Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland [1 ed.] 9783428512645, 9783428112647

Michael Hecker nimmt eine moderne verfassungsgeschichtliche Betrachtung des (rechtsrheinischen) napoleonischen Deutschla

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German Pages 206 Year 2005

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Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland [1 ed.]
 9783428512645, 9783428112647

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Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 72

Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland Von

Michael Hecker

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL HECKER

Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland

Schriften zur Verfassungsgeschichte Band 72

Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland

Von

Michael Hecker

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2002 / 2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0553 ISBN 3-428-11264-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Für meine Eltern Klaus und Ursula Hecker

Wenn man glauben wollte, daß Trauer und Niedergeschlagenheit der allgemeine Charakter gewesen wäre, so würde man sich unendlich irren. Manchen freilich drückte die Gegenwart nieder, aber im allgemeinen hoffte man und glaubte, mit dem Verschwinden mancher veralteten Form würde ein neues Leben erwachen. Uns war zu Sinne, wie ungefähr einem deutschen Auswanderer zu Sinne seyn mag, der den Boden der neuen Welt betritt. Mit Sehnsucht denkt er an das, was er verlor, an seine Lieben, an seinen vaterländischen Fürst; aber neue Hoffnung – nicht ohne Bangigkeit für die Zukunft – belebt ihn doch auch, und macht, daß er sich nicht eigentlich unglücklich fühlt. Friedrich Carl von Strombeck (Mitglied der Reichsstände des Königreichs Westfalen von 1808 – 1810)

Vorwort Diese Arbeit lag der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Wintersemester 2002 / 2003 als Dissertation vor. Sie wurde betreut von Herrn Prof. Dr. Volkmar Götz, an dessen Lehrstuhl ich die Freude hatte, eine Zeit lang als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu arbeiten. Ihm danke ich sehr herzlich für seine Mühen. Bedanken möchte ich mich auch bei Herrn Bundesverfassungsrichter a.D. Prof. Dr. Hans Hugo Klein für die Erstattung des Zweitgutachtens im Promotionsverfahren. Weiterhin bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. jur. h.c. Norbert Simon für die Aufnahme in das Verlagsprogramm und die Schriften zur Verfassungsgeschichte sowie der Stiftung Gottfried Michelmann für die Gewährung einer Druckbeihilfe. Für seine freundschaftliche Hilfe als Gesprächspartner während der Anfertigung der Arbeit danke ich sehr Herrn Privatdozent Dr. Marcel Kaufmann. Besonders haben mich drei Personen beim Anfertigen der Arbeit unterstützt, an die ich an dieser Stelle liebevoll denke. Mein Bruder, Jan Hecker, stand mir von der Entstehung der Arbeit bis zu ihrer Korrektur stets brüderlich mit wertvollem Rat zur Seite. Seine Beiträge und sein Hineindenken in die Arbeit haben wesentlich zu ihrem Gelingen beigetragen. Meine Eltern, Ursula und Klaus Hecker, haben die Arbeit mit jener liebevollen Anteilnahme und fürsorglichen Rückenstärkung unterstützt, mit der sie seit jeher die akademischen und andere Unterfangen ihrer beiden Söhne begleitet haben. Neben ihrer steten Zuwendung hat nicht zuletzt ihre gegen Ende der Arbeit verstärkt geäußerte Vorfreude konstruktiv zur Fertigstellung der Arbeit beigetragen. Meinen Eltern ist daher diese Arbeit in großer Freude gewidmet. Michael Hecker

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

1. Gegenstand und Forschungsinteresse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

2. Forschungsstand / Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20

3. Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

1. Kapitel Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

28

I. Die napoleonische Modellstaatspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

II. Begriff der modernen Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

1. Begriffsgeschichtliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

2. Verbreitungsbedingungen des Instituts der Verfassung nach 1789 / 1791 . . . . . .

43

2. Kapitel Genese und Legitimitätsmodell der napoleonischen Verfassungen

48

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

II. Entstehungsprozess der Verfassungen von Westfalen, Frankfurt sowie Verlauf der Verfassungsentwicklung in Berg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

1. Die Verfassung des Königreichs von Westfalen vom 15. November 1807 . . . . .

49

2. Die Verfassung des Großherzogtums Frankfurt vom 16. August 1810 . . . . . . . .

53

3. Die Entwicklung im Großherzogtum Berg bis zum Organischen Statut vom 15. März 1812 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

III. Herrschaftskonstituierende Wirkung und Selbstbindungswirkung der Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

1. Herrschaftskonstituierende Wirkung der Verfassungen ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

12

Inhaltsverzeichnis 2. Parallelen zur frühkonstitutionellen Verfassungsgebung ab 1815 . . . . . . . . . . . . .

64

3. Selbstbindungswirkung der Verfassungen: Vergleich zum Frühkonstitutionalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

66

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

1. Napoleonische Herrschaftslegitimität zwischen Tradition und Revolution . . . .

70

2. Tragfähigkeit der Legitimitätsbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3. Cäsaristische Legitimität / „Verfassungscäsarismus“ ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

3. Kapitel Staatsbürgerliche Gleichheit und Freiheit der Person – der individualrechtliche Gehalt der napoleonischen Verfassungen

82

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

II. Grundzüge von Konzeption und Funktion der Grundrechtsgewährungen in den Napoleoniden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

2. Konzeption und Funktion der Gewährungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

3. Die tragende Rolle des Gleichheitspostulats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

1. Allgemeine staatsbürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

a) Gewährungscharakter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92

b) Rechtsanwendungsgleichheit – keine materiale Gleichheitsdimension . . . .

93

c) Formale staatsbürgerliche Gleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

d) Pflichtengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

2. Spezifische (anti-ständische) Gleichheits- und Freiheitsbestimmungen . . . . . . .

96

a) Umgestaltung der Administrativ-, Justiz- und Wirtschaftsverfassung . . . . . .

97

aa) Beseitigung ständisch-korporativer politischer und administrativer Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

bb) Beseitigung justizieller Strukturen / Gleichheit vor dem Richter . . . . . . 100 cc) Abschaffung der Zünfte / Einführung der Gewerbefreiheit . . . . . . . . . . . . 101 b) Unterschiedslose Zuordnung von konkreten Rechten und Pflichten . . . . . . . 102

Inhaltsverzeichnis

13

aa) Recht auf gleichen und freien Ämterzugang / formal-rechtliche Entprivilegierung des Adels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 bb) Ökonomische und soziale Stabilisierung der Adelsstellung . . . . . . . . . . . 103 cc) Westfalen: Recht auf gleichen Ämterzugang auch im klerikalen Bereich (Art. 15) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 dd) Gleichheit vor dem Steuergesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3. Religionsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Freiheit der Religionsausübung und Diskriminierungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Die Judenemanzipation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Aufhebung der Leibeigenschaft und Herstellung der Freiheit der Person am Beispiel Westfalens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 b) Die Herstellung der persönlichen Freiheit des Einzelnen in Westfalen: Ambitiöser Ansatz und Verwirklichungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 IV. Bereichsbezogene Relativierungen und Ausnahmen der napoleonischen Egalisierungspolitik im Agrarsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts der napoleonischen Verfassungen zu zeitgenössischen Verfassungen und Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Grundanlage der Rechteerklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 3. Politischer Charakter der Individualrechtsverbürgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 4. Umfang und Reichweite des individualrechtlichen Gehalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

4. Kapitel Repräsentative Vertretungskörperschaften in den Verfassungen – das Beispiel Westfalens

130

I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Grundzüge des modernen Repräsentationsprinzips der französischen Verfassungstradition und seine Übernahme in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Ausgangspunkt: Entwicklung in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Gründe der Übernahme des Repräsentativgedankens in die napoleonischen Verfassungen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

14

Inhaltsverzeichnis

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Mitwirkungsbereich der westfälischen Repräsentativvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Bestellungsmodus und Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 a) Ausgestaltung im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Arbeitsweise und Mitwirkungsbereich der westfälischen Repräsentativvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 IV. Die Auseinandersetzung um die Steuergesetze 1808 und 1810 – „Verfassungskonflikt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Argumentationsmuster der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 3. Verfassungsgeschichtliche Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

Zusammenfassende Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Anhang: Texte der Verfassungen des Königreichs Westfalen (deutsche Fassung) und des Großherzogtums Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Einleitung 1. Gegenstand und Forschungsinteresse der Untersuchung Franz Schnabel hat das 19. Jahrhundert als ein „juristisches“ Jahrhundert bezeichnet und damit den Befund angesprochen, dass die Fragen der Rechtsgestaltung und der Verfassung den Charakter des Jahrhunderts wesentlich (mit-)bestimmt haben.1 Das ungeheure Programm der Moderne in Gestalt von Menschenrechten, Repräsentation und Demokratie, wie die Französische Revolution es zunächst erprobt und dann aus sich entlassen hatte, wurde zum juristischen „Pensum“2 des 19. Jahrhunderts. Seine „Abarbeitung“ führte in Deutschland in sich ablösenden Verfassungsschöpfungen und Verfassungskämpfen zur Herausbildung des spezifisch deutschen Typus der konstitutionellen Monarchie, der sich im Laufe des Jahrhunderts in nahezu allen deutschen Staaten durchsetzte. – Am Anfang der Entstehung des „konstitutionellen“ Deutschlands steht Napoleon.3 So wie Deutschland in den Jahren um 1800 zunächst das Schlachtfeld der napoleonischen Kriege war, wurde es in ihrer Folge sogleich Objekt der napoleonischen Revolu-tion. Nie wieder sind politische Ordnungen und lebensweltliche Verhältnisse gleichermaßen derart grundstürzend verändert worden wie unter dem napoleonischen Einfluss.4 Die beispiellose Veränderungsgewalt der modernen Grundprinzipien – waren sie zuvor zwar schon mit Aufklärung und Französischer Revolution ins Leben und ins Bewusstsein der Zeitgenossen getreten – ließ erst unter der französischen Hegemonie das alte „reichische“ Deutschland untergehen und wurde zur realen Erfahrung. Die vorliegende Arbeit behandelt die kurze Epoche konstitutioneller Staatlichkeit in den napoleonisch-geschöpften Rheinbundstaaten Berg, Westfalen und Frankfurt von 1806 – 1813 aus verfassungsgeschichtlicher Sicht. Sie setzt damit an den frühesten Erscheinungsformen konstitutioneller Staatlichkeit auf deutschem Boden an. Das Großherzogtum Berg, das Königreich Westfalen und das Großherzogtum Frankfurt bildeten unter den zahlreichen kleinen und mittleren Rheinbundstaaten eine besondere Kategorie künstlich ins Leben gerufener Staatlichkeit fran1 Überliefert bei E.-W. Böckenförde, Verfassungsprobleme und Verfassungsbewegung des 19. Jahrhunderts, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1992, S. 244. 2 Begriff bei H. Brandt, Der lange Weg in die demokratische Moderne. Deutsche Verfassungsgeschichte von 1800 – 1945, Darmstadt 1998, S. 1. 3 T. Nipperdey, Deutsche Geschichte 1800 – 1866, Bürgerwelt und starker Staat, 6. Aufl., München 1993, S. 11. 4 H. Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 17.

16

Einleitung

zösischer Provenienz. In ihnen fanden – wenn auch nur von kurzer Dauer und freilich mit Einschränkungen – Konstitutionalismus und Verfassungsidee ihren ersten Niederschlag in Deutschland. Das Wort E. Fraenkels, dass die französische Verfassungsgeschichte Bestandteil der deutschen Verfassungsgeschichte sei5, gilt für diese historischen Formationen stärker als für alle Folgenden. Verfassungsgebung und Konstitutionalismus in den Rheinbundstaaten haben im Bereich der verfassungsgeschichtlichen Forschung lange Zeit eher geringe Beachtung (und überwiegend abwertende Einschätzung) erfahren.6 Im Vordergrund des verfassungsgeschichtlichen Forschungsinteresses der Epoche standen traditionell die Forschungen zu den Stein-Hardenbergschen Reformen sowie die Beschäftigung mit dem Frühkonstitutionalismus der süddeutschen Staaten ab 1815. Bis heute bleibt die Suche nach den verschiedenen Verfassungstexten der Rheinbundzeit in nahezu allen der zahlreichen Quellensammlungen von Verfassungstexten und Rechteerklärungen erfolglos.7 In den Gesamtdarstellungen zur Verfassungsgeschichte nimmt ihre Behandlung oft nur marginalen Raum ein, bisweilen unterbleibt sie völlig. Die relative Vernachlässigung des Rheinbunddeutschlands durch die Verfassungshistoriker markiert einen gewissen Rückstand der verfassungsgeschichtlichen Disziplin gegenüber der übrigen historischen Forschung. Einsetzend in den 1970er Jahren ist es dort quer durch die verschiedenen Forschungsausrichtungen zu einem regelrechten Forschungsboom gekommen, der in intensiver Untersuchung und Aufarbeitung der rheinbündischen Reformen zur Revision der älteren, national-historiographisch geprägten Rheinbundforschung geführt hat (Revisionsforschung). Dabei sind die traditionellen Deutungsmuster der Rheinbundzeit seitens der überkommenen nationalpolitischen Geschichtsschreibung überwunden worden und auf breiter Front einer wissenschaftlichen Aufwertung der rheinbündischen Reformpolitik gewichen. Die Ergebnisse sind mittlerweile als kaum noch bestrittenes Gemeingut in die großen Handbücher und Epochendarstellungen eingegangen. Insbesondere ist dabei die lange vorherrschende Tendenz, den Einfluss des revolutionären und napoleonischen Frankreichs in Mitteleuropa sowie die Auseinandersetzung mit Napoleon fast ausschließlich unter den Kategorien „Fremdherrschaft“ einerseits und „Befreiung“ anderseits zu subsumieren, revidiert worden. Die vielfältigen Veränderungen im von Frankreich unterworfenen Teil Europas sind überwiegend als Modernisierungsschub eingestuft und entsprechend positiv bewertet worden. Mit der regen Revision der Rheinbundforschung ging 5 E. Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratie, 6. Aufl., Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1974, S. 138. 6 Eingehende Nachweise hierzu und zu den folgenden Ausführungen erfolgen gesondert im Abschnitt über Forschungsstand und Quellenlage unter 2. 7 Dies, obwohl es sich um die historisch ersten Verfassungen auf deutschem Boden handelt. Mit Erstaunen darauf hinweisend H. Hattenhauer, Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des deutschen Rechts, 4. Aufl., Heidelberg 1996, Rn. 128. Einzige Ausnahme bildet – soweit ersichtlich – der Abdruck von Auszügen der westfälischen Verfassung von 1807 in der Textsammlung von H. Boldt (Hrsg.), Reich und Länder. Texte zur deutschen Verfassungsgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, München 1987, S. 77 ff.

Einleitung

17

eine Relativierung der noch erheblich in der borussischen Geschichtsschreibung der Reichsgründungszeit und des Kaiserreichs wurzelnden positiven (z. T. apologetischen) Vorrang-Einordnung der preußischen Reformen einher. Den angesprochenen Rückstand der spezifisch verfassungsgeschichtlichen Beachtung der Rheinbundstaaten mitbedingt haben mag – neben der ephemeren Dauer des rheinbündischen Konstitutionalismus – das noch 1975 wiederholte, noch ganz der älteren Tradition verhaftete und z.T. bis heute das verfassungsgeschichtliche Schrifttum prägende Diktum E. R. Hubers vom „Schein-Konstitutionalismus der napoleonischen Vasallenstaaten“.8 In jüngerer Zeit und wohl nicht zuletzt im Gefolge der allgemeinen Revision der Rheinbundforschung ist schließlich auch in der spezifisch verfassungsgeschichtlichen Forschung mitunter der Blick auf die konstitutionelle Dimension der rheinbündischen Reformen frei gelegt worden. Dies hat zu Stellungnahmen geführt, die mehr Aufmerksamkeit und eine nähere Betrachtung der konstitutionellen Formationen in den einzelnen Rheinbundstaaten nahe legen.9 Die vorliegende Arbeit greift diese Stellungnahmen auf und nimmt eine moderne verfassungsgeschichtliche Betrachtung des (rechtsrheinischen) napoleonischen Deutschlands vor. Korrespondierend zum in der Revisionsforschung vollzogenen Wandel in der Beurteilung der Rheinbundzeit wird sie eine insgesamt differenziertere (positivere) Einschätzung des rheinbündisch-napoleonischen Konstitutionalismus abgeben. Ihr Thema ist dabei in dreifacher Weise eingegrenzt. Sie beschränkt sich zum einen auf die napoleonischen Rheinbundstaaten, d. h. die erst durch Napoleon künstlich geschaffenen und weitgehend französisch geprägten

8 E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 1, 2. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1975, S. 88. Die eigentliche Begriffsschöpfung und -verbreitung scheint von Hubers 1. Aufl. 1957, S. 88 zu stammen, verwandte Vorläuferbegriffe allerdings schon bei J. Weidemann, Neubau eines Staates, (in Teilen Diss. Marburg 1928) Leipzig 1936, S. 31 u. 65 („Scheinverfassung“) u. W. Andreas, Das Zeitalter Napoleons und die Erhebung der Völker, Heidelberg 1955, S. 366 („scheinkonstitutionelle Komödie“). 9 H. Brandt, Weg in die demokratische Moderne, S. 24 f.; D. Grimm, Deutsche Verfassungsgeschichte 1776 – 1866, Frankfurt am Main 1988, S. 60; D. Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, 2. Aufl., München 1992, S. 214; H. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 138 ff.; R. Vierhaus, Göttingen im Zeitalter Napoleons, in: Göttinger Jahrbuch 27 (1979), S. 177, 181 f.; J. Lengemann, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), MdL Hessen 1806 – 1996, Biographischer Index (Veröffentlichung der Historischen Kommission für Hessen 48, 7), Marburg 1996, S. 12 ff.; K. Rob, Einleitung, in: ders. (Bearb.), Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, hrsgg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Regierungsakten des Königreichs Westphalen 1807 – 1813, München 1992, S. 20 u. ihm folgend K. O. v. Aretin, Vorwort, in: ebd., S. IX; zweifelnd zum Vorwurf des Scheinkonstitutionalismus W. Pauly, Art. „Verfassung“, in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 35. Lieferung, Berlin 1993, Sp. 698, 703; vgl. auch E. Fehrenbach, Verfassungs- und sozialpolitische Reformen und Reformprojekte in Deutschland unter dem Einfluß des napoleonischen Frankreichs, HZ 228 (1979), S. 288, 297 ff.; eine frühe positive Einschätzung findet sich schon bei F. Valjavec, Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770 – 1815, München 1951, S. 356 ff.

2 Hecker

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Staaten Berg, Westfalen und (mit Einschränkungen) Frankfurt. Außen vor bleiben die übrigen Rheinbundstaaten. Dies gilt sowohl für die 1808, 1809 und 1810 mit Verfassungen versehenen Staaten Bayern10, Sachsen-Weimar und Eisenach11 sowie Anhalt-Köthen wie etwa auch für die zwar ohne moderne Verfassung, aber nicht ohne modernisierende Gesetzgebung regierten Staaten Baden und Württemberg. Die Beschränkung auf die drei klassischen Napoleoniden folgt der herkömmlichen Gruppenbildung unter den verschiedenen Rheinbundstaaten. Ihr liegt die Erwägung zugrunde, dass die Napoleoniden mit ihrer engen Anknüpfung an das Empire sowie der ihnen im Hinblick auf die übrigen Rheinbundstaaten zugedachten Modellstaatsfunktion einen eigenen Staatstypus nach napoleonischer Handschrift bildeten. Dessen konstitutionelle Strukturen herauszuarbeiten und abzubilden ist Anliegen der Untersuchung. Die Konzentration auf die Napoleoniden bedeutet zum zweiten das Aussparen von Fragestellungen, die auf die rechtliche Struktur des Rheinbundes als Staatenbund, seine Institutionen sowie etwaige Interaktionen zwischen Rheinbund- und einzelstaatlicher Ebene bezogen sind. Die dritte Eingrenzung betrifft schließlich den Umfang der Betrachtung konstitutioneller Strukturen in den Napoleoniden selber. Es soll nicht global und erschöpfend die Rechts- und Verfassungsgeschichte Bergs, Westfalens und Frankfurts beschrieben werden. Vielmehr konzentriert sich die Arbeit auf drei wesentliche Bereiche: die Verfassungsgenese, den individualrechtlichen Gewährleistungsgehalt der Verfassungen bzw. Gesetzgebungswerke (Freiheits- und Gleichheitsrechte) sowie schließlich den (repräsentativ-)demokratischen Gehalt der Verfassungen. Die Anlage der Arbeit orientiert sich damit zu einem gewissen Maß am modernen normativen Verfassungsbegriff, so wie er von der verfassungsgeschichtlichen Forschung herausgearbeitet worden ist.12 Seine wesentlichen begrifflichen (Ideal-) Merkmale – die umfassende und universale Regelung der Herrschaftsausübung, die herrschaftskonstituierende und -legitimierende Funktion der Verfassung, sowie die herrschaftsbegrenzende Funktion des grundrechtlich-gewaltenteiligen Verfas10 Zur bayerischen Verfassung eingehende Beiträge von M. Doeberl, Rheinbundverfassung und bayerische Konstitution (Sitzungsberichte der bayerischen Akademie der Wissenschaften 1924, Abh. 5), München 1924 u. F. Zimmermann, Bayerische Verfassungsgeschichte vom Ausgang der Landschaft bis zur Verfassungsurkunde von 1818, München 1940. 11 Siehe hierzu den Beitrag von H.H. Klein, Die Reorganisation des Herzogtums SachsenWeimar und Eisenach durch die Konstitution vom 26. September 1809, (Heft 248 der Schriftenreihe der Juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe), Heidelberg 2001. 12 Grundlegend die Arbeiten von D. Grimm, Entstehungs- und Wirkungsbedingungen des modernen Konstitutionalismus, in: Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages 1986, Frankfurt am Main 1987, S. 45 ff.; ders., Art. „Verfassung (II)“, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe (GG), Bd. 6, Stuttgart 1990, S. 863 ff.; ders., Art. „Verfassung“, in: Staatslexikon der Görres-Gesellschaft, Bd. 5, 7. Aufl., Freiburg / Basel / Wien 1989, Sp. 633 ff.; ders., Die Zukunft der Verfassung, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1994; ders. / H. Mohnhaupt, Verfassung – Zur Geschichte des Begriffs von der Antike bis zur Gegenwart, Berlin 1995.

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sungsinhalts – bilden ein Stück weit das Orientierungsmuster der Untersuchung. Dieser gedankliche Bezug ist dabei nicht nur aus sich heraus aufschlussreich. Er empfiehlt sich vor allem aus zweierlei Gründen: Zum einen treten vor dem Hintergrund des Idealbegriffs (C. Schmitt)13 der modernen Verfassung die spezifischen Charakteristika und Konturen des Konstitutionalismus der jeweiligen napoleonischen Staatsgebilde deutlich hervor und werden so erfass- und bewertbar. Zum anderen liefert er einen geeigneten Vergleichsmaßstab sowohl im Hinblick auf Erscheinungsformen spätabsolutistischer Herrschaft wie vor allem auf den späteren Konstitutionalismus der deutschen Staaten im 19. Jahrhundert. Es ist ein Anliegen der Arbeit – ausgehend von quellengestützten Befunden und unter Zusammenführung verschiedener einzelner Forschungsbeiträge insbesondere aus der Revisionsforschung – aufzuzeigen, dass die pauschale Bezeichnung des „Scheinkonstitutionalismus“ dem Anspruch der Verfassungen und Gesetzgebungswerke und in Teilen auch der Wirklichkeit des Verfassungsgeschehens nicht standhält und einer Relativierung bedarf. So soll erhellt werden, dass sich die Verfassungs- und Rechtssetzungsprozesse in den drei Napoleoniden ungeachtet ihrer Überlagerung durch die belastenden Zwänge des napoleonischen Herrschaftssystems von ihrer häufigen (traditionellen) Verortung als Erscheinungsform eines spätabsolutistischen Bürokratismus (jedenfalls in bedeutenden Teilen) schon wesentlich absetzen. Freilich bieten die drei Napoleoniden alles andere als ein einheitliches Bild. So ist es etwa im Großherzogtum Berg zur gesetzlichen Implementierung eines recht weitgehenden individual-rechtlichen Programms gekommen, dies allerdings fast bis zum Ende ohne formelle Verfassungsurkunde. Das erst 1810 geschaffene Großherzogtum Frankfurt nimmt insoweit eine Sonderstellung ein, als es sich dort in erster Linie um die Umgestaltung eines bereits bestehenden Staates und nicht um eine völlige Neuschöpfung nach französischem Modell handelte. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt daher bei der Betrachtung der Verfassungsinhalte und dem Geschehen im Königreich Westfalen als dem „reifesten“ Verfassungsstaat. Letzteres gilt zumal für eine erstaunliche Fortschrittlichkeit der Verfassung und des Verfassungslebens, was die Ausgestaltung der politischen Machtausübung betrifft. Hinsichtlich dieser wird zu zeigen sein, dass der Bruch mit dem ständischen Vertretungsprinzip und der Übergang zur weisungsfreien und gesamtverantwortlichen Repräsentation als Strukturprinzip staatlicher Organisation sowie die Institutionalisierung kompetenziell z.T. bedeutsam ausgestatteter Vertretungskörperschaften verfassungstextlich wie im tatsächlichen politischen Prozess spätabsolutistische Herrschaftsstrukturen weit hinter sich lässt. Mehr noch soll daran deutlich werden, dass die kurze Erfahrung konstitutioneller Staatlichkeit in den Rheinbundstaaten quasi im „Kleinformat“ schon Elemente der „klassischen“ Entwicklungsmuster und verfassungsrechtlichen und -politischen Grundkonflikte in sich birgt, welche im späteren Typus der deutschen konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts Kontinuität gewinnen – dies besonders plastisch anhand der 13

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C. Schmitt, Verfassungslehre, München / Leipzig 1928, S. 36 ff.

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bislang wenig beachteten „Verfassungskonflikte“ Westfalens 1808 und 1810. Anders gewendet: Die Arbeit will an dieser Stelle deutlich machen, dass die moderne deutsche Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts – was ihre strukturelle Grundanlage (dualistische Verfassungsstruktur), ihre Problemstellungen und Entwicklungsmuster angeht – nicht erst mit den Verfassungen von 1818 / 1820 als Ergebnis der Befreiungskriege und der Bundespolitik auf dem Wiener Kongress beginnt.14 Die Fortschrittlichkeit und verfassungsgeschichtliche „Reife“ der rheinbündischen Verfassungs- und Rechtssetzungsprozesse einerseits wie ihre (Noch-)Bedingtheit durch die kaum temperierten napoleonischen Herrschaftsansprüche andererseits laufen im Begriff „Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland“ zusammen. 2. Forschungsstand / Quellen Die deutsche Geschichtsschreibung zur Reformzeit ist lange Zeit im Zeichen ideologischer Polarisierung betrieben worden. Die durch das revolutionäre und napoleonische Frankreich ausgelösten Reformprozesse in den Rheinbundstaaten wurden unter Fortwirken der Reaktion gegen die napoleonische Herrschaft nur am Rande und überwiegend in abfälligem Tonfall thematisiert. Die Rheinbundzeit wurde als Periode nationaler „Schmach“, „eine der wundesten Stellen unserer nationalen Geschichte“ sowie als Zeit der „Knechtschaft“ und „Fremdherrschaft“ begriffen, die Reformanläufe als vom „Lügengeist“ bestimmt sowie als „ausbeuterisch“, „unhistorisch“ und „undeutsch“ bewertet.15 Teilweise im Kontinuitätsdenken des Historismus wurzelnd ging es auf Seiten der borussisch-nationalen Geschichtsschreibung nicht selten Hand in Hand mit einer Überbewertung der preußischen Reformen, die sich (vermeintlich) leichter und organischer in die Kontinuität der Nationalgeschichte einfügen ließen. Erste, noch vorsichtige Ansätze eines Wandels der Beurteilung nahmen um die Jahrhundertwende in der Landesgeschichte ihren Ausgang16, bis 1929 F. Schnabel mit der Qualifizierung der 14 Vgl. in diesem Zusammenhang aus der Rheinbund-Revisionsforschung H. Berding / H.-P. Ullmann, Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Düsseldorf 1981, S. 22: „Der süddeutsche Frühkonstitutionalismus bildet den Schlußstein im Gefüge des rheinbündischen Reformwerkes“. 15 L. Häusser, Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes, Bd. 2, 3. Aufl., Berlin 1862, S. 695 u. 697 ff.; H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Bd. 1, Leipzig 1879, S. 352 ff.; E. Hölzle, Das napoleonische Staatsystem in Deutschland, HZ 148 (1933), S. 277 u. 292 f.; J. Weidemann, Neubau eines Staates, Leipzig 1936, S. 7 ff.; vgl. auch F. Hartung, Deutsche Verfassungsgeschichte, 9. Aufl., Stuttgart 1969, S. 168 und 191 ff., der allerdings auch positive Aspekte sieht; ebenso noch M. Braubach, Entwicklung der napoleonischen Herrschaft über Deutschland, Kap. 14 in der 9. Aufl. des Gebhardt, Handbuch der deutschen Geschichte, hrsgg. von H. Grundmann, Band 14 (dtv-edition), Stuttgart 1970, S. 88, 94; kritisch dazu E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, HZ 228 (1979), S. 288 f. 16 C. Schmidt, Le Grand-Duché de Berg 1803 – 1813. Etudes sur la domination francaise en Allemagne sous Napoléon Ier, Paris 1905 (Neudruck in deutscher Übersetzung hrsgg. von

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Rheinbundreformzeit als modernisierende Weichenstellung für das 19. Jahrhundert die erste positive Neuinterpretation vornahm, die allerdings vorerst wenig Akzeptanz fand und lange Zeit ohne Nachfolge blieb.17 Erst mit dem langsamen Verschwinden der nationalen Geschichtsschreibung und der Öffnung der Bundesrepublik nach Westeuropa ist dann der Weg für die neuere Forschung frei geworden. Mit dem – besagten – zuerst von E. Weis angeregten, enormen Aufschwung in den siebziger und frühen achtziger Jahren dominiert in ihr das Thema der napoleonisch-rheinbündischen Reformen und ihrer positiven Auswirkungen und revolutionären Schrittmacherrolle für den Modernisierungs-18 und Entfeudalisierungsprozess im Deutschland der „Sattelzeit“ (R. Koselleck). Neben zahlreichen Fallstudien19 sind besonders drei, die rheinbündischen Einzelstaaten umfassende Arbeiten zu verzeichnen: H. Berding hat die napoleonische Dotationspolitik in Westfalen behandelt und sie in den Kontext der allgemeinen napoleonischen Herrschafts-, Gesellschafts- und Reformpolitik gestellt.20 Die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten ist von E. Fehrenbach untersucht worden21, und auch W. Schubert hat eine Analyse der Verarbeitung französischer (zivilrechtlicher) Rechtsinstitute während der Rheinbundzeit vorgenommen.22 Die drei Arbeiten haben – zusammen mit der (eher technischen) Analyse des Verwaltungsaufbaus der Rheinbundstaaten von F.-L. Knemeyer23 – wesentliche Konturen im Bild der inneren Reformen der Reinbundstaaten gezeichnet. Bisweilen hat sich das Interesse vergleichend auf die europäische Perspektive gerichtet, die angesichts strukB. Dietz u. J. Engelbrecht, Neustadt / Aisch 1999); F. Thimme, Die inneren Zustände des Kurfürstentums Hannover unter der französisch-westfälischen Herrschaft. 1806 – 1813, Bd. 1 – 2, Hannover / Leipzig 1893 – 95; P. Darmstaedter, Das Grossherzogtum Frankfurt, (Habil. München 1900) Frankfurt am Main 1901. 17 F. Schnabel, Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert, Bd. 1, Freiburg 1929, S. 132 ff. 18 Zum Begriff der Modernisierung in der historischen Forschung siehe L. Gall, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, in: ders. (Hrsg.), Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 25, München 1993, S. 51 ff. 19 Eine Vielzahl von Beiträgen ist mittlerweile in verschiedene Sammelbände eingegangen, vgl. E. Weis (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984; H. Berding / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Düsseldorf 1981; H. Berding / E. Francois / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland und Frankreich im Zeitalter der französischen Revolution, Frankfurt am Main 1989; K. O. Freiherr von Aretin / G. A. Ritter (Hrsg.), Historismus und moderne Geschichtswissenschaft. Europa zwischen Revolution und Restauration 1797 – 1815, Stuttgart 1987. 20 H. Berding, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im Königreich Westfalen 1807 – 1813, (Habil. Köln 1972) Göttingen 1973. 21 E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht, (Habil. Gießen 1973) 1. Aufl., Göttingen 1978; siehe auch dies., Der Kampf um die Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten, Wiesbaden 1973. 22 W. Schubert, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, (Habil. Bochum 1974), Köln / Wien 1977. 23 F.-L. Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, (Habil. Bochum 1969) Köln / Berlin 1970.

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turell teilweise ähnlicher historischer Formationen unter französischer Hegemonie (etwa in Italien) ebenfalls ein differenzierteres Bild von Licht wie auch Schatten der napoleonischen Epoche zu entwerfen vermag.24 Die Aufwertung der Gesellschafts- und Reformpolitik der Rheinbundstaaten hat auch zur Beurteilung der vieldiskutierten preußischen Reformen kontrastiert. Der Vergleich hat die jeweilig spezifische Eigenständigkeit und unterschiedliche Modernität beider Reformtypen aufgezeigt, dabei auch zur Relativierung der preußischen Maßnahmen beigetragen und den sektoralen wie defensiven Modernisierungsansatz25 des Ministeriums Stein stärker hervortreten lassen. Insbesondere die Entscheidung und Entschiedenheit für das Reformziel verfassungskräftig verbürgter staatsbürgerlicher Gleichheit und die – freilich noch geringe – Zuweisung politischer Macht an das sich herausbildende Bürgertum in den napoleonischen Rheinbundstaaten hat in der Gegenüberstellung zum preußischen Festhalten an ständischen Prinzipien den Eindruck der Begrenztheit der preußischen Reformen verstärkt.26 Im Anschluss an einen HZ-Aufsatz von E. Hölzle von 193327 hatten schon vor der mannigfaltigen (Neu-)Erschließung der rheinbündischen Reformprozesse einige ältere rechts-, verwaltungs- und verfassungsgeschichtliche Darstellungen dessen vor allem etatistische Interpretation der Rheinbundreformen aufgenommen und die Behandlung der Rheinbundreformen unter dem Gesichtspunkt der „administrativen Integration“ (E. R. Huber) fortgeführt.28 Betont wurden der etatistischbürokratische Grundzug der Reformen und die im Zeichen des rationalistischen 24 Dazu Beiträge in: C. Dipper / W. Schieder / R. Schulze (Hrsg.), Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien – Verwaltung und Justiz, Berlin 1995 u. A. v. Reden-Dohna (Hrsg.), Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons, Wiesbaden 1979; siehe auch. H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, Heidelberg 1992, S. 523 – 536 u. D. Grimm in: H. Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. 3, Teilband 1, München 1982, S. 33 ff. 25 Dazu H.-U. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 1, Vom Feudalismus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformära, München 1987, S. 343 ff. u. 397 ff. sowie K. Epstein, Die Ursprünge des Konservativismus in Deutschland. Der Ausgangspunkt: Die Herausforderung durch die Französische Revolution 1770 – 1806, Frankfurt am Main, 1973, S. 692; vgl. auch E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 293 u. 307 ff. Grundlegend zu den preußischen Reformen R. Koselleck, Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung, (Habil. Heidelberg 1965) 3. Aufl. Stuttgart 1981; wichtige Beiträge auch in Barbara Vogel (Hrsg.), Die preußischen Reformen. Staat und Gesellschaft im Wandel. 1807 – 1820, Königstein / Ts. 1980; die jeweilige Eigenständigkeit und Gleichgewichtigkeit beider Reformtypen betont T. Nipperdey, Deutsche Geschichte. Bürgerwelt und starker Staat, 6. Aufl., München 1993, S. 78 f. 26 Vgl. dazu E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288 f., 293 u. 307 ff.; dies., Deutschland und die Französische Revolution, in: H.-U. Wehler (Hrsg.), 200 Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung, Göttingen 1976, S. 232 ff.; L. Gall, Von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft, S. 20 u. 74 f. 27 E. Hölzle, Das napoleonische Staatsystem in Deutschland, HZ 148 (1933), S. 277 ff. 28 E. R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 75 ff. („Sieg des absolutistischen Prinzips“); F. Hartung, Verfassungsgeschichte, S. 191 ff.

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Staatsideals des 18. Jahrhunderts erfolgende Durchsetzung der Staatssouveränität nach innen. Dies brachte es mit sich, dass die Rheinbundzeit insgesamt eher als späte Vollendung des aufgeklärt-absolutistischen Zeitalters gedeutet wurde denn als – auch in verfassungsgeschichtlicher Hinsicht – Ausgangspunkt einer neuen Epoche. Hinter der pauschalen Verortung der Rheinbundstaaten als Erscheinungsformen eines spätabsolutistischen Bürokratismus wurden die (modernen) konstitutionellen Elemente als „Schein-Konstitutionalismus“29, bloßes „Beiwerk der bürokratischen Staatsverfassung“ oder „fiktiv[er] . . . Gegenstand politischer Phraseologie“30 begriffen.31 Erst die oben erwähnten jüngeren Stellungnahmen haben auch in der verfassungsgeschichtlichen Forschung – wenn freilich ebenfalls ohne nähere Betrachtung – erstmals das Augenmerk stärker auf die modernen konstitutionellen Aspekte gerichtet. Hatte F. Hartung noch 1969 die revolutionäre, in Deutschland erstmalige verfassungsgetragene Verkündung von Rechtsgleichheit und persönlicher Freiheit in Westfalen als „Reformtätigkeit [, die] sich in der Hauptsache mit der Festsetzung allgemeiner Normen begnügen mußte“32ausdrücklich ignoriert, so lässt sie bei D. Grimm „alle Reformansätze des aufgeklärten Absolutismus hinter sich und eröffnete den Weg in die bürgerliche Gesellschaft“.33 Die zweite wesentliche fortschrittliche Komponente der Rheinbundverfassungen, die Errichtung der Repräsentativvertretungen, ist am Beispiel Westfalens unter überhaupt erstmalig näherer Betrachtung der dortigen Verfassungskonflikte von 1808 und 1810 bisher (nahezu) ausschließlich von H. Obenaus34 näher wahrgenommen worden.35 29 E. R. Huber, siehe Fn. 8. Von Scheinkonstitutionalismus sprechen H. Siegmund, Der französische Einfluß auf die deutsche Verfassungsentwicklung 1789 – 1815, (Diss.) Freiburg 1987, S. 208; R. Pfeffer, Die Verfassungen der Rheinbundstaaten als Zeugnisse des politischen Denkens in den Anfängen des deutschen Konstitutionalismus, (Diss.) Erlangen 1960, S. 39 („unkonstitutionell“); R. Wohlfeil, Napoleonische Modellstaaten, in: W. v. Groote (Hrsg.), Napoleon I. und die Staatenwelt seiner Zeit, Freiburg 1969, S. 33, 51; M. Lahrkamp, Die französische Zeit, in W. Kohl (Hrsg.), Westfälische Geschichte, Bd. 2, Düsseldorf 1983, S. 1, 27; M. Botzenhart, Wandlungen der ständischen Gesellschaft im Deutschland der preußischen und rheinbündischen Reformen, in: Von der ständischen zur bürgerlichen Gleichheit, Beiheft 4 zu „Der Staat“, Berlin 1980, S. 55, 72; ebenfalls noch aus jüngster Zeit pauschal und ohne Begründung K. Ruppert, Bürgertum und staatliche Macht in Deutschland zwischen Französischer und deutscher Revolution, Berlin 1997, S. 43 f. 30 K. v. Raumer, Deutschland um 1800: Krise und Neugestaltung. Von 1789 bis 1815, in: Leo Just (Hrsg.), Handbuch der Deutschen Geschichte, Bd. 3 / 1 a, Wiesbaden 1980, S. 318, der allerdings sonst eine schon fortschrittliche Deutung der Rheinbundreformen vornimmt. 31 Auf Linie der etatistischen Interpratation liegt auch die ältere Arbeit von R. Pfeffer, Die Verfassungen der Rheinbundstaaten als Zeugnisse des politischen Denkens in den Anfängen des deutschen Konstitutionalismus, (Diss.) Erlangen 1960, dessen (nur recht oberflächliche) Betrachtung der Rheinbundverfassungen die konstitutionellen Elemente weitgehend außen vor lässt. Weitgehend noch in der Tradition des bürokratisch-etatistischen Forschungsansatzes steht auch die Arbeit von F.-L. Knemeyer (siehe Fn. 23), der die verfassungsrechtliche Perspektive nahezu ausblendet. 32 F. Hartung, Verfassungsgeschichte, S. 192. 33 D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 60.

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Die landesgeschichtliche Forschung zu Berg, Westfalen und Frankfurt spiegelt den oben beschriebenen Forschungsstand nur teilweise wider. Einige ältere Gesamtdarstellungen betonen den Gesichtspunkt der Fremdherrschaft36, andere dagegen würdigen stärker die fundamentale Bedeutung der Reformen für die Verwaltung, die modernisierende Gesellschaftsveränderung sowie die Vorbereitung des Konstitutionalismus.37 Neben jüngeren (aber überwiegend noch vor der Revisionsforschung erschienenen) landesgeschichtlichen Gesamtdarstellungen38 liegt eine Reihe älterer wie jüngerer Spezialstudien zu einzelnen (sachlichen und geographischen) Bereichen der drei Napoleoniden39 sowie (Herrscher-)Biographien40 vor. 34 H. Obenaus, Die Reichsstände des Königreichs Westfalen, Francia 9 (1981), S. 299 ff.; ihn weitgehend wiedergebend J. Lengemann, Einleitung, in: ders. , Parlamente in Hessen 1808 – 1813, Biographisches Handbuch der Reichsstände des Königreichs Westphalen und der Ständeversammlung des Großherzogtums Frankfurt, hrsgg. im Auftrag des Hessischen Landtags, Frankfurt am Main 1991, S. 13 ff. 35 Zum Ganzen und den besten Forschungsüberblick liefernd E. Weis, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Reformen, S. VIII ff. u. E. Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongress, 3. Aufl., München 1993, S. 133 ff. u0.178 ff.; siehe auch L. Gall, Gesellschaft, S. 74 ff. u. C. Dipper, Einleitung: Die zwei Gesichter der napoleonischen Herrschaft, in: ders. / W. Schieder / R. Schulze (Hrsg.), Napoleonische Herrschaft, S. 11 f. 36 H. Pröhle, Die Fremdherrschaft, Leipzig 1858; R. Goecke, Grossherzogtum Berg unter Joachim Murat, Napoleon dem Ersten und Louis Napoleon 1806 – 1813, Köln 1877; R. Goecke / T. Ilgen, Das Königreich Westphalen, Düsseldorf 1888; A. Kleinschmidt, Geschichte des Königreichs Westfalen, Gotha 1893; J. Weidemann, Neubau eines Staates, (in Teilen Diss. Marburg 1928) Leipzig 1936. 37 Siehe Fn. 16. 38 E. Rosendahl, Geschichte Niedersachsens im Spiegel der Reichsgeschichte, Hannover 1927; H. Aubin / E. Schulte, Der Raum Westfalen, Band II, 2. Teil, Berlin 1934; H. Rothert, Westfälische Geschichte, 3. Bd.: Absolutismus und Aufklärung, Gütersloh 1951; G. Engel, Politische Geschichte Westfalens, Köln / Berlin 1968; aus jüngerer Zeit R. Oberschelp, Politische Geschichte Niedersachsens 1803 – 1866, Hildesheim 1988. 39 M. W. Francksen, Staatsrat und Gesetzgebung im Großherzogtum Berg (1806 – 1813), Frankfurt am Main 1982; W. Bilz, Die Grossherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Ein Vergleich, (Diss.) Würzburg 1968; H. Ketterer, Das Fürstentum Aschaffenburg und sein Übergang an die Krone Bayern, Aschaffenburg / Werbrun 1914 / 1915; H. Klueting, Dalbergs Großherzogtum Frankfurt – ein napoleonischer Modellstaat ?, Aschaffenburger Jahrbuch 11 / 12 (1988), S. 359 ff.; U. Hagenah, Ländliche Gesellschaft im Wandel zwischen 1750 und 1850 – das Beispiel Hannover – , in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Band 57 (1985), S. 173 ff.; F. Müller, Kassel seit 70 Jahren, zugleich auch Hessen unter vier Regierungen die westphälische mit inbegriffen, 2. Aufl., Kassel 1893; R. Holzapfel, Das Königreich Westfalen mit besonderer Berücksichtigung der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1895; W. Kohl, Die Verwaltung der östlichen Departements des Königreichs Westphalen 1807 – 1814, (Diss. Göttingen) Berlin 1937; R. Vierhaus, Göttingen im Zeitalter Napoleons, in: Göttinger Jahrbuch 27 (1979), S. 177 ff.; D. Puhle, Das Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel im Königreich Westphalen und seine Restitution, 1806 – 1815, (Diss. Braunschweig 1987), Braunschweig 1989; L. Horwitz, Die Israeliten unter dem Königreich Westfalen, Kassel 1900; H. Gürtler, Deutsche Freimaurer im Dienste napoleonischer Politik. Die Geschichte der Freimaurerei im Königreich Westphalen, Berlin 1942; M. Hildebrand, Die Finanzwirtschaft des Königreichs Westfalen, (Diss.) Marburg 1925; F. Lünsmann, Die Armee des Königreichs Westfalen, (Diss. Greifswald 1932) Berlin 1935; R.-E. Walter, Die Kriminalpolitik König

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In quellentechnischer Sicht sind die Rheinbundstaaten in jüngster Zeit gleich zweifach Gegenstand der Edition für die vorliegende Arbeit höchst ertragreichen Materials gewesen. Zum einen ist dies die umfangreiche Edition der RheinbundRegierungsakten des Großherzogtums Berg 1806 – 1813, des Königreichs Westphalen 1807 – 1813 sowie des Großherzogtums Frankfurt 1806 – 1813 durch K. Rob seitens der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in den 1990er Jahren41, zum anderen ist es die Herausgabe und Aufbereitung umfangreichen Datenmaterials zu den Repräsentativvertretungen und zur Gesetzgebung in Westfalen und Frankfurt durch J. Lengemann im Auftrag des Hessischen Landtages.42 Neben diesen beiden gedruckten Quellensammlungen, den wesentlichen archivarischen Beständen aus dem Deutschen Zentralarchiv II, Dienststelle Merseburg, dem Hessischen Staatsarchiv Marburg sowie dem Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv Hannover stützt sich die Arbeit auf weitere Quellensammlungen43, die Gesetzesbulletins44, den westfälischen Moniteur45 sowie zeitJéromes im Königreich Westphalen 1807 – 1813, Diss. Marburg 1971; H. Obenaus, Die Reichsstände des Königreichs Westfalen, Francia 9 (1981), S. 299 ff.; aus der marxistisch gefärbten Geschichtsschreibung H. Heitzer, Insurrectionen zwischen Weser und Elbe, Berlin (Ost) 1959. 40 C. Fulda / J. Hoffmeister (Hrsg.), Hessische Zeiten und Persönlichkeiten von 1751 bis 1831 nebst Seitenblicken auf welthistorische Begebenheiten, aus dem Nachlasse hessischer Beamte, Marburg 1876; K. v. Beaulieu-Marconnay, Karl von Dalberg und seine Zeit, Zur Biographie und Charakteristik des Fürsten Primas, Bd. 1 – 2, Weimar 1879; M. v. Kaisenberg (Bearb.), König Jérome Napoleon, Ein Zeit- und Lebensbild, Leipzig 1899; A. Martinet, Jérome Napoléon – Roi de Westphalie, Paris 1902; M.-A. Fabre, Jérome Bonaparte, roi de Westphalie, Paris 1952; Unter den zahlreichen Napoleon-Biographien vor allem die beiden jüngeren Werke von Rang von J. Tulard, Napoloen oder der Mythos des Retters, Frankfurt am Main / Berlin / Wien 1982 (hier Taschenbuchausgabe der franz. Originalversion von 1977, übersetzt von C. Vollmann) u. R. Dufraisse, Napoleon. Revolutionär und Monarch, (franz. Originalversion von 1987, übersetzt von S. Gangloff), München 1994 sowie das Werk von J. Presser, Napoleon. Das Leben und die Legende, (Originalausgabe 1956), Stuttgart 1977. 41 Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten, hrsgg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 1 – 3, München 1992 – 1995 (Regierungsakten des Großherzogtums Berg 1806 – 1813 (Bearb. K. Rob), Regierungsakten des Königreichs Westphalen (Bearb. K. Rob), Regierungsakten des Primatialstaats und Großherzogtums Frankfurt (Bearb. K. Rob)). 42 J. Lengemann (Hrsg.), Parlamente in Hessen 1808 – 1813, Biographisches Handbuch der Reichsstände des Königreichs Westphalen und der Ständeversammlung des Großherzogtums Frankfurt, hrsgg. im Auftrag des Hessischen Landtags, Frankfurt am Main 1991. 43 Z. B. H. Bernert (Hrsg.), Handwerk zwischen Zunft und Gewerbefreiheit (Quellensammlung zum Handwerks- und Gewerberecht, Bd. 1), hrsgg. im Auftrage der Handwerkskammer Kassel, Kassel 1998.; W. Lautemann / M. Schlenke (Hrsg.), Geschichte in Quellen, Amerikanische und Französische Revolution, München 1981. 44 Z. B. Bulletin des Lois et Décrets du Royaume de Westphalie (Bulletin der Gesetze und Decrete des Königreichs Westphalen), 13 Bde., Première et Deuxième Série (1. u. 2. Aufl.), Kassel 1808 – 1813; siehe dazu G. F. L. Isenbart (Hrsg.), Repertorium über die im Gesetzbulletin des Königreichs Westphalen enthaltenen Gesetze und königlichen Decrete, Hannover 1811; Recueil des lois, décrets et avis du Conseil d’Etat, publiés dans les departements de l’Ems superieur, des bouches du Weser et des bouches de l’Elbe, Bd. 1, Paris 1811; Gesetz-

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genössische Memoiren- und Korrespondenzliteratur 46, Zeitschriften und juristische Traktate47.

3. Gliederung Die Darstellung gliedert sich in vier Kapitel. Im ersten Kapitel wird zunächst überblicksweise in den historischen Kontext eingeführt. Im Anschluss daran werden die Konturen des modernen Verfassungsbegriffs skizziert, so wie er in den amerikanischen und französischen Revolutionen zum Sieg und zur ersten Verwirklichung gelangt ist. In die Betrachtung genommen wird dabei ebenfalls die Entwicklungsoffenheit des Instituts der modernen Verfassung und seine Anwendung bulletin des Großherzogthums Berg, 2. Abtheilung, Düsseldorf 1810 – 1813; J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung der Gesetze und Verordnungen, welche in den ehemaligen Herzogthümern Jülich, Cleve und Berg und in dem vormaligen Großherzogthum Berg über Gegenstände der Landeshoheit, Verfassung, Verwaltung und Rechtspflege ergangen sind. Vom Jahre 1745 bis zu der am 15. April 1815 eingetretenen Königl. Preuß. Landes-Regierung, Teil 2 – 3, Düsseldorf 1821 – 1822; Großherzoglich-Frankfurtisches Regierungsblatt, 3 Bde., Frankfurt 1810 – 1813; J. B. Duvergier (Hrsg.), Collection complète des lois, décrets, ordonnances, règlements, avis du conseil d’État (1788 – 1830), 55 Bde., Paris 1834 – 1838. 45 Le Moniteur westphalien. Gazette offizielle (Westphälischer Moniteur. Offizielle Zeitung), Kassel Dezember 1807- Dezember 1813. 46 Z. B. Correspondance de Napoléon Ier, publiée par ordre de l’Empereur Napoléon III., 32 Bde., Paris 1858 – 1870; Mémoires et Correspondance du roi Jérome et de la reine Catherine, 6 Bde., Paris 1861 – 1865; A. v. Schlossberger (Hrsg.), Briefwechsel der Königin Katherina und des Königs Jérome von Westphalen sowie des Kaisers Napoleon I. mit dem König Friedrich von Würtemberg, Bd. 1 – 2, Stuttgart 1886 – 1887; A du Casse (Bearb.), Correspondance inédite de la reine Catherine de Westphalie née princesse de Wurtemberg avec sa Famille et celle du roi Jérome, les souverains étrangers et divers personnages, Paris 1893; P. le Brethon (Hrsg.), Lettres et Documents pour servir à l’histoire de Joachim Murat: 1765 – 1815, 8 Bde., Paris 1908 – 1915; F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben und aus meiner Zeit, Theil II, 2. Aufl., Braunschweig 1835; H. Oppermann, Erinnerungen Heinrich Oppermanns aus Ölper (Erlebnisse eines Braunschweigischen Landmanns unter der französichen Regierung des ehemaligen Königreichs Westphalen, neu hrsgg. von L. Hänselmann, Braunschweig 1903; O. v. Boltenstern, Am Hofe König Jéromes, Erinnerungen eines westfälischen Pagen und Offiziers, Berlin 1905; Mémoires du Comte Beugnot 1779 – 1815, bearb. und hrsgg. von R. Lacour-Gayet, Paris 1959. 47 Z. B. Der Rheinische Bund, Eine Zeitschrift historisch-politisch-statistisch-geographischen Inhalts, hrsgg. von P. A. Winkopp, 23 Bde., Frankfurt am Main / Offenburg / Aschaffenburg 1806 – 1814; Die Zeiten oder Archiv für die neueste Staatengeschichte oder Politik, hrsgg. von C. D. Voß, 64 Bde., Leipzig / Weimar 1805 – 1820; Westfalen unter Hieronymus Napoléon, Monatsschrift, hrsgg. von G. Hassel / K. Murhard, Jg.1 (1812), Januar-Oktober, Braunschweig 1812; F. K. v. Strombeck, Rechtswissenschaft des Gesetzbuchs Napoleons und der übrigen bürgerlichen Gesetzgebung des Königreiches Westphalen oder Sammlung von Entscheidungen des Königlichen Appellations-Hofes zu Celle und Abhandlungen über die entschiedenen und andere Rechtsfragen, Braunschweig 1811; F. Saalfeld, Handbuch des westfälischen Staatsrechts, Göttingen 1812; B. W. Pfeiffer (Hrsg.), Rechtsfälle entschieden nach dem Gesetzbuche Napoleons von Frankreichs und Westphalens obersten Gerichtshöfen, Bd. 1 – 2, Hannover 1811 – 1813.

Einleitung

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auch in Herrschaftsgebilden, deren Entstehungsbedingungen und Strukturen nicht der revolutionären Situation von 1776 bzw. 1789 entsprachen. Das zweite Kapitel untersucht die Genese und das Legitimitätsmodell der Verfassungen von Westfalen und Frankfurt sowie der Ansätze zur Verfassungsgebung in Berg. Die Rolle Napoleons hat sich – verfassungsrechtlich wie im politischen Prozess – meist nicht allein im Akt der Verfassungsoktroyierung erschöpft, sondern ging darüber hinaus. Die Analyse jener spezifischen Besonderheit napoleonischer Ingerenz soll ebenfalls an dieser Stelle der Arbeit erfolgen. Das dritte Kapitel gilt dem Gehalt der Freiheits- und Gleichheitsrechte in den drei Napoleoniden. Dabei soll auch die Implementierungsebene, d. h. die tatsächliche Umsetzung der Verfassungsinhalte in den jeweiligen Gesetzeswerken berücksichtigt werden. Wo sinnvoll, werden vergleichende Bezüge zu Grundrechtsstandards unter anderen Verfassungen und Rechteerklärungen der Epoche hergestellt. Die Rolle der Repräsentativvertretungen sowie die Qualität des mit ihnen eingeführten repräsentativen Strukturmerkmals werden im vierten Kapitel am Beispiel Westfalens behandelt. Neben der Ausgestaltung des Repräsentationswesens bildet dabei insbesondere die Würdigung der westfälischen „Verfassungskonflikte“ den Schwerpunkt der Betrachtung. Auch hierbei soll eine Verortung im Gesamtkontext der deutschen Verfassungsgeschichte vorgenommen werden.

1. Kapitel

Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff I. Die napoleonische Modellstaatspolitik Französische Revolution, napoleonische Herrschaftsausdehnung, Auflösung und Untergang des alten Reiches sowie die Errichtung des Rheinbundes sind die äußeren historischen Wegmarken für den Konstitutionalismus in den Rheinbundstaaten. Unauflösbar verbunden sind sie mit der Verbreitung der geistesgeschichtlichen Ideen der Moderne, welche die traditionalen, ständisch-feudalen Autoritäten mehr als nachhaltig erschütterten und irreversibel die Grundkoordinaten der bisherigen (kontinentalen) Staats- und Gesellschaftssysteme verrückten. Militärische, machtpolitische, geistig-ideologische und gesellschaftliche Neuordnung in Deutschland und Mitteleuropa gingen so Hand in Hand und bedingten einander. Nach dem Frieden von Preßburg 1805 sowie dem Frieden von Tilsit 1807 ging Napoleon dazu über, seine Einflusssphären in Mitteleuropa im Rahmen des Aufbaus des Grand Empire dauerhaft herrschaftstechnisch abzusichern und zu konsolidieren. Auf dem Boden des (rechtsrheinischen) alten Reiches entstand 1806 als „drittes Deutschland“ neben Österreich und Preußen der Rheinbund als lose Konföderation von Staaten mittlerer und kleinerer Größe48, die im Zuge der Säkularisierungs- und Mediatisierungsvorgänge nach dem Reichsdeputationshauptschluss z.T. territorial expandiert und nun zu formal-rechtlicher Souveränität gelangt waren. Der Rheinbund war – unter der Stellung Napoleons als Protektor49 – in erster Linie machtpolitisches Instrument französischer Hegemonie.50 Seine Mitglieder 48 Näher zum Rheinbund K. v. Raumer, Deutschland um 1800, S. 160 ff. u. 265 ff.; E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 75 ff.; E. Weis, Napoleon und der Rheinbund, in: A. v. Reden-Dohna (Hrsg.), Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons, Wiesbaden 1979, S. 57 ff.; H. Conrad, Rheinbund und Norddeutscher Bund, in: ders. / H. Jahrreiß / P. Mikat / H. Mosler / H. C. Nipperdey / J. Salzwedel (Hrsg.), GS H . Peters, Heidelberg / New York 1967, S. 50 ff.; R. Wohlfeil, Untersuchungen zur Geschichte des Rheinbundes, 1806 – 1813, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (ZGO) 108 n. F. (1960), S. 85 ff.; aus der älteren Literatur T. Bitterauf, Geschichte des Rheinbundes, Bd. 1, München 1905, S. 336 ff. 49 In Art. 12 der Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 war die Stellung Napoleons als den Rheinbund (dominierender) Protecteur aufgenommen, abgedruckt in: H. Boldt (Hrsg.), Reich und Länder, S. 62, 65 (franz. Version). 50 Zu den verschiedenen Deutungen des Rheinbundes in der zeitgenössischen Rheinbundpublizistik siehe M. Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2, München 1992, S. 62 ff.

I. Die napoleonische Modellstaatspolitik

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bildeten ein militärisches Glacis gegen potentielle Gegner, waren in den Wirtschaftskrieg gegen England (Kontinentalsperre) fest eingebunden und hatten vor allem die finanziellen, materiellen und militärischen Ressourcen für das Empire in Gestalt von Truppenkontingenten, Kontributionszahlungen, Fouragelieferungen und Einquartierungen zu mobilisieren.51 Das Großherzogtum Berg, das Königreich Westfalen sowie das Großherzogtum Frankfurt stellten unter den Rheinbundstaaten neben den alten Staaten des Nordens und der Mitte, den territorial erheblich vergrößerten Staaten des Südens und einer Gruppe kleinerer Zwergstaaten eine besondere Kategorie neu geschöpfter Kunststaaten dar. Ohne nähere Verbindung zu historisch gewachsenen Vorläufern waren sie allein von Napoleon geschaffen und seinen Herrschaftsvorgaben besonders verpflichtet, dienten zum Teil auch der „Versorgungspolitik“ Napoleons in Form von Landschenkungen aus konfiszierten Domänenbeständen der vormaligen Landesherren an seinen neuen Militär- und Verdienstadel (Dotationen). Das Eigentümliche der napoleonischen Kunststaaten bestand darin, dass sich in ihnen das machtpolitische Kalkül nicht allein auf die Funktion territorialer, militärischer und finanzieller Verfügungsobjekte bezog. In der Konzeption napoleonischer Hegemonialordnung für Deutschland lag ihrer Errichtung in besonderem Maße die Zweckbestimmung zugrunde, im Wege einer „Revolution von oben“ modellhaft für die übrigen Rheinbundstaaten die (domestizierten) Errungenschaften der Revolution, die Auflösung der ständisch-feudalen Ordnung und ihre Ersetzung durch eine staatsbürgerlich-egalitäre Gesellschaftsform französischer Provenienz auf der Grundlage französischer Verfassungs- und Verwaltungsordnung zu demonstrieren. Machtimpuls und Reformimpuls bzw. Machtsicherung und Modernisierung verbanden sich so auf dreifache Weise: Die Gleichförmigkeit von Gesellschaftsordnung, Verwaltung und Verfassung mit Frankreich diente der Stabilität des Empire als politischer Einheit, die Reformen garantierten eine effektivere Erschließung und Mobilisierung der ökonomischen, finanziellen und militärischen Ressourcen als es das Ancien Régime vermocht hätte, und schließlich sollten sie im Sinne einer stabilitätsfördernden Politik „moralischer Eroberungen“ (E. Fehrenbach) der Bevölkerung des „dritten Deutschlands“ die fortschrittliche französische Staatsund Gesellschaftsordnung als leuchtendes Beispiel vor Augen führen und somit kontrastreich das Modernitätsgefälle zur Rückständigkeit der alten absolutistischen Mächte Preußen und Österreich ins Bewusstsein rücken. Letzteres war Funktionalisierung der Innen- für die Außenpolitik: die gesellschaftliche Modernisierung mit ihren Bausteinen der staatsbürgerlichen Gleichheit, der Implementierung einer auf liberalen Eigentumsvorstellungen und ökonomischer Freiheit basierenden Rechtsordnung, der Rezeption des Code Napoléon, der Errichtung einer unabhängigen Justiz sowie einer rational-strukturierten und effektiven Verwaltung52 war darauf Vgl. die Art. 35 – 38 der Rheinbundakte, abgedruckt, ebd., S. 62, 71. Zur Übersicht über den Verwaltungsaufbau in den Napoleoniden siehe F.-L. Knemeyer, in; K. G. A. Jeserich / H. Pohl / G.-C. v. Unruh (Hrsg.), Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 2, Stuttgart 1983, S. 333 ff. (§ 1). 51 52

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

angelegt, die politischen Kräfte Deutschlands anzuziehen, einzunehmen und sie dauerhaft an das Empire zu binden.53 Die Oktroyierung von Verfassungen und die Konstitutionalisierung der Herrschaftsausübung bildeten einen zentralen Bestandteil der napoleonischen Modellstaatspläne. Sie waren geradezu ein Charakteristikum der angestrebten staatlichen und gesellschaftlichen Modernisierung – dies nicht nur in politisch-psychologischer Hinsicht. In der Modellstaatskonzeption enthielten sie als oberste Steuerungsinstanz das ganze normative Programm der Beseitigung ständisch-feudaler Strukturen und der Schaffung einer neuen egalitären Ordnung. Damit knüpfte die napoleonische an die revolutionäre Herrschaftsausdehnung an, welche die Verfassungspolitik ebenfalls schon als integralen Bestandteil ihrer politisch-ideologischen Strategie begriffen hatte. In einer ersten Welle war es ab 1796 noch unter dem Direktorium zur Verfassungsgebung in den italienischen Tochterrepubliken, den Niederlanden und der Schweiz gekommen. Freilich hatten sich im Lauf der Zeit die Akzente verschoben. Während der Verfassungsexport der ersten Welle noch stärker vom revolutionären Impuls und einem ausgeprägterem ideologischen Sendungsbewusstsein getragen war, übernahm Napoleon in der zweiten Welle ab 1801 zwar die Strategie, entschärfte jedoch (nach dem Vorbild der Konsulats- bzw. Empireverfassungen von 1799, 1802 und 180454) die demokratischen und politisch-freiheitlichen Sprengsätze der Verfassungen und begriff das dergestalt modifizierte Exportgut allein als Instrument herrschaftskonsolidierender Akzeptanzsteigerung der französischen Hegemonie.55 Das Großherzogtum Berg entstand als erster der drei Kunststaaten im Frühjahr 1806 auf den Territorien des ehemals wittelsbachischen Herzogtums Berg und den rechtsrheinischen Gebietsteilen des preußischen Herzogtums Kleve. Mit der Rheinbundakte vom 12. Juli 1806 gelangte es auch zu formal-rechtlicher Souverä53 Am besten zur Modellstaatskonzeption E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 289 ff.; siehe auch R. Wohlfeil, Napoleonische Modellstaaten, S. 33 ff.; B. Severin, Modellstaatspolitik im rheinbündischen Deutschland. Berg, Westfalen und Frankfurt im Vergleich, in: Francia 24 / 2 (1997), S. 181 ff.; Ilja Mieck, Napoléon Ier et les Réformes en Allemagne, Francia 15 (1987), S. 473 ff. und W. Markov, Institutions Napoléoniennes en Allemagne: les deux faces d’un progrès, in: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine (RHMC) 17 (1970), S. 892 f. 54 Abgedruckt in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard, Les Constitutions et les principales lois politiques de la France depuis 1789, 7. Éd., Paris 1952, S. 109 ff. u. 133 ff. Als maßgeblicher Schöpfer insbesondere der Konsulatsverfassung gilt neben Napoleon Abbé Sieyès, vgl. dazu H. Siegmund, Verfassungsentwicklung, S. 168 u. J. Godechot, in: ders. (Hrsg.) und fortgeführt von T. Godechot, Les constitutions de la France depuis 1789, Paris 1995, S. 143 ff. 55 Vgl. H. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 523 ff.; D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 55 ff.; detaillierte Auflistung der (über 30) französisch-oktroyierten bzw. -inspirierten europäischen Verfassungen von 1789 – 1814 bei D. Grimm, in: H. Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur, S. 51 f.; vgl. die charakteristische Formel von H. A. L. Fisher, Bonapartism, Oxford, 1903, S. 46, 58: „Den Adlern folgten die Codes“, zit. nach E. Hölzle, Staatssystem, S. 277, 278.

I. Die napoleonische Modellstaatspolitik

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nität.56 Territorial kamen bis 1806 noch weitere Gebiete (die Fürstentümer Siegen und Dillenburg, die Grafschaft Mark, das Erbfürstentum Münster) hinzu57, ab Ende 1810 fielen die Gebiete nördlich der Lippe infolge der direkten Angliederung der Nordseeküste samt Hinterland an Frankreich direkt an jenes.58 Der Schaffung des neuen Staatsgebildes lagen anfänglich vor allem militär-strategische Überlegungen zugrunde. Der Aufbau eines rechtsrheinischen „état intermédiaire“ zwischen dem bis zum linken Rheinufer reichenden Frankreich und Preußen mit der doppelten Zielsetzung, Preußen strategisch vom Rhein zu drängen und zugleich die Rheinschifffahrt zu kontrollieren, entsprach seit spätestens 1798 bestehenden Ambitionen der französischen Diplomatie.59 Mit der Staatsspitze wurde zunächst Napoleons Schwager Joachim Murat60 betraut, der als Mitglied der kaiserlichen Familie freilich den Familienstatuten unterworfen war. Ab 1808 ging die Großherzogswürde formal auf Louis Napoléon, einen minderjährigen Neffen des Kaisers, über – bis zu dessen Volljährigkeit übernahm Napoleon als Vormund die Direktherrschaft.61 Als sein aktiver Statthalter vor Ort in der Hauptstadt Düsseldorf führte der kaiserliche Kommissar Jacques Claude Beugnot62 die Regentschaft, ab 56 Erst mit dem Rheinbundeintritt erlangte Berg auch den Rang eines Großherzogtums, vgl. Art. 5 der Rheinbundakte, abgedruckt in: H. Boldt (Hrsg.), Reich und Länder, S. 62, 64. 57 Die Einwohnerzahl des Großherzogtums betrug zur Zeit seiner größten Ausdehnung ca. 900.000, vgl. J. A. Demian, Statistik der Rheinbundstaaten, Bd. 2, Frankfurt am Main 1812, S. 53 u. C. Schmidt, Großherzogtum Berg (hier wie im Folgenden – wenn nicht anders vermerkt – nach der deutschen Übersetzung zitiert, vgl. Fn. 16), S. 31 (dort Fn. 64 mit Hinweis auf die unsichere Datenbasis). Die Fläche belief sich zum Zeitpunkt der größten Ausdehnung auf ca. 17.300 qkm, vgl. K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Berg, S. 2. 58 Mit Senatus-Consulte vom 13. 12. 1810 inkorporierte Napoleon im Rahmen des Wirtschaftskampfes gegen Großbritannien (Kontinentalsperre) dem französischen Mutterland den gesamten Norden Deutschlands, abgedruckt in: J. B. Duvergier (Hrsg.), Collection, Bd. 17, S. 235; zur Territorialentwicklung Bergs mit Skizzen siehe ausführlich H.-K. Junk, Das Großherzogtum Berg, Zur Territorialgeschichte des Rheinlandes und Westfalens in napoleonischer Zeit, in: Westfälische Forschungen 33 (1983), S. 29 ff. u. ders., Zur Territorialentwicklung des Großherzogtums Berg (1806 – 1813), in: B. Dietz (Hrsg.), Das Großherzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat, Köln 1995, S. 40 ff. 59 Näher C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 15 ff. u. M. Francksen, Staatsrat, S. 17. 60 Joachim Murat, geb. 1767 in Labastide-Fortunière (Dép. Lot), stieg als Kavallerieoffizier in den Revolutionskriegen und unter Napoleon zum Reitergeneral und Marschall auf. 1800 Heirat mit Napoleons Schwester Caroline, 1804 als Prinz von Frankreich und Großadmiral Mitglied der kaiserlichen Familie, 1806 – 1808 Großherzog von Berg, 1808 – 1815 König von Neapel, wo er tiefgreifende soziale und gesellschaftliche Reformen durchführte. Nach dem Russlandfeldzug 1812 zunächst Bruch mit Napoleon und 1814 Verbindung mit Österreich, 1815 dann Rückkehr zu Napoleon während der Herrschaft der hundert Tage, 1815 in Neapel durch bourbonische Truppen standrechtlich erschossen, vgl. nähere Einzelheiten zur Person in J. Chavanon / G. Saint-Yves, Joachim Murat (1767 – 1815), Paris 1905. 61 Dekret vom 3. März 1809, abgedruckt in: Der Rheinische Bund, Bd. 11 (1809), S. 113. 62 Jacques Claude Beugnot (Comte), geb. 1761 in der Champagne, Rechtsanwalt, 1791 Deputierter der Nationalversammlung, ab 1800 Entwicklung zu einem der erfahrensten Verwaltungsbeamten des Kaiserreichs, Anhänger eines autoritären Bürokratismus, 1800 – 1806 Präfekt des Département Seine-Inférieure, 1806 – 1807 Mitglied im Conseil d’État,

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

1810 flankiert durch den Grafen Pierre-Louis Roederer63 als Ministerstaatssekretär für bergische Angelegenheiten in Paris. Die sozial-ökonomische Struktur der Landesteile war unterschiedlich: die Gebiete des ehemaligen Herzogtums Berg waren industriell und gewerblich stärker entwickelt, das vormalige Herzogtum Kleve wie auch die Landschaften um Münster dagegen überwiegend agrarisch und konfessionell geprägt.64 Die volle Modellstaatsfunktion ist dem Großherzogtum erst in den Jahren ab 1808 (nachdem seine strategische Bedeutung infolge des Sieges über Preußen und dem Frieden von Tilsit abgenommen hatte) zugekommen. Verstärkt wurde dies mit der Einrichtung des Staatssekretariats in Paris 1810, bei der Napoleon die Rolle Bergs und seiner Verwaltung als die einer „école normale des autres États de la Confédération du Rhin“65 umriß. Allerdings ist es trotz umfangreicher Reformtätigkeit erst 1812 zur Verabschiedung eines Organischen Statuts gekommen, in dem auch eine Repräsentativkörperschaft vorgesehen war. Das Königreich Westfalen war nach dem Frieden von Tilsit im Juli 1807 kraft napoleonischen Konstituierungsdekrets vom August 180766 auf einem Konglomerat von Gebieten größtenteils aus dem linkselbischen Preußen, dem südlichen Teil Hannovers (1810 vorübergehend auch aus dem nördlichen Teil), dem ehemaligen Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel, dem Kurfürstentum Hessen-Kassel sowie weiteren Landschaften aus oranischem und sächsischem Besitz errichtet worden67.

