Natur und Mensch im Weltbild der Wissenschaft: Materie, Bewegung, kosmische Entwicklung [Reprint 2021 ed.] 9783112581063, 9783112581056


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German Pages 237 [241] Year 1984

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Natur und Mensch im Weltbild der Wissenschaft: Materie, Bewegung, kosmische Entwicklung [Reprint 2021 ed.]
 9783112581063, 9783112581056

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Walter Hollitscher

Materie - Bewegung - kosmische Entwicklung

Walter Hollitscher

Natur und Mensch im Weltbild der Wissenschaft Herausgegeben von Hubert Horstmann

Walter Hollitscher unter Mitarbeit von Hubert Horstmann

Materie- B e w e g u n g kosmische Entwicklung

Akademie-Verlag- Berlin

1983

Erschienen im Akademie-Verlag, D D R - 1 0 8 6 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Globus, Zeitungs-, Druck- und Verlagsanstalt, Ges. m. b. H., Wien 1960 Akademie-Verlag, Berlin 1983 Lizenznummer: 202 • 100/226/83 Printed in the G e r m a n Democratic Republic Gesamtherstellung: V E B Druckerei „Gottfried Wilhelm Leibniz", 4450 Gräfenhainichen Umschlaggestaltung: Heidrun W e i n m a n n L S V : 0159 Bestellnummer: 7 5 4 2 4 8 0 (6764) D D R 15,- M

Inhalt

Vorbemerkung des Herausgebers

7

Teil I : Die bewegte Materie

9

1. Einheitlichkeit, Unerschaffbarkeit und Unzerstörbarkeit der Materie

9

2. Unendlichkeit in Raum und Zeit

30

3. Die Bewegung als Daseinsweise der Materie

67

4. Die Bewegung im Bereich der Quantenphysik

100

Teil II: Probleme der kosmischen Entwicklung

137

5. Zur Dialektik des Entwicklungsprozesses

137

6. Der Entwicklungsgedanke in der Astronomie

150

7. Interstellare Materie, Sternentstehung und Sternevolution .

174

8. Evolution und kosmologische Weltmodelle

211

Namenverzeichnis

234

5

Vorbemerkung des Herausgebers

Mit dem vorliegenden Band, dem zweiten einer sechsteiligen Taschenbuchausgabe, setzt der Verlag die Neuherausgabe der beiden Bücher des österreichischen marxistischen Philosophen Prof. Dr. Walter Hollitscher „Die Natur im Weltbild der Wissenschaft" und „Der Mensch im Weltbild der Wissenschaft" fort. Der Autor ist den Lesern durch eine ganze Reihe weiterer Publikationen bekannt; hervorgehoben seien hier nur „Wissenschaftlich betrachtet" (1951), „Aggression im Menschenbild" (1971), ,„Kain' oder Prometheus" (1972), „Der überanstrengte Sexus" (1975), „Für und wider die Menschlichkeit" (1977), „Bedrohung und Zuversicht" (1980). Auch als Lehrer und Propagandist hat Walter Hollitscher bedeutsame Beiträge zur philosophischen Durchdringung einzelwissenschaftlicher Erkenntnisse und zur Verbreitung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung geleistet; er war der erste Direktor des Philosophischen Instituts der Humboldt-Universität zu Berlin, Gastprofessor der Karl-Marx-Universität Leipzig für philosophische Probleme der Naturwissenschaften, Referent und Diskussionspartner in zahlreichen wissenschaftlichen und propagandistischen Veranstaltungen. „Die Natur im Weltbild der Wissenschaft" und „Der Mensch im Weltbild der Wissenschaft", 1965 in der dritten Auflage erschienen und in mehrere Sprachen übersetzt, behandeln unter historischem und systematischem Aspekt Grundfragen der marxistisch-leninistischen Weltanschauung in ihrer konkreten Wechselbeziehung mit der Entwicklung der Einzelwissenschaften. Dabei wird gleichermaßen der Beitrag der Einzelwissenschaften für die' Formierung, Entwicklung und Durchsetzung der wissenschaftlichen Weltanschauung der Arbei7

terklasse wie auch die Bedeutung der materialistischen Dialektik für die philosophisch-weltanschauliche, erkenntnistheoretische und allgemeinmethodologische Fundierung und Durchdringung der Einzelwissenschaften dargestellt. Gegenüber anderen, vergleichbaren Darstellungen zu dieser Problematik zeichnen sich die genannten Bücher Hollitschers durch ihren enzyklopädischen Charakter aus; sie beziehen eine Vielzahl moderner Grundrichtungen der natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Forschung in die Betrachtung ein, verarbeiten weltanschaulich eine große Fülle einzelwissenschaftlichen Materials. Um diesen Vorzug der Materialnähe und der engen Verbindung von philosophisch-weltanschaulichen Grundaussagen mit den modernen einzehvissenschaftlicheri Erkenntnissen zu erhalten, war es angesichts des raschen wissenschaftlichen Fortschritts und der gesellschaftlichen Veränderungen der letzten zwanzig Jahre erforderlich, die Bücher neu zu bearbeiten. Die von Walter Hollitscher durchgesehene Bearbeitung erfolgte hauptsächlich mit dem Ziel der Aktualisierung; sie bewahrt die konzeptionelle Anlage, die weltanschaulichen Grundaussagen und den systematischen Aufbau der Darstellung, wie sie Hollitscher in der Auflage von 1965 gegeben hat. Die sechsteilige Taschenbuchausgabe, deren einzelne Teile in loser Folge erscheinen werden, umfaßt die jeweils selbständigen Darstellungen: „Die menschliche Psyche", „Materie - Bewegung - kosmische Entwicklung", „Ursprung und Entwicklung des Lebens", „Lebewesen Mensch", „Mensch und Gesellschaft", „Naturbild und Weltanschauung". Der hier vorgelegte zweite Band „Materie - Bewegung - kosmische Entwicklung" wurde von Dr. Hubert Horstmann (Berlin) bearbeitet und um das 3. Kapitel sowie einige Abschnitte der Kapitel 5, 7 und 8 erweitert. Das 6. Kapitel wurde von Dr. Fritz Gehlhar (Berlin) verfaßt. Hubert Horstmann

8

Teil I : Die bewegte Materie

1. Einheitlichkeit, Unerschaffbarkeit und Unzerstörbarkeit der Materie Die Problemlage Wärmelehre und Atomtheorie, Relativitätstheorie und Quantentheorie bestimmen seit der Jahrhundertwende den physikalischen Problemkreis, durch den das Naturbild revolutioniert wurde. Energieumwandlung, Raum-Zeit-Materie-Beziehung, Gesetzlichkeit der quantenhaften Elementarvorgänge - sie waren zugleich exaktes Forschungsthema und Ansatzpunkt für idealistische Spekulationen. Zahlreiche Versuche wurden unternommen, die sprunghafte Vorwärtsentwicklung der Physik in eine krisenhafte „Auflösung der Materie" umzudeuten. Tatsächlich bewies jedoch die jüngste Entwicklung der Physik nur von neuem die Einheitlichkeit, Unerschaffbarkeit, Unzerstörbarkeit und Unendlichkeit der Materie. In noch umfassenderer Weise erschloß die neue Forschung den dialektischen Charakter der Wirklichkeit. Schon Demokrit und Lukrez, Bacon und Hobbes, Spinoza und die französischen Enzyklopädisten, Feuerbach und die revolutionär-demokratischen Denker Rußlands hatten die materiell-einheitliche Natur der Welt erkannt und gelehrt. D i e Klassiker des Marxismus präzisierten, bereicherten und verallgemeinerten diese Lehren, auf den entwickelteren Kenntnissen der modernen Naturwissenschaft aufbauend. Von großer Bedeutung für den Nachweis der einheitlichen Materialität der Natur war die Friedrich Wöhler im Jahre 1828 gelungene Herstellung einer organischen Substanz, des Harnstoffs, ohne Hinzuziehung von lebenden Organismen oder lebenden Organen beziehungsweise besonderer „Lebenskräfte". Mendelejews Periodengesetz (18$9) zufolge bilden die voneinander qualitativ unterschiedenen E l e -

9

mente hinsichtlich ihrer Eigenschaften ein natürliches Verwandtschaftssystem. Die Anwendung der Spektralanalyse bei der Erforschung der Himmelsgebilde wies den einheitlichen materiellen Aufbau des bekannten kosmischen Universums nach. Zunehmend wurde klar: „Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch

0

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17C/ 1S.Ar 9

Abb. 1: Strukturschemata verschiedener Atome nach Rutherford: a) Wasserstoffatom; b) Heliumatom; c) Lithiumatom; d) Neonatom; e) Natriumatom; f) Argonatom; g) vereinfachte Schemata der Atomstrukturen von Elementen der I. bis- III. Periode des Periodensystems der Elemente Die Umlaufbahnen der Elektronen sind in den obigen Zeichnungen in den (verschiedenen Energieniveaus entsprechenden) „Schalen" markiert. (A, die Anström-Einheit, beträgt 0,000 000 01 cm = IQ- 8 cm).

10

eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft." 1 D i e moderne Atomtheorie lieferte weitere Beweise für den einheitlichen Aufbau der stofflichen Welt. Seitdem Henri Becquerel ( 1 8 5 2 - 1 9 0 8 ) den radioaktiven Zerfall der Atome im Jahre 1896 gefunden hatte, waren umfassende Erkenntnisse über den inneren Aufbau der Atome erzielt worden. In den Jahren 1911 bis 1913 stellten der Neuseeländer Ernest Rutherford ( 1 8 7 1 - 1 9 3 7 ) und der Däne Niels Bohr ( 1 8 8 5 - 1 9 6 2 ) die nach ihnen benannte Bohr-Rutherfordsche „Planetentheorie" des Atoms auf. Ihr zufolge bestehen Atome aus dichten positiv geladenen Kernen, um die in verhältnismäßig großen Abständen negativ geladene Elektronen gleichsam als dünne Hülle kreisen, vergleichbar den die Sonne umlaufenden Planeten.

Gebiet der Mektronen1 hülle des Atoms einfallende a-Teilchen.

Abb.

2: Ablenkung von a-Teilchen

(positiv

geladenen

Heliumkernen)

durch

die positive K e r n l a d u n g eines Atomkerns.

Zum Unterschied von der Schwerkraft, welche die kosmischen Planetensysteme zusammenhält, sind es elektrische Anziehungskräfte, die Kern und Hülle des Atoms aneinander binden. Während im Sonnen1

F . E n g e l s , H e r r n E u g e n Dührings Umwälzung der Wissenschaft

(Anti-Düh-

ring), i n : K a r l M a r x / F r i e d r i c h E n g e l s , W e r k e (im folgenden M E W ) , B d . 2 0 , Berlin 1 9 7 5 , S. 4 1 .

