Konsequenzen.“55 Damit ist keine verabsolutierte Ablehnung plebiszitä­ rer Elemente im Rahmen einer demokratischen Staatsorganisation verbunden, sondern nur ihrer Einrichtung als tragendem Bauprinzip des Staates, was eine balancierende und korrigierende Anwendung gegenüber der repräsenta­ tiven Leitungs- und Entscheidungsgewalt nicht ausschließt.56 Der grundsätz­ lich unformierte, diffuse Volkswille ist daher auf Artikulation angewiesen, was aufgrund der zunehmenden Komplexität der gegenwärtigen politischen Entscheidungen ein immer höheres Professionalitätsniveau verlangt. Dies gilt auch für unmittelbare Demokratieelemente bzw. die Annahme einer 53  So C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 214 f.; H. Kelsen, Wesen der De­ mokratie (Fn. 1), S. 27 / 30; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Hannover, Heft 11, Hannover 1983, S.  14 f.; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Neudruck der 20. Aufl., Heidelberg 1999, S. 60; R. Zippelius (Fn. 8), S.  146 ff.; P. Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes – eine verfassungs­ theoretische Konstruktion, Tübingen 2002, S. 454 Fn. 24; S. Unger, Das Verfas­ sungsprinzip der Demokratie – Normstruktur und Norminhalt des grundgesetzlichen Demokratieprinzips, Tübingen 2008, S. 159; M. Donath, Demokratie und Internet – neue Modelle der Bürgerbeteiligung an der Kommunalpolitik. Beispiele aus den USA, Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 50. 54  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 215; H. Kelsen, Wesen der Demokra­ tie (Fn. 1), S. 30; K. Hesse (Fn. 53), S. 60 f. 55  G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.), Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 255 f. / 260 ff. 56  So nur H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 38 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation (Fn. 53), S. 16; R. Zippelius (Fn. 8), S. 153 / 158 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 186 f.



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idealistischen Pluralismustheorie mit allgemeiner Interessenbeteiligung und -relevanz im politischen Willensbildungsprozess, die ebenfalls stets eine repräsentative Initiative voraussetzen, um dem Volkswillen eine angemesse­ ne Plattform für eine pragmatische Entfaltung bieten zu können.57 In der wirklichkeitswissenschaftlichen Methodensprache im Sinne von Hermann Heller kann insoweit daher resümiert werden, dass der moderne Staat als organisierte Wirkungs- und Handlungseinheit stets auf ausrichtende und gestaltende Dispositionen leitender Repräsentativorgane angewiesen ist, die zwar die subjektiven Verhaltensweisen und Vorstellungen der einzelnen soziologischen Wirkmechanismen aufnehmen, gleichwohl aber über einen eigenen Organisations- und Ordnungsspielraum verfügen, um über den blo­ ßen Willen zur politischen Einheit hinaus eine staatliche Realitätsform wirkender Ganzheit zu konstituieren.58 Dies bedeutet, dass nach der sozio­ logischen Staatstheorie von Hermann Heller ein organisierter Naturstaat erst dann vorliegt, wenn ein gesellschaftliches Naturschutzbewusstsein von den zuständigen Organen in den Rang einer relativen Staatsaufgabe erhoben wird, so dass sich der moderne Staat schließlich als naturstaatliche Wir­ kungseinheit darstellt. Abgesehen von der methodenkonformen Inkonse­ quenz von Hermann Heller, die darin besteht, dass er das Wesen des Staates als Rechtsordnung zwar sieht,59 eine Erkenntnis, die sich unter anderem daraus ergibt, dass das Verhältnis eines Organs zum Staat eine Rechtswe­ sensbeziehung ist, das Verhältnis eines repräsentativen Organs zu einem anderen Organ wie dem primären Volk nur ein positivrechtliches, d. h. rechtsinhaltliches Verhältnis sein kann,60 gleichsam aber durch eine politi­ sche Primatologie überlagern lässt, ist dem soziologischen Erklärungsansatz von der organisierten Wirkungs- und Handlungseinheit des modernen Staa­ tes insoweit zuzustimmen, als es einer repräsentativen Initiative bedarf, um die staatliche Einheitskonstituierung nicht dem plebiszitären Verdikt einer sozialen Inhomogenität auszusetzen.61 Nur handelt es sich dabei um eine 57  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 206 f.; E.-W. Böckenförde, Demokra­ tie und Repräsentation (Fn. 53), S. 8 ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 343 f.; ders., RR (Fn. 5), S. 301 ff. 58  H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 81 ff. / 228 ff.; im Kontext der Reprä­ sentation ist die Position von Hermann Heller zusammengefasst bei E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation (Fn. 53), S. 12 ff. 59  H. Heller, SL (Fn. 58), S. 233. 60  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 311. 61  Dazu H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 27 ff.; so im Ergebnis auch E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation (Fn. 53), S. 14 ff.; vgl. auch W. Fiedler, Die Wirklichkeit des Staates als menschliche Wirksamkeit – Über Her­ mann Heller (Teschen 1891–Madrid 1933), Oberschlesisches Jahrbuch 1995 (11), S.  160 f.; I. Staff, Der soziale Rechtsstaat. Zur Aktualität der Staatstheorie Hermann Hellers, in: Ch. Müller / dies. (Hrsg.), Der soziale Rechtsstaat, Baden-Baden 1984,

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juristische Einheit, die den gesamten auf dem politischen Willen des Volkes und der Originalität der Natur errichteten Staatsaufbau erfasst und in diesem staatsorganisatorischen Sinne die Einheit des modernen Staates, die Einheit der staatlichen Ordnung, symbolisiert.62 Das Wesen der Repräsentation zeichnet sich durch eine „Duplizität der personellen Existenz“ aus, insofern es sich um eine konkrete Person oder um eine sonstige irgendwie personifizierte Einheit handelt, die durch den repräsentativen Akt gegenwärtig gemacht werden soll.63 In einer überhö­ henden Manier ist für Carl Schmitt „Repräsentation (…) kein normativer Vorgang, kein Verfahren und (auch) keine Prozedur, sondern etwas Existen­ tielles. Repräsentieren heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich an­ wesendes Sein sichtbar machen und vergegenwärtigen.“64 Demnach liege S.  25 ff.; M.  Llanque, Die Theorie politischer Einheitsbildung in Weimar und die Logik von Einheit und Vielheit (Rudolf Smend, Carl Schmitt, Hermann Heller), in: A. Göbel u. a. (Hrsg.), Metamorphosen des Politischen, Berlin 1995, S. 172 ff. 62  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 13 ff. / 71 ff. / 316; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 15; ders., Staatsform und Weltanschauung (Fn. 3), S. 11. Hans Kelsen wörtlich dazu: „Nur in einem normativen Sinne kann hier von einer Einheit die Rede sein. Denn als Übereinstimmung des Denkens, Fühlens und Wollens, als Soli­ darität der Interessen ist die Einheit des Volkes ein ethisch-politisches Postulat, das die nationale oder staatliche Ideologie mit Hilfe einer allerdings ganz allgemein gebrauchten und daher schon gar nicht mehr überprüften Fiktion real setzt. Es ist im Grunde nur ein juristischer Tatbestand, der sich als Volkseinheit einigermaßen prä­ zise umschreiben lässt: Die Einheit der das Verhalten der normunterworfenen Men­ schen regelnden staatlichen Rechtsordnung. In ihr konstituiert sich – als Inhalt der die Ordnung bildenden Rechtsnormen – die Einheit der Vielheit menschlicher Hand­ lungen, die das ‚Volk‘ als Element des Staates, als einer spezifischen sozialen Ord­ nung, darstellt.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 15; Hervorhebungen im Original). Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Denn wie soll im Angesicht der in der soziologischen Wirklichkeitswelt vorherrschenden Differenziertheit ansonsten die politische Einheit bestimmt werden. 63  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 301 ff.; G.  Leibholz, Repräsentation, in: R. Herzog u. a. (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II: N – Z, 3. Aufl., Stuttgart 1987, Sp. 2986; R. Herzog (Fn. 1), S. 215; H. Meyer, Repräsentation und Demokratie (Fn. 1), S. 100 f.; vgl. auch R.  Laun, Allgemeine Staatslehre im Grundriss – ein Studienbe­ helf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 81 ff. Siehe zur Geschichte der Repräsen­ tation H. Hofmann, Repräsentation – Studien zur Wort- und Begriffsgeschichte von der Antike bis ins 19. Jahrhundert, 4. Aufl., Berlin 2003, S. 38 ff.; G. Duso, Die Aporien der Repräsentation zwischen Bild und Begriff, in: H. Dreier (Hrsg.), Philo­ sophie des Rechts und Verfassungstheorie, Berlin 2000, S. 66 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 393 ff.; R.  Laun, ebd., S. 84 ff. 64  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 209  f.; so auch G.  Leibholz, Reprä­ sentation (Fn. 63), Sp. 2986 (2986 f. / 2991); vgl. auch R. Herzog (Fn. 1), S. 215; M.  Porsche-Ludwig, Einführung in die Allgemeine Staatslehre, Wien 2008, S. 163 f. Carl Schmitt: „Das ist nicht mit irgendwelchen beliebigen Arten des Seins möglich, sondern setzt eine besondere Art Sein voraus. (…) In der Repräsentation (…) kommt



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die Dialektik des Begriffes darin, dass (letztlich) das Unsichtbare als abwe­ send vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht werde.65 Im Kontext der Herausbildung einer naturstaatlichen Doktrin führen diese De­ finitionen bereits zu plausiblen Folgerungen. Denn die originäre Naturge­ walt kann einen politischen Willen nicht äußern, ist aber gleichsam in der Lage, durch ihre gewaltdimensionierte Eigenart den modernen Staat in sei­ nen Grundfesten zu erschüttern. Ein an dem Prinzip der Identität ausgerich­ tetes politisches Abbild der Natur, wonach sich diese einen von dem sozio­ logischen Gutdünken der Menschen unabhängigen, einheitlichen politischen Einfluss innerhalb des Staates selbst sichert, ist damit von vornherein bereits ausgeschlossen.66 Die Natur muss sich vielmehr durch die Staatsorgane, vor allem das Parlament und die Regierung, angemessen repräsentieren lassen, um im Sinne einer naturstaatlichen Systemimmanenz ausreichendes Gehör zu erzeugen.67 Dabei werden im Grunde zwei Begriffe der Repräsentation eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung. Die Idee der Repräsentation beruht darauf, dass ein als politische Einheit existierendes Volk (…) eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat. Wenn der Sinn für diese Besonderheit der po­ litischen Existenz entfällt und die Menschen andere Arten ihres Daseins vorziehen, (so) entfällt auch das Verständnis für einen Begriff wie Repräsentation.“ (C. Schmitt, Verfassungslehre, ebd., S. 210). Die Parallele zu Hans Kelsen zeigt sich wiederum an der Konstruktion der Grundnorm, die als Einheitssymbol der Rechtsnormenord­ nung fungiert. Wird das in der hypothetischen Grundnorm aufgehobene Prinzip der Effektivität durch reale Umstände – eine Revolution bzw. Naturgewalt – erschüttert, wird die Legitimität der Verfassung in Frage gestellt. In diesem Fall bedarf es einer Bewährung der Demokratie bzw. der Bewohnbarkeit der natürlichen Lebensgrundla­ gen. Ansonsten geht die innere bzw. äußere Grundnorm unter, die positive Rechts­ ordnung verliert so ihre Geltungskraft. Damit aber büßt auch der Begriff der Reprä­ sentation seine Bedeutung ein, wenngleich sich aber eine neue Repräsentation ent­ wickeln kann, insofern ein anderer Souverän in der die politische Einheit vermittelnden Grundnorm erscheint. Siehe zu dieser Thematik H. Kelsen, RR (Fn. 5), S.  212 ff.; ders., General theory of law and state (Fn. 15), S. 22 f.; A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Scham­ beck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1813; C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 22 f. 65  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 310 f.; ders., RR (Fn. 5), S. 301  ff.; C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 209 f.; G.  Leibholz, Repräsentation (Fn. 63), Sp. 2986. 66  So D. Worster, Nature`s Economy – a history of ecological ideas, 2. Aufl., Cambridge u. a. 2008, S. 316 ff. / 388 ff.; P.  Saladin / J.  Leimbacher (Fn. 37), S. 207 / 210 f.; R. Steinberg (Fn. 37), S. 68 f.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Reformperspektiven im Um­ weltrecht, Baden-Baden 1996, S. 63; F. Mauch, Die Natur der Katastrophe – ein umwelthistorischer Rückblick auf die Hamburger Sturmflut, in: M. Heßler / H. Kehrt (Hrsg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962 – Risikobewusstsein und Katastrophen­ schutz aus zeit-, technik- und umweltgeschichtlicher Perspektive, Göttingen 2014, S. 133. Zum Prinzip der Identität C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 204 ff. 67  Das staatsorganisatorische Verhältnis der Repräsentativorgane Parlament und Regierung im Rahmen einer demokratischen Staatsform schildert Hans Kelsen zu­

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unterschieden: im formalen Sinne bezeichnet Repräsentation „den bestehen­ den bzw. dadurch hergestellten Legitimations- und Zurechnungszusammen­ hang zwischen dem Handeln der Leitungsorgane und dem Volk“ als Reprä­ sentierten, während sich der materielle Repräsentationsbegriff mit der in­ haltlichen Darbietung und Aktualisierung des Volkswillens durch vom Volk autorisierte und legitimierte Organe befasst, so dass sich schließlich die Einzelnen und auch die Bürger insgesamt als Volk in diesem Handeln wie­ derfinden und damit erkennen können.68 „In der formalen Repräsentation hat die Demokratie ihren rechtsförmlichen Autorisations-, Legitimationsund Zurechnungszusammenhang. Dieser bringt (dann) die demokratische Staatsstruktur in ihrer äußeren Form, aber auch nur in dieser Form zustande. Erst das Vorhandensein auch der inhaltlichen Repräsentation ist die Bedin­ gung dafür, dass die Demokratie ungeachtet ihrer formal-repräsentativen Struktur nicht in delegierte Individual- oder Gruppenherrschaft oder einen wechselnden Mehrheitsabsolutismus absinkt, sondern Herrschaft des Volkes und politische Beteiligung der Einzelnen zur Verwirklichung bringt.“69 Die repräsentativen Kollegialorgane sowie die sonstigen Organe im engeren Sinne – verstanden als Bündel von Zuständigkeiten im Sinne des Organs als Rechtsbegriff  ‒ bestehen aus durch periodische Wahlen bestimmte bzw. treffend mit den folgenden Worten: „Die eine – die Erzeugung der generellen Nor­ men, die sog. Gesetzgebung – ist (relativ) freie Willensbildung, die andere, die sog. Vollziehung (relativ) gebundene Willensbildung. Die Vollziehung steht wesenhaft unter der Idee der Gesetzmäßigkeit, und die Idee der Legalität gerät auf einer ge­ wissen Stufe der staatlichen Willensbildung mit der der Demokratie in Konflikt. (…) Zwar muss zugegeben werden, dass in der demokratischen Wahl der obersten Exe­ kutivorgane durch das Parlament und in ihrer Verantwortlichkeit dem Parlament gegenüber eine gewisse, wenn auch keineswegs die einzig mögliche Garantie für die gesetzmäßige Tätigkeit dieser Organe liegt, d. h. dafür, dass der Wille des Volkes ausgeführt wird. Aber schon soweit die parlamentarische Verantwortlichkeit in Be­ tracht kommt, zeigt sich, dass das mehr autokratische Ministerialsystem, dass die Vollziehung durch Einzelorgane sich besser eignet als das spezifisch demokratische Kollegialsystem, das nicht nur das Verantwortlichkeitsgefühl des Einzelnen mindert, sondern auch die Geltendmachung der Verantwortung erschwert. Und die Unvereinbarkeit des Legalitätsprinzips mit dem Prinzip der Demokratie verschärft sich (…) (durch) das sozialtechnisch unabweisliche Bedürfnis nach Dezentralisation, d. h. nach räumlicher Gliederung des sozialen Körpers (…). (…) Der Wille des Ganzen – so wie er in der zentralen Legislative zum Ausdruck kommt – droht durch den Willen des Teils  – in den einzelnen Selbstverwaltungskörpern – paralysiert zu wer­ den. Sogar in seiner Denaturierung als Selbstbestimmung durch Majoritätsbeschluss bewahrt der Freiheitsgedanke noch etwas von seiner ursprünglich anarchischen, das soziale Ganze in seine individuellen Atome auflösenden Tendenz.“ (H. Kelsen, We­ sen der Demokratie (Fn. 1), S. 69 ff.; vgl. zu diesem Themenkreis auch ders., AS (Fn. 1), S. 244 ff. / 361 ff.). 68  E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation (Fn.  53), S. 18  f.; vgl. auch H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 301 ff. 69  E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation (Fn. 53), S. 20.



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individuelle Berufungsakte ernannte Organwalter, die je für sich eine unun­ terbrochene Legitimationskette auf das souveräne Volk aufweisen müssen, um Gewähr für eine hinreichende demokratische Legitimität der gesamten Staatsorganisation bieten zu können.70 Dabei werden nur organisatorisch arbeitsteilige Funktionsträger als Organe im engeren Sinne bezeichnet, die sich zudem grundsätzlich dadurch auszeichnen, dass ihr Verhalten der staat­ lichen Gemeinschaft in der Gestalt einer Rechtsordnung nur dann zugerech­ net wird, wenn und weil dieses Verhalten im Rahmen des rechtlichen Normensystems geregelt ist, d. h. dass das jeweilige Organ zu dem einzelnen Rechtsakt durch eine positive Rechtsvorschrift ermächtigt ist.71 Der Voll­ ständigkeit halber sei hier noch erwähnt, dass es nach diesem Ermächti­ gungsmuster dann letztlich auch Staatsorgane in einem weiteren Sinne gibt, die sich als gesellschaftliche Kräfte als „Realisatoren“ der positiven Rechts­ ordnung und damit als Teilrepräsentanten darstellen können.72 Mit der An­ nahme einer durch den formalen Naturbeachtensbefehl vermittelten ökolo­ gischen Legitimation stellt sich damit nun die Frage, wie sich die demokra­ tische Repräsentation darstellen muss, um einer staatlichen Herrschaftsorga­ 70  Siehe zu der Lehre von den Staatsorganen (Erzeugungsorganen) ausführlich H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 262 ff. / 278 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 289 ff. / 293 ff.; F. Ermacora II (Fn. 50), S. 924 ff. / 931 ff.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 152 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 208 ff.; R.  Laun (Fn. 63), S. 87; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 8), S. 116 f. Hier zeigt sich der Unterschied zwischen Organ und Organwalter. Denn die Staatsorgane sind als rechtliche Institutionen nicht identisch mit den ihre Aufgaben wahrnehmenden Menschen, ihren Organträgern (Organwalter). Dies ist deshalb von Bedeutung, da der Bestand des Organs von dem Wechsel seiner Mitglieder grund­ sätzlich unberührt bleibt; so G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, ebd., S. 117. Bei der Zusammensetzung der Staatsorgane können monokratische und kollegiale Staatsor­ gane unterschieden werden. Während bei monokratischen Staatsorganen der in recht­ lich erforderlicher Weise geäußerte Wille einer einzigen Person den Zurechnungszu­ sammenhang zum Staatswillen begründet, handelt es sich bei kollegialen Staatsorga­ nen um Organe, in denen zumindest zwei oder mehrere Personen zusammenwirken (H. Kelsen, AS, ebd., S. 280 ff.; F. Koja, ebd., S. 153 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 193 f.; R.  Laun, ebd., S. 79 ff. / 86 f.). Zum hierarchischen Prinzip der Staatsorganisation, in dem sich der dynamische Stufenbau der Rechtsordnung zeigt H. Kelsen, AS, ebd., S.  285 ff.; R. Herzog, ebd., S. 188 ff. Zu differenzieren ist auch zwischen der Amts­ autorität und der persönlichen Autorität. Erstere haftet am Amt, nicht an der Person, die das Amt verwaltet, während dagegen die persönliche Autorität auf besonderen Eigenschaften einer Person beruht (M. Kriele (Fn. 1), S. 10 f.). Siehe zu den ver­ schiedenen Wahlrechtsgrundsätzen und Wahlsystemen in den modernen Demokratien die Darstellungen bei H. Kelsen, AS, ebd., S. 343 ff.; F. Ermacora I (Fn. 48), S.  439 ff.; R. Zippelius (Fn. 8), S. 163 ff. 71  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 48 ff. / 71 ff.; F. Ermacora II (Fn. 50), S. 931 f.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 152 f. 72  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 263; ders., RR (Fn. 5), S. 121  ff.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 152; M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S.  48 f.

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nisation das Prädikat einer naturkonformen Legitimität verleihen zu können. Für diese synthetische Verstandesleistung ist eine weitere Unterscheidung angezeigt, die sich mit den Kategorien einer idealistischen bzw. pragmati­ schen Repräsentation kennzeichnen lässt.73 Während die eine repräsentative Idealität verbürgende Modulation ihrem Wesen nach auf die geistige bzw. nationale politische Einheit oder aber auch auf sonstige Werte, Traditionen und Ideen ausgerichtet ist, sieht sich der repräsentative Pragmatismus dem einsichtigen Gedanken eines nüchternen Realismus gegenüber, der dem einzelnen Repräsentanten die für die Vertretung notwendige Willensfreiheit zuerkennt und ihn dabei lediglich an das Mandat des souveränen Volkes rückbindet.74 Gemeinsam ist diesen Formen der Repräsentation, dass sie das von Partikularbindungen und Basisimperativen freigestellte repräsentative Handeln an einen objektivierten Auftrag und damit an ein normatives Mo­ ment anbinden, ohne das eine inhaltliche Repräsentation nicht zu bewerk­ stelligen ist.75 73  Siehe zur Unterscheidung zwischen einer idealistischen und pragmatischen Repräsentation P. Pernthaler (Fn. 1), S. 183 ff.; H. Dreier, Demokratische Repräsen­ tation und vernünftiger Allgemeinwille – Die Theorie der amerikanischen Federalists im Vergleich mit der Staatsphilosophie Kants, AöR 1988 (113), 450 (453 ff.); vgl. auch R. Zippelius (Fn. 8), S. 171  ff. Zu idealistischen Repräsentationsmodellen C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 210 („eine höhere Art des Seins“, „eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat“); R. Smend, Verfassung und Ver­ fassungsrecht (Fn. 10), S. 142 ff.; G.  Leibholz, Repräsentation (Fn. 63), Sp. 2987 ff.; H. Hofmann, Legitimität gegen Legalität, Neuwied u. a. 1964, S. 150 ff.; W. Mantl, Repräsentation und Identität, Wien u. a. 1975, S. 149 ff.; V. Hartmann, Repräsentati­ on in der politischen Theorie und Staatslehre in Deutschland, Berlin 1979, S. 199 ff. / 237 ff. / 259 ff.; H.  Hofmann / H.  Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, in: H. Hofmann (Hrsg.), Verfassungsrechtliche Perspekti­ ven, Tübingen 1995, S. 164 ff.; in diesen Zusammenhang gehört auch die moralische Repräsentationstheorie von Herbert Krüger: H. Krüger (Fn. 8), S. 232 ff. (SelbstVergütung in Richtung auf ein „besseres Ich“); vgl. auch D. Suhr, Repräsentation in Staatslehre und Sozialpsychologie, Der Staat 1981 (20), S. 517 ff. Zu realistischen Repräsentationskonzepten H.  Hofmann / H.  Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz, ebd., S. 166 ff., die selbst Anhänger einer realistischen Re­ präsentation sind, ebd., S. 168 ff. Demnach findet sich dieser realistische Repräsen­ tationstypus bereits in den Federalist Papers aus den Jahren 1787 / 88. Siehe hierzu auch B. Haller, Repräsentation, Münster 1987, S. 96 ff., relativierend aber auch auf S. 102; H. Dreier, Demokratische Repräsentation und vernünftiger Allgemeinwille, ebd., AöR 1988 (113), 450 (458 ff.). 74  H. Kelsen, Foundations of democracy (1955) (Fn. 1), S. 258 ff.; P. Pernthaler (Fn. 1), S. 183 ff.; H. Meyer, Repräsentation und Demokratie (Fn. 1), S. 100 ff.; vgl. auch R. Zippelius (Fn. 8), S. 153. Siehe zu dem politischen Zweck der Fiktion im Rahmen des Repräsentationszusammenhangs grundsätzlich H. Kelsen, AS (Fn. 1), S.  314 ff. 75  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 301 ff.; E.-W. Böckenförde, Demokratie und Reprä­ sentation (Fn. 53), S. 21 ff.; H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutsch­



§ 18 Demokratie und Naturstaat635

Der moderne Staat ist in seiner Ganzheit Repräsentativstaat, d. h. dass er nicht nur durch ein Parlament, sondern auch von den sonstigen je nach ei­ ner konkreten Staatsorganisation konstitutionell festgelegten Organen und Organwaltern im Sinne einer mittelbaren bzw. indirekten Demokratie reprä­ sentiert wird.76 Ungeachtet dieses Befundes lässt sich das naturstaatliche Mandat am besten anhand des freien Mandats eines parlamentarischen Ab­ geordneten verdeutlichen, das deshalb nun im Mittelpunkt der Betrachtung stehen wird. Das freie Mandat indiziert eine ungebundene Repräsentation der Abgeordneten im Namen und mit Zustimmung des Volkes, woraus eine politische Verantwortung gegenüber der Gesamtheit des Volkes, nicht ge­ genüber einer Partei, einem Verband oder seinen Wählern resultiert.77 Das Gegenstück zu diesem freien Mandat ist das imperative Mandat, das sich durch die Abhängigkeit des Abgeordneten von etwaigen Instruktionen und Anweisungen der Wähler bzw. einer herrschenden Klasse oder Partei aus­ zeichnet.78 Diese weisungsgebundene Auftragsform besitzt unabhängig von ihrer Untauglichkeit im Hinblick auf eine demokratische Repräsentation des ganzen Volkes, da die politische Abhängigkeit nur auf dem Willen partiku­ larer Interessengruppen in dem Scheinsinne einer Volksdemokratie beruht, den Nachteil, dass sie ein konkretes Anliegen des gemeinen Wohls nur dann land, München 1984, S. 52 f.; H. Meyer, Repräsentation und Demokratie (Fn. 1), S. 100 ff. / 107; R. Zippelius (Fn. 8), S. 150 / 153 ff. Ausführlich zum (geistigen) Amt einschließlich der Problem- und Begriffsgeschichte H. Krüger (Fn. 8), S. 253 ff. 76  Vgl. H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 33 ff. / 69 ff.; G.  Leibholz, Repräsentation (Fn. 63), Sp. 2988 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 215 ff. / 296 f.; H. H. v. Arnim (Fn. 75), S. 51; M.  Linke (Fn. 1), S. 3; R. Zippelius (Fn. 8), S. 150 ff.; K. Doehring (Fn. 1), S. 144; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 8), S. 219; B. Schöbener / M. Knauff (Fn. 1), S. 187 f.; H. Buß / W. Oetelshoven (Fn. 8), S. 54; J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 51), DÖV 1983, 565 (570 f.); G.  Wittkämper / W.  Jäckering (Fn. 51), S. 8. 77  Siehe hierzu nur H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 314; ders., RR (Fn. 5), S. 302; ders., General theory of law and state (Fn. 15), S. 290 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staats­ rechts, Strukturprinzipien der Verfassung, 2. Aufl., München 1984, S. 1069; G. Leibholz, Repräsentation (Fn. 63), Sp. 2990; R. Herzog (Fn. 1), S. 218 / 220; H. H. v. Arnim (Fn. 75), S. 52 f.; H. Krüger (Fn. 8), S. 251 ff.; H. Hofmann / H. Dreier, Reprä­ sentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz (Fn. 73), S. 175 f. / 182 ff.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 8), S. 64; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staats­ lehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 112; vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 29 ff.; R.  Laun (Fn. 63), S. 84. 78  Siehe zum imperativen Mandat nur H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 30; ders., RR (Fn. 5), S. 302; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 77), S.  1069 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 218 f.; K. Doehring (Fn. 1), S. 157 f.; H. Buß / W. Oetelshoven (Fn. 8), S. 64; G.  Wittkämper / W.  Jäckering (Fn. 51), S. 9; vgl. auch R.  Laun (Fn. 63), S. 83 f.

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berücksichtigen kann, wenn es von der politischen Orientierung bzw. der ideologisch untermalten Staatsgesinnung als zu würdigender Programm­ punkt angesehen wird.79 Die darin zum Ausdruck kommende subjektive Willkür kann daher in der naturstaatlichen Perspektive nur zu einer wohl­ wollenden Ökologieausrichtung führen, die sich in der staatlichen Sphäre durch unverbindliche Parolen, Wünsche und Absichtserklärungen demonst­ riert, ohne dass aber die elementare Relevanz der natürlichen Lebensgrund­ lagen für das staatliche Dasein in das politische Kalkül miteinbezogen wird. Denn eine leistungsstarke Umwelt- bzw. Naturschutzpolitik ist in diesen autoritären, auf eine imperialistische Ökonomie ausgerichteten Staaten über­ haupt nur dann möglich, wenn sich die weisungsbefugte Staatsleitung zu der ökologischen Problematik bekennt, was aber nur selten der Fall ist.80 Der mit einem freien Mandat ausgestattete Abgeordnete vollzieht dagegen nicht nur einen fremden Willen, sondern er ist vielmehr von Fremdbestim­ mungen befreit, so dass er an der parlamentarischen Willensbildung eigen­ ständig und in verantwortungsbewusster Selbstbestimmung partizipieren kann, um den Gemeinwillen von den mannigfaltigen Individualwillen zu scheiden.81 Eine Bindung ergibt sich aber zumindest aus dem objektiven Amtsstatus, der ein übergreifendes normatives Moment in sich enthält, das sich aber nicht statisch im Sinne von seienden und zeitlosen Ideen oder geltensollenden Werten, sondern als dialektisches Repräsentationsmodell versteht, das die partikularen Bedürfnisse und Interessen der Bürger mit den gemeinsamen Vorstellungen des Volkes verbindet.82 In dieser relativen Tra­ dition kann schließlich auch die Form einer idealistischen Repräsentation stehen, die sich dann aber einer unbedingten, kategorischen Programmie­ rung enthalten muss, wenngleich nicht zu leugnen ist, dass sich in der deutschen Diskussionslinie ebenso Theorien eines repräsentativen Werteab­ solutismus finden lassen.83 Mit der zunehmenden Parteiabhängigkeit des C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 262; R. Herzog (Fn. 1), S. 219. kann auf die in den letzten Jahrzehnten unzureichende Umweltpo­ litik der Volksrepublik China verwiesen werden. Vgl. zur Organisationsstruktur von sozialistischen Staaten (staatssozialistische Theorie) H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 28 ff. / 368 ff.; F. Ermacora II (Fn. 50), S. 808 ff.; G.  Wittkämper / W.  Jäckering (Fn. 51), S. 10 f. 81  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 314; ders., RR (Fn. 5), S. 302; K. Stern, Grundbe­ griffe und Grundlagen (Fn. 77), S. 1070. 82  E.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation (Fn. 53), S. 25. Grund­ sätzlich zur Organisation des Parlaments und zur Stellung des Abgeordneten im Rahmen des parlamentarischen Systems H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 353 ff. 83  Grundlegend G.  Leibholz, Das Wesen der Repräsentation unter besonderer Berücksichtigung des Repräsentativsystems, Berlin 1929, S. 32 ff.; C. Schmitt, Ver­ fassungslehre (Fn. 2), S. 204 ff.; rudimentäre Übersicht bei E.-W. Böckenförde, De­ mokratie und Repräsentation (Fn. 53), S. 23; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 398; 79  Vgl.

80  Insoweit



§ 18 Demokratie und Naturstaat637

Repräsentativsystems kam der parlamentarische Abgeordnete zudem schließlich in den Verruf eines bloßen Exponenten einer Partei, der er sein freies Mandat verdankt, so dass er auch deren politischen Willen vollziehen muss.84 Insoweit benannte Fritz Morstein Marx bereits im Deutschen Reich das freie Mandat als ein „fossiles Requisit aus der verfassungsgeschichtli­ chen Steinzeit“,85 womit er die antiquierte Erwartungshaltung in Bezug auf eine freie Willensbildung der Parlamentarier zum Ausdruck bringen wollte. Hinsichtlich des Spannungsverhältnisses zwischen dem freien Abgeordne­ tenmandat und der Institution einer politischen Partei können letztlich drei Systeme unterschieden werden: es besteht die Möglichkeit, dass wie in den USA mehrere Parteien vorhanden sind, ohne aber eine unmittelbare, legale Verbindung zum Parlament innezuhaben. Daneben findet sich das System, dass mehrere Parteien gegeben sind, deren Mitwirkung an der Willensbil­ dung im Volk und im Parlament von der geschriebenen Verfassung aus­ drücklich vorgesehen ist, so wie es in der Bundesrepublik Deutschland praktiziert wird. Überdies besteht auch noch die Option eines verfassungs­ rechtlich garantierten Einparteiensystems, das sich dann in einem rechtlich verbindlichen Fraktionszwang und der Annahme eines imperativen Mandats erschöpft.86 Im ersten Fall der nur mittelbaren Anbindung der Parteien zum Parlament ist ein Fraktionszwang dagegen rechtlich ausgeschlossen und das Mandat frei, während im zweiten Fall der konstitutionellen Billigung der auch parteienstaatlichen Demokratie der Fraktionszwang zwar illegal ist, die Parteidisziplin gleichzeitig aber toleriert wird, so dass bei einer wesentli­ chen Abweichung von der Parteilinie ein Parteiausschluss ohne parlamenta­ H.  Hofmann / H.  Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz (Fn. 73), S. 164 f. Carl Schmitt beschrieb das Wesen der Repräsentation mit den idealistisch anmutenden Worten: „In der Repräsentation (…) kommt eine höhere Art des Seins zur konkreten Erscheinung. Die Idee der Repräsentation beruht darauf, dass ein als politische Einheit existierendes Volk gegenüber dem natürlichen Dasein einer irgendwie zusammenlebenden Menschengruppe eine höhere und gesteigerte, intensivere Art Sein hat.“ (C. Schmitt, ebd., S. 210; Hervorhebung im Original). Siehe in diesem Zusammenhang auch zur idealistischen Repräsentationstheorie von Rudolf Smend V. Hartmann (Fn. 73), S. 237 ff.; vgl. auch G.  Leibholz, Repräsenta­ tion (Fn. 63), Sp. 2988 f. 84  F. Ermacora II (Fn. 50), S. 583 f.; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 77), S. 1071; W. Eckhardt / L. Schmidt (Fn. 77), S. 130; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 351. Grundsätzlich zur parteienstaatlichen Demokratie H. Hofmann, Par­ lamentarische Repräsentation in der parteienstaatlichen Demokratie, Politik und Kultur 1985 (12), S. 37 ff.; R. Zippelius (Fn. 8), S. 152; kritisch auch R. Herzog (Fn. 1), S. 292 ff. 85  F. Morstein Marx, Rechtswirklichkeit und freies Mandat, AöR 1926 (50), 430 (439 ff.; Zitat auf S. 439 / 443); K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 77), S. 1071. 86  K. Doehring (Fn. 1), S. 147 f.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 314 / 344 / 351.

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rischen Mandatsverlust die Folge ist.87 Auch wenn die politischen Parteien in ihrer Eigenart als bündelnde Willens- und Gesinnungsorganisationen zu einer Stabilisierung des Regierungssystems beitragen können, führen sie doch eine verfälschende Parzellierung des Volkswillens herbei, indem sie mehrere Willensgruppen unter dem modifizierenden Einfluss von richtung­ weisenden Parteibeschlüssen hervorrufen, was dem repräsentativen Postulat eines authentischen Gemeinwillens widerspricht.88 Aus naturstaatlicher Sicht besteht überdies die Gefahr, dass sich eine Partei bzw. die ins Parlament gewählte Fraktion dem Umwelt- und Naturschutz weitestgehend verweigert, was den demokratischen Willensbildungsprozess zulasten einer naturstaatli­ chen Systemimmanenz fehlleitet. Die Parteien sind daher als politische Machtträger stets auf den formalen Befehl einer naturstaatlichen Demokratie verpflichtet, um die elementare Legitimationsrelevanz der Natur für den modernen Staat stets zur Geltung zu bringen,89 womit auch das Wesen einer naturstaatlichen Repräsentation angedeutet ist, die sich an dem Wesen des freien, gleichsam parteidisziplinär überlagerten Abgeordnetenmandats orien­ tiert, ohne sich aber auf die parlamentarische Repräsentation zu beschrän­ ken. In diesem integrierenden Sinne ist deshalb mitunter vor allem auch das republikanische Staatsoberhaupt im Besonderen berufen, der Naturstaatlich­ keit ein nachhaltiges politisches Gewicht zu verleihen.90 Unabhängig davon zeichnet sich ein naturstaatliches Mandat aber grundsätzlich durch das konventionale Verständnis einer Korrelation von Staat und Natur aus, wo­ nach der durch die Grundnorm in ihrem äußeren Sinn vermittelte formale Naturbeachtensbefehl stets zu berücksichtigen ist, wobei sich der innere 87  So K. Doehring (Fn. 1), S. 148; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 8), S. 64 f.; vgl. auch BVerfGE 2, 1 (72) („prinzipielle Unvereinbarkeit“ von Art. 21 und 38 GG); G.  Leibholz, Repräsentation (Fn. 63), Sp. 2990; H. Hofmann, Parteienstaatliche De­ mokratie (Fn. 84), Politik und Kultur 1985 (12), S. 37 ff. 88  K. Doehring (Fn. 1), S. 148; vgl. G.  Leibholz, Repräsentation (Fn. 63), Sp. 2986 (2991). 89  Auf die sukzessive Vernaturstaatlichung der positiven Rechtsordnung, des öffentlichen Raumes („public government“), wird im Rahmen des nächsten Kapitels eingegangen. 90  R. Smend (Fn. 10), S. 144  f.: „Vor allem aber Staatsoberhäupter haben die Aufgabe, in der eigenen Person Verkörperung, Integration des Volksganzen zu sein. Auch diese Einheit als geistige Wirklichkeit ist nicht statisch, sondern sie lebt nur in fortdauerndem Flusse geistigen Lebens, und alle ‚Repräsentationen‘, ‚Verkörpe­ rungen‘, Symbole der bezeichneten Art sind fest gewordene Anregungen und For­ men für dies sich immerfort erneuernde Erlebnis.“ (Hervorhebungen im Original). Insoweit könnte davon gesprochen werden, dass durch naturstaatliches Handeln des republikanischen Staatsoberhaupts und damit persönlich-funktional der dem Staat zukommende einheitliche Erlebniswert idealistisch im Sinne der Integrationsbedeu­ tung der Natur zur Geltung gebracht und fortentwickelt wird. Vgl. hierzu V. Hartmann (Fn. 73), S. 241 ff.



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Staatswille aufgrund des durch die Menschenwürde garantierten Selbstbe­ stimmungsrechts in der letzten Konsequenz immer durchsetzen können muss. Mit anderen Worten ist der parlamentarische Repräsentant in seiner dialektischen Entscheidungsfindung an die Bedürfnisse und Interessen des Volkes rückgebunden, was ihm aber einen Beurteilungsspielraum bei der politischen Festlegung des Gemeinwohls belässt. In parteienstaatlichen De­ mokratien ist zudem die Parteidisziplin zu beachten, die den einzelnen Abgeordneten an eine bestimmte Parteiausrichtung binden kann. Über allem aber strahlt der formale Naturbeachtensbefehl, das legitimierende Weltprin­ zip der Naturstaatlichkeit, das die Repräsentanten auf eine verbindliche Naturdisziplin verpflichtet. Denn die generationenübergreifende politische Verantwortung muss in dem repräsentativen Handeln stets in Erscheinung treten, wenngleich sich der auf das souveräne Volk rückführbare, innere Staatswille in der Kleidung einer demokratischen Legitimation aber auch über den pouvoir naturel hinwegsetzen können muss. Damit ist der rekursi­ ve Zusammenhang zu dem Repräsentationsbegriff von Hans Kelsen herge­ stellt. Für den Begründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule ist unter Repräsentation das stets verhüllende Dogma einer ewigen Fiktion zu verste­ hen, die sich aus der unauflösbaren Beziehung der dem demokratischen Prinzip immanenten Idee der Freiheit und dem im modernen Staat gegebe­ nen sozialen Bedürfnis einer arbeitsteiligen Aufgabenerfüllung ergibt und einen in den politischen Entscheidungen der staatlichen Organe zum Aus­ druck kommenden, quasi weiterlebenden, unveränderten Volkswillen simu­ liert.91 Der fiktive Charakter ergibt sich für ihn bereits daraus, dass es sich bei der Repräsentation um eine Relation, einen Zurechnungszusammenhang zwischen normativ konstruierten Staatsorganen – nämlich Volk und Parla­ ment – handelt, so dass es letztlich einen mit dem repräsentativen Organ­ willen identitären Volkswillen überhaupt nicht geben kann, sondern eben nur einen eigenen Willen des entsprechenden Repräsentativorgans in Vertre­ tung des Volkes. Der darin nun zum Ausdruck kommende repräsentative Pragmatismus wird nun mit der Natur als einer gleichsam normativ konst­ ruierten Größe um ein idealistisches Element und sonach um das damit in direktem Zusammenhang stehende Prinzip Verantwortung ergänzt bzw. er­ weitert, wobei der in der äußeren Grundnorm aufgefangene, autoritative Formalismus des pouvoir naturel wiederum nur in dem Sinne einer verstär­ kenden, konventionalen Erkenntnis- und Repräsentationsbedingung in Bezug 91  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 312 ff.; ders., Wesen der Demokratie (Fn.  1), S.  29 ff.; ders., General theory of law and state (Fn. 15), S. 289 ff.; F. Ermacora (Fn. 48), S. 432 f. / 435 f.; H.  Hofmann / H.  Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheitenschutz (Fn. 73), S. 167 f.; vgl. auch R. Herzog (Fn. 1), S. 219; R. Zippelius (Fn. 8), S. 152. Kritisch zum Fiktionscharakter der Repräsentation bei Hans Kelsen V. Hartmann (Fn. 73), S. 188 ff.

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auf die positive Rechtsordnung zu interpretieren ist.92 Trotz der Einbezie­ hung des idealistischen Moments der Natur bleibt aber der Grundcharakter der Demokratietheorie von Hans Kelsen erhalten: der Repräsentationsgedan­ ke bleibt legitimatorisch entmythologisiert und wird nicht identitär-legitima­ torisch im Sinne eines souveränen Naturwillens überhöht; die Natur bildet zwar ein konstitutives Element der politischen Einheit, aber eben nur einen relativen Bestandteil, so dass die – wenn man so will – nun ökologische Demokratietheorie positivrechtlich-realistisch statt ganzheitlich-idealistisch ausgerichtet bleibt; Legitimation wird auch weiterhin nicht materiell-subs­ tantiell, sondern prozedural verstanden; zudem wird die voluntaristisch-rea­ listische Prägung der Demokratietheorie nicht zugunsten einer ausschließlich idealistischen Konzeption aufgegeben.93 Die naturstaatliche Repräsentation zeigt sich so in der relativistisch-pragmatischen Gestalt einer gleichsam nun auch idealistisch gefärbten Vertretung, die sich auf die elementare Bedeu­ tung der natürlichen Lebensgrundlagen als einem konstituierenden Grund­ bauteilchen der politischen Einheit, die durch die transzendentallogisch de­ duzierte Grundnorm symbolisiert wird, stützt. Die darin zugleich zum Ausdruck kommende absolute, aber nur rein formale Wertprojektion ist in der Summe insoweit gerechtfertigt, als sich eine staatliche Existenz ohne die Natur nicht denken lässt. Insgesamt sind die Repräsentanten des moder­ nen Staates daher einem repräsentativen Pragmatismus verpflichtet, der ei­ ne  – insoweit auch relativ rechtsidealistische  ‒ naturrechtlich bzw. völker­ gewohnheitsrechtlich angezeigte Naturdisziplin analog der Parteidisziplin 92  Siehe zur Repräsentation als Zurechnung H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 310 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 301 ff.; M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 1), S. XVIII ff. Siehe zum Prinzip der (ökologischen) Verantwortung D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik – Verfassungsrecht­ liche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung, Berlin 1985, S. 29 ff., v. a. S. 38 f. / 57; ders., Umweltschutz als Staatszweck – Die ökologischen Legitimi­ tätsgrundlagen des Staates, Bonn 1995, S. 53  f.; P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip – Ein neuer Schlüssel zur Lehre vom modernen Rechtsstaat, Bern u. a. 1984, S. 19 ff. / 49 ff. / 99 ff.; Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 156 ff., v. a. S. 161 ff.; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge (Fn. 30), S. 58 ff.; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat (Fn. 15), VVDStRL 1990 (48), S. 45 f.; vgl. hierzu auch G.  Lübbe-Wolff, Recht und Moral im Umweltschutz, Baden-Baden 1999, S.  11 ff.; K. Heinz, Eigenrechte der Natur (Fn. 37), Der Staat 1990 (29), 415 (424 ff.); grundsätzlich vor dem Hintergrund der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft auch die Ausführungen bei H. H. Rupp, Die Unterscheidung von Staat und Gesell­ schaft, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidel­ berg 1995, § 28 Rn. 29 ff. Die Natur wird freilich durch ihre normative Erfassung nicht zum Staatsorgan, da sie keinen Handlungswillen bilden kann. 93  Siehe zu den Eigentümlichkeiten der Demokratietheorie von Hans Kelsen zusammenfassend M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 1), S.  XXIV ff.



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einschließt, die als immanentes Denkgesetz, als universale Maxime für das menschliche Handeln agiert. Damit bleibt aber das freie Mandat frei und mutiert nicht zu einem ökologisch-materiellen Rechtsimperativ im Sinne eines weisungsabhängigen Naturmandats. Demnach wird die repräsentative Demokratie nur gemäßigt, nicht aber radikal-ökologisch begrenzt. IV. Der demokratische Grundsatz der gemäßigten Soziologie als materielles Dogma einer naturstaatlichen Staatsvernunft Die Verfassung im materiellen Sinne meint die rechtliche Grundordnung eines Staates, die sich in der positivrechtlichen Verfassungsurkunde, der Verfassung im formellen Sinne, grundsätzlich aufzeigt, die in ihrer den Zeitfaktor beachtenden Eigenart aber nicht auf statische Identität, sondern auf historische Kontinuität ausgerichtet ist, was einen grundsätzlich über den konkreten Normenbestand der formalen Verfassung hinausgehenden, weltgeistigen Erkenntniszustand indiziert.94 Als „rechtliche Substanz, auf die hin das Staatsgrundgesetz als rechtliche Form angelegt ist“, gehören der materiellen Verfassung im Besonderen die wesentlichen Elemente für die politische Einheitsbildung an.95 Auch wenn also mit der verfassungs­ politischen Aufnahme einer umweltrelevanten Bestimmung in eine nationa­ le Konstitution der Heldenstatus des umweltstaatlichen Staatskönigtums in feierlicher Proklamation betont wird, kann die substantielle Grundordnung des Staates, die auch den Legitimationsursprung einschließt, entgegen der Ansicht des hergebrachten Positivismus in ihrem materiellen Gehalt von der formalen Verfassung abweichen,96 was hinsichtlich der konstituieren­ den Relevanz der natürlichen Lebensgrundlagen für den modernen Staat im negativen Sinne auch vermehrt zu beobachten ist.97 Dabei bildet die Natur im Staat einen elementaren Baustein der staatlichen Sollordnung und demnach einen der letzten Geltungsgründe der Einheit der Gesamtordnung, der durch die hypothetische Grundnorm im äußeren Sinn aufgefangen wird und sich als formaler Naturbeachtensbefehl über der Rechtsnormenordnung erhebt. Daraus ergibt sich schließlich, dass in Bezug auf die äußere Grund­ norm der hier zunächst dargestellte Begriff einer Verfassung im materiellen 94  J. Isensee,

Mythos (Fn. 4), S. 59; R.  Laun (Fn. 63), S. 97. Staat und Verfassung, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Ver­ fassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 13 Rn. 139. 96  J. Isensee, Staat und Verfassung (Fn. 95), § 13 Rn. 139 f. 97  In diesem Sinne ist etwa im deutschen Grundgesetz die Verfassungsnorm des Art. 20a GG kritisch zu betrachten, da sie die elementare Eigenschaft der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Legitimationsrelevanz nur ganz unzurei­ chend zum Ausdruck bringt. 95  J. Isensee,

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Sinne, der die historische Kontinuität mitberücksichtigt, insoweit mit dem materiellen Verfassungsbegriff von Hans Kelsen übereinstimmt, der darun­ ter als notwendigen Inhalt jene Rechtsvorschriften versteht, welche sowohl die Organe als auch die Verfahren der Erzeugung und Aufhebung der ge­ nerellen Rechtsnormen regeln.98 Denn die äußere Grundnorm steht am Be­ ginn des Rechtserzeugungszusammenhangs, wobei sie vertikal und damit atypisch „schief“ die gesamte positive Rechtsnormenordnung delegiert. In diese Richtung hin zu einem überragenden Legitimationsprinzip tendiert letztlich auch das Modell eines ökologischen Gleichgewichtsstaats bei Pe­ ter Saladin und Peter Pernthaler, das sich durch das die moderne Staatlich­ keit stets überragende, idealtypische Prinzip einer universal verstandenen Gewaltenteilung auszeichnet, die den politischen Integrationsprozess99 ma­ teriell durchsetzt, um mit den machtbewussten Unternehmungen der Wirt­ schaftsordnung und dem Staat die Protagonisten des sozialen Kraftfelds des technisierten Industriestaates in einem intermediären Zustand der ba­ lancierten Ausgewogenheit zu halten. Denn nur auf diesem paritätischen Wege ist zu erreichen, dass am Maßstab der Verteilung von politischer Verantwortung ein angemessenes Verhältnis zwischen staatlicher Interven­ tion und betrieblichem Kalkül entsteht, das die exponentiellen Wachstums­ tendenzen in die sozialen, geschichtlichen und ökologischen Determinanten des realen Lebensraums einpasst.100 In diesen Kontext gehört auch die im staatswissenschaftlichen Schrifttum zu findende Forderung nach einer De­ 98  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 228 f.; F. Koja, AS (Fn. 27), S. 108 ff. Zur materi­ ellen Verfassung gehören zunächst die positiven Erzeugungsregeln. Die Grundnorm gehört aber zu diesem Normenkomplex dazu; vgl. H. Kelsen, RR, ebd., S. 229. 99  Der Begriff der Integration wird heute in der Staatswissenschaft in erster Linie mit der Integrationslehre von Rudolf Smend in Verbindung gebracht. In der damit verbundenen Wendung zu einer geisteswissenschaftlichen Methodik, der eine Norm- und Wertgesetzlichkeit des Geistes zugrunde liegt, spiegelt sich aber gleich­ sam ein entsprechendes Gedankengut der Wiener Rechtstheoretischen Schule, das von dieser bereits vor dem Erscheinen der Smendschen Integrationslehre verwendet wurde. Siehe hierzu H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff (Fn. 33), S. 75 ff.; ders., AS (Fn. 1), S. 13 ff.; ders., Der Staat als Integration, Wien 1930, S. 1 f. / 6 ff.; ders., Wesen der Demokratie (Fn. 1), u. a. S. 49 / 56 f. / 62. In sei­ nem Werk „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ aus dem Jahre 1929 verwendet Hans Kelsen den Begriff der Integration dann schließlich regelmäßig („Integrations­ prinzip“; „soziale() Integration“; „letzte Integration durch den Zwang zum Kompro­ miss“; „politische Integration“), so dass er insoweit als spezifische, von Hans Kelsen selbst übernommene Terminologie angesehen werden kann, die auch dieser norma­ tiven Naturstaatslehre zugrunde gelegt werden kann. 100  P. Saladin (Fn.  25), VVDStRL 1977 (35), S. 34  ff.; vgl. auch P. Saladin / C.  A.  Zenger, Rechte künftiger Generationen (Fn. 37), S. 108 ff. Grundsätzlich zum Modell des pluralistischen Staates R. Zippelius (Fn. 8), S. 188 ff. In diesem Zusammenhang des ökologischen Gleichgewichtsstaats sind freilich Parallelen zu dem Kegelmodell von Hans Klose zu erkennen, das dem Aufbau einer starken Na­



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mokratisierung des öffentlichen Raumes auch abseits der formellen Institu­ tionen eines Staates, indem neben den Staatsorganen im engeren Sinne auch die sonstigen Machtträger im Staat  ‒ verstanden hier im Sinne einer Allgemeinen Staatsrechtslehre als von der positiven Rechtsordnung mit Rechten und Pflichten ausgestattete Rechtssubjekte wie Parteien, Verbände, Medien sowie (öffentliche) Unternehmen –101 im Sinne eines deliberativen Staatsansatzes nach den Grundsätzen einer gewaltenteiligen Mischverfas­ sung gestaltet werden, d. h. dass sie nicht nur im Verhältnis der gegensei­ tigen Mäßigung und Kontrolle einander zugeordnet, sondern auch stets am Rechtsschöpfungsprozess beteiligt sind.102 Dies erfordert im Sinne einer normativen Staatslehre eine interne Demokratisierung wie auch eine äuße­ re Absicherung der demokratischen Partizipation von den in den Rechts­ subjekten als Denkfiguren für einen Komplex von Rechtsnormen personi­ turschutzfront innerhalb des Deutschen Reichs diente, um die Durchsetzungskraft des staatlichen und gesellschaftlichen Naturschutzes zu stärken. 101  Zum Begriff des Rechtssubjekts einschließlich der Unterscheidung von ob­ jektivem und subjektivem Recht H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 47 ff. / 62 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 130 ff. Zum Wesen der politischen Parteien und Verbände H. Kelsen, AS, ebd., S. 346 ff. (Parteien); F. Koja, AS (Fn. 27), S. 232 ff. / 243 ff.; H. Krüger (Fn. 8), S. 367 ff. / 379 ff.; F. Ermacora (Fn. 48), S. 294 ff.; P. Pernthaler (Fn. 1), S. 82 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 290 ff.; W. Eckhardt / L. Schmidt (Fn. 77), S. 129 ff.; K. Doehring (Fn. 1), S. 152 ff.; G.  Wittkämper / W.  Jäckering (Fn. 51), S. 9 / 94 ff.; vgl. auch H. H. v. Arnim (Fn. 75), S. 243 ff. / 284 ff. Zum staatlichen Wirtschaftsunternehmen F. Ermacora II (Fn. 50), S. 595 ff. 102  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 263 ff. / 270 ff.; siehe insoweit zur Rolle der Na­ turschutzverbände erläuternd A. Wurzel, Naturschutz in Deutschland – eine Erfolgs­ story?, Schriftenreihe des Deutschen Rates für Landespflege 75, Meckenburg 2003, S. 10 f. / 25. Für Hans Kelsen manifestiert sich die politische Einheit des Volkes in der objektiven Rechtsordnung. Dabei zeigt sich der Antagonismus von Idee und Wirklichkeit gerade auch an dem demokratischen Bauelement des Volkes. Ein Ide­ albegriff des Volkes, d. h. eine vollumfängliche Erfassung des Volkes, ist daher nur passiv in der Bestimmung der individuellen Staatsbürger als Normunterworfene der relativ ideellen Normenordnung möglich, da sich kein Individuum dem Zustand des Unterworfenseins im Hinblick auf die Rechtsordnung entziehen kann. Ein realer Volksbegriff dagegen wird in Bezug auf den konkreten Bestand an politischen Rech­ ten bestimmt, was einerseits zu einer Erweiterung des grundsätzlich kleinen Kreises an Herrschenden, andererseits aber auch zu einer dem Wesen einer parlamentari­ schen Demokratie entsprechenden Verengung führen kann. Ersteres wird mit der Etablierung einer organisierten Gesellschaft erreicht, die in der Form von Parteien, Verbänden und Vereinen usw. am politischen Willensbildungsprozess rechtlich abge­ sichert beteiligt ist, während sich Letzteres naturgemäß im Rahmen eines staatsför­ migen Parlamentarismus dadurch ergeben kann, dass sich die politische Rolle der Staatsbürger dort oft nur auf einen einzigen demokratisch legitimierenden Wahlakt beschränkt. In dieser Wandlung von dem idealen zu dem engeren realen Volksbegriff liegt eine notwendige Metamorphose, die die Staatsform der Demokratie mit sich bringt (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 14 ff.; H. Dreier, Kelsens De­ mokratietheorie (Fn. 7), S. 80 ff.).

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fizierten Teilrechtsordnungen der Gesamtrechtsordnung, weshalb sich der moderne Verfassungsstaat gegenüber dem indizierten Wandel wertkonser­ vativ, nicht aber strukturkonservativ verhalten darf.103 In einem weiteren Sinne geht es hier um das Prinzip der Mobilisierung, d. h. um etwaige normative Impulse durch die zur Rechtsnormenordnung gehörende Grund­ norm in ihrer äußeren Sinndimension,104 was sich in rechtlichen Verfah­ rens-, Beteiligungs- und Klagerechten sowie sonstigen rechtsgeschäftlichen Vorgaben durch die positive Rechtsnormenordnung erweiternd manifestie­ ren muss.105 Auch wenn sich im staatswissenschaftlichen Schrifttum unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation auch kritische Stimmen fin­ den, die dieses Demokratisierungsmodell als Hort einer Scheinrechtferti­ gung ansehen, indem die sonstigen Machtträger eben nicht in die demo­ kratische Verfassungsstruktur im engeren Sinne eingebunden werden, son­ dern ihnen stattdessen ein über ihren bereichsspezifischen Einflusssektor hinausgehendes allgemeinpolitisches Mandat verliehen wird, was die de­ mokratisch-repräsentativ legitimierten Staatsinstanzen schwächen kann,106 so liegt hier ein traditioneller Irrtum der Staats- und Verwaltungsrechtsleh­ re vor, der offenbar wird, wenn man erkennt, dass es sich bei der Demo­ kratisierung dieser Rechtssubjekte nur um organisationstechnische Rechts­ akte im Rahmen der Rechtsordnung handelt, mit denen nur eine differen­ ziertere Arbeitsteilung durch erweiterte Zuständigkeiten der Teilrechtsord­ nungen im Rahmen der Totalrechtsordnung verbunden ist.107 Und durch die äußere Grundnorm werden diese Rechtssubjekte nun überdies akzentu­ iert, delegiert. Dabei haben die Revolutionen des pouvoir naturel seit dem ausgehenden 20. Jahrhundert das naturstaatliche Ideal beinahe zu einer Selbstverständlichkeit des politischen Denkens gemacht; selbst wer sich 103  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 274 ff. Zu den Rechtssubjekten als Teilrechtsord­ nungen H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 63 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 172 ff. In diesen Zu­ sammenhang passt die von Hans Kelsen betonte demokratische Bedeutung der Parteien: „Nur Selbsttäuschung oder Heuchelei kann vermeinen, dass Demokratie ohne politische Parteien möglich sei. Die Demokratie ist notwendig und unvermeid­ lich ein Parteienstaat.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 20; ebenso H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 85). 104  Insoweit zur herkömmlichen Grundnorm H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 228  f.; G. N. Dias, Rechtspositivismus und Rechtstheorie – das Verhältnis beider im Werke Hans Kelsens, Tübingen 2005, S. 201 / 222. 105  Grundsätzlich zum Prinzip der Mobilisierung im europarechtlichen Kontext J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, Berlin 1997, S. 50 ff. Exemplifizierend die Ausführungen bei T. Wilrich, Verbandsbeteili­ gung im Umweltrecht – Wahrnehmung von Umweltinteressen durch Verbände in Rechtsetzungs-, Planungs- und Verwaltungsverfahren, Baden-Baden 2002, S. 49 ff. Vgl. zu diesem Mobilisierungsgedanken auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 60 / 365. 106  E.-W. Böckenförde, Demokratie (Fn. 1), § 24 Rn. 30. 107  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 62 ff. / 364 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 172 ff.



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seiner Etablierung mehr oder weniger zu widersetzen unternahm, glaubte dies meist nur mit einer höflichen Verbeugung vor dem grundsätzlich an­ erkannten Prinzip oder hinter einer vorsichtigen Maske naturstaatlicher Terminologie wagen zu dürfen, wenngleich aber die Klänge des repräsen­ tativen Kurzzeitvotums in der parlamentarischen Staatsform das Pendel oft systembewusst in die andere Richtung ausschlagen lassen, weshalb es er­ zeugender Impulse der „Selbst“organisation bedarf.108 Damit ist die bereits von Albert Hensel im Kontext mit der Norm des Art. 150 I WRV monier­ te, alte Wahrheit angesprochen, wonach eine naturstaatliche Systemausrich­ tung des modernen Staates auf eine effiziente Naturgemeinschaft angewie­ sen ist, ohne die eine integrierende Konfiguration eines verfassten Staates im Sinne der ökologischen Herausforderung nicht zu bewerkstelligen ist.109 Dies gilt umso mehr, als der moderne Industriestaat aufgrund der techno­ logisch verursachten Dominanz der im Rahmen der Totalrechtsordnung immer tonangebenderen Teilrechtsordnung der technostrukturierten Wirt­ schaft auf eine Koordination mit den Wirtschaftsrechtssubjekten angewie­ sen ist, um der Verantwortung für die nachhaltige Bewältigung der Um­ weltdefizite einschließlich der generationenübergreifenden Nachweltvorsor­ ge gerecht werden zu können.110 Angezeigt ist im Zeitalter der Massenme­ dien wie Presse, Film, Rundfunk und Fernsehen zudem ein struktureller 108  Nachgebildetes Zitat H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 1. Zur notwendigen Selbstorganisation B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S. 163 Fn. 755 (Zitat von Angela Merkel). 109  Vgl. A. Hensel, Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswir­ kungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (321 f. / 344 ff.). 110  R. Steinberg (Fn. 37), S. 396 ff.; I. Appel, Konkretisierung rechtlicher Anforde­ rungen durch technische Regeln (Fn. 21), S. 90 f.; R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demokratie in An­ fechtung und Bewährung, Berlin 1982, S. 462 ff. / 483 ff.; Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zugleich ein Beitrag zur Grundrechtsdogmatik im Rahmen mehr­ poliger Verfassungsrechtsverhältnisse, Tübingen 2001, S. 66; P. Saladin (Fn. 25), VVDStRL 1977 (35), S. 34 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 20), S. 39 ff.; ders., Staatsaufgabe Umweltschutz, in: T. Brandner u. a. (Hrsg.), Michael Kloepfer – Umweltschutz und Recht; Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen, Aus­ gewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten, Berlin 2000, S. 158 ff. Siehe in diesem Kon­ text auch W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaat­ lichkeit, München 1997, S. 435 ff.; unter Rekurs auf die Integrationslehre von Rudolf Smend auch A. Hurrelmann, Verfassung und ökologische Krise – Verfassungstheore­ tische Lösungsansätze für Umweltprobleme, Hamburg u. a. 2000, S. 96 ff., kritisch zu einer Verfassung der selbstorganisierten Gesellschaft im Sinne der Systemtheorie von Niklas Luhmann, S. 122 ff.; vgl. auch G.  Wittkämper / W.  Jäckering (Fn. 51), S. 11. Insoweit kann auch auf die Ausführungen zu Wesen und Kritik der Gesellschaftsthe­ orie bei Roman Herzog (R. Herzog (Fn. 1), S. 54 ff. / 75 ff.) hingewiesen werden. Grundsätzlich zum Begriff des Rechtssubjekts H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 17), S. 9 ff. / 37 ff.

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Entflechtungsvorgang, der die machtpolitischen Einverleibungstendenzen dieser Medien überwindet und im Sinne des objektiven Interesses des Um­ welt- und Naturschutzes über den demokratischen Mobilisierungs- und Sensibilisierungsfaktor der öffentlichen Meinung im Rahmen der Rechts­ ordnung zu einem verstärkten Bewusstsein entsprechend der elementaren Bedeutung der Natur anhält. Abgesehen davon besteht die Aufgabe der öffentlichen Meinung aber auch darin, als starker Gegenpol den staatlichen Repräsentationsvorgang kommunikativ-artikulierend vorzubereiten und da­ mit auch zu beeinflussen, womit sich ihr Wesen als kanalisierender Nach­ weis der von der Öffentlichkeit im Rahmen von Diskursen gewonnenen, überindividuellen und einheitlicheren Einsichten als dem Volkswillen ent­ sprechende Direktiven herauskristallisiert.111 Der durch die Grundnorm in ihrem äußeren Sinn vermittelte, formale Naturbeachtensbefehl ist deshalb das die Gesamtrechtsordnung delegierende Erzeugungsmoment, das den gesamten verfassten öffentlichen Raum erfasst, weshalb alle Rechtssubjek­ te als Teilrechtsordnungen auf den äußeren Geltungsgrund der Totalrechts­ ordnung verpflichtet sind. Aus dieser naturstaatlichen Ausgangssituation ergibt sich der Grundsatz der gemäßigten Soziologie, der die Menschen in ihrer demokratischen Autonomie anhält, die Natur im Rahmen ihres recht­ lichen Handelns stets zu beachten. In dem Sinne wie sich die unantastba­ re Menschenwürde zu einem Wert mit absoluter Geltungskraft entwickelt hat, wird sich schließlich auch das naturstaatliche Weltprinzip völkerge­ wohnheitsrechtlich noch weiter zu einer eine absolute Geltung indizieren­ den Direktive entwickeln, die auch ohne eine positivrechtliche Setzung universale verbindliche Kraft entfalten wird. Dies bedarf hier nun aber doch noch einer erläuternden Klarstellung. Denn die äußere Grundnorm ist relativ, hypothetisch. Sie ist ein Denkgesetz, eine Erkenntnisbedingung für das positive Recht im Sinne einer rechtsidealistischen Objektivität, d. h. sie kann, muss aber nicht vorausgesetzt werden. Wird sie aber vorausgesetzt, bildet sie einerseits das Abgrenzungskriterium zu einer rechtsrealistischen Begründung und Geltung des positiven Rechtsmaterials, andererseits zu der metaphysischen Naturrechtsdoktrin. In diesem Fall ist sie auch insoweit relativ, als sie durch ihren rein formalen Charakter das Recht nicht mate­ riell vordeterminiert. Dies schließt aber nicht aus, dass sich die äußere Grundnorm völkergewohnheitsrechtlich festigt, da sie ein objektives Legi­ 111  Siehe zur öffentlichen Meinung H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 361 ff.; H. Krüger (Fn. 8), S. 437 ff.; H. H. v. Arnim (Fn. 75), S. 43: „Öffentliche Meinung ist danach dadurch charakterisiert, dass sie sich an eine unbestimmte Vielzahl von Adressaten wendet, jedermann zugänglich ist, allgemeine Belange betrifft und sich auf die po­ litische Willensbildung bezieht. Sie kann einheitlicher Natur sein, in vielen Fällen aber wird sie das Resultat eines Widerstreits unterschiedlicher Ansichten sein. Siehe zur Rolle der Medien unter dem deutschen Grundgesetz H. H. v. Arnim, ebd., S.  439 ff.



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timationsmoment im Staat bildet. In diesem Fall, aber auch sonst im Fall ihrer Voraussetzung, ergibt sich aus ihr als dem naturrechtlichen Mindest­ standard eine absolute Geltung, ein Grund„sollen“ als implizite Bedingung einer rechtsidealistischen Erkenntnis, ohne dass damit aber eine gerechtfer­ tigte Normativität verbunden wäre. Sie ist aber stets Erkenntnisbedingung, formal-relativ, eine naturrechtlich-idealistisch indizierte Schablone und nur in diesem Sinne ein absolutes Grundprinzip, das der positiven Rechtsord­ nung zugrunde liegt, ohne überpositivistisch-materieller Fluktuation. Aus der äußeren Grundnorm ergibt sich eine verfahrensmäßige Bedingung der Rechtserzeugung und -anwendung, einer der Ausgangspunkte der positiven Rechtserzeugung, der sich in einer natürlichen Geltung kanalisiert und den in generellen und individuellen Rechtsnormen strukturierten Stufenbau der Rechtsordnung delegiert.112 Diese äußere Hypotaxe ist stets zu beachten, weil der Untergang der völkerrechtlich begründeten Grundnorm in ihrem äußeren Sinn zum Geltungsverlust der gesamten Rechtsordnung führen kann. Dennoch bleibt die äußere Erzeugungsregel nachgiebig; eine Rechts­ norm verliert nicht ihre Geltung, wenn die Natur nicht beachtet wird, wes­ halb die fremdbestimmte Determinante der Natur als Konventionalgewalt angesehen werden kann. Der Rechtsschöpfungsprozess wird nur gemäßigt. Mit dieser Typisierung des damit verbundenen Grundsatzes der gemäßigten Soziologie ist wieder die bekannte Erkenntnis angesprochen, dass die Na­ tur zwar Geltungsgrund der Rechtsordnung ist, die Menschen aber die Möglichkeit haben, den Staat in autonomer Entscheidung der unberechen­ baren Naturgewalt dauerhaft auszuliefern. Hier zeigt sich nun aber eine wesentliche Differenz zu der konstituierenden Gewalt der Menschen, die darin besteht, dass ein konkreter Staat jederzeit aufgegeben und dann ein neuer Staat wieder errichtet werden kann. Denn die Folgen von Umwelt­ katastrophen sind oft irreversibel, weshalb eine Rechtsordnung nach einer disponierenden Verwahrlosung gegenüber der gewaltdimensionierten Natur am gleichen Ort ausscheiden kann. Damit ist das Thema eines naturbe­ dingten Ausnahmezustands angesprochen, auf das zurückzukommen sein wird. An dieser Stelle bleibt zunächst festzuhalten, dass die Rechtssubjek­ te mit Blick auf die äußere Grundnorm weltstaatlich-verobjektiviert ver­ pflichtet sind, was den Grundsatz der gemäßigten Soziologie begründet. Die natürliche Geltung des äußeren Sinnprinzips erstreckt sich dabei auf die ganze Rechtsordnung, so dass eine naturstaatliche Gesamtordnung überhaupt nur dann möglich ist, wenn die Teilrechtsordnungen im Staat 112  H. Kelsen, RR (Fn. 5), S. 200 ff. / 228 ff. Zur Gundnorm als naturrechtlicher Mindeststandard H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 65 f.; ders., Hauptprobleme der Staatsrechtslehre – entwickelt aus der Lehre vom Rechtssatze, 2. Aufl., Tübingen 1923, S.  9 f.

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von der äußeren Hypotaxe delegiert werden und im Sinne einer naturstaat­ lichen Totalrechtsordnung koordiniert zusammenwirken.113 113  Auch dieses materielle Konzept eines idealtypischen Prinzips einer universal verstandenen Naturstaatlichkeit steht durchaus in Konformität mit der staats- und rechtstheoretischen Lehre von Hans Kelsen. Darin spiegelt sich teilweise eine natur­ rechtliche Durchbrechung, die aber insoweit von der Reinen Rechtslehre gebilligt wird. Denn es handelt sich praktisch auch hier nur um den Minimalbestand an Na­ turrecht, ohne den eine positive Rechtsnormenordnung nicht möglich ist. Hans Kel­ sen bezeichnet die Grundnorm selbst als „transzendentallogisches Naturrecht“, als „das Minimum (…) an Naturrecht, ohne das (…) eine Erkenntnis des Rechtes nicht möglich ist.“ (H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 112), S. 66; ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus, Politische Viertel­ jahresschrift 1962 (3), S. 316 ff.; ders., Das Problem der Souveränität und die The­ orie des Völkerrechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 252 f.; vgl. auch ders., AS (Fn. 1), S. 250; A. Verdross, Die Rechtstheorie Hans Kelsens, Juris­ tische Blätter 1930 (20), 421 (422); A.-J. Korb, Kelsens Kritiker, Tübingen 2010, S. 72). Die äußere Grundnorm stellt die zu dem modernen Staat in vertikaler Bezie­ hung stehende und daher die gesamte staatliche Rechtsnormenordnung überragende Erkenntnisbedingung dar, ohne die das positive Recht im 21. Jahrhundert nicht mehr gedacht werden kann. In anderem Zusammenhang einer verfassungsrechtlichen Ver­ ankerung der Parteien als politische Faktoren der staatlichen Willensbildung spricht Hans Kelsen von der „Möglichkeit, (dadurch) die Gemeinschaftswillensbildung in­ nerhalb dieser Sphäre zu demokratisieren.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 23; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 84 f.; kritisch J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (112)). Damit ist die appellative und er­ zieherische Funktion einer konstitutionellen Norm angesprochen, die entsprechend auch zu einer verbesserten Integration des naturstaatlichen Gedankens beitragen kann. Wie aber bereits ausgeführt wurde, kann eine positive Umweltverfassungs­ norm in der typischen Manier eines unkritischen Positivismus die Relevanz der natürlichen Lebensgrundlagen als Geltungsgrund eines Staates oft nur unzureichend erfassen, weshalb eine naturrechtlich indizierte, verstärkte Einsicht und damit ein Konventionalbefehl zugunsten der Natur erforderlich ist, der sich aus der äußeren Grundnorm ergibt. An dieser Stelle ist aber noch auf ein anderes konzeptionelles Element der Reinen Rechtslehre zu verweisen, das für das hier vertretene Naturver­ staatlichungsdogma der gesamten gesellschaftlichen Sphäre spricht. Vorausgeschickt wird diesem Argumentationsmuster die Tatsache, dass Hans Kelsen die Bedeutung einer organisierten politischen Gesellschaft für den staatlichen Willensbildungspro­ zess in seinem Werk „Vom Wesen und Wert der Demokratie“ aus dem Jahre 1929 besonders hervorhebt (siehe H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 18 ff.). Ab­ gesehen davon erkennt Hans Kelsen aber auch in jedem Individuum ein Organ der Rechtsordnung, insofern diesem eben Rechte und Pflichten durch die ideelle Ord­ nung zugewiesen worden sind. Damit sind sämtliche Normunterworfenen als Staats­ organe in einem weiteren Sinne anzusehen, wenn und insoweit die positive Rechts­ ordnung Beteiligungs-, Verfahrens- und sonstige Rechte, aber auch Pflichten auf dem Gebiet des Natur- und Umweltschutzes verleiht. „Sofern im Begriff des Staats­ organs nur der Gedanke der Rechtserzeugung, nur das Prinzip einer die staatliche Ordnung schaffenden Funktion liegt, ist kein Grund vorhanden, den ein Rechtsge­ schäft setzenden Parteien den Charakter von Staatsorganen zu verweigern: denn auch der – durch keine Rechtspflicht zu seiner Funktion irgendwie verbundene –



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V. Unmittelbare Demokratieelemente als unterstützende Kraftquelle naturstaatlicher Präsenz Im Rahmen des staatstheoretischen Diskurses um eine Erweiterung der repräsentativen Staatsethik um direkte Demokratieelemente sind es oft die radikal anmutenden Parolen von Jean-Jacques Rousseau114 in dessen Con­ Parlamentswähler und das – gleichfalls nicht pflichtmäßig funktionierende – Parla­ mentsmitglied gelten als Staatsorgane, nur weil sie mit ihrer Funktion an dem Pro­ zesse der Staatswillensbildung beteiligt sind.“ (H. Kelsen, AS, ebd., S. 262 ff. / 301 ff.; ders., RR (Fn. 5), S. 121 ff.; M. Haase (Fn. 72), S. 48 f.). Damit steht aber dann auch jedes Individuum unter dem Naturbeachtensbefehl (siehe zu dem Umstand, dass die hypothetische Grundnorm zur Rechtsordnung gehört nur G. N. Dias, Rechtspositi­ vismus und Rechtstheorie (Fn. 104), S. 201 / 222; vgl. zu dem Gedanken, dass die stete Beachtung der Natur dann und insoweit unproblematisch ist, als sie als Teil der Rechtsordnung anzusehen ist G. Stutzin, Die Natur der Rechte (Fn. 37), Rechtsthe­ orie 1980 (11), 344 (346)). Ergänzend spricht auch noch der Umstand von materi­ ellen (Vor)bedingungen in der Demokratietheorie von Hans Kelsen für ein universa­ les Weltprinzip der Naturstaatlichkeit. Insoweit verlangte er wie Hermann Heller (H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, Berlin 1928, S. 41) eine gewisse soziale wie kulturelle Homogenität als Anforderung an die Diskursethik der Demokratie; siehe dazu H. Kelsen, Politische Weltanschauung und Erziehung, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1228 f. / 1231 ff.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziolo­ gie und Demokratietheorie (Fn. 15), S. 271 ff.; ders., Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 95; J. Kunz (Fn. 15), ÖZöR 1961 (11), 375 (386); K. Groh (Fn. 7), S.  137 ff.; W. Schneider (Fn. 15), S. 80 f. (Hans Kelsen als „Partisan der Mündigkeit“ des Individuums in prozeduraler Bindung); vgl. zu dieser Thematik grundsätzlich auch A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm, in: H. Klecats­ ky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1813 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 273 unter ausdrückli­ chem Rekurs auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts; G.  Luf, Über­ legungen zum transzendentallogischen Stellenwert der Grundnormkonzeption Kel­ sens, in: W. Krawietz u. a. (Hrsg.), Theorie der Normen, Berlin 1984, S. 576 ff.; in Bezug auf das deutsche Grundgesetz Ch. Calliess (Fn. 110), S. 87. 114  Hans Kelsen war ein Bewunderer von Jean-Jacques Rousseau. Dies zeigen die folgenden Rekurse von Hans Kelsen auf den bedeutenden Staatsphilosophen der Aufklärung: „vielleicht der bedeutendste Theoretiker der Demokratie“; „Freiheits­ apostel“; „der geistreichste Schilderer der Demokratie“; „most efficient ideologist of democracy“; „radical apostle of freedom“; siehe hierzu H. Kelsen, Wesen der De­ mokratie (Fn. 1), S. 6 f. / 13; ders., Foundations of democracy (1955) (Fn. 1), S. 277 ff. (Zitate hier auf S. 278  f.); H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 81 Fn. 16; J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (110 f.). In seinem Aufsatz „Verteidigung der Demokratie“ aus dem Jahre 1932 nimmt er die Rousseausche Unterscheidung von volonté générale und volonté de tous ausdrücklich auf, wonach der relativ geringste Gegensatz zwischen diesen Willensverkörperungen und damit die größtmögliche Freiheit durch das Mehrheitsprinzip verwirklicht werde (H. Kelsen, Verteidigung der Demokratie (1932) (Fn. 1), S. 236). Bemerkenswert ist aber auch eine andere Passage von Hans Kelsen in seinem Werk „Vom Wesen und Wert

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trat social aus dem Jahre 1762, die dem argumentativen Format vorausge­ schickt werden. Mit der appellativen Entschiedenheit einer unmittelbaren Volksherrschaft beinhalten sie den Geist der auf einem anthropozentrischen Weltbild gegründeten Aufklärung: Ein Akt der Souveränität im eigentlichen Sinne, d. h. der politischen Körperschaft als Staat, „ist keine Übereinkunft des Überlegenen mit dem Unterlegenen, sondern eine Übereinkunft des Körpers mit jedem seiner Glieder: eine rechtmäßige Übereinkunft, weil sie den Gesellschaftsvertrag zur Grundlage hat, eine billige Übereinkunft, weil sie allen gemeinsam ist, eine nützliche Übereinkunft, weil sie kein anderes Ziel haben kann als das allgemeine Wohl, eine dauerhafte Übereinkunft, weil sie die öffentliche Gewalt und die höchste Macht zum Bürgen hat. Insoweit die (einzelnen) Untertanen (deshalb) nur derartigen Übereinkünften unterworfen sind, gehorchen sie niemandem außer ihrem eigenen Willen.“115 „Der Gemeinwille, um wahrhaft ein solcher zu sein, muss in seiner Auswir­ kung nicht weniger als in seinem Wesen allgemein sein; er muss von allen ausgehen, um sich auf alle zu beziehen; und er verliert seine natürliche Richtigkeit, sobald er auf einen einzelnen und fest umrissenen Gegenstand gerichtet ist, weil wir, wenn wir über etwas uns Fremdes urteilen, keinen wahren Grundsatz der Billigkeit mehr haben, der uns leitet.“116 „Derjenige, der die Gesetze verfasst, hat also oder soll keinerlei Gesetzgebungsbefugnis haben, und das Volk kann, selbst wenn es wollte, sich dieses nicht übertrag­ der Demokratie“ aus dem Jahre 1929, die den politischen Freiheitsbegriff verdeut­ licht und an Jean-Jacques Rousseau erinnert: „Dem Kausalgesetz tritt die Norm entgegen. Freiheit bedeutet ursprünglich, vom Standpunkte der Natur, die Negation der sozialen, vom Standpunkt der Gesellschaft die Negation der natürlichen (kausa­ len) Gesetzlichkeit (Willensfreiheit). ‚Zurück zur Natur‘ (oder zur ‚natürlichen‘ Freiheit) bedeutet nur: Los von der sozialen Bindung. Hinauf zur Gesellschaft (oder zur sozialen Freiheit): Freiheit von der Naturgesetzlichkeit. Dieser Widerspruch löst sich erst, sobald ‚Freiheit‘ zum Ausdruck einer spezifischen, nämlich der sozialen (d. h. ethisch-politischen und rechtlich-staatlichen Gesetzlichkeit, sobald der Gegen­ satz von Natur und Gesellschaft zum Gegensatz zweier verschiedener Gesetzlichkei­ ten und sohin zweier verschiedener Betrachtungsrichtungen wird.“ (H. Kelsen, We­ sen der Demokratie, ebd., S. 5; Hervorhebungen sämtlich im Original). Zu bemerken ist aber, dass sich das repräsentativ-parlamentarische Demokratiekonzept von Hans Kelsen freilich grundlegend von der direkten Demokratiebibel von Jean-Jacques Rousseau unterscheidet; insoweit zutreffend K. Groh (Fn. 7), S. 132 f. Für Hans Kelsen kamen unmittelbare Demokratieelemente für die moderne Staatlichkeit nur ergänzend in Betracht (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 24 f. / 38 ff.; ders., AS (Fn. 1), S. 343 f.). Allgemein zur unmittelbaren bzw. direkten Demokratie die Darstellungen bei R. Herzog (Fn. 1), S. 204 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S.  185 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 8), S. 217 ff. 115  J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, in Zusammenarbeit mit E. Pietzcker übersetzt und herausgegeben von H. Brockard, Stuttgart 1977, S. 35. 116  J.-J. Rousseau (Fn. 115), S. 33 f.



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baren Rechtes nicht begeben; weil gemäß dem Grundvertrag nur der Ge­ meinwille die Einzelnen verpflichtet und weil man sich nur dann vergewis­ sern kann, dass ein Sonderwille mit dem Gemeinwillen übereinstimmt, wenn man ihn der freien Abstimmung des Volkes unterworfen hat.“117 Diese im staatstheoretischen Schrifttum als republikanisches Konzept be­ nannte Demokratietheorie118 stellt unter Rekurs auf die auf Jean-Jacques Rousseau zurückgehende Idee der volonté générale auf ein vorgegebenes und objektiv feststellbares Gesamtinteresse ab, das sich von dem addierten Sonderwillen der einzelnen Bürger, dem volonté de tous, unterscheidet und im Rahmen des demokratischen Willensbildungsprozesses als objektive Wahrheit nur noch gefunden werden muss.119 Damit ist ein methodischer Affront gegen pluralismustheoretische Vorstellungen verbunden, die das Gemeinwohl als Ergebnis eines politischen Diskurses der freien und gleich­ berechtigten Kräfte im Staat betrachten.120 Im Zusammenhang mit der na­ turstaatlichen Repräsentation ist bereits darauf hingewiesen worden, dass ein ausschließlich auf direkte Demokratieelemente gebauter Staat einen so­ zialen Einheitskern stets ermangeln muss, da sich dadurch ein unterprivile­ gierter Zustand des politischen Daseins einstellt, der dem identitären Selbst eines Volkes abträglich ist.121 Andererseits ist die bekannte Formel von der Identität der „Regierenden und Regierten“122 im Rahmen von unmittelbaren 117  J.-J. Rousseau

(Fn. 115), S. 45. Mastronardi (Fn. 1), S. 70 ff. / 294. Zur demokratischen Lehre von JeanJacques Rousseau ausführlich R. Zippelius (Fn. 8), S. 105 ff.; H. H. v. Arnim (Fn. 75), S.  25 ff.; R. Herzog (Fn. 1), S. 204 f. Jean-Jacques Rousseau führte in seinem Contrat social (J.-J. Rousseau (Fn. 115), S. 41) die folgende Definition für eine Republik ein: „Republik nenne ich deshalb jeden durch Gesetz regierten Staat, gleichgültig, unter welcher Regierungsform dies geschieht: weil nur hier das öffentliche Interesse herrscht und die öffentliche Angelegenheit etwas gilt. Jede gesetzmäßige Regierung ist republikanisch (…).“ Republikanisch sei nicht nur eine Aristokratie oder eine Demokratie, sondern ganz allgemein jede Regierung, die vom Gemeinwillen geleitet werde, der das Gesetz sei. 119  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 294; vgl. zur republikanischen Lehre von JeanJacques Rousseau auch H. Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimität, Universi­ tas 1993 (48), 377 (385 f.). Ausdrücklich ablehnend dagegen T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 399. 120  C.  F.  Gethmann / A.  Klapperich, Selbstbestimmungsrechte des Individuums im Umweltstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 198 f. Zur Pluralismusthe­ orie Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 76 / 294; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik (Fn. 92), S. 27. Vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 343 f. („für kleine Gemeinwesen und wenig differenzierte Kulturverhältnisse“). 121  C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 215; vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 30. 122  So C. Schmitt, Verfassungslehre (Fn. 2), S. 234 ff. im Zusammenhang mit der auf die substantielle Gleichheit abgestützten Definition einer Demokratie. Ähnlich in 118  Ph.

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Demokratieelementen dem Verdikt eines utopischen Idealismus ausgesetzt, da es sich immer um eine die unterlegene Minderheit überbietende Mehr­ heitsentscheidung handelt.123 Nicht zu unterschätzen ist zudem die populis­ tische Ader, die den aus der ursprünglichen Situation heraus geborenen, vor dem aktuellen Hintergrund einer subjektiven Vorstellungswelt und damit unter dem generellen Verdacht der Willkürlichkeit stehenden, direkten Ent­ scheidungen des souveränen Volkes notwendigerweise anhaften muss.124 Überdies ist aber auch das kanalisierende Prozedere zu bedenken, das sich stets in einer organisatorischen Initiative von partikularen Gruppen äußert, die deshalb den rechtlichen Entscheidungsvorgang vorbestimmen, was im Hinblick auf die immer komplizierter werdenden Verhältnisse im modernen industriellen Massenstaat zu dem weiteren Einwand einer durch Elemente plebiszitärer Demokratie begünstigten, desintegrativen Affektion der plura­ listischen Politikebene beiträgt.125 Gleichwohl können vereinzelte Elemente direkter Demokratie, die in der konstituierten Grundordnung eines Staates vorgesehen sind, die repräsentative Staatsethik als balancierende und korri­ gierende Bausteine der Gesamtrechtsordnung sinnvoll ergänzen.126 Aus na­ der Formulierung auch Hans Kelsen (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 14): „Demokratie bedeutet Identität von Führer und Geführten, von Subjekt und Objekt der Herrschaft, bedeutet Herrschaft des Volkes über das Volk.“ Siehe zu Letzterem auch H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 90; J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (110 f.). 123  H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 6 / 24 f.; K. Hesse (Fn. 53), S. 60; H.  Hofmann / H.  Dreier, Repräsentation, Mehrheitsprinzip und Minderheiten­ schutz (Fn. 73), S. 170; J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 51), DÖV 1983, 565 (571); vgl. zur Irrationalität der direkten Demokratie auch R. Herzog (Fn. 1), S. 205 ff.; R. Zippelius (Fn. 8), S. 146 ff.; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 385 / 398. 124  H.  Lübbe, Theorie und Entscheidung, Freiburg i. B.  1971, S. 16 ff. / 21 f. / 27 f.; R. Zippelius (Fn. 8), S. 147 f. / 159; T.  Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 2), S. 388; B. Schöbener / M.  Knauff (Fn. 1), S. 186. 125  Hierzu nur zusammenfassend H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 18), § 7 Rn. 54 f.; vgl. auch R. Zippelius (Fn. 8), S. 146 ff. Diese Gefahr ist aber hinzunehmen, zumal es einerseits aus sozialtechnischen Gründen unmöglich ist, die staatliche Rechtsord­ nung in all ihren Erzeugungsstufen unmittelbar durch das Volk bewerkstelligen zu lassen, d. h. eine repräsentative Staatsform notwendig ist, und andererseits unmittel­ bare Demokratieelemente das Legitimationsniveau unter appellativen, balancieren­ den und kontrollierenden Aspekten anheben können. Vgl. auch H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 27 / 38 ff.; ders., AS (Fn. 1), S. 343 f. 126  In diesem Sinne H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 1), S. 24 f. / 38 ff.; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie (Fn. 7), S. 86 f.; E.-W. Böckenförde, Demokra­ tie und Repräsentation (Fn. 53), S. 16; R. Herzog (Fn. 1), S. 208; R. Zippelius (Fn. 8), S. 153 / 158 ff.; B. Schöbener / M. Knauff (Fn. 1), S. 186 f.; T. Fleiner / L. Fleiner (Fn. 2), S. 389; bei entsprechender verfahrensmäßiger Ausgestaltung insoweit auch I. Appel (Fn. 21), S. 93 f.; vgl. auch M.  Linke (Fn. 1), S. 5; J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (114 f.); eher kritisch dagegen J. Isensee, Wider­



§ 18 Demokratie und Naturstaat653

turstaatlicher Sichtweise ist die Möglichkeit von plebiszitären Mitteln sogar geboten, weil es sich bei dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht um ein Anliegen handelt, das ausschließlich in die subjektive Dispo­ sitionsmacht der Menschen gestellt werden könnte, sondern stattdessen um ein das Gemeinwohl stets tangierendes Interesse mit naturrechtlich indizier­ ter, objektiver Geltungskraft. Deshalb besteht insoweit in methodisch-geis­ tiger Konformität mit dem radikalen republikanischen Konzept von JeanJacques Rousseau das Gemeinwohl bereits überragend idealistisch, es muss nur noch sichtbar gemacht werden, was letztlich in der Form von plebiszi­ tären Demokratieelementen geschehen kann. Die Regierungen der modernen Staaten übersehen das naturstaatliche Weltprinzip nur zu gern, wenn es um die effiziente Steigerung des wirtschaftsstaatlichen Outputs geht. Daher können gesetzlich vorgesehene Volksinitiativen, Volksabstimmungen und sonstige unmittelbare Referenden als Korrektiv zu der von den Parteien, den Verbänden und vor allem den Medien gebildeten öffentlichen Meinung un­ ter anderem zu einer mobilisierenden Disziplinierung beitragen.127 Dies ist in einer repräsentativen Demokratie umso bedeutsamer, als sich die demo­ kratischen Machtträger regelmäßig in den legislaturperiodischen Fängen einer Herrschaft auf Zeit befinden, was sich tendenziell stets zulasten der ökologischen Thematik auswirkt.128 Insoweit kann sich dann ein umweltstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 51), DÖV 1983, 565 (571); C. F. Gethmann / A.  Klapperich, Selbstbestimmungsrechte des Individuums, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft (Fn. 120), S. 198 f. 127  Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 356 f.; H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 18), § 7 Rn. 55. 128  So M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 20), S. 41; ders., Droht der autoritäre öko­ logische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein, 1994, S.  50; ders., Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: C. F. Gethmann (Hrsg.), Langzeitverantwortung im Umweltstaat, Berlin 1993, S. 26; K. Bosselmann, Der Ökologische Rechtsstaat (Fn. 37), S. 67; U. Di Fabio, Wachsen­ de Wirtschaft und steuernder Staat, Berlin 2010, S. 113 f.; H. Theisen, Zukunftsvor­ sorge als Staatsaufgabe, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (119 ff.); T. Fleiner / L. Fleiner (Fn. 2), S. 381; B. Söhnlein (Fn. 108), S. 158 f. / 162 ff.; R. Grawert (Fn. 110), S. 485 f.; R. Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, DÖV 1994, 749 (751); B. Guggenberger, Das Staatsziel Umweltschutz – Erster Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Umweltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 244 f.; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge (Fn. 30), S. 86 ff.; T. Stein, Warum wir einen ökologischen Rat brauchen, in: B.  Guggenberger / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Neben­ bühne, Opladen 1994, S. 256; M.  Linke (Fn. 1), S. 7 / 9; vgl. auch J. Tkaczynski (Fn. 7), Der Staat 2008 (47), 108 (115); D. Birnbacher, Verantwortung für zukünf­ tige Generationen, 2. Aufl., Stuttgart 1995, S. 262. Dieter Birnbacher (D. Birnbacher, ebd., S. 263) weist andererseits aber auch darauf hin, dass die Ermöglichung langfristiger Entscheidungen, die den Zeithorizont der individuellen Wähler über­ schreiten, eines der stärksten Argumente für die indirekte Demokratie sei.

