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German Pages 134 [137] Year 1972
Namenforschung heute Ihre Ergebnisse und Aufgaben in der Deutschen Demokratischen
Von einem Autorenkollektiv
Mit 2 Karten
AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1971
Republik
Autoren: Ernst Eichler (III 2b), Reinhard E. Fischer (II 3, IV 6), Wolfgang Fleischer (11, I I I 4), Günther Hänse (IV 5), Volkmar Hellfritzsch (II 4a), Karlheinz Hengst (II 4a, c, IV 3), Horst Naumann (I 3, I I I 2a, IV 3), Manfred Reiser (II 4b), Gerhard Schlimpert (II 4d), Herbert Schrickel (III 1, IV 4), Johannes Schultheis (I 3, IV 2, V), Hans Walther (II 1, 2 VI), Teodolius Witkowski (I 2, H I 3, IV 1). Redaktion: Reinhard E. Fischer und Hans Walther
Erschienen im Akademie-Verlag GmbH, 108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 Copyright 1971 by Akademie-Verlag GmbH Lizenznummer: 202 . 100/103/71 Karten: 43/71 Umschlaggestaltung : L. Schünke Herstellung: IV/2/14 VEB Werkdruck, 445 Gräfenhainichen . 3600 Bestellnummer: 5898, ES 7 B EDV-Nr.: 7519491 Preis: 12,50
Vorwort
Namenforscher der Deutschen Demokratischen Republik geben in diesem Abriß einen allgemeinverständlich gehaltenen Querschnitt durch ihren Wissenschaftsbereich. Aufbauend auf den Leistungen vieler Generationen und dem Ertrag eigener Arbeiten wollen sie im Unterschied zu den fachwissenschaftlich gehaltenen Publikationen des Akademie-Verlages hier einem breiteren Leserkreis eine Handreichung für ein tieferes Eindringen in die Problematik der Eigennamen bieten. Sie knüpfen dabei an frühere Darstellungen an, die das gleiche Ziel verfolgten: Kollektiv, Wegweiser zur Namenforschung von Friedrich Engels bis in die Gegenwart (Halle/Saale 1962); R. Fischer, E. Eichler, H. Naumann, H. Walther, Namen deutscher Städte (Berlin 1963) und W. Fleischer, Die deutschen Personennamen (2. Aufl., Berlin 1968). Die Onomastik nimmt als wichtige Teildisziplin der Sprachwissenschaft und damit als Gesellschaftswissenschaft in bedeutendem Maße an der Erforschung der Zusammenhänge zwischen Sprache und Gesellschaft in Gegenwart und Vergangenheit teil und wird künftig ihre Beziehungen zur Soziologie, Semiotik und Erkenntnistheorie wie auch zur Geschichte, Archäologie und Geographie noch verstärken. Der dialektische und historische Materialismus bietet die methodische Grundlage solcher Forschungen, die durch die 3. Hochschulreform und durch die Akademiereform neue Impulse erhielten: die gesellschaftliche Wirksamkeit der Sprache und somit auch der Eigennamen ist deutlich in den Vordergrund getreten, und dies im Einklang mit der wachsenden Rolle der Gesellschaftswissenschaften beim Aufbau des entwickelten Sozialismus. Die hier vorgelegte Darstellung namenkundlicher Probleme trägt stärker als bisher den wachsenden Bildungsbedürfnissen und den Ausbildungs- und Erziehungsaufgaben unserer sozialistischen Schule Rechnung, besonders im Abschnitt II. 4. Gewinnt doch die Onomastik, im Lehrplan des Deutschunterrichtes entsprechend vertreten, auch in der Schule an Geltung. Die Anliegen der slawistischen Namenforschung, bedingt durch die spezifische Situation der Onomastik der DDR, die die sprachliche 3
Hinterlassenschaft des meist erloschenen slawischen Sprachgutes zu durchforschen hat, spiegeln sich in dieser Kollektivarbeit wider. Doch aktuelle Anliegen bedingen, daß auch die moderne Namengebung und Namenverwendung in der sozialistischen Gesellschaft in der DDR, aber auch der Mißbrauch des Namengutes in Westdeutschland, stärkere Berücksichtigung finden als früher. Freilich sind hier der Onomastik noch viele Aufgaben gestellt, die in den folgenden Jahren zu lösen sind. Als einen Beitrag zur marxistisch-leninistischen Fundierung der Sprachwissenschaft, zu der im Jahre des 100. Geburtstages W. I. Lenins auch Namenforscher beitrugen, legen wir eine Kollektivarbeit vor, an der erstmalig alle wichtigen Forschungszentren der Onomastik in der DDR mitwirkten. Die Autoren danken der Partei der Arbeiterklasse für die zielstrebige Förderung ihrer Forschungen und widmen ihr Werk dem 25. Jahrestag der Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Möge dieser Band viele zu eigenen Studien anregen und damit der gemeinsamen Pflege des wertvollen Kulturgutes, das in unserem Namenschatz überliefert ist, dienen und seine Weiterentwicklung fördern! Für das Autorenkollektiv Rudolf Fischer, Ernst Eichler, Wolfgang Fleischer
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Inhalt
I . Die N a m e n in Sprache u n d Gesellschaft 1. N a m e n als sprachliche Zeichen u n d ihr be- . . . sonderer sprachlicher Charakter 2. N a m e n a r t e n 3. N a m e n u n d Ideologien
7 7 18 31
I I . Aufgaben u n d Ziele der N a m e n f o r s c h u n g . . . . 1. Zur Geschichte der N a m e n f o r s c h u n g 2. Namenforschung als Gesellschaftswissenschaft . . 3. N a m e n f o r s c h u n g u n d Nachbarwissenschaften . 4. Die N a m e n k u n d e im Dienste v o n Erziehung u n d Bildung
38 38 42 50
I I I . Methoden u n d Ergebnisse der N a m e n f o r s c h u n g . . 1.' Quellen der Namenforschung 2. N a m e n d e u t u n g 3. Namenschichten 4. Namenbeschreibung
71 71 75 87 93
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I V . I n s t i t u t i o n e n der N a m e n f o r s c h u n g in der D e u t s c h e n Demokratischen Republik u n d ihre Tätigkeit . . . V. Auswahlbibliographie V I . Register Autorenverzeichnis
107 117
*.
123 132
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I.
Die Namen in Sprache und Gesellschaft
1.
N a m e n als sprachliche Zeichen u n d ihr besonderer sprachlicher Charakter
a)
Was ist ein
„Name"?
Mit Hilfe der Sprache verständigen sich die Menschen über die sie umgebende objektive Realität. Dazu ist es notwendig, daß die Gegenstände, Erscheinungen, Prozesse dieser Realität sprachlich „benannt" werden. Es gibt grundsätzlich zwei Arten solcher sprachlicher Benennungen. Die Benennung kann sich entweder auf Klassen von Gegenständen, Erscheinungen, Prozessen beziehen; das ist der Fall bei Benennungen wie Stuhl, Straße, Regen, Gewitter, Höflichkeit, Fortsetzung. Mit dem Substantiv Stuhl z. B. lassen sich alle möglichen Arten von Stühlen benennen: blaue, grüne, gelbe, solche mit LederÜberzug oder aus Korbgeflecht, Krankenstühle, Kinderstühle usw. Bestimmte Merkmale müssen sie allerdings gemeinsam haben, die es erlauben, diese individuell unterschiedlichen Gegenstände unter der Benennung Stuhl zusammenzufassen. Diese „invarianten" (für alle Arten von Stühlen gleichbleibenden, gemeinsamen) Merkmale sind es, die in der Bedeutung des Wortes Stuhl als semantisches (bedeutungtragendes) Abbild der Klasse von Gegenständen, die wir Stuhl nennen, vermittelt werden. Solche semantischen Abbilder, „die das Wesen einer Klasse von Objekten wiedergeben" 1 , werden als Begriffe bezeichnet. Grundsätzlich dasselbe gilt auch von Benennungen wie Höflichkeit, Fortsetzung usw.; hier geht es um Klassen von Erscheinungen, Eigenschaften, Prozessen. Eine ganz andere Art der sprachlichen Benennung liegt dagegen vor bei Substantiven wie Leipzig, Frankreich, Elbe, Neues Deutschland (als Benennung des Zentralorgans der SED), Otto Grotewohl. Diese 1
Vgl. Marxistische Philosophie. Lehrbuch. Herausgegeben von A. Kosing. Berlin 1967, S. 584. — Die Wortbedeutung ist allerdings nicht völlig mit dem Begriff identisch. Auf diese Unterscheidung soll hier nicht näher eingegangen werden.
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Substantive benennen nicht Klassen von Objekten, Erscheinungen usw., sondern jeweils nur ein einzelnes Objekt oder einen einzelnen Menschen. Nicht selten wird der Ausdruck „Name" für beide Arten sprachlicher Benennung verwendet. Verdeutlicht wird der Unterschied durch die Bezeichnung „Gattungsname" für den ersten, „Eigenname" für den zweiten Fall. Man sollte die Bezeichnung „Name" auf den Eigennamen beschränken und für den Gattungsnamen den eindeutigen Fachatisdruck Appellativum (nach lat. nomen appellativum) verwenden. So wird in diesem Buche verfahren werden. Wie aus den genannten Beispielen hervorgeht, gibt es verschiedene Klassen bzw. Arten von Namen (also Eigennamen), über deren Differenzierung noch zu sprechen sein wird. Sie haben jedoch alle die gleiche Hauptfunktion: Benennung von Einzelobjekten. Diese Besonderheit sei an einem Beispiel erläutert. Ein Appellativum wie etwa Löwe hat im Sprachsystem eine bestimmte Bedeutung, nämlich' Säugetier, Raubkatze bestimmter Art und Gattung'. Was dieses Wort in einem gesprochenen oder geschriebenen Satz „meinen" kann, ist durch diese Bedeutung mitbestimmt, „motiviert". Ist von einem einzelnen, etwa aus einem Zirkus ausgebrochenen Löwen die Rede, so ist stets die Beziehung auf die Klasse dieser Objekte mitgegeben. Anders beim Eigennamen. Ein Familienname wie Löwe ist in seiner Beziehung auf ein Einzelwesen, einen bestimmten Menschen, heute nicht motiviert. Die Bedeutung des Appellativums Löwe im Sprachsystem ('Säugetier, Raubkatze, bestimmter Art') ist für den augenblicklichen Gegenstandsbezug des Namens Löwe unwesentlich. Wer Löwe heißt, kann ein zaghaftes kleines Männchen sein, wer Schuster oder Bäcker heißt, kann den Beruf eines Lehrers oder Fleischers ausüben. Der Lautkomplex Löwe allein genügt für die Identifizierung des so Benannten, ohne daß irgendeine Bedeutung des Wortes berücksichtigt werden muß. Der Hauptzweck des Namens ist die Identifizierung eines einzelnen Objektes, nicht seine begriffliche Charakterisierung. Benennungen für Dinge, die es nur in einem Exemplar gibt (sogenannte Unika), wie z. B. die Sonne, der Mond, sind keine Eigennamen, sondern Appellativa. Sie charakterisieren mehr als sie identifizieren. Im übrigen sprechen wir heute auch schon von den Monden des Jupiters und den Sonnen des Universums, dann heißt der Singular aber ein Mond und eine Sonne. Aus dem Gesagten ergibt sich die Definition des Eigennamens, wie wir sie etwa bei A. Gardiner finden: „Ein Eigenname ist ein Wort oder eine Wortgruppe, deren eigentlicher Zweck anerkanntermaßen die 8
Identifikation ist. Er erfüllt diesen Zweck — oder zielt wenigstens auf dessen Erfüllung ab — allein durch den unterscheidenden Lautkomplex, ohne daß irgendeine Bedeutung berücksichtigt wird, die diesem Lautkomplex von Anfang an innewohnte oder die er durch Assoziation mit dem benannten Gegenstand oder damit identifizierten Gegenständen erlangt hat" 1 . b)
Zum Verhältnis
von Name und
Appellativum
I n der Erläuterung der Hauptfunktion des Eigennamens mußte bereits vom Unterschied zwischen Name und Appellativum ausgegangen werden. Damit ist jedoch noch nicht alles Wesentliche zum Verhältnis zwischen diesen beiden Formen sprachlicher Benennung gesagt worden. Die genannten funktionellen Unterschiede erlauben es nicht, dem Eigennamen „Bedeutung" einfach abzusprechen. Das als Eigenname verwendete Wort kann zusätzliche Informationen vermitteln odei Vorstellungen hervorrufen, die über die Identifikation des Namenträgers hinausgehen. Wenn ein Schwarzhaariger Weißkopf oder ein besonders kleiner Mensch Groß heißt, so wird die „Aktualisierung" der Wortbedeutung von Weißkopf und groß durch den Widerspruch zur Realität angeregt; von ihr lebt teilweise der Namenspott. Bei Orts-, Straßen und anderen Namen wird nicht selten neben der Identifikation auch eine Charakterisierung des benannten Objekts beabsichtigt, vgl. z. B. Eisenhüttenstadt, Erzgebirge, Rheinisches Schiefergebirge, Straßennamen mit Richtungsangaben wie Eutritzscher Straße in Leipzig (nach dem ehemaligen Dorf und heutigen Stadtteil Eutritzsch führend). I n allen diesen Fällen ist der Name nicht nur eine Erkennungsmarke, sondern enthält beschreibende, „charakterisierende" Elemente, sagt mit Hilfe der Bedeutung der als Name vex wendeten Wörter etwas über Eigenschaften des benannten Objekts aus. Die „reinsten" Identifikationsmarken wären Ziffern und Buchstaben. Aber*«f. der Mensch will sich offenbar mit der „reinen" Identifizierung nicht zufrieden geben, wenn es sich um Städte, Straßen, Landschaften, Flüsse und vor allem auch Personen handelt. 2 1
2
A. Gardiner, The Theory of Proper Names. A Controversial Essay. 2. Aufl., London — New York — Toronto 1954, S. 73 (deutsch von W. F.). Diese zugespitzte Fassung ist im folgenden zu modifizieren. Außerhalb der wissenschaftlichen Nomenklatur gibt es nur gelegentliche Versuche dieser Art. In einzelnen deutschen Städten wurden z. B.
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Neben dem Unterscheidungsbedürfnis ist auch der Symbolcharakter der Namengebung von Bedeutung. Die Verwendung von Buchstaben oder Ziffern bei der Benennung setzt zudem eine systematische Aufgliederung unter einem bestimmten Gesichtswinkel voraus, die wohl für die Gesamtheit der Straßen eines Ortes, nicht dagegen für größere geographische Räume, Landschaften usw. gegeben ist. Auch das Streben nach mnemotechnischer (gedächtnisstützender) Erleichterung spielt hier natürlich eine Rolle. Eines ist jedoch auch bei den Namen mit starkem Anteil beschreibender Elemente (begrifflicher Bedeutung) zu bedenken: Wird ein Appellativum zum Namen, so vollzieht sich „eine Erweiterung des Bedeutungsinhalts und eine Einschränkung des Bedeutungsumfanges" 1 . Einerseits ist durch den Namen das benannte Objekt mit den verschiedensten Merkmalen erfaßt, andererseits ist der Name nur noch auf ein bestimmtes, so benanntes Objekt anwendbar: Lindental als Appellativum ist ohne Aussage über sonstige Eigenschaften dieses Tales auf jedes Tal mit Linden anwendbar — Lindental als Ortsname vermittelt dem Kundigen die Identifikation mit dem betreffenden Ort, vielfältige Merkmale dieses Ortes (den er natürlich kennen muß) sind aber eben nur auf den einzelnen Ort, nicht auf alle Täler mit Linden anwendbar. Man vergleiche auch die Abstufung (zunehmende Erweiterung des Bedeutungsinhaltes mit immer stärkerer Einschränkung des Bedeutungsumfanges, der semantischen Kombinationsfähigkeit) von Tier xüoev Hund und Dackel bis zu Leo als Name für einen ganz bestimmten Dackel. Mit dem unterschiedlichen Anteil beschreibender Elemente hängt auch die unterschiedliche Übersetzbarkeit der Namen zusammen. Übersetzbar ist nur das charakterisierende Element der lexikalischen ( = Wort-)Bedeutung. Wo dies nicht ein gewisses Mindestmaß erreicht, kann von Übersetzung keine Rede sein. Buchtitel, die ja schließlich auch als Namen anzusehen sind — wenn auch an der PeriStraßen mit Nummern statt mit einem Namen versehen. I n der moder-
nen Landwirtschaft der DDR, den LPG und Volksgütern, werden die großen Schläge in der Regel durch Ziffern, nicht mehr mit Flurnamen benannt.
Ein besonderer Fall von Identifizierung durch Ziffern wird aus den USA berichtet: I m Staat Montana erhält seit dem 1 . 1 . 1949 jeder Einwohner
bei seiner Geburt eine Nummer, die ihn bis zu seinem Tode begleitet. Den Namen hat sie allerdings auch nicht verdrängt (vgl. E. Pulgram, in: Beiträge zur Namenforschung 5, 1954, S. 179). 1
Vgl. F. Solmsen, Indogermanische Eigennamen als Spiegel der Kulturgeschichte. Herausgegeben von E. Fraenkel, Heidelberg 1922, S. 2.
