Nationale Helden und jüdische Opfer: Tschechische Repräsentationen des Holocaust [1 ed.] 9783666300738, 9783525300732


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German Pages [369] Year 2015

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Nationale Helden und jüdische Opfer: Tschechische Repräsentationen des Holocaust [1 ed.]
 9783666300738, 9783525300732

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Peter Hallama

Nationale Helden und jüdische Opfer Tschechische Repräsentationen des Holocaust

Schnittstellen Studien zum östlichen und südöstlichen Europa Herausgegeben von Martin Schulze Wessel und Ulf Brunnbauer Band 1

Peter Hallama

Nationale Helden und jüdische Opfer Tschechische Repräsentationen des Holocaust

Mit 8 Abbildungen

Vandenhoeck & Ruprecht

Der Druck dieses Buches wurde ermöglicht durch einen Druckkostenzuschuss aus Mitteln der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien. Zugl.: Ludwig-Maximilians-Universität München, Dissertation, 2014.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2015, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Mahnmal in der Pinkas-Synagoge. Archiv Židovského muzea v Praze, fotosbírka, VII/14. Lektorat: Philipp Mangold Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN (Print): 978-3-525-30073-2 ISBN (PDF): 978-3-666-30073-8 https://doi.org/10.13109/9783666300738 Dieses Material steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/.

Inhalt

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Theoretische Überlegungen  (15) Methodisches Herangehen, Forschungslage und Quellen (26)

1. Zweiter Weltkrieg oder Holocaust? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.1 Die Macht der Benennung: Vernichtung, Katastrophe, Genozid oder Endlösung? . . . . . . . . 34 Rassenterror und Genozid (39) Die beiden »Endlösungen« (44) Germanisierung, »Drang nach Osten« und deutscher Imperialismus (48) Klassenkampf und Arisierung (51) Antisemitismus und die Einzigartigkeit des Holocaust (57

1.2 Theresienstadt: Golgatha der tschechischen Nation, Symbol des kommunistischen Widerstandes oder der Shoah? . . . 63 Eine Hierarchie des Leidens: Semantiken von Theresienstadt (66) Das antifaschistische Theresienstadt  (75) Das tschechische Theresienstadt  (78) Das jüdische Theresienstadt: Frühe Pläne zur Musealisierung des Ghettos (81) Kommunistische Marginalisierung und Vereinnahmung  (93) Die Gedenkstätte Theresienstadt im »Tauwetter«  (101) Theresienstadt als Ort der Verfolgung und Ermordung der Juden (104) Die Grenzen der 1960er Jahre: Die Sichtbarmachung des Holocaust in der Stadt Terezín  (116) Von der Ghetto-Ausstellung zum PolizeiMuseum (127) Das »normalisierte« Theresienstadt (135)

2. Repräsentationen des Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2.1 Die ermordeten Juden: Opfer – Märtyrer – Helden? . . . . . . . . . 143 Antifaschisten zweiter Klasse (145) Mauthausen: Heroische Tschechen und leidende Juden (153) Jüdische Helden und Antihelden (168) Der innere Widerstand und das »Menschbleiben« (186) Kultur und Kinder in Theresienstadt: der geistige Widerstand (200

2.2 Patriotismus, Nationalismus, Ethnozentrismus . . . . . . . . . . . 212 Holocaust-Erinnerung in der Zeit der »nationalen Ekstase« (215) Deutsche Juden und jüdische Germanisatoren (218) Die jüdischen »Gäste«

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Inhalt

und der tschechische Antisemitismus (225) Der glühende Patriotismus der tschechischen Juden  (236) Gesellschaftliche Indifferenz  (241) Das »Lied der Toten« – Tschechen oder Juden in Birkenau? (246)

3. Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus Revisited. Vom Prager Frühling bis zum Zusammenbruch des Kommunismus . . 265 Die jüdische Gemeinde zwischen Prager Frühling und Normalisierung (266) Dogmatische Blicke auf die jüngste Vergangenheit (271) Die offizielle Holocaust-Erinnerung hinter dem »Tabu« (274) Die »unabhängige« Geschichte im Samizdat  (286) Holocaust und »Vergangenheitsbewältigung« im Dissens (288) Die dissidente Suche nach der Nationalgeschichte  (306) Die »Samtene Revolution« 1989: Neuentdeckung der jüdischen und Re-Nationalisierung der tschechischen Geschichte (310)

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

Einleitung

»In Prag hat der Krieg begonnen und in Prag hat er geendet.« Sechs Jahre des nationalen Kampfes gipfelten in »unserem großen Sieg«.1 Der »gewonnene« Zweite Weltkrieg, oder besser die Revanche für »München« – jenes bedeutsame Symbol für die deutsche Aggression wie zugleich für den vermeint­ lichen Verrat der Westmächte – spielten in der Geschichtskultur der wiedererstandenen Tschechoslowakei eine fundamentale Rolle. Der Staat, der sich 1918 erfolgreich aus der österreichischen Dominanz gelöst hatte, konnte sich auch 1945 als Sieger gegen den deutschen Erbfeind präsentieren. Im Zweiten Weltkrieg sei der Kampf um die »nationale Befreiung«, der das 19. Jahrhundert geprägt hatte, fortgesetzt und zu Ende geführt worden; begleitet von einer fundamentalen sozialen und ökonomischen Umgestaltung des Landes. Tschechische Widerstandskämpfer, slowakische Partisanen, kurz: nationale Helden hätten dieses Werk vollbracht. Am 5.  August 1945, kurz nach dem Ende der Potsdamer Konferenz  – und damit der offiziellen Einwilligung der Alliierten in die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei  – verkündete die tschechische Tageszeitung »Lidová demokracie« (Volksdemokratie): »Der tausendjährige Existenzkampf der Nation ist beendet.«2 Diese vom nationalen Prisma geprägte Interpretation war in der Tschechoslowakei nicht nur unmittelbar nach Kriegsende dominant, sondern blieb auch unter dem Kommunismus und nach dem Systemwechsel von 1989 omnipräsent. Deutschland sei »das tschechische Schicksal«,3 so bekräftigte der erste postkommunistische Staatspräsident Václav Havel die herausragende Bedeutung des tschechischen Nachbarn. Außerdem existierte – bereits in den Jahren der »Dritten Tschechoslowakischen Republik« (1945–1948) – eine politische, ideologische Perspektive: Im Zweiten Weltkrieg seien Imperialismus und Faschismus – als die äußersten Formen des Kapitalismus – auf den Sozialismus getroffen. Dieser Kampf habe folgerichtig nicht allein zur Befreiung von der deutschen Okkupation geführt, sondern auch zur kommunistischen Machtübernahme im »Siegreichen -­ Februar 1948«.4 1 Projev presidenta republiky dr. Edvarda Beneše na Staroměstském náměstí v Praze 16. května. In: Lidová demokracie vom 17.5.1945, 1 f., hier 1. 2 Na českém pomezí bude klid. In: ebd. vom 5.8.1945, 1. 3 Zit. nach Pauer: Tschechische Republik, hier 268. 4 So etwa bei Pátek: Československé dějiny, 6.

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Einleitung

Wo fand in dieser zweifach dichotomen Betrachtungsweise (Deutsche versus Tschechen und Kapitalismus versus Sozialismus) die Erfahrung der jüdischen Katastrophe, der Shoah, des Holocaust Platz? Konnte die Erfahrung einer Minderheit in diesem Kontext zu Wort kommen und Gehör finden? In einer Stimmung, in der Ideale wie nationale Einheit und »Reinheit« gehegt wurden.5 Man mag einwenden, dass dieses Vorherrschen eines patriotischen, heroischen Geschichtsbildes aus anderen europäischen Ländern bekannt ist, westlichen ebenso wie östlichen. In der Tat wurde nach 1945 überall versucht, durch die Nivellierung der äußerst unterschiedlichen Erfahrungen während des Zweiten Weltkriegs ein Gefühl von nationaler Einheit und Zusammengehörigkeit zu stiften  – gepaart mit großen wirtschaftlichen und sozialen Reformen im Zeichen der Rekonstruktion des Staates.6 Wo liegt demnach die tschechoslowakische Besonderheit, die oft proklamierte osteuropäische »Abweichung«?7 War die Tschechoslowakei tatsächlich abgeschnitten von jener erinnerungskulturellen Entwicklung in Westeuropa, die sich seit den 1960er Jahren langsam von diesem heroischen, im Dienste der Nation stehenden Gedächtnis verabschiedete und sich dem Gedenken der Opfer im Zeichen einer neu definierten Humanität zuwandte? »Konfiszierte«8 der kommunistische Staat das kollektive Gedächtnis der Tschechen und Slowaken und unterdrückte so unliebsame Versionen der Vergangenheit? Muss man von einer »Ära eingefrorener Erinnerung«9 im sozialistischen Osteuropa sprechen, bevor schließlich 1989 diese Erinnerung »zurückkehrte« und »wiedergefunden« wurde?10 Gewiss: Instrumente wie die in der Tschechoslowakei über 40 Jahre lang bestehende Zensur oder (Freiheits-)Strafen für unkonforme Äußerungen sind besonders starke diskursive Ausschlussmechanismen.11 Den Vorgaben der staatlichen Geschichtspolitik12 kam in kommunistischen Staaten fraglos eine stärkere Verbindlichkeit zu als in den demokratisch verfassten Ländern Westeuropas, vor allem wenn, es um die öffentliche und veröffentlichte Meinung ging. Dennoch: Daraus kategorische Schlüsse wie jene der »eingefrorenen« 5 Siehe Brenner: »Zwischen Ost und West«. – Bryant: Prague in Black. 6 Unter anderen Lagrou: The Legacy. – Judt: Die Vergangenheit ist ein anderes Land. 7 Unter den zahlreichen Studien, die mehr oder weniger explizit von einem »geteilten Gedächtnis« Europas nach 1945 ausgehen, siehe etwa François: Meistererzählungen und Dammbrüche. – Troebst: Jalta versus Stalingrad. 8 Baczko: Polska czasów »Solidarności«, 202. 9 Assmann: Erinnerungsräume, 62. 10 Siehe etwa Brossat u. a.: A l’Est, la mémoire retrouvée. – Leo: Die wiedergefundene Erinnerung. – Schirrmacher: Im Osten erwacht die Geschichte. 11 Foucault: Die Ordnung des Diskurses. 12 Geschichtspolitik wird hier – im Sinne Edgar Wolfrums – verstanden als staatlich gesteuerte Politik, als konkretes Produkt einer staatlichen Elite. Wolfrum: Geschichtspolitik.

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Erinnerung oder der Tabuisierung des Holocaust zu ziehen, wie es einige Beobachter der tschechischen Erinnerungskultur tun,13 erscheint voreilig. Denn sie setzen dabei das Streben des Staates nach Uniformität mit der Realität gleich und tragen der gesellschaftlichen Vielfalt keine Rechnung.14 Hegemonien und Hierarchien sollten weniger als natürlich gegebene Dominanz betrachtet werden denn als Resultat eines Aushandlungsprozesses, eines ständigen Mit- und Gegeneinanders ungleicher Partner. Wenn die Machthaber den Holocaust tabuisieren wollten, da die Er­mordung der Juden jeden antifaschistischen Universalismus konterkarieren musste, sollte diesem Versuch der Tabuisierung sein Gegenpart gegenübergestellt werden: die jüdische »Erinnerungspflicht«. Zumal es sich bei letzterer keineswegs um einen sprachlichen Anachronismus handelt, sondern um eine unmittelbar nach Kriegsende formulierte Obliegenheit der überlebenden Juden.15 In der vorliegenden Arbeit über die tschechischen16 Repräsentationen der Shoah soll folglich von der jüdischen Gemeinde als einer »Erinnerungsgemein13 Von einigen Autoren, darunter profilierte Kenner der tschechisch-jüdischen Geschichte wie Alena Heitlinger, Wilma Iggers, Yeshayahu A. Jelinek oder Livia Rothkirchen, wird die These des Tabus vertreten. Dieser Vorstellung klar widersprochen hat Peter Brod in seinem Leserbrief: Brod: Letter to the Editor. – Siehe ebenso Kolář: A difficult Quest. – Zur Idee der »Tabuisierung« des Holocaust siehe Heitlinger: In the Shadows. – Iggers: Juden zwischen Tschechen und Deutschen. – Jelinek: Capturing the Public’s Imagination. – Rothkirchen: Czechoslovakia. 14 So konstatierte etwa auch Bronisław Baczko, dass zwar der kommunistische Staat die Erinnerung zu »konfiszieren« versuchte, es im Endeffekt jedoch zu einer »Explosion« des gesellschaftlichen Gedächtnisses gekommen sei. Baczko: Polska czasów »Solidarności«. – Vgl. hierzu allgemein die Diskussion um den totalitären Charakter des kommunistischen Regimes, beispielsweise Havelka: Vergleich des Unvergleichbaren. 15 Von der »heiligste[n] Pflicht«, niemals zu vergessen, und von der Tatsache, dass ihre Rolle als Zeugen sie »verpflichtet, die volle Wahrheit zu sagen« sprechen etwa Ota Kraus und Erich Kulka im Jahr 1946: Kraus: Die Todesfabrik, 234. (Zuerst 1946 als Kraus, Ota / Schön, Erich: Továrna na smrt. Praha 1946, 227 f.) – Weiter Zpráva o terezínských památkách pro II . Sjezd delegátů židovských náboženských obcí, o. J. [Oktober 1947], Yad Vashem Archives, Jerusalem [weiter YVA], O.7cz/318. – Flugblatt der Jewish Agency for Palestine – Dokumentačná akcia (Je i Vašou povinnosťou, aby ste sa zúčastnili v sbieraní materiálu o perzekúcii Židov v rokoch 1938–1945), o. J. [zwischen 1945 und 1949], YVA , M.5/124. – A. Pártoš: Lekárom odsúdených na smrť. /Prednáška, prednesená dňa 29. novombra 1945 v tatranskej spolku proti tbc./, 29.11.1945, YVA , M.5/127. – Zprávy z obcí. In: Věstník židovské obce náboženské v Praze [weiter Věstník] 14 (1952) 11, 90. – Ähnlich auch František Komjati in einer Ansprache aus dem Jahre 1959, The Central Archives for the History of the Jewish People, Jerusalem [weiter CAHJP], P 223/9. 16 Die vorliegende Arbeit konzentriert sich auf die tschechische Erinnerungskultur, da zahlreiche Faktoren, welche das slowakische Gegenstück prägten, eine eigene Analyse erfordern würden. Dazu gehört unter anderem der Umgang mit der Eigenstaatlichkeit im Zweiten Weltkrieg, der slowakische Katholizismus, die Rolle des Slowakischen Staates im Holocaust oder auch die stärkere Präsenz eines praktizierenden und orthodoxen Judentums.

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schaft«17, einer Erinnerungskultur ausgegangen werden. Die Versuchung in den Memory Studies ist groß, gesellschaftliche oder ethnische Gruppen als gegeben vorauszusetzen und sie weniger zu analysieren als vielmehr zu schaffen. Trotz der Gefahr, eine »Ethnizität ohne Gruppen« zu konstruieren,18 möchte ich von »jüdischen Repräsentationen« des Holocaust und sogar von einer »jüdischen Erinnerung« sprechen. Diese Wortwahl wird sicherlich nicht den vielfältigen Formen jüdischer Erinnerung an den Holocaust gerecht. Umso mehr jedoch kann sie zum Verständnis der gesamtgesellschaftlichen Erinnerungskultur beitragen. Denn letztlich besteht das Ziel der Arbeit nicht darin, die Erinnerungen tschechischer Juden an die Shoah im Detail zu analysieren, sondern mehrheitsgesellschaftliche Phänomene in den Blick zu nehmen. Zu diesen gehörten die Externalisierung des Holocaust aus der tschechoslowakischen Geschichte und die Marginalisierung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, die viele als Sache der Juden wahrnahmen. Die bis heute anzutreffende Unterscheidung zwischen tschechischer Geschichte (zu welcher der Zweite Weltkrieg und die Unterdrückung der tschechischen Zivilbevölkerung gezählt werden) und jüdischer Geschichte (zu welcher der Holocaust gehört) ist auf gesellschaftliche Stimmungen und Tendenzen unmittelbar nach 1945 zurückzuführen: auf Nationalismus, Antisemitismus und Heroismus. Die – in einem ersten Schritt verfolgte – Konzentration auf die jüdischen Repräsentationen der Shoah dient folglich dem Ziel, die mannig­fachen Repräsentationen der Shoah, die unterschiedlichen Materialisationen der Holocaust-Erinnerung zu rekonstruieren. Anhand der »jüdischen Erinnerung« soll so die der tschechoslowakischen Gesellschaft inhärente Vielfalt der Erinnerung, die Pluralität der historischen Wahrheiten aufgezeigt werden. Zumal die jüdische Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg ihrer Selbstwahrnehmung zufolge nicht allein eine religiöse Gemeinschaft war, sondern eine »Schicksalsgemeinschaft«,19 die geprägt und in dieser Form überhaupt erst entstanden war durch den Nationalsozialismus. Sie verstand sich – über religiöse Belange hinaus  – als Fürsprecherin für die von den Nationalsozialisten als Juden verfolgten Menschen. Der Rat der jüdischen Gemeinden sei, so der Sekretär dieses Dachverbands Kurt Wehle, der »einzige Vertreter der Mehrheit der rassisch Verfolgten«.20 Als solcher wollte er aktiv in der 17 Siehe zum Konzept der Erinnerungsgemeinschaften Burke: Geschichte als soziales Gedächtnis. 18 Brubaker: Ethnizität ohne Gruppen, besonders 16–45. 19 Št.E. [Engel, Štěpán]: Do vínku roku 1947. In: Věstník 9/1 (1947), [1]–3, hier [1]. 20 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4, hier 4. – The Jewish Community at Prague during the occupation and after the liberation of the Czechoslovak Republic, o. J. [August 1946], Center for Jewish History, New York [weiter CJH], YIVO Institute for Jewish Research [weiter YIVO], RG 116, Box 55, folder 2.36.

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Mehrheitsgesellschaft wirken.21 Er stellte sich explizit die Aufgabe, darauf zu achten, dass die öffentliche Meinung sowie die öffentliche Verwaltung sich dessen bewusst werden, dass die jüdische Bevölkerung dieses Staates auf ganz besondere Art verfolgt wurde und dass sie überdurchschnittlich hohe Schäden am Leben, an der Gesundheit und am Eigentum erlitt.22

So war er einerseits direkt involviert in Fragen der so genannten Wiedergutmachung und Restitution, der rechtlichen und gesellschaftlichen Anerkennung der Verfolgung der Juden, und somit auch in Fragen des angemessenen Gedenkens an den Holocaust; andererseits verfolgte er sorgfältig die politischen, juristischen und gesellschaftlichen Debatten um den Zweiten Weltkrieg und die Ermordung der Juden, die in der Tschechoslowakei seit 1945 auszumachen waren. Denn, so der Oberrabbiner Gustav Sicher: Die sechs Millionen Opfer hätten die Juden zum »verkörperten Gewissen« gemacht.23 Die Aktivitäten, Interventionen und nicht zuletzt die Publikationen der jüdischen Gemeinde stellen somit einen unermesslichen Fundus zur jüdischen wie zur nichtjüdischen Erinnerung an die Shoah dar. Dabei stellten die Juden in der Nachkriegstschechoslowakei in Wahrheit »mehr oder weniger eine Liquidierungsgemeinschaft« dar, wie Rudolf Iltis, einer ihrer Repräsentanten, selbst meinte.24 In den 1930er Jahren lebten ungefähr 375.000 Juden in der Tschechoslowakei. Viele davon  – besonders in Böhmen und Mähren – hatten nur ein vages Zugehörigkeitsgefühl zum Judentum und dies nur selten im Sinne eines religiösen Bekenntnisses.25 Im Anschluss an das Münchener Abkommen vom Herbst 1938 fielen einige Teile der Tschechoslowakei direkt unter nationalsozialistische Verwaltung, andere wurden Polen und Ungarn zugesprochen.26 In den von NS -Deutschland annektierten Gebieten setzte unmittelbar die Diskriminierung und Verfolgung 21 Wehle, K[urt]: Rada židovských náboženských obcí v zemích České a Moravskoslezské. Informace o vývoji ode dne sjezdu. In: Věstník 7/4 (1945), 28. – Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, Central Zionist Archives, Jerusalem [weiter CZA], C2/1623. – Wehle: The Jews in Bohemia and Moravia. 22 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4, hier 4. 23 Sicher, Gustav: Rozhlasový projev pražského vrchního rabína. In: Věstník 9/19 (1947), [281]. 24 Iltis, Rudolf: Denkmal für 1000 Jahre Kultur. In: Israelitisches Wochenblatt (Zürich) Nr. 12 vom 25.3.1966, zit. nach CJH, YIVO, RG 335.8, MF 11.12, file no. 443. 25 Einen guten allgemeinen Überblick zur Geschichte der tschechischen Juden im 20. Jahrhundert gibt Rothkirchen: The Jews of Bohemia and Moravia. 26 Für einen allgemeinen Überblick zur Geschichte der Tschechoslowakei siehe etwa ­Hoensch: Geschichte der Tschechoslowakei. – Mamatey: Geschichte der Tschechoslowa­ kischen Republik. – Marès: Histoire des Tchèques et des Slovaques.

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der nicht rechtzeitig ins Landesinnere geflüchteten Juden ein.27 Aber auch in dem Reststaat, der Zweiten Tschecho-Slowakischen Republik, erhielt der Antisemitismus Aufschwung. Mit der Okkupation Böhmens und Mährens im März 1939 sowie der Errichtung des eigenständigen Slowakischen Staates wurde die antisemitische Politik NS -Deutschlands vollständig übernommen. Zweieinhalb Jahre später setzte die massenhafte Konzentration und Deportation der tschechischen Juden ein. Zu diesem Zweck wurde das Ghetto Theresienstadt im November 1941 als Sammel- und Durchgangslager errichtet. Ungefähr 30.000 Personen war es gelungen, bis Oktober 1941 das Protektorat Böhmen und Mähren zu verlassen. 250.000 bis 270.000 tschechoslowakische Juden wurden von den Nationalsozialisten ermordet, ungefähr 80.000 davon aus dem Protektorat.28 Nach Kriegsende befanden sich über 40.000 Juden in der – um die Karpato-Ukraine und die dort relativ große jüdische Gemeinde verkleinerte – Tschechoslowakei, von denen allerdings in den ersten fünf Jahren nach Kriegsende etwa 25.000 Personen emigrierten, davon knapp 20.000 nach Palästina bzw. in den 1948 errichteten Staat Israel.29 Die so auf unter 20.000 Mitglieder geschrumpfte jüdische Gemeinde erlebte Ende der 1960er Jahre, nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, eine weitere Emigrationswelle: Ungefähr 6.000 Juden verließen die Tschechoslowakei. In den 1970er und 1980er Jahren häuften sich Berichte, die das baldige Ende des tschechischen Judentums verkündeten.30 Zur Zeit der Samtenen Revolution im Jahre 1989 wurden schließlich keine 10.000 Juden mehr gezählt.31 Wiewohl die jüdische Gemeinde und ihre Repräsentationen des Nationalsozialismus den Ausgangspunkt der Studie bilden, sollen insbesondere die Interaktionen und Interdependenzen zwischen dieser »jüdischen Erinnerung«, der gesellschaftlichen Wahrnehmung des Krieges und der staatlichen Geschichtspolitik beschrieben werden. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, Aus27 Osterloh: Nationalsozialistische Judenverfolgung. 28 Je nach Quelle weichen die Zahlen und Statistiken leicht voneinander ab. Siehe unter anderen Schmidt-Hartmann: Tschechoslowakei. – Škorpil: K problematice počtu. – Ders.: Jüdische Opfer Nazi-Deutschlands.  – Kárný: »Konečné řešení«.  – Ders.: Die tschechoslowakischen Opfer der deutschen Okkupation. – Ders.: Lidské ztráty československých židů.  – Statistische Angaben weiter in: Sapper: Impulse für Europa.  – Sniegon: Their Genocide, or Ours?, 184. – Gebhart: Velké dějiny, XV.a, 198. 29 Siehe die unterschiedlichen Zahlen in Sapper: Impulse für Europa. – Rothkirchen: Das tschechoslowakische Judentum. – Pěkný: Historie Židů. – Siehe auch U pana presidenta. In: Věstník 7/4 (1945), 26 f. 30 Browne, Malcolm W.: Czech Jews, a Vanishing Group. In: New York Times vom 23.8.1975, Privatarchiv Peter Brod, Prag.  – Parrott, Cecil: The destruction of Prague Jews. In: Spectator vom 3.2.1979 [oder Nr. 3, February 1979], zit. nach ebd. 31 Quantitative Angaben zur jüdischen Nachkriegsgemeinde finden sich etwa bei Hanková: Die jüdische Glaubensgemeinschaft. – Heitlinger: In the Shadows. – Pěkný: Historie Židů. – Rothkirchen: The Jews of Bohemia and Moravia, 284–296. – Dies.: State-spon­ sored Anti-Semitism.

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sagen über die tschechische Erinnerungskultur zu machen. Analysiert werden soll die jüdische und nichtjüdische Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. Die Perspektive auf die jüdischen Repräsentationen soll dazu beitragen, mehr als den Staat die Gesellschaft in den Blick zu nehmen. Anknüpfend an die Überlegungen mancher dissidenter Intellektueller aus den 1980er Jahren soll danach gefragt werden, ob die »Tabuisierung« des Holocaust nicht eher auf den tschechischen Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus – das heißt auf gesellschaftliche Einstellungen und Wahrnehmungen – denn auf eine klare politische Agenda führender Repräsentanten des Staates zurückzuführen ist. Dementsprechend folgt der Aufbau der Arbeit nicht immer einer strengen Chronologie, sondern orientiert sich an thematischen Problemfeldern. Zunächst wird die Auffassung einer vielfältigen und heterogenen Erinnerungskultur, die hier vertreten wird, theoretisch eingebettet und fundiert. Der empirische Teil  meiner Arbeit gliedert sich in drei große Teile: Zunächst geht es um die Frage der Überlappungen und Differenzen in der Wahrnehmung von Zweitem Weltkrieg und Holocaust; daran anschließend um zwei signifikante Faktoren in den Repräsentationen des Nationalsozialismus: den tschechischen Nationalismus und den Heroismus. Abschließend werden die Kontinuitäten der nationalistischen und heroischen Betrachtungsweise sowie ihre kritische Infragestellung von den ausgehenden 1960er bis in die 1990er Jahre nachgezeichnet. Im ersten Teil  wird nicht nur nach der historischen Kontextualisierung und der Benennung der Shoah gefragt, sondern damit einhergehend nach der Bedeutung, die dieser beigemessen wurde. In diesem Rahmen tritt bereits eine der essentiellen Fragen dieser Studie in den Vordergrund: In welchem Verhältnis stand eine universalistische Interpretation des Zweiten Weltkrieges (egal ob im Zeichen des Nationalismus oder des Kommunismus) mit einer partikularistischen Betrachtung des Holocaust? Wurde die Shoah als bloßer Teilaspekt des Krieges wahrgenommen? Welche Rolle kam dem Antisemitismus in der Darstellung und Erklärung des Nationalsozialismus zu? Welche Wertung und Hierarchisierung erhielt die Verfolgung und Ermordung der Juden angesichts des nationalsozialistischen »Drangs nach Osten« und der Pläne zur »Endlösung der tschechischen Frage«? Bevor man den Holocaust einordnen kann, ist es unumgänglich, ihn zu benennen. Doch wie in den westlichen Gesellschaften fehlte in der Tschechoslowakei lange eine gesonderte Bezeichnung dafür, was zunächst als Katastrophe oder Tragödie beschrieben wurde. Zudem wurden Begriffe wie Rassismus und Arisierung, Endlösung und Genozid ambivalent und universell gebraucht und verstanden. Anhand von »Theresienstadt«  – als Chiffre sowie als konkretem Gedenkort und Gedenkstätte  – sollen die konfliktreichen und widersprüchlichen

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Wahrnehmungen und Aneignungen von Zweitem Weltkrieg, antifaschistischem Widerstand und Judenverfolgung veranschaulicht werden. Sowohl auf symbolischer als auch auf ganz konkret materieller Ebene können jene Dynamiken nachgezeichnet werden, die dazu führten, dass unmittelbar nach dem Kriegsende der Holocaust in der tschechischen Gesellschaft marginalisiert und externalisiert wurde. »Theresienstadt« ist gleichermaßen Symbol der Shoah wie auch des tschechischen nationalen Leides und des kommunistischen Widerstands. Aus diesem Grund ist der Ort für die Frage der tschechoslowakischen Erinnerungskultur von derartiger Relevanz, dass an seinem Beispiel auch ein erster Einblick in die verschiedenen Phasen und Tendenzen der tschechischen Erinnerungskultur in der Nachkriegszeit gegeben werden kann. Daran anschließend werden stärker problemorientiert zentrale Faktoren in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Shoah analysiert. Anhand unterschiedlicher Beispiele von Repräsentationen des Holocaust wird dem tschechischen Nationalismus und Patriotismus sowie der heroischen Auffassung der Geschichte nachgegangen. Durch diese Betrachtung gesellschaftlicher Phänomene verlieren auch politische Rahmenbedingungen ihre alleinige Erklärungskraft. So ist es ein Anliegen der Arbeit, nicht nur die Veränderungen und Brüche, sondern auch die Kontinuitäten über die politischen Zäsuren hinweg zu betonen. Um folglich die drei entscheidenden Momente der tschechischen Nachkriegsgeschichte  – namentlich die Errichtung der kommunistischen Herrschaft 1948, die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 sowie die »Samtene Revolution« und das Ende des Kommunismus 1989 – in ihrer Bedeutung für die tschechische Erinnerung an Krieg und Holocaust bewerten zu können, wurde die relativ breite zeitliche Spanne von 1945 bis in die 1990er Jahre gewählt. Diese kann freilich nicht in ihrer Vollständigkeit wiedergegeben werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt Epochen des Umbruchs: der unmittelbaren Nachkriegszeit und den Anfängen des kommunistischen Regimes; den späten 1950er und den 1960er Jahren, die nicht nur für die Holocaust-Erinnerung, sondern allgemein für den Umgang mit der jüngsten Vergangenheit (Zweiter Weltkrieg, Vertreibung der Deutschen, Stalinismus) eine wichtige Rolle spielten; und schließlich den 1980er und 1990er Jahren. Während sich die ersten zwei Teile der Studie in besonderer Weise den Jahren von 1945 bis zur Niederschlagung des Prager Frühlings widmen, wird in einem abschließenden Kapitel die Ära der so genannten Normalisierung zusammen mit den ersten postkommunistischen Jahren beleuchtet. Eine detaillierte Analyse der Repräsentationen des Holocaust in den 1990er Jahren muss an anderer Stelle vorgenommen werden. Hier sollen dennoch zentrale Aspekte und Tendenzen des ausgehenden 20. Jahrhunderts präsentiert werden. Denn so wie sich nicht 1948, mit der kommunistischen Machtübernahme, alles zum Schlechteren gewandt hatte, wurden nicht

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alle Probleme mit der »Wende« von 1989 gelöst. Bei der diachronen Betrachtung der Erinnerung an die Shoah kommt die Fluidität dieser politischen Zäsuren zum Vorschein wie auch die Stabilität und Kontinuität zahlreicher Einund Vorstellungen in der tschechischen Gesellschaft. Theoretische Überlegungen

Eine der langfristigen Folgen des Zweiten Weltkriegs ist die »passive Wende« im Gedenken an und Denken über die Opfer von Gewalt,32 die ethische Umorientierung von nationalen Heldentaten auf Fragen von Schuld und Scham. Diese Entwicklung zog eine gesellschaftliche Anerkennung und somit eine Aufwertung des passiven und unschuldigen Opfers nach sich und gipfelte in einem »Zeitalter der Opfer«, in dem wir uns heute befinden.33 So lässt sich auch in den historisch arbeitenden Wissenschaften vor allem seit den 1960er Jahren eine zunehmende Berücksichtigung von Opfergruppen, von »Verlierern der Geschichte« und von deren Visionen der Geschichte feststellen.34 Eine der Wurzeln der heute boomenden Memory Studies ist in jener Bewegung zu sehen, die sich seit den 1970er Jahren von der positivistischen Politikgeschichte und einer Geschichte der Eliten abwandte. Dagegen wurden nun – mit dem Aufkommen der Alltagsgeschichte und der Historischen Anthropologie, mit dem Perspektivenwechsel der Cultural Studies und der Oral History, mit der Idee der Geschichtswerkstätten und der Geschichte »von unten« – anonyme, oft »vergessene« Personen und Gruppen, die so genannten »Verlierer« der Geschichte in den Mittelpunkt des Interesses gestellt.35 Auch wenn es sich bei letzteren nicht ausschließlich um Opfer von 32 Karsten Fischer etwa spricht vom »passive turn from sacrifice to victim as current predominant semantics in the post-heroic, western societies«. Fischer: Between sacrification and victimization, 69, Hervorhebung im Original. – Siehe genauso Münkler: »Nothing to kill or die for…«, 348. – Assmann: Der lange Schatten der Vergangenheit. – Koselleck: Die Diskontinuität der Erinnerung, 215. – Chaumont: Die Konkurrenz der Opfer, 89. – Tzvetan Todorov, der den gesellschaftlichen Wandel des Heldentums analysiert, beobachtet gleichermaßen, dass heute die Geschlagenen »mehr Sympathie als die Sieger« erhalten. Todorov: Angesichts des Äußersten, 57. 33 Wieviorka: Neuf leçons de sociologie, 162. 34 Siehe näher hierzu meinen Aufsatz: Hallama: Geschichtswissenschaften. 35 Siehe etwa Delacroix: Entre doutes et renouvellements, 550. – Burke: Geschichte als soziales Gedächtnis, 291.  – Wulf Kansteiner macht die Zusammenhänge vielleicht am deutlichsten, wenn er resümiert, dass »das, was früher unter den Begriffen volkstümliche Geschichte, Volksgeschichte und Alltagsgeschichte eingeordnet war, zum Teil als Kollektivgedächtnis wiederentdeckt worden [ist].« Kansteiner: Postmoderner Historismus, 122. – Allgemein zu den Themen, Fragen und Anregungen von Alltagsgeschichte, Cultural Studies, Oral History und Historischer Anthropologie sowie dem gesellschaftlichen und akademischen Hintergrund ihres Aufschwungs siehe etwa Daniel: Kom-

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Gewalt des 20. Jahrhunderts handelte, ist das neue Interesse an der Sichtweise der Verlierer und Vergessenen der Geschichte ein Zeichen für die Sensibilität für jene, die die dominante europäische Gesellschaft »nicht nur besiegt, sondern auch aus ihrem Gedächtnis ausgeschlossen hatte.«36 Die »Demokratisierung« der Geschichte,37 die zunehmend kritische Einstellung gegenüber nationalen Meistererzählungen und die »Explosion« der Minderheitsgedächtnisse38 in den 1960er Jahren stärkten das akademische Interesse an den unterschiedlichen gruppenabhängigen Wahrnehmungen der Vergangenheit.39 Durch Anleihen vor allem bei der Ethnologie und der

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pendium Kulturgeschichte, 298–308.  – van Laak: Alltagsgeschichte, der als eine der Errungenschaften der Alltagsgeschichte und des in der Folge sich durchsetzenden »demokratischere[n] Geschichtsverständnis[ses]« schreibt, dass »auch periphere Erfahrungen hereingeholt [werden] in das, was es kollektiv zu erinnern gilt.« (Ebd., 76.) – Wierling: Oral History. – Maurer: Historische Anthropologie. – Winter: Cultural Studies. – Marchart: Cultural Studies. So Nathan Wachtel in seinem Vorwort von 1992 zu seiner 1971 erstmals erschienenen Studie über die indigene Sicht der spanischen Eroberung Perus, in der er Geschichte und Ethnologie in einer wegweisenden Art verband. Wachtel: Préface, I. – Für eine ähnliche Herangehensweise, die das kollektive Gedächtnis bzw. die »Sensibilität für die Vergangenheit« einer spezifischen Gruppe in den Vordergrund stellt und diese von der Geschichtsschreibung der »Sieger« abhebt, siehe Philippe Joutards Buch über die »Legende der Kamisarden«, die marginalisierte Erinnerung an die protestantische Bevölkerung in Südfrankreich. Joutard: La légende des Camisards. – Eine gemeinsame Betrachtung der »Ausgeschlossenen, Besiegten, Opfer und Minoritäten« schlägt auch der Soziologe Michel Wieviorka vor, wenn er nach der Rolle der Vergangenheit für die Gruppenidentitäten und deren gesellschaftliche Anerkennung fragt. Wieviorka: La différence, Zitat 184.  – Auch Enzo Traverso macht diese Parallele stark, wenn er meint, die gegenwärtige »Epoche des Humanitarismus« kenne keine »Besiegten« mehr, sondern nur noch »Opfer«. Traverso: Le passé, modes d’emploi, 16. – Siehe ebenso Levy: Erinnerung im globalen Zeitalter, 117. Nora: Gedächtniskonjunktur, 25.  Dieser Begriff soll nicht über die Tatsache hinweg­ täuschen, dass Inklusionen neue Exklusionen schaffen, die, auf das vorliegende Beispiel angewandt, nicht zuletzt im Begriff der »Opferkonkurrenz« klar zum Ausdruck kommen. Wichtig erscheint mir hier jedoch vor allem die Beobachtung, dass eine Pluralisierung und Erweiterung des Blicks stattfindet, die man, wie Pierre Nora es tut, durchaus als eine »Demokratisierung« beschreiben kann. – Dass die starke Konzentration auf historische Opfer Gefahr läuft, zeitgenössische Phänomene von Gewalt, Ausgrenzung und Rassismus – und damit heutige Opfer – auszublenden, haben bereits mehrere Autoren betont. Siehe unter anderen Todorov: Les abus de la mémoire. – Terray: Face aux abus de mémoire. – Bruckner: Der Schuldkomplex. – Bogalska-Martin: Victimes du présent, victimes du passé, besonders die Einleitung der Herausgeberin 11–18. Nora: Gedächtniskonjunktur, 26. – Siehe ebenso Rousso: La hantise du passé, 31 f. – Winter: The Generation of Memory. Vgl. dazu auch Jean-François Lyotards Überlegungen zum postmodernen Wissen: Dieses »verfeinert unsere Sensibilität für die Unterschiede und stärkt unsere Fähigkeit, das Inkommensurable zu ertragen.« Lyotard: Das postmoderne Wissen, 26.

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Anthropologie40 sowie mit Rückgriff auf die Ende der 1960er Jahre wiederentdeckten Schriften Maurice Halbwachs’41 wandte man sich immer mehr dem »kollektiven Gedächtnis« zu. Daher fiel die akademische Etablierung der Memory Studies in den 1980er und 1990er Jahren wohl nicht zufällig zusammen mit einer »Rückkehr des Nationalen«.42 Die oft beschworene Krise der nationalen Identität, das mit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Osteuropa beschleunigte Ende der politischen Utopien und der verloren gegangene Glaube an den Fortschritt43 wirkten sich auch auf die Auffassung von Geschichte aus: Die Hinwendung zur Vergangenheit löste sich vom teleologischen Geschichtsverständnis der Moderne und wurde nun vor allem eine ängstliche und um Konservierung bemühte Hinwendung zum nationalen Kulturerbe, welches mit der Gegenwart durch einen unüberbrückbaren Graben getrennt erscheint.44 Durch den Riss zwischen »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont« (Reinhart Koselleck) droht der Zusammenhalt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufzubrechen, wodurch die Linearität der geschichtlichen Zeit prinzipiell in Frage gestellt wird. Die Entfremdung der Vergangenheit, die ungewisse, unzugängliche Zukunft und die dadurch unendlich erscheinende Gegenwart sind nach dem französischen Historiker François Hartog die Kernpunkte der gegenwärtigen Zeiterfahrung, des »Geschichtlichkeitsregimes« des »Präsentismus«.45 40 Neben den bereits zitierten Werken siehe allgemein zu den Impulsen aus der Ethnologie und Anthropologie für die Kulturwissenschaften Burke: Was ist Kulturgeschichte?, 47–74. – Daniel: Kompendium Kulturgeschichte, besonders 233–254. – Maurer: Historische Anthropologie. 41 Die beiden für Fragen des kollektiven Gedächtnisses zentralen Werke Maurice Halbwachs’ wurden 1966 und 1967 erstmals in deutscher Übersetzung präsentiert: Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen.  – Ders.: Das kollektive Gedächtnis. Auch in Frankreich wurden La mémoire collective (zunächst posthum 1950) im Jahre 1968 ein zweites Mal aufgelegt und Les cadres sociaux de la mémoire (zunächst 1925, zuletzt 1952) 1976 neu herausgegeben. 42 Delacroix: Entre doutes et renouvellements, 548. 43 Viele dieser Befunde finden sich etwa in soziologischen und philosophischen Beschreibungen der Gegenwart, ob letztere nun als postmodern apostrophiert wird oder nicht: Lyotard: Das postmoderne Wissen. – Habermas: Die Krise des Wohlfahrtsstaates. – Bauman: Liquid Modernity, besonders 130–140. – Zusammenfassend etwa Moebius: Debatten um Moderne und Postmoderne. 44 Dies brachte letztlich auch Pierre Nora mit seinem viel zitierten Satz zum Ausdruck: »Es gibt lieux de mémoire, weil es keine milieux de mémoire mehr gibt.« Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, 11.  – Siehe dazu weiter Delacroix: Entre doutes et renouvellements, 556–562. – Zum Geschichtsverständnis der Moderne, das unter dem Credo der Diskontinuität, der Entwicklung und des Fortschritts Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verband, siehe Koselleck: Die Herausbildung des modernen Geschichtsbegriffs. – Ders.: »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«. 45 Hartog: Régimes d’historicité. – Siehe auch sehr knapp ders.: Geschichtlichkeitsregime.

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Diesen Tendenzen entsprechend beschäftigten sich zahlreiche Studien zur kollektiven Erinnerung mit dem »nationalen Gedächtnis«, mit den nationalen Mythen und Großerzählungen, während zuvor oft lokale und regionale Phänomene im Zentrum des Interesses gestanden hatten.46 Mit dieser »Rückkehr des Nationalen« war zudem eine Konzentration auf intentionales Erinnern »von oben« verbunden.47 Aufmerksamkeit erlangte vor allem die ideologische Instrumentalisierung von Erinnerung, die politischen Akte nationaler Sinnstiftung, wie sie etwa in der Errichtung von Nationaldenkmälern gesehen werden können.48 Ähnliche Tendenzen sind auch in der Oral History zu verzeichnen, wenn es beispielsweise darum geht, die Staatselite zu interviewen. Bezogen auf die 1980er Jahre in Frankreich wurde dies treffend als »Oral History ›von oben‹« beschrieben.49 So ist auch an einigen bis heute wegweisenden Studien über die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg deutlich zu erkennen, dass es gemeinhin um ein den Nationalstaat umfassendes Narrativ geht; im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen die Vergangenheits-Repräsentationen der politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Eliten, steht das »politische Gedächtnis«.50 Ob Peter Steinbachs frühe Arbeit zu den Debatten über die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen in der westdeutschen Öffentlichkeit,51 Henry Roussos Studie zum »Vichy-Syndrom« in Frankreich,52 Peter Reichels Untersuchungen zur deutschen Erinnerungskultur,53 Norbert Freis begriffsprägende Analyse der Vergangenheitspolitik54 oder  – nicht weniger begriffsbestimmend – Edgar Wolfrums Ansatz zur Geschichtspolitik der BRD:55 All 46 Ute Schneider macht auf den engen Zusammenhang zwischen Nationalismusforschung und der »›Entdeckung‹ der Erinnerungskulturen« in der deutschen Geschichtswissenschaft aufmerksam. Schneider: Geschichte der Erinnerungskulturen, 264. – Siehe auch Rousso: Das Dilemma eines europäischen Gedächtnisses. 47 Zur Frage des intentionalen Erinnerns vgl. auch die Gegenüberstellung von bewusst »erfundenen Traditionen« einerseits und den Gewohnheiten und Sitten (customs) andererseits bei Eric Hobsbawm. Hobsbawm: Introduction, 2 f.  – Erinnert sei hier auch an die parallel verlaufende Rehabilitierung des Politischen, die neue kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit Fragen der Politik. Siehe dazu etwa Burke: Was ist Kulturgeschichte, 150–155. – Frevert: Neue Politikgeschichte. 48 Siehe etwa Koselleck: Einleitung. – Siehe auch bereits die Studie von Nipperdey: National­ idee und Nationaldenkmal. 49 Descamps: L’historien, l’archiviste et le magnétophone, 131–144. 50 Zum Begriff des »politischen Gedächtnisses« siehe jüngst Morina: Vernichtungskrieg. 51 Steinbach: Nationalsozialistische Gewaltverbrechen. 52 Rousso: Le syndrome de Vichy. – Stärker auf die konzeptuellen Aspekte seiner Heran­ gehensweise bezogen siehe ders.: Pour une histoire de la mémoire collective. 53 Reichel: Vergangenheitsbewältigung. – Siehe auch ders.: Politik mit der Erinnerung. 54 Frei: Vergangenheitspolitik. 55 Wolfrum: Geschichtspolitik. In Wolfrums Absage an jene Arbeiten, die – so der Autor – die »Vielfalt und Widersprüchlichkeit historischer Praxis, in der die Menschen sich die Welt aneignen«, untersuchten und denen »eine zumindest tendenzielle Blindheit für das

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diesen Studien ist gemein, dass sie ihr Augenmerk auf die politischen und gesellschaftlichen Eliten richten und dennoch Rückschlüsse ziehen auf den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit der Vergangenheit, auf den »Bereich der Erfahrungen, der Erwartungshorizonte und der Bewußtseinslagen der Bürger«56, auf die »mentalen Strukturen«.57 Die Zentralität der Kategorie des Nationalstaats sowie die Dominanz politikgeschichtlicher Erklärungsmodelle hatten eine Vernachlässigung von partikularen und alternativen Gedächtnissen zur Folge. Indem nicht nach unterschiedlichen und gegensätzlichen Perspektiven auf die Vergangenheit (und konkret den Zweiten Weltkrieg) gefragt wurde, sondern die Großerzählungen nationaler und vor allem nationalstaatlicher Erinnerung in den Fokus rückten, erlangte auch die Perspektive der Opfer keine besondere Beachtung.58 Genau dies wird an der politischen Betrachtung von Erinnerungskulturen in den letzten Jahren zunehmend kritisiert.59 Bemängelt wird der exklusive und verengte Blick auf die »von oben« angebotenen Repräsentationen der Vergangenheit und auf eine intentionale Politik mit Geschichte (oder: Erinnerung).60 Demgegenüber bleibe die Frage nach der Rezeption, nach dem Politische zu eigen« sei (24 f.), wird die Abkehr von alltagsgeschichtlichen Fragestellungen wohl am deutlichsten. 56 Wolfrum: Geschichtspolitik, 4. 57 Frei: Vergangenheitspolitik, 16.  58 So hält etwa Christoph Cornelißen fest, dass regionale, private und partikulare Erinnerungen in den Memory Studies »unzureichend berücksichtigt« beziehungsweise »allzu rasch für die ›Nation‹ vereinnahmt« werden. Cornelißen: Zur Erforschung, 38. – Auch Kornelia Kończal kommt jüngst zum Schluss, dass die »top-down-Dimension« in den meisten erinnerungskulturellen Untersuchungen weiterhin dominiere, was in einer »starken Fokussierung auf den nationalen Rahmen« resultiere. Kończal: Geschichtswissenschaft, 258. – Für die Weiterführung (und Neuformulierung) einer dezidiert politologischen Auseinandersetzung mit Gedächtnis siehe etwa Müller: Introduction. – Mink: Introduction. 59 Für frühe kritische Stellungnahmen siehe beispielsweise die Reaktion Marie-Claire Lava­bres auf das Buch Henry Roussos oder den Kommentar Lucette Valensis zu den Lieux de mémoire von Pierre Nora: Lavabre: Du poids et du choix du passé. – Valensi: Histoire nationale. 60 Alon Confino meint über die deutschen erinnerungskulturellen Forschungen, dass zwar manche Studien inzwischen den Alltag, die Privatsphäre und inoffizielle Äußerungen berücksichtigten. »But the picture that emerges from many other studies on mastering the past is often that of political and cultural leaders rather than of ordinary Germans, of the public rather than of private sphere, of official rather than of popular culture, of the representation of cultural artifacts rather than of their reception.« Confino: Germany as a culture of remembrance, 241. – In seiner Rezension zu Edgar Wolfrums Studie spricht sich auch Manfred Hettling gegen den alleinigen »Blick einer intentional operierenden Geschichtspolitik« aus und meint, dass »›kollektive Erinnerung‹ nicht in den Intentionen öffentlicher Akteure« aufgehe. Hettling, Manfred: Rezension zu: Wolfrum, Edgar: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990. Darmstadt 1999. In: H-Soz-u-Kult, 22.6.2000, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=201 (am 2.12.2010).

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alltäglichen Umgang mit diesen Angeboten, nach den gesellschaftlichen Reaktionen und Gegenentwürfen unbeantwortet.61 Eine Erweiterung des Blicks wird gefordert, um die Oral History in den Memory Studies zu berücksichtigen, das »Kollektive« und das »Soziale« wieder einzuführen und oft vernachlässigte Opfer und Opfergruppen als »Akteure« anzuerkennen.62 Im Zeitalter der Inter- und Transdisziplinarität wird versucht, Überlegungen aus Soziologie und Anthropologie stärker in den geschichtswissenschaftlichen Memory Studies zur Geltung kommen zu lassen. Die Kritik an den Memory Studies führt dazu, neue Wege einzuschlagen: Die Rezeption  – die Annahme oder Abweisung von Repräsentationsangeboten – gerät in den Blick.63 Es interessieren unterschiedliche Erinnerungsgemeinschaften: minoritäre, partikulare oder Gegen-Erinnerungen, die neben der nationalen Meistererzählung existieren.64 Wir befinden uns folglich in einer weiteren Phase der ethischen »Wende im Opfergedächtnis«65: Nachdem eine allgemeine gesellschaftliche Hinwendung zu den Opfern des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust vollzogen wurde, geht es heute nicht mehr allein um den staatlichen und mehrheitsgesellschaftlichen Blick auf diese, sondern um die Selbstwahrnehmung von Opfergruppen und um deren Version der jüngsten Geschichte.66 Gefragt wird nach der »negativen Differenz«, die »[u]nsere Erfahrungen« von jenen »der von uns

61 So kritisiert etwa Wulf Kansteiner, dass viele Historiker sich »auf die Erfinder und Organisatoren von Gedächtnisobjekten und Gedenkveranstaltungen [konzentrieren und dabei unterstellen], dass die Wahrnehmung des Objekts und seine Bedeutung für das Kollektiv mit den bewussten und unbewussten Zielen des Urhebers zusammenfallen.« Kansteiner: Postmoderner Historismus, 125.  – Sabine Moller bekräftigt, dass Rezep­ tionsforschung »keine interessante Zusatzerwägung, sondern eine notwendige Grundlage jeder Studie« sein müsse. Moller: Das kollektive Gedächtnis, 87. 62 Dejung: Oral History.  – Lavabre: Usages et mésusages, 54.  – Auf ähnliche Weise konstatiert Alon Confino: »the result of memory being sacrificed to an analysis of politics and political use is, often, to ignore the category of the social.« Confino: Collective Memory, 1393. – Stengel: Opfer als Akteure. – Diese letzte Forderung muss auch im Zusammenhang gesehen werden mit der Kritik an einem derart »bis zur historischen Unkenntlichkeit« universalisierten Opferdiskurs, der den Holocaust entkontextualisiert und die konkreten jüdischen Opfer inzwischen völlig ausblendet. Siehe dazu etwa Sznaider: Gedächtnisraum Europa, 85. 63 Siehe unter anderen Lavabre: Le fil rouge.  – Confino: Collective Memory.  – Ders.: -­ Memory and the History. – Kansteiner: Finding Meaning in Memory. 64 Vgl. auch hier wieder die Parallele zur Historischen Anthropologie, wenn es etwa um die Untersuchung von »kulturelle[n] Partikularism[en]« oder Verhaltensmustern geht, »die unter der scheinbaren Homogenität unserer nationalen Einheit fortdauern.« Burguière: Historische Anthropologie, 98. 65 Assmann: Der lange Schatten, 76. 66 Vgl. dazu auch Annette Wieviorkas aufschlussreiche Untersuchung zur »Epoche des Zeugen«: Wieviorka: L’ère du témoin.

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Umgebrachten oder der Überlebenden« unterscheidet.67 Immer stärker in den Vordergrund rücken dadurch auch Fragen nach den gegenseitigen Einflüssen und Interaktionen zwischen den unterschiedlichen, gruppenabhängigen Wahrnehmungen. Bereits Ende der 1980er Jahre hatte Peter Burke einen methodischen Vorschlag für eine derartige »Sozialgeschichte des Erinnerns« vorgelegt. Er plädierte dafür, »in pluralistischen Begriffen über den Gebrauch der Erinnerungen in unterschiedlichen sozialen Gruppen« nachzudenken. Man müsse auf Konflikt und Dissens, auf rivalisierende und alternative Gedächtnisse eingehen, auf »Konflikterinnerungen und Erinnerungskonflikte«, auf die »eigensinnige historische Gewalt« von inoffiziellen Erinnerungen.68 Gewissermaßen im Gegensatz dazu wird, besonders in der aktuellen deutschen Geschichtswissenschaft, häufig mit dem Konzept des »kulturellen Gedächtnisses« von Jan und Aleida Assmann operiert.69 Auf die Unzulänglichkeiten, die bei der zeitgeschichtlichen oder soziologischen Untersuchung eines solchen »kulturellen Gedächtnisses« zutage treten, wurde bereits mehrfach hingewiesen; so auch auf die Probleme der analytischen Trennung des »kommunikativen« vom »kulturellen« Gedächtnis.70 Die Art und Weise, wie der Begriff des »kulturellen Gedächtnisses« verwendet wird, tendiert dazu, »Kultur« in einem normativen Sinne als Bildung und Hochkultur aufzufassen. Vielen Autoren geht es primär um die Suche nach einem einer Kultur vermeintlich gemeinsamen Gedächtnis, das als »Kontext« hinter bzw. über dieser Kultur stehe.71 67 Koselleck: Formen und Traditionen, 26. 68 Burke: Geschichte als soziales Gedächtnis, 298 f. 69 Das »kulturelle Gedächtnis« zeichnet sich, knapp zusammengefasst, durch seine »absolute Vergangenheit« und seine »Alltagsferne« aus; es bezieht sich auf Ereignisse mit einem zeitlichen Abstand von mindestens 80 bis 100 Jahren. Es weist einen hohen Grad an »Geformtheit« auf, die Träger dieses Gedächtnisses sind »spezialisierte Traditionsträger«, die Kommunikation ist oft institutionell abgesichert und es besteht eine große normative Verbindlichkeit. Siehe etwa Assmann: Kollektives Gedächtnis und kulturelle Identität. – Ders.: Das kulturelle Gedächtnis. – Assmann: Das Gestern im Heute. 70 Cornelißen: Zur Erforschung, 33. – Langenohl: Erinnerung und Modernisierung, 24 f. – Ders.: »Kulturelles Gedächtnis«?  – Harth: The Invention of Cultural Memory, 87 und 93 f. – Alon Confino stellt prinzipiell die Notwendigkeit von Zusätzen wie »sozial« oder »kulturell« in Abrede: »›Social memory‹ and ›cultural memory‹ are often used terms in the literature, but, inasmuch as they wish to emphasize that memory is socially and culturally situated, the adjectives ›social‹ and ›cultural‹ are redundant. Everything is.« Confino: The nation as a local metaphor, 10. 71 Vgl. dazu Alon Confinos Infragestellung der klassischen Trennung von Text und Kontext und damit seinen Versuch, die Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Erinnerungsprozessen zu betonen. Confino: Collective Memory, 1398 f. – Von dieser Dichotomie Text – Kontext geht etwa auch Harald Welzer aus, wenn er die Begrifflichkeiten Jan Assmanns übernimmt und eine Art Überordnung des Gesellschaften und Gruppen umfassenden »kulturellen Gedächtnisses« über das »kommunikative Gedächtnis« auf der individuellen Ebene beschreibt. Welzer: Das kommunikative Gedächtnis.

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Dadurch wird »eine gewisse Homogenität und Verbindlichkeit kollektiver Gedächtnisse« impliziert,72 wird der Blick vor allem auf gesellschaftliche und politische Eliten gerichtet, während der konfliktäre und heterogene Prozess der Konstitution und Kontestation von Repräsentationen der Vergangenheit außer Acht gelassen wird.73 Dagegen, und ähnlich dem holistischen Kulturverständnis der Cultural Studies, das die Vielfalt einer Gemeinschaft betont und die klassische Gegenüberstellung von Staat und Gesellschaft aufzuheben trachtet,74 heben andere Autoren gerade diese Vielschichtigkeit und den prozessualen Aushandlungscharakter von Erinnerung hervor. Geschichtliche »master narratives« zu studieren heiße, »die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Großdeutungen und ihren Gegenentwürfen von vornherein in das Untersuchungsfeld Meistererzählung aufzunehmen.«75 Die kollektive Erinnerung ergebe sich erst aus der Interaktion und Verflechtung, aus den Überschneidungen und Unterschieden der Repräsentationen einer sozialen Elite auf der einen Seite76 und dem »lebendigen Gedächtnis« der Individuen auf der anderen. So erst könnten die soziale »Wirksamkeit« und der tatsächliche Einfluss des politischen Umgangs mit Geschichte analysiert werden, könnte der Aneignung und Verinnerlichung von Bildern der Vergangenheit nachgegangen werden.77 Und so

72 Erll: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen, 180. – So bemängeln auch Silke Wenk und Insa Eschebach an den Anwendungen des Konzepts des »kulturellen Gedächtnisses«, dass »die Frage der Geschlechterdifferenz ebenso ausgeblendet [blieb] wie das Konflikthafte des Erinnerns«. Wenk: Soziales Gedächtnis und Geschlechterdifferenz, 22. 73 Diese Feststellungen sollen nicht vergessen machen, dass einerseits ohne den Begriff des »kulturellen Gedächtnisses« parallele Tendenzen anzutreffen sind und andererseits ebendieser Begriff, vor allem im anglo-amerikanischen Raum, in einem anderen, nämlich breiten und bedeutungsorientierten Sinn angewendet wird. 74 Siehe etwa Hall: Cultural studies. 75 Jarausch: »Meistererzählung«, 21. – Ebenso meint Ute Schneider, dass auch der Blick auf die Konflikte interessiere, die durch eine oberflächlich uniforme nationale Erinnerung hervorgerufen worden seien und die es durch diese zu überbrücken oder verdecken gegolten habe. Schneider: Geschichte der Erinnerungskulturen, 264.  – Auf diese »Viel­ stimmigkeit« hat auch Jay Winter hingewiesen: »there is always  a chorus of voices in commemorations; some are louder than others, but they never sound alone.« Winter: Sites of Memory, 64. 76 Marie-Claire Lavabre spricht dabei vom »historischen Gedächtnis« oder der »offiziellen Geschichte«. Hans Günter Hockerts hat dazu auch den Begriff der »institutionell gestützte[n] Erinnerung« vorgeschlagen. Hockerts: Zugänge zur Zeitgeschichte, 45. 77 Lavabre: Le fil rouge, 15–20. – Siehe auch dies.: Autour du »devoir de mémoire«: Ein Gespräch mit der französischen Soziologin Marie-Claire Lavabre zur aktuellen Debatte über den »richtigen« Umgang mit der Vergangenheit in Frankreich, von Nina Leon­ hard (unter Mitarbeit von Agnès Pilleul-Arp). In: Zeitgeschichte-online international, 31.1.2006, URL: http://www.zeitgeschichte-online.de/Portals/_Rainbow/documents/

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könne die Ebene des politischen Gedächtnisses mit dem alltäglichen Leben verbunden werden, mit der Frage nach der Bedeutung der Vergangenheit für den Einzelnen oder die Gruppe.78 Da sich der politische Umgang mit Vergangenheit nicht zwangsläufig mit dem »lebendigen Gedächtnis« überschneidet, müsse danach gefragt werden, »in welchen [sic] Ausmaß die in der Regel von den politischen, gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Eliten formulierten Vergangenheitsdeutungen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen angenommen oder auch abgewehrt worden sind.«79 Eine Geschichte des kollektiven Gedächtnisses (oder: einer Meistererzählung, oder: einer Erinnerungskultur) sei daher als Zusammentreffen von Rezeption, Aneignung, Abwehr und Gegenentwürfen zu schreiben.80 So wie Peter Burke für einen pluralistischen Umgang mit Gedächtnis plädierte, erinnert Alon Confino daran, dass historische Akteure gleichzeitig an verschiedenen Prozessen teilhaben, dass sie gleichzeitig Erinnerungen repräsentieren, rezipieren und kontestieren. Dabei kann keiner dieser Prozesse eine Vorrangstellung beanspruchen.81 Ziel dieser Argumentation ist, vor einer deterministischen Auffassung eines  a priori vorhandenen »offiziellen Gedächtnisses« zu warnen. Confinos Kritik richtet sich auf die unhinterfragte Vorannahme eines dominanten Gedächtnisses, das als Folie für Vergleiche herangezogen werde, um alle anderen Erinnerungen daran zu messen.82 pdf/zol_int/lavabre_interview.pdf (am 14.12.2010). Dennoch kritisch zu betrachten ist Lavabres Wortwahl von »historischem« und »lebendigem« Gedächtnis (dessen Gegenteil das »tote« sein müsste), der eine gewisse sozialromantische Note anzuhaften scheint. 78 Vgl. Confino: Collective Memory, 1402. 79 Cornelißen: Zur Erforschung, 34. – Ähnlich Lucette Valensi, der es nicht nur um die »Erfinder« von Symbolen, Ritualen und allgemein Repräsentationen geht, sondern auch um das Milieu ihrer Rezeption und Weitergabe (transmission). Im Zentrum sollte eine »Sozialgeschichte des Erfolgs oder der Langlebigkeit derartiger Symbole auf Kosten von anderen« stehen. Valensi: Histoire nationale, 1276. – Auch Reinhart Koselleck hatte bereits darauf hingewiesen, dass die »Spuren der Erinnerung, die ein Denkmal enthält, und die Wege seiner Rezeption […] – früher oder später – auseinander[laufen].« Koselleck: Einleitung, 10. 80 Alon Confino spricht vom »commingling of reception, representation and contestation«. Confino: Collective Memory, 1399. 81 Zu dieser »multiplicity of memory« (ebd.) gehört selbstverständlich auch, dass Individuen immer Teilhaber mehrerer, möglicherweise konkurrierender Erinnerungsgemeinschaften sind. Darauf hatte bereits Maurice Halbwachs hingewiesen. Halbwachs: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, 200. 82 Confino: Collective Memory, 1396–1399. – Ebenso bemängelt auch Daniel Levy in der Auseinandersetzung mit dem »kulturellen Gedächtnis« die »implizite Idee, dass es eine Dominanz bestimmter Repräsentationen gibt, während es aber tatsächlich so ist, dass was, wie und von wem erinnert wird, eine Frage der Verhandlung ist.« Levy: Das kulturelle Gedächtnis, 100.

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Betont man die Vielgestaltigkeit von Erinnerung, wird auch der Beitrag partikularer Gedächtnisse für die »allgemeine«, die »nationale« Erinnerungskultur ersichtlich. Denn von kollektiver Erinnerung könne nur gesprochen werden, wenn Individuen in der Lage sind, sich an ihr zu beteiligen, indem sie selbst Versionen der Vergangenheit liefern.83 Alle Vergangenheitsrepräsentationen blieben bloße Objekte, wenn sie nicht von Individuen »gelesen« würden, wenn sich nicht Individuen auf sie bezögen.84 So sollten beispielsweise auch Museen nicht als Manifestation einer bestimmten Erinnerung betrachtet werden, sondern als dynamische Arenen der Aushandlung von Geschichte.85 Erinnert sei an dieser Stelle an die Überlegungen des Philosophen und Historikers Michel de Certeau zu den alltäglichen Praktiken und »Taktiken« gewöhnlicher Menschen, zu deren Kreativität und Erfindungsreichtum. Auch der »Gebrauch« von etwas von anderen Geschaffenem ist für ihn produktiv; die eigenwilligen Wiederverwendungen und Aneignungen von Fremdem gehören zu den Taktiken des Alltags, zur Kunst, »die Macht durch den Gebrauch der Umstände auf den Kopf zu stellen«.86 Wie de Certeau daher von der »Antidisziplin« der Konsumenten spricht87 und andere Historiker den »Eigensinn« entdecken,88 betont Confino die »anarchische Qualität« des Gedächtnisses89 und Daniel Levy den »mnemonische[n] ›Analphabetismus‹«,90 das heißt die Möglichkeit, dass Repräsentationen anders als intendiert (also »falsch«) gelesen werden können.91 Es geht darum, von der Vorstellung Abstand zu nehmen, »wonach Texte und Werke einen innerlichen, absoluten, einzigen Sinn besitzen, den herauszufinden die Kritik berufen ist, und […] sich den Praktiken zu[zuwenden], die auf vielfältige und widersprüchliche Weise der Welt Bedeutung beilegen.«92 Dies bedeutet: »An die Stelle des Autors tritt eine völlig andere Welt (die des Lesers).«93 83 Lavabre: Le fil rouge, 35. 84 Crane: Writing the Individual, 1381. 85 So etwa knapp bei Pieper: Die Musealisierung des Holocaust, besonders 12.  Die Einleitung auch online, URL : http://www.die-exponauten.com/cms/upload/pdf/Pieper_ Musealisierung_des_Holocaust_Einleitung.pdf (am 3.11.2012). 86 de Certeau: Kunst des Handelns, Zitat 25. 87 Ebd., 16. 88 Siehe etwa Lüdtke: Geschichte und Eigensinn. Wie bei de Certeau steht auch hier die Frage der als produktiv angesehenen, vielfältigen Aneignungen und Umschreibungen von Vorgefundenem im Zentrum. Es handelt sich um eine »Perspektive, die versucht, dicht an den Praktiken und (Selbst-)Deutungen der Einzelnen zu bleiben.« Ebd., 146. 89 Confino, Memory and the History, 81. 90 Levy: Das kulturelle Gedächtnis, 100. 91 Vom Verstehen und »Missverstehen« von Repräsentationen spricht etwa auch Chartier: Kulturgeschichte, 13. 92 Ebd., 19. 93 de Certeau: Kunst des Handelns, 27.

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Indem man auf diese Weise die Produktivität und Kreativität partikularer Repräsentationen hervorhebt, und indem man davon ausgeht, dass Erinnerung immer divergent und umstritten war, wird die Integration von Opfernarrativen in die Analyse von Erinnerungskulturen ermöglicht: Dies bedeutet, nicht nur politische Eliten und gesellschaftliche Mehrheiten, die »Sieger« der Geschichte, in den Blick zu nehmen, sondern auch Opfergruppen als wesentliche Akteure in der Hervorbringung, Kontestation und Kontinuität von Repräsentationen der Vergangenheit in die Analyse einzuschließen. Eine Geschichte der Erinnerung oder der Erinnerungskultur zu schreiben bedeutet also, das kollektive Gedächtnis in seinen Ausdrucksformen zu historisieren; bedeutet, Gedächtnis im Sinne einer »geschichtlichen Erscheinung«94 zu begreifen und Erinnerungen als »reale« historische Ereignisse, die ihren geschichtlichen Deutungshorizont entfalten und als historische Deutungen wirkmächtig, sinnstiftend und handlungsleitend werden.95 Begreift man »Kultur« im weitesten Sinne als den »Gesamtkomplex von Vorstellungen, Denkformen, Empfindungsweisen, Werten und Bedeutungen […], der sich in Symbolsystemen materialisiert«96, so soll bei der Erforschung von Erinnerungskulturen eine »Geschichte der Repräsentationen« als Ausgangspunkt dienen:97 Diese fragt nach kollektiven Wahrnehmungen, Vorstellungen und Deutungen, fragt nach wirkmächtigen Ordnungs- und Urteilsschemata.98 Bei Repräsentationen handelt es sich demnach nicht nur um Darstellungen und Vergegenwärtigungen von geschichtlichen Ereignissen, sondern in einem breiten Verständnis um »Bedingungen und Prozesse […], durch die auf ganz konkrete Weise Sinn erzeugt wird«.99 Eine Geschichte der Repräsentationen betont den Aushandlungscharakter von Geschichte, sie betrachtet Macht und »Herrschaftsbeziehungen als symbolische Kräfteverhältnisse«, indem sie auf die Annahme und Zurückweisung, die Kontinuität und Diskontinuität von Repräsentationen eingeht.100 In Anlehnung an die Cultural Studies werden die Grenzen zwischen Hoch- und Populär- bzw. Alltagskultur sowie zwischen Staat und Gesellschaft aufgehoben und diese integral betrachtet. Kultur wird als holistisch, Gesellschaft als vielfältig und pluralistisch begriffen. Gefragt wird nach den – in einem Staat koexistierenden  – Interpretations- und Erinnerungsgemeinschaften, nach 94 Burke: Geschichte als soziales Gedächtnis, 291. 95 Hölscher: Geschichte als »Erinnerungskultur«, besonders 165–168. 96 Nünning: Kulturwissenschaften, 6. 97 Vgl. Ricœur: Zwischen Gedächtnis und Geschichte. 98 In diesem Sinne fragt Alon Confino nach »the ways people acted, shaped, internalized, and changed images of the past« und »how memory structures behavior and thoughts.« Confino: Memory and the History, 81. 99 Chartier: Kulturgeschichte, 18. 100 Ders.: New Cultural History, 204.

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den zwischen diesen bestehenden Unterschieden und Konkurrenzen, nach den »widersprüchlichen und aufeinanderprallenden Repräsentationen«.101 Es geht um unterschiedliche Wahrnehmungen von und Wahrheiten über die Vergangenheit, um die Konstitution von unterschiedlichem Sinn und gegensätzlicher Bedeutung. Zentral für eine derartige Geschichtsschreibung ist folglich ein dynamisches Verständnis von Kultur, von Gesellschaft; im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen soziale Praktiken, stehen Aushandlungen, Aneignungen und Kontestationen; akzeptiert wird die »Vielfalt der Nutzungen und Verständnisse«102, also die Idee des gleichzeitigen Mit-, Neben- und Gegeneinander unterschiedlicher Repräsentationen der Vergangenheit. Methodisches Herangehen, Forschungslage und Quellen

Um die eben beschriebene Pluralität und Konfliktivität der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei zu beschreiben, bediene ich mich eines diskursanalytischen Vorgehens. Ich beziehe ein breites Spektrum an Medien ein und trage möglichst viele und breit gestreute »Aussagen« (verstanden im weitest möglichen Sinne der énoncés bei Michel Foucault)103 über die Ermordung der Juden während des Zweiten Weltkriegs zusammen. Das heißt, ich werde Gedenkfeiern ebenso wie Denkmäler und Museen, geschichtswissenschaftliche Beiträge ebenso wie Journalistik, Belletristik oder Memoirenliteratur, Filme genauso wie Fernsehen, Radio oder Theater untersuchen. Bezug nehmend auf Foucault analysiere ich all diese Aussagen allerdings nicht im Detail, sondern suche in der Fülle der Aussagen nach Regelmäßigkeiten und Brüchen, Kontinuitäten und Verschiebungen, um den »Diskurs« über den Holocaust, das heißt die Erinnerung in einem breiten politisch-gesellschaftlichen Sinne, rekonstruieren zu können. Dieses Vorgehen soll über die kommunikations- und medienwissenschaftliche Rezeptionsforschung hinausgehen. Während diese sich stark auf die unmittelbare Rezeption von und Reaktion auf Repräsentationen konzentriert,104 wird hier Rezeption längerfristig und in einem diskursanalytischen Verständnis als Kontinuität, Persistenz und Rekurrenz begriffen.105 Mit zeitlich breit ge­ streuten Quellen aus unterschiedlicher Provenienz soll daher den oft diffusen Spuren der Vergangenheit nachgegangen werden. So gehe ich an manchen 101 Ders.: Die Welt als Repräsentation, 326. – Ebenso meinen Jeffrey K. Olick und Joyce -­ Robbins: »Contestation is clearly at the center of both memory and identity«. Olick: Social Memory Studies, 126. 102 Chartier: Die Welt als Repräsentation, 331. 103 Insbesondere Foucault: Archäologie. 104 Kansteiner: Finding Meaning. 105 Dazu Foucault: Archäologie.

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Stellen anhand konkreter Beispiele in die Tiefe, während ich mich dann wieder an den großen Linien der tschechischen Holocaust-Erinnerung orientiere. Durch diese wechselnden Perspektiven und die unterschiedlichen der Untersuchung zugrunde liegenden Quellengattungen soll ein Gesamtbild der Erinnerungen an die Shoah entstehen, zugleich aber auch die Grenzen des Sagund Zeigbaren rekonstruiert werden.106 Eine derart umfassende und zeitlich weit gefasste Bearbeitung der Holocaust-Erinnerung in der Tschechoslowakei erklärt sich nicht nur aus methodologischen Gründen, sondern ist auch auf das wissenschaftliche Desiderat zurückzuführen. Denn trotz der seit Jahren weltweit eine Konjunktur erlebenden Memory Studies sind bislang kaum Arbeiten zur tschechischen Erinnerungskultur erschienen – und dies gilt sowohl für die tschechische Zeitgeschichtsforschung als auch für die internationale Geschichtsschreibung über die Tschechoslowakei und Tschechien. Dieses Desiderat kann als Ausnahme gelten, wenn man sich die erinnerungskulturellen Debatten in und über Polen oder Ungarn vor Augen hält.107 Zweifellos allerdings steigt auch in der tschechischen Zeitgeschichtsschreibung das Interesse an Fragen des kollektiven Gedächtnisses: Einerseits spielt die Frage der Vergangenheit im Heute auf einer abstrakten, theoretischen Ebene durchaus eine Rolle,108 wiewohl die in Frankreich oder Deutschland diskutierten Konzepte des kollektiven Gedächtnisses und der Erinnerungskultur nur langsam Eingang in die tschechische akademische Landschaft finden.109 Andererseits vermehren sich die Publikationen, vor allem in Form von Aufsätzen, die sich mit der tschechischen nationalen Erinnerung beschäftigen. Häufig handelt es sich dabei entweder um die Frage nach der Anknüpfung an die Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts und die demokratischen Traditionen der Ersten Tschechoslowakischen Republik  – oder aber um die Erinnerung und die Ausei­ nandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit.110 Kulturgeschichtliche Aufmerksamkeit erlangten darüber hinaus die tschechischen Feiertage, Denkmäler und Geschichtsbücher; letztere jedoch in erster Linie bezogen auf 106 Zur historischen Diskursanalyse siehe Landwehr: Geschichte des Sagbaren. – Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. 107 Vgl. als Überblick etwa Haslinger: Erinnerungskultur und Geschichtspolitik. – Troebst: Postkommunistische Erinnerungskulturen. 108 Vašíček: Minulost a současnost. – Třeštík: Zápisník. – Bartošek: Češi. 109 Siehe dazu Pichlík: Co si dnešní Češi myslí.  – Vgl. dazu weiter Bartošek: Dějiny  a paměť. – Mayer: Dějiny a paměť. – Bensa: Politika paměti. – Siehe dazu auch Blaive: Geschichte und Gedächtnis. 110 Siehe unter anderen Kopeček: Historická paměť.  – Ders.: Hledání »paměti národa«.  – Přibáň: Právo.  – Sniegoň: Historie.  – Siehe auch zusammenfassend Švaříčková-Slabáková: O paměti. – Marès: Avant-propos. – Paces: Review Essay. – Dies.: Prague Panoramas. – Mayer: Les Tchèques.

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die Zeit nach 1989.111 Einige Untersuchungen von Lehrbüchern haben den Blick auch auf die Frage der Repräsentationen von Zweitem Weltkrieg und Holocaust gestellt.112 Konkret zur Holocaust-Erinnerung in der Tschechoslowakei und in Tschechien erschienen darüber hinaus erste allgemeine Überblicke.113 Aus den letzten zehn Jahren stammen einige empirische Studien, die sich auf der Basis eines eingehenden Quellenstudiums immer mehr auch Teilbereichen des Themenkomplexes widmen, darunter den literarischen und filmischen Repräsentationen der Shoah.114 Auch die Gedenkstätte Theresienstadt wurde bereits mehrmals in den Blick genommen.115 Zudem nehmen Studien zur Geschichte der tschechoslowakischen Juden nach 1945 stetig zu, wodurch auch aus dieser Perspektive die Frage des kollektiven Gedächtnisses aufgeworfen wird.116 Neben diesen ersten Arbeiten zur tschechoslowakischen Erinnerung an den Holocaust stützt sich die vorliegende Studie zum Großteil auf Primärquellen. Darunter finden sich Erinnerungen und Berichte von HolocaustÜberlebenden sowie literarische und kinematographische Verarbeitungen der nationalsozialistischen Verfolgung der Juden, des weiteren historiographische und publizistische Texte. Darüber hinaus handelt es sich bei den Quellen um Archivgut, vor allem aus tschechischen und israelischen Archiven. Um die Tätigkeit der jüdischen Gemeinden  – vor allem ihres Zentralorgans, des Rats der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei – zu rekonstruieren, dienen in erster Linie Bestände des für konfessionelle Fragen zuständigen Amtes: des Státní úřad pro věci církevní (SÚC; Staatliches 111 Měchýř: O našich památných dnech. – Ders.: Metamorphosen. – Kultura výročí. – Doubek: Feiertag mit Spannungen. – Hojda: Pomníky a zapomníky. – Klimešová-Judlová: Die Erste Republik. 112 Beneš: Das Bild des Zweiten Weltkriegs. – Dolezel: Die Tschechoslowakei. – Frankl: Alte Themen. – Ders.: Holocaust Education. – Ders.: Konečné řešení židovské otázky. – Jirásek: Die Darstellung des Holocaust. – Sewering-Wollanek: Die Wiederentdeckung der Juden. – Pavlát: The Treatment. 113 Rothkirchen: Czechoslovakia.  – Iggers: Tschechoslowakei / Tschechien.  – Frankl: The Sheep. 114 Holý: Holokaust. – Ders.: Šoa v české literatuře. – Soukupová: Proměny reflexe šoa. – Dies.: Praha v židovské krajině vzpomínání.  – Machačová: První pražský seminář.  – Čižinská: Nástin reflexe holocaustu. – Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«. – Sniegon: Their Genocide. – Procházková: Židovský holocaust. 115 Blodig: Die Gedenkstätte Theresienstadt in der Vergangenheit.  – Ders.: Die Gedenkstätte Theresienstadt – Vergangenheit. – Hejda: Terezín. – Munk: 60 let Památníku Terezín. – Ders.: Z historie Památníku Terezín. – Poloncarz: K výstavní činnosti. – Thomas Hejda (Prag / Paris) und Ulrike Lunow (München) bereiten Dissertationen vor, in denen die Erinnerung an Theresienstadt eine wichtige Rolle spielen wird. Beiden sei an dieser Stelle für manchen spannenden Hinweis gedankt. 116 Hamar: Vyprávěná židovství. – Hanková: Kapitoly. – Heitlinger: In the Shadows. – Ludvíková: Židovská menšina. – Soukupová: Židovská menšina v Československu v letech 1956–1968. – Sedlák: Poté.

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Amt für Kirchenfragen) von 1949 bis 1956, des Ministerstvo školství a kultury (MŠK; Ministerium für Schulwesen und Kultur) von 1956 bis 1967 und schließlich des Sekretariát pro věci církevní (SPVC; Sekretariat für Kirchenfragen) im Kulturministerium von 1967 bis 1990. Diese Bestände sind bearbeitet und für die gesamte Periode des Kommunismus zugänglich, und zwar im Prager Nationalarchiv (Národní archiv České republiky, NA). Ebenso im Nationalarchiv wird der umfangreiche, aber nicht im Detail indexierte Bestand des Zentralausschusses des Verbands der antifaschistischen Kämpfer (Svaz protifašistických bojovníků – Ústřední výbor) aufbewahrt, in dem wichtige Sitzungsprotokolle und andere Materialien auch seiner Vorgängerverbände aus der unmittelbaren Nachkriegszeit aufbewahrt werden. Erst ansatzweise bearbeitet, aber in vollem Umfang im Nationalarchiv einsehbar ist der Nachlass von Miroslav und Margita Kárný. Miroslav Kárný kann wohl als erster tschechischer Historiker bezeichnet werden, der sich mit wissenschaftlichem Anspruch dem Holocaust der böhmischen und mährischen Juden widmete. Seine umfangreiche nationale und internationale Korrespondenz aus den 1970er und 1980er Jahren zeigt bereits, wie oberflächlich die Idee eines »Tabus« des Holocaust ist und wie falsch die Annahme, es habe keine Kommunikation über den Eisernen Vorhang hinweg gegeben. Vollkommen in den offiziellen Strukturen bleibend, widmete sich Kárný in den Jahren der so genannten Normalisierung einem Thema, das eindeutig nicht in das antifaschistische Dogma des Staates passte. Im äußerst reichhaltigen Bestand Památník Terezín (Gedenkstätte Theresienstadt), der im Staatlichen Gebietsarchiv Litoměřice (Státní oblastní archiv v Litoměřicích) aufbewahrt ist, finden sich nicht nur die offizielle Version von »Theresienstadt«, die den kommunistischen Widerstand im Gestapo-Gefängnis in der Kleinen Festung hervorhebt, sondern unterschiedliche und widersprüchliche Erinnerungen, Konflikte und Interaktionen zwischen den verschiedenen Repräsentationen der Vergangenheit, wie sie in dieser Arbeit im Mittelpunkt stehen. Noch stärker als in diesem Bestand belegen Dokumente in israelischen Archiven die jüdischen Repräsentationen und allgemein die Geschichte der tschechoslowakischen Juden in der Nachkriegszeit. An erster Stelle ist hier das Archiv von Yad Vashem in Jerusalem zu nennen, wo besonders über die ersten Nachkriegsjahre Dokumente zugänglich sind. Darunter befinden sich wichtige Unterlagen über die so genannte »Dokumentationsaktion«, die im Juli 1945 gegründet wurde und den ersten Versuch darstellte, die Verfolgung und Ermordung der tschechoslowakischen Juden umfassend zu dokumentieren. Weitere Materialien, darunter Zeitungsausschnitte und persönliche Korrespondenz, finden sich in den Central Zionist Archives, den Central Archives for the History of the Jewish People (beide Jerusalem) sowie in Beit Theresienstadt, einer Ende der 1960er Jahre gegründeten Vereinigung von Theresienstadt-Überlebenden in Israel. Die Tätigkeit der jüdischen

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Gemeinden in der Nachkriegstschechoslowakei konnte weiter recherchiert werden anhand der Sammlungen am Center for Jewish History in New York, wo die Bestände des Leo Baeck Institute und des YIVO aufbewahrt sind. Von Interesse sind hier nicht nur überlieferte Dokumente aus der Tschechoslowakei selbst, sondern auch die Materialien, die aus der Beobachtung von außen entstanden sind (Zeitungsausschnitte, Aufsätze, Berichte). Als äußerst aufschlussreich erwies sich das Studium von Ego-Dokumenten und von Korrespondenz, in welcher deutlich zu Tage tritt, dass sich die Sprache, ja der Inhalt an den jeweiligen Adressaten, an das Publikum anpasst. Im Kontakt mit jenem Komitee, das in Paris in den 1950er Jahren den »Tombeau du Martyr Juif Inconnu« (Grabmahl des unbekannten jüdischen Märtyrers) errichtete, präsentierte das Staatliche Jüdische Museum in Prag sich und seine Missionen anders als es dies in Schreiben mit staatlichen Stellen in der Tschechoslowakei tat. Diese Korrespondenz und weitere Materialien finden sich im Archiv des Mémorial de la Shoah in Paris, in welchem der Tombeau du Martyr Juif Inconnu aufging. Einen weiteren persönlichen Bestand bildet der Nachlass Hana Volavkovás, der ersten Nachkriegs-Direktorin des Jüdischen Museums in Prag, der im Archiv des Nationalmuseums in Prag aufbewahrt ist. Zeitgenössische Publikationen wurden in erster Linie in der tschechischen Nationalbibliothek in Prag konsultiert. Darüber hinaus existieren in manchen der bereits genannten Institutionen Bibliotheken mit bedeutenden Beständen und oft selbst in Prag schwer auffindbaren Publikationen (Yad Vashem, Center for Jewish History, Mémorial de la Shoah). Äußerst hilfreich war die Bibliothek des Collegium Carolinum in München. Auf Samizdat-Literatur spezialisiert sind die zwei Prager Einrichtungen Libri prohibiti und Československé dokumentační středisko (Tschechoslowakisches Dokumentationszentrum). Ein derart breites Thema zu bearbeiten bringt es zwangsläufig mit sich, dass manche Archivbestände und manche Literatur nicht oder nicht genügend berücksichtigt werden können. Wenn dies dem detektivischen Historiker auch schlaflose Nächte bereitet, kann er sich vielleicht damit trösten, dass mit der vorliegenden Arbeit ein Anfang gemacht wurde, an den weitere Forschungen und Historiker ansetzen können. Zu den in vorliegender Arbeit nicht oder nicht genügend bearbeiteten Beständen gehört in allererster Linie der Bestand des Jüdischen Museums Prag für die Zeit nach 1945, der erst am Ende des Projektzeitraums öffentlich zugänglich gemacht wurde.117 Einen wichtigen und umfangreichen Bestand zur Rekonstruktion des jüdischen Lebens in der Tschechoslowakei der allerersten Nachkriegsjahre 117 Der Bestand befand sich zunächst in Bearbeitung: Auskunft von Monika Hanková -­ (Archiv Židovského Muzea v Praze) per E-Mail an den Autor, 13.10.2008 und 23.11.2012. Das aktuelle Inventar (eigentlich Manipulační seznam) wurde 2013 fertiggestellt.

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beherbergt das Archiv des Innenministeriums.118 Auch im Archiv der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (Komunistická strana Československa, KSČ) wären bei weiteren Recherchen zweifellos noch relevante Dokumente zu entdecken. Viele Bestände des Parteiarchivs sind, vor allem für die Zeit nach 1968, leider noch nicht inventarisiert und im Detail indexiert, was die Recherchen erschwert und in die Länge zieht. Äußerst aufschlussreich wäre eine Ergänzung der im Rahmen dieser Arbeit getätigten Recherchen um den regionalen oder lokalen Blickwinkel, etwa durch die Bearbeitung des überlieferten Materials des Nordböhmischen Kreisnationalausschusses (Severočeský krajský národní výbor, SKNV), des Stadtnationalausschusses in Terezín (Městský národní výbor, MěNV) oder der Zweigstelle des Verbands der antifaschistischen Kämpfer in Litoměřice (Leitmeritz).119 Lohnend wäre es auch, die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit noch stärker mit der individuellen Perspektive zu vergleichen, indem lebensgeschichtliche Interviews und unveröffentlichte Erinnerungen in einem größeren Rahmen einbezogen würden. Derartige Interviews und Erinnerungen finden sich in den Archiven des Památník Terezín (beginnend vor allem seit den 1960er Jahren), des Jüdischen Museums Prag (seit den 1990er Jahren) und im Bestand des Verbands der antifaschistischen Kämpfer im Nationalarchiv.120 Eine ähnlich wichtige Erweiterung könnte durch die Bearbeitung von themenbezogenen Beständen im Archiv des tschechoslowakischen Fernsehens, im Filmarchiv (Národní filmový archiv) oder im Rundfunkarchiv erfolgen.

118 Vor allem der Bestand f. 425 (Židovské a sionistické spolky a organizace), der sich aus konfiszierten Archiven jüdischer Organisationen zusammensetzt. 119 Alle drei Bestände sind im Staatlichen Gebietsarchiv in Litoměřice (Leitmeritz) aufbewahrt, die beiden letzteren in der Zweigstelle Lovosice. 120 Inv. Nr. N 45: f. Paměti bojovníků, ÚV SPB.

1. Zweiter Weltkrieg oder Holocaust?

Die Gegenüberstellung von Zweitem Weltkrieg und Holocaust, die Frage der Unterordnung der Shoah unter die Kriegsgeschichte, ja ihrer Einverleibung in die Geschichte der Unterdrückung der tschechischen Nation, wird sich wie ein roter Faden durch die Arbeit ziehen. In der Tat ist die Frage der Gewichtung der beiden Entwicklungen – der Kriegshandlungen (vor allem in Bezug auf den Osten Europas) und der genozidalen Politik gegen die jüdische Bevölkerung des Kontinents – bis heute brisant.1 Meist stehen sich dabei Verfechter einer universalistischen Sicht des Krieges und Befürworter einer spezifischen Betrachtung des Holocaust, die dessen Partikularität, Einzigartigkeit oder Präzedenzlosigkeit betonen, gegenüber.2 Diese Unterscheidung sagt freilich noch nichts aus über die Ziele der Universalisierung: Geschah sie im Dienste nationaler Einigung, des Kommunismus, des Humanismus oder der Menschenrechte? Auf der anderen Seite bedeutet auch die Betonung der histo­ rischen Sonderstellung des Holocaust nicht notwendigerweise einen Schritt zu seinem besseren Verständnis und zur Würdigung seiner Opfer – besonders wenn die Betonung seiner Singularität dazu führt, die Shoah zu sakralisieren oder mystifizieren, sie als unberührbar zu erklären und sie damit aus der Geschichte herauszulösen.3 Am Beispiel der Benennung der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung der Juden sollen hier erste Einblicke in das komplexe Gegenüber von Universalismus und Partikularismus gegeben werden. Bezeichnen bedeutet immer auch Kategorisieren und Einordnen, Vergleichen und Kontextualisieren: In diesem Falle heißt das die Einordnung in den Zweiten Weltkrieg und den deutsch-tschechischen Konflikt, in den Imperialismus und den »Drang nach Osten«, den Nationalsozialismus und Faschismus, den Anti­ semitismus und Rassismus. 1 Siehe etwa Diner: Gegenläufige Gedächtnisse. 2 Die Debatten, die etwa unter Historikern, Soziologen, Philosophen und Theologen über die Frage der Einzigartigkeit der Shoah geführt wurden und werden, können hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Ich folge jenem Verständnis, das – wie es etwa Yehuda Bauer beschrieb – den Holocaust in die allgemeine Geschichte einbettet, ihn als Teil der historischen Entwicklung sieht und demnach Vergleiche mit anderen Verbrechen als legitim erachtet. Auf Grund seiner quantitativen, vor allem aber qualitativen Dimensionen – das heißt seinem ideologischen, globalen und totalen Charakter – kommt ihm jedoch eine einzigartige (oder beispiellose, präzedenzlose) Stellung in der Geschichte zu. Bauer: Die dunkle Seite, passim, knapp etwa 75. 3 Vgl. allgemein Todorov: La vocation. – Auch Bauer: Die dunkle Seite, 33–35.

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Zweiter Weltkrieg oder Holocaust?

1.1 Die Macht der Benennung: Vernichtung, Katastrophe, Genozid oder Endlösung? Die Wahrnehmung der Welt ist über Sprache verfasst, das heißt die Welt über Sprache  – und nur so  – erfassbar. Erst durch die Benennung und Bezeichnung wird eine Realität, ein Sachverhalt dinglich, kann kategorisiert und kontextualisiert werden, erhält somit Sinn und kann als »Wahrheit« Gültigkeit gewinnen. Die Absage an die »Unschuld« der Wörter, welche nicht Realitäten benennen, sondern diese erst konstruieren, ist eines der Verdienste des »linguistic turn«.4 Der Akt des Benennens und die allgemeine Anerkennung der Bezeichnung hängen selbstverständlich von der Position des Sprechers ab und verweisen auf das dominante gesellschaftliche Machtgefüge. Sprache kann nicht an sich untersucht werden, sondern in ihrer sozialen und performativen Dimension. Denn die Frage der Benennung von Realitäten, von Wahrnehmungen ist ein zentrales Feld sozialer Aushandlungsprozesse: »Kein sozialer Akteur, der nicht auch im Rahmen seiner Möglichkeiten Anspruch auf die Macht erhöbe, zu benennen und benennend die Welt zu gestalten«.5 Heute »gültige« Bezeichnungen wie Holocaust oder Shoah sind insofern sehr junge Begriffe, da sie – trotz ihrer teilweisen Verwendung seit dem Zweiten Weltkrieg –6 sich in weiten Teilen der Gesellschaft erst seit den 1980er Jahren in Westeuropa, Amerika und Israel durchgesetzt haben. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass sie von allen angenommen würden. Selbst der sich zunehmend im deutschsprachigen Raum durchsetzende, weil vermeintlich würdigere und der jüdischen Tradition nähere Begriff »Shoah« stößt auf Ablehnung: Aharon Appelfeld etwa spricht lieber von »Katastrophe«, da »Shoah« ein viel zu kleines, unbedeutendes Wort sei.7 Hier soll nicht auf die alte und nicht abgeschlossene (weil nicht abzuschließende) Debatte über die Darstellbarkeit und die intellektuale Fassbarkeit der Ermordung der europäischen Juden – und damit unmittelbar zusammenhängend auf die Frage der »richtigen« Benennung – eingegangen werden. Yehuda

4 Eine gute Zusammenfassung bietet Landwehr: Geschichte des Sagbaren, 9–65. 5 Bourdieu: Was heißt sprechen?, 71. – Dazu auch knapp ders.: Der sprachliche Markt. In: Ders.: Soziologische Fragen, 115–130. 6 Auch im tschechischen Kontext finden sich, in einem religiösen Kontext, frühe Verwendungen des Wortes »Holocaust«. Siehe etwa Discours du Grand-Rabbin de la Tchécoslovaquie le rabbin Zicher [Gustav Sicher], o. J. [1956], Mémorial de la Shoah, Paris, MDXXXVI-23, Kt. 260 (Mémorial. Inauguration. Discours 1956). 7 Noiville, Florence: Aharon Appelfeld. Le sommeil qui sauve. In: Le Monde des Livres [Beilage zu Le Monde] vom 24.6.2011, 1 und 4, hier 4. – Dazu näher auch Young: Beschreiben des Holocaust, 139–163.

Die Macht der Benennung 

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Bauer hielt richtig fest, dass »das Leben unendlich komplizierter ist als jede Definition, [daher] können Definitionen per definitionem den Ereignissen, die sie definieren sollen, niemals vollständig angemessen sein.«8 So werden auch in der vorliegenden Arbeit abwechselnd und synonym Holocaust, Shoah und Judenverfolgung eingesetzt, und zwar nicht zuletzt um die Uneindeutigkeit und Labilität von Begrifflichkeiten deutlich zu machen. Gibt es allerdings keine Bezeichnung, keine Möglichkeit zu benennen, keine gesellschaftlich akzeptierte Form der Repräsentation, muss dies zwangsläufig ein Hindernis sein, über es zu sprechen. Denn die Benennung, wie James E. Young festhält, »ist einer der ersten hermeneutischen Schritte bei der Betrachtung eines Ereignisses. Sie prägt die Ereignisse und hält sie in der Erinnerung lebendig, während sie zugleich ein ganz bestimmtes Verständnis dieser Ereignisse bedingt.«9 Durch die Benennung sowie die Kontextualisierung werden demnach bereits Wahrheiten geschaffen, wird aus mehreren Möglichkeiten der Deutung ausgewählt, wird ein konkreter Blickwinkel eingenommen. Dieser wird oft nicht allein durch die Wortwahl, sondern erst durch seine Einordnung und Verwendung im spezifischen Kontext deutlich. So gibt es einerseits Begriffe, die nur in einer gesellschaftlichen Gruppe anzutreffen sind, andererseits aber auch Wörter, die je nach Milieu unterschiedliche Konnotationen und Verständnisse transportieren. Deutlich wird dies nicht zuletzt bei der Betrachtung internationaler Unterschiede, wie Young bemerkte: Der Name, den jede Sprache für die Ereignisse hat, gibt ihnen Gestalt und formt sie nach dem Bild, mit dessen Hilfe die jeweilige Kultur sie versteht. Die Ereignisse benen­nen bedeutet also unweigerlich, sich ein Bild, einen Begriff von ihnen zu ­machen […].10

Dies gilt auch für ein und dieselbe Sprache, im vorliegenden Falle die tschechi­ sche. Die unterschiedlichen Wahrnehmungen derselben Wörter – etwa von »Genozid« (genocida), »Endlösung« (konečné řešení) oder »Theresienstadt« (Terezín)  – stehen im Zentrum der beiden folgenden Kapitel. Dass es sich bei der allgemeinen Durchsetzung einer Bezeichnung um einen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess handelt, in welchem Machtverhältnisse offensichtlich werden, beschrieb Pierre Bourdieu treffend. Die »Durchsetzung der legitimen Vorstellung« ist ein Kampf zwischen Akteuren mit unterschiedlichem symbolischem Kapital.11 So wies Bourdieu auch auf die potentielle Sprengkraft hin, die dem allgemein noch nicht Sagbaren stets inhärent ist: 8 Bauer: Die dunkle Seite, 26. 9 Young: Beschreiben des Holocaust, 146. 10 Ebd. 11 Bourdieu: Was heißt sprechen?, 72.

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Zweiter Weltkrieg oder Holocaust?

Die Macht der Benennung, zumal der Benennung des Namenlosen, dessen, was noch unbemerkt oder verdrängt ist, ist von erheblicher Tragweite. […] Worte können durchaus […] Verheerungen anstellen. So wenn sie, was zuvor implizit, verworren, selbst verdrängt war, zu offener, offizieller, öffentlicher Existenz erheben. Repräsentieren, dar- und vorstellen, zutage fördern, produzieren ist keine geringe Sache.12

Welche Begriffe gab man also dem Namenlosen? Im Allgemeinen solche, die keine »Verheerungen« – wie Bourdieu meinte – anrichteten, sprich: solche, die universell genug waren, damit jeder damit assoziieren konnte, was seinem Verständnis des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs entsprach. Dazu gehören ganz offensichtlich allgemeine Umschreibungen, wie sie unmittelbar nach dem Kriegsende anzutreffen sind: Jüdische Autoren  – und darüber hinaus auch nichtjüdische, so sie sich mit der Frage der Judenverfolgung beschäftigten  – schrieben von der »Tragödie« (tragédie)13 und der »Katastrophe« (katastrofa, pohroma).14 Sie beklagten die »Schrecken der Hitler-Zeit« (hrůzy Hitlerovy doby)15, die »Schrecken der hitlerischen Tobsucht« (hrůzy hitlerovského běsnění)16, den »Barbarismus«17, »Terror«18 und -­ »faschistischen Vandalismus«19. Bleiben diese Begriffe relativ vage, so wurden mit anderen Beschreibungen das besondere Ausmaß der nationalsozialistischen Ermordung der Juden

12 Ders.: Rede und Antwort, 165 f. 13 Feder: Jüdische Tragödie. – Fürnberg, Louis: Židovské museum – ale oživené. In: Věstník 10/21 (1948), 250. – Terezín – Kalvarie českého národa. In: Věstník 11/20 (1949), 226. – Výročí tragédie v Osvětimi. In: Rudé právo vom 9.3.1964, 1. – -ad-: Terezínská tragédie v díle malířky Matyldy Šálkové. In: Věstník 26/12 (1964), 10 f. 14 Unter vielen anderen Muneles, O[tto]: Co pro nás znamenají hlavní svátky. In: Věstník 7/1 (1945), 2. – Št.E. [Engel, Štěpán]: Do vínku roku 1947. In: Věstník 9/1 (1947), [1]–3. – Zločinecký profil K. Rahma. In: Věstník 9/2 (1947), 17. – Frischer, Arnošt: Palestina – prubířský kámen novodobých dějin. In: Věstník 9/29 (1947), [397]f. – Zehngut, I[sidor]: Průběh prvního transportu židů z protektorátu [7. Teil]. In: Věstník 11/26–27 (1949), 306 f.  – Davidovič, E[mil]: Z činnosti židovské náboženské společnosti roku 5712. In: Věstník 14/11 (1952), 88. – Zápis o krajské konferenci ŽNO, kraje Ústí n. L., která byla svolána krajským církevním tajemníkem, o. J. [ca. 1953/1954], Národní archiv České republiky, Praha [weiter NA], f. Státní úřad pro věci církevní [weiter SÚC], Kt. 210.  – Setkání v Paříži. In: Věstník 18/12 (1956), 3–5. – Ústřední organizace židů v Československé republice zaujímají stanovisko k procesu demokratické obrody. In: Věstník 30/4 (1968), [1]f. – Selbstverständlich findet sich diese Bezeichnung für das Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg auch bei nichtjüdischen Autoren, etwa Ráček: Československé dějiny, 477. 15 Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Kronika. In: Věstník 8/7 (1946), 57 f. 16 Kolár: Ještě naposledy, 7. 17 Muneles, O[tto]: Co pro nás znamenají hlavní svátky. In: Věstník 7/1 (1945), 2. 18 Věstník 7/2 (1945), 13. 19 Ebd., 14.

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betont. Diese wurde als »Untergang« (zánik)20 oder »Verderben« (záhuba, zhouba)21 charakterisiert. Die Juden seien »vertilgt« bzw. »ausgerottet« worden (vyhubit, vyhubení, vyhladit, vyhlazení, vyhlazování), und zwar »vollständig« und »bis zum letzten«.22 Sie seien »massakriert«, »niedergemetztelt« (vyvraždit, vyvražďovat)23 und »vernichtet« (zničit, zničení)24 worden. Im Zweiten Weltkrieg sei es zum »Massenmord« an Juden, zu ihrer »Vernichtung« und »Liquidierung« gekommen.25 Diese Begriffe deuten bereits die Planmäßigkeit der Ermordung der Juden an, teilweise auch die europäische Dimension der Verfolgung.26 Dementsprechend wurde die Gesamtzahl der sechs  – je nach Quellenangabe auch fünf oder sechseinhalb – Millionen europäischer Juden, die von den Nationalsozialisten ermordet worden waren, hervorgehoben.27 20 So etwa der Prager Rabbiner Gottschall in Kronika. In: Věstník 8/12 (1946), 109. 21 Kiště [Kisch, Štěpán?]: Beth chajim  – dům života. In: Věstník 11/26–27 (1949), 303.  – Utitz, Emil: Ústřední knihovna koncentračního tábora Terezín. In: Věstník 12/47 (1950), 548 f., hier 548. 22 Arnošt Frischer in S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12, hier 10. – Znění žaloby proti vůdcům německého nacismu. In: Lidová demokracie vom 19.10.1945, 1 f. – Zločinecký profil K. Rahma. In: Věstník 9/2 (1947), 17. – Št.E. [Engel, Štěpán]: Zapomnětlivá statistika. In: Věstník 9/3 (1947), 28.  – Shromáždění delegátů ŽNO v zemích České  a Moravskoslezské 26.  až 28.  října 1947. In: Věstník 9/22 (1947), [313]f.  – Št.E. [Engel, Štěpán]: O pokladech židovského musea. In: Věstník 11/35 (1949), 395. 23 Kleiner, Kamil: Židovské museum v Praze. (Jeho význam  a úkoly v naší nové situaci). In: Věstník 8/7 (1946), 57 f.  – Eisner, Pavel: O tom židovském plevelu. In: Věstník 8/7 (1946), 59.  – Zákon o likvidačním fondu schválen. In: Věstník 9/14 (1947), [197].  – Hrůzná obžaloba nacismu. In: Hlas revoluce Nr. 12 vom 22.6.1961, 2. – Kulišová: Terezín (1967), 89. 24 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4. – Kraus, František R.: Záchrana nebo ještě dokonalejší zničení? In: Věstník 10/17 (1948), 201. 25 Kraus: Die Todesfabrik, 18 f., 25 und passim.  – Němci zavraždili na východě 6 milionů židů. In: Lidová demokracie vom 15.12.1945, 2.  – Hitler nařádil likvidaci židů  a komisařů. In: ebd. vom 4.1.1946, 1.  – Schön-Kulka, Erich: Svědčili jsme proti Hoes­ sovi. In: Věstník 9/8 (1947), 103 f. – Eichmann – válečný zločinec čís. A 28/26. Z projevu prof. dr. Rudolfa Bystrického na tiskové konferenci SPB. In: Hlas revoluce Nr.  21 vom 4.11.1960, 6. – Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 25.6.1966, 19, NA , f. Svaz protifašistických bojovníků – ústřední výbor, Praha (1945)1951–1969 [weiter ÚV SPB], Kt. 55. 26 Hierzu explizit auch Židovská otázka. In: Národní osvobození vom 16.8.[1946(?)], 3, NA , f. ÚV SPB , Kt. 19. – Dr Iltis [Iltis, Rudolf]: K pátému březnu. In: Věstník 9/5 (1947), 55. – Referát s. O. Kličky na zasedání ÚV SPB dne 8.9.1967, NA , f. ÚV SPB , Kt. 56. – Kulka: Únos, 61. – Josef Skácel (ČST, Telexport) an Václav Novák (PT), 20.3.1979, Státní oblastní archiv v Litoměřicích, Litoměřice [weiter SOA Litoměřice], f. Památník Terezín [weiter PT], Kt. 17. 27 Schreiben an Zuzka Kotálová, Praha, 4.9.1945, YVA , O.7cz/267, fol. 153. – Schreiben der DA an L / Cpl. Yaari Grete, Cairo, 6.12.1945, YVA , O.7cz/263, fol. 203. – Arnošt Frischer in S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12. – Židovské oběti ve válce. In: Služba repatriantům Nr. 53 vom 2.10.1945, 4. – Němci zavraždili na východě 6 milionů židů.

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Auch die Tatsache, dass die Juden die größte Opfergruppe darstellten, unterstrichen einige Autoren in diesem Zusammenhang.28 Dennoch blieben diese Begriffe und Bezeichnungen allgemein und universell, da sie der Ermordung der europäischen Juden, wiewohl sie ihren Umfang anerkannten, keinen partikularen Status zusprachen. Die Verfolgung der Juden setzte sich nicht unbedingt ab von den Persekutionen, unter denen etwa Tschechen oder Russen, Kommunisten oder Geistliche zu leiden hatten. So habe neben den Juden auf gleiche Art und Weise auch den Tschechen, und allgemein den Slawen, die massenhafte »Ausrottung«, »Vernichtung« und »Liquidierung« gedroht.29 Vor allem aber wurde diese Verfolgung in einen Sinnzusammenhang gestellt und sehr emotional geschildert, während die Erwähnung des Holocaust von nichtjüdischer Seite oft neutral, knapp und faktographisch – und somit ohne Bezug für das Heute oder Morgen erfolgte.30 Folglich wurden zur Beschreibung des Holocaust Metaphern eingesetzt, deren potentielle Gefahr, wie James E. Young analysierte, darin liegt, »daß sie vom Eigentlichen ablenk[en].«31 Denn zu metaphorisieren bedeute oft, sich vom Gegenstand zu entfernen. Allgemeine Metaphern einzusetzen heißt hier auch, beide Verfolgungen – jene der Juden und jene der Tschechen – unterschiedslos zu betrachten. Ein Beispiel aus der Rechts­sprechung soll genügen:

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In: Lidová demokracie vom 15.12.1945, 2. – Frischer, Arnošt: Evropská sionistická konference v Karlových Varech dne 12. srpna 1947. In: Věstník 9/16 (1947), [229]f. – Sicher, Gustav: Rozhlasový projev pražského vrchního rabína. In: Věstník 9/19 (1947), [281]. – Frischer, Arnošt: Palestina – prubířský kámen novodobých dějin. In: Věstník 9/29 (1947), [397]f.  – Ráček: Československé dějiny, 477.  – Vyvraždění národů. In: Věstník 10/11 (1948), 122. – Kraus, František R.: Společná modlitba. In: Věstník 11/4 (1949), 47. Rubrik Souhlasíme. In: Obzory Nr. 14 vom 7.12.1945, 220, zit. nach Brenner: »Zwischen Ost und West«, 213. – K židovské tragedii. In: Dnešek vom 12.9.1946, 388, Privatarchiv Peter Brod.  – Slavnostní instalace rabína Emila Davidoviče v Plzni. In: Věstník 15/7 (1953), [49]–52. p: Pohled zpět po 6 letech. In: Lidová demokracie vom 1.9.1945, 1. – Český národ měl býti vyhuben. In: ebd. vom 16.12.1945, 2. – Neurath navrhl zničení českého národa. In: ebd. vom 25.1.1946, 1. – jr.: K. H. Frank odsouzen k trestu smrti. In: ebd. vom 22.5.1946, 1 und 5, hier 5. – Plány na zničení českého a slovenského národa. In: ebd. vom 23.3.1947, 2.  – jr.: Praha oslavila druhé výročí osvobození. In: ebd. vom 13.5.1947, 1.  – Zehngut, I[sidor]: Průběh prvního transportu židů z protektorátu. In: Věstník 11/7 (1949), 79. – L. D.: Ke kořenům německé bestiality II . In: Věstník 11/15–16 (1949), 179. – Král: Chtěli nás vyhubit. – Die Vergangenheit warnt. Siehe beispielsweise Němci zavraždili na východě 6 milionů židů. In: Lidová demokracie vom 15.12.1945, 2. – V Osvěčimi zahynulo 2 a půl milionu židů. In: ebd. vom 16.4.1946, 2. – Osudy židů v Čechách a na Moravě. In: ebd. vom 22.5.1946, 5. – Besonders deutlich tritt dieser Aspekt auch bei frühen Publikationen zu NS -Prozessen zum Vorschein, wo die Ungleichbehandlung der Verfolgungen von Tschechen und Juden, in welchen dem jüdischen Schicksal meist nur wenige Seiten gewidmet wurden, eklatant ist. Siehe beispielsweise Československo a norimberský proces. – Zajíček: Český národ. Young: Beschreiben des Holocaust, 151.

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Der aus der Sicht der jüdischen Gemeinde wichtige Erlass des Innenministeriums vom 13. September 1946 (von ihm wird später noch die Rede sein) erkannte das besondere Leid der Juden im Nationalsozialismus an und vor allem – hierin lag die Bedeutung des Erlasses – die Tatsache, dass bis auf einzelne Ausnahmen alle Juden unter dem Terror gelitten hätten. Auch wurde festgehalten, dass nur zehn Prozent von ihnen am Leben geblieben seien. Diese Ausführungen änderten jedoch nichts an der Deutung des National­ sozialismus, an den Schlussfolgerungen: »Der Nazismus führte bei uns seinen ersten Schlag gegen die so genannten ›Juden‹ und den zweiten gegen die Tschechen und Slowaken.«32 Rassenterror und Genozid

Der »Schlag« sei folglich der gleiche gewesen, die Ziele der nationalsozialistischen Verfolgungen identisch. Daher blieben auch Bezeichnungen wie »rassische Verfolgung«, »Rassenterror«, »Opfer aus rassischen Gründen« oder »Opfer des Hitlerschen Rassenwahns« offen und uneindeutig.33 Oft wurde darunter zweifellos die Shoah verstanden.34 Als der Verband der antifaschistischen Kämpfer im Jahre 1967 anlässlich der »Woche des Kampfes gegen Faschismus und Krieg« an den Beginn der »Deportationen tschechoslowakischer Bürger aus rassischen Gründen« erinnerte, so waren damit die im November 1941 einsetzenden Deportationen von Juden ins Ghetto Theresien­stadt gemeint.35 Dennoch erlaubte die vage Formulierung und die Einordnung in den Rassismus – von dem Tschechen und andere Slawen genauso betroffen sein konnten wie Juden – eine breitere und universellere Sicht auf die Judenverfolgung.36 Einer der frühen Überblicke der Geschichte der Tschechoslowakei aus dem Jahr 1948, welcher die Periode des Zweiten Welt32 Výnos MV č. Z / S-3559/89–17/9–46: Osoby, které byly okupanty považovány za osoby židovského původu, pokyny pro rozhodování o zachování čs. státního občanství  a povolování při vystěhování, jde-li o osoby národnosti německé či maďarské, 13.9.1946, Abschrift, NA , f. ÚV SPB , Kt. 20.  – Daraus zitiert auch: [Wehle, Kurt]: Zpráva o Shromáždění delegátů 26. až 28. října 1947. In: Věstník 9/23 (1947), 326–328, hier 327. 33 Dr. D. Z.: Splátka na odškodnění pro oběti rasové persekuce. In: Věstník 8/12 (1946), 112 f. – Iltis: Tisíc let, o. S. – [Ankündigung der Trauerfeier am 3. März 1974]. In: Věstník 36/1 (1974), 4. – Tomášek, Dušan: Rasový úřad v Dymokurech. In: Hlas revoluce Nr. 8 vom 23.2.1974, [8]. – Polášek: Zločiny. – Kafka: Židovské anekdoty, 5. 34 Ein eindeutiges Beispiel ist etwa die Behauptung, Polen hätte sechs Millionen Opfer zu verzeichnen, darunter die Hälfte aus »rassischen Gründen«. Rede [möglicherweise von Jan Vodička] auf der Sitzung des Zentralausschusses des SPB am 2.4.1955, NA , f. ÚV SPB , Kt. 53. 35 Funkcionář SPB , Nr. 10/1967, 19, NA , f. ÚV SPB , Kt. 56. 36 Vgl. auch Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 272.

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krieges bereits mit einbezog, definierte den nationalsozialistischen Rassismus folgendermaßen: »Der Nationalismus steigerte sich zum Rassismus und die Deutschen fühlten sich als die edelste Blüte der nordischen Rasse. Sie seien berufen, die niederen, minderwertigen, weniger wertvollen Rassen, namentlich die Slawen, zu beherrschen.«37 Ähnlich leitete zwei Jahre später, den ideologischen Schemata des marxistischen Geschichtsverständnisses angepasst, Pavel Kypr seine Ausführungen zu den jüdischen Häftlingen in der Kleinen Festung Theresienstadt ein: »Der Rassismus ist einer der schlimmsten und beständigen Begleiterscheinungen des Imperialismus. Er existierte nicht nur im nazistischen Deutschland und war nicht nur gegen Juden gerichtet.«38 So konnte Václav Král, einer der einflussreichsten regimetreuen Historiker sowohl in den 1950er als auch in den 1970er Jahren, von 118.000 tschecho­ slowakischen Opfern der »Rassenverfolgung« sprechen – womit er wohl die jüdischen Opfer meinte, obwohl die Ziffer deutlich untertrieben ist –, um nur kurz danach als Ziel der Nationalsozialisten zu erklären: »Der Rassismus der Nazis bedeutete die Vorherrschaft der Deutschen über die Slawen.«39 Králs Rechnung lenkt den Blick auf die vermeintliche Objektivität statistischer Angaben. Die Gesamtzahl von 360.000 tschechoslowakischen Opfern, von denen Václav Král hier ausgeht,40 ist auch an zahlreichen weiteren Stellen anzutreffen und hat sich relativ früh, spätestens ab Mitte der 1950er Jahre, allgemein durchgesetzt –41 und zwar gegenüber wesentlich niedrigeren quantitativen Angaben aus der unmittelbaren Nachkriegszeit. 1946, anlässlich des Nürnberger Prozesses gegen die Hauptkriegsverbrecher, wurden unter den menschlichen Verlusten der »tschechischen Nation« nur knapp 160.000 Personen angeführt.42 Die Ziffer der 360.000 tschechoslowakischen Opfer wurde nur selten im Einzelnen aufgeschlüsselt, meist blieb es bei vagen Andeutungen der unterschiedlichen Gruppen. Der Vorsitzende des Verbandes der antifaschistischen Kämpfer, Jan Vodička, sprach auf einer Sitzung des Zentralausschusses des Verbands im April 1955 einerseits von den 360.000 Toten der Tschechoslowakei, andererseits von den unterschiedlichen Opfergruppen des »faschistischen Regimes«: von den Pa­trioten, Kommunisten, WissenschaftRáček: Československé dějiny, 477. Kypr: Malá pevnost Terezín, 94. Král: Pravda o okupaci, 150 f. Ebd. – Král greift offensichtlich auf die Statistik von Gustav Hajčík und Jaroslav Volejník aus dem Jahr 1956 zurück, die ebenso von einer Gesamtzahl von 360.000 Opfern, darunter 118.600 »Opfer der Verfolgung aus rassischen Gründen«, ausgehen: Hajčík: Neza­ pomínáme, 56. 41 Einen guten Überblick gibt Škorpil: K problematice počtu. – Knapp auch ders.: Probleme. 42 Zudem finden sich 75.000 gesundheitlich schwer Geschädigte in dieser »Opferzahl« wieder. Československo a norimberský proces, 210. – Pavel Škorpil, der auf diese Ziffer in Archivunterlagen gestoßen ist, spricht fälschlicherweise davon, dass sie nie publiziert worden sei. Škorpil: K problematice počtu, 60.

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lern, Studenten, Geistlichen, Frauen und Kindern, von den Angehörigen fast aller europäischer Nationen.43 Die jüdischen Opfer blieben meist unbenannt, obwohl sie mit 250.000 bis 270.000 die absolute Mehrzahl der 360.000 – oder nach neueren Forschungen um die 340.00044 – »tschechoslowakischen Opfer« ausmachten.45 Dabei war bereits in den frühen, unvollständigen Opferstatistiken aus den 1940er und frühen 1950er Jahren hervorgegangen, dass die Juden die Mehrheit der tschechoslowakischen Opfer ausmachten. Kam etwa das Staatliche Statistische Amt in Prag im Jahr 1946 auf die Zahl von 74.000 nichtjüdischen und 138.000 jüdischen Opfern, gab der Historiker Václav Husa allein die Gesamtzahl von 212.000 direkten Opfern der tschechischen Nation an.46 Die Juden verloren sich in all diesen – leicht variierenden – Zahlen: Sie wurden subsumiert unter die »[m]ehr als 300.000 tschechischen und an die 30.000 slowakischen Pa­trioten«,47 unter die 375.000 Patrioten, die ihr Leben im nationalen Befreiungskampf gelassen hätten,48 unter die 200.00049 oder 300.00050 »tschechoslowakischen Bürger«, die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern ermordet wurden. Die jüdischen Opfer gingen in der Gruppe der »KZ -Häftlinge«, der ermordeten »Patrioten«, in der Formel der »tschechoslowakischen Bürger« meist völlig unterschiedslos auf.51 So die Autoren die Juden als Gruppe andeuteten, verringerten sie deren Anteil an der Zahl der 360.000 tschechoslowakischen Opfer. Václav Král sprach von 118.000 Opfern der »Rassenverfolgung«.52 Der ehemalige Diplomat und Professor der Prager Karlsuniversität für Völkerrecht, Rudolf Bystrický, sagte anlässlich des Prozesses gegen Adolf Eichmann, dass von den 360.000 tsche43 Vodička, Jan: Věrni odkazu protifašistického boje  – proti novému fašismu  a válce, za blaho  a štěstí našich národů! In: Věrni odkazu protifašistického boje  – proti novému fašismu a válce, za blaho a štěstí našich národů!, hg. vom Agitačně propagační oddělení sekretariátu ÚV SPB , o. O. 1955, 3–9, hier 5, NA , f. ÚV SPB , Kt. 53. – V mezinárodních pamětních dnech odboje zesílíme svůj boj. Z projevu předsedy SPB posl. J. Vodičky. In: Hlas revoluce Nr. 4 vom 4.4.1955, 5. 44 Škorpil: K problematice počtu, 75. 45 Zu den jüdischen Opferzahlen siehe die Angaben in der Einleitung. 46 Škorpil: K problematice počtu, 61. – Husa, Václav: Nový pokus o falšování českých a slovenských dějin. In: Nová mysl 2/3 (1948), 279–293, hier 290. 47 Vodička: Úvodem, 7. 48 Akční program KSČ , 5.4.1968, URL: http://www.68.usd.cas.cz/files/dokumenty/edice/ 405_1.pdf (am 4.3.2014), hier 2. 49 Kroupa: Koncentrační tábory, 6. 50 Král: Chtěli nás vyhubit, 16. 51 Siehe weiter etwa Husa: Dějiny Československa, 415.  – Von 15.000 »tschechoslowakischen Kindern« im Theresienstädter Ghetto und von 360.000 ermordeten »Bürgern der tschechoslowakischen Republik« spricht Jaromír Hořec. Hořec: … i děty šly na smrt, o. S. – Z projevu předsedy ÚV SPB posl. J. Vodičky. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 4.11.1960, 1. – ms: Nekonečná řada obětí. In: ebd. Nr. 10 vom 9.3.1974, [3]. – Funkcionář SPB , Nr. 12 ([prosinec] 1960), 8 f., NA , f. ÚV SPB , Kt. 54. 52 Král: Pravda o okupaci, 150.

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choslowakischen Opfern ungefähr die Hälfte Eichmann »auf dem Gewissen« habe.53 Einen ähnlichen Anlass, die Verfolgung der Juden anzudeuten, bot das Ermittlungsverfahren der Bonner Staatsanwaltschaft gegen den damaligen Staatssekretär und engen Mitarbeiter Konrad Adenauers Hans Maria Globke im Jahre 1961. Wohl in direktem Zusammenhang mit der von der SED initiierten propagandistischen Offensive gegen Globke54 sammelte der tschechoslowakische Verband der antifaschistischen Kämpfer nach dem Freispruch Globkes Material gegen ihn und reichte – in Vertretung der Hinterbliebenen von »Opfern der nazistischen Rassenverfolgung« – im November 1961 in Bonn eine Strafanzeige ein. Globke wurde darin beschuldigt, unter anderem durch seinen Kommentar zu den Nürnberger Rassengesetzen den »Massenmord jüdischer Bürger« angestiftet zu haben. Unter den millionenfachen Opfern der nationalsozialistischen Rassenpolitik hätten sich auch 200.000 »tschechoslowakische Bürger« befunden.55 Selbst in einer gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Propagandaaktion, denn dies war zweifellos eine der Triebfedern der Anklage Globkes, wollte man offensichtlich nicht zu sehr die Ziffer der jüdischen Opfer  – deren Formulierung immer noch sehr vage blieb – hochspielen. Zwar bedeutete die Zahl der 200.000 »tschechoslowakischen Bürger« eine deutliche Abweichung von den oben genannten 118.000 Opfern der »Rassenverfolgung«, dennoch ist sie noch relativ weit entfernt vom tatsächlichen Ausmaß des Holocaust in der Tschechoslowakei – und zwar vom Ausmaß, der heute bekannt ist, aber genauso vom damaligen Kenntnisstand, betrachtet man die Schätzungen, die schon früh von Seiten der jüdischen Gemeinde vorgelegt worden waren.56 53 Eichmann – válečný zločinec čís. A 28/26. Z projevu prof. dr. Rudolfa Bystrického na tiskové konferenci SPB. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 4.11.1960, 6. 54 Zur Kampagne gegen Globke und ihren transnationalen, ostmitteleuropäischen Aspekten siehe Lemke: Kampagnen gegen Bonn, 162–170. 55 Trestní oznámení na H. Globka. In: Hlas revoluce Nr. 23 vom 7.12.1961, 1. – Volejník, J[aroslav]: Globke se podílel na zavraždění 200 tisíc čs. občanů. In: ebd. Nr.  23 vom 7.12.1961, 6. 56 Relativ verlässliche Zahlen lagen vor allem für die Judenverfolgung im Protektorat Böhmen und Mähren sehr früh vor. Siehe dazu etwa die statistischen Angaben der »Evidenzabteilung« des Rats der jüdischen Gemeinden aus dem Jahr 1947. Zpráva evidenčního oddělení RŽNO, o. J. [Oktober 1947], YVA , O.7cz/318. – Diese auch abgedruckt in mehreren Teilen im Věstník: Zpráva evidenčního oddělení RŽNO. In: Věstník 9/21 (1947), 308 f.; 9/22 (1947), 318; 9/23 (1947), 330; 9/24 (1947), 344 und 10/11 (1948), 124. – Auch die Verluste der slowakischen Juden wurden bald nach dem Krieg beziffert. Siehe etwa Tragédia slovenských židov, o. S. – Die Angaben gehen meist von ca. 360.000 tschechoslowakischen Juden vor dem Krieg aus. Wurde zwar, auf Grund fehlender exakter Angaben für die Verluste der Juden in den Grenzen vor 1938, lange davon abgesehen, eine auch die 1938 und 1939 abgetrennten Gebiete der Tschechoslowakei umfassende Bilanz des Holocaust der tschechoslowakischen Juden zu ziehen, so deuteten doch Schätzungen auf die fast vollständige Zerstörung der jüdischen Gemeinde hin. So ist etwa von der

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Ähnlich wie mit dem Verständnis des Rassismus verhält es sich mit der Verwendung des Begriffs »Genozid«, der im tschechischen Kontext sehr früh auftauchte: Die beiden Holocaust-Überlebenden Ota Kraus und Erich Kulka meinten in ihrem 1946 erstmals veröffentlichten Bericht über die »Todesfabrik« Auschwitz zu den Triebfedern der nationalsozialistischen Verbrechen: »Dieses Genozid – d. h. das systematische Ausrotten ganzer Nationalitätengruppen  – räumte alle aus dem Weg, die der Expansion des Naziimperialismus hinderlich waren.«57 Kraus und Kulka, beide jüdische Widerstandskämpfer, die auf Grund ihrer politischen Tätigkeit verhaftet worden waren, präsentierten, wie Annette Wieviorka für viele der frühen KZ -Berichte festhielt, »Erinnerungen von Juden«, die allerdings »keine jüdische Erinnerung« ausdrücken.58 Sie betrachteten die antijüdische Politik Hitler-Deutschlands als eine Verfolgung unter vielen – und vor allem als Mittel zum Zweck: Der Rassismus und seine genozidale Verwirklichung hätten der Umsetzung der imperialistischen Eroberungspolitik gedient, die sich auf den Osten Europas konzentrierte.59 Die Polysemie des Begriffes Genozid ist dieselbe wie im Falle des Rassismus. Wenngleich manche Autoren darunter eindeutig den Genozid der Juden, die Shoah verstehen,60 und zwar besonders seit den 1960er Jahren,61 eignet sich auch dieser Begriff zur Abstraktion von der konkreten Geschichte, zur Universalisierung. Genozid, so in der Mitglieder-Zeitschrift des Verbands der antifaschistischen Kämpfer, sei »ein internationales Verbrechen, das organisch den faschistischen und rassistischen Theorien entwächst, welche den Hass zwischen Nationalitäten, die Überordnung und die Minderwertigkeit

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Er­mordung von 90 oder gar 95 Prozent der tschechoslowakischen Juden die Rede: Št.E. -­ [Engel, Štěpán]: Zapomnětlivá statistika. In: Věstník 9/3 (1947), 28 f. – Výzva souvěrcům v zahraničí. In: Věstník 20/4 (1958), 3. Kraus: Die Todesfabrik, 25. Wieviorka: Déportation et génocide, 317. Kraus: Die Todesfabrik, 15 f. Št.E. [Engel, Štěpán]: Našli se soudci. In: Věstník 11/19 (1949), 217 f. – Tragedie slovenských židů. In: Věstník 11/25 (1949), 293. – Kraus, Frant[išek] R.: »Nimmt der Herr seine Suppe?«. In: Věstník 11/31–32 (1949), 360 f. Eichmann – válečný zločinec čís. A 28/26. Z projevu prof. dr. Rudolfa Bystrického na tiskové konferenci SPB. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 4.11.1960, 6. – Rudolf Iltis: The Terezín Ghetto [Teil des Materials von Pragopress zum Eichmann-Prozess], o. J. [1960 oder 1961], in CJH, YIVO, RG 116, Box 55, folder 2.12. – Opelík: Jiří Weil, 202. – Černý: Vražda, 213.  – Doležal, Jiří: Otevřený dopis profesoru E. Goldstückerovi. In: Rudé právo vom 1.7.1968, 2. – Pechová: Umění v Terezíně, 5 und passim. – Kontrola plnění vládního usnesení 446/68, o. J. [Februar 1973], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Václav Novák (PT) an Jaroslav Mašek (FÚV ČSSPB), 28.7.1981, ebd., Kt. 19. – [Ankündigung Trauerfeier, 40. Jahrestag 8.3.1944]. In: Věstník 46/2 (1984), 4. – Prohlášení Rady ŽNO v ČSR , o. J. [Mai 1987], NA , f. Sekretariát pro věci církevní ministerstva kultury (vlády) ČSR 1967–1990 [weiter SPVC], Kt. 232. – Kuna: Hudba na hranici života, beispielsweise 169.

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anderer Rassen propagieren.«62 Die Diskussionen und Entschlüsse zur Bestrafung des Völkermords nach dem Zweiten Weltkrieg, so hieß es hier weiter, hätten ihren Ausgangspunkt in der »barbarischen Vernichtung [vyhlazování] der Juden und Zigeuner sowie in der geplanten Vernichtung der slawischen und anderer Nationen von Seiten Nazi-Deutschlands«.63 Der Genozid-Begriff wurde derart ausgehöhlt, dass nicht mehr klar ist, wer eigentlich von dem Genozid betroffen gewesen sei. Dies hatte selbstverständlich auch damit zu tun, dass der Begriff als Schlagwort der Propaganda gegen die BRD verwendet wurde, um die fehlende Abrechnung mit Kriegsverbrechern hervorzu­heben und die Kontinuitäten zwischen der Bundesrepublik und dem nationalsozialistischen System.64 Die beiden »Endlösungen«

Schon der »Vater« des Genozid-Begriffes, Raphael Lemkin, ließ die Unterschiede zwischen realisiertem und geplantem Genozid unklar.65 Dies taten auch viele tschechische Autoren, indem sie die Verfolgung der Juden und jene der Tschechen auf eine Stufe stellten. Dabei hatte Letztere nie auch nur in Ansätzen das Niveau einer die tschechische Nation in ihrer Ganzheit bedrohenden Politik erreicht.66 Die frühen Überlegungen zum »tschechischen Problem« sahen zwar vor, den tschechischen Staat zu zerschlagen, die Tschechen zu entpolitisieren und den böhmisch-mährischen Raum in das deutsche Reich einzugliedern. Das tschechische Volkstum aber, ja selbst die tschechische Sprache wurde dabei nicht angetastet.67 In den Jahren 1939 und 1940

62 Co je genocida? In: Funkcionář 9 (1962), 259, NA , f. ÚV SPB , Kt. 54. 63 Ebd. – In einem anderen stichwortartigen Lexikon-Eintrag zum Genozid sind Juden gar nicht mehr erwähnt. Hier heißt es nur, ohne anzugeben, gegen wen sich der Völkermord richtete: »Im 2. Weltkrieg verübten die faschistischen Aggressoren, vor allem die Nazis, das Verbrechen des Genozids.« Kroupa: Český antifašismus a odboj, 117. 64 Prohlášení ÚV SPB k rozhodnutí bonnské vlády promlčet válečné zločiny, o. J. [1964], NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. – Referát soudruha předsedy J[osefa] Huška na zasedání pléna ÚV SPB dne 21.11.1964, ebd. 65 Siehe etwa Rabinbach: Begriffe, 43–72, hier besonders 51.  – Bauer: Die dunkle Seite, ­26–30. – Vgl. hierzu auch die – nicht völlig überzeugende – Differenzierung, die Yehuda Bauer zwischen Genozid und Shoah bzw. Holocaust vorschlägt, wobei er als ausschlaggebendes Unterscheidungsmerkmal anführt, dass das Ziel des Genozids nicht der Tod jedes Einzelnen der definierten Gruppe sei. Als Beispiel nationalsozialistischer Genozidpläne führt er die Politik gegenüber Polen an. Ebd., 82 f. und passim. 66 Für die nationalsozialistischen Überlegungen zur »tschechischen Frage« siehe unter anderem Milotová: Die NS -Pläne.  – Brandes: »Umvolkung«.  – Küpper: Karl Hermann Frank, besonders 164–170. 67 Brandes: »Umvolkung«, 11–18.

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wurden diese Pläne radikaler; außerdem wurden sie nun rassistisch begründet. Ein Teil der tschechischen Bevölkerung sollte für die Germanisierung – das heißt die Assimilierung – gewonnen werden. Jenen Teil jedoch, der »im deutschen Volkskörper aus rassischen Gründen unverdaulich sei«, wollten die Nationalsozialisten umsiedeln oder ermorden.68 Diese Vorstellungen prägten zwar die Politik gegenüber den Tschechen. In ihren tödlichen Konsequenzen waren sie allerdings Langzeitvisionen, die erst nach einem gewonnenen Krieg in die Tat umgesetzt werden sollten.69 Die nationalsozialistische Tschechenpolitik erfuhr mit der Entsendung Reinhard Heydrichs als stellvertretendem Reichsprotektor nach Prag eine weitere Verschärfung. Heydrich plädierte für ein konsequentes rassenpolitisches Vorgehen gegen die Tschechen. Dabei vertrat er die Meinung, dass man jene Tschechen, die »gutrassig und gutgesinnt« seien, »eindeutschen« sollte.70 Diesen Standpunkt teilte er mit Adolf Hitler, der die Germanisierung der Mehrheit der Tschechen »aus historischen und rassepolitischen Gründen« für möglich hielt.71 So war allen Konzeptionen eines gemein: Das Ziel war nicht die physische Vernichtung, »die Liquidierung jedes einzelnen Angehörigen des tschechischen Volkes«.72 Zudem wurde der Plan zur Auslöschung der Tschechen als Ethnie nicht in die Tat umgesetzt. Dennoch beschrieben viele die nationalsozialistische Politik gegenüber den Tschechen als »Lösung« oder »Endlösung der tschechischen Frage« – mit einem Begriff also, der im westlichen Sprachgebrauch ausschließlich mit der Shoah verbunden und als ihr Synonym verwendet wurde und wird.73 Noch stärker als in der Behandlung von Rassismus und Genozid scheint das Verständnis der »Endlösung« als Verfolgung der tschechischen Nation die Wahrnehmung der Shoah zu überdecken. Selbstverständlich sahen viele  – oft jüdische – Autoren hinter der »Endlösung« die Verfolgung und Ermordung der Juden.74 Andere jedoch behandelten die »Endlösung« ausschließlich als 68 Entwurf [Frank?] »Zur Lösung der tschechischen Frage«, o. J., NA , f. 114-3-14, 91–95, zit. nach Brandes: »Umvolkung«, 19. 69 Hierzu auch Küpper: Karl Hermann Frank, 175. – Vgl. ebenso Botz: Nationalsozialismus in Wien, 590–598. 70 Geheime Rede Heydrichs am 2.10.1941, NA , ÚŘP, dod. IV/53, zit. nach Brandes: »Umvolkung«, 30. 71 Protokoll über Besprechung Hitlers mit Neurath und Frank am 23.9.1940, NA , f. 114-33913, 15–18, zit. nach ebd., 24. 72 Milotová: Die NS -Pläne, 24. 73 Wieviorka: »Solution finale« et hurbn. 74 Unter vielen anderen Dr I. [Iltis, Rudolf]: K osmdesátým sedmým narozeninám J. B. Foerstra. In: Věstník 9/2 (1947), 19. – Basch, A[rnošt]: Doslov. In: Věstník 26/5 (1964), 6. – Zajíček: Český národ, 58, 71. – Ota Kraus / Erich Schön-Kulka an Hana Volavková (SŽM), 14.8.1955, Archiv Židovského Muzea v Praze, Prag [weiter AŽMP], f. Židovské muzeum v Praze 1945–1960 [weiter ŽMP 1945–1960], inv.č. 269. – Bor: Terezínské rekviem. – I­ ltis,

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nationalsozialistische Politik zur Unterdrückung und Vernichtung der tschechischen Nation75 und konnten sie in das Narrativ einordnen, das bereits seit dem Kriegsende die »Ausrottung« und »Liquidierung« der tschechischen Nation als Ziel der Nationalsozialisten benannte.76 Sinn erhielt diese Darstellungsweise insbesondere dort, wo sie die Politik der Nationalsozialisten mit den Zielen der »unsrigen« Deutschen (das heißt der deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei, der so genannten Sudetendeutschen) gleichsetzte und dadurch die Vertreibung der Deutschen rechtfertigte.77 So zeigte eine Ausstellung in Marienbad (Mariánské Lázně) im Jahre 1945 die von den National­ sozialisten vorbereitete Zerschlagung der Tschechoslowakei, »die ihren Plänen zufolge im völligen Untergang [zánik] und der Ausrottung [vyhlazení] der tschechischen Nation schlechthin enden sollte.«78 Sie trug den programmatischen Titel »Warum wir sie nicht wollen« (Proč je nechceme).79 Die »Endlösung der Judenfrage« wurde häufig angeführt, um zu zeigen, wohin die Verfolgung der tschechischen Nation geführt hätte, wäre den Nationalsozialisten dafür noch Zeit geblieben. »Endlösungen« und »Genozide« beschrieben somit eine allgemeine Politik der Nationalsozialisten, die wie durch Zufall die Juden als erste Gruppe getroffen hätte: Der Holocaust sei eine Rudolf: Prag: Denkmal für 1000 Jahre Kultur. In: Israelitisches Wochenblatt (Zürich) Nr. 12 vom 25.3.1966, zit. nach YIVO, RG 335.8, MF 11.12, file no. 443. – Glazar, Richard: Tam končil život. In: Mezinárodní politika 11/1 (1967), 28–30 (Fortsetzungen bis 11/12 (1967), 550–552). – Kuna: Hudba a její etická síla, 42. 75 Nicht die Wahrnehmung der geplanten »Vernichtung« und »Ausrottung« der tschechischen Nation, aber die Benennung dieses Plans als »Endlösung« hat sich offensichtlich erst mit der Zeit durchgesetzt. Dem muss an anderer Stelle noch näher nachgegangen werden, aber es scheint so, als ob vor allem in den 1960er Jahren, beginnend mit dem Eichmann-Prozess der Begriff von der »Endlösung der Judenfrage« auf jene der »tschechischen Frage« übernommen wurde. Mňačko: Já, Adolf Eichmann…, 213. – Bartošová: K nacistickým plánům.  – Sládek: Od »ochrany«.  – Pátek: Československé dějiny, 31.  – Kladiva: Poslední, 7. 76 J. P.: Veliká národní pouť v Ležácích. In: Lidová demokracie vom 26.6.1945, 1 f. – H. K.: K. H. Frank bude postaven před čsl. soud. In: ebd. vom 7.6.1945, 2. 77 Die Verbindung zwischen der Darstellung des Zweiten Weltkrieges und dem Versuch, die Vertreibung der Deutschen zu legitimieren, ist auch in frühen Filmen über das Protektorat zu erkennen. Siehe Koura: Nazis, 124. 78 K: »Proč je nechceme«. In: Lidová demokracie vom 20.11.1945, 2. – Eine ähnliche Argumentationslogik verfolgte Innenminister Václav Nosek. vs: V Československu zůstává 300.000 Němců. In: ebd. vom 25.10.1946, 1 f.  – Zum Prozess gegen Karl Hermann Frank hieß es auch, dass damit die Tschechen nicht allein den Nationalsozialismus und Deutschland vor Gericht stellten, sondern auch »unsere Deutsche«. H. K.: K. H.  Frank bude postaven před čsl. soud. In: ebd. vom 7.6.1945, 2.  – Ähnlich, hier zur Kollektivschuld der Deutschen und damit auch zur Schuld »unserer Deutschen«: Slavnostní tryzna v Lidicích. In: ebd. vom 7.6.1945, 3. 79 Die politische Sendung der Ausstellung wurde noch dadurch verstärkt, dass sie als Wanderausstellung in den so genannten Sudetengebieten geplant war.

