Nachkriegszeit in Südwürttemberg: Die Stadt Friedrichshafen und der Kreis Tettnang in den vierziger und fünfziger Jahren [Reprint 2015 ed.] 9783486831788, 9783486564570

entgegen dem Klischee der fünfziger Jahre als Jahrzehnt der Restauration befanden sich die Menschen seit Ende des Zweite

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German Pages 323 [324] Year 1999

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Table of contents :
Danksagung
Einleitung
I. Umbruchszeit: Vom Krieg zum Frieden
1. Der Kreis Tettnang vor 1945
1.1. Die Gemeindereform vom 1. April 1937
1.2. Die sozioökonomische Entwicklung im Kreisgebiet
1.3. Die Friedrichshafener Industrie im Nationalsozialismus
2. Befreier und Besatzer
2.1. Übergabe der Stadt
2.2. Installierung einer französischen Besatzungsverwaltung
2.3. Die Bevölkerung
3. Fischerdorf oder Industriezentrum? Deutsche und alliierte Nachkriegspläne und die Neuordnung der Industrie
3.1. Kommunalisierung statt Sozialisierung? Die Zeppelin-Stiftung
3.2. Konzeptionen zur Neuordnung der Industriebetriebe: Maybach-Motorenbau, Zahnradfabrik, Luftschiffbau Zeppelin und Dornier-Werke
4. Aufbau der deutschen Stadt- und Kreisverwaltung
4.1. Die Friedrichshafener Bürgermeister von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit
4.2. Stufen der Demokratisierung: Vom »Komitee« zum Gemeinderat
4.3. Aufbau der Kreisverwaltung
II. Prüfstein Demokratie
1. Parteien
1.1. Parteienbildung, Parteienlandschaft
1.2. Wahlen und Wählerverhalten
2. Wiederaufbau der Gewerkschaften
2.1. Drei Phasen des gewerkschaftlichen Wiederaufbaus
2.2. Standortbestimmung, Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume
2.3. Die Betriebsräte
3. Ein brennendes Problem der Zeit: die Entnazifizierung
3.1. Entnazifizierungsmaßnahmen bis zum Oktober 1945
3.2. Die Einrichtung von Entnazifizierungsausschüssen für den öffentlichen Dienst und die freie Wirtschaft
3.3. Die Praxis der Entnazifizierung auf lokaler Ebene: Beispiele aus dem öffentlichen Dienst
3.4. »Neuer Name, neue Männer, neues Programm und Sozialisierung«? Die Entnazifizierung der Wirtschaft
3.5. Ein »cas scandaleux«: Die Sieger- bzw. Maybachstraße
3.6. Der Abschluß der Entnazifizierung
4. Schlaglichter kulturellen Lebens
4.1. Pressewesen: Die »Schwäbische Zeitung«
4.2. »Pflege unvergänglicher Werte«: Kulturelle Aktivitäten in Friedrichshafen
4.3. Simultan- oder Bekenntnisschulen? Reformen im Bildungswesen
III. Lebens- und Arbeitswelt der Umbruchsgesellschaft
1. Verwaltung der Not: Die Wohnraumbewirtschaftung
2. Arbeit im Zeichen von Demontagemaßnahmen und »Wirtschaftswunder«
2.1. Wie schon im Krieg: Arbeitskräftemangel in der unmittelbaren Nachkriegszeit
2.2. Der »Währungsschnitt« und die soziale Lage der Arbeiter
2.3. Technischer Fortschritt, Entfremdung und »Vermassung« des Arbeiters als Problem der fünfziger Jahre: Die Werkzeitschrift »Der ZF-Ring«
3. Betriebliche Wohlfahrt und Sozialversicherung
3.1. Ein Geburtstagsgeschenk an die Arbeiterschaft von Friedrichshafen: Die »Zeppelin-Wohlfahrt GmbH«
3.2. Die Betriebskrankenkassen des Luftschiffbau Zeppelin, des Maybach-Motorenbau und der Zahnradfabrik
4. Flüchtlinge, Vertriebene und Ausgewiesene im Kreis Tettnang
4.1. Anfangs noch freudig erwartet: Die Flüchtlingsaufnahme von April 1946 bis 1950
4.2. Zuspitzung der Flüchtlingsproblematik und soziale Lage der Neubürger
5. Dorfgesellschaft im Wandel: »Zeitgeist« und Flüchtlingszustrom im Spiegel katholischer Visitationsberichte
Schlußbetrachtung
Abkürzungen
Tabellenverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
Personenregister
Ortsregister
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Nachkriegszeit in Südwürttemberg: Die Stadt Friedrichshafen und der Kreis Tettnang in den vierziger und fünfziger Jahren [Reprint 2015 ed.]
 9783486831788, 9783486564570

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Häffner · Nachkriegszeit in Südwürttemberg

Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland Herausgegeben von Dieter Langewiesche und Klaus Schönhoven

Band 8

R. Oldenbourg Verlag München 1999

Michaela Häffner

Nachkriegszeit in Südwürttemberg Die Stadt Friedrichshafen und der Kreis Tettnang in den vierziger und fünfziger Jahren

R. Oldenbourg Verlag München 1999

Gedruckt mit Unterstützung der Stadt Friedrichshafen und des Landratsamtes Bodenseekreis

Die Deutsche Bibliothek - CIP Einheitsaufnahme Häffner, Michaela: Nachkriegszeit in Südwürttemberg : die Stadt Friedrichshafen und der Kreis Tettnang in den vierziger und fünfziger Jahren / Michaela Häffner. - München : Oldenbourg, 1999 (Nationalsozialismus und Nachkriegszeit in Südwestdeutschland ; Bd. 8) Zugl.: Tübingen, Univ., Diss., 1998 ISBN 3-486-56457-9

© 1999 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlagbild: Die zerstörte Stadt Friedrichshafen mit „Zeppelinbrunnen", St. Nikolaus-Kirche und Rathaus. Photo Bockelmann, Langenargen Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Gesamtherstellung: WB-Druck, Rieden am Forggensee ISBN 3-486-56457-9

Inhalt

Danksagung

9

Einleitung

11

I. Umbruchszeit: Vom Krieg zum Frieden 1. Der Kreis Tettnang vor 1945

24

1.1. Die Gemeindereform vom 1. April 1937

24

1.2. Die sozioökonomische Entwicklung im Kreisgebiet

27

1.3. Die Friedrichshafener Industrie im Nationalsozialismus

34

2. Befreier und Besatzer

43

2.1. Übergabe der Stadt

43

2.2. Installierung einer französischen Besatzungsverwaltung

45

2.3. Die Bevölkerung

48

3. Fischerdorf oder Industriezentrum? Deutsche und alliierte Nachkriegspläne und die Neuordnung der Industrie

51

3.1. Kommunalisierung statt Sozialisierung? Die Zeppelin-Stiftung

56

3.2. Konzeptionen zur Neuordnung der Industriebetriebe: Maybach-Motorenbau, Zahnradfabrik, Luftschiffbau Zeppelin und Dornier-Werke

60

4. Aufbau der deutschen Stadt- und Kreisverwaltung

84

4.1. Die Friedrichshafener Bürgermeister von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit

85

4.2. Stufen der Demokratisierung: Vom »Komitee« zum Gemeinderat

96

4.3. Aufbau der Kreisverwaltung

105

II. Prüfstein Demokratie 1. Parteien

116

1.1. Parteienbildung, Parteienlandschaft

116

1.2. Wahlen und Wählerverhalten

131

6

Inhalt

2. Wiederaufbau der Gewerkschaften

144

2.1. Drei Phasen des gewerkschaftlichen Wiederaufbaus

147

2.2. Standortbestimmung, Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume

157

2.3. Die Betriebsräte

162

3. Ein brennendes Problem der Zeit: die Entnazifizierung

171

3.1. Entnazifizierungsmaßnahmen bis zum Oktober 1945

174

3.2. Die Einrichtung von Entnazifizierungsausschüssen für den öffentlichen Dienst und die freie Wirtschaft

182

3.3. Die Praxis der Entnazifizierung auf lokaler Ebene: Beispiele aus dem öffentlichen Dienst

185

3.4. »Neuer Name, neue Männer, neues Programm und Sozialisierung«? Die Entnazifizierung der Wirtschaft

194

3.5. Ein »cas scandaleux«: Die Sieger- bzw. Maybachstraße

205

3.6. Der Abschluß der Entnazifizierung

206

4. Schlaglichter kulturellen Lebens

210

4.1. Pressewesen: Die »Schwäbische Zeitung«

210

4.2. »Pflege unvergänglicher Werte«: Kulturelle Aktivitäten in Friedrichshafen

217

4.3. Simultan- oder Bekenntnisschulen? Reformen im Bildungswesen

221

III. Lebens- und Arbeitswelt der Umbruchsgesellschaft 1. Verwaltung der Not: Die Wohnraumbewirtschaftung

229

2. Arbeit im Zeichen von Demontagemaßnahmen und »Wirtschaftswunder«

236

2.1. Wie schon im Krieg: Arbeitskräftemangel in der unmittelbaren Nachkriegszeit

237

2.2. Der »Währungsschnitt« und die soziale Lage der Arbeiter

242

2.3. Technischer Fortschritt, Entfremdung und »Vermassung« des Arbeiters als Problem der fünfziger Jahre: Die Werkzeitschrift »Der ZF-Ring«

247

Inhalt

7

3. Betriebliche Wohlfahrt und Sozialversicherung

251

3.1. Ein Geburtstagsgeschenk an die Arbeiterschaft von Friedrichshafen: Die »Zeppelin-Wohlfahrt GmbH«

251

3.2. Die Betriebskrankenkassen des Luftschiffbau Zeppelin, des Maybach-Motorenbau und der Zahnradfabrik

256

4. Flüchtlinge, Vertriebene und Ausgewiesene im Kreis Tettnang

262

4.1. Anfangs noch freudig erwartet: Die FlUchtlingsaufnahme von April 1946 bis 1950

262

4.2. Zuspitzung der Flüchtlingsproblematik und soziale Lage der Neubürger . . . 269 5. Dorfgesellschaft im Wandel: »Zeitgeist« und Flüchtlingszustrom im Spiegel katholischer Visitationsberichte

276

Schlußbetrachtung

285

Abkürzungen

291

Tabellenverzeichnis

294

Quellen-und Literaturverzeichnis

296

Personenregister

318

Ortsregister

322

Danksagung

Das Manuskript dieses Buches wurde im Wintersemester 1996/97 von der Geschichtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen als Dissertation angenommen. Es entspricht nicht nur gutem Brauch, sondern auch meinem aufrichtigen Wunsch, wenn ich mich bei all jenen bedanke, die diese Arbeit begleitet haben. Ich hatte das Glück, in Prof. Dr. Dieter Langewiesche einen jederzeit verständnisvollen, kritischen und engagierten Doktorvater zu finden. Ihm gilt mein besonderer Dank. Ferner danke ich Dr. Cornelia Rauh-Kühne, welche sich die Mühe machte, Teile des Manuskripts zu lesen und mich mit kontruktiver Kritik auf Ungenauigkeiten und Fehler hinzuweisen. Wertvolle Anregungen und Hinweise, die von der Verfasserin gerne in die Endfassung aufgenommen wurden, steuerte außerdem Prof. Dr. Peter Ullmann als zweiter Gutachter bei. Ihm sowie allen, die mich bei der Endredaktion des Textes unterstützt haben, sei herzlich gedankt: Dr. Astrid Gehring und Dr. Eckhard Trox für eine letzte Durchsicht des Manuskripts sowie Stefan Leßmann für die Erstellung eines Registers und Layout-Arbeiten. Freundliche und engagierte Förderung erfuhr ich durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der von mir besuchten Archive und Bibliotheken. Ihnen gilt mein ausdrücklicher Dank. Zu danken habe ich schließlich meinem privaten Freundeskreis für alle Ermunterungen und verständnisvollen Rücksichtnahmen während der letzten Jahre. Zur Verwirklichung meines Dissertationsprojektes trug ein Stipendium der Graduiertenförderung des Landes Baden-Württemberg bei. Eine großzügige finanzielle Förderung erfuhr das Projekt außerdem durch Druckkostenzuschüsse der Stadt Friedrichshafen sowie des Landratsamtes des Bodenseekreises. Meinen Eltern gebührt schließlich der herzlichste Dank für ihre vielseitige Unterstützung und ihren oft ermutigenden Zuspruch. Ihnen ist dieses Buch gewidmet. Tübingen, im April 1997.

Einleitung

/. Die Erforschung der jüngsten deutschen Zeitgeschichte erfuhr in den letzten Jahrzehnten in mehrfacher Hinsicht Impulse, welche bis heute zu einer thematischen und methodischen Vielfalt innerhalb der Historiographie führten. In den fünfziger und sechziger Jahren konzentrierte sich die geschichtswissenschaftliche Forschung auf Themenbereiche, die sich vor allem mit den politischen Entstehungsbedingungen der Bundesrepublik Deutschland, dem Regierungssystem, der Teilung des Staates, den Verlusten der Ostgebiete oder der Person Adenauers beschäftigten. Zu Beginn der siebziger Jahre traten neben die traditionelle Historiographie, welche Nationalsozialismus und Nachkriegszeit als getrennte Epochen erforschte und, entsprechend dem Empfinden der Zeitgenossen, das Jahr 1945 als tiefe Zäsur interpretierte, verstärkt struktur- und sozialgeschichtliche Ansätze. Der Formel von der »Stunde Null«, die ein politisch-ökonomisches Vakuum in der unmittelbaren Nachkriegszeit sowie einen »Neubeginn« und damit verbundenen Bruch mit dem Nationalsozialismus betonte, setzten nun junge Historiker die »Restaurationsthese« entgegen1. Die »Restaurationsthese« mit ihrer bis in die vierziger Jahre reichenden Tradition2 behauptete eine starke gesellschaftliche und ökonomische Kontinuität von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis in die Bundesrepublik hinein. Die Frage war dann, welche Faktoren 1945 dafür verantwortlich zu machen seien, daß die »Restauration«, also die Wiederherstellung einer kapitalistischen Wirtschafts- und bürgerlichen Gesellschaftsordnung, sich in Westdeutschland durchsetzen konnte.3 Dieses Interpretationsmuster blieb von Anfang an nicht unwidersprochen. Der Politikwissenschaftler Richard Löwenthal betonte weiterhin eine starke Diskontinuität: »In Wirklichkeit waren Staat und Gesellschaft der Bundesrepublik etwas völlig Neues nicht nur gegenüber der untergegangenen Hitlerdiktatur, sondern auch gegenüber der Weimarer Republik und dem Kaiserreich [...]. Zum ersten Mal entstand auf deutschem Boden, auf dem Hintergrund einer liberalen Staats- und Wirtschaftsordnung, eine im 1

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Einen Überblick Uber die Diskussion bietet: Wolfgang Benz, Deutsche Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg. Probleme und Tendenzen zeitgeschichtlicher Forschung in der Bundesrepublik, in: TAJB 16 (1987), S. 398-422. Die »Metapher von der „Stunde Null"« sei, so Benz, »bei Kriegsende auch als Formel der Hoffnung verstanden worden, als Synonym der Erwartung, daß nach dem Untergang der NS-Herrschaft ein neuer Anfang ohne Rücksicht auf Überkommene Traditionen erfolgen könne«, ebd., S. 404. Der Begriff wurde bereits 1946 von Hans Wemer Richter verwendet, siehe Jürgen Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration?, in: Carola Stern/Heinrich August Winkler (Hrsg.), Wendepunkte deutscher Geschichte 1848-1945,2. Aufl., Frankfurt a.M. 1979 (erstmals 1975), S. 141-168, hier S. 141. So untersuchte ein Autorenkollektiv Anfang der siebziger Jahre die »Determinanten der westdeutschen Restauration 1945-1949«, und unter der Fragestellung nach Kontinuität und Wandel, Tradition und Neubeginn, Restauration oder Neuordnung entwickelte sich die Forschungsdiskussion zunehmend kontrovers; vgl. hierzu die mit dem Titel bereits zitierte Publikation von Ernst-Ulrich Huster u.a., Frankfurt a.M. 1972.

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Einleitung

westlichen Sinne bürgerliche Lebensform, gleich weit entfernt vom hierarchischen Untertanengeist der Wilhelminischen Ära und von der formlosen Gärung der Weimarer Zeit.« 4 Der Soziologe Ralf Dahrendorf untersuchte dagegen bereits in den sechziger Jahren die nationalsozialistische Zeit unter dem Aspekt der Modernisierungsleistungen und regte damit eine epochenübergreifende Sichtweise auf die NS- und Nachkriegszeit an. 5 Kritik äußerten auch Lutz Niethammer, der die Restaurationsthese als zu undifferenziert verwarf 6 , sowie Jürgen Kocka, wobei dieser die Gegenüberstellung der Frage nach »kapitalistischer Restauration« oder »demokratischem Neubeginn« grundsätzlich ablehnte.7 Den Begriff »Restauration« hielt er für ungeeignet, weil seiner Ansicht nach »die privatwirtschaftliche Grundstruktur 1945 gar nicht gestört oder tiefergreifend verändert wurde« und somit eher der Begriff »Kontinuität« in Bezug auf Wirtschaftsordnung und Bürokratie im Nachkriegsdeutschland zutreffend sei. Den Gegensatz zwischen »kapitalistischer Kontinuität« und »demokratischem Neubeginn« hob er auf und vertrat die These, daß beides nebeneinander stattfand. Neuansätze und Kontinuitätsbrüche seien allerdings erst mit den Veränderungen und Reformen in den sechziger und frühen siebziger Jahren erkennbar geworden, welche in dieser Form ohne die Traditionsbrüche durch Diktatur, Krieg und Zusammenbruch nicht möglich gewesen wären. Mit Ablauf der dreißigjährigen Sperrfrist für Archivalien erfuhr der sozialwissenschaftliche Ansatz in der Geschichtswissenschaft neue Impulse und ließ die These einer Restauration, die letztlich noch der politikwissenschaftlichen Interpretation der Nachkriegszeit - wenn auch mit anderen Ergebnissen als in den fünfziger und sechziger Jahren - verbunden war, in den Hintergrund treten. Es hatte sich auch gezeigt, daß der diffus verwendete Begriff der »Restauration« 8 der komplexen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in der Nachkriegszeit nicht gerecht wurde. Hans-Peter Schwarz setzte deshalb dem Interpretationsmuster der fünfziger Jahre als restauratives Jahrzehnt die These von einer »aufregenden Modernisierung« entgegen und forderte eine Analyse der Nachkriegszeit unter Modernisierungsaspekten. 9 Erste richtungsweisende Ergebnisse erschienen 1983 in dem von Werner Conze und M. Rainer Lepsius herausgegebenen Band zur »Sozialgeschichte der Bundesrepublik 4

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Richard Löwenthal/Hans-Peter Schwarz (Hrsg.), Die Zweite Republik. 25 Jahre Bundesrepublik Deutschland - eine Bilanz, Stuttgart 1974, S. lOf. Ralf Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965 [u.ö.], S. 431-448. Von einem durch die nationalsozialistische Herrschaft ausgelösten grundlegenden Modernisierungsschub ging auch David Schoenbaum bereits Mitte der sechziger Jahre aus: ders., Die braune Revolution. Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches. Mit einem Nachwort von Hans Mommsen, 2. Aufl., München 1980 (engl.: 1966/1967). Lutz Niethammer, Zum Verhältnis von Reform und Rekonstruktion in der US-Zone am Beispiel der Neuordnung des öffentlichen Dienstes, in: VfZ 21 (1973), S. 177-191. Kocka, 1945: Neubeginn oder Restauration?, S. 166f.; zu nachfolgenden Ausführungen vgl. S. 141168. Zu dieser Diskussion siehe auch die Studientexte von Fromme, Niclauß, Dirks u. Pirker, in: Peter Steinbach (Hrsg.), Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1982, S. 45-90. Die häufige und vielseitige Verwendung des Begriffs ließ zunehmend unklar werden, welche politischen, ökonomischen, sozialen oder kulturellen Elemente aus welcher Zeit, der Weimarer Republik oder der Zeit des Nationalsozialismus, in der Nachkriegszeit restauriert worden sein sollen. Hans Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik, 1949-1957, Stuttgart/Wiesbaden 1981, S. 375; ders., Modernisierung oder Restauration? Einige Vorfragen zur künftigen Sozialgeschichtsforschung über die Ära Adenauer, in: Kurt Düwell/Wolfgang Kullmann (Hrsg.), Rheinland-Westfalen im Industriezeitalter, Bd. 3, Wuppertal 1984, S. 278-293; ders., Geschichtsschreibung und politisches Selbstverständnis. Die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Herausforderung für die Forschung, in: Apuz, Β 36 (1982), S. 3-16.

Einleitung

13

Deutschland«. 10 Vor allem die Untersuchungen von Josef Mooser zur Sozialstruktur der Arbeiterschaft, von Jürgen Kocka und Michael Prinz zu den deutschen Angestellten sowie Hans Günter Hockerts zur Rentenversicherung waren wichtige Beiträge für einen zäsurübergreifenden Blickwinkel unter Einbeziehung der Sozialgeschichte nicht nur des ersten Nachkriegsjahrzehnts. 11 Es folgten weitere Publikationen, die nun verstärkt »moderne« Elemente der Nachkriegsgesellschaft herausarbeiteten, so daß Rudolf Morsey schließlich, ganz im Gegensatz zur Restaurationsthese, von einer »neuen Gesellschaft« sprach. 12 Ein wichtiges Ergebnis der empirischen Forschung, das zu einer Neubelebung der Diskussion um die Kontinuität von Nationalsozialismus und Nachkriegszeit und zugleich zu einer expliziten Akzentverschiebung in der Bewertung der Zeit nach 1945 führte, erfolgte 1988 mit der Veröffentlichung der Forschungsergebnisse eines Historikerteams des Instituts für Zeitgeschichte. Schon der Buchtitel »Von Stalingrad zur Währungsreform« 13 signalisierte eine andere Sichtweise: Die Trennlinie 1945 wurde als Zäsur relativiert und zugleich in veränderter Weise bestätigt. In sozialhistorischer Perspektive erschien nun die Endphase des Krieges als Beginn einer tiefgreifenden Transformation. Schon 1942/43, so lautete die zentrale These, »erfuhr die innere Abkehr weiter Teile der deutschen Bevölkerung von der Ideologie des Nationalsozialismus [...] ihre entscheidende Beschleunigung, noch im Krieg kamen Erosion und Mobilisierung überkommener Gesellschaftsstrukturen in Gang.« 14 Die nachfolgende Zeit habe jedoch in mehrfacher Hinsicht eine »revolutionäre Dimension« erlangt: Die Zerschlagung des Deutschen Reiches, der Verlust der Ostgebiete, die Völkerwanderung im Zuge von Flucht und Vertreibung, die Entmachtung der alten aristokratischen Oberschicht und die Besatzungsjahre nach Kriegsende hätten »eine stark nivellierte „Notstandsgesellschaft"« entstehen lassen, »in der rückblickend schon die Umrisse der Mittelstandsgesellschaft der Bundesrepublik« zu erkennen seien. Das Ergebnis der Einzelstudien sei der Nachweis, »daß die Gesellschaftsgeschichte der Not- und Umbruchszeit nicht synchron mit der politischen Geschichte verläuft«. 15 Neben einer 10

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Werner Conze/M. Rainer Lepsius (Hrsg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983. Josef Mooser, Abschied von der »Proletarität«. Sozialstruktur und Lage der Arbeiterschaft in der Bundesrepublik in historischer Perspektive; Jürgen Kocka/Michael Prinz, Vom »neuen Mittelstand« zum angestellten Arbeitnehmer. Kontinuität und Wandel der deutschen Angestellten seit der Weimarer Republik; Hans Günter Hockerts, Sicherung im Alter. Kontinuität und Wandel der gesetzlichen Rentenversicherung 1889-1979, in: ebd., S. 143-186, 210-255 u. 296-323. Zu den frühen Publikationen, die neben politischen auch sozial- und kulturgeschichtliche Aspekte mit einbezogen, gehörten u.a. Wolfgang Benz (Hrsg.), Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in drei Bänden, Frankfurt a.M. 1983 [seit 1989 erweitert in vier Bänden], sowie Christoph Kleßmann, Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955, Göttingen 1982. Rudolf Morsey, Die Bundesrepublik Deutschland. Entstehung und Entwicklung bis 1969, München 1990 [zitiert nach der Erstauflage 1987], S. 45. Axel Schildt übt an dieser Entwicklung scharfe Kritik, indem er anhand zahlreicher Zitate aus der Forschungsliteratur von einer schlichten »Umkehrung der ,Jtestaurations"-Optik« spricht, die wiederum nicht der Komplexität der historischen Prozesse gerecht würde; vgl. Axel Schildt, Moderne Zeiten: Freizeit, Massenmedien und »Zeitgeist« in der Bundesrepublik der 50er Jahre, Hamburg 1995, S. 20f. Martin Broszat/Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Von Stalingrad zur Währungsreform: Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland, 3. Aufl., München 1990. Ebd., Einleitung S. XXVff. Ebd., S. XXX. Eingebunden ist diese Diskussion in den sog. »Historikerstreit« und die konträre Auseinandersetzung Uber einen »deutschen Sonderweg«, beide Bereiche münden in die Frage nach dem Zusammenhang von Krisen und Modernisierung.