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pherie des Namenschatzes —, werden in der Regel übersetzt. Die Namen von Zeitungen hingegen verwendet man meist in der originalsprachigen Form, um das geographische Kolorit zu wahren (Rüde Pravo, Trybuna Ludu), während bei Parteinamen unterschiedlich verfahren wird. Auch geographische Namen lassen sich teilweise — abgesehen etwa vor allem von Orts- und Flußnamen — übersetzen. So kann Schwarzwald im Englischen als Black Forest erscheinen, und die Rocky Mountains lassen sich durch das deutsche Äquivalent Felsengebirge (allerdings meist mit dem Zusatz Nordamerikanisches) identifizieren. Aber den Familiennamen Kirchberg könnten wir nicht durch Churchill und Neuhaus nicht durch Casanova wiedergeben. Die lexikalische Bedeutung der dem Familiennamen zugrunde liegenden Wörter hat — im Unterschied zu derjenigen der Gebirgsnamen — nichts mehr mit dem direkten Objektsbezug zu tun. Andererseits läßt sich der feste Gegenstandsbezug der übersetzten Form des Gebirgsnamens eher konventionell regeln, da die Zahl der hierfür in Frage kommenden Objekte geringer ist. Grundsätzlich ist allerdings keine Übersetzung von Namen nötig. Rocky Mountains erfüllt denselben Zweck wie (Nordamerikanisches) Felsengebirge. Der direkte Gegenstandsbezug gewährleistet den Kommunikationseffekt, die Verständigung. Infolgedessen gehören die Eigennamen zu einer wesentlich „interlingualen", also zwischen den Sprachen stehenden Schicht von Zeichen, und man hat sie in diesem Sinne mit der Musik und der bildenden Kunst verglichen.1 Die funktionellen Unterschiede zwischen Name und Appellativum haben auch eine Tendenz zur formalen Unterscheidung hervorgerufen. Das zeigt sich in der Großschreibung von Eigennamen, auch in Sprachen, in denen Substantive sonst klein geschrieben werden (vgl. z. B. das gelbe Wasser — das Oelbe Meer). Auch sonst läßt die Schreibung der Namen das Streben nach Differenzierung vom Appellativum erkennen. Das Wort Schmied z. B. erscheint als Name fast ausschließlich in den Formen Schmitt, Schmidt, Schmid. Das Leipziger FernsprechVerzeichnis von 1961 enthält keinen einzigen Familiennamen Bäcker, aber 36 Becker, nur 2 Hase, aber 20 Hause, nur einen Freier, aber 9 Freyer, keinen Brettschneider, aber 16 Bretschneider. Die Schreibung der Eigennamen unterliegt nicht der Norm des „Dudens", und sie zeigen teilweise bis heute Schreibgewohnheiten des 17. und 18. Jahrhunderts mit den er1
Vgl. V. N. Toporov, Iz oblasti teoreticeskoj toponomastiki, in: Voprosy jazykoznanija 1962, H. 6 S. 5.
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wähnten Schwankungen. I n der Betonung nehmen vor allem Orts- und H u r n a m e n gegenüber den Appellativen vielfach eine Sonderstellung ein: Saarbrücken als Ortsname trägt den Hauptton auf der zweiten Silbe, als Appellativum ('die Brücken über die Saar'') dagegen auf der ersten. Zu den genannten Differenzen in Aussprache und Schreibung treten solche grammatischer Art, so vor allem der von der Behandlung der Appellativa abweichende Artikelgebrauch einiger Namenarten, vor allem bei Orts- und Personennamen, die bekanntlich weitgehend ohne Artikel gebraucht werden. 1 Schließlich gibt es auch Unterschiede in der Pluralbildung. Familiennamen werden gewöhnlich mit -s versehen: die Bocks, die Schusters, die Kleins — zum Unterschied vom Plural der Appellativa die Böcke, die Schuster, die Kleinen. Von Vor- und Ortsnamen bildet man gewöhnlich keinen Plural.
c)
Der Name als sprachliches
Zeichen
Unter einem sprachlichen Zeichen versteht man — grob gesagt — eine Laut- oder Schreibform, die mit einer Bedeutung verbunden ist. Die kleinsten derartigen Zeichen werden Morpheme genannt. Wörter können aus einem (Haus, Dach, Strom) oder aus mehreren (Haushalt, überdachen, Strömung) Morphemen bestehen. Charakteristisch f ü r ein solches Morphem ist seine Fähigkeit, sich jeweils mit anderen Morphemen zu einem Wort zu verbinden, vgl. z. B. das Morphem -haus- in Haus-halt, haus-en, Hinter-haus, Kultur-haus-leiter oder das Morphem -über- in hin-über, über-fahren. I n allen genannten Beispielen lassen sich -haus- und -über- semantisch (bedeutungsmäßig) auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Ein Teil der Eigennamen bietet rein äußerlich ein ähnliches Bild, vgl. z. B. Schwarzwald, Mühlweg (als Straßenname), Steinbach, Freiberg, Neuhaus. Aber es ist bereits darauf hingewiesen worden, daß die Bedeutung der Morpheme -schwarz- und -wald-, -mühl- und -weg-, -stein- und -back-, -frei- und -berg-, -neu- und -haus- für die Namenfunktion (die Identifizierung) nicht entscheidend ist, der Objektbezug des Namens durch die Bedeutung der einzelnen Morpheme wohl motiviert sein kann (wenn Mühlweg als Name einer Straße gilt, die 1
Ausführlicher dazu W. Fleischer, Zur Funktion des Artikels in der deutschen Sprache der Gegenwart, in: Germanica Wratislaviensia X I , 1967, S. 148 ff.
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tatsächlich noch zur Mühle führt u. ä.), aber nicht motiviert sein m u ß : So benennt Freiberg keinen Berg, sondern eine Stadt; Schwarzwald nicht primär einen Wald, sondern ein (immerhin bewaldetes) Gebirge; Steinbach keinen Bach, sondern ein Dorf; Neuhaus kein Haus, sondern — als Familienname — einen Menschen bzw. eine Gruppe von Menschen. Die appellativischen Morpheme sind, sobald sie Bestandteil eines Namens geworden sind, „umfunktioniert". Nun gibt es aber auch Namenelemente, die im appellativischen Wortschatz keine Entsprechung haben, z. B. das Wurzelelement -fers-, das in Pers-ien, Pers-er, pers-isch vorkommt. Eine gewisse Berührung damit zeigen Fremdwörter wie Proletar-ier, Proletar-iat, 'proletar-isch mit dem frei nicht vorkommenden Element -proletar-, Der Unterschied zwischen beiden besteht darin, daß das appellativische Element -proletar- einen Hinweis auf die lexikalisch-begriffliche Bedeutung, das onomastische Element -pers- dagegen (wenn es überhaupt etwas sagt) den identifizierenden Hinweis auf das einmal in der Realität vorkommende Objekt 'Persien' enthält. Es besteht im Hinblick auf den Zeichencharakter auch ein Unterschied zwischen dem Stammorphem des Namens einerseits und den Ableitungssuffixen -er, -isch und -ien andererseits. Die Ableitungssuffixe haben Klassenbedeutung, beziehen sich nicht nur auf ein Einzelobjekt, und zwar entspricht die Bedeutung der Suffixe -er und -isch der Bedeutung, die sie auch bei der Bildung appellativischer Substantive bzw. Adjektive haben können (Personenbezeichnung nach Herkunft oder Zugehörigkeit, vgl. Bürger, Schüler, Türmer, Adjektive als Zugehörigkeitsbezeichnung, vgl. höfisch, schulisch). Das Ableitungssuffix -ien dagegen ist rein onomastischen Charakters, wird nur zur Bildung von Eigennamen (Länder- oder Landschaftsnamen) verwendet, aber eben auch für eine ganze Klasse von Erscheinungen der objektiven Realität, nicht für ein Einzelobjekt. Weitere onomastische Ableitungs suffixe, die mit der entsprechenden Bedeutung nur im Namenschatz begegnen, sind z. B. -sen ^(bildet Familiennamen von Vornamen: Detlev — Detlevsen), -a (bildet Ortsnamen von appellativischen Bezeichnungen für Pflanzen, Bäume u. ä.: Dorn — Dorna, Schilf — Schilfa, Born — Borna), -ingen (Sigmar — Sigmaringen) und -s (bildet Ortsnamen von Familien- oder Vornamen: Albrecht - Albrechts, Ebert - Eberts). Hierher lassen sich auch zweite Elemente zählen, deren Herkunft aus appellativischen Substantiven noch erkennbar ist, die aber heute formal so stark davon differenziert sind, daß man die damit gebildeten Namen nicht zur obenerwähnten Gruppe des Typs Freiberg und Schwarzwald rechnen kann, vgl. Ortsnamen wie Staven-hagen, Sanger13
hausen, Bay-reuth, Wolmir-stedt. Die Elemente -hagen, -hausen, -reuth, -stedt bestimmen die betreffenden Gebilde eindeutig als onomastische (im engeren Sinne in der Regel toponymische) Zeichen. Fälle wie pers- in Persien usw. zeigen, daß für die synchrone Analyse (Untersuchung auf einer Zeitebene, Querschnitt) der Morphemstruktur eines Namens die Etymologie, die Herkunft aus einer deutschen, germanischen oder einer slawischen oder völlig anderssprachigen Wurzel nicht maßgebend ist. Alle im deutschen Sprachgebrauch von heute gebräuchlichen Namen — und zumal solche, die ¡»ich auf Objekte des deutschen Sprachgebietes beziehen und sich morphematisch deutschen Wortstrukturen angeglichen haben — sind in diesem Sinne deutsche Eigennamen. So sind etwa auch die aus slawischen Ortsnamen stammenden Elemente -in, -itz und -ovo als deutsche onomastische Suffixe anzusehen, vgl. Born — Bornitz (Ortsname), Dorn — Dömitz, Buche — Buchow, Linde — Lindow oder Etzin neben Etzdorf, Rosien — Rosow — Rositz.1 Selbstverständlich muß die synchrone Strukturanalyse des gegenwärtigen Namenschatzes durch die historische, diachrone (Längsschnitt-) Analyse ergänzt werden. Sie vor allem ermöglicht es, die Beziehungen zwischen Namengebung und Gesellschaft im geschichtlichen Wandel zu verfolgen. Sie kann auch nachweisen, daß Namen, die heute einen vollständig deutschsprachigen Eindruck machen, in Wirklichkeit aus einer fremden Sprache stammen, vgl. z. B. den Ortsnamen Saalhausen bei Dresden, 1350 Salesen, zu altsorbisch *Zalesane 'Leute hinter dem Wald'. Ein großer Teil des Namenschatzes ist auf synchroner Ebene völlig unanalysierbar (was auch für Appellativa wie Haus, Dach, Ort gilt), ist morphematisch nicht strukturiert ; vgl. z. B. Personennamen wie Fiebig, Schubert, Sutter oder Ortsnamen wie Dresden, Rostock, Köln."1 d)
Die Entstehung von Eigennamen
Ein Namenträger kann seinen Namen entweder dadurch erhalten, daß aus dem Namenschatz ein fertiger Name ausgewählt und ihm in bewußter Namengebung verliehen wird; das ist z. B. der Fall bei unseren 1
2
Zur Strukturanalyse der slawischen Substratnamen vgl. auch E . Eichler Zur morphematischen Struktur der Substratonomastik, in: Probleme der strukturellen Grammatik und Semantik, Leipzig 1968, S. 243—252. Über die verschiedenen Strukturtypen ausführlicher W. Fleischer, Zur Struktur des deutschen Namenschatzes, in: Namenkundliehe Informationen 15, 1969, S. 5 - 1 4 .
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Vornamen, die immer wieder neu jedem Kind gegeben werden. Es kann sich aber eine Bezeichnung auch allmählich zum Eigennamen entwickeln und an einem Objekt haften bleiben. So sind unsere Familiennamen vor mehr als einem halben Jahrtausend entstanden: Ein am Dorfanger Wohnender wurde Angermann, ein Fleischer nach seinem Handwerk je nach der gebräuchlichen Bezeichnung Metzger, Schlächter, Selcher oder Fleischhauer, ein dicker Mensch Feist, ein Säufer Springinsglas genannt, und aus diesen appellativischen Bezeichnungen entstanden aus einer Reihe von Gründen1 allmählich feste Familiennamen, die vererbt wurden, auch wenn der Nachkomme nicht mehr am Anger wohnte, kein Fleischer war, nicht dick, sondern dünn erschien und keinen Tropfen Alkohol trank. Bei Flur- und Ortsnamen gibt es beide Möglichkeiten der Entstehung. Flurnamen können sich allmählich herausbilden, wenn ein Wort als appellativische Bezeichnung abstirbt, z. B. Leite, mhd. (mittelhochdeutsch) Ute 'Berghang', Klinge, mhd. klinge 'Gießbach, Talschlucht', Hart, mhd. hart 'fester Sandboden, Weidetrift, Wald'. Die Wörter sind aus dem appellativischen Wortschatz ausgeschieden, haben sich aber in der Bindung an bestimmte Einzelobjekte der Natur vielfach erhalten, nunmehr ohne weitere semantische Verallgemeinerung nur das betreffende einzelne Objekt benennend. 2 Aus solchen Flurnamen können dann auch Ortsnamen entstehen: Klinga (b. Grimma/Sa.), Klinge (b. Forst/Lausitz), Hartha (b. Döbeln, Flöha, Meißen, Rochlitz u. a.). Um bewußte Namengebung handelt es sich dagegen bei Flurnamen wie die goldne Ecke (ironisch für ein Stück mit schlechtem Boden), metaphorischen Benennungen (nach der Form) wie Gabel, Handtuch, Taubenschwanz, Winkeleisen, bei Ortsnamen mit ehrenden Benennungen wie Karl-Marx-Stadt. Aber auch ein Ortsname wie Freital (am 1. 10. 1921 durch Zusammenschluß mehrerer Dörfer entstandene Stadt b. Dresden) ist auf bewußte Namengebung zurückzuführen, entstanden sicher in Analogie zu dem weiter dem Gebirge zu gelegenen Freiberg, ausgewählt aus fast 1000 Namenvorschlägen, die von der Bevölkerung für die junge Stadtgründung gemacht worden waren. 3 1
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3
Ausführlicher bei W.Fleischer, Die deutschen Personennamen. Geschichte, Bildung und Bedeutung, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 82ff. Zur Problematik ausführlich H. Naumann, Die bäuerliche deutsche Mikrotoponymie der meißnischen Sprachlandschaft, Habil.-Schrift Leipzig 1968. Näheres bei W. Fleischer, Namen und Mundart im R a u m von Dresden I. Berlin 1961, S. 38.
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Wie aus den erwähnten Beispielen deutlich wird, kann ein Name also aus dem appellativischen Wortschatz kommen und onomastisch „umfunktioniert" werden; er kann auch einem vorliegenden Namenreservoir „entnommen" werden (Vornamen vor allem). Schließlich gibt es auch die Möglichkeit von Übertragungen und Verschiebungen innerhalb des Namenschatzes. So können ältere Flußnamen als Ortsnamen verwendet werden, vgl. Bebra, Fulda, Lutter, aber auch Steinbach, Breitenbach u. ä. Man vergleiche auch die vorstehenden Bemerkungen über die Entwicklung von Flurnamen zu Ortsnamen. Umgekehrt können Ortsnamen zu Flurnamen werden. Dies findet sich nicht selten dann, wenn eine Siedlung — besonders in der Zeit vom 13.—15. Jahrhundert — verödete und damit auch ihr Name als Ortsname unterging; er konnte als Flurname an einem einzelnen Geländeobjekt haften bleiben („Wüstungsname"), vgl. z. B. den Flurnamen Warnsdorfer Born im Tharandter Wald bei Dresden, der an den untergegangenen Ort Warnsdorf erinnert. Weitere Beispiele: Brintenberg zu einem ehemaligen Ort Brentin (Saalkreis), Mertitzfeld, -rücken zu einem ehemaligen Ort Meinarditz (Kreis Bad Liebenwerda), Schadowsche heyde 1424 zu einem ehemaligen Ort Schado(w) (westlich Jessen und Schweinitz). Ortsnamen liegen nicht selten auch heutigen Familiennamen zugrunde1, vgl. Basedow, Delbrück, Leibniz, Murner (zu Murnau), Zwicker (zu Zwickau). Umgekehrt erscheinen sogar „reine" Personennamen ohne weitere formale Differenzierung in der Funktion eines Orts- oder Flurnamens: In Dörfern der Dresdener Gegend heißen z. B. Barthel eine Wiese, der Karas (Name eines in dieser Gegend ansässigen alten Geschlechts) ein Wald, der Kieselack ein Felsen. Ähnliche Übertragungen begegnen auch in anderen Teilen des deutschen Sprachgebietes, z. B. in der Pfalz und in Bayern. Bisweilen ist die vollere Fügung gekürzt worden, z. B. Patzigs Holz 1548/64 — heute der Patzig (in der Flur von Freital b. Dresden). Der Ort Neunimptsch (heute Teil von Dresden) wurde Ende des 18. Jahrhunderts nach seinem Gründer Karl Albrecht von Nimptsch benannt. Auch Personenverbandsnamen, Bewohner- und Insassennamen konnten zu Ortsnamen werden, z. B. Sigmaringen 'zu (bei) den Leuten des Sigmar''{vgl. 1. 2). Landschafts-und Landesnamen gehen teilweise auf Stammes- und Volksnamen zurück, z. B. Franken, Hessen, Sachsen, Schwaben, Thüringen, Westfalen. Personennamen werden vielfach in ehrender Benennung für die verschiedensten Objekte verwendet, vgl. besonders Straßen- und auch 1
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Ausführlich dazu W . Fleischer, Die deutschen Personennamen, a. a. O. S. 107 ff., 128 ff.