1807 – 1808 Finanzminister im Königreich Westfalen, 1808 – 1813 kaiserlicher Kommissar (Statthalter) und Finanzminister in Berg, 1814 – 1815 Marineminister in Frankreich, 1816 Deputierter der französischen Nationalversammlung, 1835 gestorben, vgl. nähere Einzelheiten in J. Balteau / M. Prevost (Hrsg.), Dictionnaire de Biographie Francaise, Bd. 6, Paris 1954, S. 361 f. 63 Pierre Louis Roederer (Comte), geb. 1754, Verwaltungsbeamter, 1802 – 1804 Kultusminister und Unterrichtsminister in Frankreich, 1806 – 1808 Finanzminister des Königreiches Beider Sizilien unter Joseph Bonaparte, 1810 – 1813 Minister-Staatssekretär für Berg in Paris, 1835 gestorben, vgl. bei H.-K. Junk, Verwalter und Verwaltung des Großherzogtums Berg, in: C. Schmidt, Großherzogtum Berg, hrsgg. von B. Dietz / J. Engelbrecht, S. 438, 478. 64 Vgl. zum (vormaligen) Herzogtum Berg J. Engelbrecht, Das Herzogtum Berg im Zeitalter der Französischen Revolution, (Habil. Düsseldorf 1993) Paderborn 1996. 65 Zit. nach C. Schmidt, Grand-Duché, S. 91 (franz. Originalversion). Die école normale war im zeitgenössischen Frankreich die Bezeichnung für das Lehrer- und Professorenseminar, dazu B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181, 184 (dort Fn. 16). Zwar setzte die volle Modellstaatspolitik erst 1808 ein, allerdings hatte Napoleon Murat per Schreiben vom 04. 04. 1806 zuvor schon aufgefordert, die Bevölkerung Bergs durch eine geeignete Organisationsform für die französische Hegemonie einzunehmen, vgl. Correspondance de Napoléon Ier, No. 10 056, Bd. 12, S. 315 f.: „. . . il sera possible d’arriver à une organisation qui convienne aux habitants et à vous, et qui rende vos voisins envieux de faire partie de votre domination“. 66 Art. 1 des Dekrets vom 18. August 1807, abgedruckt in: Der Rheinische Bund, Bd. 4 / 10 (1807), S. 99 ff.; siehe auch Art. VIII des Tilsiter Vertrages zwischen Frankreich und Preußen vom 9. Juli 1807, abgedruckt in: W. Lautemann / M. Schlenke (Hrsg.), Quellen, S. 556. 67 Vgl. Art. 1 der Verfassung, der die endgültige Aufzählung der arrondierten Gebietsteile des Königreichs Westfalen enthält. Der territoriale Umfang von 38.000 qkm entsprach etwa dem des zusammengeschrumpften Preußen (und überstieg den des heutigen Niedersachsens),

I. Die napoleonische Modellstaatspolitik

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Es stellte den mit Abstand bedeutendsten Napoleoniden dar. Seine Territorien waren vornehmlich agrarisch geprägt, ansonsten im Hinblick auf vormalige Herrschaftsstrukturen, Konfessionen, Institutionen und Traditionen (naturgemäß) recht heterogen. Die napoleonische Konzeption sah für die gleichsam reißbrettartig entstandene Konstruktion ohne historische Kontinuität und politisch wirksame Traditionskräfte68, an deren Spitze in der Hauptstadt Kassel Napoleons Bruder Jérome und der Minister Simeón berufen wurden69, die zentrale Modell- und Vorbildrolle im Rheinbunddeutschland vor – nicht zuletzt im unmittelbaren Kontrast zu Preußen. Neben seiner strategisch-militärischen Pufferfunktion zwischen Frankreich und Preußen und der finanziellen und militärischen Ressourcenbildung für das Empire sollte es allen voran mustergebend durch Nachbildung der inneren Verhältnisse Frankreichs den Hauptteil der politisch-psychologischen „Marketingfunktion“ übernehmen.70 Die Ambition und der Nachdruck, mit dem die Modelldazu H. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 140; Die Einwohnerzahl betrug 1807 ca. 2 Millionen Einwohner, dazu sowie weitere demographische Angaben bei G. Hassel, Das Königreich Westphalen vor seiner Organisazion, Braunschweig 1807, S. 10 f. sowie ders., Statistisches Repertorium über das Königreich Westphalen, Braunschweig 1813; vgl. auch Almanach Royal de Westphalie, pour l’an 1810, Kassel 1810, S. 346. Mit dem Senatus-Consulte von 1810 (vgl. Fn. 58) verlor auch Westfalen erhebliche Landesteile (die Territorien um Osnabrück und Minden sowie die nördlichen Gebiete des Hannovers). 68 H. Berding, Das Königreich Westfalen als Modellstaat, in: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde, Bd. 54, 1985, S. 181, 186 f. 69 Jérome war allerdings kraft Art. 7 der Verfassung direkt den kaiserlichen Familienstatuten und damit auch formal-rechtlich dem Familienoberhaupt Napoleón unterworfen, dazu näher F. Saalfeld, Handbuch des Staatsrechts, S. 32 (§ 28). Jérome Bonaparte wurde 1784 auf Korsika geboren und wurde zunächst Marineoffizier. Später unterstützte er Napoléon bei der Besetzung Schlesiens; ab 1807 König in Westfalen, 1812 Befehlshaber des rechten Flügels der großen Armee. Ab 1816 Fürst von Montfort in Österreich und Italien, im zweiten Kaiserreich kaiserlicher Prinz, 1860 gestorben. Seine politische Führung während der Regentschaft in Westfalen wird allgemein als schwach eingestuft. Er ist Gegenstand einiger Schmähschriften geworden, vgl. etwa: Par „un Indiscret“, Un roi qui s’amusait et la cour de Westphalie de 1807 à 1813, Paris 1888; nähere Einzelheiten zur Person siehe die Biographien von A. Martinet, M.-A. Fabre u. M. v. Kaisenberg (Bearb.) in Fn. 40. Treibende Kraft des Aufbaus des Königreichs und der Ausgestaltung der Reformpolitik war der fortschrittliche Justizminister Siméon (zeitweise auch Innenminister): Geb. 1749 in der Provence, entstammte er einer Anwaltsfamilie und wurde er zunächst Professor der Rechte in Aix und schloss sich später der südfranzösischen Föderalistenbewegung an (zwischenzeitlich Flucht nach Italien). Weitere Stationen seines Lebensweges: 1796 Mitglied und später Präsident im Rat der 500. 1797 Verbannung, dann Rückkehr und unter Napoléon Mitglied des Tribunats, Redakteur des Code civil. Ab 1807 in Westfalen. Nach Rückkehr der Bourbonen zunächst Präfekt des Départements Nord, später Innenminister im Kabinett Richelieu. Weitere Ämter in der Juli-Monarchie bis zum Tod im Jahre 1843, vgl. nähere Einzelheiten in: A. Robert u. a. (Hrsg.), Dictionnaire des Parlamentaires francais, Bd. 5, Paris 1890, S. 319 f. 70 Vgl. aus der Korrespondenz Napoleons an Jérome vom 15. November 1807: „. . . Cette manière de gouverner sera une barrière plus puissante, pour vous séparer de la Prusse, que l‘Elbe, que les places fortes et que la protection de la France. Quel peuple voudra retourner 3 Hecker

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

staatskonzeption in Westfalen betrieben werden sollte – und die sich auch im sofortigen Erlass der Verfassung dokumentierte – erklärt sich aus der machtpolitischen Situation Napoleons im Jahre 1807. Nach dem Sieg über Preußen schien seine Hegemonialstellung aus militär-strategischer Sicht in Mitteleuropa gefestigter denn je, und er konnte nun daran gehen, seine Herrschaft auch im Hinblick auf das politische und gesellschaftliche Binnenleben der erworbenen Gebiete zu konsolidieren.71 Die dritte und zeitlich letzte Schöpfung der drei Napoleoniden war das Großherzogtum Frankfurt im Februar 1810. Es handelte sich um keine völlige Neukonstruktion, sondern vielmehr um die Umgestaltung des schon ab 1806 unter der Leitung des ehemaligen Kurfürst-Erzbischofs von Mainz und Fürstprimas des Rheinbundes Karl Theodor von Dalberg72, einem treuen Parteigänger Napoleons, stehenden Primatialstaats. Dessen Territorien, die ehemaligen Fürstentümer Aschaffenburg und Regensburg sowie die vormaligen Reichsstädte Wetzlar und Frankfurt, gingen 1810 – mit Ausnahme von Regensburg und unter Hinzutreten von Teilen der vormaligen Fürstentümer Fulda und Hanau – im neu gegründeten Großherzogtum Frankfurt auf.73 Die Staatsleitung war weiterhin Dalberg anvertraut, allerdings bestimmte die im August 1810 erlassene Verfassung, dass die Regentschaft nach seinem Ableben an Napoleons Stiefsohn, Eugène Beauharnais, fallen sollte.74 Zwar folgte das Großherzogtum Frankfurt im Weg der Reformpolitik dem französischen Modell, die Modellsstaatsfunktion war hier allerdings am schwächsten ausgeprägt. Die Verhältnisse in Frankfurt entsprachen eher einer evolutionären Mischung aus französich-inspirierten Reformen und alten Strukturen denn einer vollständig französisch-oktroyierten „Revolution von oben“.75 In der Anfangszeit haben die konstitutionellen Ansätze der Modellstaaten, insbesondere Westfalens, im Rheinbunddeutschland regen politisch-publizistischen Anklang gefunden. Dabei sind zwei (freilich miteinander verwobene) Begründungslinien erkennbar, die Signalkraft des Verfassungsbegriffs und die Vorarbeiten des aufgeklärt-absolutistischen Staatsdenkens: sous le gouvernement arbitraire prussien, quand il aura gouté les bienfaits d’une administration sage et libérale? . . .“, Correspondance de Napoléon Ier, Bd. 16, Nr. 13361, S. 196 f. 71 Vgl. Dazu B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181, 187. 72 Karl Theodor von Dalberg (Reichsfreiherr), geb. 1744 in Worms, gilt als Anhänger und glühender Verehrer Napoleons, 1800 Bischof von Konstanz, 1802 Kurfürst von Mainz, 1803 wegen enger Verbundenheit zu Napoleon Erzkanzler des Reiches, 1806 Fürstprimas des Rheinbundes und an der Spitze des Primatialstaats, ab 1810 – 1813 des Großherzogtums Frankfurt, 1817 gestorben, vgl. nähere Einzelheiten im Werk von K. v. Beaulieu-Marconnay (Fn. 40). Zur Dalbergforschung siehe den Überblick bei E. Fehrenbach, Ancien Régime, S. 182 f. 73 Die Bevölkerungsgröße belief sich auf ca. 300.000, vgl. K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Frankfurt, S. 2 f. 74 Vgl. Art. 4 der Verfassung, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 106, 107. 75 Zum Ganzen K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Frankfurt, S. 1 ff.

I. Die napoleonische Modellstaatspolitik

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Im Rahmen der allgemeinen (anfangs recht positiven) Rezeption der französischen Revolution in der deutschen (publizistischen) Öffentlichkeit wie auch in der Staatsrechtslehre76 hatten sich in den 1790er Jahren Verfassungsdiskussionen entwickelt, in denen versucht wurde, die Herausforderung der französischen Revolution mit ihrem modernen Verfassungsbegriff aufzugreifen und das politisch-verfassungsrechtliche Beispiel – wenn auch mit inhaltlichen Modifikationen – auf deutsche Territorien zu übertragen.77 Exemplarisch erhellten schon die Vorgänge um die Mainzer Republik 1792 / 1793 nicht nur die Öffentlichkeitswirkung dieser Unterfangen, sondern auch, dass der verfassungsstaatliche Geist bisweilen sogar über die reine Inspirationsebene hinaus ging und zur Tat schritt.78 Dementsprechend stießen die Modellstaatspolitik und allen voran ihre verfassungsgetragene individualrechtlich-freiheitliche Komponente in der deutschen (publizistischen) Öffentlichkeit zunächst auf Zustimmung und Sympathie.79 Die Signalkraft des Verfassungsbegriffs hatte inzwischen ein solches Ausmaß erreicht, dass eine nach Akzeptanz strebende politische Ordnung für das sich entwickelnde Bürgertum schwerlich auf eine – wie auch immer geartete – Realisation der Verfassungsidee dauerhaft verzichten konnte.80 Die anfänglich positive Aufnahme der napoleonischen Verfassungspolitik verdankte sich auch dem Umstand, dass das vor dem Hintergrund der „Blutströme von 1793 / 1794“ bisweilen als bedrohlich empfundene Revolutionsprogramm nunmehr napoleonisch „entschärft“ war. Dies lag durchaus auf der Linie 76 Vgl. J. Droz, L’Allemagne et la Révolution Francaise, Paris 1949, S. 151 ff.; E. Fehrenbach, Deutschland und die Französische Revolution, in: H.-U. Wehler (Hrsg.), 200 Jahre amerikanische Revolution und moderne Revolutionsforschung, Göttingen 1976, S. 232, 233 ff., 250; H. E. Bödeker, Zur Rezeption der französischen Menschen und Bürgerrechte von 1789 / 1791 in der deutschen Aufklärungsgesellschaft, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grundund Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, Göttingen 1981, S. 258 ff.; C. Starck, Die französische Revolution und das deutsche Staatsrecht, JZ 1989, S. 601, 604 ff. 77 Eingehend dazu H. Dippel, Der Verfassungsdiskurs im ausgehenden 18. Jahrhundert und die Grundlegung einer liberaldemokratischen Verfassungstradition in Deutschland, in: ders. (Hrsg.), Die Anfänge des Konstitutionalismus in Deutschland. Texte deutscher Verfassungsentwürfe am Ende des 18. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1991, S. 7 ff.; jüngst der Beitrag von O. Lamprecht, Das Streben nach Demokratie, Volkssouveränität und Menschenrechten am Ende des 18. Jahrhunderts, Berlin 2001 zur – freilich wenig richtungsbildenden – Erscheinung der deutschen Jakobiner und ihren publizistischen Aktivitäten. 78 Dazu W. Heun, Die Mainzer Republik. Eine verfassungsgeschichtliche Studie, Der Staat 23 (1984), S. 51 ff. 79 W. Bußmann, Vom Hl. Römischen Reich deutscher Nation zur Gründung des Deutschen Reiches, in: Th. Schieder (Hrsg.), Handbuch der europäischen Geschichte, Bd. 5, Stuttgart 1981, § 14, S. 414 f.; H. Berding, Modellstaat, S. 181, 185 f.; H. Seier, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Akten zur Entstehung und Bedeutung des kurhessischen Verfassungsentwurfs von 1815 / 1816, Marburg 1985, S. XIX, XXVII; vgl. auch bei K. v. Raumer, Deutschland um 1800, S. 315 f. 80 Vgl. die Äußerung des (ansonsten eher Napoleon-kritischen) Verfassungshistorikers K. H. L. Pölitz (Hrsg.), Die Constitutionen der europäischen Staaten seit den letzten 25 Jahren, Zweiter Teil, Leipzig / Altenburg 1817, S. 116: „. . . man nun gleich zugestehen muß, daß manche Bestimmung dieser westphälischen Constitution zeitgemäß war . . .“.

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

des deutschen politischen Denkens, welches schon seit 1795 immer ein reflektiertes, auf den Gang der Revolution bezogenes Denken war.81 Vor allem aber waren es die Vorleistungen und die teilweise schon fortgeschrittenen Wirkungen des aufgeklärten Reformabsolutismus seitens der aufgeklärten Reformbürokratie, ohne die die Rezeption der napoleonischen Politik weitaus schlechter ausgefallen und vor allem ihr Feld schwieriger zu bestellen gewesen wäre. Schon das friderizianische Herrschaftsverständnis war ein weitgehend säkularisiertes, die alte Vorstellung vom Gottesgnadentum aufhebendes gewesen. In Bayern etwa hatte Montgelas bereits 1796 durchgreifende Reformvorstellungen zur Umgestaltung des Staates in Richtung staatsbürgerliche Gleichheit und Nationalrepräsentation entwickelt.82 Insgesamt hatte der aufgeklärte Absolutismus in Deutschland (überhaupt erst) den modernen Staatsgedanken zur Herrschaft gebracht. Dies war ein Stück Wegbereitung, an die der napoleonische Konstitutionalismus anknüpfen konnte.83 Dass die anfänglich positive Resonanz der Modellstaatspolitik danach rasch umschlug, lag an ihren inneren Widersprüchen und den Zielkonflikten der napoleonischen Politik. Der ungehemmte Zugriff auf die materiellen, finanziellen und personellen Ressourcen der Napoleoniden sowie die teilweise Re-Feudalisierung im Wege der Landschenkungspolitik riefen Widerstände hervor84, die Implementierung des revolutionären Rechts in der noch weitgehend traditionalen Gesellschaft kam mitunter der Quadratur des Kreises gleich.85 So sehr sich Machtpolitik und 81 R. Wahl, Die Entwicklung des deutschen Verfassungsstaates bis 1866, in: J. Isensee / P. Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (Hdb.StR.), Bd. 1, Heidelberg 1987, § 1, S. 3, 9. 82 Zum Hintergrund des- neben den josephinischen und friderizianischen Reformen – besonders intensiven Wirkens der süddeutschen Reformer Montgelas (Bayern) und Reitzenstein (Baden), vgl. E. Weis, Der Einfluß der französischen Revolution und des Empire auf die Reformen in den süddeutschen Staaten, Francia 1 (1973), S. 569 ff.; H.-O. Sieburg, Napoléon et les transformations des Institutions en Allemagne, RHMC 17 (1970), S. 897, 901 ff.; zu Bayern, das als einziger Staat (neben dem Herzogtum Anhalt-Köthen 1810) dem westfälischen Vorbild weitgehend nachgezeichnet 1808 eine eigene Verfassung erließ, siehe D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 60 f. u. K. Möckl, Die bayerische Konstitution von 1808, in: E. Weis (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984, S. 151 ff.; den eigenständigen, evolutionär-deutschen Anteil an der rheinbündischen Reformbewegung insgesamt (d. h. vor allem auch die deutschen Rheinbundstaaten betreffend) betonen E.-W. Böckenförde, Der deutsche Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl., Frankfurt 1992, S. 273, 280 u. E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 293. 83 Zur (hier nicht näher interessierenden) umstrittenen Frage der Kontinuität / Diskontinuität zwischen Verfassungsdiskurs und aufgeklärter Staatstheorie im Deutschland des 18. Jahrhundert einerseits und der Fortsetzung des Konstitutionalismus ab 1815 andererseits siehe T. Würtenberger, Staatsverfassung an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Wendemarken in der deutschen Verfassungsgeschichte, Beiheft 10 zu „Der Staat“, Berlin 1993, S. 85, 105 ff. 84 Zu den verschiedenen Aufständen gegen die napoleonische Herrschaft H. Heitzer, Insurrectionen zwischen Weser und Elbe, Berlin (Ost) 1959, S. 122 ff. 85 E. Fehrenbach, Ancien Régime, S. 184.

II. Begriff der modernen Verfassung

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reformerische Modellsstaatspolitik mit deutschen Eigeninteressen verbanden – im Ergebnis stellten sie eine Überforderung dar.

II. Begriff der modernen Verfassung Die konstitutionellen Ansätze in den Rheinbundstaaten stehen in Deutschland am Beginn des Zeitalters der Verfassungskämpfe und Verfassungsschöpfungen. Die Verfassungsfrage wurde zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen der Zeit.86 Zugleich fallen die konstitutionellen Anfänge im Rheinbunddeutschland in die Zeit, in der die Idee der modernen Verfassung in Frankreich nicht nur bereits zum Sieg gelangt war, sondern dort innerhalb kurzer Zeit schon diverse Strukturveränderungen durchlaufen hatte, die den ursprünglichen Bedeutungsgehalt der Idee vom Beginn der Revolution teilweise weitgehend verändert bzw. entleert hatten. Damit war den Zeitgenossen die Wandlungsfähigkeit dessen, was unter dem Begriff Verfassung firmierte und die mögliche Variabilität des Modells Verfassungsstaat bereits eindrucksvoll vor Augen getreten. Um der weiteren Untersuchung begrifflichen Halt zu vermitteln, sollen im Folgenden – überblicksweise – die begrifflichen Elemente des modernen, normativen (bzw. revolutionären) Verfassungsbegriffs hinsichtlich Entstehung und Funktion (unter 1.) sowie seine Verbreitungsbedingungen (unter 2.) skizziert werden.87 1. Begriffsgeschichtliche Entwicklung Der moderne normative Verfassungsbegriff hat sich im Laufe der Neuzeit anknüpfend an je nach politisch-sozialem Gesamtkontext verschiedene historische und geistesgeschichtliche Entwicklungslinien entwickelt und schließlich in den revolutionären Verfassungsgebungen Frankreichs und Nordamerikas in der zweiten 86 Vgl. den Ausspruch von C. v. Rotteck, Lehrbuch des Vernunftsrechts und der Staatswissenschaften, Bd. 2, Stuttgart 1830, S. 172: „Es ist heute ganz eigens das Zeitalter der Constitutionen“. 87 Anders als oftmals der heutige allgemeine wissenschaftliche Sprachgebrauch meint der Begriff der modernen Verfassung vorliegend nicht im unspezifischen Sinne die rechtliche Grundordnung des Staates ohne Rücksicht auf Zustandekommen, Inhalt und Legitimität. Auch die verschiedenen Bedeutungsgehalte, die in den Begriff der Verfassung bis zur Gegenwart hineingelegt worden sind (Verfassung als Vertrag, Verfassung als Klassenkompromiss, Verfassung als Wertgrundlage etc.) sind vorliegend nicht Begriffs- bzw. Betrachtungsgegenstand. Moderne normative Verfassung wird hier als (verfassungsgeschichtlicher) Begriff erläutert, in dem Sinne, wie sich in ihr der Emanzipationsprozess der Moderne artikuliert und sie sich durch die bürgerlichen Revolutionen am Ausgang des 18. Jahrhunderts entsprechend den konstitutionellen Forderungen der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildet hat. Vgl. die Gegenüberstellung von „Idealbegriff der Verfassung“ (d. h. dem hier skizzierten modernen normativen Verfassungsbegriff) und allgemeinem Verfassungsbegriff bei C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 36 ff.

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

Hälfte des 18. Jahrhunderts seine wesentlichen Konturen erhalten. Seinem ursprünglichen Bedeutungsgehalt nach beschrieb Verfassung bzw. sein Synonym Konstitution als aus der Naturbeschreibung in die politisch-rechtliche Sprache übergegangener Begriff umfassend die historisch gewachsenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse eines Territoriums. Als empirischer Begriff gab er Auskunft über Zustand und Beschaffenheit eines Landes und seiner Einwohner, wie sie sich als Produkt seiner historischen Entwicklung, der sozial-ökonomischen Strukturen, der bestehenden Machtverhältnisse, der politischen Institutionen sowie der rechtlichen Beziehungen ergaben.88 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts setzte unter dem Einfluss der schon fortgeschritteneren Terminologie Englands und Amerikas89 eine Verengung des Begriffs ein. Unter Abstreifung aller nicht-rechtlichen Konnotationen des Begriffsinhalts beschrieb Verfassung nun nur noch den rechtlich geprägten Zustand eines bestimmten Territoriums.90 Verfassung wurde zum empirischen Sammel- oder „Inbegriff“91 der verschiedenen verrechtlichten Herrschaftsbeziehungen. Die Verfassung eines Landes bzw. Territoriums stellte sich als Gefüge92 dieser meist zwischen dem Monarchen und nachgeordneten ständischen Herrschaftsträgern bestehenden linearen (z.T. auch informellen) Herrschaftsbeziehungen in Form von Leges fundamentales, Herrschaftsverträgen, Wahlkapitulationen, Freiheitsbriefen, Privilegien, Abschieden, Charten, Rezessen, Handfesten etc. dar. Jene wildwuchsartig entstandenen „Verfassungs-Bestandteile“ besaßen dementsprechend nur partikularen, d. h. nur zwischen den Vertragspartnern geltenden, und punktuellen, d. h. nur spezifische Bereiche regelnden, Charakter. Trotz des theoretischen Absolutheitsanspruchs der vom Gottesgnadentum hergeleiteten und vererblichen monarchischen Gewalt kam ihnen jedoch kraft ihres regelmäßig kontraktuellen Ursprungs die Qualität bindender Herrschaftslimitierungen oder Sphärenabgrenzungen zu, womit sie allerdings die monarchische Herrschaftsgewalt als überkommene bzw. „unvordenkliche“93 schon voraussetzten. Die Gesamtordnung galt als 88 D. Grimm, Art. „Verfassung (II.)“, in: GG, S. 863 f. u. ders., Konstitutionalismus, S. 45, 48 f.; W. Pauly, Art. „Verfassung“, in: in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), 35. Lieferung, Berlin 1993, Sp. 698 f.; Zu Verwendung und Herkunft des fremdsprachlichen Begriffsäquivalents aus dem Bereich der Medizin und der Natur im Sinne einer Zustandsbeschreibung physisch (und psychischer) Beschaffenheit G. Stourzh, Staatsformenlehre und Fundamentalgesetze in England und Nordamerika im 17. und 18. Jahrhundert. Zur Genese des modernen Verfassungsbegriffs, in: R. Vierhaus (Hrsg.), Herrschaftsverträge, Wahlkapitulationen, Fundamentalgesetze, Göttingen 1977, S. 295, 304 ff. 89 Vgl. G. Stourzh, Staatsformenlehre, S. 295, 304 ff. 90 D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 49. 91 Ausdruck bei P. J. A. Feuerbach, Anti-Hobbes, oder über die Grenzen der Höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherren, Bd. 1, Erfurt 1798 (Nachdruck Darmstadt 1967), S. 34. 92 E.-W. Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung und Bedeutungswandel der Verfassung, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1992, S. 29, 31.

II. Begriff der modernen Verfassung

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vorgegeben und nicht zur herrschaftskonstituierenden Entscheidung verfügbar. Der ältere Verfassungsbegriff ist ein Seins-Begriff, ist deskriptiver Natur, bezeichnet nicht die prägende bzw. generierende Rechtsnorm selber und ist historisch den traditionalen, altständischen Gesellschaften zugeordnet.94 Erst mit den Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts vollzog sich der Wandel vom ontologischen zum normativen Begriffsverständnis. Verfassung meint nun die einheitliche, förmliche Gesamtregelung der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft, die ausgehend von der politischen Funktion der Sicherung von Individualfreiheiten und unter Rezeption der Vorstellung vom pouvoir constituant des Volkes eine gewaltenteilige Staatsgewalt unter Festlegung ihrer Entfaltungsmodalitäten erst konstituiert, legitimiert und limitiert.95 Das eigentlich Revolutionäre des modernen Verfassungsbegriffs bestand weniger in der gedanklichen Neuheit des Legitimationsmusters staatlicher Herrschaft oder der Vorstellung rechtlicher Herrschaftsbindung für sich genommen. Revolutionär und neu war die Überführung der geistesgeschichtlich in den Naturrechtslehren und der jüngeren Vertragstheorie gereiften und gedanklich weitgehend vorgeformten Konstruktionen in positiv-rechtlich verbindliche Normen einer Sollensordnung.96 Erst die tatsächliche Verwirklichung zum einen des Konzepts der Volkssouveränität und zum anderen die nunmehr vorgenommene positiv-rechtliche Realisierung der alles überragenden Vorstellung von dem Staat vorausliegenden Menschen- und Bürgerrechten setzten das theoretische Modell juristisch in Geltung.97 Das Konzept der Volkssouveränität knüpfte an die vernunft- bzw. naturrechtliche Grundvorstellung an, wonach legitime Herrschaft nur von den Herrschaftsunterworfenen, also dem Volk abgeleitet werden konnte, das einzelne freie, auf sich gestellte Individuum damit zum Ausgangs- und Bezugspunkt aller politischsozialen Ordnung erklärt wurde.98 Seine Durchsetzung beruhte wesentlich auf dem Nachlassen religiöser Legitimationsvorstellungen (Gottesgnadentum), welche in93 Vgl. hierzu O. Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, in: ders., Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 2. Aufl., Göttingen 1968, S. 160, 164. 94 Zum Ganzen E.-W. Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung, S. 29 ff.; D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 49; W. Pauly, Art. „Verfassung“, in: HRG, Sp. 698, 700 f. 95 Vgl. D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 48 f. 96 Ders., ebd., S. 45, 46 ff.; R. Wahl, Entwicklung, S. 3, 4 f. 97 In der Vertragstheorie hatte zuvor nur E. de Vattel die inhaltliche Dimension der Vertragslehre mit der Forderung und dem Begriff der Verfassung verknüpft, E. de Vattel, Droit des Gens, ou Principes de la Loi Naturelle, 1758, hrsgg. von W. Schätzel (Übersetzung von W. Euler), Tübingen 1959, Buch I, Kap. III, § 27 (S. 40 f.); vgl. dazu H. Hofmann, Zur Idee des Staatsgrundgesetzes, in: ders., Recht – Politik – Verfassung, Frankfurt 1986, S. 261, 277 f.; H. Mohnhaupt, Art. „Verfassung (I)“, in: GG, Bd. 6, S. 831, 859; D. Grimm, Art. „Verfassung (II)“, in: GG, S. 863, 867. 98 Siehe H. Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, 4. Aufl. 1962, Göttingen 1962, S. 108 ff.

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

folge der Glaubensspaltung und Glaubenskriege des 16. und 17. Jahrhunderts an Überzeugungskraft verloren hatten. Der Verlust der transzendentalen Basis erforderte eine neue nunmehr säkulare Grundlage für weltliche Herrschaft.99 Die Idee einer göttlichen Herrschaftseinsetzung hatte in der Aufklärung beispielhaft schon im säkularen friderizianischen Herrschaftsverständnis keinen Niederschlag mehr gefunden. In den amerikanischen und französischen Revolutionen wurde nun statt dessen die Vorstellung von der Volkssouveränität erstmals in die politische Tat umgesetzt100 und von Sieyès in der Lehre vom pouvoir constituant des Volkes verfassungstheoretisch (weiter-)entwickelt.101 Der verfassungstheoretische Ertrag bestand darin, dass die Verfassung nicht mehr nur als herrschaftsbeschreibend, sondern als herrschaftskonstituierend und jegliche staatliche Herrschaft erst legitimierend begriffen wurde. Vom traditionellen älteren Verfassungsverständnis wurde das Element der Limitierung der monarchischen Herrschaftsgewalt – allerdings auf qualitativ und quantitativ völlig neuer Ebene – aufgegriffen. Die vorstaatlich gedachten Menschenrechte führten dabei zu einer Universalisierung der Schutzwirkung: an die Stelle der nur punktuellen und partikularen Herrschaftslimitierung trat der umfassende Freiheitsanspruch aller Rechtsunterworfenen gegenüber dem Staat.102 Unter Rezeption des bürgerlichen Staats- und Sozialordnungsmodells, wie es sich im 18. Jahrhundert entwickelt hatte, verschob dies zugleich wesentliche Prämissen legitimer Herrschaftsziele: Staatszweck war nun nicht mehr „polizey“- und wohlfahrtsstaatliche Definition und Steuerung des Gemeinwohls und der „allgemeinen Glückseligkeit“ im Sinne der althergebrachten Überwölbung alles Privaten und Ökonomischen, sondern einzig Schutz der individuellen Freiheiten in der sich selbst steuernden Gesellschaft.103 Auch hier lagen die theoretischen Ursprünge in 99 Vgl. eingehend dazu E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl., Frankfurt 1992, S. S. 92 ff. 100 Wobei freilich die politische Funktion in beiden Revolutionen eine unterschiedliche war: in Amerika Legitimierung der Sezession vom englischen Mutterland und Sicherung schon bestehender Grundrechte gegenüber der englischen Krone, in Frankreich Neubegründung einer politischen Ordnung zur Sicherung neuer Grundrechte, vgl. dazu D. Grimm, Europäisches Naturrecht und Amerikanische Revolution, Ius Commune III (1970), S. 120 ff. 101 Abbé E. J. Sieyès, Qu‘est-ce que le tiers état, (Streitschrift Frühjahr 1789), hier in der Übersetzung von O. Brandt, Berlin 1924, Kap. V, S. 91 ff.; vgl. dazu T. Hafen, Staat, Gesellschaft, Bürger im Denken von Emmanuel Joseph Sieyes, (Diss. St. Gallen 1994), Bern / Stuttgart / Wien 1994, S. 96 ff.; E. Schmitt, Sieyès, in: H. Maier / H. Rausch / H. Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Bd. 2, 4. Aufl., München 1979, S. 135 ff.; H. Dippel, Der Verfassungsdiskurs, S. 7, 10 f.; E. Zweig, Die Lehre vom Pouvoir Constituant – Ein Beitrag zum Staatsrecht der französischen Revolution, Tübingen 1909, S. 118 ff.; K. Loewenstein, Volk und Parlament – Nach der Staatstheorie der französischen Nationalversammlung von 1789. Studien zur Dogmengeschichte der unmittelbaren Volksgesetzgebung, München 1922 (Neudruck Aalen 1964), S. 12. 102 D. Grimm, Art. „Verfassung“, in: Staatslexikon der Görresgesellschaft, Sp. 633 f. 103 Zur etwas unscharfen, aber geläufigen Bezeichnung dieses Sich-selbst-Überlassen der vom Staat nun abgekoppelten Gesellschaft als „Trennung von Staat und Gesellschaft“ vgl.

II. Begriff der modernen Verfassung

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der jüngeren naturrechtlichen Vertragstheorie. Ausgehend vom fiktiven Zustand der Gleichheit und Freiheit aller Menschen konnte danach legitime Herrschaft nur noch auf einem – von allen Gesellschaftsmitgliedern begründet gedachten – Vertrag beruhen. Während jedoch in der älteren Vertragslehre – insbesondere in der Systematisierung bei Hobbes104 – die vertragliche Rechte-Übertragung noch die Qualität einer totalen Entäußerung (subditio) besaß und als solche zum Legitimationsentwurf des Absolutismus wurde, wurden in der jüngeren Vertragslehre natürliche Freiheit und Gleichheit in den staatlichen Zustand mitgenommen. Vielmehr bestand der den (nach Locke105: Rechtsbewahrungs-)Staat legitimierende Vertragszweck hier gerade in ihrer Gewährleistung im staatlichen Zustand. Die vom aufgeklärten Absolutismus unter Ausschaltung aller intermediären und parallelen Herrschaftsträger ja schon real hervorgebrachte und mit dem Gewaltmonopol ausgestattete (moderne) Staatsgewalt wurde eben darauf verpflichtet und aller anderen vorherigen (Steuerungs-)Aufgaben entkleidet. Konstitutionelle Staatlichkeit konnte danach ihren Sinn nur von den Menschenrechten als dem Endzweck aller politischen Einrichtungen empfangen.106 Mit dem damit erreichten Vorstoß zur Frage der Begründung des Staates wurde auch die Frage der Rechtsgebundenheit von Herrschaft konstruiert. Dem „einkalkulierten“ potentiellen Missbrauch der grundrechtlich-gebundenen Staatsgewalt beugte dabei die Gewaltenteilung als zweites Element der Herrschaftsbeschränkung vor. Das Gewaltenteilungsschema wurde zum Inbegriff der konstitutionellen Staatlichkeit.107 Es bändigte nämlich nicht nur die einmal verfasste Staatsgewalt, sondern zielte in Gestalt der zweiten Gewalt, der Volksvertretung, auf die dauernde Vermittlung von Staat und Gesellschaft. In der Volksvertretung, genauer im von ihr beschlossenen künftigen Handlungsprogramm und ihrer jeweiligen gesetzlichen Bestimmung der Grenzen der staatlichen Gewalt übersetzte sich zugleich das im D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 57 ff.; Zur historischen Betrachtung des Vorgangs siehe auch E.-W. Böckenförde, Die Bedeutung der Unterscheidung von Staat und Gesellschaft im demokratischen Sozialstaat der Gegenwart, in: ders., Recht, Staat, Freiheit, 2. Aufl., Frankfurt 1992, S. 209, 211 ff. 104 T. Hobbes, Leviathan oder Stoff, Form und Gewalt eines bürgerlichen und kirchlichen Staates, 1651, hrsgg. von I. Fetscher (übers. von W. Euchner), Neuwied / Berlin 1966, Kap. 21, S. 168 f.; zur Vertragstheorie Hobbes siehe H. Maier, Hobbes, in: ders. / H. Rausch / H. Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Bd. 1, 6. Aufl., München 1986, S. 266, 276 ff.; vgl. auch D. Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 150 f. 105 J. Locke, Two Treatises of Government, 1690, hrsgg. und übersetzt von H. Wilmanns, Halle 1906, Zweite Abhandlung, Kap. 8 (Nr. 95 ff.), S. 285 ff.; Zur Vertragstheorie Lockes, siehe W. Euchner, Locke, in: H. Maier / H. Rausch / H. Denzer (Hrsg.), Klassiker des politischen Denkens, Bd. 2, 4. Aufl., München 1979, S. 1, 9 ff. 106 Vgl. aus der Präambel der Constitution Francaise vom 3. September 1791, abgedruckt in: F. Hartung (Hrsg.), Die Entwicklung der Menschen- und Bürgerrechte von 1776 bis zur Gegenwart, 4. Aufl., Göttingen 1972, S. 44: „. . . le but de toute institution politique . . .“; zum Ganzen D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 18 f. u. H. Hofmann, Idee des Staatsgrundgesetzes, S. 261, 266 ff. 107 H. Hofmann, Idee des Staatsgrundgesetzes, S. 261, 267.

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

Akt der Verfassungsgebung durch den pouvoir constituant des Volkes liegende demokratische Moment in den verfassten Zustand der pouvoirs constitués. Hatte sich das Volk um der Konsistenz seiner verfassungsgebenden Entscheidung willen nach der einmal erfolgten Verfassungsgebung als Träger des pouvoir constituant in der konstituierten Staatlichkeit (verfassungstheoretisch) verflüchtigt108, sozusagen für ortlos im Rechtssinne erklärt und seine Verfügungsmacht suspendiert109, fand seine demokratische Entscheidungsgewalt im verfassten staatlichen Zustand in der Volksvertretung ihren institutionellen Niederschlag als (verfassungsrechtlich eingegrenzter) pouvoir constitué. Demokratische Bestimmungsmacht und (monarchische) Herrschaftslimitierung kamen hier gewissermaßen zur Deckung.110 Dass die Volksvertretung der Sieyèsschen Repräsentationslehre gemäß repräsentativ strukturiert war, war allerdings nicht zwingend im Verfassungsbegriff angelegt, entsprach aber historisch in Frankreich und Amerika den technischen Bedingungen sowie der Übertragung der bürgerlichen Strukturprinzipien der Arbeitsteilung und der Stellvertretung in den politischen Willensbildungsprozess.111 Der moderne normative Verfassungsbegriff bezog sich nun nicht mehr auf den rechtlich geprägten Zustand, sondern die den Zustand prägende (Verfassungs-)Norm. Besaßen unter dem älteren Verfassungsbegriff alle Staaten eine bestimmte Verfassung, wurde fortan eine beides, vertraglich generierte Rechtsnorm und Verfassungsbegriff, zur Deckung bringende förmliche Verfassungsurkunde, welche dem Gewaltenteilungsschema folgte sowie Grundrechte und Volksvertretung vorsah, zum Unterscheidungskriterium der Staatenwelt in konstitutionelle und nicht-konstitutionelle Staaten.112 Dass – jedenfalls in voller theoretischer Reinheit – die dreifache kumulative Funktion der Verfassung, die Herrschaftskonstituierung, die umfassende und universale Herrschaftsausübungsregelung sowie die gewaltenteilige Herrschaftsbeschränkung zu unverzichtbaren Merkmalen mo108 E.-W. Böckenförde, Geschichtliche Entwicklung, S. 29, 44 u. vgl. ders., Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – Ein Grenzbegriff des Verfassungsrechts, in: ders., Staat, Verfassung, Demokratie, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1992, S. 90, 101. 109 Begriff bei M. Kaufmann, Permanente Verfassunggebung und verfassungsrechtliche Selbstbindung im europäischen Staatenverbund, Der Staat 36 (1997), S. 521, 524 f.; siehe auch M. Kriele, Einführung in die Staatslehre: die geschichtlichen Legitimationsgrundlagen des demokratischen Verfassungsstaates, 5. Aufl., Opladen 1994, S. 121, 275. 110 Vgl. die Formulierung bei H. v. Treitschke, Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert, Zweiter Teil, 1882 (Ausgabe Leipzig 1928), S. 107: „Wie einst Sieyes das Feuer der Rousseauschen Volkssouveränität mit dem Wasser der Montesquieuschen Gewaltenteilung verschmolzen hatte . . .“ 111 Vgl. Abbé E. J. Sieyès, Meinung über die Grundverfassung der Konvention in der Sitzung des 2. Thermidor (20. Juli 1795) im dritten Jahr der Republik, in: Emmanuel Sieyes’ Politische Schriften vollständig gesammelt von dem deutschen Übersetzer nebst zwei Vorreden über Sieyes Lebensgeschichte, seine politische Rolle, seinen Charakter, seine Schriften, etc., Bd. 2, o.O., 1796, S. 363, 369 ff.; vgl. dazu eingehend H. Hofmann, Repräsentation, (Habil. Erlangen) Berlin 1974, S. 406 ff. u. E. Schmitt, Repräsentation und Revolution, (Habil. München 1968), München 1969, S. 190 ff. 112 D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 49.

II. Begriff der modernen Verfassung

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derner konstitutioneller Staatlichkeit geworden waren, ohne die Verfassungsstaatlichkeit künftig dem Anspruch der Bezeichnung nicht genügen sollte, hat seinen Ausdruck im Art. 16 der Déclaration des droits de l’homme et du citoyen vom 26. August 1789 gefunden.113

2. Verbreitungsbedingungen des Instituts der Verfassung nach 1789 / 1791 Der so verstandene Verfassungsbegriff war freilich an bestimmte politische Entstehungsvoraussetzungen gebunden. Seine Realisierung bedurfte zum einen zwingend der aufgrund fortschreitender funktionaler Differenzierung hinreichend mächtigen gesellschaftlichen Gruppe des Bildungs- und Besitzbürgertums, welche als Träger des Veränderungsprozesses der Herrschaftsstruktur auftreten konnte, zum anderen eines durch den revolutionären Bruch mit der überkommenen Staatsgewalt herbeigeführten Vakuums an Herrschaftslegitimation. 114 Beides entsprach der Situation Frankreichs von 1789 / 1791 (oder etwa der in Belgien von 1830 / 1831). Die moderne Verfassung bildete die Antwort auf das dort artikulierte Emanzipationsstreben der sich herausbildenden bürgerlichen Gesellschaft sowie die anstehende Aufgabe der völligen Neubegründung einer politischen Ordnung.115 Vielen Verfassungen des 19. Jahrhunderts fehlte es indes an den für diesen modernen Verfassungstypus konstitutiven Voraussetzungen, so in Deutschland (mit Ausnahme der gescheiterten Paulskirchenverfassung), in Frankreich 1814, eine Zeitlang auch in Spanien. Für den Erlass und die Geltung von Verfassungen wurde es indes bedeutsam, dass sie nicht an dieselbe politisch-soziale Bedingungskonstellation gebunden waren, welche die Entstehung der modernen Verfassung ursprünglich erforderte. Die Verbreitung der geschriebenen Verfassung war nicht auf den Inhalt und schon gar nicht auf die Funktion des Prototyps (D. Grimm) der modernen, normativen Verfassung verwiesen. Der inhaltliche Zusammenhang zwischen völliger Neubegründung des Staates und geschriebener Verfassung war durchaus auflösbar. Verfassung konnte als Form der umfassenden und universalen Herrschaftsregulierung fungieren, die Herrschaftsbegründungs- und -limitierungsfunktion jedoch nahezu preisgeben oder in unterschiedlichem Maße ausdünnen, letzteres etwa in den oktroyierten und paktierten Verfassungen insbesondere der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das einmal „erfundene“ Instrument der Verfassung war auch in anderen politisch-sozialen Konstellationen und mit anderer Zweck113 „Toute société, dans laquelle la garantie des droits n’est pas assurée, ni la séparation des pouvoirs déterminée, n’a point de constitution“, abgedruckt in: F. Hartung (Hrsg.), Menschen- und Bürgerrechte, S. 48. 114 D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 48 ff. 115 R.Wahl, Entwicklung, S. 3, 5.

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

richtung verfügbar. Die Variabilität des Modells Verfassungsstaat hatte sich schon in der Entwicklung Frankreichs gezeigt. Entsprach die Verfassung von 1791 idealtypisch der modernen Verfassung, so traf dies auf die napoleonischen Verfassungen von 1799, 1802 und 1804 nicht mehr zu. Sie besaßen weder ernsthaft herrschaftskonstituierende, noch stärker herrschaftslimitierende Funktion, was sich inhaltlich in ihrem verminderten Grundrechtsgehalt, ihrer geringen gewaltenteiligen Ausprägung und demokratischen Substanz auswirkte. Das Institut der Verfassung erwies sich so als flexibel genug, um mit verändertem Inhalt und anderer Funktion auch unter Bedingungen, die der Entstehung des Prototyps feindlich gewesen wären, rezipiert zu werden; in bestimmter Hinsicht zwang es sogar dazu: die politische Signalkraft des Verfassungsbegriffs, seine Anziehungskraft auch auf Gesellschaften, die nicht (oder noch nicht) zur Revolution drängten sowie die damit korrespondierende Möglichkeit der Regenten, ihre Herrschaft dauerhaft abzusichern, waren geradezu unwiderstehlich, ja mehr noch – man denke etwa an den politischen Hintergrund der oktroyierten preußischen Verfassung von 1850 – unverzichtbar geworden.116 Der moderne normative Verfassungsbegriff als inhaltlicher Zielbegriff bzw. „Idealbegriff“ (C. Schmitt)117 erforderte damit zu seiner vollen Einlösung auch „ideale“ Entstehungsbedingungen. Je ferner ein Land diesen „idealen“ Entstehungsbedingungen stand, desto weniger erfüllte die Verfassung die Postulate der Herrschaftskonstituierung und -limitierung.118 Auch die deutschen Verfassungen bis 1919 entsprachen nicht dem Idealtypus der modernen normativen Verfassung. Ihnen fehlte zumeist das herrschaftsbegründende Funktionselement der Verfassung, das für den modernen Konstitutionalismus kennzeichnend ist. Hier, wo ein langgestreckter, evolutionärer Gesamtprozess an die Stelle der Revolution trat, blieb die Tradition notwendigerweise stärker bestimmend; Übergangsverhältnisse und Mischformen zwischen Altem und Neuem bestimmten den deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts.119 An den Parametern der modernen normativen Verfassungsmerkmale von 1789 / 1791 gemessen, erreichten alle geltenden, insbesondere die frühkonstitutionellen und oktroyierten Verfassungen Deutschlands bis 1919 nur Annäherungswerte, die freilich (wie auch die politische Verfassungswirklichkeit) im Laufe des Jahrhunderts (mehr oder minder) anstiegen und das verbleibende „Defizit“ in der Praxis stark verminderten. Die Annäherungsprozesse verliefen dabei allerdings nicht selten unter gerade das Defizitäre enthüllen116 Zum Ganzen D. Grimm, Art. „Verfassung“, in: Staatslexikon, Sp. 634 u. ders., Konstitutionalismus, S. 45, 56 ff.; R. Wahl, Entwicklung, S. 3, 5 ff. 117 C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 36 ff.; vgl. dazu O. Brunner, Moderner Verfassungsbegriff und mittelalterliche Verfassungsgeschichte, in: H. Kämpf (Hrsg.), Herrschaft und Staat im Mittelalter, Darmstadt, 1964, S. 1, 6 f.; ferner P. Badura, Art. „Verfassung“, in: R. Herzog / H. Kunst / K. Schlaich / W. Schneemelcher (Hrsg.), Evangelisches Staatslexikon, Bd. II, 3. Aufl., Stuttgart 1987, Sp. 3737, 3741. 118 D. Grimm, Art. „Verfassung“, in: Staatslexikon, Sp. 634. 119 R. Wahl, Entwicklung, S. 3, 5 ff.

II. Begriff der modernen Verfassung

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den Schwierigkeiten ab, konkret gewendet: unter Verfassungskonflikten (etwa Hannover, Kurhessen, Preußen). Das potentielle und tatsächliche Auseinanderfallen zwischen den verfassungstheoretischen Postulaten der modernen Verfassungsidee und der politischen Wirklichkeit ist den Zeitgenossen in Deutschland schon früh aufgefallen. Dabei sind im Laufe der Zeit unterschiedliche Konsequenzen, die aus den „Defiziten“ jeweilig nach 1789 / 1791 verbreiteter Verfassungen gezogen wurden, zu beobachten. So führte G. Wedekind in voller Anlehnung an Art. 16 der Déclaration zunächst aus, dass „Kein Staat . . . sich des Besitzes einer Konstitution rühmen [kann], in dem die Gewährleistung der Menschenrechte nicht versichert noch die Absonderung der Gewalten genau bestimmt ist“.120 Das Erfordernis der Volksvertretung, die ja in der Gewaltenteilung mitgedacht wurde, rückte F. C. Dahlmann in den Vordergrund und zog aus ihrem Fehlen die Konsequenz, dass alles „Verfassungsmäßige . . . nur ein leeres Gaukelspiel“121 sei und daher nur von „halbe[n] und Viertelverfassungen“122 gesprochen werden könne. Einen Wendepunkt in der Beurteilung der Unvollkommenheit, des Halb- oder Scheincharakters von Verfassungen bildete dann die Einordnung der ab 1818 oktroyierten Verfassungen. Deren Mangel an herrschaftskonstituierendem Charakter wurde zunächst zwar durchaus anerkannt: „. . . Mangel in der Form ihrer Genesis“.123 Vor das Dilemma gestellt, einerseits diese Unvollkommenheit der Verfassungen, andererseits den epochalen Quantensprung der mit ihnen erreichten Rechtsgebundenheit der Herrschaftsausübung zusammenzuführen, entwickelten sich dann rasch die (pragmatischen) Interpretationsmuster der liberalen Staatslehre des Vormärzes. Daran, dass eine „bloß oktroyierte Verfassung . . . gar keine Verfassung [ist]“124 wurde zwar vordergründig festgehalten, die damit indizierte Attestierung eines Schein-, Halb- oder Kryptokonstitutionalismus wurde jedoch dadurch vermieden, dass die oktroyierten Verfassungen nur als Vorschläge angesehen wurden, die durch das Volk duldend angenommen werden. Hintergrund dessen war das Ideal der paktierten Verfassung als Ausdruck der Theorie vom Verfassungsvertrag. Die Lösungskonstruktion bestand 120 G. C. v. Wedekind, Die Rechte des Menschen und Bürgers, wie sie die französische konstituirende Nationalversammlung von 1791 proklamirte, Mainz 1793, abgedruckt in: H. Scheel (Hrsg.), Die Mainzer Republik I. Protokolle des Jakobinerklubs, Berlin (Ost) 1975, S. 766. 121 F. C. Dahlmann, Ein Wort über Verfassung, o. O. 1815, abgedruckt in: H. Brandt (Hrsg.), Restauration und Frühliberalismus: 1814 – 1840, Darmstadt 1979, S. 105. 122 Ders., ebd. 123 W. J. Behr, Staatswissenschaftliche Betrachtungen über Entstehung und Hauptmomenten der neuen Verfassung des baierischen Staats: eine Rede bey der am 13ten Junius zu Würzburg stattgehabten akademischen Feyer des im Vaterlande vollbrachten Verfassungswerkes, Würzburg 1818, S. 10. 124 C. T. Welcker, Art. „Octroyirte und einseitig von der Volksrepräsentation entworfene und vertragsmäßig unterhandelte Verfassungen“, in: C. v. Rotteck / C. T. Welcker (Hrsg.), Staats-Lexikon oder Encyklopädie der Staatswissenschaften in Verbindung mitvielen der angesehensten Publicisten Deutschlands, Bd. 11, 1. Aufl., Altona 1841, S. 751.

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1. Kap.: Historischer Kontext und moderner Verfassungsbegriff

gewissermaßen in einem juristischen Kunstgriff, nämlich der Umdeutung zur paktierten Verfassung: „Zu einem Vertrage wird ein Grundgesetz auch gerade eben so wie jede angenommene Schenkung, wenn es als octroyirte Verfassung ursprünglich nur von der Regierung entworfen wurde und von den Bürgern nicht zurückgewiesen, sondern angenommen wird“.125 Damit war das für die Relativierung der monarchischen Dominanz wichtige Vertragsmoment bei der Verfassungsgenese gerettet.126 Darauf, dass diese mitunter mühsam begründeten Deutungsmuster mit dem vergleichsweise „defensiven“ Verfassungsverständnis großer Teile der deutschen Staatstheorie zusammenhingen und es anknüpfend an ältere bipolare Rechtstraditionen eines Ausgleichs zwischen Herrscher und Volk127 zur vorherrschenden Typik und zum Inhalt des deutschen Konstitutionalismus wurde, schon bestehende Herrschaft in ihrer Ausübung zu konstitutionalisieren, weniger aber zu legitimieren und zu konstituieren128, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Angefügt werden soll aber ein in diesem Zusammenhang augenfällig gewordener terminologischer Befund: Rein begrifflich – und unter kritischer Betrachtung der konstruktivistischen Begründungsmuster der liberalen Staatslehre des Vormärzes – wiesen von 1789 / 1791 aus betrachtet nahezu alle Erscheinungsformen des deutschen Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert Scheinelemente bzw. Elemente eines Scheinkonstitutionalismus auf. Dass dies angefangen in der vormärzlichen Staatslehre bis heute in der verfassungshistorischen Forschung nicht oder nur selten auch diese (abwertende) Bezeichnung erfährt, liegt berechtigterweise in der Anerkennung und Einstufung der konstitutionellen Monarchien des 19. Jahrhunderts, ob nun als eigene politische Form oder als Zwischen- und Übergangslösung verstanden129, als jedenfalls deutscher Typ des Konstitutionalismus an seinem eigenen geschichtlichen Ort. Es trägt der Einsicht in die jeweilige Abhängigkeit der Verfassungsstaatlichkeit von ihren Verbreitungsbedingungen Rechnung, ohne zugleich 125 C. T. Welcker, Art. „Grundgesetz, Grundvertrag“ in: C. v. Rotteck / C. T. Welcker (Hrsg.), Das Staats-Lexikon. Encyclopädie der sämtlichen Staatswissenschaften für alle Stände. In Verbindung mitvielen der angesehensten Publicisten Deutschlands, Bd. 6, 2. Aufl., Altona 1847, S. 161 f.; ebenso J. C. v. Aretin, Staatsrecht der konstitutionellen Monarchie, Bd. 1, Altenburg 1824, S. 11. 126 W. Pauly, Art. „Verfassung“, Sp. 698, 703. 127 Zur Erneuerung des alten ständestaatlichen Dualismus im neuartigen Kontext der Antithese von Staat und Gesellschaft, siehe H. Hofmann, Idee des Staatsgrundgesetzes, S. 261, 273; ferner R. Wahl, Entwicklung, S. 3, 10 f. 128 Dazu R. Wahl, Entwicklung, S. 3, 9 ff. 129 Zur diesbezüglichen Forschungskontroverse zwischen E. R. Huber und E.-W. Böckenförde siehe E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3, 2. Aufl., Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1970, S. 18 ff. und E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273 ff.; dazu die Replik Hubers, Die Bismarcksche Reichsverfassung im Zusammenhang der deutschen Verfassungsgeschichte, in: T. Schieder / E. Deuerlein (Hrsg.), Reichsgründung 1870 / 71, Stuttgart 1970, S. 164 ff.; siehe ferner R. Wahl, Entwicklung, S. 24 ff. und E. Fehrenbach, Verfassungsstaat und Nationsbildung 1815 – 1871, München 1992, S. 71 f.

II. Begriff der modernen Verfassung

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begriffliche Abwertung vorzunehmen. Soll dies nicht entwertet werden, ist ebenso terminologische Vorsicht und Zurückhaltung bei anderen – gemessen an 1789 / 1791 – ebenfalls konstitutionell-defizitären Erscheinungsformen geboten.

2. Kapitel

Genese und Legitimitätsmodell der napoleonischen Verfassungen I. Überblick Es lag in der Logik der oben beschriebenen Modellstaatspolitik, die neu-geschöpften Kunststaaten gleich von Anfang an mit Verfassungen auszustatten. Dafür sprach zunächst das modellstaatspolitische Kalkül. Das Neue und Modellartige bestand schließlich nicht unwesentlich in der gegebenen Verfassung. Hinzu trat der politisch-psychologische Gewinn, der damit zu erzielen war, dass schon der Geburtsvorgang der neuen Staatlichkeit im Bewusstsein der Öffentlichkeit mit dem „Zauberwort“ der Epoche „Verfassung“ bzw. „Constitution“ statt dem Charakter der Okkupation verknüpft wurde. Verfassung sollte das Startsignal französischer Herrschaft in Deutschland geben. Schließlich war es nicht unwesentlich die Attraktivität der Verfassung als oberstes Steuerungsinstrument und Berufungsinstanz für den anstehenden Neuaufbau der politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Ordnung, die ihren Erlass gleich von Anfang an als vorteilhaft erscheinen ließ. Das Instrument der Verfassung war besonders geeignet, die in vielerlei Hinsicht heterogenen Verhältnisse in den arrondierten Gebietsteilen der Kunststaaten zu vereinheitlichen und somit die Grundlage für die dringend zu bewältigenden Integrations- und Etatisierungsprozesse zu legen. In der Tat fiel beim Königreich Westfalen sowie – allerdings mit geringer Verzögerung – beim Großherzogtum Frankfurt der Erlass der Verfassungen mit dem eigentlichen Beginn der neuen Staatlichkeit zusammen. Völlig anders sah die Entwicklung im Großherzogtum Berg aus. Dieses bestand seit März 1806, durchlief aber einen langgestreckten Prozess von grundlegenden Einzelnormierungen – teilweise mit „Verfassungscharakter“ – bis hin zum Erlass eines Organisches Statuts im März 1812. Das zeitliche Auseinanderfallen von Staatswerdung und allmählicher Ausstattung mit verfassungsähnlichen Regelungen in Berg lag – neben anderen Gründen – zunächst daran, dass Napoleon die eigentliche Modellstaatskonzeption erst nach dem Sieg über Preußen und der so erlangten, im Frieden von Tilsit vom Juli 1807 abgesicherten Vormachtstellung im rechtsrheinischen Deutschland auf die politische Tagesordnung setzte und das Schicksal des schon 1806 errichteten Großherzogtums eine Zeitlang offen hielt. Dass er die Modellstaatspolitik und insbesondere ihren verfassungspolitischen Teil insgesamt in Deutschland dann ab Mitte 1807 zunächst mit Vehemenz betrieb, zeigt eindrucksvoll der schon im Mai

II. Verfassungen von Westfalen, Frankfurt und Berg

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1808 folgende Erlass der an das Vorbild der westfälischen Verfassung angelehnten bayerischen Verfassung, mit der Bayern – neben anderen Erwägungen – dem napoleonischen Druck nachgab. Betrachtet werden im Folgenden zunächst die Entstehungsprozesse der Verfassungen (unter II.). Anschließend wird ihre (mangelnde) herrschaftsbegründende Funktion untersucht und der Frage nachgegangen, inwiefern die napoleonische Staatsgewalt sich mit der einmal erfolgten Verfassungsgebung an die in der Verfassung vorgesehene Form der Herrschaftsausübung endgültig selbst gebunden hatte (unter III.). Schließlich gilt der Blick dem den Verfassungen zugrundeliegenden Legitimitätsmodell und in diesem Zusammenhang der (extra-)konstitutionellen Stellung Napoleons (unter IV.). Wo sinnvoll, sollen vergleichende Bezüge zur frühkonstitutionellen Verfassungsentwicklung in Deutschland ab 1815 vorgenommen werden.

II. Entstehungsprozess der Verfassungen von Westfalen, Frankfurt sowie Verlauf der Verfassungsentwicklung in Berg 1. Die Verfassung des Königreichs von Westfalen vom 15. November 1807 In Westfalen stand das Verfassungsprojekt im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der Gründung des Königreichs. Aus der Korrespondenz Napoleons liegt ein Schreiben vom 7. Juli, d. h. dem „Schöpfungstag“ des Königreichs im Frieden von Tilsit, an seinen jüngeren Bruder Jérome vor, in welchem Napoleon dem designierten Herrscher im Zusammenhang der Eröffnung seiner zukünftigen Königswürde seine „intention . . . de vous donner une constitution“ mitteilt.130 In der Folgezeit des Sommers 1807 nahm die Staats- und Verfassungswerdung Westfalens einen raschen Verlauf. Napoleon hielt sich zunächst in Dresden auf, wohin er Jérome beorderte. Ab August wurde in Kassel eine Interimsregentschaft unter Siméon, Beugnot und Jollivet eingerichtet. 131 Die Verfassungsredaktion durch Napoleon erfolgte dann auf der Grundlage eines Entwurfs, den er durch die französischen Staatsräte Cambacérès und Régnault de Saint-Jean-d’Angély sowie den Straßburger Professor Wilhelm Koch hatte ausarbeiten lassen.132 Aus der landes130 Correspondance de Napoléon Ier, Bd. 15, No. 12873, S. 395; zu den Ursprüngen von Napoleons wohl etwa mit dem Sieg bei Jena und Auerstedt entstanden Plänen der Staatsbildung Westfalens („einer grossen Monarchie im Norden“) siehe F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 3 f. u. H. Wegener, Die Relationen Napoléons I. zum Königreich Westfalen, im Besonderen durch die Mission des kaiserlch. Gesandten, Grafen Reinhards am Kasseler Hof. 1807 – 1813, (Diss. Bern 1903), Breslau 1905, S. 1. 131 Vgl. Art. 2 des Konstituierungsdekrets für das Königreich Westfalen vom 18. August 1807, abgedruckt in: Der Rheinische Bund, Bd. 4 / 10 (1807), S. 99 ff.

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

geschichtlichen Literatur zu Westfalen stammt der Hinweis, Napoleon habe die westfälische Verfassung nach dem Muster der von ihm am 22. Juli 1807 in Dresden unterzeichneten Verfassung des Herzogtums Warschau entwerfen lassen.133 Jedoch finden sich dafür – soweit ersichtlich – keine Belege oder auch nur indirekten Hinweise. Es scheint, als ob allein der Umstand der zeitlichen Nähe beider Vorhaben dieser Annahme Pate steht. Zwar bestanden naturgemäß Ähnlichkeiten zwischen beiden Verfassungen, etwa was die Verkündung der Grundsätze der persönlichen Freiheit und der Gleichheit betraf, allerdings gehörte dies zum Hausgut aller exportierten Verfassungen. Im Hinblick auf die politischen Institutionen wie auch den Verwaltungsaufbau differierten jedoch beide Verfassungen erheblich. Eine direkte Vorbildrolle der Warschauer Verfassung erscheint insofern und im Übrigen auch im Hinblick auf die unterschiedliche Gliederung der beiden Verfassungstexte eher unwahrscheinlich.134 Dies, zumal in Frankreich unter den von Napoleon ausgewählten Verfassungsredakteuren eine mittlerweile gefestigte Praxis der Verfassungsredaktion geherrscht haben dürfte, die eines solchen Vorbildes nicht bedurfte. In inhaltlicher Hinsicht sind dagegen sicherlich Elemente der Konsulats- und Empireverfassungen von 1799 und 1804 mustergebend für die westfälische Konstitution gewesen. Nach Ausarbeitung der endgültigen Fassung der Verfassung, von der bereits (allerdings erheblich unzutreffende) Entwürfe offenbar in Pariser wie auch jedenfalls in deutschen Journalen kursierten135, erfolgte ihre offizielle Oktroyierung durch 132 A. Kleinschmidt, Westfalen, S. 10; J. Weidemann, Neubau eines Staates, S. 16; K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Westphalen, S. 4; Die Federführung des Entwurfs wird zum Teil Koch (F.-L. Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen, S. 61 f. und ihm wohl folgend M. W. Francksen, Institution des Staatsrats, S. 19, 22), zum Teil Cambacérès (H. Siegmund, Verfassungsentwicklung, S. 198 unter allerdings fehlerhafter Berufung auf A. Kleinschmidt) zugeschrieben. Allein H.-O. Sieburg, Napoléon et les transformations des institutions, S. 897, 900 führt an, die Verfassung sei wesentlich von Talleyrand redigiert worden, bleibt aber (wie die anderen Autoren auch) Belege dafür schuldig. Dass Talleyrand allerdings am Entwurf mitgewirkt haben soll, erscheint durchaus nicht unwahrscheinlich. 133 Zurückzugehen scheint dies auf A. Kleinschmidt, Westfalen, S. 10, ihm folgen F. Thimme, Innere Zustände, S. 5, J. Weidemann, Neubau eines Staates, S. 16 und ebenfalls noch aus jüngerer Zeit auch H. Siegmund, Verfassungsentwicklung, S. 198 u. K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Westphalen, S. 4. 134 Abdruck der Verfassung des Herzogtums Warschau vom 22. Juli 1807 in: K. H. L. Pölitz (Hrsg.), Constitutionen der europäischen Staaten, S. 34 ff.; vgl. ferner M. SenkowskaGluck, Das Herzogtum Warschau, in: H.-O. Sieburg (Hrsg.), Napoleon und Europa, Köln / Berlin 1971, S. 221, 225 ff. 135 Von den Pariser Journalen berichtet K. Rob, Regierungsakten Westphalen, S. 3; In deutschen Zeitschriften finden sich (allerdings teilweise spekulative) Vorabentwürfe in: Der Rheinische Bund 4 / 10 (1807), S. 112 und 4 / 12 (1807) S. 473. Für Westfalen berichtet R. Holzapfel, Westfalen, S. 21 auch von einem im September 1807 in „Öffentlichen Blättern“ bekannt gemachten Verfassungsentwurf durch die Interimsregierung. Dabei dürfte es sich allerdings eher um die katalogartige Annoncierung der Einführung bestimmter unumstrittener Maßnahmen aus der zukünftigen Verfassung (insbesondere Wegfall der Privilegien, Abschaf-

II. Verfassungen von Westfalen, Frankfurt und Berg

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Napoleon nicht in Westfalen, sondern am 15. November 1807 in Fontainebleau, die Promulgation in Kassel (Napoleonshöhe, vormals und nachher wieder Wilhelmshöhe) dann durch König Jérome, der die Verfassung durch das Décret Royal No 1 am 7. Dezember 1807 im westfälischen Bulletin publizieren ließ.136 Das dem künftigen König zugedachte Herrschaftsverständnis hatte Napoléon in einem Begleitschreiben an Jérome anlässlich der Oktroyierung formuliert: „Soyez roi constitutionnel.“137 Von westfälischer Seite hat es keinen nennenswerten Einfluss auf die inhaltliche Ausgestaltung der Verfassung gegeben. Napoleon hatte zwar eine ständische Deputation aus den verschiedenen Teilen Westfalens nach Paris berufen lassen, um dieser nach einer ersten Unterrichtung über den Verfassungsentwurf am 16. August 1807 Gelegenheit zur Äußerung über die avisierte Verfassung zu geben. Dabei handelte es sich jedoch tatsächlich nicht um eine ernsthaft gedachte Offerte zur Partizipation. Aus den Verhandlungsprotokollen der westfälischen Delegation, die vom Deputierten der Prälaten des Landes Hessen Professor G. F. C. Robert angefertigt wurden, sowie einem Kurzbericht des deputierten Landessyndikus Rhamm zu Braunschweig geht die Bedeutungslosigkeit und der politisch rein dekorative Charakter der Verhandlungsdelegation klar hervor.138 Hinzu trat ihr in politischer Hinsicht geradezu kontraproduktives Agieren: Der von einem Ausschuss der Delegation erstellte Modifikationskatalog, der am 30. August Jérome vorgetragen wurde und (wohl auf Order Napoleons) von jenem auch zur Gänze zurückgewiesen wurde, liest sich als ein klassisches Dokument alt-ständischer Interessensvertretung und feudaler Beharrungsbemühungen. Gefordert wurde u. a. die Verzögerung der Einführung des Code Napoléon um 3 Jahre, beanstandet wurden insbesondere die Abschaffung der Feudallasten, der Wegfall der ständischen Steuerprivilegien sowie des feudalen Erbrechts.139 Damit standen die vorgetragenen Modifikationsfung der Leibeigenschaft etc.) denn um einen echten Vollentwurf der Verfassung gehandelt haben. 136 Siehe Vor- und Nachspann der Constitution im Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 6 u. 24. 137 Begleitschreiben vom 15. November 1807, in: Correspondance de Napoléon Ier, Bd. 16, No. 13361, S. 196 f.; vgl. ferner J. Tulard, Siméon et l‘organisation du Royaume de Westphalie (1807 – 1813), Francia 1 (1973), S. 557, 559 u. H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 21; Übersetzung bei R. Goecke / T. Ilgen, Westphalen S. 37 u. A. Kleinschmidt, Westfalen, S. 3 f. 138 Siehe: Urkundliche Beiträge zur Staatengeschichte Deutschlands in der napoleonischen Zeit I. Protocoll über die Verhandlungen der Deputierten des Königreichs Westphalen zu Paris, in den Monaten August und September 1807. Authentischer Abdruck der Original-Acten aus dem Manuscripten-Nachlaß von G. F. C. Robert, dem Deputirten der Prälaten von Hessen, Kiel 1852, S. 1 ff. u. Rhamm zu Braunschweig, Eine Gesandschaft der braunschweigischen Stände am Hofe Napoleóns I., abgedruckt in: Zeitschrift des historischen Vereins für Niedersachsen (Hannover) 1886, S. 165;. A. Kleinschmidt, Westfalen, S. 10 spricht von „eitel Spiegelfechterei“, J. Weidemann, Neubau eines Staats, S. 16 von „Posse“, H. Wegener, Relationen, S. 10 f. von „Scheinverhandlungen“ mit dem Hinweis auf eine auch bei der Verfassungsgebung für Holland 1806 und Spanien 1808 vorgenommene Praxis. 139 Protocoll über die Verhandlungen, Nachlaß G. F. C. Robert, insb. S. 44 ff. 4*

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

wünsche in diametralem Gegensatz zum Egalisierungsprogramm der Modellstaatskonzeption. Im Zweifel dürften sie die anti-ständische Grundausrichtung bei Napoleon noch verstärkt haben. Auch eine ernsthafte Mitwirkung Jéromes hat es – soweit ersichtlich – nicht gegeben.140 H. Wegener hat gemutmaßt, dass die redaktionelle Ausarbeitung der westfälischen Verfassung mehr als alle anderen napoleonischen Verfassungen (etwa in Italien oder Spanien) direkt auf die Person Napoleons zurückgeht.141 So wenig unmittelbare Belege sich dafür anführen lassen, scheint doch einiges für diese Annahme zu sprechen. Mehr als andere Verfassungen, deren politische Bedeutung sich meist auf ihren regionalen bzw. nationalen Geltungsbereich beschränkte, besaß die westfälische Verfassung über ihren Herrschaftsbereich hinausgehenden politischen „Marketing-Charakter“. Sie sollte gewissermaßen die herausragende und erste „Visitenkarte“ im Rahmen der auf ganz Deutschland und mit Seitenblick auf Preußen und Österreich angelegten Modellstaatskonzeption abgeben. Ausdruck dessen ist die in den Begleitschreiben an seinen Bruder Jérome ausdrücklich angemahnte Zweckbestimmung der Verfassung durch Napoleon, die sich in ähnlicher Form und Qualität nicht bei seinen anderen europäischen Verfassungsgebungen oder Mitwirkungen an solchen wiederfindet. Zwei weitere Gesichtspunkte stützen die These von Napoleons besonderer Aufmerksamkeit für die westfälische Verfassung: In der Folgezeit hat Napoleon z. B. auf der Konferenz von Mailand noch im November 1807 gerade unter Verweis auf die westfälische Verfassung eine Verfassungspolitik der anderen Rheinbundstaaten angemahnt, allen voran für Baden und Bayern. Letzteres ist dem dann ja auch mit einer wesentlich dem westfälischen Vorbild nachempfundenen Verfassung im Mai 1808 gefolgt. Dies illustriert den Stellenwert, den Napoleon der westfälischen Verfassung beimaß. Außerdem sind während des Entstehungsprozesses der Verfassung offenbar selbst Mitwirkungsvorschläge der ab August in Kassel eingesetzten Interimsregentschaft in den wesentlichen Punkten ohne Beachtung geblieben: So hatte diese insbesondere eine stärkere Anpassung der großen in Westfalen kraft Verfassung einzuführenden Gesetzgebungswerke des Code de procédure sowie des Code Napoléon an die spezifischen regionalen Verhältnisse angeraten.142 Ähnlich hatte Beugnot dem Kaiser in einem Rapport aus der Zeit vor der Verfassungsoktroyierung empfohlen, die Reformen „langsam und maßvoll“ erfolgen zu lassen.143 Diese Vorschläge sind ebenfalls zurückgewiesen worden.144 Ausführlich H. Wegener, Relationen, S. 1 f. Dies., ebd., S. 7. 142 Vgl. Anmerkungen im Schreiben vom 15. August 1807, abgedruckt in: A. Martinet, Jérome, S. 22. 143 J. C. Beugnot, Rapport der Kommissare des Königs für die Organisation des Königreichs Westfalen, Archives nationales AB XIX, 337, abgedruckt und übersetzt in: C. Schmidt, Großherzogtum Berg, Anhang B, S. 346, 347. 144 Schreiben von Marschall A. Berthier, dem Pariser Korrespondenzpartner der Interimsregierung, vom 15. November 1807, Rep 6 II A Nr. 1, fol 17 Fontainebleau, Copie: „l’inten140 141

II. Verfassungen von Westfalen, Frankfurt und Berg

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Deutlich tritt daran die Kompromisslosigkeit zutage, mit der Napoleon seine radikalen Vorstellungen einer verfassungsgetragenen quasi-revolutionären Umgestaltung der Staats- und Gesellschaftsordnung in allen Stadien des Prozesses der Verfassungsgebung und gegenüber allen Seiten verfolgte. Insofern spiegelt der Verfassungsgebungsprozess – freilich neben dem autoritären Regierungsstil Napoleons – exemplarisch das Moment des Reißbrettartigen und Konstruktivistischen wider, das die Modellstaatskonzeption insgesamt kennzeichnete. Die Verfassung ist vor dem Hintergrund der regen französischen Verfassungstradition konzipiert und abgefasst worden. Der gemessen an den französischen Verfassungen von 1791 – 1804 relativ kurze Verfassungstext demonstrierte die in der noch jungen, aber dennoch schon recht entwickelten Technik der Verfassungsredaktion mittlerweile gewachsene Stilsicherheit. Rationalität und Clarté waren leitende Hauptprinzipien. Verfassungsgeber, Redakteure, Entstehungs- und erster Verkündungsort, Entstehungssprache und verfassungsrechtliche Terminologie waren französisch. Nicht ganz unzutreffend hat daher H. Hattenhauer, der im Übrigen der westfälischen Verfassung hohe Anerkennung entgegen bringt145, in diesem Zusammenhang von Besatzungsrecht gesprochen.146 Freilich war die Verfassung nicht provisorischer Natur, wie sie Besatzungsrecht häufig eigen ist. Sie war als dauerhafte Grundordnung des Königreichs Westfalen vorgesehen. Ihr Ursprung war genuin französisch, das von ihr umfasste Herrschaftsgebiet erstreckte sich auf die ersten deutschen Territorien, die zum Geltungsbereich einer Verfassung wurden.