11

system die Planeten im Prinzip in jedem beliebigen Abstand um das Zentralgestirn kreisen könnten, sind im Atom nur diskontinuierlich unterschiedene (diskrete) Elektronenbahnen um den Kern möglich. In jeder dieser Bahnen können sich, wie der aus Wien stammende Physiker Wolfgang Pauli (1900-1958) im Jahre 1925 zeigte, nur zwei in entgegengesetztem „Spin-" (Drall-) Zustand befindliche Elektronen bewegen. Andere „Spin-"Zustände sind prinzipiell ausgeschlossen. (1940 konnte Pauli im Rahmen der Quantentheorie des elektromagnetischen Feldes eirfe Präzisierung durchführen, indem er zeigte, daß alle Teilchen mit „halbganzem" Spin dem „Ausschließungsprinzip" genügen müssen.) Den verschiedenen Elektronenbahnen um den Kern entpricht ein jeweils bestimmter Energiezustand. Bei Hebung eines Elektrons auf ein höheres Energieniveau (bei „Anregung" des Atoms) muß Energie von außen hinzugefügt werden; bei Absinken eines Elektrons auf ein niedrigeres Energieniveau wird Energie freigesetzt und verläßt das Atom als elektromagnetische Strahlung. Diese kann aufgefangen und es kann mit Hilfe der Spektralanalyse Kunde über das inneratomare Geschehen gewonnen werden. E s zeigte sich, daß die Elektronen in konzentrischen „Schalen" um den Kern angeordnet sind. D i e auf einer Schale jeweils möglichen Elektronenbahnen sind zu Gruppen zusammengefaßt. Mendelejews periodisches System der Elemente fand in der Schalenstruktur der Atome seine Erklärung. An die Stelle des Atomgewichts, das Mendelejew zur Reihung der Elemente herangezogen hatte, trat später die Anordnung nach Kernladungszahlen, die den verschiedenen positiv-elektrischen Ladungen der Atomkerne entsprechen. Im „Normalzustand" des Atoms halten positiver Kern und negative Elektronenschalen einander das Gleichgewicht. Ist die Zahl der Elektronen größer oder kleiner, so ist das Atom in ionisiertem Zustand. Die Masse der Atome ist fast ganz im Kern vereinigt. Auch dieser ist ein zusammengesetztes Gebilde. Alle Atomkerne bestehen aus Kernteilchen. Nukleonen, die teils positiv geladen (Protonen), teils elektrisch neutral (Neutronen) sind. Der gewöhnliche Wasserstoffkern ist mit dem Proton identisch, er enthält also kein Neutron. D a s Neutron wurde 1932 von dem Rutherford-Schüler James Chadwick 12

(geb. 1891) experimentell nachgewiesen, nachdem es zuvor theoretisch erschlossen worden war. Gleichwie die Elektronen ständig bewegt sind (was im „Planetenmodell" des Atoms bildhaft zum Ausdruck kommt), so sind - wenn auch in anderer Art - die im Atomkern enthaltenen Nukleonen in ständiger Bewegung begriffen. Niels Bohr verglich diese letztere Bewegung mit den Schwingungen der Moleküle in Flüssigkeitstropfen und entwickelte so das „Tropfenmodell" des Atomkerns. Grundlage des Vergleichs mit einem Flüssigkeitstropfen ist der Umstand, daß infolge des kleinen Wirkungsbereiches der Kernkräfte jedes Kernteilchen nur auf einige benachbarte einwirkt und daß die Dichte von Atomkernen - unabhängig von deren Größe - die gleiche ist. Die eigenartigen Kräfte, mit denen die Nukleonen im Kern aneinander gebunden sind, die Kernkräfte, sind von völlig anderer Art als die bekannten elektrischen, magnetischen und Gravitationskräfte. Sie sind „Nahwirkungskräfte", die außerordentlich schnell (exponentiell) mit der Entfernung abnehmen, also einen sehr geringen „Wirkungsradius" haben. Sie verhindern sowohl das Auseinanderfliegen wie auch das „Aufeinanderfallen" der Kernteilchen - letzteres auf Grund der erwähnten Gesetzmäßigkeit des Pauli-Prinzips der Quantenmechanik, die unter anderem ausschließt, daß sich alle Nukleonen an derselben Raumstelle befinden. Atomkerne können bei Kernreaktionen Teilchen aufnehmen oder ausstoßen. Sie können also zu Vereinigung (Fusion) oder zu Zerfall und Spaltung (Fission) gebracht werden. Die bei solchen Kernreaktionen auftretenden Energien übertreffen die von chemischen Reaktionen um ein Millionenfaches. Werden sie durch bestimmte Prozesse freigesetzt, wie das beispielsweise im Innern leuchtender Sterne geschieht, so entstehen dabei enorme Strahlungsmengen. Die Energie, die unsere Sonne als Sonnenstrahlung freisetzt, bildet sich auf solche Weise. Alles Leben auf Erden hängt somit von der Atomkernenergie der Sonne ab. Bei solchen Kernreaktionen ändert sich die Zahl der beteiligten Kernteilchen, der Nukleonen, nicht (genauer: die Differenz zwischen der Anzahl der Protonen und der Antiprotonen, der Elektronen und der Positronen). Die Nukleonen werden bei energieliefernden Kernreaktionen nachweisbar etwas leichter. D a s Auftreten dieser „Masse13

defekte" gab Anlaß zu behaupten, die Materie könne „zerstrahlen", sich „in Energie verwandeln", sie „löse sich auf", sei „in Liquidierung begriffen" usw. Damit sei der Materialismus endgültig widerlegt! Die wirklich aus den erwähnten Tatsachen zu ziehende Lehre jedoch ist, daß die Umwandlung von einer Form der Materie in eine andere sowohl die ewige gesetzmäßige Wandelbarkeit als auch die Unzerstörbarkeit und die Unerschaffbarkeit der Materie von neuem erwiesen hat. Davon, daß bei den erwähnten Prozessen „Materie verlorengeht", kann nicht die Rede sein, denn der Begriff Materie umfaßt die ganze objektiv und unabhängig vom menschlichen Bewußtsein existierende Wirklichkeit und nicht nur eine ihrer besonderen Existenzformen. Die dialektische Naturauffassung leugnet nicht die Wandelbarkeit der Materie, wohl aber vertritt sie - und das in Übereinstimmung mit milliardenfacher Produktionspraxis und allem gesicherten Wissen deren Unzerstörbarkeit und Unerschaffbarkeit. Nicht nur die Materialität, auch die Dialektik zeigt sich im atomaren Bereich. Nur im Zusammenhang und in ihrer Wechselwirkungkönnen die Elementarteilchen begriffen werden. Heute dominiert die Ansicht, daß sämtliche Teilchen durch Wechselwirkung eng miteinander verbunden sind, die Eigenschaften eines beliebigen Teilchens durch die anderen Teilchen bestimmt werden und das Verhalten beliebiger Teilchen deshalb überhaupt nur verstanden werden kann, wenn die Eigenschaft der anderen Teilchen bekannt sind. Gesetzmäßig wandeln sich die Teilchen ineinander um. Die qualitativen Unterschiede der Kerne sind Ergebnis ihrer quantitativ verschiedenartigen Zusammensetzung aus Kernteilchen. Das Gegenspiel anziehender und abstoßender Kräfte in den Kernen hält diese unter bestimmten Bedingungen zusammen, läßt sie hingegen unter anderen Umständen zerfallen. So herrscht die objektive Dialektik der Natur auch im Bereich des Mikrogeschehens. Besondere Bedeutung kommt dabei, wie schon hervorgehoben, der Wechselwirkung zu. Sie ist eine Grundform des objektiven dialektischen Zusammenhangs. Wechselwirkung ist die „wahre causa finalis der Dinge" 2 und zwar sowohl ihrer „Existenz" (das 2

14

F. Engels, Dialektik der Natur, in: MEW, Bd. 20, a. a. O., S. 499.

Ding als Einheit gegensätzlicher Seiten) als auch ihrer Veränderung und Entwicklung nach. „Weiter zurück als zur Erkenntnis dieser Wechselwirkung können wir nicht, weil eben dahinter nichts zu Erkennendes liegt." 3 Als Engels diese philosophischen Thesen über die Rolle der Wechselwirkung formulierte, konnte er sich auf eine Fülle natur- und gesellschaftswissenschaftlicher Erkenntnisse stützen, die seither noch eine wesentliche Erweiterung, nicht zuletzt durch die Physik, erfahren haben. So gelten heute die Gravitations-, die schwache, die elektromagnetische und die starke Wechselwirkung als grundlegende Bewegungszusammenhänge der unbelebten Natur (wobei die Frage der „vermittelnden Glieder" - Graviton, Boson, Photon, Pion allerdings im ersten und zweiten Fall noch nicht restlos geklärt ist) und als „Basis" einer großen Vielfalt konkreter Einzelerscheinungen.

Die „ V e r n i c h t u n g v o n Materie" Zur physikalischen wie philosophisch verallgemeinernden Begründung der Materialität und Dialektik im Bereich des Mikrogeschehens hat bereits der russische Physiker Pjotr N . Lebedew (1866-1911) entscheidend beigetragen. All denjenigen, welche die Materialität der Lichtstrahlung leugneten, mußte Lebedews Nachweis, daß Licht einen Druck auszuüben imstande ist, zu denken geben. Licht existiert demnach nicht nur wie alle Materie objektiv, sondern es weist auch weitere Eigenschaften auf, die bis dahin bloß der stofflichen Materie zugeschrieben worden waren. „Die reale, materielle Welt, die sich bewegende Materie, erscheint uns in zwei grundlegenden Formen, als Stoff und als Licht" 4 , formulierte Sergej I. Wawilow (1891-1951), ein hervorragender Erforscher der Mikrophysik der Lichterscheinungen. Dem Licht kommt auch Masse zu. Aus Lebedews experimentellen Nachweis gfng hervor, daß in eine schwarze Platte einfallendes Licht auf diese mit bestimmter Kraft einwirkt. Daraus läßt sich eine Masse des Lichts errechnen. Sie 3 4

Ebenda. S. I. Wawilow, Das Auge und die Sonne, Berlin 1953, S. 34.

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ist, der Energie des Lichts entsprechend, der Formel E = mc2 äquivalent (wobei E die Energie, tn die Masse und c2 das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum bedeuten). Albert Einstein zeigte später, daß diese Gleichung universellen Charakter hat und wahrscheinlich für beliebige Energieformen gilt. Der von der Sonne je Sekunde ausgestrahlten Lichtenergie „entspricht" etwa eine Masse von 5 Millionen Tonnen. Auf den Erdball „fallen" davon nur ungefähr 2 kg je Sekunde. Bei Strahlung geht also keineswegs Energie verloren. Audi der erwähnte Massedefekt, das Leichterwerden des strahlenden Körpers, darf nicht so verstanden werden, als ob Masse verlorenginge. „Die Masse bleibt in Gestalt der Photonenmasse erhalten [im Sinne der Quantentheorie wird das Licht als Strom von Lichtteilchen, von Photonen, gedeutet, W. H.], die äquivalente Energie geht lediglich aus einer . . . Form in die andere der . . . Lichtenergie über . . . Die Sonnenstrahlen tragen Sonnenmasse mit sich. Das Licht ist kein körperloser Sonnenbote, sondern die Sonne selbst, ein Teil von ihr, der uns . . . in Gestalt von Licht erreicht."5 Die physikalische Theorie zeigt also, daß Stoffteilchen wie Lichtteilchen (Photonen) sowohl Energie als auch Masse, sowohl Arbeitsvermögen als auch Trägheit besitzen, und daß zwischen diesen beiden Eigenschaften der Materie eine gesetzmäßige Beziehung besteht. Der Unterschied zwischen Stoff und Licht besteht darin, daß Photonen zum Unterschied von Stoffteilchen (zum Beispiel Protonen oder Elektronen) keine „Ruhmasse", sondern nur „Impulsmasse" besitzen. In dieser oder jener Art aber kommt Masse und Energie allen Formen der Materie zu - den „Körpern" wie den „Teilchen des Feldes". Die idealistische Deutung der erwähnten Vorgänge folgt einem offensichtlichen Verwirrungsmuster: Die „physikalischen" Idealisten machen keinen Unterschied zwischen Masse, Stoff und Materie, wie auch nicht zwischen Licht und Energie. Sie vertauschen den Materiebegriff, der die außerhalb und unabhängig vom Bewußtsein existierende objektive Realität bezeichnet, mit dem Begriff der Masse. Dieser bezeichnet aber nur eine spezifische physikalische Eigenschaft der 5

16

Ebenda, S. 58.