Schiffsnamen. Aber auch Fabriken, Schulen und andere Institutionen tragen die Namen bekannter Persönlichkeiten, vgl. das Kunstseidenwerk Wilhelm Pieck in Schwarza oder Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften mit dem Namen Thomas Müntzer u. ä.
e)
Zur Rolle der Eigennamen
in der künstlerischen
Literatur
Wir beschränken uns zur Illustration auf die Personennamen, die in diesem Zusammenhang auch am wichtigsten sind. Es ist bereits davon gesprochen worden, daß ein Name „beschreibende" Elemente enthalten kann, die auf der appellativischen Bedeutung des zugrunde liegenden Wortes beruhen. Wird diese Bedeutung aktualisiert, so sprechen wir von redenden Namen. Sie können von Schriftstellern zur Erzielung besonderer Effekte benutzt werden. So heißen in E. Strittmatters Roman „Der Wundertäter" ein Fabrikdirektor Drückdrauf, ein Imkerverbandsvorsitzender Brummensieg, ein Friseur Stufenschneider, ein Tischler Langlatte usw. Bei Wilhelm Busch heißt ein Souffleur Flüstervogel, ein Schauspieler Schminkert, ein Buchhändler Papphoff. Aber auch ohne Bewußtmachen des ursprünglichen Wortsinnes oder Eindeutung eines neuen können Namen durch ihren Klang und die Assoziationen, die sie hervorrufen, Achtung und Sympathie oder Abneigung und Spott wecken. Es wird in diesem Sinne auch von suggestiven Personennamen gesprochen 1 . Damit rechnen die Schriftsteller; sie können nicht jeder Person jeden beliebigen Namen geben. In Hans Falladas Roman „Wolf unter Wölfen" heißt z. B. Joachim von Prackwitz ein Rittergutsbesitzer, Hauptmann a. D., Kniebusch ein alter ängstlicher Förster, Matzke ein ausgebrochener Zuchthäusler, die schwarze Minna ein Dienstmädchen. Ernst Penzoldt erzählt von Amaryllis, der wunderschönen Frau des Emilio am Meer, von Doktor Jokim, dem Arzt, der auch Theologie studierte und als Kriminalist tätig ist. Felix Krull, Thomas Manns memoirenschreibender Hochstapler, berichtet von einem „würdigen Ehepaar mit . . . unvermählter Tochter", namens „Crequis de Mont-en-fleur, und wie angenehm berührt zeigten sich alle drei von der korrekten Eleganz, mit der ich . . . diese gleichsam aus Knistern und Kichern in nasale und blumige Poesie übergehende Namenkomposition ihrem . . . Leibkutscher zu Gehör brachte". 1
2
Vgl. G. Eis, Tests über suggestive Personennamen in der modernen Literatur und im Alltag, in: Beiträge zur Namenforschung 10, 1959, S. 2 9 3 - 3 0 8 . Namenforschung
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2.
Namenarten
I m vorigen Kapitel wurde dargestellt, was ein Name ist, wodurch er sich von den anderen Wörtern einer Sprache unterscheidet, wie er entsteht, welche Funktionen er im Leben der menschlichen Gesellschaft einerseits und in der Struktur der Sprache andererseits ausübt. Dabei ist gezeigt worden, daß es fließende Übergänge gibt, etwa zwischen Name und Appellativum. Das gleiche gilt auch innerhalb der einzelnen Namenarten. Trotzdem müssen wir grundsätzliche Unterscheidungen treffen, von denen wir drei wichtige den folgenden Überlegungen voranstellen wollen. Man kann die Namen einmal danach unterscheiden, wen oder was sie benennen (Ortsnamen, Personennamen, Tiereigennamen, Häusernamen usw.). Kriterium dieser Unterscheidung ist also das benannte Objekt, der Namenträger (ein Ort, eine Person, ein Tier, ein bestimmtes Haus u. ä.). Zum anderen können wir danach fragen, was ein Name aussagt, bedeutet oder (in den meisten Fällen) bedeutet hat. Wir fragen also nach dem Bedeutungsgehalt. Dieser ist im allgemeinen unwichtig für die Funktion eines Wortes als Name. Wer heute Müller heißt, wird in den seltensten Fällen Müller sein und könnte genau so gut Bauer, Lehmann oder Schulze heißen. Bei der Namengebung oder Namenwahl kann der Bedeutungsgehalt allerdings eine große Rolle spielen (vgl. I. 3). Wenn ein neugeborenes Kind benannt wird, wissen die wenigsten Eltern, welche Bedeutung einem Vornamen zugrunde liegt. Sie spielt also hier meist keine Rolle. Schließlich gibt es noch ein drittes Kriterium zur Unterscheidung bestimmter Namenarten, nämlich den grammatischen Bau oder die Struktur der Namen. Danach unterscheidet man einfache, zusammengesetzte und abgeleitete Namen; Vollnamen und Kurznamen; einstämmige, zweistämmige, dreistämmige Namen, Doppelnamen u. a. Auf andere Unterscheidungsmerkmale kann hier im einzelnen nicht eingegangen werden. Wichtig ist, daß man die Namen unter den verschiedensten Blickwinkeln sehen kann, und daß jede Betrachtungsweise ihre Berechtigung hat, ja sogar notwendig ist. I n der bisherigen Forschung standen vor allem zwei Namenklassen im Vordergrund des Interesses: die geographischen Namen und die Personennamen. Unter den geographischen Namen oder Ortsnamen im weiteren Sinn (Toponymen) verstehen wir alle Namen, die sich auf geographische Objekte beziehen, mögen diese bewohnt sein oder nicht. Geographische Namen sind also im wesentlichen die Länder- und Landschaftsnamen, 18
Bezirksnamen, Flurnamen, Wasserflurnamen, Gewässernamen, Straßennamen und vor allem die Ortsnamen im engeren Sinn, die Siedlungsnamen. Wenn man von Ortsnamen spricht, versteht man gewöhnlich darunter die im engeren Sinn. So meinen die vielen namenkundlichen Bücher, die im Titel den Ausdruck „Ortsnamen" führen, damit Siedlungsnamen ; Flurnamen werden besonders erwähnt. Zu den Siedlungsnamen gehören die Namen von Städten und Dörfern, Ausbauten, Stadtbezirken, Ortsteilen, Wohnplätzen und Wohnstätten. Die Untersuchung der Siedlungsnamen einschließlich der Namen untergegangener Orte (Wüstungsnamen) steht im Vordergrund der Forschung innerhalb und außerhalb der DDR, da diese Namen relativ gut bezeugt sind und da über die Geschichte der bewohnten Orte verhältnismäßig viel bekannt ist. J e mehr man über die Geschichte eines Ortes weiß, vor allem über die Zeit seiner Entstehung (die ja auch meist die der Namengebung ist), desto vollständiger wird eine Deutung des Namens sein können (vgl. I I I . 2). Heute erscheint es als selbstverständlich, daß in den Städten und Dörfern alle oder fast alle Straßen und Plätze Namen führen. Das war früher nicht so, und auch heute gibt es noch viele kleinere Orte, in denen die Häuser durchnumeriert sind. Auch das gab es früher nicht. Man kannte einander recht gut, und so war es nicht unbedingt erforderlich, den Straßen Namen und den Häusern Nummern zu geben, um dadurch das leichtere Auffinden durch Ortsfremde zu ermöglichen und den Amtsund Rechtsverkehr zu vereinfachen. 1 Zumindest die „großen" Städte des Mittelalters hatten aber bereits ein voll entwickeltes System von Straßennamen (zu ihnen gehören auch die Namen der Plätze). So sind z. B. aus der Hansestadt Stralsund in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts folgende Straßennamen bekannt (sie werden hier zum besseren Verständnis in ihrer hochdeutschen Form aufgeführt): Fahrstraße, Mühlenstraße, Schmiedestraße, Böttcherstraße, Mönchstraße, Heilgeiststraße, Lange fStraße, Frankenstraße, Travemünder Straße, Tribseer Straße, Bilkenhagen, Lowenhagen u. a. Viele alte Straßennamen haben sich bis heute erhalten; sie sollten möglichst nicht durch neue Namen ersetzt werden, da sie zum nationalen Kulturerbe gehören. Sie sind ein Stück Geschichte jedes Ortes, enthalten Hinweise auf die vielleicht längst unkenntlich gewordene ursprüngliche Anlage einer Stadt (Lange Straße), auf besondere Gebäude, die nicht mehr bestehen, auf bestimmte 1
In Berlin/Hauptstadt der D D R gab es nach Ausweis des Straßenverzeichnisses zum offiziellen Stadtplan im Jahre 1968 insgesamt 411 Straßen mit Nummern statt der üblichen Namen.
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Handwerke, die entsprechend der mittelalterlichen Zunftordnung in bestimmten Straßen konzentriert waren und die es vielleicht auch nicht mehr gibt usw. Die Aufhellung dieser und ähnlicher Zusammenhänge sollten sich die Städte und Gemeinden sehr angelegen sein lassen. Je besser diese interessanten Einzelheiten der Städte und Dörfer bekannt sind, desto stärker wird die Verbundenheit mit ihnen sein. Die Liebe zur Heimat sollte auch auf diesem Wege gefördert werden (vgl. I I . 4a). Selbstverständlich soll aber auch dem sozialistischen Bewußtsein durch neue Straßennamen Ausdruck gegeben werden (vgl. I . 3). Verlassen wir einen Ort oder besser die geschlossene Ortschaft, dann gibt es im allgemeinen bis zum nächsten Ort keine Straßennamen mehr. Wälder und Wiesen, Sümpfe und Wege, Bäche, Flüsse, Teiche, Seen und Berge sind jedoch nicht namenlos. Je vertrauter jemandem die Umgebung eines Ortes ist, desto mehr Namen dieser Art kennt er. Jeder Ort hat in der Regel 30 bis 100, ja mitunter sogar noch mehr solcher Flurnamen. Sie sind weniger bekannt als die Straßennamen, weil sie meist unbewohnte örtlichkeiten benennen und weil sie nicht amtlich sind, d. h. daß sie in der Regel behördlich weder gegeben noch bestätigt werden (im Gegensatz zu den Straßennamen). 1 So führen sie meist nur ein Leben im Munde der Einheimischen, mitunter sogar nur einzelner Familien. Daher sind sie auch sehr davon bedroht, vergessen zu werden. Eine der dringendsten Aufgaben der heutigen Namenforschung ist es daher, Flurnamen zu sammeln und damit den endgültigen Verlust dieses wertvollen Sprachgutes zu verhindern. Dabei können alle mithelfen, die ihre Heimat lieben. 2 Zu den Flurnamen rechnet man im allgemeinen auch die Gewässernamen (Hydronyme), also die Namen stehender wie fließender Gewässer. Aber hier muß man ebenso wie bei den Bergnamen u. a. unterscheiden, ob es sich um kleinere oder größere Objekte handelt. Die Namen kleiner Objekte zählen zu den Flurnamen, für die in den letzten Jahren der Ausdruck Mikrotoponyme (zu griech. mikrös 'klein') immer mehr in Gebrauch kommt. Der Name eines Baches, eines Teiches oder kleinen Sees, eines kleinen Berges oder Waldes gehört zweifellos zu den Flurnamen bzw. Mikrotoponymen. Anders steht es aber mit dem Namen eines Flusses, Stromes, großen Sees, Waldes oder Berges. Hier handelt es sich um die Namen großer, ausgedehnter örtlichkeiten. Daher ver1
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Vgl. T. Witkowski, Der slawische Namenbestand in der DDR, in: Forschungen und Fortschritte 37, 1963, S. 152-154. Vgl. G. Schlimpert, Die Flurnamensammlung am Institut für Slawistik der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, in: Sprachpflege 16, 1967, S. 97f.
wendet man für sie heute gern den Ausdruck Makrotoponyme (zu griech. makrös 'lang, groß'). In der Praxis ist es freilich im Einzelfall schwierig zu entscheiden, ob es sich noch um ein kleines oder bereits großes Objekt, also dementsprechend um ein Mikro- oder Makrotoponym handelt. — In diesem Zusammenhang sei erwähnt, daß vor allem die Gewässernamen für die Forschung außerordentlich wichtig sind, da sie mitunter zu den ältesten Namen gehören und damit sehr wichtige sprachliche und historische Rückschlüsse erlauben. Manche Gewässernamen sind mehrere tausend Jahre alt, so Oder, Elbe, Rhein,', aber auch Spree und Havel, Dosse, Nuthe, Saale, Mulde u. a. besitzen wahrscheinlich ein Alter von 1500 bis 2000 Jahren (vgl. I I I . 3). Eine besondere Gruppe der Flurnamen sind die Forstortsnamen, d. h. die Namen einzelner Schläge, Wege, Bäche usw. innerhalb von Wäldern und Forsten; ferner die Wasserflurnamen, d. h. die Namen bestimmter örtlichkeiten in Meeren, Seen, Flüssen und Teichen. Die Wasserflurnamen (z.B. das Schaf roder Loch für einen Teil des Fahrwassers zwischen den Inseln Rügen und Hiddensee) dienen der besseren Orientierung, vor allem der Fischer und Seeleute. Man verwendet daher für sie auch den Ausdruck Fischerflurnamen.1 Hinsichtlich der Bezeichnungsfunktion kann man die Ortsnamen (im engeren Sinne) noch feiner untergliedern. Bei ihnen lassen sich zunächst zwei große Gruppen unterscheiden, die primären und die sekundären Ortsnamen2. Die primären Ortsnamen sind diejenigen, die von vornherein Siedlungsnamen waren (z.B. Magdeburg, Greifswald, Cottbus/ niedersorbisch Chosebuz 'Ort des Chotebud'). Andere Namen waren ursprünglich Bewohnernamen und sind erst sekundär zu Ortsnamen geworden. Dazu gehören u. a. die zahlreichen deutschen Namen auf -ingen (Meiningen 'Leute eines Magano'), die slawischen Ortsnamen auf -ici/eingedeutscht -itz (Moisselbritz auf Rügen < *Mysliborici 'Leute des Myslibor', Pauritz, aufgegangen in Altenburg < *Podgrodici 'Leute, die unterhalb der Burg wohnen') und die mittels -jane gebildeten slawischen Namen (Dresden < *Dre&d'ane 'Waldbewohner'). Die Bewohnernamen, die sehr verschiedene Arten von Bewohnern benennen können (Angehörige, Nachkommen einer bestimmten Person [ = Patronymika]; Menschen, die mit einer bestimmten Person durch ein Abhängigkeits1 2
Vgl. M. Hansel, Die rügenschen Fischerflurnamen. Stettin 1938. Diese Einteilung stützt sich auf W . Taszycki, Slowiariskie nazwy miejscowe (Ustalenie podzialu). Kraköw 1946 (Nachdruck in: W . Taszycki, Rozprawy i studia polonistyczne. I . Onomastica. Wrociaw — Kraköw 1958, S. 2 2 8 - 2 6 8 ) .
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Verhältnis oder anders verbunden sind; Menschen, die einen bestimmten Beruf ausüben; Bewohner einer bestimmten Gegend; Einwohner eines Ortes) werden auch als Insassennamen bezeichnet. Im Deutschen und in den slawischen Sprachen gibt es sehr viele Bewohnernamen, die zu Ortsnamen geworden sind. Unter den Ortsnamen (im eng. Sinne) gibt es eine große Anzahl, die wir als Naturnamen bezeichnen. Sie nehmen auf natürliche Gegebenheiten wie Berg und Tal, Wasser, Wald, Pflanzen, Tiere, Boden usw. Bezug. Zu ihnen gehören die meisten Flurnamen. Naturnamen sind also etwa Werder bei Berlin ('Insel'), Rostock (altpolabisch *Roztok 'Auseinanderfluß', gemeint ist die Verbreiterung der Warnow kurz vor ihrem Eintritt in die Ostsee), Aachen (zu lateinisch aqua 'Wasser'), Buchenwald u. a. Den Naturnamen entsprechen als Gegenstück die Kulturnamen, die auf die kultivierende oder zivilisatorische Tätigkeit des Menschen hinweisen: Altenburg, Neuenkirchen, Neumühl Kr. Stralsund, Wagun Kr. Malchin (altpolabisch * Vygon 'Trift, Weide'), Innsbruck ('Brücke über den Inn') usw. Eine besondere Gruppe der Kulturnamen sind die Rodungsnamen, das sind Namen, die auf die Rodetätigkeit des Menschen hinweisen, z. B. Wernigerode ('Rodung der Leute eines Werno'). Die Rodungsnamen sind für die Siedlungsgeschichte besonders wichtig. Man kann noch sehr viel weiter bei der Unterteilung der Namen nach ihrer Bedeutung gehen und etwa Namen, die auf bestimmte Pflanzen oder Tiere, auf Jagd, Ackerbau, Viehzucht, Handwerk, Handel, Boden, Bodenschätze usw. hinweisen, zusammenfassen. Dies geschieht auch je nach Zielstellung der einzelnen Untersuchungen. 1 Für einige Namenarten sind besondere Ausdrücke in Gebrauch gekommen, die wir im folgenden erläutern wollen. Es gibt sehr viele Ortsnamen, die einen Personennamen als Bestimmungswort enthalten oder von ihm abgeleitet sind. Oft wird es sich dabei um possessivische Ortsnamen handeln, also Ortsnamen, die den Besitz anzeigen: Petersdorf 'Dorf des Peter', Steffenshagen 'Hagen des Stefan', Arnstadt 'Siedlungsstätte eines Arn', JBawizerc/obersorbisch Budysin 'Ort eines Budych oder Budys', Poznan/Posen, polnisch 'Ort des Poznan' usw. Wenn man diese Namen als „possessivisch", also „besitzanzeigend" bezeichnet, so ist dies eigentlich nicht ganz korrekt. Petersdorf als 'Dorf des Peter' braucht nicht unbedingt den Besitz des Peter gemeint zu haben. Vielleicht hat ein Peter lediglich als erster im Dorf oder auf der späteren Dorfstelle gewohnt, vielleicht hat er das Dorf gegründet usw. Gleiches gilt für die anderen genannten 1
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Vgl. R. Trautmann, Die elb- und ostseeslavischen Ortsnamen, Teil 2, Berlin 1949.
