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German Pages 154 Year 1993
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft
Band 69
Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter Von
Wolfgang Möllenhoff
Duncker & Humblot · Berlin
WOLFGANG MÖLLENHOFF
Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter
Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp
Band 69
Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter Von
Wolfgang Möllenhoff
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Möllenhoff, Wolfgang: Nachträgliche Rechtswahl und Rechte Dritter / von Wolfgang Möllenhoff. Berlin : Duncker und Humblot, 1993 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 69) Zug!.: Münster (Westfalen), Univ., Diss., 1991/92 ISBN 3-428-07685-0 NE:GT
D6 Alle Rechte vorbehalten © 1993 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0935 c 5383 ISBN 3-428-07685-0
Vorwort Diese Arbeit hat im Wintersemester 1991/92 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität als Dissertation vorgelegen. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Heinrich Dörner, der das Promotionsthema angeregt und die Entstehung der Arbeit mit großem Interesse und Engagement begleitet und vielfältig gefördert hat Zu Dank verpflichtet bin ich ferner Herrn Professor Dr. Otto Sandrock, der das Korreferat übernommen hat. Die Westfälische Wilhelms-Universität hat die Dissertation im Rahmen der Graduiertenförderung mit einem großzügigen Promotionsstipendium unterstützt, wofür ich mich ebenfalls herzlich bedanke. Ich widme die Arbeit meinen Eltern, die mich stets unterstützt und gefördert haben.
Münster, im Oktober 1992
Wolfgang Möllenhoff
Inhaltsverzeichnis Einleitung .......................................................... 15
Erster Teil
Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut § 1 Die Wandelbarkeit des Schuldvertragsstatuts ............................ 18 A. Einführung ................................................... 19 B. Statutenwechsel bei der ex nunc-wirlcenden Rechtswahl .................... 21 C. Statutenwechsel bei der ex tunc-wirlcenden Rechtswahl .................... 22 I.
Die Ansicht von der Unwandelbarlceit des Vertrags statuts ............... 22 I.
Die erstmalige nachträgliche Rechtswahl ........................ 23
2.
Die spätere Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages ........ 24
II. Kritik und eigene Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I.
Die ausschließliche Geltung des nachträglich gewählten Rechts ........ 24 a)
Die nachträgliche Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages .............................................. 25
b) Die erstmalige nachträgliche Rechtswahl ..................... 26
aal Das Rangverhältnis der Anknüpfungen als Fehler der Konzeption
Fudickars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 26
bb) Die Derogation des ursprünglichen Vertragsstatuts ........... 27 (l) Die Derogation früherer Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28
(2) Die Aufhebung der gesetzlichen objektiven Anknüpfung bei der nachträglichen Rechtswahl ...................... 29 2.
Der intertemporale Konflikt zwischen dem alten und dem neuen Statut . .. 30 a)
Problemstellung ...................................... 30
b) Die Rückwirlcung als Fiktion ............................. 32
aal Die Rückwirlcungsflktion bei der Gesetzesänderung .......... 32 bb) Die Fiktion bei der Rückwirlcung des nachträglich gewählten Rechts 33
8
Inhaltsverzeichnis Zweiter Teil
Die gedanklichen Grundlagen der Regelung §2
Der Schutz wohl erworbener Rechte ................................... 35 A. Die Bedeutung des Prinzips in internationalprivatrechtlicher Hinsicht .......... 35 B. Der Schutz wohlerworbener Rechte und der Grundsatz der Nichtrückwirtrung von Gesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37
c.
Konsequenzen für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ............ 38
§3
Der Vertrauensschutzgedanke ....................................... 41
§4
Der Grundsatz der PrIvatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A. Die Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter ...................... 43 B. Die rechtliche Begünstigung eines Dritten und die Privatautonomie . . . . . . . . . . . . 44 C. Konsequenzen für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ............ 44
§5
Der Rechtsgedanke der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB ............. 46 Dritter Teil
Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung §6
Die Auslegungsgrundsätze .......................................... 49
§7
Der funktionale Schutzbereich ....................................... 51 A. Auslegung nach dem Wortlaut ..................................... 51 I.
Auslegung der Bestandsschutzregelung in ihrer deutschen Fassung ......... 51 1.
Interpretation als Beeinträchtigungsverbot ....................... 51
2.
Interpretation als Beeinträchtigungs- und Verbesserungsverbot . . . . . . . . . 52
II. Die Berücksichtigung fremdsprachlicher Versionen des Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ .................................................... 53 1.
Die Divergenzen ......................................... 53
2.
Einheitliche Auslegung .................................... 54
B. Historische und teleologische Auslegung .............................. 54
I.
Beeinträchtigungsverbot und Gesetzgebungsmaterialien ................. 55
11. Beeinträchtigungsverbot und Grundgedanken der Bestandsschutzregelung .... 55 1.
Der Vertrauensschutzgedanke ................................ 55
Inhaltsverzeichnis 2.
9
Die Privatautonomie ...................................... 56
§ 8 Der sachliche Schutzberelch .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 A. Rechtliche Qualität des Drittinteresses ................................ 59 I.
RechtsstellWlg W1d konkrete Rechtsposition ......................... 59
11. Die rechtlichen Eigenschaften einer Rechtsposition .................... 62 I.
Das subjektive Recht als geschützes Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
2.
Faktische Interessen und ElWerbsausichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63
3.
Rechtspflichten als geschütztes Interesse ........................ 64
B. RechtsgfWIdlage der Drittberechtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
I.
ElWerb der Drittberechtigung unmittelbar aufgrund des Hauptvertrages .. . . . . 65 I.
2.
Die dinglichen Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 DrittberechtigWJg in Form von Ansprüchen ...................... 69 a) Leistungsansprüche Dritter ............................... 69 b) Schutzansprüche Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70
3.
Drittberechtigung in Form von Einwendungen Dritter ............... 73
4.
DrittberechtigWJg in Gestalt des Zurückweisungsrechts nach § 333 BGB .. 74
11. ElWerb der Drittberechtigung aufgrund eines gesonderten Rechtsverbältnisses . 75 I.
Akzessorietätsfälle ........................................ 76 a)
Fälle akzessorischer Anknüpfung von Hauptvertrag W1d gesondertem Rechtsverhältnis ................................. 76
b) Fälle akzessorischer Verbundenheit zweier Rechtsverhältnisse auf materiellrechtlicher Ebene ............................... 79 2.
DrittberechtigWJg als Konsequenz einer Rechtsnachfolge . . . . . . . . . . . .. 82 a) Die AbtretWlg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 82 aa) RechtswahlvereinbafWIg zwischen Zessionar und Zedenten ..... 82 bb) RechtswahlvereinbafWIg zwischen Zessionar und Schuldner . . . . . 83 cc) RechtswahlvereinbafWIg zwischen Zedent und Schuldner ...... 87 b) Die befreiende Schuldübernahme .......................... 89 aa) Die externe privative Schuldübernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 89 (I) Die BedeutWJg der Privatautonomie .................. 89
(2) Die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im Zusammenhang mit der externen Schuldübernahme ......... 93 (a) Die nachträgliche Wahl des Schuldübernahmestatuts .... 93 (b) Die nachträgliche Wahl des auf die übernommene
Schuld anwendbaren Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 94
Inhaltsverzeichnis
10
(aa) Die potentiellen Parteien einer nachträglichen Wahl des Schuldstatuts . ; .................. 94 (bb) Die gern. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu schützenden Drittberechtigungen ............. 95 bb) Die interne privative Schuldübernahme ................... 95 (1) Die Bedeutung der Parteiautonomie .................. 95
(2) Die gern. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu schützenden Drittberechtigungen ................................. 96 c)
Die kumulative Schuldübernahme .......................... 97
aal Die Bedeutung der Parteiautonomie ...................... 97 bb) Die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im Zusammenhang mit der kumulativen Schuldübernahme ............... 98
Vierter Teil
Die Umsetzung des BeeInträchtIgungsverbots In der Rechtsanwendung §9
Die kollisionsrechtlichen Lösungsmodelle .............................. 100 A. Das Verhältnis von Art. 27 Abs. 2 S. 2 zu Art. 27 Abs. 4 EGBGB ........... 100
B. Tauglichkeit des kollisionsrechtlichen Ansatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 101
c.
Die direkte Einschränkung der Parteiautonomie ........................ 103
I.
Ansätze, die das materielle Ergebnis der Anwendung des nachträglich gewählten Rechts nicht berücksichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 I.
Die unterschiedlichen Einschränkungsmöglichkeiten ............... 104 a)
Die Unwirksamkeit der nachträglichen Rechtswahl ............. 104
b) Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB als Rückwilkungsverbot ........... 104 c) 2.
Der inter partes-Ansatz ................................ 105
Bewertung der unterschiedlichen Einschränkungsmöglichkeiten ....... 105 a)
Die Beschränkung der Wahlfreiheit der Parteien ............... 106
b) ÜberdehnWig des Schutzzwecks des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ... 107 c) Rechtsspaltung hinsichtlich des Hauptvertrages . . . . . . . . . . . . . . .. 109 11. Ansätze, die das materielle Ergebnis der Anwendung des nachträglich gewählten Rechts berücksichtigen .................................. .. 110
I.
Die unterschiedlichen Einschränkungsmöglichkeiten ............... III a)
Die Altemativanknüpfung .............................. III
b) Der nachträgliche Verweisungsvertrag als Teilrechtswahl . . . . . . . .. III 2.
Bewertung der verschiedenen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 112 a)
Der Güostigkeitsvergleich .............................. 113
Inhaltsverzeichnis
11
aal Die Vereinbarlceit der Durchführung des Güostigkeitsvergleichs
mit den Strukturen des IPR .......................... 113
bb) Die Vereinbarlceit der Durchführung des Güostigkeitsvergleichs mit dem Schutzzweck des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ....... 116 b) Überdehnung des Schutzzwecks des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ... 120 c) Unangemessene Einschränkung der Parteiautonomie durch die Theorie der AItemativanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 121 d) Weitere Kritikpunkte hinsichtlich der Deutung der nachträglichen Rechtswahl als Teilrechtswahl ........................... 121
§ 10 Der materiellrechtlIche Lösungsansatz ................................ 123 A. Rechtsdogmatische Einordnung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB als Vorbehaltsklausel ..................................................... 123
B. Voraussetzungen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB als Vorbehaltsklausel ....... 125 C. Die Rechtsfolgen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB nach dem materiellrechtlichen Ansatz ..................................................... 127 I.
Korrekturen innerhalb des Hauptvertragsstatuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 I.
Die Nichtanwendung einzelner Bestimmungen des nachträglich gewählten Hauptvertragsstatuts ............................ . . . . . .. 128
2.
Ausfüllung regelungsbedürftiger Lücken im nachträglich berufenen Hauptvertragsstatut ................................... 128 a)
Die Modifizierung der lex causae ......................... 129
b) Die Bildung fallbezogener Sachnormen ..................... 129 11. Korrekturen im Rahmen der Rechtsordnung, die das gesonderte Rechtsverhältnis behemcht .......................................... 130
D. Kritische Bewertung der materiellrechtlichen Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 131 I.
Allgemeines.............................................. 131
11. Die mit dem materiellrechtlichen Ansatz verbundene Rechtsunsicherheit . . .. 132
III. Die verdeckte Anwendung des ursprünglichen Hauptvertragsstatuts . . . . . . .. 132 § 11 Der modifizierte Inter partes-Ansatz als das vnrzugsWÜfdige Lösungsmodell .... 133
A. Die Vorzüge des modifizierten inter partes-Ansatzes ..................... 135 I.
Keine Überdehnung des Schutzzwecks der Norm .................... 135
11. Weitgehende Wahrung der Parteiautonomie ........................ 135
12
Inhaltsverzeichnis III. Betonung des individualschützenden Charakters des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ................................................. 136 B. Die Anwendung des modifizierten inter partes-Ansatzes .................. 137
§ 12 Die nachträgliche Rechtswahl mit Zustimmung des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . .. 140 Zusammenfassung ................................................... 142 LIteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 146
Abkürzungsverzeichnis AB!.EG
Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
BT-Drucksache
Bundestagsdrucksache
Cod.
Codex
dass.
dasselbe
ders.
derselbe
Dig.
Digestum
EG-Schuldvertragsübereinkommen
Römisches EWG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 09.10.1980 (BGB!. 198611810)
Einl.
Einleitung
E.P.I.L.O.
European Private International Law of Obligations
EVÜ
s. EG-Schuldvertragsübereinkommen
FrzZR
französisches Zivilrecht
FS
Festschrift
Genfer Aüchtlingsabkommen
Genfer UN-Abkommen über die Rechtsstellung der Aüchtlinge vom 28.07.1951 (BGBL 195311560)
Harv.L.Rev.
Harvard Law Rewe
HeimatlAusiG
Gesetz über die RechtsstellWlg heimatloser Ausländer im Bundesgebiet vom 25.04.1951 (BGB!. 1951 1269)
IntCompLQ
The International and Comparative Law Quarterly
NiernZ
Niemeyer's Zeitschrift für Internationales Privat- und Öffentliches Recht
Rec. des Cours
Academie de Droit International, Recueil des Cours
Rev.crit.
Revue critique de droit international prive
Rev.trim.dr.europ.
Revue trimesterielle de droit europ6en
Riv.dir.int.priv.proc.
Rivista di diritto internazionale privato e processuale
SchwJbIntR
Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht
Überb!.
Überblick
Vol.
Volume
Vorb.
Vorbemerkung
zit.
zitiert
Einleitung Das Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts vom 25. Juli 19861 hat die Vorschriften des Römischen EWG-Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19.06.1980 in das EGBGB inkorporiert. Seitdem fmdet sich das Prinzip der freien Rechtswahl in den deutschen gesetzlichen Vorschriften wieder: Nach Art. 27 Abs. 1 und 2 EGBGB können die Parteien eines schuldrechtlichen Vertrages die auf ihr Rechtsverhältnis anzuwendende Rechtsordnung jederzeit frei bestimmen. 2 Allerdings war das Prinzip der Parteiautonomie bereits lange vor dem Inkrafttreten des EG-Schuldvertragsübereinkommens als der prägende Grundsatz des internationalen Schuldvertragsrechts anerkannt. 3 Insbesondere wird schon seit Jahren fast einhellig die Auffassung vertreten, daß die Kontrahenten das Schuldvertragsstatut nicht nur bei Vertragsschluß, sondern auch zu einem späteren Zeitpunkt, also nachträglich wählen können. 4 Die Problematik des Schutzes von Rechten Dritter, die im Zusammenhang mit der nachträglichen
I
BGBl. 1986 11142.
Vgl. Art. 27 Abs. 2 S. I EGBGB; MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 7; Schwander, FS Keller, S. 473, 478. 1
3
Vgl. RG IPRspr. 1926 / 27 Nr. 37; BGHZ 17,74,77; OLG Saarbrücken OLGZ 1966, 142.
RG IPRspr. 1926/27 Nr. 37; BGHZ 17, 74, 77; BGH NJW 1962, 1005; OLG Saarbrücken OLGZ 1966, 142; BGE 79 II 295; Staudinger I Firsching l O/ lI , vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 346 f.; Raape, PS Boehmer, S. 111. Die Ansicht von der Unzulässigkeit der nachträglichen Rechtswahl kann als seit langem überwunden angesehen werden vgl. RGZ 107, 121,123; BGHZ 17,74,77; Staudinger I Firsching lO/lI , vor Art. 12 EGBGB Rdnr.342; MünchKomm I Sonnenberger l , vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 18; Raape, PS Boehmer, S. III f. Pfister, AWD (RlW) 1973, 440 f., lehnt zwar die nachträgliche Rechtswahl mit kollisionsrechtlicher Wirkung ab; seines Erachtens ist aber ein materiellrechtlicher Verweisungsvertrag erlaubt, der nur die dispositiven, nicht aber auch die zwingenden Vorschriften des ursprünglichen Vertragsstatuts abwählt. Im Rabmen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB geht es jedoch nicht um die materiellrechtliche, sondern nur um die kollisions rechtliche Rechtswahl, vgl. dazu Art. 27 Abs. 3 EGBGB sowie MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 12. 4
16
Einleitung
Vereinbarung des Schuldvertragsstatuts relevant werden kann, ist jedoch bisher keiner eingehenderen Betrachtung unterzogen worden. s Demgegenüber fallt auf, daß modeme IPR-Kodifikationen, die in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern in Kraft getreten sind, Bestimmungen zum Schutz von Rechten Dritter enthalten. Dies trifft etwa auf das österreichische6 und das schweizerische IPR-Gesetz7 zu. Auch die Autoren des EG-Schuldvertragsübereinkommens und ihnen folgend der deutsche Gesetzgeber haben eine Drittschutzklausel in das Regelwerk zum internationalen Schuldvertragsrecht aufgenommen. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB, der Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ entspricht, sieht vor: ,,Rechte Dritter werden durch eine Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Vertragsabschluß nicht berührt."s Dieser Rechtssatz ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit.9 Zunächst bestehen Zweifel an der Berechtigung und Erforderlichkeit des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB. 1O Um sie auszuräumen, sind einige Ausführungen insbesondere zum EinfIuß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut notwendig. I I Unklarheiten bestehen sodann über den Schutzbereich der Norm: Gegen welche Einwirkungen einer nachträglichen Rechtswahl Drittberechtigungen geschützt sind l2 und welche Interessen von dem Begriff "Rechte Dritter" umfaßt
S Vgl. insoweit etwa Staudinger I Firsching l O/ II , vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 347; Soergell Kegel lO , vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 273; Palandt I Heldrich.?6, vor Art. 12 EGBGB Anm. 2 a); Raape, PS Boehmer, S. 111, 115 f.; Skapski, Rec. des Cours 136 (1972-H), 499, 538 ff.; Tomascewski, Rev. Crit. 1972, 567, 599.
6
Vg1. § 11 Abs. 3 des österreichischen IPR -Gesetzes.
7
Vg1. Art. 116 Abs. 3 des schweizerischen IPR-Gesetzes.
Der deutsche Gesetzgeber plant, eine dem Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB entsprechende Vorschrift auch in das internationale Recht der außervertraglichen Schuldverhältnisse aufzunehmen, vgl. Art. 42 Abs. I S. 2 des Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts (s. MünchKomm I Kreuzer, vor Art. 38 EGBGB Vorb. Rdnr. 6). 8
9 Auf die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB betreffend die Formgültigkeit des Vertrages soll dagegen nicht eingegangen werden, vg1. insoweit Martiny in Reit1unann I Martiny, Rdnr. 62; v. Bar, IPR H, Rdnr. 480; Schroeder, S. 27 f. 10 Vg1. etwa v. Bar, IPR H, Rdnr. 481; Schlosshauer-Selbach, Rdnr. 248; Ferid, IPR, Rdnr. 626,1, die meinen, Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB regele eine Selbstverständlichkeit.
11
Vg1. § 1.
12
Vg1. dazu § 7.
Einleitung
17
werden 13 , läßt der Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB nicht eindeutig erkennen. Zur Bestimmung des Inhalts der Regelung bedarf es daher einer Interpretation der Vorschrift unter Berücksichtigung der für das EG-Schuldvertragsübereinkommens geltenden Auslegungsgrundsätze14 und der gedanklichen Grundlagen der Norm. 1S Um die Bedeutung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB aufzuzeigen, sollen sodann die Fa1lkonstellationen herausgearbeitet werden, in denen diese Vorschrift anzuwenden ist 16 Unerforscht ist schließlich auch, wie sich die Bestandsschutzregelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im einzelnen auswirkt, d.h. welche Rechtsfolgen sie im konkreten Fall hat Da die Vorschrift diese Frage weitgehend unbeantwortet läßt, sind unterschiedliche Lösungsmodelle denkbar. Die verschiedenen Ansätze sollen vorgestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen werden. 17 Eine abschließende Beurteilung im Hinblick auf die von Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ausgelösten Rechtsfolgen schließt die Untersuchung ab. i8
13
Vgl. dazu § 8.
14
V gl. dazu § 6.
15
Vgl. dazu Teil 2, §§ 3-5.
16
Vgl. § 8 B.
17
Dazu unter § 9 und § 10.
18
Vgl. dazu Teil 4.
2 Möllenhoff
Erster Teil
Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut § 1 Die Wandelbarkeit des Schuldvertragsstatuts Es ist verschiedentlich in Zweifel gezogen worden, daß Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB überhaupt einen beachtenswerten Anwendungsbereich hatlOb es überhaupt sinnvoll ist, eine Drittschutzbestimmung wie Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB in das internationale Schuldvertragsrecht aufzunehmen, und welcher Anwendungsbereich der Vorschrift einzuräumen ist, hängt unter anderem entscheidend davon ab, wie eine "Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts" das Vertragsstatut beeinflußt. Die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB macht nämlich nur dann einen Sinn, wenn es denkbar ist, daß "Änderungen der Bestimmung des anzuwendenden Rechts" eine Wandlung des Schuldvertragsstatuts bewirken, durch die Rechte Dritter berührt werden können. Ist - wie etwa Fudickar meint2 - ein solcher Statutenwechsel hingegen ausgeschlossen, kann der Dritte das aufgrund eines Vertrages erworbene Recht LS.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB durch eine nachträgliche Veränderung des Vertragsstatuts gar nicht verlieren. Bei der Lösung der aufgezeigten Problematik kann man sich allerdings auf die nachträgliche Rechtswahl konzentrieren. Die alternative Möglichkeit eines Wechsels des Schuldvertragsstatuts ohne Rechtswahl, d.h. allein aufgrund der Verlagerung des Vertragsschwerpunktes durch die Veränderung der für die objektiven Anknüpfungspunkte des Art. 28 EGBGB maßgeblichen Anknüpfungstatsachen nach Vertragsschluß, kann demgegenüber unberücksichtigt bleiben. Zwar ist angesichts der nur vermutungsweisen Anknüpfung in Art. 28 Abs. 2 und 4 EGBGB und des Vorbehalts des Art. 28 Abs. 5 EGBGB durchaus umstritten,
1
Kegel, S. 424; Fudickar, S. 102, 104; Tomaszewski, Rev.crit, 1972,567,599.
2
Fudickar, S. 41,51.
§ 1: Die Wandell)alkeit des Schuldvertragsstatuts
19
ob eine nachträgliche Änderung der für den Anknüpfungspllllkt "engste Verbindung" i.S.d. Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB maßgeblichen Anknüpfungstatsachen zu einer Wandlung des Schuldvertragsstatuts führt. 3 Doch bezieht sich die Formulierung "Änderung der Bestimmung des anzuwendenden Rechts nach Vertragsabschluß" in Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB eindeutig ausschließlich auf die Modiftkation des Vertragsstatuts durch nachträglichen Verweisungsvertrag. Das ergibt sich zum einen aus der sytematischen Stellung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB hinter Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB, der die Vornahme einer Rechtskür jederzeit gestattet und auf den Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB erkennbar Bezug nimmt. Zum anderen läßt sich dies den Gesetzgebungsmaterialien zu der Drittschutzklausel entnehmen.4 Im übrigen löst eine Änderung der der objektiven Anknüpfung zugrundeliegenden Tatsachen allenfalls einen Statutenwechsel mit ex nunc-Wirkung aus. Für einen solchen Wandel des Vertragsstatuts ist Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB jedoch nicht gedacht. s Es gilt also zu klären, ob bei der nachträglichen Rechtswahl ein für Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB relevanter Statutenwechsel eintreten kann.
A. Einführung Zu einem Statutenwechsel kann es im allgemeinen nur kommen, wenn der Anknüpfungsgegenstand wandelbar angeknüpft ist. Von einer wandelbaren Anknüpfung spricht man, wenn es bei der Anknüpfung nicht auf einen bestimmten, zeitlich ftxierten Anknüpfungszeitpunkt ankommt und daher eine Änderung der Anknüpfungstatsachen zu einem Wechsel der auf den jeweiligen Anknüpfungsgegenstand anzuwendenden Rechtsordnung führt; eine zeitliche Fixierung der Anknüpfung bewirkt dagegen die Unwandelbarkeit des jeweiligen Statuts, bei der ein Wechsel des maßgeblichen Rechts ausgeschlossen ist.6 Den für die Anknüpfung maßgeblichen Zeitpunkt kann der Gesetzgeber ausdrücklich
) Vgl. MünchKomm I Martiny, Art. 28 EGBGB Rdnr. 25; Martiny in Reithrnann / Martiny, Rdnr. 76; Ferid, IPR, Rdnr. 6-74; Buchta, S. 15-22; Lüderitz, FS Keller, S. 459, 465; Giuliano IlAgarde, ABl.EG, S. 18. 4
Vgl. BT-Drucksache 10/504, S. 77 sowie Giuliano IlAgarde, ABl.EG, S. 18.
5
Vgl. dazu unten § 1 B.
• MünchKomm I Sonnenberger, EinI.IPR Rdnr. 490 ff.; v. Bar, IPR I, Rdnr. 303; Kropholler, IPR, S. 172; Scheuermann, S. 32 f.
20
1. Teil: Einfluß einer nachträglichell Rechtswahl auf das Vertragsstatut
in der IPR-Nonn festlegen. 7 Häufig ist der maßgebliche Anknüpfungszeitpunkt aber nur durch Auslegung zu ennitteln.8 Die Frage, ob das Schuldvertragsstatut aufgrund einer nachträglichen Rechtswahl wechselt, hängt also davon ab, ob die Anknüpfung des Vertrages an den Partei willen zeitlich fixiert ist oder nicht Ein bestimmter Zeitpunkt für die Anknüpfung des Schuldvertrages an den Parteiwillen ist in Art 27 EGBGB ausdrücklich nicht benannt. Der Anknüpfungszeitpunkt ist daher durch Auslegung zu ennitteln.
Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB erlaubt den Parteien, jederzeit einen Rechtswahlvertrag abzuschließen. Die Vertragspartner können aber nicht nur bestimmen, in welchem Zeitpunkt sie einen Verweisungsvertrag schließen9, sondern auch, wann eine solche Vereinbarung ihre Wirksamkeit entfalten soU. IO Die Kontrahenten können somit den nach Vertrags schluß vereinbarten Verweisungsvertrag mit ex tunc-Wirkung versehen, so daß das neu gewählte Statut rückwirkend vom Abschluß des Hauptvertrages an maßgeblich ist. Sie können ihn auch ex nunc vom Zeitpunkt des Abschlusses des Verweisungsvertrages an wirken lassen, mit der Folge, daß bis zur nachträglichen Rechtswahl das ursprüngliche, nach der Rechtswahl jedoch das neue Statut anzuwenden istY Schließlich
1 Dies ist z.B. in Art. 10 Abs. 2, 15 Abs. 1 EGBGB (jeweils Zeitpunkt der Eheschließung); 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB (Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit); 20 Abs. 1 S. 1 EGBGB (Zeitpunkt der Geburt); 22 EGBGB (Zeitpunkt der Annahme); 25 Abs. 1 EGBGB (Zeitpunkt des Todes des Erl>lassers) geschehen. 8 MünchKomm I Sonnenberger, Einl.lPR Rdnr. 490; Scheuermann, S. 32. So ist für die Anknüpfung der allgemeinell Ehewirkungen gern. Art. 13 Abs. 1 EGBGB beispielsweise der Zeitpunkt der Eheschließung elltscheidend. Ferner sind die Anknüpfungszeitpunkte durch Auslegung zu ennitteIn bei: Art. 7 Abs. I, Art. 8, Art. 10 Abs. I, Art. 11 Abs. I, Art. 14 Abs. I, Art. 24 Abs. 1 EGBGB (es ist jeweils der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich).
9
Vgl. Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB sowie MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 56.
MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 58; Palandt I Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 10; Staudinger I FirschinglO{ll, vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 347; Lorenz, IPRax 1987, 269, 273; Lüderitz, FS Keller, S. 459, 462; Siehr, FS Keller, S. 485, 496. 10
11 MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 58; Palandt I Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 10; Staudinger I Firsching lOlll , vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 347; FuJickar, S. 19; Raape, FS Boehmer, S. 111, 117. - Ob die nachträgliche Rechtswahl allerdings mangels einer Bestimmung durch die Parteien im Zweifel ex tune oder ex nunc wirkt, wird unterschiedlich beurteilt; für Rückwirkung: BGH NJW 1965,319; OLG Bremell VersR 1978,277; MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 58; Schroeder, S. 26 f.; Umbricht, S. 78; Siehr, FS Keller, S. 485, 496; Lüderitz, FS Keller, S. 459, 462; Lando, RabelsZ 38 (1974), 6, 25 f.; Raape, FS Boehmer, S. Ill, 115; Tomaszeweski, Rev. crit. 1972,567,599; für ex nunc-Wirkung: Palandt I Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 10; 1.0-
§ 1: Die Wandelbarlc:eit des Schuldvertragsstatuts
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steht es den Vertragspartnern aufgrund der Parteiautonomie auch frei, das Wirksam werden des nachträglichen Verweisungsvertrages erst für einen Zeitpunkt nach der Rechtskür zu vereinbaren. t2 Demzufolge ist bei der Rechtswahl als Anknüpfungszeitpunkt der von den Parteien jeweils festgelegte Augenblick anzusehen. Eine zeitliche Fixierung der subjektiven Anknüpfung des Schuldvertrages besteht also nicht
B. Statutenwechsel bei der ex nune-wirkenden Reehtswahl Keinem Zweifel kann es nach dem bisher Gesagten unterliegen, daß eine ex nunc-wirkende Rechtswahlvereinbarung einen Statutenwechsel herbeiführt, wie er auch sonst aus dem Kollisionsrecht außerhalb des internationalen Schuldvertragsrechts bekannt ist. t3 Das neue Statut reiht sich in der Weise an das alte Statut an, daß vor der Rechtswahl das ursprüngliche, nachher das neu gewählte Statut ein und denselben Vertrag beherrscht. 14 Obwohl die nachträgliche, ex nunc-wirkende Rechtswahl also zu einem Statutenwechsel führt und damit ein Bestandsschutz erforderlich ist, bestehen Bedenken, ob die Schutzbestimmung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB für den Fall der in die Zukunft gerichteten Rechtskür überhaupt geschaffen wurdeY Wenn
rem,IPRax 1987,269,1:13. 12 Auf der Grundlage des Art. 116 Abs. 3 des schweizerischen IPR-Gesetzes, der wie Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB die Rechtswahl,jederzeit" zuläßt, ist der Abschluß eines VerweisWlgsvertrages auch schon vor Abschluß des Hauptkontraktes gestattet, vgl. Schwander, PS Keller, S. 473, 478. Nichts anderes kann für das deutsche IPR gelten vgl. BT-Drucksache 10/504, S. 77. Il
Raape, PS Boehmer, S. 111, 117; Fudickar, S. 19.
Wegen dieser Spaltung der "unit6 necessaire de la legislation" wurde die nachträgliche Rechtswahl mit ex nWlc-Wirlc:ung noch abgelehnt von Vischer, S. 83 f.; North, FS Lipstein, S. 205, 218. Auch wenn sich diese AuffassWlg heute nicht mehr halten läßt, so dürfte es jedoch zumindest regelmäßig nicht dem Willen der Kontrahenten entsprechen, ihren Vertrag in zwei Teile aufzuspalten, die von Wlterschiedlichen Statuten beherrscht werden. Demzufolge kommt praktische Relevanz in erster Linie der rückwirlc:enden nachträglichen Rechtswahl zu. Vgl. MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 58; Raape, FS Boehmer, S. 111, 117; Skapski, Rec. des Cours, 136 (1972-11), S. 499, 539; Fudickar, S. 23; a.A. offenbar Palandt I Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 10; Lorenz, IPRax 1987,269,273. 14
IS Die Frage eines Beslandsschutzes für Rechte Dritter wurde in der Literatur bisher denn auch ausschließlich im Zusantmenhang mit der ex tunc-wirlc:enden Rechtswahl erörtert. Vgl. Staudingell FirschinglO(ll, vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 347; Keller I Siehr, S. 377; Raape, FS Boehmer, S. 111, 115; Tomaszewski, Rev. crit. 1972,567,599; North, FS Lipstein. S. 205,219; Lando, RabelsZ 38 (1974), 6, 25.
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1. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
sich bei der Rechtswahl mit ex nunc-Wirkung das alte Statut einfach an das neue anreiht, so bleibt das anfänglich anwendbare Vertrags statut für den Zeitraum vor der Rechtswahlvereinbarung maßgeblich. Es gilt für die Begründung von Rechten vor dem Statutenwechsel und für die bis zum Statutenwechsel eingetretenen Rechtsfolgen des Vertrages. Die neu gewählte Rechtsordnung wirkt auf den Vertrag hingegen nur für die Zukunft ein. Dem neuen Recht unterliegen lediglich etwaige nach dem Statutenwechsel eintretende Wirkungen des Vertrages. 16 Diese allgemeinen Regeln zum Statutenwechsel führen dazu, daß Rechte Dritter i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB in ihrer ursprünglichen Form erhalten bleiben und nicht verloren gehen. Denn es handelt sich bei diesen Rechten um bereits vor der Vornahme der Rechtswahl erworbene Positionen, auf die nach den oben skizzierten Grundsätzen das alte Statut anzuwenden ist. Einer speziellen Schutzregelung für Drittrechte hätte es demnach im Hinblick auf die ex nunc-wirkende Rechtswahl nicht bedurft. Die Schutzbestimmung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann somit für den Fall der ex nunc-wirkenden Rechtswahl allenfalls als ein Hinweis gedacht sein, die allgemeinen Regeln zum Statuten wechsel zu beachten.
C. Statutenwechsel bei der ex tune-wirkenden Reehtswahl Im Zusammenhang mit Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist also allein die nachträgliche Rechtswahl mit ex tunc-Wirkung von Bedeutung. Es soll daher nun untersucht werden, welchen Einfluß eine rückwirkende nachträgliche Rechtswahl auf das Vertragsstatut hat. Dabei ist insbesondere herauszuarbeiten, ob ein Statutenwechsel eintreten kann und auf welche Weise die Vertragsparteien dem neu gewählten Statut gegenüber der ursprünglich für den Vertrag maßgeblichen Rechtsordnung Geltung verschaffen können.
I. Die Ansicht von der Unwandelbarkeit des Vertragsstatuts Neuerdings hat Fudickar mit beachtenswerter Argumentation dargelegt, daß den Kontrahenten zwar eine nachträgliche rückwirkende Rechtswahl gestattet
16 Vgl. MünchKomm I Sonnenberger. Einl.lPR. ROOr. 492 f.; Palandt I Heldrich. Ein!. vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 23; Kropholler. IPR. S. 166 ff.; Ferid. IPR. Rdnr. 1-54.
§ I: Die Wandelbarkeit des Schuldvertragsstatuts
23
sei und sie das Vertragsstatut verändern könnten. Ein Statutenwechsel trete dadurch indes nicht ein. 17 Wegen der Rückwirkung des Verweisungsvertrages sei das Schuldvertragsstatut unwandelbar. Fudickar differenziert in seiner Begründung zwischen zwei Fallgruppen: Bei der nachträglichen Iiickwirkenden Rechtswahl, mit der die Vertragspartner eine urspIiingliche objektive Anknüpfung durch eine subjektive ersetzen, modifizieren die Parteien durch den nachträglichen Verweisungsvertrag sowohl den Anknüpfungspunkt - statt der "engsten Verbindung" greift nunmehr der Parteiwille ein - als auch die relevanten Anknüpfungstatsachen. Die Fälle der späteren Änderung eines anfänglich geäußerten Partei willens durch einen späteren Verweisungsvertrag zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, daß sich ausschließlich die einschlägigen Anknüpfungstatsachen ändern.
1. Die erstmalige nachträgliche Rechtswahl Bei einer nachträglichen erstmaligen Rechtswahl mit ex tunc-Wirlmng genieße der nachträglich geäußerte Parteiwille aufgrund der subsidiären Anknüpfung im internationalen Schuldrecht im Zeitpunkt des Vertragsschlusses den Vorrang vor den übrigen Anknüpfungspunkten der Anknüpfungsleiter. 18 Wegen der Rückwirkung des Verweisungsvertrages auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses sei es so anzusehen, als hätten die Parteien das Vertragsstatut schon im Zeitpunkt des Vertragsschlusses durch Rechtswahl bestimmt. Dies führe aber nicht zu einem Wechsel des anzuwendenden Statuts. Vielmehr sei der mangels einer anfänglichen Rechtswahl urspIiinglich maßgebliche objektive Anknüpfungspunkt aufgrund des Vorrangs der subjektiven Anknüpfungspunktes als nie maßgeblich zu betrachten. Die bisherige, objektive Anknüpfung entfalle. Sie werde ersetzt durch die nunmehr vorrangige, subjektive Anknüpfung. Die gewählte Rechtsordnung sei als das von Anfang an allein maßgebliche Statut anzusehen. Von einem "urspIiinglichen" oder "an sich anwendbaren" Recht könne nicht die Rede sein. 19
17
Fudickar, S. 41, 51.
Fudickar, S. 53 (Er arbeitet entsprechend dem friiheren Kollisionsrecht mit dem hypothetischen Partei willen und dem Erlüllungsort als objektive Anknüpfungspunkte.) 11
19
Fudickar, S. 52, 78.
24
1. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
2. Die spätere Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages Im Falle der späteren rückwirkenden Änderung einer früheren Rechtswahlvereinbarung werde der ursprünglich geäußerte Parteiwille zugunsten des nachträglich bekundeten ersetzt 20 Die Parteien - so Fudickar - derogieren durch den späteren Verweisungsvertrag die anfängliche subjektive Anknüpfung. Eine Bezugnahme auf diese Anknüpfung sei demzufolge gar nicht mehr möglich. Daher sei auch bei einer nachträglichen ex tune-wirkenden ModifIkation der ursprünglichen Rechtswahl vom Zeitpunkt des Vertragsschlusses an immer nur ein Statut, nämlich das nachträglich berufene anwendbar gewesen. Nach Fudickars Konstruktion kann also bei keiner der beiden Fallgruppen einer späteren rückwirkenden Rechtswahl ein Statutenwechsel eintreten, weil sich die Rechtslage nach Abschluß des Verweisungsvertrages so darstelle, als sei die ursprünglich maßgebliche Rechtsordnung niemals auf den Vertrag anzuwenden gewesen, sondern immer allein die später gewählte Rechtsordnung. Damit entfalle auch die Notwendigkeit einer Bestandsschutzregelung für den Bereich der rückwirkenden Rechtskür. Denn ein Dritter könne aufgrund eines (ursprünglichen) Vertragsstatuts, das keine Anwendung auf den Vertrag gefunden habe, auch keine Rechte erworben haben, die es zu schützen gelte. 21
D. Kritik und eigene Konzeption Diese Auffassung begegnet allerdings unter verschiedenen Gesichtspunkten erheblichen Bedenken. Zunächst erscheint insbesondere in bezug auf die erstmalige nachträgliche Rechtswahl nicht hinreichend geklärt, worauf die alleinige Geltung des nachträglich gewählten Statuts beruht Sodann gilt es, die mit der Rückwirkung der nachträglichen Rechtswahl verbundene intertemporale Problematik zu beachten.
1. Die ausschließliche Geltung des nachträglich gewählten Rechts Bei der Frage des Geltungsvorrangs des nachträglich gewählten Vertragsstatuts vor dem ursprünglich maßgeblichen Recht ist eine Unterscheidung
1O
Fudickar, S. 77 f.
21
Fudickar, S. 104 f.
§ I: Die Wandelbarkeit des Schuldvertragsstatuts
25
zwischen der ersbnaligen nachträglichen Rechtswahl und der nachträglichen Änderung einer bei Vertragsschluß getroffenen Rechtswahlvereinbarung, wie Fudickar sie vornimmt, durchaus angebracht.
a) Die nachträgliche Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages Fudickars Argumentation im Hinblick auf die Fallgruppe der nachträglichen parteiautonomen Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages beruht auf der Annahme, der neue Verweisungsvertrag enthalte nicht nur die Einigung der Parteien über das neue Vertragsstatut, sondern auch eine Aufhebungsvereinbarung in bezug auf den bei Abschluß des Hauptvertrages vereinbarten Verweisungskontrakt Dieser Konstruktion ist zuzustimmen. Es ist den Parteien unbenommen, ihren ursprünglichen Rechtswahlvertrag durch einen entsprechenden "contrarius consensus" aufzuheben. Soweit der später geschlossene Verweisungsvertrag die Derogation nicht ausdrücklich ausspricht, enthält er die Aufhebungsvereinbarung in bezug auf die ursprüngliche Rechtskür zumindest konkludent. 22 Berufen also die Parteien in dem Moment, in dem die neue Rechtswahlvereinbarung die frühere Anknüpfung derogiert, eine andere Rechtsordnung, so wird der ursprüngliche Partei wille durch einen anderen Partei willen ersetzt Die Derogation vollzieht sich entsprechend je nach dem, ob das neue Statut nach dem Parteiwillen rückwirkend eingreifen soll oder nicht, ihrerseits ex nunc oder ex tunc. 23 Auf diese Weise kommt also sowohl bei der Derogation ex tune als auch bei der Derogation ex nunc nur eine, und zwar die später gewählte Rechtsordnung, auf den Vertrag zur Anwendung. Damit ist die alleinige Geltung des nachträglich durch die Parteien berufenen Vertragsstatuts für die Fallgruppe des späteren, zweiten Verweisungsvertrages begründet.
n Der Aufbebungsvertrag ist in aller Regel mit einer neuerlichen Rechtswahl verbunden. Er kann aber auch geschlossen werden, ohne daß ein neues Recht zur Anwendung berufen wird. Bei einer solchen schlichten Derogation des ursplÜnglichen Verweisungsvertrages tritt dann die objektive Anknüpfung an die Stelle der anfänglichen subjektiven. 23 Daß ein Vertrag IÜckwirkend aufgehoben werden kann, ist anerkannt, vgl. BGH NIW 1978, 2198; MünchKomm I vFeldmann, § 397 BGB Rdnr. 12; Staudinger I Löwisch, § 305 BGB Rdnr.46.
26
I. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
b) Die ersbnalige nachträgliche Rechtswahl Der Fudickars Argumentation zugrundeliegende Gedanke, zwischen dem objektiven Anknüpfungspunk "engste Verbindung" und dem subjektiven Anknüpfungspunkt "Parteiwille" bestehe eine Rangfolge24, wird durch die subsidiäre Anknüpfung des Schuldvertrages in Art. 28 Abs. I S. I EGBGB klar und unbestreitbar zum Ausdruck gebracht.
aa) Das Rangverhältnis der Anknüpfungen als Fehler der Konzeption Fudickars Angreifbar erscheint jedoch die Auffassung Fudickars, der Vorrang des subjektiven vor dem objektiven Anknüpfungspunkt bei der erSbnaligen nachträglichen Rechtswahl beruhe auf der Subsidiarität der Anknüpfungspunkte i.S.d. Art. 28 Abs. I S. I EGBGB. Im Falle der nachträglichen Rechtswahl gilt die Subsidiarität der Anknüpfungspunkte immer nur bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt25 , und zwar entweder auf den Zeitpunkt der Rechtswahl oder den Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptvertrages. 26 Haben die Parteien bei Abschluß des Hauptvertrages keine Rechtswahl getroffen, so kann die objektive Anknüpfung an die "engste Verbindung" zum Beispiel gern. Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 EGBGB über den gewöhnlichen Aufenthalt derjenigen Partei erfolgen, die die vertragscharakteristische leistung erbringt. Dabei ist die Subsumtion der Tatsache des gewöhnlichen Aufenthalts unter den Anknüpfungspunkt "engste Verbindung" im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorzunehmen. Der Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptvertrages ist gleichzeitig der Anknüpfungszeitpunkt.
24 Fudickar hat seine Argumentation vor dem Inkrafttreten des neuen IPR-Gesetzes entwickelt. Sie wird hier auf die Anknüpfungen der Art. 27, 28 EGBGB übertragen. Es kann im übrigen für die folgenden Überlegungen auf eine weitere Differenzienmg der subjektiven Anknüpfung in die (untereinander wiederum subsidiären) Anknüpfungsmomente ..ausdrückliche Rechtswahl" und •.hinreichend sichere stillschweigende Rechtswahl" verzichtet werden. 25
Martiny in Reithmann I Martiny. Rdnr. 61.
Als Hauptvertrag wird das Rechtsgeschäft bezeichnet. auf das sich die nachträgliche Rechtswahlvereinbarung der Parteien bezieht. 20
§ I: Die Wandelbarkeit des Schuldvertragsstatuts
27
Einigen sich die Parteien jedoch später mit ex tunc-Wirkung auf ein anderes Statut als das zunächst für den Vertrag geltende, so sind zwei Zeitpunkte zu unterscheiden: der Zeitpunkt des Abschlusses des Verweisungsvertrages, in dem die Anknüpfungstatsache des nachträglich geäußerten Partei willens entstanden ist, und der Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptvertrages, in dem der Verweisungsvertrag aufgrund seiner rückwirkenden Kraft Wirkung zu entfalten beginnt. Statt der ursprünglich objektiven Anknüpfung bestimmt nunmehr die nachträglich "ins Leben gerufene" subjektive Anknüpfung über das Vertragsstatut. Dies beruht jedoch nicht, wie Fudickar meint, auf dem durch Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB gebotenen Rangverhältnis der Anknüpfungspunkte. Denn dieses Rangverhältnis besteht eben nur bezogen auf den Zeitpunkt des Abschlusses des späteren Verweisungsvertrages. Aus der Rangkollision der Anknüpfungspunkte läßt sich allenfalls herleiten, daß der nachträglich geäußerte Partei wille Priorität vor der engsten Verbindung des Vertrages im Zeitpunkt der späteren Rechtswahlvereinbarung hat. 21 Die vorrangige Geltung des später gewählten Rechts gegenüber dem Statut, das aufgrund der engsten Verbindung im Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptvertrages maßgeblich war, kann also mit dem Rangverhältnis der Anknüpfungen i.S.d. Art. 28 Abs. 1 S. 1 EGBGB nicht begründet werden.
bb) Die Derogation des ursprünglichen Vertragsstatuts Um zu begründen, daß das später gewählte Recht bei einer erstmaligen nachträglichen Rechtswahl ausschließlich auf den Vertrag anzuwenden ist, muß wie im Falle der nachträglichen Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages - zunächst die Frage beantwortet werden, wie die Geltung des ursprünglich maßgeblichen Vertragsstatuts aufgehoben werden kann. Bei der nachträglichen Änderung einer anfänglichen Rechtswahl beruht die Anwendung des ursprünglichen Vertragsstatuts auf einem Vertrag der Kontrahenten, der durch einen parteiautonomen contrarius actus ohne weiteres beseitigt werden kann. Bei der erstmaligen nachträglichen Rechtswahl ist die Maßgeblichkeit des ursprünglichen Vertragsstatuts auf eine gesetzliche objektive Anknüpfung zurückzuführen. Zur Derogation einer gesetzlichen Verweisungsanordnung, die bereits Wirksamkeit entfaltet hat, bedarf es aber eines ebenfalls gesetzlichen %7 Die objektive Anknüpfung des Schuldvertrages wird zwar in der Regel gern. Art. 28 Abs. 24 EGBGB im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorzunehmen und damit unwandelbar sein. Doch ist dies nicht zwingend der Fall, wie Art. 28 Abs. 5 EGBGB zeigt.
28
I. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
contrarius actus oder zumindest einer gesetzlichen Regelung, die eine nachträgliche Derogation der bereits wirksamen objektiven Anknüpfung durch die Vertragspartner zuläßt.
(1) Die Derogation früherer Gesetze Einer solchen Regelung, die das Problem der Aufhebung einer gesetzlichen objektiven Anknüpfung löst, bedarf es aber nicht nur bei der erstmaligen nachträglichen Rechtswahl, sondern auch bei der - in bestimmten Fällen zulässigen 28 - rückwirkenden Änderung kollisionsrechtlicher Gesetze. Bei der Änderung einer Kollisionsnorm durch den Gesetzgeber wird eine neue Norm in Kraft gesetzt; durch sie wird an die Stelle des nach der alten IPR-Norm maßgeblichen Anknüpfungspunktes der Anknüpfungspunkt der neuen Regelung gesetzt. Zwischen der Situation bei einer Gesetzesänderung und der Situation bei der nachträglichen Rechtswahl besteht in bezug auf die Wirkungen (Wechsel des Anknüpfungspunktes) kein Unterschied; lediglich die Ursache für den Eintritt dieser Wirkungen differiert. Die Art und Weise der Derogation einer gesetzlichen objektiven Anknüpfung, wie sie bei der nachträglichen Rechtswahl stattfmdet, läßt sich daher anhand des Derogationsvorgangs bei der rückwirkenden Gesetzesänderung darstellen. Eine Änderung von Rechtsvorschriften führt zur Geltung einer neuen, von den überkommenen Normen verschiedenen gesetzlichen Regelung. Wie läßt sich nun erklären, daß vom Zeitpunkt der Anwendbarkeit des neuen Gesetzes an nur noch dieses und nicht mehr die frühere Regelung Geltung beanspruchen kann? Die Antwort liegt in dem Prinzip "lex posterior derogat priori".29 Dieser der römischen JurisprudenzJO entstammende Grundsatz drückt aus, daß die Geltung der früheren gesetzlichen Regelung in dem Moment aufgehoben wird, in dem die neue Vorschrift Wirksamkeit entfaltet. Die Derogation des früheren Ge-
] I Über die Vorausset7l1ngen einer zulässigen Rückwirkung von Gesetzen und die neuen Entwicklungen in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. vgl. BVerfGE 23. 261. 271; 37.363.397 f.; 45. 142. 173 f.; 72. 200. 258 ff.; Fiedler. NJW 1988. 1624 ff.
29
Dig. 1.4.4 (Modestin); Baldus. Dig. 9.2.1.
Nach Regelsberger (S. 110) entspricht der Rechtssatz in materieller Hinsicht den Quellen. wenn er als solcher auch nicht quellenmäßig ist. lO
§ 1: Die Wandelbarkeit des Schuldvertragsstatuts
29
setzes kann nach der lex posterior-Regel nicht nur ex nunc, sondern auch mit rückwirkender Kraft erfolgen. Entfaltet nämlich ein neues Gesetz zulässigerweise rückwirkende Kraft, so muß auch eine Rückwirkung der Aufhebung des früheren Gesetzes auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des neuen Gesetzes als vom Gesetzgeber gewollt angesehen werden; denn andernfalls würde ein Sachverhalt von zwei unter Umständen sich widersprechenden gesetzlichen Normen gleichzeitig beherrscht. Das lex posterior-Prinzip muß im übrigen auch dann als geltendes Recht beachtet werden, wenn es nicht ausdrücklich bei jeder Gesetzesänderung mitnormiert wird, denn der Gesetzgeber sieht dieses Prinzip als selbstverständlich an und setzt es stillschweigend voraus. JI Ändert also der Gesetzgeber eine IPR-Norm rückwirkend, so wird kraft des lex posterior-Satzes die in der alten Kollisionsnorm enthaltene gesetzliche objektive Anknüpfung rückwirkend aufgehoben.
(2) Die Aufhebung der gesetzlichen objektiven Anknüpfung bei der nachträglichen Rechtswahl Die Derogation der gesetzlichen objektiven Anknüpfung bei der nachträglichen erstmaligen Rechtswahl vollzieht sich in einer dem Vorgang bei der Gesetzesänderung entsprechenden Weise. Nach Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB "war" die anfänglich anwendbare Rechtsordnung bis zum Zeitpunkt des Inkrafttretens eines anderen Rechts maßgebend. Dadurch, daß der Gesetzgeber im Imperfekt formuliert, wird ganz deutlich, daß nicht das frühere und das spätere Statut für einen bestimmten Zeitraum den Vertrag gleichzeitig beherrschen, sondern die nachträglich gewählte Rechtsordnung allein gelten soll. Dies ist aber bei einer rückwirkenden Rechtswahl ohne unüberbrückbare Kollision der beiden Statuten nur dann vorstellbar, wenn ein Regelungsvorverständnis des Gesetzgebers angenommen wird, das einen solchen Konflikt ausschließt. Es ist daher davon auszugehen, daß der Gesetzgeber mit Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB indirekt eine intertemporale Regel für das internationale Schuldvertragsrecht aufstellt, die inhaltlich dem lex posterior-Grundsatz entspricht. Man könnte also für das internationale Schuldvertragsrecht den Grundsatz formulieren: statuta
31 Kelsen, S. 89, 102; Regelsberger, S. 110. - Dabei kann Wlberücksichtigt bleiben, ob es sich bei dem Satz um ein logisches Prinzip oder um einen positiv-rechtlichen Grundsatz handelt. Vgl. dazu Kelsen, S. 102.
30
1. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
posteriora derogant statutis prioris, und zwar gegebenenfalls (also bei einer rückwirkenden nachträglichen Rechtswahl) ex tunc. Mit Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB bringt der Gesetzgeber also - zwar nicht ausdrücklich, aber konkludent - zum Ausdruck, daß der ursprüngliche objektive Anknüpfungspunkt in dem Zeitpunkt derogiert wird, in dem der nachträgliche Verweisungsvertrag seine Wirkung auf den Vertrag entfaltet. Die erstmalige rückwirkende Rechtswahl führt dazu, daß die ursprünglich auf Gesetz beruhende, objektive Anknüpfung und damit die Geltung des anfänglich maßgeblichen Vertragsstatuts rückwirkend aufgehoben ist. Es gilt vom Abschluß des Vertrages an allein die nachträglich gewählte Rechtsordnung.
2. Der intertemporale Konflikt zwischen dem alten und dem neuen Statut a) Problemstellung Sowohl bei der erstmaligen nachträglichen Rechtswahl als auch bei der späteren Änderung eines ursprünglich geschlossenen Verweisungsvertrages scheint sich also die Auffassung Fudickars zu bestätigen, daß man von einem nur anfänglich maßgeblichen Vertragsstatut und somit auch von einem Statutenwechsel im internationalen Schuldvertragsrecht nicht sprechen kann. Denn das nachträglich gewählte Recht beherrscht von Anfang an jeweils ausschließlich den gesamten Vertrag. Allerdings ist bisher lediglich dargestellt worden, wie die alleinige Geltung des nachträglich gewählten Rechts zu erklären ist. Dabei blieb jedoch unberücksichtigt, daß die rückwirkende Derogation des ursprünglichen Vertragsstatuts nicht zugleich bedeutet, daß die Rechtslage so anzusehen ist, als habe sich dieses Statut niemals und in keiner Beziehung auf den Vertrag ausgewirkt. Die mit der nachträglichen rückwirkenden Rechtswahl verbundene rückwirkende Aufhebung der Anknüpfung des Vertrages an die engste Verbindung bzw. den ursprünglichen Partei willen bewirkt allein noch nicht, wie Fudickar offenbar meint, daß man so verfahren kann, als habe ein anfänglicher Partei wille nie existiert. Insofern übersieht Fudickar die intertemporale Problematik der Rückwirkung der nachträglichen Rechtswahl. 32
32
So auch Martiny in Reithmann / Martiny, Rdnr. 61.