2. Die Verfassung des Großherzogtums Frankfurt vom 16. August 1810 Auch beim Großherzogtum Frankfurt stand die Verfassungsgebung im Zusammenhang mit der eigentlichen Staatswerdung. Während in Westfalen allerdings die Staatsgründung schon mit einem „konstitutionellen“ Vorverständnis betrieben wurde, das Königreich schon von vornherein als Typ „Verfassungsstaat“ konzipiert war, lagen die Dinge im Großherzogtum Frankfurt anders. Zwar war auch hier Napoleon der Staatsgründer, sein Zugriff auf die Verhältnisse jedoch, da es sich nur um die Umgestaltung des vormaligen Primatialstaats handelte und auch im künftigen Großherzogtum die Staatsleitung bei Dalberg belassen wurde, kein so direkter wie in Westfalen. Die Staatsgründung Frankfurts mit Wirkung vom 1. März 1810 erfolgte auf der Grundlage des Pariser Staatsvertrages vom 16. Februar 1810, in welchem die Tertion de l’Empereur est qu’il ne soit fait aucun changement à cette Constitution“, hier nach Abdruck bei K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Westfalen, S. 5. 145 H. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 138 u. 150. 146 Ders., ebd., Rn. 133 ff.

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

ritorien des künftigen Großherzogtums festgelegt wurden, der neue Staat zum verfügbaren Eigentum der französischen Krone erklärt und zugleich seine Donation an Napoleons Stiefsohn Eugène Beauharnais unter der aufschiebenden Bedingung des Ablebens Dalbergs vorgenommen wurde.147 Die Gründe für die Umgestaltung des vormaligen Primatialstaats in das Großherzogtum waren machtpolitischer Art: Im Vordergrund standen die territoriale Neu-Arrondierung, dynastische Gesichtspunkte und vor allem finanzielle Interessen.148 Die Beibehaltung der Staatsleitung bei Dalberg hing mit dessen Stellung als Napoleons Interessensvertreter im Rheinbund sowie als sein bedeutendster und treuer Parteigänger in Deutschland zusammen.149 Zur Verfassungsgebung kam es in Frankfurt erst knapp 6 Monate nach der Staatsgründung. Die Verfassung erging am 16. August 1810 durch Erlass Dalbergs als Großherzog von Frankfurt.150 Der Blick auf den Umstand der Verfassungsgebung als solchen wie auch den Entstehungsprozess der Verfassung wirft die Frage nach den Gründen für ihren Erlass und für die Abwesenheit Napoleons dabei auf. Dies umso mehr, als der Verfassungsgeber Dalberg nach seiner ganzen politischen Grundphilosophie jeglichen Egalisierungsbestrebungen und einem konstitutionellen Herrschaftsverständnis eigentlich mehr als reserviert gegenüber stand. Eine direkte Anordnung Napoleons zur Verfassungsgebung hat es nicht gegeben. Zwar hätte eine solche nach einmal 147 Staatsvertrag vom 16. Februar, abgedruckt in: Der Rheinische Bund, Bd. 16 / 48 (1810), S. 405 ff. 148 Territorial erhöhte der Vertrag die Geschlossenheit des relativ stark zersplitterten Primatialstaats, zudem konnte Napoleon dem langen Drängen Bayerns nach dem Fürstentum Regensburg nachgeben, und sich zugleich der unter provisorischer französischer Militärverwaltung stehenden, völlig bankrotten und überschuldeten vormaligen Fürstentümer Hanau und Fulda unter Abwälzung der Schuldenlast auf Frankfurt entledigen, bei allerdings gleichzeitiger Beibehaltung der dortigen kaiserlichen Dotationsdomänen. Aus dynastischen Gründen musste er einen Ersatztitel für Eugène Beauharnais finden, da dessen bisheriger römischer Königstitel für Napoleons künftigen männlichen Nachfolger aus zweiter Ehe reserviert werden sollte. Vor allem aber musste Dalberg seine Einkünfte aus dem Rheinschifffahrtsoktroi an Napoleon abtreten. Vgl. zum Ganzen näher W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 179 f. u. K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Frankfurt, S. 2 f. der als finanzielle Bilanz des Vertrages auf ein Gesamtsoll von ca. 15% der etatmäßigen Einkünfte des Großherzogtums von 1811 kommt; siehe auch B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181, 188. 149 In der Senatsproklamation vom 01. März 1810, abgedruckt in: Der Rheinische Bund, Bd. 19 (1810), S. 464 f. begründete Napoleon den Übergang Frankfurts an das Empire nach dem Tode Dalbergs mit den Grundprinzipien der Säkularisierung, wonach eben die „Herrschaft von Priestern“ gegen die Grundsätze des Empires sei. Dies dürfte gegenüber den dominierenden finanziellen Interessen der Frankfurt-Regelung eher die propagandistisch-politische Begründung gewesen sein, zumal Napoleon in den Jahren zuvor keinerlei Bedenken gegen Dalbergs Herrschaft geltend gemacht hatte. 150 Verfassung vom 16. August 1810: abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 106 ff.; der Verfassung wurde am 10. September noch eine Beilage angefügt, in der (geschäftsordnungsähnlich) die Zusammensetzung, Wahl, Sitzungsablauf etc. der Repräsentativorgane des Großherzogtums (Wahl- und Departementscollegien) im Detail geregelt wurden, abgedruckt in: K. H. L. Pölitz (Hrsg.), Constitutionen der europäischen Staaten, S. 245 ff.

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erfolgter Gründung des Großherzogtums und Zuweisung der Herrscherwürde an Dalberg auch ein erhöhtes Maß an rechtlich unzulässiger Ingerenz in die Angelegenheiten des formal-rechtlich ja souveränen Staates bedeutet, eine diesbezügliche politische Intervention wäre allerdings durchaus denkbar gewesen. Auch hätte Napoleon anlässlich der Staatsneugründung im Pariser Vertrag vom Februar 1810 eine solche Anordnung vornehmen, den neu geschaffenen Staat also von Anfang an als konstitutionellen ins Leben rufen können. Ausschlaggebend für das Fehlen einer solchen direkten Einflussnahme scheinen vor allem drei Gründe zu sein. Zum einen hatten im Jahre 1810 die modellstaatspolitischen Ambitionen Napoleons infolge der angespannten machtpolitischen Situation (Aufstände in Spanien, Österreich und Deutschland, Schwächung infolge der Kontinentalsperre etc.) nachgelassen. Der Gründungsprozess Frankfurts reflektiert nicht mehr das Pathos der neuen herrschafts- und gesellschaftspolitischen „Revolution von oben“, welches noch von ihren sendungsbewussten Trägern in Westfalen verbreitet worden war. Frankfurt sollte zwar im Grand Empire künftig als Napoleonide unter der Herrschaft der Familie Napoleons stehen und ein Beispiel französischer Herrschaft in Deutschland bilden, im Augenblick der Gründung kam einer leuchtenden Modellrolle nach dem Vorbild Westfalen jedoch weniger Bedeutung zu.151 (Exemplarisch verdeutlicht sich daran die Akzessorietät des modellstaatspolitischen Machtkalküls zur jeweiligen Herrschaftssituation Napoleons. Die Modellstaatspolitik und mit ihr auch die Verfassungspolitik besaßen im napoleonischen Hegemonialkonzept offenkundig keinen eigenständigen Stellenwert dergestalt, dass sie in den unterworfenen Teilen Europas als solche für erforderlich gehalten oder für sich allein schon als politischideologisch erstrebenswert eingestuft wurden. Der Reformimpuls Napoleons erlahmte in dem Maße, wie seine Herrschaft finanziell und militärisch strapaziert und seine Aktivität durch unmittelbarere Maßnahmen der Machtsicherung absorbiert wurde). Der zweite Grund des fehlenden direkten Drängens Napoleon auf eine Verfassung liegt wohl darin, das mit der im Primatialstaat schon 1809 gefallenen Entscheidung für die Einführung des Code Napoléon152 ohnehin wesentliche Inhalte der angestrebten bürgerlichen Gesellschaftsordnung in Frankfurt implementiert werden sollten, es also eines verfassungsgesteuerten Anstoßes dazu nicht mehr zwingend bedurfte. Der dritte Grund dürfte schließlich in der Zwangsläufigkeit liegen, mit der angesichts der avisierten Nachfolge durch Eugène Beauharnais eine Verfassung auf Frankfurt als damit geschaffene Sekundogenitur des Hauses Bonaparte früher oder später – wie bei anderen französischen Herrschaften in Europa auch – zukommen würde. Damit bestand genügend Druck auf Dalberg, sich zur Verfassungsgebung zu entschließen.

151 Zur (abgeschwächten) Modellstaatsfunktion Frankfurts vgl. H. Klueting, Großherzogtum, S. 359 ff.; vgl. ferner B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181, 188. 152 Protokoll der Aschaffenburger Konferenz und Edikt zur Einführung des Code Napoleon im Primatialstaat vom 21. August 1809, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 50 ff.

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Aus Sicht Dalbergs und seiner leitenden Beamten scheint diese Zwangsläufigkeit in der Tat ein leitendes Motiv der Verfassungsgebung gewesen zu sein.153 Die künftig zu erwartende Einführung des französischen Herrschaftssystems hieß: Verfassung. Immerhin bot die eigene (vorgreifliche) Verfassungsgebung die Möglichkeit zu bestimmten „mildernden“ Modifikationen der Art, dass das französische System nicht in der Totalität wie in Westfalen übernommen werden musste. Hinzu trat noch ein weiteres – sachliches – Motiv Dalbergs und seiner Beamten: die Integrationsfunktion der Verfassung für den Etatisierungsprozess. Die Heterogenität der Territorien im neu-arrondierten Großherzogtum, insbesondere ihrer Verwaltungen, erforderte eine neue einheitliche und rationale Organisation der Verhältnisse. Dass diese dem überlegenen und in vielerlei Hinsicht am besten geeigneten französischem Vorbild zu folgen hatte – und dies nicht zuletzt eben qua Verfassung – lag auf der Hand.154 So hat Dalberg schon recht früh die institutionellen Einrichtungen der westfälischen Verfassung als Rahmen einer künftigen Verfassung ins Auge gefasst.155 Über den genauen Prozess der Ausarbeitung der Verfassung ist den Quellen nur wenig zu entnehmen. Zu einer Partizipation der Stände oder anderer Einrichtungen ist es – soweit ersichtlich – nicht gekommen, mit Eugène Beauharnais ist offenbar eine Abstimmung erfolgt.156 Die Verfassung, die als „Organisationspatent“ bezeichnet wurde, erging in deutscher Sprache und folgte in allen wesentlichen Punkten – inhaltlich wie die textliche Gliederung betreffend und häufig wortwörtlich – dem westfälischen Vorbild. Insofern kann – zumal ausdrücklich angeführt wird, dass sich die westfälische Verfassung „bewährt“ habe – von einem sichtbaren Erfolg der westfälischen Modellrolle gesprochen werden. Ähnlich ist auch kurz darauf im Dezember 1810 im Herzogtum Anhalt-Köthen die dortige Verfassung unter ausdrück153 Vgl. zur generellen Einschätzung Dalbergs seine (nach der Verfassungsgebung) am 7. Dezember vor dem Staatsrat allerdings im Hinblick auf die anstehende Einführung des Code Napoléon (im Folgenden = „Grundverfassung“) getroffene Bemerkung: „. . . dass jetzt schon dasjenige eingeführt werde, was künftig unvermeidlich ist. Der Nachfolger Serenissimi ist ein französischer Prinz. Es ist mithin nicht zu zweifeln an der künftigen Einführung der französ. Grundverfassung.“, Staatsratsprotokoll vom 7. Dezember 1810, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 92. 154 Von der Stellungnahme des Ministerstaatsekretärs J. C. T. Eberstein vom 19. März 1810, in der jener die Einführung des französischen Verwaltungsaufbaus für das Großherzogtum anrät, berichtet K. v. Beaulieu-Marconnay, Dalberg, Bd. 2, S. 185; vgl. auch das bei W. Bilz, Grosssherzogtümer, S. 204 erwähnte Gutachten des (späteren) Präsidenten des Generaldepartementrates v. Leonardi, in welchem auf die Schwierigkeiten, die aus dem nicht aufrechtzuerhaltenden Nebeneinander der verschiedenen Verwaltungsorganisationen in den jeweiligen Landschaften des Großherzogtum erwachsen, hingewiesen wird. 155 Unterrichtung von Graf L. v. Beust, dem anfänglichen Finanzminister Frankfurts, vom 17. April, abgedruckt in: K. v. Beaulieu-Marconnay, Dalberg, Bd. 2, S. 185 f. 156 Davon berichtet W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 204 unter Zitierung eines Berichts des österreichischen Gesandten v. Hügel an Metternich vom 3. Juni 1810, aus dem hervorgeht, dass die künftige Verfassung der westfälischen folgen soll und auch eine Abstimmungsprozess mit Eugène Beauharnais erfolgt.

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lichen Verweisungen und Zitierungen der westfälischen Verfassung erlassen worden.157 Auffällig ist die Präambel der Verfassung158, die sich bisweilen wie eine Kurzanalyse der Grundzüge napoleonischer Verfassungsgebung liest. Hervor sticht dabei insbesondere das fortschrittlich erscheinende, explizite Bekenntnis zu den Grundsätzen der Gewaltenteilung. Neben mehrfacher Bezugnahme auf Napoleon wird außerdem die westfälische Verfassung als die im Hinblick auf die Grundzüge napoleonischer Verfassungsgebung und für die Frankfurter Verhältnisse vorbildlichste qualifiziert und als mustergebend erachtet. Auffällig ist ebenfalls der Abschluss der Verfassung in Artikel 46 (dem insgesamt vorletzten Verfassungsartikel). Darin wird – mit Blick auf die gesamte Verfassung – unterschieden zwischen einerseits „Grundzüge[n] deren nähere Bestimmung und Entwickelung sich nach und nach . . . mehr und mehr ausbilden“ und „sich erst . . . durch Erfahrung als vollständig verlässig bewähren“ müssen und andererseits „unwandelbaren Sätze [n]“, als welche die noch einmal explizit skizzierten Grundsätze der Gewaltenteilung und das Erfordernis der Repräsentation der Mitglieder des Staates angeführt werden.159 Die ausdrückliche Hervorhebung der Gewaltenteilung einschließlich der Volksvertretung ist bemerkenswert, zeugt sie doch von konstitutioneller Reife und – jedenfalls verfassungstextlich – einem fortschrittlichen konstitutionellen Herrschaftsverständnis. Ausdrücklich wird nur die „vollstreckende Gewalt“ der „Hand des souverainen Fürsten“ zugeordnet. Noch bemerkenswerter erscheint das Bekenntnis zur Unwandelbarkeit dieser Grundsätze, liegt darin doch nicht weniger als ein Stück verfassungsrechtlicher Selbstbindung des Frankfurter Verfassungsgebers. Schließlich überrascht der letzte Absatz von § 46, in welchem Dalberg ausführt, dass er – vorausgesetzt, dass er nicht dahinscheide – es sich vorbehält, „die zweckmäßig befundene Verfassung [also die u. U. in den wandelbaren Bestimmungen geänderte] der Prüfung und Genehmigung . . . des Kaisers Napoleon ehrerbietigst vorzulegen“. Obwohl das Großherzogtum ja formal souverän war und sich der Selbstbezeichnung nach auch so verstand, wurde hier ein Genehmigungsvorbehalt des formal extra-konstitutionellen Napoleon aufgenommen. Rechtlich – etwa nach den Bestimmungen der Rheinbundakte – war dies in keiner Weise geschuldet. Es dürfte sich eher um die gewollte verfassungsrechtliche Abbildung sowohl des politischen Abhängigkeitsverhältnisses Frankfurts wie auch des persönlichen Treueverhältnisses Dalbergs zu Napoleon handeln.

157 Siehe Abdruck der vom enthusiastischen Napoleon-Anhänger August von Köthen oktroyierten Verfassung des Herzogtums Anhalt-Köthen vom 28. Dezmeber 1810 in: K. H. L. Pölitz (Hrsg.), Constitutionen der europäischen Staaten, S. 260 ff. Die Verfassung wurde allerdings schon 1812 mit Einverständnis Napoleons wieder aufgehoben. 158 Regierungsakten Frankfurt, S. 106 f. 159 Ebd., S. 115 f.

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3. Die Entwicklung im Großherzogtum Berg bis zum Organischen Statut vom 15. März 1812 Zum Erlass einer geschriebenen Verfassung wie im Königreich Westfalen und im Großherzogtum Frankfurt ist es im Großherzogtum Berg trotz mehrfacher Anläufe nicht gekommen. Erst gegen Ende der Existenz des Großherzogtums kam es zum Erlass eines Organischen Statuts, welches den institutionellen Rahmen des staatlichen Organisationsrechts festlegte. Obwohl in Berg nicht weniger als etwa in Westfalen ein ganzer Rechtskörper egalisierender und freiheitlicher Dekrete sowie der Code Napoléon im Laufe der Zeit erlassen wurden160, ging dies nicht auf eine zuvor erfolgte, verfassungsähnliche Verkündung und Fixierung der leitenden Ideen und (abstrakten) Prinzipien zurück. Gleiches gilt für den Verwaltungsaufbau161 und das Justizsystem: Auch diese erfuhren mehrfach grundlegende Normierungen im Dekretwege162, ohne aus einem alles umfassenden Grundsatzdokument abgeleitet zu werden. Die aus der gegebenen Quellenlage ermittelbaren Gründe für diese „Verspätung“ Bergs hängen überwiegend mit der zeitlichen Inkongruenz der jeweiligen verschiedenen Verfassungsprojekte mit den wechselnden herrschaftspolitischen Plänen Napoleons für das Großherzogtum zusammen. Eine bewusste (endgültige) Entscheidung gegen eine formelle Verfassung hat es zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die ersten Pläne für eine formelle Verfassung von Berg tauchen im unmittelbaren Nachgang zum Verfassungserlass in Westfalen auf. In einem Schreiben vom 22. Januar 1808 forderte der Großherzog Murat seinen Finanzminister und Statthalter in Düsseldorf J. A. M. Agar zunächst auf, alle wesentlichen Materien der westfälischen Verfassung im Hinblick auf ihre Verwendbarkeit in Berg zu untersuchen, um sie für Berg zu übernehmen. Dies war der Auftakt zu einer umfassenden, ambitionierten Reformpolitik im Sinne der in Westfalen begonnenen Modellstaatspolitik. Zugleich verlangte er die Ausarbeitung eines „projet de constitution additionelle“.163 Schon mit Schreiben vom 18. Februar 1808 legte Murat Napoleon daraufhin einen Verfassungsentwurf für das Großherzogtum nach den Vorgaben der westfälischen Verfassung zur Billigung vor.164 In der Folgezeit kam es – Siehe Übersicht der wichtigsten Normierungen in: Regierungsakten Berg, S. 27 ff. Schon am 24.April 1806 erging ein erstes grundlegendes Landesorganisationsedikt, Abdruck in: J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung, Bd. 2, Nr. 2882; Mit kaiserlichem Dekret vom 14. November 1808 wurde en-bloc die französische Departemental- und Municipalverfassung eingeführt, Abdruck in: Der Rheinische Bund 11 / 31 (1808), S. 86 ff.; ihr folgte am 18. Dezember 1808 die französische Verwaltungsordnung, J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung, Bd. 3, Nr. 3045. 162 Siehe dazu den Überblick bei F.-L. Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen, S. 47 ff. 163 P. le Brethon (Hrsg.), Lettres de Murat, Bd. 5, Nr. 2996; bemerkenswert ist auch die im Schreiben an den Innenminister J. F. J. Nesselrode vom 2. Februar 1808 (ebd., Bd. 5, Nr. 3004) erteilte Anweisung, den Mitgliedern des Staatsrats jeweilig ein Exemplar der westfälischen Verfassung auszugeben. 160 161

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soweit aus den Quellen ersichtlich – zu keiner direkt ablehnenden, aber eben auch zu keiner billigenden Antwort Napoleons. Zwei Entwicklungsstränge sind ab dem Frühjahr 1808 für die kommenden Jahre bis 1811 in der Verfassungsfrage erkennbar: Im Großherzogtum selber wurde zunächst noch auf Anstoß von Murat und später unter Beugnot mit großem Eifer und nicht geringem Erfolg das ganze individual-rechtliche Reformprogramm der Modellstaatspolitik im Dekretwege betrieben – dabei nicht ohne weitere Versuche, Napoleon zum Erlass einer Verfassungsurkunde zu bewegen165; in Paris bzw. auf Seiten Napoleons wurde die Verfassungsfrage offengehalten. Der Hauptgrund für das Zögern Napoleons dürfte anfangs – vor allem was die Versagung der Zustimmung zum Verfassungsentwurf von Murat im Frühjahr 1808 betraf – in seiner damaligen Unschlüssigkeit über das weitere herrschaftspolitische Schicksal Bergs im Jahre 1808 bestanden haben. Nach dem Weggang Murats nach Neapel und der eigenen Übernahme der Direktherrschaft stellte Napoleon erst im März 1809 mit der dekretierten Übertragung der Großherzogswürde an den minderjährigen Louis Napoléon die endgültigen Weichen für die zukünftige staatliche Existenz Bergs. In der Tat hat er anlässlich jener Übertragung im März 1809 wohl auch die Oktroyierung einer weitgehend wörtlich der westfälischen Verfassung nachgezeichneten Verfassung für Berg erwogen, das Vorhaben dann jedoch zunächst nicht weiter verfolgt.166 Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Eine Rolle dürfte der Umstand gespielt haben, dass ihm – wie C. Schmidt annimmt – die politische und verfassungsrechtliche Selbstbindung (konkret in Gestalt der wie auch immer gestalteten Mitwirkung einer Repräsentationskörperschaft), die mit der einmal erlassenen Verfassung eingegangen worden wäre, widerstrebt haben mag.167 164 Ebd., Nr. 3017. Die hohe Aktivität Murats im Frühjahr 1808 ist ein deutlicher Beleg für die große Wirkung, die vom in Westfalen gegebenen Modell ausging. Die Ereignisse in Westfalen bilden auch für das Großherzogtum Berg eine Art Startsignal für die Reform- und Verfassungspolitik. 165 Das Streben nach einer formellen Verfassungsurkunde in Berg war allerdings kein einheitliches: Im März 1809 kam es seitens einer Dankesabordnung aus Berg an Napoleon zu einer ersten Bitte um eine Verfassung (C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 84 Fn. 170). Später hat es im Januar und im Oktober 1810 seitens des Bergischen Staatsrats J. Ritter von Hazzi gegenüber Maret und später Roderer (u. a. zuständige leitende Beamte für bergische Angelegenheiten) zwei Versuche gegeben, in Paris eine – weitgehend dem westfälischen Vorbild folgende – Verfassung zur Billigung vorzulegen, vgl. Archives nationales AF IV 1225 (Januar 1810) und Archives nationales AF IV 642 planche 5099 (Oktober 1810), hier nach Kennzeichnung bei K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Berg, S. 16 Fn. 94 – 95). Beide Versuche erfolgten aber ohne Autorisierung durch Beugnot, da dieser – ein eher technisch geprägter Verwaltungsexperte – jeglichen Partizipationsansätzen seitens anderer Körperschaften prinzipiell abgeneigt war. 166 Archives nationals AF IV 365 planche 2666, wo Napoleon zwar die Abtretungsakte vom 3. März 1809 zugunsten von Louis Napoléon unterzeichnet hat, nicht aber den beigefügten Verfassungsentwurf, hier nach K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Berg, S. 16 Fn. 91 und C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 83 f. 167 C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 83 f.

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Dies zumal es in Berg ja eben seine eigene Direktherrschaft betroffen hätte. Gerade letzterer Gesichtspunkt stützt die Annahme von C. Schmidt, denn der Blick auf einerseits Napoleons Herrschaft in Frankreich und andererseits die von ihm eingerichtete in Westfalen offenbart deutliche Unterschiede. So sehr er das politische „Mühsaal“ konstitutioneller Herrschaft seinem Bruder Jérome in Westfalen nachdrücklich aufgetragen hatte und ihn der politischen Auseinandersetzung mit einer mit nicht unbedeutsamen verfassungsrechtlichen Kompetenzen ausgestatteten Repräsentation aussetzte, so sehr scheute er selber in Frankreich jegliche Beschränkungen oder „Lästigkeiten“ dieser Art.168 Dass allerdings das Projekt einer Verfassung für das Großherzogtum nicht endgültig verworfen wurde, zeigt die nur wenige Monate später ergehende Aufforderung von Maret, dem Ministerstaatssekretär des Empire in Paris, an Beugnot, einen Organisationsentwurf für Berg einzureichen.169 Erst im November 1811 kam anlässlich eines Besuches Napoleons am Niederrhein und auf Betreiben des nunmehrigen kaiserlichen Ministerstaatssekretärs für Berg Roederer wieder Bewegung in die offene Verfassungsfrage.170 Nach Napoleons – eher undeutlichen – Vorgaben171 erging sodann nach Ausarbeitung durch Roederer am 15. März 1812 das von Napoleon unterzeichnete Organische Dekret für das Großherzogtum, in dem das staatliche Organisationsrecht Bergs in Gestalt eines Staatsrats (Conseil d’État) und einer nicht ständisch gegliederten, sondern auf Wahlzensus basierenden Landesrepräsentation (Collège) mit gesetzesberatender Funktion niedergelegt wurde.172 Infolge der Herrschaftsentwicklung ab 1812 / 1813 ist es dann jedoch nicht mehr zur rechten Umsetzung des Statuts gekommen.173 Das Organische Statut unterschied sich wesentlich von den napoleonischen Verfassungen der Epoche. Es beschränkte sich in 27 Artikeln auf die Errichtung eines Staatsrats nach französischem Vorbild und dem repräsentativen Collège und enthielt keine darüber hinausgehenden Bestimmungen über den Staats- und Verwal168 Im Vergleich etwa zur westfälischen Repräsentation wies das „Corps législatif“ im Frankreich der Empireverfassung von 1804 weniger verfassungsrechtliche Mitwirkungsbefugnisse auf, vgl. zum Kompetenzumfang des „Corps législatif“, J. Godechot, Les institutions de la France sous la révolution et l’empire, 2. Aufl., Paris 1968, S. 583 f. 169 Hier nach Archives nationales AF IV 642 planche 5099 hervorgehend aus ablehnendem Schreiben Beugnots an Maret vom 10. November 1809, K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Berg, S. 16 (Fn. 93). 170 Ausführlich dazu C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 88 ff. ; M. W. Francksen, Staatsrat, S. 173 ff.; siehe auch den Bericht Beugnots in ders., Mémoires, S. 198 ff. 171 Vgl. zum raschen Sinneswandel und den mehrdeutigen Äußerungen Napoleons während seines Düsseldorf-Aufenthaltes die Sitzungsprotokoll-Notizen Roederers aus Archives nationales AF IV 1253, abgedruckt (und übersetzt) in: C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 88 f. (Fn. 176). 172 Organisches Dekret betreffend die Organisation des Staatsrats und des Kollegiums vom 15. März 1812, abgedruckt in: Gesetzbulletin Berg, 2. Abtheilung, 36, Nr. 93, S. 35 ff. 173 Vgl. zur noch erfolgten Einsetzung des Staatsrats, M. W. Francksen, Staatsrat, S. 177 ff.

II. Verfassungen von Westfalen, Frankfurt und Berg

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tungsaufbau, das Justizsystem oder gar grund- und freiheitsrechtliche Bestimmungen. Die Gründe lagen auf der Hand: Seit 1806 waren diese Materien schon sämtlich im Dekretwege normiert worden, das Organische Statut füllte gewissermaßen nur noch die Lücke, die im Staatsorganisationsrecht bestanden hatte. In den Stellungnahmen zum Organischen Statut wird es entweder als Umriss („ébauche“174) oder „Kern einer bergischen Verfassung“175 bezeichnet oder meist pauschal als Verfassung.176 Zutreffender erscheint die von K. Rob vorgenommene Qualifizierung als „Organisationsgesetz von Verfassungscharakter“ und zwar sowohl der Sache nach wie auch im Gesamtzusammenhang der anderen bislang seit 1806 ergangenen Regelungen des Ordre public.177 Der Blick auf diesen gesamten Rechtskörper Bergs zeigt im Ergebnis keinen wesentlichen Unterschied zu Westfalen: Hier wie dort waren alle elementaren Materien einer Verfassung normiert worden. Unterschiedlich war nur der Verlauf: Hier die allmähliche, sukzessive und vor allem konkrete Normierung von „Verfassungsfragmenten“ im einfachen Dekretwege, ohne dass die leitenden Grundprinzipien anfänglich formell und abstrakt zum Ausdruck gebracht worden wären, dort – genau umgekehrt – die Ableitung der konkreten Reformgesetze aus anfänglich feierlich gesetzten und abstrakten Prinzipien einer Verfassungsurkunde. Vor diesem Hintergrund erscheint es richtiger, das Organische Statut vom März 1812 gewissermaßen als Abschluss eines langgestreckten Verfassungswerdungsprozess zu begreifen. So sehr der unterschiedliche genetische Verlauf in Berg ein ähnliches verfassungsmäßiges Normengerüst wie in Westfalen hervorbrachte, so wenig steckte dahinter eine bewusste Konzeption und so wenig ist dies wohl auch den Zeitgenossen bzw. den handelnden Akteuren zunächst bewusst gewesen. Die Verfassungsgenese in Berg bildet einen von schwankenden politischen Konstellationen mehr oder minder zufällig geprägten Verlaufsprozess und nicht den Vollzug einer gewollten methodischen Konzeption allmählicher Konstitutionalisierung der Herrschaftsausübung. Gegen letzteres sprechen schon die lange Zeit immer wieder vorgenommenen Versuche, eine formelle Verfassungsurkunde zu erreichen. Allenfalls gegen Ende, beim Erlass des Organischen Statuts, scheint den Akteuren deutlich geworden zu sein, dass es nur noch das verbleibende Organisationsrecht – allen voran das der Volksrepräsentation – zu regeln galt. Die Verkündung einer „Vollverfassung“ im Jahre 1812 hätte die Dinge im Grunde genommen auch auf den Kopf gestellt, den schon erreichten Rechtszuständen gewissermaßen nachträglich eine normativ höhere Steuerungs- und Berufungsinstanz verliehen. Dass ein solches Unterfangen als überflüssig erschien, ergibt sich auch daraus, dass sich in den 174 175

C. Schmidt, Grand-Duché, S. 113 (franz. Originalversion). M. W. Francksen, Staatsrat, S. 177.; ihm folgend B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181,

192. 176 R. Dufraisse, Napoleon. Revolutionär und Monarch, (übersetzt v. S. Gangloff), München 1994, S. 128; G. Lefebvre, Napoléon, Peuples et Civilisations, Bd. 14, Paris 1935, S. 442, H. Klueting, Modellstaat, S. 359, 371 („Verfassungsurkunde“). 177 K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Berg, S. 22.

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Quellen ab Ende 1810 an keiner Stelle mehr Belege für ein solches „Vollprojekt“ einer Verfassung finden. Zwei weitere Gesichtspunkte zur Verfassungsgenese in Berg seien an dieser Stelle ergänzt: Der Umstand, dass unter den handelnden Akteuren wie auch in den terminologischen Qualifizierungen der Forschung das Organische Statut häufig als Verfassung und als Embryo einer Verfassung eingestuft wird, markiert – darin nicht ganz unähnlich späteren Stellungnahmen im Vormärz – den Stellenwert, welcher der Errichtung der politischen Institutionen, besonders der Repräsentationskörperschaft, für den Verfassungsbegriff beigemessen wurde und wird. So sehr letzteres konstitutiv für jegliche moderne Verfassungsstaatlichkeit ist: Ein Stück weit verengt es den Verfassungsbegriff auf seine institutionelle Dimension. Im Großherzogtum Berg war ab 1808 eine ganze Flut an freiheitlichen und gleichheitlichen Normierungen ergangen, die weitgehende Rechtsgleichheit herstellten, die persönliche Freiheitssphäre des Einzelnen sicherten und insofern herrschaftslimitierend wirkten. Unter der Herrschaft des modernen Verfassungsbegriffs war dies – materiell betrachtet – verwirklichte Verfassungsstaatlichkeit auf zentralem Gebiet. Die Institutionenlastigkeit des häufig eingenommenen Blickwinkels verdeckt dies ein wenig. – Mehr noch: der Umstand, dass in Berg auch ohne anfänglich errichtete formelle Verfassungsurkunde der angesprochene Rechtskörper implementiert wurde, enthüllte die Unabhängigkeit verfassungsbegrifflicher Inhalte von der Form – jedenfalls im Herrschaftsverständnis der handelnden Akteure. Errichtung des Bergischen Staatswesens hieß für sie primär rechtsförmige Verwirklichung der freiheitlichen und gleichheitlichen Gesellschaftsordnung sowie Aufbau von moderner Verwaltung und unabhängiger Justiz, also ein nicht geringes Maß an Verfassungsstaatlichkeit.

III. Herrschaftskonstituierende Wirkung und Selbstbindungswirkung der Verfassungen 1. Herrschaftskonstituierende Wirkung der Verfassungen? Die Betrachtung der jeweiligen Entstehungsprozesse der napoleonischen Verfassungen wirft die Frage nach ihrer herrschaftskonstituierenden Wirkung auf. Die Antwort fällt auf den ersten Blick eindeutig aus: Weder im Königreich Westfalen noch im Großherzogtum Frankfurt und erst recht nicht im Großherzogtum Berg, wo es ja zur Oktroyierung einer formellen Verfassung gar nicht mehr recht gekommen war, besaßen die Verfassungen herrschaftsbegründenden Gehalt. Ohne vorausgehende Revolution im Sinne von 1789 fehlte ihnen jede herrschaftskonstituierende Wirkung. Darin offenbarte sich das größte Defizit der napoleonischen Verfassungen gegenüber dem modernen Verfassungstyp revolutionärer Provenienz: Ihr juristischer Geltungsgrund lag nicht in einem politischen Willensakt des Volkes, sondern einzig im souveränen Willen Napoleons („. . . Voulant donner . . .“178) und Dalbergs („. . . nach Unserer Ueberzeugung . . .“179). Deren Herr-

III. Herrschaftskonstituierende Wirkung und Selbstbindungswirkung

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schaftsrecht lag der Verfassung voraus. Die Verfassungen bezogen sich nur auf die Art und Weise der Herrschaftsausübung, dies freilich – und darin gleich dem modernen Verfassungstyp – umfassend und universal. Auch der zweite Blick, speziell auf den Akt der Verfassungsgebung in Westfalen, erbringt keinen anderen Befund. So darf insbesondere der Umstand, dass die französisch-westfälische Staatsgewalt in ihrer eigentlichen Erscheinungsform in den neuen Territorien erst und gleich von Beginn an auf dem Boden der Verfassung vom 15. November 1807 errichtet wurde, nicht mit einer Begründung dieser Herrschaft durch die Verfassung gleichgesetzt werden. So sehr die französisch-westfälische Herrschaft zwar als konstitutionelle konzipiert und errichtet wurde, so wenig lag im Konstitutionellen ihre juristische Begründung. Die Verfassung brachte die Herrschaft, die im Übrigen schon tatsächlich – wenn auch nur provisorisch – mit dem Konstituierungsdekret vom 18. August 1807 zur Existenz gelang war, nicht erst hervor, sondern regulierte nur ihre Ausgestaltung und Ausübungsformen im Einzelnen. Dass Staatlichkeit als solche mit Verfassungsstaatlichkeit zusammenfiel und beides als untrennbar begriffen werden konnte und sicherlich auch sollte, entsprang allein politischen, genauer modellstaatspolitischen Gründen, barg jedoch keine juristischen bzw. verfassungstheoretischen Implikationen. Ebenso wenig darf der Umstand, dass erst die Verfassung die Herrschaft konkret des Königs Jérome herbeiführte, Napoleon also die monarchische Staatsgewalt seines Bruders qua Verfassung einsetzte, zu der Annahme verleiten, die französische Herrschaft als solche sei in Westfalen erst durch die napoleonische Verfassungsgebung begründet worden. Genau betrachtet modifizierte auch die Übertragung der Herrschaft an Jérome nur die Art und Weise napoleonischer Herrschaftsausübung in Westfalen, begründete aber keine neue, nach ihrer Einsetzung vom Verfassungsgeber unabhängige Gewalt. Mit Jéromes Herrschaft war kein neues Herrschaftsrecht begründet worden. Deutlich belegte dies Art. 7 der Verfassung, welcher den König und seine Familie den kaiserlichen Familien-Statuten unterwarf und damit direkt an Napoleon als Familienoberhaupt band.180 Das Herrschaftsrecht im konstitutionellen Westfalen lag somit auch formal-rechtlich bei Napoleon, Jéromes Herrschaft war (nur) die frei gewählte Modalität seiner Ausübung, letztlich die eines zu konstitutioneller Regentschaft verpflichteten Statthalters. Die Omnipotenz und Unbeschränktheit der präkonstitutionellen Verfügungsmacht Napoleons war am Beispiel der Bedeutungslosigkeit der westfälischen Verfassungsdeputation in Paris schon eindeutig hervorgetreten. Ähnliches trifft für Frankfurt zu, wo es gar nicht erst zu derartigen Verhandlungen oder Anhörungen gekommen war. Den Verfassungen lag keine noch so geringe, vorangegangene Präambel der westfälischen Verfassung, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 6. Präambel der Verfassung von Frankfurt, in: Regierungsakten Frankfurt, S. 107. 180 Die Bedeutung des Art. 7 der westfälischen Verfassung lag darin, dass er die kaiserlichen Familien-Statuten quasi zur weiteren Rechtsquelle des westfälischen Staatsrechts machte, zuerst und in seiner ganzen Bedeutung als nahezu Einziger erkennt dies (schon 1812) F. Saalfeld, Handbuch des Staatsrechts, S. 32 (§ 28). Näher dazu unten (unter 2. Kap. IV. 3.). 178 179

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

konsensuale Willensbildung von künftig Regierenden und Regierten zugrunde. Verfassungsgebung und Verfassungsinhalt waren nicht verhandelt oder paktiert worden, entsprangen auch nicht gesellschaftlichem Druck und bedienten keine öffentliche Erwartungshaltung. Das Legitimationsprinzip der vom gesellschaftlichen Konsens unabhängigen Erbmonarchie wurde nicht angetastet (bzw. in Frankfurt neu eingeführt), was ein weiteres mit sich brachte: Die Verfassung konnte ihre Musterfunktion für die übrigen Rheinbundstaaten erfüllen.181 Dass sie dies tat, demonstrierte die schon ein halbes Jahr nach dem westfälischen Verfassungserlass erfolgende Verfassungsgebung durch den bayerischen König.

2. Parallelen zur frühkonstitutionellen Verfassungsgebung ab 1815 Der in den Oktroyierungsakten und im Fehlen der herrschaftsbegründenden Funktion der Verfassungen von Westfalen und Frankfurt liegende Rückschritt hinter das Herrschaftsbegründungsmodell der revolutionären amerikanischen und französischen Verfassungen ließ somit kein Zweifel an einem Verfassungsverständnis aufkommen, welches Herrschaft nicht aus übertragenem, sondern originärem Recht ableitete. Insofern lag die westfälische Verfassung kategorial auf einer Linie mit den ebenfalls freiwillig oktroyierten Verfassungen des deutschen Frühkonstitutionalismus, etwa in Baden und Bayern 1818. Auch dort entsprangen die Verfassungen dem monarchischen Willen, handelte es sich um einseitige Gewährungen aus der uneingeschränkten Fülle der monarchischen Staatsgewalt, lag die Inhaberschaft des pouvoir constituant beim Monarchen. Die monarchische Gewalt ging auch dort der Verfassung voraus und wurde nicht erst durch diese konstituiert und legitimiert. Deutlich erhellte dies aus den jeweiligen Präambeln der Verfassungen, noch deutlicher suchte es später die Gentzsche Interpretation von Art. 13 der Deutschen Bundesakte (DBA) von 1815 und schließlich die Fassung von Art. 57 der Wiener Schlußakte (WSA) von 1820 hervorzuheben. Ähnlich waren sich napoleonische und viele frühkonstitutionelle Verfassungen vor allem auch darin, dass ihre Oktroyierung unmittelbar auf keine wesentlich anderen Bestimmungsfaktoren als in erster Linie das monarchische Kalkül der Herrschaftskonsolidierung zurückging. Dies lag daran, dass die jeweiligen Entstehungsbedingungen nicht wesentlich verschieden waren. Zum Zeitpunkt sowohl der napoleonischen wie auch der süddeutschen Verfassungsgebungen fehlte es an einem hinreichend durchsetzungsstarken und vehement zur Verfassung drängenden Bürgertum und somit auch an einer revolutionären Situation, die den Bruch mit der angestammten Staatsgewalt markiert hätte. In beiden Fällen diente der Verfassungserlass der Machtsicherung der Verfassungsgeber, hier als moralische Eroberung im Sinne der Modellstaatspolitik, um die erworbenen Territorien dauerhaft und ressourcenträchtig an das Empire zu binden, dort im Interesse dynastischer 181

D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 60.

III. Herrschaftskonstituierende Wirkung und Selbstbindungswirkung

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Selbstbehauptung und eines ganzen Bündels verwandter staatsbezogener Motive. In den Napoleoniden wie den süddeutschen Staaten stand der Verfassungserlass u. a. funktional im Zusammenhang mit den jeweils anstehenden Erfordernissen der „Verstaatung“ der neu-arrondierten Herrschaftsgebiete182. Wie in Westfalen und Frankfurt so sollten die Verfassungen mit ihrem umfassenden und universalen Geltungsanspruch auch in den süddeutschen Staaten die heterogenen Verhältnisse vereinheitlichen, den staatlichen Regelungsanspruch überall gleichmäßig durchsetzen und die zusammengewürfelten Territorien integrieren.183 Eine gewisse Parallelität der beiden Fälle von Verfassungsgebungen wird auch im Maß an Zwangsläufigkeit erkennbar, mit dem sowohl die napoleonischen Staatsgebilde wie auch die frühkonstitutionellen Staaten letztlich auf eine Verfassung bzw. die Konstitutionalisierung der Herrschaftsausübung hinsteuern mussten. Aus französischer Sicht war Staatlichkeit nach der Verfassungsentwicklung der Revolutionsjahre ernsthaft nicht mehr ohne Verfassung denkbar. Zu selbstverständlich (und auch geeignet) war die Verfassung als Instrument der umfassenden und universalen Regelung der politischen Herrschaftsausübung geworden. Dies galt für Frankreich selber, wo Napoleon zu keinem Zeitpunkt auf die Form der Verfassung verzichten wollte (und konnte, wie etwa die selbst noch während der Herrschaft der Hundert Tage 1815 erlassene Verfassung demonstrierte184), und für die bezwungenen Länder Europas, die zum Objekt der Verfassungspolitik wurden. In Deutschland, zumal im vormaligen Rheinbunddeutschland, welches die Reformpolitik und die ersten Ansätze der Konstitutionalisierung unter Napoleons Hegemonie ja schon zu vollziehen begonnen hatte, verhielt es sich ab 1815 nicht viel anders. Auch dort hatte die Signalkraft des Instituts der Verfassung die sich gerade herausbildende und selbstbewusst aus den Befreiungskriegen hervorgehende bürgerliche Gesellschaft unwiderruflich erfasst, so dass eine Herrschaft ohne Verfassung früher oder später heftige Widerstände zu erwarten hatte. Um das Bild der „Sattelzeit“ aufzugreifen: die allgemeine politisch-soziale Gesamtentwicklung hatte sich (auch) in Deutschland schon zu weit zur Moderne aufgeschwungen, als dass die monarchische Gewalt ohne konstitutionelle Einbindung ein Mindestmaß an Akzeptanz der Herrschaftsunterworfenen dauerhaft erreichen konnte. Selbst in Preußen war es ja immerhin zum Verfassungsversprechen gekommen, dessen Nicht-Einlösung im Vormärz dann große Teile der Gesellschaft dem preußischen Staat zunehmend entfremdete. Erkennbar wird bei beiden Typen an Verfassungen das Vorgreifliche, ihr präventives Moment: in etwas geringerem Maße in den Napoleoniden, um dem potentiell drohenden Hierzu E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 315 ff. H. Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung, in: B. Vogel (Hrsg.), Die preußischen Reformen. Staat und Gesellschaft im Wandel. 1807 – 1820, Königstein / Ts. 1980, S. 244 ff. hat über den Integrationsaspekt hinaus den (Begründungs-)Zusammenhang zwischen verändertem Finanzierungsmodus des Staates in der post-feudalen Gesellschaft und Konstitutionalisierung herausgearbeitet. Die Angewiesenheit auf Steuer- und Kreditfinanzierung im unmittelbaren Grundverhältnis Staat-Staatsbürger erforderte die konstitutionelle Vermittlung zwischen Regierung und Regierten. 184 Abdruck in: J. Godechot (Hrsg.), Les constitutions, S. 232 ff. 182 183

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

Widerstand gegen die französische Fremdherrschaft zu begegnen, in stärkerem Maße in den frühkonstitutionellen Staaten, um die Herrschaft „unangreifbar“185 zu machen.

3. Selbstbindungswirkung der Verfassungen: Vergleich zum Frühkonstitutionalismus Die Betrachtung der Ähnlichkeiten der jeweiligen Ausgangssituationen und der fehlenden herrschaftsbegründenden Wirkung der napoleonischen und der frühkonstitutionellen Verfassungen bedarf (freilich) der Vervollständigung. Nicht alle Verfassungen des Frühkonstitutionalismus nach 1815 waren oktroyierte, sondern manche der ersten Verfassungswelle und viele der zweiten Verfassungswelle ab 1830 gingen auf rechtliche Vereinbarungen oder zumindest Verhandlungen zwischen dem Monarchen und den Ständen zurück.186 Das konsensuale Moment dieser Verfassungsgebungsprozesse setzte der monarchischen Allmacht so schon bei der Verfassungsgenese erste Grenzen, was im Übrigen oftmals nicht ohne Auswirkung auf den Inhalt blieb. Im Rückschluss gab es Auskunft über die der Verfassung vorausliegenden Größen und deren tatsächliches Gewicht. Die monarchische Gewalt war hier „auf Trägerebene“ nicht mehr die allein omnipotente und souveräne, denn als solche hätte sie den kontraktuellen Lösungsweg nicht beschreiten müssen. Im Vergleich blieben die napoleonischen Verfassungen, die der monarchischen Selbstherrschaft erst auf „(Herrschafts-)Ausübungsebene“ Beschränkungen auferlegten, hinter diesen paktierten Verfassungen zurück. In den napoleonischen Rheinbundstaaten waren die alten Stände schon zu schwach und viel zu fragmentiert (und darüber hinaus aus französischer Sicht seit der Revolution als politischer Akteur ohnehin diskreditiert, wie sich an der Behandlung der westfälischen Verfassungsdeputation zeigte) und das Bürgertum noch gar nicht ausreichend formiert, um entsprechende Forderungen zu artikulieren. Entscheidend wurde indes nicht das Mehr an herrschaftsbegründender Kraft, welche den paktierten Verfassungen innewohnte oder der Umstand, dass eine souveräne Inhaberschaft des pouvoir constituant schon zum Zeitpunkt der Verfassungsgenese keinem der beiden Vertragspartner Monarch und Volk / Stände mehr 185 Ausdruck bei E.-W. Böckenförde, Verfassungsprobleme, S. 244, 255; vgl. auch R. Wahl, Entwicklung, S. 3, 13 („Mittel der Revolutionsvorbeugung“). 186 Unter den vereinbarten Verfassungen der ersten Welle waren vor allem Sachsen-Weimar 1816, Württemberg 1819 und Hessen 1820, in der zweiten Welle dann insb. Sachsen 1831, Kurhessen 1831, Braunschweig 1832 und Hannover 1833. Oftmals waren es nicht nur die aufkommenden demokratischen Strömungen des Bürgertums, die in den Verhandlungen und Vereinbarungen den Monarchen gegenüber traten, vielfach waren es in Kontinuität der Vor-Revolutionszeit hinübergerettete ständische Partizipationsstrukturen, die hier noch (ein letztes Mal) griffen. Dies war freilich im napoleonischen Herrschaftsraum mit seiner viel stärkeren Prägung durch das anti-ständische Revolutionserbe nicht mehr ernsthaft denkbar.

III. Herrschaftskonstituierende Wirkung und Selbstbindungswirkung

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zugewiesen werden konnte. Bedeutsamer sollte sich – und hierin verflüchtigte sich der Unterschied zwischen oktroyierten und paktierten Verfassungen des Vormärzes – die mit der einmal erlassenen Verfassung eingegangene Selbstbindung des Monarchen an eben diese Verfassung, ob oktroyiert oder paktiert, erweisen. Einmal gewährt, löste sich die Verfassung vom Willen des Monarchen, war nicht mehr einseitig rücknehmbar, sondern nur konsensual in von der Verfassung vorgesehenen Verfahren unter Zustimmung der Volksvertretung. Die einseitig nicht mehr auflösbare Bindungswirkung relativierte praktisch den fehlenden herrschaftskonstituierenden Gehalt der Verfassungen und rückte sie – quasi evolutionär – näher an den modernen normativen Verfassungstyp revolutionärer Provenienz heran. Die Frage nach dem Träger des pouvoir constituant blieb nach einmal erfolgtem Verfassungserlass in der Schwebe und bedurfte der Konfliktentscheidung.187 Die Selbstbindung qua nicht mehr einseitiger Auflösbarkeit einer einmal gegebenen Verfassung war ein allgemeiner Grundsatz des konstitutionellen Staatsrechts des 19. Jahrhunderts188, der in nahezu allen Verfassungen positiv-rechtlichen Ausdruck fand, in der Regel durch die Einrichtung eines bestimmten Verfassungsänderungsverfahren, welches in den Kammern der Volksvertretung qualifizierte Mehrheiten erforderte.189 Mit Blick auf die Verfassungen von Westfalen und Frankfurt stellt sich die Frage, ob sie gleichermaßen eine verbindliche Selbstbindung der monarchischen Gewalten Napoleons / Jéromes wie Dalbergs bewirkten. Eine ausdrückliche (prozedurale) Bestimmung zu einer möglichen Abänderung bzw. Aufhebung der Verfassung fehlte in beiden Fällen.190 Dass Napoleon eine solche nicht in die westfälische Verfassung aufgenommen hatte, erstaunt nicht. Eine explizite verbindliche Einschränkung seiner Stellung als Träger der verfassunggebenden (bzw. -ändernden) Gewalt wäre ihm fremd gewesen – dies jedenfalls solange es an ausreichendem politischen Druck mangelte, und eben dies war natürlich zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung in Westfalen der Fall. In diesem Punkte jedenfalls war sein Verfassungsbzw. sein Herrschaftsverständnis ganz und gar unkonstitutionell. Jedoch spricht manches dafür, auch in Westfalen mit dem einmal erfolgten Erlass der Verfassung ein Stück verbindlicher Selbstbindung der monarchischen Gewalt anzunehmen. Einen ersten Grund dafür liefert die französische Verfassungstradition. Jene kannte 187 Hier und zum Ganzen E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 281 f. u. D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 71 ff., 110 ff., 161 ff. 188 E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 282 (dort Fn. 24). 189 Z. B. 2 / 3-Mehrheit der Anwesenden in beiden Kammern nach § 64 der Badischen Verfassung vom 22. August 1818, abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., Stuttgart 1961, S. 156, 165 und nach Abschnitt X., § 7 der Bayerischen Verfassung vom 26. Mai 1818, abgedruckt ebd., S. 141, 156. In Art. 56 der Wiener Schlußakte (WSA) von 1820 wurden die geltenden Verfassungen zudem gegen einseitige Rücknahmen durch die Fürsten gesichert. 190 Eine solche war auch nicht Art. 54 der westfälischen Verfassung, dort ging es nur um sachliche Ergänzungen der Verfassung, allen voran die Verwaltungsordnung vom 11. Januar 1808, abgedruckt in: Regierungsakten Westfalen, S. 58 ff.

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

von Beginn an bestimmte, ausdrücklich normierte Verfahren der Verfassungsrevision.191 Dass in den späteren Empire-Verfassungen von 1799 bis 1804 solche Bestimmungen fehlten, stellt dies nicht in Frage. Im Gegenteil: Napoleon hatte ja jede Änderung der Verfassungen von 1799 über 1802 und 1804 bis sogar noch 1815 während der Hundert-Tage-Herrschaft ausdrücklich plebiszitär absegnen lassen192, anerkannte also formal-rechtlich – geradezu selbstverständlich – die (Mit-)Trägerschaft des pouvoir constituant des französischen Volkes. Eine einseitige Verfassungsänderung bzw. -aufhebung hätte – aller politischen und militärischen Dominanz Napoleons zum Trotz – aus Sicht der rege entwickelten französischen Verfassungstradition geradezu einen Systembruch bedeutet und wäre ohne Zweifel als schwerer (Verfassungs-)Rechtsbruch begriffen worden. Es hatte dafür auch bisher keinen Präzedenzfall gegeben (Mit Selbstverständlichkeit ist auch ohne entsprechende textliche Positivierung für die spätere Charte Constitutionnelle von 1814 eine verbindliche Selbstbindung des Monarchen angenommen worden193). Ein weiteres Argument für die Annahme einer verbindlichen Selbstbindungswirkung auch des westfälischen Verfassungsgebers tritt hinzu: Mit dem Erlass von Verfassungen traten jene Folgen ein, die der gesetzlichen Festschreibung von Normen wesensmäßig zu eigen sind: Regelhaftigkeit, Berechenbarkeit, Dauerhaftigkeit und Grundlagen- bzw. Rahmencharakter der Grundnormen des Gemeinwesens.194 Eine einseitige Beseitigung oder Veränderung dieser Konstitutionalität hätte schon von daher mehr als nur den Geruch des Illegalen nach sich gezogen (wie es ja im Übrigen nicht ganz unähnlich in den späteren deutschen Verfassungskonflikten der Fall war, etwa Hannover). Jede Konstitutionalisierung von Herrschaft, wiewohl ihre Einrichtung auf freien monarchischen Willensentschluss zurückging, wäre letztlich ins Leere gelaufen, wenn ihr nicht ein Mindestmaß an Verbindlichkeit zugekommen wäre. Schließlich gilt es besonders die hinter der Verfassung wirkenden Bestimmungsfaktoren zu berücksichtigen. Mit der einmal erfolgten Konstitutionalisierung, insbesondere der verfassungsrechtlichen Anerkennung des Volkes, repräsentiert in der Volksvertretung, war quasi ein (Mit-)Spieler auf dem Felde der Verfassung entstanden, den man, einmal herbeigerufen, nun nicht mehr ignorieren konnte – zumal er die bürgerliche Gesellschaft als die in Deutschland bedeutsamste heranwachsende (und in Frankreich schon siegreiche) Kraft verkörperte. Genau betrachtet lag ja gerade im Akt der Verfassungsgebung deren Anerkennung und damit eben auch die Anerkennung des Umstandes, dass künftig ohne ihre Zustimmung keine Änderung oder Aufhebung der Verfassung mehr rechtens war. Alles andere wäre rückwärtsgewandte Willkür vorkonstitutio191 Siehe beispielsweise Titre VII in der französischen Verfassung vom 3. September 1791, abgedruckt in: J. Godechot (Hrsg.), Les Constitutions, S. 33, 65 und Art. 375 i.V.m. Titre XIII der Direktorialverfassung vom 22. August 1795, abgedruckt ebd., S. 101, 138 ff. 192 Näher dazu J. Godechot, Les institutions, S. 555 ff., 571 ff. u. 578 ff. und J. Tulard, Napoloen, S. 133 ff. u. 487. 193 Vgl. D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 113 f. 194 Vgl. D. Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 214.

III. Herrschaftskonstituierende Wirkung und Selbstbindungswirkung

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neller und absolutistischer Art gewesen, wäre als Rechtsbruch statt als verfassungsmäßiger Souveränitätsakt verstanden worden. Darin unterschied sich auch Westfalen nicht von den späteren deutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus. Exemplarisch wird daran das Epochale, der Quantensprung, den jede einmal erfolgte Konstitutionalisierung von politischer Herrschaft vollzog, sichtbar. Das absolute Herrschaftsrecht war im Akt der Verfassungsgewährung endgültig „konsumiert“.195 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang die „Kommentierung“ des Göttinger Rechtsprofessors Friedrich Saalfeld in seinem Handbuch des westfälischen Staatsrechts von 1812. Eine Stellungnahme zum Grundsatz der Selbstbindung der monarchischen Gewalt an die einmal erlassene Verfassung findet sich darin an keiner Stelle. Dass er aber – wohl stellvertretend für seine Zeitgenossen – wie selbstverständlich von der Unmöglichkeit einseitiger Aufhebbarkeit der Verfassung ausgeht, bezeugt eine andere Stellungnahme: So deutet er Westfalen als verfassungsmäßig „beschränkte Monarchie“, in der königliche Gewalt und Souveränität von vornherein durch die Versammlung der Reichsstände (= die Nationalrepräsentation) beschränkt werden.196 Ein einseitiges Abschütteln der Verfassung bzw. der „Beschränkungen“ je nach monarchischem Belieben wäre mit diesem Deutungsmuster schlechthin unvereinbar gewesen. Dass auch mit der Verfassung von Frankfurt die monarchische Gewalt auf die einmal erlassene Verfassung verbindlich verwiesen war, ging teilweise schon explizit aus besagtem § 46 hervor, der das Bekenntnis zu den „unwandelbaren“ Verfassungsgrundsätzen sowohl der Gewaltenteilung wie auch der legislativen Funktion der Volksvertretung formulierte. „Unwandelbar“: dies war auch und gerade an die Adresse der monarchischen Gewalt gerichtet. Gleich einer äußersten externen Schranke wurde es (potentiellen) einseitigen monarchischen Souveränitätsakten entgegen gesetzt. Eine Anmerkung dazu sei an dieser Stelle ergänzt: Mag auch dem heutigen Verfassungsjuristen an dieser Stelle die Ewigkeitsbestimmung des Art. 79 Abs. 3 des Bonner Grundgesetzes zwar in den Sinn geraten, eine vergleichbare verfassungsrechtliche bzw. -dogmatische Konzeption hat dem § 46 der Frankfurter Verfassung von 1810 sicher nicht zugrunde gelegen. Der moderne Gedanke einer Hierarchisierung innerhalb des Verfassungsrechts wäre den Zeitgenossen wie Verfassungsautoren vollkommen fremd gewesen, zumal ja (vom Sonderfall der in Amerika gerade schon erfolgten, frühen Entwicklung des „Paramount Law“ einmal abgesehen) noch nicht einmal das Institut des Vorrangs der Verfassung in das zeitgenössische Verfassungsverständnis Eingang gefunden hatte (in das französische mit seiner Prägung durch die u. a. in der politischen Philosophie Rousseaus wurzelnden Doktrin von der souverainité de la loi ohnehin nicht197). Begriff bei D. Grimm, Zukunft der Verfassung, S. 87 f. F. Saalfeld, Handbuch des Staatsrechts, S. 30 (§ 22) u. 32 (§ 28). 197 Näher dazu J. Hecker, Europäische Integration als Verfassungsproblem in Frankreich, (Diss. Göttingen 1997) Berlin 1998, S. 29; ferner C. Rasenack, Gesetz und Verordnung in Frankreich seit 1789, Berlin 1967, S. 21 ff.; C. Starck, Der Gesetzesbegriff des Grundgesetzes, Baden-Baden 1970, S. 128 ff. 195 196

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

Art. 46 der Verfassung stellte schlicht klar, dass die „unwandelbaren“ Grundsätze jedenfalls nicht mehr zur Disposition standen, andere (weniger bedeutsame) sich dagegen erst noch „mehr und mehr ausbilden“ und als „vollständig verlässig bewähren“ sollten. Nichtsdestotrotz band sich der Verfassungsgeber hiermit – und darin dann eben vom Ergebnis her nicht mehr ganz unähnlich dem Grundgedanken des Art. 79 Abs. 3 GG – im Akt der Entscheidung für eine gewaltenteilige, mit Volksvertretung ausgestattete Staatsordnung an den Grundsatz normativer Beständigkeit dieser grundlegenden Strukturentscheidungen. Daher ist das Bekenntnis zur „Unwandelbarkeit“ weit mehr als eine Leerformel. Es kündete eindrucksvoll von verfassungsgeschichtlich reifer Einsicht in die Unumkehrbarkeit historischer Prozesse. Bei aller Variabilität sollten zwei konstitutionelle Einrichtungen künftig zum Hausgut aller Staatlichkeit gehören: Gewaltenteilung und Teilhabe der Gesellschaft an der Herrschaftsausübung. Dies war eine kategoriale Absage an den Spätabsolutismus friderizianischer oder josephinischer Prägung, die angesichts der Persönlichkeit Dalbergs überrascht. Man wird in den späteren deutschen Verfassungstexten monarchischer Provenienz lange suchen, um solches zu finden.

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen Ist bis hier die Antwort auf die Frage nach dem Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt aus faktischer und genetischer Sicht unzweideutig erbracht, so bedarf es – mit Sieyès gesprochen und aus der Perspektive der traditionellen, am Verfassungsstaat der Neuzeit orientierten juristischen Legitimitätstheorie – noch der (verfassungstheoretischen) Klärung eines inhaltlich tragfähigen Begründungszusammenhangs zwischen Verfassung und Verfassungsgeber, eines verfassungstranszendenten Ursprungs und Geltungsgrunds, welcher den mit den Verfassungen etablierten politisch-rechtlichen Ordnungen in den Napoleoniden auch (materiale) Legitimität vermittelt. Mit anderen Worten sind für das Folgende damit gleich zwei Fragen aufgeworfen: Auf welches Legitimitätsprinzip stützte die napoleonische Herrschaft in den Napoleoniden ihren Geltungsanspruch (jedenfalls nach ihrem offiziellen Selbstverständnis) und daran anschließend: vermochte dieses Prinzip tragfähige Legitimität zu begründen?

1. Napoleonische Herrschaftslegitimität zwischen Tradition und Revolution Seinen prägnantesten Ausdruck hat das napoleonische Legitimitätsmodell in der Präambel der westfälischen Verfassung gefunden198:

198

Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 7.

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen

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„Wir Napoleon, von Gottes Gnaden und durch die Constitutionen, Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des Rheinischen Bundes, haben in der Absicht, den 19ten Artikel des Tilsiter Friedensschlusses schleunig in Vollzug zu setzen, und dem Königreiche Westphalen eine Grundverfassung zu geben, welche das Glück seiner Völker sichere, und zugleich deren Beherrscher die Mittel gewähre, als Mitglied des Rheinischen Bundes, zur gemeinschaftlichen Sicherheit und Wohlfahrt mitzuwirken, verordnet und verordnen, wie folgt: . . .“

Die hier getroffene Selbstaussage erstaunt nicht wenig. In der europäischen Verfassungsgeschichte ist sie ohne Beispiel. Der in ihr liegende Widerspruch, Gottesgnadentum einerseits und demokratisch-plebiszitär abgesegnete Verfassungen199 andererseits, erklärt sich nur vor dem historischen Ort der napoleonischen Herrschaft an der Schnittstelle zwischen Tradition und Revolution, zwischen überkommenen religiös-sakralen Weltordnungsentwürfen des Mittelalters und vertraglichrational gedachter, säkularisierter Staatsordnung der Moderne. Sein faktischer Ursprung liegt schlicht im unbefangenen Umgang Napoleons mit allen verfügbaren klassischen Legitimationssträngen, die für politische Herrschaft bis dahin kennzeichnend waren. Die Formulierung ging auf in die in den Art. 140 und 141 der Empire-Verfassung von 1804 niedergelegte Formel „Napoléon, par la grace de Dieu et les Constitutions de la République, Empereur des Francais“ zurück, die dort als Promulgationsformel für die (wesentlichen) Rechtsakte des Empire fungierte.200 In der westfälischen Präambel wurde der erläuternde Zusatz, dass es sich um die republikanischen Verfassungen handelte, weggelassen, hinzu trat die Berufung auf die quasi-völkerrechtliche Stellung Napoleons als Rheinbund-Protektor und die Anführung seines italienischen Königstitels. Die napoleonische Formel diente auch als Vorbild der Promulgationsformel für alle unter Jérome erlassenen westfälischen Rechtsakte.201 Auch dieser leitete seine Herrschaftsstellung als König von Westfalen sowie als französischer Prinz getreu dem Gedanken dynastischer Verbundenheit von Gottes Gnaden ab und übernahm für seine Prinzenstellung zudem auch den Verweis auf Verfassungen.202

199 Der Verweis auf „les Constitutions“ bezog sich auf die republikanischen Verfassungen von 1799 und 1802 sowie die Empire-Verfassung von 1804, in denen die Herrschaftsstellung Napoleons als Konsul und später als Empereur niedergelegt worden war und die sämtlich durch Plebiszite bestätigt worden waren. 200 Abgedruckt in: J. Godechot (Hrsg.), Les Constitutions, S. 206 f. Soweit ersichtlich nimmt als Einziger J. Weidemann, Neubau eines Staats, S. 18 ff. zur westfälischen Formel näher Stellung. Seine Untersuchung geht allerdings weitgehend fehl, da er die Herkunft der Formel aus der Empire-Verfasung von 1804 nicht gesehen hat. 201 Vgl. beispielhaft Bulletin, Bd. 1 2. Aufl., S. 26 f.: „JÉROME NAPOLÈON, par la grace de Dieu et les constitutions, Roi de Westphalie, Prince Francais, . . .“. 202 Die Prinzenstellung Jéromes und auch die des bergischen Großherzogs Murats ging auf den Titre III der Empire-Verfassung von 1804, der die Rahmenvorschriften für die Rechtsstellung der kaiserlichen Familie enthielt, und die kraft des dortigen Art. 14 am

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

Der Rekurs auf das Gottesgnadentum knüpfte an die überkommene mittelalterliche Herrschaftsvorstellung an, wonach der Monarch und seine Familie (Prinzip der Erblegitimität) als sakral legitimierte Herrscher kraft unmittelbarer göttlicher Einsetzung oder als Gesalbte Gottes auftraten und ihre Herrschaft den allmächtigen göttlichen Willen repräsentierte. So sehr diese Legitimationsidee von der Glaubensspaltung und den daraus resultierenden Kriegen zunächst erschüttert worden war, um dann ideengeschichtlich von der säkularen und rationalen Vertragstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts und der Revolution tatsächlich überholt zu werden, Napoleon hatte sie mit der Wiedererrichtung des monarchischen Regiments durch die Empire-Verfassung von 1804 und mehr noch der Kaiserkrönung von NotreDame am 2. Dezember 1804 zur Renaissance in Frankreich gebracht. Dies war nicht ganz ohne Widerstände und politische Vorbereitung abgelaufen. Für die noch vom Geist der Revolution durchdrungenen politischen Kräfte Frankreichs war der Gedanke an die Anrufung eines Herrschaftsrechts von Gottes Gnaden höchst anstößig gewesen, gleichermaßen das Prinzip der Erblegitimität, dessen Akzeptanz allerdings wesentlich durch die Kinderlosigkeit Napoleons zum Zeitpunkt der Verfassungsgebung und vor allem das damit korrelierende verfassungsmäßige Adoptionsrecht Napoleons erleichtert wurde.203 Auch in Westfalen – dort natürlich ohne jegliche Widerstände – wurde das Prinzip der Erblegitimität in Art. 6 der Verfassung nach dem Recht der männlichen Primogenitur in der Linie Jéromes eingeführt. Freilich konnte sich die napoleonische Herrschaftslegitimität in Frankreich nicht allein auf die Ableitung aus der (längst) überholten Vorstellung vom Gottesgnadentum beschränken. Angesichts des persönlichen Werdegangs Napoleons wäre dies nicht zuletzt im Hinblick auf die Erblegitimität auch schwerlich denkbar gewesen. Schließlich hätte sich ein ausschließlicher Verweis auf eine Legitimationsidee, deren Träger in der Revolution buchstäblich guilliotiniert worden waren, nicht mehr überzeugend in die geschichtliche Logik seit 1789 eingefügt. Politische Herrschaft in Frankreich, auch die Napoleons, konnte hinter das Prinzip ihrer Begründungsbedürftigkeit durch die Verfassung bzw. das Volk offiziell nicht mehr vollständig zurückfallen (und ist es – jedenfalls formal – bis auf die kurze restaurative Episode von 1815 – 1830 auch nicht mehr). So enthielt das offizielle Herrschaftsverständnis Napoleons immer den Verweis „par . . . les Constitutions“, der sich auf die französischen Konsulats- und Empireverfassungen von 1799, 1802 und 1804 bezog. Damit war nicht nur offiziell der Idee der herrschaftslegitimierenden Funktion der modernen Verfassung der legitimatorische Tribut gezollt, sondern zugleich, der Doktrin der Volkssouveränität folgend, der französischen Nation, hatte diese ja 30. März 1806 von Napoleon erlassenen Familienstatuten zurück, näher dazu: F. Ponteil, Napoléon Ier et l’organisation autoritaire de la France, Paris 1956, S. 123 f. 203 Zum Ganzen J. Tulard, Napoleon, S. 190 ff.; das Adoptionsrecht Napoleons bzw. die Herrschaftsnachfolge eines Adoptivsohns war allerdings im Fall einer männlichen Genitur subsidiär, siehe Art. 4 der Empire-Verfassung, in: J. Godechot (Hrsg.), Les Constitutions, S. 185.

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen

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ihre entsprechende Willensäußerung im Wege der jeweils abgehaltenen Plebiszite als damit (formal) anerkannter pouvoir constituant betätigt.204 Speiste sich die Legitimität des Empereur des Francais dem offiziellen Selbstverständnis zufolge in Frankreich gleichermaßen aus quasi nebeneinander entspringenden traditionalen und revolutionären Legitimationsquellen, so war damit allerdings seine Subjektstellung als legitimer Verfassungsgeber in den Napoleoniden aus Sicht der verfassungsstaatlichen Legitimitätstheorie noch nicht vollständig geklärt. Schließlich konnte eine Berufung auf die französischen Verfassungen von 1799 – 1804 und die plebiszitäre Absegnung dieser durch die französische Nation für die deutschen rechtsrheinischen Territorien ernstlich kaum in Betracht kommen (und ist auch in offiziellen Stellungnahmen nicht vorgenommen worden). Weil dies wohl auch von den Verfassungsredakteuren und den leitenden Beamten so gesehen wurde, fehlte konsequenterweise bei der westfälischen Eingangsformel ebenso wie den Promulgationsformeln für napoleonische Rechtsakte im Großherzogtum Berg ab 1809 auch der Zusatz „de la République“ hinter den „Constitutions“.205 Soweit allerdings die Stellung Napoleons auf das Herrschaftsrecht von Gottes Gnaden zurückgeführt wurde, galt diese Legitimationsvermittlung natürlich gleichermaßen (und erst recht206) für die außerhalb des Empire gelegenen Territorien und Völker. Deutlich wurde dies schon daran, dass auch Jérome und Murat (ihre von Napoleon „übertragene“) sowie Dalberg (seine formal originäre) Herrschaftsstellung in der Promulgationsformel auf das Gottesgnadentum zurückführten.207 Allerdings beschränkte sich Napoleon für Herrschaftsakte in den unterworfenen Territorien nicht allein auf das sakrale Legitimationsmuster. Die Präambel der westfälischen Verfassung erhellt beispielhaft, dass er häufig zugleich auch quasivölkerrechtliche Legitimationselemente heranzog, so im Falle Westfalens seine 204 Die Tradition der Plebiszite ging auf die schon über die revolutionären Verfassungen von 1793 und 1795 abgehaltenen Abstimmungen zurück, wurde nun allerdings in qualitativ neuer Form fortgesetzt, um quasi akklamationsartig die Zustimmung des Volkes einzuholen, vgl. dazu J. Tulard, Napoloen, S. 133 ff., 176 f., 182, 192. 205 In Westfalen konnte der Verweis auf die „Constitutions“ so nur (deklaratorisch) auf die Stellung Napoleons als französischer Empereur des Francais bzw. die Jéromes als Prince francais bezogen sein; in Berg wurde sogar der ganze Verweis auf die „Constitutions“ später weggelassen, vgl. z. B. verschiedene bergische Dekrete in: Regierungsakten Berg, S. 184, 271, 468. 206 Das Gottesgnadentum und noch mehr das damit verbundene Prinzip der Erblegitimität garantierten schließlich für die anderen Fürstenhäuser der Rheinbundstaaten die Beibehaltung der bisherigen geistigen Legitimationsgrundlagen ihrer Herrschaft (und damit ihre Unabhängigkeit vom gesellschaftlichen Konsens). Dies erhöhte in einem sehr sensiblen Punkt die Attraktivität des napoleonischen Herrschaftsmodells im Sinne der Modellstaatspolitik, vgl. D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 60. 207 Für Jérome siehe Fn. 201; für Murat vgl. beispielsweise Entwurf des Dekrets zur Aufhebung der Leibeigenschaft, in: Regierungsakten Berg, S. 54; für Dalberg sowohl im Hinblick auf die Promulgation der Verfassung von 1810 wie die aller anderen Rechtsakte, vgl. in: Regierungsakten Frankfurt, S. 106 u. z. B. S. 147.

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

Stellung als Rheinbund-Protecteur und vor allem als Vollzieher des Friedens von Tilsit (dort: Bestimmungen zur Staatsgründung Westfalens etc.). Napoleon als Vollstrecker des europäischen Völkerrechts, diese Rolle bzw. dieses amtliche Legitimationsverständnis taucht ab 1807 häufig auf. Zum Ausdruck kommt es verstärkt in der bunten Nennung anderer europäischer Herrschaftstitel und staatenbündischer oder übernationaler Positionen in den Eingangs- und Promulgationsformeln (etwa „Roi d’Italie“, „Grand-Duc de Berg“ und neben der Stellung des Rheinbund-Protecteurs beispielsweise die ab 1810 regelmäßig auftauchende Nennung seiner Stellung als „Médiateur“ des Schweizerbundes208).