14

Einleitung

starken Relativierung der Zäsur von 1945 lag ein Verdienst dieser Publikation auch darin, den seit Mitte der achtziger Jahre heftig geführten Methodenstreit um die »Oral History« zu entschärfen und den vor allem von Lutz Niethammer vertretenen alltagsgeschichtlichen Ansatz fruchtbar in die Sozialgeschichte zu integrieren. Die neuerlich entflammte Kontinuitätsdiskussion weist Uber den mit der »Restaurationsthese« erreichten Stand hinaus. Gefragt wird nach jenen Faktoren, die eine umfassende Modernisierung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft und Wirtschaft ermöglichten und somit eine bloße Restauration gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Strukturen negiert. 16 Die Betrachtung des Zeitraumes zwischen 1943 und 1948 als einer revolutionären Phase mit epochalem Einschnitt blieb nicht unwidersprochen. Der These Broszats ließe sich, so der Einwand Arnold Sywotteks, entgegenhalten, daß »die entscheidenden Impulse filr die tatsächliche Ausformung des westdeutschen Sozialstaates« erst in die Zeit nach der Währungsreform fielen: durch den Koreakrieg, die Einbindung in den Marshallplan und die Montanindustrie. 17 Aufgrund seiner eigenen Forschungsergebnisse sieht Sy wottek eher den Ansatz von Werner Conze und M. Rainer Lepsius und somit eine Betonung der Kontinuität als die Deutungsmuster von Broszat bestätigt. Bestärkt würde diese Position durch alltags- und erfahrungsgeschichtliche Forschungsergebnisse, wie sie von Lutz Niethammer über das Ruhrgebiet vorgelegt wurden. 18 In den fünfziger Jahren sieht Axel Schildt das langsame Auslaufen einer Epoche, welche nicht schon mit der Währungsreform endete. 19 Gleichzeitig fanden aber auch Entwicklungen statt, die schon auf die sechziger und siebziger Jahre hindeuteten und erst in diesen Jahrzehnten ihren Ausdruck fanden. Dieses Spannungsverhältnis von »Altem« und »Neuem« ist bislang noch nicht ausreichend untersucht. Die künftigen Forschungsanstrengungen werden sich auch weiterhin auf die Frage konzentrieren, in welchem Verhältnis die bundesrepublikanische Sozialgeschichte zwischen Kontinuität und Diskontinuität zu verorten ist und inwieweit von einer Sozialgeschichte der »Umbrüche« gesprochen werden kann. Während sich dabei die Ab16

Nach wie vor konträr werden in diesem Zusammenhang die Modernisierungsleistungen des NSRegimes diskutiert. Aus der umfangreichen Literatur seien hier genannt: Dahrendorf, Gesellschaft und Demokratie; Hans Mommsen, Nationalsozialismus als vorgetäuschte Modernisierung, in: Walter H. Pehle (Hrsg.), Der historische Ort des Nationalsozialismus, Frankfurt a.M. 1990, S. 31-46; Hans-Ulrich Wehler, Entsorgung der deutschen Vergangenheit?, München 1988. Eine umstrittene Position nehmen ein: Michael Prinz/Rainer Zitelmann (Hrsg.), Nationalsozialismus und Modernisierung, Darmstadt 1991; hierzu liegt eine Rezension von Peter Steinbach vor: Neuauflage des »Historikerstreits«? Kritische Anmerkungen zu dem Buch »Nationalsozialismus und Modernisierung«, in: Tribüne 119 (1991), S. 174-180. Peter Wehling, Die Moderne als Sozialmythos. Zur Kritik sozialwissenschaftlicher Modernisierungstheorien, Frankfurt a.M. 1992. 17 Axel Schildt/Amold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 36. In dieser Aufsatzsammlung werden die »langen SOer Jahre« (Werner Abelshauser) unter dem Aspekt sozialkultureller Veränderungen untersucht. Zu weiteren kritischen Argumenten siehe Heinrich August Winkler, Sozialer Umbruch zwischen Stalingrad und Währungsreform?, in: GG 16 (1990), S. 403-409, sowie Jürgen Kocka, »Der Bruch war tiefer als 1918/19. Jürgen Kocka Uber den Sammelband »Von Stalingrad zur Währungsreform«, in: Der Spiegel Nr. 36/1988, S. 45-54. 18 Gemeint sind damit drei Bände einer Reihe mit dem für die Zäsurdiskussion programmatischen Titel »Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960«: Lutz Niethammer (Hrsg.), »Die Jahre weiß man nicht, wo man die heute hinsetzen soll«. Faschismuserfahrung im Ruhrgebiet, Berlin/Bonn 1983; ders. (Hrsg.), »Hinterher merkt man, daB es richtig war, daß es schiefgegangen ist«. Nachkriegserfahrungen im Ruhrgebiet, Berlin/Bonn 1983; ders./Alexander von Plato (Hrsg.), »Wir kriegen jetzt andere Zeiten«. Auf der Suche nach der Erfahrung des Volkes in nachfaschistischen Ländern, Berlin/Bonn 1985. " Schildt, Moderne Zeiten, S. 32f.

Einleitung

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Schwächung der politischen Zäsur von 1945 auf einen breiten wissenschaftlichen Konsens stützen kann, werden derzeit unter Berücksichtigung der neueren sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Forschungsergebnisse mögliche »Zäsuren nach 1945« diskutiert, wie Martin Broszat eine Aufsatzsammlung zur Periodisierung der Nachkriegsgeschichte titulierte.20 Die Entwicklung in der Sozialgeschichte führte zu neuen Fragestellungen bei der Erforschung der Nachkriegszeit im allgemeinen und, in engerem Sinne, bei der Frage nach den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen während der Besatzungszeit, der Nahtstelle zwischen dem Ende des NS-Regimes und der zweiten deutschen Republik. Mit dem Abrücken von einer gesamtstaatlichen und politikgeschichtlichen Betrachtung der Zeit nach 1945, flankiert von den Ergebnissen der Sozial- und Alltagsgeschichte, gewannen in den letzten Jahren kleinräumige regionale Einheiten an Interesse. Dies trägt dem Umstand der föderativen Grundstruktur der deutschen Geschichtslandschaft Rechnung. Regional angelegte Untersuchungen haben den Vorteil, allgemeine Entwicklungstendenzen innerhalb einer Gesellschaft von räumlichen Besonderheiten unterscheiden zu können. Dies gilt in besonderem Maße für die unmittelbare Nachkriegszeit, als das wirtschaftliche, politische und soziokulturelle Leben nicht nur durch die jeweiligen alliierten Besatzungsverwaltungen geprägt war, sondern auch innerhalb der einzelnen Besatzungszonen von Land zu Land erhebliche Unterschiede feststellbar sind. Ein wissenschaftliches Interesse an der Französischen Besatzungszone (FBZ) setzte - nach intensiven und dominierenden Untersuchungen zu den amerikanisch besetzten Ländern - relativ spät ein. Das lag zum einen daran, daß die französischen Archive lange Zeit schlecht zugänglich waren21, zum anderen neigte die Forschung dazu, Ergebnisse der ABZ zu verallgemeinern und auf die anderen Zonen zu übertragen.22 Erst in den achtziger Jahren erschienen Veröffentlichungen zur französischen Besatzungspolitik, die aus dem Schatten der auf die amerikanische Zone zentrierten Untersuchungen heraustraten und versuchten, den Nachkriegsverhältnissen der einst »vergessenen Zone«23 gerechter zu werden.24 Dabei fiel die Bilanz zunächst eher negativ aus: Theodor Eschenburg beschrieb die französische Zone als »Ausbeutungskolonie«25, zu ähn-

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Martin Broszat (Hrsg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990. Vgl. hierzu Edgar Wolfrum, Das französische Besatzungsarchiv in Colmar. Quelle neuer Einsichten in die deutsche Nachkriegsgeschichte 1945-55, in: GWU 40 (1989), S. 84-90. Mit ein Grund sei, wie Anselm Doering-Manteuffel betont, darin zu sehen, daß in den fünfziger und sechziger Jahren die frühen Interpretationsmuster der Besatzungsjahre tendenziell von einer proamerikanischen Sicht geprägt gewesen seien, verstärkt durch einen amerikanischen Einfluß auf die Politik- und Sozialwissenschaften; vgl. ders., Entwicklungslinien und Fragehorizonte in der Erforschung der Nachkriegsgeschichte, in: ders. (Hrsg.), Adenauerzeit: Stand, Perspektiven und methodische Aufgaben der Zeitgeschichteforschung (1945-1967), Bonn 1993, S. 6-30, hier S. 22. Als solche wurde die FBZ schon in der »Süddeutschen Zeitung« vom 12.11.1947 beschrieben, und sie sollte es in der zeithistorischen Forschung auch lange bleiben; vgl. Edgar Wolfrum, Französische Besatzungspolitik und deutsche Sozialdemokratie. Politische Neuansätze in der »vergessenen Zone« bis zur Bildung des Südweststaates 1945-1952, Düsseldorf 1991, S. 16. Ein großes Verdienst der neueren Untersuchungsergebnisse liegt auch darin, daß deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern innerhalb der FBZ herausgearbeitet werden konnten und somit die Konturen der französischen Besatzungspolitik zunehmend klarer werden. In der FBZ nahmen die Länder einen sehr viel höheren Stellenwert ein als in den zwei anderen Westzonen. Vgl. hierzu Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 17. Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945-1949, Stuttgart 1983, S. 96.

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liehen Bewertungen kamen auch Rudolf Steininger und Rudolf Morsey. 26 Die unbestreitbaren Härten der Besatzungspolitik, welche die Erinnerungen der meisten Zeitgenossen dauerhaft prägten, waren aber nur eine Seite der Medaille. Die französische Deutschlandpolitik war eine »Politik der Widersprüche«27, eine »ambivalente Besatzungspolitik«, in der Demokratisierungsbestrebungen und Eigeninteressen »stets Hand in Hand« gingen. 28 Zwischen diesen Polen bewegt sich - mit unterschiedlicher Gewichtung - die neueste Forschung zur Besatzungszeit. So werden zum Beispiel für den inzwischen gut untersuchten Bereich der französischen Kultur- und Bildungspolitik die ernsthaften Demokratisierungsbestrebungen der französischen Besatzungspolitik hervorgehoben29, während das Spannungsfeld zwischen Entnazifizierung und französischer Wirtschaftspolitik weitaus konträrer diskutiert wird. 30 Zu Beginn der neunziger Jahre untersuchte Edgar Wolfrum in einem Buchbeitrag die Frage, warum die Deutschen mehrheitlich - entgegen den nun auch positiven Befunden zur Besatzungszeit - eine bekanntermaßen negative Einstellung gegenüber der französischen Besatzung hatten. 31 Mit einer weiteren Untersuchung über politische Neuansätze in Baden und Württemberg-Hohenzollern bis 1952 wollte Wolfrum außerdem einen Ausgleich zur bislang dominierenden Forschung zu Rheinland-Pfalz schaffen. 32 Auf die Sekundärliteratur zur französischen Zone im allgemeinen und zum Lande Südwürttemberg-Hohenzollern im speziellen wird in den einzelnen Kapitel eingegangen werden. Kann nach einer Reihe von Untersuchungen zur französisch besetzten Zone inzwischen nicht mehr von einer »vergessenen Zone« gesprochen werden, bleibt dennoch für Südwestdeutschland - und insbesondere für Südwürttemberg-Hohenzollern - nach wie vor ein Forschungsdefizit festzustellen.33 Welche Neuordnungskonzepte hatte die französische Besatzungsverwaltung? Wie erlebte die Nachkriegsgesellschaft den Übergang von der Diktatur zur Demokratie? Welche Handlungsspielräume bestanden auf deutscher und französischer Seite? Um diese und weitere Fragen soll es in der vorliegenden Arbeit gehen.

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Rudolf Steininger, Deutsche Geschichte 1945-1961. Darstellung und Dokumente in zwei Bänden, Bd. 1, Frankfurt a.M. 1983; Morsey, Die Bundesrepublik Deutschland. Klaus-Dietmar Henke, Politik der Widersprüche. Zur Charakteristik der französischen Militärregierung in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in: VfZ 30 (1982), S. 500-537. Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 334. Vgl. zuletzt dazu Stefan Zauner: Erziehung und Kulturmission. Frankreichs Bildungspolitik in Deutschland 1945-1949, München 1994. Zum derzeitigen Forschungsstand sei auf die einzelnen Kapitel dieses Buches verwiesen. Edgar Wolfrum, Das Bild der »düsteren Franzosenzeit«. Alltagsnot, Meinungsklima und Demokratisierungpolitik in der französischen Besatzungszone nach 1945, in: Stefan Martens (Hrsg.), Vom »Erbfeind« zum »Erneuerer«. Aspekte und Motive der französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, Sigmaringen 1993, S. 87-113. Nach Ansicht Wolfrums führte die Konzentration der Forschung auf Rheinland-Pfalz zu »einigen zweifelhaften Thesen« wie die von Rainer Hudemann, der den Sudwesten im Vergleich zu Rheinland-Pfalz »im Windschatten französischer Neuordnungskonzepte« sah. Vgl. Edgar Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 17. Zu »Alltag und Politik im französisch besetzten Baden 1945-1949« (Untertitel) erschien jüngst eine Studie von Edgar Wolfrum/Peter Fäßler/Reinhard Grohnert: Krisenjahre und Aufbruchszeit, München 1996.

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II. »Nach dem Kriegsende wurde in Tübingen allen Ernstes die Frage aufgeworfen, ob sich Friedrichshafen von diesem Schicksalsschlag überhaupt jemals wieder erholen könne. Es wurde damals die Ansicht vertreten, daß die Stadt wohl auf den Status eines größeren Fischerdorfes zurücksinken würde.« 34 Mit »Schicksalsschlag« meinte Oberbürgermeister Dr. Max Grünbeck die Situation in Friedrichshafen und dem Kreis Tettnang nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 29. April 1945 hatten alliierte Truppen die schwer zerstörte Kreisstadt besetzt. In den ersten Nachkriegsmonaten entsprach die sozioökonomische Struktur dem Stand zu Beginn des Jahrhunderts, die Einwohnerzahl war von 25.000 (1939) auf 8.000 (1945) gesunken. In den Brennpunkt des allgemeinen Interesses rückte die Zukunft des Zeppelinkonzerns. Eine Analyse der Kriegsschäden und Kriegsfolgeschäden in Württemberg-Hohenzollern, im August 1947 vom Wirtschaftsministerium in Tübingen durchgeführt, stellte der Region eine schlechte Zukunft in Aussicht: »Die durch unmittelbare Kriegshandlungen eingetretenen Schäden konzentrieren sich, soweit es die Industrie betrifft, im wesentlichen auf das Gebiet von Friedrichshafen und das benachbarte Bodenseegebiet mit den Werkstätten von Maybach, Zeppelinbau, der Zahnradfabrik Friedrichshafen und den Dornier-Werken. Hier bedeuten die Kriegsschäden einen Ausfall von 12-15.000 Arbeitsplätzen oder rund 8 0 % der Kapazität.« 35 Vom Fortbestand des Konzerns hing die zukünftige Wirtschafts- und Erwerbsstruktur des gesamten Kreises Tettnang und der Bodenseeregion ab. Friedrichshafen war neben Oberndorf am längsten von allen Städten Südwürttemberg-Hohenzollerns von Demontagemaßnahmen bedroht. 36 Im Kreis Tettnang nahm die Stadt durch ihre Größe und wirtschaftliche Bedeutung einen herausragenden Platz in dem sonst überwiegend bäuerlich strukturierten Gebiet ein. Nahezu die Hälfte der Kreisbevölkerung fand dort ihren Broterwerb, so daß sich die Nachkriegsprobleme nicht ausschließlich in städtische und ländliche Angelegenheiten scheiden ließen. Ob Wohnungsnot, Demontage oder Flüchtlingsaufnahme, involviert war neben der Stadt- auch die Landbevölkerung in hohem Maße. Im Spannungsfeld von alliierter Besatzungs- und deutscher Nachkriegspolitik entwickelte sich Friedrichshafen - entgegen allen Erwartungen der Zeitgenossen - zu einem Industriestandort, der der größte Arbeitgeber in der Region wurde und der Stadt zu ihrem Status als Verwaltungssitz des heutigen Bodenseekreises verhalf. An der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung waren alle administrativen Ebenen der deutschen und französischen Verwaltung beteiligt, ebenso wirkte sich die amerikanische Besatzungspolitik auf die Region aus. Zwischen den dunklen Zukunftsvisionen der Zeitgenossen und dem tatsächlichen Verlauf des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus im Kreis Tettnang besteht aus heutiger Sicht eine weite Kluft. Daß die pessimistischen Stimmungen nach Kriegsende jedoch weder Resignation noch Lethargie auslösten, sondern die bestehenden Handlungsspielräume genutzt wurden, zeigt diese Studie.

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StadtA FN, Notizen der Stadt Friedrichshafen für den Besuch der Staatsregierung Baden-Württemberg am 12. März 1953. StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 234. In den Werken des Luftschiffbau Zeppelin endete die Demontage 1950, wogegen die Demontage der Dornier-Werke 1962 noch keinen offiziellen Abschluß gefunden hatte und dann »im Sande verlief«; ebd., Bü. 573/1317.

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Festzuhalten ist zunächst, daß für die Bevölkerung der Bodenseeregion die Jahre 1943 und 1944 mit ihren flächendeckenden Bombardements einen sozialen und wirtschaftlichen Einschnitt bedeuteten. Erstmals seit Kriegsbeginn war durch die Zerstörung von Wohnhäusern und Fabrikanlagen die Existenzgrundlage eines Großteils der Bevölkerung bedroht. Hier setzt deshalb die Studie ein. Gefragt wird, welche Entwicklungslinien in der Nachkriegsgesellschaft abbrachen, neu einsetzten oder tradiert wurden, ob und in welchen Bereichen die Veränderungen das Ausmaß eines Umbruchs annahmen. Anders gefragt: Was unterscheidet die Gesellschaft der Nachkriegszeit von der zuvor? Was ist als »modern« zu bezeichnen, und was bewirkte die dauerhafte Festigung einer Demokratie in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft? Anhand einer regionalen Studie soll der Mikrokosmos gesellschaftlicher Umbrüche analysiert werden: Welche Handlungsspielräume hatten die Entscheidungsträger? Wie reagierte die Bevölkerung auf die neue Zeit? Welche Ambivalenz prägten deutsche und französische Nachkriegsvisionen und Weichenstellungen?37 Der entgegen den Hoffnungen der Bevölkerung französisch besetzte Kreis Tettnang nahm einen hohen Stellenwert innerhalb der französischen Politik in Südwürttemberg-Hohenzollern ein. Mit den Werksanlagen der Zeppelin-Stiftung und der Firma Dornier bildete die Stadt Friedrichshafen das bedeutendste Wirtschaftszentrum in Oberschwaben und der gesamten Bodenseeregion. Deshalb bietet sich dieser Raum in besonderem Maße an, die Nachkriegskonzepte der französischen Kreis- und Landesregierung zu erforschen und zu fragen, welche Motivationen den jeweiligen Maßnahmen und Entscheidungen zugrunde lagen. In dieser Studie geht es insgesamt darum, auf Kreisebene ein möglichst breites Spektrum an Indikatoren herauszuarbeiten, die Aussagen Uber deutsche und französische Nachkriegskonzepte und deren Umsetzung zulassen - etwa anhand der Bereiche Industrieneuordnung, Entnazifizierung oder Sozialversicherungswesen. Die Arbeit ist in drei Hauptteile gegliedert: Im ersten Teil wird der Übergang des Kreises von der Kriegs- in die Nachkriegszeit betrachtet, wobei ein Schwerpunkt auf demographischen Veränderungen und der Entwicklung der Industrie liegt. Im zweiten Teil geht es um gesellschaftliche Bereiche, anhand derer sich französische und deutsche Vorstellungen von einer demokratischen »Neuordnung« skizzieren und auf ihre Wirkung überprüfen lassen: die Bildung von Parteien und Gewerkschaften, die Entnazifizierung sowie die Kultur- und Bildungspolitik. Im dritten Teil der Untersuchung dominiert mehr als in den anderen Teilen eine deutsche Perspektive. Hier richtet sich das Interesse auf das Alltagsleben der Umbruchsgesellschaft mit ihren spezifischen Nachkriegsproblemen wie Wohnraumbewirtschaftung und Flüchtlingswesen; aber auch Modernisierungsprobleme im Betriebsalltag oder in der dörflichen Gesellschaft, deren Wurzeln vor 1945 zu suchen sind, werden beleuchtet. In allen Themenbereichen wird nach Einstellungen und Verhaltensmustern der deutschen Bevölkerung und ihrer 37

»Besatzung als Erfahrung von Alltag und Politik« wählten Edgar Wolfrum u.a. als Leitfaden für ihre Studie Uber das französisch besetzte Baden: »Die Besatzungszeit soll sowohl von den Planungen der Franzosen und den politisch handelnden Deutschen als auch von den Erfahrungen der „kleinen Leute" und ihren subjektiven Wirklichkeiten nachgezeichnet werden. Die Politik der Entscheidungsträger und der Alltag und die Wahrnehmung von „NormalbUrgern" sollen verknüpft werden. Dahinter steht der Versuch, zu einem vollständigen Bild jener Jahre zu gelangen, Alltagsnot und politischen Aufbruch als zwei Seiten ein und derselben Medaille miteinzubeziehen.« Einem solchen Ansatz flihlt sich auch die Verfasserin bei der Untersuchung des Kreises Tettnang verpflichtet. Vgl. dies., Krisenjahre und Aufbruchszeit, S. 11.

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Institutionen gefragt. Versorgungsengpässe, Demontagemaßnahmen und Besatzungslasten prägen bis heute die Erinnerung vieler Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an die Nachkriegszeit. Die Not- und Umbruchsgesellschaft bildete jedoch keine geschlossene »Schicksalsgemeinschaft«, wie immer wieder von Vertretern aus Politik und Wirtschaft zur Bewältigung der Nachkriegsprobleme propagiert wurde, sondern verfolgte unterschiedliche Ziele und Vorgehensweisen. Auf regionaler und lokaler Ebene läßt sich die gesamte Palette der Handlungsmuster besonders gut herausarbeiten. In diesem Sinne wird der Blick gleichermaßen auf Unternehmer, Arbeiter, Parteienvertreter oder Gewerkschafter bzw. Betriebsräte gerichtet. Die Untersuchung ist in thematische Längsschnitte gegliedert. Auf eine chronologische Darstellung entlang den gängigen Zeitabschnitten (Kriegsende, Währungsreform, Gründung der Bundesrepublik etc.) wurde verzichtet, um nicht traditionelle Zäsuren, die vor allem aus der Politikgeschichte stammen, ungewollt zu übernehmen. Die Auswahl der Themenbereiche erfolgte nach drei Kriterien: Sie mußten Indikatoren sozialen Wandels sein, um die Frage nach den gesellschaftlichen Veränderungen und Entwicklungen in der Nachkriegszeit beantworten zu können. Sie sollten sowohl auf lokale und regionale Besonderheiten zugeschnitten sein, als auch die allgemeine sozialgeschichtliche Forschungsdiskussion reflektieren. Jedes Untersuchungsfeld sollte außerdem, soweit möglich, mit Quellen deutscher und französischer Provenienz belegt sein, um eine breite Interpretationsbasis zu erhalten. Methodisch wird versucht, Struktur- und Prozeßgeschichte mit alltagsgeschichtlichen Zugriffen zu verbinden. Bei Themenbereichen, die nur unzureichend oder durch einseitige schriftliche Quellen erschlossen werden konnten, wurde die Materialbasis durch Zeitzeugeninterviews ergänzt.38 Auf eine exakte zeitliche Eingrenzung der Studie wird verzichtet, da sich im Laufe der Quellenauswertung zeigte, daß eine Zäsursetzung filr die Nachkriegsjahre je nach Themenbereich variabel gestaltet werden muß. Allerdings fanden die entscheidenden Weichenstellungen Ende der vierziger bzw. in den fünfziger Jahren statt, weshalb der Schwerpunkt der Untersuchung auf dieser formativen Phase der deutschen Nachkriegsgesellschaft liegt. Der Mangel an wissenschaftlicher Literatur über die Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus im Kreis Tettnang zwang außerdem dazu, die Untersuchung mancher Themenfelder in den zwanziger bzw. dreißiger Jahren einsetzen zu lassen, um Aussagen bezüglich der Frage nach Kontinuität oder Diskontinuität treffen zu können.

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Im Auftrag des Stadtarchivs Friedrichshafen führte die Verfasserin 1994 insgesamt 23 Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zur Kriegs- und Nachkriegszeit durch. Eine Transkription der Gespräche, Voraussetzung ftlr eine umfassende und sinnvolle Auswertung, steht noch aus. Auf Einzelzitate wurde in der vorliegenden Untersuchung bis auf wenige Ausnahmen verzichtet, dafür wurden Informationen, die sich in mehreren Interviews deckten, ohne genaue Kennzeichnung des jeweiligen Interviewpartners herangezogen. Darüber hinaus konnten durch die Leitung eines VHSGeschichtskreises in Friedrichshafen zwei Jahre lang (1994 bis 1996) Erfahrungen mit Bürgerinnen und Bürgern ausgetauscht werden. Allen Beteiligten sei an dieser Stelle gedankt.

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III. Trotz der Bedeutung der Stadt Friedrichshafen für die Bodenseeregion und der die lokalen Interessen weit überschreitenden Entwicklung in der Nachkriegszeit liegt bis heute keine geschichtswissenschaftliche Untersuchung über diese Region und diesen Zeitraum vor. Die bisher erschienenen Publikationen zu Friedrichshafen erfassen entweder einen anderen Zeitabschnitt 39 oder behandeln Einzelaspekte. 40 Die wenigen Veröffentlichungen zur Nachkriegsgeschichte erschienen meist in Form kleinerer Beiträge zur Heimatgeschichte oder als Zeitungsartikel in der Lokalpresse und lassen nur noch deutlicher die Notwendigkeit einer umfassenden wissenschaftlichen Bearbeitung dieses Themas hervortreten. Jubiläumsbroschüren der Firmen und Veröffentlichungen von »Zeppelin-Anhängern« entwarfen bislang ein Geschichtsbild 41 , das wichtige Aspekte des gesellschaftlichen Lebens ausklammerte und nur einen kleinen Teil der im geschichtlichen Prozeß agierenden Personen einbezog. 42 Hier wird Geschichte nicht als aktiver Prozeß unter Beteiligung verschiedener sozialer Gruppierungen und Schichtungen verstanden, sondern vielmehr unter dem Motto »Männer machen Geschichte« betrieben, wobei meist Ferdinand Graf von Zeppelin und seine »Enkel« gemeint sind. Es sind jedoch jüngst einige wichtige Untersuchungen erschienen, an denen sich die erfreuliche Tendenz zu einer Überwindung der bisherigen Herangehensweise erkennen läßt. Ohne die Publikationen von Kreisarchivar Elmar L. Kuhn wäre es in manchen Untersuchungsfeldern nicht möglich gewesen, bei der Frage nach Kontinuität und Brüchen voranzukommen. Dank seiner Aufsätze, Quelleneditionen und statistischen Materialien zu Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus lag hier eine Basis vor, auf der aufgebaut werden konnte. 43 Die meisten Veröffentlichungen sind in der Publikationsreihe »Geschichte am See« des Kreisarchivs zu finden. 44 Eine weitere für die Untersuchung herangezogene Publikation zur Friedrichshafener Stadtgeschichte behandelt das zwanzigste Jahrhundert von seinen

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So z.B. Elmar L. Kuhn, Industrialisierung in Oberschwaben und am Bodensee (Geschichte am See 24/1-2), Markdorf 1984; Willi A. Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, in: ZWLG 47 (1988), S. 458-494. Anstelle einer Aufzählung der Autorinnen und Autoren sei auf die Auswahlbibliographie in den einzelnen Kapiteln und im Anhang hingewiesen. So z.B. Volker W. Geiling/Manfred A. Sauter, Zeppelins Erben. Friedrichshafen und seine Industrie, Konstanz 1988; Im Jahrhundert des Wandels. Z F 1915-1990, hrsg. v. der Zahnradfabrik AG, Friedrichshafen 1990; Karl Clausberg, Zeppelin: Die Geschichte eines unwahrscheinlichen Erfolges, München 1979. Zum seit langem beklagten Forschungsdefizit in der Bodenseeregion vgl. Elmar L. Kuhn, Geschichte und Kultur am See. Probleme, Perspektiven, Projekte (Geschichte am See 13), Markdorf 1981; ders., 10 Jahre Kreisarchiv Bodenseekreis (Geschichte am See 37), Markdorf 1989; ders., Der Bodenseeraum - Historiker-Mythos und Festredentraum?, in: Bodensee Hefte, H. 1/2, 1993. Raimund Hug-Biegelmann, Über die Wahrheit in der Lokalgeschichte. Wie Friedrichshafen der Stadtzerstörung vor 50 Jahren gedachte - Werkstattbericht und methodische Erfahrungen, in: Leben am See 12 (1995), S. 269-275. Über das Kreisarchiv des Bodenseekreises kann eine Literaturliste mit allen Veröffentlichungen des Kreisarchivs vom Mittelalter bis zur Neuzeit bezogen werden. Geschichte am See. Materialien zur Regionalgeschichte, hrsg. v. Kreisarchiv des Bodenseekreises, Bd. Iff., Markdorf 1979ff. Daneben erscheint eine Reihe »Leben am See«. Das Jahrbuch des Bodenseekreises, hrsg. v. Bodenseekreis und der Stadt Friedrichshafen, Bd. 7ff., Friedrichshafen/ Tettnang 1989/90ff. In jedem Band befindet sich ein Anhang zu den neuesten Veröffentlichungen Uber den Bodenseekreis. In den Bänden, die einen breiten thematischen Rahmen abdecken, finden sich einzelne kurze Aufsätze zur Regional- und Lokalgeschichte.