§ I: Die Wandelbarlceit des Schuldvertragsstatuts
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Sowohl bei der späteren Änderung eines anfänglichen Verweisungsvertrages als auch bei der ersbnaligen nachträglichen Rechtswahl stellt sich die Frage der zeitlichen Kollision der ursprünglichen und der nachträglichen Anknüpfung, und zwar in praktisch der gleichen Weise. Der einzige Unterschied besteht darin, daß die zeitliche Kollision bei der ersten Fallgruppe zwischen zwei subjektiven Anknüpfungspunkten entsteht, bei der zweiten Fallgruppe hingegen zwischen dem anfänglichen objektiven und dem nachträglichen subjektiven Anknüpfungsmoment. Die zeitliche Kollision der Anknüpfungspunkte ergibt sich daraus, daß der Vertrag zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit verschiedenen Anknüpfungspunkten oder, weniger technisch, der Sachverhalt in bestimmten Zeitpunkten mit bestimmten Rechtsordnungen verbunden wird. 33 Über den ursprünglichen objektiven oder subjektiven Anknüpfungspunkt A wird der Sachverhalt im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Rechtsordnung X verbunden, der später gewählte Anknüpfungspunkt B verknüpft den Sachverhalt dagegen im Zeitpunkt des Abschlusses des späteren Verweisungsvertrages mit der Rechtsordnung y.34 Es geht insofern - entgegen der Ansicht Fudickars zur erstmaligen nachträglichen Rechtswahl - nicht um die Kollision mehrerer Anknüpfungspunkte in einem bestimmten Zeitpunkt, wie sie bei der subsidiären Anknüpfung anzutreffen ist; es handelt sich vielmehr um die Kollision von Anknüpfungspunkten, die zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit dem Anknüpfungsgegenstand verbunden werden. Für den Fall, daß die spätere Anknüpfung auf den Zeitpunkt der früheren Anknüpfung zurückwirkt, beginnen allerdings beide Anknüpfungen im gleichen Zeitpunkt zu wirken, nämlich im Zeitpunkt des Abschlusses des Hauptvertrages. Das hat zur Folge, daß der Sachverhalt für den Zeitraum zwischen der anfänglichen und der nachträglichen Anknüpfung mit zwei unterschiedlichen Rechten verbunden wird, wobei in bezug auf den genannten Zeitraum tatsächlich jeweils nur eine Rechtsordnung gilt: bis zur Rechtswahl das ursprünglich maßgebliche und nach der Rechtswahl das nachträglich gewählte Vertragsstatut.
)) Die spätere Rechtswahl muß dabei nicht notwendig zu einem anderen Vertrags statut führen als die objektive Anknüpfwtg, sondern kann auch dieselbe Rechtsordnung wie diese zur Anwendung berufen. Sinnvoll kann dies etwa dann sein, wenn Unsichemeiten über das aufgrund der anfänglichen objektiven Anknüpfwtg maßgebliche Statut bestehen und durch die nachträgliche Rechtskür beseitigt werden sollen. ).( Hier wird aus Gründen der Klameit nicht die technische Ausdrucksweise gewählt, nach der die Kollisionsnorm den Anknüpfungsgegenstand mit dem Anknüpfungspunkt verknüpft.
32
l. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
Diese zeitliche Kollision der beiden Rechtsordnungen läßt sich nicht mit dem Hinweis lösen, der nachträgliche Verweisungsvertrag derogiere rückwirkend die ursprüngliche Anknüpfung, so daß diese gänzlich unberücksichtigt bleiben könne. Die zunächst maßgebliche Anknüpfung bzw. Rechtsordnung kommt zwar infolge der rückwirkenden Aufhebung grundsätzlich in keiner Beziehung mehr zur Anwendung. Dies macht aber nicht rückgängig, daß sich - bevor die nachträgliche Rechtswahl getroffen wurde - die Rechtsfolgen des Vertrages in tatsächlicher Hinsicht in dem Zeitraum vor der nachträglichen Rechtswahl nicht nach der später gewählten, sondern nach der ursprünglich berufenen Rechtsordnung gerichtet haben. Darin kommt gerade zum Ausdruck, daß der Vertrag in zwei unterschiedlichen Zeitpunkten mit unterschiedlichen Parteiwillen verbunden wurde. Bezogen auf den Zeitraum zwischen dem Abschluß des Hauptvertrages und dem Abschluß des Verweisungsvertrages kollidieren also trotz der rückwirkenden Derogation des ursprünglichen Verweisungsvertrages das in diesem Zeitraum tatsächlich geltende Statut und das kraft der späteren Rechtswahlvereinbarung rückwirkend in Kraft gesetzte Statut. Dieser Konflikt zwischen der anfänglich anwendbaren und der später gewählten Rechtsordnung ist intertemporaler Natur.
b) Die Rückwirkung als Fiktion Die Lösung dieses intertemporalen Konfliktes liegt in der Interpretation der Rückwirkung als Fiktion.
aa) Die Rückwirkungsflktion bei der Gesetzesänderung Wird ein Gesetz rückwirkend durch ein anderes ersetzt, so entfaltet das neue Gesetz bereits in einem Zeitraum Wirkung, der vor seiner Verkündung liegt. Die Geltung des alten Gesetzes wird für diesen Zeitraum aufgehoben. Daher könnte tatsächlich davon auszugehen sein, daß in dem besagten Zeitraum das frühere Gesetz nie in Kraft war, sondern einzig und allein das später erlassene. Die Rechtsfolgen des früheren Gesetzes sind jedoch zunächst tatsächlich eingetreten. Die Gesetzesadressaten haben sich in diesem Zeitraum ausschließlich nach dem früheren, derogierten Gesetz gerichtet, denn die Regelungen des neuen Gesetzes waren ja vor seiner Verkündung noch gar nicht existent. Für den Sachverhalt, der sich in dem Zeitraum vor der Verkündung des neuen Gesetzes zugetragen hat, beruht sowohl die Nichtgeltung des früheren als auch die Gel-
§ 1: Die Wandelbatkeit des Schuldvertragsstatuts
33
tung des neuen Gesetzes auf einer Fiktion. 35 Es wird entgegen den wirldichen Verhältnissen so angesehen, als habe das frühere Gesetz in der Vergangenheit nicht gegolten, sondern das neue36; dies bedeutet, daß so getan wird, als seien nicht die Rechtsfolgen des alten, sondern des neuen Gesetzes eingetreten. Dieser Wechsel von den tatsächlichen zu den fingierten Rechtsfolgen für die Vergangenheit wird bei der Rückwirkung von Gesetzen dadurch berücksichtigt, daß diese dem Gesetzesadressaten überhaupt nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen zugemutet werden darf. 31
bb) Die Fiktion bei der Rückwirkung des nachträglich gewählten Rechts Bei der nachträglichen rückwirkenden Rechtswahl kommt es ebenso wie bei der rückwirkenden Gesetzesänderung zu einer Rückwirkungsftktion. Die Parteien, die ihrem nachträglichen Verweisungsvertrag retroaktive Wirkung beimessen, bewirken, daß an ihr Verhalten in der Vergangenheit andere als die urspünglichen Rechtsfolgen geknüpft werden. 38 Es wird so verfahren, als seien die Rechtsfolgen des später gewählten Rechts eingetreten und nicht die Rechtsfolgen des Statuts, das in dem Zeitraum zwischen dem Abschluß des Hauptvertrages und des Verweisungsvertrages tatsächlich gegolten hat. Dieser Wechsel von dem in der Vergangenheit real geltenden zu dem fmgierten Vertragsstatuf 9 läßt sich als Statutenwechsel oder Statutentausch40 bezeichnen. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, die Rechtsfolgen des ursprünglichen Statuts seien wegen der Rückwirkungsftktion als nie eingetreten anzusehen. Denn es handelt sich bei der Nichtgeltung des ursprünglichen Statuts eben nur um eine Fiktion. Diese Fiktion kann aber unter Umständen später, nach dem Ab-
3S
Dies ist allgemein anetkannt. Kisker, S. 24; Scheuermann, S. 34; Scheerbarth, S. 7, 20.
Nach einer vom BVerfG neuerdings zum Teil verwendeten Formel wird fingiert, daß sich der zwischen dem Inkrafttreten und der Vetkündung des neuen Gesetzes verwitkIichte Sachverhalt erst nach der Vetkündung des neuen Gesetzes al3gespielt hat. Daraus ergeben sich jedoch keine anderen, für die Frage der Wandelbatkeit des Schuldvertragsstatuts relevanten Konsequenzen. V gl. zu diesem Ansatz BVerfGE 63, 343, 353; 72, 200, 241; Fiedler, NJW 1988, 1624, 1625 ff. )6
TI
Vgl. BVerfG 23, 261,271; 37, 363, 397 f.; 45, 142, 173 f.; 72, 200,258 ff.
)3
Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 61; Schack, NJW 1984,2736, rt39 (Fn. 58).
Die Geltung des nachträglich gewählten Statuts wird natürlich nur für die Vergangenheit fingiert. 39
«l Diesen sehr plastischen Begriff hat Raape (FS Boehmer, S. Ill, ll7) für den Fall des rückwirkenden Eingreifens der nachträglich gewählten Rechtsordnung entwickelt
3 Möllenhoff
34
1. Teil: Einfluß einer nachträglichen Rechtswahl auf das Vertragsstatut
schluß des Verweisungsvertrages, ihre Geltung wieder verlieren, etwa dann, wenn der nachträgliche Verweisungsvertrag seinerseits wieder aufgehoben oder wirksam angefochten wird. Dann müssen die Rechtsfolgen des ursprünglich anwendbaren Vertragsstatuts aber wieder aufleben können. Somit gebietet es die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, das ursprünglich maßgebliche Vertragsstatut nicht "unter den Tisch fallen" zu lassen, sondern als ehemals anwendbares Recht zu beachten.41 Außerdem zeigt gerade Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB, daß die Rechtsfolgen der anfänglich auf den Vertrag anwendbaren Rechtsordnung auch noch nach einer nachträglichen Rechtswahl zu berücksichtigen sein können. Denn für die Frage, ob das nach Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu schützende Drittrecht als Rechtsfolge des Vertrages entstanden ist, muß auf den Zeitpunkt abgestellt werden, in dem der Dritte das potentiell entstandene Recht erworben hat. In diesem Zeitpunkt galt aber noch das ursprüngliche Vertragsstatut. Insofern können einerseits die Rechtsfolgen des Vertrages nach dem alten Vertragsstatut nicht immer außer Betracht bleiben, andererseits kann das neue Vertragsstatut nicht in jeder Beziehung die Rechtsfolgen des Vertrages bestimmen. Somit kann und muß man das Recht, das aufgrund der ursprünglichen Anknüpfung auf den Vertrag anzuwenden war, als ursprüngliches Vertragsstatut berücksichtigen. Die anfänglich maßgebliche Rechtsordnung ist nach den getroffenen Feststellungen auswechselbar. Auch wenn eine Änderung des Vertragsstatuts von den Parteien mit Rückwirkung vorgenommen wird, liegt ein Statutenwechsel vor. Das Schuldvertragsstatut ist also wandelbar. Daraus ergeben sich entgegen der Ansicht der Kritiker dieser Auffassung keine unlösbaren logischen Probleme. Auch wird sie den Erfordernissen der Praxis sowie dem Willen der Parteien gerecht.42 Diese Lösung entspricht schließlich einzig und allein den Vorstellungen des Gesetzgebers, der mit der Bestandsschutzregelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB eine Vorschrift geschaffen hat, die gerade auf den Fall eines Statutentausches zugeschnitten ist. Die Norm wäre ohne Sinn und unverständlich, wenn es zu einem Statutenwechsel nicht kommen könnte.43
41
Vgl. Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 61.
Vgl. Raape, PS Böhrner, S. III f.; entgegen Fudickar (S. 40) dürfte auch die durch das Eingreifen des neuen Vertragsstatuts verursachte Änderung der materiellen Rechtslage als Folge der nachträglichen Rechtswahl vom Willen der Vertragspartner gedeckt sein. 42
43
So auch Fudickar, S. 107.
Zweiter Teil
Die gedanklichen Grundlagen der Regelung Um die Vorschrift des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB verstehen und richtig auslegen zu können, bedarf es einer Erörterung der Grundgedanken, auf denen die Vorschrift beruht.
§ 2 Der Schutz wohlerworbener Rechte Die Materialien zum EG-Schuldvertragsübereinkommen1 und zum neuen IPRGesetz2 führen aus, daß es bei Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB darum geht, Rechte Dritter zu schützen, die diese aufgrund des ursprünglichen Vertragsstatuts erworben haben. Der Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB weist demnach Bezugspunkte zu der "Lehre von den wohlerworbenen Rechten"J auf. Diese Theorie besagt, daß ein subjektives Recht, das aufgrund der geltenden Rechtsordnung erworben wurde, trotz einer Änderung des maßgeblichen objektiven Rechts erhalten bleibt. 4 Die Lehre hat sowohl im internationalen als auch im intertemporalen Recht Bedeutung erlangt.
A. Die Bedeutung des Prinzips in internationalprivatrechtlicher Hinsicht Im Kollisionsrecht wurde die Lehre der wohlerworbenen Rechte ursprünglich als Begründung für die Anwendung ausländischen Rechts durch inländische Gerichte herangezogen. Die Anwendung fremden Rechts rechtfertige sich aus der I
Giuliano I Lagarde, ABI-EG, S. 18.
2
BT-Drucksache 10/504, S. 77.
Vgl. zur Geschichte dieses Grundsatzes H. Müller, S. 10 CC.; Affolter, S. 572 Cf.; v. Bar, IPR I, Rdnr. 144 Cf. 3
4 Staudinger I Coing, Ein!. Rdnr. 248; Frankenstein, IPR I, S. 133; Affolter, S. 296-321; Gierke, S.192.
36
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der Regebmg
Überlegung, daß die nach ausländischen Rechtsordnungen wohlerworbenen Rechte durch die Gerichte des forum anzuerkennen seien. Eine solche Begründung hielt man für erforderlich, weil die frühen Vertreter der Lehre von den wohlerworbenen Rechten meinten, die Entscheidungen der inländischen Gerichte dürften grundsätzlich nicht von Rechtsregeln anderer Staaten abhängen; habe ausländisches Recht Einfluß auf inländische gerichtliche Entscheidungen, so werde der Grundsatz der strikten Territorialität des Rechts, der die Anwendung fremder Gesetze außerhalb der Gebietshoheit des Erlaßstaates verbiete, und die Souveränität des eigenen Staates verietzt S Diese Erklärung der Lehre von den wohlerworbenen Rechten für die Bedeutung ausländischen Rechts für inländische gerichtliche Entscheidungen ist zwar seit langem der Erkenntnis gewichen, daß inländische Gerichte fremdes Privatrecht befolgen, weil das eigene, nationale Kollisionsrecht ihnen die Anwendung der ausländischen Rechtsordnung befiehlt.6 International herrschende und in der kollisionsrechtlichen Gesetzgebung allgemein praktizierte Auffassung ist indes auch heute, daß die nach einem ausländischen Statut erworbenen Rechte anerkannt werden.7 Ein entsprechendes völkerrechtliches Gebot oder eine Verpflichtung zur Anerkennung fremder Rechte dürfte es zwar nicht geben8 ; die Anerkennung steht vielmehr im Belieben eines jeden Staates.9 Allerdings werden die einzelnen Länder im Interesse der Kontinuität des Rechts und aus Erwägungen der Gegenseitigkeit die nach ausländischem Recht erworbenen Rechte so behandeln, als ob sie nach inländischem Recht erworben worden sind. 1O Die Staaten sichern daher durch die Kodifikation entsprechender Schutzklauseln die Anerkennung und damit den Weiterbestand von nach fremden Rechtsordnungen erworbenen subjektiven Rechten und rechtlichen Positionen. l1
5 v. Bar, IPR I, Rdnr. 145 ff.; Kropholler, IPR, S. 126; Beale, 10 (1896/97) HalV.LRev. 168 (zitiert nach v. Bar, IPR I, Rdnr. 147). 6
MünchKomm I Sonnenberger, Einl.IPR Rdnr. 448; Kropholler, IPR, S. 1; Dölle, S. 100.
7
Brintzinger, FamRZ 1968, 1,7.
• v. Bar, IPR I, Rdnr. 153 f.; a.A. jedoch Ferid, Neubürger, S. 24; Zitelmann, IPR I, S. 153; M.
W oljf, S. 11. 9
Brintzinger, FamRZ 1968, 1,7; Frankenstein, IPR I, S. 153; Schnitzer, S. 260.
10
Schnitzer, S. 262; Rohs, NiemZ 14 (1904), 362,366; Zitelmann, IPR I, S. 153.
Vgl. Brintzinger, FamRZ 1969, 1,7; Schnitzer, S. 261. Die Existenz eines allgemeinen kollisionsrechtlichen Grundsatzes des Inhalts, daß wohlerworoene Rechte zu schützen sind, verneinen jedoch Kropholler, !PR, S. 128 f.; Tomaszewski, Rev.crit 1972,567,599; Carswell, IntCompLQ 1959,268,286,288. 11
§ 2: Der Schutz wohlerworbener Rechte
37
Solche Bestimmungen fmden sich im Kollisionsrecht zum Schutz erworbener Rechtsp6sitionen vor den Folgen von Statutenwechseln, die durch die Änderung der maßgeblichen Anknüpfungstatsachen hervorgerufen werden. Hierfür liefern etwa die Art. 7 Abs. 2, 26 Abs. 5 S. 2 EGBGB Beispiele aus dem deutschen IPR. Diese Regelungen schützen vor dem Verlust einer einmal erworbenen Handlungs-, Rechts-, Geschäfts- und Testierfähigkeit, also eines rechtlichen Status. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist seinem Rechtsgedanken nach ebenfalls in die Kategorie der Vorschriften einzureihen, welche den Bestand von Rechten sichern sollen, die nach einer - gegenüber dem aktuell anwendbaren Statut fremden Rechtsordnung entstanden sind. 12
B. Der Schutz wohlerworbener Rechte und der Grundsatz der Nichtrückwirkung von Gesetzen Im intertemporaien Recht spielt das Prinzip der wohlerworbenen Rechte ebenfalls im Zusammenhang mit dem Statutenwechsel eine Rolle, der hier allerdings nicht durch Veränderungen der Anknüpfungstatsachen, sondern durch Gesetzesänderungen hervorgerufen wird. Der im intertemporalen Recht herrschende Grundsatz zum Schutz wohlerworbener Rechte drückt sich in dem Gebot der Nichtrückwirkung von Gesetzen aus. Im Grunde war dieses Prinzip schon dem römischen Recht bekannt: Leges et constitutiones futuris certum est dare formam negotüs, non ad facta praeterita revocari, nisi nominatim etiam de praeterito tempore adhuc pendentibus negotiis cauturn sit.13 Dieser Satz bildet die gedankliche Grundlage für die Formeln: "Gesetze haben keine rückwirkende Kraft" und ,,Erworbene Rechte bleiben von neuen Gesetzen unberührt" .14 Für Savigny sind diese beiden Formeln der Nichtrückwirlmng von Gesetzen und des Schutzes erworbener Rechte nur zwei aus unterschiedlicher Perspektive ausgedrückte Wendungen ein und desselben Grundsatzes. 15 Diese Auffassung ist zwar des öfteren kritisiert worden. 16
12
Vgl. Kegel, S. 424.
13
Cod. I, 14,7; vgl. Habicht, S. 2.
14
Habicht, S. 2.
15
Savigny, S. 384.
38
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der Regelung
Doch fmden sich auch heute noch Klauseln in Gesetzen und Abkommen, die mit der Formulierung ,,Rechte werden geachtet" oder ,,Rechte werden nicht berührt" Rückwirkungen neuer Regelungen zu vermeiden suchen. 17 Die Lehre von den wohlerworbenen Rechten wird in diesen Fällen in ihrer Funktion als "Anknüpfungsmaxime"18 verwendet, um die zeitliche Kollision zwischen Rechtsvorschriften zu regeln. Insofern kann sie unter Umständen auch bei der Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB eine Rolle spielen.
c. Konsequenzen für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB
Zum Teil ist angezweifelt worden, daß die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB auf der Lehre von den wohlerworbenen Rechten beruht 19 Ob und inwieweit diese Lehre, die sich weder im Bereich des internationalrechtlichen Statutenwechsels noch im Bereich des Übergangsrechts durchgesetzt hat20, für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB fruchtbar gemacht werden kann, erscheint angesichts der Unzulänglichkeiten dieser Theorie in der Tat zweifelhaft. Gegen die Lehre von den wohlerworbenen Rechten ist immer wieder der Einwand erhoben worden, sie führe auf einen bloßen Zirkel. 21 Bevor man sagen könne, daß ein bestimmtes subjektives Recht erworben worden sei, müsse man wissen, nach welcher Rechtsordnung sich dieser Erwerb vollzogen habe. Um diese Rechtsordnung bestimmen zu können müsse man jedoch voraussetzen, daß das subjektive Recht entstanden sei. Diese Kritik greift in gewissem Um-
16 Göppert, JherJb. Bd. 22 (1884), 1,91 Cf.; Pfaff I Hofmann, Kommentar zwn österreichischen ABGB I, S. 156-166, Wien 1877 sowie in Exkurse I, S. 128 Cf. (heide zit. nach Göppert, a.a.O., S. 106 und Gierke, § 23 IV, S. 191 (Fn. 28)). Sie sehen in den heiden Prinzipien zwar nach Grund und Umfang unterschiedliche Axiome, deren Wirkungen allerdings generell übereinstimmen. Vennittelnd äußert sich Gierke, § 23 IV, S. 191 (Fn.28).
17 So z.B. Art. 12 Abs. 2 Genfer Flüchtlingsabkomrnen (BGBl1953 n, S. 560 Cf.); Art. XIX S. 3 Welturheberrechtsabkomrnen (BGBI 1955 n 101 Cf.); § 8 HeimatlAusIG (BGBI 1951 ( 269) (vgl. dazu'Brintzinger, FamRZ 1968, 1,7 f.).
I' Vgl. Kropholler, IPR, S. 126. 19
Tomaszewski, Rev. crit. 1972,567,599; North, FS Lipstein, S. 205,220.
Jl Vgl. die kritischen Ausführungen von Kropholler, (PR, S. 128 f.; v. Bar, IPR (, Rdnr. 152,154; Scheuermann, S. 36; Müller, S. 307 ff. ZI
Kropholler, IPR, S. 126; Savigny, S. 132.
§ 2: Der Schutz wohlerworbener Rechte
39
fang auch bei der Anwendung der Lehre auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Die Bestimmung der Rechtsordnung, die der Entstehung des Rechts i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zugrundeliegt, bereitet zwar dann keine Schwierigkeiten, wenn das ursprüngliche Vertragsstatut auf einer zwischen den Parteien unstreitigen Rechtswahl beruht oder sich eindeutig aufgrund einer objektiven Anknüpfung ergibt. Haben die Parteien die nachträgliche Rechtswahl hingegen vorgenommen, um eine Unsicherheit über das anfiingliche Vertragsstatut zu beseitigen, so kann die Feststellung, ob der Dritte ein Recht erworben hat, durchaus problematisch sein, eben weil sich das anfängliche Vertragsstatut nicht ermitteln läßt. In der Praxis ist diese Zirkelschlußproblematik jedoch nicht von großer Bedeutung. Im Prozeß hat der Dritte, der ein Recht i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB einklagt, die Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich ergibt, daß eine bestimmte Rechtsordnung als ursprüngliches Vertragsstatut anwendbar war, nach der das behauptete Drittrecht angeblich erworben wurde. 22 Gelingt ihm dieser Beweis nicht und hat er das Recht nicht nach dem vom Richter von Amts wegen festgestellten anfänglichen Vertragsstatut erworben, wird der Dritte mit seiner Klage abgewiesen. Der Zirkelschluß, in den die Lehre von den wohlerworbenen Rechten zu geraten droht, kommt im Bereich der Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB also nicht zum Tragen. Demgegenüber wirkt sich ein anderer Mangel der Lehre vom wohlerworbenen Recht bei der Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB aus. Den Vertretern dieser Lehre ist es nicht überzeugend gelungen, das ,,Recht" genau zu definieren. 23 Zum Teil werden unter den Begriff Tatbestände subsumiert, die letztlich nur einen bestimmten Status oder eine rechtliche Fähigkeit beschreiben.24 Daneben ist die Abgrenzung zwischen zu schützenden Rechten und nicht schutzwürdigen, bloß tatsächlichen Begünstigungen und Erwartungen oft schwierig. 2S Eine Bestimmung des Schutzgegenstandes des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann demzufolge mit Hilfe der Lehre von den wohlerworbenen Rechten kaum erfolgen.
22 Die für die Entscheidung relevanten ausländischen Rechtsvorschriften hat der Richter dagegen von Amts wegen festzustellen, vgl. BGH NJW-RR 1990,248,249; BGH RIW 1987,545,546; Palandt I Heldrich, Einl. vor Art. 3 EGBGB Rdnr. 34. 23
Kropholler, IPR, S. 128; H. Müller, S. 244; Scheuermann, S. 36; Rohs, NiemZ 14 (1904), 362,
363. :!4
Z.B. die Rechts- oder Testierfähigkeit oder das Verheiratetsein; vgl. v. Bar, IPR I, Rdnr. 306.
2S
Kropholler, IPR, S. 128; Scheuermann, S. 36.
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der RegellDlg
40
Schließlich beschränkt sich die Theorie von den wohlerworbenen Rechten darauf, den Inhaber eines Rechtes zu schützen. Es könne, so wird mit Blick auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kritisch vorgebracht26, nicht nur darum gehen, Rechte zu bewahren. Um den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht zu stark zu begrenzen, müsse der Schutzbereich der Regelung vielmehr auch Verbindlichkeiten und Rechtspflichten vertragsfremder Dritter umfassen, die gegen Erweiterungen zu schützen seien. Dafür gebe die Theorie der wohlerworbenen Rechte aber keine Handhabe, wolle man nicht ein wohlerworbenes Recht "not to have his obligations increased"27 kreieren. Zur Defmition des Begriffs "Recht" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann also der Grundsatz des Schutzes wohlerworbener Rechte keinen exakten Beitrag leisten. Demgegenüber könnte die intertemporale Ausprägung des Prinzips dazu führen, daß Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB als Rückwirkungsverbot auszulegen ist. Daß es den Parteien gestattet ist, dem nachträglichen Verweisungsvertrag rückwirkende Kraft zu geben, wurde zwar bereits festgestellt. 28 Aber dies schließt nicht aus, daß nach Sinn und Zweck des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB die Kontrahenten eine retroaktive nachträgliche Rechtswahl dann nicht vornehmen dürfen, wenn Dritte ,,Rechte" aufgrund des ursprünglichen Vertragsstatuts erworben haben. Insoweit sind mehrere Ansätze denkbar: Den Parteien könnte bei Vorliegen einer Drittberechtigung nach dem ursprünglichen Vertragsstatut eine rückwirkende Rechtswahl gänzlich untersagt sein. Das Rückwirkungsverbot könnte aber auch eingeschränkt interpretiert werden, und zwar derart, daß der Verweisungsvertrag nur im Verhältnis der Parteien zueinander rückwirkend in Kraft tritt, in bezug auf das Rechtsverhältnis der Parteien zum Dritten dagegen keine (retroaktive) Wirkung entfaltet. Ob letztlich eine dieser Möglichkeiten durchgreift, kann erst später im einzelnen diskutiert werden. 29 Jedenfalls sind dann die hier aufgezeigten Auslegungsvarianten in Betracht zu ziehen.
26
Tomaszewski, Rev.crit. 1972,567,599; North, FS Lipstein, S. 205,220.
XI
North, FS Lipstein, S. 205, 220 (Fn. 85).
28
Vgl. oben § I A.
29
Vgl. lDlten Teil 4.
§ 3: Der Vertrauensschutzgedanke
41
§ 3 Der Vertrauensschutzgedanke Trotz der Kritik, die an der Lehre von den wohlerworbenen Rechten berechtigterweise geübt werden mag 30, enthält diese Theorie mit dem Vertrauensschutzgedanken einen ,,richtigen Kern",3! der bei der kollisionsrechtlichen Gesetzgebung und der Rechtsanwendung nach wie vor berücksichtigt wird. 32 So beruht die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zum Schutz von Rechten Dritter letztlich auf dem Vertrauensschutzgedanken. Nach Sinn und Zweck dieser Vorschrift soU die von dem Dritten vernünftiger- und billigerweise gehegte Erwartung, daß die ursprünglich für den Vertrag maßgebliche Rechtsordnung auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien anwendbar sei und daß daher für ihn, den Dritten, eine bestimmte Rechtslage bestehe, nicht dadurch enttäuscht werden, daß die Vertragsparteien den Sachverhalt später einem anderen Recht unterwerfen. In der Schutzbestimmung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB spiegelt sich somit der Konflikt zwischen dem Interesse der Vertragsparteien an einem Statutentausch und dem Vertrauensschutzinteresse des Dritten wieder. So wie im Rahmen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB das Parteiinteresse an einem Statutentausch und das Kontinuitätsinteresses des Dritten kollidieren, so kollidieren im intertemporalen Recht das staatliche Interesse an der Geltung neuer Gesetze und das Interesse des Bürgers an der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsfolgen seines Handeins. In Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB drückt sich also eine ähnliche Konflikt lage wie im intertemporalen Recht aus. Im intertemporalen Recht führt das Kontinuitätsinteresse des einzelnen dazu, daß die sog. "echte Rückwirkung" neuer Gesetze, also die Anknüpfung der Rechtsfolgen eines neuen Gesetzes an bereits abgeschlossene Tatbestände, grundsätzlich unzulässig ist; insoweit ist der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, der sich aus dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) herleitee3, vorrangig. Die "unechte Rückwirkung" von Gesetzen, d.h. das Eingreifen von Gesetzen in gegenwärtig bestehende, aber noch nicht abge-
30 Vgl. Kropholler, IPR, S. 128; v. Bar, IPR I, Rdnr. 144, 154; Raape I Sturm, S. 102 Fn. 12; Scheuermann, S. 36. 31
H. Müller, S. 298.
32
Kropholler, IPR, S. 129; Heini, FS Vi scher, S. 149, 152.