„possessivischen" Namen. I n manchen Fällen gleicher Bildungsweise wird es sich auch um Ergebenheitsnamen handeln, d. h. um Namen, die die Ergebenheit gegenüber einem Monarchen, Fürsten, Grafen usw. zum Ausdruck bringen sollen. So ist z. B. Greifswald wahrscheinlich zu Ehren des pommerschen Herzogshauses (Greifen im Wappen, man spricht vom „Greifengeschlecht") so genannt. Wilhelmshaven erhielt seinen Namen nach dem preußischen König Wilhelm I. Eine andere Gruppe von Ortsnamen, die einen Personennamen enthalten, sind die Gedenknamen, zu denen man in erster Linie solche Namen zählt, die zu Ehren (zum Gedenken) einer Person ihren Namen erhalten haben, nachdem diese verstorben ist: Karl-Marx-Stadt (seit 1953 für ehemals Chemnitz), Wilhelm-Pieck-Stadt Guben, russisch Leningrad, Kaliningrad, Gorki u. a. Auf die Unterscheidung der Ortsnamen nach ihrem grammatikalischen Bau, also nach ihrer Bildungsweise, gehen wir am Schluß dieses Kapitels ein, da sich die Erscheinungen im Bereich der Ortsnamen und der Personennamen teilweise decken. Unter Personennamen (Anthroponymen) verstehen wir alle Namen, die von Menschen getragen werden. Dabei kann es sich um sehr verschiedene Namen, u. a. auch Decknamen (Pseudonyme), handeln. Zunächst hat bei uns jeder Mensch einen Namen, den er von seinen Eltern übernimmt, den Familiennamen, auch Zuname genannt. Zusätzlich erhält jeder mindestens einen Vornamen bei seiner Geburt zugesprochen. Für die Wahl der Vornamen gibt es gesetzliche Vorschriften. Erhält jemand mehrere Vornamen, dann gilt einer offiziell als Rufname, doch kommt es mitunter vor, daß Menschen mit einem anderen Namen als dem offiziellen Rufnamen gerufen werden. Wird ein Kind erwartet, dann machen sich die Eltern oft sehr viele Gedanken darüber, wie sie es nennen sollen. Sie achten auf die ihnen begegnenden Namen, fragen Bekannte um R a t oder suchen in Büchern nach einem passenden Kindernamen. Dabei werden sie stark davon beeinflußt, welche Namen gerade modern sind (Modenamen). Die Ausdrücke Mädchenname und Frauenname meinen zunächst den Vornamen eines Mädchens oder einer Frau (Eva, Maria, Susanne, Hildegard usw.). Sie werden auch auf Familiennamen angewendet. Dann meint der Mädchenname den Familiennamen einer Frau vor, Frauenname den Familiennamen nach der Eheschließung. I n diesem Zusammenhang sind einige Erläuterungen zum Namenrecht angebracht. Es ist ja nicht so, daß jeder Mensch willkürlich beliebige Namen führen kann. So ist z. B. das Führen eines Familiennamens 23
heute so selbstverständlich, daß es den meisten Menschen gar nicht bewußt wird, dadurch einer gesetzlichen Pflicht zu genügen. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war auch tatsächlich in manchen Ländern Europas (darunter auch in Deutschland) das Führen eines bestimmten Familiennamens nicht verbindlich, wenn auch üblich. 1 Das in großen Teilen noch heute gültige Bürgerliche Gesetzbuch aus dem Jahre 1896 schrieb vor, daß die Frau den Familiennamen des Mannes führt. Dagegen legt das Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. Dezember 1965 in Verwirklichung des Prinzips der Gleichberechtigung von Mann und Frau fest, daß die Ehegatten sich bei der Eheschließung auch dafür entscheiden können, den Mädchennamen der Frau künftig als gemeinsamen Familiennamen zu führen (§7). Diese Entscheidung ist unwiderruflich, und die Kinder erhalten den gemeinsamen Familiennamen ihrer Eltern. Wird eine Ehe geschieden, dann behalten beide Partner ihren bisherigen Familiennamen. Jeder Ehegatte kann aber „durch Erklärung gegenüber dem Leiter des Standesamtes einen Familiennamen wieder annehmen, den er vor der Ehe getragen h a t " (§ 28). Andere Paragraphen (64, 65, 71) des gleichen Gesetzes regeln das Führen von Familiennamen durch Kinder aus geschiedener Ehe oder durch adoptierte Kinder. Darin unterscheidet sich das Familiengesetz vom Bürgerlichen Gesetzbuch. Besonders kraß sind die Unterschiede zwischen unseren heutigen Gesetzen und etwa denen des 18. Jahrhunderts, in denen sich der Klassencharakter des Feudalstaates in Bezug auf die Rechtsstellung der unehelichen Kinder, der Partner aus „nichtstandesgemäßen" Verbindungen usw. ausdrückt. 2 Wie man sieht, wandelt sich das Namenrecht mit den gesellschaftlichen Verhältnissen. Das betrifft auch die Bestimmungen über den Wechsel oder die Änderung des Familiennamens, die nur in schwerwiegenden Fällen möglich sind. :i Nicht nur das Tragen der Familiennamen, sondern auch das der Vornamen ist bestimmten Regelungen unterworfen. So schreibt die Erste 1
Willkürlicher Wechsel des Familiennamens wurde in Frankreich bereits im 16. Jahrhundert, in Bayern 1677, in Österreich 1776 und in Preußen 1794 untersagt. Vgl. A. Bach, Deutsche Namenkunde, Bd. 1, Teil 2, 2. Aufl., Heidelberg 1953, S. 107 und 7 6 - 7 9 (mit weiterer Literatur). 2 Vgl. die interessanten und für die damalige Zeit progressiven Ausführungen bei Tileman Dothias Wiarda, "Über deutsche Vornamen und Geschlechtsnamen. Berlin und Stettin 1800. 3 Vgl. das Personenstandsgesetz in der Fassung v o m 13. Oktober 1966 (Gesetzblatt der D D R , Teil I 1966, S. 87 ff., vor allem §§ 38-42).
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Durchführungsbestimmung zum Personenstandsgesetz vom 7. J a n u a r 1957 u. a. vor, daß der Vorname das Geschlecht des Kindes erkennen lassen muß, daß bei mehreren Vornamen einer als Rufname kenntlich gemacht werden muß, daß „Bezeichnungen, die ihrem Wesen nach keine Vornamen sind, nicht beurkundet werden" dürfen usw. 1 Besondere Probleme ergeben sich, wenn es sich um die Übertragung von Namen mit fremder Schrift ins Deutsche handelt. Die „Ordnung zur Gewährleistung eines einheitlichen Verfahrens in Personenstandsangelegenheit e n " vom 7.9.1957 legt (I D 14) fest, daß fremde Schriftzeichen wie Häkchen und Akzente auch im Deutschen zu verwenden und andere Alphabete (z. B. Kyrillisch) nach dem „Klang und nach den Lautregeln der deutschen Sprache in die Personenstandsbücher einzutragen" sind. 2 Neben den genannten gesetzlichen Bestimmungen gibt es noch andere, die z. B. das Führen von Waren- und Firmennamen regeln. Sie spielen in der Wirtschaft eine bedeutende Rolle, doch wollen wir hier nicht näher auf sie einhegen, sondern uns wieder dem Thema dieses Kapitels zuwenden. Wenn eine Person nur einen Namen trägt und dies für ein bestimmtes Gebiet oder eine bestimmte Zeit allgemein üblich oder gar verbindlich ist, dann spricht man von Einnamigkeit. Die Zeiten der Einnamigkeit liegen bei uns sehr weit zurück und sind kaum noch faßbar. Was wir kennen, ist die Mehrnamigkeit, also die Sitte oder die Pflicht, mehrere Namen zu führen. Sind es dann zwei Namen, die für jeden vorgeschrieben sind (wie bei uns Vor- und Zunamen), dann spricht man von Zweinamigkeit. Es gibt aber auch Länder, oder besser Sprachgebiete, in denen Dreinamigkeit verbindlich ist. So tragen alle Russen drei Namen, einen Vor- und Zunamen und einen Vatersnamen. Der Vatersname (Patronymikon, Mehrzahl Patronymika) ist ein zusätzlicher, vom Namen des Vaters abgeleiteter Personenname, der in der Sowjetunion offiziellen, amtlichen Charakter hat und im täglichen Umgang den Familiennamen ersetzt. Der große russische Schriftsteller Tolstoi hieß z. B. Lew Nikolajewitsch Tolstoi, davon war Nikolajewitsch der Vatersname ; der Vater des Dichters hieß also Nikolai mit dem Vornamen und hatte wiederum einen Vatersnamen, der vom Vornamen seines Vaters abgeleitet war usw. Wenn man nun Tolstoi in Russisch ansprach, dann sagte man nicht (sinngemäß) „Herr Tolstoi", sondern „Lew Nikolajewitsch". Diese eine gewisse Vertraulichkeit voraussetzende Art der Anrede ist im Russischen seit vielen Jahrhunderten üblich. Für Frauen 1
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Vgl . W. Fleischer, Die deutschen Personennamen, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 202. Vgl. ebd. S. 202.
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gilt das gleiche. Die Patronymika spielen übrigens in allen slawischen Sprachen eine wichtige Rolle, auch für die Ortsnamen, da zahlreiche Patronymika, wie oben bereits angedeutet, zu Ortsnamen wurden (bei uns viele der auf -itz auslautenden Ortsnamen). Aber auch uns sind die Patronymika durchaus nicht ganz fremd. Nur gab es bei uns keine so ausgeprägte Dreinamigkeit wie bei den Russen, und es werden keine Patronymika neu gebildet. Aber zahlreiche Familiennamen sind aus Patronymika entstanden, so Mendelsson ('Mendels Sohn'), Petersen ('Peters Sohn'), Michaelis ('Sohndes Michael'-, -is ist die lateinische Genitivendung, der Name stammt aus der Zeit des Humanismus. )'Außer Patronymika gab es, allerdings viel seltener, auch Metronymika, also Namen nach der Mutter. Sie kamen vor allem dann auf, wenn der Vater eines Kindes lange Zeit abwesend oder nicht bekannt (bzw. nicht genannt) war (uneheliche Kinder), oder wenn die Mutter aus unterschiedlichen Gründen den Vater in der Gesellschaft an Ansehen übertraf. Vatersnamen und Mutternamen wurden zu einer Zeit gebildet, da es (zumindest vorgeschrieben) noch keine erblichen Familiennamen gab. Sie hatten zunächst nur die Funktion eines Beinamens, also eines zusätzlichen, den jeweiligen Träger charakterisierenden Namens. Als Beinamen konnten auch Berufsbezeichnungen oder die Namen der Orte bzw. Gegenden fungieren, aus denen ein neu zugezogener Bürger stammte. Wurden derartige Beinamen fest, dann waren es Familiennamen, und man spricht insbesondere von Berufsnamen (Müller, Schneider, Fleischer usw.), Herkunftsnamen (Holsten für jemanden, der aus Holstein zugezogen ist, Schwerin für jemanden, der aus Schwerin ist usw.). Eine besondere Gruppe stellen die mittelbaren Berufsnamen dar. Ihre Besonderheit besteht darin, daß es sich um zu Namen gewordene Bezeichnungen handelt, die den Beruf des ersten Namenträgers nicht direkt nennen, sondern nur indirekt auf ihn Bezug nehmen, z. B. durch Nennung des Arbeitsgerätes, der Tätigkeit, des hergestellten Produktes usw. (Hammer für einen Schmied, Schuh für einen Schuster usw.). Freilich werden solche Namen oft auch bloße Übernamen gewesen sein, ohne daß ihnen der Bezug zu einem Beruf wirklich zugrunde lag. Die Übernamen gehören zu den Beinamen. Heute besteht eine gewisse Tendenz dazu, unter Übernamen mehr solche Namen zu verstehen, die (wenn auch nur leicht angedeutet) einen pejorativen (abwertenden) Sinn haben (Spitznamen). Auch tragen die Übernamen (Spitznamen) heute mehr willkürlichen, persönlichen, die Beinamen dagegen fast schon amtlichen Charakter. So ist der Große in Karl der Große ein Beiname, kein Übername. 26
I m Zusammenhang mit den Personennamen sieht man auch oft und mit einem gewissen Recht die Stammes- und Völkernamen (Deutsche, Polen, Russen, Engländer, Amerikaner, aber auch Sachsen, Thüringer, Bayern usw.). Genau genommen gehören diese Wörter aber ebenso wie die Tier- und Pflanzennamen nicht zu den Eigennamen, was u. a. daraus hervorgeht, daß man jemanden statt Hans Müller auch Paul Lehmann nennen könnte, nicht aber einen Deutschen Russe oder einen Russen Deutscher. Die Stammes- und Völkernamen sind also Appellativa. Wir haben bisher die Namen nur unter dem Blickwinkel ihrer Bedeutung und ihrer Punktion (eine Person oder einen Gegenstand zu meinen, zu bezeichnen) betrachtet. Aber Namen sind Wörter, sprachliche Zeichen. Dementsprechend unterliegt ihre Bildung wie die aller Wörter auch bestimmten Normen, Gesetzen. So unterscheidet man zum Beispiel zwischen zusammengesetzten und abgeleiteten Namen 1 . Ein Name wie Frankfurt besteht aus zwei Bestandteilen : dem Volksnamen der Franken und dem Appellativum Furt. Diese beiden Wörter sind zu einem neuen Wort, dem Namen Frankfurt, vereint, zusammengesetzt. So gebildete Namen nennt man daher zusammengesetzte. Anders verhält es sich z. B. bei Rathenow. Dieser Ortsname enthält den altpolabischen Personennamen Raten, an den noch das Element -ov- gefügt wurde. Dieses Element hat für sich allein genommen keine Bedeutung, es ist ein Suffix, das an Wortstämme angehängt werden kann und diesen dann allerdings eine neue Bedeutung verleiht. Man nennt die mit Suffixen gebildeten Namen abgeleitete Namen. Der slawische (altpolabische) Name Rathenow bedeutet 'Ort des Raten'. Damit ist zugleich ein wesentlicher Unterschied in der Bildungsweise slawischer und deutscher Namen angedeutet: die deutschen sind meist zusammengesetzt, die slawischen meist abgeleitet. Es gibt aber auch viele abgeleitete deutsche (Sigmaringen, Tübingen usw.) und zusammengesetzte slawische (Stargard, Leningrad usw.) Namen. Bei den zusammengesetzten Namen unterscheidet man noch eine besondere Gruppe, nämlich Namen, die durch Zusammenrückung entstanden sind. Man gründete z. B. einen Ort am Fuße einer alten Burg, ohne ihm gleich einen Namen zu geben. Die Menschen gewöhnten sich daran, vom Dorf oder von der Stadt „an der alten Burg" zu sprechen. Allmählich rückten die beiden Wörter alten und Burg so fest aneinander, daß sie ein neues Wort, genauer einen Namen ergaben 1
Vgl. S. Rospond, Klasyfikacja s t r u k t u r a l n o - g r a m a t y e z n a n a z w geograficznych, Wroclaw 1957.