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Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. 45 Leider wurde auf einen Anmerkungsapparat verzichtet, was die wissenschaftliche Verwendbarkeit stark einschränkte. Daneben liegen einige bislang unveröffentlichte wissenschaftliche Arbeiten vor, welche der Verfasserin wichtige Anregungen zu Einzelaspekten boten. 46 Von nicht zu überschätzendem Wert waren die Literaturbestände der »Bodenseebibliothek«, eine dem Stadtarchiv Friedrichshafen angegliederte Sammlung, deren Bestände Literatur zur Geschichte und Gegenwart des internationalen Bodenseeraumes umfassen 47 Die Studie basiert hauptsächlich auf ungedruckten Quellen. Die wichtigsten Archivalien zur Analyse der französischen Politik sind dem »Bureau des archives de l'occupation Française en Allemagne et en Autriche« (Französisches Besatzungsarchiv) in Colmar entnommen. 48 Sie geben einen fundierten Einblick in die französische Nachkriegspolitik auf staatlicher, regionaler und lokaler Ebene und erfassen auch die eher »quellenarme« Zeit unmittelbar nach Kriegsende. Vor allem die »Dossiers chronologiques«, welche der Kreisgouverneur monatlich an Ubergeordnete Dienststellen in Baden-Baden und Paris zu schicken hatte, geben einen Einblick in gesellschaftliche Bereiche, wie sie durch deutsche Quellenbestände nicht möglich sind: politisches Klima, Parteienbildung, Verhältnis zu Gewerkschaften oder Ausführungen zur deutschen Mentalität aus französischer Sicht. Aus dem Schriftwechsel zwischen den verschiedenen französischen Instanzen können die jeweiligen Neuordnungsvorstellungen herausgefiltert und die Handlungsspielräume des Kreisgouverneurs relativ exakt bestimmt werden. Des weiteren wurden umfangreiche Recherchen im Staatsarchiv Sigmaringen durchgeführt. 49 Die Bestände des Oberamts Tettnang ermöglichen einen Einblick in alle sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereiche des Gemeindelebens. Besonders aufschlußreich sind die Archivbestände der »Staatskanzlei Württemberg-Hohenzollern 1945-59« und der verschiedenen Ministerien, vor allem des Innenund Wirtschaftsministeriums. Hier zeigt sich auch die Bedeutung, welche der Stadt und der Region in der deutschen Nachkriegspolitik zukam. Eine anfangliche Skepsis,

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Fritz Maier, Friedrichshafen, Heimatbuch II. Die Geschichte der Stadt vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, unter Mitarbeit von Elmar L. Kuhn und Michael Holzmann, Friedrichshafen 1994. Christa Tholander, Fremdarbeiter. Ausländische Arbeitskräfte in Friedrichshafen von 1939 bis 1945, Wiss. Arbeit, Universität Konstanz 1996; Karin Ohlhauser, Demontage und Neuordnung der Friedrichshafener Industrie 1945 bis 1950. Die Beispiele Luftschiffbau Zeppelin, Maybach Motorenbau, Zahnradfabrik Friedrichshafen und Dornier, Wiss. Zulassungsarbeit, Universität Konstanz 1993. Eine Publikation beider Arbeiten wäre wünschenswert. Michael Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich, masch.schriftl. u. unveröff. Manuskript, München 1984. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Stadtarchivs Friedrichshafen erarbeitete Raimund Hug-Biegelmann eine Studie Uber den Luftkrieg in Friedrichshafen. Eine Veröffentlichung, bereits für das Gedenkjahr 1994 zur Erinnerung an die Zerstörung der Stadt vor fünfzig Jahren geplant, steht noch aus. Die Bodenseebibliothek wurde 1868 vom »Verein für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung« in Friedrichshafen gegründet. Heute umfaßt sie über 3.000 Fachbücher und verschiedene Fachzeitschriften zur Regionalgeschichte des Bodenseeraumes. Die aus diesen Beständen herangezogene Literatur ist im Literaturverzeichnis nicht gesondert gekennzeichnet. Ein Wandel in der Einschätzung der französischen Besatzungspolitik beruhte vor allem auf der Auswertung der Bestände französischer Archive seit Mitte der achtziger Jahre. Vgl. hierzu Wolfrum, Das französische Besatzungsarchiv in Colmar, sowie Rainer Hudemann, Deutsche Geschichte in französischen Archiven. Nachkriegsakten in Colmar und Paris - Archivgut zur neueren Geschichte in Nantes, in: Der Archivar 42 (1989), S. 475-488. Im Auftrag des Stadtarchivs Friedrichshafen hat die Verfasserin zu den relevanten Quellenbeständen aus Colmar und Sigmaringen ein umfassendes Repertorium angelegt, welches dort eingesehen werden kann.

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ob die Bestände auf lokaler Ebene ergiebig sein würden, war unbegründet. Trotz der Zerstörung des Friedrichshafener Rathauses im Luftkrieg und der Vernichtung wichtiger Akten50 bot das Stadtarchiv Friedrichshafen reichlich Material. Das Archiv wird erst seit 1985 hauptamtlich verwaltet51, so daß ein wissenschaftlicher Zugriff auf die Bestände bis zu diesem Zeitpunkt nicht möglich war. Auch die Quellenlage im Kreisarchiv des Bodenseekreises kann als sehr gut bezeichnet werden. Da sich die Untersuchung auf die Stadt Friedrichshafen als gesellschaftliches und wirtschaftliches Zentrum des Kreises Tettnang konzentriert, wurden im Kreisarchiv themenspezifisch selektiv Akten gehoben.52 Für Einzelaspekte war das jüngst eingerichtete Archiv des Luftschiffbau Zeppelin dienlich. Seine Bestände sind vornehmlich technikgeschichtlich und wirtschaftspolitisch ausgerichtet, sie bieten jedoch auch Informationen für sozialhistorische Studien.53 Vor allem für das letzte Kapitel der Studie zum Wandel der dörflichen Gesellschaft war ein Besuch im Diözesanarchiv Rottenburg unumgänglich. Als besonders ergiebig erwiesen sich hier die Protokolle der Pfarr- und Dekanatsvisitationen, welche für die Jahre 1939 bis 1959 ausgewertet wurden.54

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So verbrannte 1944 zum Beispiel ein Großteil der Grundbücher und Standesamtsakten. Über die Notwendigkeit einer hauptamtlichen Verwaltung des Stadtarchivs hatte der Friedrichshafener Gemeinderat bereits 1946 diskutiert: »Die Bestellung eines Stadtarchivars, wie seinerzeit ein solcher von [NS-]BUrgermeister Bärlin angestellt war, sollte wieder ins Auge gefaßt werden.« Der Nachkriegsbiirgermeister Josef Mauch hielt diese Frage »noch nicht fUr reif genug« und stellte einen Antrag auf Vertagung. Vgl. Rathaus, GRP vom 30.10.1946. Einer schnellen Reorganisation des lokalen Archivwesens stand entgegen, daß das städtische Archiv im Krieg zerstört worden war und zunächst dessen bauliche Neuerrichtung durchgeführt werden mußte. Die Bestände des Kreisarchivs lassen problemlos weitere wissenschaftliche Projekte zu. Jedes Repertorium im Archiv des Luftschiffbau Zeppelin (LZA) ist in sechs Themenbereiche gegliedert, und zwar in »Luftschiffe«, »Personen«, »Luftschiffahrten«, »Luftschiffhallen«, »Technische Entwicklung« und »Industriegeschichte«. Im Anhang befindet sich jeweils ein Orts-, Namens- und Sachindex. Anfragen in Archiven, die ohne Erfolg blieben, werden in den einzelnen Kapiteln zur Sprache kommen.

I. Umbruchszeit: Vom Krieg zum Frieden

In der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts durchlief das Oberamt bzw. der Kreis Tettnang (Umbenennung von Oberamt in Kreis 1938)1 und vor allem die Stadt Friedrichshafen eine Entwicklung, die die ökonomischen und sozialen Strukturen der Region grundlegend und dauerhaft verändern sollte. Mit der Entscheidung des Grafen Ferdinand von Zeppelin, die günstige Lage Friedrichshafens am Bodensee für seine Luftschiffpläne zu nutzen, trat die Region in eine verspätete Industrialisierungsphase ein, die sich durch zwei Weltkriege gleich einer Fieberkurve entwickelte und unter den Folgen des Luftkrieges zunächst ein abruptes Ende fand. Friedrichshafen machte in den dreißiger und vierziger Jahren hinsichtlich der Gebietsausdehnung, des Bevölkerungswachstums und der Produktionssteigerung eine noch stärkere Expansionsphase durch als während des Ersten Weltkrieges. Aufgrund der zunehmenden Wirtschaftskraft in den Vorkriegs- und Kriegsjahren - hauptsächlich bedingt durch die Rüstungsproduktion - entwickelte sich Friedrichshafen zum wichtigsten industriellen Zentrum Oberschwabens und Südwürttembergs. In der äußeren Erscheinungsform wird dies an einer Ausdehnung der Stadtgrenzen deutlich, da die Gemeindereform von 1937/38 den veränderten Umständen Rechnung trug. Die ökonomische Bedeutung des Kreises, deren Zentrum in Friedrichshafen lag, zog bei Kriegsende Konsequenzen nach sich: Bei der Besetzung der zwischenzeitlich zum Verwaltungssitz des Kreises erhobenen Stadt fanden die französischen und marokkanischen Soldaten eine in hohem Maße durch Luftangriffe zerstörte Stadt vor. Das hinderte die Franzosen nicht daran, eine umfangreiche Besatzungsverwaltung zu installieren, da sie um die Bedeutung der Industrieanlagen wußten. Der Friedrichshafener Gewerkschafter Rudolf Denz faßte die Situation im Jahr 1946 prägnant zusammen: »Die Sonderstellung der Stadt Friedrichshafen im ganzen französisch besetzten Württemberg ist durch drei Faktoren gekennzeichnet: durch umfangreiche Zerstörungen auf allen Gebieten infolge der Kriegsereignisse, drohende Zerschlagung der Industrie und die über dem Durchschnitt stehende Besatzungsziffer.«2 In der Folgezeit stand, und dies nicht nur auf lokaler Ebene, vor allem die Zukunft der Industrieanlagen im Mittelpunkt des französischen und deutschen Interesses, weshalb hierauf im folgenden - neben der Gebietsreform und einer Beschreibung der sozialen und ökonomischen Struktur der Region - ein dritter Themenschwerpunkt der Untersuchung gelegt werden soll. In einem weiteren Untersuchungsfeld, dem Aufbau der Verwaltung auf lokaler und Kreisebene, soll gefragt werden, welche Vorstellungen über eine Rekonstruktion bestanden, welche Handlungsspielräume der deutschen Verwaltung gegeben waren und inwieweit die französische Besatzungsverwaltung ihren Einfluß geltend machte. 1

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Das Land Baden-Württemberg. Amtliche Beschreibung nach Kreisen und Gemeinden, Bd. VII, Regierungsbezirk Tübingen, hrsg. v. der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg, Stuttgart 1979, S. 535. StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, »Ein Situationsbericht von R. Denz«, o.D. [mit Rücksicht auf den Kontext 10/1946].

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I. Vom Krieg zum Frieden

Die Einsicht aller zur Verfügung stehenden Quellen zeigte schnell, daß die Stadt Friedrichshafen aufgrund ihrer Bedeutung für die gesamte Region einen Fokus der Kriegs- und Nachkriegsgeschehnisse darstellte. Dies wirkte sich in den überlieferten Beständen, um nur ein Beispiel zu nennen, in einem Mangel an statistischen Quellen zur sozioökonomischen Struktur der ländlichen Region oder der Stadt Tettnang aus, welcher auch nicht durch Sekundärliteratur behoben werden konnte.

1. Der Kreis Tettnang vor 1945 1.1. Die Gemeindereform vom 1. April 1937 NS-Rreisleiter Hans Seibold erkannte sehr früh die Zeichen der Zeit und setzte sich schon ab 1935 für eine Reformierung der Kreis- und Gemeindestrukturen ein. Wie bei den Eingemeindungen der Jahre 1910 und 1914 muß die Reform der Oberamtseinteilung als Konsequenz aus der Expansion der Friedrichshafener Industriebetriebe gesehen werden. So wird im Einwohnerbuch von 1951 rückblickend festgehalten, daß durch die von Seibold forcierte Kreisreform nicht nur die Einwohnerzahl der Stadt Friedrichshafen zunahm, sondern auch die Erweiterung der Stadtgrenzen durchgeführt werden konnte, »was für die bedrückende Raumnot der Stadt besonders wichtig war.« 3 Hinzu kamen jedoch noch andere Beweggründe: Zum einen wollte sich Friedrichshafen das Gebiet Löwental (Gemeinde Ailingen) mit seinem Flugplatz einverleiben, zum anderen benötigte man Gelände zum Bau von Kasernen. Kreisleiter Seibold warb bei den Bürgermeistern des Oberamtes und dem Gauleiter für Württemberg und Reichsstatthalter Wilhelm Murr für seine Reformpläne. Am 1. April 1937 wurden seine Bemühungen von Erfolg gekrönt: Nach Zustimmung des württembergischen Gauleiters und des Innenministeriums konnte die Umgestaltung des Oberamts Tettnang vollzogen werden. Die bis dahin selbständige Gemeinde Schnetzenhausen mit ihren Ortsteilen Fischbach, Jettenhausen, Manzell, Meistershofen, Seemoos, Windhag, Spaltenstein und Waggershausen sowie Allmannsweiler und Flugplatzgelände der Gemeinde Ailingen gehörten nun zu Friedrichshafen. 4 Durch die Gemeindereform konnte die Markungsfläche der Stadt von 1.077 auf 2.735 Hektar nahezu verdreifacht werden 5 , die Einwohnerzahl nahm um 28 Prozent von 18.000 auf 23.000 Einwohner zu 6 .1946 kommentierte der pensionierte Oberlehrer und Heimatforscher Josef Mayer rückblickend das Ereignis: »Damit vollzog sich ein bedeutungsvoller Akt in der Geschichte der schwäbischen Seestadt«, da für Friedrichshafen eine unbegrenzte Aus-

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Amtliches Adreßbuch der Kreisstadt Friedrichshafen 1951/52, Friedrichshafen 1951/52, nach dem Stand vom 1. Oktober 1951, S. 16. In einer umfangreichen Sonderbeilage des »Verbo Seeblatt« mit dem Titel »Groß-Friedrichshafen ist Wirklichkeit« vom 10.4.1937 wurde das historische Ereignis gewürdigt. In einzelnen Artikeln wird jede eingemeindete Ortschaft mit demographischen und wirtschaftsstrukturellen Angaben sowie einem jeweils propagandistisch aufgemachten geschichtlichen Abriß vorgestellt. Ebd. und »Seeblatt für Kreis und Stadt Friedrichshafen, für Tettnang und die Landgemeinden« vom 6.10.1945 (zur jeweiligen Titulierung der Friedrichshafener Lokalzeitung siehe Kapitel II.4 zum Pressewesen). StadtA FN, Statistiken zur Bevölkerungsentwicklung.

Der Kreis vor 1945

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dehnungsmöglichkeit gegeben worden sei, und, noch im Jargon der NS-Zeit: »Denn Friedrichshafen war eine Stadt ohne Raum.« 7 Am 9. April 1937 feierten die Initiatoren aus Stadtverwaltung und NSDAP die Eingliederung der Gemeinde Schnetzenhausen und des Wohnplatzes Allmannsweiler mit dem begehrten Flugplatzgelände 8 mit einem öffentlichen Festakt im Rathaus. 9 Daneben gab es für die Parteiführung noch einen weiteren Grund zum Feiern: Friedrichshafen war nach achtzehn Jahren (letztmals 1919) wieder Garnisonstadt geworden. 10 Die eingetroffenen Flaktruppen mußten vorerst provisorisch auf neuerworbenem Kasernengelände in Schnetzenhausen untergebracht werden. Die neuen Gemeindegrenzen blieben bis 1972 gültig, denn bei den Kreisverwaltungsreformen in Württemberg wurde 1937 ein durchaus erfolgreiches Konzept verfolgt. Um eine effektive NS-Parteiarbeit zu ermöglichen, strebte man klar gegliederte Regionen mit jeweils nur einem zentral gelegenen Mittelpunkt an." Die Reform erstreckte sich über die betroffenen Gemeinden hinaus und erfaßte das gesamte ehemalige Oberamt Tettnang. Eine Verfügung des Gauleiters und Reichsstatthalters Wilhelm Murr reduzierte die Anzahl der Gemeinden von 21 auf vierzehn. Von nun an bestand das Oberamt aus den Gemeinden Friedrichshafen, Ailingen, Oberteuringen, Ettenkirch, Kehlen, Meckenbeuren, Tettnang, Eriskirch, Langenargen, Kressbronn, Langnau, Tannau, Neukirch und - bis 1938 - Schomburg. 12 Seibold konnte zufrieden feststellen: »Damit ist zum erstenmal innerhalb des Landes Württemberg eine vollkommene Überarbeitung und neue Einteilung des Oberamts durchgeführt und rechtswirksam geworden.« 13 Zum Oberamt Tettnang kamen 1938 noch weitere reformierte Kreise hinzu. 14 Die württembergische Kreisreform 1938 und das Pendant in Baden 1936 bis 1939 hatte noch einen anderen Effekt: In Württemberg reduzierte sich die Zahl der ursprünglich 61 Landratsstellen um 27, in Baden fielen von bisher 40 Stellen 13 weg; hier wurde nach dem Untersuchungsergebnis von Michael Ruck die Kreisreform »für eine stille politische Säuberung« dieser Verwaltungsebene genutzt. 15

7

AdO, c. 1181, p. 13, Friedrichshafen - seine geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung, von Josef Mayer, o.D. [mit Rücksicht auf den Kontext jedoch Herbst 1946]. 1941 gab es weitere Pläne für einen »Generalausbau des Flughafens«, nach StA Sig, WÜ 65/35, Bd. 2, BU. 519. Zur Geschichte des Flugplatzes liegt eine Festschrift vor: 75 Jahre FriedrichshafenLöwental. Ein Flugplatz im Wandel der Zeit, hrsg. v. der Flughafen Friedrichshafen GmbH, Friedrichshafen 1990. 9 Beschreibung der Feierlichkeiten im »Verbo Seeblatt« vom 12.4.1937. 10 Zur Geschichte Friedrichshafens als Garnisonstadt seit 1814 siehe »Verbo Seeblatt/Friedrichshafener Tagblatt« (so hieß das »Seeblatt« nach der Zwangsfusionierung mit dem Friedrichshafener Tagblatt in den Jahren 1935-1940) vom 9. und 10.4.1937, ebd. die Schilderung der Feierlichkeiten. Heimatforscher Mayer hielt dazu in seinem Rückblick fest: »Damit war ein langersehnter Wunsch der Stadt Tatsache geworden. Eine Batterie Flak mit Batteriechef Hauptmann Surwald war eingetroffen, umjubelt von der Bevölkerung«, AdO, c. 1181, p. 13. " Kreisleiter Hans Seibold nahm im »Verbo Seeblatt« vom 3.4.1937 zu den Reformen Stellung. 12 Bis 1937 bestand das Oberamt aus folgenden 21 Gemeinden: Friedrichshafen, Schnetzenhausen, Berg, Oberailingen, Hirschlatt, Ettenkirch, Oberteuringen, Meckenbeuren, Liebenau, Tettnang, Eriskirch, Oberdorf, Langenargen, Kressbronn, Laimnau, Oberlangnau, Tannau, Obereisenbach, Neukirch, Flunau und Schomburg. 13 Zitiert nach Maier, Heimatbuch II, S. 289, Bericht des Kreisleiters. 14 Zu weiteren Fallbeispielen der württembergischen Kreisreform siehe Thomas Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn 1928 bis 1945/46, Stuttgart u.a. 1986, S. 317ff. 15 Michael Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein. Beamte im deutschen Südwesten 1928 bis 1972, München 1996, S. 175. 8

26

I. Vom Krieg zum Frieden

Die Gebietsreform im Kreis Tettnang war mit großen Widerstände nicht nur innerhalb der Bevölkerung, sondern auch beim Landratsamt, Innen- und Justizministerium verbunden gewesen: »Wenn man all die Streitigkeiten gekannt hätte, hätte man den Glauben an die Durchführbarkeit des großen Werkes verlieren können« 16 , resümierte der Kreisleiter nach Abschluß der Reform. Eigentlich hätte er mit Widerständen rechnen können, denn es wurden zum dritten Mal seit der Jahrhundertwende Gemeindestrukturen durcheinandergewirbelt. 17 Es entstanden völlig neue Gemeinden, andere Gemeinden verloren ihre Selbständigkeit oder mußten beträchtliche Teile ihres Gebietes abgeben. Erleichtert wurde die Durchführung der Reformen gegen den Willen der Bevölkerung mit der Verkündung der Deutschen Gemeindeordnung 1935, die die kommunale Selbstverwaltung faktisch außer Kraft setzte. War vor allem die Tettnanger Einwohnerschaft noch 1924, 1926 und 1930 gegen Reformpläne Sturm gelaufen 18 , so boten sich unter den neuen Verhältnissen einer Diktatur weniger Möglichkeiten, Protest zu artikulieren. Zwar konnte die Stadt Tettnang als Sitz des Kreises gegen den Willen des Kreisleiters ebenfalls ihr Gebiet ausdehnen, sollte aber dennoch ihre Funktion als Kreissitz verlieren. Denn ein Jahr später wurde der Kreis Tettnang mit Inkrafttreten des «Gesetzes über die Landeseinteilung vom 25. April 1938« in den »Kreis Friedrichshafen« umgewandelt. 19 Am 1. Oktober 1938 folgte die Erhebung Friedrichshafens zur Kreisstadt, der Amtssitz des Kreises verblieb aber wegen des Krieges zunächst weiterhin in Tettnang. Der Groll, den die undemokratisch durchgepeitschte Gemeindereform hervorgerufen hatte, sollte in den siebziger Jahren wiederaufkeimen, als eine weitere Kreisreform durchgeführt wurde. Auch das Konkurrenzverhältnis zwischen den Städten Tettnang und Friedrichshafen spielte in der Nachkriegszeit weiterhin eine Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg erhob zwar die französische Besatzungsverwaltung Tettnang wieder in den Rang des Kreissitzes, die Stadt verlor jedoch diesen Status ein weiteres Mal bei der Kreisreform von 1972. Bei dieser vorerst letzten Umstrukturierung wurden die beiden Kreise Tettnang und Überlingen (mit Ausnahme des nördlichen Teils) zum Bodenseekreis zusammengeschlossen, was eine noch tiefgreifendere Veränderung als die Reform des Jahres 1938 mit sich brachte. Die Gebietsreform und die damit verbundene Zunahme der Friedrichshafener Stadtbevölkerung als Folge der florierenden Wirtschaft ließen sich als positive Zeichen für die weitere Entwicklung verstehen. Den vermeintlichen »Aufschwung« unterbrach jedoch der Mitte 1943 einsetzende Luftkrieg, 1944 fand er dann ein abruptes Ende. Elf Luftangriffe der britischen und amerikanischen Alliierten zwischen Juni 1943 und Februar 1945 zerstörten nahezu achtzig Prozent der Stadt, und neunzig Prozent der Industrieanlagen waren für die Produktion nicht mehr geeignet. Die Stadt Friedrichshafen stand in der Skala kriegszerstörter Städte in Württemberg an oberster Stelle. An

16

17 18

19

Maier, Heimatbuch II, S. 289 und SZ vom 28.3.1987 mit einem Bericht zum 50. Jahrestag der Reform. Angesichts der Widerstände basierten dann auch die Gebietsveränderungen nicht auf Eingemeindungsverträgen, sondern ausschließlich auf Verordnungen. Zu Widerständen gegen die Kreisreform vgl. Schnabel, Württemberg, S. 317. Nach Karl Heinz Burmeister, Geschichte der Stadt Tettnang, Konstanz 1997, S. 272. Burmeisters Darstellung der Tettnanger Stadtgeschichte umfaßt einen Zeitraum von der Entstehung Tettnangs bis in die Gegenwart, wobei Nationalsozialismus und Nachkriegszeit jeweils zwei kurze Kapitel gewidmet sind. Schomburg wurde im Zuge der Neueinteilung dem Kreis Wangen zugeordnet.

Der Kreis vor 1945

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einigen Beispielen soll gezeigt werden, wie sich die Zerstörung unmittelbar auf die Region und deren Bevölkerung auswirkte. 1.2. Die sozioökonomische Entwicklung im Kreisgebiet Im südlichen Oberschwaben setzte die Industrialisierung relativ spät und zunächst vor allem im Raum Ravensburg ein. Mit dem zwanzigsten Jahrhundert begann dann auch im Oberamt Tettnang eine zunächst noch zögerliche, dann aber sich um so rasanter entwickelnde Phase in der bis dahin, von Friedrichshafen abgesehen, bäuerlich geprägten Region. Die Ansiedlung der Zeppelin-Werke in Friedrichshafen ab 1908 sollte den beschaulichen Charakter der Stadt als königliche Sommerresidenz und Zentrum des Fremdenverkehrs nachhaltig verändern. Vor dem Ersten Weltkrieg, im Jahre 1912, unterstanden der Gewerbeaufsicht im Oberamt Tettnang etwa 180 gewerbliche Betriebe, an deren Spitze die Nahrungs- und Genußmittelindustrie mit 59 kleinen Betrieben wie Mühlen, Bäckereien und Brauereien stand. Die Textilindustrie war, anders als im übrigen Württemberg, unbedeutend. Dagegen begünstigte ein fruchtbarer Boden und das milde Bodenseeklima die landwirtschaftliche Produktion vor allem auf dem Gebiet des lohnenden Obst- und Weinanbaus. Das gesamte Oberamt zählte bei einer Einwohnerzahl von etwa 30.00020 rund 1.700 Industriearbeiter, von denen 567 auf die Maschinenindustrie entfielen21. In Friedrichshafen gab es 1912 insgesamt 56 Betriebe mit rund 900 Arbeitern bei etwa 7.000 Einwohnern. »Daneben bereichern«, wie in einer Beschreibung des Oberamts Tettnang nachzulesen ist, »noch Hunderte von Handwerkern (ohne Motorwerkstätten), Wirten, Speditions- und Handlungsgeschäften, Hausindustriearbeiterinnen für Stickerei und Ausrüsterei, ein Konsumverein, Banken, Buchhandlungen usw. das gewerbliche Leben«. Von den 900 Arbeitern waren etwa 400 im Luftschiff- und Motorenbau beschäftigt, 200 bei den seit 1849 bestehenden Eisenbahnwerkstätten und Schiffswerften sowie etwa 100 in der 1859 gegründeten Lederfabrik Hüni.22 Von 1910 bis 1925 erhöhte sich die Zahl der gewerblichen Arbeitnehmer um ein Dreifaches auf 3.058, wobei den größten Anteil die 2.600 Arbeiter der Metallbetriebe stellten. 800 Einpendler aus den umliegenden Landgemeinden deckten zusätzlich den wachsenden Arbeitskräftebedarf der Industrie. Ihnen standen ca. 1.700 Angestellte und Beamte sowie 700 Selbständige gegenüber23. Die Einwohnerzahl stieg im gleichen Zeitraum von 7.000 auf 11.000. Der Übergang zur Großindustrie setzte erst mit den Rüstungsaufträgen im Ersten Weltkrieg ein.24

20

21

22 23 24

Hof- und Staatshandbuch des Königreichs Württemberg 1912, S. 591; Stand der Einwohnerzahl vom 1.12.1910. Eine Darstellung zur Geschichte des Kreises Tettnang findet sich in: Bernd Wiedmann (Hrsg.), Der Bodenseekreis, Stuttgart/Aalen 1980, S. 107ff. Beschreibung des Oberamts Tettnang, hrsg. v. K. Statistischen Landesamt, Stuttgart 1915, S. 766f. Maier, Heimatbuch Π, S. 211. Deutlich wird dies an der Zahl der gebauten Zeppelin-Luftschiffe: Während von 1900 bis 1913 nur 21 Luftschiffe produziert wurden, erhöhte sich deren Zahl in den Kriegsjahren 1914 bis 1918 auf 92. 1918 arbeiteten Uber 10.000 Menschen in den Friedrichshafener Metallbetrieben für die Aufträge des Heeres und der Marine, vgl. Wolfgang Glaeser, Metaller am See. Zur Geschichte der Gewerkschaften in Oberschwaben bis 1933, hrsg. v. d. IG Metall, Verwaltungsstelle Friedrichshafen, Freiburg 1993, S.55.