33
Staudinger I Coing, Eint. Rdnr. 249, 251; Scheuermann, S. 42.
42
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der Regeltmg
schlossene Rechtsverhältnisse, ist dagegen grundsätzlich zulässig 34; insofern fällt die Interessenabwägung zuungunsten des Vertrauensinteresses des Bürgers und zugunsten des Durchsetzungsinteresses des Staates aus. Mit diesem im Hinblick auf Gesetzesänderungen verfassungsrechtIich gebotenen Vertrauensschutz korrespondiert der in Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB in bezug auf die Änderung des Vertragsstatuts angelegte Vertrauensschutzgedanke. Im Rahmen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB stellt sich das Vertrauensschutzinteresse als Interesse des Dritten am Fortbestand des nach dem urspünglichen Vertrags statut erworbenen Rechtes dar. Diesem Interesse räumt Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB Vorrang vor dem durch den nachträglichen VerweisWlgsvertrag dokumentierten Interesse der Vertragsparteien an einer rückwirlcenden 35 Änderung der maßgeblichen Rechtordnung ein. Wie diese Interessenabwägungen bei der Rechtsanwendung im einzelnen umzusetzen ist, ob Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB insbesondere eine dem Rückwirkungsverbot des intertemporalen Rechts entsprechende Wirkung hat, läßt die Vorschrift nicht erkennen. Insoweit stellt jedenfalls der Ansatz, das alte Vertragsstatut in bezug auf die Drittberechtigung fortwirken zu lassen, einen denkbare Möglichkeit der Realisierung des Vertrauensschutzgedankens dar.
§ 4 Der Grundsatz der Privatautonomie Konsequenzen für die Behandlung der Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB können sich auch aus dem Prinzip der Privatautonomie ergeben. Aus der Sicht eines Dritten, der aufgrund eines Vertrages nach dem ursprünglichen Vertragsstatut ein Recht erworben hat, erscheint die Wahrung dieses Grundsatzes im Falle eines nachträglichen, parteiautonom herbeigeführten Statutenwechsels aus unterschiedlichen Gründen gefährdet
34
Vgl. BVetfGE 1,264,280; 11, 145 f.; 18,429,439; 24,220,229,230; 30, 392,401.
Wie bereits dargestellt (vgl. oben § I B / C), hat Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB nur für die Fälle des Statutentausches im Sinne einer Änderung des Vertragsstatuts mit echter RückwirkWlg BedeutWlg. 3S
§ 4: Der Grundsatz der Privatautonomie
43
A. Die Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter Vertragsparteien mögen selbst dann geneigt sein, das ursprüngliche Vertragsstatut durch ein anderes zu ersetzen, wenn dadurch das Recht, das ein Dritter aufgrund der ursprünglich anwendbaren Rechtsordnung erworben hat, untergehen oder auf sonstige Weise beeinträchtigt würde. Eine Rechtswahl wird jedoch in einem kollisionsrechtlichen Vertrag, dem Verweisungsvertrag getroffen. Er muß mit den allgemeinen Vertragsgrundsätzen des Privatrechts in Einklang stehen. Ein nachträglicher Verweisungsvertrag darf daher insbesondere die Freiheit und die Privatautonomie von am Vertrag nicht beteiligten Personen nicht verletzen. Eine Rechtswahlvereinbarung, die sich als Vertrag zu Lasten Dritter darstellt, ist nicht mit dem Prinzip der Privatautonomie vereinbar?6 Die kollisionsrechtliche Vertragsfreiheit der Parteien ist insofern genauso durch das Recht auf Selbstbestimmung und die (negative) Privatautonomie Dritter begrenzt wie die materiellrechtliche.37 Diese Einschränkung der kollisionsrechtlichen Vertragsfreiheit durch den Grundsatz der Privatautonomie kommt in Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zum Ausdruck. Denn diese Bestimmung schützt den Dritten zumindest davor, daß sich seine nach dem ursprünglichen Vertragsstatut erworbene Rechtsposition infolge einer Vereinbarung zwischen den Parteien des Hauptvertrages zu seinem Nachteil verändert. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann also auch als eine Ausprägung des Grundsatzes der Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter verstanden werden, jedenfalls soweit eine Verschlechterung der rechtlichen Stellung des durch das ursprüngliche Vertragsstatut rechtlich begünstigten Dritten ohne dessen Zustimmung in Rede steht.38 Fraglich ist allerdings, inwieweit aus dieser Feststellung Erkenntnisse für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu gewinnen sind. 39
36 Zur Herleitung des Grundsatzes der Unwirlcsarnkeit von. Verträgen zu Lasten Dritter aus dem Autonomieprinzip vgl. MünchKomm I Gottwald, § 328 BGB Rdnr. 97; Staudinger I Kaduk., § 328 BGB Rdnr. 64; Dörner, S. 148; Schirmer, FS Sclunidt, S. 821, 830 f.; Flwne, S. 9.
37 Vgl. in bezug auf die materiellrechtliche Vertragsfreiheit Martens, AcP 177 (1977), 113, 174; Schmalzbauer, S. 132; Dörner, S. 123 f.; zur (kollisions rechtlichen) Parteiautonomie vgl. Neuhaus, S. 262; Gamillscheg, AcP 157 (1958/59),303,315; Lipstein, E.P.I.L.O., S. 155, 158. 38
Schwind, S. 299.
39
Dazu unten unter C.
44
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der RegelWlg
B. Die rechtliche Begünstigung eines Dritten und die Privatautonomie Eine nachträgliche Rechtswahl kann aber nicht nur eine Verschlechterung der Stellung des Drinen im Rechtsverkehr bewirken. Es ist auch denkbar, daß die Parteien in einem nachträglichen Verweisungsvertrag ein Statut zur Anwendung berufen, das den Hauptvertrag für den Drinen rechtlich noch günstiger gestaltet, als es der Hauptvertrag nach dem ursprünglich maßgeblichen Recht bereits getan hatte. Die Vertragsparteien wenden dem Drinen mit einem solchen Verweisungsvertrag ohne dessen Zutun unmittelbar einen rechtlichen Vorteil zu, und zwar ohne daß der Dritte die Möglichkeit hat, diesen Vorteil zurückzuweisen. Das könnte aber dem Grundsatz der Privatautonomie widersprechen, der unter anderem auch gebietet, daß eine rechtliche Begünstigung nicht gegen den Willen des Begünstigten eintritt40 Denn ein Begünstigter muß grundsätzlich in die Begünstigung einwilligen, oder es muß ihm das Recht zustehen, den zugewendeten rechtlichen Vorteil zurückzuweisen. 41 Dieses Prinzip muß auch bei einem drittbegünstigenden nachträglichen Verweisungsvertrag gewahrt werden.42
c. Konsequenzen für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB
Für die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB hat die Beachtung des Grundsatzes der Privatautonmie nach dem bisher Gesagten zunächst zur Folge, daß die nachträgliche Rechtswahl der Vertragsparteien sich ohne Einwilligung oder Genehmigung des Dritten43 weder nachteilig noch vorteilhaft auf das vom Drinen aufgrund des ursprünglichen Vertragsstatuts erworbene Recht auswirken darf. Darüber hinaus kann jedoch die Interpretation des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB, insbesondere die Auslegung des Begriffs ,,Recht" im Sinne dieser Bestimmung anhand des Autonomiegrundsatzes ebensowenig konkretisiert werden
«J
Vgl. Flume, S. 8; Larenz, AS, S. 219.
So der Rechtsgedanke der §§ 333, 516 Abs. 2, 1942 BGB. Vgl. Palandt I Heinrichs, § 333 BGB Rdnr. 1; Soergell Müht, § 516 Rdnr. 2. 41
42
Vgl. Schwind, S. 299.
43
Vgl. dazu § 12.
§ 4: Der Grundsatz der Privatautonomie
45
wie mit Hilfe der Lehre von den wohlerwotbenen Rechten. Eine präzise Definition des Rechtsbegriffs läßt sich mit Hilfe des Grundsatzes der Privataut0nomie nicht herausarbeiten, weil es keineswegs eindeutig ist, unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag zu Lasten Dritter überhaupt vorliegt.44 Man befindet sich zwar noch auf dem Boden relativ gesicherter Erkenntnisse, wenn man davon ausgeht, daß ein Vertrag, der Beeinträchtigungen von rein tatsächlichen Positionen Dritter mit sich bringt, nicht als Vertrag zu Lasten Dritter angesehen werden kann.4S Die Verschlechterung rein faktischer Interessen von Nichtvertragsparteien verengt deren Möglichkeiten zu privatautonomer Gestaltung ihrer Rechtsverhältnisse nicht und greift auch nicht in ihre Rechtssphäre ein. Faktische Nachteile müssen bei der Frage, ob sich ein Vertrag zu Lasten Dritter auswirkt, auch deshalb außer Betracht bleiben, "weilpraktisch jeder Vertrag mehr oder minder intensiv über die Kontrahenten hinaus zum Vor- und zum Nachteil Unbeteiligter in die Sozialsphäre ausstrahlt."46 Die Abgrenzung bloß faktischer und damit ungeschützter Interessen von den rechtlich geschützten Positionen ist jedoch schwierig.47 Insoweit läßt sich nur die Aussage treffen, daß Interessen rechtlich geschützt sind, wenn sie durch gesetzliche Vorschriften, die dem privaten Interessenausgleich dienen, als Rechtspositionen fixiert sind.48 Neben der Schwierigkeit der Abgrenzung von Rechtspositonen und faktischen Interessen besteht im Zusammenhang mit dem Vertrag zugunsten Dritter Streit darüber, ob ein Vertrag zu Lasten Dritter schon dann vorliegt, wenn einem Dritten Rechte ganz oder zum Teil entzogen oder Rechtspflichten auferlegt werden. 49 Denn solche Belastungen können unter Umständen dadurch kompensiert werden, daß mit der Belastung des Dritten rechtliche Begünstigungen einhergehen, die nach einer Saldierung aller Aktiva und Passiva eine Verschlechterung der Stellung des Dritten im Rechtsverkehr nach materiellem Verständnis ausschließen.so Insofern wird sich auch in bezug auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB
44
Dörner, S. 147.
45
Dörner, S. 148; Säclcer, S. 52 Cf.; Martens, AcP 177 (1977), 164 Cf.
46
Dörner, S. 148.
~ Vgl. Schmalzbauer, S. 130. 018
Säcker, S. 53.
So das fonnale Verständnis: Martens .. AcP 177 (1977), Ill, 139; Säcker, S. 51; Schirmer, FS Sclunidt, S. 821, 831. 49
so Säclcer, S. 52 f. m.w.N.
46
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der RegelWlg
die Frage ergeben, wann eigentlich davon gesprochen werden kann, daß das Recht des Dritten durch die nachträgliche Rechtswahl nachteilig betroffen ist.
§ 5 Der Rechtsgedanke der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB Die bisherigen Ausführungen beruhten weitgehend auf der Prämisse, daß der Dritte das ,,Recht" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB unmittelbar aus dem Kontrakt der Parteien unter Zugrundelegung des ursprünglichen Vertrags statuts ableitet, wie es etwa bei einem Vertrag zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB der Fall ist Davon gehen wohl auch die Gesetzesmaterialien in erster Linie aus. 51 Die Regelung des Art 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann jedoch auch im Hinblick auf eine andere Konstellation Bedeutung erlangen. 52 In dieser Vorschrift spiegeln sich nämlich die aus §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB bekannten Wertungen wider. Nach diesen Normen zum materiellen Bürgschafts- bzw. Pfandrecht gelten Änderungen, die der Hauptschuldner nach der Übernahme der Bürgschaft bzw. nach der Verpfändung durch ein nachträgliches Rechtsgeschäft bewirkt, nur insoweit gegenüber dem Bürgen oder Verpfänder, als sich die Hauptschuld dadurch nicht erweitert5\ es sei denn, daß der Sicherungsgeber der Erweiterung der Hauptschuld gesondert zustimmt 54 Demgegenüber schlägt eine Modiftkation 55 oder eine Verringerung der Hauptschuld aufgrund der Akzessorietät der Bürgschaft bzw. des Pfandrechts ohne weiteres auch gegen
51 Lando, RabelsZ 38 (1974), 6, 25 f.; Giuliano I Lagarde, ABI EG, S. 18; BT-Drucksache 10/504, S. 77. 52 Lorenz, IPRax 1987,269,273; vgl. aber auch Kegel, S. 424; Tomaszewski, Rev.crit. 1972,567, 599.
53 Grundsatz des klassischen römischen Rechts: ,,non opportebit, obligationem fidejussoris augeri," der für alles galt, ..quod non erat in obligatione". Vgl. OG Wolfenbüttel Seuffert's A Bd. 22, Nr. 143; ObertribWlal Stuttgart, Seuffert's A Bd. 4, Nr. 226; BGH WM 1962, 700; Soergell Mühl, § 767 BGB Rdnr. 5; Planck I Oegg, § 767 BGB Anrn. 3; vgl. auch Glück, Bd. 13, S. 341-351. 54 Mugdan 11, S. 371; RGRK I Mormann, § 767 BGB Rdnr. 7; Staudinger I Horn, § 767 BGB Rdnr. 17; Soergell Augustin, § 1210 BGB Rdnr. 3; Planck I Flod, § 1210 BGB Anrn. 2 a); Windscheid, S. 1021. 55 Zum Beispiel die Ersetzung der Hauptschuld durch eine gleichwertige andere Verbindlichkeit; vgl. Planck I Oegg, § 767 BGB Anrn. 3.
§ 5: Der Rechtsgedanke der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB
47
den Willen des Bürgen auf den Umfang der Sicherheit durch. 56 Die Wirkungen des nachträglichen Rechtsgeschäfts bleiben also auf das Verhältnis zwischen den Parteien dieses Geschäfts beschränkt, wenn die Rechtsposition des Sicherungsgebers sich anderenfalls verschlechtern würde. Lassen sich demgegenüber keine nachteiligen Rechtsfolgen des nachträglichen Rechtsgeschäfts feststellen, so entfaltet es auch Wirkung gegenüber dem Dritten (Sicherungsgeber). Da die §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB die belastenden Wirkungen eines nachträglichen Rechtsgeschäfts des Hauptschuldners mit seinem Gläubiger oder einer anderen Person von dem Sicherungsgeber femhalten, steht hinter diesen Vorschriften letztlich der Grundsatz der Unzulässigkeit von Verträgen zu Lasten Dritter, der seinerseits auf dem Prinzip der Privatautonomie fußt. 57 Überträgt man die speziellen Wertungen der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB auf die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB, so ergeben sich folgende neue Gesichtpunkte: Die Schutzwirkung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist nicht auf Berechtigungen beschränkt, die der Dritte aufgrund des Hauptvertrages, auf den sich die nachträgliche Rechtswahlvereinbarung bezieht, erworben hat. Die Vorschrift erfaBt auch solche Rechtspositionen, die sich aus einem gesonderten, vom Hauptvertrag verschiedenen Rechtsverhältnis des Dritten mit einer der Vertragsparteien des Hauptvertrages ableiten. 58 Die Schutzwirkung entfaltet sich in der Weise, daß einerseits nachteilige Rechtsfolgen einer nachträglichen Rechtswahl wohl inter partes, nicht aber gegenüber dem Dritten eintreten, andererseits aber rechtlich günstige Wirkungen des nachträglichen Rechtsgeschäfts dem Dritten unter Umständen auch gegen seinen Willen zugute kommen. Eine nachträgliche Rechtswahl der Parteien wirkt gegen den Dritten, obwohl sie das Recht des Dritten beeinträchtigt, wenn der Dritte in den nachträglichen Verweisungsvertrag einwilligt. 59
S6
RGZ 92, 123; 153, 345; MünchKomm I Pecher, § 767 BGB Rdnr. 10; RGRK I Mormann,
S7
RGZ 96, 133; vgl. dazu auch oben § 4 A.
SI
Vgl. Kegel, S. 424; Tomaszewski, Rev.crit. 1972,567,599.
59
Vgl. auch Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), I, 7.
§ 767 BGB Rdnr. 7.
48
2. Teil: Die gedanklichen Grundlagen der RegelWlg
In bezug auf die gedanklichen Grundlagen der Regelung läßt sich zusammenfassend sagen: Dem Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB können unterschiedliche Grundgedanken und Wertungen beigelegt werden. Sie führen im Hinblick auf die Auslegung der Vorschrift nicht in jeder Beziehung zu miteinander übereinstimmenden Ergebnissen. Eine detaillierte Interpretation der Regelung muß daher zeigen, inwieweit der Dritte gegenüber den Wirkungen einer nachträglichen Rechtswahl tatsächlich zu schützen ist.
Dritter Teil
Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung Die bisherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß es in Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB darum geht, Rechte Dritter zu schützen, die durch die Wirkungen eines von den Vertragsparteien bewußt und gewollt herbeigeführten Statutenwechsels gefährdet sind Nun ist festzustellen, in welchem Umfang dieser Schutz gewährleistet wird, dh. welche Interessen von dem Begriff "Rechte" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB umfaßt werden (sachlicher Schutzbereich). Weiterhin gilt es herauszuarbeiten, wann davon gesprochen werden kann, daß das ,,Recht" des Dritten "berührt" ist, mithin, ob nur Beeinträchtigungen oder etwa auch Verbesserungen der geschützten Drittberechtigung relevant sind (funktionaler Schutzbereich).
§ 6 Die Auslegungsgrundsätze Diese Schutzbereichsanalyse erfordert eine Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Hierbei dürfen nicht die für die Interpretation autonomer Kollisionsnormen geltenden Grundsätze angewendet werden. Vielmehr sind wegen des staatsvertraglichen Ursprungs der Art. 27 ff. EGBGB die für das zugrundeliegende EG-Schuldvertragsübereinkommen geltenden Auslegungsmaximen maßgeblich; d.h. die Art. 27 ff. EGBGB sind wie das EG-Schuldvertragsübereinkommen selbst auszulegen.! Es sind also die für völkerrechtliche Verträge geltenden Auslegungsregeln anzuwenden. 2 Grundsätzlich sind demnach die verwendeten Begriffe vertragsautonom zu bestimmen.3 Nach Art. 36 EGBGB, Art. 18 EVÜ ist bei der Auslegung und AnI
MünchKomm I Martiny, Art. 36 EGBGB Rdnr. 8, 14; Meyer-Sparenberg, S. 159, 162.
MünchKomm I Martiny, Art. 36 EGBGB Rdnr. 8; Palandt I Heldrich, Art. 36 EGBGB Rdnr. I; Meyer-Sparenberg, S. 162 f. 2
3 BGHZ 52, 216, 220; MünchKomm I Martiny, Art. 36 EGBGB Rdnr. 6; Meyer-Sparenberg, S. 101; vgl. auch Kropholler, EinhR, S. 258 ff.
4 M6Uenhoff
50
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
wendung der Art. 27 ff. EGBGB vor allem das Gebot der einheitlichen Auslegung und Anwendung des EG-Schuldvertragsübereinkommens zu berücksichtigen.4 Im Zweifel ist deshalb dem Wortlaut des Übereinkommens und den Materialien zu dem Vertrag Priorität vor dem Gesetzestext, den Materialien und der Systemetik des EGBGB einzuräumen.s Die Wortlautinterpretation der Art. 27 ff. EGBGB hat somit unter Berücksichtigung der fremdsprachlichen Fassungen des EG-Schuldvertragsübereinkommens zu erfolgen, der Originaltext des EG-Schuldvertragsübereinkommens muß in allen, gern. Art. 33 EVÜ gleichermaßen verbindlichen Vertragssprachen herangezogen werden 6; die Berufung auf den Wortlaut in nur einer, etwa der deutschen Sprache, ist mithin unzulässig.' Ergeben sich zwischen den verschiedenen sprachlichen Fassungen des Übereinkommes Bedeutungsunterschiede, so sind diese nach den in Art. 33 Abs. 3 und 4 der Wiener Vertragsrechtskonvention auszuräumen.8 Danach haben die Begriffe in den unterschiedlichen Versionen eines völkerrechtlichen Vertrages vermutungsweise dieselbe Bedeutung; lassen sich dennoch Bedeutungsunter-
4 MünchKomm I Martiny, Art. 36 EGBGB Rdnr. 8, 14 ff.; Czerwenka, S. 38; Sandrock. RlW 1986,841,844; Thode, ZfBR 1989,43,44. DalÜber hinaus gilt das Einheitlichkeitsgebot auch für Vorschriften außerhalb des Unterabschnitts über vertragliche Schuldverhältnisse (vgl. MünchKomm I Martiny. Art. 36 EGBGB Rdnr. 10; Sand· rock, RlW 1986, 841,844).
5 Martiny in Reithmann / Martiny, Rdnr. 16; v. Hoffmann, IPRax 1984, 10, 12; Thode, ZffiR 1989,43,44; Meyer.Sparenberg, S. 170. 6 Zum Vergleich mit dem deutschen Vertragstext werden in der Regel die englische und französische Fassung des Übereinkommens herangezogen. Der englische Vertragstext lautet: ,,Any variation by the parties of the law to be applied made after the conclusion of the contract shall not prejudice its formal validity under article 9 or 00versely affect the rights of third parties." Die französische Version lautet: "Toute modification quant ala determination de la loi applicable, intervenue posrerieurement a la conclusion du contrat, n' affecte pas la validite formelle du contrat aux sens de l'article 9 et ne porte pas atteinte aux droits des tiers." (vgl. BGBI 1986 II, S. 809) Der - allerdings für die Auslegung des EG-Schuldrechtsübereinkommens nicht ausschlaggebende - schweizerische Gesetzestext zur inhaltlich dem Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB entsprechenden Regelung lautet in Art. 116 IPRG: "Die Rechte Dritter sind vOlbehalten." Der entsprechende österreichische § 11 Abs. 3 IPRG besagt: "Die Rechtsstellung Dritter wird durch eine nachträgliche Rechtswahl nicht beeinträchtigt."
7 BT-Drucksache 10/504, S. 84; MünchKomm I Martiny, Art. 36 EGBGB Rdnr. 8, 16; Palandt I Heldrich, Art. 36 EGBGB Rdnr. 1; Nolte, IPRax 1985,71,73; Czerwenka, S. 40; Meyer· Sparenberg, S. 166. S
Meyer-Sparenberg, S. 162 f .• 166.
§ 7: Der funktionale Schutzbereich
51
schiede feststellen, sind diese unter Berücksichtigung von Ziel und Zweck des Vertrages aufzulösen.
§ 7 Der funktionale Schutzbereich
A. Auslegung nach dem Wortlaut Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB schreibt vor, daß Rechte Dritter durch eine nachträgliche Rechtswahl der Schuldvertragsparteien ,,nicht berührt" werden. Diese Formulierung beschreibt den Umfang des funktionalen Schutzbereichs der Vorschrift nur ungenau. Sie läßt weitgehend offen, gegen welche Einwirkungen die Rechte Dritter geschützt sind.9 J. Auslegung der Bestandsschutzregelung
in ihrer deutschen Fassung
Prima facie kommen zwei Auslegungsvarianten in Betracht:
1. Interpretation als Beeinträchtigungsverbot In erster Linie wird mit dem Wort "berühren" die Vorstellung verbunden, die Drittberechtigung dürfe lediglich nicht verschlechtert werden. lO Dazu ein Bei-
spiettl:
Wählen die Parteien eines Schuldvertrages nachträglich ein Vertragsstatut, das eine kürzere Verjährungsfrist als die ursprünglich anwendbare Rechtsordnung vorsieht, und kann der Schuldner aufgrund dessen die Vetjährung des vertraglichen Zahlungsanspruchs geltend machen, so würde die Rechtsstellung eines Drittgläubigers beeinträchtigt, der den Zahlungsanspruch vor dem Wirksam-
, Mansel, ZVgIRWiss 86 (1987), 1,6. \0 Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 62; Sandrock I Steinschulte I, Rdnr. A 198; Lando, RabelsZ 38 (1974), 6, 25; Giuliano I Lagarde, Abl.EG, S. 18; für das österreichische Recht: Mänlumb, S. 84; Feil, S. 101; zum schweizerischen Recht vgl. Vischer I Volken, S. 219. 11
Vg1. Sandrock I Steinschulte I, Rdnr. A 198.
52
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
werden des späteren Verweisungsvertrages der Parteien gepfändet hat. Hier muß der Drittgläubiger über Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB vor der Verschlechterung seines Pfändungspfandrechts geschützt werden. Beeinträchtigungen, wie sie in diesem Beispiel drohen, greifen unmittelbar in die RechtssteUung des Dritten ein und entwerten sie. Sie "berühren" damit in rechtlich nachteiliger Weise den Rechtskreis des Dritten. Eine Interpretation der Bestandsschutzregelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB als reines Beeinträchtigungsverbot wäre somit vom Wortlaut der Regelung gedeckt. Diese enge Auslegung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB läßt es allerdings zu, daß der nachträgliche Verweisungsvertrag der Parteien zu einer Verbesserung der RechtssteUung des Dritten führt. Denn in einer rechtlich vorteilhaften Veränderung der Position des Dritten kann eine Beeinträchtigung nicht gesehen werden. Nach dieser Auslegung ist eine Rechtswahl nicht zu beanstanden, die im obigen Beispiel nachträglich ein Recht zur Anwendung beruft, das statt einer kürzeren eine längere Verjährungsfrist vorsieht. Dadurch würde nämlich der Drittgläubiger lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangen.
2. Interpretation als Beeinträchtigungs- und Verbesserungsverbot Der Begriff "berühren" kann aber durchaus auch in einem weiteren Sinne verstanden werden, und zwar so, daß es den Parteien sowohl untersagt ist, die RechtssteUung des Dritten durch die nachträgliche Rechtswahl zu verschlechtern als auch sie zu verbessern. Das Recht auf Selbstbestimmung und das Prinzip der Privatautonomie)2 fordern, daß der jeweils Begünstigte entweder in die Begünstigung einwilligt oder die Zuwendung zurückweisen kann.\J Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes liegt eine Interpretation des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB durchaus nahe, die weder eine Verbesserung noch eine Verschlechterung von Rechten Dritter durch eine nachträgliche Rechtswahl zuläßt.)4 Im obigen Beispiel könnte danach also die Verjährungsfrist nicht ver-
11
Vgl. dazu schon oben § 4.
I)
Zum deutschen Recht vgl. §§ 333,516,1942,2176 BGB.
I~ So Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), I, 6; für eine solche Regelung des österreichischen IPRG ist auch Schwind, S. 299 eingetreten.
§ 7: Der funktionale Schutzbereich
53
kürzt, aber auch nicht verlängert werden. Auch diese Auslegung ist mit dem Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB vereinbar.
11. Die Berücksichtigung fremdsprachlicher Versionen des Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ Die Auslegung nach dem Wortlaut ist bisher ausschließlich von der Formulierung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ausgegangen. Dieses Vorgehen ist jedoch - wie bereits dargestelltlS - mit Blick auf Art. 36 EGBGB nicht ohne weiteres zulässig. Danach sind im Rahmen der Wortlautauslegung der Art. 27 ff. EGBGB auch die fremdsprachlichen Fassungen des EG-Schuldvertragsübereinkommens zu berücksichtigen.