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»Generalprobe« gewesen, die »Endlösung der Judenfrage« – darin waren sich jüdische und nichtjüdische Autoren lange Zeit einig – ein Vorspiel zur »Endlösung der tschechischen Frage«.80 Die Deportation der Juden, so Václav Král, sei nur ein »Vorzeichen« dessen gewesen, »was die Mehrzahl der Tschechen in dem Fall erwartet hätte, wenn es den Deutschen gelungen wäre, den Krieg zu gewinnen.«81 Ähnlich verschwieg Táňa Kulišová, die besonders in den 1950er und 1960er Jahren als Autorin von Führern durch die Gedenkstätte Theresienstadt in Erscheinung trat, nicht, dass von zwölf Millionen Juden sechs Millionen ermordet worden seien – bevor sie hinzufügte: »In gleicher Weise sollte auch gegen die slawischen Völker vorgegangen werden.«82 So wurden auch die Massentötungen in Konzentrations- bzw. Vernichtungslagern nicht als spezifisches Charakteristikum der Shoah wahrgenommen, seien »Juden, genauso wie Nichtjuden« zu ihren Henkern und in die Gaskammern geschickt worden.83 In Birkenau habe man begonnen, »durch Vergasen systematisch ganze Nationen zu vernichten«, wobei nach den Juden die Polen und Tschechen »an die Reihe« gekommen wären.84 In Auschwitz, so war in einem Bericht zum Prozess gegen Rudolf Höß im Jahre 1947 in Warschau zu lesen, seien »150.000 Tschechoslowaken« ermordet worden, weswegen dieses »Vernichtungslager« auch in direkter Verbindung mit den Plänen zur Vernichtung der tschechischen Nation betrachtet werden müsse.85 Der Mauthausen-Überlebende und Mitarbeiter des Verbands der antifaschistischen Kämpfer Václav Berdych berichtete im Jahr 1959 von den Tötungskapazitäten im KZ Mauthausen. Er schildert, was – seiner Meinung nach logisch und unausweichlich – eine eventuelle Verlängerung des Krieges für die Tschechen bedeutet hätte: »Denn die modernste Todesfabrik war keine 40 Kilometer von den Grenzen unserer Republik entfernt! In nicht einmal sechs Monaten hätte man die gesamte slawische Bevölkerung Böhmens und Mährens liquidieren [zlikvidovat] können.«86 Diese Sichtweise ignoriert die tatsächlichen Erfahrungen der jüdischen Opfer, indem allein die Täterperspektive, die ideologischen Überlegungen und Langzeitvisionen der Nationalsozialisten zu einer Neuordnung Euro80 Siehe unter vielen anderen etwa Kolár: Ještě naposledy, 2. – Bašťovanský, Štefan: Slovo o antisemitizme. In: Pravda, zit. nach: Hlasy tisku. In: Věstník 8/11 (1946), 92–95. – SchönKulka, Erich: Svědčili jsme proti Hoessovi. In: Věstník 9/8 (1947), 103 f., hier 103. – Kraus: Die Todesfabrik, etwa 16 und 24–26. 81 Král: Pravda o okupaci, 251 f., zit. nach Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 266. 82 Kulišová: Malá pevnost Terezín (1961), 93. 83 J. K.: »Židovské matriky«. In: Lidová demokracie vom 31.10.1945, 3. 84 Schön-Kulka, Erich: Svědčili jsme proti Hoessovi. In: Věstník 9/8 (1947), 103 f., hier 103. 85 Plány na zničení českého a slovenského národa. In: Lidová demokracie vom 23.3.1947, 2. 86 Berdych: Mauthausen, 40.

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pas reproduziert werden.87 Vor allem tangiert sie jedoch einen der zentralen Faktoren der tschechischen Weltkriegserinnerung: die Assimilierung des jüdischen Schicksals an das (in Erwägung gezogene) Schicksal der Tschechen, die zu einer Bagatellisierung, Banalisierung und dadurch zu einer Negation jedweder Spezifität und Partikularität des Holocaust führte.88 Germanisierung, »Drang nach Osten« und deutscher Imperialismus

Indem die Ermordung der Juden in erster Linie in Zusammenhang mit der geplanten Vernichtung der slawischen Völker Osteuropas gesehen wurde, lag es nahe, den Holocaust dem nationalsozialistischen »Drang nach Osten« unterzuordnen. Die antisemitische Politik NS -Deutschlands sei nur ein Teilaspekt der Lebensraumideologie, der »Germanisierung« des osteuropäischen Raumes  – und damit nur ein Gesichtspunkt innerhalb des »Generalplans Ost« – gewesen.89 Grundlegende Triebfeder der Deutschen im Zweiten Weltkrieg sei der »Pangermanismus« gewesen.90 Die (slawische) Tschechoslowakei habe dabei ein – genauer: das erste – Hindernis dargestellt.91 Diese Interpretation ermöglichte eine Auffassung des Nationalsozialismus als imperialistische Bewegung, die versucht hätte, durch militärische, ökonomische und repressive Maßnahmen Mittel- und Osteuropa zu kolonialisieren. Abgesehen davon, dass diese Denkweise dem Holocaust keinerlei herausragende, keinerlei spezifische Bedeutung zukommen ließ, ermöglichte sie aus zwei Blickrichtungen für die tschechische Gesellschaft wichtige Anknüpfungspunkte: Die Idee, der deutsche Imperialismus und »Drang nach Osten« seien konstitutive Faktoren des Nationalsozialismus, konnte erstens reibungslos in die Erzählung der jahrhundertealten Rivalität zwischen Deutschen und Tschechen eingeordnet werden. Die Versuche der deutschen Kolonialisierung der böhmischen Länder, deren Anfänge im Mittelalter gesehen werden können, hätten im Zweiten Weltkrieg ihren Kulminationspunkt erreicht. Der Zweite Weltkrieg konnte somit, zusammen mit der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei unmittelbar nach Kriegsende, als Höhe- und Endpunkt der deutsch-tschechischen Auseinandersetzung um Böhmen und 87 Vgl. hierzu auch die Überlegungen von Annette Wieviorka zur impliziten Gegenüberstellung von nationalsozialistischer »Endlösung« und jüdischem »Khurbn«: Wieviorka: »Solution finale« et hurbn. 88 Zu den Auswirkungen der »Banalisierung« etwa Todorov: La vocation. 89 Siehe etwa Kárný: Generální plán Východ. 90 Zločiny nacismu ve světle dokumentů. In: Hlas osvobozených 2/29 (1946), [1]. 91 Siehe hierzu etwa die Überlegungen zum »Fall Grün« und der Zerschlagung der Tschechoslowakei. Dokumenty o »Zeleném plánu« proti ČSR . In: Lidová demokracie vom 28.11.1945, 1. – Československo a norimberský proces, besonders 225–352.

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Mähren gesehen werden. Während das »wirkliche Ziel« Hitlers im Krieg die »Vernichtung der slawischen Völker« gewesen sei, habe schließlich der Sieg über NS -Deutschland den »tausendjährigen Kampf der Germanen gegen die Slawen« beendet.92 Zweitens ermöglichte die Wahrnehmung des Nationalsozialismus als imperialistische Bewegung eine ideologische Deutung und politische Instrumentalisierung im Zeichen der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus, zwischen Ost und West: Der Nationalsozialismus, der als »Faschismus« bezeichnet wurde – und schon dadurch seiner Sonderstellung und Einzigartigkeit beraubt wurde –, sei die höchste Form des Kapitalismus gewesen und hätte imperialistische Ziele verfolgt, um Europa zu unterjochen, die besetzten Länder auszubeuten und die Einwohner der unterdrückten Länder zu vernichten.93 Nationalsozialismus und Faschismus seien bloße »Ausläufer« des kapitalistischen Imperialismus, sie seien dessen »Waffen«.94 Die Tschechoslowakei sei im Zweiten Weltkrieg demnach auf die Ebene einer Kolonie herabgesetzt worden.95 Hieraus erklärt sich auch die Bezeichnung der nationalsozialistischen Zeit als »Okkupationszeit«, die bis heute gewissermaßen als Oberbegriff für den Zweiten Weltkrieg und die Jahre 1938 bzw. 1939 bis 1945 dient. Durch diese Interpretation konnte der Zweite Weltkrieg relativ einfach in ideologische Erklärungen und Dogmen eingeordnet werden. Besonders in den 1950er Jahren gingen einige Autoren daran, vollauf die sowjetische Betrachtungsweise zu übernehmen, indem sie den Nationalsozialismus als Etappe der »allgemeinen Krise des kapitalistischen Weltsystems« beschrieben.96 In seiner Dimension als Krieg wurde er dementsprechend nur von 1941 bis 1945, das heißt im Rahmen des Großen Vaterländischen Kriegs der Sowjetunion behandelt. Diese Deutung korrespondierte nicht nur mit den marxistischen Wahrnehmungen des Nationalsozialismus, sondern ebenso mit nationalistischen Positionen. Denn letztere, fokussiert auf die Geschichte des Protektorats Böhmen und Mähren, schenkten den frühen Kriegshandlungen auch deswegen nur geringe Beachtung, weil die böhmischen Länder, zumal wegen ihrer Funktion als Rüstkammer des Dritten Reiches, erst gegen Ende des Zweiten Weltkrieges von militärischen Gefechten betroffen waren.97 92 p: Pohled zpět po 6 letech. In: Lidová demokracie vom 1.9.1945, 1. – Ähnlich Na českém pomezí bude klid. In: ebd. vom 5.8.1945, 1. 93 Siehe beispielsweise Kraus: Die Todesfabrik, 15 und passim. 94 Kraus, František R.: K 4. říjnu. In: Věstník 11/38 (1949), 429. – Vacík, Miloš: Knihy o koncentrácích. In: Kulturní politika 4/8 (1949), 3. – Walter, S.: Lidé, bděte! In: Věstník 11/39 (1949), [437]f. – Kisch, Štěpán: Mrtví žalují. In: Věstník 14/4 (1952), [29]. 95 Ráček: Československé dějiny, 476.  – Siehe hierzu auch die Kontinuitäten bis in die 1990er Jahre: Dolezel: Die Tschechoslowakei, 152. 96 Beneš: Das Bild des Zweiten Weltkriegs, 127 f. 97 Balcar: Von der Rüstkammer.

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Die Darstellungsweise der imperialistischen Okkupation fügte sich somit problemlos in den national-kommunistischen Diskurs und bot sich an für die unterschiedlichsten Instrumentalisierungen. So kann man lesen, dass die Tschechen, da sie während des Zweiten Weltkrieges in einem kolonialen Verhältnis gelebt hätten, am eigenen Leib das Schicksal erlitten, das die »westlichen Imperialisten« bereits vielen Nationen bereitet hätten.98 Indem das Hauptaugenmerk auf die »nazistischen Expansionsgelüste« gerichtet wurde, kamen Autoren wie Ota Kraus und Erich Kulka unmittelbar nach dem Krieg zu dem Schluss, dass »die Ursache des Verbrechens von Auschwitz« der Imperialismus gewesen sei.99 Diese Betrachtung suggerierte ein gemeinsames Schicksal aller Slawen, ähnlich der älteren Idee der gemeinsamen Mission der Slawen gegen die Deutschen.100 Darüber hinaus resultiert diese Geschichtsbetrachtung auch aus der Instrumentalisierung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, die während der gesamten Zeit des Kommunismus für die Propaganda gegen den kapitalistischen Westen eingesetzt wurde. Angegriffen wurden neben Westdeutschland vor allem die USA: So waren auf der Sitzung des Zentralaussschusses des Verbands der antifaschistischen Kämpfer im Juli 1952, während des Koreakriegs, Stimmen zu vernehmen, demnach die »amerikanischen Imperialisten noch die Bestialitäten der Nazis übertreffen «.101 Im Jahre 1961 begründeten František Ehrmann und Rudolf Iltis, die Vertreter des Rats der jüdischen Gemeinden, ihre Entscheidung, nicht an der Pariser Ausstellung über Leben und Widerstand in den nationalsozialistischen Ghettos teilzunehmen, damit, dass die geplante Schau einen eher »retrospektiven« Charakter habe und nicht den Neonazismus und Neofaschismus behandle.102 Der Zweite Weltkrieg war ein unerschöpfliches Reservoir, um Vergleiche zu ziehen, Diffamierungen zu begründen, tatsächliche oder vermeintliche Kontinuitäten anzudeuten oder gar direkte Parallelen herzustellen: zwischen den von den Nationalsozialisten verbrannten Dörfern und den »neuen Lidices in Vietnam«103, zwischen dem Zweiten Weltkrieg und den kriegerischen Konflikten in Korea oder Nahost, zwischen den nationalsozialistischen KZs und den Lagern der Briten, Japaner oder Griechen. Schließlich fehlten auch nicht Kypr: Malá pevnost Terezín, 10. Kraus: Die Todesfabrik, 234 f. Siehe dazu kurz Brenner: »Zwischen Ost und West«, 323. Zápis ze schůzí ÚV SPB , 12.–13.7.1952, NA , f. ÚV SPB , Kt. 52. – Zur gemeinsamen Betrachtung von NS - Deutschland und der USA als »Faschismus« und »Neofaschismus« siehe etwa auch Masově politická práce v SPB , o. J. [Februar 1953], NA , f. ÚV SPB , Kt. 52. 102 František Ehrmann / Rudolf Iltis (RŽNO) an Tombeau du Martyr Juif Inconnu, 17.7.1961, Mémorial de la Shoah, MDXXXVI-43, Kt. 361 (Expositions. »Révolte du Ghetto de Varsovie«. Correspondance. Hongrie. Tchécoslovaquie. Israël. URSS . Pologne. Yougoslavie. Roumanie. Suisse. 1961). 103 [Josef Hušek:] Návrh hlavního referátu na zasedání ÚV SPB dne 26.11.1966, 14, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55.

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direkte Vergleiche zwischen Hitler und Truman, Reagan oder Ben Gurion (bzw. Saddam Hussein oder Jassir Arafat, letzteres selbstverständlich erst nach dem Ende des Kommunismus).104 Im Jahre 1970, als der Antizionismus in der Tschechoslowakei wieder einmal Konjunktur hatte und der israelische Luftangriff auf eine Schule im ägyptischen Bahr el-Baqra, der über 40 Kindern das Leben kostete, Schlagzeilen machte, fragte ein Journalist im Organ der kommunistischen Partei »Rudé právo« (Rotes Recht): Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen dem konkreten israelischen Piloten, der dieses Massaker auf dem Gewissen hat, einem konkreten amerikanischen Soldaten in Mỹ Lai, der ohne zu zögern auf die Kleinsten schoss, und dem SS -Mann, der in einem Moment eines hässlichen Tages vielleicht 31 jüdische Kinder in die Gaskammer trieb?105

Klassenkampf und Arisierung

Eine wichtige Denkfigur in der Universalisierung des Zweiten Weltkriegs war also jene der Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus, zwischen zwei sich unvereinbar gegenüberstehenden Systemen. Die marxistische Sichtweise sah hinter dem Zweiten Weltkrieg einen Klassenkampf, welcher als Krisenerscheinung des Kapitalismus betrachtet wurde. Angeführt von der Roten Armee und sowjetischen Partisanen habe die Konfrontation zwischen der »Arbeiterklasse« und der »Bourgeoisie« direkt zum Sieg der sowjetischen Gesellschaftsordnung geführt.106 Diese Interpretation ermöglichte eine innenpolitische Instrumentalisierung: Sie konnte als Argument gegen die so genannten »bourgeoisen« Politiker und Rechtsparteien aus der Zwischenkriegszeit eingesetzt werden. Denn diese hätten nicht nur nichts ge104 Unter unzähligen Beispielen siehe etwa Hajčík, Nezapomínáme, 87.  – Kisch, Štěpán: Terezín – Makronisos. In: Věstník 13/48 (1951), [569]f. – František Valach: Terezínské zastavení [Vorlage für einen vielleicht in Rudé právo oder Průboj veröffentlichten Artikel], o. J. [1982], SOA Litoměřice, PT, Kt. 20.  – Jan Munk (PT) an Yitzhak Arad (Yad ­Vashem), 5.2.1991, ebd., Kt. 31.  – Frant[išek] Fuchs / O[ta] Heitlinger: Rezoluce mimořádného sjezdu delegátů židovské náboženské společnosti v krajích českých  a moravských, 29.1.1967, NA , f. Ministerstvo školství  a kultury [weiter MŠK], Kt. 56.  – Št.E. [Engel, Štěpán]: Od nacistického plynu k bakteriím japonských imperialistů. In: Věstník 12/2 (1950), [13]f. – Kisch, Štěpán: Mrtví žalují. In: Věstník 14/4 (1952), [29]. – Osborn, Andrew: Czech PM upbraided for comparing Arafat to Hitler. In: The Guardian vom 20.2.2002, URL: http://www.theguardian.com/world/2002/feb/20/israel1 (am 15.3.2014). 105 -md-: Už i děti… In: Rudé právo vom 10.4.1970, 7. – Siehe ähnlich drastisch bei Skála, Ivan: Jdou sem. In: ebd. vom 3.7.1982, Archiv Beit Theresienstadt, Givat Chaim Ichud (Israel) [weiter ABT], Kt. 371 (Zeitungsausschnitte). 106 Beneš: Das Bild des Zweiten Weltkriegs, 130. – Pátek: Československé dějiny, 6.

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gen die Okkupation der Tschechoslowakei unternommen, sondern nähmen – als Vertreter des »Kapitalismus«  – auch ideologisch einen dem Nationalsozialismus verwandten Standpunkt ein.107 Für die vorliegende Fragestellung hatte diese Sichtweise des Klassenkampfes eine noch weit bedeutsamere Konsequenz: So wie nicht mehr primär zwischen Tschechen und Deutschen unterschieden werden sollte, sondern in erster Linie zwischen »bürgerlichen« und »fortschrittlichen« Personen, sollten genauso Juden nach diesen Kriterien bewertet werden. Ein Dokument über die Gedenkstätte Theresienstadt aus den 1950er Jahren erklärte, es gehe nicht so sehr darum, zwischen Juden und Nichtjuden zu unterscheiden, sondern zwischen Bourgeoisie und Proletariat.108 Um erklären zu können, wieso die Juden ermordet wurden, so heißt es weiter, müsse gezeigt werden, dass auch jüdische Kapitalisten dem Faschismus an die Macht geholfen hätten. Man müsse danach fragen, wieso viele jüdische Proletarier im Konzentrationslager ermordet wurden, aber der  – als Kapitalist und Gegner der Kommunisten verleumdete  – Jude Léon Blum nicht.109 Derselben Argumentationslogik folgte Václav Král, als er daran erinnerte, dass reiche Juden mit Hilfe von »fetten Lösegeldzahlungen« ausreisen hätten können, während arme Juden nur als »Material für die Gaskammern« angesehen worden seien.110 Vertreter dieser marxistischen Lesweise gingen häufig auf die als »Arisierungen« bezeichneten Konfiskationen jüdischen Eigentums ein. Diese wurden jedoch nicht als antisemitische Maßnahmen beschrieben, sondern als ein Aspekt der Auseinandersetzung zwischen tschechischer und deutscher »Bourgeoisie«, die sich im Wettkampf um das Vermögen der Juden gegenüber gestanden hätten.111 Das Thema der Arisierung bekräftigte somit einerseits die marxistische Sichtweise des Primats der Ökonomie112 und diente andererseits dazu, die tschechischen Rechtspolitiker der Kollaboration mit den Nationalsozialisten zu bezichtigen. Die Beständigkeit dieser Wahrnehmung wird deutlich etwa in den Arbeiten des jüdischen kommunistischen Historikers Miroslav Kárný, der  – worauf weiter unten näher eingegangen wird  – noch in den 1980er Jahren die Anfänge der Judenverfolgung im Protektorat und die Arisierungen behandelte, um die Vertreter der tschechischen 107 Hierzu auch Dolezel: Die Katastrophe, 169. 108 O. H.: Terezín včera a dnes, o. J. [Anfang der 1950er Jahre], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 109 Ebd. – Eine ähnliche Argumentationslogik fand sich selbst im Organ der jüdischen Gemeinde: Kiště [Kisch, Štěpán?]: 1. září 1939 – začátek druhé světové války, 1. září 1949 – den světového míru v novém Německu. In: Věstník 11/35 (1949), [389]f. 110 Král: Pravda o okupaci, 251 f., zit. nach Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 266. 111 Hierzu auch Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 265. 112 Nicht gesondert hervorgehoben werden muss die Tatsache, dass diese ausschließlich wirtschaftliche Begründung sowohl des Zweiten Weltkrieges als auch des Holocaust heute obsolet ist. Dazu deutlich etwa Bauer: Die dunkle Seite, 49.

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»Bourgeoisie« zu diffamieren.113 Nicht zuletzt trug die Tatsache, dass die Verfolgung der Juden fast ausschließlich vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Querelen zwischen deutschen und tschechischen Kapitalisten betrachtet wurde, wesentlich zur Tradierung des antisemitischen Stereotyps der wohlhabenden, besitzenden Juden bei. Die Arisierungen wurden allerdings nicht bloß dargestellt, um die tschechischen rechtsgerichteten Politiker zu kompromittieren, sondern auch, um zu zeigen, wie sich langsam – und mit Hilfe der heimischen »Reaktionäre« – die Nationalsozialisten »tschechisches Eigentum« angeeignet hätten. Diese Auffassung der Arisierung als einer Maßnahme zur Germanisierung der böhmischen Länder war bereits vor der kommunistischen Machtübernahme sehr präsent. So hieß es in den tschechoslowakischen Materialien für den Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher, dass die Germanisierung des Privateigentums »unter der Losung ›Arisierung‹« begonnen worden sei.114 Ebenso deutete Václav Král das Bemühen, »das arisierte Vermögen in deutschen Händen zu konzentrieren, als Element eines durchdachten Plans zur Germanisierung der böhmischen Länder.«115 Jaroslav Pátek, Autor eines Schulbuchs zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs aus den 1970er Jahren, fügte hinzu, dass es sich bei den Arisierungen letztlich mehr um eine gegen die Tschechen als gegen die Juden gerichtete Politik gehandelt hätte: Die Arisierung bezog sich auch auf jene Unternehmen, in deren Verwaltungsrat vielleicht nur ein jüdischer Angehöriger saß, oder in welchen der Anteil der jüdischen Kapitalbeteiligung 25 Prozent erreichte. Ein ähnliches Schicksal sollte nach dem siegreichen Krieg auch das übrige tschechische Kapital ereilen.116

Außerdem entstand oft ein verzerrtes Bild der Verfolgung der Juden, wenn die antisemitische Politik der Protektoratsregierung und der National­sozialisten nur am Beispiel der frühen wirtschaftlichen und beruflichen Diskriminierungen beschrieben wurde. Diese Konzentration auf ökonomische Aspekte der Shoah brachte mit sich, dass mit der Deportation die Juden aus der »tschechischen Geschichte« ausschieden. Die Partikularität des Holocaust wird allerdings erst sichtbar, wenn man die Entwicklungen bis zur massenhaften Er­mordung betrachtet, wenn man den europäischen Kontext mit einbezieht, denn die Mehrzahl der tschechischen Juden wurde jenseits der Protek­toratsgrenzen ermordet. Als die Politik der Nationalsozialisten immer 113 Kárný: Die »Judenfrage«, besonders 146. 114 Československo a norimberský proces, 105. – Zur Idee der Arisierung als eine der »Germanisierungs-Aktionen« weiter jr.: Okupační škody činí na dva tisíce miliard Kčs. In: Lidová demokracie vom 25.4.1946, 1 f. – Kolman: Ideologie, 31. 115 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 265. 116 Pátek: Československé dějiny, 12.

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deutlicher darauf hinauslief, als »Lösung der Judenfrage« die restlose Ermordung der europäischen Juden zu verfolgen, das heißt um den Jahreswechsel 1941/1942,117 hatten die Deportationen der tschechischen Juden bereits begonnen, zunächst nach Theresienstadt, ab Januar 1942 dann auch weiter nach »Osten«.118 Für viele Autoren war daher das weitere Schicksal der deportierten Juden kein Thema der Nationalgeschichte mehr. All die vorgestellten Interpretationen sind universalistische Deutungen und betrachten sowohl Nationalsozialismus als auch Holocaust keineswegs als partikulare, einzigartige historische Erfahrungen. Dem nationalistischen Geschichtsverständnis zufolge handelte es sich im Zweiten Weltkrieg um den Höhepunkt des deutsch-tschechischen Gegensatzes und die Vollendung der »nationalen Wiedergeburt«. Nach dem marxistischen Geschichtsverständnis, gleichermaßen teleologisch ausgerichtet, markierte der Krieg den Kulmina­ tionspunkt der Krise des kapitalistischen Systems. Wie Anson Rabinbach beobachtete, marginalisierte die Erinnerung an den Antifaschismus den »Massenmord an den Juden, weil dieser Massenmord ein Topos war, der die Sphäre des ›ewigen Kampfes‹ zwischen Kommunismus und Faschismus überstieg und daher die offizielle Meistererzählung zu destabilisieren drohte.«119 Dieser Bedeutungslosigkeit, die dem Holocaust zukam, entsprachen die Begriffe, die im Tschechischen lange Zeit für die Verfolgung und Ermordung der Juden verwendet wurden: Rassismus konnte Rassismus gegen Slawen bedeuten, als »Endlösung« konnte jene der »tschechischen Frage« verstanden werden, Genozid und Vernichtungspolitik habe genauso Russen, Polen und Tschechen betroffen. Einerseits wurde folglich übersehen, dass der nationalsozialistische Rassismus, wie Yehuda Bauer gezeigt hat, »untrennbar mit einem radikalen Antisemitismus einherging« und dass die Rassenideologie »in ihrem Innersten antisemitisch« gewesen sei.120 Andererseits wurde aber durchaus der nationalsozialistische Antisemitismus betont, wie am Beispiel der Interpretation der Arisierungen gezeigt werden konnte – allerdings, um die Idee zu bekräftigen, der zufolge die tschechische Nation in ihrer Existenz bedroht gewesen sei. Der Antisemitismus, so beobachtete Michal Frankl, konnte als eine Erscheinungsform des Rassismus »im Gesamtzusammenhang des tschechischdeutschen Konflikts verortet werden und wurde als Germanisierung rekontextualisiert.«121 In der Tat amalgamierte beispielsweise der Film­k ritiker, Regisseur und Photograph Ivan Soeldner die unterschiedlichen Verfolgungen 117 Marrus: L’Holocauste, 50. 118 Allgemein zum Holocaust der tschechischen Juden und den Deportationen siehe Kárný: »Konečné řešení«. 119 Rabinbach: Begriffe, 41. 120 Bauer: Die dunkle Seite, 67. 121 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 266.

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im Zweiten Weltkrieg, als er im Oktober 1961 für das Organ des Verbands der antifaschistischen Kämpfer den Film des schwedischen Dokumentaristen Erwin Leiser über Adolf Eichmann besprach. Soeldner bewertete den Film positiv, da er zeige, »wie in der Praxis der Antisemitismus sehr schnell in einen geplanten bestialischen Mord aller nichtdeutscher Nationalitäten überging.«122 Ähnlich erinnerte der erste Rektor der Karlsuniversität nach dem Kriegsende, Jan Bělehrádek,123 im Jahre 1947 daran, dass – solange der Antisemitismus existiere – es auch neue Theresienstadts und Lidices geben werde.124 Abgesehen davon, dass er unter Theresienstadt wohl weniger das Ghetto als die Kleine Festung, in der er gegen Kriegsende selbst inhaftiert gewesen war, verstand, kann die Vernichtung des Ortes Lidice und die Ermordung bzw. Deportation seiner Einwohner im Juni 1942 nicht auf den nationalsozialistischen Antisemitismus zurückgeführt werden. Diese standen im Kontext der Repressionswelle, die dem Attentat auf Reinhard Heydrich Ende Mai 1942 gefolgt war. Durch die Radikalität und Brutalität, die der Auslöschung des Ortes zu Grunde lag, war bereits während des Krieges Lidice zu einem weltweit bekannten Symbol des nationalsozialistischen Terrors geworden.125 In der Tschechoslowakei wurde Lidice zweifellos zu dem Symbol der Unterdrückung des tschechischen Volkes, zum »Symbol unseres Martyriums«, wie es etwa im Jahre 1945 die Tageszeitung »Lidová demokracie« schrieb.126 Die Verbindung des Antisemitismus und des Holocaust mit Lidice stellten nicht allein nichtjüdische Sprecher wie Jan Bělehrádek her, sondern auch – oder sogar vor allem – Juden. Zahlreich sind insbesondere die Repräsentationen des Einsatzes jüdischer Häftlinge aus dem Ghetto Theresienstadt, die nach dem Massaker nach Lidice geführt worden waren, um Massengräber auszuheben und Aufräumarbeiten durchzuführen.127 Im Zuge dieser Aktion waren auch Schafe aus Lidice nach Theresienstadt, in die so genannte »Landwirtschaft« der Lager-SS , geschafft worden, was Ilse Weber, eine deutsch-jüdische Kinderbuchautorin aus Ostrava (Mährisch-Ostrau), noch während ihrer Haftzeit im Ghetto, bevor sie in Auschwitz ermordet wurde, in einem Gedicht verSoeldner, Ivan: Film »Eichmann a třetí říše«. In: Hlas revoluce Nr. 19 vom 5.10.1961, 7. Pousta: Univerzita Karlova. O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121, hier 121. Zu Lidice siehe etwa Pluhařová-Grigienė: Lidice-Ikonographie. – Iggers: Tschechoslowakei / Tschechien, 780 f. 126 U hrobu lidických obětí. In: Lidová demokracie vom 3.11.1945, 2. 127 Siehe unter anderem Schreiben [der DA] an MV: Návrh na vydání Dr. Seidla, September 1945, YVA , O.7cz/265, fol. 55–59. – ŽNO Praha an YIVO, New York, 19.9.1946, CJH, YIVO, RG 116, Box 55, folder 2.36. – -i-: Lidice. In: Věstník 12/23 (1950), 270. – Kulka, Erich: Útěk. In: Židovská ročenka 5723 (1962–1963), 91–98. – Kraus: Aber Lidice. – Weil, Jiří: Lidická ovce. In: Ders.: Hodina pravdy, 80–90. – Siehe auch Adler: Theresienstadt, 101 f.

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ewigt hatte.128 Mit diesem Gedicht – ihrem wohl bekanntesten –129 sei es ihr gelungen, so die Einschätzung Pavel Eisners fünf Jahre nach Kriegsende, die »tschechische nationale Tragödie mit dem jüdischen Leiden in ein monumentales Symbol« zu vereinen.130 Damit sprach Eisner ein wichtiges Moment der tschechischen Erinnerungskultur an: Nicht die Hervorhebung des jüdischen Leides soll Ziel des Gedenkens an die Opfer, und somit Aufgabe der Juden sein, sondern die Verbindung mit dem tschechischen Leid. Angesichts der starken nationalistischen und antisemitischen bzw. antizionistischen Stimmungen in der Öffentlichkeit schien es gar verdächtig, gesondert an die Leiden der Juden zu erinnern. Häufig wurde daher das gemeinsame Schicksal von Tschechen und Juden hervorgehoben. »In den Martern und im Leid […] tat Hitler alle ohne Unterschied zusammen – Arier und Nichtarier«, konstatierte Václav K ­ opecký, kommunistischer Informationsminister, im Herbst 1945.131 Der Dekan der philosophischen Fakultät der Karlsuniversität Jan Rypka erklärte anlässlich der Eröffnung des Jüdischen Museums in Prag 1946, bei den Tschechen habe es keine Antithese Arier  – Nichtarier gegeben, sondern nur den Gegensatz Tscheche – Deutscher.132 Diese bewusste Bagatellisierung der Bedeutung des Holocaust führte in Perioden eines übersteigerten offiziellen Antisemitismus, insbesondere Anfang der 1950er Jahre oder nach der Niederschlagung des Prager Frühlings Ende der 1960er Jahre, so weit, dass jede Erinnerung an die Shoah verdächtigt wurde, für den Staat Israel Stellung zu beziehen oder aber bloß eigennützigen, wirtschaftlichen Zwecken zu dienen. Der erste kommunistische Präsident der Tschechoslowakei, Klement Gottwald, meinte 1952, im Jahr des antisemitisch geprägten Slánský-Prozesses, eines der spektakulärsten Schau­ prozesse Osteuropas: 128 Zur Person Ilse Webers siehe Weber: Wann wohl. 129 Václavek: Terezínské básně, 31 und 34. Im Anschluss an diesen Artikel sind auch einige Gedichte Ilse Webers abgedruckt, darunter Lidické ovce v Terezíně, übersetzt von Pavel Eisner. In: Terezínské listy 5 (1975), 37. – Siehe weiter Informationsbulletin, o. J. [Dezember 1957], 32–35, zit. nach CJH, Leo Baeck Institute [weiter LBI], AR 377, folder 1. – Iltis: Theresienstadt, 154. 130 P. E. [Eisner, Pavel]: Ilsa Webrová. In: Věstník 12/23 (1950), 270. – Auf andere Weise findet sich die Verbindung der Judenverfolgung und der Zerstörung des Ortes etwa auch bei Ota Pavel, dessen Erzählungen in Buštěhrad spielen, einem Nachbarort von Lidice. Pavel: Smrt krásných srnců, 66. – Ebenso in der Verfilmung durch Karel Kachyňa: Smrt krásných srnců, Regie und Drehbuch: Karel Kachyňa, Tschechoslowakei 1986, 86 Min., hier 1:17:20. 131 Auszug aus Kopeckýs Rede in S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12, hier 11. – Ähnlich die Ansprache der kommunistischen Abgeordneten Anežka Hodinová-Spurná im April 1947, zit. nach Dr I. [Iltis, Rudolf]: Slavnostní zahájení Evropské konference World Jewish Congressu 22. dubna 1947. In: Věstník 9/9 (1947), 118. 132 ESO: Praha má opět Židovské museum. In: Lidová demokracie vom 25.6.1946, 2.

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Die zionistischen Organisationen und deren amerikanische Prinzipale treiben ein schändliches Spiel mit den Leiden, die Hitler und die übrigen Faschisten über die Juden gebracht haben. Man kann direkt davon sprechen, dass sie aus der Asche von Auschwitz und Maidanek Kapital schlagen wollen.133

Auch sechs Jahre später wurde diese Auffassung in einem Bericht der Abteilung für Kirchenfragen des Schul- und Kulturministeriums wiederholt: »Was für all unsere Juden charakteristisch ist, sind deren andauernden Bemühungen, aus dem von der Nazi-Verfolgung verursachten Leid unterschiedliche Vorteile und Zugeständnisse zu erwirken.«134 Anfang der 1970er Jahre ging man aus ähnlichen Gründen daran, in der Gedenkstätte Theresienstadt die Verfolgung der Juden darzustellen, um die »unheilvolle Rolle des Zionismus«135 in Geschichte und Gegenwart aufzuzeigen – davon wird im nächsten Kapitel noch die Rede sein. Antisemitismus und die Einzigartigkeit des Holocaust

Sowohl aus nationalistischen als auch aus ideologischen Gründen schien es folglich nicht opportun, die Partikularität der Verfolgung und Ermordung der Juden zu betonen – und diese Lesart wurde in vielen Fällen, wie am Beispiel Lidices gezeigt wurde, auch von jüdischen Autoren übernommen. Dennoch versuchten einzelne Personen, und zwar gemeinhin Juden, dieser Marginaliserung eine Gegenversion gegenüberzustellen, um die Einzigartigkeit des Holocaust zu unterstreichen. Dies geschah einerseits über den Hinweis auf die quantitativen Ausmaße der Shoah, andererseits, indem die antisemitischen Triebfedern des Nationalsozialismus hervorgehoben wurden. Gewiss, die nationalsozialistische Politik in ihrer antisemitischen Logik zu betrachten, ist nur in relativ wenigen Dokumenten aus der Zeit vor 1989 zu finden. Diese sind jedoch umso bemerkenswerter. Kurt Wehle schrieb in der ersten Nummer des im September 1945 wieder gegründeten Organs des Rats der jüdischen Gemeinden, dessen Sekretär er war, ganz eindeutig vom »deutschen Krieg gegen die Juden«, dessen Endziel die Vernichtung (zničení) der Juden gewesen sei.136 Vor allem aber verstand er

133 Klement Gottwald auf der gesamtstaatlichen Konferenz der KSČ am 16. Dezember 1952, zit. nach Kulišová: Kleine Festung Theresienstadt, 42. 134 Heitlinger: In the Shadows, 51. 135 Dokument des Odbor kultury SKNV: Harmonogram k vládnímu usnesení č. 446/68 o Památníku Terezín, o. J. [Oktober 1974], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 136 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4.

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den nationalsozialistischen Antisemitismus als einen der zentralen Auslöser des Zweiten Weltkrieges: NS -Deutschland habe die Juden als inneren Feind betrachtet, wobei sich der »Kampf der Deutschen gegen die Juden und alles Jüdische in den Krieg verwandelte.«137 Wehle deutete folglich an, was nach Jahrzehnten teils heftiger Debatten heute von den meisten Historikern geteilt wird: Der Antisemitismus, wiewohl keine deutsche Erfindung, nahm einen zentralen Platz in der nationalsozialistischen Bewegung ein, und zwar nicht als eine ihrer Begleiterscheinungen, sondern als eines ihrer Fundamente.138 Genauso erinnerte der aus dem Ausland zurückkehrende jüdische Soldat Štěpán (später Stephen) Barber an die Vorzeitigkeit des Antisemitismus, da NS -Deutschland »allem Jüdischen bereits den Krieg erklärt hatte, lange bevor in Europa die Geschütze erdröhnten.«139 Manche Stimmen beklagten während der frühen Prozesse gegen NS Kriegsverbrecher, dass die antisemitischen Beweggründe der mörderischen Politik Deutschlands nicht berücksichtigt worden seien. Zwar konnte man diesen Vorwurf, im Zuge des aufkommenden Kalten Krieges, in eine politisch opportune Anklage gegen das vermeintlich neofaschistische Westdeutschland einbetten. Dennoch zeugt dieses Urteil von einer frühen Sensibilität für die Bedeutung der antisemitischen Dynamiken, die erst den Holocaust ermöglicht hatten. So kritisierte Štěpán Engel den Freispruch des Schauspielers und Regisseurs Veit Harlan, der mit seinem filmerischen Schaffen den Nationalsozialismus propagiert und im Jahre 1940 den antisemitischen Film »Jud Süß« gedreht hatte. Als Harlan im März 1949 in Hamburg vor Gericht gestellt wurde, warf man ihm vor, durch diesen Film Mitschuld an der Verfolgung und Ermordung der Juden zu tragen, denn auch Beihilfe zur Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen wurde laut den Kontrollratsgesetzen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit angesehen.140 Der Freispruch Harlans zeige, so Štěpán Engel, dass die »nazistische faschistische antijüdische Propaganda […] ganz und gar aus dem Register der Kriegsverbrechen gegen die Menschlichkeit gestrichen« worden sei.141 Engel plädierte demgegenüber dafür, keinen Unterschied zu machen zwischen dem »moralischen Genozid« und dem »faktischen Genozid«, das heißt zwischen der Vorbereitung und Anstiftung zum Mord und dem tatsächlichen Verbrechen, denn ein »normales Gehirn mit redlichem Urteilsvermögen« könne

137 Ebd. 138 Zusammenfassend etwa Marrus: L’Holocauste, 26–39. – Auch Yehuda Bauer macht die Bedingung des nationalsozialistischen Rassismus und des Sozialdarwinismus durch den Antisemitismus – und nicht umgekehrt – stark. Bauer: Die dunkle Seite, 67. 139 Barber, Štěpán [Stephen]: Vrátili se vojáci. In: Věstník 7/1 (1945), 6. 140 Siehe etwa Reichel: Vergangenheitsbewältigung, 129–138. 141 Št.E. [Engel, Štěpán]: Našli se soudci. In: Věstník 11/19 (1949), 217 f., hier 217.

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nicht daran zweifeln, »dass ein direkter kausaler Zusammenhang besteht zwischen der antisemitischen Propaganda auf der einen Seite und zwischen den Kriegen und den genozidalen Morden auf der anderen.«142 Auf gewisse Weise war damit Štěpán Engel seiner Zeit voraus, da er den Holocaust nicht als ein von Anbeginn an klar definiertes Ziel der Nationalsozialisten betrachtete, sondern die Dynamik der Radikalisierung unter Beteiligung von Intellektuellen betonte, zu der auch die antisemitische Propaganda gehörte.143 Andere Autoren gingen zwar in der Analyse nicht so weit. Dennoch hoben sie die Tatsache hervor, dass die Juden jene Gruppe bildeten, die im Zweiten Weltkrieg »die größten Opfer« gebracht hätte144  – eine Feststellung, der im Übrigen auch manche nichtjüdische Stimmen direkt nach Kriegsende beipflichteten.145 Zudem unterstrichen sie die »besonders gründlichen und besonders raffinierten Maßnahmen der Deutschen« gegen die Juden.146 Die Juden seien der »Feind Nummer Eins« gewesen,147 ihre besondere Situation sei darauf zurückzuführen, dass die Verfolgung der Juden »­ total« gewesen sei.148 Die Einzigartigkeit und historische Präzedenzlosigkeit dieses Verbrechens wurde folglich durchaus herausgestellt. Die Verfolgung und Ermordung der Juden sei »ohne Analogie in der Geschichte der Menschheit«.149 In einem Artikel aus dem Jahr 1964, den der Holocaust-Überlebende Arnošt Basch im Organ des Rats der jüdischen Gemeinden veröffentlichte, sprach er sogar davon, dass aus diesem Grunde in keiner menschlichen Sprache ein Wort existiere, das im Stande wäre, dieses Verbrechen auszu­drücken.150 Wenngleich eine minoritäre Sichtweise, sahen eine Reihe jüdischer Personen – und zwar bereits in den ersten Jahren nach dem Kriegsende – hinter dem Holocaust ein einzigartiges, beispielloses Ereignis. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Detailkenntnisse nicht den heutigen entsprachen.

142 Ebd., 218. 143 Vgl. hierzu die allgemeinen Überlegungen zum Stellenwert des Antisemitismus im Nationalsozialismus und der Rolle der Intellektuellen, etwa bei Bauer: Die dunkle Seite, 49–61. 144 Frischer, Arnošt: Přežili jsme. In: Věstník 7/1 (1945), 1. 145 Radiosendung von Dr. Dvořáková vom 2.9.1947 im regionalen Radio Krušnohorský rozhlas, zit. nach: Žena zvedá svůj hlas proti goebbelsovštině. In: Věstník 9/20 (1947), 297. – Siehe hierzu auch Čižinská: Nástin reflexe holocaustu. 146 Arnošt Frischer in S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12. 147 U pana presidenta. In: Věstník 7/4 (1945), 26 f. 148 Arnošt Frischer in Zápis o schůzi přípravného výboru Židovské náboženské obce v Praze ze dne 15. října 1945. In: Věstník 7/4 (1945), 30. 149 Langer, Frant[išek]: Zapomínání. In: Věstník 8/15 (1946), 138 f. – Die Beispiellosigkeit in der Geschichte sprach auch Arnošt Frischer an. U pana presidenta. In: Věstník 7/4 (1945), 26 f. 150 Basch, A[rnošt]: Doslov. In: Věstník 26/5 (1964), 6.

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Zwei gesellschaftliche Faktoren sollen hier angeführt werden, um zu klären, wieso dieser Blickwinkel minoritär blieb. Der eine betrifft die Exter­ nalisierung des Antisemitismus und dessen Wahrnehmung als etwas per definitionem Deutsches oder zumindest dem tschechischen Volk Fremdes. Der zweite steht damit direkt in Zusammenhang und stellt die klare Trennung in eine jüdische und eine tschechische Geschichte dar, wobei die Shoah in erstere ein- und aus letzterer ausgegliedert wurde. Die Externalisierung des Antisemitismus aus dem öffentlichen Diskurs hatte gesellschaftliche und politische Gründe. Als Štěpán Engel im Mai 1949 scharfe Kritik am Freispruch Veit Harlans übte, war ein Jahr seit der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei vergangen, und die offizielle Gründung der beiden deutschen Staaten stand kurz bevor. Ganz abgesehen von den inhaltlichen Akzenten seiner Deutung muss Engels Artikel auch als Angriff auf Westdeutschland verstanden werden. Wie viele andere nahm er die Verbrechen der Nationalsozialisten zum Anlass, um das »neofaschistische« System des westlichen Nachbarn anzuprangern, in welchem der Antisemitismus – als eine Begleiterscheinung des Kapitalismus und damit des Faschismus – weiter floriere. Anders betrachtet bedeutete diese Sichtweise selbstverständlich, dass in sozialistischen Gesellschaften wie der Tschechoslowakei der Antisemitismus höchstens als Rest »bourgeoiser Einflüsse« existiere. In der Tat waren sich zahlreiche Kommentatoren der Nachkriegszeit einig  – und zwar Juden wie Nichtjuden in gegenseitigem Einverständnis  –, dass dem tschechischen Volk antisemitische Haltungen fremd seien. Auch wenn manche die heimischen Traditionen eines nationalen und sozioökonomischen Antisemitismus anerkannten, so waren sie überzeugt davon, dass der rassistische Antisemitismus der Nationalsozialisten trotz mehrjähriger Propaganda unter den Tschechen »keinen Boden« gefunden habe.151 Die Mehrheit der Tschechen hätten schon lange die »Niedertracht [podlost] des Antisemitismus« erkannt.152 Daher mussten auch die »Deutschen«, so der Kulturreferent der Stadt Prag auf einem Vortragsabend über die »jüdische Frage«, »ihr antisemitisches Programm selbst durchführen.«153 Dieses Motiv des den Tschechen fremden Antisemitismus und damit der Schuldlosigkeit der Tschechen sollte sich als außergewöhnlich beständig erweisen. Es ist einer der Gründe für die kaum festzumachende Auseinandersetzung mit der tschechischen Haltung gegenüber den Juden während des Zweiten Weltkriegs. Selbst in der Schlussrede des Hauptanklägers Josef -­ Urválek im Slánský-Prozess, einer nur schlecht hinter Antizionismen und 151 Šíma, Jaroslav: Ještě židovská otázka. In: Služba repatriantům Nr. 67 vom 3.11.1945, 1. – Kučera, Karel: Jak proti antisemitismu. In: Věstník 7/4 (1945), 30. 152 Kolman: Ideologie, 45. 153 Václav Jaroš in O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121, hier 119.

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Antikapitalismen kaschierten antisemitischen Hetzrede, durfte der Verweis auf den Widerwillen, den das tschechische und slowakische Volk seit jeher gegenüber dem Antisemitismus hege, nicht fehlen.154 Bis heute wird die legendenhafte Behauptung von der tschechischen Solidarität gegenüber den verfolgten Juden bemüht sowie die Auffassung, dass, sollten sich die Tschechen an ihren jüdischen Mitbürgern vergangen haben, dies erst mit den antisemi­ tischen Prozessen der stalinistischen 1950er Jahren erfolgte – eine Sichtweise, auf die weiter unten noch näher eingegangen wird. Die Vorstellung des »fremden« Antisemitismus trug zur Wahrnehmung des Holocaust als Teil  einer »fremden« Geschichte bei. Dies ist der zweite, die Einzigartigkeit des Holocaust negierende Faktor. In der Tat kann beobachtet werden, wie bereits unmittelbar nach Kriegsende die »jüdische« und die »tschechische« Sicht auf den Zweiten Weltkrieg getrennte Wege gingen. Dies wird im nächsten Kapitel über die Repräsentationen von Theresienstadt in extenso diskutiert, soll daher hier bloß anhand eines sehr frühen Beispiels angesprochen werden: der Prager »Dokumentationsaktion« (Dokumentační akce). Diese von jungen Zionisten und Überlebenden des Ghettos Theresienstadt 1945 ins Leben gerufene Initiative setzte sich zum Ziel, diverses Dokumentationsmaterial über die Verfolgung und Ermordung der Juden, antisemitische Publikationen und künstlerische Darstellungen des Holocaust zu sammeln.155 Außerdem fertigte sie, ähnlich den historischen Kommis­ sionen in anderen Ländern,156 Berichte mit jüdischen Überlebenden an. Zeev Shek, der Leiter der Dokumentationsaktion, verstand diese Tätigkeit eindeutig als eine Aufgabe der Juden.157 Er war sich der allgemeinen gesellschaftlichen Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Juden bewusst und wandte sich Ende August 1945 in einem Schreiben an einen Vertreter der zionistischen Jewish Agency, von welcher er eine größere Unterstützung erwartete: »Wer denn soll das Interesse haben, alle Spuren dieser Ereignisse und alle Reliquien aufzulesen, wenn nicht wir? Schon jetzt fadisieren [langweilen; d.Vf.] sich die Menschen beim Lesen der K-Z Berichte und die Vorführung von Leichenexhumationen lässt sie kühl.«158 Die staatlichen Stellen waren eher beschäftigt mit der Dokumentation der Verfolgung der Tschechen 154 Proces s vedením, 504. 155 Die Geschichte der Dokumentationsaktion in Prag (und Bratislava) wurde bislang noch nicht detailliert beschrieben. Zu den folgenden Ausführungen siehe die Dokumentation in YVA , O.7cz, insbesondere die files 263–265, sowie YVA , AM .1, insbesondere file 225. Kurz erwähnt wurde die Prager Dokumentationsaktion etwa von Friedman: European Jewish Research, 515, und von Krakowski: Memorial Projects, 392. 156 Allgemein hierzu Jockusch: Collect. 157 Deutsches Schreiben von Zeev Shek an R. Adler [Salomon Adler-Rudel], 29.8.1945, YVA , O.7cz/263, fol. 161 f. 158 Ebd.

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und Slowaken159 und überließen der Dokumentationsaktion den »anderen« Part, das heißt die Dokumentation der Verfolgung der Juden.160 Während folglich die »tschechische« Geschichte dem Holocaust kaum Aufmerksamkeit schenkte, deuteten Zeev Shek und seine Mitarbeiter den Nationalsozialismus eindeutig als eine »einzigartige Demonstration der Geschichte und des Antisemitismus«.161 Diese Trennung in zwei sich gegenüberstehende Perspektiven auf den Zweiten Weltkrieg prägte jahrzehntelang die tschechische Erinnerungs­ kultur – und von einer erfolgreichen Synthese der beiden Verständnisse kann auch in der Gegenwart, wie im letzten Kapitel der Arbeit zu zeigen sein wird, keine Rede sein. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Wahrnehmung des Antisemitismus besonders seit den 1960er Jahren durchaus bedeutsame Veränderungen erfuhr. Der Sekretär des Rats der jüdischen Gemeinden Ota Heitlinger ging etwa im Jahre 1968 auf bisherige Erklärungsmodelle des Holocaust ein, die diesen allein im Rahmen der nationalsozialistischen Expansionspolitik, als Aspekt der Unterdrückung der tschechischen Nation oder unter ökonomischen Vorzeichen betrachteten. Heitlinger zufolge seien diese Interpretationen nicht zufrieden stellend, denn der Holocaust müsse auf die extreme Form des nationalsozialistischen Antisemitismus zurückgeführt werden und sei keinem anderen politischen Ziel untergeordnet. Er stellte auch klar den Unterschied gegenüber der Verfolgung der Tschechen heraus: Diese hätten die theoretische Möglichkeit der Assimilierung und Germanisierung gehabt. Selbst wenn die Haltung der Nationalsozialisten gegenüber der tschechischen Nation »feindselig« gewesen sei, habe man ihr nicht das »Recht auf physische Existenz« verweigert.162 Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und die Rückkehr zu einer dogmatischen Betrachtungsweise des Zweiten Weltkriegs hat dazu bei­ getragen, dass Überlegungen wie die eben zitierte in einer breiteren Öffent­ lichkeit nicht weiter entwickelt wurden. Von Bedeutung waren diese Tenden159 In den Unterlagen der Dokumentationsaktion ist mehrmals von einem fehlenden Interesse der offiziellen Stellen die Rede, zugleich aber auch von einer »Konkurrenz, der wir nicht gewachsen sind«. Schreiben an Palcor [Palestine Correspondence], London, 11.9.1945, YVA , O.7cz/263, fol. 163 f. – Auszug aus dem Brief an die Leitung der Jewish Agency for Palestine, London, 27.9.1945, ebd., fol. 168 f. 160 Der Dokumentationsaktion wurde im September 1945 vom tschechoslowakischen Innenministerium eine Bescheinigung ausgestellt, der zufolge sie, stellvertretend »für alle jüdischen Instanzen«, beauftragt werde, Material über den »nazistischen Terror« zu sammeln. Siehe etwa Zeev Shek an Dokumentační akce Bratislava. Jewish Agency for Palestine (Oskar Krasnianský), 26.9.1945, YVA , O.7cz/263, fol. 167. – Schreiben der Dokumentační akce an Kurt Wehle (Sekretariát ŽNO), 2.10.1945, ebd., fol. 45. 161 Dokumentární akce ŽNO v Praze. In: Věstník 7/1 (1945), [8]. – Deutsches Schreiben von Zeev Shek an R. Adler [Salomon Adler-Rudel], 29.8.1945, YVA , O.7cz/263, fol. 161 f. 162 Heitlinger, O[ta]: Památník Terezín vypisuje soutěž. In: Věstník 30/2 (1968), 4 f., hier 4.

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zen dennoch, wie etwa in den Publikationen des Samizdat der 1970er und 1980er Jahre gesehen werden kann. Sie knüpften an die Entwicklungen der 1960er Jahre an und führten die Diskussionen um die Partikularität und Einzigartigkeit des Holocaust fort. So setzten sich in den im Dissens zirkulierenden Texten langsam auch die heute allgemein üblichen Begriffe Holocaust und Shoah durch.

1.2 Theresienstadt: Golgatha der tschechischen Nation, Symbol des kommunistischen Widerstandes oder der Shoah? »Theresienstadt« ist in der tschechischen Erinnerungskultur omnipräsent und kann in seiner Wahrnehmung durchaus mit dem Ort des national­ sozialistischen Terrors in den böhmischen Ländern, Lidice, verglichen werden. Theresienstadt, das oft als das größte Konzentrationslager auf dem Boden der Tschechoslowakei beschrieben wird, ist jedoch in allererster Linie in Form der Kleinen Festung, des ehemaligen Gestapo-Gefängnisses, ein unbestrittener tschechischer Erinnerungsort. Dort wurde die Gedenkstätte Theresienstadt eingerichtet, dort (lange Zeit ausschließlich dort) fanden die nationalen Befreiungsfeiern im Mai statt, dorthin wurden (und werden) Schüler und Touristen geführt.163 Die Geschichte des Ghettos Theresienstadt hingegen erfreute sich deutlich weniger gesamtgesellschaftlicher Aufmerksamkeit, was dazu führte, dass bereits in den 1960er Jahren Beobachter von einem Verschweigen, vom »stummen Theresienstadt« sprachen.164 Doch auch das Ghetto hatte seine vielfältigen und äußerst zahlreichen Repräsentationen in der tschechischen Nachkriegsgesellschaft, sobald man den Blick nicht allein auf das »nationale Gedächtnis«, nicht allein auf das offizielle Geschichtsbild richtet. Mehr als das: Wegen seiner geographischen Lage in relativer Nähe zur Hauptstadt Prag und seiner besonderen historischen Bedeutung im Rahmen der nationalsozialistischen Judenverfolgung besaß auch das »jüdische« Theresienstadt einen essentiellen Platz in der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Für die jüdische Gemeinde der Nachkriegstschechoslowakei, und ganz allgemein in der tschechischen Auseinandersetzung mit dem Holocaust, nahm und nimmt das Ghetto Theresienstadt fraglos eine zentrale Rolle ein, ja dient »Theresien163 Siehe allgemein zur Geschichte der Gedenkstätte Munk: 60 let Památníku Terezín.  – Ders.: Z historie Památníku Terezín. – Blodig: Die Gedenkstätte Theresienstadt in der Vergangenheit. – Ders.: Die Gedenkstätte Theresienstadt – Vergangenheit. 164 Pick, J[iří] R[obert]: Terezínské tabulky. In: Literární noviny 14/43 (1965), 2. – Feder, -­ Richard: Němý Terezín. In: ebd. 14/50 (1965), 2.

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stadt« – in dieser zweiten Bedeutung – durchaus als Symbol, ja Synonym für die Verfolgung und Ermordung der tschechischen Juden. Gerade dieses zweifache Verständnis Theresienstadts, die Gleichzeitigkeit dieser Bedeutungen und Überlappungen macht die Analyse der Repräsentationen Theresienstadts besonders aufschlussreich für das Verstehen der tschechischen Erinnerungskultur. Theresienstadt, die Ende des 18. Jahrhunderts unter Joseph II. – nach dem Namen seiner Mutter Maria Theresia – errichtete militärische Festung,165 hatte während des Nationalsozialismus mehrere Funktionen inne: Einerseits diente ein Teil  außerhalb der Stadt, die so genannte Kleine Festung, als Polizeigefängnis (als Außenstelle der Prager Gestapo), das heißt in erster Linie als Haftstätte für politische Gegner und Widerstandskämpfer, vor allem Tschechen.166 Andererseits  – und ­darunter, meist sogar ausschließlich darunter, wird in Westeuropa, den USA oder Israel »Theresienstadt« verstanden – wurde in der Stadt, der so genannten Großen Festung, Ende 1941 ein jüdisches Sammel- und Durchgangslager eingerichtet: das Ghetto Theresienstadt. Vor dem Krieg hatten hier zusätzlich zu den stationierten Soldaten ungefähr 3.500 bis 4.000 Zivilisten gelebt.167 Bis zum Sommer 1942 wurden diese ausgesiedelt, wodurch die gesamte Festungsstadt in ein geschlossenes Ghetto umgewandelt wurde. Für Juden zunächst aus Böhmen und Mähren, dann auch aus weiteren Ländern, stellte Theresienstadt – so der tschechische Schriftsteller Jiří Weil – eine »Haltestelle auf dem Weg zum Tod« dar.168 Die Definition des jüdischen »Ghettos« in Theresienstadt ist heute zwar die geläufigste, auf Grund seiner außergewöhnlichen Zusammensetzung, seiner propagandistischen Funktion und seiner Sonder­ stellung innerhalb des nationalsozialistischen Lager- und Ghettosystems immer noch strittig.169 Anderslautende Bezeichnungen  – Sammel-, Durchgangs- und Konzentrationslager, Alters-, Privilegierten- und Musterghetto, jüdisches Siedlungsgebiet oder Vorzeigeghetto – finden sich in der Literatur zuhauf. Zudem hat das Ghetto Theresienstadt in der deutschen, beziehungsweise allgemein in der westeuropäischen und anglo-amerikanischen Erinnerungskultur eine andere Bedeutung als in der tschechischen:170 Während 165 Zur Vorgeschichte Theresienstadts bis zur Zeit der Okkupation der Tschechoslowakei siehe unter anderen Kryl: Příspěvek. – Knapp auch Benz: Theresienstadt (2013), 15–21. 166 Nur 10 Prozent der Häftlinge stammten nicht aus dem Gebiet des Protektorats. Polon­ carz: Das Gestapo-Polizeigefängnis, 15. 167 Benz: Theresienstadt (2013), 18 und 38. – Terezín. Kalvarie českého národa, o. S. 168 Weil: Klagegesang, 347. 169 Siehe unter anderen Benz: Theresienstadt (2009). – Pohl: Ghettos. – Kárný: Zur Typologie. 170 Vgl. hierzu Benz: Erzwungene Illusionen. – Sehr deutlich wird dies etwa jüngst wieder im Vorwort zum 9. Band der Buchserie »Ort des Terrors«, wo Theresienstadt ausschließlich als »das ›Altersghetto‹ für privilegierte deutsche Juden, das in Theresienstadt im Protektorat Böhmen und Mähren existierte,« vorgestellt wird. Vorwort. In: Benz: Der Ort des Terrors, Bd. 9, 7–16, hier 13.

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Theresienstadt für deutsche und österreichische (später auch für holländische und dänische) Juden ab Mitte 1942 als »Alters-« und »Prominentenghetto«, als Lager für dekorierte Weltkriegsteilnehmer und jüdische Partner aus nicht mehr bestehenden »Mischehen« diente, stellte Theresienstadt bereits seit November 1941 für Juden aus Böhmen und Mähren ein allgemeines Internierungs- und Durchgangslager dar. Abgesehen von den KZ -Häftlingen aus Evakuierungstransporten am Kriegsende171 wurden ungefähr 140.000 Personen nach Theresienstadt deportiert, davon über 75.000 aus Böhmen und Mähren. In Theresienstadt starben über 33.000 Menschen, 88.000 wurden in Vernichtungslager deportiert.172 Bekannt ist Theresienstadt heute nicht zuletzt wegen seines kulturellen Lebens. Jedoch erscheint oft »[d]ie Faszination der künstlerischen, literarischen, intellektuellen Produktion in Theresienstadt […] abgelöst von den Bedingungen, unter denen sie entstand«, wodurch ein »irreales Bild« vermittelt werde.173 Wolfgang Benz zeigte, wie Theresienstadt zur internationalen »Legende« wurde: Das Ghetto wurde zu einem Ort, »an den Juden zwar deportiert wurden, an dem aber vor allem musiziert und gemalt wurde, wo bedeutende Wissenschaftler gelehrte Dispute hielten, wo bewegende Kinderzeichnungen entstanden und Gedichte geschrieben wurden.«174 Die Problematik besteht darin, dass diese Legende in der Welt zu verbreiten letztlich auch Teil der nationalsozialistischen Pläne war. So hielt Dieter Pohl fest, dass das Ghetto Theresienstadt »vor allem zur Täuschung der mitteleuropäischen Juden und der Weltöffentlichkeit diente, in Wirklichkeit aber nur Durchgangsstation in die Vernichtungsstätten und Todesort für Zehntausende war«.175 Egon Redlich, der während seiner Inhaftierung in Theresienstadt ein Tagebuch führte, resümierte darin im September 1943: »Ein privilegiertes Ghetto… ein Deckmantel für das Blut und die Opfer im Osten. Ein privilegiertes Ghetto, wo täglich hundert Menschen sterben.«176

171 Dabei handelt es sich um ungefähr 15.000 Häftlinge, die ab dem 20. April 1945 in Theresienstadt einlangten. Poloncarz: Die Evakuierungstransporte. 172 Zusammenfassend etwa Benz: Theresienstadt (2009). 173 Benz: Erzwungene Illusionen, 45.  – Ähnlich Oldřich Stránský, der meint, er habe »gemischte Gefühle, wenn ich sehe, wie so viele Jahre nach dem Krieg die kulturelle Bedeutung dieses Ortes hervorgehoben wird«. »Von den Entbehrungen der Tausenden von Menschen jedoch, die hierher wie auf einen Umsteigebahnhof kamen, um weiter dem Tod entgegen zu fahren, erfährt man meiner Ansicht nach in den Ausstellungen zu diesem Thema fast nichts.« Stránský: Es gibt keine Gerechtigkeit, 77. 174 Benz: Theresienstadt (2013), 224. 175 Pohl: Ghettos, 174. 176 Eintrag vom 3.9.1943, zit. nach Kárný: Zur Typologie, 13.

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Eine Hierarchie des Leidens: Semantiken von Theresienstadt

War Theresienstadt nun ein Konzentrationslager? Das so genannte Ghetto? Die Kleine Festung? Oder handelte es sich bei Theresienstadt um einen »Konzentrationslager-Komplex«177  – mit der Kleinen Festung, dem Ghetto und der Grube Richard? Folgt man den nationalsozialistischen Kategorien und dem Organisationsschema, denen zufolge Konzentrationslager der »Inspektion der Konzentrationslager« (IKL) bzw. deren Nachfolgeorganisation, der Amtsgruppe D im SS -Wirtschaftsverwaltungshauptamt (WVHA), unterstanden, dann war Theresienstadt kein KZ .178 Das Ghetto unterstand der Zentralstelle für jüdische Auswanderung in Prag und später dem Zentralamt für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren, das Polizeigefängnis in der Kleinen Festung der Prager Gestapo, während die Grube Richard ein Außenlager des KZ Flossenbürg bildete.179 In der deutschen Historiographie wird Theresienstadt meist in diesem Sinne bezeichnet,180 so auch in der vorliegenden Arbeit. In der Tschechoslowakei findet man jedoch sehr unterschiedliche, im Laufe der Zeit sich verändernde Bezeichnungen für die unterschiedlichen Lager in Theresienstadt. Die Diskussion um deren adäquate Bezeichnung ist dabei nicht allein eine wissenschaftliche, sondern hat eine besondere gesellschaftliche Bedeutung, da Bezeichnungen wie Ghetto oder Konzentrationslager, Sammellager oder Privilegiertenghetto Semantiken konstruieren und reproduzieren, die eindeutige Wertungen transportieren. In einer Hierarchie des Leidens steht demnach das Konzentrationslager oder gar das Vernichtungslager zweifellos über dem Ghetto oder dem Sammel-, Internierungsund Durchgangslager. Zumal unmittelbar nach 1945 das Konzentrations­ lager – oft als »Todeslager« – zu dem Symbol für die Schrecken während des Krieges wurde.181 »Theresienstadt« wurde in der Tschechoslowakei sehr früh und häufig im Singular als das »größte nationalsozialistische Konzentrationslager« auf dem Boden des Protektorats Böhmen und Mähren präsentiert.182 Indem einerseits keine klare Unterscheidung zwischen den einzelnen Teilen Theresienstadts getroffen und andererseits der Kleinen Festung (nicht jedoch unter dieser Bezeichnung, sondern unter jener »Theresienstadts«) besondere Auf177 Unter vielen anderen etwa Novák: Malá pevnost, 5. 178 Zur Kategorisierung siehe etwa Herbert: Die nationalsozialistischen Konzentrations­ lager, hier besonders 25. 179 Langhamerová: Leitmeritz. 180 Siehe zuletzt Benz: Theresienstadt (2013), 7–13. 181 Německý štáb odpověden za »tábory smrti«. In: Lidová demokracie vom 14.7.1945, 2. – Vodička: Úvodem, 9. 182 Unter unzähligen anderen Hajčík: Nezapomínáme, 98.

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merksamkeit gewidmet wurde, erschien das »Konzentrationslager Theresienstadt« lange Zeit synonym mit der »Kleinen Festung und Umgebung«.183 Das Ghetto wurde dabei ausgeblendet.184 Seit Kriegsende wurde die Kleine Festung demnach als Konzentrationslager bezeichnet, wurde sie mit anderen nationalsozialistischen KZs verglichen und in diese eingereiht.185 Selbst wenn manchmal zugegeben wurde, dass zwar offiziell die Kleine Festung kein Konzentrationslager gewesen sei, sondern ein Polizeigefängnis, hieß es meist dennoch: »In Wirklichkeit gehörte die Theresienstädter Kleine Festung zu den Konzentrationslagern der schlimmsten Art.«186 Ja, die Kleine Festung komme den »deutschen Vernichtungs-Konzentrationslagern« völlig gleich.187 Die Zentralität der Kleinen Festung innerhalb der Erinnerung an Theresienstadt sowie ihre quasi selbstverständliche Charakterisierung als Konzentrationslager bedeuten eine hierarchische Unterordnung des Ghettos, das als weniger grausam wahrgenommen wurde und dessen Häftlinge weniger gelitten hätten.188 Der Journalist Josef Vosolsobě, der unmittelbar nach Kriegsende, Anfang Mai 1945, nach Terezín entsandt wurde, berichtete zunächst über die Leiden im Ghetto, bevor er auf die Zustände in der Kleinen Festung zu sprechen kam: »Sahen wir im Theresienstädter Ghetto ein schreckliches Bild menschlichen Leidens, so erschien uns dieser Platz, als wir das Tor zur so genannten Kleinen Festung […] durchschritten hatten, wie ein vollendeter Ort der Sommerfrische.«189 In Zeitungsartikeln der unmittelbaren Nachkriegszeit, die sich dem Schicksal der jüdischen Häftlinge in Theresienstadt widmeten, musste besonders hervorgehoben werden, dass auch im Ghetto die Lebensbedingungen schrecklich waren.190 Dadurch ist das Bestreben mehrerer Vertreter der jüdischen Gemeinde zu erklären, die Darstellung des Ghettos jener der Kleinen Festung anzupassen. In der Tat: Die Tendenz, 183 Kulišová: Malá pevnost Terezín (1955), 197. – So auch bereits in den Gründungsakten des »Mahnmals des nationalen Leides« aus dem Jahr 1947: SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 184 Siehe etwa die frühe Berichterstattung zu Theresienstadt in der Tageszeitung Lidová demokracie: Terezínští odsouzeni k smrti. In: Lidová demokracie vom 20.6.1945, 3. – -solí-: Byl jsem s Tylínkem v Terezíně… In: ebd. vom 3.1.1946, 2.  – P.: Kněží v Terezíně. In: ebd. vom 15.2.1946, 3. – jr.: Noví svědci dokazují Frankovu vinu. In: ebd. vom 5.4.1946, 1 f. – Lomoz, Jan: Terezínský transport. In: ebd. vom 11.4.1946, 4. 185 Selbst etwa bei dem bereits relativ differenzierten Buch von Kulišová: Terezín (1967), 19 und passim. 186 Kulišová: Malá pevnost Terezín (1955), 171.  – Kulišová: Terezín (1967), 11 und 18.  – Romaňák: Pevnost Terezín, 84. – Táňa Kulišová: Malá pevnost Terezín, o. J. [Anfang der 1960er Jahre?], SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. 187 Kypr: Malá pevnost Terezín, 27.  188 Beispielsweise ch: Obětavá práce českých lékařů v Terezíně. In: Lidová demokracie vom 9.6.1945, 3. – Zajíček: Český národ, 71–73 und 212 f. 189 Vosolsobě: Terezínská mučírna, o. S. 190 Siehe etwa Lesný, B.: Terezín  – město odsouzenců. In: Čin, hier zit. nach Věstník 8/1 (1946), 6.

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die Unterschiede zwischen Kleiner Festung, dem Flossenbürger Außenlager Richard und dem Ghetto zu nivellieren und schlicht von »politischen Häftlingen«191 in »Theresienstadt« zu sprechen, hatten auch jüdische Autoren bekräftigt. So wehrten sich die Vertreter der jüdischen Gemeinden gegen die Vorstellung, die Juden in Theresienstadt hätten – anders als die Häftlinge in der Kleinen Festung – »bloß« in einem Ghetto gelitten. Sie gingen beispielsweise gegen die Entscheidung des tschechoslowakischen Sozialministeriums an, den Überlebenden des Ghettos Theresienstadt einen geringeren Anspruch auf Versorgungsgeld zu gewähren, da das Ghetto nicht als Konzentrationslager anerkannt wurde. Die jüdische Gemeinde bekämpfte nicht die prinzipielle Entscheidung, Ghetto-Überlebenden weniger Sozialleistungen zukommen zu lassen; sie forderte also nicht, die Haft im Ghetto jener in einem Konzentrationslager gleichzustellen. Sie wollte stattdessen – sich der semantischen Hierarchisierung der Begriffe wohl bewusst – die Auffassung des Theresienstädter Ghettos als Konzentrationslager durchsetzen.192 Ihre Vertreter argumentierten unter anderem mit der hohen Sterblichkeit unter den jüdischen Häftlingen, mit der bereits begonnenen Errichtung von Gaskammern und mit der Tatsache, dass auch nach der Befreiung noch Überlebende an den Folgen der Haft verstarben. Ging es darum, den Charakter als Konzentrationslager zu belegen, wurden also einerseits die dezimierende Funktion von Theresienstadt betont – ein Häftling von vier sei den Qualen, dem Hunger, den schlechten hygienischen Bedingungen erlegen –, andererseits die Rolle als »›Schleuse‹ für Auschwitz«193 oder »Vorzimmer von Auschwitz«194, als »Sammel- und Umschlagplatz der Transporte in die Vernichtungslager im Osten«.195 Oft war daher abwechselnd vom ehemaligen »Konzentrationslager Theresienstadt  – Stadt« (so auch die offizielle Bezeichnung nach der Befreiung des Ghettos)196 oder vom »Konzentrationslager Theresienstadt – Ghetto« als Charakterisierung, und einfach vom »Theresienstädter Ghetto« als Name die Rede.197 191 Zum Begriff und Verständnis der »politischen Häftlinge« siehe auch weiter unten im Kapitel »Die ermordeten Juden: Opfer – Märtyrer – Helden?« 192 RŽNO an MOPSP, 3.1.1946, YVA , O.7.cz/264 – Siehe auch bereits den Brief der RŽNO an vrchní rada Lang, 8. odbor MOPSP, 21.11.1945, YVA , O.7cz/265, fol. 53. 193 Kárný: Zur Typologie, 13. 194 Kraus, František R.: K 4. říjnu. In: Věstník 11/38 (1949), 429. 195 Dr. Iltis [Iltis, Rudolf]: Jak došlo k založení terezínského ghetta. In: Věstník 10/48 (1948), 532. – Siehe weiter Kumstátová: Petr Kien, o. S. – Pechová: Umění v Terezíně, passim. – Město klamu a sebeklamu. In: Věstník 13/47 (1951), 558. 196 Blodig: Poslední dny, 18. 197 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4. – Zpráva sekretariátu Židovské náboženské obce. In: Věstník 7/1 (1945), 5. – Weiter etwa Dr I [Iltis, Rudolf]: Hasičský sbor v terezínském ghettu. In: Věstník 9/2 (1947), 20. – Výtah z protokolu, o. J. [Januar 1955], NA, f. Ministerstvo kultury [weiter MK] 1953–1956, Kt. 262. – Richard Feder an KNV, odbor kultury, Ústí n.L., 7.12.1954, ebd.

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Jüdische wie nichtjüdische Personen plädierten für die Bezeichnung des »Konzentrationslagers« Theresienstadt, die dazu tendiert, die Unterschiede in den Gründen und der Art der Verfolgung zu übergehen. František Fuchs, stellvertretender Vorsitzender des Rats der jüdischen Gemeinden, betonte im Jahre 1947 das »gemeinsame Leiden, die Hoffnungen und den Kampf in der Kleinen Festung und im Theresienstädter Ghetto« sowie den »gemeinsamen Weg zur Freiheit«.198 Genauso sah der Prager Rabbiner Vojtěch Gottschall im Nationalfriedhof vor der Kleinen Festung ein Symbol, das daran erinnere, dass »Nichtjuden und Juden gemeinsam litten und gemeinsam für dieselbe Sache, für dieselben Werte […] kämpften.«199 Obwohl viele Überlebende einen klaren Unterschied zwischen dem Theresienstädter Ghetto und den Konzentrationslagern machten,200 bemühten sich Vertreter der jüdischen Gemeinde im öffentlichen Raum darum, diese Differenz – und somit die Differenz zwischen dem Schicksal jüdischer Häftlinge und jenem inhaftierter Widerstandskämpfer – abzuschwächen und zu belegen, dass »Theresienstadt [das heißt das Ghetto Theresienstadt; d. Vf.] ein Konzentrationslager war, das sich von anderen Konzentrationslagern nur durch seine raffinierten Foltermethoden unterschied.«201 Es habe sich um das »Konzentrationslager Theresienstadt – Stadt [gehandelt], das die Deutschen auf verlogene Weise Ghetto nannten.«202 Die bewusst oder unbewusst nebulöse Bezeichnung »Konzentrationslager Theresienstadt« war zudem häufig anzutreffen, wenn es sich um Dokumente handelte, die eine größere Breitenwirkung erzielen sollten  – etwa bei Ausstellungen oder Postkarten zu »Theresienstadt«.203 Eine Ausgabe von Karten mit Motiven von Kinderzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt, die das Staatliche Jüdische Museum in Prag Ende der 1950er Jahre herausgab, setzte die Zeichnungen in einen Rahmen aus weißem Stacheldraht vor schwarzem Hintergrund – die manchmal durchaus fröhlichen Zeichnungen vermitteln dadurch einen wesentlich grausameren Eindruck des »Konzentrationslagers Theresienstadt«, dessen Opfer übrigens nicht im Einzelnen – das heißt auch nicht als Juden – beschrieben wurden.204 In den frühen 1960er Jahren ist unter anderem von Seiten der Mitarbeiter der Theresienstädter Gedenkstätte ein Bemühen festzustellen, zwischen den

198 Valná hromada. In: Věstník 9/8 (1947), 108. 199 Bohoslužby v Terezíně. In: Věstník 9/11 (1947), 157. 200 Unter vielen anderen etwa Protokol sepsaný s Bertou Gerzonovou, 19.11.1945, YVA , O.7.cz/225. – Feder: Jüdische Tragödie, 28. 201 RŽNO an MOPSP, 3.1.1946, YVA , O.7.cz/264, 3 f. 202 Dr. Wbr: Další kniha o Terezínu. In: Věstník 9/13 (1947), 189. 203 Dětské kresby z koncentračního tábora Terezín. Soubor 15 pohlednic. 204 Dětské kresby z koncentračního tábora Terezín [15 Postkarten].

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»beiden Konzentrationslagern in Theresienstadt«,205 den »beiden Theresienstadts«,206 das heißt zwischen dem Ghetto und der Kleinen Festung zu differenzieren. Darüber hinaus wurde zunehmend versucht, diese Lager mit anderen nationalsozialistischen Konzentrationslagern in Europa zu vergleichen. Was bislang oft isoliert behandelt wurde und nur in den tschechischen Kontext, in den Kontext der Okkupation der Tschechoslowakei und der Repressionen gegen Tschechen und Slowaken gestellt wurde, betrachtete man nun immer öfter in seiner europäischen Dimension. Vor allem die Tatsache, dass das Theresienstädter Ghetto auch ein Durchgangslager ins KZ Auschwitz war, wurde nun stark gemacht – und zwar nicht allein von jüdischen Überlebenden, sondern etwa vom staatsnahen Verband der antifaschistischen Kämpfer.207 Dadurch wurde auch immer deutlicher die Rolle Theresienstadts im Rahmen der Shoah betont und die Geschichte Theresienstadts langsam im Kontext der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden wahrgenommen. Als ein Meilenstein in der tschechoslowakischen Theresienstadt- und Holocaust-Erinnerung kann die erste  – und bis in die 1990er Jahre einzige  – Mono­graphie zum Ghetto Theresienstadt in der Tschechoslowakei aus dem Jahre 1964 bezeichnet werden. Die Autoren Karel Lagus und Josef Polák trennten das Ghetto als »Konzentrationslager für Juden«208 klar von der Kleinen Festung ab, welche kein »eigentliches Konzentrationslager« gewesen sei, sondern ein Polizeigefängnis, eine Zweigstelle des Prager Gestapogefängnisses Pankrác (Pankratz).209 Demgegenüber sei das »Ghetto« Theresienstadt mit der Aussiedlung der Zivilbevölkerung aus der Stadt Terezín im Sommer 1942 in ein »Konzentrationslager« verwandelt worden, welches das größte KZ auf dem Gebiet der Tschechoslowakei dargestellt habe.210 Dieses »jüdische Konzentrationslager«, so die Direktorin des Staatlichen Jüdischen Museums in Prag, Hana Volavková, stelle eine Ausnahme dar, denn an keinem anderen 205 Zpráva o průzkumné a badatelské činnosti PNU v r. 1962 a plán činnosti v tomto oboru na r. 1963, o. J. [1962], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Diese Bezeichnung der »beiden Theresienstädter Konzentrationslager« findet sich etwa Anfang der 1970er Jahre wieder in: Plnění hlavních úkolů PT v letech 1969–1974, o. J. [1974], ebd. 206 Miroslav Kárný an Václav Novák (PT), 3.11.1973, ebd., Kt. 14. 207 Organizační pokyny ÚV SPB k zajištění kampaně 20. výročí osvobození, 21.11.1964, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. 208 Lagus: Město za mřížemi, 16 und passim. – Diese Bezeichnung, teils sogar mit groß geschriebenem »Židy« für Juden, findet sich besonders ab den 1960er Jahren. Siehe etwa: PNU an Václav Brejtr, 8.4.1961, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. – PNU an SŽM , 21.1.1961, ebd. 209 Lagus: Město za mřížemi, 16. 210 Kulišová: Terezín (1967), [12]. – Siehe auch die Wortmeldung von Václav Dědek auf der Sitzung des Zentralausschusses des SPB im November 1966: Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 26.11.1966, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55, hier 13. – Dazu siehe auch bereits die begriffliche Unterscheidung zwischen »Lager« (November 1941 bis Sommer 1942) und »Ghetto« (seit der Aussiedlung der Zivilbevölkerung) bei Klein: Vliv, 33.

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Ort sei eine komplette Stadt in ein Konzentrationslager verwandelt worden.211 Diese Wahrnehmung führte dazu, dass der Verband der antifaschistischen Kämpfer im Mai 1967 den 25.  Jahrestag der Gründung des Ghettos Theresienstadt feierte, das heißt 25 Jahre nach der Aussiedlung der Bevölkerung und somit der Errichtung eines geschlossenen Ghettos (und nicht 25 Jahre nach der Ankunft des ersten Transportes im November 1941).212 Tendenzen zur Universalisierung und Nivellierung der Unterschiede zwischen der Kleinen Festung und dem Ghetto blieben sehr präsent. So berichtete das Organ dieses Verfolgtenverbands, »Hlas revoluce« (Die Stimme der Revolution), davon, dass vor 25 Jahren das »größte Konzentrationslager auf dem Boden der Tschechoslowakei – Theresienstadt« errichtet worden sei.213 Nichtsdestotrotz bleibt festzuhalten, dass das Ghetto Theresienstadt in den 1960er Jahren immer öfter als ein Konzentrationslager charakterisiert wurde, was  – abgesehen von Fachdiskussionen über die adäquate Bezeichnung – nicht zuletzt eine gesellschaftliche Anerkennung der Schrecken und des Leidens der Ghetto-Häftlinge bedeutete, die diesen unmittelbar nach Kriegsende versagt geblieben war.214 Eine Argumentation für die Verwendung der Bezeichnung »Konzentrationslager« für das Ghetto Theresienstadt lieferte schließlich in den 1970er Jahren der Historiker und Theresienstadt-Überlebende Miroslav Kárný. Er plädierte dafür, – entgegen der Praxis der westdeutschen Geschichtswissenschaften  – »Ghetto« oder »Jüdisches Siedlungsgebiet« als nationalsozialistische Euphemismen aufzufassen. »[A]ber vom ersten Tag an war es nichts anderes als ein Konzentrationslager.«215 Auch er unterschied das »Konzentrationslager für Juden«216 von der Kleinen Festung, in welcher ein Polizei­ gefängnis der Prager Gestapo errichtet worden sei.217 Schon lange bevor 211 Hana Volavková (SŽM) an PNU, 20.4.1961, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. 212 Návrh hlavního referátu na zasedání ÚV SPB dne 26.11.1966, 13, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. – Diskussionsbeitrag von Václav Dědek in Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 26.11.1966, 13, ebd. – Návrh referátu pro zasedání ÚV SPB 8.9.1967, 1, ebd., Kt. 56. 213 Nástup do roku velkých jubileí. In: Hlas revoluce Nr. 25 vom 9.12.1966, 1. 214 Siehe weiter zur Beschreibung als Konzentrationslager Bor: Die verlassene Puppe, 124. 215 Kárný: Zur Typologie, hier 6. – Vgl. dazu auch Friedländer: Das Dritte Reich, 736. Friedländer hält hier in Bezug auf Theresienstadt fest: Das »als Ghetto konzipierte Theresienstadt [fungierte] teils als Sammellager und teils als Konzentrationslager«. 216 So auch in der von der Gedenkstätte Theresienstadt in den 1970er Jahren herausgegebenen Geschichte Theresienstadts: Novák: Malá pevnost, 5. 217 Kárný: Terezínský koncentrační tábor. – Miroslav Kárný kommt zweifellos eine bedeutende Rolle in der Interpretation Theresienstadts zu. Keineswegs kann allerdings – wie Wolfgang Benz auf Grund seiner Nichtbeachtung tschechischer Diskurse es tut – davon gesprochen werden, dass Kárný mit seinen Überlegungen »die Spur« dafür gelegt habe, das Ghetto Theresienstadt als Konzentrationslager anzusehen. Es ist nicht Kárnýs Erklärung, die »Schule machte«, sondern er selbst griff, wie gezeigt wurde, auf Deutungsweisen zurück, die seit Kriegsende den Charakter Theresienstadts als Konzentrations­ lager hervorhoben. Benz: Theresienstadt (2013), 11 f.

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Miroslav Kárný seine Überlegungen  – im Übrigen einer primär nichtjüdischen wissenschaftlichen Öffentlichkeit  – präsentierte, hatte sich eingebür­ gert, vom »Konzentrationslager, genannt Ghetto Theresienstadt«218 zu sprechen, womit die Bezeichnungen, die bereits unmittelbar nach Kriegsende verwendet worden waren, wiederaufgenommen wurden: »Konzentrations­ lager Theresienstadt – Stadt«219 beziehungsweise »Konzentrationslager Theresienstadt – Ghetto«220. Das »Ghetto« war also mehr Name, beschrieben wurde es jedoch zunehmend als Konzentrationslager.221 Ja, das »Ghetto Theresienstadt« sei das »größte Konzentrationslager auf tschechoslowakischem Gebiet« gewesen.222 Und diese Betrachtungsweise blieb dominant, selbst wenn vereinzelte Stimmen darauf aufmerksam machten, dass auf dem Gebiet der Tschechoslowakei eigentlich keine Konzentrationslager errichtet worden seien: So kam bereits in den 1960er Jahren ein Kollektiv von Historikern, das an einer umfassenden Geschichte des Nationalsozialismus im Protektorat Böhmen und Mähren arbeitete, zu dem Schluss, dass auf diesem Gebiet, im Gegensatz etwa zu Polen, keine Konzentrationslager existierten.223 Auf dem Territorium der Tschechoslowakei seien dagegen Internierungs-Einrichtungen angelegt worden, darunter das Theresienstädter Ghetto als Internierungslager für die jüdische Bevölkerung.224 Die Bezeichnung des Konzentrationslagers wurde so üblich, dass in den 1970er und 1980er Jahren oft nur noch vom »Theresienstädter Konzentrationslager« die Rede war, wenn über das Ghetto gesprochen wurde. Diese Wortwahl übernahmen zunehmend auch nichtjüdische Autoren und die Mitarbeiter der Gedenkstätte. Eine Ausstellung in der Kleinen Festung im Jahr 1981, die gemeinsam mit dem Staatlichen Jüdischen Museum eingerichtet worden war, trug den Titel »Konzentrationslager Theresienstadt 1941–1945«. Thema der Ausstellung war die Geschichte des jüdischen Ghettos, dessen Er218 So etwa selbst in der literarischen Verarbeitung von Bor: Terezínské rekviem, 127.  – Ähnlich beispielsweise bei Šteindler, Stanislav: Před 10 lety bylo zřízeno terezínské ghetto. In: Hlas revoluce Nr. 47 vom 22.11.1951, 12. – Fast wortgleich bei Lagus, Karel: Generální zkouška. In: ebd. Nr. 49 vom 4.12.1971, 3. – Weiter Lesný, B.: Terezín – město odsouzenců. In: Věstník 8/1 (1946), 6. – Informationsbulletin Nr. 2 vom Dezember 1956, 3. 219 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4. 220 So unter anderen auch in den Dokumenten der Dokumentationsaktion von 1945: Protokol sepsaný s paní Hedou Grabovou […], bývalým vězněm z koncentračního tábora Terezín – gheto, 29.9.1945, YVA , O.7cz/228. 221 So unter vielen anderen und sehr deutlich bei Petrášová: Terezín, o. S. 222 F. H.: Ghetto Terezín. In: Hlas revoluce Nr. 48 vom 27.11.1971, 1 und 3. – Petrášová: Terezín, o. S. [unpaginierte erste Text-Seite]. 223 Bareš: Odboj a revoluce, 211. 224 Ebd., 213.

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richtung sich zum Zeitpunkt der Eröffnung zum 40. Mal jährte.225 Andernorts war auch nur von »Theresienstadt« die Rede, wiewohl darunter allein das Theresienstädter Ghetto verstanden wurde. Dies war beispielsweise der Fall in Ausstellungen des Staatlichen Jüdischen Museums in Prag. Eine Exposition von 1983 lautete »Theresienstadt in den Zeichnungen der Häftlinge«. Auf der Rückseite des Ausstellungskatalogs wurde der Plan von »Theresienstadt« abgebildet: Es handelte sich allein um das ehemalige Ghetto, die Stadt Terezín. Die Kleine Festung war in diesem Verständnis von Theresienstadt nicht inbegriffen oder wurde als »Polizeigefängnis« klar abgegrenzt.226 Selbst Darstellungen, die dem kämpferischen antifaschistischen Geschichtsverständnis verhaftet blieben und der Verfolgung der Juden kaum Aufmerksamkeit schenkten, übernahmen diese Differenzierung. Oldřich Sládek stellte die Kleine Festung in seiner Arbeit über die »verbrecherische Rolle der Gestapo« aus dem Jahre 1986 »bloß« als Polizeigefängnis dar. Von dort hätten schließlich Transporte in Konzentrationslager geführt.227 Während immer mehr Autoren das anfangs vor allem von jüdischen Autoren vertretene Verständnis des »Konzentrationslagers« Theresienstadt (das heißt des Ghettos) übernahmen, boten sich gleichzeitig diese Bezeichnungen (»Konzentrationslager« oder »Theresienstadt«) neuerlich für Universalisierungen an, die die unterschiedlichen Lager in Theresienstadt und Litoměřice gemeinsam auffassten und so der Geschichte des Ghettos ihre Partikularität absprachen.228 Die Bezeichnungen, vor allem jedoch deren Bedeutungen differierten jeweils in Abhängigkeit vom Sprecher und seinem Kontext. Denn in vielen allgemeinen Dokumenten, in vielen publikumsstarken Medien fanden sich in den 1960er Jahren und danach weiterhin grobe Verallgemeinerungen oder Konfusionen.229 Während etwa die Kinderzeichnungen aus dem Ghetto als Illustration für die Geschichte der Kleinen Festung 225 Václav Novák (PT) an OK SKNV und Krajské muzeum v Teplicích, 16.4.1981, SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 19. – Václav Šmerda (OK SKNV) an Václav Novák (PT), 14.5.1981, ebd. – Václav Novák (PT) an OK SKNV, 21.5.1981, ebd. 226 Petrášová: Terezín, o. S. – Petřík: Mládež v Terezíně, o. S. 227 Sládek: Zločinná role, 132 f. 228 So wurde etwa der Theresienstadt-Führer, in welchem Táňa Kulišová, Karel Lagus und Josef Polák 1967 die Geschichte des Ghettos und der Kleinen Festung gemeinsam und zum ersten Mal relativ ausgewogen behandelten, in der Funktionärs-Zeitschrift des Verbands der antifaschistischen Kämpfer folgendermaßen angekündigt: Es sei ein Buch über den Zweiten Weltkrieg, »als aus der Kleinen Festung Theresienstadt und dem Theresienstädter Ghetto eines der größten Konzentrationslager auf dem Gebiet der okkupierten Tschechoslowakei wurde.« Funkcionář SPB 4/1967, 16, NA , f. ÚV SPB , Kt. 56. – Siehe weiter etwa Mírová manifestace v Terezíně. In: Proud Nr. 22 vom 31.5.1968, [1]. 229 Siehe, als nur ein Beispiel, in welchem der Unterschied zwischen einer historisch differenzierten Sichtweise und einer verallgemeinernden und nivellierenden Perspektive deutlich wird: Václav Novák an SPB Pardubice, 8.4.1974, und ČSPB Pardubice an PT,

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dienten,230 fand sich in einer Enzyklopädie als Bildunterschrift zum Eingangstor der Kleinen Festung die Erklärung, dass hier die Nationalsozialisten ein Ghetto eingerichtet hätten.231 So wie unter der bereits genannten Ausstellung »Theresienstadt in den Zeichnungen der Häftlinge« das künstlerische Vermächtnis der jüdischen Ghetto-Insassen verstanden wurde, behandelte eine andere Ausstellung – unter dem ähnlich allgemeinen Titel »Theresienstadt bezeugt und warnt«  – die Zeichnungen von Gefangenen der Kleinen Festung.232 Trotz der geschilderten Versuche zur Differenzierung »Theresienstadts« und zur Aufwertung des Ghettos, bekräftigten viele Autoren jene Hierarchie des Leides, demnach die Kleine Festung der Kern und wichtigste Teil des »Konzentrationslagers Theresienstadt« gewesen sei. In Dokumenten der Gedenkstätte war auch in den 1960er Jahren oft zu lesen, die Kleine Festung sei das »eigentliche Objekt des ehemaligen nazistischen Konzentrationslagers« gewesen.233 Růžena Bubeníčková, Ludmila Kubátová und Irena Malá reihten in ihrem 1969 erschienenen Buch über die »Lager des Leides und des Todes« auf dem Gebiet der Tschechoslowakei die Kleine Festung in die Rubrik Konzentrationslager ein, während das Theresienstädter Ghetto – obzwar durchaus als »Konzentrationslager« beschrieben  – unter den »jüdischen Lagern« zu finden ist.234 Ähnlich ordnete František Nedbálek Mitte der 1980er Jahre die Kleine Festung der Kategorie »Konzentrationslager« zu, das Ghetto aber jener der »Ghettos« als eine Form der »Judenlager«.235 So blieb für viele Personen, nicht zuletzt im Rahmen der Gedenkstättenarbeit, die Kleine Festung unhinterfragt »das größte Konzentrationslager in Böhmen«,236 eines der »schlimmsten Konzentrationslager« überhaupt,237 oder

12.4.1974, SOA Litoměřice, PT, Kt. 15. – Auch in der Beschreibung der allgemeinen Sendung der Gedenkstätte Theresienstadt von 1965 finden sich das Ghetto und die Kleine Festung aufgelöst in dem »Konzentrationslager Theresienstadt«. Organizační řád Památníku Terezín, o. J. [Ende 1964], ebd., Kt. 1. 230 Kulišová: Terezín (1967), unpaginierte Seiten zw. 24 und 25 sowie zw. 32 und 33. 231 Jaroslav Joza (PT) an Redakce »Pyramídy«, Bratislava, 19.6.1981, SOA Litoměřice, PT, Kt. 19. 232 Zápis o inspekci provedené dne 22. a 23. března 1973 pracovníkem OK SKNV s. Antonínem Fialou v PT, o. D. [März 1973], ebd., Kt. 14. – Marie Báčová: Zpráva pro komplexní rozbor činnosti za rok 1973 – sbírkové oddělení, 14.2.1974, ebd., Kt. 15. 233 Statut Památníku národního odboje v Terezíně – návrh, o. J. [1963], ebd., Kt. 1. 234 Sie fügten allerdings hinzu, dass die Kleine Festung kein Konzentrationslager »im engeren Wortsinne« gewesen sei. Bubeníčková: Tábory utrpení, 130 und 141–147. 235 Nedbálek: Místa utrpení, 22 und 116. 236 Diskusní návrh koncepce národního kulturního památníku v Terezíně, o. J. [August 1964], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 237 Ebd.

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ein »Sammel- und Vernichtungs-Konzentrationslager«.238 Selbst als die Dauerausstellung in der Kleinen Festung 1965 neu gestaltet wurde und in ihr die Geschichte des Ghettos wesentlich stärker präsent war, fanden sich in den offiziellen Texten der Gedenkstätte die alten Formulierungen: Als lebendige Mahnung der Vergangenheit diene die Kleine Festung in Theresienstadt, das einst größte Konzentrationslager auf »unserem« Gebiet.239 Und diese Tendenz wurde, zumindest von staatlicher Seite, in den 1970er Jahren bekräftigt, vor allem wenn es um große Manifestationen und Gedenkfeiern, also um eine breitenwirksame Arbeit der Gedenkstätte ging: Während der Maifeiern 1972 hätten sich die Teilnehmer »vor den Toren des ehemaligen Konzentrationslagers, der Theresienstädter Kleinen Festung, getroffen, inmitten des Nationalfriedhofs, auf dem die Überreste von zehntausenden Opfern des faschistischen Terrors liegen.«240 Das antifaschistische Theresienstadt Der historische Sieg des Volkes im zweiten Weltkrieg hat seine Helden, seine Kriegsschauplätze. Beide haben sich dem Gedächtnis der Völker eingeprägt: weder Zoja Kosmodemjanskaja noch Julius Fučík noch Daniela [sic] Casanova dürfen wir vergessen; weder Stalingrad noch Lidice noch Rawensbrück [sic], wenn wir leben wollen. Auch Theresienstadt ist auf der Landkarte des zweiten Weltkrieges mit dem Blute der Helden eingezeichnet. Auch Theresienstadt ist einer der unvergeßlichen Schauplätze dieses Krieges. Seine Helden gehören achtzehn europäischen Nationen an. […] Man muß wissen, woraus der Nationalfriedhof von Theresienstadt entstanden ist: hier r­ uhen die Toten aus den Massengräbern in der Festung, aus den Massengräbern in Lovosice, die Asche derer, die in den letzten Tagen des Krieges in der Festung an den Folgen einer Typhusepidemie starben, die Opfer des Todesmarsches, die Asche der Hingerichteten, die aus dem Krematorium von Litoměřice und die Asche aus dem Krematorium im Theresienstädter Ghetto. Sechsundzwanzigtausend gefallene antifaschistische Widerstandskämpfer auf einem Kampfplatz, auf dem es still geworden ist. Der Kampf der Helden von Theresienstadt hat mit ihrem Sieg geendet: der deutsche Faschismus ist besiegt, die Völker leben. Und sie werden nicht untergehen, wenn sie den Sieg des Lebens über den Tod im Geiste der Tapferkeit und der opferbereiten Liebe unserer gefallenen Brüder und Schwestern hüten werden.241 238 PNU v Terezíně – jeho význam a současný stav s návrhem řešení, o. J. [1964], ebd. – Siehe etwa auch Nosek: Krvavé kaskády, 83–88 und unpaginierte Fußnote 10. Nosek versteht unter »Terezín« allein die Kleine Festung und meint, die dortige Situation habe sich nicht wesentlich von den Verhältnissen in Konzentrationslagern unterschieden. 239 Vlasta Jannová / Jiří Křivský: Naše generace nemůže zapomenout, als Anhang zum Schreiben an [Redaktion der Zeitschrift] Průboj, 20.7.1965, SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. – Ähnlich Gestapák Wachholz dopaden. In: Proud Nr. 31 vom 2.8.1968, [1]f. 240 Rezoluce účastníků Mezinárodní mírové manifestace v Terezíně 21.  května 1972, 21.5.1972, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. 241 Kulišová: Terezín (1958), o. S.

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Wie in diesem Zitat aus einer Publikation über Theresienstadt von 1958 noch einmal deutlich wird, war die Bezeichnung »Theresienstadt« uneindeutig; deren tatsächlicher Inhalt hing jeweils vom Sprecher ab. Die Geschichte des Ghettos und jene der Kleinen Festung – auch wenn deren unterschiedliche Rolle nicht verschwiegen wurde – wurden ineinander verwoben, gingen scheinbar ineinander auf.242 Die Opfer, verfolgt aus unterschiedlichen Gründen, inhaftiert in unterschiedlichen Lagern, wurden vereinnahmt für die als mehr oder weniger homogen wahrgenommene Gruppe der antifaschistischen Widerstandskämpfer in Theresienstadt. Zudem ist es die kämpferische Deutung Theresienstadts als einer Geschichte von Helden, einer Geschichte des Sieges. Die Statistiken wurden dieser Darstellung angepasst. Die Zahl der 26.000 »gefallenen Widerstandskämpfer« ist fast dreimal so hoch wie die heute anerkannte Zahl der am Nationalfriedhof Beerdigten.243 Wie in zahlreichen anderen Beschreibungen wurde der Kleinen Festung wesentlich mehr Platz eingeräumt, außerdem wurde der quantitative Unterschied zwischen dieser und dem Ghetto eingeebnet:244 Gustav Hajčík und Jaroslav Volejník sprachen in ihrem statistischen Überblick aus dem Jahr 1956 von 90.000 Häftlingen der Kleinen Festung, von denen zwei Drittel ermordet worden seien: Insgesamt hätte es »in Theresienstadt« über 60.000 Tote gegeben. Dagegen wurden keine Angaben zur Gesamtzahl der Ghetto-Häftlinge – die zu dieser Zeit längst bekannt war – gemacht. Die Autoren berichteten nur davon, dass das Ghetto für 70.000  Personen geplant gewesen sei und dass knapp 87.000  Personen aus dem Ghetto deportiert worden seien.245 Dies lässt auf den ersten Blick die Dimensionen zwischen Kleiner Festung und Ghetto vergleichbar erscheinen. Lange Zeit hindurch wurde das Ghetto, wenn es um 242 Hajčík: Nezapomínáme, 61, 90 und 98 f. 243 Relativ lange Zeit, bis in die 1960er Jahre, werden immer wieder derart hohe Zahlen bemüht. Die Zahl von 26.000 am Nationalfriedhof Bestatteten etwa auch in der Rede Jan Vodičkas in: Věrni odkazu protifašistického boje  – proti novému fašismu  a válce, za blaho a štěstí našich národů!, hg. v. agitačně propagační oddělení sekretariátu ÚV SPB , o. O. 1955, 8, NA , f. ÚV SPB , Kt. 53. – Pietní akt na Národním hřbitově. In: Proud Nr. 45 vom 8.11.1968, [1]. – Nach heutigem Wissensstand liegen am Nationalfriedhof die sterblichen Überreste von ungefähr 10.000 Personen begraben. Siehe dazu die Informationen der Gedenkstätte, URL: http://www.pamatnik-terezin.cz/cz/historie-sbirky-a-vyzkum/ historie/narodni-hrbitov (am 15.3.2014). 244 In der Kleinen Festung waren nach heutigem Kenntnisstand 32.000  Personen inhaftiert (von denen 2.600 Tote zu beklagen waren), im Ghetto waren es 140.000 Menschen ­(exklusive der Häftlinge aus den Todesmärschen und Evakuierungstransporten), von denen über 33.000 starben. 245 Hajčík: Nezapomínáme, 98 f. – Táňa Kulišová: Malá pevnost Terezín, o. J. [Anfang der 1960er Jahre?], SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. – Siehe auch Fašistické koncentrační tábory, 15. Hier werden 90.000 Häftlinge der Kleinen Festung genannt, von denen 36.000 ermordet worden seien. Zugleich werden hier allerdings korrekte statistische Angaben über das Ghetto Theresienstadt gegeben.

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»Theresienstadt« ging, nur nebenbei erwähnt. In den themenbezogenen Publikationen oder in den Führern der Gedenkstätte findet sich die Geschichte des Ghettos  – wenn überhaupt  – äußerst unterrepräsentiert. In einer Veröffentlichung von 1955 ist kennzeichnenderweise davon die Rede, dass am Nationalfriedhof vor der Kleinen Festung jene ruhen, die ihr Leben »in der Kleinen Festung und Umgebung« verloren hatten.246 Geht man von den heute anerkannten Ziffern aus, demnach am Nationalfriedhof die sterblichen Überreste bzw. die Asche von ungefähr 10.000 Personen begraben liegen, während in der Kleinen Festung insgesamt circa 2.600 Tote unter den Häftlingen zu beklagen waren, ist offensichtlich, dass die »Umgebung« der Kleinen Festung eine wichtige Rolle gespielt hat. Diese im Vergleich zu oft verbreiteten Statistiken niedrige Zahl auszusprechen stieß jedoch lange Zeit auf Widerspruch, auf Empörung. Die Zweigstelle des Verbands der antifaschistischen Kämpfer in Pardubice reagierte entrüstet auf einen Zeitungsartikel, der anlässlich der Befreiungsfeiern im Mai 1971 von 35.000 Häftlingen und 2.500 Toten in der Kleinen Festung sprach. Die Kritik an diesen »falschen Angaben über die Anzahl der Häftlinge im ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt« rührte daher, dass es offensichtlich auch in den 1970er Jahren noch ungewöhnlich war, in der breiten Öffentlichkeit die Geschichte des Ghettos von jener der Kleinen Festung in Theresienstadt klar zu trennen.247 Zudem setzten sich nur langsam die historisch fundierten Häftlingszahlen durch, obwohl bereits spätestens in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre zumindest in Fachkreisen die überhöhten Opferzahlen in Frage gestellt worden waren.248 Drahoslav Holub, der seit den frühen 1960er Jahren mehrere Filme über Theresienstadt machte, hatte im Drehbuch für seinen Film »Poslední dny« (Die letzten Tage), den er 1973 vorbereitete, die Zahl der 90.000 Häftlinge in der Kleinen Festung übernommen, obwohl diese Ziffer, wie der neue Direktor der Gedenkstätte Theresienstadt Václav Novák ihm mitteilte, »in völligem Widerspruch zur Wirklichkeit« stehe.249 In der Tat stand lange Zeit die Kleine Festung als Synonym für »Theresienstadt«, wurde die Kleine Festung als Kern des »Konzentrationslagers Theresienstadt« dargestellt. Diese Zentralität der Kleinen Festung und die 246 Kulišová: Malá pevnost Terezín (1955), 197. 247 ČSPB , okresní výbor Pardubice an ÚV ČSPB , 18.5.1971, SOA Litoměřice, PT, Kt. 13. – Václav Novák (PT) an ČSPB , okresní výbor Pardubice, o. J. [Juni 1971], ebd. – Siehe dazu den kritisierten Zeitungsartikel: Vejrych, Bohuslav: Cena míru pro Terezín. In: Svobodné slovo vom 15.5.1971. 248 Siehe etwa die Diskussion über die Häftlingszahlen im Rahmen der historischen Abteilung der Gedenkstätte Theresienstadt: Zápis z porady pracovníků historického oddělení včetně externích průvodců konané dne 12. dubna 1966, 16.4.1966, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. 249 Václav Novák (PT) an Krátký film, 6.11.1973, ebd., Kt. 14.

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Marginalisierung des ehemaligen Ghettos tritt in den unterschiedlichsten Repräsentationen des Ortes zum Vorschein – in Publizistik, Literatur, Film oder Ausstellungen –, am deutlichsten jedoch in der Erinnerung vor Ort, das heißt am Beispiel der Musealisierung Theresienstadts. Da in verschiedenen Kontexten der vorliegenden Arbeit die mannigfaltigen Repräsentationen Theresienstadts noch eine wichtige Rolle spielen werden, sollen im Folgenden zunächst die Materialisierungen der heterogenen Auffassungen Theresienstadts beschrieben werden, und zwar anhand der Errichtung und Entwicklung der Gedenkstätte Theresienstadt. An diesem Beispiel kann die Rolle des Ghettos in den Wahrnehmungen Theresienstadts illustriert werden und damit die Frage der jahrzehntelangen, hier auch geographischen Marginalisierung des jüdischen Leidens während des Zweiten Weltkriegs. Das tschechische Theresienstadt

In Theresienstadt eine Gedenkstätte zu errichten, war sehr früh ein Anliegen unterschiedlicher Personen und Gruppen, unter anderem der Opferverbände und Vereinigungen der Widerstandskämpfer sowie der jüdischen Gemeinde. Bereits im September 1945 wurde im Rahmen einer als »Nationalbegräbnis« bezeichneten Bestattung exhumierter Leichen unmittelbar vor der Kleinen Festung – und direkt an der Hauptstraße gelegen – der so genannte Nationalfriedhof eingeweiht.250 Noch bevor die Gedenkstätte offiziell eröffnet wurde, hatte sich der Nationalfriedhof bereits als einer der zentralen Gedenkorte an den Zweiten Weltkrieg herausgebildet, an dem große Feierlichkeiten und Mani­festationen abgehalten wurden; insbesondere die ab 1946 alljährlich im Mai stattfindenden Feiern in Erinnerung an das Kriegsende und die Befreiung der Tschechoslowakei – zunächst unter dem Titel »Golgatha der tschechischen Nation«.251 Zwischen 1945 und 1958 wurden an diesem Friedhof in Einzel- und Massengräbern ungefähr 10.000 Leichen begraben. Es handelte sich dabei um Opfer aus der Kleinen Festung, dem Ghetto, der Grube Richard in Litoměřice sowie um Opfer der so genannten Todesmärsche. Es wurde bereits gezeigt, dass die überwiegende Mehrheit der am Nationalfriedhof begrabenen Toten nicht in der Kleinen Festung inhaftiert gewesen war. Dennoch wurde die Ver­bindung zwischen diesem Friedhof und der Verfolgung von tsche250 Národní pohřeb 601 oběti nacistů. In: Lidová demokracie vom 18.9.1945, 2. 251 Smuteční slavnost v Malé terezínské pevnosti. In: ebd. vom 14.5.1946, 2.  – Terezín  – Malá pevnost. »Kalvarie českého národa«. In: Věstník 8/4–5 (1946), 39. – Kalvarie českého národa. In: Hlas osvobozených 2/20 (1946), 3. – Otta, F.: Národní pouť v Terezíně. In: Lidová demokracie vom 18.5.1947, 4.  – Kalvarie českého národa. In: Věstník 9/9 (1947), 125. – Terezín – Kalvarie českého národa. In: Věstník 11/20 (1949), 226.

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chischen Widerstandskämpfern und Regimegegnern in der Kleinen Festung von Anfang an betont. Damit wurde ein weiteres Mal die Zentralität der Kleinen Festung innerhalb des Themenkomplexes »Theresienstadt« unterstrichen. Zudem diente der Nationalfriedhof von Anbeginn an dazu, die unterschiedlichen Erfahrungen und Verfolgungen in eine stringente Erzählung des nationalen Befreiungskampfes zu verdichten. In Theresienstadt, so der Außenminister Jan Masaryk anlässlich der feierlichen Einrichtung des Nationalfriedhofes im September 1945, hätte die gesamte Nation gemeinsam gelitten, die Toten seien vereint gestorben »für unsere gerechte Sache«. Zwischen den Opfern, so Masaryk weiter, habe es »keinen Unterschied« gegeben.252 Als die tschechoslowakische Regierung schließlich 1947 in der Kleinen Festung Theresienstadts die Gedenkstätte des nationalen Leides (Památník národního utrpení, PNU) offiziell eröffnete, dominierte gleichermaßen das Narrativ eines heldenhaften und – wie der Name bereits erahnen lässt – patriotischen Kampfes der Tschechen und Slowaken gegen den Nationalsozialismus.253 Dabei flossen auch im Theresienstadt der unmittelbaren Nachkriegsjahre die nationalistische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Legitimierung der Vertreibung der Deutschen zusammen – wurde doch drei Jahre lang die Kleine Festung als Internierungslager für Deutsche verwendet.254 Die Kleine Festung bildete das Kernstück der zunächst dem Innenministerium unterstehenden Gedenkstätte. Führungen in der Kleinen Festung fanden bereits seit Sommer 1946 statt, ab Oktober wurde sie sonntags der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.255 Selbst wenn die Kleine Festung auch die »angrenzenden Objekte und Grundstücke« betreuen sollte,256 konzentrierte sich die frühe Musealisierungsarbeit de facto ausschließlich auf das ehemalige Polizeigefängnis und den Nationalfriedhof,257 welcher zunächst von einer eigenständigen Institution, dem Verein zur Erhaltung des Nationalfriedhofs (Spolek pro udržování národního hřbitova), verwaltet wurde.258 252 Ministr Jan Masaryk nad hroby v Terezíně. In: Lidová demokracie vom 18.9.1945, 2. 253 Als Überblicke zur Geschichte der Gedenkstätte siehe etwa Blodig: Die Gedenkstätte Theresienstadt in der Vergangenheit. – Ders.: Die Gedenkstätte Theresienstadt – Vergangenheit. – Munk: Z historie Památníku Terezín. – Ders.: 60 let Památníku Terezín. 254 Poloncarz: Das Internierungslager. 255 Stuchlý, F.: Malá pevnost přístupna veřejnosti. In: Lidová demokracie vom 10.10.1946, 3. – Schreiben [der Leitung des Prager kraj SOPVP] an Všem odbočkám, 21.5.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 19. 256 MV an Úřad předsednictva vlády: Zřízení PNU z bývalé Malé pevnosti v Terezíně. Návrh vládního usnesení, 29.4.1947, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 257 Siehe vor allem die Gründungsdokumente der Gedenkstätte einschließlich des Regierungsbeschlusses vom 6. Mai 1947 und des Entwurfs dazu vom 29. April 1947, ebd. 258 Der Verein wurde im Sommer 1946 gegründet. Siehe Zápis o 13. schůzi předsednictva SOPVP, konané dne 27.8.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 18. – Zur Auflösung dieses Vereins bzw. seiner Integration in den Verband der Freiheitskämpfer siehe unter anderem Pro-

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Die Geschichte des Ghettos und die jüdischen Opfer in Theresienstadt kamen in diesen Konzeptionen ebenso wenig vor wie in der im Juni 1949 eröffneten Dauerausstellung, dem Museum der Unterdrückung der tschechischen und slowakischen Nation (Muzeum útisku českého a sloven­ského národa).259 Diese war vom Prager Militärhistorischen Institut unter Einbeziehung des Verbands der Freiheitskämpfer entworfen und umgesetzt worden. Sie basierte auf einer Ausstellung, die von Mai bis September 1947 in der Prager Gedenkstätte der Befreiung (Památník osvobození) gezeigt worden war, welche ebenso dem Militärhistorischen Institut unterstand.260 Weder das Jüdische Museum in Prag noch Vertreter der jüdischen Gemeinde wurden in die Gestaltung der Theresienstädter Ausstellung einbezogen.261 Ähnlich der ursprünglichen Ausstellung in der Prager Gedenkstätte der Befreiung »Oběti nacismu z koncentračních táborů  a věznic« (Opfer des Nazismus aus Konzentrationslagern und Gefängnissen), die damals noch vom Verband der befreiten politischen Häftlinge realisiert worden war,262 behandelte dann auch jene in der Kleinen Festung Theresienstadt sehr allgemein die nationalsozialistischen Verbrechen. In der Dauerausstellung ging es vor allem um den kommunistischen Widerstand, die Repressionen der Nationalsozialisten und die Pläne zur »Ausrottung der Slawen«.263 Da es sich bei dieser musealen Installation letztlich nicht konkret um eine Ausstellung über die Rolle Theresienstadts im Zweiten Weltkrieg handelte, sollten zusätzlich zwei ehegram schůze předsednictva [SBS] dne 23.3.1949, ebd., Kt. 25. – Schůze sekretariátu [SBS], 28.12.1949, ebd., Kt. 28.  – Schůze sekretariátu [SBS], 28.2.1950, ebd., Kt.  29.  – Einen knappen Überblick zur Entwicklung des Nationalfriedhofs gibt Benešová: ­Národní hřbitov. 259 Siehe unter anderem Zápis o poradě dne 18.5.1949 v MV ve věci otevření »Musea útisku 1939–1945« v Malé pevnosti v Terezíně, o. J. [Mai 1949], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Příloha č. 1 k čj. 877/1948: Pracovní postup při úpravě Malé pevnosti terezínské na Museum útisku českého a slovenského národa v letech 1939–1945, 31.3.1948, ebd. – Zpráva generálního tajemníka SBS dne 1.6.1949, NA , f. ÚV SPB , Kt. 25. 260 ESO: Výstava hrůzy, obětí  a národní síly. In: Lidová demokracie vom 3.5.1947, 2.  – k: Pan president na návštěvě výstavy »Oběti nacismu«. In: ebd. vom 29.6.1947, 3.  – Křížková: Stálé muzejní expozice, 50. – Pořad 4. schůze předsednictva [SOPVP], konané dne 4.3.1947, NA , f. ÚV SPB , Kt. 18. – Alfons Adam danke ich herzlich für weitere Hinweise zu dieser Ausstellung, die sich auf Dokumente unter anderem aus dem Archiv des Militär­historischen Instituts stützen. 261 Siehe insbesondere die Korrespondenz in SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.  Als Akteure erscheinen hier vor allem das Militärhistorische Institut, der Verband der Freiheitskämpfer, das Innenministerium, das Ministerium der nationalen Verteidigung sowie die lokalen Nationalausschüsse in Ústí nad Labem (Aussig), Litoměřice (Leitmeritz) und Terezín. Zu den wesentlichen Akteuren kurz auch Zpráva generálního tajemníka SBS dne 1.6.1949, NA , f. ÚV SPB , Kt. 25. 262 Siehe auch das Flugblatt mit einer inhaltlichen Übersicht der Ausstellung: Flugblatt zur Ausstellung »Oběti nacismu z koncentračních táborů a věznic«, NA , f. ÚV SPB , Kt. 21. 263 Křížková: Stálé muzejní expozice, 51.

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malige Zellen in Ausstellungsräume umgestaltet werden: Eine sollte der Geschichte der Kleinen Festung gewidmet sein, die andere jener des Ghettos.264 Die Führungen in der Gedenkstätte sollten von ehemaligen Gefangenen der Kleinen Festung angeboten werden.265 Diese kämpferische Perspektive auf »Theresienstadt« wurde dadurch bestärkt, dass die Gedenkstätte in den ersten drei Jahren ihrer Existenz, von 1947 bis 1949, dem tschechoslowakischen Innenministerium unterstellt war und alle Angestellten Polizisten bzw. Soldaten waren, also Mitglieder des Korps der Nationalen Sicherheit (Sbor národní bezpeč­nosti, SNB).266 Das jüdische Theresienstadt: Frühe Pläne zur Musealisierung des Ghettos

Im klaren Gegensatz dazu ging es der jüdischen Gemeinde um die Musealisierung der Großen Festung – der Stadt Terezín –, das heißt um die Frage der Erinnerung an das jüdische Ghetto Theresienstadt. Erste Initiativen, das Areal des ehemaligen Ghettos in die staatliche Gedenkstätte Theresienstadt zu integrieren und Denkmäler zur Geschichte des Ghettos zu errichten, datieren bereits aus der Zeit unmittelbar nach Kriegsende. Direkt nach ihrer Befreiung errichteten die Ghetto-Insassen ein erstes provisorisches Mahnmal am Ufer der Ohře (Eger), wo 1944 die Asche von über 20.000 Opfern in den Fluss geworfen worden war. Ein hölzerner Davidstern verwies darauf, dass die überwiegende Mehrzahl der Opfer Juden waren.267 Nur wenig später, Anfang 1946, richtete der Rat der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei die »Subkommission für die Theresienstädter Denkmäler« ein,268 um die zahlreichen Vorschläge zu koordinieren, welche Formen das Gedenken an die jüdischen Opfer vor Ort annehmen sollte. Als »Denkmal für ewige Zeiten«, hieß es im Vorschlag der jüdischen Gemeinde, sollte ein Teil der Stadt so erhalten werden, wie er dem Zustand zur Protektoratszeit entsprach.269 264 Poloncarz: K výstavní činnosti, 7 f. 265 PNU an SBS jednota Litoměřice a Bohušovice, 15.4.1949, SOA Litoměřice, PT, Kt. 7. 266 Seznam zaměstnanců v PNU, Terezín  – Malá pevnost, 3.1.1949, ebd.  – Seznam zaměstnanců v PNU, Terezín – Ma[l]á pevnost, 1.5.1949, ebd. 267 Ernst Feldsberg (IKG Wien) an Miroslav Grisa (PT), 31.5.1965, ebd., Kt. 8. – Zpráva o -­ terezínských památkách pro II . Sjezd delegátů židovských náboženských obcí, o. J. [Oktober 1947], YVA , O7.cz/318. – K[amil] Kleiner: Pro Terezínskou komisí. Poznámky ze zájezdu do T[erezína], dne 7. října 1946, 13.10.1946, YVA , O.64/109. – Jiří Vogel / Erich Kohn an RŽNO, 22.6.1946, ebd. 268 So der Titel dieser Kommission laut Zpráva o Shromáždění delegátů 26. až 28. října 1947. In: Věstník 9/23 (1947), 326–328, hier 326. 269 Kurt Wehle (RŽNO) an Hana Volavková, 12.6.1946, Archiv Národního muzea, Prag [weiter ANM], Nachlass Hana Volavková, Kt. 44.

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In die Diskussionen und interministeriellen Besprechungen um die Wieder­ besiedlung Terezíns, die von den ehemaligen Bewohnern der Stadt sofort nach Kriegsende vorangetrieben wurden, brachte die jüdische Gemeinde ihre Vorstellungen zur teilweisen Erhaltung des ehemaligen Ghettos ein.270 Die Vorschläge, die im Rahmen der Theresienstädter Subkommission diskutiert wurden, gingen relativ weit: Bereits bei der Einfahrt in die Stadt, direkt an der Straße, die Prag und Litoměřice verbindet, sollten große Gedenkpfeiler und Informationstafeln die Besucher über die Geschichte Theresienstadts während des Krieges unterrichten. Deutlich sichtbar sollten inmitten der Stadt Gedenktafeln an ausgewählten Objekten des ehemaligen Ghettos angebracht werden. Sogar von einem Museum, das sich ausschließlich der Geschichte der jüdischen Häftlinge Theresienstadts widmen und auf »authentische« Weise die Wohnverhältnisse im Ghetto präsentieren würde, war bereits die Rede. Außerdem sollten der so genannte jüdische Friedhof in Theresienstadt271 und die Stelle an der Ohře als dauerhafte Mahnmäler eingerichtet und erhalten werden.272 Manche dieser Forderungen stießen durchaus auf Echo außerhalb der jüdischen Gemeinde, finden sich in ministeriellen Dokumenten und später in Dokumenten des Kreisnationalausschusses in Ústí nad Labem (Aussig) wieder, welcher 1949 vom Innenministerium die Zuständigkeit für die Gedenkstätte des nationalen Leides übernahm.273 Dabei jedoch handelte es sich in erster Linie um die Frage nach der Einbeziehung der außer270 Blodig: Město poznamenané tragédií, 14 und 16. 271 Bei diesem handelt es sich um eine Begräbnisstätte im Talkessel von Bohušovice (Bauschowitz), einen Kilometer außerhalb der Festungsmauern. In der Anfangszeit des Bestehens des Ghettos wurden hier die sterblichen Überreste der Gefangenen zunächst in Einzel-, dann in Massengräbern beerdigt. Seit Oktober 1942 wurden die Leichen im Krematorium, das auf dem Gelände des jüdischen Friedhofs erbaut worden war, eingeäschert. Auf dem jüdischen Friedhof liegen 8.903 Opfer des Ghettos begraben. ­Chládková: Židovský hřbitov, 32–35. 272 Kurt Wehle (RŽNO) an Hana Volavková, 12.6.1946, ANM, Nachlass Hana Volavková, Kt. 44. – YVA , O.64/109. – Zpráva o terezínských památkách pro II . Sjezd delegátů židovských náboženských obcí, o. J. [Oktober 1947], YVA , O.7cz/318.  – Terezín. In: Věstník 8/11 (1946), 96. – kk: O záchranu terezínského ghetta. In: Hlas osvobozených 2/36 (1946), 4. – Siehe auch die Sitzungsprotokolle der Theresienstädter Kommission vom 31. Januar und 20. März 1947 in ANM, Nachlass Volavková, Kt. 44. – Ein Sitzungsprotokoll vom 25. Februar 1948 in AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 5. – Weitere Unterlagen zur Arbeit dieser Kommission aus den Jahren 1946 bis 1948 befinden sich im Nachlass von Jiří Vogel: AŽMP, sbírka Terezín, inv.č. 342c. Diese sind auch online einsehbar, URL: http://collections.jewishmuseum.cz/index.php/Browse/clearAndAddCriteria/ facet/collection_facet/id/695 (am 17.5.2014).  – Kurz dazu auch Wehle: The Jews in -­ Bohemia and Moravia, 515. 273 Zápis o meziministerské poradě konané dne 28. května 1947, 4.6.1947, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – KNV v Ústí nad Labem, Zn: 369–28/9–1949-I/4: PNU v Terezíně – předání působnosti KNV und Protokol sepsaný dne 26.9.1949 v Malé pevnosti v Terezíně, ebd.

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halb der Stadt befindlichen Orte in die offizielle Gedenkstätte: des jüdischen Friedhofs mit dem Krematorium und der Stelle an der Ohře. Nur äußerst wenige der frühen Initiativen, die Erinnerung an die jüdischen Opfer Theresienstadts sichtbar zu machen und die Geschichte des Ghettos im Rahmen der Gedenkstätte stärker hervorzuheben, konnten in den ersten Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges realisiert werden. Kein einziger der Vorschläge, direkt in der Stadt Terezín der jüdischen Opfer des Ghettos Theresienstadt zu gedenken, wurde umgesetzt. So erging es etwa dem geplanten Museum zur Geschichte des Ghettos.274 Die Vertreter der jüdischen Gemeinde, darunter viele Überlebende des Ghettos Theresienstadt, stießen mit ihren Plänen auf Desinteresse der örtlichen Bevölkerung. Nach Besichtigungen Terezíns im Jahre 1946 hielten mehrere Repräsentanten der jüdischen Gemeinde ihre Eindrücke fest: Die Stimmung in der Stadt, in die seit Sommer 1946 die Zivilbevölkerung zurückkehrte, sei von Egoismus, Habgier und Rücksichtslosigkeit gekennzeichnet. Alte und neue Eigentümer würden versuchen, die Häuser an sich zu reißen und schnell zu renovieren.275 Statt Denkmäler für die ermordeten Juden zu errichten, gehe man daran, die Kirche instand zu setzen.276 Die Atmosphäre sei geprägt von dem Wunsch, »dass so schnell wie möglich das einzige, aber furchtbare Konzentrationslager auf unserem Gebiet von der Erdoberfläche weggefegt werden kann.«277 Manche Vertreter der jüdischen Gemeinde schlugen vor, auf Grund dieser Stimmung von sich aus von der Errichtung eines Museums und anderer Denkmäler in der Stadt abzusehen. Andere wiederum betonten, dass – sollte sich die jüdische Gemeinde aus dieser Frage zurückziehen  – in einem zukünftigen lokalen Museum die Frage des jüdischen Leides in Theresienstadt zweifellos keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen würde.278 Kamil Kleiner, ein Mitglied der Theresienstädter Subkommission, plädierte für die Erinnerung vor Ort mit einer Langzeit-Perspektive: Man solle nicht von der aktuellen Stimmung in Theresienstadt ausgehen, sondern an das »Jahr 2000« denken, an

274 Zpráva o architektonických, vývtvarnických a stavebních úpravách všech pietních prostor v Terezíně, Bohušovicích a Litoměřicích a předběžný rozpočet, o. J. [ca. 1949/1950], ebd.  – Předběžný nezávazný rozpočet na architektonické  a stavební úpravy všech pietních prostorů v Terezíně a Litoměřicích pro KNV v Ústí n / L., o. J. [ca. 1949/1950], ebd. 275 Zu den Anfängen der Wiederbesiedlung der Stadt Terezín siehe Blodig: Město poznamenané tragédií. – Ein knapper kritischer Bericht über die Wiederbesiedlung Theresienstadts auch in Ha Ge: Zapomínáme, či jsme nasáklí? In: Dnešek vom 20.3.1947, 806 f., zit. nach CAHJP, CS/273. 276 Frajt, Alois: Terezín vstává z mrtvých. In: Hlas osvobozených 2/38 (1946), 3. 277 ch: Obětavá práce českých lékařů v Terezíně. In: Lidová demokracie vom 9.6.1945, 3. 278 Hana Volavková an RŽNO, 24.7.1946, YVA , O.64/109.  – Jiří Vogel / Erich Kohn an RŽNO, 22.6.1946, ebd.

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zukünftige jüdische (sic)  Generationen, die aus dem In- und Ausland nach Theresienstadt kommen würden.279 Letztlich konnte weder dieses Museum errichtet noch ein Objekt im ursprünglichen Zustand erhalten werden, konnten keine Gedenktafeln angebracht oder andere Mahnmäler in Erinnerung an das Ghetto Theresienstadt errichtet werden. Bereits im Jahr 1946 hielt ein Beobachter fest, dass »nicht viele Andenken an jene zurückblieben, die hier ihre schlimmsten Tage verbracht hatten.«280 Wie Ende der 1960er Jahre der Leiter der Gedenkstätte Theresienstadt, Miroslav Pávek, meinte, habe direkt nach Kriegsende die Bemühung vorgeherrscht, diese »tote Stadt« wieder zu beleben. Dieses Bestreben allerdings, Terezín zu »vermenschlichen« [zcivilizovat], habe dazu geführt, dass bald keine Spuren des ehemaligen Ghettos mehr anzutreffen waren.281 Allein der jüdische Friedhof und in bedingtem Maße die Stelle an der Ohře konnten schließlich als – wie man sie durchweg nannte – »jüdische« Erinnerungsorte erhalten werden. Dies bedeutete, dass der Holocaust aus der Stadt gewissermaßen ausgelagert, die Erinnerung an das Ghetto an den Rand gedrängt wurde. Es handelte sich für einen Besucher Theresienstadts um zwei völlig unscheinbare Orte. Das Denkmal an der Ohře, einige hundert Meter außerhalb der Stadtmauern in Richtung Litoměřice, war zudem Teil des Militärgeländes und daher kaum zugänglich. Überdies war es der Rat der jüdischen Gemeinden, der den jüdischen Friedhof in Theresienstadt – zunächst aus eigenen Mitteln und mit Hilfe von Freiwilligen – verwaltete und instand hielt.282 Die Gedenkstätte des nationalen Leides überließ ihn offensichtlich bereitwillig der Obhut der Kultusgemeinde, obwohl beide Seiten mehrmals beteuerten, dass er mit dem Nationalfriedhof ein untrennbares Ganzes bilden

279 K[amil] Kleiner: Pro Terezínskou komisí. Poznámky ze zájezdu do T[erezína], dne 7. října 1946, 13.10.1946, ebd. 280 fSt: Holandský malíř v terezínském ghetu. In: Lidová demokracie vom 7.12.1946, 3. – Siehe auch Lederer: Ghetto Theresienstadt, 197. 281 Miroslav Pávek (PT) an Oldřich Vaněk, 3.11.1967, SOA Litoměřice, PT, Kt. 10. – Siehe zur öffentlichen Kritik an der »Unsichtbarkeit« des ehemaligen Ghettos in den 1960er Jahren ebenso Pick, J[iří] R[obert]: Terezínské tabulky. In: Literární noviny 14/43 (1965), 2. – Feder, Richard: Němý Terezín. In: ebd. 14/50 (1965), 2. 282 Siehe beispielsweise We.: Pracovní brigáda zaměstnanců Rady ŽNO  a ŽNO Praha na terezínském hřbitově. In: Věstník 8/13 (1946), 125.  – Terezínský hřbitov. In: Věstník 11/15–16 (1949), 178 f. – Kiště [Kisch, Štěpán?]: Beth chajim – dům života. In: Věstník 11/26–27 (1949), 303. – Ústečtí brigádníci v Terezíně. In: Věstník 15/5 (1953), 36. – Siehe dazu auch die Herausgabe eines kleinen Foto-Albums mit zehn Fotos, dessen Verkauf der Instandhaltung des jüdischen Friedhofs in Theresienstadt zugute kommen sollte: Věstník 10/47 (1948), 522. – Obežník ÚSŽNO na Slovensku v Bratislave, č. 26/48 vom 11.10.1948, CJH, YIVO, RG 116, Box 55, folder 2.26. – Offiziell kamen der Friedhof und das Krematorium unter die Verwaltung des Rats der jüdischen Gemeinden, die Stelle an der Ohře blieb unter militärischer Verwaltung.