28 Tabelle 1:

I. Vom Krieg zum Frieden

Erwerbsstruktur in Friedrichshafen 1895-1970 (in Prozent) 25

Bevölkerung insges. Erwerbstätige davon Unselbständige Landwirtschaft Gewerbe Metallindustrie Handel und Verkehr

1895

1907

3.670

5.455

39

40 83

50 87

48 87

57 93

45 88

49 92

46 93

8 48

6 54 36 25

4 54 36 25

5 65 57 16

7 48

3 62 40 16

2 65

-

8 45 -

34

-

33

1925

1933

1939

1950

1961

1970

11.289 13.306 24.794 20.501 37.148 43.140

-

22

-

13

Der Gewerkschafter Rudolf Denz hielt in seinem !1946 verfaßten »Situationsberieht« über die Stadt Friedrichshafen fest: »Friedrichshafen blieb [nach dem Ersten Weltkrieg] Industriestadt. Wenn manche Leute aus anderen Industriegegenden diesen Eindruck nicht hatten, so war das landschaftlich bedingt. Die Berufsstatistik sowie der Berufsverkehr bestätigen unsere Feststellungen.« 26 Damit hatte er völlig recht, und die Aussage läßt sich ebenso auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg übertragen. Mehrheitlich fand die Stadtbevölkerung auch nach dem Krieg und vor allem ab den fünfziger Jahren ihren Broterwerb in den vier Großbetrieben. Tabelle 2:

Erwerbstätige in Friedrichshafen nach Stellung im Beruf, 1933-197027

Erwerbspersonen insges. davon: Selbständige Mithelf. Familienangehörige Beamte und Angestellte davon Angestellte Arbeiter

1933

10/1946

9/1950

6/1961

1970

6.783

7.668

9.211

18.023

19.844

11,8 4,4 25,5 16,6 46,1

14,3 6,1 22,1 17,2 40,2

12,0 6,8 26,0

8,1 3,7 32,6

6,6 2,4 43,4 36,4 47,0

-

55,3

-

50,0

Im gesamten Oberamt Tettnang waren 1933 von 10.542 Gewerbebeschäftigten 72 Prozent in Industrie und Handwerk tätig, etwa die Hälfte davon (3.540) im Maschinen-, Apparate- und Fahrzeugbau, was wiederum 19 Prozent der Wohnbevölkerung ausmachte. Des weiteren fanden 11 Prozent im Handel und 16 im Verkehr und Gaststättengewerbe eine Tätigkeit. 28 Die Zahl der Arbeiter im Kreis Tettnang erhöhte sich im Bereich »Industrie- und Handwerksbetriebe« von 1933 bis 1937 um 220 Prozent. 23

26 27

28

Nach Gerhard Raichle u.a., Die »ausgesperrte« Geschichte: Beiträge zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Nationalsozialismus in Friedrichshafen (Geschichte am See 26), Markdorf 1985, S. 352f. AdO, c. 1181, p. 13, Bericht [10/1946]. Die Statistik basiert auf Angaben in: Württembergische Jahrbücher 36/2, S. 111; Statistik von Baden-Württemberg, Bd. 90, Teil 1, S. 209 sowie Bd. 161, H. 2, S. 295. Die »Württembergischen Jahrbücher« sind von 1818 bis 1939 in 98 Einzel- und 12 Doppeljahrgängen unter verschiedenen Titeln erschienen. Ab 1951 fand die Reihe ihre Fortführung. Württembergische Jahrbücher für Statistik und Landeskunde, Jg. 1936/37, Stuttgart 1938, S. 283, u. 294f.

29

Der Kreis vor 1945

In diesem Jahr waren in 153 Betrieben (+ 76% gegenüber 1933) 12.476 Arbeiter (+ 224%) und 516 Arbeiterinnen (+ 153%) beschäftigt. 29 Die Industrieansiedlungen am Bodensee mit ihrem zunehmenden Arbeitskräftebedarf ließen die Einwohnerzahlen vor allem der Stadt Friedrichshafen in die Höhe schnellen. Im Juni 1945 teilte der seit zwei Tagen kommissarisch eingesetzte Bürgermeister von Friedrichshafen Dr. August Bertsch dem USSBS War Departement in den USA mit, daß die Bevölkerungsstatistiken der Stadt bei Luftangriffen im April 1944 vernichtet worden seien. Danach seien bis zum Kriegsende keine weiteren Erhebungen erfolgt. Vor allem über die Zahl der Ausländer lägen keinerlei Unterlagen vor. Angaben zur demographischen Entwicklung, zumindest für die Stadt, sind gleichwohl möglich, da Bertsch aufgrund der Volkszählung vom 17. Mai 1939 in Zusammenarbeit mit dem städtischen Meldeamt eine Statistik erstellte und diese durch Schätzungen ergänzte. Problematisch blieb dabei laut Bertsch allerdings die Aufteilung in Geschlechter, Altersstufen und Nationalitäten. 30 Tabelle 3:

Die Einwohnerzahlen von Friedrichshafen 1900 bis 1945 31 Jahr 1900 1910 1914 1925 1930 1932 1933 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941

Einwohner 4.627 7.041 11.289 11.718 12.000 13.241 13.306 15.700 16.000 23.000 23.500 25.041 26.018 27.491

Jahr 1942 1943 Jan. 1944 Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov./Dez. 1945

Einwohner 26.650 27.168 27.011 26.854 25.667 24.954 8.850 8.300 8.500 7.300 7.650 7.402 7.871 14.303

Von 1933 bis 1940 verdoppelte sich die Zahl der Einwohner. Hierbei ist aber die Eingemeindung von 1937 zu berücksichtigen, die eine Zunahme um zirka 5.000 Einwohner brachte. Damit hatte Friedrichshafen viermal so viele Einwohner wie die ehe-

29

30 31

Ebd., S. 306. Da für den Kreis Tettnang für dieses Jahr keine Einwohnerzahlen vorliegen, wird auf prozentuale Angaben verzichtet. 1935 hatte der Kreis Tettnang 39.107 Einwohner, nach Staatshandbuch für Württemberg, 1936. StadtA FN, Schreiben vom 30.6.1945. Die Tabelle wurde zusammengestellt aus: Württembergische Jahrbücher, Jg. 1936/37, Stuttgart 1938, S. 210; StadtA FN, Bevölkerungsstatistik in einem Schreiben des Bürgermeisters an den Kreisgouverneur vom 4.6.1946; die differenzierten Zahlen von 1944 sind dem »Seeblatt« vom 6.10.1945 entnommen. Insgesamt weichen die Zahlenangaben aus verschiedenen Quellen - je nachdem, in welchem Monat sie erhoben wurden - leicht voneinander ab, so z.B. in StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 515.

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I. Vom Krieg zum Frieden

malige Kreisstadt Tettnang 32 , und etwa die Hälfte der gesamten Kreisbevölkerung lebte am Vorabend des Zweiten Weltkrieges auf städtischer Gemarkung. 33 Der Höchststand der Friedrichshafener Einwohnerzahl ist zwischen 1941 und 1943 zu verzeichnen. 34 Der niedrigste Stand mit 7.300 Einwohnern im August 1944 entspricht nahezu der Größenordnung aus dem Jahr 1910. Ursachen hierfür liegen in der Bombardierung der Stadt und in umfangreichen Evakuierungsmaßnahmen. Der Anteil der Frauen ab sechzehn Jahren an der Gesamtbevölkerung stieg von 1939 bis September 1945 von 36 auf 40 Prozent, der der Kinder unter sechzehn Jahren von 16 auf 28 Prozent. 35 Die Zahl der Haushaltungen stieg von 3.250 im Jahr 1933 auf 5.781 im Jahr 1943 und sank im Jahr darauf auf den Niedrigststand von 1.675.36 Hinsichtlich dieser Entwicklung stellte das Innenministerium im Jahr 1948 rückblickend fest, »daß die Stadt seit 1933 (damals hatte sie im jetzigen Umfang 13.000 Einwohner mit sehr wenig Arbeitslosen trotz schlechter Beschäftigung der Industrie) einen ganz außergewöhnlichen Aufschwung gehabt hat. In die Stadt wurden mehr und mehr Arbeitskräfte hineingepreßt von allen Teilen Deutschlands, meist ohne Familie. (Friedrichshafen hatte den größten Männerüberschuß von Württemberg und, mit Ausnahme der Marine- und Werftstätten, auch von Deutschland.) Im Krieg kamen noch ausländische Arbeitskräfte hin37

ZU.«

Die Kreis- und Stadtbevölkerung gehört bis heute mehrheitlich der katholischen Konfession an. 38 Lag der Anteil Mitte des 19. Jahrhunderts noch bei 94 Prozent gegenüber sechs Prozent Protestanten, so sank er bis 1910 leicht um vier Prozent und bis 1933 bei einer Einwohnerzahl von 35.748 um weitere fünf auf 85 Prozent gegenüber 14 Prozent Protestanten. 39 In Friedrichshafen gab es Mitte der zwanziger Jahre 72 Prozent Katholiken und 27 Prozent Protestanten. 40 Das vorherrschende katholische Milieu war in der Stadt mit einer ausgeprägten Vereinskultur verbunden, die unumstritten dominierende Zentrumspartei vertrat bis 1933 die Interessen der Stadt- und Landbevölkerung, und die Gewerkschaften beklagten bis in die fünfziger Jahre hinein eine 32

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Dieses Zahlenverhältnis, welches sich seit der Ansiedlung der Industriebetriebe in Friedrichshafen zu entwickeln begann, blieb auch in der Folgezeit in etwa festgeschrieben. Im Jahre 1871 lag die Einwohnerzahl von Friedrichshafen mit 6.689 nur leicht über der von Tettnang (5.288), nach: Das Land Baden-Württemberg, S. 539. StadtA FN, Notizen für den Besuch der Staatsregierung. Hier ist es mit Rücksicht auf die widersprüchlichen Quellen nicht möglich, konkretere Aussagen zu machen. Das »Seeblatt« vom 6.10.1945 datiert den Höhepunkt auf 1942 mit 27.849 Einwohnern. Friedrichshafen hatte im September 1939 25.147 Einwohner, davon 9.125 Frauen und 4.132 Kinder; im September 1945 hatte die Stadt 13.105 Einwohner, davon 5.276 Frauen und 3.705 Kinder, nach: Das Land Baden Württemberg, S. 539. Zahl der Haushaltungen 1925 (2250), 1930 (3100), 1933 (3250), 1936 (3800), 1938 (5400), 1939 (5700), 1940 (5817), 1941 (5852), 1942 (5671), 1943 (5718), 1944 (1675), 1945 (3044), StadtA FN. StA Sig, WÜ 42, Bd. 22, BU. 1087, Abt. V Gruppe Landesplanung (welche ab 1952 zum Regierungspräsidium Tübingen gehörte), Schreiben vom 9.9.1948. Die eingeklammerten Passagen entsprechen dem Originaltext. Zur lokalen katholischen Kirche im Nationalsozialismus siehe die Beiträge von: Elmar L. Kuhn, Ecclesia triumphans-militans-patiens. Die katholische Kirche in Friedrichshafen 1900-1945, in: Siegfried Tann/Bernd Wiedmann (Hrsg.), Kirchen in Friedrichshafen. Geschichte und Kunst, Friedrichshafen 1989, S. 97-116; ders., Kreuz und Hakenkreuz. Die katholische Kirche in Friedrichshafen 1933-1945, in: Leben am See U (1994), S. 191-203. Kuhn, Kreuz und Hakenkreuz, S. 357. Amtliches Einwohnerbuch der Stadt Friedrichshafen a.B. und des gesamten Kreises Tettnang 1927/ 28, Friedrichshafen 1927, Einleitung.

Der Kreis vor 1945

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traditionelle Organisationsfeindlichkeit der einheimischen Arbeiterschaft, die nur einmal, in der revolutionären Phase 1918/19, durchbrochen worden sei. 41 Als Grund wäre hier anzuführen, daß viele Arbeiter aus der Provinz nach Friedrichshafen einpendelten, somit eher als »Arbeiterbauern« zu bezeichnen sind und sich durch eine tiefe Verwurzelung in ihrer ländlichen Herkunft auszeichnen. Ein reger Siedlungsbau des Luftschiffbaus Zeppelin ab 1934 mit Einfamilienhäusern, Vorgärten und entsprechender Infrastruktur bot darüber hinaus der städtischen und von auswärts angeworbenen Arbeiterschaft die Möglichkeit einer auskömmlichen Existenz. In beidem mag mit ein Grund liegen, daß Friedrichshafen trotz seines hohen Arbeiteranteils nie den Charakter einer typischen Industriestadt hatte. Politische Initiativen innerhalb der lokalen Arbeiterbewegung gingen hauptsächlich von zugereisten Arbeitern aus. Entscheidend blieb aber das ausgeprägte katholische Milieu, das sich in der als württembergische »Zentrumshochburg« bekannten Region auch deutlich in den letzten Reichstagswahlen niederschlug. 42 Am 5. März 1933 erhielt die NSDAP in Friedrichshafen »nur« 31,7 Prozent der Stimmen, im Oberamt sechs Prozent mehr, womit beide Wahlergebnisse deutlich unter dem Reichsschnitt lagen. Stärkste Kraft blieb in Friedrichshafen das Zentrum (38 Prozent), es konnte sogar gegenüber der Wahl vom November 1932 noch einige Stimmen hinzugewinnen, wogegen im Oberamt das Zentrum seine absolute Mehrheit verlor (1932: 55 Prozent; 1933: 46 Prozent). In einem traditionell »roten« Friedrichshafener Wahlbezirk mit der Arbeitersiedlung »Zeppelindorf« verlor die KPD zwar gegenüber 1932 16 Prozent, ging aber dennoch als stärkste Partei hervor, gefolgt von der NSDAP, der SPD und dem Zentrum 43 Die Kreisstadt Tettnang wählte das Zentrum mit auffallenden 56 Prozent, die NSDAP ging mit 33 Prozent etwas stärker als in Friedrichshafen aus der Wahl hervor. KPD und SPD konnten nur je drei Prozent der Stimmen erlangen. 44 Bis zum 21. Juni 1943 lebte die Bevölkerung in einem Strudel aus wirtschaftlicher Expansion, fieberhafter Bautätigkeit und einer rapiden Zunahme der Einwohnerzahlen durch Garnisonsoldaten, angeworbene Arbeitskräfte, Zwangsarbeiter und KZHäftlinge, Kriegsgefangene (s. unten) und Flaksoldaten. Dann trat das ein, was die Menschen bislang verdrängt hatten, denn »niemand dachte so recht an einen richtigen Angriff.« 45 In einem Nachtangriff der Royal Air Force fielen die ersten Bomben in der Region, welche den Werken von Luftschiffbau Zeppelin galten und auch verschiedene Arbeitersiedlungen trafen. Dieses Bombardement nimmt heute noch eine bedeutende Rolle in der britischen Luftkriegsliteratur ein, weil es einer der ersten Präzisionsflüge

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In den nachfolgenden Kapiteln werden diese hier nur kurz skizzierten Bereiche noch ausführlicher behandelt. Nach den Zusammenhängen von Konfession und Politik in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus fragt Cornelia Rauh-KUhne in einer Studie Uber die Stadt Ettlingen mit ihrem ausgeprägten katholischen Milieu: dies., Katholisches Milieu und Kleinstadtgesellschaft. Ettlingen 1918-1939, Sigmaringen 1991. Wahlbezirk »Dorfkrug«: Zahl der Stimmen 1933/1932: KPD 193/238; NSDAP 179/100; SPD 154/ 96; Zentrum 107/82. Über die sog. »Machtergreifung« in Friedrichshafen liegen inzwischen mehrere Darstellungen vor, wogegen sich die Beschreibung der Ereignisse im Oberamt auf statistische Zahlenangaben beschränken. Zu Friedrichshafen liegen folgende Untersuchungen vor: Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich; Maier, Heimatbuch Π, S. 232ff.; Friedrichshafen in Diktatur, Krieg und Besatzungszeit 1933-1950, hrsg. v. d. Stadt Friedrichshafen, Friedrichshafen 1994. Burmeister, Geschichte der Stadt Tettnang, S. 264. StadtA FN, Chronik der Pfarrgemeinde St. Nikolaus in Friedrichshafen von Pfarrer Robert Mayer, 1952.

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I. Vom Krieg zum Frieden

gegen ein exakt bestimmtes industrielles Ziel war und dabei neu entwickelte Angriffstechniken erprobt wurden. Die Industrieanlagen der Luftschiffbau Zeppelin GmbH waren dem britischen Geheimdienst als die größte deutsche Produktionsstätte für mechanische Teile der sogenannten »Würzburg-Radargeräte« bekannt. Im Einsatzbefehl für den Angriff am 21. Juni hieß es einleitend: »Eine Ausschaltung des Friedrichshafener Werkes verspricht daher den größtmöglichen Schlag gegen das deutsche RadarProgramm«. 46 Die von Hitler geplante Serienfertigung der sogenannten »Vergeltungswaffe« V2 ab Juni 1943 konnte nach diesem Angriff nicht mehr begonnen werden. Von diesem »Nebenerfolg« ahnten die Briten nichts. Es gab erstmals Tote (44), Verwundete (155) und obdachlose Familien (260). 47 Die Altstadt blieb unberührt. Ähnlich verlief der zweite von insgesamt elf Angriffen in der Nacht vom 7. auf 8. Oktober 1943 mit 18 Toten, 52 Verwundeten und 325 Obdachlosen. Obwohl der Krieg Einzug in Friedrichshafen gehalten hatte, seien die Altstadtbewohner optimistisch geblieben, wie der damalige Vikar Robert Mayer zu beobachten glaubte: »Im allgemeinen aber empfand die Bevölkerung es als sehr beruhigend, daß es sich gezeigt hatte, daß tatsächlich die Angriffe dem Industriegelände galten, und daß man gut zielen konnte.« 48 Mit der Eskalation des Weltkrieges und dem festen Willen der Alliierten, dem Unrechtsregime ein Ende zu setzen, wuchs aber auch die Not im Kreisgebiet und der Kernstadt von Friedrichshafen. Stadtpfarrer Mayer bezeichnete in seiner »Chronik der Pfarrgemeinde St. Nikolaus«, die er rückblickend im Jahr 1952 niederschrieb, vor allem das Jahr 1944 als »Schicksalsjahr der Stadt«. Bei den ersten amerikanischen Tagangriffen vom 16. und am 18. März gab es über 90 Tote und 135 Verwundete. Ziel war diesmal die Flugzeugfertigung von Dornier. Zwar blieb die Altstadt wieder verschont, aber die städtischen Randgebiete wurden stark in Mitleidenschaft gezogen. Vikar Mayer, dessen Pfarrgemeinde St. Nikolaus in der Altstadt lag, sorgte sich hauptsächlich um seine Gemeindemitglieder: »Selbst noch am Nachmittag des 24. April 1944, als vor dem Hafenbahnhof eine Luftmine niederging und in der Karlstraße verschiedene Brandbomben, konnte man danken, daß der Stadtkern verschont blieb.« 49 Was dann folgte, verhalf Friedrichshafen zu der traurigen Berühmtheit, in der Reihe von total zerstörten Städten wie Stuttgart, Pforzheim und Dresden genannt zu werden. Pfarrer Mayer erinnerte sich in seiner Chronik folgendermaßen: »Da kam die Nacht vom 27. auf den 28. April. Gegen 2 Uhr schreckten die heulenden Sirenen die Bewohner aus dem Schlaf, und etwa eine Stunde später gab es kein altes, gemütliches Friedrichshafen mehr. Die ganze Stadt stand in Flammen.«

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Vgl. hierzu den Aufsatz von Raimund Hug-Biegelmann: Friedrichshafen und die Wunderwaffe V2. Das ehemalige Wehrmachtsgelände bei Raderach und die Luftschiffbau Zeppelin GmbH, in: Leben am See 11 (1994), S. 302-316. Zu den Anfängen in Friedrichshafen schreibt Hug-Biegelmann: »Ab dem Spätsommer 1941 wurde von der Heeresversuchsanstalt Peenemünde [...] bei der Firma Luftschiffbau Zeppelin GmbH Friedrichshafen (LZ) die Produktion von Triebwerksbehältern, Hecks, Mittelteilen und die Serienmontage ganzer Geräte des Aggregates 4, der späteren V2-Rakete, vorbereitet [...]. Ab 1942 wurde vom Heer im Wald zwischen Efritzweiler und Raderach das für die Endabnahme der bei LZ gebauten Teile und Raketen notwendige Prüffeld einschließlich einer Anlage zur Erzeugung flüssigen Sauerstoffes, das Hauptantriebsmittel der Fernrakete, gebaut.« Das Montagewerk nahm nach Peenemünde den zweiten Rang ein, vgl. S. 314. Vgl. hierzu auch Heinz Dieter Hölsken, Die V-Waffen. Entstehung - Propaganda - Kriegseinsatz, Stuttgart 1984.

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Zahlen nach der Sonderbeilage der SZ vom 28.4.1984. Die Zahlenangaben variieren in den verschiedenen Quellen; im folgenden werden diejenigen des StadtA FN und der SZ herangezogen. StadtA FN, Chronik der Pfarrgemeinde St. Nikolaus, ebd. die weiteren Zitate. Tagangriff vom 24.4.1944 mit 30 Toten und 50 Verwundeten.

48 49

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Ob die Stadt bis zu diesem Zeitpunkt als »gemütlich« bezeichnet werden konnte, bleibe dahingestellt. Betroffen war nun erstmals das gesamte Stadtgebiet und zum sechsten Mal die Industriegebiete mit den angrenzenden Arbeitersiedlungen. 50 Der Angriff galt neben Dornier hauptsächlich der Zahnradfabrik, wie aus den Einsatzunterlagen der Alliierten zu ersehen ist. Bereits 1943 hatten sie Flugblätter Uber Deutschland abgeworfen und auf die Bedeutung der Zahnradfabrik in der Rüstungsproduktion hingewiesen. 51 Diesmal hatte die Stadt 136 Tote, 375 Verwundete und 17.000 Obdachlose zu verzeichnen 52 , die Einwohnerzahl sank um zwei Drittel von 24.954 auf 8.850. 53 Worüber sich heute noch Zeitzeugen entrüsten, ist der Umstand, daß die Organisation Todt allabendlich ihre Benzintankwagen auf dem Kirchplatz abgestellt hatte und diese nach ihrer Explosion erhebliche Brandschäden anrichteten. Zahlreiche Löschzüge der Feuerwehr warteten auf den vorgeschriebenen Einsatzbefehl, der wegen des Zusammenbruchs des Nachrichtensystems jedoch nicht erfolgen konnte. So mußten die Einwohner mehr oder weniger tatenlos zusehen, wie die Altstadt niederbrannte. 54 Der größte Teil der Bevölkerung, »vor allem die Kinder«, wurde evakuiert. »Es war eine Stadt in ständiger Angst, ohne Kinder, ohne Freude, in Rauch und Trümmern.« 55 Bei einem Tagangriff am 18. Juli 1944 wurden die Werkanlagen von Dornier in Manzell zerstört. 56 »Und am 20. Juli folgte«, laut der Chronik von Stadtpfarrer Mayer, »der schwerste von allen Angriffen auf die Stadt, morgens um 11 Uhr.«57 Es waren 255 Tote und 109 Verwundete zu beklagen 58 . Besonders traumatisierend wirkte auf die Bevölkerung der Umstand, daß es allein in einem Luftschutzkeller des Autohauses Müller in der Innenstadt 93 Tote gab. Der grauenerregende Anblick, noch heute bei den Zeitzeugen unvergessen, offenbarte die Schutzlosigkeit der Bevölkerung. Dieses Ereignis zerstörte ihre Hoffnungen auf eine doch noch überraschende Wende des Krieges zugunsten des Deutschen Reiches. Die in die Stadt zurückströmenden Bewohner wurden von Kreisleiter Seibold empfangen, der durch die Trümmer fuhr und ihnen über einen Lautsprecher mitteilte, daß der »Führer« lebe und von der »Vorsehung« gerettet worden sei. Erst Tage später drang die Nachricht durch, daß am selben Tag, an dem der Angriff stattfand, ein Attentat auf Hitler mißglückt war. Bis zum

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Über die Frage, ob die Zerstörung der Altstadt eine gezielte Taktik von Luftmarschall Harris zur ZermUrbung der deutschen Bevölkerung war (»reine Absicht, zunächst die Zivilbevölkerung auszuschalten«, wie v.a. Zeitzeugen behaupten, hier z.B. in einem Leserbrief der SZ vom 7.11.1995) oder ob die Bombardierung der Industrie galt, wird auf lokaler Ebene - emotional und ideologisch aufgeladen - konträr diskutiert. Involviert ist hier auch die Frage, auf welchen Angriff der »Untergang« der Stadt zu datieren sei. Vor allem diejenigen Zeitgenossen, die an der Verteidigung der Stadt beteiligt waren, bestehen auf den 28.4.1944. Nicht nur der Historiker Hug-Biegelmann (der deshalb der »Geschichtslilge« bezichtigt wurde), sondern auch Stadtpfarrer Robert Mayer (siehe unten) betonen dagegen die verheerenden Auswirkungen der Angriffe vom 20.7.1944. Geschichtswissenschaftler und Zeitzeugen stehen sich unversöhnlich gegenüber. Siehe dazu den Aufsatz von Hug-Biegelmann, Über die Wahrheit in der Lokalgeschichte, S. 269ff.

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SZ vom 2.5.1994. Ebd. und »Südkurier« vom 28.4.1994. Nach einer Bevölkerungsstatistik des »Seeblatt« vom 6.10.1945. SZ vom 2.5.1994. In den meisten der von der Verfasserin durchgeführten Zeitzeugeninterviews fand dieses Ereignis Erwähnung. StadtA FN, Chronik der Pfarrgemeinde St. Nikolaus. Dabei gab es einen Toten und 27 Verwundete. StadtA FN, Chronik der PfatTgemeinde St. Nikolaus. Laut amerikanischer Nachkriegsuntersuchung 209 Tote, davon 90 Kriegsgefangene und 9 weitere Ausländer, nach SZ vom 20.7.1994.