1. Die Divergenzen Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB entspricht in bezug auf das verwendete Prädikat "berühren" dem Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ in seiner deutschen Fassung. Die autonome deutsche Kollisionsnorm ist insoweit also mit der inkorporierten, staatsvertraglichen Vorschrift in deutscher Sprache identisch. 16 Demgegenüber läßt sich zwischen verschiedenen Versionen des Übereinkommens l7 ein auffälliger Bedeutungsunterschied feststellen. Die englische und die französische Fassung sprechen davon, daß ein Wechsel des Vertragsstatuts sich nicht nachteilig auf Rechte Dritter auswirken soll bzw. daß eine Veränderung der auf den Vertrag anwendbaren Rechtsordnung die Rechte Dritter nicht beeinträchtigt. Die in der englischen und der französischen Version zur Beschreibung des funktionalen Schutzbereichs verwendeten Ausdrücke haben also eine andere, engere Bedeutung als der in der deutschen Fassung benutzte, weite Begriff des "berührens".
IS
Vgl. oben unter § 5.
Zu der Problematik von Abweichungen zwischen dem Übereinkommen in seiner deutschen FasslDlg und den Bestimmungen des EGBGB vgl. Max-Planck-Institut, RabelsZ 47 (1983), 595, 666; Kohler, EuR 1984, 168 ff.; Nolte, IPRax 1985,71 ff. 16
17
Vgl. oben Fn. 6.
54
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
2. Einheitliche Auslegung
Diese Divergenz zwischen den verschiedenen authentischen Fassungen des EG-Schuldvertragsübereinkommens gilt es nun im Rahmen der Wortlautauslegung miteinander in Einklang zu bringen. Dabei ist an das Gebot der einheitlichen Auslegung des Art. 18 EVÜ sowie an die maßgeblichen völkerrechtlichen Auslegungsregeln, insbesondere diejenigen des Art. 33 Abs. 3 und Abs. 4 der Wiener Vertragsrechtskonvention zu denken. t8 Die Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ und 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB müssen im Lichte der genannten fremdsprachlichen Fassungen des Schuldvertragsübereinkommens interpretiert werden. Mit dem Begriff "berühren" wird ein Ausdruck verwendet, der - wie bereits dargelegt - bei einschränkender Auslegung durchaus in dem Sinn von "nachteilig verändern" oder "beeinträchtigen" verstanden werden kann. Die Pflicht zur einheitlichen Auslegung des EG-Schuldvertragsübereinkommens muß zwangsläufig zu diesem restriktiven Verständnis des deutschen Vertragstextes führen, da der gemeinsame Bedeutungsgehalt der verschiedenen Versionen des Übereinkommens nur so zum Tragen kommen kann. Dieses Ergebnis kann nicht nur mit dem Einheitlichkeitsgebot der Art. 18 EVÜ, 36 EGBGB begründet werden. Es entspricht auch dem Art. 33 Abs. 3 WVK, nach dem zu vermuten ist, daß "berühren" in derselben Bedeutung benutzt wurde wie "adversely affect" oder "porter atteinte a" in der englischen bzw. französischen Fassung.
Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist seinem Wortlaut nach also folgendermaßen auszulegen: Eine nachträgliche Rechtswahl darf Rechte Dritter lediglich nicht beeinträchtigen. Ein Wechsel des Vertragsstatuts jedoch, der das Drittrecht nicht verschlechtert, sondern nur modifiziert oder gar vorteilhaft verändert, soll dem Dritten zugute kommen.
B. Historische und teleologische Auslegung Diese dem Wortlaut entnommene Auslegung fmdet eine weitere Stütze in der historischen und teleologischen Interpretation der Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ, Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBG.
18
Vgl. oben § 5; Meyer-Sparenberg, S. 162 f., 166.
§ 7: Der funktionale Schutzbereich
55
I. Beeinträcbtigungsverbot und Gesetzgebungsmaterialien Der Bericht von Giuliano und Lagarde zum Übereinkommen l9 spricht ausdrücklich davon, daß Rechte Dritter nicht "beeinträchtigt" werden dürfen. Für ein weiteres Verständnis des Begriffes "berühren" und eine extensive Auslegung der deutschen Fassung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ bzw. des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB lassen sich diesen Dokumenten keinerlei Anhaltspunkte entnehmen. Dies spricht eindeutig für eine einschränkende Interpretation der Bestandsschutzregelung wie sie bereits die Wortlautauslegung ergeben hat.
n. Beeinträcbtigungsverbot und Grundgedanken der Bestandsscbutzregelung
Nach Art. 33 Abs. 4 WVK sind schließlich Bedeutungsunterschiede zwischen den Textfassungen einer staatsvertraglichen Regelung im Wege der teleologischen Auslegung auszuräumen. Sinn und Zweck des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB lassen sich - wie bereits dargelegt wurde20 - vor allem mit den Prinzipien des Vertrauensschutzes und der Privatautonomie erklären.
1. Der Vertrauensschutzgedanke Vertrauensschutz bedeutet für das einzelne Rechtssubjekt vor allen Dingen Schutz von Dispositionen, die unter bestimmten rechtlichen Voraussetzungen getroffen wurden; d.h. gerichtliche Entscheidungen müssen voraussehbar und berechenbar sein. 21 Rechtliche Begünstigungen des Dritten, die eine nachträgliche Rechtswahl mit sich bringt, schränken aber keines dieser beiden Elemente des Vertrauensschutzes ein. Der Vertrauensschutzgedanke spricht somit dafür, die Regelung als reines Beeinträchtigungsverbot auszulegen, mit der Folge, daß der Dritte mit einer nachträglichen Rechtswahl verbundene Verbesserungen seiner rechtlichen Stellung unter Umständen gegen seinen Willen hinnehmen muß.
19
GiuJiano ILAgarde, ABlEG, S. 18.
21
Vgl dazu oben §§ 3-5.
21
Kropholler, IPR, S. 129.
56
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
2. Die Privatautonomie Diese Intetpretation läßt sich auch mit der Privatautonomie des Dritten in Einklang bringen. Bestandteil des Autonomiegrundsatzes ist es zwar, daß sich ohne seine Zustimmung niemand einen rechtlichen Vorteil aufdrängen lassen muß. Dieses Bedenken läßt sich jedoch mit Blick auf das Rechtsverhältnis, aufgrund dessen der Dritte seine RechtssteUung erworben hat, ausräumen. Der Erwerb der RechtssteUung, die sich durch die nachträgliche Rechtswahl der Parteien des Hauptvertrages zu verändern droht, konnte nur mit Zustimmung oder jedenfalls kraft des Willens des Dritten eintreten. Der Einwand, eine aufgrund nachträglicher Rechtswahl verursachte Verbesserung der Rechtsstellung des Dritten verstoße gegen den Grundsatz der Privatautonomie, ist demzufolge jedenfalls dann nicht berechtigt, wenn der Wille des Dritten zum Erwerb der RechtssteUung gleichzeitig das Einverständnis zu einer späteren Verbesserung dieser Rechtsstellung durch die Parteien des Hauptvertrages in sich birgt. Dies soll anband folgender Beispiele verdeutlicht werden. Der Leistungsanspruch des Dritten wird beim Vertrag zugunsten Dritter nach §§ 328 ff. BGB durch das Schuldverhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner begründet 22 Der Dritte erwirbt demnach zwar das Forderungsrecht ohne sein Zutun 23 , hat jedoch zur Wahrung des Grundsatzes der Privatautonomie nach § 333 BGB ein Zurückweisungsrecht. Gegen seinen Willen kann dem Dritten der erworbene Anspruch nicht aufgedrängt werden. Angenommen, die Parteien des Vertrages verbessern nun den Anspruch des Dritten dadurch, daß sie durch nachträgliche Rechtswahl ein dem Dritten noch günstigeres als das ursprüngliche Vertragsstatut zur Anwendung berufen. Wenn der Dritte den nach der anfänglich maßgeblichen Rechtsordnung entstandenen Anspruch nicht zurückweist, darf das nicht nur als ein Anzeichen für den Willen des Dritten gewertet werden, die Zuwendung in ihrer ursprünglichen Form werde akzeptiert; vielmehr kann darin ohne weiteres auch das Einverständnis des Dritten gesehen werden, daß ihm der durch die nachträgliche Rechtswahl verbesserte Anspruch ebenfalls zugute kommen soU. Dies gilt jedenjalls dann, wenn der Dritte für die Begünstigung durch die nachträgliche Rechtswahl keine Gegenleistung im Valutaverhältnis erbringen muß, was in der Regel der Fall sein
22 Dazu, daß der Anspruch des Dritten aus einem Vertrag mgunsten Dritter i.S.d. §§ 328 ff. BGB in den sachlichen Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB fant, vgl. unten § 8 B I 2 a). 23
Palandt I Heinrichs, § 333 BGB Rdnr. 1.
§ 7: Der funktionale Schutzbereich
57
wird. Denn dann deutet die Unterlassung der Zurückweisung des zunächst erworbenen Anspruchs darauf hin, daß sich der Dritte jedenfalls im Rahmen des konkreten, zu seinen Gunsten geschlossenen Vertrages durch den Versprechensempfänger begünstigen lassen will. Besteht demgegenüber im Valutaverhältnis eine Gegenleistungspflicht des Dritten für den mit der nachträglichen Rechtswahl verbundenen Vorteil, so hat der Dritte seine Zustimmung zu der Begünstigung zumindest konkludent mit der Eingehung der Verbindlichkeit im Valutaverhältnis erteilt. Eine den Dritten begünstigende nachträgliche Rechtswahl der Parteien eines Vertrages zugunsten Dritter wirkt demzufolge gegenüber dem Dritten; dessen Anspruch wird dadurch zwar verbessert, nicht aber "berührt" i.S.v. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGGBGB. Ein weiteres Beipiel dafür, daß Verbesserungen der Rechtsstellung eines Rechtssubjekts mit dem Grundsatz der Privatautonomie vereinbar sein können, bietet das deutsche Bürgschaftsrecht. 24 Der Bürge haftet nach dem deutschen Sachrecht kraft seines Willens grundsätzlich für die Verbindlichkeit wie sie der Hauptschuldner begründet hat einschließlich etwaiger Veränderungen durch nicht rechtsgeschäftliches Verhalten 2S; nachträgliche Rechtsgeschäfte des Hauptschuldners können sich nicht zu Lasten, wohl aber zugunsten der Rechtsstellung des Bürgen auswirken26, d.h. die Hauptverbindlichkeit darf nicht erweitert, wohl aber verringert werden. Diese Regelung des § 767 Abs. 1 S. 3 BGB beruht auf dem Grundsatz des klassischen römischen Rechts: "non oportebit. obligationem fidejussoris augeri," der für alles galt, "quod non erat in obligatione."27 Daraus ergibt sich im Umkehrschluß, daß eine Verringerung der vom Bürgen kraft seines Willens eingegangenen Verbindlichkeiten und damit eine Verbesserung der Stellung des Bürgen zulässig ist. Sie verstößt nicht etwa gegen das Prinzip der Privatautonomie, weil es der Wille des Bürgen ist, innerhalb des Rahmens der vom Hauptschuldner begründeten Verbindlichkeit für jede Schuld zu haften. Der Bürge will dabei möglichst verschont werden und nur dann und insoweit haften, als der Hauptschuldner nicht in der Lage ist zu
1A
Vgl. unten § 8 B 11 2.
25
Vgl. Palandt I Thomas, § 767 BGB Rdnr. 1.
26 Obertribunal Stuttgart, Seufferts'A Bd. 4, Nr. 226; OG Wolfenbüttel Seufferts'A Bd. 22, Nr. 143; Mugdan, S. 371; Windscheid, S. 1021; Palandt I Thomas, § 767 BGB Rdnr. 3.
%7
OG Wolfenbüttel Seuffert's A Bd. 22, Nr. 143; vgl. auch Glück., Bd. 13, S. 341-351.
S8
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
zahlen. Dieser Schluß läßt sich für das deutsche Sachrecht aufgrund von §§ 773, 774 BGB ziehen. Der privatautonome Wille des Bürgen umfaßt demnach eine Verringerung seiner Haftung und eine Verbesserung seiner Rechtsstellung als Bürge. Für Sicherungsgeber nach anderen als der deutschen Rechtsordnung, die "Dritte" LS.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB sind, kann jedoch nichts anderes gelten. Die Privatautonomie des Dritten, der durch eine nachträgliche Rechtswahlvereinbarung zwischen den Schuldvertragspartnem begünstigt wird, bleibt unbeeinträchtigt. Denn diese Begünstigung steht in Einklang mit dem Willen des Dritten, den dieser - als Bürge oder sonstiger Sicherungsgeber - bei dem Erwerb seines ,,Rechts" zum Ausdruck gebracht hat. Der Dritte als Sicherungsgeber will nämlich im Rahmen der von ihm eingegangenen Einstandspflicht für möglichst wenig haften müssen, also möglichst günstig behandelt werden. Eine Verringerung seiner Haftung, die auf der nachträglichen Rechtswahl beruht, ist also mit dem Willen des Dritten vereinbar. Demnach ist der Grundsatz der Privatautonomie nicht verletzt, wenn sich die RechtsteIlung des Dritten infolge der nachträglichen Rechtswahl der Vertragsparteien gegenüber der Rechtsposition nach dem ursprünglich anwendbaren Recht verbessert. Der funktionale Schutzbereich stellt sich nach allem folgendermaßen dar: Die Rechte Dritter LS.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB sind nur gegen solche Wirkungen einer nachträglichen Rechtswahl der Parteien des Hauptvertrages geschützt, die eine Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Dritten bedeuten. Dagegen kommt ein nachträglicher Verweisungsvertrag der Parteien dem Dritten zugute, soweit er die Rechtsstellung des Dritten verbessert.
§ 8 Der sachliche Schutzbereich Um die möglichen Formen von Drittberechtigungen i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im einzelnen darzustellen, erscheint eine Systematisierung der Drittinteressen angebracht, die im Zusammenhang mit einem Schuldvertrag entstehen oder durch eine nachträgliche Änderung des Schuldvertragsstatuts beeinflußt werden können. Es ist im Rahmen dieser Arbeit allerdings ausgeschlossen, alle denkmöglichen Typen von Drittberechtigungen lückenlos zu erfassen. Dies liegt darin begTÜndet, daß das gegenwärtige und zukünftige Privatrecht eines jeden Staates potentiell als maßgebliches Statut und Rechtsgrundlage für das Drittrecht in Betracht kommt. Somit kann eine nicht zu überblickende Viel-
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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zahl von Drittberechtigungen aller Art geschaffen werden. Die Vielfalt der möglichen Regelungen läßt sich aber im Rahmen der vorliegenden Untersuchung nicht erfassen. Die Frage, welche Rechte Nichtvertragsparteien aufgrund eines Schuldvertrages erwerben und welche Drittberechtigungen durch eine nachträgliche Rechtswahl berührt werden können, ist daher im wesentlichen unter Zugrundelegung der Systematik des deutschen Rechts zu beantworten. Dies darf jedoch nicht dazu führen, daß die Auslegung völlig eindimensional von den Konstruktionen der eigenen Rechtsordnung ausgeht. Wegen des Zuschnitts der Kollisionsnormen auf internationale Sachverhalte sind vielmehr, soweit dies möglich ist, fremde Rechtsordnungen zu berücksichtigen. Zur Systematisierung der Drittberechtigungen soUen zwei verschiedene Differenzierungskriterien dienen, nämlich die rechtliche Qualität des Drittinteresses und die Rechtsgrundlage der Drittberechtigung.
A. Rechtliche Qualität des Drittinteresses I. Rechtsstellung und konkrete Rechtsposition Die Literaturs, die sich mit Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB beschäftigt, schweigt sich ebenso wie die Gesetzesmaterialien über die Auslegung des Wortes "Recht" aus. Der Begiff wird beliebig durch "RechtssteUung" oder "Rechtsposition" ersetzt, ohne daß eine nähere Erläuterung erfolgt. Allein Mansel 29 hat das Problem, was eigentlich Schutzgegenstand der Bestimmung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist, überhaupt angesprochen. Er meint, daß der Wortlaut und die Gesetzesmaterialien unterschiedliche Interpretationen zulassen. Als mögliche Alternativen für die Auslegung schlägt auch er vor, den Begriff "Recht" entweder im Sinne von ,,aufgrund des alten Vertragsstatuts erworbene
21 Vgl. MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 61; Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 61; Palantit I Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 10; Kropholler, IPR, S. 396; Raape, PS Boehmer, S. 111,115; Giuliano I Lagarde. ABI EG, S. 18; zum internationalen Deliktsrecht Kropholler, RabelsZ 33 (1969),601,642 (pn. 139); Beitzke, Rec. des Cours, 115 (1965-11), 63, 72 f.
~ Mansel, ZVgIRWiss 86 (1987), 1,6; allerdings beschäftigt ihn die Problematik der Auslegung des Wortes ,,Recht" im Zusammenhang mit der Frage, ob das alte oder das neue Statut auf die Drittberechtigung anzuwenden ist.
60
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
konkrete Rechtspositionen" oder von ..gesamte, aus dem Vertrag abgeleitete Rechtsstellung" aufzufassen. Der Begriff ,.Rechtsstellung" beschreibt also nach Mansei allgemein die Gesamtheit der Befugnisse und Pflichten, die einem Rechtssubjekt aus einem Vertragsverhältnis auf der Grundlage einer Rechtsordnung erwachsen. 30 Demgegenüber ist unter ..Rechtsposition" ein bestimmtes einzelnes Element einer solchen Rechtsstellung zu verstehen; es handelt sich also um eine konkrete Befugnis bzw. Willensmacht oder um die Rechtspflicht einer Person im weitesten Sinne, die einer bestimmten RechtssteUung entspringt. Die Summe der ,.Rechtspositionen" aus einem Rechtsverhältnis macht demnach die ,.RechtssteUung" des Rechtssubjekts aus. Abgesehen davon, daß Mansei die Auslegung des Begriffs ,.Recht" als ..Rechtsposition" wegen der dabei auftauchenden schwierigen Angleichungsprobleme sogleich wieder verwirft, hat die Differenzierung von ,.Rechtsposition" und ,.Rechtsstellung" für die Definition des sachlichen Schutzbereichs des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB nur einen begrenzten Erkenntniswert. Besteht nämlich eine bestimmte Rechtsstellung aus der Summe konkreter Rechtspositionen, so wirlct sich jede Änderung von einzelnen Rechtspositionen auch automatisch auf die RechtssteUung in ihrer Gesamtheit aus. Gebietet der Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB, daß das ..Recht" im Sinne von ,.Rechtsstellung" unberührt bleiben muß 3], so muß dies zwangsläufig entsprechend auf die einzelnen Rechtspositionen durchschlagen. Dazu ein Beispiel: Bei einem Kaufvertrag zugunsten Dritter nach §§ 433 ff., 328 ff. BGB setzt sich die RechtssteUung des Dritten aus ganz unterschiedlichen Rechtspositionen zusammen. Der Dritte ist nicht nur Inhaber des Anspruchs auf Lieferung der Kaufsache. Ihm steht auch ein Zurückweisungsrecht nach § 333 BGB zu. Darüber hinaus kann der Dritte im Falle von Leistungsstörungen unter Umständen Sekundäranspruche erwerben, für die Ausübung bestimmter Gestaltungsrechte durch den Versprechensempfänger kann die Zustimmung des Dritten erforderlich sein. 32 Berufen die Kaufvertragsparteien nachträglich ein anderes als das deutsche Recht zum Vertragsstatut, so ist jede dieser Rechtspositionen des Dritten zu schützen, weil nur auf diese Weise auch
JO
So auch LArenz, AT,
31
v gl.
s. 2m.
:m dieser Frage des funktionalen Schutzbereichs unter § 7.
)2 BG" NJW 1972, 152, 153; Palandt I Heinrichs, § 328 BGB Rdnr. 5; Erman I Westermann, § 328 BGB Rdnr. 7.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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die Rechtsstellung des Dritten im Ganzen unbeeinlrächtigt bleibt. So wäre die Rechtsstellung, die der Dritte nach §§ 433 ff., 328 ff. BGB erworben hat, sicher nicht mehr unbeeinträchtigt, wenn der Dritte aufgrund des später gewählten Vertragsstatuts zwar Inhaber eines vertraglichen Leistungsanspruchs bliebe, aber das Zurtickweisungsrecht nach § 333 BGB oder das Zustimmungsrecht zu Gestaltungsakten des Versprechensempfängers verlöre. Insofern ist es für den Umfang des sachlichen Schutzbereichs der Regelung gleichgültig, ob eine konkrete Rechtsposition oder die Rechtsstellung in ihrer Gesamtheit Gegenstand des Schutzes des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist. Denn eine Rechtsstellung ist nur dann, aber auch immer dann geschützt, wenn der Schutz jeder einzelnen Rechtsposition, aus der die Rechtsstellung insgesamt hervorgeht, gewährleistet ist. Zur Defmition des sachlichen Schutzbereichs leistet die Differenzierung zwischen Rechtsstellung und Rechtsposition letztlich also keinen Beitrag, da nur der Fortbestand jeder einzelnen Rechtsposition die Rechtsstellung im Ganzen hinreichend schützt. Für die Bestimmung des sachlichen Schutzgegenstandes des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist es somit allein sinnvoll, auf die einzelne Rechtsposition abzustellen. Im übrigen verkennt ManseI, daß sich die Bedeutung der Bestandsschutzvorschrift nicht auf solche Rechtspositionen oder Rechtsstellungen beschränkt, die der Dritte aufgrund des ursprünglichen Vertragsstatuts erworben hat. Diese Erkenntnis ergibt sich schon aus den Überlegungen, die zu den Grundgedanken des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB angestellt wurden. 33 Positionen, die jemand beispielsweise aus seiner Rechtsstellung als Bürge aus dem Bürgschaftsstatut oder als Pfandgläubiger aus dem Pfandrechtsstatut erlangt hat, zählen danach zweifelsfrei zu den vom Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB erfaßten ,,Rechten", obwohl sie eben nicht aufgrund der ursprünglich auf den Hauptvertrag anwendbaren Rechtsordnung erworben werden. Insofern ist die Auffassung ManseIs also zu eng. Der Begriff des ,,Rechts" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB bezeichnet nach dem Gesagten jede einzelne Rechtsposition, die Teil einer bestimmten Rechtsstellung des Dritten ist. Die Rechtsstellung des Dritten kann dabei aus dem Hauptvertrag selbst oder aus einem davon zu trennenden, gesonderten Rechtsverhältnis hervorgehen.
)) Vgl. oben vor allem § 5.
62
3. Teil: Anwendungsbereich der BestJlndsschutzregelung
D. Die rechtlichen Eigenschaften einer Rechtsposition Demnach ist zur näheren Bestimmung des sachlichen Schutzbereichs des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB die Feststellung erforderlich, wann man von einer Rechtsposition des Dritten sprechen kann. Insofern bedarf es folgender Vorbemerkung: Ob die von einem Dritten erworbene Position die Qualität einer Rechtsposition im Sinne dieser Defmition hat, ist nach der Rechtsordnung zu beurteilen, welche für die Entstehung dieser Position maßgeblich ist. Es kommt insofern genauso wie für die Frage, welche Typen von Driuberechtigungen dem Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB unterfallen, eine nicht zu überblickende Vielzahl von Rechtsordnungen in Betracht. Im wesentlichen soll daher - um den Umfang dieser Arbeit nicht zu sprengen - für die Frage, wann von einer Rechtsposition die Rede sein kann, die Systematik des deutschen Rechts zugrundegelegt werden. Der Begriff ,,Rechtsposition" bezeichnet jede Position, die einer Person im Rahmen eines Rechtsverhältnisses auf der Grundlage des Rechts im objektiven Sinne zukommt. Sie zeichnet sich dadurch aus, daß sie inhaltlich durch gesetzliche oder vertragliche Normen fixiert ist, die dem Interessenausgleich zwischen Rechtssubjekten dienen. 34
1. Das subjektive Recht als geschütztes Interesse
Zu den ,,Rechtspositionen" in diesem Sinne gehören ganz unproblematisch die subjektiven Rechte. 3s Aufgrund des Wortlauts des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB und der Gesetzesmaterialien36 gibt es wohl keinen Zweifel daran, daß es bei dieser Bestimmung gerade um den Schutz solcher Drittinteressen geht, die als subjektive Privatrechte einzuordnen sind. 37 Sie stellen die wichtigsten Elemente eines Rechtsverhältnisses dar und lassen sich als von einer Rechtsord-
3.f
Vgl. Säcker, S. 53.
3~
Zu der Frage, ob alle Typen subjektiver Rechte dem Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 2
S. 2 EGBGB unterliegen vgl. unten § 8 B. 36
Giuliano I Lagarde, ABI EG, S. 18; BT-Drucksache 10/504, S. 77.
Zum ,,Recht" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB, das sich als Verbindlichkeit darstellt, siehe unten § 8 A 1I 3. TI
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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nung verliehene, relativ verselbständigte Befugnisse einer Person beschreiben. 38
2. Faktische Interessen und Erwerbsaussichten Abzugrenzen sind die subjektiven Rechte von den rein faktischen Interessen und Erwerbsaussichten. Den tatsächlichen Erwartungen oder Interessen fehlt der für subjektive Rechte charakteristische Schutz durch das Recht im objektiven Sinne. 39 Indizien für das Vorliegen eines faktischen Interesses ist demnach das Fehlen von Normen, die Beeinträchtigungen dieser Interessen verbieten oder mit Sanktionen40 belegen. Demgegenüber weist auf den Rechtscharakter eines Interesses insbesondere seine Vererblichkeit hin. 4 ! Denn der Erbe erwirbt und das gilt in allen Rechtsordnungen gleichermaßen - all diejenigen Interessen, die rechtlich erheblich sind, während die rein tatsächlichen Werte nicht auf den Erben übergehen. Ob sich ein Interesse als subjektives Recht qualifizieren läßt, muß nach dem Statut entschieden werden, das für das in Rede stehende Interesse maßgeblich ist. Daraus ergibt sich, daß etwa Anwartschaftsrechte sowie bedingte und zukünftige Forderungen dem Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB unterfallen können. Sie bilden Erwerbsaussichten, die in der deutschen Rechtsordnung wie subjektive Rechte behandelt werden. Demgegenüber ist beispielsweise derjenige Dritte nicht über Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB geschützt, der im Rahmen eines unechten Kaufvertrages zugunsten Dritter nach deutschem Recht in der Weise begünstigt wird, daß der Verkäufer die Kaufsache direkt an den Dritten zu liefern hat. Denn diese Begünstigung ist nicht zugunsten des Dritten durch eine Rechtsnorm oder eine vertragliche Norm geschützt; sie stellt für den Dritten im Verhältnis zum Verkäufer einen lediglich faktischen Vorteil dar. Eine nachträgliche Rechtswahl der Parteien, die diesen Vorteil beseitigen würde, wäre in ihren Wirkungen nicht durch Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB be-
schränkt
38 39
LArenz, AT, S. 200; Brox, AT, Rdnr. 568 ff.; vgl. auch Dörner, S. 374 f. Vgl. Larenz, AT, S. 201.
«l Etwa durch Unterlassungs-, Schadensersatz- und Bereichungsansprüche, vgl. Dörfler, S. 38 ff., 46 ff. sowie S. 374 f.
41
Vgl. v. Tuhr, S. 182 (Fn. 7).
64
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
3. Rechtspflichten als geschütztes Interesse Es werden ferner mit ,,Rechtsposition" nicht nur Positionen eines Rechtssubjekts bezeichnet, die für diese Person günstig und vorteilhaft sind und daher im allgemeinen Sprachgebrauch als Rechte bezeichnet werden. Eine Rechtsposition kann auch ein rechtlich belastendes, verpflichtendes bzw. nachteiliges Element einer Rechtsstellung darstellen. Es handelt sich dabei im weitesten Sinne um Rechtspflichten, d.h. Verbindlichkeiten, sonstige Gebundenheiten und Obliegenheiten aus einem Rechtsverhältnis. 42 In den Kreis der durch Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB geschützten "Rechte" müssen aufgrund der bisherigen Überlegungen auch diese Rechtspflichten aufgenommen werden. Ansonsten würde der Anwendungsbereich der Regelung zu eng gefaßt. Denn das Schutzbedürfnis eines Verpflichteten gegenüber der Erweiterung seiner Verbindlichkeiten ist genauso groß wie das eines Berechtigten gegenüber der Beeinträchtigung seines Rechtes.43 Zwar kann ein Dritter wegen der Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter Rechtspflichten nicht aufgrund des Hauptvertrages selbst erworben haben. Aber unter Umständen ist der Dritte einer der Hauptvertragsparteien aufgrund eines gesonderten Rechtsverhältnisses verpflichtet, wie etwa der Bürge dem Gläubiger des Hauptschuldners gegenüber. Diese Verbindlichkeit des Dritten darf aus dem Gedanken der Unwirksamkeit von Verträgen zu Lasten Dritter nicht dadurch erweitert werden, daß sich durch die nachträgliche Rechtswahl der Hauptvertrag zu Lasten des Dritten verändert.