slowianskich
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(Altenburg). Die Zusammenrückung spielte bei der Bildung deutscher Namen eine wichtige Rolle (Namen wie Altenberg, Neuenhoven, Mohorn1) und führte dazu, daß nach ihrem Voibild von vornherein Namen gebildet wurden, die wie eine Zusammenrückung aussehen (zahlreiche Neuendorf, Hohendorf usw.). Es kam oft vor, daß Namen auch noch auf eine andere Art entstanden: Man nannte jemanden Müller, Fischer, Bauch, Lang usw. nach dem Beruf oder dem Aussehen. Solche Bezeichnungen wurden zu Beinamen, dann erblich und so zu Familiennamen, ohne daß ein zusätzliches Element (ein zweites Wort oder ein Suffix) in Erscheinung trat. Derartige Namen nennt man einfache Namen. Sie kommen auch bei Ortsnamen vor (z. B. Burg bei Magdeburg). Man kann die oben genannten Namen auch alle unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten, indem man nämlich nach der Zahl der in ihnen enthaltenen Wortstämme fragt. Dementsprechend wiid man sagen können, daß die oben genannten Namen entweder ein- oder zweistämmig sind (einstämmig: Rathenow, Burg, Müller, Fischer, Lang, Bauch; zweistämmig: Frankfurt, Altenburg). Es gibt auch Namen mit drei oder noch mehr Stämmen, doch kommen sie veihältnismäßig selten vor (Personenname Thudichum, Ortsnamen Siehdichum, Karl-Marx-Stadt). Zu einer besonderen Gruppe der zweistämmigen Namen müssen wir hier noch einige Ausführungen anschließen: ein Name wie Siegfried enthält z. B. die Wörter Sieg und Friede, wie man auf den ersten Blick sieht. Die meisten unserer Vornamen sind auf die gleiche Weise zweistämmig : Wilhelm, Konrad, Günther, Hildegard, Brunhild, Gudrun usw. Diese zweistämmigen Vornamen nennt man auch Vollnamen. Man nimmt an, daß das System der Vollnamen bereits im Indogermanischen ausgebildet war. 2 Jedenfalls findet man sie auch im Griechischen, in allen germanischen und slawischen sowie anderen Sprachen. Es ist vielfach üblich, die Bedeutung der beiden Wortstämme zu einer neuen, einheitlichen Bedeutung zusammenzufassen und beispielsweise zu sagen, der Name Siegfried bedeute 'siegreicher Schützer' oder 'der durch den Sieg Frieden biingt'. Derartige Spekulationen mögen manchmal zutreffen, sollten aber grundsätzlich vermieden werden. I n der Namenforschung ist es nicht ohne Grund üblich, nur die beiden Bestandteile 1
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E n t s t a n d e n aus ze dem(e) ahorn(e), vgl. W . Fleischer, N a m e n u n d Mundart i m R a u m v o n Dresden I. Berlin 1961, S. 75. Vgl. A . B a c h , D e u t s c h e N a m e n k u n d e , B d . 1, Teil 1, Heidelberg 1953, S. 8 0 f . ; M. Gottschald, D e u t s c h e N a m e n k u n d e , 3. Aufl., Berlin 1954, S. 2 6 f f . ; W . Fleischer, Die deutschen Personennamen, 2. Aufl., Berlin 1968, S. 16ff.
der Vollnamen zu identifizieren und auf die zusammenfassende Bedeutung des ganzen Namens zu verzichten. Auch ist zu bedenken, daß einzelne Wörter früher eine andere Bedeutung hatten als heute (Friede bedeutete z. B . auch 'Schutz, Sicherheit, Einfriedung'). Die beiden Glieder eines Vollnamens konnten auch einfach schematisch zusammengefügt werden, ohne daß der Name einen Sinn erhielt, vgl. Gunthild 'Kampf — Kampf'. — I m alltäglichen Verkehr sind die Vollnamen oft zu lang oder zu unpersönlich. Deshalb kam es frühzeitig zur Bildung von Kosenamen (Willi, Peterle, Oüntherli, Hildchen, Bruni usw.). Man nennt die Kosenamen auch Kurznamen, doch trifft dieser Ausdruck, streng genommen, nur auf diejenigen Kosenamen zu, die kürzer sind als die Vollnamen. Abweichend von der Bildung der übrigen Personennamen und der Ortsnamen herrscht bei den Kosenamen die Bildung mittels Suffixen (oben: -i, -le, -Ii, -cheri) vor, was damit zusammenhängt, daß die Kosenamen besonders gefühlsbetont sind und dies kurz am besten durch bestimmte Suffixe ausgedrückt wird. Zur Bildung der Kosenamen verwendet man gern deminutivische Suffixe (im Deutschen -chen, -lein, -le u. a.), also Suffixe, die eine Verkleinerung ausdrücken. Wie man z. B . Tierchen und Hündchen sagt und damit ein kleines Tier oder einen kleinen Hund meint, so drücken Namen wie Hildchen, Mariechen, Fritzchen neben aller Gefühlsbetonung ursprünglich auch so viel aus wie 'kleine Hilde, Marie, kleiner Fritz'. Derartige Bildungen nennt man deminutivische Namen. Sie kommen auch bei Ortsnamen vor (Berlinchen bei Groß-Berlin Kr. Wittstock ist das 'kleine Berlin' und russisch Donez [Flußname] der 'kleine Don'). Wir wollen noch einige Namen betrachten, die eine besondere Bildungsart aufweisen. Relativ häufig sind Namen, die durch das Herausgieifen eines oder mehrerer Bestandteile eines oder mehrerer Wörter (Namen) entstanden sind, z. B. Hajo für Hans Joachim, Benelux für Belgique, Nederland, Luxembourg. Diese Abkürzungsnamen kommen bei Künstlernamen sowie bei Namen von Parteien und Staaten besonders oft vor (SED, CDU, NDPD, LDPD, DDE, UdSSR, USA usw.). Eine besondere Art der Abkürzung stellen die Klammernamen dar. Bei ihnen handelt es sich ursprünglich um dreistämmige Namen, in denen das mittlere Glied ausgestoßen wurde (Salzburg aus Salzachburg, vgl. Kirschblüte aus Kirschbaumblüte u. ä.). Den Klammernamen, die zu den unten genannten elliptischen Namen gehören, stehen die durch Zusammenziehung entstandenen Namen nahe. Bei ihnen wurden aus dem Inneren des Namens einzelne Laute ausgestoßen, ohne Rücksicht darauf, ob davon ein oder mehrere Stämme betroffen wurden: Alf (aus Adolf), Dirk (aus Diderik) usw. 29
Einen interessanten Typ stellen die sogenannten elliptischen Namen dar. Es sind dies Namen, die um einen Bestandteil gekürzt sind (vgl. oben die Klammernamen). Der Familienname Peters ist z. B. aus 'Peters Sohn' entstanden. I m Laufe der Zeit hielt man 'Sohn' für überflüssig und sagte nur noch Peters. Nach diesem Muster entstanden dann andere Namen wie Steffens, Mertens, Pauli, Schmidts (auch Schmitz). In den genannten Beispielen blieb immer der Genitiv der Personennamen Peter, Steffen, Merten, Paul und Schmidt erhalten. Man nennt diese und ähnliche Namen daher auch genitivische Namen. Die elliptischen Namen spielen in der slawischen Ortsnamengebung eine besonders große Rolle (vgl. I I I . 2b). Das Streben nach Kürze wirkt sich auch in den Lallnamen aus. Es sind dies Namenformen, die beim Sprechen der kleinen Kinder, aber auch der Mütter und anderer im kosenden Umgang mit ihnen entstehen, z. B . Meta für Margareta, Peppi für Seppi (Josef), englisch Bob(by) für Robert. Bei den im vorigen Abschnitt genannten Namen kam, wenn auch auf verschiedene Weise, ein Streben nach Kürzung zur Geltung. Dieses Streben wirkt aber nicht immer und überall. Es gibt auch Namen, die im Gegenteil lang sind, wobei allerdings zu bemerken ist, daß es sich oft um amtlich verliehene Namen handelt. Zu diesen Namen kann man die zweigliedrigen Namen (Doppelnamen wie Karl-Heinz, Meyer-Lübke, Ribnitz-Damgarten, aber auch Namen wie Groß-Berlin, Schwarzes Meer), die dreigliedrigen Namen (Karl-Marx-Stadt, Leunawerke Walter Ulbricht), die viergliedrigen Namen (Wilhelm-Pieck-Stadt Guben, JohannSebastian-Bach-Straße [in Gieifswald]) usw. zählen. Aber auch die Satznamen gehören dazu. Diese sind durch Zusammenrückung aus Sätzen oder Satzteilen entstanden. Zu ihnen gehören die Imperativ- oder Befehlsnamen (Personennamen wie Thudichum, Bleibtreu, Ortsnamen wie Siehdichum) und die Redensartnamen, die aus Redensarten entstanden sind, die manche Menschen verwendeten (Dieweilichleb, Gottbewahr, Lohndirgott). Hier soll noch auf ein Problem hingewiesen werden. Wenn man z. B . von deutschen, slawischen, keltischen, romanischen Namen usw. in Deutschland spricht, dann ist das eigentlich nicht ganz genau. Im Grunde genommen sind nämlich alle diese Namen deutsch, aber manche sind aus slawischen, andere aus keltischen, romanischen Sprachen usw. übernommen, entlehnt. Man muß daher zwischen heimischen Namen und Lehnnamen unterscheiden. Bei uns sind die deutschen Namen heimisch, die anderen sind, streng genommen, deutsche Namen slawischer, romanischer, keltischer Herkunft usw. Entsprechendes gilt in anderen Sprachen. Dennoch sollte man den kürzeren Sprachgebrauch beibe-
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halten, weil er „ökonomischer" ist, und etwa von slawischen Namen in der DDR sprechen, wenn man Namen slawischer Herkunft meint. Nun gibt es aber Namen, bei denen eine Unterscheidung zwischen deutschen und slawischen Namen in diesem Sinne nicht möglich ist, weil sie aus zwei Elementen bestehen, von denen eines der Herkunft nach deutsch und das andere slawisch ist: Teschenhagen Kr. Stralsund (polabischer Personenname *Tesek und mittelniederdeutsch hagen), Clementelvitz Kr. Rügen (Personenname Clemens und das altpolabische Patronymikalsuffix -ovici). Namen dieser Art, man nennt sie Mischnamen, kommen in der D D R recht häufig vor. 1
3.
Namen und Ideologien
Wie im appellativischen Wortschatz, so spiegeln sich auch in den Eigennamen gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungstendenzen wider. Hier wie dort geschieht dies jedoch nicht gleichartig im gesamten Wort- oder Namenbestand, sondern in bestimmten Abstufungen. Das hängt einerseits damit zusammen, daß sich diese Veränderungen in jeweils verschiedenen Bereichen der objektiven Wirklichkeit vollziehen, die von den entsprechenden Namenklassen und Namenarten erfaßt werden. Andererseits tritt infolge der Symbol- und Signalfunktion der sprachlichen Zeichen bei den Namen neben den traditionellen auch der aktuelle Aspekt. Namen sind deshalb nicht nur als Ergebnis einer mehr oder weniger langen spiachgeschichtlichen und onomastischen Entwicklung zu betrachten und zu interpretieren, sondern auch als Funktionsträger mit einem akuellen Zeitwert. Dadurch ist zugleich bedingt, daß es im Namenschatz ständig neu entstehendes bzw. sich veränderndes Sprachmaterial gibt. Zwar vollziehen sich diese Veränderungen meist in anderen Bahnen als beim appellativischen Wortschatz, weil es sich hier um unterschiedliche Benennungsebenen handelt; jedoch unterliegen auch die Namen Veränderungen, die mit ihrer Funktion als sprachliches Kommunikationsmittel zusammenhängen. So gibt es einen Bestand an Namen mit gesetzlich festgelegter Form, bei dem verhältnismäßig wenige Veränderungen auftreten: die allgemeingebräuchlichen, in ihrer modernen Schriftform durch gesellschaft1
Zu den in diesem Kapitel behandelten und anderen Fachausdrücken der Namenkunde vgl. T. Witkowski, Grundbegriffe der Namenkunde, Berlin 1964.
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liehe Konvention und häufigen gesellschaftlichen Gebrauch anerkannten und registrierten Ortsnamen (Siedlungsnamen) und die in amtlichen Unterlagen mit Gesetzescharakter festgehaltenen Familiennamen. Bei den Ortsnamen können Veränderungen eintreten durch territoriale Neugliederungen und durch — oft ehrende, oft unterscheidende — Neuund Zusatzbenennungen. Bei den Familiennamen trat früher normalerweise für die Frau dann eine Veränderung ein, wenn sie heiratete. Durch die sozialistische Gesetzgebung ist es nun in der DDR auch möglich, daß die Frau ihren ursprünglichen Familiennamen während der Ehe fortführt, wenn der Mann den Namen der Frau annimmt. — Nur in geringem Maße werden auch die Fluß- und Gebirgsnamen sowie Namen markanter Erhebungen in neuerer Zeit verändert. Mit ihnen in unmittelbarem Zusammenhang stehen die Flurnamen, die seit eh und je in starkem Maße Veränderunger unterlagen, vor allem wenn sie auf bestimmten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen bzw. besitzrechtlichen Voraussetzungen beruhten oder beruhen, das heißt sich als eindeutig gesellschaftlich bestimmt (determiniert) erweisen. Dies wird besonders deutlich bei den sich gegenwärtig in der D D R vollziehenden großen wirtschaftlich-technischen und gesellschaftlichen Veränderungen in der Landwirtschaft. Die Namengeber folgen damit modernen gesellschaftlichen Bedürfnissen und .erneuern einen Teil des Namenbestandes entsprechend den hochsprachlichen Normen. An der Namengebung wie am Namengebrauch werden also außersprachliche, politisch-gesellschaftlich bedingte progressive oder negative Motive und Absichten erkennbar. Beispielsweise ignoriert man im westdeutschen Sprachgebrauch bewußt die Um- oder Neubenennungen im Räume der D D R (z. B. Karl-Marx-Stadt, Wilhelm-Pieck-Stadt Guben) und bezeichnet Orte aus Gebieten, die heute auf Grund internationaler Abmachungen zu anderen Ländern bzw. staatlichen Territorien gehören, beharrlich mit ihren alten Namen: Königsberg steht statt Kaliningrad, Breslau statt Wroclaw, Eger statt Cheb (vgl. I I I . 4b). Zum Teil werden sogar Namen beibehalten, die erst durch die unrechtmäßigen, gewaltsamen Gebietsveränderungen während des Nazireiches zu geographisch-politischen Größen geworden sind, z. B. das Sudetenland. Mit diesem Namengebrauch sind Gebietsansprüche seitens des Bonner Staates verbunden, in diesem politischen Akzent dokumentiert sich ein deutlicher Namenmißbrauch. Im allgemeinen stehen landeseigene und eingedeutschte Gestalt eines weit verbreiteten Namens in der geographischen Nomenklatur gleichwertig nebeneinander, wie z. B . Praha und Prag, Kebenhavn und Kopenhagen, Warszawa und Warschau. Sofern sich solche Formen geogra32
phischer Namen im Laufe der Zeit im allgemeinen Sprachgebrauch fest eingebürgert haben und ohne vorder- bzw. hintergründige nationalistische oder revanchistische Absichten gebraucht werden, ist dagegen nichts einzuwenden. Denn wir sprechen ja ebenso von Straßburg, Mailand und Florenz (statt Strasbourg, Milano, Firenze), von den Wald-, Ost- und Südkarpaten, den Beskiden, der Tatra, dem Riesengebirge, dem Altvatergebirge und den Sudeten, auch von den Flüssen Weichsel, Moldau, Theiß und den Seen Plattensee, Kaspisches Meer usw. Bei den Siedlungsnamen dagegen werden meist nur die Namen der Hauptstädte in dieser deutschen Form gebraucht, während die Namen der kleineren Städte und übrigen Großstädte größtenteils in einer der Landessprache ähnlichen oder mit dieser identischen Form gebraucht werden. Eingedeutschte Formen wie Mailand, Neapel, Venedig, Florenz u. a., die sich vor allem für italienische Städte finden, sind im wesentlichen durch sehr alte Kultur- und Handelsbeziehungen bedingt. Da in diesen Fällen keine Gebietsforderungen und Herrschaftsansprüche mit dem Namengebrauch verknüpft sind, kann man beim Gebrauch solcher Namenformen auch nicht von einer politischen Tendenz sprechen. Etwas anderes ist es jedoch, wenn in Westdeutschland auf Karten und in Lehrbüchern Namen wie Reichshof statt Rzeszöw oder Hindenburg statt Zabrze erscheinen und gleichzeitig die sogenannten 'Landsmannschaften' mit politisch akzentuierten Benennungen wie 'sudetendeutsch', 'schlesisch', 'mitteldeutsch' usw. geduldet und gefördert werden. Es sei noch einmal wiederholt: politisch verwerflichen Zielen dient der Namengebrauch erst dann, wenn die Benutzung ehemaliger Namenformen Bestandteil eines Systems zur Verwirklichung von volksfeindlichen und friedensgefährdenden Absichten im Sinne der politischen Reaktion wird. Durch Namen können Ressentiments und Gefühle wie Haß, Liebe, Zustimmung oder Ablehnung geweckt und genährt werden. Während in der sozialistischen Namengebung der DDR die fortschrittlichen Traditionen des deutschen Volkes bewahrt und weiterentwickelt werden, hält man in Westdeutschland an einer gezielten Art der Namengebung bzw. des Namengebrauchs und an Traditionen fest, auf die das deutsche Volk nicht stolz sein kann. So sind in einem bestimmten Teil des offiziellen Namengutes in Westdeutschland — der dortigen rückständigen Gesellschaftsverfassung entsprechend — restaurative und reaktionäre Züge festzustellen. Außer der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt /Main tragen beispielsweise noch immer fast alle anderen Universitäten Westdeutschlands die Namen früherer Landesfürsten: Wilhelms-Universität in Münster, Georg-August-Universität in Göttin3
Namenforschung
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gen, Ruprecht-Karl-Universität in Heidelberg, Philipps-Universität in Marburg, Friedrich-Wilhelm-Universität in Bonn usw. Man vergleiche die Namen der Universitäten in der DDR: Humboldt- Universität Berlin, Karl-Marx- E7m»em'£äi Leipzig, Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg, Ernst-Moritz-Arndt- Universität Greifswald, Friedrich-Schiller- Universität Jena. Die Namen der ehemaligen Landesfürsten und Monarchen werden auch in den Namen von Schulen tradiert. Allein in München gibt es sieben Gymnasien, die solche Namen führen: Karls-, Ludwigs-, Maximilians-, Wilhelms-, Luitpold-, Ruprecht- und Wittelsbacher Gymnasium. In Köln gesellen sich diesen die Kaiserin-Augusta- und die KöniginLuise-Schule hinzu. Sehr zahlreich sind in Westdeutschland Namen, die Vertreter des deutschen Militarismus verherrlichen, z. B. die Straßennamen Boelckestr., Graf-Spee-Str., Hindenburgstr., Mackensenstr., Manteuffelstr., Moltkestr., Manfred-von-Richthofen-Str., Roonstr., von-Seeckt-Str., AdmiralScheer-Str. Dasselbe trifft auch für die Namen sehr vieler Kasernen zu, die nicht nur nach „Helden" des Ersten Weltkrieges wie Boelcke oder Richthofen benannt sind. Hier spielen die von den Nazis hochdekorierten Mölders, Prien, Rudel, Rommel oder Dietl und sogar Kriegsverbrecher wie Dönitz und Raeder eine ebenso große Rolle. Angesichts dieser bei den Kasernennamen vorherrschenden Tendenz wirkt ein vereinzelter Name wie Stauffenberg-Kaserne geradezu wie Hohn. Auch an die ehemaligen deutschen Kolonien wird vielerorts ganz bewußt erinnert. Davon zeugen Namen wie Kameruner Str., Ostafrikastr., Samoastr., Swakopmünder Str., Tögo-Str., Tsingtauer Str., Windhukstr. neben Karl-Peters-Platz und Lettow-Vorbeck-Str. Allerorts findet man in Westdeutschland auch Straßennamen nach Landschaften oder Orten in ehemals deutschen Gebieten, die seit 1945 zu anderen Staaten gehören.1 Hier ist allerdings zu scheiden zwischen Straßen, hauptsächlich in Großstädten, die schon vor 1945 diese Namen trugen, und Neubenennungen nach 1945 mit betont politischer Zielsetzung wie Breslauer Straße usw. Diese Zielsetzung ersieht man auch häufig aus den Erklärungen auf den Straßenschildern und in den Adreßbüchern, wo stets an den Nameninhalt erinnert wird, oft mit dem Zusatz „in Erinnerung an". Im Bereich der Namen handelt es sich also in diesen Fällen um eine gezielte Bewußtseinslenkung, um eine Manipulation mittels Namen. Diese 1
Vgl. J . Schultheis, H . Walther, Kritisches zur Straßennamengebung in Westdeutschland, in: Informationen der Leipziger namenkundlichen Arbeitsgruppe Nr. 11, 1968, S. 7 - 9 .