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bzw. naturbezogenes Gegengewicht zu den staatlichen Herrschaftsstrukturen der parteienstaatlichen Demokratie herausbilden, wenn die gebotene natur­ staatliche Systemimmanenz des modernen Staates unter dem Druck sonsti­ ger Politiktopoi zu einer marginalen Randnotiz mutieren sollte.129 Nichts­ destoweniger kommt Elementen direkter Demokratie mit der ihnen inne­ wohnenden unmittelbaren rechtlichen Entscheidungskompetenz durch das direkt rechtlich ermächtigte Volk ein nicht zu leugnendes Moment der subjektiven Willkür zu. Bei den natürlichen Lebensgrundlagen handelt es sich aber um einen konkreten Belang des Gemeinwohls, dem im Hinblick auf den modernen Staat eine existentielle Dimension innewohnt, die unter anderem durch den emotionalen Gedanken der Heimat noch verstärkt wird.130 Symbolisiert wird diese politische Einheit in dem Geltungsgrund der äußeren Grundnorm. Es ist daher angezeigt, dem objektiven Weltgeist zu vertrauen und eine Korrektur im naturstaatlichen Sinne zuzulassen. Dies gilt umso mehr, als sich bei der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 gezeigt hat, dass das Verantwortungsbewusstsein ausgeprägt genug ist, um den irra­ tionalen Klängen des populistischen Kurzzeitvotums zu entkommen.131 Es ist dies ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Überwindung des Selbstver­ pflichtungsdogmas des umweltstaatlichen Staatskönigtums.

129  H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 18), § 7 Rn. 55; vgl. dazu auch I. Appel, Staat­ liche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge (Fn. 30), S. 93. 130  Der enge Zusammenhang zwischen Natur- und Heimatschutz ist anhand der deutschen Geschichte aufgezeigt worden. 131  Siehe zu der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 Landeshauptstadt Stuttgart (Hrsg.), Die Volksabstimmung am 27. November 2011 in Stuttgart, Reihe Statistik und Informationsmanagement Themenhefte, Bd. 2 / 2011. Das Volk sprach sich inso­ weit gegen die Gesetzesvorlage der Landesregierung „S 21 Kündigungsgesetz“ aus. Grundsätzlich zu Stuttgart 21 unter staatstheoretischen bzw. rechtspragmatischen Aspekten W. Thaa, „Stuttgart 21“ – Krise oder Repolitisierung der repräsentativen Demokratie?, Politische Vierteljahresschrift 2013 (54), S. 1 ff.; W.  Leisner, Stuttgart 21: „Wir sind das Volk!“ – Wer?, NJW 2011, S. 33 ff.; K. Schönenbroicher, Irritati­ onen um „Stuttgart 21“ – Aktuelle Anmerkungen zu Verfahren und Bürgerbeteili­ gung bei raumbedeutsamen Großvorhaben –, VBlBW. 2010, S. 466 ff.

§ 19 Bundesstaat und Naturstaat1 I. Die Korrelation zwischen Staat und Natur als staatenbündisches Analogon Die staatsanaloge Typisierung der originären Natur als pouvoir naturel im Staat basiert auf einem korrelativen Grundsystem zwischen Staat und Natur, dem epistemologisch der Primat der Völkerrechtsebene zugrunde liegt. Im Rahmen der so bedingten Weltstaatsordnung erscheint die Natur damit als grundsätzlich gleichberechtigte Rechtsgröße, die gemäß ihrer funktionalen Wesensart als von der staatlichen Autonomie in ihrem physikalischen Be­ stand unabhängige, fremdbestimmte Determinante einen Souveränitätsan­ spruch begründet, der ein staatenbündisches Muster einer koordinierten Beachtensmanier indiziert. „Als Zweck des Staatenbundes im engeren Sinne kommt in erster Linie der Schutz nach außen in Betracht. In dem Normal­ falle: der Entstehung des Staatenbundes durch völkerrechtlichen Vertrag, werden mehrere selbständige, d. h. nur der Völkerrechtsordnung unterworfe­ ne Staaten verbunden, um sich, d. h. insbesondere ihr Gebiet, gemeinsam gegen Angriffe zu verteidigen“, so dass in die Kompetenz der auf der Bundesverfassung beruhenden, für das Gesamtgebiet der verbundenen Staa­ ten geltenden Zentralordnung die auswärtigen und militärischen Angelegen­ heiten fallen.2 Für Carl Schmitt war das Souveränitätsdogma, das sich ge­ rade in dem Recht zur Selbstverteidigung zeigt, dann auch das maßgebliche 1  Hans Kelsen gilt als Vertreter eines dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs. Demnach tritt neben die Rechtskreise des Oberstaates und der Gliedstaaten noch ein weiterer Rechtskreis des Gesamtstaates, der den Teilrechtsordnungen des Oberstaates und der Gliedstaaten übergeordnet ist und den Bundesstaat erst konstituiert. Dies ergibt sich daraus, dass der Gesamtstaat die Teilordnungen des Oberstaates und der Gliedstaaten delegiert und so erst zu einer Gesamtstaatsgemeinschaft zusammen­ führt. Der grundsätzliche Vorzug der dreigliedrigen Bundesstaatstheorie des Begrün­ ders der Wiener Rechtstheoretischen Schule liegt darin, dass er das wesensgemäße Nebeneinander von bündischen und subordinativen Elementen im Bundesstaat er­ klärbar macht (so D. Hanschel, Konfliktlösung im Bundesstaat, Tübingen 2012, S. 49). 2  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1.  Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 207; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 317; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S.  142 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., S. 262 f.; vgl. auch P. Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes, Tübingen 2002, S.  559 f.

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Kriterium für eine Abgrenzung des Staatenbundes von einem Bundesstaat, wobei die Mitglieder nur im Falle einer staatenbündischen Verbindung auf das Selbstverteidigungsrecht zumindest nicht endgültig verzichteten und demnach souveräne Rechtssubjekte blieben.3 Im Bundesstaat dagegen kommt dem zentralen Gesamtstaat die Souveränität zu, so dass die Glied­ staaten nicht mehr als Staaten – da nicht rechtlich unabgeleitete, d. h. relativ höchste Ordnungen unterhalb der Völkerrechtsordnung  ‒ im Sinne des Völkerrechts in Erscheinung treten, wenngleich ihnen ein Rest an innerer Souveränität in der Form eines gleichwohl aber majorisierbaren Mitbestim­ mungsrechts an beabsichtigten Änderungen des Rechtssystems des Gesamt­ staates zukommt.4 Folglich ist die Verbindungsform des Staatenbundes in organisatorischer Hinsicht und im Grad der wechselseitigen rechtlichen Pflichten der dem konkreten Bündnis angehörigen Staaten untereinander sowie gegenüber dem Bund eine wesentlich inkohärentere Fusionsart, der ein in ihren Rechtswirkungen ungezwungeneres Strukturprinzip immanent ist.5 Daher bestehen die Rechtspflichten der die innere und äußere Souve­ ränität nicht einbüßenden Mitglieder des völkerrechtlichen Staatenbundes auch nicht wie im Rahmen eines Bundesstaates in der arbeitsteiligen Auf­ gabe von Kompetenzen, sondern in Verpflichtungen obligatorischer Natur, 3  Siehe hierzu C. Schmitt, Verfassungslehre, Nachdruck der 1.  Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 363 ff., v. a. S. 378 f.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 402; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidel­ berg 2004, S. 69 / 75; U. Schliesky, Souveränität und Legitimität von Herrschaftsge­ walt – die Weiterentwicklung von Begriffen der Staatslehre und des Staatsrechts im europäischen Mehrebenensystem, Tübingen 2004, S. 111; vgl. auch C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, Nachdruck der 5. Aufl. (1963), 7. Aufl., Berlin 2002, S. 45 ff.; kritisch hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 193 ff. / 198 ff. Siehe zur Abgren­ zung von staats- und völkerrechtlichen Staatenverbindungen grundsätzlich auch B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 271 ff.; vgl. auch Ch. Schönberger, Die Europä­ ische Union als Bund. Zugleich ein Beitrag zur Verabschiedung des StaatenbundBundesstaat-Schemas, AöR 2004 (129), S. 81 ff. Ein Überblick über grundsätzlich mögliche Staatenverbindungen findet sich ebenfalls bei K. Doehring, ebd., S. 66 ff. 4  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 116 f. / 198 ff. / 208 f.; F. Koja, Allgemeine Staatsleh­ re, Wien 1993, S. 352; K. Doehring (Fn. 3), S. 68 ff. / 73 f.; O.  Kimminich, Der Bun­ desstaat, in J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidel­ berg 1995, § 26 Rn. 12 / 21; H.  Buß / W.  Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 78 f. / 87; vgl. auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 145 f. / 152 ff. „Die Souveränität hat eine äußere und eine innere Seite. Nach außen bedeutet sie Unabhängigkeit von allen anderen Mächten, nach innen die Eigenschaft als höchstes herrschendes Gemeinwesen. Dass die Glie­ der eines Bundesstaates nicht mehr die innere Seite der Souveränität besitzen kön­ nen, ergibt sich schon daraus, dass sie sich zum Bundesstaat als einer höheren Einheit zusammengeschlossen haben.“ (O.  Kimminich, ebd., § 26 Rn. 21). 5  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 207; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 145; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 264; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 4), S. 79.



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weshalb ihre Missachtung, das Nullifikationsrecht, als Vertragsbruch, nicht als Revolution durch Gehorsamsverweigerung anzusehen ist.6 Dem ent­ spricht auch das Erfordernis der Einstimmigkeit für den Fall der Änderung der zentralen Bundesverfassung, so dass kein Mitglied des Staatenbundes übergangen werden kann.7 Als Zweck eines Staatenbundes kommt insofern vor allem die auswärtige Konsultation und der militärische Schutz für die an der Staatenverbindung beteiligten Bündnispartner in Betracht, was sich in rechtlicher Hinsicht darin ausdrückt, dass diese Kompetenz in der bun­ desverfassungsrechtlichen Zentralordnung, die im Normalfall in der Form eines völkerrechtlichen Vertrages besteht, dem Bund ausdrücklich zugeord­ net wird, wobei sich der Zweck letztlich auf andere, mitunter auch innere Angelegenheiten beziehen kann.8 Gleichwohl ist diese sachliche Kompetenz des Bundes in der Regel verhältnismäßig gering, so dass der Umfang der rechtsgemeinschaftlichen, gesamtstaatlichen Angelegenheiten im Bundes­ staat die staatenbündische Zweckprogrammierung bei weitem übersteigt.9 Auch wenn sich in dem Staatenbund Gesetzgebung und Vollziehung grund­ sätzlich durch das Merkmal der transformierenden Mittelbarkeit auszeich­ nen, d. h. dass die von dem Organ des Bundes gesetzten generellen und individuellen Normen die Untertanen in den Mitgliedsstaaten nicht unmit­ telbar verpflichten, sondern eines Umsetzungsaktes bedürfen, ist dies aber keineswegs im Sinne einer die unmittelbare Geltung von Bundesgesetzen bzw. sonstigen Vollzugsakten ausschließenden Absolutheit zu verstehen.10 Die unmittelbare Verbindlichkeit von Rechtsakten des Bundes ist vielmehr weder völkerrechtlich noch einzelstaatlich a priori untersagt, weshalb eine solche Durchgriffswirkung auf die Rechtssphäre der Untertanen ohne wei­ teres in Betracht kommen kann.11 Abgesehen davon ist aber „auch dann, wenn die Normen dieser (Bundes-)Ordnung, um für die Untertanen zu gelten, noch eines von Einzelstaatsorganen zu setzenden Zwischenaktes bedürfen, (…) ihr räumlicher Geltungsbereich das ganze Bundes­gebiet.“12 Im Ergebnis resultiert aus den von dem Organ des Bundes gesetzten, in 6  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 220 f.; K. Doehring (Fn. 3), S. 70; vgl. auch F. Koja (Fn. 4), S. 350 f. 7  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 208; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 145; H.  Buß / W.  Oetelshoven, (Fn. 4), S. 79. 8  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 207; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn.  2), S. 142 / 145. 9  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 207. 10  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 209  ff.; vgl. zur Mittelbarkeit der Gesetzgebung auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 145; R. Herzog (Fn. 3), S. 399 f.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 4), S. 85. 11  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 210 f.; F. Koja (Fn. 4), S. 351. 12  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 214. Aus der naturstaatlichen Perspektive erscheint der in diesem Kontext in unmittelbarem Anschluss von Hans Kelsen angemerkte

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erster Linie mittelbaren und sonach umsetzungsbedürftigen Rechtsakten eine bestimmte Pflicht zur Kundmachung als Gesetze der Einzelstaaten, ­ deren Erfüllung von der völkerrechtlichen Verfassung des Staatenbundes verbindlich vorgeschrieben wird.13 Deshalb stehen für den Fall der Nichtbe­ folgung von staatenbündischen Verpflichtungen letztlich auch völkerrecht­ liche Zwangsmittel zur Anwendung, zu denen als ein besonders geregeltes Instrument auch die Bundesexekution gehören kann.14 Dem völkerrechts­ widrig handelnden Bündnispartner steht ausnahmsweise im Falle der positi­ ven Statuierung eines jus secessionis als Ausfluss des externen Selbstbe­ stimmungsrechts auch der Austritt aus dem Staatenbund als Option zur Verfügung.15 Die staatsanaloge Kategorialisierung der souveränen Determinante der Natur als pouvoir naturel innerhalb des modernen Staates basiert auf der grundlegenden Korrelation zwischen Staat und Natur, der in erkenntnisthe­ oretischer Hinsicht die völkerrechtliche Außenperspektive entspricht. Da­ durch bedingt ist eine verobjektivierte Weltstaatsordnung, in der der pou­ voir naturel als grundsätzlich gleichberechtigter Partner enthalten ist, der in seinem autonomen Wesen einen Selbstbestimmungsanspruch hegt, der ein staatenbündisches Grundmuster einer koordinierten Organisationsform indiziert. Der moderne Staat untersteht daher einem sich in den dialekti­ schen Entfaltungsstufen des Weltgeistes herausgebildeten, formalen Natur­ beachtensbefehl, der bereits von Grund auf naturrechtlich legitimierend indiziert ist und sich im 21. Jahrhundert zu einem universalen Weltprinzip mit rechtlicher Geltungskraft entwickelt.16 Damit ist die staatliche Ordnung bereits von ihrer konstituierenden Entstehung an auf eine Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen programmiert, ohne die es die dauerhafte Existenz eines konkreten Staatswesens nicht geben kann. Das staatenbündische Analogon ergibt sich nun zudem insbesondere aus dem Umstand, dass durch den dogmatischen Kunstgriff auf die universale Gemeinschafts­ Satz doch befremdlich: „Eine andere Bedeutung als die eines räumlichen Geltungs­ bereiches von Normen hat aber der Begriff des Staatengebietes nicht.“ 13  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 210. 14  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 211 ff. / 224 f.; R. Zippelius (Fn. 2), S. 317. 15  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 222 ff.; für ein generelles Austrittsrecht B. Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 258 / 262 / 272; K. Doehring (Fn. 3), S. 71; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 4), S. 79; vgl. auch F. Koja (Fn. 4), S. 351; a. A. dagegen H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 142 („nicht wesentlich ist das Austrittsrecht“). Da­ mit ist der moderne Staat auch im Hinblick auf die Natur weiterhin materiell souverän; vgl. F. Koja, ebd., S. 42 f. Eine neue Lehre von Staatenverbindungen, die sich von den Kategorien Staatenbund und Bundesstaat lösen möchte, findet sich bei R. Herzog (Fn. 3), S. 402 ff. 16  H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, Nachdr. 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 247 ff.



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ebene des Völkerrechts der moderne Staat seine Eigenschaft als souveräne Rechtsordnung insoweit beschränkt sieht, als die objektive Weltstaatsord­ nung mit der Natur – vermittelt durch die äußere Grundnorm – geltungs­ theoretisch nun zu einer regelmäßigen Synthese auf dieses hypothetische Denkgesetz als Ausgangspunkt bei der Erzeugung und Anwendung von positiven Rechtsnormen anhält.17 Gleichwohl wird durch die Einsetzung einer Rechtsquelle, einer Autorität, so wie es letztlich bei der äußeren Grundnorm geschieht, indem die Natur und damit eine sekundäre Befehls­ gewalt stets im Rahmen des Stufenbaus der Rechtsordnung, d. h. bei der Rechtsetzung, Rechtserzeugung und Rechtsschöpfung, zu beachten ist, le­ diglich eine konventionale Vorbedingung der Rechtsgeltung installiert,18 weshalb der rechtlich bindende Typus nachgiebig bleibt, was dem Wesen eines Staatenbundes als inkohärenterer Fusionsart und dem internen Selbst­ bestimmungsrecht eines Volkes19 entspricht. Denn die Rechtserzeugung be­ treffenden Bestimmungen statuieren kein rechtliches Sollen, sondern nur ein rechtliches Können. Es sind Tatbestände, ohne die Rechtsakte nicht entstehen können. Auf ihr Nichteintreten wird mit Nichtigkeit, nicht mit Zwangsakt reagiert, wenngleich diese Tatbestände überdies zum Inhalt von positiven Organpflichten gemacht werden können.20 Der äußere Rechtser­ zeugungssatz erscheint so selbst als objektive, von dem Willen des Einzel­ staates unabhängige Norm, womit eine weltstaatliche Koordination verbun­ den ist, wenngleich das äußere Sinnmoment nur nachgiebig interpretiert werden kann. Dogmatisch ist hiermit eine Abkehr von der auf eine sozio­ logische Gewohnheit gebauten Selbstverpflichtungslehre des Staates ver­ bunden, indem der moderne Staat unter dem Einfluss des äußeren Sinns 17  H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S.  200 ff. 18  Siehe hierzu bereits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 2. Teil, § 17 IV. 19  Dazu M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswis­ senschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 139 f.; vgl. auch H. Nawiasky, Staatsrechts­ lehre (Fn. 2), S. 130 ff.; C. F. Gethmann / A. Klapperich, Anthropozentrisches Denken im Umweltstaat / Selbstbestimmungsrechte des Individuums im Umweltstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und phi­ losophische Aspekte, Bonn 1994, S. 194 f. / 198 f.; K. Doehring (Fn. 3), S. 49 ff. Zur besonderen Stellung der Menschenwürde im Rahmen eines Rechtsnormensystems P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 20 Rn. 1 ff.; Ph. Mastronardi, Menschenwürde als materielle „Grundnorm“ des Rechtsstaates?, in: D. Thürer u. a. (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz – droit constitutionnel Suisse, Zürich 2001, S. 238 ff.: „Die Menschenwürde ist der Kern von Rechtsstaat und Verfassung.“ (ebd., S. 243; Hervorhebungen im Original). 20  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 125.

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steht, dem er sich nur ausnahmsweise entziehen kann.21 Damit in Konfor­ mität steht auch die unmittelbare Wirkungskraft dieser äußeren Erzeu­ gungsregel, wie es bei einem Staatenbund möglich ist. Daher ist der mo­ derne Staat ein naturstaatlicher Konventionsstaat, der auf einen Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet ist, nur dass sich die Natur als fremdbestimmte Determinante über das Selbstbestimmungsrecht eines Vol­ kes nicht hinwegsetzen darf. Denn ansonsten würden sich doch noch die warnenden Worte des Emmanuel Joseph Abbé de Sieyès im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung bewahrheiten: „(…) eine Nation darf sich auch nicht die Fesseln einer bestimmten Verfassungsform anlegen. Da­ durch würde sie sich der Gefahr aussetzen, ihre Freiheit unwiederbringlich zu verlieren (…).“22 II. Die unitarische Grundtendenz eines idealistischen Naturstaates Der naturrechtlich indizierte und durch die transzendentallogische Syn­ these der hypothetischen Grundnorm in ihrer äußeren Dimension idealistisch abstrahierte, formale Naturbeachtensbefehl überstrahlt als staatenbündisches Weltprinzip den ganzen Kosmos des staatlichen Rechtsnormensystems. Un­ ter dem legitimierenden Dach dieses universalen Denkgesetzes der Natur besteht die auf die innere Struktur des Staates bezogene Option einer terri­ torialen Gliederung des Staatsgebiets im Sinne eines Einheitsstaates oder aber eines Bundesstaates, wobei es weder einen Prototyp der einen noch der anderen rechtlichen Kategorie gibt und die Übergange dieser territorialen Gliederungen des Staates fließend sein können.23 Darin zeigt sich vor dem Hintergrund des Staates als einer normativen Ordnung das Konzept von Zentralisation und Dezentralisation, wobei ein statisches, auf den räumli­ chen Geltungsbereich der Normen abstellendes, und ein dynamisches Kon­ zept zu unterscheiden sind, das als wesentliches Kriterium die Aufteilung der Staatsfunktionen auf verschiedene Organe vorsieht, wobei zu konstatie­ ren ist, dass sich die denkbaren und damit möglichen Formen der Dezent­ ralisation oft nur graduell unterscheiden.24 „Ein Einheitsstaat ist ein Staat, Selbstverpflichtungslehre kritisch H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 74 ff. de Sieyès, Was ist der Dritte Stand?, in: O.  W.  Lembcke / F.  Weber (Hrsg.), Was ist der Dritte Stand?, ins Deutsche übersetzt von den Herausgebern, Berlin 2010, S. 151 (Hervorhebung im Original). 23  H. Kelsen, AS (Fn.  2), S. 163  ff.; vgl. auch K. Doehring (Fn. 3), S. 72; F. Koja (Fn. 4), S. 346 ff. 24  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 163 ff.; ders., General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 303 ff.; R. Thienel, Der Bundesstaatsbegriff der Reinen Rechts­ lehre, in: R. Walter (Hrsg.), Schwerpunkte der Reinen Rechtslehre, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Institutes, Wien 1992, S. 126 ff. Zur (staatstheoretischen) Zentrali­ 21  Zur

22  E.  J.  Abbé



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bei dem alle die staatliche Ordnung bildenden Normen in gleicher Weise für das ganze Staatsgebiet gelten oder – sofern man sie auf die Person der normsetzenden Autorität bezieht – von einer einzigen Instanz, einer einzi­ gen Gewalt ausgehen, dass (sonach) eine einzige Staatsgewalt von einem Zentrum aus das ganze Staatsgebiet beherrscht.“25 Im Gegensatz zum Bun­ desstaat setzt sich der Einheitsstaat nicht aus über eigene Staatlichkeit ver­ fügenden Gliedern zusammen, sondern er ist stattdessen in Verwaltungsein­ heiten wie Provinzen oder Selbstverwaltungskörperschaften eingeteilt.26 Dabei ist aber relativierend anzuführen, dass es mit dem zentralisierten und dezentralisierten Einheitsstaat zwei Grundtypen gibt, die sich in der räum­ lichen Rechtsetzung wesentlich unterscheiden. Demnach werden im zentra­ lisierten Einheitsstaat die Normen dieser Ordnung mit Geltung für das ge­ samte Rechtsgebiet entweder von einem Organ oder mehreren rechtsinhalt­ lich differenzierten Organen erlassen, wobei hier primär Zentralbehörden und weisungsabhängige Mittel- und Unterbehörden zu nennen sind, während in einem dezentralisierten Einheitsstaat räumlich verschiedene Geltungsge­ biete von Normen bestehen, die von Selbstverwaltungskörperschaften in kontrollierter Eigenverantwortung gesetzt werden.27 Die Vorzüge des Ein­ sation und Dezentralisation grundsätzlich auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 883 ff. 25  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 163; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundbegriffe und Grundlagen des Staatsrechts, Strukturprinzi­ pien der Verfassung, 2. Aufl., München 1984, S. 653; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 255; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grund­ riss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.– 205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 40; vgl. dazu auch P. Unruh (Fn. 2), S. 559 f. 26  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 167 ff. / 182 f. / 193 / 200; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S 255; vgl. auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 140 / 153 f.; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 4), S. 78 f. 27  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 167 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 255; vgl. W.  Eckhardt / L.  Schmidt (Fn. 25), S. 41; K. Doehring (Fn. 3), S. 72. Als Beispiel für einen dezentralisierten Umwelteinheitsstaat kann die Volksrepublik China ange­ führt werden. In diesem Staat begann der institutionelle Umweltschutz im Jahre 1974 mit der Gründung einer Leitungsgruppe für Umweltschutz beim Staatsrat als dem höchsten Regierungsorgan. Bereits davor waren vereinzelte Umweltschutzge­ setze erlassen worden, deren umweltpolitische Bedeutung aber noch gering blieb. Die auf den Umweltschutz ausschließlich programmierte Leitungsgruppe war dabei in die Staatliche Planungskommission bzw. in die Staatliche Baukommission als sog. Organe des Staatsrats auf Ministerialebene (Äußeres Kabinett) eingeordnet und koordinierte den Umweltschutz auf nationaler Ebene, ohne aber über eigene Ver­ waltungsautorität zu verfügen. Nachdem die Leitungsgruppe im Jahre 1982 nun als Umweltschutzbehörde dem Ministerium für Städte- und Landbau unterstellt worden war, was ihre unabhängige Koordinierungskompetenz trotz der Befugnis zur Vor­ gabe etwaiger umweltpolitischer Regulierungen und Leitlinien nicht wesentlich verbessern konnte, wurde die Umweltschutzbehörde im Jahre 1988 in eine eigen­ ständige Behörde umgewandelt, die dem Staatsrat direkt zugeordnet wurde und

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heitsstaates liegen in dem je nach dem Grad der Zentralisation mehr oder weniger einheitlichen Stufenbau der Rechtsordnung, was eine unbürokrati­ damit nun auch Kabinettsstatus besaß. Die jetzt in Nationale Umweltschutzbehörde umbenannte ehemalige Umweltschutzbehörde war damit die erste eigenständige Institution, die den Umweltschutz auf nationaler Ebene leitete. Als Koordinierungs­ stelle der Umweltpolitik gab es ab dem Jahre 1984 im chinesischen Regierungs­ system überdies noch eine Umweltschutzkommission, die ressortübergreifend Kon­ flikte abmildern bzw. für einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen auf der Ebene der nationalen Staatsregierung sorgen sollte. Zwar stand diese Um­ weltschutzkommission an der Spitze der umweltpolitischen Entscheidungsfindung, ihre nur vierteljährlichen Tagungen hoben den Führungsanspruch der Nationalen Umweltschutzbehörde aber nur teilweise auf. Dennoch war Letztere sowohl dem Staatsrat als auch der Umweltschutzkommission berichtspflichtig. Im Jahre 1998 wurde die Nationale Umweltschutzbehörde auf Ministeriumsebene im Zuge einer allgemeinen Regierungsumstrukturierung aufgewertet und in Staatliche Umwelt­ schutzverwaltung umbenannt, in der nun auch bei gleichzeitiger Abschaffung der Umweltschutzkommission deren frühere Kompetenzen konzentriert wurden. Die vormals sonstigen Ministerien bzw. Regierungskommissionen unterfallenden Um­ weltaufgaben wuchsen damit ebenfalls der Staatlichen Umweltschutzverwaltung zu, der gleichsam mehrere Forschungsinstitute zugeordnet waren. Mit dieser innovati­ ven Ausrichtung ging schließlich auch in personeller bzw. budgetrechtlicher Hin­ sicht eine erhebliche Aufwertung einher. Die Umsetzung der Umweltprogramme und -bestimmungen oblag bzw. obliegt indessen den auf lokaler Ebene angesiedel­ ten Umweltschutzbehörden der jeweiligen Provinz-, Stadt-, Kreis-, Gemeinde- oder Dorfregierungen nach entsprechenden politischen Anweisungen seitens der Staatli­ chen Umweltschutzverwaltung, wobei die im Rahmen des chinesischen Einheits­ staats zu beobachtenden Dezentralisierungstendenzen den lokalen Entscheidungsträ­ gern zunehmend Freiräume schaffen. Dennoch sind die Umweltschutzbehörden weiterhin der jeweils übergeordneten Umweltschutzbehörde sowie der jeweiligen Lokalregierung berichtspflichtig („duale Autoritätslinie“). Die Umweltschutzbehör­ den überwachen zudem die vielen in der Volksrepublik China vorhandenen Um­ weltmonitoringstationen. Im Bereich des Nationalen Volkskongresses und damit der Legislative gibt es darüber hinaus eine Umwelt- und Ressourcenschutzkommission, heute als Fachausschuss für Umwelt- und Ressourcen bezeichnet, die den Ständi­ gen Ausschuss des Gesetzgebungsorgans im Rahmen von dessen Überwachungs­ funktion bei der Umsetzung von Umweltschutzgesetzen unterstützt und neue Um­ weltschutzgesetze sowie Verordnungen ausarbeitet. Außerdem agiert diese Umweltund Ressourcenkommission als Kontakt- und Aufnahmestelle im Hinblick auf umweltbezogene Vorschläge von Volkskongressdelegierten. In Anbetracht der er­ heblichen Umweltprobleme, denen sich die Volksrepublik China gegenübersieht, verwundert es nicht, dass sich seit dem Ende des letzten Jahrhunderts auch eine organisierte Umwelt- und Naturschutzgesellschaft herausgebildet hat, die aber über­ wiegend noch unter dem kontrollierten Einfluss des Staates steht, wenngleich sich auch demokratischere Organisationsformen ausmachen lassen, die als Sprachrohr der öffentlichen Meinung agieren und eine nachhaltige Umweltpolitik einfordern. Siehe hierzu nur U. Böhm, Umweltorientiertes Management multinationaler Unter­ nehmen in der VR China, Baden-Baden 2001, S. 148 ff. / 196 ff.; S. Klein, Umwelt­ schutz in China, Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 97 f. / 160 / 167 ff.; Chen Gang, Politics of China’s environmental protection, Hackensack u.  a. 2009, S. 16  ff.; Lei Xie,



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sche Rechtserzeugung und -anwendung indiziert. Zudem kann sich unter einer einheitlichen Staatskuppel28 ein nationales Identitätsbewusstsein besser herausbilden, während im Bundesstaat die ethisch-kulturelle Inhomogenität dieser patriotischen Intention entgegenstehen kann.29 Andererseits werden eine mögliche Anonymisierung der Verwaltung und die große Distanz der Menschen zu den zentralen Organen als Belastung empfunden,30 abgesehen davon, dass zentralisierten Einheitsstaaten eine Tendenz zu Autokratien in­ newohnen kann.31 In der naturstaatlichen Sichtweise verbietet sich ein zu pauschales Urteil über die Eignung einer einheitsstaatlichen Gliederung für einen idealistischen Naturstaat. Die Nachteile der weiten Entscheidungswe­ ge und der anonymen Bürokratie bestehen bei einem naturstaatlichen Ein­ heitsstaat im Besonderen, da für viele staatliche Umwelt- und Naturschutz­ rechtsakte keine regionale Zustimmung zu bekommen sein wird, wenn eine konkrete Betroffenheit der dort ansässigen Menschen nicht vorliegt. Dem­ gegenüber ist zu berücksichtigen, dass sich die Umweltprobleme oft durch eine flächendeckende, globale Dimension auszeichnen, weshalb eine ein­ heitliche Zentralregierung zur Bewältigung besser geeignet sein kann als eine bundesstaatliche Dezentralisationsstruktur aus gliedstaatlichen Teil­ rechtsordnungen, die sich dann in langwierigen Diskursprozessen zu einer Rechtsetzung durchringen müssen. In diesem Sinne ist nur auf den unbe­ streitbaren Umstand verwiesen, dass „Flüsse (…) nicht an Landesgrenzen Environmental activism in China, London u. a. 2009, S. 11 f. / 17 ff.; S. Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, 2. Aufl., Wiesbaden 2004, S. 176 ff.; ders., Chinas neue Regierung: Prioritäten, Programme, Reformsignale, Asia Policy Brief 2013 / 02 (April 2013), Bertelsmann Stiftung, Deutschland und Asien. Brü­ cken Bauen – Fortschritt fördern, S. 3 ff. Das Modell des dezentralisierten Einheits­ staats wird unter demokratietheoretischen Aspekten von Hans Kelsen kritisch gese­ hen; siehe hierzu H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tü­ bingen 1929, S.  71  ff. Die Parallelen der umweltstaatlichen Entwicklung der Volksrepublik China gegenüber der deutschen Naturschutzgeschichte sind insgesamt unübersehbar. Die dezentrale Umweltstaatsstruktur erinnert an die Kommitees im deutschen Konstitutionalismus, der aber durch bundesstaatliche Staatswesen geprägt war. 28  Vgl. O.  Kimminich, Der Bundesstaat (Fn. 4), § 26 Rn. 10 / 22 ff. 29  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 165 / 170 („inhaltliche Differenzierung der Teilordnungen“); F. Koja (Fn. 4), S. 347; R. Herzog (Fn. 3), S. 404 f.; Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S. 241 f. 30  F. Koja (Fn. 4), S. 347; K. Doehring (Fn. 3), S. 72. Siehe insoweit auch die Ausführungen zu den Grenzen einer demokratischen Dezentralisation bei R. Zippelius (Fn. 2), S. 162 f. 31  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 168 („Autokratie“); vgl. C. Frantz, Der Föderalis­ mus als universale Idee, hrsg. v. I. Hartmann, Berlin 1948, S. 343 ff.; C. Friedrich, Trends of federalism in theory and practice, London 1968, S. 30 ff.; O.  Kimminich, Der Bundesstaat (Fn. 4), § 26 Rn. 23.

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(enden)“,32 „die Flüsse (…) keinen Föderalismus kennen“,33 ein Gedanke der sich insbesondere auf die weltordnungsrelevante Klimaproblematik übertragen lässt. Angesichts der existentiellen Dimension der Natur und ihrer in der Grundnorm enthaltenen Funktion als äußerer Erzeugungsregel des positiven Rechts kann sich in einem zentralisierten Einheitsstaat auch ein umweltbezogenes Einheitsbewusstsein einstellen, so dass einer idealis­ tisch-naturstaatlichen Totalrechtsordnung die Wege geöffnet sind.34 Dennoch kann diese Argumentation nur unter dem Vorbehalt der konkreten räumli­ chen Gliederung und der Art und Weise der Erzeugung der Rechtsnormen gelten.35 Denn sind die zentralen Behörden nicht gewillt, sich für den Um­ weltschutz zu arrangieren, läuft die naturstaatliche Ordnung ins Leere und der wirtschaftsstaatlichen Maschinerie wird eine maximale Kapazitätsaus­ lastung befohlen. Die regionalen politischen Minderheiten besitzen in die­ sem Fall nur eine ganz marginale Handhabe und müssen auf einen grund­ legenden Politikwechsel der Zentralregierung hoffen. Dieses aus naturstaat­ licher Sicht erschreckende Szenario ist vor allem in sozialistischen Regimen zu beobachten, die erst allmählich die Bedeutung der ökologischen Heraus­ forderungen erkannt haben.36 Abgesehen davon aber kann ein Einheitsstaat für eine naturstaatliche Systemimmanenz durchaus geeignet sein, wenngleich erst im föderativen Licht des territorialen Gliederungsmodells eines Bundes­ staates ein vergleichendes Resümee erfolgen kann. In einer bundesstaatlichen Ordnung sehen sich die grundsätzlich eine unitarische Grundstruktur aus der Natur der Sache indizierenden natürlichen Lebensgrundlagen einer gliedstaatlichen Dezentralisation gegenüber, die dem Naturstaatsprinzip abträglich scheint. In diesen Kontext eines unge­ schriebenen Gesetzes der Logik passt die von Otto Kimminich geäußerte Einsicht, dass „es beim Bundesstaat nicht um eine naturgesetzliche Notwen­ digkeit gehen (kann), sondern nur um die Konsequenz einer ethischen 32  So A. Merkel, Plenarprotokoll 17 / 248 der 248. Sitzung des Deutschen Bun­ destages vom 25.06.2013, S. 31790. 33  So K. Göring-Eckardt, Plenarprotokoll 17 / 248 der 248. Sitzung des Deut­ schen Bundestages vom 25.06.2013, S. 31798. 34  Vgl. R. Herzog (Fn. 3), S. 404 f. 35  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 167 ff.; K. Doehring (Fn. 3), S. 72. 36  Zu den Nachteilen einer Zentralisation der Staatsgewalt G. Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 205 f. Vgl. grundsätzlich auch R. Herzog (Fn. 3), 218 f. (zum Rätesystem); D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, 2. Aufl., Stuttgart 1995, S. 263 ff. Zum Widerspruch zwischen Sozialismus und Umweltschutz als Grund für eine sich nur allmählich verbessernde Umweltpolitik in sozialistischen Staaten S. Klein (Fn. 27), S. 96. Grundsätzlich zum staatssozialistischen Systemtypus H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 28 ff. / 368 ff.; F. Ermacora II (Fn. 24), S. 808 ff.; G.  Wittkämper / W.  Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 10 f.



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Entscheidung, nämlich des Willens, die vorhandenen Vielgestaltigkeiten nicht einzuebnen, sondern zu bewahren und für das Leben in der Gemein­ schaft fruchtbar zu machen.“37 Mit anderen Worten kann es Gründe für einen bundesstaatlichen Föderalismus38 geben, der die rechtsorganisatori­ sche Abweichung von der natürlichen Einheit des Staatsgebietes rechtferti­ gen kann. Als Bundesstaat wird „eine durch die Verfassung des Gesamtstaa­ tes geformte staatsrechtliche Verbindung von Staaten in der Weise, dass die Teilnehmer Staaten bleiben oder sind (Gliedstaaten), aber auch der organi­ sierte Staatenverband selbst (Gesamtstaat) die Qualität eines Staates besitzt“39, verstanden. Deshalb richten sich die bundesstaatsinternen Be­ ziehungen zwischen dem Gesamtstaat und den Gliedstaaten als auch der Gliedstaaten untereinander obgleich der Staatsqualität auch der Gliedstaaten nicht nach Völkerrecht, sondern nach innerstaatlichen Rechtsnormen, insbe­ sondere dem Staats- und Verfassungsrecht der gesamtstaatlichen Bundesver­ fassung.40 Wie zu zeigen sein wird, sind die Gliedstaaten aber in Wahrheit nicht souverän, sie entbehren des Staatscharakters, da sie nach der Dezent­ ralisationstheorie im Sinne eines normativen Methodenansatzes hierfür eine relativ höchste Ordnung unterhalb der Völkerrechtsordnung darstellen müss­ ten, d. h. sie müssten rechtlich unabgeleitet und nur völkerrechtsunmittelbar sein, was aber naturgemäß nicht der Fall ist.41 Auch bei Bundesstaaten 37  O.  Kimminich,

Der Bundesstaat (Fn. 4), § 26 Rn. 23. hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 193 ff. / 207 ff.; zu dem Begriff des Föderalismus R. Zippelius (Fn. 2), S. 308 ff.; O. Kimminich, Der Bundesstaat (Fn. 4), § 26 Rn. 1 ff. Erläuternd charakterisierte Otto Kimminich den Föderalismus mit den Worten: Im Bundesstaat können sowohl föderalistische wie auch unitarische Ele­ mente vorhanden sein, während der Föderalismus seine Verwirklichung nicht nur im Bundesstaat, sondern auch in anderen zusammengesetzten Staaten finde. Der Föde­ ralismus als der über den staatsrechtlichen Bereich hinausgreifende Oberbegriff er­ mögliche und fördere die Mannigfaltigkeit an Dimensionen, weshalb in ihm die Aufhebung der Spannung zwischen Individualismus und Kollektivismus gesehen werden könne (O.  Kimminich, ebd., § 26 Rn. 1 / 3). 39  K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 664  f.; H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 207; R. Zippelius (Fn. 2), S. 312; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 256 f. / 261; P. Unruh (Fn. 2), S. 559 f.; vgl. auch G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 36), S. 36 ff. / 205 f. im Zusammenhang mit der gestuften Staatsgewalt. 40  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 199 f. / 207 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 257. Für Klaus Stern (K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 645) ist das Kompetenzverteilungssystem das „Herzstück bundesstaatlicher Struktur“. In diesem Sinne auch Hans Kelsen, der zwar einen dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff vertritt, aber dennoch entsprechend der zweigliedrigen Bundesstaatstheorie davon ausgeht, dass es sich bei der bundesstaatlichen Gesamtverfassung, die den Oberstaat und die einzelnen Gliedstaaten überhaupt erst konstituiert und damit die eigentliche Bundesstaatlichkeit herstellt, um eine positivrechtliche Verfassung handeln muss; so H. Kelsen, AS, ebd., S. 199. 41  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 198 ff. / 208 f.; F. Koja (Fn. 4), S. 352. 38  Siehe

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gibt es viele Varianten an konkreten Gestaltungen.42 Insoweit sind vor allem der konföderale Bundesstaat zu nennen, der sich durch eine starke Dezent­ ralisation und nur ganz geringe Kompetenzen des Gesamtstaates auszeich­ net, sowie der unitarisch ausgerichtete Bundesstaatstypus, dem eine starke Tendenz zur Zentralisation und ein fortgeschrittener Uniformitätsstatus der einzelnen Gliedstaaten inhärent ist.43 Damit wird deutlich, dass „der Gegen­ satz zum Bundesstaat nicht (…) der unitarische Staat, sondern der Einheits­ staat (ist). Unitarismus und Föderalismus sind die beiden großen Kräfte, die innerhalb des Bundesstaates wirken und ihm, je nach dem Übergewicht der einen oder der anderen Kraft, ihr Gepräge geben. Keine darf (…) ganz aus ihm verschwinden. Verfällt die unitarische Kraft, so gerät der Bundesstaat in die Gefahr der Desintegration; ist der Föderalismus dagegen nicht mehr lebenskräftig, so wandelt sich der Bundesstaat zum Einheitsstaat.“44 Im Sinne einer normativen Staatslehre ist dies ausschließlich eine Frage des Umfangs der zentralen Kompetenz des Bundes sowie der räumlichen Glie­ derung des Rechtsgebiets. Die mannigfaltigen Formen der Bundesstaaten stehen aber dem Auffinden von Wesensmerkmalen, die jeden Bundesstaat mehr oder weniger auszeichnen, nicht entgegen. Dazu gehört ein regelmä­ ßiges Zwei-Kammer-System, das neben das primäre Gesetzgebungsorgan des Gesamt- und Oberstaates eine aus Organen der Gliedstaaten zusammen­ gesetzte Länderversammlung treten lässt, die den föderativen Interessen im Rahmen der gesamtstaatlichen Gesetzgebung ein repräsentatives Gewicht verleiht.45 Zudem ist ein Bundesstaat durch das Prinzip der Bundestreue bestimmt, das gegenseitige Treue- und Rücksichtnahmepflichten zwischen dem Oberstaat und den Gliedstaaten statuiert.46 Im Deutschen Reich wurde dieser kollaborative Grundsatz im naturstaatlichen Kontext von Albert Hen­ 42  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 163 ff. / 207 ff.; K. Stern, Grundbegriffe und Grund­ lagen (Fn. 25), S. 648; Ph. Mastronardi (Fn. 29), S. 244 ff.; K. Doehring (Fn. 3), S. 70 / 72; vgl. B. Schöbener / M. Knauff (Fn. 2), S. 258; R. Zippelius (Fn. 2), S. 312 f. „Jeder Bundesstaat ist eine Ausformung sui generis, d. h. in Zeit und Raum verhaf­ tet.“ (K. Stern, ebd., S. 648). 43  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 163 ff. / 207 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 257 f.; vgl. auch R. Herzog (Fn. 3), S. 401. 44  O.  Kimminich, Der Bundesstaat (Fn. 4), § 26 Rn. 49; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 657; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 4), S. 78 f.; vgl. auch W.  Eckhardt / L.  Schmidt (Fn. 25), S. 42. Klaus Stern beschreibt den inneren Integra­ tionsprozess mit den folgenden Worten: „Jeder Bundesstaat durchlebt den Kampf zwischen Unitarismus und Föderalismus, zentripetalen und zentrifugalen Kräften. Welche Faktoren die Oberhand gewinnen, hängt entscheidend von der Wirksamkeit der ihn beherrschenden sinngebenden Prinzipien und deren Akzeptanz ab.“ (K. Stern, ebd., S. 657). 45  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 217 f.; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn.  2), S. 152; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 258; Ph. Mastronardi (Fn. 29), S. 241 f.; vgl. auch R. Zippelius (Fn. 2), S. 313.



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sel in der Form einer ökologisch-länderfreundlichen Auslegungsmethodik sichtbar, die die Kompetenz der Reichsländer auf dem Gebiet des Natur­ schutzes absichern sollte.47 Eine Bundesstaatsordnung erscheint infolge ihrer wesensgetreuen Komplexität mit Blick auf die Rechtserzeugung und -an­ wendung als schwerfällig. Überdies werden gegen sie Gefahren für die politische Handlungseinheit und -fähigkeit eines Staates und das Begünsti­ gen von zentrifugalen und antagonistischen Kräften geltend gemacht.48 Andererseits sprechen für einen Bundesstaat mehrere Argumente. Er führt zu einer Konservierung ethischer und kultureller Andersartigkeit, dem Ab­ bau von politischen Spannungen, die sich aus dem traditionsbewussten Ei­ genleben der Gliedstaaten ergeben, zu bürgernahen Problemlösungen, zu einer intensiveren demokratischen Partizipation am staatlichen Rechtserzeu­ gungs- und -anwendungsprozess und so zu mehr Freiheit und Mitbestim­ mung der Staatsbürger, zu einer ökonomischen Übersichtlichkeit und Bere­ chenbarkeit der öffentlichen Leistungen und Ausgaben der jeweiligen Teil­ rechtsordnungen, zu einer Aufwertung von politischen Minderheiten, die sich in einem Gliedstaat bewähren und insoweit ihren Einfluss auf den staatlichen Rechtsschöpfungsvorgang steigern können, sowie zu einem ver­ tikalen Schutz vor gewaltmonistischen Tendenzen.49 Der Bundesstaat kann damit auch eine naturstaatliche Kraftquelle sein, die in einer einheitsstaatli­ chen Gliederung nur ganz marginal zu erkennen ist. Bevor nun ein abschließendes Plädoyer im Sinne eines naturstaatlichen Bundesstaates angebracht wird, sind zunächst noch die integrationsspezifi­ schen Überlegungen von Rudolf Smend zu dem Themenkreis einer bundes­ 46  B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 258; K. Stern, Grundbegriffe und Grundla­ gen (Fn. 25), S. 646; vgl. hierzu auch Ch. Möllers, Bundesgebiet, in: W. Heun (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 251. Dazu bereits Johann Caspar Bluntschli: „Wer den Gesammtstat leitet, musz (…) neben der Einsicht in die Bedürfnisse des nationalen Gesammtlebens eine wohlwollende und schonende Rücksicht nehmen auf die berechtigte Selbständigkeit der Länder, aus denen der Gesammtstat besteht. Wer in einem einzelnen Lande regiert, musz jeder Zeit die Treue gegen den Bund oder das Reich bewähren.“ (J. C. Bluntschli, Lehre vom modernen Stat, Bd. III: Politik als Wissenschaft, 5. Aufl., Stuttgart 1876, S. 402; K. Stern, ebd., S. 646). Hierher gehört auch die Regel Bundesrecht bricht Landes­ recht; dazu H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 220 ff. 47  A. Hensel, Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswirkungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (414 ff.). 48  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 218 f.; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 659; R. Zippelius (Fn. 2), S. 314 ff. 49  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 165 / 168 / 170 / 177 / 208 ff.; K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 647 / 658 f.; F. Koja (Fn. 4), S. 347; O.  Kimminich, Der Bundesstaat (Fn. 4), § 26 Rn. 22 ff.; Ph. Mastronardi (Fn. 29), S. 242 f.; R. Zippelius (Fn. 2), S. 308 ff. / 316 f.; vgl. H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokrati­ schen Staat, Tübingen 1991, S. 298.

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staatlichen Ordnung anzuführen, die für den propagierten Gedanken eines konventionalen Naturstaates wesentliche Relevanz besitzen. Demnach habe eine Bundesstaatstheorie darzutun, warum der Bundesstaat ein sinnvolles politisches System sein könne, wieso daher sinngemäß die Einzelstaaten nicht unvermeidliche Hypotheken auf der als Ideal zu wünschenden konso­ lidierten Einheitsstaatlichkeit des Gesamtstaates, auch nicht lediglich in ih­ rem Ansichsein nützliche Nebeneinrichtungen und Entlastungen des Ganzen seien, sondern gerade eine positive Kraftquelle für das Ganze, in ihrer Selbständigkeit gerade die Stärke des Reiches, und wie eben deshalb zu­ gleich die Einordnung in das Ganze eine positive Wesens- und Lebenserfül­ lung für die eingeordneten Glieder sei.50 „Der Kern liegt darin, dass die Einzelstaaten in einem gesunden Bundesstaat nicht nur Integrationsobjekt, sondern vor allem auch Integrationsmittel sind.“51 „Die Faktoren, vermöge deren der Gesamtstaat sich vor den Einzelstaaten als daseinsberechtigt rechtfertigt, ja sogar sie in seinen Dienst zu stellen vermag, machen seine spezifische Legitimität aus. Die Lehre vom Bundesstaat ist (deshalb) im letzten Grunde die Lehre von seiner Legitimität.“52 Diese Gedanken einer bundesstaatlichen Integration, einer kollaborativen Mischverfassung aus Gesamtstaat und Gliedstaaten, stehen auch in Konformität mit dem staats­ theoretischen Konzept von Hans Kelsen, die sich mittelbar aus dem drei­ gliedrigen Bundesstaatsbegriff des Staatsrechtlers ergeben.53 Für Hans Kel­ 50  R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Ab­ handlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 225. Ausführlich hierzu H. Bauer, Die Bundestreue, Tübingen 1992, S. 56 ff. 51  R. Smend (Fn. 50), S. 225. 52  R. Smend (Fn. 50), S. 226. 53  Die Gedanken einer bundesstaatlichen Integration stehen in Konformität mit der staats- und rechtstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen, die sich aber nur mittelbar aus dem dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs des österreichischen Staats­ rechtslehrers ergeben. Nach der Ansicht von Hans Kelsen gliedert sich ein Bundes­ staat, der sich normativ durch eine Rechtsordnung auszeichnet, die aus Normen mit verschiedenen territorialen Geltungsbereichen besteht, in drei unterscheidbare Be­ standteile, die terminologisch als Gesamtstaat, Oberstaat und Unterstaat bezeichnet werden. Damit wird im Gegensatz zur zweigliedrigen Bundesstaatstheorie noch eine die materiell souveränen Teilordnungen des Oberstaates bzw. der Gliedstaaten über­ ragende Ebene eines Gesamtstaates angenommen, der über eigene Normen und Organe verfügt und die Einheit der Gesamtordnung als eigentlicher Bundesstaat konstituiert, d. h. er delegiert ein Zentralorgan und mehrere Lokalorgane zur Setzung von Normen, „von denen die von dem Zentralorgan gesetzten Normen sich auf bestimmte sachliche Kompetenzen zu beziehen und für das territoriale Gesamtgebiet zu gelten haben, während die von den Lokalorganen gesetzten Normen sich auf alle anderen sachlichen Kompetenzen zu beziehen und nur für territoriale Teilgebiete zu gelten haben.“ Nach der dreigliedrigen Bundesstaatstheorie ist allein der Gesamtstaat in einem formalen Sinne souverän, d. h. in dem überkommenen Verständnis als Staatqualität, Zuhöchst-Sein, Einheit, Einzigkeit und Ganzheit einer souveränen



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat669

sen ist die sich gegenüber der zweigliedrigen Bundesstaatslehre abhebende dritte Ebene eines Gesamtstaates einerseits nicht nur ein additives Produkt Staatsordnung oder -gemeinschaft. Eine Übertragung des materiellen Souveränitäts­ dogmas auf den Staatenbund wird von Hans Kelsen gebilligt, wenngleich dem Staa­ tenbund freilich die formale Souveränität und damit auch die Staatseigenschaft nicht zukommt. Die Gesamtverfassung des (gesamtstaatlichen) Bundesstaates ist positives Recht, kann keineswegs eine rechtslogische Voraussetzung sein. Entscheidend für den von Hans Kelsen vertretenen dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff ist letztlich der Delegationszusammenhang, der von dem Gesamtstaat ausgeht und die sich formal aus den Teilordnungen des Oberstaates bzw. der Gliedsaaten zusammensetzende Gesamtordnung zur Einheit konstituiert. Demnach werden über den Begriff der Ge­ samtverfassung des Bundesstaates die unabhängigen, da in keinem Geltungsverhält­ nis stehenden Teilordnungen des Oberstaates und der Gliedstaaten verbunden, was allein durch eine die politische Einheit symbolisierende Grundnorm als Verfassung im rechtslogischen Sinne nicht zu bewerkstelligen wäre, da sich diese einer kompe­ tenzrechtlichen Determination im Sinne einer bundesstaatlichen Zuständigkeitsver­ teilung entzieht. Gegen den dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff wird vorgebracht, dass er positivrechtlich nicht erfassbar ist. Die Verfassung des Oberstaates ergibt sich nur mittelbar aus der Gesamtverfassung. Zudem ergibt sich eine operative Kopplung zwischen den Organen des Gesamtstaates und den Organen des Oberstaa­ tes. Andererseits gibt es aber konkrete Szenarien im Staat, die sich unter der Prä­ misse der Annahme eines Gesamtstaates besser darstellen lassen. Darunter fällt beispielsweise die völkerrechtliche Repräsentation des gesamten Staatswesens. Ins­ besondere aber gibt es auch einzelne Rechtsvorgänge, die ausschließlich den Rechts­ kreis des Oberstaates betreffen. Dazu gehört etwa die Übertragung einer ausschließ­ lichen oberstaatlichen Gesetzgebungskompetenz, d. h. in der zweigliedrigen Termi­ nologie: des Bundes, auf eine supranationale Einrichtung wie die Europäische Union. Es ist aber vor allem auch zu bedenken, dass es ein konstituierendes Verbin­ dungsglied zwischen Oberstaat und Gliedstaaten geben muss, um den Bundesstaat geltungstheoretisch überhaupt richtig erfassen zu können. Ansonsten hängen einzel­ ne Rechtsakte des Oberstaates doch immer irgendwie in der Luft, wenn sie legisla­ tive bzw. administrative Auswirkungen auf die einzelnen Gliedstaaten haben. Für die dreigliedrige Bundesstaatstheorie von Hans Kelsen spricht aber auch der vereinheit­ lichende Gedanke der bundesstaatlichen Integration, der hier im Sinne eines Dogmas vom naturstaatlichen Bundesstaat verwendet wird. Siehe zum dreigliedrigen Bundes­ staatsbegriff H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 198 ff.; ders., Die Bundesexekution – Ein Beitrag zur Theorie und Praxis des Bundesstaates, unter besonderer Berücksichti­ gung der deutschen Reichs- und der österreichischen Bundesverfassung, Tübingen 1927, S.  128 ff.; F. Koja (Fn. 4), S. 352 ff.; Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfassungs­ recht, 9. Aufl., Wien 2012, S. 120; R. Thienel, Der Bundesstaatsbegriff der Reinen Rechtslehre (Fn. 24), S. 126 ff.; F. Barrios, Die spezielle Labilität der Gemeindeebe­ ne im Bundesstaat, Münster 2003, S. 40 ff.; E. Wiederin, Kelsens Begriffe des Bun­ desstaats, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis, Hans Kelsen  – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 231 ff.; zur im Ergebnis verneinten Integrationskraft des dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs von Hans Kel­ sen in Bezug auf die Europäische Union D. Schindler, Erwiderung zu „Europäische Union: Gefahr oder Chance für den Föderalismus in Deutschland, Österreich und der Schweiz?“, VVDStRL 1994 (53), 102 (104). Einen dreigliedrigen Bundesstaats­ begriff vertritt auch H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 2), S. 153 f. / 159 ff. In der

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aus Oberstaat und Gliedstaaten, sondern vielmehr sogar ein eigener Nor­ menkreis mit entsprechenden Organen, andererseits aber auch der umhüllen­ de Mantel, der den einheitlichen Bundesstaat überhaupt erst normativ über die Delegationstechnik konstituiert und entsprechend der Kelsenschen Teil­ ordnungslehre die oberstaatliche Teilordnung und die gliedstaatlichen Teil­ ordnungen einander gleichberechtigt koordiniert. Darin spiegelt sich ein besonderes Einheitsmoment wider, das die hypothetische Grundnorm allein nicht zu leisten vermag, da die Verteilung der bundesstaatlichen Kompeten­ zen einer positivrechtlichen Delegation bedürfen. Der dreigliedrigen Bun­ desstaatskonzeption liegt ebenfalls ein Effizienzgebot im Sinne wirksam­ keitsbedingter Legitimität zugrunde, was sich aus der Erkenntnis speist, dass sich der Oberstaat genauso anzustrengen hat wie die sonstigen Teilord­ nungen, um eine auf dem Prinzip der gegenseitigen Koordination aufbauen­ de, konstruktiv-sachdienliche Gesamtstaatsordnung zu erhalten.54 In den Literatur

wird der dreigliedrige Bundesstaatsbegriff von Hans Kelsen unter anderem befürwortet von P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 294 ff.; positiv abwägend F. Koja, ebd., S. 351 ff.; E. Wiederin, ebd., S. 240 ff.; ablehnend dagegen U. Scheuner, Struktur und Aufgabe des Bundesstaates in der Gegenwart – Zur Lehre vom Bundesstaat, DÖV 1962, 641 (642 ff.) („kons­ truktives Luftschloss ohne Realitätsgehalt“ (S. 644)); J. Kaiser, Die Erfüllung der völkerrechtlichen Verträge des Bundes durch die Länder. Zum Konkordatsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 1957 / 58 (18), 526 (534 f.) („Gedankengebilde ohne irgendeine Entspre­ chung in der wirklichen Welt“); J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd.  VI: Bundesstaat, 3.  Aufl., Heidelberg 2008, §  126 Rn. 88 ff. / 171; P. Unruh (Fn. 2), S. 564 f. ohne Begründung. Nach der Rechtspre­ chung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 6, 309 (340 / 364); 13, 54 (77 ff.)) liegt nach anfänglichen Zweifeln dem Grundgesetz eine zweigliedrige Bundesstaats­ konzeption zugrunde (so P. Unruh, ebd., S. 565 Fn. 633). Allgemein zu einer nor­ mativen Erklärungsweise des Bundesstaates unter dem vermittelnden Einsatz einer höchsten Ursprungsnorm, einer Grundnorm A. Rathhaus, Der Bundesstaatsbegriff. Eine Darstellung auf Grund der Rechtsphilosophie und Staatsrechtslehre von o. ö. Prof. Hans Kelsen – Wien, Erlangen 1923, S. 4 ff., v. a. S. 44 ff. 54  Zum Ganzen H. Kelsen, Die Bundesexekution (Fn. 53), S. 128 ff. / 166; F. Barrios (Fn. 53), S. 40 f.; vgl. auch E. Wiederin (Fn. 53), S. 242 f.; P. Pernthaler, Der österreichische Bundesstaat im Spannungsfeld von Föderalismus und formalem Rechtspositivismus, ÖZöR 1969 (19), 361 (362); Th. Öhlinger, Der Bundesstaat zwischen Reiner Rechtslehre und Verfassungsrealität, Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung, Wien 1977, S. 10 f.; S. Langer, Unitarismus und Föde­ ralismus im künftigen Europa – Zur Bedeutung zweier Intergrationsprinzipien für die Organisationsentwicklung der Europäischen Gemeinschaften, DÖV 1991, 823 (825). Das Verständnis wird durch die folgende Zitatstelle gestärkt: „Es zeigt sich nämlich sofort, dass der die Bundesexekution bedingende Unrechtstatbestand nur eine Verletzung der Gesamtverfassung sein kann, weil nur diese Gesamtverfassung den Gliedstaaten als solchen Pflichten auferlegen kann, nicht aber der sog. Ober­ staat, der diesen Gliedstaaten als solchen gegenüber koordiniert ist.“ (H. Kelsen,



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat671

Worten von Hans Kelsen bedeutet dies: „Löst man die Staatspersonifikation auf und erkennt man den Staat als Rechtsordnung oder deren Personifikati­ on, dann stellt sich Bundesstaat (…) als dezentralisierte Rechtsordnung dar; so zwar, dass auf Grund einer die Kompetenzen, d. i. den sachlichen Gel­ tungsbereich aufteilenden Gesamtverfassung und von ihr delegiert, zwei Arten von Teilordnungen in Geltung stehen: eine Teilordnung mit räumli­ cher Geltung für das Gesamtgebiet (Teilordnung, weil nur für einen sachli­ chen Teilbereich kompetent); und mehrere Teilordnungen mit räumlicher Geltung nur für Teilgebiete. Die erstere Teilordnung ist der sog. ‚Oberstaat‘ (…); die anderen sind die Glied- oder Einzelstaaten. Die Untersuchung der Beziehung zwischen diesen Normenkreisen ergibt, dass zwischen dem (…) sog. ‚Oberstaat‘ und den Einzel- oder Gliedstaaten keinerlei Über- und Unterordnungs- (weil kein Delegations-)Verhältnis, sondern im Gegenteil ein Verhältnis der Koordination besteht. (…) Diese Gesamtverfassung kon­ stituiert zusammen mit den von ihr delegierten Teilordnungen, die ihrerseits die Teilgemeinschaften (…) des fälschlich sog. ‚Oberstaates‘ sowie der ‚Gliedstaaten‘ konstituieren, die Gesamtgemeinschaft, die man (…) nur im Falle des Bundesstaates einen ‚Staat‘ nennt.“55 Der bundesstaatliche Ge­ samtstaat erscheint sonach als eine überragende Staatskuppel, als ein kons­ tituierendes Moment eines Uhrwerks, das mit dem Oberstaat und den Gliedstaaten zwar aus autonomen Rädchen besteht, die aber unter dem in­ neren Postulat einer harmonischen Gesamtverfassung aufeinander bezogen sind und sich gegenseitig beleben, ergänzen und begrenzen, womit die einzelnen Rädchen zu einer Synthese eines gesamtstaatlichen Bundesstaates integrierend ineinander greifen. Stefan Langer hat diesen überföderalisti­ schen Geist56 als Lösung des Grundproblems, um die es Hans Kelsen bei der Lehre eines dreigliedrigen Bundesstaatsbegriffs ging, wie folgt beschrie­ ben: demnach ging es dem Begründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule um „den schonenden Ausgleich, die Konkordanz und Balance zwi­ schen der zentralisierten und den partikularen Teilordnungen, zwischen der nationalen und den landesterritorialen Identitäten; aber eben gleichzeitig Die Bundesexekution, ebd., S. 136; Hervorhebungen im Original). An anderem Ort betont Hans Kelsen im Zusammenhang mit einer notwendigen verfassungsgericht­ lichen Kontrolle von Streitigkeiten zwischen Ober- und Gliedstaaten: „Erst dann wäre auch verfassungstechnisch jene Parität von Gliedstaat und Bund gegenüber der Gesamtverfassung gewährleistet, die dem tiefsten Wesen des Bundesstaates entspricht.“ (H. Kelsen, Die Bundesexekution, ebd., S. 166; Hervorhebungen im Original). 55  H. Kelsen, Die Bundesexekution (Fn. 53), S. 130 f. (Hervorhebungen im Ori­ ginal). 56  So P. Pernthaler, Der österreichische Bundesstaat (Fn. 54), ÖZöR 1969 (19), 361 (362); Th. Öhlinger, Der Bundesstaat zwischen Reiner Rechtslehre und Verfas­ sungsrealität (Fn. 54), S. 7 / 10 f.; E. Wiederin (Fn. 53), S. 243.

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auch deren sichtbares Zusammenfügen zu und in einer übergreifenden Einheit.“57 Aufgrund der durch die äußere Grundnorm vermittelten Anbindung des Staates als Rechtsordnung an das räumliche Segment, kommt dem Bundes­ staat grundsätzlich eine natürliche unitarische Tendenz zu. Der Bundesstaat ist ein Fall der Dezentralisation, indem die Teilordnungen des Oberstaates und der einzelnen Gliedstaaten in sich je unterschiedliche Geltungsbereiche und sachliche Kompetenzen des Zentralorgans bzw. der Lokalorgane vereini­ gen, wobei die Teilordnungen von einer Gesamtverfassung zu einem Bundes­ staat konstituierend delegiert werden. Durch die äußere Hypotaxe als Ein­ heitsnorm ist der Gesamtstaat dabei von vornherein geltungstheoretisch auf eine Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen ausgerichtet, um die Rechtsordnung als dauernde Friedensordnung weiterhin abzusichern.58 „Bei der Aufteilung der Kompetenzen zwischen dem Bund und den Gliedern muss sich der Kreis der Gesetzgebung mit dem der Vollziehung nicht decken. Der Bund muss (…) nicht überall dort, wo ihm die Gesetzgebung zusteht, auch die Vollziehung haben. Es ist möglich, dass die Vollziehung von Bundesge­ setzen in die Kompetenz der Glieder fällt, oder auch umgekehrt, dass der Bund zur Vollziehung kompetent ist, wo die Gesetzgebung den Gliedern zu­ steht, der Bund somit Gesetze der (…) Gliedstaaten zu vollziehen hat“, wo­ bei die Einheit des Gebietes trotz der autonomen Rechtskreise der Teilrechts­ ordnungen, die aber über die positive Gesamtverfassung ineinandergreifen, durch die vorausgesetzte äußere Grundnorm konstituiert wird.59 Der Grundsatz des ökologisch-länderfreundlichen Verhaltens, der den Oberstaat bzw. die Gliedstaaten zu einer besonderen gegenseitigen Rücksichtnahme an­ 57  S. Langer (Fn. 54), DÖV 1991, 823 (825); J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz (Fn. 53), § 126 Rn. 88 f. Im Ergebnis hat Hans Kelsen mit seinem dreigliedrigen Bundesstaatsbegriff im Hinblick auf die Dogmatik des Bundesstaates einen bedeutenden Beitrag geleistet, indem er die Kernfrage, ob die Beziehungen zwischen Bund und Ländern subordinations- oder koordinationsrecht­ lich zu verstehen sind, d. h. ob im Rahmen des staatsrechtlichen Koordinatensystems eine vertikale (Hierarchie) oder horizontale (Bündnis) Achsendistribution vorherrscht, einer versöhnenden Synthese zuführte; vgl. in diesem Sinne auch J. Isensee, Idee und Gestalt des Föderalismus im Grundgesetz, ebd., § 126 Rn. 88 f., der auf S. 53 Fn. 245 der Gesamtverfassung schließlich die Grundnormfunktion zuweist. Dies kann nicht richtig sein, da die Grundnorm keine positivrechtliche Norm ist, die Gesamtverfassung aber schon. Die Grundnorm gibt nur den Geltungsgrund des Rechtsnormensystems an, die Gesamtverfassung konstituiert dagegen den Bundes­ staat. 58  Vgl. H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 24), S. 22; A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic /  H. Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1813. 59  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 165 / 209 (Zitat).



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat673

mahnt, ist in rechtsinhaltlicher Hinsicht lediglich eine besondere Ausformung des bundesstaatlichen Naturstaatsprinzips, das im Rahmen der Kompetenz­ ordnung der positiven Gesamtstaatsverfassung zu einer arbeitsteiligen ­Sacheffizienz anhält. Unabhängig davon hat eine bundesstaatliche Dezentra­ lisation Vorzüge, die sich in einer besonderen inhaltlichen Differenzierung der Rechtsordnung zeigen können. „Geographische, nationale, religiöse Un­ terschiede innerhalb des rechtlich zu regulierenden Materials heischen Be­ rücksichtigung durch eine territoriale Gliederung der Rechtsgemeinschaft; und das umso mehr, je größeren Umfang das Rechtsgebiet hat und je größere Differenzierungsmöglichkeit innerhalb der zu normierenden Lebensverhält­ nisse besteht.“60 Folglich führt die rechtsinhaltliche Differenzierung zu der Konservierung einer ethischen und kulturellen Vielfalt in den einzelnen Län­ dern, was vor dem ideellen Hintergrund, dass ein Naturstaat in einem weite­ ren Sinne immer auch Heimatstaat ist, zu einer besonderen Mobilisierung hinsichtlich ökologischer Rechtsakte führen kann. Insbesondere werden aber durch die territoriale Dezentralisation die besonderen landschaftlichen Eigen­ arten und auch die damit zusammenhängenden Schutzaufgaben den für die Handhabe dieser Umwelt- und Naturschutzprobleme in den Lokalordnungen zuständigen Organen überlassen, was zu einer sachnäheren und effizienteren Bewältigung in den Formen des Rechts beitragen kann. Die dadurch beding­ te, auf mehrere Geltungsbereiche von Normen verteilte administrative Rechtsschöpfung führt zu einer bürgernahen Verwaltung, sowie über mögli­ che rechtliche Mittel der Selbstorganisation zu einer grundsätzlich verbesser­ ten Mitwirkungsweise des Volkes, das sich mit regionalen Umweltrechtsma­ terien besser identifizieren kann. Nicht zu unterschätzen ist zudem der Faktor der bewährenden Etablierung einer politisch ökologischen Minderheit in ei­ nem Gliedstaat, was nicht nur in dem Land zu einer effizienteren Umweltteil­ rechtsordnung führen wird, sondern auch auf der Bundesebene – sei es durch das konstitutionell vorgesehene Ländervertretungsorgan, sei es durch beson­ dere ökologische Erfolge der politischen Minderheit  ‒ Überhand nehmen kann, was die naturstaatliche Rechtsstruktur der staatlichen Gesamtordnung verstärken wird. Es ist eine delegierte Anordnung durch die Gesamtverfas­ sung, die den überföderalistischen Geist im Sinne einer rechtlichen Koordi­ nation der Teilordnungen des Oberstaates und der Gliedstaaten zur Geltung bringt. Und weil sich die Legitimität eines Bundesstaates nicht nur funktio­ nell, sondern auch durch sachliche Momente begründet,61 bleibt bei aller Rechtstechnik der durch die äußere Grundnorm vermittelte Einheitspunkt der 60  H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 165. Im Ergebnis spricht sich auch Michael Kloep­fer (M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Ber­ lin u. a. 1989, S. 54) angesichts der besonderen Integrationskraft eines naturstaat­ lichen Bundesstaates für einen derartigen Föderalismus aus. 61  R. Smend (Fn. 50), S. 226 f.; vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 165.

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positiven Rechtsetzung das akzentuierende Ausgangs- und Erzeugungsmo­ ment der positiven Rechtsschöpfung, das sich über der bundesstaatlichen Ordnung mit universaler Geltung erhebt und die inhaltliche Differenzierung der Normen gliedstaatsübergreifend steuert. III. Der Ausbau des kooperativen Föderalismus im Sinne eines konventionalen Naturdirigismus Als dogmatischer Vater des an einer gegenseitigen Rücksichtnahme aus­ gerichteten Gedankens eines naturstaatlichen Bundesstaates ist der Staats­ rechtslehrer Albert Hensel anzusehen, dessen materielle Korrekturtheorie im Sinne einer ökologisch-länderfreundlichen Auslegung eine staatsrechtliche Errungenschaft integrativer Verfassungsinterpretation darstellt.62 Mit dieser verfassungsdogmatischen Krönung ist der Appell für die Binnenstruktur eines naturstaatlichen Bundesstaates hinreichend skizziert. Es ist eine inten­ sivierte föderative Kooperation von Oberstaat und Gliedstaaten im Sinne des Konventionalprinzips geboten, das unter anderem zu einer Ausweitung des föderalistischen Konglomerats anhält. Diese innovative Gesinnung ist in der anberaumten Sondersitzung des Deutschen Bundestages vom 25.06.2013 zu der Hochwasserkatastrophe in der Bundesrepublik Deutschland im Juni 2013 zum Ausdruck gekommen, wenn etwa die Rede war von einer nun­ mehr erkennbaren Bewährung des „für genau solche Katastrophen eingerichtete(n) Gemeinsame(n) Melde- und Lagezentrum(s) von Bund und Ländern“, einer „abgestimmte(n) Strategie“ zwischen Bund und Ländern bezüglich des vorbeugenden Hochwasserschutzes, der „gemeinsamen Ver­ antwortung angesichts dieser nationalen Aufgabe“63, oder aber von einem „nationalen Pakt für den Hochwasserschutz“64. Diese auf die Einheit des Staatsgebiets abstellenden Äußerungen wurden schließlich in naturstaatsthe­ oretischer Manier um eine konzeptionelle Verallgemeinerung ergänzt, indem nicht nur auf den bereits an anderer Stelle zitierten Umstand hingewiesen wurde, wonach die Flüsse keinen Föderalismus kennen, sondern auch auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen Klima- und Hochwasserschutz, weil es angesichts der Erderwärmung nachweisbar zu mehr extremen Regenfällen und Hitzewellen komme.65 Demnach ist eine Anpassung der ­ 62  A. Hensel

(Fn. 47), AöR 1928 (53), 321 (414 ff.). A. Merkel, Plenarprotokoll 17 / 248 der 248. Sitzung des Deutschen Bun­ destages vom 25.06.2013, S. 31788 ff. 64  So M. Dreyer, Plenarprotokoll 17 / 248 der 248. Sitzung des Deutschen Bun­ destages vom 25.06.2013, S. 31791. 65  So K. Göring-Eckardt, Plenarprotokoll 17 / 248 der 248. Sitzung des Deut­ schen Bundestages vom 25.06.2013, S. 31798 f. 63  So



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat675

bundesstaatlichen Rechtsordnung mit Blick auf die ökologische Herausfor­ derung notwendig, da sich die natürlichen Lebensgrundlagen auf das gesam­ te Staatsgebiet erstrecken und der pouvoir naturel den modernen Staat als unberechenbare Größe stets latent dirigiert. Der entscheidende Ansatzpunkt für die Umwandlung eines Bundesstaates im Sinne des konventionalen Weltprinzips der Naturstaatlichkeit ist dabei die elementare Ratio eines auch weiterhin leistungsstarken Schutzes der Menschen, um den Staat als Frie­ densordnung absichern zu können.66 Zu diesem Zweck ist eine Ausweitung der Elemente eines kooperativen Föderalismus angezeigt, um das Bedürfnis nach einer Erzeugung von effizienten Umweltrechtsnormen zu befriedigen und eine naturstaatliche Rechtsordnung nachhaltig zu garantieren, ohne dass dies aber eine zu zentralisierte territoriale Gliederung im Sinne eines Ein­ heitsstaates zur Folge haben muss.67 Dem auf das hypothetische Erzeu­ gungsmoment der Grundnorm in ihrem äußeren Sinn verpflichteten, natur­ staatlichen Bundesstaat liegt deshalb im Sinne der konventionalen Befehls­ gewalt eine gesamt-, ober- und gliedstaatliche Aufteilung zugrunde, wobei sich in die Gesamtrechtsgemeinschaft obgleich der Autonomie der Teilord­ nungen der Gliedstaaten zwecks der koordinierten Ausnutzung der durch die Gesamtverfassung als positiver Norm aufgestellten Kompetenzordnung Zwischenstufen einschieben, die sich im Rahmen der dezentralisierten Bun­ desstaatsordnung halten und den kooperativen und solidarischen Aspekt ei­ ner solchen territorialen Gliederung angemessen zur Geltung bringen.68 In diesem Kontext kann auf ein Zitat von Klaus Stern hinsichtlich der Bedeu­ tung eines kooperativen Föderalismus für den modernen Staat als Rechts­ ordnung Bezug genommen werden: „Gemeinsame Einrichtungen, die Selbstkoordinierung durch Musterentwürfe, Verträge, treuhänderische Be­ trauung, richtungweisende Empfehlungen in Ministerkonferenzen und Ar­ 66  Vgl. zu den Voraussetzungen einer sozialen Ordnung als Friedensordnung H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 24), S. 22 f.; ders., Die philosophi­ schen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 65; ders., Value Judgments in the science of law, Journal of social philos­ ophy and jurisprudence 1942, 312 (326 f.); A. Verdross, Zum Problem der völker­ rechtlichen Grundnorm (Fn. 58), S. 1813; ders., Die Rechtstheorie Hans Kelsens, Juristische Blätter 1930 (20), 421 (423); W. Kewenig, Kooperativer Föderalismus und bundesstaatliche Ordnung, AöR 1968 (93), 433 (439 ff. / 481). 67  Vgl. K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 756; W. Kewenig (Fn. 66), S. 439 ff. / 481; M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 48; ders., Umweltstaat (Fn. 60), S. 54. 68  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 124 („Zwischenstufen“). Zur Kooperation die Bundesstaatstheorien bei Ph. Mastronardi (Fn. 29), S. 263 ff. / 270 ff.; H. Bauer, Bun­ desstaatstheorie und Grundgesetz, in: A.  Blankenagel / I.  Pernice / H.  Schulze-Fielitz (Hrsg.), Verfassung im Diskurs der Welt, Liber Amicorum für Peter Häberle, Tübin­ gen 2004, S. 645 ff.

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beitskreisen; diese Formen von Kooperation und Koordinierung sind heute unentbehrlich.“69 Der Begriff des kooperativen Föderalismus ist der grammatikalische Be­ leg eines Pleonasmus, da sich in beiden Worten ein kollaboratives Element widerspiegelt.70 Mit dieser symbiotischen Formel werden semantisch die Fälle kooperativer Koordination zwischen dem Bund und den Ländern und den Ländern untereinander erfasst, wobei diese Form der Kooperation dog­ matisch von der direktiven Koordination im Bereich einer ausschließlich dem Bund zustehenden Kompetenz zu unterscheiden ist.71 Letztere ist durch eine bestimmte direktive Koordinierungsstelle wie etwa in der Bundesrepu­ blik Deutschland dem Bundesrat, der Bundesregierung im Bereich des Vollzugs der Bundesgesetze in eigener Verantwortung durch die Länder sowie den obersten Bundesbehörden im Rahmen der Bundesauftragsverwal­ tung gekennzeichnet, die aber immer dann ausscheiden muss, wenn die Kompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern verteilt sind; entgegen verbreiteter Auffassung kommt eine direktive Koordination im Bereich einer ausschließlichen Landeskompetenz theoretisch dagegen in Betracht, weil der Ober- und die Gliedstaaten autonome Teilrechtsordnungen des Gesamt­ staates sind und deshalb eine Zwischenstufe über den Teilrechtsordnungen der Gliedstaaten möglich ist.72 In den kooperativen Direktivbereich gehören schließlich auch verfassungsrechtlich vorgesehene Anhörungsrechte der Länder, die eine Mitwirkung der Gliedstaaten absichern,73 was etwa für den Abschluss eines völkerrechtlichen Weltklimavertrages durch den Bund in Betracht kommen kann. Ein naturstaatlicher Bundesstaat, der dem aus der 69  K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 759; hierzu auch Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfassungsrecht (Fn. 53), S. 156 zu dem Stichwort des koope­ rativen Föderalismus: „die in jedem Bundesstaat notwendige Zusammenarbeit und wechselseitige Rücksichtnahme“. Andererseits gilt (aber) auch: „Kooperativer Föde­ ralismus und Wettbewerbsföderalismus sind kein Widerspruch, sondern ergänzen sich gegenseitig.“ (S. Flath, Zustand und Perspektive des deutschen Föderalismus aus Sicht der Praxis, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltföderalismus, Berlin 2002, S. 28). 70  P. Pernthaler, AS (Fn. 53), S. 303. 71  W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VI: Bundesstaat, 3. Aufl., Heidelberg 2008, § 141 Rn. 21 / 24; F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäischen Umweltrecht, Berlin 2005, S. 132. 72  Vgl. zu Letzterem H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 124 / 199 f. Zur Gegenansicht W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 21. Rechtshistorisch zur Umweltkompetenzverteilung des Grundgesetzes (Föderalismusreform) F.-J. Peine, Probleme der Umweltschutzgesetzgebung im Bundesstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltföderalismus, Berlin 2002, S. 109 ff. 73  W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 22 f.



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat677

äußeren Grundnorm abgeleiteten formalen Naturbeachtensbefehl verpflichtet ist, ist abgesehen von den konstitutionell ausdrücklich vorgesehenen koope­ rativen Föderalismusformen74 insbesondere aber auch unterhalb der verfas­ sungsrechtlichen Ebene auf eine gegenseitige Zusammenarbeit angewiesen.75 Dies bedeutet freilich nicht, dass die Gesamtstaatsordnung im Rahmen dieses kooperativen Rechtsbereichs nicht eingehalten werden muss bzw. nur eingeschränkt zur Anwendung kommt. Die gesamtstaatliche Ordnung bildet vielmehr die nicht zu überschreitende Grenze, weshalb sich das aus einer Kooperation ergebende intraföderative Recht genauso wie die sonstigen kollaborativen Handlungsformen im Sinne eines kooperativen Föderalismus nicht nur an der Gesamtverfassungsordnung, sondern allgemein an dem gesamten Bundesrecht messen lassen müssen.76 Im Umkehrschluss ergibt sich damit mittelbar der prinzipielle Anwendungsbereich des kooperativen Föderalismus, der sich vornehmlich auf den Bereich bezieht, wo die Kom­ petenzen zwischen Oberstaat und Gliedstaaten aufgeteilt sind bzw. die Materien ausschließlich den Gliedstaaten zustehen. Dennoch bestehen auch Kooperationsformen, wenn eine nur dem Oberstaat oder einem bestimmten Gliedstaat zustehende Kompetenz betroffen ist, was mit Blick auf eine et­ waige, zwar vollkommen unverbindliche, politische Präjudizwirkung nicht zu unterschätzen ist.77 Eine zeitgerechte föderative Ordnung, die den An­ spruch erhebt, die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prob­ leme in den Formen des Rechts angemessen zu bewältigen, darf sich insge­ samt vor dem Hintergrund der Anforderungen eines modernen Industriestaa­ tes nicht auf die einfach gestrickte territoriale Gliederung in Raum des Oberstaates – Raum eines Gliedstaates reduzieren lassen, sondern muss nach der Idee einer res mixta die Delegation der Teilordnungen des Ober­ staates und der Gliedstaaten durch den Gesamtstaat anerkennen und im 74  Als Beispiel sei nur die Verfassungsnorm zur Amtshilfe nach Art. 35 GG genannt, die auch für den naturkatastrophalen Ausnahmefall eine Kooperation aus­ drücklich vorsieht. Siehe hierzu nur W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 25 / 27 ff. Zur Kompetenzverteilung im Bundesstaat grundsätzlich H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 207 ff. 75  Siehe hierzu ausführlich W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 31 ff.; H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl., München 2010, § 10 Rn. 55 ff.; P. Pernthaler, AS (Fn. 53), S. 303 ff. 76  W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 92; H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 75), § 10 Rn. 67; vgl. auch W. Brohm, Verwaltung und Verwal­ tungsgerichtsbarkeit als Steuerungsmechanismen in einem polyzentrischen System der Rechtserzeugung, DÖV 1987, 265 (269). Bundesrecht bricht Landesrecht; hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 220 ff. 77  Vgl. W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 24. Siehe hierzu deshalb auch die kritischen Worte bezüglich des kooperativen Föderalismus bei F. Shirvani (Fn. 71), S. 134.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

Sinne eines kooperativen Föderalismus ausbauen.78 Mit Blick auf die äuße­ re Grundnorm ergibt sich dies aus der Natur der Sache.79 Das Instrumentarium des kooperativen Föderalismus ist mannigfaltig, weshalb eine Verallgemeinerung auch angesichts der improvisatorischen Momente, die sich in den verschiedenen Kollaborationsformen widerspie­ geln, nicht möglich ist.80 Das intraföderative Spektrum bezieht sich auf informelle Verfahren in der Form von Besprechungen, Konferenzen, Aus­ schüssen und Arbeitsgemeinschaften, die sich nicht nur auf die Ministerial­ ebene beschränken, sondern auch unterhalb der obersten Verwaltungsebene teilweise konkrete Kooperationsformen aufweisen, vertragliche Regelungen, die sich in auf Parlamentsvorbehalte beziehende Staatsverträge, sonstige Verwaltungsabkommen und Koordinierungsabsprachen unterteilen lassen, sowie auf mit der Gesamtverfassung vereinbare Kompetenzübertragungen zugunsten der Stelle eines anderen Landes oder eines gemeinsamen eigen­ ständigen Rechtsträgers.81 Dabei sind die Beschlüsse, vertraglichen Rege­ lungen bzw. sonstigen kooperativ getroffenen Entscheidungen von der rechtlichen Qualität stets unterschiedlich, weshalb im Zweifelsfall die Aus­ legung zur Klärung einer etwaigen Verbindlichkeit des konkreten Koopera­ tionsakts herangezogen werden muss, was sich bis zu einem vor einem Verfassungsgericht anhängigen Bund-Länder-Streit entwickeln kann.82 Ein positives Muster für einen konventionalen Naturstaat im Sinne des koope­ rativen Föderalismus bietet schließlich die Bundesrepublik Deutschland. Dort finden jährlich Umweltministerkonferenzen statt, auf denen eine effi­ ziente Koordinierung der jeweils aktuellen umweltpolitischen Belange dis­ kursiv erarbeitet wird, um eine der naturstaatlichen Systemorientierung an­ gemessene Rechtsschöpfung zu ermöglichen. Ob es sich insoweit nun um einen nachhaltigen Naturschutz von ökologisch besonders wertvollen, von der intendierten Schließung von einzelnen Bundeswehrstandorten betroffe­ nen Grünflächen handelt, um eine Bekämpfung des Eichenprozessionsspin­ ners, um die gebotene Novellierung der normkonkretisierenden Verwal­ tungsvorschrift der TA Luft im Hinblick auf eine immissionsschutzrechtliche 78  K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 664  f. Für Klaus Stern ist der kooperative Föderalismus aber keine neue Staatsidee, sondern war im Grund­ gesetz etwa bereits angelegt (K. Stern, ebd., S. 754). 79  Vgl. K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 750  f. Grundsätz­ lich H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 199 f. 80  W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 31; H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 75), § 10 Rn. 57; vgl. auch F. Shirvani (Fn. 71), S. 134. 81  Zusammenfassend W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn.  31 ff.; Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfassungsrecht (Fn. 53), S. 156 ff.; F. Shirvani (Fn. 71), S. 132 ff. 82  H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 75), § 10 Rn. 69.



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat679

Verbesserung von Abluftreinigungsanlagen bei Tierhaltungsbetrieben, um die geplante Emissionsreduzierung im Rahmen der Binnenschifffahrt oder um den sukzessiven Abbau von Arzneimittelrückständen in Gewässern,83 die Umweltdefizite kommen auf die politische Agenda der Umweltminister­ konferenz, um in der Form von entsprechenden Beschlüssen, Erklärungen, Vorschlägen, Empfehlungen oder Bitten an den Bund, gegenüber anderen Ländern oder sonstigen Ministerkonferenzen, auch in Bezug auf eine Koor­ dination in europäischen Angelegenheiten, die Rechtserzeugung und -an­ wendung zu effektuieren.84 Nach der Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 in der Bundesrepublik Deutschland fand letztlich am 02.09.2013 eine Son­ derumweltministerkonferenz statt, auf der die notwendige föderative Koope­ ration hinsichtlich der naturstaatlichen Aufgabe der Zukunft im Besonderen betont wurde: „Die Umweltministerkonferenz sieht in den jüngeren Hoch­ wasserereignissen auch beginnende Auswirkungen des Klimawandels. Nach Auffassung der Umweltministerkonferenz sind (sie) (…) ein weiterer Beleg für die Dringlichkeit eines globalen Klimaschutzvertrages unter Einhaltung der nationalen Klimaschutzstrategie. Das langfristige Ausmaß des Klima­ wandels und damit verbundener Anpassungserfordernisse hängt entschei­ dend davon ab, inwieweit die Treibhausgasemissionen massiv und dauerhaft gesenkt werden können. (…) Die Fortsetzung und Intensivierung der engen Zusammenarbeit der Staaten und Länder in den Flussgebieten ist eine we­ sentliche Voraussetzung für wirksame Gesamtkonzepte.“85 Daneben beste­ hen noch eine Reihe von ministeriell eingeleiteten bzw. sonstigen Arbeits­ gemeinschaften und Ausschüssen, die sich mit der vorbereitenden Analyse und Erörterung von umweltrechtlichen Anliegen auseinandersetzen.86 Die den gesamten Naturstaat durchdringende Koordinationsstruktur der Bundes­ republik Deutschland zeigt sich insbesondere auch an von der Umweltmi­ nisterkonferenz initiierten, regelmäßigen Gesprächen mit den kommunalen Spitzenverbänden bzw. den Umwelt- und Naturschutzverbänden.87 Sichtbar 83  Ergebnisprotokoll der 80. Umweltministerkonferenz am 07.06.2013 in Oberhof, TOP 10, 11, 12, 13, 18. Die Dokumente der Umweltministerkonferenzen sind abruf­ bar unter www.umweltministerkonferenz.de / Dokumente-UMK-Dokumente.html. 84  Siehe hierzu nur das Ergebnisprotokoll der 80. Umweltministerkonferenz am 07.06.2013 in Oberhof, vor allem TOP 6, wo die einzelnen Umweltminister und -senatoren der Länder fordern, dass Maßnahmen des Umwelt- und Naturschutzes in den Programmen der EU-Fonds in der Förderperiode 2014–2020 angemessen zu berücksichtigen seien. 85  Protokoll der Sonderumweltministerkonferenz Hochwasser am 02.09.2013 in Berlin, Ziffer 5. 86  Allgemein hierzu W. Rudolf, Kooperation im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 43 ff. 87  Ergebnisprotokoll der 79. Umweltministerkonferenz am 15. / 16.11.2012 in Kiel, TOP 3; Ergebnisprotokoll der 68. Umweltministerkonferenz am 25.05.2007 in Bad Sassendorf, TOP 2. Zur juristischen Person H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 66 ff.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

wird der kooperative Föderalismus im Sinne einer naturstaatlichen Konven­ tion auch an weiteren Einrichtungen, die der Bundesrepublik Deutschland eine besondere ökologische Sachkompetenz verleihen. In diesem Sinne ist mit dem Sachverständigenrat für Umweltfragen ein wissenschaftliches Gre­ mium verwirklicht worden, das der Bundesregierung beratend zur Seite steht.88 Überdies besteht etwa mit dem Potsdamer Institut für Klimafolgen­ forschung eine vom Bund und den einzelnen Ländern gemeinsam finanzier­ te private Einrichtung, die in der Gestalt einer wissenschaftlichen Kompe­ tenzzentrale als Bindeglied zur umweltpolitischen Strategieebene verstanden werden kann.89 Der kooperative Föderalismus auf dem Gebiet des Umweltund Naturschutzes, der hier nur ansatzweise skizziert werden kann, ist auf eine verstärkte Koordination der Teilrechtsordnungen des Oberstaates und der Gliedstaaten angelegt, die sich zwar im Rahmen der gesamtstaatlichen Ordnung, dennoch aber auf Zwischenstufen der durch die Gesamtverfassung delegierten Teilrechtsordnungen abspielt.90 Ein Ausweg aus diesem Dilem­ ma besteht in der Fixierung von Gemeinschaftsaufgaben in einer geschrie­ benen Verfassung, so dass insoweit dann von einer „positivistischen Berei­ nigung“ gesprochen werden kann.91 Mit der Verfassungsnorm des Art. 91a GG besteht in der Bundesrepublik Deutschland eine derartige konstitutionell 88  Allgemein zu dieser Form des kooperativen Föderalismus W. Rudolf, Koope­ ration im Bundesstaat (Fn. 71), § 141 Rn. 45; vgl. auch R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demo­ kratie in Anfechtung und Bewährung, Berlin 1982, S. 486 ff. Zum Sachverständigen­ rat für Umweltfragen W.  Erbguth / S. Schlacke, Umweltrecht, 5. Aufl., Baden-Baden 2014, § 5 Rn. 8; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S. 165. Vgl. zu derartigen Institutionen auch D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen (Fn. 36), S. 265 f. 89  Siehe hierzu Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Info-Flyer, Stand: 03 / 2011. Vgl. hierzu grundsätzlich auch Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfas­ sungsrecht (Fn. 53), S. 156 ff.; M. Kloepfer, Staatsaufgabe Umweltschutz, in: T. Brandner u. a. (Hrsg.), Michael Kloepfer – Umweltschutz und Recht; Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen, Ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten, Berlin 2000, S. 162 f.; F. Shirvani (Fn. 71), S. 133; I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Rudolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 428. Vgl. zur grundsätzlichen staatlichen Förderungspraxis im Bereich des Umweltschutzes auch M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 93 Rn. 4 ff.; F. Illing, Energiepolitik in Deutschland, Baden-Baden 2012, S. 239 („CO2 als Rohstoff“). 90  Der Staat ist die Rechtsordnung. Vgl. hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 13 ff. / 47 ff. / 124. Zur Gegenansicht insoweit nur H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 75), § 10 Rn. 56 (reale, nicht normierte Verfassungswirklichkeit). 91  K. Stern, Grundbegriffe und Grundlagen (Fn. 25), S. 750 f.; vgl. auch F. Shirvani (Fn. 71), S. 132 f.



§ 19 Bundesstaat und Naturstaat681

vorgesehene Gemeinschaftsaufgabe im naturstaatlichen Bereich im Hinblick auf den Küstenschutz, der auch den länderübergreifenden Hochwasserschutz erfasst.92 Insoweit ist dann auch die ökonomische Frage nach der Finanzie­ rung dieser verfassungsrechtlichen Kooperationsform aufgeworfen, die Art. 91a III GG damit beantwortet, dass der Bund im Falle des Küstenschüt­ zes mindestens die Hälfte der Ausgaben in jedem Land übernimmt.93 Unab­ hängig davon ist aber eine ausgeglichene Finanzverfassung eine der wesent­ lichen Bedingungen eines kooperativen Föderalismus.94 Denn nur im Rah­ men einer gesunden Gesamtstaatsordnung des modernen Staates kann sich ein naturstaatlicher Idealismus einstellen, der mit Blick auf die gliedstaats­ übergreifende Dimension der Umweltprobleme im Besonderen auf eine gegenseitige Zusammenarbeit des Oberstaates und der einzelnen Gliedstaa­ ten angewiesen ist.