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I. Vom Krieg zum Frieden

Kriegsende in Friedrichshafen am 29. April 1945 gab es noch drei weitere Luftangriffe.59 Die Amerikaner vermuteten schon länger ein Werk zur Produktion von synthetischem Treibstoff in der Teilgemeinde Raderach, über die dortige Entwicklung der V2Raketen, die vor allem gegen England eingesetzt werden sollten, war ihnen jedoch nichts bekannt. Die Einsatzbefehle für die Angriffe vom 3. und 16. August 1944 lauteten fast übereinstimmend: »Seit der Beschädigung der Heeresversuchsanstalt in Peenemünde und der Zerstörung von Höllriegelskreuth produziert Raderach nun den Hauptteil dieses hochwertigen Treibstoffes. Oberraderach ist jetzt das wichtigste Ziel in Europa.«60 Der letzte (amerikanische) Angriff vor Kriegsende am 25. Februar 1945 galt der Firma Maybach-Motorenbau, die im Gegensatz zu den anderen Rüstungsfirmen bis zum Ende des Krieges Panzerteile in Friedrichshafen produzierte. Wegen der schlechten Sichtverhältnisse wurden aber vor allem die Gemeinden Ittenhausen und Bunkhofen getroffen. Zwei Monate später, am 29. April 1945, marschierten französische und marokkanische Soldaten in Friedrichshafen ein. Laut einer Statistik des Standesamtes hatte Friedrichshafen infolge des Krieges insgesamt 625 Tote zu beklagen.61 In dieser Berechnung wurden Ausländer aber nur teilweise erfaßt. Nach neueren Untersuchungen ist von über 1000 Toten und 1092 Verletzten auszugehen. 63 Prozent aller Gebäude und zirka 90 Prozent der Industrieanlagen wurden teilweise oder vollständig zerstört.62 Die Kriegszerstörungen an öffentlichen Einrichtungen (Schulen, Rathäuser etc.) der Kreise und Gemeinden waren in Württemberg-Hohenzollern zwar nicht so umfangreich wie in Nordwürttemberg, aus diesem Muster fielen aber die Städte Freudenstadt und Friedrichshafen her-

1.3. Die Friedrichshafener Industrie im Nationalsozialismus Der Industriestandort Friedrichshafen ist in seiner Bedeutung für den Zweiten Weltkrieg kaum zu überschätzen. Die Zahnradfabrik produzierte seit 1933 Getriebe für die Fahrzeuge der Reichswehr, der Maybach-Motorenbau hatte das Monopol für Panzermotoren, der Luftschiffbau Zeppelin war der größte Hersteller der sogenannten Würzburg-Radargeräte und, neben den Werken in Peenemünde, maßgeblich an der V2Produktion beteiligt. Die Dornier-Werke gehörten bereits vor dem Krieg zu den größten deutschen Flugzeugherstellern. Der Reichsminister für Bewaffnung und Munition, Albert Speer, hatte Hitler am 20. September 1942 darauf aufmerksam gemacht, »daß wir durch einen Ausfall der Panzerzulieferung aus Friedrichshafen in größte Schwierigkeiten geraten würden.« Auf einen »Führerbefehl« wurden daraufhin die Flakstel59 60 61 62

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Angriffe am 3.8. und 16.8.1944 sowie 25.2.1945, insgesamt 73 Tote und 175 Verwundete. Hug-Biegelmann, Luftkrieg (Manuskript). StadtA FN, Statistiken des Standesamtes. StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1446, Schreiben des Bürgermeisters vom 16.5.1949, Ausmaß der Kriegszerstörungen in Friedrichshafen: » 1.) Von insgesamt 163 öffentl. Gebäuden wurden 57 total zerstört und 45 zu mehr als 30% beschädigt. 2.) Von insgesamt 744 landwirtschaftl. Gebäuden, Läden, Schuppen und Garagen wurden 380 total zerstört und 218 zu mehr als 30% beschädigt. 3.) Von insgesamt 294 Industriebauten wurden 194 total zerstört und 72% zu mehr als 30% beschädigt. 4.) Von insgesamt 2.300 Wohngebäuden wurden 743 total zerstört, 429 mehr als 50% beschädigt und 417 zwischen 30 und 50% beschädigt.« Ebd., BU. 456/22; die prozentual am stärksten zerstörte Gemeinde war Deckenpfronn im Kreis Calw.

Der Kreis vor 1945

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lungen ausgebaut, und nach der NS-Propaganda galt Friedrichshafen als eine der am besten verteidigten Städte.64 Britische Behörden legten im April 1944 dem Unterhaus eine Liste mit 140 deutschen Städten vor, von denen fünfzig bevorzugt bombardiert werden sollten. Friedrichshafen stand dabei an zehnter Stelle.65 Zunehmende Bedeutung erlangte die Friedrichshafener Industrie in ihrer ersten großen Expansionsphase im Ersten Weltkrieg: Arbeiteten zu Beginn des Krieges etwa 800 Menschen in den Betrieben des Luftschiffbau-Konzerns, so waren es 1918 über 11.000. In der Zeit der Weimarer Republik sanken die Beschäftigtenzahlen - bedingt durch die Friedensproduktion im Zuge der Bestimmungen des Versailler Vertrages auf ca. 2.500. Bis zum Jahre 1933 hatten die Unternehmen des Luftschiffbaus Zeppelin und die Dornier-Werke relativ gleichbleibende Stammbelegschaften, die zum Ausgleich von Spitzen in der Beschäftigung durch Wanderarbeitskräfte unterstützt wurden.66 Eine neuerliche Expansion der Friedrichshafener Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg wird am deutlichsten anhand der Belegschaftszahlen:67 Tabelle 4:

Zahl der Beschäftigten in den vier größten Industriebetrieben 1932 Dornier-Werke Luftschiffbau Zeppelin Maybach-Motorenbau Zahnradfabrik Friedrichshafen

55768 600 600 459 70

1944 9.000 69 4.000 5.800 4.500

8/1946 50 417 912 830

Am Ende des Zweiten Weltkrieges war die Gesamtbelegschaft auf über 20.000 gestiegen und hatte sich damit gegenüber 1932 verzehnfacht.71 In die Entwicklung der Rüstungsindustrie war die gesamte Bevölkerung des Bodenseeraums und Oberschwabens involviert. Ab 1939 deckte man den Arbeitskräftebedarf zusätzlich durch Dienstverpflichtungen von Beschäftigten aus nicht kriegswichtigen Betrieben. Zunehmend wurden auch Frauen in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Sie konnten zu einem halbjährigen »Kriegshilfsdienst« herangezogen und zu Arbeitseinsätzen in der Industrie oder Landwirtschaft verpflichtet werden. So mußte z.B. Bürgermeister Walter 64

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Hug-Biegelmann, Friedrichshafen und die Wunderwaffe V2, S. 302ff. U.a. wird hier auf die Rolle von Wernher von Braun und Albert Speer eingegangen und gefragt, inwieweit heute noch die NSPropaganda bezüglich der »Wunderwaffe« nachwirkt. Hug-Biegelmann, Luftkrieg (Manuskript). StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 515, »Wirtschaftsbetrachtungen der Stadt Friedrichshafen a. B. nach dem Stand Jahresanfang 1947 unter besonderer Berücksichtigung der Industriebedeutung« vom 1.2.1947 an die Landesdirektion des Innern. Ebd. sowie für August 1946: ebd., WÜ 120, Bd. 1, BU. 239. Zahl der Beschäftigten im gesamten Friedrichshafener Industriesektor im August 1946: 2.477. Beschäftigtenzahl von 1931. Da in allen Friedrichshafener Firmen ein Anwachsen der Belegschaften erst 1933 eintrat, wird die Zahl für 1931 der von 1932 ähnlich sein. 1933 arbeiteten bei Dornier 1.764 Beschäftigte, nach Glaeser, Metaller am See, S. 88, Beschäftigungsentwicklung der ZF 19161934 und S. 89, Belegschaftsentwicklung bei Dornier 1923-1933. Beschäftigte im Gesamtkonzern 1942: 24.000 Personen; vgl. Sonderbeilage der SZ vom 27.4.1994. Glaeser, Metaller am See, S. 89. Ebd. 1938 verdrängte die Stadt Friedrichshafen nach Steueraufkommen die Stadt Reutlingen von ihrem angestammten zweiten Platz nach Stuttgart. Reutlingen nahm nun Platz vier nach Esslingen ein, vgl. Schnabel, Württemberg, S. 252.

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I. Vom Krieg zum Frieden

Bärlin im November 1940 »Unterkunftsmöglichkeiten für etwa 1.000 Frauen, die in der Rüstungsindustrie verpflichtet werden«, bereitstellen. Für Frauen mit Kindern richtete die evangelische Kirche schon im Oktober und Dezember 1939 Kindergärten unter der Leitung der NSV und NS-Frauenschaft ein. 72 Aus dem gesamten Kreis und ländlichen Großraum kamen Pendler zur Arbeit nach Friedrichshafen - 1940 täglich etwa 6.000, und reichsweit warb man vor allem Ingenieure und Fachkräfte an. Zur gleichen Zeit hielten sich zusätzlich noch etwa 2.000 Wehrmachtsangehörige in der Stadt auf. 73 Industrie und Stadtverwaltung standen während des gesamten Krieges vor dem Problem, Wohnraum für die zugezogenen Arbeitskräfte und Barackenlager für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene schaffen zu müssen. Noch vor Kriegsbeginn entfaltete sich eine rege Bautätigkeit. Ab 1934 entstand eine Domier-Siedlung in Manzell 74 , ab 1936 die Löwentalsiedlung bei der Trautenmühle 75 sowie ab 1937 die SchmitthennerSiedlung. Insgesamt entstanden allein im Stadtgebiet acht Siedlungen mit 698 Wohnungen. 76 Zahlreiche kleinere Arbeitersiedlungen wurden in den Gemeinden Eriskirch, Meckenbeuren, Ailingen und Kluftem erbaut. 77 Die ortsfremden Ingenieure und Fachkräfte fanden häufig als Untermieter Privatquartiere in den bevorzugten Wohnvierteln der Weststadt mit ihren Villen und großzügig gebauten Bürgerhäusern. 78 Weil im Winter 1941/42 hohe Verluste an der Ostfront zu beklagen waren, zog das Regime nun verstärkt auch Arbeiter aus der Rüstungsindustrie zum Kriegsdienst ein, worauf der Einsatz von Fremdarbeitern 79 deutlich anstieg. Die Folge war eine fieberhafte Bautätigkeit, um die Tausenden von Verschleppten und Gefangenen unterbringen zu können. Ab April 1942 setzte die Errichtung von Barackendörfem für Zwangsarbeiter und von KZ-Lagern ein. Ausländische Arbeitskräfte kamen - soweit logistisch möglich - in überwachte Lager, um Kontakte zwischen ihnen und der Bevölkerung zu verhindern. In rascher Folge entstanden zahlreiche Lager: 80

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Maier, Heimatbuch II, S. 310. StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, BU. 156, Schreiben des Bürgermeisters vom 7.11.1940. Zu dieser Siedlung s.a. den ausführlichen, allerdings propagandistischen Bericht des »Verbo Seeblatt« vom 11.4.1937: »Die Dornier-Siedlung in Manzell: Musterleistung des größten Industrieunternehmens am ganzen Bodensee«. Zu diesem Thema liegt eine Festschrift vor: Stadt Friedrichshafen, 50 Jahre Siedlung Löwental, hrsg. v. Organisationskomitee der 50-Jahre-Feier der Siedlung Löwental, Friedrichshafen 1986. AdO, c. 1181, p. 13 vom 22.8.1946. StadtA FN; Sonderbeilage der SZ vom 27.4.1994. Nach einer Auswertung der relevanten Einwohnerbücher. Adressenlisten von NSDAP-Mitgliedern, in denen Geburtsort, Beruf und z.T. das Zuzugsdatum angegeben ist, lassen ebenfalls eine Analyse der sozialen Schichtung in den einzelnen Stadtbezirken zu. Zur kontroversen Begrifflichkeit, die zur Beschreibung der ausländischen Arbeitskräfte besteht, sei hier, ohne genauer darauf einzugehen, auf die Arbeiten von Ulrich Herbert verwiesen. Ein kurzer Überblick mit Literaturangaben ist zu finden bei ders., Der „Ausländer-Einsatz" in der deutschen Kriegswirtschaft, 1939-1945, in: ders., Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1995, S. 121-135. StadtA FN; Maier, Heimatbuch II, S. 321f., Georg Wieland, Vom Leben der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen in Friedrichshafen 1939-1945, in: Leben am See 12 (1995), S. 251-259, hier S. 253, sowie Christa Tholander, Fremdarbeiter. Ausländische Arbeitskräfte in Friedrichshafen von 1933 bis 1945, Wiss. Arbeit, Universität Konstanz 1996. Tholander hat bislang in der Literatur zu findende fehlerhafte Angaben über Größe, Ort und Bezeichnung der Lager in ihrer Untersuchung korrigieren können.

Der Kreis vor 1945

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- 1942: »Barackendorf« für Fremdarbeiter und russische Kriegsgefangene bei Allmannsweiler, Bezeichnung »Wiesenlager«, 49 Baracken. Einsatz der Arbeiterinnen und Arbeiter bei allen vier großen Industriebetrieben. Auf dem Gelände entstand nach 1950 eine Siedlung für Vertriebene.81 - 1942/43: Arbeiterlager in der Hochstraße, westlich des Luftschiffbau Zeppelin, mit 64 Baracken, gegliedert in drei Lagerabschnitte: Lager »Seeblick« für Maybach, »Wolga« für Dornier, »Don« für den Luftschiffbau. Ab 22. Juni 1943 auch als Lager für KZ-Häftlinge der KZ-Außenstelle von Dachau genutzt. Ab diesem Datum bis zu 1500 Insassen. Auf dem Gelände entstand 1955/56 eine französische Wohnsiedlung. - »Olympia-Lager« in der Hochstraße. - Lager »Wolga I« für Dornier in der Barbarossastraße, Nähe Flugplatz. - 10/1942 Lager »Wolga II« in Manzell, Nähe Dornier-Werksgelände, 5 Baracken für russische und polnische Zivilarbeiter, Zwangseinsatz bei Dornier. Unmittelbar nach Kriegsende wurde dieses Lager zur Internierung von Deutschen verwendet. - Lager »Rostan« oberhalb vom »Wiesenlager«. - KZ-Außenlager bei Raderach, etwa 300 Häftlinge für die V2-Produktion. Weitere Unterkunftsmöglichkeiten waren über das ganze Stadtgebiet verteilt.82 Zwangsarbeiter, die in kleineren Gewerbebetrieben oder in der Landwirtschaft beschäftigt waren, erhielten meist Privatquartiere. 83 Außerhalb von Friedrichshafen gab es weitere Lager in Ailingen, Kehlen, Kressbronn, Oberteuringen, Überlingen, Ravensburg und Saulgau. 84 Über die Gesamtzahl der in Friedrichshafen arbeitenden Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen liegen Quellen vor, die sich in hohem Maße widersprechen. Statistiken, die in der Nachkriegszeit angefertigt wurden, basieren zum Teil auf Unterlagen der Betriebskrankenkassen. Es kann davon ausgegangen werden, daß dort nicht alle Zwangsarbeiter registriert wurden, vor allem nicht ab den Jahren 1943/44; ebenso muß davon ausgegangen werden, daß weder die deutsche Stadtverwaltung noch die Unternehmer unmittelbar nach Kriegsende ein großes Interesse an einer akribisch erstellten Statistik hatten. Eher neigte man zu Untertreibungen, wofür die folgende Tabelle Zeugnis ablegen mag. In einer amtlichen Statistik vom 4. Juni 1946, welche die Stadtverwaltung von Friedrichshafen im Auftrag des französischen Kreisgouverneurs Ulmer in Tettnang erstellen mußte, wurden zum Teil erheblich nied-

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Die Pachtverträge für das 24.300 qm umfassende Lagerareal, welche mit neun Bauern am 21.5.1943 abschlossen worden waren, wurden erst im Februar 1947 aufgelöst. Die Bauern erhielten Entschädigungen für abgeholzte Bäume, für »Diebstahl an Obst und Feldfrüchten durch die Insassen des Lagers«, für noch zu beseitigende Pfahl- und Betonfundamente sowie einem großen Bunker. Da die Grundstückseigentümer auf eine rasche Bezahlung der rückständigen Pachtsumme der Jahre 1945 und 1946 drängten, übernahm die Stadt die Bezahlung. Die vier Konzernfirmen wollte man als ehemalige Geländenutzer für eine Ersatzzahlung in Betracht ziehen, nach Rathaus, GRP vom 6.2.1947. Angesichts der Engpässe in der Unterbringung wurden neben Lagern auch anderweitige Quartiere gesucht. So hatte z.B. die Zahnradfabrik bis Ende 1943 alle Ausländer in einem Touristenheim, einer Wanderarbeiterstätte und einem Kaffeehaus untergebracht, StadtA FN, Schreiben vom 14.5.1946. Darüber hinaus waren in allen örtlichen Hotels und Jugendherbergen Westarbeiter untergebracht. Ebd. und Sonderbeilage der SZ vom 27.4.1994. DAR, G. 1.8, Bü. 605.

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I. Vom Krieg zum Frieden

tigere Zahlenwerte (Stand jeweils Januar) angegeben als in einem acht Monate zuvor publizierten Artikel des »Seeblatt« vom Oktober 1945.85 Tabelle 5:

Ausländer in der Stadt Friedrichshafen 1939 bis 1945 (nach zeitgenössischen Quellen) Statistik nach Angaben der Stadtverwaltung

Statistik nach Angaben des »Seeblatt« vom 6.10.1945

1939 1940 1941 1942 1943 1944

70 60 100 1.300 2.500 4.100

1945

2.900

9/1939 12/1940 12/1941 12/1942 12/1943 4/1944 12/1944 4/1945 9/1945

60 100 1.300 2.500 4.100 4.500 2.900 1.800 805

Beide Angaben entsprechen jedoch nicht dem tatsächlichen Ausmaß der Zwangseinsätze, selbst wenn man von einer sehr niedrigen Fluktuation ausginge. In einer weiteren Statistik der Stadtverwaltung, deren Titel genau jener Annahme widerspricht und ebenfalls auf das Jahr 1946 datiert ist86, werden noch geringere Zahlenangaben gemacht. Demnach stellten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene87 aus Rußland den Hauptanteil (3.089), gefolgt von Frankreich (1.033) und den Niederlanden (829). In dem erfaßten Zeitraum von 1939 bis 1945 hätten sich nach dieser Liste insgesamt 6.686 Ausländerinnen und Ausländer Uber kürzere oder längere Zeit im Stadtgebiet aufgehalten.88 Aufgrund einer Analyse verschiedener anderer Quellen muß hier von nahezu der doppelten Zahl ausgegangen werden89, dies vor allem ab dem Jahr 1942. NS-Bürgermeister Walter Bärlin gab in einem Schreiben vom 17. Juli 1942 schon über 2.000 ausländische Arbeitskräfte an.90 Am 4. November des gleichen Jahres klagte er beim Landesarbeitsamt SUdwestdeutschland Uber ein starkes Defizit an Krankenbaracken für Fremdarbeiter: »In Friedrichshafen befinden sich z. Zt. 4683 Ausländer, 83

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StadtA FN, Schreiben des Bürgermeisteramtes vom 4.6.1946 und »Seeblatt« vom 6.10.1945. Auf welchem Quellenmaterial die Angaben des »Seeblatt« beruhen, geht aus dem Artikel nicht hervor. Laut Anordnung der französischen Militärregierung mußten 1946 alle Gemeinden Verzeichnisse der Ausländer von 1939 bis 1945 erstellen. Für die Stadtgemeinde Friedrichshafen liegt eine »Namentliche Liste der Ausländer, die für dauernd oder zeitweise im Kreise untergebracht waren oder die Gemeinde in der Zeit zwischen dem 2.9.1939 und 25.4.1945 passiert haben«, vor. Daneben gibt es im Stadtarchiv noch eine untitulierte und undatierte Liste; vgl. dazu Wieland, Vom Leben der Zwangsarbeiter S. 25 lf. Diese Namensliste unterscheidet nicht zwischen Zwangsarbeitern, Kriegsgefangenen, freiwilligen Arbeitskräften (z.B. aus Liechtenstein) und Ausländem, die schon länger in Friedrichshafen wohnten (z.B. Schweizer und Amerikaner). Österreicher wurden nicht als Ausländer registriert, StadtA FN. Aufgezählt wurden des weiteren 425 Polen, Belgier, Kroaten, Serben, Griechen, Bulgaren (jeweils unter 100) und weitere Arbeitskräfte aus 14 Staaten (jeweils unter 40). Nach dem italienischen BUndniswechsel im September 1943 kamen noch 598 Italiener hinzu. Als Vergleich dienten Verzeichnisse einzelner Lager und Werke, Aussagen von Zeitzeugen und zahlreiche Anträge ehemaliger Zwangsarbeiter auf Arbeitszeitnachweise. StA Sig, R 31/4, BU. 299.

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darunter auch eine große Zahl weiblicher Ostarbeiter. Noch einige 1.000 Ostarbeiter sollen kommen.«91 Nach einer Aufstellung der Zahnradfabrik aus dem Jahre 1946 hatte dieser Betrieb alleine schon etwa 2.000 Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt, wobei hier die Russen und Franzosen die Hauptgruppen bildeten.92 Mit Sicherheit kann jedoch, in Übereinstimmung mit der obigen Tabelle, gesagt werden, daß der Höchststand in der Stadt Friedrichshafen Ende 1943/Anfang 1944 erreicht worden war. Nach einer kürzlich abgeschlossenen Untersuchung von Christa Tholander müssen in mehrerer Hinsicht auch die hier recherchierten Zahlen nach oben korrigiert werden. Eine realistische Größenordnung liegt aufgrund ihrer Forschung bei etwa 14.000 Zwangsarbeitem und Kriegsgefangenen (ohne KZ-Häftlinge), die sich zeitweilig oder längerfristig in der Stadt aufhielten. Wegen der aufwendigen Analyse und der Notwendigkeit, die Ergebnisse ausführlich zu kommentieren, wird an dieser Stelle auf weitere Zahlenangaben verzichtet und auf die Arbeit von Tholander verwiesen.93 Im Jahre 1944, als amerikanische Truppen bereits in Italien standen und die Rote Armee die polnische Ostgrenze erreicht hatte, lief die Rüstungsproduktion in Friedrichshafen auf Hochtouren. Der Luftschiffbau Zeppelin fertigte unter höchster Geheimhaltungsstufe Teile für die V2. Ab Juni 1943 mußten KZ-Häftlinge in der Produktion helfen. Wie viele zum Einsatz kamen, ist nicht genau feststellbar, jedoch hatte die SS 2.000 Häftlinge eingeplant94, etwa 1.000 dürften es dann tatsächlich gewesen sein. In den Unterlagen des KZ Dachau wird erstmals am 22. Juni 1943 eine KZ-Außenstelle in Friedrichshafen erwähnt. Von August 1943 bis zum 26. September 1944 waren KZ-Häftlinge auch in einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager in Raderach etwas außerhalb der Stadt untergebracht. Wegen der zunehmenden Häufigkeit der Bombenangriffe wurden die V2-Produktion und ein Teil der KZ-Häftlinge im September 1944 nach Überlingen verlegt; in unterirdischen Fabrikationshallen sollte die Produktion fortgesetzt werden.95 Im gleichen Monat verbrachte man 762 Häftlinge vom Bodensee in den Harz. In Friedrichshafen ist der Tod von 72 KZ-Häftlingen belegbar, die Zahl dürfte aber tatsächlich höher liegen.96 Die in der Landwirtschaft eingesetzten Zwangsarbeiter bleiben zahlenmäßig nur schwer erfaßbar. Einige der wenigen Quellen sind hier die Angaben der Pfarrämter, welche auf einem standardisierten Fragebogen zur Vorbereitung einer Visitation bei der Diözese Rottenburg eingereicht werden mußten. Leider gaben nicht alle Gemein91

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Ebd. In diesem Bestand sind auch Quellen Uber einzelne Transporte und die Zuteilung der Fremdarbeiter an die einzelnen Firmen enthalten. So wurden z.B. mit Transport Nr. 110 vom 26.2.1944 69 Ostarbeiter einem Baugeschäft, einer Gärtnerei und einem Forstamt zugeteilt. Transport Nr. 115 vom 11.3.1944 brachte 347 Männer, 67 Frauen und 15 Kinder, wovon etwa ein Drittel der Menschen dem Maybach-Motorenbau und der Zahnradfabrik zugeteilt wurde. Transport Nr. 121 vom 19.4.1944 sah ebenfalls Arbeitskräfte für die Industrie vor. StadtA FN, Schreiben vom 14.5.1946. Russen: 660; Franzosen: 495; Marokkaner: 7; Algerier: 1; Holländer: 293; Belgier: 146; Jugoslawen: 51; Italiener: 290; Tschechen: 14; Polen: 10; Litauer: 2; Ungarn: 1; Luxemburger: 1. Vgl. Tholander, Fremdarbeiter. Tholander hat umfangreiches Quellenmaterial ausgeweitet und akribisch alle Aspekte des Einsatzes von Fremdarbeitern ausgeleuchtet. Ebd. und »Südkurier« vom 2.3.1994, »KZ in Friedrichshafen: 50 Jahre Schweigen«. Diese Stollen wurden auf Befehl Hitlers von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen gegraben, um der Friedrichshafener Industrie neue Produktionsräume zu schaffen. Der Stollen hatte 4 km Länge, zwischen 2 und 10 m Höhe und war zwischen 2 und 25 m breit. Bis Kriegsende starben 167 Zwangsarbeiter und Häftlinge. Siehe dazu die Aufsätze von Oswald Burger aus den Jahren 1981-1984 sowie Adam Puntschart, Die Heimat ist weit... (Leben in der Region 2), Weingarten 1983. StadtA FN und »Südkurier« vom 2.3.1994. Auch hier sei auf die Arbeit von Tholander verwiesen.

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I. Vom Krieg zum Frieden

depfarrer bei der Frage nach Ausländern und Lagerinsassen eine Antwort, überwiegend sind auch nur Personen katholischen Glaubens erfaßt. 97 Eine Ausweitung der Pfarrberichte zeigt, daß die Mehrzahl der Kreisgemeinden Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft einsetzte, diese aber im allgemeinen nicht in die amtlichen Erfassungen der Nachkriegszeit aufgenommen wurden. Mit Sicherheit kann gesagt werden, daß Russen und Polen die Mehrheit der Zwangsarbeiter bildeten, von ihnen waren etwa ein Drittel Frauen, das Alter lag zwischen zwölf und siebzig Jahren. 98 Die Mehrzahl der erfaßten Ausländer war zwischen zwanzig und dreißig Jahren alt, daneben gab es aber auch viele Kinder, vor allem zwischen zwölf und fünfzehn Jahren. Etwa ein Drittel der sowjetischen und polnischen Gruppe bestand aus Frauen. 99 Eine Arztfrau aus Friedrichshafen mokierte sich im März 1943 nach einem frühsommerlichen Spaziergang an der Uferpromenade Uber die veränderte Bevölkerungsstruktur: »Doch das [einen Spaziergang unternehmen] kann man als Häfler kaum mehr, denn die Uferstraße war bevölkert mit Ausländem. Russen, meistens Mädel, in ihren weißen Kopftüchern, kurzen Jacken und blauen und bunten Röcken. Als Erkennungszeichen tragen sie auf weiß gestickt das Wörtchen Ost. Sie werden deshalb auch allgemein Ostarbeiterinnen genannt. Sie sind in Fabriken und Haushaltungen beschäftigt. Dann begegnet man Franzosen, Holländern, Belgiern, Italienern und noch vielen anderen Ausländern. Man könnte wahrhaftig meinen, wenn man das hört und sieht, man wäre nicht mehr auf deutschem Boden, es wäre nimmer unser schönes Friedrichshafen. Der Krieg ist gar hart, unsere Söhne stehen im Osten und verbluten, und an unserem herrlichen schwäbischen Meer arbeiten fremdrassige Menschen. Auch wir beschäftigen im Haushalt eine Russin, in der Nähe von Poltawa daheim, zum Kreis Sumsk gehörend. Sie ist brav, fleißig und sauber, ich bin recht zufrieden mit ihr. Auch haben wir einen gefangenen Franzosen [...]. Er arbeitet ebenfalls recht gut.« 100 Daß die ausländischen Arbeitskräfte - je nach Herkunftsland, Abstammung, Einsatzort und Überwachungssituation - ganz unterschiedlichen Lebensbedingungen unterworfen waren, ist bekannt und soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. 101 Zeugnis für die schlechte Situation vor allem der in der Industrie eingesetzten

97

DAR, G 1.8, BU. 605. Die Angaben der Pfarrer beziehen sich jeweils auf ein Jahr zwischen 1940 und 1943. Mariabrunn: 100-150 Personen in Lagern und Strafanstalten; Wildpoltsweiler: »Gefangene (Serben)«; Neukirch: 25 Ausländer; Primisweiler: 15 »Kriegsgefangene und Polen«; Oberdorf: 25 »polnische Gefangene«; Ailingen: »2 Italiener und ca. 15 Zivilpolen, im Gefangenenlager ca. 25 gefangene Franzosen«; Kehlen: ca. 25 Ausländer; Langenargen: 50 Belgier und Polen; Oberteuringen: ca. 70 Polen; Fischbach: 20 Ausländer; Schnetzenhausen: 4 Ausländer; Laimnau: »Gefangene«, darunter auch Mädchen; Tannau: 25 Ausländer. Die Pfarrer von weiteren sechs Gemeinden verneinten eine Anwesenheit von Ausländern oder Lagerinsassen oder machten keine Angaben. Der Pfarrer von Eriskirch vermerkte eine »Einquartierung von sehr vielen Arbeitern aus allen Nationen«, und in Obereisenbach gab es »1 Mädchen im Straflager wegen Verhältnis mit Polen«. 98 StadtA FN; Sonderbeilage der SZ vom 27.4.1994. 99 Belgien: 12% Frauen; Frankreich und Niederlande ca. 4%, siehe Wieland, Vom Leben der Zwangsarbeiter, S. 252f. 100 Zitiert nach ebd. 101 Auf die Lebens- und Arbeitssituation der Fremdarbeiter in Friedrichshafen geht Christa Tholander in ihrer Studie ausführlich ein.