Materie. Außerdem identifizieren die „physikalischen" Idealisten fälschlich das Licht mit der Energie. Mit diesen völlig unzulässigen Manipulationen versuchen sie, einen Nährboden für die These vom „Verschwinden der Materie" zu schaffen. Betrachten wir in diesem Zusammenhang folgende, weitverbreitete „Popularisierung": „Die Äquivalenzformel für Masse und Energie führt zu einer grundsätzlich neuen Auffassung vom Wesen der physikalischen Welt . . . [Früher] dachten die Physiker, daß im Universum zwei scharf voneinander getrennte Grundelemente vorhanden seien, nämlich Materie und Energie, die erstere träge, greifbar und mit einer konstanten Masse ausgestattet, die andere aktiv, unsichtbar, jeder Masse entbehrend. Einstein hat aber die Identität von Masse und Energie nachgewiesen; nach ihm ist eben Masse nichts anderes als gespeicherte Energie, kurzum: Materie ist Energie, und Energie ist Materie . . ."6 Welch eine Verwirrungl Die Vertiefung des physikalischen Wissens besteht jedoch nicht in der Verwirrung der Begriffe „Materie" und „Masse" oder in der Verwischung des Unterschiedes zwischen Masse und Energie, sondern in dem exakt zahlenmäßigen Nachweis ihrer wechselseitigen Beziehung. Einstein konnte in seiner Speziellen Relativitätstheorie allgemein dartun, daß jeder Veränderung der Energie eines Körpers eine ganz bestimmte Veränderung der Masse dieses Körpers entspricht und zwar in dem bereits erwähnten Verhältnis E = mc2. Masseveränderungen sind also stets von Energieveränderungen begleitet. Bei wachsender Geschwindigkeit und damit Energiezuwachs von stofflichen Teilchen wächst auch ihre Masse (Impulsmasse). Die Beschleunigung von Teilchen in modernen Teilchenbeschleunigern (Zyklotronen, Synchrotronen usw.) hat den experimentellen Nachweis dafür erbracht. Jedes Zyklotron beweist somit die Richtigkeit der Einsteinschen Formel. Diese darf also nicht in dem Sinn mißdeutet werden, daß von einer „Umwandlung von Masse in Energie" gesprochen wird. Es gibt weder Masse ohne Energie noch Energie ohne Masse: beide Eigenschaften der Materie sind unlösbar miteinander verknüpft. 6

2

L. Barnett, Einstein und das Universum, Wien 1950, S. 74. Hollitschcr, M a t e r i e

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Was hier allgemein dargelegt wurde, gilt auch von den besonderen Vorgängen, die oft unter dem Schlagwort „Zerstrahlung der Materie" oder „Materialisierung der Strahlung" behandelt werden. Die moderne Physik lehrt weder die „Auflösung" der Materie noch die spukhafte „Materialisierung" von Energie. Sie hat vielmehr gezeigt, daß sich unter bestimmten Bedingungen ein Teilchenpaar, das zum Beispiel aus einem negativ geladenen Elektron und einem massegleichen positiv geladenen „Gegenteilchen" (Positron) besteht, in Photonen umwandelt. Dabei bleibt jedoch die Masse vollständig erhalten: Die Impulsmasse der entstehenden Photonen ist gleich der Impulsmasse (Summe aus Ruhmasse und Massezuwachs durch Bewegungsenergie) des zerstrahlten Elektron-Positron-Paares. Auch der entgegengesetzte Prozeß ist beobachtet worden. In Wechselwirkung mit dem Atomkern können sich Photonen in ein solches Teilchenpaar verwandeln, wobei ebenfalls Masse und Energie erhalten bleiben. Analoges gilt von der Wechselwirkung zwischen anderen Teilchen mit ihren Gegenteilchen. Die philosophische Verallgemeinerung dieser Erkenntnisse bestätigt nicht die Auffassungen der „physikalischen" Idealisten, sondern die des dialektischen Materialismus. Die Naturvorgänge stehen in unlösbarem, objektivem, wechselseitigem Zuammenhang. Sie verlaufen auch im Bereich der Mikrovorgänge so, daß sich die Gebilde nach objektivem Gesetz ineinander umwandeln und dabei ihre qualitativen Wesenseigenschaften in bestimmter Weise ändern. Die universellen Gesetze der Erhaltung von Energie und Masse behalten dabei Geltung. Sie stellen die physikalische qualitative und quantitative Konkretisierung der materialistischen Grundeinheit von der Unzerstörbarkeit und der Unerschaffbarkeit der Materie dar. Diese physikalische Konkretisierung - die Formulierung physikalischer Erhaltungssätze - entspricht mit der Verbreiterung der Experimentalbasis und der Vertiefung der Theorie immer genauer der Wirklichkeit. Vorerst (in den zwanziger Jahren) schien es, daß im Laufe jedes Prozesses die Gesamtladung, die Anzahl von Protonen und Elektronen, die Gesamtenergie, der Gesamtimpuls und der Gesamtdrehimpuls der Teilchen erhalten bleiben. (Dabei konkretisiert sich in der Erhaltung von Energie und Impuls die allgemeine Ein18

sieht, daß sich gleichartige Gebilde unter gleichen Bedingungen an beliebigem Orte und zu beliebiger Zeit gleich verhalten.) Mit der Entdeckung neuer Teilchen mußten auch diese durch Revision der Erhaltungssätze berücksichtigt werden; gleiches gilt für den „Isotopenspin" (welcher damit zu tun hat, ob sich ein Nukleon im Zustand des Protons oder des Neutrons befindet). Das Prinzip der „Erhaltung der Parität" mußte (1957) für schwache nichtelektromagnetische Wechselwirkungskräfte aufgegeben werden. Die Gegenwartsforschung behauptet für Kernwechselwirkungen die Erhaltung von Energie, Impuls, Drehimpuls und (näherungsweise) Isotopenspin. Zweifellos wird sie zu noch tieferen physikalischen Konkretisierungen des philosophischen Grundsatzes von der Unzerstörbarkeit und der Unerschaffbarkeit - also Erhaltung - der Materie fortschreiten. Die Einsicht in die gesetzmäßige Wandelbarkeit der Dinge und der Vorgänge bestätigt somit die dialektische und widerlegt die metaphysische Auffassung von der Materie. Nicht der dialektische, sondern nur der antidialektische Materialismus ist durch die neuen Ergebnisse der physikalischen Forschung erschüttert worden. Die gesetzmäßige Umwandlung der Elementarteilchen ineinander bestätigt die Unzerstörbarkeit von Materie und Bewegung, die wechselseitige Bedingtheit, die gesetzmäßige Veränderung und die Unerschöpflichkeit selbst kleinster Gebilde.

„Schöpfung aus dem Nichts" Durch den Erfolg ermutigt, mit dem es gelang, Leichtgläubige zum Glauben an die „Umwandlung von Energie in Materie" zu überreden, versuchten nun einige Philosophen und philosophierende Physiker, die Umwandlung von - Nichts in Materie darzutun. Das Thema ist nicht neu, nur war es bisher „die Erschaffung der Welt" benannt und wurde von Theologen, nicht aber von Physikern und Astronomen vorgetragen. Die theologische Behandlung des Stoffes war allgemeinverständlich gewesen und berief sich nicht auf die Wissenschaft. Die „neueste" Argumentation ist dagegen keineswegs allgemeinverständlich. Sie gibt sich vielmehr überaus wissenschaftlich. 2*

19

Mit beträchtlichem mathematischem Aufwand wird darzulegen versucht, wann, wie oft und wieviel Materie aus Nichts entstand und entsteht. Solche metaphysischen und idealistischen Gedankengänge werden von den Autoren oft im Zusammenhang mit astrophysikalischen, insbesondere mit kosmologischen und kosmogonischen Fragestellungen entwickelt, vor allem mit der These von der „Expansion des Weltalls". Bei allen Unterschieden in der konkreten Argumentation behaupten die betreffenden Autoren das gleiche: Dort, wo nichts war, erscheine etwas. Daß hierbei die millionenfach erprobten Erhaltungssätze von Masse und Energie „aufgehoben" werden müßten, wird offen zugegeben. Verborgen bleibt dem Leser jedoch (bisweilen sogar dem Autor), daß damit auch jede rationale Erklärung des Vorganges unmöglich wird. Denn nur dort wird wahrhaft erklärt, wo das Gewordene, Spätere, als aus dem Früheren entstanden begriffen wird. Die Entstehung aus dem Nichts zu bejahen, heißt also letztlich nichts anderes, als die allgemeine Materialität wie auch die objektive Gesetzlichkeit der Natur an entscheidender Stelle zu leugnen. Dadurch wären Sein und Werden der Erklärung entzogen. Vor allem drei Autoren vertreten eine ursachlose Entstehung, eine „Schöpfung" von Materie: der deutsche Physiker P. Jordan, der englische Astronom F. Hoyle und sein aus Österreich stammender Landsmann, der Mathematiker H. Bondi. Diese Autoren stimmen keineswegs im Aufbau ihrer Theorien miteinander überein. Bondi lehnt zum Beispiel Jordans Auffassungen scharf ab. Sie alle lassen aber Materie aus dem „Nichts" hervorgehen. Die mathematisch-physikalische Argumentation der Autoren kann hier nicht dargestellt und gewürdigt werden. Wohl aber bedürfen die Voraussetzungen und die Schlußfolgerungen aus ihrer allgemeinen Naturauffassung der Kritik, da diese und nicht die mathematische Durchführung - die Auffassungen der Autoren bestimmen. Hoyle erklärt: „Neue Materie wird ständig geschaffen, so daß eine konstante Dichte des [kosmischen] Hintergrundmaterials resultiert . . . Wenn ab und zu gefragt wird, woher das geschaffene Material kommt, so ist zu antworten: Es kommt von nirgends. Materie erscheint einfach - sie wird geschaffen. Zu einer bestimmten Zeit exi-

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stieren die verschiedenen, die Materie zusammensetzenden Atome nicht, und zu einer späteren Zeit existieren sie . . . In älteren Theorien soll das ganze Material des Universums in einem Augenblick erschienen sein, wobei der Schöpfungsprozeß die Form eines großen Knalls (one big bang) annahm. Was mich betrifft, so finde ich diese Idee viel wunderlicher als die der kontinuierlichen Schöpfung."7 Hoyles „kontinuierliche Schöpfung" ist allerdings kaum merklich:' „Das neue Material erscheint nicht in konzentrierter Form in kleinen lokalisierten Regionen, sondern es ist über den ganzen Raum verteilt. Das Durchschnittsmaß seines Erscheinens beläuft sich auf nicht mehr als auf die Schaffung eines Atoms pro Jahr in einem Volumen von der Größe der St.-Pauls-Kathedrale." 8 Die lokale Dichte des Hoyleschen Phänomens ist also enttäuschend: Es wäre ganz unmöglich, solch ein Schöpfungsmaß experimentell nachzuweisen. Der Von Hoyle zur Illustrierung herangezogene Ort der „Erscheinung" ist, wie ich glaube, durchaus angemessen; wo anders als in Londons größter Kirche sollten sich in England Wunder ereignen? Der Kern der Theorie von Bondi ist das „strenge kosmologische Prinzip" (perfect cosmological principie). Es wurde von ihm und T. Gold 1948 formuliert, daß „abgesehen von lokalen Unregelmäßigkeiten, das Universum von jedem Ort und zu jeder Zeit denselben Aspekt darbietet" 9 . Von dieser Forderung, also einem „Postulat", ausgehend, entwickelt Bondi seine Theorie der kontinuierlichen Schöpfung. Die Tatsache, daß die Zahl der kosmischen Radioquellen jenseits der Reichweite der optischen Teleskope eine Häufung aufweist, stellt einen von vielen Hinweisen auf die Inhomogenität der Masseverteilung im Raum und damit gegen Bondis Postulat samt dessen „Schöpfungs"-Konsequenz dar. Bondi versucht, mit dem „strengen kosmologischen Prinzip" das durch eine Reihe von Beobachtungstatsachen erhärtete kosmologische „Weltmodell" der expandierenden Metagalaxis idealistisch umzudeuten, indem er eine „kontinuierliche Schöpfung" von Materie aus dem 7

F. Hoyle, The Nature of the Universe, Oxford 1 9 5 0 , S. 104/105.

8

Ebenda, S. 1 0 4 . H. Bondi, Cosmology, Cambridge 1 9 5 2 , S. 1 2 .