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würde.283 Damit wurde neuerlich das gemeinsame Leid von Juden und Tschechen betont.284 Für die jüdische Gemeinde bedeutete die Erhaltung und Gestaltung des jüdischen Friedhofs eine Verpflichtung den Toten gegenüber. Während die Kleine Festung Theresienstadts und der ihr vorgelagerte Nationalfriedhof zu einem der zentralen Plätze im Narrativ der tschechischen Unterdrückung im Zweiten Weltkrieg wurde, kristallisierte sich der jüdische Friedhof sehr schnell als jener Ort heraus, an dem die Holocaust-Erinnerung in unterschiedlichen Formen artikuliert wurde. Im Rahmen der Gedenkfeierlichkeiten der jüdischen Gemeinde im April 1947 wurde etwa das Krematorium auf dem jüdischen Friedhof vom Kolíner Rabbiner und ehemaligen Theresienstadt-Häftling Richard Feder neu eingeweiht.285 Hier sollten in der Zukunft die alljährlichen Trauerfeiern der jüdischen Gemeinde stattfinden und in den 1960er Jahren schließlich auch erste Ansätze einer musealen Installation zur Geschichte des Ghettos verwirklicht werden.286 1948 wurde der jüdische Friedhof um ein Denkmal erweitert: einen fünf Jahre zuvor von jüdischen Gefangenen im Ghetto gepflanzten Ahornbaum, der nun als »Baum der Kinder aus Theresienstadt« an die ermordeten jüdischen Kinder des Ghettos erinnern sollte. Dieser Baum musste entfernt werden, nachdem die Militär­ verwaltung das Gebäude übernommen hatte, in dessen Hof er sich befand.287 Hierbei handelt es sich zweifellos um ein kleines, aber doch weiteres Beispiel der – nun auch materiellen – Auslagerung, ja Verbannung des Holocaust aus dem Leben der Stadt. Ein Jahr später begann man damit, auf Initiative – und auf Kosten – der Hinterbliebenen der Theresienstädter Opfer, kleine Gedenksteine mit den Namen der Toten aufzustellen, die bis Ende der 1960er Jahre das Erscheinungsbild des Friedhofs prägen sollten.288 Im Jahre 1950 kam in unmittel283 Vg.: Terezínský hřbitov. In: Věstník 9/10 (1947), 136. – Kohn, E[rich]: Návrh úpravy terezínského hřbitova. In: Věstník 9/25 (1947), 356. – Terezín. Kalvarie českého národa, o. S. 284 Vgl. hierzu Soukupová: Praha v židovské krajině vzpomínání, 16. 285 Chládková: Židovský hřbitov, 38. 286 Siehe etwa Plán kulturní činnosti PNU na r. 1965, o. J. [1964], SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. 287 Strom osiřelých. In: Věstník 10/7 (1948), 74. – Chládková: Židovský hřbitov, 39. – Kryl: Lieux commémoratifs, 61. 288 Návštěvníkům hřbitova terezínského ghetta. In: Věstník 10/26 (1948), 313. – Terezínský hřbitov. In: Věstník 11/15–16 (1949), 178 f. – Náhrobní kameny na terezínském hřbitově. In: Věstník 11/23 (1949), 264. – Kiště [Kisch, Štěpán?]: Beth chajim – dům života. In: Věstník 11/26–27 (1949), 303. – Terezínský hřbitov. In: Věstník 12/3 (1950), 32. – Pomníky na terezínském hřbitově. In: Věstník 15/11 (1953), [88]. – Informationsbulletin, o. J. [Dezember 1957], 18 f., zit. nach CJH, LBI, AR 377, folder 1. – Diese Grabsteine konnten auch für Personen aufgestellt werden, die nicht direkt in Theresienstadt umgekommen waren bzw. nicht am jüdischen Friedhof begraben liegen: Židovský hřbitov v Terezíně. In: Věstník 14/5 (1952), 43.

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barer Nähe des Krematoriums ein Denkmal in Form eines etwas größeren Grabsteines hinzu. Es erinnerte an die im Januar und Februar 1942 hingerichteten Häftlinge des Ghettos.289 Die jüdische Gemeinde errichtete schließlich 1955 ein erstes zentrales Mahnmal am jüdischen Friedhof, das 1972 durch die heute noch vorhandene monumentale Menora ersetzt wurde.290 In tschechischer und hebräischer Sprache gedachte es der »zehntausenden Opfer der nazistischen Schreckensherrschaft«. Obwohl auch auf diesem Denkmal nicht explizit von jüdischen Opfern die Rede war, machten Bildsprache (mit dem zentralen Davidstern) und hebräische Inschrift dieses symbolische Epitaph unzweideutig zu einem Mahnmal für die Ermordung der Juden, zu einem Holocaust-Denkmal. Ohne es klar auszusprechen, fand somit im ersten Jahrzehnt nach der Befreiung der Tschechoslowakei eine parallele Materialisierung des Theresienstadt-Gedenkens statt, die sich auf die zwei unterschiedlichen, ja konträren Semantiken von Theresienstadt berief: Neben der sichtbaren »tschechischen« Erinnerung an die Kleine Festung  – sehr früh institutionalisiert im Nationalfriedhof und der offiziellen Gedenkstätte des nationalen Leides  – entfaltete sich die »jüdische« Erinnerung an das Theresienstädter Ghetto und dessen Opfer weit weniger sichtbar: am etwas abgelegenen jüdischen Friedhof mit dem Krematorium sowie am quasi unzugänglichen Ufer der Ohře. Diese Stelle an der Ohře lag außerhalb der Stadt, an einem unschein­ baren Ort. Die jüdischen Überlebenden richteten sie sehr früh provisorisch zu einem Gedenkort her. Bereits 1946 erhielt dieser eine universalistische Gestaltung. An die Stelle des hölzernen Davidsterns kam eine in den Boden eingesetzte Inschrift: »Hier ruhen 25.000 Theresienstädter Urnen 1941–1945.«291 289 Pomník mučedníkům popraveným v terezínském ghettě. In: Věstník 12/40 (1950), 467.  – Židovský hřbitov v Terezíně. In: Věstník 14/3 (1952), 22.  – Im Januar und Februar 1942, nur einige Wochen nach der Errichtung des Ghettos Theresienstadt, wurden 16 Männer wegen geringfügiger Vergehen gegen die Lagerordnung hingerichtet, offensichtlich in erster Linie um ein Exempel zu statuieren. 290 Iltis: Die aussäen unter Tränen, 30 f. Das 1955 errichtete Denkmal ist heute am östlichen Rand des Friedhofs zu finden, wohin es im Rahmen der Neugestaltung des Geländes Anfang der 1970er Jahre verlegt wurde. 291 Später wurde diese Ziffer meist mit 22.000 wiedergegeben. Eine Abbildung des ersten provisorischen Denkmals findet sich etwa in: Chládková: Židovský hřbitov, 93.  – Čtyřicet let Památníku Terezín. In: Hlas revoluce 1987 (?), ABT, Kt. 371 (Zeitungsausschnitte). – Für das offensichtlich im Jahre 1946 an dieser Stelle errichtete, äußerst schlichte Mahnmal siehe etwa Dubenský: Kalvarie českého národa, o. S. – Terezín. Kalvarie českého národa, o. S.  – Kypr: Malá pevnost Terezín, 129.  – Tyl: Terezín (1955), o. S. – Der Vorschlag des neuen, schlichten und in den Boden eingesetzen Denkmals bereits in K[amil] Kleiner: Pro Terezínskou komisí. Poznámky ze zájezdu do T[erezína], dne 7.  října 1946, 13.10.1946, YVA , O.64/109.  – Zur Entscheidung des Verteidigungsministeriums, dieses Gelände nicht der Gedenkstätte zu übergeben: Frant. Marhold (MNO) an MV, Abschrift, 5.12.1949, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.– Zur neuerlichen gering-

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Nicht hingewiesen wurde darauf, dass die allermeisten der eingeäscherten Opfer Juden gewesen waren, die im Ghetto Theresienstadt ermordet wurden. Viele der ersten Initiativen, die Erinnerung an die jüdischen Opfer Theresienstadts sichtbarer zu machen und die Geschichte des Ghettos im Rahmen der Gedenkstätte stärker hervorzuheben, versandeten Anfang der 1950er Jahre. Wohl nicht zufällig setzte sich zeitgleich ein ideologisches Denkmuster durch, das oft als antifaschistischer Universalismus beschrieben wird und das angesichts der Interpretation des Zweiten Weltkriegs als Klassenkampf dem Holocaust keine hervorgehobene Stellung zukommen ließ. Zudem begannen zur selben Zeit die antisemitischen Schauprozesse in der kommunistischen Tschechoslowakei. Dem Druck zur Universalisierung und zur Nivellierung unterschiedlicher Erfahrungen fiel auch die Idee einer musealen Installation zur Geschichte des jüdischen Ghettos zum Opfer. Als eigenständiges Museum in der Stadt Terezín konnte diese nicht umgesetzt werden. Allerdings wurde ihr im Rahmen der Vorbereitungen für die Dauerausstellung der Gedenkstätte des nationalen Leides in der Kleinen Festung – neben dem Raum zur Geschichte der Kleinen Festung – ein eigener Raum zugedacht.292 Diese Ausstellung im IV. Hof der Kleinen Festung wurde vom Prager Jüdischen Museum entworfen und eingerichtet und ein Jahr nach der Eröffnung des Museums der Unterdrückung, im August 1950, der Öffentlichkeit übergeben.293 Die oft »jüdisches Museum« genannte Ausstellung,294 die mehr einem Gedenksaal ähnelte, fand allerdings kaum Niederschlag in den Führern der Gedenkstätte. Auch an anderen Stellen sucht man vergeblich nach Hinweisen und öffentlichen Reaktionen auf diese Exposition. Da sie vom Jüdischen Museum in Prag entworfen worden war und betreut wurde, wurde sie nicht als integraler Teil der »nationalen« Gedenkstätte Theresienstadt betrachtet.295 Sehr bald nach der Einrichtung wurde die Ausstellung als zu passiv und nicht der Zukunft zugewandt kritifügigen Umgestaltung dieses Denkmals Anfang der 1950er Jahre siehe Pietní úprava pamětihodného místa v Terezíně. In: Věstník 14/6 (1952), [45].  – Židovský hřbitov v Terezíně. In: Věstník 14/3 (1952), 22. – Kramer: Památná místa, 87. – Kryl: Lieux commémoratifs, 62. 292 Křížková: Stálé muzejní expozice, 51. – Poloncarz: K výstavní činnosti, 8. 293 Hinweise auf diese Ausstellung finden sich in Příloha č. 1 k čj. 877/1948: Pracovní postup při úpravě Malé pevnosti terezínské na Museum útisku českého  a slovenského národa v letech 1939–1945, 31.3.1948, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Terezín. Malá pevnost, 22 f. – Frankensteinová: Zpráva o činnosti, 26 f. – Výstava Terezín-ghetto. In: Věstník 19/1 (1957), 4. – Křížková: Stálé muzejní expozice, 52. Křížková datiert die Eröffnung auf November 1950. 294 Etwa O. H.: Terezín včera a dnes, o. J. [Anfang der 1950er Jahre], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Zápis z 12. schůze předsednictva SBS , konané 18.7.1951, NA , f. ÚV SPB , Kt. 27. 295 Ebd. – Siehe aber Kulišová: Terezín (1952), 45 f. – Fast wortgleich Terezín. Malá pevnost, 22–24.

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Abbildung 1: Der Gedenkort an der Ohře unmittelbar nach Kriegsende. Foto: ohne Autor, o. J., Archiv Památníku Terezín (APT), Fotoarchiv 706.

Abbildung 2: Bereits im Jahre 1946 wurde die Stelle an der Ohře neu gestaltet. Foto: Viktor Heller, o. J. [1946?], APT, Fotoarchiv 7986.

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siert. Nicht nur aus nationaler, sondern nun auch aus kommunistischer Sicht entsprach sie – Anfang der 1950er Jahre – nicht mehr dem Geist der Zeit. Es gehe darin schließlich nicht um Klassenkampf und Widerstand. Ein Kritiker wandte ein, dass die jüdischen Gemeinden und bekannte jüdische Persönlichkeiten vorgestellt würden, ohne dass jedoch dem Besucher klar würde, dass die »Judenfrage« letztlich eine Klassenfrage sei.296 Durch ihre gesonderte Hervorhebung der jüdischen Opfer konterkariere die Ausstellung die universalistische antifaschistische Perspektive auf den Zweiten Weltkrieg. Zudem unterstütze man durch diese Ausstellung den Zionismus, der in diesen Jahren als »gefährliche Waffe der westlichen Imperialisten« wahrgenommen wurde.297 Es verwundert daher kaum, dass nur kurz nach ihrer Einrichtung bereits ihre Beseitigung gefordert wurde und im Rahmen der Neugestaltung der Dauerausstellung 1954 die museale Installation zur Verfolgung der Juden – ebenso wie jene zur Geschichte der Kleinen Festung – wieder aufgelöst wurde. Beide sollten in die Dauerausstellung einbezogen werden.298 Die Tendenz zur Universalisierung war offensichtlich. Egal ob in der Frage einer eigenständigen »jüdischen« Ausstellung oder der Gestaltung der Stelle an der Ohře: Die Tatsache, dass die Mehrzahl der Theresienstädter Opfer Juden waren, wurde stets übergangen. In der Diskussion um die Ghetto-Ausstellung in der Kleinen Festung trat eine Wahrnehmung zutage, die über Jahrzehnte hinweg von Bedeutung bleiben sollte: Nicht eine Ausstellung zur »jüdischen Frage«, sondern eine Ghetto-Ausstellung sei erforderlich.299 Das »Ghetto« wurde gedanklich zunehmend von seinen jüdischen Häftlingen und somit der nationalsozialistischen Verfolgung der Juden getrennt. Selbst in der Stadt Terezín, dem Ort des ehemaligen Ghettos, erinnerte der 1950 von der tschechoslowakischen Volksarmee errichtete Obelisk in den Jirásek-Gärten (direkt gegenüber dem heutigen Ghetto-Museum) nur unbestimmt an die »Märtyrer von Theresienstadt«.300 Genauso war auch ein kleines Denkmal im angrenzenden Park der Pioniere Anfang der 1950er Jahre im Gedenken an die »unter dem Faschismus zu Tode gemarterten Kinder« aufgestellt worden.301 Noch deutlicher wurde diese Universalisierung und Nivellierung am Nationalfriedhof, wo man bereits seit Kriegsende daran ging, die Unterschiede 296 O. H.: Terezín včera  a dnes, o. J. [Anfang der 1950er Jahre], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Pavel Pražák: Zpráva o návštěvě instalace SŽM v Malé pevnosti v Terezíně dne 26. května, 1951, 28.5.1951, AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 263. 297 Poloncarz: K výstavní činnosti, 8. 298 Památník národního utrpení v Terezíně  – zpráva o stavu (MIO, č. 66.365/1954), 27.10.1954, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262. – Křížková: Stálé muzejní expozice, 53. – Zum Abbau der Ausstellung im Herbst 1953 siehe auch die Dokumente in AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 265. 299 Poloncarz: K výstavní činnosti, 8. 300 Kryl: Lieux commémoratifs, 61. 301 Ebd.

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zwischen den Opfern und zwischen den verschiedenen Arten der Verfolgung einzuebnen. Dieser Sichtweise stellte sich allerdings die Kultusgemeinde entgegen und protestierte gegen die Unkenntlichmachung der jüdischen Opfer, die insbesondere durch die ästhetische Gestaltung des Friedhofs zum Ausdruck kam: Neben den hunderten kleinen Kreuzen auf den Gräbern prägte ein großes zentrales Kreuz das Erscheinungsbild. Mehrmals hatten Vertreter der jüdischen Gemeinde gefordert, von den jüdischen Gräbern auf dem Nationalfriedhof die Kreuze zu entfernen, ohne dass jedoch – trotz der Zusagen ranghoher Politiker – etwas unternommen wurde.302 Der Vorsitzende sowohl des Landesnationalausschusses in Böhmen als auch des Verbands der befreiten politischen Häftlinge, der Kommunist Ladislav Kopřiva erklärte im Jahr 1947 sogar, dass an den Gräbern von jüdischen Opfern in nächster Zeit Davidsterne angebracht werden sollen.303 Nur vereinzelt und unkoordiniert wurden allerdings diese kleinen Davidsterne realisiert.304 Im Juni 1948 meinte Oberrabbiner Gustav Sicher, dass zwar der Nationalfriedhof an die »gemeinsame Marter der tschechischen Nation und des jüdischen Volkes« erinnere. »Wir Juden müssen allerdings allen zurufen, die hierher pilgern: seht die Zahl der zu Tode gefolterten Söhne Israels, blicket her und seht, ob ein Schmerz dem meinen gleicht!«305 Auch im darauf folgenden Jahr bemängelte Sicher, dass sich die Welt klar darüber werden sollte, dass der Anteil der Juden an der Theresienstädter Tragödie der größte sei und dass am Nationalfriedhof unter vielen Kreuzen Juden begraben lägen.306 Der Rat der jüdischen Gemeinden konnte im Mai 1946 immerhin einen etwas größeren Davidstern am Nationalfriedhof aufstellen, um darauf hinzuweisen, dass auch Juden hier bestattet seien.307

302 Zpráva o terezínských památkách pro II . Sjezd delegátů židovských náboženských obcí, o. J. [Oktober 1947], YVA , O.7cz/318.  – Dr. Iltis [Iltis, Rudolf]: Mrtvým… In: Věstník 9/24 (1947), 342 f., hier 343. 303 Smuteční bohoslužby v Terezíně. In: Věstník 9/10 (1947), 140. 304 The Shield of David. In: The Jewish Chronicle vom 24.2.1950, 12, zit. nach CJH, LBI, Wiener Library Press Archives. P. C. 8: The Post-War World. Jewish and related problems. Major Political Developments 1945–1955 (Reel 190). 305 Sicher, Gustav: Projev při tryzně v krematoriu terezínském 7. června 1948. In: Věstník 10/25 (1948), 301. Das Ende von Sichers Aufruf ist ein Zitat aus den Klageliedern (1,12). Die deutsche Übersetzung entnommen aus Müller: Das Hohelied, 115. 306 Terezín – Kalvarie českého národa. In: Věstník 11/20 (1949), 226. 307 Smuteční bohoslužby v Terezíně. In: Věstník 9/10 (1947), 140.  – Bohoslužby v Terezíně. In: Věstník 9/11 (1947), 157. – Dr. Iltis [Iltis, Rudolf]: Mrtvým… In: Věstník 9/24 (1947), 342 f., hier 343. – Nežidé uctívají památku židovských mučedníků. In: Věstník 9/25 (1947), 358. – H. N.: Před pěti lety byl osvobozen Terezín – ghetto. In: Věstník 12/19 (1950), [217]f. – Kiště [Kisch, Štěpán?]: Ke vzpomínkovému dni v Terezíně dne 14. května 1950. In: Věstník 12/21 (1950), 243. – Fotografien des Davidsterns finden sich in APT, Fotoarchiv 1131 und 5195.

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Abbildung 3: Der Nationalfriedhof vor der Kleinen Festung The­ resienstadt zwei Jahre nach Kriegsende. In der Mitte ist der David­stern zu erkennen. Foto: ohne Autor, Mai 1947, APT, Foto­ archiv 1129.

Diese Präsenz unterschiedlicher religiöser Symbole hatte jedoch nur kurz Bestand.308 Zudem sucht man in Führern, Broschüren und anderen Publikationen über den Nationalfriedhof vergeblich nach diesem frühen Davidstern. Zwar wurden schließlich Mitte der 1950er Jahre, für die Feierlichkeiten zum zehnten Jahrestag der Befreiung und im Bemühen um die Beseitigung jedweder religiöser Konnotationen, die kleinen Kreuze auf den Gräbern durch 308 Siehe auch The Shield of David. In: The Jewish Chronicle vom 24.2.1950, 12, zit. nach CJH, LBI, Wiener Library Press Archives. P. C. 8: The Post-War World. Jewish and related problems. Major Political Developments 1945–1955 (Reel 190).

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Abbildung 4: Eine der seltenen Nahaufnahmen des kurzlebigen Davidsterns auf dem Nationalfriedhof in Theresienstadt. Foto: ohne Autor, o. J., APT, Fotoarchiv 5195.

die schlichten, heute noch anzutreffenden, Grabsteine ersetzt.309 Dennoch blieb – als Dominante des Nationalfriedhofs – das riesige Kreuz mit Dornenkrone stehen. Dieses wurde nicht von den atheistischen Kommunisten, sondern Ende der 1950er Jahre von einem Sturm niedergerissen, aber nach 1989 wieder aufgestellt.310 Die Vertreter der jüdischen Gemeinde mussten hingegen bis Mitte der 1990er Jahre warten, um ihre Forderung nach einer Sichtbar­ machung der jüdischen Toten auf dem Nationalfriedhof verwirklicht zu sehen. Erst im April 1995, 50 Jahre nach Kriegsende, wurde neben das Kreuz ein monumentaler Davidstern gestellt.311 309 Jan Vodička (SPB) an Polednová (MK), 19.8.1954, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262.  – Vladis­lav Plucnar (Vedoucí odboru kultury rady SKNV) an die Redaktionen von Lidová demokracie und Svobodné slovo, 6.3.1956: Terezín  – stížnost občana Smutného, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. – Zur Aufnahme dieser Arbeiten bereits Zápis z 12. schůze předsednictva SBS , konané 18.7.1951, NA , f. ÚV SPB , Kt. 27. 310 Ing. Mošťák: OŠK SKNV – s. Dolejš, o. J. [um 1963], SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. – Návrh drobných úprav v PT, 3.3.1965, ebd. – Národní hřbitov v Terezíně, o. J. [1995], ebd., Kt. 48. – Manchmal ist davon die Rede, dass das Kreuz erst Anfang der 1960er Jahre entfernt wurde, allerdings findet sich bereits in der zweiten Auflage des Theresienstadt-Führers von Otakar Tyl und Táňa Kulišová aus dem Jahre 1960 eine Gesamtaufnahme des Nationalfriedhofs, auf der das dominante Kreuz nicht mehr vorhanden ist. Tyl: ­Terezín (1960). 311 Munk: 60 let Památníku Terezín, 29. – Památník Terezín. Výroční zpráva za rok 1995. Terezín, březen 1996, SOA Litoměřice, PT, Kt. 35.

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Nur ein verschwindend kleiner Teil der zahlreichen, teils sehr detaillierten Vorschläge der jüdischen Gemeinde zur Gestaltung der Stadt Terezín konnte realisiert werden. Vor allem jedoch wurde die Erinnerung an das jüdische Ghetto sowohl aus der Stadt als auch aus der Gedenkstätte Theresienstadt ausgeklammert und an den Rand gedrängt. Im nationalen Gedenkort Theresienstadt sowie auf dem Nationalfriedhof wurde der Geschichte des Ghettos und dem Holocaust nur eine marginale Rolle zuerkannt. Der einzige explizit den jüdischen Opfern Theresienstadts gewidmete Erinnerungsort, der in der unmittelbaren Nachkriegszeit in und um Terezín errichtet wurde und öffentlich zugänglich war, war der jüdische Friedhof, der allerdings einen knappen Kilometer außerhalb der Festungsmauern Theresienstadts und in unmittelbarer Nachbarschaft eines Militärübungsplatzes lag. Die Erinnerung an das Ghetto Theresienstadt und seine jüdischen Häftlinge wurde direkt nach 1945 Opfer der universalistischen Wahrnehmung des Krieges. Viele der erwähnten Entwicklungen wurden zwar erst nach der kommunistischen Machtübernahme abgeschlossen, so etwa die Einrichtung der Dauerausstellung in der Kleinen Festung. Unbestreitbar nahmen diese Entwicklungen jedoch bereits in den unmittelbaren Nachkriegsjahren ihren Anfang, können folglich nicht allein durch eine kommunistische Indienstnahme der Geschichte erklärt werden. Kommunistische Marginalisierung und Vereinnahmung

Diese Kontinuitäten dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Errichtung eines sozialistischen politischen Systems substanzielle Folgen für die Theresienstadt-Erinnerung hatte. Die Marginalisierung des Holocaust aus nationalistischen Gründen wurde nach 1948 um eine Marginalisierung aus ideologischen Gründen verstärkt. In erster Linie muss hier der Aufstieg des universalistischen Antifaschismus zu einem der zentralen politischen Leitgedanken der kommunistischen Tschechoslowakei hervorgehoben werden. Darüber hinaus waren das Verhältnis zu Israel sowie der tschechoslowakische Antisemitismus und Antizionismus von großer Bedeutung für die Theresienstadt-Erinnerung, insbesondere Anfang der 1950er Jahre. Der außen­politische Bruch mit Israel Ende der 1940er Jahre, der Beginn einer antizionistischen Politik und die gegen hochrangige tschechisch-jüdische Politiker gerichteten Schauprozesse Anfang der 1950er Jahre mit ihrer offen antisemitischen Rhetorik hatten konkrete Auswirkungen auf die Erinnerung an das Schicksal der Juden in Theresienstadt. Daneben brachte die Unifizierung des politischen Lebens unter ideo­ logischen Gesichtspunkten das Streben mit sich, auch die Gedenkstätte des nationalen Leides mit einem stringenten ideologisch-politischen Programm

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aufzuladen und ihre gesamtstaatliche Bedeutung dadurch zu stärken. Es war vor allem der tschechische Verband der Freiheitskämpfer (Svaz ­bojovníků za svobodu, SBS)  – der seit 1948 alle nach Kriegsende gegründeten Opferverbände in Böhmen und Mähren in sich zwangsvereinte und im November 1951 im gesamtstaatlichen einheitlichen Verband der antifaschistischen Kämpfer (Svaz protifašistických bojovníků, SPB) aufging –,312 der sich Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre für die Frage der Musealisierung Theresienstadts zu interessieren begann.313 Was bislang vor allem eine Sache des Innenministeriums und des Militärs war, sollte nun für politisch-ideologische Zwecke ausgenutzt werden. Um den Ort stärker zu »politisieren«, wie der Vorsitzende des SBS , der kommunistische Abgeordnete Jan Vodička betonte,314 übernahm der Verband der Freiheitskämpfer das politische Patronat über die Gedenkstätte des nationalen Leides in Theresienstadt.315 Man ziehe nicht genügend Gewinn aus Gedenkorten wie der Kleinen Festung Theresien­stadt und dem Nationalfriedhof, so ein lokaler Funktionär desselben Verbands. Diese Orte sollten stärker für die Mobilisierung der Massen ausgenutzt werden, um einen Beitrag für den Aufbau des Sozialismus zu leisten.316 Das der Gedenkstätte übergeordnete Organ blieb weiterhin der Kreisnationalausschuss in Ústí nad Labem, dennoch erhielt sie in den 1950er Jahren eine immer beträchtlichere Aufmerksamkeit von Seiten unterschiedlicher staatlicher und staatsnaher Stellen. Es gab verschiedene Bemühungen, die Gedenkstätte sowohl aus ideologischen als auch administrativen und finanziellen Überlegungen zentral zu leiten und ihr damit eine stärkere und vor allem klarere 312 Zur Geschichte des Verbands der antifaschistischen Kämpfer und seiner Vorgängerinstitutionen liegt noch keine kritische Darstellung vor. Siehe etwa Pašek: Živá kronika. 313 Siehe etwa Zpráva pro 5. zasedání Ústředního výboru Svazu bojovníků za svobodu konané 18.3.1950, 5, NA , f. ÚV SPB , Kt. 24. – V. Kulturně-propagační oddělení. In: Zpráva generálního tajemníka pro zasedání ÚV SBS dne 12.3.1949, ebd.  – Zápis z 9.  schůze předsednictva SBS , konané 16. května 1951, ebd., Kt. 27. 314 Zápis z 10. schůze předsednictva SBS , konané 30.5.1951, ebd. 315 Zur zunehmenden Involvierung des Verbands der Freiheitskämpfer in Fragen des Mahnmals und des Nationalfriedhofs insbesondere seit 1949 siehe etwa Usnesení ze schůze předsednictva [SBS], konaného dne 18.5.1949, ebd., Kt. 25.  – Program schůze předsednictva [SBS] dne 23.3.1949, ebd. – Protokol 17. schůze předsednictva SBS , konané 23.2.1949, ebd. – Pracovní plán SBS , o. J. [Februar 1949], ebd. – Konkret zur Frage des politischen Patronats des SBS über Theresienstadt und den Nationalfriedhof siehe Program 5. schůze předsednictva SBS , konané 28.3.1951, ebd., Kt. 27. – Protokol ze 6. schůze předsednictva SBS , konané 4.4.1951, ebd.  – Program 8.  schůze předsednictva SBS , konané 2.5.1951, ebd. – Zápis z 8. schůze předsednictva SBS , konané 2.5.1951, ebd. – -­ Zápis z 10.  schůze předsednictva SBS , konané 30.5.1951, ebd.  – Schůze sekretariátu [SBS] – 14.3.1951, ebd., Kt. 29. – Schůze sekretariátu [SBS] – 11.5.1951, ebd. 316 Diskussionsbeitrag von David (Ústí nad Labem) im Zápis ze schůze ÚV SPB , 12.– 13.7.1952, 29/1–29/3, ebd., Kt. 52. – Diese Forderung wird auch drei Jahre später neuerlich gestellt: Protifašističtí bojovníci nastupují do druhé pětiletky, hg. v. agitačně propagační oddělení SPB , Praha 1955, 23 f., ebd., Kt. 53.

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politische Sendung zu geben. Auch die Führungen sollten verbessert und die Fremdenführer geschult werden.317 Dazu wurde ein Gremium einberufen, das den Stand und die Entwicklung der Gedenkstätte überwachte und Richtlinien erteilte. In dieses Gremium sandten unterschiedlichste Stellen ihre Vertreter: das Kulturministerium, das Institut für Geschichte der KSČ und das Militärhistorische Institut, zentrale und lokale Einheiten des Verbands der antifaschistischen Kämpfer, die Nationalausschüsse in Ústí nad Labem, Litoměřice und Terezín sowie die jüdische Gemeinde und die Verwaltung des Krematoriums am jüdischen Friedhof.318 Hier tritt bereits eine Tendenz zum Vorschein, die für die 1950er Jahre charakteristisch war: Die antifaschistische Wahrnehmung bewirkte zunächst eine gewisse Integration von vorher nicht berücksichtigten Personen und Institutionen – wie der jüdischen Gemeinde –, aber auch eine Integration unterschiedlicher Wahrnehmungen und Visionen, wie gleich am Beispiel der Denkmäler und Gedenkorte in Terezín ersichtlich wird. Diese Integration war ein Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. So waren es auch die 1950er Jahre, in denen man damit begann, Theresienstadt – und zwar meist den Nationalfriedhof vor der Kleinen Festung – für politische Manifestationen zu verwenden, die nicht direkt in Zusammenhang mit der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg standen: Die sozialistische Jugend hielt pompöse Treffen ab, die Jungpioniere leisteten hier ihr Gelöbnis.319 Große Bedeutung kam der Dauerausstellung in der Kleinen Festung zu. Während die ursprüngliche Ausstellung von 1949 federführend vom Militärhistorischen Institut gestaltet worden war, trat nun vor allem der Verband der antifaschistischen Kämpfer für ihre Neugestaltung ein.320 Der SPB, der hierfür mit dem Militärhistorischen Institut und dem Institut für Geschichte der KSČ zusammenarbeitete,321 hatte noch weit umfangreichere Pläne: Für ihn war diese Reinstallation, die Mitte 1954 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, nur ein erster Schritt zur Umsetzung der Idee, das Museum in ein großes »Staatliches Zentralmuseum des Kampfes gegen den Faschismus« (Státní ústřední museum boje proti fašismu) umzuwandeln.322 Selbst 317 Schůze sekretariátu [SBS], 8.7.1949, ebd., Kt. 28. – Schůze sekretariátu [SBS] – 22.7.1949, ebd. 318 Zápis ze schůze komise pečující o PNU Terezín, konané dne 10.12.1954 v Terezíně, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262. 319 Jan Vodička in Zápis ze schůze ÚV SPB , 22.6.1957, 26/2, NA , f. ÚV SPB , Kt. 53. – Hlavní politické úkoly SPB v r. 1959 /Referát na zasedání ÚV SPB 13.12.1958/, ebd., Kt. 54. 320 Křížková: Stálé muzejní expozice, 52. 321 MIO, č. 66.365/1954: Památník národního utrpení v Terezíně  – zpráva o stavu, 27.10.1954, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262. 322 Jan Vodička (SPB) an Polednová (MK), 19.8.1954, ebd. – ­Masově politická práce v SPB , o. J. [Februar 1953], NA , f. ÚV SPB , Kt. 52. – Jan Vodička in Zápis ze schůze ÚV SPB , 22.6.1957, 27/2, ebd., Kt. 53.

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wenn diese Umbenennung letztlich nicht durchgesetzt werden konnte, wurden die Vorschläge einer Namensänderung der Gedenkstätte  – weg vom passiven »Leid« beziehungsweise »Leiden«, hin zum aktiven Kampf und Widerstand  – immer häufiger.323 Ein Schritt zur Zentralisierung und Uniformisierung muss auch in der bereits genannten Auflösung der beiden musealen Installationen im Hof IV der Kleinen Festung  – zur Geschichte der Kleinen Festung und jener des Ghettos – gesehen werden, die in die Dauerausstellung integriert werden sollten. Entgegen diesem Vorhaben allerdings widmete auch die zweite Dauerausstellung der Gedenkstätte des nationalen Leides aus dem Jahr 1954 der konkreten Geschichte Theresienstadts nur wenig Aufmerksamkeit.324 Die Instrumentalisierung der Dauerausstellung für aktuelle politische Zwecke und die Legitimierung der kommunistischen Herrschaft wird unter anderem sichtbar an der Kritik an der alten Ausstellung: Bei deren Gestaltung habe man die Frage der politischen Erziehung außer Acht gelassen. Auf ungenügende Art und Weise sei der »verräterische Charakter« der heimischen »Bourgeoisie« mit Masaryk und Beneš an der Spitze gezeigt worden. Genauso habe die Ausstellung die bedeutende Rolle der KSČ, den Kampf des sowjetischen Volks für die Befreiung der Tschechoslowakei sowie überhaupt den Kampf Stalins gegen den Faschismus völlig übersehen.325 Diese »Politisierung« Theresienstadts bedeutete nicht, dass die Pläne der Integration der »jüdischen« Erinnerungsorte in die Gedenkstätte ad acta gelegt worden wären. Im Oktober 1949 lobte der Rat der jüdischen Gemeinden den Vorschlag, den jüdischen Friedhof, das Krematorium und die Stelle an der Ohře in den Gedenkstättenkomplex ein­zugliedern. Dabei forderte er auch noch die fortdauernde Einhaltung der jüdischen religiösen Vorschriften, damit den Juden bei ihrem Besuch klar werde, dass es um Orte gehe, »wo so viele jüdische Opfer umkamen.«326 1951, am Höhepunkt der antizionistischen und antisemitischen Welle der stalinistischen Tschechoslowakei, warf Arnošt Eisinger, Vorstandsmitglied des Verbands der Freiheitskämpfer, mehrmals die Frage auf, ob das Areal des ehemaligen Ghettos im Patronat, das der Verband für die Gedenkstätte Theresienstadt

323 Unter vielen anderen siehe: O. H.: Terezín včera a dnes, o. J. [Anfang der 1950er Jahre], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Návrh statutu Památníku národního odboje v Terezíně a organizační řád, o. J. [1963], ebd. – Zápis o jednání komise pro řízení PNU, 14.2.1963, ebd. – PNU v Terezíně – stručný rozbor současného stavu a návrh na opatření, o. J. [vor 1965], ebd. 324 Křížková: Stálé muzejní expozice, 53 f. – Poloncarz: K výstavní činnosti, 9. 325 PNU – Malá pevnost (správce PNU) an KNV, referát IV, Ústí n.L., 12.2.1954, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262. 326 [RŽNO] an MV, Abschrift, 14.10.1949, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.

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zu übernehmen plante, inkludiert sei. Denn, so Eisinger, »jedes Gebäude und jede Kaserne dort [in der Stadt Terezín; d. Vf.] sind ein Museum für sich allein.«327 Und tatsächlich, unter den Missständen, die in den Vorstandssitzungen des Opferverbandes aufgeworfen wurden, finden sich nicht nur der verwahrloste Zustand der Gräber auf dem Nationalfriedhof, die ungenügende inhaltliche Sendung der Dauerausstellung oder die mangelnde Betreuung der Besucher, sondern auch das völlige Übergehen des Ghettos.328 Nur wenige Monate vor der Verhaftung hochrangiger jüdischer Politiker  – darunter der General­ sekretär der KSČ, Rudolf Slánský – beriet man im Vorstand des staatsnahen Verbands der Freiheitskämpfer, wie man organisatorisch und ideologisch das Gelände des ehemaligen jüdischen Ghettos und den jüdischen Friedhof mit der Kleinen Festung und dem Nationalfriedhof vereinigen könne. Man dachte daran, die damals noch vorhandene »jüdische« Ausstellung im Hof  IV der Kleinen Festung neu zu gestalten und in das Gesamtkonzept einzubauen. In den Beratungen wurde zudem vorgeschlagen, Vertreter der jüdischen Gemeinde direkt in die Fragen der Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt einzubeziehen.329 Was hier Tomáš Pásek, Vorstandsmitglied des Verbands der Freiheitskämpfer, bereits zu bedenken gab – dass die »Verfolgung der Juden eine politische Verfolgung war«330 – hatte wohl auch das Kulturministerium wenige Jahre später im Sinn, als man der Forderung der jüdischen Gemeinde entgegenkommen wollte, die Frage der Erinnerungsorte des Ghettos in den Aufgabenbereich der Gedenkstätte aufzunehmen. Seine Bedingung war allerdings, den »rein religiösen Charakter dieser Orte zu beseitigen.«331 Tatsächlich wurde Mitte der 1950er Jahre der Rat der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei immer stärker in die Beratungen über die Zukunft der Gedenkstätte des nationalen Leides einbezogen.332 Wie bereits unmittelbar nach Kriegsende eine »Theresienstädter Kommission« eingerichtet worden war, setzte der Rat der jüdischen Gemeinden nun einen »Jüdischen Aus327 Protokol ze 6. schůze předsednictva SBS , konané 4.4.1951, NA , f. ÚV SPB , Kt. 27. – Zápis z 8. schůze předsednictva SBS , konané 2.5.1951, ebd. 328 Zápis z 10. schůze předsednictva SBS , konané 30.5.1951, ebd. 329 Zápis z 12. schůze předsednictva SBS , konané 18.7.1951, ebd. 330 Ebd. 331 Památník národního utrpení v Terezíně – projednání [podkladů k] návrhu k vládnímu usnesení, MIO, č. 17118/1955, 1.2.1955, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262. Als Zeichen dieses »religiösen Charakters« wurden etwa das Verleihen von Gebetsbüchern, die Abhaltung von Gottesdiensten oder das Abschließen dieser Orte am Samstag verstanden. 332 Siehe beispielsweise Votoček (OK KNV Ústí) an verschiedene Stellen, o. J. [November / Dezember 1954], ebd. – Votoček (Rada KNV v Ústí) an Janouch (MK , správa museí), 16.12.1954, ebd. – Ota Poláček (RŽNO) an [Janouch (MK)], 10.3.1955, ebd.

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schuss für die Pflege Theresienstadts« ein.333 Richard Feder, der Oberrabbiner und Vertreter der jüdischen Gemeinde in vielen dieser Sitzungen, wiederholte deutlich und mit Nachdruck jene Forderungen, die bereits in den allerersten Nachkriegsjahren gestellt worden waren: In erster Linie ging es um die vollständige Integration der stets als »jüdisch« marginalisierten Gedenkorte in die Agenda der Gedenkstätte des nationalen Leides: des jüdischen Friedhofs, des Krematoriums und der Stelle an der Ohře. Noch vor dem zehnten Jahrestag der Befreiung der Tschechoslowakei, so die Vorschläge der jüdischen Gemeinde, sollte in der Stadt Terezín, am Hauptplatz, ein für alle sichtbares Mahnmal an die Leiden der Juden im Ghetto erinnern. Darüber hinaus sollten der jüdische Friedhof mit dem Krematorium und die Stelle an der Ohře als Gedenkorte neu gestaltet werden und ihre Umgebung, das heißt auch ihr Zugang, pietätvoll hergerichtet werden.334 Es sei nun an der Zeit, die bisherigen Fehler gutzumachen. Nach zehn Jahren, in denen »unsere Sache«, so Richard Feder, stets auf das Nebengleis geschoben worden sei, bestünde nun die Gelegenheit, die Geschichte des Ghettos nicht nur in die Arbeit der Gedenkstätte, sondern auch in die offiziellen Gedenkfeiern in Theresienstadt aufzunehmen. Kein Unterschied solle mehr gemacht werden zwischen den Opfern der Kleinen Festung und jenen des Ghettos.335 Der jüdischen Gemeinde sollte es im Rahmen der offiziellen Gedenkfeierlichkeiten 1955 »vergönnt« sein, Reden »über unser Leiden in Theresienstadt« halten zu können.336 Dabei war die jüdische Gemeinde zu Konzessionen durchaus bereit, um die konkrete Ausgestaltung der Gedenkorte »würdig im Geiste der heutigen Zeit« durchzuführen.337 Man war sogar gewillt, das Krematorium am jüdischen Friedhof samstags zu öffnen und die Aufschrift, dass Gebetsbücher ausgeliehen werden können, zu entfernen, um der geforderten Beseitigung des religiösen Charakters der Gedenkorte nachzukommen.338 Die 1950er Jahre waren also ein wichtiger Schritt zur Integration der bislang als ausschließlich jüdisch charakterisierten Gedenkorte. Die Repräsentationen des Ghettos nahmen zu. Diese Erinnerung wurde allerdings nicht als partikulare Erinnerung an die Shoah wahrgenommen, sondern ging auf in der universalistischen antifaschistischen Betrachtung des Zweiten Weltkriegs. Genau daher konnten manche Forderungen der jüdischen Gemeinde realisiert werden, andere jedoch nicht: jene etwa nach der Kenntlichmachung der jüdischen Opfer unter der Gesamtzahl der Kriegsopfer; jene Ideen, am 333 Richard Feder an MK , 2.3.1955, ebd. 334 Zápis ze schůze komise pečující o PNU Terezín, konané dne 10.12.1954 v Terezíně, ebd. – Dokument der RŽNO: Výtah z protokolu, o. J. [Januar 1955], ebd. 335 Richard Feder an KNV, odbor kultury, Ústí n.L., 7.12.1954, ebd. 336 Richard Feder an MK , 2.3.1955, ebd. 337 Richard Feder an KNV, odbor kultury, Ústí n.L., 7.12.1954, ebd. 338 Richard Feder an MK , 2.3.1955, ebd.

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Abbildung 5: Auch die hebräische Inschrift in der Eingangshalle des Krematoriums am jüdischen Friedhof wurde von einigen bemängelt. Foto: Jindřich Brok/Orbis, o. J., APT, Fotoarchiv 704.

Nationalfriedhof Tafeln anzubringen, um klarzumachen, dass es bei den hier Begrabenen »nicht allein um Opfer der Kleinen Festung gehe«.339 So bestanden auf symbolischer Ebene die zwei Erinnerungsorte »Theresienstadt«, die zwei unterschiedlichen Wahrnehmungen von Theresienstadt, weiter nebeneinander fort. Während die großen nationalen und antifaschistischen Gedenkfeiern, Exkursionen und Pioniertreffen in der Kleinen Festung und am Nationalfriedhof abgehalten wurden, die »nationale Pilgerfahrt«340 mehrerer Tausender Personen341 also zum Friedhof bei der Kleinen 339 Zápis ze schůze komise pečující o PNU Terezín, konané dne 10.12.1954 v Terezíně, ebd. 340 So etwa Otta, F.: Národní pouť v Terezíně. In: Lidová demokracie vom 18.5.1947, 4. – Zpráva pro 4. zasedání ÚV SBS , konané dne 8.10.1949, 37, NA , f. ÚV SPB , Kt. 24. – Als »nationale Trauerfeier« (národní tryzna) etwa in Program schůze předsednictva [SBS], konané dne 18.5.1949, ebd., Kt. 25. 341 Von 16.000–20.000 Personen wurde etwa im Mai 1951 berichtet: Zápis z 10. schůze předsednictva SBS , konané 30.5.1951, ebd., Kt. 27.  – Schůze sekretariátu [SBS], 25.5.1951, ebd., Kt. 29. – 15.000 Teilnehmer sollen es – trotz des Regens – im Jahr 1955 gewesen sein: Protifašističtí bojovníci nastupují do druhé pětiletky, hg. v. agitačně propagační oddělení SPB , Praha 1955, 18, ebd., Kt. 53.

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Festung führte, veranstaltete die jüdische Gemeinde ihre jährlichen Gedenkfeiern zu Kever Avot – einem jüdischen Feiertag – auf dem jüdischen Friedhof und führte ausländische Delegationen ebendorthin sowie durch das ehemalige Ghetto.342 Zwar wurden die Materialisierungen der jüdischen Theresienstadt-Erinnerung teilweise in das nationale, antifaschistische Gedächtnis aufgenommen. Die Tatsache, zweierlei Sinn und Bedeutung daraus abzuleiten, blieb davon jedoch unberührt. Denn für die Juden, so Richard Feder Mitte der 1950er Jahre, sei Theresienstadt ein Ort »des großen Leids und schrecklicher Verluste«, die Stadt Terezín sei »der Ort unseres fast fünfjährigen Leides«.343 Die Entwicklung seit Ende der 1940er Jahre und besonders in den 1950er Jahren kann folglich unter dem Begriff der Integration zusammengefasst werden. Nicht nur den bislang im Abseits stehenden »jüdischen« Orten wurde nun Aufmerksamkeit gewidmet, auch die jüdische Gemeinde und das Prager Jüdische Museum wurden immer mehr in die Fragen der Gedenkstättenarbeit einbezogen. Anders als in den ersten Nachkriegsjahren, wo die nationalistische Betrachtungsweise die jüdischen Opfer völlig ausblendete, führte die antifaschistische Wahrnehmung und die »Politisierung« Theresienstadts zu einer stärkeren Berücksichtigung der Opfer des Ghettos. Dies hatte jedoch wenig mit einer Sensibilisierung für die nationalsozialistische Verfolgung der Juden zu tun, sondern ist mit der zunehmenden politischen Instrumentalisierung Theresienstadts im Zeichen eines integrierenden antifaschistischen Universalismus zu erklären. Die integrale Betrachtung Theresienstadts diente vor allem dazu, die nationale und internationale Bedeutung als ehemaliges »Konzentrationslager« zu unterstreichen. Dabei wurde der antifaschistischen Lesart entsprechend der Geschichte ein Sinn gegeben, welcher nicht im Leiden, sondern nur im Kampf lag. (Dieser Kampf müsse fortgesetzt werden, indem der Kapitalismus und Neofaschismus in der Bundesrepublik oder den Vereinigten Staaten bekämpft werde).344 Die große Anzahl der Juden, die

342 Doplněk ke zprávě o návštěvě delegace amerických rabínů /první skupina konservativní, která dlela v Praze ve dnech 18. až 22.7.1956/. Návštěva v Terezíně, NA , f. SÚC , Kt. 211. – -i-: Kever Avot v Terezíně. In: Věstník 26/10 (1964), 3 f. – Als alljährlich im Monat Elul (August / September) stattfindende »rituelle Pilgerfahrt« und Trauerfeier wurde der Gedenktag Kever Avot im Jahr 1956 auf Initiative des Rats der jüdischen Gemeinden eingerichtet, was jedoch nicht heißt, dass nicht bereits zuvor der jüdische Friedhof in Theresienstadt als Ort für diverse Gedenkfeiern der jüdischen Gemeinde diente. Ansprache am sjezd delegátů židovských náboženských obcí v krajích Českých, 8.–9.12.1956, ohne Autor, 15 S., hier 6, NA , f. MŠK , Kt. 56. 343 Richard Feder an KNV, odbor kultury, Ústí n.L., 7.12.1954, NA , f. MK 1953–1956, Kt. 262. 344 Siehe dazu etwa den Diskussionsbeitrag von David (Ústí nad Labem) im Zápis ze schůze ÚV SPB , 12.–13.7.1952, 29/1–29/3, NA , f. ÚV SPB , Kt. 52.

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»Opfer des Ghettos« (nicht: die »jüdischen Opfer«) wurden darin als Teilgruppe der politisch Verfolgten wahrgenommen, ihr Schicksal als keineswegs partikular bewertet. Indem sie zu antifaschistischen Kämpfern umgedeutet wurden, ihr Tod als Tod für den Sozialismus bewertet wurde, konnte man durchaus für die Einrichtung eines Ghetto-Museums, aber gegen die Existenz einer jüdischen Exposition in Terezín sein.345 Die Gedenkstätte Theresienstadt im »Tauwetter«

Genau dies allerdings begann sich in den 1960er Jahren allmählich zu ändern, als ein gesellschaftlicher Wandel mit sich brachte, die historische Bedeutung Theresienstadts – zwischen antifaschistischem Widerstand und Holocaust – neu zu bewerten. Am Anfang dieser Entwicklung standen jedoch zunächst wieder ganz konkrete Fragen der Gedenkstättenarbeit. Die Kritik am Zustand der Gedenkstätte wurde zu Beginn der 1960er Jahre immer lauter: Der allgemeine bauliche Zustand, die Frage der Erhaltung und Restaurierung der Gebäude und Objekte, die fehlende Sammeltätigkeit der Gedenkstätte, das niedrige Niveau der Führungen, die mangelnden Sprachkenntnisse der Fremdenführer, der geringe Mitarbeiterstand, das niedrige fachliche Niveau der Mitarbeiter, die Stagnation der Besucherzahlen und die veraltete Dauerausstellung – all dies entspräche nicht der Bedeutung, die »Theresienstadt« national und international zukomme.346 Auch die Zuständigkeit wurde kritisiert: Ein nationales – ja: internationales – Denkmal sollte nicht unter lokaler Verwaltung stehen, sondern von höherer Ebene aus geleitet werden.347 Der Stadtnationalausschuss in Theresienstadt, der seit 1958 die Verantwortung für die Gedenkstätte des nationalen Leides in Händen hielt,348 habe nicht die Mittel, einen derart gewichtigen Gedenkort wie Theresienstadt zu leiten.

345 O. H.: Terezín včera  a dnes, o. J. [Anfang der 1950er Jahre], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Poloncarz: K výstavní činnosti, 8. 346 Siehe etwa die Stellungnahmen Karel Lagus’ in der Sitzung des Zentralausschusses des Verbands der antifaschistischen Kämpfer: Zápis ze zasedání pléna ÚV SPB konaného v sobotu, 15.4.1961, NA , f. ÚV SPB , Kt. 54. – Zpráva o současné situaci PNU v Terezíně ke dni 1. července 1960, 1.7.1960, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Zápis z porady svolané odborem školství a kultury rady ONV v Litoměřicích, dne 12. února 1959, o. J. [Februar 1959], ebd., Kt. 2. 347 Situace v PNU v Terezíně vhledem k plnění politicko výchovných úkolů, o. J. [1959], ebd., Kt. 1. – Návrh na ú[p]ravy Památníku k 20. výročí osvobození naší vlasti Sovětskou armádou, o. J. [1964?], ebd. 348 OŠK rady KNV Ústí: Převod PNU v Terezíně do správy MNV v Terezíně, o. J. [ca. 1957], ebd., Kt. 2. – Bohumil Hála / Josef Povolný (MěNV Terezín): Zpráva o řízení PNU – Malé pevnosti v Terezíně Městským národním výborem v Terezíně, o. J. [1964], ebd., Kt. 1. –

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Viele Kritiker sahen den Kern des Problems in ein und demselben Missstand: der »spontanen und ohne System« durchgeführten Lösung wesentlicher konzeptioneller Fragen der Gedenkstättenarbeit.349 Langfristige Konzeptionen und Perspektiven für die Arbeit und Entwicklung der Gedenkstätte fehlten, und zwar im Grunde seit ihrer Errichtung im Jahre 1947. Besonders seit Mitte der 1960er Jahre führte diese Kritik zu einer grundlegenden Neuorientierung der Gedenkstätte, die 1965, nun unter dem neutralen Namen »Gedenkstätte Theresienstadt« (Památník Terezín), wieder unter die Verantwortung des Nordböhmischen Kreisnationalausschuss in Ústí nad Labem gestellt wurde.350 Zudem wurde von zentralen Stellen die Entwicklung der Gedenkstätte näher verfolgt, ja ihre politische Linie skizziert: 1962 war Theresienstadt bereits zum nationalen Kulturdenkmal (Národní kulturní památka) ernannt worden,351 1966 erließen zunächst das Sekretariat des ZK der KSČ, das Sekretariat des Kreisausschusses der KSČ und schließlich der Nordböhmische Kreisnationalausschuss Beschlüsse zur Entwicklung der Gedenkstätte, die wegweisend für die kommenden Jahre waren.352 Eine »Regierungskommission zum Aufbau der Gedenkstätte Theresienstadt« wurde eingesetzt, die in Kooperation mit zentralen und lokalen Stellen die Grundlagen eines Regierungsbeschlusses zur Verbesserung des Zustandes und der Tätigkeit der Gedenkstätte erarbeiten sollte. Der Verband der antifaschistischen Kämpfer war daran mit seiner eigenen »Theresienstädter Kommission« beteiligt, der Rat der jüdischen Gemeinden ebenso.353 Durch den Regierungsbeschluss, der aus dieser Arbeit Ende 1968 entstand, erfuhr schließlich Theresienstadt eine

Munk: Z historie Památníku Terezín, 14. – In manchen Quellen und Sekundärliteratur wird die Übernahme der Gedenkstätte des nationalen Leides durch den Stadtnationalausschuss in Terezín auf das Jahr 1960 datiert, beispielsweise: Usnesení vlády ČSR ze dne 5. prosince 1968 č. 446 k návrhu na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 1. – Heitlinger: In the Shadows, 54. 349 Důvodová zpráva zum Usnesení vlády ČSR ze dne 5. prosince 1968 č. 446 k návrhu na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, 5.12.1968, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 350 Siehe etwa Usnesení o změně řízení Památníku Terezín, 17.11.1964, ebd. 351 Usnesení vlády ČSSR z 30.3.1962, č. 251, o národních kulturních památkách, ebd.  – Dazu auch Zápis z jednání komise pro řízení PNU, konaného dne 5. září 1960, ebd. 352 MKI: Materiál pro kolegium ministra: Návrh vládního usnesení na řešení stavu  a činnosti Památníku Terezín, 16.3.1967, ebd., Kt. 10.  – Miroslav Grisa (PT) an Kulturní správa Ústí: Úkoly, vyplývající z usnesení předsednictva SKV KSČ , 5.9.1966, ebd., Kt. 9. – Zur Bedeutung dieser Beschlüsse siehe etwa Rede Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], ebd., Kt. 1. – Usnesení vlády ČSR ze dne 5. prosince 1968 č. 446 k návrhu na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, ebd. 353 Siehe etwa Schreiben des MK : Pro schůzi vlády, 10.10.1968, ebd. – Zprávy předsed­nictva ÚV SPB , č. 7/1967, 21.3.1967, NA , f. ÚV SPB , Kt. 56. – MKI-SPVC: Informativní zpráva, 24.1.1967, NA , f. MŠK , Kt. 56. – Ansprache František Fuchs’ am außerordentlichen Kongress des Rats der jüdischen Gemeinden, 29.1.1967, ebd.

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besondere Anerkennung als zentrale nationale Gedenkstätte zur Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Faschismus.354 Eine der wichtigsten Neuerungen in den 1960er Jahren war die Ausweitung der Aufgaben, die nun nicht mehr allein die Instandhaltung der Objekte umfassten, sondern auch die geplante Etablierung der Gedenkstätte als Forschungs- und Dokumentationszentrum. Seit 1965 nahmen daher die Mitarbeiter der Gedenkstätte nicht nur quantitativ,355 sondern vor allem auch qualitativ zu: Historiker und andere Akademiker wurden in die Dienste der Gedenkstätte gestellt, die zuvor kaum qualifizierte Mitarbeiter beschäftigt hatte. Ein wichtiger Schritt war die Gründung einer historischen Abteilung.356 Auch eine eigenständige Sammeltätigkeit wurde zum ersten Mal aufgenommen; außerdem ein modernes Archiv, eine Bibliothek und ein Dokumentationszentrum aufgebaut. Für die kulturellen Aktivitäten und besonders die Arbeit mit Jugendlichen, die Zusammenarbeit etwa mit Schulen, wurde eine Kultur- und Bildungsabteilung (osvětové oddělení) eingerichtet. Bis Ende der 1960er Jahre durchlief die Gedenkstätte somit einen bedeutenden Wandel, der in vielen Punkten bis heute spürbar ist. Diese Entwicklung kann durchaus, in den Worten Alena Heitlingers, als Gründung der Gedenkstätte »as both a professional museum and a serious historical research institution« beschrieben werden.357 Dieser Wandel betraf aber nicht nur die Struktur und die Arbeitsweise des Památník Terezín als modernes Museum, betraf nicht nur seine langfristigen 354 Usnesení vlády ČSR ze dne 5. prosince 1968 č. 446 k návrhu na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Siehe ebenso die Begleitmaterialien zu diesem Regierungsbeschluss, vor allem Průvodní zpráva k návrhu vládního usnesení o zvýšení činnosti ideově politického působení a zlepšení stavu Památníku Terezín, o. J. [Dezember 1968], ebd. 355 Von 12  Personen in den 1950er Jahren stieg die Mitarbeiterzahl auf 16 in der ersten Häfte der 1960er Jahre, auf circa 30  Personen nach der Reorganisierung der Gedenkstätte im Jahre 1965 und schließlich auf über 50 nur wenige Jahre später. In den 1970er Jahren stieg die Mitarbeiterzahl zwar nicht wie Ende der 1960er Jahre geplant, aber trotzdem weiter leicht an: von 56 im Jahr 1973 auf 62 in den Jahren 1979 und 1980. Siehe [Miroslav Grisa]: Vysvětlivka k periodické revizi PT, provedené KO SKNV, 5.10.1965, ebd., Kt. 8.  – Jaromír Fiala: Situace v PNU v Terezíně vhledem k plnění politicko výchovných úkolů, o. J. [Ende der 1950er / Anfang der 1960er Jahre], ebd., Kt. 2. – Výkaz o muzeu za rok 1965, o. J., ebd., Kt. 8. – Ideový plán rozvoje PT na léta 1965–1970, 29.7.1965, ebd. – Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, ebd., Kt. 9. – Kolektivní smlouva aus 1973, 1979 und 1980, ebd., Kt. 18  – Václav Novák: Komententář k výkazu o muzeu za rok 1980, 29.1.1981, ebd., Kt. 19. 356 Ideový plán rozvoje PT na léta 1965–1970, 29.7.1965, ebd., Kt. 8. 357 Heitlinger: In the Shadows, 55. – Dieselbe Einschätzung bei Munk: 60 let Památníku -­ Terezín, 13 f. – Siehe dazu jedoch auch bereits die Organisationsordnung des PNU von 1960, wo einige Punkte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem »Faschismus« gewidmet waren. Organizační řád PNU Terezín 1960, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.

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Perspektiven und Ziele, sondern tangierte auch die Rolle, die das ehemalige Ghetto innerhalb der Gedenkstätte einnahm. Die zunehmende Professionalisierung der Gedenkstätte und der bessere Kenntnisstand der Geschichte der unterschiedlichen Lager führten dazu, dass nun Kleine Festung, Ghetto und das Flossenbürger Außenlager Richard in Litoměřice deutlich voneinander abgehoben wurden. Bislang war deren gegenseitige Abgrenzung oft bewusst unterlassen worden, sodass die Unterschiede zwischen den drei Orten vielen Besuchern Mitte der 1960er Jahre völlig unklar blieben.358 Dabei trat immer stärker die Bedeutung des Schicksals der Juden in Theresienstadt, ja die Zentralität des ehemaligen Ghettos innerhalb des Themenkomplexes »Theresienstadt« zum Vorschein. Die einseitige Konzentration auf die Kleine Festung wurde im Rahmen der Gedenkstättenarbeit in Frage gestellt. Ähnlich der internationalen Wahrnehmung Theresienstadts wurde begonnen, die Geschichte des Ghettos in den Rahmen der nationalsozialistischen Verfolgung der Juden und der »Endlösung der Judenfrage« zu stellen, die Rolle Theresienstadts innerhalb der europaweiten Judenverfolgung hervorzuheben. Ende 1968 ist im Regierungsbeschluss zur Gedenkstätte gar die Rede davon, dass Theresienstadt »insbesondere« wegen des Platzes bekannt sei, den die Stadt in der »nazistischen Lösung der Judenfrage« eingenommen hatte.359 Theresienstadt als Ort der Verfolgung und Ermordung der Juden

Diese Entwicklung in der Gedenkstätte Theresienstadt fiel zusammen mit einem allmählich liberaleren politischen Kontext in Fragen der Kulturpolitik360 und einem steigenden Interesse an der Geschichte des Holocaust und der jüdischen Geschichte im Allgemeinen.361 Die Grundlage dafür, dass die Partikularität des Holocaust  – und damit die Partikularität des Theresienstädter Ghettos – zunehmend betont werden konnte, bildete zweierlei: zum einen die seit Ende der 1950er Jahre langsam zunehmende literarische und 358 Siehe unter anderen: Nejčastější dotazy  a připomínky návštěvníků na Malé pevnosti, o. J. [ca. 1965], ebd., Kt. 8. 359 Důvodová zpráva zum Usnesení vlády ČSR ze dne 5.  prosince 1968 č. 446 k návrhu na řešení stavu  a činnosti Památníku Terezín, 5.12.1968, ebd., Kt. 1.  – Siehe genauso Průvodní zpráva k návrhu vládního usnesení o zvýšení činnosti ideově politického působení a zlepšení stavu Památníku Terezín, o. J. [Dezember 1968], ebd. 360 Siehe etwa Hoppe: Der Prager Frühling. 361 Allgemein zur Bedeutung der 1960er Jahre für die Juden in der Tschechoslowakei siehe etwa Heitlinger: In the Shadows, 105–124 und passim. – Soukupová: Židovská menšina v Československu v letech 1956–1968.  – Konkret zur Frage der zunehmenden gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust in diesen Jahren beispielsweise Iggers: Tschechoslowakei / Tschechien, 782–784.  – Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 268–270. – Soukupová: Proměny reflexe šoa.

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künstlerische Auseinandersetzung mit der Geschichte der Verfolgung und Ermordung der tschechoslowakischen Juden  – im Rahmen der so genannten »zweiten Welle« der Weltkriegs-Literatur;362 zum anderen die allgemeine Wiederentdeckung des jüdischen Erbes in Böhmen und Mähren (bekannt ist bis heute die Kafka-Konferenz in Liblice 1963). Jüdische wie nichtjüdische Tschechen und Slowaken wandten sich neuerlich den Fragen der Musealisierung des »jüdischen« Theresienstadts zu und forderten dabei nun nicht mehr allein die Integration der »jüdischen« Gedenkorte in die Gedenkstätte Theresienstadt, sondern – und vor allem – immer vehementer die allgemeine Sichtbarmachung der jüdischen Opfer des Ghettos im Rahmen der Gedenkstätte und insbesondere der Gestaltung der Stadt Terezín selbst. In diesem gesellschaftlichen und politischen Umfeld konnten die Forderungen, die früher auf taube Ohren gestoßen waren, eine breitere Wirkung entfalten und hatten Chancen, umgesetzt zu werden. Viele der Vorschläge, die ursprünglich aus den Reihen der jüdischen Gemeinde stammten, wurden nun im offiziellen Rahmen der Gedenkstätte geäußert und von Akteuren wie Vertretern der Gedenkstätte, des Verbands der antifaschistischen Kämpfer oder des Instituts für Geschichte der KSČ übernommen. Repräsentanten der Prager jüdischen Gemeinde363 und des Staatlichen Jüdischen Museums wurden immer häufiger zu Sitzungen eingeladen, wodurch ihre Stellungnahmen ein neues Gewicht erlangten. Beide Institutionen wurden Mitglied im Beirat der Gedenkstätte und auch andere Institutionen entsandten jüdische Persönlichkeiten in diverse Besprechungen.364 So nahm Karel Lagus – ein ehemaliger Häftling des Theresienstädter Ghettos – für den Verband der anti­faschistischen Kämpfer an unterschiedlichen Sitzungen teil. Bekannte jüdische Schriftsteller wie Norbert Frýd, Josef Bor oder Arnošt Lustig, auch sie Theresienstadt-Überlebende, wurden im Laufe der 1960er Jahre in beratende Kommissionen der Gedenkstätte aufgenommen.365 Deutlich wurde die neue Auffassung Theresienstadts in der 1965 neu eingerichteten Dauerausstellung des Památník Terezín. Nach einer ersten Umgestaltung 1954 wurden Ende der 1950er Jahre die Forderungen immer lauter, die Dauerausstellung grundlegend zu überarbeiten. Diese Kritik führte dazu, dass sie Anfang der 1960er Jahre geschlossen wurde, ohne unmittelbar eine Folgeausstellung einzurichten. Zwei Jahre lang wurden Wanderausstellungen 362 Haman: O tak zvané »druhé vlně«. 363 Manchmal auch Vertreter der lokalen jüdischen Gemeinde in Ústí nad Labem. Siehe etwa das Schreiben František Baušteins (SKNV), 5.1.1963, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 364 Siehe etwa Zápis ze schůze poradního sboru, 16.11.1967, ebd., Kt. 11. – Zápis o jednání komise pro řízení PNU, 14.2.1963, ebd., Kt. 1. 365 Zápis o jednání komise pro řízení PNU, 14.2.1963, ebd.  – Plán osvětové  a politickovýchovné činnosti, o. J. [ca. 1963], ebd. – SPB , Sekretariát ÚV an Miroslav Pávek (PT), 16.8.1968, ebd., Kt. 11.

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gezeigt, darunter eine vom Staatlichen Jüdischen Museum Prag konzipierte Ausstellung der Kinderzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt.366 Die Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum, das gebeten wurde, zwei Säle zur Geschichte des Theresienstädter Ghettos zu gestalten, begriff man bereits als Teil  der Vorbereitungen für die Neugestaltung der Dauerausstellung.367 Die Gedenkstättenleitung dachte daran, die Ausstellung von Kinderzeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt, die seit 1955 im In- und Ausland großen Zuspruch erhielt, um Bilder erwachsener Ghetto-Insassen, vor allem um die Zeichnungen Ota Ungars, zu ergänzen.368 Diese Überlegungen wurden zwar in der dritten Dauerausstellung von 1962 nicht berücksichtigt.369 Die vierte Dauerausstellung von 1965 allerdings stellte einen wichtigen Schritt dar, die Geschichte des Ghettos stärker hervorzuheben. Für die Einrichung der neuen Dauerausstellung in der Kleinen Festung, die anlässlich des 20. Jahrestages der Befreiung Theresienstadts im Mai 1965 eröffnet wurde, führte die Gedenkstätte die begonnene Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum fort. Karel Lagus wurde mit der Erarbeitung des Drehbuchs beauftragt. Dies war die erste Dauerausstellung seit der Gründung der Gedenkstätte, deren Schwerpunkt auf der Geschichte Theresienstadts lag. Zudem wurde in besonderer Weise die Geschichte des »Theresienstädter Konzentrationslagers für Juden« betont.370 Während der Vorbereitungsarbeiten wurde die Ausstellung daher oft betitelt als »Die ganze Stadt Theresienstadt ein Konzentrationslager«371, was klar auf diesen Perspektivwechsel hindeutet. Richard Feder sprach von ihr gar als dem »Ghetto-Museum in der Kleinen Festung«.372 Selbstverständlich wurde die Geschichte der Kleinen Festung keineswegs übergangen, dennoch wurden erstmals dem Ghetto mehrere Räume gewidmet. Zudem stammten die meisten der künstlerischen Exponate aus dem Ghetto.373

366 Křížková: Stálé muzejní expozice, 55. – Krajská galerie výtvarného úmění Litoměřice an PNU, 15.8.1960, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. 367 PNU an SŽM, 21.1.1961, ebd. 368 Unadressiertes Schreiben [des PNU], 17.1.1961, ebd. – Hana Volavková (SŽM) an PNU, 20.4.1961, ebd. 369 Hierzu Křížková: Stálé muzejní expozice, 55–57. – Poloncarz: K výstavní činnosti, 9 f. 370 Plán kulturně osvětové a politicko výchovné činnosti PNU na r. 1963, o. J. [1962], SOA Lito­měřice, PT, Kt. 1. 371 Miroslav Grisa an SKNV OŠK , 21.1.1965, ebd., Kt. 8. – Zápis z jednání poradního sboru PT dne 12. ledna 1965, o. J. [Januar 1965], ebd. 372 Feder, Richard: Němý Terezín. In: Literární noviny 14/50 (1965), 2. 373 Zápis z jednání poradního sboru PT dne 12. ledna 1965, o. J. [Januar 1965], SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 8. – Zápis z jednání Por[adního] sboru PT dne 21. září 1965, o. J. [September 1965], ebd. – Poloncarz: K výstavní činnosti, 11. – Křížková: Stálé muzejní expozice, 57–60.

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Karel Lagus rechtfertigte sein Vorgehen mit zweierlei Gründen: Erstens gäbe es in der Stadt Terezín – anders als in der Kleinen Festung – nichts, das an die Zeit des Krieges und der Okkupation erinnere. Den Besuchern stünden direkt in der Stadt keinerlei Gedenkorte oder museale Objekte zur Verfügung. Zweitens sei die Geschichte der Kleinen Festung unzureichend bearbeitet, weswegen auch ein Mangel an beglaubigten Dokumenten und potentiellen musealen Ausstellungsstücken herrsche. Außerdem sei im Ausland nicht die Kleine Festung bekannt, sondern das Ghetto.374 Dieser radikale Perspektivwechsel auf Theresienstadt, wenn auch nach Außen hin abgeschwächt, wurde hier materialisiert und damit manifest im Herzen der Gedenkstätte, in der Dauerausstellung in der Kleinen Festung. Dies ging vielen zu weit. So warnten bereits im Zuge der Vorbereitungen mehrere Personen davor, die Geschichte der Kleinen Festung nicht zu übergehen und die Frage des tschechischen Widerstands nicht außer Acht zu lassen.375 Kaum verwunderlich ist daher, dass die Eröffnung der neuen Dauerausstellung neben Akklamationen schließlich auch zahlreiche negative Reaktionen von Seiten der Besucher hervorrief.376 Während, so der Gedenkstätten­leiter von 1964 bis 1966, Miroslav Grisa, vor allem ausländische Gäste und Besucher aus tschechischen Städten die neue Ausstellung guthießen, stoße sie bei anderen auf heftige Kritik.377 »Warum wurde bei der Neugestaltung des Museums der Anteil der tschechoslowakischen Patrioten und ihr Widerstand in der Kleinen Festung vergessen?«, fragte ein offensichtlich bestürzter Besucher.378 Genauso kritisierte die Kontrollabteilung des Nordböhmischen Kreis­ nationalausschusses die neue Dauerausstellung wegen der »einseitigen Ausrichtung auf das Konzentrationslager für Juden in Theresienstadt«.379 Mehrere Mitglieder des Gedenkstättenbeirats stießen sich an der »gestörten Proportion«, in welcher die beiden Orte repräsentiert würden. Václav Vlček, ein Vertreter des Schul- und Kulturministeriums, bemängelte bereits unmittelbar nach der Eröffnung der neuen Dauerausstellung, dass trotz der in Be374 Zápis z jednání poradního sboru PT dne 12. ledna 1965, o. J. [Januar 1965], SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 8. – Zápis z jednání Por[adního] sboru PT dne 21. září 1965, o. J. [September 1965], ebd. 375 Dokument ohne Titel [Rede Miroslav Grisas auf der Sitzung des Beirats des PT vom 21.9.1965], o. J. [21.9.1965], ebd. 376 Siehe etwa [Auszüge aus dem Gästebuch des PT], o. J. [1965], ebd. – Křížková: Stálé muzejní expozice, 59 f. 377 Dokument ohne Titel [Rede Miroslav Grisas auf der Sitzung des Beirats des PT vom 21.9.1965], o. J. [21.9.1965], SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. 378 Zit. nach ebd. 379 [Miroslav Grisa]: Vysvětlivka k periodické revizi PT, provedené KO SKNV, 5.10.1965, ebd.

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sprechungen geforderten »Ausgewogenheit«380 die Ausstellung nun »hauptsächlich auf die jüdische Frage orientiert« sei. Die Rolle der KSČ dagegen sei völlig übergangen, der Internationalismus nicht zufriedenstellend berücksichtigt und die Bedeutung der Roten Armee bei der Befreiung Theresienstadts nicht genügend betont worden.381 Auch wenn er an anderer Stelle die neue Dauerausstellung insgesamt als »großen Fortschritt« bezeichnete, verstand Vlček nicht, wieso in ihr die Bedeutung der Kleinen Festung herabgemindert worden sei.382 Selbst Miroslav Grisa, der hinter der Neuinstallierung der Dauerausstellung stand, schlug letztlich vor, nach der zahlreichen und – so seine Einschätzung – »berechtigten« Kritik von Seiten der Besucher, die Ausstellung leicht zu verändern, sodass deutlicher an die »aktive Resistenz, den Anteil der Widerstandsgruppen und Ähnliches« erinnert werde.383 Trotz dieser kritischen Stellungnahmen und restaurativen Tendenzen ging die allgemeine Entwicklung der Gedenkstätte Theresienstadt klar in eine Richtung: Der Regierungsbeschluss vom Dezember 1968, der einige Monate nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings angenommen wurde und das zentrale Dokument für die weitere Entwicklung der Gedenkstätte darstellte, umfasste viele der seit 1945 von der jüdischen Gemeinde eingemahnten Veränderungen. Unter den Aufgaben fanden sich hier der Aufbau einer Dauerausstellung in der Stadt Theresienstadt, das heißt die Errichtung eines Ghetto-Museums, der permanente Zugang zur Stelle an der Ohře, der die ganzen 1960er Jahre über von der Militärverwaltung behindert wurde, und die Errichtung eines zentralen Denkmals in der Stadt Theresienstadt in Erinnerung an die Opfer des Ghettos.384 Damit wurde jene Tendenz bestärkt, die schon in der Dauerausstellung von 1965 erkenntlich wurde: Das Schicksal der Juden, die Shoah, nahm einen immer sichtbareren Raum in der Beschäftigung mit der Geschichte Theresienstadts der Jahre 1939 bis 1945 ein. Hatte bislang der Schwerpunkt zahlreicher Forderungen auf dem jüdischen Friedhof, dem Krematorium und der Stelle an der Ohře gelegen, ging es nun tatsächlich um den Kern des Pro380 So in der Sitzung des Gedenkstättenbeirats vom Januar 1965: Zápis z jednání poradního sboru PT dne 12. ledna 1965, o. J. [Januar 1965], ebd. 381 Václav Vlček an Miroslav Grisa (PT), 19.5.1965, ebd. 382 Zápis z jednání Por[adního] sboru PT dne 21. září 1965, o. J. [September 1965], ebd. 383 Ebd.  – Gegenüber dem hier zitierten Sitzungsprotokoll klang diese Passage im ursprünglichen Vortragstext Grisas noch deutlicher: Ausdrücklich erinnert werden sollte in der Dauerausstellnug an den aktiven Widerstand, die internationalen Wesensmerkmale des Antifaschismus und die führende Rolle der kommunistischen Partei im Widerstand. Dokument ohne Titel [Rede Miroslav Grisas auf der Sitzung des Beirats des PT vom 21.9.1965], o. J. [21.9.1965], ebd. 384 Návrh usnesení zum Usnesení vlády ČSR ze dne 5.  prosince 1968 č. 446 k návrhu na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, ebd., Kt. 1.

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blems: darum, an das ehemalige Ghetto und seine jüdischen Opfer weithin sichtbar zu erinnern, das heißt mitten in der Stadt Terezín, an der Straße zwischen Prag und Litoměřice. Nach den hastigen Renovierungen in der Stadt nach Kriegsende, einem buchstäblichen Überschreiben der Vergangenheit durch die örtliche Bevölkerung, seien bereits zehn Jahre nach Kriegsende in der Stadt »selbst die kleinsten Spuren ausgelöscht« gewesen, die daran erinnerten, »dass hier ein Ghetto unserer Tage errichtet wurde, ein Konzentrationslager«.385 Weitere zehn Jahre später wurde diese Kritik von Seiten der jüdischen Gemeinde wieder aufgenommen: In Theresienstadt erinnere kaum etwas an die Geschichte des Ghettos. »Geht ein Mensch, der nichts über Theresienstadt weiß, durch die Stadt, wird er sich nur schwer vorstellen können, dass hier einst ein jüdisches ›Ghetto‹ war, besser gesagt ein Konzentrationslager für Juden.«386 Ebendies beklagte im Sommer 1966 aber auch Miroslav Grisa: »Abgesehen vom Krematorium und dem Friedhof gibt es in der Stadt nichts, das daran erinnern würde, dass sich an diesem Ort das größte Konzentrationslager auf unserem Gebiet befand.«387 Die Versuche, diesen Missstand zu beheben, häuften sich Ende der 1960er Jahre, insbesondere mit dem Regierungsbeschluss von 1968 und dem im selben Jahr ausgeschriebenen architektonischen Wettbewerb. Dieser hatte eine weitreichende Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt zum Ziel, betraf allerdings zu einem überwiegenden Teil die Gedenkorte des ehemaligen Ghettos Theresienstadt: zuallererst den jüdischen Friedhof, die Stelle am Fluss Ohře und das Denkmal der Opfer des Ghettos in der Stadt Terezín. Dabei waren in der ersten Hälfte der 1960er Jahre zunächst überwiegend alte Forderungen wiederholt worden: So äußerte Richard Feder im November 1963 vor Vertretern des Schul- und Kulturministeriums den Wunsch, noch erleben zu dürfen, dass der jüdische Friedhof und das Krematorium in Theresienstadt ein integraler Teil der Gedenkstätte Theresienstadt würden.388 Dasselbe Anliegen vertrat auch der Verband der antifaschistischen Kämpfer.389 Tatsächlich wurde das Krematorium zunehmend als Bestandteil der Gedenk385 Doplněk ke zprávě o návštěvě delegace amerických rabínů /první skupina konserva­ tivní, která dlela v Praze ve dnech 18. až 22.7.1956/. Návštěva v Terezíně, NA , f. SÚC , Kt. 211. 386 RŽNO an MŠK : Návrh na označení některých památných míst v městě Terezín, 17.6.1964, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 387 Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, ebd., Kt. 9. 388 Podklady k přijetí představitelů RŽNO, 10.12.1963, NA , f. MŠK , Kt. 56. – Zápis ze sjezdu delegátů židovské náboženské společnosti v krajích českých a moravských, 24.11.1963, ebd. – Siehe ferner Převod PNU v Terezíně do správy MNV v Terezíně, o. J. [1957?], SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. 389 KV SPB Ústí (Severočeský kraj) an Dolejše (OŠK SKNV), 12.6.1963, ebd., Kt. 1.

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stätte behandelt.390 Mitte der 1960er Jahre fand es, gemeinsam mit dem jüdischen Friedhof, auch in die Führungen der Gedenkstätte Aufnahme.391 Über das Krematorium, in dem von der jüdischen Gemeinde mit nur sehr wenigen Objekten eine Art Ausstellung zum Theresienstädter Ghetto entworfen worden war,392 gelangte folglich die Frage des jüdischen Ghettos auf die Tagesordnung der Gedenkstättenarbeit. Fragen zur richtigen Auslegung der Geschichte des Ghettos und zur Unterscheidung zwischen dem Ghetto und der Kleinen Festung wurden seit Mitte der 1960er Jahre immer präsenter und erforderten eine Neuorientierung der Führungen durch die Gedenkstätte.393 Zu diesem Zwecke sollten die Führer des Památník T ­ erezín auch an Instruktionen des Staatlichen Jüdischen Museums teilnehmen, um sich mit der Geschichte des jüdischen Ghettos vertraut zu machen.394 Eine Begleiterscheinung des steigenden Interesses am jüdischen Schicksal in Theresienstadt war, dass eine immer größere Anzahl an Besuchern sich des unterschiedlichen Zustandes von jüdischem Friedhof und Nationalfriedhof bewusst wurde. Die Gedenkstättenleitung schätzte diese Diskrepanz Mitte der 1960er Jahre als nicht mehr tragbar ein: Man müsse, so ein Arbeitsplan für die Jahre 1965–1970, »das Niveau des jüdischen Friedhofs heben«, da dessen »trostloser Zustand« in auffallendem Gegensatz zu jenem des Nationalfriedhofs stehe.395 Damit in Zusammenhang stand auch die Frage der Nutzung des Areals direkt neben dem jüdischen Friedhof für militärische Übungen. Denn durch diese Manöver wurde nicht nur das Gelände um den Friedhof stark in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch dem Ort spürbar kein Respekt gezollt.396 Mehr als das: Mehrfach drangen Soldaten im Rahmen ihrer Übungen auf das Gebiet des Friedhofs ein und machten dort Gebrauch von ihren Waffen.397 Dies war ein strittiger Punkt, der erst Ende der 1960er Jahre gelöst werden konnte. 390 1965 wurde etwa das Krematorium als »Zweigstelle« bzw. »Ableger« (pobočka) der Gedenkstätte definiert: Výkaz o muzeu za rok 1965, o. J., ebd., Kt. 8. – Pololetní (roční) ­výkaz o muzeu. I. pololetí 1965, 7.7.1965, ebd. – Kryl: Lieux commémoratifs, 62, spricht davon, dass bereits 1962 der jüdische Friedhof offiziell von der Gedenkstätte übernommen worden sei. 391 Úkoly historického oddělení na měsíc leden 1965, SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. – Příprava na poradu historického oddělení – 1. srpna 1966, ebd., Kt. 2. 392 Plán kulturní činnosti PNU na r. 1965, o. J. [1964], ebd., Kt. 8. 393 Zápis z porady pracovníků historického oddělení včetně externích průvodců konané dne 12. dubna 1966, 16.4.1966, ebd., Kt. 2. 394 PNU an SŽM, 14.1.1963, ebd. 395 Ideový plán rozvoje PT na léta 1965–1970, 29.7.1965, ebd., Kt. 8. 396 F. Štaubr (KSSPPOP): Návrh drobných úprav v PT, 3.3.1965, ebd. – Frühe Kritik an den militärischen Übungen in unmittelbarer Nähe des jüdischen Friedhofs ist auch aus der Mitte der 1950er Jahre erhalten: Korrespondenz zwischen Vladislav Plucnar (SKNV) und der Posádková správa, 6.11.1955, 9.2.1956 und 17.2.1956, ebd., Kt. 2. 397 Miroslav Grisa (PT) an Posádková správa Terezín, 6.6.1966, ebd., Kt. 9.

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Erste kleinere Renovierungsarbeiten am jüdischen Friedhof begannen bereits Mitte der 1960er Jahre.398 Auch die Aufstellung von individuellen Grabsteinen wurde fortgesetzt – weiter auf Initiative und Kosten von Einzelpersonen, oft im Ausland lebende Nachfahren der Verstorbenen.399 Die bereits lange geforderte Aufnahme des Krematoriums und des jüdischen Friedhofs in die Agenda der Gedenkstätte Theresienstadt wurde jedoch erst Ende der 1960er Jahre vollends umgesetzt. Erst damit konnten weitreichende Instandhaltungsarbeiten aufgenommen und ein längerfristiger Plan zur Gestaltung dieses Ortes entworfen werden. Das Krematorium wurde in den Jahren 1967 und 1968 renoviert und anschließend der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Der gesamte jüdische Friedhof war schließlich eines der Kern­stücke des architektonischen Wettbewerbs,400 der Anfang 1968 von der Gedenkstätte Theresienstadt ausgeschrieben wurde, aber bereits einige Jahre zuvor vorbereitet worden war.401 Der »urbanistische, architektonische und künstlerische Wettbewerb« betraf keineswegs allein die Gedenkorte des ehemaligen Ghettos. Diese waren aber in den Plänen äußerst prominent vertreten:402 Der Wettbewerb umfasste die Neugestaltung des jüdischen Friedhofs mit dem dortigen Krematorium, die Errichtung eines Ghetto-Denkmals (einer Plastik) als Dominante der Stadt Terezín, die Zugänglichmachung des Gedenkortes am Ufer der Ohře, die Ausstattung dieses Ortes mit einem Denkmal, die Umgestaltung des Nationalfriedhofs einschließlich der Frage einer neuen Dominante, die Gestaltung des ehemaligen Flossenbürger Außenlagers Richard in Litoměřice mit dem dortigen Krematorium sowie den Aufbau eines modernen Areals für den Besucherdienst zwischen der Kleinen Festung und der Stadt Terezín.403

398 Miroslav Grisa an KSSPPOP Ústí n.L., 16.9.1965, ebd., Kt. 8. 399 Siehe dazu etwa Kubíčková (Plzeň) an ŽNO Praha, 13.1.1963, ebd. – PNU an Frank O. Wittner, New York, 7.2.1964, ebd. – Dr. B. Karlsberg (Amsterdam) an Národní výbor v Terezíně, 6.7.1964 und Antwort des PNU an Karlsberg, 17.7.1964, ebd. – Siehe auch bereits aus 1957: Informationsbulletin [Dezember 1957], 18–19, zit. nach CJH, LBI, AR 377, folder 1. 400 Rede Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 401 Miroslav Grisa an Kulturní správa Ústí: Úkoly, vyplývající z usnesení předsednictva SKV KSČ , 5.9.1966, ebd., Kt. 9. – Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, ebd. – Zápis ze schůze poradního sboru, 16.11.1967, ebd., Kt. 11. 402 Deutlich etwa bei Miroslav Pávek: Smysl práce a úkoly Památníku Terezín, o. J. [1969], ebd., Kt. 12.  – Dieser Text war als Leitartikel für das geplante neue Periodikum der Gedenkstätte »Terezínské listy« (Theresienstädter Blätter) konzipiert. Als allerdings ­deren erste Nummer schließlich im Jahre 1970 erschien, war Pávek bereits von seinem Posten entlassen und so wurde auch der Artikel nie publiziert. Siehe hierzu Poloncarz: Jubileum, 10. 403 Zpráva o současném stavu a perspektivách rozvoje PT, o. J. [ca. 1969], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.  – Miroslav Pávek: ohne Titel [Ausschreibung des architektonischen Wett-

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Wegen der turbulenten politischen Situation in der Tschechoslowakei im Sommer 1968, ausgelöst durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts am 21. August, wurde nicht nur der Wettbewerb bis Ende Oktober verlängert, sondern reichten auch bloß 13 der 53 angemeldeten Teilnehmer ihre Entwürfe ein.404 Der erste Preis wurde an den Bildhauer Ladislav Chochole und die Architekten Josef Lavička und Jiří Navrátil vergeben. Ein zweiter Preis wurde nicht vergeben, jedoch ein dritter Preis für den Architekten Ladislav Knittl und den Bildhauer Ladislav Kozák, und zwar für deren Entwurf eines »Jüdischen Mausoleums« in der Stadt Terezín, das als neue Idee über die vorgesehenen Projekte hinausging.405 Nach Auswahl des Siegerprojekts nahmen im April 1969 die umfangreichen Arbeiten am jüdischen Friedhof ihren Anfang,406 und er war es auch, der bis zum Abschluss der Arbeiten im Jahr 1972 die sichtbarsten Veränderungen durchlief. Die bisherigen Denkmäler am Friedhof, jenes bislang zentrale von 1955 sowie die kleinen individuellen Grabsteine, wurden an die beiden Ränder versetzt und mit der monumentalen siebenarmigen Menora aus Granit ein deutlich sichtbares Symbol der jüdischen Kultur errichtet, dessen Abbildung auch in den zukünftigen Publikationen zur Gedenkstätte Theresienstadt meist nicht mehr fehlte.407 An die Stelle der individuellen Grabsteine wurden kleine symbolische Grabsteine aus Naturstein über den ganzen Friedhof verteilt gesetzt, die anstatt eines Namens nun auf der abgeschrägten Oberseite einen kleinen Davidstern trugen. Zudem wurde der Friedhof, teils mit Bäumen, teils mit einer mit Steinplatten abgehängten Mauer, umzäunt; ein Parkplatz und ein neuer Zugang über bisheriges Militärgelände wurde geschaffen sowie zwei erklärende Tafeln zu Friedhof und Krematorium aufgestellt. Ebenso als Teil  des jüdischen Friedhofs wurde in dessen östlichem Teil die Allee der Nationen geschaffen, die auf einem leicht

bewerbs zur Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt], o. J. [Januar 1968], ebd., Kt. 11. – Miroslav Pávek (PT) an Bárta (Výstavní služba), Praha, 2.12.1968, ebd. – Heitlinger, O[ta]: Památník Terezín vypisuje soutěž. In: Věstník 30/2 (1968), 4 f. 404 Von den 53 angemeldeten Teilnehmern spricht auch: Přípravný výbor Terezín. In: Věstník 30/9 (1968), 5. – Siehe genauso Prsť z Terezína do Chateaubriantu. In: Proud Nr. 38 vom 20.9.1968, [1]. 405 Miroslav Pávek (PT) an Bárta (Výstavní služba), Praha, 2.12.1968, SOA Litoměřice, PT, Kt. 11. – Zdeněk Musil (PT) an ak.arch. Wágner (Výstavní ústředí), 4.11.1968, ebd. – Miroslav Pávek (PT) an George Weis, 21.11.1968, ebd. – Pávek, Miroslav: Další terezínský krok. In: Věstník 30/12 (1968), 6. – O budoucí podobě památníků rozhodnuto. In: Proud Nr. 47 vom 22.11.1968, [1]. – Eine Abbildung des Entwurfs in Terezínské listy 1 (1970), o. S. 406 Památník Terezín. Současný stav  a plán rozvoje, o. J. [1969], 15, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Zdeněk Musil / Václav Novák: Plán hlavních úkolů na r. 1969, ebd., Kt. 12. 407 Siehe etwa Votoček: Terezín. – Památná místa boje. – Novák: Terezín (1988).

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herab­gesetzten Terrain, auf dem sich Massengräber befinden, der Opfer aus 16 Ländern gedenkt.408 Der neue jüdische Friedhof, finanziert zu einem wichtigen Teil aus internationalen Sammlungen, die das Wiener Jüdische Komitee für Theresienstadt unter Georg Weis koordiniert hatte,409 wurde am 3. September 1972 der Öffentlichkeit übergeben.410 In Anweseheit von 1.000 Gästen wurde der Friedhof feierlich eingeweiht,411 als Rahmenprogramm wurde die dem Kulturleben im Ghetto gewidmete Ausstellung über Kunst in Theresienstadt 1941–1945 (Umění v Terezíně 1941–1945) in der Kleinen Festung eröffnet.412 Zeitgleich, das heißt ab Mitte der 1960er Jahre, wurden auch die Objekte, in denen zu Zeiten des Ghettos die Zeremoniensäle, die Leichenhalle und das so genannte Kolumbarium, der Urnenhain, untergebracht waren, vom Památ­ ník Terezín übernommen und renoviert.413 Bereits 1965 waren diese am südlichen Stadtrand liegenden Objekte, die teilweise als Deponien verwendet

408 Manchmal wird die Zahl der Länder mit 17 oder 18 angegeben, da in der Allee der Nationen die BRD und die DDR separat erwähnt werden und auch den »unterschiedlichen Nationen« ein Platz gewidmet ist. Zur Umgestaltung des jüdischen Friedhofs siehe etwa Pávek, Miroslav: Co se děje na židovském hřbitově v Terezíně? In: Věstník 31/6 (1969), 2.  – Jiří Navrátil / Josef Lavička: Akce: Židovský hřbitov. Souhrnná zpráva, Juni 1969, SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. – Kramer: Památná místa, 85 f. 409 Hlavní úkoly, o. D. [Ende 1968 / Anfang 1969], SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. – Miroslav Pávek: Smysl práce a úkoly Památníku Terezín, o. D. [1969], ebd. – Miroslav Pávek (PT) an ONV Litoměřice, odbor pro vnitřní věci, 1.8.1969, ebd. – Zápis o situaci na rekonstrukci ruského  a židovského hřbitova, 11.5.1971. In: Maxmilián Pergler (OK SKNV). Do schůze kulturně-výchovné komise SKNV dne 20.5.1971, ebd., Kt. 13. – Václav Novák (PT) an Šnýdr (MK , SPVC), 4.4.1973, ebd., Kt. 14. – Václav Novák (PT) an OK SKNV, 1.2.1980, ebd., Kt. 17. 410 Kryl: Lieux commémoratifs, 64. – Zpráva o plnění vládního usnesení 446/68 na úseku stavebně-technickém k 30.9.1972, ebd., Kt. 14. – Kramer: Památná místa, 85, spricht von der Fertigstellung im Jahr 1974, da einzelne Details erst in den Jahren 1973 und 1974 abgeschlossen worden waren. 411 Václav Novák (PT) an Fiala (OK SKNV), 7.3.1973, SOA Litoměřice, PT, Kt. 14. 412 Václav Novák: Zpráva o plnění vládního usnesení č. 446/68 k 31.5.1972, 31.5.1972, ebd. – Weiter zum geplanten Rahmenprogramm Václav Novák (PT) an Dilia, 18.1.1972, ebd. – Ivana Kuzivová (PT) an Leo Spitzer, 5.4.1972, ebd. – Zápis z gremiální porady, konané v kanceláři ředitele, 15.2.1972, ebd. – Kryl, Miroslav: Terezín (Theresienstadt) am 3. September 1972. In: Judaica Bohemiae 9/1 (1973), 43 f. 413 Zápis z jednání poradního sboru PT 23. října 1964, o. J. [Oktober 1964], SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. – Harmonogram na zajištění nejnutně[j]ších úprav PNU v Terezíně do doby oslav 20. výročí osvobození naší republiky sovětskou armádou, 27.6.1964, ebd. – Miroslav Grisa an Krajská vojenská stavební a ubytovací správa Litoměřice, 12.4.1965, ebd. – Miroslav Grisa an KSSPPOP, 12.5.1965, ebd. – Zápis z jednání Por[adního] sboru PT dne 21. září 1965, o. J. [September 1965], ebd. – Miroslav Grisa an Štauber (KSSPPOP Ústí), 6.10.1965, ebd. – Siehe auch Rede Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], ebd., Kt. 1. – Památník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], ebd.

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worden waren,414 aus der Militärverwaltung der Gedenkstätte über­geben worden.415 Die anschließende Renovierung umfasste auch die Erhaltung und Restaurierung der hebräischen Aufschrift im jüdischen Zeremoniensaal. Dies muss als eindeutiger Bruch zu den 1950er Jahren gesehen werden, als, um das Krematorium in die Gedenkstätte zu integrieren, verlangt worden war, alle religiösen Symbole zu beseitigen. Nun wurde demgegenüber mit dem jüdischen Zeremoniensaal ein Ort präsentiert, der in der Zeit des National­ sozialismus eine religiöse Funktion innehatte, was durch die Gestaltung klar hervorgehoben wurde.416 Als erstes neues Objekt wurde schließlich – wenn auch mit dreijähriger Verspätung gegenüber den ersten Plänen von 1964  – die Leichenhalle mit den Zeremoniensälen im Juli 1968 der Öffentlichkeit übergeben.417 Hier bot die Gedenkstätte Führungen an,418 es sollten museale Gegenstände, ja ein »Gedenksaal« eingerichtet werden.419 Im Organ des Rats der jüdischen Gemeinden wurde dies begrüßt. Es gäbe nun in Terezín, im ehemaligen Ghetto, endlich etwas, »was man den Besuchern zeigen kann ohne sich zu schämen.«420 Dies galt auch für das Kolumbarium, das nur wenig später renoviert und in die Gedenkstätte einbezogen werden sollte.421 Die Pläne für dieses Areal gingen noch weiter: Kurze Zeit wurde sogar über die Beteiligung Marc Chagalls an der Renovierung der Fenster des Kolumbariums gesprochen.422 Relativ früh, das heißt im Jahr 1966, lagen bereits Entwürfe von Gedenktafeln für die Leichenhalle und das Krematorium vor.423 Als Teil dieses neuen Geländes sollten auch die Reste der Bahngleise ein­bezogen werden, die von Bohušovice (Bauschowitz) nach Theresienstadt 414 Konkret hierzu etwa MKI: Materiál pro kolegium ministra: Návrh vládního usnesení na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, 16.3.1967, ebd., Kt. 10 415 Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, ebd., Kt. 9. 416 Hierzu siehe auch die Wortmeldung von Karel Lagus in der Beiratssitzung vom April 1966: Zápis ze schůze poradního sboru PT, konané 13. dubna 1966, 29.4.1966, ebd. 417 Splacený dluh bývalému ghettu. In: Proud Nr. 29 vom 19.7.1968, [1]. 418 -kl-: Terzínská márnice upravena a zpřístupněna. In: Věstník 30/9 (1968), 5. – Rede -­ Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Památník Terezín. Současný stav  a plán rozvoje, ebd.  – Siehe auch zur Idee, von den Führungen an diesen Orten ausgehend Führungen durch die Stadt Terezín anzubieten: Zpráva k chystané pietní úpravě márnice, obřadních místností a kolumbaria, o. J. [ca. 1966], ebd., Kt. 9. – Kramer: Památná místa, 87. – Kryl: Lieux commémoratifs, 62. 419 Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, SOA Litoměřice, PT, Kt. 9. – Miroslav Grisa (PT) an Kulturní správa, Ústí, 3.6.1966: Plán výstavných akcí na rok 1967, ebd. 420 -kl-: Terzínská márnice upravena a zpřístupněna. In: Věstník 30/9 (1968), 5. 421 Zdeněk Musil / Václav Novák: Plán hlavních úkolů na r. 1969, SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. 422 Miroslav Pávek (PT) an George Weis, 21.11.1968, ebd., Kt. 11. – Hlavní úkoly, o. J. [Ende 1968 / Anfang 1969], ebd., Kt. 12. 423 Návrh k označení významných budov a míst ve městě Terezíně, 9.12.1966, ebd., Kt. 9.

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führten und sich in direkter Nachbarschaft von Leichenhalle und Kolumbarium befinden.424 Es wurde offensichtlich daran gedacht, eine historische Lokomotive als Ausstellungsstück auf die Gleise zu stellen, jedenfalls ging man bereits an die Konservierung einer derartigen Lokomotive.425 Selbst wenn auf Grund des politischen Kurswechsels nach 1968/1969 viele der Vorschläge nicht realisiert werden konnten, wurden diese neuen Objekte nun, gemeinsam mit dem nahen jüdischen Friedhof und dem Krematorium, als ein »weiterer Komplex von Objekten« der Gedenkstätte Theresienstadt, als geschlossenes Ganzes verstanden.426 Für die hier angebotenen Führungen wurden schließlich auch eigene Saisonkräfte für die Sommermonate aufgenommen.427 Besondere Bedeutung kam der Leichenhalle und den Zeremoniensälen nicht zuletzt deswegen zu, weil diese in den 1970er und 1980er Jahren die einzigen Gedenkorte in der Stadt Terezín bleiben sollten, sieht man von einigen Gedenktafeln ab, von denen noch die Rede sein wird. Fast ebenso lange wie die würdevolle Gestaltung des jüdischen Friedhofs in Theresienstadt wurden die Zugänglichmachung des Gedenkorts am Ufer der Ohře und seine Herrichtung als Denkmal gefordert.428 An diesem Beispiel können die Tendenzen zur Vereinheitlichung und Universalisierung – im Namen des Antifaschismus – ebenso wie die Hartnäckigkeit der Militärverwaltung veranschaulicht werden. Letzteres umso mehr, als den freien Zugang zu dieser Stelle allmählich immer mehr Stellen verlangten, so etwa neben der jüdischen Gemeinde ab Mitte der 1960er Jahre die Gedenkstätte Theresienstadt, der Stadtnationalausschuss und der Verband der antifaschistischen Kämpfer.429 Die Gedenkstätte Theresienstadt sprach 1966 davon, Objekte des ehemaligen Ghettos in die Gedenkstätte einzugliedern und eine neue Führungs-Strecke durch die Stadt anzubieten, die auch die Stelle an der Ohře einschließen sollte.430 Selbst als großflächige Pläne zur Umgestaltung 424 Zdeněk Musil / Václav Novák: Plán hlavních úkolů na r. 1969, ebd., Kt. 12. – Zápis z porady, konané v PT, 10.5.1971. In: OK SKNV (Maxmilián Pergler). Do schůze kulturněvýchovné komise SKNV dne 20.5.1971, ebd., Kt. 13 – Rede Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], ebd., Kt. 1. – Památník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], ebd. – Krylová: Terezín, 56. 425 Hlavní úkoly, o. J. [Ende 1968 / Anfang 1969], SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. 426 Památník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], 15, ebd., Kt. 1. – Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd., Kt. 11. 427 Rozbor činnosti za 1. pololetí roku 1971, 23.7.1971, ebd., Kt. 13. 428 Siehe hierzu auch Kramer: Památná místa, 87. 429 Porada historického oddělení konaná 3. června 1966, SOA Litoměřice, PT, Kt. 2. – Miroslav Grisa / Josef Povolný: Terezín a jeho problémy, o. J. [Anfang 1966], ebd., Kt. 9. – Gekürzt und ohne Autorenangabe als Leserbrief veröffentlicht: Starosti s Terezínem. In: Literární noviny 15/10 (1966), 2. 430 Návrh na převzetí objektů – pozůstatků po bývalém koncentračním táboře pro židy, o. J. [ca. 1966], SOA Litoměřice, PT, Kt. 9.

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Theresienstadts 1967 und 1968 immer konkreter wurden, hatte das Verteidigungsministerium den Ort immer noch nicht frei gegeben. In ihrer offenen und dem Zeitgeist des Prager Frühlings entsprechenden Stellungnahme vom April 1968 an die breite Öffentlichkeit wiederholte die jüdische Gemeinde die Freimachung der Stelle an der Ohře als eine ihrer konkreten Forderungen.431 Die Umgestaltung und allgemeine Zugänglichmachung dieser Stelle war schließlich auch einer der zentralen Anliegen des architektonischen Wettbewerbs von 1968. Es dauerte noch bis 1971, dass die Stelle endgültig von Seiten der Militärverwaltung frei gemacht, die militärischen Objekte abgerissen und das Gelände der Gedenkstätte Theresienstadt übergeben wurde. 1974 konnte das neue Denkmal der Öffentlichkeit präsentiert werden und war von nun an allgemein zugänglich.432 Relativ schlicht bestand es aus einem in einen Kreis aus Steinen eingesetzten Denkmal mit einer leicht erhöhten symbolischen Urne und einer in das Denkmal eingesetzten bronzenen Gedenktafel. An jüdische Opfer wurde hier – zumindest explizit – nicht erinnert. Die Grenzen der 1960er Jahre: Die Sichtbarmachung des Holocaust in der Stadt Terezín

Anders als die marginalen, weil außerhalb oder am Rande der Stadt liegenden Orte wie der jüdische Friedhof mit dem Krematorium, das Kolumbarium und die ehemalige Leichenhalle, spaltete die Frage der Gestaltung des Stadtkerns stärker die Meinungen der Verantwortlichen. Obwohl in den 1960er Jahren zunehmend die Abwesenheit der Geschichte und Erinnerung des Ghettos im Leben der Stadt Terezín bemängelt werden konnte, und obwohl sich nun im431 Ústřední organizace židů v Československé republice zaujímají stanovisko k procesu demokratické obrody. In: Věstník 30/4 (1968), [1]f. – Gekürzt wiedergegeben auch als Žádost českých židů. In: Literární listy 1/14 (1968), 2.  – Die Forderung zuvor bereits etwa in Poznámky z jednání terezínské komise z 8. června 1966, o. J. [Juni 1966], SOA Litoměřice, PT, Kt. 9. – Karel Lagus (SŽM) an Miroslav Grisa (PT), 29.7.1965, ebd., Kt. 1. 432 Zur Errichtung des Denkmals und den parallelen Verhandlungen mit dem Verteidigungsministerium siehe etwa Památník Terezín. Současný stav  a plán rozvoje, o. J. [1969], ebd. – Dokument des OK SKNV: Harmonogram k vládnímu usnesení č. 446/68 o Památníku Terezín, o. J. [Oktober 1974], ebd. – Zápis jednání o uvolnění levého břehu řeky Ohře pro potřeby PT konaného dne 2.  srpna 1968, o. J. [August 1968], ebd., Kt. 11. – Krajská vojenská ubytovací a stavební správa an PT, 20.10.1969, ebd., Kt. 12. – Vác­ lav Novák: Zpráva o plnění harmonogramu výstavby PT, o. J. [September 1970], ebd., Kt. 13. – Zápis z porady, konané v PT, 10.5.1971. In: OK SKNV (Maxmilián Pergler). Do schůze kulturně-výchovné komise SKNV dne 20.5.1971, ebd. – Rozpracování usnesení XIV. sjezdu KSČ ke kultuře, o. J. [November 1971], ebd. – Kramer: Památná místa, 87. – Kryl: Lieux commémoratifs, 62. Hier im Anhang auch eine Abbildung des neuen Denkmals. – Siehe auch die Abbildung 333 in Novák: Terezín (1988), o. S. – Důstojná úprava památného místa na břehu Ohře. In: Věstník 36/6 (1974), 6.

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mer mehr Akteure mit Vehemenz und wesentlich umfangreicher als bisher für die Musealisierung auch der Großen Festung einsetzten, stießen hier die Projekte auf deutliche Grenzen, wurden hinausgezögert – und in mehreren Fällen nach der politischen Zäsur von 1968/1969 wieder fallen gelassen. Bereits Anfang 1963 meinte Vilém Benda, der Direktor des Staatlichen Jüdischen Museums in Prag, dass als Grundlage der Gedenkstätte nicht nur die Kleine Festung, sondern Theresienstadt als Ganzes genommen werden sollte.433 Auch von nichtjüdischer Seite wurde zunehmend kritisiert, dass die Besucher der Gedenkstätte während ihrer Besichtigung sich nicht dessen bewusst würden, dass – durch das ehemalige Ghetto – die ganze Stadt Theresienstadt zur Gedenkstätte gehöre.434 Josef Povolný, der Vorsitzende des Stadtnationalausschusses in Terezín und als solcher Beiratsmitglied der Gedenkstätte, meinte Anfang 1965, dass (auch) deswegen das Interesse der Besucher Theresienstadts sich auf die Kleine Festung konzentriere, weil es in der Stadt nichts gebe, das an die Existenz des ehemaligen Ghettos erinnere.435 Bereits zwei Jahre zuvor wurde vom Stadtnationalausschuss die Bedeutung der Stadt, das heißt des ehemaligen Ghettos, besonders hervorgehoben. Um dafür zu plädieren, dass die Gedenkstätte weiterhin in der Zuständigkeit des Stadtnationalausschusses blieb, argumentierte man mit dem Stellenwert des ehemaligen Ghettos: Die Geschichte der Kleinen Festung hänge eng mit jener der Stadt zusammen, es hätte sich um zwei Konzentrationslager gehandelt, ein »politisches und ein rassisches«, die schwer voneinander getrennt werden könnten. Auch gegen die lange übliche isolierte Betrachtung des Theresienstädter Krematoriums und die Versuche, die Geschichte des Krematoriums einseitig mit dem Schicksal der Kleinen Festung  – und nicht mit dem des jüdischen Ghettos  – in Verbindung zu bringen, wurde Protest eingelegt: Man könne nicht die Tatsache übergehen, »dass das Krematorium für das Theresienstädter Ghetto errichtet wurde und Teil dieses rassischen Konzentrationslagers war.«436 Die Leitung des Památník Terezín kritisierte schließlich offen, dass die Gedenkstättenarbeit der letzten 20 Jahre sich einseitig auf die Kleine Festung konzentriert habe und dass die Geschichte des Ghettos und das Schicksal der jüdischen Opfer – insbesondere in den 1950er Jahren – übergangen worden sei. So sei auch die Rolle des Ghettos in den Ausstellungen immer weiter an den Rand gedrängt worden.437 Mehr noch als das, diese Kritik konnte 433 Zápis o jednání komise pro řízení PNU, 14.2.1963, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 434 Terezín [handschriftliches Dokument, wohl vom KV KSČ], o. J. [1963/1964], ebd. 435 Zápis z jednání poradního sboru PT dne 12. ledna 1965, o. J. [Januar 1965], ebd., Kt. 8. 436 Rada MěNV Terezín an odbor pro školství a kulturu ONV Litoměřice, 16.12.1963, ebd., Kt. 1. 437 Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, ebd., Kt. 9.

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nun, im politisch liberaleren Umfeld der 1960er Jahre, auch in den Medien offen geäußert werden. Richard Feder und der Schriftsteller Jiří Robert Pick, beide Überlebende des Ghettos Theresienstadt, entfachten in den »Literární noviny« (Literaturzeitung) Ende 1965 eine Polemik, die auf die Leerstelle der lokalen Erinnerung in der Stadt Terezín aufmerksam machte.438 Dass die beiden Leserbriefe in den »Literární noviny« – einem auflagenstarken Wochenblatt mit großem Einfluss auf die gebildete Öffentlichkeit  – veröffentlicht wurden, war wohl kein Zufall, ersetzten sie doch zu einem gewissen Grad ein »oppositionelles Blatt«.439 Jedenfalls zwangen die Leserbriefe den Leiter der Gedenkstätte, Miroslav Grisa, und den Vorsitzenden des Stadtnationalausschusses, Josef Povolný, dazu, öffentlich Stellung zu nehmen und die »Sorgen mit Theresienstadt« einzugestehen.440 Als Mitte der 1960er Jahre sich folglich die Bereitschaft zeigte, an diesem Zustand etwas zu ändern, verwies Pavel Troják vom Nordböhmischen Kreisnationalausschuss auf die schwierige Frage, womit denn zu beginnen sei. Die Umgestaltung der Stadt Terezín müsse, so Troják, schrittweise erfolgen. Denn es wäre unmöglich, alle Forderungen zu meistern, »die sich in dieser Richtung in den letzten Jahren angehäuft haben.«441 Zumal diese in Wirklichkeit nicht erst aus den 1960er Jahren stammten, sondern bereits aus den zwei Jahrzehnten davor. Um die Vorschläge zu koordinieren, wurde beim Zentralausschuss des Verbands der antifaschistischen Kämpfer 1964 ein vorbereitender Ausschuss ehemaliger Theresienstadt-Häftlinge eingesetzt, dessen Aufgabe es war, eine Auswahl der Orte und Gebäude in Terezín zu treffen, die aus der Militärverwaltung freigegeben und als Gedenkorte hergerichtet werden sollten.442 Von unterschiedlichen Stellen wurden Maßnahmen gefordert, um die Geschichte des Ghettos in der Stadt Terezín sichtbar zu machen: Darunter befanden sich die Anbringung von Gedenktafeln an einer Reihe von Häusern und Kasernen in der Großen Festung sowie die Errichtung von zwei Orientie438 Pick, J[iří] R[obert]: Terezínské tabulky. In: Literární noviny 14/43 (1965), 2.  – Feder, Richard: Němý Terezín. In: ebd. 14/50 (1965), 2. – Ein weiterer Beitrag zu dieser Polemik stammte von František R. Kraus, der offensichtlich unveröffentlicht blieb. Siehe František R. Jraus [recte: Kraus]: A ještě Terezín-getto, o. J. [1965/1966], SOA Litoměřice, PT, Kt. 9. 439 Hoppe: Der Prager Frühling, 118. 440 [Grisa, Miroslav / Povolný, Josef:] Starosti s Terezínem. In: Literární noviny 15/10 (1966), 2. – Ungekürzt als Miroslav Grisa / Josef Povolný: Terezín a jeho problémy, o. J. [Anfang 1966], SOA Litoměřice, PT, Kt. 9. – Siehe ferner zu dieser Polemik: Václav Vlček (MŠK) an Miroslav Grisa (PT), 15.1.1966, ebd. – Miroslav Grisa / Josef Povolný an Literární noviny, redakce, 24.1.1966, ebd. – Literární noviny an Miroslav Grisa (PT), 3.3.1966, ebd. – Zápis ze schůze poradního sboru PT, konané 13. dubna 1966, 29.4.1966, ebd. 441 Zápis z jednání poradního sboru PT dne 12. ledna 1965, o. J. [Januar 1965], ebd., Kt. 8. 442 Zápis z jednání poradního sboru PT 23. října 1964, o. J. [Oktober 1964], ebd.

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rungstafeln an den Einfahrten in die Stadt. Diese sollten die Besucher knapp über die Geschichte des ehemaligen Ghettos informieren. Zudem sollte jene Ausstellung zum Ghetto in der Kleinen Festung (das »jüdische Museum«), das in den frühen 1950er Jahren abmontiert worden war, erneuert werden und mittelfristig ein kleines Ghetto-Museum direkt in der Stadt Terezín eingerichtet werden.443 Ein anderer Vorschlag, nun von einem Vertreter des Denkmalschutzes, betraf die Erhaltung eines Hauses in Terezín im Zustand wie zu Zeiten der Existenz des jüdischen Ghettos. Auch ausgewählte Straßen- und Blockbezeichnungen aus dem Ghetto, wie sie heute teilweise wieder sichtbar sind, sollten als ständige Mahnung an das Ghetto restauriert werden.444 Noch Anfang 1968 waren diese teilweise erhaltenen Bezeichnungen die einzigen deutlich sichtbaren Verweise auf die Existenz des Ghettos in der Stadt Terezín. Sie waren offensichtlich im Rahmen der Vorbereitungen für Zbyněk Brynychs 1962 gedrehten Film »Transport z ráje« (Transport aus dem Paradies) erneuert worden, der das Ghetto und seine propagandistische Funktion beleuchtete.445 Die konkrete Kenntlichmachung der historischen Rolle der Großen Festung Theresienstadt, das heißt die Erinnerung an das ehemalige Ghetto inmitten des heutigen Terezín, war trotz aller Bekundungen von Seiten der Gedenkstättenführung und trotz der Forderungen anderer Stellen wie der jüdischen Gemeinde, dem Verband der antifaschistischen Kämpfer oder des Kulturministeriums, wohl die heikelste Frage der Neuerungen in den 1960er Jahren. 1965 wurden einige Objekte in der Stadt Terezín bereits zu Teilen des Gedenkstätten-Areals erklärt  – jedoch mit dem Zusatz, dass der Zentral­ ausschuss des Verbands der antifaschistischen Kämpfer noch über deren Freigabe mit dem nationalen Verteidigungsministerium verhandle.446 Zeitgleich vermerkte jedoch Karel Lagus in seiner Funktion als Vorsitzender der »Theresienstädter Kommission« des SPB, dass die Verhandlungen wegen des ablehnenden Standpunkts der Militärverwaltung an einem »toten Punkt« angelangt seien.447 Die zahlreichen und über lange Jahre hinweg gestellten Anfragen an die Militärverwaltung Theresienstadts, Gebäude und Orte  – wie jenen an der 443 RŽNO an MŠK : Návrh na označení některých památných míst v městě Terezín, 17.6.1964, ebd., Kt. 1.  – Die meisten der Vorschläge (abgesehen vom in der Stadt zu errichtenden Museum) wurden übernommen im Vorschlag des Vertreters des Nordböhmischen Museums Liberec zur Umgestaltung der Gedenkstätte: Diskusní návrh koncepce národního kulturního památníku v Terezíně, o. J. [August 1964], ebd. 444 Zápis o jednání komise pro řízení PNU, 14.2.1963, ebd. 445 Přípravný výbor Terezín. In: Věstník 30/9 (1968), 5.  – Dazu, dass diese Aufschriften renoviert werden sollen, siehe auch: Křížková, Marie: Hmotné doklady o životě vězňů terezínského ghetta. In: Věstník 31/4 (1969), 5. 446 Miroslav Grisa an Vydrová (MNV Terezín), 5.2.1965, SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. 447 Karel Lagus (SŽM) an Miroslav Grisa (PT), 29.7.1965, ebd.

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Abbildung 6: Wo die Gedenktafeln anzubringen seien, war im Jahre 1968 bereits im Detail festgehalten worden. Hier das Gebäude der Sparkasse auf dem Hauptplatz der Stadt Terezín, wo einst die SS-Kommandantur ihren Sitz hatte. Foto: Jana Janoušková, 1968, APT, Fotoarchiv 1019/2.

Ohře  – freizugeben beziehungsweise zugänglich zu machen, belegen deutlich, welche Hürden die militärische Bürokratie und das Verteidigungsministerium der Erinnerung an die jüdischen Opfer Theresienstadts in den Weg legten.448 Es wäre allerdings zu einfach, alle Schuld dem Militär zuzuschreiben. Betrachten wir die Vorbereitungen zur Anbringung von Gedenktafeln an ausgewählten Häusern und Objekten des ehemaligen Ghettos, sehen wir eine ähnlich lange Vorlaufzeit und eine genauso zögerliche Umsetzung der ursprünglichen Ideen. Auch in dieser Frage war Mitte der 1960er Jahre die jüdische Gemeinde nicht mehr die einzige Fürsprecherin. Josef Povolný etwa sprach 1965 im Namen des Stadtnationalausschusses in Terezín bereits davon, dass nicht nur seine Institution, sondern auch das Památník Terezín sich an den Arbeiten 448 Zu den Forderungen und der Kritik siehe etwa das Schlusswort von Josef Hušek in ­Zápis ze schůze ÚV SPB , 21.11.1964, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55.  – Scharfe Kritik am fehlenden Entgegenkommen der Militärverwaltung findet sich etwa in Průvodní zpráva k návrhu vládního usnesení o zvýšení činnosti ideově politického působení a zlepšení stavu ­Památníku Terezín, o. J. [Dezember 1968], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.

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zur Kennzeichnung bedeutender Gebäude beteiligen werde.449 Ende 1966 war eine Auswahl der Objekte getroffen worden und die Texte der Gedenktafeln lagen als Entwurf vor.450 Karel Lagus war mit der Ausarbeitung der Texte beauftragt worden, František Fuchs und Bedřich Hellmann vom Rat der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei, ehemalige Häftlinge des Ghettos Theresienstadt, wurden zur Beratung der Texte herangezogen.451 Ein weiteres Jahr später ergriff Miroslav Pávek, Leiter der Gedenkstätte seit 1967, das Wort und meinte, dass die fünfsprachigen Tafeln in Terezín – nämlich, in folgender Reihenfolge, in tschechischer, russischer, französischer, englischer und deutscher Sprache – schon 1968 umgesetzt werden sollten.452 Kurz nach der gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings im Herbst 1968 glaubte Pávek, bis 1970 die Anbringung aller Gedenktafeln abschließen zu können.453 Doch 1969 musste die Gedenkstättenleitung – in erstaunlicher Ähnlichkeit zu den Erklärungen aus früheren Jahren – festhalten, dass »in der Stadt Terezín bislang praktisch keine einzige Aufschrift existiert, welche die Besucher und Bewohner der Stadt auf die Geschichte einiger wichtiger Objekte hinweisen würde.«454 Das Ansinnen, durch die Anbringung von Gedenktafeln diesem Missstand entgegenzuwirken, wurde forwährend hinausgezögert. Im Herbst 1968 hieß es, die ersten Tafeln sollten 1969 installiert werden, die restlichen (insgesamt 15) würden im Laufe des Jahres 1970 folgen.455 Wenig später lautete der Plan, beginnend mit 1969 ein bis zwei Tafeln pro Jahr der Öffentlichkeit zu übergeben.456 Die erste Gedenktafel wurde schließlich tatsächlich im September 1969 – im Rahmen der alljährlichen jüdischen Trauerfeier in Theresienstadt – am ehemaligen Schulgebäude (Kinderheim L417) angebracht.457 Die zweite Tafel ließ allerdings auf sich warten. Im Mai 1974 wurde sie am Ge449 Zápis z jednání Por[adního] sboru PT dne 21.  září 1965, o. J. [September 1965], ebd., Kt. 8. 450 Návrh k označení významných budov a míst ve městě Terezíně, 9.12.1966, als Anlage zum Schreiben von Miroslav Grisa (PT) an Karel Lagus (SŽM), 9.12.1966, ebd., Kt. 9. 451 Karel Lagus / František Fuchs / Bedřich Hellmann: Záznam o dohodě k označení významných budov a míst ve městě Terezíně, 1.7.1968, ebd., Kt. 11. – Miroslav Kryl (PT) an Bedřich Hollmann [recte Hellmann], 31.5.1968, ebd. – Přípravný výbor Terezín. In: Věstník 30/9 (1968), 5. 452 Rede Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 453 Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd., Kt. 11. 454 Památník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], hier 29, ebd., Kt. 1. 455 Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd., Kt. 11. 456 Návrh materiálu do rady SKNV o Památníku Terezín /k připomínkovému řízení/, o. J. [1969], ebd., Kt. 1. 457 Miroslav Pávek (PT) an ONV Litoměřice, odbor pro vnitřní věci, 1.8.1969, ebd., Kt. 12. – Zpráva o činnosti PT od r. 1968. In: Rozpracování usnesení XIV. sjezdu KSČ ke kultuře, o. J. [November 1971], ebd., Kt. 13. – Tausingerová, Zuzana: Řeka vzpomíná. In: Věstník 31/8–9 (1969), 3 f.

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bäude des Rathauses in Erinnerung an die Befreiung Theresienstadts durch die Rote Armee enthüllt.458 In der politischen Situation nach 1968, angesichts der neuer­lichen Präsenz sowjetischer Soldaten in der Tschechoslowakei, wurde aus der Frage der Gedenktafeln ein höchst brisantes Politikum. Denn zunächst war geplant gewesen, die zweite der 15 Gedenktafeln am Gebäude des ehemaligen Sitzes der SS -Kommandantur anzubringen, also am Hauptplatz der Stadt Terezín.459 Diese Gedenktafel sollte die Unterdrückung der Häftlinge unterstreichen, da sie auch auf die Zellen im Keller des Gebäudes aufmerksam machte. Die Enthüllung der ersten beiden Gedenktafeln war ursprünglich als Teil  der Millenniums-Feiern des böhmischen Judentums im Juli 1969 vorgesehen.460 Doch auch diese Feiern stellten bereits seit 1966 eine ungelöste politische Frage dar. Die jüdische Gemeinde plante eine große internationale Feier, offizielle Stellen zögerten die Veranstaltung mehrmals hinaus. Nach dem Sechs-Tage-Krieg von 1967 und der anti-­israelischen Kampagne in der Tschechoslowakei, vor allem aber nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurden diese Feiern immer deutlicher unterdrückt und schließlich in ihrem eigentlich geplanten, internationalen Ausmaß verunmöglicht.461 Ohne zwar die Idee der Anbringung von Gedenktafeln in der Stadt Terezín rundum aufzugeben, wurde mit der Wahl der zweiten Tafel doch ein klares politisches Zeichen gesetzt: Anstatt der Leiden der Juden im Ghetto Theresienstadt zu gedenken, lobte man die Rote Armee als Befreier, der es zu verdanken sei, dass die Typhusepidemie, die in Theresienstadt zu Kriegsende ausgebrochen war, bekämpft wurde. Die Huldigung der sowjetischen Armee hatte eine aktuelle Relevanz. Denn – auch wenn dies auf der Gedenktafel selbstverständlich nicht explizit so stand – nicht nur 1945, sondern auch 1968 habe die Sowjetunion die Tschechoslowakei befreit, einmal von den Nationalsozialisten, das zweite Mal von den »Rechtsabweichlern«, welche die Tschechoslowakei auf den falschen Weg gebracht hätten. So wurden von den

458 Václav Novák (PT) an Georg Weis, 7.2.1974, SOA Litoměřice, PT, Kt. 15.  – Kramer: ­Památná místa, 87. 459 Tryzna v Terezíně. In: Věstník 31/6 (1969), 4. – Pávek, Miroslav: Co se děje na Židovském hřbitově v Terezíně? In: ebd., 2. – Tausingerová, Zuzana: Řeka vzpomíná. In: Věstník 31/8–9 (1969), 3 f., hier 3. 460 František Fuchs / Ota Heitlinger (RŽNO) an PT, 14.1.1969, SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. – Hlavní úkoly, o. J. [Ende 1968 / Anfang 1969], ebd.  – František Fuchs / Ota Heitlinger (RŽNO) an MK-SPVC , 24.4.1969, NA , f. SPVC , Kt. 233. – František Fuchs / Ota Heitlinger: Návrh programu oslav Milenia, 6.2.1969, ebd. – Siehe auch Miroslav Pávek (PT) an Nava Shan, 11.2.1969, SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. 461 Dazu etwa Heitlinger: In the Shadows, 29–33. – Auch Brod, Leo: Die verhinderte Millenium-Feier in Prag und Brežněw. In: Emuna, Nr. 5, Oktober 1969, 308 f., Privatarchiv Peter Brod.

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15 geplanten Gedenktafeln bis in die zweite Hälfte der 1970er Jahre allein zwei angebracht. Zwei, die sehr gut in den antifaschistischen Diskurs des Regimes passten: hier die unschuldigen und brutal verfolgten Kinder, dort die rettende Rote Armee. Auf der anderen Seite wurden allerdings die restlichen ins Auge gefassten Gedenktafeln keineswegs ad acta gelegt.462 Im Jahre 1977 konnten fünf weitere Gedenktafeln an Objekten des ehemaligen Ghettos enthüllt werden, die unter anderem an das Kulturleben, den Widerstand, die Unterdrückung durch die SS oder die Aussiedlung der Zivilbevölkerung aus Terezín im Jahre 1942 erinnerten.463 Wiewohl deren Anbringung in der einsetzenden Zeit der Normalisierung um einige Jahre verschoben wurde, ist ein Umstand nennenswert: Die Tatsache, dass es sich im Ghetto Theresienstadt um jüdische Opfer aus ganz Europa handelte, wurde – anders noch als in den 1966 vorgeschlagenen Texten der Gedenktafeln – betont. War im Entwurf von 1966 noch vage vom »Konzentrationslager«, von »Theresienstadt« und von »Häftlingen« die Rede, so wurden einige Jahre später Begriffe wie »Juden« und »Ghetto« hinzugefügt.464 Der endgültige Text für diese fünf zusätzlichen Gedenktafeln ist in einem Entwurf von Anfang 1973 festgehalten und entspricht dem heutigen Zustand. Auf der Gedenktafel an der so genannten Genie­ kaserne, die 1942 als Umsiedlungsamt für die örtliche Zivilbevölkerung gedient hatte, war nun zu lesen, dass im Juli 1942 die ganze Stadt in ein Konzentrationslager verwandelt worden sei. In diesem seien »Juden aus Böhmen und Mähren, aus Deutschland, Österreich, Holland […]« interniert gewesen. Zudem ist auf dieser Gedenktafel die hebräische Aufschrift erwähnt, die auf dem Dachboden erhalten ist. Diese erinnere an die Gottesdienste, wobei es neben jüdischen auch katholische und evangelische Gottesdienste gegeben habe. Diese Hinzufügung war das Ergebnis der Zusammenarbeit mit Vertretern 462 Siehe etwa Kontrolní zpráva k usnesení rady SKNV č. 1/17 o PT. Do schůze poradního sboru vedoucího odboru kultury SKNV dne 11.11.1971, o. J. [November 1971], SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 13. – Zpráva o plnění vládního usnesení 446/68 na úseku stavebně-technickém k 30.9.1972, ebd., Kt. 14. 463 Es handelte sich um die Gedenktafeln bei den Bahngleisen, bei den Zeremoniensälen und der Leichenhalle, am Offiziershaus am Hauptplatz, an der Geniekaserne und an der Sparkasse. Dazu etwa Kryl: Lieux commémoratifs, 63. – Kramer: Památná místa, 86 f. – Památník Terezín: Harmonogram hlavních úkolů v letech 1975–1980, o. J. [1974/1975], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1.  – Opatření ze závěrů komplexního hodnocení za I. pololetí 1976, o. J. [Mitte 1976], ebd., Kt. 16. – Václav Novák / Eduard Roudnička: Kolektivní smlouva [na rok 1973], 5.2.1973, ebd., Kt. 18. 464 Siehe hierzu und zu Folgendem Návrh k označení významných budov a míst ve městě Terezíně, 9.12.1966, ebd., Kt. 9. – Označení významných budov a míst ve městě Terezíně, o. J. [August 1972], als Anhang zum Schreiben von Václav Novák (PT) an Maxmilián Pergler (OK SKNV), 29.8.1972, ebd., Kt. 14. – Václav Novák (PT) an K. Kouba, 18.1.1973, ebd.

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der jüdischen Gemeinde.465 Auch die zeitgleich entworfene, allerdings offensichtlich nicht realisierte Gedenktafel für die Sudetenkaserne beinhaltete in der Version aus dem Jahr 1973 den Hinweis, dass es sich in Theresienstadt um ein »Konzentrationslager für Juden« gehandelt habe, das »von den Nazis Ghetto Theresienstadt genannt« worden sei.466 Sowohl die Hervorhebung der Opfer als Juden als auch der Hinweis auf religiöse Tätigkeiten im Ghetto Theresienstadt standen in klarem Widerspruch zur offiziellen Geschichtspolitik der 1970er und 1980er Jahre, die versuchte, den Anteil der Juden an den Opfern des Zweiten Weltkrieges zu relativieren und die überhaupt jedwede Partikularität der Judenverfolgung negierte. Ein bemerkenswerter Vorschlag betraf das Denkmal der jüdischen Opfer, das eine noch größere Sichtbarkeit implizierte. Auf die Ideen der unmittelbaren Nachkriegsjahre zurückgreifend, an die Geschichte des Ghettos sichtbar inmitten der Stadt zu erinnern, stellte man in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die Weichen für ein derartiges Denkmal. Es sollte eine große Plastik werden, die »die Einfahrt in die Stadt dominieren« würde.467 Diese Idee fand sich schließlich unter den dringendsten Änderungsvorschlägen der Gedenkstättenpolitik und wurde auch als integraler Teil  in den architektonischen Wettbewerb zur Umgestaltung der Gedenkstätte 1968 aufgenommen.468 Ersten Plänen zufolge sollte das Denkmal bereits 1973 fertiggestellt und der Öffentlichkeit übergeben werden.469 Bemerkenswert ist dieser Entwurf vor allem, da er als Dominante der Stadt Terezín konzipiert wurde. Indem das Denkmal im östlichen »Kavalier«, das heißt in einer der Bastione der Theresienstädter Festungsmauer, errichtet werden sollte, wäre seine allgemeine Sichtbarkeit garantiert. Die östliche Bastion zeigt auf die Straße, die Prag mit Litoměřice verbindet und zur Kleinen Fes465 Karel Lagus / František Fuchs / Bedřich Hellmann: Záznam o dohodě k označení vý­ znamných budov a míst ve městě Terezíně, 1.7.1968, ebd., Kt. 11. – Miroslav Kryl (PT) an Bedřich Hollmann [recte Hellmann], 31.5.1968, ebd. 466 Diese Gedenktafel wurde wahrscheinlich, wie einige andere für militärische Objekte geplante Tafeln, vor 1989 nicht mehr angebracht. Im Juli 1990 wurde wieder über die Anbringung weiterer Gedenktafeln, darunter dieser an der Sudetenkaserne, verhandelt. Die Anfang der 1990er Jahre angebrachte Tafel ist wohl identisch mit der heutigen Version. Unter den Änderungen fällt vor allem das Fehlen des russischen Textes auf. Zápis o provedeném jednání zástupců ČSA , MěNV Terezín a PT, 30.7.1990, SOA Litoměřice, PT, Kt. 59. 467 Miroslav Grisa: Památník Terezín. Podklady k jednání krajských orgánů, 17.6.1966, ebd., Kt. 9.  – Siehe weiter Hana Houšková: Erich Kulka, Praha  – 7, U smaltovny 10, 7.7.1966, ebd.  – MKI: Materiál pro kolegium ministra: Návrh vládního usnesení na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, 16.3.1967, ebd., Kt. 10. 468 Siehe etwa Miroslav Pávek (PT) an Výstavní služba (Bárta), Praha, 2.12.1968, ebd., Kt. 11. – Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd. 469 Miroslav Pávek: Smysl práce  a úkoly Památníku Terezín, o. J. [1969], ebd., Kt. 12.  – Památ­ník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], ebd., Kt. 1.

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tung führt. So sollte dieses Denkmal jeden Besucher bei der Einfahrt in die Stadt an die Geschichte des ehemaligen Ghettos Theresienstadt erinnern.470 Die Besonderheit dieses Denkmals lag in seiner ästhetischen Gestaltung, denn diese griff symbolisch auf die Bücher Mosis zurück.471 Es ist wohl in erster Linie auf diese jüdische religiöse Konnotation, auf die zu »passive« Symbolik und nicht zuletzt auf die dominante Stellung, die das Denkmal in der Stadt einnehmen sollte, zurückzuführen, dass die Arbeiten an diesem »unüberlegten« Denkmal, als welches es dann 1974 bezeichnet wurde,472 rasch eingestellt wurden. Es war einer der ersten Vorschläge, die auf Grund des veränderten politischen Kontexts fast einstimmig kritisiert und aus den Plänen zur Umgestaltung der Gedenkstätte gestrichen wurden. Bereits 1969 wurde Kritik laut an der ästhetischen Gestaltung dieser »Tafeln des Moses«.473 Zwei Jahre später wurde empfohlen, einen neuen Entwurf für das Ghetto-Denkmal auszuarbeiten, wobei als einer der Gründe hier noch offiziell die hohen Kosten angeführt wurden.474 1973 hieß es schließlich, die Arbeiten daran sollten definitiv eingestellt werden.475 Als eine Alternative wurde vorgeschlagen, eine Dominante aufzustellen, die die aktive, das heißt kämpferische Friedensmission der Stadt Terezín – als Träger der Medaille »Obránců 470 So etwa kurz in Miroslav Pávek: Dokument ohne Titel [Ausschreibung des architektonischen Wettbewerbs zur Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt], o. J. [Januar 1968], ebd., Kt. 11. – Pávek, Miroslav: Další terezínský krok. In: Věstník 30/12 (1968), 6. – Die Freigabe und Zugänglichmachung des »Kavaliers« war bereits 1964 gefordert worden, schon damals wurde als Hürde die Militärverwaltung, die das Objekt benutze, genannt. Zápis z jednání poradního sboru PT 23. října 1964, o. J. [Oktober 1964], SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. 471 Pávek, Miroslav: Další terezínský krok. In: Věstník 30/12 (1968), 6. – Památník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], 15, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Eine Abbildung findet sich etwa in Terezínské listy 1 (1970), o. S. 472 Důvodová zpráva in: Dokument des OK SKNV: Harmonogram k vládnímu usnesení č. 446/68 o Památníku Terezín, o. J. [Oktober 1974], SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Památník Terezín: Harmonogram hlavních úkolů v letech 1975–1980, o. D. [1974/1975], ebd. 473 Karel Lagus an Jaromír Šindrbal (Redakce časopisu PROUD, Litoměřice), 25.7.1969, ebd., Kt. 12. – Lagus reagierte auf den Zeitungsartikel Zkouška instalace Mojžíšových desek. In: Proud Nr. 30 vom 25.7.1969, [1]. 474 OK SKNV: Předložení zprávy o kontrole vládního usnesení č. 446/68. Současný stav (ku dni 20.9.1971) odborného  a technického zajištění výstavby PT, o. J. [September 1971], SOA Litoměřice, PT, Kt. 13.  – Zápis z porady, konané v PT, 10.5.1971. In: OK SKNV (Maxmilián Pergler). Do schůze kulturně-výchovné komise SKNV dne 20.5.1971, ebd. – Dieselbe Entscheidung auch wieder in Kontrolní zpráva k usnesení rady SKNV č. 1/17 o PT, vorgelegt von Maxmilián Pergler: Do schůze poradního sboru vedoucího odboru kultury SKNV dne 11.11.1971, o. J. [November 1971], ebd. 475 Dokument des OK SKNV: Do schůzy rady SKNV dne 30.10.1973. Kontrolní zpráva o plnění harmonogramu, o. J. [Oktober 1973], ebd., Kt. 1. – Dokument des OK SKNV: Harmonogram k vládnímu usnesení č. 446/68 o Památníku Terezín, o. J. [Oktober 1974], ebd.

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Abbildung 7: Die »Bücher Mosis« – einer der vereitelten Entwürfe zur Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt aus dem Jahre 1968. Hier der Blick auf das Denkmal von Prag bzw. der Kleinen Festung The­ resienstadt kommend, vor der Einfahrt in die Stadt Terezín. Im Vorder­ grund die Brücke über die Ohře. Foto: ohne Autor, o. J. [1968], APT, Foto­ archiv 1149.

míru« (Verteidiger des Friedens) – zeigen sollte.476 An dieser Stelle sei vorweggenommen, dass die Idee dieses zentralen Denkmals eine der wenigen Forderungen war, die nicht nur während der Zeit der Normalisierung verunmöglicht worden war, sondern auch nach der Wende von 1989 nicht umgesetzt wurde. 476 OK SKNV: Kontrolní zpráva o plnění harmonogramu k vl. uns. [sic] č. 446/68 o PT. Do schůze rady SKNV dne 30.10.1973, o. J. [Oktober 1973], ebd., Kt. 15. – Pergler, Maximilián: Péče státu o Památníku Terezín. In: Terezínské listy 4 (1974), 1–3, hier 3.