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Feststellung verliert auch nicht an Bedeutung, wenn man dem entgegenhielte, daß es in Trier eine Karl-Marx-Straße und andernorts eine Käthe-Kollwitz- und eine Oeschwister-Scholl-Schule gibt. Diese Namengebungen gehen auf die Zeit unmittelbar nach 1945 zurück, in der auch in Westdeutschland fortschrittliche Kräfte noch einen gewissen Einfluß ausüben konnten. Aus all dem geht sehr deutlich hervor, daß die herrschenden Kreise in Westdeutschland vor allem diejenigen Namenklassen bzw. -arten für ihre Zwecke ausnützen, die lange im Gedächtnis haften bleiben, weil sie eine hohe Gebrauchsquote besitzen. Es ist, insgesamt gesehen, also tatsächlich ein politisch-ideologisches System, das uns hier mit seinen Bestrebungen deutlich auch auf namenkundlichem Gebiet entgegentritt. I n jüngster Zeit erheben sich hier und da jedoch auch Stimmen, die sich für Namenkorrekturen aussprechen. So forderten im April 1968 mehrere Stuttgarter Organisationen vom Oberbürgermeister der Stadt, die Adenauerstr. in Martin-Luther-King-Str. umzubenennen. 1 I n diesem Zusammenhang sei lediglich darauf verwiesen, daß auch in anderen historischen Epochen gesellschaftliche Prozesse einschließlich der mit ihnen verknüpften ideologischen Erscheinungen im Namengut ihren Niederschlag fanden. So läßt sich beispielsweise auch die Namengebung des Adels für seine Herrensitze, Familien usw. während des Feudalzeitalters in diesem Sinne als ideologisch markiert bezeichnen (Prunknamen, Repräsentativnamen, 'Herrennamen' usw.). Nur kurz erwähnt sei die Namenpolitik in der Zeit des Hitlerfaschismus, die charakterisiert war durch eine bewußte Deutsch- und Volkstümelei in der Rufnamenwahl und Versuche und Maßnahmen zur Ausmerzung von Ortsnamen slawischer Herkunft in den östlichen Gebieten des damaligen Deutschlands. 2 I n der D D R hat die gesellschaftlich-politische Entwicklung ebenfalls ihren Niederschlag im Namenschatz gefunden. Man denke an die Ernst-Thälmann-Straßen \md-Plätze, àie Karl-Marx-, Friedrich-Engels-, Clara-Zetkin-, Käthe-Kollwitz-, Karl-Liebknecht- und Rosa-Luxemburg Straßen, die es fast in jeder Stadt gibt und die das Andenken an bedeu1 Junge Welt v o m 11.4. 1968, S. 2. H. Herz, Faschistische Pläne zur Ausrottung slawischer Ortsnamen i m Landkreis Altenburg, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte I, 1965, S. 81 bis 88; K. Fiedor, Walka z nazewnictwem polskim na Sl^sku w okresie hitlerowskim (1933—1939) [Der Kampf gegen das polnische Namengut in Schlesien während der Hitlerzeit]. Wroclaw-Warszawa-Kraków 1966. — Enthält viele Dokumente in deutscher Sprache.
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tende fortschrittliche Persönlichkeiten der deutschen Geschichte bzw. der deutschen Arbeiterbewegung ehren. In den Straßennamen wird auch den toten Helden der örtlichen Arbeiterbewegung oft eine ehrende Erinnerung zuteil. Es gibt ganze Neubauviertel, die in ähnlicher Weise benannt sind. Zum Teil wird die Freundschaft zur Sowjetunion betont, wie etwa im Raumfahrtviertel in Zwickau mit dem Sputnik-, dem Wostokweg usw. Ähnliche Tendenzen weisen die Namen der Schulen in der DDR auf: Karl Marx, Friedrich Engels, Käthe Kollwitz und bedeutende Persönlichkeiten der Gegenwart wie Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck, Otto Orotewohl werden ebenso geehrt wie die fortschrittlichen Pädagogen Diesterweg und Hildebrandt und aufrechte Antifaschisten wie Emst Schneller, die Geschwister Scholl usw. Ähnliche Namen finden wir — neben den sonst noch üblichen Benennungen nach Städten — auch bei den Schiffsnamen: Fritz Heckert, Völkerfreundschaft usw. Man wird in den hier genannten Bereichen in der DDR vergeblich nach der Verherrlichung falschen Heldentums und der Propagierung fortschrittsund friedensfeindlicher Ideen suchen. Besonders ausgeprägt ist die politische Namengebung in denjenigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen, die unmittelbar mit der sozialistischen Entwicklung in Zusammenhang stehen. So bildeten sich bei der sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft völlig neuartige Namen für die genossenschaftlichen Vereinigungen heraus, die zum Symbol für die veränderte Einstellung der Menschen wurden: Einigkeit, Frohe Zukunft, Freundschaft, Fortschritt usw. Aber auch hier wählte man zum Teil Namen aus, die das ehrende Gedenken an große Vorbilder bewahren: Florian Geyer, Thomas Müntzer, Karl Marx, Friedrich Engels, Ernst Thdlmann usw. Diese Namen finden wir vor allem in den Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom Typ III, bei denen die sozialistische Entwicklung am weitesten vorangeschritten ist. Bei den Genossenschaften vom Typ I herrschen dagegen die auf Orts- und Flurnamen zurückgehenden Namen stark vor, z. B. Neuprägungen auf -tal, -aue und mit dem Adjektiv grün. Umfangreiche Untersuchungen dieses Namengutes in vier südlichen Bezirken der DDR haben ein in den Grundtendenzen übereinstimmendes Bild ergeben. 1 Es ist also ganz offensichtlich, daß die Art der Namengebung zugleich auch den Stand der Bewußtseinsentwicklung erkennen läßt. 1
H. Naumann, Namen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften im Bezirk Leipzig, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Rostock, Math.-Nat. Reihe 12, 1963, S. 3 4 9 - 3 5 6 ; vgl. außerdem Zwickauer Staatsexamensarbeiten von G. Kursawe (1967, Bezirk Suhl), E. Häntsch (1969, Bezirk Halle), B. Bräuer, D. Diener (1969, Bezirk
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Daß dabei im Typ I bereits vorhandenes Namengut produktiv weiterentwickelt wird, sei nur am Rande vermerkt. Daneben gibt es die in ihrer Produktionsweise meist nicht ganz so eng im Arbeitsprozeß miteinander verbundenen Produktionsgenossenschaften des Handwerks und die Gärtnerischen Produktionsgenossenschaften. Auch hier spielt die symbolhafte Benennung eine Rolle (Fortschritt, Empor, 1. Mai, Roter Stern, Thomas Müntzer usw.). Ein weiterer Bereich der betont politischen Namengebung sind schließlich auch die Brigadenamen in der volkseigenen Industrie sowie die Namen der Kollektive der sozialistischen Arbeit. Hier stehen neben den Namen fortschrittlicher Persönlichkeiten aus Vergangenheit und Gegenwart wiederum bestimmte Symbole der sozialistischen Menschengemeinschaft im Mittelpunkt (Frieden, Freundschaft usw.). Damit ist der Gesamtkomplex der Namen, die eine ideologische Markierung erhalten können, noch nicht erschöpft. Denken wir z. B. nur an die Benennungen der Garten-, Tierzucht- oder Sportvereine und der vielen anderen Vereine in früherer und jetziger Zeit. Sehr wirksam ist der bewußte Namengebrauch auch in der politischen Satire, wie zahllose Beispiele aus satirischen Zeitschriften, etwa dem „Eulenspiegel", zeigen. Mit diesen kurzen Bemerkungen wollten wir darauf aufmerksam machen, wie Eigennamen — neben Appellativen — oft auch als Träger eines ideologisch-politischen Moments benutzt werden, wie mit dem häufigen Gebrauch solch „ideologisch akzentuierter" Namen eine bestimmte Blickrichtung oder Betrachtungsweise vermittelt, eine Bewußtseinssteuerung erzielt werden kann. Dies geht nicht zu Lasten der Sprache, sondern der Sprecher, hier der Namengeber und Namenbenutzer, die die Sprache ihren außersprachlichen Zwecken dienstbar machen können und machen. Wir fühlen uns verpflichtet, auf diesen Tatbestand nachdrücklichst hinzuweisen, weil die Mehrzahl der Menschen die Sprache gewöhnlich ohne tiefere Überlegung gebraucht und somit den Methoden der Manipulierung ihres Denkens mit Hilfe der Sprache — wie sie weithin z. B. in Westdeutschland gehandhabt werden — nur zu leicht zum Opfer fällt. Karl-Marx-Stadt) sowie H. Naumann, Zur Einbeziehung der Studenten in die Namenforschung, in: Wissenschaftliche Zeitschrift des Pädagogischen Instituts Zwickau 3, 1967, Heft 1, S. 4 2 - 5 9 .
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II.
Aufgaben und Ziele der Namenforschung
1.
Zur Geschichte der Namenforschung
Die Geschichte der Erforschung der Eigennamen ist im wesentlichen ein Stück Geschichte der allgemeinen Sprachwissenschaft. Diese verdankt ihre ersten grundlegenden Erkenntnisse den indischen Grammatikern und den griechischen Philosophen. Schon ihnen galt die Frage nach der „Bedeutung" der Namen (Appellativa und Eigennamen), nach ihrem Wortsinn und Wortkörper, nach ihrem Woher, als die wichtigste. Demgemäß war auch der antiken Poesie die Verwendung sogenannter „sprechender Namen" bereits ein vertrautes Stilmittel. Die vorwiegend praktischen politischen Notwendigkeiten und Bedürfnisse der Verwaltung des großen Römischen Weltreiches veranlaßten dann in den Jahrhunderten um die Zeitenwende Historiker und Ethnographen (Stammeskundler) wie Caesar, Tacitus, Pliniusd. Ä., Ptolemäus, Strabo u. a., die Namen von Städten, Dörfern, Ländern, Fernstraßen, Gebirgen, Völkerschaften, Stämmen, führenden Personen, Geschlechtern usw. im Zusammenhang mit Schilderungen der Zustände aufzuschreiben. Auf diese Weise sollte die Kenntnis der Verhältnisse in den einzelnen Reichsteilen und jenseits der Grenzen Verwaltungsbeamten, Heerführern, Politikern, Händlern und Forschungsreisenden vermittelt werden. Ähnlich war es noch zu Zeiten des frühfeudalen fränkischen Großstaates, als die christlichen Missionare unter den noch heidnischen Stämmen Bekehrungsarbeit leisten sollten. Mancher dieser antiken und frühmittelalterlichen Autoren versuchte entsprechend seinen Sprachkenntnissen hin und wieder auch eine „Erklärung" einzelner Namen mit zu liefern. Diesen beschreibenden Darstellungen verdankt die heutige Forschung vielfach überhaupt die Kenntnis älterer Namen und ethnographischer Verhältnisse der Frühzeit. Auch die dem Studium der klassischen Sprachen und der nationalen Geschichte ihrer Völker zugewandten Humanisten des 15./16. Jahrhunderts führte ihr Bemühen, die Antike und die eigene nationale Vergangenheit wiederzubeleben, zu einem solchen gelegentlichen Deuten und Erklären von Namen. Unter ihnen ragt der Bayer Johannes Turmair, 38
bekannter unter seinem Humanistennamen Aventinus, mit seiner Schrift von 1566 „Die alten teutschen Namen und ihr Auslegung" (zuvor schon 1533 lateinisch: „Nomenclatura quorundam propriorum Germanorum nominum") besonders hervor. Einen großen allgemeinen Aufschwung brachte der Wissenschaft die Epoche der europäischen Aufklärung, ihre Erben wurden die Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts. Bereits G. W. Leibniz bekundete sein Interesse an den Eigennamen, doch widmete er sein Denken mehr der Philosophie und der Mathematik. Das für eine befriedigende Interpretation der Eigennamen notwendige verfeinerte sprachwissenschaftliche, insbesondere sprachgeschichtliche Rüstzeug entwickelte dann die historisch-vergleichend orientierte Sprachwissenschaft (Indogermanistik) des 19. Jahrhunderts. Bis dahin kann im allgemeinen nur von einer „vorwissenschaftlichen" Namenforschung gesprochen werden, die sich in z. T. haltlosen Spielereien und Phantastereien über die Herkunft und Bedeutung einzelner Namen erging und mit ihrer anfechtbaren Weise der Namendeutung leider dafür sorgte, daß an der Namenforschung lange Zeit ein Odium der Willkür und Spekulation haften blieb. Leider glauben ja teilweise auch heute noch Dilettanten, in der Namendeutung ein ihren Fähigkeiten angemessenes Betätigungsfeld gefunden zu haben. Der Aufschwung der neueren Sprachwissenschaft, vornehmlich der Indogermanistik, zu Beginn des 19. Jahrhunderts regte zu einer systematischeren, eingehenderen Beschäftigung auch mit dem Namengut der germanischen, romanischen und slawischen Sprachen an. In der Germanistik wurde Jacob Grimm der große Initiator; er ermunterte den Philologen und Bibliothekar Emst Förstemann zu einer ersten großen wissenschaftlichen Namensammlung, die 1854—1859 als „Altdeutsches Namenbuch" (I. Band Personennamen, I I . Band Orts- und sonstige geographische Namen) zum Druck gelangte und teilweise der Forschung noch heute in der später von H. Jellinghaus um 100 Jahre erweiterten Fassung (bis 1200) unentbehrlich ist. Mit seiner Schrift „Die deutschen Ortsnamen" (1863) ist Förstemann auch der Begründer einer systematischen deutschen Ortsnamenkunde geworden. Seit J . Grimm wurde vor allem der unerläßliche Grundsatz jeder Namendeutung beherzigt, jüngere Namenformen stets aus älteren zu erklären. Das Interesse für das Namengut als geschichtliche Quelle erwachte nun auch unter den Historikern, nachdem der Marburger Rechtshistoriker Wilhelm Arnold mit seiner Arbeit „Ansiedlungen und Wanderungen deutscher Stämme, zumeist nach hessischen Ortsnamen" (1875) an die Öffentlichkeit getreten war. Seine etwas verfrühten Verallgemeine39
rungen — und noch mehr die seiner oft unkritischen Nachahmer — brachten jedoch die Namenforschung wieder eine Zeitlang in Mißkredit. Immer stärker erhoben verantwortungsbewußte Gelehrte ihre Stimme mit der Forderung, zunächst erst einmal die gewaltige Fülle des Materials einigermaßen zu bergen, ehe man weiterreichende Schlüsse ziehen könne. Neben den Ortsnamen, d. h. im engeren Sinne Siedlungsnamen, richtete sich das Augenmerk der Forschung nun stärker auch auf andere Namenklassen, so auf die Flurnamen und Gewässernamen; auch die Personennamenforschung erlebte einen sichtbaren Aufschwung. Besondere Verdienste um die deutsche- und speziell die sächsische — Flurnamenforschung erwarb sich seit der Jahrhundertwende der Dresdener Archivar Hans Beschomer. Mit Unterstützung des Gesamtvereins der deutschen Geschichts- und Altertums vereine, der Sächsischen Kommission für Geschichte und des Vereins für Sächsische Volkskunde baute er seit 1903 in Dresden eine umfassende systematische sächsische Flurnamensammlung und eine deutsche Zentralstelle für Flurnamenforschung mit Flurnamenbibliothek auf, die erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges ihre Arbeit einstellte. Im Gegensatz zur Erforschung der deutschen und germanischen Namen, die nunmehr lebhaft in Gang gekommen war, gab es in der Erfassung und Auswertung des slawischen Namengutes im Osten Deutschlands große Rückstände, auch wenn einzelne progressive bürgerliche Gelehrte im Anschluß an Leibniz, der seinen eigenen Namen — nur bedingt richtig — aus dem Slawischen herleitete (er stellt freilich nur einen zum Familiennamen gewordenen ehemals slawischen Ortsnamen dar), ihr Interesse den slawischen Namen zugewandt hatten. Hier sind besonders Johann Leonhard Frisch (1666—1743), Albert Georg von Schwartz (1687-1775) und der Sorabist Abraham Frenzel (1656-1740) zu nennen. Auch der Historiker Johann Christian Schöttgen (1687—1751) schenkte den sorbischen Namen bei seinen Studien zur sächsischen Geschichte seine Aufmerksamkeit und stellte Vergleiche mit Namen in noch lebenden slawischen Sprachen an. Als Begründer der neueren Slawistik beflügelte Josef Dobrovsky unter anderem auch die slawistische Namenforschung. Einer der ersten Inhaber des 1849 gegründeten slawistischen Lehrstuhls an der Universität Wien, Franz Miklosich, verfaßte dann seine grundlegenden Schriften über „Die Bildung der slavischen Personennamen und Ortsnamen" (1860—1874), mit denen er die slawische Namenkunde zu wissenschaftlichem Rang erhob. Von ihm spannt sich der Bogen über Forscher wie Gustav Hey, Paul Kühnel und den bekannten Sorabisten Arnost Muka (Ernst Mucke), die ihr 40