9

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Nichts behauptet: „Im Durchschnitt wird die Masse eines Wasserstoffatoms alle 109 Jahre pro Liter Raum geschaffen . . . Es ist klarerweise völlig unmöglich, solch eine Schöpfungshäufigkeit direkt zu beobachten." 10 Leidenschaftlich wendet sich Bondi gegen Jordans schöpferisches Konkurrenzunternehmen. Er weist empört darauf hin, daß unmöglich ganze Sterne (Supernovae) auf diesem Wege entstehen könnten: „Dies steht in offenkundigem Widerspruch zu der beobachteten Häufigkeit ihres Auftretens (eine Supernova pro Milchstraße pro 200 bis 300 Jahre)." 11 Jordan behauptete wirklich, daß die Massezunahme der Welt nicht ständig und stetig durch Materialisation von Elementarteilchen erfolge, sondern durch die gelegentliche spontane Geburt von Sternen. Dabei sei die plausibelste Annahme, daß die Materie in Form von „Neutronenpaketen" geboren werde. Diese Pakete seien von extremer Dichte: ein Kubikzentimeter Materie wiege hundert Millionen Tonnen. Die Sonne habe bei ihrer Geburt aus dem Nichts statt des heutigen Durchmessers von etwa 1 400 000 Kilometern etwa 20 Kilometer Durchmesser aufgewiesen, und sie sei dabei Billionen Grad heiß gewesen. Unter diesen Verhältnissen müßten sich nach der Geburt eines solchen Neutronenpaketes explosionsartige Vorgänge abspielen, die zwanglos mit den beim Supernova-Phänomen beobachteten identifiziert werden könnten. Mit diesen „zwanglosen" Behauptungen begeht Jordan die Unvorsichtigkeit, sich in den Bereich beobachtbarer Tatsachen vorzuwagen. Die Forschung hat ergeben, daß Nova- wie Supernova-Erscheinungen nicht die Geburt neuer Sterne, sondern Ausbrüche bereits vorhandener darstellen. Darauf werden wir im Kapitel „Interstellare Materie, Sternentstehung, Sternevolution" ausführlich zurückkommen. Überdies haben Viktor A. Ambarcumjan (geb. 1908) und seine Schule nachgewiesen, daß bestimmte Arten von Sternen nicht einzeln, sondern in Gruppen („Assoziationen") entstehen. Deren Bildung erfolgt vorwiegend an bestimmten Bildungsstätten in den Spiralsystemen und in Wechselwirkung mit der umgebenden Materie. Schon 1953 konnte 10 11

22

Ebenda, S. 143. Ebenda, S. 164.

Ambarzumjan deshalb feststellen: „Es ist hervorzuheben, daß die Tatsache der Bildung von Sterngruppen längs der Spiralarme in den Sternassoziationen eine direkte Widerlegung der mystischen Vorstellungen des Idealisten Jordan und anderer bürgerlicher Gelehrter über die Entstehung von Sternen ,aus dem Nichts' ist." 12 Von einem spontanen und akausalen Charakter des Vorganges der Sternbildung kann daher gar keine Rede sein. Die dargelegten Lehren von einer Schöpfung aus dem Nichts sind nicht nur wegen der Neigungen ihrer Autoren bemerkenswert. Bondis, Hoyles und Jordans Schöpfungsmythen fanden Verbreitung, da ihnen umfangreiche Propagierungsmittel zur Verfügung standen. Offenbar wurde der Nutzen für die Bekämpfung des Materialismus hoch eingeschätzt. Das Problem ist tatsächlich von entscheidender Bedeutung. Jegliche „Schöpfung aus dem Nichts" ist mit Wissenschaft und wissenschaftlicher Naturauffassung unvereinbar. Diese Schöpfungslehren hemmen die kosmologische Forschung und führen in die Irre. Der Gedanke einer Erschaffung der Materie ist der Wissenschaft völlig fremd und feindlich. E r negiert die Natur als das in ständigem gesetzlichem Werden begriffene Sein und negiert so die Erkennbarkeit der Natur, die Fähigkeit des Menschen, sie zu begreifen und zu verändern. Energiezerstreuung und „Energieschöpfung" Rudolph Clausius hatte 1865 den Entropiebegriff in die Wärmelehre eingeführt. Dadurch kam eine eigenartige neue Argumentation in Umlauf. Ihr zufolge sei es zu „Anfang" des Weltgeschehens zu einer Schöpfung hochwertiger Energie gekommen. Im weiteren Verlauf des Weltgeschehens aus Grund unanzweifelbarer Naturgesetze werde es zu einem Energieausgleich-und damit schließlich zu einem Ende allen aufhebenswerten Geschehens kommen. Bereits Engels hatte diese Folgerung durchschaut und bekämpft. „Clausius . . . beweist, daß die Welt erschaffen, ergo, daß die Materie erschaff bar, ergo, daß sie zerstörbar, ergo, daß auch die Kraft resp. 12

W. A. Ambarzumjan, Das Weltall, Leipzig 1953, S. 17.

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Bewegung erschaffbar und zerstörbar, ergo, daß die ganze Lehre von der .Erhaltung der K r a f t ' Unsinn, ergo, daß alle seine Folgerungen daraus auch Unsinn sind. . . . E s geht ihm Energie verloren, qualitativ wenn nicht quantitativ . . . Die Weltuhr muß aufgezogen werden, dann läuft sie ab, bis sie ins Gleichgewicht gerät, aus dem nur ein Wunder sie wieder in Gang bringen kann." 1 3 Die Wärmelehre hatte in ihrem Ersten Hauptsatz die Möglichkeit der Erzeugung von Energie aus nichts verneint. Der Zweite Hauptsatz hatte gezeigt, daß die in einem isolierten System in Wärmeform umgewandelte Arbeitsenergie nicht restlos in Arbeit rückverwandelt werden kann. Max Planck gab dem Satz die Fassung: E s istunmöglich, eine periodisch wirkende Maschine zu konstruieren, deren Wirkung ausschließlich darin besteht, ein Gewicht zu heben und ein Wärmereservoir abzukühlen. Nach Clausius kann in einem abgeschlossenen System die als „Entropie" definierte Größe nur konstant bleiben oder zunehmen. Die Entropie wächst in dem Maße, in dem ein solches System durch nicht wieder umkehrbare Vorgänge seine Arbeitsfähigkeit verliert. Boltzmann deutete dies als Folge des notwendigen Übergangs von unwahrscheinlicheren zu wahrscheinlicheren Zuständen im statistisch erfaßbaren Mikrogeschehen. Die arbeitsfähigen Energieformen gehen in isolierten Systemen unweigerlich in die Wärmeform über. Die Wärmeform der Energie ist die Form ungeordneter Molekularbewegungen. Aus diesen beiden gesicherten physikalischen Thesen wurde nun von Metaphysikern gefolgert, daß sich im Universum letzten Endes alle Temperaturen ausgleichen müssen und so ein „Wärmetod" des Weltalls eintreten werde! Dieser Temperaturausgleich ist offenbar noch nicht eingetreten. Im Gegenteil: Nach mehr als 10 Milliarden Jahren kosmischer Evolution der Metagalaxis dominieren die entropiefreien Energien, insbesondere die Gravitation. Daraus wird die weitere metaphysische Schlußfolgerung gezogen, daß das Universum beziehungsweise die arbeitsfähige Energie in ihm vor einer endlichen Zeit „geschaffen" worden sei. In dieser Auffassung entspricht dem Wärmetod in der Zukunft die Weltschöpfung in der Vergangenheit. Solcher Argumen13

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F. Engels, Dialektik der Natur, in: MEW, Bd. 20, a. a. O., S. 545.

tation bediente sich Papst Pius XII., als er erklärte: „Dieses schicksalhafte Geschehen . . . fordert - wie aus der positiven wissenschaftlichen Erfahrung hervorgeht - eindringlich die Existenz eines notwendigen Wesens." 14 Wie es um die Beziehung zwischen Entropie und angeblichem Wärmetod des Weltalls steht, haben Naturwissenschaftler und marxistische Philosophen in gründlicher Analyse gezeigt. Zunächst weist L. Till auf die Existenz „kosmologischer Hemmungen" hin, die bewirkten und bewirken, daß im Weltall - trotz des gerichteten Energieflusses, also der Umwandlung insbesondere der Gravitationsenergie in Licht, Wärme und andere Strahlung - geordnete Strukturen entstehen und bewahrt werden. Darauf werden wir im 5. Kapitel näher eingehen. A. Polikarow hat schon 1963 die Behauptung zurückgewiesen, der Entropiebegriff sei auf das Weltall nicht anwendbar, weil dieses unendlich ist und daher kein abgeschlossenes System sei. Unter einem abgeschlossenen System ist ein System zu verstehen, das keine Wechselwirkung mit der Umwelt aufweist. In diesem Sinne aber ist auch das unendliche Weltall ein abgeschlossenes System, denn außerhalb des Weltalls gibt es nichts, mit dem dieses System in Wechselwirkung stehen könnte. Genaugenommen, trifft der Begriff des „abgeschlossenen Systems" überhaupt nur auf das Weltall zu. „Die einzig richtige Begründung der beschränkten Tragweite des Zweiten Hauptsatzes besteht darin, daß Energiesatz [der Erste Hauptsatz, W. H.] und Entropiesatz nicht zugleich allgemeingültig sein können . . . Diese Sätze bestehen nebeneinander widerspruchsfrei für endliche Systeme. Aber es ist nicht möglich, sie widerspruchsfrei auf das ganze Universum anzuwenden. Daher entsteht das Problem ihres Subordinationsverhältnisses, das von den verschiedenen philosophischen Richtungen verschieden gelöst wird. So vertritt Mach die Ansicht, daß der Entropiesatz allgemeingültig sei, während der Energiesatz nicht denselben Anspruch auf allgemeine Gültigkeit erheben kann. Dagegen ist vom Standpunkt des dialektischen Materialismus aus [der keine Erschaffung aus dem Nichts - entsprechend der Allgemeingültigkeit der Er''' Pius XII., D i e Gottesbeweise im Lichte der modernen Naturwissenschaft, Berlin 1952, S. 9.