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Von der Ghetto-Ausstellung zum Polizei-Museum

Neben diesem Denkmalprojekt und den Gedenktafeln sollte ein drittes Element die Stadt Terezín als Gedenkort für die Verfolgung und Ermordung der Juden präsentieren: ein Museum zur Geschichte des Theresienstädter Ghettos. Ebenso wie die meisten bereits erwähnten Vorschläge zur Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, tauchte auch die Idee, ein Ghetto-Museum direkt in der Stadt Terezín, in einem der Gebäude des ehemaligen Ghettos, einzurichten, bereits unmittelbar nach Kriegsende auf. Vereitelt auf Grund der universalistischen Tendenzen der späten 1940er und der 1950er Jahre, die eine gesonderte Hervorhebung der jüdischen Opfer verhindert hatten, erhielt dieses Projekt in den späten 1960er Jahren immer größeren Zuspruch und nahm bald einen prominenten Platz unter den Neuerungsvorhaben der Gedenkstätte ein. Das Beispiel des Ghetto-Museums ist insofern bemerkenswert, da keines der anderen Vorhaben so weit gediehen ist, ja kurz vor der Realisierung stand, dann aber doch 20 Jahre lang boykottiert wurde. Seit Beginn der umfangreichen Restrukturierungspläne der Gedenkstätte Theresienstadt in der Mitte der 1960er Jahre bildete die Idee, zusätzlich zur Dauerausstellung in der Kleinen Festung ein eigenes Ghetto-Museum, eine permanente Exposition zur Geschichte des Ghettos in der Stadt Terezín einzurichten, einen ihrer integralen Bestandteile. Anders als in den späten 1940er Jahren wurde nun dieses Museum von der Gedenkstätte selbst und von anderen Akteuren wie dem Stadtnationalausschuss in Terezín gefordert.477 In die vorbereitenden Beratungen zur Einrichtung des neuen Museums wurde unter anderem auch das Jüdische Museum in Prag einbezogen.478 Das Vorhaben, ein Museum zur Geschichte des jüdischen Ghettos aufzubauen, fand Ende 1968 auch Eingang in den Regierungsbeschluss zur Gedenkstätte, wiewohl noch keine Auskunft darüber gegeben werden konnte, in welchem Gebäude der Stadt das Museum untergebracht werde.479 Denn wie schon um 1946, so wurde auch Ende der 1960er Jahre wieder der Vorschlag gemacht, das Museum mit einem »authentischen« Gebäude zu verbin477 Siehe etwa Miroslav Grisa an Kulturní správa Ústí: Úkoly, vyplývající z usnesení předsednictva SKV KSČ , 5.9.1966, SOA Litoměřice, PT, Kt. 9. – Josef Povolný (MěNV Terezín) an PT, 25.10.1967, ebd., Kt. 11.  – Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd.  – Karel Šnýdr: Záznam o přijetí představitelů RŽNO na MŠK dne 14. července 1966 v Kolovratském paláci, 16.7.1966, NA , f. SPVC , Kt. 233. 478 Miroslav Pávek (PT) an Vilém Benda (SŽM), 18.3.1968, SOA Litoměřice, PT, Kt. 11. – ­Zápis o poradě historického oddělení konané dne 8. března 1968, o. J. [März 1968], ebd. 479 Siehe etwa Příloha 1 [zum Usnesení vlády ČSR ze dne 5. prosince 1968 č. 446]: Hlavní tematické zaměření rozvoje a činnosti Památníku Terezín do roku 1970, o. J. [Dezember 1968], ebd., Kt. 1.

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den, damit der Besucher eine »reale« Vorstellung von den konkreten Lebensbedingungen der Ghetto-Häftlinge bekomme.480 Neben der Suche nach einem geeigneten Gebäude nahm man Ende der 1960er Jahre die Arbeit an der inhaltlichen Gestaltung der zukünftigen Exposition in Angriff. 1967 hatte die Gedenkstätte Theresienstadt bereits die Absicht, einen Historiker zu beschäftigen, der eine Ausstellung für das GhettoMuseum vorbereiten sollte.481 Letztlich kam es für die Ausarbeitung des Konzepts zu einer engen Kooperation zwischen dem Památník Terezín und dem Staatlichen Jüdischen Museum. Ein sechsköpfiges Team (Miroslav Kryl, M ­ arie Trhlínová und Jaroslav Joza vom Památník Terezín, Anna Hyndráková und Anita Franková vom Staatlichen Jüdischen Museum sowie der Historiker Miroslav Kárný) arbeitete seit Ende 1971 intensiv an der inhaltlichen Ausrichtung der Ausstellung.482 Bis Mitte 1973 war ein erstes vorläufiges Drehbuch zusammengestellt und Material für die Ausstellung gesammelt worden.483 1975 sollte es zur Eröffnung des Museums kommen.484 Die Ausstellung – die spätestens ab den frühen 1970er Jahren für das ehemalige Schulgebäude L417, im Zentrum der Stadt, konzipiert wurde – sollte nicht nur das Leben der Häftlinge im Ghetto Theresienstadt zeigen, sondern drei große Teile umfassen: eine allgemeine Einleitung und Kontextualisierung, das Leben im Ghetto und die Befreiung.485 Die geplante Einleitung ist dabei besonders erwähnenswert, da der Schwerpunkt auf den Antisemitismus gelegt werden sollte und nicht auf den Zweiten Weltkrieg als faschistischimperialistischen Eroberungskrieg. Beginnen sollte die Ausstellung mit der Darstellung der antisemitischen Politik NS -Deutschlands seit 1933, mit den ideologischen und rechtlichen Grundlagen der Judenverfolgung im Dritten Reich. Die »Lösung der Judenfrage« sollte klar als »Exterminierung der Juden« auf der Grundlage der rassistischen nationalsozialistischen Gesetze beschrieben werden, welche dann auch im Protektorat Böhmen und Mähren eingeführt worden seien. Als weiterer Punkt sollte einführend auf die antisemitischen Tendenzen in der Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit ein480 Památník Terezín. Současný stav a plán rozvoje, o. J. [1969], 15, ebd. 481 Rede Miroslav Páveks [vor dem Beirat des PT], o. J. [1967], ebd. 482 Plán činnosti badatelské-historického odboru na rok 1971, o. J. [Ende 1970 / Anfang 1971], ebd., Kt. 13.  – Václav Novák: Zpráva o plnění vládního usnesení č. 446/68 k 31.5.1972, 31.5.1972, ebd., Kt. 14. – Zpráva o plnění vládního usnesení 446/68 na úseku stavebně-technickém k 30.9.1972, ebd.  – Porada o práci na scénáři muzea ghetta, 6.12.1972, ebd. 483 Kontrola plnění vládního usnesení 446/68, o. J. [Februar 1973], ebd., Kt. 1. 484 Zpráva o plnění vládního usnesení 446/68 na úseku stavebně-technickém k 30.9.1972, ebd., Kt. 14. – Porada o práci na scénáři muzea ghetta, 6.12.1972, ebd. 485 Zum Inhalt des Drehbuchs siehe vor allem Návrh na osnovu libreta k expozici dějin tzv. ghetta v Terezíně, o. J. [1972], ebd.

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gegangen werden. Hier sollte es wohl vor allem um eine Diskreditierung der tschechoslowakischen »Bourgeoisie« und der Rechtsparteien gehen. Ebenso älteren Interpretationsmustern entsprechend sollte der die Einführung abschließende Teil gestaltet sein, in dem es um die Hilfe der Tschechen an die Juden ging. Dadurch sollte das oft bemühte Bild der tschechisch-jüdischen Solidarität, vor allem aber auch die Vorstellung des ähnlichen Schicksals von Tschechen und Juden bestärkt werden. Im Hauptteil sollte thematisch gegliedert das Leben im Theresienstädter Ghetto dargestellt werden, unter anderem der Alltag, die Lager-Selbstverwaltung, der Terror, die Deportationen, die propagandistische Rolle Theresienstadts als »Kulisse von A ­ uschwitz«, die Kinder, aber auch die kulturelle Tätigkeit »als Ausdruck des Widerstands gegen den Nazismus«486 und schließlich die (vor allem kommunistische)  Widerstandstätigkeit, der Kontakt mit der Außenwelt und die Hilfe der lokalen tschechischen Bevölkerung. Als dritter und abschließender Teil war geplant, die Befreiung durch die Rote Armee im Mai 1945 darzustellen sowie schließlich die »Lösung der Judenfrage in der Tschechoslowakei«487 [sic!] nach Kriegsende. Unter diesem Punkt verstand man die staatliche Unterstützung der Überlebenden, die gesetzliche Gleichstellung der Juden und die Religionsfreiheit.488 Die Ausstellung sollte klassische historische Textquellen mit künstlerischen Erzeugnissen aus dem Ghetto verbinden. Der Kunst in Theresienstadt wurde eine besondere Bedeutung zugesprochen. So sollte die 1972 in der Kleinen Festung Theresienstadts eröffnete Ausstellung »Umění v Terezíně« (Kunst in Theresienstadt), die die unterschiedlichen künstlerischen Tätigkeiten im Ghetto Theresienstadt behandelte,489 mit ihren Exponaten den Kern der neuen Ausstellung bilden.490 Die Vorbereitungen zur Ausstellung gingen so weit, dass auch schon Pläne für die Innen- und Außengestaltung des Museumsgebäudes vorgelegt wurden. Darunter findet sich ein Entwurf, den Dachboden, einen 400 Quadratmeter großen Raum, in welchem zu Zeiten des Ghettos Theateraufführungen stattgefunden hatten, für die Zwecke der Ausstellung zu nutzen und unter anderem eine Theaterbühne und Unterbringungen der Häftlinge nachzubauen.491 Aber auch das Exterieur, die angren­

486 Ebd. 487 Václav Novák: Zpráva o plnění vládního usnesení č. 446/68 k 31.5.1972, 31.5.1972, ebd. 488 Návrh na osnovu libreta k expozici dějin tzv. ghetta v Terezíně, o. J. [1972], ebd. 489 Siehe den Ausstellungskatalog: Pechová: Umění v Terezíně. 490 Deutlich etwa in Václav Novák (PT) an Helga King, Lake Worth (USA), 2.4.1973, SOA Litoměřice, PT, Kt. 14. 491 Architektonicko-výtvarné řešení muzea ghetta v Terezíně, o. J. [Anfang 1973], ebd. – -­ Porada o práci na scénáři muzea ghetta, 6.12.1972, ebd.  – Zápis o odborném jednání Terezínské umělecké komise, 7.12.1972, ebd.

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zenden Gebäude und der benachbarte Park sollten in die Museumskonzeption integriert werden.492 Noch während die Vorbereitungen für das Ghetto-Museum auf Hochtouren liefen, stieß man bereits bei mehreren Stellen auf fehlendes Entgegenkommen. Vor allem die Frage des freizumachenden Gebäudes bildete von Anfang an einen kritischen Punkt des Projekts. Tatsächlich hatten bereits mehrere Personen, noch bevor das Vorhaben offiziell durchkreuzt wurde, davor gewarnt, dass – sollte das anvisierte Schulgebäude nicht zur Verfügung gestellt werden – die Realisierung des Ghetto-Museums an sich gefährdet sei.493 Das Schulgebäude in der Komenský-Straße, in unmittelbarer Nähe sowohl des Hauptplatzes der Stadt Terezín als auch der zentralen Durchfahrtsstraße auf dem Weg von Prag nach Litoměřice gelegen, war nicht das einzige an­v isierte Objekt für das geplante Museum. Direkt nach 1945 waren bereits andere Gebäude in Betracht gezogen worden,494 1968 war auch vom Gebäude in einem der »Kavaliere« die Rede495 und ein Jahr danach machte auch der Stadt­ nationalausschuss Alternativvorschläge.496 Dennoch konzentrierten sich die meisten Vorschläge bald auf das genannte Schulgebäude,497 das zu Zeiten des Ghettos, unter der Blockbezeichnung L417, ein Kinderheim für zehn- bis 15-jährige Knaben gewesen war und unter anderem auf Grund der Herausgabe von Zeitschriften wie »Vedem« (Wir führen) oder »Rim Rim Rim« der Nachwelt bekannt blieb. Dieses Gebäude wurde frei, da die bisherige Schule ein neues Gebäude am Rand der Stadt erhielt. So ging dann auch das Drehbuch sowie die künstlerische Innen- und Außengestaltung, die bis 1973 ziemlich weit fortgeschritten war, vom ehemaligen Schulgebäude als dem Objekt des neuen Museums aus. Denn ohne eine Vorstellung vom Ort der Aus­ stellung zu haben, sei keine ernsthafte Arbeit an der inhaltlichen und künstlerischen Gestaltung möglich, wie die Mitarbeiter der historischen Abteilung der Gedenkstätte Mitte 1971 bemängelten.498 Eigentlich seit Aufnahme der Verhandlungen um ein freizumachendes Objekt gestalteten sich diese langwierig. Es war ein ständiges Hin und Her zwischen Stadtnationalausschuss in Terezín, Bezirksnationalausschuss in Litoměřice, Kreisnationalauschuss in Ústí nad Labem, dem Kreiskomitee der KSČ, der Gedenkstätte Theresienstadt und der Militärverwaltung bzw. dem Verteidigungsministerium. Vor allem seit Beginn der 1970er Jahre wurde im492 Architektonicko-výtvarné řešení muzea ghetta v Terezíně, o. J. [Anfang 1973], ebd. 493 Ebd. 494 K[amil] Kleiner: Pro Terezínskou komisí. Poznámky ze zájezdu do T[erezína], dne 7. října 1946, 13.10.1946, YVA , O.64/109. 495 Přípravný výbor Terezín. In: Věstník 30/9 (1968), 5. 496 Bohumil Hála (MěNV Terezín) an Pávek (PT), 21.3.1969, SOA Litoměřice, PT, Kt. 12. 497 Siehe etwa Miroslav Pávek (PT) an Nava Shan, 11.2.1969, ebd. 498 Rozbor činnosti za 1. pololetí roku 1971, 23.7.1971, ebd., Kt. 13.

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mer deutlicher, dass der politische Wille der lokalen und regionalen Verantwortlichen, ein passendes Gebäude für das Museum zu finden, nicht – oder nicht mehr  – vorhanden war.499 War es einmal der Stadtnationalausschuss, der den Wünschen der Gedenkstättenleitung nicht entgegenkam,500 so war es ein anderes Mal das Verteidigungsministerium, das die Vorschläge der Gedenkstätte für ein geeignetes Gebäude ablehnte.501 Dann wieder hieß es, im ehemaligen Schulgebäude sollte ein Kindergarten eingerichtet werden.502 Ende 1971 schien eine Lösung gefunden, die der Kreisnationalausschuss in einem Beschluss festhielt: Für den Kindergarten sollte ein neues Gebäude in Terezín gebaut werden, woraufhin das Schulgebäude in der Komenský-Straße (voraussichtlich im Herbst 1973) der Gedenkstätte übergeben würde. Trat der Kreisnationalausschuss folglich noch 1972 für den Aufbau des GhettoMuseums ein (und sah dessen Eröffnung im Jahr 1975 vor),503 so stellte sich nun der Bezirksnationalausschuss in Litoměřice in den Weg, indem er den Aufbau des neuen Kindergartens in die Länge zog und keine definitive Zusage erteilte.504 Während dieses Pingpong-Spiel fortgesetzt wurde, das letztlich nur dem fehlenden politischen Willen Ausdruck gab, das Ghetto-Museum gemäß dem Regierungsbeschluss von Ende 1968 aufzubauen, fasste die Gedenkstätte Theresienstadt bereits unterschiedliche provisorische Lösungen ins Auge. Denn als unrealistisch erwiesen sich sehr bald jene Pläne, die Ausstellung zur Geschichte des Ghettos an die Umgestaltung der Dauerausstellung in der Kleinen Festung zu koppeln, das heißt spätestens ein halbes Jahr nach deren Eröffnung im November 1971 ebenso das Ghetto-Museum der Öffentlichkeit zu übergeben.505 Die Gedenkstättenleitung suchte daher nach einem behelfsmäßigen Ort für eine reduzierte Ghetto-Ausstellung. Mehrmals war 499 Kontrola vládního usnesení č. 446/68 k 30.9.1973, ebd., Kt. 1. 500 Bohumil Hála (MěNV Terezín) an Pávek (PT), 21.3.1969, ebd., Kt. 12. 501 Václav Novák: Zpráva o plnění harmonogramu výstavby PT, o. J. [September 1970], ebd., Kt. 13. 502 Bohumil Hála (MěNV Terezín) an Pávek (PT), 21.3.1969, ebd., Kt. 12. – Václav Novák: Zpráva o plnění vládního usnesení č. 446/68 k 31.5.1972, 31.5.1972, ebd., Kt. 14. 503 Nová muzejní expozice PT, umístěná v budově někdejších kasáren strážního oddílu SS na Malé pevnosti, o. J. [1972], ebd. 504 Zápis z porady, konané v PT, 10.5.1971. In: OK SKNV (Maxmilián Pergler). Do schůze kulturně-výchovné komise SKNV dne 20.5.1971, ebd., Kt. 13. – Maxmilián Pergler: Kontrolní zpráva k usnesení rady SKNV č. 1/17 o PT. Do schůze poradního sboru vedoucího odboru kultury SKNV dne 11.11.1971, o. J. [November 1971], ebd. – Václav Novák (PT) an MěNV Terezín, 24.1.1972, ebd., Kt. 14. – Václav Novák: Zpráva o plnění vládního usnesení č. 446/68 k 31.5.1972, 31.5.1972, ebd. – Zápis ze dne 21.8.1972 o projednání komplexního rozboru činnosti PT za I. pololetí 1972, 21.8.1972, ebd.  – Nová muzejní ex­ pozice PT, umístěná v budově někdejších kasáren strážního oddílu SS na Malé pevnosti, o. J. [1972], ebd. 505 Zápis o poradě konané 21.10.1970 v PT, ebd., Kt. 13.

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vom Eingangsraum des Kolumbariums die Rede, aber da auch dessen Renovierung hinausgezögert wurde, konnte diese Idee nicht umgesetzt werden.506 Als die Ausstellung »Umění v Terezíně 1941–1945« über künstlerische und kulturelle Aktivitäten im Ghetto Theresienstadt 1972 im IV. Hof der Kleinen Festung eingerichtet wurde, wurde diese explizit als eine provisorische Lösung für die fehlende Ghetto-Ausstellung verstanden.507 Sie sollte zudem, da sie auf dem Niveau einer Dauerausstellung sei,508 in die zukünftige Exposition zur Geschichte des Ghettos übernommen werden, ja den Kern der neuen Ausstellung bilden.509 Je länger die Entscheidung hinausgezögert wurde, dem Ghetto-Museum in der Stadt Terezín ein Gebäude zuzusprechen, desto klarer wurde, dass das Projekt des Museums an sich in Frage stand. Anfang 1973 beschloss der Bezirksnationalausschuss Litoměřice, das ursprünglich anvisierte Schulgebäude nicht für das Museum freizugeben.510 Letztlich wurde allerdings kein Kindergarten eingerichtet. Stattdessen beschloss die für Fragen der Gedenkstätte Theresienstadt zuständige Kommission beim Nordböhmischen Kreisnationalausschuss, der Anfrage der Polizei (Veřejná bezpečnost, VB) zu entsprechen, ihr ebendieses Gebäude für Zwecke ihrer einsatzbereiten Einheit zur Verfügung zu stellen.511 Es fehlte zwar nicht an Protesten, etwa von Seiten der Gedenkstätte oder des Verbands der antifaschistischen Kämpfer,512 dennoch wurde mit diesem Beschluss endgültig dem Ghetto-Museum sein anvisiertes Gebäude entzogen. Wohl unter maßgeblichem Einfluss des Kreiskomitees der kommunistischen Partei513 wurde das ehemalige Schulgebäude schließlich 1974 aus dem Eigentum des Stadtnationalausschusses dem Innenministerium übergeben.514 Dieses richtete wenige Jahre später 506 Václav Novák: Zpráva o plnění harmonogramu výstavby PT, o. J. [September 1970], ebd. – Zápis z pracovní schůze autorského kolektivu libreta a scénáře pro muzejní ex­ pozici PT dne 23.11.1970, 11.12.1970, ebd. – Zápis o poradě konané 21.10.1970 v PT, ebd. 507 Zpráva o plnění vládního usnesení 446/68 na úseku stavebně-technickém k 30.9.1972, ebd., Kt. 14. – Václav Novák (PT) an Helga King, Lake Worth (USA), 2.4.1973, ebd. 508 Zpráva o plnění vládního usnesení 446/68 na úseku stavebně-technickém k 30.9.1972, ebd. 509 Deutlich etwa in Václav Novák (PT) an Helga King, Lake Worth (USA), 2.4.1973, ebd. 510 Dokument des OK SKNV: Do schůzy rady SKNV dne 30.10.1973. Kontrolní zpráva o plnění harmonogramu, o. J. [Oktober 1973], ebd., Kt. 1. – Kontrola plnění vládního usnesení 446/68, o. J. [Februar 1973], ebd. 511 Zápis ze zasedání komise pro kontrolu plnění vládního usnesení, 13.12.1974, ebd. 512 Kontrola plnění vládního usnesení 446/68, o. J. [Februar 1973], ebd. – Zápis ze zasedání komise pro kontrolu plnění vládního usnesení, 13.12.1974, ebd. 513 Václav Šmerda (OK SKNV) an Václav Novák (PT), 24.11.1976, ebd., Kt. 16. – So auch die Einschätzung von Jan Munk. Munk: Z historie Památníku Terezín, 19 f. – Ders.: 60 let Památníku Terezín, 21 f. 514 Allerdings hieß es 1990 wiederum, dass es der Stadtnationalausschus sei, welcher der Gedenkstätte das Gebäude, nun für das Ghetto-Museum, übergeben habe. Jan Munk an Milan Uhde, 22.11.1990, SOA Litoměřice, PT, Kt. 29.

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eine »ständige Exposition der Geschichte des Korps der Nationalen Sicherheit und der revolutionären Traditionen des nordböhmischen Kreises« ein,515 deren Sinn – so Jan Munk, der Leiter des Památník Terezín seit November 1990 – darin bestanden habe, »die Entstehung des Ghetto-Museums in Terezín faktisch zu verhindern, ohne es öffentlich verbieten zu müssen.«516 Alles deutet darauf hin, dass in der Tat die Probleme, ein Gebäude für das Ghetto-Museum zu finden, in aller­erster Linie mit dem politischen Unwillen, überhaupt ein derartiges Museum in der Stadt Terezín zu eröffnen, zu erklären sind.517 So konnten in den folgenden Jahren allein provisorische Lösungen gefunden werden: 1981 wurde eine kleine Dauerausstellung im Krematorium am jüdischen Friedhof in Terezín eingerichtet. Diese basierte auf einer Ausstellung zur Geschichte des Ghettos, die gemeinsam mit dem Staatlichen Jüdischen Museum in Prag anlässlich des 40. Jahrestag der Errichtung des Ghettos gestaltet und in der Kleinen Festung gezeigt worden war.518 In diese Ausstellung »Konzentrationslager Theresienstadt 1941–1945« floss wiederum das fertige Konzept des geplanten Ghetto-Museums aus den frühen 1970er Jahren ein. Miroslav Kryl, einer der Autoren der Ausstellung, bediente sich, wie er selbst meinte, des Drehbuchs der vereitelten Dauerausstelung zur Geschichte des Ghettos als »Leitfaden« für die Exposition im Jahre 1981.519 Nachdem die Ausstellung, ausgestattet mit einem audiovisuellen Programm, dann im Eingangsbereich des Theresienstädter Krematoriums installiert worden war, ersetzte sie bis Anfang der 1990er Jahre »in sehr bescheidenem Umfang« das Ghetto-Museum, so Jan Munk rückblickend.520 Es ist durchaus bemerkenswert, wie lange die neue Gedenkstättenführung, aber auch Vertreter des Verbands der antifaschistischen Kämpfer, die Idee der Errichtung eines Museums zur Geschichte des jüdischen Ghettos in Theresienstadt aufrecht hielt. Die ganzen 1970er Jahre hindurch erinnerten Mitarbeiter des Památník Terezín immer wieder an das Projekt des Ghetto-­ Museums. Vorbereitende Arbeiten daran wurden mindestens bis Mitte der

515 Zur Übergabe an das Innenministerium und dem geplantem Polizei-Museum siehe etwa Václav Novák (PT) an Václav Šmerda (OK SKNV), 22.11.1976, und Václav Šmerda (OK SKNV) an Václav Novák (PT), 24.11.1976, ebd., Kt. 16. 516 Munk: Entwicklungskonzeptionen, 345. 517 Ders.: Z historie Památníku Terezín, 19 f. – Ders.: 60 let Památníku Terezín, 21 f. 518 Anna Vnučková (PT) an Václav Knotek (Okresní kulturní středisko Litoměřice), 30.11.1981, SOA Litoměřice, PT, Kt. 19. – em: K výročí Terezínského gheta. In: Hlas revoluce Nr. 37 vom 19.9.1981, 6. 519 Miroslav Kryl an Anita Franková (SŽM), 13.2.1981, SOA Litoměřice, PT, Kt. 19. 520 Munk: 60 let Památníku Terezín, 28. – Zur Installation im Krematorium siehe auch ­Novák: Terezín (1988), 263 (deutsch) bzw. o. S. (tschechisch).

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1970er Jahre fortgeführt.521 Im Jahre 1977 wurde – wenn auch sehr vage formuliert  – die Vorbereitung der Ausstellung in den Plan der Aufgaben bis 1980 eingereiht.522 Und Ende 1979, als das Polizei-Museum bereits existierte, hieß es, das Ghetto-Museum solle in einem anderen Objekt untergebracht werden.523 Auf der anderen Seite jedoch scheint die schleichende Politik der Vereitelung dieses Vorhabens Früchte getragen – und kaum öffentlichen Protest hervorgerufen  – zu haben. Die allgemeinen Rahmenbedingungen der 1970er Jahre und die geschichtspolitischen Instrumentalisierungen Theresienstadts führten nicht bloß dazu, dass die Bestrebungen um ein Ghetto-Museum in der Stadt Terezín zum Scheitern verurteilt waren, sondern dass dessen inhaltliche Sendung ins Gegenteil verkehrt wurde. Hielten die Gedenkstätten­ führung oder der nordböhmische Kreisnationalausschuss in der ersten Hälfte der 1970er Jahre noch an dem Ghetto-Museum fest, so passten sie dessen Inhalt und vor allem dessen zentrale Aussage den neuen innen- und außenpolitischen Umständen der »normalisierten« Tschechoslowakei an: Man müsse, so die Kulturabteilung des nordböhmischen Kreisnationalausschusses, die Verfolgung der Juden aus »marxistischen Positionen« bewerten und in der Ausstellung auch die »unheilvolle Rolle des Zionismus« behandeln.524 Der Vertreter des Kreisnationalausschusses, Maxmilián Pergler, entwickelte diese Idee weiter: Im Frühjahr 1973 hielt er in einem Entwurf für einen Artikel fest, dass eine der größten anstehenden Aufgaben der Gedenkstätte Theresienstadt der Aufbau des Ghetto-Museums sei.525 Auch wenn er hier bereits die Dringlichkeit dieses Museums mit dem antizionistischen Kampf begründete, ist doch in der letztlich publizierten Version dieses Artikels im Jahr 1974 ein grundlegender Unterschied zu vermerken: Von einem Ghetto-Museum ist hier keine Rede mehr, nur von einer Ausstellung, die der Öffentlichkeit zeigen sollte, »wie der heutige Zionismus nicht aus dem Schicksal der von den Na521 Zápis o inspekci provedené dne 22. a 23. března 1973 pracovníkem OK SKNV s. Antonínem Fialou v PT, o. D. [März 1973], SOA Litoměřice, PT, Kt. 14. – Marie Báčová: Zpráva pro komplexní rozbor činnosti za rok 1973 – sbírkové oddělení, 14.2.1974, ebd., Kt. 15. 522 Václav Novák: Plán hlavních úkolů PT do roku 1980, ebd., Kt. 16. 523 Zápis z jednání komise k plnění vládního usnesení č. 446/68, konané dne 19.12.1979 v kanceláři ředitele PT, o. J. [Dezember 1979], ebd., Kt. 17. – Von einem anderen Gebäude für das Ghetto-Museum ist auch bereits die Rede in Václav Šmerda (OK SKNV) an L. Hanušová (místopředsedkyně SKNV), 6.1.1977, ebd., Kt. 16. 524 Dokument des OK SKNV: Harmonogram k vládnímu usnesení č. 446/68 o Památníku Terezín, o. J. [Oktober 1974], ebd., Kt. 1.  – Ähnlich bereits Dokument des OK SKNV: Do schůzy rady SKNV dne 30.10.1973. Kontrolní zpráva o plnění harmonogramu, o. J. [Oktober 1973], ebd. 525 Maximilián Pergler: Péče státu o Památník Terezín, 31.3.1973, ebd., Kt. 14. – Siehe dazu auch Maxmilián Pergler (OK SKNV) an Václav Novák (PT), 1.4.1973 und Václav Novák (PT) an Redakce Hlasu revoluce, 11.4.1973, ebd.

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zis liquidierten Juden gelernt« habe.526 Zudem sollte diese Exposition in einer Zelle der Kleinen Festung eingerichtet werden.527 Als Václav Novák, der Leiter der Gedenkstätte Theresienstadt während der zwei Jahrzehnte der Normalisierung, Ende 1976 neuerlich versuchte, das Projekt des Ghetto-Museums zu retten, und gegen die Errichtung eines PolizeiMuseums protestierte, gingen diese inhaltlichen Konzessionen noch einen Schritt weiter: Man wolle in der geplanten Ausstellung nicht nur die Geschichte des Ghettos und die Verfolgung der Juden zeigen, nein, es sollte genauso die »unheilvolle« Rolle jener Juden dargestellt werden, die mit den Nationalsozialisten »kollaborierten«. Außerdem dürfe die Ausstellung keine rein historische Angelegenheit sein, sondern solle abschließend auf den »radikalen jüdischen Nationalismus und Rassismus« eingehen sowie auf den Kampf der internationalen kommunistischen Bewegung gegen die »imperialistische Politik Israels«.528 Das »normalisierte« Theresienstadt

Mit dem von Maxmilián Pergler unterbreiteten Vorschlag, die Ghetto-Ausstellung in der Kleinen Festung unterzubringen, wurden jene Tendenzen konterkariert, die innerhalb der Gedenkstättenarbeit in den letzten Jahren darauf hinwirkten, die Geschichte der Kleinen Festung klar von jener des Ghettos zu differenzieren und die Stadt Terezín als Gedenkort des Schicksals der Juden herzurichten. Noch Mitte der 1970er Jahre protestierte die Leitung der Gedenkstätte gegen die mögliche Einrichtung der Ghetto-Ausstellung in einer der ehemaligen Zellen der Kleinen Festung.529 Dieser Versuch, klar zwischen den beiden Theresienstädter Lagern zu unterscheiden, hatte allerdings auch eine Schattenseite: Denn je konkreter die Ghetto-Ausstellung in den 1960er Jahren wurde, desto öfter geschah dies unter der Bezeichnung »jüdische Ausstellung« oder »jüdisches Museum«.530 526 Pergler, Maximilián: Péče státu o Památníku Terezín. In: Terezínské listy 4 (1974), 1–3, hier 3. 527 Ebd. – Siehe hierzu weiter Zápis ze zasedání komise pro kontrolu plnění vládního usnesení č. 446/68, 2.5.1974, SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. – Munk: Z historie Památníku Terezín, 17 f. – Ders.: 60 let Památníku Terezín, 17 f. 528 Václav Novák (PT) an Václav Šmerda (OK SKNV), 22.11.1976, SOA Litoměřice, PT, Kt. 16. 529 Památník Terezín: Harmonogram hlavních úkolů v letech 1975–1980, o. J. [1974/1975], ebd., Kt. 1. 530 Miroslav Pávek (PT) an Oldřich Vaněk, 3.11.1967, ebd., Kt. 10. – Miroslav Pávek (PT) an Kulturní správa SKNV, 21.3.1968, ebd., Kt. 11. – Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd. – Miroslav Pávek (PT) an Vilém Benda (SŽM), 18.3.1968, ebd. – Zápis z porady, konané v PT, 10.5.1971. In: OK SKNV (Maxmilián Pergler). Do schůze kulturněvýchovné komise SKNV dne 20.5.1971, ebd., Kt. 13.

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Ähnlich wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit scheint die Erinnerung an den Holocaust nicht direkt unterdrückt, dagegen aber von vielen marginalisiert und klar von der Erinnerung an das tschechische Leid getrennt worden zu sein. Die geplante Errichtung des »jüdischen« Museums wurde so von manchen als Argument dafür herangezogen, die Dauerausstellung in der Kleinen Festung allein auf deren Geschichte auszurichten, das heißt auf die Verfolgung und Unterdrückung der tschechischen Nation und auf den tschechischen Widerstand.531 Das wesentlich Neue der Dauerausstellung von 1965 – ebenso wie das Neue im Theresienstadt-Führer von 1967532 – war gewesen, Theresienstadt als Ganzes zu betrachten, die Kleine Festung und das Ghetto klar voneinander zu differenzieren, die beiden Lager jedoch gleich­ berechtigt nebeneinander zu behandeln.533 Diese Argumente zur Neuorientierung der Dauerausstellung in der Kleinen Festung wurden selbst dann noch vorgebracht, als bereits immer deutlicher der Aufbau eines Ghetto-Museums hintertrieben wurde: Da die Aus­stellung zur Geschichte des Ghettos vorbereitet werde, sollte das Museum in der Kleinen Festung sich auf deren Geschichte, auf den Widerstand der Kommunisten und die Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung konzentrieren. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Gestaltung der Wechselausstellung über Kommunisten in Theresienstadt, die in die Dauerausstellung integriert wurde.534 In der neuen Ausstellung, die 1971 eröffnet wurde, sollte auch der Dank des tschechoslowakischen Volkes für seine Befreiung durch die Rote Armee in den Jahren 1945 und 1968 (sic!) zum Ausdruck kommen.535 Anfang der 1970er Jahre wurde nicht nur inhaltlich, sondern auch personell mit den 1960er Jahren gebrochen: Die Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Jüdischen Museum in Prag, die vor allem seit Anfang der 1960er Jahre vertieft worden war, fand in der Neugestaltung der Dauerausstellung von 1965 einen ersten Höhepunkt. Der Vertreter des Jüdischen Museums und Autor des Konzepts dieser Ausstellung, Karel Lagus, setzte seine Zusammen531 Miroslav Pávek (PT) an MěNV Terezín, 11.10.1968, ebd., Kt. 11.  – Zdeněk Musil / Jiří Bíma: Záměr nové instalace muzea Malé pevnosti v Terezíně [September 1970], ebd., Kt. 13. – Nová muzejní expozice PT, umístěná v budově někdejších kasáren strážního oddílu SS na Malé pevnosti, o. D. [1972], ebd., Kt. 14. 532 Kulišová: Terezín (1967). 533 Siehe etwa die Wortmeldungen von Karel Lagus im Zápis o poradě konané 21.10.1970 v PT sowie im Zápis z pracovní schůze autorského kolektivu libreta a scénáře pro muzejní expozici PT dne 23.11.1970, 11.12.1970, beide SOA Litoměřice, PT, Kt. 13. 534 Zápis o poradě konané 21.10.1970 v PT, ebd. – OK SKNV: Předložení zprávy o kontrole vládního usnesení č. 446/68. Současný stav (ku dni 20.9.1971) odborného a technického zajištění výstavby PT, o. J. [September 1971], ebd. 535 Maxmilián Pergler: Kontrolní zpráva k usnesení rady SKNV č. 1/17 o PT. Do schůze ­poradního sboru vedoucího odboru kultury SKNV dne 11.11.1971, o. J. [November 1971], ebd.

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arbeit mit dem Památník Terezín fort. Lagus, der 1964 als Co-Autor der ersten tschechischen Monographie über das Ghetto Theresienstadt in Erscheinung trat, verfasste drei Jahre danach gemeinsam mit Josef Polák und Táňa Kulišová das erste Buch, das gleichberechtigt und zusammenschauend die Geschichte der Kleinen und der Großen Festung – also des Gestapogefängnisses und des jüdischen Ghettos – behandelte.536 Im Jahre 1969 wurde Karel Lagus Leiter der historischen Abteilung der Gedenkstätte – nur kurz bevor die neue Personalpolitik der Normalisierungsära neben der Entlassung des Gedenkstättenleiters, Miroslav Pávek, auch jene Karel Lagus’ forderte. Ende 1971 wurde Lagus aus dem Památník Terezín verabschiedet.537 Der Bruch Anfang der 1970er Jahre ist im Rahmen der Gedenkstätte Theresienstadt klar nachzuvollziehen. Viele der im Laufe der 1960er Jahre immer klarere Formen annehmenden Ideen zur Musealisierung der Stadt Terezín konnten letztlich nicht oder nur zögerlich umgesetzt werden – erinnert sei an das zentrale Ghetto-Denkmal, das Museum oder die Gedenktafeln. In den 1970er Jahren bemühten sich die lokalen Akteure, sich von den Entscheidungen und Plänen aus den späten 1960er Jahre – aus der Zeit des »rechten Opportunismus« – zu distanzieren.538 Die Gedenkstätte Theresienstadt konzentrierte sich daher in allen Tätigkeitsbereichen auf die Kleine Festung »als Ort der Verfolgung der aktiven Gegner des Nazismus.«539 Dies betraf etwa die Arbeit an neuen Ausstellungen, aber auch die Sammlung von Zeitzeugengesprächen, die nun wieder primär mit Überlebenden der Kleinen Festung geführt werden sollten.540 Die weit fortgeschrittenen Pläne, das Kolumbarium der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und mit einer Gedenktafel zu versehen, ja darin eine museale Installation zur Geschichte des Ghettos einzurichten, wurden in den 1970er Jahren durchkreuzt.541 Aber auch die neuen Gedenkstätten am Ufer der Ohře und am jüdischen Friedhof – obzwar in den 536 Kulišová: Terezín (1967). – Táňa Kulišová hatte bereits zuvor mehrere TheresienstadtFührer und Beiträge über Theresienstadt verfasst, die sich jedoch stark auf die Kleine Festung konzentrierten und teilweise, so vor allem in der ersten Auflage von 1952 (deutsch 1953), ausgeprägte antisemitische Vorurteile beinhalteten. Kulišová: Kleine Festung Theresienstadt. 537 Zápis o plnění usnesení vlády ČSSR z 15.12.1968, 9.9.1971, SOA Litoměřice, PT, Kt. 13. – Kontrolní zpráva k usnesení rady SKNV č. 1/17 o PT, 11.11.1971, ebd. – Zápis sepsaný dne 2.12.1971 v PT, ebd. – Zu seiner Entlassung siehe auch den Faszikel ZV ROH 1971 in ebd., Kt. 18. 538 Dokument des OK SKNV: Do schůzy rady SKNV dne 30.10.1973. Kontrolní zpráva o plnění harmonogramu, o. D. [Oktober 1973], ebd., Kt. 1. 539 Památník Terezín: Harmonogram hlavních úkolů v letech 1975–1980, o. J. [1974/1975], ebd. 540 Jaroslav Joza: Plán hlavních úkolů dokumentačního oddělení na rok 1972, o. J. [Ende 1971 / Anfang 1972], ebd., Kt. 14. 541 Krylová: Terezín, 56. – Jan Munk: Žádost o přidělení finančních prostředků na pietní úpravu bývalého Kolumbária v Terezíně, 3.6.1994, SOA Litoměřice, PT, Kt. 48.

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neuen Führern meist erwähnt und abgebildet  – wurden ihrer herausragenden Stellung, die ihnen in den 1960er Jahren oft zugesprochen worden war, beraubt.542 Sie wurden keineswegs zu zentralen Teilen der Gedenkstätte,543 vor allem jedoch wurde ihre Rolle in der Verfolgung und Ermordung der Juden neuerlich in Frage gestellt. An der Gedenkstätte am Ufer der Ohře wurde dem Besucher nicht erklärt, dass es sich um einen Ort der Erinnerung an die jüdischen Opfer des Ghettos handelte.544 Und selbst die Bedeutung des jüdischen Friedhofs als zentraler Gedenkort des Holocaust wurde abzuschwächen versucht: Einen Teil des jüdischen Friedhofs bildete der Friedhof der – hauptsächlich russischen – Kriegsgefangenen aus dem Ersten Weltkrieg. Zu jenem Denkmal, das bereits 1919 errichtet worden war, wurde nun als letzter Teil der Neugestaltung im Jahre 1977, zum 60. Jahrestag der Oktoberrevolution, ein Denkmal für die sow­jetischen Soldaten errichtet. In Form eines Kreises, in dessen Mitte sich ein leicht erhöhtes Denkmal mit Hammer, Sichel und kommunistischem Stern befindet, sollte an die 49 Rotarmisten erinnert werden, die während der Befreiung Nordböhmens am Kriegsende 1945 gefallen waren.545 Mit dieser Neugestaltung wurde fraglos ein Gegengewicht geschaffen zum allein »jüdischen« Friedhof. Dieser wurde fortan oft als »Russischer und Jüdischer Friedhof« bezeichnet.546 Betrachtet man die Entwicklungen in den 1970er Jahren, treten die Tendenzen der 1960er Jahre als Kontrast noch einmal deutlich zum Vorschein. Diese stellten zweifellos einen wesentlichen Schritt dar hin zu einer gesamtgesellschaftlichen Anerkennung und Erinnerung des Holocaust und des Ghettos Theresienstadt als einem seiner Schauplätze. Die Beschäftigung mit dem Ghetto und den jüdischen Opfern, und hierin muss die grundlegende Neuartigkeit der 1960er Jahre gesehen werden, wurde allmählich nicht mehr als ausschließlich »jüdische« Angelegenheit aufgefasst. Die Entwicklung des Památník Terezín ging in den 1960er Jahren in jene Richtung, die Vertreter der jüdischen Gemeinde bereits früher gefordert hatten: Die Geschichte des Ghettos sollte in der Gegenwart, im Leben der Stadt Terezín deutlich sichtbar gemacht werden; die zahlreichen Gedenkorte, die außerhalb der Ge542 Siehe etwa Památná místa boje, o. S. 543 Siehe etwa den Bildband Novák: Terezín (1979), wo im Kapitel »Gedenkstätte« kein einziges Foto dieser Stätten reproduziert bzw. direkt mit jüdischen Häftlingen in Verbindung gebracht wurde. – Siehe auch die Beschwerde von Georg Weis, demnach in einem Prospekt der nationalen Reiseagentur ČEDOK zwar Theresienstadt, nicht aber der jüdische Friedhof vorkomme. Georg Weis an Václav Novák (PT), 10.12.1976, SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 16. 544 Památná místa boje, o. S. – Novák: Terezín (1979), Abb. 77. 545 Kramer: Památná místa, 86. 546 Krylová: Terezín, 57. – Im Bildband Novák: Terezín (1979) wird etwa ein Foto des neuen Denkmals für die sowjetischen Soldaten gebracht, nicht aber die Menora auf dem jüdischen Friedhof wiedergegeben.

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denkstätte standen (vor allem der jüdische Friedhof und die Stelle am Fluss Ohře), wurden nun in die Gesamtkonzeption der Gedenkstätte eingegliedert. Gleichzeitig wurden auch jüdische Partner stärker berücksichtigt: Ähnlich wie in der Frage der Dauerausstellung von 1965 das Staatliche Jüdische Museum ein wichtiger Partner der Gedenkstätte Theresienstadt wurde, war der Rat der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei Ende der 1960er Jahre als Mitorganisator der gesamtstaatlichen Gedenkfeiern vertreten – eine Forderung, die Vertreter der jüdischen Gemeinde seit langem vorbrachten. Im Jahre 1966 wurde versucht, die Feiern anlässlich des 25-jährigen Jahrestages der Errichtung des Ghettos in die großen Befreiungsfeiern in Theresienstadt mit aufzunehmen.547 Ein Jahr zuvor, 1965, war es der jüdischen Gemeinde bereits ermöglicht worden, offiziell Gäste aus dem Ausland, Überlebende des Ghettos Theresienstadt, zu den Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Befreiung der Tschechoslowakei einzuladen. Damals war sie allerdings noch nicht in die Planung und Umsetzung der Feiern einbezogen worden.548 Anfang 1967 schließlich kam man der Forderung der jüdischen Gemeinde entgegen, die nun nicht nur in die interministerielle Komission zur Umgestaltung der Gedenkstätte aufgenommen, sondern auch offiziell als Partnerin in der Organisation der gesamtstaatlichen Aktionen und Manifestationen anerkannt wurde.549 Alle diese Entwicklungen wiesen auf eine wesentliche Veränderung in der Wahrnehmung Theresienstadts: Immer stärker wurde eingefordert, die Partikularität, Besonderheit, ja Zentralität des Ghettos innerhalb des Themenkomplexes Theresienstadt zu betonen. In der Unterschätzung der Bedeutung des Holocaust, in der Geringschätzung und Missachtung der Leiden der Juden in Theresienstadt sahen viele nun die »Deformationen« und »Fehler« der stalinistischen 1950er Jahre, von denen man sich deutlich zu distanzieren versuchte.550 Das Wesen und die fundamentale Bedeutung Theresienstadts standen zur Diskussion: War Theresienstadt primär ein Ort des Holocaust oder einer des antifaschistischen Widerstands der tschechischen Nation? Diese Frage konnte zwar in den 1960er Jahren nicht eindeutig beantwortet werden. Die unterschiedlichen Aneignungen Theresienstadts im öffent547 Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 26.11.1966, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. 548 Terezínské dne 1965 – program, o. J. [1965], SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. 549 MKI-SPVC: Informativní zpráva, 24.1.1967, NA , f. MŠK , Kt. 56. – Ansprache František Fuchs’ am außerordentlichen Kongress des Rats der jüdischen Gemeinden, 29.1.1967, ebd. 550 Miroslav Pávek (PT) an [Ludvík Svoboda] und Alexander Dubček, 4.5.1968, SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 11. – Miroslav Pávek (PT) an Bárta (Výstavní služba), Praha, 2.12.1968, ebd. – Zum Problem der Gedenkstätte Terezin [sic] in der Tschechoslowakei [deutschsprachiges Dokument ohne Autor], o. J. [1968?], ebd. – Miroslav Pávek (PT) an Vojtěch Mencl (VPA KG), 10.3.1969, ebd., Kt. 12.  – Miroslav Pávek (PT) an Krno (KV SPB), 27.1.1969, ebd.

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lichen Raum und die Debatten um die Rolle Theresienstadts zeigen jedoch die Dynamik, welche die Theresienstadt-Erinnerung dieser Jahre prägte. Während die Repräsentationen der Shoah mehr Platz als bisher einnahmen, fehlte es hierzu keineswegs an kritischen Stimmen. Dies wurde unter anderem am Beispiel der Reaktionen auf die neue Dauerausstellung von 1965 veranschaulicht, aber auch anhand jener Argumentation, die sich für eine »jüdische Ausstellung« stark machte, damit sich die Dauerausstellung in der Kleinen Festung wieder auf das »tschechische« Leid konzentrieren könne. Auf der einen Seite traten verstärkt offizielle Akteure aus den Reihen des Opferverbandes, der Gedenkstätte Theresienstadt, der Nationalausschüsse und des Kulturministeriums für eine Musealisierung des ehemaligen Ghettos ein. Auf der anderen Seite, und hier werden auch die Grenzen der oft idealisiert dargestellten 1960er Jahre deutlich, wurden in den 1960er und dann in den frühen 1970er Jahren genauso die Kontinuitäten älterer Wahrnehmungsmuster sichtbar, die den jüdischen Opfern Theresienstadts keine Aufmerksamkeit schenkten, da ihnen kein Sinn für die Gegenwart und die Zukunft abgewonnen werden konnte. Das Kernproblem war also die Heraushebung des Holocaust und die Betonung seiner historischen Sonderstellung  – die später als Einzigartigkeit der Shoah diskutiert werden sollte. Diese Wahrnehmung musste die antifaschistische Ideologie konterkarieren, da dergestalt der Holocaust nicht mehr in den Klassenkampf eingeordnet werden konnte, eingebettet in die lange Geschichte des Kampfes der Arbeiter gegen die Kapitalisten. Ein Kritikpunkt Václav Vlčeks vom Kulturministerium an der neuen Dauerausstellung von 1965 betraf genau diese ihm unzureichende Kontextualisierung: Der -­ Beschreibung der antijüdischen Gesetze sollte, so Vlček, die Darstellung der Maßnahmen vorangestellt werden, die die allgemeinen Freiheiten beschränkten.551 Der Holocaust sollte nicht als partikulare Geschichte erzählt, die jüdischen Opfer nicht als besondere Opfergruppe hervorgehoben werden. Trotz der bedeutsamen Schritte hin zu einer partikularen Holocaust-Erinnerung in Terezín, ja hin zu einer immer stärkeren Umdeutung »Theresienstadts« zu einem Ort des jüdischen Leidens, steht zur Frage, ob diese veränderte Wahrnehmung Ende der 1960er Jahre Rückhalt in der Gesellschaft hatte. Die oft als Argument angeführte Internationalität des Erinnerungsortes »Ghetto« weist darauf hin, dass demgegenüber das nationale, »tschechische« Theresienstadt weiterhin von vielen in der Kleinen Festung gesehen wurde. Der dissidente Philosoph Milan Šimečka relativierte die oft idealisierten 1960er Jahre und beschrieb die gesellschaftliche Haltung den Juden gegenüber als ambivalent: 551 Zápis z jednání Por[adního] sboru PT dne 21.  září 1965, o. J. [September 1965], ebd., Kt. 8.

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Man setzte wieder das alte Spiel fort: Fragen, mit denen man sich den Kopf zerbrechen könnte, schieben wir beiseite. Der alte Konsens unter der Intelligenz, dass Juden nicht existieren, wurde erneuert. Den Juden wurde selbstverständlich gestattet, darüber zu sprechen, dass sie Juden sind. Man betrachtete es nicht als geschmacklos, jüdische Witze zu erzählen, besonders in der Gegenwart von Juden.552

Geht man demzufolge davon aus, dass die Toleranz einer öffentlichen Holo­ caust-Erinnerung in den 1960er Jahren nicht so weit ging, die mehrheitsgesellschaftliche Indifferenz gegenüber den Juden und die geteilte Sicht auf die »tschechische« und die »jüdische« Geschichte infrage zu stellen, sind auch die konkreten Folgen des politischen Kurswechsels für den Gedenkort Theresienstadt zu verstehen. Denn es scheint, als ob die staatliche Geschichtspolitik nach 1968/1969 keine allzu großen Schwierigkeiten hatte, die alt-neue Sichtweise auf Theresienstadt (und den Zweiten Weltkrieg im Allgemeinen) im Sinne eines antifaschistischen Universalismus durchzusetzen. Als deutlich sichtbare Akte gehörten dazu einerseits die Rückkehr zu alten Interpretationsmustern in der Dauerausstellung der Gedenkstätte Theresienstadt, die bereits 1971 mit der Hervorhebung der Kommunisten und der Rolle der Roten Armee erkennbar wurden; andererseits die eingestellten oder deutlich reduzierten Projekte zur Musealisierung der Stadt Terezín, zur Sichtbarmachung der Shoah: die Gedenktafeln, das Ghetto-Denkmal und das Museum zur Geschichte des jüdischen Ghettos. Wie im abschließenden Teil der Arbeit noch zu zeigen sein wird, können die kaum zu vernehmenden Proteste gegen diese Entwicklungen wohl zu einem Teil  darauf zurückgeführt werden, dass die Tschechen nach dem Scheitern des »Sozialismus mit menschlichem A ­ ntlitz« mit einer weiteren Tragödie in der Nationalgeschichte beschäftigt waren. Dies bekräftigte neuerlich die Teilnahmslosigkeit gegenüber dem jüdischen Schicksal und die Konzentration auf die – eng aufgefasste – eigene Nation.

552 Šimečka: Původ nejistoty, 31.

2. Repräsentationen des Holocaust

Die im vorangehenden Kapitel behandelte Ambivalenz in den Repräsentationen des Nationalsozialismus zwischen Weltkriegs- und Holocaust-Erin­ nerung ist einer der wesentlichen Faktoren, der das Gedenken an die Verfolgung und Ermordung der Juden formte. Das Nebeneinander dieser zwei unterschiedlichen Perspektiven auf den Zweiten Weltkrieg, das wir durchaus auch aus anderen west- und osteuropäischen Ländern kennen, erklärt jedoch nur auf unzufriedenstellende Weise, wieso es zu dieser Fixierung auf Krieg, Repression und Widerstand auf der einen Seite und zur Marginalisierung des Holocaust auf der anderen kam. Es begründet nicht, warum sich diese Erinnerung, im Unterschied zu anderen Ländern, über Jahrzehnte hinweg einseitig an Krieg und nationalem Befreiungskampf festhielt. Im folgenden Kapitel werden zwei entscheidende Interpretationsmuster in der tschechischen Erinnerungskultur herausgearbeitet, die diese Frage beantworten: der Heroismus sowie der tschechische Patriotismus und Nationalismus.

2.1 Die ermordeten Juden: Opfer – Märtyrer – Helden? Waren die Juden eine »Herde von Schafen«,1 die sich untätig und widerstandslos in den Tod treiben ließ? Oder waren sie Märtyrer, ja Helden, die sich für eine bessere Zukunft opferten? Die Wahrnehmung von Passivität und Heroismus hat sich in den letzten 70 Jahren stark gewandelt, insbesondere in Bezug auf die Erinnerung an die Shoah.2 Außer Frage steht, dass die Charakterisierung der Juden als Opfer, Märtyrer oder Helden in allererster Linie eine Be- bzw. Zuschreibung ex post darstellt, das heißt eine interpretative Leistung der Nachwelt im Umgang mit den Toten. Wesentlich dabei ist die Frage nach dem Sinn, den man den Opfern zuschreibt, und aus dem man eine Lehre für die Gegenwart und Zukunft ziehen kann. Zentral in der Sinnstiftung der Opfer ist die Sache, für welche die Toten ihr Leben gelassen, das Blutzeugnis, das sie abgelegt und somit das Vermächtnis, das sie hinterlassen hätten. In1 Šteindler, Stan[islav]: Varšavské ghetto. In: Věstník 12/15 (1950), 173. – Ähnlich auch dr. i.[Iltis, Rudolf]: Odhalení pomníku hrdinům  a mučedníkům v Karlových Varech. In: Věstník 18/9 (1956), 7 f. 2 Siehe etwa Chaumont: Die Konkurrenz der Opfer. – Confino: Remembering.

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dem sie eine Wahrheit bezeugt hätten, für die sie in den Tod gegangen seien, werden sie zu Märtyrern erklärt.3 Wiewohl das Martyrium im 20. Jahrhundert und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg sich zunehmend von seinen ursprünglichen religiösen Verständnissen als Zeuge für den Glauben entfernte und stattdessen die Leiden und Qualen unterstrich, so blieb  – und bleibt – doch in der Vorstellung des Märtyrers die Idee der Zeugenschaft und des damit verbundenen Vermächtnisses für die Nachwelt erhalten. Dieses Vermächtnis wurde oft in nationale oder politische Visionen übersetzt, weswegen Heroismus und Nationalismus auch zwei ineinander verflochtene und sich gegenseitig oft bedingende Phänomene darstellen. Hier soll es zunächst um die allgemeinen Unterschiede und Parallelen zwischen einem Opfer- und einem Helden-Gedächtnis sowie um die Möglichkeiten und Spezifika eines jüdischen Opferdiskurses gehen. Aus diachroner Sicht geht es um den historischen Wandel dieser semantischen Beziehung zwischen Opfern und Helden, vor allem um deren gesellschaftliche Wertschätzung und Legitimität – und dies in einem per definitionem antifaschistischen Staat und zugleich vor dem Hintergrund eines sich insbesondere seit den 1970er Jahren vollziehenden gesamteuropäischen gesellschaftlichen Wandels von einem Helden- hin zu einem Opfer-Gedenken.4 Unmittelbar nach Kriegsende ist in vielen Ländern in Ost- und West­ europa, und somit auch in der neu errichteten Tschechoslowakischen Republik, der Versuch festzustellen, aus den oft sehr unterschiedlichen Kriegserfahrungen der Bevölkerung eine einheitliche, gemeinsame und vor allem einende Erinnerung zu kreieren.5 Dies geschah meist im Zeichen von Patriotismus und aktivem Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Als Identifikations- und vor allem Integrationsfiguren wurden Helden und nationale »Befreiungskämpfer« hervorgehoben, das heißt Personen, die tatsächlich oder vermeintlich für das Vaterland, für die Nation Opfer gebracht oder sogar ihr Leben gelassen hatten. Der tschechische Held schlechthin wurde Julius Fučík, ein kommunistischer Journalist, der sich nach der Errichtung des Protektorats der heimischen Widerstandsbewegung angeschlossen hatte und schließlich im September 1943 in Berlin hingerichtet worden war. Seine Aufzeichnungen aus dem Gefängnis wurden als »Reportage unter dem Strang geschrieben« von seiner Frau Gusta Fučíková nach dem Krieg heraus­gegeben und waren  – nicht nur in der Tschechoslowakei  – über Jahrzehnte hinweg 3 Zum Begriff des Märtyrers und seinen wandelnden Verständnissen im Lauf der Geschichte siehe etwa Maier: Politische Martyrer. – Weigel: Schauplätze. 4 Siehe hierzu näher die Ausführungen zur »passiven Wende« in der Einleitung der vorliegenden Arbeit. 5 Vgl. hierzu insbesondere die Arbeiten von Pieter Lagrou. Lagrou: The Legacy. – Ders.: The Nationalization.

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ein Bestseller.6 Bereits vor der kommunistischen Machtübernahme gewann Fučíks »Reportage« an hoher Popularität, und das nicht allein unter Kommunisten. Der Kult, der um Julius Fučík aufgebaut wurde, beinhaltete alle notwendigen Komponenten des neuen sozialistischen Helden: Tapferkeit, Entschlossenheit, Selbstlosigkeit und Bescheidenheit. Zudem wurde – mit der Darstellung Fučíks als jugendlichem, attraktivem und lächelndem Mann  – die Idee des Aufbruchs in eine neue, bessere Epoche transportiert.7 Helden wie Fučík dienten seit der kommunistischen Machtübernahme der Legitimierung des neuen Systems, sie »verdichten die intimen antifaschistischen Gründungsmythen der noch jungen, in sich ungefestigten sozialistischen Staaten.«8 Dies trifft umso mehr auf Fučík zu, da er als nationaler Held über die Grenzen der kommunistischen Sympathisanten hinaus identitäts- und gemeinschaftsstiftend wirkte. Nach dem Kriegsende wurde folglich, wie Virginie Linhart hier für den französischen Fall festhält, »der Widerstand, zuungunsten der Erfahrungen der Kriegsjahre, verherrlicht, übertrieben, manchmal mythifiziert.«9 Dan Diner ist nicht der einzige, der zu diesem »moralischen Privileg des Heroismus« einen weiteren Grund stellt, nämlich die Tatsache, dass das politische Narrativ sprachliche Artikulation ermögliche und die Geschichte des Widerstandes somit »erinnerungsfähig« mache: »Im Anfang war der Widerstand.«10 In der Tschechoslowakei kam zu diesem Denkmuster sehr früh das Moment des Klassenkampfes hinzu: Indem der Nationalsozialismus als kapitalistische und imperialistische Bewegung betrachtet wurde, interpretierte man den Widerstand auch als Kampf für eine sozialistische Tschechoslowakei. Ja, bereits vor der kommunistischen Machtübernahme Anfang 1948 verstanden viele das Kriegsende 1945 als nationale und soziale Revolution. Viele individuelle oder gruppenspezifische Erfahrungen wurden in dieser universalistischen Sichtweise nicht repräsentiert, ja vielmehr (implizit oder explizit) ausgeschlossen. Dazu gehört die jüdische Erfahrung des Holocaust. Antifaschisten zweiter Klasse

Da die Juden sehr schnell und kollektiv als passive Opfer des Nationalsozialismus dargestellt wurden, wurden sie nicht nur aus den Erzählungen über den Zweiten Weltkrieg ausgeschlossen, sondern auch in Verfolgtenverbänden 6 Zu Person und Mythos Julius Fučíks siehe Zwicker: »Nationale Märtyrer«. – Ders.: Der antifaschistische Märtyrer. 7 Macura: Šťastný věk, 85–100. 8 Satjukow: Zur Konstruktion, 26. 9 Linhart: La vie après, 69. 10 Diner: Gegenläufige Gedächtnisse, 80.

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und der Opferfürsorge diskriminiert. Die Juden seien – vermeintlich anders als die nichtjüdischen Tschechen und Slowaken – keineswegs für die Freiheit der Heimat und konkrete politische Ideale gestorben. Ihnen wurde vorgehalten, häufig wegen wirtschaftlicher und finanzieller Delikte, das heißt eigennütziger Gründe von den Nationalsozialisten verfolgt worden zu sein.11 In die Einheiten der tschechoslowakischen Auslandsarmee seien sie erst im letzten Augenblick eingetreten.12 Ihr Leiden in Ghettos und Konzentrationslagern wurde verharmlost.13 So wurden jüdische Opfer und deren Nachkommen nicht automatisch in den Verband der befreiten politischen Häftlinge (Svaz osvobozených politických vězňů, SOPV) aufgenommen. Der SOPV war einer der drei großen Opferverbände in der Tschechoslowakei, und zwar jener, der vor allem Überlebende aus Gefängnissen und Konzentrationslagern vereinte.14 Ein Funktionär dieses Verbands meinte zwei Jahre nach Kriegsende, dass es – um im Opferverband Aufnahme zu finden – nicht reiche, »eine W ­ oche eingesperrt gewesen zu sein, aber gegen den Nazismus keinen Finger gerührt zu haben«.15 Antonín Peklo, Vorsitzender des Prager Kreises des­selben Verbands, beschwerte sich über die  – seiner Meinung nach  – zu einfachen Aufnahmebedingungen für Juden: Für die »rassische Gruppe« würde es letzten Endes reichen, eine Woche im Ghetto Theresienstadt gewesen zu sein.16 Zudem seien »viele […] erst im Jahre 1945« verhaftet oder interniert worden.17 Diese fehlende Bereitschaft, jüdische Überlebende des Holocaust und Angehörige jüdischer Opfer in die Häftlingsvereinigungen aufzunehmen, zeigt bereits sehr deutlich die Bedingtheit des Opferstatus. Neben nationalistischen und antisemitischen Einstellungen, welche Juden innerhalb der Gruppe der 11 Národní osvobození vom 24.6.1945, zit. nach: Ze židovského světa  – hlasy tisku. In: Věstník 7/1 (1945), 7.  – Etwas weniger offensichtlich: Šíma, Jaroslav: Ještě židovská otázka. In: Služba repatriantům Nr. 67 vom 3.11.1945, 1. 12 K projevu ministra informací Václava Kopeckého v Teplicích-Šanově. In: Věstník 9/7 (1947), 91. – Št.E. [Engel, Štěpán]: Slova a skutky. In: Věstník 9/11 (1947), 153 f. 13 Ein Beispiel etwa bei Mareš, Michal: Jiný diktátůrek: ze Žamberka. In: Dnešek vom 10.7.1947, 232–234. – Als Auszug übernommen dann auch in: Věstník 9/15 (1947), 221. 14 Von der unbegründeten Ablehnung der Aufnahmeanträge einiger Juden berichtete etwa die jüdische Gemeinde in Opava (Troppau): Schreiben der ŽNO Opava (čj. 568/46-M) an RŽNO, 27.11.1946 und 29.11.1946, AŽMP, f. Opava 1946–1952, unbearbeitet. – Siehe auch ein Protestschreiben gegen die Diskriminierung jüdischer Mitglieder innerhalb des Opferverbandes: Emanuel Herrmann an Revisní přešetřující komise odbočky SOPV v Praze VII, 20.9.1946, und Antwortschreiben vom 26.9.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 19. 15 Zápis z valné schůze delegátů místních odboček pražského kraje [SOPV], 20.4.1947, ebd., Kt. 18. 16 Ant. Peklo an SOPV, 11.8.1946, ebd., Kt. 20. 17 Ebd.

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Verfolgten des Nationalsozialismus marginalisierten, spielte hierbei das Vorurteil, Juden seien passive Opfer gewesen, eine wesentliche Rolle. Die von den Verfolgtenverbänden hochgehaltenen Helden waren Auslands­ soldaten, Partisanen, Kämpfer des Prager Aufstands im Mai 1945, Personen, die aus politischer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus verhaftet und in Konzentrationslager deportiert worden waren. Dass sich diese Verbände stärker an der Idee des aktiven Kampfes denn an jener der passiven Verfolgung orientierten, wird bereits an der Namensgebung der Organisationen deutlich: Bis 1948 existierten drei große Organisationen des »ersten« und »zweiten« Widerstandes:18 der Verband der nationalen Revolution (Svaz národní revoluce), der Verband der befreiten politischen Häftlinge und die bereits in der Zwischenkriegszeit bestehende Legionärsgemeinde (Československá obec legionářská).19 Zur Gründung eines jüdischen Opferverbandes kam es nicht, die Aufgabe ihrer Vertretung übernahm die jüdische Gemeinde der Nachkriegstschechoslowakei.20 Die Mitgliedschaft in einem der Verbände bedeutete nicht nur die offi­ zielle Anerkennung der nationalsozialistischen Verfolgung, sondern war auch wegen der direkt damit in Zusammenhang stehenden Ansprüche auf Opferfürsorge und andere Sozialleistungen für NS -Verfolgte und deren Hinterbliebene von Bedeutung. Die Anerkennung des Status des politischen Häftlings brachte weitreichende Begünstigungen mit sich: direkte Sozialleistungen wie (einfache) Entschädigungszahlungen oder Renten für Hinterbliebene von Opfern; außerdem sollten politische Häftlinge bevorzugt werden bei der Aufnahme in gewisse Betriebe, der Zuteilung von »freiem« und konfisziertem Eigentum oder bei der Aufnahme in Ausbildungskurse und Schulen.21 Bevor der Begriff des politischen Häftlings gesetzlich exakt definiert wurde, hatte die Mitgliedsbestätigung des Verbands der befreiten politischen Häftlinge als Bescheinigung gedient, um Sozialleistungen in Anspruch nehmen zu können – so etwa laut Erlass des Gesundheitsministeriums von Ende Mai 1945.22 Juden wurden in diesen Belangen durchweg benachteiligt. So erhielten jüdi­ sche Überlebende des Ghettos Theresienstadt anfangs deutlich geringere So18 Der »erste Widerstand« bezieht sich auf den Widerstand gegen die österreichisch-ungarische Monarchie und den Kampf für die Errichtung der unabhängigen Tschechoslowakei. Er war in der Legionärsgemeinde institutionalisiert. Der »zweite Widerstand« meint den Kampf gegen den Nationalsozialismus. 19 Es liegen kaum historische Analysen der Opferverbände vor. Als Überblick siehe Pašek: Živá kronika. 20 Wehle, Kurt: Židovská náboženská obec za okupace a po osvobození ČSR . In: Věstník 7/1 (1945), 2–4. 21 dz: Nový zákon o příslušnících československé armády v zahraničí a o jiných účastnících národního boje za osvobození. In: Věstník 9/3 (1947), 31 f. 22 Sdělení Rady žid. nábož. obcí. In: Věstník 7/3 (1945), [24].

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zialleistungen als Überlebende anderer Konzentrationslager23 oder waren von bestimmten Vergünstigungen bzw. finanziellen Zuschüssen ausgeschlossen.24 Diese Hierarchisierung der Verfolgten wurde aufrechterhalten, selbst wenn allmählich jüdische Opfer (im damaligen Wortlaut meist: Opfer rassischer Verfolgung) zumindest dem Gesetz nach den anderen Verfolgtengruppen gleichgestellt und in die Kategorie der so genannten »politischen Häftlinge« einbezogen wurden. Bereits am 10.  Dezember 1945 gab das Innenministerium einen Erlass heraus, demnach die »rassische Verfolgung« als »politische Verfolgung« anzusehen sei und die beiden gleichzusetzen wären.25 Im Rahmen der Vorbereitung des Gesetzes, das die Definition des politischen Häftlings im Detail klären sollte, wurde im Sommer 1946 vom Verband der befreiten politischen Häftlinge ein Vorschlag unterbreitet, der eine klare Trennung zwischen den unterschiedlichen Opfern einführen sollte: Die erste Gruppe umfasste aktive Widerstandskämpfer, die wegen ihrer direkt gegen die Nationalsozialisten und ihre Verbündeten gerichteten politischen Akti­ vität verfolgt und inhaftiert worden waren. In der nächsten Gruppe sollten sich jene befinden, die wegen ihrer demokratischen und antifaschistischen Gesinnung verhaftet worden waren. Diese beiden Gruppen sollten denselben Status erhalten wie die Soldaten der Auslandsarmeen und die Partisanen. Erst in der dritten Gruppe schließlich sollten die »Opfer der Rassenverfolgung« Aufnahme finden.26 Eine Trennung sollte vor allem gezogen werden zwischen der ersten Gruppe der aktiven Widerstandskämpfer und den anderen NS -Opfern, die nicht die gleichen Privilegien genießen würden. Nach scharfer Kritik von Seiten des Rats der jüdischen Gemeinden wurde dieser Entwurf überarbeitet,27 dennoch wurde letztlich die Hierarchie der Opfer des Nationalsozialismus beibehalten. Als im Dezember 1946 das Gesetz Nr. 255/1946 erlassen wurde, sah die jüdische Gemeinde zunächst einige ihrer Forderungen umgesetzt. So definierte dieses Gesetz die Gruppe der »Teilnehmer am nationalen Befreiungskampf«, unter denen sich unter anderen die »politischen Häftlinge« befanden, re­lativ 23 RŽNO an MOPSP, 3.1.1946, YVA , O.7.cz/264 – Siehe auch bereits den Brief der RŽNO an vrchní rada Lang, 8. odbor MOPSP, 21.11.1945, YVA , O.7cz/265, fol. 53. 24 Upozornění. In: Věstník 7/4 (1945), [32]. – Sdělení Rady žid. nábož. obcí. In: Věstník 7/3 (1945), [24]. 25 Erlass B-2111–10/12–45-II /1 vom 10.12.1945.  – O pojmu čs. osvobozeného politického vězně. In: Věstník 8/9 (1946), 81. – RŽNO an MOPSP, 3.1.1946, YVA , O.7.cz/264. – Dass dieser Erlass in der Praxis keineswegs die beiden Verfolgungen gleichstellte, kritisierte der Rat der jüdischen Gemeinden beispielsweise in einem Schreiben vom September 1946: Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, hier 6, CZA , C2/1623. 26 O pojmu čs. osvobozeného politického vězně. In: Věstník 8/9 (1946), 81.  – Zápis o 9. schůzi předsednictva SOPVP, konané dne 7.5.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 18. 27 O pojmu čs. osvobozeného politického vězně. In: Věstník 8/9 (1946), 81.

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weit.28 Politischer Häftling war dieser gesetzlichen Regelung zufolge, wer zwischen dem 15.  März 1939, dem Zeitpunkt der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren, und dem 4. Mai 1945 in seiner persönlichen Freiheit durch Haft, Internierung, Verschleppung oder anderweitig auf Grund politischer, nationaler, rassischer oder religiöser Verfolgung beschränkt worden war.29 Dieser Freiheitsentzug musste mindestens drei Monate dauern, damit der Überlebende den Status des politischen Häftlings in Anspruch nehmen durfte – außer man konnte eine direkt gegen die nationalsozialistischen Okkupanten gerichtete antifaschistische oder politische Tätigkeit nachweisen.30 Im Organ der jüdischen Gemeinde war man nach Verkündung dieses Gesetzes voller Hoffnung, dass – abgesehen von besonderen Einzelfällen – »alle tschechoslowakischen Juden« in diese Kategorie des politischen Häftlings einbezogen würden.31 Im Verband der befreiten politischen Häftlinge hingegen waren bereits im Vorfeld der Gesetzgebung Stimmen laut geworden, die befürchteten, dass diese breite Auffassung der Teilnehmer des nationalen Befreiungskampfes dazu führe, »dass der Verband eine Reihe Leute aufnehmen würde, die hier nicht hingehören.«32 Tatsächlich, so hoben die Historiker Tomáš Jelínek und Jaroslav Kučera jüngst hervor, wurden damit NS -Opfer und Kriegsgeschädigte ebenso wie aktive Widerstandskämpfer in einer Gruppe relativ gleichberechtigt zusammengefasst. Das tschechoslowakische Entschädigungsrecht, so die beiden Autoren, habe die »Grenze zwischen aktiven Kämpfern und passiven NS Verfolgten« verwischt und »eine gesundheitliche Schädigung dem aktiven Widerstandsverhalten« gleichgesetzt.33 Wie sich jedoch sehr rasch zeigen sollte, wurden in der Praxis die unterschiedlichen Häftlingsgruppen keineswegs auf die gleiche Ebene gestellt. So wurde weiterhin Witwen und Waisen nach verstorbenen Insassen des Ghettos Theresienstadt die Hälfte jener Renten gezahlt, die Hinterbliebene von 28 Zákon č. 255/1946 vom 19.12.1946: Zákon o příslušnících československé armády v zahraničí a o některých jiných účastnících národního boje za osvobození, hier § 2, Abs. 5. Weitere »Teilnehmer am Befreiungskampf« waren dem Gesetz zufolge unter anderem Soldaten in den tschechoslowakischen Auslandsarmeen oder den alliierten Einheiten, Partisanen, heimische und im Ausland tätige Widerstandskämpfer, Teilnehmer des Slowakischen Aufstands, während des Prager Aufstands Verwundete oder Gestorbene sowie Freiwillige der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg.  – Hierzu auch Jelínek: Ohnmächtige Zaungäste, 784. 29 [Definition des politischen Häftlings: Entwurf der právní komise SOPVP], o. J. [September 1946], NA , f. ÚV SPB , Kt. 19. 30 dz: Nový zákon o příslušnících československé armády v zahraničí a o jiných účastnících národního boje za osvobození. In: Věstník 9/3 (1947), 31 f. 31 Ebd. 32 Zápis o 18. schůzi předsednictva SOPVP, konané dne 5.11.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 18. 33 Jelínek: Ohnmächtige Zaungäste, 787.

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Opfern anderer Konzentrationslager erhielten.34 Oft war es auch die prak­ tische Umsetzung von Gesetzen und Richtlinien, die die Ungleichberechtigung aufrechterhielt. Die Durchführungspraxis vieler Ämter, so ein Vertreter des Rats der jüdischen Gemeinden im Mai 1947, identifiziere sich nicht immer mit dem Geist der Gesetze.35 Noch über Jahrzehnte hinweg bestand letztlich die ungleiche Behandlung von »aktiven« und »passiven« Opfern, beispielsweise in der Rentengesetzgebung, fort.36 Nur selten wurde jedoch, wie im Jahre 1968, diese Ungleichbehandlung zwischen »passiven und aktiven KZlern« als Diskriminierung gebrandmarkt und das Ende dieser Kategorisierung gefordert.37 Die zumindest gedankliche Zusammenfassung und Gleichsetzung aller Opfergruppen verweist auf einen wichtigen Aspekt in der Wahrnehmung als Opfer oder Helden: Bewusst, das heißt zugunsten der Orientierung auf die einende und erschöpfende Auffassung des politischen Häftlings,38 wurde eine allzu starke Differenzierung des Helden- und Opferbegriffes unterlassen. Denn die Einheit der Nation zu betonen schien wichtiger als klare Trennungen zwischen Helden und Opfern. Von einer »großen Fraternität des Todes«, die die unterschiedlichsten Opfer und Opfergruppen umfasste, sprach Edvard Beneš wenige Monate nach Kriegsende.39 Die Historikerin Natali Stegmann resümierte jüngst: »In der Konzeption eines moralischen Sieges über den Faschismus verschmolzen Helden- und Opfermuster. Beide Muster waren stark an das Konzept eines national und sozial einheitlichen Volkes angelehnt.«40 34 Požitky vdov a sirotků po obětech fašistické persekuce. In: Věstník 9/10 (1947), 142 f. – Ansprache [von Rudolf Iltis?] am Sjezd delegátů židovských náboženských obcí v krajích Českých, 8. und 9.12.1956, NA , f. MŠK , Kt. 56. 35 Dr. O. S.: Soustavný přehled předpisů jednajících o osobách persekovaných z rasových důvodů. In: Věstník 9/10 (1947), 141 f., hier 141. 36 Ansprache [von Rudolf Iltis?] am Sjezd delegátů židovských náboženských obcí v krajích Českých, 8. und 9.12.1956, NA , f. MŠK , Kt. 56. – Siehe weiter Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 26.11.1966, 29–31, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. – Stenografický záznam ze schůze ÚV SPB , 3.5.1968, 2/34-2/35 und 3/16-3/17, ebd., Kt. 56. – Siehe zu den Kontinuitäten auch Jelínek: Ohnmächtige Zaungäste, 785 f. – Zásady navržené ÚV SPB pro úpravu důchodového zabezpečení účastníků boje proti fašismu a pozůstalých po nich, o. J. [1968], NA , f. ÚV SPB , Kt. 56. 37 Funkcionář SPB. Plenární zasedání ÚV SPB , 3.5.1968, 22 (Wortmeldung Imrich Hudec), ebd. – Stenografický záznam ze schůze ÚV SPB , 3.5.1968, 2/34-2/35 und 3/16-3/17, ebd. – Ústřední organizace židů v Československé republice zaujímají stanovisko k procesu demokratické obrody. In: Věstník 30/4 (1968), [1]f., hier 1. 38 So etwa die Begründung der Rechtskommission des Verbands der befreiten politischen Häftlinge im Herbst 1946: [Definition des politischen Häftlings: Entwurf der právní komise SOPVP], o. J. [September 1946], NA , f. ÚV SPB , Kt. 19. 39 jr.: Národ je věčný v mravních  a duchovních hodnotách svých věrných jedinců. In: Lidová demokracie vom 30.9.1945, 1. 40 Stegmann: Kriegsdeutungen, 258.

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Dies heißt allerdings auch, dass die Partikularitäten der unterschiedlichen Verfolgungen übergangen wurden, dass folglich die jüdischen Opfer ausschließlich als politische Häftlinge wahrgenommen und juristische wie gesellschaftliche Anerkennung finden konnten. Diese Nivellierung der Verfolgungserfahrungen und der Versuch, in der Abgrenzung und Gegenüberstellung zum Nationalsozialismus die Nation zu einen, sind in zahlreichen europäischen Ländern nach dem Zweiten Weltkrieg zu beobachten. In Frankreich fanden sich die Juden unter den »politischen Deportierten« (déporté poli­tique) wieder, die – ähnlich wie in der Tschechoslowakei – in der Gesetzgebung von den »deportierten Widerstandskämpfern« (déporté -­ résistant) unterschieden wurden.41 Nur über den Umweg des politischen Gegensatzes zum Nationalsozialismus und damit die Idee der politischen Verfolgung, die der Verfolgung der Juden zugrunde läge, konnten Juden ihre Ansprüche geltend machen. Dies bedeutete jedoch zugleich eine Einverleibung und Subsumierung der Juden unter die »politischen Häftlinge«, womit die Zahl der politischen Gegner des Nationalsozialismus, die Zahl der »Widerstandskämpfer«  – bewusst oder nicht  – erhöht wurde.42 Deutlich wurde dies bereits bei der Frage der 360.000 tschechoslowakischen Opfer des Nationalsozialismus oder auch in den Repräsentationen Theresienstadts. Die Erinnerung an die 10.000 »Nationalhelden«,43 die auf dem Nationalfriedhof begraben seien, ebenso wie die einseitige Verknüpfung des Natio­ nalfriedhofs mit der Geschichte der Kleinen Festung Theresienstadt, in welcher jedoch nur 2.600 Todesopfer zu verzeichnen waren, zeigt klar diese Einverleibung der jüdischen Opfer und ihre Instrumentalisierung für eine heroische und patriotische Sichtweise. Diese Subsumierung bedeutete auch, dass etwa jüdische Opfer des Theresienstädter Ghettos oder jüdische Überlebende des KZ ­Auschwitz als politische Häftlinge Teilhaber des als Oberbegriff fungierenden nationalen Befreiungskampfes waren. Als Mitglieder des Verbands der Freiheitskämpfer, der 1948 durch die Zwangsvereinigung der bisherigen drei Verfolgtenverbände entstand und wenige Jahre später in den Verband der antifaschistischen Kämpfer umbenannt wurde, fanden sich die Juden schließlich – selten explizit, aber doch meist implizit  – in der Gruppe der »Widerstandskämpfer« (odbojáři) wieder. Insofern ist es keineswegs unrichtig, sondern höchstens undifferenziert, wenn am Ufer der Ohře in Theresienstadt oder am Nationalfriedhof vor der Kleinen Festung an die tausenden »antifaschistischen

41 Wieviorka: Déportation et génocide, 127, 133 und 157. 42 Siehe eine ähnliche Argumentation in Bezug auf die Situation in Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg: Bailer-Galanda: Konkurrenz, 110. 43 Zápis ze schůze sekretariátu [SBS] konané den 17. ledna 1949, NA , f. ÚV SPB , Kt. 28.

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Kämpfer« gedacht wurde44 oder aber die Beisetzung der Asche von jüdischen Opfern des Theresienstädter Ghettos als Beisetzung der Asche von »politischen Häftlingen« umschrieben wurde.45 Wurden Juden folglich in die Opferverbände aufgenommen und auch in der Sozialgesetzgebung für Opfer des Nationalsozialismus berücksichtigt, blieb doch die gesellschaftliche Wertschätzung sehr stark an die Vorstellung einer aktiven politischen Gegnerschaft gegenüber Nazi-Deutschland gebunden. Diese politische Komponente des Opferdiskurses wurde durch die Errichtung des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei noch verstärkt: Der Verband der antifaschistischen Kämpfer grenzte sich deutlich von den passiven Opfern und Kriegsgeschädigten ab, obwohl sie einen Teil seiner Mitgliedschaft bildeten. Das Kriterium für die Mitgliedschaft im SPB könne, so dessen Vorsitzender Jan Vodička Ende 1955, nur der »redliche Kampf des Volkes gegen den Faschismus« sein.46 Ein anderer Funktionär des Verbands aus Hradec Králové (Königgrätz) kritisierte das 1952 im nordostböhmischen Choustníkovo Hradiště (Gradlitz) errichtete Denkmal für die Opfer eines Todesmarsches, welcher im Februar 1945 aus dem KZ Groß Rosen durch den Ort geführt hatte. Denn der SPB sollte sich auf jene Gedenkorte konzentrieren, an denen wirklich mit der Waffe in der Hand gekämpft worden sei.47 Darüber hinaus brachte die starke Implikation des SPB in die Tagespolitik besonders seit den 1950er Jahren sowie seine Instrumentalisierung für propagandistische Zwecke als parteinahe Massenorganisation mit sich, dass für die Anerkennung als »antifaschistischer Kämpfer« nicht allein die Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zählte, sondern auch die absolute Loyalität gegenüber der kommunistischen Tschechoslowakei. Am Beispiel der »Kulaken« machte Jan Vodička diese Bedingung deutlich: Die als »Kulaken« angefeindeten selbstständigen Landwirte und Großbauern gehörten, so Vodička, nicht in den Verband der antifaschistischen Kämpfer, weil sie Klassenfeinde unseres Systems sind. Selbst wenn sie gegen die hitlerische Okkupation kämpften, sie kämpften nicht für diese unsere Republik, eine volksdemokratische Republik. Ihren Kampf führten sie für die Erneuerung der kapitalistischen Republik und für ihre eigenen Interessen. Mit dem Kampf für die Erste Republik hat der SPB nichts gemein.48

44 Kulišová: Terezín (1958), o. S. – Kypr: Malá pevnost Terezín, 170. 45 Hlavní politické úkoly SPB v r. 1959 /Referát na zasedání ÚV SPB 13.12.1958/, NA , f. ÚV SPB , Kt. 54. 46 Protifašističtí bojovníci nastupují do druhé pětiletky, hg. v. agitačně propagační oddělení SPB , Praha 1955, ebd., Kt. 53. 47 Stenografický záznam ze zasedání ÚV SPB konaného dne 18.12.1955 v Praze, 27/4, ebd. 48 Proti fašismu a válce – za mír. Zasedání ÚV SPB dne 17. září 1955 v Praze, hg. v. agitačně propagační oddělení SPB , Praha 1955, ebd.

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Deutlich wird, dass Juden innerhalb der Gruppe der politischen Häftlinge und der antifaschistischen Kämpfer eher toleriert wurden, als dass sie zu deren Selbstverortung und -darstellung nach außen herangezogen wurden. Die Wir-Gruppe bildeten meist die Soldaten der Auslandsarmee in der Sow­jetunion, die Partisanen, in Konzentrationslagern und Gestapogefängnissen inhaftierte Regimegegner oder aber Mitglieder des heimischen Widerstands und der Untergrundbewegung. Juden oder Insassen von Ghettos fanden sich hierin höchstens implizit wieder.49 Nur wer erstens aktiv gegen den Nationalsozialismus und zweitens für eine kommunistische Tschecho­ slowakei gekämpft hatte, genoss die volle Anerkennung als Befreiungs- oder Widerstandskämpfer. Die meisten Juden dagegen blieben Antifaschisten zweiter Klasse. Mauthausen: Heroische Tschechen und leidende Juden

Diese Opfer-Hierarchie fand klare ethnische Zuschreibungen: Den passiven, leidenden Juden stellte man die aktiven, widerständigen Tschechen gegenüber. Das Beispiel der Erinnerung an Mauthausen soll dazu dienen, diese Stereotype zu illustrieren und deren Beständigkeit und Dominanz über Jahrzehnte hinweg nachzuzeichnen. Die Repräsentationen des Konzentrations­ lagers Mauthausen zeigen nicht nur die tschechische Wahrnehmung von Juden als passive Opfer, sondern auch, wie diese Passivität als Abgrenzung gegenüber der Gruppe der Tschechen diente: Den von vielen als ohnmächtig dargestellten Juden standen die Tschechen als aktive, heroische, von Mitleid und Solidarität geleitete Akteure gegenüber. Denn betrachten wir die Repräsentationen von Mauthausen nach Kriegsende, so kehrt ein Motiv immer wieder: der besonders grausame Umgang mit den Juden und deren überdurchschnittliches Leiden in diesem »Liquidierungslager« für Juden aus ganz Europa.50 Wie es bereits in einem Zeitungsbericht von Ende Mai 1945 hieß: »Sie [die Juden] kamen hierher, um zu sterben. Kein Jude hielt die Qualen länger als zwei bis drei Wochen aus.«51 Dieses Mitgefühl mit den passiven Juden wurde meist kontrastiert mit dem tapferen, standhaften Auftreten der Tschechen. Dass dabei Juden auch Tschechen sein konnten, wurde in den aller­ meisten Repräsentationen des KZ Mauthausen ignoriert. Mauthausen war eines jener Lager, in welches zahlreiche tschechoslowakische Staatsbürger aus unterschiedlichen Gründen und aus unterschiedlichen 49 Als ein Beispiel: Jan Vodička: Zpráva o činnosti a úkolech SPB v nejbližším období, ebd., Kt. 54. – Auch abgedruckt in Funkcionář SPB , srpen 1958, 1 f. 50 So bei Berdych: Mauthausen, 51. 51 ch: Mauthausen žaluje. In: Lidová demokracie vom 29.5.1945, 3.

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Regionen deportiert wurden. Während für manche Mauthausen einen zentralen Ort des heldenhaften Leidenswegs der tschechischen Nation im Kampf gegen den Nationalsozialismus darstellte – dieses Verständnis prägte auch die offizielle Wahrnehmung des Konzentrationslagers –, markierte es für andere den Höhepunkt von Elend, Hunger und Kraftlosigkeit und damit das Ende umfangreicher politischer wie humanistischer Ideale und Illusionen. Diese gegensätzlichen Zuschreibungen beeinflussten wesentlich den Umgang der Überlebenden mit ihren Erfahrungen in Mauthausen. Das Gefühl, Widerstand geleistet zu haben, für eine gemeinsame Sache eingetreten zu sein und dabei Solidarität erlebt zu haben, erlaubte es den wegen ihrer politischen Überzeugung Deportierten nicht nur, aus ihrer Verfolgungserfahrung hoffnungsvolle und in die Zukunft gerichtete Ideen sowie konkrete politische Forderungen abzuleiten. Es verschaffte ihnen dabei auch eine gewisse gesellschaftliche Autorität. So zeichnete sich bereits unmittelbar nach Kriegsende der Trend ab, ehemaligen Widerstandskämpfern eine gewichtigere Stimme zukommen zu lassen. Die ersten veröffentlichten Berichte, in Form von Büchern oder Zeitungsartikeln, bekräftigten diese kämpferische Sicht. Dokumentarische und literarische Verarbeitungen der Erlebnisse im KZ Mauthausen stammten in ihrer überwiegenden Mehrheit aus der Feder von Häftlingen, die aus politischen Gründen verhaftet und deportiert worden waren.52 Mauthausen kam als dem »schrecklichsten Konzentrations­lager auf der Welt«53, »Vernichtungslager«54 oder dem »größten LiquidierungsLager auf der Welt«55, wie es direkt nach 1945 charakterisiert wurde, eine besondere Beachtung zu.56 Zudem waren bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Mauthausen inhaftiert gewesen: der spätere Bischof Štěpán Trochta oder der kommunistische Politiker Jiří Hendrych, bis Ende der 1960er Jahre enger Vertrauter des Partei- und Staatschefs Antonín -­ Novotný, auch dieser ein Mauthausen-Überlebender, der Schauspieler und

52 Habřina: Vězeň za dráty.  – Hruban: Mauthausen.  – Littloch: Mauthausen.  – Svatá: -­ Milenci. – Dobrovolný: Mučili člověka. – Krombholz: Transport. – Vítek: Mauthausen. – Křemen: My z koncentráků. – Jariš: Oni přijdou. Jarišs Buch erlebte einige Neuauflagen bis in die 1980er Jahre und wurde 1960 nach seinem eigenen Drehbuch verfilmt als Přežil jsem svou smrt. Regie: Vojtěch Jasný. 53 Vrah mauthausenských obětí zneškodněn. In: Lidová demokracie vom 1.6.1945, 4. 54 Unter anderen Svatá: Milenci, 11. – Krombholz: Transport, 10. – Berdych: Mauthausen, 29. 55 ch: Mauthausen žaluje. In: Lidová demokracie vom 29.5.1945, 3. 56 Siehe etwa weiter Český filmař v Mauthausenu. In: ebd. vom 2.6.1945, 4. – Siehe auch die Bedeutung, die Mauthausen in einer der ersten großen Ausstellungen zum Nationalsozialismus 1947 in der Prager »Gedenkstätte der Befreiung« einnahm: Flugblatt zur Ausstellung »Oběti nacismu z koncentračních táborů  a věznic«, NA , f. ÚV SPB , Kt. 21.

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Sänger Karel Hašler, der Arzt und Universitätsprofessor Josef Podlaha und der Jurist Vratislav Bušek.57 Der kommunistische Coup d’État in Prag im Februar 1948 verstärkte diese Tendenz noch. Dies einerseits, da der antifaschistische Widerstand immer stärker als Legitimationsbasis des sozialistischen Staates instrumentalisiert wurde, andererseits, weil jene, die über längere Hafterfahrungen in Mauthausen verfügten, oft linksgerichtete oder kommunistische Gefangene waren.58 Die Kommunisten wurden als die »wahren« Mauthausener wahrgenommen. Zuhauf ist daher zu lesen, dass die meisten tschechischen Insassen im Konzentrationslager Mauthausen politische Häftlinge59, vor allem Kommunisten, gewesen seien.60 Nichtkommunistische oder nicht politische Gefangene, vor allem Frauen und die große Anzahl der meist jüdischen Häftlinge, die in den letzten Tagen, Wochen und Monaten vor Kriegsende auf Todesmärschen aus anderen Lagern nach Mauthausen getrieben worden waren, identifizierte man dagegen kaum als »Mauthausen-Häftlinge«. Sie kamen in größerem Ausmaß erst seit den 1980er und 1990er Jahren – und zudem oft nicht in ihrem Geburtsland – zu Wort.61 Viele nach Mauthausen Deportierte wurden wegen des geographisch engen Blicks auf die Geschichte des Protektorats ignoriert, da unter »tschechischer Geschichte« der Jahre 1938 bis 1945 meist ausschließlich die Geschichte des Protektorats Böhmen und Mähren verstanden wurde und wird. Die als Reichsdeutsche kategorisierten Sudetendeutschen in Mauthausen oder die aus Ungarn deportierten Juden der Karpato-Ukraine fanden beispielsweise keinen Platz in einer derartigen Geschichte. Nationalistische und ethnozentristische Tendenzen in der tschechischen Gesellschaft sowie das Festhalten an einer heroischen Vergangenheit bewirkten, dass Mauthausen lange Zeit in erster Linie mit der nationalsozialistischen Unterdrückung der tschechischen Nation und mit den im ethnischen Sinne verstandenen tschechischen Widerstandskämpfern verbunden wurde. Die quantitativen Angaben zu tschechischen und slowakischen Häftlingen im Konzentrationslager Mauthausen bewegen sich zwischen fünf- und acht57 Siehe näher Hallama: Kommunisten. 58 Unter den späteren  – oft autobiographischen  – Auseinandersetzungen mit Mauthausen siehe etwa Berdych: Mauthausen. – Nosek: Krvavé kaskády. – Jelínek: Komunista. – -­ Kladiva: Poslední. – Kroupa: Koncentrační tábory. – Bislang nur in der deutschen Übersetzung veröffentlicht wurde Barta: Tagebuch. 59 Der Begriff politischer Häftling wird im Folgenden nicht wie im vorherigen Kapitel beschriebenen Sinn, sondern im heute üblichen Verständnis verwendet, das heißt als ein aus politischen Gründen, wegen seiner politischen Überzeugung oder Tätigkeit Inhaftierter. 60 Siehe unter vielen anderen etwa Příruční slovník, 466. 61 Siehe etwa Scheuer: Vom Tode. – Fantlová: »In der Ruhe liegt die Kraft«. – Erben: Auf eigenen Spuren. – Düsing: Wir waren.

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tausend.62 Diese »Tschechoslowaken«63 stammten nicht nur aus unterschiedlichen sozialen und politischen Milieus, waren aktive Widerstandskämpfer und Intellektuelle, Studenten und Geistliche, Kommunisten und Konservative. Nein, sie hatten darüber hinaus verschiedene nationale und religiöse Herkünfte, waren Tschechen und Slowaken, Deutsche und Juden, Polen, Ruthenen und Ungarn. Durch die Zerschlagung der Tschechoslowakei zwischen September 1938 und März 1939 konnten »tschechische« Häftlinge zudem aus unterschiedlichen staatlichen Entitäten ins Konzentrationslager Mauthausen eingeliefert werden: aus dem Deutschen Reich, dem Protektorat Böhmen und Mähren, dem slowakischen Vasallenstaat und aus Ungarn. Die historische Literatur ebenso wie die publizierten Memoiren über Mauthausen trugen diesem Umstand nicht Rechnung. Die nationale, religiöse und politische Vielfalt der Ersten Tschechoslowakischen Republik wurde übergangen und damit auch die Diversität der »Tschechen« in Mauthausen. Als letztere wurden zwar kommunistische Widerstandskämpfer, die 1941 aus dem Protektorat Böhmen und Mähren ins Lager gekommen waren, identi­ fiziert, keineswegs jedoch ruthenische Juden, die 1944 – als sie sich auf ungarischem Staatsgebiet befanden – deportiert worden waren und gegen Kriegsende nach Mauthausen gelangten.64 In der tschechischen Erinnerungskultur und Historiographie wurden jedoch nicht nur die 1938 und 1939 abgetretenen »Randgebiete« vernachlässigt, sondern auch gesamteuropäische Zusammenhänge des Zweiten Weltkriegs. So blieb eine eingehende Beschäftigung mit den Konzentrationslagern jenseits der Grenzen der Tschechoslowakei aus.65 Daher sind auch historische For-

62 Hans Maršálek spricht von etwa 5.000 tschechischen und 800 slowakischen männlichen Häftlingen: Maršálek: Geschichte, 239. – Michel Fabréguet zählt unter den registrierten männlichen Häftlingen ca. 4.000 Tschechen und 600 Slowaken sowie 1.100 tschechos­ lowakische Juden. Fabréguet: Mauthausen, 130 und 132. – Laut dem Online-Nachschlagewerk Ghetto-Theresienstadt haben 5.200 Tschechen das Lager passiert. URL: http:// www.ghetto-theresienstadt.info/pages/m/mauthausen.htm (am 12.5.2011).  – In tschechischen Publikationen wird oft die angeblich auf der Basis der Zugangsbücher erfassbare Zahl von 7.320 Tschechen und Slowaken zitiert, wobei die tatsächliche Zahl auf ca. 8.000 tschechoslowakische Häftlinge geschätzt wird. Siehe etwa Příruční slovník, 466. – Berdych: Mauthausen, 114 f. – Kroupa: Koncentrační tábory, 44. – Moulis: Slované, 34. – Nosek: Krvavé kaskády, o. S., Fußnote 14. – An anderer Stelle ist sogar von 8.482 tschechoslowakischen Häftlingen die Rede. Kuna: Hudba na hranici života, 75. 63 Während der Existenz der Tschechoslowakei wurden, der Idee der »tschechoslowakischen Nation« entsprechend, Tschechen und Slowaken meist nicht separat aufge­listet, sondern als Tschechoslowaken oder tschechoslowakische Bürger gemeinsam gerechnet. 64 Zu den unterschiedlichen »tschechischen« Wegen nach Mauthausen siehe eingehender Hallama: Kommunisten. 65 Ein Beispiel von vielen ist der Sammelband zu den »Gedenkorten des Kampfes des tschechoslowakischen Volkes gegen den Faschismus«. Die darin behandelten Gedenkorte

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schungen zu Mauthausen rar, ebenso wie Erinnerungen oder literarische und filmische Bearbeitungen der Geschichte des KZ Mauthausen. Die Menge an Zeugnissen über das Konzentrationslager, wie sie kurzfristig zwischen 1945 und 1948 auf dem tschechischen Buchmarkt zugänglich war, wurde in den Jahrzehnten danach nicht mehr erreicht. Und das, obwohl Mauthausen als »tschechischer Ort« – sowohl was die Anzahl der dort inhaftierten Tschechen betrifft als auch in Bezug auf die tschechische Prominenz in diesem Lager – durchaus von Bedeutung ist. Dass das KZ Mauthausen in erster Linie mit dem politischen Widerstand verbunden wird, hat einen Grund auch in der Tatsache, dass über mehrere Jahre hinweg hauptsächlich als »politisch« kategorisierte Tschechen in das Konzentrationslager eingeliefert wurden. So befanden sich Tschechen bereits in den ersten Transporten politischer Häftlinge nach Mauthausen im Mai 1939.66 In den ersten zwei Kriegsjahren standen jedoch die Repressionen der Nationalsozialisten auf dem Boden der Tschechoslowakei meist nicht in direktem Zusammenhang mit dem Konzentrationslager Mauthausen. Der Eingliederung der Sudetengebiete im Oktober 1938 ebenso wie der Okkupation Böhmens und Mährens im März 1939 folgten zwar jeweils eine Welle von Repressionen und Inhaftierungen von Kommunisten, Sozialdemokraten, Juden und anderen dem Regime missliebigen Personen. Die Mehrzahl der Inhaftierten wurde jedoch in Gefängnissen festgehalten oder ins Konzentrationslager Dachau gebracht.67 So wurden die ersten zwei Transporte von Tschechen nach Mauthausen im Mai und Juni 1939 schließlich weiter nach Dachau überstellt.68 Und nach den Demonstrationen im Herbst 1939 und der Schließung der tschechischen Universitäten im Protektorat wurden über tausend Studenten ins KZ Sachsenhausen deportiert.69 Mauthausen wurde dagegen erst ab dem Herbst 1941 zu einem bedeutenden »tschechischen Ort«.70 In drei großen Wellen fanden zwischen 1941 und dem Kriegsende Massendeportationen nach Mauthausen statt: Zunächst folgte der Ernennung Reinhard Heydrichs zum stellvertretenden Reichs­

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befinden sich ausschließlich auf dem Gebiet der Tschechoslowakei: Holeček: Památná místa. – Siehe genauso Bubeníčková: Tábory utrpení. – Nedbálek: Místa utrpení. Freund: Mauthausen, 308. – Maršálek: Geschichte, 137 f. Siehe etwa Gebel: »Heim ins Reich!«, 69–80. – Grünwald: Sudetendeutscher Widerstand, 25–27. Maršálek: Geschichte, 137 f. Siehe dazu Brandes: Die Tschechen I, 89–95. – In der Folge kamen von diesen Studenten auch einige nach Mauthausen: Siehe Krátký: Nové svědectví. – Pasák: 17. listopad, 147. Vlastislav Kroupa etwa schätzt die Anzahl der tschechischen Häftlinge (die er allerdings ethnisch definiert) bis Herbst 1941 auf unter 20, Karel Nosek gar nur auf ca. zehn Personen. Kroupa: Koncentrační tábory, 43. – Nosek: Krvavé kaskády, o. S., Fußnote 14.

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protektor in Böhmen und Mähren im September 194171 eine deutliche Verschärfung des Protektoratsregimes. Zur Einschüchterung der Bevölkerung wurde der Ausnahmezustand verhängt, scharf wurde gegen Regimegegner und Widerstandskämpfer vorgegangen. Vier- bis fünftausend Personen wurden in den folgenden Wochen und Monaten verhaftet, vierhundert von ihnen bis November 1941 erschossen.72 Mit dem Ziel, trotz des brutalen Vorgehens Ruhe im Protektorat zu gewährleisten, wurden zahlreiche Gefangene deportiert. So sollten alle Tschechinnen und Tschechen, die von den im September 1941 eingesetzten Standgerichten verurteilt worden waren, ausschließlich nach Mauthausen verlegt werden.73 Und in der Tat wurde die Mehrzahl der über zweitausend Tschechen, die in den wenigen Monaten nach Heydrichs Ankunft im Protektorat in ein KZ überstellt wurden, nach Mauthausen gebracht.74 14 Transporte tschechischer Häftlinge trafen zwischen September 1941 und Februar 1942 im KZ Mauthausen ein.75 Von den hierher Deportierten überlebten den Krieg nur ungefähr vier Prozent.76 Nach einer kurzen Atempause löste das erfolgreiche Attentat auf Reinhard Heydrich Ende Mai 1942 weitreichende und brutale Vergeltungsmaß­nahmen von Seiten der Nationalsozialisten aus, von denen die bekannteste wohl die vollständige Vernichtung des bereits erwähnten Ortes Lidice ist. Im Zuge der Repressionen im Sommer und Herbst 1942, die oft als »Heydrichiade« bezeichnet werden, erfolgten neuerlich Masseneinweisungen in das Konzentrationslager Mauthausen, darunter befand sich auch der erste größere Transport von Frauen in das Lager: Im Oktober 1942 erreichten 130 Tschechinnen das KZ Mauthausen, die kurz nach ihrer Ankunft erschossen oder in der Gaskammer ermordet wurden.77 Die dritte und letzte Welle von Deportationen tschechischer Gefangener nach Mauthausen fand im Frühjahr 1945 statt. Im Zuge der Evakuierungs-

71 Konstantin von Neurath, der im März 1939 ernannte Reichsprotektor, wurde im September 1941 offiziell nur beurlaubt und erst im August 1943 endgültig ersetzt. Daher trugen sowohl Reinhard Heydrich als auch nach ihm Kurt Daluege den Titel des stellvertretenden Reichsprotektors. 72 Brandes: Die Tschechen I, 212. – Škorpil: K problematice počtu, 64. 73 Schreiben Horst Böhmes vom 29.9.1941, zit. nach Amort: Heydrichiáda, 80, und Weisung Heydrichs an den Gestapo-Chef Heinrich Müller vom 30.9.1941, zit. nach Kárný: Deutsche Politik, 102. 74 Vlastislav Kroupa spricht von fast 1.400 Personen, die von Herbst bis Jahresende 1941 ins KZ Mauthausen gebracht worden seien, Detlef Brandes von knapp 1300. Kroupa: Koncentrační tábory, 44. – Brandes: Nationalsozialistische Tschechenpolitik, 45. 75 Maršálek: Geschichte, 141 f. – Von nur zwölf Transporten spricht Kárný: Reinhard Heydrich, 40. 76 Ebd., 41. 77 Maršálek: Geschichte, 167.

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transporte und Todesmärsche wurden unzählige (und ungezählte) überwiegend jüdische Tschechinnen und Tschechen in das völlig überfüllte Konzentrationslager Mauthausen oder eines seiner Außenlager überstellt. Dem Kriegsende nahe, wurden die Häftlinge aus A ­ uschwitz, Freiberg, Brünn oder anderen Lagern und Gefängnissen unter oft chaotischen Umständen, zu Fuß, in offenen oder geschlossenen Zügen, ein weiteres Mal äußersten Strapazen und Torturen ausgesetzt, denen viele zum Opfer fielen.78 Besonders wenn es um ihre Ankunft in Mauthausen geht, klingen viele Erzählungen tschechischer Widerstandskämpfer abenteuerlich, voll von Hoffnung und Tatkraft. Sie schildern Grausamkeiten, denen sie allerdings trotzten. Karel Kašák war einer jener mehr als hundert Tschechen, die aus Kladno, einer Stadt unweit von Prag, nach Mauthausen deportiert wurden, um drei Tage später nach Dachau überstellt zu werden. Kašák war Journalist und hatte mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Kladno gelebt. Er war 32 Jahre alt, als er am 9. Juni 1939 im Rahmen von Vergeltungsmaßnahmen wegen des Mords an einem deutschen Polizisten verhaftet wurde.79 Gemeinsam mit den anderen über hundert Vertretern des öffentlichen Lebens in Kladno wurde er nach Brünn in das Gefängnis in der Festung Spielberg (Špilberk) gebracht, von wo er drei Tage lang in Lastwagen weiter nach Mauthausen deportiert wurde, das für ihn jedoch bloß eine Umsteigestation bedeutete: Nach drei Tagen Aufenthalt in Mauthausen wurde der gesamte Transport am 16. Juni 1939 ins KZ Dachau überstellt. Seine Ankunft in Mauthausen beschreibt ­Karel Kašák folgendermaßen: Drei schreckliche Tage von Schlägen, Folter, Regen und abscheulicher Arbeit beim Erd­aushub. Ekelhaft stinkendes Essen. Gleich nach der nächtlichen Ankunft in Mauthausen mussten wir alle auf den Boden in den Dreck fallen und auf diesem so aus menschlichen Körpern gebildeten Gehweg liefen die SS -Männer in hohen Stiefeln wie von Sinnen.80

An einen Transport politischer Häftlinge aus dem Prager Gestapogefängnis Pankrác im Oktober 1941 nach Mauthausen erinnerte sich kurz nach Kriegsende auch Vít Krombholz, der im März 1941 wegen illegaler Tätigkeit ver­ haftet worden war:

78 Siehe hierzu allgemein Blatman: Die Todesmärsche. 79 Zu Karel Kašák siehe Die Aufzeichnungen von Karel Kašák, 167. – Zu den Repressalien und Deportationen nach dem Tod des deutschen Polizisten in Kladno siehe Brandes: Die Tschechen I, 80 f.  – Küpper: Karl Hermann Frank, 211.  – Maršálek: Geschichte, 137.  – Zámečník: Dachau, 252. – Pěnička: Kladensko, 32–35. 80 Kašák: Češi, 15. – Siehe auch Mosnáková, Zuzana: Tschechische Häftlinge im Konzentrationslager Dachau, URL: http://www.hagalil.com/czech/dachau/dachau-1.htm (am 18.5.2011).

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Die Ruhe [während einer Nacht in Pankrác; d. Vf.] wird plötzlich unterbrochen durch das Öffnen einer Zelle irgendwo am Gang Nr. 3 und dem Aufrufen eines Namens. Augenblicklich sind die Türen umzingelt und alles hört gespannt zu. Es werden nun auch Zellen auf anderen Gängen geöffnet und eine ganze Reihe von Namen ausgerufen. Zu einem nächtlichen Verhör gehen niemals so viele Leute, zur Hinrichtung Bestimmte nehmen nicht ›alles mit‹, wie jetzt schon nach jedem Namen klar zu hören ist. […] Schnell werden ein paar Stücke Wäsche genommen, als Abschied nur ein Blick zu jenen, die bleiben. Es ist jetzt bereits klar, um was es geht. Ein Transport!81

Unter den Häftlingen sei der Name Dachau geflüstert worden, andere hätten an ein Arbeitslager in Böhmen geglaubt. Am Morgen des nächsten Tages ging dann der Transport mit 386 Gefangenen, davon zwanzig Juden, Richtung Süden, über Tábor und Budweis (České Budějovice) nach Maut­hausen. Am Bahnhof Mauthausen angekommen, stand den Gefangenen noch der beschwerliche Fußweg hinauf ins Lager bevor. Vít Krombholz erinnert sich daran, plötzlich eine »riesige steinerne Burg« erblickt zu haben, die ihm wie eine Filmkulisse schien, erkannte dann aber, dass es sich um das Gelände des Konzentrationslagers handelte. »Also keine Märchenburg, kein Rest einer Filmdekoration, sondern das KZ Mauthausen.«82 In Krombholz’ abenteuerlicher Schilderung der Deportation nach Mauthausen ist keine Passivität zu erkennen. Tapfer gehen die Gefangenen ihren Weg nach Mauthausen, ja die »Märchenburg« weckt sogar Interesse, auch als bereits klar wird, dass es sich um ein Konzentrationslager handelt. Eine Welle von Repressionen richtete sich gegen die Angestellten der Brünner Masaryk-Universität, die wie die anderen tschechischen Hochschulen seit November 1939 geschlossen war. Eine bedeutende Zahl ihrer Professoren und Dozenten aus unterschiedlichen Disziplinen wurde Ende 1941 verhaftet und Anfang 1942 nach Mauthausen deportiert.83 Miloš Vítek, einer dieser Brünner Professoren, der vor Weihnachten 1941 festgenommen worden war, erinnerte sich an die Haft im Kaunitz-Kolleg, wo er seine Zelle zunächst nur mit einigen wenigen Kollegen geteilt hatte: »Der Verwalter Duba stopfte bald danach über 20 von uns in ein Studierzimmer, um ›die ganze Universität beisammen‹ zu haben und um den Besuchern zeigen zu können, wie die tschechische Intelligenz ›schwitzt und erstickt‹.«84 Die Zusammenstellung eines Transports im Kaunitz-Studentenheim in Brünn im Januar 1942 beschreibt Karel Littloch, ein 1890 geborener tschechischer Mittelschullehrer und Schuldirektor: 81 82 83 84

Krombholz: Transport, 13. Ebd., 15. Siehe dazu Pulec: Die Professoren. Vítek: Mauthausen, 12.

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Es war ein ergreifendes Wiedersehen von Bekannten und ein freundliches Vorstellen Unbekannter. Alle hatten gute Laune, vor allem nach den Gesprächen über die Situation dort in der Ferne, draußen. […] Alle waren unerschrocken, tapfer in das neue Martyrium zu gehen, mit dem Kredo: Wir müssen durchhalten und wir werden durchhalten! Wir sprachen im Dunkeln bis drei Uhr früh, als sich die Türen öffneten mit dem Befehl zum Aufbruch.85

Noch mehr als Vít Krombholz beschreibt Karel Littloch eine optimistische, ja abenteuerliche Situation. Die vermeintliche Solidarität unter den Gefan­ genen und der Glaube an ein besseres Morgen vermitteln den Eindruck von Tatkraft und Zuversichtlichkeit, keine Spur von Passivität und Desillusionierung. Im Autobus wurden Littloch und seine Mitgefangenen zum Bahnhof gebracht, wo in den Waggons bereits Häftlinge aus einem anderen Lager warteten. Unter Schlägen wurden die Häftlinge verladen und bekamen, bevor der Zug gegen sechs Uhr abfuhr, Brot und Wurst ausgehändigt. Während eines Zwischenhalts in Wien wurden die Häftlinge von einigen Personen beobachtet. Äußerst positiv – und den Erinnerungen mancher jüdischer Häftlinge entgegengesetzt, wie wir weiter unten sehen werden – schildert Littloch eine allgemeine solidarische Atmosphäre, selbst unter den Wiener Passanten: »Diese wussten, wohin sie uns bringen. In ihren Augen haben wir Sympathie und Mitleid gesehen, in den Augen vieler Frauen glitzerten Tränen.«86 Štěpán Trochta, nach 1945 Bischof von Litoměřice und schließlich Kardinal, überlebte den Krieg in Mauthausen und Dachau. Seit Mitte der 1930er Jahre arbeitete er im Dienste der Salesianer in Prag. Trochtas Arbeit unter der tschechischen Jugend und in katholischen Jugendverbänden sowie seine Unterstützung von Verfolgten und Widerstandskämpfern ließen ihn in den Augen der Nationalsozialisten verdächtig erscheinen. So wurde er bereits 1940 von der Gestapo verhaftet, bald aber wieder entlassen. Ende Mai 1942, unmittelbar nach dem Attentat auf Heydrich, wurde Trochta neuerlich festgenommen, in der Prager »Pečkárna«, dem Sitz der Gestapo im PetschekPalais, sowie im Gefängnis Pankrác verhört und schließlich in die Kleine Festung Theresienstadt gebracht. Nach wenigen Monaten, Ende September 1942, wurde er ins Konzentrationslager Mauthausen überstellt, wo er bis Ende 1944 blieb, als man ihn nach Dachau brachte.87 Den Transport von Theresienstadt nach Mauthausen bestritt Trochta, seinen Erinnerungen zufolge, als einziger Häftling der Kleinen Festung. In

85 Littloch: Mauthausen, 14. 86 Ebd., 15. 87 Nemec: Štěpán Cardinal Trochta. – Tomeš: Český biografický, 375 f. – Churaň: Kdo, 231 f.

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seinem Waggon hätten sich allerdings Häftlinge aus anderen Lagern befunden, darunter tschechische Juden. Einen haben wir vom Bahnhof Mauthausen bereits tot ins Lager gebracht und zwei wurden sofort bei der ersten Untersuchung dem Tode zugeführt, denn sie waren so schwach, dass sie sich nach Meinung der Blockältesten zu keiner Arbeit mehr eigneten. – So ›freundlich‹ war mein Empfang in meinem neuen ›Zuhause‹.88

In all den zugänglichen Zeugnissen und Erinnerungen von MauthausenHäftlingen, die in den Jahren 1941 und 1942 als politische Häftlinge und aktive Widerstandskämpfer in das Konzentrationslager gebracht worden waren, ist – wie hier bei Štěpán Trochta – eines zu erkennen: Mit einer gewissen Distanz, mit einer ungebrochenen Zuversicht und zuweilen mit Ironie wird der Aufbruch ins »neue Zuhause« geschildert. Dieser Weg habe eine neue Herausforderung dargestellt, die unerschrocken angenommen worden sei. Resignation und Passivität, ja Kraftlosigkeit und Tod kommen in diesen Erzählungen nur in der Beschreibung Anderer vor  – in allererster Linie in der Beschreibung jüdischer Häftlinge. In der Tat, nach Mauthausen deportierte Juden waren in den meisten  – in der Mehrzahl in den unmittelbaren Nachkriegsjahren publizierten  – Darstellungen tschechischer KZ Überlebender einzig in Schilderungen von Torturen und Mordtaten präsent. ­Antonín Hruban erinnerte sich, dass die meiste Zeit über »alle Juden in Mauthausen nur einige Stunden lebten, in Ausnahmefällen, und zwar nur zum Zweck der gründlicheren Peinigung, einige Tage.«89 So erinnerte sich auch Vít Krombholz an Juden in seinem Transport nach Mauthausen: In den Waggons herrscht eine sonderbare Stimmung und Angst. Das Verhalten der SS -Wachen kann keinerlei rosige Hoffnungen erwecken. Sie stehen bei den Türen mit ihren Selbstladepistolen, andere gehen durch die Abteile, schreien grob den kleinsten Versuch zu sprechen nieder und bald entdecken sie die Juden, mit denen sie sich auf ihre Weise amüsieren. Sie zwingen sie, Kniebeugen ohne Ende zu machen und belohnen sie mit Ohrfeigen, Fußtritten und Versprechen über ihr nahes Ende im Lager.90

Der Widerstandskämpfer Bohumil Bardoň, der im Herbst 1941 aus Brünn nach Mauthausen deportiert worden war, erinnerte sich an zwei Juden in seinem Transport: Die Juden haben sie sofort liquidiert. […] Als wir ankamen, so sagten zwei Polen: ›Wo ist der, die Jude?‹, und es meldeten sich zwei. So kamen die SS -Männer mit Schlagstöcken, sie jagten sie hinter die Baracke, zu den Stacheldrähten. Und das wussten wir noch nicht. […] Und wie wir so standen, hörten wir noch die Schreie und das Jam88 Kardinál Trochta mučedník, 21. 89 Hruban: Mauthausen, 70. 90 Krombholz: Transport, 14.

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mern. Das Jammern, es war noch 5 Baracken weiter zu hören wie sie dort schrieen, wie sie verprügelt und dann erschossen wurden. Sie gaben ihnen den Gnadenschuss, also erschossen sie sie.91

Über die Stellung der Juden im Lager berichtete Vít Krombholz: Die Juden sind überhaupt ein separates Kapitel für sich. Die mit dem gelben Dreieck Gekennzeichneten sind im Voraus zum Tode bestimmt und dementsprechend werden sie behandelt. […] [D]ie Juden wurden von der SS eigentlich nicht als Menschen betrachtet. […] Sie dienten der SS für Späße, die immer eingeschlagene Schädel und meistens auch den Tod einiger Juden bedeuteten.92

So fehlten auch nicht Beschreibungen der »Fallschirmspringer«, das heißt der Juden, die von den SS -Männern eine Wand des Steinbruchs in Mauthausen hinuntergestoßen wurden.93 Jaroslav Kladiva meinte in seinen in den 1980er Jahren in der oppositionellen Reihe »Jazzpetit« erschienenen Erinnerungen zum »Fallschirmspringer-Kommando«: Im Moment, als die Juden in den Tod gestoßen worden seien, hätten die einen geschwiegen, die anderen gebetetet. »Sie standen am Abgrund mit einer unglaublich fatalen Ergebenheit. Sie benahmen sich wie ihre Vorfahren bei Pogromen. Sie vermochten es, still und demütig den Tod zu bewältigen.«94 Zahlreiche Mauthausen-Überlebende berichteten ähnliche Erlebnisse, wie die Ermordung eines jüdischen Sängers. Dieser musste, gemäß den Erinnerungen Antonín Hrubans von 1945 und der Verfilmung von Milan Jarišs autobiographischem Roman »Přežil jsem svou smrt« (So überlebte ich meinen Tod) aus dem Jahre 1960, zur Belustigung der SS ein Lied singen, während unter seinen Füßen ein Felsblock gesprengt wurde.95 Juden wurden als wehrlose Opfer beschrieben, als bloße Objekte, die der Lust und Laune der SS -Mannschaft völlig ausgeliefert gewesen seien. Zudem wurden Juden oft als körperlich schwache Häftlinge dargestellt, als »menschliche Wracks«96. Miloš Vítek erinnerte sich an die »Juden und weitere Invaliden und Schwerkranke«.97 Viktor Dobrovolný, ein kommunistischer Widerstandskämpfer, der 1941 ins KZ Mauthausen deportiert worden war, 91 Interview mit Bohumil Bardoň, Interviewerin: Jana Stárek, 23.4.2003, Übersetzung, 7 f., Archiv der KZ -Gedenkstätte Mauthausen [weiter AMM], Mauthausen Survivors Documentation Project [weiter MSDP], OH / ZP1_807. 92 Krombholz: Transport, 57. 93 Ebd., 57 f. – Auch ach: Mauthausen žaluje. In: Lidová demokracie vom 29.5.1945, 3. 94 Kladiva: Poslední, 65 f. 95 Hruban: Mauthausen, 116. – Přežil jsem svou smrt, Regie: Vojtěch Jasný, Drehbuch: Milan Jariš, Tschechoslowakei 1960, 96 Min. 96 Dobrovolný: Mučili člověka, 50. 97 Vítek: Mauthausen, 29.

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beschrieb in seinen Erinnerungen von 1945 die Juden als »arme Teufel« (chudák).98 Diese hätten im Winter fast nackt und barfuß arbeiten müssen, seien unterernährt gewesen, »brachen bei der kleinsten körperlichen Anstrengung zusammen und wurden danach schrecklich geschlagen.«99 Karel Littloch stellte dem passiv sterbenden Juden, der auf Grund der Folterungen »schrecklich stöhnte und heulte und nach einigen Tagen dahinschied«,100 einen patriotischen Tschechen gegenüber. Dieser erlag zwar genauso den Qualen des KZ -Alltags, hatte allerdings Kameraden, die ihm halfen, in Ruhe aus dem Leben zu scheiden. Pathetisch berichtete Littloch von diesen letzten Momenten, in denen er, in den Armen seiner Kameraden sterbend, seine Mithäftlinge bat, der Nachwelt auszurichten, »dass ich als Tscheche für eine gute Idee und für eine bessere Zukunft unserer Nation gestorben bin.«101 In dieser Darstellung wird dem Tod des tschechischen Gefangenen ein eindeutiger Sinn gegeben, er wird zu einem Märtyrer erhoben, da er ein Vermächtnis für die tschechische Nation hinterlassen habe. Die Darstellung der Juden diente folglich dazu, einen Kontrast zu den solidarischen, tapferen, kräftigen und zuversichtlichen Tschechen zu bilden. Da­ rüber hinaus hatte allerdings die Beschreibung der außergewöhnlichen Qualen der Juden in Mauthausen den Zweck, die Tschechen in die Nähe dieser am meisten verfolgten Gruppe zu bringen. So erfüllten Gleichstellungen von Tschechen und Juden die Aufgabe, die Qualen der Tschechen zu dramatisieren und zu zeigen, mit welcher Härte die Lager-SS gegen die tschechischen Häftlinge vorgegangen sei: Im Konzentrationslager Mauthausen, so Miloš Vítek, seien die Tschechen »den Juden gleichgestellt«,102 ja: »Wir Tschechen und dann die Juden wurden meistens zu den schlimmsten Arbeiten eingeteilt«.103 Karel Littloch berichtete davon, dass mit den Tschechen in Mauthausen besonders schlecht umgegangen worden sei und dass bei der Arbeit »Tschechen und Juden totgeschossen werden.«104 Trotz dieser massiven Unterdrückung hätten die Tschechen, so Viktor Dobrovolný, nicht ihr Mitgefühl verloren und hätten den Juden solidarisch beigestanden, obwohl man gewusst habe, dass die Juden »sowieso alle ohne Unterschied sterben müssen.«105 Waren die Juden folglich in den Darstellungen der meisten tschechischen (nichtjüdischen) Mauthausen-Überlebenden bloße Objekte (der gewalttätigen SS -Männer und Kapos oder aber der solidarischen und helfenden Tschechen), 98 Dobrovolný: Mučili člověka, 50. 99 Ebd., 49. 100 Littloch: Mauthausen, 106. 101 Ebd. 102 Vítek: Mauthausen, 15 103 Ebd., 22 – Siehe auch Kroupa: Koncentrační tábory, 40. 104 Littloch: Mauthausen, 26. 105 Dobrovolný: Mučili člověka, 79.

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bieten die Erinnerungen jüdischer Überlebender ein völlig anderes Bild. Der (individuelle) Kampf ums Überleben wird hier detailliert beschrieben, die Juden als Akteure und als (solidarische) Gruppe dargestellt. Da viele Juden erst gegen Kriegsende, und oft nach zahlreichen Stationen im System des nationalsozialistischen Unterdrückungssystem, nach Mauthausen gekommen waren, werden darin Passivität und Kraftlosigkeit offen angesprochen, ohne allerdings deswegen den inneren Kampf ums Überleben und für die Aufrechterhaltung humanistischer Werte außer Acht zu lassen. Dies ist zu einem Teil sicherlich darauf zurückzuführen, dass die überwiegende Mehrzahl der greifbaren jüdischen Erinnerungen an das KZ Mauthausen aus den letzten zehn bis 20 Jahren stammt – und somit aus einer weniger heroischen Epoche. Im Januar 1945 erreichte Karl Brozik (Brožík) nach einem achttägigen Transport, zur Hälfte zu Fuß, die andere Hälfte auf Kohlewaggons, das KZ Mauthausen. Brozik wurde als Karl Abeles am 4.  Februar 1926 in Teplice (Teplitz) in eine deutsch-jüdische Familie geboren. Über das Ghetto Litzmannstadt, wo seine Eltern und sein Bruder ermordet wurden, kam er nach -­ Auschwitz-Birkenau. Am 18. Januar 1945, wenige Tage vor der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee, begann für Brozik der Evakuierungsmarsch nach Mauthausen. Als nach vier oder fünf Tagen der Bahnhof in Ostrava erreicht war, gelang es Erich Kulka, einem tschechischen Mitgefangenen, der von Karl Brozik nur »der Kapo« genannt wird, zu flüchten. Ich hab’s auch getan, bin aber […] aufgefordert worden von einer barmherzigen Schwester, die mich gesehen hat, ich soll doch zurückkehren, da der ganze Bahnhof sei umstellt von Hunden und SS -Leuten und dass… ich hatte keine Chance rauszukommen. Der Unterschied zwischen mir und dem Kapo, war darin, dass ich eine Glatze hatte […] und Sträfling[s]kleidung und er als Kapos die Gelegenheit gehabt hat, sich normale Zivilkleidung zu beschaffen, so dass er den Bahnhof verlassen hat, mit Haaren und mit Zivilkleidung […]. Mir wäre es wahrscheinlich nicht gelungen. Ich bin also zurück in diesen Kohlenwagen und dann […] ging es quer durch Mähren über Wien, St. Pölten nach Mauthausen.106

Im Gegensatz zu den Erinnerungen zahlreicher politischer Häftlinge an ihren Weg nach Mauthausen, ist Broziks Schilderung keine heldenhafte: Der leise Gedanke an Widerstand und Flucht wird sofort wieder fallen gelassen; Realismus tritt an die Stelle von unbefangener Zuversicht und Kühnheit.107 Einige Monate später kam ein Transport aus dem Flossenbürger Außenlager Freiberg, das Mitte April geräumt worden war, in Mauthausen an. Fast 106 Interview mit Karl Brozik, Interviewer: Alexander von Plato, 4.1.2003, 18, AMM, MSDP, OH / ZP1/232. 107 Vgl. dazu die Schilderung einer ähnlichen Situation im Interview mit Helga WeissováHošková, Interviewerin: Jana Drdlová, 22.2.2003, Übersetzung, 18 f., AMM, MSDP, OH / ZP1/812.

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zweihundert jüdische Tschechinnen, die zuvor aus ­Auschwitz nach Freiberg gekommen waren, erreichten so am 29. April 1945, sechs Tage vor der Befreiung des Lagers, das KZ Mauthausen.108 In der Erinnerung vieler Überlebender dieses Transportes blieb vor allem die zweiwöchige Reise in zunächst offenen, dann geschlossenen Waggons, »ohne Essen, ohne Alles.«109 Bereits in Freiberg waren die Häftlinge seit Anfang April, als die Arbeit in der Flugzeugfabrik eingestellt worden war, »einfach völlig ohne Essen« gewesen.110 Lisa Scheuer, eine Jüdin aus Česká Lípa (Böhmisch Leipa), beschreibt ein Gefühl völliger Gleichgültigkeit bei ihrer Ankunft in Mauthausen. »[I]ch war so müde und hungrig und hatte nur das Bedürfnis zu essen oder in Ruhe sterben zu können.«111 Die tschechische Malerin Helga Weissová-Hošková, die sich als 15-Jährige in diesem Transport befand, war zwar nur wenige Tage in Mauthausen, »aber diese einige[n] letzten Tage waren […] die schlimmsten Tage.«112 Die in Liberec (Reichenberg) geborene Erika Futter (heute: Erica Vais), die wie Scheuer und Weissová-Hošková über Theresienstadt, ­Auschwitz und Freiberg nach Mauthausen gekommen war, hat kaum Erinnerungen an Mauthausen: [E]s ist eine Zeit, das habe ich irgendwie gestrichen. Ich erinnere mich nicht. Vielleicht, weil ich so lange nichts gegessen habe. Ich habe es ganz gestrichen, und das Einzige, dass man den Kriegslärm hörte und dann die Amerikaner mit diesen weißen Panzern. Das war alles, woran ich mich erinnere, also, von Mauthausen.113

Anna Bergman, 1917 in der Nähe von Hradec Králové geboren, kam als schwangere Frau kurz vor der Befreiung aus Freiberg nach Mauthausen.114 Sie war ein – nach ihren eigenen Worten – »hochschwangere[s] Skelett«115, 108 Die zeitlichen Angaben variieren in den Erinnerungen stark. Lisa Scheuer etwa schreibt davon, dass sie sechs Wochen vor Kriegsende in Mauthausen war. Scheuer: Vom Tode, 101. Auch andere Überlebende berichten von einer Ankunft im März oder Anfang April. – Zum Außenlager Freiberg und seiner Evakuierung siehe Fritz: Freiberg. – Cziborra: KZ Freiberg, besonders 71–103. – Baumgartner: Die vergessenen Frauen, 194–198. 109 Interview mit Eva Lukash, Interviewerin: Keren Harazi, 10.1.2003, Übersetzung, 41, AMM, MSDP, OH / ZP1/33.  – Ebenso Interview mit Sara und Ester Menschenfreund, Interviewerin: Sarit Lazerovich, 7./9.5.2007, Übersetzung, 15, AMM, MSDP, OH / ZP1/46–47. 110 Interview mit Helga Weissová-Hošková, Interviewerin: Jana Drdlová, 22.2.2003, Übersetzung, 16, AMM, MSDP, OH / ZP1/812. 111 Scheuer: Vom Tode, 95. 112 Interview mit Helga Weissová-Hošková, Interviewerin: Jana Drdlová, 22.2.2003, Übersetzung, 21, AMM, MSDP, OH / ZP1/812. 113 Interview mit Erica Futter de Vais, Interviewerin: Regula Nigg, 3.2.2003, Übersetzung, 27, AMM, MSDP, OH / ZP1/749. 114 Siehe Cziborra: Mutterglück. – Amesberger: Schwangerschaft, 23 f. – Fritz: Freiberg, 115. 115 Interview mit Anna Bergman, Interviewerin: Helga Amesberger, 26.1.2003, Übersetzung, 16, AMM, MSDP, OH / ZP1/536.

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als sie nach der circa zweiwöchigen Reise den Bahnhof von Mauthausen erreichte: Und die Leute, die zu Fuß gehen konnten, führte man zu/ hinauf zur ›Festung‹, die/ zum Lager, das auf der Spitze des Hügels über Mauthausen lag, und Leute, die nicht zu Fuß gehen konnten wie ich und andere, die krank waren, wurden auf einen Karren gesetzt und jemand zog sie hinauf. Ich weiß nicht wie wir hinaufkamen/ wer den Karren zog, ich meine nur, ob es Pferde waren weiß ich nicht, nur habe ich es vergessen, und ich war irgendwie allmählich dabei, dieses Baby zu kriegen oder nicht, doch – was immer, und ich weiß nicht warum, es war der 29., der 29. April 1945, um ungefähr acht Uhr abends, die Sonne schien. Es war bitter kalt. Und als ob ich keine anderen Sorgen gehabt hätte, bewunderte ich die schöne Landschaft. Die Weinstöcke und die Donau dort unten, als ob ich keine anderen Sorgen gehabt hätte, aber das ist/.116

Im Lager angekommen gebar Anna Bergman ihre Tochter Eva: Die Läuse rannten millionenfach herum, und ich setzte mich auf, und nicht/ war drei Wochen lang nicht gewaschen und hatte nicht richtig gegessen und saß einfach dort, und ich hätte mich in dem Moment, als das Baby herauskam, um nichts weniger kümmern können als darum, ob es schreit oder nicht.117

Besonders in diesen letzten Absätzen tritt die unterschiedliche Konnotation von Mauthausen deutlich zum Vorschein: Mauthausen steht hier nicht mehr, wie für viele politische Häftlinge – für die Mauthausen oft das erste nationalsozialistische Konzentrationslager darstellte  – für einen mutigen Aufbruch in eine ungewisse Zukunft, für einen Ort des Widerstands und der Solidarität. Nein, Mauthausen steht hier synonym für das sinnlose Elend, für Hungern und Sterben. Die gegen Ende des Krieges nach Mauthausen deportierten, meist jüdischen Tschechinnen und Tschechen berichten von Kraftlosigkeit und Passivität. Sie waren oft nicht einmal mehr in der Lage, sich um ihre Nächsten zu kümmern. Von optimistischen Zukunftsvisionen ist kaum die Rede, es geht allein um das Hier und Jetzt, man hatte – wie Lisa Scheuer meinte – »nur das Bedürfnis zu essen oder in Ruhe sterben zu können.«118 Der Gegensatz zwischen jenen, denen es ermöglicht wurde, aus ihren Erfahrungen in Mauthausen unmittelbar eine konkrete politische Mission für die Zukunft abzuleiten, und jenen, die ihrem Leiden in ihren Schilderungen auch nach über 50 Jahren noch keinen Sinn abgewinnen können, ist offensichtlich.

116 Ebd. 117 Ebd., 61. 118 Scheuer: Vom Tode, 95.

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Trotz der Vielfalt der tschechischen Wege nach Mauthausen, trotz der Unterschiedlichkeit der »Tschechen« in diesem Konzentrationslager, sind autobiographische Quellen in ihrer absoluten Mehrzahl einem dieser beiden Schemata zuzuordnen: Während in den ersten Jahren und Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die  – fast ausschließlich männlichen  – Erinnerungen an Mauthausen von einer kämpferischen Sichtweise geprägt sind, verweisen jene Schilderungen, die neuerdings verstärkt wahrzunehmen sind, auf die Unfassbarkeit der Shoah und heben das Leiden und die Ohnmacht des Einzelnen hervor. Dass auch jene, die zwischen 1941 und 1943 als politische Häftlinge nach Mauthausen deportiert worden waren, Kraftlosigkeit, Passivität und mangelnde Solidarität erlebt hatten, ist äußerst wahrscheinlich. Ihre Stimmen sind jedoch kaum zu hören, scheinen unterzugehen in dem (erinnerten) Gegensatz zwischen »tschechischen« und »jüdischen« Häftlingen, zwischen »aktiven« und »passiven« Opfern. Jüdische Helden und Antihelden

Unmittelbar nach Kriegsende fanden die Darstellung von Kraftlosigkeit und die Beschreibung eines allein inneren, individuellen Kampfes ums Überleben kaum Anklang. Damals nahmen sich, wie der Rabbiner und TheresienstadtÜberlebende Richard Feder richtig festhielt, Historiker und Dichter der Juden nicht an, denn »[s]ie lieben nur Heldentum, und wir waren keine Helden.«119 Die Juden der Nachkriegstschechoslowakei waren sich des Vorwurfs des passiven Verhaltens im Zweiten Weltkrieg vollauf bewusst und erkannten die gesellschaftliche Geringschätzung der jüdischen – weil vermeintlich passiven – Opfer. Rudolf Iltis hatte sicherlich nicht Unrecht, als er zwei Jahre nach Kriegsende urteilte, dass wohl noch viel Zeit vergehen würde, bis »jenen, die für die Freiheit litten [und nicht kämpften; d. Vf.], Dornenkrone und Lorbeeren zustünden.«120 Ein anderer jüdischer Überlebender, Stanislav Šteindler, fügte hinzu, dass »nur der fortlebt, der im Kampf um eine bessere Welt stirbt«.121 Als Reaktion auf den Vorwurf, untätig geblieben zu sein, unterstrichen die jüdischen Gemeinden vor allem in den ersten Jahren nach Kriegsende in der Öffentlichkeit die Widerstandstätigkeit der Juden, wiesen auf den jüdischen Beitrag an der Befreiung der Tschechoslowakei, an der »Heimat«, hin und stellten Juden vor allem als tschechoslowakische Patrioten dar.122 119 Feder: Jüdische Tragödie, 135. 120 Dr Iltis [Iltis, Rudolf]: Vavřín a trnitá koruna. In: Věstník 9/15 (1947), 217 f., hier 218. 121 Šteindler, Stan[islav]: Varšavské ghetto. In: Věstník 12/15 (1950), 173. 122 Zum Aspekt des glühenden Patriotismus der tschechischen Juden siehe das entsprechende Kapitel weiter unten.