2. Tragfähigkeit der Legitimitätsbegründung Die Heranziehung eines solchen, in sich widersprüchlichen Konglomerats von Legitimationsquellen – Gottesgnadentum, Verfassungen, Plebiszite, Völkerrecht – stellt ein Unikum der europäischen Verfassungsgeschichte dar. Es war Ausdruck eines Versuchs, die noch vorhandenen traditionalen wie die modernen Legitimationsvorstellungen der Epoche zu bedienen und reagierte auf eine Situation, in der mit der Revolutionsentwicklung seit 1789 eine überzeugende Legitimitätsbegründung zum zentralen Kriterium der Akzeptanz von politischer Herrschaft im Bewusstsein der Herrschaftsunterworfenen geworden zu sein schien. Überzeugende tragfähige Legitimität im Sinne der am Verfassungsstaat der Neuzeit orientierten juristischen Legitimitätstheorie vermochten die einzelnen Elemente das napoleonischen Modells jedoch letztlich nicht zu begründen: O. Brunner und E.-W. Böckenförde haben darauf hingewiesen, dass die religiös-sakrale Legitimitätsvorstellung schon mit der Entwicklung zum säkularen und rationalen Staat ihren Sinn als geistige Grundlage politischer Herrschaft nicht mehr entfalten konnte und als Legitimitätsbegründung politisch-rechtlicher Herrschaft nicht mehr ernstlich nachvollziehbar war.209 Dies galt nicht nur für die Heranziehung des Gottesgnadentums zur Begründung des monarchischen Prinzips in der deutschen Verfassungsentwicklung des 19. Jahrhunderts, sondern erst recht für Frankreich, wo der Untergang des göttlichen Herrschaftsrechts ja spätestens mit der Hinrichtung Ludwig XVI. augenfällig geworden war, und ebenso für die vom revolutionären und napoleonischen Frankreich geschöpften politischen Ordnungen in Europa. Napoleon hat die Wiederbelebung des Herrschaftsrechts von Gottes Gnaden (zunächst) auch eher zurückhaltend betrieben. Im Zusammenhang der Errichtung des Kaisertums bildete sie nur einen Annex zum Hauptvorgang, der Errichtung eines monarchischen Regiments als einer Organisationsnotwendigkeit zur dauerhaften Festigung seiner Macht. Das Kaisertum war eine durch die Macht der Umstände 208 Vgl. beispielhaft verschiedene Dekrete Napoleons in Berg, in: Regierungsakten Berg, S. 271 u. 468. 209 O. Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, S. 160 ff.; E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 300 f.

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen

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von 1799 – 1804 entstandene Tatsache, die – einmal in der Welt – ihrerseits zur Herrschaftsstabilisierung ergänzend auf die überkommene Legitimationsquelle zurückgriff, welche im Bewusstsein der Bevölkerung seit Jahrhunderten mit der Regierungsform der Herrschaft eines Einzelnen verbunden war. Anders gewendet: Weil und nachdem Napoleon zum Monarchen geworden war, griff er auch zum religiösen Legitimationsmuster, die Konstituierung des Kaisertums als solche entsprang diesem (auch offiziell) nicht. Augenfällig manifestierte sich dies im Umstand, dass Napoleon sich in Paris (nicht Rom, Aachen oder Reims) zwar vom Papst salben ließ, sich jedoch selber krönte, vor allem aber nach erfolgter Krönung noch in der gleichen Zeremonie unter Abwesenheit des Papstes den Eid auf die Errungenschaften der Revolution (Gleichheit vor dem Gesetz, bürgerliche und politische Freiheiten etc.) leistete.210 Hierdurch bestätigte das Kaisertum sein von der traditionellen Monarchie des Ancien Régime verschiedenes offizielles Selbstverständnis, das insofern fortschrittlicher war als das vieler späterer deutscher Monarchen des 19. Jahrhunderts. Tragfähige Legitimitätsbegründung im Lichte der modernen, juristischen Legitimitätstheorie vermochte jedoch auch das demokratische Element des napoleonischen Modells nicht nachhaltig zu leisten. Eine Einholung demokratischer Legitimität im Sinne einer Verfassungsgebung nach dem Prinzip der Volkssouveränität war mit der Einholung der plebiszitären Voten der französischen Nation für die Verfassungen von 1799 – 1815 nur höchst unvollständig erfolgt. Echte demokratische Legitimität hätte vorausgesetzt, dass der Verfassungsentwurf durch eine gewählte verfassungsgebende Versammlung hervorgebracht worden wäre oder jedenfalls der vom Volk bestätigte Entwurf seinerseits den Gedanken, dass alle Staatsgewalt in irgendeiner Form vom Volke ausgeht, materiell verwirklicht hätte.211 Die französischen Verfassungen von 1799 – 1815 ermangelten sämtlich dieser Qualität und missbrauchten zum Teil die Idee demokratischer Legitimation. Die Plebiszite von 1802 und 1804 waren letztlich weniger Plebiszite über die Form politischrechtlicher Ordnung als vielmehr über die Person Napoleons. Die Abstimmung von 1799 – wie die übrigen unter zweifelhaften Verhältnissen abgehalten – kam eher einer plebiszitären Bestätigung des Staatsstreichs vom 18. Brumaire 1799, gleich, bei dem das Volk ja gar nicht beteiligt war, und sollte die zunächst gegebene Illegalität beseitigen.212 Jedoch weist die plebiszitäre Legitimationskomponente von allen Legitimationsansätzen das höchste Maß an Tragfähigkeit auf. So zweifelhaft und unvollständig die Plebiszite waren, sie zeugten doch von der EinVgl. bei J. Tulard, Napoleon, S. 192 f. Vgl. bei H. Hofmann, Das Problem der cäsaristischen Legitimität im Bismarckreich, in: K. Hammer / P. C. Hartmann (Hrsg.), Le Bonapartisme, (Beihefte der Francia Bd. 6), München 1977, S. 77 ff.; siehe auch C. Schmitt, Verfassungslehre, S. 85 ff. u. K. v. Beyme, Die verfassunggebende Gewalt des Volkes – Demokratische Doktrin und politische Wirklichkeit, Tübingen 1968, S. 32 ff. 212 Dazu C. Langlois, Le plébiscite de l‘an VIII, in: Annales historiques de la Révolution francaise 44 (1972), S. 43 ff., 231 ff., 390 ff. 210 211

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

sicht in die Unmöglichkeit, Herrschaft dauerhaft und tragfähig ohne Rückkopplung an den geäußerten Willen der Herrschaftsunterworfenen zu etablieren. Korrespondenz wie offizielle Selbstaussagen und Verlautbarungen Napoleons lassen den hohen und prioritären Stellenwert der plebiszitären Herrschaftsableitung kontinuierlich bis zum endgültigen Ende seiner Herrschaft erkennen.213 Darin lag im Vergleich zum offiziellen, rein auf das Gottesgnadentum bezogenen Legitimationsverständnis deutscher Monarchen im 19. Jahrhundert – man denke an die Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. oder die späten religiös-sakralen Begründungsversuche Treitschkes und Stahls – immerhin ein erheblicher verfassungsgeschichtlicher Fortschritt. Für die Geltungsbegründung der napoleonischen Herrschaft in den Napoleoniden ergibt sich kein wesentlich verschiedenes Bild. Der demokratisch-plebiszitäre Legitimationsansatz bezog sich ohnehin nur auf die Herrschaft in Frankreich und konnte auf die eroberten Territorien nicht übertragen werden. Das napoleonische und dalbergsche Gottesgnadentum entbehrte nachhaltiger Tragfähigkeit aus den gleichen Gründen wie in Frankreich und im späteren Deutschland. Freilich ist dies den Zeitgenossen in den Napoleoniden noch nicht voll bewusst gewesen, ja vielleicht sogar häufig ganz verborgen geblieben, waren doch dort, wo ja die Revolution wie in Frankreich noch gar nicht stattgefunden hatte, der Abbau und die fortschreitende Aufzehrung monarchischer Legitimationsmodelle durch die Prinzipien demokratischer Legitimität noch viel weniger fortgeschritten und hatten noch gar nicht recht begonnen, wenn sie auch hier natürlich schon im Vernunftrecht geistesgeschichtlich vorbereitet worden waren. Auch die napoleonische Berufung auf eine völkerrechtliche Stellung und Vollzugsaufgabe konnte keine tragfähige Herrschaftslegitimität vermitteln. Der Friede von Tilsit, angerufen von Napoleon in der westfälischen Präambel, vermochte als völkerrechtlicher Friedensvertrag, der ja völlig ohne Beteiligung der Herrschaftsunterworfenen geschlossen wurde, der napoleonischen Herrschaft in Westfalen ebenso wenig Legitimität zu verleihen wie die Stellung Napoleons als Protecteur des Rheinbundes in Berg. So blieben die Begründungsansätze der napoleonischen Herrschaft letztlich bloße politische Versuche. Ein stimmiges und tragfähiges Legitimitätskonzept lag ihnen nicht zugrunde. Die eigentliche Funktion des napoleonischen Legitimationsmodells – in Frankreich wie in den Napoleoniden – war die der Verhüllung der realen Machtgrundlagen. Letztlich war dies unbefangener politischer und juristischer Pragmatismus. Gleich einem Steinbruch nutzte Napoleon die verfügbaren traditionalen und modernen Legitimationselemente, um mit ihnen seiner „modern[en], revolutionär[en] und traditionslos[en]“214 Herrschaft eine verträgliche Fas213 Eindrucksvoll in diesem Zusammenhang etwa die Berufung auf die plebiszitäre Grundlage durch Napoleon in einem Aufruf an die Armee nach der Rückkehr von Elba im Meerbusen von Jouan am 1. März 1815: „. . . Euer General, der durch die Stimme des Volkes auf den Thron berufen . . . worden ist“, abgedruckt in: H. Landsberg (Hrsg.), Napoleon-Briefe, 4. Aufl., Berlin 1908, S. 434, 435.

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen

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sade zu verleihen; einer Herrschaft, die sich real auf den Erwerb überlegener militärischer Macht, die strikte Kontrolle der politischen Öffentlichkeit, die dynamische Potenz der französischen Nation, das Recht des Eroberers sowie nicht zuletzt auf das politische Genie und das persönliche Charisma des Empereurs gründete.

3. Cäsaristische Legitimität / „Verfassungscäsarismus“? Die Herrschaft Napoleons gibt Anlass über das oben angelegte klassische Muster der Legitimitätsbegründung hinaus zu blicken. Das offizielle Legitimitätsverständnis der napoleonischen Herrschaft, oder anders gefasst: die Geltungsbegründung seiner Herrschaft (in Frankreich wie in den Napoleoniden) wäre nur unvollständig erfasst, beließe man es allein bei der (eher statischen) Untersuchung auf ihre Übereinstimmung mit den Prinzipien einer politischen Philosophie (monarchische Herrschaft von Gottes Gnaden oder die Lehre von der Volkssouveränität), festgemacht an den jeweiligen Akten der Verfassungsgebung. Eine (dynamische) Modifizierung und Öffnung der klassischen Legitimitätskategorie hin zu anderen Begründungsgesichtspunkten (Zeit, Geschichte, Integrationskraft oder Leistung von Herrschaft) ist in der verfassungsgeschichtlichen Forschung freilich nicht neu. So hat etwa E. R. Huber der Reichsverfassung von 1871 ein gutes Stück nationalstaatlicher Legitimität zugeschrieben215, H. Hofmann hat in ähnlichem Zusammenhang die Problematik cäsaristischer Legitimität im Bismarckreich untersucht216 und E.-W. Böckenförde die Frage nach einer Legitimität aus geschichtlicher Kontinuität für die deutsche konstitutionelle Monarchie des 19. Jahrhunderts aufgeworfen und verneint.217 Schon vor dem Auftreten Napoleons sind Ansätze des Typs einer cäsaristischen Monarchie noch im Ancien Régime in Frankreich und auch in Deutschland – wenn auch noch mythisch und diffus – als Geschichtsbild längst vorgeformt. M. Stürmer hat diesen Beginn der Cäsarismusidee in der Zeit der Vor-Revolution verortet und beispielhaft skizziert.218 Die Vorstellung von der cäsaristischen Ein-Mann-Herrschaft kommt auf, als der Zerfall der europäischen Gesellschaften des Ancien Régime das Chaos, den drohenden Bürgerkrieg ankündigt. Ihr Ort ist die Sattelzeit, zwischen ins Wanken geratender traditional-feudaler Agrargesellschaft und am Horizont aufziehender industrieller Klassengesellschaft, inmitten von Staatszerfall, 214 R. Nürnberger, Das Zeitalter der französischen Revolution und Napoleons, in: G. Mann (Hrsg.), Propyläen Weltgeschichte, Bd. 8, Frankfurt am Main / Berlin 1986, S. 59, 118. 215 E. R. Huber, Bismarcksche Reichsverfassung, S. 164, 176. 216 H. Hofmann, Problem der cäsaristischen Legitimität, S. 77 ff. 217 E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 203 f. 218 Hier und zum Folgenden M. Stürmer, Krise, Konflikt, Entscheidung, Die Suche nach dem neuen Cäsar als europäisches Verfassungsproblem, in: K. Hammer / P. C. Hartmann (Hrsg.), Le Bonapartisme, (Beihefte der Francia Bd. 6), München 1977, S. 102 ff.

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

Legitimationskrise der alten Herrschaftsordnungen, ihrer chronischen Finanznot und dem lauter werdenden Ruf des Bürgertums nach einem allgemeinen Begriff freier und gleicher Untertanen. Cäsarismus ist dabei eine säkulare Frucht des Rationalismus, weist er doch über die abgewirtschaftete und legitimatorisch längst ausgehöhlte Traditionsmonarchie hinaus. Die Figur des Retters, der – schon bei T. Hobbes vorgeformt – zwischen die alte, in der Krise stehende Gesellschaft und den Bürgerkrieg tritt, ist dann spätestens mit der einsetzenden Revolution und mehr noch ihrer allmählichen Erschöpfung in Frankreich zur allgemeinen Erwartung geworden – man denke an die berühmte Vorhersage E. Burkes, dass am Ende der Revolution ein General komme, der die uneingeschränkte Macht an sich reißen würde.219 Dass der Cäsar für seine Herrschaft auf den ständigen Appell an die Massen zurückgreifen würde müssen, war spätestens mit deren politischer (jakobinischer) Mobilisierung und mit der Entstehung der breiten politischen Öffentlichkeit im revolutionären Frankreich zwingend vorgegeben. Die plebiszitäre Ersatzmonarchie Napoleons in Frankreich ist die erste politischrechtliche Verdichtung cäsaristischer Herrschaftsvorstellungen. Im Bewusstsein der Öffentlichkeit umgibt ihn der Kult des militärischen Erfolgs, des charismatischen Retters der Revolution, der diese aber zugleich beendet220 und die Dämonen des Bürgerkrieges vertreibt. Seine Antwort auf die Moderne ist somit doppelpolig, revolutionär und konservativ zugleich, Freiheit und Ordnung haben in ihm zur Synthese gefunden.221 Er erzeugt das Sendungsbewusstsein, aus dem die französischen Armeen und von ihm eingesetzte Herrschereliten in Europa ihre Kraft zehren. Das öffentliche Bild, welches er mit allen Mitteln der Propaganda generiert, kultiviert den Cäsar-Mythos: der siegreiche Feldherr und Heerkaiser, Imperatorengesten, neo-klassizistische Architektur, Rhetorik und Symbolik, allem voran die Selbstkrönung mit dem Lorbeerkranz.222 Zugleich wird er zum Inbegriff moderner wohlfahrtsstiftender Rationalität: er bringt die zentralistische Verwaltung zur Hochblüte, schafft die großen Codes, Straßenbau, Schulen etc.223 Dass diese Herrschaft soziologisch im Sinne Weberscher Herrschaftstypologie als charismatische Herrschaft kraft länger anhaltender Fügsamkeit und nicht geringer Akzeptanz der Herrschaftsunterworfenen224 eine gewisse Legitimität in sich trug, liegt auf der Hand. Geschichtliche Legitimität im Sinne einer Legitimität 219 E. Burke, Reflections on the Revolution in France, o.O. 1790, (Neudruck New York 1961), S. 236 f. 220 Vgl. die Proklamation der Konsuln vom 15. Dezember, abgedruckt in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard (Hrsg.), Constitutions, S. 119. 221 M. Stürmer, Krise, Konflikt, Entscheidung, S. 102, 107. 222 Eingehend: R. Holtman, Napoleonic Propaganda, Baton Rouge 1950; vgl. auch J. Tulard, Aux Origines du Bonapartisme: Le culte de Napoléon, in: in: K. Hammer / P. C. Hartmann (Hrsg.), Le Bonapartisme, (Beihefte der Francia Bd. 6), München 1977, S. 5 ff. 223 Vgl. R. Nürnberger, Das Zeitalter Napoloens, S. 118 ff. 224 Vgl. M. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriß der verstehenden Soziologie, Köln / Berlin 1964, Bd. 1 S. 97 ff. und Bd. 2 S. 832 ff.

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen

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kraft historischer Kontinuität, wie sie etwa für die englische Verfassungsgeschichte kennzeichnend ist225, konnte die napoleonische Herrschaft sicher nicht beanspruchen. Wenn man allerdings – mit H. Hofmann (zu sprechen) – Legitimität als Bewährung eines Geltungsanspruchs im Sinne eines Ergebnisses dauernder Rechtfertigung im politischen Prozess versteht226, gewinnen die cäsaristischen Legitimationselemente der napoleonischen Herrschaft zunächst stärkere Bedeutung. Wobei nach Zeit und Ort unterschieden werden muss. Der Geltungsanspruch der napoleonischen Verfassungen in Frankreich stützte sich gerade in ihrer ersten Phase auf die cäsaristische Legierung von Tradition und Revolution. Der Cäsarismus umklammerte gewissermaßen die Anrufung des Gottesgnadentum wie die Berufung auf das plebiszitäre Votum des Volkes. Napoleons Herrschaft verstand und rechtfertigte sich als eine Art Wohlfahrts- und Fortschrittsdiktatur, die die revolutionären Errungenschaften der bürgerlichen Gesellschaft sicherte und zugleich als autoritäre Herrschaft eines Einzelnen die politischen Sprengsätze der Revolution entschärfte und den Bürgerkrieg verhinderte.227 Das hier erkennbare funktionale Element der cäsaristischen Legitimätsbegründung weist – bei allen Unterschieden – manche Ähnlichkeit auf mit den funktionalen Begründungsversuchen späterer Theorien von Lorenz v. Stein und Benjamin Constant, bei denen zentral auf die politische Funktion des Königs im Rahmen der Aufgaben und Organisationsprobleme staatlicher Ordnungen (und nicht mehr auf seine sakrale Herleitung) abgehoben wurde. In der Tat bewährte sich dieser funktionale, cäsaristische Geltungsanspruch in der ersten Phase napoleonischer Herrschaftskonsolidierung bis zur Kaiserkrönung. Jedoch blieb dies nur Episode. Der „gekrönte Washington“228 erwies sich als zu konservativ in seinen langfristigen Zielen.229 Die mit der Gründung des Empire eingeleitete Rearistokratisierung, das Nachlassen revolutionärer Herrschaftselemente und ihre zunehmende Ersetzung durch die alten Formen des Ancien Régime, insbesondere der Aufbau einer neuen ungleichen Adelselite ließen den ursprünglich cäsaristischen Geltungsanspruch rasch verblassen und waren mehr als nur ein Stilbruch.230 So konnte die cäsaristische Legitimitätsvorstellung dauerhaft keine geistig-geschichtliche Kraft entfalten, ist auch von Napoleon später nur noch mit nachlassender Intensität verfolgt worden. Auch an anderem Ort, in den Napoleoniden, vermochte die cäsaristische Herrschaftsbegründung keine nachhaltige Legitimität zu erzeugen. Allerdings speiste sich auch hier – vor allem in Berg und Westfalen – das Selbstverständnis der napo225

Dazu grundlegend W. I. Jennings, Der Übergang von Geschichte in Gesetz, Opladen

1966. H. Hofmann, Problem der cäsaristischen Legitimität, S. 77, 98. J. Tulard, Napoloen, S. 191 ff. 228 Ders., ebd., S. 176. 229 Vgl. M. Stürmer, Krise, Konflikt, Entscheidung, S. 102, 107. 230 Dazu ders., ebd., S. 185 ff. 342 ff. u. F. Ponteil, Napoleon Ier, S. 117 ff.; zum Aufbau der neuen Adelselite siehe insb. J. Tulard, Frankreich im Zeitalter der Revolutionen, 1789 – 1851, (Geschichte Frankreichs hrsgg. von J. Favier, Bd. 4), Stuttgart 1989, S. 256 ff. 226 227

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2. Kap.: Genese der napoleonischen Verfassungen

leonischen Herrschaft zunächst aus einer revolutionär-konservativ doppelpoligen Rolle, die dem Typus der Cäsarenrolle nicht unähnlich war und diese nun auf einer anderen Ebene modifizierte. Die politisch-rechtliche Ordnung in den Napoleoniden übertrug ja erst die revolutionären Errungenschaften der Freiheit und Gleichheit auf die neuen Territorien und betrieb dort die Revolution von oben mit mitunter erstaunlichem Sendungsbewusstsein. Der Geltungsanspruch der implementierten Ordnungen stützte sich hier – wo sozialgeschichtlich noch völlig andere Voraussetzungen herrschten – nicht auf die Rettung der Revolution vor dem Bürgerkrieg als vielmehr die Aufgabe ihrer Durchführung in nunmehr domestizierter – nämlich verfassungsmäßiger – Form, um die Gesellschaften in den eroberten Territorien aus der alten ungleichen Feudalordnung hinaus zu neuem Glück und Wohlfahrt zu führen. Dies war ein Stück funktionaler Cäsarismus auf einer anderen historischen, nämlich sozialgeschichtlich rückständigen Ebene. Auch propagandistisch entfaltete sich in Deutschland ein regelrechter Napoleon-Kult, dem sich bisweilen selbst seine Gegner nicht zu entziehen vermochten. Hinzu trat ein weiteres cäsaristisches Moment: Sowohl in Berg wie in Westfalen (und auf lange Sicht in der Nachfolge Dalbergs auch in Frankfurt) war der Verfassungsgeber Napoleon auch im jeweiligen Verfassungsgefüge allgegenwärtig. Seine Präsenz hatte sich – etwa was Westfalen betrifft – nicht im Akt der Verfassungsgebung erschöpft. Die im Art. 7 der westfälischen Verfassung festgehaltene Unterstellung Jéromes unter die kaiserlichen Familenstatuten stellte verfassungsrechtlich die jederzeit aktualisierbare Letztentscheidungsbefugnis des ansonsten extra-konstitutionellen Napoleon sicher. Diese einmalige Konstruktion, die sich in allen von Napoleon errichteten Verfassungsordnungen Europas wiederfand, verlängerte mittels der FamilienStatuten von 1806231 gleichsam den Herrschaftsanspruch des an sich außerhalb der Staatlichkeit stehenden französischen Empereurs in den verfassten Zustand und bildete damit das politisch ohnehin bestehende Abhängigkeitsverhältnis auch verfassungsrechtlich ab.232 Napoleon war auch in den Napoleoniden die verfassungsrechtliche Hauptfigur, seine Ingerenz jederzeit juristisch gewährleistet. Die Verfassungen sind es daher, die mehr noch als die allgemeine Propaganda den spezifischen cäsarenähnlichen Geltungsanspruch in den Napoleoniden reflektieren. Sie sind Mittel zur Revolutionslenkung von oben und sichern dem „Cäsar“ die Macht in seinen europäischen Satelliten. Letztlich war dies „Verfassungscäsarismus“. Freilich konnte diese Variante eines europäischen „Verfassungs-Cäsars“ letztlich keine ausreichende Legitimität gewinnen. Zu kurz war die Bewährungszeit dieses 231 In den Familien-Statuten war Napoleons Recht der Oberaufsicht in allen persönlichen und politischen Dingen, das der Polizei und Disziplin über sämtliche Familienmitglieder normiert, vgl. Art. 1,8, 12, 31 f., 36 ff. des Statuts, abgedruckt in F. Saalfeld (Hrsg.), Receuil historique des lois fondamentales et des réglements généraux d’administration, publiés en France depuis la révolution jusqu‘à présent, Göttingen 1809 / 1810, Bd. 1, S. 399 f. 232 Für Westfalen und als Einziger in dieser Deutlichkeit hat dies schon F. Saalfeld so gesehen, vgl. in ders., Handbuch des Staatsrechts, S. 2 (§ 4), der das kaiserliche Familienstatut daher zu den Rechtsquellen des westfälischen Staatsrechts zählt, vgl. auch S. 32 (§ 28).

IV. Das Legitimitätsmodell napoleonischer Verfassungen

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Geltungsanspruchs und zu sehr wurde er auch hier durch die reaktionären Züge der implementierten Rechtsordnung relativiert und den ausbeuterischen Charakter der Herrschaft konterkariert. Daher fehlte einer nachhaltigen und wirksamen cäsaristischen Legitimitätsbegründung in den Napoleoniden die Frankreich vergleichbare Tiefe des freiheitlichen Revolutionserlebnisses und der Ablösung der Tradition. Die cäsaristische Geltungsbegründung der Herrschaft über eine Vielzahl von Völkern blieb letztlich zu inhaltsleer und erwies sich als Spekulation. In ihrer Inhaltslosigkeit paarte sie sich freilich mit der religiös-sakralen Legitimitätsbegründung des monarchischen Prinzips, wie sie für den deutschen Typ der konstitutionellen Monarchie im 19. Jahrhundert lange kennzeichnend wurde. Auf ein eigenes politisches Formprinzip ließen sich beide Verfassungsgebilde nicht zurückführen.233

233 Für den deutschen Typ der konstitutionellen Monarchie so E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 291 ff.; zur diesbezüglichen Kontroverse vgl. die Nachweise in Fn. 129.

6 Hecker

3. Kapitel

Staatsbürgerliche Gleichheit und Freiheit der Person – der individualrechtliche Gehalt der napoleonischen Verfassungen I. Überblick Ein „Revolutionssignal“ hat H. Hattenhauer die Gleichheits- und Freiheitsbestimmungen im vierten Titel der westfälischen Verfassung genannt und in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Rezeption des französischen Rechts in den französischen Rheinbundstaaten „die Verwirklichung des Gleichheitssatzes in einem bis dahin nie gekannten Ausmaß“ brachte und „Entsprechungen in Preußen oft erst in der Jahrhundertmitte als Folge der Märzrevolution möglich waren“.234 In der Tat zeugen die individualrechtlichen Gehalte der Bestimmungen des vierten Titels der westfälischen Verfassung, der diesen weitgehend nachgebildeten Art. 11 – 15 der Verfassung von Frankfurt sowie der entsprechenden Dekrete des Großherzogtums Berg von bemerkenswerter Fortschrittlichkeit. Die geringe Aufmerksamkeit, die ihnen seitens der verfassungshistorischen Forschung im Vergleich etwa zum regen Interesse an den Grundrechten des Frühkonstitutionalismus oder an den individualrechtlichen Wirkungen der preußischen Reformedikte entgegengebracht worden ist, überrascht, ging doch (teilweise) ihr Umfang und vor allem ihre anti-ständische Stoßkraft nicht unerheblich über das preußische Beispiel hinaus. Erstaunlich ist diese „stiefmütterliche“ Vernachlässigung nicht zuletzt deshalb, weil mit der westfälischen Verfassung von 1807 immerhin zum ersten Mal in Deutschland verfassungskräftig der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verkündet235, die Freiheit der Person weitgehend hergestellt und damit (nicht weniger als) wesentlichen Grundkoordinaten einer bürgerlichen Gesellschaftsordnung erstmals zum Durchbruch verholfen wurde. Begrifflich sind die Freiheits- und Gleichheitsgewährungen in den Napoleoniden als Grundrechte dem modernen Konstitutionalismus zuzuordnen. Dies gilt im WeH. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 133, 143, 150. Darauf ausdrücklich hinweisend O. Dann, Art. „Gleichheit“, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe (GG), Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 997, 1025. 234 235

I. Überblick

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sentlichen ungeachtet der Beschränkung ihres sachlichen Anwendungsbereiches auf die Herstellung von Rechtsgleichheit, Religionsfreiheit und (bürgerlicher) Freiheit der Person unter nahezu völliger Abwesenheit politischer Freiheiten. Ihrer Eigenart nach handelte es sich bei den napoleonischen Gewährungen nicht mehr um die Form überkommener Rechtsgewährung, sondern um eine neue Kategorie von Individualrechten, die bei aller Unvollkommenheit schon die wesentlichen Merkmale des in der Revolution siegreichen Grundrechtsbegriffs rezipierten.236 Ganz in der Tradition der französischen Grundrechtsentwicklung seit 1789 stehend, unterschieden sie sich von bis dahin rechtlich gesicherten Freiheiten kategorial durch ihre universale Geltung sowie ihre Befestigung durch Niederlegung in einer verfassungsrechtlichen Urkunde. Die Anknüpfung an die Rechtsstellung der natürlichen Person, genauer: an die aller Herrschaftsunterworfenen im Geltungsbereich der napoleonischen Verfassungen bzw. Dekrete, vollzog die Abkehr von der traditionellen Anknüpfung rechtlich gesicherter Freiheiten an einen spezifischen sozialen Status oder an eine bestimmte Korporations- oder Standeszugehörigkeit. Mit dieser universalen Geltung war erstmals die Anerkennung der allgemeinen Rechtssubjektivität des Einzelnen hervorgebracht. Die dadurch bewirkte Einebnung des Jahrtausende alten Systems partikularer, standes- bzw. privilegvermittelter ungleicher Rechtsträgerschaften und die darin liegende Herstellung von Rechtsgleichheit markierte den (revolutionären) Bruch mit allen Vorläufern rechtlicher Freiheitssicherung.237 Der Bruch bezog sich auch auf die Funktion rechtlicher Freiheitssicherung. Der absolute Fürstenstaat – auch der deutsche des späten 18. Jahrhunderts – hatte ausgehend von seinem wohlfahrtsstaatlichen Lenkungsanspruch Freiheitsgewährung immer nur funktional auf ein von ihm material vordefiniertes Gemeinwohlideal bezogen zugelassen (und dadurch punktuell begrenzt). Der den napoleonischen Verfassungen zugrunde liegende, aus der Revolution ererbte Freiheitsbegriff hatte demgegenüber – jedenfalls als theoretisches Grundmodell – jegliche Funktionsabhängigkeit abgestreift und war ein umfassend, auf allgemeine Freiheit an sich und als Selbstzweck bezogen worden.238 Dem stand auch nicht die wohlkalkulierte Begrenztheit des Umfangs der Freiheitsgewährung in den Napoleoniden entgegen. Zwar stellten die einzelnen Gewährungen gemessen an 1789 nur eine Schwundstufe dar, sie waren aber doch schon Konkretisierungen eines (theoretisch) allgemeinen Freiheitsprinzips individueller Selbstbestimmung, nicht aber lediglich punktuelle Gewährungen zur Erfüllung wohlfahrtsstaatlich vordefinierter „Glückseligkeit“. Begrifflich handelte es sich damit um Grundrechte und damit um Bestandteile eines Programms moderner Verfassungsstaatlichkeit. Ein236 In der hier verwandten Begrifflichkeit meint „Grundrechte“ die spezifische Form rechtlicher Freiheitssicherung, die erst mit den revolutionären Grundrechtskatalogen Amerikas und Frankreichs als Produkt der bürgerlichen Revolutionen hervorgebracht wurde und die kraft der wesentlichen Unterschiede zu allen vorherigen Formen rechtlicher Freiheitssicherung nicht – wie bisweilen vertreten – als Fortentwicklung dieser, sondern eben als neue Kategorie verstanden wird, vgl. dazu D. Grimm, Zukunft der Verfassung, S. 67. 237 Vgl. zum Ganzen ders., Zukunft der Verfassung, S. 67 f. 238 Ders., ebd., S. 69 f.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

mal schriftlich fixiert, setzten sie der staatlichen Herrschaftsgewalt insoweit zu beachtende Grenzen, als es dieser künftig verwehrt war, ihren Bestimmungsanspruch ohne Konformität mit den grund- und gleichheitsrechtlichen Garantien durchzusetzen. Darin liegt ihre Bedeutung im Kontext des modernen Konstitutionalismus. Im Folgenden werden zunächst Konzeption und Charakter der Grundrechtsgewährungen im Hinblick auf das angestrebte Sozialordnungsmodell in den Napoleoniden skizziert (unter II.). Danach werden ausgewählte einzelne Ausgestaltungen in den drei Staaten untersucht (unter III.). Die Beeinträchtigung des grundrechtlichen Programms insbesondere durch die Dotationspolitik Napoleons soll dabei ebenfalls ins Blickfeld genommen werden (unter IV.). Schließlich werden vergleichende Bezüge zu den frühen amerikanischen und französischen Revolutionsverfassungen, den preußischen Reformedikten sowie den frühkonstitutionellen Verfassungen hergestellt (unter V.).

II. Grundzüge von Konzeption und Funktion der Grundrechtsgewährungen in den Napoleoniden 1. Ausgangspunkt Die Grundrechtsgewährung in den Napoleoniden entsprang allerdings keinem ideellen Reformehrgeiz, der vom genuinen Willen zur Begünstigung des Einzelnen geleitet worden wäre. Ihre Durchführung hing aufs Engste zusammen mit Zweckmäßigkeitserwägungen im Rahmen der napoleonischen Hegemonialpolitik für das rechtsrheinische Deutschland. Zentrale Aufgabe dieser war die weitgehende (modellbildende) Assimilation der Gesellschaftsordnungen in den Napoleoniden an die nachrevolutionäre Sozialordnung Frankreichs, um damit die dreifache Zielsetzung der stabilitätssichernden Einheitsbildung im Grand Empire, der Erhöhung der (finanziellen, ökonomischen und militärischen) Ressourcenträchtigkeit der Staaten sowie der dauerhaften Akzeptanzsteigerung der französischen Herrschaft zu erreichen (s. o. unter 1. Kap. I.).239 Die Funktion der Grundrechtsgewährung in den Napoleoniden erschließt sich damit wesentlich vom Bezugspunkt des in Frankreich unter Napoleon verwirklichten und auch für die Napoleoniden angestrebten Sozialordnungsmodells. Dieses hatte seinen Ausdruck wesentlich im Code Napoléon gefunden.240 Mit dem Code 239 Beispielhaft herausgearbeitet bei E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 289 ff. 240 Der Code beruhte auf einem ersten Entwurf von Cambacérès von 1793 und war 1804 zunächst als „Code civil des Francais“ proklamiert worden, die Namensumstellung auf „Code Napoléon“ erfolgte 1807. Vgl. zur Entstehungsgeschichte und insgesamt zum Code F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, (2. Nachdruck der 2. Aufl. von 1967), Göttingen 1996, S. 339 ff.

II. Konzeption und Funktion der Grundrechtsgewährungen

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hatte Napoleon die mit der Revolution in Gang gesetzte Umstellung der Gesellschaftsordnung des Ancien Régime auf die Prinzipien von Freiheit und Gleichheit abgeschlossen und gesichert. Das bürgerliche Recht des Code bewahrte die gesellschaftlichen Freiheiten der Revolution: Die Freiheit der Person und des Eigentums, die ökonomische Betätigungsfreiheit, die Freiheit des Güterverkehrs, die Vertragsfreiheit, die Testierfreiheit, die Rechtsgleichheit, die Laizität des Staates, den zivilrechtlichen Vertragscharakter der Ehe etc. Der Code war das bürgerliche Gesetzbuch einer ständelos-egalitären Ordnung, sanktionierte das natürliche, absolute und individualistische Eigentumsrecht und war daher in erster Linie auf die nachrevolutionäre bürgerliche Erwerbs- und Eigentümergesellschaft Frankreichs zugeschnitten. In ihm war der gesellschaftliche Freiheitsgewinn der Bourgeoisie als des Hauptträgers der Revolution konsolidiert.241 Notwendig vorangegangen war der Einführung des Code freilich die Revolution an sich. Im Weltdokument der Déclaration von 1789 (und der nachfolgenden Gesetzgebung) hatte die Revolution das Ancien Régime gestürzt, die Privilegien und die Standeshierarchie beseitigt, insgesamt umfassend die überkommenen feudalgesellschaftlichen Strukturen politisch, ökonomisch, sozial (und letztlich auch physisch) außer Kraft gesetzt. Der Code zog daraus die Konsequenzen für das bürgerliche Recht. So unabdingbar zunächst die Unteilbarkeit politischer und gesellschaftlicher (bzw. privater) Freiheit sowie die politische Rechtsteilnahme des Citoyen basierend auf dem Gedankengut der Volkssouveränität für die Revolution gewesen waren, so wenig hatten sie die bis 1799 fortschwelende Revolution abzuschließen und die gesellschaftlichen Verhältnisse zu befrieden vermocht. Erst der Herrschaftsantritt Napoleons schien dies zu vollbringen, indem er den Verzicht auf die in den Revolutionsjahren nicht dauerhaft einzuhegende politische Freiheit geradezu als Vorbedingung der ungestörten Ausübung gesellschaftlicher Freiheit erscheinen ließ.242 Aus der Gewährleistung letzterer zog die napoleonische Herrschaft ihr anfänglich großes Maß an Attraktivität. Das allgemeine, umfassende Freiheitsprinzip der Revolution spaltete sich damit in eine im Code Napoléon fortbestehende privat-gesellschaftliche und eine nunmehr nahezu aufgehobene politische Freiheit auf. Die Revisibilität der politischen Freiheit kam augenfällig im Fehlen von Grundrechtsgewährungen in den Verfassungen von 1799, 1802 und 1804 zum Ausdruck.243 Grundrechtsausübung war beinahe jeglicher politischer Dimension und damit eben der potentiellen Sprengsätze für die politische Herrschaft Napoleons entkleidet. Gewonnen und gesichert war allerdings die sektorale 241 Vgl. zum Ganzen E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 9 ff. u. 36 ff.; siehe auch D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 57. 242 D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 57. 243 Die Konsulats- und Empireverfassungen besaßen keine Grundrechtskataloge mehr, was natürlich nicht bedeutete, dass die Prinzipien von bürgerlicher Freiheit und Gleichheit nicht mehr gegolten hätten. Der eigentliche Grund war die Absicht Napoleons, sich damit eben des potentiellen „Sprengstoffs“, den die Kataloge als politische Berufungsdokumente bargen, von vornherein zu entledigen, vgl. D. Grimm, Zukunft der Verfassung, S. 85.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Autonomie privatrechtlicher Freiheitsentfaltung gegenüber politischen Bestimmungsansprüchen. 2. Konzeption und Funktion der Gewährungen Dieser zweiphasige Ablauf der Individualrechtsentwicklung und das an seinem Ende stehende Modell der im Code festgeschriebenen egalitär-bürgerlichen Eigentümergesellschaft bilden Hintergrund und Muster der Grundrechtsgewährung in den Napoleoniden. Das eigentliche Exportprodukt der napoleonischen Herrschaft in Europa war die im Code verwirklichte Sozialordnung.244 Napoleon hat stets nicht weniger auf die Einführung des Code als auf die Einführung von Verfassungen gedrungen.245 Beides, sowohl die Grundrechtsgewährungen wie auch die Einführung des Code, waren ja beispielhaft in der westfälischen Verfassung festgeschrieben (Art. 10 – 16 bzw. Art. 45).246 Die Rolle der Grundrechtsgewährungen war auf die im Code verwirklichte Sozialordnung bezogen, eine vorbereitende, steuernde und absichernde. Da in Deutschland keine Revolution stattgefunden hatte, musste der Einführung des Code notwendig erst die Schaffung der strukturellen Voraussetzungen vorangehen bzw. diese die Einführung des Code begleiten. Darin bestand die vorbereitende Funktion der Grundrechtsgewährungen (hierin ähnlich derjenigen der Déclaration von 1789 in Frankreich). Sie bezogen sich negatorisch auf die ständisch-feudalen Ungleichheiten und Freiheitsbeschränkungen in den eroberten Territorien und machten damit den Weg frei für die im Code verwirklichte Gesellschaftsform: Beseitigung aller Formen personaler Abhängigkeit, Beseitigung der Privilegien von Adel und Klerus, Aufhebung von Steuerexemtionen, Abschaffung ungleichen Zugangs zu Ämtern, Abschaffung privilegierter Gerichtsstände, Beseitigung ständischer und korporativer Strukturen im Hinblick auf Erwerbstätigkeit und Berufswahl etc. Positiv hieß dies: (Bürgerliche) Freiheit der Person, Religionsfreiheit und Rechtsgleichheit. Hatte die Revolution 1789 sowohl politisch als auch sozial und gesellschaftlich 244 Die Rezeptionsgeschichte des CN im Rheinbunddeutschland ist grundlegend in den Arbeiten von E. Fehrenbach erschlossen worden, vgl. die Angaben in Fn. 21; siehe ebenso die Arbeit von W. Schubert (Fn. 22). 245 Dies gilt für nahezu alle Teile seines Herrschaftsbereiches, eindrucksvoll hervorgehend etwa aus einem Brief an seinen Bruder, den König von Neapel, vom 5. Juni 1806, abgedruckt in: Correspondance de Napoléon Ier, Bd. 12, S. 432 f. („. . . Voilà le grand avantage du Code civil . . . Il faut établir le Code civil . . .“); in Deutschland versuchte Napoleon die Rheinbundstaaten besonders in der Konferenz von Mailand im November 1807 zur Einführung des Codes zu bewegen, vgl. E. Fehrenbach, Kampf um die Einführung, S. 8 ff. u. R. Dufraisse, L‘Allemagne à l‘époque napoléonienne. Questions d‘histoire politique, économique et sociale, Bonn / Berlin 1992, S. 373. 246 Im Großherzogtum Frankfurt war die Einführung des Code Napoléon ohnehin schon vor der Verkündung der Verfassung beschlossen worden, vgl. Protokoll der Aschaffenburger Konferenz und Edikt zur Einführung des Code Napoléon im Primatialstaat vom 21. August 1809, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 50 ff.

II. Konzeption und Funktion der Grundrechtsgewährungen

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ihren Ausgang von unten genommen, wurde sie nunmehr in den deutschen Territorien von oben und nur noch als soziale und gesellschaftliche Revolution durchgeführt. Verkürzt ausgedrückt: Der vierte Titel der westfälischen Verfassung von 1807 (und die entsprechenden Bestimmungen in Frankfurt und Berg) war in etwa das, was von der Déclaration von 1789 nach Subtraktion aller politischen und demokratischen Inhalte und nach Ersetzung des naturrechtlich-vorstaatlichen Begründungsansatzes durch die Methode monarchischer Gewährung übrig blieb. Verfassungsgeschichtlich bedeutsam ist der Umstand, dass die Rechtsgewährungen in Westfalen und (mit Einschränkungen) in Frankfurt im Wege der Einführung einer formellen Verfassung erfolgten. Das Beispiel Bergs belegte allerdings, dass die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen rechtstechnisch auch ohne formelle Verfassungsverankerung durchführbar waren. Allerdings erhöhte die verfassungskräftige Einführung der grund- und gleichheitsrechtlichen Bestimmungen die oben beschriebene besondere (modell-)politische Werbekraft des Revolutionierungsprogramms. Vor allem aber reflektierte der Umstand der verfassungskräftigen Verankerung der Grundrechtsgewährungen (die ja im Übrigen auch in Berg lange angestrebt wurde, s. o. 2. Kap. II. 3.) den fortgeschrittenen Entwicklungsstand des französischen Verständnisses von Rechtsgestaltung und Verfassung. Mit der Verankerung in der Verfassung sprach es den Grundrechtsgewährungen eine über sonstige Normativakte hinausgehende höherrangige (Programm-)Qualität und Bindung zu, die eben nur in der Verfassung ihren Ausdruck finden konnte. Erst diese Qualität lässt die steuernde wie auch die absichernde Rolle der Gewährungen erkennen: Erstere verdeutlicht sich mit Blick auf den eigentlichen Adressaten der Bestimmungen, nämlich die jeweiligen Normgeber in Westfalen und Frankfurt. Die Gewährungen besaßen – darin gleich denjenigen der späteren deutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus und z.T. der Déclaration von 1789 – großenteils den Charakter von Handlungsaufträgen an die Staatsgewalt. Als Richtungsbegriffe für die Prozesse der Rechtsänderung und Gesellschaftsgestaltung (R. Wahl) war ihre Funktion nicht statisch auf die Absicherung eines vorhandenen Rechtsstatus der Individuen bezogen und die eines Abstinenzgebots, sondern zunächst einmal dynamisch auf die Errichtung und Ausgestaltung der freiheitlichen und gleichheitlichen Ordnung ausgerichtet. Die Gleichheits- und Freiheitsverbürgungen stellten gewissermaßen Zielvorgaben dar, enthielten ein an die staatlichen Gewalten adressiertes, bindendes Sozialprogramm des Abbaus ungleicher Rechtsverhältnisse, wenn auch über Art und Umfang der Bindung viel Unklarheit und Streit herrschen sollte. Um als derartige „Erfüllungsbegriffe“ eingelöst zu werden, bedurften sie meist erst der näheren legislatorischen Formulierung und administrativen Durchsetzung („Grundrechtsgeschichte als Gesetzgebungsgeschichte“).247 247 Vgl. zum Ganzen und besonders zur politischen Appellfunktion der frühen Grundrechte eingehend R. Wahl, Rechtliche Wirkungen und Funktionen der Grundrechte im deutschen Konstitutionalismus des 19. Jahrhunderts, in: E.-W. Böckenförde (Hrsg.), Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815 – 1914), 2. Aufl., Königstein im Taunus 1981, S. 346 ff., insb. S. 350 ff.; U. Scheuner, Begriff und rechtliche Tragweite der Grundrechte im

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Die immense Flut an Gesetzen und Verordnungen, die im Königreich Westfalen in den ersten Jahren nach der Verfassungsverkündung mit Reformeifer erlassen wurde, dokumentiert beispielhaft diesen Befund. Die absichernde Rolle der Gewährungen tritt dann hinzu: In dem Maße wie die Grundkoordinaten der bürgerlichen Freiheit und Rechtsgleichheit als oberste normative Steuerungsinhalte in der Verfassung niedergelegt waren und sich damit nach einmal erfolgter Reformgesetzgebung sichernd über die implementierte Ordnung legten, boten sie eine Garantie gegen etwaige Änderungen und Rückfälle. Damit konnten sie der geschaffenen bürgerlichen Rechtsordnung eine zusätzliche Gewähr dafür verleihen, dass die staatliche Gewalt sie nicht nur gegenüber Privaten durchsetzte, sondern auch selber respektierte. Die verfassungskräftige Absicherung sollte die Bestandskraft der Grundrechtsgewährungen erhöhen. Dass Napoleon diesen – die Staatsgewalt ja letztlich selbstbindenden – Mehrwert einer verfassungskräftigen Absicherung der Grundrechte zuließ, verdeutlicht die Fortschrittlichkeit der napoleonischen Verfassungen an zentraler Stelle. Letztlich war es natürlich Ausdruck der in Frankreich längst gewonnenen Einsicht, dass es hinter das avisierte Gesellschaftsmodell realistischerweise sowieso kein echtes Zurück mehr geben konnte. Das Beispiel Preußens zeigte als Gegenentwurf, dass die bürgerliche Freiheit dort, wo sie (eben) keine grundrechtliche Verfassungsabsicherung besaß, vom schwankenden Willen des Staates abhängig und insofern instabil war.248 Die erhöhte Direktions- und Bestandskraft der verfassungsverankerten Grundrechtsgewährungen machte sich in den Gesetzgebungsprozessen bemerkbar. In Westfalen etwa beriefen sich nicht wenige Rechtsakte im Vorspann auf die jeweiligen Rechtsgrundlagen in der Verfassung („. . . vu les articles . . .“).249 Dass dies Ausdruck echten konstitutionellen Herrschaftsverständnisses und nicht bloß deklaratorische Verhüllung war, belegen mehr noch die jeweiligen „Rapports“ der Minister und die Anhörungen des Staatsrats bei der Planung und Abfassung von Gesetzentwürfen und anderen Rechtsakten. Aus ihnen geht insgesamt ein nicht geringes Maß an Konstitutionalität bzw. konstitutioneller Rechtssetzungskultur hervor, die inhaltlich bisweilen intensiv um verfassungsrechtliche Interpretationsprobleme kreiste und Fragen nach Gehalt und Reichweite von Verfassungsartikeln zum Gegenstand hatte. Dies betraf alle Bereiche, solche der Ablösegesetzgebung wie solche der Kompatibilität von verfassungsrechtlichen Regelungsinhalten und Übergang von der Aufklärung zum 19. Jahrhundert, Beiheft 4 zu „Der Staat“, Berlin 1980, S. 105, 107 (siehe dort ab S. 111 auch verschiedene Diskussionsbeiträge) u. ders., Die Verwirklichung der bürgerlichen Gleichheit – Zur rechtlichen Bedeutung der Grundrechte in Deutschland zwischen 1780 und 1850, in: G. Birtsch (Hrsg.), Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte, Göttingen 1981, S. 376 ff. 248 Vgl. zum Ganzen D. Grimm, Zukunft der Verfassung, S. 93 ff. 249 Vgl. beispielhaft Vorspann der Dekrete zur Aufhebung der Leibeigenschaft (Art. 13) und zur bürgerlichen und religionsrechtlichen Gleichstellung der Juden (Art. 10, 15), in: Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 334, 358.

II. Konzeption und Funktion der Grundrechtsgewährungen

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den Bestimmungen des eingeführten Code Napoléon etc.250 Wohl nicht unwesentlich ging dies auf die französischen Akteure an der Staatsspitze zurück. Oftmals als herausragende Juristen in der Revolution und in den neuen staatlichen Institutionen Frankreichs aufgestiegen und von der modernen französischen Rechts- und Verfassungskultur geprägt, entsprang ihr Handeln einem selbstverständlich verfassungsorientierten Staatsrechtsverständnis, welches gegenüber demjenigen der Anfangszeit des süddeutschen Konstitutionalismus ab 1818 nicht selten reifer und entwickelter gewesen sein dürfte. Anders als den Grundrechtsgewährungen in Frankreich fehlte den Bestimmungen in Frankfurt und Westfalen freilich jedes sprachliche Pathos. Auch war in der verfassungstextlichen Ausgestaltung keine Abschnittsüberschrift enthalten, die etwa auf „Rechte und Pflichten der Untertanen“ oder ähnlich gelautet hätte. W. v. Rimscha hat daher behauptet, die westfälische Verfassung (gleiches gilt für Frankfurt) habe keinen Grundrechtskatalog gekannt.251 In der Sache trifft dies sicher nicht zu, textlich dagegen schon.252 Die spärliche textliche Gestaltung machte aber eines deutlich: Obwohl es sich in der Sache zweifelsohne um individualrechtliche Gewährungen handelte und handeln sollte, sollten die Gewährungen eher zurückhaltend, als allgemeine Prinzipien und Grundsätze an die Adresse der Staatsgewalt verkündet werden, nicht aber allzu große Ambitionen und Erwartungen bei den Herrschaftsunterworfenen wecken. Die napoleonische Scheu vor jeglichen naturrechtlichen Anklängen kommt hier augenfällig zum Ausdruck.

3. Die tragende Rolle des Gleichheitspostulats Erschließt man unter Berücksichtigung des oben Gesagten die Konzeption der Grundrechtsgewährungen von dem, was es zu zunächst einmal zu beseitigen galt, nämlich die in den eroberten Territorien vorgefundene ständisch-feudale Ordnung, tritt die überragende Bedeutung und anti-ständische Stoßkraft der Gleichheitsforderung zu Tage. Die Herstellung umfassender Gleichheit vor dem Gesetz stand im Vordergrund aller individualrechtlichen Gewährleistungen und Gesetzgebung in den Napoleoniden. Es war der Gleichheitsbegriff, der in der Sattelzeit in der öffentlichen Meinung der bürgerlichen Intelligenz- und Besitzschichten Deutschlands zur führenden Parole gegen die auf ungleichen Rechtsverhältnissen beruhende ständisch-feudale Ordnung geworden war.253 Personale Unfreiheit bestand 250 Vgl. beispielhaft die Rapports des Justizministers Siméon zum Leibeigenschaftsdekret und zur Ablösegesetzgebung, abgedruckt in: Regierungsakten Westphalen, S. 90 f. und S. 198 ff. 251 W. v. Rimscha, Die Grundrechte im süddeutschen Konstitutionalismus, (Diss. Erlangen / Nürnberg 1971), Berlin 1973, S. 15. 252 Davon scheint ders., ebd., wohl letztlich ebenfalls auszugehen, wenn er auf die Freiheitsgewährungen der napoleonischen Verfassungen zu sprechen kommt. 253 O. Dann, Gleichheit und Gleichberechtigung, (Habil. Berlin) Berlin 1980, S. 165.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

ja vor allem in der ungleichen rechtlichen Möglichkeit bürgerlicher Freiheitsentfaltung gegenüber ständischer Freiheitsentfaltung. Die Gleichheitsforderung bezog ihren Inhalt aus der Reaktion auf die ständische Gesellschaft, als rechtliche Gleichheit, noch genauer: als Gleichheit in der Freiheit.254 Erst die Emanzipation von ungleichen Bindungen begründete das erstrebte Mehr an bürgerlich-individueller Freiheit und Entfaltungsmöglichkeit, indem die zuvor auf ungleiche Weise dem obrigkeitlichen Herrschaftsanspruch Unterworfenen nunmehr in eine gleiches rechtliches Verhältnis zum Staat gesetzt wurden (Äquidistanz). Die freiheitlichen Wirkungen lagen damit begrifflich im Wesen der Gleichheitsforderung (z. B. gleicher und damit eben für alle freier Zugang zu Ämtern). Zugleich implizierte die verfassungsrechtliche Anerkennung und unterschiedslose Zubilligung des gleichen Rechts aller auf bestimmte Freiheitsausübungen ja oftmals überhaupt erst die rechtliche Anerkennung eben dieser Freiheitsausübung als solcher (z. B. Erwerbsfreiheit). Der Gleichheitsgedanke bildete so – wie häufig vor 1848 – den strukturell tragenden Rahmen der übrigen Grundrechtspostulate.255 Daher verwundert nicht, dass die zeitgenössische Wahrnehmung der französischen Herrschaft in den eroberten Territorien entsprechend geprägt war: So hat man die Sympathisanten des französischen Gesellschaftsmodells etwa als „Gleichheitsfreunde“, die französischen Truppen als „Gleichheitsmänner“ oder „Gleichheitstruppen“ bezeichnet.256 Aus verfassungsrechtlicher Sicht trat ein weiteres hinzu: die Verbürgung eines Grundstatus staatsbürgerlicher Gleichheit bedeutete immer ein Stück Herrschaftslimitierung. Der staatlichen Gewalt war es künftig verwehrt, ihren Bestimmungsanspruch auf eine „ungleiche“ Weise, die diesen Status durchbrochen hätte, durchzusetzen, wollte sie nicht gegen die Verfassung verstoßen. Darin lag die herrschaftsbegrenzende Selbstbindung des gleichheitsgewährenden Verfassungsgebers.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg Die verfassungstextliche Ausgestaltung der Grund- und Gleichheitsgewährungen in den Verfassungen von Frankfurt und Westfalen ähnelte derjenigen in den französischen Verfassungen sowie in vielen späteren deutschen Verfassungen des Vormärz. Zu Beginn der jeweiligen Textabschnitte zu den Individualrechten war 254 D. Grimm, Zukunft der Verfassung, S. 70 u. S. 89, wo die Durchsetzung des Prinzips „gleicher Freiheit“ gewissermaßen zum entscheidenden Kriterium für das Bestehen des „Grundrechtstests“ erhoben wird. 255 G. Kleinheyer, Art. „Grundrechte“, in: O. Brunner / W. Conze / R. Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe (GG), Bd. 2, Stuttgart 1975, S. 1047, 1048; siehe auch H. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 62 („. . . Gleichheitsatz . . . Vehikel des Freiheitssatzes . . .“). 256 Verschiedene Nachweise bei O. Dann, Art. „Gleichheit“, in: GG, Bd. 2, S. 997, 1018 f.; siehe auch Erich Schneider, Das Bild der französischen Revolutionsarmee (1792 – 1795) in der zeitgenössischen deutschen Publizistik, in: J. Voss (Hrsg.), Deutschland und die französische Revolution, München 1983, S. 194, 200.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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ein die allgemeine Gleichheit vor dem Gesetz betreffender Rechtssatz formuliert, der die dann folgenden, kasuistisch auf konkrete Tatbestände bezogenen Einzelaussagen und Gleichheitsgarantien gewissermaßen „umgriff“.257 So machten Art 10 (Westfalen) bzw. § 11 (Frankfurt) mit der allgemeinen Proklamation des Grundsatzes der Gleichheit vor dem Gesetz den Anfang, „aus dem alles weitere [eben die besonderen Gleichheits- und Freiheitsbestimmungen der Art 11 – 16 (Westfalen) bzw. 12 – 15 (Frankfurt), Anm. d. Verf.] abgeleitet wurde.“258 Rechtstechnisch betrachtet wären die konkreten Gleichheitsgarantien nicht alle unbedingt erforderlich gewesen, war doch ihr Anwendungsbereich meist schon durch die allgemeine Garantie der Rechtsgleichheit abgedeckt. Ihre eigentliche Bedeutung lag jedoch gerade in ihrer Konkretheit: Je konkreter die entsprechende soziale und rechtliche Beziehung ausgedrückt war (z. B. gleicher Zugang zu öffentlichen Ämtern), umso eher vermochte sie realisiert zu werden (verglichen mit dem Unterfangen, sich jeweils auf die allgemeine Gleichheitsformel stützen zu müssen). Dies gilt zumal, wenn man den Programm- und Auftragscharakter der Gewährungen berücksichtigt: der staatlichen Gewalt war so genau vorgegeben, welche spezifischen Regelungsbereiche zur gleichheitsherstellenden Gesetzgebung anstanden. Im Folgenden wird zunächst die Ausgestaltung der allgemeinen (unter 1.) und konkreten Gleichheits- bzw. Freiheitsgarantien (unter 2.) behandelt. Danach richtet sich der Blick auf die Gewährung der Religionsfreiheit (unter 3.) und schließlich die Bestimmungen zur Herstellung der Freiheit der Person (unter 4.). Die Untersuchung beschränkt sich dabei – unter Berücksichtigung der oben erwähnten grundrechtsrealisierenden Rolle der Gesetzgebung – nicht auf den textlichen Befund der Verfassungen allein, sondern erstreckt sich – wo erforderlich – auch auf die Ebene der gesetzlichen Implementierung. Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Darstellung freilich keine umfassende und erschöpfende Darstellung der Rechtsverhältnisse leisten kann und will. Betrachtet werden wesentliche Ausgestaltungen, die exemplarisch Charakter und Dimension individualrechtlicher Gewährleistung in den drei Napoleoniden erhellen. Im Vordergrund der Untersuchung steht dabei (meist) die Verfassung des Königreichs von Westfalen. 1. Allgemeine staatsbürgerliche Gleichheit vor dem Gesetz Art. 10 der westfälischen Verfassung und § 11 der Verfassung von Frankfurt bestimmten in ihrem ersten Teil, dass sie nach solchen Grundgesetzen regiert werden soll, „welche die Gleichheit aller Unterthanen vor dem Gesetze . . . festsetzen.“ Das Gleichheitsprinzip wurde damit grundlegend in der spezifischen Ausprägung als Gleichheit vor dem Gesetz („devant la loi“) normiert. Dies beinhaltete die Forderung nach gleicher Verbindlichkeit der Gesetze für alle Untertanen, d. h. nach ihrer gleichmäßigen Anwendung ohne Unterschiede des Standes, der Religion 257 258

O. Dann, Gleichheit, S. 170. H. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 143.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

oder sonstiger Differenzierungskriterien.259 Es bedeutete Gleichbehandlung durch Verwaltung und Rechtsprechung. Hieraus sind verschiedene Schlüsse auf die Qualität und die tatsächliche Reichweite der Gleichheitsaussage der Verfassungen von Westfalen und Frankfurt zu ziehen:260 a) Gewährungscharakter Schon die Formulierung der Art. 10 und § 11 ließ einen begrenzten Charakter der in diesen Bestimmungen normierten Gleichheit erkennen. Eigentlicher Adressat des Gleichheitsgrundsatzes war die staatliche Gewalt, die ihm beim Regieren („. . . sera régi par . . .“) Rechnung zu tragen hatte. Gleichheit wurde also nicht als allgemeiner, universell-gültiger Rechtsgrundsatz auf natur- bzw. menschenrechtlicher Ausgangsbasis formuliert, sondern vielmehr als eine von der staatlichen Herrschaftsgewalt an die Untertanen verliehene und dann von ihr zu beachtende Garantie, d. h. praktisch als verfassungskräftiger Regierungsgrundsatz. Nicht vorkonstitutionelle Gleichheit als „homme“, sondern erst im Staat und vom Staat erhaltene Gleichheit als staatlicher „Unterthan“ und nur vor dem Gesetz wurde in Art. 10 bzw. Art. 11 verkündet. Im Vergleich zur frührevolutionären französischen Verfassungstradition war die vorgenommene Qualifizierung der Gleichheitsberechtigten als „Unterthan“, die auch in Art. 15 in Westfalen begegnet, ein Rückschritt. Entgegen der klassischen Revolutionsparole „il n’y a plus de sujets“ fand hier eine Abkehr von den Rechtssubjekts-Begriffen „Homme“ und „citoyen“ als Träger von Rechten und Pflichten statt.261 Der Einzelne wurde in seiner Stellung zum Staat als Untertan262 und damit als (Subordinations-)Objekt der Verleihung von Rechtspositionen in Gestalt von Gleichbehandlungsansprüchen und Freiheitsrechten verstanden: er erhielt erst vom und im Staat Rechtssubjektivität. Sein Gleichheitsrecht war kein „erkämpftes“ bzw. vorstaatlich besessenes und im Staat nun durchgesetztes, sondern (nur) ein von „oben“ verliehenes, wobei diese Verleihung freilich vor allem vom staatlichen 259

O. Dann, Gleichheit, S. 159; U. Scheuner, Begriff und rechtliche Tragweite, S. 105,

109. 260 Im Großherzogtum Berg ist es nicht zu einer allgemeinen, die Gleichheit vor dem Gesetz umfassenden Verkündung gekommen, sondern zum Erlass einer Vielzahl einzelner Gleichheitsgarantien jeweils im Zusammenhang der entsprechenden anti-ständischen Gesetzgebung. Im folgenden wird ihre Behandlung in eben jenem Kontext erfolgen. 261 Der Terminus „Unterthan“ bzw. „sujet“ wird allerdings nicht durchgehalten. In Art. 13 der westfälischen Verfassung wird der Begriff „Einwohner“ verwandt, in Art. 29 der des „citoyen“; in Art. 46 der Verfassung von Frankfurt findet sich der Begriff „Mitglieder“ des Staates. 262 Vgl. zum nach herkömmlicher Auffassung der Rechtssprache des Absolutismus entstammenden Begriff des Untertan, E. Reiling, Art. „Untertan“ in: HRG, 35. Lief., Sp. 536 ff. u. M. Stolleis, Untertan – Bürger – Staatsbürger. Bemerkungen zur juristischen Terminologie im späten 18. Jahrhundert, in: ders. (Hrsg.), Staat und Staatsräson in der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1990, S. 298 ff.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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Eigeninteresse des Kampfes gegen privilegierte – und damit die staatliche Zentralgewalt hemmende – ständische Rechtsstrukturen diktiert war.

b) Rechtsanwendungsgleichheit – keine materiale Gleichheitsdimension Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des Art. 10 (Westfalen) bzw. § 11 (Frankfurt) bedeutete keine Gleichheit aller an allen Rechten, keine Gleichheit vor der Verfassung, keine Gleichheit im materialen Sinn. Die Gleichheitsbestimmungen verpflichteten die westfälische und die Frankfurter Staatsgewalt nicht grundsätzlich auf den Erlass gleichberechtigender Gesetze und Dekrete, sondern erschöpften sich in der Garantie gleichförmiger Rechtsanwendung (Rechtsanwendungsgleichheit). Einen darüber hinausgehenden, umfassend auf die Herstellung politischer oder gar sozialer Gleichheit zielenden Gehalt, wie ihn z.T. die Gleichheitspostulate der französischen Revolution aufgewiesen hatten263, enthielten sie nicht. Dies hätte weder den gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen Napoleons, noch dem Gewährungscharakter der Rechte, d. h. ihrem Mangel an vorstaatlich-naturrechtlicher Grundierung entsprochen. Dass die Verfassungen keine Gleichheit in diesem elementaren Sinne normierten, zeigten auch die übrigen Bestimmungen der Verfassungen, zuvörderst diejenigen über das Zensuswahlrecht zu der in Art. 29 der westfälischen Verfassung vorgesehenen Repräsentativvertretung. Auch wenn die Verfassung sich mit ihrer Einrichtung vom überkommenen Ständeprinzip absetzte, so ging sie doch nicht so weit, sich gegen eine Differenzierung der Untertanen nach Leistung zu wenden, wofür in der noch vorindustriell-agrarischen Struktur Westfalens264 und städtischen Struktur Frankfurts in erster Linie Grundbesitz, Vermögen und Bildung als Parameter galten. Nur dort, wo – wie in einigen der nachfolgenden Artikel, etwa in Art. 15 der westfälischen Verfassung und § 14 der Verfassung von Frankfurt (jeweils: gleicher Ämterzugang) – die Verfassung selbst spezielle Differenzierungsverbote oder Gleichbehandlungsgebote aufstellte, ging sie über das in Art. 10 bzw. § 11 niedergelegte Gebot bloßer Rechtsanwendungsgleichheit hinaus und näherte sich einem materialen Gleichheitsverständnis an.

c) Formale staatsbürgerliche Gleichheit Aus dem Fehlen einer durchgängig materialen Gleichheitskonzeption darf allerdings nicht geschlossen werden, dass die Gleichheitsartikel Raum für beliebige 263 Etwa das Gleichheitsverständnis der (nicht in Kraft getretenen) Conventionsverfassung von 1793, welches beispielhaft in Art. 3 (Gleichheit vor dem Gesetz) und den Art. 4, 11 ff. (allgemeines Wahlrecht) [Artikelzählung nach der acte constitutionelle] zum Ausdruck kommt, abgedruckt in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard (Hrsg.)„ Constitutions, S. 62 ff. 264 Vgl. bei H. Berding, Modellstaat, S. 192.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Differenzierungen lassen wollten, sofern diese nur vom Gesetz selbst vorgenommen worden wären, mithin die Rechtsanwendungsgleichheit nicht in Frage gestellt worden wäre. Mit dem anti-ständischen Charakter der Verfassungen wären nämlich solche Differenzierungen unvereinbar gewesen, die – ob auf legislativer oder nachgeordneter Ebene vorgenommen – auf Beseitigung der allgemeinen staatsbürgerlichen Gleichheit (im Kantschen Sinne265) gezielt hätten. Darin bestand der kategoriale Unterschied zum preußischen ALR, welches zwar die Gleichheit vor dem Gesetz kannte, jedoch auf Normebene die ungleichen ständischen Strukturen bis in die feinsten Verästelungen entfaltet bzw. bestätigt hatte. Die napoleonischen Verfassungen waren – wie die dem Gleichheitssatz nachfolgenden Artikel zeigten – auf Ausschaltung aller privaten Herrschaftsreservate und Immunitäten feudalen und ständischen Ursprungs (außer den Napoleon in der westfälischen Verfassung in Art. 2 und auch in Frankfurter und bergischen Gebieten selbst vorbehaltenen ehemaligen Allodialdomänen) angelegt. Alle Untertanen sollten in ein gleichsam äquidistantes Verhältnis zum Staat gestellt werden. Bezogen auf die Gleichheitsgewährleistung bedeutete dies, dass nicht nur vor dem Gesetz alle gleich sein sollten, was für sich noch Raum für schrankenlose (materiale) Ungleichheiten gelassen hätte, sondern dass die Gesetze auch für alle gelten, d. h. keine gänzlich gesetzesfreien Zonen ständischer oder sonstiger Bevorrechtigung zulässig sein sollten. Zulässig waren auf Normebene daher nur solche Differenzierungen, die nicht die Einheitlichkeit des staatsbürgerlichen Grundstatus durchbrachen.266 Auch die Verfassungen folgten dieser Maxime, indem etwa beim Wahlrecht zur Nationalrepräsentation in Westfalen zwar mit dem besagten Zensuswahlrecht eine Ungleichheit des Erfolgswertes der Stimmen zugelassen wurde, als Differenzierungskriterium jedoch das potentiell von jedem Untertan zu erfüllende Merkmal einer besonderen Steuerkraft bzw. Bildung verwandt wurde – und eben nicht etwa das geburtsständische Merkmal adeliger Herkunft, Korporationszugehörigkeit etc. Dies entsprach der Sozialordnung der bürgerlichen Erwerbs- und Eigentümergesellschaft, wie sie in Frankreich zum Durchbruch gelangt war.

d) Pflichtengleichheit Die Kehrseite dieser staatsbürgerlichen Gleichheit im Sinne von Art. 10 und § 11 war eine Gleichheit auch an gesetzlichen Pflichten, namentlich die Abschaffung von ständischen Exemtionen hinsichtlich der allgemeinen Wehr- und Steuerpflichten. Hierin manifestierte sich aus Sicht des Bürgertums seit der französischen Revolution am deutlichsten der „Gerechtigkeitsgehalt“ des Grundsatzes der ÉgaliVgl. dazu O. Dann, Gleichheit, S. 159. Beispielhaft dafür die Einschätzung des Frankfurter Ministerstaatssekretärs Eberstein: „. . . Der Geist der ganzen . . . Verfassung setzt eine vollkommene Gleichheit der Rechte aller Staats Einwohner oder Staatsbürger voraus . . .“, zitiert aus: Gutachten über die Gleichheit der Einwohner des Großherzogtums“, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 122, 123. 265 266

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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té267, weshalb die Neuerungen in der Bevölkerung zunächst auf positive Resonanz stießen.268 Die Regelungen zur Wehrpflicht besaßen in diesem Zusammenhang besondere Signifikanz: So traf in Westfalen nach Art. 53 der Verfassung in Verbindung mit den dazu ergangenen Dekreten269 im Grundsatz alle 20 – 25-jährigen männlichen westfälischen Untertanen eine 5-jährige Pflicht zum Dienst in der westfälischen Armee. Ständische Exemtionen, wie sie zuvor die Regel waren, oder auch ständische Privilegierung im Zugang zur Offizierslaufbahn waren in der Ausführungsgesetzgebung nicht mehr vorgesehen.270 Allerdings sah Art. 48 des ersten „Décret relatif à la conscription militaire“ die Möglichkeit zur Stellung eines Ersatzmanns („remplacant“, im Volksmund daher „Rampelmann“ genannt271) gegen eine nicht unerhebliche Summe vor.272 Dieser Loskauf vom Dienst als „Todeskandidat“273 war naturgemäß nur von Wohlhabenderen finanzierbar.274 Das gleiche Regelungsmuster galt ab 1810 im Großherzogtum Frankfurt275, in ähnlicher Form auch im Großherzogtum Berg.276 R. Pfeffer, Verfassungen, S. 41 (dort Fn. 30). Vgl. dazu K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Westfalen, S. 25 (Fn. 107) mit Verweis auf die Stimmungsberichte der Departementpräfekten. 269 Das erste Dekret stammte vom 25. April 1808 und fand zusammen mit anderen Verordnungen eine Zusammenfassung im Konskriptionskodex vom 16. November 1809, siehe Bulletin, Bd. 4, 2. Aufl., Kassel 1811, S. 272 ff.; dazu F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 150; näher zur Aushebung der Wehrpflichtigen F. Lünsmann, Armee des Königreichs Westfalen, S. 25 ff.; vgl. auch W. Kohl, Die Verwaltung der östlichen Departements, S. 74 ff. u. D. Puhle, Westphalen, S. 122 ff. 270 Siehe näher zur (geradezu revolutionären) Öffnung des Offizierskorps für Bürgerliche F. Lünsmann, Armee des Königreichs Westfalen, S. 125 ff. 271 H. Rothert, Westfälische Geschichte, 3. Bd.: Absolutismus und Aufklärung, Gütersloh 1951, S. 182. 272 Dekret vom 25. April 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., Kassel 1810, S. 700, 734; vgl. dazu näher D. Puhle, Westphalen, S. 122, 127 f.; H. Rothert, Westfälische Geschichte, S. 181 f.; H. Heitzer, Insurrectionen, S. 88 verneint daher (überhaupt) schon das Bestehen einer allgemeinen Wehrpflicht. 273 Ausdruck bei D. Puhle, Westphalen, S. 123; Hintergrund bilden die enorm hohen Verluste der westfälischen Armee in den Rußland- und Spanien-Feldzügen Napoleons, vgl. dazu M. Lahrkamp, Die französische Zeit, S. 37. 274 H. Rothert, Westfälische Geschichte, S. 182 spricht von „bis zu 1000 Talern“, D. Puhle, Westphalen, S. 127 von 5000 – 6000 frcs; näher zum Geldwert ebd. S. 250 ff. 275 Vgl. Art. 41 der Verfassung von Frankfurt i.V.m. der Militär-, Konskriptions- und Dispensations-Verordnung für das Großherzogtum, abgedruckt in: Regierungsblatt Frankfurt, Bd 2, S. 370 ff. (dort auch Festsetzung der entsprechenden Dispensationstaxen, S. 380). 276 Im Großherzogtum Berg sah die Instruktion zur Konskribierung der großherzoglichen Unterthanen vom 9. Juni 1807 ebenfalls die allgemeine Wehrpflicht (8 Jahre) vor, erlaubte zwar zunächst noch die Befreiung von auf dem Landtag stimmberechtigten Adeligen, was allerdings später dann wegfiel, Abdruck in: J. J. Scotti, Sammlung Bd. 2, Nr. 2966; siehe auch B. Dreher, Großherzoglich-bergische Truppen 1806 – 1813, in: Stadtmuseum Düsseldorf (Hrsg.), Das Herzogtum Berg 1794 – 1815 (Ausstellungsband), Düsseldorf 1985, S. 53, 54. 267 268

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Diese Regelungen erhellen exemplarisch Fortschrittlichkeit wie Grenzen der napoleonischen Gleichheitskonzeption und insofern auch die „verfassungsrechtlichen Schranken“ staatlichen Handelns. Formal betrachtet galt Gleichheit aller vor dem „Militär“-Gesetz. Alle Untertanen, gleich welchen ursprünglichen Standes, waren ihm unterworfen. Indem das Gesetz jedoch solche Befreiungsmöglichkeiten schuf, die faktisch nur von Wohlhabenden wahrgenommen werden konnten, ließ es Raum für materiale Ungleichheiten. An die Stelle alter, auf Geburt und Tradition beruhender Rechte waren nunmehr Vermögen und Eigentum als Differenzierungskriterium getreten. Da der Vermögens- und Eigentumserwerb jedoch jedem Untertan (rein rechtlich!) gleichermaßen offen stand, handelte es sich um ein ständisch indifferentes, mit dem Postulat staatsbürgerlicher Gleichheit noch vereinbares Differenzierungskriterium. Es entsprach idealtypisch der aus Revolutionszeiten ererbten besitz- und bildungsbürgerlichen Gesellschaftskonzeption.