92  Die Verfassungsbestimmung des Art. 91a GG lautet: „(1) Der Bund wirkt auf folgenden Gebieten bei der Erfüllung von Aufgaben der Länder mit, wenn diese Aufgaben für die Gesamtheit bedeutsam sind und die Mitwirkung des Bundes zur Verbesserung der Lebensverhältnisse erforderlich ist (Gemeinschaftsaufgaben) (…) Nr. 2 Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes.“ 93  Art. 91a III GG: „(3) Der Bund trägt in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 die Hälfte der Ausgaben in jedem Land. In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 trägt der Bund mindestens die Hälfte.; (…).“ Zu den Gemeinschaftsaufgaben des Grundgeset­ zes A. Kienemund, in: D.  Hömig / K.-H.  Seifert (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 10. Aufl., Baden-Baden 2013, S. 623 ff. 94  Siehe zur bundesstaatlichen Finanzverfassung R. Zippelius (Fn. 2), S. 314 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 2), S. 260; T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staats­ lehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 570 ff. Grundsätzlich hierzu und zum Fiskus H. Kelsen, AS (Fn. 2), S. 215 / 240 ff.

§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat I. Die auf Montesquieu zurückgehende Lehre von der Gewaltenteilung im funktionalen Magnetfeld des naturstaatlichen Weltgeistes In seinem De l’ésprit des lois aus dem Jahre 1748 entwickelte CharlesLouis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu im 6. Kapitel des 11. Buches mit dem Titel „Über die Verfassung Englands“ die klassische Lehre von der Gewaltenteilung, die als überwindende Antwort auf den mo­ narchischen Absolutismus eine strenge Trennung von legislativer, exekutiver und judikativer Gewalt vorsah.1 Die im Winde der aufgeklärten Epoche getätigten Worte von damals besitzen mit ihrem politischen Appellcharakter auch heute noch Geltung: „Sobald in ein und derselben Person oder dersel­ ben Beamtenschaft die legislative Befugnis mit der exekutiven verbunden ist, gibt es keine Freiheit. Es wäre nämlich zu befürchten, dass derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze erließe und dann tyran­ nisch durchführte. Freiheit gibt es auch nicht, wenn die richterliche Befug­ nis nicht von der legislativen und von der exekutiven Befugnis geschieden wird. Die Macht über Leben und Freiheit der Bürger würde unumschränkt sein, wenn jene mit der legislativen Befugnis gekoppelt wäre, denn der Richter wäre Gesetzgeber. Der Richter hätte die Zwangsgewalt eines Unter­ drückers, wenn jene mit der exekutiven Gewalt gekoppelt wäre.“2 Dies 1  Siehe zur klassischen Lehre von der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus nur W. Kägi, Von der klassischen Dreiteilung zur umfassenden Gewaltenteilung (1961), in: H. Rausch (Hrsg.), Zur heutigen Problematik der Gewaltentrennung, Darmstadt 1969, S. 287 ff.; H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl., München 2010, § 12 Rn.  7 ff.; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter – zur Integration der Dritten Gewalt in das verfassungsrechtliche Kontrollsystem vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG, München 1993, S. 34 ff.; H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 45 ff. Allgemein zum Prinzip der Gewaltenteilung die Darstellungen bei H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staats­ rechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 124 ff.; Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S.  280 ff.; G. Küchenhoff / E. Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 187 ff. / 207 ff.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 158 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., Mün­ chen 2010, S. 244 ff. 2  Ch.-L.  de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (im Text: Mon­ tesquieu), Vom Geist der Gesetze, ins Deutsche übersetzt von K. Wiegand, Stuttgart 2011, S.  216 f.



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat683

gipfelte schließlich in dem Ausspruch: „Alles wäre verloren, wenn ein und derselbe Mann beziehungsweise die gleiche Körperschaft entweder der Mächtigsten oder der Adeligen oder des Volkes folgende drei Machtvoll­ kommenheiten ausübte: Gesetze erlassen, öffentliche Beschlüsse in die Tat umsetzen, Verbrechen und private Streitfälle aburteilen.“3 Demnach ist die rechtsstaatliche Lehre von der Gewaltenteilung auf die Unterbindung einer Machtkonzentration in einer Person bzw. einem Staatsorgan und der damit notwendigerweise verbundenen Gefahr eines sich zulasten der persönlichen Freiheit auswirkenden Machtmissbrauchs gerichtet.4 Die Gewaltenteilung führt aber nicht zu einer Teilung der Staatsgewalt, sondern nur zu einer Aufteilung der Ausübung der Staatsgewalt,5 d. h. der sich in der souveränen Rechtsnormenordnung manifestierende Staatswille als der innere Sinn im Staat wird nicht parzelliert, sondern die Ausübung der Staatsgewalt durch souveräne Staatsorgane wird nur funktionell aufgeteilt, was sich in einer organisatorischen Gewaltenteilung in der Form einer positivrechtlichen Auf­ gabenzuweisung widerspiegelt.6 Hans Kelsen drückte dies dadurch aus, dass er auf die durch die transzendentallogische Erkenntnisbedingung der Grund­ norm vermittelte Einheit des staatlichen Rechtsnormensystems abstellte. Denn da der eigentliche Sinn dessen, was man üblicherweise als Staatsgewalt bezeichne, Geltung einer Rechtsordnung und damit implizit die Einheit dieser Geltung, der Gedanke einer Teilung dieser Geltung aber ein Unge­ danke sei, so könne denn auch als Konsequenz aus dem Begriff der Staats­ gewalt deren Einheit und Unteilbarkeit gelehrt werden.7 „Staatsfunktion ist Rechtsfunktion. Die auf sie gerichtete Lehre will das Recht in Funktion, will die spezifische Selbstbewegung des Rechts, das Recht unter dem Ge­ sichtspunkt seiner Dynamik begreifen. Darum ist Staatsfunktion (letztlich) Rechtserzeugungsfunktion: der stufenweise fortschreitende Prozess der Normsetzung. Was die traditionelle Theorie als die drei Gewalten oder Funktionen des Staates hervorhebt, das sind nur durch die positivrechtliche Gestaltung besonders ausgezeichnete oder sonst wie politisch bedeutsame relative Ruhepunkte des Rechtserzeugungsprozesses. (…) (Und) dieser Stu­ 3  Ch.-L.  de

Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu (Fn. 2), S. 217. Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 256; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 189 f.; H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 1), § 12 Rn. 2; E. Gutmann, Die Konstituante nach dem Grundge­ setz für die Bundesrepublik Deutschland, Würzburg 1966, S. 84 ff.; K. Doehring (Fn. 1), S. 159. 5  H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 1), § 12 Rn. 1; R. Zippelius (Fn. 1), S. 250 ff.; G. Küchenhoff / E. Küchenhoff (Fn. 1), S. 189 f.; H. Buß / W. Oetelshoven, Allgemeine Staatslehre und Deutsches Staatsrecht, 11. Aufl., Herford 1957, S. 47 f.; E. Gutmann (Fn. 4), S. 86; K. Doehring (Fn. 1), S. 158. 6  H. Maurer, Staatsrecht I (Fn. 1), § 12 Rn. 1; K. Doehring (Fn. 1), S. 158. 7  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 229. 4  H. Kelsen,

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

fenbau mündet in der die Einheit der Rechtsordnung in ihrer Selbstbewe­ gung begründenden Grundnorm.“8 In dogmatischer Hinsicht wird damit die naturrechtliche Einsicht bestätigt, dass es sich bei der die natürlichen Le­ bensgrundlagen mit erfassenden, äußeren Dimension der Grundnorm um ein Teilprodukt der politischen Einheit einer Staatsordnung handelt, ohne die eine geltende Rechtsnormenordnung nicht angenommen werden kann. Der sich in der rechtlichen Souveränität des Staates ausdrückende innere Sinn steht daher unter dem Mäßigungsgebot des äußeren Sinns, der naturrecht­ lich – zukünftig womöglich auch völkergewohnheitsrechtlich ‒ indiziert die funktionale bzw. organisatorische Gewaltenteilung des Staates aber grund­ sätzlich unberührt lässt. Anders wäre dies nur, wenn eine besondere ökolo­ gische Institution als natürliche Gewalt in den Staatsaufbau integriert werden würde.9 Die Ansicht von Hans Kelsen im Hinblick auf eine dynamische Selbstbewegung des Rechts ist nicht zu beanstanden. Inwieweit aber kann die äußere Grundnorm nun als delegierende Rechtserzeugungshypotaxe in den rechtlichen Normenkomplex, in das einheitliche System allen Rechts, einbezogen werden, so dass sich in der einzelstaatlichen Rechtsordnung eine immanente naturstaatliche Geltungsstruktur einstellt? Angesichts des Umstandes, dass sich das äußere Sinnmoment gleich einer durchlässigen Membran über den einzelstaatlichen Stufenbau legt, ist ein vollständiges Erfassen dieser eine natürliche Geltung indizierenden Delegationsbedingung nur im Rahmen eines substantiellen Staatsverständnisses möglich, was von Hans Kelsen aber als typische Erschleichung eines durch die grundsätzliche Aufteilung in mehrere Gewalten oder Funktionen in sich widersprüchlichen Einheitsprinzips kritisiert wird.10 Durch die ergänzende Einsetzung einer Rechtsquelle, einer Autorität, so wie es bei der äußeren Grundnorm ge­ schieht, indem die Natur und damit eine sekundäre Befehlsgewalt stets im Rahmen der Normerzeugung und -anwendung zu beachten ist, wird eine konventionale Vorbedingung der Rechtsgeltung installiert.11 „In die Form des vollendeten Rechtssatzes (in Bezug auf den inneren Stufenbau) gebracht: Unter der Voraussetzung, dass es der Monarch als Gesetz anordnet, soll, wenn jemand stiehlt, der Richter ihn strafen. Wird ohne diese Voraussetzung bestraft, so ist der Akt nichtig, Nicht-Rechtsakt.12 Analog ist dieser Gedan­ ke auf das äußere Sinnmoment übertragbar, wenngleich hier differenzierter vorgegangen werden muss. Denn die Rechtserzeugung betreffenden Bestim­ mungen statuieren kein rechtliches Sollen, sondern ein rechtliches Können. 8  H. Kelsen,

AS (Fn. 4), S. 248 f. wird im Kapitel „Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung“, 2. Teil, § 23 zurückzukommen sein. 10  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 229. 11  Siehe hierzu bereits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 2. Teil, § 17 IV. 12  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 125. 9  Darauf



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat685

Es sind Tatbestände, ohne die Rechtsakte nicht entstehen können. Auf ihr Nichteintreten wird mit Nichtigkeit, nicht mit Zwangsakt reagiert, wenn­ gleich diese Tatbestände überdies zum Inhalt von positiven Organpflichten gemacht werden können, das Setzen von fehlerhaften Rechtsakten oder das Nicht-Setzen von durch die Rechtsordnung geforderten Rechtsakten unter Strafe gestellt werden kann.13 Wie aber bereits in anderem Zusammenhang gezeigt, handelt es sich bei dem Verhältnis von Staat und Natur um ein staatenbündisches Analogon, bei dem eine direkte Durchgriffswirkung auf das Recht eines Staates nicht ausgeschlossen ist.14 Den Hintergrund dieser Konstruktion bildet die Anerkennung dieses äußeren Rechtserzeugungssat­ zes selbst als eine objektive, von dem Willen des Einzelstaates unabhängige Norm, womit die weltstaatliche Vorstellung einer Koordination verbunden ist,15 wenngleich das äußere Sinnmoment als konventionales Denkgesetz nur nachgiebig interpretiert werden kann. Den Ausgangspunkt dieser gesam­ ten Dogmatik bildet der Primat der Völkerrechtsordnung, die Vorstellung einer Weltstaatsgemeinschaft zwischen Staat und Natur. Dass es sich bei der äußeren hypothetischen Grundnorm dabei lediglich um eine einzige gene­ relle Norm ohne eigenen äußeren Stufenbau handelt, ist als „theoretischer Grenzfall“ anzusehen, der aber rechtstheoretisch zulässig ist.16 Zudem ent­ hält die Grundnorm in ihrem äußeren Sinn keine Ermächtigung, sondern die Einsetzung einer akzentuierenden Autorität. In den anerkannten Stufenbau der positiven Rechtsordnung aus generalisierenden und konkretisierenden Normen, in dessen Rahmen sich die Rechtsfunktionen Gesetzgebung, Ver­ waltung und Rechtsprechung in gegenseitiger Rechtsetzung und Rechtsan­ wendung wiederfinden,17 mischt sich damit nun – im Falle ihrer hypotheti­ 13  H. Kelsen,

AS (Fn. 4), S. 125. AS (Fn. 4), S. 125 / 209 ff. Siehe zum Verhältnis von Staat und Natur als staatenbündisches Analogon bereits oben im Rahmen dieser Naturstaats­ lehre 2. Teil, § 19 I. 15  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 124. 16  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 233. Zum idealistischen Identitäts- und Einheitscha­ rakter der Grundnorm H. Kelsen, Naturrecht und positives Recht, in: H. Klecats­ ky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. I, Wien 2010, S. 177; ders., AS, ebd., S. 250 f. 17  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 231 ff.; vgl. H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziolo­ gie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 83 f. „Und darum ist der Akt der Rechtsprechung ebenso Rechtsetzung, Rechtsschöpfung, Rechtserzeugung wie der Akt der Gesetzgebung, und beide nur zwei Stufen des Rechtserzeugungsprozesses. Dessen Einheit ergibt sich aus der notwendigen Unter­ ordnung der niederen unter die höhere Stufe, indem die Norm der höheren, d. i. die generelle, abstrakte Norm, die Norm der niederen Stufe, die individuellere, konkre­ tere Norm mehr oder weniger inhaltlich bestimmt. Der ganze Rechtserzeugungspro­ zess erscheint als eine Abfolge stufenweise zunehmender Individualisierung und Konkretisierung des Rechts. (…) Nach dem bisher Dargelegten versteht es sich von 14  H. Kelsen,

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

schen Voraussetzung – eine unterschwellig stets vorhandene äußere Delega­ tion, die die Rechtsordnung erkenntnislogisch um die natürlichen Lebens­ grundlagen, den pouvoir naturel, vervollständigt. Das natürliche Staatsgebiet erscheint so als völkerrechtliche Norm,18 die dem Stufenbau der Rechtsord­ nung die Natur als akzentuierende Rechtsgröße im Sinne einer positiven Anregung, aber auch negativ als ökologische Hemmungen und Begrenzun­ gen auferlegender Mahnfaktor zuordnet.19 Die klassische Gewaltenteilung selbst, dass auch die als Verwaltung bezeichnete Funktion des Staates nur als Indi­ vidualisierung oder Konkretisierung von Gesetzen begriffen werden und dass ein Wesensunterschied zwischen ihr und der sogenannten Rechtsprechung im Verhältnis zur Gesetzgebung oder auch eine Wesensdifferenz zu dieser nicht zugegeben werden kann.“ (H. Kelsen, AS, ebd., S. 233 f. / 236; Hervorhebungen im Original). 18  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 378. 19  Darin zeigt sich der Gedanke, dass die klassischen Gewalten nicht nur ge­ trennt zu betrachten sind, sondern als gegenseitig zugeordnete Funktionen. Siehe hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 255 ff.; ders., General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 272 („Not separation but distribution of powers“); R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und an­ dere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 205 ff. Rechtsphilosophisch sind insoweit insbesondere Montesquieu und Georg Wilhelm Friedrich Hegel von Bedeutung. Hildegard Trescher fasst diesbezüglich zusammen: Daraus ergibt sich, dass während Montesquieu die Staatsgewalt funktionell und auch institutionell in drei Gewalten zerlegte, „die nur durch eine gegenseitige Hemmung aneinander Anteil haben, wurzeln die Teilgewalten bei (Georg Wilhelm Friedrich) Hegel dagegen nicht bloß in der Totalität des Staates, sondern es ist jede einzelne (…) selbst die Totalität mit einer besonderen (…) Funktion“, da die übrigen innerlich je mit ihr verschmolzen sind (H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staatslehre Hegels, Altenburg 1917, S. 104; Hervorhebungen und betonte Namens­ bezeichnung im Original); vgl. auch U. Thiele, Von der Volkssouveränität zum Völker(staats)recht. Kant – Hegel – Kelsen: Stationen einer Debatte, in: O. Eberl (Hrsg.), Transnationalisierung der Volkssouveränität, Stuttgart 2011, S. 185. In der Literatur ist umstritten, ob es Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu nur um eine Trennung der Gewalten ging, oder ob auch bei ihm bereits der Gedanke der gegenseitigen Hemmung und Balancierung der Gewalten durch gegenseitige Verflechtung und Verknüpfung anklingt. In diesem letzteren Sinne E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt – von den Anfängen der deutschen Staatsrechtslehre bis zur Höhe des staatsrechtlichen Positivismus, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 33 / 37; A. Voßkuhle, Rechtsschutz gegen den Richter (Fn. 1), S. 35  f.; H. H. v. Arnim (Fn. 1), S. 47; U.  Lange, Teilung und Trennung der Gewalten bei Montesquieu, Der Staat 1980 (19), 213 (214 f.); R.  Lorz, Interorganrespekt im Ver­ fassungsrecht – Funktionenzuordnung, Rücksichtnahmegebote und Kooperationsver­ pflichtungen; eine rechtsvergleichende Analyse anhand der Verfassungssysteme der Bundesrepublik Deutschland, der Europäischen Union und der Vereinigten Staaten, Tübingen 2001, S. 43; P. Unruh, Der Verfassungsbegriff des Grundgesetzes – eine verfassungstheoretische Rekonstruktion, Tübingen 2002, S. 137 f. Die Gegenansicht wird mitunter vertreten von H. Trescher, ebd., S. 104; R.  Laun, Allgemeine Staats­ lehre im Grundriss – ein Studienbehelf, 8. Aufl., Bleckede a. d. Elbe 1961, S. 91; H.  Buß / W.  Oetelshoven (Fn. 5), S. 47 f.; kritisch insoweit auch H. Maurer, Staats­



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat687

wird damit durch ein natürliches Magnetfeld überlagert, das einen pouvoir intermédiaire der Natur im Staat indiziert, ohne dass die souveräne Ordnung aber in undemokratischer Weise beschränkt wird, da die Infragestellung der äußeren Hypotaxe nicht zur Nichtigkeit, sondern nur zu einer bedingten, schwebenden Geltung des Rechts führt. Die Apprehension von Montesquieu wird sonach durch die Lehre von der mäßigenden Souveränitätsteilung er­ gänzt.20 II. Die naturstaatliche Systemimmanenz des positiven Rechtsnormensystems im sicheren Mantel des formellen Rechtsstaates Nach der staats- und rechtstheoretischen Konzeption von Hans Kelsen wird der normative Stufenbau der Rechtsordnung, um einen regressus ad infinitum zu verhindern, durch eine hypothetische, da nicht positiv gesetzte Grundnorm abgerundet, die überdies materiell legitimierend zu einer aus­ schließlichen Präsentation der soziologischen Wirklichkeit in der Form eines objektiven Rechtsidealismus beiträgt.21 Als verschleierndes Abbild des „Gorgonenhaupts der Macht“22 ist die in der deduktiven Methodik der rei­ recht I (Fn. 1), § 12 Rn. 7 ff., v. a. Rn. 15; nicht ganz eindeutig dagegen H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 256 f., der schreibt, dass das Schwergewicht dabei auf dem Gedanken der Verteilung der Gewalt auf eine Mehrheit von Gewaltenträgern ruhe, wobei er auch darauf hinweist, dass diese sich dann gegenseitig hemmen und Übergriffe wechselseitig verhindern; in einem nicht ganz eindeutigen Sinne auch F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 610 ff. 20  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 257 in Bezug auf den der konstitutionellen Monarchie systemtypischen Antagonismus, der zwischen den einander konkurrieren­ den Faktoren der Gesetzgebung, d. h. zwischen Monarch und Parlament, besteht: Die Freiheit der Untertanen „wird also nicht eigentlich durch eine organisatorische Isolierung der Gewalten, sondern nur durch eine Aufteilung, eine Verteilung insbeson­ dere der Gesetzgebungsgewalt garantiert. Man darf daher das Prinzip möglichster Machtverteilung nicht schlechthin mit dem spezifischen Grundsatz der Trennung der drei Gewalten des Staates identifizieren.“ (Hervorhebungen im Original). Siehe zu der pouvoir intermédiaire in diesem Zusammenhang auch P. Saladin, Unternehmer in der verfassungsrechtlichen Ordnung der Wirtschaft, VVDStRL 1977 (35), S. 42 ff. Zum Einfluss der realen Machtfaktoren auf das funktionale staatliche Gewaltentei­ lungssystem grundsätzlich R. Zippelius (Fn. 1), S. 255 f. 21  E. Bucher, Zur Kritik an Kelsens Theorie von der hypothetischen Grund­ norm, in: Die reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 47 f.; H. Dreier, Rechtslehre, Staats­ soziologie und Demokratietheorie (Fn. 17), S. 42 f. / 83 f. 22  M.  Losano, Das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit in der Reinen Rechtslehre, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriften­ reihe des Hans-Kelsens-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 88; R. Dreier, Sein und Sollen – Bemerkungen zur Reinen Rechtslehre Kelsens, JZ 1972, 329 (332).

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nen Vernunft von Immanuel Kant transzendentallogisch gewonnene Bedin­ gung der Grundnorm der geltungstheoretische Ausdruck einer im rechtsthe­ oretischen Sinne mit dem Prädikat „kritisch“ zu bewertenden Koinzidenz von Normativität und Positivität des Rechts, die einerseits eine metaphysi­ sche Überhöhung des Rechtsnormensystems entsprechend der unorthodoxen Naturrechtsdoktrin verhindert, andererseits aber auch die Geltung des Rechts gerade nicht in der typischen Manier eines unkritischen Positivismus aus­ schließlich auf die soziologische Setzung und Wirksamkeit gründet.23 Die Grundnorm in ihrer äußeren Dimension ist schließlich die denklogische Ergänzung um die innerhalb des modernen Staates stets latent vorhandene Naturgewalt, ohne die eine staatliche Rechtsnormenordnung im naturstaatli­ chen 21. Jahrhundert nicht mehr zu denken ist. Die Reine Rechtslehre be­ trachtet hierbei aber nur die formelle Seite des normlogischen Zusammen­ hangs und damit das Wesen des Sollens, während ihre Gegner bei der Umschreibung des Gegenstands der Rechtswissenschaft und des Rechts auch den Inhalt der Normen einbeziehen.24 Da die hypothetische Grund­ 23  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 16 ff. / 250 f.; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziolo­ gie und Demokratietheorie (Fn. 17), S. 42 f.; M. Jestaedt, Geltung des Systems und Geltung im System, JZ 2013, 1009 (1013 ff.); W. Krawietz, Grundnorm, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. III: G – H, Darmstadt 1974, Sp. 919 ff. 24  Siehe hierzu nur H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechts­ lehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 67 f.; ders., Naturrechts­ lehre und Rechtspositivismus, Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (324); ders., Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung, in: N. Leser (Hrsg.), Hans Kelsen – Demokratie und Sozialismus (Ausgewählte Aufsät­ ze), Wien 1967, S. 81; ders., Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? – Eine Erwiderung, Wien 1928, S. 25 ff.; ders., in: F.-M. Schmölz (Hrsg.), Das Naturrecht in der politischen Theorie, Internationales Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften in Salzburg, 1. Forschungsgespräch, Wien 1963, S. 148; A. Verdross, Die Rechtstheorie Hans Kelsens, Juristische Blätter 1930 (20), S. 421; J. Kunz, Die definitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), 375 (378 / 380); H. Köchler, Zur transzendentalen Struktur der Grundnorm, in: L. Adamowich (Hrsg.), Auf dem Weg zur Menschenwürde und Gerechtigkeit, Wien 1980, S. 505 ff.; M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Der Rechts- und der Demokratietheoretiker Hans Kelsen – Eine Einführung, in: dies. (Hrsg.), Hans Kelsen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. XIII; F. Koja, Hans Kelsen oder die Reinheit der Rechtslehre, Wien u. a. 1988, S. 43; K.  Larenz, Rechts- und Staatsphilosophie der Gegenwart, 2. Aufl., Berlin 1935, S. 41 ff.; R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 70; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der Reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff. / 490); M. Jestaedt (Fn. 23), JZ 2013, 1009 (1015); G. Edel, Zum Problem der Rechtsgeltung – Kelsens Lehre von der Grund­ norm und das Hypothesis-Theorem Cohens, in: P.  Schmid / S. Zurbuchen (Hrsg.), Grenzen der kritischen Vernunft, Basel 1997, S. 193 f.; F. Kaulbach, Die Begrün­ dung der Rechtsnormen in Reiner Rechtslehre und in einer transzendentalen Philo­



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norm als bedingendes Deutungsmittel, das die soziologischen Machtverhält­ nisse in positive Rechtsnormen transferiert, in ihrer identifizierenden und erkenntnistheoretischen Funktion die normative Festlegung des Rechtsbe­ griffs mit allen Eigenschaften des auf ihr beruhenden positivistischen Nor­ mensystems enthält,25 beschränkt auch sie sich letztlich auf eine rein forma­ le Dachkonstruktion des dynamischen Stufenbaus des ideellen Rechtsord­ nungssystems, womit eine materielle Vordetermination des Rechtsmaterials ebenfalls ausgeschlossen ist. Die Reine Rechtslehre ist aus diesem Grund aber auch nicht wertindifferent, da sie die Überzeugung, dass ethische und sachlich soziologische Momente den konkreten Akt der Rechtsetzung moti­ vieren und sich folglich in der positiven Rechtsnorm widerspiegeln, nicht bestreitet, sondern sie verweist diese außerjuristischen Domänen angehören­ den Werte aus der rechtswissenschaftlichen Disziplin heraus, um die Gren­ zen des Rechtspositivismus zu bestimmen.26 Damit wird das folgende Un­ sophie des Rechts, in: W. Krawietz (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 350; vgl. auch P. Koller, Theorie des Rechts, Wien u. a. 1997, S. 156; H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (298); O.  Weinberger, Normentheorie als Grund­ lage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 181 ff. / 189; W. Krawietz, Grund­ norm (Fn. 23), Sp. 920; J. Renzikowski, Der Begriff der „Zurechnung“ in der Reinen Rechtslehre Hans Kelsens, in: R. Alexy (Hrsg.), Neukantianismus und Rechtsphilo­ sophie, Baden-Baden 2002, S. 253 f. Insoweit Hans Kelsen: „So wie die transzen­ dentallogischen Bedingungen der Erkenntnis der Naturwirklichkeit in keiner Weise den Inhalt der Naturgesetze, so kann die Grundnorm nicht den Inhalt der Rechtsnor­ men, bzw. der die Rechtsnormen beschreibenden Rechtssätze bestimmen. So wie man den Inhalt der Naturgesetze nur aus der Erfahrung, so kann man den Inhalt der Rechtssätze nur aus dem positiven Recht gewinnen. Die Grundnorm schreibt dem positiven Recht ebensowenig einen bestimmten Inhalt vor wie die transzendentallogischen Bedingungen der Erfahrung dieser Erfahrung einen Inhalt vorschreiben.“ (H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 208; H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 17), S. 87 Fn. 329). Alfred Verdross schreibt hierzu: „Die Rechtstheorie kann somit nur den Rahmen bilden, innerhalb welchem sich die Rechtsinhaltswissenschaft, d. i. die Rechtsdogmatik entfalten kann. Daher liegt die Rechtstheorie auch jenseits des Be­ griffsbildungsverfahrens der Rechtsdogmatik, was natürlich nicht ausschließt, dass ein Rechtstheoretiker nebenbei Rechtsdogmatik betreibt und als solcher z. B. der Begriffsjurisprudenz huldigt.“ (A. Verdross, ebd., S. 421). 25  H. Kelsen, Rechtsgeschichte gegen Rechtsphilosophie? (Fn.  24), S. 23  ff.; R. Dreier, Bemerkungen zur Theorie der Grundnorm, in: Die reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 39. 26  Siehe hierzu H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtsleh­ re (Fn. 24), S. 67; ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 24), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (323 ff.); ders., Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 153; P. Guggenheim, Bemerkungen zur Völkerrechtstheorie von Alfred Verdross, ÖZöR 1952 (4), 275 (279); R. Bindschedler (Fn. 24), S. 70 f.; R. Marcic

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sicherheitsszenario unterbunden, das Hans Kelsen im Zusammenhang mit der transzendentallogischen Hypothese der Grundnorm skizziert hat: „Und gerade darin zeigt sich wieder der spezifisch naturrechtliche Charakter der Vertragstheorie, dass die einen Theoretiker dem Gesellschaftsvertrag (…) einen demokratischen Inhalt geben und dann (…) den Widerspruch, der sich zwischen ihrem subjektiven Standpunkt und dem objektiven positiven Recht ergibt, durch künstliche Fiktionen zu überbrücken (haben). Im Gesellschafts­ vertrag verpflichten sich die Kompaziszenten, sich in Hinkunft dem Willen der Mehrheit zu fügen, behauptet die demokratische Naturrechtstheorie – obgleich vielleicht der positive Staat eine autokratische Verfassung hat. Im Gesellschaftsvertrag hat das Volk einem absoluten Monarchen alle Gewalt übertragen, behauptet die autokratische Naturrechtstheorie – obgleich viel­ leicht die positive Staatsordnung einem Parlament allein oder in Verbindung mit einem Monarchen das Gesetzgebungsrecht überträgt.“27 Als bürgerlicher Rechtsstaat im Sinne des politischen Hochliberalismus wird der im 19. Jahrhundert erkämpfte Staatstypus des Individualismus, der Freiheits- und Eigentumssicherung, der Gefahrenabwehr, der Staatsausgren­ zung und der Nichtintervention bezeichnet, der pleonastisch oft auch mit dem Begriff des liberalen Rechtsstaates umschrieben wird.28 Das Modell (Fn. 24), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff.); O.  Weinberger, Nor­ mentheorie (Fn. 24), S. 181 f. / 184 / 189; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechts­ normen (Fn. 24), S. 349 f.; vgl. auch A. Verdross (Fn. 24), Juristische Blätter 1930 (20), S. 421; M. Jestaedt (Fn. 23), JZ 2013, 1009 (1015); M.  Jestaedt / O.  Lepsius, Einführung Demokratietheorie (Fn. 24), S. XIII; G. Edel, Zum Problem der Rechts­ geltung (Fn. 24), S. 192 ff.; F. Koja, Reinheit der Rechtslehre (Fn. 24), S. 43. 27  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251; ders., Naturrechtslehre und Rechtspositivismus (Fn. 24), Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (323 ff.); siehe hierzu auch O. Weinberger, Normentheorie (Fn. 24), S. 197; R. Walter / C. Jabloner, Hans Kelsen (1881–1973). Leben – Werk – Wirkung, in: M. Lutter u. a. (Hrsg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland, Tübingen 1993, S. 526 ff. René Marcic bringt im Kontext mit der inhaltsleeren Grundnorm einen interessanten Rekurs auf Aristoteles: „Der Ausdruck ‚reines Recht‘, wofür als Synonyma: ‚erstes Recht‘, ‚Recht schlechthin‘, ‚einfach das Recht‘ sich anbieten, taucht bei Aristoteles auf im Sinne der eigentlichen Grundnorm des Rechts, des primären Naturrechts, das heißt: des präpositiven Rechts oder des Seins­ rechts. In dem Maße, wie der Autor der Reinen Rechtslehre seine Theorie auf der Hypothese der präpositiven, das heißt: vorausgesetzten Norm (presupposed norm) baut, in demselben Maße ist die Reine Rechtslehre reine Strukturanalyse des Rechts wie Strukturanalyse des reinen Rechts.“ (R. Marcic (Fn. 24), Staats- und Verfas­ sungsrecht 1966 (2), 481 (483); Hervorhebungen und betonte Namensbezeichnung im Original). 28  E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I: Grundlagen von Staat und Verfassung, 2. Aufl., Heidelberg 1995, § 24 Rn. 20; vgl. auch D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben und die Krise des Rechtsstaats, in: ders. (Hrsg.), Die



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des bürgerlich-liberalen Rechtsstaates war ursprünglich auf dem Fundament der durch die europäische Aufklärung errungenen politischen Rechte der Freiheit und Gleichheit durch ein Systemverständnis geprägt, das nur in den vom Volk erlassenen und damit auf dem generellen Willen der Allgemein­ heit gegründeten Gesetzen eine rechtsstaatliche Absicherung gegen eine individuelle Willkürherrschaft erblickte, so dass schließlich der demokrati­ sche Gesetzgeber als rationale Gewährinstanz für materielle Gerechtigkeit und Rechtssicherheit agierte.29 In der zweiten Hälfte des konstitutionellen 19. Jahrhunderts wurde der Begriff des Rechtsstaates dann weiter formali­ siert, was ihm mitunter eine gesteigerte dogmatische Präzision verlieh, da­ mit neben den sonstigen, teilweise bereits verwirklichten verfassungspoliti­ schen Forderungen des nach Partizipation und Mitbestimmung aufstrebenden Bürgertums ebenso eine rechtsstaatlichen Grundsätzen genügende Durch­ strukturierung der Verwaltung ermöglicht werden konnte.30 Im Kern war die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 159 ff. Unabhängig von den historischen Veränderungsstufen des Rechtsstaats ergibt sich für dieses Staats­ modell die folgende Grundtypisierung: „Als Rechtsstaat lässt sich derjenige Staat bezeichnen, in dem politische Herrschaft nur aufgrund und im Rahmen des Rechts ausgeübt wird. (…) Der Rechtsstaat unterscheidet sich damit zunächst von allen Willkürregimen, in denen die Ausübung von Herrschaft dem Gutdünken der Macht­ haber anheimgegeben ist. Er unterscheidet sich ferner von jeder Form des absoluten Staates, der seine Herrschaft zwar mit rechtlichen Mitteln ausübt, sich selbst aber nicht dem Recht unterwirft, sondern legibus absolutus ist. Er unterscheidet sich schließlich (auch) von denjenigen Staaten, die zwar auch die politische Herrschaft rechtlichen Regeln unterwerfen, aber keine konkurrierenden Gemeinwohlvorstellun­ gen dulden, sondern von der Existenz eines feststehenden und für den Staat erkenn­ baren Gemeinwohls ausgehen, dem das Recht zu dienen hat, und deswegen im Konflikt zwischen Gemeinwohlanforderungen und Rechtsbindungen regelmäßig der Politik den Vorzug geben.“ (D. Grimm, ebd., S. 159). Siehe zur historischen Ent­ wicklung des Rechtsstaats grundsätzlich H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung (Fn.  24), S.  79  ff.; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 1), S. 121 ff.; U. Scheuner, Die neuere Entwicklung des Rechtsstaats in Deutschland, in: E.  v. Cämmerer / E.  Friesenhahn (Hrsg.), Hundert Jahre deutsches Rechtsleben, Bd. II, Karlsruhe 1960, S. 229 ff.; E.-W. Böckenförde, Entstehung und Wandel des Rechtsstaatsbegriffs, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Frei­ heit, 2. Aufl., Frankfurt a.  M. 2006, S. 143  ff.; K. Doehring (Fn. 1), S. 172 ff.; B. Schöbener / M. Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S. 215 ff.; vgl. auch K. A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat – Zwei kritische Vorträge, Be­ richte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften e. V., Hamburg, Jahrgang 4 (1986), Heft 3, Hamburg 1986, S. 3 ff.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 7 ff. 29  Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zugleich ein Beitrag zur Grund­ rechtsdogmatik im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse, Tübingen 2001, S.  56 f. 30  Ch. Calliess (Fn. 29), S. 59; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 28), S. 217 f.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

in sich inhomogen strukturierte Bewegung zum formalen Rechtsstaat auf eine Abkehr vom einheitlichen Gesetzesbegriff, der Recht und Moral in sich vereinigte, gerichtet, wobei die Ausrichtungsbestrebungen gleichsam auch mit der Entwicklung zu einem „entdemokratisierenden Liberalismus“ be­ gleitet waren, der sich politisch neutral und ganz unabhängig von der Staatsform präsentierte.31 Mit dem wertrelativistischen Gesetzespositivis­ mus, der sich auf den wissenschaftlichen Positivismus bzw. Empirismus stützte und etwaige inhaltliche Aussagen über Werte, Moral und Ethik als subjektive, nichtwissenschaftliche Bekenntnisse der Politik, Metaphysik oder sonstiger Disziplinen abtat, ging überdies noch eine radikalere Tole­ ranz gegenüber jeglicher Art von Recht einher,32 die sich insbesondere auch in der Reinen Rechtslehre von Hans Kelsen manifestierte. Demnach könne jeder beliebige Inhalt Recht sein,33 ein Befund, der auch den grundnormativ initiierten, reinen Stufenbau der staatlichen Rechtsnormenordnung erklärbar macht und bestätigt. Denn da die rechtstheoretisch zulässige, ja unentbehr­ liche Grundnorm keinen absoluten Inhalt, a priori überhaupt keinen Inhalt habe, sondern sich nach dem Material richte, das als Recht einheitlich zu deuten ihre ausschließliche Funktion sei, distanziere sich die Reine Rechts­ lehre von einem naturrechtlichen Grundvertrag, der einen absoluten materi­ ellen Inhalt vorgebe.34 Dementsprechend sei für eine rechtspositivistische Betrachtung, die das Recht nicht im Naturrecht verabsolutiere, der Staat ein König Midas, dem alles, was er ergreife, zu Recht werde. Und darum müs­ se, vom Standpunkt des Rechtspositivismus aus gesehen, jeder Staat ein Rechtsstaat in dem Sinne sein, dass alle Staatsakte Rechtsakte seien, weil und sofern sie eine als Rechtsordnung zu qualifizierende Ordnung realisie­ ren.35 Ein materieller Rechtsstaat ist dagegen ein Staat, der über die forma­ len, typischen Formelemente des Rechts wie Verfahren, Entscheidungskom­ petenzen und gesetzliche Ordnungsvorgaben überdies auch eine inhaltliche Ausrichtung der Gesetzgebung an einer höheren Normenordnung kennt und sich vor allem durch die Verfassungsbindung der legislativen Gewalt sowie die Normierung von Grundrechten auszeichnet.36 Insoweit besteht dann kein 31  Ch.

Calliess (Fn. 29), S. 59 f. Calliess (Fn. 29), S. 60 f.; vgl. dazu auch H. Kelsen, Allgemeine Rechts­ lehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung (Fn. 24), S. 79 ff.; H. H. v. Arnim (Fn. 1), S. 9 f.; B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 28), S. 217 f. 33  H. Kelsen, RR (Fn. 24), S. 201; ders., Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauffassung (Fn. 24), S. 79 ff., v. a. S. 81. 34  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251. Siehe zu dem Zusammenhang zwischen der Reinen Rechtslehre, dem Naturrecht und dem Rechtspositivismus auch J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Ge­ sellschaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frankfurt a. M. 1967, S. 58 ff. 35  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 44 (Hervorhebung im Original). 32  Ch.



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat693

Gegenseitigkeitsverhältnis zwischen dem formellen und dem materiellen Rechtsstaat, sondern der verfasste Staat vereinigt in sich formelle und ma­ terielle Elemente des Rechts, weshalb sich die Materialisierungen in der Durchdringung der Formelemente zu bewähren haben, ohne dass die mate­ riellen Komponenten des Rechtsstaats aber auf eine eigenmächtige Durch­ setzung von subjektiven Wertempfindungen abzielen dürfen.37 Die Thematik der materiellen Formung eines Rechtsstaats wurde insbesondere um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert relevant, als es um die weitere Ent­ wicklung des modernen Staates zum sozialen Rechtsstaat ging, „der das Recht auch zur Daseinsvorsorge, zur Gestaltung und Umgestaltung sozialer Verhältnisse einsetzt, der die (liberale) Wirtschaft nicht ihren eigenen Re­ geln überlässt, sondern sie ordnet und lenkt.“38 Da sich die Reine Rechts­ lehre lediglich in einer methodengerechten Abstinenz gegenüber außerjuris­ tischen Domänen angehörenden Werten erschöpft, ohne dass sie die notwen­ dige Rückanbindung legitimer Rechtsetzung an ethische und soziologische Kriterien bestreitet,39 kann sie gleichsam auch in das Schema einer um materielle Elemente ergänzten Theorie eines formellen Rechtsstaats einge­ ordnet werden. Nur müssen diese Komponenten eines materiellen Rechts­ staats grundsätzlich das Produkt positiver Rechtsetzung sein, um rechtliche Relevanz im Staat besitzen zu können. Durch die inhaltsleere Grundnorm wird das Postulat der Reinheit gewährleistet, weshalb sich die äußere Di­ mension dieses Denkgesetzes nur in der Statuierung eines formalen Natur­ beachtensbefehls auswirken kann, der aber mit seiner naturrechtlichen und  – vielleicht irgendwann auch  ‒ völkergewohnheitsrechtlichen Direktiv­ kraft die Geschicke im Staat zugunsten des Naturstaatsziels wesentlich verstärkt. Konträr dazu muten Staatstheorien an, die sich mit der Annahme einer materiellen Werteordnung aus überpositivistischen, sittlichen Rechts­ grundsätzen wie bei Hermann Heller40 bzw. einer positiven Verfassung im 36  E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (Fn. 28), § 24 Rn. 18  f.; H. Nawiasky, Staatsrechtslehre (Fn. 1), S. 124 ff.; Ch. Calliess (Fn. 29), S. 61 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 159 ff.; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grundriss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öf­ fentliches Recht 27. Bd., 200.–205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 31 ff.; vgl. auch B.  Schöbener / M.  Knauff (Fn. 28), S. 219 ff.; Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 279 ff. 37  E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (Fn. 28), § 24 Rn. 19; Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 279 ff. 38  E. Schmidt-Aßmann, Der Rechtsstaat (Fn.  28), § 24 Rn. 20; hierzu auch Ch. Calliess (Fn. 29), S. 61 ff. 39  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 91 („Rechtsstaat im materiellen Sinne“); R. Bindschedler (Fn. 24), S. 70 f. 40  H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 190 ff. / 255 ff. Relativierend sei aber angemerkt, dass „kein überpositives Recht und keine politische Ordnungsidee kon­ kret wirksam (werden), wenn nicht eine geschichtlich-politische Kraft sie sich zu

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absoluten Sinne wie bei Carl Schmitt41 präsentieren, was angesichts der materiellen Dimension dieser „Grundnormen“ zu einer ethisch-inhaltlichen Überflutung des positiven Rechtsnormenmaterials führen muss und damit der berechenbaren Rechtssicherheit abträglich ist.42 In der Folge führen diese staats- und rechtstheoretischen Ansätze nicht zu einer sinnvollen Er­ gänzung der formalen Rechtsstaatselemente, sondern zu einer Nivellierung der Steuerungsfähigkeit des Rechts, das durch die materielle Tränkung an wissenschaftlicher Integrität einbüßt.43 Im umweltrechtlichen Schrifttum wird ein staatliches Bewirtschaftungs­ konzept von Umweltressourcen vertreten, das den alten Diskurs um den formellen bzw. materiellen Rechtsstaat wieder aufleben lässt.44 Nach der eigen macht, als eigene Überzeugung und Vorstellung vertritt und dafür eintritt und sie eben dadurch in die geschichtlich-politische Wirklichkeit überführt.“ (E.-W. Böckenförde, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – ein Grenzbegriff des Verfas­ sungsrechts, Frankfurt a. M. 1986, S. 30). 41  C. Schmitt, Verfassungslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1928), 9. Aufl., Berlin 2003, S. 20 ff. 42  H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 251; vgl. hierzu grundsätzlich auch W. Kersting, Politik und Recht, Weilerswist 2000, S. 286 f.; K. Doehring (Fn. 1), S. 177 ff. Hier keimt wieder die historische Debatte um ein der Gerechtigkeit verpflichtetes, abso­ lutes Naturrecht als überpositivem, materiellem Maßstab und dem (reinen) Rechts­ positivismus auf, der ethische Gesichtspunkte nur im Rahmen von gesetzten positi­ ven Rechtsnormen berücksichtigt. Siehe zur Theorie einer materiellen Grundnorm auch E. Husserl, Logische Untersuchungen, Bd. I: Prolegomena zur reinen Logik, 2. veränderte Aufl., Tübingen u. a. 1913, S. 40 ff., v. a. S. 45 ff.; W. Krawietz, Grund­ norm (Fn. 23), Sp. 918; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 246 ff. Als Definition der (materiellen) Grundnorm führt Edmund Husserl an: „Die Gesamtheit dieser Normen bildet offenbar eine durch die fundamentale Wert­ haltung bestimmte, in sich geschlossene Gruppe. Der normative Satz, welcher an die Objekte der Sphäre die allgemeine Forderung stellt, dass sie den konstitutiven Merk­ malen des positiven Wertprädikates in größtmöglichem Ausmaße genügen sollen, hat in jeder Gruppe zusammengehöriger Normen eine ausgezeichnete Stellung und kann als die Grundnorm bezeichnet werden. Diese Rolle spielt z. B. der kategorische Im­ perativ in der Gruppe normativer Sätze, welche (Immanuel) Kants Ethik ausmachen; ebenso das Prinzip vom ‚größtmöglichen Glück der größtmöglichen Anzahl‘ in der Ethik der Utilitarier.“ (E. Husserl, ebd., S. 45; Hervorhebungen und betonte Na­ mensbezeichnung im Original). Die Theorie von Edmund Husserl war Hans Kelsen bekannt; zu Letzterem H. Kelsen, Recht, Rechtswissenschaft und Logik, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1966 (52), 545 (551 f.). 43  H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin  – Grunewald 1930 / 31, 576 (627). Insoweit schrieb Hans Kelsen: „Die heute so beliebte prinzipielle Vermengung von Wissenschaft und Politik ist die typische Methode moderner Ideologiebildung. Sie muss vom Standpunkt wissenschaftlicher Erkenntnis auch dann abgelehnt werden, wenn sie – wie zumeist und gewiss auch im vorliegenden Falle – durchaus unbewusst vor sich geht.“ 44  Im Folgenden steht freilich der materielle Naturstaat im Sinne einer Bindung an eine überpositivistische Normenordnung im Vordergrund bzw. am Pranger, da ein



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Ansicht von Dietrich Murswiek stehen die Umweltgüter wie Boden, Wasser, Luft und Natur als öffentliche Gemeinschaftsgüter unter einem vom Staat regulierten Teilhaberegime, so dass sich die individuelle Nutzung dieser Umweltressourcen nicht als grundrechtlich garantierte Freiheitsausübung in der klassischen Abwehrdimension gegenüber staatlichen Interventionen, sondern als Teilhaberecht, das sich als partizipierende Ausnahme an dem Ge- und Verbrauch der knappen Güter sieht, darstellt. Von dieser Regel der Umweltnutzung als Teilhabe wird nur insoweit abgewichen, als es sich um die selbstverständlichen und notwendigen Vorkehrungen für die Ausübung von Freiheitsrechten, oder aber um die unversehrte Existenz von verfas­ sungsrechtlich gewährleisteten Rechtsgütern handelt, da sich in diesem elementaren Zusammenhang die konkreten Umweltnutzungen als unge­ schriebene Bestandteile der Freiheitsgrundrechte verstehen, weshalb die Luft als Atemluft, die Verursachung unvermeidbarer Emissionen beim Be­ heizen von Wohnräumen oder auch die Erzeugung unvermeidbarer Abfälle als originäre Teilhaberechte von den je einschlägigen Grundrechten gewähr­ leistet werden. Die über dieses Mindestmaß hinausgehende Nutzung aber steht unter dem Vorbehalt eines verfassungsrechtlichen bzw. einfachgesetz­ lichen Teilhabeanspruchs, der nach dem staatlichen Umweltgüterregime nicht das Übermaßverbot als Gradmesser für die hoheitliche Zuteilungspra­ xis etwaiger natürlicher Ressourcen besitzt, sondern stattdessen vielmehr das Willkürverbot als Verteilungskriterium in der Form eines materiellen Entscheidungsmaßstabs, das eine gleichheitswidrige Teilhabe schließlich nur im Falle eines wichtigen Grundes gestattet.45 Da die ursprüngliche Konsti­ sich auf eine positivrechtliche Umweltverfassungsnorm stützender materieller Natur­ staat letztlich nicht zu beanstanden ist. 45  D. Murswiek, Privater Nutzen und Gemeinwohl im Umweltrecht – Zu den überindividuellen Voraussetzungen der individuellen Freiheit, JZ 1994, 77 (79 ff.); zusammenfassend nur Ch. Calliess (Fn. 29), S. 16 ff. / 540 ff.; I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge – Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 105 ff., der auch die Stationen der Argumentationskette von Diet­ rich Murswiek nachweist (ebd., S. 105 Fn. 264); vgl. auch B. Wiegand-Hoffmeister, Die Umweltstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel staatsphiloso­ phischer, europa-, verfassungs- und verwaltungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bremen 2011, S. 14 ff. In diese Richtung geht auch der Ausschluss der Nutzung des Grundwassers durch den Grundstückseigentümer aus dem Schutzbe­ reich der Norm des Art. 14 I GG und die entsprechende Unterstellung dieser Nut­ zung unter eine öffentlich-rechtliche Bewirtschaftungsordnung; siehe hierzu BVerfGE 58, 300 (330 ff. / 338 ff.); M. Kloepfer / H.-P. Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropozentrik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 36 f.; M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 46; H. Sendler, Wer gefährdet wen: Eigentum und Bestands­ schutz den Umweltschutz oder umgekehrt?, UPR 1983, 33 (41); W. Böhmer, Grund­ fragen der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums, NJW 1988, 2561

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tuierung eines modernen Staates lediglich zu einer Beschränkung der natür­ lichen Freiheit, nicht aber auch der rechtlichen Freiheit führen kann, die durch den ursprünglichen Prozess der konkreten Staatserrichtung erst kons­ titutionell festgelegt wird, läuft die Ansicht von Dietrich Murswiek auf ein überpositivistisch determiniertes, materielles Verständnis eines Umweltstaa­ tes hinaus, bei dem die grundrechtliche Werteordnung der Verfassung von Beginn an unter einer ökologischen Schrankenimmanenz steht.46 Die gleiche Tendenz weisen auch die sogenannten ökologischen Immanenztheorien auf, die dem Schutzbereich von einzelnen Grundrechten dogmatisch vor allem mit Blick auf mehrpolige Rechtsverhältnisse im Einzelfall im Hinblick auf etwaige Drittbetroffene aus der entsprechenden objektiv-rechtlichen Schutz­ pflicht der Grundrechte Begrenzungen auferlegen möchten, um schließlich ein naturstaatlich angemessenes Gesamtergebnis zu projizieren.47 Diese Immanenztheorien sind zumindest insoweit nicht zu beanstanden, als sie das freiheitliche Grundrechtsverständnis nicht antasten, so dass die Freiheit zur Umweltverschmutzung grundsätzlich von den Schutzbereichen der entspre­ chenden Grundrechte erfasst wird.48 In dogmatischer Hinsicht führen aber diese ökologischen Schrankenkonzeptionen auch unter Vermittlung einer positiven umweltspezifischen Verfassungsnorm zu einer abwägenden Tabula (2568 / 2572 f.); I. Appel, ebd., S. 102 f. Fn. 257, der zutreffend auf den Umstand hinweist, dass das zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts nur in engen Gren­ zen verallgemeinerungsfähig ist, da das Grundgesetz dem Gesetzgeber durch Art. 14 I 2 GG gerade die Kompetenz bzw. den Auftrag zur Ausgestaltung der privaten Rechtsstellung des Eigentümers einräumt. Michael Kloepfer ist dagegen (M. Kloep­ fer, Droht der autoritäre ökologische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein, 1994, S. 43) in anderem Zusammenhang der Ansicht, dass zumindest „evident sozialschädliche, verwerfliche (vor allem strafbare) Umweltbelastungen (…) von vornherein nicht unter Grundrechtsschutz fallen (dür­ fen).“ 46  D. Murswiek, Privater Nutzen und Gemeinwohl im Umweltschutz (Fn. 45), JZ 1994, 77 (80 f.). In diese Richtung geht auch der Vorschlag, die grundrechtlichen Gewährleistungen auf ein gefährdungsneutrales Niveau zu reduzieren; so P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip – Ein neuer Schlüssel zur Lehre vom modernen Rechtsstaat, Bern u. a. 1984, S. 82 ff.; insoweit übereinstimmend auch die Ausfüh­ rungen bei K. Bosselmann, Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Standort­ bestimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Tau­ nusstein 1994, S. 63 ff. 47  Zu diesen ökologischen Immanenztheorien bezüglich der grundrechtlichen Schutzbereiche zusammenfassend R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 118 ff.; I. Appel (Fn. 45), S. 102 ff.; vgl. dazu auch M. Kloep­ fer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz (Fn. 45), S. 37 ff. / 53. Grundlegend hierzu freilich auch die Rechtsprechung des VGH Kassel zur Genehmigungsbedürf­ tigkeit und -fähigkeit gentechnischer Anlagen, abgedruckt in NVwZ 1990, 276 (277). 48  R. Steinberg (Fn. 47), S. 124.



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rasa, die sich schließlich in nichts anderem als einer willkürbehafteten Rechtsentscheidung manifestiert und dem Verdikt einer undogmatischen Scheinlösung zuzuordnen ist.49 Mit der materiellen Teilhabelehre von Dietrich Murswiek bzw. den sons­ tigen ökologischen Immanenztheorien, die bereits auf der Tatbestandsebene den grundrechtlichen Schutzbereich einer umweltstaatstypischen Beschrän­ kung unterziehen möchten, werden die verschiedenen Umweltgüter mit ei­ nem überpositivistischen bzw. einem aus der objektiv-rechtlichen Funktion der materiellen Grundrechtsordnung abgeleiteten und damit verfassungs­ rechtlichen Primat ausgestattet,50 der mit der elementaren Relevanz der natürlichen Lebensgrundlagen für die Menschen und das staatliche Dasein gerechtfertigt wird. Aus naturstaatlicher Perspektive sind derartige grund­ rechtsdogmatische Versuche zwar grundsätzlich zu begrüßen. Im Ergebnis führen diese Theorien aber zu einer Aushebelung der freiheitlich-demokra­ tischen Grundordnung und begünstigen sonach auch ökodiktatorische Ten­ denzen, weshalb sie schließlich abzulehnen sind.51 Durch die Annahme von immanenten Umweltschranken der Grundrechte wird letzten Endes das diffizile Eingriffs- und Abwägungssystem, das in dem konstitutionellen Grundrechtskatalog zum Ausdruck kommt, von vornherein nivelliert, indem das äußerst differenzierte Instrumentarium zur Bewältigung von etwaigen Grundrechtskonflikten in der Form von formellen Voraussetzungen, inhalt­ lichen Argumentations- und Abwägungsregeln, auf das aus Gründen der Rationalität, der juristischen Praktikabilität sowie des bei komplexen Sach­ verhalten unabdingbaren Differenzierungserfordernisses nicht verzichtet werden kann, im Sinne einer umweltstaatlichen Ausrichtung materiell vor­ determiniert überlagert wird.52 Die ökologischen Immanenztheorien entledi­ R. Steinberg (Fn. 47), S. 121. zum überpositivistischen Charakter der Teilhabethese von Dietrich Murswiek auch I. Appel (Fn. 45), S. 63 Fn. 89. 51  So Ch. Calliess (Fn. 29), S. 542; M. Kloepfer / H.-P. Vierhaus, Freiheit und Um­ weltschutz (Fn. 45), S. 40 ff.; M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 45), S. 46 f.; ders., Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S.  52 f.; I. Appel (Fn. 45), S. 106 f.; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S. 170 f.; vgl. hierzu auch W. Berg, Über den Um­ weltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S. 437; R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis – Wirtschaftsüberwachung in ge­ werbepolizeilicher Tradition und wirtschaftsverwaltungsrechtlichem Wandel, Tübin­ gen 1992, S. 343. Eher positiv zugewandt dagegen M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 141. 52  R. Steinberg (Fn. 47), S. 121 f.; Ch. Calliess (Fn. 29), S. 541 f.; M. Kloep­ fer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz (Fn. 45), S. 41 ff.; I. Appel (Fn. 45), S.  106 f.; B. Söhnlein (Fn. 51), S. 170 f. unter Rekurs auf Art. 1 I GG. 49  Vgl.

50  Siehe

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

gen dadurch den Staatsapparat von dem Rechtfertigungsdruck bei die bür­ gerliche Dispositionsfreiheit einschränkenden Eingriffen in konkrete anthro­ pogene Umweltnutzungen, die nun insbesondere nicht mehr am Übermaß­ verbot, sondern an dem materiellen Verteilungsgrundsatz des Willkürverbots zu messen sind.53 Dies indiziert nicht nur eine schleichende Entwicklung zu einem autoritären Staatssystem, sondern führt zunächst auch zu der nicht hinnehmbaren Verlagerung der souveränen Entscheidungsgewalt vom parla­ mentarischen Gesetzgeber auf die nachrangigen Gewalten, die insoweit vorrangig über ein konkretes Tätigkeitsverbot zu befinden hätten, was eine verfassungsunmittelbare Abwägungsprüfung voraussetzen würde, ob eine bestimmte Umweltbelastung etwa noch von dem ungeschriebenen, originä­ ren Teilhaberecht an den existentiellen natürlichen Ressourcen des jeweils einschlägigen Grundrechts erfasst wird bzw. ob ein konfligierender, objek­ tiv-rechtlicher Schutzanspruch eines individuellen Grundrechtsberechtigten im Einzelfall wirklich auch Vorrang gegenüber der monierten Umweltnut­ zung eines anderen Grundrechtsträgers besitzt.54 In der Folge würde sich ein gleitender Übergang zu einem Jurisdiktionsstaat feststellen lassen, der den für eine parlamentarische Demokratie typischen Primat der legislativen Ge­ walt partiell aushebelt, daneben aber auch mittelbar die Verwerfungskompe­ tenz eines Verfassungsgerichts, das ausschließlich darüber zu befinden hat, ob ein parlamentarisches Gesetz über die Umweltgüterteilhabe dem verfas­ sungsrechtlichen Maßstab entspricht oder zeitnah nachgebessert werden muss.55 Darüber hinaus entsprechen die materiellen Korrekturtheorien nicht dem dogmatischen Anspruch der Rechtssicherheit.56 Das positive Recht verliert insoweit auch seine vorhersehbare und berechenbare Steuerungs­ funktion, indem durch die überpositivistische bzw. verfassungsrechtliche, materielle Immanenzüberlagerung der konkrete Gewährleistungsgehalt der Grundrechte nicht mehr feststellbar ist. Ist das Autofahren nun noch von dem ungeschriebenen, originären Teilhaberecht zur Umweltverschmutzung erfasst? Eine Urlaubsreise aber wird doch sicher nicht mehr als sozialad­ äquat angesehen werden können, oder doch? Wann überwiegt die objektiv­ rechtliche Schutzdimension die Freiheitsgesetze der Konsumenten und Produzenten?57 Die Konsequenz ist ein willkürgetreues, von dem soziologi­ 53  Ch.

Calliess (Fn. 29), S. 541 f.; I. Appel (Fn. 45), S. 106 f. (Fn. 47), S. 122; M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Um­ weltschutz (Fn. 45), S. 37 ff.; vgl. insoweit auch I. Appel (Fn. 45), S. 106 f. 55  So P. Preu, Freiheitsgefährdung durch die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, JZ 1991, 265 (270); R. Steinberg (Fn. 47), S. 122. 56  Ch. Calliess (Fn. 29), S. 541; I. Appel (Fn. 45), S. 107. 57  Vgl. Ch. Calliess (Fn.  29), S. 541. Zu einem Grundrecht auf Mobilität (z. B. Autofahren), das sich verkehrsbezogenen Eingriffen in der Form von Verkehrs­ beschränkungen, Verkehrsberuhigungen, Verkehrsverboten bzw. Lenkungsabgaben 54  R. Steinberg



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat699

schen Gutdünken einzelner Entscheidungsträger abhängiges Umweltteilha­ beregiment, das Tür und Tor für eine autoritäre Ökodiktatur öffnet, der sich der einzelne Bürger nur noch mit dem Einwand einer ungleichen Bewirt­ schaftungspraxis erwehren kann. Hinsichtlich der ökologischen Immanenz­ theorien wird überdies auch grundsätzlich der strukturelle Unterschied zwischen der Abwehr- und Schutzfunktion verkannt, der darin besteht, dass sich die Grundrechte in ihrer klassischen Funktion als Abwehrrechte gegen­ über dem Staat gegen einen konkreten staatlichen Eingriff richten, während die regelmäßig durch eine umweltspezifische Verfassungsnorm noch ver­ stärkte Schutzdimension auf ein unbestimmtes Verhalten des Staates abzielt, der Schutz mit einem von mehreren möglichen Mitteln gewährleisten soll.58 Aus diesem Grund ist es angesichts der oftmals hochkomplexen Strukturen und Bedingungen der Entscheidungsfindungen im Umweltrecht nicht sinn­ voll, unter der Aufgabe der staatlichen Argumentations- und Rechtferti­ gungslast in Bezug auf Eingriffe in die bürgerliche Freiheitssphäre die ob­ jektivrechtlichen Schutzpflichten grundsätzlich immanent zu privilegieren, da dies zu einem Absenken des staatlichen Verantwortungsniveaus mit Blick auf die ökologische Krisenbewältigung beitragen kann.59 Obgleich der ab­ lehnenden Stellungnahme muss der Ansicht von Dietrich Murswiek aber insoweit zugestimmt werden, als sie eine konstituierende Freiheitsschaffung als originäre Festlegung der rechtlichen Grenzen von Freiheit versteht. Denn durch die äußere Grundnorm wird die gesamte Rechtsnormenordnung be­ reits ursprünglich in naturstaatlicher Synthesemanier überstrahlt, weshalb der innere Sinn, der Staatswille, von vornherein unter dem Gebot einer steten Beachtung der Natur steht. Diese Systemimmanenz ergibt sich dar­ aus, dass die natürlichen Lebensgrundlagen als elementare Voraussetzung des staatlichen Friedenszwecks und deshalb als einer der letzten Legitima­ tionsgründe im Staat anzusehen sind. Der Beachtensbefehl der Natur besitzt somit – insofern die relativ, hypothetische Grundnorm in ihrem äußeren Sinn als rechtsidealistische Erkenntnisbedingung systematisch vorausgesetzt wird  ‒ einen absoluten rechtlichen Geltungsanspruch, der aber weder die Rechtsordnung materiell überfluten noch zu einer undemokratischen Frei­ heitsbegrenzung des aus der unantastbaren Menschenwürde folgenden inne­ ren Selbstbestimmungsrechts eines Volkes führen darf. Daher ist der in der hypothetischen Grundnorm in ihrem äußeren Sinn verankerte Naturbeach­ tensbefehl nur als formale Direktive zu denken, der die freiheitlich-demo­ oftmals entgegenstellt M. Ronellenfitsch, Mobilität: Vom Grundbedürfnis zum Grundrecht?, DAR 1992 (9), 321 (325); dazu auch Ch. Calliess, ebd., S. 541. Ein ökologisches Teilhaberegime würde etwa das Grundrecht auf Mobilität im Lichte eines ethisch-materiellen Umweltkalküls weitestgehend leerlaufen lassen. 58  R. Steinberg (Fn. 47), S. 122 f. 59  Vgl. R. Steinberg (Fn. 47), S. 122 f.

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kratische Grundordnung unangetastet lässt und nur im Sinne eines völker­ gewohnheitsrechtlichen Weltprinzips dogmatisch sauber verstärkt. Durch das zwischen dem inneren und dem äußeren Sinn bestehende Über-Unter­ ordnungsverhältnis, das nur in letzter Konsequenz bei sonstiger Gleichran­ gigkeit zugunsten des inneren Staatswillens besteht, ist die Natur als Kon­ ventionalgewalt im Staat zu beschreiben, weshalb die Verfassungsauslegung im Sinne einer konventionalen Verstärkung der Beachtung des staatsleiten­ den Prinzips der Naturstaatlichkeit andirigiert wird. Die Folge ist eine me­ thodisch sowie dogmatisch redliche Überwindung des demokratischen Werterelativismus zugunsten eines „Mehr“ zugunsten der Natur, wobei die Einstufung als Konvention ökodiktatorische Tendenzen insoweit verhindert, als die freiheitlich-demokratische Grundordnung vollends erhalten bleibt.60 III. Naturstaatliche Konvention als Sinnprinzip der positiven Verfassung Den natürlichen Lebensgrundlagen kommt im Rahmen der mannigfalti­ gen Verfassungsordnungen der modernen Staaten der Welt, insofern sie eine konstitutionelle Aufnahme gefunden haben, grundsätzlich eine materiell­ rechtliche Dimension zu, die sich funktional in einer intermediären Ausrich­ tungsschranke auswirkt. Die Folge ist, dass der Rechtserzeugungsprozess im Sinne der ökologischen Komponente wertrelativ ergänzt ist, womit der de­ mokratische Willensbildungs- und Entscheidungsvorgang auch auf die ori­ ginäre Natur programmiert ist. Entscheidend ist in diesem Kontext das Wort „auch“. Denn eine rechtliche Handlungsoption ist stets dann legitim, inso­ fern die Natur zumindest in den Abwägungs- und Entscheidungsprozess miteinbezogen wurde, auch wenn sie dann letztlich  ‒ wie regelmäßig  – zu­ gunsten sonstiger tangierter Belange wieder aus den tragenden Gründen 60  Nach der Ansicht von Christian Calliess (Ch. Calliess (Fn. 29), S. 542) stel­ le die Teilhabethese von Dietrich Murswiek eine mit der Konzeption des Grundge­ setzes nicht vereinbare Rückkehr zum rein formellen Rechtsstaat dar, die das tragen­ de materielle Element des Rechtsstaats ausblende. Diese Ansicht kann bereits des­ halb nicht überzeugen, da der parlamentarische Gesetzgeber auch im Rahmen des Teilhaberegimes zumindest partiell, namentlich an das Willkürgebot des Art. 3 I GG, das zudem nach der neuen Formel des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 55, 72 (88 ff.)) überdies auch Verhältnismäßigkeitselemente impliziert, und damit an die materielle Werteordnung der Grundrechte gebunden bleibt. Es handelt sich bei der Teilhabethese von Dietrich Murswiek um einen plausiblen Anschauungsfall einer ethisch-materiellen Tränkung eines Rechtssystems, die von der Reinen Rechtslehre von jeher bekämpft wurde. Nur so ist die Modifikation der Freiheitsgrundrechte in Teilhaberechte an knappen Umweltgütern staatstheoretisch wie verfassungsdogma­ tisch angemessen zu erfassen. Derartige materiell-ökologische Theorien, die die Freiheitsrechte auf dem Altar eines naturstaatlichen Kollektivismus opfern möchten, sind grundsätzlich abzulehnen, da sie der Willkür im Staat Tür und Tor öffnen.



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eliminiert wird.61 Bei diesem Systemverständnis wird aber die den konven­ tionalen Beachtensbefehl indizierende formal-autoritäre Eigenart der Natur nicht berücksichtigt, die sich in dem geltungstheoretischen Vehikel der äu­ ßeren Grundnorm als der naturstaatlichen Verfassung im rechtslogischen Sinne widerspiegelt.62 Insoweit könnte auch von dem die unbändige physi­ sche Macht der ursprünglichen Natur verschleiernden Gorgonenhaupt ge­ sprochen werden, das als Phantom hinter den Berggipfeln, den Wäldern sowie sonstigen Elementen der Natur als anregender Appell hervorschim­ mert und synthetisch-kategorial die natürlichen Lebensgrundlagen in das Reich der objektiven Rechtsordnung überführt.63 Der dynamische Stufenbau des gesamten positiven Rechtsnormensystems steht damit von Grund auf unter dem verstärkenden Einfluss der naturstaatlichen Konventionalregel, ohne dass dies aber einer besonderen Begründung bedarf. Denn als einer der letzten Geltungsgründe der staatlichen Herrschaftsordnung ist die Natur als normative Rechtsgröße von derart legitimierender Staatsrelevanz, dass im Gegenteil eine konkrete Nichtbeachtung der Natur im Rahmen des ste­ tigen demokratischen Erzeugungs- und Anwendungsprozesses des Rechts­ normenmaterials einen wichtigen Abweichungsgrund notwendig macht.64 Die sich aus der äußeren Grundnorm als geistigem Produkt eines syntheti­ schen Apprehensionsakts im kantianischen Namen der reinen Vernunft erge­ bende formale Direktive führt so zu einem naturzentristisch-normativ akzentuierten Rechtspositivismus. Dies bedeutet, dass das positive Rechtsnor­ mensystem keine ethisch-materielle Färbung erhält, sondern in seiner set­ zungsbedingten Existenz dem Reinheitspostulat weiter verpflichtet bleibt. Darin liegt auch keine metaphysische Überhöhung des normativen Initial­ punktes, sondern angesichts der Rückbezogenheit auf die sinnliche An­ schauungswelt wird der vernunftspekulative Boden nicht betreten; die äuße­ re Grundnorm ist nur die transzendentallogische Kategorie, die die Rechts­ normenordnung im Sinne der empirisch fassbaren natürlichen Lebensgrund­ lagen komplettiert. Das gedachte Produkt dieses reinen Deduktionsprozesses 61  Am ausdrucksstärksten ist insoweit das Argument, dass es eine wirtschaftli­ che Notwendigkeit gebe, die es notwendig mache, die Natur im vorliegenden Fall zurücktreten zu lassen. 62  „Ohne Natur kein Staat.“ Die äußere Grundnorm ist deshalb auch die natur­ staatliche Verfassung im rechtslogischen Sinne. 63  Vgl. H. Kelsen, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichsverfassung, Aussprache, VVDStRL 1927 (3), 53 (55); M. Losano (Fn. 22), S. 88; R. Dreier, Sein und Sollen (Fn. 22), JZ 1972, 329 (332); J. Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung – Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassungge­ benden Gewalt, Opladen 1995, S. 20; H. Kimmel (Fn. 24), Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (297); B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 45), S. 11. 64  R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roß­ nagel (Hrsg.), Reformperspektiven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 78 f.

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ist eine vorgelagerte Hypotaxe der Rechtsnormenordnung, die die Natur praktisch in das positive Recht implantiert.65 Dies geschieht in Analogie zu dem Wesen der konventionellen Verfassungsregeln, die als nachgiebige, aber dennoch verbindliche Regeln reale Bedingungen für einen verfassungs­ rechtlichen Normenvollzug darstellen.66 Das positive Rechtsmaterial steht damit unter einer normativen Vorbehaltsklausel, wonach die Natur beachtet worden sein bzw. beachtet werden muss, damit das Rechtsnormensystem gelten kann. Hier greift nun wieder der von Carl Schmitt in anderem Zu­ sammenhang hervorgehobene Ausspruch: „Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muss hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat.“67 Mit anderen Worten ist die Wahrung der äußeren Grundnorm eine notwendige Bedingung für eine dauernde Frie­ 65  J. Hatschek, Konventionalregeln oder über die Grenzen der naturwissen­ schaftlichen Begriffsbildung im öffentlichen Recht, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 1909 (3), 1 (33). Entscheidend ist der folgende Gedankengang: „Die Grundnorm ‚verleiht‘ keinen (materiellen) Sinn, sondern erscheint in den einzelnen Normen, wie der reine Wille im besonderen Wollen zur Wirklichkeit wird. (…) Der ‚objektive‘ Sinn ist mithin nichts anderes als das, was an sich der Handelnde selbst will, wenn er denn wie der Betrachter das Ganze in den Blick nimmt. Das tatsäch­ liche Wollen trägt den ‚objektiven‘ Sinn, den ‚normativen‘ Willen, in sich. Denn das besondere, ‚psychologische‘ Wollen ist selbst ein Teil des Ganzen und Ausdruck des reinen, vernünftigen Willens.“ (M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tü­ bingen 2004, S. 191 ff.; Hervorhebungen im Original; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen (Fn. 24), S. 351 ff.; zur Parallele zu Georg Wilhelm Friedrich Hegel vgl. auch K. Löwith, Gott, Mensch und Welt in der Philosophie der Neuzeit – G. B. Vico – Paul Valéry, Stuttgart 1986, S. 219 f.). Mit anderen Worten: Der in der Grundnorm verortete freie Wille, der innere Sinn, wird durch den äußeren Sinn der Grundnorm gemäßigt. In den positiv erzeugten Rechtsnormen wie in den sonstigen Rechtsanwendungsakten zeigt sich jeweils der besondere Wille der Menschen, die aber bereits die Gesamtheit der Rechtsordnung vor Augen haben. Damit projiziert sich in sämtlichen Rechtsnormen ein auf die ganze ideelle Ordnung bezogener sub­ jektiver Sinn, in dem gleichsam auch der reine, vernünftige Wille zum Ausdruck kommt, der im 21. Jahrhundert nun aber durch den äußeren Sinngehalt der Grund­ norm gemäßigt ist, was nicht nur der Vernunft entspricht, sondern zu einer verstär­ kenden Einsicht im Sinne der Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen an­ mahnt. In Bezug auf den Zusammenhang von durch die Grundnorm vermittelter Geltung und der Wirksamkeit einer Rechtsnorm (vgl. nur M.  Losano (Fn. 22), S. 85 ff.) kann im Hinblick auf den Umstand, dass eine zeitliche Zäsur zwischen Setzung und Anwendung einer Rechtsnorm möglich ist, hinzugefügt werden, dass das subjektive Bedürfnis der Vernunft stets durch ein Sein indiziert wird, die zeitli­ che Zäsur dagegen schließlich als Ausdruck des Vorrechts der realen Fundamentali­ täten im Staat anzusehen ist. Im Subjektiven schwingt damit bereits das Objektive mit, das sich in einem ganzheitlichen Horizont idealtypisch offenbart. 66  G. Jellinek, Verfassungsänderung und Verfassungswandlung, Berlin 1906, S.  28 ff.; H. Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, Tübingen 1911, S. 103 ff. 67  C. Schmitt, Politische Theologie, Nachdruck der 2.  Aufl. (1933), 7. Aufl., Berlin 1996, S. 19.



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densordnung, weshalb der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ein vollzugslogisches Grundsollen darstellt, das jeder anwendbaren Rechtsnorm als Implantat eingesetzt ist.68 Der damit gegebene Konventionalbefehl kann dogmatisch überdies wie folgt begründet werden: Der moderne Staat besitzt in geopolitischer Bestimmung einen subjektiven Anspruch auf Achtung der territorialen Integrität. Das Staatsterritorium ist zwar ein wesentliches Kon­ stitutionsmoment des Staates, im 21. Jahrhundert ist aber insbesondere auch eine naturalistische Anschauung geboten, die die ursprüngliche Natur als fremdbestimmte Determinante in Erscheinung treten lässt. Diese staatsana­ loge Betrachtungsart der Natur führt in der völkerrechtlichen Außenperspek­ tive zu einem entsprechenden Schutzanspruch des modernen Staates gegen die Natur auf Unterlassen von grenzüberschreitenden Beeinträchtigungen. Da die Individuen aber nicht befähigt sind, die ökologische Herausforde­ rung selbst zu bekämpfen, ergibt sich daraus schließlich die Konstellation einer besonderen Obhutspflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern, die den konventionalen Naturbeachtensbefehl zur Folge hat.69 Insgesamt bleibt 68  Vgl. nur A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1813; H. Kelsen, General theory of law and state (Fn. 19), S. 22 f. Die in der inneren Grundnorm eingesetzte Autorität muss derart machtvollkommen sein, dass eine Friedensordnung dauerhaft garantiert ist. Aus die­ sem Grund steht diese den pouvoir constituant bildende, durch eine synthetische Verstandesleistung in die innere Grundnorm transzentallogisch transferierte politi­ sche Größe unter dem originären Beachtensbefehl der Natur. Damit bildet die äuße­ re Grundnorm die naturstaatliche Verfassung des Staates, ohne dass das positive Rechtsnormensystem aber ethisch-materiell gefärbt wird. Denn entscheidend ist in­ soweit nur das geltungstheoretisch Formale der Natur. 69  Die Argumentation folgt der Begründung des völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Verbots von erheblichen grenzüberschreitenden Umweltschädigungen; siehe hierzu nur M.  Buck / R.  Verheyen, Umweltvölkerrecht, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 4. Aufl., München 2014, § 1 Rn. 30 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz, in: R. Schmidt (Begr.), Umweltrecht, 9. Aufl., München 2014, § 1 Rn. 18 ff.; W. Erbguth / S. Schlacke, Umweltrecht, 5. Aufl., Baden-Baden 2014, § 8 Rn. 9 ff.; A. Randelzhofer, Umweltschutz und Völkerrecht – Grundstrukturen und Prinzipien, Jura 1992, 1 (3 ff.); N. Campagna, Die rechtliche Umsetzung ökologischer Forderungen, in: J.  Nida-Rümelin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Baden-Baden 2002, S. 155 f.; A. Epiney, Das „Verbot erheblicher grenz­ überschreitender Umweltbeeinträchtigungen“: Relikt oder konkretisierungsfähige Grundnorm?, Archiv des Völkerrechts 1995 (33), S. 309 ff.; vgl. auch U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, München 2000, S. 7. Ähnlich auch Christian Calliess: „Indem der Staat dem Bürger über die Schutzpflicht einen grundrechtlichen Ausgleich für das aus dem Gewaltmonopol fließende Verbot der Selbsthilfe bietet, wird das Ge­ waltmonopol zum staatstheoretischen Begründungsansatz der Schutzpflichten und gleichzeitig über diese in die Grundrechte transportiert.“ (Ch. Calliess (Fn. 29), S. 103); in diesem Sinne auch J. Isensee, Das staatliche Gewaltmonopol als Grund­ lage und Grenze der Grundrechte, in: E. Franßen (Hrsg.), Bürger – Richter – Staat,

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daher festzuhalten, dass die äußere Grundnorm nicht nur eine sinnlose Kon­ struktion ist, sondern sie bringt die geltungstheoretische Relevanz der origi­ nären Natur im Staat zum Ausdruck, die von den geschriebenen Verfas­ sungsurkunden nur unzureichend erfasst werden kann. Das Wesen der na­ turstaatlichen Konvention lässt sich insbesondere an einem dauerhaft unbewohnbaren Staatsgebiet in der Folge einer nuklearen Katastrophe auf­ zeigen. Hier besteht auf unbestimmte Zeit keine natürliche Geltung der Rechtsordnung mehr, und dennoch können die Staats- und Rechtsfunktionen im Rahmen des Rechtserzeugungs- und -anwendungsprozesses aufgrund der Nachgiebigkeit der äußeren Grundnorm fortgesetzt werden. Eine Dieb­ stahlsnorm etwa kann angesichts des internen Selbstbestimmungsrechts weiter befolgt und angewendet werden, auch wenn die natürliche Geltung ein Rechtsleben ausschließt. Die Rechtsnorm hat aber nur eine bedingte, schwebende Geltung. Die deshalb grundsätzlich gebotene Anerkennung des äußeren Naturbeachtensbefehls als eines regulativen Prinzips der Verfas­ sung, als naturrechtlich indizierter Staatsfundamentalnorm, hat zur Folge, dass der Staatsrechtslehre eine hermeneutische Grundlegung gegeben ist.70 Festschrift für Horst Sendler, Präsident des Bundesverwaltungsgerichts, zum Ab­ schied aus seinem Amt, München 1991, S. 60 f.; ders., Das Grundrecht auf Sicher­ heit – zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, Berlin u. a. 1983, S.  23 f.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik – verfassungsrechtliche Grundlagen und immissionsschutzrechtliche Ausformung, Berlin 1985, S. 101 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht – Aspekte der Geschichte, Begründung und Wirkung einer Grundrechtsfunktion, Baden-Baden 1987, S.  190 ff.; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975, S.  56 f.; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 1990 (48), S. 27 ff.; K. A. Bettermann (Fn. 28), S. 3 ff., v. a. S. 6 f.; vgl. auch D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, ebd., S. 38 f. / 57; M. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ord­ nung, Tübingen 2002, S. 193 ff.; B. Wiegand-Hoffmeister (Fn. 45), S. 12 f. In der Staatstheorie spricht man bei derartigen Verboten grenzüberschreitender Beeinträch­ tigungen auch von negativen Staatsservituten; dazu nur G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff (Fn. 1), S. 35 f. Im Verhältnis von Staat und Bürger ergibt sich die Schutzpflicht des Staates freilich aus der objektiv-rechtlichen Dimension der Grundrechte, wonach der Staat berufen ist, Leben und Gesundheit der Menschen zu bewahren. Siehe dazu R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T. Ellwein / J. Hesse (Hrsg.), Staats­ wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S.  42 ff.; B. Söhnlein (Fn. 51), S. 167 ff.; Ch. Link, ebd., VVDStRL 1990 (48), S. 43 ff.; eher kritisch I. Appel (Fn. 45), S. 97 ff. / 112 ff. Für die Dogmatik der natur­ staatlichen Konvention ist die völkerrechtliche Außenperspektive entscheidend. 70  Vgl. R. Bartelsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlegung einer Staats- und Rechtstheorie, München 1964, S. 21; P. Otto, Die Entwicklung der Verfassungslehre in der Weimarer Republik, Frankfurt a. M. u. a. 2002, S. 145 ff.; Ch. Link (Fn. 69), VVDStRL 1990 (48), S. 47 f. Grundsätzlich können insoweit auch die Ausführungen bei Ph. Mastronardi, Menschenwürde als materielle „Grundnorm“ des Rechtsstaates?, in: D. Thürer u. a. (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz – droit



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Das Verhältnis von Grundsatz und positivrechtlichen Verfassungsregelungen ist dabei insoweit zu verstehen, als der formale Grundsatz „Grund, Kriteri­ um und Rechtfertigung“ der verfassungsrechtlichen Regeln bildet, womit sich die Natur zu einem Kernelement des modernen Verfassungsstaates emporhebt.71 Daraus ergibt sich ein ökologischeres Verständnis der Verfas­ sung im Sinne einer verstärkten Wertverkörperung um der Natur willen: die naturstaatliche Konvention als neues Sinnprinzip der positiven Verfassung. constitutionnel Suisse, Zürich 2001, S. 238 ff. und Ch. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung – zur Dogmatik des Art. 1 GG, Tübingen 1997, S. 310 ff. / 501 ff. entsprechend herangezogen werden. Siehe insoweit auch die ent­ sprechende Forderung von Bernd Guggenberger mit Blick auf die Verankerung eines Staatsziels Umweltschutz (B. Guggenberger, Das Staatsziel Umweltschutz – Erster Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Umweltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 245), wonach sich das Kriterium Ökologieverträglichkeit und Ökologieförderlichkeit als thematische und als handlungspragmatische Orientierungsschneise durch die gesamte Verfassung zie­ hen müsse (Hervorhebungen im Original). Grundsätzlich zu einer ökologischen Verfassungstheorie auch K.-H.  Ladeur, „Vorüberlegungen zu einer ökologischen Verfassungstheorie“, Demokratie und Recht 1984, S. 285 ff. Vgl. insoweit auch die Parallele zum „institutionellen Wesensnaturrecht“ von Erich Kaufmann, der in den Grundrechten nicht nur individuelle Rechte, sondern auch objektive Werte des Ge­ meinschaftslebens erkennt. Demnach kann der Freiheitsmissbrauch nur vermieden werden, wenn beide Dimensionen der Grundrechte berücksichtigt werden. Die Grundrechte sind dabei mitunter Konkretisierungen eines überpositivistischen Natur­ rechts als Ausdruck der objektiven Vernunft; siehe zu der Institutionenlehre von Erich Kaufmann zusammenfassend nur U. Mager, Einrichtungsgarantien, Tübingen 2003, S.  141 ff. 71  Vgl. J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Pri­ vatrechts – rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpretationslehre, 4. Aufl., Tübingen 1990, S. 51 f.; Ch. Enders (Fn. 70), S. 310 ff. / 501 ff.; Ph. Mastronardi, Menschenwürde (Fn. 70), S. 238 ff., v. a. S. 243. In diesen Zusammenhang passen auch die Ausführungen von Felix Ermacora zur Einheit von positivem Recht und Naturrecht F. Ermacora (Fn. 42), S. 249 ff. Damit in Konformität steht der dy­ namische Geltungsbegriff von Hans Kelsen in der Reinen Rechtslehre. Während der statische Geltungsbegriff in Anlehnung an die Naturrechtsdoktrin auf eine inhaltlich gerechtfertigte Verbindlichkeit, eine begründete Normativität, abstellt, ist der dyna­ mische Geltungsbegriff im Sinne einer durch die Grundnorm und den Stufenbau der Rechtsordnung vermittelnden, hybrideren Zugehörigkeit einer Norm zur Rechtsord­ nung zu interpretieren. Auch hier zeigt sich damit wieder der Unterschied zwischen statischer Rechtsbetrachtung, die auf ein absolutes, materielles Geltungsprinzip ab­ stellt, und der auf einem formalen Geltungsprinzip beruhenden, dynamischen posi­ tiven Rechtsordnung, der eine – wenn man so will – relative Verbindlichkeit korre­ spondiert (siehe hierzu H. Kelsen, RR (Fn. 24), S. 72 f. / 196 ff.; G. N. Dias, Rechts­ positivismus und Rechtstheorie – das Verhältnis beider im Werke Hans Kelsens, Tübingen 2005, S. 206 ff. / 216 ff.). Die äußere Grundnorm ist demnach insoweit Geltungsgrund, Kriterium und Rechtfertigung der positiven Rechtsnormenordnung, als eine Norm nur dann als zugehörig zur Rechtsordnung betrachtet wird, wenn sie sich auf die Natur zurückführen lässt. Denn ohne Naturgeltung, keine Rechtsgeltung.

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IV. Der verwaltungsrechtliche Mikrokosmos als zu flexibilisierende Referenzebene im Sinne einer risikovorsorgenden und damit naturstaatlichen Konvention 1. Der unsichere technische Risikohorizont als rechtsstaatlicher Innovationsappell Naturstaat ist naturstaatliche Rechtsordnung. Eine Rechtsordnung muss dabei, um als Staat gelten zu können, relativ zentralisiert sein, d. h. sie muss den Charakter einer Organisation im spezifischen Sinne aufweisen, sie muss zentrale, arbeitsteilig funktionierende Organe – Gesetzgebungs-, Verwal­ tungs- und Rechtsprechungsorgane  ‒ für die Erzeugung und Vollziehung von denjenigen Normen einsetzen, die die in Rede stehende soziale Ord­ nung bilden.72 Der verwaltungsrechtliche Mikrokosmos ist somit nur eine Stufe des Rechtserzeugungs- und -anwendungsprozesses, die im systemkon­ formen Wirkungsradius der formell einleitenden und materiell legitimieren­ den Grundnorm in ihrem äußeren Sinn steht.73 Durch die gewandelte Pers­ pektive im innovativen Umwelt- und Techniksektor, die insoweit beschrieben werden kann, als „durch die Technik Schadensmöglichkeiten geschaffen werden, deren zeitliche Wirkungen weit in die Zukunft reichen, deren Ein­ trittswahrscheinlichkeit nicht mehr anhand der Lebenserfahrung festgestellt werden kann und deren Einordnung in eine identifizierbare Ursachenkette angesichts komplexer Wirkungszusammenhänge in der Regel nicht möglich ist“74, sieht sich der moderne Staat aber unabhängig von dem kategorialen 72  F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 10  f. (Im Original mit Her­ vorhebungen der wesentlichen Elemente, die für eine Identität von Staat und Rechts­ ordnung notwendig sind). 73  Vgl. nur H. Kelsen, RR (Fn. 24), S. 205; ders., AS (Fn. 4), S. 13 ff. / 250 f.; ders., FS Giacometti (Fn. 24), S. 148 f.; E. Bucher (Fn. 21), S. 47 f. In diesem Sinne schreibt auch Rainer Wolf (R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 62): „Das Um­ weltrecht ist nicht der Instrumentenknecht der Umweltpolitik. Umweltrecht ist Recht. Es folgt damit systemeigenen Regeln, die nicht beliebig geändert werden können und deren Änderung die Beachtung spezifischer Prozeduren verlangt. Umweltrechtliche Instrumente stehen daher vor einer doppelten Regelungsaufgabe: Sie müssen nicht nur steuerungstauglich sein und eine im Vergleich zu alternativen Instrumenten höhe­ re Effektivität aufweisen, sie müssen sich auch in das Rechtssystem moderner Verfas­ sungsstaaten integrieren lassen.“ „Umweltrecht ist mehr als ein Konglomerat von In­ strumenten. Es ist ein Normensystem.“ (Hervorhebung im Original). 74  U. Preuß, Risikovorsorge als Staatsaufgabe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsauf­ gaben, Frankfurt a. M. 1996, S. 530; C. Böhret, Innovative Bewältigung neuartiger Aufgaben, in: ders. u. a. (Hrsg.), Herausforderungen an die Innovationskraft der Ver­ waltung, Opladen 1987, S. 37 f. Ulrich Preuß skizziert unter Rekurs auf Carl Böhret die neue naturstaatliche Ausgangslage zutreffend mit den Worten: Die Kenntnis „ist aber in Bezug auf neuartige zivilisationsbedingte Gefährdungen immer seltener ge­ geben, so dass mit Blick auf die Veränderungen in der Bio- (Ozonloch) und in der



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Anleitungsbefehl der originären Natur dem Anforderungsfeld eines flexibi­ lisierenden Reformdrucks gegenüber, der nach einer sukzessiven Anpassung des herkömmlichen parlamentarisch-administrativen Vollzugsmechanismus unter dem Postulat einer Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verlangt, um nicht unter demokratischen Legitimationsgesichtspunkten einer zukünftigen Steu­ erungsineffizienz des Rechts das Wort zu reichen.75 Denn der auf „überbor­ dender Komplexität und Dynamik, nicht-linearen Kausalverläufen, Diskon­ tinuitäten und Irreversibilitäten, globalen Effekten sowie unabschätzbaren Risiken“76 gebaute Problemhorizont des modernen Naturstaates erschüttert zunehmend insbesondere das auf dem Begriff der sicherheitsrechtlichen Gefahr gegründete Ordnungsmodell des Staates, indem die in der Idee des abstrakten Gesetzes implizierte Annahme einer voraussehenden Wiederhol­ barkeit der zu bewertenden Sachverhalte und Konstellationen zunehmend obsolet wird und stattdessen durch ein durch die umfassendere Kategorie des Risikos, d. h. durch Urteile über Schadensereignisse, deren Verlässlich­ keit unterhalb der für den klassischen Gefahrenbegriff typischen hinreichen­ den Wahrscheinlichkeit bis hin zu der bloßen Möglichkeit angesiedelt ist, Geosphäre (Waldsterben, Verseuchung von Oberflächengewässern und des Grund­ wassers) oder auch auf epidemische Krankheiten (Aids, Allergien) nicht zu Unrecht von ‚schleichenden Katastrophen‘ gesprochen worden ist, weil sie ‚irgendwo‘, ‚ir­ gendwie‘ und ‚irgendwann‘ auftauchen, ohne dass Ursachen, Urheber und Entwick­ lungsparameter vollständig bekannt sind.“ (U. Preuß, ebd., S. 530 f.; Hervorhebun­ gen im Original). 75  Einen ausführlich begründeten Überblick zur Steuerungsineffizienz des „al­ ten“, interventionistischen Verwaltungsrechts und dem damit verbundenen Reform­ druck findet sich bei A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, Tübingen 1999, S. 1 ff. Siehe zu der Anpassungsnotwendigkeit des Rechts an den technischen Fort­ schritt auch R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Berlin 1982, S.  477 ff.; I. Appel (Fn. 45), S. 131 ff.; W. Brohm, Verwaltung und Verwal­ tungsgerichtsbarkeit als Steuerungsmechanismen in einem polyzentrischen System der Rechtserzeugung, DÖV 1987, 265 (265 f. / 268); W. Hoffmann-Riem, Verwal­ tungsrechtsreform – Ansätze am Beispiel des Umweltschutzes –, in: ders.  u.  a. (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, Baden-Baden 1993, S. 116 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, Technik und Erkenntniswandel als rechts­ staatliche Herausforderung, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 187 ff.; E. Denninger, Der Präventions-Staat, Kritische Justiz 1988 (21), 1 (5 ff.); U. Preuß (Fn. 74), S. 542 ff.; C. Böhret (Fn. 74), S. 29 ff. / 55 ff.; G. Teubner, Verrechtlichung. Begriffe, Merkmale, Grenzen, Auswege, in: F. Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität – vergleichende Analysen, Baden-Baden 1984, S. 317; D. Fürst, Die Neubelebung der Staatsdiskussion: Veränderte Anforderungen an Regierung und Verwaltung in westlichen Industriegesellschaften, in: Jahrbuch zur Staats- und Ver­ waltungswissenschaft 1987, S. 281 f. 76  A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 4; U. Preuß (Fn. 74), S. 523; vgl. D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 172.