B. Rechtsgrundlage der Drittberechtigung Bisher ging es darum, den Begriff des "Rechts" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im Hinblick auf seine rechtliche Qualität zu untersuchen. Damit ist indes noch nicht dargetan, ob alle Arten von Rechtspositionen in diese Definition eingeschlossen sind. Voraussetzung für die Einbeziehung einer Rechtsposition in den Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist, daß zumindest abstrakt die Möglichkeit besteht, daß sich die Rechtsposition des Dritten durch einen Statutenwechsel in bezug auf den Hauptvertrag verändert.
42
Vgl. LArenz, AT, S. 202 ff.
43
North, FS Lipstein, S. 205, 220; Tomoszewski, Rev. crit. 1972,567,599.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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Dieses Erfordernis erfüllen die höchstpersönlichen subjektiven Rechte, insbesondere die Familien- und die sonstigen Nichtvennögensrechte, wie zum Beispiel das Recht der elterlichen Sorge oder das allgemeine Persönlichkeitsrecht, nicht. Diese Rechte können schon nicht durch Schuldvertrag begründet, ein Dritter kann sie nicht aufgrund des ursprünglichen Schuldvertragsstatuts LS.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB erworben haben. Diese Rechte können also durch einen Statutenwechsel im internationalen Schuldrecht nicht beeinträchtigt werden und sind demzufolge nicht in den Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB aufzunehmen. Eingehendere Betrachtung verdienen demgegenüber die vennögensrechtlichen Rechtspositionen, die einem Dritten im Verltältnis zu den Parteien eines Schuldvertrages zustehen können. Dabei ist zwischen solchen Rechtspositionen Dritter zu unterscheiden, die ihre rechtliche Grundlage unmittelbar in dem Rechtsverhältnis zwischen den Parteien des Verweisungsvertrages fmden, und solchen, die auf einem gesonderten Rechtsverhältnis beruhen, das zwischen dem Dritten und den Vertragspartnern oder einem der Vertragspartner des Hauptvertrages besteht. Diese Unterscheidung ist dadurch gerechtfertigt, daß das auf den Hauptvenrag anzuwendende Statut nur bei der ersten Fallgruppe auf die Drittberechtigung anwendbar ist. Die Drittinteressen der zweiten Fallgruppe zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, daß für sie ein vom Vertragsstatut verschiedenes und damit von einem Statutenwechsel in bezug auf den Hauptvertrag unabhängiges Recht maßgebend ist.44 Im übrigen dient die vorgeschlagene Differenzierung der Systematisierung; mit ihrer Hilfe soll ein Überblick über die möglichen Fallkonstellationen gegeben werden, in denen zu schützende Drittberechtigungen vorkommen können.
I. Erwerb der Drittberecbtigung unmittelbar aufgrund des Hauptvertrages Die Materialien zu Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB 4S und zu Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ46 stellen darauf ab, daß ein Dritter nach bestimmten Rechtsordnungen
.. Vgl. Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 383; Kegel, S. 424. 45
BT-Drucksache 10/504, S. 77.
~ Giulißno
I Lagarde, ABI EG, S. 18; zum VorentwUlf des EG-Schuldrechtsübereinkommens vgl. Giulißno I Lagarde I van Sasse van Ysselt, Riv.dir.priv. proc.9 (1973), 198,221. 5 Möllenhoff
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3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
,,Rechte" unmittelbar aufgrund eines Vertrages zwischen zwei anderen Personen erwerben kann. Welcher Art diese "Rechte" sein können, wird - wohl wegen der Vielzahl der möglichen Formen - nicht näher erläutert.
1. Die dinglichen Rechte Dritter Das Schuldrecht beschäftigt sich typischerweise mit den sog. relativen Rechten. 47 Dingliche oder absolute Rechte werden dagegen durch schuldrechtliche Vereinbarungen grundsätzlich weder begründet noch tangiert. Dementsprechend scheint eine Beeinträchtigung von dinglichen Rechten durch eine nachträgliche Rechtswahl im internationalen Schuldveruagsrecht von vornherein ausgeschlossen zu sein. Dieser Aussage liegt der Grundgedanke der prinzipieUen Trennung von Schuld- und Sachenrecht zugrunde, der die dogmatische Konzeption des deutschen Privatrechts beherrscht. Die in Kollisionsnormen verwendeten Begriffe sind jedoch weit auszulegen; es sind daher auch die Rechtsinstitute und die Systematik ausländischer Rechte zu beriicksichtigen.48 Das kann für die Frage, ob dingliche Rechte in den Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB einzubeziehen sind, insofern von Bedeutung sein, als nach einigen Rechtsordnungen dingliche Rechte unmittelbar aufgrund von Schuldverträgen begründet und aufgehoben werden können. Dazu folgendes Beispiel: Der Deutsche D wendet seiner französischen Ehefrau F schenkungsweise ein in Frankreich belegenes, bebautes Grundstück zu. Der Vertrag sieht zusätzlich die Einräumung eines dinglichen Wohnrechts zugunsten des nichtehelichen Sohnes S des D vor. Zunächst wird keine Rechtswahlvereinbarung getroffen. Aufgrund später auftretender Auseinandersetzungen vereinbaren D und F auf Anraten des Rechtsanwaltes des D rückwirkend deutsches Recht als Vertragsstatut.
47
Zu diesem Begriff und seiner Relativität s. Larenz, AT, S. 228 f.; Dörner, S. 377.
" VgI. MünchKomm I Sonnenberger, EinI.lPR, Rdnr. 353 ff.
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Der S hat als Dritter gern. Art. 893 f., 931 ff., 1138 Abs. 2 Ce das dingliche Wohnrecht49 unmittelbar aufgrund der schuldrechtlichen "stipulation pour autrui" i.S.d. Art. 1119, 1121 Cc50 erworben, die in dem - ursprünglich nach französischem Recht zu beurteilenden - Schenkungsvertrag51 enthalten war. Eine Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann hier nicht damit beglÜndet werden, der Erwerb des dinglichen Wohnrechts würde - ohne die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB - durch die nachträgliche Wahl deutschen Rechts vereitelt, weil nach der rückwirkend anzuwendenden deutschen Rechtsordnung ein dingliches Recht nicht unmittelbar aufgrund eines schuldrechtlichen Geschäfts erworben werden könne. Eine solche Betrachtung würde verkennen, daß das Schuldvertragsstatut für die Frage der dinglichen Wirkungen eines Kausalgeschäfts gar nicht maßgeblich ist; diese beurteilen sich ausschließlich nach dem Sachstatut. 52 Ein Wechsel des Schuldvertragsstatuts vermag demnach schon deswegen keinerlei Einfluß auf den Bestand von dinglichen Rechten zu haben, weil es sich bei dem schuldrechtlichen Vertrag und den dinglichen Rechten um unterschiedliche Anknüpfungsgegenstände handelt, die mit unterschiedlichen Anknüpfungspunkten verbunden sind.53 Die nachträgliche Rechtswahl von D und F führt somit zwar zu einem Wechsel des Schuldvertragsstatuts. Dies bleibt aber ohne Einfluß auf die Frage, ob S Inhaber eines dinglichen Wohnrechts ist. Hierüber bestimmt allein die lex rei sitae. S4 Einer Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zum Schutz von dinglichen Rechten, die ein Dritter unmittelbar durch Schuldvertrag nach ausländischem Recht erworben hat. bedarf es demnach nicht.
49 Vgl. zum dinglichen Wohnrecht nach französischem Recht Ferid ! Sonnenberger, FrzZR, Rdnr. 3 E 117, 153. 50 Das französische Recht kennt den Vertrag zugunsten Dritter nur in der Form der "stipulation pour autrui" i.S.d. Art. 1119, 1121 ce. Darunter ist das Sichversprechenlassen einer Leistung zu verstehen, die der Versprechende einem anderen zu erbringen hat. Sie ist nur in engen Grenzen als Anhängsel eines Vertrages zu eigenen Gunsten des Versprechensempfängers zulässig. VgI. näher zu diesem Rechtsinstitut Weill! Terre, Nr. 530 ff.; Ferid l , FrzZR, Kap. 2 E Anm. 19 ff.
SI
Zum französischen Schenkungsvertragsrecht vgl. Ferid! Sonnenberger, FrzZR, Rdnr. 2 H I ff.
S2
MünchKomm! Kreuzer, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 28; Ferid, IPR, Rdnr. 7-59.
S3 Zu den Wirkungen des Wandels des Sachstatuts, der durch die Veränderung des Lageorts der Sache hervorgerufen wird, vgl. MünchJ(omm ! Kreuzer, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 72 ff.; Soergel! Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 565 ff.; Ferid, IPR, Rdnr. 7-58 ff. 54 Vgl. MünchKomm! Kreuzer, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 12,28. Selbst wenn der Kaufvertrag aufgrund des gewillkürten Statutenwechsels nach deutschem Recht zu beurteilen ist, kann deshalb allein aufgrund der kaufvertraglichen Einigung Eigentum erworben werden, nämlich dann, wenn der Kaufgegenstand sich in Frankreich befindet. (vgI. BGH WM 1967, 1198; MünchKomm! Kreuzer, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 28; Raape, S. 612 f.
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3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
Allerdings vennag allein das Argwnent, ein Wechsel des Schuldvertragsstatuts könne sich auf das Sachstatut und damit auf die dinglichen Rechte nicht auswirken, nicht überzeugend zu begründen, daß die dinglichen Rechte bzw. die sich aus ihnen ableitenden Rechtspositionen von Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB allgemein nicht erfaßt werden. Denn es gibt dingliche Rechtspositionen - wie zum Beispiel das Pfandrecht an Sachen nach deutschem Recht -, die, wenn auch nicht auf kollisionsrechtlicher, so doch auf materiellrechtlicher Ebene von dem Bestehen und dem Umfang einer schuldvertraglichen Forderung abhängen. Bei solchen akzessorischen dinglichen Rechten kann sich eine Veränderung der Forderung aufgrund einer nachträglichen Rechtswahl eben wegen der akzessorischen Verknüpfung zwischen der Forderung und dem dinglichen Recht unmittelbar auf die Rechtspositionen aus dem dinglichen Recht auswirken. Verändert sich infolge einer nachträglichen Rechtswahl eine durch ein Pfandrecht an einer Sache gesicherte Forderung, so kann sich dadurch auch die Rechtsposition des Verpfänders verschlechtern, soweit nicht das Sachstatut materiellrechtliche Bestimmungen zum Schutz des akzessorischen Pfandrechts enthält. In der Regel wird eine Rechtsordnung Mechanismen aufweisen, die einen hinreichenden Schutz für dingliche Rechte gewährleisten. Bei deutschem Pfandrechtsstatut etwa sorgt § 1210 Abs. 1 S. 2 BGB dafür, daß der Verpfänder, der zwar Eigentümer der verpfändeten Sache, nicht aber Schuldner der gesicherten Forderung ist, nicht durch schuldrechtliehe Rechtsgeschäfte benachteiligt wird. Im Regelfall, in dem das Sachstatut bereits die dinglichen Rechte sichert, muß man also zwn Schutz dinglich berechtigter Dritter nicht auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zurückgreifen. Bedeutung entfaltet Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB hingegen dann, wenn das Sachstatut keine Regelungen bereithält, wn Beeinträchtigungen akzessorischer dinglicher Rechte, die infolge einer nachträglichen Rechtswahl des Schuldvertragsstatuts wirksam auszuschließen. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB soll nach allgemeiner Auffassung anwendbar sein, wenn ein Dritter für eine fremde Schuld eine Sicherheit gibt, insbesondere ein Pfand bestellt. ss Diese Ansicht wird selbst von den Kritikern der Regelung vertreten, obwohl zumindest das
55 Lorenz, IPrax 1987,269,273; ders., Vertragsschluß, S. 104; Lipstein, E.P.I.L.O., S. 155,158; North, PS Lipstein, S. 205, 220; vgJ. auch Raape, FS Boehrner, S. 111, 115; Gamil/scheg, AcP 157 (1957/58),301,315; Sandrock I Steinsclu4lte I, Rdnr A 197 f.; kritisch dam Kegel, S. 424.
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Pfandrecht an Sachen ein dingliches Recht isf6, und eine Beeinträchtigung der Rechtsposition des Verpfänders durch einen Wechsel des Forderungsstatuts im Grunde nicht eintreten kann, weil das Pfandrecht an Sachen und der Schutz der Rechtsstellung des Verpfänders nicht dem Forderungsstatut, sondern dem Sachstatut unterliegt 57 Auf die Existenz von Schutzmechanismen im Sachstatut wollten sich die Autoren des EG-Schuldvertragsübereinkommens und der Gesetzgeber des EGBGB offenbar nicht verlassen. Denn Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB wurde in Kenntnis der geschilderten Rechtslage gerade auch im Hinblick auf den Schutz von Sicherungsgebern geschaffen. s8 Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist also zum Schutz derjenigen akzessorischen dinglichen Rechte anwendbar, die nicht bereits durch Schutzbestimmungen im Sachstatut vor Beeinträchtigungen sicher sind. Demnach sind die dinglichen Rechte und die aus ihnen hervorgehenden Rechtspositionen in den Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB aufzunehmen.
2. Drittberechtigung in Form von Ansprüchen a) LeistungsanspTÜche Dritter Ist das ursprüngliche Vertragsstatut beispielsweise das deutsche Recht, so können die Vertragsparteien einem an dem Kontrakt Unbeteiligten durch einen Vertrag zugunsten Dritter gern. §§ 328 Cf. BGB einen Anspruch auf die vom Versprechenden zu erbringende Leistung zuwenden. s9 Der Dritte ist damit berechtigt, vom Schuldner ein bestimmtes Handeln i.S.d. § 194 BGB zu verlangen; er erwirbt also unmittelbar aufgrund des Hauptvertrages nach dem anfänglichen Statut ein subjektives Recht in Gestalt eines schuldrechtlichen Leistungsanspruch.
56 Ob das Pfandrecht an Forderungen ebenfalls ein dingliches Recht darstellt, ist umstritten: bejahend Baur, S. 617; Canaris, FS Rorne, S. 371,375, verneinend Westermann, S. 166; Dörner, S. 117 f. (insbesondere Fn. 94). 57
Vgl. dazu Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 383; Mansei, DirektansplÜche, S. 48.
,. Vgl. Kegel, S. 481; Lorenz, IPRax 1987,269,273. " Den Vertrag zugunsten Dritter in der Prägung der §§ 328 ff. BGB kennt nicht nur das deutsche Recht, sondern z.B. auch das schweizerische (Art. 112 OR) und das schottische Recht; anders das englische Recht, vgl. Lorenz, FS Zweigert, S. 199,218 (Fn. 52).
70
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
Da über Zulässigkeit und Wirkung einer Drittbegünstigung das Vertragsstatut entscheidet60 , kann der Anspruch des Dritten verschlechtert werden, wenn die Parteien nachträglich eine andere Rechtsordnung als Vertragsstatut wählen. Dem neuen Statut mag - wie beispielsweise dem englischen Recht61 - die Begründung eines eigenen Forderungsrechts des Dritten durch die Parteien eines Schuldvertrages gänzlich unbekannt sein. Oder: der Anspruch des Dritten besteht möglicherweise zwar auch nach der später berufenen Rechtsordnung, erweist sich aber im Gegensatz zum anfänglichen Vertragsstatut als nicht durchsetzbar.
Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB schützt also subjektive Rechte in Form von Leistungsansprüchen, die aufgrund des ursprünglichen Vertragsstatuts begründet wurden. 62 b) Schutzansprüche Dritter Neben den auf Erfüllung gerichteten Primäransprüchen können aber im Zusammenhang mit eint{m Vertrag auch Sekundäransprüche eines an dem Kontrakt unbeteiligten Dritten entstehen. Nach dem deutschen Recht kann ein Dritter einen eigenen vertraglichen Schadensersatzanspruch haben. Voraussetzung dafür ist, daß der Hauptvertrag ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist63 und daß dem in den Schutzbereich des Vertrages einbezogenen Dritten infolge einer Leistungsstörung seitens des Schuldners ein Sach- oder Vermögensschaden entstanden ist. Ein bereits entstandener vertraglicher Schadensersatzanspruch des Dritten ist ein normaler Leistungsanspruch, der - wie oben bereits festgestellt - den
00
Reuter I Martinek, S. 791; Lorenz, PS Zweigert, S. 199,218; Zitelmann, IPR II, S. 392.
61 Cheshire I Fifoot I Furmston, S. 404; Treitel, S. 454; Lorenz, FS Zweigert, S. 199,218. Eine DrittbegüDstigung wird nach englischem Recht kraft Gesetzes gewährt (etwa nach dem Married Women's Property Act von 1882 oder dem Road Traffic Act von 1972) oder kann unter Zuhilfenahme einer trust-Konstruktion begründet werden. Vgl. Zweigert I Kötz H, S. 172 ff. 6% Vgl. Giuliano I Lagarde, ABI EG, S. 18; BT-Drucksache 10/504, S. 77; Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 62.
63 Zu den rechtlichen Grundlagen und den Voraussetzungen, unter denen eine solche Schutzwirkung angenommen werden kann, vgl. RGZ 127, 218,222; BGHZ 49, 350, 354; 70, 327, 330; MünchKomm I Gottwald, § 328 BGB Rdnr. 62; Pa/andt I Heinrichs, § 328 BGB Rdnr. 13.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
71
Schutz des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB genießt. Zweifel daran, daß diese Art von Schutzansprüchen dem sachlichen Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB unterfallen, könnten allenfalls insofern bestehen, als die Schadensersatzansprüche des Dritten nicht unmittelbar durch den Vertrag begründet werden, sondern erst aufgrund einer Leistungsstörung bzw. eines deliktischen Verhaltens in Zusammenhang mit einem Vertragsverhältnis entstehen. Insofern könnten Ansprüche, die ein vertragsfremder Dritter auf einen Vertrag mit Schutzwirkung zu seinen Gunsten stützt, deliktsrechtlich zu qualifIZieren sein. 64 Daraus resultierende Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB lassen sich jedoch zerstreuen. Sind die von dem Dritten geltend gemachten Rechte aus dem Vertrag mit Schutz wirkung zugunsten Dritter nach Art. 32 Abs. 1 Nr. 3 EGBGB als Folgen einer vertraglichen Leistungsstörung bzw. Nichterfüllung anzusehen, so richten sich die Ansprüche des Dritten nach dem Vertragsstatut65 und fallen in den Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB. Bestimmen die Vertragspartner nämlich eine andere als die ursprüngliche Rechtsordnung zum Vertragsstatut, nachdem es zu der vertraglichen Leistungsstörung gekommen ist, so kann der nach dem anfänglichen Vertragsstatut gegebene vertragliche Schadensersatzanspruch des Dritten verloren gehen oder gemindert werden. Dies kann entweder darauf beruhen, daß das neue Vertragsstatut eine Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrages gar nicht kennt oder nur unter engeren Voraussetzungen zuläßt oder darauf, daß es den Dritten im Hinblick auf die Rechtsfolge, die Art und den Umfang des Schadensersatzes, schlechter stellt als das frühere Statut. Die Regel des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ist aber auch dann anwendbar, wenn die den Dritten schädigende Verletzungshandlung deliktsrechtlich zu qualifizieren ist. Denn die Regel des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB gilt auch im Deliktsrecht.66 Dies ist eine zwingende Konsequenz der Zulassung der (nachträglichen) Rechtswahl im internationalen Deliktsrecht67 , da auch im Recht der unerlaubten Handlung ohne eine Drittschutzbestimmung Rechtspositionen Drit-
64
Vgl. v. Bar, IPR 11, Rdnr. 481, 557.
MünchKomm I Martiny, Art. 32 EGBGB Rdnr. 25; PakJndJ I Heldrich, Art. 32 EGBGB Rdnr. 5; Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 184. 65
66
MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 63; v. Bar, IPR 11, Rdnr. 481; Hohloch, NZV
1988, 161, 165 f. 67
Vgl. MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 57, 61.
72
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
ter, zum Beispiel von Haftpflichtversicherern68 , beeinträchtigt werden könnten. 69 Im übrigen erfolgt im Falle einer unerlaubten Handlung, die im Zusammenhang mit einem bestehenden Vertragsverhältnis vorgenommen wird, nach heute überwiegender Ansicht eine akzessorische Anknüpfung des Delikts an den Anknüpfungspunkt des Vertrages. 70 Verändern also die Vertragsparteien durch eine nachträgliche Rechtswahl das maßgebliche Vertragsstatut, so wechselt gleichzeitig das Deliktsstatut. In der Regel werden die Parteien nämlich ihre vertragliche und ihre deliktsrechtliche Rechtsbeziehung einheitlich regeln, d.h. einen Verweisungsvertrag schließen, der beide Rechtsverhältnisse umfaßt.71 Soweit der Rechtswahlvereinbarung der Parteien eine solche einheitliche Regelung nicht entnommen werden kann, ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der vertragsakzessorischen Anknüpfung des Delikts, daß das Deliktstatut sich immer nach dem jeweiligen Vertragsstatut richtet. Denn die akzessorische Anknüpfung soll ja gerade gewährleisten, daß die konnexen Schuldverhältnisse - Vertrag und Delikt - einer einheitlichen rechtlichen Beurteilung zugeführt werden. Rechte Dritter aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, die deliktsrechtlich zu qualifizieren sind, können mithin durch eine nachträgliche, auf den Vertrag oder die unerlaubte Handlung bezogene Rechtskür beeinträchtigt werden. Infolge einer positiven Vertrags verletzung entstandene Schadensersatzansprüche Dritter aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sind damit vom sachlichen Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB umfaßt. Ein davon zu unterscheidendes Problem ist, ob die Position des Dritten bei einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bereits dann als "Recht" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB anzusehen ist, wenn die Verletzungshandlung noch nicht stattgefunden hat und demzufolge ein Anspruch des Dritten noch nicht entstanden ist. Bei dieser Konstellation steht dem Dritten weder ein vertraglicher noch ein deliktischer Anspruch auf Leistung von Schadensersatz zu. Allerdings entfaltet der Vertrag zwischen dem Schuldner und dem Gläubi-
.. Vgl. Mansel, DirektanspJÜche,
s. 48.
69 Vgl. im übrigen Art. 42 Abs. I S. 2 des Referentenentwwfs für ein Gesetz zur Ergänzung des internationalen Privatrechts (MünchKomm I Kreuzer, vor Art. 38 EGBGB Vom. Rdnr. 6). 70 OGH IPRax 1988, 363, 364; MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 65; Erman I Arndt', Art. 12 EGBGB Rdnr. 10; Reder, S. 166 ff.; Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), I, 15 Cf.; Beitz· /ce, Rec. des Cours 115 (1965-11) 63, 107; Lorenz, Vorschläge, S. 97, 152 Cf. 71
MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 66.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
73
ger insofern bereits rechtliche Wirlcung im Verhältnis zum Dritten. als zwischen dem mit den Schutz- und Sorgfaltspflichten belasteten Vertragsteil und dem Dritten ein Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflichten entsteht.72 Kraft dieses Schuldverhältnisses ist der Dritte in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen.73 Allein der Abschluß eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter läßt also mit dem Einbezogensein des Dritten in den Schutzbereich des Vertrages eine schuldrechtliche Rechtsposition zugunsten des Dritten entstehen. Eine nach Abschluß eines VertJages mit Schutzwirlcung zugunsten Dritter vorgenommene Rechtswahl darf mithin die Schutzwirkung des VertJages gegenüber Dritten nicht ..berühren". Sieht etwa das neue Vertragsstatut die Erstrekkung der Schutzwirkung des VertJages im Gegensatz zum alten Statut nicht vor. darf sich die nachträgliche Rechtswahlvereinbarung insoweit nicht zum Nachteil des Dritten auswirken.14 Der Dritte wird insofern auf kollisionsrechtlicher Ebene durch Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB geschützt.
3. Drittberechtigung in Form von Einwendungen Dritter Schuldvertraglichen Rechten der einen Vertragspartei können Einwendungen entgegenstehen. Berechtigt, Einwendungen zu erheben. ist grundsätzlich der andere Vertragspartner des Schuldvertrages. unter Umständen aber auch ein Dritter. Dazu ein Beispiel: A läßt die von ihm auf einem Platz abgesteUten Fahrzeuge und Geräte durch die Bewachungsgesellschaft B bewachen. Als Statut. das für den Bewachungsvertrag maßgeblich sein soU. berufen A und B das Recht des Staates X. Die Bewachung führt der bei B angestellte Wachmann Waus. W setzt fahrlässig mehrere Geräte in Brand. Als W von A in Anspruch genommen
71
Larenz, AS, S. 229.
73
BGHZ 49, 350, 353; BGH NJW 1959, 1676, 1677; Pa/andt I Heinrichs, § 328 BGB Rdnr. 13.
Ein solcher Verweisungsvertrag entspricht in seinen Wirkungen einer Vereinbarung der Vertragsparteien auf materiellrechtlicher Ebene, die die Schutzwirkung des Vertrages (nur) gegenüber dem Dritten ausschließt. Richtigerweise ist ein derartiger Haftungsausschluß nach dem deutschen Sachrecht nur insoweit zulässig, als die Haftung für die Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten auch dem Vertragsgläubiger selbst gegenüber ausgeschlossen wird. Str., wie hier BGHZ 56, 269,274; Larenz, AS, 230; Esser I Schmidt, S. 568; a.A. MünchKomm I Gonwald, § 328 BGB Rdnr. 78. 74
74
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
wird, wendet er ein, die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der B enthielten einen nach dem Recht von X wirksamen Haftungsausschluß für fahrlässiges Verhalten, der auch zugunsten der Angestellten und damit zu seinen Gunsten wirke. Dem hält A entgegen, er habe nachträglich mit B die Anwendbarkeit des Rechtes des Staates Y auf den Bewachungsvertrag vereinbart. Danach könne sich W, was zutrifft, nicht auf den Haftungsausschluß berufen. Der Bewachungsvertrag zwischen A und B enthielt nach der ursprünglich anwendbaren Rechtsordnung des Staates X einen wirksamen Haftungsausschluß, der nicht nur die B selbst von der Haftung für Fahrlässigkeit freistellte, sondern zugleich eine Einwendung zugunsten der Angestellten der B begründete. W würde diese Einwendung des Haftungsausschlusses aus dem Bewachungsvertrag infolge der nachträglichen Rechtswahl verlieren, wenn man die uneingeschränkte Anwendung des nachträglich gewähltes Vertragsstatuts des Staates Y auf den Bewachungsvertrag zuließe. Zum Schutz der Einwendung des W, die dieser nach dem Recht des Staates X aus dem Haftungsausschluß zugunsten der Angestellten der B erworben hat, muß Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB eingreifen. Einwendungen sind mithin in den Schutzbereich des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB aufzunehmen.
4. Drittberechtigung in Gestalt des Zurückweisungsrechts nach § 333 BGB Das deutsche Sachrecht erlaubt es dem Dritten, der aus einem Vertrag zugunsten Dritter gern. §§ 328 ff. BGB begünstigt ist, den ihm zugewendeten Anspruch nach § 333 BGB durch einseitige Willenserklärung zurückzuweisen, mit der Folge, daß der Anspruch des Dritten als niemals erworben gilt.75 Diese Position des Dritten ist als "Recht" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu bewahren und darf nicht dadurch berührt werden, daß die Vertragsparteien nachträglich ein anderes Vertragsstatut wählen.