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haltungssätze - konzediert, W. H.\ der Entropiesatz dem Energiesatz untergeordnet . . . Zu dieser Auslegung kommt bereits Engels [siehe die zuvor zitierte Stelle, W. H.] und bald danach auch Boltzmann auf Grund der Entdeckung des statistischen Charakters des Entropiebegriffs und des Entropiesatzes."15 Boltzmann hatte, wie bereits erwähnt, den statistischen Charakter der Entropie aufgedeckt und den Entropiesatz als statistisches Gesetz gedeutet. Das heißt aber, daß die Abnahme der Entropie nicht unmöglich, sondern nur unwahrscheinlich ist. Durch „Fluktuationen" können nach statistischen Gesetzen in entsprechend großen Zeiträumen geordnetere Zustände aus ungeordneteren, ohne Verletzung des Entropiesatzes hervorgehen. Die zu erwartenden „Wiederkehrzeiten" sind berechenbar, und so erweist es sich, daß auch sogenannte irreversible Prozesse in Wirklichkeit reversibel sind, wenn auch langfristig. Übrigens erfuhr der Zweite Hauptsatz auch weitere Einschränkungen. In der Nähe des absoluten Nullpunktes verlaufen alle Prozesse ohne Veränderung der Entropie; Abweichungen vom Zweiten Hauptsatz treten in Gasen sowie bei Durchmischung von Isotopen auf; und J. Needham zeigte, daß das Gegenteil von Durchmischung Separation, nicht aber Organisation ist. In kosmologischer Anwendung der statistischen Deutung des Entropiesatzes wies Boltzmann selbst darauf hin, daß, " gemäß seiner Fluktuationshypothese, keine einseitig absteigende, zum „Wärmetod" gerichtete Veränderung des Weltalls zu folgern ist, sondern auch zeitweilig und örtlich gegenläufige Prozesse ablaufen müssen, in denen die Entropie abnimmt, wobei zwischen diesen beiden gegenläufigen Arten von Prozessen zwar kein ursächlicher, jedoch ein statistischer Zusammenhang besteht, und zwar im Sinne einer eindeutigen Zuordnung. So sei Boltzmanns Auffassung als physikalische „Konkretisierung der philosophischen Ansicht von Engels" zu betrachten. 16 Polikarow erwähnt auch eine wichtige Fortführung der Boltzmannschen Gedanken durch J. P. Terletzki, der den Einwand der relativen Sel15

16

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A. Polikarow, Zum Problem der Thermodynamik des Universums, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie, 2/1963, S. 204. Ebenda, S. 208.

tenheit großer Fluktuationen zu entkräften sucht. Terletzki zeigte, daß, bei Berücksichtigung der Gravitationswechselwirkung, Systeme von dem Ausmaß der Metagalaxis - des „Übersystems" aller Milchstraßen des von uns abschätzbaren Bereichs - die Wahrscheinlichkeit für große Fluktuationen sehr groß ist. Und er folgerte des weiteren, daß ein großer Bereich des Weltalls sich nicht im Zustand des Gleichgewichtes befindet, wobei dieser Bereich sich einem gewissen Gleichgewicht nähert oder sich von ihm entfernt und dementsprechend die Entropie einzelner gigantischer Bereiche des Weltalls in Abhängigkeit von den äußeren Bedingungen entweder zunimmt oder abnimmt. Neueren Forschungen zufolge sind im Weltall als thermodynamischem System die Bedingungen für die Gültigkeit des Entropiesatzes (die Einstellbarkeit des thermischen Gleichgewichts) nicht gegeben. So unterliegt z. B. die thermische Wechselwirkung zwischen den Fixsternen und zwischen den Galaxien praktisch nicht dem Zweiten Hauptsatz, da es infolge der endlichen Geschwindigkeit der Austauschprozesse unmöglich ist, daß jeder Fixstern mit jedem anderen und jede Galaxie mit jeder anderen in ein thermisches Gleichgewicht gelangt. Die Kosmogonie der Gegenwart erforscht, wie im Weltall zerstreute Energie und Materie konzentriert werden. Sie erfüllt damit jenes Programm, von dem Engels 1875 schrieb: „Die Frage, was aus der scheinbar verlornen Wärme wird, ist sozusagen erst seit 1867 . . . (Clausius) nettement posée. Kein Wunder, daß sie noch nicht gelöst; das mag noch lange dauern, bis wir dahin kommen mit unsern kleinen Mitteln. Aber gelöst wird sie werden, ebenso gewiß, wie es feststeht; daß in der Natur keine Wunder vorgehn . ," 17 Der französische Astronom Evry Schatzman meint, dieser Prozeß der Energiekonzentration könne folgendermaßen vorgestellt werden: „Betrachten wir ein endliches raumartiges Gebiet. Man weiß, daß es nicht möglich ist, eine einheitliche Zeit für dessen Oberfläche zu definieren, weil es keine absolute Zeit gibt. Jedoch kann man die Austauschvorgänge der Materie und der verschiedenen Energieformen dieses Gebiets mit dem unendlichen Universum betrachten. Offen17

F. Engels, Dialektik der Natur, in: M E W , Bd. 20, a. a. O., S. 544.

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sichtlich vollzieht sich die Entwicklung der Materie in diesem Gebiet irreversibel. Jedoch ist die Richtung der Entwicklung eines solchen Gebiets, verglichen mit der Richtung eines möglichen anderen, umkehrbar. Die Materie kann sich unter der Einwirkung von Gravitationskräften konzentrieren, im Verlaufe der Zusammenziehung können sehr hohe Temperaturen erreicht und die Daseinsformen der Kernmaterie erneuert werden. Die kosmischen Strahlen, deren Bremsung bei Erzeugung von großen Schauern oft als Prototyp eines irreversiblen Prozesses dargestellt wird (sehr kleine Wahrscheinlichkeit der Produktion des gegenläufigen Prozesses unter irdischen physikalischen Bedingungen), können neu erzeugt werden, sei es in der Galaxis [im Milchstraßensystem, W. H.] selbst, und dies in kontinuierlicher Weise, wie es sich zum Beispiel E. Fermi vorgestellt hat, sei es unter anderen Bedingungen, wie zum Beispiel im Crab-Nebel oder in den Quellen der Radiostrahlung. - Es ist also gegenwärtig nicht am Platz, die Theorie des ,Wärmetodes' des Universums für begründet zu erachten." 18 Empirisches Material scheint Schatzmans Gedanken zu bestätigen. So erklärt J. L. Greenstein: „Noch rätselhafter ist, daß die zur Radiostrahlung führende Reihe von Ereignissen dem Zweiten Thermodynamischen Hauptsatz zu widersprechen scheint, der besagt, daß sich in einem geschlossenen System Energie nur von einer höheren in eine niedrigere Form verwandeln kann. In einer Radiogalaxis [Quelle höchst intensiver Radiostrahlung, W. H.] scheint das umgekehrt zu geschehen. Die Kernenergie der Anfangsexplosion (falls sie wirklich Kernenergie ist) erzeugt schnell bewegte Teilchen und Gammastrahlen, die Energien von einigen Millionen Elektronenvolt besitzen. Durch Zusammenstöße und Wechselwirkungen mit umgebender Materie sollte sich ihre Energie schnell zu Wärmeenergie entwerten. Anstatt dessen erscheint sie auf Grund eines unbekannten Mechanismus in der Form von 100-Milliarden-Volt-Elektronen und ausgedehnten Magnetfeldern! Gegenwärtig vermag man bloß festzustellen, daß es geeignete Umwandlungsmechanismen in der Natur zu geben scheint." 19 18

E. Schatzman, Origine et évolution des mondes, Paris 1957, S. 383. J. L. Greenstein, Quasi-stellar radio sources, N e w York 1963, S. 55.

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. Die moderne Forschung erhärtet somit den Hinweis von Engels, daß im Zusammenwirken von Attraktion und Repulsion die Dialektik des kosmischen Geschehens beschlossen liegt. Konzentrierung wie Zerstreuung von Energie und Materie sind die Folge dialektischer Prozesse im Universum. Sie finden an verschiedenen Stellen des Kosmos und zu verschiedenen Zeiten statt. Der Expansion der Metagalaxis (siehe 8. Kapitel), die mit einer globalen Abnahme der Materiedichte verbunden ist, stehen gewaltige Konzentrations- und Kondensationsprozesse gegenüber; seit Kant nehmen viele Astronomen die Verdichtung sogar als den übergreifenden Prozeß, als die Haupttendenz der kosmischen Evolution an (siehe 7. Kapitel). Konzentration und Zerstreuung bedingen Entstehen wie Vergehen von Gebilden im unendlichen Raum und in der unendlichen Zeit. Nicht Raum, Zeit und Materie sind endlich. Endlich sind die einzelnen Gebilde im materiellen Universum in Ausdehnung und Existenzdauer. Endlich sind die mannigfaltigen qualitativ-bestimmten Existenzformen der unerschaffbaren und unzerstörbaren Materie. Die Endlichkeit des einzelnen und zeitweiligen darf nicht auf das „gesamte" Weltall übertragen werden. Dies führt nur zum Widerspruch mit bekannten und in der Praxis bewährten Naturgesetzen oder Tatsachen. Die Behauptung vom künftigen Wärmetod des Weltalls beruht also auf falschen Voraussetzungen.

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2. Unendlichkeit in Raum und Zeit

Jedes materielle Gebilde entsteht und vergeht, beginnt und endet. Allen Formen der Materie kommt jedoch Bewegung in wechselnder Form zu. Raum und Zeit sind die Existenzformen der Materie. In Raum und Zeit erfolgt die materielle Bewegung. Raum, Zeit, Materie sind untrennbar miteinander verbunden: „ . . . ein Sein außer der Zeit ist ein ebenso großer Unsinn, wie ein Sein außerhalb des Raums." 1 Ohne die realen Bewegungsprozesse der Materie gedacht, sind Raum und Zeit leere Gedankenhülsen. Räumliche Beziehungen sind wirkliche Aufeinanderfolge- (Sukzessions-) und Entwicklungsbeziehungen materieller Prozesse. „Die beiden Existenzformen der Materie sind natürlich ohne die Materie nichts, leere Vorstellungen, Abstraktionen, die nur in unserem Kopf existieren." 2 Die Untersuchung der zeitlichen Formen und Beziehungen der materiellen Prozesse könnten als „Chronometrie" (Zeitmessungskunde) bezeichnet werden. Die alte, bereits von den Ägyptern zu Landvermessungszwecken entwickelte Wissenschaft der Geometrie hat hingegen die räumlichen Formen und Beziehungen der Körper zum ursprünglichen Gegenstand. 1

2

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F. Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring), Karl Marx/Friedrich Engels, Werke (im folgenden: MEW), Bd. 20, Berlin 1975, S. 48. F. Engels, Dialektik der Natur, in: MEW, Bd. 20, a. a. O., S. 503.

Geometrie Von allen Eigenschaften materieller Gebilde betrachtet die Geometrie nur die räumlichen. Durch solche Abstraktion ergaben sich die Begriffe und Sätze der geometrischen Raumlehre. Dabei sah die sich entwickelnde Geometrie von der relativen Unschärfe' der räumlichen Formen der Materie vorerst ab. So brachte sie um 300 vor unserer Zeitrechnung im Werk Euklids jene Lehre von den unveränderlichen Beziehungen ausdehnungsloser „Punkte", breiteloser „Linien" und dickeloser „Flächen" hervor, welche die klassische Grundlage aller späteren geometrischen Überlegungen werden sollte. Die Vermessung von Längen, Flächen, Rauminhalten setzt das wiederholte Anlegen von Maßstäben, also den Transport derselben voraus. Damit ist aber die Möglichkeit der Bewegung eine der Grundvoraussetzungen aller Geometrie. So ist selbst der abstraktesten aller Wissenschaften von den Körpern der Bewegungsbegriff eingeboren. Durch Bewegung können Körper zur Berührung und Trennung gebracht werden. Diesen Umstand hebt Nikolai Lobatschewski (1792 bis 1856) zum Zweck der geometrischen Definition des Raumes hervor: „Zwei Körper, A und B, bilden, indem sie sich gegenseitig berühren, einen einzigen geometrischen Körper C . . . Umgekehrt zerfällt jeder Körper C durch einen beliebigen Schnitt S in zwei Teile, A und B, . . . So kann man sich alle Körper in der Natur als Teile eines einzigen Ganzen vorstellen, das wir als den Raum bezeichnen." 3 Lobatschewski faßte - einige Jahre vor dem ungarischen Mathematiker Jänos Bölyai (1802-1860), der unabhängig von Lobatschewski zu ähnlichem Ergebnis kam - den kühnen Gedanken, daß außer der gewohnten euklidischen auch andere Geometrien denkbar sind. E r nahm an, daß sich diese anderen Geometrien den realen Eigenschaften des Raumes genauer anschmiegen könnten und daß dies im Experiment zu überprüfen sei. (Gauß, dem die gedankliche Priorität gehört [1816], konnte sich nicht zur Veröffentlichung entschließen.) So wurde der Begriff der Geometrie verallgemeinert. Bald um3

N. I. Lobacevskij, novye nacala geometrii, in: Socinenija po geometrii, Bd. 2, Moskva 1949, S. 168.

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faßte er nicht nur räumliche Beziehungslehren, die von denen Euklids abweichen, sondern auch systematische Untersuchungen von Formen und Beziehungen der Wirklichkeit, die den räumlichen bloß ähneln beziehungsweise bloß in diesei) oder jenen Zügen analog sind. Die idealistische Auffassung der Geometrie, zum Beispiel die von Kant, hatte die euklidische Geometrie für denknotwendig gehalten. Nun war gezeigt worden, daß die euklidische Geometrie nicht nur nicht denknotwendig, sondern möglicherweise nicht einmal wirklichkeitsgetreu ist. Als echte Tatsachenfragen erschienen jetzt geometrische Probleme, zum Beispiel, ob sehr große, von Lichtstrahlen begrenzte Dreiecke - Raumgebiete von astronomischen Dimensionen eine Winkelsumme von 180 Grad haben oder eine kleinere beziehungsweise größere. Darüber konnte nur im Experiment entschieden werden. Carl Friedrich Gauß (1777-1855) unternahm den ersten Entscheidungsversuch. Die Allgemeine Relativitätstheorie Einsteins zeigte dann (1915), daß Dreiecke kosmischer Dimensionen nachweisbar von 180 Grad abweichende Winkelsummen haben müssen, und zwar je nach der Verteilung • der kosmischen Massen im jeweiligen Raumgebiet. Von alltäglichen Erfahrungen mit Gebilden alltäglicher Dimensionen ausgehend, war also zuerst durch Abstraktion und Verallge-

Abb.