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geprägtes Systemverständnis ersetzt wird, das aber das anhand eines Maß­ stabs der praktischen Vernunft beurteilte Restrisiko als sozialadäquate Er­ scheinung der technischen Massengesellschaft ausschließt.77 Folglich stößt der industriestaatliche Traditionalismus in der althergebrachten Form eines hoheitlichen Kontroll- und Rationalitätsanspruchs im Bereich der Umwelt angesichts der fachspezifischen Steuerungsdefizite, die insbesondere durch den ungewissen und unkontrollierbaren Risiko- und Folgenhorizont typi­ scherweise gegeben sind, sowie der bekannten Unumkehrbarkeit und apo­ kalyptischen Intensität der Auswirkungen auf die bzw. von der Natur im Hinblick auf die technische Machbarkeit zu einem unterminierten Legitima­ tionsniveau, dem andererseits aber die klare Forderung nach einer gesteiger­ ten ökologischen Effektivität des formellen und materiellen positiven Rechts korrespondiert.78 Das Lösungskonzept kann mit den Merkmalen der Multi­ 77  U. Preuß (Fn. 74), S. 527 ff.; P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, Köln 1979, S. 112 ff.; R. Steinberg (Fn. 47), S. 21 ff.; D. Murswiek, Umwelt­ schutz als Staatszweck – Die ökologischen Legitimitätsgrundlagen des Staates, Bonn 1995, S.  31 ff.; I. Appel (Fn. 45), S. 49 ff.; vgl. auch R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 74 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S.  165 ff.; R. Wahl, Risikobewertung der Exekutive und richterliche Kontrolldichte – Auswirkungen auf das Verwaltungs- und das gerichtliche Verfahren, NVwZ 1991, S.  409 ff.; ders. / I. Appel, Prävention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur recht­ lichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S.  13 ff.; M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat, in: C. F. Geth­ mann (Hrsg.), Handeln unter Risiko im Umweltstaat, Berlin u. a. 1993, S. 55 ff. / 64 ff.; ders., Umweltstaat (Fn. 51), S. 49; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 165 ff.; R. Pitschas, Die Bewältigung der wissenschaftlichen und techni­ schen Entwicklungen durch das Verwaltungsrecht, DÖV 1989, 785 (789 f. / 792 ff.); P. Koller, Die rechtliche Umsetzung ökologischer Forderungen, in: J. Nida-Rüme­ lin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., BadenBaden 2002, S. 127 ff. / 137 ff.; G. Winter, Von der ökologischen Vorsorge zur öko­ nomischen Selbstbegrenzung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 105  ff. Zum Begriff des Risikos grundlegend BVerfGE 49, 89 (139); 59, 30 (58 f.); P. Marburger, ebd., S. 114 ff.; M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit, ebd., S. 56 ff.; ders., Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 185 f.; vertiefend C. F. Gethmann, Zur Ethik des Handelns unter Risiko im Umweltstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umwelt­ staat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 181 ff. Dieter Grimm präzisiert dies in der folgenden formelhaften Diffe­ renzierung: „Im Unterschied zu der gesetzlich gut steuerbaren Tätigkeit des Ord­ nungsstaates, die retrospektiv, punktuell und bipolar ausgerichtet ist, fehlen der planenden und lenkenden Staatstätigkeit des modernen Wohlfahrtsstaates gerade diese Eigenschaften. Sie ist zukunftsgerichtet, flächendeckend und gruppenrelevant.“ (D. Grimm, ebd., S. 172). Siehe zum herkömmlichen bilateralen Eingriffsdenken auch R.  Wahl / J.  Masing, Schutz durch Eingriff, JZ 1990, 553 (556 f.). 78  U. Beck, Risikogesellschaft – Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frank­ furt a. M. 1986, S. 25 ff.; W. Hoffmann-Riem, Ökologisch orientiertes Verwaltungs­



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat709

lateralität, Multifinalität und Multimedialität umschrieben werden, was be­ deutet, dass sich der moderne Staat zu einer Erweiterung der an das her­ kömmliche Paradigma einer Trennung von Staat und Gesellschaft anknüp­ fenden bilateralen Konfliktsituation um ein mehrpoligeres Systemverständnis des Rechts genötigt sieht, das sowohl in formeller wie auch in materieller Hinsicht über eine angemessene Aufnahme- und Entscheidungskapazität bezüglich der grundsätzlich komplexen Ziel- und Interessenambivalenz ver­ fügt, sowie überdies ein multimediales, d. h. medienübergreifendes, ganz­ heitlich und integrierendes Umweltkonzept aufweist, das im Rahmen von politischen Abwägungs- und Entscheidungsprozessen „die Risiken sektoraler Blickverengung und fachressortegoistischer Verhaltensstrategien“ im Sinne eines übermedialen Ökologieansatzes überwinden kann.79 Als mustergülti­ ges Beispiel für die Realisierung dieser neuartigen Anforderungen können bereits die komplexen Planfeststellungsverfahren dienen, die in personeller Hinsicht den engen Personenkreis von Antragsteller und Entscheidungsbe­ hörde um sonstige Betroffene bzw. jedermann erweitern, wobei letztlich im regelmäßig vorgesehenen Erörterungstermin schon einwendungsrelevante Vorgriffe auf den späteren Abwägungsvorgang in Bezug auf die nicht prä­ kludierten Betroffenen erzielt werden, bevor dann nach umfassender Zielund Interessengewichtung ein mit Konzentrationswirkung ausgestatteter Planfeststellungsbeschluss ergeht, der neben einer formellen auch eine ma­ terielle Integrationskraft indiziert, indem ihm eine sektorenübergreifende Rationalität und Optimierung zugrunde liegt.80 Gleichwohl kann vor dem unsicheren Perspektivenhorizont aber nicht bestritten werden, dass die öko­ verfahrensrecht – Vorklärungen, AöR 1994 (119), S. 590 ff.; R. Grawert (Fn. 75), S. 464 f. / 477 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 167 ff.; vgl. auch R. Pitschas (Fn. 77), DÖV 1989, 785 (787 ff.); W. Hoffmann-Riem, Verwal­ tungsrechtsreform (Fn. 75), S. 116 ff. Siehe zum Terminus der Risikogesellschaft hinterfragend auch U. Preuß (Fn. 74), S. 532. Eine rechtshistorische Nachzeichnung der Entstehung des technischen Sicherheits- und Umweltrechts unter Berücksichti­ gung der Entwicklung des traditionellen Polizei- und Ordnungsrechts findet sich bei M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Um­ weltrecht, Berlin 1995, S. 11 ff.; ders., Die Bewältigung der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung durch das Verwaltungsrecht, DVBl. 1989, 851 (856 ff.); vgl. auch W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 1; R. Pitschas, ebd., DÖV 1989, 785 (789). 79  So nur W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (593  ff.); vgl. hierzu auch A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 4. Zu dem medienübergreifenden, gesamthaften Ansatz I. Appel (Fn. 45), S.  154 ff. 80  W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn.  78), AöR 1994 (119), 590 (593 ff.). Zum Planfeststellungsverfahren W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 40 ff. Dem Planfeststellungsbeschluss als Verwaltungsakt kommt letztlich eine Gestattungs-, eine (formelle) Konzentrations-, eine Gestaltungs-, eine Ausschluss­ wirkung sowie eine Enteignungsvorwirkung zu.

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logische Krisenlage des naturstaatlichen 21. Jahrhunderts notwendigerweise die Frage nach dem überforderten modernen Staat81 aufwirft, der die allge­ meine Verantwortung für den Umweltschutz auf seinen Schultern trägt und dabei unter der schweren Last einer inkompatiblen Herkulesaufgabe zusam­ menzubrechen droht. Denn ist die „Machbarkeitsrationalität“ des geforder­ ten Staates82 „durchlöchert oder gar widerlegt, dann führt eine solche Reak­ tion in den Teufelskreis nicht einlösbarer Versprechen, (…) in eine immer mehr ins Symbolisch-Rituelle abdriftende Politik vorgetäuschter Handlungs­ fähigkeit bei gleichzeitiger Verantwortungsentlastung derer, die umweltrele­ vante Daten setzen.“83 Der moderne Staat steht daher vor der schwierigen Herausforderung, das positive Recht einer notwendigen flexibilisierenden Anpassung zu unterziehen, um nicht mit dem Parlamentsgesetz und der inhaltlichen Bindung der exekutiven Gewalt an dieses eine symbolträchtige Errungenschaft des demokratischen Verfassungsstaates schleichend zu nivel­ lieren.84 Andererseits kann aber angesichts der Vielgestaltigkeit und Kom­ plexität der umwelt- und technikbezogenen Problemstellungen auf das klassische Ordnungsrecht nicht verzichtet werden.85 Angezeigt ist deshalb ein Mittelweg, womit der moderne Staat zu einem verwaltungsrechtlichen Jongleur im Rahmen einer multikomplexen Auswahl an alten und neuen Steuerungsinstrumenten avanciert.

81  In anderem Kontext begriffsprägend G.-K. Kaltenbrunner, Der überforderte schwache Staat – sind wir noch regierbar?, München u. a. 1975; M. Zöller, Der überforderte Staat – Plädoyer für eine freiheitliche Ordnungspolitik am Beispiel der Bildungspolitik, Stuttgart 1977; T.  Ellwein / J.  Hesse, Der überforderte Staat, Frank­ furt a. M. 1997; A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 4. 82  So R. Schmidt, Der geforderte Staat, NJW 1980, S. 160; A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 4. 83  W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn.  78), AöR 1994 (119), 590 (602). 84  Grundsätzlich zur Gesetzesbindung der nachrangigen Gewalten H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 231 ff. / 242 ff. Zum bestehenden Flexibilisierngsdruck im Umweltrecht A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 7; U. Preuß (Fn. 74), S. 542; R. Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, DÖV 1994, S. 749 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 172 ff.; M. Kloepfer, Interdisziplinäre Aspek­ te des Umweltstaats, DVBl. 1994, 12 (14); H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, Tübingen 1991, S. 203 ff.; vgl. dazu auch R. Wahl, Risikobe­ wertung (Fn. 77), NVwZ 1991, S. 409 ff.; R. Pitschas (Fn. 77), DÖV 1989, 785 (787 ff.); W. Berg (Fn. 51), S. 424. 85  So A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn.  75), S.  7; R. Grawert (Fn. 75), S. 464 f. / 479 / 481; M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 51), S. 64; W. HoffmannRiem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 135  ff.; vgl. auch M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung (Fn. 78), S. 24 f.; ders. (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (858 f.); N. Campagna (Fn. 69), S. 151 f.; R. Pitschas (Fn. 77), 785 (790 / 797 f.); M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 45), S. 51.



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In der staatswissenschaftlichen Literatur wird die naturstaatliche Konfigu­ rationsmission der modernen Staatlichkeit mit metaphorisch untermalten Formeln skizziert, die den schmalen Grad eines ökologisch ausgerichteten Staatswesens zum Ausdruck bringen. Demnach wird von dem demokrati­ schen Umweltvorsorgestaat gesprochen, der letztlich „den Weg zwischen der Skylla, der völligen Selbstaufgabe, der Diffundierung in unverbindliche Kooperationsformen, der Selbstüberantwortung an die Gesellschaft einer­ seits und der Charybdis, der Flucht in eine neue Form von Totalitarismus, in dem nicht nur das einzelne Produkt, sondern auch jeder Bürger von der Wiege bis zur Bahre im Hinblick auf seine Umweltverträglichkeit über­ wacht und entsprechend verplant wird, zu finden (hat).“86 Negativ assoziativ ist auch die Anmerkung, wonach das Etikett des ökologischen Rechtsstaats nur verschleiere, dass mit der Zauberformel des ökologischen Umbaus der Industriegesellschaft dem Polizeistaat die Hintertür in den freiheitlichen Rechtsstaat geöffnet werden solle.87 Bereits Ernst Forsthoff hatte die Opti­ onsmodelle für das Verhältnis von technischer Entwicklung und staatlicher Ordnung mit der Einteilung in den totalen, gewährleistend-kooperativen und liberalen Umweltstaat festgesetzt: der moderne Staat kann sich damit zum diktierenden Herrn und Promoter des technischen Fortschritts, zum konst­ ruktiven Rahmensetzer, innerhalb dessen die technische Entwicklung von­ stattengeht, sowie zum liberalen Nachtwächter einer komplementär ergänz­ ten Industriegesellschaft ausformen,88 womit jeweils unterschiedliche si­ cherheitsmotivierte Eingriffsintensitäten und -wirkungen in die bürgerlichen 86  R. Schmidt (Fn. 84), DÖV 1994, 749 (751); hierzu auch R. Wolf, Der ökolo­ gische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 71 ff.; U. Preuß (Fn. 74), S. 539. Für Rainer Wolf konstituiert sich der ökologische Rechtsstaat aus einer Prämissentrias: er hat die ökologische Herausforderung durch eine Entkopplung des ökonomischen Wachstums von der Zerstörung ökologischer Ressourcen zu bewerkstelligen, wobei er die poli­ tische Herausforderung einer Entscheidung unter Unsicherheit in sein Kalkül mitein­ zubeziehen sowie die individualrechtliche Herausforderung eines Schutzes der Bür­ ger vor unzumutbarer Inanspruchnahme mit rechtsstaatlicher Effizienz zu lösen hat (R. Wolf, ebd., S. 77). 87  M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung (Fn. 78), S. 11. 88  E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 2.  Aufl., München 1971, S.  151 ff.; M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (855); R. Grawert (Fn. 75), S. 462 ff. Eine allgemeine Typologie der Abstufung in der Intensität der staatlichen Aufgabenwahrnehmung findet sich auch bei Rainer Wahl (R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht (Fn. 69), S. 31) und kann für den Umwelt- oder Naturstaatsty­ pus entsprechend herangezogen werden. Demnach können eine vollständige Wahr­ nehmung einer öffentlichen Aufgabe (Monopolisierung), eine Teilnahme des Staates an der Aufgabenverwirklichung in Kooperation mit freien Leistungsträgern oder in Konkurrenz mit ihnen, eine Steuerung der Tätigkeit Privater durch Intervention (re­ gulative Politik) oder durch Subventionen, eine Schaffung und Durchsetzung der rechtlichen Rahmenordnung mit den Mitteln des allgemeinen Gesetzes sowie eine Anregung und Förderung privater Tätigkeit unterschieden werden.

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Freiheitsrechte verbunden sind.89 Hinter dieser abgestuften Systematisierung verbirgt sich vor dem Abbild der eingangs dargestellten unsicheren Aus­ gangslage im prekären Umwelt- und Techniksektor das vielleicht größte Legitimationsdebakel von verfasster Herrschaft, dem sich der moderne Staat seit seiner neuzeitlichen Entstehung nun stellen muss. Denn das staatliche Dasein ist zwar durch das Legitimationsmoment der natürlichen Lebens­ grundlagen bedingt, der Rechtfertigungsdruck bezieht sich aber insbesonde­ re auch auf die anerkannten rechtsstaatlichen Errungenschaften, ohne die ein moderner Naturstaat notwendigerweise als illegitimes staatliches Gewaltre­ gime erscheinen muss.90 Andererseits kann aber auch ein übermäßiger Ab­ bau von imperativ-interventionistischen Organisationsstrukturen der Verwal­ tung unter Legitimitätsaspekten als akzeptanzunwürdig anmuten, insofern die dadurch entstehende Lücke im Schutzniveau im Hinblick auf eine dauernde Gewährleistung einer sicheren Friedensordnung durch die gesell­ schaftlichen Protagonisten und Mechanismen nicht bzw. nur ganz unzurei­ chend geschlossen wird.91 Die der technologischen Risikoperspektive ge­ schuldete Abkehr von typischen regulativen Steuerungssystemen kulmi­ niert – wie bereits dargelegt ‒ auch in der Erosion der inhaltlichen Bindung der Verwaltung an das Parlamentsgesetz, das obgleich der Krisensymptome in Bezug auf seine legitimierende Kraft, seinen mehrheitsrationalen Aus­ druck und seine gleichheitswahrende Verbürgung ohne wirkliche Alternative bleibt.92 Daher ist der von den gesellschaftlichen Machtträgern der Techno­ struktur abhängige moderne Staat notwendigerweise auch zu einer koopera­ tiven Zusammenarbeit mit den soziologischen Faktoren verdammt, um vor dem Abbild der dem technischen Fortschritt geschuldeten abnehmenden 89  E. Forsthoff (Fn. 88), S. 151 f.; M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (855); R. Grawert (Fn. 75), S. 462 ff. / 478; vgl. auch J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstverständnis des demokra­ tischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (569 / 573); R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht (Fn. 69), S. 35 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 170; M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz (Fn. 45), S. 44 ff. Ernst Forsthoff: „Der Schutz der Grundrechte besteht darin, dass mit ihnen ein dem Einzelnen zustehendes Reservat aufgerichtet ist, zu dem die staatliche Ho­ heit entweder überhaupt keinen oder einen durch Gesetz geregelten und damit be­ grenzten Zutritt hat. Diesen Charakter des Reservats gibt man jedoch auf, wenn man die Grundrechte einem Vorbehalt unterwirft, denn damit bezieht man die Grundrech­ te in die Ordnung des sozialen Ganzen ein und unterwirft sie ihren wirklichen oder vermeintlichen Notwendigkeiten und Wünschbarkeiten.“ (E. Forsthoff, ebd., S. 152). 90  R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 71 ff. 91  Vgl. P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2.  Aufl., Wien 1996, S. 11 ff. 92  A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 7; vgl. insoweit im Hin­ blick auf die exekutivistische Risikoabschätzung- und ermittlung im Umwelt- und Technikrecht auch R. Wahl, Risikobewertung (Fn. 77), NVwZ 1991, S. 409 ff.



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Steuerungseffizienz des Parlamentsgesetzes überhaupt noch ein angemesse­ nes und hinreichendes demokratisches Legitimationsniveau sichern zu kön­ nen.93 Dies indiziert letztlich auch eine frühzeitige Einbindung der gesell­ schaftlichen Wirkmechanismen in den politischen Prozess, was unter ande­ rem durch informales Verwaltungshandeln, zunehmende verfahrensmäßige Beteiligungs- und Einwendungsrechte im Rahmen von Genehmigungs- und Zulassungsverfahren sowie durch kollaborative Entstehungsdiskurse und -vorgänge im Hinblick auf normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften geschehen kann.94 Insbesondere bei Letzteren wird evident, dass eine hin­ reichende demokratische Legitimation in Bezug auf den staatlichen ­Umweltschutz ohne die mächtige gesellschaftliche Technostruktur, die als tragender Wirtschaftspfeiler und bedeutender Informant für technischen Sachverstand agiert, nicht zu erreichen ist, abgesehen davon, dass ein leis­ tungsstarker Naturstaat auch grundsätzlich nur mit einer starken Umwelt­ schutzgesellschaft bestehen kann.95 Andreas Voßkuhle bringt die für die ökologische Krise auf der staatswissenschaftlichen Diskussionsebene erar­ beiteten Therapievorschläge, die sich tendenziell in der Rücknahme von direkten staatlichen Steuerungsinstrumenten und einer verstärkten Koopera­ tion sowie Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen Staat und Bür­ gern erschöpfen, auf den überzeugenden und richtigen Nenner, wenn er schreibt: „Das Recht soll sich danach vornehmlich darauf konzentrieren, Ziele zu formulieren, Optionen aufzuzeigen, Anreize zu setzen, Strukturen zur Verfügung zu stellen und Organisation und Verfahren einzurichten, um auf diese Weise die endogenen Potentiale der Gesellschaft, ihre Anpas­ sungs-, Reaktions- und Problemlösungskapazität in möglichst großem Um­ fang zu mobilisieren. (…) Unter den zentralen, aber keineswegs trennschar­ fen Schlüsseltopoi ‚Kooperation‘, ‚Prozeduralisierung‘, ‚Ökonomisierung‘, ‚Privatisierung‘ und ‚Deregulierung‘ (…) (kulminiert) ‚die Vorstellung eines sich selbst beschränkenden, nur noch vorsichtig und selektiv intervenieren­ den, kooperationsbereiten und ‚schlanken Staates‘, der nicht (mehr) als monolithische Einheit auftritt, sondern sich als ‚polyzentrisch handelnder Akteur‘ begreift, als ‚Mitspieler in einem Netz von Handelnden‘.“96 Der auf 93  R. Grawert

(Fn. 75), S. 462 ff. / 483 ff.; vgl. auch D. Fürst (Fn. 75), S. 271. Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119),

94  W. Hoffmann-Riem,

590 (604 ff.). 95  Siehe hierzu nur R. Steinberg (Fn. 47), S. 396 ff.; R. Pitschas (Fn. 77), DÖV 1989, 785 (790 ff.). 96  A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn.  75), S. 7; D. Fürst (Fn. 75), S.  261 ff.; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung (Fn. 84), S. 296 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 71 / 86 f.; R. Grawert (Fn. 75), S. 464 f.; R. Pitschas (Fn. 77), DÖV 1989, 785 (790 ff.); F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäischen Umweltrecht, Berlin 2005, S. 41 ff. / 49 ff.; B. MangelsVoegt, Kooperative Steuerung in einer diskursiven Umweltpolitik, Frankfurt a. M.

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das Prädikat der kausalen Unsicherheit gebaute, risikovorsorgende Problem­ horizont macht aus der modernen Staatlichkeit damit einen multifunktiona­ len Akteur im Rahmen eines demokratischen Legitimationswettstreits um die Natur, wobei sich aus dieser selbst transzendentallogisch als geltungs­ theoretischem Rechtserzeugungsprogramm eine notwendige, die staatliche Rechtsordnung überhaupt erst rechtfertigende, formale Beachtenspflicht er­ gibt. Folglich ist der staatliche Herrschaftsapparat als „Katalysator, Mode­ rator und Koordinator der Gesellschaft“97 anzusehen, der letztlich aber dennoch die Letztverantwortung für den existentiellen Fortbestand der ver­ fassten Staatsordnung trägt. Daraus ergibt sich wiederum das Wesen der 2002, S. 159 ff.; vgl. auch U. Preuß (Fn. 74), S. 543 ff.; P. Marburger (Fn. 77), S.  110 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 166 ff.; I. Appel (Fn. 45), S. 176 ff.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (623 ff.); W. Brohm (Fn. 75), DÖV 1987, 265 (268 f.); M. Kloep­ fer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz (Fn. 45), S. 55 ff.; vgl. auch W. Berg (Fn. 51), S. 437 ff.; A. Hurrelmann, Verfassung und ökologische Krise – Verfas­ sungstheoretische Lösungsansätze für Umweltprobleme, Hamburg u. a 2000, S. 96 ff.; M. Kloepfer, Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 45), S. 43 / 47 / 50; R. Zippelius (Fn. 1), S. 288 ff.; J. Tkaczynski, Vom Wesen und Wert der Demokratie von Hans Kelsen aus heutiger Sicht, Der Staat 2008 (47), 108 (119). Prozeduralisierung kann definiert werden, als „mittels Verfahren, mit verringerten inhaltlichen Vorgaben oder gänzlich ohne Vorgaben, Entscheidungen zu konstituieren und dabei die Inhalte der Entscheidungen mit zu determinieren“ sind; so grundlegend E. Hagenah, Neue Ins­ trumente für eine neue Staatsaufgabe. Zur Leistungsfähigkeit prozeduralen Rechts im Umweltschutz, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Frankfurt a. M. 1996, S. 492; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat, ebd., S. 57 ff.; R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl., Heidelberg 2003, § 2 Rn. 170 Fn. 350 m. w. N.; U. Preuß, ebd., S. 544 f.; siehe in diesem Kontext auch I. Appel, ebd., S.  173 ff.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht, ebd., AöR 1994 (116), 590 (590 f. / 599 ff.), der aber den Schwerpunkt auf ein modifiziertes Verwaltungsver­ fahrensrecht legt. Zu der neuen Kategorie eines schlanken Staates V. Busse, Verfah­ renswege zu einem „schlankeren Staat“, DÖV 1996, S. 389  ff.; H.  Hofmann /  K. Meyer-Teschendorf, Modernisierung von Staat und Verwaltung im Zeichen der Globalisierung – Vorschläge des Sachverständigenrates „Schlanker Staat“ und erste Umsetzungsergebnisse, Zeitschrift für Gesetzgebung 1997 (12), S. 338 ff. Einen De­ finitionsansatz des schlanken Staates gibt Volker Busse: „Dabei besticht der Begriff des ‚schlanken Staats‘ weniger durch seine juristische Prägnanz bei der Umschrei­ bung dessen, worum es geht; vielmehr hat er sich vorwiegend wegen seiner um­ gangssprachlichen Anschaulichkeit durchgesetzt. Allerdings muss dabei betont wer­ den, dass insbesondere das quantitative Element dieser Formulierung zu kurz greift: Es geht nicht allein um Verringerung von Staatstätigkeit, sondern auch und nicht zuletzt um qualitative Neubesinnung zu Voraussetzungen, Umfang und Organisa­ tionsformen staatlichen Handelns gemäß den Anforderungen, die in unserer sich wandelnden und komplizierter werdenden Gesellschaft heute und in überschaubarer Zukunft bestehen.“ (V. Busse, ebd., S. 389). Vgl. zum schlanken Staat auch W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht, ebd., AöR 1994 (119), 590 (604 ff.). 97  R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 58.



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat715

Konvention als ein aufgrund der absoluten Geltungsimmanenz der Natur indiziertes Beachtens-Muss und -Mehr im Rahmen der staatlichen Rechts­ ordnung. 2. Der moderne Naturstaat als die Parlamentssouveränität aufweichender Exekutivstaat Der risikovorsorgende Naturstaatstypus als imperativ-interventionistischer Regulator, gewährleistender Moderator, umweltökonomischer Stratege, pla­ nender Konstrukteur, ökologischer Steuerreformer sowie für Umwelttranspa­ renz sorgender Informant findet sich im Rahmen des polyzentrischen Netz­ werks aus zentralen Subeinrichtungen in der Rolle eines verstärkt selbststeu­ ernden Exekutivstaates wieder, womit hinsichtlich der rechtsstaatlichen Ge­ waltenteilungslehre eine partielle Aufweichung des herkömmlichen parlamentarischen Souveränitätsdogmas und eine restriktivere gerichtliche Kontrolldichte einhergeht.98 Der Grund für diesen sich teilweise auf eine 98  Siehe zur staatsorganisationsrechtlichen Änderung dieser herkömmlichen Rollenverteilung nur N. Wimmer, Raumordnung und Umweltschutz: der Umweltge­ staltungsstaat – systematische Bezüge und praktische Probleme, in: Verhandlungen des 6.  Österreichischen Juristentages, Wien 1976, S. 27 f. / 32; U. Preuß (Fn. 74), S.  542 ff.; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 171 ff.; R. Wahl, Risikobewertung (Fn. 77), NVwZ 1991, S. 409 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechts­ staat (Fn. 64), S. 58; W. Brohm, Situative Gesetzesanpassung durch die Verwaltung, NVwZ 1988, S. 794 ff.; ders. (Fn. 75), DÖV 1987, 265 (265 ff. / 270 f.); I. Appel (Fn. 45), S. 164 ff.; F. Shirvani (Fn. 96), S. 42 f.; vgl. auch R. Grawert (Fn. 75), S. 469 / 486 ff.; C. Böhret (Fn. 74), S. 29 ff.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfah­ rensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (593 ff.); R. Zippelius (Fn. 1), S. 295 f.; R. Schmidt (Fn. 84), DÖV 1994, 749 (750 f. / 753 f. / 756); R.  Wahl / I.  Appel, Präven­ tion und Vorsorge (Fn. 77), S. 13 ff.; R. Pitschas (Fn. 77), DÖV 1989, 785 (787 ff.); D. Fürst (Fn. 75), S. 273; H. Dreier, Hierarchische Verwaltung (Fn. 84), S. 200 ff.; ders., Die drei Staatsgewalten im Zeichen von Europäisierung und Privatisierung, DÖV 2002, 537 (539 ff.); M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit (Fn. 77), S. 79 ff.; R. Steinberg (Fn. 47), S. 147 ff. / 379 ff.; R. Mayntz, Thesen zur Steuerungsfunktion von Zielstrukturen, in: ders. / F.  Scharpf (Hrsg.), Planungsorganisation  – Die Diskus­ sion um die Reform von Regierung und Verwaltung des Bundes, München 1973, S.  91 ff.; E. Denninger (Fn. 75), Kritische Justiz 1988 (21), 1 (4 ff.); Ch. Pestalozza, Gesetzgebung im Rechtsstaat, NJW 1981, 2081 (2083); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 805 / 815 ff. Zum gerichtlichen Rechts­ schutz im Umweltschutz ausführlich W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 125 ff. In BVerfGE 53, 30 (76) wies das Bundesverfassungsgericht letzt­ lich mit Blick auf den stark technisch determinierten Umweltschutzsektor auf die Gefahr hin, dass „der Bereich zwischen Recht und Technik zum juristischen Nie­ mandsland“ verkommen könne, insofern eine Anpassung des Verfahrensrechts nicht erfolgen würde. Daraus ergibt sich andererseits die Verpflichtung des Gesetzgebers, Lernprozesse legislativ zu konturieren und zu sichern (R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat, ebd., S. 79).

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

Rückzugstaktik einlassenden Gesetzgebungsstaat99 liegt in der durch die un­ sichere Perspektive im technischen Umweltsektor bedingte Ohnmacht der legislativen Gewalt, die sich zunehmend auf abstrakte Programmierungen, finale Zielvorgaben bis hin zu etwaigen Modellen experimenteller Gesetzge­ bung beschränken muss, um der ökologischen Herausforderung gerecht wer­ den zu können.100 In verwaltungsdogmatischer Hinsicht kann insoweit dem­ nach durchaus von einer neuen Gestaltungskomponente gesprochen werden, die den klassischen Dualismus aus Eingriffs- und Leistungsverwaltung er­ gänzt, wobei aber auch diese herkömmlichen administrativen Betätigungsfel­ der sukzessive durch flexibilisierende Elemente der integrativen Kontextsteu­ erung durchsetzt und erweitert werden müssen.101 Denn nur durch einen an­ passungsfähigen und instrumentell beweglichen Verwaltungsapparat kann der kritischen Erkenntnis Rechnung getragen werden, dass die Funktionalität dynamischer Ökosysteme einer nicht-linearen und damit von rationalen Ver­ suchen eines erweiternden Kausalwissensdrangs nicht erfassbaren Entwick­ lungslogik folgt, so dass sich plötzliche Veränderungen der Ausgangslage, Brüche, Diskontinuitäten, Destabilisierungen sowie das langsam voranschrei­ tende Umkippen von ganzen Ökosystemen als beunruhigende Indikatoren für einen auf die Bewältigung der jungen ökologischen Krise programmierten modernen Staat darstellen.102 Der Naturstaat zeichnet sich deshalb durch eine zukunftsorientierte Typik des verwaltungsrechtlichen Mikrokosmos aus, des­ sen innere Struktur an die veränderten Rahmenbedingungen des technischökologischen Zeitalters angepasst sind,103 was insbesondere rechtsdogma­ tisch zu einer Vorverlagerung der normierten Eingriffsschwellen führt.104 Die 99  N.

Wimmer (Fn. 98), S. 27 f. (Fn. 45), S. 131 ff.; K.-H.  Ladeur, Das Umweltrecht der Wissen­ schaftsgesellschaft. Von der Gefahrenabwehr zum Risikomanagement, Berlin 1995, S.  127 ff.; F. Shirvani (Fn. 96), S. 42 f.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 76; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 172 f.; R. Wahl, Risi­ kobewertung (Fn. 77), NVwZ 1991, 409 (410 f.); R. Schmidt (Fn. 84), DÖV 1994, 749 (750 f.); W. Brohm (Fn. 75), DÖV 1987, S. 265 ff.; vgl. auch H. Dreier, Die drei Staatsgewalten (Fn. 98), DÖV 2002, 537 (539). Zu dieser Art von Gesetzgebung H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 242 ff. 101  So ausdrücklich N. Wimmer (Fn. 98), S. 21 f.; vgl. auch R. Wolf, Der ökolo­ gische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 67; W. Brohm (Fn. 75), DÖV 1987, 265 (268) („So­ zialgestaltung“). 102  U. Preuß (Fn. 74), S. 536. 103  Siehe hierzu nur die Gesamtdarstellung bei I. Appel (Fn. 45), S. 129 ff. 104  M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 51), S. 56; ders., Handeln unter Unsicherheit (Fn. 77), S. 55; ders., Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 45), S. 43; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 71 ff.; H.  Frhr. v. Lersner, Gibt es Eigenrechte der Natur?, NVwZ 1988, S. 988; R. Schmidt (Fn. 84), DÖV 1994, 749 (752 f.); I. Appel (Fn. 45), S. 50 f.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz (Fn. 28), S. 32; das Problemverhältnis von Rechtsstaat und Umwelt­ 100  I. Appel



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat717

folgende Darstellung dieses mehr auf das gestaltende Moment ausgerichteten Verwaltungsdogmatismus muss sich nun mit Blick auf die rechtstechnische Typisierung eines Naturstaates auf eine allgemeine Übersicht beschränken, die nur einen ganz groben Entwurf der verwaltungsrechtlichen Ausstattung eines ökologisch orientierten Staatswesens aufzeigen kann. Die naturstaatliche Domäne des modernen Staates ist durch ein vielseiti­ ges und -schichtiges Sortiment aus verschiedenen Instrumentarien gekenn­ zeichnet, das im Zuge flexibilisierender Innovationsschübe einen Bedeu­ tungszuwachs der zunehmend selbststeuernden exekutiven Gewalt indiziert. Dies wird vor allem an dem vorausschauenden Verwaltungsbereich des Planungsrechts evident, dessen rationale Methode auf die Zukunft gerichtet ist und auf dem Fundament eines Ist- und Soll-Vergleichs eine künftig zu erwartende bzw. intendierte Entwicklung programmatisch erfassen und len­ kungswirksam festsetzen kann.105 Die Verwaltung sieht sich dabei einem gesetzlich normierten Planungsinstrumentarium gegenüber, das eine sekto­ rale Feinsteuerung ermöglicht, indem die abstrakten Vorgaben im Sinne einer an bestimmten Planungszielen ausgerichteten Justierung prognoseab­ hängig ausgefüllt und präzisiert werden.106 Ein moderner Naturstaat kann aber auch auf die herkömmlichen Kontroll- und Steuerungsmittel des klas­ sischen Ordnungsrechts nicht verzichten.107 Im Bereich der direkten Verhal­ staat unter staatstheoretischen Aspekten darstellend auch Ch. Calliess (Fn. 29), S. 66 ff.; vgl. auch M. Möstl (Fn. 69), S. 193 ff. Siehe hierzu überdies I. Appel, ebd., S. 125 / 140 ff. zur Methode der Folgenorientierung und des Folgenmanagements, zum Kontroll- und Stoffmanagement sowie zur Risikoforschung und Erzeugung von Risikowissen. Demnach werden Technikfolgenabschätzungen, Risikoermittlungen und -bewertungen, Alternativen-, Verträglichkeits-, Vertretbarkeits- und Bedarfsprü­ fungen gefordert und vorweggenommen, um etwaige negative Folgen zu erkennen und zu verhindern. Mit dem Modell eines Kontroll- und Stoffmanagements soll der Weg eines Stoffes von der Gewinnung als Rohstoff, des Ge- und Verbrauchs als Produkt, seiner möglichen Wiederverwendung oder -verwertung bis zum endgültigen Verbleib gesteuert werden, um die zukünftige Entwicklung ökologiegetreu zu gestal­ ten. 105  I. Appel (Fn. 45), S. 130 / 160 ff.; grundsätzlich zur Planung W. Hoppe, Pla­ nung, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd. IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 77; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 69), § 4 Rn. 37 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn.  3 ff.; R. Zippelius (Fn. 1), S. 293 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 51), S. 60. Gemeinhin werden als Formen der Umweltplanung Umweltprogramme, um­ weltspezifische bzw. -relevante Fachplanungen sowie raumbezogene Gesamtplanun­ gen (überörtlich: Raumordnung, örtlich: Bauleitplanung) unterschieden. 106  I. Appel (Fn. 45), S. 130 f.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 5 / 11 f.; W. Brohm (Fn. 73), DÖV 1987, 265 (265 f.); N. Wimmer (Fn. 96), S. 38 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 51), S. 60 („ökologische Interventionslenkung“). 107  So A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 7; R. Grawert (Fn. 75), S. 464 f. / 479 / 481; vgl. auch M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung (Fn. 78), S. 24 f.;

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tenssteuerung sind deshalb weiterhin sanktionierbare gesetzliche Gebote und Verbote in der Ausformung von Leistungs-, Duldungs- und Unterlassungs­ pflichten notwendig, um die Normadressaten zu einem entsprechenden umweltgerechten und -schonenden Verhalten anzuhalten bzw. den zuständi­ gen Verwaltungsstellen die Durchführung von konkreten Maßnahmen im Bereich des Umwelt- und Naturschutzes zu ermöglichen, wie es etwa durch eingeräumte Betretungsrechte von Grundstücken der Anlagenbetreiber vor­ gesehen ist.108 Angesichts der unsicheren, auf Unwägbarkeiten gegründeten Perspektive zeichnet sich ein Naturstaat überdies in Bezug auf die klassi­ schen ordnungsrechtlichen Kontrollinstrumente der Verwaltung durch eine systematische Anpassung der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen an den Horizont der generationenübergreifenden Zukunftsvorsorge aus, was unter anderem durch ein dynamisches Prüfprogramm eines präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt geschehen kann, das neben vorsorgenden Technikklauseln auch sonstige Energieeffizienz- bzw. Abfallvermeidungskri­ terien beinhaltet, um eine umweltkonforme Betreibung einer emittierenden Industrieanlage langfristig sicherzustellen.109 Andererseits muss aber das direkte Steuerungsmittel eines repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt in Erwägung gezogen werden, das eine zulassende Entscheidung auch dann in das Ermessen der Behörde stellt, insofern die gesetzlichen Genehmi­ gungsvoraussetzungen bereits vorliegen, wenn es sich um ein überragend wichtiges Umweltgut handelt, dessen irreversible Beeinträchtigung das menschliche Dasein gefährden kann, wie es etwa bei der lebensnotwendigen Ressource des Wassers der Fall ist.110 Um aber der unsicheren und risiko­ ders. (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (858 f.); N. Campagna (Fn. 69), S. 151 f.; R. Pitschas (Fn. 77), DÖV 1989, 785 (790 / 797 f.); M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 45), S. 51. „Von daher gesehen sprechen gute Gründe dafür zu versuchen, die evidenten Flexibi­ litätsbedürfnisse einer ‚modernen‘ Verwaltungsrechtsordnung jedenfalls zu einem guten Teil (weiterhin) im Rahmen imperativ-interventionistisch geprägter Rechts­ strukturen zu befriedigen, deren Leistungsreserven in dieser Hinsicht nicht selten et­ was vorschnell unter dem Eindruck ubiquitären Reformeifers unterschätzt werden.“ (A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip, ebd., S. 7; Hervorhebung mit Klammer im Original). 108  W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 20 ff. / 75 f. Das Modell der zu dul­ denden Betretungsrechte gab es bereits im Deutschen Reich. 109  Siehe dazu nur U. Preuß (Fn. 74), S. 538 f.; R. Grawert (Fn. 75), S. 479; P. Marburger (Fn. 77), S. 117 ff.; M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (859 f. / 862 f.); I. Appel (Fn. 45), S. 135 f. / 185 f.; vgl. auch R. Schmidt (Fn. 84), DÖV 1994, 749 (754); M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit (Fn. 77), S. 79  f.; W. Brohm (Fn. 75), DÖV 1987, 265 (266); M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 45), S. 51. Grundsätzlich zu dem verwaltungsrechtlichen Kontrollinstrument eines prä­ ventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt (Kontrollerlaubnis) W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 32 ff. Zu den unterscheidbaren Varianten an gesetzlichen Technik­ klauseln M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit (Fn. 77), S. 86 ff.



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behafteten Entscheidungssituation im Zeitpunkt der konkreten Zulassung auch grundsätzlich gerecht zu werden, ist der moderne Naturstaat auf das Modell eines dynamischen und damit weicheren Bestandsschutzes auszu­ richten, das optional einen flexibleren Umgang mit dem nicht nach linearen Kausalitäten und demnach diskontinuierlich verlaufenden Entwicklungsgang einer Umweltrisikoquelle durch zeitliche Befristungen, nachträgliche Aufla­ gen und Anordnungen, Intervallkontrollen, Beobachtungs-, Berichts- sowie Anpassungspflichten vorsieht, um den später eingetretenen umweltwidrigen Zustand an das veränderte Anforderungsprofil anpassen zu können.111 Eine weitere Flexibilisierung des klassischen Ordnungsrechts kann zudem durch mehrstufige Verwaltungsverfahren erzielt werden, die eine abschnittsweise Beurteilung eines bestimmten Gesamtvorhabens ermöglichen, womit die Komplexität des administrativen Entscheidungsvorgangs durch ein stufen­ weise vor sich gehendes Analyse-, Bewertungs- und Teilgenehmigungssys­ tem ersetzt wird, so dass die unüberschaubare Ausgangslage hinsichtlich des teils enormen Risikopotentials einer Anlage zugunsten einer flexibel gestuf­ ten, konzentrierter ausgeformten und damit effizienteren Genehmigungspra­ xis überwunden wird.112 Eine andere Option stellen die gesetzlich vorgese­ 110  Siehe zum repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 32 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 69), § 4 Rn. 55 / § 8 Rn. 1 / 19 ff. 111  I. Appel (Fn. 45), S. 136 f.; M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit (Fn. 77), S.  91 ff.; ders., Technik und Erkenntniswandel als rechtsstaatliche Herausforderung, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft (Fn. 75), S. 188 f.; R. Wolf, Der ökologi­ sche Rechtsstaat (Fn. 64), S. 76 / 90 ff.; U. Preuß (Fn. 74), S. 543; W. HoffmannRiem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 171 ff.; ders., Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (614 ff.); R. Grawert (Fn. 75), S. 479 f.; P. Marburger (Fn. 77), S. 113; M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (864 f.); P. Koller, Die rechtliche Umsetzung ökologischer Forderungen (Fn. 77), S. 138. Möglich ist inso­ weit auch eine Verwandlung des statischen Bestandsschutzes in Vermögensschutz, so dass sich individuelle Interessen mit kollektiven Gemeinwohlbelangen angemessen abstimmen lassen. Siehe zu Letzterem nur R. Schmidt, Flexibilität und Innovations­ offenheit im Bereich der Verwaltungsmaßstäbe, in: W.  Hoffmann-Riem / E.  SchmidtAßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, Baden-Baden 1994, S.  106 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat, ebd., S. 92. Das Modell eines Vermögensschutzes entspricht letztlich auf dem Gebiet des Naturschutzes deutscher Verwaltungsrechtstradition. 112  R. Grawert (Fn. 75), S. 479; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (603 f.); M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (864 f.). Die Abschichtung, d. h. die Aufspaltung eines bestimmten Entscheidungs­ komplexes in unterschiedliche Teilelemente, kann in zeitlicher (z. B. Vorbescheid, Teilgenehmigung), in sachlicher (z. B. Vorklärung der Standortfrage, Linienführungs­ entscheidung, Trennung der immissionsschutzrechtlichen und der wasserrechtlichen Aspekte) oder in räumlicher Hinsicht erfolgen (z. B. Teilstreckenwegeplanung); siehe hierzu W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht, ebd., AöR 1994 (119), 590 (603).

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henen Saldierungslösungen dar, die im Rahmen von mehreren Genehmi­ gungsverfahren insoweit eine beweglichere Alternativenlösung bereitstellen, als ein „Mehr“ an Umweltbelastung bei der einen Anlage durch ein „Weni­ ger“ an zulässigen Emissionen im Rahmen einer anderen Anlage kompen­ siert bzw. saldiert werden kann. Mit dieser administrativen Vorgehensweise wird das ökologische Gesamtsystem letztlich nur in dem Maße belastet, wie es einer im 21. Jahrhundert angemessenen, wissenschaftlich fundierten Um­ weltvernunft entspricht.113 Daneben hat der moderne Naturstaat indirekte Verhaltenssteuerungsinstrumente einzusetzen, die unter anderem auf einem umweltökonomischen Kalkül beruhen und somit zu einer Internalisierung von externen Kosten für die nutzungsbedingte Inanspruchnahme von knap­ pen Umweltgütern beitragen können.114 In diesem Sinne kommen indirekte 113  Siehe hierzu R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 128 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 106 f.; vgl. auch W. Hoffmann-Riem, Ver­ waltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 140 ff.; G. Winter, Von der ökologischen Vorsorge zur ökonomischen Selbstbegrenzung (Fn. 77), S. 106 f. In dieses Flexibilisierungs­ schema passen aber auch sonstige Kompensationsmodelle wie etwa eine natur­ schutzrechtliche Eingriffsregelung, die Vermeidungs-, Ausgleichs- sowie Kompensa­ tionspflichten vorsieht; siehe hierzu R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S.  82 ff. 114  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 113 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 73. Als theoretische Grundlage für die Interna­ lisierung von externen Effekten, d. h. externen Erträgen („uncompensated benefits“) und Kosten („uncompensated burden“) ist der Ansatz des britischen Ökonomen Arthur Cecil Pigou (A. C. Pigou, The economics of welfare, London 1920) anzuse­ hen. Die dieser Theorie zugrunde liegende Essenz beruht auf der Prämisse, dass es stets zu Allokationsverzerrungen und damit auch zu Wohlfahrtsverlusten kommt, wenn ökonomische Aktivitäten Auswirkungen auf sonstige Wirtschaftssubjekte ha­ ben, ohne dass aber ein entsprechender Ausgleich über marktmäßige Austauschbe­ ziehungen stattfindet. Die Folge sind falsche Marktsignale, da die externen Effekte in der einzelwirtschaftlichen Rechnung unberücksichtigt bleiben, was eine Divergenz zu den gesamtwirtschaftlichen Knappheitsverhältnissen indiziert. Aus diesem Grund ist der Staat dazu berufen, durch wohlfahrtslenkende Aufsichtsmaßnahmen regulie­ rend für eine Internalisierung der externen Effekte zu sorgen, um eine Durchbrech­ nung des auf dem geschilderten Marktversagen beruhenden marktlichen Äquivalenz­ prinzips zu erreichen. Als Gegenentwurf zu diesem Pigou-Ansatz ist letztlich die Verhandlungslösung des britischen Ökonomen Ronald Harry Coase (R. H. Coase, The problem of social cost, in: Journal of Law and Economics 1960 (3), S. 1 ff.) anzusehen, der für eine Internalisierung von externen Effekten im Wege von auf der Grundlage einer möglichst vollständigen freien Eigentumsordnung stattfindenden Verhandlungen zwischen den Wirtschaftssubjekten plädiert. Nach dieser Theorie obliegt es damit dem freien Wettbewerb zwischen den privaten Akteuren, die exter­ nen Effekte zu internalisieren, wobei dies eine Zuweisung des öffentlichen Gutes Umwelt an einzelne Personen voraussetzt. Durch diese beiden (auch) mit theoreti­ schen Kritikpunkten behafteten Internalisierungskonzepte ist die Erkenntnis gereift, dass umweltökonomische Steuerungsinstrumente ergänzend durchaus sinnvoll sein können, dass aber gleichwohl politische Grundentscheidungen unabdingbar sind, da



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat721

Steuerungsmittel wie der staatlich gesteuerte Emissionszertifikatehandel oder Umweltabgaben in Betracht, die einen marktorientierten Dispositionsund Verteilungsmechanismus für als wirtschaftliche Ware zu beurteilende Umweltgüter installieren, indem nicht substituierbare bzw. nur schwer rege­ nerierbare Umweltgüter wie Wasser, Luft und Boden auf der Grundlage eines staatlich initiierten gesetzlichen Rahmens den Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen werden, wonach es in das freie Ermes­ sen der einzelnen Umweltnutzer gestellt ist, ob bzw. wie viel sie von dem knappen Umweltgut in Anspruch nehmen wollen, da sie nur insoweit Emis­ sionszertifikate benötigen bzw. zu einer Abgabenbelastung herangezogen werden.115 Abgesehen davon hat sich der moderne Staat aber auch grund­ sätzlich als ökologischer Steuerstaat zu präsentieren, der durch ein entspre­ chendes anreiz- und lenkungsbehaftetes Besteuerungssystem für eine steuer­ liche Honorierung umweltfreundlichen Verhaltens, eine erhöhte Heranzie­ hung für eine verkehrstypische bzw. übermäßige Beanspruchung von die zulässige Inanspruchnahme von Umweltressourcen nicht allein ökonomisch auf der Basis individueller Präferenzen bestimmt werden kann (sog. Standard-PreisAnsatz). Siehe zum Ganzen zusammenfassend R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle, ebd., § 2 Rn. 116 ff. Allein dieser ökonomische Theorienstreit belegt die Notwen­ digkeit eines modernen Naturstaates, der eben als multifunktionaler Jongleur die Allokation knapper Umweltgüter bewerkstelligen muss. 115  Siehe hierzu R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 121 ff. /  134 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 88 ff. / 104 f.; W.  Kahl / K.  F.  Gär­ ditz (Fn. 69), § 4 Rn. 82 ff.; W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S.  138 ff.; N. Campagna (Fn. 69), S. 151 f. Das umweltökonomische Instrument von Umweltabgaben führt zum einen eine effizientere Nutzung von Umweltressourcen herbei, da diese nur dort und insoweit verwendet werden, als die innovativen tech­ nischen Vermeidungskosten höher sind als die Umweltabgabe. Andererseits können Umweltabgaben aber auch Anreizpotentiale für überobligatorische Umwelt- und Technikstandards auslösen. Unabhängig von der konkreten Einordnung in Umwelt­ steuern, d. h. allgemeinverbindliche Geldleistungspflichten, die ohne eine besondere öffentliche Gegenleistung auch zu Einnahmezwecken erhoben werden, in Umwelt­ gebühren und -beiträge (Vorzugslasten), Erstere unterliegen dem Gegenleistungs­ prinzip, wonach eine Umweltgebühr von den entsprechenden Vorteilsnehmern für eine besondere öffentliche Leistung gefordert wird, Letztere werden von den nut­ zungsberechtigten Beitragspflichtigen für den Ausgleich eines sogenannten öffentli­ chen Aufwands, z. B. den Betrieb einer öffentlichen Einrichtung, vorgesehen, sowie in Sonderabgaben, die als ausnahmsweise zulässige Auffangbesteuerungsart eine Durchbrechung des allgemeinen Finanzierungsdogmas von der staatlichen Lasten­ tragung für öffentliche Umweltschutzmaßnahmen intendieren, können vier Arten von Umweltabgaben unterschieden werden: Umweltlenkungsabgaben, die als beein­ flussendes Instrument eine stetige Verringerung bzw. Vermeidung von Umweltbe­ lastungen beabsichtigen, Umweltfinanzierungsmaßnahmen, die der Finanzierung von staatlichen Umweltschutzmaßnahmen dienen, Umweltnutzungsabgaben, die den Nutzungsvorteil einer Umweltressource abschöpfen und Umweltausgleichsabgaben, die eine Kompensation für die Inanspruchnahme eines Umweltguts durch einen Nutzer zu eigenen Zwecken bewirken sollen.

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knappen Umweltressourcen wie Mineralöl sowie eine Wertabschöpfung mit Blick auf wirtschaftliche Premiumprodukte sorgt.116 Möglich ist aber auch eine staatliche Lenkung des Rechtsetzungsprozesses im Sinne einer dauer­ haften Verantwortung für die Umwelt durch Subventionen, oder die Vergabe von öffentlichen Aufträgen an etwaige ökologisch orientierte und bewährte Unternehmen,117 womit sich das staatlich-gesellschaftliche Anspruchsden­ ken naturstaatlich-konventional wandelt und auch festigt. Von Bedeutung kann auch die Option eines verschuldensunabhängigen Umwelthaftungs­ rechts sein.118 Als grundlegende Bedingung für eine effiziente demokrati­ sche und naturstaatliche Rechtsschöpfung ist zudem ein transparentes Um­ weltinformationsrecht anzuerkennen, das den Organträgern eine ausreichen­ de Wissensbasis für umweltrelevante Rechtsakte sichert, und der gesell­ schaftlichen Teilordnung einen ungehinderten Zugang zu Umweltdaten und -statistiken gewährt, um die Bürger für ein umweltgerechtes Handeln zu sensibilisieren und anzuleiten.119 In diesem partizipativen Kontext müssen 116  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 142; grundsätzlich zum Terminus des Steuerstaats W. Berg (Fn. 51), S. 425 f. m. w. N.; vgl. auch H.-H. Hartwich, Die Finanzkrise des Staates als Vehikel ökologieorientierter Steuerpolitik. Über Durchsetzungsfragen der Umweltpolitik, in: L. Metz / H. Weidner (Hrsg.), Um­ weltpolitik und Staatsversagen – Perspektiven und Grenzen der Umweltpolitikanaly­ se, Berlin 1997, S. 172 ff.; H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 240 ff. 117  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 155 ff. / 206 ff.; zu um­ weltrelevanten staatlichen Subventionen auch W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 85 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit (Fn. 77), S. 77; R. Grawert (Fn. 75), S. 470. Unter Subventionen werden die an Private von einem Träger der öffentlichen Verwaltung ohne marktmäßige Gegenleistung zur Erreichung eines bestimmten, im öffentlichen Interesse liegenden Zwecks gewährten geldwerten Leis­ tungen verstanden. Nach h. M. ist für die Vornahme von Subventionen eine Bereitstel­ lung der entsprechenden Mittel im Haushaltsplan ausreichend. Eine mehr auf den staatsorganisationsrechtlichen Primat der souveränen Volksvertretung bzw. auf die rechtsstaatliche Rechtssicherheit, vor allem im Hinblick auf betroffene Grundrechte von Dritten, ausgerichtete Gegenansicht verlangt dagegen auch für die Subventions­ gewährung eine gesetzliche Rechtsgrundlage, die die konkreten Bedingungen der Vergabe regelt. Dieser Ansicht ist schließlich aus Rechtsschutzgesichtspunkten zuzu­ stimmen. Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen stellt sich vor allem das allge­ meine Problem der Berücksichtigungsfähigkeit von ökologischen Gesichtspunkten, da stets das wirtschaftlichste Angebot den Vorzug erhält. Dieser Schwierigkeit kann da­ durch begegnet werden, dass ökologische Kriterien bereits in die Leistungsbeschrei­ bung aufgenommen werden. Zum Subventions- und Vergaberecht auch J.  Ruthig /  S. Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., Heidelberg u. a. 2011, S. 370 ff. / 456 ff. 118  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 161 ff.; W.  Kahl /  K. F. Gärditz (Fn. 69), § 4 Rn. 102 ff.; vgl. auch M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 51), S. 61. 119  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 174 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 84 f.; vgl. hierzu auch W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 128 ff.



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat723

schließlich auch noch die indirekten Steuerungsvarianten angesprochen wer­ den, die das freiwillig-kooperative Initiativ- bzw. Heilungsmoment der ge­ sellschaftlichen Kräfte hervorheben und mit den Begriffen der regulierten Selbstregulierung bzw. des konsensualen Verwaltungsverfahrens zusammen­ gefasst werden.120 Jenseits aller Differenzierungen liegt das Spezifikum der unter dem Terminus der regulierten Selbstregulierung vereinigten Options­ modelle in einer Beschränkung der staatlichen Steuerung auf eine Initiie­ rung, Anleitung und Absicherung der eigenverantwortlichen Durchführung einer öffentlichen Aufgabe durch Privatrechtssubjekte im Sinne einer garan­ tierten normativen Einbettung, womit sich die Staatsordnung auf eine schlanke Gewährleistungs- und Auffangverantwortung begrenzt und auf diesem Wege auf die Mobilisierung der endogenen Potentiale der Gesell­ schaft, ihre Kompetenz, Lernfähigkeit, Kreativität sowie Problemlösungska­ pazitäten vertraut.121 Als anschauliche Beispiele für eine selbstverantwortli­ che Erfüllung der Umweltschutzaufgabe durch Private können das durch die Überprüfung von staatlich bestellten Gutachtern gewährleistete betriebliche Ökologisierungsmanagementmodell des Umwelt-Audit angeführt werden, das durch freiwillige Innovationen auf der Grundlage einer unternehmeri­ schen Umweltpolitik zu einem ökologischen „Gütesiegel“ und damit zu Marktvorteilen beitragen kann, sowie die teilweise rechtlich obligatorisch vorgesehene Anstellung von privaten Betriebsbeauftragten, die einem Wirt­ schaftsbetrieb auf Dauer durch interne Reklamationen, Verbesserungsvor­ schläge und anleitenden Nachdruck eine umweltgerechtere Unternehmens­ philosophie vermitteln sollen.122 Unter dem Terminus des konsensualen 120  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 170 ff. / 192 ff.; hierzu auch W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (607 ff.); ders., Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 145 ff.; vgl. auch P. Knoepfel, Der verhandelnde Staat – schwacher, exklusiver und destabilisierender Staat? Drei selbstkritische Arabesken, in: L.  Metz / H.  Weidner (Hrsg.), Umweltpolitik und Staatsversagen – Perspektiven und Grenzen der Umweltpolitikanalyse, Berlin 1997, S. 155 ff. Zum Prinzip der Selbstverantwortung M. Ronellenfitsch, Selbstverantwor­ tung (Fn. 78), S. 25 ff. 121  R. Sparwasser / R. Engel / A. Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 170; U. Preuß (Fn. 74), S. 544; F. Shirvani (Fn. 96), S. 52 ff. / 144 ff.; A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 5: „die tendenzielle Rücknahme direkter staatlicher Steuerungstätigkeit in Form materiell-rechtlicher Vorgaben, die einhergeht mit einer verstärkten Zusam­ menarbeit sowie einer Aufgaben- und Verantwortungsteilung zwischen dem Staat und dem vom Untertan zum gleichberechtigten Verhandlungspartner aufgestiegenen Bürger.“ (Hervorhebungen im Original). 122  Siehe hierzu nur R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 172; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 87  f.; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 26 f. / 120 ff.; vgl. auch F. Shirvani (Fn. 96), S. 56 ff.; zum UmweltAudit auch H.  Hofmann / K.  Meyer-Teschendorf (Fn. 96), Zeitschrift für Gesetzge­ bung 1997 (12), 338 (343  f.); W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsverfahrensrecht

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

Verwaltungshandelns werden schließlich unter demokratischen und rechts­ staatlichen Aspekten aufgrund der oft unzureichenden gesetzlichen Rege­ lungsdichte und der damit typischerweise verbundenen Gefahren für die Rechtssicherheit bzw. einer lobbyistischen, gleichheitswidrig agierenden Verwaltung auch kritisch zu bewertende Handlungsformen wie Verwal­ tungsverträge, normersetzende und normprägende Verwaltungsabsprachen zwischen Staat und Industrie im Sinne von unverbindlichen, nur moralisch verpflichtenden gentlemen-agreements und informale vorhabenbezogene Kooperationen subsumiert.123 Gerade diese konsensualen Modelle machen noch einmal den steten Improvisationsdruck des modernen Staates deutlich, der sich im Rahmen der aus imperativ-interventionistischen und selbstregu­ lierenden Extremstützpunkten bestehenden naturstaatlichen Skyline vor dem anerkennenswürdigen Legitimitätshintergrund des wirtschaftlichen Fort­ schritts und der ökologischen Gesamtverantwortung wie ein Jongleur betä­ tigen muss. Auffällig ist aber, dass die Flexibilisierung des positiven Rechts mit einer Bedeutungssteigerung der Verwaltung einhergeht, indem dieser zunehmend weitere Beurteilungsspielräume zukommen, was schließlich mit einem Abbau der gerichtlichen Kontrolle korrespondieren muss.124 Der mo­ derne Naturstaat wird so zum selbststeuernden Exekutivstaat, dessen rechts­ (Fn. 78), AöR 1994 (119), 590 (611 f.); M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung (Fn. 78), S. 29 ff. 123  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 96), § 2 Rn. 192  ff.; ausführlich hierzu W. Hoffmann-Riem, Verwaltungsrechtsreform (Fn. 75), S. 145 ff.; vgl. auch F. Shirvani (Fn. 96), S. 66 ff. Anders stellt sich die Thematik dagegen bei behördli­ chen Warnungen und Empfehlungen dar. Hier ist fraglich, ob eine gesetzliche Grundlage notwendig ist, insofern mit der staatlichen Informationsmaßnahme Ein­ griffe in Grundrechte verbunden sind. Die Rechtsprechung verneint dies regelmäßig; siehe hierzu W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 69), § 5 Rn. 108  f. mit Nachweis der höchstrichterlichen Rechtsprechung. 124  Hierzu D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn.  28), S.  171  ff.; R. Wahl, Risikobewertung (Fn. 77), NVwZ 1991, S. 409  ff.; M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (865); relativierend A.  Epiney / K.  Sollberger, Zugang zu Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht, Berlin 2002, S. 84 ff. Ande­ rerseits ist aber eine Ausdehnung des Kollektivrechtsschutzes im Hinblick auf öf­ fentliche Umweltgüter anzuvisieren; so R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 64), S. 88 f. Für Rainer Wolf rechtfertigt sich ein erweiterter Kollektivrechts­ schutz aus dem gewandelten Funktionsverständnis des modernen Staates: „Er tritt nicht mehr nur einzelnen Bürgern mit Einzeleingriffen und -leistungen gegenüber, sondern schafft durch Gestaltung von Infrastrukturen, vorgelegter Risikovorsorge oder Konkretisierungen von sozial akzeptablen Risiken die Voraussetzungen für die Grundrechtsverwirklichung und versucht darüber hinaus, durch Delegation von Ent­ scheidungsbereichen, Regulierung von Selbststeuerung oder Eröffnung von Mitwir­ kungsmöglichkeiten an staatlichen Entscheidungen das Gemeinwohl in Form einer Netzwerkorganisation zu gestalten.“ Grundsätzlich zu dieser Möglichkeit H. Kelsen, AS (Fn. 4), S. 242 ff.



§ 20 Rechtsstaat und Naturstaat725

staatliche Bindung an das Parlamentsgesetz als Errungenschaft des demo­ kratischen Verfassungsstaates durch den unsicheren Risikohorizont des Umwelt- und Techniksektors notwendigerweise noch weiter abnimmt.125 Stattdessen nehmen die administrativen Abwägungsprozesse und Prioritäts­ entscheidungen deutlich zu, um den nicht-linearen Diskontinuitätsanforde­ rungen gerecht werden zu können, womit die Verwaltung zur eigentlichen Rechtsschöpfungsinstanz avanciert.126 Der umweltverwaltungsrechtliche Mikrokosmos als fortentwickeltes Rechtsgebiet wird somit als „gelebtes Verfassungsrecht“127 zum Sinnbild geltungstheoretischer Immanenzvorstel­ lungen der Natur im Staat.

125  A. Voßkuhle, Das Kompensationsprinzip (Fn. 75), S. 7; U. Preuß (Fn. 74), S. 542; D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn. 28), S. 172 ff.; R. Wahl, Ri­ sikobewertung (Fn. 77), NVwZ 1991, S. 409 ff. 126  D. Grimm, Der Wandel der Staatsaufgaben (Fn.  28), S. 172  f.; I. Appel (Fn. 45), S. 167 ff.; R. Steinberg (Fn. 47), S. 149. 127  Grundlegend hierzu L.  v. Stein, Handbuch der Verwaltungslehre, Bd. I: Der Begriff der Verwaltung und das System der positiven Staatswissenschaften, 3. Aufl., Stuttgart 1887, S. 118 ff.; G.-.Ch. von Unruh, Die Verfassung als Gewähr für Recht und Freiheit, DVBl. 1982, S. 517 ff.; M. Ronellenfitsch (Fn. 78), DVBl. 1989, 851 (852); vgl. hierzu auch M. Jestaedt, Eine deutsche Perspektive, in: J. Masing / O. Jou­ anjan (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, Tübingen 2011, S. 51 ff.

§ 21 Sozialstaat und Naturstaat I. Pflichtenethische Deontologie als Abgrenzungskriterium eines Naturstaates von dem staatsleitenden Prinzip des Sozialstaates Als ideengeschichtlicher Vorläufer des Weltstaatsprinzips mit der Natur be­ gegnet mit dem Sozialstaat eine Entwicklungsstufe des modernen Staates, die sich mit der wohlfahrts- bzw. kulturstaatlichen Attributtrias der „lenkenden, leistenden und verteilenden“ Organisationsgewalt angemessen skizzieren lässt.1 Während Demokratie als Staatsform die Methode der Erzeugung der Staatsordnung, der Bundesstaat die territoriale Gliederung des Staatsgebiets und die räumliche Geltung der Rechtsnormen sowie der Rechtsstaat das We­ sen des Staates als normative Ordnung betreffen, womit eine Art Grundord­ nung des Staates als Rechtsordnung verbunden ist, zeigen der Sozialstaat und der Naturstaat als materielle Direktiven des zeitbedingten und wandelbaren Gemeinwohls rechtsinhaltlich bereits Dimensionen an Staatsaufgaben, den Kulturzweck eines Staates, sowie allgemeine Leitlinien und Grundsätze des staatlichen Wirkens an.2 Der Sozialstaat, der sich aus den Komponenten der 1  R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a.  M. 1998, S. 44; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 18; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat als prozedurales Programm, in: A. Roßnagel (Hrsg.), Reformperspekti­ ven im Umweltrecht, Baden-Baden 1996, S. 69; U. Preuß, Risikovorsorge als Staats­ aufgabe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, Frankfurt a. M. 1996, S. 537; vgl. H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 42 f. / 238 ff. / 368. 2  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 13 ff. / 42 f. / 163 ff. / 321 / 343 ff. Siehe hierzu grund­ sätzlich auch Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S. 293; M. Hebeisen, Umweltschutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 139 f.; J. Isensee, Gemeinwohl und Staatsaufgaben im Verfas­ sungsstaat, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesre­ publik Deutschland, Bd. III: Das Handeln des Staates, 2. Aufl., Heidelberg 1988, § 57 Rn. 115; vgl. auch W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S. 421 f. / 425 ff. Eine vergleichende Dar­ stelllung des Sozialstaats- und Umweltstaatsprinzips des Grundgesetzes findet sich bei A. Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz“ und das Sozialstaatsprinzip im verfas­ sungsrechtlichen Vergleich, JuS 1996, S. 96 ff. Nach der Allgemeinen Staatslehre von Hans Kelsen fallen die staatsleitenden Prinzipien des Sozial-, Wirtschafts- und Naturstaats schließlich unter den rechtsinhaltlichen Kulturzweck des Staates; siehe nur H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 42 f.



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat727

Wohlfahrtsstaatlichkeit und der sozialen Gerechtigkeit speist, ist heute durch ein über die gewöhnliche Daseinsvorsorge weit hinausgehendes Kulturrecht ausgeprägt, dessen erwünschte soziale Zustände durch sanktionsbewährte Rechtsnormen realisiert werden,3 und das nur noch eingeschränkt zu überbli­ cken ist. Dazu gehören bzw. mit Blick auf die in erster Linie europarechtlich initiierten Privatisierungen der Verwaltung gehörten4 die Versorgung mit Wasser, Elektrizität und Gas, die flächendeckende Gewähr von Telekommu­ nikations- und Postdiensten sowie die infrastrukturelle Anbindung an ein Schienennetz, die Sorge für die Sozialversicherung und den Arbeitsschutz, die Arbeitsvermittlung, die Familienförderung, ein Gesundheitsrecht, grund­ sätzlich auch die humanitäre und finanzielle Hilfe bei außerordentlichen Er­ eignissen wie etwa verheerenden Naturkatastrophen sowie auszehrenden Missernten, das Schulrecht, das Siedlungsrecht, die Städteplanung, u. a.5 Da­ gegen ist der Naturstaat auf der epistemologischen Basis einer in Bezug auf das komplexe, dynamische Wirkungsgefüge der Natur durch Grenzen ratio­ 3  H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 796 ff. /  810 ff.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 285 f.; R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T. Ellwein / J. Hesse (Hrsg.), Staats­ wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S.  40 f.; Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grund­ gesetz, VVDStRL 1990 (48), S. 34 ff.; R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 143 f. / 393 ff.; H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutsch­ land, München 1984, S. 95 f.; zur Komponente der sozialen Gerechtigkeit auch A. Uhle (Fn. 2), JuS 1996, 96 (101); H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 1), S. 18; W. Berg (Fn. 2), S. 429; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 42 f. / 238 ff.; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grund­ riss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.– 205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 38 f. Das Bundessozialgericht formulierte in seiner Entscheidung BSGE 6, 213 (219) zum Sozialstaatsprinzip, dass dieses ausge­ richtet sei auf „Herstellung und Wahrung sozialer Gerechtigkeit und auf Abhilfe sozialer Bedürftigkeit.“ 4  Siehe zum Netzverwaltungsregulierungsrecht grundlegend J. Masing, Grund­ strukturen eines Regulierungsverwaltungsrechts – Regulierung netzbezogener Märk­ te am Beispiel Bahn, Post, Telekommunikation und Strom, Die Verwaltung 2003 (36), S.  1 ff.; ders., Zur Möglichkeit und Notwendigkeit übergreifender Grundsätze der Netzregulierung, in: J. Lüdemann, (Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisen­ bahn, Tübingen 2008, S. 155 ff.; vgl. aus deutscher Perspektive auch ders., Die Verfolgung öffentlicher Interessen durch Teilnahme des Staates am Wirtschaftsver­ kehr – Eine deutsche Perspektive, EuGRZ 2004, S. 395 ff. Zum Zusammenhang von Privatisierung und moderner Staatstätigkeit auch P. Huber, Zur Renaissance des Staates, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globa­ lisierung, Warszawa 2012, S. 37 ff. 5  R. Zippelius (Fn.  3), S. 285  f. Eine Grenze, über die hinaus die staatliche Kompetenz nicht ausgedehnt werden kann, ist für Hans Kelsen ebenso wenig wie irgendein Mindestgehalt an staatlicher Kompetenz bestimmbar (H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 42).

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemenien Naturstaatsrechtslehre

naler Erkenntnis geprägten Perspektive auf die nachhaltige Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen programmiert, was eine problemadäquate Fol­ genorientierung, die Ausrichtung auf eine zukünftige Generationen mit ein­ schließende Überlebensstrategie, eine grundsätzlich globalere Haltung ge­ genüber Umweltgefahren, mehr Prävention und Vorsorge und damit schließ­ lich eine ganz andere staatliche Gesamtverantwortung hinsichtlich der Natur indiziert.6 Überdies führt die dadurch bedingte globale, die ferne Zukunft bzw. das grundsätzliche anthropogene Dasein beinhaltende Dimension zu ei­ ner systematischen Modifikation des modernen Staates im Sinne eines Risi­ ko- und Prognosestaates, dessen zweckrationale Gebotenheit sich aus den Unsicherheitsfaktoren des unberechenbaren technischen Fortschritts und der mangelnden Einsichtsfähigkeit der Menschen in Bezug auf den gesamten Na­ turhaushalt nährt.7 In der Staatslehre werden der Sozialstaat und der Umweltbzw. Naturstaat auch unter der Oberkategorie eines Leistungsstaates zusam­ mengefasst, der für „die Verantwortung des Staates für die wichtigsten Vor­ aussetzungen der Erhaltung und Entfaltung der Menschen in einer modernen Gesellschaft“ steht.8 Angesichts der langfristig angelegten Zukunftsstrategie des Naturstaates, die auch das Handlungsziel einer präventiven Vorsorgedi­ rektive beinhalten muss, erscheint es aber als gerechtfertigt, die Naturstaat­ lichkeit in Abkehr von dem verwaltungsdogmatischen Dualismus von Ein­ griffs- und Leistungsverwaltung der Kategorie des Gestaltungsstaates zu un­ terwerfen, der den optimalen Umweltwert sichert und die Leistungsdimensi­ on insbesondere durch eine gesteigerte Planungs- und Koordinationstätigkeit erweitert.9 Denn der Naturstaat agiert als zukunftsgetreuer Fürsorgewalter für eine langzeitkompatible Sicherung der natürlichen Rahmenbedingungen der Rechtsordnung, was mit der Verbesserung der gestalterischen Flexibilität der an Gesetz und Recht gebundenen Verwaltung einhergehen muss, um dem nachhaltig orientierten Handlungsauftrag des Staates gerecht werden zu kön­ nen.10 6  Siehe hierzu nur I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 44 / 47 / 69 ff.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 1), S. 19 / 32 f.; vgl. auch U. Preuß (Fn. 1), S. 530 ff.; R. Wolf, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 1), S. 69 ff. 7  I. Appel (Fn. 6), S. 44 / 48. 8  So Ph. Mastronardi (Fn. 2), S. 296; vgl. auch M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 43. 9  So N. Wimmer, Raumordnung und Umweltschutz: der Umweltgestaltungsstaat – systematische Bezüge und praktische Probleme, in: Verhandlungen des 6. Österrei­ chischen Juristentages, Wien 1976, S. 21 f. / 25 / 38 ff.; vgl. M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 8), S. 43 f. 10  N. Wimmer (Fn. 9), S. 28 / 32. Siehe zu dieser Option einer flexibleren Recht­ setzung H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 242 ff.



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat729

Obwohl sich die langfristige Zukunftsperspektive mit der ihr eigenen Präventionsrichtlinie eines Naturstaates von der Optimierungsethik eines sozialen Staates grundlegend unterscheidet, wird das Sozialstaatsprinzip oft als konstitutionelles Auffangbecken für eine umwelt- bzw. naturstaatliche Ausrichtung angesehen.11 Dieser Rekurs erscheint insoweit gerechtfertigt, als es entwicklungsspezifische Parallelen zwischen dem Sozialstaat und dem Naturstaat gibt. In diesem Sinne der Kongruenz geht es bei beiden Systemanforderungen des modernen Staates um die Realisierung der unab­ dingbaren Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein bzw. den Gebrauch der Freiheitsrechte.12 Gemeinsam ist ihnen auch die nicht aus­ schließlich und auch nicht vornehmlich aus einem individualistischen Denk­ ansatz heraus zu bewältigende Ausrichtungstendenz, die beim Sozialzweck in der gesellschaftlichen Solidarität, beim Umweltzweck dagegen in der ökologischen Existentialität im supraindividuellen Interesse der Gesamtheit der Menschen besteht, die sich aus dem gebotenen Schutzauftrag der ein­ zelnen Umweltmedien als öffentliche Gemeinschaftsgüter ergibt.13 Aber auch bezüglich der ideengeschichtlichen Herausbildung besteht eine unbe­ streitbare Parallele. Denn der Sozialstaat ist im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die auf dem Fundament des politischen Liberalismus gegründete Wirt­ schaftsverfassung entstanden, deren wirtschaftliche und politische Freiheiten als unbeabsichtigte Nebenfolge auch zu sozialem Elend und Missbrauch beitrugen, der Naturstaat demgegenüber durch die ausbeutende Industriege­ sellschaft, die letztlich einen ungehemmten Ge- und Verbrauch von natürli­ chen Ressourcen, eine Verschmutzung und Vergiftung der einzelnen Um­ weltgüter zugelassen und gefördert hat.14 Ein analytischer Vergleich von Sozialstaat und Naturstaat muss im Ergebnis aber doch zu der Einstufung als Gegensatzpaar kommen, so dass eine Herleitung der naturstaatlichen Programmatik aus dem Sozialstaatsprinzip zumindest dem Vorwurf einer 11  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck – Die ökologischen Legitimi­ tätsgrundlagen des Staates, Bonn 1995, S. 46 f. 12  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 11), S. 46  f.; vgl. hierzu auch M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 46 / 48; J. Kölble, Dokumentation zur 9. wissenschaftlichen Fachtagung der Ge­ sellschaft für Umweltrecht e. V.  Berlin, 08. u. 09.11.1985, Berlin 1986, S. 5 f. 13  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 11), S. 47  f.; K. Bosselmann, Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Standortbestimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 53; vgl. auch J. Kölble (Fn. 12), S. 5 f. 14  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn.  11), S. 48; B. Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S. 228 ff. / 233; Ch. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat – zugleich ein Beitrag zur Grundrechtsdog­ matik im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse, Tübingen 2001, S. 58 f. / 65 f.; vgl. auch H. H. v. Arnim (Fn. 3), S. 95 f. / 506 f.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemenien Naturstaatsrechtslehre

nicht überzeugenden Teleologie ausgesetzt ist. Dies ergibt sich mitunter bereits daraus, dass die Sozialstaatlichkeit auch an einer Wachstums- und Fortschrittsvorsorge ausgerichtet ist, um den allgemeinen Wohlstand der Bevölkerung zu verbessern.15 Der Sozialstaat hat demnach vorrangig den materiellen Sättigungsgrad im Sinne des Habens von und des Teilhabens an materiellen Konsumgütern zum Ziel, worin eine Dissonanz mit einer natur­ staatlichen Systemimmanenz besteht, die gerade auf die Eindämmung der wirtschaftsstaatlichen Expansion zugunsten der natürlichen Ressourcenscho­ nung gerichtet ist.16 Überdies kann ein Umwelt- bzw. Naturstaat mit seinem diffizilen Verhaltenssteuerungsregime zu einer wirtschaftlichen Benachtei­ lung insbesondere auch von sozial Schwächeren führen, was dem sozialen Ausgleichsauftrag des modernen Staates insoweit zuwiderläuft, als der So­ zialstaat verpflichtet ist, etwaige soziale Ungerechtigkeiten zu verhindern bzw. zu beseitigen.17 Sozialstaatlichkeit ist primär Verteilungsgerechtigkeit, d. h. dem sozialen Staat geht es „um die Verteilung menschlichen Reich­ tums, den Ausgleich des Wohlstandsgefälles, um die Korrektur der Ergeb­ nisse marktwirtschaftlicher Prozesse am Maßstab der Leitidee sozialer Ge­ rechtigkeit“, weshalb er regulierend eingreift, um die durch das liberale Marktprinzip verursachte soziale Ungerechtigkeit zu beheben. Beim Um­ weltstaat geht es dagegen um irreversible Schäden, die zwar regulierend unterbunden werden können, die natürlichen Lebensgrundlagen können aber nicht einfach umverteilt werden, da sie jedem grundsätzlich zustehen und jeder auf sie angewiesen ist.18 Damit ist der wesentliche Unterschied zwi­ schen dem Sozialstaat und dem Naturstaat angesprochen, der mit dem Be­ griff der Gesamtverantwortung charakterisiert werden kann, wobei sich auch hier eine eindeutige Grenzziehung nicht bewerkstelligen lässt, wie etwa die öffentliche Aufgabe der sozialen Gesundheitspolitik zeigt. Der 15  R. Herzog (Fn. 3), S. 117 / 144; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 11), S. 48 f. Die von Roman Herzog in diesem Zusammenhang angeführte Er­ läuterung lässt sich aber freilich auch auf den naturstaatlichen Handlungsauftrag übertragen: „Hier scheint, wenn nicht alles trügt, gerade die epochale Aufgabe des modernen Staates zu liegen: aus der Fülle denkbarer Wege des Fortschritts diejeni­ gen auszuwählen, die der Menschheit die Güter der Erde nicht vorenthalten und ihr trotzdem ein Leben in größtmöglicher Freiheit sichern.“ (R. Herzog, ebd., S. 117). 16  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 11), S. 48 f. 17  M. Kloepfer, Droht der autoritäre ökologische Staat?, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 44; ders., Rechts­ umbildung (Fn. 12), S. 48; M. Hebeisen (Fn. 2), S. 139 f.; vgl. auch Ch. Link (Fn. 3), VVDStRL 1990 (48), S. 36. Grundsätzlich zum Umweltschutz als Verteilungspro­ blem M.  Kloepfer / S. Reinert, Umweltprobleme als Verteilungsprobleme in rechtli­ cher Sicht / Zuteilungsgerechtigkeit im Umweltstaat aus juristischer Sicht, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und phi­ losophische Aspekte, Bonn 1994, S. 205 ff. 18  D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 11), S. 49 f.



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat731

gestalterische Naturstaat besitzt eine Gesamtverantwortung für die Natur, da diese Aufgabe weder von Einzelnen noch von der Wirtschaft oder der Ge­ sellschaft angemessen realisiert werden kann.19 Nur der moderne Staat ist aufgrund seines Gewalt- und Rechtsetzungsmonopols in der Lage, dieses elementare Gemeinwohlanliegen zu erfüllen, wobei im Falle des ökologi­ schen Misserfolges die Existenz der staatlichen Rechtsnormenordnung auf dem Spiel steht.20 Aus dem Grund ist der prospektive Naturstaat analog den staatsleitenden Prinzipien Demokratie, Bundesstaat und Rechtsstaat nicht, wie für den Leistungsstaat typisch, an der Nützlichkeitsethik des Utilitaris­ mus, sondern an der pflichtenethischen Deontologie ausgerichtet, d. h. dass auch der Naturstaat zu der Grundordnung, der Minimalverfassung eines modernen Staates gehört, die unabhängig von den ihm übertragenen Aufga­ ben Bestand hat und haben muss.21 Damit schließt sich der Kreis zu der transzendentallogischen Grundnorm in ihrem äußeren Sinn. Denn ohne diese besteht ein moderner Staat in seiner konkreten rechtlichen Form nicht mehr, während der nicht wohlfahrtsstaatlich handelnde Nachtwächterstaat dennoch legitim sein kann.22 II. Die Prinzipien der Elementarität, der Gesamtverantwortung und der Nachweltvorsorge als die fundamentalen Stützpfeiler der Naturstaatsverfassung Die Naturstaatsverfassung baut auf den Prinzipien der Elementarität, der Gesamtverantwortung und der Nachweltvorsorge auf.23 Konkretisiert bedeu­ tet dies, dass der moderne Staat angesichts seines Rechtsetzungs- und Ge­ waltmonopols und somit in supraindividueller Gesamtverantwortung die na­ türlichen Lebensgrundlagen in ihrer elementaren Relevanz als einem der letzten Legitimationsgründe einer staatlichen Gemeinschaftsordnung zu be­ wahren hat, wobei sich der Schutzauftrag perspektivisch auch auf die lang­ fristige Zukunftsfürsorge im Sinne eines Generationenvertrages bezieht. Aus dieser naturstaatlichen Grundausrichtung, die sich in der hypothetischen 19  Ph.

Mastronardi (Fn. 2), S. 303. hierzu auch P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip – ein neuer Schlüssel zur Lehre vom modernen Rechtsstaat, Bern 1984 u. a., S. 118 ff. 21  Ph. Mastronardi (Fn. 2), S. 293 / 299; vgl. H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 1), S. 32. 22  Vgl. Ph. Mastronardi (Fn. 2), S. 293. 23  Vgl. Ph. Mastronardi (Fn. 2), S. 303  ff.; vgl. auch H. H. v. Arnim (Fn. 3), S. 131 f. / 506 f. Siehe zum Nachweltschutz H. Hofmann, Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, Stuttgart 1981, S. 280 ff.; I. Appel (Fn. 6), S. 116 ff.; R. Steinberg (Fn. 1), S. 81; M. Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: C. F. Gethmann (Hrsg.), Langzeitverantwortung im Umweltstaat, Berlin 1993, S. 22 ff. 20  Vgl.

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Grundnorm in ihrem äußeren Sinn bündelt, ergibt sich der formale Naturbe­ achtensbefehl, der eine konventionale Natureinsicht im Staat indiziert und somit den demokratischen Werterelativismus zugunsten der elementaren Na­ turbedingungen mäßigt.24 Unter dieser legitimierenden Prinzipientrias kommt es zu einer Spezifizierung in der Form von Unterprinzipien, die sich in den geschriebenen Verfassungsurkunden von manchen modernen Staaten auch bereits niedergeschlagen haben, was sie in den Rang von Rechtsprinzipien erhebt.25 Im Einzelnen gehören zu den Leitgrundsätzen der Naturstaatsver­ fassung das Gefahrenabwehr- und Schutzprinzip, das Vorsorgeprinzip, das Verursacherprinzip, das Integrationsprinzip, das Kooperationsprinzip und das auf eine dauerhaft umweltgerechte Entwicklung gerichtete Nachhaltigkeits­ prinzip.26 Das Gefahrenabwehr- und Schutzprinzip ist dabei auf eine Abwehr von polizeirechtlichen Gefahren ausgerichtet, wobei auch erhebliche Nach­ teile und Belästigungen durch bestimmte umweltrelevante Verhaltensweisen unterhalb der Schwelle der Gesundheitsgefahr von diesem Prinzip erfasst werden.27 Der moderne Naturstaat hat deshalb instrumentell etwa gefährliche Handlungen für die Natur zu verbieten, oder aber durch etwaige Genehmi­ gungsvorbehalte, kombiniert mit Immissionsstandards und Betreiberqualifi­ kationen, konkrete Anforderungen an eine Anlagenzulassung zu stellen, um Umweltgefahren bzw. sonstige negative Einwirkungen auf den menschlichen Lebensbereich abzuwehren.28 An diesen Regulierungsoptionen zeigt sich be­ 24  Siehe zur Einheitsfunktion der (äußeren) Grundnorm H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 165 / 248 f. Zum formalen Naturbeachtensbefehl als konventionaler Direktive be­ reits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 2. Teil, § 16, § 17 IV und § 18 I. 25  Vgl. hierzu J. Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts – rechtsvergleichende Beiträge zur Rechtsquellen- und Interpreta­ tionslehre, 4. Aufl., Tübingen 1990, S. 50 ff. Siehe dazu hinsichtlich des Staatsziels Umweltschutz des Art. 20a GG im deutschen Grundgesetz die Kommentierung von Dietrich Murswiek, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 7. Aufl., Mün­ chen 2014, Art. 20a Rn. 33 ff. 26  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle, Umweltrecht, 5.  Aufl., Heidelberg 2003, § 2 Rn. 10 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz, in: R. Schmidt (Begr.), Umweltrecht, 9. Aufl., München 2014, § 4 Rn. 19 ff. Daneben wird vor allem noch das Kompen­ sationsprinzip diskutiert, das auf eine Flexibilisierung des ordnungsrechtlichen Ins­ trumentariums gerichtet ist, indem „eine bestimmte Form der Freiheitsbetätigung lediglich unter der Bedingung erlaubt wird (…), dass ein anderweitiger Ausgleich der von ihr ausgehenden Beeinträchtigungen erfolgt.“ Dadurch wird eine angemes­ sene Balance zwischen dem auf Abwehr und Duldung gebauten binären ordnungs­ rechtlichen Systemmodell und prospektiven Innovationsmomenten erreicht, die sich aus den entgrenzten Bedingungen um die natürlichen Lebensgrundlagen ergeben. Siehe zum Kompensationsprinzip insoweit grundsätzlich A. Voßkuhle, Das Kompen­ sationsprinzip, Tübingen 1999, S. 8 ff. (Zitat auf S. 10). Zu den Grundsätzen der Umwelt(staats)verfassung auch Ph. Mastronardi (Fn. 2), S. 306. 27  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 15 f. 28  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 17.



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat733

reits, dass eine zu starre Grenzziehung zu dem Vorsorgeprinzip nicht möglich ist, die Übergänge vielmehr fließend sein können. Maßgeblich ist insoweit, ob die Gefahrenschwelle bereits überschritten ist oder zumindest noch nicht eindeutig, etwa weil die Realisierung einer Umweltgefahr in weiter Ferne liegt, wie es bei der sukzessiven Zerstörung eines Ökosystems der Fall sein kann, die konkreten Folgen einer Umweltnutzung nicht richtig eingeschätzt werden können, oder aber viele für sich genommen ungefährliche Kausalfak­ toren zusammenwirken, die aber langfristig mitunter zum Absterben des Wal­ des und dem weiteren Abbau der Ozonschicht beitragen können.29 Bei dem Vorsorgeprinzip geht es daher in erster Linie darum, dass schädliche Einwir­ kungen auf die Natur und die menschliche Umwelt frühzeitig und schon an der Quelle zu begrenzen sind.30 Dem Vorsorgeprinzip kann daher durch ge­ setzlich festgelegte Vermeidungspflichten oder Emissionsstandards genügt werden, um die spätere Entstehung von konkreten Umweltgefahren präventiv zu verhüten.31 Als tragendes Prinzip der Umweltverfassung ist überdies das Verursacherprinzip anzusehen, das den Verursachern von Umweltgefahren, Umwelt- beeinträchtigungen und Umweltschäden die sachliche und finanzi­ elle Verantwortung zuschreibt und so zu der angemessenen Verteilung des für die Wiederherstellung von natürlichen Lebensgrundlagen bzw. für sonstige Kompensationsmaßnahmen notwendigen Kostenaufwands beiträgt, wobei das Verursacherprinzip auch im Sinne einer abschreckenden Prävention etwa in der Form von Abgabenfestsetzungen für die Nutzung von konkreten Um­ weltgütern in Stellung gebracht werden kann.32 Damit beruht auch die Um­ 29  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle

(Fn. 26), § 2 Rn. 18 f. Mastronardi (Fn. 2), S. 306. Siehe zum Begriff der (Risiko)Vorsorge U. Preuß (Fn. 1), S. 537 ff.; R. Schmidt, Der Staat der Umweltvorsorge, DÖV 1994, 749 (752 ff.); I. Appel (Fn. 6), S. 185 ff.; M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 8), S. 56; ders., Handeln unter Unsicherheit im Umweltstaat, in: C. F. Gethmann (Hrsg.), Han­ deln unter Risiko im Umweltstaat, Berlin u. a. 1993, S. 71 ff.; G. Winter, Von der ökologischen Vorsorge zur ökonomischen Selbstbegrenzung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 105 ff.; W. Berg (Fn. 2), S. 423 f. / 426. In der umweltrechtlichen Literatur ist inzwischen weitestge­ hend anerkannt, dass zwischen der Risikovorsorge, d. h. dem präventiven Handeln unter Unsicherheit zur Risikominimierung, und der ökonomierelevanten bzw. bewirt­ schaftungsrechtlichen Ressourcenvorsorge, die auf die Einhaltung eines gewissen Abstands zur Gefahrenquelle und die Nichtausschöpfung von kritisch zu bewerten­ den Belastungsgrenzen an knappen Umweltressourcen gerichtet ist, zu unterscheiden ist; siehe hierzu zusammenfassend I. Appel, ebd., S. 186 ff.; M. Kloepfer, Handeln unter Unsicherheit, ebd., S. 71 f. 31  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 19. 32  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 31 ff.; M. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl., München 2004, S. 189 ff.; W. Kahl / K. F. Gärditz (Fn. 26), § 4 Rn. 23 f. Grundsätzlich zum Verursacherprinzip im Umweltrecht auch W. Frenz, Das Verursacherprinzip im Öffentlichen Recht, Berlin 1997, S. 42 ff. 30  Ph.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemenien Naturstaatsrechtslehre

weltverfassung eines modernen Staates auf einem Subsidiaritätsprinzip, das ein Eingreifen des Gemeinlastprinzips, d. h. eine Kostentragung durch die Allgemeinheit, nur ausnahmsweise, wenn kein Verursacher von Natur- und Umweltbeeinträchtigungen ausgemacht werden kann, gestattet.33 Da Um­ weltschäden oft nicht einem konkreten Verursacher zugerechnet werden kön­ nen, da vor dem Hintergrund eines unsicheren Ursache- und Wirkungszusam­ menhangs wie beim sukzessiven Waldsterben eine genaue Benennung der Verantwortungsperson nicht möglich ist, besteht noch das Optionsmodell ei­ nes finanziellen Ausgleichs durch Fonds, die speziell für Fälle vorgesehen werden, bei denen eine gemeinsame Schadensverursachung vorliegt, was als Ausdruck eines kollektiven Verursacherprinzips zu bewerten ist.34 Dass der Naturstaat aber auf dem Grundsatz der elementaren Gesamtverantwortung beruht, wird anhand des Integrationsprinzips deutlich, das auf eine ganzheit­ liche, medienübergreifende Strategie unter Einbeziehung der Wechselwirkun­ gen zwischen einzelnen Umweltmedien, neben dieser inneren Dimension der Integration aber auch auf eine externe Beachtungsimmanenz des Umweltund Naturschutzes als Querschnittsmaterie im Rahmen von sonstigen politi­ schen Sachbereichen gerichtet ist.35 Das Integrationsprinzip verpflichtet den Naturstaat damit, die gesamte Rechtsordnung auf einen intermediären Ökolo­ giekurs auszurichten, um auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass Pri­ vate zu einer solchen Gesamtsicht der materiellen Umweltsituation des Staa­ tes nicht in der Lage sind. Denn der Zweck des modernen Naturstaates ist es, eine „dauerhaft tragfähige Harmonisierung ökologischer, ökonomischer und sozialer Ziele“ zu erreichen,36 d. h. es ist zukünftig eine technische Entwick­ lung im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips anzustreben, die „die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne dass sie (unterdessen aber) die Fähigkeit künftiger Generationen, deren eigene Bedürfnisse zu decken, schmälert.“37 33  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 37; M. Kloepfer, Um­ weltrecht (Fn. 32), S. 195 ff.; R. Steinberg (Fn.  1), S.  131  f.; vgl. auch W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 26), § 4 Rn. 25. 34  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 36; W. HoffmannRiem, Verwaltungsrechtsreform – Ansätze am Beispiel des Umweltschutzes –, in: ders. u. a. (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts – Grundfragen, Ba­ den-Baden 1993, S. 170 f. 35  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 35. Siehe zum me­ dienübergreifenden, gesamthaften Integrationsansatz auch I. Appel (Fn. 6), S. 154 ff.; J. Masing, Kritik des integrierten Umweltschutzes, DVBl 1998, S. 549 ff.; U. Di Fabio, Integratives Umweltrecht – Bestand, Ziele, Möglichkeiten, NVwZ 1998, S.  329 ff. 36  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 23. 37  Ph. Mastronardi (Fn. 2), S. 307; A. Wasilewski, Umweltschutz als eine De­ terminante des modernen öffentlichen Wirtschaftsrechts, in: H. Bauer (Hrsg.), Öf­ fentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globalisierung – Grundsätze, Methoden, Perspektiven, Warszawa 2012, S. 209 ff. Dies entspricht dem Grundsatz des sustain­



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat735

Für den Ge- und Verbrauch für Umweltgüter bedeutet dies, dass erneuerbare Güter auf Dauer nur insoweit genutzt werden können, wie sie sich wieder regenerieren können, nicht erneuerbare Güter dagegen nur in dem Maße, wie ihre Funktionen durch sonstige Materialien oder Energieträger substituiert werden können.38 Da die moderne Naturstaatlichkeit aber, wenn sie nicht auf ein autoritäres Rechtsregime zurückgreifen möchte, nicht in der Lage ist, oh­ ne eine Zusammenarbeit mit den Rechtssubjekten der Gesellschaft einen leis­ tungsstarken Umweltschutz zu gewährleisten, wird die Umweltverfassung zudem durch das Kooperationsprinzip bestimmt, das ein kollaboratives Zu­ sammenwirken zwischen Staat und Gesellschaft vorschreibt.39 Dies kann in den Kooperationsformen des informalen Verwaltungshandelns, von Öffent­ lichkeitsbeteiligungen in Planungs- und Genehmigungsverfahren, der Ver­ bandsmitwirkung im Rahmen von einzelnen Rechtsgebieten bzw. des rechtli­ chen Angebots eines Umwelt-Audits geschehen, das zu einer Akkreditierung umweltfreundlicher Betriebe führen kann.40 Dadurch wird der naturstaatliche Gemeingeist durch eine Stärkung der Demokratie befördert, was den Rechts­ erzeugungs- und -anwendungsprozess im Sinne des Umwelt- und Natur­ schutzes verstärkt. Über dem Staat als Rechtsordnung aber schwebt die äuße­ re Grundnorm, die als Naturrecht bzw. – später womöglich dann auch ‒ Völ­ kergewohnheitsrecht einen steten formalen Naturbeachtensbefehl vermittelt. Durch die in ihrer transzendentalen Synthesis zum Ausdruck kommende, le­ gitimierende Elementarität der natürlichen Lebensgrundlagen wird das recht­ able development. Dieses Nachhaltigkeitsprinzip ist seit der UN-Klimakonferenz im brasilianischen Rio de Janeiro im Jahre 1992 als umweltrechtlicher Leitgrundsatz anerkannt. Siehe hierzu nur A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völker­ recht. Eine Untersuchung zur Entwicklung des Völkerrechts im Zeitalter der Globa­ lisierung, München 2001, S. 267 f.; M.  Buck / R.  Verheyen, Umweltvölkerrecht, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 4. Aufl., München 2014, § 1 Rn. 7 ff.; W. Erbguth / S. Schlacke, Umweltrecht, 5.  Aufl., Baden-Baden 2014, §  8 Rn.  18; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 26), § 1 Rn. 3 ff.; zum sustainable development auch E. Feess, Sustainable Development und Rahmenbedingungen, in: U. Steger (Hrsg.), Handbuch des integrierten Umweltmanagements, München u. a. 1997, S. 31 ff. Zur Langzeitverantwortung im Umweltstaat M. Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat als Zukunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 192 f. 38  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 23 ff. 39  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 48; M. Kloepfer, Um­ weltrecht (Fn. 32), S. 198 ff.; vgl. auch ders., Umweltstaat (Fn. 8), S. 58 f. / 74 ff. Zum kooperativen Umweltstaat unter Berücksichtigung von systemtheoretischen Ansätzen auch B. Mangels-Voegt, Kooperative Steuerung in einer diskursiven Umweltpolitik, Frankfurt a. M. 2002, S. 159 ff. Zum Begriff der Gesellschaft als Wertsysteme im Sinne einer normativen Staatslehre H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 15 f. 40  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 50; R. Wolf (Fn. 1), S. 86 f.; vgl. auch M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 8), S. 56 / 58 f.; U. Preuß (Fn. 1), S. 543.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemenien Naturstaatsrechtslehre

liche Normensystem, der gesamte öffentliche Raum, auf die Natur verpflich­ tet, was eine gesteigerte Einsicht in die Naturstaatlichkeit bewirkt. Die verob­ jektivierte Weltstaatsordnung mit der Natur hält daher zu einer Überwindung des demokratischen Werterelativismus zugunsten der Natur an. Die Konse­ quenz ist das Konventionalprinzip, das der freiheitlich-demokratischen Rechtsschöpfung ihre Abwägungssouveränität belässt, aber zu einer dauern­ den, legitimationsrelevanten Beachtung der natürlichen Lebensgrundlagen anhält. III. Wohlfahrtsstaatliche Übermacht und die Gefahr der autoritären Ökodiktatur Mit dem existentiellen Horizont einer langfristigen Bewahrung der na­ türlichen Lebensgrundlagen als immanente Systemvoraussetzungen einer staatlichen Rechtsnormenordnung steht der moderne Staat im wahrsten Sinne des Wortes vor einem von Natur aus indizierten Ordnungsdilemma. Denn die sich aus der Elementarität der Natur ergebende staatliche Regu­ lierungsvollmacht läuft letztlich Gefahr, in eine autoritäre Ökodiktatur um­ zuschlagen, deren radikal anmutender Regimecharakter zu einer Bedrohung der grundrechtlich gewährleisteten Freiheitssphäre der Menschen werden kann.41 Andererseits muss konstatiert werden, dass die anthropogene Ver­ 41  Siehe hierzu R. Wolf (Fn. 1), S. 73; U. Preuß (Fn. 1), S. 539; M.  Kloepfer / H.-P. Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Anthropozent­ rik, Freiheit und Umweltschutz in rechtlicher Sicht, Bonn 1995, S. 57; M. Kloepfer, Rechtsumbildung (Fn. 12), S. 45; ders., Umweltstaat (Fn. 8), S. 43 f. / 68 ff.; ders., Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 17), S. 42 ff.; I. Appel (Fn. 6), S. 123 ff.; H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates (Fn. 1), S. 32 f.; R.  Wahl / I.  Appel, Prä­ vention und Vorsorge: Von der Staatsaufgabe zur rechtlichen Ausgestaltung, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, Bonn 1995, S. 18; vgl. auch W. Berg (Fn. 2), S. 435 ff.; K. Bosselmann, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 13), S. 67; Ch. Link (Fn. 3), VVDStRL 1990 (48), S. 45 f.; R. Zippelius (Fn. 3), S. 288 ff.; I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Rudolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 422 f. / 425 ff.; M.  Linke, Demokratische Gesellschaft und ökologischer Sachverstand, St. Gallen 1991, S. 9 ff.; vgl. zum autoritären Staatsformat grundsätz­ lich auch U. Scheuner, Staatstheorie und Staatsrecht, Berlin 1978, S. 178 f. Negativ assoziativ zieht Michael Kloepfer (M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 8), S. 43 f.) die Parallele zum Polizeistaat heran, d. h. einem „Umweltstaat (…), in dem durch unli­ mitierte und übermäßige staatliche Umweltmaßnahmen Freiheitsrechte ganz oder weitgehend beseitigt werden.“ Zum (absolutistischen) Polizeistaat H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 121 f.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 109; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. Heidelberg 2004, S. 172 f. Als Begründer einer polizeistaatlichen Staatstheorie gilt unter anderem Johann Gottlieb Fichte; dazu nur R. Weber-Fas, Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 181 ff.