ganzes Leben lang der namenkundlichen Forschung verbunden blieben, bis zu den Vertretern der jüngeren Slawistik, zu Reinhold Trautmann und Max Vasmer. In den Jahren 1926 und 1927 bemühten sich auch Landeshistoriker wie Rudolf Kötzschke und Robert Holtzmann durch kurze Übersichten über die Quellen der slawischen Namenforschung in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, diese in den genannten Gebieten zu beflügeln. Doch trugen solche Bemühungen nur sporadischen Charakter: die slawistische Namenforschung fand in der spätbürgerlichen, nationalistisch-imperialistischen Epoche an den deutschen Universitäten und Akademien nicht den ihr zukommenden Platz. Schon gar nicht waren den Hitlerfaschisten slawistische onomastische Untersuchungen, die auf das slawische Erbe hinwiesen und es würdigten, genehm: Trautmanns umfassende Arbeit über die slawischen Ortsnamen Mecklenburgs und Holsteins war 1939 bereits gedruckt, ihr Erscheinen wurde durch einen Erlaß des damaligen Reichsinnenministeriums im letzten Moment verhindert, sie kam auf den berüchtigten Index prohibitorum librorum. Erst 1950 konnte dieses Werk dann in den Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in zweiter Auflage herauskommen. So waren erst nach der Befreiung 1945 die Voraussetzungen für eine objektive und wissenschaftliche Darstellung des Anteils der Slawen an Sprache und Geschichte im heute deutschen Sprachraum, besonders in der Deutschen Demokratischen Republik, gegeben. Der Slawistik der DDR erwuchs daraus die Aufgabe, das slawische Namenmaterial mit modernen Untersuchungsmethoden aufzuarbeiten und gleichzeitig nationalistischen Geschichtsauffassungen, die man oft durch Namen bestätigt sehen wollte, entgegenzutreten. Es galt, die engen Beziehungen zwischen deutschen und slawischen Namen aufzuzeigen und das slawisch-deutsche Zusammenleben in seiner gesellschaftlichen, sozialen Bedingtheit darzustellen. Im Rahmen der sozialistischen Akademie- und Hochschulreform der DDR hat die Namenforschung einen festen Platz erhalten, so daß die Fortführung der bisher großzügig geförderten Forschungen gesichert ist. Auch die deutsche und germanistische Namenforschung war inzwischen methodisch bedeutend weiterentwickelt worden. Eine beachtliche Bilanz dieser Forschung der letzten hundert Jahre konnte 1952—1956 der Germanist Adolf Bach in Gestalt eines fünf bändigen Handbuches („Deutsche Namenkunde", Teil I 1,2 Die deutschen Personennamen, Teil I I 1,2 Die deutschen Ortsnamen, Registerband) ziehen. Mit zahllosen eigenen Beiträgen wegweisender methodischer Art hat Bach 41
darüber hinaus die Namenforschung gefördert. Ihm ging es nicht mehr nur um Namendeutung, sondern um eine Aufbereitung der verschiedenen Namenklassen und Namenarten nach sprachlich-grammatisch-typologischen, lexikalischen, sprachgeschichtlichen, sprachpsychologischen und sprachsoziologischen Gesichtspunkten. In Bachs Werk haben die Erkenntnisse von drei Generationen Namenforschern Aufnahme gefunden.1 In der DDR sah die germanistische Namenforschung ihre aktuellste Aufgabe nach 1945 darin, die Slawistik bei der Erforschung des slawischen Namengutes auf dem Gebiete der DDR nach besten Kräften zu unterstützen, weil dieses Namengut nur von beiden Ausgangspunkten her objektiv erfaßt und erklärt werden kann. Hinzu kam die Mitarbeit und ein verstärktes Interesse der siedlungsgeschichtlichen Forschung, die von der Namenforschung auch Beiträge zur Geschichte des deutschen und sorbischen Volkes erwartet. So bot hier die Gemeinsamkeit von Slawisten, Germanisten und Historikern die Möglichkeit, zu optimalen Forschungsergebnissen zu gelangen. Die führende Schriftenreihe „Deutsch-Slawische Forschungen zur Namenkunde und Siedlungsgeschichte", seit 1956 herausgegeben bei der Historischen Kommission der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, dokumentiert diese Gemeinsamkeit bereits in ihrem Titel. 2.
Namenforschung als Gesellschaftswissenschaft
Die sich auf den historischen und dialektischen Materialismus gründende Namenforschung geht davon aus, daß die Leistung (Funktion) und Wirksamkeit (Effektivität) aller sprachlichen Zeichen, also auch der Eigennamen, grundsätzlich gesellschaftlich bedingt sind, d. h. daß auch die Eigennamen vom jeweiligen gesellschaftlichen Gesamtsystem und dem ihm entsprechenden sprachlichen System bestimmt und geprägt werden. Denn die Natur- und Kulturerscheinungen (Objekte, Prozesse und Zusammenhänge) treten nicht unmittelbar, nicht unvermittelt vor das individuelle menschliche Bewußtsein, sondern nur über die Brücke ihrer sozialen Bedeutsamkeit und Wertigkeit. Demnach ist der soziale Anwendungsbereich der Namen in Familie, Berufsgruppe, Siedlungsgemeinschaft, Landschaft, Stand, Klasse, Staat, Nation usw. von großer Bedeutung für die Namenwahl, die Namen1
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Ihre Leistungen werden bei A. Bach, Deutsche Namenkunde. I 1 § 6 und I I 1 §§ 3 - 8 gewürdigt.
gestalt und den Namengebrauch. Wie alles menschliche Handeln ist auch das Benennen zweckgerichtet, das heißt personen- und sachorientiert, und wird durch Erkenntnisse und Wertungen, durch Motivationen bestimmt, die gesamtgesellschaftlich und sozialgruppenmäßig bedingt sind. Diese Erkenntnis hat in der Sprachwissenschaft unserer Zeit zur stärkeren Beachtung der gesellschaftlichen Voraussetzungen und Bezüge für das Funktionieren von Sprache überhaupt geführt und die entsprechenden Forschungsrichtungen der pragmatischen Linguistik und der Soziolinguistik neben der Psycholinguistik in den Vordergrund gerückt, d. h. die Wissenschaftszweige, die sich mit den Zusammenhängen von Sprache und Gesellschaft in allen ihren Äußerungsformen befassen. Sie widmet sich somit umfassender und tiefgründiger als früher den gesellschaftlichen Wirkungen auf die Sprache, wie sie umgekehrt den Wirkungen der sprachlichen Ausdrucksformen auf die Kommunikationspartner Beachtung schenkt. Die Eigennamen als Sonderbereich der Sprache sind damit ebenfalls stärker als bisher diesen Betrachtungsweisen unterworfen. Die Namenforscher der DDR stehen deshalb zusammen mit den Linguisten der DDR vor der Aufgabe, die pragmatische Onomastik, d. h. im wesentlichen die Sozioonomastik und soziopsychologische Onomastik wissenschaftlich auszubauen, wobei der aktuelle, gegenwärtige (synchronische) Aspekt von besonderer Bedeutung ist, der historische jedoch ständig in ihm einbegriffen (immanent) bleibt. Das bedeutet nicht, daß die von der bisherigen Namenforschung erarbeiteten mehr namengrammatischen und namenlexikalischen u. a. Erkenntnisse und Grundlagen nicht weiterhin von hohem Wert für uns blieben. Sie bilden die Voraussetzung dafür, daß das theoretische Fundament der Namenkunde als Gesellschaftswissenschaft künftig noch stärker entwickelt werden kann. Neben dieser notwendigerweise im Vordergrund stehenden speziell sprachwissenschaftlichen Grundorientierung der Namenkunde hat seit je die sachliche Seite der Eigennamen, haben ihre Bezugsobjekte in der materiellen und geistigen Welt im Zentrum des Interesses der Namenbenutzer und Namengeber gestanden. Eigennamen sind schon immer auch Mittel und Möglichkeiten zur Charakterisierung von Personen, Naturgebilden, Kulturschöpfungen, also geschichtliche Quellen gewesen. Darin lag seit je der besondere Reiz der Namenforschung herauszubekommen, wie ein Gegenstand, eine Person usw. zu einem gerade so oder so gestalteten Namen kam, der von der Gegenwart her gesehen nicht mehr ohne weiteres „verständlich" ist. Es ist bei vielen 43
geistig aufgeschlossenen Menschen also auch ein eminent historisches Interesse gegenüber allen Einzelnamen und auch Namentypen, Namengruppen usw. vorhanden, das dazu führte, daß sich auch viele wissenschaftlich weniger gerüstete Laien zu allen Zeiten mit der „Deutung" von Eigennamen befaßten. Gerade ihre besonders hoch zu bewertende Such- und Sammeltätigkeit liefert oft erst der wissenschaftlichen Namenforschung die notwendigen Materialgrundlagen. Voreilige, ungenügend begründete Namendeutungen sollte der Laie jedoch möglichst vermeiden; selbst versierte und vielbelesene Namenforscher sind gegen Mißgriffe dabei nicht gefeit. Da unser Wissensstoff, vor allem der historisch-gegenständliche, inzwischen ungeheuer angewachsen ist und immer weiter wachsen wird, vermag der einzelne die Sachgebiete, in die die Eigennamen eingreifen, kaum noch zu überschauen und die Tausende von Einzelzeichen (Singulativa), die die Eigennamen (mit ihren Bezugsobjekten) darstellen, richtig in die historisch-gesellschaftlich-sachlichen Zusammenhänge einzuordnen. Aus dieser Sachlage ergibt sich auch für die Namenforschung als „Brückenwissenschaft" die zwingende Notwendigkeit, die Forschung im Kollektiv zu betreiben und die entsprechenden, jeweils sachlich zuständigen Einzelwissenschaften ständig zu konsultieren. Auf diese Weise ist sie dann in der Lage, vornehmlich zur Erweiterung und Abrundung historischer Erkenntnisse beizutragen. Ein dabei bewährtes Verfahren, das die Namenforschung von der Sprachgeographie übernommen hat, ist die Methode der Namengeographie, d. h. das Rückschließen aus der räumlichen Verbreitung von Namentypen auf ihre historische Entstehung und Ausbreitung. Die Ausbreitungsrichtung bzw. -begrenzung von Namentypen liefert dann — in Verbindung mit anderen historischen vergleichbaren Fakten — Möglichkeiten zur Rekonstruktion von Bevölkerungsbewegungen, Siedlungsvorgängen, Kulturströmungen, Sprachströmungen usw. (vgl. II. 3 und III. 3) Nach den genannten und weiteren Gesichtspunkten der wissenschaftlichen Betrachtung von Eigennamen ergibt sich etwa die folgende Aufgliederung unseres Forschungsbereiches und unserer Forschungsaufgaben : I. Die Voraussetzung für eine intensive Erforschung des Namengutes der in unserem Gebiet heute und früher gesprochenen Sprachen bildet eine möglichst umfassende Kenntnis des gegenwärtigen wie des historischen Namenschatzes. Deshalb ist dieses Namengut systematisch zu sammeln und für übergreifende Auswertungen aller Art linguistisch aufzubereiten. Dazu gehört eine gute Quellen- und Sach44
kenntnis wie auch Sprach- bzw. Mundartenkenntnis des Sammlers. Die Erfassung muß sich auf alle Namenklassen und Namenarten (Teilklassen) wie auch auf Namen erstrecken, die nicht vollen Eigennamencharakter tragen bzw. mehr am Bande des onomastischen Bereiches liegen. I I . Die Namenkunde bedarf zur Bewältigung ihrer speziellen Aufgaben einer ausgebauten, sprach- und gesellschaftswissenschaftlich fundierten Theorie. In diesem Zusammenhang untersucht sie 1. auf allgemein-linguistischer Grundlage die eigentlich sprachlichen Charakteristika der Eigennamen, ihre Formenvielfalt und Wirklichkeitswiderspiegelung im Bereiche der Namenbedeutung, der Namenbildung, der Typenbildung und des Satzzusammenhanges; ferner die Erscheinungen des zwischensprachlichen Namenaustausches (Namenentlehnungen, -Übersetzungen, Teilentlehnungen usw.), die zeitliche Schichtung und räumliche Verbreitung von Eigennamen und Eigennamentypen (Namenchronologie,- stratigraphie und -geographie u. a.) 2. auf gesellschaftswissenschaftlich-pragmatischer Grundlage den unterschiedlichen Namengebrauch in den verschiedenen Kommunikationssituationen und -Sphären ( = Namenpragmatik, Namenstilistik), innerhalb desselben die soziale Herkunft und soziale Wirkungsweise der verschiedenen Varianten von Eigennamen und Eigennamentypen, berücksichtigt sie die Namengeber, Namenträger, Namenbenutzer ( = Sozioonomastik) und deren Mentalität, Bewußtseinsstand, Motivationen usw. ( = Psychoonomastik) ; 3. auf gesellschaftswissenschaftlich-historischer Grundlage die historisch-geographisch-gesellschaftliche Verankerung der Eigennamen und Eigennamentypen, d. h. die Geschichte der einzelnen Namen und Namentypen in Verbindung mit der Geschichte der Namenträger und Namenbenutzer, den Namenwandel bzw. die Namentradition und ihre historischen Ursachen, u. a. I I I . Zur Selbstverständigung der wissenschaftlichen Namenkunde bedarf diese weiterhin des Ausbaus ihres Begriffsapparates (der Terminologie), ihrer methodischen Grundlagen (Methodologie), einer umfassenden namenkundlichen Dokumentation (Bibliographie), einer zweckentsprechenden äußeren Organisation, einer planmäßigen Nachwuchsgewinnung und -heranbildung und ständig zu vertiefender enger Kontakte mit der Weiterentwicklung der gesellschaftswissenschaftlichen Nachbarsdisziplinen. IV. Von hoher Bedeutung ist die schul- und bildungspraktische Anwendung der namenkundlichen Forschungsergebnisse: neben beacht45
liehen erzieherischen Werten für die Bewußtseinsbildung vor allem der jüngeren Generationen (sozialistisches Heimat- bzw. Geschichtsbewußtsein) wird mit dem Namengut konkretes anschauliches Wissen im Sprach-, Geschichts- und Geographieunterricht vermittelt. Diese Forschungsprofilierung bedarf noch einiger Bemerkungen und Erläuterungen, zumal die bisherige Namenforschung, besonders die dem historischen und dialektischen Materialismus ferner stehende, unseres Erachtens zu prinzipieller Kritik Anlaß gibt. Dies betrifft weniger die Untersuchungs- und Darstellungsmethoden der speziell linguistischen Namenforschung, zu denen in den einzelnen Kapiteln dieses Buches das Notwendigste gesagt wird, als vor allem die historisch gesellschaftliche Ausdeutung und Auswertung der erschlossenen Materialien. Wir beschränken uns dabei auf einige Methoden der pragmatischen Namenkunde. Diese erforscht — wie bereits gesagt — die Beziehungen zwischen den Eigennamen und den Namenbenutzern. Komplexe Erscheinungen wie Bewußtsein, Einstellungen, Haltungen, Wertungen, Willensakte usw. spielen hierbei eine bedeutende Rolle. Im allgemeinen handelt es sich hier weniger um individualpsychische, als vielmehr um gruppenpsychische Bedingungen und Faktoren. Denn das gesellschaftliche Leben — im wesentlichen gestaltet durch Kooperation und Kommunikation — spielt sich viel stärker auf Gruppenbasis als auf individueller Grundlage ab. Die verschiedenen Sozialgruppen (s. o.) stehen im wesentlichen tätigkeitsbedingt in unterschiedlicher Haltung ihrer Umwelt gegenüber. Der Bauer z. B. sieht die Natur und Landschaft vom Blickpunkt seiner Arbeit her, also gewissermaßen „arbeitsbezogen", während der Städter und Industriearbeiter sie mehr als Erholungsbereich betrachtet und der Dichter gar aus ihr Stimmungen und Gemütsbewegungen empfängt. Zu den gruppenspezifischen Haltungen treten situationsspezifische Faktoren und beeinflussen den Sprach- bzw. Namengebrauch. Beides konkretisiert sich in der Wahl eines gruppen- und situationsgemäßen Ausdrucks aus möglichen, zur Verfügung stehenden Bildungsweisen und Zeichen (Varianten). So kann sich z. B. auch in der Namenwahl oder dem Namengebrauch für eine Person, Sache oder Einrichtung das Verhältnis der verschiedenen sozialen Gruppen zueinander widerspiegeln, können Distanzgefühle, Distanzbewußtsein, Anerkennung und Wertschätzung oder Ablehnung und Ressentiment, Vertrautheit oder Fremdheit usw. zum Ausdruck kommen. Gemäß der Gesprächssituation wird man die Wahl zwischen einem vertraulicheren oder offizielleren Zeichen (Namen) treffen. 46