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So setzte auch Richard Feder in seinen Erinnerungen fort: »Aber wir waren nur scheinbar keine Helden. In Wirklichkeit waren alle die Juden […] große Helden.«123 Um den Heroismus und die Tatkraft der Juden herauszustellen, wurde in den ersten Nachkriegsjahren auf besondere Weise an die ehemaligen jüdischen Soldaten in den Auslandsarmeen erinnert.124 Die Juden seien unter den ersten gewesen, die die existenzielle Gefahr NS -Deutschlands erkannt und die sich daher entschieden und mutig dem Auslandswiderstand angeschlossen hätten.125 Abgesehen von jenen Juden, die unter der Verfolgung gelitten und die Schrecken der Konzentrationslager durchlebt hatten, erinnerte man – wie hier der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Ústí nad Labem, Max Goldberger – an den »zweiten Teil, der das Glück hatte, mit der Waffe in der Hand gegen Imperialisten, Faschisten und Rassisten zu kämpfen«.126 Diese Hervorhebung der jüdischen Soldaten, Widerstandskämpfer und Partisanen diente nicht zuletzt dazu, dem Vorwurf, die Juden hätten sich nicht genügend am Befreiungskampf beteiligt, zu widersprechen.127 Die öffentliche Beschäftigung mit dem jüdischen Widerstand konnte zudem als »Nische für die Integration eines jüdischen Narrativs« dienen.128 Diese »Nischen«-Funktion konnte die Erinnerung an den jüdischen Anteil am Befreiungskampf allerdings nur bedingt ausüben. Denn die Beteiligung der Juden am Widerstand wurde, wie zahlreiche Autoren offen kritisierten, in der Nachkriegstschechoslowakei bagatellisiert.129 Nationalistische Denkweisen, die allein die (ethnischen) Tschechen als Helden wahrnahmen, und antisemitische Stereotype vermischten sich in den Diskussionen um die tschechoslowakischen Auslandssoldaten. So meinte etwa die Zeitschrift »Svobodný Varnsdorf« (Freies Varnsdorf) im Jahre 1945: Für uns sind diejenigen von Wert, die von Anfang an in Afrika kämpften, während der Invasion in Frankreich, und nicht diejenigen, die in verschiedenen Büroräumen abwarteten und sich zu den kämpfenden Truppen erst dann meldeten, als sie sich an 123 Feder: Jüdische Tragödie, 135. 124 Unter vielen siehe etwa Barber, Štěpán [Stephen]: Vrátili se vojáci. In: Věstník 7/1 (1945), 6. – Dr. Iltis [Iltis, Rudolf]: O židovských bojovnících. In: Věstník 9/10 (1947), 136–138. – Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Hrdinům (Ke dnům 17. a 19. dubna). In: Věstník 11/15–16 (1949), [169]–171. 125 Etwa Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Pohřeb Ejsika Weisse. In: Věstník 9/8 (1947), 103. 126 Zápis o krajské konferenci ŽNO, kraje Ústí n. L., která byla svolána krajským církevním tajemníkem, o. J. [ca. 1953/1954], NA , f. SÚC , Kt. 210.  – Ähnlich Gustav Sicher bei einer Denkmalsenthüllung in Budweis: Odhalení pomníku mučedníkům a hrdinům na židovském hřbitově v Českých Budějovicích. In: Věstník 12/44 (1950), 508 f. 127 Krejčová: Český a slovenský antisemitismus, 168. 128 So Laura Jockusch zur Situation in Frankreich. Jockusch: Appell, 271. 129 Beispielsweise Kulka, Erich: Předmluva k českému vydání. In: Ders.: Židé, 8–11. – Kosta: Vorwort.

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zehn Fingern abzählen konnten, daß der Krieg früher zu Ende gehen würde, als sie die nötige Militärausbildung beendet hätten. Ähnlich ist es auch mit jenen, die sich in Karpatorußland, als die russische Armee schon durchzog, zur Nachhut gesellten. Deshalb weisen unsere Armeen einen verschwindend kleinen Prozentsatz von gefallenen und verwundeten Juden aus.130

Diese Geringschätzung der jüdischen Soldaten war auch in der antisemiti­ schen Ansprache des kommunistischen Informationsministers Václav K ­ opecký aus dem Jahr 1947 zu finden, in der dieser den Juden unter anderem vorwarf, sich erst im letzten Moment den Auslandsarmeen angeschlossen zu haben.131 Zwar erhielt die Problematik der jüdischen Auslandssoldaten auf tragische Weise eine gewisse Bekanntheit, nachdem sich der ehemalige Soldat Ejsik Weiss als Reaktion auf Kopeckýs Rede das Leben nahm.132 Dennoch kam ­Rudolf Iltis zum Schluss, dass im Allgemeinen der Anteil der jüdischen Militärs übergangen werde. »Verbissen schweigt man über ihre Verdienste an der Erlangung der Freiheit.«133 Selbst als Verteidigungsminister Ludvík Svoboda 1947 die Tapferkeit der Juden und ihre Rolle in den Auslandsarmeen würdigte, gab die tschechische Presse – wie Rudolf Iltis bemängelte – diesen »›jüdischen‹ Abschnitt« seiner Rede nicht wieder.134 Diese Tendenz wurde durch die kommunistische Machtübernahme nur bekräftigt. Der Ökonom und Überlebende des Ghettos Theresienstadt Jiří Kosta kritisierte rückblickend die Haltung des kommunistischen Regimes in der Tschechoslowakei, die er als »absichtliche Täuschung«135 qualifizierte: Das Regime habe »die Rolle der Juden im Widerstand […] bewusst vertuscht«, die jüdischen Widerständler seien »niemals gesondert ausgewiesen worden, sondern waren in der Gesamtzahl aller tschechoslowakischen Teilnehmer am Widerstand […] mit inbegriffen«. Diese Haltung sei »einer verdeckten antisemitischen Haltung des Regimes« entsprungen.136

130 Zit. nach Věstník 7/3 (1945), 23.  – Die deutsche Übersetzung nach Nepalová: Die jüdische Minderheit, 348. – Hier auch zur Polemik der Auslandssoldaten und ihrem Anteil am Widerstand. – Dazu weiter Věstník 9/9 (1947), 125. – Věstník 9/10 (1947), 137. 131 K projevu ministra informací Václava Kopeckého v Teplicích-Šanově. In: Věstník 9/7 (1947), 91. 132 Tragická příhoda. In: Věstník 9/8 (1947), [101]f.  – Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Pohřeb Ejsika Weisse. In: Věstník 9/8 (1947), 103. – Citujeme. In: Věstník 9/11 (1947), 152. 133 Dr. Iltis [Iltis, Rudolf]: O židovských bojovnících. In: Věstník 9/10 (1947), 136–138, hier 136. 134 Dr Iltis [Iltis, Rudolf]: Vavřín a trnitá koruna. In: Věstník 9/15 (1947), 217 f. – Svoboda sprach hier bereits zum wiederholten Male lobend vom Kampf der jüdischen Soldaten. Siehe zu seiner Rede aus dem Jahr 1946: Generál Svoboda o židovských vojácích. In: Věstník 9/9 (1947), 125. 135 Kosta: Vorwort, 10. 136 Ebd., 9 f.

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Der aktive Kampf der Juden gegen den Nationalsozialismus diente Vertretern der jüdischen Gemeinde zur Abschwächung des Vorwurfs der Passivität der Mehrzahl der Juden. Bei einer Denkmalsenthüllung in Karlsbad sprach etwa der örtliche Rabbiner den Vorwurf der Passivität direkt an und betonte, dass nicht alle Opfer »wie Schafe auf der Schlachtbank« ermordet worden seien, sondern dass viele »mutig die Waffen ergriffen« und gegen die Mörder gekämpft hätten.137 Arnošt Frischer, der Vorsitzende des Dachverbands der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei, meinte im Herbst 1945: »Und wenn wir nur passive Opfer dieses historischen Geschehens gewesen wären, in einem solchen Ausmaß wie wir es waren, verdienen wir die wirksame Sympathie der gesamten Welt. Aber wir waren nicht nur passiv!« Und mit dieser Überleitung kommt auch er auf die jüdischen Widerstandskämpfer zu sprechen, denen er weit mehr Raum gewährt als den »passiven Opfern«.138 Die »gefallenen« jüdischen Helden wurden auch durch die Errichtung von Denkmälern und Gedenktafeln besonders hervorgehoben. Oft wurde auf den Inschriften differenziert zwischen den »Gefallenen« und den »zu Tode Gefolterten«.139 Helden der Auslandsarmee und Partisanen, und damit Episoden aus dem Widerstand von Juden wurden betont.140 Besonders in den ersten Jahren der neu errichteten Tschechoslowakei war es üblich, in der Benennung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus beide Gruppen, passive und aktive, explizit aufzuführen: Erinnert wurde an jene Juden, die »im Kampf für die Befreiung gefallen sind oder in den Konzentrationslagern zu Tode gefoltert wurden.«141 Entsprechend der Bedeutung des Krieges und der Kriegshandlungen in der Wahrnehmung des Nationalsozialismus wurden folglich auch militärische Ausdrücke wie jener der »Gefallenen« übernommen. In Reden, Artikeln und an Gedenktafeln findet sich zuhauf diese Wendung der »Gefallenen und zu Tode Gefolterten« [umučený].142 Wobei den

137 dr. i. [Iltis, Rudolf]: Odhalení pomníku hrdinům a mučedníkům v Karlových Varech. In: Věstník 18/9 (1956), 7 f. 138 S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12.  – Zápis o prvním sjezdu delegátů Židovských náboženských obcí v zemích České  a Moravskoslezské, 1.–2.9.1945, YVA , O.7.cz/318. 139 Rozhlasový projev dr. Sichera a taj. Iltise pro zahraničí, 25.11.1954, NA , f. SÚC , Kt. 211. 140 Odhalení pamětní desky. In: Věstník 10/16 (1948), 186. 141 ŽNO Moravská Ostrava an ŽNO Opava, 3.3.1947, AŽMP, f. Opava 1945–1952, unsortiert. 142 Unter vielen anderen beispielsweise Einladung der jüdischen Gemeinde Prag zu einer Trauerfeier am 18.11.1945, YVA , O.7cz/268, fol. 94 f. – Sicher, Gustav: Vzpomínáme. In: Věstník 10/9 (1948), [97]f. – Z Práhy ve zkratce / Židovksá náboženská obec v Praze. In: Rudé právo vom 9.3.1949, [4]. – Odhalení pomníku umučeným a padlým v Kolíně n. L. In: Věstník 12/11 (1950), 123. – -i-: O Židovském státním museu. In: Věstník 14/6 (1952), 49. – Odhalení památníku v Příbrami. In: Věstník 16/10 (1954), 74. – Rozhlasový projev dr. Sichera a taj. Iltise pro zahraničí, 25.11.1954, NA , f. SÚC , Kt. 211.

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gefallenen Soldaten schließlich auch Attribute wie »heldenhaft« hinzugefügt wurden.143 An zahlreichen weiteren Beispielen kann gezeigt werden, welche Bedeutung es für die jüdische Gemeinde der Nachkriegstschechoslowakei hatte, die Widerständigkeit und den Heldenmut der Juden zu unterstreichen. In den Repräsentationen des Ghettos Theresienstadt wurde die Präsenz eines illegalen Radiosenders besonders hervorgehoben, ebenso wie das geheime Verstecken einer Statue Jan Hus’  – einer zentralen Figur im nationalen tschechischen Geschichtsbild.144 Die erregte Stimmung im Ghetto Theresienstadt zu Kriegsende interpretierte Rudolf Iltis gar als »Versuch des Aufstandes«.145 Darüber hinaus wurde dem Vorwurf der Passivität das grausame Vorgehen gegen die Ghetto-Häftlinge und die ständig präsente Todesgefahr gegenübergestellt, die belegen sollten, wohin offene Akte des Widerstands geführt hätten. Die geplanten Gaskammern in Theresienstadt nahmen in diesem Narrativ einen wichtigen Platz ein, genauso wie die ersten Hinrichtungen im Ghetto im Januar und Februar 1942. Im Jahre 1946 beispielsweise wurde dieser Juden gedacht, die wegen Fluchtversuch bzw. Über­treten des Schreibverbots gehängt wurden. Die Gefangenen seien, so ist im Organ der jüdischen Gemeinde zu lesen, singend zum Schafott gegangen und »als Helden« gestorben.146 Ein Augenzeuge, Josef Bruner, erinnerte sich, wie stolz diese »unsere ersten jüdischen Märtyrer« zur Hinrichtung gegangen seien. Einer habe gerufen: »Und sie werden doch nicht siegen.« »Hoch lebe die Tschecho­ slowakische Republik.«147 Sie seien »ruhig, mit festem Schritt und trotzig erhobenem Haupt« in den Tod gegangen, so Rudolf Iltis.148 František R. Kraus fügte hinzu: »Sie kämpften und fielen für eine neue Welt.«149 Den 16 Opfern dieser beiden Hinrichtungen im Ghetto Theresienstadt wurde auch eines der ersten etwas größeren Denkmäler am jüdischen Friedhof in Theresienstadt gewidmet.150 Es war bereits kurz nach Kriegsende geplant gewesen, diesen Opfern eine Gedenktafel an der Aussiger Kaserne, dem Hinrichtungsort, zu

143 So etwa die folgenden Gedenktafeln: am jüdischen Gemeindehaus in Ústí nad Labem (1953); im Betsaal der jüdischen Gemeinde Liberec (1954); am Friedhof Brno-Julianov (1950), zit. nach Iltis: Die aussäen unter Tränen, 32, 39 und 53. 144 Dr I [Iltis, Rudolf]: 5.  květen v  Terezíně. In: Věstník 8/4–5 (1946), 37 f.  – Schreiben der RŽNO an MŠK : Návrh na označení některých památných míst v městě Terezín, 17.6.1964, NA , SOA Litoměřice, PT, Kt. 1. 145 Dr I [Iltis, Rudolf]: 5. květen v Terezíně. In: Věstník 8/4–5 (1946), 37 f. 146 Vzpomínáme. In: Věstník 8/1 (1946), [8]. – Ähnlich M. T.: Vzpomínáme prvních terezínských poprav 10. ledna a 24. února 1942. In: Věstník 8/2 (1946), 12. 147 Bruner, Josef / Iltis, Rudolf: Smutné výročí. In: Věstník 12/3 (1950), 30. 148 Ebd. 149 Kraus, František R.: Popravy v terezínském ghettě. In: Věstník 14/2 (1952), 18 f. 150 Pomník mučedníkům popraveným v terezínském ghettě. In: Věstník 12/40 (1950), 467.

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widmen. Diese Gedenktafel hätte als Denkmal für alle Ermordeten in Theresienstadt dienen sollen.151 Durch derartige heroische Erzählungen konnten die Juden in Theresienstadt allgemein als Helden charakterisiert werden. So bezeichneten auch die Verantwortlichen des Rats der jüdischen Gemeinden den jüdischen Friedhof in Theresienstadt als »Ort der letzten Ruhe zehntausender Helden des Theresienstädter Ghettos«.152 Die Hervorhebung der »Wehrhaftigkeit« (brannost) der Juden, die sich auch der Kreis der jüdischen Auslandssoldaten zum Ziel steckte,153 sollte allerdings nicht allein dazu dienen, die Mehrheitsgesellschaft vom Beitrag der Juden zur Befreiung der Tschechoslowakei zu überzeugen, sondern diente zum Teil  auch einem pädagogischen Zweck: Oft mit dem politischen Ziel der Mobilisierung verbunden, wurde den Juden (von Juden) nahe gelegt, sie sollten ihre vermeintlich passive, untertänige Mentalität ablegen und ihren »jüdischen Komplex« überwinden.154 Heroische Episoden des jüdischen Widerstands hätten gezeigt, dass man nicht passive Opfer erleiden dürfe, sondern kämpfen müsse, dass »in der Passivität keine Entschuldigung für Opfer von Gewalt« zu finden sei.155 Zur Veranschaulichung dieses heroischen jüdischen Widerstandes wurden nicht allein Ereignisse der tschechisch-jüdi­ schen Geschichte herangezogen, sondern auch Begebenheiten aus anderen Ländern. Namentlich berief man sich – ähnlich wie die jüdischen Gemeinden in zahlreichen anderen Ländern – auf die Geschichte des Aufstands im Warschauer Ghetto. Die Feiern anlässlich der Jahrestage des Warschauer GhettoAufstandes spielten daher eine besonders wichtige Rolle in der kommunistischen Tschechoslowakei.156 151 Zápis ze 4. schůze terezínské památkové komise, 25.2.1948, AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 5. 152 Dokument der RŽNO: Výtah z protokolu, o. J. [Januar 1955], NA , MK 1953–1956, Kt. 262. 153 K srdcím zahraničních vojáků. In: Věstník 10/9 (1948), 104. 154 Siehe hierzu etwa die frühen Artikel von Arnošt Lustig, die vom Enthusiasmus für eine neue, kommunistische Zukunft und von der Absage an den »Negativismus des Lebens« geprägt waren: Lustig, Arnošt: Hlas mladého člověka. In: Věstník 10/2 (1948), 13.  – Ders.: Buďme proti negativismu života. In: Věstník 9/23 (1947), 329. – Ders.: Zrodil se nový židovský člověk. In: Věstník 9/21 (1947), 306. 155 Št.E. [Engel, Štěpán]: Poučení z Banské Bystrice. In: Věstník 11/34 (1949), [377]f., Zitat [377]. 156 Siehe etwa aus den ersten zwei Jahren nach der kommunistischen Machtübernahme Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Film o povstání ve varšavském ghettě  – Další triumf polské filmové výroby. In: Věstník 11/4 (1949), 44.  – Št.E. [Engel, Štěpán]: Filmová epopej o varšavském ghettu. In: Věstník 11/8 (1949), 89 f.  – Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Československý rozhlas hrdinům varšavského ghetta. In: Věstník 11/12 (1949), 134.  – Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Hrdinům (Ke dnům 17. a 19. dubna). In: Věstník 11/15–16 (1949), [169]–171. – Iltis, Rudolf: »Vaše smrt je nám závazkem žít«. In: Věstník 12/15 (1950), [169]f. – Šteindler, Stan[islav]: Varšavské ghetto. In: Věstník 12/15 (1950), 173.

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Dieser Betonung des Widerstands und des jüdischen Anteils am tschechoslowakischen Befreiungskampf stehen allerdings auf einer weniger öffentlichen und weniger politischen Ebene durchaus Beispiele von Repräsentationen der alltäglichen, traumatischen und im Großen und Ganzen passiven Erfahrungen von Juden im Holocaust gegenüber. Evident ist dies beispielsweise in der Tätigkeit der unmittelbar nach Kriegsende gegründeten Prager Dokumentationsaktion. Diese, ein dezidiert zionistisches Unternehmen, legte keineswegs den Schwerpunkt auf den Widerstand. Ganz im Gegenteil: In der Beschreibung ihrer Aufgaben oder in ihren Fragekatalogen taucht das Thema des jüdischen Widerstandes – anders als etwa jenes des Alltags im Theresienstädter Ghetto – kaum auf.157 An mehreren Fällen kann gezeigt werden, auf welche Kritik  – innerhalb und außerhalb der jüdischen Gemeinde  – die frühen Versuche stießen, die jüdischen »Antihelden« zu thematisieren, das heißt das individuelle Überleben darzustellen, ohne die Frage der Passivität auszublenden. Manche gingen sogar so weit, die »aufgezwungene Passivität«158 explizit anzusprechen, wie an zwei Beispielen analysiert werden soll: Alfréd Radoks Film »Daleká cesta« (Der weite Weg)  – dem das Zitat aus einer Besprechung des Filmes galt – und Jiří Weils Roman »Život s hvězdou« (Leben mit dem Stern). Der Film »Daleká cesta« vom Theaterregisseur und Mitbegründer der Laterna Magika Alfréd Radok wurde nach einer Vorlage von Erik Kolár im Jahre 1948 gedreht und ein Jahr danach fertiggestellt. Seine offizielle Premiere feierte er im Januar 1950.159 Der Film setzt am Beginn der Zerschlagung der Tschechoslowakei und der Okkupation Böhmens und Mährens ein und zeigt die beginnenden Diskriminierungen der Juden am Beispiel der Familie Kaufmann. Die Geschichte konzentriert sich auf das Schicksal der Tochter, Hana Kaufmannová, die als Ärztin aus einer Prager Klinik entlassen wurde, allerdings wegen ihrer Ehe mit einem Nichtjuden, Antonín Bureš, als einzige der Familie in Prag bleibt, während die anderen ins Ghetto Theresienstadt depor-

157 Siehe etwa Zeev Shek: Práce dokumentační akce sestává v úkolech […], YVA , O.7.cz/ 263. – Záznam o protokolech pro dokumentační akce, ebd. – Jewish Agency. Dokumentar-Abteilung: Fragenkomplex, YVA , O.7.cz/264.  – Siehe auch die Arbeitsprogramme und Methodik der Prager Dokumentationsaktion in YVA , AM .1/225.  – Vgl. dazu die leicht differierenden Arbeitspläne der Dokumentationsaktion in Bratislava, in denen neben vielen anderen Punkten auch die Punkte »illegale Tätigkeit« und Teilnahme der Juden im Slowakischen Nationalaufstand sowie in den Auslandsarmeen auftauchten. Siehe etwa Zápisnica spísaná na schôdzi »Dokumentačnej akcie« dňa 20. novembra 1945, YVA , O.7.cz/268. – Yearly report on the activity of the Documentation Action [1946–1947], YVA , AM .1/130. 158 Filmové noviny vom 3.12.1948, zit. nach: Filmové novinky. In: Věstník 11/3 (1949), 34. 159 Český hraný film III, 55. – Anderen Angaben zufolge wurde er allerdings bereits 1949 in einigen Kinos gezeigt.

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tiert werden. Nachdem Antonín verhaftet worden ist, wird auch Hana nach Theresienstadt gebracht, wo sie erfährt, dass ihre Familie nach Osten transportiert wurde. Sowohl Hana als auch ihr Mann überleben den Krieg.160 Die Besonderheit des Filmes liegt darin, dass er eindrücklich eine Atmosphäre der ständigen Angst zeigt. Besonders nach der Deportation der Familie nach Theresienstadt sind Hana und ihr Mann ergriffen von der Furcht um ihre Nächsten und vor weiteren Repressionen. Betont werden die persönlichen Erfahrungen der Figuren, die fast als surrealer Albtraum präsentiert werden. Radok, so der Filmwissenschaftler Jiří Cieslar, »created a vision of Terezín that resembled a large, crazy and grotesque railway station, a wait­ ing room or antechamber for the extermination camps – a world of chaos.«161 Die Ästhetik des Filmes ist stilisiert.162 Radok spielt mit Symbolen und Metaphern. So meinte er auch selbst zur Frage der Wahrheit im Film: »Die äußere Wahrheit ist hier verzerrt, damit die innere Wahrheit besser erfasst werden kann.«163 Darüber hinaus verbindet er jedoch die Darstellung des individuellen Schicksals durchaus mit einem dokumentarischen Zugang, der dieses Schicksal in den Kontext der Verfolgung der Juden in Böhmen ein­ bettet. Dazu blendet er immer wieder in einem Einschub rechts unten im Bild dokumentarische Aufnahmen ein, was Cieslar die Ebene der »artistic reportage« nannte.164 Die ästhetische Herangehensweise Radoks inspirierte im Übrigen Alain Resnais, als er 1955 seinen Film »Nuit et Brouillard« (Nacht und Nebel) drehte.165 Beachtenswert ist, wie Radok es gelang, den tschechischen Antisemitismus darzustellen, ohne aus diesem das Hauptthema des Filmes zu machen. Selbst wenn offensichtlich – so vermutet Jiří Cieslar – eine Szene, in der antisemitische tschechische Studenten dargestellt hätten werden sollen, von der kommunistischen Zensur gestrichen wurde, konnte Radok doch den alltäglichen Antisemitismus im Protektorat ansprechen. Zum Beispiel in der Figur des Vaters von Antonín, der demonstrativ der Hochzeit seines Sohnes mit der Jüdin Hana fernblieb. Bemerkenswert ist auch, dass Radok die beginnenden offen antisemitischen Äußerungen in der Zweiten Tschechoslowakischen Republik 160 Daleká cesta, Regie: Alfréd Radok, Drehbuch: Erik Kolár, Tschechoslowakei 1949, 99 Min. – Zum Film kurz Český hraný film III, 55 f. – Unter den zahlreichen Analysen des Films und für die Reaktionen, die er auslöste, siehe Hames: Czech and Slovak Cinema, 96. – Ambros: Na pokraji. – Cieslar: Living. – Avisar: Screening, 54–64. – Cieslar: Daleká cesta. 161 Cieslar: Daleká cesta, 46. 162 Hames: Czech and Slovak Cinema, 96. 163 Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Oživl přízrak ghetta. In: Věstník 10/40–41 (1948), 449. 164 Zu dieser Idee der »story within a story, or a story within history« auch Avisar: Screen­ ing, 60. 165 Lindeperg: Univers concentrationnaire, 66.

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(1938–1939) – das heißt noch vor der Okkupation und damit der deutschen Fremdherrschaft – anspricht.166 Mehrere Gründe können genannt werden, wieso der Film von der offiziellen Kulturpolitik vernichtend kritisiert und an den Rand gedrängt wurde. In Prager Kinos konnte er angeblich gar nicht gezeigt werden.167 Der Stil, die Betonung des individuellen Schicksals und vor allem die expressionistische Darstellung der Zustände in Theresienstadt, die lange und langsam gefilmten chaotischen Zustände, die massenhafte Ansammlung von Menschen und Objekten, die Betonung subjektiver Erfahrungen und Gefühle und die allgemeine Düsterheit im Film werden oft angeführt, um zu zeigen, dass der Film »Daleká cesta« an der Schwelle der 1940er und 1950er Jahre keineswegs mehr den Vorstellungen einer kommunistischen Kultur entsprach.168 Radok wurde als »Formalist« kritisiert, also als jemand, der seine künstlerische Produktion nicht dem ideologischen Dogma des sozialistischen Realismus unterordnete.169 Neben diesen formalen, ästhetischen Aspekten weist der Film eine Charakteristik auf, die für die Erinnerung an die Shoah von zentraler Bedeutung ist und besonders innerhalb der jüdischen Gemeinde Diskussionen und Kritik hervorrief: Radoks unheroische Figuren. Der Journalist für das Organ des Rats der jüdischen Gemeinden Štěpán Engel kritisierte die fehlende Dynamik im Film, den Fokus auf die fortdauernde Unterdrückung der Juden und besonders die Un­veränderlichkeit der Figuren. Diese blieben bis zum Ende passiv, zögen folglich keine »Lehre« aus ihrer Passivität. Zudem würden die historischen Zusammenhänge dem Zuschauer nur unzureichend erklärt.170 Insbesondere die Abwesenheit aktiver heroischer -­ Figuren – abgesehen von Antonín Bureš, dem nichtjüdischen Ehemann Hana Kaufmannovás – wurde kritisiert. Die tschechische Filmzeitschrift »Filmové noviny« (Filmzeitung) sah darin gerade eine der Stärken des Filmes, nämlich die überzeugende schauspielerische Darbietung der Rolle der Ärztin Hana Kaufmannová, die »so wie alle Protektorats-Juden […] gezwungen ist, ihr Schicksal einzig passiv anzunehmen«.171 Štěpán Engel stellte sich vehement gegen diese Repräsentationen der Passivität und fragte: 166 Radok wollte ursprünglich offensichtlich seinen kritischen Blick auch auf Kontinuitäten nach 1945 richten. So meinte er in seinen Erinnerungen, er habe auch eine Szene einbauen wollen, in der tschechische Kollaborateure und ehemalige Arisierer nach dem Krieg deutsche Kinder schlagen. Siehe dazu Koura: Nazis, 126. 167 Český hraný film III, 56. 168 Zur Ästhetik des Films siehe insbesondere Avisar: Screening, 54–64. – Cieslar: Daleká cesta. 169 Zur Kritik an Radok siehe das Interview mit ihm in Liehm: Closely Watched Films, 35– 52. – Siehe auch Škvorecký: All the Bright, 40 f. 170 Št.E. [Engel, Štěpán]: Daleká cesta. In: Věstník 11/22 (1949), 255 f. 171 Filmové noviny vom 3.12.1948, zit. nach: Filmové novinky. In: Věstník 11/3 (1949), 34.

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Wo blieb die jüdische Jugend, die sich in Prag und Theresienstadt unter unsagbar schwierigen Bedingungen organisierte, wo sind die jüdischen Männer, die bei der harten Arbeit den Glauben ans Leben bewahrten und die der Zeit entrannen, als diese dem Anschein nach für sie stehen blieb, da sie nicht mehr in die Zukunft zu münden schien? Wo sind die jüdischen Freiheitskämpfer […]? War keiner von ihnen unter den 140.000 Juden, die […] das Ghetto in Theresienstadt passierten? Waren dort nur passive, verzweifelte Gestalten, resignierte und defätistische Angsthasen [bázlivec]? Waren alle Häupter während des ewigen Schauers gesenkt, schleppten sich alle Gestalten unaufhörlich im Schlamm und Dreck, geistlos abwartend, wann auch ihre Stunde geschlagen sein wird?172

Kaum verwunderlich erscheint daher, dass auch innerhalb der Reihen des Verbands der Freiheitskämpfer der Film bereits vor seiner Fertigstellung kritisiert und empfohlen wurde, einen Experten der Kultur- und Propaganda­ abteilung des Verbandes zu den Dreharbeiten zu schicken.173 Zwar erhielt der Film im Ausland ein besseres Echo als in der Tschechoslowakei, doch wurden auch in ausländischen Medien Stimmen laut, welche die Passivität von Radoks Figuren bemängelten. Das »fortschrittliche«, das heißt prokommunistische, Blatt »Jewish Life« kritisierte nach der Premiere des Films in New York, dass der Film das Leben im Theresienstädter Konzentrationslager wie ein Leben im Irrenhaus schildert und dass er […] nicht hervorhebt, dass die Untergrundbewegung im Konzentrationslager nie zu arbeiten aufhörte; bei […] [Alfréd Radok] hört aller Kampf auf, sobald sich hinter den Opfern die Tore des Ghettos schließen.174

Zur selben Zeit hatte der Kommunist Jiří Weil in seinem Roman »Leben mit dem Stern« einen weiteren frühen Versuch unternommen, den aussichtslosen und individuellen Kampf ums Überleben darzustellen. Nur kurz nach der kommunistischen Machtübernahme legte Weil auf beeindruckende Weise ein persönliches Zeugnis seiner Erfahrungen während des Zweiten Weltkrieges ab.175 Josef Roubíček, die Hauptfigur mit autobiographischen Zügen Weils, passt sich stets an, hält sich im Großen und Ganzen an die Regeln, führt ein zielloses Leben und ist somit alles andere als ein Held, selbst wenn er im Laufe der Erzählung mit kommunistischen Widerstandskämpfern in Kontakt tritt. Und doch lässt Weil seine Hauptfigur zu einem subjektiven Helden werden, indem dieser zu humanistischen Werten findet und sein Leben nicht aufgibt, sondern passiven Widerstand leistet und der Einberufung zum Trans172 Št.E. [Engel, Štěpán]: Daleká cesta. In: Věstník 11/22 (1949), 255 f., hier 255. 173 Protokol 3. schůze SBS , konané dne 16.7.1948, NA , f. ÚV SPB , Kt. 25. 174 Artikel im Monatsblatt Jewish Life, November-Ausgabe 1950, zit. nach Film »Daleká cesta« v Novém Yorku. In: Věstník 12/51–52 (1950), 596. 175 Zu den Diskussionen um den Roman: -eška-: K Weilově knize: »Život s hvězdou«. In: Věstník 11/12 (1949), 138

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port letztlich nicht nachkommt. Nichtsdestotrotz durchziehen Ohnmacht und Passivität – beziehungsweise der innere Kampf mit dieser Ohnmacht – den gesamten Roman. Nach einem Gespräch mit seinen jüdischen Kollegen macht sich Josef Roubíček Gedanken über die Passivität, die sie allzu leicht akzeptierten: Ich wußte, daß sie mich nicht verstanden oder nicht verstehen wollten, ich wußte, daß dieses Gespräch ihnen peinlich war, daß es sie reizte, weil ich sie an ihre Ohnmacht erinnerte. Sie fühlten sich besser, wenn sie sich für Opfer halten konnten, die Tag für Tag einer Gefahr entrannen, ihnen war wohler, wenn sie sich entschlossen, keine Wahl zu haben, sie fühlten sich eigentlich nur wohl, wenn sie sich einbildeten, gar keine Entscheidung treffen zu können.176

Über die Juden, die in ein Prager Sammellager gebracht werden, um anschließend deportiert zu werden, meint Roubíček: Sie werden verschiedenen Widernissen ausgesetzt. Sie müssen hüpfen, sich bei Fuß setzen und zuhören, wie die Peitsche knallt. Was sind das nur für Märtyrer! Sie wollen das Leid nicht auf sich nehmen, und es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, um die Märtyrerkrone zu kämpfen. Sie würden sich mit Nudelsuppe, mit geflickten Kleidern und abgetretenen Schuhen zufriedengeben. Sie haben die Kirchenbänke verbrannt und würden auch die Bundeslade verbrennen, wenn sie sie zur Hand hätten. Sie würden auf den Händen gehen, wenn man es ihnen befähle, und sie würden, wenn es jemand verlangte, dreimal täglich die Konfession wechseln. Sie wollen nur leben, und das war früher gar nicht soviel. Und doch wurden sie auserwählt, Opfer zu werden, für eine Sache zu sterben, die überhaupt nicht ihre Sache war. Ich gehörte zu ihnen und wußte ebenfalls nicht, wofür ich eigentlich sterben sollte.177

Weils Hauptfigur ist gezwungen, wie Jan Grossmann im Nachwort zum Roman schrieb, ein »fremdes Leben« zu leben, ein Leben, das »sie« für ihn ausdachten.178 Grossmann, ein Fürsprecher des Romans, bezeichnete sowohl die Hauptfigur als auch die Geschichte als sehr schlicht, alltäglich, un­ heroisch, »an sich ›uninteressant‹.«179 Dies allerdings ermögliche, so Grossmann weiter, die Konzentration auf das »innere Bewusstsein« des verfolgten Menschen.180

176 Weil: Leben mit dem Stern, 125. 177 Ebd., 209. – Die Kritik von jüdischer Seite merkte hierzu an, dass Roubíček auch des­ wegen nicht wusste, wofür er sterben sollte, weil er sein Judentum nicht lebte, sich nicht bewusst als Jude sah. Št.E. [Engel, Štěpán]: Život žida za okupace. In: Věstník 11/13 (1949), 152 f. 178 Grossmann: Doslov, 213. 179 Ebd., 212. 180 Ebd.

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Es ist beachtenswert, dass Weils »Leben mit dem Stern« im Jahre 1949, also nach dem kommunistischen Coup d’État noch erscheinen konnte. Der Kritik allerdings, in völliger Opposition zu den neuen ideologischen Vorstellungen zu sein, konnte sich Weil nicht entziehen.181 Weil, so Ivan Skála, einer der vehementesten Kritiker seines Werkes aus einer marxistischen Position, habe nicht das wahre Wesen des Faschismus erkannt, das auf die Unterdrückung der Arbeiterklasse abgezielt habe und nur durch ökonomische Beweggründe erklärt werden könne.182 Jiří Weils Roman wurde als dekadent, existenzialistisch und Verherrlichung der Feigheit kritisiert.183 Weils »zutiefst subjektivistische Sicht«, so Hana Budínová in ihrer Kritik des Romans,184 passte nicht mehr in den Geist der Zeit. Mojmír Grygar führte die »zahlreichen Fehler« in Weils Roman auf eine Ursache zurück: den Einfluss des Existenzialismus, der stilistisch und inhaltlich evident sei – im Gefühl der Absurdität des Lebens, der passiven Lebenshaltung oder dem Gefühl der Last der Verantwortung.185 Václav Běhounek führte auf ähnliche Weise die grundsätzliche Schwäche des Romans auf den Mangel an Objektivität sowie die Nähe zum Existenzialismus und Nihilismus zurück.186 Die Unausgewogenheit, so Hana Budínová, zwischen der Schilderung individueller Erfahrungen und der »objektiven Realität« bringe die Gefahr des »engen Subjektivismus« mit sich.187 Tatsächlich war gerade die Frage der subjektiven Entfremdung im Zweiten Weltkrieg einer jener Punkte, die der Fürsprecher des Romans, Jan Grossmann, hervorgehoben hatte.188 Weils Roman, ähnlich wie Radoks Film, weist absurde Züge auf, wechselt zwischen realen und surrealen Passagen, ist teilweise geprägt von expressionistischen Ansätzen. So sind auch reale Orte entfremdet, indem sie »Zirkus«189 oder »Festungsstadt« benannt werden. Es geht stärker um die subjektive Erfahrung mit der Verfolgung als um die historische Darstellung dieser. So werden auch weder Deutsche noch Nationalsozialisten wörtlich erwähnt, kommen bloß als »sie« im Roman vor.

181 Siehe dazu allgemein Mercks: Zur Rezeption. 182 Skála, Ivan: Rozhodný boj o realismus – přední úkol naší literatury. In: Nový život [1]/4 (1949), 66–72. 183 Hierzu auch Macháček, Vítězslav: 50 český autorů posledních padesáti let. Praha 1970, 192, zit. nach Schutte: Die jüdische Thematik, 17. 184 Budínová, Hana: Weilova nová kniha. In: Kulturní politika 4/16 (1949), 8. 185 Grygar, Mojmír: Román o potupeném lidství. In: Lidové noviny vom 27.3.1949, 6, zit. nach dem tschechischen Original in Schutte: Die jüdische Thematik, 17. 186 Běhounek, Václav: Život se žlutou hvězdou. In: Práce vom 2.6.1949, 5, zit. nach Schutte: Die jüdische Thematik, 17. 187 Budínová, Hana: Weilova nová kniha. In: Kulturní politika 4/16 (1949), 8. 188 Grossmann: Doslov, 213. 189 »Zirkus« wurde offensichtlich bereits während des Krieges verwendet, um die Ab­ fertigung der Transporte zu beschreiben. Feder: Jüdische Tragödie, 36.

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Ein weiterer und für unsere Fragestellung besonders relevanter Grund für die Kritik an Weils Roman lag in seiner unheroischen Darstellung eines kleinbürgerlichen Menschen, der weder politische Ziele verfolgt noch sich aktiv gegen die Verfolgung der Juden gestellt habe. Jiří Weil, so Ivan Skála, betrachte die Besatzungsjahre »durch die krumme Brille des feigen Defätismus und Kapitulanten­tums [poraženectví a kapitulanství], ohne uns ein einziges wahres Wort über die Jahre der Okkupation […] zu sagen«.190 Seine Hauptfigur sei ein »geistig nicht normaler Schwächling [slaboch], ein feiger kapitulierender Kleinbürger jüdischer Herkunft«.191 Ivan Skála resümiert seine Hasstirade gegen Weils Buch mit der Feststellung, dies sei schlicht ein »abstoßendes, gegen die Nation gerichtetes [protinárodní] Pamphlet.«192 Ähnlich, wenn auch weniger drastisch, lautete das Resümee eines weiteren Kritikers, Josef Štefánek, in dessen »Tschechischer Literatur nach dem Krieg« aus dem Jahr 1949: Jiří Weil sehe das Leben in seinem Roman subjektivistisch und defätistisch, seine zentrale Figur sei ein Schwächling, Feigling und Egoist.193 Genauso sah Hana Budínová letztlich im »Fatalismus der Machtlosigkeit« eines der zentralen Motive des Romans.194 Die Kritik an Weils Roman beschränkte sich allerdings nicht auf die kulturpolitische Ebene. Auch innerhalb der jüdischen Gemeinde hat »Leben mit dem Stern« eine Polemik ausgelöst. Im März 1949 erschien im jüdischen Gemeindeblatt eine erste kurze, und positive, Besprechung von Weils Roman, aus welchem auch ein Auszug abgedruckt wurde.195 Der Rezensent bewunderte, wie Weil einfach, ehrlich und ohne Pathos das Schicksal der Juden im Protektorat geschildert habe. Er ahnte jedoch bereits die Kritik vonseiten der nichtjüdischen Leserschaft voraus: »Sicherlich wird jener, der nicht selbst das gelbe Tuch [hadřík] tragen musste, diese unermessliche und aussichtslose seelische Einsamkeit nicht vollkommen verstehen«.196 Die jüdischen Überlebenden allerdings, so der anonyme Rezensent weiter, werde der Roman an ihre eigenen existenziellen Erfahrungen erinnern, denn: »Wer von uns war nicht ein solcher Josef Roubíček?«197 Auch Alfréd Radok, der sich in einem

190 Skála, Ivan: Rozhodný boj o realismus – přední úkol naší literatury. In: Nový život [1]/4 (1949), 68. 191 Ebd. 192 Ebd. 193 Štefánek, Josef: Česká literatura po válce. Praha 1949, 37, zit. nach Schutte: Die jüdische Thematik, 18. 194 Budínová, Hana: Weilova nová kniha. In: Kulturní politika 4/16 (1949), 8. 195 -eška-: K Weilově knize: »Život s hvězdou«. In: Věstník 11/12 (1949), 138. – Weil, Jiří: Život s hvězdou. In: ebd., 140 f. 196 -eška-: K Weilově knize: »Život s hvězdou«. In: ebd., 138. 197 Ebd.

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Schreiben an Jiří Weil für den Roman bedankte, sah in diesem »ein großes Grabmal für die kleinen Toten«.198 Bereits in der folgenden Nummer des Organs der jüdischen Gemeinde griff allerdings Štěpán Engel Weils Roman fundamental an.199 Josef Roubíček habe nichts mit dem Judentum gemein, sein Schicksal sei keineswegs repräsen­ tativ dafür, was die tschechischen Juden im Zweiten Weltkrieg durchlebt hätten. Das Leben des Josef Roubíček bleibe »ein Fall für sich, weder ein außergewöhnliches noch ein typisches Schicksal.«200 Im Roman fehle ihm die Darstellung der sozialen und politischen Unterschiedlichkeit der Juden, die trotzdem nicht das jüdische Zusammengehörigkeitsgefühl und die Solidarität unter ihnen unterbunden hätte. Engel kritisierte insbesondere die Darstellung der Vereinsamung und der existenziellen Entfremdung des Romanhelden, der die Verfolgung der Juden passiv und teilnahmslos, wie von außen, betrachtete.201 Jiří Weil erwiderte, dass er keineswegs ein erschöpfendes Werk über die jüdische Tragödie schreiben wollte, sondern dass es ihm vor allem darum ging, zwei Welten dar- und gegenüberzustellen: nämlich – anhand der Figur des Josef Roubíček – die Welt des Scheins und der Lügen des Nationalsozialismus sowie – anhand der Figur des Josef Materna – die reale Welt des Sozialismus.202 Diese Replik befriedigte seine Kritiker nicht. Štěpán Engel sah, ganz im Gegenteil, im »Leben mit dem Stern« keineswegs eine von Nationalsozialisten erfundene Scheinwelt, sondern ein »furchtbar wirkliches« Leben.203 Ohne, dass es in der Debatte deutlich angesprochen worden wäre, wird deutlich, dass die Auseinandersetzung zwischen Existenzialismus und sozialistischem Realismus in vollem Gange war und aus Weils »Leben mit dem Stern« eines seiner ersten Opfer machte.204 Interessant dabei ist, dass das Ende des Romans durchaus dem Geist der Zeit entsprach – und mit der Idee der »Besserung« des Helden, der von der Passivität mit Hilfe des Kommunisten Materna auf den richtigen Weg geführt wurde, eine Logik verfolgte, die sich später in zahlreichen Romanen über den Holocaust wiederfindet. So definierte auch Jiří Weil selbst, auf die Kritiker antwortend, als Ziel seines Romans, das wahre Gesicht des Faschismus

198 Vondráčková: Mrazilo – tálo, 90. 199 Št.E. [Engel, Štěpán]: Život žida za okupace. In: Věstník 11/13 (1949), 152 f. 200 Ebd., 152. – Ebensowenig typisch sah auch Hana Budínová die Figur des Josef Roubíček. Budínová, Hana: Weilova nová kniha. In: Kulturní politika 4/16 (1949), 8. 201 Št.E. [Engel, Štěpán]: Život žida za okupace. In: Věstník 11/13 (1949), 152 f., hier 152. 202 Weil, Jiří: Autor »Života s hvězdou« vysvětluje. In: Věstník 11/15–16 (1949), 177. 203 Št.E. [Engel, Štěpán]: Ještě několik slov k životu s hvězdou. In: Věstník 11/18 (1949), 207. 204 Zu einer klar existenzialistischen Deutung des Romans etwa Dvořáková, Jarmila: Jiří Weil: Život s  hvězdou. In: Sklizeň 8/7–8 (1960), 15 f.  – Allgemein Holý: Die Juden, 17–20.

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zu entlarven und den Sozialismus als einzige Möglichkeit des Kampfes gegen den Faschismus darzustellen.205 Die Überwindung der Passivität Josef Roubíčeks, der zunehmend sein eigenes Schicksal bewusst in die Hand nimmt, wird am Ende des Romans deutlich. Als Roubíček die Vorladung für seine Deportation erhält, beginnt er noch einmal zu schwanken und zu überlegen: [E]s wäre eben doch bequemer gewesen, mit den übrigen anzutreten, es wäre eben doch einfacher gewesen, sich zu ergeben, zu verschwinden, unterzutauchen unter den Hunderten von Namenlosen, die dem Tod entgegenschritten. […] Allzu schwer war die Freiheit, die ich fortan würde tragen müssen, allzu schwer war die Last, ein anderer Josef Roubíček zu sein, ein Rebell, auf dessen Kopf man einen Preis aussetzen würde, ein Gehetzter, der sich verstecken und durch die Nächte irren muß. Vielleicht wäre es eben doch besser, eine Nummer zu sein, ein Blatt, das der Wind davonträgt, bis es auf die Erde herniederflattert und in den Schlamm getreten wird. […] Es wäre bequem gewesen, die Entscheidung anderen zu überlassen, aber hier waren keine anderen, ich war allein zwischen den kahlen, kalten Wänden.206

Und so endet der Roman auch mit diesem Entschluss Roubíčeks, der Einberufung zum Transport nicht Folge zu leisten. Bleiben wir vorerst bei Literatur und Film als Gradmesser gesellschaftlicher Wahrnehmungen und Einstellungen, so sollen zwei Tendenzen unterstrichen werden: Nach einer ungefähr zehnjährigen Periode, in welcher – ähnlich wie in anderen Ländern –207 kaum belletristische oder autobiographische Werke über den Zweiten Weltkrieg erschienen waren, setzte Ende der 1950er Jahre eine breitere Beschäftigung mit dem Schicksal der Juden im Zweiten Weltkrieg ein. Diese konkretisierte sich in den 1960er Jahren, als mit Romanen und Filmen, die den Holocaust zu ihrem Thema machten, große Publikumserfolge verzeichnet werden konnten. Das international bekannteste Beispiel ist vielleicht »Obchod na korze« (Der Laden auf dem Korso), der mit einem Oscar für den besten fremdsprachigen Film preisgekrönt wurde. Die kulturelle Produktion der späten 1950er und der 1960er Jahre zeichnete sich durch eine neue Wahrnehmung des Heldentums aus. Im Kontext der Entstalinisierung und der langsam einsetzenden Epoche des »Tauwetters« wurden einseitig interpretierte Ereignisse wie der tschechische Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Frage gestellt. Zentral in dieser neuen Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und der Geschichte des Protektorats war die Entfernung von den stringen205 Weil, Jiří: Autor »Života s hvězdou« vysvětluje. In: Věstník 11/15–16 (1949), 177. 206 Ders.: Leben mit dem Stern, 333. 207 Siehe für internationale Vergleiche unter anderen Wieviorka: L’ère du témoin. – Novick: Nach dem Holocaust. – Levy: Erinnerung im globalen Zeitalter.

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ten ideologischen Erklärungen der Vergangenheit und die Hinwendung zu den Lebensgeschichten einfacher Menschen, zu den individuellen und subjektiven Erlebnissen und Erfahrungen. Diese Darstellungen konterkarierten mehr oder weniger explizit die kommunistische Meistererzählung vom Widerstand des tschechoslowakischen Volkes gegen die deutschen Okkupanten. Wenige gingen dabei so weit wie Josef Škvorecký, der mit seinem bereits Ende der 1940er Jahre geschriebenen, aber erst 1958 publizierten Roman »Zbabělci« (Feiglinge)  einen Schock auslöste. Škvorecký beschrieb das Kriegsende und die Befreiung der Tschechoslowakei durch die Rote Armee in einer völlig unheroischen Weise. Im Mittelpunkt seines Werks stehen private Sorgen und Wünsche sowie die Taktik der »Ortsfeiglinge«, sich als Helden der Revolution zu inszenieren. Bewusst wählte der Autor für Dialoge die Umgangssprache, um der Idee der Alltäglichkeit des einfachen Menschen Rechnung zu tragen. Der Held des Romans, Danny, äußert sich misstrauisch gegenüber großen Idealen wie dem Kommunismus, er macht sich lustig über Patriotismus und humanistische Werte. Vor allem aber wendet er sich auch im Laufe des Romans nicht zum Besseren.208 Der Roman griff somit zweierlei gleichzeitig an: einerseits an sich die Idee des umfassenden Widerstands der Tschechen während der Protektoratszeit, andererseits die staatliche Instrumentalisierung des Widerstands, das kommunistische heldenhafte Narrativ über Widerstand, Befreiung und Revolution. Škvorecký sprach aus, was in den 1960er Jahren allmählich sagbar wurde: Nach der kommunistischen Machtübernahme sei es zu einer »›revolutionären Vergewaltigung‹ der Geschichte« gekommen, wie der Historiker Karel Bartošek ein Jahrzehnt später festhielt.209 Dies Ende der 1950er Jahre so drastisch auszudrücken wie Škvorecký, war nicht ohne Risiko: Sein Roman zog eine Kampagne gegen »Liberalismus« und »Revisionismus« nach sich, welche negative Folgen für den Autor, seine Lobredner und den Verlag hatte.210 Für Walter Schamschula war der Roman aus diesem Grunde auch ein »vorzeitiger spektakulärer Versuch, sich dem Zwang der Konformität zu entziehen«.211 Škvoreckýs Roman ist allerdings nicht nur bedeutend ob seiner klaren Absage an sichere Wahrheiten, die übliche Idealisierung der National­geschichte und die Schwarz-Weiß-Malerei der späten 1940er und frühen 1950er Jahre. Er ist relevant auch wegen der Hinwendung zum Individuum und seinen konkreten, alltäglichen Erfahrungen. Die »Feiglinge« standen am Beginn eines Trends, der sich für den Alltag und die individuellen Erfahrungen 208 Zu Inhalt und Einordnung des Romans siehe unter anderem Holý: Tschechische Literatur, 37 f. 209 Bartošek: Czechoslovakia, 144. 210 Holý: Tschechische Literatur, 38. – Špirit, Michael: Josef Škvorecký. In: Janoušek: Slovník, 486–491. 211 Schamschula: Geschichte, 471.

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histo­rischer Subjekte interessierte.212 Die tschechische Literatur, so der Lite­ raturwissenschaftler Jiří Holý, schlug »den Weg vom Konstruierten zum Leben­digen ein.«213 Wie in zahlreichen anderen Ländern der Welt waren die anbrechenden 1960er Jahre gekennzeichnet von diesem neuen Blick auf die Geschichte, der sich nicht auf die Literatur beschränkte: Schulklassen organisierten Treffen mit Zeitzeugen des Zweiten Weltkriegs, Gedenkstätten und historische Institute nahmen die systematische Sammlung von Interviews mit Opfern des NS -Regimes und mit Widerstandskämpfern auf,214 eine Reihe von Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg wurde publiziert.215 Dadurch, dass zunehmend die Vielfalt der unterschiedlichen Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg anerkannt wurde, konnten nun auch bislang marginalisierte Aspekte des Krieges öffentlich gemacht werden: So konnten etwa die Teilnehmer des westlichen Auslandswiderstands oder Spanienkämpfer neuerlich zu Wort kommen. Seit der kommunistischen Machtübernahme waren ihre Erfahrungen durchweg marginalisiert worden, zudem waren viele von ihnen in den 1950er Jahren Opfer des kommunistischen Repressionssystems geworden. Eine Generation junger Historiker interessierte sich in den 1960er Jahren für ihr Schicksal, entdeckte den nichtkommunistischen Widerstand, fragte – zunächst zögernd – nach der Kollaboration der Tschechen mit den Nationalsozialisten, arbeitete an der Rückkehr des Individuums in die Geschichte.216 Anthropologische, soziologische und psychologische Ansätze in der Geschichte wurden salonfähig. Der neu gegründete »Tschechoslowakische Ausschuss für die Geschichte des antifaschistischen Kampfes« arbeitete an einer ambitionierten – und aufgrund der politischen Entwicklung nach 1968 nie abgeschlossenen – Trilogie zur Geschichte der Tschechoslowakei während des Zweiten Weltkrieges, in die diese neuen Perspektiven einfließen sollten.217 Karel Bartošek, ein Mitglied dieses Ausschusses, resümierte 1967 die aktuellen Tendenzen der tschechoslowakischen Historiographie: »[T]he historians are trying to present history as truly the history of man and not the history of general categories.«218 212 Holý: Tschechische Literatur, 34 und 38. – Graus: Naše živá, 22 f. – Doležal, Jiří: Nová oblast výzkumu okupace a antifašismu – každodennost. In: Odboj a revoluce. Zprávy 4/4 (1966), 123–127. 213 Holý: Tschechische Literatur, 39. 214 Siehe beispielsweise Vortrag von Josef Hušek, Zasedání ÚV SPB , 26.11.1966, 29, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. 215 Bartošek: Czechoslovakia, 146. – Haman: O tak zvané »druhé vlně«. 216 Janeček, Oldřich: Pravda dějin. Co nového v dějinách okupace? In: Hlas revoluce Nr. 6 vom 26.3.1964, 5. – Zusammenfassend Bartošek: Czechoslovakia. 217 Siehe die Zwischenergebnisse der Arbeit dieses Ausschusses: das Periodikum »Odboj a revoluce. Zprávy«, sowie Bareš: Odboj a revoluce. – Zur Geschichte des Ausschusses siehe etwa Brandes: Widerstand und Revolution. 218 Bartošek: Czechoslovakia, 154.

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Die Infragestellung des allgemeinen Widerstands der Tschechen war nichts prinzipiell Neues. So kursierten bereits nach 1945 Witze, wie jener, demnach es in der Slowakei zwar nur drei Millionen Einwohner, allerdings 3,5 Millionen Partisanen gäbe,219 oder die ironische Darstellung eines Tschechen, der zum Widerstandskämpfer wurde, indem er jüdisches Eigentum an sich riss, um es nicht den Deutschen zu überlassen.220 Das wesentlich Neue an der historischen Wahrnehmung der 1960er Jahre lag darin, dass unterschiedliche Arten des Widerstands, und damit auch verschiedene Ziele und Ideale der Beteiligten akzeptiert wurden. So verlangte der Historiker Čestmír Amort Anfang 1964: Über die Rolle der kommunistischen Partei im Widerstand zu schreiben, bedeute nicht »die Kommunisten mit Superlativen zu beschreiben und die Angehörigen des so genannten bürgerlichen Widerstands negativ.«221 Der Schriftsteller Milan Kundera reflektierte diese langsame Öffnung für unterschiedliche Narrative, für unterschiedliche Helden in seinem 1967 publizierten Roman »Žert« (Der Scherz). In einer Diskussion über Julius Fučík hielt der Romanheld Ludvik fest, dass hunderte Menschen »damals genauso tapfer wie er [waren], und man hat sie vergessen.« Er unterstrich: »Der Propagandaapparat will Ordnung haben in der Galerie der toten Helden. Er will unter all den Helden einen Haupthelden haben.«222 Zwar führte diese Infragestellung stringenter und einfacher Helden­ konstruktionen noch nicht dazu, allein passive, für keinerlei Ideale ein­ stehende Opfer öffentlich zu ehren. Dennoch bedeutete diese Tendenz aber das Ende der unbedingten Verbindung von Widerstand und klar definierten politischen Zielen, wie die nationale Befreiung, der Klassenkampf oder der Aufbau des Sozialismus. An die Stelle des Kampfes für eine sozialistische Tschechoslowakei trat nun vielmehr der Kampf um die Aufrechterhaltung allgemeiner humanistischer und moralischer Werte. Diese Ausweitung des Verständnisses des Widerstands betraf ganz unmittelbar auch die Holocaust-Erinnerung, in der dem »inneren Widerstand« und dem individuellen Streben, »Mensch zu bleiben« zunehmend gesellschaftliche Wertschätzung zukam.

219 Koželuhová, Helena: Musí to být? In: Lidová demokracie vom 7.8.1945, 1 f. 220 Gregor, Achille: O arizování majetku. In: Nedělní noviny vom 9.9.1945, zit. nach Věstník 7/3 (1945), 23. 221 Diskussionsbeitrag von Čestmír Amort, Zasedání ÚV SPB , 11.1.1964, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. 222 Kundera: Der Scherz, 181. – Zur beginnenden Infragestellung des Fučík-Kultes in den 1960er Jahren siehe auch Zwicker: Der antifaschistische Märtyrer, 252.

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Der innere Widerstand und das »Menschbleiben«

Seit den ausgehenden 1950er und vor allem in den 1960er Jahren war immer stärker die Figur der vom Nationalsozialismus verfolgten Juden als eine positive, universelle Werte der Menschlichkeit vertretende Figur anzutreffen: in Belletristik und Film, in Ansprachen, Gedenkfeiern und Denkmälern oder in Zeitungsartikeln. Erzählungen des alltäglichen Lebens und der traumatischen Erfahrungen der Juden im Zweiten Weltkrieg traten in den Vordergrund. In vielen Romanen und Filmen – nun nicht mehr ausschließlich jüdischer Autoren  – wurde die Situation des »Menschbleibens« beschrieben; das heißt nicht nur des physischen Weiter- und Überlebens, sondern des moralischen Siegs des Einzelnen über die Unmenschlichkeit der Nationalsozialisten.223 Erinnert wurde nicht unbedingt an überzeugte Widerstandskämpfer oder Soldaten, sondern an Personen, die trotz des ihnen auferlegten Loses ihr Schicksal bewusst in die Hand nehmen. Die jüdische Romanfigur Marta des slowakischen Schriftstellers Ladislav Mňačko sprach dies deutlich aus, als sie dem Partisanen Voloďa von ihrer Entscheidung berichtete, sich dem Widerstand anzuschließen: »Ich hätte den gleichen Weg wie alle Juden gehen sollen, den Weg nach ­Auschwitz«.224 Zwar drehte sich Mňačkos 1959 veröffentlichtes Werk »Smrť sa volá Engelchen« (Der Tod heißt Engelchen) durchaus noch um klar definierte Helden und Partisanen, nichtsdestotrotz wird hier, in einem Roman eines nichtjüdischen Autors, die Betonung des individuellen Lebensweges und der subjektiven Erfahrung deutlich. Die positive Figur der ermordeten Juden war eng verbunden mit dem Begriff des »Märtyrers«. Dieser wurde nicht mehr notwendigerweise als Held, allerdings genauso wenig als bloßes passives Opfer dargestellt. Diese Be­ zeichnung wurde von Juden seit Kriegsende häufig verwendet, als Synonym für die Toten,225 auch um die Gesamtheit der jüdischen Opfer zu beschreiben: die »sechs Millionen jüdischen Märtyrer«.226 Im Bild des Märtyrers ist die Idee des aktiven Opfers (sacrifice)  wiederzufinden, die jedoch nicht der Vorstellung eines bewaffneten Widerstandskämpfers oder eines politisch überzeugten Regimegegners entsprechen muss. Den jüdischen Märty223 Vgl. dazu auch die immer noch aktuelle Debatte um die Frage der »Entmenschlichung« in nationalsozialistischen Ghettos und Konzentrationslagern, vor allem um die Frage, wer »entmenschlicht« wurde, Opfer oder Täter. Yehuda Bauer warnte etwa davor, dass die Beschreibung der Häftlinge als »entmenschlicht« die Nationalsozialisten als »menschlich« erscheinen lasse. Bauer: Die dunkle Seite, 76 f. 224 Mňačko: Smrt, 41. 225 Siehe etwa Otto Fleischner an Gustav Sicher, 13.12.1945, CAHJP, P 209/13. 226 Discours du Grand-Rabbin de la Tchécoslovaquie le rabbin Zicher [Gustav Sicher], o. J. [1956], Mémorial de la Shoah, Paris, MDXXXVI-23, Kt. 260 (Mémorial. Inauguration. Discours 1956). – Vzpomínka na mrtvé. In: Věstník 28/4 (1966), ABT, Kt. 371 (Zeitungsausschnitte).

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rern wurden vielmehr humanistische Werte, Moral, Stolz und Integrität zugeschrieben. Sie seien »bewusst in den Tod gegangen«227 und hätten ein – oft sehr vage formuliertes – »Vermächtnis« hinterlassen, das es einzuhalten gelte. Ota Poláček, Funktionär des Rats der jüdischen Gemeinden, erinnerte an die Evakuierung des KZ ­Auschwitz und an jene, die so kurz vor Kriegsende »ihr Leben hingeben mussten, damit wir leben können.«228 Ihr »heldenhaftes Vermächtnis«, nicht zu vergessen und wachsam zu sein, sei man verpflichtet zu erfüllen.229 Von einigen jüdischen Überlebenden oder aus dem Exil Zurückkeh­renden wurde direkt nach Kriegsende die »moralische Überlegenheit« der jüdischen Opfer hervorgehoben, die auf der »Taktik der Schwachen und Wehrlosen« beruht habe.230 Als Mirko Tůma eine der ersten Schilderungen des Ghettos Theresienstadt publizierte, wurde diese in der Tageszeitung »Lidová demokracie« als »Zeugnis vom menschlichen Geist und seiner Unsterblichkeit« gewürdigt.231 Rudolf Iltis versuchte, die Trennung zwischen aktiven Helden und passiven Opfern abzuschwächen, indem er von jenen sprach, die für die Freiheit gekämpft hätten, und jenen, die für die Freiheit gelitten hätten.232 Der Märtyrer starb folglich nicht zwecklos, sondern für eine Sache, die die Überlebenden verpflichte: Die tschechoslowakischen Juden, verkündete ein an Präsident Edvard Beneš gerichtetes Telegramm von der ersten Tagung der jüdischen Gemeinden im Jahr 1945, »bleiben dem Vermächtnis jener treu, die ihr Leben für eine bessere Zukunft gelassen haben, ob als Soldaten auf dem Schlachtfeld oder als Märtyrer in den Konzentrationslagern.«233 Lev Tanzer, Mitarbeiter der jüdischen Gemeinde in Pilsen (Plzeň), ging so weit zu sagen, dass diese jüdischen Toten und ihre Qualen »notwendig« gewesen seien, damit die Welt »dieses maßlose Übel« erkennen und bekämpfen habe können.234 Er kam daher zum Schluss, »dass all diese Opfer nicht vergeblich waren«, wes­wegen man sich »immer stolz zu unseren Toten bekennen« würde, »denn diese erkämpften mit ihrem heldenhaften Märtyrertod uns und unseren Kindern den Frieden«.235 227 Nezapomeň. In: Věstník 7/3 (1945), 18. 228 Poláček, Ota: My nezapomeneme. In: Věstník 12/3 (1950), 31. 229 Ebd. 230 [Kurt Wehle:] The Jewish Community at Prague during the occupation and after the libera­tion of the Czechoslovak Republic, YIVO, RG 116, Box 55, folder 2.36. 231 F.Ch.: Z terezínského ghetta. In: Lidová demokracie vom 26.6.1946, 4. 232 Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Čs. válečný kříž 1939 neznámému židovskému vojáku-trpiteli. In: Věstník 9/19 (1947), 287. – Dr Iltis [Iltis, Rudolf]: Vavřín a trnitá koruna. In: Věstník 9/15 (1947), 217 f. 233 Sjezdové telegramy. In: Věstník 7/2 (1945), 13. 234 Pohřeb 18 uren. In: Věstník 11/39 (1949), 445. 235 Ebd. – Ähnlich Kulka, Erich: Pohádka o šesti milionech… In: Věstník 20/5 (1958), 4–6.

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Hinter dem im Großen und Ganzen aufgezwungenen Schicksal der Juden wurde damit doch eine individuelle Agenda, die Möglichkeit individuellen Handelns und Agierens gesehen. Dies verweist auf ein inhärentes Charakteristikum des Märtyrers, hinter dessen Tod ein Akt des Protestes gesehen wird. »Auch wenn der Martyrer gegen despotische Gewalt wenig auszurichten vermag,« so analysiert der Theologe Hans Maier die Märtyrerfigur im 20. Jahrhundert, »so versucht er doch etwas auszudrücken, das zu gegebener Zeit gehört und verstanden werden kann. Seine Tat ist ein Zeichen und keineswegs nur eine ohnmächtige Verwahrung.«236 Auch Sigrid Weigel sieht hinter dem Märtyrer den »Widerpart des Souveräns«, der die eigene Ohnmacht und das Erleiden »in einen  – dem Selbstverständnis nach selbstbestimmten  – Tod [verwandelt], dem dabei ein höherer Sinn verliehen wird.«237 So meinte Karel Stein, der Theresienstadt und A ­ uschwitz überlebt hatte und nach 1945 der Prager jüdischen Gemeinde vorstand, dass zwar die Juden den Judenstern, der sie »lächerlich machen, diskriminieren und demütigen« sollte, tragen mussten, dass sie ihn jedoch stolz getragen hätten.238 Obwohl hier eine prinzipielle Passivität anerkannt wurde, führte dies nicht zu einer Auffassung, die das Individuum und die subjektive Erfahrung dahinter völlig verschwinden ließ. Dies ist ein Trend in der Wahrnehmung des Holocaust, der von vielen Beobachtern vor allem in den 1960er Jahren verortet wird – als die vermeintlich passiven Opfer zunehmend hervorgehoben wurden und, wie Jean-Michel Chaumont es nannte, aus der Schmach ein Stolz wurde.239 In Wirklichkeit jedoch handelt es sich dabei um eine Repräsentation, die, wiewohl weniger sichtbar, bereits unmittelbar nach Kriegsende existierte – wie die Aussage Karel Steins vom Herbst 1945 zeigt. Zunächst blieb diese Sicht der Dinge auf einen engen Kreis jüdischer Überlebender beschränkt. Mehrmals betonten nichtjüdische Autoren, wie Pavel Kypr in seinem 1950 erschienenen Buch über die Kleine Festung in Theresienstadt, dass sich Widerstandskämpfer wesentlich von »bloßen« Märtyrern unterscheiden würden. Kypr rief daher dazu auf, man solle in den Kommunisten keineswegs Märtyrer, sondern Soldaten sehen, »große, schöne und tapfere Kämpfer«. Nicht ihr Leiden soll der Nachwelt imponieren, sondern ihre Kraft, mit der sie ihre Leiden ertragen hätten.240 In den 1960er Jahren indes waren immer öfter Repräsentationen der jüdischen Märtyrer in der tschechischen Gesellschaft anzutreffen. Die positive 236 Maier: Politische Martyrer, 23. 237 Weigel: Schauplätze, 14. 238 Karel Stein in S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12. – Zur Person Karel Steins kurz etwa: Dr K. Stein. In: Věstník 7/3 (1945), 23. – Wehle, Kurt: Karel Stein. In: Aufbau 27/15 (1961), 10. 239 Chaumont: Die Konkurrenz der Opfer. 240 Kypr: Malá pevnost Terezín, 43.

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Wahrnehmung der Märtyrer, die Wertschätzung ihres Leides und ihres Todes, fand ihr Echo zunehmend in breiteren Gesellschaftskreisen, über die jüdische Gemeinde hinaus. Eine zentrale Rolle spielte in dieser Entwicklung fraglos das Aufkommen der – oder vielmehr die Rückkehr zur – Figur des »Zeugen« Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre. Im Gegensatz allerdings zu den Blutzeugen handelte es sich hier um Wortzeugen, um lebende Augenzeugen des Holocaust, denen das Äußerste, der Tod erspart blieb.241 Der Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem und wenig später die Frankfurter ­Auschwitz-Prozesse waren von internationaler Bedeutung für die gesellschaftliche Aufwertung der Zeugen, da sich diese Prozesse, in völligem Gegensatz zu den Nürnberger Prozessen aus dem Jahre 1946, auf Zeugenaussagen Überlebender stützten.242 Deren Ausführungen war bereits unmittelbar nach Kriegsende eine gewisse Aufmerksamkeit zugekommen. Die ersten Publikationen über die nationalsozialistischen Konzentrationslager verstanden sich durchweg als Zeugenaussage, als Bezeugung des Schreckens der Lager. Indem die Überlebenden ihre Erinnerungen festhielten, wollten sie das Zeugnis von den Verbrechen erhalten.243 Dieses Anliegen lag ebenso den Ini­ tiativen zugrunde, die Interviews mit NS -Opfern anfertigten und Zeugenaussagen für Prozesse mit Kriegsverbrechern und Kollaborateuren sammelten. In besonderer Weise betraf dies die kurzlebige Dokumentationsaktion wie auch die Arbeit der Evidenzabteilung der jüdischen Gemeinde. Letztere legte eine »Kartothek der Zeugen« (kartotéka svědků) an, um die Berichte der Überlebenden systematisch zu erfassen.244 Wie bereits im Rahmen der Tätigkeit der Gedenkstätte Theresienstadt ersichtlich wurde, brachten jedoch vor allem die 1960er Jahre eine neue Aufmerksamkeit gegenüber den Erinnerungen der ehemaligen Häftlinge und »Zeitzeugen« mit sich.245 Insbesondere erhielten nun erst die Zeugenaus­ sagen jene Sichtbarkeit und Öffentlichkeit – ursprüngliche Bedingungen des 241 Erinnert sei hier an die Parallele zur ursprünglichen Bedeutung des Märtyrers als »Zeuge vor Gericht«, bevor er als äußerster, als Blutzeuge betrachtet wird. Maier: Politische Martyrer, 16. 242 Zur »Entstehung« des Zeugen und zur Bedeutung, welcher in dieser Entwicklung dem Eichmann-Prozess zukam, siehe das Kapitel L’avènement du témoin in: Wieviorka: L’ère du témoin, 81–126.  – Knapp auch Wieviorka: Die Entstehung.  – Zu der unterschiedlichen Rolle der Zeugen im Eichmann-Prozess und in den Frankfurter -­ Auschwitz-Prozessen siehe Keilbach: Zeugen, 158 f. 243 Deutlich sprechen dies beispielsweise Ota Kraus und Erich Kulka an: Kraus: Die Todesfabrik, 13 und 234. 244 Z činnosti Evidenčního oddělení Rady. In: Věstník 8/10 (1946), 87 f. 245 Miroslav Grisa: Ideový plán rozvoje PT na léta 1965–1970, 29.7.1965, SOA Litoměřice, PT, Kt. 8. – Jiří Křivský / Marie Křížková: Sběr vzpomínek bývalých vězňů a pamětníků let 1939–1945 v Památníku Terezín, 15.10.1967, ebd., Kt. 10. – Zápis o poradě historického oddělení konané dne 8. března 1968, o. J. [März 1968], ebd., Kt. 11.

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Martyriums –,246 und zwar in einem solchen Maße, dass später einige Beobachter kritisch die ins Detail durchdachte »Szenographie« des EichmannProzesses beleuchteten.247 Während das Památník Terezín im Jahre 1965 seine historische Abteilung gründete, hatte der Verband der antifaschistischen Kämpfer bereits zwei Jahre zuvor seine historisch-dokumentarischen Kommissionen eingerichtet.248 Für beide war die Arbeit mit Überlebenden eine der Prioritäten. Nicht nur der Begriff des »Zeitzeugen« (pamětník) nahm hier seinen Anfang, es wurden auch Gespräche mit diesen Zeitzeugen initiiert und ihre Bedeutung für die Jugendarbeit unterstrichen.249 Die Zeugenaussagen erhielten neuerlich auch tagespolitische Relevanz,250 da Anfang der 1960er Jahre einige Prozesse gegen NS -Kriegsverbrecher aufgenommen wurden, darunter der Eichmann-Prozess in Jerusalem und die Frankfurter -­ Auschwitz-Prozesse.251 Im Laufe der 1960er Jahre wurden schließlich auch wissenschaftliche Reflexionen angestellt über den Stellenwert individueller Erinnerungen und die Arbeit mit Zeitzeugen.252 Deutlich war folglich die Tendenz, den Zeugenaussagen Relevanz zukommen zu lassen, sie nicht mehr bloß als individuelle Erinnerung abzutun und ausschließlich in ihrer Funktion zur Beglaubigung historischer »Fakten« ernstzunehmen.253 Die langsame Hinwendung zu den unterschiedlichen individuellen, und oft »unheroischen«, Erfahrungen kann auch am Beispiel des Wettbewerbs des Verbands der antifaschistischen Kämpfer (»Soutěž SPB«) deutlich nachvollzogen werden.254 Dieser Wettbewerb hatte zum Ziel, Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg zu sammeln, war jedoch in den ersten Jahren seiner Existenz, Anfang der 1950er Jahre, vor allem auf literarische und künstlerische 246 Maier: Politische Martyrer, 23 f. 247 Siehe etwa Wieviorka: Die Entstehung, 141. 248 Görtler, Miroslav: K práci historicko-dokumentačních komisí. In: Hlas revoluce 28/9 (1974), [1] und 4. – Zu den Anfängen der Sammlung von Erinnerungen im Rahmen des Verbands der antifaschistischen Kämpfer und in Zusammenarbeit mit dem Institut für Geschichte der KSČ siehe etwa František Burian: K prohloubení práce na vzpomínkách. In: Funkcionář SPB , Nr. 1 (1961), 37 f., NA , f. ÚV SPB , Kt. 54. 249 Zur zunehmenden Bedeutung der Zeitzeugen siehe unter anderem Jan Vodička in ­Zápis ze schůze ÚV SPB , 22.6.1957, 5/1–5/3, ebd., Kt. 53. – Schůze ÚV SPB , 25.11.1961: Diskussions-Beitrag von [Josef] Jíra, ebd., Kt. 54. – Zprávy předsednictva ÚV SPB č. 3/1965, 22.2.1965, 6 f., ebd., Kt. 55. – [Josef Hušek:] Návrh hlavního referátu na zasedání ÚV SPB dne 26.11.1966, ebd. – Zpráva komise pro práci s mládeží, o. J. [1967], ebd., Kt. 56. 250 Siehe etwa Zprávy předsednictva ÚV SPB č. 3/1965, 22.2.1965, 7, ebd., Kt. 55. 251 Kulka, Erich: Svědčil jsem! In: Věstník 26/6 (1964), 7 f. 252 Bachnár, Vladimír: Spomienky – zdroj a doplnok poznania pre našu historiografiu. In: Odboj a revoluce. Zprávy 4/3 (1966), 98–102. – Sládek, Oldřich: Memoáry jako pramen. In: ebd., 85–92. – Myška: Práce. 253 Zu diesem Perspektivwechsel, hier anhand von Gerichtsprozessen und Geschichtsdokumentationen, siehe etwa Keilbach: Zeugen. 254 Zum Folgenden siehe Moulis: Předmluva.

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Arbeiten mit antifaschistischer Thematik beschränkt gewesen. 1955 führte der Verband die Kategorie der »Erinnerungen der aktiven Teilnehmer des Widerstandes« ein – und sechs Jahre später wurde das Adjektiv der »aktiven« Teilnehmer des Kampfes gelöscht. Der Wettbewerb öffnete sich somit langsam für unterschiedlichste Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und historische Arbeiten über Krieg und Widerstand. Auch wenn der Schwerpunkt weiter auf dem aktiven Widerstandskampf lag, wurden in den 1960er Jahren einige Erinnerungen an die Verfolgung der Juden und literarische oder historische Arbeiten zur Geschichte des Holocaust eingereicht. Einige davon wurden in der Folge auch publiziert.255 Im Laufe der Jahre wurde so ein beachtlicher Bestand an Erinnerungen aufgebaut, der im Jahre 2000 über 3.600 Titel umfasste.256 Der Respekt, der diesen Zeugen, diesen Märtyrern gezollt wurde, ähnelt der gesellschaftlichen Anerkennung, die  – wie man ihn heute nennt  – der »Survivor« genießt, der, so Annette Wieviorka, »über den Tod triumphiert hat«.257 Durch diese Umdeutung erhalten die jüdischen Opfer retrospektiv etwas Zukunftsgewandtes und Positives. Und vor allem: Dadurch, dass ihre Darstellung stärker den historischen Erfahrungen und Selbstwahrnehmungen der meisten überlebenden Juden entsprach, konnten die jüdischen Opfer, die »Märtyrer« – im Gegensatz zu den viel ferneren und abstrakteren nationalen »Helden«  – als Identifikationsfiguren dienen. Sie konnten demnach sowohl für Juden und die jüdische Gemeinde als auch für die Mehrheitsgesellschaft in der Nachkriegstschechoslowakei als konkrete Vorbilder für -­ gegenwartsbezogene Probleme und Ideen herangezogen werden. Dieser Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung der Juden als »Märtyrer« bedeutete also eine posthume Sinnstiftung ihres Leidens. In einer Trauerrede Ende der 1950er Jahre sprach der Vertreter der jüdischen Gemeinde in der Slowakei von den jüdischen Opfern des Zweiten Weltkrieges als von den »Märtyrern ihres Glaubens und ihrer Nation«, die ihre »unschuldigen Leben« gelassen hätten für »all das, worüber wir heute sprechen, für ein besseres Leben«. Diese Märtyrer würden in den Herzen und Gedanken der Überlebenden ewig weiterleben und somit zur Zukunft der Juden werden. In der gegenwärtigen Gesellschaft gegen Hass und Feindschaft zu kämpfen, sei das Vermächtnis der jüdischen Opfer. Und dies einzuhalten sei man »dem ewigen heiligen Gedenken an unsere Märtyrer schuldig und verpflichtet«.258 255 Unter anderen: Norbert Frýd: Lahvová pošta. Vzpomínky z  let 1932–1945.  – Erich Kulka: Pět útěků z Osvětimi a jejich ohlas. – Milan Kuna: Hudba na hranici života. – Josef Švehla: Devět bran. – Alfred Wetzler (Jozef Lánik): Pruhované karavány. Zit. nach der Zusammenstellung in Moulis: Odkaz pro budoucnost. 256 Moulis: Předmluva, 3. 257 Wieviorka: L’ère du témoin, 179. 258 Ansprache von František Komjáty / Franz Komjati, 1959/1961, CAHJP, P 223/9.

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Diese Wahrnehmung der jüdischen Märtyrer bereitete die Trendwende hin zum »passive turn« in den 1960er Jahren vor. Durch diese Aufwertung der jüdischen Opfer und ihre stärkere Präsenz in der Öffentlichkeit wurden sie allmählich auch von der tschechoslowa­ kischen Gesellschaft verstärkt als positive Figuren, als moralische Vorbilder wahrgenommen, die universelle humanistische Werte repräsentierten. Im Kampf, den sie geführt hätten, sei es weniger um eine Auseinandersetzung mit den Deutschen oder den Nationalsozialisten gegangen, sondern vielmehr um einen Kampf um das eigene Überleben, um ein Ringen zur Aufrechterhaltung des Mensch-Seins, zur Wahrung humanistischer Ideale in einer Extremsituation. Wichtige Vorbedingung für diese Wahrnehmung war die Berücksichtigung der Einzelschicksale, die sich, wenn auch nicht explizit, gegen die abstrahierende und universalisierende Auffassung des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust stellte. Ein beeindruckendes frühes Zeugnis dieser Sichtweise stellt das Mahnmal in der Prager Pinkas-Synagoge dar. Auf die Innenwände der Synagoge im Zentrum der Stadt wurden die Namen aller böhmischen und mährischen Juden aufgetragen, die im Holocaust ermordet worden waren. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre wurden die Vorbereitungen für die Errichtung dieser Gedenkstätte aufgenommen, 1959 konnte sie der Öffentlichkeit übergeben werden.259 Die Ästhetik, insbesondere die Schlichtheit des Mahnmals ist für die Entstehungszeit außergewöhnlich. Mit Blick auf spätere Holocaust-Gedenkstätten, in denen die Idee, den Opfern ihre Namen »zurückzugeben«, einen wichtigen Platz einnimmt,260 kann sie sogar als richtungweisend bezeichnet werden. Dieser namentlichen Nennung aller Opfer liegt die Idee zugrunde, dass sich hinter jedem jüdischen Opfer ein individueller Mensch, eine subjektive Lebensgeschichte verbarg. Anders als viele Denkmäler und Gedenksteine zuvor, die auf kollektive Weise an die »gefallenen« jüdischen »Helden« erinnerten, wurde in der Pinkas-Synagoge zurückhaltend und ohne kämpferische Aussage an die jüdischen Opfer einzeln gedacht. Der Raum, zudem ein religiöser Ort der Stille, rief zur inneren Einkehr und dem stillen Gedenken auf. Er war, in den Worten der ersten Direktorin des Jüdischen Museums in Prag

259 Zum Mahnmal siehe: Heitlinger: In the Shadows, 51–53.  – Věřejnost poprvé spatřila znovuzřízenou Pinkasovu synagogu. In: Věstník 20/6 (1958), 9 f. 260 So etwa in der »Hall of Names« der israelischen Gedenkstätten Yad Vashem oder im »Raum der Namen« des Denkmals für die ermordeten Juden in Berlin. Stilistisch am ähnlichsten ist die als Teil des Pariser Mémorial de la Shoah 2005 eingeweihte »Mauer der Namen« (»Le Mur des Noms«), auf welcher die Namen der 76.000 aus Frankreich deportierten Juden aufgelistet sind. Allgemein zur Ästhetik von Holocaust-Denkmälern siehe etwa Young: Mahnmale.

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nach dem Zweiten Weltkrieg, Hana Volavková, »the most suitable place for honouring the memory of all those innocent victims who were destroyed.«261 Ende der 1950er Jahre setzten sich die Diskussionen fort, die zehn Jahre zuvor die Veröffentlichung von Jiří Weils »Leben mit dem Stern« begleitet hatten – allerdings unter veränderten Rahmenbedingungen: Die Ein­schätzung von Jan Grossmann in seinem »existenzialistischen« Nachwort 262, die 1949 auf massive Kritik und Ablehnung gestoßen war, wurde zehn bis 15 Jahre später von vielen geteilt: Grossmann sah in Weils »Leben mit dem Stern« nicht allein einen jüdischen Roman, sondern einen Roman des gewöhnlichen (obyčejný) Lebens, dem schlicht ein menschliches Thema zugrunde liege.263 Nun, Ende der 1950er und in den 1960er Jahren, war es gerade dieses vielleicht untypische und völlig unbedeutende Einzelschicksal sowie die Darstellung eines unschuldigen Opfers und der unverschuldeten, willkürlichen Verfolgung, die zunehmend Beachtung erhielt. Dieser Perspektivwechsel, der die Handlungen und Reaktionen der verfolgten Juden in den Blick nahm, war eine der essentiellen Vorbedingungen für die Wahrnehmung der Shoah aus der Sicht der Opfer, nicht des »Genozids« oder der »Endlösung« aus der Sicht der Täter.264 So wie Jiří Weils Deutung des Holocaust ein Jahrzehnt nach der Veröffentlichung des »Leben mit dem Stern« langsam breiteren Zuspruch erhielt, so wurde auch der Autor in den kulturellen Kreisen wieder salonfähig. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, so erinnerte sich Weils langjährige Freundin Jaroslava Vondráčková, habe man wieder begonnen, über Jiří Weil zu sprechen.265 1958 erschien, in einer äußerst bescheidenen Auflage von 700 Exemplaren, seine Elegie für die knapp 80.000 ermordeten tschechischen Juden, die in Zusammenhang mit der Eröffnung des Mahnmals in der Pinkas-Syna­ goge – und mit einer Abbildung der Wände am Deckblatt – erschien.266 Als 1964 Weils »Leben mit dem Stern« posthum eine Neuauflage erfuhr, wurde darin auch Jan Grossmanns ursprüngliches Nachwort wieder abgedruckt. Im selben Jahr fand Weil neuerlich in einem literarischen Lexikon Aufnahme. Hierin hieß es, dass sein Roman »sich auf kafkaeske Art und Weise mit der nazistischen Maschinerie in all ihrer Absurdität« beschäftige und den Kampf »eines einfachen kleinen jüdischen Beamten gegen die ihm verfremdete

261 Volavková: The State Jewish Museum, 97. 262 Vondráčková: Mrázilo – tálo, 88. 263 Grossmann: Doslov, 212. 264 Vgl. hierzu Wieviorka: »Solution finale« et hurbn. 265 Vondráčková: Mrázilo – tálo, 106. 266 Weil: Žalozpěv.  – Weil konnte auch seinen Roman Harfeník publizieren. Siehe dazu die Besprechung von Grebeníčková, Růžena: O nový typ historické prózy. In: Literární noviny 7/37 (1958), 4.

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Wirklichkeit« schildere.267 Die existenzialistische Dimension des Romans unterstrich auch František Kautman in seinem Nachruf auf den Ende 1959 verstorbenen Jiří Weil. Das Thema des Buches sei, so Kautman, die innere Entwicklung des Romanhelden, der – wiewohl erst mit Hilfe des Kommunisten Materna – »seine wahre Humanität findet und sie schätzen lernt.«268 Diese existenzialistische, humanistische Interpretation des Schicksals der Juden während des Zweiten Weltkriegs bekam zehn Jahre nach dem Erscheinen von Jiří Weils »Leben mit dem Stern« deutlichen Aufwind. Die kritischen Stimmen, die vor einer Verzerrung der objektiven Wahrheit auf Grund des individualistischen und subjektivistischen Blickes gewarnt hatten, waren kaum noch zu hören. Erinnert sei hier nur an Hana Budínovás Einschätzung aus dem Jahr 1949, der zufolge der »Fatalismus der Machtlosigkeit […] die objektive Realität dort verzerre, wo der Autor [Jiří Weil] sich darum bemüht, seinem Helden und dessen Schicksal generelle und allgemein menschliche [všeobecný a všelidský] Gültigkeit zu geben.«269 Ein Jahrzehnt später konnten aber genau deswegen Juden, derart universalisiert im Zeichen des Humanismus, immer öfter als Identifikationsfiguren für die nichtjüdischen Tschechen und Slowaken dienen. In der Erzählung »Romeo, Julie  a tma« (Romeo und Julia und die Finsternis) von Jan Otčenášek aus dem Jahr 1958 etwa steht die Jüdin Ester, die sich bei einem jungen Tschechen versteckt, für reine Unschuld, für Hilflosigkeit.270 Der Held des Buches, der Tscheche Pavel, agiert keineswegs aus politischen Überzeugungen, sondern rein aus dem humanistischen Ideal der Nächstenliebe. Der Kern der Erzählung liegt in der Frage nach der Herausbildung der Persönlichkeit des jungen Pavel angesichts der – aus subjektiver Sicht – absurden Situation von Krieg und Gewalt, die aus einer Jugendliebe ein Verbrechen werden lässt.271 Die überwiegend positiven Reaktionen auf das Buch, die zahlreichen Neuauflagen bis in die 1970er und 1980er Jahre hinein, die Übersetzung ins Slowakische und schließlich die Verfilmung durch den Regisseur Jiří Weiss, zeigen deutlich, wie die jüdischen Holocaust-Opfer nun in ihrer individuellen Leidensgeschichte und in ihrem (nur noch) inneren Widerstand gegen die inhumane Politik der Nationalsozialisten eine positive Wertung fanden.272 267 Slovník českých spisovatelů. Praha 1964, 569, zit. nach Mercks: Zur Rezeption, 564. 268 f-n [Kautman, František]: Zemřel spisovatel Jiří Weil. In: Kultura 3/50 (1959), 2. 269 Budínová, Hana: Weilova nová kniha. In: Kulturní politika 4/16 (1949), 8. 270 Otčenášek: Romeo und Julia. (Tschechisch zuerst als Romeo, Julie a tma. Praha 1958). 271 Haman: O tak zvané »druhé vlně«, 517. 272 Iltis, Rudolf: Jews and Jewish Subjects in Contemporary Czech Literature. In: The Jewish Quarterly (1965), 11–14, hier 14, Privatarchiv Peter Brod. – Zelenka, Otto: Romeo, Julie a tma. In: Kultura 2/42 (1958), 5. – Die Verfilmung des Romans: Romeo, Julie a tma, Regie: Jiří Weiss, Drehbuch: Jiří Weiss und Jan Otčenášek, Tschechoslowakei 1959, 94 Min. – Dem Regisseur Jiří Weiss wurde es allerdings immer noch verunmöglicht, kritisch den Blick auf die Masse der schweigenden Zuschauer zu richten und die Frage nach dem An-

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Denn Ester  – die in Weiss’ Film den »tschechischeren« Namen Hanka bekam – kämpft allein um ihr eigenes Überleben, ist abgetrennt von ihrer Familie, vom Schicksal der anderen Juden, engagiert sich für keine politischen Ziele oder Ideale, die über die individuellen Bedürfnisse und Wünsche hinausgehen würden. Der Tod Esters und somit die Ermordung der Juden hatten hier keinen eindeutigen Sinn, bedeuteten nicht die Befreiung der Tschecho­ slowakei oder den Aufbau des Sozialismus. Otto Zelenka, der die Adaptation von Otčenášeks Erzählung für das Fernsehen besprach, sah hinter der Geschichte von Pavel und Ester die »Frage nach dem Sinn und Inhalt des Lebens, die auch heute genauso Gültigkeit besitzt.«273 Zugleich zeigte dieses Buch, ähnlich wie der im gleichen Jahr erschienene slowakische Roman »Námestie svätej Alžbety« (Die Liebenden vom St.-Elisabeth-Platz) von Rudolf Jašík,274 eine Annäherung von Juden und Tschechen bzw. Slowaken, indem eine persönliche Liebesbeziehung zwischen jungen Menschen im Vordergrund stand, die durch den Nationalsozialismus verunmöglicht wurde. Somit wurde eine Parallele zwischen Juden und Tschechen gezogen, die beide Opfer dieser Zeit gewesen seien und die beide diese humanistische Vision einer gerechten Welt aufrechterhalten hätten. Außerdem legte die Schilderung einer engen zwischenmenschlichen Beziehung, die trotz des inhumanen Systems des Nationalsozialismus bestanden habe, den Akzent auf das Schicksal von Individuen, die sich den objektiven Zuständen, dem Kontext der Zeit anpassen, ohne ihre subjektiven Wünsche und Sehnsüchte aufzugeben. Die Wahl des Themas der Liebesbeziehung tauchte auch in späteren Jahren wieder auf, um das »Menschbleiben« im Zweiten Weltkrieg und im Konzentrationslager zu beschreiben.275 Indem der Blick auf Individuen und ihre (verunmöglichte)  Beziehungen gerichtet wurde, konnte auch die subjektiv erfahrene Absurdität der Zeit betont werden. Diese Absurdität der Verfolgungserfahrung, Ende der 1940er Jahre noch als existenzialistische Betrachtungsweise kritisiert, konnte nun in der Kulturproduktion des »Tauwetters« hervorgehoben werden: Zu diesem Zwecke griff etwa Josef Bor in seinem 1963 publizierten Roman »Opuštěná panenka« (Die verlassene Puppe) auf die auch bei Jiří Weil gewählte Beschreibung des »Zirkus« für die Vorbereitung auf die Transporte zurück.276 Josef Bor sprach von der Verfolgung der Juden und der Vorbereitung auf die Deportation als von einem »großartige[n] Zirkus«, einem »grandiose[n] Zirkus, würdig eines alt-

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teil der Tschechen am Holocaust aufzuwerfen. Die entsprechende Szene musste gestrichen und neu gedreht werden. Siehe dazu Koura: Obraz, 230. Zelenka, Otto: Romeo, Julie a tma. In: Kultura 2/42 (1958), 5. Jašík: Námestie svätej Alžbety. Balajková, Anita: Historie jedné osvětimsé lásky. In: Věstník 26/3 (1964), 3 f. – Klíma: Meine ersten Lieben. Weil: Leben mit dem Stern, 209 und passim. – Dazu auch Feder: Jüdische Tragödie, 36.

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römischen Amphi­theaters.«277 Die paradoxe Situation, in der sich die Juden bei der Organisation der Deportationen ins Ghetto Theresienstadt befanden, insbesondere auch die Rolle, die die jüdischen Gemeindefunktionäre dabei spielten, versuchte Bor in dem Begriff des »Zirkus« zusammenzufassen.278 In Jiří Weils Roman »Leben mit dem Stern« stand bereits die Frage nach dem Sinn, nach der Schwierigkeit oder gar Unmöglichkeit der Sinnstiftung für die Nachkriegsgesellschaft im Zentrum. Anders als bei den nationalen und kommunistischen Helden schien die Frage nach dem Sinn des jüdischen Leidens schwieriger zu beantworten zu sein. Der Ende der 1950er Jahre als Schriftsteller in Erscheinung tretende Holocaust-Überlebende Arnošt L ­ ustig machte diese Frage zum Angelpunkt seiner Romane. In einem seiner ersten Erzählbände, »Démanty noci« (Demanten der Nacht), der 1958 erschien, stellte er die jüdischen Protagonisten als entkräftet, hungrig, verängstigt und hilflos dar. Sie widersetzen sich zwar der Deportation, leisten somit persönlichen Widerstand gegen das ihnen auferlegte Schicksal, ihr Kampf ums Überleben ist jedoch sehr individualistisch: Es handelt sich nicht um einen Kampf für die freie Tschechoslowakei oder für den Sozialismus. Hinter den Opfern suggerierte Lustig keinen klar definierten Sinn.279 Wie der Literaturwissenschaftler Aleš Haman im Jahre 1961 festhielt, zeichneten sich Lustigs ersten beiden Erzählbände »Noc a naděje« (Nacht und Hoffnung) sowie »Demanten der Nacht« durch ein »Minimum an Handlung« aus.280 »Die äußere Handlung«, so Haman weiter, »ist hier beinahe vollkommen ersetzt durch die innere Handlung, durch den dramatischen Kampf im Inneren des Menschen, der zu guter Letzt in eine Tat mündet.«281 Wie in den späteren Werken anderer Autoren der 1960er Jahre ging es Lustig keineswegs um die Darstellung der allgemeinen Atmosphäre während der Protektoratszeit oder um eine Beschreibung des Holocaust, deren Ziel es wäre, der historischen Wahrheit – so es eine solche gibt – nahe zu kommen. Im Gegenteil, Lustig sei es, so Aleš Haman, darum gegangen, unter diese Außenschale zu dringen, um die Kräfte zu entdecken, die den mensch­ lichen Charakter unter den Bedingungen eines nazistischen KZs formten, der zivilisatorischen Errungenschaften beraubt […]. Er möchte festhalten, was auch unter diesen abnormalen Umständen aus einem Menschen einen Menschen machte, was ihn auf dem Niveau der Menschlichkeit erhielt.282 277 Bor: Die verlassene Puppe, 52. 278 Siehe etwa ebd., 53. 279 Lustig: Demanten der Nacht.  – Démanty noci, Regie: Jan Němec, Drehbuch: Arnošt Lustig / Jan Němec, Tschechoslowakei 1964, 64 Min. – Zu Lustigs Frühwerk etwa Mravcová: Démanty noci. 280 Haman: O tak zvané »druhé vlně«, 518. 281 Ebd. 282 Ebd., 518 f.

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Der Literaturwissenschaftler František Kautman präzisierte das Hauptthema, das ihm zufolge den Erzählband »Demanten der Nacht« durchziehe: Die Handlung drehe sich um sich aufrichtende Charaktere, um Leute, »die im Gewühl des Drecks diamantene Körnchen ihrer Humanität finden.«283 Diesen Blickwinkel hat überzeugend auch der Regisseur Jan Němec übernommen, der zwei Erzählungen Lustigs verfilmte.284 Bereits in seinem Kurzfilm »Sousto« (Der Bissen), den Němec noch als Student im Jahre 1960 drehte, bevorzugte er langsame, fast monotone Aufnahmen, die das Zögern der Figuren, ihre Ängste und Zweifel in den Blick nehmen. Die äußere Handlung des Films ist, ähnlich wie im Fall der Verfilmung von »Demanten der Nacht« vier Jahre später, minimal, die Intensität, mit welcher die inneren Kämpfe der Personen und ihre Emotionen dargestellt werden, jedoch umso größer. Němec kreierte, in den Worten des Filmhistorikers Peter Hames, »a hallucinatory dream world«.285 Arnošt Lustig schlägt eine ethische Herangehensweise ein. Wie andere Autoren seiner Generation fragt er nach dem Sinn des Lebens, schöpft aus den eigenen prägenden Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg und richtet letztlich seine Fragen weniger an die Vergangenheit als an das Heute. Dadurch freilich universalisiert auch Lustig auf seine Art den Holocaust. Diese Universalisierung fand jedoch nicht im Zeichen einer politischen Ideologie, dem Anti­faschismus und Kommunismus, statt, sondern stand im Zeichen des Humanismus, der Suche nach den Fundamenten der menschlichen Existenz.286 Indem der Spielraum für individuelles Handeln beleuchtet wurde, fragten die Autoren auch nach der Verantwortung des Einzelnen und folglich nach der Mitschuld. Jiří Weil hatte bereits die heikle Frage der persönlichen Schuld aufgeworfen, indem er die Tätigkeit der jüdischen Gemeinde kritisch beleuchtete: Der Romanheld Josef Roubíček denkt über seine stets drohende Vorladung durch die jüdische Gemeinde nach, welche die Deportation bedeuten würde: Oder mir fällt ein, daß man mich zur Gemeinde zitieren und zur Zwangsarbeit ­schicken kann; ich war schon zur Musterung, damals haben sie mich nicht geschickt, aber jetzt werden sie es bestimmt tun, sie wollen ja auch ihre Haut retten, müßten sonst selbst hingehen, und einen müssen sie ja schicken, und wenn ich auch nur ein283 Kautman, F[rantišek]: O čtyřech prózách roku 1958. In: Kultura 3/2 (1959), 4. 284 Sousto, Regie und Drehbuch: Jan Němec, Tschechoslowakei 1960, 11 Min. – Démanty noci, Regie: Jan Němec, Drehbuch: Arnošt Lustig / Jan Němec, Tschechoslowakei 1964, 64 Min. 285 Hames: Czech and Slovak Cinema, 103.  – Siehe zu Němec’ Filmen weiter Avisar: Screening. 286 Zu Fragen der Ethik, des Existenzialismus und deren generationellen Bedingung auch Haman: O tak zvané »druhé vlně«.

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undfünfzig Kilo wiege, das stört sie überhaupt nicht, sie sitzen ja im warmen Büro, und ihnen kann es gleich sein, was mit dem Josef Roubíček geschieht, dem ehemaligen Bankbeamten, weil es von solchen Roubíčeks genug gab und gibt.287

Die Figur des Herrn Braun in Zbyněk Brynychs Film »…  a pátý jezdec je strach« (Der fünfte Reiter ist die Angst) aus dem Jahr 1964 steht auf der anderen Seite. Braun ist – selbst wenn es nicht klar ausgesprochen wird – Angestellter der jüdischen Gemeinde oder des Jüdischen Zentralmuseums in Prag. Der Protagonist hilft mit, das Eigentum der deportierten Juden zu sammeln und zu inventarisieren. Die Mitverantwortung, ja Mitschuld, die Braun persönlich empfindet, kommentiert er mit den Worten: »Wir liquidieren uns selbst«.288 Wie schon in der Filmvorlage, der weithin positiv aufgenommenen Novelle »Bez krásy, bez límce« (Ohne Schönheit, ohne Kragen) von Hana Bělohradská,289 ging es nicht um eine simple Gegenüberstellung von Helden und Feiglingen, von »Kämpfern und Duckmäusern«. Denn, so -­ Milan Jungmann in einer Besprechung des Erstlingswerks der Autorin: »Dieser Kontrast hätte sie [die Autorin] daran gehindert, die unbekannte Natur des Menschen zu enthüllen […]. Wie ist eigentlich der einfache Mensch, zu was ist er im Stande, in welchem Maße kennt er seine menschliche Verpflichtung.«290 Letztlich greift auch Bělohradskás Novelle und insbesondere die Ver­ filmung durch Zbyněk Brynych auf das häufige Motiv der menschlichen »Besserung« zurück. Diese werde ermöglicht durch die Tatsache, dass die Roman- oder Filmfigur sich ihres auferlegten Schicksals bewusst wird und sich, zumindest innerlich, gegen dieses stellt. So bot Herr Braun, von Beruf Arzt, der Passivität die Stirn: Am Ende verletzt er die herrschenden Vorschriften, operiert im Geheimen einen verwundeten tschechischen Widerstandskämpfer und begeht  – nicht in der Novelle, aber im Film  – vor den Augen der Poli­zisten Selbstmord, wählt folglich bewusst und willentlich den Tod. »Sein Tod«, so Franz Schindler in seiner Analyse des Films, »ist somit ein Sieg über seine Verfolger, denen er die letzten Demütigungen verunmöglicht.«291 Neuer­lich wird also das Motiv des Märtyrers bemüht, dem es gelingt, aus seiner Position der Ohnmacht einen moralischen Sieg zu erlangen. 287 Weil: Leben mit dem Stern, 12 f. 288 …  a pátý jezdez je Strach, Regie: Zbyněk Brynych, Drehbuch: Hana Bělohradská /  Zbyněk Brynych, Tschechoslowakei 1964, 97 Min., hier ca. 00:09:00. – Die Vorlage zum Film: Bělohradská: Bez krásy. 289 Siehe etwa Opelík, Jiří: Bez krásy, bez límce. In: Kulturní tvorba 1/7 (1963), 14.  – Svadbová, Blanka: Nalézt v sobě mravní imperativ. In: Tvar 2/50 (1991), 14. 290 So der Literaturhistoriker Milan Jungmann in den Literárný noviny, zit. nach dem Auszug auf dem Schutzumschlag von Bělohradská: Bez krásy. 291 Schindler: … a pátý jezdec, 92.

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Was hier anhand der literarischen und kinematographischen Produktion der späten 1950er und der 1960er Jahre bereits deutlich wurde, soll im Folgenden an einem weiteren Beispiel – der Idee des geistigen und kulturellen Widerstands und der Figur des verfolgten Kindes – veranschaulicht werden: In der Betrachtung des Zweiten Weltkriegs lösten zunehmend die ethischen Fragen nach der Aufrechterhaltung menschlicher Werte – der nationalsozialistischen Herrschaft zum Trotz – die dogmatische Auffassung einer überzeugten politischen Gegnerschaft zum Faschismus als identitäts- und sinnstiftendem Bezugspunkt ab. Diese gewissermaßen existenzialistische Sichtweise ging so weit, dass manche die Grundlage von Faschismus und Nationalsozialismus im Antihumanismus sahen. Dadurch wurde der Mensch, das individuelle Schicksal ins Zentrum der Aufmerksamkeit gestellt, was wiederum förderlich war für die Auseinandersetzung mit der Verfolgung und Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg.292 Wichtig erscheint mir jedoch, festzuhalten, dass diese »passive« oder »humanistische« Wende nicht eine unbedingte Absage an die Idee des aktiven, heldenhaften Opfers darstellte, das bewusst und entschlossen in den Tod gegangen sei. Repräsentationen der Shoah, die allein die Sinnlosigkeit, Absurdität und das Unverständnis ausdrückten, waren auch in den 1960er Jahren noch marginal, selbst wenn Bücher wie Ladislav Fuks’ »Spalovač mrtvol« (Der Leichenverbrenner) und dessen Verfilmung durchaus einer derartigen Betrachtungsweise den Weg ebneten.293 Die ästhetische Auseinandersetzung mit der Aporie, der »Un­lösbarkeit eines sinnspendenden Gedenkens«, wie sie Reinhart Koselleck beschrieb,294 begann gerade erst. Auch Karol Sidon, der während des Krieges geborene Sohn einer nichtjüdischen Mutter und eines jüdischen Vaters, welcher von den Nationalsozialisten ermordet wurde, lachte in seinem 1968 abgefassten »Sen o mém otci« (Traum von meinem Vater) über sich selbst: Die Legenden um den Tod seines Vaters bedienten lange Zeit meine Phantasie nicht schlecht, Vater sei für eine wirklich mutige Tat umgebracht worden […] aber je älter ich werde, desto wahrscheinlicher erscheint es mir, daß man ihn wegen Schwarzhandels verhaftet hat, wegen des banalen, widerwärtigen Schwarzhandels.295

Eigentlich, so Sidon weiter, sei aber die realistische Rekonstruktion des Schicksals seines Vaters »nicht gerade das Wesentliche. Was wesentlich ist, ist die Legende. Er war mutig, ehrenhaft, stolz, das ist das Wesentliche.«296 292 Diskussionsbeitrag von Margita Schwalbová, Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 26.11.1966, 37 f., NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. 293 Zum Film etwa Drubek-Meyer: »Der Leichenverbrenner«. – Franz: Kollagierte Figuren. 294 Koselleck: Formen und Traditionen, 31. 295 Sidon: Der Traum, 121 f. (Tschechisch zuerst als Sen o mém otci. Praha 1968.) 296 Ebd., 123.

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Kultur und Kinder in Theresienstadt: der geistige Widerstand

Die kulturelle Tätigkeit der jüdischen Häftlinge von Ghettos und Konzentrationslagern sowie das Schicksal der jüdischen Kinder im Nationalsozialismus bilden zwei Aspekte, die paradigmatisch für den Wandel hin zu dem »neuen Begriff des Heldentums«297 stehen. Der empfundene innere und moralische Sieg des Einzelnen über die Nationalsozialisten steckt hinter der Idee von der Kultur als Widerstand.298 Was oft als Teil einer passiven Wende gesehen wird, ist in Wirklichkeit das Festhalten an einer heroischen Perspektive, die allerdings stärker den Erfahrungen der jüdischen Überlebenden entsprach. Die Leitmotive dieses »neuen« Heldentums seien »Liebe, Gefühl, Sohnesliebe [synovství] und die Sehnsucht nach dem Leben«.299 Diese Einschätzung, Anfang 1946 im jüdischen Gemeindeorgan zu finden, anti­ zipierte wohl zu früh den Wandel in der Wahrnehmung des Heroismus. Noch knapp 20 Jahre später pochte Rudolf Iltis darauf, dass der Mut der Theresienstadt-Häftlinge von ihrem »unbesiegbaren Optimismus« herrühre sowie von ihrem Willen, durch die »Stärke des Geistes« über den Faschismus zu siegen. Diese Willensstärke sei, so Iltis, noch nicht ausreichend gewürdigt worden.300 Die langsam einsetzende Auseinandersetzung mit Kultur und dem Leben der Kinder im Ghetto Theresienstadt bildete (und bildet bis heute) einen wichtigen Bestandteil der tschechischen Holocaust-Erinnerung. Die Betonung dieser Aspekte zeigt zweierlei: Erstens, dass sich in den späten 1950er und den 1960er Jahren die Wahrnehmung des Heroismus allmählich löste von einem ausschließlich kämpferischen Verständnis und sich öffnete gegenüber unterschiedlichen Formen persönlicher Courage. Zweitens, dass dennoch eine öffentliche Erinnerung an den Holocaust weiterhin nur über den Verweis auf die – zumindest kulturelle bzw. innere – Widerständigkeit der Juden möglich war. Dabei bot die Idee der Kultur als Widerstand zahlreiche Anknüpfungspunkte an das nationale Geschichtsbild. So wird die tschechische Nationalbewegung im 19. Jahrhundert oft als »kulturelle Nationsbildung« betrachtet, da es ihr zunächst mehr um Sprache, Theater, Literatur oder Geschichte ging und weniger um Politik. »Typisch tschechisch«, so Christiane Brenner und Peter Heumos in ihrer Analyse tschechischer Helden im Kom-

297 M. T.: Vzpomínáme prvních terezínských poprav 10. ledna a 24. února 1942. In: Věstník 8/2 (1946), 12. 298 Siehe allgemein Rothkirchen: Der geistige Widerstand. 299 M. T.: Vzpomínáme prvních terezínských poprav 10. ledna a 24. února 1942. In: Věstník 8/2 (1946), 12. 300 Iltis: Terezín – Its Influence, 316.

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munismus, sei darüber hinaus der »schwache Held«, der einem Feind (auch im übertragenen Sinne) unterlegen sei.301 Dieser »schwache Held« scheint auch während der kommunistischen Zeit, und trotz deren Idealbildes eines aktiven, kräftigen Helden der Arbeit, für viele attraktiv gewesen zu sein. Besonders seit den ausgehenden 1950er Jahren wurden in einer breiteren Öffentlichkeit die individuelle Lebenslust, der aufrecht erhaltene Optimismus und die Stärke des Geistes als bewundernswerte Haltungen mit Vorbildcharakter eingeschätzt. Häufig finden wir diese Wahrnehmung in Bezug auf die kulturelle Tätigkeit und das Leben der Kinder in Ghettos und Konzentrationslagern. Wie nachhaltig dieser Perspektivwechsel war, wird auch daran deutlich, dass dies zwei Aspekte sind, die von der politischen Zäsur nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 relativ unberührt blieben. Wiewohl die Beschäftigung mit der Verfolgung und Ermordung der Juden in den 1970er und 1980er Jahren gegenüber den 1960er Jahren deutlich zurückging, konnte gerade die Auseinandersetzung mit der Theresienstädter Kultur und mit dem Schicksal der Theresienstädter Kinder fortgeführt werden. Anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung über das Ghetto Theresienstadt Ende 1956 bezeichnete die Leiterin des Jüdischen Museums in Prag die kulturelle Aktivität der – oft jugendlichen – Häftlinge als eine sich gegen das Diktat widersetzende Tätigkeit, als eine »gewissermaßen maskierte Widerstandsbewegung«.302 Ebenso Mitte der 1950er Jahre bewertete Jiří Weil das literarische Schaffen in Theresienstadt als einen »Kampf um die menschliche Würde«, in dem es darum gegangen sei, trotz der Umstände den persönlichen Egoismus zu überwinden und anderen zu helfen.303 Von einer Huldigung der »ungebrochenen Ideale« inmitten der »Barbarei der Konzentrationslager« sprach auch Emil Utitz, als er sich an den ehemaligen Universitätsprofessor Artur Stein erinnerte, der im Theresienstädter Ghetto Lesungen für Alte und Kranke organisiert hatte.304 Utitz betonte die individuelle Bedeutung, die der kulturellen Beschäftigung zukam, um gegen das untätige Vegetieren [nečinně živořit] anzukämpfen.305 Genauso hielt zwanzig Jahre später eine Kritikerin einer Ausstellung des Jüdischen Museums zur Kultur in Theresienstadt fest: Die Kultur sei das, was die Menschen überleben und die Leiden ertragen ließ.

301 Brenner: Eine Heldentypologie, 237.  – Dazu auch die Überlegungen zu den »tschechischen Märtyrern« bei Pynsent: Questions of Identity, 147–210. 302 Výstava Terezín – ghetto. In: Věstník 19/1 (1957), 4. 303 Weil, Jiří: Literární činnost v Terezíně. In: Židovská ročenka 5716 (1955/56), 93–100, zit. nach Křížková: Literatura, 16. 304 Utitz, Emil: Vzpomínky na Artura Steina. In: Věstník 12/50 (1950), 584. 305 Ebd.

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Er [der Theresienstadt-Häftling] lebt nicht einfach so, wie ein Lebewesen, das Kräfte spart, um seine Agonie zu verlängern, sondern er spielt Theater, singt, malt, schreibt Bücher, beglückt jene, die dieses große Geschenk nur annehmen können. Dieser MENSCH weiß, dass leben mehr bedeutet, als auf das Morgen zu warten.306

Intellektuelle Tätigkeiten, das Abhalten von Vorlesungen, die Aufführung von Theaterstücken oder Konzerten, das Malen oder literarische Schaffen der Ghetto-Insassen wurden als kultureller Widerstand gewürdigt, auch wenn diese Bezeichnung anfangs noch nicht verwendet wurde.307 Aus diesen Tätigkeiten mussten keinerlei politische Aktionen resultieren, ja nicht einmal konkrete politische Ziele und Forderungen, um ihnen dennoch einen widerständischen Charakter zuzusprechen. Dieser betraf zwar primär das Individuum – und griff somit, indem von der Notwendigkeit der »geistigen Nahrung«308 die Rede war, oft auf die Idee des »Menschbleibens« zurück –, hatte aber gleichzeitig kollektive Züge. Die Opernsängerin und TheresienstadtÜberlebende Heda Grabová meinte: Das Kulturleben im Ghetto habe »das Vertrauen, die internationale Solidarität und den festen Glauben an ein gutes und siegreiches Ende bekräftigt.«309 Die Lieder und Kabaretts hätten einen »revolutionären und optimistischen Charakter« getragen.310 War die Wahrnehmung des kulturellen Widerstandes unter den ehema­ ligen Häftlingen Theresienstadts bereits früh anzutreffen, so erreichte sie vor allem seit den frühen 1960er Jahren ein wesentlich breiteres Publikum. Als Beispiel eines Ereignisses, das über die Grenzen der jüdischen Gemeinde hi­ naus Berühmtheit erlangte, kann die Aufführung von Verdis Requiem genannt werden. Dieses war vom Pianisten und Dirigenten Rafael Schächter in den Jahren 1943 und 1944 einstudiert und in Anwesenheit Adolf Eichmanns aufgeführt worden. Der Schriftsteller Josef Bor, selbst ein Überlebender des Ghettos Theresienstadt, setzte dieser Darbietung 1963 ein literarisches Denkmal.311 Für ihn war die kulturelle Tätigkeit eine Art Trotz und Auflehnung gegen die SS , gegen die Nationalsozialisten. Die Aufführung von Verdis Requiem wird, in Bors Erzählung, zu einem demonstrativen Akt des Widerstands. Die jüdischen Häftlinge werden darin als ungebrochen und tapfer dargestellt. 306 Friesová, Jana R.: Síla kultury v Terezíně. In: Věstník 32/5–6 (1970), 5, Hervorhebung im Original. 307 Für ein frühes Beispiel siehe etwa Utitz, Emil: Pořádání přednášek v terezínském koncentračním táboře. In: Věstník 14/4 (1952), 35. 308 Utitz, Emil: Ústřední knihovna koncentračního tábora Terezín. In: Věstník 12/47 (1950), 548 f. – Ähnlich im Protokol sepsaný s paní Hedou Grabovou, 29.9.1945, YVA , O.7.cz/228. 309 Protokol sepsaný s paní Hedou Grabovou, 29.11.1945, zit. nach Vrkočová: Hudba, 5. 310 Ebd. – Vgl. allerdings den wesentlich weniger kämpferischen Ton im Protokol sepsaný s paní Hedou Grabovou, 29.9.1945, YVA , O.7.cz/228. 311 Bor: Terezínské rekviem.

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Die kulturelle Tätigkeit habe ihnen dabei geholfen, optimistisch und lebensfroh zu bleiben, habe ihnen Kraft gegeben. Vor allem am Ende der Vorstellung habe sich der Protest der Häftlinge gezeigt. Nicht leise und nachdenklich dürfe das Requiem enden, sondern im Fortissimo, mit ganzem Orchester, mit kämpferischen Schlägen der Pauke, denn »ohne Kampf erlangt man nicht die Freiheit«.312 Es mag wohl kein Zufall gewesen sein, dass mit Verdis Requiem gerade ein christliches Symbol in der Nachkriegstschechoslowakei größere Aufmerksamkeit von Seiten der Mehrheitsgesellschaft bekam. Die Aufführung von Verdis Requiem durch jüdische Häftlinge kann als Demonstration der christlich-jüdischen Symbiose interpretiert werden und eignete sich folglich hervorragend für eine Universalisierung im Zeichen von Humanität und Gerechtigkeit. Bei der Darbietung von Verdis Requiem durch Rafael Schächter habe es sich, so F. R. Tichý im jüdischen Gemeindeblatt, nicht um ein »katholisches Requiem« gehandelt, sondern »um ein Requiem, das den fanatischen Glauben an die geschichtliche Gerechtigkeit noch auf dieser Welt ausdrückte.«313 Josef Bors Hommage an Rafael Schächter, so ist in einem Nachruf auf den Schriftsteller zu lesen, sei eine »tiefgründige Studie der Unbeugsamkeit [nezlomnost] in tragischsten Zeiten«, die die Musik als »Quelle der Hoffnung« zeige.314 Bei Schächters Tätigkeit habe es sich um ein »Ringen [zápas] um die menschliche Größe unter den schwersten Bedingungen der Unmenschlichkeit« gehandelt, so der jüdische Schriftsteller und Journalist František Kafka.315 In den Augen des Musikwissenschaftlers Milan Kuna war die Aufführung von Verdis Requiem schließlich »ein Symbol der offenbarten Humanität im Moment ihrer größten Bedrohung.«316 Karel Berman, einer der damaligen Solisten und zugleich einer der wenigen überlebenden Beteiligten der Aufführung, sah im Einstudieren des Requiems gar »eine revolutionäre, kämpferische Tat, die nicht ihresgleichen hatte.«317 Ähnliche Einschätzungen betreffen allgemein das musikalische Schaffen in Theresienstadt. Dem Historiker Pavel Škorpil zufolge sei dieses »ein großer Beleg des menschlichen Willens zu überleben […] und der Sehnsucht nach Freiheit und einer besseren Zukunft« gewesen.318 Der Theresienstadt-Überlebende und Dirigent Karel Ančerl meinte, dass es den Nationalsozialisten 312 313 314 315

Ebd., 95. Tichý, F. R.: Verdiho Rekviem v terezínském ghettu. In: Věstník 26/1 (1964), 8. R. K.: Před pěti lety… In: Věstník 46/1 (1984), 4. Kafka, František: Na památku dirigenta »Terezínského rekviem«. In: Hlas revoluce Nr. 39 vom 25.9.1990, 6. 316 Kuna, Milan: Verdiho Rekviem v Terezíně. In: Hudební rozhledy 40/5 (1987), 228–232, hier 228. 317 Berman, Karel: Erinnerungen. In: Iltis: Theresienstadt, 254–258, hier 256. 318 Škorpil, Pavel: A hudba k tomu hraje. In: Hlas revoluce Nr. 14 vom 5.4.1986, 6.

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zwar beinahe gelang, die Juden zu ermorden: »Was ihnen jedoch nicht gelang und nicht gelingen konnte, war die Vernichtung des Gedankens, die Vernichtung dessen, was am Menschen menschlich ist.«319 Zurückkommend auf Josef Bors »Theresienstädter Requiem«, wird die Lesart des kulturellen Widerstands am deutlichsten in der suggestiven Hervorhebung des »Libera me«, befreie mich, dem Höhepunkt und Finale des Stücks: ›Libera me!‹ so läuteten die Stimmen des Chors. Befreie uns! so schallte es von allen Seiten in Alt und Tenor, Sopran und Baß. Wir wollen die Freiheit! empörte sich das Orchester. Plötzlich donnerte die Pauke: Frei–heit für uns! Schächter erschrak: Jetzt noch nicht, Jirka! Was tust du? So geht es hier nicht, du änderst den Rhythmus! Aber Jirka kümmerte sich nicht darum, jetzt leitete er das Orchester. ›Ta–ta–ta tam‹, schlug er auf die Pauke. Begreif doch, Raffael, drei kurze Schläge, ein langer, keiner vergißt, wer das hörte. Beethoven! Die Schicksalssymphonie! Schächter reckte sich auf. ­›Libera me!‹ loderte Maries leidenschaftlicher Aufschrei. Freiheit für uns! donnerte der mächtige Chor zum letzten Mal.320

Diese widerständische Lesweise erlaubte es, die Erinnerung an das kulturelle Leben in Theresienstadt zu universalisieren. So war es insbesondere dieses kulturelle Schaffen der jüdischen Häftlinge, das in einer breiten Öffentlichkeit  – sicher nicht zuletzt auch, weil es sich leichter vermitteln ließ  – sichtbar wurde. Verdis Requiem wurde mehrmals anlässlich der offiziellen Befreiungsfeiern im Mai aufgeführt  – allerdings in der Theresienstädter Kleinen Festung und nicht am Ort des ehemaligen Ghettos.321 Auch heute noch sehen viele hinter der Aufführung von Verdis Requiem im Ghetto Theresienstadt eine »Botschaft, die die Hoffnung in die Befreiung der Leidenden ausdrückte«;322 so etwa Jan Gebhart und Jan Kuklík in ihrem historischen Überblick über Böhmen und Mähren im Zweiten Weltkrieg. Diese Betrachtungsweise blieb selbstverständlich nicht beschränkt auf die Erinnerung an die musikalische Tätigkeit. Sie findet sich genauso in Bezug auf andere kulturelle Beschäftigungen in Theresienstadt. Ganz allgemein habe die Kultur den Einzelnen bestärkt, »Mensch zu bleiben«.323 Zuzana Růžičková hielt in einem Gespräch für den tschechoslowakischen Rundfunk 319 Ančerl, Karel: Musik in Theresienstadt. In: Iltis: Theresienstadt, 260–263, hier 261. 320 Bor: Theresienstädter Requiem, 92. 321 Zápis z porady Terezínské komise SPB v Ústí nad Labem, 12.12.1966, SOA Litoměřice, PT, Kt. 10.  – Zápis z porady Terezínské komise SPB Ústí n.L. v Terezíně na Měst NV, 21.3.1967, ebd. – Václav Novák (PT) an Kulturní správa SKNV, 5.6.1970, ebd., Kt. 13. – Rozbor činnosti za 1. pololetí roku 1971, 23.7.1971, ebd. – dt: Co nového v Terezíně? In: Hlas revoluce Nr. 17 vom 24.4.1971, 1 f. 322 Gebhart: Velké dějiny, XV.a, 536. 323 J. L.: Divadlo v Terezíně 1941/1945. In: Věstník 36/7 (1974), 5 f., hier 5.  – Šormová: ­Divadlo, 26.

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im Jahre 1986 fest, dass sie ohne das Kulturleben wohl Theresienstadt nicht überlebt hätte und dass die Kunst manchmal wichtiger als das Essen gewesen sei.324 Im Katalog zu einer Ausstellung über die Kunst im Ghetto Theresienstadt, die in den Jahren 1972 und 1973 in der Kleinen Festung gezeigt worden war, resümierte der Musikwissenschaftler Milan Kuna die Funktion und Bedeutung der kulturellen Beschäftigung folgendermaßen: Kunst und Kultur hätten aus Theresienstadt »eines der großen Symbole der kulturellen Resistenz und des Widerstands« [kulturní rezistence a odboje] gemacht.325 »An der Schwelle zum Tod, als es an anderen Waffen mangelte«, so Kuna weiter, »konnte es keinen größeren Heldenmut geben, als seine menschliche Würde durch künstlerische Arbeit zu behaupten.«326 Die »Helden« des Theresienstädter Kulturlebens hätten sich bewusst aufgeopfert;327 durch die Verbindung ihres Heroismus und zugleich ihres tiefen Humanismus seien sie zu wahren Helden geworden.328 Die Kultur habe eine starke »ethische Kraft« besessen, habe »heldenhafte Züge« angenommen, so Milan Kuna.329 Internationale Berühmtheit erlangten die erhaltenen Zeichnungen aus dem Ghetto Theresienstadt.330 Unmittelbar nach Kriegsende war diesen bereits eine besondere Aufmerksamkeit zugekommen, da sie  – so etwa von der Dokumentationsaktion – als wichtige Zeugnisse für die Schrecken und das Leben in Theresienstadt betrachtet worden waren. In den Zeichnungen wurde nicht allein eine Bescheinigung des Geschehenen erkannt, sondern ein Aufruf, ein Vermächtnis für die Nachwelt. Durch diesen in die Zukunft gewandten Akt erhielten die Maler, die fast alle in Theresienstadt oder anderen Konzentrationslagern ermordet worden waren, Märtyrerstatus.331 Bei den Zeichnungen, die Eingang in Ausstellungen fanden, handelte es sich zunächst vor allem um die Werke erwachsener und meist professioneller Künstler. Bereits im Jahre 1945 wurde dem in A ­ uschwitz Ende 1944 ermordeten Maler 324 Radiosendung des Československý rozhlas (A léta běží) mit Zuzana Růžičková, 1986, zit. nach Vrkočová: Musical life, 1730 (hier ohne Quellenangabe). – Zur Quellenangabe: Dies.: Rekviem, 178. 325 Kuna, Milan: [Einleitung]. In: Pechová: Umění v Terezíně, 3–5, hier 4. 326 Ebd., 5. 327 Kuna: Hudba a její etická síla, 35. 328 Pechová: Výtvarné umění, 13. 329 Kuna: Hudba a její etická síla, 37 und 43. 330 Zu den relativ frühen internationalen Ausstellungen, etwa in New York im Jahre 1947, siehe YVA , O.7cz/269.  – Korrespondenz zwischen Jüdischem Museum Prag bzw. Dokumentačná akcia Bratislava und dem Pariser CDJC , November 1948 bis August 1949, Mémorial de la Shoah (Paris), MDXXXVI-43, Kt. 344 (Du cataclysme à la vie nouvelle. Correspondance, 3.  Mappe: Corresp. prépa (2)).  – Benda, Vilém: Obrazy židovských malířů z Terezína otřásly anglickým klidem. In: Věstník 26/9 (1964), 8. 331 Siehe etwa Haas, Leo: Die Affäre der Theresienstädter Maler. In: Iltis: Theresienstadt, 170–176.

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und Karikaturisten Bedřich Fritta (Fritz Taussig) eine Ausstellung gewidmet.332 Etwas später wurden auch die Zeichnungen des Malers und künftigen Professors an der Berliner Akademie der bildenden Künste, Lev (Leo) Haas, der Öffentlichkeit präsentiert.333 Haas gestaltete zudem einige Publikationen von Theresienstadt-Überlebenden, seine Zeichnungen wurden in der Folge in zahlreichen Veröffentlichungen über Theresienstadt, den Zweiten Weltkrieg oder den Holocaust reproduziert.334 In den ersten zwei Jahren nach Kriegsende wurden auch die Zeichnungen des in A ­ uschwitz ermordeten Arztes Karel Fleischmann und des kurz nach der Befreiung verstorbenen Ota (Otto) Ungar in Ausstellungen des Jüdischen Museums in Prag gezeigt.335 Wie in den anderen kulturellen Tätigkeiten der Häftlinge wurde von vielen auch in der Malerei eine Form des Aufbegehrens und der Menschlichkeit gesehen.336 Die Zeichnungen Matylda Šálkovás337 etwa zeigten, so ein Kritiker der Ausstellung, die im Jahre 1964 der im Holocaust ermordeten Künstlerin gewidmet war, jenes »Höchstmaß an Not, Kummer und Hoffnungslosigkeit«, zugleich aber auch die »unermessliche Humanität dieser vom Schicksal Gekennzeichneten«.338 Wurden mit den Theresienstädter Malern zunächst vor allem erwachsene Männer mit einer künstlerischen Ausbildung verbunden, so änderte sich dies im Laufe der Jahrzehnte grundlegend. Den Anfang machte eine Ausstellung von Kinderzeichnungen aus Theresienstadt, die 1955 erstmals in Prag gezeigt wurde und auf ein positives Echo im In- und Ausland stieß. Sie wurde wenige Jahre später unter anderem in Paris, Leipzig und Jerusalem präsentiert. Das Buch zur Ausstellung wurde ab 1959 bis heute in zahlreichen Sprachen und Neuauflagen verlegt, ein Kurzfilm entstand zur Ausstellung 1958, Postkarten mit den Zeichnungen der Theresienstädter Kinder wurden produziert.339 Dieses Interesse an den Kinderzeichnungen ist unter anderem mit zwei Faktoren 332 Z pražských výstav. In: Lidová demokracie vom 28.11.1945, 3. – RŽNO an vrchní rada Lang, 8. odbor MOPSP, 21.11.1945, YV, O.7cz/265, fol. 53. 333 Haas: 12 původních litografií. 334 Unter vielen anderen Auředníčková: Tři léta. – Burger: Číslo 64401. – Tůma: Ghetto. – Vítek: Mauthausen. – Tragédia slovenských židov. 335 Zu Karel Fleischmann: Katalog posmrtné výstavy.  – Posmrtná výstava díla Karla Fleischmanna. In: Věstník 9/7 (1947), 95. – Zmz: Další výstava z terezínského ghetta. In: Lidová demokracie vom 9.3.1947, 5. – Zu Ota Ungar: Dr. R. Š.: Malíř v Terezíně. In: Hlas osvobozených 2/44 (1946), 4. – Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Terezínské ghetto mluví. In: Věstník 8/12 (1946), 109. 336 Petrášová: Terezín, o. S. 337 An anderer Stelle als Malvína Schalková: ebd., o. S. 338 -ad-: Terezínská tragédie v díle malířky Matyldy Šálkové. In: Věstník 26/12 (1964), 10 f., hier 10. 339 Volavková: Dětské kresby.  – Dětské kresby z koncentračního tábora Terezín [15 Post­ karten]. – Dětské kresby z koncentračního tábora Terezín. Soubor 15 pohlednic.

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zu erklären, die beide mit einer Hinwendung zu Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Einerseits wurden 15 Jahre nach Kriegsende Fragen nach der Weitergabe der Kriegserfahrungen immer wichtiger. Institutionen wie der Verband der antifaschistischen Kämpfer oder die Gedenkstätte Theresienstadt versuchten, die Jugendarbeit zu stärken und den intergenerationellen Austausch zu fördern.340 Andererseits spielte die Erinnerung an Kinder im Nationalsozialismus eine wichtige Rolle in jener Entwicklung, die oft als »passive turn« beschrieben wird, da sie als die »unschuldigsten und am wehrlosesten« Opfer wahrgenommen wurden und dadurch ein besonderes emotionalisierendes Potential besaßen.341 Diese doppelte Aufmerksamkeit, die Kindern und Jugendlichen zuteil wurde (Weitergabe der Erinnerung an Kinder und die Figur des Kindes als »reines« Opfer), war ein internationales Phänomen, dessen Anfang oft in der weltweiten Erfolgsgeschichte des Tagebuchs der Anne Frank gesehen wird. Dieses wurde auch ins Tschechische übersetzt und erlebte seit 1956 mehrere Auflagen.342 Auch die tschechische Jugendliteratur wandte sich nun Fragen des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust zu.343 Der Katalog zur Ausstellung der Kinderzeichnungen wurde vom Verband der antifaschistischen Kämpfer gelobt und als gute neue Form der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen empfohlen.344 1958 nahm die Journalistin Věra Kosinová gemeinsam mit dem Schriftsteller Arnošt Lustig, der damals für den tschechoslowakischen Rundfunk arbeitete, Kontakt mit dem Pariser Centre de Documentation Juive Contemporaine auf, um ein Buch über das Schicksal jüdischer Kinder im Zweiten Weltkrieg vorzubereiten.345 Die Gedenkstätte Theresienstadt bemühte sich um eine stärkere Zusammenarbeit mit Schulen, initiierte Zeitzeugengespräche mit Schülern und Klassenausflüge nach Theresienstadt. 340 Jan Píšala: Návrhy komise OV SPB v Opavě pro akci na zlepšení protifašistické výchovy na základních devítiletých školách, o. J. [1967], NA , f. ÚV SPB , Kt. 56. – Siehe dazu bereits oben. 341 r.: Ceny protifašistickým knihám. In: Hlas revoluce Nr. 5 vom 8.3.1962, 5. – Siehe weiter Volanská, Hela: Hlas dětí. In: Hlas revoluce Nr. 22 vom 23.11.1961, 5. – Kantáta o terezínských dětech. In: ebd. Nr. 7 vom 4.4.1963, 3. 342 Deník Anne Frankové; weitere Auflagen 1957 und 1966. – Dazu auch V dětských stopách Anny Frankové. In: Věstník 20/6 (1958), 4.  – Deník Anne Frankové v Brně. In: Věstník 20/4 (1958), 5. – -i-: Deník Anne Frankové na scéně Divadla Jiřího Wolkra. In: Věstník 32/10 (1970), 7. – Kafka, František: Deník Anne Frankové v DJW. In: Věstník 32/11 (1970), 4. 343 Zum Beispiel Martinec: Útěk. – Frýd: Květovaný kůň. 344 Proniknout k srdcím dětí. Z diskusního příspěvku br. J. Jíry na zasedání ÚV SPB. In: Funkcionář SPB , Nr. 12 ([prosinec] 1960), 22 f., NA , f. ÚV SPB , Kt. 54. 345 Věra Kosinová / Arnošt Lustig an Henri Michel, 22.5.1958, mit der Projektskizze »L’enfance volée«, und weitere Korrespondenz zwischen dem CDJC (Mazor) und Kosinová, Juni 1958, Mémorial de la Shoah, MDXXXVI-13, Kt. 617.

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War zwar die Verbindung von Kindern und Zweitem Weltkrieg etwas Neues, so war die Bedeutung, die der kommunistische Staat den Kindern zuschrieb, an sich kein Novum. Ganz im Gegenteil – der Kommunismus verstand sich als eine jugendliche Bewegung, die eine neue Welt, ein Paradies für die Kinder aufzubauen sich anschickte. Den Kindern und Jugendlichen kam folgerichtig auch die Rolle der wahren »neuen Menschen« zu. Hinter dieser Selbstwahrnehmung des Sozialismus als eine Welt der Kinder steckte auch die Projektion in die Zukunft: die Kinder – und der Kommunismus – als die kommende Zeit.346 In all diesen unterschiedlichen Repräsentationen der jugendlichen Opfer des Holocaust wurden die Kinder als eine besondere Gruppe dargestellt. Für Jiří Weil, einen der Verantwortlichen der Ausstellung der Kinderzeichnungen, sind diese »noch Grauen erregender als die Bilder der erwachsenen Theresienstädter Künstler«. Seit Kriegsende hätten schon viele Leute die Kinderzeichnungen in Händen gehalten, »aber niemand hielt sie für wert­volles Material«.347 In der Tat war Jiří Weil offensichtlich schon unmittelbar nach Kriegsende in Überlegungen involviert gewesen, eine Ausstellung der Kinderzeichnungen zu organisieren, die jedoch nicht realisiert wurde.348 Für Weil sind sowohl die von Kindern verfassten Gedichte als auch die Zeichnungen ein Hinweis darauf, wie sehr die Kinder inmitten des Schreckens und der Gewalt »das Wertvollste  – die Menschlichkeit« zu bewahren versuchten.349 In den 1960er Jahren setzte sich diese Entwicklung fort. In einer 1961 in der Reihe des Verbands der antifaschistischen Kämpfer erschienenen Edition von Tagebüchern, die im Zweiten Weltkrieg von Kindern verfasst worden waren, wurden die Verbrechen an Kindern als das absolute Böse dargestellt. Dem Herausgeber Jaromír Hořec zufolge galten Kinder als »etwas Unantastbares«. Um Kinder zu ermorden, bedürfe es, so Hořec, eines »besonderen Sadismus«.350 Kinder wurden oft als unschuldige, reine, wehrlose Opfer dargestellt. Eine sichere und unbesorgte Kindheit schien vielen als höchstes Gut. Dass es sich hierbei oft um Projektionen der eigenen, idealisierten Kindheitserfahrungen handelte, wurde zunächst nur selten reflektiert. Dass die künstlerischen und literarischen Erzeugnisse der Theresienstädter Kinder keine »kindlichen« seien, gab Marie Rút Křížková zu bedenken.351 Nur selten gab es Stimmen, die der Tatsache Rechnung trugen, dass sich Kinder in einer Extrem346 Macura: Šťastný věk, 26–29 und 185–192. 347 Weil, Jiří: Motýly tady nežijí. In: Literární noviny 8/27 (1959), 6. 348 Vondráčková: Mrazilo – tálo, 83. 349 Weil, Jiří: Motýly tady nežijí. In: Literární noviny 8/27 (1959), 6. 350 Hořec: Jejich hlas, 9. 351 Křížková: Literatura, 19 f.