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat737

nunft mit Blick auf ökologische Fernziele oft nicht über die Gedankenwelt eines partikularen und kurzfristigen Interessenkosmos hinausgeht, weshalb es einer unter die Sanktion von Zwangsakten, d. h. unter generelle und individuelle Normen, gestellte Rechtserzeugung bedarf, um den umweltund naturbezogenen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.42 Aus diesem Grund ist ein dem Modell des liberalen Sozialstaats Siehe insoweit zum Zusammenhang von Demokratie und Autokratie auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 320 ff. / 368 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 2 ff. / 10 f.; ders., Verteidigung der Demokratie (1932), in: M. Jes­ taedt / O.  Lepsius, Hans Kelsen  – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S.  230 ff.; ders., Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 12 ff.; ders., Wissenschaft und Demokratie (1937), in: M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kel­ sen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 238 ff.; ders., Foundations of democracy (1955), in: M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 250 ff. / 347 ff. Berühmt ist insoweit das folgende Zitat von Hans Kelsen: „Was als Charisma eines einzigen Führers der Masse suggeriert werden kann, das lässt sich nicht gut auf die Vielen, viel zu Vielen, auf Herrn Jedermann übertragen: die höchstpersönliche Beziehung zum Absoluten, zur Gottheit, als deren Bote, Werkzeug, Nachkomme der Autokrat sich darstellt. Wollte die in ihrem inners­ ten Kern rationalistische Demokratie sich so legitimieren, sie käme der Fabel vom Esel in der Löwenhaut bedenklich nahe.“ (H. Kelsen, Staatsform und Weltanschau­ ung, ebd., S. 18). Für Hans Kelsen führt die politische Freiheit im Staat grundsätz­ lich auch zu einer Loslösung des Demokratismus vom Liberalismus. Denn indem die Forderung der Demokratie in dem Maße als erfüllt gelte, als die der staatlichen Ordnung Unterworfenen an der Erzeugung dieser Ordnung beteiligt seien, werde das Ideal der Demokratie unabhängig von dem Umfang, in dem die staatliche Ordnung die – sie erzeugenden – Individuen erfasse, d. h. unabhängig von dem Grade, in dem sie in ihre Freiheit eingreife. Auch bei schrankenloser Ausdehnung der Staatsgewalt gegen das Individuum, also bei völliger Vernichtung der individuellen Freiheit und Negation des liberalen Ideals, sei Demokratie – werde solche Staatsgewalt nur von den ihr unterworfenen Individuen gebildet – noch möglich. Und die Geschichte zeige, dass demokratische Staatsgewalt nicht weniger zur Expansion neige als auto­ kratische (H. Kelsen, Wesen der Demokratie, ebd., S. 10 f.). Später hat Hans Kelsen diese Ansicht relativiert und bestimmte Freiheitsgrundrechte als wesensimmanente Bestandteile einer Demokratie benannt; siehe hierzu H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung, ebd., S. 14; ders., Wissenschaft und Demokratie, ebd., S. 241, wo Hans Kelsen zwar nicht die wirtschaftliche Freiheit des Liberalismus, dafür aber die geistige Freiheit, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Glaubens- und Gewissens­ freiheit, das Prinzip der Toleranz sowie die Wissenschaftsfreiheit mit dem Glauben an die Möglichkeit ihrer Objektivität als Lebensprinzipien der Demokratie bezeich­ net. Siehe zu dem Zusammenhang von Demokratie und (enthüllender) Wissenschaft H. Kelsen, Wissenschaft und Demokratie, ebd., S. 238 ff. Damit näherte sich Hans Kelsen weiter an eine freiheitlich-demokratische Grundordnung, wie sie auch dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zugrunde liegt, an. 42  B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S.  158 f.; R. Grawert, Technischer Fortschritt in staatlicher Verantwortung, in: J.  Listl / H.  Schambeck (Hrsg.), Demokratie in Anfechtung und Bewährung, Berlin 1982, S.  485 f.; R. Schmidt (Fn. 30), DÖV 1994, 749 (751); B. Guggenberger, Das

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analoger liberaler Naturstaat, der die ökologische Eigenverantwortlichkeit der Individuen befördert und sich nur im Falle des Versagens der soziolo­ gischen Selbstheilungskräfte aufmacht, einen entsprechenden Ausgleich im Sinne einer umweltkonformen Systemgerechtigkeit zu schaffen, unzurei­ chend bzw. nur teilweise geeignet, um den naturstaatlichen Aufgabenradius angemessen zu bewältigen. Denn angesichts der langfristigen, generatio­ nenübergreifenden Orientierungsperspektive eines Naturstaats, die überdies auf den existentiellen Erhalt des staatlichen Daseins überhaupt program­ miert ist, wäre es zumindest fährlässig, auf das subjektive und willkürliche Gutdünken der gesellschaftlichen Wirkmechanismen zu vertrauen, d. h. auf einen weitgehend deregulierenden politischen Bauplan, der in den Bahnen der Freiheit und der Achtung von grundrechtlichen Bindungen eine abge­ flachte Steuerungspolitik vorsieht, die die Chancen der Menschen erhöht, ein eigenverantwortliches Leben mit der Natur zu führen, sich selbst im Rahmen des wirtschaftlichen Erwerbs ökologische Grenzen aufzuerlegen, eine Umweltstrategie also, die durch einen bestimmten Ordnungsrahmen die ökologische Existenzangst nimmt und darauf abzielt, möglichst alle Bürger in eine moderne Naturgesellschaft gleichberechtigt zu integrieren.43 Ein derartiges Modell eines liberalen Naturstaats ist zwar durchaus wün­ schenswert, die nicht zu leugnende Gefahr einer wirtschaftlichen Entartung aber zu unüberschaubar, da der freie Markt schlicht unfähig ist, die öko­ logische Krise selbst zu bewältigen.44 Andererseits müssen aber die extre­ men Positionen eines Ökofaschismus bzw. eines Ökosozialismus verhindert werden, d. h. von totalitären Staatsformen, die entweder „ein für ein dikta­ torisches Regime notwendiges Entscheidungsmonopol unter weitgehender Aufrechterhaltung (oder Nivellierung) der bisherigen Eigentumsverhältnisse durchsetz()(en)“, oder die sich eben dadurch auszeichnen, „dass die Mono­ polisierung der Staatsgewalt unter Aufhebung privater Verfügungsmacht über umweltrelevante Güter geschieht“, was eine planwirtschaftliche Pla­ nungs- und Zuteilungsordnung indiziert.45 Auch wenn diese an einer Ein­ Staatsziel Umweltschutz – Erster Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Um­ weltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S.  244 f. 43  Vgl. U. Di Fabio, Wachsende Wirtschaft und steuernder Staat, Berlin 2010, S. 139 (zum sozialen Staatsziel). Siehe zum Modell eines liberalen Naturstaats auch M.  Kloepfer / H.-P.  Vierhaus, Freiheit und Umweltschutz (Fn. 41), S. 57 ff.; A. Uhle (Fn. 2), JuS 1996, 96 (98 f.); vgl. auch M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 8), S. 70 ff.; W. Berg (Fn. 2), S. 423. In diesem Zusammung grundsätzlich zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 49 ff. 44  Vgl. P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip (Fn. 20), S. 118  ff.; grund­ sätzlich auch R. Herzog (Fn. 3), S. 133 ff. 45  Siehe dazu M. Kloepfer, Autoritärer ökologischer Staat (Fn.  17), S. 46  f.; ders., Umweltstaat (Fn. 8), S. 68 f.; ders., Vom Umweltrecht zum Umweltstaat?, in:



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat739

griffsskala gemessenen äußeren Regimeordnungen durchaus befremdlich anmuten, so ist aber doch zu bedenken, dass eine Umweltnot stets eine Notstandssituation erzeugen kann, so dass ein ökologischer Autoritätsstaat vor allem immer dann entsteht, wenn der Staat in einem natürlichen Cha­ oszustand versinkt, der ein menschenwürdiges Staatsleben unmöglich wer­ den lässt.46 Wie kann der moderne Staat also diesem Dilemma entgehen, das mit dem Begriffspaar Freiheit und Sicherheit ausgedrückt werden kann? Die Antwort besteht wieder in der Einordnung der Natur als einer Konventionalgewalt im Staat. Durch die äußere Grundnorm wird der mo­ derne Staat stets auf den formalen Naturbeachtensbefehl verpflichtet, dieser normativen Hypotaxe können aber etwaige Zugeständnisse abgerungen werden, insofern eine menschenwürdige Naturbasis nicht zur Disposition steht. Es ist deshalb grundsätzlich ein liberaler Naturstaat anzuvisieren, der die Eigenverantwortlichkeit der sozialen Teilrechtsordnungen gegenüber den natürlichen Lebensgrundlagen bestärkt und im Rahmen eines freiheit­ lich-demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnungsrahmens im Sinne der Natur anleitet. Insoweit kommen vor allem indirekte Verhaltenssteuerungs­ instrumente in Betracht, die die einzelnen Menschen zu einem umweltge­ rechten Verhalten anhalten können, wie es etwa durch Umweltabgaben, den Handel mit Emissionszertifikaten oder informale Behördentätigkeit ge­ schieht.47 In dieses Schema passen auch Privatisierungsbestrebungen, die U. Steger (Hrsg.), Handbuch des Umweltmanagements – Anforderungs- und Leis­ tungsprofile von Unternehmen und Gesellschaft, München 1992, S. 56; M.  Linke (Fn. 41), S. 13; vgl. auch H. Kelsen, Vom Wesen der Demokratie (Fn. 41), S. 93 ff.; ders., Verteidigung der Demokratie (1932) (Fn. 41), S. 230 ff. In den Staatsformen einer Ökodiktatur bzw. eines Ökosozialismus kulminiert sich die Vorstellung einer absoluten ökologischen Gerechtigkeit und damit ein materielles Dogma der Partizi­ pationsgleichheit an dem kollektiv bestimmten Umweltwert bzw. an knappen Um­ weltgütern zu einem wesensimmanenten Bestandteil einer scheindemokratischen Ideologie. Denn durch die Annahme eines ökologisch-materiellen Wesensmoments der Demokratie wird der einem umweltpolitischen Absolutismus bzw. einer umwelt­ gerechten Gleichheit streitende Inhalt einer sozialen Ordnung zu einem Grundmerk­ mal dieser Staatsform gemacht, obgleich die Demokratie ausschließlich für eine bestimmte Methode der Erzeugung der sozialen Ordnung steht. Eine derartige ter­ minologische Manipulation hat so den durchaus bedenklichen Effekt, dass die Rechtfertigungskraft und der Gefühlswert des der Idee der Freiheit verpflichteten Schlagwortes der Demokratie zu ökodiktatorischen bzw. ökosozialistischen Zwecken missbraucht wird (vgl. H. Kelsen, Wesen der Demokratie, S. 94 f.). Aus diesem Grund bereitet der sich aus der äußeren Grundnorm ergebende formale Naturbeach­ tensbefehl nur eine verstärkende Einsicht in das Erzeugungsmoment der Natur, ohne die der politische Setzungsprozess der politischen Rechtsordnung zwar stattfinden, dabei aber nicht naturdiszipliniert ablaufen kann. 46  M. Kloepfer, Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 17), S. 46. 47  Siehe hierzu R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 26), § 2 Rn. 121 ff. / 134 ff. / 170 ff. / 192 ff.

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eine Versorgung mit natürlichen Lebensgrundlagen unter einer staatlichen Gewährleistungsverantwortung beabsichtigen.48 Nur kann auch hier die existentielle Komponente einer materiellen bzw. vollständigen Privatisie­ rung im Wege stehen, wie das Beispiel der in der Bundesrepublik Deutsch­ land in den Händen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften lie­ genden Trinkwasserversorgung zeigt.49 Denn der moderne Staat hat die supraindividuelle Gesamtverantwortung für die nachhaltige Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen als einer elementaren Geltungsgrundlage der staatlichen Rechtsnormenordnung, weshalb sich die vom Staat ausgehende Regulierungstätigkeit nicht auf ein indirektes Anreizinstrumentarium bzw. eine gewährleistungsstaatliche Grundversorgung im Sinne eines politischen Umweltliberalismus beschränken darf, sondern sie muss ebenfalls ein un­ mittelbares Eingriffsregime umfassen, das Gefahren für die existentielle Dimension der Natur unterbindet. Zudem hat der Staat in den Formen des Rechts den Schutz bestimmter Umweltgüter in eigener Verantwortung wahrzunehmen, damit nicht eine irreversible Verschlechterung von lebens­ notwendigen Gütern infolge der Profitgier von privaten Wirtschaftsrechts­ subjekten eintreten kann. Der moderne Naturstaat muss deshalb einen Ba­ lanceakt bewältigen. Er hat eine ökodiktatorische Staatsordnung, die auch schleichend eintreten kann,50 zu vermeiden, gleichzeitig aber das Klima einer liberalen Naturstaatsrechtsordnung im Sinne eines auch generationen­ übergreifenden und damit nachhaltigen Umweltrechts zu beschränken. Dies bedeutet, dass er die umweltspezifische Selbstverantwortung der Menschen unterstützen, ihnen Anreize an die Hand geben muss, um ein umweltge­ rechtes Verhalten zu provozieren, Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte der einzelnen Menschen, aber auch von Umwelt- und Naturschutzverbänden – hier wiederum verstanden als Rechtssubjekte, d. h. als personifizierte Teil­ 48  Zu den möglichen Privatisierungsformen J. Ziekow, Öffentliches Wirtschafts­ recht, 3. Aufl., München 2013, S. 154 ff. Grundsätzlich zur Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht H. Hill, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht – Resumée, in: W.  Hoffmann-Riem / J.-P Schneider, Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, Ba­ den-Baden 1996, S. 309 ff. 49  Siehe hierzu S. Laskowski, Die deutsche Wasserwirtschaft im Kontext von Privatisierung und Liberalisierung, ZUR 2003 (1), S. 1 ff.; W. Hoffmann-Riem, Öko­ logisch orientiertes Verwaltungsverfahrensrecht – Vorklärungen, AöR 1994 (119), 590 (608 f.); I. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, Hamburg 1994, S. 268 f.; vgl. grundsätzlich auch R. Breuer, Umweltschutzrecht, in: E. Schmidt-Aß­ mann / F.  Schoch (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 14. Aufl., Berlin 2008, S. 597; P. Huber, Zur Renaissance des Staates (Fn. 4), S. 46 ff.; M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregulierung im Ordnungs- und Umweltrecht, Berlin 1995, S. 40; R. Zippelius (Fn. 3), S. 282 / 286 / 291. Zu den Gemeinden als Selbstver­ waltungskörper H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 180 ff. 50  M. Kloepfer, Autoritärer ökologischer Staat (Fn. 17), S. 47; R. Wolf (Fn. 1), S. 73 f.; vgl. auch W. Berg (Fn. 2), S. 423 f.



§ 21 Sozialstaat und Naturstaat741

rechtsordnungen –51 stärken muss, um den Rechtserzeugungs- und -anwen­ dungsvorgang im Sinne der naturstaatlichen Systemimmanenz effizient anzukurbeln. In letzter Konsequenz aber muss er über die Eigenschaft als souveräne Rechtsordnung verfügen, um Umweltnotstände und damit das revolutionäre Umschlagen in eine freiheitsvernichtende Ökodiktatur zu ver­ hindern. Damit bewahrheitet sich die in der staatswissenschaftlichen Lite­ ratur anzutreffende Behauptung, dass der Naturstaat im Vergleich zum So­ zialstaat noch zu einer stärkeren Regulierungstendenz führen wird,52 die einem politischen Ökoliberalismus abträglich ist.

51  Hierzu

wiederum H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 62 ff. (Fn. 6), S. 50 f.; vgl. auch R. Wolf (Fn. 1), S. 69 ff., v. a. S. 72.

52  I. Appel

§ 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat I. Das Verhältnis des Naturstaates zum wirtschaftsstaatlichen Strukturprinzip Der moderne Staat ist auch Wirtschaftsstaat, da eine funktionsfähige Wirt­ schaft einen der tragenden Stützpfeiler einer Staatsordnung bildet.1 Hierbei bieten die Rationalität des rechtsstaatlichen Gesetzes bzw. der Bürokratie, die Berechenbarkeit und Voraussehbarkeit der staatlichen Tätigkeit, aber auch die rationale Privatrechtsordnung und ein effizientes Rechtsschutzsystem als Funktionsbedingungen einer modernen Verkehrswirtschaft Gewähr für ein freiheitliches Wirtschaftssystem.2 Eine naturstaatlich motivierte Intervention muss daher als sozialpolitischer Eingriff in die liberale Wirtschaftsordnung gewertet werden, was nur im Rahmen der konstituierten Verfassungsordnung zulässig sein kann. Da sich der Umwelt- und Naturschutz im Sinne der repu­ blikanischen Bestimmung des Gemeinwohls3 als ein öffentliches Interesse von objektiver Richtigkeit darstellt, sind insoweit ökologisch motivierte Ein­ griffe in die Wirtschaft legitim, insofern sie sich im Einklang mit der Rechts­ normenordnung bewegen, weshalb der auf Ge- und Verbrauch von natürli­ chen Ressourcen als Produktionsfaktoren programmierte Wirtschaftsstaat mit dem staatsleitenden Grundsatz der Naturstaatlichkeit in einem denknotwendi­ gen Konfliktverhältnis steht.4 Diese Relationslogik wird aufgrund des durch 1  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, unveränderter Nachdruck der 1.  Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 22 / 25 / 368. Siehe zum Wirtschaftsstaat aus histori­ scher Sicht statt vieler H. Göppert, Staat und Wirtschaft, Tübingen 1924, S. 23 ff.; E. R. Huber, Das Deutsche Reich als Wirtschaftsstaat, Tübingen 1931, S. 3 ff. Zur Entwicklung des Wirtschafts- und Wirtschaftsverwaltungsrechts M. Stolleis, Ge­ schichte des öffentlichen Rechts in Deutschland – Weimarer Republik und National­ sozialismus, München 2002, S. 226 ff.; aus heutiger Sicht Ph. Mastronardi, Verfas­ sungslehre, Bern u. a. 2007, S. 308 ff. 2  Dazu nur M. Weber, Rechtssoziologie, herausgegeben von J. Winkelmann, 2. Aufl., Neuwied 1967, S. 69 ff., v. a. S. 92 ff.; J. Petersen, Max Webers Rechtsso­ ziologie und die juristische Methodenlehre, 2.  Aufl., Tübingen 2014, S. 10  ff.; D.  Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck – Die ökologischen Legitimitätsgrund­ lagen des Staates, Bonn 1995, S. 21 f.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 25 / 231 ff. / 285 ff. / 368; H. Heller, Staatslehre, Leiden 1934, S. 134. 3  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 294. 4  Siehe zum schwierigen Verhältnis von Wirtschaft und Umweltschutz G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, Rechtstheorie 1980 (11), 344 (349); A. Wasilewski, Umweltschutz als eine Determinante des modernen öffentli­



§ 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat743

das Staatsziel Umweltschutz zu einem Magischen Fünfeck erweiterte, volks­ wirtschaftliche Konglomerat aus wirtschaftspolitischen Zielsteuerungen, das in manchen Staaten mit Verfassungsrang ausgestattet ist und in der Eigenart einer utopischen Illusion gleichzeitig auf ein angemessenes und stetiges Wirt­ schaftswachstum, ein stabiles Preisniveau, einen hohen Beschäftigungsstand sowie auf ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht ausgerichtet ist, noch be­ kräftigt, das die ökologische Staatsaufgabe aber nur als unterdeterminierten und damit fast schon leerlaufenden Belang ausweist.5 Der Wirtschaftsstaat verfolgt den Kulturzweck der wirtschaftlichen Wohlfahrt, indem er die Be­ chen Wirtschaftsrechts, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeit­ alter der Globalisierung – Grundsätze, Methoden, Perspektiven, Warszawa 2012, S.  205 ff.; J. Salzwedel, Schutz natürlicher Lebensgrundlagen, in: J. Isensee / P. Kirch­ hof, (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 97 Rn. 1 ff.; D. Blasberg, Inhaltsund Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen ­Lebensgrundlagen – das Verhältnis von Art. 14 Abs. 1 und 2 GG zu Art. 20a GG, Berlin u. a. 2008, S. 1 ff.; vgl. auch W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeis­ ter (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S. 437. Andrzej Wasilewski: „Kein Wunder also, dass die vom Menschen, und insbesondere durch seine Wirt­ schaftstätigkeit verursachten Umweltgefährdungen bzw. Umweltschäden von jeher Gegenstand rechtlicher Regelungen waren. Aufgrund der Entwicklung und fort­ schreitenden Differenzierung einschlägiger Lösungen entstanden besondere öffent­ lich-rechtliche Regelungen zur Bestimmung von Richtlinien für eine sichere und zugleich rationelle Verwertung von Naturressourcen sowie deren Schutz (u. a. Berg­ bau-, Wasser-, Boden-, Forst- und Jagdrecht, aber auch Naturschutzrecht), denen Regelungen zur Bestimmung von Grundsätzen einer rationellen Wirtschaft mit Um­ weltressourcen als Ganzes sowie des Schutzes der Umwelt vor unerwünschten Aus­ wirkungen (Immissionen) der menschlichen, insbesondere wirtschaftlichen Aktivität folgten (u. a. Raumplanungs-, Luftreinhaltungsvorschriften, Atom- bzw. Energierecht, Klimaschutz, Abfallwirtschaft, Vorschriften über den Umgang mit gefährlichen Ab­ fällen, Standardisierungs- und Zertifizierungsvorschriften u.Ä.), bis hin zu konsoli­ dierten Rechtsregelungen zwecks Kodifizierung eines ‚Umweltschutzrechts‘ im Rahmen der Rechtsordnungen einiger Länder.“ (A. Wasilewski, ebd., S. 205 f.). 5  M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umwelt­ staat, Berlin u. a. 1989, S. 59; M. Ronellenfitsch, Selbstverantwortung und Deregu­ lierung im Ordnungs- und Umweltrecht, Berlin 1995, S. 23; vgl. hierzu auch J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbst­ verständnis des demokratischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (569); grundsätzlich zur illusorischen Dimension dieses staatlichen Handlungsauftrags auch R. Wahl, Staatsaufgaben im Verfassungsrecht, in: T. Ellwein / J. Hesse (Hrsg.), Staats­ wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, Baden-Baden 1990, S. 41. Zur mangelnden Operationalität des Staatsziels „gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht“ BVerfGE 79, 311 (346 ff.); W. Heun, Staatshaushalt und Staatslei­ tung – Das Haushaltsrecht im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgeset­ zes, Baden-Baden 1989, S. 142 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Ch. Link, Staatszwecke im Verfassungsstaat – nach 40 Jahren Grundgesetz, VVDStRL 1990 (48), S. 38 f. Eine grundlegende Darstellung zum gesamtwirtschaftlichen Gleichge­ wicht findet sich bei H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a.

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dingungen einer funktionierenden Marktordnung realisiert, wobei sich die wirtschaftsstaatliche Organisations- und Ordnungsstruktur eines modernen Staates oft in der strukturellen Formierung einer gemischten Wirtschaftsver­ fassung präsentiert, die sich durch einen synthetischen Ausgleich zwischen demokratischer und rechtsstaatlicher Bestimmung einerseits, marktwirt­ schaftlicher Steuerung andererseits, auszeichnet.6 Die wirtschaftsstaatliche Systemkomplexität ist dabei programmatisch neben der dauernden Gewähr­ leistung eines funktionsfähigen Wettbewerbs auch auf die soziale Austarie­ rung zugunsten benachteiligter, schwacher Marktpartner bzw. Regionen, so­ wie mitunter auf die sozialrechtliche Absicherung der Bürger vor den negati­ ven Begleiteffekten des freien Marktes gerichtet, was sich etwa in der staat­ lichen Vorsorge gegen die saisonale Arbeitslosigkeit ausdrückt.7 Als Garant für das volkswirtschaftliche Allgemeininteresse ist der Wirtschaftsstaat insge­ samt deshalb auch insoweit Wohlfahrtsstaat, wobei er sich von der sozial­ staatlichen Komponente dadurch unterscheidet, dass er vorrangig nicht den Schutz der einzelnen Bürger, sondern der Gesamtwirtschaft bezweckt, wes­ halb mitunter auch für das eigene marktbezogene Staatshandeln bzw. den bü­ rokratischen Gesetzesvollzug die ökonomische Maxime der Wirtschaftlich­ keit des öffentlichen Dienstes gilt.8 Im Rahmen der intermediären Verfassung eines modernen Staates aber kommt dem Wirtschaftsstaat eine Vorrangstel­ lung zu, die die sonstigen staatsleitenden Prinzipien wie die naturstaatliche Immanenz stets vernachlässigen lässt. Neben der tragenden Funktion der Wirtschaft für den Staat als Rechtsordnung, als Normensystem, können als weitere Gründe für den Primat einerseits die angesprochene finanzielle Rück­ anbindung des staatlichen Handelns angeführt werden, die auch die leistungs­ staatlichen Elemente im Staatsbudget an die Gebote der wirtschaftlichen Ef­ fizienz und Sparsamkeit bindet, andererseits aber auch die wertsystemtypi­ sche Konstellation eines spürbaren Übergewichts der wirtschaftlichen Rechtssubjekte gegenüber sonstigen Teilrechtsordnungen der Gesamtord­ nung.9 Die Folge ist eine irrationale Nachlässigkeit im Rahmen der rechtli­ chen Abwägungslehre bezüglich des Elementarwertes der natürlichen Le­ 1966, S. 582 ff., hinsichtlich des deutschen Grundgesetzes bei H. H. v. Arnim, Staats­ lehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S. 96 ff. 6  Ph. Mastronardi (Fn.  1), S. 308  f.; vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 25 / 368; J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 5), DÖV 1983, 565 (569). Grundsätzlich zur Wirtschaftsverfassung auch H. Krüger (Fn. 5), S. 575 ff. 7  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 310 f.; vgl. auch J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 5), DÖV 1983, 565 (569). 8  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 311; vgl. auch H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates und der Umweltschutz, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 18 ff. 9  Ph. Mastronardi (Fn. 1), S. 314 ff. Zur Gesellschaft als verschiedene Wertsys­ teme H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 15 f.



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bensgrundlagen für die Rechtsnormenordnung, die sich in dem majestäti­ schen Ausspruch des umweltstaatlichen Staatskönigtums manifestiert, wo­ nach der Umwelt- und Naturschutz zwar beachtet und in das rechtliche Kalkül miteinbezogen worden sei, die wirtschaftliche Notwendigkeit aber in der Schlussanalyse doch wieder überwiege.10 Dagegen ist im 21. Jahrhundert ein ganz anderes Verständnis von Staatlichkeit angezeigt, das in der naturalis­ tisch-materialistischen Staatstheorie von Rudolf Kjellén bereits angedeutet wird, wobei der Rekurs an dieser Stelle nicht missverstanden werden darf. Demnach ist eine geographische Individualität nach dem Modell einer ratio­ nalen Autarkiepolitik anzustreben, nicht im überkommenen merkantilisti­ schen bzw. imperialistischen Sinne, sondern insoweit, als die von dem natür­ lichen Land ausgehende Determination innerhalb des modernen Staates einer systematischen Korrektur unterworfen werden muss, um das territoriale Na­ turgut an einem wirtschaftlichen Maßstab effizient zu machen und so zu einer angemessenen Ressourcenbewirtschaftung beizutragen.11 Auf den ökologi­ schen Problemhorizont des naturstaatlichen 21. Jahrhunderts übertragen, be­ deutet dies letztlich, dass eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung anzu­ visieren ist, d. h. ein rechtliches Nachhaltigkeitskonzept, das auf eine lang­ fristige Austarierung von ökonomischen, ökologischen und sozialen Zielen ausgerichtet ist, indem im Sinne einer Generationengerechtigkeit erneuerbare Naturgüter nur insoweit genutzt werden dürfen, als sie sich regenerieren kön­ nen, nicht erneuerbare Naturgüter nur entsprechend eines substituierenden Handlungsprinzips, die Freisetzung von Stoffen wie Abfälle und Emissionen nur im Umfang der Anpassungsfähigkeit der unterschiedlichen Ökosysteme zugelassen werden darf, eine umweltverträgliche Landwirtschaft sowie eine tiergerechte Tierhaltung beabsichtigt wird, und indem der Staat ganz allge­ mein auf den Abbau wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Missstände hin­ wirkt, um die naturstaatliche Stoßkraft zu verbessern.12 Mit anderen Worten ist hier eine Modifizierung der klassischen Mittel des Wirtschaftsrechts ange­ zeigt. Als solche wirtschaftsrechtlichen Maßnahmen sind in erster Linie ord­ 10  J.  Leimbacher, Die Rechte der Natur, Basel u.  a. 1988, S. 480; K. Bosselmann, Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Standortbestimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S.  54 ff. 11  R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 76  ff. Diese zitierte Passage dient ausschließlich staatstheoretischen Vergleichszwecken. Damit soll kei­ nesfalls einer isolierten staatlichen Wirtschaftspolitik unter autoritärer Flagge das Wort gereicht werden. Gleiches gilt freilich auch für den damaligen grammatikali­ schen Missbrauch des Wortes Autarkie für nationalsozialistische Zwecke, der unein­ geschränkt abzulehnen ist. 12  R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle, Umweltrecht, 5.  Aufl., Heidelberg 2003, § 2 Rn. 23 ff.; K. Bosselmann, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 10), S. 57 ff.; A. Wasilewski (Fn. 4), S. 209 ff.

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nungsrechtliche Regelungen wie ein gefahrenabwehrendes Gewerberecht bzw. wirtschaftslenkende Maßnahmen anzusehen, die sich in der Form von Investitionsverboten und -geboten, Produktionsauflagen sowie Preisfestset­ zungen zeigen können. Andererseits ist der Staat aber auch berufen, durch ein leistungsstarkes Wettbewerbsrecht die Entstehung bzw. Ausbreitung von Marktmacht zu unterbinden. Indirekte staatliche Einflussnahmen auf den Wirtschaftsprozess sind überdies durch ein entsprechendes Steuerrecht, ein Zuteilungsregiment hinsichtlich knapper Güter, aber auch durch Subventio­ nen oder die Vergabe von öffentlichen Aufträgen nach bestimmten Kriterien möglich, womit staatliche Wirtschaftszielvorgaben mittelbar gefördert wer­ den können. Der naturstaatliche Wirtschaftsstaat steht nun vor der Aufgabe, einen angemessenen Ausgleich zwischen der staatssystemtragenden Bedeu­ tung der Teilrechtsordnung, des Wertsystems der Wirtschaft und dem Staats­ ziel Umweltschutz zu realisieren, wobei sowohl die wirtschaftliche Leis­ tungsfähigkeit wie auch die knappen Umweltgüter nicht über Gebühr belastet werden dürfen.13 Dass Wirtschaftsstaat und Naturstaat nicht notwendig ge­ gensätzlich ausgerichtet sein müssen, zeigt dabei bereits die Möglichkeit ei­ ner erhöhten Kapazitätsausbeute durch verbesserte technische Umweltstan­ dards, so dass allein in diesem Bereich, vor allem auch vor dem Hintergrund der technokratischen Dominanzstruktur des modernen Industriestaates, eine intensivierte Kooperationspraxis zwischen Staat und Wirtschaft unter Beteili­ gung ökologischer Kreise angezeigt ist.14 Ein probates Mittel für die Grenz­ ziehung von unter umweltbezogenen Kriterien nicht mehr tragbaren wirt­ schaftlichen Anlagen bzw. vorhabenbezogenen Plänen und Programmen stellt auch das staatliche Instrument einer Umweltverträglichkeitsprüfung dar, das zu einer frühen Koordinierung konfligierender Interessen beitragen kann.15 Andererseits können die freien Marktmechanismen für die naturstaatliche 13  Zum wirtschaftspolitischen Instrumentarium des modernen Staates ausführ­ lich H. Krüger (Fn. 5), S. 595 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Ber­ lin 1970, S. 597 f. 14  Vgl. M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 5), S. 71; K. Bosselmann, Der ökologi­ sche Rechtsstaat (Fn. 10), S. 57 ff.; R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frankfurt a. M. 1998, S. 396 ff. Siehe dazu aus umweltökonomisch wissenschaftli­ cher Sicht E.  Feess / A.  Seeliger, Umweltökonomie und Umweltpolitik, 4. Aufl., München 2013, S. 187 ff.; D. Cansier, Umweltökonomie, 2. Aufl., Stuttgart 1996, S. 71 ff. Josef Isensee (J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt (Fn. 5), DÖV 1983, 565 (569)) schreibt hierzu: „Die Wachstumsvorsorge dient den ökonomischen Voraussetzungen der Grundrechtsentfaltung und der Leistungsfähig­ keit des sozialen Steuerstaates. (…) Die grundrechtlichen Schutzpflichten rechtferti­ gen (und gebieten sogar unter Umständen), dass der Staat die Entwicklung von dauerhaften Umweltschutztechnologien anregt, die den modernen Gefahren gewach­ sen sind.“ 15  Siehe zum umweltrechtlichen Instrument der Umweltverträglichkeitsprüfung W.  Kahl / K.  F.  Gärditz, in: R. Schmidt (Begr.), Umweltrecht, 9. Aufl., München



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Systemausrichtung nutzbar gemacht werden. Dies zeigt sich an Umweltabga­ ben, die ein konkretes Nutzungsverhalten an knappen Umweltressourcen un­ ter ein von staatlicher Seite reguliertes Bewirtschaftungskonzept stellen, so dass gemäß des umweltrechtlichen Verursacherprinzips die für die Beanspru­ chung des Umweltguts anfallenden Kosten auf den Nutzer umgelegt werden, insofern er dem individuellen Nachfrageverlangen an dem Angebot des Na­ turguts nachgibt.16 Nach einem ähnlichen Muster verläuft der Handel mit so­ genannten Emissionszertifikaten, die auch zu einer Internalisierung von auf konkrete Umweltverschmutzungen zurückzuführende Kostenlasten beitragen, indem sich die Emittenten für die Belastung des knappen Umweltguts Luft mit einem entsprechenden Ermächtigungspapier ausstatten müssen.17 Darin spiegelt sich gleichsam das Thema um eine grundsätzliche Verrechtlichung der natürlichen Umweltgüter (Luft, Wasser usw.), um nicht nur eine ökolo­ gisch angemessene, d. h. nachhaltige Verteilung der knappen Ressourcen, sondern auch eine kontinuierliche Entlastung der sozialen Gemeinlast an konkreten Umweltkosten zulasten der jeweiligen Verursacher von Belastun­ gen der Natur zu realisieren.18 „Es ist (deshalb) Aufgabe des Staates, diese Konzeption der Umweltgüter als ‚freie Güter‘ – jedenfalls partiell – zu besei­ tigen, indem (…) (der Staat) den Zugriff auf sie rechtlich ordnet, etwa da­ durch, dass er Erlaubnis- bzw. Verbotsverfahren, Belastungsgrenzen oder aber zivilrechtliche Abwehr- oder Schadensersatzansprüche bezüglich Um­ weltbelastungen schafft, Produkt- und Verwendungsgenehmigungen einführt oder indem er gar die natürlichen Umweltgüter verstaatlicht.“19 Das freiwil­ lige  ‒ sachlich nicht unbedingte  ‒ Konsumverhalten der Verbraucher wird dagegen anvisiert, wenn der Staat durch ein aufklärerisches Verwaltungshan­ deln auf umweltgefährdende Produkte bzw. durch formale Validierungen im 2014, § 4 Rn. 60 ff.; M. Kloepfer, Umweltstaat (Fn. 5), S. 58; W. Berg (Fn. 4), S. 437; A. Wasilewski (Fn. 4), S. 210 f. 16  Zu Umweltabgaben R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 12), § 2 Rn.  134 ff.; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 15), § 4 Rn. 82 ff. 17  Zum Emissionszertifikatehandel R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle (Fn. 12), § 2 Rn. 121 ff.; W. Kahl / K. F. Gärditz (Fn. 15), § 4 Rn. 92; aus wirtschafts­ wissenschaftlicher Sicht A.  Endres / C.  Ohl, Der Handel mit Emissionsrechten aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht, in: A. Endres / P. Marburger, Emissionszertifikate und Umweltrecht – 19. Trierer Kolloquium zum Umwelt- und Technikrecht vom 28. bis 30. September 2003, Berlin 2004, S. 11 ff. Grundsätzlich zum verwaltungsrecht­ lichen Verteilungsverfahren F. Wollenschläger, Verteilungsverfahren – die staatliche Verteilung knapper Güter: verfassungs- und unionsrechtlicher Rahmen, Verfahren im Fachrecht, bereichsspezifische verwaltungsrechtliche Typen- und Systembildung, Tübingen 2010, S. 1 ff. 18  M. Kloepfer, Staatsaufgabe Umweltschutz, in: T. Brandner u. a. (Hrsg.), Mi­ chael Kloepfer – Umweltschutz und Recht; Grundlagen, Verfassungsrahmen und Entwicklungen, Ausgewählte Beiträge aus drei Jahrzehnten, Berlin 2000, S. 166 f. 19  M. Kloepfer, Staatsaufgabe Umweltschutz (Fn. 18), S. 167.

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Anschluss an ein erfolgreich durchgeführtes Öko-Audit-Verfahren auf die besondere ökologische Wertigkeit eines bestimmten Unternehmens hin­ weist.20 Unabhängig von diesen nicht zu leugnenden Schnittpunkten zwi­ schen Ökonomie und Ökologie bzw. der Option einer marktkonformen Ein­ bindung von umweltbezogenen Aspekten wird die gegenwärtige Staatspraxis mit Blick auf Genehmigungs- und Zulassungsverfahren aber immer noch oft genug von der rücksichtslosen Dominanz des Wirtschaftsstaates überlagert, der sich hinter dem für eine Abwägung von verschiedenen entscheidungsre­ levanten Belangen magischen Zauberwort der praktischen Konkordanz ver­ steckt, was aber eben regelmäßig dann nur zu einem unzureichenden Erfolgs­ erlebnis für den Naturstaat führt und mit dem formalen Naturbeachtensbefehl im Sinne einer konventionalen Vernunft nicht in Konformität steht. Ange­ zeigt sind insoweit vielmehr daher staatliche Bedarfsprüfungen, die sich be­ reits im Rahmen der Zulassung von umfassenden Infrastrukturvorhaben fin­ den lassen und eine ökologisierte Prüfung am Maßstab des Verhältnismäßig­ keitsgrundsatzes gesetzlich vorsehen, womit sich die Anforderungen an eine Rechtfertigung eines wirtschaftlichen Vorhabens zugunsten des naturstaatli­ chen Ziels verschiebt.21 An dieser Stelle muss daher nun noch einmal der Charakter des in der äußeren Grundnorm enthaltenen formalen Naturbeach­ tensbefehls als einer nichtpositivistischen, aber normativen Normvollzugsre­ gel in Erinnerung gerufen werden, die als denk- bzw. rechtslogische Hypota­ xe eine nachgiebige natürliche Geltungsbekundung im Sinne einer dauernden Friedensordnung durch den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen enthält und als Ausgangspunkt der positiven Rechtserzeugung zu einer strengen Be­ achtung der Naturgewalt im Staat anmahnt.22 Durch diese hypothetische Konventionalregel wird der rechtliche Erzeugungsprozess nach dem Muster einer verstärkenden Einsicht in die naturrechtliche Determination des moder­ nen Staates durch die Natur geleitet, was grundsätzlich zu einem Überwiegen der ökologischen Belange anhalten wird, insofern keine wesentlichen wirt­ schaftlichen Aspekte angeführt werden können. Der Abwägungsvorgang im Wege der praktischen Konkordanz bleibt sonach erhalten, nur wird der innere Staatswille durch den formalen Naturbeachtensbefehl angemessen gemäßigt. Damit dreht sich die demokratische Begründungslast zugunsten der natürli­ chen Lebensgrundlagen um, ohne dass aber die freiheitliche Grundrechtsord­ nung nivelliert werden würde.23 Die anzustrebende Dogmatik lässt sich an zum Öko-Audit W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 15), § 4 Rn. 49 ff. staatlichen Bedarfsprüfungen im Umweltrechtsbereich G. Winter, Von der ökologischen Vorsorge zur ökonomischen Selbstbegrenzung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologischen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 111 ff. 22  Siehe hierzu bereits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 2. Teil, § 17 IV. 23  Nach der Ansicht von Karl-Peter Sommermann (K.-P. Sommermann, Staats­ ziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S. 196) spricht bereits das Ziel­ 20  Siehe 21  Zu



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dem Grundrecht der ökonomischen Eigentumsfreiheit exemplifizieren, das entgegen einer Ansicht in der Literatur positivrechtlich nicht um eine ökolo­ gische Sozialpflichtigkeit erweitert werden sollte, was auch für grammatika­ lische Ergänzungen von anderen Grundrechten Geltung beansprucht.24 Denn eine umweltspezifische Norm realisiert den Zweck der formellen wie materi­ ellen Verfassungsbekundung im Sinne der Naturstaatlichkeit genauso, wobei sich die auf die natürlichen Bedingungen bezogene Geltungsimmanenz der staatlichen Rechtsnormenordnung aus der äußeren Grundnorm ergibt. Gerade diese durch die empirische Hypothese symbolisierte, legitimierende Relevanz der natürlichen Lebensgrundlagen führt aber im Konflikt zwischen privaten Eigentümerinteressen und der – wenn man so will – gemeinwohlbezogenen Umweltpflichtigkeit des Eigentums25 unter Beachtung des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu dem einem kontradiktorischen Be­ gründungsvorbehalt unterliegenden Vorrang der Natur,26 „als ob“ das Gorgo­ nenhaupt der Macht unter der Kuppel des parlamentarischen Gebäudes her­ vorschimmert und nach steter Beachtung verlangt.27 Mit anderen Worten dreieck der Rechts-, Sozial- und Umweltstaatlichkeit gegen einen pauschalen Vor­ rang des ökologischen Prinzips. Siehe zu (positivrechtlichen) Freiheitsrechten H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 154 ff. 24  Eine grammatikalische Modifikation von Grundrechten befürworten mitunter K. Bosselmann, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 10), S. 62 ff.; G. Stutzin (Fn. 4), Rechtstheorie 1980 (11), 344 (353 f.); M. Schröter, Mensch, Erde, Recht, BadenBaden 1999, S. 246 ff. Klaus Bosselmann schlägt auch eine immanente Beschrän­ kung des Schutzbereichs der Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG vor, womit er sich auf materiell-überpositivistisches Terrain begibt.; K. Bosselmann, ebd., S. 63 ff. 25  Zur Umwelt- bzw. Ökologiepflichtigkeit des Eigentums K. Bosselmann, Öko­ logische Grundrechte – zum Verhältnis zwischen individueller Freiheit und Natur, Baden-Baden 1998, S. 109 ff.; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grund­ gesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S. 178 ff. Grundsätzlich zum Konfliktpotential zwi­ schen Eigentümerinteressen auch an der Nutzung der privaten Natur und der sozia­ len Gemeinwohlklausel der Umweltpflichtigkeit des Eigentums B. Söhnlein, ebd., S. 175 ff.; vgl. auch K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S.  180 ff. 26  Die Begründungslast dreht sich von einem Primat wirtschaftlicher Interessen zugunsten der Natur um, ohne dass das grundrechtliche Freiheitssystem materiellethisch nivelliert wird. Auf der Stufe der äußeren Grundnorm besteht nur ein „Kön­ nen“, nicht dagegen ein normatives „Müssen“. 27  Vgl. H. Kelsen, Die Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Artikels 109 der Reichsverfassung, Aussprache, VVDStRL 1927 (3), 53 (55); M.  Losano, Das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit in der Reinen Rechtslehre, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsens-Insti­ tutes, Bd. VII, Wien 1982, S. 88; R. Dreier, Sein und Sollen – Bemerkungen zur Reinen Rechtslehre Kelsens, JZ 1972, 329 (332); J. Isensee, Das Volk als Grund der Verfassung – Mythos und Relevanz der Lehre von der verfassunggebenden Gewalt, Opladen 1995, S. 20; H. Kimmel, Die Aktualität Kelsens, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1961 (47), 289 (297); B. Wiegand-Hoffmeister, Die Umweltstaat­

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mahnt das konventionale Denkgesetz der hypothetischen Grundnorm in ih­ rem äußeren Sinngehalt im Hinblick auf die geltungstheoretische Vermitt­ lungsleistung der als originäres Sollen gedachten Natur für den modernen Staat zu einer verstärkenden Einsicht in die grundrechtsdogmatische System­ logik an, womit eine hypotaktisch erodierte, normative Rechtswirksamkeits­ maxime implantiert wird. Damit ist die äußere Grundnorm auch Ausdruck einer sozialtechnischen Rechtsökologie.28 Die Naturstaatslehre ist daher – in den Worten von Hans Kelsen – auch eine besondere Gesellschaftswissen­ schaft, die als normative Naturstaatslehre die naturzentristisch-grundnorma­ tiv akzentuierte und in diesem äußeren, rechtsökologischen Sinne gemäßigte Soziologie des Staates ist.29 II. Der rechtsökologisch akzentuierte Stufenbau der Rechtsordnung Die Geltung der normativen Wirtschaftsverfassung eines modernen Staa­ tes steht unter der immanenten Bedingung ihrer sozialen Wirksamkeit.30 Dies bedeutet, dass der moderne Wirtschaftsstaat durch eine in der positiven Rechtsordnung fixierte Wirtschaftsverfassung, die je nach der konkreten Staatsform mehr oder weniger den Idealtypen einer liberalen Wirtschafts­ ordnung und einer staatlichen Zentralverwaltungswirtschaft angenähert ist, konstituiert ist, und auch hier der dialektische Zusammenhang mit den rea­ len wirtschaftlichen Verhältnissen insoweit nicht zu vernachlässigen ist, als das damit auch wirtschaftsrelevante Inhalte enthaltende Rechtsordnungssys­ tem aus Normen ohne die eine Kongruenz indizierende Rückanbindung an die tatsächlichen Gegebenheiten der sozialen Wirksamkeit ermangeln und so für die durch die transzendentallogisch deduzierte Grundnorm vermittelte Geltung der positiven Rechtsordnung abträglich sein kann.31 Die wissen­ schaftliche Disziplin der Rechtsökologie „befasst sich mit allgemeinen Grundlagenaspekten, die unerlässlich sind, wenn es darum geht, umweltpo­ lichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwaltungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfragen, Bre­ men 2011, S. 11. 28  Siehe zur sozialtechnischen Rechtsökologie R. Weimar, Rechtsökologie – Ethik oder Sozialtechnologie?, in: ders. (Hrsg.), Einheit und Vielfalt der Rechtsthe­ orie, Berlin 2008, S. 166 ff., v. a. S. 173 ff. 29  Vgl. H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 16; ders., Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 147. 30  Vgl. H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S.  215 ff.; F. Ermacora II (Fn. 13), S. 963 ff. 31  Zur Wirtschaftsverfassung H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 25 / 368; H. Krüger (Fn. 5), S. 575 ff.



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litische Aktivitäten von Regierungen und Parlamenten in bestimmten wirt­ schaftlichen, politischen und rechtlichen Zusammenhängen zu analysieren. Die von ihr zu untersuchenden Bedingungen beeinflussen umweltpolitisches Handeln sowie dessen Umsetzung in Gesetzgebung und Vollziehung und weisen in Richtung auf eine ökonomisch-ökologische Akzentuierung des Rechts in seinen umweltrelevanten Bereichen.“32 Daraus ergibt sich, dass die Gesellschaft in ihren unabdingbaren Wechselwirkungen mit den natürli­ chen Lebensgrundlagen auf eine immanente rechtsökologische Orientie­ rungsweise angewiesen ist, wenn eine normative Wirtschaftsverfassung an­ gesichts der elementaren Bedeutung der Natur als Geltungsgrund der posi­ tiven Rechtsordnung sozial wirksam sein bzw. bleiben möchte, da ansonsten die Legitimität der staatlichen Rechtsorganisation aus Normen, die Stärke der befehlenden, legitimen Autorität, in Frage gestellt ist, wenn nicht der pouvoir naturel selbst mit Blick auf seine unbändigen Gewaltdimensionen zu dem Erlöschen der (äußeren) Grundnorm beiträgt. Vor diesem Hinter­ grund sind die Vorstellungen der Menschen, die in ihnen enthaltenen sub­ jektiven Sinnmomente, die sich dann in der ideellen Rechtsnormenordnung zu objektiven Zurechnungszusammenhängen verbinden und damit mani­ festieren,33 von rechtsökologischen Argumentationsmustern zu flankieren, womit sich eine naturstaatliche Wirtschaftsverfassung abzeichnet, die sich der Notwendigkeit der regelmäßigen Beachtung der Natur stets bewusst ist. Konvention kann im soziologischen Sinne definiert werden als der Fall, „dass auf ein bestimmtes Verhalten zwar eine Hinwirkung stattfindet, aber durch keinerlei physischen oder psychischen Zwang, und überhaupt zum mindesten normalerweise und unmittelbar durch gar keine andere Reaktion als durch die bloße Billigung oder Missbilligung eines Kreises von Men­ schen, welche eine spezifische ‚Umwelt‘ des Handelnden bilden.“34 Durch die äußere Grundnorm ist der gesamte staatliche Normenkosmos,  ‒ anders ausgedrückt – die spezifische „Umwelt“ der Handelnden, auf den formalen Naturbeachtensbefehl verpflichtet, der in seiner deduktiven Universalität als rechtsökologischem Sinnkontinuum die wirtschaftsstaatliche Rechtserzeu­ gung und -anwendung unterschwellig beeinflusst. Der gesamte Stufenbau der Rechtsordnung ist damit in seiner hierarchischen Aufteilung in bedin­ gende und bedingte Normen, generelle und individuelle Rechtsnormen, na­ turstaatlich und damit konventional kontrastiert, womit das Verhältnis von realer Natur und objektivem Geist, Letzterer in der besonderen Gestalt der Gesellschaft, eine funktionale Verbindungslinie zu der für die Erkenntnis des Staates ausschließlich zu denkenden Sphäre des Geistes, des Normati­ 32  R. Weimar

(Fn. 28), S. 166. AS (Fn. 1), S. 6 ff. / 47 ff. 34  M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft – Grundriss der verstehenden Sozio­ logie, Frankfurt a. M. u. a. 2005, S. 240. 33  H. Kelsen,

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ven, erhält.35 Nach alledem sind also sämtliche Staatsorgane, d. h. auch gesellschaftliche Rechtssubjekte, insofern sie von der ideellen Rechtsord­ nung in den staatlichen Rechtserzeugungsprozess rechtlich eingebunden werden,36 berufen, ein angemessenes Umwelt- und Naturschutzbewusstsein zu realisieren, um die soziale Wirksamkeit der Wirtschaftsverfassung auch hinsichtlich der äußeren Grundnorm zu sichern. Als historisches Beispiel für einen entsprechenden Wirkmechanismus kann insoweit das aus dem Deut­ schen Reich bekannte, demokratische Kegelmodell dienen, was bedeutet, dass die normative Rechtsordnung im Sinne objektiver Zurechnungslinien als geistiges Pendant einer realen Systemstruktur aus Kreisen vorzustellen ist, bei der sich die einzelnen Individuen und die organisierte Umwelt- und Naturschutzgesellschaft in den beiden äußeren Kreisen befinden, während dagegen die Staatsorgane im engeren Sinne im innersten Kreis anzusiedeln sind.37 Der durch die äußere Grundnorm akzentuierte Stufenbau der Rechts­ ordnung folgt nun in seiner dynamisch ausgestalteten Rechtserzeugungsund -anwendungsstruktur der inneren Konkretisierungslogik, wonach sich die Rechtsnormen von abstrakten Vorgaben zu immer konkreter werdenden individuellen Rechtsnormen konkretisieren, womit – im idealen Fall – eine Konkretisierung des normativen Kreislaufmodells von außen nach innen unter monologer, insbesondere aber auch kooperativer Präsenz korrespon­ diert.38 Die äußere Grundnorm stellt als Verfassung im rechtslogischen Sinne den Geltungsgrund der Rechtsordnung dar, womit allgemein der Naturbeachtensbefehl indiziert ist, so dass das gemacht werden soll, was die verfassunggebende Versammlung sagt, aber unter Beachtung der Natur.39 Angesichts des durch den technischen Fortschritt bedingten unsicheren Ri­ sikohorizonts des Naturstaats müssen sich die vom parlamentarischen Ge­ setzgeber geschaffenen generellen Rechtsnormen aber oft mit abstrakten Zielvorgaben bzw. unbestimmten Formelkompromissen begnügen, weshalb 35  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 14 f. / 21 / 51 ff. / 231 ff. / 248 ff.; ders., RR (Fn. 30), S. 228 ff.; zum Stufenbau der Rechtsordnung auch F. Ermacora, Allgemeine Staats­ lehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 243 ff. 36  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 263; ders., RR (Fn. 30), S. 121 ff. 37  H.-W. Frohn, in: Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Natur und Staat. Staat­ licher Naturschutz in Deutschland 1906–2006, Bonn 2006, S. 136 ff. Die Kreise bilden Teilrechtsordnungen; siehe hierzu nur H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 62 ff. 38  Siehe hierzu N. Wimmer, Raumordnung und Umweltschutz: der Umweltgestal­ tungsstaat – systematische Bezüge und praktische Probleme, in: Verhandlungen des 6. Österreichischen Juristentages, Wien 1976, S. 27 f. / 32; E. Denninger, Der Präven­ tions-Staat, Kritische Justiz 1988 (21), 1 (4 ff.). Zum Erfordernis kommunikativer, flexiblerer Subsysteme N. Wimmer, ebd., S. 33 f. Siehe zu dieser Option einer flexi­ bleren Verwaltung auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 180 ff. / 242 ff. / 361 ff. 39  Zur (inneren) Grundnorm als Verfassung im rechtslogischen Sinne H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 250 f.



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eine weitere Konkretisierung der Verwaltung bzw. der diese kontrollieren­ den Rechtsprechung überlassen bleiben muss. Andererseits haben die einzel­ nen Individuen auf der gesellschaftlichen Nichtorganisationsebene im Rah­ men von durch die positive Rechtsordnung vorgesehenen Rechtsgeschäften ebenfalls Rücksicht auf die Natur zu nehmen, was sich sogleich in einer organisierten Umwelt- und Naturschutzgesellschaft fortsetzen und bündeln muss, womit eine kanalisierende, stärkere und insoweit dann konkretere Stoßkraft dieser teilrepräsentativen Staatsorgane in einem weiteren Sinne auf die zentralen Staatsorgane im engeren Sinne verbunden ist, wobei sich vor allem die Rechtssubjekte der Parteien als dem Gemeinwohl verpflichte­ te Interessenvertretungen als Bindeglied zur inneren Kreisebene herausbil­ den müssen.40 Unter dem gemeinsamen Dach der normativen Rechtsordnung entsteht so eine den positiven Stufenbau kontrastierende Kreismodulation, die durch Verfahrens-, Beteiligungs- und Klagerechte der einzelnen Indivi­ duen bzw. Verbände, aber auch durch konsensuale Selbstregulierungsprakti­ ken im staatlich-gesellschaftlichen Bereich naturstaatlich verstärkt werden kann.41 Aus der Sicht der Reinen Rechtslehre ergibt sich damit der folgende Staatssystemzusammenhang: Stellt man auf den Staat im weitesten Sinne ab, können ihm alle gesellschaftlichen Rechtsverhältnisse zugeordnet wer­ den, bei denen es um eine naturstaatliche Rechtsanwendung geht, wobei im Bereich der Gesellschaft alles erlaubt ist, was nicht rechtlich verboten ist. Die mit Rechten und Pflichten ausgestatteten Glieder der Gesellschaft rea­ lisieren dabei typischerweise den Tatbestandsteil von Rechtsnormen, wäh­ rend dagegen dem Staat im engeren Sinne die Setzung von Sanktionen, also die Gebrauchmachung von der Rechtsfolgenseite der Rechtsnormen obliegt, was aber insoweit eingeschränkt ist, als er als Hoheitsträger nur tun darf, wozu er, d. h. seine Organe, rechtlich ermächtigt sind.42 Im diskursiven Mittelpunkt der rechtsökologischen Kontrastierung des dynamischen Stufen­ baus der Rechtsordnung steht aber stets der Gedanke der naturstaatlichen Konvention, die damit für den hypotaktisch-naturstaatlichen Kontext folgen­ dermaßen definiert werden kann: Konvention bedeutet in diesem Sinne ein relatives Beachtens-Muss infolge der absoluten Geltungsimmanenz der Na­ tur im Rahmen des staatlichen Rechtsnormensystems und damit eine rechts­ 40  Zum Wesen der Parteien R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S.  290 ff.; W.  Eckhardt / L.  Schmidt, Allgemeine Staatslehre, Schaeffers Grund­ riss des Rechts und der Wirtschaft, Abteilung II: Öffentliches Recht 27. Bd., 200.– 205. Tsd. Aufl., Stuttgart u. a. 1974, S. 129 ff.; K. Doehring (Fn. 25), S. 152 ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 351. Zum Begriff des (privaten) Rechtsgeschäfts als rechtserzeugender Tatbestand H. Kelsen, RR (Fn. 30), S. 261 ff. 41  Ausführlich F. Shirvani, Das Kooperationsprinzip im deutschen und europäi­ schen Umweltrecht, Berlin 2005. 42  H. Kelsen, AS (Fn. 1), S. 47 ff.; F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S.  51 f.

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

ökologische Akzentuierung des dynamischen Stufenbaus der positiven Rechtsordnung im Sinne kontrastierender Mäßigung. III.  Die Verantwortung des Staates für die Energieversorgung  ‒ der naturstaatliche Energiestaat Die staatliche Gesamtverantwortung für die tragende Funktionsfähigkeit der Wirtschaft lässt sich anhand des Bereichs der Energieversorgung ver­ deutlichen. Entsprechend eines normativen Staatsansatzes erscheint der Energiestaat nicht im Sinne einer wirklichkeitswissenschaftlichen Projektion als Gesamtbild aus Kohle-, Atom- und Wasserkraftwerken, Windkraftanla­ gen, Solarkollektoren, Hochspannungsmasten bzw. sonstigen Stromkabeln, Übertragungs- und Verteilernetzen und demgemäßen soziologisch untermal­ ten bzw. kooperativ initiierten staatlichen Wirk- und Verteilermechanismen, sondern als ein rein künstliches, da positiv gesetztes, synthethisches Dogma einer objektiven Welt aus Normen, deren ideelle Sinnmomente als ver­ pflichtende Verbindungslinien das rechtspositivistische Deutungs- und Be­ wertungsschema für die energiewirtschaftliche reale Naturwirklichkeit her­ geben.43 Dass der rechtlich zu verstehende naturstaatliche Energiestaat dabei aber auf ein umfassendes Planungsinstrumentarium angewiesen ist, bedarf wegen der zu bewältigenden Komplexität an Energiemarktstrukturen bzw. -einrichtungen keiner weiteren Erwähnung. Raumordnungs- und bauleitpla­ nungsrechtliches Zusammenspiel unter den rechtlichen Kategorien von Grundsätzen bzw. Zielen übergeordneter Planungsebenen, kombiniert mit privilegierten Standortausweisungen für etwaige energieerzeugende und -verarbeitende Vorhaben, dazu grundsätzlich gesetzlich vorgesehene Plan­ feststellungsverfahren für Projekte des überregionalen Netzausbaus, sind nur einzelne Regelungsoptionen eines ausschließlich normativ zu verstehenden und einen umfangreichen Planungsraum einnehmenden Energiestaats.44 Den überragenden Ansatzpunkt bildet dabei die grundlegende Erkenntnis, dass es sich bei einer sicheren, preisgünstigen und effizienten Energiever­ sorgung um ein „Gemeinschaftsinteresse höchsten Ranges“, ein „absolutes Gemeinschaftsgut“ handelt, dessen tragende Relevanz für die gesamtwirt­ schaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft sich nicht nur in einer bedin­ genden Funktionsgarantie für die inländische Produktion von Gütern bzw. die Versorgung mit Dienstleistungen, sondern auch in der Eigenschaft als Faktor für die Legitimität einer Wirtschaftsverfassung, die politische Stabi­ lität und Existenz eines Staates sowie ein menschenwürdiges Dasein der 43  H. Kelsen,

AS (Fn. 1), S. 6 ff.; F. Koja (Fn. 42), S. 10 ff. (Fn. 15), § 6 Rn. 97 ff.

44  W.  Kahl / K.  F.  Gärditz



§ 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat755

Bevölkerung äußert.45 Andererseits besteht eine enge Verzahnung zwischen dem Energie- und dem Klimaschutzrecht, wobei sich diese Rechtsgebiete nicht notwendigerweise gegensätzlich, sondern auch im ökologischen Gleichlauf ausgerichtet darbieten können, wie sich an der Förderung von erneuerbaren Energiequellen verdeutlichen lässt. Aus umweltrechtlicher Sichtweise kann dabei das Verhältnis des Klimaschutz- und des insoweit besonderen Umweltenergierechts folgendermaßen zusammengefasst werden: „Das Umweltenergierecht (…) ist zum einen auf die klimaschädlichen Aus­ wirkungen der Energieerzeugung und -umwandlung gerichtet (…), (wobei) es auch die sonstigen ökologischen Folgen (z. B. (den) Landschaftsver­ brauch, Reststoff- und Abwärmeprobleme, (den) Meeresschutz etc.) von Energiegewinnung, Energieversorgung und Energieverbrauch (erfasst).“46 „Das Klimaschutzrecht hat (dagegen) nicht nur die Energie, sondern die Gesamtheit der klimarelevanten Emissionsquellen und Faktoren im Auge, insbesondere auch den Verkehr insgesamt (…), die Landwirtschaft oder die Wälder als natürliche CO2-Senken.“47 Auf dem weit verstandenen Energie­ markt ist der Staat als sozialstaatlich indizierter Grundversorger mit Strom und Gas, ordnungsrechtlicher Hüter von energieerzeugenden Technologien, energiepolitischer Stratege und Förderer, im Zuge der europarechtlichen Liberalisierungstendenzen heute insbesondere aber auch als gewährleisten­ der Garant eines zunehmend materiell privatisierten Energiesektors sowie als regulierender Operateur unter Einschluss einer Auffangkompetenz tä­ tig.48 Zwar ist die dem Staat zukommende Rolle in der Energiewirtschaft 45  BVerfGE 30, 292 (323  f.) – Erdölbevorratung.; K. Ritgen, Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben: Zulässigkeit und Grenzen, in: J. Menzel (Hrsg.), Verfassungsrechtsprechung – ausgewählte Entscheidungen des Bundesverfassungs­ gerichts in Retrospektive, Tübingen 2000, S. 175 ff.; M. Schmidt-Preuß, Energiever­ sorgung, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundes­ republik Deutschland, Bd. IV: Aufgaben des Staates, 3. Aufl., Heidelberg 2006, § 93 Rn. 1 f.; vgl. auch P. Franke, Sicherheit der Energieversorgung: Herausforderungen für Übertragungsnetzbetreiber und Regulierungsbehörde, in: K.  Faßbender / W.  Köck (Hrsg.), Versorgungssicherheit in der Energiewende – Anforderungen des Energie-, Umwelt- und Planungsrechts, Baden-Baden 2014, S. 19 ff. Siehe hierzu auch die Analyse aus der Perspektive eines kommunalen Versorgungsunternehmens auf dem Energiemarkt von M. Eckhardt, Versorgungssicherheit in der Energiewende aus der Sicht eines kommunalen Versorgungsunternehmens, in: K.  Faßbender / W.  Köck (Hrsg.), Versorgungssicherheit in der Energiewende – Anforderungen des Energie-, Umwelt- und Planungsrechts, Baden-Baden 2014, S. 131. 46  W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 15), § 6 Rn. 9. 47  W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 15), § 6 Rn. 9. 48  Ausführlich zu den historischen und gegenwärtigen Entwicklungen der deut­ schen Energiemarktregulierung J.-P. Schneider, Stand und Perspektiven der Energie­ marktregulierung, in: J. Lüdemann (Hrsg.), Telekommunikation, Energie, Eisenbahn, Tübingen 2008, S. 100 ff. Zur Rolle des deutschen Staates im Rahmen der Energie­ wirtschaft M. Schmidt-Preuß (Fn. 45), § 93 Rn. 3 ff.

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entsprechend der jeweiligen (verfassungs)rechtlichen Ausgestaltung in Be­ zug auf das Verhältnis von Staat und Gesellschaft im Rahmen der modernen Staatenwelt doch verschieden.49 Im demokratischen Verfassungsstaat aber ist die energetische Versorgung überwiegend dem freien Wettbewerb der Marktkräfte überlassen, wobei sich der Staat als ein dirigierendes Moment in den technisierten Massenmarkt einfügt. Dabei steht der Staat unter dem Eindruck eines unüberschaubaren Interessenkonglomerats, das durch die polykratisch ausgeformte, in ihrer hauptsächlichen Aufbaustruktur pluralis­ tisch-dezentral organisierte Energiewirtschaft aus privaten und kommunalen Unternehmen – hier in einem normativen Sinne wiederum verstanden als durch die positive Rechtsnormenordnung mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattete und damit rechtlich verfasste Rechtssubjekte  ‒ bedingt ist und das er im Sinne einer gesamtverantwortlichen Steuerungs-, Lenkungs- und Verteilerwirtschaft in Übereinstimmung mit dem inzwischen anerkannten ökologischen Staatsziel zu bewerkstelligen hat.50 In personaler Hinsicht bündeln sich hier industrielle Kraftwerksbetreiber als Stromerzeuger, deren vorgelagerte atom- bzw. immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfah­ ren bereits umfassende Abwägungsprozesse mit einschließen, die Anschluss und Zugang zu einem Netz benötigen, mehrere Übertragungs- und Vertei­ lernetzbetreiber, wobei Ersteren eine Systemverantwortung für das gesamte Energienetz zukommt, zudem nachfragende bzw. anbietende Großhändler als Zwischenlieferanten, private bzw. kommunale Stromanbieter und End­ verbraucher, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass sich in dieser Erzeugungs- und Abnahmekette vertikale bzw. auch horizontale Verflech­ tungen ergeben können und überdies auch die Option der privaten bzw. gewerblichen Eigenstromerzeugung besteht, womit eine Abnahmepflicht von Netzbetreibern korrespondieren kann.51 Das energierechtliche Kalkül ist indessen grundsätzlich auf einen angemessenen Ausgleich zwischen den verschiedenen Zielen des Magischen Fünfecks angelegt, wobei die Absiche­ rung der nationalen Energieversorgung oberste Priorität genießt. Der natur­ staatliche Energiestaat hat insoweit zunächst die anzuvisierende Minderung der Importabhängigkeit im Hinblick auf fossile Brennstoffe zu beachten, wobei das sichere Energieversorgungs- und Preisniveau nicht verlassen, zudem aber auch die Umwelt im Sinne einer nachhaltigen Wirtschaftspraxis nicht über Gebühr belastet werden darf.52 Zu diesem Zweck werden staat­ 49  M. Schmidt-Preuß,

Energieversorgung (Fn. 45), § 93 Rn. 26. zur Struktur des deutschen Energiemarktes auch unter Darstellung des alten Systems aus geschlossenen Versorgungsgebieten J.-P. Schneider (Fn. 48), S.  102 ff. 51  Vgl. M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung (Fn. 45), § 93 Rn. 12 / 26 ff. Grund­ sätzlich zum Energiewirtschaftsrecht nur J. Ziekow, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl., München 2013, S. 308 ff. 50  Insoweit



§ 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat757

liche Fördermittel für Forschungsvorhaben wie dem 1-Liter-Auto gewährt, zugleich aber auch die innovative Weiterentwicklung von neuen Energie­ technologien subventioniert, um die Ziele der autarken Energiewirtschaft bzw. der Nachhaltigkeit voranzutreiben.53 In dieses Muster passen auch Kaufprämien für umweltschonende Elektroautos, die das Konsumverhalten von Verbrauchern steuern sollen, wobei sich die selbstverpflichtenden Teil­ nehmer der Automobilbranche als Forderer gegenüber dem Staat wie als Förderer gegenüber den Verbrauchern darstellen.54 Ein etwaiger Ausstieg aus der CO2-neutralen Kernenergie muss andererseits substituiert werden, womit sich vor allem die Frage nach regenerativen Energiequellen stellt.55 Es ist aber auch das stabile Preisniveau zu beachten, das im Falle eines zeitgleichen Ausstiegs aus der Kernenergie und der Energieerzeugung mit­ hilfe von Braun- und Steinkohle nicht aufrechterhalten werden könnte, da eine derartige überstürzte Energiepolitik staatliche Entschädigungsleistungen verursachen würde, die auf die Endverbraucher abgewälzt werden würden. Zudem wäre dies auch mit dem Verlust einer Vielzahl von Arbeitsplätzen verbunden, was unter dem volkswirtschaftlichen Aspekt der Vollbeschäfti­ gung nicht zu verantworten wäre.56 Einen ähnlichen Effekt für den Ar­ beitsmarkt könnte eine Kohleabgabe besitzen, die von der Regierung den Energiekonzernen als den Betreibern von Kohlekraftwerken auferlegt wird, insofern die Kohlekraftwerke aufgrund eines erreichten Alters einen be­ stimmten Technikstandard zur Reduktion von CO2-Emissionen nicht mehr aufweisen, was die umweltrechtlichen Klimaziele gefährden könnte.57 Dem 52  Vgl. M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung (Fn. 45), § 93 Rn. 3 ff. Siehe hierzu nur die Zusammenfassung der Energiepolitik der deutschen schwarz-gelben Bundes­ regierung 2009–2013 bei F. Illing, Energiepolitik in Deutschland, Baden-Baden 2012, S.  237 ff. 53  Vgl. hierzu M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung (Fn. 45), § 93 Rn. 4 ff.; F. Illing (Fn. 52), S. 239 ff. / 244 ff. 54  Siehe hierzu nur den Artikel „Elektromobilität – Einigung auf Kaufprämie für E-Autos“ vom 27.04.2016, abrufbar unter www.m.bundesregierung.de / Con­ tent / DE / Artikel / 2016 / 04 / 2016-04-27-foerderung-fuer-elektroautos-beschlossen. html. Zu dem Sachstand vor der Prämie K. Dudenhöffer, Akzeptanz von Elektroau­ tos in Deutschland und China, Wiesbaden 2015, S. 1 ff. 55  Vgl. in diesem Zusammenhang M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung (Fn. 45), § 93 Rn. 5 ff.; F. Illing (Fn. 52), S. 237 ff. Zu dem Begriff der erneuerbaren Energien S. Ramtke, Die Rechtsprobleme des Ausbaus der Windenergienutzung in Deutschland, Baden-Baden 2010, S. 33 ff. 56  M. Schmidt-Preuß, Energieversorgung (Fn. 45), § 93 Rn. 3 ff. Die Energiepo­ litik, die Macht, wird entsprechend eines ausschließlich normativen Ansatzes zu Recht, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht ist rechtlich zu interpretieren. 57  Siehe hierzu nur die Pläne der deutschen Bundesregierung zur Einführung ei­ ner „Kohleabgabe“ für alte Kohlemeiler; insoweit nur die Dokumente „Gabriel droht das Scheitern am Kohle-Krieg“, Welt online vom 10.04.2015, Dokumentnummer:

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naturstaatlichen Energiestaat liegt daher ein mittel- und langfristiges ener­ gierechtliches Konzept zugrunde, das auch vor dem Hintergrund europabzw. völkerrechtlicher Reduktionsvorgaben auf einen gleitenden Wandel der energetischen Erzeugungstechnologien ausgerichtet ist. Damit korrespondie­ ren auch gesetzlich initiierte, räumliche Entkoppelungsmaßnahmen von Energieerzeugungs- und Abnahmeschwerpunkten, um durch gezielt geplante Netzausbauvorhaben Versorgungssicherheit im Sinne von innovativen und umweltfreundlichen Energietechnologien zu gewährleisten.58 In den Mit­ gliedstaaten der Europäischen Union werden die spezifischen Energiemarkt­ strukturen im Zuge der europarechtlich bedingten Liberalisierungstendenzen dabei einem rahmenrechtlichen Regulierungsregime unterworfen, um einer­ seits Missstände des insbesondere vertikal verflochtenen Energiemarkts zu beheben, andererseits und in der Entflechtung bereits angelegt, um Wettbe­ werb zu erzeugen, der für eine angemessene, sichere und preisgünstige Energieversorgung notwendig ist. Die Protagonisten auf dem Energiemarkt unterstehen indessen auch einem ordnungsrechtlichen Anzeige-, Genehmi­ gungs- und Aufsichtsinstrumentarium, um die funktionale Sicherheit des Energiemarkts zu garantieren.59 Als Gesamtziel des staatlichen Energieko­ nzepts ist aber stets die nicht zu vernächlässigende Energieversorgungssi­ cherheit anzusehen, deren existentielle Bedeutung für die staatliche Ent­ wicklung auch Eingriffe in die Grundrechte von einzelnen Bürgern legiti­ mieren kann. In diesem Sinne stärkte das deutsche Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung „Garzweiler II“ im Dezember 2013 die konstitutio­ nell verbürgten Eigentumsrechte der von einem Braunkohlenabbau betroffe­ nen Grundstückseigentümer, nahm im Ergebnis aber dann doch unter Be­ rücksichtigung einer im konkreten Fall nachgeholten Abwägung unter Ein­ schluss der Eigentumsrechte der Betroffenen auf der Ebene des grundsätzlich nachgiebigen Rahmenbetriebsplans und mit Blick auf das besondere Gewicht 133562134 und „Juristen zerreißen Gabriels Kohle-Pläne“, Welt online vom 07.05.2015, Dokumentnummer: 134856363. Konkret plant die deutsche Bundesre­ gierung, dass alte Kohlekraftwerke nur einen begrenzten Freibetrag an CO2 aussto­ ßen dürfen, der sich in den folgenden Jahren noch weiter verringern wird. Die Kohleabgabe soll dann anfallen, wenn der Freibetrag überschritten wird. Die Koh­ leabgabe soll dabei aber nicht in bar, sondern in der Form von handelbaren Emissi­ onsberechtigungen geleistet werden. Dagegen werden inzwischen europarechtliche wie verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, die sich gemeinschaftsrecht­ lich in erster Linie auf eine konzeptionswidrige Entwertung von Emissionsberechti­ gungen, verfassungsrechtlich auf etwaige Eingriffe in die Eigentumsfreiheit stützen; zum Ganzen wiederum das Dokument „Juristen zerreißen Gabriels Kohle-Pläne“, Welt online vom 07.05.2015, Dokumentnummer: 134856363. 58  Siehe hierzu P. Franke (Fn. 45), S. 28 ff. 59  Siehe hierzu am Beispiel des deutschen Energieregulierungsrechts mit der zuständigen Bundesnetzagentur J.-P. Schneider (Fn. 48), S. 102 ff.: „Es soll also kein Wettbewerb der Netze initiiert werden, sondern ein Wettbewerb auf dem Netz.“



§ 22 Wirtschaftsstaat und Naturstaat759

des Braunkohlenbergbaus unter dem Gesichtspunkt der daseinsvorsorgenden Energiegewinnung eine im Einklang mit der Verfassung stehende und damit zulässige Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit an.60 In der Urteilsbe­ gründung steht dazu: „Nach der Vorstellung des Gesetzgebers kommt die­ sem Versorgungszweck (d. h. der Gewinnung von Rohstoffen für die Versor­ gung des Marktes,) für die Lebensfähigkeit einer modernen Industriegesell­ schaft wie die der Bundesrepublik Deutschland ein besonders hoher Stellen­ wert zu (…). In welchem Ausmaß Enteignungen zum Zwecke der Gewinnung von Rohstoffen für die Versorgung des konkreten Marktes gerechtfertigt sein können, ist nach deren Bedeutung für das Gemeinwohl und nach der Gesamtabwägung (…) zwischen der Gemeinwohldienlichkeit eines konkre­ ten Gewinnungsvorhabens und den dadurch beeinträchtigten öffentlichen und privaten Belangen zu entscheiden.“61 Darin kommt gleichsam der Primat des parlamentarischen Gesetzgebers zum Ausdruck, die wesentlichen Grundentscheidungen bezüglich des klimarechtlichen Energiemixes festzu­ legen. Im Rahmen der Absicherung des Gemeinwohlziels der zuverlässigen Energieversorgung kann er damit selbst bestimmen, welche Energieträger er dafür heranzieht und auch in welcher Kombination er sie einsetzen möchte, wobei er die Kosten der Nutzung einer Energiequelle sowie ihre Klima- und Umweltauswirkungen zu berücksichtigen hat.62 Andererseits muss der wirt­ schafts- wie umweltrechtliche Rechtserzeugungs- und -anwendungsprozess, der auch von der Grundnorm in ihrem äußeren Sinn delegiert wird, stets an den demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsstrukturen ausgerichtet sein. Wer aber verleiht den naturstaatlichen Zielen im Staat eine besondere Stim­ me? Es ist die Frage nach dem Hüter des äußeren Sinns, die nun zu klären ist.

60  BVerfGE 134, 242 – Garzweiler II. Zum direkten Zusammenhang von Ge­ meinwohl, Freiheit und Zwang im Energiesektor M. Schmidt-Preuß, Energieversor­ gung (Fn. 45), § 93 Rn. 13 / 16; M. Möstl, Die staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Tübingen 2002, S. 193. 61  BVerfGE 134, 242 (304). Nach dieser Rechtsprechung des Bundesverfas­ sungsgerichts sehe das Grundgesetz kein eigenständiges Recht auf Heimat vor; BVerfGE 134, 242 (324 ff.); aus der Literatur statt vieler F. Wollenschläger, Art. 11 [Freizügigkeit], in: H. Dreier (Hrsg.) Grundgesetz, Kommentar, Bd. I: Art. 1–19, 3. Aufl., Tübingen 2013, Art. 11 Rn. 38 f. A. A. S. Baer, Zum „Recht auf Heimat“ – Art. 11 GG und Umsiedlungen zugunsten des Braunkohletagebaus, NVwZ 1997, 27 (30); I. Pernice, Art. 11 [Freizügigkeit], in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kom­ mentar, 2. Aufl., Tübingen 2004, Art. 11 Rn. 17. Bedenkt man, dass jeder Naturstaat in einem weiteren Sinne Heimatstaat ist, besteht durch Art. 20a GG ein weiterer Anknüpfungspunkt für einen Heimatstaat. 62  W. Frenz, Braunkohlentagebau und Verfassungsrecht, NVwZ 2014, 194 (196).

§ 23 Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung I. Wissenschaftlicher Diskurs im Spiegel moderner Staatssystemvorstellungen In Anlehnung an die staatstheoretische Terminologie von einem „Hüter der Verfassung“1 stellt sich in der progressiven Perspektive eines ökologisch ausgerichteten Staatswesens die Frage nach einem Hüter der naturstaatli­ chen Verfassung, dem die nachhaltige Obhut der natürlichen Lebensgrund­ lagen obliegt und sich damit funktional als Gewährinstanz für den naturbe­ zogenen Gemeingeist auszeichnet, der sich naturrechtlich indiziert als völ­ kergewohnheitsrechtliches Weltprinzip über den staatlichen Kosmos des Rechtsnormensystems legt. Im staatswissenschaftlichen Schrifttum finden sich obwohl des noch relativ frühen Diskursstadiums bereits mehrere inno­ vative Vorschläge für eine derartige besondere Institution, ohne dass bisher aber eine konsensfähige Lösung gefunden werden konnte.2 Nach den von Michael Kloepfer hinsichtlich eines demokratischen und rechtsstaatlichen Staatswesens aufgestellten Kriterien muss der ökologische Hüter neben dem allgemeinen Postulat der effizienten Aufgabenverwirklichung den Eigen­ schaften der langzeitpräsenten Stabilität und Konstanz, der Objektivität, was gleichzeitig eine Inkompatabilität mit Blick auf die Verfolgung von spezifi­ schen, nicht-ökologischen Interessen der Gegenwarts- und Zukunftswelt begründet, sowie einer hinreichenden demokratischen Legitimation durch Vertrauen in eine solche auch zukunftsorientierte Langzeitinstitution ent­ sprechen.3 Das Spektrum der wissenschaftlichen Entwürfe, die diesen Kri­ terien mehr oder weniger gerecht werden, durchzieht den staatlichen wie gesellschaftlichen Bereich:4 angeregt werden eine sachverständige Kommis­ 1  Der Terminus „Hüter der Verfassung“ geht auf Carl Schmitt zurück.; siehe nur C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, AöR 1929 (55), S. 161; ders., Der Hüter der Verfassung, Tübingen 1931. 2  Vgl. H. Theisen, Zukunftsvorsorge als Staatsaufgabe, Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (123); so auch M. Kloepfer, Langzeitverantwortung im Umweltstaat, in: C. F. Gethmann (Hrsg.), Langzeitverantwortung im Umwelt­ staat, Berlin 1993, S. 40. 3  M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 36 f. 4  Zusammenfassungen der institutionellen Vorschläge finden sich bei I. Appel, Staatliche Zukunfts- und Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im



§ 23 Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung761

sion beim Bundespräsidenten,5 ein Nachweltministerium, das sich durch die Mitarbeit von Managern, Beamten, Wissenschaftlern, Gewerkschaftlern und Journalisten in interdisziplinärer Kooperation auszeichnet,6 damit in unmit­ telbarem Zusammenhang stehend, gleichsam aber als eigener Vorschlag einzustufen, ein eigener Bundesminister für Nachweltschutz,7 das neutrale Staatsoberhaupt,8 die Kirchen9 bzw. die Wissenschaft,10 ein Verfassungs­ gericht,11 ein besonderer Sachverständigenrat für Zukunftsfragen,12 ein Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 87 ff. / 184; M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 36 ff.; M. Schröter, Mensch, Erde, Recht, Baden-Baden 1999, S. 234 ff.; I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Ru­ dolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 427 ff. 5  Dieser Vorschlag geht auf den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weiz­ säcker zurück; vgl. insoweit H. Theisen (Fn. 2), Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (123). In dem Sinne auch M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 38; vgl. auch P.  Saladin / J.  Leimbacher, Mensch und Natur, in: H. Däubler-Gme­ lin / W. Adlerstein (Hrsg.), Menschengerecht, Heidelberg 1986, S. 213. 6  So K. Seitz, Die japanisch-amerikanische Herausforderung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 1992 (10 / 11), 3 (11 ff.). Diese kollaborative Aufbaustruktur ist bereits aus dem Deutschen Kaiserreich bzw. dem Deutschen Reich in der Form der Komitees bekannt. In der heutigen Terminologie spricht man insoweit von „kondo­ minalen Verwaltungseinheiten“; siehe hierzu nur F. Shirvani, Das Kooperationsprin­ zip im deutschen und europäischen Umweltrecht, Berlin 2005, S. 61 ff. 7  So D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, 2.  Aufl., Stuttgart 1995, S. 267 f.; D.  Gabor / U.  Colombo, Das Ende der Verschwendung, Stuttgart 1976, S. 240 f.; C.  F.  Gethmann / A.  Klapperich, Selbstbestimmungsrechte des Individuums im Umweltstaat, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat als Zu­ kunft – Juristische, ökonomische und philosophische Aspekte, Bonn 1994, S. 198; vgl. auch B. Guggenberger, Das Staatsziel Umweltschutz – Erster Schritt zu einer „konjunkturunabhängigen“ Umweltpolitik, in: ders. / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 245; im Hinblick auf die Realisierungschan­ cen kritisch M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 40. 8  So H. Theisen (Fn. 2), Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (118); M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 38. 9  M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn.  2), S. 38. In dieses integrierende Muster passen etwa die regelmäßigen Aufrufe von Papst Franziskus gegen den glo­ balisierten Wirtschaftskapitalismus. Bereits Albert Hensel wies im kulturellen Zu­ sammenhang mit der naturschutzrelevanten Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV (A. Hensel, Art. 150 der Weimarer Reichsverfassung und seine Auswirkungen im preußischen Recht, AöR 1928 (53), 321 (344 ff.)) auf die besondere Integrationskraft der Kirchen als Teil der Kultur- und Naturschutzgemeinschaft hin. 10  M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 38  f.; D. Birnbacher (Fn. 7), S.  266 f. 11  So H. Theisen (Fn. 2), Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (118 / 123); B. Guggenberger, Zwischen Konsens und Konflikt. Das Bundesverfas­ sungsgericht und die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft, in: ders. / T.  Würtenberger (Hrsg.), Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik?, Baden-Baden 1998, S. 216 f.;

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ökologischer Rat,13 ein Ombudsmann bzw. eine Ombudskommission,14 entsprechende Öko-Höfe, die dem Modell der Rechnungshöfe nachgebildet sind,15 die organisierte Umwelt-, Natur-, Heimat- und Nachweltschutz­ gesellschaft,16 Führungskräfte von großen Unternehmungen,17 eine Advoka­ tenvertretung18, oder aber das Volk selbst.19 vgl. auch ders., Staatsziel Umweltschutz (Fn. 7), S. 245 („ökologischer Gerichts­ hof“); in Ansätzen auch bereits R. Wolf, Das Bundesverfassungsgericht – Hüter der Umwelt?, Kritische Justiz 1984 (3), S. 239 ff.; kritisch insoweit dagegen J. Limbach, Die Integrationskraft des Bundesverfassungsgerichts, in: H. Vorländer (Hrsg.), Inte­ gration durch Verfassung, Wiesbaden 2002, S. 323 ff. 12  M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 40; D. Birnbacher (Fn. 7), S. 66. 13  So T. Stein, Warum wir einen ökologischen Rat brauchen, in: B. Guggenber­ ger / A.  Meier (Hrsg.), Der Souverän auf der Nebenbühne, Opladen 1994, S. 255 ff.; R. Loske, Der Charme des Ökorats, Politische Ökologie 1996 (46), S. 53 ff.; B. Guggenberger, Staatsziel Umweltschutz (Fn. 7), S. 245; R. Bahro, Logik der Rettung – Wer kann die Apokalypse aufhalten? Ein Versuch über die Grundlagen ökologischer Politik, Berlin 1990, S. 489 ff.; M. Massarrat, Baustein für eine Demokratie der Zukunft – Dritte Kammern für Nichtregierungsorganisationen, Politische Ökologie 1996 (46), S. 49 ff.; G. Stutzin, Die Natur der Rechte und die Rechte der Natur, Rechtstheorie 1980 (11), 344 (352 f.); M. Schröter, Mensch, Erde, Recht (Fn. 4), S. 251 ff.; ablehnend dagegen R. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, Frank­ furt a. M. 1998, S. 339 ff. 14  So P.  Saladin / C.  A.  Zenger, Rechte künftiger Generationen, Basel u. a. 1988, S. 111; P.  Saladin / J.  Leimbacher (Fn. 5), S. 213; G.  Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts, Bonn 1996, S. 69 f. („unabhängige Landesbeauftragte“); M. Schröter, Mensch, Erde, Recht (Fn. 4), S. 237 ff.; H. Lenk, Erweiterte Verantwor­ tung, Natur und künftige Generationen als ethische Gegenstände, in: D. MayerMaly / P. M. Simons (Hrsg.), Das Naturrechtsdenken heute und morgen, Berlin 1983, S. 835 („Bundesbeauftragte“); H.  Frhr. v. Lersner, Gibt es Eigenrechte der Natur?, NVwZ 1988, 988 (991) („unabhängige Vertreter“ / „Beauftragte“); vgl. insoweit auch G. Stutzin (Fn. 13), Rechtstheorie 1980 (11), 344 (353). 15  So etwa G.  Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts (Fn. 14), S.  69 f.; B. Söhnlein, Landnutzung im Umweltstaat des Grundgesetzes, Stuttgart u. a. 1999, S.  164 ff. 16  So P.  Saladin / C.  A.  Zenger (Fn. 14), S. 111; H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 14), NVwZ 1988, 988 (991); K. Bosselmann, Im Namen der Natur – Wege zum ökolo­ gischen Rechtsstaat, Bern u. a. 1992, S. 379 ff.; ders., Der Ökologische Rechtsstaat – Versuch einer Standortbestimmung, in: H. Baumeister (Hrsg.), Wege zum ökologi­ schen Rechtsstaat, Taunusstein 1994, S. 68; vgl. auch G. Stutzin (Fn. 13), Rechtsthe­ orie 1980 (11), 344 (353); kritisch insoweit vor allem im Hinblick auf die Frage nach der demokratischen Legitimation M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 39 f.; vgl. auch B. Guggenberger, Staatsziel Umweltschutz (Fn. 7), S. 245. 17  D. Birnbacher (Fn. 7), S. 266. 18  D. Birnbacher (Fn. 7), S. 266 f. Dieses Modell hat mit den Naturschutzanwälten im Dritten Reich ebenfalls einen ideengeschichtlichen Vorläufer; siehe zu Letzterem nur M. Kloepfer, Umweltrecht, München 2004, S. 89 („Landschaftsanwälte“). 19  In diese Richtung R. Steinberg (Fn. 13), S. 342 f.; H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 14), NVwZ 1988, 988 (991); ablehnend dagegen H. Theisen (Fn. 2), Staatswissenschaf­



§ 23 Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung763

II. Die einzelnen Vorschläge im Visier ihres Eignungspotentials Mit dem umwelt- bzw. naturstaatlichen Diskurs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte eine wissenschaftliche Betätigung ein, die mit dem damaligen staatstheoretischen Wettstreit um einen Hüter der Verfassung durchaus vergleichbar ist. Während es im Deutschen Reich mit der disku­ tierten Option eines Verfassungsgerichts um die Vervollkommnung der Rechtsstaatsidee ging,20 stellt sich heute die Frage, wer im Rahmen der repräsentativen Demokratie für eine langfristige und zukunftsorientierte Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen am besten geeignet ist. Die Hauptproblematik liegt dabei in der notwendigen Diskrepanz zwischen dem kurzfristigen Entscheidungshorizont des parlamentarischen Systems und der langfristigen Ausrichtungstendenz von Umwelt- und Nachweltinteressen,21 was unter der repräsentativen Normalität einer Herrschaft auf Zeit regelmä­ ßig zu vorgezeichneten Anforderungen an eine demokratische Legitimität im Sinne einer wählerstimmenfreundlichen, temporären politischen Ent­ scheidungsmentalität beiträgt.22 Zudem aber haben die institutionellen ­Lösungsstrategien auch von der Prämisse auszugehen, dass es sich bei der ökologischen Thematik um einen existentiellen Auftrag mit Querschnitts­ charakter handelt, der potentiell das gesamte rechtliche Spektrum erfasst,23 weshalb vor dem Hintergrund der aufgekommenen Ausbreitung des natur­ staatlichen Weltgeistes, der sich in verobjektivierter Präsentation folienartig ten und Staatspraxis 1995 (6), 111 (122). Dieser Vorschlag erinnert an die griechi­ sche Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts, wo dem Volk teilweise ausdrück­ lich die Eigenschaft eines Hüters der Verfassung zuerkannt wurde; die griechischen Verfassungen des 19. Jahrhunderts sind abgedruckt bei J.  Masing / D.  Gosewinkel, Die Verfassungen in Europa 1789–1949, München 2006, S. 1009 ff. Als Begründung für diese Hervorhebung des griechischen Volkes als Hüter der Verfassung kann wie­ derum der Umstand angeführt werden, dass im 19. Jahrhundert das durch das Parla­ ment repräsentierte Volk noch als demokratischer Gegenpart zu den monarchischen Elementen der Verfassung angesehen wurde. Die von Rudolf Steinberg angebrachte Betonung der Rolle der Bürger und Bürgerinnen soll dagegen zum Ausdruck brin­ gen, dass ohne ein umfassendes Umwelt- und Naturschutzbewusstsein auch ein ökologischer Rat nichts Wesentliches zu einer umweltstaatlichen Systemimmanenz beitragen kann. 20  H. Kelsen, Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.), Hans Kelsen – Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, Tübingen 2008, S. 25 / 50 f. 21  Hierzu nur I. Appel (Fn. 4), S. 91; B. Söhnlein (Fn. 15), S. 158 f.; vgl. auch H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 14), NVwZ 1988, 988 (992). 22  B. Söhnlein (Fn. 15), S. 158 f. 23  I. Appel (Fn. 4), S. 91; B. Söhnlein (Fn. 15), S. 166; M. Hebeisen, Umwelt­ schutz als Staatsaufgabe und als Gegenstand der Rechtspolitik, in: A. Holderegger (Hrsg.), Ökologische Ethik als Orientierungswissenschaft, Freiburg (Schweiz) 1997, S. 140.