2. Spezifische (anti-ständische) Gleichheitsund Freiheitsbestimmungen Die konkreten anti-ständischen Gleichheitsbestimmungen in Westfalen, Frankfurt und Berg sollten die größte Stoßkraft bei der Beseitigung des überkommenen Stände- und Feudalsystems entfalten. Zum Teil folgten sie unmittelbar aus den Verfassungen, zum Teil (in Berg ausschließlich) ergingen sie auf gesetzlichem Wege. Ihrem Inhalt und ihrer Stoßrichtung nach lässt sich eine grobe Zweiteilung vornehmen: – Die erste Gruppe [im Folgenden unter a)] zielte auf die (mitunter) völlige Abschaffung der bisherigen korporativ-ständischen Strukturen sowie personen- und familiengebundener Privilegien politischer, justizieller und ökonomischer Art. Schon aus den meist negativ-formulierten Fassungen der Bestimmungen ergab sich der speziell anti-ständische Charakter. Damit sollten die heterogenen Herrschaftsverhältnisse in den Territorien planiert werden, um zum einen – eher etatistisch motiviert – den Boden für die Implementierung des französischen Administrativ- und Justizsystems zu bereiten und zum anderen – eher physiokratisch motiviert – die Voraussetzungen für eine liberalisierte Wirtschaftsordnung zu schaffen. Zwar besaßen diese Bestimmungen keinen unmittelbaren individualrechtlichen Gehalt, flankierten aber mittelbar die auf ihrer Grundlage erzeugten gleichheitlichen und freiheitlichen Wirkungen: Die Beseitigung der überkommenen Gerichtsverfassung brachte (weitgehend) die Gleichheit vor dem Richter hervor und die Liberalisierung des Wirtschaftslebens die Einführung der Gewerbefreiheit. – Die zweite Gruppe [unter b)] betraf die unterschiedslose Zubilligung von Rechtspositionen an die verschiedenen Bevölkerungsteile in Bezug auf konkrete Tatbestände: gleicher Zugang zu öffentlichen und klerikalen Institutionen, gleiche Steuerpflichten etc. Auch diese Gruppe an Bestimmungen bezog ihren In-

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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halt wesentlich aus der Reaktion auf die ständische Gesellschaftsstruktur, eben als rechtliche Gleichheit bei der nun allen gleichermaßen eröffneten Freiheitsausübung und auferlegten Pflichtenstellung.

a) Umgestaltung der Administrativ-, Justiz- und Wirtschaftsverfassung aa) Beseitigung ständisch-korporativer politischer und administrativer Strukturen Die Aufhebung der bisherigen politischen und administrativen Rechts- und Organisationsstrukturen auf allen Ebenen war Voraussetzung für die Implementierung der neuen französischen Präfektur- und Departementalverfassung mit ihrer zentral-gelenkten, hierarchisch-gegliederten und auf das Büroprinzip ausgerichteten Verwaltung sowie (was Westfalen und Frankfurt betraf) den repräsentativen Vertretungskörperschaften. Art. 11 der westfälischen und § 12 Satz 1 der Frankfurter Verfassung bestimmten die Aufhebung der besonderen Verfassungen der Provinzen, Städte und sonstigen Korporationen. Dies umfasste in Westfalen namentlich die Aufhebung der allgemeinen und besonderen Land- und Provinzialstände (gleichermaßen in Berg), im Großherzogtum Frankfurt die Aufhebung der alten kollegialistischen Magistratsverfassung der Stadt Frankfurt (Selbstverwaltungstradition) sowie auf mittlerer und unterer Verwaltungsebene der herkömmlichen Amtsvogteien und Gemeinderäte. In Berg verlief die Abschaffung der alten Strukturen nicht so schlagartig wie in Westfalen, sondern vollzog sich in mehreren Schritten.277 Organisiert in den jeweiligen Ständeversammlungen und Landtagen als Interessensvertretungen des ständischen Grundbesitzes waren die Landstände traditionell die bedeutsamste politische Institution neben dem Fürsten sowie dessen „Ansprechpartner“ in allen öffentlichen Angelegenheiten gewesen. Ihre in den einzelnen Territorien unterschiedlich weitgehende Machtstellung hatte sich in erster Linie auf das ständische Recht der Steuerbewilligung gestützt. Dem Ursprung nach war das Recht der Steuerbewilligung ein außerordentliches, nicht schon von vornherein geschuldete Abgaben an die Landesherrn betreffendes gewesen, welches z.T. über die reine Bewilligung hinaus zum Ausgabenkontrollrecht erstarkt war. Angesichts der latenten Mittelbedürftigkeit des landesherrlichen „Regiments“ (Hof, Verwaltungsaufbau und Heer) war es tatsächlich vielfach zur Regel gewor277 Murat hatte zunächst nur das grundlegende Landesorganisationsedikt vom 24. April 1806 erlassen (Abdruck in: J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung, Bd. 2, Nr. 2882) und große Teile der alten Verwaltungsstruktur in einer Art Mischform weitergeführt. Mit kaiserlichem Dekret vom 14. November 1808 wurde dann allerdings en-bloc die französische Departemental- und Municipalverfassung eingeführt, Abdruck in: Der Rheinische Bund 11 / 31 (1808), S. 86 ff.; ihr folgte am 18. Dezember 1808 die französische Verwaltungsordnung, J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung, Bd. 3, Nr. 3045; zum Ganzen näher siehe F.-L. Knemeyer, Regierungs- und Verwaltungsreformen, S. 47 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

den.278 Der darauf fußende vorrangige politische Partizipationsanspruch der Stände wurde mit der Aufhebung der Landstände durch die Verfassungen nun beseitigt. Aus Sicht der zuvor von politischer Partizipation völlig ausgeschlossenen sonstigen Bevölkerungsteile, insbesondere des sich gerade entwickelnden Bürgertums, bedeutete dies einen Gleichheitsfortschritt. Die Staatsleitung wurde exklusiv dem in der Verfassung vorgesehenen politischen Willensbildungsprozess unter Teilnahme der dort vorgesehenen, ständisch weitgehend indifferent strukturierten Institutionen übertragen. Art. 11 und § 12 erfassten auch bis dahin bestehende diverse (land-)ständische Privilegien279 auf administrativem Gebiet, deren Aufgabenkreis ebenfalls der der modernen französischen Administrativverfassung überantwortet werden sollte.280 Ihre Reichweite bis auf die unterste Verwaltungsebene zeigte sich daran, dass neben den allgemeinen Landständen auch die Provinziallandstände bzw. Verfassungen der Provinzen sowie sonstige „Corporationen“ ausdrücklich für beseitigt erklärt wurden. Vornehmlich auf unterer Ebene bestand in den deutschen Vorläuferstaaten der Napoleoniden eine Unzahl an ständisch-korporativen sowie klerikalen Einrichtungen und Interessensvertretungen, die vielfältigste, unübersichtliche Befugnisse und Privilegien auf den Gebieten der Gerichtsbarkeit, des Abgaben-, Zoll-, Bildungs-, Kranken-, Armenwesens usw. besaßen. Neben den ebenfalls hierzu zählenden Zünften umfasste der Begriff der „Corporationen“ gerade auch diese. Die im 17. und 18. Jahrhundert begonnene administrative Durchdringung der Staatsverwaltungen in den deutschen Territorien hatte meist vor der lokalen Ebene haltgemacht und das teilweise völlig chaotische Sammelsurium dieser ungleichen und freiheitshemmenden Rechtsverhältnisse unangetastet gelassen.281 Neben den Korporationen beseitigten Art. 11 und § 12 auch pauschal die Privilegien der Städte. Auch von ihrer Seite sollten der planmäßigen und gleichförmigen Penetration des Staates durch das neue Verwaltungssystem keine Hemmnisse erwachsen. Schon wegen des allgemeinen Gleichheitsgebots aus Art. 10 bzw. § 11 durfte es nicht verschiedene (bürgerliche) Berechtigungs- bzw. Belastungsstufen, je nach Stadt oder Land, geben, sondern musste ein einheitliches Stadtrecht gel278 Siehe näher A. v. Reden-Dohna, Art. „Landständische Verfassungen“, in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1578, 1582 u. W. Frotscher / B. Pieroth (Hrsg.), Verfassungsgeschichte, München 1997, Rn. 103 ff. 279 H. Mohnhaupt, Art. „Privileg, neuzeitlich“, in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 3, Berlin 1984, Sp. 2005 ff. 280 Für Westfalen: Dekret vom 24. Dezember 1807 über die verwaltungsmäßige Binnengliederung des Territoriums, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl. 1808, S. 66 ff. sowie die Verwaltungsordnung des Königreichs vom 11. Januar 1808, Bulletin Bd. 1, 2. Aufl. 1808, S. 188 ff.; Für Frankfurt: Gliederungsgrundsätze in Art. 29 ff. der Verfassung sowie Verwaltungsordnung vom 27. Oktober 1810, abgedruckt in: Der Rheinische Bund 17 / 51 (1810), S. 317 – 357; Für Berg: siehe Fn. 277. 281 H. Berding, Modellstaat, S. 181, 186.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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ten.282 Damit entfielen bislang bestehende städtische Genossenschaftsrechte, Sondersteuern, Erhebungen an Stadttoren usw. Gleichermaßen wurden (in Westfalen durch Art. 12, in Frankfurt durch § 12 Satz 2) auch personen- und familiengebundene Vorrechte beseitigt. An Einzelpersonen und Familien geknüpfte Vorrechte waren grundsätzlich mit der gesellschaftspolitischen Konzeption einer egalitären Staatsbürgergesellschaft genauso wenig vereinbar wie Vorrechte korporativer Art.283 Unter die personalen Vorrechte fielen vor allem bestimmte vererbliche Gerechtsame (Gerechtigkeiten), d. h. überwiegend an vererblichem Grundbesitz bestehende personale Nutzungsrechte, u. a. Wege- und Brückenrechte oder Jagdrechte etc. In Westfalen war lange Zeit umstritten, ob die sog. Banngerechtsame, insbesondere der Mühlenbann (Mühlenzwang), wonach der Grundherr eines bestimmten territorialen Bezirks ein Monopol besaß, so dass alle Bewohner gezwungen waren, ihr Getreide in einer bestimmten Mühle mahlen zu lassen und einen bestimmten Mühlenzins zu entrichten, als aufhebbare (in Westfalen unter Art. 12 subsumierbare) Privilegien zu gelten hatten.284 Die Aufhebung des Mühlenbanns erfolgte in Westfalen dann schließlich im September 1811, in Berg scheiterte sie am Widerstand Beugnots. Die so unmittelbar per Verfassung und Dekret verfügte tiefgreifende Beseitigung der überkommenen politischen und administrativen Herrschaftsstrukturen des Ancien Régime sollte alle mit der modernen Staatlichkeit konkurrierenden intermediären Gewalten ausschalten und damit die Grundlage für das staatliche Machtmonopol legen. Dies war freilich schon Anliegen des spätabsolutistischen Bürokratismus gewesen. Erkennbar wird im Vergleich zu jenem aber die geradezu katalysierende Bedeutung des individualrechtlichen Hintergrundes der in den Napoleoniden vorgenommenen Verfügungen. Ausgehend von der Gleichheit aller der staatlichen Gewalt unterworfenen Rechtssubjekte konnten die Verfügungen – und darin eben anders als die spätabsolutistischen Bemühungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts (etwa in Bayern seitens der aufgeklärten Reformbürokratie), die sich nie recht gegen die massiven ständischen Beharrungskräfte durchzusetzen vermocht hatten – eine ganz andere Tiefenschärfe und Penetrationskraft gewinnen. Es 282 Vgl. hierzu die Ausführungen des Frankfurter Ministerstaatssekretärs Eberstein, in: Gutachten über die Gleichheit der Einwohner des Großherzogtums“, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 122 ff. 283 Dass die Gleichheitskonzeption gerade in diesem Punkt nicht überall konsequent verfolgt wurde, machte in Frankfurt der § 12 Satz 3 deutlich, der in Vollzug des Art. 27 der Rheinbundakte den mediatisierten Territorialherren und Rittern (vorher reichsunmittelbare Rechtsstellung) den weitgehenden Fortbestand traditioneller Privilegien und Exemtionen sicherte, darunter fielen: Steuerfreiheit für Teile ihres Grundbesitzes, Zollrechte, Abzugsgelder und z.T. auch justizielle Befugnisse; es entfielen allerdings ihre politischen und administrativen Partizipations- und Ernennungsrechte sowie die Erteilung von Gewerbekonzessionen, siehe näher P. Darmstaedter, Frankfurt, S. 242 ff. 284 Vgl. zu den juristisch-politischen Kontroversen um die Abschaffung der Mühlenbannrechte in Westfalen K. Rob, in: Regierungsakten Westfalen, S. 83 ff. und für das Großherzogtum Berg das diesbezügliche Staatsratsgutachten in: Regierungsakten Berg, S. 351 ff.; siehe auch M. W. Francksen, Staatsrat, S. 119 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

lag in der Dialektik der in der Revolution zum Durchbruch gelangten Vorstellung von der freien und gleichen Gesellschaft, dass erst von ihrem Ausgangspunkt, der gleichen Unterworfenheit aller unter die Staatsmacht eben jene erst ihre ganze Omnipotenz gewinnen und entfalten konnte.285 Die Art. 11 bzw. § 12 bzw. die bergischen Dekrete verkörperten so zweierlei: Die Gleichstellung und Emanzipation des Einzelnen sowie die Macht des Staates. bb) Beseitigung justizieller Strukturen / Gleichheit vor dem Richter Die anti-ständische Stoßkraft der Art. 11 und 12 in Westfalen bzw. § 12 Satz 1 und 2 in Frankfurt richtete sich auch gegen die überkommene Justizverfassung. Im wesentlichen bedeutete dies die Aufhebung der privilegierten Gerichtsstände von Adel und Klerus, die Abschaffung der Patrimonialgerichtsbarkeit und diverser anderer Formen korporativ- oder personalgebundener Gerichtsbarkeit286 und insgesamt die Trennung bislang häufig vermischter administrativer und justizieller Funktionen. An die Stelle der alten, teilweise völlig chaotischen Justizverfassung mit Verfahrenslängen von bis zu mehreren Jahrzehnten trat auf gesetzlichem Wege287 und z.T. unmittelbar qua Verfassung (in Westfalen Art. 46 – 52288) das neue französische Justizsystem, welches zentral auf der Einheitlichkeit des Gerichtsstandes289, der Gleichheit vor dem Gesetz und dem Richter, der Unabhängigkeit der auf das Gesetz verpflichteten Richter (Art. 49 in Westfalen, § 39 in Frankfurt), der Errichtung einer selbständigen Anklagebehörde in Strafsachen (Staatsanwaltschaft), dem Grundsatz der Unschuldsvermutung sowie den Grundsätzen der Öffentlichkeit und Mündlichkeit beruhte. Der individualrechtliche Gewinn (dessen) war epochal.290 Insbesondere galt dies für den Wegfall der einstufigen Vgl. T. Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 77. Beispielhaft etwa: die Abschaffung des Privilegs der besonderen akademischen Gerichtsbarkeit der Universität Göttingen, gegen die sich diese hartnäckig zur Wehr zu setzen versuchte, nicht zuletzt mit dem Argument der Notwendigkeit der akademischen Jurisdiktion für die Aufsicht über die „innere Disziplin“ der Studenten, siehe dazu R. Vierhaus, Göttingen im Zeitalter Napoleons, in: Göttinger Jahrbuch 27 (1979), S. 177, 184. 287 In Berg erfolgte die Abschaffung der alten Justizstrukturen und die Neueinführung des französischen Systems mit kaiserlichem Dekret vom 17. Dezember 1811, abgedruckt in: Regierungsakten Berg, S. 271 ff. (siehe dort insb. Art 1 – 6). In Frankfurt erfolgte die Einführung der neuen Gerichtsverfassung im wesentlichen nach französischem Vorbild am 7. Oktober 1812, abgedruckt in: Regierungsblatt Frankfurt, Bd. 2, S. 121 ff.; vgl. näher zum Frankfurter Justizwesen W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 219 ff. 288 Ergänzt durch das Décret portant organisation des cours de justice et tribunaux vom 27. Januar 1808, abgedruckt in: Bulletin, 2. Aufl., Bd. 1, S. 364 ff. 289 In Frankfurt verlief die Justizreform nicht so radikal wie in Westfalen und später in Berg. So hat Dalberg u. a. den privilegierten Gerichtsstand des katholischen Klerus beibehalten und dabei unter Verweis auf seine Stellung als „in der Welt lezte Geistliche Fürst“ bekundet, sich nicht „entschließen [können], der erste Erzbischof zu sein, der seiner Geistlichkeit einen tausendjährigen Vorzug entzieht.“, vgl. Staatsratsprotokoll vom 14. Dezember 1811, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 212 (dort Fn. 25). 285 286

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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Patrimonialgerichtsbarkeit, die bisher als niedere Gerichtsbarkeit vom Grundherren auf seinem Besitz (Patrimonium) ausgeübt worden war und die als besonders verhasstes Symbol feudaler Willkür galt.291 In Westfalen wurde das Ende ihrer Tätigkeit schon per Dekret im Januar 1808 verfügt292, in Berg und Frankfurt trotz schon früher Planungen vollständig erst mit Einführung der Justizverfassungen 1811 und 1812. Insgesamt war die Neuordnung des Justizwesens in allen Napoleoniden einer der erfolgreichsten Reformbereiche.

cc) Abschaffung der Zünfte / Einführung der Gewerbefreiheit Die Aufhebung der sonstigen „Corporationen“ in Art 11 und 12 beseitigte auch die traditionellen Formen des Wirtschaftslebens, insbesondere des korporativ verfassten städtischen Handwerks. Dies bedeutete in erster Linie die Abschaffung der Zunftordnungen und der Zünfte an sich. Den eigentlichen individualrechtlichen Gewinn brachte auch hier nicht die Verfassung direkt, sondern erst die entsprechende gesetzliche Neuregelung mit der Einführung der Gewerbefreiheit. In Westfalen und Berg wurde die Gewerbegesetzgebung nach französischem Vorbild, wie es in Frankreich von Turgot eingeleitet und in der Revolution vollendet worden war, so ausgestaltet, dass die Ausübung eines Gewerbes von der Entrichtung einer nach Berufsklassen gestaffelten Patentsteuer abhängig gemacht wurde.293 290 Eindrucksvoll sind in diesem Zusammenhang die Äußerungen des späteren Präsidenten des Celler Appellationsgerichtshofs F. K. v. Strombeck, der Zeugnis von der immens gestiegenen Leistungskraft und Humanität des neuen Justizwesens gibt: In Celle habe er während seines ersten halben Jahres als Gerichtspräsident mehr als 700 alte Prozesse entschieden, wovon einige bereits seit über einem halben Jahrhundert anhängig gewesen seien und als solche bereits rechtsliterarische Beachtung gefunden hätten. Demgegenüber betrage nunmehr die durchschnittliche Verfahrensdauer weniger als einen Monat. Des weiteren hebt er eingehend den Fortschritt der Abschaffung der Tortur im Bereich der Strafjustiz hervor, wo bislang die Ansetzung von Daumenschrauben und eine jahrelange Untersuchungshaft üblich gewesen sei, siehe Ausführungen in F. K. v. Strombeck, Rechtswissenschaft, S. VII ff. u. XXVIII; Im übrigen Deutschland galt zum Teil noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts die Peinliche Gerichtsordnung Karl V. von 1532 als maßgebliche Grundlage staatlichen Strafens, dazu H.-W. Thümmel, Der Einfluß der Französischen Revolution auf die deutsche Rechtsentwicklung, in: Fidericiana 43 (1989), S. 47, 63; zur ihrer Ablösung durch eine neue Strafrechtsordnung in Westfalen siehe H. Beermann, Handbuch zur Kenntnis des im Königreich Westphalen neueingeführten Strafrechts, Erster Band, Kassel 1811. 291 W. Kohl, Westphalen, S. 202: „Mit ihnen [den Patrimonialgerichten] verschwanden ihre letzten Zeugen, die Straßenpfähle und Galgen“. 292 Siehe Art. 58 f. des Organisationsdekrets vom 27. Januar 1808 (Fn. 288). 293 In Westfalen: Patentsteuergesetz vom 5. August 1808 (dort besonders Art. 19) sowie diesbezügliches Ergänzungsgesetz vom 12. Februar 1810 mit den entsprechenden Patenttarifen (Art. 35), abgedruckt in: H. Bernert (Hrsg.), Quellensammlung zum Handwerks- und Gewerberecht, Bd. 1, S. 3 ff. u. 20 ff. In Berg: Patentsteuergesetz vom 31. 03. 1809 (dort Art. 8) abgedruckt in: Bulletin des Lois, Bd. 1, S. 343 ff., siehe auch J. Engelbrecht, Grundzüge der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Großherzogtum Berg, in: B. Dietz (Hrsg.), Das Großherzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat, Köln 1995, S. 54 ff. In Frankfurt

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Die Implementierung einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung folgte den in der französischen Revolution siegreichen (physiokratischen) Vorstellungen einer auf Leistungs- und Konkurrenzprinzipien aufbauenden Gesellschaftsordnung. Im Sinne der bezweckten Erhöhung der Ressourcenträchtigkeit der Napoleoniden war sie darüber hinaus zentrales Anliegen der napoleonischen Politik in allen Staaten. Neben die Einführung der Gewerbefreiheit trat flankierend die Abschaffung von Monopolen, Bannwirtschaften, Verkehrs-, Brücken- und Wegerechten und vergleichbaren ökonomischen Hemmnissen.294

b) Unterschiedslose Zuordnung von konkreten Rechten und Pflichten aa) Recht auf gleichen und freien Ämterzugang / formal-rechtliche Entprivilegierung des Adels Art. 14 der westfälischen Verfassung bestimmte, dass der „Adel . . . in seinen verschiedenen Graden und mit seinen verschiedenen Benennungen fortbestehen [soll], ohne daß solcher jedoch ein ausschließendes Recht zu irgendeinem Amte, Dienste oder einer Würde, noch Befreiung von irgendeiner öffentlichen Last verleihen könne.“ Ähnlich formulierte es § 14 der Verfassung von Frankfurt.295 Hiermit wurde, sofern es nicht schon Konsequenz der übrigen Artikel des vierten Teils war296, die formal-rechtliche Entprivilegierung des Adels angeordnet. Noch einmal bekräftigten die Verfassungen damit das Leitbild einer anti-ständischen Gleichstellung aller Untertanen im Rahmen der staatsbürgerlichen Gleichheit.

wurde die Gewerbefreiheit 1811 in Dalbergs „Grundsätzen der Finanzeinrichtung“ zwar eingeführt (abgedruckt in: Der Rheinische Bund 21 (1811), S. 9) und es kam auch zum staatlichen Konzessionsbetrieb, die Aufhebung der Zünfte misslang aber und wurde erst nach Ende des Großherzogtums realisiert, siehe näher W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 245 ff. 294 Zu den im Einzelnen erheblichen Schwierigkeiten etwa bei der Abschaffung der Banngerechtsame siehe den Rapport Siméons an Jérome vom 9. März 1809, abgedruckt in: Regierungsakten Westfalen, S. 85. 295 Auch in Berg entfielen mit der en-bloc-Einführung der französische Departementalund Municipalverfassung per Dekret vom 14. November 1808 (Abdruck in: Der Rheinische Bund 11 / 31 (1808), S. 86 ff.; ihr folgend am 18. Dezember 1808 die französische Verwaltungsordnung, Abdruck bei J. J. Scotti (Hrsg.), Sammlung, Bd. 3, Nr. 3045) vorherige Standesschranken für den Zugang zu den Verwaltungsposten. 296 Art. 14 macht deutlich, dass es zwischen den verschiedenen Bestimmungen sowohl der Verfassung von Westfalen wie der von Frankfurt tatbestandliche Überschneidungen gab. Die in Art. 14 ausgesprochene Unzulässigkeit adeliger Privilegien bzw. Immunitäten folgte, jedenfalls in wesentlichen Zügen, teilweise schon aus den Art. 10 – 12 bzw. 11 – 12. Den Verfassungsredakteuren ging es aber augenscheinlich nicht nur darum, auf juristischem Felde die Voraussetzungen für die Umwälzung der Staats- und Gesellschaftsordnung zu schaffen: Die Verfassung war ja zugleich auch ein politisch-programmatisches Dokument. Um letztere Funktion in stilistischer Hinsicht optimal erfüllen zu können, bedurfte es eben gewisser (streng juristisch betrachtet überflüssiger) inhaltlicher Redundanzen.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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Die rechtliche Entprivilegierung erstreckte sich auf alle Bereiche, in denen im ständisch-feudalen Gemeinwesen traditioneller Prägung Adelsvorrechte bestanden hatten. Insbesondere betraf dies das Monopol und den bevorzugten Zugang zu höheren Ämtern in Verwaltung und Armee sowie zu Bildungsinstitutionen, Exemtionen von Steuerlasten oder der Wehrpflicht. Der freie und gleichberechtigte Ämterzugang war eine der ersten Forderungen des Bürgertums in der französischen Revolution gewesen und zielte als ein „Lieblingsgedanke der Zeit“297 darauf, durch die Auswahl nur der Besten ohne Rücksicht auf Standesschranken ein funktionsfähiges Staatswesen zu gestalten. Der Gleichheitsgedanke verband sich darin idealtypisch mit dem Ziel einer möglichst rational gestalteten Staatsorganisation. Im Vergleich zu anderen, eher programmatischen und gesetzlich noch umsetzungsbedürftigen Bestimmungen besaß Art. 14 in Westfalen und Frankfurt einen deutlich imperativeren Gehalt: Die volle Wirkung der in Art. 14 ausgesprochenen Abschaffung des geburtsständischen Prinzips und ihre Kehrseite, der freie gleiche Ämterzugang trat sofort und unmittelbar aus der Verfassung heraus ein. In seiner rechtlichen Zugangsberechtigung zu öffentlichen Institutionen sowie seiner öffentlichen Pflichtenstellung unterschied sich der Adel ab sofort nicht mehr von den anderen Bevölkerungsteilen und trat in ein unmittelbares Untertanenverhältnis zum Staat.298 Neben seinen politischen Partizipationsvorrechten, die er schon durch die Aufhebung der Ständeverfassungen in Art. 11 bzw. 12 eingebüßt hatte, wurden ihm nun auch seine sonstigen (staatsbezogenen) Sonderstatusrechte genommen. Seine historisch gewachsene Sonderstellung im Staat war damit beendet; gegenüber dem nun das gesamte politische und öffentliche Leben monopolisierenden Staat begann der Adel zu „privatisieren“.299

bb) Ökonomische und soziale Stabilisierung der Adelsstellung Gerade vor diesem Hintergrund ist allerdings auffällig, dass Art. 14 in Westfalen (ähnlich auch in Frankfurt) mit der Abschaffung ständischer Sonderrechte des Adels zugleich dessen nominellen Fortbestand aussprach („in seinen verschiedenen Graden und mit seinen verschiedenen Benennungen fortbestehen soll“).300 Im revolutionären Staatsrecht Frankreichs war demgegenüber – jedenfalls im frühen Stadium der Revolution – der Adel schlechthin (also auch als soziale Gruppe) abgeschafft worden. Dass die Regelungen in den Napoleoniden sich hier weniger rigide zeigten, hing mit dem Wandel zusammen, der sich mittlerweile auch in R. Pfeffer, Verfassungen, S. 45. Ausnahmen gab es freilich kraft Art. 12 Satz 3 der Verfassung von Frankfurt für die Mediatisierten. 299 Vgl. R. Scheying, Art. „Adel“, in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 1, Berlin 1971, Sp. 40, 50; für Westfalen vgl. zum Ganzen D. Puhle, Westphalen, S. 160 ff. 300 In Berg galt dies ohnehin, da nichts Gegenteiliges verfügt worden war. 297 298

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Frankreich vollzogen hatte. Dieses hatte unter der napoleonischen Herrschaft zwar beileibe nicht die revolutionären Errungenschaften sämtlich aufgehoben, aber doch nach Errichtung des Empires in Gestalt der aufgenommenen Re-Aristokratisierungspolitik wieder stärker sozial-konservative Züge angenommen. Dies färbte nun besonders auf die Napoleoniden ab. Schließlich waren beide, die Napoleoniden und Frankreich, Erbmonarchien des Hauses Bonaparte.301 Erkennbar wird daran, dass Art. 14 nur jene Adelsprivilegien zu Fall bringen sollte, die elementar dem etatistischen Souveränitätsanspruch auf allen Ebenen (z. B. Gerichtsbarkeit) und seinen fiskalischen Interessen (z. B. Steuerexemtionen) zuwiderliefen und deren Fortbestand mit der Grundräson der egalitär-staatsbürgerlichen Gesellschaft (Zugang zu Ämtern) völlig inkompatibel gewesen wäre. Auf den Adel als soziale Gruppe wollte und konnte Napoleon in den Napoleoniden indes nicht ganz verzichten. Seine nahezu vollständige Beseitigung im Stile der frühen Revolutionsperiode wäre unter Effizienzgesichtspunkten sogar kontraproduktiv gewesen. Napoleon benötigte den Adel als Funktionselite und Stütze seiner Herrschaft.302 Während er in Frankreich eine solche adelige Funktionselite noch zumindest teilweise selbst hatte rekrutieren können und so einen neuen kaiserlichen Dienst- und Militäradel schuf, musste er im rückständigen Westfalen wie auch in Berg und Frankfurt stärker auf den alten Adel zurückgreifen. Mangels Herausbildung eines breiten Bürgertums stand hier noch kein vergleichbar großes Rekrutierungsreservoir zur Verfügung.303 Hieraus erklärt sich auch, warum die Agrarreformen (s. u.) nicht bis zur letzten Konsequenz – d. h. der auch ökonomischem Depossedierung des (alten) Adels – vorangetrieben wurden.304 Der in Art. 14 angeordnete nominelle Fortbestand des Adels führte in Westfalen zu zwei Dekreten vom September 1811: Durch das erste wurde eine Kommission gebildet, vor der Adelige die Bestätigung ihrer Titel sowie die Anerkennung ihrer Wappen und Livreen erlangen konnten (Art. 1 des Dekrets).305 Das zweite Dekret regelte die Erhaltung des adeligen Grundbesitzes.306 Hierzu war bereits im Jahr 1808 ein Gutachten des Staatsrates vorgelegt worden, das angeregt hatte, den Art. 896 des Code Napoléon, der alle fideikommissarischen Substitutionen verbot, Vgl. H. Hattenhauer, Grundlagen, Rn. 143. D. Puhle, Westphalen, S. 160; H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 74. 303 E. Fehrenbach, Der Adel in Frankreich und Deutschland im Zeitalter der französischen Revolution, in: H. Berding / E. Francois / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland und Frankreich im Zeitalter der französischen Revolution, Frankfurt am Main 1989, S. 177, 202. 304 Vgl. H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 74. Insofern glichen die Verhältnisse in Westfalen denen in Berg und Frankfurt (dort § 12 Satz 3) sowie in Ansätzen denen anderer Rheinbundstaaten (v.a. in Süddeutschland), in denen durch Art. 27 der Rheinbundakte den mittlerweile mediatisierten, ehemals reichsständischen Adelshäusern der Fortbestand wesentlicher feudaler Privilegien zugesichert worden war. 305 Dekret vom 4. September 1811, Bulletin, Bd. 1, 1. Aufl., S. 462 ff.; näher dazu F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 196 f. u. D. Puhle, Westphalen, S. 160 f. 306 Dekret vom 4. September 1811, Bulletin, Bd. 1, 1. Aufl., S. 470 ff. 301 302

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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nicht auf solche Fideikommisserben anzuwenden, die vor dem 1. Januar 1808 geboren waren.307 Entsprechend dieser Anregung wurden nun im September-Dekret von 1811 die zu Majoraten erklärten adeligen Güter vom allgemeinen Erbrecht ausgenommen, für unveräußerlich und nach dem Recht der männlichen Primogenitur für vererbbar erklärt. Dies war letztlich eine nachträgliche Genehmigung der bereits bestehenden Fideikommisse, allerdings unter der Voraussetzung eines deren Nachteile für den Rechtsverkehr wenigstens ein Stück weit kompensierenden Minimums an Einkünften.308 Durch das September-Dekret wurden in Westfalen große adelige Gütermassen weitgehend dem allgemeinen Güterverkehr entzogen.309 Teilweise wurde damit die Stoßkraft des mit dem Code Napoléon implementierten neuen Familien-, Erb- und Hypothekenrechts gegen das überkommene Besitzwahrungssystem des Adels abgemildert. Die Erhaltung der Majorate (die Möglichkeit dazu war von Napoleon 1807 rechtlich durch den Absatz 2 des Art. 896 CN eröffnet worden) diente nicht nur den alten Adelsfamilien, sondern auch dem neuen, in den westfälischen Territorien mit umfangreichen Majoraten dotierten napoleonischen Adel. Solche Schenkungen, mittels derer Napoleon die neue kaiserliche Elite fest an sich binden wollte, waren in der nachrevolutionären bürgerlichen Erwerbsgesellschaft Frankreichs weder rechtlich noch politisch in größerem Umfang mehr möglich und konnten daher nur in den Napoleoniden vollzogen werden.310

cc) Westfalen: Recht auf gleichen Ämterzugang auch im klerikalen Bereich (Art. 15) Art. 15 der westfälischen Verfassung bestimmte, dass die „Statuten der adelichen Abteien, Priorate und Capitel . . . dahin abgeändert werden [sollen], daß jeder Unterthan des Reichs darin zugelassen werden könne.“ Dies bezog das schon aus dem Grundsatz der staatsbürgerlichen Gleichheit fließende Recht auf gleichen Ämterzugang nun noch einmal speziell auf die klerikalen Institutionen. In Frankfurt hatte der „letzte Kirchenfürst“ Dalberg freilich eine vergleichbare Regelung unterlassen.311

307 Avis des Conseil d’État vom 9. Januar 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 278 ff.; dazu W. Schubert, Französisches Recht, S. 104. 308 Vgl. dazu E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 26 (dort Fn. 60). 309 Zum Ganzen W. Schubert, Französisches Recht, S. 104 f.; D. Puhle, Westphalen, S. 160 f.; Eine ähnliche Regelung gab es 1811 in Berg, dazu näher M. W. Francksen, Staatsrat, S. 74 ff.; Zur etwas unterschiedlichen Handhabung der Materie in Frankfurt, wo diese Frage allerdings quantitativ nicht so bedeutsam war, siehe die abgedruckte Regelung in: Regierungsakten Frankfurt, S. 93 ff. 310 Vgl. bei H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 73 ff. 311 Auch in Berg hat es keine Art. 15 vergleichbare Regelung gegeben.

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Im klerikalen und feudalen Ständestaat war der Zugang zu den kirchlichen Orden und Ämtern in den Abteien, den Prioraten sowie zu den bischöflichen, erzbischöflichen oder stiftskirchlichen Kapiteln als den autonomen Leitungskollegien (Kapitulare, Pröbste, Dekane) regelmäßig den Söhnen adeliger Familien vorbehalten worden. Auch auf diesem Feld gelangte nun mit Art. 15 das Prinzip des gleichen Zugangs aller Untertanen zur Anwendung. Untertanen jeder Herkunft konnten nun in die kirchliche Ämterlaufbahn eintreten. Gleiches dürfte für die zahlreichen kirchlichen Bildungsinstitutionen gegolten haben.312 Dem Wortlaut nach enthielt Art. 15 allerdings nicht eine unmittelbar aus sich selbst heraus rechtlich wirksame Verfügung, sondern bedeutete wohl lediglich eine Handlungsaufforderung an die kirchlichen Institutionen, ihre Statuten dem Gleichheitsgrundsatz gemäß abzuändern, sie also gewissermaßen „verfassungskonform“ auszurichten. Hierin trat eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem autonomen kirchlichen Innenrecht zutage, was jedoch andererseits nichts daran änderte, dass die staatlich garantierte Rechtsgleichheit vom Grundsatz her alle – auch die kirchlichen – Lebens- und Regelungsbereiche durchdringen sollte. Die in Art. 10 garantierte Freiheit der Religionsgesellschaften (s. u.) nahm in Westfalen nur einen Kernbereich geistlicher Angelegenheiten vom staatlichen Regelungsanspruch aus. Art. 15 unterstreicht so den auch anderswo erkennbaren Befund, dass in Westfalen – zumindest programmatisch – die Gesellschaftsumwälzungen radikaler und tiefgreifender betrieben wurden als in Berg und Frankfurt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass es ab 1809 aus finanziellen Gründen zu einer vermehrten Konfiskation von Klöstern, Kapiteln und geistlichen Stiftungen durch die westfälische Staatsgewalt kam.313 Dass allerdings in allen Napoleoniden vor der Kirche und ihren traditionellen gesellschaftlichen Einflussbereichen prinzipiell nicht haltgemacht wurde, zeigte sich (freilich) in den ehe- und familienrechtlichen Regelungen des Code Napoléon.

dd) Gleichheit vor dem Steuergesetz Art. 16 der westfälischen Verfassung bestimmte in seinen beiden Sätzen (und nahezu wortgleich § 15 Satz 1 und 2 in Frankfurt), dass das „Steuersystem . . . für alle Theile des Königreichs ein- und dasselbe seyn [soll]“ und die „Grundsteuer . . . den fünften Theil des Ertrags der Grundstücke nicht übersteigen dürfen [soll].“ Der erste Satz von Art. 16 bzw. § 15 zielte darauf, für die territorial zusammengeschusterten Staatsgebilde eine einheitliche und gleichförmige Fiskalverwaltung nach französischem Vorbild314 zu errichten und darüber hinaus die Gleichheit der Vgl. zu diesen D. Puhle, Westphalen, S. 177 ff. Vgl. bei R. Pfeffer, Verfassungen, S. 50 f. 314 Auf keinem Gebiet fand die französisch-westfälische Reformbürokratie ein derartiges Chaos vor wie im Steuerwesen. Die Neuordnung auf der Grundlage von Art. 16 erfolgte nach dem französischem Vorbild durch Einführung der „trinité francaise“, der Steuertrias aus 312 313

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Steuerpflicht aller Untertanen sicherzustellen.315 Im zweiten Satz des Art. 16 (bzw. § 15) war zudem das Verbot einer über 20 % der Einkünfte hinausgehenden Grundsteuer ausgesprochen. Dieser Höchstgrenze lag der Gedanke zugrunde, dass dem staatlichen Steueranspruch eine Schranke gegenüber zu intensiven Eingriffen in die Vermögenssphäre des Einzelnen zu setzen sei – beispielhafter Ausdruck physiokratisch-fundierter Vorstellungen einer liberalen Wirtschaftsordnung.316 Die wirtschaftlichen Kräfte sollten sich in der Gesellschaft ohne allzu starke staatliche Hemmung entfalten. Der Vermögens- und Eigentumsbereich des Einzelnen sollte u.U. konfiskatorisch wirkenden Eingriffen schon auf Normebene grundsätzlich entzogen sein. Darin lag eine bedeutsame Selbstbeschränkung des staatlichen Fiskalzugriffs, wenn sie auch nur die Grundsteuer betraf. Insgesamt löste das auf der Grundlage von Art. 16 in Westfalen eingeführte Steuersystem das in den Territorien vorgefundene chaotische, unübersichtliche Steuersystem ständisch-patrimonialer Prägung weitgehend ab. An die Stelle der bisherigen zahlreichen Sondersteuern und Exemtionen insbesondere für den Adel, aber auch bestimmte Berufszweige317, traten die „Gleichheit vor der Steuer“ sowie ein traditionelle territoriale Steuergefälle planierendes, einheitliches Abgabensystem als Voraussetzungen für die Entfaltung wirtschaftlicher Kräfte.318 Auch und vor allem im Finanzbereich monopolisierte der Staat somit die Macht, rationalisierte und effektuierte die Verwaltung und wollte eine egalitäre „Steuerbürgergesellschaft“ schaffen. Art. 16 war damit in erster Linie ein Baustein des allgemeinen etatistischen Modernisierungsprozesses in den Napoleoniden. Im Vergleich zu ähnlichen, meist weniger erfolgreichen Bestrebungen im Spätabsolutismus des 18. Jahrhunderts zeigte sich auch hier wieder die katalysierende „Vehikel“-Funktion, die der konsequent umgesetzte Gleichheitsgedanke für die Durchsetzung des staatlichen Machtanspruchs zu übernehmen vermochte.

Grundsteuer, Mobiliarsteuer und Patentsteuer, vgl. dazu F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 401 u. K. Rob, in:, Regierungsakten Westfalen, S. 34 ff. 315 Die „Gleichheit vor der Steuer“ ergab sich freilich schon aus den Art. 10 – 12 und Art. 14 (bzw. Art. 11 – 12 und 14 in Frankfurt). 316 F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 401 erblickt in Art. 16 zu Recht das „Durchsickern physiokratischer Ideen“. 317 Beispielhaft hierfür die (schmerzhafte) Aufhebung der Steuerfreiheit der Professoren an der Göttinger Universität, siehe dazu R. Vierhaus, Göttingen im Zeitalter Napoleons, S. 177, 184 und E. Gundelach, Die Verfassung der Göttinger Universität in drei Jahrhunderten, Göttingen 1955, S. 61 ff. 318 In Frankfurt blieb die Reform des Steuerwesen allerdings auf halbem Wege stecken, das französischen Steuersystem wurde nur zum Teil eingeführt, näher dazu W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 231 ff.; In Berg hatte zu Anfang des Jahres 1810 die trinité francaise das ehemalige Steuersystem ersetzt, die dahinter stehenden physiokratische Konzeption wurde allerdings auch hier durch die zusätzliche Wiedereinführung von Verbrauchssteuern (Tabakmonopol, Salzsteuer) durchkreuzt, näher C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 211 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

3. Religionsfreiheit a) Freiheit der Religionsausübung und Diskriminierungsverbot In seinem zweiten Teil bestimmte Art. 10 der westfälischen Verfassung, dass das Königreich „nach solchen Grundgesetzen regiert werden [soll], welche . . . die freie Ausübung des Gottesdienstes der verschiedenen Religions-Gesellschaften festsetzen“ (ähnlicher Wortlaut im zweiten Teil von § 11 der Verfassung von Frankfurt). Damit wurde die Religionsausübungsfreiheit als Verfassungsgrundsatz verankert. Wie bei der allgemeinen Gleichheit vor dem Gesetz trat schon in der Formulierung der Gewährungscharakter des Rechts, seine Qualität als (Regierungs-)Grundsatz hervor: Nicht eine universelle, vorstaatliche Religionsausübungsfreiheit wurde verkündet, sondern die Verpflichtung der Staatsgewalt auf Garantierung eines erst durch die Verfassung verliehenen Rechts. Die Gewährung der Religionsausübungsfreiheit konnte im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts nicht mehr als übermäßig revolutionärer Akt wirken. Durch die Toleranzgesetzgebung des aufgeklärten Absolutismus friderizianischer und josephinischer Prägung, der auch auf die deutschen Klein- und Mittelstaaten ausgestrahlt hatte, waren bereits weitreichende Schritte in dieser Hinsicht unternommen worden. Zudem hatte sich durch die Schriften Voltaires, Lessings und Mendelssohns ein entsprechender geistiger Nährboden in der deutschen Aufklärungsgesellschaft allgemein und besonders in den Reformbürokratien gebildet. Revolutionär war aus deutscher Perspektive somit nicht in erster Linie die Gewährung der Religionsausübungsfreiheit als solche, sondern nur ihre erstmalige Niederlegung in einer Verfassungsurkunde in Westfalen und Frankfurt. Dem Wortlaut der beiden Verfassungen nach umfasste die gewährte Freiheit nur die „freie Ausübung des Gottesdienstes“. Zwangsläufig beinhaltete dies auch das vorgelagerte Bilden und Haben einer bestimmten religiösen Überzeugung. Die Formulierung „Gottesdienst“ legt allerdings eine Beschränkung auf traditionelle Manifestationsformen von Glaubensinhalten wie Gebete, Gesänge, Liturgien, Prozessionen, Sakramente, Beerdigungsriten, Glockengeläute usw. nahe. Sicherlich dürfte Art. 10 (bzw. § 11) keinen darüber hinausgehenden Gewährleistungsinhalt besessen haben, etwa im Sinne des heutigen, weiten Verständnisses der Religionsfreiheit als Schutz jedes glaubensgeleiteten Handelns. Glaubensfreiheit war nur insoweit umschlossen, als sie sich in tradierten Kulthandlungen äußerte. Die Gewährung der Religionsausübungsfreiheit besaß freilich nicht nur eine freiheitsrechtliche, sondern zugleich auch eine gleichheitsrechtliche Dimension. Denn sie wurde unterschiedslos allen Untertanen zugebilligt und stellte somit alle Religionsausübenden in diesem Punkt einander gleich.319 Hieraus ergab sich eine konkrete gleichheitsrechtliche Konsequenz, nämlich das Verbot einer an das Glau319 Vgl. auch G. Kleinheyer, Aspekte der Gleichheit in den Aufklärungskodifikationen und den Konstitutionen des Vormärz, Beiheft 4 zu „Der Staat“, Berlin 1980, S. 7, 18 f.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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bensbekenntnis anknüpfenden Diskriminierung. Hatten in den Gebieten Westfalens bisher etwa im Hannoverschen nur Lutheraner, im Hessischen nur Reformierte, und in einigen Fürstbistümern (Hildesheim, Paderborn) nur Katholiken Zugang zu öffentlichen Ämtern gehabt, so war der Zugang nunmehr jedem eröffnet, unabhängig von seinem Glaubensbekenntnis.320 Die Gewährung der Religionsfreiheit bewirkte also im thematischen (Gleichheits-)Kontext des Art. 10 bzw. § 11, dass die Religionszugehörigkeit kein zulässiges Differenzierungskriterium mehr sein durfte. In Ergänzung der französischen Fassung des westfälischen Verfassungstextes, die sich auf die Garantie des „libre exercise des cultes“ bezog, war in der deutschen Übersetzung des Art. 10 noch der Terminus „Religions-Gesellschaften“ bzw. in Frankfurt in § 11 der „der verschiedenen verfassungsmäßig aufgenommenen Religionsbekenntnisse“ enthalten. Diese Formulierungen sollten nicht etwa die individualrechtliche Dimension der Freiheitsgewährleistung in Frage stellen. Das Wort „der“ dürfte nicht als Possessivum gedacht worden sein (in dem Sinne, dass – quasi als Institution – nur die Gottesdienste der Religionsgesellschaften geschützt wären), sondern im Sinne von „bei den“. Geschützt werden sollte die Freiheit der Teilnahme des Einzelnen am Gottesdienst bei den Religionsgesellschaften. Ein Ausschluss der Individualberechtigung hätte weder im Übereinklang mit der individualrechtlichen Struktur des Art. 10 bzw. § 11 insgesamt gestanden, noch der französischen Verfassungstradition entsprochen. Allerdings werfen die Verfassungstexte die Frage auf, warum die Religionsgesellschaften bzw. Religionsbekenntnisse gesondert aufgeführt wurden: Der Begriff der „Religionsgesellschaften“ war im 18. Jahrhundert auf naturrechtlicher Grundlage als staatskirchenrechtlicher Begriff entstanden. Er kennzeichnete den rechtlich organisierten Zusammenschluss der Anhänger einer bestimmten religiösen Überzeugung und begründete ein kollegialistisches Verständnis der Kirchen. Mit ihm verband sich die Vorstellung einer Freiheit der Kirchen hinsichtlich ihrer inneren, geistlichen Struktur einerseits und andererseits von weltlicher Seite her einer staatlichen Kirchenhoheit als bloße Kirchenaufsicht. Als theologisch neutraler, hinsichtlich des Religionsinhalts indifferenter Begriff ermöglichte er dem Staat, sich von der Identifikation mit einem bestimmten Bekenntnis zu lösen. Die verschiedenen Glaubensgemeinschaften wurden so von der Gefahr inhaltlicher staatlicher Ingerenz befreit. Angesichts der mit den Säkularisierungsvorgängen von 1803 verstärkten konfessionellen Heterogenität in den deutschen Territorien der Napoleoniden konnte mit dem Begriff der Religionsgesellschaften die Stellung der Glaubensgemeinschaften im Rahmen der staatlichen Rechtsordnung bestimmbar gemacht werden.321 Die in dieser säkularen BegriffsVgl. H. Berding, Modellstaat, S. 181, 189. Zum Ganzen K. H. Kästner, Art. „Religionsgesellschaft“, in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 4, Berlin 1990, Sp. 874 ff. 320 321

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bildung ausgedrückte theologisch-inhaltliche Distanz des Staates zu den jeweiligen Glaubensgemeinschaften schuf die notwendige Voraussetzung, um über die individuelle Religionsfreiheit hinaus auch zur Anerkennung einer korporativen Religionsfreiheit der Glaubensgemeinschaften als solcher zu gelangen.322 Es ist zu vermuten, dass die Aufnahme des Terminus „Religions-Gesellschaften“ in den westfälischen Verfassungstext genau diesem Ziel dienen sollte. Gleiches gilt für den Terminus der „verfassungsmäßig aufgenommenen Religionsbekenntnisse“ in Frankfurt.323 Mit der Gewährung der individuellen Freiheit des Gottesdienstes „bei den“ Religionsgesellschaften wurde zugleich (eben) deren Existenz anerkannt und – denn wozu sonst sollte diese Anerkennung in der Verfassung ausgesprochen sein – damit (wohl) auch ihre Stellung als Träger eigener (kollektiver) Rechte – jedenfalls hinsichtlich ihrer inneren Autonomie – festgelegt oder zumindest schon angedeutet.

b) Die Judenemanzipation Auf kaum einem Gebiet wurde der fortschrittliche Anspruch der napoleonischen Modellstaatspolitik so in die Tat umgesetzt wie auf dem Felde der Emanzipation der Juden.324 In den Vorläuferterritorien war die Lage der Juden325 in weiten Teilen bedrückend gewesen. Judenordnungen, Sonderabgaben, Einschränkungen jüdischer Erwerbstätigkeit und Bewegungsfreiheit, Berufsverbote und Leibzölle sowie andere Diskriminierungen drückten sie in eine soziale und rechtliche Existenz „am Rande der christlichen Ständegesellschaft“.326 Unter ausdrücklichem Rekurs auf Art. 10 hat die französisch-westfälische Reformbürokratie sehr früh in Gestalt zweier Dekrete vom Frühjahr 1808 eine geradezu epochemachende, zu ihrer Zeit in Europa führende Emanzipationsgesetzgebung erlassen, die der jüdischen Bevölkerung die vorbehaltslose und uneingeschränkte rechtliche Gleichstellung brachte. Das erste, bedeutendere Dekret vom Ders., ebd. Mit „verfassungsmäßig“ war in Frankfurt so wohl die Konsistorialverfassung gemeint. Im Einzelnen handelte es sich damit bei den anerkannten Religionsbekenntnissen auf dem Territorium des Großherzogtums Frankfurt um die lutherischen Protestanten, die Reformierten sowie die Katholiken, siehe näher W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 209. Zur (ähnlichen) Kirchen- und Konfessionspolitik in Berg siehe C. Schmidt, Groherzogtum Berg, S. 204 ff. 324 Zum Folgenden die (grundlegende) Studie von H. Berding, Die Emanzipation der Juden im Königreich Westfalen (1807 – 1813), in: Archiv für Sozialgeschichte, 23 (1983), S. 23 ff.; siehe auch ders., Judenemanzipation im Rheinbund, in: E. Weis (Hrsg.), Reformen im rheinbündischen Deutschland, München 1984, S. 269 ff. 325 F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 232 gibt für 1810 die Zahl von 18.241 Juden in Westfalen an; ähnlich H. Berding, Emanzipation der Juden, S. 23, 34 mit Hinweis auf die unsichere Datenbasis; siehe auch C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 209, der die Zahl der Juden in Berg auf ca. 4000 – 5000 schätzt. 326 H. Berding, Modellstaat, S. 181, 189. 322 323

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Januar 1808327 verlieh in sechs Artikeln den Untertanen mosaischen Glaubens „dieselben Rechte und Freyheiten . . . wie Unsere[n] übrigen Unterthanen“ (Art. 1), beseitigte Rechtsunterschiede zwischen jüdischen und nichtjüdischen Fremden (Art. 2), hob (unter Androhung von Erpressungsanklage bei Zuwiderhandlung !) sämtliche nur Juden betreffende Sonderabgaben und Auflagen auf (Art. 3), erklärte alle Einschränkungen in Heirats-, Schul- und Erbvorschriften für ungültig (Art. 4) und gewährte vollständige Wohn- und Handelsniederlassungsfreiheit (Art. 5). Das zweite Dekret vom März 1808328 regelte das Verhältnis zwischen dem Staat und der jüdischen Religionsgemeinschaft. Letzterer wurde die freie Ausübung des Gottesdienstes und die innere Organisationsfreiheit zugesichert sowie nach dem Vorbild der französischen Konsistorialverfassung der Aufbau einer zentralen jüdischen Kultusverwaltung (Konsistorium) zugestanden, welche zur Unterstützung der Staatsaufsicht dienen sollte.329 Kurz darauf folgte das Großherzogtum Berg mit einer inhaltlich ähnlich weitgehenden Regelung.330 Auch in Frankfurt wurde eine Gleichstellungsgesetzgebung erlassen, allerdings erfolgte die Gleichstellung dort nicht so weitgehend und nur gegen Ablösezahlung.331 In den bildungsbürgerlichen Schichten Deutschlands stieß die fortschrittliche Emanzipationsgesetzgebung auf starke Sympathien. Die westfälische Reformbürokratie hat sie zudem sehr konsequent umgesetzt.332 Auch insoweit waren die emanzipatorischen Ideen der französischen Revolution in Deutschland auf fruchtbaren Boden gefallen, der durch die deutsche Toleranztradition um Dohm, Lessing und Mendelssohn vorbereitet worden war.333 Freilich bedurfte es der energisch ordnenden staatlichen Hand, um diese Tradition in praktische Wirksamkeit umzusetzen. In diesem Sinne dokumentieren die Emanzipationsdekrete vom Frühjahr in eindrucksvoller Weise den Charakter der westfälischen Verfassungs- und Gesellschaftspolitik als einer dem Ideal staatsbürgerlicher Gleichheit verpflichteten Revolution von oben. Aus verfassungsgeschichtlicher Sicht besonders bedeutsam war die ausdrückliche Anbindung und Berufung der Emanzipationsgesetzgebung auf 327 Dekret vom 27. Januar 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 358 ff.; Das Dekret ist mitunter als „Befreiungsdekret“ bezeichnet worden, eindrucksvoll in diesem Zusammenhang die Abhandlung von L. Horwitz, Die Israeliten unter dem Königreich Westfalen, Kassel 1900. 328 Dekret vom 31. März 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 666 ff. 329 Zum Ganzen H. Berding, Emanzipation, S. 23, 39 ff.; W. Kohl, Westphalen, S. 94 ff.; D. Puhle, Westphalen, S. 166 ff. 330 Generalverordnung betr. die bürgerliche Gleichstellung der Juden im Großherzogtum Berg, abgedruckt in: Regierungsakten Berg, S. 34. 331 Siehe Verordnungen vom 7. Februar 1811 und 28. Dezember 1811, abgedruckt in: Regierungsakten Frankfurt, S. 147 ff. Zu den Ablöseverhandlungen und – regelungen für die etwa 3000 Juden in Frankfurt siehe K. Rob, in: Regierungsakten Frankfurt, S. 126, 127 ff. 332 H. Berding, Emanzipation, S. 23, 39 ff.; Dies übersieht S. Volkow, Die Juden in Deutschland 1780 – 1918, in: L. Gall (Hrsg.), Enzyklopädie deutscher Geschichte, Bd. 16, München 1994, S. 19. 333 Dazu S. Volkow, Juden in Deutschland, S. 8 ff.

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die Rechtsgrundlagen in der Verfassung („ . . . vu les articles . . . “334). Ein weiteres trat hinzu: In Frankreich war die Judenpolitik durch die napoleonischen Ausnahmegesetze vom 17. März 1808 wieder weit hinter den fortschrittlichen Stand der Revolution zurückgefallen. Dass sich weder Berg noch Westfalen dem anschlossen, verdeutlicht, dass die beiden französischen Reformbürokratien gerade zu Beginn ihrer Tätigkeit im Jahre 1808 zu einem nicht unerheblichen Maße mit fortschrittlichem Sendungsbewusstsein angetreten waren (wie es später der jüdische Bewohner des Großherzogtums Berg Heinrich Heine in den Reisebildern und den Briefen aus Berlin in Erinnerung gehalten hat335).

4. Aufhebung der Leibeigenschaft und Herstellung der Freiheit der Person am Beispiel Westfalens a) Überblick Insbesondere in den beiden Flächenstaaten Westfalen und Berg war die Aufhebung der Leibeigenschaft und die damit verbundene Herstellung der Freiheit der Person einer der wichtigsten Reformbereiche. Die Leibeigenschaft („servage“) als bedrückendste Form der Unfreiheit und Ungleichheit war eines der zentralen privatherrschaftlichen Institute des Feudalismus, ihre Beseitigung selbstverständliches Anliegen des in der französischen Revolution zum Durchbruch gelangten Menschenbildes. Aus grundrechtsgeschichtlicher Sicht waren die entsprechenden Verfassungsbestimmungen (in Westfalen und Frankfurt jeweils der Art. 13) und Dekrete (in Berg das Dekret vom 12. Dezember 1808336), mit denen die Bauernbefreiung eingeleitet wurde, von herausragender Bedeutung. Im Einzelnen ist die Durchführung der Bauernbefreiung in Berg und stärker noch in Westfalen allerdings auf immense Schwierigkeiten gestoßen. Zentral kreisten sie um die Frage der bäuerlichen Ablösung und grundherrlichen Entschädigung für den Wegfall der vielfältigen, zum Teil an die Person gebundenen Abhängigkeiten und zum Teil an die überkommene Boden- und Eigentumsordnung geknüpften Dienste und Abgaben. Anders als in Frankreich 1793 und später überwiegend im linksrheinischen Deutschland wurde in den Napoleoniden nicht mehr die entschädigungslose Abschaffung sämtlicher Dienste und Abgaben der vormals Leibeigenen verfügt. Darin lag letztlich die Hauptursache für das Steckenbleiben der Reform auf halbem Wege und in einer juristischen Gemengelage aus Siehe Vorspann zum Dekret vom 27. Januar 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 358. Vgl. bei H. Heine in den Briefen aus Berlin, Zweiter Brief vom 16. März 1822, hier nach Abdruck in: Sämtliche Schriften, Bd. 2, (3. Aufl. der dtv-Ausgabe), München 1997, S. 38: „. . . und Beugnot, der brave Franzose, der den Bewohnern des Großherzt. Berg, trotz seiner Hasserregenden Stellung, so manch schöne Beweise eines edeln und großen Charakters gegeben hat . . .“. 336 Abdruck in: Regierungsakten Berg, S. 92 ff. 334 335

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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überkommener feudaler Eigentumsbegrifflichkeit und damit inkompatibler, nachrevolutionärer Eigentumsbegrifflichkeit des Code Napoleon einschließlich einer Unzahl an diesbezüglichen Prozessen und gesetzlichen Nachbesserungsversuchen.337 Die Schwierigkeiten der Bauernbefreiung sind im Einzelnen insbesondere von E. Fehrenbach und W. Schubert unter der Perspektive der Einführung des Code Napoléon in den Rheinbundstaaten ebenso grundlegend wie detailgetreu erschlossenen worden. Im Folgenden sollen daher – unter weitgehendem Rückgriff auf diese Forschungsergebnisse – nur skizzenhaft und am Beispiel Westfalens sowohl Fortschrittlichkeit wie auch Verwirklichungshemmnisse der individualrechtlichen Forderung des Art. 13 beleuchtet werden.

b) Die Herstellung der persönlichen Freiheit des Einzelnen in Westfalen: Ambitiöser Ansatz und Verwirklichungsprobleme Art. 13 der westfälischen Verfassung bestimmte, dass „Alle Leibeigenschaft, von welcher Natur sie seyn und wie sie heißen möge, . . . aufgehoben [ist], indem alle Einwohner des Königreichs gleiche Rechte genießen sollen.“ Damit wurden schon unmittelbar durch den Verfassungstext („ist aufgehoben“) die unter dem Begriff der Leibeigenschaft zusammengefassten Jahrhunderte alten Rechtsverhältnisse abgeschafft, die in unterschiedlicher Intensität die persönliche Abhängigkeit „Leibeigener“ von ihren „Leibherren“ festgelegt hatten. Der Wortlaut von Art. 13 („von welcher Natur sie seyn und wie sie heißen möge“) machte klar, dass die Vorschrift die gesamte Vielfalt der rechtlichen Ausgestaltungen der Leibeigenschaft lückenlos erfassen und sich von der weit verbreiteten Unschärfe ihrer Bezeichnung bei diesem Vorhaben nicht hindern lassen wollte. Tatsächlich hat es in Europa keine einheitliche Ausprägung der Leibeigenschaft gegeben. In mehr oder minder intensiver Form je nach Territorium umfasste sie als rechtlich abhängige Stellung des Leibeigenen von seinem Leibherren unterschiedlichste Beschränkungen der Rechtsfähigkeit durch zahlreiche persönliche Dienstpflichten (z. B. Gesindezwangsdienste, Frondienste etc.), Erlaubniserfordernisse (z. B. Heirat, Erbe, Beruf), Beschränkungen im vermögensrechtlichen Bereich (z. B. Verfügungsbeschränkungen / Abgaben) und – besonders einschränkend – der Freizügigkeit („Schollenpflichtigkeit“).338 Auch in den verschiedenen westfälischen Gebieten existierten unterschiedliche Varianten der Leibeigenschaft, wobei 337 Aus zeitgenössischer Sicht siehe die vielfältigen Ausführungen im Werk von K. F. F. Bucher, Systematische Darstellung des im Königreiche Westphalen geltenden Napoleonischen Privatrechts, Erster Band, Halle / Berlin 1809. 338 Vgl. F.-W. Henning, Art. „Leibeigenschaft“, in: A. Erler / E. Kaufmann / D. Werkmüller (Hrsg.), Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (HRG), Bd. 2, Berlin 1978, Sp. 1762 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

in den meisten Gegenden eine meist als „westdeutsche Grundherrschaft“ bezeichnete, weniger strenge Form der Abhängigkeit vorherrschte.339 In der überwiegend agrarischen Gesellschaft der Vorläuferstaaten Westfalens sollte Art. 13 als „Bauernbefreiung“ zum Ausgangspunkt des angestrebten Übergangs zu einer auf freiem Eigentum und Gleichheit beruhenden bürgerlichen Gesellschaft werden. Flankiert wurde die Vorschrift in diesem Punkt durch den in Art. 45 der Verfassung mit Geltung ab dem 1. Januar 1808 eingeführten Code Napoléon. Angesichts der Vielfalt der von den Grundholden zu leistenden Dienste und Abgaben und der ihnen auferlegten Beschränkungen und auch wegen der Komplexität der gemischten grundherrschaftlichen Eigentumsformen bedurfte Art. 13 einer umfangreichen Ausführungsgesetzgebung. Erst sie erhellt, bis zu welchem Grad die „Bauernbefreiung“ tatsächlich vorangetrieben wurde. Den ersten Schritt dieser Ausführungsgesetzgebung bildete das schon wenige Monate nach Gründung Westfalens erlassene Dekret über die Abschaffung der Leibeigenschaft vom 23. Januar 1808.340 Danach wurden alle Personalfronen, d. h. alle unmittelbar an die Person anknüpfenden oder kraft eines bestimmten Wohnsitzes begründeten Verbindlichkeiten und Dienste sowie sämtliche unbestimmten Dienste (etwa Hand- und Spanndienste), des weiteren der Gesindezwang, der Brautlauf, Erziehungsbeschränkungen, Züchtigungsrechte, Freizügigkeitsbeschränkungen und Sterbefallabgaben (mortuarium) abgeschafft (Art. 1 – 6 des Dekrets).341 Konkret bedeutete dies für die bisherigen Leibeigenen das Recht auf Freiheit, über die eigene Tätigkeit zu entscheiden, die Heiratsfreiheit, das Recht autonomer Kindererziehung, die Freiheit vom Hausdienst beim Grundherren, die uneingeschränkte Freizügigkeit sowie das abgabenfreie Erbrecht am Nachlass der Angehörigen. Bedeutsamer noch war Art. 7 des Dekrets, der sämtliche Verfügungsbeschränkungen im Rechtsverkehr aufhob und insbesondere das Recht zum vollen Eigentumserwerb gemäß dem Code Napoléon gewährte. Jenseits dieser auf die spezifisch persönliche Freiheit und Gleichheit abzielenden Regelungen (Art. 13 „. . . in dem alle Einwohner des Königreichs gleiche Rechte genießen sollen . . .“) musste jedoch auch die Rechtslage hinsichtlich der aus der Überlassung der Bodennutzung (dominium utile) begründeten zahlreichen Dienste und Abgaben geklärt werden. Anders als in Frankreich und den linksrheinischen Gebieten, wo sämtliche Feudallasten auch dieser Art entschädigungslos entfallen waren, blieb die Agrarreform in Westfalen eben auf jenem Gebiet stecken. So beließ Art. 9 des Dekrets das dingliche Obereigentum (dominium directum) beim bisherigen Grundherren342, und Art. 11 knüpfte die Verfügungs339 K. Rob, in: Regierungsakten Westfalen, S. 89; K. v. Raumer, Deutschland um 1800, S. 317 f., siehe auch F.-W. Henning, Art. „Leibeigenschaft“, Sp. 1762 ff. 340 Dekret vom 23. Januar 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 334 ff. 341 Für das Jahr 1808 galt allerdings eine (abfedernde) provisorische Übergangslösung gemäß dem Dekret zur Frondverpflichtung anläßlich der Ernte in 1808, Bulletin, Bd. 2, 2. Aufl. 1808, S. 266 ff.

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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befugnis des Bauern über sein dominium utile an das Erfordernis des grundherrlichen Konsenses. Mit dem Obereigentum blieben alle auf der dinglichen (nicht der persönlichen) Grundherrschaft beruhenden Zinsen, Renten, Zehnten, Geldund Naturalabgaben etc. bestehen.343 So änderte sich an den bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen de facto und rein ökonomisch zunächst nicht viel. Zwar erklärte Art. 13 diese sogenannten Grunddienstbarkeiten für ablösbar. Aufgrund der im Dekret vom 18. August 1809 hierfür festgelegten Höhe des 20 – 25fachen Betrages der jeweiligen Geld- oder Naturalabgaben344 konnte die Ablösung jedoch nur äußerst selten realisiert werden.345 An sich hatten dieser faktisch-ökonomischen Beibehaltung der dinglichen Feudalrechte juristische Hindernisse entgegengestanden, die aus dem neu eingeführten CN resultierten. Dessen schon auf die nachrevolutionäre bürgerliche Gesellschaft Frankreichs zugeschnittenem Eigentumsbegriff war der geteilte Eigentumsbegriff mit dem grundherrschaftlichen Obereigentum (dominium directum) und Nutzeigentum (dominium utile) fremd; bei konsequenter Anwendung des Gesetzbuchs hätten die grundherrschaftlichen Rechte aufgehoben werden müssen.346 Hiergegen hatte sich in der westfälischen Adelsopposition jedoch heftiger Widerstand geregt, der sich schließlich durchsetzen konnte. Die Lösung und „juristische Rechtfertigung“347 für den Fortbestand des grundherrschaftlichen Obereigentums fand man in der Vorschrift des Art. 530 CN, in dem jede Grundrente ihrem Wesen nach für ablösbar erklärt wurde (Prinzip der Nichtperpetuität).348 In „westfälischer Lesart“ deutete man die feudalen und patrimonialen Abhängigkeitsverhältnisse nun in sol342 Vgl. dazu Rapport Siméons an Jérome vom 14. Januar 1808, abgedruckt in: Regierungsakten Westfalen, S. 90 f. 343 Dekret zur Bestimmung der aufgehobenen bzw. beibehaltenen Fronden, Bulletin, Bd. 3, 2. Aufl., 1809, S. 146 ff.; dazu der später die Halbherzigkeit der Ablöse bedauernde Rapport Siméons, abgedruckt in: Regierungsakten Westfalen, S. 128 ff.: Vgl. demgegenüber auch J. Presser, Napoleon, S. 147 zur politischen Einigkeit der deutschen Teile in der westfälischen Ministerialspitze hinsichtlich der Ablehnung einer (völligen) Zerschlagung des Grundeigentums. 344 Siehe Art. 1 – 6 des Dekrets über die Ablösemodalitäten, abgedruckt in: Regierungsakten Westfalen, S. 144 ff. und diesbezüglicher Rapport Siméons, ebd., S. 140 f.; vgl. dazu W. Schubert, Französisches Recht, S. 374 ff. 345 Siehe E. Fehrenbach, Der Einfluß des napoleonischen Frankreich auf das Rechts- und Verwaltungssystem Deutschlands, in: A. v. Reden-Dohna (Hrsg.), Deutschland und Italien im Zeitalter Napoleons, Wiesbaden 1979, S. 23, 30. 346 Dies lag wohl deutlich in der Intention Siméons, vgl. sein Schreiben an den Präfekten des Fuldadepartement, Auszug abgedruckt bei K. Rob (Bearb.), Regierungsakten Westfalen, S. 97 (Fn. 6, siehe dort auch Fn. 7); Zur fortschrittlichen Rolle Siméons im westfälischen Reformprozess insgesamt J. Tulard, Siméon, S. 557 ff. vgl. auch E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 301 u. H. Berding, Modellstaat, S. 181, 188. 347 H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 76 f. 348 Abdruck in: Code Napoléon, Édition seule officielle pour le Royaume de Westphalie, Strasbourg 1808, S. 119 f.; Vgl. dazu E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 302 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

che des Art. 530 CN, d. h. rein privatrechtlich (vertraglich) begründet gedachte, ablösbare Rechtsverhältnisse um, womit man ihren grundsätzlichen Bestand legalisiert hatte. Das geteilte Eigentum blieb damit bis zum Loskauf bestehen. Der feudale Obereigentumstitel wurde durch den privatrechtlichen Eigentumstitel ersetzt.349 Der Grundherr wandelte sich (rechtlich) zum bloßen Grundbesitzer, die Beziehungen zwischen ihm und den Bauern bekamen einen rein privatrechlichen (schuldrechtlichen) Charakter. Das politische und soziale Element, welches die Stellung des Grundherren ausgemacht hatte, verschwand, und an seine Stelle trat das bürgerliche Eigentum an kapitalisierten und später z.T. hypothekarisch eingetragenen350 Grundrenten.351 Der Adel hat sich auch dagegen erheblich gewehrt, was u. a. bewies, wie wichtig ihm Statusfragen im Vergleich zu wirtschaftlichen Überlegungen waren.352 Insgesamt bedeutete diese Umsetzung des Art. 13 der Verfassung de facto keinen sozialrevolutionären Umsturz der ländlichen Gesellschaftsordnung wie in Frankreich.353 Sie beschränkte sich „nur“ auf die Abschaffung der Leibeigenschaft „im engeren Sinne“, d. h. der an die Person anknüpfenden Ungleichheiten und Freiheitsbeschränkungen, was allerdings in Westfalen aufgrund der schon vorher moderaten Verhältnisse weniger ins Gewicht fiel als anderswo.354 Die Stellung des vormals Leibeigenen war nun nicht mehr eine dem Leibherrn gegenüber subordinierte, sondern beide waren einander formalrechtlich gleichgestellt. Dies hatte (neben der rechtlichen Wirkung des Art. 12 der Verfassung) auch zur Folge, dass die Unterworfenheit unter die Patrimonialgerichtsbarkeit endete und der vormals Leibeigene auch insofern in ein unmittelbares Verhältnis zum Staat trat, seine Rechte künftig selber wahrnehmen konnte. An den ökonomischen Verhältnissen änderte sich damit aber zunächst wenig. Das von Art. 13 ausgehende ambitiöse Unternehmen Bauernbefreiung blieb in den Ansätzen stecken.355 Seiner sozial-ökonomischen Struktur nach blieb Westfalen ein halbfeudaler Staat.356 Das Aufeinandertreffen der komplexen feudalen RechtsE. Fehrenbach, Der Adel in Frankreich und Deutschland, S. 177, 206. Siehe hierzu das Dekret über die Eintragung der Grundabgaben und Prästanda in die Hypothekenbücher vom 20. April 1810, in: Regierungsakten Westfalen, S. 238 ff.; vgl. auch W. Schubert, Französisches Recht, S. 375. 351 Zum Ganzen E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 45 ff. u. F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 197 ff. 352 C. Dipper, Die Bauernbefreiung in Deutschland 1790 – 1850, Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1980, S. 54. 353 H. Berding, Modellstaat, S. 181, 188 f. 354 Vgl. K. v. Raumer, Deutschland um 1800, S. 317 f. 355 E. Fehrenbach, Adel in Frankreich und Deutschland, S. 177, 207; M. Lahrkamp, Die französische Zeit, S. 34. 356 H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 73 f.; vor allem aufgrund Kapitalmangels der mittleren und kleineren Bauern, immenser Verfahrensschwierigkeiten und der ab 1810 rapide ansteigenden Steuerbelastung haben nur wenige von der Ablösemöglichkeit 349 350

III. Einzelne Ausgestaltungen in Westfalen, Frankfurt und Berg

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verhältnisse mit der modernen französischen Rechtsordnung führte vor allem zu großen praktischen Schwierigkeiten, weil über die Einordnung und Natur der unübersehbaren, z.T. verflochtenen Vielzahl der abzuschaffenden Abgaben und Dienste keine Einigkeit bestand und sie oftmals von den erlassenen Gesetzen nicht erfasst waren und darüber Unklarheit bestand.357 Die Gesetzgebung konnte die Probleme nicht sämtlich aus dem Stande lösen, versuchte – wie an der Dekretabfolge erkennbar ist – ständig nachzubessern. Die Folge war eine Unzahl von Streitschriften und Prozessen.358 Immerhin aber eröffnete die Ablösbarkeit die Perspektive für eine wenigstens langfristige Änderung der agrarischen Sozialordnung. Insofern wird man Art. 13 jedenfalls attestieren können, dass er neben der Abschaffung der Leibeigenschaft im engeren Sinne, die ja einen epochalen persönlichen Freiheitsgewinn darstellte, zumindest wichtige Voraussetzungen für den Weg hin zur bürgerlichen Eigentümergesellschaft geschaffen hat.