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situation wie dem Leben im Ghetto dieser anpassten. Drastisch hatte darauf etwa die Polin Zofia Nałkowska hingewiesen, die an eines der Kinderspiele in ­Auschwitz erinnerte: die »Juden-Vergasung«.352 Auch der tschechische There­sienstadt-Überlebende Ota Klein hatte einen realistischen Blick auf den Einfluss der KZ -Haft auf Kinder und Jugendliche eingenommen, als er an seiner Dissertation über die negativen ethischen Auswirkungen des KZ Lebens auf Jugendliche arbeitete. Die Dissertation entstand 1948, konnte allerdings wegen der veränderten politischen Umstände nicht mehr publiziert werden; Ausschnitte daraus erschienen in einer Anthologie 1969.353 Ota Klein beschrieb die Kinder keineswegs als unschuldige, wehrlose Opfer. Ganz im Gegenteil, die stehlenden, betrügenden und individuell ums Überleben kämpfenden Kinder hätten die moralischen Grundregeln des gesellschaftlichen Lebens nicht gelernt, ihnen fehle Scham und Schuldgefühl.354 Für sie sei die KZ -Situa­tion keine außergewöhnliche, abnormale gewesen, sondern die »natürliche«, in der sie aufwuchsen. Mit derartigen Überlegungen wurde notwendigerweise das »mythische Bild« des unschuldigen Kindes in Frage gestellt.355 Meist jedoch wurden Kinder dargestellt als Hoffungsträger; die bekanntesten ihrer Bilder zeigten neben dem alltäglichen Schrecken die Sonne, Blumen oder Schmetterlinge; Gedichte berichteten von Freiheit, von den Wünschen für die Nachkriegszeit. Diese Darstellungsweise, die immer auch Auswahl ist, schien leichter vermittelbar zu sein als Berichte von Schrecken, Gewalt und Tod. Annette Wieviorka machte darauf aufmerksam, dass in der Figur der Kinder weniger erschreckend ist, was tatsächlich dargestellt wurde (die erhaltenen Zeichnungen, Gedichte oder Erzählungen), sondern das Wissen um das spätere Schicksal der Kinder, die in ihrer großen Mehrheit von den Nationalsozialisten ermordet worden waren.356 In eben diese Richtung ging auch die Kritik Bruno Bettelheims am Erfolg vom Tagebuch der Anne Frank. Dass das Buch derart viele Leser gewinnen konnte, sei vor allem darauf zurückzuführen, dass die Lektüre die Gaskammern beinahe vergessen machte und das Bild eines harmonischen Familienlebens – trotz Bedrohung und Verfolgung – im Vordergrund stand.357 In der Tat vermittelte die Figur der Anne Frank, und dies noch stärker in der Verfilmung und der Adaptation als Theaterstück, Hoffnung. Der Glaube an das Gute im Menschen, der Optimismus wurde hier 352 Nałkowska, Zofia: Medaliony (1946), zit. nach Obrusnik-Jagla: Die Darstellung, 143. 353 Klein: Vliv. – Ders.: Vliv koncentračního tábora na etický charakter židovské mládeže. In: Ders.: Životní styl, 148–165. – Ein Auszug auch als Ders.: Junge Menschen. 354 Auf diese Aspekte des Lebens im Ghetto wies auch H. G. Adler hin. Adler: Theresienstadt, 548. 355 Siehe hierzu Coquio: Avant-propos, LXXV. 356 Wieviorka: L’ère du témoin, 50. 357 Zit. nach ebd., 156.

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nicht aufgegeben, was letztlich auch den Leser bzw. Zuschauer erleichterte.358 So meinte auch Wolfgang Benz zur internationalen Rezeption der Theresienstädter Kinderzeichnungen, dass diese »in ihrer kindlichen Ästhetik ein zu schönes Bild von der Wirklichkeit Theresienstadts« vermitteln.359 In der Tat beendete Jiří Weil seinen Epilog, den er für den Ausstellungskatalog der Kinderzeichnungen im Jahre 1959 verfasste mit folgenden optimistischen Worten: Die Zeichnungen und Gedichte der Kinder seien deren »Stimme«, die »Stimme der Erinnerung an die Wahrheit und die Hoffnung.«360 Die Figur des Kindes ermöglichte somit dem Holocaust-Narrativ eine besondere Breitenwirkung. Kinder bewirken eine besondere Affektion, wecken Emotionen, rufen Mitleid und Empörung hervor. Ihr Schicksal wird meist als noch »theatralischer« empfunden als jenes der Erwachsenen.361 Die Verfolgung, Inhaftierung und Ermordung von Kindern bot sich folglich auch für diverse Universalisierungen an. So wurde oft übergangen, dass die allermeisten der unter den Nationalsozialisten leidenden Kinder und Jugendlichen Juden waren. In vielen Werken wurde dagegen die nationalsozialistische Politik gegenüber den Kindern in den Rahmen der Germanisierung und der Rassenpolitik gestellt. Besonderer Nachdruck wurde darauf gelegt, dass die Kinder, als Nachwuchs, die Zukunft der Nation bedeuteten.362 Mit der Ermordung der Kinder, so Jaromír Hořec, habe man somit das Ende der slawischen Völker eingeleitet: Die Deportationen von 15.000 »tschechoslowakischen Kindern« zunächst in das Ghetto Theresienstadt und dann nach A ­ uschwitz hätten ein »einziges Ziel« gehabt, nämlich die »Germanisierung und sukzessive physische Liquidierung der tschechischen Nation«.363 Ungeachtet der unterschiedlichen Ausmaße, die die Verfolgung nichtjüdischer und jüdischer Kinder annahm, wurde den Kindern aus Lidice mindestens so viel Platz eingeräumt wie jenen, die im Ghetto Theresienstadt inhaftiert gewesen waren.364 Kinder dienten auch der Annäherung und Solidarisierung zwischen Tschechen und Juden. Josef Bor griff in seinem Roman »Die verlassene Puppe« das Thema der Kinder auf. An einer Stelle des Romans gibt ein tschechischer Apotheker den kräftigenden Lebertran erst preis, nachdem er gehört hat, dass 358 Ebd., 155–158.  – Zum Tagebuch der Anne Frank auch Levy: Erinnerung im globalen Zeitalter, 77–80. – Zu ebendieser Interpretation des Tagebuchs anlässlich der Aufführung in einem Laientheater in Svitavy siehe »Deník Anny Frankové« na ochotnické scéně. In: Věstník 20/5 (1958), 10. 359 Benz: Theresienstadt (2013), 226. 360 Weil: Epilog, o. S. 361 Coquio: Avant-propos. – Wieviorka: L’ère du témoin, 179. 362 Hořec: Jejich hlas, 10. 363 Ebd., 12. 364 Ebd.

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auch kleine jüdische Kinder auf den Transport gehen. »Ich habe auch Kinder. Enkel. Ihre brauchen es aber jetzt dringender.«365 Nicht zuletzt spielten Kinder und Jugendliche eine bedeutende Rolle innerhalb der so genannten zweiten Welle der Weltkriegs-Literatur.366 Die Hauptfiguren vieler belletristischer Werke waren junge Menschen. Dies ist auch auf autobiographische Gründe zurückzuführen, denn eine neue Generation von Schriftstellern, die in den späten 1950er und in den 1960er Jahren in Er­ scheinung trat, hatte Krieg und Holocaust als Jugendliche oder Kinder erlebt. Dies gilt etwa für den im Jahr 1926 geborenen Arnošt L ­ ustig, oder noch stärker für den fünf Jahre jüngeren Ivan Klíma oder für Karol S­ idon, der im Sommer 1942 zur Welt gekommen war. Indem diese Werke den Blick auf die jugendlichen Opfer des Nationalsozialismus richteten und deren Sichtweise einnahmen, hinterfragten die Autoren die überkommenen Interpretationsweisen des Zweiten Weltkriegs: Weniger als die Auseinandersetzung zwischen Deutschen und Tschechen oder zwischen Faschisten und Anti­ faschisten stand hier der Streit der Jugendlichen mit der Elterngeneration, der Generationenkonflikt im Zentrum der Aufmerksamkeit.367 In diesen Beiträgen wurde nicht bloß der Nationalsozialismus angeprangert, sondern die Elterngeneration, die nichts gegen ihn unternommen und diese Welt des Schreckens zugelassen habe. Daher tauchen in diesen Büchern häufig weder Nationalsozialisten, Deutsche noch SS -Männer auf. Das alltägliche Gegenüber, die Feindbilder stellen darin eher Vertreter der jüdischen Selbstverwaltung oder die Ghettowache dar. Diese werden ins Lächerliche gezogen, beschimpft, ihnen wird gar gewünscht, bald zu »krepieren«.368 Wurden die jüdischen Überlebenden nach Kriegsende vor allem von der nichtjüdischen Umgebung als passive Opfer, als »Herde von Schafen« betrachtet, so übernahmen dies nun zahlreiche junge jüdische Autoren: Arnošt ­Lustigs Erzählung »Heimkehr« etwa berichtete von dem unbeholfenen Versuch des -­ Hynek Taussig, sich der Deportation zu entziehen. Die inneren Konflikte bringen diesen schließlich dazu, sich in einen Transport nach Theresienstadt zu schwindeln. Hynek Taussig, das »Schaf«, die arme kleine »Maus«, befinde sich somit wieder in der Masse der verfolgten Juden, wo er hingehöre – das sei seine »Heimkehr«.369

365 Bor: Die verlassene Puppe, 40. 366 Haman: O tak zvané »druhé vlně«, 519. 367 Sehr deutlich etwa in der Erzählung »Kinder« in Arnošt Lustigs Nacht und Hoffnung. Deutsch in einem Band zusammengefasst: Lustig: Demanten der Nacht, 84–98. 368 Ebd., 89. 369 Lustig, Arnošt: Heimkehr [aus: Nacht und Hoffnung]. In: ebd., 10–46.

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2.2 Patriotismus, Nationalismus, Ethnozentrismus In direkter Verbindung mit dem Heroismus – nämlich mit der Frage des heldenhaften Leidens und Sterbens wofür – stehen der tschechische Patriotismus und ethnozentristische Nationalismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn die Toten des Zweiten Weltkrieges seien nicht nur gestorben, wie es oft hieß, damit »wir« leben, sondern sie seien gestorben, »damit die Nation lebt«.370 Bereits nach dem Münchener Abkommen 1938 und während des Krieges waren tschechische nationalistische Tendenzen deutlich gestärkt worden.371 Wie in anderen europäischen Ländern mündeten diese nach dem Kriegsende in eine äußerst patriotische Stimmung, die eine kritische Stimme wie jene des Philosophen Milan Šimečka in den 1980er Jahren gar als »nationale Ekstase« (vytržení) bezeichnete.372 In dieser Atmosphäre habe es keinen Platz für jedwede Andersartigkeit, für gesellschaftliche Heterogenität gegeben. Den Juden sei nur eine »hastige« Assimilation geblieben, eine »Nationalisierung«, in Šimečkas Worten.373 Seit dem modernen Nationsbildungsprozess in Böhmen konkurrierten unterschiedliche Konzepte von Nation, Volk und Vaterland. Anders als etwa das französische oder britische Verständnis einer Staatsnation, einer Nation gleichberechtigter Bürger, die ein gemeinsames Territorium teilen, setzte sich im Laufe der tschechischen nationalen »Wiedergeburt« (obrození) im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhundert die Dominanz eines ethnischen Nationsverständnisses durch.374 Die tschechische Nation definierte sich weniger über einen gemeinsamen Staat, als vielmehr über eine ethnische Zusammengehörigkeit, eine gemeinsame Sprache, kulturelle Wurzeln und Bräuche – die »Geschichte«375 – sowie eine recht vage gebliebene Heimatliebe Böhmens.376 Wichtiger Bestandteil dieses – im Gegensatz zum »staatsbürgerlichen« Nationalismus – exklusiven Nationsverständnisses war die Vorstellung einer nationalen »Seele«, eines mythischen Zusammenhalts der als homogen verstandenen Gruppe.377 Mit der Errichtung der Ersten So etwa aus einem Zitat von Ladislav Kopřiva in: Kypr: Malá pevnost Terezín, 165. Siehe vor allem Bryant: Prague in Black. – Paces: Prague Panoramas, 158–169. Šimečka: Původ nejistoty, 27. Ebd., 27 f. Trotz mehrfach geäußerter Kritik an den Unzulänglichkeiten dieser – zu einfachen – analytischen Trennung, wird meist dennoch an der Unterscheidung in die beiden Na­ tionskonzepte als »handhabbare Formel« (Brubaker) festgehalten. Siehe etwa Brubaker: Ethnizität ohne Gruppen, 186–206. – Smith: National Identity, 79–84. – Gellner: Nations and Nationalism, 99–101. 375 Hierzu auch Hobsbawm: Introduction. 376 Zum tschechischen Nationalismus siehe unter vielen anderen Pynsent: Questions of Identity. – Ducreux: Histoire. – Urban: Zu Fragen. – Kořalka: Fünf Tendenzen. 377 Smith: National Identity, 81.

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Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1918  – als multinationalem Staat mit relativ weit reichenden Minderheitenrechten – existierten beide Konzepte nebeneinander: jenes der ethnischen Nation der Tschechen (unerwähnt soll hier das gescheiterte Projekt bleiben, eine Nation der Tschechoslowaken zu konstruieren) sowie jenes der Nation gleichberechtigter Staatsbürger. Drängten bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nationalistische Tendenzen dazu, die tschechische Nation eng aufzufassen und die Minderheiten – das heißt vor allem Deutsche und Juden – aus ihr auszuschließen,378 so setzte sich dieses Ideal der ethnisch »reinen« Nation während des Zweiten Weltkrieges und mit der darauf folgenden Neugründung der Tschechoslowakei als Nationalstaat der Tschechen und Slowaken allgemein durch.379 Die Stärkung dieser ethnozentristischen und exklusiven Perspektive wirkte sich selbstverständlich auch auf das Geschichtsbild aus. Da aus diesem nationalistischen Blickwinkel die multikulturelle Vergangenheit Böhmens kein Ideal, sondern ihr Gegenteil, nämlich den Kern allen Übels darstellte, wurden die Minderheiten aus der Nationalgeschichte ausgeblendet. Diese sollte nicht die multinationalen, multiethnischen und multireligiösen Aspekte der Vergangenheit beleuchten, sondern sich ausschließlich auf die Geschichte der Tschechen und Slowaken konzentrieren. Kurz: Aus der Geschichte der Tschechoslowakei wurde eine Geschichte der Tschechen.380 Offensichtlich werden hierbei die traditionell bedeutsamen Wechselwirkungen zwischen Politik und Geschichte, zwischen dem Aufbau eines National­ staates und der Neuinterpretation der Nationalgeschichte. »Die seit der Zeit des ›obrození‹ stets enge und lebendige Verbindung der historischen Wissenschaft mit der politischen Entwicklung der Nation«, so Peter Heumos in seiner Analyse der Überlappungen von Geschichtswissenschaft und Politik in der Tschechoslowakei, hat sich nach 1945 zweifellos noch vertieft. […] Die programmatischen Erklärungen der politischen Parteien nach 1945 – von den Kommunisten über die nationalen Sozialisten und die mährische Volkspartei bis zur Sozialdemokratischen Partei – überboten sich geradezu darin, im Rückgriff auf den Hort geschichtlicher Überlieferung die nationale Identität der tschechischen und slowakischen Gesellschaft wiederherzustellen und sich selbst mit dieser in eins zu setzen.381

In einer gesellschaftlichen und politischen Atmosphäre, deren Ideale ethni­ sche und soziale Homogenität waren,382 verwundert es kaum, dass gerade 378 Paces: Prague Panoramas, 11 f. 379 Siehe allgemein Bryant: Prague in Black. – Brenner: »Zwischen Ost und West«. 380 Zu den Kontinuitäten dieses Verständnisses der tschechischen Geschichte siehe etwa Kučera: Zum tschechischen Forschungsstand. 381 Heumos: Geschichtswissenschaft, 544. 382 Hierzu auch Sayer: The Coasts, 247.

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die Geschichte des Zweiten Weltkrieges in erster Linie als Konfrontation zwischen Tschechen und Deutschen, zwischen Slawen und Germanen, zwischen dem einfachen tschechischen Volk und den kapitalistischen, ja imperialistischen deutschen Ausbeutern interpretiert wurde. Die ethnozentristische Auffassung der tschechischen Nation und die enge Auffassung der Nationalgeschichte schlossen Juden von ersterem und den Holocaust aus zweiterem aus. Die enge Verbindung von Geschichte und Nation, das heißt die patriotische Deutung des Zweiten Weltkriegs, konnte unmittelbar nach 1945 auf ganz konkrete tagespolitische Bedürfnisse zurückgeführt werden: die Einigung einer Nation mit äußerst unterschiedlichen Kriegserfahrungen, die tschechisch-slowakische Verständigung nach der Wiedervereinigung des Landes, die Rechtfertigung der Vertreibung der Deutschen und Ungarn. Diese Nähe von Geschichte und Nation verlor allerdings auch in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht ihre Bedeutung. In den 1950er Jahren etablierte sich zwar die marxistisch-leninistische Geschichtsauffassung, demnach nicht Nationen, sondern Klassen die entscheidenden Akteure der Geschichte und somit des Zweiten Weltkriegs seien. Dennoch findet man weiterhin an prominenter Stelle das patriotische Bild des antifaschistischen Helden, die Darstellung des Kämpfers für die nationale Freiheit.383 Denn trotz ihrer internationalistischen Rhetorik kam die kommunistische Propaganda nicht umhin, ihre gesellschaftliche Legitimität über die Einreihung in die nationale Geschichte zu bekräftigen. Anson Rabinbach sah daher im offiziellen Antifaschismus nach dem Zweiten Weltkrieg »nichts anderes als de[n] Kult um ein von staatlich sanktionierter Nostalgie und Legitimationsversuchen durchdrungenes Geschichtsbild.«384 Cynthia Paces zeigte anschaulich, wie die Kommunisten die Traditionen und Mythen der heldenhaften und »proletarischen« Hussiten aufgriffen und nationale, religiöse und marxistische Ideale und Vorstellungen miteinander verbanden.385 So merkte auch Hans Lemberg an, dass das offizielle Geschichtsbild der 1950er Jahre »die fast vollständige Übernahme des traditionellen nationalen Geschichtsbildes  – mit gewissen Adaptationen« enthalten habe.386 In der Tat verstanden 383 Siehe etwa sehr deutlich in den Ansprachen auf den Sitzungen des Zentralausschusses des SPB und weitere Dokumente in NA , f. ÚV SPB , Kt. 53 und 54. Als ein Beispiel: Hlavní politické úkoly SPB v r. 1959 /Referát na zasedání ÚV SPB 13.12.1958/, ebd., Kt. 54. – Sehr deutlich auch Jan Píšala: Návrhy komise OV SPB v Opavě pro akci na zlepšení protifašistické výchovy na základních devítiletých školách, o. J. [1967], ebd., Kt. 56. – Siehe allgemein Brenner: Eine Heldentypologie, 237. 384 Rabinbach: Begriffe, 41. 385 Anschaulich etwa die Kapitel zum Nationaldenkmal am Vítkov-Hügel und zur Wiedererrichtung der Bethlehemskapelle in Prag: Paces: Prague Panoramas, 170–209. 386 Lemberg: Die Rolle von Geschichte, 154. – Ähnlich Graus: Naše živá, 18. – Siehe ferner Górny: Past in Future.

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sich die Kommunisten, wie der Kulturminister Zdeněk Nejedlý es in seinem programmatischen Buch formulierte, als die »Erben der großen Traditionen der tschechischen Nation«,387 wurde auch von Kommunisten eine direkte Linie von der Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts zur neuerlichen »Wieder­ geburt« nach der nationalsozialistischen Fremdherrschaft gezogen.388 Auch in den 1960er Jahren, in denen keineswegs mehr von einem virulenten Nationalismus als einem Charakteristikum der allgemeinen gesellschaftlichen Stimmung in der Tschechoslowakei gesprochen werden kann, wurde in den meisten Dokumenten über den Zweiten Weltkrieg die patriotische Deutung der Geschehnisse aufrechterhalten. Die dogmatischen Auffassungen der stalinistischen 1950er Jahre wurden oft abgelöst von nationalistischen, so etwa wenn es darum ging, den Zweiten Weltkrieg nicht mehr, aus sowjetischer Perspektive, als Großen Vaterländischen Krieg zu betrachten, sondern – näher an den Erfahrungen der meisten Tschechen  – als Okkupation Böhmens und Mährens.389 Zeitgleich gingen Historiker, Schriftsteller und andere Intellektuelle in den 1960er Jahren daran, den tschechischen Nationalismus kritisch zu hinterfragen und die nationale Geschichte in einen breiteren Kontext zu stellen.390 Diese Entwicklung jedoch stieß auf Widerspruch. Der Histo­riker Čestmír Amort sprach sich auf einer Sitzung des Zentralausschusses des Verbands der antifaschistischen Kämpfer im Januar 1966 klar gegen eine zu weit gehende Distanz von der patriotischen Wahrnehmung der Geschichte aus: Die Liberalisierung der Geschichtsauffassung laufe, so Amort, auch Gefahr, zu kosmopolitisch und nicht mehr patriotisch zu sein. Ein »gesunder Patriotismus« müsse gefördert werden, wie auch der Schwerpunkt weiterhin auf der »nationalen Geschichte« liegen müsse.391 Holocaust-Erinnerung in der Zeit der »nationalen Ekstase«

Ein virulenter und vor allem gegen die deutsche und ungarische Minderheit des Staates gerichteter Nationalismus war in der Tschechoslowakei unmittelbar nach Kriegsende zu verzeichnen, in der Zeit, die Milan Šimečka als »nationale Ekstase«392 beschrieb, oder Karel Kaplan, einer der profiliertesten Kenner der tschechoslowakischen Zeitgeschichte, als Periode der »nationalen 387 Nejedlý: Komunisté.  – Zu Nejedlýs Symbiose von Nationalismus und Kommunismus siehe unter anderen Paces: Prague Panoramas, 196–199. 388 Hierzu Macura: Šťastný věk, 131–146. – Siehe auch Kořalka: Historiography, 1027 f. 389 Beneš: Das Bild des Zweiten Weltkriegs, 133. 390 Graus: Naše živá. – Bartošek: Czechoslovakia. 391 Zápis ze zasedání ÚV SPB , konané ve čtvrtek, 27.  ledna 1966, 12–14, NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. 392 Šimečka: Původ nejistoty, 27.

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Besessenheit«.393 Die Atmosphäre im wieder errichteten Staat sei, so Kaplan, geprägt gewesen von einem »überspitzten Nationalismus. […] Die Welle des Nationalismus erfaßte beinahe die gesamte Gesellschaft und prägte das politische Leben.«394 Zurückzuführen ist diese Stimmung auf gesellschaftliche Tendenzen seit Ende der 1930er Jahre und besonders während des Zweiten Weltkrieges. Dem tschechischen Historiker Václav Kural zufolge habe sich im tschechischen Widerstand als Reaktion auf die nationale Bedrohung durch NS -Deutschland »eine Symbiose […] von Antifaschismus, Nationalismus und demokratischem Sozialismus« herausgebildet.395 Dieser »außerordentlich engen Verschmelzung des nationalen und des sozialen Programms« im Widerstand entsprach auch die Wahrnehmung der erneuerten Tschechoslowakei im Mai 1945 »nicht nur als ›rein nationaler, slawischer Staat‹, sondern auch als Staat mit einer ›neuen Sozialordnung‹.«396 Aus diesem Grunde wurden die tiefgehenden gesellschaftlichen Umwälzungen seit dem Zweiten Weltkrieg – sowohl von Zeitgenossen als auch rückblickend – häufig als soziale und nationale »Revolution« beschrieben.397 Die radikalen nationalen und sozialen Veränderungen in der tschechischen  Gesellschaft seit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brachten eine Neudefinition der tschechischen Nation mit sich. Die Bemühungen um einen homogenen Nationalstaat der Tschechen und Slowaken richteten sich in erster Linie gegen die deutsche und ungarische Minderheit, trafen im Ende jedoch genauso die Juden und andere nationale, ethnische oder religiöse Minoritäten. Die Suche nach einer neuen nationalen Identität der tschechischen Gesellschaft führte zu einer engen ethnischen – und mit dem häufigen Verweis auf das »tschechische Blut« durchaus rassistischen – Definition der Nation.398 Hinzu kam als ideologische Komponente der Bezug zur slawischen Kultur, der besonders auch als Gegensatz zum Deutschtum verstanden wurde. Besonders unterstrichen und zu einem Ideal erhoben wurde das – wiewohl im Detail vage gebliebene – »Tschechentum« (češství). Eine Ehre war es demzufolge, und gewissermaßen der einzig sinnvolle Tod, »als Tscheche« gestor393 Kaplan: Pravda, 116. – Ohne Quellennachweis zitiert auch bei Loewenstein: Überlegungen, 33. 394 Kaplan: Der kurze Marsch, 31. 395 Kural: Deutsche Besatzung, 92. 396 Ebd., 95. – Zum Zusammenhang von Zweitem Weltkrieg und erstarktem Nationalismus nach 1945 siehe vor allem Bryant: Prague in Black. – Frommer: National Cleansing. – Ders.: Retribution. – Abrams: The Struggle. 397 Siehe etwa Kaplan: Der kurze Marsch, 15 und 22. 398 Hartmannová: »My« a »oni«, zur Bedeutung des »tschechischen Blutes« 102 f. – Brenner: »Zwischen Ost und West«, 224–229.

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ben zu sein.399 Die – retrospektive – Richtschnur für das individuelle Handeln während der Okkupation war, sich »als Tscheche« verhalten zu haben.400 Nicht nur die staatliche Loyalität sollte daher überprüft werden, sondern auch die »nationale Zuverlässigkeit« (národní spolehlivost) – so hieß es im Rahmen der Diskussionen um die Aufrechterhaltung der Staatsbürgerschaft. Deutsche und Ungarn, genauso aber auch Juden mussten nachweisen, sich weder am tschechoslowakischen Staat noch an der tschechischen oder slowakischen Nation vergangen zu haben. Die »nationale Zuverlässigkeit« musste gleichermaßen nachgewiesen werden, um in die Verbände der NS -Opfer aufgenommen zu werden.401 Wurde von der Überprüfungskommission des Verbands der Freiheitskämpfer, wie etwa im Jahre 1949, festgestellt, dass das Verhalten eines Mitglieds während der Zeit des Zweiten Weltkriegs »unvereinbar sei mit der Idee eines guten Tschechen«, so war dies ein Grund, den Betreffenden aus dem Verband auszuschließen.402 Diese Entwicklung war für viele keineswegs eine Überraschung, sondern eine vorhersehbare Folge des Zweiten Weltkrieges. Arnošt Frischer, der nach der Okkupation der Tschechoslowakei ins britische Exil gegangen war und dort als Mitglied des tschechoslowakischen Staatsrates, das heißt des Exil­ parlaments, gewirkt hatte, meinte noch vor Kriegsende, im März 1945, dass man damit rechnen müsse, dass »zumindest am Anfang der Nationalismus gestärkt sein wird«, was auch »die politische Position der Juden noch schwerer machen [werde], als sie bisher war.«403 Die Leitung der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei war sich, als sie ihren Dachverband, den Rat der jüdischen Gemeinden gründete, dessen bewusst, »dass in der heutigen Zeit und unter den heutigen Bedingungen für einen Partikularismus kein Platz ist«.404 Die Repräsentanten der jüdischen Minderheit machten sich keine Illusionen. Ihnen war klar, dass die rechtliche und gesellschaftliche Situation der Juden in der Nachkriegstschechoslowakei in keiner Weise jener vor dem Krieg 399 Unter vielen anderen Littloch: Mauthausen, 106. 400 Siehe etwa Schreiben [des užší výbor Pražského kraje SOPVP] an Ústředí SOPVP, ­odbor organisační  a právní, o. J. [August / September 1946], NA , f. ÚV SPB , Kt. 19.  – Rundschreiben des Ústřední sekretariát SOPVP  – Přešetřující komise (Daníček, Erban, Schuster), [Mai / Juni] 1946, ebd. 401 Pořad 19.  schůze předsednictva SOPVP, konané dne 26.11.1946, ebd., Kt. 18.  – Siehe etwa Návrh na Prověřovací řád Svazu bojovníků za svobodu, o. J. [1949], ebd., Kt. 25. – Kritisch zur Bedeutung des Nachweises der nationalen Verlässlichkeit: Ha Ge: Zapomínáme, či jsme nasáklí? In: Dnešek vom 20.3.1947, 806 f., zit. nach CAHJP, CS/273. 402 Návrh na Prověřovací řád Svazu bojovníků za svobodu, o. J. [1949], NA , f. ÚV SPB , Kt. 25. 403 Frischer, Arnošt: Jak viděl člen státní rady Ing. A. Frischer politickou situaci v Československu v první době po osvobození. In: Věstník 7/1 (1945), 4 f. 404 Schreiben [wohl der Prager jüdischen Gemeinde, anlässlich des ersten Treffen der jüdischen Gemeinden Böhmens und Mährens], o. J. [September 1945], CAHJP, P 209/13.

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entsprechen würde. Arnošt Frischer beschrieb die Atmosphäre im Jahr 1945 als »untröstlich«; die Welt sei, nur wenige Monate nach Kriegsende, »nicht den Schwachen geneigt«.405 Der Historiker Tomáš Staněk meinte Anfang der 1990er Jahre daher auch, dass die »Eingliederung der Juden in das Leben der ›volksdemokratischen‹ Tschechoslowakei nach dem Krieg […] keine einfache Angelegenheit« gewesen sei.406 In der Tat erlebten zahlreiche aus dem Theresienstädter Ghetto, aus Konzentrationslagern oder aus dem Exil zurückkehrende tschechische Juden den Empfang in ihrer Heimat als Ernüchterung.407 Die fehlende Toleranz des Anderen, auch dem Journalisten Peter Brod zufolge ein essentieller Unterschied zwischen der Dritten und der Ersten Tschechoslowakischen Republik,408 und das Ideal der ethnisch homogenen Nation sind der Kern des Ethnozentrismus, den etwa der Historiker Michal Frankl der tschechischen Gesellschaft vorwirft.409 In einer zwar nicht offen antisemitischen, allerdings extrem antideutschen Stimmung war es insbesondere die Diskussion um die »deutschen Juden«, die sehr früh den Juden in der Nachkriegstschechoslowakei zeigte, unter welchen  – restriktiven  – Bedingungen sie in die tschechische Gesellschaft Aufnahme finden konnten. Zudem zeigen diese Debatten, wie antisemitische Denkweisen latent fortlebten. Deutsche Juden und jüdische Germanisatoren

In der Debatte um die »deutschen Juden« laufen zwei Aspekte, Nationalismus und Antisemitismus, zusammen: Zusätzlich zum bereits behandelten Vorwurf, die tschechischen Juden hätten nichts gegen den Nationalsozialismus unternommen, kam der – noch schwerer wiegende – Verdacht, die Juden hätten vor dem Zweiten Weltkrieg die deutsche Kultur und Sprache in Böhmen und Mähren gefördert, und damit – nicht in ihrer Eigenschaft als Juden, aber als vermeintliche Deutsche – dazu beigetragen, die Grundlagen für die existenzielle Bedrohung der tschechischen Nation durch die Nationalsozialisten 405 Projev předsedy Rady ing. Arnošta Frischera o činnosti Rady  a o jejích úkolech, o. J. [September 1945], 20, YVA , O.7cz/318. 406 Staněk: Němečtí židé, 44. 407 Siehe hierzu etwa RFE Situation Report: The 10th Year Without a Rabbi: A Dwindling Community, 16.1.1980, Privatarchiv Peter Brod. – RFE Situation Report Czechoslovakia/35, 3.9.1975, ebd. – Dazu auch noch weiter unten. 408 Brod, Peter: Osudy českých židů po roce 1945. In: Lidové noviny vom 22.11.1995, 14, Privat­a rchiv Peter Brod. – Siehe hierzu auch Brod: Die Juden. 409 So Michal Frankl im Gespräch im Studio 6 des Tschechischen Fernsehens: (15.3.2014). – Ähnlich Kučera: Zum tschechischen Forschungsstand, 167 – Kolář: A Difficult Quest, 208.

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zu legen.410 War das Bild des deutschen Gegenübers seit dem Aufkommen des modernen Nationalismus Teil  der tschechischen Selbsverortung, so wurde die traditionelle Dichotomie vom tschechischen »Wir« und dem deutschen »Ihr« nach dem Zweiten Weltkrieg ins Extrem gesteigert.411 Juden wurden in dieser unvereinbaren Gegenüberstellung oft in die Feindrolle gedrängt, zumal auf das antisemitische Stereotyp der »germanisierenden« Juden, das seit dem ausgehenden 19.  Jahrhundert kultiviert worden war, zurückgegriffen werden konnte.412 Diese Identifizierung der Juden als Deutsche wurde zu bekräfigen versucht, indem die Angaben bei der letzten Volkszählung im Jahre 1930 herangezogen wurden. Die Tschechoslowakei der Zwischenkriegszeit hatte Staatsbürgerschaft und Nationalität getrennt betrachtet, wodurch tschechoslowakische Bürger bei Volkszählungen beispielsweise die tschechische, deutsche oder jüdische Nationalität angeben konnten.413 Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dagegen das Judentum nicht mehr als Nationalität, sondern ausschließlich als Religion offiziell anerkannt. Die »deutschen Juden«, Schätzungen zufolge um die 2.000 nach 1945,414 wurden von vielen als Verräter am tschechischen Volk und als »Germanisatoren« betrachtet, sofern sie nicht das Gegenteil beweisen konnten.415 Mehr als die leidvollen Erfahrungen, die die tschechoslowakischen Juden zwischen 1938 und 1945 durchgemacht hatten, mehr als die Taten der einzelnen Personen während des Zweiten Weltkrieges zählte nun die nationale Zugehörigkeit, die diese Menschen 15 Jahre zuvor angegeben hatten. Denn »dass die Juden unter der nazistischen Böswilligkeit [zlovůle] litten, begründet noch nicht ihre tschechische Nationalität«.416 Viele

410 Siehe etwa Hledejte pravdu. In: Věstník 7/3 (1945), 20 f. – Hrdlička, Jan: Co pro nás není problém. In: Hlas osvobozených 2/38 (1946), 3. – Dazu aber näher unten. 411 Leff: Czech and Slovak Nationalism, besonders 127–134. 412 Frankl: »Sonderweg«, besonders 124. 413 Čapková: Uznání. – Dies.: Czechs, besonders 26–54. 414 [Wehle, Kurt]: Zpráva o Shromáždění delegátů 26.  až 28.  října 1947. In: Věstník 9/23 (1947), 326–328, hier 327.  – Barber, Stephen: Report from Europe: Prague Revisited. In: Jewish Affairs. Facts and Views 1/3 (1947), 5, Privatarchiv Peter Brod. – Schikorra: Rückkehr, 371. – Die Schätzung von 1.500 »deutschen Juden« bei Tragická příhoda. In: Věstník 9/8 (1947), [101]f., hier 102. – Zwischen 1.500 und 2.000 im Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, 7, CZA , C2/1623. – Allgemein zur Frage der »deutschen Juden« Staněk: Němečtí židé. – Brenner: »Zwischen Ost und West«, 209–222. 415 Pachnerová, Míla: Plevel židovská a nežidovská. In: Dnešek Nr. 11 vom 6.6.1946, 163 f. – Siehe weiter etwa Hledejte pravdu. In: Věstník 7/3 (1945), 20 f. – Hrdlička, Jan: Co pro nás není problém. In: Hlas osvobozených 2/38 (1946), 3. – Neumann, Arnošt: Jak se provádí restituce žid. majetku. In: Věstník 9/5 (1947), 61 f. – Št.E. [Engel, Štěpán]: Varnsdorf: genius loci. In: Věstník 9/6 (1947), 70 f. 416 Zit. nach Sedlák: Poté, 253 f. Allerdings entstammt dieses Zitat nicht aus der Quelle, die Sedlák angibt.

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Juden wurden auf diese Weise als »Deutsche« stigmatisiert und diskriminiert, mussten etwa das für Deutsche bestimmte weiße Armband tragen, erhielten Lebensmittelkarten für Deutsche oder mussten der Beschlagnahmung ihrer Wohnung ohnmächtig zusehen.417 Die Juden nichttschechischer bzw. nichtslowakischer Nationalität befanden sich unmittelbar nach Kriegsende in einem legalen Vakuum, ihre rechtliche Stellung hing wesentlich von der lokalen Verwaltung ab und variierte daher von Ort zu Ort.418 Oft galten für die »deutschen« Juden, zumindest anfangs, dieselben gesetzlichen Vorgaben wie für Deutsche. Nur wenige Wochen nach Kriegsende, Anfang Juni 1945, äußerte Arnošt Frischer bereits seine Befürchtungen, dass die Frage der deutschen Nationalität zu Diskriminierungen zahlreicher Juden führen könnte, da zurückkehrende Juden immer öfter nach ihrer 1930 angegebenen Nationalität gefragt würden.419 Diese Behandlung zahlreicher Juden als Deutsche bedeutete für viele auch den Entzug der Staatsbürgerschaft, die nicht erfolgte Vermögensrückstellung, ja selbst die Einordnung in Transporte zur Vertreibung der deutschen Minderheit aus der Tschechoslowakei.420 In einer Richtlinie zur »Säuberung [vyčištění] Mährens und Schlesiens von den Deutschen« vom Juni 1945 wurde beispielsweise verlangt, auch die deutschsprachigen Juden auszusiedeln, »die nicht wegen ihrer Gesinnung oder ihres Verhaltens von den Nazis verfolgt worden waren.«421 So hielt Anfang 1946 der Mitarbeiter im Sozialministerium Berthold Simonsohn fest, dass »sich die Antipathie gegen alles Deutsche [oft] auch auf die deutschsprechenden Opfer der Nationalsozialisten« übertrage.422 Hier sollte auch an das Zitat von Václav Nosek, dem kommunistischen Innenminister, erinnert werden, der im Februar 1946 zur Frage der Konfiszierungen meinte, dass sie durchaus auch Juden betreffen sollte, so diese vor dem Zweiten Weltkrieg gegen die tschechische bzw. slowakische Nation oder den 417 Siehe etwa U pana presidenta. In: Věstník 7/4 (1945), 26 f. – Konečně jasno. In: Věstník 8/10 (1946), 87.  – Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, CZA , C2/1623. – Barber, Stephen: Report from Europe: Prague Revisited. In: Jewish Affairs. Facts and Views 1/3 (1947), 5, Privatarchiv Peter Brod. – Wehle: The Jews in Bohemia and Moravia, 508 f. – Nepalová: Die jüdische Minderheit, besonders 335–339. – Hrabovec: Vertreibung, 306–312. 418 Siehe etwa Sedlák: Poté, insbesondere 83–97. 419 Arnošt Frischer an Sociální výbor Židů z Československa v Londýně, 3.6.1945, Abschrift, CZA , A320/304.  – Dopis Rady ŽNO ministerstvu vnitra proti diskriminaci židovských občanů německé národnosti, 12.10.1945. In: Bulínová: Československo a Izrael, 28–30. 420 Zu den unterschiedlichen Begriffen für das, was in Tschechien meist »odsun« (oft als Abschub übersetzt) genannt wird, siehe etwa Schmidt-Hartmann: Menschen oder Nationen? 421 Staněk: Organizované divoké odsuny, 350. 422 Unadressiertes Schreiben von Berthold Simonsohn, 6.1.1946, CZA , A320/328.

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tschechoslowakischen Staat aufgetreten seien. Zu Vertretern der Nationalausschüsse und Verwaltungskommissionen meinte er: Manche waren dann inhaftiert, da sie jüdischer Herkunft waren und also teilweise [sic!] unter dem nazistischen Terror litten, aber da müssen Sie alle überprüfen, wie sich diese Einzelpersonen noch in der Zeit der Republik benommen haben, und falls sie germanisiert, deutsch gesprochen [němčili] oder die deutschen Schulen unterstützt haben, gehört ihr Vermögen dem Staat und muss konfisziert werden.423

Ein Politiker wie Jan Masaryk wurde dadurch zwar genötigt, Stephen B ­ arber, einem Vertreter des World Jewish Congress und ein gebürtiger Tscheche, zu versichern, diese Frage mit Innenminister Nosek zu besprechen, namentlich »to mitigate the effects of his statement on this subject.«424 Das willkürliche und in der Praxis durchaus – als antideutsch kaschierte – antisemitische Vorgehen der lokalen Behörden in Fragen von Staatsbürgerschaft, Restitution und Konfiszierung von »feindlichem Eigentum« wurde durch die Rede Noseks allerdings nur bekräftigt.425 Es dauerte über ein Jahr, bis das Innenministerium eine Richtlinie he­ raus­gab, deren Existenz der Rat der jüdischen Gemeinden als »einen seiner größten Erfolge« bezeichnete.426 Diesem Erlass vom 13. September 1946 zufolge wären alle Personen, die von den Nationalsozialisten als Juden betrachtet worden waren, als Verfolgte einzustufen.427 Dies sollte direkte Auswirkungen auf die Anerkennung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft und damit auf die Restitution von Eigentum haben. Nur drei Tage zuvor hatte das Innenministerium bereits verordnet, dass die Aussiedlung von »Juden oder

423 Zahajuje se hromadné konfiskační řízení proti majetku nepřátel státu. In: Národní osvobození vom 21.2.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 19. – Zitiert wird diese Aussage unter anderen bei Nepalová: Die jüdische Minderheit, 353. – Sedlák: Poté, 157. – Brenner: »Zwischen Ost und West«, 214. 424 Stephen Barber an Vojtech Winterstein (ÚSŽNO), 21.3.1946, CZA , C2/2554.  – Václav Nosek sprach hier konkret von der Umsetzung des Dekrets 108/45. 425 Zum Vorwurf der Germanisierungs-Tätigkeit tschechischer Juden, insbesondere in Fragen der Rückerstattung von Eigentum, siehe weiter: Št.E. [Engel, Štěpán]: Zájem o hotel a »germanisace«. In: Věstník 9/24 (1947), 341 f. – K událostem ve Varnsdorfu. In: Věstník 9/6 (1947), [69]f. – Neumann, Arnošt: Jak se provádí restituce žid. majetku. In: Věstník 9/5 (1947), 61 f. 426 [Wehle, Kurt]: Zpráva o Shromáždění delegátů 26.  až 28.  října 1947. In: Věstník 9/23 (1947), 326–328, hier 327. 427 Výnos MV č. Z / S-3559/89–17/9–46: Osoby, které byly okupanty považovány za osoby židovského původu, pokyny pro rozhodování o zachování čs. státního občanství a povo­ lování při vystěhování, jde-li o osoby národnosti německé či maďarské, 13.9.1946, Abschrift, NA , f. ÚV SPB , Kt. 20. – Siehe dazu etwa auch Nepalová: Die jüdische Minderheit, 337 f. – Sedlák: Poté, 95–97. – Spravedlnost židům a míšencům. In: Lidové noviny vom 21.9.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 19.

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Personen jüdischer Herkunft« im Rahmen der Vertreibung der Deutschen verboten sei.428 Zudem wurde in diesem Erlass die »Germanisierungstätigkeit« erstmals enger gefasst, so hieß es etwa, dass die Verwendung der deutschen Sprache oder die einfache Teilnahme am deutschen Vereins- und Kulturleben noch keine aktive Germanisierung begründe.429 Die konkrete Auslegung der »Germanisierungstätigkeit« der Juden in der Zwischenkriegszeit und davor ließ ungeachtet dessen weiterhin einen großen Freiraum für subjektive und uneinheitliche Vorgehensweisen und Entscheidungen der lokalen Behörden. Trotz der gesetzlichen Definition der Germanisierung blieb, so Christiane Brenner, »gerade dieser Begriff für Manipulationen offen«430, war der Begriff, so Štěpán Engel bereits im Jahre 1947, »zu biegsam, als dass die Paragraphen der Rechtsordnung […] ihm standhalten könnten.«431 So blieb auch insgesamt der Erlass vom 13. September 1946 zwar ein wichtiger Schritt zur Lösung der ungeklärten Stellung der Juden in der Nachkriegstschechoslowakei, in der Praxis hielten sich allerdings nicht alle staatlichen Stellen an diese neuen gesetzlichen Vorgaben. Denn Letztere drangen, so der Historiker Peter Heumos, »offensichtlich nicht bis zu den Bezirksgerichten, den Nationalausschüssen und lokalen Polizeiorganen durch.«432 So sorgte etwa Ende des Jahres 1947 die Praxis einer Prager Bezirksbehörde für Aufregung, die aktive »Germanisierungstätigkeit« von Juden mit Hilfe der Abonnentenliste im deutschen Theater festzustellen. In diesem Theater hätten jedoch, wie der jüdische Journalist Štěpán Engel unterstrich, in der Zwischenkriegszeit durchaus auch tschechische Minister Plätze abonniert gehabt.433 Überhaupt kann festgehalten werden, dass der häufigste Grund für die negative Erledigung von Gesuchen um Beibehaltung der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft der Vorwurf der Germanisierung war, der sich allerdings, so Šárka Nepalová in ihrer Studie über die Situation der tschechoslowakischen Juden in den Jahren 1945–1948, »oft auf aus rechtlicher Sicht unakzeptable Dokumente stützte.«434 Ebenso wurde in der Frage der Rückgabe von Eigentum vorgegangen: Ging es um einen Antrag eines Juden, der sich 1930 zur deutschen Nationalität bekannt hatte, so Nepalová, »schöpften 428 Výnos č.j. B-300/10.690 vom 10.9.1946, zit. nach Sedlák: Poté, 94 f. 429 Výnos MV č. Z / S-3559/89–17/9–46: Osoby, které byly okupanty považovány za osoby židovského původu, pokyny pro rozhodování o zachování čs. státního občanství  a povolování při vystěhování, jde-li o osoby národnosti německé či maďarské, 13.9.1946, Abschrift, NA , f. ÚV SPB , Kt. 20. 430 Brenner: »Zwischen Ost und West«, 216. 431 Št.E. [Engel, Štěpán]: Zájem o hotel  a »germanisace«. In: Věstník 9/24 (1947), 341 f., hier 341. 432 Heumos: Rückkehr ins Nichts, 277. 433 Št.E. [Engel, Štěpán]: Si tacuisses… Kdybys byl mlčel… In: Věstník 9/29 (1947), 401. 434 Nepalová: Die jüdische Minderheit, 357.

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die Beamten alle Möglichkeiten aus, die die Rückgabe des Vermögens verhindern konnten.«435 Diese nationalistische Wahrnehmung von Tschechen und Slowaken, Deutschen und Ungarn, in der es keinen separaten Platz gab für die Gruppe der verfolgten Juden, zeigte sich auch in teils polemischen Debatten in den Medien. Im Oktober 1945 wurde in einer Pressemeldung dazu aufgerufen, die Frage der Juden in der Nachkriegstschechoslowakei nicht nach rassischen, sondern allein nationalen Gesichtspunkten zu bewerten: In der Tschechoslowakei geht es allein um die Frage Tscheche und Slowake, oder Deutscher und Ungar. Um nichts anderes. Bekennt sich allerdings ein Jude zur deutschen Nationalität, muss er denselben Weg antreten wie jeder anderer Bürger deutscher Nationalität […].436

Erinnert sei an dieser Stelle an die bereits zitierte Aussage des Dekans der philo­sophischen Fakultät der Karlsuniversität Jan Rypka, der diese Einschätzung bekräftigte, indem er meinte, dass es in Böhmen »keine Antithese Arier – Nichtarier [gab], sondern Tscheche und Deutscher.«437 Noch radikaler formulierte dies die prokommunistische Zeitschrift »Kulturní politika« (Kulturpolitik), die in einem Leitartikel zu einer Reihe antisemitischer Leserbriefe, die zuvor abgedruckt worden waren, Stellung nahm: Obviously, those Jews who considered themselves Germans (and who, if Hitler had not been an antisemite, would certainly have become furious Nazis) must not be surprised if the Czech people consider them German and do not want them in their midst. Those who feel themselves to be German and want to speak German should go to Germany or Austria.438

Auf ähnliche Weise verlangte die Journalistin Míla Pachnerová mehrere -­ Monate später, dass die »deutschen Juden« in die Aussiedlung der Deutschen einbezogen werden müssten, denn schlichtweg alle Deutschen sollten die Tschechoslowakei verlassen – und zwar ohne danach zu forschen, ob sie »arische oder nichtarische Großmütter« hatten.439 Diese antideutsche Stimmung in der Tschechoslowakei nach Kriegsende schilderten zahlreiche zurückkehrende Jüdinnen und Juden als erschreckend. Einer von ihnen, aus einer Prager deutschen Familie stammend, beschrieb die antideutsche Stimmung in Prag als »noch einen größeren Schock«, nach all 435 Ebd. 436 Otázka čsl. státního občanství se řeší na zásadách národnostních. In: Lidová demo­ kracie vom 10.10.1945, 2.  – Rozhoduje národnost, ne rasa. In: Mladá fronta vom 10.10.1945, NA , f. ÚV SPB , Kt. 21. 437 ESO: Praha má opět Židovské museum. In: Lidová demokracie vom 25.6.1946, 2. 438 Věstník 8/2 (1946), 14 f., zit. nach Meyer: Czechoslovakia, 103. 439 Pachnerová, Míla: Plevel židovská a nežidovská. In: Dnešek Nr. 11 vom 6.6.1946, 163 f.

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den Entbehrungen und Verlusten im Krieg.440 Ein anderer, Sohn eines nichtjüdischen Deutschen und einer jüdischen Mutter, der nach Kriegsende in ein Internierungslager gesteckt worden war und anschließend in die Obhut des Philanthropen Přemysl Pitter gekommen war, erinnerte sich an das Kriegsende im Mai 1945: »Ich hörte auf, ein ›Mischling zweiten Grades‹ zu sein, oder in der Übersetzung in die tschechische Gassensprache ein ›jüdischer Hurensohn‹ [židovskej parchant]. Nun war ich der Sohn eines Deutschen.«441 Personen mit deutscher Muttersprache waren dieser antideutschen Stimmung machtlos ausgeliefert. Als Arnošt Frischer Fritz Ullmann, einem deutschsprachigen Juden aus Böhmen, der während des Krieges im Schweizer Exil aktiv gewesen war,442 anbot, in die Tschechoslowakei zurückzukehren und für die jüdische Gemeinde tätig zu werden, vergaß er nicht, hinzu­ zufügen: »Du musst Dir dessen bewusst sein, dass die heutige Stimmung hier die deutsche Sprache nicht verträgt.«443 Anders als Ullmann, der sich dafür entschied, im Ausland zu bleiben, entschied sich Willi Weber, der die Lager Theresienstadt und A ­ uschwitz überlebt hatte, für einen Verbleib in der Tschechoslowakei. Als er Ende 1945 nach mehreren Jahren seinen Sohn wiedersah, der sich zu Kriegsbeginn in die britische und schließlich schwedische Emigration gerettet hatte, fuhren sie in der Straßenbahn zunächst »stillschweigend, denn hier kann man sich wahrhaftig nicht trauen, öffentlich die deutsche Sprache zu gebrauchen.«444 An diese Angst, auf der Straße deutsch zu sprechen, erinnerte sich auch der aus einer deutschsprachigen Familie stammende Wirtschaftswissenschaftler Jiří Kosta.445 Die Absurdität dieser Situation fasste der Rat der jüdischen Gemeinden in einem Schreiben an den Regierungsvorsitzenden Klement Gottwald zusammen: »Jahre litten sie als Juden unter den Deutschen und nun sollen sie in der befreiten Heimat selbst als Deutsche gelten!«446

440 Jüdisches Museum Prag, Abteilung Holocaust, Erinnerungen von Zeitzeugen, Akte Nr. 53 (Herr J. O.), zit. nach Nepalová: Die jüdische Minderheit, 338. 441 D. R.: Vzpomínky po čtyřiceti letech. Pohádka mládí. In: Pól 1/3 (1990), Privatarchiv ­Peter Brod. 442 Zu Ullmann siehe etwa Kryl: Fritz Ullmann. 443 Arnošt Frischer an Fritz Ullmann [deutsche Übersetzung], 22.7.1945, CZA , C3/1111. – Das tschechische Original des Briefes befindet sich in CZA , A320/304. – Ullmann war sich im Übrigen dieser Atmosphäre durchaus bewusst und bedankte sich bei Frischer für die Informationen, die »mir erneut klar beweisen, dass fuer mich kaum ein Betaetigungsfeld, schon aus sprachlichen Gruenden, daheim gegeben waere.« Fritz Ullmann an Arnošt Frischer, 8.8.1945, CZA , A320/304. 444 Weber: Wann wohl, 280. 445 Kosta: Nie aufgeben, 99. 446 Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, 5, CZA , C2/1623.

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Die jüdischen »Gäste« und der tschechische Antisemitismus

Die Atmosphäre, unter der viele Juden nach ihrer Rückkehr aus den nationalsozialistischen Lagern oder der Emigration zu leiden hatten, kann man, einerseits, als antideutsch bezeichnen. Auf der anderen Seite werden in den Debatten um die tschechoslowakischen Juden deutlich antisemitische Stereotype bedient, die letzten Endes darauf hinauslaufen, die Juden als eine der tschechischen Nation fremde Gruppe darzustellen. Peter Meyer sah bereits acht Jahre nach Kriegsende hinter dem Vorwurf des Deutschtums der tschechischen Juden und deren vermeintlicher Germanisierungstätigkeit allein eine Rationalisierung und Verharmlosung des Antisemitismus. Dieser sei mit nationalen und wirtschaftlichen Argumenten erklärt worden, dort wo nach dem Nationalsozialismus nicht mehr offen rassistische Vorstellungen zum Ausdruck gebracht hätten werden können.447 Gleichermaßen meinte der stellvertretende Vorsitzende des Rats der jüdischen Gemeinden František Fuchs im Jahr 1947, dass die so genannte Germanisierungstätigkeit der tschechischen Juden als »Deckmantel« diene, unter dem sich ein Antisemitismus verstecke, der nicht allein gegen die deutschsprachigen Juden gerichtet sei, sondern auch gegen jene, »die immer nur Tschechen waren, redliche Tschechen.«448 Noch deutlicher wird die Exklusion der Juden aus der tschechischen Nation am Beispiel jener Juden, die sich bei der Volkszählung im Jahre 1930 zur jüdischen Nationalität bekannt hatten, offiziell also keine »deutschen« Juden waren. Hier stößt das Erklärungsmodell des tschechischen Antisemitismus aus nationalen Gründen – wie wir weiter unten noch einmal sehen werden – an seine Grenzen, denn ganz offensichtlich wurde hier die Denkfigur der Juden als dem Wesen her der Nation Fremde perpetuiert.449 Allein, die Wahrnehmung wurde zu rationalisieren und legitimieren versucht, indem den »jüdischen Juden« unterstellt wurde, letztlich doch Deutsche zu sein. In dem Bestreben, die Juden klar einzelnen Nationen zuzuschreiben, stellte die jüdische Nationalität ein Problem dar, insbesondere wenn Juden, die sich 1930 zur jüdischen Nationalität bekannt hatten, nach dem Zweiten Weltkrieg – als sich die staatliche Auffassung des Judentums geändert hatte – in der Tschechoslowakei zu bleiben beabsichtigten. In einem Erlass des Innenministeriums vom November 1945 hieß es etwa: Es traten auch Zweifel auf, wie die Nationalität von Personen zu beurteilen sei, die durch die Vorschriften der Okkupanten als Juden bezeichnet worden waren. In dieser Hinsicht besteht kein Unterschied zwischen tschechoslowakischen Staatsbürgern 447 Meyer: Czechoslovakia, 99. 448 František Fuchs in O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121, hier 119. 449 Zu den Kontinuitäten zum exklusiven Nationalismus Ende des 19. Jahrhunderts siehe Frankl: »Prag ist nunmehr antisemitisch«. – Ders.: »Sonderweg«.

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jüdischer oder anderer Herkunft. Bekennen sich diese Personen zur jüdischen Nationalität, sind sie Bürger anderer als deutscher oder ungarischer Nationalität. Bekennen sie sich zur tschechischen oder slowakischen Nationalität, sind sie Tschechen oder Slowaken. Sofern sie sich zur deutschen oder ungarischen Nationalität bekennen, sind sie Deutsche oder Ungarn.450

Deutlich wird hier das Unbehagen, die Schwierigkeit, das Konzept der jüdischen Nationalität in die Situation der Nachkriegszeit zu übersetzen. Die Frage der jüdischen Nationalität stellte gewissermaßen das neue Konzept des slawischen Nationalstaates auf den Kopf: Während Juden deutscher Nationalität als Deutsche aufgefasst werden konnten, Juden tschechischer Nationa­lität als Tschechen und Juden ungarischer Nationalität als Ungarn, fand das Innenministerium für Juden jüdischer Nationalität keine andere Beschreibung, als dass sie »anderer als deutscher oder ungarischer Nationalität« seien. Dass sie derart aufgefasst wurden, brachte sie, zumindest theoretisch, den Tschechen näher. So sollten sie auch, einem Erlass des Innenministeriums vom 10.  Dezember 1945 zufolge, die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft behalten, falls sie sich nicht »gegen die Tschechoslowakei verschuldet hatten«.451 Dies bedeutete jedoch keineswegs, dass in der Praxis diese Gruppe tatsächlich den Tschechen oder Slowaken gleichgestellt worden wäre.452 Mit welchen nationalistischen und antisemitischen Haltungen die Juden »jüdischer Nationalität« zu kämpfen hatten, kann am Beispiel der Diskussionen innerhalb des Verbands der befreiten politischen Häftlinge veranschaulicht werden. Die Frage der Nationalität der tschechoslowakischen Juden beschäftigte keineswegs nur den Staatsapparat, sondern erhitzte auch die Gemüter der ehemaligen Widerstandskämpfer. Wo offiziell die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft als ausreichendes Aufnahmekriterium für die Mitgliedschaft im Verband der ehemaligen politischen Häftlinge zählen sollte, nahmen zahlreiche Zweigstellen die Nationalität nach der Volkszählung von 1930 als Maßstab für die Aufnahme – allerdings ausschließlich bei der Gruppe der »rassisch Verfolgten«.453 Der Vorstand des Prager Kreises des Verbands der befreiten politischen Häftlinge, der immerhin über ein Viertel der Mitglieder des Verbands vereinte, machte gar den Vorschlag, allein tschechos­lowakische Staatsbürger tschechischer, slowakischer oder anderer slawischer Nationalität im Verband aufzunehmen. Neuerlich sollten hierfür die Angaben der 450 Oběžník ministerstva vnitra ze dne 13. listopadu 1945, č. A-4600–5/10–45-VI /3 ve věci úpravy československého státního občanství podle dekretu č. 33/1945 Sb., zit. nach Sedlák: Poté, 87. 451 Oběžník MV čj. B 2111–10/12–45-II /1 ze dne 10.12.1945: Zrušení označování rasového původu v úředním styku, zit. nach Sedlák: Poté, 88. 452 Nepalová: Die jüdische Minderheit, 336. 453 Pořad 19. schůze předsednictva SOPVP, konané dne 26.11.1946, NA , f. ÚV SPB , Kt. 18.

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Volkszählung von 1930 herangezogen werden.454 Man sollte die Mitglieder nicht nur aus einem antifaschistischen, sondern auch aus einem nationalen Blickwinkel überprüfen. Denn der Widerstand gegen den Nationalsozialismus – so hieß es in der Begründung für diesen Vorschlag – sei nicht allein aus einer antifaschistischen Motivation zu erklären, sondern sei ebenso dem deutsch-tschechischen Antagonismus entsprungen.455 Vehement stellte sich die Prager Kreisorganisation dem Entwurf der zentralen Rechtskommission des Verbandes entgegen, gemäß dem jüdische und tschechische Nationalität völlig gleichgestellt würden.456 Zwar sei man, so gestanden die leitenden Prager Funktionäre des SOPV ein, als Jude nicht automatisch Deutscher oder Ungar, aber auch nicht Tscheche oder Slowake. Ein Anwärter jüdischer Nationalität müsse folglich nachweisen, dass er sich »wie ein Tscheche« verhalten habe.457 Dieses Vorgehen forderte auch die zentrale Überprüfungskommission des Verbands, die ab Mai 1946 die Anmeldungen der Funktionäre des SOPV zu kontrollieren hatte. Sollte es sich um Funktionäre handeln, die 1930 die jüdische Nationalität angegeben hatten, mussten sie einen Nachweis erbringen, tschechische Schulen besucht zu haben oder aber eine Erklärung, auf der drei »glaubwürdige Zeugen« bescheinigten, dass die fragliche Person »in der Öffentlichkeit als Tscheche aufgetreten [ist]«.458 An einem weiteren Beispiel kann zudem gezeigt werden, wie Juden jüdischer Nationalität entgegen der Richtlinie, sie weder als Deutsche noch als Ungarn zu behandeln, letztlich doch diesen gleichgestellt wurden. Der Vor­ sitzende des Prager Kreises des Verbands der ehemaligen politischen Häftlinge, Antonín Peklo, war offensichtlich nicht der einzige, der der Überzeugung war, dass die jüdische Nationalität für viele Juden ein bloßer »Ausweg aus der Not« gewesen sei. »Sie gaben die jüdische Nationalität an, aber zu Hause und in Gesellschaft plapperten [brebentili] sie deutsch.«459 Derartige Vorwürfe musste etwa Emil Beer über sich ergehen lassen, der im nordböhmischen Varnsdorf (Warnsdorf) eine Weberei besessen hatte, bevor er nach Großbritannien emigriert war. Nach seiner Rückkehr in seinen Heimat­ort, wo er daran ging, sein zunächst an einen Deutschen zwangs­ verkauftes, dann verstaatlichtes Eigentum zurückzuerhalten, wurde »dem be454 Ant. Peklo / Wratislav Jahn (SOPVP, kraj Praha) an Všem odbočkám pražského kraje, 16.1.1947, ebd., Kt. 19. 455 Siehe dazu weiter Dokument ohne Titel [Dovolte mě abych zprávu br. tajemníka poněkud doplnil.], o. J. [Zweite Jahreshälfte 1946], ebd. 456 Schreiben [des užší výbor Pražského kraje SOPVP] an Ústředí SOPVP, odbor organisační a právní, o. J. [August / September 1946], ebd. 457 Ebd. – Zápis schůze užšího výboru pražského Kraje, dne 30.8.1946, ebd. 458 Rundschreiben des Ústřední sekretariát SOPVP – Přešetřující komise (Daníček, Erban, Schuster), [Mai / Juni] 1946, ebd. 459 Ant. Peklo an SOPV, 11.8.1946, ebd., Kt. 20.

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kannten Germanisator und asozialen Fabrikanten«460 vorgehalten, ein »Parasit der menschlichen Gemeinschaft«461 zu sein. Emil Beer hatte in der Volkszählung 1930 die jüdische Nationalität angegeben, hatte tschechische Schulen besucht und trat offensichtlich auch im britischen Exil für die Wiedererrichtung der Tschechoslowakei ein, war folglich, so Christiane Brenner, »selbst nach den strengen Maßstäben der Zeit eindeutig tschechisch«.462 In der Tat hatte er sowohl die Bescheinigung über die nationale Zuverlässigkeit als auch jene über die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft bereits in der Hand, als er um die Rückerstattung seines Eigentums ansuchte.463 Dennoch, wie Štěpán Engel im jüdischen Gemeindeorgan festhielt: »Das Zauberwörtchen ›Germanisator‹ durfte selbstverständlich nicht fehlen in diesem groß angelegten Angriff auf den 72-jährigen Greis.«464 Nachdem sein Restitutionsantrag zunächst über ein Jahr unbearbeitet geblieben war, konfiszierte der Bezirksnationalausschuss in Varnsdorf Beers Unternehmen. Der Landesnationalausschuss in Prag hob zwar diese rechtswidrige Entscheidung im Februar 1947 auf, der Bezirksnationalausschuss beschloss allerdings nur zwei Wochen später eine neuerliche Konfiskation des Betriebes. In einem Gerichtsverfahren erhielt Emil Beer schließlich seinen Besitz zurück. Dem politischen und medialen Druck, der einem von Kommunisten und Gewerkschaften ausgelösten Streik folgte, in dessen Verlauf Beer gedroht worden war, ihn aus dem Ort zu vertreiben, hielt das Bezirksgericht allerdings nicht stand und revidierte seine Entscheidung. Das Unternehmen wurde letztlich verstaatlicht.465 Wird der Restitutionsfall Emil Beer häufig zitiert, um die Schwäche des tschechoslowakischen Rechtsstaates und die mangelnde Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit gegenüber dem  – von den Kommunisten manipulierten  – Druck der Straße aufzuzeigen,466 sollen hier vor allem die antisemitischen Denkweisen, die dieser Affäre zugrunde lagen, betont werden: die Vor460 Celý varnsdorfský okres stávkuje. In: Rudé právo vom 6.3.1947, zit. nach Varnsdorfský případ v zrcadle českého tisku. In: Věstník 9/6 (1947), 72–74, hier 72. 461 So der Angestellte Beers Karel Vysypal in Ještě k varnsdorfskému případu. In: Dnešek vom 3. oder 10.4.1947, 3(?), Privatarchiv Peter Brod. 462 Brenner: »Zwischen Ost und West«, 217. 463 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf die Angaben bei Nepalová: Die jüdische Minderheit, 341 f.  – K událostem ve Varnsdorfu. In: Věstník 9/6 (1947), [69]f.  – Št.E. [Engel, Štěpán]: Varnsdorf: genius loci. In: Věstník 9/6 (1947), 70 f.  – Varnsdorfský případ v zrcadle českého tisku. In: Věstník 9/6 (1947), 72–74.  – Varnsdorfský případ vyšetřován. In: Věstník 9/7 (1947), 88 f. 464 Št.E. [Engel, Štěpán]: Varnsdorf: genius loci. In: Věstník 9/6 (1947), 70 f., hier 71. 465 Zu weiteren Fällen, in denen Juden jüdischer Nationalität Eigentum sowie landwirtschaftlicher Besitz konfisziert wurde, siehe Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, 12 f., CZA , C2/1623. 466 Zu diesem Aspekt auch schon H. G.: Kolem varnsdorfského případu. In: Dnešek vom 20.3.1947, 803, Privatarchiv Peter Brod.

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würfe der Illoyalität, der Germanisierung und der eigennützigen Ausbeutung tschechischer Arbeiter durch einen Juden. Christiane Brenner hält richtig fest, dass in Varnsdorf, ebenso wie in weiteren, ähnlich gearteten Fälle, von der KSČ und der Einheitsgewerkschaft eine »Verbindung von antisemitischen und antideutschen mit antikapitalistischen Ressentiments« eingesetzt wurde, um gegen die Restitution von Eigentum und für die Verstaatlichung zu mobilisieren.467 Ein knapper Hinweis soll hier genügen, um daran zu erinnern, dass  – kaum überraschend – auch Juden, die bei der Volkszählung 1930 die tschechische Nationalität angegeben hatten, in dieser nationalistischen und antisemitischen Stimmung Diskriminierungen erfuhren. So half etwa den Brüdern Goldmann ihre amtlich beglaubigte tschechische Nationalität keineswegs, als der Bezirksnationalausschuss in Broumov (Braunau) beschloss, ihre Firma zu konfiszieren. Die Anstellung einiger Deutscher vor dem Krieg wurde ihnen als Förderung der Germanisierung ausgelegt, was sie letztlich daran hinderte, ihr Eigentum zurückerstattet zu bekommen.468 Ohne weiter auf die Details der Nachkriegsgesetzgebung einzugehen, auf die Probleme von Staatsbürgerschaft und Restitution, treten in diesen Fragen zwei Dinge klar zum Vorschein: Die frühen Versuche, die rechtliche Stellung der Juden zu klären, blieben unvollkommen und widersprüchlich, brachten vor allem kein Ende der ungewissen Situation der Juden, die den lokalen Behörden in ihren Ansuchen um Staatsbürgerschaft oder in ihren Anträgen um Rückerstattung von konfisziertem Eigentum völlig ausgeliefert waren. Vor allem aber zeigen diese Debatten um die rechtliche Stellung der Juden, dass diese als der tschechischen Nation fremd betrachtet wurden: als Deutsche (gegenüber den Tschechen), als Teil  der Oberschicht und als Kapitalisten (gegenüber den ehrlichen Arbeitern und dem einfachen Volk), gewisser­ maßen auch als Überbleibsel einer Ordnung, die Schiffbruch erlitten hatte und die es nun zu überwinden galt.469 In einer Stimmung, die das Vorkriegssystem ablehnte und die tschechoslowakische Politik, etwa in Fragen der Ökonomie, der Minderheitenpolitik oder auch der Positionierung des Landes in der internationalen Politik, völlig neu zu gestalten bestrebt war, wurden oftmals die zurückkehrenden Juden als Repräsentanten der alten Welt wahrgenommen, die, so heißt es in einem antisemitischen Zeitungsartikel über die »Religionsfreiheit« (sic), »in unserem Staat eine neue Ordnung von Sklaven und Sklavenhaltern herstellen wollen«.470 467 Brenner: »Zwischen Ost und West«, 213. 468 Věstník 10/6 (1948), 57 f., zit. nach Nepalová: Die jüdische Minderheit, 343 f. 469 Für die Wahrnehmung des Zweiten Weltkriegs als unumgängliche Demonstration des Zusammenbruchs einer »alten Welt« siehe auch Macura: Šťastný věk, 21–23. 470 Zemanová, B.: Svoboda náboženského vyznání. In: Jednota vom 23.8.1947, zit. nach Rozdávání známek z dobrého občanství. In: Věstník 9/18 (1947), 267–269, hier 268.

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Die »jüdische Frage«, die mit dieser als obsolet betrachteten Ordnung in Beziehung gesetzt wurde, wurde nach dem Krieg als abgeschlossen aufgefasst. Es setzte sich, so der Sekretär des Rats der jüdischen Gemeinden Kurt Wehle, die Sichtweise durch, demnach »bei uns die jüdische Frage nicht mehr existiere.«471 Diese Ausblendung der Juden und deren Wahrnehmung allein in nationalen Zuschreibungen (als Deutsche, als Ungarn, als Tschechen) hatte allerdings – so Kurt Wehle – »fatale Folgen«472 für die Situation der Juden in der Nachkriegstschechoslowakei. Denn es sei »sehr einfach über die Juden zwar nicht zu sprechen, aber zum Beispiel aus jenen, die sich im Jahre 1930 gemäß ihrer Muttersprache zur deutschen Nationalität bekannt hatten, vollblütige Deutsche zu machen.«473 Nationalistische und antisemitische Wahrnehmungen führten zu einer engen Definition der tschechischen Nation. Juden, vor allem deutschsprachige, aber keineswegs ausschließlich diese, hatten darin keinen Platz. Die Identifizierung der Juden mit Deutschen hatte weniger mit der Tatsache zu tun, dass ein Teil der Juden in der Tat in einem deutschsprachigen Milieu aufgewachsen war, sondern mit antisemitischen Wahrnehmungen der Juden als etwas der Nation Fremdes, als Teil der Oberschicht, als Ausbeuter der tschechischen Nation.474 Viele Beobachter sind sich darin einig, dass der tschechische Antisemitismus, im Gegensatz zu seinem deutschen oder slowakischen Pendant, keinen rassistischen Charakter trüge, sondern nationaler und sozioökonomischer Natur sei.475 Dies allerdings mag dazu verleiten, die Diskriminierungen gegen tschechische Juden (deutscher, tschechischer und jüdischer Nationalität) zu verharmlosen und die antisemitischen Einstellungen, welche die Exklusion der Juden aus der tschechischen Nation bedingten, zu übergehen.476 Bedenkt man, dass jene – teilweise seit Generationen im Ausland lebende – Tschechen 471 [Wehle, Kurt]: Zpráva o Shromáždění delegátů 26.  až 28.  října 1947. In: Věstník 9/23 (1947), 326–328, hier 327. – Siehe dazu ebenso, aus einem marxistischen Standpunkt: Šíma, Jaroslav: Ještě židovská otázka. In: Služba repatriantům Nr. 67 vom 3.11.1945, 1. 472 [Wehle, Kurt]: Zpráva o Shromáždění delegátů 26.  až 28.  října 1947. In: Věstník 9/23 (1947), 326–328, hier 327. 473 Ebd. 474 Mehrere Beispiele etwa bei Meyer: Czechoslovakia, 100. 475 Krejčová: Český a slovenský antisemitismus. – Bauer: The Danger, 21. – Deutlich auch bei Jana Svobodová, die in ihrer Arbeit über den Antisemitismus in der Tschechos­ lowakei zögert, die Wahrnehmungen der Juden als  – national und sozial  – »Fremde« eindeutig als Antisemitismen zu benennen. Die Wahrnehmung der Juden als »fremdes Element«, so Svobodová, »grenzte zumindest an Fremdenfeindlichkeit, zu der auch Anti­semitismus gehört«. Svobodová: Erscheinungsformen, 237. 476 Dazu grundlegend die Infragestellung der traditionellen Erklärung des tschechischen Antisemitismus bei Frankl: »Prag ist nunmehr antisemitisch«.  – Knapp auch Ders.: »Sonderweg«.

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und Slowaken, die im Rahmen der so genannten »Remigration« nach dem Zweiten Weltkrieg in die Tschechoslowakei »zurückgeholt« wurden, um den Bevölkerungsverlust durch die Vertreibung der Deutschen auszugleichen, relativ leicht die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft erhielten und ihr Tschechentum kaum in Frage gestellt wurde,477 fallen zwei Aspekte ins Auge: die Wirkkraft des antisemitischen Stereotyps des illoyalen Bürgers478 sowie die rassistische, weil auf dem »tschechischen Blut« basierende Definition der tschechischen Nation.479 Denn die Auslandstschechen blieben – anders offensichtlich als die tschechischen Juden – mit ihrer Heimat »durch die stärksten Bande des gemeinsamen Blutes« verbunden; so war im Dezember 1945 im Organ der Sozialdemokratie zu lesen.480 Eine Folge dieser Wahrnehmung soll hier besonders unterstrichen werden: Die Identifizierung der Juden mit den Deutschen und mit der ehemaligen sozioökonomischen Oberschicht ermöglichte ihre Exklusion aus der slawischen Nation der »einfachen« Tschechen481 – und zwar bei gleichzeitiger Verurteilung von Rassismus und Antisemitismus. Die suggerierte Nähe zwischen Juden und Deutschen spielte, so Christiane Brenner, »eine wichtige Rolle bei der Segregation der Juden von der Mehrheitsbevölkerung«.482 Denn, so Brenner weiter: »In der Gleichsetzung von ›jüdisch‹ und ›deutsch‹ schwang nicht nur die Bedeutung von ›fremd‹, sondern auch von ›kapitalistisch‹, ›bourgeois‹ und damit der tschechischen Nation der ›kleinen Leute‹ auf doppelte Weise ›feindlich‹ mit.«483 Auch Helena Krejčová, die im Übrigen den tschechischen Antisemitismus als primär nationalistisch und ökonomisch begründet charakterisiert, sieht den Ausschluss der Juden aus der tschechischen Gesellschaft als Folge der Wahrnehmung der Juden als Germanisatoren.484 Peter Meyer hatte bereits Anfang der 1950er Jahre prägnant dieses Ineinanderfließen von Deutschenhass und Antisemitismus sowie die damit einhergehende Entschuldigung des Antisemitismus zusammengefasst: Usually, the imputations of ›Germanization‹ and exploitation went hand in hand; Jews were not only ›exploiters‹, but ›foreign elements‹ and ›Germanizers‹. They were not only Germans or Hungarians, but helped Germans and Magyars to exploit the 477 dz: Nerovně rozděluje osud své dary. In: Věstník 8/12 (1946), 112.  – Allgemein zur ­»Remigration« siehe etwa: Vaculík: Poválečná reemigrace. 478 Dazu auch Soukupová: Praha v židovské krajině vzpomínání, 15. – Brenner: »Zwischen Ost und West«, 213 f. 479 Dazu bereits oben; zum tschechischen Blut auch Holy: The little Czech, 64 f. 480 Tympl, K[arel]: Návrat z Vídně. In: Právo lidu vom 11.12.1945, 3. 481 Zur Idee des »einfachen« und »kleinen« tschechischen Menschen siehe etwa Holy: The little Czech. – Sayer: The Coasts, 119 f. 482 Brenner: »Zwischen Ost und West«, 211. 483 Ebd., 214. 484 Krejčová: Český a slovenský antisemitismus, 168.

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people. This explained, and to a certain degree excused, popular antisemitism in the eyes of people who would strongly resent being described as antisemites.485

So führte etwa der Staatspräsident Edvard Beneš den Antisemitismus allein – und verkürzt – auf den historischen deutsch-tschechischen Gegensatz zurück: There was also antisemitism in Bohemia, but this was because the Jews in ­Bohemia were representatives of Germanization in the days when Bohemia was  a part of Austria. There was hatred against the Jews only because Jews of that generation appeared to be willing tools of the Germans.486

Viele Juden griffen diese nationale und sozioökonomische Begründung des Antisemitismus auf, um zu zeigen, dass nach der nationalen, gesellschaftlichen und ökonomischen »Revolution«, die mit dem Kriegsende und dem Aufbau der neuen Tschechoslowakei einherging, der vollständigen Integration der verbleibenden Juden nichts mehr im Wege stünde. Zahlreiche Juden sahen im Kriegsende einen Neuanfang, der möglich geworden sei durch die während der Okkupation gewaltsam beseitigten sozialen und wirtschaftlichen Kategorien und Ungleichheiten. Der Nationalsozialismus – und seine Niederlage – hätten demzufolge die Grundlagen geschaffen für eine gleich­ berechtigte Gesellschaft, in der die Juden keine besondere gesellschaftliche Position einnehmen würden. Der Nationalsozialismus habe die Juden »proletarisiert«,487 habe aus ihnen einfache Arbeiter, Handwerker und Bauern gemacht. Diese »Gesundung der Sozialstruktur der Juden«, die von den Nationalsozialisten erzwungen, nach Kriegsende dann »natürlich« fortgeführt worden sei, habe, so Ota Klein in seiner Dissertation über die Folgen der KZ -Haft für den ethischen Charakter der jüdischen Jugend, dazu beigetragen, dass die Juden nun restlos in die tschechische Nation integriert werden könnten.488 Diese Idee wurde von Juden unterschiedlichster politischer Couleur verteidigt. Sie bildete zugleich den Kern der marxistischen Vision der »Judenfrage« als Klassenfrage: Diese würde gelöst und der Antisemitismus aus der Welt geschafft sein, sobald man der sozioökonomischen Sonderstellung der Juden ein Ende bereite.489 Der Übersetzer und Journalist Pavel Eisner, ein Prager Jude, 485 Meyer: Czechoslovakia, 100. 486 Jewish Telegraphic Agency vom 10.8.1945, zit. nach Meyer: Czechoslovakia, 100. 487 Kučera, Karel: Jak proti antisemitismu. In: Věstník 7/4 (1945), 30. 488 Klein: Vliv, 106.  – Ähnlich Dr. I. [Iltis, Rudolf]: Hadry, kosti, kůže  a návrat židů do našeho pohraničí. In: Věstník 9/19 (1947), 285. 489 Siehe etwa Šíma, Jaroslav: Ještě židovská otázka. In: Služba repatriantům Nr.  67 vom 3.11.1945, 1.  – Bloch, Karel: Za posilnění socialistického  a mírumilovného tábora. In: Věstník 11/6 (1949), [61]f. – Kiště [Kisch, Stěpán?]: Antisemitismus – stará zbraň kapitalismu. In: Věstník 11/6 (1949), 62. – Allgemein hierzu auch Meyer: Introduction, 40.

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der wie wenige andere die tschechisch-deutsch-jüdische Symbiose repräsentierte,490 war sich zwar Ende des Jahres 1949 durchaus bewusst, dass der Antisemitismus keineswegs verschwunden war. Dennoch glaubte er, dass inzwischen eine »besonders ergiebige« Quelle des Judenhasses ausgetrocknet sei: die materielle Prosperität und gesellschaftliche Überordnung der Juden. Dies könne man, so Eisner, den Juden nun nicht mehr vorwerfen.491 In einer politischen Situation, die bereits unmittelbar nach Kriegsende geprägt war von sozialistischen Ideen wie der Verstaatlichung und Marktlenkung ebenso wie von der Annäherung an die Sowjetunion, fiel es relativ leicht, derartige – durchaus auch von Juden bekräftigte – antisemitische Stereotype hinter einem vermeintlichen Antikapitalismus und Antigermanismus zu verstecken. Dies bedeutete allerdings keineswegs, dass allein die Parteien des linken politischen Lagers oder nur die Kommunisten einen demagogischen antisemitischen Kurs eingeschlagen hätten. In einigen älteren Analysen, die in der Zeit der Ost-West-Konfrontation entstanden waren, wurden oftmals voreilig die nichtkommunistischen Parteien entschuldigt. Der Historiker Johann Wolfgang Brügel beispielsweise hielt Anfang der 1970er Jahre fest, dass sich die nichtkommunistischen Parteien nicht »an dieser Art Antisemitismus« beteiligt hätten,492 und übersah dadurch, dass der ethnozentristische Nationalismus der Tschechen direkt nach Kriegsende erstens ein allgemein gesellschaftliches und parteienübergreifendes Phänomen war, das, zweitens, klar antisemitische Vorstellungen transportierte. Es ist wohl eher zutreffend, wie Bedřich Loewenstein bemerkte, dass die Kommunisten »auf einer Welle [ritten], die sie nicht selbst hervorgerufen, sondern nur benutzt hatten, um an die Macht zu kommen.«493 Auch der Exilhistoriker Karel Kaplan sprach schon in den 1980er Jahren von einem Wettkampf bei der Schürung nationalistischer Gefühle unter den einzelnen politischen Parteien.494 Und Peter Heumos war noch deutlicher, als er von einer »antisemitischen Allianz« sprach, »in der sich zwischen 1945 und 1948 beide Seiten – bürgerliche Demokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Kommunisten – einträchtig zusammengefunden haben.«495 In einer derartigen Atmosphäre erscheint es kaum verwunderlich, dass zahlreiche Juden nach 1945 lautstark die Idee der völligen Integration, das heißt der Assimilation mit der tschechischen Umgebung, vertraten. Der

490 Zu Eisner siehe etwa knapp -kam- [Kamiš, Karel] / -r- [redakce]: Eisner Pavel. In: -­ Mikulášek: Literatura s hvězdou davidovou I, 58–63. 491 Eisner, Pavel: Na starý námět. In: Věstník 11/48 (1949), 544. 492 Brügel: Die KPČ , Zitat 876. 493 Loewenstein: Überlegungen, 32. 494 Kaplan: Der kurze Marsch, 31. 495 Heumos: Rückkehr ins Nichts, 273, Hervorhebung im Original.

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natio­nalistischen Stimmung entsprechend wurden dabei mehrfache Identitäten zurückgewiesen, wohingegen man auch von jüdischer Seite dazu beitrug, sich in eindeutige nationale Kategorien einzuordnen. Einig waren sich die Vertreter der jüdischen Gemeinde, dass sich die Juden von den alten Vorstellungen einer multinationalen Gesellschaft und dem Konzept der Minderheitenrechte verabschieden müssten.496 Sie sollten sich darüber klar werden, wie etwa Erik Kolár im Jahr 1945 meinte, »dass die Tschechoslowakische Republik heute aus dem Willen ihres Volkes ein Nationalstaat ist.«497 Für die tschechoslowakischen Juden, so Erik Kolár und Ota Klein, gäbe es nur zwei Möglichkeiten: den Verbleib in der Tschechoslowakei – und dabei den freiwilligen Verzicht auf jedwede gesellschaftliche Sonderstellung  – oder die Emigration nach Palästina.498 Die Juden müssten sich nun für eine Nation entscheiden: die tschechische oder die jüdische. Damit wären auch die Zwiespältigkeit und die »innere Dialektik«, unter der die Juden vor dem Krieg gelitten hätten, überwunden.499 Diese Assimilation würde, das glaubte etwa Richard Feder zwei Jahre nach Kriegsende, gar zum Ende der jüdischen Diaspora in Europa führen.500 Ebendiese Meinung vertraten gleichermaßen zahlreiche nichtjüdische Politiker, darunter auch jene, die allgemein als philosemitisch bewertet werden oder dem Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina positiv gegenüberstanden. Während manche für die Assimilation plädierten,501 sahen andere die Lösung in der Errichtung eines eigenen Staates für die Juden, das heißt in der Emigration der tschechoslowakischen Juden. So bezeichnete etwa Jan ­Masaryk, bekannt für seine kritische Haltung gegenüber dem Antisemitismus in der Nachkriegstschechoslowakei,502 die Assimilation der Juden als ein gescheitertes Projekt. Ihm zufolge liege allein im Zionismus und der Errichtung eines jüdischen Staates die Lösung der »Judenfrage«.503 Genauso meinte Edvard Beneš, der tschechoslowakische Staatspräsident von 1945 bis 1948, 496 Jak viděl člen státní rady Ing. A. Frischer politickou situaci v Československu v první době po osvobození. In: Věstník 7/1 (1945), 4 f., hier 4. 497 Kolár: Ještě naposledy, 6. 498 Ebd., besonders 7. – Klein: Vliv, 106–108. – Siehe auch Reiman, Pavel: Židovská otázka dnes. In: Tvorba 15/32 (1946), 505–507. – Ders.: Ještě jednou o antisemitismu a židovské otázce. In: Tvorba 15/42 (1946), 667 f. 499 Klein: Vliv, 108. 500 Zit. nach Soukupová: Praha v židovské krajině vzpomínání, 10. 501 So etwa Václav Kopecký in seiner Rede auf der ersten Tagung der Delegierten der tschechoslowakischen jüdischen Gemeinden oder der Professor der Karlsuniversität Jan Blahoslav Kozák. S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12, hier 11.  – O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121, hier 120. 502 Siehe etwa Ministr Jan Masaryk nad hroby v  Terezíně. In: Lidová demokracie vom 18.9.1945, 2. – O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121. 503 Dagan: Gespräche, 106–111.

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dass die Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina »die einzig mögliche und gerechte Lösung der globalen jüdischen Frage« sei.504 Beneš und weitere Politiker »simultaneously called for ›assimilation‹, expressed sympathy for a Jewish State, and suggested that those Jews who wanted to enjoy national rights should go to Palestine.«505 Míla Pachnerová resümierte in ihrem bereits zitierten Artikel über »Jüdi­ sches und nichtjüdisches Unkraut«, in dem sie deutschsprachige Juden nach Deutschland auszuweisen empfahl und Juden jüdischer Nationalität nach Palästina schicken wollte, dass es auch tschechische Juden gäbe: Sofern sie hier bleiben (schließlich haben viele von ihnen mit den unseren in Tobruk und anderswo gekämpft), sind sie allerdings – nur Gäste. Ein Gast, welcher Nationa­ lität oder Rasse auch immer, weiß, wie er sich zu benehmen hat. Wenn er es nicht weiß, wird er belehrt oder ausgewiesen.506

Ähnliche Gedanken machte sich Ende 1945 der marxistische Soziologe ­Jaroslav Šíma über die Stellung der Personen fremder Nationalität im neuen Staat, in dem es keine Minderheitenrechte mehr geben werde: »Bleiben sie [die Personen fremder Nationalität], so bringen sie damit ihre Entscheidung zum Ausdruck, sich mit der heimischen [sic!] Umgebung zu assimilieren und sukzessive mit ihr zu verschmelzen.«507 Die ethnozentristische Auffassung der tschechischen Nation, in der es für Juden – selbst wenn sie »immer nur redliche Tschechen waren«508, um noch einmal František Fuchs zu zitieren – keinen Platz gab, erlebte im Rahmen der Neudefinition der tschechischen Nation eine Konjunktur. Dadurch wurde eine klare Trennung zwischen Tschechen und Juden eingeführt, die nicht nur für die Situation der Juden in der Nachkriegstschechoslowakei, sondern auch für die Erinnerung an den Holocaust eine fundamentale Bedeutung erlangen sollte. Festzuhalten bleibt, dass unterschiedliche Personen, Anti- wie Philosemiten, Juden wie Nichtjuden für das Ende des öffentlich sichtbaren tschechischen Judentums eintraten. Sie verstärkten zudem die enge nationale 504 Grußworte Edvard Benešs anlässlich der 2. Tagung des Europäischen Beirats des World Jewish Congress in Prag, 23.–29.4.1947, CZA , C2/2555.  – Abgedruckt auch in President republiky k zástupcům WJC – President Dr Beneš to the delegates of the WJC . In: Věstník 9/10 (1947), [133]f. – Genauso Delegace pražského světového židovského kongresu na Hradě. In: Lidová demokracie vom 30.4.1947, 3.  – Mit den gleichen Worten nahm Beneš bereits 1946 Stellung zur Frage der Errichtung eines jüdischen Staates in Palästina: President republiky o sionismu. In: ebd. vom 8.10.1946, 2. 505 European Jewry, 91. 506 Pachnerová, Míla: Plevel židovská a nežidovská. In: Dnešek Nr. 11 vom 6.6.1946, 163 f., deutsches Zitat nach Brenner: »Zwischen Ost und West«, 221. 507 Šíma, Jaroslav: Ještě židovská otázka. In: Služba repatriantům Nr. 67 vom 3.11.1945, 1. 508 František Fuchs in O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121, hier 119.

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Wahrnehmung, die Tschechen, Deutsche und Juden klar voneinander trennt und konkreten Staaten – der Tschechoslowakei, Deutschland und Palästina bzw. Israel – zuordnet. Der glühende Patriotismus der tschechischen Juden

Jene Juden, welche die Einladung Míla Pachnerovás annahmen, und als »Gäste« in der Tschechoslowakei blieben, fühlten sich daher umso mehr verpflichtet, ihren Patriotismus herauszustellen, ihr »Tschechentum« zu unterstreichen – und somit die jüdischen Opfer des Holocaust als heimatliebende Tschechen zu repräsentieren. Sie unterstrichen auf besondere Weise den Patrio­tismus der tschechoslowakischen Juden und deren vermeintliche Treue der Tschechoslowakei gegenüber.509 Als Rudolf Iltis ein Jahr nach Kriegsende über die Geschehnisse im Ghetto Theresienstadt im April und Mai 1945 berichtete und schilderte, wie die Häftlinge angesichts der bevorstehenden Befreiung immer ungeduldiger geworden seien, betonte er den patriotischen Charakter der aufkommenden Unruhe: Als erste Gerüchte kursierten, die tschechischen Juden kämen frei, hätten diese begonnen, nationale Lieder singend durch das Ghetto zu ziehen. Nachdem sich schließlich die Nachricht vom Prager Aufstand am fünften Mai im Ghetto verbreitet hatte, habe dieser patriotischen Welle kein Einhalt mehr geboten werden können. Die tschechischen Juden hätten die Nationalhymne und Volkslieder gesungen, hätten die tschechoslowakische Flagge gehisst.510 Ota Poláček erinnerte sich vier Jahre nach dem Todesmarsch, den er im Januar 1945 nach der Evakuierung des Konzentrationslagers ­Auschwitz anzutreten hatte, wie der Gedanke an die böhmische Heimat ihm und seinen Mitgefangenen die nötige Kraft und Hoffnung gegeben habe, um zu überleben. Er befand sich in einer Gruppe von fünf Tschechen, darunter ein gewisser Maxa, die kaum noch Energie fanden, um weiterzugehen und sich gegenseitig zu stützen. Im kritischen Augenblick, als sich an den Wegrand hinzusetzen den sicheren Tod bedeutete, erklangen aus Maxas Mund die allen Tschechen teuren Worte: ›Kde domov můj…‹ [›Wo ist mein Heim‹, die tschechische Nationalhymne; d. Vf.]. So als ob wir eine Spritze der Aufmunterung bekommen hätten, sangen wir gemeinsam. In diesem Moment war keine Müdigkeit mehr in unseren Gliedmaßen, in diesem Moment 509 Rebenwurzel, Hanuš: Nezapomeň! In: Věstník 7/3 (1945), 18. – U pana presidenta. In: Věstník 7/4 (1945), 26 f. – Sjezd osvobozených politických vězňů v Klatovech. In: Věstník 8/8 (1946), 70. – Feder: Jüdische Tragödie. 510 Dr I [Iltis, Rudolf]: 5. květen v Terezíně. In: Věstník 8/4–5 (1946), 37 f.

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sahen wir uns in der Nähe unseres Zuhauses, unserer Mütter, Frauen und Kinder. […] Die unvergesslichen Worte und die Melodie unserer Hymne retteten in diesem Augen­blick fünf Menschen.511

In einer Stimmung, in der die jüdische und die tschechische Identität zunehmend als inkompatibel wahrgenommen wurden, versuchten viele, ihr Selbstverständnis als Juden hinter jenes als Tschechen zu stellen. Als etwa im Dezember 1948 der Arzt Alfred Weinstein starb, hieß es im Nachruf, dass ihn »sein Judentum nicht in seinem Tschechentum hemmte«.512 Während im jüdischen Gemeindeorgan die UNO -Resolution zur Errichtung des Staates ­Israel Ende 1947 gefeiert wurde, hielt František Fuchs diesem Taumel entgegen, dass allerdings ihr Judentum für die tschechischen Juden kein Hindernis für ihren Patriotismus sei. Denn »wir tschechischen Juden haben unser jüdisches Gedächtnis mit der Liebe und Treue zu Böhmen harmonisch vereinigt.«513 Noch stärker als die öffentliche Abgrenzung von einer vermeintlich exklusiven jüdischen Identität, die einem tschechischen Patriotismus im Wege stünde, war selbstverständlich die Distanzierung von allem Deutschen. In einem Schreiben des Rats der jüdischen Gemeinden an den Regierungsvorsitzenden Klement Gottwald im September 1946 wiesen die Vertreter der jüdischen Gemeinde auf den Anachronismus hin, der darin bestünde, die Angaben zur Nationalität gemäß der Volkszählung von 1930 heranzuziehen. Man müsse demgegenüber die Entwicklungen berücksichtigen, die seit den 1930er Jahren zutage getreten seien. Denn fast alle der deutschsprachigen Juden hätten sich »in den Auslandsarmeen oder in den Konzentrationslagern längst abgewöhnt, deutsch zu sprechen und denken, sprechen und fühlen seit Jahren tschechisch.«514 Sie trügen allerdings ihre Muttersprache wie eine »Erbsünde« mit sich, »obwohl sie gegen den deutschen Terror kämpften, unter ihm litten und obwohl sie einen ungebändigten Widerwillen gegen alles Deutsche haben.«515 Die Wortwahl der »Erbsünde« verwies auf die Tatsache, dass hartnäckig an den Angaben von 1930 festgehalten wurde und nur selten Stimmen erklangen, die auf die Möglichkeit einer Veränderung des nationalen Zugehörigkeitsgefühls hinwiesen.516 Jan Masaryk, hier durchaus auch das 511 Poláček, Ota: Osvětim byl evakuován. In: Věstník 11/1 (1949), 7. 512 Zemřel dobrý Čech. In: Věstník 11/1 (1949), 6. 513 Důstojná manifestace židů k rozhodnutí UNO o zřízení samostatného židovského státu v Palestině. In: Věstník 9/28 (1947), [389]–392, hier 391. 514 Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, 5, CZA , C2/1623. 515 Ebd. 516 Černoch, Jan: K antisemitismu. In: Hlas osvobozených 2/43 (1946), 2. – Zu diesbezüglichen Diskussionen der Regierung und des Innenministeriums siehe Sedlák: Poté, 93.

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antisemitische Stereotyp des  – einst  – illoyalen jüdischen Bürgers bekräftigend, war einer jener, die auf einen derartigen Wandel hinwiesen. Obwohl er, wie bereits erwähnt, letztlich die Lösung der »jüdischen Frage« im Zionismus und in der Emigration der tschechoslowakischen Juden sah, hatte er doch im September 1943 bereits eine Veränderung des Nationalgefühls der tschechoslowakischen Juden für selbstverständlich erachtet: Einige Juden, so Masaryk, hätten sich zwar vor dem Kriege nicht gut benommen […]. Sie trieben sich in den Prager Kaffeehäusern herum und sprachen auch nach dem Jahr 1933 noch deutsch [němčili]. Aber sie haben einen solchen Denkzettel bekommen, dass sich nach dem Krieg schwerlich ein tschechoslowakischer Jude finden wird, der diese Fehler wiederholen würde.517

So wie diese Ansprache Jan Masaryks, so waren die Stellungnahmen der Vertreter der jüdischen Gemeinde zugleich auch Mahnungen. Julius Lederer, der stellvertretende Vorsitzende des Rats der jüdischen Gemeinden, rief etwa explizit seine Glaubensgenossen auf: »Wir Juden müssen nicht nur ausschließlich tschechisch sprechen, wir müssen auch tschechisch denken und tschechisch fühlen.«518 Ebenso bezeichnete Pavel Eisner die Ära der deutschen Juden in der Tschechoslowakei für beendet: »wer Jude, der Tscheche, und zwar Tscheche ohne Einschränkung und ohne Vorbehalt.«519 Milan Šimečka lag folglich durchaus richtig, als er die unmittelbare Nachkriegszeit als eine Periode beschrieb, in der keine gesellschaftliche Diversität erwünscht war und in der ein »beidseitiges Begehren« vorgeherrscht habe, »jedwede Andersartigkeit abzuschütteln«.520 Diese eindeutige Positionierung in der Gegenwart prägte auch die Darstellung der jüngsten Vergangenheit. So wurde etwa versucht, die frühere Bedeutung der deutschen Juden in den böhmischen Ländern zu bagatellisieren. František Fuchs vom Rat der jüdischen Gemeinden hob beispielsweise hervor, wie die Mehrheit der Juden in Böhmen stets »ein tschechisches Leben« lebten.521 Sehr deutlich wird dieses Bestreben auch in den frühen Berichten

517 Masaryk: Volá Londýn, 262, die deutsche Übersetzung nach Brenner: »Zwischen Ost und West«, 211. 518 S tribuny sjezdu. In: Věstník 7/2 (1945), 10–12, hier 12. – Sehr ähnlich Kolár: Ještě naposledy, 5. – Schreiben der RŽNO an pane předsedo vlády [Klement Gottwald], 5.9.1946, CZA , C2/1623, 5. – Zur Bedeutung der Beherrschung der tschechischen Sprache auch Rebenwurzel, Hanuš: Nezapomeň! In: Věstník 7/3 (1945), 18. – Siehe weiter Soukupová: Životní světy, 55. 519 Eisner, Pavel: Vita nova. In: Věstník 8/4–5 (1946), zit. nach Mikulášek: Antisemitismus, 96. 520 Šimečka: Původ nejistoty, 27. 521 O židovské otázce. In: Věstník 9/9 (1947), 118–121, hier 119.

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über Theresienstadt, die durchweg die Präsenz der deutschen Sprache und des deutschen Kulturlebens im Ghetto negierten oder unterbewerteten.522 Dagegen widmeten die jüdischen Überlebenden den Aufführungen von Kompositionen Bedřich Smetanas oder Antonín Dvořáks lange Absätze. Auf besondere Weise wurden in Erzählungen über Theresienstadt Symbole der tschechischen Nationalgeschichte betont, so etwa diente die Darstellung des Schicksals der Statuen von Jan Hus oder T. G. Masaryk dazu, die innige Einheit von Juden und Tschechen zu betonen.523 Theresienstadt wurde in diesen Darstellungen zu einem rein tschechischen Ort, zu einem Ort des tschechischen Patriotismus, ohne dem Rechnung zu tragen, dass nur die Hälfte der Ghetto-Häftlinge aus Böhmen und Mähren stammten – und dass unter diesen viele waren, deren Muttersprache deutsch war. Zahlreiche jüdische Autoren versuchten daher, ihre Darstellung des Leidens der Juden mit jenem der Tschechen zu verbinden und hoben besonders hervor, wie ähnlich das Schicksal der beiden verfolgten Gruppen gewesen sei.524 Emil Utitz suchte im Jahr 1955 nach den Gründen für die relativ geringe Auswanderung von Juden aus dem Protektorat, als dies noch möglich ge­wesen war. In Deutschland und Österreich standen die Juden im Angesicht einer Bevölkerung, von der sie größtenteils gehaßt wurden, hier aber litten sie gemeinsam mit der ihnen wohlgesinnten Umgebung, hatten die gemeinsame Hoffnung auf baldigen Zusammenbruch des grotesken ­Protektorats.525

Anhand der Repräsentationen Theresienstadts konnte bereits das vermeintlich gemeinsame Leiden der Tschechen und Juden gezeigt werden. Wie Jan Masaryk »keinen Unterschied« zwischen den Opfern Theresienstadts sah526 so gedachte auch der ehemalige Soldat der tschechoslowakischen Auslandsarmee Miroslav Kerner anlässlich des tschechoslowakischen Nationalfeiertages am 28.  Oktober 1947 des gemeinsamen Kampfes von Tschechen und Juden: Sie starben alle mit der gleichen Entschlossenheit, ob es nun Vrána oder Frischer war, Bílek oder Lederer. Es gab zwischen ihnen keinen Unterschied, wir hatten alle nur eines im Sinne: die Freiheit der Tschechoslowakischen Republik und ihres Volkes.527 522 Sehr deutlich beispielsweise bei Feder: Jüdische Tragödie.  – Auředníčková: Tři léta.  – Instruktiv hierzu Peschel: »A Joyful Act of Worship«. 523 Jak byl zachráněn Husův pomník v Terezíně. In: Věstník 9/14 (1947), 202. 524 Vgl. auch Soukupová: Praha v židovské krajině vzpomínání, 29. 525 Utitz, Emil: Terezínské transporty. In: Věstník 17/6 (1955), 6, zit. nach Kárný: Die »Judenfrage«, 172. 526 Ministr Jan Masaryk nad hroby v Terezíně. In: Lidová demokracie vom 18.9.1945, 2. 527 Kerner, M.: 28. říjen. In: Věstník 9/21 (1947), [305]f., hier 306.

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Wie bereits im ersten Teil der Arbeit konstatiert wurde, brachte der Versuch einer gesellschaftlichen Homogenisierung auch eine Homogenisierung der Repräsentationen der Vergangenheit mit sich: Julius Lederer hielt etwa fest, dass die nationalsozialistische Politik zur Beherrschung der Welt »in erster Linie gegen Juden und gegen Tschechen« gerichtet gewesen sei.528 Viele gingen in dieser Assimilierung der beiden Persekutionen so weit – und konform mit zahlreichen nichtjüdischen Stimmen –, dass die Ermordung der Juden nur ein Prolog und eine »Generalprobe« für die Vernichtung der tschechischen Nation gewesen wäre.529 Dieses Bild der »Generalprobe« war lange Zeit omnipräsent.530 Selbst Karel Lagus und Josef Polák, die ihr Buch über das Ghetto Theresienstadt aus dem Jahr 1964 mit einem Exkurs zum Antisemitismus einleiteten und dadurch den Holocaust eindeutig in der Geschichte des Antisemitismus kontextua­ lisierten, schwächten ihre Ausführungen sodann wieder ab: Die national­ sozialistische Verfolgung und Ermordung der Juden sei bloß eine »Generalprobe« für die Vernichtung der Tschechen gewesen.531 Michal Frankl hat Recht, wenn er behauptet, dass dieser Vergleich der »Endlösung der Judenfrage« mit jener der »tschechischen Frage«, und damit die Absage an eine eventuelle Partikularität des Holocaust, auch eine Taktik war, um die Forschungen zu »jüdischen« Themen zu legitimieren: »Indem die Historiker den Zusammenhang zwischen der Verfolgung der Juden und der Tschechen herausstellten, begründeten sie auch, warum sie sich überhaupt mit dem Thema des Holocaust beschäftigten.«532 Dennoch bedeutete die kontinuierliche Gleichstellung der beiden Verfolgungen letztlich die Banalisierung und Bagatellisierung des Holocaust und das Festhalten an einem nationalistischen Blick auf die Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Dies war auch in der Berichterstattung zum Eichmann-Prozess im Jahre 1961 zu erkennen. War dieser Prozess für viele Beobachter eine der entscheidenden Wegmarken hin zur Wahrnehmung der Einzigartigkeit und Zentralität des Holocaust,533 so waren in der Tschechoslowakei Stimmen zu hören, die Eichmann zwar als »Mörder der Juden« darstellten, der aber letztlich genauso versucht habe »unsere Nation auszurotten«.534 Außer Frage steht, dass auch in der tschechischen Erinnerungskultur der Eichmann-Prozess, der zu528 Sjezd osvobozených politických vězňů v Klatovech. In: Věstník 8/8 (1946), 70. 529 Kolár: Ještě naposledy, 2. – Schön-Kulka, Erich: Svědčili jsme proti Hoessovi. In: Věstník 9/8 (1947), 103 f., hier 103. – Siehe dazu auch bereits die Ausführungen oben. 530 Siehe etwa Lagus, Karel: Generální zkouška. In: Hlas revoluce Nr. 49 vom 4.12.1971, 3. – Kraus: Die Todesfabrik, etwa 24 f. – Kárný: Die »Judenfrage«. 531 Lagus: Město za mřížemi, 16 f. 532 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 268. 533 Wieviorka: L’ère du témoin. – Levy: Erinnerung im globalen Zeitalter, 126–134. 534 To oni zachránili svět. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 4.11.1960, 3.

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dem mit dem Beginn einer langsamen kulturellen Liberalisierung des Landes zusammenfiel, der Verfolgung der Juden eine größere Aufmerksamkeit und eine größere Öffentlichkeit zukommen ließ.535 Allerdings können keine wesentlichen Modifikationen in der Interpretation des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust gesehen werden, die direkt in Zusammenhang mit der Aus­ einandersetzung um Adolf Eichmann Anfang der 1960er Jahre gestanden hätten. Die Ermordung der Juden sei »nur ein Vorbote weiterer Verbrechen des Genozids«536 in Mittel- und Osteuropa gewesen und genau dies habe der Prozess gezeigt: »Am Beispiel der Massenausrottung [masové vyhlazování] der Juden in Europa konnte sich die Welt neuerlich von dem verbrecherischen Charakter des Nazismus und des Militarismus überzeugen.«537 Wie Karel Lagus und Josef Polák nicht umhin kamen, in ihrer Studie über das Ghetto Theresienstadt die Verquickung der Verfolgung von Juden und Tschechen stark zu machen, so ging auch Ladislav Mňačko, der tschechoslowakische Berichterstatter am Eichmann-Prozess in Jerusalem, von diesem gemeinsamen tschechisch-jüdischen Schicksal aus.538 Gesellschaftliche Indifferenz

Die Exklusion der Juden aus der tschechischen Nation bedeutete auch eine Exklusion des Holocaust aus der tschechischen Geschichte.539 Im Zeichen des Aufbaus eines neuen Nationalstaates wurde das Ideal der sozialen und ethnischen Homogenität verkündet. Dies schloss die Juden als partikulare gesellschaftliche, religiöse oder nationale Gruppe und auch den Holocaust als partikulare historische Erfahrung aus der Wahrnehmung der tschechischen Gesellschaft aus. »Nur das eigene Leid zählt, das der anderen nicht«, resümierte der Historiker Bedřich Loewenstein diese Stimmung.540 Die »schlimmste Haltung ist die Indifferenz«, meinte ein französischer Jude mit rumänischen Wurzeln, rückblickend auf die unmittelbaren Nachkriegsjahre.541 535 Als direkte Reaktionen etwa Mňačko: Já, Adolf Eichmann. – Kulka: Únos. – Unter den Zeitungsartikeln beispielsweise Veselý, Miloš: Eichmann nebyl sám. In: Kultura 5/16 (1961), 7. – Mňačko, Ladislav: Úskalí jeruzalemského procesu. In: Kultura 5/23 (1961), 8. – Putík, Jaroslav: Eichmann – 40/61. In: Literární noviny 10/27 (1961), 9. 536 Eichmann – válečný zločinec čís. A 28/26. Z projevu prof. dr. Rudolfa Bystrického na tiskové konferenci SPB. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 4.11.1960, 6. 537 Hrůzná obžaloba nacismu. In: Hlas revoluce Nr. 12 vom 22.6.1961, 2. 538 Mňačko: Já, Adolf Eichmann, etwa 50–52. – Zu Mňačkos Buch etwa Klein, Ota: Slovo o nacismu a ještě víc. In: Kultura 5/48 (1961), 5. 539 Siehe hierzu auch die Analyse der Äußerungen führender Politiker zur Frage des Holocaust in der unmittelbaren Nachkriegszeit: Čižinská: Nástin reflexe holocaustu. 540 Loewenstein: Überlegungen, 32. 541 Linhart: La vie après, 43.

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In der Tat war es nicht so, wie Kurt Wehle 1946 festhielt, dass die nichtjüdischen Tschechen schlichtweg »keine Ahnung von dem Ausmaß und der Totalität der faschistischen und nazistischen Verfolgung der Juden« gehabt hätten. Das Problem habe vielmehr in ihrer Teilnahmslosigkeit und Indifferenz gelegen.542 So zeigte sich auch der tschechisch-jüdische Schriftsteller František Langer im selben Jahr erschrocken vom fehlenden Mitgefühl gegenüber den Juden und der Konzentration auf das eigene tschechische Leid, vom allzu schnellen Vergessen und Verdrängen, ja von der »unbefangenen Exklusion des Schicksals der Juden aus dem Bewusstsein der anderen Leute«.543 Zeuge einer derartigen Unbefangenheit wurde einige Jahre später ein Reporter des Brünner kommunistischen Tagblattes, der ein Gespräch zweier Jugendlicher über einen Film über den Aufstand im Warschauer Ghetto verfolgte. »Es ist angeblich schon wieder über diesen Krieg« habe das Mädchen gemeint, worauf der Junge zustimmend hinzugefügt habe: »Wozu soll man sich darüber aufregen, dass sie dort ein paar Juden umbringen [zabíjet]«.544 Štěpán Engel beobachtete die Tendenz, in Berichten über den Zweiten Weltkrieg die jüdischen Opfer zu übergehen. Diese »statistische Vergesslichkeit«, wie er die Außerachtlassung der jüdischen Opfer bezeichnete, erklärte er damit, dass jemandem wohl »aus dem Gedächtnis entschwunden ist, dass in diesem Land eine Gruppe jüdischer Mitbürger lebte, die der nazistische Terror zu 90 Prozent vertilgte [vyhubil].«545 Rudolf Iltis berichtete im Jahre 1947 von den Vorbereitungen für eine Gedenktafel in Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges in einem Städtchen unweit von Prag. Als es um die Frage ging, ob auch die ermordeten jüdischen Mitbürger auf der Gedenktafel erwähnt werden sollten, sprachen sich bloß zwei bis drei Personen dafür aus.546 Erich Kulka erwähnte ein anderes Beispiel einer Gedenktafel aus Vsetín (Wsetin), ebenso 1947, wo die 23 nichtjüdischen Opfer namentlich genannt wurden, während die dreimal so große Zahl der ermordeten Juden abgetan wurde mit den Worten »und 69 Opfer der Rassenverfol-

542 Wehle, Kurt: Slovo k židům na Slovensku. In: Věstník 8/3 (1946), 17 f., zit. nach Wehle: The Jews in Bohemia and Moravia, 510. 543 Langer, Frant[išek]: Zapomínání. In: Věstník 8/15 (1946), 138 f., hier 138. – Das fehlende Mitgefühl für die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus konnten auch Eva Hahn (Hartmannová) und Blanka Soukupová feststellen: Hartmannová: »My« a »oni«, 104. – Soukupová: Praha v židovské krajině vzpomínání, 12.  – Ähnlich Kraus, František R.: Společná modlitba. In: Věstník 11/4 (1949), 47. 544 Film a život. In: Rovnost vom 19.3.1949, zit. nach Věstník 11/14 (1949), 161. 545 Št.E. [Engel, Štěpán]: Zapomnětlivá statistika. In: Věstník 9/3 (1947), 28 f. – Ähnlich Feder: Jüdische Tragödie, 125. 546 Dr Iltis [Iltis, Rudolf]: Dny šťastných a dny statečných. In: Věstník 9/14 (1947), 203 f. – Dr Iltis [Iltis, Rudolf]: Vavřín a trnitá koruna. In: Věstník 9/15 (1947), 217 f. – Ein ähnliches Beispiel findet sich auch bei Meyer: Czechoslovakia, 101.

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gung«.547 So erinnerte auch Arnošt Eisinger, Vorstandsmitglied des Verbands der Freiheitskämpfer, Ende des Jahres 1951 daran, dass in der Tschechoslowakei in den Vorkriegsgrenzen 352.000 Juden gelebt hätten, während es Anfang der 1950er Jahre nur noch ungefähr 25.000 gewesen seien. »Diese Sache«, so Eisinger, »muss auch auf irgendeine Art der Nation beigebracht werden.«548 Die stillschweigende Inklusion der großen Zahl der jüdischen Opfer in die Summe der 360.000 tschechoslowakischen NS -Opfer, so Bedřich Loewenstein rückblickend, »war mit Sicherheit kein Ausdruck der Überordnung staatsbürgerlicher Kriterien über ethnisch-kulturelle, sondern eher Selbstbezogenheit und Mißachtung des Schicksals anderer Gruppen.«549 Diese Ausblendung der Verfolgung der Juden, und allgemeiner die Indifferenz gegenüber der jüdischen Vergangenheit, wird auch an der Bedeutung des Prager Jüdischen Museums deutlich. In einem Kommentar des jüdischen Gemeindeorgans aus dem Jahr 1948 hieß es, zwar in positiver Absicht, dazu: »Was das Nationalmuseum für die einheimische Öffentlichkeit, für Schulen und für Pragreisende vom Land ist, das wurde das Jüdische Museum für die internationale Öffentlichkeit.«550 Was hier die internationale Bedeutung des Jüdischen Museums bekräftigen sollte, zeigte zugleich die klare Trennung in der Wahrnehmung der tschechischen (nationalen, einheimischen) Geschichte auf der einen Seite und der jüdischen (internationalen und »kosmopolitischen«, das heißt nichttschechischen) Geschichte auf der anderen.551 Dass unter diesen Bedingungen keine Assimilation im Sinne einer gleichberechtigten Integration möglich sei, hatten manche bereits früh erkannt. Denn für eine »völlige Assimilation«, so Oberrabbiner Gustav Sicher, sei nicht nur der Wille der Juden notwendig, sondern auch die »offenen Arme des Gegenübers«.552 Genauso erkannte Štěpán Engel bereits im Herbst 1945, dass es in öffentlichen Diskussion über die »jüdische Frage« – in denen zwar die Entrüstung über die nationalsozialistischen Verbrechen artikuliert werde  – oft darum gehe, die Juden dazu aufzurufen, sich anständig zu benehmen und nicht aufzufallen, um nicht die Feindschaft der Gesellschaft zu provozieren.553 547 Kulka: Židé, 13.  – Ebenso erwähnt bei Hrubý, Dan: Židé. Český státnost. In: Reflex Nr. 2 vom 6.1.1992, 26–29, hier 28, Privatarchiv Peter Brod. – Ein ähnliches Beispiel für die nicht namentliche Nennung der jüdischen Opfer, eine Gedenktafel in Vysoké Mýto, erwähnt Jiří Franěk. Franěk, Jiří: Zwei Gedenktafeln. In: Newsletter  – Theresienstadt Martyrs Remembrance Association, Nr. 35, Juli 1993, 11, ABT, Newsletter. 548 Zápis z 18. schůze předsednictva ÚV-SBS konané 1.11.1951, NA , f. ÚV SPB , Kt. 27. 549 Loewenstein: Überlegungen, 33. 550 Úkoly Židovského musea do budoucnosti, 8.10.1947, AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 3. – Auch in Věstník 10/5 (1948), 52, zit. nach Soukupová: Praha v židovské krajině vzpomínání, 22. 551 Hierzu weiter Fischer, Karel: Památník kultury. In: Věstník 11/52 (1949), 589. 552 Sicher, Gustav: »Zapiš nás do knihy života!«. In: Věstník 9/17 (1947), [245]f., hier [245]. 553 Engel, Štěpán: Hra s ohněm. In: Věstník 7/3 (1945), 22.

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Die Grundlagen der Indifferenz gegenüber den Juden waren zweifellos bereits im Krieg und davor gelegt worden.554 Bereits nach dem Münchner Abkommen 1938 und der Errichtung der Zweiten Republik hatten sich nationalistische Reaktionen zur Rettung der Tschechoslowakei oftmals gegen Juden gerichtet, wie Livia Rothkirchen herausgearbeitet hat. »Jew baiting, gutter demagogy, and petty chauvinism became blatant features in the Czech press«.555 Denn, so fügte Bedřich Loewenstein hinzu, von vielen wurde die Schuld für das Scheitern der vermeintlich »jüdisch-freimaurerisch geprägten Ersten Republik« den Juden zugeschoben.556 Die Kontinuitäten dieser Teilnahmslosigkeit wurde den aus den Lagern oder der Emigration zurückkehrenden Juden sofort deutlich. Zahlreich sind die Erinnerungen an einen äußerst kühlen Empfang und die fehlende Anteilnahme am Schicksal der Juden, an Enttäuschungen und Erfahrungen von alltäglichem Antisemitismus.557 Lotte Liebsteinová berichtete dem noch in Palästina weilenden Gustav Sicher im Sommer 1946 von ihren Gefühlen nach der Rückkehr aus Theresienstadt in ihren Heimatort Poděbrady: Ein einfacher [soukromý] Mensch wie ich, eine alte Frau, […] fühlt nicht, dass sie definitiv zu Hause ist, spürt oft, dass sie uns hier nicht gerne haben, dass Unrecht geschieht, wenn man überall über diese Grausamkeiten liest, die das Volk durchmachte, und diese armseligen Juden werden nirgends erwähnt […].558

Bereits Ende 1945 hielt Hanuš Koldovský in seinem Gedicht »Po šesti letech…« (Nach sechs Jahren) fest, dass die überlebenden Juden vielen ein »Dorn im Auge« seien und das »Allermanns-Gemurre« zu vernehmen sei, demnach »dieser Juden gar viele zurückkehrten«.559 Wie andere Überlebende wandte sich Pavel Kohn nach seiner Rückkehr nach Prag an jene Familie, bei der seine von den Nationalsozialisten ermordeten Eltern – offensichtlich gegen Bezahlung – einige Wertgegenstände versteckt hatten:

554 Siehe etwa Rothkirchen: Czech Attitudes, besonders 316–320. – Die Haltung der Tschechen zur Shoah sowie die Rolle, die Tschechen als Zuschauer, Bystander und Täter einnahmen, sind bis heute ein in der Historiographie unterbeleuchtetes Phänomen. Die Idealisierung der tschechischen Solidarität mit den Juden hat Jan Láníček in seiner vor kurzem erschienenen Dissertation in Frage stellt. Láníček: Czechs. 555 Rothkirchen: The Jews of Bohemia and Moravia, 77.  – Siehe hierzu auch Brenner: Již nikdy Mnichov, 184 f. 556 Loewenstein: Überlegungen, 30. 557 Siehe unter anderen Heumos: Rückkehr ins Nichts. – Schikorra: Rückkehr. – Brod: Die Juden, besonders 219 f. 558 Lotta [Lotte Liebsteinová] an Gustav Sicher, 1.7.1946, CAHJP, P 209/14. 559 Koldovský, Hanuš: Po šesti letech… In: Věstník 7/4 (1945), 31. (Im Original: »Jen málo přátel vítalo nás domů, / my trnem v oku byli jsme kdekomu /  a slyšet bylo reptání -­ kdekoho, / těch židů vrátilo se ještě mnoho.«)

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Jetzt meldete ich mich bei dieser Familie Klípa telefonisch und teilte ihnen mit, daß ich zurück und am Leben sei. Man lud mich zum Mittagessen ein […]. Sie fragten mich, wo meine Eltern und mein Bruder geblieben seien, und haben ihr Schicksal tiefstens [sic] bedauert. In dem Wohnzimmer, wo wir saßen, lag auf dem Boden unser gelber Perser, auf der Kommode erkannte ich unsere Kristallvasen und -schüsseln, in der Vitrine Tier- und Vogelfigürchen aus Rosenthalporzellan, die uns unser Vater öfters von seinen Reisen mitgebracht hatte. Als ich es nach dem Essen endlich wagte zu sagen, daß meine Eltern, soviel ich wüßte, verschiedene Gegenstände bei meinen Gastgebern hinterlegt hätten, erwiderte man mir, daß ich mich irren müsse oder ich sie mit jemandem verwechsele.560

Auch Helga Weissová-Hošková erinnert sich an die Enttäuschungen bei der Rückkehr nach Prag: Als sie und ihre Mutter um Restitution ihrer Wohnung ansuchten, antwortete ihnen ein Vertreter des Nationalausschusses: ›Na, entsprechend des Dekrets des Herrn Präsidenten haben sie auf Ihre Wohnung ein Anrecht, da kann man nichts machen‹, und er schrieb […] in das Dekret ›Ich übergebe die Wohnung der Jüdin – Nicht-Arierin Irena Weissová‹ und so haben wir unsere Wohnung zurückbekommen.561

Wie im Zuge der Rückerstattung ihrer Wohnung wurde Helga WeissováHošková auch in weiteren Situationen nach ihrer Rückkehr aus den Konzentrationslagern Theresienstadt, A ­ uschwitz und Mauthausen Zeugin antisemi­ tischer Denkweisen: Aber es war natürlich nicht so ein Glück, den Krieg zu überleben und in die eigene Wohnung zurückzukehren, wie es sich die Leute vorgestellt haben und es war überhaupt nicht einfach. Denn einerseits hat uns niemand willkommen geheißen, niemand hat auf uns gewartet. Und die Leute reagierten, bis auf Ausnahmen, bis auf diese Nachbarn, die unglaublich waren, die waren wirklich solche weiße Krähen, ja vereinzelte Fälle, weil die Leute sagten etwa: ›Jö, wer hätte gedacht, dass Sie noch zurückkehren werden‹, und so. Und es gab zum Beispiel auch Fälle, dass die Sachen, die sie dort versteckt hatten, zum Beispiel nicht zurückgegeben haben, weil sie sagten: ›Sie wissen, der Krieg‹ und ›Wir haben es für Schmalz eingetauscht‹ und ich weiß nicht was – sie verloren haben und was ihnen abhanden gekommen ist. Also, mit uns hat keiner mehr gerechnet.562

Dieser alltägliche Antisemitismus direkt nach Kriegsende verweist, einmal mehr, auf die Folgen einer antisemitischen Politik seit Ende der 1930er Jahre. In der nationalistischen Stimmung der ersten Nachkriegsjahre konnte es 560 Kohn: Jude, 70 f. 561 Interview mit Helga Weissová-Hošková, Interviewerin: Jana Drdlová, 22.2.2003, Übersetzung, 28, AMM, MSDP, OH / ZP1/812. 562 Ebd., 28 f.

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keine »tschechischen Juden« geben, sondern nur noch entweder Tschechen oder Juden  – eine Auffassung, die selbstverständlich ganz konkret auch die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg prägte. Die Kontinuitäten dieser Wahrnehmung über die gesamte Nachkriegszeit hinweg sollen an einem Beispiel veranschaulicht werden, einem nach dem Krieg häufig dargestellten Ereignis im Vernichtungslager A ­ uschwitz-Birkenau: der Nacht vom 8. auf den 9. März 1944.563 Das »Lied der Toten« – Tschechen oder Juden in Birkenau?

Der 8. März 1944: In einer einzigen Nacht wurden fast 4.000 Juden aus der Tschechoslowakei in A ­ uschwitz-Birkenau ermordet. Kurz vor ihrem gewaltsamen Ableben stimmten sie Lieder an. Sie fuhren »singend in den Tod«564, machten Gebrauch von der einzigen Waffe, die sie noch besaßen: ihrer Stimme. Sie sangen tschechische Lieder, oder jüdische, vielleicht kommunistische. Sie erfuhren Demütigungen, Gewalt, waren geschwächt vom Lager­ leben, sie standen kurz vor ihrem Tode. »Und trotzdem: Sie singen weiter.«565 Das »Lied der Toten«566 wurde von Tschechen in der Nachkriegszeit oft beschrieben, es wurde, und wird, als Vermächtnis für die Nachwelt inter­ pretiert, das Singen als ein Symbol der Humanität verstanden, als ein Beweis der aufrechterhaltenen Würde in der Extremsituation.567 In der Tat, im Konzentrationslager zu singen sei bereits Widerstand, so der Ethnologe und Musikwissenschaftler Guido Fackler, sei ein »Akt der Selbstbehauptung« und »eine letzte politische Demonstration«.568 Die Ermordeten jener Nacht im »Theresienstädter Familienlager« in Birkenau wurden daher sowohl von Juden als auch von Nichtjuden in der Tschechoslowakei zu Helden erklärt, zu Märtyrern. Doch Märtyrer für welche Sache? War der Gesang ein Protest 563 Die folgenden Ausführungen basieren auf meinem Aufsatz: Hallama: Das »Lied der Toten«. 564 So der Bericht von Rudolf Vrba (Walter Rosenberg) und Alfréd Wetzler vom April 1944. Siehe die deutsche Version online, URL: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/ German45.pdf (am 14.4.2010). 565 Gradowski: Im Herzen der Hölle, 133. 566 Der tschechische Komponist Jan Bůžek vertonte 1984 das »Lied der Toten« (Píseň mrtvých), ein Gedicht, das von einer unbekannten Frau in der Nacht des 8. März 1944 verfasst worden war und überliefert ist. Siehe das Werkverzeichnis Bůžeks, URL: http:// www.musica.cz/skladatele/buzek-jan.html (am 28.9.2010). – Siehe auch Píseň mrtvých. In: Hlas revoluce Nr. 9 vom 3.3.1984, 6. 567 Todorov: Angesichts des Äußersten, 71. 568 So der Ethnologe und Musikwissenschaftler Guido Fackler im Interview in: Books. L’actualité par les livres du monde, Nr. 14, juillet–août 2010, 57. – Ebenso Fackler: »Des Lagers Stimme«, 428 und 386. – Siehe auch ders.: Lied und Gesang.

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gegen die geplante Ermordung der Juden? Verabschiedeten sie sich »mit dem hebrä­ischen Lied HaTikvah vom Leben«?569 »[H]uldigten sie ihrem entfernten Land, ihren Mitbürgern und ihrer Vergangenheit«570, sangen also Kde domov můj, die tschechoslowakische Nationalhymne? Oder war es das Lied der sowjetischen Partisanen, »ein stolzes Lied«, das aus der Gaskammer zu hören war?571 Wird ihr Tod als Erbe und Botschaft für die Tschechoslowakei, für Eretz Israel oder für den internationalen Kommunismus interpretiert? Werden die Opfer als Juden, Zionisten, tschechoslowakische Patrioten oder Vorkämpfer des Sozialismus betrachtet? Die zahlreich anzutreffenden (Nach-)Erzählungen der Nacht vom 8.  auf den 9. März 1944 klingen – je nach den politischen und erinnerungskulturellen Umständen in der Nachkriegstschechoslowakei sowie je nach Sprecher und Publikum – sehr unterschiedlich. Besonders die Inkongruenzen in den Schilderungen, welche Lieder gesungen worden seien, bieten sich auf treffliche Weise für eine Analyse der tschechoslowakischen Erinnerungskultur an und geben uns Aufschluss über die Bedeutung und Beharrlichkeit des patriotischen Geschichtsbildes. Diesen Liedern, diesem Akt des Aufbegehrens in einer aussichtslosen Situation, messen die Autoren einhellig eine außergewöhnliche Bedeutung für die Nachwelt bei. Die Auswahl, die Art der Beschreibung und die Kontextualisierung der vermeintlich gesungenen Lieder ist ein deutlicher Akt von rückblickender Sinnstiftung, in der die wesentlichen Faktoren der tschechischen Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust zu Tage treten. Anhand der Repräsentationen des Theresienstädter Familienlagers in Birkenau können sowohl die langjährige Bedeutungslosigkeit des Holocaust und die Omnipräsenz der heroischen Wahrnehmung der jüngsten Vergangenheit dargelegt werden, vor allem aber soll dieses Beispiel dazu dienen, den tschechischen Ethnozentrismus und Nationalismus plastisch zu veranschaulichen.572 Bei dem Theresienstädter Familienlager in ­Auschwitz-Birkenau handelte es sich um den B  II  b genannten Abschnitt des Vernichtungslagers Birkenau,573 in dem Häftlinge aus dem Ghetto Theresienstadt untergebracht wur569 Kulka: Útěk z tábora smrti, 74. 570 Fuchs, František: Před třiceti lety. In: Věstník 36/3 (1974), [1]f., hier [1]. 571 Kárný, Miroslav: Svědectví z Osvětimi. In: Tvorba Nr. 14 vom 5.4.1989, Beilage 1–4, hier 2. 572 Zur Nachgeschichte des Theresienstädter Familienlagers in Birkenau und konkret des 8. März 1944 liegt bislang kaum Literatur vor. Siehe vor allem die Beiträge von Michal Frankl: Frankl: Konečné řešení židovské otázky. – Ders.: Holocaust Education. – Ders.: Die »Endlösung der Judenfrage«. – Außerdem, sehr knapp, Holý: Smrt, 40. 573 Unter den nationalsozialistischen Konzentrationslagern werden jene als »Vernichtungslager« verstanden, deren zentrale Aufgabe in der zweiten Hälfte des Krieges die systematische und massenhafte Ermordung der europäischen Juden war. Zudem wird hier das Lager ­Auschwitz II (Birkenau) als »Vernichtungslager« bezeichnet, um dieses vom

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den. Anfang September 1943 trafen die ersten zwei Transporte mit 5.007 überwiegend tschechischen Juden in Birkenau ein.574 Ungewöhnlich  – im Vergleich zum sonstigen Prozedere in A ­ uschwitz-Birkenau – waren nicht nur das Ausbleiben der Selektion bei der Ankunft der Transporte, sondern auch die allgemeinen Bedingungen im Familienlager: Frauen, Männer und Kinder waren – obzwar in getrennten Blöcken – in dem Abschnitt gemeinsam untergebracht, vielen wurde ihr Haar belassen, sie konnten ihre Zivilkleidung behalten und hatten die (zumindest theoretische)  Möglichkeit, Päckchen von außen zu empfangen. Es gab einen gewissen Freiraum für kulturelle Aktivitäten, so konnte etwa im Kinderblock Unterricht stattfinden. Auf Grund der katastrophalen hygienischen Bedingungen und der unzureichenden Verpflegung der Häftlinge starben dennoch allein von den Gefangenen der ersten beiden Transporte in einem halben Jahr knapp 1.200 Menschen. Sechs Monate nach der Ankunft der ersten Gefangenen im Familienlager, in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1944, wurden alle noch Lebenden dieser Transporte gemeinsam in den Gaskammern ermordet.575 Im Juli 1944 löste die Lager-SS endgültig das Familienlager in Birkenau auf, in dem zu diesem Zeitpunkt noch ungefähr 10.000 Juden gefangen gehalten wurden.576 Nachdem ein Drittel der Häftlinge nach einer Selektion zur Zwangsarbeit in unterschiedliche Lager deportiert worden war, wurden die verbleibenden in zwei Nächten in den Gaskammern umgebracht. Ungeachtet der Dimension, die die Vernichtung des Theresienstädter Familienlagers erreichte (um dies hervorzuheben sprechen viele vom »größten Massenmord« an tschechoslowakischen Bürgern während des Zweiten Weltkrieges577), war die Geschichte dieses Lagers in der tschechoslowakischen ÖfStammlager (­Auschwitz I) zu unterscheiden und deren unterschiedliche Funktionen innerhalb des Lagerkomplexes ­Auschwitz-Birkenau deutlich hervorzuheben. Siehe etwa Piper: Die Rolle. – Orth: Das System, 198–204 und 255–260. 574 Zur Geschichte des Familienlagers siehe: Jahn: Das »Theresienstädter Familienlager«. – Kárný: Das Theresienstädter Familienlager (BIIb)  in Birkenau.  – Keren: The Family Camp. – Brod: Terezínský rodinný tábor. 575 Die Opferzahl wird unterschiedlich mit 3.791 oder 3.792 wiedergegeben. Siehe Kárný: Terezínský rodinný tábor, 294, Fußnote 120. Der Mordaktion entkommen sind un­ gefähr 70  Personen: Ärzte, Sanitäter und Zwillingspaare, die Josef Mengele für seine Versuche verwendete. Das Kriegsende erlebten aus den beiden September-Transporten nur 38 Personen. 576 Nach den bereits erwähnten September-Transporten wurden in zwei Etappen im Dezember 1943 und Mai 1944 weitere 12.510  Juden aus dem Ghetto Theresienstadt ins Familien­lager in Birkenau deportiert. In den letzten Transporten bildeten die Juden aus der Tschechoslowakei gegenüber jenen aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden nicht mehr, wie in den Transporten vom September 1943, die Mehrheit. 577 Unter vielen anderen etwa Kárný, Miroslav: Noc 8. března 1944. In: Věstník 51/3 (1989), [1]. – Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 267. – Čapka: Dějiny, 702. – Bělina: Kronika, 723.

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fentlichkeit lange Zeit kaum präsent.578 Sie stand klar im Schatten der Erinnerung an den böhmischen Ort Lidice. Auch heute stellt das Schicksal des Theresienstädter Familienlagers in Birkenau keinen integralen Bestandteil der tschechischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs dar: So findet sich »in keinem Schulbuch über seine Existenz auch nur die kleinste Erwähnung«579, in der medialen Öffentlichkeit sind Repräsentationen des Familienlagers rar und der 8. März hat als Gedenktag keinerlei verbindliche Funktion.580 Richtet man den Blick auf die jüdische Gemeinde in der Nachkriegstschechoslowakei, ergibt sich freilich ein anderes Bild: Für diese entwickelte sich der 8. März sehr rasch, neben der bereits genannten Trauerfeier in Theresienstadt (Kever Avot), zu dem wichtigsten Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.581 Darüber hinaus wurde von Vertretern der jüdischen Gemeinde der Anspruch erhoben, den 8.  März als Gedenktag für die gesamte Tschechoslowakei zu etablieren: Bereits am zweiten Jahrestag veranstalteten die 578 Siehe beispielsweise folgende Geschichtsbücher: Ráček: Československé dějiny, 487 f. – Husa: Dějiny Československa, 380–383. – Golán: Československé dějiny, 300. – Míka: Československé dějiny, 372–378. – Pátek: Československé dějiny, 32–35. 579 Frankl: Konečné řešení židovské otázky.  – Ders.: Nepohodlné téma. Holocaust v českých učebnicích dějepisu. In: Respekt vom 29.6.1998, URL: http://respekt.ihned.cz/ index.php?p=R00000_print&article[id]=36094510 (am 4.5.2010). 580 Die Durchsicht von tschechischen Zeitungen und Zeitschriften sowie Radio- und Fernsehsendungen der letzten Jahre bringt insgesamt nur wenige Resultate: Marjanovič, Teodor: Ve hvězdách. In: Respekt vom 7.3.2004, URL: http://respekt.ihned.cz/index. php?p=R00000_print&article[id]=36211560 (am 4.5.2010). – Premiéra pořadu o norim­ berském procesu [zur Sendung von Radio Vltava am 7.3.2008], URL: http://www. rozhlas.cz/nabozenstvi/zpravy/_zprava/430533 (am 15.4.2010).  – Terezínský rodinný tábor v Osvětimi  – 2.  díl, gesendet auf Rádio Česko, 10.5.2009, URL: http://www. rozhlas.cz/radio_cesko/pribehy/_zprava/579483 (am 15.4.2010).  – Der DokumentarFilm Nesdělitelné (in der Reihe »Paměť 20. století«) von Helena Třeštíková, ausgestrahlt auf ČT 2 am 25.1.2007, URL: http://www.ceskatelevize.cz/ivysilani/20456226256-pamet20-stoleti/ (am 15.4.2010).  – Siehe dazu weiter Přežili Osvětim. In: Televize 4 (2007), URL: http://www.televize.cz/scripts/detail.php?id=25239 (am 15.4.2010). – Gespräch mit Helena Třeštíková auf Radio Vltava, 25.1.2007, URL: http://www.rozhlas.cz/mozaika/ film/_zprava/313891 (am 15.4.2010). – 1944: V Osvětimi během jedné noci umírá skoro 4 tisíce Čechoslováků, 8.3.2009, URL: http://www.ct24.cz/kalendarium/47720-v-osvetimibehem-jedne-noci-umira-skoro-4-tisice-cechoslovaku/ (am 15.4.2010).  – Genocida v Osvětimi – vyhlazeny tisíce českých Židů, 13.7.2009, URL: http://www.ct24.cz/domaci/ 60718-genocida-v-osvetimi-vyhlazeny-tisice-ceskych-zidu/ (am 15.4.2010). 581 Siehe etwa: Den smutku. In: Hlas osvobozených 2/9 (1946), 2. – Stanislav Šteindler, ein Überlebender des Familienlagers, berichtete davon, dass bereits am ersten Jahrestag im März 1945, noch im KZ -Außenlager Schwarzheide, eine Gedenkfeier veranstaltet worden sei. Šteindler, Stanislav: Jak je možno? In: Hlas revoluce Nr. 10 vom 11.3.1989, 4. – Zur gewissermaßen offiziellen Einrichtung dieses Gedenktages von Seiten des Rats der jüdischen Gemeinden siehe auch die zwei Anhänge zum Schreiben von Kraus (ŽNO Praha)  an [Hana] Volavková (Židovské museum), 27.1.1947: Kurt Wehle (RŽNO) an [Rudolf] Iltis, 18.1.1946, und Dokument ohne Titel, o. J., beginnend mit: »25./ Brožura«, AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 66.