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über den modernen Staat legt,24 die legitimierte Hüterinstanz der naturstaat­ lichen Verfassung letztlich derart beschaffen sein muss, dass sie zu einer ganzheitlichen Perspektive, d. h. zu einer Analyse der gesamten Umweltsi­ tuation eines Staates unter Einbeziehung der sonstigen Politikbereiche, in der Lage ist.25 Allein aus diesem Grund erscheint es zweifelhaft, ob etwa das Volk selbst durch die Einführung von direkten Demokratieelementen als Hüter der naturstaatlichen Verfassung fungieren kann. Denn das souveräne Staatsvolk ist nicht befähigt, den gesamten rechtlichen Erzeugungsprozess unter effizienter Beachtung des Gesamtzustands der natürlichen Lebens­ grundlagen zu überblicken, abgesehen von dem Umstand, dass durch über­ mäßige direkte Hütermechanismen der soziologischen Willkür im Staat Tür und Tor geöffnet werden.26 Eine nur begrenzte Verwendung von plebiszitä­ ren Mitteln als Korrektur- und Balancierungsinstrumentarien einer repräsen­ tativen Staatsform ist auch deshalb angezeigt, um letztlich eine „Mischung von Medienbonapartismus, Protestpopulismus und Neo-Faschismus“ zu vermeiden, die daran erinnert, „dass die Pöbelherrschaft als Verfallsform der Demokratie neben der Gefahr der Tyrannis immer mit in Rechnung gestellt werden muss.“27 Anders liegt die Problematik bei einer organisierten Natur­ schutzgesellschaft im weiteren Sinne, die sich auch den generationenüber­ greifenden Nachweltschutz auf ihre Fahnen schreibt. Hier stellt sich als primäres staatliches Koordinierungsziel zunächst die Frage nach einer Aus­ stattung dieser privaten Verbände mit einer hinreichenden demokratischen Legitimation, ohne die ein verantwortungsbewusster Hüterstatus dieser ju­ ristischen Personen hinsichtlich der naturstaatlichen Verfassung nicht mög­ lich ist,28 wobei auch zu konstatieren ist, dass auf die Nachweltvorsorge spezialisierte Verbände gegenwärtig überhaupt nur in unzureichender Anzahl 24  Vgl. H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 83 f. Auf einen ganzheitlichen Denk­ ansatz im Hinblick auf die natürlichen Lebensgrundlagen weist auch H. Theisen (Fn. 2), Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (116 ff.) hin. Vgl. auch I. Appel (Fn. 4), S. 56. 25  Vgl. H. Theisen (Fn. 2), Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (120); I. Appel (Fn. 4), S. 91; H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 359 ff.; ders., Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 49 ff. (in Bezug auf eine Reform des Parla­ mentarismus und das Problem der berufsständischen Vertretung). 26  H.  Lübbe, Theorie und Entscheidung, Freiburg 1971, S. 16 ff. / 21 f. / 27 f. 27  H. Theisen (Fn.  2), Staatswissenschaften und Staatspraxis 1995 (6), 111 (122); T.  Fleiner / L.  Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutionelle De­ mokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 388. Heinz Theisen weist insoweit auf die italienische Entwicklung hin. Vgl. hierzu auch H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 14), NVwZ 1988, 988 (992). 28  M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 39  f. Zur juristischen Person H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 66 ff.



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gegründet sind.29 Eine hinreichende demokratische Legitimation könnte diesen Trägern der weit verstandenen organisierten Naturschutzgesellschaft personell-organisatorisch dadurch gewährt werden, dass sie direkt vom Volk (aus)gewählt bzw. von demokratisch legitimierten Repräsentanten individu­ ell beauftragt werden, was im Hinblick auf die notwendige sachlich-inhalt­ liche Legitimation durch gesetzliche Aufgabenbeschreibungen und Ein­ griffskompetenzen sowie Weisungsrechte übergeordneter rechtlicher Organ­ träger ergänzt werden könnte. Gleiches kann auch für das von anderer Seite vorgeschlagene Advokatenmodell Geltung beanspruchen, bei dem die Rechtssubjekte der Naturanwälte als personifizierte Teilrechtsordnungen der Gesamtrechtsordnung mit profunden Rechten bzw. subventionierten Finanz­ mitteln ausgestattet werden, um einen effizienten Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen gewährleisten zu können.30 Diesen mandatierten Vertre­ tern ist zuzutrauen, dass sie im Gegensatz zu Führungskräften von großen Unternehmen, die in letzter Konsequenz stets, zumal im eigenen beruflichen Interesse, das Gewinnstreben gegenüber der Natur überwiegen lassen wer­ den, als legitimierte Hüter der ökologischen Gesamtordnung eines modernen Staates agieren können. Dennoch hängt ihr Erfolg von den konkreten Be­ dingungen der rechtlichen Ermächtigung ab, die den Verbänden bei einer angemessenen gesetzlichen Ausstattung mit etwaigen Rechten eine gewisse Unabhängigkeit von den sonstigen Staatsorganen garantieren muss. In die­ sem Sinne kann es angezeigt erscheinen, die etwa im deutschen Verwal­ tungsrecht auf einen individuellen Rechtsschutz abzielende Klagebefugnis entsprechend dem Vorbild der altruistischen Verbandsklage in Bezug auf das allgemeine Interesse des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen zu modifizieren, um damit einer weiteren Ökologisierung des Rechts Vorschub zu leisten.31 Als Kritikpunkt an diesem Modell bleibt aber, dass die Natur­ schutzverbände im weiteren Sinne bzw. die Advokaten den gesamten 29  P.  Saladin / C.  A.  Zenger (Fn. 14), S. 111; M. Kloepfer, Langzeitverantwor­ tung (Fn.  2), S.  39. Grundsätzlich kritisch gegenüber diesem Verbändemodell B. Söhnlein (Fn. 15), S. 165. 30  Vgl. hinsichtlich der Umweltschutzverbände nur H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 14), NVwZ 1988, 988 (992). Auch dieses Verbände- bzw. Advokatenmodell hatte im Deutschen Kaiserreich bzw. im Deutschen Reich bereits einen geschichtlichen Vor­ läufer. Im Reichsland Hessen wurden dann durch das Naturschutzgesetz aus dem Jahre 1931 Naturpfleger vorgesehen, die als Beliehene die Naturschutzaufgabe be­ wältigen sollten. Zur Rechtssubjektivität H. Kelsen (Fn. 25), S. 62 ff. 31  P.  Saladin / C.  A.  Zenger (Fn. 14), S. 111 f.; P.  Saladin / J.  Leimbacher (Fn. 5), S.  213 ff.; H.  Frhr. v. Lersner (Fn. 14), NVwZ 1988, 988 (992). Siehe zu der im Umweltrecht diskutierten Problematik um eine Stärkung von etwaigen Umweltbe­ langen im Verwaltungsprozess I. Appel (Fn. 4), S. 179 ff.; R.  Wahl / I. Appel, Präven­ tion und Vorsorge – von der Staatsaufgabe zu den verwaltungsrechtlichen Instrumen­ ten, Bonn 1995, S. 139 ff.; R. Steinberg (Fn. 13), S. 307 ff.; vgl. auch H. Hofmann, Natur und Naturschutz im Spiegel des Verfassungsrechts, JZ 1988, 265 (278).

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Rechtserzeugungs- und -anwendungsprozess unter Beachtung von sonstigen Diskursen im repräsentativen Parlamentssystem nicht adäquat erfassen kön­ nen, was letzten Endes doch für ein eigenes Staatsorgan bzw. einen sonsti­ gen Organwalter für die ökologisch mäßigende Aufgabe eines legitimen Hüters der naturstaatlichen Verfassung spricht. Ob andererseits dagegen die Kirchengemeinschaften geeignet wären, den naturstaatlichen Gemeingeist angemessen zu repräsentieren, muss ebenfalls bezweifelt werden. In der mittelalterlichen Scholastik war es bereits Thomas von Aquin, der eine Nichtigkeit des gemeinen Rechts postulierte, wenn es gegen das Göttliche Recht bzw. das Naturrecht verstieß.32 Die Kirchengemeinschaften sind un­ bestreitbar in der Lage, das ökologische Bewusstsein auch im Hinblick auf die generationenübergreifende Nachweltverantwortung zu stärken.33 Den­ noch steht vor allem die katholische Kirche im 21. Jahrhundert unter einem enormen Reformdruck, da sich viele Menschen mit dem konservativen Gedankengut der Kurie nicht mehr identifizieren können.34 Der kirchliche 32  Siehe hierzu P. C. Mayer-Tasch, Politische Theorie des Verfassungsstaates, München 1991, S. 156 f.; W. Blum, Thomas von Aquin, in: W. Blum u. a. (Hrsg.), Politische Philosophen, Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, 3. Aufl., München 1997, S. 76 ff.; vgl. auch H. Kelsen, Naturrechtslehre und Rechts­ positivismus, Politische Vierteljahresschrift 1962 (3), 316 (320  f.). Thomas von Aquin, der große Vermittler zwischen Platonismus und Aristotelismus, Theologie und Philosophie, entwerfe nicht nur ein umfassendes System der Natur, das konkre­ te Anschauung mit christlicher Offenbarung verbinde, sondern beschwöre auch die Retorsionsgewalt der Natur: Wer wider die Natur handele und damit gegen die Ge­ setze der göttlichen Schöpfung verstoße, werde bestraft (P. C. Mayer-Tasch, ebd., S. 156 f.; Namenshervorhebung nicht im Original). Zur Staatslehre von Thomas von Aquin F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 78 ff. 33  So M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn.  2), S. 38. Zu den möglichen Verhältnissen von Staat und Kirche H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 133 ff. 34  In diesem Zusammenhang kann als Anekdote eine ausdrucksstarke Passage von Georg Wilhelm Fredrich Hegel aus dessen Rechtsphilosophie zu dem Verhältnis von Staat und Religion (G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, in: R. Weber-Fas (Hrsg.), Staatsdenker der Moderne, Tübingen 2003, S. 261 ff.). ange­ führt werden, der die methodische Nähe zu dem späteren Reinheitspostulat von Hans Kelsen aufzeigt: „Der Staat ist göttlicher Wille als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender Geist. (…) Diejenigen, die bei der Form der Religion gegen den Staat stehen bleiben wollen, verhalten sich wie die, welche in der Erkenntnis das Rechte zu haben meinen, wenn sie nur immer beim Wesen bleiben und von diesem Abstraktum nicht zum Dasein fortgehen, oder wie die (…), welche nur das abstrakte Gute wollen und der Willkür das, was gut ist, zu bestimmen vorbehalten. Die Religion ist das Verhältnis zum Absoluten in Form des Gefühls, der Vorstellung, des Glaubens, und in ihrem alles enthaltenden Zentrum ist alles nur als ein Akzidentelles, auch Verschwindendes. Wird an dieser Form auch in Beziehung auf den Staat so festgehalten, dass sie auch für ihn das wesentlich Bestimmende und Gültige sei, so ist er, als der zu bestehenden Unter­ schieden, Gesetzen und Einrichtungen entwickelte Organismus, dem Schwanken, der



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Lösungsansatz ist daher als ergänzendes Heilmittel sinnvoll, er birgt aber eine zu große Unsicherheit hinsichtlich des Effizienzkriteriums, um der Stellung eines Hüters der naturstaatlichen Verfassung gerecht werden zu können. Im staatswissenschaftlichen Schrifttum ist es vor allem der ökologische Rat, der für eine Überwindung des typischen Spannungsverhältnisses zwi­ schen dem kurzfristigen politischen Entscheidungshorizont der repräsentati­ ven Staatsethik und der langfristigen Nachweltperspektive ins Feld geführt wird. Dieser neu zu schaffende ökologische Rat soll den Staat mit der Natur versöhnen, wobei ihm ein suspensives Vetorecht im Rahmen der parlamenta­ rischen Gesetzgebung bzw. bei der administrativen Verwaltungstätigkeit zu­ kommt, wenn er nicht gleich im Sinne eines traditionellen Zweikammersys­ tems als ein das Unterhaus ökologisch mäßigendes Oberhaus installiert wird.35 In Anlehnung an die verfassungsgerichtlichen Hüter wird eine verlän­ gerte Legislaturperiode als Bestellungsmodus für die Mitglieder des ökologi­ schen Rats diskutiert, um die Unabhängigkeit dieser Hüter der Naturstaat­ lichkeit zu gewährleisten.36 Ein solcher ökologischer Rat ist unter demokrati­ schen Legitimationsgesichtspunkten dann nicht zu beanstanden, wenn er durch einen Rechtsakt des Verfassungsgesetzgebers, d. h. eine spätere Verfas­ sungsänderung des pouvoir constitué konstituiert wird und die Wahl der öko­ logischen Rechtshüter somit den Anforderungen einer auf die innere Grund­ norm rückführbaren, rechtlichen Delegationskette entspricht. Zudem würde eine solche ökologische Institution den gesamten Rechtsschöpfungsprozess erfassen, so dass auch eine ganzheitliche Sicht unter Einbeziehung sämtlicher sonstiger Rechtsmaterien abgesichert erscheint. Unter dem die Analyse die­ ses institutionellen Optionsmodells bedingenden Vorbehalt der konkreten Unsicherheit und Zerrüttung preisgegeben. Das Objektive und Allgemeine, die Ge­ setze, anstatt als bestehend und gültig bestimmt zu sein, erhalten die Bestimmung eines Negativen gegen jene alles Bestimmte einhüllende und eben damit zum Sub­ jektiven werdende Form, und für das Betragen der Menschen ergibt sich die Folge: dem Gerechten ist kein Gesetz gegeben; seid fromm, so könnt ihr sonst treiben, was ihr wollt – ihr könnt der eigenen Willkür und Leidenschaft euch überlassen und die anderen, die Unrecht dadurch erleiden, an den Trost und die Hoffnung der Religion verweisen, oder noch schlimmer, sie als irreligiös verwerfen und verdammen.“ (Her­ vorhebungen im Original). Siehe zum Verhältnis von Georg Wilhelm Friedrich He­ gel zur Religion grundsätzlich E.-W. Böckenförde, Bemerkungen zum Verhältnis von Staat und Religion bei Hegel, in: ders. (Hrsg.), Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2006, S. 115 ff. 35  T. Stein (Fn. 13), S. 255 ff.; M. Massarrat (Fn. 13), Politische Ökologie 1996 (46), S.  49 ff.; R. Bahro (Fn. 13), S. 489 ff.; G. Stutzin (Fn. 13), Rechtstheorie 1980 (11), 344 (352 f.); K. Bosselmann, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 16), S. 66 f.; eher kritisch I. Appel (Fn. 4), S. 89 ff. Zu den Organisationsformen eines Parlaments H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 352 ff. 36  T. Stein (Fn. 13), S. 256.

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rechtlichen Organisation dieser ökologischen Institution gibt es aber auch mehrere Argumente, die gegen eine mit einem suspensiven Vetorecht ausge­ stattete ökologische Hüterinstanz anzuführen sind. Demnach reißt ein ökolo­ gischer Rat praktisch die Grundfesten des parlamentarischen Regierungssys­ tems aus den Angeln, indem die repräsentative Demokratie um eine die öko­ logische Legitimation in ihrer institutionellen Dimension zum Ausdruck brin­ gende Umweltsystemkomponente ergänzt wird, was zu einer qualitativen Veränderung des gesamten Rechtserzeugungszusammenhangs führen wür­ de.37 Überdies birgt ein ökologischer Rat die Gefahr eines Ökoradikalismus in sich, der sich in diktatorischen Regimetendenzen zeigen kann.38 Insbeson­ dere kann ein ökologischer Rat aber auch zu einer grundsätzlichen Schwä­ chung der repräsentativen Demokratie führen, wenn etwa unkonventionelle, aber rechtlich essentiell notwendige Entscheidungen bzw. sonstige Risikoab­ wägungen anstehen, die unter ökologischen Gesichtspunkten unverständlich sind und so zu einem Abbau auch der demokratischen Legitimation beitra­ gen.39 Deshalb ist der Vorschlag eines ökologischen Rats trotz der gewähr­ leisteten materiellen Zusammenschau abzulehnen.40 Ein eigener Kabinetts­ 37  I. Appel (Fn. 4), S. 89  ff.; a. A. M. Massarrat (Fn. 13), Politische Ökologie 1996 (46), 49 (50 ff.), der aber Probleme bei der Schaffung einer derartigen Institu­ tion dennoch zugesteht. Es ist freilich überdies auch zu bedenken, dass ein mit er­ heblichen Kompetenzen ausgestatteter ökologischer Rat in pluralistischen Konkur­ renzdemokratien dem Einfluss der Parteien unterliegt, die bei der Besetzung der Mitglieder mitwirken und so mittelbar die unabhängige Effizienz einer derartigen Institution unterlaufen könnten; siehe hierzu T. Stein (Fn. 13), S. 258 f.; K. Bosselmann, Der ökologische Rechtsstaat (Fn. 16), S. 66. 38  R. Steinberg (Fn. 13), S. 342 f.; a. A. T. Stein (Fn. 13), S. 260. 39  R. Steinberg (Fn. 13), S. 342; vgl. auch M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 55. Andererseits könnte ein ökologischer Rat aber den Legitimationsdruck der ökologisch interessier­ ten Öffentlichkeit steigern; so etwa T. Stein (Fn. 13), S. 258; M. Massarrat (Fn. 13), Politische Ökologie 1996 (46), 49 (50 f.). In diesem Zusammenhang gewinnt die kritische Argumentation von Hans Kelsen in Bezug auf ein allgemeines politisches Parlament Bedeutung, das nach demokratischen Prinzipien gebildet wird und in der Form eines aus gleichberechtigten Kammern, d. h. einer allgemeinen Kammer und einem nach berufsständischen Grundsätzen organisierten Vertretungskörper, zusam­ mengesetzt ist: „Da sich bei den meisten Angelegenheiten eine reinliche Scheidung nach dem Gesichtspunkte ‚politisch‘ oder ‚wirtschaftlich‘ nicht durchführen lässt, da die meisten wirtschaftlichen Angelegenheiten politische und die meisten politischen Angelegenheiten wirtschaftliche Bedeutung haben, werden alle wichtigeren Materien nur durch einen übereinstimmenden Beschluss beider Kammern geregelt werden können. Welchen Sinn es aber haben soll, ein Gesetzgebungsorgan aus zwei Teilor­ ganen zusammenzusetzen, von denen jedes nach gänzlich verschiedenen Grundsät­ zen gebildet wird, ist unerfindlich. Eine Übereinstimmung zwischen den beiden so konstruierten Kammern kann mehr oder weniger nur eine zufällige sein.“ (H. Kelsen, Wesen der Demokratie (Fn. 25), S. 46; ders., AS (Fn. 25), S. 357 ff.; Hervorhe­ bungen im Original).



§ 23 Der Hüter der naturstaatlichen Verfassung769

posten für den nachweltbezogenen Zukunftsauftrag ist dagegen im Grunde durchaus möglich, ebenso wie eine Ombudskommission bzw. sonstige von einer Regierung ernannte Beauftragte, die sich beratend für eine generatio­ nenübergreifende Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen einsetzen. Problematisch ist insoweit aber das regelmäßig zu milde Rechtsregime, das diesen Sachverständigen zukommt, sowie die enge Einbindung in den politi­ schen Regierungskurs, der den Gesetzen der kurzfristigen Moral der reprä­ sentativen Demokratie unterliegt. Aus diesem Grund ist für die Aufgabe eines Hüters der naturstaatlichen Verfassung das die politische Einheit verkörpern­ de Staatsoberhaupt als pouvoir neutre wieder besser geeignet, der, möglicher­ weise unterstützt durch eine sachverständige Kommission, durch seine Integ­ rationskraft die existentielle Dimension der natürlichen Lebensgrundlagen auch für die zukünftigen Generationen dem souveränen Volk näherbringen kann.41 Allerdings kommt es auch hier auf die rechtlichen Kompetenzen des Staatsoberhaupts an, mit denen er dem formalen Naturbeachtensbefehl im Rahmen der Rechtsordnung Nachdruck verleihen kann.42 Ein sachverständi­ ges Gremium könnte ihn insoweit unterstützen, als es ihm durch eine wissen­ schaftliche Aufbereitung und Analyse von Umweltdaten die notwendige Sachkompetenz vermittelt, ohne die eine mäßigende Funktion als monarchi­ scher oder präsidialer Hüter der naturstaatlichen Verfassung nicht zu bewerk­ stelligen wäre. Dies zeigt gleichzeitig auch den besonderen Wert einer freien und unabhängigen Wissenschaft auf, die auch selbst als ungebundene Regu­ lierungsinstanz im Sinne der naturstaatlichen Systemimmanenz agieren könn­ te, wenngleich das wissenschaftliche Eigenleben durch einen zu großen poli­ tischen Einfluss nivelliert werden könnte.43 Insoweit ist insbesondere frag­ lich, ob die Wissenschaft ihre Objektivität und Neutralität wirklich bewahren könnte, wenn konkrete Forschungsvorhaben hauptsächlich von der Politik finanziert würden. 40  A. A. R. Bahro (Fn. 13), S. 489 ff.; M. Massarrat (Fn. 13), Politische Ökologie 1996 (46), S. 49 ff. 41  Vgl. R. Smend, Verfassung und Verfassungsrecht, in: ders., Staatsrechtliche Abhandlungen und andere Aufsätze, 3. Aufl., Berlin 1994, S. 145; R. Bartlsperger, Die Integrationslehre Rudolf Smends als Grundlegung einer Staats- und Rechtsthe­ orie, Nürnberg-Erlangen 1964, S. 12. 42  Hier gilt wiederum, zu umfangreiche Eingriffs- bzw. Einflussrechte des Staatsoberhaupts zu vermeiden, um von vornherein ökodiktatorischen Tendenzen eine Absage zu erteilen. Zum Begriff des Staatsoberhaupts H. Kelsen, AS (Fn. 25), S.  304 f. 43  Skeptisch auch M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 38  f.; I. Fetscher (Fn. 4), S. 428. Zur Gefahr einer Politisierung der Wissenschaft grundsätzlich auch H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 14 f.; ders., Wissenschaft und Demokratie (1937), in: M. Jestaedt / O. Lepsius (Hrsg.), Hans Kel­ sen – Verteidigung der Demokratie, Tübingen 2006, S. 238 ff.

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III. Das Verfassungsgericht als Hüter des äußeren Sinns – der Rat der 16 Die hypothetische Grundnorm von Hans Kelsen in ihrem inneren Sinn ist durch die äußere Dimension der natürlichen Lebensgrundlagen denklogisch ergänzt worden, um die Natur durch eine synthetische Verstandesleistung in das Reich eines objektiven Idealismus zu überführen. Die moderne Staatlich­ keit ist daher von Grund auf naturrechtlich determiniert, was sich auf der transzendentalen Ebene in einem den staatlichen Normenkosmos stets über­ ragenden formalen Naturbeachtensbefehl manifestiert, der – im Falle der Vo­ raussetzung der äußeren Grundnorm bzw. ihrer völkergewohnheitsrechtlichen Durchsetzung  ‒ einen verbindlichen rechtsidealistischen Geltungsanspruch der Natur im Staat vermittelt. Der darin zum Ausdruck kommende staatsthe­ oretische Erklärungsansatz sieht die natürlichen Lebensgrundlagen aus­ schließlich in der normativen Sphäre, was zu der überpositivistischen Bin­ dung des Staates im Sinne einer nicht-metaphysischen Naturstaatsdoktrin anhält. Gertrude Lübbe-Wolff stellte für eine Etablierung von auf einem mo­ dernen Berichtswesen gegründete Öko-Höfe mehrere Voraussetzungen auf, damit sie als unabhängige Umweltkontrollinstanzen in Betracht kommen können. Folglich müssen ein staatliches Motivationsdefizit in Bezug auf die ökologische Aufgabe, ein wesentliches Interesse der Öffentlichkeit an der Umweltthematik und eine schwere Durchschaubarkeit des ökologischen Handelns des Staates auszumachen sein, um schließlich unter dem Aspekt der demokratischen Legitimation das administrative Umweltdefizit durch un­ abhängige Öko-Höfe kontrollieren lassen zu können.44 Dieser Vorschlag ei­ ner staatlichen Hüterinstanz, die der Regierung nicht verantwortlich ist und dabei nur dem Gesetz untersteht,45 gleichsam im Sinne einer ökologischen Legitimation das Motivationsdefizit der staat­lichen Stellen durch ein beson­ deres Kontrollinstrumentarium überwindet, ist der richtige Weg zu einem le­ gitimen Hüter der naturstaatlichen Verfassung. Angesichts der wesenstypi­ schen Irreversibilität von Umweltschäden genügt es aber nicht, derartige Umwelt-Höfe zu installieren, deren Kompetenzen in Analogie zu den auf die Haushalts- und Wirtschaftsführung der öffentlichen Verwaltung gerichteten Rechnungshöfe auf eine nachträgliche Revision von administrativen Voll­ 44  G.  Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltordnungsrechts (Fn. 14), S. 69 f.; vgl. auch B. Söhnlein (Fn. 15), S. 158 ff., v. a. S. 165 ff. 45  Dies ist der Ansatz für eine unabhängige Regulierungsinstanz. Zu dem Ge­ danken eines Rechtsschutzes durch das Gesetz und zusätzlich durch die Rechtspre­ chung als Rechtserzeugungsfunktionen eines einheitlichen Stufenbaus der Rechts­ ordnung H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 234 f. Siehe zu Organisation und Funktion der Rechnungshöfe Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfassungsrecht, 9. Aufl., Wien 2012, S. 160 ff.; im Hinblick auf den deutschen Bundesrechnungshof M. Vogt, Zur Infor­ mationstätigkeit des Bundesrechnungshofs, Berlin 2013, S. 49 ff.



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zugsdefiziten bezüglich des umweltbezogenen Handlungsauftrags und etwai­ ge Empfehlungen für die zukünftige Vollziehung beschränkt sind.46 Es bedarf daher vielmehr einer Instanz, die den staatlichen Rechtserzeugungsprozess in den rechtsstaatlichen Bahnen mäßigend regulieren kann und infolge einer von den sonstigen Organen unabhängigen Stellung Gewähr für die Objektivi­ tät der Kontrolle hinsichtlich der Einhaltung der naturstaatlichen Grenzen bietet. Ein Verfassungsgericht ist der Hüter des inneren Sinns, der sich ausge­ hend von der hypothetischen Grundnorm in der Rechtsnormenordnung mani­ festiert und durch den Stufenbau des positivistischen Systems ein dynami­ sches Moment in sich enthält.47 Als Schlussstein der gesamten ideellen Ord­ nung48 garantiert ein Verfassungsgericht daher am Maßstab der geschriebe­ nen Verfassung die rechtsstaatliche Konformität des Rechtsschöpfungsvorgangs, worin eine angemessene Erweiterung des Prinzips der Gewaltenteilung im Sinne einer gegenseitigen Beschränkung und damit Eindämmung der Gewal­ ten zu sehen ist.49 Da sich die natürlichen Lebensgrundlagen infolge ihrer verobjektivierten Faktizität transzendentallogisch ebenfalls in der vorgestell­ ten Grundnorm wiederfinden, kann deshalb auch nur ein mäßigendes Verfas­ sungsgericht als Schlussakkord des äußeren Sinnkreislaufs in Betracht kom­ men. Denn die Einhaltung der naturstaatlichen Verfassung ist in erster Linie eine Rechtsfrage, was sich auch nicht dadurch ändert, dass das naturrechtlich vermittelte, völkergewohnheitsrechtliche Weltprinzip mit seiner eine absolute Geltungsimmanenz indizierenden Wirkungsweise überpositivistischen, da nicht positiv gesetzten und damit eben lediglich „unkünstlichen“ Charakter 46  Insoweit zu der Funktionsweise der Rechnungshöfe Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfassungsrecht (Fn. 45), S. 161 ff.; zu dem Rechnungshofwesen in der Bun­ desrepublik Deutschland H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutsch­ land, München 1984, S. 394 ff. Zur Irreversibilität von Umweltproblemen statt vieler M. Kloepfer, Langzeitverantwortung (Fn. 2), S. 22 ff. 47  H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn.  20), S. 2 ff.; vgl. auch F. Koja, Allgemeine Staatslehre, Wien 1993, S. 313 ff.; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 67. Grundsätzlich zur Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit im modernen Staat die Ausführungen bei O.  Jouanjan, Die Stellung der Verfassungsgerichtsbarkeit im Ge­ füge der Verfassung, in: J.  Masing / ders. (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, Tübin­ gen 2011, S. 3 ff. 48  Siehe hierzu H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 20), S. 2 ff.; R. Smend, Zehn Jahre Bundesverfassungsgericht, in: H. Lübke (Hrsg.), Führung und Bildung in der heutigen Welt, Stuttgart 1964, S. 236 (die Ver­ fassungsgerichtsbarkeit als „abschließende Krönung“). 49  So H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 20), S.  24 f.; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der reinen Rechtslehre, Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (496 f.); F. Koja (Fn. 47), S. 313 ff.; vgl. auch H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 285 ff.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 195.

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besitzt, da die Sphäre der allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze dabei nicht verlassen wird.50 Die Perspektive ist hier aber eine andere. Zum einen geht es bei der äußeren Hüterfunktion im Gegensatz zu der herkömmlichen Garantie- und Gewährfunktion bezüglich der geschriebenen Verfassung nicht um einen entsprechenden grundrechtlichen Individualrechtsschutz, sondern um das etwaige Ergreifen von Kollektivmaßnahmen. Zum anderen – und da­ mit implizit in einem untrennbaren Zusammenhang stehend – wird nicht die Verfassung unmittelbar gehütet, sondern die naturstaatliche Verfassung wird koordinatengerecht am Maßstab der geschriebenen Konstitution geschützt, aus der sich schließlich das gebotene ökologische Schutzniveau ergibt. Es wird also am Maßstab der positiven Verfassung die notwendige Konformität mit dem äußeren Sinnkreislauf hergestellt, was insoweit komplettierend sys­ temgerecht ist, als staatliche Maßnahmen nicht nur den rechtsstaatlichen An­ forderungen entsprechen müssen, sondern eben auch einer naturstaatlichen Umweltverträglichkeit, um legitim zu sein. Da die geschriebene Verfassung insoweit um eine – im geometrischen Sinne – hemisphärische, bogenhafte Halbkugel und damit um eine weitere Sinndimension, ein äußeres Sinnkonti­ nuum, ergänzt wird, könnte man hier auch von einer juristischen Raumzeit sprechen.51 Ein Verfassungsgericht ist objektiver Geist, was sich bereits aus dem konstitutionellen Prüfungsmaßstab der formellen Verfassung als der 50  BVerfGE 1, 13 (61 f.); 1, 208 (243 f.); 3, 225 (230 ff.); 10, 59 (81); 15, 126 (144); 29, 166 (176 f.). Grundsätzlich kritisch in Bezug auf eine Betrauung eines Verfassungsgerichts mit der Hüterfunktion T. Stein (Fn. 13), S. 259. 51  Zu dem auf Albert Einstein zurückgehenden Begriff der (vierdimensionalen) Raumzeit A. Einstein, Über die spezielle und die allgemeine Relativitätstheorie, 24. Aufl., Berlin u. a. 2013, S. 60 ff. / 74 ff. Die geschriebene Verfassung ist Ausdruck des zeitlich bedingten Geistes, der nun durch den äußeren Sinn vervollständigt wird. Konvention indiziert daher eine weltgeistige Erkenntnis, wonach die Natur aus rei­ nen Vernunftgründen stets zu beachten ist, wenn nicht überwiegende Gründe eine Durchbrechung gestatten. Die demokratische Begründungslast dreht sich folglich um. In Kombination mit der positiven Verfassung ergibt sich damit die juristische Raumzeit. Diese konventionale Diligenz aus der Dilogie des inneren und äußeren Sinns führt zu einer notwendigen Wechselwirkung mit der Natur, einer besonderen Dialektik, womit die geschriebene Verfassung als höchste positive Norm unter einem äußeren Aufmerksamkeitsvorbehalt, einer natürlichen Verfassungsnormativität, steht. Zur rechtstheoretischen Geltungslehre, die zwischen juristischer, sozialer und ethi­ scher Geltung unterscheidet und nun durch die Kategorie der natürlichen Geltung, der Naturgeltung, ergänzt wird nur B.  Rüthers / Ch. Fischer / A.  Birk, Rechtstheorie mit juristischer Methodenlehre, 8. Aufl., München 2015, S. 205 ff.; R. Dreier, Be­ merkungen zur Theorie der Grundnorm, in: Die reine Rechtslehre in wissenschaft­ licher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Instituts, Bd. VII, Wien 1982, S. 39 f. / 45 f.; vgl. auch H. Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre als System der recht­ lichen Grundbegriffe, 2. Aufl., Zürich u. a. 1948, S. 60 f. / 68 ff. / 83 ff. Im Ergebnis ist das eingeführte äußere Sinnkontinuum nichts anderes als das verobjektivierte Pen­ dant einer weltgeistigen universalen Erkenntnis, die den inneren Sinn nun relativ idealistisch bindet.



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höchsten positivrechtlich gesetzten Norm ergibt, die sich in ihren vornehm­ lich abstrakten Regelungsgehalten auf die wesentlichen Grundentscheidun­ gen einer Rechtsgemeinschaft beschränkt.52 Aus diesem Grund ist es folge­ richtig, dass die soziologische Willkür, die sich unter dem Dach des umwelt­ staatlichen Staatskönigtums zeigt, von einer besonderen verfassungsgerichtli­ chen Institution in die Schranken gewiesen wird, die den gesamten Rechtserzeugungsprozess überblicken und mit einem regulierenden Instru­ mentarium im Sinne der naturstaatlichen Langzeitvorsorge in Einklang brin­ gen kann. Dies gilt umso mehr, als sich in der modernen Politikgesellschaft der Umwelt- und Naturschutz immer noch als Minderheitsanliegen darstellt, weshalb unter demokratietheoretischen Aspekten eine angemessene Regulie­ rung zugunsten der selbst nicht vertretungsfähigen Natur angezeigt ist.53 Au­ ßerdem haben die Entscheidungen eines Verfassungsgerichts ein erhebliches politisches Gewicht, so dass sie der naturstaatlichen Orientierung der positi­ ven Rechtsordnung ausreichendes Gehör verschaffen können, ohne dass das parlamentarisch-demokratische Regierungssystem eine qualitative Änderung erfährt bzw. ökoradikalen Tendenzen das Wort gereicht wird.54 Den dogmati­ 52  Vgl. dazu auch R. Marcic (Fn. 49), Staats- und Verfassungsrecht 1966 (2), 481 (496 f. / 504 ff.); H. Dreier, Rechtsethik und staatliche Legitimität, Universitas 1993 (48), 377 (388 f.). „Gerade weil die Reine Rechtslehre sich nicht in Rechtslo­ gik erschöpft, noch die Derivation, das ist der absteigende Rechtserzeugungsprozess, eine rein logische Operation ist, bedarf das Prinzip der Rechtmäßigkeit, das den Staat konstituiert, eines wirksamen, objektiv orientierten Bürgen gegen Willkür als die Herrschaft des Subjektivismus, der verhütet, dass mehr subjektive Elemente von den Staatsorganen in die Rechtsordnung geschmuggelt werden, als diese es rechtens zulässt, indem sie freies Ermessen gewährt.“ „Die Verfassungsgerichtsbarkeit, bannt man sie aus dem Gesichtswinkel der Prüfung der Gesetze auf deren Verfassungsmä­ ßigkeit in das Blickfeld, spendet der besagten Objektivstruktur des Rechts die rich­ tige Beleuchtung: der Apriorität des Rechts im objektiven, der Aposteriorität des Rechts im subjektiven Sinn. Der Vorgang der Belichtung wird etwa dort deutlich, wo ein Verfassungsgericht Menschenrechte, Grundfreiheiten schützt.“ (R. Marcic, ebd.). Vgl. zur objektiv-weltgeistigen Verfassung auch H. Trescher, Montesquieus Einfluss auf die philosophischen Grundlagen der Staatslehre Hegels, Altenburg 1917, S. 105. 53  Vgl. H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 20), S. 50 f. Hierzu grundsätzlich auch H. Simon, Verfassungsgerichtsbarkeit, in: E. Ben­ da u. a. (Hrsg.), Handbuch des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Berlin u. a. 1994, § 34 Rn. 42 ff.; B. Söhnlein (Fn. 15), S. 158 ff. 54  Vgl. H. Kelsen, Wer soll der Hüter der Verfassung sein?, in: Die Justiz, Bd. VI, Berlin – Grunewald 1930 / 31, 576 (577 / 581 / 587). Siehe dazu auch R. Smend, Zehn Jahre Bundesverfassungsgericht (Fn. 48), S. 238 ff. „Als Hüter der Verfassung dient (…) (das Bundesverfassungsgericht) der Verfassung, wie sie gilt, auch da, wo sie, der Offenheit unserer Grundordnung entsprechend, sich fortentwickelt. Die Ver­ fassungsrechtsprechung dient unmittelbar nur dem sachlichen Inhalt, nicht der Gel­ tungsqualität des Verfassungsrechts.“ (R. Smend, ebd., S. 239). Gerade in Bezug auf die natürlichen Lebensgrundlagen können Urteile des Verfassungsgerichts zu einer

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schen Ansatzpunkt bildet dabei die Überlegung, dass die Natur als vierte Ge­ walt ebenfalls gegen die Verfassung verstoßen kann. Ein Verfassungsgericht kann in einem solchen Fall als selbst unter der verfassungsmäßigen Ordnung stehendes Staatsorgan nicht abwarten, bis das ökologische Existenzminimum, dessen Gradmesser das aus der objektiv-rechtlichen Funktion der materiellen Grundrechtsordnung abgeleitete Untermaßverbot ist,55 wieder seitens der staatlichen bzw. der kommunalen Organträger eingehalten wird. Denn der Staat ist die Rechtsordnung. Grenzwerte, etwa der TA Luft oder der TA Lärm als normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, die von den Gerichten als verbindliche Rechtsnormen angewendet werden,56 dominieren die rechtsöko­ logische Akzentuierung des Rechts, sie konkretisieren den Konventionalbe­ fehl im Sinne einer positivistischen Rechtsökologie des Staates.57 Nimmt man den im Rahmen dieser Naturstaatslehre erdachten Grundsatz einer mäßi­ genden Souveränitätsteilung ernst, muss es daher auch einen Hüter des äuße­ ren Sinns geben, der ausnahmsweise auch von Amts wegen agieren kann. Möglich ist auch ein Petitionsmodell,58 wobei hier dann die staatliche Ge­ integrierenden Erziehungsfunktion mit Blick auf die geltungstheoretische Legitima­ tionsrelevanz der Natur im Staat beitragen. Die Verfassung gilt, da es die Natur zulässt, nicht aber unabhängig von ihr! 55  Andeutend H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 158. Siehe zu Schutzpflichten aus der objektiv-rechtlichen Funktion der Grundrechte BVerfGE 39, 1 (41); 56, 54 (80 ff.); 77, 170 (214 ff.); 79, 174 (201 f.); 88, 203 (251); J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehrrecht und als staatliche Schutzpflicht, in: ders. / P.  Kirchhof (Hrsg.), Hand­ buch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V: Allgemeine Grund­ rechtslehren, 2. Aufl., Heidelberg 2000, § 111 Rn. 77 ff. / 86 ff.; H. Dreier, Dimensio­ nen der Grundrechte – Von der Wertordnungsjudikatur zu den objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalten, Hannover 1993, S. 21 ff.; E.-W. Böckenförde, Grundrechte als Grundsatznormen, Der Staat 1990 (29), S. 1 ff.; J.  F.  Lindner, Theorie der Grund­ rechtsdogmatik, Tübingen 2005, S. 356 ff. / 435 ff.; W. Cremer, Freiheitsgrundrechte – Funktionen und Strukturen, Tübingen 2003, S. 191  ff.; R.  Sparwasser / R.  Engel / A.  Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl., Heidelberg 2003, § 1 Rn. 157 ff. Kritisch dagegen U. Di Fabio, Zur Theorie eines grundrechtlichen Wertesystems, in: D. Mer­ ten / H.-J.  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grundrechte in Deutschland und Europa, Bd. II: Grundrechte in Deutschland – Allgemeine Lehren I, Heidelberg 2006, § 46 Rn. 1 ff. / 32 ff. Zu Rechtspflichten des Staates als Rechtsordnung H. Kelsen, AS, ebd., S.  73 f.; ders., Reine Rechtslehre, Nachdr. der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 304 ff. Zu positiven Freiheitsrechten H. Kelsen, AS, ebd., S. 154 ff. 56  Zu normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften R.  Sparwasser / R.  Engel /  A. Voßkuhle (Fn. 55), § 1 Rn. 183 ff. 57  Vertiefend zur normativen Staatslehre als der Soziologie des Staates M. KraftFuchs, Kelsens Staatstheorie und die Soziologie des Staates, Zeitschrift für Öffent­ liches Recht 1931 (11), S. 402 ff.; zur Rechtsökologie R. Weimar, Rechtsökologie – Ethik oder Sozialtechnologie?, in: ders. (Hrsg.), Einheit und Vielfalt der Rechtsthe­ orie, Berlin 2008, S. 166 ff. 58  Zum Petitionsrecht grundsätzlich W. Vitzthum, Petitionsrecht und Volksvertre­ tung, Rheinbreitbach 1985; B.  Pieroth / B.  Schlink / T.  Kingreen u. a. (Hrsg.), Grund­



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samtverantwortlichkeit für die Einhaltung der ökologischen Grenzwerte der nicht über eine entsprechende überblickende Vogelperspektive verfügenden, aber antragsberechtigten organisierten und individualistischen Gesellschaft übertragen wird, die zudem regelmäßig auch keine hinreichende demokrati­ sche Legitimation aufweisen kann. Ob sich andererseits das herkömmliche Instrument einer einstweiligen Anordnung für etwaige Maßnahmen zuguns­ ten des äußeren Sinns eignet, muss unabhängig von diesen Optionen einer Kompetenz von Amts wegen bzw. einer weiteren Aktivlegitimation ohne ei­ nen modifizierenden bzw. ergänzenden Akt des (Verfassungs-)Gesetzgebers am Maßstab der Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts bezweifelt werden. Zwar kann mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung im Gegensatz zu einer Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, die über­ dies von wenigen positivrechtlich festgelegten Ausnahmefällen abgesehen an die Grundsätze der Rechtswegerschöpfung und der Subsidiarität gebunden ist, die typische Dringlichkeit der Situation unter dem Postulat einer Vermei­ dung von irreversiblen Umständen aufgegriffen werden. Nach der geltenden verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist ein entsprechender Antrag auf einstweilige Anordnung im Sinne von § 32 BVerfGG aber nur dann zulässig, wenn ein Streitfall vorliegt, d. h. in der Hauptsache muss ein Verfahren gege­ ben sein, das in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichts fällt und dort be­ reits entweder schon anhängig ist oder noch in zulässiger Weise vor das Ver­ fassungsgericht gebracht werden kann.59 Gerade Letzteres ist aufgrund der Akzessorietät des einstweiligen Rechtsschutzes zu dem Antrag in der Haupt­ sache insoweit problembehaftet, als die Verfassungsbeschwerde in der Haupt­ sache nicht von vornherein unzulässig sein darf. Hier können sich nun als Verfahrenshindernisse die negativen Befunde darstellen, dass die Haupt­ sache – vorbehaltlich der Ausnahmetatbestände nach § 90 II BVerfGG – an rechte – Staatsrecht II, 31. Aufl., Heidelberg 2015, S. 285 ff.; zur Mitwirkung des Bürgers und zur kritischen Öffentlichkeit aus staatstheoretischer Sicht P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 86 ff. / 178 ff. /  223 ff. Siehe in diesem Zusammenhang auch M. Kment, Die Umweltverfassungsbe­ schwerde – Unionsrechtlich erzwungener Rechtsschutz von Umweltverbänden gegen die gesetzliche Standortwahl eines atomaren Endlagers, in: ders. (Hrsg.), Das Zu­ sammenwirken von deutschem und europäischem Öffentlichen Recht, München 2015, S. 312 ff., der dort zu Recht im Hinblick auf die atomare Endlagerfrage eine aus der UVP-Richtlinie abgeleitete unionsrechtliche Überformung des nationalen Verfassungsrechts annimmt und daraus die zukünftige Notwendigkeit einer der or­ ganisierten Gesellschaft zustehenden Option einer Umweltverfassungsbeschwerde herleitet. Einen Überblick zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge­ richts zum Umweltschutz bietet R.  Steinberg / H.  Müller, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Umweltschutz, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.), Hand­ buch Bundesverfassungsgericht im politischen System, 2. Aufl., Wiesbaden 2015, S.  735 ff. 59  BVerfGE 113, 113 (119 f.).

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dem Gebot der Rechtswegerschöpfung oder dem Gebot der Subsidiarität scheitert, die Antragsteller in der Hauptsache nicht beschwerdebefugt sind, so wie es bei Umweltverbänden der Fall sein kann, dass nicht beabsichtigt wird, ein Verfahren in der Hauptsache überhaupt anhängig zu machen, da hier doch primär sofortige Abhilfemaßnahmen erforderlich sind und begehrt werden, dass der Antrag auf einstweilige Anordnung für sich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität wegen einer vorrangigen Rechtsschutzantragsoption vor ei­ nem Fachgericht unzulässig ist oder aber – was mit Blick auf die Intention einer sofortigen Abhilfe von etwaigen Umweltnotständen möglich ist – dass Maßnahmen im Rahmen von § 32 BVerfGG verlangt werden, die nicht Inhalt einer Entscheidung in der Hauptsache sein können.60 Unabhängig davon liegt aber in einer spezifisch vorgesehenen äußeren verfassungsgerichtlichen Re­ gulierungsgewalt kein utopischer Gedankengang mehr. Denn die Ereignisse häufen sich im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft, bei denen die Natur, der pouvoir naturel, zu Einschränkungen und Beeinträchtigungen des täglichen Lebens der Bürger führt. Er dirigiert mit seinen positiven wie negativen Gewaltdimensionen, Letztere vor allem in der Form von natürli­ chen Aufnahmegrenzen an durch die anthropogene Nutzung bedingten Schadstoffen, praktisch immer öfters unmittelbar wie mittelbar das staatliche bzw. kommunale Geschehen: vorübergehende Betriebsschließungen, Be­ schränkungen des Straßenverkehrs – gerade Nummernschilder an einem Tag, ungerade an dem darauffolgenden Tag  ‒, Schließungen von öffentlichen Schulen sowie der Aufruf an von der allgemeinen Konstitution her schwäche­ ren Menschen, sich zumindest nicht dauerhaft bzw. ohne Atemschutz im Freien aufzuhalten, nehmen zu.61 Vorbehaltlich der rechtlichen Ausgestaltung 60  Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit eines Antrags nach § 32 BVerfGG zusammenfassend nur Ch. Lenz / R. Hansel, Bundesver­ fassungsgerichtsgesetz, 2. Aufl., Baden-Baden 2015, § 32 Rn. 13 ff.; Ch. Burkiczak /  F.-W.  Dollinger / F.  Schorkopf (Hrsg.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz, Heidelber­ ger Kommentar, Heidelberg 2015, § 32 Rn. 35 ff. 61  Aus der neueren Zeit sind insoweit beispielhaft der ausgerufene Umweltnot­ stand in der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile im Juni 2015, regelmäßige umweltbedingte Beschränkungen und Beeinträchtigungen in der französischen Hauptstadt Paris sowie in Peking, Teheran, Mailand, Neapel und Rom im Dezember 2015, in Mexiko-Stadt erneut im August 2016, zu nennen. In Peking, der Hauptstadt der Volksrepublik China, führte die gesundheitsgefärdende Luftverschmutzung im Dezember 2015 erstmals zur Ausrufung der roten und damit der höchsten Warnstu­ fe. Die dadurch bedingten behördlichen Maßnahmen wie Verkehrsbegrenzungen, Betriebsschließungen u.Ä. führen zu erheblichen Grundrechtseingriffen, die grund­ sätzlich am Maßstab der geschriebenen Verfassung bewertet werden müssen. Hierzu ist nur ein unabhängiges Verfassungsgericht angemessen in der Lage. In der Bun­ desrepublik Deutschland gab es Anfang 2016 zudem wiederholt Feinstaubalarm in Stuttgart. Siehe hierzu auch den neuesten Bericht der Weltgesundheitsorganisation zu den erheblichen Luftverschmutzungsproblemen in den Staaten der Welt World



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der äußeren verfassungsgerichtlichen Hütergewalt, d. h. kumulativ oder alter­ nativ in den Formen einer Kompetenz von Amts wegen, eines besonderen Petitionsmodells oder einer weiteren spezifischen einstweiligen bzw. regulä­ ren Antragsoption, wäre daher hinsichtlich der funktionalen Zuständigkeit zunächst eine besondere wissenschaftliche Umweltkammer möglich, die dem Dezernat des für den Umwelt- und Naturschutz zuständigen Präsidenten zu­ geteilt wird und aus drei weiteren akademischen Mitarbeitern besteht, die sich ausschließlich mit der Überprüfung der gesamten Staats- und Kommu­ naltätigkeit am Maßstab der naturstaatlichen Verfassung beschäftigen, so dass sich ohne eine übermäßige Mehrbelastung eines Verfassungsgerichts ei­ ne objektive Sachkompetenz einstellen kann, die eine Expertise der ökologi­ schen Gesamtsituation des jeweiligen modernen Staates ermöglicht. Die wis­ senschaftlich erarbeiteten Ergebnisse dieser spezifisch umweltbezogenen Expertenkammer werden dann ein- oder zweimal im Jahr in ordentlicher Sit­ zung von dem zuständigen Präsidenten dem Plenum vorgestellt, das über die umweltrechtliche Gesamtsituation berät und gegebenenfalls Maßnahmen zur Regulierung beschließt. Dies kann sich zunächst in unverbindlichen Empfeh­ lungen erschöpfen, wenn noch keine als akut zu bezeichnende Unterschrei­ tung des ökologischen Mindeststandards zu besorgen ist. Da sich aber die Natur nicht selbst vertreten kann, ist insoweit – wie bereits angeregt – unab­ hängig von verfassungsrechtlich bzw. einfachgesetzlich noch zu verwirkli­ chenden weiteren Kollektivrechtsschutzmodalitäten auch eine Durchbre­ chung des regelmäßigen Antragserfordernisses zu gestatten, was sich in der Kompetenz des Plenums des Verfassungsgerichts zu außerordentlichen Sit­ zungen und Handlungen im Falle von keinen Aufschub duldenden, da irre­ versible Umweltzustände verursachenden Vorhaben der Politik fortsetzen muss, um der ökologischen Legitimation in ihrer funktionalen bzw. instituti­ onellen Dimension Genüge zu tun. Ein Problem, das sich hier nun stellt, ist, dass eine rechtlich eingeräumte Kompetenz von Amts wegen dazu führen kann, dass das Verfassungsgericht nun zu einem Herrn der Natur, einem Herrn einer ökodiktatorisch untermalten Regelungsgewalt, werden kann. In den Worten von Hans Kelsen heißt dies, dass unbezweifelbar feststehe, dass zu einer solchen äußeren Hüterfunktion keine andere Instanz weniger geeig­ net sei als gerade jene, der die Verfassung die Ausübung der Macht übertrage, und die deshalb in erster Linie die rechtliche Gelegenheit und den politischen Antrieb habe, die Verfassung zu verletzen.62 Abgesehen davon, dass sich eine derartige Missachtungstendenz angesichts der Unabhängigkeit und Neutrali­ tät der ausschließlich an die geschriebene Verfassung gebundenen Verfas­ sungshüter nur selten ausmachen lassen wird, sie in demokratischen Staaten Health Organization, Ambient Air pollution: A global assessment of exposure and burden of disease, Genf 2016 (abrufbar auch auf: www.who.int). 62  H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 54), Die Justiz 1930 / 31, 576 (577).

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im Hinblick auf die parlamentssouveränen und gesellschaftlich-pluralisti­ schen Kontrollmechanismen praktisch ausgeschlossen sein wird, besteht die­ se Gefahr aber nur auf den ersten Blick. Denn der anerkannte Grundsatz der Subsidiarität gilt auch hier,63 nur, dass Anknüpfungspunkt grundsätzlich nicht ein staatliches bzw. kommunales Handeln, sondern vielmehr ein entsprechen­ des Unterlassen ist. Die Garantenpflicht – wenn dieser rechtsdogmatische Ausflug erlaubt ist – der zuständigen Behörden, natürlich später auch des Verfassungsgerichts,64 ergibt sich hier unmittelbar aus der Verfassung, aus den Grundrechten in ihrer objektiv-rechtlichen Dimension. Dies bedeutet, dass in erster Linie zu etwaigen sicherheitsrechtlichen Maßnahmen die dazu berufenen Behörden, ersatzweise die diese wiederum kontrollierenden Ge­ richte zuständig bleiben.65 Andererseits sind es Erstere aber eben auch, die letztlich durch ihr aktives Handeln am Maßstab des Rechts dazu beitragen, dass emissionskräftige Vorhaben überhaupt erst realisiert werden. Es ergibt sich hier deshalb nun eine typische Konstellation mit dem inneren Sinn. Des­ to mehr der äußere Sinn im Rahmen des anerkannten Stufenbaus der Rechts­ ordnung beachtet wird, desto weniger besteht die Gefahr, dass grundrechtsre­ 63  Ausführlich hierzu K.  Schlaich / S. Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl., München 2012, S. 168 ff. 64  Zur Rechtsdogmatik der Garantenpflicht als korrelative Voraussetzung einer Verantwortung aus Unterlassen H. Kelsen, RR (Fn. 55), S. 33 / 128; F. Röhl, Prakti­ sche Rechtstheorie: Die Abgrenzung von Tun und Unterlassen und das fahrlässige Unterlassungsdelikt, JA 1999, 895 (896 ff.). 65  Die Gefahr einer zivil- bzw. verwaltungsgerichtlichen Gelegenheitsjustiz, die im Sinne einer notwendigen Akzessorietät in Bezug auf die Entscheidung eines konkre­ ten vorliegenden Rechtsstreits auftreten kann, besteht mit Blick auf die von der Rechtsordnung vorgegebenen Grenzwerte an zulässigen Luft- und Lärmbelastungen nicht. Andererseits führt eine geringe Überschreitung etwa der Luftgrenzwerte noch nicht zu der Notwendigkeit des Ergreifens der äußeren Hütergewalt, sondern es muss sich hier um erhebliche Verstöße handeln, deren Ausmaß mit der Verfassung nicht mehr zu vereinbaren ist. Insoweit besteht in der Tat ein Beurteilungsspielraum, der eine besondere Instanz indiziert, der das Privileg der Entscheidung am Maßstab der objektiv-rechtlichen Grundrechtswerteordnung zukommt, zumal die angerufenen Fachgerichte stets an die Anträge der Prozessparteien gebunden sind. Zum Problem des unbestimmten Schutzniveaus bei der objektiv-rechtlichen Dimension der Grund­ rechte E.-W. Böckenförde (Fn. 55), Der Staat 1990 (29), 1 (26 ff.); H. Dreier (Fn. 55), S.  50 ff.; R. Sparwasser / R. Engel / A. Voßkuhle (Fn. 55), § 1 Rn. 160 ff.; in etwas ande­ rem Zusammenhang M. Kment (Fn. 58), S. 318 (Maßstab des Bundesverfassungsge­ richts wird das „profane() Umweltverwaltungsrecht“). Zur Gelegenheitsjustiz nur H. Triepel, Bericht zu „Wesen und Entwicklung der Staatsgerichtsbarkeit“, VVDStRL 1929 (5), S. 14 ff. / 26 ff. („Gelegenheitsgerichtsbarkeit“ auf S. 26); C. Schmitt, Das Reichsgericht als Hüter der Verfassung (1929), in: ders. (Hrsg.), Verfassungsrechtli­ che Aufsätze aus den Jahren 1924–1954, Nachdruck der 1. Aufl. (1958), 4. Aufl., Berlin 2003, S. 71; E. v. Hippel, Das richterliche Prüfungsrecht, in: G.  Anschütz /  R. Thoma (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 556 ff. Zum Begriff der Behörde H. Kelsen, AS (Fn. 25), S. 276 ff.



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levante Schutzmaßnahmen der einzelnen Sicherheitsbehörden erforderlich werden.66 Und nur dann, wenn diese gebotenen Maßnahmen überhaupt nicht getroffen werden bzw. evident unzureichende Maßnahmen ergriffen werden, ist das Verfassungsgericht berufen, nach pflichtgemäßem Ermessen etwaige Abhilfemaßnahmen hinsichtlich des äußeren Sinnkreislaufs zu treffen. Zu be­ denken ist dabei aber stets der weite Gestaltungs- und Entscheidungsspiel­ raum, die Einschätzungsprärogative bzw. sonstige Beurteilungs- sowie Er­ messensfreiheiten, der nachrangigen Gewalten.67 Daraus ergibt sich auf der Seite des Verfassungsgerichts die Linie einer konventionalen Toleranz, die desto mehr auf Überwindung drängt und in ein Einschreiten umschlägt, als ansonsten eine andere Entscheidung unter demokratischen Legitimitätsge­ sichtspunkten nicht mehr gerechtfertigt erscheint.68 Als gutes Beispiel kann insoweit die Volksrepublik China im Dezember 2015 dienen, wo aufgrund der lebens- bzw. gesundheitsgefährdenden Luftverschmutzung zunächst die orange Warnstufe ausgerufen wurde.69 Hier hätte ein Verfassungsgericht 66  Diese Ausführungen legen eine Anwendung der im Rahmen des Diskurses um die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte vertretenen etatistischen Kon­ vergenztheorie nahe, wonach mit der Anknüpfung an die von staatlicher Seite vor­ gegebenen Umweltstandards bzw. die Genehmigungspraxis die objektiv-rechtliche Funktion der Grundrechte nicht nötig ist, sondern die klassische Abwehrfunktion der Grundrechte im dann nur bipolaren Rechtsverhältnis genügt. Allerdings führt diese grundrechtsdogmatische Aushebelung des grundsätzlich durch das Hinzutreten von Privaten geprägten dreipoligen Grundrechtsverhältnisses zu einer Verkürzung des tatsächlichen Geschehens unter Ausblendung wesentlicher rechtlicher Fragen und ist daher abzulehnen. Zur Konvergenztheorie J. Isensee, Das Grundrecht als Abwehr­ recht und als staatliche Schutzpflicht (Fn. 55), § 111 Rn. 118 f.; J.  F.  Lindner, The­ orie der Grundrechtsdogmatik (Fn. 55), S. 357 f. m. w. N. in Fn. 293. 67  BVerfGE 39, 1 (41 ff.); 56, 54 (80 ff.); 77, 170 (214 f.); 79, 174 (201 f.); 88, 203 (251 ff.). 68  Rechtstheoretisch kann die naturstaatliche Konvention mit einem Fuchs am Straßenrand verdeutlicht werden, der die Straße überqueren möchte. Die herannah­ enden Autofahrer werden hier regelmäßig langsamer fahren, um den Fuchs nicht zu überfahren. Dogmatischer Anknüpfungspunkt kann indessen aber nicht die Wahrheit, Richtigkeit oder die Gerechtigkeit der Entscheidung, langsamer zu fahren, sein, son­ dern nur die mit dem Reinheitspostulat vereinbare Formel: „Der Naturstaat verlangt sein Recht.“ Denn die Anschauungen darüber, was wahr, richtig oder gerecht ist, variieren in den subjektiven Empfindungen der Menschen mehr oder weniger stark. Der Konventionalbefehl aber führt hinsichtlich der Natur zu einer grundsätzlich anzuerkennenden Pflicht, die gleichwohl nachgiebig bleibt. Ab einem bestimmten Zeitpunkt, etwa einer konkreten Belastung an städtischer Luftverschmutzung, ist ein Einschreiten unter verfassungsrechtlichen Legitimitätsaspekten dann aber geboten. 69  Siehe hierzu die Dokumente „In China gilt erstmals höchste Smog-Alarmstu­ fe“ bei Zeit online vom 08.12.2015, abrufbar unter www.zeit.de / gesellschaft / zeitge schehen / 2015-12 / smog-china-alarmstufe-rot-luftverschmutzung und von A. Dorloff, „Höchste Alarmstufe in Peking – Smog in Chinas Hauptstadt“ vom 08.12.2015, abrufbar unter www.tagesschau.de / ausland / smog-peking-117.html.

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gleich auf die rote Warnstufe einläuten müssen. In diesem Fall handelt – wie dieses Beispiel simulierend zeigt – dann die Ersatzvollziehung am Maßstab von Verfassung und Rechtsprechung. Ihre besondere Legitimität erhält sie durch die staatsnotstandsähnliche Dringlichkeit. Daneben, d. h. abseits der speziell vorzusehenden äußeren Regulierungsgewalt, ist auch die Ergänzung des herkömmlichen konstitutionell festgelegten, enumerativen Zuständig­ keitskataloges eines Verfassungsgerichts um die denklogische Kategorie ei­ nes Staat-Natur-Streits möglich, der inzident eine Antragsoption von etwai­ gen Vertretern der organisierten Umwelt- und Naturschutzgesellschaft vor­ sieht, insofern die natürlichen Lebensgrundlagen, die Natur, in einer die dau­ erhafte Existenz des Staates unter Einschluss einer Verantwortung für zukünftige Generationen gefährdenden Weise bedroht sind. Der Rechtserzeu­ gungsprozess wird dadurch mit Blick auf die durch den äußeren Sinn indi­ zierten Modifikationen bzw. Ergänzungen nicht unangemessen belastet. Denn durch die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter ist eine objektive Entschei­ dung ausschließlich am Maßstab der geschriebenen Verfassung – nach der hier vertretenen Naturstaatslehre freilich ergänzt um die durch die äußere Grundnorm vermittelte, verstärkende Einsicht gemäß des rein formalen Kon­ ventionalprinzips ‒ gewährleistet, die den naturstaatlichen Weltgeist zur Gel­ tung bringt und aufgrund der Sach- und Rechtskompetenz der Verfassungshü­ ter eine unzulässige ökologische Willkür im Staat unmöglich macht. Auf diesem Wege wird schließlich der naturstaatliche Gedanke unter Ein- und Beibehaltung der rechtsstaatlichen Errungenschaften vervollkommnet, was sich nur als logische Folge der die natürlichen Lebensgrundlagen als einem letzten Geltungsgrund der staatlichen Friedensordnung ebenfalls erfassenden Grundnorm darstellt. Ein Beispiel aus der neueren Zeit ist insoweit eine Or­ der des Supreme Courts of India vom 09.10.2015, die auf eine einstweilige Anordnungsinitiative der organisierten Umweltgesellschaft zurückging und unter anderem dazu beigetragen hat, dass bestimmte Dieselfahrzeuge die in­ dische Metropole Neu Delhi über einen konkret festgelegten Zeitraum nur noch unter der Bedingung einer erhöhten Umweltabgabe, eines „Environ­ ment Compensation Charge“, passieren konnten.70 Außerdem hat im supra­ 70  Order des Supreme Courts of India vom 09.10.2015 im Rahmen der Civil Original Jurisdiction, In Interlocutory Application No. 365 of 2015, in Interlocutory Application No. 345 and in Writ Petition (Civil) No. 13029 of 1985: „The issue relates to steps to be taken to check pollution by commercial traffic travelling from North India towards Jaipur and onwards via Delhi. It has been pointed out that even though alternative routes are available for such traffic, only reason for such traffic entering into Delhi is to save higher rate of toll tax in taking such alternative routes. In the process, pollution caused by such traffic inflicts heavy cost on the health of the residents of Delhi. To tackle this situation an ‚Environment Compensation Char­ ge‘ (ECC) may be required to be imposed on all light and heavy duty commercial vehicles and the amount so collected ought to be exclusively used for augmenting



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nationalen Kontext der Europäische Gerichtshof in einer im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens im Sinne von Art. 267 AEUV ergangenen Grundsatzentscheidung zur Europäischen Luftreinhalterichtlinie im Jahre 2014 betont, dass die nationalen Gerichte Maßnahmen zur Einhaltung der Luftgrenzwerte zu ergreifen haben.71 Freilich – dieser Rückbezug ist ab­ schließend noch einmal angezeigt ‒ ist es auch möglich, das Staatsoberhaupt, unterstützt durch eine wissenschaftliche Sachverständigenkommission, mit einem ökologischen Vetorecht auszustatten, um der naturstaatlichen System­ konfiguration eines modernen Staates Nachdruck zu verleihen. Aber auch in diesem Fall entscheidet dann stets ein Verfassungsgericht über die rechtmäßi­ ge Ausübung des Vetorechts und damit der Weigerung des Staatsoberhaupts, weshalb dieser kompetenzielle Umweg letztlich nicht notwendig erscheint.72 Die Naturstaatlichkeit ist der Ausdruck eines objektiven Weltstaatsprinzips, das die elementare Relevanz der Natur für die staatliche Existenz betont, die Naturgewalt hervorhebt, die in ihrer Ursprünglichkeit den Staat unter sich begraben kann. Auch hier gilt wieder die damals von dem großen französi­ schen Staatstheoretiker Montesquieu in seinem Werk De l’ésprit des lois vor dem Abbild des Machtmissbrauchs der absoluten Monarchie angebrachte Formel entsprechend: Alles wäre verloren, wenn die sonstigen Gewalten in public transport and improving roads, particularly for most vulnerable users, that is, cyclists and pedestrians in Delhi.“ Die erlassene Order ist abrufbar auf der Home­ page des Supreme Courts of India, www.supreme courtofindia.r. Der Supreme Court of India steht in der nordamerikanischen Tradition eines Einheitsmodells. 71  EuGH, Einhaltung der Grenzwerte für Stickstoffdioxyd, NVwZ 2015, S. 419: „Hat ein Mitgliedstaat die Anforderungen (…) der RL 2008 / 50 / EG nicht eingehal­ ten und auch nicht um eine Fristverlängerung (…) ersucht, obliegt es dem gegebe­ nenfalls angerufenen zuständigen nationalen Gericht, gegenüber der nationalen Be­ hörde jede erforderliche Maßnahme, wie eine Anordnung, zu erlassen, damit diese Behörde den nach dieser Richtlinie erforderlichen Plan gemäß den in der Richtlinie vorgesehenen Bedingungen erstellt.“ 72  Zu beachten ist, dass ein ökologisches Vetorecht dem monarchischen bzw. präsidialen Staatsoberhaupt ein Verweigerungsrecht etwa bezüglich der Ausfertigung von Gesetzen aus politischen und sachlichen Gründen zuerkennen würde. Dies wür­ de einen Ermessensspielraum des Staatsoberhauptes indizieren, der dann schließlich der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen wäre. Es ist deshalb entsprechend der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland sinnvoll, dem republikanischen Präsidenten nur eine Prüfkompetenz im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen zuzubilligen, deren rechtmäßige Ausübung dann im Rahmen eines Organ­ streits vor dem Bundesverfassungsgericht überprüft werden könnte. Andererseits würde das Staatsoberhaupt zu dem ökologischen Herren des Staates avancieren (vgl. hierzu H. Kelsen, Hüter der Verfassung (Fn. 54), Die Justiz 1930 / 31, 576 (577 ff.), was trotz der neutralen, die politische Einheit symbolisierenden Stellung des repub­ likanischen Bundespräsidenten die Gefahr von politischer Willkür beinhalten würde. Siehe insoweit zur Prüfkompetenz des Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland H. Maurer, Staatsrecht I, 6. Aufl., München 2010, § 17 Rn. 86 ff.

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der überkommenen Form aus Legislative, Exekutive und Judikative die Na­ tur, den pouvoir naturel, nicht beachten, sondern in absolutistischer Ignoranz­ manier über ihn schlicht hinwegregieren würden.73 Die Betrauung eines Ver­ fassungsgerichts mit der naturstaatlichen Hüterfunktion ist deshalb wiederum kein Widerspruch zum Prinzip der Trennung der Gewalten, sondern im Ge­ genteil dessen weitere und nur denklogische institutionelle Bestätigung im Sinne der nicht selbst vertretungsfähigen Natur.74 Aus diesem Grund sind die in scharlachroten Roben gekleideten Verfassungsrichter in der funktionalen Zuständigkeit des Rates der 16 auch die Hüter des äußeren Sinns.75 73  In Anlehnung an die Worte von Montesquieu im 6. Kapitel „Über die Ver­ fassung Englands“ des 11. Buches von dessen De l’ésprit des lois (Ch.-L. de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, ins Deutsche übersetzt von K. Weigand, Stuttgart 2011, S. 216). Mit seinem kulturrelativistischen Ansatz, wonach sich mitunter auch die geographischen und klimatischen Verhältnis­ se neben den sonstigen Faktoren wie etwa der Religion, der Sitten und Gebräuche, der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen usw. im ésprit générale niederschla­ gen (ebd., S. 266 ff.), hat Montesquieu die Relativität der Verhältnisse vor Augen, die einer absoluten Determination des Geistes der Gesetze eines Staates entgegen­ steht. Unter Berücksichtigung der von ihm entwickelten Gewaltenteilung und der geographisch-klimatischen Individualität eines Staates ist, wenn man sich anmaßt, diese Weisheiten auf die Reine Rechtslehre und den zeitlichen Horizont des 21. Jahr­ hunderts zu übertragen, das Verfassungsgericht die institutionelle Vervollkommnung des rechts- und naturstaatlichen Gedankens, der einer autoritären Regierungsform mit der Eigenschaft einer machtdefizitären Distribution zulasten der Natur Einhalt gebieten möchte. Damit wird die Gewaltenteilung um den Grundsatz der mäßigen­ den Souveränitätsteilung vertikal delegierend ergänzt. Die Folge ist – hier schließt sich der Kreis –, dass die einzelnen Individuen im modernen Industriestaat der Ge­ genwart einen Teil ihrer unter der sozialen Rechtsordnung notwendigerweise in eine politische Freiheit umgewandelten natürlichen Freiheit zurückerhalten, indem durch das Verfassungsgericht die natürliche Geltung dieser Ordnung gehütet wird. Zum Geist der Gesetze bei Montesquieu auch E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzge­ bende Gewalt, 2. Aufl., Berlin 1981, S. 33 ff. 74  Vgl. H. Kelsen, Staatsgerichtsbarkeit, in: R. Ch. van Ooyen (Hrsg.) (Fn. 20), S. 25. 75  In Anlehnung an die scharlachroten Roben der Richter des deutschen Bun­ desverfassungsgerichts. Dem Verfassungsgericht kommt damit eine politische Ge­ staltungsfunktion zu; siehe zum Status des deutschen Bundesverfassungsgerichts S. Korioth, Integration und Bundesstaat – ein Beitrag zur Staats- und Verfassungs­ lehre Rudolf Smends, Berlin 1990, S. 273 ff. Eine gestaltende Funktion bejahen etwa K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II: Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsverfassung, Notstandsverfassung, München 1980, S. 951; B. Guggenberger, Konsens und Konflikt (Fn. 11), S. 216 f.; kritisch dagegen bereits R. Smend (Fn. 48), S. 243 ff.; J.  Limbach (Fn. 11), S. 323 ff., die unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweist, wo­ nach es nicht dessen Sache sei, ob die Politik bei dem Ausgleich widerstreitender Belange die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Lösung gefunden habe (BVerfGE 36, 174 (189); 38, 312 (322)). An dieser zitierten Passage wird bewusst, dass das Verfassungsgericht auch der Hüter des äußeren Sinns sein muss. Denn der

§ 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt I. Die grundsätzliche Problematik eines naturkatastrophal bedingten Ausnahmezustands aus der Perspektive der Staatstheorie Im Angesicht einer wütenden und zerstörerischen Naturkatastrophe zeigt sich die natürliche Ohnmacht des modernen Staates gegenüber den physi­ schen Urkräften des pouvoir naturel. Die typischen Folgen einer derartigen Demonstration der Naturgewalt beschwören ein apokalyptisches Weltklima herauf, das den Eindruck eines Rückfalls in den vorrationalen Zustand der anarchistischen Barbarei rechtfertigt1: überschwemmte Territorien, ver­ brannte Wälder, zertrümmerte Häuser, zurückgelassene Städte, keine Trink­ wasser- bzw. Energieversorgung, Seuchen und Krankheiten, Hungersnöte, Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen ist ein objektives Interesse, ein von dem subjektiven Gutdünken der Tagespolitik praktisch unabhängiges Legitimationsbe­ dürfnis, so dass es hier weniger um politische Zweckmäßigkeit geht, sondern um die langfristige Existenz eines modernen Staates, den Geltungsgrund der positiven Rechtsordnung, das natürliche Mittel zur Verwirklichung von Staatszwecken. Es entspricht zudem der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass es dazu berufen ist, als Integrationsfaktor „das Verfassungsrecht durch Entscheidungen zu entwickeln und den Rechtsfrieden für die Zukunft zu sichern.“ (BVerfGE 1, 351 (359)). Es ist zudem zu bedenken, dass das Bundesverfassungsgericht in der Ent­ scheidung „Garzweiler II“ vom 17.12.2013 (BVerfGE 134, 242) eindrucksvoll be­ wiesen hat, dass es für unpopuläre Entscheidungen mit erheblichen grundrechtsrele­ vanten Wirkungen auch im Zusammenhang mit dem langfristigen Interesse des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen aufgrund seiner Unabhängigkeit und Neutralität besonders geeignet ist. Zu bedenken ist auch, dass in der Bundesrepublik Deutschland ein Staatsnotstand in Bezug auf die Natur nur selten vorkommen wird. In der Volksrepublik China dagegen wäre ein unabhängiger Hüter des äußeren Sinns, der der Politik Einhalt gebieten könnte, mehr als notwendig. Die hier dargelegte Ansicht des Verfassungsgerichts als Hüter des äußeren Sinns erscheint als Zukunfts­ vision. Nimmt man den normativen Ansatz von Hans Kelsen aber ernst, kann am Ende nur eine Kompetenzerweiterung des verfassungsgerichtlichen Hüters der Ver­ fassung in Bezug auf den äußeren Sinn in Betracht kommen. Siehe zur demokrati­ schen Legitimation der Verfassungsrichter auch K. Doehring (Fn. 49), S. 162 f. / 197 f.; zu Zusammensetzung und Bestellung von Verfassungsgerichten F. Ermacora, Allge­ meine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 781 ff. Auf die möglicherweise fehlende richterliche Unabhängigkeit aufgrund einer kurzen Berufungsdauer bzw. die partei­ dominierte Zusammensetzung eines Staatsgerichtshofs wies bereits G. Jellinek, Ein Verfassungsgerichtshof für Österreich, Wien 1885, S. 53 grundsätzlich mahnend hin. 1  Vgl. auch M.  Lendi, Staatsführung in außerordentlichen Lagen, in: W. Haller (Hrsg.), Im Dienst an der Gemeinschaft, Basel u. a. 1989, S. 735 f.

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Massengräber, unter anderem auch das zeitweilige Funktionsloswerden der Rechtsnormenordnung mit der Konsequenz von Plünderungen, Verletzungen von Leben und Gesundheit sowie anderen Straftaten – das alles zeigt, dass die durch das Rechtsetzungs- und Gewaltmonopol des modernen Staates garantierte Friedensordnung vorübergehend zumindest erheblich gefährdet ist. Da statistisch die Anzahl wie auch die Intensität der Naturkatastrophen immer mehr zunimmt,2 steht die sich seit der frühen Neuzeit kontinuier­ lich weiter- entwickelnde Staatlichkeit3 heute mehr denn je im Spiegel der Naturgewalt, was die Frage nach dem naturkatastrophalen Staatsnotstand aufwirft.4 In staatstheoretischer Hinsicht – dieser organologische Rekurs soll hier im übertragenen Sinne erlaubt sein – ist das Staatswesen im Aus­ nahmezustand mit der Konstitution eines Tierstaates in der Form eines Ameisenhaufens vergleichbar, bei dem sich die untertänigen Ameisen nach dem Eindringen eines naturbedingten Fremdkörpers an die zügige Verteidi­ gung machen, um den Gesamtstaat zu retten.5 Denn auch im Falle einer verheerenden Naturkatastrophe ist es das gebündelte Zusammenwirken der soziologischen Wirkmechanismen, die den staatsgefährdenden Zustand überwinden. Deshalb ist der naturbedingte Katastrophennotstand immer auch eine Frage der Souveränität. Aus der Sicht einer normativen Allgemei­ nen Staats(rechts)lehre kann die rechtliche Situation um eine Naturkatastro­ phe folgendermaßen beschrieben werden: „Da das Gelten einer Rechtsord­ 2  F. Mauch, Die Natur der Katastrophe – ein umwelthistorischer Rückblick auf die Hamburger Sturmflut, in: M. Heßler / H. Kehrt (Hrsg.), Die Hamburger Sturmflut von 1962 – Risikobewusstsein und Katastrophenschutz aus zeit-, technik- und um­ weltgeschichtlicher Perspektive, Göttingen 2014, S. 132 / 134 / 143. 3  W. Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, 3. Aufl., München 2002, S. 100 ff. /  406 ff.; ders., Geschichte des modernen Staates, München 2010, S. 7 ff. / 32 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1966, S. 1 ff.; R. Zippelius, Geschichte der Staatsideen, München 2003, S. 82 ff.; P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl., Wien 1996, S. 1 ff. 4  Als anerkannte Definition des den (inneren) Staatsnotstand mit einschließen­ den Ausnahmezustands gilt die folgende Formel: „Mit Ausnahmezustand ist eine Lage bezeichnet, in der so schwere Gefahren für den Bestand eines Staates, seine Sicherheit und (Rechts-)Ordnung bestehen, dass deren Bewältigung mit den im Nor­ malfall zu Gebote stehenden Mitteln nicht mehr möglich ist.“ (so E. Klein, Der in­ nere Notstand, in: J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII: Normativität und Schutz der Verfassung – In­ ternationale Beziehungen, 2. Aufl., Heidelberg 1992, § 169 Rn. 1; F. Koja, Allgemei­ ne Staatslehre, Wien 1993, S. 397 / 399; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepub­ lik Deutschland, Bd. II: Staatsorgane, Staatsfunktionen, Finanz- und Haushaltsver­ fassung, Notstandsverfassung, München 1980, S. 1293 ff.). Zu einem engeren Begriff des Staatsnotstandes, wonach darunter nur Konstellationen fallen, bei denen kein verfassungsrechtlich vorgesehenes (außerordentliches) Organ mit Kompetenzen für die außerordentliche Lage handeln kann M.  Lendi (Fn. 1), S. 737 ff. / 746. 5  R. Kjellén, Der Staat als Lebensform, Leipzig 1917, S. 53 f.



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nung von ihrer Effektivität abhängt, ist unter Staatsnotstand in diesem spe­ zifischen Sinne eine Situation zu verstehen, in der die Geltung der staat­ lichen Rechtsordnung ganz oder teilweise – und das heißt hinsichtlich bestimmter Teile des Territoriums oder hinsichtlich bestimmter (wichtiger) Teile der Rechtsordnung – bedroht ist. Der Staat als Rechtsphänomen ist ‚in Gefahr‘, wenn die Ausübung der Staatsgewalt als Prozess der Erzeugung und Vollziehung von Rechtsnormen in einer seiner Phasen unmöglich gemacht, erheblich behindert oder ernsthaft bedroht ist.“6 Als im Jahre 1755 ein schweres Erdbeben mit einem anschließenden Tsunami und einer inner­ städtischen Feuerwand die Stadt Lissabon und damit auch die absolute portugiesische Monarchie erschütterte, erschien anstelle des unfähigen Kö­ nigs mit Sebastião José de Carvalho e Mello, Marquês de Pompal, ein neuer Souverän, der durch die schnelle Einführung einer strengen Militär­ diktatur den Ausnahmezustand überwand.7 Damit ist hier auch noch einmal historisch-beispielhaft ein direkter Zusammenhang zu der Thematik herge­ stellt, die dogmatisch den gesamten staatstheoretischen Diskurs um den naturkatastrophalen Notstand überlagert: die Frage nach dem Souverän  ‒ oder gemäß eines kritischen Rechtspositivismus: die Geltung einer effekti­ ven staatlichen Rechtsordnung als normativem Ausdruck einer wirksamen Staatsgewalt. Bereits Georg Jellinek äußerte sich in seiner Allgemeinen Staatslehre über das Staatsnotrecht in einer die Macht des Staates hervorhebenden Weise. Demnach habe man die Kategorie des Staatsnotrechtes angewendet, die nur ein anderer Ausdruck für den Satz sei, dass Macht vor Recht gehe, um eklatante Verletzungen der Staatsordnung zu beschönigen. (Denn) an dem Faktum der staatlichen Existenz habe alles Recht seine unübersteigliche Schranke, weshalb eine Änderung in den Grundlagen des staatlichen Lebens zwar Recht vernichten könne, dem Recht wohne aber niemals die Macht inne, den Gang des Staatslebens in kritischen Zeiten zu bestimmen.8 In 6  F. Koja (Fn. 4), S. 400; vgl. auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre, Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 212 ff.; ders., Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 96 ff. / 229 ff. 7  B. Winterfeld, Lissabon – eine Stadt in Biographien, München 2014, S. 50 ff.; S. Dietzsch, Denken und Handeln nach der Katastrophe – Pombal und Kant als Meister der Krise, in: G.  Lauer / T.  Unger (Hrsg.), Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert, Göttingen 2008, S. 258 ff.; U.  Löffler, Lissabons Fall – Europas Schrecken. Die Deutung des Erdbebens von Lissabon im deutschsprachigen Protestantismus des 18. Jahrhunderts, Berlin u. a. 1999, S. 148 ff. Siehe zu dem Erscheinen eines neuen Souveräns im Ausnahmezustand aus staatsthe­ oretischer Perspektive P. Kondylis, Jurisprudenz, Ausnahmezustand und Entschei­ dung, in: Der Staat 1995 (34), 325 (332 f.). 8  G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, Neudruck der 3.  Aufl. (1914), 2. Aufl., Berlin 1920, S. 358 f.

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dieses staatssouveräne Schema ordnete sich später dann auch Carl Schmitt ein, der zum bedeutendsten Vertreter der Lehre von der Staatssouveränität im sich durch die Dezision in ihrer absoluten Reinheit auszeichnenden Aus­ nahmezustand werden sollte.9 Das sich dahinter verbergende Konzept wird deutlich, wenn die autoritären Worte aus der Politischen Theologie von Carl Schmitt zitiert werden: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand ent­ scheidet. (…) Der Ausnahmefall (…) kann (indessen) höchstens als ein Fall äußerster Not, einer Gefährdung der Existenz des Staates oder dergleichen bezeichnet, nicht aber (dagegen) tatbestandsmäßig umschrieben werden. Die Voraussetzung wie der Inhalt der Kompetenz sind in einem derartigen Fall notwendig unbeschränkt. (…) Ist dieses Handeln keiner Kontrolle unterwor­ fen, wird es nicht, wie in der Praxis der rechtsstaatlichen Verfassung, in irgendeiner Weise auf verschiedene, sich gegenseitig hemmende und balan­ cierende Instanzen verteilt, so ist ohne weiteres klar, wer der Souverän ist. Er entscheidet sowohl darüber, ob der extreme Notfall vorliegt, als auch darüber, was geschehen soll, um ihn zu beseitigen. Er steht außerhalb der normal geltenden Rechtsordnung und gehört doch zu ihr, denn er ist zustän­ dig für die Entscheidung, ob die Verfassung suspendiert werden kann.“10 Ist dann ein Ausnahmezustand „eingetreten, so ist klar, dass der Staat bestehen bleibt, während das Recht zurücktritt. Weil der Ausnahmezustand immer noch etwas anderes ist als eine Anarchie und ein Chaos, besteht im juristi­ schen Sinne immer noch eine Ordnung, wenn auch keine Rechtsordnung. Im Ausnahmefall suspendiert der Staat das Recht kraft eines Selbsterhaltungsrechtes.“11 „In seiner absoluten Gestalt ist der Ausnahmefall dann eingetreten, wenn erst die Situation geschaffen werden muss, in der 9  So C. Schmitt, Politische Theologie, Nachdruck der 2. Aufl. (1933), 7. Aufl., Berlin 1996, S. 19. Im staatswissenschaftlichen Schrifttum wird insoweit im Falle der notstandsverfassungsmäßigen Konzentration der gesamten Staatsgewalt zur Be­ wältigung des Katastrophenfalles auf ein Organ von Organsouveränität gesprochen; siehe hierzu R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, Frankfurt a. M. 1971, S. 238. Im Rahmen einer normativen Staatstheorie ist dieser Begriff der Organsouveränität aber obsolet und wird durch denjenigen der Normsouveränität ersetzt. Denn der Verfas­ sungsgesetzgeber ist regelmäßig in der Lage, auch im Ausnahmezustand das Not­ standsrecht zu ändern und die außerordentlichen Kompetenzen der Notstandsorgane zu beschneiden; so F. Koja (Fn. 4), S. 33. Siehe auch zum Diskurs um das höchste Organ H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 301 ff. 10  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 9), S. 13 f.; vgl. auch K. Doehring, All­ gemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 69. Die rechtsstaatliche Normie­ rung des Ausnahmezustandes lag für Carl Schmitt in der Norm des Art. 48 II der Weimarer Reichsverfassung, der er deshalb kritisch gegenüberstand. Nach seiner Ansicht musste zwischen den rechtsstaatlichen Voraussetzungen dieser Norm und der eine grenzenlose Machtvollkommenheit verleihenden inhaltlichen Regelung der Vorschrift unterschieden werden (C. Schmitt, Politische Theologie, ebd., S. 17 f.). 11  C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 9), S. 18 f.