15
Palandt I Heinrichs, § 333 BGB Rdnr. 1; MünchKomm I Gottwald, § 333 BGB Rdnr. 5.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
75
D. Erwerb der Drittberecbtigung aufgrund eines gesonderten Recbtsverbältnisses Der vorhergehende Abschnitt beschäftigte sich mit Rechten Dritter, die ihre Rechtsgrundlage unmittelbar in dem Vertrag fanden, auf den sich die nachträgliche Rechtswahl der Vertragsparteien bezog. Schon die Erörterung der Grundgedanken des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB aber hat ergeben, daß eine spätere Rechtswahlvereinbarung der Parteien des Hauptvertrages auch auf solche Rechtspositionen Dritter einwirken kann, die einem gesonderten, vom Hauptvertrag verschiedenen Rechtsverhältnis entspringen.76 Da sich die RechtssteIlung des Dritten bei dieser Konstellation allein aus dem gesonderten Rechtsverhältnis ableitet, richtet sie sich ausschließlich nach dem für dieses Rechtsverhältnis maßgeblichen Statut. Dieses Statut entscheidet demzufolge auch allein über die Frage, ob und inwieweit sich eine Vereinbarung der Parteien des Hauptvertrages auf die Rechtsposition des Dritten auswirkt; es wird in aller Regel materielle Vorschriften zum Schutz von Drittberechtigungen enthalten. Das Schuldvertragsstatut ist demgegenüber gar nicht dazu berufen, die RechtssteIlung des Dritten zu bestimmen und ihren Schutz zu gewährleisten. Deshalb vermag ein Wechsel des Schuldvertragsstatuts infolge einer nachträglichen Rechtswahl grundsätzlich keinerlei Einfluß auf die Rechtsstellung des Dritten aus dem gesonderten Rechtsverhältnis zu haben. Aufgrund dessen scheint die Regelung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ohne Bedeutung und überflüssig zu sein, wenn der Schutz solcher Rechtsstellungen Dritter bewirkt werden soll, die auf einem vom Hauptvertrag getrennten Rechtsverhältnis beruhen. 77 Bei der Kodifikation des österreichischen IPR ist dennoch gerade im Hinblick auf diese Fallgruppe eine Bestandsschutzregelung gefordert worden. 78 Dies mag seinen Grund darin haben, daß zwischen dem Vertragsverhältnis der Parteien und dem von diesem Hauptvertrag gesonderten Rechtsverhältnis eine Verbindung bestehen kann, die Bestandsschutzvorschriften erforderlich macht.
76
Vgl. oben § 5.
77
Im Sinne dieser Argumentation: Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 383; Kegel, S. 424;
71
Mänhardt, S. 84; Feil, S. 101.
North, FS Lipstein, S. 211, 220; Tomaszewski, Rev. crit. 1972,567,599.
76
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
Inwieweit verschiedene Rechtsverhältnisse derart aneinander gekoppelt sein können, ist allerdings nicht ganz leicht zu erkennen.79
1. Akzessorietätsjälle
a) Fälle akzessorischer Anknüpfung von Hauptvertrag und gesondertem Rechtsverhältnis Die beiden Rechtsverhältnisse können auf kollisionsrechtlicher Ebene in der Weise miteinander verbunden sein, daß der durch den späteren Verweisungsvertrag der Parteien des Hauptvertrages hervorgerufene Statutenwechsel gleichzeitig einen Statutenwechsel in bezug auf die für das gesonderte Rechtsverhältnis maßgebliche Rechtsordnung hervorruft. Eine solche Abhängigkeit zwischen den Statuten der beiden Rechtsverbältnisse setzt eine akzessorische Anknüpfung von Hauptvertrag und gesondertem Rechtsverhältnis voraus. Unter einer akzessorischen Anknüpfung versteht man eine Anknüpfungstechnik, bei der ein Anlrnüpfungsgegenstand mit einem Anknüpfungspunkt verbunden wird, der an sich originär nicht für diesen, sondern für einen anderen Anlrnüpfungsgegenstand bestimmt ist.80 81 Inwieweit die koUisionsrechtliche Akzessorität zweier Rechtsverhältnisse im Hinblick auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB von Bedeutung sein kann, soll an dem folgenden Beispiel erläutert werden: Der Franzose F beauftragt den deut-
79 So Collins, lnt.Comp.LQ 25 (1976), 35, 44; North, FS Lipstein, S. 211,220; Tomaszewski, Rev. crit. 1972,567,599.
10
VgI. MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 65; Firsching, FS Zajtay, S. 143, 147.
I. Die Technik der akzessorischen Anknüpfung findet sich heute in einigen Kollisionsnormen des EGBGB, z.o. in Art. II Abs. 1 1. Fall, 15 Abs. I, 17 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Diskutiert wird die akzessorische Anknüpfung vor allem in bezug auf die - von der Tatortregel abweichende - Anknüpfung des Delikts an denjenigen Anknüpfungspunkt, der für eine zwischen den Beteiligten bereits bestehende, besondere, tatsächliche oder rechtliche Beziehung maßgeblich ist. Die rechtliche Sonderbeziehung kann schuldvertraglicher, sachen-, gesellschafts- oder familienrechtlicher Art sein. VgI. MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 65; Paklndt I Heldrich, Art. 38 EGBGB Rdnr. 14; Fischer, S. 131 Cf.; Mansel, ZVglRWiss 86 (1987), I, 15 Cf.; Lorenz,lPRax 1985,85,88; StoU, IPRax 1989,89,91; Müller, JZ 1986,212,216. Für eine getrennte Anknüpfung von Vertrag und Delikt BGH VersR 1961,518; JR 1977, 19,21; vgI. auch Soergell Lüderitz, Art. 12 EGBGB Rdnr.45. Die akzessorische Anknüpfung der unerlaubten Handlung ist auch vorgesehen in Art. 41 Abs. 2 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts (vgI. Münch Komm I Kreuzer, vor Art. 38 EGBGB Rdnr. 6).
§ 8: Der sadiliche Schutzbereich
77
schen Spediteur S, dessen Niederlassung sich in München befindet, mit dem Transport von Antiquitäten, die F während seines Urlaubs in Bayern erworben hat Beim Verladen des Transportguts in München beschädigt S eine wertvolle Vitrine sowie eine antike Vase des F erheblich. Als es zu Auseinandersetzungen über den Schadensersatzanspruch des F kommt, vereinbaren Fund S rückwirkend die Geltung französischen Rechts für ihren Vertrag. Der deutsche Haftpflichtversicherer des S, den F direkt gerichtlich in Anspruch nimmt, will die Rechtswahl der Verttagsparteien nicht gegen sich gelten lassen, weil das französische Recht dem Geschädigten Direktanspruche gegen den Versicherer gewähre, die das deutsche Recht nicht vorsehe. 82 Die nachträgliche Rechtswahl von Fund S bewirkt zunächst, daß auf den Verttag nicht das ursprüngliche, gern. Art. 28 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 1 EGBGB deutsche Vertragsstatut anzuwenden ist, sondern das französische Recht Wegen der zwischen Fund S bestehenden verttaglichen Sonderbeziehung und wegen des Zusammenhangs zwischen dieser Sonderbeziehung und dem schädigenden Ereignis83 ist die in der Sachbeschädigung liegende unerlaubte Handlung des S akzessorisch an den für die verttaglichen Beziehungen der Kontrahenten maßgeblichen Anknüpfungspunkt anzuknüpfen. 84 Das bedeutet, daß im vorliegenden Fall auch in bezug auf das Deliktsstatut ein Statutenwechsel vom anfänglich maßgeblichen deutschen zum nachträglich für den Verttag gewählten französischen Recht stattfindet. Ob F gegen den Haftpflichtversicherer des Seinen Direktanspruch hat, richtet sich nach dem Direktanspruchsstatut. Zum Teil wird der Direktanspruch deliktsrechtlich qualifiziert, so daß das Deliktsstatut auch die mit dem Direkt-
11
Vgl. BGH VersR 1961,518.
13
S hat die unerlaubte Handlung in Erfüllung seiner vertraglichen Pflichten gegenüber A began-
gen.
14 Für eine getrennte Anknüpfung von Vertrags- und Deliktsstatut tritt allerdings die bisherige deutsche Rechtsprechung ein: BGH VersR 1961,518; JR 1977, 19,21; OLG Frankfurt IPRax 1986, 373,377 f. Firsching (vgl. SlIludinger I Firsching, vor Art. 12 EGBGB Rdnr. 446 a) will eine akzessorische Anknüpfung des Delikts an den vertraglichen Anknüpfungspunkt nur im Verhältnis von Schädiger und Geschädigtem zulassen, nicht aber im Verhältnis des Schädigers zu einem Dritten. Dann wird jedoch die unerlaubte Handlung unter Umständen von zwei Rechtsordnungen beurteilt, je nach dem, ob es um die Haftung des Schädigers oder des Versicherers geht, vgl. Mansel, Direktanspruch, S. 46 f.
78
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
anspruch gegen den Versicherer zusammenhängenden Fragen beherrscht.85 Nach anderer Auffassung sollen das Delikts- und das Versicherungs vertragsstatut im Wege der alternativen oder subsidiären Anknüpfung zur Anwendung gebracht werden. 86 VorzugswÜfdig ist jedoch insbesondere bei einer im Rahmen eines Vertrages begangenen unerlaubten Handlung, das Direktanspruchsstatut durch eine akzessorische Anknüpfung zu bestimmen; der Direktanspruch richtet sich demzufolge nach dem Recht, das auf den zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten bestehenden Vertrag bzw. auf das Delikt anzuwenden ist.87 Der Geschädigte F und der Schädiger S haben nachträglich die französische Rechtsordnung als Haftungsstatut88 gewählt; diese Rechtswahl schlägt wegen der kollisionsrechtlichen Akzessorietät des Direktanspruchs auf diesen Anspruch gegen die Versicherung durch. Das französische Recht sieht allerdings im Gegensatz zum ursprünglich anwendbaren deutschen Recht Direktansprüche des F gegen den Haftpflichtversicherer des S vor. 89 Dies bedeutete, daß der Haftpflichtversicherer des S infolge des Verweisungsvertrages von Fund S gegenüber F unmittelbar mit schuldrechtlichen Verpflichtungen belastet würde, die nach dem ursprünglich anwendbaren Haftungs- / Direktanspruchsstatuts nicht bestanden. Die Position des Hafpflichtversicherers des S im Rechtsverkehr gegenüber dem F nach dem ursprünglichen Haftungs- I Direktanspruchsstatuts ist jedoch als "Recht" i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB anzusehen. 90 Sie darf somit durch einen nachträglich herbeigeführten Wechsel des Haftungsstatuts nicht beeinträchtigt werden können. 91 Umgekehrt ausgedrückt kommt die
15
BGHZ 57, 265, 269 f.; BGH NJW 1977,496.
16 Für die Altemativanknüpfung: etwa MünchKomm I Kreuzer, Art. 38 EGBGB Rdnr. 125; Deutsch, Vorschläge, S. 229, 230. Für subsidiäre Anknüpfung: Trenk-Hinterberger, VersR 1973, 659, 660; Firsching, Vorschläge, S. 188 f. Vgl. Art. 40 Abs. 3 des Referentenentwurfs eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts (MünchKomm I Kreuzer, vor Art. 38 EGBGB Rdnr. 6). 17
Mansel, Direktansprüche, S. 21.
.. Als Haftungsstatut wird diejenige Rechtsordnung bezeichnet, die für die Haftung des Schädigers aus Vertrag und aus unerlaubter Handlung maßgeblich ist. Vgl. Mansel, Direktansprüche, S. 21. " Das französische Recht gewährt dem Geschädigten einen urunittelbaren Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer gern. Art. L 124-3 Code des assurance v. 16.07.1976. 90
Vgl. Mansel, Direktansprüche, S. 48.
Ob Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB allerdings, wie Mansel (Direktansprüche, S. 48) meint, zur Folge hat, daß sich das Direktanspruchsstatut nach dem ursprünglich anwendbaren Haftungsstatut richtet, soll erst später erörtert werden. Vgl. unten §§ 9 ff. 91
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
79
Begründung eines Direktanspruchs des F aufgrund des nachträglich von Fund S als Haftungsstatut gewählten französischen Rechts allenfalls dann in Betracht, wenn die Rechtsstellung des Haftpflichtversicherers des S dadurch nicht "berührt" wird. Die Rechtsposition des Haftpflichtversicherers ist durch die Anwendung des
Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu schützen.
b) Fälle akzessorischer Verbundenheit zweier Rechtsverhältnisse auf materiellrechtlicher Ebene In materiellrechtlicher Hinsicht kann sich die Verknüpfung zwischen dem Vertrags verhältnis der Parteien des Hauptvertrages und dem Rechtsverhältnis, aus dem die Rechtsposition des Dritten hervorgeht, dadurch ausdrücken, daß sich die Änderung des Hauptvertragsstatuts unmittelbar auf die materielle Rechtsstellung des Dritten aus dem gesonderten Rechtsverhältnis auswirkt, Eine solche Verbindung beider Rechtsverhältnisse besteht insbesondere bei akzessorischen Rechten Dritter. Von Akzessorietät eines Rechts spricht man, wenn das Recht in seinem Bestand und Umfang von dem Vorhandensein einer aus einem anderen Rechtsverhältnis stammenden Rechtsposition abhängt,92 Ob eine bestimmte Rechtsposition derart an eine andere angelehnt ist, entscheidet in kollisionsrechtlicher Hinsicht das für diese Rechtsposition maßgebliche StatUt,93 Beispiele für akzessorische Rechtsverhältnisse fmden sich häufig bei den Sicherungsgeschäften bzw. Sicherungsrechten. Der Bürge ist bei deutschem Bürgschaftsstatut gern. § 765 BGB dazu verpflichtet, die Verbindlichkeit des Hauptschuldners gegenüber dessen Gläubiger zu erfüllen. Im Verhältnis zu den Parteien des Hauptvertrages, aus dem die gesicherte Forderung hervorgeht, kann der Bürge somit als Dritter i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB angesehen werden. Er hat als Schuldner des Bürgschaftsvertrages bestimmte, sich aus §§ 765 ff. BGB ergebende Rechtspositionen inne. Nach § 767 BGB hängt die Verbindlichkeit des Bürgen in ihrem Bestand und
92 Creifelds, S. 30; Soergell Mühl, § 767 BGB Rdnr. 1; MünchKomm I Pecher, § 767 BGB Rdnr. 1.
93
Für die Bürgschaft: RGZ 54,311,315; 137, 1. 111; Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr.
428; Martiny in Reithmann I Martiny. Rdnr. 508; Jochen, NJW 19TI, 1012; für das Pfandrecht: MünchKomm I Kreuzer, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 100, 116.
80
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
Umfang grundsätzlich von der Verpflichtung des Hauptschuldners ab. Im übrigen kann der Bürge gern. 768 Abs. 1 BGB die dem Hauptschuldner zustehenden Einreden geltend machen. Beim Pfandrecht nach deutschem Recht stellt sich die Situation ganz entsprechend dar. Wird eine Forderung gern. §§ 1204 ff. BGB durch ein Pfandrecht an einer beweglichen Sache gesichert, so ist das Pfandrecht akzessorisch an die Forderung angelehnt (vgl. §§ 1210 Abs. 1, 1211 Abs. I BGB). Die für Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB erforderliche Dreiecksbeziehung liegt vor, wenn der Verpfänder nicht gleichzeitig auch der persönliche Schuldner des Pfandgläubigers ist. Dem Verpfänder als Drittem obliegt zwar keine schuldrechtliche Verpflichtung wie dem Bürgen. Seine RechtssteUung ist vielmehr die eines Haftenden, der im Falle der Pfandreife zur Duldung der Versteigerung des Pfandes verpflichtet ist. Eine dem Verpfänder entsprechende Rechtsposition hat derjenige inne, der als Drittgläubiger Zahlungsansprüche einer der Schuldvertragsparteien pfändet; denn das vom Drittgläubiger erworbene Pfändungspfandrecht ist wie das Vertragspfandrecht abhängig von Bestand und Umfang der gepfändeten Forderung.94 In allen drei Akzessorietätsfällen können die Parteien des Hauptvertrages, aus dem die gesicherte Forderung hervorgeht, nachträglich ein anderes als das ursprüngliche Recht zur Anwendung berufen, mit der Folge, daß sich an Bestand und Umfang der Forderung etwas zum Nachteil des Dritten ändern kann. Im Hinblick auf die Sicherungsgeschäfte ist etwa eine Erweiterung der Verbindlichkeit des Hauptschuldners denkbar. Bei uneingeschränkter Geltung des Akzessorietätsgrundsatzes im Bürgschafts- oder Pfandrechtsstatut9S könnte also die nachträgliche Rechtswahl der Hauptvertragsparteien eine Erweiterung der Verpflichtung I Haftung des Sicherungsgebers zur Folge haben. Dann ist aber
94 Es wird hier wiederum das deutsche Recht als Pfandrechtsstatut und die in Deutschland herrschende Ansicht der privatrechtIich orientierten Theorien zugrundegelegt (vgl. BGHZ 56, 339, 351); BaUT I Stürner, Rdnr. 430; a.A. die öffentIichrechtIiche Theorie, vgl. dazu Stein I JOfIQS I Münzberg, § 804 ZPO Rdnr. I. Zur kollisionrechtlichen Behandlung des Pfändungspfandrechts vgl. Münch Komm I Kreuzer, nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 116.
's Eine Erweiterung der Verpflichtung I Haftung des Sicherungsgebers aufgrund einer nachträglichen Vereinbarung der Hauptvertragsparteien ist bei deutschem Bürgschafts- bzw. Pfandrechtsstatut wegen der materiellrechtlichen Einschränkung der Akzessorietät nach §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB nicht möglich.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
81
der Sicherungsgeber vor Beeinträchtigungen seiner Rechtsstellung infolge der nachträglichen Rechtswahl der Parteien nicht durch eine gesetzliche Regelung des materiellen Rechts geschützt. Dies schließt zwar einen Schutz über allgemeine, ungeschriebene Rechtsgrundsätze nicht aus. Der Regelungsinhalt der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB etwa folgt auch schon aus dem Prinzip des Verbots des Vertrages zu Lasten Dritter. Daraus läßt sich jedoch nicht der Schluß ziehen, daß der Sicherungsgeber von allen Rechtsordnungen entsprechend geschützt wird. 96 Der deutsche Gesetzgeber zeigt sich mit den Schutzbestimmungen der §§ 767 Abs. 1 S. 3, 1210 Abs. 1 S. 2 BGB jedenfalls für den Bereich des materiellen Rechts skeptisch gegenüber der Effektivität solcher ungeschriebener Prinzipien. Eben diese Skepsis mag zur Aufnahme der Bestandsschutzregelung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 EVÜ in das EG-Schuldrechtsübereinkommen bzw. des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB in das EGBGB beigetragen haben.97 Die Rechtspositionen aus akzessorischen Sicherungen wie der Bürgschaft und dem Pfandrecht sind daher von Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB als "Rechte Dritter" geschützt. Nicht anders kann es sich mit der Position des Dringläubigers beim Pfändungspfandrecht verhalten. Ändern die Parteien des Hauptvertrages das auf diesen anzuwendende Recht, so kann dadurch die vor der nachträglichen Rechtswahl gepfändete Forderung entwertet werden; sie kann zum Beispiel untergehen, weil die neue Rechtsordnung sie aus materiellen Grunden als unwirksam ansieht; es können aber nach dem später gewählten Statut auch Gegenrechte des Schuldners entstehen, die zuvor nicht bestanden und die sich der Drittgläubiger nun entgegenhalten lassen müßte. Das neue Vertragsstatut kann beispielsweise eine kürzere Verjährungsfrist vorsehen als das ursprünglich berufene Recht, so daß sich der Schuldner nunmehr auf die Verjährung der gepfändeten Forderung berufen könnte.98 Auch hier muß zum Schutz der Rechtsposition des Drittgläubigers Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB eingreifen.
Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB verhindert somit bei den Akzessorietätsfällen, daß die Parteien des Hauptvertrages durch die nachträgliche Rechtswahl unter Umständen auf Rechtspositionen eines Dritten aus dem akzessorischen Rechtsverhältnis Einfluß nehmen können.
96
Vgl. Lorenz, IPRax 1987,269,273.
,., Vgl. Lorenz, IPRax 1987,269,273. 91
Vgl. Sandrock I Steinschulte I, Rdnr. A 197 f.
6 Möllenhoff
82
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
2. Drittberechtigung als Konsequenz einer Rechtsnachfolge
Im Hinblick auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB relevante Dreiecksbeziehungen können aber auch dann entstehen, wenn ein Dritter in ein bereits bestehendes Schuldverhältnis eintritt.99
a) Die Abtretung Dies ist bei der Abtretung der Fall, durch die der Zessionar in die GläubigersteUung des Zedenten einrückt.\Oo Zunächst ist zu klären, inwieweit die Rechtswahl im Zusammenhang mit einer Zession überhaupt eine Rolle spielen kann, um dann die Bedeutung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB herauszuarbeiten. aa) Rechtswahlvereinbarung zwischen Zessionar und Zedenten Eine unmittelbare parteiautonome Bestimmung des Zessionsstatuts durch den Zessionar und den Zedenten ist in Art. 33 Abs. 2 EGBGB nicht vorgesehen. Sie ist nach deutschem Kollisionsrecht auch nicht zulässig. 1ot Für die Bestimmung des Zessionsstatuts gilt gern. Art. 33 Abs. 2 EGBGB vielmehr die Rechtsordnung, die die abgetretene Forderung beherrscht. A1t- und Neugläubiger können das Zessionsstatut mithin allenfalls dann durch Rechtswahl festlegen, wenn das auf die zedierte Forderung anwendbare Recht von
99 Die Rechtsnachfolge von Todes wegen ist dabei allerdings nicht zu berücksichtigen, da es sich bei ihr zum einen nicht wn eine schuldrechtliche Sukzession handelt und zum anderen der an dem Hauptvertrag als Partei beteiligte Erblasser durch den Erben ersetzt wird, ohne daß ein gesondertes Rechtsverhältnis neben dem Hauptvertrag entsteht.
100 Den folgenden Ausführungen liegt als Ausgangspunkt die Abtretung eines schuldvertraglichen Anspruchs des Altgläubigers gegen den Schuldner llIgrunde. 101 Das schweizerische IPR-Gesetz sieht demgegenüber in Art. 145 Abs. 1 eine subjektive Anknüpfung der Zession vor: Primär entscheidet der Parteiwille von Zessionar und Zedent; zur Wirksamkeit einer entsprechenden Rechtswahlvereinbarung von Alt- und Neugläubiger ist jedoch stets die Zustimmung des Schuldners erforderlich. Mangels einer (wirksamen) Rechtswahl gibt das Statut der abgetretenen Forderung den Ausschlag (vgl. Girsberger, ZVglWiss 88 (1989),31,34). Von der Abtretung ist das schuldrechtliche Grundgeschäft zwischen Zessionar und Zedent zu unterscheiden; dieses unterliegt eigenem Recht und wird demnach gem. Art. 27, 28 EGBGB, also unter Umständen parteiautonom angeknüpft (vgl. OLG Köln RIW 1987,945, 946; Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 446; v. Bar, RabelsZ 53 (1989), 463, 466).
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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ihnen parteiautonom bestimmt werden könnte. 102 Könnten der Zessionar und der Zedent das Abtretungsstatut auf diese Weise indirekt wählen, würden sie jedoch primär nicht mehr nur ihre eigene Rechtssphäre mit Auswirkungen auch für den Rechtskreis Dritter, insbesondere des Schuldners regeln I 03; Alt- und Neugläubiger würden vielmehr in den Kreis der Zuständigkeiten des Schuldners eingreifen. Über die Rechtsordnung, die für das Verhältnis von Altgläubiger und Schuldner einschließlich der Abtretung maßgeblich ist, können nämlich nur die Parteien des Hauptvertrages bestimmen. Ein Rechtssubjekt, das nicht gleichzeitig Partei des Vertrages ist, auf den sich die Rechtswahl bezieht, ist - von den Fällen der Stellvertretung abgesehen - für den Abschluß eines nachträglichen Verweisungsvertrages unzuständig. Die Rechtswahl unter Beteiligung einer unzuständigen Partei entfaltet keinerlei Wirkung in bezug auf den Hauptvertrag. Eine Rechtskür, durch die der Alt- und der Neugläubiger den Hauptvertrag einem anderen als dem ursprünglichen Recht unterstellen wollen, kann deshalb Rechte Dritter i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB nicht beeinträchtigen. Eine Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB scheidet demnach im Falle einer nachträglichen Rechtswahl von Zessionar und Zedent bereits wegen Fehlens einer wirksarnen Rechtswahlvereinbarung aus.
bb) Rechtswahlvereinbarung zwischen Zessionar und Schuldner Diskutiert wird die Vorschrift des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB allerdings für den Fall der Rechtswahl zwischen Zessionar und Schuldner. Diese Konstellation hat praktische Relevanz im Zusammenhang mit der Inkassozession erfahren lO4 , bei der der Altgläubiger dem Zessionar eine vertragliche Forderung, zum Beispiel einen Kaufpreisanspruch, mit der Befugnis zur gerichtlichen Geltendmachung überträgt. Dabei herrscht Streit darüber, ob es dem Zessionar und dem Schuldner gestattet ist, eine nachträgliche Rechtswahlvereinbarung in bezug auf den zur Einziehung abgetretenen Kaufpreisanspruch zu treffen und
102 Das ist insbesondere der Fall, wenn es sich bei der abgetretenen Forderung um einen vertraglichen Anspruch handelt; denn dann entscheidet über das Zessionsstatut die auf den Schuldvertrag anwendbare Rechtsordnung. OLG Köln, RIW 1987,945,946; Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 444 ff.; Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 214; Kropholler, IPR, S. 414; v. Bar, RabelsZ 53 (1989), 463,469 f.; Kaiser, S. 223.
100
Dies entspräche der Situation, von der Art.. 27 Abs.2 S. 2 EGBGB ausgeht.
104
Vgl. OLG Frankfurt RIW 1984,919.
84
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
damit das Zessionsstatut nach Art. 33 Abs. 2 EGBGB zu verändern. Während zum Teil vertreten wird, eine solche RechtskÜT des Neugläubigers und des Schuldners sei unter Beachtung der Grenzen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB generell zulässig I os, soll es nach anderer Ansicht dem Zessionar und dem Schuldner allgemein verwehrt sein, die zedierte Forderung einem neuen Vertragsstatut zu unterstellen, es sei denn, daß der Zedent den Zessionar zu einer dernrtigen Rechtswahlvereinbarung eigens bevollmächtige. I06 Um die Frage zu klären, ob und inwieweit der Zessionar und der Schuldner einen Wechsel des Vertragsstatuts ohne Mitwirkung des Zedenten herbeiführen können, bedarf es einer Vorüberlegung zu den Wirkungen der Abtretung einer vertraglichen Forderung. Nach herrschender Ansicht erwirbt der Zessionar durch die Abtretung das übertragene Forderungsrecht und die zur Durchsetzung der Forderung erforderlichen Hilfsrechte mit Ausnahme der selbständigen Gestaltungsrechte, die das Schuldverhältnis insgesamt betreffen. 107 Die Vertreter dieser Auffassung beachten jedoch nicht, daß die Rechtsstellung des Gläubigers einer vertraglichen Forderung ein Gefüge von Rechten und Pflichten einschließlich bestimmter Sekundärkompetenzen bildet, aus dem sich ein Forderungsrecht nicht isoliert abtrennen und auf den Zessionar übertragen läßt.l~ Durch die Zession erwirbt der Neugläubiger daher, soweit der Zedent und der Zessionar keine abweichenden Vereinbarungen treffen, nicht nur das zedierte Forderungsrecht mit den unselbständigen Hilfsrechten, sondern "ein Stück VertragspartnersteIlung" , die alle Sekundärrechte umfaßt, die zur Geltendmachung, Modifizierung oder Aufhebung des erworbenen Rechts erforderlich sind. 109 Legt man diese, der herrschenden Meinung vonuziehende Auffassung über die Rechtsstellung des Zessionars zugrunde, so läßt sich die Frage der Rechtswahlbefugnis von Zessionar und Schuldner folgendermaßen beantworten: Da sich der Zessionar und der Schuldner nach der Abtretung wie Vertragspartner gegenüberstehen, soweit die vertragliche Rechtsposition auf den Zessionar übertragen wurde, sind Zessionar und Schuldner berechtigt, das auf ihr Rechts-
105 OLG Frankfurt RIW 1984,919; MünchKomm I Martiny, Art. 33 EGBGB Rdnr. 10; Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 62; v. Bar, RabelsZ 53 (1989), 463,466 (pn. 17),470.