3: In der sphärischen Geometrie (a) ist die innere Winkelsumme im

Dreieck größer als 1 8 0 ° , in der hyperbolischen Geometrie (b) ist sie dagegen kleiner als 1 8 0 ° .

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meinerung die euklidische Geometiie geschaffen worden. Angeregt durch Beschäftigung mit krummflächigen Gebilden bzw. mit der Rolle des „Parallelenaxioms" wurden dann schließlich von der euklidischen abweichende Geometrien entwickelt. So entstanden nichteuklidische Raumlehren. Darüber hinaus wurden Systeme mathematisch entwikkelt, die der bisherigen Geometrie zwar ähneln, sich aber nicht auf nur räumliche Verhältnisse beschränken. In solchen Systemen wird eine kontinuierliche Gesamtheit gleichartiger Gebilde als „Punkte" eines abstrakten „Raumes" aufgefaßt, deren Beziehungen „nach Art der Geometrie" analysiert werden. Bernhard Riemann ( 1 8 2 6 - 1 8 6 6 ) war einer der Begründer dieser Lehren. D i e Erweiterung des Begriffs der Geometrie hatte zur Folge, daß jetzt von mehr als dreidimensionalen „Räumen" gesprochen wird obwohl die im echten Wortsinn „räumliche" Mannigfaltigkeit natürlich nur drei Dimensionen (Höhe, Tiefe, Breite) kennt. J a , auch die Lehren von vier-, fünf-, j a n-dimensionalen „Räumen" (einschließlich Räumen von „abzählbar-unendlich" vielen Dimensionen) werden „Geometrien" genannt, obwohl diese nicht, oder nicht nur, von den Lagebeziehungen der Körper handeln. Ihre „Punkte" können zum Beispiel Ereignisse markieren, die durch drei räumliche, eine zeitliche Bestimmung und weitere physikalische „Dimensionen" gekennzeichnet sind. Dabei dürfen also nur drei Dimensionen „raumartig" aufgefaßt werden. D i e Spezielle Relativitätstheorie bedient sich zum Beispiel einer vierdimensionalen Geometrie, in der neben drei räumlichen Koordinaten die Zeit als vierte Koordinate erscheint. Obwohl Raum- und Zeitbestimmungen dabei eng miteinander verbunden sind, werden ihre Wesensunterschiede keineswegs aufgehoben. D i e „vierte Dimension" ist nicht räumlich. (Sie kann nicht von „Geistern" bezogen werden.) Das „vierdimensionale pseudo-Riemannsche RaumZeit-Kontinuum" erstreckt sich immer in die Unendlichkeit 4 , es ist nicht begrenzt und nicht endlich, auch wenn sich der erfahrbare Teil des Universums als endlich (räumlich geschlossen) erweisen sollte. Ein 4

Vgl. G. I. Naan, O Beskonecnosti Vselennoj, in: Voprosy filosofii (Moskva), 6 / 1 9 6 1 , S. 9 3 - 1 0 5 .

3

Hollitscher, Materie

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wichtiges Argument hierfür ist die von Martin StraussD entdeckte Tatsache, daß es zur unendlichen Raum-Zeit der Speziellen Relativitätstheorie, die ja experimentell bestätigt ist, eine mathematische Alternative gibt, die der Erfahrung widerspricht und gerade einem in sich geschlossenen Raum („Kugelraum") entspricht. Die Raumlehre im engeren Sinn spiegelt also die materielle Wirklichkeit wider, und zwar die räumliche Existenzform der Materie. Dabei hängt „die Geometrie . . . vor allem mit der Bewegung starrer Körper zusammen; denn auf Grund der Bewegung vergleicht man die Figuren miteinander" 6 . Die Richtigkeit der Widerspiegelung muß, wie in allen Wissenschaften, auch in der Geometrie praktisch überprüft werden. Die praktische Erfahrung erwies, daß die euklidische Geometrie in bestimmten Bereichen nur näherungsweise gilt. Die Genauigkeit der im Alltag millionenfach bestätigten euklidischen Geometrie reicht in kosmischen Dimensionen nicht aus. Die Allgemeine Relativitätstheorie macht dies verständlich. Ob im Mikrogeschehen euklidische Verhältnisse herrschen, steht noch zur Diskussion. Von der Praxis des Alltags ausgehend, im Lichte der allgemeinwissenschaftlichen Praxis und der daraus abgeleiteten Theorie entwickelt und korrigiert, ist so die moderne materialistische Raumlehre entstanden. Ihre Entstehungsweise wie ihre Nutzanwendung widerlegen jede idealistische Deutung der Raumlehre, die letztlich den Raum zur „Schöpfung des Geistes" und bisweilen zur Wohn-Stätte von Geistern erklärt. So vertrat zum Beispiel der englische Astronom Sir James Jeans (1877-1946) die idealistische These: „Der Raum ist eine Schöpfung unseres Geistes." 7 Solche idealistischen Deutungen werden durch die Geschichte wie durch alle Ergebnisse der Geometrie endgültig widerlegt. 5

M. Strauss, Grundlagen der Kinematik I. Die Lösungen des kinematischen Transformationsproblems, in: Wissenschaftliche Zeitschrift

der

Humboldt-

Universität. Mathematisch Naturwissenschaftliche Reihe, 5/1957/58, S. 6 0 9 bis 6 1 6 . 6

A . D. Alexandrow, Geometrie, Leipzig 1 9 5 5 , S. 58.

7

J . Jeans, The Astronomical Horizon, London 1 9 4 5 , S. 22.

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Zeitlehre Was von der räumlichen -Existenzform der bewegten Materie gilt, gilt in abgewandelter Weise auch von ihrer zeitlichen. Auch die zeitlichen, die Sukzessionsverhältnisse der materiellen Prozesse kommen diesen objektiv zu und sind vom menschlichen Bewußtsein unabhängig. Richtung und Rhythmus des zeitlichen Ablaufs der Ereignisse werden dem realen Geschehen abgelesen, nicht vorgeschrieben. D i e sich historisch entwickelnden Zeitvorstellungen und Zeitbegriffe der Menschheit nähern sich, wie die Praxis lehrt, zunehmend der Erkenntnis des objektiven Zeitgeschehens. D e r Unterschied zwischen Früherem und Späterem ist objektiv. Auch die Zeitfolgebestimmtheit von Ereignissen, die infolge der begrenzten Geschwindigkeit der Wirkungsausbreitung nicht aufeinander einwirken können, ist eine objektive Beziehung. Indem der Mensch diese Beziehung feststellt, stellt er die bewußtseinsunabhängige Ordnung der Ereignisfolgen, der Folge von Ursachen und Wirkungen, des Einwirkungsvorgangs fest. Die objektive Ordnung der Ereignisse, Abläufe, Vorgänge, Bewegungen im Universum wird im Zeitbegriff abstrakt widergespiegelt, wobei von allen übrigen Besonderheiten der Ereignisse abgesehen wird. Diesen Einsichten der materialistischen Wissenschaft wird von Metaphysikern und Idealisten widersprochen. Einige von ihnen vertreten zum Beispiel vorgefaßte Meinungen über die physikalischen Kennzeichen der Zeitrichtung. Sie glauben etwa, daß diese auch eine „Umkehrung" erfahren könne, daß es also möglich sei, Vergangenheit und Zukunft, ja das Bewirkende und das Bewirkte zu „vertauschen" ! Als Beweis bedienen sie sich wiederum einer Fehldeutung des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, des Entropiesatzes. Dieser erlaubt es, in einem isolierten System zahlreicher Teilchen die Zeitrichtung zu kennzeichnen: Spätere Zustände solcher Systeme können mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit keine kleinere Entropie als die früheren haben. In diesem Sinne sind solche Vorgänge nicht-umkehrbar (irreversibel). Nun wird behauptet, daß bei anderen, reversiblen Prozessen - zum Beispiel „rein"-mechani3*

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sehen, bei welchen Wärmevorgänge keine Rolle spielen - die Zeitrichtung nicht gesetzmäßig ausgezeichnet sei. Diese Behauptung ist metaphysisch. Sie nimmt das Erzeugnis gedanklicher Abstraktion für konkret und wirklich (zum Beispiel eine „reibungslose Bewegung" von Billardkugeln). In Wirklichkeit sind die im idealisierenden Gedankenexperiment als reversibel behandelten Vorgänge untrennbar mit irreversiblen verbunden. Die Wirklichkeit ist ein dialektisch zusammenhängendes Ganzes, nicht eine Anhäufung isolierter Erscheinungen. Das wirklich Zusammenhängende muß auch gedanklich zusammengefaßt werden. Dies meint wohl Schachparonow, wenn er sagt: „In jedem reversiblen Vorgang steckt in verhüllter Form die Nichtumkehrbarkeit, jeder reversible Vorgang hat seine irreversible Seite." 8 Jeder bei idealisierender Betrachtungsweise als reversibel behandelte Vorgang ist zugleich durch die konkrete Verbindung mit anderen Prozessen einmalig, historisch und somit in diesem Sinne auch nicht wiederholbar. Die Gesamtheit der Bedingungen kann niemals bis ins letzte dupliziert werden. Jeder irreversible Vorgang wiederum ist zugleich Glied der unendlichen Entwicklung mit ihren großen Kreisläufen und Wiederholungen im Weltall. Überdies folgt aus Sätzen der Statistischen Mechanik, daß die Gesamtheit von Vorgängen, die sich aus lauter Einzelereignissen zusammensetzen, von denen jedes für sich genommen reversibel verläuft, durchaus irreversibel sein kann. Dies ergibt sich daraus, daß sich zwar die Grundgleichungen der Mechanik und der Elektrodynamik bei Änderung der „Zeitrichtung" nicht ändern, jedoch die Anfangsbedingungen dabei so gut wie immer eine Änderung erfahren. Die Abiaufrichtung des Naturgeschehens ist vom Bewußtsein unabhängig. Die menschliche Erkenntnis vom objektiven Ablauf des zeitlichen Geschehens beruht letzten Endes darauf, daß vergangene Ereignisse erkennbare Spuren zurücklassen: Die wahrgenommenen Ereignisse selbst erzeugen „Gedächtnisspuren" im Gehirn, die das 8

M. I. Schachparonow, Gegen idealistische Hypothesen über die Zukunft des Weltalls und gegen Entstellungen des Zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik, i n : Sowjetwissenschaft. Naturwissenschaftliche Abteilung, 3/1954, S. 393.