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Rechtssätze gelten können. (…) Es gibt keine Norm, die auf ein Chaos anwendbar wäre. Die Ordnung muss (daher) hergestellt sein, damit die Rechtsordnung einen Sinn hat. Es muss eine normale Situation geschaffen werden, und souverän ist derjenige, der definitiv darüber entscheidet, ob dieser normale Zustand wirklich herrscht. Alles Recht ist ‚Situationsrecht‘. Der Souverän schafft und garantiert die Situation als Ganzes in ihrer Tota­ lität. Er hat das Monopol dieser letzten Entscheidung.“12 Die rechtsstaatliche Gegenansicht lehnte eine solche souveräne Machtkonzentration auf der Grundlage eines naturrechtlichen Staatsnotrechts ohne rechtspositivistische Grenzziehung ab.13 In diesem Sinne führte Gerhard Anschütz vor dem po­ sitivistischen Abbild der Weimarer Reichsverfassung aus, dass sich die Frage, inwieweit unter außergewöhnlichen Verhältnissen außergewöhnliche Maßregeln einer vollziehenden Gewalt zum Schutz der öffentlichen Sicher­ heit statthaft seien, sich nunmehr ausschließlich nach der Norm des Art. 48 WRV beantworte.14 Diese Kontroverse um eine verfassungsrechtliche Rege­ lung der Notstandsverfassung besitzt auch heute noch eine erhebliche Rele­ vanz, was sich aufgrund der zunehmenden Ereignisse von Naturkatastrophen weiter fortsetzen wird. Die Problematik, die sich in dem Diskurs zeigt, ist, dass ein Ausnahmezustand stets einen atypischen Geschehensablauf indi­ ziert, der einer konkreten Regelung oft nicht zugänglich ist, so dass sich eine zu starre konstitutionelle Normierung als Hindernis für die effektive Bewältigung des Katastrophenzustandes herausstellen kann.15 Andererseits 12  C. Schmitt,

Politische Theologie (Fn. 9), S. 19 (Hervorhebung im Original). die damalige herrschende Meinung. Siehe hierzu nur G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Nachdruck der 14. Aufl. (1933), Bad Homburg 1968, S.  276 f.; R. Thoma, Der Vorbehalt der Legislative und das Prinzip der Gesetz­ mäßigkeit von Verwaltung und Rechtsprechung, in: G.  Anschütz / ders. (Hrsg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. II, Tübingen 1932, S. 231 f.; H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 157; H. Nawiasky, Die Auslegung des Art. 48 der Reichsverfassung, AöR 1925 (9), 1 (55); K. Doehring (Fn. 10), S. 205; zur Kritik an dieser rechtsstaat­ lichen Ansicht nur C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 9), S. 20 f. Eine positivisti­ sche Staats- und Rechtstheorie geht grundsätzlich davon aus, dass eine positive Rechtsordnung grundsätzlich in sich abgeschlossen ist, d. h. dass auch im Ausnah­ mezustand nur die positiven Rechtsnormen „regieren“. Vgl. hierzu auch H. Kelsen, AS, ebd., S. 157 / 224 f. 14  G. Anschütz (Fn. 13), S. 276. 15  In diesem Sinne bereits C. Schmitt, Politische Theologie (Fn. 9), S. 20  f.: „Die rechtsstaatliche Tendenz, den Ausnahmezustand möglichst eingehend zu regeln, bedeutet ja nur den Versuch, den Fall genau zu umschreiben, in welchem das Recht sich selbst suspendiert. Woher aber schöpft das Recht diese Kraft, und wie ist es logisch möglich, dass eine Norm gilt mit Ausnahme eines konkreten Falles, den sie nicht restlos tatbestandsmäßig erfassen kann?“ Siehe zu dieser Position eines natur­ rechtlich-übergesetzlichen und ungeschriebenen Notstandsrechts T. Stein, Grundrech­ te im Ausnahmezustand, in: D.  Merten / H.-J.  Papier (Hrsg.), Handbuch der Grund­ rechte in Deutschland und Europa, Bd. I: Entwicklung und Grundlagen, Heidelberg 13  So

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muss aber die rechtsstaatlich geforderte Berechenbarkeit und Vorhersehbar­ keit der staatlichen Notstandshandlungen gewährleistet bleiben, um ebenso unter außergewöhnlichen Umständen einen politischen Machtmissbrauch zu verhindern.16 Aus rechtsvergleichender Perspektive kann es deshalb nicht verwundern, dass sich in den Verfassungen der Staaten der Welt hinsichtlich der Regelung des Staatsnotstandes schließlich drei Systeme unterscheiden lassen: es gibt Staaten, die in ihren Verfassungen den Staatsnotstand über­ haupt nicht erwähnen, dann Staaten, die nur eine grobe konstitutionelle Verankerung aufweisen, sowie Staaten, die über ziemlich subtile Regelun­ gen der Materie und damit über eine umfassende Notstandsverfassung ver­ fügen.17 Durch Naturkatastrophen bedingte Staatsnotstände indizieren ein zügiges Tätigwerden des Staates, das aufgrund der verheerenden Folgen der wüten­ den Naturgewalt regelmäßig keinen weiteren Zeitaufschub mehr duldet. Es wäre deshalb kontraproduktiv, würde die Verfassung für derartige Fälle ein komplexes Normengefüge aufweisen, das die nachfolgende Beteiligung mehrerer rechtlicher Organträger vorsehen würde. Aus diesem Grund ist auch der naturkatastrophale Ausnahmezustand regelmäßig die Stunde der 2004, § 24 Rn. 5 f. / 50; vgl. dazu auch H. Krüger (Fn. 3), S. 30 f.; K. Hesse, Grund­ züge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl., Heidelberg 1999, S. 302; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 2 f.; R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S. 242; K. Doehring (Fn. 10), S.  205 f.; M. Lendi (Fn. 1), S. 733 / 737 f. Grundsätzlich zur Problematik des Ausnah­ mezustandes unter den Vorzeichen eines typischerweise zu behebenden Regelungs­ defizits auch E.-W. Böckenförde, Der verdrängte Ausnahmezustand – Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen, NJW 1978, S. 1881 ff. 16  Vgl. nur H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 157; F. Koja (Fn. 4), S. 397 ff.; K. Hesse (Fn. 15), S. 302; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 3 f.; R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 243; K. Doehring (Fn. 10), S. 205 f.; M.  Lendi (Fn. 1), S. 733 ff.; die gegensätzlichen, d. h. für eine entsprechende Normierung des Notstandsrechts eintre­ tenden Positionen zusammenfassend K. Doehring, ebd., S. 205 f.; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 7 ff. / 50 ff. Martin Lendi: „Die Verfassung setzt sich bei fehlender Regelung einer Selbstgefährdung aus, da sie, wenn auch auf Zeit, den Machtstaat, den sie ablehnt, akzeptiert.“ (M.  Lendi, ebd., S. 736; ganzes Zitat hervorgehoben im Origi­ nal). Grundsätzlich zur Lehre von der Staatsgewalt und ihren Eigenschaften unter dem normativen Gesichtspunkt einer geltenden und in sich souveränen Rechtsord­ nung H. Kelsen, AS, ebd., S. 95 ff. 17  K. Doehring (Fn. 10), S. 206. Einen Überblick über verschiedene Notstands­ verfassungen ausgewählter moderner Staaten gibt die Bundestags-Drucksache V / 1879 mit einem Entwurf zur Ergänzung des Grundgesetzes (Notstandsverfassung) vom 13.06.1967, Deutscher Bundestag 5. Wahlperiode, III A / 2  – 10000  – 5410 / 67, S. 8 ff.; rudimentäre Nachweise auch bei F. Koja (Fn. 4), S. 399 ff.; F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. II, Berlin 1970, S. 851 ff. (insbesondere mit ausgewähl­ ten Verfassungen außerhalb Europas). Vgl. grundsätzlich zum Staatsnotrecht auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 156 f.



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Exekutive, was aus den nationalen Staatsnotstandsverfassungen zu ersehen ist, die das außerordentliche Handeln im existentiellen Ausnahmezustand grundsätzlich entweder unmittelbar, oder aber vermittelt durch eine parla­ mentssouveräne Ermächtigung, in die Hände der Regierung bzw. des Staats­ oberhaupts legen.18 Als der damalige Hamburger Polizeisenator Helmut Schmidt aufgrund der schweren Sturmflut in der Hansestadt im Jahre 1962 das Krisenmanagement übernahm, das unter anderem den Einsatz der Bun­ deswehr im Inneren und von NATO-Truppen vorsah, obwohl dies den po­ sitivrechtlich normierten Kompetenzen nicht entsprach,19 realisierte sich in der Bundesrepublik Deutschland im naturstaatlichen Kontext scheinbar die souveräne Option eines ungeschriebenen, da naturrechtlichen Staatsnotrechts der Exekutive, das in der Folge nicht nur die Frage nach der Regelung einer neuen Notstandsverfassung im Grundgesetz aufwarf,20 sondern zudem den Eindruck erweckte, als ob sich mit dem unkonventionellen Handeln des Polizeisenators die Theorie des Ausnahmezustands von Carl Schmitt be­ wahrheitet hat.21 Insoweit muss aber differenziert werden. Es besteht durch­ aus die Möglichkeit, dass eine zerstörerische Naturkatastrophe einen moder­ nen Staat derart trifft, dass eine staatliche Existenz an diesem konkreten Ort 18  R. Herzog

(Fn. 9), S. 240; vgl. K. Doehring (Fn. 10), S. 204 f. hierzu H. Schmidt, Vorwort, in: R. Ley (Hrsg.), Die Nacht der großen Flut – Gespräche mit Zeitzeugen und Helmut Schmidt, Hamburg 2006, S. 7; N. Holsten, Die Katastrophe – eine Chronik der Ereignisse / Das Lagerzentrum – Die Organisation der Rettung, in: H. Hötte (Hrsg.), Die große Flut – Katastrophe, Her­ ausforderung, Perspektiven; Hamburg und die Sturmflut 1962; Begleitbuch zu den Ausstellungen im Hamburger Rathaus und im Museum für Hamburgische Geschich­ te aus Anlass des 50. Jahrestages der Sturmflut von Februar 1962, Hamburg 2012, S.  12 ff.; O.  Puffahrt, Erinnerungen und Folgerungen aus der Sturmflut 1962, Lüne­ burg 2012, S. 29 ff., v. a. S. 31; vgl. auch G. Hofmann, Willy Brandt und Helmut Schmidt – Geschichte einer schwierigen Freundschaft, München 2012, S. 85 ff. / 119 ff.; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 31; F. Mauch (Fn. 2), S. 129 / 137 ff. 20  Siehe zur Entwicklung der Notstandsgesetzgebung in der gesamtdeutschen Verfassungsgeschichte T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 10 ff.; K. Hesse (Fn. 15), S. 304 f.; M. Trotter, Der Ausnahmezustand im historischen und europäischen Rechtsvergleich, Heidelberg 1997, S. 5 ff. Zur grundgesetzlichen Notstandsgesetzgebung von 1968 ausführlich unter Darlegung der einzelnen Entwürfe ebenfalls M. Trotter, ebd., S.  34 ff.; H.  Leupold, Die Feststellung des Katastrophenfalls, Baden-Baden 2012, S.  96 ff.; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 8 ff.; T. Stein, ebd., § 24 Rn.  23  ff. Zur verfassungsgeschichtlichen Entwicklung des Ausnahmezustands M. Trotter, ebd., S. 4 ff. / 108 ff.; D. Esklony, Das Recht des inneren Notstands – Verfassungsgeschichtliche Entwicklung unter besonderer Berücksichtigung der tatbe­ standlichen Voraussetzungen von Notstandsmaßnahmen und ihrer parlamentarischen Kontrolle, Göttingen 2000, S. 4 ff.; F.-K. Fromme, Ausnahmezustand und Notgesetz­ gebung – Ein Beitrag zur Systematik und Geschichte des staatlichen Notstands­ rechts, DÖV 1960, S. 730 ff. 21  Siehe hierzu H.  Leupold (Fn. 20), S. 101 ff. 19  Siehe

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dauerhaft nicht mehr möglich ist. In diesem Fall ist der gesteigerte, existen­ tielle Ausnahmebegriff von Carl Schmitt gerechtfertigt, da die natürlichen Lebensgrundlagen als Grundelement der positiven Verfassung erst wieder­ hergestellt werden müssen, um eine ideelle Rechtsnormenordnung und so­ nach ein staatliches Dasein überhaupt wieder ermöglichen zu können.22 Nach dem normativen Ansatz einer Naturstaatslehre bedeutet dies, dass die eine Staatsordnung ausschließenden Folgen der verheerenden Naturkatastro­ phe die synthetische Grundnorm in ihrem äußeren Sinn obsolet werden lassen, was einen Untergang des betroffenen Staates indiziert. Denn steht das Staatsgebiet nach einem Tsunami vollends unter Wasser, oder führt ein bestimmtes Ölleck zu einer Verseuchung eines gesamten Meeresstreifens oder eines Flusses, die als Hauptquellen bzw. -adern einer zivilisatorischen Existenz anzusehen sind, so kann dies im schlimmsten Fall zu der Unbe­ wohnbarkeit eines ganzen Gebiets führen, was früher oder später die Formel bestätigen muss, dass es ohne Naturgeltung auch keine Rechtsgeltung (mehr) gibt.23 Oft wird aber das Staatsgebiet durch die Naturgewalt nur schwer erschüttert werden, was die normative Rechtsordnung grundsätzlich nicht antasten wird, wenngleich hier ein besonderes Notstandsregime ein­ greifen muss, das geeignet ist, die Normalsituation schnellstmöglich wieder­ herzustellen, ohne dass die Zivilbevölkerung übermäßigen Schaden erleidet. Bei der besonderen Notstandsrechtsordnung, „die für eine bestimmte Zeit und ein bestimmtes Gebiet an die Stelle der allgemeinen tritt, kann es sich um eine Rechtsordnung handeln, die der ordentliche (Verfassungs-)Gesetz­ geber für diesen Fall vorgesehen (…) hat, also eine Rechtsordnung, die schon „vorhanden“ gewesen sein mag, nur noch nicht ‚galt‘, weil der Ge­ setzgeber den Beginn ihrer Geltung vom Eintritt eines bestimmten Ereignis­ ses abhängig gemacht hat; es kann sich dabei aber auch ebenso gut um eine Rechtsordnung handeln, die ihre Entstehung erst der gebieterischen Forderung des Augenblicks verlangt (…).“24 In beiden Fällen aber wird der Boden der geltenden Verfassungsordnung nicht verlassen, weshalb der 22  H.  Leupold

(Fn. 20), S. 101 ff. hierzu auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratie­ theorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1991, S. 129 Fn. 230. Als aktuelles Beispiel für eine Infragestellung der natürlichen Geltung einer Rechtsordnung kann die Vergiftung des brasilianischen Flusses Rio Doce durch einen mit Schwermetallen vergifteten Schlamm im November 2015 angeführt werden, was zur Unbewohnbar­ keit von ganzen Dörfern führte. Ursache war ein Unfall in einem Eisenerzbergwerk. Hierzu nur das Dokument „Unglück von Rio Doce – ein Paradies, begraben unter Schlamm“, Zeit online vom 05.11.2016. 24  Frhr. F. A. von der Heydte, Staatsnotstand und Gesetzgebungsnotstand, Ver­ öffentlichungen des Instituts für Staatslehre und Politik e. V.  in Mainz, Bd. III: Ver­ fassung und Verwaltung in Theorie und Wirklichkeit, München 1952, S. 68 f. (Her­ vorhebungen im Original). 23  Siehe



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auf der Fundamentalität der positiven Verfassung im Sinne Carl Schmitts aufbauende Begriff des Ausnahmezustandes nur dann sinnvoll sein kann, wenn die Existenz des Staates wirklich bedroht ist. Ansonsten aber ist es nicht gerechtfertigt, den Souverän angesichts der Suspension der nur relati­ ven Rechtsordnung quasi in den rechtsfreien Raum zu entlassen, wo er alles machen kann, um den Staatsnotstand zu überwinden. Dies gilt insbesondere für die Grundrechte, die im Fall eines Notstands zwar beschränkt werden können, damit der Exekutive bei der Beseitigung der Folgen der Naturkata­ strophe keine unangemessenen Rechtsschranken auferlegt sind.25 Davon ausgenommen sind aber freilich die Menschenrechte, die auch im naturka­ tastrophalen Staatsnotstand unantastbar sind, was ebenso gegen die natur­ rechtliche Notstandslehre von Carl Schmitt spricht, der diese absolute Grenze nicht beachtet.26 Denn es darf nie eine ragione di natura geben, d. h. eine Naturvernunft, die auch eine radikale Wiederherstellung der natür­ lichen Lebensgrundlagen als einer elementaren Bedingung des staatlichen Daseins zulasten einzelner Menschenleben legitimieren soll.27 Insgesamt kann deshalb resümiert werden, dass der letzte Zweck eines verfassten Staatswesens immer auf die Selbsterhaltung der staatlichen Ordnung gerich­ 25  Hierzu nur H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 157; F. Koja (Fn. 4), S. 399; K. Hesse (Fn. 15), S. 303; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 53 ff.; vgl. auch E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 3 f. / 46 ff. 26  Siehe hierzu K.-H. Hall, Notstandsverfassung und Grundrechtseinschränkun­ gen – Kritische Bemerkungen zu einzelnen Problemen des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, JZ 1968, 159 (160 f.). Die Position von Carl Schmitt wird aussagekräftig von dem Staatsrechtslehrer selbst verdeutlicht in C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes – Sinn und Fehl­ schlag eines politischen Symbols, Hamburg 1938, S. 67 ff. 27  Siehe hierzu nur BVerfGE 27, 1 (6); 30, 1 (26); 39, 1 (42); 45, 187 (228); 46, 160 (164); 56, 54 (73); 87, 209 (228); 96, 375 (399); 109, 279 (311); 115, 118 (151 ff.). „Dem Staat ist es im Hinblick auf dieses Verhältnis von Lebensrecht und Menschen­ würde einerseits untersagt, durch eigene Maßnahmen unter Verstoß gegen das Verbot der Missachtung der menschlichen Würde in das Grundrecht auf Leben einzugreifen. Andererseits ist er auch gehalten, jedes menschliche Leben zu schützen. Diese Schutz­ pflicht gebietet es dem Staat und seinen Organen, sich schützend und fördernd vor das Leben jedes Einzelnen zu stellen; das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen An- und Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren. (…) Ausgehend von der Vorstel­ lung des Grundgesetzgebers, dass es zum Wesen des Menschen gehört, in Freiheit sich selbst zu bestimmen und sich frei zu entfalten, und dass der Einzelne verlangen kann, in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert anerkannt zu werden, schließt es die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde vielmehr generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen. Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grund­ sätzlich in Frage stellt, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt.“ (BVerfGE 115, 118 (152 f.)). Vgl. hierzu auch H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 90.

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tet ist, so dass dieser existentielle Auftrag allen durch einzelne Verfassungs­ bestimmungen konkretisierten Zwecken unbedingt vorgeht und damit für diese Rechtssätze gleichsam Auslegungsregel und Grenze ist, über die hin­ aus kein Geltungsgrund und damit auch keine rechtliche Geltung mehr be­ stehen kann.28 Diese Legitimationsrelevanz, die sich im 21. Jahrhundert auch auf die natürlichen Lebensgrundlagen bezieht, steckt in der äußeren Grundnorm, ohne die eine Rechtsnormenordnung nicht bestehen kann. In­ dem die Natur sonach auch einen letzten Geltungsgrund der staatlichen Ordnung darstellt, der letzte Zweck des modernen Staates stets auf eine dauerhafte, auch generationenübergreifende Konservierung der natürlichen Lebensgrundlagen gerichtet sein muss, beinhaltet eine geschriebene Verfas­ sung daher regelmäßig eine clausula rebus sic stantibus, die im Falle eines naturkatastrophalen Staatsnotstandes eine Abänderung von Verfassungsnor­ men nicht nur rechtfertigt, sondern verlangt, wenn mit der herkömmlichen Rechtsordnung der Zweck einer Bewahrung der Natur als einem letzten Geltungsgrund nicht verwirklicht werden kann.29 Anstelle des staatstheolo­ gischen Ansatzes von Carl Schmitt bilden die Menschenrechte aber eine unverletzliche Grenze. Überdies sind die exekutiven Maßnahmen des Staatsnotstands zeitlich zu begrenzen und müssen einem verfassungsgericht­ lichen Hüter unterstehen, insoweit eine parlamentarische Kontrolle unmög­ lich bzw. nicht praktikabel ist.30 II. Notstandsverfassungen ausgewählter moderner Staaten Die Regelung des Staatsnotstands wird von den modernen Staaten der Welt unterschiedlich praktiziert, wobei sich schließlich – wie bereits darge­ legt wurde  ‒ drei verschiedene Modelltypen erkennen lassen. Eine weitere systematische Differenzierung nach dem zuständigen Exekutivorgan bzw. in ausgewählte Unterkategorien wie etwa äußerer Notstand, innerer Notstand und Katastrophennotstand31 ist insoweit schwierig, als sich angesichts der 28  Frhr.

F. A. von der Heydte (Fn. 24), S. 59. rebus sic stantibus nur im Rahmen der positiven Rechtsordnung, d. h. etwaige Änderungen sind nur im Rahmen der positiven Rechtsordnung gestat­ tet. Siehe zu dieser Rechtsfigur H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 224 f.; Frhr. F. A. von der Heydte (Fn. 24), S. 60 f.; vgl. auch K. Hesse (Fn. 15), S. 303; J. Isensee, Widerstand gegen den technischen Fortschritt – Rückbesinnung auf das Selbstverständnis des demokratischen Verfassungsstaates, DÖV 1983, 565 (573). 30  K. Hesse (Fn. 15), S. 303. 31  Siehe zu dieser Unterscheidung zwischen äußerem Notstand, innerem Notstand und Katastrophennotstand H.  Leupold (Fn. 20), S. 16 ff. / 88 ff. „Der äußere Notstand (…) unterscheidet sich durch die vom aggressiven Verhalten anderer Staaten ausge­ hende Gefährdung des Staates und seiner Ordnung von dem inneren Notstand, der durch aus der eigenen staatlich-gesellschaftlichen Lebenssphäre kommende Gefähr­ 29  Clausula



§ 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt793

Mannigfaltigkeit an Staatsverfassungen kein einheitliches Bild ergibt, was durch einen rudimentären Abriss von einzelnen nationalen Staatsnotstands­ regelungen verdeutlicht werden soll. Die amerikanische Verfassung erwähnt die Staatskrise in keinem Artikel, weshalb sich im Fall einer verheerenden Naturkatastrophe regelmäßig die Frage stellen kann, ob der Präsident nun auch ohne den Kongress etwaige Notstandsmaßnahmen ergreifen kann. In­ soweit wird unter der Geltung des amerikanischen Verfassungsrechts davon ausgegangen, dass sich der Präsident im Staatsnotstand keine Kompetenzen anmaßen darf, die ihm nicht auch in der Normallage zustehen würden, wobei teilweise über die Figur der implied powers eine intensivierende Korrektur der Normalkompetenzen zugunsten einer größeren präsidialen Machtfülle vorgenommen wird. Als nachträglicher Hüter über die Staatsak­ te des Präsidenten in der Notstandssituation agiert dabei der Supreme Court, der den staatsnotständischen Balancegrad zwischen präsidialem Staatsober­ haupt und Kongress an einem rechtsstaatlichen Maßstab überprüft.32 Eine grobe Regelung des Staatsnotstandes enthält dagegen die Verfassung Frank­ reichs aus dem Jahre 1958, die dem französischen Staatspräsidenten in Art. 16 ebenfalls die Notstandskompetenz zuweist.33 Die konstitutionelle Bestimmung des Art. 16 I der französischen Verfassung lautet: „Wenn die Institutionen der Republik, die Unabhängigkeit der Nation, die Integrität ihres Staatsgebietes oder die Erfüllung ihrer internationalen Verpflichtungen schwer und unmittelbar bedroht sind und wenn die ordnungsgemäße Tätig­ keit der verfassungsmäßigen öffentlichen Gewalten unterbrochen ist, trifft der Präsident der Republik, nach förmlicher Beratung mit dem Premiermi­ nister, den Präsidenten der Kammern und dem Verfassungsrat, die durch diese Umstände erforderlichen Maßnahmen.“34 An dieser nur ansatzweise dungen charakterisiert ist.“ (E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 6; K. Stern, Staatsrecht II (Fn. 4), S. 1458 f.). Eine weitere Abgrenzung ist die einer Verfassungsstörung bzw. eines Gesetzgebungsnotstandes zum gefahrbedingten Aus­ nahmezustand. Die Situation einer Verfassungsstörung bzw. eines Gesetzgebungsnot­ standes liegt dann vor, wenn ein oberes Staatsorgan aus Gründen, die in ihm selbst oder einem anderen Staatsorgan begründet sind, nicht mehr in der Lage ist, die ihm verfassungsmäßig zugewiesenen Aufgaben angemessen zu verwirklichen bzw. sogar funktionsuntüchtig wird. Der wesentliche Unterschied zum Ausnahmezustand liegt darin, dass im Falle einer Verfassungsstörung bzw. eines Gesetzgebungsnotstandes die Möglichkeit besteht, auf dem Boden der geltenden Verfassungsordnung und damit mit verfassungsmäßigen Mitteln die abnormale Lage zu beseitigen. Hierzu K.-H. Hall (Fn. 26), JZ 1968, 159 (160); K. Hesse (Fn. 15), S. 300 ff.; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 42; H. Leupold, ebd., S. 95; E. Klein, Der innere Notstand, ebd., § 169 Rn. 6. 32  K. Doehring (Fn. 10), S. 207 f. 33  T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 88 ff.; K. Doehring (Fn. 10), S. 209; M. Trotter (Fn. 20), S. 146 ff. 34  A.  Kimmel / Ch. Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 6.  Aufl., Stand: 01 / 2005, München 2005, S. 173.

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normierten französischen Notstandsverfassung wird die Machtkonzentration beim Staatspräsidenten kritisiert, der nur einer nachträglichen Kontrolle durch das Parlament, das die Notstandsakte wieder aufheben kann, unter­ liegt, sowie die unzureichende gerichtliche Missbrauchskontrolle, was auf eine insoweit fehlende Kompetenz eines entsprechenden Verfassungsgerichts zurückzuführen ist.35 Daneben gibt es in Frankreich noch die Rechtsfigur des État d’Urgence, die im Falle eines inneren Notstandes im Sinne einer Naturkatastrophe zur Anwendung kommt und mit einer Kompetenzerweite­ rung der Polizei einhergeht. Der Gefahrenzustand wird dabei von dem Mi­ nisterrat ausgerufen und bedarf der Bestätigung durch ein Parlamentsgesetz, wenn die Naturkatastrophe länger als zwölf Tage andauert.36 Eine vergleich­ bare Konzeption besitzt auch Italien, wo die Notstandskompetenz aber nicht dem Staatspräsidenten, sondern der Regierung zugewiesen ist und eine hinreichende parlamentarische sowie auch verfassungsgerichtliche Kontrolle der außerordentlichen Notstandsakte gewährleistet ist. Nach Art. 77 der italienischen Verfassung aus dem Jahre 1947 kann die Regierung zwar ohne eine Ermächtigung der parlamentarischen Kammern keine Verordnungen mit Gesetzeskraft erlassen. Die Verfassungsnorm des Art. 77 II besagt aber dann: „Wenn die Regierung in Fällen außergewöhnlicher Notwendigkeit und Dringlichkeit in eigener Verantwortung provisorische Anordnungen mit Gesetzeskraft erlässt, so muss sie diese am gleichen Tage zur Umwandlung in Gesetze den Kammern vorlegen, die, auch wenn sie aufgelöst sind, ei­ gens einberufen werden und innerhalb von 5 Tagen zusammentreten müs­ sen.“, wobei die Nachprüfung durch ein Verfassungsgericht nach Art. 134 der italienischen Verfassung vorgesehen ist.37 In Großbritannien und in der Schweiz dominiert dagegen das Dogma von der Parlamentssouveränität, wenngleich auch hier die Exekutive als der eigentliche Herr des durch eine Naturkatastrophe bedingten Staatsnotstandes anzusehen ist. Als Ermächti­ gungsgrundlage ist in Großbritannien dabei der Emergency Powers Act aus dem Jahre 1920 einschlägig, der zwar als Norm dauerhaft gilt, aber nur im Notstandsfall anwendbar ist.38 Dieser insbesondere auch den inneren Not­ stand erfassende Emergency Powers Act ermächtigt die Krone, einen Aus­ 35  Siehe hierzu T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 90; K. Doehring (Fn. 10), S. 209; M. Trotter (Fn. 20), S. 149 ff. 36  Siehe hierzu Ch. Bouton, Le temps de l’urgence, Lormont 2013, S. 74  ff.; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 92; M. Trotter (Fn. 20), S. 173 ff. 37  A.  Kimmel / Ch. Kimmel (Fn. 34), S. 300 / 314. 38  T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 81 ff.; M. Trotter (Fn. 20), S. 120 f. Der Emergen­ cy Powers Act 1920 ist abgedruckt bei H. S. G. of Halsbury (Hrsg.), Halsbury’s statutes of England and Wales. Value added tax, war and emergency, weights and measures, wills, Vol. 50, 4. Aufl., London 2000, S. 324 ff. Grundsätzlich zum groß­ britannischen Geist hinsichtlich Notstandsregelungen R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 242; K. Doehring (Fn. 10), S. 210.



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nahmezustand auszurufen, wenn es zu einer existentiellen Gefährdung der Lebensgrundlagen gekommen ist oder eine solche unmittelbar bevorsteht. Dazu gehört auch das Auftreten einer verheerenden Naturkatastrophe bzw. einer sonstigen Beeinträchtigung der natürlichen Lebensgrundlagen, die dann durch den Erlass von spezifischen Notstandsregelungen, gegebenen­ falls auch mittels der unterstützenden Intervention durch die Armee, in den Griff bekommen werden können.39 Die Geltung der auf der Rechtsgrundla­ ge des Emergency Powers Act 1920 ergangenen Proklamationen ist zeitlich auf einen Monat, die der entsprechenden Notstandsregelungen auf sieben Tage beschränkt, wenn nicht das Parlament in der Zwischenzeit eine Ver­ längerung dieser Fristen beschließt.40 In der Schweiz ist dagegen auch weiterhin ein überverfassungsrechtliches Notstandsrecht anerkannt, wenn­ gleich in Art. 185 III der Schweizerischen Bundesverfassung auch eine Kompetenz des Bundesrates zum Erlass von Polizeiverordnungen im Falle von schweren Störungen der inneren oder äußeren Sicherheit vorgesehen ist, der aber nach ganz herrschender Meinung den eigentlichen Staatsnotstand nicht regelt.41 Demnach greift beim Auftreten naturkatastrophaler Ausnah­ 39  F.  Lyall, An introduction to british law, 2. Aufl., Baden-Baden 2002, S. 112; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 84; M. Trotter (Fn. 20), S. 120 f. 2 Emergency regulations of the Emergency Powers Act 1920 lautet: „(1) Where a proclamation of emergency has been made, and so long as the proclamation is in force, it shall be lawful for His Majesty in Council, by Order, to make regulations for securing the essentials of life to the community, and those regulations may confer or impose on a Secretary of State or other Government department, or any other persons in His Majesty’s service or acting on His Majesty’s behalf, such powers and duties as His Majesty may deem necessary for the preservation of the peace, for securing and regulating the supply and distribution of food, water, fuel, light, and other necessities, for maintaining the means of transit or locomotion, and for any other purposes essential to the public safety and the life of the community, and may make such provisions incidental to the powers aforesaid as may appear to His Majesty to be required for making the exercise of those powers effective.“ (H. S. G. of Halsbury (Hrsg.) (Fn. 38), S. 325). 40  H. S.  G. of Halsbury (Hrsg.) (Fn. 38), S. 325; F.  Lyall (Fn. 39), S. 112; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 84. 41  Siehe hierzu F. Bellanger, Droit de nécessité et état d’exception, in: D. Thü­ rer u. a. (Hrsg.), Verfassungsrecht der Schweiz – Droit constitutionnel Suisse, Zürich 2001, S.  1268 ff.; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 98; E.-W. Böckenförde, Ausnahmezu­ stand (Fn. 15), NJW 1978, 1881 (1887 f.); vgl. auch E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 3 Fn. 5; M.  Lendi (Fn. 1), S. 733 / 742 ff. (insoweit zur alten Rechtslage). François Bellanger: „La Confédération peut se trouver dans un état de nécessité lorsqu’elle est confrontée à des situations de crise exceptionelles, en cas de guerre, de menaces graves pour la nation, ou de catastrophe naturelle d’une grande ampleur, qui rendent impossible le fonctionnement ordinaire des institutions et, notamment, la convocation de l’Assemblée fédérale ou le respect de la procédu­ re législative. Pourtant, la Constitution ne contient pas de dispositions organisant le fonctionnement des institutions dans de telles circonstances. Se fondant sur

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mezustände das „droit extra-constitutionnel de nécessité“ ein, das den Bun­ desrat ermächtigt, entsprechende Notstandsverordnungen zu erlassen. Die parlamentssouveräne Absicherung ergibt sich schließlich daraus, dass es dabei grundsätzlich in den Händen der Bundesversammlung liegt, den Bun­ desrat zu entsprechenden Maßnahmen zu ermächtigen, wenn es zeitlich noch möglich ist. Ist das Zusammentreten der Bundesversammlung dagegen nicht mehr möglich, „gilt“ der Bundesrat als ermächtigt, womit der Exeku­ tive auch hier in der Stunde der wütenden Naturkatastrophe Vorrang gegen­ über der parlamentarischen Prärogative eingeräumt ist.42 Das Bundesverfas­ sungs-Gesetz der Republik Österreich aus dem Jahre 1920 sieht dagegen „zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wieder gutzumachenden Schadens für die Allgemeinheit“ in Art. 18 III, IV für den Bundespräsidenten und in Art. 97 III, IV BVerf-Gesetz für die Landesregierungen jeweils ein klassi­ sches Notverordnungsrecht vor, das auch contra legem und nicht nur praeter legem ausgeübt werden kann.43 Daneben besteht für die Gemeinden im ei­ genen Wirkungskreis nach Art. 118 VI BVerf-Gesetz ein ortspolizeiliches Verordnungsrecht, das aber lediglich zu gesetzesergänzenden Rechtsnormen nach freier Selbstbestimmung ermächtigt, wenn dies „zur Abwehr unmittel­ bar zu erwartender oder zur Beseitigung bestehender, das örtliche Gemein­ schaftsleben störender Missstände“ erforderlich ist, wenngleich diese poli­ zeiverordnungsrechtliche Ermächtigungsnorm nicht zu der Notstandsverfas­ sung der Republik Österreich im engeren Sinne gezählt werden kann.44 In Art. 102 V BVerf-Gesetz ist überdies noch eine außerordentliche Kompetenz des Landeshauptmanns in Angelegenheiten der unmittelbaren Bundesver­ l’expérience pratique des deux dernières guerres mondiales, la doctrine admet l’existence d’un droit extra-constitutionnel de nécessité.“ (F. Bellanger, ebd., S.  1268 f.). 42  Zum Ganzen F. Bellanger (Fn. 41), S. 1268 ff.; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 97; vgl. auch R. Rhinow, Die neue Verfassung in der Schweiz, Der Staat 2002 (41), 575 (589 / 594 f.). 43  A.  Kimmel / Ch. Kimmel (Fn. 34), S. 474 / 510; Th. Öhlinger / H.  Eberhard, Verfassungsrecht, 9. Aufl., Wien 2012, S. 200 / 230 / 240 / 265 f. Zur verfassungsge­ schichtlichen Entwicklung des Notverordnungsrechts F.-K. Fromme (Fn. 20), DÖV 1960, 730 (732 ff.). Der klassische Fall eines Notverordnungsrechts lag vor, wenn das Parlament nicht versammelt war, während sich aber gewisse Regelungen als dringend und demnach unaufschiebbar erwiesen (so F.-K. Fromme, ebd., DÖV 1960, 730 (733)). Hans Kelsen: „(…) deduzierte man ein allgemeines Recht, im Falle ei­ nes Versagens des Parlamentes, bei einem – allerdings nach Ermessen des Monar­ chen zu beurteilenden – Notstande, das Gesetz supplierende Verordnungen zu erlas­ sen. (…) Die Befugnis zu solchen Notverordnungen (…) (wurde) häufig positiv­ rechtlich eingeräumt.“ (H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 338; Hervorhebung im Original). Die Normen der österreichischen Bundesverfassung stehen in dieser Tradition. 44  A.  Kimmel / Ch. Kimmel (Fn. 34), S. 518; Th. Öhlinger / H.  Eberhard (Fn. 43), S. 251 f. / 266.



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waltung vorgesehen, an der Stelle der obersten Organe der Verwaltung des Bundes die notwendigen Maßnahmen zu treffen, wenn die sofortige Erlas­ sung der Maßnahmen zur Abwehr eines offenkundigen, nicht wiedergutzu­ machenden Schadens für die Allgemeinheit zu einer Zeit notwendig wird, zu der die zuständigen Bundesverwaltungsorgane hierzu nicht in der Lage sind.45 In der Bundesverfassung der Republik Österreich besteht auch die verfassungsrechtliche Option, bei Elementarereignissen und Unglücksfällen außergewöhnlichem Umfangs das Bundesheer in Anspruch zu nehmen, wo­ bei in ganz dringenden Ausnahmesituationen auch ein selbständiges militä­ risches Einschreiten vorgesehen ist, wobei dieses grundsätzlich unter dem Vorbehalt einer nicht gegebenen Möglichkeit der Herbeiführung eines mili­ tärischen Einsatzes des Bundesheeres durch die zuständigen Behörden steht und damit subsidiär ausgestaltet ist, Art. 79 II Nr. 2, IV, V BVerf-Gesetz.46 Der Notstandsverfassung der Bundesrepublik Deutschland ist in der Lite­ ratur der Vorwurf der Unübersichtlichkeit gemacht worden.47 Im Hinblick auf den naturkatastrophalen Ausnahmezustand lässt sich aus dem Grundge­ setz gleichwohl eine systematische Abstufung nach der räumlichen Betrof­ fenheit vornehmen, die zu verfassungsdogmatischer Klarheit beitragen kann. Eine sich regional auf das Gebiet eines Bundeslandes beschränkende Natur­ katastrophe kann im Sinne der Norm des Art. 35 II 2 GG zunächst ein Amtshilfegesuch begründen, bei dem ein Land zur Hilfe bei einer Naturka­ tastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen von anderen Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern kann.48 In dem Fall 45  A.  Kimmel / Ch.

Kimmel (Fn. 34), S. 512. Kimmel (Fn. 34), S. 504. 47  K. Hesse (Fn. 15), S. 305 / 315; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 43; R. Herzog (Fn. 9), S. 240; vgl. auch M. Krenzler, An den Grenzen der Notstandsverfassung, Berlin 1974, S. 103 ff.; K. Doehring (Fn. 10), S. 212 f. 48  Siehe dazu nur D. Hömig, in: ders. / K.-H.  Seifert (Hrsg.), Grundgesetz, Kom­ mentar, 10. Aufl., Baden-Baden 2013, Art. 35 Rn. 5 ff.; K. Hesse (Fn. 15), S. 312; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 14 / 30 ff.; N.-P. Kleiner, Koordina­ tion von Katastrophenschutzeinsätzen durch Kräfte des Bundes (BGS und Streitkräf­ te), DVBl. 1977 (92), 240 (241 f.). Naturkatastrophen sind Ereignisse, die ihre Ur­ sachen in einem Naturgeschehen haben (z.  B. Erdbeben, Überschwemmungen, Großbrände). Unter einem Unglücksfall werden dagegen Katastrophenfälle verstan­ den, die auf technischen Unzulänglichkeiten oder menschlichem Fehlverhalten, das absichtlich herbeigeführte Schadensereignisse einschließt, beruhen; so BVerfGE 115, 118 (143 f.); D. Hömig, ebd., Art. 35 Rn. 8. Zur Systematisierung der im Grundge­ setz enthaltenen Regelungen der Art. 35 und 91 GG E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 7 / 14; K. Stern, Staatsrecht II (Fn. 4), S. 1461 ff. Demnach sei es zulässig, die in Art. 35 II, III GG genannten Fälle auch dem Bereich des inneren Notstands zuzurechnen. 46  A.  Kimmel / Ch.

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bleibt das Unterstellungs- und Befehlsverhältnis der eingesetzten Bundes­ kräfte gewahrt, im Falle eines konkreten Einsatzes unterliegen sie aber der fachlichen Weisungsgewalt der jeweils zuständigen Landesstellen.49 Eine bedeutende Kompetenzerweiterung bzw. -verschiebung liegt nach Art. 35 III GG dagegen vor, wenn sich der Notstandsfall in seinen Ein- bzw. Auswir­ kungen auf das überregionale Gebiet von mehreren Bundesländern er­ streckt.50 Demnach formuliert Art. 35 III GG: „Gefährdet die Naturkatastro­ phe oder der Unglücksfall das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen die Weisung erteilen, Polizeikräfte anderen Ländern zur Verfügung zu stellen, sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen. Maßnahmen der Bundesregierung nach Satz 1 sind jederzeit auf Verlangen des Bundesrates, im übrigen unverzüglich nach Beseitigung der Gefahr aufzuheben.“51 Erst recht gilt eine derartige Kompetenz des Bundes, wenn eine Naturkatastro­ phe den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und damit einen inneren Notstand begründet. In diesem Sinne bestimmt die Norm des Art. 91 II 1 GG, dass wenn „das Land, in dem die Gefahr (für den Bestand des Bundes oder eines Landes) droht, nicht selbst zur Bekämpfung der Gefahr bereit oder in der Lage (ist), (…) die Bundesregierung (dann) die Polizei in die­ sem Lande und die Polizeikräfte anderer Länder ihren Weisungen unterstel­ len sowie Einheiten des Bundesgrenzschutzes einsetzen (kann). (…) Er­ streckt sich die Gefahr auf das Gebiet mehr als eines Landes, so kann die Bundesregierung, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, den Landesregierungen Weisungen erteilen“.52 Der Notstandsverfassung des 49  D. Hömig (Fn. 48), Art. 35 Rn. 6 / 9; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 45; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 32; N.-P. Kleiner (Fn. 48), DVBl. 1977 (92), 240 (241). 50  D. Hömig (Fn. 48), Art. 35 Rn. 11 f.; K. Hesse (Fn. 15), S. 312; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 46; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 33 f.; diffe­ renzierend N.-P. Kleiner (Fn. 48), DVBl. 1977 (92), 240 (242 f.). 51  D. Hömig (Fn. 48), Art. 35 Rn. 10 ff. 52  D. Hömig (Fn. 48), Art. 91 Rn. 5 ff.; T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 49; E. Klein, Der innere Notstand (Fn. 4), § 169 Rn. 15 ff., v. a. 22 ff.; H. Leupold (Fn. 20), S. 94 f. In einem weiteren Begriffsverständnis kommen auch die verfassungssystematisch der Amtshilfe zugehörigen Regelungen der Art. 35 II, III GG als Fälle des inneren Notstands in Betracht (so H.  Leupold, ebd., S. 94). Zum Bestand des Bundes gehö­ ren dessen staatliche Existenz, territoriale Integrität und Handlungsfreiheit nach in­ nen und außen, zum Bestand der Bundesländer insbesondere deren Zugehörigkeit zum Bunde und ihre – nach Maßgabe des Art. 79 III GG unantastbare – Selbststän­ digkeit im föderativen Gefüge (D. Hömig, ebd., Art. 91 Rn. 1). Das Vorliegen einer Naturkatastrophe begründet eine Beeinträchtigung der territorialen Integrität und damit einen inneren Notstand, der mit dem Regelungsregime des Art. 91 GG bewäl­ tigt werden kann.



§ 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt799

Grundgesetzes lässt sich damit eine intendierte Verlagerung zu einer ein­ heitsstaatlichen Struktur entnehmen, wenn der naturkatastrophal bedingte Ausnahmefall die räumlichen Grenzen eines einzelnen Bundeslandes über­ schreitet und daher die bündelnden Kräfte des Zentralstaates erforderlich werden, um der drohenden Naturgewalt Herr zu werden. Ob diese teilweise positivrechtlich festgelegten Notstandsverfassungen grundsätzlich abschlie­ ßend zu verstehen sind, so dass ein Rückgriff auf naturrechtliche, überge­ setzliche Rechtfertigungen sonstiger Eingriffsbefugnisse ausscheiden muss, lässt sich wiederum nur unter Rekurs auf die äußere Grundnorm beantwor­ ten. Ist diese in Frage gestellt, d. h. sind die natürlichen Lebensgrundlagen derart bedroht, dass eine staatliche Existenz auf einem konkreten Territori­ um unmöglich werden könnte, besteht die Möglichkeit, dass die positive Rechtsordnung ihre Geltung verliert. In diesem Fall wird der innere Sinn durch den äußeren Sinn der Grundnorm überlagert, der innere Sinn steht damit unter dem Dirigismus der Naturgewalt, der Macht einer fremdbe­ stimmten Souveränität. Der in der herkömmlichen Grundnorm symbolisier­ te innere Sinn bleibt zwar autonom, die entsprechenden Maßnahmen der Krisenbewältigung sind aber durch die existentielle Situation bereits hinrei­ chend vorgezeichnet. In diesem Fall – aber auch nur in diesem zugespitzten, absoluten Ausnahmefall53 – müssen atypische Handlungen der staatlichen Gewalt möglich sein, was bedeutet, dass die konstitutionell positivrechtlich verankerte Notstandsverfassung stets anzuwenden und zu beachten, zu wah­ ren ist, im geltungsrelevanten Ausnahmezustand aber auch eine unkonven­ tionelle Maßnahme zulässig sein muss, womit die latent gegenwärtige Macht, das  ‒ in der Terminologie von Hans Kelsen  – Gorgonenhaupt der Macht in diesem Fall einen Vorrang vor dem positiven Recht beanspruchen darf. Denn wäre dies nicht möglich, würde man von den staatlichen Orga­ nen verlangen, sehenden Auges wie der Kapitän auf dem Staatsschiff bis zuletzt zu verbleiben, auch wenn keine legale Rettungsoption mehr gegeben ist, obwohl eine nicht normierte Auswegstrategie die Existenz des konkreten modernen Staates sichern könnte.54 Andererseits muss eine entsprechende 53  E.-W. Böckenförde, Ausnahmezustand (Fn. 15), NJW 1978, 1881 (1885). Das Leerlaufen der Grundnorm wird bei Friedrich Koja (F. Koja (Fn. 4), S. 397 ff.) nicht beachtet, weshalb er diese Option ausnahmslos ablehnt. Eigentlich müsste man aus positivistischer Sicht diese letzte Option auch leugnen; hierzu H. Kelsen, AS (Fn. 6), S. 157 / 224 f.; aber: H. Kelsen, RR (Fn. 6), S. 212 ff. Eine Utopie liegt in dem Ge­ danken nicht. Im Juni 2015 ist in Santiago de Chile wegen Luftverschmutzung der Umweltnotstand ausgerufen worden.; hierzu das Dokument „Umweltnotstand in Santiago erklärt“, Neue Züricher Zeitung online vom 22.06.2015, abrufbar unter http: /  / www.nzz.ch / newsticker / umweltnotstand-in-santiago-erklaert-1.18567267. 54  In diesem Sinne wohl auch F. Ermacora II (Fn. 17), S. 861 („unter Beach­ tung der Autorität“). Siehe zum Meinungsstand T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 50 ff., der selbst weitere übergesetzliche Rechtfertigungslösungen ausschließt. Dabei differen­

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Möglichkeit aber auch der bürgerlichen Sphäre vorbehalten sein: es ist dies die nun zu stellende Frage nach einem ökologischen Widerstandsrecht. III. Formallogische Derogation und ökologisches Widerstandsrecht Nach der hier vertretenen Ansicht, wonach aufgrund der Qualität als Rechtsfrage nur ein Verfassungsgericht als demokratisch legitimierter Hüter der naturstaatlichen Verfassung und damit als Schlussstein des äußeren Sinnkreislaufs in Betracht kommen kann, werden ökologische Ausnahmesi­ tuationen unterhalb der Schwelle eines extremen Staatsnotstands nur selten vorliegen, da die Verfassungshüter durch die außerordentliche Kompetenz von Amts wegen irreversible wirtschaftsstaatliche Entwicklungen am Maß­ stab der positivistischen Verfassung eines modernen Staates unterbinden können. Dennoch gibt es Staatswesen, in denen die städtische Luftver­ schmutzung einen Smogwert erreicht hat, der nicht nur den blauen Himmel nicht mehr in Erscheinung treten lässt, sondern angesichts der verunreinig­ ten Atemluft auch zu umweltbedingten schweren Krankheiten und Todesfäl­ len von körperlich bzw. gesundheitlich schwächer konstituierten Menschen beiträgt.55 In diesen katastrophenähnlichen Ausnahmelagen, die sich vor ziert er schließlich mit Klaus Stern (K. Stern, Staatsrecht II (Fn. 4), S. 1328 ff.) zwischen übergesetzlichen Rechtfertigungen und ungeschriebenem Notstandsrecht, wobei unter letzterem Fälle zu verstehen sind, in denen der Gesetzgeber eine Situa­ tion nicht oder nicht ausreichend tatbestandlich erfasst hat. Mit anderen Worten soll es in diesen Konstellationen möglich sein, die bestehende Rechtslage hypothetisch am Maßstab der Wertungen und des Telos der konkreten Notstandsverfassung wei­ terzuentwickeln. Diese Ansicht überzeugt insoweit, als im Ausnahmezustand einer­ seits atypische und damit positivrechtlich nie umfassend fixierbare Geschehensab­ läufe möglich sind, andererseits aber der konkret zuständige Notstandsverwalter nicht ganz in den rechtsfreien Raum ge- bzw. entlassen wird, sondern er in auch rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechender Weise an den in der konkreten Not­ standsverfassung zum Ausdruck kommenden Willen der parlamentarischen Volksver­ tretung bzw. der konstitutionellen Gesamtkonzeption gebunden bleibt. Allerdings wird damit nicht ausgeschlossen, dass es Ausnahmezustände geben kann, auf die eine Notstandsverfassung von ihren Regelungen überhaupt nicht passt. Außerdem stellt sich hier dann wiederum die Frage, wann denn bloß ein Fall des ungeschrie­ benen Notstandsrechts, und wann ein atypischer, unter die Kategorie von übergesetz­ lichen Rechtsfertigungslösungen fallender Sachverhalt gegeben ist, insofern die verfassungsrechtliche Notstandsregelung eine planwidrige (?) Regelungslücke ent­ hält. Bis diese Fragen vom Bundesverfassungsgericht abgeklärt sind, kann die Bun­ desrepublik Deutschland bereits „ertrunken“ sein. 55  Als abschreckendes Beispiel sind etwa die städtischen Metropolen in der Volksrepublik China anzusehen. Siehe hierzu nur Chen Gang, Politics of China’s environmental protection, Hackensack u. a. 2009, S. 1 ff.; S. Klein, Umweltschutz in China, Frankfurt a. M. u. a. 2004, S. 17 ff.; U. Böhm, Umweltorientiertes Manage­ ment multinationaler Unternehmen in der VR China, Baden-Baden 2001, S. 139 ff.;



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allem auch bei Grundwasserverschmutzungen und sonstigen emissionsbe­ dingten Vergiftungszuständen der natürlichen Lebensgrundlagen ergeben können, ist die einen Staatsnotstand auslösende Schwelle noch nicht er­ reicht, so dass die politische Normalität und damit auch der umweltschädi­ gende wirtschaftsstaatliche Regierungskurs bestehen bleibt. Dass eine derar­ tige intensive Staatspraxis mit den Menschenrechten nicht vereinbar ist, bedarf eigentlich keiner gesonderten Erwähnung. Vor diesem Abbild einer wirtschaftlichen Staatsmaschinerie um jeden Preis stellt sich aber die Frage, ob es umweltbedingte Problemzustände geben kann, die das positive Recht unter Umständen zurücktreten lassen können, da eine gesetzesgetreue An­ wendung unter materiellen Gerechtigkeitsaspekten nicht mehr zu ertragen ist. Damit ist der Zusammenhang zu der nach ihrem geistigen Schöpfer benannten Radbruchschen Formel hergestellt, die sich mit dem folgenden Auszug aus der von dem Neukantianer Gustav Radbruch56 verfassten Schrift „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“ aus dem Jahre 1946 verdeutlichen lässt: „Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als „unrichtiges Recht“ der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenom­ men werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleich­ heit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrich­ tiges‘ Recht, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren als eine Ord­ Lei Xie, Environmental activism in China, London u. a. 2009, S. 10 f.; Wang Xiaoyi, Conclusion – China in transition, from rapid growth to sustainible development, in: C. Andressen u. a. (Hrsg.), Sustainable development in China, London u. a. 2013, S.  202 f.; S. Heilmann, Das politische System der Volksrepublik China, Wiesbaden 2004, S.  176 ff.; ders., Chinas neue Regierung: Prioritäten, Programme, Reformsig­ nale, Asia Policy Brief 2013 / 02 (April 2013), Bertelsmann Stiftung, Deutschland und Asien. Brücken Bauen – Fortschritt fördern, S. 5. Zur Entwicklung der chinesi­ schen Städte D. Forbes, China’s cities – Reflecting on the last 25 years, in: C. And­ ressen u. a. (Hrsg.), Sustainable development in China, London u. a. 2013, S. 39 ff. Da im modernen chinesischen Staat das als Hüter des äußeren Sinns grundsätzlich in Betracht kommende Verfassungsgericht der Politik unterstellt ist, kann insoweit zumindest eine effiziente Abhilfe nicht erwartet werden. 56  Grundsätzlich zur neukantianischen Rechtstheorie von Gustav Radbruch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie (Fn. 23), S. 80 ff.

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nung und Satzung, die ihrem Sinne nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“57 Unter teilweise sogar ausdrücklichem Rekurs auf diese Radbruchsche Formel hat das deutsche Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass in Fällen eines unerträglichen Widerspruchs des positiven Rechts zur Gerechtigkeit der Grundsatz der Rechtssicherheit geringer zu bewerten sein kann als der der materiellen Gerechtigkeit. Dabei hat es auch mehrfach betont, dass eine Unwirksamkeit des positiven Rechts auf extreme Ausnah­ mefälle beschränkt bleiben muss und eine bloß ungerechte, nach geläuterter Auffassung abzulehnende Gesetzgebung durch das auch ihr innewohnende Ordnungselement noch Rechtsgeltung gewinnen und so Rechtssicherheit schaffen kann.58 Es ist bereits vermehrt darauf hingewiesen worden, dass es sich bei dem formalen Naturbeachtensbefehl um ein staatenbündisches Weltprinzip, das im Falle der Voraussetzung der grundsätzlich relativen, bedingten Grundnorm in ihrem äußeren Sinngehalt eine absolute Geltungs­ kraft indiziert, handelt, das in letzter Konsequenz aber hinter dem auf Frei­ heit und Selbstbestimmung aufbauenden demokratischen Staatswillen, dem inneren Sinn, zurücktreten können muss, woraus sich die Einordnung der transzendentallogisch deduzierten Grundnorm in ihrer die natürlichen Le­ bensgrundlagen mit umfassenden äußeren Dimension als einer naturrechtlich vermittelten, eine nachgiebige und damit konventionale Hypotaxe einer ideellen Rechtsgeltung und -anwendung begründenden Richtlinie ergibt, die sich im 21. Jahrhundert schließlich noch weiter zu völkergewohnheitsrecht­ licher Direktivkraft herausbilden wird. Da sich diese Naturstaatslehre als Fortentwicklung der Allgemeinen Staatslehre von Hans Kelsen sieht, stellt sich hier nun die Frage, inwieweit auch der Begründer der Wiener Rechts­ theoretischen Schule überpositivistisch-materiellen Gerechtigkeitsschranken zugänglich war, womit gleichsam die Thematik eines etwaigen Widerstands­ rechts angesprochen ist.59 In der Allgemeinen Staatslehre von Hans Kelsen 57  G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, SJZ 1946, 105 (107); abgedruckt bei W. Hassemer, Gustav Radbruch, Gesamtausgabe, Samm­ lung, hrsg. A. Kaufmann, Bd. III: Rechtsphilosophie III, Heidelberg 1990, S. 83 ff. (die Zitatstelle ist hier auf S. 89). Zur Radbruchschen Formel K.-L.  Kunz / M.  Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Bern u. a. 2006, S. 142 ff. / 242 f.; vgl. auch H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, München 1984, S.  113 f. 58  BVerfGE 3, 225 (232 f.); 6, 132 (198 f.); 6, 389 (414 f.); 23, 98 (106); 54, 53 (67 f.); 95, 96 (126 f.). 59  Siehe zum Widerstandsrecht die allgemeinen Darstellungen bei F. Ermacora, Allgemeine Staatslehre, Bd. I, Berlin 1970, S. 251 ff.; P. Pernthaler, AS (Fn. 3), S.  253 ff.; G. Scheidle, Das Widerstandsrecht – entwickelt anhand der höchstrich­ terlichen Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1969, S. 109 ff. / 141 ff.; R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 121 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., München 2013, S. 148 ff.; G.  Küchenhoff / E.  Küchenhoff, Allgemeine Staatslehre, 8. Aufl., Stuttgart u. a. 1977, S. 283; G. Wittkäm-



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findet sich kein explizites Kapitel zu dem Problem eines Widerstands­ rechts.60 Dies erscheint einerseits konsequent, da nach der von Hans Kelsen vertretenen Trennungsthese Recht und Moral letztlich zwei voneinander unabhängige Wertsysteme bilden, weshalb nicht nur jeder Staat Rechtsstaat ist, sondern auch jeder beliebige Inhalt, d. h. auch ethisch ungerechtes Recht, Recht darstellen kann, so dass die Annahme von materiellen Gerechtigkeits­ grenzen aus überpositivistischen Rechtsgrundsätzen dem Verdikt der kon­ zeptionswidrigen Anmaßung unterstehen würde.61 Dies zeigt sich auch in der ausdrücklichen Verneinung eines Wertes des Friedens in der hypotheti­ schen Grundnorm, was zu einer materiell-ethischen Vordetermination des positiven Rechtsnormenmaterials im Sinne eines unwissenschaftlichen Syn­ kretismus mit inhaltlichen, gerechtfertigten Elementen eines Naturrechts beitragen könnte.62 Dieser Befund lässt sich durch ein ausdrucksstarkes per / W.  Jäckering, Allgemeine Staatslehre und Politik, 2. Aufl., Regensburg 1990, S. 48 ff. Im Schrifttum wird insoweit noch zwischen einem überpositiven Notwehr­ recht zur Wahrung persönlicher Interessen und einem politischen Widerstandsrecht zugunsten der Allgemeinheit unterschieden. Da sich aber beide Varianten des Wi­ derstandsrechts aus überpositivistischen Grundsätzen ableiten lassen, ist es ange­ sichts dieser Parallelität vertretbar, das Widerstandsrecht als Oberbegriff zu instal­ lieren (so nur G. Scheidle, ebd., S. 114 f.); die überpositive Fundierung eines Wi­ derstandsrechts wird dagegen bestritten von Reinhold Zippelius R. Zippelius, AS, ebd., S. 125. Im Mittelpunkt der Darstellung steht nun das politische Widerstands­ recht zugunsten des objektiven Gemeinwohlbelangs der natürlichen Lebensgrundla­ gen, wobei gleichsam die umstrittene Problematik im Mittelpunkt steht, dass ein durch das positive Recht einer Rechtsnormenordnung gerechtfertigter Regierungs­ stil zu einem Maßstab mit ethischen Gerechtigkeitswerten in Konflikt steht. Zur Problematik um eine Kodifikation eines Widerstandsrechts G. Scheidle, ebd., S. 141 ff. Zu der grundgesetzlichen Widerstandsrechtsnorm des Art. 20 IV GG auch unter einer allgemeinen Darstellung der ideengeschichtlichen Entwicklung des Wi­ derstandsrechts bzw. der Entstehungsgeschichte des Art. 20 IV GG ausführlich R. Dolzer, Der Widerstandsfall, in J.  Isensee / P.  Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. VII: Normativität und Schutz der Verfassung – Internationale Beziehungen, 2. Aufl., Heidelberg 1992, § 171 Rn. 1 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, ebd., S. 159 ff. 60  G. Scheidle (Fn. 59), S. 110 Fn. 11; M. Köhler, Die Lehre vom Widerstands­ recht, Berlin 1973, S. 17; W. Schneider, Wissenschaftliche Askese und latente Wer­ tepräferenz bei Hans Kelsen, Freiburg 1996, S. 80; F. Koja, Hans Kelsen oder die Reinheit der Rechtslehre, Wien u. a. 1988, S. 44. 61  H. Kelsen, RR (Fn. 6), S. 68 f.; ders., AS (Fn. 6), S. 44; J. Kunz, Die defini­ tive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), 375 (383); K.-L. Kunz / M.  Mona (Fn. 57), S. 147 f.; Ph. Mastronardi, Angewandte Rechtstheorie, Bern u.  a. 2009, S. 103  f.; vgl. auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 14 ff. Siehe zu einem Gegenentwurf des Verhältnis­ ses von Recht und Moral R. Dworkin, Justice for hedgehogs, Cambridge u. a. 2013, S.  400 ff. 62  So H. Kelsen, RR (Fn. 6), S. 204 / 223; M. Pawlik, Die Lehre von der Grund­ norm als eine Theorie der Beobachtung zweiter Ordnung, Rechtstheorie 1994 (25),

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Zitat von Hans Kelsen verdeutlichen: „Vom Standpunkt der Rechtswissen­ schaft ist das Recht unter der Naziherrschaft ein Recht. Wir können es be­ 451 (461 Fn. 51); siehe hierzu aber auch A. Verdross, Zum Problem der völkerrecht­ lichen Grundnorm, in: H.  Klecatsky / R.  Marcic / H.  Schambeck (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd. II, Wien 2010, S. 1812 f.; L.  Pitamic, Die Frage der rechtlichen Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 211, der Hans Kelsen die Annahme eines immanenten Frie­ denszwecks durch die Inthronisierung einer effektiven Autorität in der Grundnorm ausdrücklich unterstellt. Damit in unmittelbarem Zusammenhang steht auch das Hans Kelsen in der Litertatur unterstellte Vertreten einer inhaltlichen, gerechtfertig­ ten Normativität und damit eines naturrechtlich getränkten Positivismus. Alf Ross (A. Ross, Towards a realistic Jurisprudence. A criticism of the dualism in law, Nach­ druck der 1. Aufl. (1946), Aalen 1989; hierzu die Replik von Hans Kelsen auf die von Alf Ross geäußerte Kritik an der Reinen Rechtslehre H. Kelsen, RR, ebd., S. 215 ff. (Fn.)) vertritt in seiner realistischen Rechtstheorie ein psychologisches Rechtseffizienz- und Gehorsamsdogma, wonach zum Wesen des Rechts der subjek­ tive Glaube an eine bestimmte Autorität gehört, die das Recht als kompetente Insti­ tution setzt und vollzieht („desinterested behaviour attitude“). Die darin zum Aus­ druck kommende Geltung im Sinne des rechtstheoretischen Verständnisses von Alf Ross ist damit eine Seins-Tatsache, die sich in dem Glauben an eine von einer konkreten Autorität initiierte normative Ordnung mit objektiver Geltung erschöpft. Hinzu kommt die Furcht der Menschen vor den durch die Rechtsordnung statuierten Zwangsakten („interested behaviour attitude“). Damit wird gleichsam eine inhaltli­ che, gerechtfertigte Normativität begründet, bei der neben dem realistisch begründe­ ten Recht eine moralische Rechtspflicht als Korrelat des Rechtsgehorsamsdogmas in Erscheinung tritt. Gegen Hans Kelsens Rechtspositivismus macht Alf Ross geltend, dass sich dessen Normativität in einer „irrigen Rationalisierung“ erschöpfe, dessen objektive Geltung als Sollens-Normen nur das rationalisierte Produkt des von ihm vertretenen subjektiven Rechtseffizienz- und Gehorsamsdogmas sei (daraus ergibt sich schließlich auch der Vorwurf gegen die Reine Rechtslehre, die ebenfalls das Merkmal einer gerechtfertigten Normativität aufweisen soll); so A. Ross, ebd., S.  89 ff.; ders., Validity and the conflict between legal positivism and natural law, in: S. L. Paulson (Hrsg.), Normativity and norms, Oxford 1998, S. 159 ff. („Kelsen as Quasi-Positivist“); J. Raz, Kelsen’s theory of the basic norm, The American jour­ nal of jurisprudence 1974 (19), 94 (103 ff.); ders., Kelsen’s theory of the basic norm, in: S. L. Paulson, Normativity and norms, Oxford 1998, S. 57 ff.; B. Celano, La teoria del diritto di Hans Kelsen – una introduzione critica, Bologna 1999, S. 383; P. Koller, Theorie des Rechts, Wien u. a. 1997, S. 159 f.; wohl auch E. Bulygin, Das Problem der Geltung bei Kelsen, in: S. L.  Paulson / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kel­ sen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 86 ff.; vgl. auch S. L.  Paulson, Die Funktion der Grundnorm: begründend oder explizierend?, in: C. Jabloner (Hrsg.), Gedenkschrift Robert Walter, Wien 2013, S.  558 f.; ders., Der Normativismus Hans Kelsens, JZ 2006, 529 (530 ff.); ders., Faktum / Wert-Distinktion: Zwei-Welten-Lehre und immanenter Sinn. Hans Kelsen als Neukantianer, in: R. Alexy (Hrsg.), Neukantianismus und Rechtsphilosophie, Baden-Baden 2002, S. 223 ff.; ders., Konstitutive und methodologische Formen. Zur Kantischen und neukantianischen Folie der Rechtslehre Hans Kelsens, in: M.  Heinz / Ch. Krijnen (Hrsg.), Kant im Neukantianismus  – Fortschritt oder Rück­ schritt?, Würzburg 2007, S. 149 ff., der die Interpretation von Hans Kelsens Norma-



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dauern, aber wir können nicht leugnen, dass das Recht war. Die Grundnorm kann an der Gegebenheit des Rechts nichts ändern. (…) Wir können es tivität

im Sinne einer gerechtfertigten Normativität kritisch sieht und stattdessen Ansatzpunkte bei dem Begründer der Wiener Rechtstheoretischen Schule für eine These im Sinne der modalen Normativität sieht; J. Moór, Reine Rechtslehre, Natur­ recht und Rechtspositivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frankfurt a. M. 1967, S. 72 ff.; H. Welzel, An den Gren­ zen des Rechts – die Frage nach der Rechtsgeltung, Köln u. a. 1966, S. 27 f.; F. Kaulbach, Die Begründung der Rechtsnormen in Reiner Rechtslehre und in einer transzendentalen Philosophie des Rechts, in: W. Krawietz (Hrsg.), Rechtssystem und gesellschaftliche Basis bei Hans Kelsen, Berlin 1984, S. 365; A. Peczenik, On the nature and function of the Grundnorm, in: A. Aarnio u. a. (Hrsg.), Methodologie und Erkenntnistheorie der juristischen Argumentation, Berlin 1981, S. 284 ff.; E. Bucher, Zur Kritik an Kelsens Theorie von der hypothetischen Grundnorm, in: Die reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskussion, Schriftenreihe des Hans-Kelsen-Insti­ tuts, Bd. VII, Wien 1982, S. 54 ff. Für die Annahme einer gerechtfertigten Normati­ vität sprechen vor allem die folgenden Aussagen von Hans Kelsen: „By ‚validity‘, the binding force of the law – the idea that it ought to be obeyed by the people whose behaviour it regulates – is understood.“ (H. Kelsen, What is justice?, Berkley 1960, S. 257; Hervorhebung im Original) sowie: „A norm referring to the behaviour of a human being is ‚valid‘ means that it is binding – that an individual ought to behave in the manner determined by the norm.“ (H. Kelsen, The pure theory of law, 2. Aufl., Gloucester 1989, S. 193; die Zitate finden sich auch bei J. Raz, ebd., The American journal of jurisprudence 1974 (19), 94 (105)). Eindeutig ablehnend wie­ derum H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichtsauf­ fassung, in: N. Leser (Hrsg.), Hans Kelsen – Demokratie und Sozialismus (Ausge­ wählte Aufsätze), Wien 1967, S. 83. Auf den naturstaatlichen Kontext übertragen, würde der subjektive Glaube an die zur Setzung, Vollziehung und Durchsetzung des Rechts kompetente Autorität nun auch das mäßigende Naturbeachtensgebot ein­ schließen, das psychologisch mit der Forderung eines rationalen Umgangs mit der Natur korrespondiert. Demnach – so die subjektive Anschauungswelt – sei der Staat die effiziente Kompetenzstelle, die die einzelnen Individuen vor den gewaltigen Dimensionen der Natur auch auf längere Sicht bewahren könne. Die realistische Rechtstheorie von Alf Ross kränkelt in ihrem psychologischen Monismus an der für wirklichkeitsgerechte Ansätze typischen Willkürbehaftung, die sich daraus ergibt, dass wenn der subjektive Autoritätsglaube zu dem Wesen des objektiven gültigen Rechts wirklich gehören sollte, dieses Merkmal stets vorliegen müsste, was aber nicht der Fall ist. Nicht nur der Glaube an die rechtsetzende Instanz bzw. die Furcht vor den Sanktionen des Rechts im Falle der Zuwiderhandlung können als psycholo­ gische Motive eines rechtmäßigen Verhaltens getreu der Rechtsordnung angesehen werden, sondern auch ethische, gesellschaftliche sowie persönliche Gründe. Die Ehrfurcht vor Gott kann Umweltschutzmaßnahmen genauso motivieren wie das per­ sönliche Motiv, nicht als Umweltverschmutzer im Rahmen eines kleinen Dorfes gebrandmarkt zu werden. Daher gilt auch hier wieder: „Als wesentliches Element des Rechtsbegriffs kann ‚Geltung‘ nichts anderes als ‚Soll‘-Geltung sein“ (H. Kelsen, RR, ebd., S. 217), womit wieder die Brücke zur hypothetischen Grundnorm gespannt ist. Da sich das psychologische Moment infolge der möglichen Diskonti­ nuität nicht als Wesenselement des Rechts darstellen kann, ist es auch unmöglich,

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verabscheuen, so wie wir eine Giftschlange verabscheuen, wir können aber nicht leugnen, dass es existiert. Das heißt, dass es gilt. Das ist (eben) das Wesen (des positiven Rechts).“63 Mit dieser radikalen Theorie eines formel­ len Rechtsstaats wird der ethisch-materielle Aspekt einer wirksamen Rechts­ norm nicht bestritten; die Reine Rechtslehre betrachtet aber eben nur die formelle Seite des normlogischen Zusammenhangs und damit das Wesen des Sollens, so dass sie auf die Frage der Moral keine Antwort gibt.64 Mit anderen Worten können sich aus der positiven Rechtsnormenordnung ohne weiteres materielle Gerechtigkeitsschranken im Sinne eines Menschen- und Grundrechtskatalogs ergeben, die Annahme von etwaigen überpositivisti­ schen materiellen Gerechtigkeitsgrenzen aber ist in der Folge ihrer unwis­ senschaftlichen Ausformung ausgeschlossen, womit auch ein Widerstands­ recht, das grundsätzlich unter den Prämissen steht, dass der Mensch einer­ seits angeborene, unveräußerliche Menschenrechte besitzt, die andererseits im Falle einer ineffizienten bzw. despotischen Staatsherrschaft aufleben und dass

der von Alf Ross ins Feld geführte Angriff einer bloßen irrigen Rationalisierung seines Rechtseffizienz- und Gehorsamsdogmas durch die Reine Rechtslehre durch­ greift, da der subjektive Autoritätsglaube in vielen Fällen gar nicht vorhanden ist. Andererseits aber handelt es sich bei der Grundnorm nicht um eine irrige, sondern um eine begründete, bedingte Annahme, um subjektive Rechtsakte als objektive Normen deuten zu können. Darin liegt letztlich nichts anderes als die Legitimierung des subjektiven Sinns der rechtsetzenden Akte als ihren objektiven Sinn. Diese ob­ jektive Normativität kann aber im 21. Jahrhundert nicht mehr ohne die Natur ge­ dacht werden. Das positive Rechtsnormensystem steht deshalb nun auch unter einer naturstaatlichen Legitimation, die durch den äußeren Sinn der Grundnorm vermittelt wird. Als Erkenntnisbedingung wird so das positive Rechtsmaterial durch ein äuße­ res Erzeugungsmoment verstärkt. Wenn aber die innere bzw. äußere Grundnorm in Frage steht, was durch revolutionäre Aufruhre bzw. naturkatastrophale Ausnahmezu­ stände der Fall sein kann, verlieren die positiven Rechtsnormen ihre Geltung (vgl. H. Kelsen, RR, ebd., S. 212 ff.). 63  H. Kelsen, in: F.-M. Schmölz (Hrsg.), Das Naturrecht in der politischen The­ orie, Internationales Forschungszentrum für Grundfragen der Wissenschaften in Salzburg, 1. Forschungsgespräch, Wien 1963, S. 148 (Hervorhebung im Original); J. Kunz (Fn. 61), ÖZöR 1961 (11), 375 (383 f.); H. Welzel (Fn. 62), S. 7; G. Scheidle (Fn. 59), S. 110. Diese radikale Theorie eines formellen Rechtsstaats gibt auch heute noch die Staatenpraxis authentisch wider. Denn in vielen afrikanischen und asiatischen Staatssystemen etwa spielen Menschenrechte nur, wenn überhaupt, eine untergeordnete Rolle. 64  Siehe hierzu nur A. Verdross, Die Rechtstheorie Hans Kelsens, Juristische Blätter 1930 (20), S. 421; R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 70; R. Marcic, Verfassungsgerichtsbarkeit als Sinn der Reinen Rechtslehre, Staats- und Verfas­ sungsrecht 1966 (2), 481 (482 ff. / 490); vgl. auch O.  Weinberger, Normentheorie als Grundlage der Jurisprudenz und Ethik, Berlin 1981, S. 181 ff. / 189; M. Köhler (Fn. 60), S. 17; W. Krawietz, Grundnorm, in: J. Ritter (Hrsg.), Historisches Wörter­ buch der Philosophie, Bd. III: G – H, Darmstadt 1974, Sp. 920.



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zu einer Abwehr gegen ein hoheitliches Regime anhalten können,65 abzu­ lehnen ist, wenn keine entsprechende positive Rechtsnorm vorhanden ist.66 Es ist aber zu bedenken, dass die Hypothese der Grundnorm unter der im­ manenten Bedingung der sozialen Wirksamkeit steht, weshalb eine positive Rechtsordnung in ihrer Gesamtheit nur dann und solange Geltung besitzt, als sie im Großen und Ganzen befolgt und angewendet wird.67 Demnach können in der realen Wirklichkeitswelt Umstände eintreten, die eine – inne­ re wie äußere – Grundnorm in Frage stellen können, womit das Prinzip der Legitimität, d. h. „dass die Norm einer Rechtsordnung solange gilt, bis ihre Geltung auf eine durch diese Rechtsordnung bestimmte Weise beendet oder durch die Geltung einer anderen Norm dieser Rechtsordnung ersetzt wird“, oder aber bis die gesamte Rechtsordnung ihre Wirksamkeit verliert, im be­ schränkenden Bedingtheitsradius des Prinzips der Effektivität steht.68 Für die dogmatische Begründung eines ökologischen Widerstandsrechts kommt es ‒ wie bereits inzident angesprochen ‒ vorrangig auf die Wirksamkeit der 65  P. Pernthaler, AS (Fn. 3), S. 254; F. Ermacora (Fn. 59), S. 258 / 261; G. Scheidle (Fn. 59), S. 109 ff.; vgl. auch H. Krüger (Fn. 3), S. 948; B.  Schöbener /  M. Knauff (Fn. 59), S. 153; R. Dolzer, Der Widerstandsfall (Fn. 59), § 171 Rn. 15. 66  H. Kelsen, in: F.-M. Schmölz (Hrsg.), Das Naturrecht in der politischen The­ orie (Fn. 63), S. 148; G. Scheidle (Fn. 59), S. 110. 67  H. Kelsen, RR (Fn. 6), S. 212 ff. 68  H. Kelsen, General theory of law and state, Cambridge 1946, S. 117 ff.; ders., RR (Fn. 6), S. 213 ff.; ders., Value Judgments in the science of law, Journal of so­ cial philosophy and jurisprudence 1942, 312 (326 ff.), wo Hans Kelsen noch aus­ drücklich differenziert: „The principle of Effectiveness refers to the legal order as a whole, not to the isolated legal norm.“ (S. 327). Vgl. hierzu auch A. Verdross, Zum Problem der Grundnorm (Fn. 62), S. 1812 f.; L.  Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 62), S. 211 ff.; M. Losano, Das Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit in der Reinen Rechtslehre, in: Die Reine Rechtslehre in wissenschaftlicher Diskus­ sion, Schriftenreihe des Hans-Kelsens-Instituts, Bd.  VII, Wien 1982, S.  88  ff.; R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 122 f. / 125 f. Hans Kelsen: Legal norms „remain valid as long as they have not been invalidated in the way which the order itself deter­ mines. This is the principle of legitimacy. (…) The efficacy of the entire legal order is a necessary condition for the validity of every single norm of the order. A conditio sine qua non, but not a conditio per quam. The efficacy of the total legal order is a condition, not the reason for the validity of its constituent norms. These norms are valid not because the total order is efficacious, but because they are created in a constitutional way. They are valid, however, only on the condition that the total order is efficacious; they cease to be valid, not only when they are annulled in a constitutional way, but also when the total order ceases to be efficacious. (…) The principle of legitimacy is restricted by the principle of effectiveness.“ But also: „If the norm remains permanently inefficacious, the norm is deprived of its validity by ‚desuetudo‘. (…) The norm annulled by desuetudo was valid for a considerable time without being efficacious. It is only an enduring lack of efficacy that ends the valid­ ity.“ (H. Kelsen, General theory of law and state, ebd., S. 117 / 119; Hervorhebungen im Original).

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gesamten positiven Rechtsordnung an,69 wenngleich hier konstatiert werden muss, dass aber auch die soziale Infragestellung einer einzelnen Rechtsnorm die geltende souveräne Normenordnung derart erschüttern kann, dass ein Regimewechsel zumindest möglich ist. Man denke sich insoweit nur einen Staat, der seinen Energiebedarf fast ausschließlich durch Atomstrom deckt, was aber infolge des schweren Atomunglücks im japanischen Fukushima mit seinen auf Jahre unkalkulierbaren nuklearen Spätfolgen von den über­ wiegenden staatlichen Organen bzw. der Bevölkerung nicht mehr getragen wird.70 Dies kann mitunter zu einer schwierigen innenpolitischen Staatskri­ se führen, die durch die energetische Versorgungsunsicherheit bedingt ist. Davon abgesehen aber komme als realer Anknüpfungspunkt für eine nicht den Bestimmungen einer positiven Verfassung entsprechenden Änderung dieser Verfassung oder für deren gänzliche Beseitigung insbesondere eine Revolution in Betracht, wobei es gleichgültig sei, ob diese Änderung der Rechtslage im Wege einer gegen die legitime Regierung gerichteten Gewalt­ anwendung oder durch Mitglieder dieser Regierung selbst, ob sie durch eine Massenbewegung des Volkes oder aber durch eine relativ kleine Grup­ pe von einzelnen Individuen herbeigeführt werde.71 In Bezug auf den äuße­ ren Sinn der Grundnorm kann es dagegen zu einer tiefgreifenden Erschüt­ terung in den Bestand der positiven Rechtsordnung durch eine ignorante staatliche Umweltpolitik kommen, die die einzelnen Bürger in die Gefahr von etwaigen Lebensbedrohungen oder sonstigen Gesundheitsgefährdungen bringt, was mitunter durch den weiter ungehemmten Ausstoß von CO2Emissionen und der damit verbundenen erheblichen Luftverschmutzung, aber auch durch andere Vergiftungspraktiken der natürlichen Lebensgrund­ lagen verursacht werden kann. Die Vertraulichkeit in die Funktion der Rechtssicherheit des positiven Rechts kann nur solange Geltung beanspru­ chen, als die fundamentalen Bedingungen für die staatliche Gemeinschaft 69  M. Kriele

(Fn. 61), S. 14. hierzu nur P. Huber, Zur Renaissance des Staates, in: H. Bauer (Hrsg.), Öffentliches Wirtschaftsrecht im Zeitalter der Globalisierung, Warszawa 2012, S. 46 / 49; F. Illing, Energiepolitik in Deutschland, Baden-Baden 2012, S. 241 ff. 71  H. Kelsen, RR (Fn. 6), S. 213; ders., Value Judgments (Fn. 68), Journal of social philosophy and jurisprudence 1942, 312 (326 f.). Zu beachten ist aber der Unterschied zwischen Revolution und Widerstand. Die Revolution zielt auf die Be­ seitigung einer illegitimen Staatsordnung, während das Widerstandsrecht eher kon­ servierender Natur ist und deshalb nicht primär auf Überwindung, sondern vielmehr auf eine überpositivistisch indizierte Staatsumwälzung ausgerichtet ist. Mit anderen Worten ist das Widerstandsrecht eine (letzte) Option, um den revolutionären Aus­ nahmezustand zu vermeiden; vgl. dazu G. Scheidle (Fn. 59), S. 112 f.; G. Küchenhoff / E. Küchenhoff (Fn. 59), S. 283 ff.; R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 121 ff.; D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, Tübingen 1975, S. 59; zu Letzterem auch T. Stein (Fn. 15), § 24 Rn. 31. 70  Vgl.



§ 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt809

bestehen.72 Als Gradmesser dient insofern ein ökologisches Existenzmini­ mum, das staatlich garantiert sein muss.73 In beiden Fällen, d. h. des inneren wie des äußeren Sinns, stellt sich die Frage nach der Effektivität der Staats­ ordnung, womit einerseits die Stärke der politischen Autorität, andererseits aber die elementare Qualität der natürlichen Lebensgrundlagen angespro­ chen ist. Die Formel könnte insoweit lauten: „Ohne starke Autorität bzw. ohne Naturgeltung keine Rechtsgeltung, und damit keinen Staat.“ Das Kri­ terium der Effektivität wird damit zum Einfallstor überpositivistisch-mate­ rieller Gerechtigkeitsaspekte, die der Reinen Rechtslehre eigentlich fremd sind. Denn ein menschenunwürdiges Unrechtsregime ist zumindest solange wirksam, als die Staatsorgane noch eine Sanktionsbereitschaft von etwaigen Rechtsverstößen signalisieren, die auch entgegen eines feststellbaren kon­ trären Moralbewusstseins der soziologischen Wirklichkeitswelt die Wirk­ samkeit und damit die Geltung des positiven Rechtsnormensystems indiziert. Ist die politische Autorität aber nicht mehr stark genug bzw. die originäre Natur derart in Mitleidenschaft gezogen, dass eine menschenwürdige Exis­ tenz ausgeschlossen erscheint, verliert der Charakter der Rechtsordnung als sanktionsbewährter Zwangsordnung aus objektiven Sollens-Normen seine Legitimität, was mit einem Erlöschen der Grundnorm und damit der staat­ lichen Existenz einhergeht.74 Daraus ergibt sich letztlich auch mittelbar, 72  Vgl. A. Verdross, Zum Problem der Grundnorm (Fn. 62), S. 1812 f.; W. Jellinek, Grenzen der Verfassungsgesetzgebung, Berlin 1931, S. 15 ff.; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck – Die ökologischen Legitimitätsgrundlagen des Staa­ tes, Bonn 1995, S. 31 ff. / 51 ff.; W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burmeister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S. 434. „In einem Ernstfall, in dem es tatsächlich darum geht, ob den Menschen die (natürlichen) Lebensgrundlagen entzogen werden, kann es keine Abwägung mehr geben, weil dann die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen als Basis jeder menschlichen Betätigung notwendiger­ weise Vorrang vor allen anderen Zielen haben muss.“ (W. Berg, ebd., S. 434). Siehe in diesem Zusammenhang auch G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht – Aspek­ te der Geschichte, Begründung und Wirkung einer Grundrechtsfunktion, Baden-Ba­ den 1987, S. 190 ff.; K. A. Bettermann, Der totale Rechtsstaat – Zwei kritische Vorträge, Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissen­ schaften e. V., Hamburg, Jahrgang 4 (1986), Heft 3, Hamburg 1986, S. 6 f. 73  Zum ökologischen Existenzminimum vgl. auch I. Appel, Staatliche Zukunftsund Entwicklungsvorsorge. Zum Wandel der Dogmatik des Öffentlichen Rechts am Beispiel des Konzepts der nachhaltigen Entwicklung im Umweltrecht, Tübingen 2005, S. 118. 74  Vgl. H. Kelsen, RR (Fn. 6), S. 213 ff.; W. Jellinek, Grenzen der Verfassungs­ gesetzgebung (Fn. 72), S. 15 ff.; C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (Fn. 26), S. 71 f.; R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm (Fn. 64), S. 74 ff.; M. Pawlik, Die Reine Rechtslehre und die Rechtstheorie H. L. A. Harts – ein kritischer Vergleich, Berlin 1993, S. 165; V. Kubeš, Das neues­ te Werk Hans Kelsens über die allgemeine Theorie der Normen und die Zukunft der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1980 (31), 155 (176); H. Dreier, Rechtslehre, Staatsso­

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dass die einzelnen Bürger zum vornehmlich gewaltlosen Widerstand75 grei­ fen dürfen, wenn die Autorität nicht mehr stark genug ist, eine relative Friedensordnung zu gewährleisten.76 Auch wenn ein materieller Friedens­ ziologie und Demokratietheorie (Fn. 23), S. 126 ff. (v. a. auch Fn. 220 und 230); H.-L.  Schreiber, Der Begriff der Rechtspflicht, Berlin 1966, S. 143; W. Kersting, Politik und Recht, Weilerswist 2000, S. 386; vgl. auch zum „Sanderschen Stachel“ A. Somek, Ermächtigung und Verpflichtung – ein Versuch über Normativität bei Hans Kelsen, in: S. L. Paulson / M. Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 65 ff. Dieses pauscha­ le „Alles-oder-nichts“-Urteil über das Dasein des Staates wird von Dietrich Murs­ wiek kritisiert, da der Zeitpunkt, wann ein Staat illegitim wird und somit mitunter möglicherweise nicht mehr existieren kann, nicht hinreichend bestimmt werden kann; siehe hierzu D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 72), S. 63 ff., v. a. Fn. 96. In diesem Sinne formulierte Hans Kelsen gegen den gegen ihn erhobe­ nen Vorwurf einer gerechtfertigten Normativität: „Und auch in diesem Punkte gerät die Reine Rechtslehre in einen Gegensatz zu der bürgerlichen Rechtstheorie der Zeit, die im engsten Zusammenhange mit ihrer Wendung zur Naturrechtslehre auf das Zwangsmoment als empirisches Kriterium des Rechts verzichtet, da sie dieses an seinem inneren Gehalt, an seiner Übereinstimmung mit der Rechtsidee erkennen zu können glaubt. Nur sofern sich die Verbindlichkeit des Rechts auf die unmittel­ bare Einsicht in seinen Wert gründet – wenn das positive Recht der Ableger einer absoluten, das heißt göttlichen oder natürlichen Ordnung ist –, braucht ihm die Anordnung des Zwanges nicht wesentlich zu sein, beruht seine Geltung ganz eben­ so wie die der absoluten Moral auf dem inneren Zwang, den die Evidenz seiner Verbindlichkeit mit sich führt. Das ist eine ausgesprochen naturrechtliche Auffas­ sung.“ (H. Kelsen, Allgemeine Rechtslehre im Lichte materialistischer Geschichts­ auffassung (Fn. 62), S. 83). 75  Vgl. auch F. Ermacora (Fn. 59), S. 260 f.; G. Scheidle (Fn. 59), S. 145; H. Krüger (Fn. 3), S. 946 ff.; R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 126 f. 76  Siehe hierzu H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre und des Rechtspositivismus, Charlottenburg 1928, S. 67 f.; G. Luf, Überlegungen zum transzendentallogischen Stellenwert der Grundnormkonzeption Kelsens, in: W. Kra­ wietz u. a. (Hrsg.), Theorie der Normen, Berlin 1984, S. 576 ff.; a. A. wohl E. Bucher, Zur Kritik an Kelsens Theorie von der hypothetischen Grundnorm (Fn. 62), S. 57. „Der Inhalt der positiven Rechtsordnung ist nur ein Kompromiss zwischen widerstrei­ tenden Interessen, von denen keines ganz befriedigt wird, keines ganz unbefriedigt bleibt. Er ist der Ausdruck eines Gleichgewichtszustandes. Dieser manifestiert sich ja gerade in der Tatsache der Wirksamkeit der Rechtsordnung, darin, dass sie im Großen und Ganzen befolgt, dass ihr kein irgendwie erheblicher Widerstand geleistet wird. In diesem Sinne erkennt der kritische Positivismus jede positive Rechtsordnung als eine Friedensordnung.“ (H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre, ebd., S. 67 f.; Hervorhebungen im Original). René Marcic weist daraufhin, dass der in der Grundnorm verortete Gehorsamsbefehl der Autorität seine (objektive) Grenze an der unantastbaren Menschenwürde findet (R. Marcic, in: F.-M. Schmölz (Hrsg.), Das Naturrecht in der politischen Theorie, Internationales Forschungszentrum für Grund­ fragen der Wissenschaften in Salzburg, 1. Forschungsgespräch, Wien 1963, S. 147; in diesem Sinne auch L. Pitamic, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.) (Fn. 62), S. 213 ff.). Siehe in diesem Zusammenhang auch den Aufsatz von James Harris J. Harris, When and why does the grundnorm change?, The Cambridge Law Journal 1971 (29), 103



§ 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt811

zweck in der hypothetischen Grundnorm aus epistemologischen Gründen nicht verortet werden darf, so ergibt sich doch aus dem formellen Moment der Errichtung der positiven Staatsordnung zumindest ein Minimalkonsens, der auf die Beseitigung von anarchistischen Zuständen und damit von pri­ vater Herrschaft durch die Anerkennung eines staatlichen Gewaltmonopols gerichtet ist.77 Analog gilt dieser Gedankengang auch für den Schutz der natürlichen Lebensbedingungen, um einen Kampf aller gegen alle um die Natur zu verhindern.78 Ist aber der moderne Staat nicht mehr in der Lage, im Hinblick auf die Natur ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, muss ein ökologisches Widerstandsrecht möglich sein, das sich über die objektive Geltung des positiven Rechts hinwegsetzen kann.79 In diesem Fall ist die Wirksamkeit der Rechtsnormenordnung derart angegriffen, dass die durch die Grundnorm vermittelte Geltung in Frage steht. Damit in Konformität steht auch der Umstand, dass Hans Kelsen wie Hermann Heller eine gewis­ se sozio-kulturelle Homogenität als materieller Vorbedingung einer demo­ kratischen Staatsform voraussetzt,80 weshalb er letztlich auch in dem Sinne (103 ff. / 116 ff.): „Hence, where the constitution is written, there will be a change in the grundnorm (a revolution) if jurists begin to deduce laws from some newly prom­ ulgated constitution. (…) If the constitution is customary to begin with, a change in the grundnorm will only occur if a written constitution is substituted.“ (S. 118). Für Carl Schmitt ist ein Widerstandsrecht dagegen denklogisch ausgeschlossen: „Gegen­ über dem Leviathan als einem übermächtigen, jeden Widerstand vernichtenden, tech­ nisch vollendeten Befehlsmechanismus ist der Versuch eines Widerstandes praktisch völlig aussichtslos. Die juristische Konstruktion eines Rechtes auf einen solchen ­Widerstand aber ist schon als Frage oder Problem unmöglich. (…) Es hat überhaupt keinen Platz in dem von der unwiderstehlichen großen Maschine beherrschten Raum. Es ist ohne Ansatzpunkt, ohne Standort und Standpunkt, im eigentlichen Sinne des Wortes ‚utopisch‘. Gegen den unwiderstehlichen, alles in gleicher Weise seinem ‚Ge­ setz‘ unterwerfenden Leviathan ‚Staat‘ gibt es weder einen unterscheidbaren ‚Stand‘, noch gar einen ‚Wider-Stand‘. Dieser Staat ist entweder als Staat wirklich vorhanden, dann funktioniert er als das unwiderstehliche Instrument der Ruhe, Sicherheit und Ordnung, und dann hat er alles objektive und alles subjektive Recht auf seiner Seite, da er als alleiniger und höchster Gesetzgeber alles Recht selber macht; oder er ist nicht wirklich vorhanden und erfüllt seine Funktion der Friedenssicherung nicht, dann herrscht eben wieder der Naturzustand, und es ist überhaupt kein Staat mehr da.“ (C. Schmitt, Der Leviathan in der Staatslehre des Thomas Hobbes (Fn. 26), S. 71 f.; Hervorhebungen im Original). 77  Das ist die sicherheitsbezogene gedankliche Basis des formalen Rechtsstaats vgl. dazu auch A. Verdross, Zum Problem der völkerrechtlichen Grundnorm (Fn. 62), S.  1812 f.; R. Bindschedler, Zum Problem der Grundnorm (Fn. 64), S. 74 f. Siehe in diesem Zusammenhang zudem auch W. Kersting (Fn. 74), S. 385 ff. 78  Siehe dazu nur D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 72), S. 51 ff. 79  Zur elementaren Funktion des Staatsgebiets D.-E. Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Tübingen 2004, S. 1 ff. 80  Siehe hierzu H. Kelsen, Politische Weltanschauung und Erziehung, in: ders.  u.  a. (Hrsg.), Die Wiener rechtstheoretische Schule, Bd.  II, Wien 2010,

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2. Teil, 3. Abschn.: Allgemeine Naturstaatsrechtslehre

interpretiert werden kann, dass ein etwaiges Widerstandsrecht dann gerecht­ fertigt sein kann, wenn die homogenen Grundvoraussetzungen der staat­ lichen Gemeinschaftsordnung, ein – wenn man so will – synthetischer Maßstab aus einer dem Mehrheitsprinzip entsprechenden Rechtsüberzeu­ gungspraxis eines Volkes, d. h. einer Volksgeistlehre, und einem historisch gewachsenen Ethos an Wert- und Gerechtigkeitserfahrungen, d. h. einem relativen Naturrecht, nicht mehr besteht.81 Damit wird auch das freie Selbst­ bestimmungsrecht als Ausfluss der Volkssouveränität hervorgehoben,82 das nun aber durch den kulturellen Weltgeist der Naturstaatlichkeit akzentuiert ist. Das ökologische Widerstandsrecht ist aber grundsätzlich subsidiär und greift nur dann ein, wenn die demokratisch legitimierten Staatsorgane eine Aufrechterhaltung der naturstaatlichen Verfassung nicht mehr garantieren können. Dies schließt auch ein abhilfebereites Verfassungsgericht als dem Hüter des äußeren Sinns ein, womit gleichsam die Notwendigkeit einer entsprechenden Kompetenz dieser Institution von Amts wegen aus recht­ lichen Erwägungen hinsichtlich eines natürlichen Geltungsgrundes heraus unterstrichen wird.83 Erst dann, wenn der gesamte Staatsapparat versagt, ist der einzelne Bürger damit berufen, gegen einen wirtschaftsstaatlichen Do­ minanzkurs, der sich ohne umweltrationale Grenzen darbietet, vorzugehen. Aus dieser theoretischen Ausgangssituation ergibt sich somit der Grundsatz der strengen Subsidiarität, zumal vor dem Hintergrund der unsicheren Be­ wertungssituation im Umwelt- und Technikbereich oft nicht abzusehen sein wird, wann genau die Grenze zu einem umwelt- bzw. naturbedingten Staats­ notstand überschritten ist.84 In Frankreich hat es im Jahre 2014 bereits eine staatliche Maßnahme gegeben, die aufgrund einer zu hohen Belastung der S. 1228 f. / 1231 ff.; H. Dreier, Kelsens Demokratietheorie: Grundlegung, Strukturele­ mente, Probleme, in: G. Dux (Hrsg.), Hans Kelsens Wege sozialphilosophischer Forschung, Wien 1997, S. 95; K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010, S. 137 ff.; W. Schneider (Fn. 60), S. 80 f.; zu der sozio-kulturellen Homogenität bei Hermann Heller H. Heller, Politische Demokratie und soziale Homogenität, Berlin 1928, S. 41. 81  G. Scheidle (Fn. 59), S. 110  ff., v. a. S. 112. Diese sozio-kulturelle Homoge­ nität ist aber nicht in der Grundnorm verortet. 82  H. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, 2. Aufl., Tübingen 1929, S. 3 ff. / 27 ff. 83  Vgl. F. Ermacora (Fn. 59), S. 259; R. Dolzer, Der Widerstandsfall (Fn. 59), § 171 Rn. 19; H. Nawiasky, Allgemeine Staatslehre, Dritter Teil: Staatsrechtslehre, Zürich u. a. 1956, S. 67; H. Krüger (Fn. 3), S. 946 f. 84  Siehe zu Letzterem D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck (Fn. 72), S. 63 ff., v. a. auch Fn. 96; vgl. auch J. Harris (Fn. 76), The Cambridge Law Journal 1971 (29), 103 (103 ff. / 116 ff.); K. Hesse (Fn. 15), S. 314; R. Zippelius, AS (Fn. 15), S. 127; K.-L.  Kunz / M.  Mona (Fn. 57), S. 251; R. Dolzer, Der Widerstandsfall (Fn. 59), § 171 Rn. 19 / 32 ff. („Erfordernis der Offenkundigkeit des Ausfalls der staatlichen Organe beim Schutz der Verfassung“).