Gebrauch gemacht, vgl. U. Hagenah, Ländliche Gesellschaft im Wandel zwischen 1750 und 1850, S. 173, 179. 357 E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 88 ff.; den erfolgreicheren und weitreichenderen Weg in dieser Hinsicht beschritt das Großherzogtum Berg, da es den Bauern das volle Besitzrecht am Hof zuerkannte und durch die umfassende, auf bäuerliches Drängen ergehende gesetzliche Inventarisierung der mannigfaltigen Dienste und Abgaben wenigstens ein Stück weit Klarheit geschaffen wurde (Kaiserliches Dekret, die im Großherzogtum Berg abgeschafften Gerechtsame und Abgaben betreffend, vom 13. September 1811, Abdruck in: Regierungsakten Berg, S. 397 ff., siehe dort die in den Art. 1 – 12 des Dekrets im Einzelnen erfolgende Erfassung der über 100 ! verschiedenen einzelnen Dienste und Abgaben). Zudem annulierte die bergische Regierung die zuvor angelaufene Prozesslawine mit Dekret über die Niederschlagung der Prozesse vom 28. März 1812, Abdruck in: Regierungsakten Berg, S. 441 ff.). Insgesamt zur erfolgreicheren Agrarreform in Berg E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 79 ff., K. Rob, Napoleonische Bauernbefreiung. Staatskunst im Großherzogtum Berg, Staatsversagen im Königreich Westphalen, in: B. Dietz (Hrsg.), Das Großherzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat, Köln 1995, S. 66 ff. u. W. v. Hippel, Napoleonische Herrschaft und Agrarreform in den deutschen Mittelstaaten 1800 – 1815, in: H. Berding / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Düsseldorf 1981, S. 296, 304 ff.; Im Großherzogtum Frankfurt wurde zwar die quantitativ nicht mehr so stark vorhandene Leibeigenschaft aufgehoben, die grundherrlichen Dienste blieben aber – außer in Hanau und Fulda – nach westfälischem Vorbild ablösbar bestehen, vgl. dazu schon Wortlaut des Art. 13 der Verfassung von Frankfurt und siehe insgesamt P. Darmstädter, Frankfurt, S. 275 ff. 358 Vgl. hierzu die Übersichten in: Westphälische Justizbehörden 1807 – 1813 (1815), Repertorium des Hessischen Staatsarchivs Marburg, Bestand 265, 1807 – 1813 (1815), bearb. von R. König, hrsgg. vom Hessischen Staatsarchiv Marburg in Verbindung mit der Historischen Kommission für Hessen, Marburg 1992, S. 24 ff. und bei B. W. Pfeiffer (Hrsg.), Rechtsfälle entschieden nach dem Gesetzbuche Napoleons von Frankreichs und Westphalens obersten Gerichtshöfen, Bd. 1 – 2, Hannover 1811 – 1813.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

IV. Bereichsbezogene Relativierungen und Ausnahmen der napoleonischen Egalisierungspolitik im Agrarsektor Die nachhaltigste Durchbrechung der ansonsten jedenfalls partiell konsequent betriebenen Egalisierungspolitik in den Napoleoniden stellte die napoleonische Dotationspolitik dar, die vor allem im Königreich Westfalen intensiv betrieben wurde.359 Wie unter dem Brennglas zeigte sich daran die „Janusköpfigkeit“ (E. Fehrenbach) der napoleonischen Herrschaft – gesellschaftspolitischer Reformimpetus auf der einen Seite, pragmatisch kalkulierte Machtsicherung auf der anderen Seite. Die Dotationspolitik war ein zentrales Element der zweiten Kategorie: sie zielte auf Herausbildung einer neuen Militär- und Verdienstaristokratie, aus der eine Stütze der bonapartistischen Erbmonarchie gezimmert werden sollte. Als ökonomische und soziale Machtbasis dieser Schicht sollte vor allem ein eigentumsrechtlich privilegierter Grundbesitz fungieren.360 Dahinter stand die (erneuerte) traditionelle Vorstellung, dass nur ein Güteradel langfristig sichere Stütze der Monarchie sein konnte.361 Wegen des in der Revolution vollzogenen Umsturzes der agrarischen Eigentumsverhältnisse waren Dotationsvorhaben in Frankreich allerdings kaum realisierbar. Das Festhalten am im Laufe der Revolution erfolgten Verkauf der Nationalgüter war geradezu eine der Legitimationsgrundlagen der Herrschaft Napoleons in Frankreich. Seine Eidesverpflichtung anlässlich der Kaiserkrönung 1804 hatte ausdrücklich noch einmal die Unwiderrufbarkeit des Verkaufs der Nationalgüter umfasst.362 So nutzte Napoleon die eroberten Flächenstaaten Europas mit ihrer vorgefundenen feudalen Struktur als Reservoir der Landschenkungspolitik. In Westfalen hatte er sich bereits in Art. 2 der Verfassung die Hälfte der fürstlichen Allodialdomänen vorbehalten, und zwar unter dem ausdrücklichen Hinweis, diese künftig zur Belohnung verdienter Offiziere als Donatare verwenden zu wollen. Der staatliche Domänenbestand war gerade in den westfälischen Gebieten besonders umfangreich und vorrangige Ertragsquelle der Staatsfinanzen gewesen.363 Noch vor Gründung des Königreichs hatte Napoleon die öffentlichen Domänen beschlagnahmen lassen und sie einer gesonderten Verwaltung, später der in Paris sitzenden kaiserlichen Domänenverwaltung („Domaine extraordinaire“) unterstellt. Dabei wurden die Dotationen als Majorate konstituiert, aus dem Geltungsbereich der westfälischen Gesetzgebung oftmals ausgenommen und gleichsam enklavenartig einem eigenen Majoratsrecht unterstellt.364 Dies führte nahe an Grundlegend dazu die Arbeit von H. Berding (Fn. 20). Ders., ebd., S. 27 u. 53 ff. 361 Vgl. H. Siegmund, Verfassungsentwicklung, S. 202 f.; E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 53. 362 Siehe bei J. Tulard, Napoleon, S. 193; dort auch das Zitat Balzacs in „Les Paysans“: „Er erschien als der Mann, der den Besitz der Nationalgüter garantiert.“ 363 H. Siegmund, Verfassungsentwicklung, S. 202 f. 359 360

IV. Bereichsbezogene Relativierungen und Ausnahmen im Agrarsektor

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die Bildung eines Staates im Staate.365 Die kaiserliche Domänenverwaltung verfolgte insbesondere in Westfalen rücksichtslos und durch keinerlei reformpolitische Erwägungen temperiert die Interessen der Majoratsinhaber, die in die bisher bestehenden grundherrschaftlichen Rechtsverhältnisse eintraten und diese aus reinem Ertragskalkül fortsetzten.366 Die Grundholden auf den Dotationsdomänen blieben im Ergebnis von der Reformgesetzgebung, insbesondere der Agrarreform mit ihren Entlastungs- und Ablösebestimmungen teilweise ausgeschlossen. Rechtsungleichheit und vor allem Rechtsunsicherheit infolge endloser Streitigkeiten zwischen Bauern, westfälischen Behörden und der kaiserlichen Domänenverwaltung waren die Folge. Letztlich wirkte sich der Einfluss der Donatarinteressen sogar hinderlich auf die Reformanstrengungen außerhalb der Dotationsgebiete aus. Da eine allzu progressive Agrarpolitik potentiell auch die grundherrschaftlichen Strukturen der Domänen zu erodieren gedroht hätte, erlegte man sich hier noch ein Stück mehr Zurückhaltung auf.367 In Berg hielt sich die Dotationspolitik dagegen in erträglichen Grenzen. Zwar kam es auch dort zur Bildung von insgesamt vier von der kaiserlichen Domänenverwaltung geführten Dotationsmajoraten, die Aufhebung der Feudalrechte erstreckte sich hier allerdings konsequent auch auf diese, bemerkenswerterweise um gerade nicht „einen Staat im Staate“ zu bilden.368 Westfalen fungierte in dieser Hinsicht also als negatives Modell.369 Im Großherzogtum Frankfurt hatte Dalberg bei Gründung des Großherzogtums die Fürstentümer Hanau und Fulda erhalten, wobei davon die dort gelegenen kaiserlichen Dotationsdomänen ausgeschlossen waren, deren Binnenverwaltung – ähnlich der Lage in Westfalen – von Teilen der Reformgesetzgebung ausgeschlossen blieb.370 Die teilweise ungehemmte Verfolgung der Dotationspolitik371 macht deutlich, dass die Gesellschaftspolitik in den Napoleoniden nicht ausnahmslos einem dokrinären Schema folgte. Der sozialkonservative Impuls, der von der Re-Aristokrati364 Im Einzelnen hat es endlose, komplexe Streitigkeiten zwischen dem Königreich Westfalen, welches die Geltung seines Rechts für das gesamte Territorium einforderte, und der kaiserlichen Domänenverwaltung um den Rechtsstatus der Dotationsdomänen gegeben, vgl. ausführlich hierzu H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 77 ff., F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 15 ff. u. W. Kohl, Westphalen, S. 161 ff. 365 Vgl. E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 53. 366 H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 110. 367 Ders., ebd. 368 AF IV 1864, AF IV, pl. 5794 zit. nach. C. Schmidt, Großherzogtum Berg, S. 235. 369 Siehe zu Berg auch J. Engelbrecht, Probleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Großherzogtums Berg, in: C. Schmidt, Großherzogtum Berg, hrsgg. von B. Dietz / J. Engelbrecht, S. S. 407, 434; M. W. Francksen, Staatsrat, S. 218 ff.; M. Lahrkamp, Die französische Zeit, S. 31. 370 Die Dotationen wurden später allerdings zurückgekauft, näher P. Darmstädter, Frankfurt, S. 65 f. u. 409 (Abdruck des Kaufvertrages); siehe auch K. v. Beaulieu-Marconnay, Dalberg, Bd. 2, S. 182. 371 M. Stürmer, Die französische Revolution in Deutschland, in: ZfP 1985, S. 251, 265 berichtet von einem Gesamt-Dotationsumfang in Deutschland von bis zu 1000 Staatsgüter.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

sierung ausging, musste das Egalisierungsprogramm zwangsläufig ein Stück weit hemmen. Die den staatlichen und ständischen Herrschaftszugriff begrenzende und den Einzelnen befreiende Wirkung der Grund- und Gleichheitsgarantien wurde so partiell relativiert.372 Neben die Dotationspolitik traten die immensen finanziellen Belastungen durch die Unterhaltung der im Lande befindlichen französischen Truppen, die Stellung eigener Truppenkontingente sowie hohe Kriegskontributionen, die mit zunehmender Dauer nahezu zur finanziellen Erdrosselung der jungen Staatsgebilde führten.373

V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts der napoleonischen Verfassungen zu zeitgenössischen Verfassungen und Rechtsquellen 1. Überblick Mit der französischen Revolution war die Verfassung als neues Instrument zur Lösung des alten Problems der Begründung, Ausübung und Begrenzung von Herrschaft zum beherrschenden Thema der Zeit aufgestiegen, „die europäische Geschichte seit 1789 läßt sich über hundert Jahre geradezu als Geschichte von Verfassungskämpfen schreiben.“374 Die napoleonischen Verfassungen liegen (zeitlich) zwischen der revolutionären Verfassungsgebung am Ausgang des 18. Jahrhunderts und dem Beginn des deutschen Frühkonstitutionalismus ab 1815 sowie parallel zur preußischen Reformgesetzgebung. Dieser politische Kontext, bestimmt von den Anstrengungen und Konflikten um die positiv-rechtliche Fixierung des StaatBürger-Verhältnisses (wie auch des Bürger-Bürger-Verhältnisses375), bietet Anlass zu vergleichender Einordnung der oben betrachteten Grund- und Gleichheitsrechte der napoleonischen Verfassungen. Der Vergleichsbogen soll dabei von den amerikanischen und französischen Menschenrechtserklärungen und Verfassungen von 1776 und 1789 über die preußischen Reformedikte ab 1807 bis hin zu den Verfassungen des Restaurationszeitalters, namentlich der französischen Charte Constitutionelle von 1814 und den süddeutschen Vormärz-Verfassungen von Baden, Bayern und Württemberg gezogen werVgl. zum Ganzen zusammenfassend ders., ebd., S. 108 ff. Vgl. Art. 3 der westfälischen Verfassung; bei P. A. Winkopp, Rheinischer Bund, Bd. 4 (1807), S. 105 ff., 112 werden allein die Kriegskontributionen auf die Höhe der Summe der jährlichen Staatseinnahmen geschätzt. Darüber hinaus beeinträchtigte der Entzug der Dotationsdomänen vor allem die allgemeine Steuer-Ertragskraft des Königreichs erheblich, vgl. H. Siegmund, Verfassungsentwicklung, S. 203. 374 D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 10. 375 Gedacht ist hier vor allem an das Preußische ALR von 1794, den Code Napoléon und das Österreichische Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 („Dreigestirn der Kodifikationen“). 372 373

V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts

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den.376 Die Betrachtung wird unter drei Gesichtspunkten vorgenommen: Zum einen soll (unter 2.) nach der jeweiligen (theoretischen) Grundanlage der verschiedenen Rechtsverbürgungen gefragt werden, zum anderen soll (unter 3.) ihr jeweiliger politischer Charakter vor dem Hintergrund der mit ihrer Errichtung bezweckten Zielsetzung beleuchtet werden („statische“ Bestandssicherung oder „dynamisches“ politisches Programm?). Schließlich gilt die Betrachtung Umfang und Reichweite der jeweiligen Rechteerklärungen und Verfassungen (unter 4.).

2. Grundanlage der Rechteerklärungen Charakteristisch und wegweisend für die revolutionären Rechteerklärungen Amerikas und Frankreichs (hier: die Virginia Bill of Rights vom 12. Juni 1776377 sowie die Déclaration von 1789378) war jeweils ihr theoretisches und auch zeitliches Vorausliegen vor den späteren Verfassungen, zu deren Bestandteilen sie dann überwiegend wurden. Die in ihnen positiv-rechtlich fixierten Menschen- und Bürgerrechte wurden zum Ausgangspunkt auch der organisationsrechtlichen Regelungen der ihnen nachfolgenden Verfassungen, die auf dem menschen- bzw. grundrechtlichen Fundament errichtet wurden und dieses als Konstruktionsmerkmal zu respektieren hatten. Die auf dem naturrechtlichen Topos vom gleichen und freien Menschen gründende Universalität der amerikanischen und französischen Rechteerklärungen fand eindrucksvoll in der jeweiligen Terminologie ihren Ausdruck: so wenn es in der Virginia Bill hieß, „that all men are by nature equally free“ (Art. 1) oder wenn die Déclaration von 1789 verkündete: „Les hommes naissent et demeurent libres et égaux en droits“ (Art. 1). Dem modellhaften naturrechtlichen Verständnis folgend besaßen die Erklärungen einen universellen Geltungsanspruch, den zu erfüllen den allein legitimen Staatszweck bildete. Die für den natürlichen Zustand angenommene Rechtsausstattung musste nach dem (gedachten) Gesellschaftsvertragsschluss kraft ihrer Unveräußerlichkeit auch den staatlichen Zustand bestimmen („. . . when they enter into a state of society, they cannot by any compact deprive or divest their posterity . . .“ und „. . . demeurent égaux . . .“). Demgegenüber gingen die napoleonischen Verfassungen in Deutschland von „Unterthanen“-Rechten aus, Rechtssubjektivität erlangten ihre Träger erst durch napoleonische Gewährung. Während die amerikanischen und französischen Rechteerklärungen von 1776 und 1789 so in Reinform das naturrechtliche Modell vorstaatlicher Rechte und ihre 376 Wegen des engen Zusammenhangs zu den napoleonischen Verfassungen bleibt hier die recht ähnliche bayerische Verfassung von 1808 außer Betracht, gleichermaßen die napoleonischen Konsulats- und Empireverfassungen von 1799, 1802 und 1804. Außer Betracht bleiben ebenfalls die progressive Verfassung von 1793 sowie die Direktorialverfassung von 1795. 377 Abdruck in: F. Hartung, Menschen- und Bürgerrechte, S. 40 ff. 378 Abdruck in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard, Constitutions, S. 1 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

Übertragung in den staatlichen Zustand umsetzten und die westfälische und Frankfurter Verfassung davon immerhin den letzten Schritt, die Rechtsgewährung im verfassten Staat mit vollzogen, lagen die Dinge bei den preußischen Reformedikten der Stein-Hardenbergschen Modernisierung ab 1807 kategorial anders. Den Reformedikten, hauptsächlich denjenigen über die Bauernbefreiung379, die Gewerbesteuer380, die Heeresreform381 sowie die Judenemanzipation 382, lag weder ein formelles Verfassungsverständnis noch materiell der Gedanke grundsätzlicher Gewährung allgemeiner Rechtssubjektivität und Rechtsgleichheit aller Rechtsunterworfenen zugrunde. Die allein auf den Monarchen zurückgehende Rechtsgewährung entsprang hier nicht einem verfassungstheoretischen Grundmodell (mehr oder minder) revolutionärer Qualität, sondern erfolgte (pragmatisch) bereichsweise auf spezifischen Gebieten, insbesondere in Gestalt der gleichen Teilnahme der Rechtsunterworfenen am Wirtschaftsleben und der Abschaffung aller Leibeigenschaftsformen. Rechtskonstruktiv handelte es sich bei den Reformedikten um sektorale monarchische Festsetzungen. Textlich wurde die begrenzte Grundanlage der Reformedikte Preußens etwa in § 12 des Edikts über die Bauernbefreiung deutlich, der keine generelle positive Formulierung von personaler Freiheit verkündete, sondern sich auf die Feststellung der Negation eines spezifischen Gegenbegriffs beschränkte („. . . hört alle Guts-Unterthänigkeit . . . auf“). Terminologisch ähnelten sie damit den verschiedenen Dekreten Bergs (und auch den Verfassungsbestimmungen in Westfalen und Frankfurt, siehe dort jeweils Art. 13), allerdings wird man bei näherer Betrachtung feststellen müssen, dass die Gesetzgebung Bergs insgesamt dem allgemeinen Leitbild umfassender persönlicher Freiheit des Einzelnen sowie staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit entsprang. Von ihrer Grundanlage am nächsten standen der westfälischen und Frankfurter Verfassung die Verfassungen des Restaurationszeitalters, namentlich die Charte Constitutionelle vom 4. Juni 1814383 und vor allem die dieser teilweise nachgebildeten süddeutschen Vormärzverfassungen in Bayern vom 26. Mai 1818384, in Baden vom 22. August 1818385 und Württemberg vom 25. September 1819386. Wie die napoleonischen Verfassungen entsprangen auch sie weitgehend monarchischer Oktroyierung387 und ermangelten eines naturrechtlich-vorstaatlich begründeten Verständnisses der gewährten Rechte. Wie der napoleonische vollzog auch dieser Abdruck in: E. R. Huber, Dokumente, S. 38 ff. Abdruck ebd., S. 43 381 Abdruck ebd., S. 48 ff. 382 Abdruck ebd., S. 45. 383 Abdruck in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard, Constitutions, S. 168 ff. 384 Abdruck in: E. R. Huber, Dokumente, S. 141 ff. 385 Abdruck ebd., S. 157 ff. 386 Abdruck ebd., S. 171 ff. 387 Die Ausnahme bildete Württemberg, wo die Verfassung zwischen den Ständen und dem König vereinbart worden war. 379 380

V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts

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Verfassungstyp gegenüber der revolutionären Gleichheits- und Grundrechtsbegrifflichkeit einen Bedeutungswandel. Sie bestätigten keine universellen Menschenrechte, sondern gewährten allgemeine Rechtsgleichheit und verliehen Staatsbürgerrechte der Franzosen, Badener etc. („. . . accordè . . .“, Präambel der CC). Auch terminologisch fand die naturrechtliche Begriffswelt keinen Eingang in die einzelnen Verfassungstexte.

3. Politischer Charakter der Individualrechtsverbürgungen Im Unterschied zu allen europäischen Rechteerklärungen hatten in der weitgehend ständelosen amerikanischen Kolonistengesellschaft persönliche Freiheit und Rechtsgleichheit als „Rights of Englishmen“ vor dem Hintergrund der fortgeschritteneren englischen Rechtsentwicklung (Bill of Rights 1689) schon einen festen Bestandteil der Rechtsordnung gebildet. Erst die (fiskalische) Ungleichbehandlung durch das englische Parlament führte zur Revolution, die sich eher gegen das Mutterland und weniger gegen die bestehende politische Ordnung als solche richtete. Rechtsgleichheit und persönliche Freiheit als herrschaftsleitende und -begrenzende Prinzipien im Staate und subjektive Rechte des Einzelnen mussten somit nicht mehr in dem Maße revolutionär erkämpft werden und bildeten kein spezifisch gegen die alte Ordnung gerichtetes Postulat. Insofern trug der individualrechtliche Gehalt in der Virginia Bill viel stärker den Charakter einer „Bestätigung schon bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse“.388 In den Napoleoniden bedeuteten die Grundrechtsgewährungen dagegen nichts geringeres als die „Revolution von oben“ in Gestalt der Zertrümmerung der überkommenen Strukturen des Ancien Régime und der Errichtung der Eckpfeiler einer neuen egalitären staatsbürgerlichen Gesellschaftsordnung. – Dies gleichermaßen in Frankreich: Gegenüber dem eher statischen, nach angelsächsischem Verständnis im wesentlichen nur den erreichten Rechtszustand bestätigenden Charakter der Grund- und Gleichheitsrechte der Virginia Bill ist die in der Déclaration von 1789 zum Ausdruck kommende Konzeption wie in Westfalen und Frankfurt eine dynamische, revolutionäre und auf zukünftige Veränderung zielende. Die allgemeine Verkündung der Menschengleichheit an Rechten in Art. 1 der Déclaration als Ideal- und Zielbegriff389 rousseauistischer Provenienz bildete nur den Auftakt zu den konkreten Freiheits- und Gleichheitsrechten der Folgeartikel. Die Ausprägungen der Rechte in der Déclaration charakterisierten sich – insofern ähnlich zu Westfalen und Frankfurt – durch ihre politischen Entstehungsbedingungen, nämlich den intendierten Sturz der ständisch-feudalen Privilegienordnung – allerdings mit dem Unterschied, dass dieser in Frankreich durch das Besitz- und Bildungsbürgertum von „unten“, in den Napoleoniden, in denen das Bürgertum sozialgeschichtlich ja 388 389

Vgl. U. Scheuner, Begriff und rechtliche Tragweite der Grundrechte, S. 105, 107. Vgl. dazu O. Dann, Gleichheit, S. 134 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

noch kaum entwickelt war, durch Napoleon von „oben“ betrieben wurde. Wie in Frankreich bezogen die Gleichheits- und Freiheitsbestimmungen der Napoleoniden ihren Inhalt stark aus der Reaktion auf die abzuschaffende, ständische Gesellschaftsstruktur und waren gleichermaßen mit dieser Stoßrichtung normiert worden. Beide enthielten sie ein konkretes politisches Programm künftiger Rechtsänderung und Gesellschaftsgestaltung. Unterschiede ergaben sich freilich daraus, dass die Déclaration nicht nur erkämpft war und zugleich auch ungleich kämpferischeren Charakter als die napoleonischen Verfassungen besaß, sondern auch daraus, dass ihr Adressat die Nationalversammlung war, wohingegen die Implementierung des westfälischen und Frankfurter Verfassungsauftrages in erster Linie der jeweiligen Reformbürokratie aufgegeben wurde. Die preußischen Reformedikte zielten auf ähnliche dynamische Veränderungen wie die napoleonischen Verfassungen. Ihr politischer Charakter war jedoch kein revolutionärer im westfälischen Maßstab. Dafür ermangelten sie vor allem der grundlegend anti-ständischen Stoßrichtung und Sprengkraft, welche gerade das westfälische Verfassungsprojekt kennzeichnete. Abgesehen von diesem Zurückbleiben hinter der stärker „ideologischen“ Verwurzelung der napoleonischen Verfassung im egalitären Sozialordnungsmodell des nachrevolutionären Frankreichs betrafen beide Modernisierungsansätze allerdings die gleichen Felder, wenngleich mit unterschiedlichen Akzenten. So stand in Preußen die umfassende ökonomische Liberalisierung in Gestalt von Bauernbefreiung und Gewerbefreiheit noch stärker im Vordergrund als in Westfalen, Berg und Frankfurt. Mit anderen Worten und etwas vergröbernd: die preußischen Edikte zielten individualrechtlich in erster Linie auf den „homo oeconomicus“390, die napoleonischen Verfassungen im Vergleich dazu stärker auf den Staatsbürger. Dahinter stand in Preußen freilich die politische Motivation der Reformen: Weniger revolutionäres Sendungsbewusstsein und radikale Gesellschaftsveränderung wie in Westfalen, dafür akutes Effizienz- und Modernisierungsstreben unter dem Eindruck der napoleonischen Herausforderung sowie nur geringe Erschütterung der traditional-ständischen Gesellschaftsstruktur. Erhebliche Ähnlichkeiten mit dem politischen Charakter und der Zielsetzung der napoleonischen Rechtsgewährungen wiesen die Verfassungen des Restaurationszeitalters, insbesondere die der süddeutschen Staaten auf. Auch dort bezweckten die Grund- und Gleichheitsrechtskataloge weniger die Absicherung eines schon vorhandenen Rechtsstatus391, sondern die Errichtung und Ausgestaltung einer freiheitlicheren und gleichheitlichen Ordnung. Gleichheit und Freiheit waren auch dort Richtungsbegriffe für die Prozesse der Rechtsänderung und Gesellschaftsgestaltung (R. Wahl) im Sinne eines Programmauftrages, welchen die Verfassung 390 Vgl. E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 313 mit der Bemerkung, die preußischen Reformer hofften, „mit Adam Smith Napoleon zu besiegen“. 391 Eine Ausnahme hierfür bildete freilich die Charte Constitutionelle in Frankreich, wo persönliche Freiheit und Rechtsgleichheit mit der Revolution schon weitgehend errungen waren.

V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts

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der Gesetzgebung aufgab.392 Allerdings besaßen die Rechtsgewährungen in den süddeutschen Verfassungen nicht in gleichem Maße den egalitären, revolutionären und teilweise radikal anti-ständischen Charakter, den sie gerade in Westfalen tragen sollten. So enthielten sie meist schon explizit einen Vorbehalt in der Verfassung, wonach die Gleichheit ausdrücklichen Einschränkungen in der Verfassung unterworfen war.393 Dies erklärte sich freilich aus den unterschiedlichen Entstehungsbedingungen. Fungierte in Westfalen die mittels Verfassungsexport betriebene „Revolution von oben“ in gewolltem Kontrast zur ständisch-feudalen Gesellschaftsstruktur Preußens und Österreichs gewissermaßen als moralisches Eroberungsprogramm Napoleons, reagierten die süddeutschen Monarchen mit der Rechtsgewährung letztlich präventiv aus Gründen der Staatsräson.394 Zudem hatten in den süddeutschen Staaten in der Rheinbundzeit – allen voran Baden und Bayern – ebenfalls schon erhebliche, egalisierende Reformen stattgefunden.

4. Umfang und Reichweite des individualrechtlichen Gehalts Umfang wie Reichweite der verschiedenen Rechtsgewährungen standen im unmittelbaren Zusammenhang mit den jeweiligen Entstehungsbedingungen. Das wesentliche Defizit der napoleonischen Verfassungen lag im nahezu völligen Fehlen politisch verwertbarer Grundrechte. Während in der Virginia Bill und der Déclaration etwa Presse- und Meinungsfreiheit schon kraft ihres revolutionären Kontexts eine prominente Stellung einnahmen, war deren Gewährung in den Napoleoniden bewusst unterlassen worden. Insofern markieren sich deutlich Grenzen der Individualrechtskonzeption der Napoleoniden: Die Errungenschaften der Revolution sollten nur in „domestizierter Form“, d. h. nur soweit transportiert werden, wie sie den politischen Herrschaftsanspruch Napoleons und der von ihm eingesetzten Spitze nicht gefährdeten. Das „Transportgut“ beschränkte sich daher im wesentlichen auf persönliche Freiheit, Religionsfreiheit, allgemeine Rechtsgleichheit sowie auf freien und gleichen Zugang zu Ämtern. Auch dem Umstand, dass in Westfalen und Frankfurt – anderes als noch in der Déclaration (dort: Art. 17) – keine ausdrückliche Eigentumsgarantie (mit Entschädigungsvorbehalt), sondern nur eine die Grundsteuer betreffende Höchstgrenze für den Fiskalzugriff auf Vermögen festgesetzt war, hat wohl das spezifische Herrschaftskalkül Napoleons zugrunde gelegen, sich damit Konfiskationen und vergleichbare Zugriffe auf beste392 Grundlegend R. Wahl, Rechtliche Wirkungen der Grundrechte, S. 346, 350 ff. und U. Scheuner, Die Verwirklichung der Bürgerlichen Gleichheit, S. 376 ff. 393 Badische Verfassung § 7; Württembergische Verfassung § 21, Abdruck siehe E. R. Huber, Dokumente, Bd. 1, 2. Aufl., S. 157 ff. bzw. 171 ff. 394 Zu § 13 Deutsche Bundesakte und § 57 Wiener Schlußakte als Hintergrund der süddeutschen Verfassungspolitik siehe G. Engelbert, Der Konstitutionalismus in den deutschen Kleinstaaten, in: E.-W. Böckenförde, Probleme des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert, Beiheft 1 zu „Der Staat“, Berlin 1975, S. 103 ff.; vgl. auch D. Willoweit, Verfassungsgeschichte, S. 215 f.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

hendes Eigentum in Westfalen für herrschaftssichernde Zwecke (Kriegskostenfinanzierung, Dotationen etc.) auch von Verfassung wegen offen zu halten. Im rein privatrechtlichen Kontext sollte freilich der ungeteilte und individualistische Eigentumsbegriff des Code Napoleon gelten. Auf den ersten Blick auffällig mag auch das Fehlen von Habeas-Corpus-Rechten und Justizgrundrechten in den napoleonischen Verfassungen (z. B. Unschuldsvermutung, Verbot der Gerichtsfolter, gesetzlicher Richter, Schutz vor willkürlicher Verhaftung etc.) erscheinen. Diese hatten gerade in der Déclaration und der Virginia Bill noch breiten Raum eingenommen. Ihre Nicht-Aufnahme in den Verfassungstexten bedeutete jedoch nicht, dass nicht auch sie fortan Rechtsgültigkeit in den Napoleoniden besitzen sollten. In der Tat ist das in Westfalen errichtete französische Justizsystem auch selbstverständlich von der Gültigkeit etwa der Unschuldvermutung, anderer freiheitlicher Prozessmaximen sowie dem Prinzip des gesetzlichen Richters ausgegangen.395 Ihre fehlende ausdrückliche Normierung dürfte wohl eher vor dem Hintergrund erklärbar sein, dass aus französischer Sicht diese Gewährleistungen als dem errichteten Justizsystem inhärent betrachtetet wurden und sie zum Teil in den implementierten Prozessordnungen enthalten waren. Freilich betraf dies nicht den Schutz vor willkürlicher Verhaftung; hier agierte die französische Herrschaft in Westfalen und Berg ungehemmt in Gestalt von Geheimpolizei und anderen Repressionsorganen. Die Reichweite des Gleichheitssatzes in Westfalen und Frankfurt entsprach derjenigen der revolutionären französischen Verfassungstradition: das Gleichheitsgebot band Verwaltung und Justiz und gewährleistete so (staatsbürgerliche) Rechtsanwendungsgleichheit. Darin lag freilich ein Unterschied zum sich entwickelnden amerikanischen Gleichheitsverständnis. Auch diesem war zwar „equality of outcome“ im Sinne einer sozialen oder wirtschaftlichen Gleichheit fremd, und es lag ihm vielmehr der Gedanke einer Chancen- und Startgleichheit („equality of opportunity“) zugrunde, allerdings band nach amerikanischem Verständnis die Gleichheitsgewährung auch den Gesetzgeber. Dies rührte vom spezifischen Kontext der amerikanischen Revolution her, in welcher die Kolonisten die Erfahrung gemacht hatten, dass auch ein (englisches) Parlament als Gesetzgeber zur Gefahr für die Individualrechte werden konnte.396 Der französischen Verfassungstradition war eine solche Vorstellung freilich fremd, ja geradezu suspekt: als Ausdruck der volonté générale galt in ihr das Gesetz als unantastbare Kategorie, deren Bindung und Kontrolle weder zulässig noch nötig war (da die volonté générale nicht irren kann und nur am allgemeinen Besten orientiert ist397). 395 Vgl. insgesamt dazu R.-E. Walter, Kriminalpolitik im Königreich Westphalen, S. 61 ff. 396 D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 38 f. Das in Amerika erstmals herausgebildete Institut vom „Vorrang der Verfassung“ wurde praktisch effektuiert durch das richterliche Normenkontrollrecht, wie es zuerst Ende des 18. Jahrhundert durch einzelstaatliche Gerichte und dann durch den Supreme Court in der Entscheidung Marbury vs. Madison im Jahre 1803 in Anspruch genommen wurde.

V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts

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Anders als das napoleonische Ausgangskonzept einer theoretisch-umfassenden (aber sachlich dann durchaus eingeschränkten) Regelung der Rechtsstellung des Einzelnen erstreckten sich die preußischen Reformedikte von vornherein nur auf einzelne Bereiche der Rechtsgewährung. An keiner Stelle wurde die allgemeine Rechtsgleichheit der Rechtsunterworfenen verkündet (oder eben überhaupt von deren Rechtssubjektivität ausgegangen). Ein allgemeines, für alle gleiches Staatsbürgerrecht wurde durch die preußische Reformgesetzgebung nicht geschaffen, die Reformen sprengten nur punktuell den Rahmen des traditional-ständischen Staatsund Gesellschaftsideals und sollten auch nicht darüber hinausgehen. Deutlich offenbarte sich dies im Fortbestehen der Patrimonialgerichtsbarkeit sowie der niederen Polizeigewalt und ständischen Selbstverwaltung (bis 1848 bzw. 1872).398 Anders als in Westfalen, Berg und mit Einschränkungen in Frankfurt, wo ja gewissermaßen das gesamte Staatswesen in Gestalt der Administrativ- und Justizverfassung nach französischem Vorbild neu errichtet wurde, wiesen die preußischen Edikte einen ungleich weniger etatistischen und alle Ebenen und Lebensbereiche penetrierenden Grundzug auf, was in den Napoleoniden für den Einzelnen ja immer einen relativen Mehrgewinn an Gleichheit und Freiheit gegenüber der ständischen Gesellschaftsstruktur mit sich brachte. Hintergrund in Preußen war die Stärke der ständischen Beharrungskräfte: Der Staat hörte dort bekanntermaßen beim Landrat auf.399 Mindestens ebenso konsequent wie in den Napoleoniden fiel allerdings die Rechtsausstattung des Einzelnen in denjenigen Bereichen aus, in denen die Reformedikte ansetzten. Die intermediäre Stufe feudaler Guthörigkeit wurde beseitigt, die persönliche Freiheit der Bauern wurde hergestellt und im Verhältnis zum Staat wurde der Bauer jetzt vom Gutsuntertan zum unmittelbaren Staatsuntertan. Auf ökonomischem Gebiet wurde – wie in den Napoleoniden – mit den Eckpunkten der Gewerbefreiheit, des freien Güterverkehrs und des freien Berufszugangs die umfassende ökonomische Liberalisierung eingeleitet. Noch weitgehender als in den Napoleoniden war die Gleichheitsambition auf dem Gebiet des Heerwesens, wo mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Unterschied zum französischen Konskriptionssystem keine Möglichkeit eines Freikaufs durch Stellung eines Ersatzmannes bestand.400 Gleichheit war hier als materiale Pflichtengleichheit verwirklicht, die jede Differenzierung nach Vermögen oder Besitz ausschloss. Ins397 J.-J. Rousseau, Der Gesellschaftsvertrag, (Verlag Reclam jun.), Leipzig 1984, S. 60 f. (II. Buch, 3. Kapitel). 398 E.-R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 190. 399 E. Weis, Absolute Monarchie und Reform im Deutschland des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts, in: F. Kopitzsch (Hrsg.), Aufklärung, Absolutismus und Bürgertum in Deutschland, München 1976, S. 192, 209; Hardenberg hatte 1812 mit dem GendarmerieEdikt den Versuch unternommen die ständische Selbstverwaltung durch eine staatliche, bürokratisch-zentralistische Kreisverfassung zu ersetzen. Dies gelangte in den Wirren der Befreiungskriege nicht mehr zur Realisierung, vgl. dazu E.-R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 180 u. E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 312 f. 400 Hierzu E.-R. Huber, Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 242 ff.

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3. Kap.: Individualrechtlicher Gehalt der Verfassungen

gesamt war der Umfang der gewährten individuellen Rechtspositionen in den Bereichen persönlicher und ökonomischer Freiheit – trotz unterschiedlicher theoretischer und rechtlicher Ausgangspunkte – in den Napoleoniden und Preußen durchaus vergleichbar. Diese konsequente, jedoch nur sektorale Modernisierung in Preußen markierte zugleich aber auch den wesentlichen Unterschied: Gleicher „Staatsbürger“ war man in Preußen – anders als in den Napoleoniden – nicht als an Rechten und vor dem Gesetz gleiches politisches oder soziales Mitglied des Staates, sondern als „Wirtschaftsbürger“, als Soldat. „Staatsbürger im eigentlichen Sinne war nur der homo oeconomicus; Bürger des Staates nur, soweit dieser wirtschaftlich liberal war“401oder zu den Waffen rief. Die Gleichheitsaussage der preußischen Reformedikte war daher nur eine fragmentarische. Beim Blick auf die süddeutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus in Baden, Bayern und Württemberg ergeben sich beträchtliche Ähnlichkeiten, aber stellenweise auch ein Zurückbleiben der napoleonischen Rechtsgewährungen hinter jenen. Wie in Westfalen und Frankfurt enthielten die süddeutschen Verfassungen neben der vorangestellten allgemeinen Verkündung staatsbürgerlicher Rechtsgleichheit402 den ganzen „klassischen“ Kanon von Einzelgewährleistungen (Religionsfreiheit, Herstellung der persönlichen Freiheit, Gewerbefreiheit, gleicher und freier Zugang zu öffentlichen Ämtern, Gleichheit der Wehr- und Steuerpflichten). Auch die Reichweite des Gleichheitssatzes als Verwaltung und Justiz bindender Rechtssatz (Rechtsanwendungsgleichheit) entsprach derjenigen in Westfalen. Anders als in den Napoleoniden waren allerdings die wesentlichen strafrechtlichen Garantien und Justizgrundrechte explizit in die süddeutschen Verfassungstexte eingegangen, ebenso wie zumeist eine Garantie vorgängiger Entschädigung bei staatlicher Enteignung zum öffentlichen Wohl. Auffällig war ihre ausdrückliche Betonung der Pflichtenstellung der Untertanen.403 Ein Unterschied gegenüber dem weiten, die jüdische wie die christlichen Konfessionen umfassenden Begriff der Religionsgesellschaften in Westfalen (nicht in Frankfurt) bestand wiederum in der Privilegierung der drei christlichen Hauptkonfessionen in ihrer jeweiligen staatskirchenrechtlichen Stellung. Der wohl wesentlichste Unterschied war die Gewährleistung der Pressefreiheit im süddeutschen Frühkonstitutionalismus. Im bildungsbürgerlich geprägten Diskussionsmilieu der Zeit nach den Befreiungskriegen war sie nahezu zur wichtigsten Grundrechtsforderung des sich emanzipierenden Bürgertums geworden. Das Mehr an politisch verwertbarer Freiheit im Vergleich zu den Napoleoniden404 war jedoch unter den Vorbehalt der Einschränkbar401 R. Koselleck, Preußen (1. Aufl., Stuttgart 1967), S. 60, der dort auch darauf hinweist, dass jeder Ausländer einen Gewerbeschein lösen konnte. Vgl. an gleicher Stelle die in diesem Zusammenhang zitierte Bemerkung von Gans: „Preuße ist jeder, den die Lust anwandelt, es zu sein“. 402 Badische Verfassung: § 7; Bayerische Verfassung: Präambel; Württembergische Verfassung: § 21. 403 Siehe H. Hofmann, Die Grundrechte 1789 – 1949 – 1989, in: NJW 1989, S. 3177, 3178.

V. Vergleichende Bezüge des individualrechtlichen Gehalts

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keit gestellt, von der in der folgenden Restaurationszeit dann auch rasch Gebrauch gemacht wurde. Insgesamt wird – von der stärker politischen Freiheitsdimension einmal abgesehen – erkennbar, dass sich die napoleonischen Verfassungen und die süddeutschen Rechtskataloge auch im inhaltlichen Umfang und der Reichweite ihrer Gewährungen recht nahe kamen.

404 Von publizistischer Öffentlichkeit und Pressefreiheit konnte in den Napoleoniden nur bedingt gesprochen werden, insbesondere die verschiedenen regionalen Erhebungen gegen die französische Herrschaft haben hier verschärfend gewirkt, grundlegend der Beitrag von R. Busch, Die Aufsicht über das Bücher- und Pressewesen in den Rheinbundstaaten Berg, Westfalen und Frankfurt. Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur, Karlsruhe 1970.

9 Hecker

4. Kapitel

Repräsentative Vertretungskörperschaften in den Verfassungen – das Beispiel Westfalens I. Überblick Die in den Verfassungen von Westfalen und Frankfurt sowie den entsprechenden Dekreten in Berg vorgesehene Staatsordnung sah die Trennung von Gerichtsbarkeit und Verwaltung im gesamten vertikalen Staatsaufbau einschließlich der untersten kommunalen Ebene vor. In Westfalen wurde sie gleich zu Anfang des Königreiches mit beachtlicher Konsequenz verwirklicht. In Berg verlief der Prozess dagegen bis zum Erlass des Justizverfassungsdekrets vom Dezember 1811 schleppend, in Frankfurt hielt sich hinter der Fassade der 1810 und 1812 eingeführten Verwaltungs- und Justizordnung ein erheblicher Teil der alten Strukturen. Nach französischem Vorbild waren den jeweiligen Exekutivorganen in den verschiedenen Verwaltungsinstanzen zusätzlich noch Vertretungskörperschaften mit weitgehend deliberativen Mitwirkungsfunktionen beigeordnet (Departement-, Distrikt- und Municipalitätenräte). Ihre Zusammensetzung beruhte nicht mehr auf ständischer Grundlage, sondern ging teilweise auf mittelbare Wahl, teilweise auf monarchische Ernennung zurück. Auch auf zentralstaatlicher Ebene sahen die Verfassungen von Frankfurt und Westfalen wie das Organische Statut Bergs die Einrichtung repräsentativer Vertretungskörperschaften vor, denen bestimmte Mitwirkungsfunktionen bei der Gesetzgebung eingeräumt wurden. In der Forschung hat sich der Vorwurf des Scheinkonstitutionalismus besonders an Stellung und Funktion dieser (zentralstaatlichen) Vertretungskörperschaften im jeweiligen Staatsgefüge entzündet. Neben der pauschalen Huberschen Qualifizierung als „bloßes Beiwerk der bürokratischen Staatsverfassung“405 hat man in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass die Verfassungen „so einseitig auf die Alleinherrschaft der Exekutive bezogen [waren], daß die eigentlich konstitutionellen Faktoren daneben völlig zurücktreten und, weithin fiktiv, nur noch als Gegenstand politischer Phraseologie erscheinen“ und die Vertretungskörperschaften jedenfalls keine „moderne Repräsentation“ darstellten.406 Die Anfänge dieses lange vorherrschenden Deutungsmusters liegen im jeweiligen zeitgenössischen Hintergrund. Vor allem von preußischer Seite hat es – politisch motiviert – herab405 406

E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 1, 2. Aufl., S. 316. K. v. Raumer, Deutschland um 1800, S. 318.

I. Überblick

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setzende und polemische Kritik an der mangelnden Autonomie und dem geringen Kompetenzumfang der westfälischen Repräsentativvertretung gegeben.407 In zumeist etwas schwächerer Form ist diese kritische Bewertung von der landesgeschichtlichen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts weitgehend fortgeführt worden.408 Eine wesentlich positivere Interpretation der Rolle der Vertretungskörperschaften nehmen einige wenige jüngere Stellungnahmen vor. Sie beziehen sich allerdings ausschließlich auf die westfälische Repräsentativvertretung. Dies ist verständlich: In Frankfurt ist es zwar im Oktober 1810 zu einer einmaligen Zusammenkunft der Vertretungskörperschaft gekommen, insgesamt gewann sie aber zu wenig Wirklichkeit im politischen Prozess Frankfurts, um eine Einstufung über die als einer flüchtigen Randerscheinung in der Geschichte des Großherzogtums hinaus zu rechtfertigen. In Berg trat das im Organischen Statut von 1812 vorgesehene Kollegium in den Endwirren des Großherzogtums gar nicht mehr zusammen. Beide Repräsentativorgane sollen daher im Folgenden weitgehend außen vor bleiben. Wesentlich mehr Teilnahme am politischen Prozess ist seitens der westfälischen Repräsentativvertretung erfolgt. Ihre neueren Deutungen reichen von der Einstufung als „repräsentativer Volksvertretung“409 bis hin zu „erstes Parlament“410 bzw. „zum ersten Mal in Deutschland . . . gewähltes Parlament“. 411 Jenseits dieser zumeist allgemein gehaltenen Stellungnahmen ist die westfälische Versammlung ansonsten nach einer ersten, noch zeitgenössischen Abhandlung von F. Saalfeld aus dem Jahre 1812412 lange Zeit ohne nähere Aufmerksam407 So etwa die Äußerungen des bekannten Mitarbeiters Steins in Preußen L. Frhr. v. Vincke, teilweise wiedergegeben in: H. Kochendörffer, Die Denkschrift Vinckes über die Bildung einer Volksvertretung vom Jahre 1808, in: Westfalen 16 (1931), S. 117 ff. 408 Vgl. etwa A. Kleinschmidt, Westfalen, S. 340 ff.; J. Weidemann, Neubau eines Staates, S. 27 ff.; pauschal und erstaunlich herabsetzend noch aus neuerer Zeit K. Ruppert, Bürgertum und staatliche Macht, S. 43 f. 409 H. Boldt, Textbeitrag vor Quellenabdruck, in: ders. (Hrsg.), Reich und Länder, S. 73 ebenso R. Oberschelp, Politische Geschichte Niedersachsens 1803 – 1866, Hildesheim 1988, S. 41. 410 Vgl. bei J. Lengemann, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), MdL Hessen 1806 – 1996, S. 12 ff. 411 K. O. v. Aretin, Vorwort, in: Regierungsakten Westfalen, S. IX; siehe auch K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Westfalen, S. 20. 412 F. Saalfeld, Über die Nationalrepräsentazion in Westfalen, in Vergleichung mit der von Frankreich und dem Königreiche Italien, in: Westfalen unter Hieronymus Napoléon, Monatsschrift hrsgg. von G. Hassel / K. Murhard, Jg. 1, Juli, Braunschweig 1812, S. 71 ff.; In dem Werk von R. Franke, Die gesetzgebenden Körperschaften und ihre Funktionen in den Verfassungen der Rheinbundstaaten und der Deutschen Bundesstaaten 1806 – 1820, (Diss. Greifswald 1911), Greifswald 1912, S. 15 ff. u. 30 ff. bestehen die Äußerungen zu den Körperschaften in Westfalen und Frankfurt fast ausschließlich aus dem Teil-Abdruck der Verfassungstexte und der Wiedergabe des Inhalts der entsprechenden Verfassungsbestimmungen; Eine bemerkenswerte – freilich nur kurze – Äußerung findet sich bei U. Krauthausen, Die Geschichte des Parlamentarismus in Deutschland, (Diss. Bonn 1921), Köln 1921, § 4 (Auszug), S. 1:

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

keit seitens der Forschung geblieben. Erst 1981 hat H. Obenaus (als bislang nahezu Einziger) die westfälische Repräsentativvertretung wieder zum Gegenstand eines Forschungsbeitrages gemacht und ist in ihrer Bewertung zu einer vermittelnden Position gelangt.413 Schon unter den Zeitgenossen waren die Bezeichnungen für die westfälische Repräsentativvertretung vielfältig: „Reichsstände“, „Stände des Reichs“, „Reichsstände-Versammlung“, „Repräsentazion“, „Gesamt-Repräsentazion“, „Nationalrepräsentazion“, „Volksvertretung“, „Reichstag“ etc. Die Verfassung sah in Art. 29 in der französischen Fassung die Bezeichnung „États du Royaume“, in der deutschen Fassung die als „Stände des Königreichs“ vor und hielt diese Termini auch durch. Gleiches gilt für die Gesetzgebung. Die offiziellen Bezeichnungen sind insofern missverständlich, als es sich gerade nicht mehr um Stände im überkommenen Sinn handelte. Sie deuten aber – darin nicht unähnlich der späteren Verfassungsterminologie in den Verfassungen des Frühkonstitutionalismus – schon auf die konservative Motivation hin, jedenfalls auf der sprachlichen Ebene keine größeren (demokratischen) Ambitionen zu wecken.414 Im Folgenden sollen zunächst kurz die Grundzüge des modernen Repräsentationsprinzips im Kontext der französischen Verfassungstradition skizziert und nach den (politischen) Gründen für die Errichtung von Repräsentativvertretungen in den Napoleoniden gefragt werden (unter II.). Danach werden Bestellungsmodus, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Wirkungsbereich der westfälischen Körperschaft behandelt. Dabei sollen zum einen die Ergebnisse von H. Obenaus berücksichtigt werden und zum anderen das Daten- und Archivmaterial zu den Vertretungen Westfalens und Frankfurts, welches von J. Lengemann im Auftrag des Hessischen Landtages im Jahre 1991 herausgegeben wurde415, ausgewertet werden. (unter III.). Darüber hinaus aber gilt der Blick vor allem den im politischen Prozess Westfalens aufgetretenen Konflikten zwischen Repräsentativvertretung und mo„Übergang zum modernen Volksvertretungsgedanken . . . Vertreter des Staatsvolks beim Fürsten.“ 413 H. Obenaus, Die Reichsstände des Königreichs Westfalen, Francia 9 (1981), S. 299, 327 f.; unter weitgehender Wiedergabe ihm folgend J. Lengemann, Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Parlamente in Hessen 1808 – 1813, Biographisches Handbuch der Reichsstände des Königreichs Westphalen und der Ständeversammlung des Großherzogtums Frankfurt, hrsgg. im Auftrag des Hessischen Landtags, Frankfurt am Main 1991, S. 13, 33, der allerdings zu einer positiveren Deutung als „erstes Parlament“ kommt (siehe auch Fn. 410). 414 Siehe in diesem Zusammenhang überzeugend H. Brandt, Landständische Repräsentation im deutschen Vormärz. Politisches Denken im Einflußfeld des monarchischen Prinzips, (Diss. Hamburg 1966), Neuwied, Berlin 1968, S. 6 (siehe dort auch Fn. 13), der für die neueren Vertretungen des Vormärz-Deutschlands die Bezeichnung in Abgrenzung zu „alt-ständisch“ und dem häufig polemisch und schlagwortartig benutzten Begriff „landständisch“ die Bezeichnung „neu-ständisch“ einführt. Auch die späteren Verfassungen von Bayern, Baden und Württemberg blieben noch bei den Bezeichnungen „Stände“, „Ständeversammlung“, „Landstände“. 415 Siehe Fn. 413.

II. Französische Verfassungstradition und Übernahme in Deutschland

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narchischer Exekutive. Ihre – seitens der Forschung bislang völlig ausgebliebene – Einordnung und Bewertung vor dem Hintergrund der modernen deutschen Verfassungsgeschichte ist dabei vorrangiges Anliegen (unter IV.).

II. Grundzüge des modernen Repräsentationsprinzips der französischen Verfassungstradition und seine Übernahme in Deutschland 1. Ausgangspunkt: Entwicklung in Frankreich Die Idee der modernen Repräsentativverfassung ist auf dem Kontinent erstmals durch Abbé Sieyès näher theoretisch ausgeformt worden und in den französischen Revolutionsverfassungen positiv-rechtlich zum Durchbruch gelangt. Sieyès ist der erste Theoretiker repräsentativstaatlichen Denkens, der die Repräsentation zu einem „eigenappropriierten Recht der Stellvertreter“416 erhebt und damit versucht, den in der Revolutionsepoche (und später) konkret auftretenden Funktionserfordernissen und Rahmenbedingungen politischer Willensbildung und -vereinheitlichung gerecht zu werden. Hatte noch Rousseau das Problem der Willensvereinheitlichung in einem freien Gemeinwesen über die Konstruktion eines plebiszitären, direkten Demokratiemodells zu lösen versucht und war als profilierter Gegner politischer Repräsentation besonders des englischen Modells aufgetreten417, obsiegte in den meisten Revolutionsverfassungen vom Grundsatz her nun die Sieyèssche Konzeption parlamentarisch-politischer Repräsentation. Im Mittelpunkt der Repräsentationstheorie Sieyès‘ stand der Gesetzgeber als Versammlung vom Volk beauftragter, aber um ihrer vernünftigen politischen Aktionsfähigkeit willen dem Interessenstreit der Gesellschaft entrückter, instruktionsfreier und nur dem Gesamtwohl verpflichteter Deputierter. Anders als die ältere repräsentativstaatliche Theorie fungierte die Stellvertretung im Sieyèsschen Modell nicht nur als technisch notwendiger, „funktioneller Notbehelf“418, d. h. gewissermaßen nur als Mediatisierung des unmittelbaren Bürgerwillens. Bei Sieyès wurde die Vertretbarkeit („qualité représentable“)419 geradezu zur Wesenseigenschaft des Citoyen, gewann der so verstandene Repräsentationsgedanke objektiven Eigenwert. Dies gründete sich auf die Erwägung, dass nur und gerade in einer Versammlung von vom politischen Willen der Mandanten gelöster und dem Gesamtwohl verpflichteter Deputierter sich die politische Vernunft am besten zu entfalten vermöge. Hinzu trat die Annahme, dass nur repräsentative Institutionen dieser Qualität dem Entwicklungsstand und VerVgl. dazu K. Loewenstein, Volk und Parlament, S. 17. J. J. Rousseau, Du Contrat Social, 1762, hrsgg. von F. Bouchardy, Paris 1946, 3. Buch, Kap. XV, S. 159, 160 ff.; vgl. bei K. Loewenstein, Volk und Parlament, S. 4. 418 So überwiegend noch in der älteren Theorie bis zu Montesquieu, vgl. dazu K. Loewenstein, Volk und Parlament, S. 17. 419 Vgl. ders., ebd., S. 14. 416 417

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

langen der fortschreitend arbeitsteiligen Welt in einem sozial, durch Beruf und Bildung der Bürger differenzierten, großflächigen Gemeinwesen Rechnung tragen könnten.420 In den konstitutionellen Gewaltenteilungsschemata der französischen Revolutionsverfassungen wurde nun eine gesetzgebende Repräsentativvertretung – in durchaus unterschiedlicher Form – als Gegenspieler und Kontrolleur der Exekutive positioniert. Auf dem Boden der Volkssouveränität repräsentierte sie die Nation.421 Das Revolutionäre des modernen Repräsentationsgedankens lag im Bruch mit dem in vorkonstitutionellen Herrschaftsformen zum Teil sehr verschieden ausgestalteten ständisch-korporativen Vertretungsprinzip. Der Vertretungscharakter altständischer Repräsentation hatte sich wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass die landständischen Vertreter als Vertreter ihrer Stände oder gar ihrer selbst fungierten422, wobei das altständische Mandat die Landstände – so es überhaupt noch politische Bedeutung hatte, was ja nicht mehr in allen deutschen Territorialstaaten der Fall war – imperativ bis ins Detail instruieren konnte.423 Das moderne Repräsentativsystem zeichnete sich dagegen im wesentlichen durch drei Merkmale aus:424 – Die Teilhabe aller an der Bestellung der Repräsentanten („Subjekt der Repräsentation“) in Form von Wahlen, wobei diese Auswahl statt der bisherigen korporativ-ständischen Vertreterbestellung geographisch zu organisieren war. – Die Darstellung oder Abbildung des ganzen Landes und der ganzen Nation oder der Gesamtheit der Staatsbürger („Objekt der Repräsentation“), die an die Stelle der rein ständebezogenen Interessenssphären trat.

420 Abbé E. J. Sieyès, Meinung über die Grundverfassung der Konvention in der Sitzung des 2. Thermidor (20. Juli 1795) im dritten Jahr der Republik, in: Emmanuel Sieyès’ Politische Schriften vollständig gesammelt von dem deutschen Übersetzer nebst zwei Vorreden über Sieyès Lebensgeschichte, seine politische Rolle, seinen Charakter, seine Schriften, etc., Bd. 2, o. O., 1796, S. 363, 369 ff., insb. 373; vgl. dazu eingehend H. Hofmann, Repräsentation, (Habil. Erlangen) Berlin 1974, S. 407 ff. u. E. Schmitt, Repräsentation und Revolution (Habil. München 1968), München 1969, S. 190 ff.; K. Loewenstein, Volk und Parlament, S. 3 ff. 421 Zum Ganzen H. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 21 ff. 422 P. M. Ehrle, Volksvertretung im Vormärz, Studien zur Zusammensetzung, Wahl und Funktion der deutschen Landtage im Spannungsfeld zwischen monarchischem Prinzip und ständischer Repräsentation, Teil 2 (Diss. Tübingen 1979) Frankfurt am Main 1979, S. 317, der allerdings auch auf den im 18. Jahrhundert schon bisweilen aufkommenden Gesamtvertretungscharakter der Landstände hinweist (S. 309 ff.); vgl. eben dazu auch H. Hofmann, Repräsentation, S. 345 ff. 423 P. M. Ehrle, Volksvertretung, S. 304 ff.; zum Ganzen H. Hofmann, Repräsentation, S. 342 ff. 424 Vgl. dazu P. M. Ehrle, Volksvertretung, S. 288 und im Einzelnen S. 295 ff. u. 301 ff.; siehe auch H. Rausch (Hrsg.), Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, Darmstadt 1968, S. XIII f. (Vorwort) u. H. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 6.

II. Französische Verfassungstradition und Übernahme in Deutschland

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– Die Weisungsfreiheit und gesamtverantwortliche Gewissensgebundenheit des Mandats („Ausübungsmodalität der Repräsentation“), die an die Stelle korporativ-ständischer Instruktionsgebundenheit trat.

Die Verankerung des modernen Repräsentationsprinzips als Strukturprinzip (demokratischer) staatlicher Organisation und Willensbildung war in unterschiedlichen Modifikationen – ähnlich den Errungenschaften persönlicher Freiheit und Rechtsgleichheit – zum Hausgut der französischen Revolutionsverfassungen geworden.425 Die staatsbürgerliche Mitwirkung durch Repräsentation kanalisierte den demokratisch-politischen Bestimmungsanspruch der siegreichen bürgerlichen Erwerbs- und Eigentümergesellschaft. Auch Napoleon, der die Revolution für beendet erklärte, konnte und wollte schon aus politischen Opportunitätserwägungen auf repräsentative Elemente der verfassten Staatlichkeit nicht mehr verzichten. So enthielten auch die Konsulats- und Empire-Verfassungen ab 1799 jeweils dem Grundsatz nach modern-repräsentativ strukturierte Corps législatifs.426 Freilich bot das Prinzip in der Praxis jede Möglichkeit der Entwicklung von Schwundstufen und Entwertungen, konnte je nach verfassungsrechtlicher Fixierung der Umfang der Mitwirkung der Vertretungen und der Grad der Repräsentationsberechtigung der Gesellschaft dosiert werden. So waren die Kompetenzen der Legislativorgane im Empire nur noch als kümmerliches Überbleibsel ausgestaltet und die „qualité représentative“ (Repräsentativität) durch komplizierte Wahl- und Ernennungsmechanismen nahezu marginalisiert. Im Machtsystem Napoleons besaßen die Corps législatifs letztlich nur dekorative und affirmative Funktionen, nicht die eines veritablen Gegenpols zur napoleonischen Exekutive. Damit ergab sich für Napoleon allerdings ein weiteres Problem: der in Frankreich bisher bestehende Zusammenhang von Repräsentation und Volkssouveränität in der verfassten Staatsgewalt. Moderne Repräsentation war ja nur eine von mehreren denkbaren Strukturlösungen zur Handhabung der eigentlichen revolutionären Errungenschaft, der Volksouveränität, in der verfassten Staatlichkeit gewesen. Repräsentation im modernen Sinn gründete auf der Demokratie. Die Repräsentanten repräsentierten schon begrifflich die Nation. War nun die demokratische Substanz in der verfassten Staatlichkeit der Empire-Verfassungen in Gestalt der verkümmerten Legislativorgane und reduzierten Repräsentativität auf ein derart geringes Maß gesunken, so entstand aus Sicht der französischen Verfassungstheorie ein (demokratisches) Legitimitätsdefizit seiner Herrschaft. Napoleon hat dies durchaus erkannt und nicht zuletzt deshalb gleichsam als Kompensation des verminderten Niederschlags repräsentativ-demokratischer Bestimmungsmacht in den Kon425 Vgl. Titre III, Chap. I, Sect. III, Art. 7 der französischen Verfassung vom 3. September 1791: „Les représentants nommés dans les départements, ne seront pas représentants d’un département particulier, mais de la Nation entière, et il ne porra leur etre donné aucun mandat“, abgedruckt in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard (Hrsg.), Constitutions, S. 10. 426 Siehe etwa Titre III (Art. 25 – 38) der Konsulatsverfassung von 1799 und Titre X (Art. 78 – 87) der Empire-Verfassung von 1804, abgedruckt in: L. Duguit / H. Monnier / R. Bonnard (Hrsg.), Constitutions, S. 111 f. u. 144 f.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

sulats- und Empire-Verfassungen ebendiese jeweils zuvor plebiszitär absegnen lassen.427 2. Gründe der Übernahme des Repräsentativgedankens in die napoleonischen Verfassungen in Deutschland In den eroberten bzw. erworbenen Napoleoniden lagen die Dinge anders. Der Blick auf Westfalen macht deutlich, dass die in der dortigen Verfassung vorgesehene Rolle der Vertretungskörperschaft eine gewichtigere war als die der corps législatifs im nach-revolutionären Frankreich (näher s. u.). Der Korrespondenz Napoleons und auch anderen Quellen ist dazu konkret nicht viel zu entnehmen. Es ist allerdings anzunehmen, dass der relativen Aufwertung der Repräsentativkörperschaften in den Napoleoniden verschiedene Kalküle zugrunde gelegen haben: Die egalitäre staatsbürgerliche Gesellschaftsordnung musste in den Napoleoniden erst noch aufgebaut werden. Die modellstaatspolitische Revolution sollte zwar weitgehend von oben, d. h. auf Betreiben der monarchischen Reformbürokratie erfolgen, bedurfte aber gewissermaßen als Komplement noch einer stärkeren Einbindung der als systemtragend vorgesehenen bürgerlichen Gesellschaftsschichten in den politischen Prozess. Nach dem französischen, aus der Revolution ererbten Verständnis konnte dies nur durch Zuweisung eines gewissen, freilich wohldosierten Grades an staatsbürgerlicher Repräsentationsberechtigung geschehen. Deutlich machte dies die Zusammensetzung der westfälischen Vertretung: 70 % Grundbesitzer, 15 % Kaufleute und Fabrikanten, 15 % Gelehrte und andere „sich um den Staat verdient gemacht habende“ Bürger. Eine ähnlich proportionale Verteilung nicht mehr auf ständischer Grundlage, sondern nach einem an den Kriterien von Besitz und Bildung fixierten Verteilungsschlüssel gab es in Frankfurt und war auch für Berg vorgesehen.428 Die angestrebte Überwindung des Ständeprinzips in der Gesellschaftspolitik musste und sollte eben mit Aufwertung der Besitzenden und Gebildeten bei der politischen Partizipation einhergehen. Stärker ausgedrückt: Mit ihrer Einbindung sollte letztlich ein Verbündeter bei der Durchführung des anti-ständischen Reformwerkes im politischen Willensbildungsprozess gewonnen werden. Daher betraf der Wirkungsbereich der Vertretungskörperschaft gerade die Zivil- und Strafrechtsgesetzgebung. Wie wichtig ein solcher Verbündeter war, zeigte sich – als ex-post-Beweis – umgekehrt an den Schwierigkeiten dort, wo er fehlte, namentlich im Bereich der Ablösegesetzgebung im Agrarbereich, wo Siméon beim stärksten Beteiligten im Gesetzgebungsprozess, dem stark vom westfälischen Adel geprägten Staatsrat, mit seinen Vorstellungen auf zu starken Widerstand gestoßen war. Die Unvollständigkeit der Ablösebestim427 Siehe zum Ganzen auch P. C. Hartmann, Französische Verfassungsgeschichte der Neuzeit (1450 – 1980), Darmstadt 1985, S. 64 ff. 428 Für Frankfurt siehe § 26 der Verfassung.

II. Französische Verfassungstradition und Übernahme in Deutschland

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mungen war wesentlich auf dessen retardierende Beharrungsbemühungen zurückgegangen.429 Vergegenwärtigt man sich die denkbare Alternative, d. h. die ausschließliche Steuerung des Gemeinwesens durch Monarch und Bürokratie, treten zwei weitere Gründe für die Errichtung von Repräsentativvertretungen in den Napoleoniden hinzu: Zum einen wäre ohne sie der Unterschied zu den spätabsolutistischen Mächten um ein Vielfaches geringer gewesen, was den Modell- und Werbewert der auf moralische Eroberung ausgerichteten Modellstaatspolitik wesentlich geschmälert hätte. Die Zuweisung politischer Partizipationsrechte durch Repräsentation sollte signalisieren, dass man moderne politische Herrschaft eben nicht mehr als eine vom gesellschaftlichen Konsens völlig unabhängige Angelegenheit betrachtete, und sollte dadurch scharfe Kontrasteffekte nicht zuletzt im Hinblick auf Preußen und Österreich erzeugen. Zum anderen bot die politische Beteiligung und Aufwertung der Repräsentativkörperschaft die Möglichkeit, das Moment des Fremdherrschaftlichen, allen voran symbolisiert durch die ansonsten französischdominierten Staatsspitzen, abzumildern. Die Implementierung der neuen Ordnung, die ja einen ungeheuren Umsturz aller lebensweltlichen Verhältnisse bedeutete, sollte nicht als nur von Besatzern erlassenes Besatzungsrecht empfunden werden. Noch eine weitere, im nach-revolutionären Frankreich eher unbedeutende Erwägung sprach für die Mitwirkung einer nationalen Gesamt-Repräsentation in den Napoleoniden: ihre vermutete territoriale und soziale Integrationsfunktion.430 Angesichts der territorialen, konfessionellen und sozio-ökonomischen Zersplitterung der traditionslosen Kunststaaten Westfalen, Berg und Frankfurt sollte die Schaffung einer gesamtverantwortlichen Repräsentativversammlung den positiven Effekt zeitigen, regionale und andere Sonderinteressen in der Repräsentativversammlung zu bündeln, zu überwinden und nunmehr einen einzigen Verhandlungspartner der Herrschaftsunterworfenen zu haben.431 Sozio-ökonomischer wie regionaler Partikularismus sollten planiert werden. Im Rahmen der Untersuchung der strukturellen Bedingungen, die zum deutschen Frühkonstitutionalismus geführt haben, hat H. Obenaus auf die Hebelwirkung der Finanzfrage für die Einrichtung der dortigen Vertretungskörperschaften aufmerksam gemacht.432 Mit der angestrebten Auflösung der ständisch-feudalen Ordnung und dem Übergang zum privatwirtschaftlich-liberalen Wirtschaftssystem 429 Siehe dazu K. Rob, in: Regierungsakten Westfalen, S. 97 ff. u. 139 f. mit Abdruck der Rapports Siméons. 430 Hierin deckte sich das Kalkül mit dem in den späteren deutschen Klein- und Mittelstaaten, vgl. dazu L. Bergsträsser, Die Entwicklung des Parlamentarismus in Deutschland, in: K. Kluxen (Hrsg.), Parlamentarismus, Köln / Berlin 1967, S. 138, 139 („. . .Volksvertretung geeignet . . . in die aus Tausend Lappen bunt zusammengeflickten neuen Staatskörper ein Gemeinschafts- und Staatsgefühl hineinzubringen . . .“); siehe auch H. Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung, S. 244, 245 ff. u. P. M. Ehrle, Volksvertretung, S. 296 ff. 431 Vgl. H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 325; P. M. Ehrle, Volksvertretung, S. 300. 432 H. Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung, S. 244 ff.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

musste sich auch der Finanzierungsmodus des Staates notwendig verändern, d. h. der Staat sich vorwiegend über Steuern und Staatskredite finanzieren. Die Ausschaltung der intermediären Zwischengewalten und die Konfrontation mit der sich nunmehr emanzipierenden Gesellschaft provozierte bei den monarchischen Administrationen das Bedürfnis nach einer neuen Vermittlungsinstanz. Dies vor allem deshalb, weil durch das Verschwinden des Vertrauens zur überkommenen Obrigkeit der Staatskredit einer neuen Begründung und Vertrauensgrundlage bedurfte und eine dauerhaft ertragreiche Steuergesetzgebung auf ein Mindestmaß an gesellschaftlichem Konsens angewiesen war. Bei der Herstellung des zur Gewährleistung der Staatskredits notwendigen Anleihevertrauens der Gläubiger lag die Bedeutung der Zusicherung von Beteiligungsrechten der potenten Schichten durch Repräsentation auf der Hand. Gerade in Westfalen dürfte dieser Gesichtspunkt im Hinblick auf die immensen napoleonischen Finanzierungsbedürfnisse durchaus schon eine Rolle gespielt haben. In einer solchen Situation musste der Bedarf an Vermittlung zwischen Regierung und Regierten wachsen und eben dies dürfte gerade im französischen Politikverständnis schon zum Allgemeingut geworden sein und daher der Errichtung der Repräsentativkörperschaften ebenfalls schon als Kalkül zugrunde gelegen haben.433 Deutlich wurde dies in Westfalen und Frankfurt an den eingeräumten Mitwirkungsrechten der Vertretungskörperschaften im Finanzsektor. Die Repräsentation sollte insofern auch die Funktion einer Vertrauens- und Vermittlungsklammer zwischen monarchischer Administration und der besitzenden, wirtschaftlich potenten Eigentümerschicht erfüllen.434

433 Deutlich geht dies hervor aus der Äußerung des Staatsratsmitglieds und späteren Finanzministers C. A. Malchus in seiner Rede zum Gesetz über die öffentliche Schuld vom 14. Juli 1808, abgedruckt in: Moniteur Nr. 90 vom 23. Juli 1808, S. 366: „Die Nationalschuld ist eine Nationalangelegenheit und eine Nationalpflicht, für welche jedes Mitglied der Staatsgesellschaft verhaftet bleibt“; so auch das Selbstverständnis der Deputierten, dazu die Stellungnahme des Deputierten F. L. Frhr. v. Berlepsch vom 4. Juli 1808, wonach die „Repräsentanten des westphälischen Volks“ die „heiligste aller Pflichten zu erfüllen, nämlich den Staatsgläubigern pünktlich Wort zu halten“ hätten und weiter noch: „Ist unser Nationalkredit gesichert, so gehen Wir im Innern dem Nationalwohlstande mit starken Schritten entgegen“, abgedruckt in: Erste Versammlung der Stände des Königreiches Westphalen, in: Die Zeiten 15 (1808), S. 204, 212.; vgl. ebenfalls H.-P. Ullmann, Finanzreformen im Königreich Westfalen, in: ders. / W. Speitkamp (Hrsg.), Konflikt und Reform, Festschrift für H. Berding, Göttingen 1995, S. 118, 126 f. u. V. Press, Landstände des 18. und Parlamente des 19. Jahrhunderts, in: H. Berding / H.-P. Ullmann (Hrsg.), Deutschland zwischen Revolution und Restauration, Düsseldorf 1981, S. 133, 143. 434 Eingehend dazu H. Obenaus, Finanzkrise und Verfassunggebung, S. 244, 251 ff.; vgl. auch R. Wahl, Entwicklung, S. 4, 13.