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Erinnern ermöglichen. Denn auch im menschlichen Gehirn zeitigt der objektive Geschehensablauf ebenso objektive Folgen. Auf der Wahrnehmung dieser Folgen beruht nicht etwa der objektive Unterschied zwischen Früherem und Späterem, sondern nur die subjektive Erkennbarkeit desselben. Es scheint, daß Boltzmann in diesem Zusammenhang irrte, daß „zufällige" regionale Entropieverkleinerungen (Entmischungen) zu regionalen „Umkehrungen der Zeitordnung" führten und daß so „der zeitliche Verlauf für das Universum als Ganzes kein einseitiger ist" 9 . Boltzmanns Spekulationen über die „Zeitumkehr" sind immer wieder aufgegriffen worden. So hat der österreichische Physiker Franz Exner (1849-1926) ihnen mehrere Seiten eines glänzenden Werkes gewidmet: 10 Der Gedanke von Exner dürfte wohl von dessen Schüler Erwin Schrödinger (1887-1961), dem Begründer der Wellenmechanik, aufgegriffen worden sein. 11 Der Gedanke der Zeitumkehr taucht später in der philosophischen Deutung der modernen Physik im Zusammenhang mit der Mikrophysik auf. So wird von der „beliebigen Wegrichtung" (either-wayness) der Zeit gesprochen und von „schattenhaften Wahrscheinlichkeiten" als Richtungsweisern der Elektronenbewegung. 12 Die moderne Mikrophysik hat tatsächlich schwierige Probleme zu lösen. Jedoch die Realität der materiellen Außenwelt, ihrer Bewegung und Bewegungsrichtung ist Vorbedingung jeder Forschung; denn die echte Forschung hat Erkenntnis und Beherrschung der Wirklichkeit zum Ziel. Nur Idealisten glauben, daß die Beobachtung ihren Gegenstand „erschafft". Weder die Zeit noch die ihr wesentliche Pfeilrichtung sind Erzeugnisse menschlicher Spekulation. Zeit wie Raum sind objektive Existenzformen der sich bewegenden Materie. So ist auch die Zeit unlösbar mit der Bewegung verbunden. 9 10

E. Broda, Ludwig Boltzmann, Wien 1 9 5 5 , S. 78. F. Exner, Vorlesungen über die physikalischen Grundlagen der Naturwissenschaften, Wien 1 9 1 9 , S. 65.

11

E. Schrödinger, D i e Besonderheit des Weltbildes der Naturwissenschaft, in: Acta physica austriaca (Wien), 3/1948, S. 225.

12

H. Margenau, Can Time Flow Backwards?, in: Philosophy of Science (Baltimore), 2/1954, S. 7 9 - 9 2 .

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D i e D i a l e k t i k der R a u m - Z e i t - B e z i e h u n g D i e klassische Physik faßte die Bewegung eines materiellen Gebildes als absolutes Geschehen auf, das auf keinen anderen Körper bezogen sei. Alles ereigne sich im absoluten Raum und in der von diesem unabhängigen absoluten Zeit: „Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und ihrer Natur nach gleichförmig, ohne Beziehung auf irgendein äußeres Ding . . . D e r absolute Raum, der seiner N a t u r nach ohne Beziehung auf irgend etwas Äußeres ist, bleibt immer gleich und unbeweglich . . . Die absolute Bewegung ist die Verschiebung eines Körpers von einem absoluten Ort in einen anderen . . .", 13 heißt es bei Newton. Newtons lange Zeit unbestrittene Vorstellungen entwuchsen nicht sosehr dem zeitgenössischen Stand der Wissenschaft als der gesellschaftsbedingten Voreingenommenheit der englischen Restaurationszeit. Sie legte den Versuch nahe, die rücksichtslos forschende Naturwissenschaft mit dem Weltbild der Religion zu versöhnen. „Wie der Raum bei Newton immer sich selbst gleichbleibt, unbeweglich und einförmig, homogen, so ist auch Gott etwas vollkommen Einförmiges, Homogenes ; er füllt den ganzen Raum . . . aus, braucht daher keinerlei Hilfsmittel zur Wahrnehmung der Dinge im Räume, zumal er dieselben selbst . . . gemacht und sie ihm daher . . . vollkommen real gegeben sind . . " , 4 D e r Raum ist für Newton „sensorium dei", wie es in der „Optik" (1704) heißt, unmittelbarer Wahrnehmungsbereich Gottes! Gott „dauert in Ewigkeit und ist allgegenwärtig, und durch sein ewiges und allgegenwärtiges Sein schafft er Dauer und Raum, Ewigkeit und Unendlichkeit" 1 5 . So sind bei Newton Raum, Zeit und Materie voneinander unabhängig und auseinandergerissen. N u r Gott stelle ihre Einheit her: er schaffe sie, und er umfasse sie. 13

I. N e w t o n , Mathematische Prinzipien der Naturlehre, Anmerkung zu den einleitenden Definitionen, in: Vorreden und Einleitungen zu klassischen Werken der Mechanik, Leipzig 1899, S. 35, 194.

14

W. Gent, D i e Philosophie des Raumes und der Zeit, Bonn 1926, S. 162.

15

I. N e w t o n , D i e geschichtliche Entwicklung des Bewegungsbegciffes, Leipzig 1886, S. 52.

38

Im eigenen Wahrnehmungsbereich-vermöge Gott auch zu urteilen, ob zwei voneinander noch so weit entfernte Ereignisse gleichzeitig stattfinden, denn Gott könne sie ja gleichzeitig immer überblicken! Diese Ausflucht ist für Newtons Physik keineswegs gleichgültig. Nur die Berufung auf Gott oder die Annahme zeitloser Ausbreitung von Wirkungen gestattet es Newton, den von ihm gebrauchten Gleichzeitigkeitsbegriff für allgemein definiert zu halten. Wird jedoch Gott als „absolutes Bezugssystem" beiseite gelassen, so erhebt sich sogleich die Frage, wonach Zeitablauf und Distanz im Geschehen objektiv bestimmt'sind. Davon hängt dann auch die messende Bestimmung von Zeitstrecken und Raumstrecken durch den Menschen ab. Hier setzte Albert Einstein (1879-1955) mit der Kritik an Newtons Raum- und Zeitvorstellungen an, als er 1905 die Spezielle Relativitätstheorie entwickelte. 10 Einstein hob in der Physik die metaphysische Isolierung von Raum, Zeit und Materie auf. In physikalischexakter, nach Maß und Zahl bestimmter Weise wies er deren wechselseitige dialektische Abhängigkeit nach. „Der Hauptunterschied zwischen den Raum-Zeit-Vorstellungen der Relativitätstheorie und den Vorstellungen der klassischen Physik besteht in der Anerkennung einer organischen Wechselbeziehung zwischen Raum und Zeit." 17 Der Bewegungszustand, die sich mit der Zeit verändernde Lage eines Körpers, kann nur in bezug auf einen anderen Körper oder ein System anderer Körper (Bezugssystem) verstanden werden. „Bewegung eines einzelnen Körpers existiert nicht - nur relativ gesprochen" 18 , hatte Engels notiert. Einstein legte dar, daß die Bewegung von Körpern relativ zueinander erfolgt und nicht relativ zu „absolut unbeweglichen" Körpern oder zu einem absolut unbeweglichen, raumerfüllenden „Äther". Die Erfahrung zeigt, daß es kein solches absolut ruhendes, durch irgendeine physikalische Eigenschaft ausgezeichnetes Bezugssystem gibt (keinen „Körper Alpha", wie C. Neumann ihn 16

A . Einstein, Über die Spezielle und Allgemeine Relativitätstheorie, Braunschweig 1918, S. 17.

17

K ctogam-diskussii po teorii otnositel'nosti, in: Voprosy filosofii (Moskva), 1/1955, S. 134.

18

F. Engels, Dialektik der Natur, in: M E W , Bd. 20, a. a. O., S. 514.

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1870 ersann). Räumliche und zeitliche Bestimmungen sind auf konkrete materielle Bezugssysteme objektiv bezogen, sie werden durch die materiellen Zusammenhänge der Gegenstände bestimmt. (Dabei ist gleichgültig, ob irgendein Beobachter diese Beziehung subjektiv wahrnimmt oder nicht.) Somit gilt es, die Gesetze zu erforschen, nach denen Längen und Zeitintervalle je nach dem jeweiligen Bezugssystem variieren. Gemäß der Speziellen Relativitätstheorie ist ein Zeitintervall, das zwischen zwei Ereignissen liegt, relativ zu einem bestimmten körperlichen Bezugssystem von anderer Dauer, als relativ zu einem anderen Körper, der gegenüber dem ersten Bezugssystem geradlinig-gleichförmig bewegt ist. Dies ist Folge der Endlichkeit und der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit sowohl vom Bewegungszustand der Quelle wie auch von dem des Bezugssystems, sofern letzteres nur zur Klasse der sogenannten Inertialsysteme, d. h. der zueinander gleichförmig bewegten Bezugssysteme gehört. ( D a ß diese Klasse eindeutig durch die Theorie selbst bestimmt ist, wurde erst 1968 bewiesen.) Einstein konnte zeigen, daß zwei Ereignisse, die in bezug auf ein bestimmtes System „gleichzeitig" sind, dies nicht in bezug auf ein anderes, relativ dazu bewegtes System sind. D a nun die Länge eines Stabes zum Beispiel nichts anderes als der Abstand gleichzeitiger Lagen seiner Endpunkte ist, folgt aus der Relativität der Gleichzeitigkeit auch die Relativität der räumlichen Erstreckung. So wird deutlich, daß räumliche und zeitliche Bestimmungen der Materie zwar wesensverschieden, jedoch nicht unverbunden sind. Aus der Relativität von räumlichen und zeitlichen Bestimmungen der Materie ergibt sich auch die vieler anderer physikalischer Größen, die von Längen und Zeiten abhängen. So unterscheidet sich die Masse, die ein Körper relativ zu einem ihm gegenüber ruhenden System besitzt (die Ruhmasse), von der Masse desselben Körpers relativ zu einem ihm gegenüber bewegten Bezugssystem (siehe Abb. 4 ) . D i e vorher beschriebenen Längenveränderungen sind nicht leicht direkt nachzuweisen. D i e Massevergrößerung dagegen ist durch B e schleunigung von Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit im Teilchenbeschleuniger beobachtbar. So beträgt z. B . die von Protonen im Teilchenbeschleuniger bei 25 Milliarden Elektronenvolt erreichte E n d -

40

geschwindigkeit 99,99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit und der relativistische Massezuwachs der Protonen etwa das Fünfundzwanzigfache. Dabei spielt der „relativistische Effekt" der Massevergrößerung irdbo/,^

Jupiter H Abb. 4: Astronomische Methode zur Messung der Lichtgeschwindigkeit nach Olaf Römer. D i e periodisch stattfindende Verfinsterung eines Jupitermondes tritt für den irdischen Beobachter „verspätet" ein, wenn sich die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne von der jupiternäheren Position I über die entferntere II zur entferntesten III bewegt; das Licht hat zusätzliche Strecken zu durcheilen. D a deren Ausmaße und die „Verspätung" der Verfinsterung bekannt sind, läßt sich daraus die Lichtgeschwindigkeit berechnen.