Die Forschung ist heute dabei, die häufigsten Kommunikationssituationen zu klassifizieren und ihre bestimmenden Faktoren genauer herauszuarbeiten. So ließen sich etwa unterscheiden: die allgemein umgangssprachlich-verkehrssprachlichen Situationen (einfache Information und Orientierung), die Produktionssituationen (Arbeitsprozeß, fachliche Verständigung), die bewußtseinsbildend-erzieherischen Situationen (im gesamten Bildungsbereich), die kulturell-bildnerischen Situationen (Belletristik, Feiergestaltung usw.), die politisch-agitatorischen Situationen (Überzeugung, Werbung, Gewinnung, Aktivierung usw.), die Weisungs- und Befehlssituationen (Behörden, Leiter, Kommandeure usw.). Für die entsprechenden Redeweisen ist es üblich, auch von „Stil(en)" (Funktionalstilen) zu sprechen, doch läßt sich der Begriff „Stil" auch auf die sozialen Phänomene (Gruppenstil, Persönlichkeitsstil) anwenden. Daß sich dabei in den Bereichen der verschiedenen Namenklassen auch spezielle Besonderheiten zeigen, ist seit längerem deutlich: z. B. sind die Teilsysteme unserer Familiennamen und Siedlungsnamen bereits weitgehend erstarrt, formalisiert; hier bieten sich weniger Ansatzmöglichkeiten für sozioonomastische und onomastisch-pragmatische Untersuchungen. Weitaus größere derartige Möglichkeiten eröffnen dagegen die Rufnamen, Personenübernamen, Ortsübernamen, Flurnamen, Personengruppennamen, Gebäude- und Bauwerksnamen usw. So wird das Sprach verhalten des einzelnen von vielen, letztlich stets gesellschaftlich bedingten Faktoren gesteuert, die sich begrifflich ordnen lassen. Der soziale Nährboden der Namengebung und des Namengebrauchs muß also den Ausgangspunkt und den Endpunkt jeder wissenschaftlichen Namenforschung bilden. Das gilt insbesondere auch für die Erforschung des Namengutes vergangener Zeiten. Grundlage der Auswertung von Namengut als Geschichtsquelle bildet in der D D R die Betrachtung der Geschichte überhaupt als eine Geschichte von im wesentlichen sozialen Auseinandersetzungen, die weitgehend auf der wirtschaftlichen und gesellschaftlich-politischen Entwicklung basieren. So wird das Namenbild jeder Epoche vorrangig bestimmt von der gesellschaftlichen Gesamtsituation, — man möchte sagen vom „gesellschaftlichen Kontext" —, von der auch das Siedlungsgeschehen gelenkt und bestimmt wird, auf dem wiederum die Siedlungsnamengebung aufbaut. Wir verfolgen deshalb heute weit intensiver als bisher die 47
Probleme der Namenkonstanz und Namenkontinuität, der Namenentstehung, -tradierung, des Namenwechsels, Namenverlustes, der Doppelund Mehrnamigkeit und der verschiedensten Arten der partiellen oder totalen Namenumgestaltung und ihre gesellschaftlichen Voraussetzungen und Wirkungen. Eine solche marxistische Betrachtungsweise und Grundlegung der Namenkunde als Gesellschaftswissenschaft bedeutet keinesfalls eine Einengung der objektiven historischen Forschung, wie von westdeutscher Seite bewußt entstellend behauptet wurde 1 , sondern sie bedeutet gerade eine Vertiefung und Verankerung im Gesellschaftlichen, die längst fällig war und dazu beiträgt, alle früheren Einseitigkeiten des Herangehens an die historischen Erscheinungen und Ereignisse zu überwinden. Dagegen darf m a n zweifellos von einer deutlichen, noch nicht überwundenen Einseitigkeit in der geschichtlichen Auswertung historischen Namengutes sprechen, wenn man — wie teilweise noch in Westdeutschland — die Namenkunde überwiegend vor den Wagen der politisch belasteten sog. „Volkstumsforschung" bzw. Volksgeschichte spannt und sie auf diese Weise im Hinblick auf die historische Verwertung ihrer Ergebnisse überfordert. Die Sprachwissenschaft verdankt zwar gerade der Erforschung der zwischensprachlichen und interethnischen Beziehungen, insbesondere der deutsch-slawischen Wechselbeziehungen, wertvolle Erkenntnisse sprachgeschichtlicher Art, doch muß heute die Geschichte der Beziehungen von Volk zu Volk, von Nationalität zu Nationalität, unter ihren jeweiligen konkreten ökonomisch-politisch-sozialen Bedingungen und mit Hilfe auch anderer Geschichtsquellen aufgehellt werden. Man kann methodisch nicht einfach sprachgeschichtliche Erscheinungen bevölkerungsgeschichtlichen Prozessen gleichsetzen, wie dies beispielsweise weitgehend der westdeutsche Germanist Ernst Schwarz tut 2 . Denn die Sprache spiegelt die gesellschaftlichen Verhältnisse nur ungefähr, meist nur mittelbar und recht pauschal, nur selten jedoch unmittelbar wider. Bevölkerungswechsel, Bevölkerungsmischung, Sprachmischung und Sprachwechsel, Zwei- oder Mehrsprachigkeit usw. führen durchaus nicht immer zu Auswirkungen, zu Änderungen (Ersatz, Angleichung, Übernahme usw.) im Bereich der Namen. Das Miteinandersiedeln und -wohnen verschiedensprachiger Bevölke1 2
Vgl. R. Piston, in: Muttersprache Jg. 74, 1964, S. 128. Vgl . E. Schwarz, Die Ortsnamen der Sudetenländer als Geschichtsquelle. 2. Aufl. München 1961 (1. Aufl. 1931); Ders., Sudetendeutsche Familiennamen aus vorhussitischer Zeit. Köln-Graz 1957; Ders., Volkstumsgeschichte der Sudetenländer. Teil I, II. München 1965 u. 1966.
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rungsgruppen ruft eine Fülle von sprachlichen Möglichkeiten hervor. Bei längerer Zweisprachigkeit eines Gebietes und einer Bevölkerung — wie beispielsweise in der Lausitz — ergibt sich zusätzlich die Möglichkeit von Wiederholungen solcher sprachlicher Austausch- und Aneignungsvorgänge, und diese vollziehen sich stets unter veränderten sprachlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen; überörtliche behördliche Eingriffe können die volkstümliche Entwicklung stören oder beeinflussen usw. Das Miteinander von Altansässigen und Zugezogenen war jedenfalls vielseitiger und vielschichtiger, als man nach der sprachlichen Zugehörigkeit des Namengutes allein meinen könnte. Die schriftliche Überlieferung zeigt z. B. vielfach Slawen auch als in deutschnamigen Dörfern Ansässige und umgekehrt. Die Eindeutschung slawischer Namen bzw. auch Slawisierung deutscher Namen bedeutete nicht sofort und nicht immer auch Eindeutschung bzw. Slawisierung des anderen Bevölkerungselementes. Einer ganz besonders umsichtigen Interpretation bedürfen die sog. Mischbildungen (Mischnamen). Jeder Schematismus in der bevölkerungsgeschichtlichen Auswertung der Namen ist also fehl am Platze. Die diese Ausdeutung des Namengutes bevorzugt betreibende bürgerliche Forschung vernachlässigt unseres Erachtens den entscheidenden Punkt: die Wechselbeziehungen von Mischbevölkerungen, so auch die von Deutschen und Slawen, müssen vorrangig nach ihrem Klassencharakter bewertet werden1. Man kann dabei nicht die sozialen Grundlagen der mittelalterlichen Feudalgesellschaft oder des modernen Kapitalismus und auch Sozialismus, aus denen auch die Namengebung entstanden und zu begründen ist, einfach ausschalten und sie einer ethnozentrischen Sehweise opfern. Im Bereiche der Rufnamen und Familiennamen darf man nicht vergessen, daß seit dem hohen Mittelalter die Kirche und die christliche Religiosität eine sprachlich ausgleichende und vermittelnde Rolle spielte. Die Wahl der Taufnamen erfolgte seit der Entfaltung des hochmittelalterlichen Kirchenwesens im allgemeinen im Sinne der Kirche, biblische und Heiligennamen gewannen auch bei den slawischen Völkern stark an Verbreitung, oft auch in der deutschen Gestalt, und sie geben nicht immer Auskunft über die Volkszugehörigkeit ihres Trägers. Daneben erhielten sich auch viele altheimische slawische Rufnamen, zum Teil in mannigfach eingedeutschten Kurz- und Koseformen. Hinzu kommt, daß das, was uns aus älteren Zeiten an sprachlichem Material, besonders an onomastischem, überliefert ist, immer nur 1
R. Fiseher, Resultate germanoslawistischer Namenforschung, in: Onomastica Slavogermanica III. Berlin 1967, S. 7—11.
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Bruchstücke eines oft weitaus größeren Namenbestandes darstellt. Deshalb ist die volkstumsgeschichtliche bzw. bevölkerungsgeschichtliche Auswertung der Namenüberlieferung für den marxistisch orientierten Namenforscher nur in relativ engen Grenzen möglich. Keinesfalls darf jedoch ein solches wissenschaftliches Bemühen Wasser auf die Mühlen einer aggressiven und revanchistischen Politik gießen, wie das heute in Westdeutschland — gewollt oder ungewollt — verschiedentlich geschieht (vgl. n . 4d). Im sozialistischen Staat führt die Wissenschaft, d. h. auch die Namenforschung, kein isoliertes Dasein von der Gesellschaft, sondern sie lebt von ihr und in ihr, sie dient ihr und fördert den gesellschaftlichen Fortschritt. Bewußt wird deshalb in der DDR die Forderung nach der Einheit von Forschung, Lehre und Erziehung erhoben. Die sozialistische Namenforschung ist und bleibt sich dieser ihrer Grundbestimmung bewußt. Deshalb gilt es, die Ergebnisse der namenkundlichen Forschung auch der Lehre und Erziehung zugänglich zu machen. Die Namenforscher der DDR reihen sich als Sprachwissenschaftler und Historiker damit ein in die Reihen derer, die sich heute gemeinsam der allseitigen Bildung und Erziehung neuer sozialistischer Menschen widmen. Unsere weitere Arbeit gilt der Erforschung der Beziehungen von Sprache und Gesellschaft im Bereich der Namen; ihre Ergebnisse fügen sich ein in das neue sozialistische Geschichtsbild, das wir den kommenden Generationen zu übermitteln haben.
3.
Namenforschung und Nachbarwissenschaften
Die Namenforschung ist eine Teildisziplin der Sprachwissenschaft und damit eine Gesellschaftswissenschaft. Ihre Aufgabe besteht darin, die Namen als sprachliche Gebilde unter gesellschaftlichem Aspekt zu untersuchen. Deshalb sind auch ihre Beziehungen zu anderen Wissenschaftszweigen sehr wesentlich. Es gibt wohl heute kaum eine Gesellschaftswissenschaft, die nicht mit anderen Wissenschaften zusammenarbeiten muß. Auch bei der Namenforschung ergeben sich zum Teil Fragen, die nicht von ihr selbst beantwortet werden können. Nachbarwissenschaften wie Archäologie, Siedlungsgeschichte, Kultur- und Bevölkerungsgeschichte, Geographie und Volkskunde, ja sogar Biologie müssen dann befragt werden. Diese bilden dann für die Namenforschung gewissermaßen unentbehrliche Hilfswissenschaften. Andererseits kann die Namenforschung in vielen Fällen Antworten auf Fragen geben, die andere Wissenschaften selbst nicht lösen können. Dann ist die Namen50
forschung umgekehrt eine Hilfswissenschaft für Archäologie, Geschichte, Geographie usw. Eine Zusammenarbeit ist notwendig, denn jede Wissenschaft arbeitet mit den für sie spezifischen Methoden. Deshalb ist es äußerst wichtig, daß Forscher nur gesicherte Ergebnisse von anderen Disziplinen übernehmen. Da die Namenforschung ein Teilgebiet der Sprachwissenschaft darstellt, steht ihr Beitrag zur Lösung sprachwissenschaftlicher Probleme an erster Stelle. Die Namen sind im allgemeinen das älteste Sprachmaterial, sie sind oft viele Jahrhundeite älter als die frühesten schriftlichen Aufzeichnungen. Es gibt Sprachen, die ausgestorben sind und von denen Reste nur im Namen überliefert wurden, z. B. das Illyrische. Auf dem Gebiet der DDR gibt es Namen verschiedener Sprachschichten (s. III. 3). Der Beitrag der Namenforschung zur Sprachgeschichte sei zuerst am Beispiel der slawischen Namen aufgezeigt. Vom 6./7. Jahrhundert an war das Gebiet der DDR zwischen Oder/Neiße und — grob gesagt — Elbe/Saale von Slawen besiedelt. Das heutige Sorbische in der Lausitz ist nur ein kleiner Rest dieser einstmals gesprochenen Sprachen oder Dialekte, die in anderen Gebieten nach der mittelalterlichen deutschen Ostexpansion erloschen sind. Die Sprache wurde aufgegeben, das slawische Volkstum ging im deutschen auf. Die ersten zusammenhängenden Schriftdenkmäler des Sorbischen stammen aus dem 16. Jahrhundert. Im Mittelalter gehörten zu den slawischen Mundarten, die man in der Sprachwissenschaft auf Grund bestimmter sprachlicher Kriterien als sorbisch bezeichnet, auch die Mundarten westlich des heutigen Sorbischen bis zur Saale und zum Teil westlich von ihr. Die slawische Sprache, die nördlich des Sorbischen gesprochen wurde, bezeichnet man in der Sprachwissenschaft als Polabisch. Die Grenzlinie zwischen beiden Sprachen verlief ungefähr von Frankfurt/Oder bis zur Mündung der Saale in die Elbe. Wenn man von wenigen Aufzeichnungen absieht, die im 18. Jahrhundert im sogenannten Hannoverschen Wendland, der Gegend um Lüchow und Dannenberg in der heutigen Bundesrepublik, gemacht wurden, fehlen für das Polabische außer den Namen und einzelnen im Deutschen noch lebenden Wörtern slawischer Herkunft (sogenannte Reliktwörter) jegliche schriftliche Quellen. Die Namenforschung kann nun anhand der Namen feststellen, welche Merkmale die damals gesprochene Sprache gehabt hat. 1 So kann man z. B. alte Mundartgrenzen rekonstruieren. Das gilt für die Grenzen zwischen dem Sorbischen und Polabischen wie für 1
Vgl. E . Eichler, Studien zur Frühgeschichte slawischer M u n d a r t e n zwischen Saale u n d Neiße. Berlin 1965.
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Grenzen innerhalb dieser Sprachen. Die Grenze zwischen dem Sorbischen und Polabischen erkennt man an lautlichen Merkmalen der Namen. Das charakteristischste Merkmal ist die Vertretung der urslawischen Nasalvokale. Namen wie Düben Kr. Roßlau und Damme Kr. Rathenow (1164 Damba) sind beide von einem slawischen Wort für die Eiche abgeleitet, das im Urslawischen, der gemeinsamen Vorstufe aller slawischen Sprachen,