§ 24 Der Staatsnotstand im Spiegel der Naturgewalt813

Luft mit CO2 die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel zeitweise ohne Entgelt gestattet hat.85 Derartige Handlungen sind auch im Sinne eines öko­ logisches Widerstandsrechts möglich, wobei aber die Gewaltlosigkeit der privaten Abhilfemaßnahmen im Vordergrund zu stehen hat.86 Es ist dies der einzige Moment, dass die ökologisch-materielle Vernunft gegenüber dem positiven Recht obsiegen kann. Im Zusammenhang mit der Reinen Rechts­ lehre kann hier aber von überpositivistisch-materiellen Gerechtigkeitsgren­ zen freilich nicht gesprochen werden; sinnvoller ist vielmehr von einer formallogischen Derogation auszugehen.87

85  Dazu das Dokument „Kostenlose E-Autos wegen Smog in Paris“, Zeit online vom 13.03.2014, abrufbar unter www.zeit.de / wissen / umwelt / 2014-03 / luftverschmut zung-frankreich-paris-feinstaub. Ergänzend auch das folgende Dokument G. Wüpper, „Frankreichs Nachholbedarf im Kampf gegen den Smog“, Welt online vom 18.03.2014, Dokumentnummer: 126006754, abrufbar unter www.wisonet.de / stream /  exportHtml / WEON. 86  Siehe insoweit H. D. Thoreau, Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat, ins Deutsche übersetzt von W. Richartz, Zürich 2004; Z. Trodd, H. D. Tho­ reau – From resistance to civil government (1849), in: American protest literature, Cambridge u. a. 2008, S. 31 ff.; T. Fleiner / L. Fleiner, Allgemeine Staatslehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 353 / 355; Ph. Dobler, Recht auf demokratischen Ungehorsam – Widerstand in der demokratienahen Gesellschaft – basierend auf den Grundprinzipi­ en des Kritischen Rationalismus, Freiburg (Schweiz) 1995, S. 125 ff.; K.-L. Kunz /  M. Mona (Fn. 57), S. 249 ff.; vgl. auch R. Dolzer, Der Widerstandsfall (Fn. 59), § 171 Rn. 39 ff. Es besteht letztlich ein Stufenverhältnis zwischen einem zivilen Ungehorsam, d. h. dass einzelne Rechtsnormen nicht befolgt werden, und einem militanten Widerstandsrecht. Darin spiegelt sich das Prinzip der Subsidiarität wider, d. h. vornehmlich ist gewaltfreier Widerstand zu leisten (hierzu K.-L. Kunz / M. Mona (Fn. 57), S. 250 ff.). 87  Vgl. H. Kelsen, Die philosophischen Grundlagen der Naturrechtslehre (Fn. 76), S. 67 f.

§ 25 Schluss  ‒ Ausblick: Äußere Grundnorm und völkerrechtlicher Weltklimavertrag Mit dem zyklischen Lauf der Völker im Sinne einer epistemologischen Durchdringung der Prinzipien eines zivilisatorischen Fortgangs des Men­ schengeschlechts am Maßstab der durchlaufenen Geschichte schuf der ita­ lienische Rhetoriklehrer Giambattista Vico auch eine am von den verschie­ denen einzelnen Völkergeistern abstrahierten Gemeinsinn als historischem Kontinuitätsstempel gemeinsamer Wahrheit orientierte universale Theorie des Völkerrechts1: Der „Gemeinsinn ist ein Urteil ohne jede Reflexion, 1  Siehe dazu nur G. Cacciatore, Metaphysik, Poesie und Geschichte, Berlin 2002, S. 191 ff. Dieses von Giuseppe Cacciatore verfasste Unterkapitel trägt den Titel „Die Ordnung der ‚Gemeinschaft‘ und der Gemeinsinn der ‚Differenz‘ “, womit die tiefere, völkerrechtliche Dimension der Scienza nuova von Giambattista Vico inhaltsschwer zum Bewusstsein gebracht wird. Für den italienischen Rhetoriker Giambattista Vico gründet sich die gesellige Natur der Menschen auf ein Naturrecht der Völker, das durch die göttliche Vorsehung stets vermittelt seine Wurzeln in der Gewohnheit und der Gesamtheit der Sitten findet. Das damit verbundene Konzept des universellen Gemeinsinns verbindet sonach letztlich zwei fundamentale Ebenen der Geschichtsphilosophie von Giambattista Vico, nämlich „die der Metaphysik des Geistes, die über die ordnenden Prinzipien reflektiert, und die des Politischen, von dem Moment an, in dem das durch den Gemeinsinn ermöglichte Auffinden des Gewissen sich (…) in der Bestimmung der allgemeinen politischen Ordnungen der Menschheit realisiert.“ Das Medium der historischen Erfahrung wird auf diese Wei­ se zum Sprachrohr der gemeinsamen Prinzipien und Formen der Gemeinschaft und somit auch der Erkenntnishöhe der Völker. Mit dieser aufkeimenden Verbindung von Vernunft und Geschichte, Metaphysik des Geistes und Historizität der politischen Ordnungen, zwischen Universalität und Partikularität, dem philosophischen Ideal des Sein-Sollens und der politischen Realität, hat Giambattista Vico damit bereits eine vermittelnde Methode fortwährender Dialektik eines an die reale Wirklichkeit ange­ passten Geistes entwickelt. Es ist dies der Plan zu einer Erkenntnis einer ewigen idealen Geschichte in dem universellen Sinne, wie der Lauf der Völker abläuft und ablaufen wird. Diese Universalität wird von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der Kategorie des absoluten Weltgeistes geteilt. Angesichts der Betonung des staatlichen Souveränitätsdogmas steht er aber einer völkerrechtlichen Weltstaatsordnung ableh­ nend gegenüber; siehe hierzu nur A. Emmerich-Fritsche, Vom Völkerrecht zum Weltrecht, Berlin 2007, S. 219 / 282 ff. Auf den naturstaatlichen Zusammenhang über­ tragen, bedeutet eine Neue Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker im Sinne von Giambattista Vico damit eine Hinwendung zu einer völkerrechtlichen Gemeinschaftsordnung mit der Natur. Einen ganz anderen wissenschaftlichen Ansatz verfolgt dagegen Jens Kersten mit seinem Werk zum Anthropozän-Konzept. Wäh­ rend sich diese Naturstaatslehre auf die (verfassungs-)geschichtliche Methode der



§ 25 Schluss  ‒ Ausblick: Grundnorm und Weltklimavertrag815

allgemein empfunden von einem ganzen Stand, einem ganzen Volksstamm, einem ganzen Volk oder dem ganzen Menschengeschlecht. (…) Entstehen gleichförmige Ideen bei ganzen Völkern, die miteinander nicht bekannt sind, so müssen sie einen gemeinsamen wahren Hintergrund haben. Dieser Grundsatz ist ein großes Prinzip, das festlegt, dass der Gemeinsinn des Menschengeschlechts das Kriterium ist, das die göttliche Vorsehung die Völker gelehrt hat, um das Gewisse bezüglich des natürlichen Rechts der Völker zu bestimmen; dessen vergewissern sich die Völker, indem sie die wesentlich einheitlichen Aspekte dieses Rechts erkennen, in denen sie, mit verschiedenen Modifikationen, alle übereinstimmen.“2 Im naturstaatlichen 21. Jahrhundert aber gewinnt diese Universallehre vor dem Abbild der durch den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt bedingten Zerstörungsprak­ tiken der Natur eine besondere Dimension, die sich in der aus heutiger Sicht semantischen Doppeldeutigkeit des Titels der Scienza nuova offenbart. Denn die ökologische Krise führt nun wiederum zu dem Bedürfnis nach einer „Neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker“.3 Das klassische Völkerrecht schützte Staatenwerte wie Souveränität und Nichteinmischung, während sich ein Recht der internationalen Weltgemein­ schaft der Völker auf allgemein-menschliche Werte, die auch nicht staatsge­ bundene Werte wie die Bewahrung der natürlichen Lebensgrundlagen in dem Sinne eines dauerhaft-umweltgerechten Nachhaltigkeitskonzepts ein­ schließen, nach dem selektiven Prinzip einer gleichrangigen Konkordanz beziehen müsste.4 Die universalen Gemeinschaftswerte beruhen aber grund­ sätzlich auf einer subjektiv-normativen Determination und nicht auf einer staatstheoretischen Erkenntnis und ein kosmozentrisches Verständnis der Natur als unbestreitbarem pouvoir naturel gründet, ist für Jens Kersten die Erde nun in das neue Zeitalter des Anthropozän eingetreten, womit die Einstufung des Menschen als geologische Kraft und eine damit einhergehende Verantwortung korrespondiert, was letztlich in das sich von einem Kontrakt im Sinne eines globalen Gesellschaftsver­ trages für Nachhaltigkeit bzw. von einem postnatürlichen Kompositionsmodell zu unterscheidenden Anthropozän-Konzept, d. h. in das Konzept einer neuen anthropo­ zänen Konfliktkultur, mündet. Siehe hierzu J. Kersten, Das Anthropozän-Konzept – Kontrakt – Komposition – Konflikt, Baden-Baden 2014. 2  G. Vico, Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker, ins Deutsche übersetzt von V.  Hösle / Ch. Jermann, Sonderausgabe aus der Reihe „Philosophische Bibliothek“, Hamburg 2009, S. 92 f. 3  Damit ist der naturstaatliche Gemeinsinn indiziert, der sich als Weltprinzip mit mahnender Direktivkraft etabliert. 4  A. Paulus, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht. Eine Untersu­ chung zur Entwicklung des Völkerrechts im Zeitalter der Globalisierung, München 2001, S. 250. Neben der Souveränität, der Autonomie und der Gleichheit der Staaten gelten als weitere Staatenwerte etwa die Undurchlässigkeit des Staates, wie sie sich in der fehlenden unmittelbaren Wirkung von internationalen Rechtsnormen aus­ drückt, der Vorrang nationaler Interessen sowie die Aufrechterhaltung von Recht und

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§ 25 Schluss  ‒ Ausblick: Grundnorm und Weltklimavertrag

objektiven Interessenmanifestation, worin ihr eigentliches Wesen als von und zugunsten der internationalen Gemeinschaft anerkannten Werten be­ gründet liegt.5 Gerade diese Dispositionsmacht des subjektiven Gutdünkens der Staatengemeinschaft muss aber im Hinblick auf die Thematik des Um­ weltschutzes notwendigerweise scheitern, wobei das sich in dem gewohn­ heitsmäßigen Anerkennensdogma widerspiegelnde Potential an lähmender Lethargie gleichzeitig auch das Moralgefühl eines kritischen Unverständnis­ ses heraufbeschwört. Denn die konsensuelle Akzeptanz eines universalen Gemeinschaftswerts Umweltschutz im Rahmen des internationalen Staaten­ systems bleibt schon allein deshalb ungewiss und damit prekär, da sich eine derartige modifizierende Erkenntnis in der gewachsenen Wertehierarchie der internationalen Völkergemeinschaft nur sukzessive und begrenzt etablieren lässt, was seinen Grund vor allem in dem dominanten Stellenwert der Welt­ wirtschaftsordnung findet.6 Dahinter stehen schließlich in erster Linie ein­ zelstaatliche Beweggründe, die einem effizienten Umweltschutz auf der völkerrechtlichen Diskursebene entgegenstehen. Die praktisch unüberschau­ bare Diversität an nationalem Partikularismus in der internationalen Staaten­ gemeinschaft, der sich aus den Varianten an unterschiedlichen Staatssyste­ men und politischen Ausrichtungen, den im internationalen Vergleich evident inhomogenen Anlagen an wirtschaftlichen, sozialen, ideologischen, ethi­ schen, religiösen sowie kulturellen Rahmenbedingungen, nicht zuletzt aber auch aus den verschiedenen geographischen und klimatisch-physischen Vorkommen speist, kulminiert oftmals nicht nur in einem  ‒ buchstäblich  – ein minderwertiges Umweltschutzniveau gewährleistenden Staatssubjekti­ vismus, sondern gerade auch in einer nur zögerlichen Ausarbeitungs- bzw. Umsetzungspraxis von konkretisierten staatlichen Verpflichtungen des Völ­ kerrechts.7 In diesem Sinne eines einzelstaatlichen Kalküldenkens könnte Ordnung der Staaten; siehe hierzu nur L.  Henkin, International Law – politics and values, Dordrecht u. a. 1995, S. 99 ff.; A. Paulus, ebd., S. 251. 5  A. Paulus (Fn. 4), S. 250 f. 6  Zur Weltwirtschaftsordnung U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, München 2000, S.  314 ff.; A. Paulus (Fn. 4), S. 268 f.; W. Kahl / K. F. Gärditz, in: R. Schmidt (Begr.), Umweltrecht, 9. Aufl., München 2014, § 1 Rn. 47 ff.; siehe hierzu auch die Beiträge in H.-D. Kenneweg (Hrsg.), Welthandel und Umweltschutz, Berlin 2000. Im Mittel­ punkt steht hier die Welthandelsorganisation (WTO), die als internationale Organi­ sation die Liberalisierung des Welthandels bezweckt und als ständiges Forum für multilaterale Verhandlungen in Bezug auf den Handel mit Waren, geistigem Eigen­ tum und Dienstleistungen dient; siehe hierzu und auch grundsätzlich zu internatio­ nalen Organisationen R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 16. Aufl., München 2010, S.  319 ff.; B.  Schöbener / M.  Knauff, Allgemeine Staatslehre, München 2013, S.  264 ff.; K. Doehring, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl., Heidelberg 2004, S. 76 ff.; Ph. Mastronardi, Verfassungslehre, Bern u. a. 2007, S. 328 ff. 7  A. Paulus (Fn. 4), S. 267. Nach der Ansicht von Andreas Paulus besteht im Hinblick auf den Umweltschutz durchaus ein anerkannter Grundwert bezüglich einer



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das Argumentationsmuster der Staaten der Dritten Welt bzw. der Schwellen­ länder auf die wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Industriestaaten über Jahrhunderte hinweg abstellen, das auf eine wirtschaftsstaatliche Ex­ pansion ausgerichtet war, um Wachstum und Wohlstand zu sichern.“8 Aus diesem Grund kann auch hier analog das Argument in Bezug auf eine Universalität der nur im westlich-individualistischen Kulturkreis wirklich anerkannten Menschenrechte angeführt werden, wonach ein universaler Gemeinschaftswert Umweltschutz in den hinter dem Wirtschaftsstandard der Industriestaaten zurückbleibenden Staaten partiell als Fremdkörper oder gar als imperialistischer Versuch vornehmlich des Westens gedeutet wird, auf kulturellem Wege Hegemonie durchzusetzen und der Welt von heute gegen gesunden Umwelt und einer nachhaltigen Entwicklung, dem aber eine nur zögerliche Verwirklichungspraxis von eindeutigen völkerrechtlichen Verpflichtungen gegen­ übersteht (A. Paulus, ebd., S. 267). Die dargestellten Unterschiede hinsichtlich der nationalen Rahmenbedingungen mündeten auf völkerrechtlicher Ebene schließlich in den völkergewohnheitsrechtlichen Grundsatz einer gemeinsamen, aber unterschied­ lichen Verantwortlichkeit („common but differentiated responsibility“). Siehe hierzu nur Ch. Glass, Die gemeinsame, aber unterschiedliche Verantwortlichkeit als Be­ standteil eines umweltvölkerrechtlichen Prinzipiengefüges – Konkretisierungsvor­ schläge für künftige Übereinkommen zum Schutz globaler Umweltgüter, Berlin 2008, S.  25 ff.; B. Kellersmann, Die gemeinsame, aber differenzierte Verantwortlich­ keit von Industriestaaten und Entwicklungsländern für den Schutz der globalen Umwelt, Berlin u. a. 2000, S. 35 ff.; H. Beck, Die Differenzierung von Rechtspflich­ ten in den Beziehungen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern – eine völker­ rechtliche Untersuchung für die Bereiche des internationalen Wirtschafts-, Arbeitsund Umweltrechts, Frankfurt a. M. u. a. 1994, S. 135 ff.; M.  Buck / R.  Verheyen, Umweltvölkerrecht, in: H.-J. Koch (Hrsg.), Umweltrecht, 4. Aufl., München 2014, § 1 Rn. 37 sehen hier ein Gewohnheitsrecht im Entstehen; vgl. auch I. Fetscher, Umweltstaat oder neuer Gesellschaftsvertrag mit der Natur?, in: K. Rudolph u. a. (Hrsg.), Geschichte als Möglichkeit – Über die Chancen von Demokratie, Essen 1995, S. 424. Siehe zur Problematik um den unterschiedlichen Entwicklungsstand der Staaten der Welt in Bezug auf den globalen Charakter des Umweltschutzes grundlegend die völkerrechtlich aber unverbindliche Erklärung von Stockholm als Resultat der UN-Weltumweltkonferenz aus dem Jahre 1972, abgedruckt bei P. Birnie / A.  Boyle, Basic documents on international law and the environment, Oxford 1995, S.  1 ff.; M.  Buck / R.  Verheyen, ebd., § 1 Rn. 2 f. / 5 ff. / 74 ff. / 94; vgl. auch K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, Tübingen 1997, S. 182 ff.; im Hinblick auf die unterschiedlichen nationalen Konzepte von Industrie-, Schwellenund Entwicklungsländern bei der Energieversorgung K. Heinloth, Energie und Um­ welt, 2. Aufl., Stuttgart u. a. 1996, S. 222 ff. 8  B. Kellersmann (Fn. 7), S. 36  ff.; vgl. M.  Linke, Demokratische Gesellschaft und ökologischer Sachverstand, St. Gallen 1991, S. 6 f.; Ph. Kunig, Völkerrechts­ schutz für das Klima  – Ein Zwischenruf, in: L.  Metz / H.  Weidner (Hrsg.), Umwelt­ politik und Staatsversagen – Perspektiven und Grenzen der Umweltpolitikanalyse, Berlin 1997, S. 82 f. Vgl. dazu auch die entsprechende Problematik in Bezug auf die Fragestellung einer Kodifizierung der Menschenrechte als Ausdruck eines interna­ tionalen Konsenses bei A. Paulus (Fn. 4), S. 254 ff.

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ihren Willen seine Werte aufzunötigen.9 In anderer Weise muss konstatiert werden, dass für mehrere Staaten der internationalen Gemeinschaft ein leis­ tungsstarker Umweltschutz eine mit Blick auf eine damit verbundene Redu­ zierung der wirtschaftlichen Leistungskapazität einhergehende, nationale Überforderungssituation heraufbeschwören würde, die allein unter Legitimi­ tätsaspekten zu innenpolitischen Spannungen und Unruhen beitragen könnte. Andererseits möchten die reichen Industriestaaten ihrerseits die Dominanz­ stellung auf dem Weltmarkt aufrechterhalten bzw. die nationale Wirtschafts­ ordnung nicht unnötig abbremsen, um den staatlichen Wachstumskurs nicht zu gefährden.10 Die Gemeinschaftsaufgabe Umweltschutz befindet sich da­ her in einem Wirrwarr eines Konglomerats aus partikularen Interessen, das einer notwendigen Universalität eines internationalen Wertes der natürlichen Lebensgrundlagen abträglich ist. Dies muss aus mehreren Gründen als nicht akzeptabel und unverständlich erscheinen, womit die Forderung korrespon­ diert, das herkömmliche Verständnis des Völkerrechts als Koexistenzrecht im Bereich des Umweltschutzes zugunsten einer weiteren Annäherung an ein auf Übereinstimmung gegründetes Koordinationsrecht der Völker der Staatengemeinschaft zu überwinden.11 Denn die Umweltprobleme besitzen transnationalen und globalen Charakter,12 so dass eine kollaborative Sys­ 9  A. Paulus

(Fn. 4), S. 254 f. (Fn. 7), § 1 Rn. 2 f. / 5 ff.; W.  Erbguth / S. Schlacke, Um­ weltrecht, 5. Aufl., Baden-Baden 2014, § 8 Rn. 3 / 8; T. Fleiner / L. Fleiner, Allgemei­ ne Staatslehre – Über die konstitutionelle Demokratie in einer multikulturellen globalisierten Welt, 3. Aufl., Berlin u. a. 2004, S. 80 f. / 83; N. Campagna, Die recht­ liche Umsetzung ökologischer Forderungen, in: J.  Nida-Rümelin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Baden-Baden 2002, S. 155 f.; vgl. auch U. Di Fabio, Wachsende Wirtschaft und steuernder Staat, Berlin 2010, S.  114 f.; B. Kellersmann (Fn. 7), S. 36 ff.; Ph. Kunig (Fn. 8), S. 82 f. Zu bemerken ist aber, dass sich viele Staaten Europas bzw. die USA in andauernden Finanz- und Haushaltskrisen befinden, während Schwellenländer wie Brasilien, China, Indien oder Südafrika einen rasanten wirtschaftlichen Aufstieg erleben. Daraus folgt, dass sich insbesondere vor dem Hintergrund des völkerrechtlichen Grundsatzes einer gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeit die gegenwärtige Systemstruk­ tur einer koordinierten Umweltgemeinschaftsordnung nicht aufrechterhalten lassen wird, sondern umfassende Modifikationen und Anpassungen erfordern wird; vgl. hierzu M.  Buck / R.  Verheyen, ebd., § 1 Rn. 37. 11  Eine sukzessive Entwicklung des Völkerrechts von einem Koexistenzrecht der Staaten hin zu einem Koordinationsrecht sehen M. Buck / R. Verheyen (Fn. 7), § 1 Rn. 4 ff. (im Ergebnis aber als wenig tragfähig bezeichnet, Rn. 9); W. Kahl / K. F. Gärditz (Fn. 6), § 1 Rn. 2 ff.; U. Beyerlin (Fn. 6), S. 5 ff.; A. Randelzhofer, Umweltschutz und Völkerrecht – Grundstrukturen und Prinzipien, Jura 1992, 1 (3 ff.); R. Rhinow, Die neue Verfassung in der Schweiz, Der Staat 2002 (41), 575 (583); vgl. hierzu auch W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 10), § 8 Rn. 4 ff. 12  W.  Burhenne / P.  Sand, Internationale Umweltvereinbarungen, in: K. Hans­ mann / D.  Sellner (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, 4. Aufl., Berlin 2012, 10  M.  Buck / R.  Verheyen



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temstruktur unter partieller Einschränkung der Grundsätze der territorialen Souveränität und Integrität indiziert erscheint. Darüber hinaus aber ist der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur ein – individualistischer bzw. kollektivistischer13 – Staatenwert, sondern auch ein universaler Ge­ meinschaftswert, da sich ohne die Natur weder eine staatliche Existenz noch ein Dasein der internationalen Gemeinschaft im Völkerrecht beibehalten lässt. Mit anderen Worten überragt der Umweltschutz die realpsychische Sphäre aus Staaten und Menschen,14 so dass die nationale Differenzierung zugunsten einer Weltstaatsordnung mit der Natur weichen muss, um nicht das „gemeinsame Boot der internationalen Staatengemeinschaft“ kentern zu lassen. Demnach stellt der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen eine objektive Sinnverkörperung dar, die von den subjektiven und willkürlichen Anschauungen der Staatenwelt unabhängig ist, und somit die Diversität an unterschiedlichen Staatssystemen zugunsten einer einheitlichen Universal­ maxime verdrängen kann. Als Symbol dieser Einheitlichkeit fungiert wieder die äußere Grundnorm. Mit dem Modell einer objektiven Weltstaatsordnung mit der Natur in der einzelstaatlichen Perspektive ist eine staatenbündische Konstruktion verbun­ den, deren universaler Erkenntniswert sich in der durch die Methode der Deduktion eines reinen Verstandesbegriffs transzendentallogisch gewonne­ S. 1160; W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 6), § 1 Rn. 1; P. Koller, Die rechtliche Umset­ zung ökologischer Forderungen, in: J.  Nida-Rümelin / D.  v. d. Pfordten (Hrsg.), Ökologische Ethik und Rechtstheorie, 2. Aufl., Baden-Baden 2002, S. 130; T. Fleiner / L.  Fleiner (Fn. 10), S. 80 f.; M. Kriele, Einführung in die Staatslehre, 6. Aufl., Stuttgart u. a. 2003, S. 3; A. Uhle, Das Staatsziel „Umweltschutz“ und das Sozial­ staatsprinzip im verfassungsrechtlichen Vergleich, JuS 1996, 96 (101 f.); W. Erbguth / S. Schlacke (Fn. 10), § 8 Rn. 3; W. Berg, Über den Umweltstaat, in: J. Burm­ eister (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, München 1997, S.  441; N. Campagna (Fn. 10), S. 155; vgl. auch M. Buck / R. Verheyen (Fn. 7), § 1 Rn. 2; M. Kloepfer, Zur Rechtsumbildung durch Umweltschutz, Heidelberg 1990, S. 49; D.-E. Khan, Die deutschen Staatsgrenzen, Tübingen 2004, S. 4; B. Wiegand-Hoffmeister, Die Um­ weltstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland im Spiegel staatsphilosophischer, europa-, verfassungs- und verwaltungsrechtlicher sowie rechtspolitischer Grundfra­ gen, Bremen 2011, S. 18 f. Der Begriff des transnationalen Rechts, der die gegen­ wärtige Struktur des Umweltvölkerrechts zutreffend typisiert, geht auf Philip Jessup (Ph. Jessup, Transnational Law, New Haven 1956) zurück; dazu wiederum W. Burhenne / P.  Sand, ebd., S. 1160. 13  Vgl. hierzu wiederum in Bezug auf die Entwicklung universeller Menschen­ rechte die erhebliche Diskrepanz zwischen den verschiedenen Ansichten der westli­ chen individualistisch-liberalen Staatenwelt und von etwaigen Vertretern von kollek­ tivistisch-islamistischen bzw. säkular-asiatischen Staatssystemen A. Paulus (Fn. 4), S. 254 ff. / 260. 14  A. Paulus (Fn. 4), S. 264 hinsichtlich des Friedens als eines Staaten- wie auch Gemeinschaftswerts S. 253.

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nen Grundnorm in ihrem äußeren Sinn kanalisiert.15 Damit einher geht notwendigerweise auch eine Modifikation der völkerrechtlichen Grundnorm von Hans Kelsen, die als Ausdruck des Primats einer Völkerrechtsordnung anzusehen ist.16 In ihrer ursprünglichen Formel lautet die Grundnorm des Völkerrechts: „Die Staaten, das heißt die Regierungen der Staaten, sollen sich in ihren gegenseitigen Beziehungen so verhalten, oder, Zwang von Staat gegen Staat soll unter den Bedingungen und in der Weise geübt wer­ den, wie es einer gegebenen Staatengewohnheit entspricht. Das ist die – 15  Vgl. H. Kelsen, Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völker­ rechts, Nachdruck der 2. Aufl. (1928), Aalen 1960, S. 249 ff. Hierzu auch bereits oben im Rahmen dieser Naturstaatslehre 1. Teil, § 17. 16  Zur völkerrechtlichen Grundnorm H. Kelsen, General theory of law and s ­tate, Cambridge 1946, S. 369 f.; ders., Reine Rechtslehre, unveränderter Nachdruck der 2. Aufl. (1960), Wien 2000, S. 221 ff.; R. Bindschedler, Zum Problem der Grund­ norm, in: F. A. v. d. Heydte (Hrsg.), Völkerrecht und rechtliches Weltbild, Wien 1960, S. 68; M. Haase, Grundnorm – Gemeinwille – Geist, Tübingen 2004, S. 53 ff.; zur monistischen Weltstaatskonzeption bei Hans Kelsen H. Kelsen, Staatsform und Weltanschauung, Tübingen 1933, S. 21 ff.; A. Verdross, Die Rechtstheorie Hans Kel­ sens, Juristische Blätter 1930 (20), 421 (422); A. Emmerich-Fritsche (Fn. 1), S.  256 ff.; J. v. Bernstorff, Der Glaube an das universale Recht – zur Völkerrechts­ theorie Hans Kelsens und seiner Schüler, Baden-Baden 2001, S. 96 ff.; U. Thiele, Von der Volkssouveränität zum Völker(staats)recht. Kant – Hegel – Kelsen: Statio­ nen einer Debatte, in: O. Eberl (Hrsg.), Transnationalisierung der Volkssouveränität, Stuttgart 2011, S. 188 ff.; Th. Öhlinger, Die Einheit des Rechts – Völkerrecht, Euro­ parecht und staatliches Recht als einheitliches Rechtssystem?, in: S. L. Paul­ son / M.  Stolleis (Hrsg.), Hans Kelsen  – Staatsrechtslehrer und Rechtstheoretiker des 20. Jahrhunderts, Tübingen 2005, S. 160 ff.; ders., Der Bundesstaat zwischen Reiner Rechtslehre und Verfassungsrealität, Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusfor­ schung, Wien 1977, S. 11 ff.; A. Vonlanthen, Zu Hans Kelsens Anschauung über die Rechtsnorm, Berlin 1965, S. 35 f.; vgl. auch H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie bei Hans Kelsen, 2. Aufl., Baden-Baden 1990, S. 49 Fn. 129; A. Paulus (Fn. 4), S. 170 ff.; J. Moór, Reine Rechtslehre, Naturrecht und Rechtspo­ sitivismus, in: A. Verdross (Hrsg.), Gesellschaft, Staat und Recht – Untersuchungen zur Reinen Rechtslehre, Festschrift Hans Kelsen zum 50. Geburtstage gewidmet, Frankfurt a. M. 1967, S. 60 f. Fn. 2. Nach der Ansicht von Horst Dreier nahm Hans Kelsen später von der Weltstaatskonzeption Abstand.; vgl. H. Dreier, Rechtslehre, Staatssoziologie und Demokratietheorie, ebd., S. 49 Fn. 129 unter Rekurs auf H. Kelsen, Professor Stone and the Pure Theory of Law, Stanford law review 1964 (17), 1128 (1148 f. / 1151 ff.). Dieser Interpretation kann letztlich nicht gefolgt wer­ den, da es sich hier nur um die grundsätzliche Darstellung der Gegenkonzeption handelt. Eine fundamentale Kritik an der gesamten Völkerrechtskonstruktion von Hans Kelsen findet sich letztlich bei E. Kaufmann, Kritik der neukantischen Rechts­ philosophie – eine Betrachtung über die Beziehungen zwischen Philosophie und Rechtswissenschaft, Tübingen 1921, S. 20 ff. Einen grundsätzlichen Überblick zur wissenschaftlichen Rezeption der Kelsenschen Völkerrechtslehre bietet A. Rub, Hans Kelsens Völkerrechtslehre. Versuch einer Würdigung, Zürich 1995. Vgl. zu dem Modellentwurf einer (umweltpolitischen) Weltregierung auch M. Kloepfer, Auf dem Weg zum Umweltstaat?, in: ders. (Hrsg.), Umweltstaat, Berlin u. a. 1989, S. 66.



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rechtslogische – Verfassung des Völkerrechts.“17 Diese hypothetische Grundnorm impliziert bereits eine vorgegebene positivrechtliche Norm des allgemeinen Völkerrechts, die „ein Individuum oder eine Gruppe von Indi­ viduen auf Grund einer wirksamen Verfassung (ermächtigt,) eine normative Zwangsordnung als legitime Regierung zu erzeugen und anzuwenden; sie legitimiert so diese Zwangsordnung für den territorialen Bereich ihrer tat­ sächlichen Wirksamkeit als gültige Rechtsordnung und die durch diese Zwangsordnung (dann) konstituierte Gemeinschaft als Staat im Sinne des Völkerrechts (…).“18 Demnach zeichnet sich die völkerrechtliche Grund­ norm durch die geltungstheoretische Anerkennung eines aus mehreren Au­ toritäten als Staaten bestehenden Weltstaats aus, der sich nach dem System einer koordinierten Gleichheitsordnung über die gesamte internationale Staatengemeinschaft legt.19 Als synthetische Hypothese symbolisiert die Grundnorm des Völkerrechts sonach die notwendige Einheit im Geltungs­ grund des weltstaatlichen Normensystems, ohne sich aber materiell auf ei­ nen dem positiven Recht transzendenten Friedenswert oder sonstigen Wert festzulegen.20 Indem nun die originäre Natur als pouvoir naturel in staats­ analoger Identifizierung der völkerrechtlichen Weltstaatsgemeinschaft mit gleichem Rang zugeordnet wird, was durch eine Ergänzung der grundnor­ mativ eingesetzten Staatengewohnheit als normerzeugenden Tatbestand um den formalen Naturbeachtensbefehl geschieht, wird das weltstaatliche Rechtsnormensystem grundsätzlich auf eine immanente Naturraison ver­ pflichtet. Dies geschieht wiederum aber nicht in dem Sinne einer ökologi­ schen ethisch-materiellen Tränkung des Rechtssystems, sondern durch eine formal verstärkende Einsicht um der Natur willen. Daraus folgt dann das auch völkerrechtliche Konventionalprinzip, das als vorgelagerte Hypotaxe eine Vollzugsregel enthält und zu einer besonderen Beachtung der Natur anmahnt.21 Die äußere Grundnorm des Völkerrechts, die als rein deduzierte Verstandeskategorie für die geltungstheoretische Legitimationsrelevanz der natürlichen Lebensgrundlagen für die internationale Gemeinschaftsordnung steht, kann den völkerrechtlichen Rechtsschöpfungsprozess auf dem Gebiet 17  H. Kelsen,

RR (Fn. 16), S. 222. RR (Fn. 16), S. 221 f. 19  H. Kelsen, Völkerrecht (Fn. 15), S. 252 ff. / 316. 20  H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Nachdruck der 1. Aufl. (1925), 2. Aufl., Wien 1993, S. 121; ders., RR (Fn. 16), S. 223; A. Emmerich-Fritsche (Fn. 1), S. 256 f. / 259; R. Bindschedler (Fn. 16), S. 68; J. v. Bernstorff (Fn. 16), S. 97 f. 21  Terminologisch und rechtsdogmatisch stellt sich die äußere Grundnorm des Völkerrechts wiederum als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz dar, der sich aus einer Synthese aus Naturrecht und objektiven Legitimitätsvorstellungen ergibt. Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz muss sich noch weiter zu einem völkergewohnheits­ rechtlichen Weltprinzip mit absoluter Geltungsimmanenz herausbilden. Siehe allge­ mein zum Rechtsherausbildungsprozess im Völkerrecht Ch. Glass (Fn. 7), S. 25. 18  H. Kelsen,

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des Umweltschutzes aber nur im Sinne des formalen Naturbeachtensbefehls intensivieren, da ihr aufgrund ihres regulativen Abstraktheitsgrades nur aus­ nahmsweise unmittelbare Verbindlichkeit zuerkannt werden kann.22 Die Verantwortung zur positivrechtlichen Konkretisierung verbleibt so bei der pluralistischen Staatengemeinschaft, die mit entsprechenden Normen für ein angemessenes Niveau eines Umweltvölkerrechts zu sorgen hat. Dabei dient schließlich die gewohnheitsrechtlich anerkannte völkervertragliche Ab­ schlusskompetenz als rechtliche Grundlage etwaiger übernationaler Abkom­ men im Sinne der langfristig angelegten Zukunftspflicht des Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen.23 Im Rahmen des politischen Diskurses wird insoweit immer die Option eines Weltklimavertrages aufgerufen, mit dessen Hilfe durch verbindliche Emissionsgrenzen das internationale Treibhausgas­ niveau auf ein für das globale Klima erträgliches Maß reduziert werden soll.24 Gerade im schwierigen Bereich des internationalen Umweltschutzes H. Kelsen, AS (Fn. 20), S. 209 ff. RR (Fn. 16), S. 222 f. 24  Die Initialzündung für ein universelles Weltklimaabkommen war das auf dem Erdgipfel, der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development) in Rio de Janeiro im Jahre 1992, verabschiede Dokument einer Klimarahmenkonvention, deren lang­ fristiges Ziel auf eine „Stabilisierung der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmo­ sphäre auf einem Niveau (…), auf dem eine anthropogene Störung des Klimasys­ tems verhindert wird“ (BGBl. II 1992, S. 1784), gerichtet war. Auf der 3. Vertrags­ parteienkonferenz der Klimarahmenkonvention in Kyoto im Jahre 1997 wurde sodann ein verbindliches Klimaprotokoll („Kyoto-Protokoll“) verabschiedet, das die Industriestaaten verpflichtete, im Zeitraum von 2008 bis 2012 die Treibhausgasemis­ sionen um eine konkret festgelegte Menge zu reduzieren, wobei die Entwicklungs­ länder entsprechend des Grundsatzes der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Ver­ antwortlichkeit nicht unter das Reduktionsregime des im Jahre 2005 schließlich in Kraft getretenen Kyoto-Protokolls fielen. Auf der weiteren Klimakonferenz in Bali im Jahre 2007 wurde ein Verhandlungsmandat für ein Nachfolgeabkommen nach dem Auslaufen des Klimaprotokolls von Kyoto vereinbart, dessen Unterzeichnung aber auf der späteren Konferenz in Kopenhagen im Jahre 2009 nicht zustande kam. Dort wurde lediglich ein für die Vertragsstaaten unverbindlicher Minimalkonsens getroffen, wonach mitunter die Erderwärmung auf weniger als 2 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau zu reduzieren ist. Erst auf der nachfolgenden Klimakonferenz im südafrikanischen Durban im Jahre 2011 wurde dann vereinbart, dass das Kyoto-Protokoll auf der Konferenz in Doha im Jahre 2012 um eine zweite Verpflichtungsperiode verlängert und bis zum Jahre 2015 ein verbindliches Klima­ schutzabkommen, ein Weltklimavertrag, ausgehandelt werden sollte. Diese Vorgaben wurden schließlich umgesetzt, was sich unter anderem in einem konkreten Zeitplan für ein internationales Klimaabkommen bis 2015 niedergeschlagen hat. Mit der Ra­ tifizierung des auf der 21. UN-Klimakonferenz in Paris im Dezember 2015, die gleichzeitig auch das 11. Treffen zum Kyoto-Protokoll war, beschlossenen Weltkli­ mavertrags durch das Europäische Parlament kann das gemeinsame Klimaabkom­ men schließlich nun Anfang November 2016 in Kraft treten. Siehe hierzu W.  Kahl / K.  F.  Gärditz (Fn. 6), § 1 Rn. 3 / 9 ff.; W.  Burhenne / P.  Sand (Fn. 12), 22  Vgl.

23  H. Kelsen,



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besteht angesichts des nationalen Partikularismus aber die Gefahr, dass sich eine erhebliche Divergenz zwischen dem ratifizierten Übereinkommenspa­ pier und der realen Umsetzungspraxis eines modernen Staates einstellt, weshalb auch weiter für den sukzessiven Ausbau einer sanktionsbewährten Völkerrechtsordnung zu sorgen ist.25 In diesem Sinne war die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs zum japanischen Walfangverbot in der Antarktis vom 31.03.201426 ein Meilenstein auf dem Weg zu einer leis­ tungsstarken Umweltgemeinschaft der Staaten der Welt. Ein positivrecht­ licher Weltklimavertrag wäre nur ein weiterer bedeutender Schritt auf dem Weg zu einer objektivrechtlichen Weltstaatsordnung mit der Natur, so wie S.  1185 f.; A. Randelzhofer (Fn. 11), Jura 1992, 1 (5 f.); W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 10), § 8 Rn. 20 ff.; M.  Buck / R.  Verheyen (Fn. 7), § 1 Rn. 41 / 49 ff. / 81 / 84 / 96; B. Kellersmann (Fn. 7), S. 135 ff., die auch auf die Entstehungsgeschichte der Kli­ marahmenkonvention eingeht; vgl. auch H. Beck (Fn. 7), S. 162 ff.; zur aktuellen Entwicklung das Dokument „Weltklimavertrag – EU-Parlament stimmt für Pariser Klimaabkommen“ vom 04.10.2016, abrufbar unter www.zeit.de / wirtschaft / 201610 / weltklimavertrag-eu-parlament-abstimmung-mehrheit. Von besonderer Relevanz für den Schutz der Erdatmosphäre und des Klimas ist zudem das Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht (Wiener Rahmenabkommen vom 22.03.1985), später konkretisiert durch ein zeitlich abgestuftes Verbot hinsichtlich der Herstellung und Verwendung von ozonschichtgefährdender Stoffe in den Anhängen des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen vom 16.09.1987; siehe hierzu H. Beck, ebd., S. 135 ff.; W. Burhenne / P. Sand, ebd., S. 1185; A. Randelz­ hofer, ebd., Jura 1992, 1 (5). 25  Vgl. A. Paulus (Fn. 4), S. 269 f. / 283 f.; W. Burhenne / P. Sand (Fn. 12), S. 1207; W.  Erbguth / S. Schlacke (Fn. 10), § 8 Rn. 8 / 15 / 19; N. Campagna (Fn. 10), S. 155 f. Zum Vollzugsdefizit im Völkerrecht auch A. Randelzhofer (Fn. 11), Jura 1992, 1 (1 f. / 8). Ausführlich zur Rechtsdurchsetzung im Umweltvölkerrecht M. Buck / R. Verheyen (Fn. 7), § 1 Rn. 73 ff. Demnach ist das Sanktions- und Vollzugsdefizit des Um­ weltvölkerrechts zwar gegeben. Es wird aber durch eine Reihe von konkreten Ansatz­ punkten zur Erhöhung der Geltungskraft von internationalen Umweltschutznormen abgefedert bzw. behoben. Die Autoren differenzieren insoweit zwischen folgenden Bereichen: „(1) Maßnahmen zur Unterstützung der Staaten bei (der) Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen (sog. Erfüllungshilfe) (2) Verfahren zur Überprüfung, ob Staaten ihren internationalen Verpflichtungen tatsächlich nachkommen (sog. Erfül­ lungskontrolle) (3) Spezielle Verfahren zur Lösung von Umsetzungsproblemen (Com­ pliance-Verfahren) (4) die Haftung von Staaten für Schäden, die aus der Verletzung umwelt-völkerrechtlicher Pflichten entstehen sowie (5) formelle Verfahren zur Streit­ beilegung.“ (M. Buck / R. Verheyen, ebd., § 1 Rn. 73; im Original sind die Klammerzu­ sätze hervorgehoben). Siehe zu Letzterem auch U. Beyerlin (Fn. 6), S. 231 ff. 26  Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs zum japanischen Walfangverbot in der Antarktis vom 31.03.2014 ist abrufbar unter www.tagesschau.de / ausland / wal­ fang148.html. Allgemein zur Internationalen Gerichtsbarkeit M.  Buck / R.  Verheyen (Fn. 7), § 1 Rn. 87 ff. Vgl. insoweit, zwar europarechtlich, aber dennoch mit Indiz­ charakter das Urteil des EuGH zu internationalen Tiertransporten vom 23.04.2015, abrufbar unter http: /  / www.br.de / nachrichten / schwaben / inhalt / eugh-tiertransportekempten-100.html.

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§ 25 Schluss  ‒ Ausblick: Grundnorm und Weltklimavertrag

sie von der Grundnorm des Völkerrechts in ihrem äußeren Sinn als dem die Macht des pouvoir naturel verschleiernden Gorgonenhaupts angemahnt wird.27 In Bezug auf die wirtschaftliche Macht der modernen Staaten bzw. der internationalen Staatengemeinschaft kann damit im Hinblick auf den Diskurs um den Geist der Natur resümierend wiederum konstatiert werden: „Wenn die Reine Rechtslehre trotz aller Widerstände es ablehnt, als ein Mittel im Kampf um die Macht, irgendeiner Macht zu dienen, so in der Überzeugung, dass in dem ewigen Kampf der Macht gegen den Geist dieser zwar vorübergehend Niederlagen erleiden kann, bei denen auch die Wissen­ schaft zum Gefangenen des vorläufigen Siegers wird; dass aber – wie die Geschichte lehrt – der Sieg der Macht über den Geist niemals ein endgül­ tiger ist, und dass der Geist, je mehr er vergewaltigt wird, desto gewaltige­ ren Widerstand leistet, bis er wieder erringt, was allein seinem inneren Wesen entspricht: die Freiheit.“28 Im Falle der Naturstaatlichkeit ist es eine mäßigende Einsicht der soziologischen Wirklichkeitswelt im Sinne einer Vernunft mit Blick auf die Natur.29

auch I. Fetscher (Fn. 7), S. 424. Was ist die Reine Rechtslehre?, Beitrag zur Festgabe für Zaccaria Giacometti: Demokratie und Rechtsstaat, Zürich 1953, S. 162. 29  Vgl. J. Kunz, Die definitive Formulierung der Reinen Rechtslehre, ÖZöR 1961 (11), 375 (384). Siehe zum Glauben an die Vernunft in Bezug auf die An­ schauungswelt bei Hans Kelsen K. Groh, Demokratische Staatsrechtslehrer in der Weimarer Republik, Tübingen 2010, S. 138; W. Schneider, Wissenschaftliche Askese und latente Wertepräferenz bei Hans Kelsen, Freiburg 1996, S. 80: „Die Akzeptanz möglicher Fehlentwicklungen in der Hoffnung und optimistischen Überzeugung, dass letztendlich die Vernunft obsiege, der Mut zur Unsicherheit, die die Ermögli­ chung individueller und kollektiver Freiheit mit sich bringt, zeichnen (Hans) Kelsen als einen in der Tradition von Renaissance und Aufklärung stehenden Gesellschafts­ theoretiker aus.“ Dies ist letztlich der versteckte Glaube an die Hegelsche „List der Vernunft“. Siehe zu Letzterem H.  Ottmann, Die Weltgeschichte (§§ 341–360), in: L. Siep (Hrsg.), G. W. F. Hegel: Grundlinien der Philosophie des Rechts, 3. Aufl., Berlin 2014, S. 275 ff. Siehe zum sich durchsetzenden Umwelt- bzw. Naturschutz­ geist auch die Einlassung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Ernst Ulrich Michael Freiherr von Weizsäcker zum Thema Gesetze, „Soft Law“ und freiwillige Vereinbarungen für die Umwelt, in: U.  Immenga / H.-P.  Schwintowski / M.  Seyfarth /  M. Kummermehr (Hrsg.), Umweltökonomie zwischen Recht und Politik, BadenBaden 2004, S. 18 ff. 27  Vgl.

28  H. Kelsen,

Anhang Zweite Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen. Vom 5. Juni 1931 (RGBl. 1931 I, 279 (309 f.)) Für das Verständnis dieser Naturstaatslehre irrelevante Paragraphen bleiben aus­ gespart. Klammerzusätze sind im Original. (…) Kapitel III Enteignungen auf dem Gebiete des Städtebaues § 1 Für Enteignungen, die nach dem 13. August 1919 und vor dem 1. April 1933 auf dem Gebiete des Städtebaues, insbesondere der Planung, Fluchtlinien-(Baulinien-) festsetzung und Grundstücksumlegung sowie zur Erhaltung des Baumbestandes und zur Freigabe von Uferwegen, gemäß landesrechtlichen, vor Inkrafttreten dieses Ka­ pitels erlassenen Vorschriften vollzogen worden sind oder noch vollzogen werden, wird nach den Vorschriften der §§ 2 bis 5 Entschädigung gewährt. § 3 gilt auch für Enteignungen, die innerhalb dieses Zeitraumes gemäß künftigen landesrechtlichen Vorschriften auf dem genannten Rechtsgebiete vollzogen werden. § 2 Für die Enteignung ist eine Entschädigung vorbehaltlich des § 3 zu leisten, wenn und soweit dies in den in § 1 Satz 1 genannten landesrechtlichen Vorschriften vor­ gesehen ist. § 3 (1)  Wird ein Grundstück (Grundstücksteil) in dem landesrechtlich vorgeschriebe­ nen Verfahren (durch Fluchtlinien, Baulinien, Freiflächengrenzen oder auf sonstige Weise) als Freifläche zum Zwecke des öffentlichen Gebrauchs vorwiegend aus Gründen der Volksgesundheit oder Volkserholung mit der Wirkung ausgewiesen, dass eine Bebauung auf die Dauer ausgeschlossen ist, so kann der Eigentümer für eine durch die Beschränkung seines Eigentums entstehende Wertminderung des Grundstücks (Grundstücksteiles) eine angemessene Entschädigung verlangen. Eine Wertminderung ist nicht gegeben, wenn und soweit durch die Ausweisung eine bei Eintritt der Beschränkung tatsächlich ausgeübte oder nach Lage der Verhältnisse mögliche Benutzungsart nicht eingeschränkt wird. Für die Bemessung der Wertmin­ derung ist der Zeitpunkt der Beschränkung des Eigentums maßgebend.

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Anhang: Zweite Verordnung des Reichspräsidenten

(2) Der Anspruch auf Entschädigung entsteht mit dem Zeitpunkt, in dem die Freiflächenausweisung nach den landesgesetzlichen Vorschriften zum ersten Male öffentlich bekanntgemacht oder nach diesen Vorschriften dem Grundstückseigentü­ mer mitgeteilt worden ist. Die Entschädigung wird fällig mit Ablauf von 5 Jahren nach der Entstehung des Anspruchs. (3) Beträgt die Wertminderung mehr als die Hälfte des Grundstückswertes, so kann der Eigentümer bis zum Ablauf von 4 ½ Jahren nach Entstehung des Anspruchs von der Gemeinde (Gemeindeverband) statt der Entschädigung die Übernahme des Grundstücks (Grundstücksteiles) im Wege des Ankaufs oder der Enteignung verlan­ gen. Die Gemeinde (Gemeindeverband) hat sich bis zum Ablauf von 5 Jahren nach Entstehung des Anspruchs über das Verlangen zu erklären; lehnt sie das Verlangen ab, so ist die Freiflächenausweisung aufzuheben. (4) Wird die Freiflächenausweisung aufgehoben, so ist eine Entschädigung nur insoweit zu leisten, als der Eigentümer während der Dauer der Freiflächenauswei­ sung in der zur Zeit des Eintritts der Beschränkung tatsächlich ausgeübten oder nach Lage der Verhältnisse möglichen Benutzungsart beschränkt worden ist. Diese Ent­ schädigung ist mit der Aufhebung der Freiflächenausweisung fällig. Soweit eine höhere Entschädigung bereits geleistet ist, kann sie nicht zurückgefordert werden. (…) (6) Für die Verpflichtung zur Entschädigung bei Beanspruchung von Grundstü­ cken (Grundstücksteilen) für Gartenanlagen, Schmuck- und Kinderspielplätze, soweit sie nach Lage und Größe gemäß anerkannten städtebaulichen Grundsätzen unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse als Bestandteile öffentlicher Straßen und Plätze anzusehen sind, gilt § 2; die Abs. 1 bis 5 finden keine Anwendung.

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Literaturverzeichnis907 Nachtrag zu der Verordnung vom 01.02.1924, betreffend den Schutz von Tieren und Pflanzen, Sammlung der lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1927, S. 3 (Nr. 3). Nachtrag zum Gesetze vom 10.12.1921, betreffend den Denkmal- und Naturschutz, Sammlung der lübeckischen Gesetze und Verordnungen 1925, S. 9 (Nr. 9). Mecklenburg-Strelitzsches Waldschutzgesetz vom 07.04.1927, Mecklenburg-Strelitz­ scher amtlicher Anzeiger 1927, S. 135 (Nr. 21). Zweite Verordnung über Schaffung von Naturschutzgebieten vom 04.07.1927, Amts­ blatt für Anhalt 1927, S. 215 (Nr. 52). Denkmalschutzgesetz vom 05.12.1929 von Mecklenburg-Schwerin, Regierungsblatt für Mecklenburg-Schwerin 1929, S. 309 (Nr. 62). Hessisches Naturschutzgesetz vom 14.10.1931, Hessisches Regierungsblatt 1931, S. 225 (Nr. 24). Reichsnaturschutzgesetz vom 26.06.1935, RGBl. 1935 I, S. 821. Sonstiges (chronologisch) Großherzogliches Ministerium des Innern (Hrsg.): Die Denkmalpflege in Hessen 1818–1905, Gesetz, den Denkmalschutz betreffend vom 16.07.1902 nebst den zugehörigen Ausführungs-Vorschriften, Amtliche Handausgabe mit Motiven, Er­ läuterungen und einem Sachregister, Darmstadt 1905. Stenographischer Bericht der Erweiterten Ausschuss-Sitzung des Tages für Denk­ malpflege, Außerordentliche Tagung, Berlin 7. u. 8. Juli 1919, Berlin 1919. Verhandlungen der Verfassunggebenden Deutschen Nationalversammlung / Stenogra­ phische Berichte / Anlagen, Bd. 336, Berlin 1920. Stenographischer Bericht der dritten gemeinsamen Tagung für Denkmalpflege und Heimatschutz in Eisenach 1920, Berlin 1920. Stenographischer Bericht des Tages für Denkmal- und Heimatschutz am 28. / 29. Sep­ tember 1922 in Stuttgart, Karlsruhe 1922. Entwurf eines Gesetzes über die Entschädigungspflicht und den Rechtsweg bei Ent­ eignungen auf dem Gebiete des Städtebaues, Reichsarbeitsblatt 1931 (Nr. 13), 1. Teil, Amtlicher Teil, S.  89 ff. Bundestags-Drucksache V / 1879 mit einem Entwurf zur Ergänzung des Grundgeset­ zes (Notstandsverfassung) vom 13.06.1967, Deutscher Bundestag 5. Wahlperio­ de, III A / 2  – 10000  – 5410 / 67, S. 8 ff. Schreiben des Vorstandes des Reichsamt-Betriebsamtes der Stadt Kempten (Allgäu) an den Stadtkreis Kempten (Allgäu) hinsichtlich des geplanten Naturschutzgebie­ tes Hermannstobel, Stadtarchiv Kempten (Allgäu), Unterlagen zur Naturschutz­ geschichte der Stadt Kempten (Allgäu). Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Info-Flyer, Stand 03 / 2011. Plenarprotokoll 17 / 248 der 248. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 25.06.2013.

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Literaturverzeichnis909 Dokument „In China gilt erstmals höchste Smog-Alarmstufe“, Zeit online vom 08.12.2015, abrufbar unter www.zeit.de / gesellschaft / zeitgeschehen / 2015-12 /  smog-china-alarmstufe-rot-luftverschmutzung (letzter Abruf: 12.09.2016). Dorloff, Axel: Dokument „Höchste Alarmstufe in Peking – Smog in Chinas Haupt­ stadt“ vom 08.12.2015, abrufbar unter www.tagesschau.de / ausland / smog-peking117.html (letzter Abruf: 12.09.2016). Artikel „Elektromobilität – Einigung auf Kaufprämie für E-Autos“ vom 27.04.2016, abrufbar unter www.m.bundesregierung.de / Content / DE / Artikel / 2016 / 04 / 201604-27-foerderung-fuer-elektroautos-beschlossen.html (letzter Abruf: 08.11.2016). Dokument „Weltklimavertrag  ‒ EU-Parlament stimmt für Pariser Klimaabkommen“ vom 04.10.2016, abrufbar unter www.zeit.de / wirtschaft / 2016-10 / weltklimaver trag-eu-parlament-abstimmung-mehrheit (letzter Abruf: 18.10.2016). Dokument „Unglück von Rio Doce – ein Paradies, begraben unter Schlamm“, Zeit online vom 05.11.2016, abrufbar unter www.zeit.de / wissen / umwelt / 2016-11 / mi nen-unglueck-rio-doce-brasilien-umwelt-fs (letzter Abruf: 06.11.2016).

Sachverzeichnis Absolutismus  267 allegorisches Bild der Weltgeschichte  47 ff. Allgemeines Landrecht für die preußi­ schen Staaten aus dem Jahre 1794  338 f., 373 Amtsbegriff  636 Anarchie  582 f. Anthropozentrik und Ökozentrik  480 ff. Aristokratie  466, 478 Atomenergie  477 ff. Aufgabe des Staatsgebiets  647 f. Aufklärung  58 f., 198, 413 f., 520, 541, 596 Bedarfsprüfungen, staatliche  748 bedingte, schwebende Geltung des Rechts  593 f., 659, 686 f., 704 Bestandsschutz, dynamischer  718 f. Bewirtschaftungs- und Teilhabekonzept von Umweltressourcen  694 ff. Bindungslehren des pouvoir constituant, rechtliche und politische  506 ff. Braunkohlenbergbau  758 f. Bund-Länder-Streit  678 Bundesauftragsverwaltung  676 Bundesexekution  658 Bundesstaat  655 ff. –– Begriffsbestimmung, klassische  665 –– dreigliedrige Einteilung in Gesamt­ staat, Oberstaat und Gliedstaaten  668 ff. –– Gesetzgebung und Vollziehung im Bundesstaat  672 –– konföderaler und unitarischer  665 f. –– Kooperativer Föderalismus  674 ff. –– Koordinaton, bundesstaatliche  671

–– natürliche unitarische Tendenz im naturstaatlichen Bundesstaat  672 ff. –– rechtsinhaltliche Differenzierung in den Gliedstaaten  673 –– territoriale Gliederung des Staatsge­ biets  726 –– Verhältnis zum Staatenbund  655 f. –– Zweikammersystem und Prinzip der Bundestreue als Wesenskriterien  666 Bundestreue  666 Cartesianismus  48 f., 518 civitas maxima  486 ff. clausula rebus sic stantibus  792 contrat social  649 ff. Daseinsvorsorge  726 f. dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung  734 f., 745 de l’ésprit des lois  682, 781 f. Deduktion von reinen Verstandes­ begriffen, kantianische  46, 517 ff., 540 ff., 687 f. Demokratie –– direkte  649 ff. –– mittelbare und unmittelbare  627 ff., 649 ff. –– parlamentarische  413, 418 ff., 649 ff. demokratische Legitimation  387 f., 611, 615 f. –– funktionelle und institutionelle Legitimation  616 –– organisatorisch-personelle Legitima­ tion  616 –– sachlich-inhaltliche Legitimation  616 Demokratisches Prinzip  280, 419 f., 613 Demokratisierung des öffentlichen Raumes  642 ff.

Sachverzeichnis911 Denaturierungsverbot, verfassungsrecht­ liches  273 ff., 369 Deontologie, pflichtenethische  731 Deregulierung  713 Derogation einer Rechtsnorm  454, 813 Despotie  415 Desuetudo  575 f. Dezentralisation –– dynamische und statische  660 –– ganze und teilweise  660 f., 665 f. Dezisionismus  102 ff., 170 f., 183 f., 233, 315 ff., 335, 373 f., 375 f., 481 f., 785 ff. Diktatur  413, 420 ff. Diktaturgewalt  367, 370 f., 374, 389, 392 ff., 398 ff., 406 Dolchstoßlegende  285 f., 293 f. Drei-Elemente-Lehre  77 ff., 461 Effizienzgebot  567, 582 f., 784 f., 806, 809 Eigenrechte der Natur  480 f., 484 f., 623 f. Eigentumsfreiheit  458, 748 f. Eingriffsverwaltung  472 ff., 716, 728 Einheitsstaat  660 f. –– dezentralisierter und zentralisierter  661 –– Einteilung nach territorialer Geltung der Normen und der normsetzenden Autorität  660 f. –– Verwaltungseinheiten wie Provinzen und Selbstverwaltungskörperschaften  661 Einstweilige Anordnung, verfassungs­ gerichtliche  775 f. Elektroautos  757 Emergency Powers Act  794 f. Emissionszertifikatehandel  720 f., 739, 747 Energierecht  755 Energiestaat  754 ff. Enteignung und Inhalts- und Schranken­ bestimmung, Abgrenzung historisch  336 ff., 359 ff., 404 ff.

Entstehungsbedingungen des Staates, künstliche und natürliche  27 f., 149, 152 ff., 494 ff., 513 Environment Compensation Charge  780 f. Erdbeben in Lissabon im Jahre 1755  491 f., 785 Erkenntnisprinzip, neukantianisches  619 Ersatzgesetzgeber, verfassungsgericht­ licher  396 f., 423 Ersatzvollziehung, verfassungsgericht­ liche  780 Erzeugungsmethoden  410 ff. État d’Urgence  794 Ethik, politische  245 f., 590 Europäische Luftreinhalterichtlinie  780 f. Europäische Union  758 Ewigkeitsgarantie  366 f., 581 f., 596 f. Exekutivstaat  299, 715 ff. Existenzminimum, ökologisches  597, 774, 808 f. Föderalismus  367, 401, 666 Fraktionszwang  636 ff. Französische Revolution  198, 491, 497 Freiheit als objektives Wertprinzip  450 Freiheitsbegriff, kantianischer und kelsianischer  535 ff. Freund-Feind-Unterscheidung  106 f., 289 Fukushima  479, 808 Garantenpflicht, beim Unterlassungsde­ likt  778 Garzweiler II  758 f. Geltung und Wirksamkeit einer Rechts­ norm bzw. der Rechtsordnung  573 ff., 750 Geltungsgrund –– formeller und materieller  39, 482 ff., 529 f. –– natürlicher  586 ff., 592 f., 602, 613, 617 f., 647 f., 701, 704 f., 740, 748 f., 751, 790 f., 809

912 Sachverzeichnis Gemeinschaftsaufgaben, verfassungs­ rechtliche  680 f. Gemeinschaftswert Umweltschutz, völkerrechtlicher  816 ff. Gemeinwille und Gesamtwille  221, 651 Generationenvertrag  731 Geopolitik  88, 612 ff. Gerechtigkeit, rechtsphilosophisch  801 ff. Geschichtsphilosophie  47 ff. Gesellschaft, organisierte  205 ff., 752 f. Gesellschaftsvertrag  489 f., 690 Gesetz im materiellen Sinne, historisch  299 Gesetzgebung im Naturstaat  473, 706 ff., 752 f. Gesetzgebungsstaat  298 ff., 715 f. Gestaltungsverwaltung  472 ff., 716, 728 Gewährleistungsverantwortung, staatliche  447 f., 739 f. Gewaltenteilung  59, 257 f., 367 ff., 381 f., 396 f., 407, 423, 596, 682 f., 686 f. gewandelter Erkenntnishorizont im Naturstaat  706 ff. Gewerberecht  745 f. globale Erderwärmung  28 f. Göttliches Recht  414, 766 Gorgonenhaupt der Macht  572, 577 ff., 585, 687 f., 749, 799 Gottesgnadentum  413 ff., 609 f. Grundnorm, äußere  40 f., 46, 175, 431, 491 ff., 605, 613 ff., 619, 626, 731 f., 641 f., 646 ff., 658 ff., 663 f., 672 ff., 675, 676 ff., 684 ff., 699 f., 703 f., 706, 731 f., 735 f., 739 f., 748 ff., 759, 770 f., 780, 790, 799, 802, 809, 819 ff. –– als empirische Hypothese  559 ff., 605, 749 –– als Gottesnorm  602 ff. –– als konventionale Hypotaxe  590 ff., 600, 647 f., 659, 684, 686 f., 701 f., 739, 748 ff., 752, 802

–– als Verfassung im rechtslogischen Sinne  590 ff., 701, 752 –– bedingte, schwebende Geltung des Rechts im Falle des Untergangs der äußeren Grundnorm  686 f., 704 –– Einsetzung einer akzentuierenden Autorität  685 –– ohne eigenen äußeren Stufenbau  685 Grundnorm, traditionelle  41, 46, 108 f., 142 ff., 170 f., 397 f., 402 f., 450, 454, 485, 489 f., 504 ff., 525 ff., 543 ff., 558 ff., 573 ff., 602, 607, 683 f., 687 ff., 692 f., 750, 770, 805 f., 809 –– als Dreh- und Angelpunkt der Reinen Rechtslehre  544 f. –– als eine Art naturrechtlicher Konstruk­ tion  505, 569 f. –– als empirische Hypothese  559 ff. –– als Fiktion  533, 550 f., 556, 561 f. –– Aristotelischer Empirismus  565 ff. –– Bedingung der sozialen Wirksamkeit  144, 403, 573 ff., 602, 750 –– Funktionen  525 ff., 579 f., 687 f. –– inhaltsleere  170 f., 489 f., 529 f., 538 f., 581, 688 f., 692 f. –– Platonische Hypothese  558 f., 562 ff. –– Unterschied zur äußeren Grundnorm  553 –– Verfassung im rechtslogischen Sinne  450, 454, 485 Grundnorm, völkerrechtliche  484 ff., 819 ff. Grundrechte –– Abwehrfunktion, klassische  699 –– Schutzfunktion, objektiv-rechtliche  699, 774, 778 Grundrechte der Weimarer Reichsver­ fassung  265 f., 276 f. –– als in sich geschlossenes Kultursystem  353 ff., 420 f. –– Dogmatik  265 ff. –– Katalog als interfraktionelles Partei­ programm  32 f., 265 Grundsatz der gemäßigten Soziologie  592 f., 641 ff.

Sachverzeichnis913 Grundsatz der Souveränitätsteilung Grundsatz der strengen Subsidiarität bezüglich eines ökologischen Widerstandsrechts  812 Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes  301, 419 f. Grundversorgung  755 Grundvertrag  489, 650 f., 690, 692 Hamburger Sturmflut  789 Handlungsfreiheit, allgemeine  458 Hüter der naturstaatlichen Verfassung  760 ff. –– Diskurs  760 ff. –– Verfassungsgericht als Hüter des äußeren Sinns  770 ff. –– Vorschläge, wissenschaftliche  760 ff. Hüter der Verfassung  266 ff., 359 ff., 760, 763 Hypostasierung des Staates  140, 612 f. Idealstaat Platons, gerechter  53 ff., 437 ideengeschichtliche Entwicklungsstufen des modernen Staates  29 f., 58 ff., 437 ff. il principe  112 Immanenztheorien, ökologische  696 ff. Imperativ, kategorischer  596 implied powers  793 impliziter Hegelianismus der Reinen Rechtslehre  323 Industrielle Revolution  186 f. Industriestaat  711 f. Institutsgarantie  273 ff., 369 Integrationslehre  124 ff., 172 f., 259 f., 292, 296, 318 ff., 378 ff. –– Bundesstaat  667 f. –– Integrationsfaktoren, persönliche, sachliche und funktionelle  126 ff. –– Rechtstheorie  318 ff. –– Richterliches Prüfungsrecht  378 ff. –– Staat als geistige Einheit  124 ff. Internationale Gemeinschaft der Völker  29

Jurisdiktionsstaat  267 f., 385, 387, 403, 698 jus secessionis  658 Kaufprämien  757 Klassierung  225, 230 f., 307 Klimaschutzrecht  755 Kodifizierung von Umweltstandards  616 f. Kohleabgabe  757 Kompetenz-Kompetenz  624 Konkordanz, praktische  748 Konvention  590 ff., 600, 620, 700, 704 f., 714 f., 753 f. –– als Sinnprinzip der Verfassung  700 ff. –– Analogie zu konventionellen Verfas­ sungsregelungen  590 ff., 702 f. –– Begriffsbestimmung, klassische  751 Konventionalprinzip  736, 821 Konzentrationswirkung  709 Kooperation  713, 735 Kooperation mit dem Techniksektor  712 ff. kooperativer Föderalismus  674 ff. –– Anwendungsbereich  676 f. –– Begriffsbestimmung  676 –– Bindung an Gesamtverfassung  677 –– Handlungsformen  675 f., 678 ff. Koordination, bundesstaatliche  671 Kopernikanische Wende  30 f., 517 f., 523 Kopula als Verknüpfung von Bedingung mit Folge im Rechtssatz  320 ff., 622 f. Kritik der praktischen Vernunft, kantianische  534 ff., 602 Kritik der reinen Vernunft, kantianische  517 ff., 533, 540 ff. Kritik der Urteilskraft, kantianische  553 f. Kulturaufgaben, rechtsinhaltliche –– Sozialstaat  726 ff. –– Wirtschaftsstaat  742 ff. Kurie  766

914 Sachverzeichnis la scienza nuova  47 ff. Legalenteignung  351 Legalität und Legitimität  170 Legitimation und Legitimität  610 f., 807 Legitimationskonzepte der Verfassung  410 ff. Legitimität, soziologische  451 ff. –– charismatische  451 ff. –– rationale  451 f. –– traditionale  451 ff. Lehnswesen, mittelalterliches  460 Leistungsverwaltung  472 ff., 716, 728, 731 les six livres de la république  58, 111 f. Leviathan  58, 112 f., 440 Liberalismus, politischer  198, 202, 214, 234, 240, 434, 446 f. List der Vernunft  322, 430 Logik und Recht  560 Magna Charta der Natur  487 f. Makroanthropos  90 ff., 140, 144 Mandat  635 f. –– freies  635 f. –– imperatives  635 Marxismus  424 f. Medien  642 f., 645 f. Meinung, öffentliche  204, 645 f. Menschenrechte, unveräußerliche  596 Menschenwürde  432, 448 f., 477, 480 f., 584 f., 589 f., 597 f., 600 Methoden- und Richtungsstreit  64, 259, 356 Methodensynkretismus  171 f. Mischverfassung, gewaltenteilige  643 Mobilisierung, Prinzip der  644 Modelle eines Parteienstaates  637 f. moderner Staat als Repräsentativstaat  627, 635 Monarchie –– absolute  198, 413 ff. –– konstitutionelle  198, 416 ff.

monarchisches Prinzip  183 f., 198, 413 ff., 609 f. Moralischer Skeptizismus  608 Multilateralität, Multifinalität und Multimedialität als Lösungsansätze zur rechtlichen Bewältigung von Umweltproblemen  708 f. Murswieksches Bewirtschaftungs- und Teilhabekonzept von Umweltres­ sourcen  694 ff. Nachhaltigkeitskonzept im Sinne einer dauerhaft-umweltgerechten Entwick­ lung  457, 745 Nachtwächterstaat  446 f., 711, 731 Nationalsozialismus  235, 312 f., 318, 335, 377 f., 422, 428 Nationalstaatstheorie  95 ff. Natur –– als äußere Grundnorm  522 ff. –– als Akzentsouveränität  626 –– als akzentuierende Rechtsgröße  626, 685 f. –– als Konventionalgewalt im Staat  585 ff., 593 f., 700, 739 –– als nicht selbst vertretungsfähige Größe  619, 773 –– als pouvoir naturel  498 ff., 585 ff., 599, 611 f., 624, 644 f., 655, 686, 751 –– das Wesen der Natur, staatstheoreti­ sche Erklärungsansätze  494 ff., 511 ff. –– negative und positive Auswirkungen  499 Naturbeachtensbefehl, formaler  482 ff., 592 ff. Naturdisziplin, repräsentative  640 f. Naturrecht  138 f., 449, 455, 482 ff., 497, 501 ff., 526 f., 531 f., 589, 689 f., 692, 766, 812 Naturschutz im Deutschen Kaiserreich –– Begriff des Naturdenkmals  192 ff. –– Budgetrecht als Faktor der Demokrati­ sierung  219 ff. –– legislative Manifestation  220 ff.

Sachverzeichnis915 –– Makroebene  199 ff. –– Mesoebene  205 ff. –– Mikroebene  201 ff. –– Organisationsmodelle des Natur­ schutzes zwischen Staat und Privaten  214 ff. –– Verhältnis Naturschutz und Heimat­ schutz  195 f., 254 Naturschutz im Deutschen Reich –– Ausgangslage, politische  280 ff., 298 ff., 303 f., 336 f. –– Effizienz des Naturschutzes  294 f., 308 ff. –– Eigentumsproblem, verfassungsrecht­ liches  336 ff., 359 ff. –– Entstehung des Rechtsinstituts der Planung  284 f., 291 f., 306 f., 312, 331 f. –– Gesetzestechnik  307 f. –– Gesetzgebung der Länder  300 ff. –– nationale Ideologisierung des Naturschutzes  285 ff., 295 ff. –– Naturschutzstrategien, demokratische  289 ff. –– Organisationsmodelle des Natur­ schutzes zwischen Staat und Privaten  303 ff. –– Rechtsprechung  340 ff. –– Verfassungswandlung im Lichte des Naturschutzes  324 ff. Naturschutz im Königreich Preußen  185 ff. Naturschutzgesetze im Deutschen Kaiserreich –– Hessen  223 ff., 324 –– Oldenburg  228 ff., 324 Naturschutzgesetze im Deutschen Reich –– Anhalt  329 f. –– Bremen  329 –– Hamburg  327 f. –– Hessen  333 –– Lippe  326 –– Lübeck  327 f. –– Mecklenburg-Schwerin  329 f., 332 f.

–– Mecklenburg-Strelitz  329 f. –– Preußen  326 f. Naturstaat –– als Exekutivstaat  715 ff. –– liberaler  737 ff. Naturstaatsbegriff –– dezisionistischer  115 ff. –– dualistischer  81 ff. –– geistiger  131 ff. –– naturalistisch-materialistischer  97 ff. –– normativer  146 ff. –– soziologischer  165 ff. Naturstaatsprinzip, bundesstaatliches  672 f. Naturstaatsverfassung  731 ff. –– Elementarität  731 –– Gesamtverantwortung  731, 734 –– Nachweltvorsorge  731 Naturstaatszwecklehre  434 ff. –– Lehren vom kollektivistischen bzw. individualistischen subjektiven Naturstaatszweck  442 ff. –– Lehren vom universalen bzw. partikularen objektiven Naturstaats­ zweck  436 ff. Netzausbau, überregionaler  754 normative Kraft des Faktischen  74 Normativismus  317 ff. Normenkontrolle, abstrakte und konkrete  406 f. Norminterpretation  321 f. Notverordnung zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 05.06.1931  36, 41, 360 ff., 421 f., 453 nukleare Katastrophe als Grund für die Unbewohnbarkeit des Staatsgebiets  588, 704 Nullifikationsrecht  656 f. Obrigkeitsstaat  68 f., 232, 242, 280, 299 öffentliche Meinung  204, 645 f. Öffentlichkeitsbeteiligung  735 Ökoaristokratie  466

916 Sachverzeichnis Ökodiktatur  460, 736 ff. Ökofaschismus  420 ff., 466, 738 Ökoliberalismus  740 f. ökologische Legitimation  456, 613, 617 ff., 633 f. ökologischer Rat  463 f., 761 f., 767 f. ökologischer Steuerstaat  721 f. ökologisch-länderfreundliches Verhalten  336, 353 ff., 398, 406, 420 f., 666 f., 672 ff. Ökonomisierung  713 Ökosozialismus  424 ff., 466, 738 Ordnungsdenken, konkretes  102 Ordnungsrecht, klassisches  710, 717, 719 Organbegriff  632 f. –– Organe im engeren und weiteren Sinne  632 f., 642 f., 752 –– Verhältnis eines Organs zu einem anderen Organ als positivrechtliches, rechtsinhaltliches Verhältnis  629 –– Verhätnis eines Organs zum Staat als Rechtswesensbeziehung  629 Organismuslehre  91, 130, 612 f. Organschaft und Repräsentation  627 ff. Parlamentarismus, historisch  627 Parteien  636 ff., 642 f. Parteienstaat  636 ff. Paulskirchenverfassung  265 Petition  774 f., 777 Planfeststellungsverfahren  709, 754 Planung  474, 717, 746, 754 Planverwaltungswirtschaft  424 ff., 466, 738, 750 Plebiszit, das sich jeden Tag wiederholt  124, 131, 627 f. Pluralismus  367, 401 Polis  244 politische Geographie, kantianische  517 ff. Polizeistaat  463, 711 Polykratie  367, 401 Positivismus, kritischer  530 ff., 687 f.

Potsdamer Institut für Klimafolgen­ forschung  680 pouvoir constituant, Lehre vom  233, 240 f., 353 f., 359 f., 373 f., 376 f., 419, 455, 491 ff., 501 ff., 549, 599 –– Bindung des pouvoir constituant, rechtliche und politische  506 ff., 599 –– Wesen des pouvoir constituant  501 ff. pouvoir constitué, Lehre vom  314, 365 f., 491 ff., 581 f. pouvoir intermédiaire, Lehre vom  475, 686 f. pouvoir neutre, Lehre vom  392 f. Präambel des Grundgesetzes  597 Präventionsstaat  463, 468, 470 ff. präventives Verbot mit Erlaubnisvorbe­ halt  718, 732 Primärrechtsschutz  358 Primat der Völkerrechtsordnung  820 f. Primat des Gesetzgebers in der parla­ mentarischen Demokratie  257 f., 387, 421, 616, 698 Prinzip der Zuschreibung  619 Prinzipien des Umweltrechts  731 ff. –– Gefahrenabwehr- und Schutzprinzip  732 –– Gemeinlastprinzip, subsidiäres  733 f. –– Integrationsprinzip  308, 732, 734 –– Kooperationsprinzip  732, 735 –– Nachhaltigkeitsprinzip  732, 734 f., 745 –– Verursacherprinzip  732 f., 747 –– Vorsorgeprinzip  732 f. private Normungsverbände  61 f. Privatisierung  713, 727, 739 f. Prozeduralisierung  713 qu’est-ce que le tiers état  491 Radbruchsche Formel  801 f. ragione di natura  443 f., 791 Raumzeit, juristische  772 Rechtsbegriff, kelsianischer  320 ff., 545 f., 622 f.

Sachverzeichnis917 Rechtsgeschäft  753 Rechtskreis, externer und interner  621 Rechtsnormen, generelle und konkrete  685 f., 736 f., 751 Rechtsökologie, sozialtechnische  750 f., 774 Rechtspositivismus, naturzentristischnormativ akzentuierter  701 Rechtsprechung im Naturstaat  715, 724, 752 f. Rechtsrealismus  73 ff., 83 ff., 124 ff., 154 ff., 166 f., 318 ff. Rechtsstaat, bürgerlicher  690 f. Rechtsstaat, geschichtliche Entwicklung  690 ff. Rechtsstaat, ideengeschichtlich  58 f., 437 f. Rechtsstaat, liberaler  317, 690 f. Rechtsstaat, sozialer  160 f., 693 Rechtsstaat im formellen und materiel­ len Sinne  450, 692 ff., 805 f. Rechtssubjekt  642 f. Rechtswissenschaft, wertfreie  608 Regulierungsrecht  727 Reichsnaturschutzgesetz  35 f., 333 ff. Reine Rechtslehre  38 f., 134 ff., 172 f., 427, 455, 499, 534 ff., 539, 543 ff., 601 f., 605 ff., 619, 624, 688 f., 692 f., 753, 806, 824, 692 Reinheitspostulat  38, 135, 427, 432, 455, 489 f., 505, 516, 529 f., 601 f., 619, 624, 692 Repräsentation  627 ff. –– als Fiktion  639 –– idealistische und pragmatische  634 –– im formellen und materiellen Sinne  631 f. Repräsentative Naturdisziplin  640 f. repressives Verbot mit Befreiungsvor­ behalt  718 Ressourcenverbrauch  29 Revolution  808 Revolution der Denkart, kantianische  517 f.

richterliches Prüfungsrecht  266 ff., 351, 359 ff. Risiko  466, 468, 706 ff., 728, 732 f., 752 f. Risiko- und Prognosestaat  728 Sachverständigenrat für Umweltfragen  680 Saldierungslösungen  719 f. Scholastik, mittelalterliche  766 Selbstbewegung des Rechts, dynamische  684 Selbstorganisation der Gesellschaft  280 ff., 299 f. Selbstregulierung, regulierte  722 f. Selbstverpflichtungslehre  76 f., 484 ff., 600 f., 613, 615, 623 f., 654, 659 f. Selbstverteidigungsrecht des Staates  655 f. Sicherheitsstaat, ideengeschichtlich  58, 437 f. Sinnkontinuum  40, 52, 751, 772 Sonderweg oder instabile Zwischenlage in der Deutschen Geschichte  176 ff., 233 ff., 427 ff., 610 Sonnenkönig (l’état c’est moi) 414 Souveränität, klassisch  77 Souveränitätsbegriff, materieller  624 Souveränitätsteilung, Lehre von der  687 Sozialstaat  726 ff. –– Abgrenzung zum Naturstaat  729 ff. –– Anwendungsbereich  726 f. –– ideengeschichtlich  59, 437 f. –– liberaler  737 f. –– soziale Gerechtigkeit und Wohlfahrts­ staatlichkeit  726 f. Sozialstaatsprinzip  729 f. soziokulturelle Homogenität  157 f., 162 ff., 582 f., 811 f. Soziologie, verstehende  453 f. Staat –– als Gestalt  158 f. –– als juristische Einheit  629 f., 726

918 Sachverzeichnis –– als Konventionsstaat  660 –– als Rechtsordnung  36 ff., 134 ff., 319 f., 390 f., 449 ff., 453 f., 671, 706, 726 –– überforderter angesichts der gewan­ delten Erkenntnisperspektive im Naturstaat  709 f. Staat-Natur-Streit  780 Staatenbund  655 ff. Staatsbürokratismus, selbstbegrenzender  457 Staatsformen (normativ) 410 ff. –– absolute Monarchie  413 ff. –– Diktatur  420 ff. –– Idealtypen und Realtypen  412 f. –– konstitutionelle Monarchie  416 ff. –– parlamentarische Demokratie  418 ff. –– totalitäres Regime  422, 432 –– verfassungsgerichtliches Königtum  423 f. –– sozialistische Staatsform  424 ff. Staatsfunktion als Rechtsfunktion  390, 407, 683 f. Staatsgebiet –– als Fläche oder dreidimensionaler Raum  621 f. –– als räumliche Geltungsbeschränkung von Normen  622 –– als völkerrechtliche Norm  686 –– keine Identität mit Staat  39 f., 498 Staatsgebietstheorien –– als dezisionistisch festgelegter Raum der Herrschaft  112, 287 f. –– als organisches Triebmoment  92 ff., 287 f. –– als raumbezogene Organisations- und Ordnungseinheit  160 ff. –– Gebiet als sachlicher Integrationsfak­ tor  130 f. –– Gebiet als verletzbares Element der Staatspersönlichkeit  77 ff. –– Kompetenztheorie, ausschließlich normative Erklärungsweise  144 ff., 625

–– Objekttheorie  78, 625 –– Raumtheorie  625 Staatsgewalt als Geltung einer Rechts­ ordnung  141, 683, 784 f. Staatsnotstand  624, 783 ff. –– Modelle von Notstandsverfassungen  788, 792 –– Notstandsverfassungen moderner Staaten, ausgewählte  792 ff. –– staatstheoretischer Hintergrund  785 ff. –– Stunde der Exekutive  788 f. –– Suspendierung von Grundrechten, vorübergehende  791 Staatsobjektivismus  431 ff., 484 ff. Staatsperson als Endpunkt der Zurech­ nung  619, 625 Staatsräson  443 f. Staatsstrukturprinzipien  368 f., 596 f. Staatssubjektivismus  432, 480, 484 f., 613 Staatstheologie  102 f. Staatstheorie –– dezisionistische  104 ff., 170 f. –– dualistische Betrachtung  69 ff., 173 ff. –– geistige  122 ff., 172 f. –– materialistisch-naturalistische  89 ff., 169 f., 295 f., 382 f., 482, 745 –– nichtpositivistische  86 ff., 101 ff., 121 ff., 150 ff., 295 ff. –– normative  134 ff., 168 f. –– patrimoniale  455, 612 –– plebiszitär-autoritäre  289, 295 ff. –– positivistische  67 ff., 134 ff. –– soziologische  152 ff., 171 f. –– theokratisch-patriarchalische  612 Staatszweck  73, 79, 82 f., 97, 122, 130 f., 139 ff., 147 f., 159, 167, 434 ff., 455 –– absoluter und relativer  442 ff. –– expansiver und limitierender  442 ff. –– Macht- und Kulturzweck  140 f., 726, 743

Sachverzeichnis919 –– Rechtszweck  140 f., 147, 455 Staatszwecklehre, klassische  434 f. Ständegesellschaft des Feudalsystems  198 Ständevertretung  415 Stufenbau der Rechtsordnung  142 ff., 323, 391, 403 f., 407, 419 f., 423, 528 f., 539 f., 552 f., 576 f., 659, 683 f., 687 ff., 692, 701, 751, 778 f. –– rechtsökologisch akzentuierter  750 ff. Stuttgart 21  654 substantielles Staatsverständnis als Erschleichung eines in sich wider­ sprüchlichen Einheitsprinzips  684 Subventionen  218 f., 722, 746 sukzessive Entstehung einer Staatsauf­ gabe  33 f., 79 Superrevisionsinstanz, Verfassungs­ gericht nicht als  404 Supreme Court of India  780 Technikstandards  616 technische Anleitungen, TA Luft und TA Lärm  678 f., 774 Teilhaberecht an Umweltrechtsgütern  694 ff. Theodizee und Staatsunrecht  491 f. Tierstaaten  86, 784 Totalitarismus  315 ff., 422, 424, 445 f. Trennung von Sein und Sollen  135 ff., 608 Trennung von Staat und Gesellschaft  91, 197 f., 206, 220 f., 280 f., 299, 417, 708 f. Trennungsthese von Recht und Moral  608, 803 Trinkwasserversorgung  740 Tschernobyl  588, 704 Umwelt-Audit  723, 735, 747 f. Umwelt- und Naturstaatstheorien  457 ff. –– Atomstaat  477 ff. –– Naturstaat  459 ff. –– ökologischer Gleichgewichtsstaat  475 ff., 642

–– ökologischer Rechtsstaat  457 f. –– ökologischer Verfassungsstaat  461 ff. –– Präventionsstaat  470 ff. –– Staat der Zukunfts- und Entwick­ lungsvorsorge  467 ff. –– Umweltgestaltungsstaat  472 ff. –– Umweltstaat  464 ff. Umweltabgaben  721, 733, 739, 747 Umweltinformationsrecht  722 Umweltkammer beim Verfassungs­ gericht  776 f. Umweltministerkonferenzen  678 f. Umweltpflichtigkeit des Eigentums  749 Umweltrechtsprinzipien  731 ff. Umweltstaat –– Abgrenzung zum Sozialstaat  729 ff. –– Anwendungsbereich  727 f. –– ausgerichtet an der pflichtenethischen Deontologie  731 –– ergänzende und weitere Typisierungen  711 –– ideengeschichtlich  59 ff., 437 f. Umweltstandards  616 Umweltverbände  740 f., 764 ff. Umweltverträglichkeitsprüfung  746 Unitarismus  666 Universales Weltgesetz der Geschichte  49 ff., 430 f., 814 f. Untergang des Staates  586 ff. Untermaßverbot  774 Unternehmen, öffentliche  642 f. Unterscheidung pouvoir constituant und pouvoir constitué  491 ff. Unterscheidung von Rechtsgesetz und Kausalgesetz  321, 450 Unterscheidung von Umweltstaat und Naturstaat  29 f. Ursache- und Wirkungszusammenhang, unsicherer  734 Utilitarismus  731 Vaihingersche „Als-Ob“-Philosophie  533, 550 f., 556, 561 f., 602 Vatikanstaat  414

920 Sachverzeichnis Verantwortung, Prinzip der  639 f. Verbände  642 f. Verbandsklage, altruistische  765 Verbot von erheblichen grenzüberschrei­ tenden Umweltschädigungen  703 Vereins- und Versammlungsfreiheit  206 Verfassung –– absolute und relative  104 ff., 364 ff. –– im formellen und materiellen Sinne  641 f. –– normative und reale  244 ff., 313 f. –– positiver Verfassungsbegriff  104 ff., 295 f., 364 ff., 400 ff., 420 ff., 444 f., 581, 600 f., 693 f. Verfassunggebung  501 ff. Verfassungsänderung  275, 369 Verfassungsbeschwerde  406 f., 775 Verfassungsnorm des Art. 150 I WRV –– als institutionelle Garantie der Natur  269 ff., 369, 399, 419 –– Entstehungsgeschichte  247 ff., 370 –– Entwicklungsgebot  262 –– Erziehungsfunktion  259 –– Ganzheitlicher Integrationsansatz  263 f., 419 –– Gefahrenabwehr- und Schutzprinzip  260 f., 419 –– Gesetzgebungskompetenz, konkurrie­ rende  256 ff., 269, 301 f. –– kultureller Naturschutz  253 ff. –– materieller Gehalt  256 ff. –– rechtliche Wirkungen  265 ff., 302 f. –– Verfassungswandel im Lichte des Naturschutzes  323 ff. –– Verursacherprinzip  261 –– Vorsorgeprinzip  261 f., 419 Verfassungsgerichtsbarkeit –– als Hüter des äußeren Sinns  770 ff. –– Einheitsmodell und Trennungsmodell  363, 381, 406 Verfassungsgerichtsbarkeit, historisch  266 ff., 359 ff. –– Alternativvorschläge und Theorien  364 ff.

–– Ersatzgesetzgeber, negativer  396 f., 423 –– Minderheitenschutz, demokratischer  397, 407, 423, 773 –– Vereinbarkeit mit Gewaltenteilung  397, 407, 423, 782 Verfassungslehre  369 f., 373 ff. Verfassungsnorm des Art. 20a GG  596 ff. Verfassungsrecht, gelebtes  725 Verfassungsrhetorik  589 Verfassungswandlung  313 f., 323 Vergabe öffentlicher Aufträge  722, 746 Verhältnis der Reinen Rechtslehre zur kantianischen Kritik der praktischen Vernunft  534 ff. Verhältnis von Geltung und Wirksamkeit einer Rechtsnorm  573 ff. Verhältnis von Sicherheit und Freiheit  446 f., 711 f. Verhältnis von Staat und Natur –– als staatenbündisches Analogon  601, 625, 655 ff., 685 –– Weltstaatsordnung, objektive  482 ff., 655 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  749 Verhaltenssteuerung –– direkte  717 ff. –– indirekte  720 ff. Verordnungsrecht praeter legem, monarchisches  416 Versailler-Friedensvertrag  283 Verwaltung im Naturstaat  473, 715 ff., 752 f. –– Beurteilungsspielräume, weite  724 –– Einschränkung der Parlamentssouve­ ränität  715 ff., 752 f. –– Gestaltungsverwaltung  472 ff., 716, 728 –– Handlungsformen der Verwaltung  717 ff. –– selbststeuernder Exekutivstaat  715 f., 724 f. –– vorverlagerte Eingriffsschwellen  466, 716

Sachverzeichnis921 Verwaltungshandeln –– informales  735, 739 –– konsensuales  722 ff. Verwaltungslehre –– hinsichtlich der Organisation des Naturschutzes im Deutschen Kaiser­ reich  214 ff. –– hinsichtlich der Organisation des Naturschutzes im Deutschen Reich  303 ff. Verwaltungsverfahren, mehrstufiges  719 Verwaltungsvorschriften, normkonkreti­ sierende  774 Vetorecht, suspensives  767 f. Vichianismus  47 ff. Völkerrecht  815 ff. Volksabstimmungen  653 f. Volksdemokratie  424, 635 f. Volksgeist  40 f., 45, 65 f., 330, 413, 430 ff., 812 Volksinitiativen  653 Volkssouveränität, Dogma von der  609, 613, 627 Vorabentscheidungsverfahren, europa­ rechtliches  780 f. Weltgeist  36, 41 f., 45, 65 f., 246, 325, 330, 430 ff., 440 f., 454 f., 487 f., 497 f., 509 f., 514 f., 517, 548, 595 f., 600, 602, 780 Weltgericht  42, 330, 410, 431 Weltgeschichte  42, 53, 58 f., 330, 600 Weltklimavertrag  40, 42, 676, 822 Weltstaatsordnung zwischen Staat und Natur  484 ff., 516, 618, 655, 658 f., 819 ff. Weltwirtschaftskrise  34

Werteordnung aus überpositivistischen Rechtsgrundsätzen als materielle Grundnorm  154 ff., 318, 385 ff., 423 f., 452, 514 f., 601, 693 ff. Werterelativismus  459 f., 593 f., 598, 613 ff., 692, 700, 731 f., 736 Wesentlichkeitstheorie, umgekehrte  616 f. Widerstandsrecht, ökologisches  800 ff. Wiener Rechtstheoretische Schule  36 f., 390, 499 Willkürverbot  694 ff. Wirtschaftsstaat  742 ff. –– Gesamtwirtschaft als Ausrichtung  744 –– Verhältnis zum Naturstaat  457, 746 –– wirtschaftliche Wohlfahrt  743 f. –– wirtschaftspolitische Mittel  745 f. –– Wirtschaftsverfassung  743 f., 750 ff. Zentralisation –– dynamische und statische  660 –– ganze und teilweise  660 f., 665 f. Zielsteuerung, volkswirtschaftliche  742 ff., 756 ff. –– außenwirtschaftliches Gleichgewicht  743 –– Beschäftigungsstand, hoher  743, 757 –– stabiles Preisniveau  743, 756 f. –– Umweltschutz  742 f., 754 ff. –– Wirtschaftswachstum, angemessenes  743 Zurechnung, dezentrale  147, 625 f. Zuschreibung  619, 625 Zuständigkeitskatalog, enumerativer  403 f., 780 Zwei-Seiten-Lehre  69 ff., 173 ff.