eine auch technisch entscheidende Rolle: er ist bei der Konstruktion dieser Apparate zu berücksichtigen. Die folgende Tabelle zeigt den Unterschied zwischen den hierbei relevanten Gröben, berechnet nach klassischen bzw. relativistischen Ansätzen (nach M. Vermes; zum Zwecke der Veranschaulichung der Approximation an die Lichtgeschwindigkeit wurde diese für die folgende Tabelle 1 - siehe S. 42 mit genau 300 000 km/sek festgelegt). Einsteins Spezielle Relativitätstheorie berücksichtigt die enge Verbindung zwischen räumlichen und zeitlichen Bestimmungen der Materie. Sie bedient sich, Hermann Minkowski (1864-1909) folgend, der Darstellungsmethode einer vierdimensionalen „Geometrie". In dieser tritt die Zeit als vierte, mit den Raumkoordinaten größenmäßig verbundene „Dimension" auf. Für relativ zueinander gleichförmig-geradlinig bewegte Systeme, von denen die Spezielle Relativitätstheorie handelt, ist der raum-zeitliche Abstand zweier Ereignisse, ihr „Intervall", vom Bewegungszustand des Bezugssystems unabhängig, sind Ruhlänge, Eigenzeit, RUhmasse, „invariante" Größen. D a ß das Intervall von Ereignissen invariant ist, war eine wichtige neue Erkenntnis. Mit der Allgemeinen Relativitätstheorie wollte Einstein die noch verbliebene Sonderstellung der Inertialsysteme beseitigen. Er stellte 41

Tabelle

1

Spannung in Volt,

Elektronengeschwin-

durch welche das digkeit (klassisch) Elektron beschleu- km/sek nigt wird

1 10 100 1 000 10 000

0 1 000 10 000 50 000 100 000 500 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000 000

18 59 132 187 419 594 1 878 5 940 18 780

0 800 400 760 800 900 000 000 000 000

59 400 000

Elektronengeschwindigkeit km/sek (relativistisch)

18 58 123 164

0 760 700 800 800

259 283 299 299 299 299

100 000 210 996 999,96 999,999 6

Koeffizient der rela tivistischen Massevei größerung des Elektrons 1 1,001 9 1,019 3 1,113 1,262 1,985 2,87 13,8 195 1 950 19 500

die Forderung, daß die Naturgesetze so zu formulieren sind, daß sie eine gegenüber dem Bewegungszustand des Bezugskörpers invariante Fassung haben. Unter der Voraussetzung, daß in lokalen Bereichen und bei differentiellen Änderungen des Bewegungszustandes die Gesetze der Speziellen Relativitätstheorie gelten, sowie unter Berücksichtigung der experimentell erwiesenen Gleichheit von träger und schwerer Masse gelang es Einstein (1915), eine solche invariante Fassung für die Gesetze der Mechanik auszuarbeiten (d. h., für die Gesetze der Bewegung von Körpern, die unter der Wirkung mechanischer Kräfte erfolgt). Die Allgemeine Relativitätstheorie behauptet die örtliche Äquivalenz der physikalischen Wirkungen von Beschleunigung und Gravitation; sie liefert jedoch zugleich Mittel zur Unterscheidung der Wirkungen von Gravitation und Beschleunigung für den Fall ausgedehnter Gebiete. Und sie fordert eine mathematische Formulierung der Naturgesetze, die der Fonri - nicht dem Inhalt nach für gleichförmig-geradlinig bewegte wie für beschleunigte Bezugssysteme identisch ist. Dies ist eine mathematisch entscheidende, jedoch unmittelbar physikalisch nicht bedeutsame Forderung. 42

Sehr bald lernte man auch die Gesetze anderer Felder, insbesondere des elektromagnetischen, allgemein-relativistisch zu formulieren. Bei der Entwicklung der Allgemeinen Relativitätstheorie konnte Einstein auch eine E r k l ä r u n g für die Gravitationskraft geben, d. h., f ü r die allen materiellen Gebilden eigene Massenanziehungskraft. E r konnte zeigen, daß die Existenz eines Gravitationsfeldes mit bestimmten (metrischen) Eigenschaften des Raumes und der Zeit verknüpft ist. Von Gebiet zu Gebiet, von Zeit zu Zeit wechselt die Verteilung der Materie im Weltall. Dies hat, wie Einstein zeigte, eine Abweichung der Eigenschaften des Raumes von der euklidischen Geometrie sowie eine Änderung (Verzögerung oder Beschleunigung) der Dauer physikalischer Prozesse zur Folge. D i e Raumzeitverhältnisse sind also uneinheitlich, ihre Struktur wird durch Verteilung und Bewegung materieller Massen bestimmt, wodurch zugleich das Schwerefeld und damit die Bewegung der Körper im Schwerefeld bestimmt w ; r d . Bewegung der Körper im Schwerefeld und Schwerefeld bedingen sich also wechselseitig; sie bilden eine dialektische Einheit, bei der keine der beiden materiellen Komponenten ausschließlich Ursache und die andere ausschließlich Wirkung ist. In der Nähe anziehender Massen bewegen sich Lichtstrahlen auf nicht-euklidischen „geodätischen Linien", das heißt, den „geradesten" Verbindungen, die zwischen zwei Punkten real möglich sind. 19 Diese „Geradesten" des dreidimensionalen realen Raumes werden gewöhnlich an den Verhältnissen auf krummflächigen zweidimensionalen Gebilden „veranschaulicht". D i e kürzesten (also „geradesten") Verbindungen dreier (nicht auf einem Großkreis liegender) Punkte auf einer Kugelfläche beziehungsweise auf einer Sattelfläche umschließen zum Beispiel Dreiecke, die im ersten Falle immer größere Winkelsummen als zwei Rechte (180 Grad), im zweiten immer kleinere als zwei Rechte besitzen. Sattelflächen wird in der mathematischen Notation eine negative, Kugelflächen eine positive „Krümmung" zugeschrieben. Auf Sattelflächen nehmen Umfang und Fläche eines Kreises bei A . A. Michailow, The Deflection of Light by the Gravitational Field of the Sun, in: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, Bd. 119, London 1959, S. 5 9 3 - 6 0 8 .

43

wachsendem Durchmesser schneller zu als bei Kreisen auf einer euklidischen Ebene, auf Kugelflächen langsamer. So kann ohne Hinaustreten aus diesen Flächen durch „innere Vermessung" entschieden werden, auf welcher Art von Fläche ein Dreieck beziehungsweise ein Kreis liegt, ob diese Fläche eben, ob sie positiv oder negativ gekrümmt ist. Veränderte sich .die Krümmung einer Fläche im Laufe der Zeit, so wäre auch dies durch innere Vermessung feststellbar. Analog den Dreiecks-, Kreis- und anderen Eigenschaften realer Verbindungen oder Wirkungszusammenhängen zwischen physischen „Punkten" in zweidimensionalen Räumen sind auch die entsprechenden Gebilde im dreidimensionalen Raum kennzeichenbar. Durch theoretische Überlegung, in letzter Entscheidung aber durch die praktische Vermessung, muß untersucht werden, wie sich die Verhältnisse des dreidimensionalen Raumes bei örtlich und zeitlich wechselnder Materieverteilung gestalten und ändern. Gemäß der Allgemeinen Relativitätstheorie ist ja die reale („physische") Geometrie von der Materieverteilung abhängig, muß sich also die „Krümmung" des dreidimensionalen Raumes als von der nach Ort und Zeit wechselnden Materieverteilung bestimmt erweisen. Die Vermessung der Beziehung zwischen Flächeninhalt und Durchmesser eines Kreises auf einer Fläche gestattet zu entscheiden, ob diese eben beziehungsweise wie SfT

Abb.

Sf

5: Zweidimensionales Analogon der relativistischen Ablenkung von Licht-

strahlen durch die Sonnenmasse. D i e von den Sternen S t 1 und St I I zur Erde A kommenden Lichtstrahlen werden sonnenwärts abgelenkt, so daß die Sterne auswärts verrückt erscheinen. Ein Vergleich der in Abwesenheit der Sonne nächtlich photographierten relativen Sternpositionen mit den während

einer

Sonnenfinsternis aufgenommenen Positionen - bei der Finsternis passieren die von diesen Sternen die Erde erreichenden Strahlen die Sonne und erfahren die Ablenkung - zeigt den von Einstein vorhergesagten Effekt.

44

•2° t 1'

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U,J

!tU

Maßstab der Ablenkung

in Bogensekunden

Abb. 6: D i e von der Forschungsgruppe des Lick-Observatoriums (USA) in Wallal (Westaustralien) bei der Finsternis des Jahres 1922 beobachtete Verrückung der scheinbaren Sternpositionen im Gravitationsfeld der Sonne. D i e Pfeile markieren die Ablenkung von 15 in ihrer Position bestbekannten Sternen (nach Ausmaß und Richtung).

sie gekrümmt ist; zur Entscheidung mathematisch-analoger „Krümmungs"-Verhältnisse des dreidimensionalen Raums kann das sich örtlich beziehungsweise zeitlich ändernde Verhältnis von Volumen und Durchmesser eines Kugelraumes herangezogen werden. Übrigens ist die oft vernommene Behauptung, unter einem „gekrümmten Raum" lasse sich nichts vorstellen, offenbar unrichtig (vorausgesetzt, daß der um die Vorstellung Bemühte sachkundig ist und weiß, was er sich vorzustellen unternimmt; also sich die „Krümmung" des dreidimensionalen Raums nicht etwa zweidimensional vorstellt). Sich etwas vorzustellen heißt doch wohl, sich zu vergegenwärtigen, wie etwas aussähe, wenn man es ansähe. Nun ist es, wie bereits ausgeführt, durchaus möglich, sich auszumalen, was zu beobachten wäre, wenn der dreidimensionale Raum diese oder jene „Krümmung" an dieser oder jener Stelle zu dieser oder jener Zeit aufwiese. Dann ergäben die inneren Vermessungen (zum Beispiel von Kugelräumen) nämlich 45

die beschriebenen Resultate! Selbst wie ein nicht nur in astronomischen Ausmaßen, sondern sogar innerhalb der Alltagsdimensionen „gekrümmter" Raum „aussähe" - offenbar ist der wirkliche „Alltagsraum" vom euklidischen praktisch ununterscheidbar - , läßt sich mit einiger Anstrengung vorstellen. 20 Die Astronomen sind gegenwärtig bemüht, unter der (mehr als fragwürdigen) Annahme einer annähernd gleichmäßigen Verteilung der Sternsysteme (Galaxien) in dem unserer heutigen Beobachtung zugänglichen Raumgebiet festzustellen, ob die Volumina sukzessiv •größerer Kugelräume - gemessen an der Zahl der darin enthaltenen Galaxien - im Verhältnis zu ihren Durchmessern schneller oder langsamer als im euklidischen Raum zunehmen. In einem „negativ gekrümmten" Raumgebiet würde diese Volumenzunahme schneller, in einem „positiv gekrümmten" langsamer erfolgen. Bisher liegen keine auch nur einigermaßen zuverlässigen Ergebnisse vor. Was den Zeitablauf betrifft, so verlangsamen Uhren, Einstein zufolge, in der Nähe anziehender Massen ihren Gang. Die Relativitätstheorie versteht dabei unter einer „Uhr" jeden gleichförmigen periodischen Prozeß. Diesem sich aus der Allgemeinen Relativitätstheorie ergebenden Effekt entsprechen die aus der Speziellen Relativitätstheorie folgenden, bereits erwähnten analogen Effekte: der Zeitverlauf ist geschwindigkeitsabhängig. Die relativistische „Zeitstreckung" demonstrierte Einstein am „Zwillings"- Beispiel: einem die Erde zur Weltraumfahrt verlassenden und wieder Zu ihr zurückkehrenden Reisenden, der seine Zeitmessungen mit denen des „zurückgebliebenen" Zwillingsbruders vergleicht (Tabelle 2 nach H. Bondi): Lichtaussendende Schwingungen der Elektronen im Atom sind gleichförmig periodische Prozesse. So ist bei Lichtaussendung von Atomen auf massereichen Himmelskörpern eine „Rotverschiebung" des Lichtes die Folge. (Diese Erscheinung ist nicht mit jener Rotverschiebung zu verwechseln, die sich durch Fortbewegung der Lichtquelle ergibt [Doppler-Effekt]). „Atomuhren" im Gravitationsfeld 20

Vgl. H. v. Helmholtz, Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome, in: Schriften zur Erkenntnistheorie, Berlin 1921, S. 20.

46

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