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung und Arbeitsweise

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III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Mitwirkungsbereich der westfälischen Repräsentativvertretung 1. Bestellungsmodus und Zusammensetzung a) Ausgestaltung im Einzelnen Art. 23 – 25, 29 – 33, 39 – 44 der Verfassung enthielten die verfassungsrechtlichen Grundlagen über Wahl, Zusammensetzung, Arbeitsweise und Aufgaben der Repräsentativvertretung. Sie bestand aus 100 Mitgliedern, die aus den 8 Departements durch die jeweiligen Departementskollegien (zu diesen näher s. u.) in geheimer Wahl und ohne vorausgehende Aussprache sowie drittelweise jeweils für drei Jahre gewählt wurden. Die 100 Mitglieder sollten sich gemäß Art. 29 aus 70 Grundeigentümern, 15 Kaufleuten und Fabrikanten sowie 15 Gelehrten und anderen Bürgern, die sich „um den Staat verdient gemacht haben“ (Art. 29), zusammensetzen. Das passive Wahlrecht war damit kein ständisches mehr, orientierte sich aber an Besitz- und Bildungskriterien.435 Im Einzelnen war es flexibel ausgestaltet: Das Kriterium Grundeigentum bezog sich durchaus nicht vorrangig auf adelige Agrarier, wie es prima facie zu vermuten gewesen wäre. Tatsächlich berechtigte schon der Besitz eines Gartens oder Hauses zur Wählbarkeit.436 Auch die Zugehörigkeit zu bestimmten „Listen der Wählbaren“, die den wählenden Departementskollegien meist vorgelegt wurden, war ausdrücklich nicht erforderlich.437 Die Vorschriften zur passiven Wahl zielten mit dem Kriterium des Grundeigentums in erster Linie auf eine berufsunabhängige Öffnung des Kreises der Wählbaren hin zum städtischen Bürgertum. Auch Gelehrte, Beamte, Handwerker und Kaufleute konnten und sollten in ihrer Eigenschaft als Grundeigentümer gewählt werden, was auch in beträchtlichem Umfang geschah. Als Aktivwähler und Wahlmännerkollegium fungierten die Departementskollegien. Sie besaßen ausschließlich Kreationsbefugnisse. In Anlehnung an ihr Vorbild in der Empireverfassung besaßen sie außer der Erstellung von Zweifach-Vorschlägen für die Ernennung der Friedensrichter, der Departement-, Distrikt- und Muni435 Rechtsgrundlagen der Wahlen waren insb. das Dekret vom 18. März 1808, welches die Verrichtungen der Wahlkollegien und die Modalitäten der Wahl bestimmte, Bulletin von 1808, Teil 1, S. 456 ff., ergänzend das Dekret vom 29. Mai 1808 über die Wahlverrichtungen im Weser-Departement, in: Bulletin von 1808, Teil 2, S. 147 ff. sowie eine briefliche Instruktion des Justiz- und Innenministers Siméon vom 23. März 1808 für die Präsidenten der Departementskollegien über die Modalitäten der Wahl, abgedruckt in: Moniteur, Nr. 50 vom 21. April 1808, S. 204 und Nr. 51 vom 24. April 1808, S. 206 ff. 436 Dekret über die Wahlverrichtungen im Weser-Departement vom 29. Mai 1808, in: Bulletin 1808, Teil 2, S. 147 ff. 437 F. Thimme, Innere Zustände, Bd. 2, S. 124 berichtet, dass die „Listen der Wählbaren“ identisch waren mit den Mitgliedern der Departementskollegien. In der Instruktion Siméons (Fn. 35) war allerdings ausdrücklich erwähnt, dass „sie diejenigen, welche nicht darauf befindlich sind, keinesweges ausschließen.“

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

cipalitätenräte sonst keine Aufgaben. Ihrerseits wurden sie nicht gewählt, sondern vom König auf der Basis von Zweifach-Namenslisten ernannt, welche die Präfekten nach Vorbereitung durch die jeweiligen unteren Verwaltungsbehörden erstellt hatten, wobei diese ihre jeweilige Präferenz durch die Erstnennung zum Ausdruck bringen438 und nur anerkannte Persönlichkeiten benennen sollten.439 Auf 1000 Einwohner kam ein Mitglied im Departementskollegium, mindestens mussten es 200 sein. Der Verteilungsschlüssel sah ihre Zusammensetzung in etwa proportional zur Zusammensetzung der zu wählenden Repräsentativvertretung im Verhältnis 4:1:1 bezogen auf eine Gruppe der relativ Höchstbesteuerten, eine Gruppe der reichsten Kaufleute und Fabrikanten und eine Gruppe der bedeutendsten Gelehrten, Künstler sowie anderer um den Staat verdienter Männer vor. Insofern handelte es sich um eine gemischt an den Kriterien von Besitz, Vermögen und Bildung orientierte königliche Ernennung zum „Wahlmann“, wobei das zensitäre Moment die Ernennungsfähigkeit stark dominierte. Die geheime Wahl in den Departementskollegien fand nicht nach sozialen Gruppen, sondern allgemein statt, wobei jeder Wähler insgesamt die Anzahl an Stimmen hatte, wie sein Departement jeweils aus den drei wählbaren Gruppen Deputierte entsenden konnte.440 In den Wahlergebnissen spiegelten sich die gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen des napoleonischen Herrschaftssystems zu einem erstaunlichen Grad wieder. Der Blick quer durch die Biographien der Deputierten zeigt eine erstaunlich geringe personelle Kontinuität von hergebrachten ständischen Funktionsträgern und neuen Deputierten.441 Der Adel machte insgesamt (nur noch) knapp die Hälfte der „Repräsentanten“ aus (49 %), davon entstammten 80 % dem agrarischen Adel, der Rest dem Beamtenadel. Von der Berufsstruktur her dominierte die Gruppe der Agrarier mit 31 % nicht mehr wesentlich, 27 % waren Beamte, Richter und Diplomaten, 19 % stammten aus dem Kauf- und Handelsgewerbe, 7 % waren Professoren und Geistliche, 16 % entstammten verschiedenen anderen Berufen. 84 % waren evangelisch, 15 % katholisch, 1 Deputierter jüdischen Glaubens. Das Durchschnittsalter der Deputierten lag im Jahr 1808 bei knapp 50 Jahren, unter 40 Jahren waren nur 17 %.442 Die Mitgliedschaft in der Repräsentativvertretung war 438 Dies ist einem Schreiben Siméons an den Präfekten des Leine-Departements F. A. v. Hövel vom 26. Februar zu entnehmen, Niedersächsisches HStA Hannover, Bestand 52 Nr. 1058. 439 Dies geht – jedenfalls für das Leine-Departement – aus der Rundverordnung des dortigen Präfekten F. A. v. Hövel vom 7. März 1808 an die Unterpräfekten seines Departements hervor, Nieders. HStA Hannover, Bestand 52 Nr. 1060: Dort wurde bestimmt, dass die benannten Personen ein Mindestmaß an sozialer Achtung im Hinblick auf Bildung, Wohltätigkeit und moralische Integrität bei ihren Mitbürgern besitzen sollten. 440 Dazu näher F. Thimme, Innere Zustände, S. 123 f. 441 Zu diesem bisweilen auftretenden Übergangsproblem des Parlamentarismus im 19. Jahrhundert siehe R. Vierhaus, Von der altständischen zur Repräsentativverfassung, Zum Problem institutioneller und personeller Kontinuität vom 18. und 19. Jahrhundert, in: K. Bosl (Hrsg.), Der moderne Parlamentarismus und seine Grundlagen in der ständischen Repräsentation, Berlin 1977, S. 177 ff.

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung und Arbeitsweise

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inkompatibel mit der im Staatsrat und der Ministereigenschaft. Beamte, Richter, Soldaten und Kleriker konnten dagegen gewählt werden.443 Die Verfassung sah ausdrücklich kein Gehalt der Deputierten vor. Allerdings wurde ihnen eine Entschädigung gewährt444, welche die Reise- und Aufenthaltskosten nach Kassel, dem Tagungsort der Versammlung, abdecken sollte.445 b) Bewertung Das größte Defizit gemessen am Idealtyp moderner demokratischer Repräsentation wies der Bestellungsmodus auf. Die Repräsentanten wurden zwar gewählt, aber nicht von allen Herrschaftsunterworfenen, also dem Volk, sondern durch das Wahlmännergremium der Departementskollegien, die ihrerseits von der monarchischen Administration zu einem erheblichen Teil nach zensitären Kriterien ernannt wurden. Die Wahl durch ein Wahlmännerkollegium tat dem Prinzip keinen Abbruch, dies war (und ist z.T. heute noch) eine durchaus übliche Form der Ausgestaltung des Wahlrechts. Der entscheidende Punkt war die königliche Ernennung der Departementskollegien, genauer: ihr darin liegender Mangel an demokratischer Legitimation und damit einhergehend auch derjenige der von ihnen gewählten Deputierten in der Repräsentativvertretung. An jenem demokratischen und repräsentationstheoretischen Defizit zeigte sich deutlich der dominante Einfluss der monarchischen Herrschaftsgewalt und die Grenzen napoleonischer Zugeständnisse in Sachen politischer Partizipation. Das königliche Ernennungsrecht setzte bei der Aktivwählerschaft an der Wurzel demokratischer Legitimation an. Mag dies auch von den Zeitgenossen noch nicht so empfunden worden sein446, so belegte es in diesem Punkt ein Zurückbleiben der westfälischen Verfassung nicht nur hinter den französischen Revolutionsverfassungen, sondern auch hinter den meisten deutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus, wo es überwiegend zwar auch die indirekte Wahl, aber eben keine (vollständige) monarchische Ernennung des Wahlkollegiums gab. 442 Die Zahlenangaben bzw. -auswertungen nach: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 214 ff. 443 Siehe zur Inkompatibilität bzw. Wählbarkeit die briefliche Instruktion Siméons, in: Moniteur vom 24. April 1808, Nr. 51, S. 206 ff. 444 Dekret vom 10. Mai 1808, Bulletin, Bd. 1, 2. Aufl., S. 794 ff. 445 Die Frankfurter Repräsentativvertretung umfasste nur 20 Mitglieder, ihre Zusammensetzung und ihr Bestellungsmodus war dem westfälischen nahezu identisch nachgebildet (vgl. § 26 – 28, 32 – 35 der Verfassung von Frankfurt), Tagungsort war Hanau. Wegen des städtischen Hintergrundes lag der Anteil der Nicht-Adeligen bei 75 %; bei den Berufen dominierten entsprechend Beamte, Richter und Diplomaten mit 40 %, gefolgt von Kauf- und Handelsleuten mit 35 %, Zahlen nach: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 216. 446 Unter den zeitgenössischen Stimmen findet sich keine auffallend kritische Beachtung dieses Umstandes. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das deutsche politische Denken unter dem Eindruck der französischen Ereignisse von 1793 – 1795 freilich insgesamt gegenüber (allzu) demokratischen Vorstellungen eine gewisse Skepsis aufwies.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Allerdings relativiert sich dieses Defizit bei genauerer Betrachtung. Zunächst einmal war ja auch die königliche Ernennung verfassungsrechtlich an eine bestimmte Personengruppe, die sich durch Besitz, Vermögen und Bildung auszeichnete, gebunden. In der Praxis glich sich so die vom König ernannte Aktivwählerschaft Westfalens als Personengruppe (nicht der Größenordnung nach) derjenigen der späteren frühkonstitutionellen Staaten an, in denen das aktive Wahlrecht ja meist an einen nicht gerade geringen Zensus gebunden war und mitunter sogar plutokratische Züge annahm. Im Zensuswahlrecht Frankreichs unter der Charte Constitutionelle von 1814 orientierte sich der Repräsentationsschlüssel beispielsweise rein an einem starren Zensus, was dazu führte, dass anfangs das Parlament bei ca. 30 Mill. Einwohnern auf gerade einmal 100.000 Wähler zurückging.447 Zudem gab es in vielen zweiten Kammern des deutschen Frühkonstitutionalismus noch ständisch-korporativ reservierte Anteile (Adel, Klerus etc.) im Wahlschlüssel.448 Diese fehlten in Westfalen völlig, an ihre Stelle traten die von jedermann potentiell zu erfüllenden Kriterien Besitz, Vermögen und Bildung. Der antiständische Charakter des gesamten Wahlrechts war daher stärker als der in den meisten frühkonstitutionellen deutschen Staaten. Hinzu tritt noch ein mathematischer Gesichtspunkt: Auf Tausend Einwohner kam ein Wahlmann in den Departementskollegien (Art. 40). Auch wenn sich diese zu 4 / 6 unter den relativ Höchstbesteuerten rekrutiert wurden, war damit der Sprung zur geographisch-orientierten Abgeordnetenauswahl vollzogen, die es im deutschen Frühkonstitutionalismus beileibe nicht überall gab.449 Die Verfassung bezog somit jedenfalls textlich jeden Einwohner in das Wahlsystem mit ein, und machte jeden Einwohner zumindest mittelbar zum „Repräsentierten“. Die tatsächlichen Umstände der königlichen Ernennung der „Wahlmänner“ sind aus den Akten nicht vollständig zu ermitteln. Die letzte Entscheidung wurde wohl auf Ministerialebene getroffen, wobei eine gewisse Vorentscheidung durch Präferenzäußerung in den Listen der Präfekten und Unterpräfekten gefallen sein dürfte. Ob es bestimmte Weisungen hinsichtlich der Nicht-Berücksichtigung politisch defavorabler Personen gegeben hat, ist nicht ersichtlich. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die potentiellen Interventionsmöglichkeiten der Administration wegen des Fehlens von Parteien oder anderen parteilich profilierten Gruppen von vornherein nur einen begrenzten Stellenwert besessen haben dürften.450 Hinzu tritt, dass die Ernennung auf Lebenszeit erfolgte und eine Ablösung nur durch gerichtliches Urteil, aber eben nicht einfach durch königliche Verfügung erfolgen konnte 447 Zahlen zum „pays réel“ und „pays légal“ bei J. J. Chevallier, Histoire des Institutions Politiques de la France de 1789 à nos jours, Paris 1952, S. 181 u. 217. 448 Vgl. beispielhaft Titel VI, §§ 7 – 9 der bayerischen Verfassung von 1818, abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 150.; vgl. dazu H. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 42 f. 449 Vgl. dazu H. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 42 f. 450 H. Obenaus, Reichststände, S. 299, 302.

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung und Arbeitsweise

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(Art. 43 der Verfassung).451 Zu Recht hat daher H. Obenaus darauf hingewiesen452, dass die Ernennung der Departementskollegien insgesamt sicher nicht als „mittelbare Wahl“ der Volksvertretung durch den König selbst interpretiert werden kann.453 Ein weiterer Gesichtspunkt tritt hinzu: Die demokratische Rückkopplung war ja nur stark vermindert und nicht vollständig eliminiert, denn dass überhaupt die Bevölkerung repräsentierende Personen zu ernennen waren, war dem König ja schon von Verfassungs wegen vorgegeben. Das Defizit lag nur in der Ausgestaltung der personellen Zusammensetzung der (demokratischen) Legitimationsträger, grob verkürzt ausgedrückt: mehr im „wie“ als im „ob“. Zu berücksichtigen ist schließlich und vor allem, dass sich der königliche Einfluss im Ernennungsakt der Departementskollegien ja vollständig erschöpfte. Darüber, wer dann tatsächlich Repräsentant in der Vertretung wurde, also über die Auswahl der eigentlichen politischen Akteure, entschied die freie und geheime und unmittelbare Wahl der Mitglieder der Departementskollegien. Die Auswirkungen der nur begrenzten Repräsentativität auf der Primärebene (also bzgl. der Aktivwählerschaft) mussten sich daher im politischen Wahlergebnis nicht unmittelbar niederschlagen. Die oben [unter a)] beschriebene Zusammensetzung eben jener politischen Akteure, also der Mitglieder der Repräsentativvertretung und das zu ihnen führende passive Wahlrecht, wiesen dagegen sehr fortschrittliche Züge auf. An vorderster Stelle gilt dies für die Aufweichung des Kriteriums Grundbesitz und die ausdrückliche Nichtbeschränkung des Kreises der Wählbaren auf die Mitglieder der Departementskollegien. Wo ein Haus oder ein Garten ausreichte, konnte praktisch ein bedeutend großer Teil der Bevölkerung quer durch alle Schichten zum Deputierten gewählt werden. Dies lief geradezu konträr zur fast gesamten späteren frühkonstitutionellen Landschaft Europas, wo die Schwelle des passiven Wahlrechts meist im Wege des Passivzensus gegenüber dem Aktivzensus noch einmal kräftig hochgesetzt wurde, etwa der extrem plutokratische Passivzensus in Frankreich ab 1814, der bei 30 Mill. Einwohner nur noch 16.000 Wählbare übrig ließ.454 Der Passivzensus fehlte dagegen in Westfalen völlig. Einen sozialprotektionistischen Charakter, wie sie spätere deutsche Wahlvorschriften im Frühkonstitutionalismus diesbezüglich aufwiesen, besaßen die Bestimmungen zum passiven Wahlrecht in Westfalen daher kaum. In fast allen frühen deutschen Verfassungen (etwa Bayern und Württemberg) verlangte das passive Wahlrecht zur Zweiten Kammer einen qualifizierten Vermögensstand, teilweise waren der Gutsadel und die Geistlichkeit den jeweiligen zweiten Kammern noch anteilig, mitunter auch im Wege der Ernennung zugewiesen. Darüber hinaus war ja häufig noch eine aristokratisch dominierte Erste Kammer errichtet worden, die erst im Verbund mit der Zweiten Kammer die 451 J. Lengemann, in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 19 weist darauf hin, dass es wohl auch keine Rücknahmen von Ernennungen gegeben hat. 452 H. Obenaus, Reichststände, S. 299, 302. 453 So noch – freilich insgesamt national-tendenziös – J. Weidemann, Neubau eines Staats, S. 31. 454 J. J. Chevallier, Histoire des Institutions Politiques, S. 217.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Gesetzgebung vornahm.455 Demgegenüber erweist sich das „ständelose“ und breit geöffnete passive Wahlrecht und das Fehlen einer gesonderten, ständischen Ersten Kammer, die ja als institutionalisiertes retardierendes Moment gegenüber liberalen Bestrebungen der Zweiten Kammern im politischen Prozess konzipiert war, als Ausdruck einer bedeutend egalitäreren und fortschrittlicheren Konzeption.456 Die Wahlergebnisse spiegelten dies wider: Die neue staatstragende Schicht in der westfälischen Repräsentativvertretung bestand schon gleich zu Beginn nur noch zur knappen Hälfte aus der alten Führungsschicht des grundbesitzenden Adels und die Tendenz der Wahlvorschriften ging offenkundig zur weiteren Öffnung zum städtischen Bürgertum. Damit entsprach die Zusammensetzung schon zu einem erheblichen Teil der napoleonischen Gesellschaftskonzeption.457 Bemerkenswert ist vor allem die potentielle Aufstiegsmöglichkeit von praktisch Jedermann zum Deputierten. Letztlich reflektierte sie die Erfahrungen der französischen Revolution, in der durch die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten Personen unterschiedlichster sozialer Provenienz politische Karrieren gemacht hatten – allen voran der „Cäsar“ selbst. Das Verhältnis der derart gekürten Repräsentanten zu den von ihnen Repräsentierten, d. h. dem Volk, ist schwer zu ermitteln. J. Lengemann hat diesbezüglich darauf hingewiesen, dass wohl die Fülle von Namen hoher Reputation und der Umstand, dass ein großer Teil der Abgeordneten auch nach dem Ende des Königreichs herausragende Karrieren in der Justiz, der Verwaltung und in späteren Parlamenten durchliefen458, auf ein beträchtliche Maß an Autorität und Akzeptanz seitens der Bevölkerung hin deuten.459 Ähnlich hat auch H. Obenaus den Eindruck gewonnen, dass es in den Wahlen gelungen ist, wichtige gesellschaftliche Gruppen und Kräfte zu mobilisieren, und dass entgegen zeitgenössisch geäußerter Ansicht keinesfalls die Rede davon sein kann, dass der Rückstand der gesellschaftlichen Entwicklung Deutschlands in der napoleonischen Epoche eine Nationalrepräsentation nicht erlaubt hätte, die Fürst und Verwaltung mit der erforderlichen Autorität und ökonomischen Potenz entgegentreten konnte.460 455 Siehe beispielhaft Titel VI, §§ 2, 7 – 9 der bayerischen Verfassung von 1818 (Zweite Kammer und ständisch-anteiliger Verteilungsschlüssel für die zweite Kammer), abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 149 f.; vgl. im Einzelnen bei ders., Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 341 f. u. 344 f.; H. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 42 ff.; vgl. grundlegend P. M. Ehrle, Volksvertretung im Vormärz, S. 329 ff. 456 Siehe auch E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 297 f. u. H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 303 ff. 457 H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 305 hat in Anlehnung an die französische Terminologie in diesem Zusammenhang als einer Versammlung von „Notabeln“ nach dem Vorbild der französischen Notabelnschicht gesprochen; siehe am besten zur Notabelnforschung in Deutschland K.-G. Faber, Andreas van Recum 1765 – 1828. Ein rheinischer Kosmopolit, Bonn 1969, S. 198 ff. 458 Siehe Übersicht über spätere Parlamentszugehörigkeiten der Deputierten in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 223 ff. 459 J. Lengemann, in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 20 f.

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung und Arbeitsweise

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Den eigentlich revolutionären Bruch mit der hergebrachten altständischen Repräsentationsform markiert die Verwirklichung von Weisungsfreiheit und Gesamtverantwortlichkeit der Deputierten und damit wesentlicher Strukturmerkmale moderner Repräsentation. Die Deputierten waren an keinerlei aus altständischen Zeiten bekannte Instruktion gebunden, was auch nicht mit der anti-ständischen Konzeption der Verfassung in Einklang zu bringen gewesen wäre. Hinzu trat die Verpflichtung auf das Gesamtwohl der ganzen Nation. Objekt der Repräsentation war die westfälische Nation, waren nicht partikulare ständische Interessen. Damit wurden zum ersten Mal auf deutschem Boden die Grundzüge des „freien Mandats“ verwirklicht.461 Die Fortschrittlichkeit dessen erhellt sich zumal im Vergleich zu Reformpreußen. Dort, wo Hardenberg 1812 die ständisch gewählte interimistische Nationalrepräsentation einberufen hatte, sollten die Repräsentanten zwar auch als Sprecher der Nation auftreten, gerieten aber angesichts der beibehaltenen ständischen Schichtung (Dreigliederung in Adel, Bürgertum und Bauerntum) in das Dilemma, dass sie Ständen entstammten, deren partikulare Interessen sie nun nicht mehr vertreten durften, woran das Experiment dann auch scheiterte.462 Im Vergleich zu den späteren deutschen Verfassungen des Frühkonstitutionalismus war die westfälische Ausgestaltung des Deputiertenmandats keineswegs rückständig. Auch dort waren die Grundzüge des freien Mandats in Gestalt von Instruktionsfreiheit und Gesamtverantwortung meist voll verwirklicht. Auffallend ist allerdings, dass in vielen deutschen Verfassungen dies ausdrücklich im Verfassungstext festgehalten wurde.463 In der westfälischen Verfassung (auch in Frankfurt und im Organischen Statut von Berg) fehlte eine solche Positivierung des Deputiertenstatus. Die Erklärung dafür liegt freilich darin, dass das freie Mandat in der französischen Verfassungstradition mittlerweile zum selbstverständlichen Grundbestand gehörte und keines ausdrücklichen Niederschlags im Verfassungstext mehr bedurfte. Es ergab sich im Übrigen zwingend schon aus dem anti-ständischen Gesamtkontext der Verfassungen. Dass davon wie selbstverständlich auch die monarchische Administration ausging, zeigt unter vielen Beispielen eine Rede460 Hier und insgesamt zum Ganzen H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 306; kritisch dagegen hatten sich schon Zeitgenossen geäußert, so der auch die westfälische Verfassung betrachtende nassauische Beamte L. Harscher v. Almendingen, Politische Ansichten über Deutschlands Vergangenheit, Gegenwart u. Zukunft, Theile 1 und 2, Wiesbaden 1814, S. 407; vgl. in der Tendenz ebenso skeptisch E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 299. 461 Vgl. zum freien Mandat in den frühen Verfassungen P. M. Ehrle, Volksvertretung, S. 301 ff. 462 R. Koselleck, Preußen, S. 193 ff. (1. Aufl., Stuttgart 1967); siehe auch E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 288, 310 u. F.-L. Kroll, Verfassungsidee und Verfassungswirklichkeit im Zeitalter der Stein-Hardenbergschen Reformen, in: H. Neuhaus (Hrsg.), Verfassung und Verwaltung, Festschrift für K.G.A. Jeserich, Köln / Weimar / Wien 1994, S. 159 ff. 463 Vgl. beispielhaft § 48 S. 2 der badischen Verfassung von 1818, abgedruckt in: E. R. Huber (Hrsg.), Dokumente, Bd. 1, S. 163; P. M. Ehrle, Volksvertretung, S. 301 m. w. N.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Äußerung des westfälischen Staatsrats und späteren Finanzministers C. A. Malchus, der die Versammlung anlässlich der problematischen Verabschiedung des Gesetzes zur Grundsteuer daran erinnerte, dass sie „Repräsentanten der ganzen westphälischen Nation“ seien und nicht „Stellvertreter dieser oder jener Stadt oder ehemaligen Provinz, dieser oder jener Klasse von Einwohnern“.464

2. Arbeitsweise und Mitwirkungsbereich der westfälischen Repräsentativvertretung Die Mitwirkung an der Gesetzgebung war die Hauptaufgabe der Repräsentativvertretung. Sie betraf die Beratung der Gesetzentwürfe sowie die geheime Beschlussfassung mit absoluter Mehrheit. Eine eigene Gesetzesinitiative oder eine Art Vorstufe in Form eines Petitionsrechts gab es nicht. Die eigentliche Beratung erfolgte ausschließlich durch drei spezielle Kommissionen für Finanzen, Zivil- und Kriminalgesetzgebung in einem Verfahren unter wechselseitigen Absprachen zwischen Staatsrat und den Kommissionen (Art. 23 – 25). Auffallend war das völlige Fehlen von Beratung und Diskussion im Plenum. H. Obenaus hat angesichts dieses Defizits an deliberativer Parlamentskultur in Analogie zum Corps législatif der Konsulats- und Empire-Verfassung von den „100 Stummen“ gesprochen465 und wegen der fehlenden Debattenkultur die Einstufung der Körperschaft als „Parlament“ in Zweifel gezogen. Das Fehlen an Parlamentskultur lässt erkennen, dass das monarchische Kalkül kein allzu großes Maß an politischer Öffentlichkeit zulassen wollte. Die Vertretungskörperschaft sollte kein politisches Forum werden, in dem politische Kontroversen eine größere Breitenwirkung hätten erzeugen können, die den politischen Bestimmungsanspruch der monarchischen Bürokratie potentiell gefährdet hätten. Der politische Willensbildungsprozesses sollte als sachlichbürokratischer Abstimmungsprozess hinter verschlossenen Türen verlaufen. Damit war auch das Entstehen politischer Gruppierungen und Profile unter den Deputierten erschwert. Der bürokratische Grundzug des napoleonischen Herrschaftsverständnisses wird in diesem Punkt besonders sichtbar. Reden vor dem Plenum waren vor allem Stellungnahmen der Kommissionsmitglieder zu Gesetzesvorhaben, die anschließend aber nicht mehr diskutiert wurden, Eröffnungs- und Schlussreden, Dankadressen, Beschwerden an den König, wodurch die mangelnde Gesetzesinitiative teilweise kompensiert werden konnte, sowie die Vorträge der Staatsratsmitglieder und Minister zu ihren Gesetzesentwürfen und zur „Lage des Königreichs“.466 Dabei war auch öffentliche Zuhörerschaft zugelassen. Die Sprache in 464 Rede von Malchus vom 18. August 1808, abgedruckt in: Moniteur, Nr. 103 vom 23. August, S. 418 ff. 465 H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 313; vgl. P. C. Hartmann, Französische Verfassungsgeschichte, S. 66. 466 Die Reden vor der Versammlung wurden teilweise als Separatdrucke (Übersicht in: Vaterländische Literatur, Übersicht der gegenwärtig zu Kassel lebenden Schriftsteller und

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung und Arbeitsweise

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der Versammlung war Deutsch. Der Mangel an Plenardebatten und Diskussionen wurde allerdings durch regelmäßige, längere und teilweise tägliche Beratung in „Privat-Reunionen“ im Hause des Präsidenten der Repräsentativvertretung teilweise kompensiert.467 Damit hatten sich die Deputierten zwar kein öffentliches Forum geschaffen, aber zumindest den Charakter der Vertretung als rein auf die Beschlussfunktion verwiesenes Gremium ein Stück weit verändert. Diese Sitzungen sind auch seitens der Exekutive nicht untersagt worden. Der Schwerpunkt legislativer Tätigkeit lag bei den drei Kommissionen für Finanzen, bürgerliches Justizwesen und Strafjustizwesen. Die jeweiligen Gesetzesentwürfe durchliefen ein insgesamt zweistufiges Verfahren („zwei Lesungen“), in dem es seitens der Kommissionen zu intensiver Beratung der Entwürfe kam, teilweise gemeinsam mit Mitgliedern des Staatsrats, und in dem der ursprüngliche Gesetzentwurf im Wege gegenseitigen Vortrags von Änderungswünschen, Ablehnungsäußerungen und Zugeständnissen seine endgültige Gestalt annahm (Art. 23 – 25).468 Die Beteiligung der Kommissionen verblieb dabei nicht im Formalen, sondern schlug sich durchaus in materieller Einflussnahme auf den Gesetzesinhalt nieder. Die wesentliche Bestimmung, in welcher die Kompetenzen der Repräsentativvertretung umrissen waren, war Art. 33 der Verfassung. Danach hatte die Repräsentativvertretung über die vom Staatsrat469 entworfenen und auf Befehl des Königs vorgelegten Gesetzesentwürfe zum jährlichen Finanzgesetz (Budget), zum Gebiet des bürgerlichen Rechts und des Strafrechts470 sowie zum Münzwesen zu „berathschlagen“. Auch die jeweiligen gedruckten Rechnungen der Minister waren ihr jährlich vorzulegen. Die Gebiete Außenpolitik, Kriegswesen und Verwaltungsorganisation waren nicht der an die Vertretung gebundenen Gesetzgebung ihrer literärischen Produkte. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte Westfalens, in: G. Hassel / K. Murhard (Hrsg.), Westfalen unter Hieronymus Napoléon, Jg. 1, August 1812, S. 36 ff.), teilweise im Moniteur, teilweise in Zeitschriften (etwa: Der Rheinische Bund 7, 8 (1808), S. 453 ff. und S. 89 sowie 14, 15 (1810), S. 357 ff. und 274 ff., 399 ff. und in: Die Zeiten 15 (1808), S. 206 ff.) veröffentlicht. 467 Davon berichtet eindrucksvoll F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 46. 468 Vgl. beispielhaft zum Verfahren der Bericht zum Konsumtionssteuergesetz von 1810, in: Westfalen im Jahr 1810. Geschichte des zweiten Reichstages, in: G. Hassel / K. Murhard (Hrsg.), Westfalen unter Hieronymus Napoléon, Jg. 1, September 1812, S. 18 ff. siehe auch J. Lengemann, in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 28 u. H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 312 f. 469 Der Staatsrat glich in Organisation und Aufgabe dem französischen Vorbild (Conseil d’Ètat), wurde personell vom König bestimmt und war sachlich in erster Linie für den Entwurf von Gesetzen und Verordnungen zuständig, vgl. Art. 21 – 28, siehe auch K. Rob, in: Regierungsakten Westfalen, S. 15 ff.; Liste seiner Mitglieder in: Hof- und Staats-Handbuch des Königreichs Westphalen, Hannover 1811, S. 56 ff. 470 Die Zuständigkeit für den Bereich des Strafrechts ging nicht unmittelbar aus Art. 33 hervor, sondern folgte mittelbar aus der Befassung der entsprechenden Kommission für strafrechtliche Fragen mit der Materie (Art. 23). 10*

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

unterworfen. Anders als nicht selten behauptet471 erschöpfte sich der Sinngehalt von „berathschlagen“ gerade nicht in rein deliberativer Tätigkeit. Abs. 3 des Art. 33 präzisierte nämlich, was unter „berathschlagen“ zu verstehen war: „Die Stände berathschlagen über die Gesetzes-Entwürfe im geheimen Scrutinum durch absolute Mehrheit der Stimmen.“ In der Tat sind nach anfänglichen Unsicherheiten noch bei der westfälischen Verfassungsdeputation in Paris472 alle beteiligten Akteure, Deputierte wie monarchische Administration, (wie selbstverständlich) davon ausgegangen, dass damit der Repräsentativvertretung von Verfassung wegen nicht nur Mitberatungs- sondern Mitentscheidungsbefugnisse eingeräumt worden waren.473 In den Quellen sind – soweit ersichtlich – an keiner Stelle gegenteilige Äußerungen zu verzeichnen, auch sind keine gegen das Votum der Versammlung erlassenen „Lois“ bekannt. Die beschlossenen „Lois“ wurden im Bulletin auch als von den Ständen erlassene ausgewiesen.474 Allerdings wurde durch Art. 33 und die Verfassung eine andere Frage nicht vollständig geklärt, die durchaus Bedeutung erlangen sollte: Die Frage der Anwendungsbereiche von „loi“ und „règlement“. Grundsätzlich war die königliche Regierungsgewalt durch den Verfassungstext für die Verabschiedung formeller Gesetze („lois“) an die Zustimmung der Repräsentativvertretung gebunden. In Art. 26 war jedoch auch die Möglichkeit, Regelungsvorhaben im Wege der Verwaltungsverordnung („règlement d‘administration publique“), bei deren Erlass eine Partizipation der Vertretung nicht vorgesehen war, zu dekretieren (vgl. Art. 26), was auch geschah. Der Verfassungstext ließ sich über dieses Nebeneinander von Gesetz und Verordnung (vielleicht bewusst475) nicht aus476, grenzte daher den Anwendungsbereich letzterer auch materiell ausdrücklich nicht ein, was einen großen und in der Praxis extensiv genutzten Ermessensspielraum des Königs bei der Rechtsformenwahl zur Folge hatte.477 Hinzu kam, dass Gesetzesprojekte einfach als Dekrete, mitunter provisorisch mit der Ankündigung, später die Zustimmung der Repräsentativvertretung einholen zu wollen, er471 So erstaunlicherweise noch aus jüngerer Zeit von B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181, 191 u. K. Ruppert, Bürgertum und staatliche Macht, S. 43 f. 472 Sieh dazu: Protocoll über die Verhandlungen, Nachlaß G. F. C. Robert, S. 38. 473 Siehe auch den terminologischen Unterschied von „berathschlagen“ in Art. 33 zu Art. 28 der Verfassung, wo dem in der Tat nur beratend tätigen Staatsrat ausdrücklich nur eine „berathende“ („Voix consultative“) Stimme ohne Abstimmungsverfahren zugebilligt wird. 474 Der Text lautete dann: „Die Stände haben, in Gemäßheit des ihnen im Namen des Königs gemachten Vorschlags, und nach Anhörung der Redner des Staatsrats und der Kommission der Stände, am . . . folgendes . . . erlassen:“, siehe beispielsweise Gesetze in Bulletin, Bd. 2, 2. Aufl., S. 218, 424, 498. 475 J. Tulard, Napoleon, S. 131 zitiert Napoleon mit dem bezeichnenden Ausspruch, eine Verfassung müsse „courte et ambigue“ sein. 476 Die Unschärfe des Art. 33 ist schon Zeitgenossen aufgefallen, vgl. F. Cramer, Die Geschichte des Königreichs Westphalen, Bd. 1, Magdeburg 1814, S. 231.; ebenso in Bericht: Erste Versammlung der Stände des Königreichs Westphalen, in: Die Zeiten oder Archiv für die neueste Staatengeschichte und Politik, Bd. 20 (1809), S. 315 f. 477 Wie hier H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 309 f. u. J. Lengemann, in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 27.

III. Bestellungsmodus, Zusammensetzung und Arbeitsweise

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lassen wurden.478 Das Fehlen einer strikten Abgrenzung der jeweiligen Anwendungsbereiche und die diesbezügliche Interpretationsfähigkeit des Verfassungstextes hinterließ damit eine gewisse Grauzone, die es (potentiell) den jeweiligen Kräfteverhältnissen im politischen Prozess zwischen monarchischer Exekutive und der Repräsentativvertretung überließ, sie zu besetzen. Außer der Wahl ihrer eigenen Kommissionen und zweier Protokoll-Sekretäre besaß die Versammlung keine Kreationsbefugnisse. Ihr Präsident, der weniger eine politische Führungs-, sondern eher eine prozedurale Leitungsfunktion übernahm479, wurde vom König ernannt. Die insgesamt zweimal erfolgte Einberufung der Versammlung stand nur dem König zu, ebenso die jederzeitige Auflösung der Versammlung. Das Recht zur Selbstversammlung war in der Verfassung ebenso wenig wie in den meisten frühen Verfassungen ab 1815 vorgesehen. Allerdings ordnete die Verfassung mit dem Zustimmungserfordernis zum jährlichen Finanzgesetz indirekt eine zumindest jährliche Periodizität an. Die beiden Sitzungsperioden dauerten jeweils etwa 50 Tage lang.480 Die erste erfolgte schon kurz nach der Gründung im Sommer 1808, die zweite, die ursprünglich durch Dekret für Ende 1809 vorgesehen war481, wurde wegen kriegerischer Unruhen und Abwesenheit Jéromes auf das Frühjahr 1810 verschoben.482 Zu einer ursprünglich gemäß dem indirekt durch die Verfassung vorgeschriebenen jährlichem Sitzungszyklus für 1811 vorgesehenen dritten Sitzungsperiode483 und auch zu weiteren Sitzungsperioden ist es nicht mehr gekommen.

478 So beispielsweise Dekret vom 19. Januar 1809 zur bürgerlichen Prozeßordnung, Bulletin 1809, Bd. 3, 2. Aufl., S. 64 ff. 479 Ausführlich dazu J. Lengemann, in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 33 f. mit dem Hinweis darauf, dass insgesamt 7 Mitglieder der westfälischen Repräsentativvertretung spätere Parlamentspräsidenten in deutschen Klein- und Mittelstaaten bzw. Präsidenten preußischer Provinzialstände wurden. Präsident der westfälischen Versammlung war C. F. G. Graf von der Schulenburg-Wolfsburg, geb. 1763 in Braunschweig, Jura-Studium in Göttingen, Schlosshauptmann in Wolfsburg, später Bewirtschaftung der eigenen Güter, stand wegen Kontakten zum aus Braunschweig vertriebenen Herzog Friedrich Wilhelm unter Beobachtung der französischen Geheimpolizei, nach 1813 vorübergehend im Dienste desselben Herzogs, 1814 Rückzug auf eigene Güter, verstorben 1818 in Wolfsburg, Angaben nach: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 188 f. 480 Die erste Session dauerte vom 2. Juli – 22. August 1808, die zweite vom 28. Januar – 12. März 1810. Tagungsort war Kassel, Tagungsstätte 1808 die Orangerie, 1810 der „Pallast der Stände“ (Museum Fridericianum), der durch einen Halbrundanbau, amerikanischem und französischem Vorbild folgend, zu einem echten Plenarsaal erweitert wurde, siehe dazu J. Lengemann, in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 24 ff. u. 68 ff.; Zur feierlich-pompösen Eröffnung der Stände siehe den Bericht bei O. Boltenstern, An Hofe König Jéromes, S. 17 f. 481 Dekret vom 10. Oktober 1809, Bulletin, Bd. 4, 2. Aufl., S. 238 ff. 482 Dekret vom 10. November 1809, Bulletin, Bd, 4, 2. Aufl., S. 266 f.; vgl. auch F. Thimme, Innere Zustände, S. 97 f. 483 Vgl. dazu A. Kleinschmidt, Westfalen, S. 361.

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Das Finanzwesen war der wichtigste Mitwirkungsbereich. Mit dem Zustimmungserfordernis zum jährlichen Finanzgesetz war nicht weniger als der Staatshaushalt von der en-bloc-Bewilligung durch die Repräsentativvertretung abhängig gemacht worden. Getreu dem französischen Vorbild umfasste die „loi annuelle des finances“ nicht nur die Staatseinnahmen (Steuern), sondern ausweislich beider von den Ständen verabschiedeter Finanzgesetze484 auch die Staatsausgaben hinsichtlich des Bedarfs der staatlichen Hauptverwaltungszweige, einschließlich der ressortmäßigen Zuweisung, ohne allerdings die Ressortetats im Einzelnen näher aufzuschlüsseln.485 Darüber hinaus entschied die Repräsentativvertretung auch über die vom Etat getrennte Schuldenverwaltung.486 Mit der Zustimmung zum jährlichen, sich auf die allgemeinen Staatseinnahmen und -ausgaben erstreckenden Finanzgesetz hatte die Repräsentativvertretung das Budgetrecht, also das „konstitutionelle Parlamentsrecht“ schlechthin erhalten und damit ähnlich den Volksvertretungen des Frühkonstitutionalismus das wichtigste Wirkungsinstrument zur Kontrolle der allgemeinen Staatstätigkeit. Darin lag ein entscheidender Bruch mit dem traditionellen ständischen Steuerbewilligungsrecht, welches sich immer nur auf bestimmte, außerordentliche Einnahmen und nur teilweise auch auf die Ausgabenkontrolle bezogen hatte. Budgetrechtlich war damit statt eines begrenzten Rechts das Ganze gewonnen.487 Auf dem Felde der von der Vertretung zu beschließenden Steuergesetze sollten dann schließlich auch die ersten Konflikte ausgetragen werden. Die Grundkonstellation des politischen Prozesses wies freilich der monarchischen Exekutive die dominante Rolle zu. Die Gesetzentwürfe wurden in den Ministerien und vor allem im Staatsrat vorbereitet. Dieser Kompetenzverteilung entsprach auch die politische Wirklichkeit. Die treibende (Reform-)Kraft im politischen Prozess war die monarchische Reformbürokratie, die mit ungeheurem Elan und einer regelrechten Regelungswut daran ging, das in der Verfassung – vor allem im vierten Titel – enthaltene Programm der Revolution von oben umzusetzen. Gesetzgebung hieß ja in erster Linie, die revolutionären Verfassungsaufträge umzusetzen, weiterzuentwickeln und zu präzisieren sowie Finanzgesetzgebung. Erster Adressat war die monarchische Administration, wo aufgeschlossener deutscher sowie schon „modernisierungserfahrener“ französischer Sachverstand zusammenkamen, zweiter Adressat die Repräsentativvertretung. Dem entsprach auch das Selbstverständnis der Akteure. Bisweilen waren die Vorgaben der Verfassung und 484 Gesetze zum Staats-Budget, Bulletin vom 21. August 1808 und vom 7. Februar 1810, Bulletin, Bd. 2, 2. Aufl., S. 364 ff. und Bulletin 1810, Bd. 1, 1. Aufl., S. 46 ff., vgl. dazu F. Thimme, Innere Zustände, S. 563 ff. 485 Siehe die Beschreibung der westfälischen Verfassung in der Präambel der Frankfurter Verfassung: „. . . haben gewählte Volksvertreter Einfluss auf die Annahme der Gesetze und Verwendung des Staatsvermögens . . .“. 486 Näher dazu bei M. Hildebrand, Finanzwirtschaft, S. 124 ff. 487 Vgl. zum allgemeinen Budgetrecht E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 293 f.; siehe zum Ganzen auch H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 310 ff.

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die Haltung der Exekutive fortschrittlicher als manch sozialprotektionistische Beharrungsbemühungen in der Versammlung: Bei der Einführung der neuen liberalisierenden Handwerksordnung im Patentsteuergesetz während der ersten Sitzungsperiode 1808 hatten sich innerhalb der Versammlung einige Stimmen gegen die radikale Abschaffung der Zünfte erhoben. Seitens des Staatsrats wurden sie mit dem Hinweis, dass die alte Gewerbeverfassung ja schon durch die Verfassung aufgehoben sei (Art. 11 der westfälischen Verfassung, s. o.), entkräftet.488 Beispielhaft demonstrierte der Vorfall, dass die Determinanten der Fortschrittlichkeit schon seitens der Verfassung gesetzt worden waren und sich alle Akteure, monarchische Administration wie Repräsentativvertretung, daran zu halten hatten, wobei das Selbstverständnis ersterer diesbezüglich schon reifer entwickelt war – ein Beleg für den Konstitutionalisierungsgrad bzw. die Konstitutionalität des politischen Denkens. Gesetzgebung bedeutete nicht einfach monarchisch-administratives Diktat oder einseitig-despotische Anordnung, sondern lief als verfassungsrechtlich gesteuerter Prozess ab. Die Repräsentativvertretung trat nicht als völlig unbedeutender politischer Akteur, sondern mit eigenständigem Gewicht und unter Ausschöpfung ihrer konstitutionellen Kompetenzen auf. Dies belegte ihre Teilnahme am legislativen Reformprozess: In den beiden Sessionen von 1808 und 1810 wurden insgesamt 19 Gesetzesvorlagen beraten, 17 Gesetze wurden verabschiedet.489 Mit den Gesetzen zur Kriminalprozessordnung, zur Zivilprozessordnung, zum Familienrecht, zur Gewerbeordnung und zum Finanz- und Steuersystem des Königreiches schuf die Gesetzgebung „nichts weniger als die Grundlagen für eine neue Gesellschaftsordnung.“490 Die Abstimmungsergebnisse zeigten, dass die Repräsentativvertretung weit davon entfernt war, sich auf passive Ergebenheit und Affirmation zu beschränken. Unter den größtenteils überlieferten Ergebnissen der geheimen Schlussabstimmungen findet sich nur eine einstimmige Annahme eines Gesetzes über familienrechtliche Bestimmungen. Ansonsten ist das Bild leicht gespalten: Gesetzesvorlagen im Bereich der Zivil- und Kriminalgesetzgebung erfuhren nur wenige Gegenstimmen, solche das Steuer- und Schuldenwesen betreffend stießen auf eine höhere Ablehnungsquote (20 % – 40 %).491 Dies unterschied die westfälische Vertretung substantiell 488 C. F. G. Westfeld, Vortrag an die Versammlung der Stände des Königreichs Westfalen zu Cassel am 5ten August, 1808, in Betreff der Verhandlungen über den ersten Entwurf eines Gesetzes wegen Einführung einer Patentsteuer, Göttingen o. J. [vermutlich 1808], S. 8 ff.; siehe auch F. Thimme, Innere Zustände, S. 434 f. 489 Statistische Übersicht über die Gesetzgebung in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 68 ff. 490 H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 319. 491 Abstimmungsergebnisse im Einzelnen in: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 68 ff.; siehe dazu auch F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 44 ff. („. . . ebenso weit entfernt von einer Opposition gegen die Regierung, als von einer knechtischen Nachgiebigkeit . . .“).

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

von den viel affirmativeren Corps législatifs unter den Konsulats- und Empire-Verfassungen, wo es höchst selten Gegenstimmen in signifikanter Höhe gab.492 Umfang und Zustandekommen der Gesetzgebung deuten so insgesamt auf einen nicht völlig unbedeutenden politischen Stellenwert und Selbstbewusstsein der Repräsentativvertretung im Staatswillensbildungsprozess Westfalens hin. Die – was das Ergebnis anbetraf – überwiegende Konfliktfreiheit bei den meisten Gesetzesvorhaben lag daran, dass die fortschrittliche Reformstimmung sich auf Administration und Repräsentanten gleichermaßen erstreckte. Die Inhalte der „Modellstaatspolitik“ waren größtenteils konsensfähig. Dort wo die pekuniären Ansprüche der napoleonischen Administration zu hoch wurden, wurde die Konsensdecke dünner. Auf dem Gebiet der Staatsfinanzen gab es auch Versuche der Repräsentativvertretung, eine stärkere Kontrollfunktion gegenüber der Regierung einzunehmen, als sie eine direkte Beteiligung ihrer Vertreter an der Staatsschuldenadministration forderte, die ihr allerdings im Ergebnis versagt blieb.493 So widersprüchlich zwar der beeindruckende gesetzgeberische Ertrag einerseits und der Mangel an legislativer Eigeninitiative und Debattenkultur anderseits waren, eine dekorative Scheinfunktion ohne jegliche Substanz an politischer Mitbestimmungsmacht kann der Repräsentativvertretung nicht attestiert werden. Vielmehr nahm sie schon eine wichtige (und auf lange Sicht potentiell unabdingbare) politische Ergänzungs- und Mäßigungsfunktion zur dominanten Exekutive ein, mit der auch aus Sicht letzterer der gesellschaftliche Konsens der Reformpolitik garantiert werden sollte.494

IV. Die Auseinandersetzung um die Steuergesetze 1808 und 1810 – „Verfassungskonflikt“ 1. Sachverhalt Gegen die These vom „Dekorationscharakter“ der westfälischen Repräsentativvertretung sprechen herausragend zwei Konfliktfälle zwischen monarchischer Administration und der Versammlung in den beiden Sitzungsperioden 1808 und 1810. 492 Siehe bei A. Rambaud, L‘Allemagne Sous Napoléon Ier (1804 – 1811), Paris 1874, S. 234: „. . . c‘etaient là des choses, en effet, qui ne se voyaient pas au corps législatif de France“; siehe auch J. Godechot, Les institutions, S. 583 f. 493 Dazu die Rede von Malchus vom 14. Juli 1808, in: Moniteur, Nr. 89 vom 21. Juli 1808, S. 361, 362 und Nr. 90 vom 23. Juli. 1808, S. 365 ff. 494 Die Arbeitsweise der Frankfurter Versammlung war der der westfälischen nahezu identisch; gleichermaßen besaß auch sie zwar eine echte Mitentscheidungskompetenz bei Gesetzesvorlagen, laut Verfassung aber ausdrücklich nur für die Festsetzung der Kopfsteuer (Art. 15), womit es auch nicht zwingend eine jährliche Einberufungspflicht Dalbergs gab. Insgesamt trat die Versammlung nur einmal im Herbst 1810 zusammen, wobei sie das Staatsbudget für 1811 und zwei Justizgesetze jeweils einstimmig absegnete. Insgesamt hat sie keine relevante politische Bedeutung erlangt, wohl vor allem deshalb, weil sie danach nicht wieder einberufen wurde.

IV. Auseinandersetzung um die Steuergesetze1808 und 1810

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Beide Male betraf es die Entwürfe von Steuergesetzen, die in den Schlussabstimmungen der Versammlung scheiterten. Der erste Fall betraf das Grundsteuergesetz von 1808. In den Vorberatungen mit der Finanzkommission hatte der Staatsrat zwar schon vielfache Änderungen am ursprünglichen Entwurf zugelassen. Auch hatte es intensive Kontakte zwischen Exekutive und Deputierten gegeben, und sogar die Empfehlung der eigenen Finanzkommission an die Versammlung lautete auf grundsätzliche Annahme in Verbindung mit einem Änderungsantrag an den König. Trotzdem kam es in der Plenarsitzung vom 7. August 1808 zur Ablehnung der Vorlage durch über 70 % der Abstimmenden, unter anderem wegen Details in den Bestimmungen über die Besteuerung von Häusern.495 Die Regierung, wohl unvorbereitet auf derartigen Widerspruch496, reagierte zunächst mit einer anonymen Flugschrift, in welcher der Versammlung das Recht abgesprochen wurde, ein Gesetz wegen „specielle[r] Punkte“ und nicht der „Hauptsache“ abzulehnen.497 Indirekt gab sie damit zu erkennen, dass sie ebenfalls – jedenfalls grundsätzlich – von einem Ablehnungsrecht der Repräsentativvertretung ausging, nämlich bei einer Ablehnung in der „Hauptsache“. Im Ergebnis fügte sich die Regierung, änderte die entsprechenden Bestimmungen nach Verhandlungen mit der Finanzkommission und anderen Deputierten, und bei seiner zweiten Vorlage wurde das Gesetz am 18. August 1808 mit großer Mehrheit von über 90 % der Abstimmenden angenommen.498 Schon die Herausgabe der anonymen Flugschrift zeugte davon, dass dem Vorfall größte Bedeutung beigemessen wurde und er als Politikum ersten Ranges begriffen wurde.499 In der politischen und juristischen Öffentlichkeit stieß das Vorgehen der Versammlung auf Zustimmung.500 495 Siehe Moniteur Nr. 102 vom 20. August 1808, S. 413, wo von „einer großen [ablehnenden] Stimmenmehrheit“ die Rede ist; H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 316 berichtet von 61 gegen 24 Stimmen, F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 34 von 61 gegen 25 Stimmen. 496 Dies geht hervor aus dem Bericht: Erste Versammlung der Stände des Königreichs Westphalen, in: Die Zeiten 20 (1809), S. 360 f.; H. Obenaus, Reichstände, S. 299, 317 verweist in diesem Zusammenhang auf die Problematik der diskussionslosen Abstimmung. In der Tat dürfte die mangelnde öffentliche Debatten- und Diskussionskultur die Transparenz politischer Meinungen und Stimmungslagen erheblich herabgesetzt haben. 497 Titel der Flugschrift: Gedanken über die Natur und Grenzen des den Reichsständen des Königreichs Westphalen nach der Constitution beigelegten Antheils an der Gesetzgebung, den hier versammelten Reichsständen gewidmet von einem Westphälischen Bürger, Kassel August 1808, Deutsches Zentralarchiv II, Dienststelle Merseburg, Bestand Königreich Westphalen, Rep. 1 C II Nr. 11 Bd. 1 Bl. 52 – 55; siehe auch auszugsweiser Abdruck in: F. Cramer, Geschichte des Königreichs Westphalen, S. 256 ff. 498 Gesetz über die Grundsteuer vom 18. August 1808, Bulletin, Bd. 2, 2. Aufl., S. 498 ff. 499 Vgl. die überlieferten Äußerungen des Braunschweiger Deputierten C. H. J. Frhr. v. Sierstorpff: „Wir haben es nämlich gewagt, eines der die Grundsteuern betreffenden Gesetze abzuballotieren und zwar mit 62 schwarzen gegen 24 weiße Kugeln. Dies hat eine ganz entsetzliche Sensation gemacht, und noch denselben Tag zwey Couriere an den König nach Nenndorf veranlasst, man vermutete die strengste Ahndung, denn weder in Paris, weder in

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Die anfängliche Ablehnung der Grundsteuervorlage sollte kein Einzelfall bleiben. Bei der nächsten Session im Frühjahr 1810 zeigte sich, dass die Repräsentativversammlung das Gebrauchmachen von ihrem Ablehnungsrecht durchaus nicht als Ausnahmefall, sondern eher als ein Stück Normalität betrachtete. Während allerdings im Fall der Grundsteuervorlage von 1808 das Gesetz im zweiten Anlauf angenommen wurde, unternahm es die Regierung nun erst gar nicht mehr, noch einmal „nachzubessern“, um die Zustimmung der Repräsentativvertretung zu erlangen. Nachdem die Vertretung – obwohl zuvor artikulierte Änderungswünsche seitens der Finanzkommission weitgehend erfüllt worden waren – am 26. Februar 1810 mit knapper Mehrheit den Entwurf eines Gesetzes über eine Stempelsteuer abgelehnt hatte501, entschied sich die Regierung statt dessen, das Gesetz nicht wieder einzubringen, und promulgierte es Monate später nach Ende der Sitzungsperiode auf dem Dekretwege.502 F. K. v. Strombecks Äußerungen zufolge hing die Ablehnung wesentlich damit zusammen, dass wiederum Malchus die Vorlage eingebracht hatte503 und dieser ob seines Auftretens im Jahre 1808 bei der Versammlung durchweg unbeliebt war.504 Da das Gesetz nicht noch einmal eingebracht wurde, blieb die Frage, was bei wiederholter Ablehnung durch die Versammlung geschehen wäre, ungeklärt. Es ist zu vermuten, dass die Regierung die Durchsetzung der Stempelsteuer als Verordnung im Juni 1810, also erst 3 Monate nach dem Ende der Sitzungsperiode, bewusst vornahm, weil dann etwas zeitlicher Abstand gewonnen war und die Repräsentativvertretung nicht mehr räumlich und personell als handlungsfähige politische Einheit auftreten konnte.505 Dies konnte sie auch

Holland sollen die Stände so etwas gewagt haben . . .“, in: A. Zawrzel, Aus dem Leben des Oberjägermeisters Casper Heinrich Freiherrn (seit 1840 Grafen) von Sierstorpff, des Gründers von Bad Driburg, Westfälisches Adelsblatt 4 (1927), S. 236, 255; vgl. zum Ganzen den Bericht von F. Cramer, Westphalen, S. 231 ff. mit Teilabdruck der entsprechenden Reden vor der Versammlung. 500 Dazu Bericht in: Erste Versammlung der Stände des Königreichs Westphalen , in: Die Zeiten oder Archiv für die neueste Staatengeschichte und Politik, Bd. 20 (1809), S. 367 ff., wo ausdrücklich sogar auf eine Verwerfungspflicht für „ein unzulänglich gehaltenes Gesetz“ hingewiesen wird. 501 F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 82 und F. Thimme, Innere Zustände, S. 95 berichten übereinstimmend von 37 gegen 31 Stimmen. 502 Dekret vom 7. Juni 1810, Bulletin 1810, Bd. 2, 1. Aufl., 1810, S. 262 ff. 503 Hier nach: Biographisches Handbuch der Reichsstände, S. 89 (dort: Verweis auf StA Magdeburg Rep. B 18 I No 1739 Bl. 41.). 504 F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 82; Auch eine weitere Quelle, ein (unbekannter) hessischer Beamter und wohl Zuhörer bei der Repräsentativvertretung, berichtet – in seinem Nachlass – von der Abneigung der Repräsentativvertretung gegen Malchus, abgedruckt in: C. Fulda / J. Hoffmeister (Hrsg.), Hessische Zeiten und Persönlichkeiten von 1751 bis 1831 nebst Seitenblicken auf welthistorische Begebenheiten, aus dem Nachlasse hessischer Beamte, Marburg 1876, S. 136 f. 505 Bezeichnend ist, dass der Moniteur – anders als sonst zumeist – zunächst nicht über die Entstehungsgeschichte des Gesetzentwurfes und auch nicht über die gescheiterte Abstimmung berichtete.

IV. Auseinandersetzung um die Steuergesetze1808 und 1810

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insgesamt nicht mehr, denn sie wurde daraufhin, obwohl ursprünglich für 1811 geplant, nicht wieder einberufen. Die nicht wieder erfolgte Einberufung der Vertretung nach 1810 hing sicher nicht unwesentlich mit der wiederholten Ablehnung einer Steuervorlage zusammen. Dies lassen Äußerungen der hinter den Finanzvorlagen stehenden treibenden Kraft, des Staatsratsmitglieds und späteren Finanzministers Malchus, erkennen, der später von der „nicht unbegründeten Besorgnis, dass . . . die Stände den . . . [weiteren finanziellen] Maaßregeln widersprechen möchten“ sprach und es daher vermeiden wollte „im offenbaren Widerspruch mit ihnen handeln zu müssen“.506 Die Repräsentativvertretung galt spätestens seit dem Frühjahr 1810 als unsicherer Kantonist. Verschärfend musste dies in einer Situation wirken, in der die Finanzbedürfnisse des Königreichs, welches ab 1810 zunehmend in den Strudel der imperialen Herrschaftspolitik Napoleon geriet und in dem die fortschrittliche Modellstaatspolitik mehr und mehr von den ausbeuterischen Wirkungen der napoleonischen Hegemonie überlagert wurde, immens anstiegen.507 In den Jahren von 1810 – 1813 kam es dann regelmäßig zu Übergriffen in den Kompetenzbereich der Repräsentativvertretung. Die Gesetzgebungsarbeit lag völlig beim Staatsrat und den Ministern, der monarchische Herrschaftsanspruch setzte sich untemperiert und unkontrolliert durch.508

2. Argumentationsmuster der Regierung Entwicklung und Ausgang des ersten Konfliktfalls machten deutlich, dass der königlichen Regierung in der Vertretung kein „Papiertiger“ gegenüberstand, sondern ein ernstzunehmender Gegenspieler erwachsen war, dem es sogar gelungen war, seinen politischen Mitbestimmungsanspruch in einer ersten Machtprobe durchzusetzen. Seitens der Regierung hatte es Überlegungen gegeben, die Versammlung aufzulösen und dann entweder mit einer neugewählten Versammlung das Gesetz durchzubringen oder es auf dem Dekretwege zu erlassen – aus späteren deutschen Verfassungskonflikten keine unbekannten Erwägungen.509 Dass es zu diesen, zumindest dem Geist der Verfassung widersprechenden Schritten zunächst nicht kam, ging sicherlich auf besonnenes politisches Kalkül zurück – eine beileibe nicht auszuschließende wiederholte Ablehnung hätte den Konflikt aus Sicht der 506 C. A. Malchus, Selbstbiographie, in: Zeitgenossen. Biographien und Charakteristiken 1, 3, Leipzig 1816, S. 172 zit. nach H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 327; ähnlich F. Thimme, Innere Zustände, S. 99 f. 507 Vgl. H. Berding, Herrschafts- und Gesellschaftspolitik, S. 108 ff. 508 Siehe zum Ganzen H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 327. 509 In diese Richtung ging insbesondere die Position von Malchus, dazu F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 35 f.; siehe auch F. Thimme, Innere Zustände, S. 94; Es hat wohl auch Versuche zur Einschüchterung der Versammlung gegeben, dazu: C. H. J. Frhr. v. Sierstorpff: in: A. Zawrzel, Aus dem Leben, S. 236, 255.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Regierung ja nur noch verschlimmert, wohl ebenso der sofortige Erlass im Dekretwege. Es entsprach aber zudem auch dem verfassungsrechtlichen Selbstverständnis der beteiligten Akteure: So überliefert der Deputierte F. K. v. Strombeck eine Stellungnahme des Innenministers J. J. Siméon anlässlich der Ablehnung der Grundsteuervorlage, wo jener wie selbstverständlich vom verfassungsmäßigen Ablehnungsrecht der Vertretung ausging, Diesem Ablehnungsrecht sei dann eben nur durch Abänderung der Vorlage Rechnung zu tragen, wolle man die Verfassung aufrecht erhalten.510 In gleicher Weise äußerte sich das Staatsratsmitglied J. v. Müller, einer der herausragenden Juristen der Exekutive, zudem noch im Moniteur, der (halb-)offiziellen Staatszeitung, veröffentlicht: „Sie haben, meine Herren, ohne Bedenken von dem Verfassungsmäßigen Recht, Gesetz-Entwürfe auch zu verwerfen, Gebrauch gemacht . . .“.511 Auch der federführende Initiator der Grundsteuervorlage, der Staatsrat C. A. Malchus, gab ähnlich dem Argumentationsmuster der anonymen Flugschrift indirekt zu erkennen, dass der Vertretung ein Ablehnungsrecht grundsätzlich zustand, allerdings nur als ein „für außerordentliche Fälle vorbehaltenes Mittel“.512 Mehr noch als das rein verbale Anerkenntnis eines verfassungsrechtlich verbürgten Ablehnungsrechts der Repräsentativvertretung erhellt der eingeschlagene Lösungsweg im Fall der Grundsteuervorlage den konstitutionellen Stellenwert, welcher der Repräsentativvertretung beigemessen wurde. Die Abänderung und Wiedereinbringung der Gesetzesvorlage, bestätigt durch die Äußerungen Siméons, Müllers und (indirekt) Malchus‘, dies sei der verfassungsmäßig zu beschreitende Weg, waren ja nichts anderes als die Umsetzung der Einsicht, dass die Verfassung mit der Repräsentativvertretung eine politische Gewalt geschaffen hatte, die jedenfalls im ihr verfassungsrechtlich zugewiesenen Kompetenzbereich die monarchische Allmacht substantiell beschränkte und ihre eigenen Vorstellungen zu legislativen Materien durchsetzen konnte. Freilich beschränkte sich die Funktion dieser Gewalt auf prohibitive und negatorische Maßnahmen; ihr politisches Handeln bestand in Zustimmung oder Ablehnung ihr vorgelegter Entwürfe, nicht in eigeninitiativer politischer Aktion. Nichtsdestotrotz hatte sich, wie in späteren deutschen Verfassungen auch, die monarchische Herrschaftsgewalt mit der einmal erlassenen Verfassung selbst an diese gebunden und musste, wollte sie ein abgelehntes Gesetz F. K. v. Strombeck, Darstellungen aus meinem Leben, Theil II, S. 37 f. Rede von J. v. Müller vom 22. August 1808, abgedruckt in: Moniteur Nr. 106 vom 30. August 1808, S. 429 ff. 512 Rede von C. A. Malchus vom 18. August 1808 (Tag der erneuten Abstimmung), in: Moniteur Nr. 103 vom 23. August 1808, Nr. 103, S. 417 ff.; siehe auch die Rede des Deputierten P. F. Hofbauer vom 18. August, ebd., S. 419 f.; Auf ein bemerkenswertes verfassungsgebundenes Selbstverständnis der Exekutive (zumindest verbal) in der ersten Periode deuten auch die Ausführungen von K. Menne, August Hermann Niemeyer, Halle 1928, S. 74, hin, der davon berichtet, Jérome habe sich gleich einer festen Richtschnur sogar in Privataudienzen stets auf die Verfassung berufen, allerdings diesbezügliche Quellenbelege schuldig bleibt. Jedenfalls hatten auch Jérome sowie die höchsten Verwaltungsbeamten und Würdenträger des Landes bei Herrschaftsantritt feierlich den Eid auf die Verfassung abgelegt. 510 511

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durchbringen, dieses entsprechend verändern. Darin bestand der eigentliche konstitutionelle Gewinn, der alle Ansätze des aufgeklärten Absolutismus weit hinter sich ließ. Zugleich lag darin ein Stück demokratische Teilnahme am politischen Willensbildungsprozess, denn die Versammlung repräsentierte nicht mehr partikulare Ständeinteressen, sondern die Gesamtheit der Herrschaftsunterworfenen, die Nation. Im wohl wichtigsten Bereich innenpolitischer Gestaltung, dem gesamten Finanz- und Budgetwesen, limitierte die Verfassung die monarchische Herrschaft, dies nicht nur auf dem Papier, sondern in der politischen Wirklichkeit, womit sie zugleich weit über die corps législatifs im napoleonischen Frankreich hinauswies. Dass die Regierung im zweiten Konfliktfall um die Stempelsteuervorlage von 1810 den noch 1808 beschrittenen Weg verließ und die Repräsentativvertretung auch insgesamt nicht mehr einberufen wurde, ging wohl wesentlich auf die ungünstig veränderten politischen Rahmenbedingungen im Jahre 1810 und die zunehmend angespannte Lage im Königreich zurück. Die Bereitschaft, Einschränkungen bei der Durchsetzung des politischen Willens hinzunehmen, war in dieser Situation – zumal auf finanziellem Gebiet – geschwunden. Es zeigte sich nun, dass sich der monarchische Herrschaftsanspruch, konfrontiert mit der einmal getroffenen Verfassungsentscheidung für eine Ablehnungskompetenz der Repräsentativvertretung, ungeschmälert nicht mehr durchzusetzen vermochte, ohne in Widerspruch zu den Bestimmungen der Verfassungen zu geraten. Verfassungsrechtlich begegnete der Erlass des Stempelsteuergesetzes im Verordnungswege nach zuvor erfolgter Ablehnung der Repräsentativvertretung natürlich schweren Bedenken. Der Art. 33 hätte nur wenig Sinn ergeben, wenn es in jedem Fall der Nichteinigung von Regierung und Versammlung auf letztere nicht ankommen sollte und die Regierung allein hätte handeln dürfen; er wäre nahezu leergelaufen, wenn die Regierung auf die Einholung der Zustimmung der Repräsentativvertretung auch hätte verzichten können. Da sich die Verfassung aber einer ausdrücklichen Regelung für diesen Fall enthielt, genauer: keine Abgrenzung der Anwendungsbereiche von Gesetz iSd Art. 33 und Verordnung iSd Art. 26 traf, konnte ein Umgehen des Art. 33 zumindest als politische Möglichkeit durchaus herangezogen werden. Die Frage, wie zu verfahren sei, war damit zur Machtfrage geworden, und die Macht lag in Westfalen bei der Exekutive. Die verfassungsrechtliche Problematik ist wohl auch von der königlichen Regierung nicht wesentlich anders beurteilt worden, und sie scheint sich durchaus darüber im klaren gewesen zu sein, dass ihr geplantes Vorgehen der Verordnungsdekretierung nicht ohne weiteres mit den Bestimmungen der Verfassung in Einklang zu bringen war: Zunächst einmal lag es ja konträr zu ihren noch 1808 anlässlich der ersten Ablehnung geäußerten Auffassungen und dem dort beschrittenen Weg der Abänderung und Wiedereinbringung der gescheiterten Vorlage. Vor allem aber machte dies ihr taktisches Vorgehen deutlich, welches der Maxime zu folgen schien, die verfassungsrechtliche und politische Konfliktträchtigkeit, die eine Verordnungsdekretierung eben auch ihrer Auffassung nach barg, möglichst zu vermeiden. So hat es im unmittelbaren Zusammenhang mit der Ablehnung seitens der

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Regierung keine besonderen Anstrengungen gegeben, noch eine politische Mehrheit für die Vorlage zu finden, ein bestimmtes verfassungsrechtliches Argumentationsmuster zu propagieren (etwa in Gestalt einer Lückentheorie) oder in irgendeiner Form Druck auf die Deputierten auszuüben. Weder in der Memoirenliteratur noch sonst in den Akten finden sich Hinweise auf derartige Bemühungen, auch diesbezügliche Reden oder Flugschriften wie noch 1808 sind nicht zu verzeichnen. Der politische Alltag wurde bis zum Ende der Sitzungsperiode fortgesetzt. Das Vorgehen der Regierung scheint auf Vertuschung und Herunterspielen des Vorgangs und nicht auf offizielle Rechtfertigung künftiger Verordnungsdekretierung ohne Partizipation der Versammlung gerichtet gewesen zu sein. Dafür spricht das vollständige offizielle Ausblenden der Ablehnung in der Berichterstattung im Moniteur und ebenso die Schlussrede des Staatsrats J. C. v. Leist am Abschlusstag der Sitzungsperiode, in der dieser in einem apologetisch anmutenden Erklärungsversuch versuchte, die Ablehnung als „Mißverständnis“ zu interpretieren.513 Das eigentliche Ziel, nämlich der Erlass der Vorlage im Dekretwege erst Monate, nachdem die Deputierten auseinandergegangen waren und ein wenig Zeit verstrichen war, scheint von Anfang an festgestanden zu haben und sollte so vorbereitet werden. Die späte Dekretierung im Juni 1810 signalisierte damit die eigenen verfassungsrechtlichen „Bauchschmerzen“ der Regierung, genauer: ihre Scheu vor einem öffentlichen Konflikt mit der Versammlung in einer Frage, in der sie sich selbst offenkundig nicht auf sicherem verfassungsrechtlichem Terrain agieren sah. Der verfassungsrechtlich kritische Akt, dass Ausweichen auf die Rechtsform der Verordnung in einem Bereich, in dem eigentlich einvernehmlich mit der Repräsentativvertretung Recht gesetzt werden sollte, noch dazu entgegen deren Votum, erfolgte daher erst zu einem Zeitpunkt, zu dem sich bei der Versammlung kein größeres Konfliktbewusstsein mehr entwickeln konnte und die Regierung darauf rechnen konnte, dass ihr Vorgehen nicht mehr auf relevanten Widerstand stoßen würde. Letztlich war das ein Eingeständnis, dass diese Art des Vorgehens jedenfalls von der Verfassung so nicht vorgesehen war und die Regierung in Argumentationsnöte bringen könnte. In der Tat ist das politische Kalkül der Regierung aufgegangen und der Vorfall als solcher nicht mehr zum Politikum größeren Ausmaßes geworden. Neben dem Umstand, dass die Versammlung als politischer Akteur nicht mehr existent war, hat dazu sicher auch beigetragen, dass das Bewusstsein der Zeitgenossen noch nicht dieselbe Empfänglichkeit und Empfindsamkeit hinsichtlich monarchischer „Rechtsbrüche“ besessen hat, wie es in späteren verfassungsrechtlichen Konfliktfällen im deutschen Konstitutionalismus der Fall sein sollte. Französische Geheimpolizei und Pressezensur taten das Übrige.

513 Rede des Staatsratsmitglieds J. C. v. Leist, abgedruckt in: Moniteur Nr. 40 vom 3. April 1810, S. 185, 189; dazu auch E. v. Meier, Französische Einflüsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im XIX. Jahrhundert, Bd. 1, Leipzig 1907, S. 216 mit starkem Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des monarchischen Vorgehens.

IV. Auseinandersetzung um die Steuergesetze1808 und 1810

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Die nicht mehr erfolgende Einberufung der Versammlung nach 1810 widersprach dem verfassungsrechtlichen Erfordernis jährlicher einvernehmlicher Verabschiedung des Budgets und brach mit der zunächst begonnenen Praxis alljährlicher Einberufung. Im Spannungsfeld zwischen auf sie einstürzenden finanziellen Forderungen Napoleons und potentiell ungefügigen und selbstbewussten Repräsentanten entschied sich die westfälische Regierung ab 1810 für die völlige Ausschaltung letzterer als politische Akteure. Dass diese Vorgehensweise nicht den konstitutionellen Vorgaben entsprach, wurde zwar durchaus wahrgenommen, wie die diesbezüglichen Äußerungen von C. A. Malchus erkennen lassen514, aber aus Sicht der monarchischen Exekutive gewannen die politischen Zwänge die Oberhand.515 Die Verfassung war nur solange mit Leben gefüllt worden, als es die äußeren Rahmenbedingungen zuließen. Im „Ausnahmezustand“ musste der Konstitutionalismus (noch) notwendig unterliegen. Tatsächlich gesehen mag das Vorgehen ab 1810 als Scheinkonstitutionalismus bezeichnet werden, doch aufs Ganze bezogen erweist sich diese Bezeichnung mehr als ungenau. Bis zur Verordnungsdekretierung der Stempelsteuer verlief der politische Willensbildungsprozess in Westfalen durchaus konstitutionell. Vor allem war er seitens der Verfassung als konstitutioneller konzipiert und seitens der monarchischen Exekutive zunächst entsprechend betrieben worden. Was danach kam, entsprach nicht mehr der ursprünglichen Konzeption und war letztlich machtpolitische Veränderung der konstitutionellen Grundlagen, bei der auch öffentlich gar nicht mehr der Schein der Legalität vorgetäuscht wurde.