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jüdischen Gemeinden an unzähligen Orten Trauerfeiern und wandten sich, ohne Rücksicht auf konfessionelle Zugehörigkeiten, an eine breite Öffentlichkeit: »Dieser Opfer wollen wir, symbolisch für alle Opfer, dauerhaft gedenken und bitten auch unsere nichtjüdischen Mitbürger, sich mit uns dieses Tages zu erinnern«.582 Die Erinnerung an den 8. März nahm auch in den ersten Plänen zur Gestaltung des »tschechoslowakischen Blockes« in A ­ uschwitz583 einen wichtigen Platz ein. Ungefähr zwei Jahre nach Kriegsende dachte man daran, den Opfern des Theresienstädter Familienlagers in diesem Ausstellungsraum eine eigene »Koje« zu widmen und die Namen der Ermordeten an die Wände zu schreiben.584 Anlässlich des zehnten Jahrestages jener Märznacht hieß es – in vollkommener Übereinstimmung mit der universalistischen Auslegung des Zweiten Weltkriegs durch die offizielle Tschechoslowakei – im Organ des Rats der jüdischen Gemeinden, man veranstalte den Gedenktag, um diese Trauerfeiern in die zahllosen Manifestationen des weltweiten fortschritt­ lichen Lagers gegen Krieg, für die Erhaltung des Weltfriedens, gegen die Wiederbelebung von Faschismus und Nazismus, gegen die Vernichtung der Menschheit durch Atomwaffen, gegen die Aufrüstung unserer Henker in Westdeutschland und gegen die systematische Entlassung von Kriegsverbrechern in die Freiheit einzureihen.585

Weitere zehn Jahre später, im März 1964, fanden die Gedenkfeiern tatsächlich in einem wesentlich größeren Rahmen statt. Vertreter des Verbands der antifaschistischen Kämpfer nahmen nun an diesem »Antifaschistischen Demonstrationsabend: Theresienstadt – A ­ uschwitz – Frieden« teil.586 Selbst im Zentralorgan der KSČ »Rudé právo« erschienen Artikel über diese Gedenkveranstaltung und über das Theresienstädter Familienlager; selbstkritisch ist gar von der Schuld die Rede, in den letzten 20 Jahren der Geschichte jener Märznacht »ausgewichen« zu sein.587 In dieser Annäherung zwischen jüdischer Erinnerung, mehrheitsgesellschaftlichen Wahrnehmungen des Zweiten Weltkriegs und staatlicher Geschichtspolitik sind die Tendenzen der liberaleren 1960er Jahre deutlich zu spüren. In den belletristischen Werken dieser Jahre, die sich der Verfolgung 582 Nechť živí slyší hlas mrtvých. In: Věstník 8/2 (1946), 12. – Siehe auch: 13. březen. In: Věstník 8/3 (1946), [24]. 583 Die frühen Pläne für diese Länderblocks in ­Auschwitz führten ab Anfang der 1960er Jahre zu den bis heute existierenden Nationalausstellungen. 584 Osvětímské museum, o. J. [ca. 1947], AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 44. 585 Vzpomínáme… In: Věstník 16/4 (1954), 27. 586 Věstník 26/2 (1964), 3.  – Nezapomeneme na Osvětim. In: Hlas revoluce Nr.  5 vom 12.3.1964, [1]. – Dieser Verband gab auch eine eigene Broschüre heraus: Kraus: Jediná noc. 587 Kraus, Ota: Historie tří tisíc osmi set. In: Rudé právo vom 8.3.1964, 3. – Výročí tragédie v Osvětimi. In: Rudé právo vom 9.3.1964, 1.

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und Ermordung der Juden annäherten, finden sich auch Repräsentationen des Theresienstädter Familienlagers, selbst wenn seine Geschichte nicht im Zentrum der Handlung stand.588 Die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings im August 1968 und die Rückkehr der staatlichen Geschichtspolitik zu alten Mustern zeitigte auch in der Erinnerung an das Theresienstädter Familienlager ihre Folgen. Im März 1969, kurz bevor die repressive und dogmatische Politik der Normalisierung voll Wirkung zu tragen begann, fanden die Trauerfeiern im Gedenken an den 8. März 1944 noch – und erstmals in diesem Ausmaße – große Beachtung: Das Presseorgan der kommunistischen Partei brachte mehrere Artikel; der Verband der antifaschistischen Kämpfer organisierte eine eigene Gedenkfeier in Anwesenheit ranghoher Politiker; am Mahnmal in der Pinkas-Synagoge,589 die nur wenig später für 20 Jahre geschlossen werden sollte, wurden Kränze, darunter sogar einer des Präsidenten der Republik, niedergelegt.590

588 Siehe vor allem die Novellen und Erzählungen Arnošt Lustigs, beispielsweise: Lustig: Dita Saxová, 20 f. und 42 f. – Ders.: Ulice ztracených bratří, 51 und 197. – Ders.: Hořká vůně mandlí, 178–210. – Bereits unmittelbar nach Kriegsende hatte Ota B. Kraus dem Familienlager in Birkenau, in welchem er als einer der Betreuer im Kinderblock inhaftiert gewesen war, ein literarisches Denkmal gesetzt. Sein Roman, 1946 fertig gestellt, erschien noch 1948. Der Großteil seiner Auflage wurde jedoch nach der kommunistischen Machtübernahme eingestampft und der Autor emigrierte nach Israel. Kraus: Země bez Boha, zur Nacht des 8. März 1944 besonders 34–43. – Siehe dazu das Nachwort von Josef Hiršal in der Neuauflage des Romans. Hiršal, Josef: Marginálie z roku 1992. In: ebd., 139­–142, sowie das Interview Alice Marxovás mit Ota B. Kraus’ Frau Dita Krausová, URL: http://www.holocaust.cz/cz2/resources/ros_chodes/2009/07/krausova_ rozhovor (am 26.4.2010). – Ota B. Kraus widmete, Jahrzehnte später, auch einen zweiten Roman der Geschichte des Familienlagers in Birkenau. Kraus: Die bemalte Wand (zunächst englisch als The painted wall (1994) und tschechisch als Můj bratr dým (1993)). – Siehe dazu Stránský: Sdělit nesdělitelné. – Daneben widmet auch František R. Kraus in seinem Roman David bude žít dem Familienlager ein Kapitel: Kraus: David, 135–163. – Siehe auch bereits ders.: A přiveď zpět, 88–91. 589 Die Trauerfeiern zum 8.  März wurden im Jahre 1960 zum ersten Mal in der PinkasSynagoge veranstaltet. Pavel Kollman (?) / Rudolf Iltis (ŽNO Praha) an SŽM, 7.2.1960, SŽM an ŽNO Praha, 9.2.1960, und Rudolf Iltis (ŽNO Praha) an Hana Volavková (SŽM), 14.3.1960, AŽMP, f. ŽMP 1945–1960, inv.č. 482. 590 K 25. výročí vyhlazení Českého rodinného tábora. In: Hlas revoluce Nr. 8 vom 28.2.1969, [5]. – Ebd. Nr. 10 vom 14.3.1969, [2]. – Výročí Osvětimi. In: Rudé právo vom 5.3.1969, 3. – Vzpomínkové slavnosti k osvětimskému výročí. In: ebd. vom 10.3.1969, [1]. – Dálnopisem. Poštou. Telefonem. In: ebd. vom 11.3.1969, 2. – Czech Officials Honor ­Auschwitz Jews. In: New York Times vom 9.3.1969, 3. – Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle, dass der Wechsel an der Spitze der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei erst im April 1969 erfolgte und dass es der Partei ebenso erst im Laufe des Jahres 1969 gelang, die Kontrolle über die Massenmedien wiederzugewinnen. Siehe dazu etwa Hoppe: Der Prager Frühling.

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Abbildung 8: Gedenkfeiern in Erinnerung an die Toten des Theresienstädter Familien­ lagers im März 1969 in der Prager Pinkas-Synagoge. Die Regierung war durch Stanis­ lav Rázl, Ministerpräsident der Tschechischen Sozialistischen Republik (2. v. r.), und Karel Löbl, Minister für Aufbau und Technik (1. v. r.), vertreten. Foto: ČT K/Jan Bárta, März 1969, © ČT K-Photo 2015.

Damit wurde eine Forderung des Rats der jüdischen Gemeinden vom April 1968 eingelöst, deren Vertreter beklagten, dass der Märznacht »niemand  – außer unserer Gemeinschaft – gedachte« und dass bislang kein Vertreter der Regierung an den Trauerfeiern teilgenommen habe.591 Genauso konnte, immerhin in einem Artikel im »Rudé právo« vom März 1969, noch darauf hingewiesen werden, dass die Tragödie des Familienlagers lange abseits der Aufmerksamkeit gestanden und im nationalen Geschichtsbewusstsein keinen Platz wie etwa Lidice gefunden hätte. Fast mahnend kam der Autor darin zum Schluss, dass man sich an den 8. März 1944 auch erinnere, um zu zeigen, dass in der sozialistischen Ordnung kein Unterschied zwischen den Bürgern bestehe, dass aller Toten des Zweiten Weltkriegs gedacht werde, »ohne Rücksicht auf ihre Nationalität, den Zufall der Geburt oder die sog. Rasse.«592 Ähn591 Ústřední organizace židů v Československé republice zaujímají stanovisko k procesu demokratické obrody. In: Věstník 30/4 (1968), [1]f., hier [1]. 592 Wehle, Jiří: Ve jménu lidskosti – nezapomeňme! In: Rudé právo vom 7.3.1969, 2. – Ähnlich, wenn auch etwas zurückhaltender ders.: Byla to chladnokrevná vražda. In: Hlas revoluce Nr. 11 vom 13.3.1970, [1].

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lich optimistisch äußerte sich auch der Vorsitzende des Rats der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei, der Anfang der 1970er Jahre, kurz bevor die komplette Leitung des Dachverbands »gesäubert« wurde, an die Opfer jener Nacht erinnerte: »Ich denke, dass die Geschichte in der Zukunft diesen Ausdruck moralischer Stärke als eine der großen Taten der Menschheitsgeschichte würdigen und dass er zum Stolz des tschechischen Volkes gedeihen wird.«593 Die Zäsur von 1968/1969 ist deutlich nachzuvollziehen: Das kommunistische Parteiorgan, das anlässlich der Jahrestage 1964 und 1969 noch relativ ausführlich über die Geschichte des Theresienstädter Familienlagers in Birkenau und die diesbezüglichen Gedenkfeiern berichtet hatte, brachte bis 1989 keine Artikel mehr.594 Genauso ging in anderen Blättern die Bericht­ erstattung zu den Jahrestagen des 8. März zurück; immer mehr wurde zudem die Tatsache verschleiert, dass es sich bei den Opfern des Familienlagers um Juden gehandelt hatte.595 Diese Verschleierung, die Erich Kulka in der Exilzeitschrift »Svědectví« (Zeugenaussage)  als »›Arisierung‹ der toten Juden« kritisierte,596 lag offenbar auch der Umgestaltung der tschechoslowakischen Nationalausstellung in A ­ uschwitz Anfang der 1970er Jahre zugrunde.597 Die oppositionelle »Charta 77« prangerte in einem ihrer Dokumente aus dem Jahr 1989 an, dass die Tendenz zur Unkenntlichmachung der Opfer als Juden sogar dazu geführt habe, die Geschichte des Theresienstädter Familienlagers ganz aus der Nationalausstellung auszublenden.598 Obwohl für die jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei der 8. März ein zentraler Gedenktag blieb,599 seit den 1970er Jahren eine Reihe von his-

593 Fuchs, František: Před třiceti lety. In: Věstník 36/3 (1974), [1]f., hier [1]. 594 Untersucht wurden die März-Nummern des Rudé právo der Jahre 1974, 1979 und 1984. 595 Selbst auf den Einladungen zur Trauerfeier am 12.3.1984, die von der jüdischen Gemeinde gestaltet wurden, ist mit keinem Wort erwähnt, dass es sich bei den Opfern um Juden handelte. NA , f. SPVC , Kt. 233.  – Siehe weiter Steiner, Jiří: »Daří se nám dobře …«. In: Hlas revoluce Nr. 10 vom 6.3.1970, [1]. – ms: Nekonečná řada obětí. In: ebd. Nr.  10 vom 9.3.1974, [3].  – ew: Památce 3792 zavražděných. In: ebd. Nr.  12 vom 24.3.1984, 6. 596 Kulka, Erich: »Arisace« mrtvých Židů. In: Svědectví 11/42 (1971), 189 f. 597 Seit den 1960er Jahren bilden die so genannten Nationalausstellungen, ein Produkt staatlicher Geschichtspolitik schlechthin, einen Teil der Gedenkstätte ­Auschwitz. Die von der Tschechoslowakei konzipierte Nationalausstellung wurde 1960 eröffnet und 1971 umgestaltet. Siehe Smoleń: Wystawy narodowe. 598 Tragédie Židů v čs. poválečné skutečnosti, 5.4.1989. In: Císařovská: Charta 77, 1103– 1106. – Siehe dazu auch Rothkirchen: State-sponsored Anti-Semitism, 288. – Szurek: -­ Pologne, 557. 599 Selbst ausländische Delegationen konnten an den Feierlichkeiten teilnehmen, wie etwa drei ranghohe Vertreter des World Jewish Congress im Jahre 1984. Aktuality. In: Věstník 46/4 (1984), 2.

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torischen Aufsätzen zur Geschichte des Familienlagers entstanden600 und gegen Ende der 1980er Jahre auch im Samizdat Repräsentationen des Familienlagers zu finden waren,601 schenkte die tschechische Öffentlichkeit der Geschichte des Theresienstädter Familienlagers erst im Jahr der »Samtenen Revolution« erneut größere Aufmerksamkeit. Im März 1989, zum 45. Jahrestag der Liquidierung der Septembertransporte des Familienlagers, veranstaltete der Rat der jüdischen Gemeinden in der Tschechoslowakei gemeinsam mit dem Verband der antifaschistischen Kämpfer, dem Staatlichen Jüdischen Museum Prag und der Gedenkstätte Theresienstadt eine internationale wissenschaftliche Konferenz in Theresienstadt, über die die tschechischen Medien ausführlich berichteten.602 »Die Wahl eines so juedischen Themas und die Publizitaet in Radio, Presse und Fernsehen sind«, wie ein Beobachter dieses Symposiums festhielt, »ein Anzeichen dafuer, dass auch in der CSSR die ›Glasnost‹ zunimmt.«603 Eine zweite internationale Konferenz fünf Jahre später, welche die nach 1989 gegründete Vereinigung ehemaliger Theresienstädter Häftlinge Terezínská iniciativa (Theresienstädter Initiative)  organisierte, kann vielleicht als Höhepunkt in der – nun bereits – tschechischen Auseinandersetzung mit dem Theresienstädter Familienlager in Birkenau gelten, sicherlich jedoch als Höhepunkt eines gewissen Optimismus. Václav Havels Grußworte leiteten

600 Zu nennen sind in allererster Linie die Publikationen Miroslav Kárnýs, beginnend Ende der 1970er Jahre mit: Kárný: Terezínský rodinný tábor. – Ders.: Das Theresienstädter Familienlager in Birkenau. – Überraschend auflagenstark (25.000 Stück) war sein insbesondere an die Jugend gerichtetes Buch Tajemství a legendy třetí říše, in welchem ein Kapitel dem Familienlager gewidmet ist: Tábor zvaný rodinný, 130–162. – Siehe auch Buchvaldek: Československé dějiny, 436, wo die Ermordung von tschechischen Juden am 8./9. März 1944 erwähnt wird. – Vgl. den Leserbrief von Šteindler, Stanislav: K historii rodinného tábora. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 26.5.1979, 4. 601 Konkret zum Familienlager siehe die Erinnerungen von Anna Kovanicová-Hyndráková. Kovanicová-Hyndráková: Dopis dětem. – Dieser Brief wurde wiederabgedruckt in Svět bez lidských dimenzí und Franková: World. 602 Siehe unter anderem Pravda o zločinu nacistů. In: Rudé právo vom 8.3.1989, 2. – Proti fašismu a válce. In: ebd. vom 10.3.1989, 2. – Kárný, Miroslav: Svědectví z Osvětimi. In: Tvorba Nr. 14 vom 5.4.1989, Beilage 1–4. – Věstník 51/4 (1989), 2. – Kroupa, Karel: Mezinárodní sympozium v Terezíně. In: Hlas revoluce Nr. 11 vom 18.3.1989, [1]. – Škochová, Jarmila: A Symposium on the History of the Terezín Family Camp at ­Auschwitz, Terezín, March 7–9, 1989. In: Judaica Bohemiae 25/2 (1989), 113. – Einzelne Beiträge des Symposiums wurden in den Nummern 6–10 des Věstník von 1989 (Jg. 51) abgedruckt, außerdem in Terezínské listy 19 (1991). – Offensichtlich hätten die Beiträge auch eigenständig publiziert werden sollen. Im Nachlass Miroslav Kárnýs findet sich das Manuskript des Symposiums inklusive Inhaltsverzeichnis und Vorwort: NA , f. Kárných Margita a Miroslav (1937–2001) [weiter Kárných], Kt. 27. 603 Newsletter  – Theresienstadt Martyrs Remembrance Association, Nr.  27, Juli 1989, 3, ABT, Newsletter.

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die Gedenkfeiern zum 8.  März 1994 ein. Havel, der erste postkommunistische Präsident des Landes, sprach die Indifferenz und Teilnahmslosigkeit gegenüber der Ermordung der Juden an, die seinen Worten zufolge in der tschechischen und slowakischen Gesellschaft sowohl während des Krieges als auch heute noch existierten. Diese Gleichgültigkeit, so Havel, »macht aus uns Mitschuldige«.604 Eine derartige Bereitschaft zur selbstkritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit war mit der Hoffnung verbunden, dass sich im neuen demokratischen Umfeld eine pluralistische Sicht auf den Zweiten Weltkrieg unter Einschluss der jüdischen Perspektive durchsetzen würde. So zeigten sich auch die Herausgeber des Sammelbandes, der aus dem genannten Symposium entstanden ist, »überzeugt, dass es nun niemals mehr gelingen wird, die dringliche Botschaft des 8.  März 1944, dieses Symbols der Aus­tilgung von über 80.000 tschechischen Juden, zu unterdrücken und zum Schweigen zu bringen.«605 Der Historiker und ehemalige Häftling des Theresienstädter Ghettos Miroslav Kárný bekräftigte ein Jahr später diese Einschätzung: Der 8. März ist ein besonders erwähnenswertes Datum – nicht nur in der jüdischen, sondern auch in der tschechischen Geschichte. Jeder Schüler, jeder Student sollte über dieses Morden, über den Tod von mehr als 3.700 tschechoslowakischen Bürgern soviel wissen wie über Lidice.606

Doch diese optimistischen Stellungnahmen aus den ersten Jahren nach der Wende entsprechen nur sehr bedingt der erinnerungskulturellen Realität von heute. Das Schicksal des Theresienstädter Familienlagers und der 8.  März 1944 als Symbol des Zweiten Weltkriegs sind in der tschechischen Geschichte gewissermaßen »untergegangen«,607 fanden auch nach 1989 keine Aufnahme in die nationale Meistererzählung.608 604 Die Grußworte sind abgedruckt in Brod: Terezínský rodinný tábor, [7]. – Diese Passage wurde auch in der tschechischen Tageszeitung Práce wiedergegeben: Drama rodinného tábora. In: Práce vom 3.1.1995, 7. 605 Brod: Terezínský rodinný tábor, 14. 606 Kárný: Der Holocaust, 55. (Dieser Sammelband ging auf eine Konferenz aus dem Jahre 1995 zurück.) 607 So Helena Třeštíková im Gespräch auf Radio Vltava, 25.1.2007, URL: http://www. rozhlas.cz/mozaika/film/_zprava/313891 (am 15.4.2010). 608 Siehe auch das aktuelle Standardwerk zur Geschichte der böhmischen Länder während des Zweiten Weltkriegs, in dem weder das Familienlager noch der 8.  März 1944 vorkommt, das überhaupt der Verfolgung und Ermordung der Juden kaum Platz einräumt: Gebhart: Velké dějiny, XV.a und XV.b. – Sehr ähnlich auch Pánek: Dějiny, 343–361. – In manchen Chroniken zur tschechoslowakischen bzw. tschechischen Geschichte findet man dagegen einen Eintrag zum 8. März 1944: Čapka: Dějiny, 702. – Bělina: Kronika, 722 f.

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Kann das Gedenken an das Familienlager in Birkenau exemplarisch für die tschechische Holocaust-Erinnerung analysiert werden, soll hier vor allem ein Aspekt hervorgehoben werden, der die nachträgliche Sinnstiftung dieser Erzählung verdeutlicht. Denn einen konstanten und durchaus bedeutenden Platz in der Wiedergabe der Nacht des 8. auf den 9. März 1944 nimmt die Erzählung ein, nach der die Gefangenen in den letzten Momenten vor ihrer Ermordung, selbst in den Gaskammern noch, Lieder gesungen hätten. Die – immer selektive – Art und Weise, wie die Lieder dargestellt und interpretiert werden, ist Ausdruck des Bemühens, dem Geschehenen einen Sinn zu ver­ leihen. Jene, die der Ermordeten gedenken, interpretieren den Gesang meist als ein in die Zukunft orientiertes Vermächtnis der Opfer, das sie sinnbildlich, nämlich in Form von weltanschaulich oder national klar zuordenbaren Hymnen, beschreiben. Im Herbst 1945, anlässlich des tschechoslowakischen Nationalfeiertags am 28. Oktober,609 erinnerte der stellvertretende Prager Oberrabbiner Hanuš Rebenwurzel an die Ermordung der fast 3.800 Juden im März 1944: Diese hätten sich »von der tschechoslowakischen Heimat« mit der Nationalhymne Kde domov můj (Wo ist mein Heim)610 und der zionistischen Hymne HaTikvah (Die Hoffnung) verabschiedet. Letztere sei »das Lied der Hoffnung, der Hoffnung, dass die Geächteten dieser Welt eine Heimstätte im jüdischen Palästina erhalten« würden. Zugleich erklangen die ihnen holden Worte ›Böhmen ist mein Heimatland‹611 und auch an der Schwelle zum Tod verließ sie nicht die Hoffnung, dass zwar nicht sie, aber dass doch die Menschheit die Freiheit erleben wird und dass die tschechoslowakische Nation – dass wir erleben werden, dass der 28. Oktober und seine Bedeutung wiedererwachen, und zwar zur dauerhaften und stabilen Blüte der tschechoslowakischen Heimat.612

609 Am 28.  Oktober 1918 war nach dem Zerfall Österreich-Ungarns die Tschechoslowa­ kische Republik proklamiert worden. 610 Die tschechoslowakische Hymne, meist verkürzt Kde domov můj genannt, setzte sich aus zwei Teilen zusammen: Auf die erste Strophe der tschechischen Hymne Kde domov můj folgte die erste Strophe des slowakischen Gegenstücks Nad Tatrou sa blýska. Beide Lieder entstanden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und wurden nach der Auflösung der Tschechoslowakei Anfang 1993 zu selbständigen Hymnen der Tschechischen bzw. Slowakischen Republik. Siehe Kiss: La schizophrénie. – Marès: Hymne tchèque. – Ders.: Hymne slovaque. 611 Dies ist ein Zitat aus der Nationalhymne Kde domov můj. 612 Nezapomeň. In: Věstník 7/3 (1945), 18.  – Siehe weiter Kraus: Die Todesfabrik, 145.  – Kraus: David, 162. – Nur von der tschechoslowakischen Hymne berichten etwa Kraus, Ota / Kulka, Erich: Nacistické gesto proti T. G. M. In: Hlas osvobozených 2/10 (1946), 2. – Von »nationalen Liedern« sprach Jožko Lánik (Alfréd Wetzler). Lánik: Oswiecim, 44. – Siehe auch Poláček, Ota: Výročí hrdinství českých žen. In: Věstník 10/28–29 (1948), 330.

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Die Hervorhebung des Gesangs der tschechoslowakischen Hymne stellt ein patriotisches Bekenntnis dar, welches die Opfer als Märtyrer für eine freie Tschechoslowakei erscheinen lässt. In der äußerst patriotischen, ja nationalistischen Atmosphäre am Ende des Weltkriegs gab es scheinbar nur einen Weg, aus der Verfolgung im Nationalsozialismus gesellschaftliche Anerkennung abzuleiten: für die »Heimat« eingetreten zu sein. Ähnlich wie in der Tschechoslowakei bezeugten auch in Frankreich direkt nach Kriegsende unzählige Holocaust-Überlebende, dass die Juden bei der Deportation die Marseillaise, die französische Nationalhymne, gesungen hätten.613 Der Gesang von Kde domov můj schien vielen als Nachweis für den Patriotismus der tschechischen Juden, er diente zur Identifizierung der Juden als Tschechen. Vor allem aber sollte er auch helfen, gegen das Bild der »deutschen Juden« anzukämpfen und die Juden von den Deutschen abzugrenzen. Hanuš Rebenwurzel, der einem allgemeinen Trend folgend Anfang des Jahres 1946 seinen Namen slawisierte und sich fortan Hanuš Rezek nannte, konnte allerdings, neben dieser ausgeprägten Zurschaustellung des Patrio­ tismus der tschechischen Juden, auch seine Sympathie für die Errichtung des Staates Israel ausdrücken. Die von den Opfern vermeintlich gesungene HaTikvah artikuliert die Zuversicht auf ein jüdisches Palästina; sie ist seit Ende des 19.  Jahrhunderts das Lied der zionistischen Bewegung sowie seit 1948 die inoffizielle Nationalhymne Israels. Die Dritte Tschechoslowakische Republik (1945–1948) war einer jener Staaten, die die Errichtung Israels aktiv unterstützten. Dies änderte sich erst nach der kommunistischen Machtübernahme im Februar 1948: Dem sowjetischen Vorbild nacheifernd brach die Tschechoslowakei außenpolitisch mit Israel und inszenierte daraufhin innenpolitisch eine antizionistische und antisemitische Kampagne, die in einem der größten Schauprozesse der Nachkriegszeit gipfelte, dem so genannten Slánský-Prozess.614 Die wenigen Repräsentationen des Theresienstädter Familienlagers in Birke­nau aus der Zeit nach 1948 berichteten folglich nicht mehr von der zionistischen HaTikvah. Ihnen haftet – mehr als zuvor und vor allem nun ausschließlich  – ein patriotischer und kämpferischer Ton an: Die Opfer der Märznacht 1944 sollen allein die tschechoslowakische Nationalhymne Kde domov můj gesungen haben.615 Die Tatsache, dass die Zahl der Darstellungen des Familienlagers abnahm, hing auch mit dem generellen Abebben einer ersten Welle von Zeugnissen 613 Wieviorka: Déportation et génocide, besonders 72, 88 und 279–292. 614 Siehe etwa Kaplan: Der politische Prozeß gegen R. Slánský. – Ders.: Die politischen Säuberungen. – Ders.: Die politischen Prozesse. 615 lh: Nezapomeneme obětí 7. a 8. března 1944. In: Hlas revoluce Nr. 9 vom 2.3.1949, [1]. – Šteindler, Stan[islav]: Rodinný tábor B II . b. (K 8. březnu 1944.). In: Věstník 12/8 (1950), 91.

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und Publikationen über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg zusammen, einem gesamteuropäischen Phänomen.616 Umso stärker stieg ihre Zahl jedoch seit den ausgehenden 1950er Jahren, gemeinsam mit der allgemeinen gesellschaftlichen Hinwendung zur Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Am Ende von Jiří Weils »Žalozpěv za 77.297 obětí« (Klage­ gesang für 77.297 Opfer) aus dem Jahr 1958 kommt der Schriftsteller auf das Theresienstädter Familienlager in Birkenau zu sprechen: Die Gefangenen »wußten, welches Los sie erwartete, wußten, daß sie in den Tod gingen. Sie gingen und sangen die Hymne ihres Heimatlandes. Es war das Lied ›Kde domov můj‹ – ›Wo ist mein Heim‹.«617 Auch der Historiker Erich Kulka widmete sich der Geschichte des Familienlagers: Die Opfer des 8. März, so Kulka, hätten dieses Lied gesungen, die »Hymne des Heimatlands«.618 Und der Oberrabbiner Richard Feder erinnerte an die, seinen Worten zufolge ausschließlich aus Böhmen und Mähren stammenden, Juden, die die Nationalhymne gesungen hätten und »als tapfere Menschen und treue Söhne ihrer Heimat [starben]. Wir können stolz auf sie sein.«619 Der vermeintliche Patriotismus der tschechischen Juden bildete weiterhin die Quintessenz der Repräsentationen des Familienlagers. Deren Urheber bekräftigten einhellig, dass die Opfer des 8. März 1944 ein einziges Lied gesungen hätten: Kde domov můj.620 Und: Obwohl der Verfolgung und Ermordung der Juden während des Nationalsozialismus in den 1960er Jahren größere Aufmerksamkeit zukam – was auch mit sich brachte, dass die Opfer des »tschechischen« Familienlagers (so die übliche Bezeichnung bis in die 1980er Jahre) zunehmend als Juden benannt wurden – änderte sich an der Art und Weise, wie die in Birkenau gesungenen Lieder wiedergegeben wurden, wenig.621 Nur in Erich Kulkas 1966 erschienenem Buch über die erfolgreiche Flucht eines Häftlings aus dem Theresienstädter Familienlager in Birkenau 616 Zur Periodisierung Wieviorka: L’ère du témoin. 617 Weil: Klagegesang, 358. Jiří Weil nennt fälschlicherweise den 7.  März 1943 sowie die Zahl von 8.000 Opfern.  – Siehe genauso [Klačer, Luděk]: Vzpomínka na vyhlazení rodinného tábora BIIb v Birkenau. In: Věstník 20/4 (1958), 7. 618 Kulka, Erich: Před smrti zpívali »Kde domov můj«. In: Hlas revoluce Nr.  5 vom 12.3.1964, [4]. – Ders.: Útěk. In: Židovská ročenka 5723 (1962–1963), 91–98, hier 93. 619 Feder, Richard: Bujará veselost a trudný žal. In: Věstník 26/2 (1964), 2 f., hier 3. – Siehe auch Výročí tragédie v Osvětimi. In: Rudé právo vom 9.3.1964, 1. – Ebenso Lagus: Město za mřížemi, 244. – Ehrmann: Terezín, 7. 620 Die einzige mir bekannte Ausnahme aus den Jahren 1958 bis 1965 ist ein Artikel im jüdischen Gemeindeorgan, der aus der »Todesfabrik« von Ota Kraus und Erich Kulka zitiert. Balajková, Anita: Historie jedné osvětimsé lásky. In: Věstník 26/3 (1964), 3 f., hier 4. 621 Siehe beispielsweise Kulišová: Terezín (1967), 82. – Ústřední organizace židů v Československé republice zaujímají stanovisko k procesu demokratické obrody. In: Věstník 30/4 (1968), [1]f., hier [1]. – Steiner, Jiří: »Daří se nám dobře…«. In: Hlas revoluce Nr. 10 vom 6.3.1970, [1]. – Jírek, A.: Osudná březnová noc. In: ebd. Nr. 9 vom 2.3.1974, 7.

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erschien der Gesang der HaTikvah wieder gleichberechtigt neben der tschechoslowakischen Hymne.622 Besonders deutlich tritt dieses Festhalten an einer tschechischen patrio­ tischen Auslegung des Zweiten Weltkriegs zum Vorschein, wenn man parallele Entwicklungen in anderen Ländern zum Vergleich heranzieht. In erster Linie in Westeuropa und den USA stellten die 1960er Jahre einen »Wendepunkt« in der Rezeption des Zweiten Weltkriegs dar: Immer lauter wurden jene Stimmen in diesen Gesellschaften, die die Zentralität des Holocaust betonten und die jüdischen Opfer nicht mehr in nationalen Kategorien wahrnahmen. Das Opfertum wurde nicht mehr »den jeweiligen zukunftsorientierten Imperativen der einzelnen Länder untergeordnet«.623 Bezeichnenderweise wurde selbst das Theresienstädter Familienlager im Westen anders dargestellt als in der Tschechoslowakei – und dies oft von denselben Personen oder indem man sich auf dieselben Quellen berief. Rudolf Vrba etwa, der 1958 die Tschechoslowakei verlassen hatte und inzwischen in England lebte, berichtete davon, dass die Häftlinge des Familienlagers neben der tschechoslowakischen Nationalhymne auch die jüdische HaTikvah gesungen hätten.624 Letzteres bezeugte – während des Frankfurter A ­ uschwitz-Prozesses 1964 – auch Erich Kulka625 und, nachdem er sich 1969 in Westdeutschland niedergelassen hatte, Filip Müller, ein slowakischer Überlebender des »Sonderkommandos« in ­Auschwitz-Birkenau.626 Dieser Kontrast zwischen Ost und West wurde noch stärker spürbar, seitdem der politische Kurswechsel von 1968/1969 in der Tschechoslowakei eine Rückkehr zum antifaschistischen Geschichtsbild forcierte, in welchem den jüdischen Holocaustopfern kaum Platz zuerkannt wurde und die Hervorhebung des kommunistischen Widerstandes andere Facetten des Zweiten Weltkriegs in den Hintergrund drängte. 622 Kulka: Útěk z tábora smrti, 73 f. – Siehe genauso ders.: Terezín, 13. – Ders.: Theresienstadt, eine Tarnung für A ­ uschwitz. In: Iltis: Theresienstadt, 200–219, hier 202. – Siehe auch, allerdings weniger deutlich, Lustig: Hořká vůně mandlí, 197. 623 Levy: Erinnerung im globalen Zeitalter, 117. 624 Vrba: I cannot forgive, 195. 625 Naumann: ­Auschwitz, 155. 626 Müller: Sonderbehandlung, 175. – Siehe genauso seine Aussage in Claude Lanzmanns Film »Shoah« (1985).  – Auf Filip Müller hatten sich schon vor der Veröffentlichung seines Buches unter anderen Rudolf Vrba (I cannot forgive) und Erich Kulka (Útěk z tábora smrti) bezogen. – Siehe dazu ferner die 1988 erstmals erschienene Autobiographie von Ruth Elias, einer ehemaligen Gefangenen des Theresienstädter Familienlagers in Birkenau, die sich gleichermaßen an die tschechoslowakische Hymne und die ­HaTikvah zu erinnern glaubt. Elias: Die Hoffnung, 143 f. – Siehe ebenso Karas: Music in Terezín, 160. – Ruth Klüger wiederum, die ebenso das Familienlager in Birkenau überlebt hat, schreibt 1992, ohne sich an dieser Stelle explizit auf das Familienlager zu beziehen, allein von der HaTikvah. Klüger: weiter leben, 106.

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Für die Darstellungen des Theresienstädter Familienlagers bedeuteten diese veränderten Rahmenbedingungen, dass ihre Autoren die vermeintliche Treue der in Birkenau ermordeten Juden gegenüber ihrer tschechoslowakischen »Heimat« neuerlich akzentuierten und deren bewussten und kämpferischen Tod unterstrichen: Der Vorsitzende des Rats der jüdischen Gemeinden, František Fuchs, erinnerte im März 1974 an die Opfer des Theresienstädter Familienlagers, die sich, indem sie Kde domov můj sangen, an die Tschechoslowakei erinnert und »mit einem Bekenntnis der Liebe zu unserer Heimat« vom Leben verabschiedet hätten.627 Die »Helden« des 8. März 1944, so die jüdische Publizistin Hana Housková, die »für ihre Heimat gefallen« wären, hätten mit ihrer Tapferkeit und ihrem »edlen Patriotismus« den kommenden Generationen eine Lektion erteilt.628 Noch deutlicher wurde František Kraus, seit 1985 Sekretär des Rats der jüdischen Gemeinden, in seinem Brief an den Verband der antifaschistischen Kämpfer: Ich persönlich bin Zeuge, dass alle [3.700 tschechoslowakischen Männer, Frauen und Kinder] […] die tschechoslowakische Staatshymne ›Kde domov můj‹ gesungen haben. Diese Tatsache dokumentiert ganz klar, dass sich diese Leute im letzten Augenblick ihres Lebens als Tschechoslowaken fühlten und dass die Hymne ihnen Kraft gab, tapfer zu sterben. Dies widerlegt völlig unumstößlich die Theorie, demnach die Juden Kosmopoliten und eigentlich nirgends zu Hause seien.629

Ein wichtiger Impuls in der Wiedergabe der Nacht vom 8. auf den 9. März 1944 entstammte den Aufzeichnungen von Salmen Gradowski, einem Funktionshäftling in ­Auschwitz-Birkenau, der im Rahmen der Niederschlagung des Aufstands des Sonderkommandos im Oktober 1944 getötet worden war. Jener Teil  von Gradowskis äußerst literarisch gehaltenem Bericht, der die Mordaktion an den tschechischen Juden im März 1944 betrifft, wurde zuerst 1977 auf Jiddisch in Israel publiziert.630 In der Tschechoslowakei machte 627 Fuchs, František: Před třiceti lety. In: Věstník 36/3 (1974), [1]f., hier [1].  – Siehe genauso Feder, Richard: Březen – měsíc smíchu a pláče. In: Věstník 31/3 (1969), [1]. – Herš, Bedřich: Očitý svědek vypravuje. In: Věstník 36/3 (1974), 2 f. – Porges, Richard: Noc v Osvětimi. In: Hlas revoluce Nr. 10 vom 14.3.1981, 4. – Die Rede von Bedřich Bass am Kongress der Delegierten der jüdischen Gemeinden am 2.3.1975 in Prag und die dort angenommene Proklamation, NA , f. SPVC , Kt. 231. 628 Housková, Hana: Padli za svou vlast. In: Věstník 46/3 (1984), [1].  – Ähnlich schrieb Adolf Burger, der ebenso allein vom Gesang der Nationalhymne berichtete: »Die Wände des Krematoriums waren dick  – und doch ist die Nachricht nach außen gelangt, die Nachricht von ihrem Mut und ihrer Stärke.« Burger: Des Teufels Werkstatt, 81. – Siehe weiter Šteindler, S[tanislav]: K výročí osvětimského zločinu. In: Věstník 46/3 (1984), 5. – Wehle, Jiří: Osudná březnová noc. In: Věstník 46/3 (1984), 5 f. 629 František Kraus an FÚV ČSPB , 15.8.1988, NA , f. SPVC , Kt. 233. 630 Gradowski: Im Herzen der Hölle.  – Zu Gradowskis Aufzeichnungen siehe Mesnard: -­ Entre histoire. – Čapková: Das Zeugnis. – Oleksy: Salmen Gradowski.

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zunächst der Historiker Miroslav Kárný Ende der 1980er Jahre den Text bekannt.631 Gradowski hatte in seiner Darstellung des 8.  März 1944 den vier von ihm genannten und kommentierten Liedern – der Internationale,632 der HaTikvah, der »tschechischen Hymne« sowie dem Partisanenlied – in etwa gleich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Miroslav Kárný dagegen hob in seiner Zusammenfassung von Gradowskis Aufzeichnungen die Hymne der Tschechoslowakei in besonderer Weise hervor, zitierte vor allem aus Gradowskis pathetischen Zeilen über das vermeintlich harmonische Zusammenleben von Tschechen und Juden vor dem Zweiten Weltkrieg.633 Die anderen Lieder erwähnte Kárný nur mit wenigen Worten; außerdem wurde das Partisanenlied, bei Gradowski ohne direkten Bezug zur Sowjetunion, zum »Lied der sowje­ tischen Partisanen« abgewandelt, die HaTikvah von der »Nationalhymne« zum »jüdischen Lied«.634 Die Entdeckung und Auswertung dieser neuen Quelle, dieses »authentischen Zeugnisses«, wie Miroslav Kárný es bewertet,635 führte also – abgesehen davon, dass nun wieder von der HaTikvah, einem jüdischen Symbol, die Rede war – zu keiner tatsächlichen Kehrtwende in der Darstellung der Märznacht 1944 im Theresienstädter Familienlager: Viele Autoren hielten daran fest, dass einzig und allein die tschechoslowakische Hymne gesungen worden sei; 631 Kárný, Miroslav: Svědectví z Osvětimi. In: Tvorba Nr. 14 vom 5.4.1989, Beilage 1–4. – Ders.: Noc 8. března 1944. In: Věstník 51/3 (1989), [1]. – Ders.: Eine neue Quelle. 632 Dass neben der tschechoslowakischen Hymne auch die Internationale gesungen worden sei, berichtete bereits 1945 und dann neuerlich in den 1980er Jahren der slowakische Jude und ­Auschwitz-Überlebende Adolf Burger. Burger: Číslo 64401, 53. – Ders.: Komando padělatelů, 28. – Auf seine Aussage wurde in der Folge kaum zurückgegriffen, wenn es um die Darstellung des Theresienstädter Familienlagers ging. Er selbst änderte nach 1989 seine Darstellung der Märznacht in Birkenau: Neben den Gesang der tschechoslowakischen Hymne stellt er nun jenen der HaTikvah. Burger: Ďáblová dílna, 79.  – Siehe auch das Gespräch mit ihm, URL: http://www.delet.sk/showarticle.php? articleID =1312 (am 29.9.2010). 633 In seinem Vortrag auf dem Symposium im März 1989 zitiert Kárný Gradowski folgendermaßen: Die Opfer der Märznacht »lebten in Sicherheit und Ruhe wie alle Bürger dieses Landes, bevor die Barbaren kamen und das ganze Land unterjochten. Gemeinsam trugen sie ihr Leiden und ihr Unglück, gemeinsam war ihre Erwartung der Freiheit. Auch wenn sie jetzt wissen, daß sie die Befreiung nicht mehr erleben, singen sie schon jetzt die Hymne, die in allernächster Zukunft durch das ganze Land klingen wird. Von hohen Bergen, aus tiefen Tälern wird der Widerhall des freien, wiedererstandenen Lebens ertönen. Aus ihrem tiefen Grab senden sie ihre Grüße dem tschechischen Volk, es möge sich mutig für den Kampf vorbereiten«. Zit. nach der deutschen Übersetzung von Kárnýs Vortrag in NA , f. Kárných, Kt. 27, 12. 634 Siehe auch Proti fašismu a válce. In: Rudé právo vom 10.3.1989, 2. 635 Kárný: Eine neue Quelle. – An anderer Stelle unterscheidet Kárný zwischen »Erinnerungen von Zeitzeugen« und »Dokumenten«, weist Gradowskis Aufzeichnungen letzteren zu und misst ihnen damit mehr Gewicht bei. Kárný, Miroslav: Svědectví z Osvětimi. In: Tvorba Nr. 14 vom 5.4.1989, Beilage 1–4.

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manche berichteten sogar von böhmischen Volksliedern.636 Besonderer Nachdruck wurde weiterhin darauf gelegt, die Opfer als tschechoslowakische Bürger, als Teil  der tschechischen Nation, ja als tschechoslowakische Patrioten darzustellen,637 die nicht passiv, sondern bewusst, »tapfer und menschenwürdig« in den Tod gegangen seien.638 Seit der Wende von 1989 sprechen zwar immer häufiger Autoren von mehreren, unterschiedlichen Liedern, stützen sich dabei offensichtlich auf -­ Gradowski und übergehen übereinstimmend das Partisanenlied.639 Gerade, so scheint es, wenn versucht wird, die Geschichte des Familienlagers in die allgemeine tschechische Geschichte zu integrieren, wird allerdings nach wie vor allein die Nationalhymne Kde domov můj genannt.640 Deutlich wird an dieser Stelle noch einmal, dass die Repräsentationen des Theresienstädter Familienlagers in Birkenau weniger den überlieferten Zeugnissen folgen, als vielmehr von den Vorstellungen, Wahrnehmungen und (zukunftsorientierten) Interessen der Nachwelt abhängen. Arnošt Lustig machte sich in einem seiner Romane kritische Gedanken über die Nacherzählungen des 8. März 1944: 636 So etwa in der Broschüre zum internationalen Symposium im März 1989: Kraus: Jsem zdráv, 12 f. – Ebenso Kraus, Ota: Alibi. In: Hlas revoluce Nr. 9 vom 4.3.1989, 7. – Pelnář, Jáchym: Šoa znamená utrpení. In: ebd. Nr. 10 vom 11.3.1989, 2. – Borový-Freund, Rudolf: Tragický den v Osvětimi. In: ebd., 4. 637 Die Einschätzung Milan Kunas, dessen Studie über Musik in nationalsozialistischen Konzentrationslagern noch vor der Wende von 1989 verfasst, jedoch erst kurz danach veröffentlicht wurde, kann exemplarisch für diesen Trend stehen: Die tschechischen Juden hätten bis zum letzten Augenblick »ihre patriotische Gesinnung bekundet«, »in diesen letzten Sekunden noch die tschechische Hymne« gesungen und sich somit »zu ihrem Heimatland« bekannt. Kuna bezieht sich unter anderen auf Filip Müller, erwähnt jedoch nicht den Gesang der HaTikvah. Kuna: Musik an der Grenze, 152. 638 Kárný: Eine neue Quelle, 56. 639 1944: V Osvětimi během jedné noci umírá skoro 4 tisíce Čechoslováků, 8.3.2009, URL: http://www.ct24.cz/kalendarium/47720-v-osvetimi-behem-jedne-noci-umira-skoro-4tisice-cechoslovaku/ (am 15.4.2010).  – Kárný: Persekuce, 75.  – Kraus: Die bemalte Wand, 28. – Siehe auch Brod: Ještě že člověk, 157, der jedoch bereits darauf hinweist, dass die vorhandenen Quellen lückenhaft und »nicht allzu glaubwürdig« seien. 640 So etwa im Film Krev zmizelého, Regie: Milan Cieslar, Drehbuch: Vladimír Körner, Tschechische Republik 2005, 126 Min. Er wurde zwei Jahre danach auch in einer vierteiligen TV-Adaption gezeigt.  – Auch in der Radiosendung Terezínský rodinný tábor v Osvětimi – 2. díl, gesendet auf Rádio Česko, 10.5.2009, URL: http://www.rozhlas.cz/ radio_cesko/pribehy/_zprava/579483 (am 15.4.2010). – Ferner Moulis: Slované. – Stránský: Es gibt keine Gerechtigkeit, 109. – Eine Suche im Internet (beispielsweise mit den Suchwörtern »Birkenau« und »Kde domov můj«) liefert unzählige Treffer, vor allem aus den letzten Jahren. In der Mehrzahl wird von der tschechoslowakischen Hymne und der HaTikvah berichtet, oft auch weiterhin ausschließlich von der Nationalhymne Kde domov můj.

Patriotismus, Nationalismus, Ethnozentrismus 

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Vielleicht hat wirklich jemand gesungen. Man wird es nie mehr erfahren […]. Vielleicht hat jemand nur im Geiste gesungen, oder im Nachhinein. Vielleicht haben die Flammen einer der vielen Nächte in ­Auschwitz-Birkenau gesungen. […] Den einen zufolge sangen sie die HaTikvah, die jüdische Hymne, den anderen zufolge die HaTikvah und Kde domov můj. Die Hymne des Landes, aus dem sie kamen. Vielleicht klang es so, von weitem oder aus der Nähe, vielleicht. Vielleicht wollten es manche nachträglich so hören. Oder die Hinterbliebenen benötigen es so, für zukünftige Legenden. Vielleicht wollen sie damit etwas ausgleichen, kompensieren, eine Demütigung, einen Schmerz, Unrecht, den Tod Unschuldiger, den größten Massenmord in der Geschichte der Menschheit, etwas, das keine Analogie hat, das sich mit nichts vergleichen lässt. Wer weiß?641

Die Kontinuitäten und Diskontinuitäten in den Repräsentationen des Theresienstädter Familienlagers und insbesondere in der symbolhaften Nacherzählung der kurz vor dem Tode gesungenen Lieder erlauben einen guten Einblick in sich wandelnde gesellschaftliche Wahrnehmungen des Zweiten Weltkriegs. Insbesondere werden die Kontinuitäten deutlich, die politische Zäsuren überdauernden Wahrnehmungen. Die Nation als zentraler Bezugsrahmen in der historischen Betrachtung war und ist in Tschechien omnipräsent: Die Juden wurden demonstrativ als tschechoslowakische Bürger dargestellt, das Familienlager in Birkenau als »tschechisches« bezeichnet. Die Ereignisse des 8.  März 1944 in Birkenau hätten den »größten Massenmord an tschecho­ slowakischen Bürgern in der Geschichte unseres Landes«642 dargestellt; die Opfer seien mit der tschechoslowakischen Nationalhymne auf den Lippen in den Tod gegangen. Viele Juden, wie gezeigt werden konnte, trugen dieses kämpferische und patriotische Bild der Vergangenheit mit, beschrieben die jüdischen Opfer als tschechische Kämpfer. Erich Kulka, der Anfang der 1970er Jahre gegen die »›Arisierung‹ der toten Juden« polemisierte, hatte zehn Jahre zuvor selbst noch dazu beigetragen, die nach Birkenau deportierten Juden als patriotische Tschechen darzustellen.643 Auch Arnošt Lustig, der nach dem Gang ins Exil und der Wende von 1989 offen die Legenden um den 8. März 1944 ansprach, war in den 1960er Jahren noch zurückhaltender. Der 1994 veröffentlichte Roman »Dům vrácené ozvěny« (Das Haus des zurückgekehrten Echos), aus dem der sehr distanzierte Blick auf die vermeintlich gesungenen Lieder zitiert wurde, basiert auf der gleichnamigen Erzählung, die Lustig zunächst im Jahre 1968 publiziert hatte. Dort setzte er, in Bezug auf die 641 Lustig: Dům vracené ozvěny, 393 f. 642 So zum Beispiel jüngst Helena Třeštíková in ihrem Film »Nesdělitelné«, ausgestrahlt auf ČT 2 am 25.1.2007, URL: http://www.ceskatelevize.cz/ivysilani/20456226256-pamet-20stoleti/ (am 15.4.2010). 643 Kulka, Erich: Před smrti zpívali »Kde domov můj«. In: Hlas revoluce Nr.  5 vom 12.3.1964, [4]. – Ders.: Útěk. In: Židovská ročenka 5723 (1962–1963), 91–98, hier 93.

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Repräsentationen des Holocaust

Gesänge der jüdischen Opfer des Familienlagers, ganz andere Akzente: Sie erinnern weniger an die dekonstruktivistischen Ideen der 1980er und 1990er Jahre, als vielmehr an die heroische und patriotische Wahrnehmung der jüdischen Opfer in den 1960er Jahren. Er stieß einen Klang aus der Kehle und der Lunge, so als ob er mit seinen letzten Kräften einen riesigen Korken zurückhalten würde, und schrie auf. […] Es klang wie ein Fluss, der die Hänge der Dolomiten durchfloss. Worte über nicht versiegende Stimmen im Inneren des Herzens. Über die Hoffnung, älter als alle Hoffnungen der Welt.644 […] [Sie] sangen oder stießen einem Gesang ähnliche Töne aus. Es war ein Lied der Hoffnung zu einem Zeitpunkt, als es für sie keine Hoffnung mehr gab.645

Schließlich scheint es Emil, einem Häftling und Zeugen dieser Ermordung der Insassen des Familienlagers, »als ob […] der Klang irgendeines Liedes zu ihm drang, und dass es die Hymne des Landes war, in dem er geboren wurde.«646 Die Unterschiede zwischen den beiden Zitaten Arnošt Lustigs verweisen auf eine fundamentale Veränderung in der Erinnerung an den Holocaust: die allmähliche Distanzierung von allzu einfachen Versuchen der Sinnstiftung, die hinter dem vermeintlichen Vermächtnis der jüdischen Opfer einen patriotischen Aufruf sahen. Die Hinterfragung dieser Darstellungsweisen der Juden als tschechische Helden und überzeugte Patrioten setzte in den 1960er Jahren langsam ein, konnte jedoch auf Grund der politischen Zäsur der Jahre 1968 und 1969, wegen neuerlicher Repressionen und Emigrationen, nicht zu Ende geführt werden. Nichtsdestotrotz wurde die kritische Prüfung von tschechischem Heroismus, Nationalismus und Antisemitismus in den 1970er und 1980er Jahre nicht völlig aufgegeben. Sie bildet den Kern des folgenden und abschließenden Kapitels, und eine wichtige Vorbedingung für die Tendenzen in der tschechischen Erinnerungskultur der postkommunistischen 1990er Jahre.

644 Dies könnte eine Anspielung auf die HaTikvah sein – zu Deutsch »Hoffnung«. 645 Lustig: Hořká vůně mandlí, 196 f. 646 Ebd.

3. Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus Revisited. Vom Prager Frühling bis zum Zusammenbruch des Kommunismus

»Die jüdische Minderheit bei uns wurde eigentlich mehrfach liquidiert«1, so urteilte ein Dokument der Bürgerrechtsbewegung »Charta 77« im Frühling 1989. Die Autoren verstanden darunter neben der physischen Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus auch die Marginalisierung der Erinnerung an den Holocaust in der Nachkriegszeit. Dieser vermeintlichen Unter­ drückung – als eine solche wurde sie oft angeprangert – stellten sich neben der »Charta 77« weitere Personen entgegen, die im Samizdat frei von Zensur und somit unabhängig von staatlichen Vorgaben Texte über die Verfolgung und Ermordung der Juden verfassten, übersetzten und herausgaben. Diese mannigfaltigen Veröffentlichungen, die in historischen Analysen bislang kaum berücksichtigt wurden,2 trugen zu einer alternativen geschichtskulturellen Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Tschechoslowakei bei, welche, in gewisser Weise und beschränktem Rahmen, die Entwicklungen seit den späten 1950er Jahren und in den 1960er Jahren fortsetzte. Im Zentrum des folgenden Kapitels sollen allerdings nicht allein diese »unabhängigen« und dissidenten Aneignungen der Geschichte stehen, sondern genauso die offiziellen Möglichkeiten und Formen einer Holocaust-Erinnerung in der Zeit der Normalisierung. Vor allem jedoch soll die Analyse der 1970er, 1980er und 1990er Jahre auf die Parallelen und Überschneidungen zwischen »offizieller« und »inoffizieller« Erinnerung an die Shoah aufmerksam machen und die Kontinuitäten über die politische »Wende« hinweg hervorheben.

1 Tragédie Židů v čs. poválečné skutečnosti, 5.4.1989. In: Císařovská: Charta 77, 1103– 1106. – In englischer Übersetzung: Czechoslovakia: Jewish Legacy. 2 Zur aktuellen Forschungen zum Samizdat siehe das Themenheft East European Politics & Societies 25/2 (2011), darin etwa Falk: Resistance. – Ein Teil dieses Kapitels geht auf meine Recherchen im Rahmen der Geschichtswerkstatt »Gegengeschichte. Dissidente Diskurse über die Gewalterfahrungen im Zweiten Weltkrieg im Ostmitteleuropa der 80er Jahre« zurück, welche von der Stiftung EVZ im Rahmen des Programms »Geschichtswerkstatt Europa« gefördert wurde. Siehe dazu Hallama: »Vergangenheitsbewältigung«.

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Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus Revisited

Die jüdische Gemeinde zwischen Prager Frühling und Normalisierung

Das Jahr 1968 wird in Studien zur tschechischen Geschichte häufig bemüht, es gilt als der Höhepunkt der Liberalisierungstendenzen, deren Ideal als »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« beschrieben wird. Die Ablösung des langjährigen Ersten Sekretärs des ZK der KSČ Antonín Novotný durch -­ Alexander Dubček im Januar 1968  – meist als Anfang des Prager Frühlings betrachtet und durch das tschechische Wort »polednový« (nach dem Januar) gewissermaßen als eigene Epoche definiert  – setzte ein klares Zeichen gegen die Politik der »versäumten Entstalinisierung«3 und beschleunigte den Reformprozess. Zugleich wird dem Einmarsch der Armeen des Warschauer Paktes am 21.  August 1968 und der damit erfolgten gewaltsamen Niederschlagung des Prager Frühlings der Charakter einer nachhaltigen politischen und gesellschaftlichen Zäsur zugeschrieben. Die Entwicklungen seit dem Sommer 1968 werden oft als eine der entscheidenden Wegmarken der tschechischen Geschichte des 20.  Jahrhunderts aufgefasst, in den Worten Jan P ­ auers als einer der »Tiefpunkte[] der modernen tschechischen Geschichte in den letzten beiden Jahrhunderten«.4 Nach dem Einmarsch und den darauf folgenden tschechoslowakisch-sowjetischen Geheimverhandlungen passte sich die Regierung völlig den sowjetischen Wünschen an und nahm nach und nach – sieht man von der Idee der Föderalisierung des Landes ab – die meisten bedeutsamen Entscheidungen aus der Zeit des Prager Frühlings zurück. So wurde wieder ein strenges System der Zensur eingeführt und der Plura­lisierung des politischen Lebens ein Ende gemacht, indem die führende Rolle der KSČ bestärkt wurde. Die restaurative und konservative Politik der Regierung versuchte, die gesellschaftlichen Entwicklungen der 1960er Jahre, besonders des Jahres 1968, als antisozialistische und antisowjetische Abweichungen einer Clique von Verschwörern zu brandmarken. Das Schlagwort ihres Programms war die »Normalisierung« der Zustände – Milan Šimečka beschrieb das Programm sarkastisch als »Wiederherstellung der Ordnung«.5 Zahlreiche Repräsentanten und Anhänger der Liberalisierungstendenzen, Politiker, Ökonomen, Schriftsteller, Intellektuelle, verließen das Land, andere hatten unter Repressionen zu leiden, wurden ihrer verantwortlichen Posten enthoben und mussten als Arbeiter ihr Brot verdienen.6 Die Präsenz sowjetischer Panzer vermittelte  – anders als zu Kriegsende 1945  – das weit verbreitete Gefühl einer Okkupation des Landes. Die Vorstellung der

3 4 5 6

Blaive: Une déstalinisation manquée. Pauer: Tschechische Republik, 269. Šimečka: The restoration. Spiritova: Hexenjagd.

Vom Prager Frühling bis zum Zusammenbruch des Kommunismus 

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kleinen, ohnmächtigen und von außen bedrohten Nation der Tschechen wurde dadurch bekräftigt.7 An mehreren Stellen wurde bereits festgehalten, welche Möglichkeiten die Liberalisierung der 1960er Jahre für eine öffentliche Holocaust-Erinnerung in der Tschechoslowakei eröffneten. Auch das religiöse und kulturelle Leben der jüdischen Gemeinden erfuhr in diesen Jahren einen Aufschwung. Jugendgruppen konnten sich etwa im Rahmen der Prager Kultusgemeinde organisieren, deren kulturelle Tätigkeiten auch die jüdische Geschichte und die Geschichte des Holocaust betrafen.8 Von Bedeutung war auch die zunehmende Öffnung der Grenzen. So wurden Kontakte mit ausländischen jüdischen Gemeinden und internationalen Organisationen wie dem World Jewish Congress möglich, aber auch Reisen von tschechischen Juden nach Israel.9 Zweifellos stellten die 1960er Jahre eine Zeit dar, in der das Judentum in der Tschechoslowakei gestärkt wurde und eine größere Öffentlichkeit erhielt.10 Die jüdische Identität wurde von vielen als attraktiv wahrgenommen – und zwar nicht allein von Juden. So sind auch die Sympathien für Israel zu er­k lären, die vor allem seit dem Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967 von einem Teil der tschechischen Gesellschaft offen bekundet wurden.11 Während die tschechoslowakische Außenpolitik völlig dem sowjetischen Kurs folgte, die diplomatischen Beziehungen mit Israel abbrach und sich gänzlich auf die Seite der arabischen Nachbarn Israels stellte, nahmen zahlreiche gesellschaftliche Akteure den entgegengesetzten Standpunkt ein.12 Schriftsteller wie Pavel K ­ ohout und Ladislav Mňačko kritisierten offen die außenpolitische Haltung der Tschechoslowakei im Nahost-Konflikt und bezogen Stellung für

7 Allgemein zur Entwicklung der Tschechoslowakei im Jahre 1968 und seit der Niederschlagung des Prager Frühlings siehe immer noch Skilling: Czechoslovakia’s Inter­rupted Revolution.  – Der von Milan Otáhal vorgelegte bibliographische Überblick zum Forschungsstand zur Normalisierungsära berücksichtigt leider kaum internationale Studien. Otáhal: Normalizace. – Als einer der neuen Beiträge zu einer kulturgeschichtlichen Annäherung an die Normalisierungszeit siehe Bren: The Greengrocer. 8 Heitlinger: In the Shadows, 105–123. 9 Die Bedeutung der internationalen Kontakte, die vor allem zwischen 1966 und 1968 deutlich zunahmen, wird etwa in den Erinnerungen von Benjamin Eichler deutlich: Benjamin Eichler: Slovenské židovstvo a jeho boj o záchranu v periode 1939–1972 (Memoir by Benjamin Eichler 1936–1981), CJH, YIVO, RG 1097, Box 1. – Die Eindrücke aus -­ Israel hat etwa Jiří Tichý festgehalten: Jelínek, Dan [= Tichý, Jiří]: Izrael. In: Revolver Revue 8 (1987), o. S. – Siehe auch D[olina]: Izraelské okamžiky. – Klíma: Moje šílené století, 485–491. 10 Siehe hierzu auch die Berichte zur Tschechoslowakei im American Jewish Year Book 69 (1968), 509–512, und 70 (1969), 401–408, URL: http://www.ajcarchives.org/main.php? GroupingId=40 (am 16.3.2014). 11 Yegar: Československo, 176–179. – Svobodová: Zdroje, 49 f. 12 Siehe auch Slapnicka: Zur Stellung, 375 f.

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Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus Revisited

Israel.13 Im Mai 1968 wandten sich die Mitarbeiter der Gedenkstätte Theresienstadt in einem offenen Brief an Außenminister Jiří Hájek. Darin brachten auch sie ihre Sympathien für den israelischen Staat zum Ausdruck und kri­ tisierten die anti-israelische Haltung der Tschechoslowakei.14 In dieser Stimmung war es den Repräsentanten der jüdischen Gemeinden möglich, immer offener religiöse, aber auch gesellschaftliche und politische Forderungen zu stellen. Zu erwähnen ist hier die Stellungnahme vom April 1968 zum »Prozess der demokratischen Wiedergeburt« (obroda), die ­Avigdor Dagan als »unprecedented in Communist countries« bewertet hat.15 Eine der darin gestellten Forderungen des Rats der jüdischen Gemeinden, die Herrichtung des Theresienstädter Gedenkorts an der Ohře, wurde bereits erwähnt. Weiter wurde etwa verlangt, die Verfolgung aus rassistischen Gründen der politischen Verfolgung in der Gesetzgebung gleichzusetzen, das heißt die Unterscheidung in »aktive« und »passive« Opfer des Nationalsozialismus, die auf dem besprochenen Gesetz 255/1946 basierte, endgültig zu beseitigen.16 Eine der Forderungen betraf zudem die vollständige Rehabilitierung der politischen Opfer der stalinistischen Prozesse der 1950er Jahre. Damit griff die jüdische Gemeinde ein Thema auf, das eine wichtige Rolle im Liberalisierungsprozess der 1960er Jahre spielte. Mit der Frage der Rehabilitierung ging auch eine Verurteilung der antisemitischen Tendenzen der stalinistischen Jahre einher, die vor allem im Rahmen des so genannten SlánskýProzesses offenbar geworden waren.17 Die Kritik am tschechoslowakischen Antisemitismus und Antizionismus ging aber noch weiter. Während des Prager Frühlings wurden antisemitische Akte und Denkweisen, die in der tsche13 IV. sjezd svazu československých spisovatelů, 39–44.  – Siehe auch Goldstücker: Vzpomínky, 138–140. 14 Jaroslava Bezděková / Jana Kořánová / Miroslav Kryl / Marie Křížková / Miroslav Pávek /  Marie Trhlínová / Miroslav Valeš: Otevřený dopis ministru zahraničních věcí ČSSR , prof. dr. Jiřímu Hájkovi, 21.5.1968, SOA Litoměřice, PT, Kt. 11. 15 Czechoslovakia. In: Encyclopedia Judaica. Jerusalem 1971, Privatarchiv Peter Brod. – Die Stellungnahme selbst: Ústřední organizace židů v Československé republice zaujímají stanovisko k procesu demokratické obrody. In: Věstník 30/4 (1968), [1]f., hier 1. – Gekürzt wiedergegeben etwa als Žádost českých židů. In: Literární listy 1/14 (1968), 2. – Sie wurde auch aufgenommen in die Dokumentensammlung Pecka: Občanská společnost, 205–207. 16 Zu diesem Anliegen siehe weiter Diskussionsbeitrag von Michal Choma und František Bláha, Zápis ze zasedání ÚV SPB , konaného v sobotu, 26.11.1966, 29–31 bzw. 40 f., NA , f. ÚV SPB , Kt. 55. – Eichler, Benjamin: Odmedzenie osobnej slobody následkom rasovej perzekúcie Zákon čís. 255\46 Zb. In: Věstník 31/12 (1969), 2 f. – Ještě k zákonu č. 255/46 Sb. In: Věstník 32/2 (1970), 4. 17 Siehe etwa Pelikán, Jiří: Einleitung. In: Ders.: Pervertierte Justiz, 7–37, hier besonders 16 f. und 22. – London: Ich gestehe, beispielsweise 219–221 und 312. Die Erinnerungen Londons waren zunächst 1968 in Frankreich erschienen, im Jahre 1969 dann auch tschechisch als Doznání. V soukolí pražského procesu.

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chischen Gesellschaft in der Nachkriegszeit über die stalinistischen Jahre hinaus fortbestanden, als solche offen angeprangert.18 Selbst nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen im August 1968, vor allem bis zum Aprilplenum des ZK der KSČ im Jahre 1969, welches das eigentliche Ende des Prager Frühlings markierte, konnten antisemitische Tendenzen und Erscheinungen der späten 1960er Jahre offen angeprangert werden. So meinte etwa Benjamin Eichler, der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Bratis­ lava, dass die Emigration zahlreicher tschechoslowakischer Juden nach dem August 1968 auf das Gefühl der Unsicherheit zurückzuführen sei: Die Ereignisse der Jahre 1968 und 1969 habe viele Juden an die Zeit des Zweiten Weltkrieges erinnert.19 Auch der Journalist und Herausgeber von Večerní Praha Josef Laštuvka warnte noch im März 1969 offen vor der »Gefahr einer neuen Welle des Antisemitismus«.20 In der Tat setzte nach der militärischen Intervention im August 1968 eine antizionistische und antisemitische Kampagne ein, der in der Öffentlichkeit weder von Juden noch von Nichtjuden Widerstand geleistet wurde  – bedingt einerseits durch eine Emigrationswelle und andererseits die Rückkehr zu einem repressiven politischen System. Die Verurteilung des SechsTage-Krieges 1967, der als imperialistische Aggression im Dienste der USA gegen die friedliebenden arabischen Völker aufgefasst wurde, und die Kritik am Prager Frühling als Unternehmen einer dem Sozialismus entfremdeten, reaktionären und zionistischen Gruppe führten zu offen antisemitischen Attacken, die an die frühen 1950er Jahre erinnerten. Bekannt sind die aggressiven Hetzkampagnen gegen Eduard Goldstücker, Ota Šik oder František Kriegel, drei führenden Repräsentanten des Prager Frühlings auf dem Gebiet der Kultur, Ökonomie und Politik.21 Dadurch, dass neuerlich Jude  – hier konkret im Falle František Kriegels  – synonym stand für »Zionist«, »Kosmopolit«, »heimatloser Fremder« und »internationaler Abenteurer«,22 eigneten sich diese jüdischen Intellektuellen bestens als Feindbilder der neuen Partei- und Staatsführung.23 Die alten antisemitischen Stereotype wurden aktualisiert. In einem der gehässigen Briefe, die Eduard Goldstücker im Jahre 1968 erhielt, wurde etwa die Wahrnehmung der Juden als »Deutsche« reproduziert: 18 Siehe beispielsweise Jan Werich o antisemitismu. In: Reportér Nr. 15 vom 28.8.1990, 20 f., Privatarchiv Peter Brod. 19 Eichler, Benjamin: Jubileum oslobodenia. In: Věstník 32/4 (1970), 2. 20 Večerní Praha vom 11.3.1969, 5, zitiert und übersetzt nach Wörster: Die Juden, 18 (252). 21 Oschlies: Mißtrauen. – Ders.: »Antizionismus«. – Svobodová: Zdroje, 51 f. 22 Szafar, Tadeusz / Hirszowicz, Lukasz: Anti-Jewish Themes in East European Propaganda (Institute of Jewish Affairs: Research Report Eastern Europe 77/1), October 1977, 9, Privatarchiv Peter Brod. 23 Siehe auch kurz bei Bren: The Greengrocer, 69 f.

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Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus Revisited

Die Juden haben sich früher zur germanischen Rasse bekannt. Tschechisch wollten Eure jüdischen Gesinnungsgenossen und auch Du [Eduard Goldstücker] keineswegs sprechen  – Ihr spracht lieber deutsch  – die Sprache des Hyänen Hitler. Und unser Volk wird sich gut daran erinnern.24

Die Idee des Zionismus als Kern allen Übels blieb in den 1970er Jahren weiter bestehen, so wurde er etwa in den offiziellen Lehren, die die kommunistische Partei aus der »Krise« von 1968 zog, als einer der Gründe der Konterrevolution bezeichnet. Aber auch als die Bürgerrechtsbewegung »Charta 77« gegründet wurde, erkannte das Parteiblatt »Rudé právo« hinter deren Ur­hebern »antikommunistische und zionistische Leitstellen«.25 Nicht allein exponierte Personen des öffentlichen Lebens hatten unter antisemitischen Äußerungen zu leiden. Wie aus dem Zitat Benjamin Eichlers vom April 1970 deutlich wird, verunsicherten die Entwicklungen die gesamte jüdische Gemeinde.26 Ein Drittel der tschechoslowakischen Juden entschloss sich zum Weg in die Emigration.27 Die Aktivitäten der dezimierten jüdischen Gemeinde wurden eingeschränkt und sollten nicht über rein religiöse Belange hinausgehen. Die Staatssicherheit leitete umfangreiche Aktionen ein, um ehemalige Mitglieder »zionistischer« Organisationen zu erfassen. Diese liefen letztlich jedoch darauf hinaus, alle tschechoslowakischen Juden zu überwachen.28 Eine wichtige Zäsur und direkte Folge des neuen politischen Kurses der Normalisierungsära war die im Jahre 1974 stattfindende politische Säuberung, der die Leitungen sowohl des Rats der jüdischen Gemeinden als auch der Prager jüdischen Gemeinde zum Opfer fielen.29 Die neue Gemeindeführung zeichnete sich durch absolute Loyalität gegenüber dem Staat aus.

24 Zit. nach Goldstücker, Eduard: Občané, pozor! In: Rudé právo vom 23.6.1968, 3. – Dieser Aufruf von Goldstücker hatte ein breites Echo hervorgerufen, in der Redaktion des »Rudé právo« gingen zahlreiche Leserbriefe ein, auch Goldstücker selbst hat unzählige Reaktionen erhalten. Siehe hierzu Goldstücker: Vzpomínky, 154. 25 Rudé právo vom 12.1.1977, zit. nach Svobodová: Zdroje, 58. 26 Eichler, Benjamin: Jubileum oslobodenia. In: Věstník 32/4 (1970), 2. 27 Demographische Angaben etwa bei Hanková: Die jüdische Glaubensgemeinschaft.  – Pěkný: Historie Židů. – Lendvai: Anti-Semitism, besonders 243–297. 28 Svobodová: Zdroje, 55–57. 29 Siehe etwa Death of the Golem. In: Jewish Chronicle vom 13.12.1974. – Czech Jews purged. In: The Observer vom 8.12.1974. – Czechs purge leaders. In: Jewish Chronicle vom 13.12.1974.  – Prag säubert die jüdische Gemeindeführung. In: Jüdische Rundschau [Basel] vom 17.10.1974, alle Privatarchiv Peter Brod.

Vom Prager Frühling bis zum Zusammenbruch des Kommunismus 

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Dogmatische Blicke auf die jüngste Vergangenheit

Die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 und der in den frühen 1970er Jahren eingeschlagene Kurs der Normalisierung spiegelten sich auch in der Behandlung zeitgeschichtlicher Fragen wider.30 Die in der Periode der Liberalisierung entstandenen Ansätze eines kritischen Geschichtsverständnisses wurden weitgehend zurückgedrängt. In den 1960er Jahren begonnene Projekte zur Neuinterpretation des Zweiten Weltkriegs, die ein neues Licht auf den tschechoslowakischen nichtkommunistischen Widerstand geworfen und sich langsam für Fragen der tschechischen Kollaboration während des Nationalsozialismus interessiert hatten, wurden unterbunden.31 Gleichermaßen wurde das in den 1960er Jahren zögerlich geweckte Interesse der Historiker an der Verfolgung und Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg im Keim erstickt.32 In vielen gesellschaftlichen Bereichen ist die Zäsur deutlich nachzuvollziehen. Der 1969 neu eingesetzte Leiter des Tschechoslowakischen Films etwa distanzierte sich klar von den »negativen«, dem Sozialismus angeblich fremden Tendenzen des Films der 1960er Jahre: der »Bagatellisierung unseres Anteils am Befreiungskampf« sowie der Betonung von »egozentrischem Individualismus« und »religiösen Fragen«.33 Bedenkt man, dass einerseits die Hinwendung zum Holocaust in den 1960er Jahren erst ausgelöst worden war durch das zunehmende Interesse am Individuum als Akteur in der Geschichte34 und dass andererseits das Judentum in der Tschechoslowakei offiziell ausschließlich in seiner strikt religiösen Dimension anerkannt wurde, war die Abkehr vom »egozentrischen Individualismus« und den »religiösen Fragen« unzweideutig eine Kritik an der relativ starken Präsenz der Holocaust-Thematik im tschechoslowakischen Film.35 30 Zu den Auswirkungen der Normalisierung auf die Geschichtswissenschaft siehe etwa Vondrová: Je třeba.  – Prečan, Vilém: Společenské vědy ve svěráku »konsolidace«. In: Ders.: V kradeném čase, 285–292. 31 Siehe vor allem die Tätigkeit des bereits erwähnten Tschechoslowakischen Ausschusses für die Geschichte des antifaschistischen Widerstands. Zusammenfassend Bartošek: Czechoslovakia. – Zu Anfängen der Erforschung der tschechischen Kollaboration siehe Pasák: K problematice. 32 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 268–270. – Als nur ein deutliches Beispiel sei die verteidigte, dann aber nicht mehr veröffentlichte Dissertation von Ivan Kamenec zum Holocaust in der Slowakei genannt. Nach 1989 dann publiziert als Kamenec: Po stopách. – Ein Teil konnte allerdings in der Zeitschrift der Gedenkstätte Theresienstadt veröffentlicht werden: Ders.: Koncentračné a pracovné tábory. 33 Purš, Jiří. In: Film a doba, Nr. 6 (1971), zit. nach: -mf-: Filmy v trezoru. In: Lidové noviny 2/3 (1989), 19. 34 Hierzu auch Marès: L’histoire tchèque, 271. 35 Hames: Czech and Slovak Cinema, 95–111. – Aronová: Rozkvět.

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Nationalismus, Heroismus und Antisemitismus Revisited

Die Tendenz der 1960er Jahre, den Holocaust nicht mehr als Marginalie des Zweiten Weltkriegs wahrzunehmen, sondern dessen Partikularität, ja historische Singularität zu unterstreichen, wurde mit der konservativen Kehrtwende des Regimes nach der Niederschlagung des Prager Frühlings abrupt abgebrochen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Gesellschaft wurde einzuschränken versucht, die Publikationen der 1960er Jahre wurden abwertend als »Epidemie jüdischer Literatur mit der Thematik der Konzentrationslager« eingeschätzt.36 Jedwede Partikularität des jüdischen Schicksals wurde negiert und ihre Hervorhebung als eine der unerfreulichen Erscheinungen der 1960er Jahre gebrandmarkt. Jan Čierný, ein Mitarbeiter des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der Kommunistischen Partei der Slowakei, sprach Ende 1971 geringschätzig von jenen tschechoslowakischen Juden, die seit den 1950er Jahren »in sich – nennen wir es so – ›das jüdische Schicksal‹ [entdeckten], welches sich mit den Gefühlen des ›besonderen Leidens‹, der ›Höherwertigkeit‹, der ›Weltläufigkeit‹ verbindet.«37 Spielten hier antisemitische Vorstellungen eine wichtige Rolle, so unterband auch der kommunistische Kampf gegen den Zionismus eine kritische Beschäftigung mit dem Holocaust. Die Veröffentlichung einer bereits druckreifen Edition der im Theresienstädter Ghetto entstandenen Jugendzeitung »Vedem« wurde 1973 etwa mit folgender Begründung abgelehnt: Seit 1967 missbraucht die israelische Propaganda die Verfolgung der Juden während des Zweiten Weltkrieges zu einer gewissen ›moralischen Rechtfertigung‹ der israe­ lischen Aggression gegen die benachbarten arabischen Völker. Die Herausgabe von Literatur zum Thema der Judenverfolgung ist daher unbedingt aus diesem Blick­ winkel zu beurteilen.38

Dieses Denkmuster rekurrierte auf ältere antisemitische Äußerungen, demnach die Juden »aus der Asche von ­Auschwitz und Maidanek Kapital schlagen wollen«39, und wurde vor allem seit dem Sechs-Tage-Krieg aktualisiert. So meinte ein Kommentator des israelisch-arabischen Konfliktes bereits im Juli 1967, dass Israel sich alle Mittel – »einschließlich der historischen Tragödie der Juden während des Zweiten Weltkriegs« – zunutze mache, um der internationalen Öffentlichkeit das »Märchen« der existenziellen Gefährdung des Landes »aufzuzwingen«.40 36 Kolár: Sionismus, 16. 37 Pravda (Bratislava) Nr. 14 vom 18.1.1972, zit. nach Wörster: Die Juden, 23 (257). 38 Král, Václav: Lektorský posudek na práci Světélka v noci, 26.1.1973, abgedruckt in: Křížková: Je mojí vlastí, 372. 39 Klement Gottwald auf der gesamtstaatlichen Konferenz der KSČ am 16. Dezember 1952, zit. nach Kulišová: Kleine Festung Theresienstadt, 42. 40 Dlouhý, Jaroslav: Střední východ. Třetí konflikt Izraele s Araby. In: Mezinárodní politika 11/7 (1967), 316–318, hier 317.

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Trotz dieser drastischen Stellungnahmen kann keineswegs von einem erfolgreich etablierten »Tabu« des Holocaust in der Zeit der Normalisierung gesprochen werden. Der deutliche Kontrast zu den späten 1950er und den 1960er Jahren ist allerdings nicht zu leugnen. Die Entwicklungen, die in zahlreichen westeuropäischen Staaten in den folgenden zwei Jahrzehnten in kontroversen Auseinandersetzungen um die eigene Schuld, um die Historisierbarkeit des Holocaust und dessen Integration in die jeweiligen Nationalgeschichten sowie um eine angemessene Erinnerung an den Mord an den europäischen Juden gipfelten, wurden in der Tschechoslowakei gewaltvoll unterbrochen. Demgegenüber rekurrierte die staatliche Geschichtspolitik der 1970er und 1980er Jahre auf alte Muster und bekräftigte – zuungunsten einer pluralistischen Auffassung von Geschichte  – die antifaschistische Meistererzählung, der zufolge eine homogene (und ethnisch verstandene) tschechische Nation Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet hätte. Nationalismus und Heroismus tauchten nun in neuen Gewändern auf. Denn verliefen die Tendenzen in Richtung eines passiven Opfergedenkens in der Tschechoslowakei zunächst parallel zu globalen Entwicklungen der Um- und Neu­ interpretation des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust, so muss die Situation nach der politischen Zäsur von 1968 als abweichend betrachtet werden. Während in ganz Europa seit den 1960er Jahren das Verständnis von einem »ideologischen Weltbürgerkrieg« zwischen Faschisten und Antifaschisten angesichts der zunehmenden Bedeutung, die dem Holocaust in der Geschichte des Nationalsozialismus zugerechnet wurde, an Dominanz verlor,41 wurde genau diese Interpretation in der »normalisierten« Tschechoslowakei bekräftigt. Die Rückkehr zu einer dogmatischen kommunistischen Politik nach der Niederschlagung des Prager Frühlings spiegelte sich auch in der Bedeutung von Helden- und Opferbildern wider. Neuerlich wurden die »klassischen« Kämpferfiguren hervorgehoben, die vermeintlich oder tatsächlich im Zweiten Weltkrieg für die kommunistische Idee ihr Leben gelassen hatten. Die Erinnerung an den Holocaust und die mutmaßlich passiven Opfer konnte darunter nur leiden. Einer der führenden Ideologen des neuen Anti­ zionismus und Antisemitismus, František J. Kolár, stieß sich etwa an der »Orgie des ›Kafkaismus‹«, das heißt an dem starken Interesse an Leben und Werk Franz Kafkas in den 1960er Jahren, der »in Wirklichkeit eine Ideologie der Schwäche, der Entfremdung, der Feigheit [nestatečnost]« sei.42 Nicht nur inhaltlich, auch rhetorisch erinnert diese Kritik an die Attacken, denen sich Jiří Weil in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren ausgesetzt sah, nachdem er seinen Roman »Leben mit dem Stern« veröffentlicht hatte. Kolár, auf 41 Diner: Gegenläufige Gedächtnisse, 62. 42 Kolár: Sionismus, 17.

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Grund seines aggressiven Antisemitismus laut Wolf Oschlies einer der neuen »Stürmer«, bemängelte im Allgemeinen die seiner Meinung nach in den 1960er Jahren künstlich wiederbelebte »jüdische Frage«. Diese sei in den sozialistischen Ländern – erinnert sei hier an die jüdischen wie nichtjüdischen Stellungnahmen direkt nach 1945  – bereits »gelöst« gewesen. Durch kulturelle Produktionen habe in den 1960er Jahren eine »Ära der jüdischen ›Dulder‹ [trpitel], der unterdrückten und bedrängten [uhnětený], wehrlosen Menschen« eingesetzt, wohingegen die Helden vergessen worden seien.43 Neben dieser Absage an passive Identifikationsfiguren, wurde genauso der patriotische Blick auf die Geschichte gestärkt. War vielen historischen Werken der 1960er Jahre eine Kritik am tschechischen Provinzialismus, Nationalismus und Chauvinismus inhärent,44 so wurden ebendiese Positionen durch eine neuerliche isolationistische Haltung während der Zeit der Normalisierung gestärkt. In einem antizionistischen und antisemitischen Pamphlet wurde der tschechische Historiker Erich Kulka, der 1968 nach Israel ausgewandert war, kritisiert, den Anteil der Juden in der tschechoslowakischen Auslandsarmee in der Sowjetunion überzubewerten. Kulka habe als Juden Menschen bezeichnet, die, so der Autor dieser Schmähschrift, sich nie zur jüdischen Nationalität bekannt hätten, keine Zionisten und nicht einmal Anhänger der jüdischen Religion gewesen wären, sondern »tschechische und slowakische Patrioten«.45 In dieser »heldenarmen«, ja »heldenlosen« Zeit der 1970er und 1980er Jahre, in welcher keine neuen Helden mehr geboren wurden,46 waren folglich wieder die nationalen Helden vonnöten. Die offizielle Holocaust-Erinnerung hinter dem »Tabu«

Diese Situation erwies sich als ungünstig für eine partikularistische Erinnerung an den Holocaust, sie konnte sie jedoch keineswegs vollkommen unterbinden. Politische Ansprüche und Dogmen der Partei- und Staatsführung wurden nicht eins zu eins in den sozialistischen Alltag übersetzt. Auch in repressiven Regimen wie jenem der tschechoslowakischen Normalisierungsära bildeten sich gesellschaftliche Freiräume für Menschen, die sich passiv und zumindest nach außen hin loyal zum Staat verhielten. Dies haben jüngere kulturgeschichtliche Analysen anschaulich aufgezeigt.47 Wichtig ist auch da­ rauf hinzuweisen, dass eindeutige Zuordnungen zur inoffiziellen oder offi­ 43 Ebd., 16. – Diese Stelle auch in Kolár, F. J.: Antisemitismus a sionismus (2). In: Rudé právo vom 10.4.1970, 7. 44 Graus: Naše živá, 20 und 25. – Marès: L’histoire tchèque, 271. 45 Ideólogia a prax sionizmu IV. In: Nové slovo Nr. 36 vom 9.9.1982, 12 f. 46 Satjukow: Zur Konstruktion, 27. 47 Siehe etwa Bren: Weekend Getaways.

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ziellen Sphäre in der Realität nicht immer möglich sind, was die zahlreichen Beispiele von »Grenzgängern« nahelegen, die »›am Rande‹, in der nicht genau bestimmten Grauzone zwischen Erlaubtem und Verbotenem« tätig waren.48 Bekannt ist der Lebensweg des Schriftstellers Bohumil Hrabal, der nach 1970 zunächst mit Publikationsverbot belegt wurde, nach einer öffentlichen Loyalitätserklärung an den Staat allerdings seine Werke wieder in offiziellen Verlagen publizieren konnte. Mehrere Werke, darunter sein Roman ­»Obsluhoval jsem anglického krále« (Ich habe den englischen König bedient), zirkulierten zunächst im Samizdat, teilweise in Fassungen im Exil oder in der halboffiziellen Reihe »Jazzpetit«, und konnten schließlich auch offiziell publiziert werden.49 Ein ähnliches Schicksal erlebte die Biographie Heinrich Himmlers des Journalisten Dušan Hamšík, die Mitte der 1970er Jahre -­ Samizdat-Lesern vorgelegt wurde, zehn Jahre später jedoch offiziell  – und in einer bemerkenswert hohen Auflage von 50.000 Exemplaren – erschien.50 Die antizionistischen Positionen, die Hamšík einnahm und die etwa in Vergleichen von Nationalsozialisten mit Zionisten zum Ausdruck kam – beide seien Vertreter eines »militanten Extremismus«51 – mögen dazu beigetragen haben, Hamšíks Werk auf den offiziellen Buchmarkt zu bringen. Auch der Schriftsteller und Sportreporter Ota Pavel, allgemein als »offizieller« Autor eingestuft, bewegte sich in Wirklichkeit in beiden Welten. Seine Erzählungen, die in der ersten Hälfte der 1970er Jahre gesammelt als »Smrt krásných srnců« (Der Tod der schönen Rehe) und »Jak jsem potkal ryby« (Wie ich den Fischen begegnete)  erschienen, schildern tragikomische Episoden aus der eigenen Familiengeschichte. Vor allem anhand der zentralen Figur von Pavels Vater Leo Popper, einem Juden, der mit einer Katholikin verheiratet war, wurden Fragen der Diskriminierung und Verfolgung der Juden aufgeworfen. Pavels ältere Brüder wurden schließlich gemeinsam mit dem Vater nach Theresienstadt und von dort in weitere Konzentrationslager deportiert. Das Interesse an individuellen Lebensgeschichten und die humorvolle Annäherung ermöglichten ihm, sich den klassischen heroischen Vorbildern zu entziehen und durchschnittliche, gewöhnliche Individuen als alltägliche Helden ins Zentrum zu stellen.52 Pavels Erzählungen konnten große Erfolge feiern, erlebten noch in den 1970er und 1980er Jahren mehrere Neuauflagen, wurden als Hörbücher auf Grammophon-Platten aufgenommen, als Theaterstücke

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Holý: Tschechische Literatur, 82. Ebd., 82 f. und 153 f. Hamšík: Druhý muž. Ebd., 219, ähnlich 221. – So auch bereits in Ders.: Život a dílo, Bd. 2, 14. Pavel: Smrt krásných srnců. – Zum Werk Ota Pavels siehe etwa Holý: Tschechische Literatur, 83 f. – -mp- [Pokorný, Milan]: Pavel, Ota (Popper O.). In: Mikulášek: Literatura s hvězdou davidovou I, 277–280.

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aufgeführt und von Karel Kachyňa verfilmt.53 Die Erzählung »Běh Prahou« (Wettlauf durch Prag), in welcher Pavel die frühe Nachkriegszeit behandelte und dabei die politischen Prozesse und den kommunistischen Antisemitismus an den Pranger stellte, konnte demgegenüber nur eine sehr reduzierte Leserschaft erreichen. Sie zirkulierte im Samizdat.54 Vielleicht hatte Ota Pavel einen derartigen Erfolg, weil er in seinen Erzählungen seiner Liebe zur tschechischen Heimat, zur Natur und Landschaft Ausdruck gab; weil es ihm gelang, auf besondere Weise gesprochenes und schriftliches Tschechisch zu verbinden.55 Zugleich waren seine jüdischen Wurzeln und die nationalsozialistische Verfolgung der Juden ein zentrales Thema seiner Erzählungen. Der jüdische Familienhintergrund wurde auch in den Nachworten zu Pavels gesammelten Werken Ende der 1970er Jahre deutlich gemacht. Hinter dem Autor dieser Epiloge, Jaroslav Vokřál, verbarg sich der damals noch mit Publikationsverbot belegte Journalist Dušan Hamšík.56 Dušan Hamšík und Ota Pavel tragen als zwei Beispiele dazu bei, die dicho­ tomische Gegenüberstellung von offiziellen und unabhängigen Autoren in Frage zu stellen. Sie zeigen darüber hinaus, dass von einem tatsächlichen »Tabu« des Holocaust, selbst in den 1970er und 1980er Jahren, keine Rede sein kann.57 Repräsentationen der nationalsozialistischen Judenverfolgung fanden sich in der Literatur – man denke an die Neuauflagen von Ladislav Fuks’ Romanen oder an jene des Theresienstadt- und A ­ uschwitz-Überlebenden Norbert Frýd;58 an das 1981 erschienene Erstlingswerk »Býk, Beran a Váhy« (Stier, Widder und Waage)  des 1934 geborenen Zeno Dostál, der das Ende 53 Neuauflagen im Jahr 1973 (Smrt krásných srnců), 1977 und 1981 (jeweils beide Erzählbände gemeinsam). – Smrt krásných srnců, Regie und Drehbuch: Karel Kachyňa, Tschechoslowakei 1986, 86 Min. – Zur Rezeption und Verbreitung der Erzählungen siehe etwa jam: Smrt krásných srnců. In: Věstník 45/3 (1983), 5. – Kafka, František: Klenot české literatury (K 10. výročí smrti Oty Pavla). In: Věstník 45/4 (1983), 5 f. 54 Die Erzählung erschien direkt nach dem Regimewechsel in der Zeitschrift Hlas revoluce: Pavel, Ota: Běh Prahou (3 Teile). In: Hlas revoluce Nr. 38 vom 18.9.1990, 3; Nr. 39 vom 25.9.1990, 3; Nr. 40 vom 2.10.1990, 3. 55 Siehe etwa Lustig: Ota Pavel. 56 Vokřál, Jaroslav [Hamšík, Dušan]: Doslov. In: Pavel, Ota: Plná bedna šampaňského. Praha 1977, 165–170. – Vokřál, Jaroslav [Hamšík, Dušan]: Závěrem. In: Pavel, Ota: ­Pohár od Pánaboha. Praha 1978, 139–144. – Vokřál, Jaroslav [Hamšík, Dušan]: [Doslov]. In: ­Pavel, Ota: Pohádka o Raškovi. Praha 1979, 90–96. – Vokřál, Jaroslav [Hamšík, Dušan]: Závěrem. In: Pavel, Ota: Syn celerového krále. Praha 1979, 129–135. – Zur Auflösung des Pseudonyms Nondková, Michaela: Dušan Hamšík (1995). In: Slovník české literatury po roce 1945, URL: http://www.slovnikceskeliteratury.cz/showContent.jsp?docId=38&hl= hamšík+ (am 15.3.2014). 57 Zur Idee der Tabuisierung, konkret in der Zeit der Normalisierung, siehe etwa Jelinek: Capturing the Public’s Imagination. – Direkt dagegen argumentierte bereits Brod: Letter to the Editor. 58 Unter anderem Fuks: Pan Theodor. – Ders.: Spalovač mrtvol. – Frýd: Krabice živých (die 9. Auflage im Jahre 1975, die 10. Auflage 1985). – Ders.: Květovaný kůň.

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des Krieges versteckt bei Verwandten überlebt hatte, nachdem seine jüdischen Eltern deportiert worden waren;59 oder auch an Übersetzungen, wie jene von Jurek Beckers »Jakob der Lügner« im Jahre 1973.60 Auch im Film konnte die Shoah dargestellt werden, obwohl keineswegs vergleichbar mit ihrer starken Präsenz während der 1960er Jahre. Neben den Verfilmungen von Ota Pavels Erzählungen oder einem Dokumentarfilm zum Theresienstädter Maler P ­ eter Kien61 verdient der kaum bekannte Kurzfilm »Guernica« Beachtung. Emir Kusturica drehte ihn im Jahre 1978, am Ende seines Studiums an der Prager Kunstschule FAMU.62 Der Film basiert auf einer Erzählung des jugoslawischen Schriftstellers Antonije Isaković und zeigt anhand einer jüdischen Familie die Anfänge der Diskriminierung der Juden. Als der junge Roger die Armbinde seines Vaters entdeckt, die ihn als Jude kennzeichnete, wird ihm erklärt, dass die Familie nun in einem Klub sei, dem sie wegen ihrer großen Nase angehöre. Die Absurdidät dieser antisemitischen Logik wird deutlich gemacht, indem der Vater hinzufügt, dass »sie« bald wohl nach großen Ohren und Plattfüßen suchen werden. Während die Eltern bei einer medizinischen Untersuchung sind (während welcher der Arzt glaubt, semitische Körpereigenschaften erkannt zu haben), bestaunt Roger die Porträts der Familienmitglieder, um schließlich die Nasen auszuschneiden und daraus eine Art Collage zu basteln. Stolz zeigt er das Werk seinem Vater und meint, er habe alle Nasen examiniert und sei zum Schluss gekommen, dass nur die des Vaters wirklich riesig sei. Die Betonung der Absurdidät, der groteske Stil und die humorvolle Weise, mit welcher antisemitische Stereotype entwaffnet werden, lassen an die tschechischen Filme der 1960er Jahre denken. Selbst wenn kaum Angaben bekannt sind, welche Verbreitung der Film in der Tschechoslowakei hatte, gewann er immerhin den ersten Preis beim Internationalen Festival der Studentenfilme in Karlsbad im Jahre 1978. Nicht allein in Film und Belletristik, sondern auch in der offiziellen Geschichtswissenschaft und in der Geschichtsdidaktik findet man Repräsentationen des Holocaust, selbst wenn kein Zweifel darüber besteht, dass die historiographische Produktion der Normalisierungsära der nationalsozialistischen Verfolgung und Ermordung der Juden keine große Aufmerksamkeit 59 -el- [Sedláková, Jaroslava]: Dostál, Zeno. In: Mikulášek: Literatura s hvězdou davidovou I, 56–58. 60 Becker: Jakob lhář. 61 Malíř č. 855, Regie und Drehbuch: Viktor Polesný, Tschechoslowakei 1975, 18 Min. – ­Václav Novák (PT) an Z. Forman (Studio FAMU), 11.1.1980, SOA Litoměřice, PT, Kt. 17. – Zur Idee eines Amateur-Films zu Kien und Ungar siehe auch: Jiří Malenínský (PT) an ­Václav Novák (PT), 25.2.1980, ebd. 62 Guernica, Regie:  Emir Kusturica, Drehbuch:  Pavel Sýkora / Emir Kusturica, Tschecho­ slowakei 1978, 17 Min.  – Knappe Angaben zum Film bei Dhennin: Le lexique, 120.  – Gocić: Notes, 22. – Český hraný film V, 111.

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schenkte. Die völlige Ausblendung der Shoah wird etwa deutlich im 1983 publizierten Werk Oldřich Sládeks »Od ›ochrany‹ ke ›konečnému řešení‹« (Von der »Protektion« zur »Endlösung«), das ausschließlich auf die Unterdrückung der tschechischen Nation einging und  – entgegen den Erwartungen westlicher Leser des Titels – nicht auf das Schicksal der Juden.63 Als Sládek drei Jahre später eine weitere Monographie vorlegte, nun zur »verbrecherischen Rolle der Gestapo« in den böhmischen Ländern, tauchte die Judenverfolgung zwar auf, die Interpretation folgte allerdings völlig den traditionellen Deutungsmustern des Holocaust als Vorstufe zur »Endlösung der tschechischen Frage«.64 Für Michal Frankl ist Oldřich Sládeks Werk ein gutes Beispiel, an dem gezeigt werden könne, wie sich Autoren in der Zeit der Normalisierung »nicht um eine Modifizierung bisheriger Auslegungen der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und der Rolle des Holocaust in der tschechischen Geschichte« bemüht hätten.65 Diese Beurteilung trifft wohl auf die allermeisten historischen Arbeiten zur Shoah zu, die in den 1970er und 1980er Jahren auszumachen sind. Dennoch zeugen einige Publikationen davon, dass der Holocaust nicht mehr einfach übergangen werden konnte, dass  – indem die Entwicklungen aus den 1960er Jahren in bedingtem Ausmaß weitergeführt wurde  – dem Holocaust oft sogar mehr Aufmerksamkeit als bisher geschenkt wurde.66 Das Geschichtsschulbuch von Jaroslav Pátek etwa, das seit Mitte der 1970er Jahre und bis in die 1990er Jahre im Unterricht eingesetzt wurde,67 berichtete auf einer ganzen Seite von den diskriminierenden Maßnahmen gegen Juden und schließlich von der Deportation in Ghettos und in Vernichtungslager. Selbst wenn der Zweite Weltkrieg den ideologischen Schemata entsprechend in den Kampf zwischen Deutschen und Tschechen, zwischen Kapitalisten und Kommunisten eingeordnet wurde, und auch die feine semantische Unterscheidung zwischen der »Endlösung der tschechischen Frage« und der »Lösung der Judenfrage« die unterschiedliche Gewichtung der beiden Verfolgungen andeutete, so wurden hier doch Schülerinnen und Schüler knapp über die Geschichte des Holocaust informiert.68

63 Sládek: Od »ochrany«. 64 Ders.: Zločinná role. Zur Verfolgung der Juden etwa 46–49, 85–87 und 160 f. Zur »Endlösung der tschechischen Frage« etwa 138–145. Deutlich zur Abschwächung der »Endlösung der Judenfrage« durch jene der »tschechischen Frage« auch 161. 65 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 270. 66 Gegen die Vorstellung einer Zäsur des Jahres 1968/1969 sprach sich, in Bezug auf die Rolle des Holocaust in Schulbüchern, etwa Zdeněk Jirásek aus. Jirásek: Die Darstellung des Holocaust. 67 Hierzu Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 270. 68 Pátek: Československé dějiny, 32 f., zur »Endlösung der tschechischen Frage« 31.

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Zudem erschienen im Verlauf der 1970er und 1980er Jahre – wiewohl weit entfernt von einer richtiggehenden Holocaust-Forschung  – eine Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen, die sich einzelnen Aspekten der nationalsozialistischen Judenverfolgung widmeten. Einer der produktivsten Personen auf diesem Gebiet war Miroslav Kárný, der sich seit seiner Pensionierung im Jahre 1974 voll und ganz der Erforschung der »Endlösung der Judenfrage« im Protektorat Böhmen und Mähren widmete und zu diesem Zwecke 1976 mit dem Staatlichen Jüdischen Museum in Prag einen Vertrag schloss.69 Auch andere Mitarbeiter des Prager Jüdischen Museums führten in beschränktem Ausmaß Forschungen zur Geschichte des Holocaust fort und publizierten Resultate in dem vom Museum hauptsächlich für ein internationales Publikum herausgegebenen Periodikum »Judaica Bohemiae«.70 Außerdem, das wurde am Beispiel des geplanten Ghetto-Museums bereits gezeigt, blieb auch die Gedenkstätte Theresienstadt trotz aller ideologischer Anpassungen ein Ort, an dem die Geschichte des dortigen Ghettos – und folglich die Geschichte der Shoah – bearbeitet wurde, und zwar in Form von musealer Sammlung, Ausstellungen und Forschung.71 Auch hier sind die Kontinuitäten zu den 1960er und frühen 1970er Jahren erkennbar, lag doch der Ausarbeitung des Konzepts für das geplante Ghetto-Museum im Jahre 1972 bereits eine Zusammenarbeit zwischen Miroslav Kárný, dem Staatlichen Jüdischen Museum und der Gedenkstätte Theresienstadt zu Grunde.72 Kárný, ein ehemaliger Häftling des Ghettos Theresienstadt und Journalist, der nach dem Zweiten Weltkrieg als überzeugter Stalinist auftrat, hatte zwar keine historische Ausbildung genossen, legte jedoch mit seinen akribischen Recherchen zur Verfolgung und Ermordung der tschechischen Juden wichtige Grundlagen für die nach 1989 einsetzende Holocaustforschung. Seine Monographie zum »Genozid der tschechischen Juden« konnte zwar erst im Jahre 1991 erscheinen. Jedoch war es ihm bereits vor dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes ermöglicht worden, diverse Beiträge in Perio­ dika und Zeitungen zu publizieren. Außerdem bildete sich um Kárný ein Kreis von Personen, die sich für die Geschichte der Shoah interessierten und 69 Vor allem im Rahmen des vom Jüdischen Museums Prag seit 1976 geförderten Projekts »Nazistische Lösung der Judenfrage in den böhmischen Ländern«. Siehe unter anderem den Nachruf von Jaroslava Milotová. Milotová: Miroslav Kárný, 29. – Siehe auch Hájková: Die Holocaustforschung. 70 Siehe beispielsweise Franková: La culture. – Dies.: Die jüdische Selbstverwaltung. – Siehe auch Marcela Votavovás russischen Aufsatz über Bedřich Fritta in Judaica Bohemiae 11/1 (1975), 3–13. 71 Zum Beispiel Votavová: Bedřich Fritta. – Hájek: Dr. Bruno Zwicker. – Lauscherová: Ze zápisků. – Kryl: Recitační. 72 Siehe dazu die Ausführungen im Abschnitt »Von der Ghetto-Ausstellung zum PolizeiMuseum« im Kapitel zu Theresienstadt.

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die in seiner Wohnung eine Art Ersatz für eine institutionelle Verankerung der beginnenden Holocaustforschung fanden.73 Miroslav Kárný war nach 1968 nicht in Konflikt mit Partei oder Staat gekommen.74 Er konnte daher auf eine Infrastruktur zurückgreifen, die vielen dissidenten Historikern verwehrt blieb: Ihm standen Bibliotheken und Archive offen, er konnte internationale Literatur per Fernleihe bestellen und sogar mehrere Auslandsreisen unternehmen, vor allem in deutsche Archive. Seine Lektüre internationaler Analysen des Holocaust schlug sich auch in seiner Tätigkeit als Rezensent, vor allem für eine der traditionsreichsten geschichtswissenschaftlichen Zeitschriften, den »Československý časopis historický« (Tschechoslowakische historische Zeitschrift), nieder.75 Auch in seinen wissenschaftlichen Aufsätzen stützte er sich auf Arbeiten, die im westlichen Ausland – und teilweise von tschechischen Exilanten – verfasst worden waren. Obwohl er diese für faktographische Fragen heranzog  – oder besser: da er sie ausschließlich dafür heranzog  –, nahm er, was die Interpretation der Shoah betrifft, in vielen Punkten die altbekannten Positionen der tschechischen marxistischen Historiker ein; namentlich in Bezug auf die ökonomische Bedingung des Holocaust, die Bedeutung, die dem Klassenkampf zugeschrieben wurde sowie die Sichtweise der »Generalprobe« für die Vernichtung der Slawen.76 Dies führte zur absurden Situation, dass Kárný zwar zu einem der Wegbereiter der tschechischen Holocaustforschung wurde, andererseits jedoch die Partikularität der Shoah in zahlreichen Studien selbst abstritt. In einer Studie aus dem Jahr 1982 ging er etwa näher auf die Kontextua­ lisierung der Judenverfolgung ein, die eine bloße »Probe« gewesen sei: Im Rahmen der antisemitischen Politik NS -Deutschlands seien nur 73 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 274–276. 74 Seine Haltung zum Prager Frühling zu rekonstruieren wird dadurch erschwert, dass die entsprechenden Seiten seines überlieferten Kalenders – übrigens ebenso wie jene um den 17. November 1989 – herausgerissen wurden. NA , f. Kárných, Kt. 2 bzw. 5. 75 Siehe unter vielen anderen M. Ka [Kárný, Miroslav]: [Rezension von] Gitta Sereny, Into that Darkness. From mercy killing to mass murder. London, André Deutsch 1974. 380 s. In: Československý časopis historický 24/3 (1976), 444 f. – M. Ká. [Kárný, Miroslav]: [Rezension von] Henri Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerquartier. Vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe mit bisher unbekannten Selbsterzugnissen [sic] A. Hitlers, Abbildungen, Augenzeugenberichten und Erläuterungen des Autors. Studienausgabe. Stuttgart, Seewald Verlag 1977. 548 s. In: ebd. 26/4 (1978), 615 f. – M.Ka. [Kárný, Miroslav]: [Rezension von] Black, Peter R.: Ernst Kaltenbrunner, ideological soldier of the Third Reich. Princeston, New Jersey, Princeston University Press 1984. 348 s. In: ebd. 33/5 (1985), 778 f. 76 Ähnlich auch Silvestr Nováček, der im Jahre 1984 eine Regionalstudie zum Holocaust im mährischen Ivančice vorlegte. Nováček: Nacistické »konečné řešení«, 2.

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die juristischen, propagandistischen, organisatorischen, technischen und materiellen Vorgänge und Instrumente erprobt [worden], die später in den besetzten Ländern in viel grösserem Maße, nicht nur gegen die Juden, zur Geltung kommen sollten. Kurz und gut, Hitlers ›Technik der Entvölkerung‹ wurde geprüft und entwickelt, Kader für die blutige Durchsetzung dieser Technik, vor allem gegenüber den slawischen und auch anderen Nationen in Ost- und Südeuropa, vorbereitet.77

Diese Sichtweise hinderte Kárný selbstverständlich nicht daran, der Verfolgung der Juden im Detail nachzugehen. Der Schwerpunkt lag gemäß der marxistischen Lesweise der Geschichte auf dem Ausschluss der Juden aus dem Wirtschaftsleben, der Arisierung und beruflichen Diskriminierungen. Die Kollaboration und aktive tschechische Beteiligung an der antijüdischen Politik wurde, den klassischen Interpretationsmustern seit den 1950er Jahren entsprechend, der tschechischen »Bourgeoisie« und den Vertretern der Protektoratsregierung angelastet – die zudem nun zum Teil als Exilanten im Westen zusätzliche Feindbilder darstellten.78 So schilderte Kárný die unterschiedlichen aktiven Schritte und Eigeninitiativen der Protektoratsregierung auf dem Gebiet der antijüdischen Politik und kam zum Schluss, dass die beginnende Diskriminierung und Verfolgung der tschechischen Juden nicht allein unter dem Druck des Dritten Reichs entstanden, sondern auch der eigenen »›tschechoslowakische[n]‹ Dynamik« entsprangen.79 Demgegenüber war jedoch eine breite Auseinandersetzung mit der tschechischen Kollaboration, dem gesellschaftlichen Antisemitismus und dem passiven Verhalten der Mehrheit nicht möglich. Kárný reproduzierte unkritisch das positive Bild der tschechisch-jüdischen Solidarität: »Gerade die nazistische Okkupation und die mit ihr verbundene Persekution festigte noch die Solidarität der überwältigenden Mehrheit des tschechischen Volkes mit den persequierten [sic] jüdischen Bürgern.«80 Die Widerstandsbewegung, besonders die kommunistische, habe sich solidarisch mit den verfolgten Juden erklärt, habe sich aktiv darum bemüht, dass antisemitische Stimmungen nicht in der tschechischen Gesellschaft Fuß fassten.81 Kárnýs Resümee in seiner Abhandlung über die Anfänge der Judenverfolgung im Protektorat deckte sich demnach voll mit der kommunistischen Wahrnehmung der Geschichte: Die feste Haltung der breiten Schichten des tschechischen Volkes, das die antijüdische Persekution und die Teilnahme der Protektoratsbehörden an deren Organisation verurteilte, die Solidarität der Widerstandsbewegung ohne Rücksichtnahme auf 77 78 79 80 81

Kárný: Die »Judenfrage«, 138. Ebd., 147 und passim. Ebd., 151. Ebd., 187. – Ebenso etwa auch in Kárný: Terezínský rodinný tábor, 237. Kárný: Die »Judenfrage«, 187–189.

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arische oder nichtarische Abstammung, die den Persequierten täglich gewährte moralische und praktische Hilfe – das alles bildete die Realität des Protektorats Böhmen und Mähren, die die Wirksamkeit der antijüdischen Maßnahmen stark beeinflusste. Und das desto mehr, je deutlicher der Sinn der in die Lösung der Judenfrage eingefügten Germanisierung und ihr Zusammenhang mit der künftigen ›Lösung der Tschechenfrage‹ wurde.82

Während Miroslav Kárný sich hier der universalistischen und tschechischen nationalistischen Sichtweise näherte, übernahm er sie an anderen Stellen voll und ganz. Im Organ des Verbands der antifaschistischen Kämpfer »Hlas revoluce«, in welchem er gelegentlich publizierte, erschien 1979 einer seiner Artikel über die Germanisierung und die »Endlösung der tschechischen Frage«. In diesem findet sich auch nicht die kleinste Andeutung, dass es sozusagen eine zweite »Endlösung«, nämlich die Shoah gegeben habe.83 Diese Betrachtung der »Germanisierung« des Ostens Europas, die Auseinandersetzung mit den »imperialistischen« Zielen NS -Deutschlands hatte Kárný bereits zwei Jahre zuvor in einem ausführlichen Artikel über den »Generalplan Ost« im »Československý časopis historický« veröffentlicht. Hier behandelte Kárný durchaus auch die Verfolgung der Juden und die Pläne zu ihrer Aussiedlung, allerdings nur als ein Teil der deutschen »Kolonisation« Osteuropas, der etwa auch die Polen zum Opfer gefallen seien.84 Inwieweit diese Ausführungen eine obligatorische Anpassung widerspiegeln, ohne die Miroslav Kárný seine Arbeiten nicht hätte publizieren können, soll und kann hier nicht diskutiert werden. Tatsache ist, dass Kárný mit seinen Publikationen jene Sichtweise reproduziert, die er nach 1989 kritisieren wird: nämlich jene, die durch eine Universalisierung und Abstraktion vom Geschehen den Holocaust bagatellisierte und verschleierte.85 Dieser Gefahr begegnete Kárný gewissermaßen, indem er neben diese eher allgemein gehaltenen Studien Aufsätze stellte, in denen er konkrete Teilaspekte der Shoah behandelte. So befasste er sich an unterschiedlichen Stellen mit der Geschichte des Familienlagers in Birkenau oder gab gemeinsam mit dem Germanisten Ludvík Václavek das Tagebuch des damals 15-jährigen Otto Wolf heraus, des Bruders des mehrfach ausgezeichneten Soldaten der tschechoslowakischen Auslandsarmee in der Sowjetunion.86

82 Ebd., 191. 83 Kárný, M[iroslav]: Jak měla postupovat germanizace. In: Hlas revoluce Nr.  6 vom 10.2.1979, 3. 84 Kárný: Generální plán Východ. 85 So etwa in seiner Rede bei der Trauerfeier in Terezín im September 1990: Terezínská tryzna 16.9.1990, Projev M. Kárného, ABT, file no. 497 (Miroslav Kárný). 86 Kárný: Deník Otto Wolfa.

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Andere Autoren setzten die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Leben im Ghetto Theresienstadt fort und arbeiteten dafür oft mit der Gedenkstätte Theresienstadt zusammen. In ihrem Periodikum »Terezínské listy« (Theresienstädter Blätter) finden sich in den 1970er und 1980er Jahren Aufsätze über die künstlerische Tätigkeit von Häftlingen wie Peter Kien, Ilse Weber oder Bedřich Fritta. Unter den Diplomarbeiten, die an tschechoslowakischen Universitäten bearbeitet wurden, findet sich eine Arbeit, die im Jahre 1984 an der Philosophischen Fakultät der Universität Prag eingereicht wurde und die die kulturellen Tätigkeiten und das Theaterleben im Ghetto Theresien­stadt untersuchte.87 Ausstellungen in der Gedenkstätte behandelten unter anderem das musikalische, literarische und dramaturgische Schaffen und die künstlerische Tätigkeit der jugendlichen Gefangenen.88 Otakar Votoček und Zdeňka Kostková übergingen in ihrem reich bebilderten Band zu Theresienstadt, der 1980 anlässlich des 35. Jahrestages des Kriegsendes erschien, keineswegs das Ghetto, benannten die dort Inhaftierten als Juden und berücksichtigten auch unter den Abbildungen das Ghetto.89 Im Rahmen der Gedenkstättenarbeit wurde die Sammlung von Erinnerungen fortgesetzt, die zwar prioritär mit ehemaligen Insassen der Kleinen Festung, aber in einem bedingten Ausmaß auch mit Ghetto-Überlebenden geführt wurden.90 Zeitzeugengespräche wurden organisiert, im Jahre 1981 etwa mit Zdeněk Ornest (einem der Co-Autoren der verhinderten Edition der Ghetto-Zeitschrift »Vedem«), Irma Lauscherová oder Erich Springer, drei ehemaligen Häftlingen des Ghettos.91 Besonders in den 1980er Jahren traten diese selbstbewusster auf. Die Trauerfeiern im Ghetto Theresienstadt erhielten ein größeres Publikum. Die sich selbst so bezeichnenden »Theresienstädter Kinder«  – Juden, die als Kinder im Ghetto Theresienstadt inhaftiert gewesen waren – begannen Treffen zu veranstalten und intensivierten ihre öffentliche Tätigkeit. Der ameri­kanische Filmemacher Dan Weissman verwendete Aufnahmen von den Treffen der »Theresienstädter Kinder« aus dem Jahr 1986 in seinem Film »Terezín Diary«.92 Überhaupt wurde in Theresienstadt der Unterschied zwischen dem internationalen, westeuropäischen und dem tschechischen natio87 88 89 90

J. F.: Nové diplomové práce. In: Věstník 47/10 (1985), 2. Petřík: Mládež v Terezíně. Votoček: Terezín, besonders 100–113. Siehe unter vielen anderen Miroslav Kryl (redakce Terezínské listy) an Hanuš Steiner, 25.5.1981, SOA Litoměřice, PT, Kt. 19. – Miroslav Kryl an Arnošt Klauber, Brno, 28.4.1981, ebd. – J[aroslav] Joza an Petr Broch, 30.6.1982, ebd., Kt. 20. 91 Miroslav Kryl an Arnošt Klauber, Brno, 28.4.1981, ebd., Kt. 19. – Václav Novák: Plnění plánu JSBVO za rok 1981, 7.12.1981, ebd. – Václav Novák (PT) an Erich Springer, Rumburk, 2.3.1981, ebd. – Hlas revoluce Nr. 35 vom 5.9.1981, 5. 92 Terezin Diary, Regie: Dan Weissman, Drehbuch und Vorlage: Zuzana Justman, USA 1989, 88 Min. – Dazu siehe Ivan Vojta (Krátký film) an Vitiska (NVP Praha), 3.9.1986, SOA Litoměřice, PT, Kt. 26. – Jiří Ježek (Krátký film) an Chládková (PT), 28.10.1986, ebd.

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nalen Verständnis zunehmend offensichtlich. Nachdem etwa Anfang 1976 ein schwedisches Filmteam nach Terezín kam und sich ausschließlich für die Geschichte des Ghettos und erhaltene Zeichnungen von jüdischen Malern inte­ ressierte, beschwerte sich die Gedenkstättenleitung über den »völlig einseitigen Charakter«, den dieser Film dadurch erhalten habe.93 Allerdings scheint man sich an die unterschiedlichen Erwartungen gewöhnt zu haben, zumindest sind über die Filmemacher, die in den darauffolgenden Jahren wegen der Geschichte des jüdischen Ghettos nach Theresienstadt kamen – darunter Claude Lanzmann für seinen Film »Shoah« – keine negativen Reaktionen erhalten.94 Stärker als etwa in den Arbeiten Miroslav Kárnýs, die sich um die Analyse der Tätersicht, um die Rekonstruktion der politischen Mechanismen und ideologischen Vorbedingungen der nationalsozialistischen Verbrechen bemühten, erlaubte die Auseinandersetzung mit dem Theresienstädter Alltag und dem Kulturleben eine Annäherung an individuelle Schicksale und die Sicht der jüdischen Opfer. Diese Auseinandersetzung mit der Kultur, dem Alltag und den Kindern im Theresienstädter Ghetto zeigt auch, dass die staatliche Unterdrückung des Holocaust nicht konsequent umgesetzt werden konnte. Denn wurde auf der einen Seite die bereits erwähnte Edition der Jugendzeitung »Vedem« aus dem Ghetto verhindert, so wurde diese dennoch in diversen Publikationen, Zeitungsartikeln und Ausstellungen positiv erwähnt und Gedichte jugendlicher Häftlinge an unterschiedlichen Stellen abgedruckt.95 Der antizionistische Beweggrund für die Marginalisierung des Holocaust verlor mit der Zeit an Bedeutung. Wie Jana Svobodová beobachtete, flaute die Welle des Antizionismus und Antisemitismus der frühen 1970er Jahre langsam ab und verwandelte sich in feststehende Floskeln, denen die Mehrheit der Gesellschaft in den 1980er Jahren schließlich, so Svobodová, mit Skepsis begegnete.96 Ähnliches gilt für das Dogma des hero­ischen Kampfes im 93 Václav Novák (PT) an Kamil Pixa (Krátký film Praha), 11.3.1976, ebd., Kt. 16. – Dazu auch Jaroslav Mašek (FÚV ČSPB) an Václav Novák (PT), 8.4.1976, und Václav Novák (PT) an MK , 15.4.1976, ebd. 94 Josef Skácel (ČST, Telexport) an Václav Novák (PT), 20.3.1979, ebd., Kt. 17. – Věra Wolfová (ČST, Telexport) an Václav Novák (PT), 20.3.1979, ebd. – Václav Novák (PT) an Kessler (OK SKNV), 23.3.1979, ebd. – In Claude Lanzmanns »Un vivant qui passe« aus dem Jahr 1997 sind Aufnahmen aus Terezín, die er offensichtlich 1979 vor Ort durchgeführt hatte, zu sehen. – Zum Dreh eines niederländischen Filmteams siehe weiter Josef Skacel (ČST, Telexport) an Václav Novák (PT), 18.4.1979, SOA Litoměřice, PT, Kt. 17. 95 Zum Beispiel Hachenburg, Hanuš: Co jsem? In: Hlas revoluce Nr. 10 vom 14.3.1981, 6. – em: Děti a fašismus. O jednom z nás. In: ebd. Nr. 19 vom 16.5.1981, 7. – Nedětské vzpomínání. In: ebd. Nr. 42 vom 18.10.1986, 3. 96 Svobodová: Zdroje, 59. – Das soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass antisemi­ tische Stellungnahmen dennoch lange Zeit zu finden sind, etwa das traditionelle Bild der jüdischen »aktiven Germanisatoren« bei Bartoš: Odboj, 22. – Allgemein zur Bedeutung der Sprache, des Diskurses und des sprachlichen Konsenses für den Zusammenhalt im Spätsozialismus siehe Pullmann: Konec experimentu.

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Zweiten Weltkrieg. Während zwar prinzipiell an dieser Sichtweise des tschechischen kommunistischen Widerstandes festgehalten wurde, wurden – ähnlich der Tendenzen in den 1960er Jahren – auch andere Formen von Heroismus anerkannt. So hieß es Ende der 1970er Jahre im Organ des Verbands der antifaschistischen Kämpfer über Kinder in Konzentrationslagern: »Heldentum ist nicht nur etwas Außerordentliches zu vollbringen, sondern auch etwas Außerordentliches auszuhalten.«97 Ein Artikel aus der Wochenendbeilage des Zentralorgans der kommunistischen Partei berichtete Anfang der 1980er Jahre davon, dass im Ghetto Theresienstadt zehntausende »unschuldiger Personen« gelitten hätten.98 Die Ausstellung über das Ghetto, die in der Kleinen Festung Theresienstadt gezeigt wurde und über die dieser Artikel informierte, würde nicht den heldenhaften Widerstand, sondern das alltägliche Leben und Leiden in den Vordergrund stellen. Am zweiseitigen Flyer zur Ausstellung findet sich nur mit dem allerletzten Satz ein Hinweis da­ rauf, dass im Museum auch über die kommunistische Widerstandsbewegung im Lager informiert werde.99 Michal Frankl muss fraglos zugestimmt werden, wenn er das Thema der Theresienstädter Kultur »in gewisser Weise als Ausgleich für die Tabuisierung der Geschichte der ›Endlösung‹« bezeichnete.100 Die Treffen der »Theresienstädter Kinder« verwiesen auf einen Aspekt, der besonders wichtig für die Holocaust-Erinnerung nach 1989 werden sollte: das aufkommende Interesse an der jüdischen Kultur, Geschichte und Religion. Auch bei diesen Fragen ist es wenig sinnvoll, an einer strikten Grenze zwischen »offiziell« und »inoffiziell« festzuhalten. Viele Personen mit jüdischem Familienhintergrund begannen in den 1970er und 1980er Jahren, sich mit ihrer Familiengeschichte und damit mit der Geschichte der Juden auseinanderzusetzen.101 Einige entdeckten erst nach und nach, dass sie jüdische Eltern hatten. Diese persönliche und oft spirituelle Suche war nicht nur in der offiziellen Sphäre wahrzunehmen, sondern zeigte sich etwa auch in den Publikationen der von Jiří Daníček herausgegebenen Samizdat-Reihe »Alef«, die sich Fragen der jüdischen Religion, Literatur und Kultur widmete.102 In inoffiziellen und privaten, aber nicht ausschließlich oppositionellen Kreisen wurde so die Auseinandersetzung mit dem Judentum fortgeführt, die in den 1960er Jahren 97 děti a válka očima psychologa. In: Hlas revoluce Nr. 27 (?), 1978, ABT, Kt. 371 (Zeitungsausschnitte). 98 Terezín – svědek fašistických zločinců. In: haló sobota [1981], ABT, Kt. 371 (Zeitungs­ ausschnitte). 99 Flyer: 40 let od vzniku tzv. ghetta Terezín, o. J. [1981], ABT, Kt. 371 (Zeitungsausschnitte). 100 Frankl: Die »Endlösung der Judenfrage«, 276. 101 Siehe etwa die Geschichte der Sylvie Wittmann in Kaufman: A Hole, hier besonders 232–241 und 279–285. 102 Neben knapp 20 selbständigen Werken wurde seit 1979 das Periodikum Kalendář herausgegeben. Siehe Posset: Česká, 75 f. – Hanáková: Edice, 273 f.

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im Rahmen der Prager jüdischen Gemeinde begonnen worden war. So erin­ nerte sich etwa der damals 30-jährige Karol Sidon, der in den 1990er Jahren tschechischer Oberrabbiner wurde, wie er Mitte der 1970er Jahre mit einer kleinen Gruppe weiterer »Anfänger im Judaismus«103 begann, die Thora zu studieren, Fragen der jüdischen Religion zu diskutieren und Hebräisch zu lernen.104 Während der Schriftsteller und Journalist Sidon als Signatar der »Charta 77« nicht mehr publizieren konnte, polizeilich verfolgt wurde und schließlich 1983 ins Exil ging,105 wurde es Leo Pavlát ermöglicht, in den offiziellen Strukturen zu verbleiben. Der 1950 geborene Pavlát, seit 1994 Leiter des Jüdischen Museums in Prag, war wie Sidon und Daníček Teil dieser kleinen – in den Worten Karol Sidons – »judaisierenden Gruppe«.106 Er beteiligte sich auch an der Übersetzung und Herausgabe von Samizdat-Literatur. Dennoch konnte er seine Anstellung als Redakteur im Verlag Albatros durchgehend von 1975 bis 1990 behalten. Er bemühte sich darum, innerhalb der offiziellen Strukturen der jüdischen Gemeinde eine Änderung herbeizuführen und eine offenere Auseinandersetzung mit dem Judaismus zu ermöglichen.107 Dazu initiierte er auch einen offenen Brief, den er mit 25 weiteren Personen im Januar 1989 an die Gemeindeleitung richtete.108 Die »unabhängige« Geschichte im Samizdat

Die Folgen der politischen Zäsur von 1968/1969 auf die Geschichtsschreibung hätten dazu geführt, so der tschechische Exilhistoriker Karel Bartošek, dass auf offizielle Weise »die Lüge wieder hergestellt« worden sei.109 Der Rückgriff auf traditionelle Interpretationsschemata bekräftigte eine heroische und nationalistische Sicht auf die Vergangenheit. Jene kritischen Tendenzen in der Historiographie der 1960er Jahre, die auf ein differenziertes Bild der tschechischen Geschichte und auf eine Meinungsvielfalt innerhalb der Historikerzunft hinausliefen, wurden größtenteils unterbrochen. Von einem tatsächlichen Aufkommen einer undogmatischen, nicht im Dienste der kommunistischen Ideologie stehenden Zeitgeschichtsschreibung kann folglich erst nach der »Samtenen Revolution« vom November 1989 gesprochen werden.110 103 Sidon: Když umřít, 15. 104 Ebd., 15–17. 105 Zu Karol Sidon siehe etwa -amk- [Mikulášek, Alexej]: Sidon, Karel. In: Mikulášek: Literatura s hvězdou davidovou I, 312–314. 106 Sidon: Když umřít, 16. 107 Siehe etwa -amk- [Mikulášek, Alexej]: Pavlát, Leo. In: Mikulášek: Literatura s hvězdou davidovou II, 143–146. 108 Czechoslovakia: Jewish Legacy and Jewish Present. 109 Bartošek: Historians, 6. 110 So Bartošek: Češi, 105. – Heumos: Probleme. – Schulze Wessel: Zeitgeschichtsschreibung.

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Nicht zuletzt als Reaktion auf diese Wiederherstellung der »Lüge« kam der Geschichte, namentlich der Geschichte des 20.  Jahrhunderts, im tschechoslowakischen Dissens eine wichtige Rolle zu.111 Publikationen zu historischen Themen machten bis zu 20 Prozent der Samizdat-Produktion der Tschechoslowakei aus.112 Geschichte stand auf sehr unterschiedliche Weise im Zentrum der oppositionellen Aufmerksamkeit: als vergessene oder tabuisierte, jedenfalls konkrete Vergangenheit, als politischer Aufruf gegen die Geschichtslosigkeit der »Normalisierung«, das heißt letztlich gegen die gesellschaftliche Lethargie der 1970er und 1980er Jahre, und schließlich als Konstruktion von Kontinuitäten und Anknüpfung an demokratische Traditionen – womit durch die Beantwortung der Frage nach dem »Sinn der tschechischen Geschichte« nicht zuletzt auch dem Heute und Morgen Sinn verliehen werden sollte.113 Geschichte zu betreiben war folglich selten losgelöst von der moralischen und politischen Agenda der Regimekritiker. Der Anteil jener Publikationen, die – mit mehr oder weniger objektivem, ja wissenschaftlichem Anspruch – konkrete Aspekte der tschechoslowakischen Geschichte analysierten, muss daher als relativ gering eingeschätzt werden. Dieser »historische Samizdat« stellte in der Tat einen sehr kleinen Kreis von ungefähr 20 Historikern dar,114 meist in den 1920er oder 1930er Jahren geborene Männer, die in der Nachkriegszeit ihre akademische Ausbildung genossen und bis Ende der 1960er Jahre als Historiker tätig waren. Wie allgemein 111 Der tschechoslowakische Samizdat hat in größerem Ausmaße erst in den letzten Jahren das Interesse von Historikern geweckt. Eine Analyse der Samizdat-Schriften und dissidenten Debatten zu Zweitem Weltkrieg und Holocaust steht noch völlig aus. Allgemeiner zum tschechischen Dissens zuletzt Bolton: Worlds of Dissent.  – Spiritova: Hexen­jagd. – Long: Making History. – Als Bibliographische Hilfsmittel dienten: Hanáková: Edice. – Tschechischer und slowakischer Samisdat. – Minulost a dějiny. – Posset: Česká. – Als weiteres wertvolles bibliographisches Hilfsmittel wurde der digitale Katalog der Samizdat-Bibliothek Libri prohibiti (Prag) herangezogen. Jiří Gruntorád (Libri prohibiti, Prag) und Jitka Hanáková (Československé dokumentační středisko, Prag) unterstützten meine Recherchen mit wichtigen Hinweisen. Die meisten Publikationen des Samizdat wurden in der Bibliothek Libri prohibiti gelesen, in manchen Abschriften differieren Seitenzahlen, manchmal sind die Beiträge unpaginiert oder nur in sich paginiert. Ein Teil der Samizdat-Zeitschriften ist zudem inzwischen elektronisch verfügbar, URL: www.scriptum.cz (10.11.2014). 112 Mezník: Československý, 13.  – Der Samizdat war in größerem Ausmaße ein tschechisches Phänomen, so wie sich auch eine Oppositionsbewegung stärker im tschechischen als im slowakischen Landesteil herausbildete. In der Slowakei hatte die Opposition zudem andere strukturelle Charakteristika, etwa die Nähe zur Kirche. Siehe Pauer: Tschechische Republik, 265. – Tůma: Czechoslovakia. 113 Siehe dazu allgemein vor allem Havelka: Spor. 114 Interview mit Miloš Hájek, Interviewer: Berthold Unfried, 1.11.1989, Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine, Nanterre [weiter BDIC], CD audio 147 (2) [alte Signatur Ka. MG 6.01], Min. 00:44:42. – Interview mit Jan Křen, Interviewer: Berthold Unfried, 3.11.1989, ebd., Min. 00:26:00. – Křen: Deutschland-Forschung, 165.

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die unabhängige Schreibkultur in der Tschechoslowakei nahm auch der historische Samizdat vor allem seit Ende der 1970er Jahre Form an. Meist wird er in direkter Verbindung mit den »Historické studie« (Historische Studien) gesehen, einer unregelmäßig erscheinenden Zeitschrift, die zwischen 1978 und 1989 26 Nummern herausbrachte.115 Viele jener, die sich im Samizdat auf wissenschaftliche Weise mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Protektorat Böhmen und Mähren auseinandersetzten, führten demnach fort, was sie in den 1960er Jahren begonnen hatten und nicht mehr publizieren konnten.116 Dem entsprechen auch die Themen, die im historischen Samizdat bezüglich des Zweiten Weltkriegs auftauchen: das deutsch-tschechische Verhältnis, der nichtkommunistische Widerstand, der Slowakische Nationalaufstand oder die politische Emigration im Westen.117 Die Frage der Judenverfolgung wurde dabei, wie dies schon in den 1960er Jahren der Fall war, nur am Rande berührt. Holocaust und »Vergangenheitsbewältigung« im Dissens

Die Absicht, die durch die politische Zäsur von 1969 abgebrochenen Entwicklungen fortzuführen, ist offensichtlich: Die erwähnte Edition der im Theresienstädter Ghetto entstandenen Jugendzeitung »Vedem« erschien schließlich 1978 im Samizdat,118 eine Ende der 1960er Jahre begonnene Arbeit über Musik im Ghetto Theresienstadt drei Jahre später in der »grauen Zone« zwischen Legalität und Opposition, in der Reihe »Jazzpetit«.119

115 Siehe allgemein zum historischen Samizdat in der Tschechoslowakei etwa Skilling: Samizdat. – Prečan: Historické studie. – Hájek: Jak jsme. – Mezník: Československý. – Prečan: V kradeném čase. – Die Doppelnummer von Kosmas 3–4/2–1 (1984–1985). – Das Themenheft der Bohemia 29/2 (1988). – Acta persecutionis. – Prečan: Acta Creationis. – Independent historiography. 116 Am deutlichsten drückte dies vielleicht Jan Křen aus, als er in Bezug auf den histo­ rischen Samizdat festhielt: »Jeder setzte dort seine vorherige Arbeit fort, zum überwiegenden Teil. […] Wir hatten kein Programm, außer der Fortsetzung der Arbeit, so wie sie sich jeder vorstellte.« Křen: Deutschland-Forschung, 165. 117 Siehe etwa Hruby: Un demi-siècle, 139. – Siehe dazu auch die Interviews mit Jan Křen, Zdeněk Karník, Miloš Hájek, Jaroslav Mezník, Milan Otáhal und Milan Šimečka, durchgeführt Ende Oktober und Anfang November 1989 von Berthold Unfried, BDIC , CD audio 147 (2). 118 Křížková: Je mojí vlastí. – Siehe auch die abgedruckten Auszüge aus dem Buch (inklusive des Gutachtens von Václav Král) in: Svědectví 14/55 (1978), 415–431. 119 Vrkočová: Hudba.  – Siehe dazu auch dies.: Musical life.  – Zur Reihe Jazzpetit siehe Bugge: Normalization.  – Die Leser der Arbeit waren nicht allein in dissidenten Kreisen auszumachen. So empfahl etwa die Theresienstadt-Überlebende Irma Lauscherová dem Leiter der Gedenkstätte Theresienstadt die Studie Vrkočovás. Diese habe sich aller-

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Belletristische Verarbeitungen der Verfolgung und Ermordung der tschechischen und slowakischen Juden oder literarische Werke mit jüdischen Figuren finden sich im Samizdat ebenso wie Memoiren jüdischer Überlebender des Holocaust.120 Teilweise handelte es sich auch hier wiederum um ältere, noch aus den 1960er oder frühen 1970er Jahren stammende Werke. Der Roman des Schriftstellers František R. Kraus »Kat beze stínu« (Henker ohne Schatten) war bereits in den 1960er Jahren verfasst worden, erschien jedoch erst posthum im Jahre 1984 anlässlich des 80. Geburtstags Kraus’ in der Reihe »Jazzpetit«.121 In diesem stellte Kraus die heikle Frage der Passivität der jüdischen Gefangenen, der Verantwortung des Einzelnen, und – über das zentrale Motiv des jüdischen Henkers in Theresienstadt und A ­ uschwitz  – der Mitschuld an den Verbrechen der Nationalsozialisten. Aber auch nichtjüdische Autoren widmeten sich dem Thema: Der auf den Erlebnissen eines Freundes des Autors basierende Roman »Černá paměť stromu« (Schwarzes Gedächtnis des Baumes) des in Ungnade gefallenen kommunistischen Schriftstellers Lumír Čivrný beschrieb die Flucht eines jüdischen Arztes aus einem Theresienstädter Transport nach Polen und den darauf folgenden Kampf ums Überleben. Er war 1970 bereits druckfertig gewesen, konnte jedoch nicht mehr veröffentlicht werden und kam 1974 in einer Samizdat-Version heraus.122 Genauso war das Radiostück »Popis pohřbívání mýdla a kostní moučky« (Die Schilderung der Beerdigung von Seife und Knochenmehl) von Zdeněk Rotrekl 1970 noch für den Brünner Rundfunk geschrieben worden, konnte jedoch nicht mehr umgesetzt werden und war schließlich 1983 in der Samizdat-Zeitschrift »Obsah« (Inhalt) nachzulesen.123 dings, so Václav Novák, bereits in der Bibliothek befunden. Irma Lauscherová an [­ Václav Novák (PT)], 20.9.1982, und Václav Novák an Irma Lauscherová, 23.9.1982, SOA Lito­ měřice, PT, Kt. 20. 120 Siehe etwa die bereits 1971 niedergeschriebenen Erinnerungen von Anna KovanicováHyndráková, die dann Ende der 1980er Jahre erschienen: Kovanicová-Hyndráková: -­ Dopis dětem. 121 Kraus: Kat beze stínu (Jazzpetit 23). Dieser Roman wurde neu aufgelegt, mit einem Vorwort von Arnošt Lustig, in der Edice Žaluji (Bd. 3) bei Bystrov a synové, Praha 2000. – Über das Werk siehe ebd., 125–127. – Zum Autor siehe auch Sto let Františka R. Krause. In: Roš Chodeš, listopad 2003, URL: http://www.holocaust.cz/cz2/resources/ros_chodes/ 2003/11/kraus_zivot (am 29.6.2012). 122 Čivrný: Černá paměť. Das Buch erschien zunächst als Samizdat 1974 in der Edice ­Petlice, dann in einer weiteren Samizdat-Ausgabe 1989 in der Krameriova expedice. – Siehe auch die Erinnerungen des Jindřich Urban, auf dessen Erlebnissen Čivrnýs Roman basiert: Urban, Jindřich: Útěk. In: Židovská ročenka 5759 (1998/1999), URL: http:// www.holocaust.cz/cz/resources/rocenka/recollections/urban (am 23.10.2012). – Balajka, Bohuš: Paměť proti strachu. In: Tvar 2/48 (1991), 15. 123 Rotrekl, Zdeněk: Popis pohřbívání mýdla a kostní moučky. In: Obsah (1983), o. S. – Siehe dazu kurz Med, Jaroslav: Zdeněk Rotrekl. In: Slovník české literatury po roce 1945, URL: http://www.slovnikceskeliteratury.cz/showContent.jsp?docId=1107 (am 23.10.2012).