Der Kreis vor 1945

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Kräfte legt ein Gedicht ab, in dem ein Zwangsarbeiter aus dem Lager »Seeblick« im November 1943 seine Lagererfahrungen niedergeschrieben hatte: Wen Gott in Seinem Zorn will strafen Den schickt Er uns nach Friedrichshafen Wen Er will strafen mit besonderer Stärke, Den schickt er uns in die Maybach-Werke Und folgt die Strafe nicht genau Dann kommst du in den Luftschiffbau! Erfolgt die Strafe aber überaus schnell Dann kommst du zu Dornier nach Manzell.102 Die Quellen über Todesfälle vor allem ab dem Jahr 1940 sind unvollständig und können kein adäquates Bild der tatsächlichen Größenordnung geben.103 Nachweisbar sind 144 Tote durch Luftangriffe 104 und 116 Tote durch Seuchen, Unterernährung, Mißhandlungen und Selbstmord. Dazu kommt noch eine nicht mehr ermittelbare Zahl von verstorbenen KZ-Häftlingen.105 Zwangsarbeiter in Privatunterkünften hatten teilweise größere Chancen, den Krieg zu überleben. Eine Zeitzeugin erinnert sich: »Es mangelte in unserem Betrieb an Arbeitskräften (einige waren an der Front), und so wurde auch uns ein Gefangener aus dem K Z zur Mithilfe zur Verfügung gestellt. Viktor, ein junger Russe, kam in unser Geschäft und wurde auch von der Familie aufgenommen. Allerdings war es streng verboten, ihn zu verköstigen (er mußte im Lager essen). Eines Tages wurde meine Mutter angeklagt, weil Viktor mit der Familie und den anderen Mitarbeitern (Gesellen und Lehrbuben) mit uns am Tisch aß. Von nun an brachte Mutter für Viktor das Essen in die Waschküche, wo es niemand sah. Ich glaube, noch mehr als Viktor litten darunter wir Kinder.« 106 Nach Kriegsende stellten die von der International Refugee Organization (IRO) betreuten Ausländer die zweitgrößte Gruppe von »Fremden« neben den Flüchtlingen dar. In Württemberg-Hohenzollern hielten sich 1949 noch ca. 15.000 Displaced Per102StadtA

FN. Die Orthographie wurde leicht korrigiert. Sig, W Ü 65/35, Bd. 2, BU. 718, Gräberliste der Stadt F N 2/1950; StadtA FN, Verzeichnis der offiziellen Kriegsgräber von 1949/50; Verzeichnis der auf dem neuen Friedhof beerdigten russ. Gefangenen u. Zivilarbeiter, handschr. Notizen des Friedhofaufsehers vom 1.11.1941 bis 10.6.1945; Gräberverzeichnisse des Städt. Hauptfriedhofs, Bd. 3 (Ausländer aus Westeuropa) und Bd. 4 (Beisetzung im Ehrenfeld).

1 M StA

104 Am

20.7.1944 sind 95 italienische Internierte bei einem Luftangriff umgekommen, ebd., W Ü 40, Bd. 8, Bü. 56. ,05 Der für diese Zeit zuständige Leiter des Arbeitsamtsbezirkes Ravensburg nahm nach dem Krieg Stellung zu Vorwürfen, die sich auf Mißhandlungen von Arbeitskräften durch Beschäftigte des Arbeitsamtes bezogen. Diese Quelle ist ein frappierendes Beispiel für eine ungebrochene Rechtfertigungshaltung auch oder gerade nach Kriegsende: Die Mißhandlungen seien, so der Amtsleiter, teilweise gerechtfertigt gewesen, allerdings hätten »nur« besonders »renitente«, »freche«, »unverschämte« und »gemeingefährliche Elemente« »zu solchen radikalen Maßnahmen Anlaß gegeben«, worunter er hauptsächlich Polen verstand. Die Zwangsarbeiter aus dem Westen, vor allem Franzosen, Belgier und Holländer, seien in der Behandlung den Deutschen gleichgestellt worden. Die Russen seien mehrheitlich »anständig« behandelt worden, »zumal sie auch fast durchweg brauchbare und willige Arbeiter waren.« StA Sig, R 31/4, Bü. 158 vom 17.1.1946. Zu diesem Themenkomplex vgl. Tholander, Fremdarbeiter, S. 136, mit aktuellen Berechnungen zu den Todesfällen, sowie dies., Die Ernährung der Fremd- und Zwangsarbeiter in Friedrichshafen, in: Leben am See 12 (1995), S. 260-268. 106StadtA

FN, Erinnerungen von Frau E., niedergeschrieben im Januar 1993.

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sons auf 107 , und als im Juli 1950 deren Betreuung von der französischen auf die deutsche Verwaltung überging, waren noch etwa 9.000 DP's in Württemberg-Hohenzollern meist in Lagern untergebracht 108 . Bis 1952 hielten sich im Kreis Tettnang noch rund 200 Personen auf, deren nationale Herkunft es als wahrscheinlich gelten läßt, daß es sich um ehemalige DP's und Fremdarbeiter handelte. Im April dieses Jahres wurden 666 Ausländer gezählt, worunter die Österreicher die größte Gruppe bildeten, gefolgt von den Polen und Schweizern. 109 Mit 8,5 Prozent aller in Württemberg-Hohenzollem wohnenden Ausländern lag der Kreis Tettnang auf dem sechsten Platz. 110 Mit der Bombardierung der Stadt begann eine umfangreiche und schnell durchgeführte Auslagerungswelle der ansässigen Industriebetriebe. Maschinenteile, Rohmaterial und Verwaltungseinheiten wurden auf die Region verteilt. Um sich eine Vorstellung von den aufwendigen Maßnahmen machen zu können, seien einige wenige Zahlen genannt: Die Firma Domier dezentralisierte ihre Produktion auf 51 Ortschaften 111 , die Zahnradfabrik hatte mindestens 25 112 und der Maybach Motorenbau mindestens acht Auslagerungsorte 113 . Für die deutschen und ausländischen Belegschaften hieß das, entweder zwischen neuem Arbeitsort und Friedrichshafen zu pendeln, was angesichts der Zeitumstände schwierig gewesen sein dürfte, oder dem Betrieb nachzuziehen. Mit den Betriebsverlagerungen (in Zusammenspiel mit den Evakuierungen) wurde die Kreisbevölkerung endgültig aus jeglicher gewohnten Lebensweise herausgerissen. Täglich bewegten sich nun die Menschen nomadenhaft zwischen Evakuierungs-, Auslagerungs- und Heimatort. Dieser Zustand konnte auch mit dem Kriegsende nicht sofort behoben werden.

107

StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1595. Ebd., Bü. 1596. ""Unter den Ausländern befanden sich 277 Österreicher, 92 Polen, 60 Schweizer, 53 Bulgaren, Rumänen und Ungarn, 37 Italiener, 24 Jugoslawen, 15 Belgier und Holländer, 11 Letten, Litauer und Esten, 9 Tschechen, 1 Russe und 87 »Sonstige«, nach ebd., BU. 2015, Staatskommissar für die Umsiedlung, Land WUrttemberg-Hohenzollem nach Kreisen o. Lindau. ll0 I n WUrttemberg-Hohenzollem hielten sich im April 1952 7.845 Ausländerinnen und Ausländer auf, davon lebte prozentual der größte Anteil in Reutlingen, gefolgt von Ravensburg, Tubingen, Wangen und Tuttlingen. ' " S t A Sig, WÜ 140, Bd. 1, BU 567 mit Nennung der Ortschaften. Eine »Übersicht Uber Verlagerungen der Firma Dornier während des 2. Weltkrieges im Bereich Allgäu, Oberschwaben und Vorarlberg ist abgebildet bei Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 31. Die Graphik enthält auch Angaben über den jeweiligen Zeitpunkt der Einrichtung und Aufgabe der ausgelagerten Betriebsstätte. 112 AdO, c. 1181, p. 24. 113 Wilhelm Treue/Stefan Zima, Hochleistungsmotoren - Karl Maybach und sein Werk, Düsseldorf 1992, S. 196, Bild 188 mit der Markierung der Auslagerungsorte. 108

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2. Befreier und Besatzer 2.1. Übergabe der Stadt »Daß eine Verteidigung der Stadt Friedrichshafen sinn- und verantwortungslos ist, war mir längst klar [...]. Schon im Oktober 1944, als die Stadt in „Verteidigungszustand" versetzt werden sollte und Hunderte von Menschen aus dem ganzen Oberland zum Stellungsbau eingesetzt wurden, machte ich die militärischen und politischen Dienststellen auf die Sinnlosigkeit dieses Unternehmens aufmerksam, aber vergebens.«114 So schilderte Walter Bärlin, der letzte NS-Bürgermeister von Friedrichshafen, seine Eindrücke ein Jahr nach Kriegsende. Zu dieser Zeit lief gerade ein Entnazifizierungsverfahren gegen ihn, weshalb er seine aktive Rolle bei der Übergabe der Stadt besonders hervorhob. Walter Bärlin war seit Februar 1934 Bürgermeister der Stadt.115 Nach seiner Erinnerung drängte ihn vor allem der weibliche Teil der Bevölkerung, die Stadt ohne Verteidigung an die herannahenden französischen Truppen zu übergeben. Bärlin versuchte, einen Kreis Gleichgesinnter um sich zu sammeln. Den Verteidigungsabschnitt Bodensee, etwa von Radolfzell bis Lindau reichend, befehligte Oberst Albert Gelbrich, der als Wehrmachtskommandant im Schloß von Friedrichshafen residierte; Kampfkommandant für die Stadt selbst war Major Knoch. Mit diesen beiden zentralen Entscheidungsträgern wollte Bärlin Kontakt aufnehmen. Die Tatsache, daß in den Schloßräumlichkeiten der gesamte Kommandostab für die Bodenseeregion angesiedelt war, machte die Stadt für die französische Militärführung strategisch besonders wichtig. Eine erste grundlegende Besprechung zwischen dem Bürgermeister und Gelbrich fand am 18. April 1945 statt. Bärlin versuchte laut eigener Aussage, die Unmöglichkeit einer Verteidigung mit der unzureichenden Wehrhaftigkeit zu begründen: »Es standen zur Verfügung für den Abschnitt zwischen Fischbach und Langenargen im Süden, Markdorf, Oberteuringen, Meckenbeuren im Norden, etwa 1.400 Mann, meiner Ansicht nach kriegsmüde und schlecht bewaffnete Soldaten. Weiter etwa 1.000 Ungarn, darunter ca. 400 ungarische Kadetten, ebenfalls schlecht bewaffnet und ohne Absicht, sich für Deutschland zu schlagen. Dazu kamen etwa 4.000 Mann Volkssturm, völlig unbewaffnet und von der Aussichtslosigkeit einer Verteidigung überzeugt.«116 Die mehrstündige Besprechung verlief ergebnislos. Oberst Gelbrich sei zwar innerlich ebenfalls von der Sinnlosigkeit einer Verteidigung überzeugt gewesen, aber er hätte sich auf seine soldatische Ehre und Pflichten sowie seine dreißigjährige Dienstzeit berufen und eine Kooperation abgelehnt. Seine Haltung mochte durch einen Aufruf des württembergischen Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars Wilhelm Murr sechs Tage zuvor bestärkt worden sein: »Der Feind versucht die Bevölkerung zu veranlassen, das Schließen von Panzersperren zu verhindern. Ich mache mit allem Ernst darauf aufmerksam, daß jeder Versuch, die Schließung einer Panzersperre zu verhindern oder eine geschlossene Panzersperre wieder zu öffnen, auf der Stelle mit dem Tode bestraft wird. Ebenso wird mit dem Tode bestraft, wer eine weiße Fahne zeigt. Die Familie der Schuldigen hat außerdem 114

Walter Bärlin, Die Übergabe der Stadt Friedrichshafen und ihre Vorgeschichte, in: Freudenstädter Heimatblätter, Bd. XVI, Nr. 4, April 1985, S. 2-3. Bärlin schrieb seine Erinnerungen am 9.4.1946 nieder. '"StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 155. ll6 Bärlin, Übergabe der Stadt.

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drakonische Strafen zu erwarten«. Männer, Frauen und Jugend müsse »mit allen Mitteln« den feindlichen Weitermarsch verhindern.« 117 Dennoch entstand um Gelbrich und Bärlin ein Kreis von Männern, die noch retten wollten, was zu retten war: Medizinalrat und Leiter des Gesundheitsamtes Dr. Walter Gmelin, Fabrikant, ArtillerieLeutnant und Volkssturmführer Otto P.W. Hüni, Ingenieur Zeno Diemer (1923 bis 1926 Vorsitzender der ersten NSDAP-Ortsgruppe in Friedrichshafen), Polizeihauptmann Kaufmann, Diplomingenieur Edmund Mugler (NSDAP-Mitglied seit 1933), Werkmeister Dostel, der Ziegeleibesitzer Leo Ott sowie einige Bauern aus Windhag und Seemoos, die bei der Öffnung der Panzersperren halfen. 118 Was den einen als »vernünftige Lösung« 119 galt, war für die anderen Defätismus und des Standgerichts würdig. NS-Kreisleiter Seibold sowie Polizeidirektor und SS-Führer Glück wollten die wichtigsten Einrichtungen der Stadt vor dem Eintreffen der französischen Truppen zerstören und Friedrichshafen keinesfalls kampflos übergeben. In der letzten Woche vor Kriegsende erging fast stündlicher Fliegeralarm, es wurde nicht mehr gearbeitet, und eine letzte Welle von Evakuierungen setzte sich in Gang. Polizeidirektor Glück meldete sich »krank« und verließ die Stadt. Ingenieur Diemer verhandelte mit dem Kreisleiter, weil er »ihm früher nahegestanden hatte«, allerdings ohne Ergebnis: »Seibold war in den Nerven total herunter, blieb aber stur.« 120 Am Sonntag, den 29. April 1945, standen die französischen Truppen westlich der Stadt in Fischbach. Nachmittags um 17 Uhr flüchtete der Kreisleiter in Richtung Osten. 121 Derweil wurden im Schloß Akten verbrannt und Telefonkabel durchschnitten. Oberst Gelbrich gab Bürgermeister Bärlin sein Einverständnis zur freien Handlungsweise. Die nachfolgenden Ereignisse gleichen denen in vielen anderen deutschen Städten und Gemeinden. Bärlin und Gmelin fuhren mit einem Auto in Richtung Westen den französischen Truppen entgegen. Eine Panzersperre ganz in der Nähe der Dornier-Werke konnte nicht mehr rechtzeitig geöffnet werden, obwohl es »die Volkssturmleute, Dipl.-Ing. Mugler, Werkmeister Dostel, die Bauern Büchele und Roller« 122 und noch zwei weitere Personen versuchten. Walter Gmelin in Luftschutzuniform und Rot-Kreuz-Binde schwenkte als erster sein weißes Taschentuch und ging auf den vordersten Panzer zu. Dann folgte Bürgermeister Bärlin und »übergab« die Stadt. »Der französische Offizier, ein Oberleutnant Gauthier, ein großer, eleganter Mann mit dem bekannten, roten, goldgeschnürten Käppi, ohne Waffenrock, den Arm in der Schlinge« 123 , überließ die Route des Einmarsches in die Stadt den Deutschen, nachdem versichert worden war, daß es dort keine SS mehr gäbe. Ein Bürgermeister konnte eigentlich eine Stadt nicht »übergeben«. Jede Stadt gehörte zu einem militärischen Abschnitt mit dem entsprechenden Militärbefehlshaber, und der Bürgermeister fungierte nicht als solcher. Er konnte nur versuchen, seinen Einfluß auf die Militärführung geltend zu machen, um die Ausführung des »Städtebefehls« zu verhindern. So ging auch Bärlin erst den Franzosen entgegen, als er sicher sein konnte, '"Zitiert nach Maier, Handbuch II, S. 390. " ' E b d . , S. 389. 1 "Bärlin, Übergabe der Stadt, ebd. die weiteren Ausführungen. 120 Ebd. 121 Klaus-Dietmar Henke beschreibt für März und April 1945 eine Massenflucht von NS- Amts- und Hoheitsträgern im Gau Württemberg-Hohenzollern: ders., Die amerikanische Besetzung Deutschlands, München 1995, S. 830. 122 Bärlin, Übergabe der Stadt. 123 Ebd.

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daß die Wehrmacht keinen Widerstand leisten würde. Diesen Umstand teilte er Gauthier mit. Das Verhalten Bärlins und anderer Funktionäre bei der Übergabe der Stadt spielte bei der Entnazifizierung eine große Rolle. Erobert in militärischem Sinne war Friedrichshafen erst dann, als Oberst Gelbrich und Major Knoch kurz darauf festgenommen wurden. 2.2. Installierung einer französischen Besatzungsverwaltung Die französischen Truppen verfolgten in den ersten Nachkriegs wochen mehrere Ziele: eine möglichst umfassende territoriale Besetzung, größtmöglicher Schutz vor einer deutschen Widerstandsbewegung und ein Maximum an Aktionsmöglichkeiten. 124 Der anfangs hohe, aber nicht genau zu beziffernde französische Personalbestand wurde dann im August 1945 reduziert, da sich die oben genannten Motive schnell veränderten. Im November 1945 fiel die Entscheidung, in Friedrichshafen eine Garnison zu errichten.125 Weil Friedrichshafen einen Flugplatz besaß, wurden drei französische Jagdstaffeln eingerichtet. 126 Wegen der Bedeutung des Eisenbahnknotenpunktes entstand außerdem eine große Abteilung der DOCF, der französischen Aufsichtsstelle für Eisenbahnen auf Landesebene. In Langenargen richteten die Franzosen 1945 eine französische Unteroffiziersschule für 1.500 Auszubildende ein. Aber nicht nur der Standort selbst bewirkte eine umfangreiche Besatzung: Durch die Zwangsverwaltung der Industriebetriebe wurde außerdem die Einrichtung entsprechender französischer Behörden nötig. Das Kurgartenhotel, ein repräsentatives Gebäude am See, bisher außer von Touristen für hohe Gäste aus Politik und Wirtschaft genutzt, diente fortan als französisches Hauptquartier. 127 Von den wenigen unzerstörten Häusern wurde eine große Anzahl beschlagnahmt, so vor allem Wohnungen der bürgerlichen Schichten und Honoratiorenkreise im Westen der Stadt. Der Gewerkschafter Rudolf Denz betonte 1946 die besondere Belastung der Stadt durch Besatzungstruppen, deren Höhe sich »aus der Belegung des Flugplatzes, weiter aus der Belegung der Stadt mit Truppen der Marine, des Grenzdienstes und mit Dienststellen der Eisenbahn- sowie der Industrieüberwachung« für die lokal angesiedelten Betriebe erkläre. »Begünstigt durch die

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125

Auf eine Anfrage der Verfasserin im Pariser Verteidigungsministerium, Service Historique de l'Armée de terTe, zu logistischen Vorgängen unmittelbar nach der Übernahme der Stadt Friedrichshafen kam u.a. folgende schriftliche Auskunft: »Des documents que nous détenons, il ressort que le stationnement initial des forces françaises visait à occuper le maximum de terrain sans cependant dessèminer les troupes à un niveau inférieur à l'unité élémentaire (150 hommes environ). Ceci pour trois raisons: - un objectif de sécurité, le commandement craignant l'apparition de résistance allemands; - la nécessité de cantonner des effectifs nombreux alors que les casernes n'offraient pas la capacité voulue; - la nécessité également de mailler le terrain pour mener au mieux les actions au profit de la population allemande, tels le ravitaillement et le désobusage.« Schreiben von Colonel Mourrut, Chef du Service Historique de l'Armée de terre in Vincennes vom 28.3.1994.

Ebd. ES handelte sich um die 1. Escadre de Chasse mit drei Staffeln P-47 »Thunderbolt«. Noch 1945, wenige Wochen nach ihrer Stationierung, wurden die Flugzeuge wieder abgezogen und erst wieder 1946/47 nach Friedrichshafen zurückverlegt. Hierzu und zur (Militär)geschichte des Flugplatzes siehe 75 Jahre Friedrichshafen-Löwental. 127 AdO, c. 3568, Merglen vom 2.3.1948. In Tettnang residierte außerdem das Schweizer Konsulat, das Anfang 1945 von Stuttgart nach Tettnang ausgelagert worden war.

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landschaftliche Lage, dürfte der Zuzug von Familien Besatzungsangehöriger ebenfalls Uber dem Durchschnitt liegen.« 128 Erster Gouverneur des Kreises Tettnang war ab Juli 1946 Pierre Paul Ulmer, der sich politisch dem Sozialismus verbunden fühlte. Er hatte seine Stelle allerdings nur sieben Monate inne und war danach als Kreisgouvemeur des Landkreises Ravensburg tätig. 129 Zu Ulmers Nachfolger im Kreis Tettnang wurde Albert Merglen bestimmt, der sein Amt vom 1. Februar 1947 bis 30. November 1950 mit Amtssitz in Tettnang bekleidete. Der im Jahr 1915 geborene Merglen war nach einem Universitätsstudium in Dijon in den dreißiger Jahren als Deutschlehrer tätig. Ab den vierziger Jahren bis in die Gegenwart publizierte er Bücher und zahlreiche Aufsätze in französischen, deutschen und amerikanischen Zeitschriften. 130 Ulmer und Merglen kamen beide aus dem sozialistischen Widerstand, weshalb ihre Kreispolitik auch unter diesem Aspekt betrachtet werden muß. Ranghöchster Repräsentant der südwürttembergisehen Besatzungszone war Gouverneur Guillaume Widmer in Tübingen. Die französischen Behörden auf Kreisebene mußten eine Fülle von Aufgaben bewältigen. Bis zum Herbst 1949 waren die Kreisdelegierten der Besatzungsmacht in einem hohen Maße mit Aufsichts- und Kontrollbefugnissen ausgestattet. Ihnen standen jeweils ein Stab von Offizieren zur Seite, die die verschiedenen Ressorts leiteten: Erziehung, Jugend und Sport, Ernährung und Landwirtschaft, Information und Presse, Entnazifizierung, Requisitionen, PDR-Angelegenheiten 131 , Transport sowie Sicherheit. Die französische Militärregierung ließ sich die Besatzungskosten von der württembergischen Regierung erstatten bzw. hielt sich durch Requisitionen schadlos. Nach der Währungsreform initiierte das württembergische Innenministerium eine Untersuchung über Einsparungsmöglichkeiten in der Besatzungsverwaltung, wobei vor allem an die französischen Behörden auf Kreisebene gedacht wurde. Denn nur in der französischen Zone blieben die Einrichtungen der Militärregierung auf Kreisebene bis 1949 voll besetzt, wogegen in der amerikanischen Zone bis Mitte 1946 die Détachements in den Kreisen weitgehend abgebaut waren. 132 Als Ergebnis entstand im Dezember 1948 eine Aufstellung aller deutschen und französischen Behörden auf Landes· und Kreisebene, die belegen sollte, daß eine Mitwirkung der französischen Kreis-

12!

Ebd., c. 1181, p. 13, Ein Situationsbericht von R. Denz, o.D., mit Rücksicht auf den Kontext vermutlich von 10/1946. 129 Pierre-Paul Ulmer, 1912 in Straßburg geboren, beging mit 41 Jahren am 3.6.1953 Selbstmord und wurde auf dem Ravensburger Friedhof beerdigt. Wenige Quellen zu seinem Tod liegen in Form einer Todesanzeige (mit Bild) in der Werkzeitschrift »Der ZF-Ring«, H. 15, 1953, S. 262, StadtA FN, und zweier SZ-Artikel (Ravensburger Ausgabe) v. 3.6. u. 4.6.1993, in dem er als unvergessener Vorkämpfer für Europa gewürdigt wird, vor. 130 Eine Auswahl der Titel ist bei Burmeister, Geschichte der Stadt Tettnang, S. 295f„ zu finden. '"Dieses Ressort war für im Krieg verschleppte Personen und Flüchtlinge zuständig (Personnes Déplacées et Réfugiés). l32 »Die bis 1948 zahllosen französischen Direkteingriffe in die deutsche Verwaltung, mit dem dahinterstehenden Hauptmotiv maximaler Ausnutzung des wirtschaftlichen Potentials der Zone, zwangen die Besatzungsmacht dazu, einen hohen Grad der Präsenz in der gesamten Zone aufrechtzuerhalten«, weshalb die Kreisdelegationen bis 1949 voll besetzt blieben; vgl. Henke, Politik der Widersprüche, S. 512.