3. Verfassungsgeschichtliche Einordnung Art und Weise der Entwicklung und der jeweiligen „Lösung“ der Vorgänge um die beiden Steuergesetze haben die Grundstruktur des mit der Errichtung der Repräsentativvertretung geschaffenen konstitutionellen Systems im napoleonischen Westfalen deutlich hervortreten lassen. Mit der Ablehnung der Gesetzesvorlagen hatte sich die Repräsentativvertretung als veritabler Gegenspieler der monarchischen Exekutive auf dem Boden der Verfassung positioniert. Der Fall der Stempelsteuervorlage machte deutlich, dass Rechtsetzung im ihr zugewiesenen Bereich gegen oder ohne sie nur unter Rückgriff auf verfassungsrechtlich kaum vertretbare Lösungsansätze möglich war. Der beschrittene Lösungsweg war kein rechtlicher mehr. Die Vorgänge um die beiden Steuervorlagen enthüllten mit anderen Worten, dass die Fülle der Staatsgewalt im napoleonischen Verfassungssystem deutscher Prägung nicht mehr völlig ungeteilt beim Monarchen lag. Im Ablehnungsrecht der Repräsentativvertretung (allen voran im Vetopotential des Budgetrechts) lag ein quasi negativ definierter, die monarchische Herrschaft limitierender Anteil an der 514 515

Siehe oben Fn. 512. Vgl. zum Ganzen H. Obenaus, Reichsstände, S. 299, 327.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Staatsgewalt. Nicht alles, was die monarchische Exekutive für erforderlich hielt, konnte sie auf dem Boden der Verfassung auch alleine realisieren. Dass die monarchische Staatsgewalt in Westfalen (gleichermaßen in Frankfurt) mit der Einführung der Verfassung nicht mehr ungeteilt war, ist schon von den Zeitgenossen so gesehen worden. Der „Kommentator“ des westfälischen Staatsrechts, der Göttinger Staatsrechtslehrer F. Saalfeld hat noch 1812 unter deutlicher Abgrenzung zu „der Sache nach größtentheils unumschränkt regierte[n] Staaten“ das Königreich Westfalen als „verfassungsmäßig . . . beschränkte Monarchie“ eingestuft. „Beschränkt [werde] die königliche Gewalt durch die Versammlung der Reichsstände.“516 Die damit formulierte Ablehnung einer monistischen Deutung der westfälischen Staatsgewalt wird auch durch die Betrachtung der Legitimationsgrundlage der Repräsentativvertretung im Ergebnis nicht in Frage gestellt. Ohne ein Minimum an eigenständiger Legitimationsgrundlage hätte die Repräsentativvertretung die Einheit der königlichen Staatsgewalt nicht wirklich in Frage stellen können. Auf den ersten Blick mag daher das legitimatorische Defizit der Versammlung, bestehend in der königlichen Ernennung der Aktivwählerschaft (Departementskollegien), dafür sprechen, der Versammlung keinen originären, sich aus einer anderen Legitimationsquelle als der monarchischen speisenden Anteil an der Staatsgewalt zuzugestehen. Zudem ging ja die Existenz der Vertretung als solche auf die verfassungsgebende Gewalt Napoleons zurück. So betrachtet ließe sich alles, was als Äußerung der Repräsentativvertretung nach außen trat, letztlich dem Monarchen zurechnen. Eine solche Deutung der westfälischen Verfassungslage, in der die Stellung der Repräsentativvertretung gewissermaßen als monarchisch eingerahmt und determiniert begriffen würde und sich damit im Ergebnis der Monismus der monarchischen Staatsgewalt behauptet hätte, ist jedoch bei näherer Betrachtung nicht zu halten. Entscheidend war ja nicht, wem die Versammlung ihre Existenz verdankte, sondern wie sich konkrete Zusammensetzung und vor allem ihre politische Willensbildung gestaltete. Gerade hier besaß die monarchische Gewalt in Westfalen (und auch in Frankfurt) kein Letztentscheidungsrecht. Der König bestimmte zwar, welche Personengruppe aus dem Volk die Versammlung zu wählen hatte, aber die eigentliche Zusammensetzung der Vertretung, d. h. wer dann gewählt wurde, entzog sich wegen der freien Ausgestaltung des passiven Wahlrechts vollständig seinem Einfluss. Zudem war er auch bei der Auswahl der Aktivwähler schon an einen bestimmten Personenkreis aus dem Volk gebunden (und sein Einfluss dabei – wie oben gezeigt – in der Praxis ohnehin begrenzt), vor allem aber von Verfassungs wegen gehalten, diese Auswahl überhaupt vorzunehmen. Auch sein Recht, die Versammlung aufzulösen, widersprach dem nicht, konnte er doch die Institution der Vertretung als solche nicht auflösen, musste sie jährlich einberufen und hatte ebenso wenig Einfluss darauf, welche Personen ihm in der 516

F. Saalfeld, Handbuch des Staatsrechts, S. 29 f. (§ 21 u. § 22).

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neuen Versammlung gegenübertreten würden. Wenngleich der Monarch in den Legitimationsvorgang der Versammlung gewissermaßen zwischengeschaltet wurde, der maßgebliche legitimatorische Bezugspunkt der Versammlung blieb auch hier letztlich das Volk. Die Repräsentativvertretung hatte damit einen originären Anteil an der Staatsgewalt, der sich – zwar mittelbar, aber eben trotz alledem – aus dem Volk speiste. Näher liegt es daher, in Westfalen schon von ersten Umrissen einer dualistischen Verfassungsstruktur517 zu sprechen, so defizitär der eine Pol in manchen Punkten auch noch sein mochte. Freilich waren die Kräfte zwischen Monarch und der nur mit engen Befugnissen ausgestatteten Repräsentativvertretung alles andere als gleichmäßig verteilt. Die Prävalenz der monarchischen Gewalt stellt jedoch den dualistischen Befund nicht in Frage. Im deutschen Frühkonstitutionalismus war das der Normalfall. Die Asymmetrie der Kräfteverteilung, das fehlende Gleichgewicht änderte nichts am prinzipiell dualistischen Charakter der Verfassungslage.518 Das Volk hatte, repräsentiert durch die Vertretung, Eingang in die verfasste westfälische Staatlichkeit gefunden. Entsprechend formulierte F. Saalfeld, dass die neuen Repräsentanten „weder die Einzigen, noch die Ersten [seien]; erster Repräsentant der Nazion ist der Fürst.“519 Damit war beispielhaft die Verfassungslage beschrieben: Der Monarch war eben nicht mehr der „einzige“, sondern nur der „erste“ Repräsentant der Nation. Auch die Vertretung repräsentierte die Nation, was von C. A. Malchus in der Rede anlässlich der erneuten Einbringung der Grundsteuervorlage ausdrücklich bestätigt wurde.520 Insgesamt finden sich seitens der Exekutive keine Stimmen, welche die Eigenberechtigung der Repräsentativvertretung grundsätzlich in Frage gestellt haben. Der Befund wird dadurch bestätigt, dass die von ihr bejahten Gesetzesvorlagen im Bulletin ausdrücklich als Gesetze der Vertretung promulgiert wurden, ihr damit nach außen offiziell zugerechnet und nicht als interne, monarchisch determinierte Vorbereitungsakte begriffen wurden („Die Stände haben . . . erlassen.“). Die so beschriebene Verfassungslage im napoleonischen Westfalen (und von der gleichen Grundanlage her auch in Frankfurt) ging kategorial über die Herrschaftsstruktur des Absolutismus hinaus. Mit ihrer dualistischen Grundstruktur wies sie vielmehr schon jenes charakteristische Grundmuster auf, welches im Verfassungstypus der deutschen konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts zum Kontinuum deutscher Staatlichkeit werden sollte. E.-W. Böckenförde hat beispielhaft aufgezeigt, dass der ungelöste Legitimationskonflikt zwischen Volk und Monarch, zwischen demokratischem und monarchischem Prinzip den Typus des deutschen Zu dieser D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 138 ff. Ders., ebd., S. 140. 519 F. Saalfeld, Über die Nationalrepräsentazion in Westfalen, S. 71, 74 (dort Anmerkung*). 520 Rede von C. A. Malchus vom 18. August 1808, abgedruckt in: Moniteur, Nr. 103 vom 23. August, S. 418 ff. („. . . Repräsentanten der ganzen westphälischen Nation . . .“). 517 518

11 Hecker

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert schlechthin ausmachte.521 Der Schwebezustand der Verfassung war gewissermaßen Bauelement des konstitutionellen Staatsbaus und ihr wesentliches Grundmuster, das sich trotz vieler Variationen nicht grundlegend änderte.522 Die Gewichtsverteilung innerhalb jener variablen Schwebelage war dabei freilich vom jeweiligen konstitutionellen Entwicklungsstand, genauer vom Zeitpunkt der Verfassungsgebung abhängig, wofür natürlich in erster Linie die politische Stärke der bürgerlichen Verfassungsbewegung maßgeblich war.523 So charakterisierte sich der frühe Konstitutionalismus des Vormärzes noch durch die deutliche Prävalenz des monarchischen Prinzips. Angesichts der Gefälle-Lage vom starken Monarchen zu den noch schwach ausgebildeten repräsentativstaatlichen Institutionen war das Konfliktverhältnis dort noch meist „virtueller“ Qualität.524 Endgültig „reell“ wurde es dort, wo die Verwirklichung politischer Ziele von der Übereinstimmung der beiden Gewalten abhing, diese Übereinstimmung nicht zu erzielen war und die monarchische Gewalt trotzdem ihren Willen durchzusetzen versuchte, allen voran auf dem Boden des konstitutionellen Budgetrechts im preußischen Verfassungskonflikt, wo sich die Verfassungsfrage des deutschen Konstitutionalismus wie unter einem Brennspiegel erkennbar zur Entscheidungssituation aufgipfelte.525 Kaum minder begegnet dem Betrachter jenes dualistische Grundmuster einschließlich des im Hintergrund latent schwebenden Konflikts in den napoleonischen Verfassungen. Auch dort war das Volk in Gestalt seiner Repräsentanten in die konstituierte Staatlichkeit mithineingeholt worden. Dass auch hier der Grundkonflikt zugunsten der monarchischen Gewalt nicht durch die Verfassung entschieden worden war, zeigte sich daran, dass sich die Verfassung einer ausdrücklichen Regelung für den Fall, dass eine Zustimmung der Vertretung etwa zum vorgelegten Budget nicht zustande kam, ebenso enthielt wie die späteren deutschen Verfassungen. Zwar schlug wie in der frühen Phase des deutschen Konstitutionalismus das Pendel (natürlich) noch eindeutig zu Gunsten des Monarchen aus, aber es handelte sich eben schon um ein Pendel. Mit anderen Worten: Die Ungelöstheit und Unlösbarkeit des Grundkonflikts auf dem Boden der Verfassung, die wesenhaft zum Typus des deutschen Konstitutionalismus gehörte, war auch in Westfalen (und Frankfurt) angelegt. Der stärkste Beleg für diese strukturelle Gemeinsamkeit der napoleonischen Verfassungen mit den späteren deutschen Verfassungen waren die Vorgänge um die Stempelsteuervorlage. Sie bildeten ein erstes Beispiel für das tatsächliche 521 Grundlegend zum folgenden E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 291 ff. u. R. Wahl, Entwicklung, S. 24. 522 D. Grimm, Verfassungsgeschichte, S. 138. 523 Vgl. R. Wahl, Entwicklung, S. 4, 16 u. D. Grimm, Konstitutionalismus, S. 45, 69. 524 H. Brandt, Landständische Repräsentation, S. 7. 525 E.-W. Böckenförde, Typ der konstitutionellen Monarchie, S. 273, 295 ff. siehe auch E. Forsthoff, Deutsche Verfassungsgeschichte der Neuzeit, 4. Aufl., Stuttgart / Berlin / Köln / Mainz 1972, S. 141.

IV. Auseinandersetzung um die Steuergesetze1808 und 1810

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Aufbrechen des virtuell angelegten Grundkonflikts, der im Verfassungssystem selber nicht mehr überbrückbar war. Die Ähnlichkeiten zu späteren deutschen Verfassungskonflikten, allen voran dem preußischen, sind beträchtlich: Der Sache nach ging es um Finanzbedürfnisse der monarchischen Gewalt, ein politisches Einvernehmen mit der Vertretung war nicht zu erzielen, die monarchische Gewalt wollte in angespannter Lage nicht nachgeben und brachte ihren politischen Willen außerhalb des eigentlich verfassungsmäßig vorgesehenen Verfahrens durch. Freilich hat der Konflikt in Westfalen noch nicht die politisch-öffentliche Dimension erlangt wie die späteren Konflikte in Deutschland, war doch die eine Konfliktpartei, das Bürgertum, als soziale und politische Formation noch gar nicht recht aufgestellt526 und ist ihr daher das Konflikt-Szenarium als solches noch nicht in voller Intensität bewusst gewesen.527 Auch ging es nicht um das Etatgesetz als ganzes, sondern nur um die einzelne Frage einer Steuererhebung. Umso deutlicher wird daran aber, dass der Grundkonflikt, so schwach die eine Konflikt526 E. Fehrenbach, Reformen und Reformprojekte, S. 299, 300 hat geäußert, dass im Konflikt um die Steuervorlagen die Repräsentanten mit der „Ablehnung der Steuerreformgesetze, die die Steuerprivilegien beseitigten, gegen den verfassungsmäßig verankerten Gleichheitsgrundsatz eben jener Konstitution verstießen, der sie ihr neues Amt verdankten.“ – Diese Äußerung, die den Konflikt ein wenig in den traditionellen Gegensatz Monarch – Stände zu rücken scheint, ist in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Bei der Ablehnung der Grundsteuervorlage ging es nicht um den generellen Widerstand gegen die Steuerpflicht, sondern um einzelne Details der Hausbesteuerung und vor allem die Unzufriedenheit der Deputierten mit dem Auftreten von Malchus; bei der Stempelsteuervorlage ging es schon in der Sache überhaupt nicht um die Abschaffung von Exemtionen. Als Grund der Ablehnung deuten auch hier die Quellen (siehe Fn. 504) vor allem auf Unmut der Deputierten gegenüber Malchus hin. Ein weiteres kommt hinzu: ein Verstoß der Versammlung gegen den Gleichheitsgrundsatz lag in der reinen Ablehnung des Gesetzes, die ja auf die Wiedereinbringung einer veränderten Vorlage zielte, sicher nicht. Vor allem aber ging es in den Konflikten gerade nicht mehr um den traditionellen Gegensatz Monarch – Stände, sondern um einen Gegensatz zwischen Monarch und den die Nation repräsentierenden und auch mit diesem Selbstverständnis auftretenden Deputierten. Die Deputierten waren ja nicht mehr ständisch gegliedert und entstammten nicht einmal mehr zur Hälfte dem agrarischen Adel, vgl. wie hier K. Rob, Einleitung, in: Regierungsakten Westfalen, S. 19 (dort. Fn. 81). 527 Auch in Frankfurt ist es allerdings zu einem „Mini-Konflikt“ gekommen, der erkennen lässt, dass selbst untergeordnete Repräsentativgremien sich rasch zu Foren politischer Öffentlichkeit entwickelten und unter Berufung auf die Verfassung beträchtliches Selbstbewusstsein entfalteten: Der Frankfurter General-Departementrat, ein Art „Regionalrepräsentation“ und Selbstverwaltungsorgan auf Departementebene, hervorgehend aus einem typischen gemischten Wahl- und Ernennungsvorgang, äußerte rege Kritik an der Dalbergschen Politik, stellte einen Beschwerdekatalog zusammen und warf Dalberg Verfassungsbruch vor, in dem er monierte, dass er entgegen der Verfassung Steuer- und Finanzgesetze ohne Einberufung und Mitwirkung der Repräsentativvertretung erlassen hatte. Dalberg bezeichnete das Schreiben als „verfassungswidrig“, wobei er dies nicht auf den Inhalt, sondern auf die Versäumung einer bestimmten Frist für die Einreichung der Beratungsergebnisse bezog. Das damit demonstrierte Selbstbewusstsein eines Repräsentativgremiums hat wohl wesentlich dazu beigetragen, dass Dalberg danach die Repräsentativvertretung des Großherzogtums nicht mehr einberief; vgl. zum Ganzen B. Severin, Modellstaatspolitik, S. 181, 192 (dort: Fn. 51); P. Darmstädter, Frankfurt, S 102 ff. (insb. S. 114 – 116); W. Bilz, Grossherzogtümer, S. 216 ff.; E. Fehrenbach, Traditionale Gesellschaft, S. 119.

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4. Kap.: Repräsentative Vertretungskörperschaften – Westfalen

partei in Westfalen auch noch sein mochte, so wenig echter politischer und sozialer Antagonismus zwischen monarchischer Gewalt und liberalem Bürgertum den Konflikt grundierte, nicht unwesentlich durch die Konstruktion der Verfassung mitbedingt war. Anders gewendet: In dem Moment, in dem die Gesellschaft als Gegenpol zur monarchischen Exekutive in eine politische Institution auf dem Boden der Verfassung gegossen war – mochte der Gegenpol als politische und soziale Gruppe auch noch schwach sein –, kam es schon zum Konflikt. Die politische Institutionalisierung der Gesellschaft mittels des Repräsentativprinzips führte ihn fast zwangsläufig herbei – nicht zuletzt ein früher Beleg für die Böckenfördesche These vom Übergangscharakter der konstitutionellen Monarchie und gegen die Hubersche Position, wonach im Konstitutionalismus der Gegensatz zwischen monarchischem Prinzip und Repräsentativprinzip in einem sie verbindenden Funktionszusammenhang aufgehoben sei.528 In Westfalen gab es für eine Lösung des Konflikts im monarchischen Sinne auf dem Boden der Verfassung keine Möglichkeit. Das vielzitierte Wort von G. Anschütz für den preußischen Verfassungskonflikt „Das Staatsrecht hört hier auf“529 erlangte so dem Sinn nach auch in Westfalen Geltung für die Beurteilung der Konfliktlage. Eindrucksvoll bestätigte dies 1810 ein Ausspruch des westfälischen Finanzministers v. Bülow anlässlich der Vorgänge um die Stempelsteuervorlage: „Si les États refusaient, qu‘en arriverait-il? La Constitution n‘en dit rien, ainsi le gouvernement irait toujours son train.“,530 wobei der letzte Halbsatz dieser Äußerung konsequenterweise – v. Bülow vertrat ja die Exekutive – nichts weniger als eine frühe Lückentheorie war. Insgesamt deuteten die Auseinandersetzungen um die beiden Steuergesetze in Westfalen damit schon einmal das ganze konstitutionelle Konflikt-Szenarium der späteren deutschen Entwicklung im 19. Jahrhundert an. So wie sich in der französischen Revolution von 1789 – 1799 gewissermaßen im Kleinformat schon einmal die ganze Entwicklung der nationalen, konstitutionellen und sozialen Verfassungsprobleme des 19. Jahrhunderts abspielte ((E.-W. Böckenförde), so ist – grob verkürzt formuliert – im napoleonischen Konstitutionalismus in Westfalen gewissermaßen im Kleinformat schon einmal das charakteristische Grundmuster des Verfassungstyps der konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts einschließlich seines latent vorhandenen Grundkonflikts hervorgetreten. Der Konzeption nach war das System des napoleonischen Konstitutionalismus in Deutschland weit mehr als Scheinkonstitutionalismus. Dass es im Bereich der Staatsorganisation in der zweiten Lebenshälfte des Königreichs Westfalen keine echte Verfassungswirklichkeit mehr gewann, offenbarte nicht minder als spätere deutsche Entwicklungen die Akzessorietät der Funktionsfähigkeit konstitutioneller Systeme zur jeweiligen poliZur diesbezüglichen Forschungskontroverse siehe Nachweise in Fn. 129. Georg Meyer / Gerhard Anschütz, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, 7. Aufl., München / Leipzig 1919, S. 906. 530 Stellungnahme gegenüber dem französischen Gesandten und Staatsrat und K. F. v. Reinhard, abgedruckt in: Mémoires et Correspondance du roi Jérome, Bd. 4, S. 369. 528 529

IV. Auseinandersetzung um die Steuergesetze1808 und 1810

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tischen „Schön- bzw. Schlechtwetterlage“. Wo es im konstitutionellen Verfassungskonflikt gewissermaßen zum Schwur kam, wurde die Entscheidung zur Machtfrage – im napoleonischen wie im deutschen Konstitutionalismus.

Zusammenfassende Gesamtbetrachtung Für jeden der in der Arbeit behandelten Bereiche ist ein Nebeneinander von konstitutionell „reifen“ und fortschrittlichen Elementen einerseits und diese teilweise überlagernden Bedingtheiten durch die Zwänge des napoleonischen Machtanspruchs andererseits erkennbar. Beides, verfassungsgeschichtliche Reife wie Bedingtheit, bilden die wesentlichen Charakteristika der verfassungsstaatlichen Formationen der drei Napoleoniden. Im Begriff des napoleonischen Konstitutionalismus in Deutschland laufen sie zusammen. Konstitutionalismus steht dabei für die verfassungsgeschichtlich fortschrittlichen Elemente, die ihre Reife der Herkunft aus der fortschrittlichen französischen Verfassungstradition seit 1789 verdanken. Die nach Westfalen, Frankfurt und Berg importierte Vorstellung von Gesellschaft und Herrschaft ging in allen wesentlichen Bereichen deutlich über die Gedankenwelt des Spätabsolutismus hinaus. Die Implementierung einer geschriebenen Verfassung, deren umfassende und universale Geltung, der auch die monarchische Staatsgewalt rechtlich unterworfen war, die Rechtssubjektivität des Einzelnen, die Freiheit der Person, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit und die Partizipation der Rechtsunterworfenen an der politischen Willensbildung, all dies ließ jene rechtlichen Konzessionen, die aufgeklärte Monarchen den von ihnen Regierten bislang gemacht hatten, weit hinter sich. Das gedankliche, institutionelle und gesellschaftliche Bezugssystem, welches den Rechts- und Verfassungsordnungen der Napoleoniden zugrunde lag, war in wesentlichen Teilen das von 1789. Gemessen am modernen Verfassungsbegriff von 1789 / 1791 bildeten die errichteten Ordnungen freilich nur eine Schwundstufe, erreichten nur partielle Annäherungswerte an dessen revolutionäre Parameter. In diesem strukturell Defizitären (mangelnde herrschaftskonstituierende Wirkung der Verfassungen, unvollständige Rechtsausstattung des Individuums, nur eingeschränkte Partizipation an der politischen Willensbildung) ähnelten sie wiederum den ihnen folgenden Verfassungsordnungen des deutschen Frühkonstitutionalismus. Jene waren der konzeptionellen Grundanlage nach ihre nächsten „Verwandten“. Das Napoleonische des Konstitutionalismus in Westfalen, Frankfurt und Berg steht für die prosaischeren Wesenszüge der drei Herrschaftsordnungen, die Bedingtheit durch die autokratischen Herrschaftsansprüche Napoleons und die zunehmend sozial-konservative Ausrichtung seiner Gesellschaftspolitik. Dies betraf sowohl die konstitutionelle Grundkonzeption wie die verfassungspraktische Wirklichkeit. Über den Akt der Oktroyierung hinaus war Napoleon in den Herrschaftsordnungen Bergs und Westfalens allgegenwärtig. In Berg direkt und in Westfalen

Zusammenfassende Gesamtbetrachtung

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über die Konstruktion der Familienstatuten vermittelt war sein politischer Bestimmungsanspruch verfassungsrechtlich jederzeit garantiert, zudem rechtlich gesichert durch die Verpflichtung des ministeriellen französischen Führungspersonals auf Napoleon als Empereur des Francais und Oberbefehlshaber der Armee. Auch in Frankfurt stand Napoleon immer im Hintergrund der Verfassungs- und Gesetzgebungsprozesse. Bezeichnend für die Beziehung des Dalbergstaats zu Napoleon war der am Ende der dortigen Verfassung vorgesehene Genehmigungsvorbehalt durch Napoleon. Hinzu trat besonders in Westfalen die schon auf Verfassungsebene festgehaltene Einbehaltung beträchtlicher Territorien zur imperialen Ausbeutung und Re-Aristokratisierung und ihre enklavenartige Ausnahme von der Reformgesetzgebung. Noch stärker beeinträchtigend wirkte der Machtanspruch Napoleons in die Verfassungswirklichkeit hinein: Das Egalisierungs- und Befreiungsprogramm der Verfassungen und Gesetzgebungen wurde partiell konterkariert durch den ungehemmten Fiskalzugriff und die personelle und materielle Ressourcenbildung für die imperialen Aktivitäten Napoleons; die Partizipation der Gesellschaft am politischen Willenbildungsprozess wurde mehr und mehr ausgeschaltet, als sie in zunehmend schwierigeren Verhältnissen der Durchsetzung des französischen Machtanspruchs entgegen zu stehen drohte. In der Bewusstseinslage des Cäsars waren die Napoleoniden in erster Linie Verfügungsobjekte im Rahmen imperialer Herrschaft, und er handelte auch entsprechend. Konstitutionelle Fortschrittlichkeit wie napoleonische Bedingtheit kennzeichnen die Verfassungsgenese in Westfalen und Frankfurt wie die entsprechenden Anläufe in Berg. Der Erlass der Verfassungen als solcher markierte einen Quantensprung und nicht weniger als den Beginn des Konstitutionalismus auf deutschem Boden. Zugleich verdeutlichten die Umstände der Verfassungsgebung in Gestalt des Diktatcharakters in Westfalen und des diesem Diktat vorgreiflichen Motivs der Verfassungsgebung Dalbergs in Frankfurt sowie das lange Zögern hinsichtlich einer Verfassungsgebung für Berg, dass allein der Wille Napoleons die Dinge bestimmte. Der Erlass der Verfassungen verdankte sich nicht mehr rein demokratischer Mission der republikanischen französischen Heere, sondern entsprang dem politischen Kalkül der Machtsicherung durch Modellbildung an Frankreich gebundener Staatsgebilde. Das Fehlen des demokratischen Moments beim Zustandekommen der Verfassungen und ihre fehlende herrschaftskonstituierende Wirkung musste sich negativ auf die Haltbarkeit und Belastbarkeit ihres Inhalts auswirken, genauer auf die Bereitschaft der napoleonischen Herrschaftsträger, sich an die Verfassung zu halten. Am deutlichsten zeigte sich dies später beim Verstoß gegen die Verfassungen durch Ausschaltung der Repräsentativvertretungen in Westfalen und auch in Frankfurt. Auch für die individualrechtliche Dimension der Verfassungs- und Gesetzgebungswerke der Napoleoniden ist gleichermaßen das Aufeinandertreffen von Fortschrittlichkeit und Bedingtheit charakteristisch. Weit über alle Ansätze des aufgeklärten Absolutismus, etwa der Kronprinzenvorträge C. G. Svarez’, hinausreichend wurde in den Gleichheits- und Freiheitsgewährleistungen der Napoleoni-

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den die Rechtssubjektivität des Einzelnen hergestellt und seine völlige Emanzipation aus feudalen Lebens- und Rechtsbindungen vollzogen. Die Implementierung einer am Sozialmodell der Erwerbs- und Eigentümergesellschaft des Code Napoléon orientierte Gesellschaftskonzeption bedeutete die geradezu mechanische Übertragung der Revolution von 1789 auf die rückständigen deutschen Territorien. Die radikale Zerstörung der traditionalen und feudalen Herrschafts- und Gesellschaftsstrukturen wurde dabei komplementiert durch die Durchdringung aller Bereiche durch die staatliche Gewalt in Gestalt der fortschrittlichen monokratischen Verwaltung und der unabhängigen Justiz. Die Verfassungen und Gesetzgebungswerke setzten den rationalen Weltentwurf der Revolution an die Stelle traditionaler, im Grunde genommen unpolitischer Lebenswelten und sollten dabei die Dialektik der Befreiung des Einzelnen und der Macht des modernen, alle Ebenen penetrierenden Staates in einer Tiefenschärfe und Radikalität in Gang setzen, die der Absolutismus in seiner tatsächlichen Symbiose mit der traditionalen Privilegiengesellschaft nie zu realisieren vermocht hatte. Freilich setzte auch hier das napoleonische Moment die Grenzen, indem es Freiheit auf den persönlichen und ökonomischen Bereich verwies, die Entsprechung politischer Freiheitsrechte aber unterließ. Politische Öffentlichkeit sollte es nur im Rahmen von Zensur und staatlicher Kontrolle geben. Zudem widersprachen die Re-Aristokratisierungstendenzen, mit denen eine imperiale Adelselite als dauerhafter Stützpfeiler der Herrschaft Napoleons gezimmert werden sollte, allen voran in den Dotationen, dem gesellschaftspolitischen Egalisierungsprogramm. So sehr der sozial-konservative Impuls hier dem napoleonischen Machtkalkül folgte, so sehr behinderte auch die Unvollständigkeit der Feudalablösungsgesetzgebung den durchgreifenden Erfolg der Bauernbefreiung. Zwar wurde der Feudalkonnex zwischen Sachenrecht und Herrschaft zerstört, der Grundfehler lag jedoch in der Deklarierung einer Großzahl der traditionalen Herrschaftsrechte als nur gegen Entschädigung ablösbares privat-rechtliches Eigentum. Damit hatte sich die französische Gesellschaftsgestaltung auf individualrechtlichem Gebiet im Agrarsektor hinter die Prinzipien der Revolution und auch ihrer Umsetzung auf linksrheinischem Gebiet zurückgezogen, mag auch dabei das sozial-konservative Moment weniger von napoleonischer Seite ausgegangen sein. Reife wie Bedingtheit des napoleonischen Konstitutionalismus sind schließlich eindrucksvoll in Tätigkeit und Schicksal der Repräsentativvertretung Westfalens hervorgetreten. Die aufgezeigten Ansätze zu politischer Mitbestimmung gingen erheblich über den Charakter dekorativen Beiwerks hinaus. Die „Verfassungskonflikte“ machten deutlich, dass das „Volk“ auf dem Boden der Verfassung in den politischen Prozess schon mithineingeholt worden war. Die damit enthüllte dualistische Grundstruktur der Verfassung – ungeachtet ihrer noch stark asymmetrischen Ausgestaltung – setzte sich kategorial von der prinzipiellen Unangefochtenheit absolutistisch-bürokratischer Herrschaft ab und eröffnete eben jene Strukturprobleme, die in der deutschen Verfassungsgeschichte des 19. Jahrhunderts Kontinuität erlangen sollten. Auch hier setzte freilich das napoleonische Kalkül realer Macht-

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sicherung den vielversprechenden Ansätzen konstitutioneller Praxis noch die Grenze, als diese die Durchsetzung politischer Ziele zu gefährden drohte. Der napoleonische Konstitutionalismus importierte die Revolution von oben in die napoleonischen Rheinbundstaaten. Mit ihm bricht die Verfassungsgeschichte in Deutschland ins 19. Jahrhundert auf. In ihm sind wesentliche Grundmuster späterer verfassungsgeschichtlicher Strukturen und Konflikte schon angelegt. Die konkreten wirkungsgeschichtlichen Implikationen über die rheinbündische Epoche hinaus sind schwer abzuschätzen. Zu beobachten ist jedenfalls – negativ wie positiv – der anregende Charakter der Verfassungsgebungen und Gesetzgebungen für die zeitgenössischen preußischen Reformer.531 Die kurze Lebensdauer der Gebilde stand einer insgesamt nachhaltigeren Richtungsbildung sicher entgegen. Hinzu kam, dass sie keinen deutschen Wurzeln entwachsen waren und als Ausdruck französischer Herrschaft im Zuge der Befreiungskriege und in ihrer Folge eine weitgehend negative Deutung erfuhren. Der Gedanke einer schriftlichen Verfassung war freilich schon auf dem Wiener Kongress als Forderung des politischen Zeitgeists an alle Staaten nicht mehr aus dem öffentlichen Raum wegzudenken. Ergänzt sei ein weiterer Gesichtspunkt: So wie Verfassungsgeschichte im Kern immer einen sozial-, gesellschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Kontext birgt, so sind es gerade auch die rückständigen gesellschaftlichen und sozialen Verhältnisse, eben das Modernitätsgefälle zum nachrevolutionären Frankreich, das einer unmittelbareren Wirkung Grenzen gesetzt hat. Dies betrifft den individualrechtlichen Bereich wie den der politischen Mitbestimmung. In ähnlicher Weise gilt diese Konsequenz des sozialgeschichtlichen Defizitären auch für die erste Periode des deutschen Frühkonstitutionalismus, in welcher der sozialgeschichtliche Entwicklungsprozess die bürgerliche Gesellschaft erst allmählich im Verlauf der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in ausreichend kraftvoller Formation hervorbrachte, um schließlich die kurz nach den ersten süddeutschen Verfassungsgebungen einsetzende Reaktion zu überwinden.

531 Den starken Einfluss der napoleonischen Rheinbundverfassungen auf die preußischen Reformer betonen besonders H. Haussherr, Hardenberg, eine politische Biographie. III. Teil, Die Stunde Hardenbergs, 2. Aufl., Köln / Graz 1965, S. 230, 234 f., 245 sowie H. Obenaus, Finanzkrise und Verfassungsgebung, S. 244, 250 f.; siehe auch E. v. Meier, Französische Einflüsse auf die Staats- und Rechtsentwicklung Preußens im XIX. Jh., Bd. 1 – 2, Leipzig 1907 – 1908 und ders., Der Minister vom Stein, die französische Revolution und der Preußische Adel, Leipzig 1908 sowie F. Valjavec, Entstehung der politischen Strömungen, S. 357 f. und H. Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte. Politische Strukturen und ihr Wandel, Bd. 2, München 1990, S. 78.

Anhang 1. Text der Verfassung des Königreichs Westphalen vom 15. November 1807, Deutsche Fassung (Quelle: Bulletin der Gesetze und Decrete des Königreichs Westphalen, Zweite officielle Auflage, Erster Band, Cassel 1810, S. 7 ff.). 2. Text der Verfassung des Großherzogthums Frankfurt vom 16. August 1810 (Quelle: Großherzoglich-frankfurtisches Regierungsblatt, Bd. 1, Frankfurt 1810, S. 10 ff.)

1. Die Verfassung von Westfalen: Constitution vom 15ten November 1807. Wir Napoleon, von Gottes Gnade und durch die Constitutionen, Kaiser der Franzosen, König von Italien und Beschützer des Rheinischen Bundes, haben in der Absicht, den 19ten Artikel des Tilsiter Friedensschlusses schleunig in Vollzug zu setzen, und dem Königreiche Westphalen eine Grundverfassung zu geben, welche das Glück seiner Völker sichere und zugleich deren Beherrscher die Mittel gewähre, als Mitglied des Rheinischen Bundes, zur gemeinschaftlichen Sicherheit und Wohlfahrt mitzuwirken, verordnet und verordnen, wie folgt:

Erster Titel. Art. 1 Das Königreich ist aus folgenden Staaten zusammengesetzt, nämlich: aus den Braunschweig-Wolfenbüttelschen Staaten, aus dem auf linken Ufer der Elbe gelegenen Theile der Altmark, aus dem auf dem linken Elbufer gelegenen Theile der Provinz Magdeburg, aus dem Gebiet von Halle, aus dem Hildesheimischen, aus dem Gebiete von Quedlinburg, aus der Grafschaft Mansfeld, aus dem Eichsfelde, nebst Treffurt, Mühlhausen, Nordhausen, aus der Grafschaft Stollberg-Wernigerorde, aus den Staaten von Hessen-Cassel, nebst Rinteln und Schaumburg, jedoch mit Ausnahme des Gebietes von Hanau und Catzenellnbogen am Rheine, aus dem Gebiet von Corvey, Göttingen und Grubenhagen, nebst den Zubehörungen von Hohenstein, und Elbingerode, aus dem Bisthume Osnabrück, aus dem Bisthume Paderborn, Minden und Ravensberg, aus der Grafschaft Rietberg-Kaunitz. Art. 2 Wir behalten Uns die Hälfte der Allodial-Domänen der Fürsten vor, um solche zu den Belohnungen zu verwenden, die Wir den Offizieren Unserer Armeen versprochen haben, welche Uns im gegenwärtigen Kriege die meisten Dienste leisteten. Die Besitznahme von diesen Gütern soll unverzüglich durch Unsere Intendanten geschehen, und das Protokoll darüber soll vor dem ersten December mit Zuziehung der Landesbehörden aufgesetzt werden. Art. 3 Die, besagten Ländern auferlegten, außerordentlichen Kriegssteuern sollen abgetragen, oder es soll für ihre Abzahlung, vor dem ersten December, Sicherheit gegeben werden. Art. 4 Den ersten December soll der König durch Commissarien, welche Wir zu dem Ende ernennen werden, in den Besitz des vollen Genusses und der Souveränität seines Gebietes gesetzt werden.

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Zweyter Titel. Art. 5 Das Königreich Westphalen macht einen Theil des Rheinischen Bundes aus. Seine Contingent soll aus fünf und zwanzig tausend Mann wirklich dienstthuender Soldaten von Waffen aller Art bestehen, nämlich: 20 000 Mann Infanterie, 3 500 Mann Cavallerie, 1 500 Mann Artillerie. Während der ersten Jahre sollen nur zehn tausend Mann Infanterie, zwey tausend Mann Cavallerie, und fünfhundert Mann Artillerie besoldet werden. Die übrigen zwölftausend fünfhundert Mann sollen von Frankreich gestellt werden und die Garnison von Magdeburg bilden. Diese zwölftausend fünfhundert Mann sollen vom Könige von Westphalen besoldet und gekleidet werden.

Dritter Titel. Art. 6 Das Königreich Westphalen soll in des Prinzen Hieronymus Napoloen directer, natürlicher und rechtmäßiger Nachkommenschaft, männlichen Geschlechtes, in Folge der Erstgeburt, und mit beständiger Ausschließung der Weiber und ihrer Nachkommenschaft, erblich seyn. Falls der Prinz Hieronymus keine natürliche und rechtmäßige Nachkommenschaft haben würde, soll der Thron Westphalens Uns, und Unsern natürlichen und rechtmäßigen oder adoptirten Erben und Nachkommen, in Ermangelung dieser, den natürlichen und rechtmäßigen Nachkommen des Prinzen Joseph Napoleon, Königs von Neapel und Sicilien, in Ermangelung dieser, den natürlichen und rechtmäßigen Nachkommen des Prinzen Ludwig Napoleon, Königs von Holland. Und in Ermangelung dieser letzteren, den natürlich und rechtmäßigen Nachkommen des Prinzen Joachim, Großherzogs von Berg und Cleve, anheim fallen. Art. 7 Der König von Westphalen und seine Familie sind in dem, was sie betrifft, den Verfügungen der Kaiserlichen Familien-Statuten unterworfen. Art. 8 Im Falle der Minderjährigkeit, soll der Regent des Königreichs von Uns oder Unsern Nachfolgern, in unser Eigenschaft als Haupt der Kaiserlichen Familie, ernannt werden. Er soll unter den Prinzen der Königlichen Familie gewählt werden. Die Minderjährigkeit des Königs endet sich mit dem zurückgelegten achtzehnten Jahre.

Vierter Titel. Art. 10 Das Königreich Westphalen soll nach solchen Grundgesetzen regiert werden, welche die Gleichheit aller Unterthanen vor dem Gesetze, und die freie Ausübung des Gottesdienstes der verschiedenen Religions-Gesellschaften festsetzen. Art. 11 Die Landstände der Provinzen, aus welchen das Königreich besteht, sowohl die allgemeinen, als die besonderen, alle politischen Korporationen dieser Art und alle Privilegien besagter Korporationen, Städte und Provinzen, sind aufgehoben. Art. 12 Gleichergestalt sind alle Privilegien einzelner Personen und Familien, in so fern sie mit den Verfügungen vorstehenden Artikels unverträglich sind, aufgehoben.

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Art. 13 Alle Leibeigenschaft, von welcher Natur sie seyn, und wie sie heißen möge ist aufgehoben, indem alle Einwohner des Königreichs die nämlichen Rechte genießen sollen. Art. 14 Der Adel soll in seinen verschiedenen Graden und seinen verschiedenen Benennungen fortbestehen, ohne dass solcher ein ausschließendes Recht zu irgend einem Amte, Dienste oder einer Würde, noch Befreyung von irgend einer öffentlichen Last verleihen könne. Art. 15 Die Statuten der adelichen Abteyen, Priorate und Capitel sollen dahingehend abgeändert werden, dass jeder Unterthan des Reichs darin zugelassen werden könne. Art. 16 Es soll ein und dasselbe Steuer-System für alle Theile des Königreichs seyn. Die Grundsteuer soll das Fünftel der Revenuen nicht übersteigen dürfen. Art. 17 Das Münzsystem und das System der Maaße und Gewichte, welche dermalen in Frankreich bestehen, sollen im ganzen Königreiche eingeführt werden. Art. 18 Die Münzen sollen mit dem Wappen Westphalens und mit dem Bildnisse des Königs geschlagen werden.

Fünfter Titel. Art. 19 Es sollen vier Minister seyn, nämlich: einer für das Justizwesen und die inneren Angelegenheiten, einer für das Kriegswesen, einer für die Finanzen, den Handel und den öffentlichen Schatz; es soll ein Minister StaatsSecretaire seyn. Art. 20 Die Minister sind, jeder in seinem Fache für die Vollziehung der Gesetze und der Befehle verantwortlich.

Sechster Titel. Art. 21 Der Staatsrath soll zum wenigsten aus sechzehn und höchstens aus fünf und zwanzig Mitgliedern bestehen, welche vom Könige ernannt werden, und deren Ernennung von ihm nach Gutdünken zurückgenommen werden kann. Er soll in drey Sectionen abgetheilt werden, nämlich: Section des Justizwesens und der inneren Angelegenheiten, Section des Kriegswesens, Section des Handels und der Finanzen. Der Staatsrath soll die Verrichtungen des Cassations-Gerichts versehen. Es sollen bey demselben für die Geschäfte, welche geeignet sind, vor das Cassationsgericht gebracht zu werden, und für die streitigen Fälle in Verwaltungssachen, Advocaten angestellt werden. Art. 22 Das Gesetz über die Auflagen, oder das Finanz-Gesetz, die Civil- und die peinlichen Gesetze sollen im Staatsrathe discutiert und entworfen werden. Art. 23 Die im Staatsrathe entworfenen Gesetze sollen den von den Ständen ernannten Commissionen mitgetheilt werden. Diese Commissionen, deren drey seyn sollen, nämlich eine Finanz-Commission, eine Commission des bürgerlichen Justizwesens, und eine Commission des peinlichen Justizwesens, sollen aus fünf Mitgliedern bestehen, welche in jeder Session ernannt werden müssen. Art. 24 Diese ständischen Commissionen können mit den respectiven Sectionen des Staatsrathes die ihnen mitgetheilten Gesetzesentwürfe dicutiren.

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Die Bemerkungen besagter Commissionen sollen im versammelten, vom Könige präsidirten Staatsrathe verlesen, und es soll, wenn man es nöthig finden wird, über die Modificationen, deren die Gesetzes-Entwürfe für empfänglich werden gehalten werden, berathschlaget werden. Art. 25 Die definitiv angenommene Redaction der Gesetzes-Entwürfe soll durch Mitglieder des Staatsrathes unmittelbar den Ständen überbracht werden, welche nach Anhörung der Beweggründe jener Gesetzes-Entwürfe und der Berichte der Commissionen, darüber berathschlagen werden. Art. 26 Der Staatsrath hat die Verwaltungs-Verordnungen zu discutiren und solche zu entwerfen. Art. 27 Er hat über die unter den Verwaltungs- und gerichtlichen Behörden sich erhebenden Jurisdictions-Streitigkeiten, über die streitigen Verwaltungsgegenstände und über die Frage zu erkennen, ob Verwaltungs-Beamte vor Gericht gestellt werden können und sollen? Art. 28 Der Staatsrath hat, in Ausübung seiner Attributen, nur eine berathende Stimme.

Siebenter Titel. Art. 29 Die Stände des Reichs sollen aus hundert Mitgliedern bestehen, welche durch die Departements-Collegien ernannt worden, nämlich: siebenzig werden gewählt aus der Classe der Grundeigenthümer, funfzehn unter den Kaufleuten und Fabrikanten, und funfzehn unter den Gelehrten und andern Bürgern, welche sich um den Staat verdient gemacht haben. Die Mitglieder der Stände bekommen keinen Gehalt. Art. 30 Sie sollen alle drey Jahre, zu einem Drittel, erneuert werden; die austretenden Mitglieder können unmittelbar wieder gewählt werden. Art. 31 Der Präsident der Stände wird vom König ernannt. Art. 32 Die Stände versammeln sich auf die vom Könige anbefohlene Zusammenberufung. Sie können blos durch den König zusammenberufen, prorogirt, vertagt, und aufgelöset werden. Art. 33 Die Stände berathschlagen über die vom Staatsrathe verfaßten Gesetzes-Entwürfe, welche ihnen auf Befehl des Königs vorgelegt worden, sowohl über die Auflagen oder das jährliche Finanz-Gesetz, als über die im Civilgesetzbuche und im Münzsysteme vorzunehmenden Veränderungen. Die gedruckten Rechnungen der Minister sollen ihnen alle Jahre vorgelegt werden. Die Stände berathschlagen über die Gesetzes-Entwürfe im geheimen Scrutinum durch absolute Mehrheit der Stimmen.

Achter Titel. Art. 34 Das Gebiet soll in Departemente, die Departemente in Districte, die Districte in Cantone, und diese in Municipalitäten eingetheilt werden. Die Zahl der Departemente soll weder unter acht, noch über zwölf seyn. Die Zahl der Districte soll in einem Departement weder unter drey, noch über fünf seyn.

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Neunter Titel. Art. 35 Die Departemente sollen durch einen Präfekten verwaltet werden. Es soll in jedem Departemente ein Präfeturrath für die streitigen Sachen, und eine GeneralDepartementsrath seyn. Art. 36 Die Districte sollen durch einen Unterpräfekten verwaltet werden. Es soll in jedem Districte oder in jeder Unterpräfektur ein Districts-Rath seyn. Art. 37 Jede Municipalität soll durch einen Maire verwaltet werden. Es soll in jeder Municipalität eine Municipal-Rath seyn. Art. 38 Die Mitglieder der General-Departements-Räthe, der Dictricts-Räthe und der Municipal-Räthe sollen alle zwei Jahre zur Hälfte erneuert werden.

Zehnter Titel. Art. 39 Es soll in jedem Departement ein Departements-Collegium gebildet werden. Art. 40 Die Zahl der Mitglieder der Departements-Collegien soll durch die Zahl der Bewohner des Departement bestimmt werden, so daß ein Mitglied auf tausend Bewohner desselben kommt; doch darf die Zahl der Mitglieder nicht unter zweihundert seyn. Art. 41 Die Mitglieder der Departements-Collegien sollen vom Könige ernannt und folgendermaßen gewählt werde, nämlich: Vier Sechstel unter den sechs hundert Höchst-Besteurten des Departement, ein Sechstel unter den reichsten Kaufleuten und Fabrikanten, und ein Sechstel unter den ausgezeichnetesten Gelehrten und Künstlern, und unter den Bürgern, welche sich am meißten um den Staat verdient gemacht haben. Art. 42 Es kann niemand, der nicht volle 21 Jahre alt ist, zum Mitgliede eines DepartementCollegium ernannt werden. Art. 43 Das Amt der Mitglieder der Departements-Collegien ist lebenslänglich; es kann keins derselben dessen anders, als durch einen Urtheilspruch, entsetzt werden. Art. 44 Die Departements-Collegien sollen die Mitglieder der Stände ernennen, und dem Könige Candidaten für die Stellen der Friedensrichter, Departements-, Districts, und Municipal-Räthe vorschlagen. Für jede zu machende Ernennung sollen zwey Candidaten vorgeschlagen werden.

Elfter Titel. Art. 45 Der Codex Napoleon soll vom ersten Januar 1808 an, das bürgerliche Gesetzbuch des Königreichs Westphalen seyn. Art. 46 Das gerichtliche Verfahren soll öffentlich seyn, und in peinlichen Fällen sollen die Geschwornen-Gerichte statt haben. Diese neue peinliche Jurisprudenz soll spätestens bis zum ersten Julius 1808 eingeführt seyn. Art. 47 In jedem Cantone soll ein Friedensgericht, in jedem Districte ein Civil-Gericht erster Instanz, und in jedem Departemente ein peinlicher Gerichtshof, und für das ganze Königreich ein einziger Appellations-Gerichtshof seyn. 12 Hecker

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Art. 48 Die Friedensrichter sollen vier Jahre lang im Amte bleiben und sollen zugleich darauf wieder gewählt werden können, wenn sie als Candidaten von den Departements-Collegien vorgeschlagen worden. Art. 49 Der richterliche Stand ist unabhängig. Art. 50 Die Richter werden vom Könige ernannt. Ernennungen auf Lebenszeit sollen sie erst erhalten, wenn man, nachdem sie ihr Amt fünf Jahre lang werden verwaltet haben, überzeugt seyn wird, dass sie in ihren Aemtern beybehalten zu werden verdienen. Art. 51 Das Appellationsgericht kann auf die Denunciation des königlichen Prokurators sowohl, als auf jene eines seiner Präsidenten, vom Könige die Absetzung eines Richters begehren, welchen es in der Ausübung seiner Amtsverrichtungen einer Verletzung seiner Pflichten für schuldig hält. In diesem einzigen Falle soll die Amtsentsetzung eines Richters vom Könige ausgesprochen werden. Art. 52 Die Urtheile der Gerichtshöfe und Tribunale werden im Namen des Königs ausgesprochen. Er allein kann Gnade ertheilen, die Strafe erlassen oder mildern.

Zwölfter Titel. Art. 53 Die Militair-Conscription soll Grundgesetz des Königreichs Westphalen seyn. Es dürfen keine Werbungen für Geld statt haben.

Dreyzehnter Titel. Art. 54 Gegenwärtige Constitution soll durch königliche, im Staatsrathe discutirte Verordnungen ergänzt werden. Art. 55 Die Gesetze und Verwaltungs-Verordnungen sollen im Gesetz-Bulletin bekannt gemacht werden und haben zu ihrer Verbindlichkeit keiner anderweiten Publications-Formalität nöthig. Gegeben in Unserm Pallaste zu Fontainebleau, am 15ten Tage des Monats November des Jahrs 1807. Unterschrieben: Napoléon. Auf Befehl des Kaisers, der Minister Staats-Secretaire, Hugo B. Maret.

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2. Die Verfassung von Frankfurt: Höchstes Organisations-Patent der Verfassung des Großherzogthums Frankfurt. Wir Carl von Gottes Gnaden Fürst-Primas des Rheinischen Bundes, Großherzog von Frankfurt, Erzbischof von Regensburg u.u. Des Kaisers Napoleon kaiserl. Königl. Majestät haben Uns den 19ten Febr. d. J. gegen Abtretung des Fürstenthums Regensburg und des Rheinschiffahrts-Octroi’s auf der rechten Rheinseite, den größten Theil der Fürstentümer Fuld und Hanau unter der Bedingniß abzutreten geruhet, dass diese Länder, nebst dem Fürstehthume Aschaffenburg und der Stadt Frankfurt, das neue Großherzogthum Frankfurt bilden, und nach Unserm tödtlichen Hintritte an des Vicekönigs von Italien kaiserl. Hoheit, und sodann die männlichen Nachfolger Seines großherzoglichen Hauses übergehen sollen. Unsere Pflicht erfordert, dass wir den Rest Unserer Tage dem Wohl derjenigen Länder widmen, welche die göttliche Vorsehung und die perönlichen wohlwollenden Gesinnungen des Kaisers Napoleon Uns anvertraut haben. Die Bestandtheile des Großherzogtums Frankfurt bilden nunmehr ein Ganzes. Einheit der möglich besten Verfassung wird für diesen Staat wohlthätig und zweckmäßig seyn. Die bestdenkbare Staatsverfassung ist diejenige, in welcher der allgemeine Wille der Mitglieder durch vernünftige Gesetze ausgedrückt wird, in welcher die Verwaltung der Gerechtigkeit durch unabhängige wohlbesetzte Gerichtsstellen besorget wird, in welcher die vollstreckende Gewalt der Hand des Fürsten ganz anvertraut ist. In allen Staatsverfassungen, welche aus dem Geiste des Kaisers Napoleon geflossen sind, erkennt man Anwendungen dieser Grundsätze; allenthalben haben gewählte Volksvertreter Einfluß auf die Annahme der Gesetze und Verwendung des Staatsvermögens; allenthalben sind die Gerichtsstellen von dem Einflusse fremder Gewalt unabhängig; allenthalben ist die Vollstreckung der Gesetze kraftvoll und wirksam, weil sie in der Hand des Regenten ist. Unter allen Verfassungen, welche dem Kaiser Napoleon ihr Daseyn zu danken haben, enthält die Verfassung des Königreichs Westphalen die meisten Grundsätze, die man nach Unserer Überzeugung auf das Wohl des Großherzogthums Frankfurt anwenden kann. Sie ist eigenes Werk des Kaisers Napoleon, ist für einen teutschen Staat bestimmt, hat sich bereits durch die Regierung des Königs Hieronymus Napoleon Majestät bewährt. Nach beschränktern Verhältnissen und besonderen Localumständen fließt aus der Anwendung dieser Grundsätze, nach Unserer Ueberzeugung, folgende Organisation Unsers Großherzogthums Frankfurt. §. 1. Das Großherzogthum Frankfurt besteht: aus der Stadt Frankfurt und ihrem Gebiete, aus dem bisherigen Fürstenthume Aschaffenburg, aus dem größten Theile des bisherigen Fürstenthums Fuld, dem größten Theile des Fürstenthums Hanau, sodann der Stadt Wetzlar. §. 2. Das Großherzogthum Frankfurt macht einen Theil des rheinischen Bundes aus, dessen Primatialwürde Uns durch die rheinische Bundesacte anvertraut ist. 12*

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§. 3. Das Contingent des Großherzogthums Frankfurt besteht aus 2800 Mann. §. 4. Nach Unserm Absterben kommt das Großherzogthum Frankfurt an des Prinzen Eugen Napoleon kaiserl. Hoheit, und dessen gerade Abstammung von Sohn zu Sohn, mit beständiger Ausschliessung der Frauen, und Rückfall an die kaiserl. Krone, im Falle, wenn die männliche Linie erlöschen sollte. (Alles zufolge Art. 3 des Vertrags vom 19ten Febr. 1810.) §. 5. Sobald der erzbischöfliche Sitz von Regensburg nach Frankfurt verlegt seyn wird: so ist alsdann der künftige Großherzog verbunden, dem Erzbischoffe, den er zu dieser Würde benennen wird, 60 000 Franken jährlich zu seinem Unterhalte anzuweisen. Der Nachfolger des künftigen Großherzogs sind auf ewige Tage schuldig, diese Verbindlichkeit zu erfüllen. (Vermöge Art. 4 des Vertrags vom 19. Febr. 1810) §. 6. Wir erkennen Uns verbunden, in Gemäßheit des Reichsschlusses vom Jahre 1803 die Renten zu bezahlen, welche nach den §§. 7, 9, 14, 17, 19, 20 und 27 des gedachten Reichsschlusses auf die Hälfte des Rhein-Octroi‘s angewiesen worden; und Wir werden diese Verbindlichkeit erfüllen nach dem ausdrücklichen Inhalte des mehr erwähnten Reichsschlusses. Die Spezialhypothek der Renten, welche deren Eigenthümer auf die Hälfte des Octroi‘s hatten, ist für immer gegründet auf die Domainen von Fuld und Hanau. (Vermöge Art. 6 des Vertrags vom 19ten 1810) Die Erfüllung dieser Pflicht werden wir unmittelbar selbst besorgen. §. 7. Die Donationen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen, bis auf die Summe von 600.000 Franken Renten an Domainen der Fürstenthümer Fuld und Hanau, werden von Uns bestätiget und verbürgt. Die Donatarien geniessen diese Güter als wahres Eigenthum, welches binnen 10 Jahren mit keiner neuen Auflage beschwert werden kann; auch können sie diese ihnen eigenthümlich zugehörigen Güter verkaufen, ohne dass sie von diesem Verkaufe eine Abgabe entrichten. (Gemäß des Vertrags vom 19ten Febr. 1810) §. 8. Wir werden dafür sorgen, daß die Schulden, mit welchen die Länder des Großherzogthums beschweret sind, ordentlich und richtig bezahlt werden. §. 9. Zur Bezahlung der Schulden, welche auf die Rente Lohneck und dem Zolle Wilzbach hafteten, werden Wir verhältnismäßig beitrage, nebst jenen Fürsten, so in dem Besitze der Lande sind, welche dem ehemaligen mainzer Kurstaate gehörten. (Vermöge Art. 9 des Vertrags vom 19ten Febr. 1810). §. 10. Wir bestimmen auf die Tage Unsers Lebens für den Unterhalt Unseres Hofstaates und alle damit verbundene Ausgaben an Hofpersonale, Hofdienerschaft, Tafel, Marstall, Reisekosten, Geschenken, und Unterhalt Unserer Person eine jährliche Summe von 350 000 Fl., welche dem Verhältnisse in jeder Hinsicht angemessen ist. Die Summe wird vom Ertrage der Waldungen, der Domainen und anderer Gefälle überhaupt in Quartalraten aus der Generalcasse erhoben. §. 11. Das Großherzogthum wird durch eine Constitution regiert, welche die Gleichheit aller Unterthanen vor dem Gesetze und die freie Ausübung des Gottesdienstes der verschiedenen verfassungsmäßig aufgenommenen Religionsbekenntnisse festsetzt. § 12. Die besonderen Verfassungen der Provinzen, Städte und Corporationen des Großherzogthums sind aufgehoben; ebenso die Privilegien einzelner Personen und Familien, so weit sie mit Befolgung der Gesetze im Widerspruch stehen; durch diese Bestimmung werden je-

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doch jene Befugnisse nicht aufgehoben im dem Großherzogthume Frankfurt, welche durch die rheinische Bundesacte dem mediatisierten Fürsten und Herren zugesichert worden. §. 13. Die Leibeigenschaft wird aufgehoben; alle Einwohner des Großherzogthums geniessen gleiche Rechte. So oft der Ertrag der Leibeigenschaft und der dahin gehörenden Abgaben wesentlichen Beitrag zum allgemeinen Besten leistet, soll ein andrer billiger Ersatz eintreten durch Vertheilung hinreichender indirecten Auflagen, welche den Personenrechten der Unterthanen minder lästig und kränkend sind. Sollten durch Aufhebung der Leibeigenschaft Privatpersonen verlieren; so steht ihnen der Anspruch auf Entschädigung im Wege Rechtens offen, nach den Grundsätzen, welche im Königreiche Westphalen eingeführt worden. §. 14. Der Adel besteht, wie bisher, mit seinen verschiedenen Benennungen und gebührender Achtung, ohne daß er jedoch ein ausschliessendes Recht weder zu Aemtern, Diensten und Würden, noch Befreiung von öffentlichen Lasten dadurch erhält. §. 15. Es soll ein und dasselbe Steuersystem für alle Theile des Großherzogthums sey; die Grundsteuer soll niemals den fünften Theil der Revenuen übersteigen. Provisorisch bis zur Gleichstellung bleibt es bei dem gegenwärtigen Zustande der Grundsteuer. Die Stempeltaxe und die Protocollirung (timbre et enrégistrement) werden eben so, wie in Frankreich, eingeführt. Sollte nebstdem neuerlich in Beziehung auf Staatsbedürfnisse Vermehrung der Auflagen nöthig werden, so sind dieselben auf indirecte und persönliche Abgaben nach Gradation des Vermögens in verhältnißmäßig erhöhtem billigen Maasstabe anzusetzen; und im Falle eine Kopfsteuer unvermeidlich werden sollte: so kann dies nur alsdann geschehen, wenn hierüber mit den Ständen verfassungsmäßige Verhandlung eingetreten seyn wird. §. 16. Das System von Maas und Gewicht, welches in Frankreich besteht, soll in dem ganzen Großherzogthume eingeführt werde; welches zum Theile schon geschehen ist. Hierüber wird noch eine besondere Instruction, nach vorhergegangener reifer Berathung erfolgen. §. 17. Wir erden einen Minister des Inneren, der Justiz und Polizei, einen Minister der Finanzen, der Domainen und des Handels und einen Minister Staatssecretair, welchem die auswärtigen Angelegenheiten, die Beschützung des Cultus und Aussicht über Administration der Kriegscasse anvertraut sind, ernennen. Die Minister sind, jeder in seinem Fache, für die Vollziehung der Gesetze und Vollstreckung der daraus fliessenden Verfügungen verantwortlich. §. 18. Den Vorsitz in dem Staatsrathe hat der Großherzog selbst. Die Beisitzer sind die drei Minister und sechs Staatsräthe, deren Ernennung eben so, wie jene des Generalsecretairs des Staatsrathes, von Uns geschieht. §. 19. Alle Gesetze über Auflagen, die Einführung neuer Civil- und peinlichen Gesetze sollen in dem Staatsrathe vorbereitet, discutirt und entworfen werden. §. 20. Die in dem Staatsrathe entworfenen Gesetze sollen von den Ständen ernannten Commissionen mitgetheilt werden. Jede Commission besteht aus drei Mitgliedern. Die Commissionen sind: die Finanzcommission, die Civil-Justizcommission, eine Commission des peinlichen Justizwesens; welche in der Session ernannt, und nach Verschiedenheit der Gegenstände erneuert werden.

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§. 21. Die ständischen Commissionen können discutiren über die Gesetzentwürfe mit denjenigen Mitgliedern des Staatsrathes, welche dazu den Auftrag erhalten. Die Bemerkungen der Commissionen werden in dem Staatsrathe unter Unserm Vorsitze gelesen, und über nützliche Modificationen berathschlaget. §. 22. Die Redaction der Gesetzentwürfe soll durch zwei Mitglieder des Staatsraths den Ständen überbracht werden, welche sodann darüber, nach angehörten Beweggründen, berathschlagen werden. §. 23. Der Staatsrath hat die Verwaltungsverordnungen zu discutiren und zu entwerfen. §. 24. Er hat über die Streitigkeiten zu erkennen, welche sich zwischen den verwaltenden und gerichtlichen Stellen erheben; auch hat der Staatsrath über die Frage zu entscheiden, ob angeklagte Verwaltungsbeamte vor Gericht gestellt werden. §. 25. Der Staatsrath hat in Ausübung seiner Attribute eine berathende Stimme; in Gegenständen aber, welche geeignet sind, vor das Cassationstribunal gebracht zu werde, versieht der Staatsrath die Stelle des Cassationsgerichts. Für streitige Fälle in Verwaltunsgssachen werden Advocaten bei demselben angestellt. §. 26. Die Stände des Großherzogthums bestehen aus 20 Mitgliedern, deren 12 aus reichen Grundeigenthümern, 4 aus reichen Kaufleuten oder Fabrikanten, 4 aus vorzüglichen Gelehrten von den Departementscollegien ernannt werden. Sie bekommen von dem Staate keinen Gehalt, wohl aber mäßig bestimmte Tagegelder von jedem der Departemente. §. 27. Sie werden alle 3 Jahre um ein Drittel erneuert; die Austretenden können unmittelbar wieder gewählt werden. Der Präsident der Stände wird von Uns ernennt. Die Stände versammeln sich auf Unsere Berufung; ihre Versammlung kann von Uns prorogirt der aufgelöst werden. §. 28. Die Stände berathschlagen über die Gesetzentwürfe, welche der Staatsrath verfasst hat. Die gedruckten Rechnungen der Minister sind ihnen alle Jahre vorzulegen. Die Stände berathschlagen über Gesetzentwürfe im geheimen Scrutinum durch absolute Mehrheit der Stimmen. §. 29. Das Großherzogthum wird in Departemente, Districte und Municipalitäten eingetheilt. Die vier Departemente sind: 1) Die Stadt Frankfurt und ihr Gebiet; 2) Das ehemalige Fürstenthum Aschaffenburg; 3) der größte Theil des ehemaligen Fürstenthums Fuld; 4) der größte Theil des ehemaligen Fürstenthums Hanau; welches unter gewissen Beziehungen mit dem frankfurter Departemente in Beziehung gesetzt wird, weil Hanau bekanntlich eine Fabrikstadt, und Frankfurt eine Handelsstadt ist. Für die Stadt Wetzlar wird ein Unterpräfekt ernannt. §. 30. In jedem Departemente wird ein Präfecturrath errichtet zur Entscheidung der Streitigkeiten, welche bei den Verwaltungsgegenständen vorkommen. §. 31. Die Mitglieder des Präfecturraths und der Präfectur-Generalsecretair werden von und ernannt.

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§. 32. Es wird in jedem Departemente ein Departementscollegium gebildet, dessen Mitglieder ihre Stellen lebenslänglich bekleiden. Wir werden ehestens die Mitglieder dieser Departementscollgeien ernennen. §. 33. Diese Benennung wird bestehen in 2 / 3 der Meistbegüterten; 1 / 6 wird bestehen aus den reichsten Kaufleuten und Fabrikanten und 1 / 6 aus vorzüglich Gelehrten und Künstlern. §. 34. Es kann Niemand zum Mitglied der Departementscollegien gewählt werden, der nicht großjährig ist. §. 35. Die Departementscollegien ernennen die Mitglieder der Stände. Jedes Departement ernennt drei Güterbesitzer, einen Handlesmann oder Fabrikanten, einen Gelehrten oder Künstler. §. 36. Es wird auch in jedem Departemente eine General-Departementsrath seyn. Zu jeder Ernennung werden Uns von den Departementscollegien zwei Candidaten (deren einer Mitglied der Departementscollegien seyn darf) vorgeschlagen. Eben so werden Uns von den Departementscollegien die Municipalräthe vorgeschlagen. Die Mitglieder der Departements- sowohl als Municipalräthe werden alle zwei Jahre zur Hälfte erneuert. §. 37. Die Einführung des Codex Napoleon vom 1 sten Jänner 1811 an ist bereits von Uns für das Großherzogthum verordnet worden. §. 38. Die Gerichtsstellen in Civil- und Criminalsachen bestehen provisorisch, wie bisher. §. 39. Der gerichtliche Stand ist unabhängig. Die Richter werden von Uns ernannt. §. 40. Die Urtheile der Gerichtshöfe werden in Unserm Namen ausgesprochen. Wir behalten Uns das Recht vor, die Criminalstrafen zu mildern oder zu erlassen. §. 41. Die Militärconscription ist ein Grundgesetz des Großherzogthums Frankfurt. §. 42. In dem Großherzogthum sind die Ministerien der Justiz, der Polizei und des Innern in einer Person vereinigt. Als Minister der Justiz wachet derselbe auf den gesetzmäßigen, festen und unpartheiischen Geschäftsgang sämmtlicher Justizstellen; als Minister der Polizei und des Innern stehen in dahin gehörigen Gegenständen die Präfecte der Departemente unmittelbar unter ihm; so wie dann die Präfecte mit jedem Minister in Verbindung stehen, und von ihm in seinem Wirkungskreise Weisungen erhalten. Die Präfecte besorgen die Vollstreckung der Gesetze, können aber dieselben nicht überschreiten. Jedem liegen ob in seinem Departemente Aufsicht über Erziehung, Ackerbau und Gewerbe, milde Stiftungen, Armenanstalten, Gemeinheitswälder, Wege, Gemeingüter, Sicherheit des Cultus, Mitwirkung bei der Aushebung der Milizen und Sicherheit der Steuerregister. Der Präfect theilt dem Generaldepartementsrathe jährlich die Darstellung desjenigen mit, was binnen Jahresfrist im Departemente geschehen, und zu dessen Wohl zustande gekommen ist. Aus besonderer Vorliebe für Künste und Wissenschaften behalten Wir Uns, wie bisher, unmittelbar vor , die Leitung der aschaffenburger Universitätsgeschäfte und des frankfurter Kunstmuseums, desgleichen auch der aschaffenburger Bibliotheken und Unserer Gemäldesammlung. Wir werden jedoch auch hierüber, unter Berathung mit Unserm Minister des Innern, das Nähere noch bestimmen.

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§. 43. Unter das Finanzministerium gehören die Domainen, der öffentliche Schatz, Handlung, Fabriken, und Ermunterung der Künste. Der Finanzminister hat die Oberaufsicht über die Generalcasse, in welche alle Einnahmen des Staats fliessen, dessen Ausgaben daraus verwendet und den Ständen verrechnet werden. Den Generalcassierer ernennen Wir selbst, dessen Cassecontrolleur und Einnehmer in den Departementen bringt Unser Finanzminister zum Vorschlage. Insbesondere stehen auch unter der Oberaufsicht des Finanzministeriums die directen und indirecten Steuern, Zölle, Posten, Schifffahrt, Chausseen, Regalien, Lotterien, Lombard, Münzen, Berg-, Salz- und Hüttenwerke, Mineralwässer und alle Gegenstände, welche dem öffentlichen Schatze ein Einkommen geben; so wie derselbe auch das Präsidium der Handelskammer führt. In Betreff der gedachten Gegenstände ertheilt er die zweckmäßigen Weisungen an die Präfecte, welche hierin auch an ihn angewiesen sind. §. 44. In der Person Unsers Minister-Staatssecretairs sind vereiniget das Ministerium auswärtiger Angelegenheiten, die Beschützung des ungestörten Cultus, die Besorgung der MilitairSold- und Verpflegungsadministration, und die Ausfertigung sämmtlicher großherzoglicher Entschliessungen. §. 45. Jeder Minister referirt unmittelbar an den Großherzog über jene Gegenstände, die nach der bestehenden Verfassung und nach schon bestimmten gesetzlichen Normen in seinem Wirkungskreise zu besorgen oder zu entscheiden vorkommen. Wenn hingegen etwa Neues darin bestimmt, vorgeschrieben, oder eine Abänderung in der bestehenden Verfassung, Verordnungen und Directionsnormen getroffen werden soll: so hat Uns der betreffende Minister blos seinen Antrag vorzulegen, damit Wir diesen vorerst, ehe Unsere Entschliessung oder Entscheidung erfolgt, dem Staatsrathe zum Gutachten mittheilen können. Jeder Minister hat sein eigenes Bureau; dessen Mitarbeiter wählt er selbst unter Quiescenten oder Fremden, unter Responsabilität auf die Rechtschaffenheit der Letztern. §. 46. Dieses Organisationspatent enthält Grundzüge, deren nähere Bestimmung und Entwickelung sich nach und nach durch Verhandlungen und Zusammenwirken der Stellen mehr und mehr ausbilden werden. Unterdessen enthält das Organisationspatent mehrere unwandelbare Sätze. Dergleichen sind diejenigen, die sich auf den Vertrag vom 19ten Februar d. J. gründen; dergleichen sind auch diejenigen, welche aus den Grundsätzen der Gesetzgebung des Kaisers Napoleon hervorleuchten, daß nämlich die Mitglieder eines jeden Staates repräsentirt seyn mssen, dass die Justizverwaltung unabhängig und nach dem Gewissen der Richter entscheiden müsse, und daß die vollstreckende Gewalt ganz durch die Hand des souverainen Fürsten wirke. Die übrigen Grundsätze dieses Organisationspatents sind aus Unserer Ueberzeugung und aus dem aufrichtigen Wunsche für das Wohl des Großherzogthum geflossen; müssen sich jedoch erst (wie gesagt) durch Erfahrung als vollständig verlässig bewähren. Wenn Uns der Allmächtige bis dahin das Leben fristet: so behalten Wir Uns vor, die zweckmäßig befundene Verfassung der Prüfung und Genehmigung Unsers verehrungswürdigen Herrn Nachfolgers und der Bestätigung des Kaisers Napoleon Majestät ehrerbietigst vorzulegen.

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§. 47. Jene bisherigen Landesstellen, deren Wirkungskreis mit dem gegenwärtigen Organisationssysteme des Großherzogthums Frankfurt nicht vereinbarlich ist, werden vom 1sten Jänner 1811 an als erloschen erklärt. Ihre Mitglieder erhalten theils ihre organisationsmäßige Anstellung; in Fällen, wo dieses unmöglich ist, behalten sie sichere verfassungsmäßige Pensionen. Aschaffenburg den 16ten August 1810 Carl, Großherzog. (L. S.)

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Sachverzeichnis Adel 102 ff. Administrative Integration 28 f.; 96 ff. Agrarreform 113 ff. Allgemeine staatsbürgerliche Gleichheit 91 ff. Anti-ständische Gleichheitsbestimmungen 96 ff.

Konstitution siehe Verfassung Konstitutionalismus 37 ff., 62 ff. Legitimitätsmodell 70 ff. Leibeigenschaft 112 ff. Lückentheorie 164 ff.

Bauernbefreiung 112 ff.

Modellstaatspolitik 28 ff. Monarchisches Prinzip 72 ff., 161 ff.

Cäsarismus 77 ff. Constitution siehe Verfassung

Pouvoir constituant 39 ff.

Dotationspolitik 118 ff. Eigentumsgarantie 115 ff. Familienstatuten (Napoleonische) 63, 80 Freiheit der Person 112 ff. Frühkonstitutionalismus 64 ff. Gewerbefreiheit 101 f., 124 Gleichheit – Gleichheit vor dem Gesetz 91 ff. – Gleichheitsrecht 82 ff., 89 f. – Spezifische Gleichheitsbestimmungen 96 ff. Grundrechte 82 ff.

Rechtsgleichheit 93 f. Religionsfreiheit 108 ff. Repräsentation – Repräsentativprinzip 130 ff. – Repräsentativvertretung 130 ff. Scheinkonstitutionalismus 17 ff., 130 f., 164 Steuergesetze 106 ff., 152 ff.

Individualrechte 82 ff.

Verfassung – Begriff der Verfassung 37 ff. – Funktion der Verfassung 39 ff. – Selbstbindungswirkung 64 ff. – Verfassungsgebung 39 ff., 48 ff. – Verfassungskonflikt 152 ff. Volkssouveränität 39 f. Volksvertretung 130 ff.

Judenemanzipation 110 ff. Justizverfassung 97 ff.

Wahlrecht 139 ff. Wirtschaftsverfassung 97 ff.