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Andere literarische und autobiographische Bearbeitungen der nationalsozialistischen Judenverfolgung entstanden im Laufe der 1970er und 1980er Jahre, etwa Ivan Klímas »Moje první lásky« (Meine ersten Lieben)124 oder die Erinnerungen von Věra Hájková-Duxová.125 Zudem erschienen Biographien und biographische Beiträge zu jüdischen Persönlichkeiten, in denen der jüdische Familienhintergrund, die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus und oft auch der Umgang mit dem Holocaust in der kommunistischen Tschechoslowakei in der einen oder anderen Form präsent waren. So etwa in der Biographie des Journalisten und Literaturwissenschaftlers František Kautman über den tschechisch-jüdischen Schriftsteller Egon Hostovský126 oder in Slávka (Jaroslava) Vondráčkovás Erinnerungen an ihren Freund Jiří Weil, der sich nach dem Krieg nicht nur als Autor, sondern auch als Mitarbeiter des Staatlichen Jüdischen Museums in Prag der Frage des Holocaust gewidmet hatte.127 Wodurch zeichnen sich diese Werke nun aus? Wodurch unterscheiden sie sich von den offiziellen Publikationen? Františka Faktorová, eine tschechische Jüdin, die die Lager Theresienstadt, ­Auschwitz und Christianstadt überlebt hatte, begründete ihre Motivation, die eigenen Erfahrungen niederzuschreiben mit dem Unbehagen an den »offiziellen« Erzählungen. Sie habe nach dem Kriegsende nie ernsthaft versucht, über das Leben im Konzentrationslager zu sprechen oder zu schreiben: Später lieferten andere die Erklärung. Ich begann, ihre Bücher zu lesen. Sie logen und gleichzeitig logen sie nicht. Man kann nicht ihr Bemühen anzweifeln, die Wahrheit zu erzählen, die Fakten waren korrekt – wieso habe ich dann das Gefühl, dass sie ­lügen?128

Dieses Gefühl der Lüge war wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Interpretationen des Zweiten Weltkriegs von einem antifaschistischen Universalismus gekennzeichnet waren, in dem die einzelnen Opfer spurlos  – und unterschiedslos  – verschwanden. Dem stellten manche ihre ganz persönliche Geschichte, ihre subjektive Version des Erlebten entgegen: Der Schriftsteller Ivan Klíma etwa widmet sich in seiner autobiographischen Erzählung »Miriam« dem Leben im Theresienstädter Ghetto. Dabei stehen die persönlichen Gefühle, die Ängste und egozentrischen Wünsche des Helden 124 Klíma: Meine ersten Lieben. Als Moje první lásky im Samizdat zunächst 1981 als Band 230 der Edice Petlice. 125 Hájková-Duxová: Takový. – Siehe ferner die Erinnerungen von Faktorová-Schornsteinová: Laughter. – Kaufmannová, Heda: Léta 1938–1945. Válečné vzpomínky [2 Teile]. In: Historické studie 20 (leden 1987), 68–136, und 22 (leden 1988), 132–186. 126 Kautman: Polarita. Im Jahre 1993 erschien das Werk bei Evropský kulturní klub (Praha). 127 Vondráčková: Mrazilo – tálo, darin 69–81 zu den Kriegsjahren. 128 Faktorová-Schornsteinová: Laughter, 205.

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und Erzählers der Geschichte sowie seine Liebesbeziehung zu Miriam im Mittelpunkt, während die tragische Geschichte des jüdischen Ghettos und schließlich selbst die Deportationen aus Theresienstadt zur bloßen Kulisse verblassen.129 Ähnlich sind die Erinnerungen Anna Kovanicová-Hyndrákovás gehalten, die sie Anfang der 1970er Jahre in Form eines Briefes an ihre beiden Kinder verfasst hatte und die Ende der 1980er Jahre im Samizdat zirkulierten.130 Sie berichtet von ihren Erlebnissen, ohne den Zweiten Weltkrieg und die Verfolgung der Juden in jedwede ideologische Erklärungsmuster einzubetten. Der allgemeine Kontext wird kaum verdeutlicht, wichtig erscheinen allein Kovanicová-Hyndrákovás persönliche Erfahrungen und Gefühle. Wir lesen von ihrem konkreten Umfeld, von ihrer Familie und besonders von ihren persönlichen Freundschaften, von den zahlreichen fröhlichen Momenten, die neben den tragischen Erfahrungen existierten.131 Den ideologischen Schemata, denen viele Dissidenten vorwarfen, »tote Geschichte« zu produzieren, stellten die Autoren die »lebendige ›Unordentlichkeit‹ der Geschichte«132 in Form konkreter Lebensgeschichten entgegen. Anstelle einer linearen und teleologischen Geschichtserzählung präsentierten sie die »Unordnung« und das »Chaos« der Vergangenheit.133 Indem das Individuum ins Zentrum gestellt wurde, indem das konkrete und subjektive Erleben Einzelner im Vordergrund stand, wurde die offizielle Auffassung von Geschichte konterkariert. Denn diese versuche, so etwa Václav Havel, eine unnatürliche Ordnung und dadurch Linearität und Vorhersehbarkeit einzuführen. Dies bedeute jedoch eine »Ordnung ohne Leben«, in welcher »jede Eigenart ab[ge]tötet« werde134 und in der die »Einzigartikeit des Menschengeschöpfs […] zur bloßen Ausschmückung der historischen Gesetze« verkomme.135 Neben der Hervorhebung des Individuums in der Geschichte ist ein weiteres Charakteristikum dieser Texte wesentlich: Wir finden nicht das übliche Schwarz-Weiß-Bild von Deutschen und Tschechen, so wie überhaupt die nationalsozialistischen Deutschen meist nur auftauchen, wenn es um konkrete Personen, um ein konkretes Aufeinandertreffen mit ihnen geht. Anna Kova129 Klíma: Meine ersten Lieben, 7–23. 130 Kovanicová-Hyndráková: Dopis dětem. 131 Siehe dazu auch Faktorovás Erinnerungen, die von der unendlichen Kraft berichten, die das Lachen, vor allem das Lachen ihrer Mutter, bedeutete, selbst oder gerade in Anbetracht des Aufenthalts im Konzentrationslager. Faktorová-Schornsteinová: Laughter. 132 Havel: Ereignis und Totalität, 182. – Kusý: On the Purity, besonders 32. 133 Siehe dazu die allgemeinen Überlegungen etwa bei Havel: Offener Brief. – Ders.: Ereignis und Totalität. 134 Ders.: Offener Brief, 65. 135 Ders.: Ereignis und Totalität, 184.

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nicová-Hyndráková etwa erzählt vom alltäglichen Antisemitismus am Anfang des Krieges; ihre Gegenüber sind jedoch oft Tschechen. Und dies nicht nur während des Krieges, sondern auch danach: Die Schilderung ihrer Rückkehr nach Prag, wo sie abweisend empfangen wurde, wo ihr niemand der alten Bekannten das bei ihnen verwahrte Familieneigentum zurückzugeben gewillt ist und wo sie häufig auf Abwehr und Lügen stößt, lässt die Tschechen in keinem positiven Bild erscheinen.136 In der Belletristik und in autobiographischen Werken war es den Autoren möglich, ein komplexes Bild der historischen Realität – und der in ihr agierenden Individuen – wiederzugeben, das notwendigerweise der antifaschistischen Meistererzählung widersprach. Die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus, teils verbunden mit jener in der Nachkriegszeit, war ein Thema in Belletristik und Memoirenliteratur des tschechoslowakischen Samizdat. Das Bild ändert sich allerdings, wenn man die geschichtswissenschaftlichen Texte betrachtet. Originäre Studien zur Erforschung und Analyse des Holocaust sucht man hier vergeblich. Doch das zunehmende Interesse an ihm – wiewohl oft nur als Randthema – wird auch in essayistischen und wissenschaftlichen Texten evident: durch Übersetzungen, durch Besprechungen von ausländischer Literatur, Texte über Entwicklungen im Ausland und schließlich Debatten um eine angemessene Erinnerung an den Holocaust und das jüdische Erbe in der Tschechoslowakei selbst. Die Themen der nationalsozialistischen Judenverfolgung und der Erinnerung an den Holocaust sind im historischen Samizdat, in Essays, in politischen Berichten und Beobachtungen in allererster Linie präsent in der Übersetzung ausländischer Werke und in Besprechungen internationaler Literatur. Das Buch zu Claude Lanzmanns Film »Shoah«, mit einem Vorwort von Simone de Beauvoir, zirkulierte im tschechischen Samizdat drei Jahre nach der französischen Erstausgabe.137 Hannah Arendts »Eichmann in Jerusalem« 136 Siehe dazu auch die Tagebuchaufzeichnungen von Leo Herrmann von seiner Reise nach Prag im Herbst 1945. Er hielt darin antisemitische Stimmungen in der Bevölerung und die Pogrome in der Slowakei nach Kriegsende fest. Diese Aufzeichnungen wurden von Peter Heumos im Jahre 1986 herausgegeben (Heumos: Rückkehr ins Nichts), dann aber ins Tschechische übersetzt und in der Samizdat-Zeitschrift »Střední Evropa« verbreitet: Heumos, Peter: Návrat do nicoty [3 Teile]. In: Střední Evropa 9 (listopad 1987), 118–130, 10 (únor 1988), 100–122, und 11 (červenec 1988), 97–113. 137 Lanzmann: Shoah.  – Das Vorwort von Simone de Beauvoir wurde bereits zuvor in einer Samizdat-Zeitschrift abgedruckt, und zwar mit einer kurzen Einleitung zum Begriff Shoah und zu Lanzmanns Film. De Beauvoir, Simone: Paměť hrůzy. In: Kritický ­sborník 7/2 (1987), 46–50. – Eine Ankündigung der Samizdat-Ausgabe von Lanzmanns Shoah erschien weiter in Kritický sborník 9/2 (1989), vi des Anhangs »knižní zpravodaj«. – Siehe auch die aus The New York Review of Books (19.12.1985) übernommene Besprechung: Ash, Timothy Garton: Život smrti. In: Střední Evropa 11 (červenec 1988), 114–131.

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wurde für den Samizdat übersetzt.138 Und Hanna Kralls literarische Annäherung an Marek Edelman und seinen Kampf im Ghetto von Warschau, »Dem Herrgott zuvorkommen« (tschechisch: »Stihnout to před Bohem«), erschien in der »Underground«-Zeitschrift »Revolver Revue«.139 Ein großer Teil der Artikel mit Bezug auf den Holocaust wurde aus westeuropäischen und amerikanischen Publikationen übernommen oder bezieht sich auf Entwicklungen im Ausland. Sie erschienen etwa in den »Histo­rické studie«, in der »Revolver Revue«, die sich vor allem an ein jüngeres Publikum wandte, oder in der dem katholischen Milieu nahe stehenden Zeitschrift »Střední Evropa« (Mitteleuropa). In Letzterer wurde 1987 sogar eine eigene Rubrik eingeführt: »Zecher« (Zachor), hebräisch für Erinnern, Gedenken. Durch die hier veröffentlichten Texte, von international renommierten Intellektuellen wie George Steiner, Elie Wiesel oder Alain Finkielkraut,140 er­ fuhren die Leser in der Tschechoslowakei vom deutschen Historikerstreit,141 aktuellen Debatten in der internationalen Holocaust-Forschung,142 weltweiten Erscheinungsformen des Antisemitismus,143 den Kontroversen um die Gedenkstätte A ­ uschwitz und die polnisch-jüdischen Beziehungen144 oder von 138 Arendtová: Eichmann. – Auszüge daraus wurden publiziert in: Revolver Revue 9 (1988), 10 (1988) und 11 (1988). – Das Buch wurde für die Aufnahme in die »Edice Expedice« vorbereitet, wozu es letztlich jedoch, offenbar wegen einer mangelhaften Übersetzung, nicht kam. (Auskunft von Jiří Gruntorád an den Autor, E-Mail vom 25.8.2011). – Siehe dazu auch den Hinweis in der tschechischen Samizdat-Ausgabe, dass es sich um eine vorläufige Übersetzung handle und dass eine neue Übersetzung vorbereitet werde. 139 Krall, Hanna: Stihnout to před panem bohem [2 Teile]. In: Revolver Revue 9 (1988), o. S., und 10 (1989), o. S. – Siehe dazu auch die Ankündigung in Lidové noviny [1]/10 (1988), 17. 140 Steiner, George: Dlouhý život metafory (jeden z pohledů na šoah). In: Střední Evropa 8 (červenec 1987), 76–93.  – Ders.: Falešný zázrak. In: Revolver Revue 12 (1989), o. S.  – Wiesel, Elie: Babij Jar: 1941–1981. In: Střední Evropa 9 (listopad 1987), 131–134. – Zpěv -­ ticha. (Rozhovor s Elie Wieselem) und Wiesel, Elie: Proč pišu [und weitere sieben Texte]. In: Pražské komunikace II (1987), 66–94. – Ders.: Svítání. In: Revolver Revue 13 (1989), o. S. – Ders: Dva dialogy. In: Kalendář (1989), 82–87. – Finkielkraut, Alain: Noc idyly. In: Střední Evropa 13 (červenec 1989), 83–89. – Ders.: »Jménem všech našich mrtvých…«. In: Revolver Revue 10 (1989), o. S. 141 Křen: Zpráva. 142 Hilberg, Raul / Söllner, Alfons: Prolomit mlčení. O kontinuitě a diskontinuitě ve výzkumu holocaustu. In: Střední Evropa 12 (leden 1989), 133–149. 143 Siehe etwa die Artikel über die Sowjetunion und den »jüdischen Staat« in Birobidžan: Solfer [Soifer], Valerij: Zachraňte Rusko! Bijte Židy! In: Revolver Revue 10 (1988), o. S. – Sabat, Marian: Ráj na Sibiři. In: ebd. 8 (1987), o. S. – Oder einen Artikel über antisemi­ tische Radiosendungen während des Zweiten Weltkriegs in Italien: Carpenter, Humphrey: Hovoří Ole Ezra. In: ebd. 12 (1989), o. S. 144 Konwicki, Tadeusz: Kterou cestou. In: Revolver Revue 7 (1987), o. S.  – Smolar, Aleksander: Tabu a nevinnost. In: Revolver Revue 8 (1987), o. S. – Wisseová, Ruth R.: Polští žídovští duchové. (Židé v Polsku: památky a stopy). In: Střední Evropa 10 (únor 1988), 123–143. – Steg, Ady: Snažte se porozumět… In: ebd., 144–149.

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der umstrittenen Rede des Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger anlässlich des 50. Jahrestages der Novemberpogrome von 1938.145 Diese ausländischen Beiträge und Besprechungen internationaler Literatur146 lieferten jedoch nicht nur Informationen, die man sonst in der Tschechoslowakei kaum erhielt, sondern sensibilisierten die Leser für die Debatten um die Zentralität und Singularität des Holocaust – dessen Bezeichnung, wie bereits festgehalten wurde, oft gerade über diese Texte in der tschechoslowakischen Leserschaft verbreitet wurde. Ja, die Begriffe »Holocaust« und »Shoah«, die, weil sie die universalistische Interpretation des Krieges konterkarierten, im offiziellen Geschichtsverständnis keinen Platz hatten, wurden – anfangs noch etwas unsicher und künstlich wirkend147 – in erster Linie durch die unabhängigen Kreise der tschechoslowakischen Gesellschaft eingeführt und setzten sich bis zum Ende der kommunistischen Herrschaft in den Texten des Samizdat weitgehend durch. Der Anspruch, die jüdischen Opfer sichtbar zu machen, wurde zudem dadurch unterstrichen, dass entgegen den Regeln der offiziellen Rechtschreibung und entgegen den Gewohnheiten in der kommunistischen Tschechoslowakei das Wort Jude (žid) 145 Siehe dazu folgende Beiträge in Střední Evropa 13 (červenec 1989), 90–108, die ursprünglich in Die Zeit vom 18.11.1988 veröffentlicht wurden: [Jenninger, Philipp:] O ­odpovědnost za minulost, 90–101.  – Jens, Walter: Vzrušená slova o nevzrušené řeči. Jak by musel Philipp Jenninger mluvit, 102–105. – Bertram, Christoph: Důstojná vzpomínka, 106–107. – V. K. [Příhoda, Petr]: Poznámka překladatele, 108. 146 Unter den Rezensionen findet sich etwa eine über das Buch des tschechischen Exil­ historikers und A ­ uschwitz-Überlebenden Erich Kulka, das vom Anteil der tschechoslowakischen Juden am Widerstand gegen den Nationalsozialismus handelt. D. P.: Židovský příspěvek k československému boji za svobodu. In: Historické studie 9 (leden 1982), 212–215. – Für weitere Rezensionen siehe etwa: J. K. [Sládek, Zdeněk]: Sebastian Haffner: Anmerkungen zu Hitler. Západoněmecký bestseller o Hitlerovi. In: Historické studie 5 (červen 1980), 184–191. – Bouda, M.: »Jak si stojíš se Židy, FDR (= Franklin Delano Roosevelt)?« [Rezension zu David S. Wyman: Das unerwünschte Volk: Amerika und die Vernichtung der europäischen Juden (1986)]. In: Historické studie 12/25 (červen 1989), 132–140. – Andere Rezensionen wurden aus ausländischen Zeitschriften übernommen, etwa: Ascherson, Neal: Lékaři smrti [Rezension aus The New York Review of Books, 28.5.1987]. In: Revolver Revue 9 (1988), o. S. – Gilbert, Martin: Hrůzostrašný podvod. Kronika židovského ghetta v Lodži /1941–1944/ [Rezension aus The New York Review of Books, 27.9.1984]. In: Revolver Revue 7 (1987), o. S. 147 So findet sich etwa »šoachu« als Genitiv und Dativ von »Shoah« oder »The Holocaust«, als ob es sich um einen unübersetzbaren Buch- oder Filmtitel handle. Besançon, Alain: Úvahy o moderních dějinách židovského národa. In: Pražské komunikace II (1987), ­55–65, hier 55 und 62. – Vgl. dazu das Original: Ders.: Note sur l’histoire moderne du peuple juif. In: Commentaire 9/34 (1986), 205–212, hier 205 und 211. – Miłosz, Czesław: Z přednášky v Stockholmu při přejímání Nobelovy ceny 1980. In: Fórum (červenec 1981), 6–11, hier 8. – Vgl. dazu die englische Version der Nobelpreisrede Miłosz’, URL: http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/literature/laureates/1980/milosz-lecture.html (am 29.6.2012).

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in einem Großteil der Texte im Samizdat mit Majuskel (Žid)  geschrieben wurde.148 Ähnlich der Grundausrichtung der Mehrzahl dieser ausländischen Texte, die weniger die konkrete Geschichte der Verfolgung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus beschrieben, als vielmehr deren Bedeutung für die Nachwelt, näherten sich auch die Beiträge von tschechischen und slowakischen Autoren dem Holocaust in einer primär moralischen und politischen Weise. Sie beleuchteten eher den Umgang mit der Ermordung der europäischen Juden nach 1945 als konkret die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung. Historische Untersuchungen und auf Primärquellen basierende geschichtswissenschaftliche Studien behandelten den Holocaust  – wenn überhaupt  – nur als Randthema. Dieser Befund trifft im Großen und Ganzen auch auf die tschechoslowakischen Exilpublikationen zu. So meinte Ivan Pfaff zu den Studien über die moderne tschechische Geschichte im Exil, dass es für Exilhistoriker wie für Dissidenten »keine tabuisierten Probleme, keine heiklen Fragen« gebe. Genauso hielt er fest, dass die Exilhistoriker »[e]in besonderes Augenmerk […] auf die Zeit des Zweiten Weltkrieges« gerichtet hätten. Die Frage der Verfolgung und Ermordung der Juden taucht hier allerdings nicht auf – und zwar auch nicht als Desiderat.149 Immer wieder auf die Verfolgung der tschechischen Juden geht der dissidente Historiker Jiří Doležal in seiner Studie zur nationalsozialistischen Kulturpolitik im Protektorat ein. In seiner kritischen Analyse der Tätigkeit der tschechischen Kulturschaffenden während des Zweiten Weltkriegs hielt Doležal sogar fest, dass eine Stellungnahme zur Verfolgung der Juden, eine Kritik des nationalsozialistischen Antisemitismus von Seiten der tschechischen Gebildeten ausblieb, und dies selbst als die Deportationen der Juden nach Theresienstadt einsetzten.150 Genauso widmete der Journalist und Pu-

148 Die Großschreibung bedeutet, den Regeln der Rechtschreibung zufolge, die Auffassung der Juden als Nation, die Kleinschreibung hingegen jene als religiöse Gemeinschaft. Auch in diesem Punkt griff man auf die 1960er Jahre zurück, in welchen vermehrt die Großschreibung des Wortes Jude (Žid)  anzutreffen war. Siehe unter vielen anderen etwa To oni zachránili svět. In: Hlas revoluce Nr. 21 vom 4.11.1960, 3. – MKI: Materiál pro kolegium ministra: Návrh vládního usnesení na řešení stavu a činnosti Památníku Terezín, 16.3.1967, SOA Litoměřice, PT, Kt. 10. – Miroslav Pávek: [Ausschreibung des architektonischen Wettbewerbs zur Umgestaltung der Gedenkstätte Theresienstadt], o. J. [Januar 1968], ebd., Kt. 11. 149 Pfaff: Die moderne. 150 Doležal, Jiří: Vztah nacistů k české kultuře. In: Historické studie 4 (podzim 1979), 3–57, hier besonders 53. – Eine gekürzte Übersetzung des Beitrags findet sich als: Ders.: Das Verhältnis der Nationalsozialisten zur tschechischen Kultur. (Kurze Zusammenfassung). In: Prečan: Acta Creationis, 153–164.

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blizist Dušan Hamšík in seiner Biographie über Heinrich Himmler ein ganzes Kapitel Himmlers Tätigkeit als »Liquidator der Juden«.151 In dieser Studie, die zunächst im Samizdat erschien, 1986 jedoch auch offiziell publiziert wurde, ging Hamšík nicht allein auf die Rolle Himmlers und der ihm unterstehenden SS bei der Ermordung der Juden ein, sondern schilderte – aus der Perspektive der Täter – die Genese der »Endlösung der Judenfrage« von der beginnenden Diskriminierung der Juden über die Politik der erzwungenen Auswanderung bis hin zu ihrer Ermordung in den Vernichtungslagern.152 Die meisten Texte, die im historischen Samizdat zur nationalsozialistischen Judenverfolgung erschienen, behandeln den Umgang mit dem Holocaust nach 1945, kritisieren die staatliche und gesellschaftliche Ignoranz gegenüber diesem  – ihrer Meinung nach  – integralen Teil  der tschechischen und slowakischen Geschichte. Meist wurde diese Kritik an der mangelnden Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Verbindung gebracht mit der gesellschaftlichen Marginalisierung und staatlichen Unterdrückung jüdischer Themen im Allgemeinen sowie mit der Kritik am fortlebenden tschechischen Nationalismus und Antisemitismus. Tomáš Pěkný, der Autor eines bibliographischen Artikels über die Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren von Anfang 1989, bemängelte die fehlende Historiographie zur jüdischen Geschichte und Kultur und kommt zu dem Schluss, dass in der Tschechoslowakei die absolute Mehrheit selbst der gebildeten Menschen nur geringe und deutlich verzerrte Kenntnisse über die jüdische Geschichte in Böhmen und Mähren habe.153 Er stellte dem selbst eine Arbeit entgegen, die – kurz vor dem Zusammenbruch des kommunis­ tischen Regimes – einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren geben sollte.154 Wenige Monate vor ihm hatte der Exil­slowake Yeshayahu A. Jelinek für das von Oppositionellen in Prag orga­ni­ sierte internationale Symposium »Československo 88« (Tschechoslowakei 88) einen Beitrag über das 70-jährige Zusammenleben von Tschechen, Slowaken und Juden in der Tschechoslowakei vorbereitet.155 Er zeigte dabei, dass es 151 Hamšík: Život a dílo, Bd. 2, 4–100. 152 Hamšíks Buch erschien offiziell in einer Auflage von 50.000 Stück. Hamšík: Druhý muž, hier 214–269. 153 fw [Pěkný]: Poznámka. 154 Pěkný: Přehled. Diese Arbeit stellte den letzten Band der Samizdat-Reihe Alef dar und legte die Grundlagen für Pěknýs Synthese der Geschichte der tschechischen Juden. Siehe Pěkný: Historie Židů, 661 f. 155 Die Abhaltung dieses Symposiums, an dem neben prominenten Dissidenten zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Ausland teilnehmen sollten, wurde von der tschecho­ slowakischen Staatssicherheit zu unterbinden versucht. Wegen dieses repressiven Vorgehens und zahlreicher Verhaftungen musste das Symposium in improvisierter Form in private Wohnungen verlegt werden; ein Parallel-Symposium fand zudem in Wien statt. Die Konferenz und vor allem die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Durchkreu-

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antisemitische Stimmungen in allen Zeitabschnitten von 1918 bis 1988 gegeben hatte und stellte das Bild der tschechischen Solidarität mit den Juden in Frage, indem er darauf hinwies, dass die Bevölkerung des Protektorats Böhmen und Mähren – in absoluten wie relativen Zahlen – weniger Juden versteckt und gerettet habe als die Bevölkerung des Deutschen Reiches. Auch in der Nachkriegszeit seien antisemitische Erscheinungen in der Tschechoslowakei anzutreffen gewesen, beginnend beim distanzierten bis feindlichen Empfang der überlebenden Juden in ihren Heimatorten. Dies sowie der schließlich vom kommunistischen Staat geförderte Antisemitismus und Antizionismus hätten sich, so Jelinek weiter, wesentlich auf die Auseinandersetzung mit der jüdischen Geschichte und damit auch mit der Geschichte des Holocaust ausgewirkt, über die man in der tschechoslowakischen Gesellschaft nur sehr wenig wisse.156 Der tschechische Philosoph Milan Šimečka fragte in seinem Aufsatz »Původ nejistoty« (Der Ursprung der Unsicherheit) schließlich nach den Ursachen der »Tabuisierung« jüdischer Themen in der Nachkriegstschechoslowakei und sah diese nicht allein in der Politik des sozialistischen Staates, sondern vor allem in gesellschaftlichen Einstellungen begründet, in der Ignoranz und Indifferenz gegenüber den Juden und ihrem Schicksal während des Zweiten Weltkriegs. Šimečka sprach daher von einem doppelten Tabu in der tschechoslowakischen Nachkriegsgesellschaft: »Das Tabu der Scham vermischte sich mit dem offiziellen Tabu«.157 Ähnlich bezeichnete auch der Historiker Jan Křen in seinem Beitrag zur Geschichtsschreibung in der Tschechoslowakei die Abwesenheit der Juden in der Historiographie und somit die ihnen gegenüber an den Tag gelegte Gleichgültigkeit  – was keineswegs allein das »Werk politischer Manipulation« sei – als »Nationalismus (und Antisemitismus)«.158 Křen zufolge würde das Außerachtlassen der jüdischen Minderheit das nationale tschechische Geschichtsbild verzerren. Ohne Berücksichtigung der Juden und des tsche-

zung fanden im In- und Ausland ein großes Echo. Zum Symposium siehe etwa: -ur-: Zpráva o sympóziu. In: Lidové noviny [1]/10 (1988), 4.  – R: Pyrrhovo vítězství. In: ebd. [1]/11 (1988), 8. – Permanentní sympózium. In: ebd. [1]/12 (1988), 4 f. – Štern, Jan: Kauza Československo. In: Ze zásuvky i z bloku, Nr. 19 (prosinec 1988). – Laird, Sally: Prague Autumn. In: Index on Censorship 18/1 (1989), 26–30. – Kyncl, Karel: In Vienna. In: ebd., 30. 156 Jelinek, Yeshayahu A.: Česi, Slováci a Židia: sedemdesiat rokov spolužitia a konfrontácií. In: Československo 88, 28–31. 157 Šimečka: Původ nejistoty, 31. – Wie wenig bekannt die Publikationen im Samizdat sind, wird etwa auch dadurch deutlich, dass Jana Svobodová in ihrer Studie über Formen des Antisemitismus in der kommunistischen Tschechoslowakei übersah, dass Šimečkas Artikel bereits vor der Wende im Samizdat erschienen war. Svobodová: Zdroje, 67. 158 Křen: Bílá místa, 82 f. Das Buch wurde noch vor der politischen Wende von 1989 geschrieben und war ursprünglich für eine Veröffentlichung im Samizdat vorgesehen.

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chischen Antisemitismus sei die tschechische Geschichte unvollständig und verfälscht.159 Diese in Texten des Samizdat erhobene Kritik an der ausbleibenden Beschäftigung mit der Geschichte der Juden und des Holocaust ging mehr oder weniger explizit einher mit Forderungen einer »Vergangenheitsbewältigung«, wie sie etwa Milan Šimečka – den deutschen Begriff verwendend – in dem bereits zitierten Aufsatz von Anfang 1989 stellte: Nach vierzig Jahren der Tabuisierung aller schwierigen Probleme befinden wir uns in der Situation von Kindern, die nicht ordentlich sprechen lernten und sich nur stammelnd die freie Welt aneignen, in die wir, wie wir stark hoffen, in Osteuropa gestoßen werden.160

Auf ähnliche Weise ging auch der dissidente Historiker Jan Křen von westdeutschen Entwicklungen aus: Nach seiner Darstellung des Historikerstreits vergaß er nicht auf die Abwesenheit entsprechender Debatten in der Tschechoslowakei hinzuweisen. Er fragte danach, wann der Begriff und somit das Thema »Holocaust« auch in der tschechoslowakischen Geschichtsschreibung eingeführt werde.161 Bereits einige Jahre zuvor hatte er betont, dass die »jüdische Frage« und der Antisemitismus eine »große zivile und wissenschaftliche Verpflichtung [dluh]162 unserer Historiographie« seien.163 Dadurch ähneln diese Beiträge gewissermaßen primär politischen Texten wie jenem eingangs zitierten »Charta 77«-Dokument über die Tragödie der Juden in der tschechoslowakischen Nachkriegsrealität vom April 1989. In diesem wurden nicht nur die Unterdrückung der Erinnerung an den – als solchen bezeichneten – Holocaust sowie die Absenz der Juden und der jüdischen Opfer des Zweiten Weltkrieges in der Geschichtsschreibung, im Schulunterricht und somit im öffentlichen Bewusstsein angeprangert, sondern allgemein der politisch motivierte Antisemitismus. Dieser habe auch katastrophale Auswirkungen auf die jüdischen Denkmäler in der Tschechoslowakei und nicht zuletzt auf das religiöse und kulturelle Leben der jüdischen Gemeinden.164 Noch vor dem Dokument der »Charta 77«, nämlich Ende 1987, erschien ein Aufruf slowakischer Dissidenten anlässlich des 45. Jahrestags des Be159 Křen: O Kafkovi, hier besonders 139 f.  – Genauso meinte Tomáš Pěkný, unter dem Pseudonym fw schreibend, dass für die Tschechen das fehlende Wissen über die Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern einen »Verlust eines Teils der eigenen Geschichte« darstelle. fw [Pěkný]: Poznámka, 179. 160 Šimečka: Původ nejistoty, 33. 161 Křen: Zpráva, 126. 162 Anders als etwa »povinnost« (Pflicht, Verpflichtung) beinhaltet das tschechische Wort »dluh« bzw. »dluhy« (Schuld, Verpflichtung) auch den Aspekt der Schuld. 163 Křen: O Kafkovi, 142. 164 Tragédie Židů v čs. poválečné skutečnosti, 5.4.1989. In: Císařovská: Charta 77, 1103–1106.

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ginns der Deportationen slowakischer Juden. Hierin wurde darauf hingewiesen, dass die Deportationen und weitere antijüdische Bestimmungen »in slowakischer Hand« gewesen seien. Die Unterzeichner der Proklamation verurteilten diese Verbrechen nicht nur, sondern baten für sie bei »allen lebenden Angehörigen der Opfer dieser Bestialität sowie bei allen Angehörigen ihrer Nation« um Vergebung (odprosiť). Auch in dieser Stellungnahme wurde der Bezug zur Gegenwart klar gemacht: Die Unterzeichner kritisierten, dass kein Verantwortlicher bislang zur Verfolgung und Ermordung der slowakischen Juden Stellung genommen hätte und dass die Slowakei kein würdevolles Mahnmal besitze, das an »diese größte aller kollektiven Tragödien in unserer Geschichte« erinnere. Zudem seien Synagogen und jüdische Friedhöfe in einem erbärmlichen Zustand und verschwänden allmählich.165 Ein ähnlicher Anlass, der 47. Jahrestag des Beginns der Deportationen der Juden aus dem Protektorat Böhmen und Mähren, brachte die Journalistin und Dissidentin Olga Šulcová dazu, im November 1988 in den »Lidové -­ noviny« (Volkszeitung)166 an die »Verpflichtungen« (dluhy) der Tschechen gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern zu erinnern. Sie kritisierte, dass am Ort, von dem die Prager Juden deportiert worden waren, noch immer kein Denkmal errichtet worden sei.167 Dieses Denkmal sei wichtig, um zu zeigen, 165 Vyhlášenie k deportáciam židov zo Slovenska; in einer englischen Übersetzung des Aufrufs sowie als Reproduktion des slowakischen Originals in einer hebräischen Zeitung in: YVA , O.7sl/32.  – Als Abschrift auch online, URL: http://khi.fp.tul.cz/attachments/094_00-Slovenske-dokumenty.pdf (am 15.9.2012). – Zunächst im Samizdat-Journal Náboženstvo a současnost, Oktober 1987. – Bulletin of the Slovak World Congress, Nr.  77, December 1987, 7.  – Als offizielle Reaktionen darauf siehe Pokorný, Ľuboš: Opožděná litost a co se za ní skrývá. In: Rudé právo vom 24.11.1987, 3. – Cítíme potřebu povědět pravdu. In: ebd. vom 25.11.1987, 2.  – Václav Novák: Péče o památky utrpení židovského obyvatelstva [am 30.11.1987 an die Redaktionen von Rudé právo, Průboj und Hlas revoluce geschickt], SOA Litoměřice, PT, Kt. 26. 166 Die Samizdat-Zeitschrift Lidové noviny wurde Ende 1987 gegründet und knüpfte an die gleichnamige Tageszeitung an, die zwischen 1893 und 1952 existierte. Als Zeitung konzipiert, blieb sie bis zur Wende ein Monatsblatt, das aber bald nach seiner Gründung, mit einer Auflage von bis zu 10.000 Exemplaren, zu dem am weitesten verbreiteten Samizdat-Periodikum in der Tschechoslowakei wurde. Seit April 1990 erscheinen die Lidové noviny neuerlich als Tageszeitung. Přibáňová, Alena: Lidové noviny 1987– 1989. In: Slovník české literatury, URL: http://www.slovnikceskeliteratury.cz/showContent.jsp?docId=140&hl=lidové+noviny (am 12.2.2014). 167 Die Idee, eine Gedenktafel auf dem Gelände des inzwischen errichteten »Parkhotels« im Prager Ortsteil Holešovice zu platzieren, das heißt an der Stelle des ehemaligen »Radiomarkts der Prager Mustermesse« (Radiotrh Pražských vzorkových veletrhů), wo die Juden vor ihrer Deportation konzentriert worden waren, stammt bereits aus den 1960er Jahren. Der Bildhauer Břetislav Benda fertigte eine Bronze-Tafel an, deren Anbringung letztlich jedoch verhindert wurde und die seit Ende der 1980er Jahre in Theresienstadt zu sehen ist. Erst nach der Wende, nämlich im Oktober 1991, wurde tatsächlich eine Gedenktafel, entworfen von der Künstlerin Helga Weissová-Hošková, auf dem Gelände des Prager Parkhotels enthüllt.

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»wohin ideologische Intoleranz führen kann« und seine Bedeutung sei umso aktueller, als diese Intoleranz nicht einer bestimmten Nation oder Rasse eigen sei, sondern überall, »[a]uch bei uns«, gedeihen könne.168 Hier wird wieder deutlich, wie fließend die Grenze zwischen der Erinnerung an den Holocaust und seiner Instrumentalisierung für aktuelle Anliegen war. Denn Šulcová stellte hier wohl weniger die tschechische Beteiligung am Holocaust an den Pranger, als vielmehr die »ideologische Intoleranz« der Normalisierungsära, deren Opfer die Dissidenten, und damit sie selbst, waren. In zahlreichen Dokumenten, egal ob es sich dabei um historische Texte wie jene Jan Křens oder politische wie das Dokument der »Charta 77« handelte, wurde die Indifferenz gegenüber dem Holocaust in direkte Verbindung gebracht mit einer allgemeinen Ignoranz gegenüber dem jüdischen Erbe in einem untergegangenen Mitteleuropa und der (deutsch-)jüdischen Vergangenheit Prags.169 Viele Autoren kritisierten die Respektlosigkeit gegenüber den jüdischen Kulturdenkmälern: Synagogen und jüdische Friedhöfe seien einem steten Verfall ausgesetzt, seien Opfer eines »legalen Vandalismus«.170 Wolle man die in Dissidentenkreisen neu entflammte Idee Mitteleuropas hochhalten,171 müsse man auch an die ethnische und religiöse Pluralität, das Zusammenleben von Tschechen, Juden und Deutschen erinnern. Man müsse, so der Autor eines Artikels über die »Pflichten der Hinterbliebenen«, eine Art finden, »die Dankbarkeit und das Andenken zumindest jetzt auszudrücken, wo es schon fast für alles zu spät ist.« Dies sei die Aufgabe der Tschechen, denn die Juden könnten – wegen des Nationalsozialismus und der langjährigen Indifferenz vieler Europäer – dem nicht mehr nachkommen.172 Von einer gesteigerten Sensibilität für die Diskriminierungen der Juden zeugen, zusätzlich zu den bereits genannten Beiträgen, jene Stimmen aus den Reihen der Dissidenten, die den tschechischen Antisemitismus und den staatlichen Antizionismus verurteilen. Ein bekanntes Beispiel stellen die zahlreichen kritischen, ja polemischen Reaktionen auf die Veröffentlichung von Václav Černýs Memoiren dar.173 Ihm, dem renommierten Literaturwissenschaftler und Dissidenten, dessen Arbeiten aus den 1970er und 1980er Jahren nur im Ausland erscheinen konnten, wurde vorgeworfen, 168 Šulcová: Památníky. 169 J. K. [Kroutvor, Josef]: Střední Evropa: anekdota a dějiny [3 Teile]. In: prostor 2/5 (prosinec 1983), 25–32; 2/6 (prosinec 1984), 27–44; 2/7 (červen 1986), 87–109. Später publiziert in: Kroutvor: Potíže, 47–103. – Pithart, Petr: Z Prahy německé a židovské [1987]. In: Ders.: Dějiny, 235–253. 170 -RK-: Povinnosti pozůstalých. – Siehe auch Kantůrková, Eva: Posmrtná pouť Richarda Weinera. In: Svědectví 15/60 (1980), 677–678. 171 Schulze Wessel: Die Mitte. 172 -RK-: Povinnosti pozůstalých. 173 Černý: Paměti IV.

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in seinen Erinnerungen an die Nachkriegszeit antisemitische Stereotype zu reproduzieren.174 Stärker den staatlichen Antizionismus im Visier hatte ein Artikel, der die Städtepartnerschaft zwischen dem von den Nationalsozialisten zerstörten Lidice und der von Israel 1974 zerstörten syrischen Stadt Qunaitra, dem »syrischen Lidice«, wie es in der kommunistischen Parteipresse hieß, beanstandet.175 Die beiden Autoren, einer davon war wohl der Journalist und spätere tschechische Botschafter in Israel Daniel Kummermann, kritisierten die dadurch von offizieller Seite vollzogene Gleichsetzung des Schicksals der beiden Städte und damit die Gleichsetzung von »nationalsozialistischen Faschisten« und »israelischen Aggressoren«.176 An einem anderen Fall entzündete sich die Kritik an der staatlichen Haltung gegenüber der Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen: Obwohl Alois Brunner einer der maßgeblichen Verantwortlichen für die Deportation der slowakischen Juden war, tauche sein Name in der tschechoslowakischen Presse nicht auf. Der Journalist und Unterzeichner der »Charta 77« Jaroslav Jírů warf der tschechoslowakischen Regierung vor, nicht nach Brunner zu fahnden, da dieser nach Syrien geflohen und dort als »Berater der syrischen Polizei im Kampf gegen die Zionisten« tätig sei. Dieser antizionistische Beitrag sei der Regierung folglich wichtiger als die Aufklärung und Ahndung der nationalsozialistischen Verbrechen.177 174 Unter den kritischen Reaktionen in Bezug auf Černýs Nationalismus und Antisemitismus aus den Reihen der tschechischen Dissidenten siehe: Šimečka: Zatracené dějiny. – Jírů, Jaroslav: Ještě k pamětem Václava Černého. In: Kritický sborník, Nr. 3 (1985), 73– 76 (übernommen in Svědectví 19/74 (1985), 520–522).  – Gesammelte Reaktionen auf Černýs Erinnerungen erschienen unter anderem im Samizdat: Nad IV. dílem Pamětí. – Darin fand der tschechische Leser unter anderem den wichtigen Beitrag des tschechisch-jüdischen Exilanten Hanuš Hájek, der als einer der ersten auf die zahlreichen Antisemitismen Černýs aufmerksam machte. Zuerst veröffentlicht als Hájek, Hanuš: [Leserbrief]. In: Svědectví 18/70–71 (1983), 583–586.  – Andere Dissidenten verteidigten Černý vor den Vorwürfen des Nationalismus und Antisemitismus, etwa AZ [= Šulc, Zdislav]: Pláč socialisty-vzdělance nad zprzněním socialismu v Čechách. In: Obsah (1984), wiederabgedruckt in: Šulc: Psáno inkognito, 40–48. – Siehe ferner Schmidt-Hartmann: Zur Diskussion. – Svobodová: Zdroje, 63 f. – Zu Černýs antisemitischen Äußerungen ebenso in seinen Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkrieges siehe darüber hinaus Jelínek, Bedřich: Achillova pata Václava Černého. In: Literární noviny 4/3 (1993), 4. 175 Abdal Muním Hamvím, guvernér syrských Lidic – města Kunejtry. In: Rudé právo vom 9.6.1989, 7. 176 Ebd. – Siehe dazu weiter Rudé právo vom 10.6.1989, 1. – Ve jméno mírového života. In: ebd. vom 12.6.1989, 1 f. – Die kritische Reaktion darauf: ir+bch [bch = Kummermann, Daniel?]: Králík a kapr. In: Lidové noviny 2/7–8 (1989), 11. 177 Jírů, Jaroslav: Zločinec, jehož nehledáme. In: Lidové noviny [1]/11 (1988), 15. – Allerdings war etwa in der offiziellen Zeitschrift Hlas revoluce zwei Jahre zuvor durchaus ein Bericht über die Fahndung nach Alois Brunner zu finden: -jk-: Na stopě vá­

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In unterschiedlichen Genres des Samizdat tauchten also Fragen des Holocaust und seiner Erinnerung, kritische Stellungnahmen zum tschechischen Antisemitismus oder auch allgemeiner Fragmente jüdischer Geschichte und Kultur auf. Selbst die Texte zum zeitgenössischen Antisemitismus und Antizionismus, die zunächst ohne direkten Bezug zur Geschichte des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs standen, trugen doch auf indirekte Weise zur Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg bei, indem sie für die Zentralität der jüdischen Opfer des Krieges sowie für die Bedeutung und die Fortdauer des Antisemitismus sensibilisierten. Zweifellos ist im Dissens der 1980er Jahre also eine zunehmende Hinwendung zur jüdischen Geschichte und zur Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung zu verzeichnen. Mit diesem gestärkten Interesse ging eine Kritik an der bisherigen gesellschaftlichen wie staatlichen Ignoranz der jüdischen Geschichte und konkret des Holocaust einher. Indem sich Begriffe wie »Holocaust« und schließlich »Shoah« im dissidenten Diskurs einbürgerten, wurde die Frage der Partikularität und Singularität der Verfolgung der Juden im Zweiten Weltkrieg aufgeworfen. Diese Kritik am Antisemitismus und Antizionismus geht bei vielen Autoren über in eine Sympathie, ja Identifizierung mit den Juden und mit Israel. Eine Kontinuität ist hierbei zu sehen zu den 1960er Jahren, als, besonders in Folge des Sechs-Tage-Krieges von 1967, sich zahlreiche Schriftsteller und Intellektuelle auf die Seite Israels stellten und als Vergleiche zwischen Juden und Tschechen  – als kleine, stets bedrohte Nationen  – nicht fehlten. So meinte etwa Eva Kantůrková, Schriftstellerin und 1985 Sprecherin der »Charta 77«, dass die Tschechen im 19., vor allem aber im 20.  Jahrhundert, ähnlich wie die Juden das Pech gehabt hätten, gegenüber den westeuropäischen Nationen eine größere Last erdulden zu müssen.178 Josef Kroutvor, der wie andere das Leben in der Tschechoslowakei der 1970er und 1980er Jahre, vor allem das Leben der oppositionellen Intellektuellen, als ein Leben im »Ghetto« beschrieb,

leč­ného zločince. In: Hlas revoluce Nr.  3 vom 18.1.1986, 3.  – Ein weiteres Beispiel für die Wachsamkeit gegenüber antisemitischen Tendenzen ist die Berichterstattung in Samizdat-Periodika zur (schließlich erfolgreichen) Rufmordklage des tschechischen Exilhisto­rikers Erich Kulka gegen Josef Šebesta. Šebesta hatte in seinem antisemitischen Roman »V  zemí zaslíbené?« (Im verheißenen Land?) aus dem Jahr 1986 Kulka als Gestapo-Spitzel dargestellt. Danisz, Josef: Erich Kulka versus Melantrich. In: Lidové noviny [1]/3 (1988), 6. – Dies ebenso abgedruckt und ergänzt um weitere Materialien zum Buch Šebestas in: Kritický sborník 8/2 (1988), 62–73.  – Tichý, Jiří: Krátce ke knize Josefa Šebesty. In: Revolver Revue 9 (1988), o. S. – Začal proces Erich Kulka versus Melantrich  a spol. In: Informace o Chartě 77 11/7 (1988), 16.  – Erich Kulka se domáhá právo. In: ebd. 11/16 (1988), 19 f. – Omluva Erichu Kulkovi. In: ebd. 12/18 (1989), 16. 178 Filip, Ota: Rozhovor na dálku s Evou. In: Listy 19/2 (1989), 79–81, hier 79.

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hielt fest, dass »jeder von uns so ein wenig ein Jude ist.«179 Genauso meinte der slowakische Dissident Dominik Tatarka: »Die Situation des Juden wiederholt sich, gilt für unser Volk, das in einem Ghetto leben muss.«180 Juden, so beobachtete Ruth Ellen Gruber, hätten in den 1980er Jahren als Metaphern für Freiheit, für die Gegenkultur gedient. Die Hinwendung zu jüdischen Themen und Symbolen sei von vielen wie ein Protest gegen das kommunistische Regime aufgefasst worden.181 Ersichtlich wird, dass viele Autoren des tschechoslowakischen Dissenses – zweifelsohne mit Sympathien für Juden und mit einem ausgeprägten Interesse an der jüdischen Geschichte und Kultur  – durch diese Annäherung beziehungsweise Gleichsetzung des historischen Schicksals von Tschechen und Juden letztlich wieder zu einer universalistischen Sicht auf den Zweiten Weltkrieg beitrugen. Die zunehmende Auseinandersetzung mit der Geschichte des Holocaust führte nicht unbedingt – wie zeitgleich in anderen, vor allem westlichen, Ländern – zu einer Diskussion um seine Singularität, um seine zentrale Bedeutung innerhalb der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs und somit um seine Ausnahmestellung in der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz dazu behandelten viele tschechische Autoren die Ermordung der Juden im Sinne einer Zusammenschau der »totalitären« Regime als Teil der Tragik Mitteleuropas. So beklagte Eva Kantůrková »die ganzen Leute, die in der Shoah, im Gulag oder in den Uran-Lagern ermordet wurden«.182 Genauso bezog sich die »ideologische Intoleranz«, die Olga Šulcová im bereits zitierten Artikel beanstandete, in gleichem Maße auf die Verfolgung der Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und auf die Repressionen, denen Andersdenkende in der kommunistischen Tschechoslowakei ausgeliefert waren.183 Der in den Texten des Dissenses übliche Begriff des Totalitarismus und damit der Vergleich oder gar die Gleichstellung von Nationalsozialismus und Stalinismus führten oft dazu, das konstitutive Zeichen dieser Regime allgemein in Unterdrückung und Gewalt zu sehen. Gefragt wurde nach dem Fanatismus, der beiden Regimen zugrunde lag, nach »den – übrigens einan­ der sehr ähnlichen  – Mechanismen, die solche Ungeheuerlichkeiten hervorbrachten.«184 Der Ökonom und Dissident Věněk Šilhán meinte, dass der 179 Josef K. [Kroutvor, Josef]: Esej o životě v ghettu. In: Svědectví 17/65 (1981), 25–31, hier 26 (zuerst publiziert in Spektrum, Nr. 3 (1979)). 180 So Tatarka im Gespräch mit dem französischen Schriftsteller Bernard Noël. Noël: La rencontre, 16. – Siehe auch den Beitrag des tschechischen Exilschriftstellers Jiří Gruša. Gruša, Jiří: Putovní ghetto. In: Listy 18/3 (1988), 101–104. 181 Gruber: Virtually Jewish, 25 f. 182 Kantůrková, Eva: O etice Palachova činu. In: prostor 12 (leden 1989), 45–52, hier 50. 183 Šulcová: Památníky. 184 So der Schriftsteller Ivan Klíma, der selbst einige Jahre als Jugendlicher im Ghetto Theresienstadt verbracht hatte. In: Lederer: Tschechische Gespräche, 123.

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Stalinismus ähnlich wie der Faschismus zum Synonym für »Massenverbrechen und Genozide« geworden sei.185 Der Antisemitismus wurde dabei, soweit er überhaupt erwähnt wurde, bloß als eine von vielen Facetten dieser Verbrechen beschrieben; der Stalinismus als »schlimmste Zeit der Finsternis« bewertet.186 Dieser Sichtweise liegt eine, wie Dan Diner sie bezeichnet, »anthropologische« Wahrnehmung des Holocaust zugrunde, welche weniger nach dem historischen »Warum« frage, sondern sich »in universeller Zivilisationskritik« ergehe – allerdings »um den Preis des Verstehens des Holocaust«.187 Die Wahrnehmung der Shoah als der zentralen Wegmarke des 20.  Jahrhunderts, wie sie sich in Westeuropa seit den 1970er und 1980er Jahren zunehmend durchsetzte – und dadurch die Bedeutung des Zweiten Weltkriegs als Krieg in den Hintergrund drängte –188 kann im tschechoslowakischen Dissens nicht nachvollzogen werden. So geht der Philosoph Jan Patočka in seinen Überlegungen zu den Kriegen im 20. Jahrhundert zwar auf den massenhaften Tod und auf seine Technisierung ein, nicht jedoch auf den Mord an den europäischen Juden. Das wesentliche Ereignis des 20. Jahrhunderts, dieses Jahrhunderts »der Nacht, des Krieges und des Todes«, ist ihm zufolge der Erste Weltkrieg gewesen.189 An anderer Stelle reproduziert Patočka gar insofern die offizielle Sicht des Zweiten Weltkriegs, als er von den »300.000 Opfer[n] im Widerstand« spricht, die das tschechische Volk gebracht habe, ohne zu präzisieren, dass es sich dabei vor allem um jüdische Opfer des Holocaust handelte.190 Diese Zentra­ lität des Krieges, in dem die Shoah aufgeht (oder sich verliert), ist auch in anderen Texten zu sehen. Václav Havels Würdigung des Theater- und Filmregisseurs Alfréd Radok erwähnt weder dessen jüdischen Familienhintergrund noch die Tatsache, dass Radok mit seinem Film »Daleká cesta« den ersten und für zehn Jahre letzten Film über das Schicksal der Juden im Nationalsozia185 Šilhán, Věněk: Stalinismus nutno poznávat. In: Lidové noviny 2/6 (1989), 9. 186 HP [Hapala, Jiří?]: Što dělat? In: prostor 2/6 (1984), 2–8, hier 4. – Interessant sind auch mehrere Romane, die das Schicksal von Juden im Zweiten Weltkrieg mit jenem in der kommunistischen Nachkriegstschechoslowakei verbinden: Třešňák: Minimax. – Gruša: Der 16. Fragebogen. – Klíma: Der Gnadenrichter (im Samizdat zunächst als Stojí, stojí šibenička, dann als Soudce z milosti). 187 Diner: Gegenläufige Gedächtnisse, 19. 188 Ebd., 7–12. 189 Patočka: Die Kriege, 142. Patočkas »Ketzerische Essays« erschienen erstmals 1975 als Band 49 der Samizdat-Edition Edice Petlice.  – Der zitierte sechste und letzte Essay wurde ein Jahr später auch in der Exilzeitschrift Svědectví abgedruckt. Patočka, Jan: Války 20. století a 20. století jako válka. In: Svědectví 13/51 (1976), 435–448. 190 Patočka: Was sind die Tschechen?, 103. Diesen ursprünglich deutschen Text schrieb Patočka um 1973 in Briefform. Im Jahre 1989 wurde eine tschechische Übersetzung in einem der im Samizdat erschienenen Bände des Archivní soubor (Archiv-Sammlung) von Ivan Chvatík und Jan Vít herausgegeben: Co jsou Češi? Soubor textů k českým dějinám a české filosofii.

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lismus, ja den ersten tschechischen »Holocaust-Film« vorlegte. Nein, Radok habe, so Havel, »seine Kriegserfahrungen« in diesen »Film über das Theresienstädter Konzentrationslager« eingearbeitet.191 Diese – auf gewisse Weise dem offiziellen Geschichtsverständnis entsprechende – Universalisierung und Nivellierung der Kriegserfahrungen ist besonders im historischen Samizdat häufig anzutreffen.192 In der Tat vertraten erlaubte und verbotene Autoren keineswegs in allen Fragen diametral entgegengesetzte Positionen. Jan Křen, selbst dissidenter Historiker in den 1970er und 1980er Jahren, erinnerte etwa daran, dass die Kluft zwischen offizieller und unabhängiger Geschichtsschreibung in der Tschechoslowakei vor 1989 »nicht so groß« gewesen sei, da sich deren Arbeiten methodologisch und philosophisch durchaus geähnelt hätten.193 Hingewiesen sei an dieser Stelle darauf, dass selbstverständlich auch den dissidenten Kreisen antisemitische Denkweisen nicht völlig fremd waren. Karol Sidon etwa erinnerte an seine enttäuschende Erfahrung im tschechischen Dissens. Er dachte, »dass die tschechische intellektuelle Gemeinschaft […] fähig sei, die Andersartigkeit [jinost] eher zu akzeptieren, als dem in Wirklichkeit war.«194 Bedenkt man, dass im Samizdat auch antisemitische Schriften veröffentlicht wurden,195 wird einmal mehr deutlich, dass die dissidenten Kreise nicht losgelöst von ihrem gesellschaftlichen und nationalen Kontext existierten. Deutlich wird dies vor allem in der Frage der nationalistischen Betrachtung der tschechischen Geschichte. Es wird noch davon die Rede sein, welche Bedeutung die in Samizdat-Schriften häufig anzutreffende Universalisierung des Holocaust für die Herausbildung eines neuen nationalen »master narrative« hatte. Trotz alldem muss hier zunächst festgehalten werden, dass – und dies ist letztlich auch der Sinn und das Ziel von Šimečkas Text über den Ursprung der Unsicherheit – im tschechischen Dissens der 1970er und 1980er  Jahre eine langsame Annäherung an die Frage des Holocaust und seiner Erinnerung zu verzeichnen war. In unterschiedlichen Medien des Samizdat finden sich – oft aus dem Ausland übernommene – Artikel, die sich nicht allein mit der Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung beschäftigen, sondern auch mit ihrer Erinnerung sowie mit der mehrheits191 Havel, Václav: Alfred Radok, český režisér. In: Svědectví 13/52 (1976), 699 f., hier 699. 192 Vgl. dazu auch den kritischen Blick auf die tschechoslowakische Samizdat-Geschichtsschreibung bei Schmidt-Hartmann: Forty Years. 193 Křen: Czech Historiography, 155.  – Zu den Parallelen zwischen offizieller und un­ abhängiger Geschichtsschreibung weiter Kolář: Die nationalgeschichtlichen master ­narratives, 231. – Schmidt-Hartmann: Forty Years. 194 Hora, Václav: S Karolem Sidonem »na kafi«. In: Právo lidu [Wuppertal] 89 (9)/4 (1986), 3. 195 Černý, Bohumil: O jednom kuriózním samizdatu. In: Lidové noviny vom 11.5.1991, Beilage 10. 

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gesellschaftlichen Indifferenz gegenüber der Shoah. Diese Diskussionen, die besonders in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre auszumachen sind, müssen nicht zuletzt auch als ein direkter Vorläufer für die Entwicklungen nach 1989 gesehen werden. Die große öffentliche Aufmerksamkeit, die dem Schicksal der Juden während des Nationalsozialismus in den ersten Jahren unmittelbar nach der »Samtenen Revolution« zuteil wurde, kann nicht erklärt werden, ohne auf die kritischen Stellungnahmen einzugehen, die bereits in den 1980er Jahren eine breitere Auseinandersetzung mit dem Holocaust in der Tschechoslowakei forderten. Die dissidente Suche nach der Nationalgeschichte

Dabei müssen die Debatten um den Holocaust und das jüdische Erbe in der mitteleuropäischen Geschichte im Kontext der allgemeinen »Rückkehr« der Geschichte in den 1980er Jahren betrachtet werden.196 Es wurde bereits festgehalten, dass die wenigsten geschichtlichen Veröffentlichungen im tschechischen Samizdat den Holocaust thematisierten. Dieser wurde nicht als integraler Bestandteil in die allgemeine nationale Geschichte aufgenommen. In dieser fanden zwar »München« 1938, die Okkupation im März 1939, der Zweite Weltkrieg, in zunehmendem Maße die Vertreibung der Deutschen und schließlich die tschechoslowakische Form des Stalinismus einen Platz, nicht jedoch das Schicksal der tschechoslowakischen Juden im 20. Jahrhundert.197 Die Mythen und Tabus der marxistischen Geschichtsschreibung, die zu hinterfragen und zu brechen das Anliegen der unabhängigen Historiker war,198 bezogen sich in erster Linie auf die ethnisch verstandene tschechische Geschichte.199 So gingen die Autoren einer Samizdat-Publikation, die – wie 196 Entgegen der häufig anzutreffenden Meinung, eine »Rückkehr« der Geschichte habe mit dem Zusammenbruch des Kommunismus 1989 eingesetzt, datiert etwa Christiane Brenner die Anfänge dieser Hinwendung zur Geschichte auf die frühen 1980er Jahre. Brenner: Forward, 195. 197 Siehe unter vielen Pithart: Let Us Be Gentle.  – Kusý: On the Purity, 33.  – Siehe auch Bartošek: Češi, 100. 198 Rupnik: The Politics, 167. 199 In Petr Pitharts kritischen Aufsätzen zum tschechischen Nationalismus beispielsweise geht es durchweg um den deutsch-tschechischen Gegensatz, ohne danach zu fragen, welche Konsequenzen dieser (deutsche und tschechische) Nationalismus für die Situation der Juden habe. Siehe seine Beiträge in Pithart: Dějiny a politika. – Als Beispiele für Artikel, die  – trotz Neubetrachtung der Geschichte des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs – die Verfolgung der Juden nicht behandeln, siehe etwa Kohout, Luboš: 15. březen 1939 (Mezinárodní a československé souvislosti a důsledky). In: Listy 19/1 (1989), 46–50. – Hübl, Milan: »Bílá místa« okolo Mnichova 1938. In: Proměny 27/1 (1990), 159–162.

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bereits der Titel verkündet – die »weißen Flecken in der neuesten Geschichte« beleuchten wollten, nicht näher auf den Holocaust ein und in der Statistik der Opfer des Zweiten Weltkrieges sucht man vergeblich nach Zahlen der jüdischen Opfer.200 In einer anderen Arbeit über die Todesmärsche und Evakuierungstransporte, die im letzten Kriegsjahr durch Südböhmen führten, erwähnte der Autor, Jindřich Pecka, nur selten und ganz nebenbei, dass ein Großteil der Häftlinge Juden waren. Ähnlich vieler älterer Studien standen bei Pecka die nationalsozialistischen Gräueltaten und Verbrechen im Vordergrund, nicht jedoch die Opfer und deren Erfahrungen und Erzählungen.201 Mit dem Zweiten Weltkrieg wurden oft Fragen des tschechischen Widerstands, der »Germanisierung« der böhmischen Länder und der »Endlösung der tschechischen Frage« verbunden.202 In völliger Übereinstimmung mit dem offiziellen Geschichtsbild – zumindest was die nationale Perspektive anbelangt  – wurde ausführlich von der »Endlösung der tschechischen Frage« berichtet, ohne jene der »Judenfrage« zu erwähnen – und ohne darauf hinzuweisen, dass es sich bei Ersterem um einen vagen Plan, um eine Vision für die Zeit nach dem gewonnenen Krieg gehandelt habe und bei Letzterem um eine in die Tat umgesetzte Realität. Während die Verfolgung der Juden im Detail nicht berührt wurde, wurde doch, wie etwa von Milan Hübl, das Schicksal ihrer ehemaligen Wohnungen erwähnt, die von Deutschen aus dem Reich übernommen worden wären, um die »Germanisierung« Böhmens zu forcieren.203 Diese Sichtweise reproduziert das traditionelle Verständnis der Arisierungen als ersten Schritt zur Unterdrückung und Vernichtung der tschechischen Nation. Damit reproduzierten auch die dissidenten Historiker eine tschechischnationalistische Sicht auf die Geschichte, sodass aus der Geschichte Böhmens und Mährens eine im ethnischen Sinne »tschechische Geschichte« wurde204 und aus dem Zweiten Weltkrieg eine bloße Fortsetzung des jahrhunderte­ alten deutsch-tschechischen Antagonismus.205 Der Holocaust wurde keines200 Tomáš [Mencl]: Křižovatky. Das Buch erschien dann 1990 bei Naše Vojsko. 201 Pecka, Jindřich: Transporty smrti na území jižních Čech. In: Historické studie 21 (červen 1987), 78–100. 202 Siehe etwa die Arbeiten Václav Kurals, deutlich und zusammengefasst etwa in Kural: Deutsche Besatzung. – Siehe auch Vrabec, Václav: Nejen na okraj jednoho výročí. In: -­ Lidové noviny 2/3 (1989), 4 f. 203 Hübl, Milan: Glosy k vysídlení čs. Němců [1979]. In: ders.: Češi, 23–51, hier 31. 204 Interview mit Miloš Hájek, Interviewer: Berthold Unfried, 1.11.1989, BDIC , CD audio 147 (2), Min. 00:22:00. – Siehe dazu auch Kopeček: In Search, 82. – Kučera: Zum tschechischen Forschungsstand. 205 Eva Hahn hielt fest, dass der Ausschluss der Juden aus der tschechischen Geschichte »reduces Bohemian history to the struggles between the German and Czech camps, and regards the nation’s ethnic homogeneity as its most important characteristic.« SchmidtHartmann: The Enlightenment, 127.

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wegs geleugnet, wurde aber nur auf universalisierte Weise in die nationale Geschichte aufgenommen – und überdies entkontextualisiert zum Synonym des Schreckens und der Bedrohung, und zwar für die Tschechen.206 »Das Projekt zur ›Endlösung‹ betraf nicht nur die Juden und Zigeuner«, so Karel Bartošek im Jahre 1985, »sondern auch die Tschechen.«207 Diese Betrachtungsweise konnte somit nahtlos an jenes Bild der Nationalgeschichte anknüpfen, das seit Ende des 19. Jahrhunderts die »nationale Tragödie« der Tschechen betonte:208 der gewaltvolle Tod Jan Hus’ im Jahre 1415 und das Ende der Hussitenbewegung, die verlorene Schlacht am Weißen Berg 1620 und die Eingliederung in die Habsburgermonarchie, das Münchner Abkommen 1938, die kommunistische Machtübernahme 1948 und schließlich die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968.209 Während in der Betrachtung der Vertreibung der Deutschen nach Kriegsende die Frage nach der tschechischen Schuld gestellt wurde, betrachteten die Historiker die Verfolgung und Ermordung der Juden weiterhin als eine externe, nämlich deutsche Angelegenheit. Die »Schuldfrage«, die in Deutschland das deutsch-jüdische Verhältnis betreffe, so hielt Petr Příhoda, der Übersetzer und Kommentator der Rede Philipp Jenningers anlässlich des 50. Jahrestags der Novemberpogrome 1938 fest, stelle sich auch in der Tschechoslowakei – hier beziehe sie sich allerdings auf die Zeit nach 1945.210 Dieses Gefühl der Schuldlosigkeit in der Frage des Holocaust, das Václav Černý in überspitzter und unverhohlener Weise ausdrückte,211 entsprang genau jener Denkweise, die Milan Šimečka kritisierte: Das Verhalten der Tschechen, der ersten Opfer der deutschen Aggression und unter fremder Besatzung während des Zweiten Weltkrieges, sei moralisch unbescholten gewesen. Indem sie sich frei von jeder Schuld fühlten, so Šimečka, hätten die Tschechen auch in Bezug auf die Verfolgung und Ermordung der Juden kein schlechtes Gewissen.212 206 -ZA-: Umění a skok do výšky. In: prostor 7 (1986), 12–16, hier 13. – Siehe, als Beispiel für die Fortsetzung dieser Denkweise nach 1989, die Universalisierung des GenozidBegriffs. Dazu kurz Bartošek: Češi, 101. 207 Bartošek: Historians, 4. – Übernommen auch in Ders.: Češi, 89. 208 Vgl. Ducreux: Histoire, 838 f. 209 Auch unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden bereits diese Kontinuitäten in der mehrfachen Unterdrückung der tschechischen Nation bemüht, die bis zu den Hussitenkriegen zurückprojiziert wurde. Siehe etwa Drtina, Prokop: Úvodní slovo. In: Zajíček: Český národ, 5–8. – Kypr: Malá pevnost Terezín, 19. – Dazu allgemein Kolář: Die nationalgeschichtlichen master narratives, 225–227. 210 V. K. [Příhoda, Petr]: Poznámka překladatele. In: Střední Evropa 13 (červenec 1989), 108. 211 »Für lange haben sich durch [Rudolf] Slánský die Juden bei uns verschuldet, das soll jedem deutlich vor Augen stehen: nicht sie sind unsere moralischen Gläubiger, sondern wir ihre, das sollen sie nicht vergessen.« Černý: Paměti IV, 446. – Die deutsche Über­ setzung hier übernommen aus Schmidt-Hartmann: Zur Diskussion, 376. 212 Šimečka: Původ nejistoty, 28.

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Hinter zahlreichen Abhandlungen zur neueren tschechischen Geschichte ist zweifellos eine klare gesellschaftliche bzw. politische Intention zu erkennen: die Abkehr von marxistischen Perspektiven auf die Vergangenheit, die Berufung auf jahrhundertealte »tschechische« Traditionen, die Lösung der bereits erwähnten »tschechischen Frage«, kurz: die Arbeit am nationalen Gedächtnis.213 Chad Bryant arbeitete heraus, wie sehr einer der viel diskutierten Beiträge zur Neuinterpretation der Nationalgeschichte in den 1980er Jahren, »Češi v dějinách nové doby« (Die Tschechen in der Geschichte der Neuzeit«) des unter dem Pseudonym Podiven schreibenden Autorentrios Petr Pithart, Petr Příhoda und Milan Otáhal, »in der Tradition des tschechischen Historizismus des 19. Jahrhunderts« geschrieben worden sei.214 Im Vordergrund standen die Fragen von nationaler Wiedergeburt und Unterdrückung der Nation, die in der Neuzeit, aber genauso im 20. Jahrhundert das Schicksal der Tschechen begleitet hätten. Selbst wenn, wie im Falle von »Podiven«, die Nationalgeschichte kritisch beleuchtet werden sollte – wofür die Autoren auch heftig attackiert wurden –,215 so gingen doch die meisten Dissidenten in ihrer Auseinandersetzung mit der »tschechischen Frage« und dem »Sinn« der tschechischen Geschichte von einem engen Verständnis der tschechischen Nation aus.216 In diesen Debatten konnten die Juden nicht vorkommen, da sie sich um eine Nationalgeschichte der Tschechen im ethnischen Sinne drehten. Die »Nationalität des ›Sinns der Geschichte‹«217, so Karel Bartošek bereits in einem Text von 1969, prägte auch in den 1980er Jahren die historischen Debatten. So resümierte auch Eva Hahn ihre Analyse der »tschechischen Frage« im 20. Jahrhundert, dass die »Wahrnehmung der anderen und die der eigenen kollektiven Identität in der Tschechischen Republik nach wie vor weitgehend auf der Grundlage der aus der Zeit der Nationsbildungsprozesse des 19. Jahrhunderts übernommenen Begrifflichkeit« basiere.218 Hans Lemberg erklärte diese Re-Nationalisierung des Geschichtsbildes in den 1970er und 1980er Jahren mit der Abgeschlossenheit der Dissidenten-Szene. Diese habe die regimekritischen Historiker, welche in den 1960er Jahren be­gonnen hatten, den tschechischen Provinzialismus zu kritisieren, »wieder zurück213 Havelka: Die Debatten. – Hahn: Die »tschechische Frage«. 214 Bryant: Whose Nation?, hier 32. – Podiven: Češi. 215 Miloš Havelka spricht von »patriotischen« Argumenten, die gegen »Podiven« vorgebracht worden seien. Der Text sei als »Angriff auf die tschechische Identität« wahrgenommen worden. Havelka: Die Debatten, 59. – Zur Kritik an nationalistischen Sichtweisen siehe auch Aviezer Tucker, der gar von einer »national self-flagellation« spricht, die charakteristisch gewesen sei für die tschechischen Intellektuellen im Dissens nach 1968. Tucker: The Philosophy, 101. 216 Havelka: Die Debatten, 56–60. 217 Bartošek: Češi, 22. 218 Hahn: Die »tschechische Frage«, 171.

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geworfen auf die eigene nationale Existenz und auf eine apologetische Sichtweise der nationalen Geschichte. Patriotismus ist wohl auch eine Art von Not-Reaktion.«219 Den Überlegungen zum Charakter der tschechischen Nation lag zumeist das Verständnis einer Identität, einer Seele zugrunde. Viele Dissidenten, da­ runter Václav Havel, erklärten diese Arbeit am nationalen Gedächtnis, die bewusste Einreihung der Gegenwart in die Traditionen der tschechischen Geschichte, zur Vorbedingung für eine neue Gesellschaft, in welcher jeder Einzelne Verantwortung für seine Taten übernehme und sich bewusst als Akteur in Gegenwart und Geschichte positioniere.220 Die tschechische Nation sollte, wie es ihrer Tradition als »kleine« Nation entspräche, »von unten« wiedergeboren werden, das heißt durch eine Aneignung durch den »kleinen Tschechen«.221 In diesem Sinne ist die Rede von der »Rückkehr der Geschichte« nach 1989 zu verstehen, nämlich als Gegensatz zur verordneten Linearität, Vorhersagbarkeit und damit dem Mangel an Dynamik und Veränderungsmöglichkeiten. In seiner Neujahrsansprache 1991 sagte Václav Havel – nun als Staatspräsident: »In unser Leben ist die Zeit, ist die Geschichte zurückgekehrt. Der graue Himmel der Langeweile und der betäubenden Erstarrung ist aufgerissen, und wir können nur staunen, welche Palette an Möglichkeiten ein freier politischer Himmel bietet […].«222 Die »Samtene Revolution« 1989: Neuentdeckung der jüdischen und Re-Nationalisierung der tschechischen Geschichte

Das Ende des kommunistischen Regimes ging einher mit der Aufhebung der Zensur und der Einstellung der Repressionen gegen Andersdenkende. Dies bedeutete eine allgemeine Pluralisierung der Gesellschaft, und zwar auf dem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Feld. Die neuen Möglichkeiten der freien Meinungsäußerung wirkten sich auch direkt auf die Erinnerung an den Holocaust aus. Die Geschichte der Verfolgung und Ermordung der Juden erhielt ein starkes öffentliches Interesse, zahlreiche Publikationen zur jüdischen Vergangenheit in Böhmen und Mähren erschienen, Gedenkfeiern

219 Lemberg: Die Rolle von Geschichte, 161. 220 Die Bedeutung der Geschichte für das gesellschaftspolitische Denken Václav Havels wird an zahlreichen Stellen seiner Schriften deutlich. Siehe etwa Havel: Offener Brief. – Ders.: Ereignis und Totalität. – Siehe auch Ders.: Versuch. 221 Siehe hierzu etwa Ernest Gellners pointierte Analyse von Patočkas Geschichtsverständnis in dessen Essay »Was sind die Tschechen?«: Gellner: Wiedergeburt. 222 Havel: Neujahrsansprache 1991, hier 178.

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und Ausstellungen wurden an unterschiedlichen Orten abgehalten.223 Gedenktafeln wurden enthüllt, und zwar nicht mehr allein auf jüdischen Friedhöfen, sondern an belebten und allgemein sichtbaren Orten, wie etwa an der Stelle, an der die Synagoge in der Stadt Litomyšl gestanden hatte.224 Zum ersten Mal wurde im September 1990 die Oper »Kaiser von Atlantis« aufgeführt, die Peter Kien und Viktor Ullmann im Ghetto Theresienstadt geschaffen hatten.225 Die in den 1980er Jahren begonnene Entdeckung der jüdischen Vergangenheit Böhmens und Mährens wurde fortgesetzt, indem Regionalstudien zum Holocaust und zur Geschichte der Juden durchgeführt oder jü­ iroslav Kárdische Denkmäler und Friedhöfe wiederentdeckt wurden.226 M nýs Monographie über die »Endlösung der Judenfrage« in den böhmischen Ländern wurde im Jahr 1991 verlegt, Tomáš Pěkný konnte kurz da­rauf seine »Geschichte der Juden in Böhmen und Mähren«, die er im Dissens der 1980er Jahre vorbereitet hatte, publizieren. Diese Erinnerungsarbeit stand oft im Zeichen der »Enttabuisierung« des Holocaust, im Zeichen des Nachholens dessen, was seit den 1960er Jahren unterbunden worden war. Fred Hahn hielt fest, dass in der Transformationszeit deswegen alles Jüdische interessant erschien, weil es zuvor verboten oder unterdrückt gewesen war.227 So konnten nun auch Sichtweisen und Entwicklungen aus dem oppositionellen Milieu der 1970er und 1980er Jahre größere Verbreitung finden. Begriffe wie Holocaust und Shoah wurden in den Medien übernommen. Juden (židé) wurden zunehmend mit Majuskel (Židé) geschrieben, selbst wenn es nicht darum ging, sie als Nation darzustellen.228 Die tatsächliche Anzahl der jüdischen Opfer und ihr bisheriges Verschleiern in der Zahl der 360.000 »tschechoslowakischen« Opfer wurden betont.229 Die »schändlich [ostudně] sich auftuenden weißen Flecken unserer neuzeitlichen Geschichte« prangerte Václav Havel offen an.230 Die kommunis223 Einen guten Überblick über die neuen Dynamiken geben beispielsweise die News­letter von Beit Theresienstadt, etwa Nr. 33 (Juli 1992), Nr. 34 (Januar 1993) und Nr. 35 (Juli 1993), ABT, Newsletter. 224 Newsletter – Theresienstadt Martyrs Remembrance Association, Nr. 37 (Juli 1994), ebd. 225 Newsletter – Theresienstadt Martyrs Remembrance Association, Nr. 30 (Januar 1991), 6, ebd. 226 Unter anderen Sborník z historie Židů na Kolínsku. Kolín 1992. – Klenovský, Jaroslav: Židovské památky Třebíče. Třebíč 1991.  – Makas, Stanislav: Židovská obec úsovská. Šumperk 1991. – Aus den 1980er Jahren bereits Nováček: Nacistické »konečné řešení«. 227 Hahn: Anti-Semitism. 228 Unter vielen anderen siehe etwa Na křižovatce kultur.  – Kulka: Židé.  – Osud Židů v protektorátu.  – O dějinách českých Židů trochu jinak. In: Hlas revoluce Nr.  37 vom 11.9.1990, 6. – Kettner, Petr: Za poklady starých Židů. In: Národní osvobození Nr. 1 vom 2.1.1991, 5. 229 Terezínská tryzna 16.9.1990, Projev M. Kárného, ABT, file no. 497 (Miroslav Kárný). – Kárný: Die tschechoslowakischen Opfer, 157. 230 Havel, Václav: [Vorwort]. In: Kulka: Židé, o. S.

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tischen »Tabuisierungen« und die einseitige Erinnerung an den kommunistischen Widerstand wurden kritisiert,231 ebenso wie die Unterdrückung des Holocaust-Gedenkens in Theresienstadt.232 Der in die Augen springenden Vernachlässigung der Stadt Terezín, so Miroslav Kárný im Jahre 1990, sollte entgegengewirkt werden, »[d]amit wir uns vor uns selbst [und] vor den Gästen aus dem Ausland nicht schämen müssen, wie stiefmütterlich dieser Staat und dieser Landkreis diese Stadt behandelte.«233 Denn, so der neue Leiter der Gedenkstätte, Jan Munk, im Jahre 1991, viele ausländische Gäste wüssten über das Ghetto Theresienstadt mehr als das Personal, das Schulklassen durch das Gelände führe.234 Besonders ereignisreich war das Jahr 1991, als der 50. Jahrestag der Errichtung des Ghettos Theresienstadt unter Teilnahme des israelischen Präsidenten Chaim Herzog begangen wurde. Dieses Jubiläum, so wünschte es sich Miroslav Kárný im Vorfeld der Vorbereitungen zu den Gedenkfeiern, sollte als Gelegenheit genutzt werden, um die Verfolgung und Ermordung der Juden »der tschechoslowakischen Geschichte zurückzugeben« (aby tato historie byla vrácena do československých dějin).235 So konnte in Terezín das bereits seit Jahrzehnten geplante Ghetto-Museum errichtet werden. Die traditionellen Feierlichkeiten zur Erinnerung an das Kriegsende in Theresienstadt standen nun auch stärker im Zeichen des Gedenkens an die jüdischen Opfer.236 Zeitgleich wurde vor dem Prager Parkhotel, wie seit den 1960er Jahren geplant, eine Gedenktafel angebracht, die an die Deportationen der Prager Juden erinnert. Eine wichtige Rolle spielte auch die Auseinandersetzung mit internationalen Repräsentationen des Holocaust, die während der Normalisierung nur einem kleinen Kreis von Personen mit Kontakten zum Ausland, Intellektuellen oder Dissidenten zugänglich waren. So wurde im Jahr 1991 Claude Lanzmanns Film Shoah dem tschechischen Publikum präsentiert237 und das Buch zum Film von Toman Brod neu übersetzt. 1995 lag Hannah Arendts »Eichmann in Jerusalem« in einer tschechischen Übersetzung vor, außerdem wurden die Werke von Exilautoren,

231 Kulka: Židé, 8–11. – Brod, Toman: Doslov – Už nikdy jako ovce. In: ebd., 377–380. – O Terezínu v celém rozsahu. In: Hlas revoluce Nr. 37 vom 11.9.1990, 5. – O dějinách českých Židů trochu jinak. In: ebd. Nr. 37 vom 11.9.1990, 6. 232 Terezínská tryzna 16.9.1990, Projev M. Kárného, ABT, file no. 497 (Miroslav Kárný). 233 Ebd. 234 Terezínská tryzna. Ve světě vědí víc. In: Lidové noviny vom 23.4.1992, 3. 235 Terezínská tryzna 16.9.1990, Projev M. Kárného, ABT, file no. 497 (Miroslav Kárný). 236 Siehe unter anderem Zář sedmiramenného svícnu. In: Lidové noviny vom 6.5.1991, 1 f. 237 Šoa  – apokalypsa 20.  století. In: Literární noviny 2/29 (1991), 10.  – Svědek svědků. Rozhovor s Claudem Lanzmannem. In: ebd. – Ascherson, Neal: Spor o Šoa. In: ebd. 2/43 (1991), 12.

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allen voran jene Arnošt Lustigs, in der Tschechoslowakei und seinen Nachfolgestaaten publiziert.238 Gleichzeitig zu dieser Konjunktur jüdischer Themen und jüdischer Geschichte unterlief auch die »tschechische« Geschichte einer Neuorientierung. So wie für Ostmitteleuropa nach 1989 im Allgemeinen, so ging auch in der postkommunistischen Tschechoslowakei die Identitätssuche im Zuge der Neupositionierung im aktuellen Europa einher mit einer Stärkung nationalistischer Tendenzen im öffentlichen Leben. Traditionelle Aspekte des ostmitteleuropäischen Nationalismus, das heißt die existenzielle Angst um die Nation, die Bedrohung durch die Großmächte und die ständige Suche nach den eigenen historischen Wurzeln, wurden in einer Situation, die man als Sieg des Nationalismus über den Kommunismus bezeichnen kann, bekräftigt.239 In der Tat bedeutete 1989 nicht nur das Ende des Kommunismus und die wiedererlangte Freiheit, sondern löste einen Transformationsprozess aus, der durchaus die »Dimension einer sozialen Revolution«240 hatte und begleitet wurde von einer neuen Welle nationaler und ethnischer Konflikte, von einem Aufschwung des Nationalismus.241 Im Zeichen eines erstarkten Nationalismus sowohl in Tschechien als auch in der Slowakei, gingen viele Historiker daran, die Geschichte von marxis­ tischen Interpretationen zu befreien und in den Kontext der jahrhundertealten Nationalgeschichte zu stellen. In Anlehnung an die Diskussionen dissidenter Historiker und Intellektueller, fand man Anknüpfungen sowohl in der oftmals idealisierten Ersten Republik (1918–1938) als auch in der Nationalbewegung des 19.  Jahrhunderts.242 In der Frage der (alt-neuen) Meistererzählungen der nationalen Geschichte habe das Jahr 1989, so der Historiker Hans Lemberg, keine herausragende Zäsur bedeutet. Der Grund ist […] darin zu sehen, daß die [Kommunisten] keine neuen Meistererzählungen für die fernere Vergangenheit entwickelt, sondern sich aktiv als Erben der nationalen Geschichtstradition profiliert ­haben.243

Auch Christiane Brenner, die die historischen Debatten der frühen 1990er Jahre untersuchte, sieht in der oft bemühten Zäsur von 1989 in manchen Aspekten »mehr Kontinuität als Veränderung.«244 Bis ins 21.  Jahrhundert 238 Zur weiteren Hinwendung zur Geschichte des Holocaust, auch auf lokaler Ebene, siehe Frankl: The Sheep, 178–181. 239 Hiezu etwa Sugar: Nationalism. 240 Pauer: Tschechische Republik, 275. 241 Unter vielen anderen etwa ebd. 242 Heumos: Probleme. – Schulze Wessel: Zeitgeschichtsschreibung. 243 Lemberg: Die Rolle von Geschichte, 170. 244 Brenner: Forward, 194.

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hinein treten renommierte tschechische Historiker mit Forderungen auf, den negativen Seiten der Nationalgeschichte keine allzu große Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Zehn Jahre nach der politischen Wende, im September 1999, lösten die Debatten um die Rolle der Geschichtswissenschaft und die Frage um eine national affirmative Geschichte, die dem »apologetischen Denken der sog. ›Wiedergeburts‹-Epoche des 19. Jahrhunderts«245 verpflichtet blieb, einen tschechischen »Historikerstreit« aus. Neben der Kritik junger Historiker an den ununterbrochen wirksamen Tendenzen aus der Periode der Normalisierung und an einem notwendigen Generationswechsel, drehten sich die Diskussionen genau um die Frage der eng nationalistischen Betrachtung der tschechischen Geschichte246 und um die Frage der moralischen Pflichten der Geschichtsschreibung, um die »Frage der Verteidigung eines Wertekanons der nationalen Geschichte.«247 Unter diesen Werten finden sich zweifellos, und an prominenter Stelle, Patriotismus und Heroismus.248 Teil der Umdeutung der Nationalgeschichte war die Frage der Rehabilitierungen der von den Kommunisten verteufelten Vertreter der tschechischen »Bourgeoisie«. Obwohl dies einen verständlichen und logischen Akt darstellte, so bedeutete dies zugleich, dass auch Personen, die sich an antisemitischen Maßnahmen in der Zweiten Republik und während des Protektorats aktiv beteiligt hatten, nun zum Teil  unreflektiert zu Helden ernannt wurden. Zwar war der tschechische Landesteil nicht mit den leidenschaftlichen Debatten konfrontiert, die in der Slowakei etwa die Rehabilitierung von Personen wie Andrej Hlinka oder Jozef Tiso begeleiteten, dennoch  – vielleicht auch deswegen  – ist es bislang nicht zu einer breitenwirksamen kritischen Auseinandersetzung mit dem tschechischen Eigenanteil am Holocaust gekommen. Ganz im Gegenteil, der »Genozid« diente auch nach 1989 manchen Autoren dazu, die prekäre und bedrohte Existenz der tschechischen Nation zu betonen.249 Die Gefahren eines engen Blicks auf die Nationalgeschichte hatten unmittelbar nach dem Systemwechsel von 1989 mehrere Autoren benannt: Die Auffassung der Nation als ein homogener Organismus führe zu Intoleranz und Ausländerhass.250 Aus den Schulbüchern seien zwar die kommunistischen Begrifflichkeiten verschwunden, die nationalistische Betrachtung der Geschichte sei jedoch weiter omnipräsent. So kritisierte David Čaněk die tsche245 Lemberg: Die Rolle von Geschichte, 151. 246 Ebd. – Brenner: VIII . Kongreß. – Svátek: Pokus. – Ähnliche Diskussionen prägten bereits den VII . tschechischen Historiker-Kongress im Jahr 1993. Brenner: VII . Kongreß. 247 Lemberg: Die Rolle von Geschichte, 163. – Allgemein zu diesen beiden Punkten auch Brenner: Forward. 248 Kučera: Zum tschechischen Forschungsstand. 249 Dazu kurz Bartošek: Češi, 101. 250 Bryant: Whose nation?, 51.

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chischen Schulbücher der 1990er Jahre, die von einer »natürlich« gegebenen tschechischen Nation ausgingen und diese nicht als historisches und soziales Konstrukt reflektierten: Die tschechischen Geschichtslehrbücher propagieren xenophobe bis rassistische Einstellungen, bieten wenig Raum für Pluralität […], sind Sprachrohre des Nationalismus des 19.  Jahrhunderts. Mit anderen Worten: Die tschechischen Schüler lernen aus diesen Lehrbüchern Denk- und Verhaltensweisen, deren charakteristische Merkmale das Sich-Abschließen und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten sind und die außerdem an der Vorstellung einer nahezu absoluten Homogenität der tschechischen gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse orientiert sind […].251

In der Tat waren auch im postkommunistischen Tschechien, so wie in anderen ostmitteleuropäischen Ländern, alt-neue Spielarten des Antisemitismus zu verzeichnen.252 Die Gefahren der Periode der Transformation beschrieb Václav Havel bereits im Jahre 1991 treffend: In der Atmosphäre der allgemeinen Ungeduld, Nervosität, Enttäuschung und des Zweifels entstehen und schleichen sich in unser öffentliches Leben Elemente der Gehässigkeit, der Verdächtigung, des Mißtrauens, der gegenseitigen Verleumdung ein; die Freiheit öffnete überraschend die Tore für Äußerungen unserer vielfältigsten schlechten Eigenschaften und zeigte die Tiefe des moralischen Verfalls in unseren Seelen. Den monolithischen, sichtbaren und von allen leicht erkennbaren Feind haben wir besiegt, und jetzt suchen wir ihn – getrieben von unserer Unzufriedenheit und dem Bedürfnis nach einem lebendigen Schuldigen – im jeweils anderen. Jeder fühlt sich von dem anderen enttäuscht oder sogar betrogen.253

Was folglich allgemein für die tschechische Zeitgeschichtsschreibung nach 1989 gilt, ist in besonders deutlicher Weise in der Historiographie zum Zweiten Weltkrieg zu sehen: Auch nach dem Sturz des kommunistischen Regimes wurde in Geschichtslehrbüchern und in allgemeinen Überblickswerken zum Zweiten Weltkrieg dessen Deutung als deutsch-tschechischer Konflikt tradiert. Detailliert wird die Unterdrückung der tschechischen Bevölkerung geschildert und der tschechische Widerstand gegen den Nationalsozialismus.254 In zahlreichen Filmen wurde das traditionelle Bild der sadistischen Deutschen gezeigt, das nach 1989 »keine wesentlichen Veränderungen« erfuhr, wie Petr Koura analysierte.255 Mit nur wenigen Worten jedoch wird die Verfolgung und Ermordung der Juden erwähnt. Die meisten Autoren machen zudem deutlich, wie Heidrun Dolezel nach der Analyse von Schulbüchern aus 251 252 253 254 255

Čaněk: Tschechische Schulbücher, 67. Hahn: Anti-Semitism. – Shafir: Varieties. Havel: Neujahrsansprache 1991, 179f Siehe etwa Dolezel: Die Tschechoslowakei, 152–154. Koura: Nazis, 136.

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den frühen 1990er Jahren festhält, »daß ›die Nazis‹, ›die Okkupations- und Protektoratsämter‹, mithin die Deutschen, die Urheber von Judenverfolgung und -vernichtung im Protektorat waren.«256 Dasselbe gilt selbstverständlich für Autoren wie Miroslav Kárný, die ihre Studien nach 1989 nun ohne Eingriffe der Zensur oder politische Vorgaben der kommunistischen Partei publizieren konnten, ihre Deutung der Vergangenheit deswegen allerdings nicht (oder nicht in allen Punkten) umwarfen. In seiner wegweisenden Monographie zur »Endlösung der Judenfrage« in den böhmischen Ländern, die Kárný 1991 veröffentlichte, wiederholte er sein Verständnis der Verfolgung der Juden als Teil  des Germanisierungsplanes der Nationalsozialisten. Er bekräftigte die Ähnlichkeit zwischen der »Endlösung der Judenfrage« und der »Endlösung der tschechischen Frage« und er sprach die Masse der tschechischen Bevölkerung frei von antisemitischen Denkweisen und von Vorwürfen des passiven Zusehens.257 Er blieb der Tätersicht verhaftet, versuchte die Machtmechanismen zu studieren, die zum Holocaust führten und hielt  – anders etwa als neuere Forschungen, welche den »pragmatische[n], sachbezogene[n] Überlegungen« bei der Durchführung der Shoah nur sekundäre Bedeutung zumessen und den Raub nicht als ihre Ursache, sondern als Folge deuten258 – auch in späteren Beiträgen an der Relevanz der ökonomischen Begründung für die Judenverfolgung fest. Hinter dieser sah er darüber hinaus ein auch gegen die Tschechen gerichtetes Unternehmen, so sprach Kárný etwa in einem Aufsatz aus dem Jahr 1997 von der Arisierung als »Instrument des deutschen Vordringens in die tschechoslowakische Wirtschaft«.259 Der Historiker und Journalist Tomáš Sniegon konnte die Frage danach, »wessen« Holocaust es gewesen sei, eindeutig damit beantworten, dass er auch nach 1989 weiter als Sache der Juden angesehen werde. Die Integration des Holocaust in die Nationalgeschichte wird bis heute nicht vollzogen.260 Der geographisch enge Blick auf die Protektoratsgeschichte bedingt jene Wahrnehmung, der zufolge die Geschichte der Judenverfolgung mit den Deportationen aufhört, Teil der »tschechischen« Geschichte zu sein. Die Historikerin Alice Aronová erkennt in ihrer Analyse der tschechischen Holocaust-Filme der 1960er Jahre drei verschiedene Arten: jene, die die beginnende Verfolgung und Ausgrenzung der Juden behandelten, jene, die die Deportationen und das Leben im KZ schilderten sowie jene, die die Biographie der Überlebenden 256 Dolezel: Die Tschechoslowakei, 153. 257 Kárný: »Konečné řešení«. 258 Bauer: Die dunkle Seite, 71 f.  – Zur Unmöglichkeit, den Holocaust allein über derart »logische« Erklärungen wie wirtschaftliche Ausbeutung und Raub zu erklären, siehe weiter ebd., 81. – Ähnlich auch Marrus: L’Holocauste, 39–54. 259 Kárný: Reinhard Heydrich, 45. 260 Eine Analyse neuerer Geschichtswerke etwa bei Kučera: Zum tschechischen Forschungs­ stand. – Frankl: The Sheep. – Kolář: A Difficult Quest.

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nach 1945 beleuchteten. Den Grund, wieso die erste Kategorie am häufigsten vorkam, sieht Aronová darin, dass die Geschichte der beginnenden Diskriminierung der Juden die gesamte Gesellschaft betreffe und daher auch in das nichtjüdische Gedächtnis falle.261 So haben sich auch in der Wahrnehmung Theresienstadts ältere Deutungsmuster behauptet. Außer Zweifel steht, dass nun die unterschiedlichen Repräsentationen Theresienstadts sichtbarer sind. Doch die Frage danach, »wem« Theresienstadt gehört, ist weiter von Brisanz. Mitte der 1990er Jahre protestierten amerikanische Juden gegen das monumentale Kreuz mit Dornenkrone, das über den mehrheitlich jüdischen Gräbern des Nationalfriedhofs thronte.262 Zugleich begannen (Sudeten-)Deutsche, öffentlich des Internierungslagers für Deutsche zu gedenken, das in der Kleinen Festung Theresienstadt von 1945 bis 1948 existierte.263 Steht nun Theresienstadt für die Unter­ drückung der Tschechen, für den Holocaust oder für die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei? Klar ist, dass die massive Aufwertung der Holocaust-Erinnerung in Theresienstadt, wie sie im Laufe der 1990er Jahre vor allem durch das GhettoMuseum, aber auch im öffentlichen Raum der Stadt durch Gedenktafeln und Denkmäler nicht ohne Widerspruch verlief. Zwischen den Überlebenden der Kleinen Festung und jenen des Ghettos kam es zu Meinungsunterschieden. In beiden Gruppen entstand das Gefühl, wie Vojtěch Blodig konstatierte, »dass die Gedenkstätte der Darstellung der Geschichte der ›anderen‹ Häftlingsgruppe zu viel Raum einräumt und die besonders wichtige, d. h. die eigene Gruppe, vernachlässigt.«264 So könnten auch viele Überlebende der Kleinen Festung, so Blodig weiter, »nicht verkraften, dass sie nicht mehr die Einzigen sind, an die man in Theresienstadt erinnert.«265 Ersichtlich wird, wie die demokratische Verfasstheit der Tschechischen Republik die Koexistenz unterschiedlicher Perspektiven auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust ermöglicht. Diese Pluralisierung im öffentlichen Raum bedeutet jedoch nicht – zumindest noch nicht – die Integration des Holocaust in die tschechische nationalgeschichtliche Meistererzählung.

261 Aronová: Rozkvět, 188. 262 Newsletter  – Theresienstadt Martyrs Remembrance Association, Nr.  38, Januar 1995, 6 f., ABT, Newsletter. 263 Ebd. 264 Blodig: Die Gedenkstätte Theresienstadt – Vergangenheit, 188. 265 Ebd., 189.

Schluss

Tschechien sei »spektakulär unspektakulär«, schreibt der Politologe Volker Weichsel nach den Parlamentswahlen 2010, und verweist damit auf die relativ stabile politische und wirtschaftliche Situation in Tschechien, die demokratische Reife und die Tatsache, dass populistische oder extremistische Positionen und Parteien im Vergleich zu den Nachbarländern nur geringen Zulauf verzeichneten.1 Auch macht Tschechien, anders als etwa Polen oder Ungarn, kaum Negativschlagzeilen, wenn es um die Erinnerung an den Holo­ caust oder um fortdauernden Antisemitismus geht.2 Die »Europäisierung des Holocaust«, wie die »forcierte Universalisierung« und teils konfliktive Homo­ genisierung von Erinnerungskulturen auf politischer Ebene immer öfter genannt werden,3 scheint in Tschechien ohne nennenswerte Hindernisse voranzuschreiten. 1998 initiierte der damalige Präsident Václav Havel das Projekt »Fenomén Holocaust« (Phänomen Holocaust), das auch die Frage nach der eigenen Mitschuld stellte.4 Zudem wurde Tschechien im Jahre 2001 als Mitglied der »Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance, and Research« aufgenommen.5 Beides waren wichtige Schritte zur Erlangung der »europäischen Eintrittskarte«, so Tony Judt in Anspielung auf die ethische Verbindlichkeit des Gedenkens an die Verfolgung und Ermordung der Juden im Nationalsozialismus.6 Seit 2005 wird auch in Tschechien der 27. Januar als offizieller Holocaust-Gedenktag begangen – ein ebenso klares Bekenntnis zu einer gesamteuropäischen Erinnerung wie die Abhaltung der »Holocaust Era Assets Conference« in Prag und Theresienstadt vier Jahre später, am Ende der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft 20097

1 Weichsel: Spektakulär unspektakulär. 2 Anders sieht es aus in der Frage xenophober Stimmungen und der Haltung gegenüber Roma. 3 Rupnow: Transformationen, Zitat 70. – Siehe weiter zuletzt Uhl: Conflicting Cultures. 4 Die gesammelten Materialien aus dem Projekt sind online zugänglich. URL: http://old. hrad.cz/president/Havel/holocaust (am 3.5.2010). 5 Jüngst umbenannt in International Holocaust Remembrance Alliance. URL: http://www. holocaustremembrance.com/node/111 (am 15.3.2014). 6 Judt: Geschichte Europas, 933. 7 URL: http://www.holocausteraassets.eu (am 3.5.2010). Im Rahmen dieser Konferenz wurde auch die Gründung des »Europäischen Instituts zur Wahrung des Vermächtnisses der Shoah« in Tschechien verkündet. Das Institut wurde schließlich am 20. Januar 2010 offiziell ins Leben gerufen. URL: http://www.shoahlegacy.org (am 24.9.2010).

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Schluss

oder der geplante Aufbau des Europäischen Studien- und Begegnungszentrums Leo Baeck in der Stadt Terezín.8 Zweifelsohne hat sich die offizielle Haltung des Staates zur Erinnerung an den Holocaust seit 1989 grundsätzlich gewandelt. Gesellschaftliche Einstellungen jedoch dauern fort, erweisen sich gegenüber politischen Zäsuren als überraschend beständig. Wo in Europa einerseits der Niedergang des Patriotismus und der Bedeutungsrückgang nationalstaatlicher Kategorien festzustellen sind9 und andererseits das »postheroische« Zeitalter ausgerufen wurde,10 scheint in Tschechien der Nationalheld, der Kämpfer für die nationale Unabhängigkeit weiter Konjunktur zu haben. Wiewohl der Philosoph Tzvetan Todorov behauptet, dass es in der heutigen westlichen Gesellschaft keinen positiven Wert mehr darstelle, für sein Vaterland zu sterben,11 ist die tschechische Erinnerung an den Holocaust weiterhin »von nationalen Imperativen geformt«.12 Wie gezeigt werden konnte, war die Instrumentalisierung der Geschichte für aktuelle politische Fragen keine Besonderheit des kommunistischen Regimes. Ganz im Gegenteil erlebte die Funktionalisierung der Geschichte mit dem politischen Systemwechsel, mit dem Ende der »Geschichtslosigkeit« der Normalisierungsära und dem »endgültigen Utopiezusammenbruch«13 eine neue Blüte. Die Ziele des Rückgriffs auf die Geschichte haben sich selbstverständlich geändert; an die Stelle des Kommunismus trat der Nationalismus. Schien die Stärkung nationalistischer Stimmungen zunächst wie eine vorübergehende Reaktion auf die verlorenen Sicherheiten angesichts der politischen Transformation und der Trennung der Tschechoslowakei in zwei separate Staaten, kann diese Erklärung 25 Jahre nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa keine Gültigkeit mehr beanspruchen. Demgegenüber wurde in der vorliegenden Arbeit versucht, die Kontinuitäten zu betonen, die über politische Zäsuren hinweg die Suche prägten nach einem »nationalen Gedächtnis«, nach einer einenden und identitätsstiftenden Nationalgeschichte.14 8 Benz: Theresienstadt (2013), 242 f. 9 Siehe unter vielen anderen das Dossier L’identité nationale face au postmodernisme der Zeitschrift Controverses (Nr. 3, 2006), darin besonders Delannoi: La Nation und Schnapper: La France. 10 Unter vielen anderen zuletzt Sabrow: Die postheroische Gedächtnisgesellschaft. 11 Todorov: Angesichts des Äußersten, 57. 12 Der Begriff ist entlehnt aus Levy: Erinnerung im globalen Zeitalter, 23.  – Emmanuel Droit erklärt die Stärkung einer Nationalgeschichtsschreibung mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit der osteuropäischen Staaten nach 1989. Er spricht von einer »Natio­ nalisierung der Geschichte und des Gedächtnisses zu einem Zeitpunkt, zu dem zahl­ reiche Länder Westeuropas anfingen, ihre Nationalgeschichte zu dekonstruieren.« Droit: Le Goulag, 107. 13 Kolář: Die nationalgeschichtlichen master narratives, 229. 14 Wichtige Arbeiten hat auf diesem Gebiet Michal Kopeček vorgelegt: Kopeček: Human Rights. – Ders.: In Search.

Schluss

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Das tschechische Geschichtsbild und die Geschichtsschreibung weisen auch heute noch einen ethnisch wie geographisch engen Blick auf.15 Dadurch wird nicht nur die Wahrnehmung des Holocaust in seinem europäischen Umfang verunmöglicht, sondern vor allem seine Einordnung in die tschechische Geschichte.16 Zudem bewirkt die starke Betonung des tschechischen Widerstands – selbst wenn es nur um die kulturelle Opposition geht oder die spirituelle Gegnerschaft, die auch der Idee des »kleinen« tschechischen Menschen Schwejkscher Prägung zugrunde liegt –,17 dass Fragen nach alltäglicher Kollaboration, passivem Zusehen und der eigenen Mitschuld kaum aufgeworfen werden.18 Die tschechische Nation werde sich, so die Literaturwissenschaftlerin Alena Fialová, »des Bedürfnisses nach Helden und Heldentum nie entledigen«, »egal wie viele Schriftsteller sie von ihrer eigenen Kleinheit und Feigheit überzeugen«.19 Die europaweite »ethische Wende im Opfergedächtnis«, um noch einmal Aleida Assmanns Bezeichnung zu bemühen,20 wurde in Tschechien nur in Bezug auf die eigenen, tschechischen Opfer vollzogen. Was Eva und Hans Henning Hahn die »Holocaustisierung« des Vertreibungs-Diskurses in Deutschland nannten,21 könnte man auch auf Tschechien anwenden: Denn wem, nach den Juden, drohe der Holocaust, die »Endlösung«, der Genozid mehr als den Tschechen?22 Es wird sich erst zeigen, ob das antifaschistische Geschichtsverständnis fortbestehen wird, welches es ermöglichte, den Zweiten Weltkrieg, und damit auch den Holocaust, eindimensional in eine stringente politische Sinnstiftung zu übersetzen; ob wir es mit einer Renationalisierung und einem Festhalten an nationalen Kategorien in einem veränderten, europäischen Rahmen zu tun haben; oder ob es sich um eine tatsächliche Alternative zu einem Erinnern der Schuld, zum »westlichen Masochismus« – wie der französische Philosoph Pascal Bruckner es formulierte –23 handelt. 15 Vgl. dazu und insbesondere zur geographischen Komponente der tschechischen, völlig auf das Gebiet des ehemaligen Protektorats Böhmen und Mähren konzentrierten Betrachtung des Zweiten Weltkriegs sehr instruktiv: Kučera: Zum tschechischen Forschungsstand. – Kolář: A difficult Quest, 208. 16 Sniegon: Their Genocide. – Kolář: Die nationalgeschichtlichen master narratives, 235. – Frankl: The Sheep. 17 Holy: The little Czech, 62 und passim. 18 Zur weiterhin starken Konzentration auf Widerstandsgeschichte etwa Kučera: Zum tschechischen Forschungsstand, besonders 178 f. 19 Fialová: Feiglinge. 20 Assmann: Der lange Schatten, 76–79. 21 Hahn: The Holocaustizing. 22 Zuletzt etwa Kyncl: Bez výčitek. – Celovsky: Germanisierung. – Motl, Stanislav: Čechy vymazat. Reinhard Heydrich a konečné řešení české otázky. In: Reflex 37 (2011), URL: http://www.reflex.cz/clanek/jine-pribehy-heydrichiady/43300/cechy-vymazat-reinhardheydrich-a-konecne-reseni-ceske-otazky.html (am 15.3.2014). 23 Bruckner: La tyrannie. Deutsch weniger prägnant als ders.: Der Schuldkomplex.

322

Schluss

Als widersprüchlich mag erscheinen, dass  – neben dem Festhalten an einem ethnozentristischen, nationalistischen und heroischen Geschichtsbild – gleichzeitig das jüdische Prag floriert, Bücher und Filme zur jüdischen Geschichte und zum Holocaust erscheinen, in Theresienstadt immer deutlicher die Vergangenheit des Ghettos präsentiert wird.24 Ein abschließender Exkurs zu einem Aspekt der digitalen Erinnerungskultur vermag dies mög­licherweise zu erklären: Sucht man in der tschechischen Wikipedia nach »Endlösung« (konečné řešení), wird man gebeten, die Eingabe zu präzisieren und zwischen zwei Beiträgen zu wählen:25 einem äußerst knappen, acht Zeilen umfassenden, zur »Endlösung der Judenfrage« und einem ausführlichen zur »Endlösung der tschechischen Frage«.26 Der Artikel zur »Endlösung der Judenfrage« ist eingebettet in das »Portal Hebraistik« und verweist mit einem Link auf den Beitrag zur »Endlösung der tschechischen Frage«. Dieser hingegen ist verschlagwortet unter »Geschichte der Tschechoslowakei im Zweiten Weltkrieg«, »Kriegsverbrechen auf dem Gebiet der Tschechoslowakei im Zweiten Weltkrieg« und »Verbrechen des nazistischen Deutschlands während des Zweiten Weltkriegs«. Unter den internen Links wird unter anderem auf die »Verbrechen Deutschlands im Zweiten Weltkrieg« und den »Generalplan Ost« verwiesen. Auf den Aufsatz über die »Endlösung der Judenfrage« wird man hier nicht aufmerksam gemacht. Beide Beiträge sind in die Kategorie »Genozid« eingeordnet, jener über die »Endlösung der Judenfrage« zusätzlich in »Holocaust«, »Nazistische Terminologie« und das Jahr 1942. Ohne hier weiter auf Details der tschechischen Wikipedia einzugehen (was etwa zeigen würde, dass unter den Opfergruppen des Holocaust die Slawen zweimal so viel Platz einnehmen wie die Juden),27 wird bereits ersichtlich, dass jene traditionelle Wahrnehmung, die den Holocaust aus der tschechischen Geschichte exkludiert und ihn ausschließlich der »Hebraistik« zurechnet, auch in der heutigen tschechischen Gesellschaft noch präsent ist. Dies bekräftigt zudem die Hypothese, dass auch vor 1989 das Hindernis für eine breite Auseinandersetzung mit der Shoah nicht allein im staatlichen Versuch ihrer Tabuisierung zu finden ist, sondern dass in der Marginalisierung und insbesondere in der Externalisierung der nationalsozialistischen Judenverfolgung ein gewisser Konsens zwischen Staat und Gesellschaft herrschte.

24 Zu dieser Gleichzeitigkeit auch Frankl: The Sheep. 25 Wikipedie: Konečné řešení (Begriffsklärung), URL: http://cs.wikipedia.org/wiki/Konečné_ řešení (am 14.3.2014). 26 Wikipedie: Konečné řešení židovské otázky, URL: http://cs.wikipedia.org/wiki/Konečné_ řešení_židovské_otázky (am 14.3.2014). – Wikipedie: Konečné řešení české otázky, URL: http://cs.wikipedia.org/wiki/Konečné_řešení_české_otázky (am 14.3.2014). 27 Wikipedie: Holokaust, URL: http://cs.wikipedia.org/wiki/Holokaust (am 14.3.2014).

Dank

Allen Personen, die mich auf die eine oder andere Weise bei der Umsetzung der vorliegenden Arbeit unterstützt und das Projekt mit Interesse begleitet haben, gilt mein aufrichtiger Dank. Es sei mir verziehen, dass nicht alle namentlich genannt werden können. Für wichtige Anregungen danke ich ­Michal Frankl und Thomas Hejda; für kritische Kommentare zu Teilen des Manuskripts Sabine Stach, Hannah Maischein, Melanie Dejnega, Imke Hansen und Stephan Stach. Peter Brod sei herzlich gedankt für die zahlreichen Literaturhinweise und die Möglichkeit, sein umfangreiches Privatarchiv zu benutzen. Jiří Gruntorád hat meine Recherchen zu Veröffentlichungen im Samizdat bereitwillig unterstützt. Bei den Mitarbeitern des Collegium Carolinum bedanke ich mich für inhaltliche Anregungen und die institutionelle Betreuung während meines Stipendiums. Martin Schulze Wessel, dem Gutachter und Betreuer der Dissertation, sowie Michael Brenner, dem Zweitgutachter, danke ich für ihr Interesse an meinem Forschungsvorhaben, ihr stets bekundetes Vertrauen in meine Arbeit und ihre kritischen Kommentare zum Manuskript. Philipp Mangold hat wunderbare Arbeit geleistet, indem er – unter ziemlichem Zeitdruck  – das Manuskript lektoriert hat. Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Graduiertenschule für Ost- und Südosteuropastudien bin ich dafür verpflichtet, dass die Drucklegung der Arbeit so rasch ermöglicht wurde. Für die Aufnahme in die Reihe »Schnittstellen« möchte ich mich bei den Herausgebern, Ulf Brunnbauer und Martin Schulze Wessel, herzlich bedanken. Finanzielle Unterstützung erhielt ich im Rahmen des am Collegium Carolinum angesiedelten Forschungsprojekts »Diskurse von Opferverbänden: Deutschland, Tschechien und die Slowakei im Vergleich« (Deutsch-Tschechische und Deutsch-Slowakische Historikerkommission, getragen vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien im Rahmen des Europäischen Netzwerks Erinnerung und Solidarität) sowie von der Fondation pour la Mémoire de la Shoah (Paris). Ein Fellowship am Jüdischen Museum in Prag im Rahmen des europäischen Projektes EHRI (European Holocaust Research Infrastructure) ermöglichte es mir, im Mai 2014 einen abschließenden einmona­ tigen Forschungsaufenthalt in Prag zu absolvieren. Insbesondere möchte ich jedoch Elen, meiner Familie und meinen Freunden danken für die Geduld und den fortdauernden Zuspruch.

Abkürzungen

ABT APT AJDC AMM ANM BDIC CAHJP CDJC CJH ČSPB ČSR CZA DA FÚV ČSSPB IKG KNV KO KS KSČ KSSPPOP KV LBI MěNV MIO MK MKI MNO MNV MOPSP MŠK MV NA NH OK ONV OŠK OV PNU PT RŽNO SBS SKNV SOA

Archiv Beit Theresienstadt Archiv Památníku Terezín American Jewish Joint Distribution Committee Archiv der KZ -Gedenkstätte Mauthausen Archiv Národního muzea Bibliothèque de Documentation Internationale Contemporaine The Central Archives for the History of the Jewish People Centre de documentation juive contemporaine Center for Jewish History Český svaz protifašistických bojovníků Československá republika Central Zionist Archives Dokumentační akce Federální ústřední výbor Československého svazu protifašistických bojovníků Israelitische Kultusgemeinde Krajský národní výbor Kontrolní odbor Kulturní správa Komunistická strana Československa Krajské středisko státní památkové péče a ochrany přírody Krajský výbor Leo Baeck Institute Městský národní výbor Ministerstvo informací a osvěty Ministerstvo kultury Ministerstvo kultury a informací Ministerstvo národní obrany Místní národní výbor Ministerstvo ochrany práce a sociální péče Ministerstvo školství a kultury Ministerstvo vnitra Národní archiv České republiky Národní hřbitov Odbor kultury Okresní národní výbor Odbor školství a kultury Okresní výbor Památník národního utrpení Památník Terezín Rada židovských náboženských obcí Svaz bojovníků za svobodu Severočeský krajský národní výbor Státní oblastní archiv

Abkürzungen SOPV SOPVP SPB SPVC SÚC SŽM ÚSŽNO ÚV KSČ ÚV SPB VPA KG WJC YVA ŽNO ZV ROH

325 Svaz osvobozených politických vězňů Svaz osvobozených politických vězňů a pozůstalých po obětech nacismu Svaz protifašistických bojovníků Sekretariát pro věci církevní Státní úřad pro věci církevní Státní židovské muzeum Ústredný sväz židovských náboženských obcí na Slovensku Ústřední výbor Komunistické strany Československa Ústřední výbor svazu protifašistických bojovníků Vojenská politická akademie Klementa Gottwalda World Jewish Congress Yad Vashem Archives Židovská náboženská obec Závodní výbor revolučního odborového hnutí

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Archiv Památníku Terezín, Terezín [APT] Fotoarchiv

Archiv Národního muzea, Prag [ANM] Nachlass Hana Volavková

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Periodika Dnešek Historické studie [Samizdat] Hlas osvobozených Hlas revoluce Informace o Chartě 77 [Samizdat] Informationsbulletin (hg. vom Rat der jüdischen Gemeinden in Böhmen und Mähren) Judaica Bohemiae Kalendář (Alef) [Samizdat] Kritický sborník [Samizdat] Kulturní politika Lidová demokracie Lidové noviny (1988–1989) [Samizdat] Literární noviny Obsah [Samizdat] prostor [Samizdat] Proud Revolver Revue [Samizdat] Rudé právo Služba repatriantům Střední Evropa [Samizdat] Svědectví Terezínské listy Věstník židovské obce náboženské v Praze [kurz: Věstník] Ze zásuvky i z bloku [Samizdat] Židovská ročenka

Filme 

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Filme Daleká cesta, Regie: Alfréd Radok, Drehbuch: Alfréd Radok / Erik Kolár, Tschechoslowakei 1949, 99 Min. Romeo, Julie a tma, Regie: Jiří Weiss, Drehbuch: Jiří Weiss / Jan Otčenášek, Tschechoslowakei 1959, 94 Min. Přežil jsem svou smrt, Regie: Vojtěch Jasný, Drehbuch: Milan Jariš, Tschechoslowakei 1960, 96 Min. Sousto, Regie und Drehbuch: Jan Němec, Tschechoslowakei 1960, 11 Min. …  a pátý jezdez je Strach, Regie: Zbyněk Brynych, Drehbuch: Hana Bělohradská /  Zbyněk Brynych, Tschechoslowakei 1964, 97 Min. Démanty noci, Regie: Jan Němec, Drehbuch: Arnošt Lustig / Jan Němec, Tschecho­ slowakei 1964, 64 Min. Obchod na korze, Regie: Ján Kadár / Elmar Klos, Drehbuch: Ladislav Grosman / Jan Kadár / Elmar Klos, Tschechoslowakei 1965, 121 Min. Dita Saxová, Regie: Antonín Moskalyk, Drehbuch: Antonín Moskalyk / Arnošt ­Lustig, Tschechoslowakei 1967, 104 Min. Spalovač mrtvol, Regie: Juraj Herz, Drehbuch: Ladislav Fuks / Juraj Herz, Tschechoslowakei 1968, 96 Min. Malíř č. 855, Regie und Drehbuch: Viktor Polesný, Tschechoslowakei 1975, 18 Min. Guernica, Regie:  Emir Kusturica, Drehbuch:  Pavel Sýkora / Emir Kusturica, Tschechoslowakei 1978, 17 Min. Shoah, Regie: Claude Lanzmann, Frankreich 1985, 540 Min. Smrt krásných srnců, Regie und Drehbuch: Karel Kachyňa, Tschechoslowakei 1986, 86 Min. Terezin Diary, Regie: Dan Weissman, Drehbuch und Vorlage: Zuzana Justman, USA 1989, 88 Min. Un vivant qui passe, Regie: Claude Lanzmann, Frankreich 1997, 65 Min. Krev zmizelého, Regie: Milan Cieslar, Drehbuch: Vladimír Körner, Tschechische Republik 2005, 126 Min. Nesdělitelné, Regie: Helena Třeštíková, Tschechische Republik 2006, 55 Min.

Personenregister Abeles, Karl (siehe Brozik, Karl) Adam, Alfons  80 Adenauer, Konrad  42 Amort, Čestmír  185, 215 Ančerl, Karel  203 Appelfeld, Aharon  34 Arafat, Jassir  51 Arendt, Hannah  292, 312 Aronová, Alice  316 f. Assmann, Aleida  21, 321 Assmann, Jan  21 Baczko, Bronisław  9 Barber, Štěpán (Stephen)  58, 221 Bardoň, Bohumil  162 Bartošek, Karel  183 f., 286, 308 f. Basch, Arnošt  59 Bauer, Yehuda  33–35, 44, 54, 58, 186 Becker, Jurek  277 Beer, Emil  227 f. Běhounek, Václav  179 Bělehrádek, Jan  55 Bělohradská, Hana  198 Ben Gurion, David  51 Benda, Břetislav  299 Benda, Vilém  117 Beneš, Edvard  96, 150, 187, 232, 234 f. Benz, Wolfgang  65, 71, 210 Berdych, Václav  47 Bergman, Anna  166 f. Bergman, Eva  167 Berman, Karel  203 Bettelheim, Bruno  209 Blodig, Vojtěch  317 Blum, Léon  52 Bor, Josef  105, 195 f., 202–204, 210 Bourdieu, Pierre  35 f. Brandes, Detlef  158 Brenner, Christiane  200, 222, 228 f., 231, 306, 313 Brod, Peter  9, 218, 276 Brod, Toman  262, 312 Brozik (Brožík), Karl  165 Brubaker, Rogers  212 Bruckner, Pascal  321

Brügel, Johann Wolfgang  233 Bruner, Josef  172 Brunner, Alois  301 Bryant, Chad  309 Brynych, Zbyněk  119, 198 Bubeníčková, Růžena  74 Budínová, Hana  179–181, 194 Burger, Adolf  260 f. Burke, Peter  21, 23 Bušek, Vratislav  155 Bůžek, Jan  246 Bystrický, Rudolf  41 Čaněk, David  314 Casanova, Danielle  75 Černý, Václav  300 f., 308 Chagall, Marc  114 Chartier, Roger  24 Chaumont, Jean-Michel  188 Chochole, Ladislav  112 Chvatík, Ivan  304 Čierný, Jan  272 Cieslar, Jiří  175 Čivrný, Lumír 289 Confino, Alon  19–21, 23–25 Cornelißen, Christoph  19 Dagan, Avigdor  268 Daluege, Kurt  158 Daníček, Jiří  285 f. de Beauvoir, Simone  292 de Certeau, Michel  24 Dědek, Václav  70 Diner, Dan  145, 304 Dobrovolný, Viktor  163 f. Doležal, Jiří  295 Dolezel, Heidrun  315 Dostál, Zeno  276 Droit, Emmanuel  320 Duba, Franz  160 Dubček, Alexander  266 Dvořák, Antonín  239 Edelman, Marek  293 Ehrmann, František  50

Personenregister

Eichler, Benjamin  267, 269 f. Eichmann, Adolf  41 f., 55, 202, 240 f., 292, 312 Eisinger, Arnošt  96 f., 243 Eisner, Pavel  56, 232 f., 238 Elias, Ruth  259 Engel, Štěpán  58–60, 176, 181, 222, 228, 242 f. Eschebach, Insa  22 Fabréguet, Michel  156 Fackler, Guido  246 Faktorová, Františka  290 f. Feder, Richard  85, 98, 100, 106, 109, 118, 168 f., 234, 258 Fialová, Alena  321 Finkielkraut, Alain  293 Fischer, Karsten  15 Fleischmann, Karel  206 Foucault, Michel  26 Franěk, Jiří  243 Frank, Anne  207, 209 f. Frank, Karl Hermann  46 Frankl, Michal  54, 218, 240, 247, 278, 285 Franková, Anita  128 Frei, Norbert  18 Friedländer, Saul  71 Frischer, Arnošt  59, 171, 217 f., 220, 224 Fritta, Bedřich (Taussig, Fritz)  206, 283 Frýd, Norbert  105, 276 Fuchs, František  69, 121, 225, 235, 237 f., 260 Fučík, Julius  75, 144 f., 185 Fučíková, Gusta  144 Fuks, Ladislav  199, 276 Futter, Erika (Vais, Erica)  166 Gebhart, Jan  204 Gellner, Ernest  310 Globke, Hans Maria  42 Goldberger, Max  169 Goldmann, Gebrüder  229 Goldstücker, Eduard  269 f. Gottschall, Vojtěch  37, 69 Gottwald, Klement  56, 224, 237 Grabová, Heda  202 Gradowski, Salmen  260–262 Grisa, Miroslav  107–109, 118 Grossmann, Jan  178 f., 193 Gruber, Ruth Ellen  303 Gruša, Jiří  303 Grygar, Mojmír  179

365 Haas, Lev (Leo)  206 Hahn (Hartmannová), Eva  242, 307, 309, 321 Hahn, Fred  311 Hahn, Hans Henning  321 Hajčík, Gustav  40, 76 Hájek, Hanuš  301 Hájek, Jiří  268 Hájková-Duxová, Věra  290 Halbwachs, Maurice  17, 23 Haman, Aleš  196 Hames, Peter  197 Hamšík, Dušan  275 f., 296 Harlan, Veit  58, 60 Hartog, François  17 Hašler, Karel  155 Havel, Václav  7, 254 f., 291, 304 f., 310 f., 315, 319 Havelka, Miloš  309 Heitlinger, Alena  9, 103 Heitlinger, Ota  62 Hejda, Thomas  28 Hellmann, Bedřich  121 Hendrych, Jiří  154 Herrmann, Leo  292 Herzog, Chaim  312 Hettling, Manfred  19 Heumos, Peter  200, 213, 222, 233, 292 Heydrich, Reinhard  45, 55, 157 f., 161 Himmler, Heinrich  275, 296 Hitler, Adolf  45, 49, 51, 56 f., 223, 270, 281 Hlinka, Andrej  314 Hobsbawm, Eric  18 Hockerts, Hans-Günter  22 Hodinová-Spurná, Anežka  56 Holub, Drahoslav  77 Holý, Jiří  184 Hořec, Jaromír  41, 208, 210 Höß, Rudolf  47 Hostovský, Egon  290 Housková, Hana  260 Hrabal, Bohumil  275 Hruban, Antonín  162 f. Hübl, Milan  307 Hus, Jan  172, 239, 308 Husa, Václav  41 Hušek, Josef  120 Hussein, Saddam  51 Hyndráková, Anna  128 (siehe auch -­ Kovanicová-Hyndráková, Anna)

366 Iggers, Wilma  9 Iltis, Rudolf  11, 50, 168, 170, 172, 187, 200, 236, 242 Isaković, Antonije  277 Jariš, Milan  154, 163 Jašík, Rudolf  195 Jelínek, Tomáš  149 Jelinek, Yeshayahu A.  9, 296 f. Jenninger, Philipp  294, 308 Jirásek, Zdeněk  278 Jírů, Jaroslav  301 Jockusch, Laura  169 Joseph II . 64 Joutard, Philippe  16 Joza, Jaroslav  128 Judt, Tony  319 Jungmann, Milan  198 Kachyňa, Karel  56, 276 Kafka, František  203 Kafka, Franz  273 Kamenec, Ivan  271 Kansteiner, Wulf  15, 20 Kantůrková, Eva  302 f. Kaplan, Karel  215 f., 233 Kárná, Margita  29 Kárný, Miroslav  29, 52, 71 f., 128, 254 f., 261, 279–282, 284, 311 f., 316 Kašák, Karel  159 Kautman, František  194, 197, 290 Kerner, Miroslav  239 Kien, Peter (Petr)  277, 283, 311 Kladiva, Jaroslav  163 Klein, Ota  209, 232, 234 Kleiner, Kamil  83 Klíma, Ivan  211, 290, 303 Klípa 245 Klüger, Ruth  259 Knittl, Ladislav  112 Kohn, Pavel  244 Kohout, Pavel  267 Kolár, Erik  174, 234 Kolár, František J.  273 Koldovský, Hanuš  244 Kónczal, Kornelia  19 Kopeček, Michal  320 Kopecký, Václav  56, 170, 234 Kopřiva, Ladislav  90 Koselleck, Reinhart  17, 23, 199 Kosinová, Věra  207

Personenregister

Kosmodemjanskaja, Zoja  75 Kosta, Jiří  170, 224 Kostková, Zdeňka  283 Koura, Petr  315 Kovanicová-Hyndráková, Anna  254, 289, 291 f. (siehe auch Hyndráková, Anna) Kozák, Jan Blahoslav  234 Kozák, Ladislav  112 Král, Václav  40 f., 47, 52 f. Krall, Hanna  293 Kraus, František  260 Kraus, František R.  118, 172, 251, 289 Kraus, Ota  9, 43, 50, 189, 258 Kraus, Ota B.  251 Krejčová, Helena  231 Křen, Jan  288, 297 f., 300, 305 Kriegel, František  269 Křížková, Marie Rút  208 Krombholz, Vít  159–163 Kroupa, Vlastislav  157 f. Kroutvor, Josef  302 Kryl, Miroslav  110, 128, 133 Kubátová, Ludmila  74 Kučera, Jaroslav  149 Kuklík, Jan  204 Kulišová, Táňa  47, 73, 92, 137 Kulka, Erich  9, 43, 50, 165, 189, 242, 253, 258 f., 263, 274, 294, 302 Kummermann, Daniel  301 Kuna, Milan  203, 205, 262 Kundera, Milan  185 Kural, Václav  216, 307 Kusturica, Emir  277 Kypr, Pavel  40, 188 Lagrou, Pieter  144 Lagus, Karel  70, 73, 101, 105–107, 114, 119, 121, 125, 136 f., 240 f. Langer, František  242 Láníček, Jan  244 Lánik, Jožko (Jozef) (Wetzler, Alfréd)  256 Lanzmann, Claude  259, 284, 292, 312 Laštuvka, Josef  269 Lauscherová, Irma  283, 288 Lavabre, Marie-Claire  19, 22 f. Lavička, Josef  112 Lederer, Julius  238, 240 Leiser, Erwin  55 Lemberg, Hans  214, 309, 313 Lemkin, Raphael  44 Levy, Daniel  23 f.

367

Personenregister

Liebsteinová, Lotte  244 Linhart, Virginie  145 Littloch, Karel  160 f., 164 Löbl, Karel  252 Loewenstein, Bedřich  233, 241, 243 f. London, Artur  268 Lunow, Ulrike  28 Lustig, Arnošt  105, 173, 196 f., 207, 211, 251, 262–264, 289, 313 Lyotard, Jean-François  16 Maier, Hans  188 Malá, Irena  74 Maria Theresia  64 Maršálek, Hans  156 Masaryk, Jan  79, 221, 234, 237–239 Masaryk, Tomáš Garrigue  96, 239 Maxa 236 Mengele, Josef  248 Meyer, Peter  225, 231 Milotová, Jaroslava  279 Mňačko, Ladislav  186, 241, 267 Moller, Sabine  20 Müller, Filip  259, 262 Munk, Jan  132 f., 312 Nałkowska, Zofia  209 Navrátil, Jiří  112 Nedbálek, František  74 Nejedlý, Zdeněk  215 Němec, Jan  197 Nepalová, Šárka  222 Noël, Bernard  303 Nora, Pierre  16 f., 19 Nosek, Karel  75, 157 Nosek, Václav  46, 220 f. Nováček, Silvestr  280 Novák, Václav  77, 135, 289 Novotný, Antonín  154, 266 Olick, Jeffrey K.  26 Ornest, Zdeněk  283 Oschlies, Wolf  274 Otáhal, Milan  267, 309 Otčenášek, Jan  194 f. Paces, Cynthia  214 Pachnerová, Míla  223, 235 f. Pásek, Tomáš  97 Pátek, Jaroslav  53, 278 Patočka, Jan  304, 310

Pauer, Jan  266 Pávek, Miroslav  84, 111, 121, 137 Pavel, Ota  56, 275–277 Pavlát, Leo  286 Pecka, Jindřich  307 Peklo, Antonín  146, 227 Pěkný, Tomáš  296, 298, 311 Pergler, Maxmilián  134 f. Pfaff, Ivan  295 Pick, Jiří Robert  118 Pithart, Petr  306, 309 Pitter, Přemysl  224 Podlaha, Josef  155 Pohl, Dieter  65 Poláček, Ota  187, 236 Polák, Josef  70, 73, 137, 240 f. Popper, Leo  275 Povolný, Josef  117 f., 120 Příhoda, Petr  308 f. Rabinbach, Anson  54, 214 Radok, Alfréd  174–177, 179 f., 304 f. Rázl, Stanislav  252 Reagan, Ronald  51 Rebenwurzel, Hanuš (Rezek, Hanuš)  256 f. Redlich, Egon  65 Reichel, Peter  18 Resnais, Alain  175 Rezek, Hanuš (siehe auch Rebenwurzel, Hanuš) 257 Robbins, Joyce  26 Rothkirchen, Livia  9, 244 Rotrekl, Zdeněk  289 Rousso, Henry  18 f. Růžičková, Zuzana  204 Rypka, Jan  56, 223 Šálková, Matylda  206 Schächter, Rafael  202–204 Schamschula, Walter  183 Scheuer, Lisa  166 f. Schindler, Franz  198 Schneider, Ute  18, 22 Šebesta, Josef  302 Sedlák, Petr  219 Shek, Zeev  61 f. Sicher, Gustav  11, 90, 169, 243 f. Sidon, Karol  199, 211, 286, 305 Šik, Ota  269 Šilhán, Věněk  303

368 Šíma, Jaroslav  235 Šimečka, Milan  140, 212, 215, 238, 266, 297 f., 305, 308 Simonsohn, Berthold  220 Skála, Ivan  179 f. Škorpil, Pavel  40, 203 Škvorecký, Josef  183 Sládek, Oldřich  73, 278 Slánský, Rudolf  97, 308 Smetana, Bedřich  239 Sniegon, Tomáš  316 Soeldner, Ivan  54 f. Soukupová, Blanka  242 Springer, Erich  283 Stalin, Iosif Vissarionovič  96 Staněk, Tomáš  218 Štefánek, Josef  180 Stegmann, Natali  150 Stein, Artur  201 Stein, Karel  188 Steinbach, Peter  18 Šteindler, Stanislav  168, 249 Steiner, George  293 Stránský, Oldřich  65 Šulcová, Olga  299 f., 303 Svoboda, Ludvík  170 Svobodová, Jana  230, 284, 297 Tanzer, Lev  187 Tatarka, Dominik  303 Taussig, Fritz (siehe Fritta, Bedřich) Tichý, F. R.  203 Tichý, Jiří  267 Tiso, Jozef  314 Todorov, Tzvetan  15, 320 Traverso, Enzo  16 Třeštíková, Helena  255, 263 Trhlínová, Marie  128 Trochta, Štěpán  154, 161 f. Troják, Pavel  118 Truman, Harry S.  51 Tucker, Aviezer  309 Tůma, Mirko  187 Tyl, Otakar  92 Ullmann, Fritz  224 Ullmann, Viktor  311 Ungar, Ota (Otto)  106, 206, 277 Urban, Jindřich  289 Urválek, Josef  60 Utitz, Emil  201, 239

Personenregister

Václavek, Ludvík  282 Valensi, Lucette  19, 23 van Laak, Dirk  16 Verdi, Giuseppe  202–204 Vít, Jan  304 Vítek, Miloš  160, 163 f. Vlček, Václav  107 f., 140 Vodička, Jan  40, 76, 94, 152 Vokřál, Jaroslav (Hamšík, Dušan)  276 Volavková, Hana  30, 70, 193 Volejník, Jaroslav  40, 76 von Neurath, Konstantin  158 Vondráčková, Slávka (Jaroslava)  193, 290 Vosolsobě, Josef  67 Votoček, Otakar  283 Vrba, Rudolf  259 Vrkočová, Ludmila  288 Vysypal, Karel  228 Wachtel, Nathan  16 Weber, Ilse  55 f., 283 Weber, Willi  224 Wehle, Kurt  10, 57 f., 230, 242 Weichsel, Volker  319 Weigel, Sigrid  188 Weil, Jiří  64, 174, 177–181, 193–197, 201, 208, 210, 258, 273, 290 Weinstein, Alfred  237 Weis, Georg (George)  113, 138 Weiss, Ejsik  170 Weiss, Jiří  194 f. Weissman, Dan  283 Weissová-Hošková, Helga  166, 245, 299 Weissová, Irena  245 Welzer, Harald  21 Wenk, Silke  22 Wetzler, Alfréd (siehe Lánik, Jozef/Jožko) Wiesel, Elie  293 Wieviorka, Annette  20, 43, 48, 191, 209 Wieviorka, Michel  16 Winter, Jay  22 Wittmann, Sylvie  285 Wolf, Otto  282 Wolfrum, Edgar  8, 18 f. Young, James E.  35, 38 Zelenka, Otto  195