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instanzen in der allgemeinen Verwaltung größtenteils überflüssig sei. 133 Ab Herbst 1949 sah das »Institut für Besatzungsfragen«134 in Tübingen noch weniger Grund für die kostenintensiven französischen Kreisbehörden. Nach Ansicht des Instituts beschränkte sich ihre Tätigkeit »auf die Beobachtung wichtiger Vorgänge im Kreise und auf die Unterrichtung der vorgesetzten Dienststellen sowie auf die Verbindung zwischen den deutschen Behörden und den Besatzungstruppen. Außerdem obliegt ihnen die Versorgung der französischen Staatsangehörigen mit Wohnraum und Hauspersonal sowie die Zuweisung von Büroraum an die französischen Dienststellen.«135 Der Einfluß der Kreisdelegierten auf die deutsche Verwaltung war sehr unterschiedlich und hing in starkem Maße von deren Persönlichkeit und Engagement, aber auch von der Größe der französischen Besatzungsverwaltung ab. Zu Beginn der fünfziger Jahre hatten die Landräte bereits wieder an Einfluß und Unabhängigkeit gewonnen. Von allen siebzehn Kreisdelegierten in Württemberg-Hohenzollern versammelte nur noch der Kreisgouverneur von Rottweil zweimal wöchentlich die Vorstände der örtlichen deutschen Verwaltungen zu Besprechungen über die laufenden Geschäfte und besonderen Vorkommnisse.136 Der Schriftwechsel zwischen den Requisitionsabteilungen und Landräten mit den einzelnen französischen Dienststellen ging aber nach wie vor über den Kreisdelegierten. Das »Institut für Besatzungsfragen« erstellte eine Analyse über den »Aufwand der Kreisdelegierten in Württemberg-Hohenzollern« für das Rechnungsjahr 1950.137 In der Einleitung wird gleich die Intention der Untersuchung deutlich: »Eine Besonderheit der Besatzungsverwaltung in der französischen Zone besteht darin, daß die Kreisinstanzen, d.h. die Dienststellen der Kreisdelegierten, auch heute noch sehr zahlreich und stark ausgebaut sind, während sie in den übrigen Zonen auf das Ausmaß von Verbindungsstellen reduziert sind.« In der Studie wurden deshalb alle siebzehn Kreise 133

134

Die Ergebnisse des Innenministeriums basierten auf einer BeiTagung der Landratsämter in Saulgau, Sigmaringen und Tuttlingen. Die daraus entstandene tabellarische Aufstellung der deutschen und französischen Behörden auf Landes- und Kreisebene bietet einen guten Überblick Uber deren gegenseitige Zuordnungen und Kompetenzen. In vier Hauptkategorien sind aufgeführt: 1. deutsche Landesverwaltung (Innenministerium mit den Abteilungen I bis XIV) und deren zugeordnete Kreisbehörden (Landrat, Emährungs-, Restitutions- und Gesundheitsamt); 2. die französischen Aufsichtsstellen auf Landesebene (Service des Affaires Administratives, Contrôle de la SÛrété, Section de: Epuration, ('Interieur et des Cultes, Travaux Publics et Reconstruction, l'Economie et des Finances, PDR, TFT/Transport und Verkehr, DOCF/Eisenbahn, Géographique des TOA/Vermessungsamt und Santé Public et Aide Sociale; Bureau régional de Logement Tübingen/Beschaffungswesen; die französischen Aufsichtsstellen auf Kreisebene (Kreisgouverneur, Kreiskommissar und die bereits oben aufgezählten Offiziere); 3. Hier wurde gefragt, ob eine Mitwirkung der französischen Behörden im Verwaltungsapparat überflüssig sei. Die Antworten waren ebenfalls nach Landes- und Kreisebene getrennt. 4. Spalte »Mitwirkung unvermeidlich«. Nach StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1591.

Zur Tätigkeit dieses Instituts, welche sich Uber Rechtsfragen, Besatzungskosten, den Bereich der Displaced Persons oder Gutachten etc. erstreckte; vgl. Gustav von Schmoller, Das Institut für Besatzungsfragen in Tubingen, in: Gögler u.a., Das Land WUrttemberg-Hohenzollem, S. 447-470. I35 ln Orten mit starker französischer Belegung stand dem Kreisdelegierten zur Bewältigung der Aufgaben ein »Service Français« (auch Bureau Français genannt) zur Seite. FUr die wirtschaftliche Betreuung der im Kreis liegenden höheren Stäbe und Truppenteile war nicht der Kreisdelegierte, sondern ein Requisitionskontrolleur zuständig. Ihm unterstanden in der Regel vier bis fünf Kreise, und von ihm mußten alle Requisitionen auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden; vgl. StA Sig, WÜ 2, Bd. 1., Bü. 1592, Der Aufwand der Kreisdelegierten in Württemberg-Hohenzollern für das Rechnungsjahr 1950, o.D. l36 Ebd. l37 Ebd.

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von Württemberg-Hohenzollern hinsichtlich ihrer Personal- und Raumkosten untersucht, miteinander verglichen und die jeweiligen Kosten pro Kopf der Bevölkerung errechnet. Was den Aufwand der Kreisdelegierten an Personal und Räumlichkeiten anbelangte, lag der Kreis Tettnang 1950 an erster Stelle, gefolgt vom Kreis Freudenstadt mit einem ebenfalls hohen Zerstörungsgrad an Wohngebäuden, was die Besatzungssituation in beiden Kreisen verschärfte. 138 Die meisten Gelder verschlangen im Kreis Tettnang die Personalkosten. Für den Kreisdelegierten waren insgesamt 4 französische Bedienstete, 19 deutsche Angestellte für Bürodienste, 2 Arbeiter, 6 Personen als Hauspersonal für Diensträume und 6 für Privatunterkünfte beschäftigt. 139 Insgesamt kritisierte das Institut, daß die französischen Dienststellen ihr Personal weitaus besser entlohnten als die deutschen. Vor allem die Angestellten befanden sich mehrheitlich in höheren Lohngruppen als ihre Kolleginnen und Kollegen in den deutschen Büros. 140 Es prangerte nicht nur den Aufwand an Personal und Diensträumen, sondern vor allem die Ansprüche der Kreisdelegierten auf »ausgesprochen große und teure Wohnungen« an. Der Kreisdelegierte in Tettnang stand mit einer 13-Zimmer-Wohnung zusammen mit dem Kollegen aus Hechingen an dritter bzw. vierter Stelle nach Biberach (14 Zimmer) und Münsingen (15 Zimmer). 141 Insgesamt bewegte sich der Aufwand für die Kreisdelegationen in der gleichen Größenordnung wie die Ausgaben für die siebzehn Landratsämter. Das Resümee der Untersuchung über mögliche Sparmaßnahmen war deutlich: »An sich ist die gesamte Einrichtung der Kreisdelegationen als solche durch die Entwicklung völlig überholt und überflüssig geworden. Die wenigen echten Aufgaben, die ihnen im Zusammenhang mit den Requisitionen verblieben sind, können unschwer von den Verwaltungsdienststellen der Truppe ohne Mehraufwand mit übernommen werden«, womit der gesamte Aufwand in WürttembergHohenzollern in Höhe von rund drei Millionen Mark eingespart werden könne. Eine merkliche Entlastung trat für den Kreis Tettnang allerdings nicht ein. In Südwürttemberg-Hohenzollern hatte Friedrichshafen auch weiterhin die höchste Zahl an Besatzungsangehörigen nach Tübingen aufzuweisen, »vielleicht steht sie sogar an erster Stelle«, wie Oberbürgermeister Max Grünbeck noch 1953 klagte. Den Grund hierfür sah er zu dieser Zeit hauptsächlich in den Nutzungsmöglichkeiten des Flugplatzes. 142 2.3. Die Bevölkerung Das Kriegsende kam für die Menschen nicht überraschend: Nach der katastrophalen Entwicklung in Stalingrad wurde den Deutschen immer klarer, daß dieser Krieg nicht 138

Der Kreis Tettnang hatte 1950 Personalkosten in Höhe von DM 14.330, DM 980 Nutzungsleistungen und eine Bevölkerungszahl von 52.367, so daß pro Kopf und Jahr ein Aufwand von DM 3,48 entfiel. Freudenstadt hatte DM 2,76, und der Kreis Biberach lag mit DM 0,72 am niedrigsten. Die Landeshauptstadt lag bei DM 2,52, ebd., ebenso die weiteren Ausführungen. 139 In allen 17 Kreisdelegationen waren 71 französische Beschäftigte, 247 Büroangestellte, 55 Arbeiter und 88 bzw. 105 Beschäftigte als Hauspersonal fur Dienst- bzw. Privaträume tätig. Der monatliche Aufwand für deutsches Personal betrug DM 167.163. 140 So waren in den Kreisdelegationen mehr Angestellte in den Vergütungsgruppen IV bis VII als in den Gruppen Vili bis X, während bei den deutschen Stellen das Verhältnis genau umgekehrt war. 141 Das »Institut für Besatzungsfragen« zog zum Vergleich deutsche Wohnungsvorschriften heran. Danach war die Wohnfläche der Dienstwohnung eines Ministerialrates auf 160 qm festgesetzt, was einer Belegung von etwa fünf Zimmern entsprach. 142 StadtA FN, Notizen für den Besuch der Staatsregierung Baden-Württemberg am 12. März 1953 von Oberbürgermeister Grünbeck.

Befreier und Besatzer

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gewonnen werden konnte. Dabei sprach man innerhalb der Bevölkerung nicht unbedingt von einem »verlorenen Krieg«, sondern man drückte es indirekt aus: »Bald wird das Geld nichts mehr wert sein«; »hoffentlich muß nicht noch mein Sohn zum Militär, bevor alles vorbei ist«; »seid freundlich zu den Fremden, man weiß ja nicht, was kommt« und ähnliche Bemerkungen. 143 Der zunehmenden Kriegsmüdigkeit im Volk trat eine immer aggressivere NS-Propaganda entgegen. Diese hatte allerdings nur eine begrenzte Wirkung, da sich im Zuge der umfangreichen Evakuierungen die NS-Organe allmählich auflösten. Auch die in HJ und BDM organisierte Jugend stellte verblüfft fest, daß auf dem Land, wohin sie evakuiert wurde, keine neuen Verbände und Gruppen mehr gebildet wurden. 144 Die noch in der Stadt lebende Bevölkerung beschäftigte eine zentrale Frage: Wie würden sich die Besatzungstruppen gegenüber einer Nation verhalten, die innerhalb von 25 Jahren zwei Weltkriege begonnen hatte? Als sich herauskristallisierte, daß der Kreis französisch besetzt werden würde, stieg die Angst. Viele Bewohner wußten um die Situation in Frankreich, wußten von den Zerstörungen, Toten und von den Kriegsgefangenen, die in der heimischen Industrie Zwangsarbeit leisteten; einer amerikanischen Besatzung hätte man jedenfalls den Vorzug gegeben. Beim Einmarsch der französischen Truppen gab es laut Zeitzeugenberichten sowohl Vergewaltigungen als auch Tote. Zu ersterem Thema liegen keine Quellenauswertungen vor.145 In Friedrichshafen und Umgebung sind beim Einmarsch der Besatzungstruppen zwei Personen gefallen, »von den Besatzungstruppen beim Einmarsch ermordet« wurde eine Person, hier wird allerdings der 15. Mai als Todestag angegeben. Eine Person wurde außerdem von der SS erschossen. 146 Von solchen Vorfällen abgesehen, verlief das Kriegsende in Friedrichshafen und seinem Umland gewaltfrei, dies vor allem im Vergleich mit anderen Städten. In der Erinnerung der Zeitzeugen dominiert deshalb eher die Zerstörung der Stadt durch Luftangriffe als der Einmarsch der französischen Truppen. Ein Grund mag darin liegen, daß nach den Luftangriffen ein Wanderungsprozeß großen Ausmaßes einsetzte, der sich über die Zäsur von 1945 hinwegsetzte und Bestandteil auch der ersten Nachkriegsjahre blieb. Die ausgebombte Stadtbevölkerung flüchtete in die Provinz, und nur sukzessive, parallel zum nur langsam voranschreitenden Wiederaufbau, zogen die Menschen nach Kriegsende zurück in die Stadt.

143

Zitate aus verschiedenen Zeitzeugeninterviews, StadtA FN. Diese retrospektiven Äußerungen Uber Einstellungen vor 1945 sind durchaus problematisch zu bewerten und vermutlich erst in den letzten Kriegswochen gefallen. In Quellen wie z.B. den »Meldungen aus dem Reich« und Tagebüchern wie dem von Victor Klemperer finden sich viele Belege für den Durchhaltewillen bis zum Ende des Krieges. Anders bei Henke, Die amerikanische Besetzung Deutschlands, wobei Henke jedoch nur die letzten Kriegsmonate untersuchte. 144 Nach Aussagen von Interviewpartnern. 145 Im städtischen Krankenhaus befinden sich umfangreiche Protokollbestände über die Aufnahme von Vergewaltigungsopfern, die noch einer Auswertung bedürfen. 14í StA Sig, WÜ 65/35, Bd. 2, Bü. 718.

50 Tabelle 6:

I. Vom Krieg zum Frieden

Die Einwohnerzahlen von Friedrichshafen 1945 bis 1969147 Jahr 09/1945 Ende 1945 10/1946 04/1949 09/1950 04/1951

Einwohner 13.105 13.826 15.356 17.736 20.501 21.796

Jahr 04/1952 02/1953 12/1957 12/1960 12/1965 12/1969

Einwohner 23.872 26.124 33.140 36.691 41.049 42.786

Lebten im Mai 1939 noch 48 Prozent der Kreisbevölkerung in der Stadt Friedrichshafen, so waren es im Oktober 1946 nur noch 34 und im September 1950 39 Prozent. Bis Mai 1952 stieg die Zahl der Kreisbewohner, welche auf einer Stadtfläche von 11 Prozent des Kreisgebietes lebten, wieder auf 42 Prozent. In diesem Jahr erstrebten noch zirka 2.000 Evakuierte eine Rückführung an ihren Heimatort Friedrichshafen. Der Nachfolger von Kreisgouverneur Ulmer, Albert Merglen, faßte im März 1948 die größten Nöte zusammen, welche die Bevölkerung belasteten. Dazu gehörten der hohe Zerstörungsgrad der Stadt und die Angst vor Arbeitslosigkeit durch Stillegung der Industrieanlagen. Hinzu kam noch der große Besatzungsapparat mit seinen Wohn- und Versorgungsansprüchen: »Ceci détermine naturellement une insatisfaction et une lassitude favorables à la propagation d'idées hostiles.« Die städtische Bevölkerung sei, im Gegensatz zu den Menschen auf dem Land, gegenüber der Besatzung reserviert und manchmal geradezu verbittert. 148 Ein halbes Jahr später hielt das Innenministerium in Tübingen fest, daß Friedrichshafen nach wie vor im Kern nahezu ganz und insgesamt etwa zur Hälfte zerstört sei. Demontagen und Verlust von Arbeitsplätzen ließen die wirtschaftliche Zukunft der Region düster erscheinen. »Die Frage ist«, so die Landesplaner des Ministeriums einleitend in ihrer Untersuchung zur Situation in Friedrichshafen, »wie kann die Stadt noch weiter leben?« 149

147

Die Zahlen wurden entnommen aus: StadtA FN, Notizen für den Besuch der Staatsregierung Baden-Württemberg am 12. März 1953 von Oberbürgermeister Grünbeck; Statistik von BadenWürttemberg, Bd. 3, Suttgart 1953, S. 138; ebd., Bd. 77, Stuttgart 1961, S. 45, sowie Einwohnerbücher der Stadt Friedrichshafen. 148 Ado, c. 3568, Merglen an Cabinet Civil vom 2.3.1948. 149 StA Sig, WÜ 42, Bd. 22, Bü. 1087, Abteilung V, Gruppe Landesplanung vom 9.9.1948.

Neuordnung der Industrie

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3. Fischerdorf oder Industriezentrum? Deutsche und alliierte Nachkriegspläne und die Neuordnung der Industrie Die Frage, ob aus Friedrichshafen ein Fischerdorf oder Industriezentrum werden würde, ist aus heutiger Sicht nur noch rhetorisch zu verstehen und galt auch schon 1953 als längst überholte Alternative. In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte sie, von der überspitzten Formulierung abgesehen 150 , allerdings ihre Berechtigung. Die Region war in hohem Maße durch die Industriebetriebe der Zeppelin-Stiftung mit dem Mutterkonzern Luftschiffbau Zeppelin GmbH und dessen Tochterfirmen sowie die Dornier-Werke geprägt. 151 Vom Fortbestand dieses Konzerns hing die künftige Wirtschafts- und Erwerbsstruktur der Region ab. Erst seit etwa dreißig Jahren gab es in Friedrichshafen größere Industriebetriebe, so daß für die Zeitgenossen die Erinnerung an eine Existenz als landwirtschaftliches und Fremdenverkehrszentrum noch nicht allzu weit zurücklag. Diese Zeit hatte der zweite Nachkriegsbürgermeister Josef Mauch vor Augen, als er 1946 die Auffassung vertrat, daß das künftige Wirtschaftsleben im Kreis auf drei Säulen basieren werde: auf Kleinindustrie und Handwerk, auf Landwirtschaft sowie auf Tourismus und Kurbetrieben. 152 Mauch setzte sich mit seinen Vorschlägen der Kritik von Gemeinderäten, Gewerkschaften und Betriebsleitungen aus, für die ein solcher Weg zurück in Zeiten vor Gründung des Konzerns Luftschiffbau Zeppelin indiskutabel war. Dies galt auch für den Autor einer Studie, welche vermutlich im Auftrag des Wirtschaftsministeriums erstellt worden war. In diesen »Wirtschaftsbetrachtungen« vom Februar 1947 machte Karl Flittiger seine Position unmißverständlich klar: »Sollte die endgültige Schließung der Friedrichshafener Werke verfügt und die Ausnützung der Anlage, soweit noch brauchbar, nicht mehr gestattet werden, so wäre dies gleichbedeutend mit einem völligen Zusammenbruch der Stadt Friedrichshafen«. 153 Da Handel, Gewerbe und Fremdenverkehr von der Industrie abhingen und auch die gesamte Region davon profitiere, sollte deshalb unbedingt angestrebt werden, die Firmen »in 1S0

Friedrichshafen wurde im Jahre 1811 aus der kleinen Reichsstadt Buchhorn und dem Klosterort Hofen gegründet. In der Zeit vor Verleihung der Stadtrechte Ende 12./ Anfang 13. Jahrhundert war Buchhorn ein Fischerdorf gewesen. Mit der Alternative „Fischerdorf" umschrieben Zeitzeugen in Gesprächen mit der Verfasserin die große Angst in der Nachkriegszeit, auf einen vorindustriellen, ja mittelalterlichen Stand zurückzufallen. 151 Im Hinblick auf die bislang erschienene Literatur zum Thema »Industrie« muß von einem deutlichen Forschungsdesiderat gesprochen werden. In einem Teil der Publikationen wurde ein biographischer Zugriff auf das Thema gewählt, der mit einer Verehrung und Wertschätzung der regionalen Wirtschaftseliten, vertreten durch Ferdinand Graf von Zeppelin, Alfred Graf von Soden-Fraunhofen, Alfred Colsman, Alexander Graf von Brandenstein-Zeppelin, Karl Maybach, Hugo Eckener und Claude Dornier verbunden ist. Die Jahre 1933 bis 1945 bleiben dabei überwiegend ausgespart. Ausführlich beschrieben ist dagegen die technologische Entwicklung der vier Großfirmen. Die überwiegende Mehrheit der Autoren arbeitete ohne Anmerkungsapparat, weshalb ihre Studien nur sehr bedingt herangezogen werden konnten. 152 StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Bericht über die Finanz- und Wirtschaftslage der Stadt Friedrichshafen von Altbürgermeister Mayer vom 7.10.1946; vgl. Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 485. ' " S t A Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 515, »Wirtschaftsbetrachtungen der Stadt Friedrichshafen a.B. nach dem Stand Jahresanfang 1947 unter besonderer Berücksichtigung der Industriebedeutung« vom 1.2.1947, erstellt von Karl Flittiger. Einige Monate später äußerte sich das Wirtschaftsministerium in einer umfangreichen Analyse zu den »Kriegsschäden und Kriegsfolgeschäden der Industrie von Württemberg-Hohenzollern«, in der mehrmals auf Friedrichshafen eingegangen wird, ebenfalls pessimistisch; nach ebd., Bü. 234 vom August 1947.

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einem bestimmten Rahmen zu erhalten und in eine Friedensproduktion wieder einzuschalten«. 154 Allerdings hielt Flittiger resigniert fest: »Alle Bemühungen der Firmen, irgendwie ein festes Fundament für eine planvolle Ingangsetzung zu erreichen, können als gescheitert betrachtet werden. Soweit die Entscheidungen des Kontrollrates vorliegen, sind bestimmte Stillegungsbefehle ergangen. Vermutlich sind diese Mißerfolge der Einzelfirmen als erklärte Rüstungsbetriebe und Einzelkapitalgesellschaften, die an jedem Wiederaufbau verhindert werden sollen, auf eine ungünstige Aufnahme dieser Wünsche bei der Besatzungsmacht zurückzuführen.« 155 Deshalb solle nach Möglichkeiten für eine Produktion in »der Besatzungsmacht genehmen Richtungen« gesucht werden. In einer weiteren Analyse des Wirtschaftsministeriums von August 1947 zur Lage der Industrie in Württemberg-Hohenzollern wurde über die Zukunft der eisen- und metallverarbeitenden Industriezweige besonders pessimistisch spekuliert: »Das Gesamtbild wird am stärksten beeinflußt durch das Schicksal der Betriebe der Gruppe Kraftfahrzeugbau und „Sonstiges", wozu vor allem die Firmen im Bereich von Friedrichshafen und Umgebung gehören. [...]. Da in diesen Betrieben 1944 zum Teil in mehreren Schichten gearbeitet wurde, wird man die tatsächlichen Ausfälle an Arbeitsplätzen auf die Grundkapazität gerechnet mit etwa 11-12.000 anzusetzen haben. Da hier die Demontage den Rest der Betriebe vernichtet, ist also mit einem völligen und nach den Bestimmungen der Besatzungsmacht dauernden Verlust dieser Kapazität zu rechnen.« 156 Eine Zukunftsperspektive, in der nicht nur die Industrie, sondern alle wirtschaftlichen Sektoren eine Rolle spielen sollten, vertrat ein Jahr später eine Studie des Innenministeriums. In dieser Analyse der Abteilung für Landesplanung im Innenministerium vom September 1948157 ging es darum, wie die wirtschaftliche Zukunft von Friedrichshafen und seiner Region aussehen könnte: »Bei der Beurteilung dieser Frage darf man nicht nur von der Industrie ausgehen, man muß die gesamten Lebensgrundlagen erfassen«, so eine Vorüberlegung der Landesplaner. In Anknüpfung an sozialräumliche Gegebenheiten sollten deshalb vier Bereiche in Betracht gezogen werden, um Arbeitsmöglichkeiten für die ansässige Bevölkerung zu schaffen:

134

Ebd., BU. 515. In detaillierten Ausführungen erläutert Flittiger die noch nutzbaren Gebäude- und Geländeflächen, die ansässigen Belegschaften mit Familienangehörigen und die Möglichkeiten einer Friedensproduktion. 155 Ebd. 136 Ebd., Bü. 234. 137 Die folgenden Ausführungen fußen auf ebd. und WÜ 42, Bd. 22, BU. 1087 vom 3.9. und 9.9.1948. Bis dahin war es immer noch nicht gelungen, die Wirtschaftskraft im industriellen Sektor deutlich zu beleben. In einem Vergleich der drei IHK-Kammerbezirke Ravensburg, Reutlingen und Rottweil schnitt bezüglich der industriellen und kleingewerblichen Neugründungen der Bezirk Ravensburg am schlechtesten ab. Von allen neugegrUndeten Firmen ließen sich nur 21% im Bezirk Ravensburg nieder, von diesen gehörten 19% zum Sektor Eisen und Metall. In Reutlingen ließen sich 44% und in Rottweil 36% der Firmen nieder. Im Kammerbezirk Ravensburg vermißte die Arbeitsgemeinschaft der Landes-IHK »seit Auflösung der Friedrichshafener Rüstungsindustrie« gleich starke Industriezentren wie in den anderen Kammerbezirken. Vgl. ebd., WÜ 140, Bd. 1, BU. 235, Industrielle und kleinbetriebliche Betriebsneugründungen in Württemberg-Hohenzollern seit Kriegsende von 10/1948.

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1. Friedrichshafen verfüge über eine landwirtschaftliche Nutzfläche von 2.000 ha mit gutem Klima und Boden, auf der mindestens tausend Menschen ihre Erwerbsgrundlage finden könnten; hinzu komme noch die Bodenseefischerei mit ihren Erwerbsquellen. 2. Die Stadt als Mittelpunkt des württembergischen Bodenseegebiets mit einem Hinterland von etwa 180.000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche habe eine »sehr hohe Marktleistung dank des Obst- und Hopfenbaues und der sehr intensiven Viehhaltung«. Die »vielen größeren Bauern, die stärker marktorientiert sind als etwa die Kleinbauern im Unterland«, erwirtschafteten gute Erträge, so daß etwa 1.800 Menschen in Friedrichshafen vom agrarischen Sektor leben könnten. Weitere 1.200 Menschen könnten für diese »primären Verdiener« arbeiten. 3.1m Reichsbahnausbesserungswerk, für das Ausbaupläne vorlagen, und im Schiffsverkehr sollten etwa 2.000 Menschen ihre Lebensgrundlage finden. 4. Der Fremdenverkehr, der in Vorkriegszeiten etwa 900 Menschen Arbeit bot, sollte nach dem Wiederaufbau der Stadt reaktiviert werden. Zum Zeitpunkt der Studie lag er allerdings »ganz darnieder«, man hoffte aber auf eine Neubelebung. Hierzu wollte man vor allem im Ausland für das billige Reiseland werben. Zusammen sollten in Friedrichshafen demnach etwa 8.000 Personen eine Erwerbsgrundlage finden. »Das wäre also eine Stadt, die ohne Industrie in der eigenen Landwirtschaft, in der Tätigkeit für das ländliche Hinterland, im Verkehrswesen und im Fremdenverkehr ihre Lebensgrundlage findet«, so das Resümee der ministeriellen Untersuchung. Ergänzend wurden aber doch noch einige Arbeitsplätze in der Industrie einkalkuliert. Die Minimalschätzung ging bis zum Abschluß der Demontage von 500 bis 800 Stellen aus, bei »einigen Bemühungen« könnten es 1.000 werden. ZurZeit der Untersuchung arbeiteten ca. 200 Menschen in »kleineren Industriebetrieben«, weitere 600 Personen für die Franzosen in einer Reparaturwerkstätte für Heeresfahrzeuge und weiteren Betrieben und »einige Hundert« für »sonstige Zwecke der Besatzungsmacht«. »Nur so kann auch erklärt werden, daß die Stadt, die, wie kaum eine andere Stadt im westlichen Deutschland, durch Abrüstungen und Demontage betroffen ist, so gut wie gar keine Arbeitslosigkeit aufweist und auch sonst noch von akuter privater Not ziemlich verschont geblieben ist«. Die Betonung lag angesichts der weiteren Demontagepläne auf »noch«. Optimistische Schätzungen sahen in Industrie und Besatzung eine Beschäftigungsmöglichkeit für etwa 7.000 Menschen. Deshalb empfahlen die Landesplaner, vor allem den schon vor 1933 bestehenden Facharbeiterstamm und den »bodengebundenen Nachwuchs« für die Industriebetriebe zu erhalten und auszubauen. Insgesamt hob die Planungsbehörde hervor, die Arbeitssituation sei so gut, daß zum Beispiel immer noch 1.500 Pendler jeden Tag in die Stadt kämen, »ein Zeichen, daß Friedrichshafen auch im Jahre 1947 noch mehr Arbeitsmöglichkeiten bot, als die eigene Bevölkerung wahrnehmen konnte bzw. wollte.« Zwar werde es in Zukunft noch Entlassungen geben, die sich aber eher auf die Bevölkerung der Umgebung auswirkten. Diese optimistische Einschätzung beruhte jedoch auf der Vorgabe, daß umfassende Wiederaufbauhilfen vom Land geleistet würden. Die zum Teil widersprüchlichen deutschen Pläne zur Neugestaltung der Wirtschaft gingen mit ebenso unterschiedlichen Wirtschaftskonzeptionen der französischen Dienststellen einher. In der älteren Forschung und im kollektiven Gedächtnis der Zeitgenossen wird die Wirtschaftspolitik Frankreichs überwiegend und verallgemeinernd