1011
So Schad, IPRax 1986, '1:12, 274 und wohl auch OLG Hamburg IPRspr 1974,47,48.
MünchKomm I Gottwald, § 328 BGB Rdnr. 9; Palandt I Heinrichs, § 398 BGB Rdnr. 18 f., § 401 BGB Rdnr. 5 f.; RGRK I Weber, vor § 398 BGB Rdnr. 6; Larenz, AS, S. 526. •07
101
Dörner, S. 153 f.
109
Dörner, S. 154,298 ff.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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verltältnis anzuwendende Recht parteiautonnom zu bestimmen. Zu einer nachträglichen Rechtswahl, die in ihren Wirkungen auf das Verhältnis von Neugläubiger und Schuldner beschränkt bleibt, bedarf es also keiner gesonderten Bevollmächtigung durch den Zedenten, der ja an dieser Rechtsbeziehung nicht beteiligt ist. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Zessionar und der Schuldner eine Rechtswahlvereinbarung mit Wirkung für den gesamten Kaufvertrag, d.h. sowohl für das Verhältnis untereinander als auch für das Verhältnis zwischen dem Zedenten und dem Schuldner treffen wollen. Würde dem Zessionar und dem Schuldner gestattet, sich ohne Vollmacht des Zedenten nachträglich über ein neues, auf den gesamten Kaufvertrag anzuwendendes Recht zu verständigen, hätte dies einen Eingriff in die Rechtssphäre und Zuständigkeit des Zedenten zur Folge. Die Parteien des Verweisungsvertrages wären insoweit nicht identisch mit den Parteien des zwischen dem Zedenten und dem Schuldner bestehenden Rechtsverhältnisses, auf das sich der Verweisungsvertrag unter anderem beziehen soll. Von einem solchen Verweisungsvertrag wäre nicht nur die Kaufpreisforderung des Zessionars, sondern auch der Anspruch des Schuldners auf Lieferung der Kaufsache betroffen, der sich auch nach der Abtretung allein gegen den Zedenten richtet. Fehlt es an einer Bevollmächtigung durch den Zedenten zu einer Rechtswahl, deren Wirkung sich auf den gesamten Kaufvertrag erstrecken soll, so bestehen die gleichen Bedenken wie bei der Vereinbarung des Zessionsstatuts durch den Zessionar und den Zedenten; Neugläubiger und Schuldner würden in den Rechtskreis des Zedenten eingreifen. l1O Eine Rechtswahl zwischen Zessionar und Schuldner in bezug auf das für den Vertrag insgesamt maßgebliche Statut entfaltet daher - abgesehen von dem Fall der Bevollmächtigung des Zessionars durch den Zedenten - nur insoweit Wirkung, als damit das Rechtsverhältnis zwischen dem Neugläubiger und dem Schuldner, also zwischen den Parteien des nachträglichen Verweisungsvertrages betroffen ist. 111 Der Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises steht allein dem
110
S. oben unter aa).
111 Die Berufung eines bestimmten Statuts kann gern. Art. n Abs. I S. 3 EGBGB auch für einen Teil des Vertrages erfolgen. Vgl. Palandll Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 9; Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 32. Die Kaufpreisforderung des Zessionars gegen den Schuldner kann daher durchaus von einem anderen Recht behemcht werden als der Anspruch des Schuldners gegen den Altgläubiger auf Lieferung der Kaufsache. Gegen die Möglichkeit, unterschiedliche Rechtsord-
86
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschut:uegelung
Zessionar gegen den Schuldner zu. Er unterliegt der eigenen Disposition von Neugläubiger und Schuldner. Ohne die Schutzbestimmung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB wären Auswirkungen einer nachträglichen Rechtswahlvereinbarung zwischen dem Zessionar und dem Schuldner auf die Rechtspositionen des Zedenten und anderer Drittberechtigter, wie etwa der Gläubiger des Zessionars, nicht ausgeschlossen. Aufgrund der unselbständigen Anknüpfung der Zession an den für die zedierte Forderung maßgeblichen Anknüpfungspunkt gern. Art. 33 Abs. 2 EGBGB könnten der Zessionar und der Schuldner (nachträglich) nicht nur das Forderungs-, sondern auch das Zessionsstatut beeinflußen. Die Abtretung könnte also - zumindest theoretisch - rückwirkend zu Fall gebracht werden. Nach dem neuen Forderungs- / Zessionsstatut könnte etwa die Übertragung des abgetretenen Anspruchs unzulässig oder die Abtretung unwirksam sein, weil bestimmte formelle oder materielle Wirlc:samkeitsvoraussetzungen ll2 des neuen Statuts nicht beachtet wurden. Damit würde der Zessionar seine GläubigersteIlung verlieren und der Zedent wieder mit allen Rechten und Pflichten in seine vor der Zession bestehende GläubigersteIlung einrücken. Diese potentiellen Konsequenzen einer nachträglichen Rechtswahl durch den Schuldner und den Neugläubiger könnten zwar dazu veranlassen, eine Mitwirkung des Zedenten bei der Rechtswahlvereinbarung zu fordern. Ein solches Mitwirkungserfordernis würde jedoch die Parteiautonomie über das gebotene Maß hinaus einschränken. Es entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers, der die "größtmögliche Wahlfreiheit" einräumen wollte. 1I3 Mit Blick auf Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kann auf eine Beteiligung des Zedenten auch verzichtet werden. Durch diese Vorschrift wird nicht die Rechtswahlfreiheit der Parteien, sondern lediglich die Wirkung der Rechtswahl beschränkt. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB enthält demnach gegenüber einem Mitwirkungserfordernis das weniger
nungen für die Pflichten der jeweiligen Vertragsparteien zu vereinbaren, sprechen sich allerdings aus Palantit I Heldrich, Art. 27 EGBGB Rdnr. 9; Jayme, FS Kegel, S. 253, 263; Lorenz, IPRax 1987,269,272; insoweit seien keine abspaltbaren Teilfragen gegeben. A.A. MünchKomm I Martiny, Art. 27 EGBGB Rdnr. 36. m Die Fonnbedürftigkeit und Fonnwirksamkeit der Zession hängt gern. Art. 11 Abs. I EGBGB unter Umständen von dem Zessionsslatut ab. Nach dem Zessionsslatut richten sich darüber hinaus die materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen, z.B. die Frage, ob eine Benachrichtigung des Schuldners zur Wirksamkeit der Abtretung erforderlich ist (vgI. Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr.445). III
GiulÜlno ILAgarde, EG ABI. S. 17.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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einschneidende Mittel. Auch wenn der Altgläubiger an dem Abschluß des nachträglichen Verweisungsvertrages nicht beteiligt wird. ist er hinreichend geschützt, soweit man seine Rechtsposition als ,.Recht" eines Dritten i.S.d. Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB ansieht, das die Vertragsparteien durch ihre nachträgliche Rechtswahlvereinbarung nicht ..berühren" dürfen. Der Beschränkung des Prinzips der freien Rechtswahl durch das Erfordernis der Mitwirkung des Zedenten beim nachträglichen Verweisungsvertrag bedarf es nicht. Gleichzeitig mit dem Zedenten sind über Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB natürlich auch die Gläubiger des Zessionars geschützt. Haben sie ihrerseits im Verhältnis zum Zessionar ein ,.Recht", etwa in Form eines Pfändungspfandrechts an der abgetretenen Forderung erworben, bevor die nachträgliche Rechtswahl erfolgte, so sind sie als Dritte ebenso geschützt wie der Zedent. Somit können der Zessionar und der Schuldner des abgetretenen Anspruchs die in ihrem Verhältnis zueinander anzuwendende Rechtsordnung nachträglich bestimmen, vorbehaltlich der Grenzen des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB.
cc) Rechtswahlvereinbarung zwischen Zedent und Schuldner Schließlich stellt sich die Frage, ob der Zedent und der Schuldner nachträglich ein neues Vertragsstatut zur Anwendung berufen können. Unproblematisch kann dies vor der Abtretung geschehen; denn die Vertragspartner können darüber entscheiden, welche Rechtsordnung auf ihr Rechtsverhältnis, insbesondere in bezug auf Entstehung, Untergang und Übergang einschließlich Abtretung anzuwenden ist.!!4 Das Zessionsstatut richtet sich dann nach dem später gewählten Recht. Komplizierter ist die Situation, wenn der Altgläubiger und der Schuldner eine Rechtswahlvereinbarung treffen, nachdem die Forderung zediert wurde, weil der Zedent dann nicht mehr Inhaber der Forderung ist. Nach herrschender Ansicht bleiben der Zedent und der Schuldner auch nach einer Abtretung Parteien des Vertrages, dem der abgetretene Anspruch entstammt; der Zessionar erwirbt lediglich die Gläubigerstellung des Altgläubigers, wird aber nicht Vertrag spartei. llS Auf der Grundlage dieser Auffassung ist eine Änderung des Vertrags-
114
OLG Köln RIW 1987, 945, 946.
m Palandt I Heinrichs. § 398 BGB Rdnr. 18; Schock. IPRax 1986.272.274.
88
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
statuts durch den Zedenten und den Schuldner nach erfolgter Abtretung zulässig. Fraglich kann nach dieser Auffassung lediglich sein, ob diese Rechtswahl soweit sie ohne Mitwirkung des Zessionars vorgenommen wurde - über das Verhältnis von Zedent und Schuldner hinaus Wirkung entfaltet. Folgt man demgegenüber der hier vertretenen Meinung, daß der Zessionar mit der Abtretung ein Stück VertragspartnersteIlung erwirbt und dem Zedenten entsprechend soviel an VertragspartnersteIlung verbleibt, wie nicht auf den Zessionar übergegangen ist1l6, so ist unzweifelhaft, daß der Zedent und der Schuldner zwar die in ihrem Rechtsverhältnis zueinander maßgebliche Rechtsordnung bestimmen können. Für eine Rechtswahl des Zedenten und des Schuldners, die sich (auch) auf die Rechtsbeziehung zwischen Zessionar und Schuldner bezieht, fehlt dem Zedenten hingegen die Rechtszuständigkeit, mit der Folge, daß eine solche Rechtswahlvereinbarung keine Wirkung im Verhältnis zwischen Zessionar und Schuldner entfaltet. Nach allem steht es dem Zedenten und dem Schuldner als Vertragsparteien auch noch nach der Zession zu, das Vertragsstatut als das für ihr Rechtsverhältnis maßgebliche Recht durch nachträgliche Rechtswahl zu ändern. Das neu gewählte Recht bestimmt dann das Verhältnis zwischen dem Zedenten und dem Schuldner, ist aber darüber hinaus nicht auf das Verhältnis des Zessionars zum Schuldner anzuwenden.
Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB kommt dementsprechend für die nachträgliche Rechtswahl von Zedent und Schuldner nur beschränkte Bedeutung zu. Der Altgläubiger und der Schuldner können nämliCh durch ihre Rechtswahl das für die abgetretene vertragliche Forderung und damit das für die Zession nach Art. 33 Abs. 2 EGBGB maßgebliche Recht nicht mehr rückwirkend verändern; denn hinsichtlich der zedierten Forderung fehlt es dem Zedenten an der Zuständigkeit für die Rechtswahl, da er nicht Partei des Rechtsverhältnisses ist, in dem die zedierte Forderung geltend gemacht werden kann. Eine Rechtswahl von Zedent und Schuldner kann sich daher jedenfalls nicht zum Nachteil des Zessionars auswirken. Ihre drittschützende Funktion entfaltet Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im Falle einer Rechtskür zwischen Zedent und Schuldner jedoch hinsichtlich der Gläubiger des Schuldners. Denn der vertragliche Gegenleistungsanspruch des Schuldners kann sich durch die nachträgliche Rechtswahl zum Nachteil dieser Gläubiger verändern.
116
Vgl. oben bb).
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
89
b) Die befreiende Schuldübernahme Zur Anknüpfung der Schuldübernahme enthält das deutsche IPR keine gesetzlichen Regelungen; der Gesetzgeber bat bewußt darauf verzichtet. ll7 Sie erscheint wegen der komplexen Beziehungen zwischen den Beteiligten und der zu berücksichtigenden Interessen von Gläubigern des Übernehmers und des Altschuldners auch äußerst schwierig. 118 Hinzu kommt. daß es mit der externen Schuldübernahme, über die sich der Gläubiger und der neue Schuldner einigen, und der internen Schuldübernahme, über die sich der Alt- und der Neuschuldner mit Zustimmung des Gläubigers verständigen, zwei unterschiedliche Formen der privativen Schuldübernahme gibt. 119 Es ist daher - getrennt für die externe und die interne Schuldübernahme - festzustellen, ob und in welchem Umfang die kollisionsrechtliche Rechtswahl bei der Übernahme von Verbindlichkeiten überhaupt eine Rolle spielt und inwieweit Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB Anwendung fmdet
aa) Die externe privative Schuldübernahme (1) Die Bedeutung der Privatautonomie In der Literatur wird unterschiedlich beurteilt, wie die externe Schuldübernahme, d.h. das Verhältnis zwischen dem Gläubiger und dem Übernehmer anzuknüpfen ist. Dies beruht darauf, daß die Schuldübernahme nach herrschender Meinung einen Doppelcharakter besitzt: sie enthält ein verfügendes und ein verpflichtendes Elemant. l2D Das verfügende Element der Übernahme besteht darin, daß der Altschuldner seine Schuldnerposition durch die Erldärung des Gläubigers verliert und der Neuschuldner in den bereits bestehenden Tatbestand der zu übernehmenden Verbindlichkeit eintritt 121 Dadurch entsteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Übernahmevertrag und dem zu übernehmenden
117
Giuliano I Lagarde, ABI EG, S. 68.
111
Vgl. Martiny in Reitbmann I Martiny, Rdnr. 228.
Vgl. §§ 414,415 BGB; Art. 175, 176 OR; MünchKomm I Martiny, Art. 33 EGBGB Rdnr. 36; Vischer, S. 246. 119
110 Palandt I Heinrichs, § 414 BGB Rdnr. 1, § 415 BGB Rdnr. 1; Larenz, AS, S. 547 f.; vgl. dazu auch Dörner, S. 181 ff., 184. 121
Larenz, AS, S. 603.
90
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
Schuldverhältnisl22 , der eine unselbständige Anknüpfung der externen Schuldübernahme an den für die übernommene Schuld maßgeblichen Anknüpfungspunkt angebracht erscheinen läßt. l23 Auf der Grundlage dieser Auffassung ist die Parteiautonomie im Zusammenhang mit der externen Schuldübernahme lediglich mittelbar relevant, nämlich nur, soweit das Statut der übernommenen Schuld seinerseits durch Rechtswahl bestimmt werden kann. Die externe Schuldübernahme stellt jedoch nicht nur ein Verfügungsgeschäft dar. Da sich der Übernehmer gegenüber dem Gläubiger verpflichtet, ist sie zugleich auch ein eigenständiger Verpflichtungsvertrag zwischen dem Übernehmer und dem Gläubiger. l24 Dieses schuldrechtliche Element der Übernahme legt eine selbständige Anknüpfung des Übernahmevertrages nach den Anknüpfungsgrundsätzen der Art. 27, 28 EGBGB nahe. 12S Danach kann der Wille der Parteien des Übernahmevertrages unmittelbar als Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Schuldübernahmestatuts herangezogen werden. Bei der Entscheidung über die Anknüpfung der externen Schuldübernahme kann man möglicherweise auf die für die Abtretung geltenden Anknüpfungsregeln l26 zurückgreifen, was entsprechend Art. 33 Abs. 2 EGBGB eine unselbständige Anknüpfung der Schuldübernahme bedeuten würde. 1Z7 Die befreiende Schuldübernahme bewirkt einen Wechsel des Schuldners und bildet aus materiellrechtlicher Sicht das Gegenstück zur Abtretung, die einen Gläubiger-
l2l
Vischer, S. 247; Rabel, S. 457; vgl. auch Kegel, S. 482.
RG JW 1932,3810,3811; Palandll Heldrich, Art. 33 EGBGB Rdnr. 4; Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 455; Kegel, S. 481; Schönberger I Jäggi, Rdnr. 385; Ferid, IPR, Rdnr. 6-127; Wolf!, S. 184. 123
124
MünchKomm I Möschel, § 414 BGB Rdnr. 2; Esser I Sclunidt, S. 614.
MünchKomm I Martiny, Art. 33 EGBGB Rdnr. 35 ff.; Martiny in Reitlunann I Martiny, Rdnr. 228 ff.; Vischer, S. 247 f.; Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989), 31, 36 f.; Schnitzer, S. 660 ff.; Reuter, S. 8 ff., 35. Insoweit wird allerdings eingeräumt, daß im Einzelfall ein so enger Zusammenhang zwischen dem Übernahmevertrag und der übernommenen Schuld bestehen kann, daß ausnahmsweise eine unselbständige Anknüpfung geboten ist. Eine entsprechende Position hat das schweizerische Bundesgericht bezogen in seinem Entscheid Willy Forst GmbH c I a Reichenbach v. 09.10.1951, SchwJbintR 1953,323. 125
126
Vgl. Art. 33 EGBGB.
1%7
So offenbar Soergell Kegel, vor Art. 7 EGBGB Rdnr. 455; Kegel, S. 481.
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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wechsel zur Folge hat. l28 Sie ist aber auch intemationalprivatrechtlich passives Gegenstück der Zession, und zwar insofern, als das Statut der übernommenen Schuld über die Wirkungen des Übernahmegeschäfts auf die Schuld entscheidet. l29 Allerdings lassen sich in bezug auf die Interessenlage und das Schutzbedürfnis des (Alt-)Schuldners Unterschiede zwischen dem Forderungsund dem Schuldübergang erkennen. Bei einer Abtretung bedarf der Schuldner eines erhöhten Schutzes gegen die Anwendung eines anderen als des ursprünglich für seine Verpflichtung maßgeblichen Rechts; dieser Schutz wird durch die unselbständige Anknüpfung der Zession gewährleistet. no Die privative Schuldübernahme wirkt sich dagegen ausschließlich zugunsten des Altschuldners aus, da sie ihn von seiner Verbindlichkeit befreit. Ein Bedürfnis, den Schuldner vor den Folgen einer selbständigen Anknüpfung der Schuldübernahme zu bewahren, besteht nicht. Außerdem beinhaltet die Abtretung im Gegensatz zur Schuldübernahme kein verpflichtendes Element; sie hat vielmehr ausschließlich Verfügungscharakter. 131 Auch insofern ist eine unterschiedliche Behandlung von Zession und Schuldübernahme gerechtfertigt. Die Anknüpfung der externen Schuldübernahme kann folglich nicht analog zu den kollisionsrechtlichen Abtretungs vorschriften erfolgen. Es erscheint vielmehr gerechtfertigt, die Schuldübernahme zwischen Gläubiger und Übernehmer grundsätzlich selbständig anzuknüpfen. Der Zusammenhang zwischen dem Übernahmevertrag und der übernommenen Schuld ist zwar nicht zu leugnen. Jedoch ist die Übernahme zunächst als ein völlig eigenständiges, von dem zu übernehmenden Schuldverhältnis unabhängiges Verpflichtungsgeschäft anzusehen. 132 Eine Verbindung zur übernommenen Schuld besteht grundsätzlich nur insoweit, als diese den Gegenstand der Verpflichtung des Neuschuldners bildet. Dieser Konnex muß aber nicht unbedingt eine Verknüpfung beider Rechtsverhältnisse auf kollisionsrechtlicher Ebene nach sich ziehen.
III Paklndll Heinrichs, ÜberbI. vor § 414 BGB Rdnr. I; so auch für das IPR MÜllchKomm I Martiny, Art. 33 EGBGB Rdnr. 36. Ob eine Schuldübernahme privativen oder kumulativen OJarakter hat, entscheidet das auf die übernommene Schuld anwendbare Recht (vgl. Martiny in Reithrnann / Martiny, Rdnr. 230; Girsberger, ZVgIRWiss 88 (1989), 31,45. 129
MÜllchKomm I Martiny, Art. 33 EGBGB Rdnr. 36; Paklndt I Heldrich, Art. 33 EGBGB Rdnr.
4; Reilhmann in Reithmann / Martiny, Rdnr. 470; v. Bar, IPRax 1991, 197,200. 130 Girsberger, ZVgIRWiss 88 (1989), 31, 35; v. Bar, RabelsZ 53 (1989),463,468.
131 Nach Girsberger, ZVgIRWiss 88 (1989), 31, 37 (Fn. 37), enthält auch die Zession Elemente eines Verpflichtungsgeschäfts. 132
Vischer, S. 247.
92
3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
Auch die Bürgschaft wird beispielsweise trotz ihrer engen Verbindung zu der gesicherten Verbindlichkeit selbständig angeknüpft. 133 Der Grund dafür besteht darin, daß die Bürgschaft - wie auch andere selbständig angeknüpfte Sicherungsgeschäftel34 - ein einseitig belastender Vertrag ist, deren wesentlicher Inhalt die Leistung des sich einseitig Belastenden ist. t35 Diese Wertung läßt sich auf das Verhältnis von Übernehmer und Gläubiger bei der externen privativen Schuldübernahme übertragen. Der Übernehmer wird bei der privativen Schuldübernahme sogar noch stärker verpflichtet als der Bürge, da er nicht nur für eine fremde Verpflichtung einstehen muß, sondern selbst, unmittelbar und endgültig schuldet. Eine selbständige Anknüpfung der externen privativen Schuldübernahme erscheint auch unter dem Gesichtspunkt der übereinstimmenden kollisionsrechtlichen Behandlung der privativen und der kumulativen Schuldübernahme, die selbständig anzuknüpfen istl36, sinnvoll; denn im konkreten Fall ist die Frage, ob eine privative oder kumulative Übernahme vorliegt, häufig umstritten. \37 Das Ziel einer einheitlichen Anknüpfung der Schuldübernahmegeschäfte spricht für eine selbständige Anknüpfung der Schuldübernahme. l38 Nach allem ist die externe privative Schuldübernahme grundsätzlich selbständig nach vertragsrechtlichen Grundsätzen anzuknüpfen. Ausnahmsweise kann jedoch im Einzelfall eine Anknüpfung an den für die Übernommene Schuld maßgeblichen Anknüpfungspunkt angebracht sein. Dies erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn eine enge Verbindung des Übernehmers zur übernommenen Schuld besteht und die Schuldübernahme gerade aus diesem Grunde erfolgte.\39 Das ist beispielsweise der Fall, wenn eine Ein-MannGmbH eine Verbindlichkeit des alleinigen Gesellschafters dieser GmbH übernimmt.
133 BOH NJW 1977, 1011; MünchKomm I Martiny, Art. 28 EOBOB Rdnr. 220; Paklndtl Heldrich, Art. 28 EOBOB Rdnr. 20; Reuter, S. 21 C.; Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989),31,35. 1)01 Ein weiteres Beispiel für ein selbständig angeknüpftes Sicherungsgeschäft ist der Oarantievertrag. Vgl. Girsgerger, ZVglRWiss 88 (1989), 31, 35.
m Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989),31,35. 136
Vgl. dazu Wlten c).
137
Vischer, S. 248.
131
Vischer, S. 248; Rabel, S. 457; Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989), 31,37.
Martiny in Reithmann I Martiny, Rdnr. 232; Schönberger I Jäggi, Rdnr. 385; Vischer, S. 248; Schnitzer, S. 661; Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989),31,37. 1)9
§ 8: Der sachliche Schutzbereich
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(2) Die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB im Zusammenhang mit der externen Schuldübernahme (a) Die nachträgliche Wahl des Schuldübernahmestatuts Neuschuldner und Gläubiger können nach den soeben getroffenen Feststellungen die auf den Übernahmevertrag anzuwendende Rechtsordnung gern. Art. 27 EGBGB wählen. l40 Dies schließt nach Art. 27 Abs. 2 S. 1 EGBGB insbesondere auch die Möglichkeit einer nachträglichen Wahl des Schuldübernahmestatuts ein. Insofern ergibt sich ein Bedürfnis, Rechtspositionen von an dem Übernahmegeschäft zwischen Gläubiger und Neuschuldner unbeteiligten Personen nach Maßgabe des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB zu schützen. Zunächst können Gläubiger der Parteien der Schuldübernahme betroffen werden, die vor dem Abschluß des nachträglichen Verweisungsvertrages aufgrund eines gesonderten Rechtsverhältnisses Rechtspositionen im Verhältnis zu den Kontrahenten des Schuldübernahmevertrages erworben hatten. 141 Eine nachträgliche Rechtswahlvereinbarung zwischen dem Gläubiger und dem Übernehmer könnte beispielsweise zur rückwirkenden Anwendbarkeit eines Schuldübernahmestatuts führen, das für die Gültigkeit der Schuldübernahme strengere Voraussetzungen aufstellt als das zunächst anwendbare Recht oder nach dem ein Willensmangel durchgreift 142 Der Schuldnerwechsel könnte also rückwirlcend entfallen. Dies würde etwa einem Drittgläubiger die Forderung des Gläubigers gegen den Übernehmer, die dieser vor der nachträglichen Rechtswahl gepfändet hat, entziehen. Es erscheinen aber auch Beeinträchtigungen der Position des A1tschuldners möglich. Der A1tschuldner würde wieder mit seiner ursprünglichen Verbindlichkeit belastet, seine Stellung im Rechtsverkehr also ebenfalls verschlechtert. Hier muß Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB eingreifen.
1«1 Nach Girsberger (ZVglRWiss 88 (1989), 31, 33 f.) soll sich ein Verweisungsvertrag, der zwischen Gläubiger und Übernehmer im Hinblick auf das der Schuldübernahme zugrundeliegende Rechtsverhältnis geschlossen wird, im Zweifel auch auf die Schuldübernahme selbst beziehen. 101
Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989),31,34,44; Kaiser, S. 119 f.
Zum Beispiel setzt das italienische Recht (Art. 1273 Codice Civile) im Gegensatz zur deutschen Rechtsordnung für die Gültigkeit der Übernahme im Außenverhältnis die Gültigkeit der Übernahme zwischen Obernehmer und Schuldner im lnnenverhältnis voraus. Vgl. Girsberger, ZVglRWiss 88 (1989), 31, 45. 102
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3. Teil: Anwendungsbereich der Bestandsschutzregelung
(b) Die nachträgliche Wahl des auf die übernommene Schuld anwendbaren SJatuts Im Zusammenhang mit der Schuldübernahme kann die nachträgliche Rechtswahl, wie dargestellt!43, nicht nur hinsichtlich des Übemahmegeschäfts selbst, sondern auch in bezug auf die übernommene Schuld bedeutsam sein. Kann das für die übernommene Schuld maßgebliche Statut - wie insbesondere bei schuldvertraglichen Verbindlichkeiten - parteiautonom bestimmt werden, fragt sich, wer nach der Schuldübernahme eine Veränderung des Schuldstatuts bewirken kann und welche Auswirkungen dies im Hinblick auf die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 S. 2 EGBGB hat.
(aa) Die potentiellen Parteien einer nachträglichen Wahl des SchuldsJatuts Zur Beantwortung dieser Frage ist es - wie bei der Abtretung - zunächst erforderlich, die Wirkungen der privativen Schuldübernahme darzustellen. Nach § 414 BGB tritt der Übemehmer an die Stelle des Altschuldners. Entsprechend der Situation bei der Zession!44 bedeutet dies entgegen der herrschenden Meinung, daß der Neuschuldner nicht nur die übernommene Verbindlichkeit einschließlich der mit ihr verbundenen unselbständigen Hilfsrechten erwirbt.!4S Vielmehr tritt der Neuschuldner insgesamt in die Rechtsstellung des Altschuldners aus dem Vertrag ein; er erhält damit die ursprüngliche Stellung des Altschuldners als Vertragspartei mit allen ihr anhaftenden Annexrechten, Befugnissen und Zuständigkeiten.!