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als Ausbeutungs- und Destruktionspolitik bewertet. Entsprechend den alliierten Beschlüssen sollte die deutsche Rüstungsindustrie, zu der auch die vier Großfirmen in Friedrichshafen zählten 158 , total demontiert oder zumindest dekartellisiert werden. Dessen ungeachtet existieren alle vier Industriebetriebe bis heute. Es stellt sich also die Frage nach dem Spannungsfeld zwischen alliierter Wirtschaftsplanung und dem tatsächlichen Verlauf der Wirtschaftsneuordnung. Dabei ist die französische und die zunehmend an Bedeutung gewinnende amerikanische Deutschlandpolitik ebenso zu betrachten wie die verschiedenartigen Konzeptionen der französischen und deutschen Institutionen und Funktionsträger. Es soll in einem Vergleich der vier Industriebetriebe gezeigt werden, daß ganz unterschiedliche Wege zur Lösung der Nachkriegsprobleme eingeschlagen und ebenso unterschiedliche Ergebnisse erzielt wurden. Für die Umsetzung der von Paris gesteuerten Wirtschaftspolitik war in der französisch besetzten Zone die »Direction Général de l'Economie et des Finances« unter der Leitung von Jean Filippi installiert worden. Ihr waren acht Wirtschaftsressorts unterstellt.159 Wie in anderen Bereichen der französischen Besatzungspolitik auch gab es keine französischen Zentralinstanzen zur Bewirtschaftung der Zone, die Verwaltung lag hauptsächlich auf Länderebene. Je nach der Bedeutung, die die einzelnen Wirtschaftsfragen für Frankreich spielten und wegen der zum Teil unklaren Kompetenzen innerhalb der Bürokratie nahmen oft auch die Militärregierung oder die Zentralregierung in Paris selbst das Heft in die Hand. Dies engte den Spielraum der französischen Stellen vor Ort und der deutschen Behörden ein. 160 Die anfangs autonome Demontagepolitik der französischen Zentralinstanzen in Paris (»Unilaterale Phase« vom 1. September 1945 bis zur Erstellung des Industrieplans am 27. März bzw. 23. Juni 1946161) endete mit der Einrichtung der »Inter Allied Reparation Agency« (IARA) in Brüssel. 162 Unter ihrer Leitung wurden in der französischen Zone bis Mitte 1950 110 von ursprünglich 236 zur Total- oder Teildemontage vorgesehene Werke demontiert. 163 In der ersten offiziellen Demontageliste für Südwürttemberg-Hohenzollern,

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Die Firmen Luftschiffbau und Domier wurden als Rüstungsbetriebe, der Maybach-Motorenbau und die Zahnradfabrik als zu einem RUstungskonzern gehörende Betriebe klassifiziert, ebd., WÜ 2, Bd. 1, BU. 1575, Demontageliste vom 7.11.1947. Vgl. auch Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 37. Die Untersuchung von Karin Ohlhauser stellt den ersten und gelungenen Versuch einer Darstellung der industriellen Nachkriegsentwicklung in Friedrichshafen am Beispiel der vier Großbetriebe dar. Der Arbeit entnahm die Autorin wertvolle Hinweise, die als Grundlage für weitergehende Interpretationen verwendet werden konnten. Ohlhauser konnte innerhalb ihres Projekts bisher unveröffentlichte Quellen des Firmenarchivs der Motoren- und Turbinen-Union (MTU) und des Archivs des angegliederten Maybach-Clubs mit dem Karl-Maybach-Privatarchiv auswerten. lî9 Der wirtschaftsbürokratische Aufbau in der FBZ ist dargestellt in: Henke, Politik der Widersprüche, und Friedrich Jerchow, Deutschland in der Weltwirtschaft 1944-1947, Düsseldorf 1978, S. 427f. ""Alain Lattard, Gewerkschaften und Arbeitgeber in Rheinland-Pfalz unter französischer Besatzung 1945-1949, Mainz 1988, S. 15. 161 Die Demontage in der FBZ kann in drei Phasen gegliedert werden: Entnahme von »Kriegsbeute« durch die section Τ der 1. französischen Armee bis zum 1.9.1945; »Unilaterale Phase« und »IARAPhase« bis Mitte 1950, vgl. Werner Abelshauser, Wirtschaft und Besatzungspolitik in der französischen Zone 1945-1949, in: Claus Scharf/Hans-Jürgen Schröder (Hrsg.), Die Deutschlandpolitik Frankreichs und die französische Zone 1945-1949, Wiesbaden 1983, S. 126; Mathias Manz, Stagnation und Aufschwung in der französischen Besatzungszone 1945-1948, Diss. rer. pol, Mannheim 1968, Neuauflage Ostfildern 1985, S. 38ff; Henke, Politik der Widersprüche, S. 520. 162 Die IARA vertrat die Ansprüche von 18 Staaten gegenüber den drei Westzonen. 163 Nach der Demontageliste vom Oktober 1947. In der Bizone sollten 682 Betriebe demontiert werden; vgl. Wolfgang Benz, Die Gründung der Bundesrepublik. Von der Besatzungszone zum souveränen Staat, 2. Aufl., München 1986, S. 81ff., sowie Manz, Stagnation, S. 45.

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veröffentlicht am 7. November 1947164, waren alle vier Friedrichshafener Großbetriebe aufgeführt: Luftschiffbau Zeppelin und Dornier-Werke mit fünf Tochterfirmen unter der Kategorie »Rüstungsbetriebe«, Maybach-Motorenbau (»Schwerer Maschinenbau«) und die Zahnradfabrik Friedrichshafen (»Leichter Maschinenbau«). Von siebzig zu demontierenden Unternehmen in Württemberg-Hohenzollem waren nur fünf von der Totaldemontage ausgenommen. Vier Betriebe aus der Kategorie »Feinmechanik und Optik« sollten zu fünfzig Prozent demontiert werden, und die Zahnradfabrik Friedrichshafen als einziges Werk nur zu 33 Prozent. Knapp ein Jahr später, am 30. Juli 1948, übergab Gouverneur Widmer der Regierung von Württemberg-Hohenzollern vier revidierte Demontagelisten, welche auf Beschlüssen der IARA basierten. 165 Sie umfaßten nur noch 38 Werke166. Die Zahnradfabrik war eine unter zehn Firmen, die in dieser Liste nicht mehr aufgenommen und von der Demontage befreit worden waren. 167 Die Dornier-Werke und der Luftschiffbau Zeppelin kamen ebenfalls in der Liste von 1948 nicht mehr vor, was aber nicht hieß, daß kein Demontagebefehl mehr bestand. Ganz im Gegenteil sollten sie zu hundert Prozent abgebaut werden. Als einziges der vier Friedrichshafener Unternehmen war der Maybach-Motorenbau aufgeführt, es befand sich, allerdings nur noch für wenige Wochen, in der Totaldemontage. 168 Nach einer Besichtigung der FBZ im Sommer 1948 empfahl die »HumphreyKommission«, eingerichtet von den USA aus Sorge um die wirtschaftliche Zukunft der Besatzungszonen, 167 Betriebe von der IARA-Liste zu streichen. In Zusammenhang mit der Verabschiedung des trizonalen Industrieplans in Washington im April 1949 wurden für Württemberg-Hohenzollem deshalb 27 Betriebe von der Demontageliste gestrichen, sechs Betriebe sollten nicht mehr total-, sondern nur teildemontiert werden. Mit dem »Petersberger Abkommen« vom November 1949 fand die Demontagefrage schließlich ihren Abschluß. Die Abmachung zwischen den Alliierten Hohen Kommissaren und dem deutschen Bundeskanzler berührten aber nicht die weiterhin bestehenden Produktionsverbote und -beschränkungen. Demontierte Werke durften

'"Demontagelisten in StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Btl. 1575, veröffentlicht im »Südkurier« (Ausgabe Konstanz) vom 7.11.1947. " ' D i e Württembergische Regierung wollte diese Listen erst nach Beratungen veröffentlichen: »Nachdem der Vertreter der Stuttgarter Zeitung schon vor der Landtagssitzung am 6.8.1948 in den Besitz der Demontagelisten M V gelangt ist, drängen die Nachrichtenstellen, das Schwäbische] Tagblatt und der Württemberger auf offizielle Bekanntgabe der betroffenen Firmen.« Ebd, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 2014, Vermerk für Herrn Min.Dir. Mosthaf vom 10.8.1948. 166 In den Quellen der Landesregierung von August 1948 werden z.T. nur 37 Betriebe angegeben und darauf verwiesen, daß dennoch »die sofortige Demontage der in dieser Liste [Demontageliste vom 30.7.1948] nicht genannten Firma Maybach in Friedrichshafen angeordnet« sei, ebd. Einen Monat später war dann die Firma in die Listen aufgenommen worden. '"Demontageliste vom Juli 1948 in ebd., WÜ 140, Bd. 1, Bü. 565. "»Ebd. In einem Vergleich der Demontagelisten von 1947 (auch „Grundliste" genannt) und 1948 ergab sich: Von 13 RUstungsbetrieben waren 10 nicht mehr genannt worden; von den übrigen Firmen waren 10 gestrichen worden, 18 befanden sich in Totaldemontage, 11 in Teildemontage und 18 »in Reserve«. Bei letzteren handelt es sich wahrscheinlich um Betriebe, die der »Kommission Humphrey« zur Verfügung gestellt wurden (ebd. und AdO, c. 3603). Der amerikanische Politiker Hubert Horatio Humphrey, Senator von 1949 bis 1964 und Sprecher des linken Parteiflügels der Demokratischen Partei, trat für eine Politik der Abrüstung und des Ausgleichs mit der UdSSR ein. Aus Protest gegen die zweite Demontageliste trat die Württembergische Landesregierung am 6.8.1948 zurück. Die Gewerkschaften riefen zum Generalstreik auf. Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 35, geht von falschen Zahlen aus (38 zu demontierende Firmen in der FBZ), weshalb sie auch irrtümlicherweise zu dem Schluß kommt, daß die Liste von 1948 »im großen und ganzen der Liste von 1947« entspricht.

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außerdem nur mit Genehmigung des Militärischen Sicherheitsamtes wieder aufgebaut werden. 169 Aus diesem Grund erfolgte der Wiederaufbau der Dornier-Werke auch wesentlich später als jener der anderen Friedrichshafener Industriebetriebe. Dem Umfang der Demontagen nach nahm von allen vier Besatzungszonen die FBZ den zweiten Platz hinter der sowjetischen Besatzungszone ein. In der amerikanischen und britischen Zone beliefen sich die Forderungen im Vergleich zur französischen auf weniger als die Hälfte. 170 Über die Konsequenzen für die französischen Besatzungsgebiete besteht in der Forschung keine Einigkeit. F. R. Willis widerspricht in seiner Untersuchung über die FBZ der These von einer großen Schwächung der deutschen Wirtschaft durch Demontagemaßnahmen. 171 Aus zeitgenössischer Sicht stellten diese, vor allem während der neuerlichen Demontagewelle im Sommer 1948, eine ernsthafte Bedrohung der wirtschaftlichen Zukunft dar, so daß sich sogar französische Medien gegen weitere Maßnahmen wandten. In der französischen Tageszeitung »Le Monde« bekundete der Autor Alain Clément im August 1948 - wenige Tage nach dem Rücktritt der Württembergischen Landesregierung - Verständnis für die Verbitterung der Bevölkerung: »Diese Maßnahmen bringen für das Land einen schweren Substanzverlust mit sich, was die Heftigkeit seiner Reaktion erklärt. Noch vor dem Vorgehen der IARA wurde es einer Demontagewelle unterzogen, die 20 000 Maschinen umfaßte, dieses Mal auf einfaches Dekret des Militärkommandanten hin und fast nur zum Nutzen Frankreichs. Diese Maschinen kamen etwa einem Wert von 120 Millionen Mark gleich. Diese Summe entspricht den legalen Demontageentnahmen für die ganze amerikanische Zone. Das heißt, daß Württemberg-Hohenzollern mit einer Einwohnerzahl von 1 Million das durch Maschinenentnahmen am meisten betroffene Land war. Man versteht deshalb die Feindseligkeit gegen die Franzosen, die jetzt herrscht.« 172 Der Autor betonte aber auch, daß Frankreich von den Entnahmen unter IARA-Regie nur 15 Prozent erhielt. Erst mit dem unter ökonomischen Aspekten überfälligen Anschluß der französischen Zone an die Bizone im April 1949 endete die bislang isolierte Wirtschaftspolitik der Franzosen. Der französische Versorgungsbedarf wurde fortan mit Marshallplan-Lieferungen gedeckt, wodurch eine Entlastung der krisenhaft zugespitzten Wirtschaftslage in der französischen Zone eintrat. 173 3.1. Kommunalisierung statt Sozialisierung? Die Zeppelin-Stiftung Ferdinand Graf von Zeppelin 174 errichtete mit dem gesamten Betrag der Volksspende, die ihm nach der Luftschiffkatastrophe bei Echterdingen am 5. August 1908 mit über 169

Vgl. Benz, Gründung der Bundesrepublik, Dokument 5, S. 161ff. Abelshauser, Wirtschaft, S. 129. 171 F. Roy Willis, The French in Germany, Stanford 1962, S. 117. Für den Kreis Tettnang liegen umfangreiche Archivbestände zur Demontage und zu den verschiedenen Entnahmearten vor, ebenso graphische Darstellungen Uber »Die Auswirkungen der Demontage auf das Wirtschaftsleben der betroffenen Industriegemeinden in Württemberg-Hohenzollern« u.a. für den Kreis Tettnang von 12/1947 (StA Sig., WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1582). Für die wirtschaftsgeschichtlichen Quellenbestände wäre eine eigene Untersuchung lohnenswert. 172 »Le Monde« vom 18.8.1948, Übersetzung in: ebd., BU. 1585. l73 Abelshauser, Wirtschaft, S. 123; Manz, Stagnation, S. 87; Henke, Politik der Widersprüche, S. 515ff. 174 Ferdinand Graf von Zeppelin wurde am 8.7.1838 in Konstanz geboren und starb am 8.3.1917 in Charlottenburg. Eine wissenschaftlichen Standards genügende Biographie über diese interessante Persönlichkeit steht noch aus. 170

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sechs Millionen Mark zur Verfügung gestellt worden war 175 , durch Stiftungsurkunde vom 30. Dezember 1908 die Zeppelin-Stiftung in Friedrichshafen. 176 Die Hälfte des Stiftungsvermögens flöß bereits im September in die Gründung der Luftschiffbau Zeppelin GmbH (LZ), deren satzungsmäßige Aufgabe der Bau, Verkauf und Betrieb von Luftfahrzeugen war. Zu diesem Zweck gründete der Luftschiffbau zahlreiche Tochtergesellschaften: die Maybach-Motorenbau GmbH (MM), die Zahnradfabrik Friedrichshafen AG (ZF) und die bis 1932 zum Luftschiffbau gehörenden DornierWerke 177 . Diese vier Unternehmen trugen zur schnellen Industrialisierung der Region bei und legten die Grundlagen der Friedrichshafener Metallindustrie. 178 Die Stiftung, die 92,5 Prozent des Stammkapitals des Luftschiffbau-Konzerns besaß, sollte verhindern, daß die Spendengelder zur persönlichen Bereicherung von Privatpersonen mißbraucht werden könnten. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stiftung erneut mit Mitteln der Allgemeinheit in Form der Zeppelin-Eckener-Spende und mit Reichsgeldem unterstützt. 179 Nach dem Zweiten Weltkrieg drohte Friedrichshafen »der Verlust der in jahrzehntealter Tradition herangewachsenen Metallarbeiterschaft, der unersetzlich wertvollen Grundlage seines gewerblichen Lebens«. 180 Die Zeppelin-Stiftung selbst war von Sequestration und der Vernichtung ihres Vermögens »durch Sprengung, Demontage und Verschleuderung«181 bedroht. Da sie Hauptgesellschafterin des Luftschiffbaus und damit auch der Zahnradfabrik und des Motorenbaus war, ging es letztlich um den Erhalt der gesamten ansässigen Industrie (außer den Dornier-Werken). Im Juni 1946 wandte sich Landesdirektor Dr. Binder mit folgendem Vorschlag an Le Portz von der Militärregierung in Tübingen: »Die Zeppelinstiftung ist, wie ich schon bei anderer Gelegenheit mitgeteilt habe, bereit, ihren Stiftungszweck umzuwandeln in eine „Zeppelinstiftung für gemeinnützige Arbeiten" und dabei insbesondere dem Zwecke kultureller und sozialer Art zu fördern [sie!]. Es ist beabsichtigt, die der Zeppelinstiftung gehörenden Firmen [...] vollständig zu liquidieren. Der Rest der Maschinen, der den Fir-

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Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 469, und eine gute Zusammenfassung der Ereignisse in StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, 19seitiger »Bericht der Zeppelin-Stiftung über die ersten vier Jahre ihrer Verwaltung durch die Stadt Friedrichshafen (1947-1950)« vom Januar 1951. 176 Die Stiftung war eine selbständige Rechtspersönlichkeit des privaten Rechts und hatte den Zweck, die Luftschiffahrt und Luftfahrtforschung zu fördern, ebd. "'Ferdinand von Zeppelin verlegte seinen Betrieb von dem Versuchsplatz in Manzell nach Friedrichshafen. Die Manzeller Anlagen stellte er 1910 dem Oberingenieur und Flugzeugkonstrukteur Theodor Kober zur Verfügung. Auf diesen Grundlagen gründete Kober 1912 die »Flugzeugbau Friedrichshafen GmbH«. 1918 zählte der Betrieb 3 000 Beschäftigte, er mußte jedoch nach dem Ersten Weltkrieg seine Produktion einstellen. 1924 ging diese Firma in den Besitz der »DomierMetallbauten« Uber, einer Tochter des LZ. 1932 erwarb Claude Dornier die Werksanlagen unter Austritt aus dem Zeppelin-Konzern, ebd., WÜ 140, Bd. 1, BU. 515, Wirtschaftsbetrachtungen der Stadt Friedrichshafen; vgl. auch Zeppelin. Ein bedeutendes Kapitel aus der Geschichte der Luftfahrt, hrsg. von der Zeppelin-Metallwerke GmbH, 5. Aufl., Friedrichshafen 1983, S. 18ff. '''Folgerichtig wird in zahlreichen Quellen das Jahr 1910 als »Beginn der Industrieentwicklung« betrachtet. Bis dahin waren außer der Lederfabrik Hüni und der Eisenbahnbetriebswerkstätte keine großen Industriebetriebe vorhanden. 179 Nach dem Tode des Grafen Ferdinand von Zeppelin im Jahre 1917 ging die Leitung der Stiftung zunächst auf seinen Neffen Freiherr Max von Gemmingen-Guttenberg über. Als auch dieser verstarb, übernahm Dr. Hugo Eckener (10.8.1868-14.8.1954) die Geschäftsleitung, zusammen mit Dr. Ing. e.h. Alfred Graf von Soden-Fraunhofen (21.11.1875-14.6.1944) und dem Schwiegersohn des Grafen Ferdinand von Zeppelin, Alexander Graf von Brandenstein-Zeppelin, LZA 04/231. 180 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. 181 Ebd.

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men verbleiben wird, soll in eine neue Gesellschaft eingebracht werden mit dem Sitz außerhalb Friedrichshafens, voraussichtlich in Meckenbeuren. Diese Firma wird vermutlich 4-5 kleine Betriebswerkstätten unterhalten und anstelle der während des Krieges beschäftigten Gefolgschaft von über 14.000 Leuten höchstens 1/7 davon, nämlich annähernd 2.000 beschäftigen können für Friedensproduktion.« 182 Dies war ein weitgehender Vorschlag zur Erhaltung der Industrie, aber kaum im Sinne der Stadt, der Belegschaften und der alten Werksführungen. Als Ergänzung bot die Landesdirektion noch an, falls es der Militärregierung erwünscht sei, »anstelle der vorgeschlagenen verkleinerten Restfirma [...] jede einzelne kleinere Betriebsstätte als Firma getrennt zu führen«. Hier kam die Landesbehörde den Bestrebungen der Franzosen nach Dezentralisierung der deutschen Industrie entgegen. Die Militärregierung lehnte diesen Vorschlag jedoch ab. Über die Motive ist nichts bekannt. Vom alten Stiftungsvorstand Hugo Eckener 183 und Ludwig Dürr 184 kam im Juli 1946 der erste Vorschlag seitens der Unternehmer zur Erhaltung der Stiftung. Zwar ruhten seit 1. Juni 1946 alle Vollmachten der beiden Vorstandsmitglieder, ihren Einfluß auf die Nachkriegsverhandlungen konnten sie aber weiterhin geltend machen. 185 Die Stiftung sollte - da die Förderung der Luftschiffahrt unmöglich geworden sei umgewandelt werden und fortan ausschließlich gemeinnützigen, kulturellen und wohltätigen Zwecken dienen. Um den gemeinnützigen Charakter zu betonen, sollte je ein Vertreter der Staatsregierung, der Belegschaften und der Gewerkschaften in den Aufsichtsrat berufen werden. 186 Eine Liquidation der LZ-Firmen kam aber für Eckener und Dürr nicht in Frage. Kreisgouvemeur Ulmer begründete die darauf folgende Absage damit, daß zum Erhalt der Stiftung und der Industriebetriebe ein »neuer Name,

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Ebd., WÜ 120, Bd. 1, Bü. 219 vom 6.6.1946, ebenso die weiteren Ausführungen. Zur Person Hugo Eckeners liegt wie für Graf Ferdinand von Zeppelin keine wissenschaftliche Biographie vor, weshalb nach wie vor auf Rolf Italiaander verwiesen werden muß: Ein Deutscher namens Eckener. Luftfahrtpionier und Friedenspolitiker. Vom Kaiserreich bis in die Bundesrepublik, Konstanz 1981. 184 Ludwig Dürr, als Sohn eines Weingärtners am 4.6.1878 in Stuttgart geboren, besuchte die Realschule und, nach einer Lehre, die Maschinenbauschule in Stuttgart. 1899 trat er als Konstrukteur in die Gesellschaft zur Förderung der Luftschiffahrt des Grafen Zeppelin ein, LZA 06/773, Nachruf zu seinem Tod am 1.1.1956 in Friedrichshafen. Hier sind auch die vielen Ehrungen aufgezählt, die Dürr seit der Kaiserzeit erfahren durfte; u.a. war er Ehrendoktor der Universitäten Stuttgart, Tübingen, Freiburg, Heidelberg, Karlsruhe und Graz sowie Ehrenbürger der Stadt Friedrichshafen und Echterdingen. 183 Zu den jeweiligen Konstellationen zwischen französischen und deutschen Dienststellen siehe die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel. Ab 1.6.1946 ruhten ebenso die Prokuren von Dörr, Oesterle, Schiele und Siegle. Vollständig aufgehoben wurden die Vollmachten des stellvertretenden Betriebsführers Knut Eckener und mehrerer Prokuristen, davon drei aus Friedrichshafen; AdO, c. 1181, p. 2. 186 ZF: Im Jahrhundert des Wandels. ZF 1915-1990, hrsg. v. der Zahnradfabrik, Friedrichshafen 1992, S. 173. 183

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neue Männer, neues Programm und Sozialisierung« unabdingbar seien.187 Dieser Auffassung Schloß sich die Tübinger Militärregierung an.188 Mit Rücksicht auf diese Vorgaben kam unter Leitung von Staatsrat Carlo Schmid im August und September 1946 der Entwurf der »Buchhorner Stiftung« zustande.189 In ihm waren Mitbestimmungsrechte von Gewerkschaften, Belegschaften, Geschäftsführungen und der Stadt Friedrichshafen vorgesehen.190 Auch dieser Vorschlag wurde von den Franzosen abgelehnt. Bei einem Verhandlungstermin Carlo Schmids mit dem französischen Oberst Corbin de Mangoux im Dezember 1946 in Tübingen sah die Zukunft der Industriebetriebe unverändert hoffnungslos aus: »Nach Auffassung von Oberst de Mangoux sind die Friedrichshafener Betriebe völlig zum Abtransport freigegeben. Ein Weiterführen der Friedensproduktion in Teilen der Betriebe hielt er für unmöglich. Er nahm davon Kenntnis, daß die Stadtgemeinde Friedrichshafen zwar vermögensrechtlich Nachfolger der Zeppelin-Stiftung wird, nach der deutschen Gemeindeordnung aber keinesfalls Betriebe selbst führen darf«.191 Nach den fehlgeschlagenen Versuchen, den nicht mehr erfüllbaren Stiftungszweck »in einen allgemein technischen und sozialen zu ändern«, hob das Landesdirektorium Südwürttemberg-Hohenzollems die Zeppelin-Stiftung mit Wirkung vom 1. März 1947 auf.192 Dadurch fiel das Stiftungsvermögen193 gemäß § 15 der Stiftungsurkunde von 1908 an die Stadtgemeinde, welche es seither unter dem gleichen Namen »Zep-

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Rudolf Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe. Jubiläumsschrift der Zahnradfabrik Friedrichshafen A.G., hrsg. zur 50. Wiederkehr des Gründungstages dieses Unternehmens, Wiesbaden 1965, S. 172, sowie Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 44. Nach StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bli. 759, hatten Hugo Eckener und weitere ehemalige ZF-Vorstandsmitglieder den Plan, Uber die Beteiligung einer amerikanischen Firma an den »Schwäbischen Zahnradwerken«, einer Tochtergesellschaft der Zahnradfabrik Friedrichshafen, Eingang in den Aufsichtsrat zu finden. Über den Einfluß von Eckener in der Stiftungsverwaltung sollte erst entschieden werden, wenn seine Rolle in den »Schwäbischen Zahnradwerken« und im Motorenbau, »in denen eine maßgebende Einflußnahme Dr. Eckeners zu erwarten sei«, geklärt sei. Auch an die Landesregierung herangetragene personelle Wünsche Eckeners in der Zahnradfabrik »konnten nicht vollständig erfüllt werden« aus Gründen der Dekartellierung und weil »früher herrschende personelle Führungsverhältnisse nicht wieder hergestellt werden konnten«. Zitate entnommen aus: »Südkurier« vom 23.5.1950, »Gemeinderat erhofft Aussöhnung«.

Zitat von Kreisgouverneur Ulmer, in: ZF: Im Jahrhundert des Wandels, S. 173. Vgl. Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 126. ""Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 44. " ' S t A Sig, WÜ 140, Bd. 1, BU. 47, zitiert nach Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 485. 192 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung, gemäß § 87 des Bürgerlichen Gesetzbuches durch Rechtsanordnung vom 28.1.1947. Zur juristischen Auseinandersetzung um die Auflösung siehe ebd. die ausführliche Stellungnahme von Rechtsanwalt Dr. Hugo Wilhelm als Vertreter von Karl Maybach gegen die Stadt vom 26.4.1951. " 3 D a s Stiftungsvermögen bestand hauptsächlich aus einem Geschäftsanteil am Luftschiffbau (92,5% des Stammkapitals neben 7,5% der Tochter des Stifters, Gräfin von Brandenstein-Zeppelin) und Forderungen gegen diese Gesellschaft in Höhe von 8 Mio. RM. Daneben gab es Beteiligungen an der Zahnradfabrik (13,43%), am Motorenbau (17%), an der Holzindustrie GmbH in Meckenbeuren (20%) und an zwei Gesellschaften in der Sowjetzone. Neben Wertpapieren und Bankguthaben bestand eine Schuld in Höhe von 2 Mio. RM gegenüber dem Land Württemberg. - Der Luftschiffbau als »Herz des Zeppelin-Konzerns« war 1947 Aktionär folgender Betriebe: Maybach-Motorenbau 63%, Zahnradfabrik 82,57%, Zeppelin-Wohlfahrt GmbH 99,9%, Holzindustrie Meckenbeuren 60%; Kurgartenhotel Friedrichshafen 11%. Daneben bestanden Beteiligungen bei der Deutschen Zeppelin-Reederei GmbH in Frankfurt (59,68%) und der Flugverbandshaus GmbH in Berlin (46%) und drei Beteiligungen an Gesellschaften in der Sowjetzone, ebd., und Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 485. 18,

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pelin-Stiftung« für mildtätige Zwecke zu verwalten hat. In einem Rückblick der Stadt Friedrichshafen aus dem Jahre 1951 wurde betont, daß die Überführung des Vermögens in die öffentliche, der Mildtätigkeit dienenden Verwaltung letztlich » - in den Worten des Innenministers - „der einzige Weg [blieb], auf dem ein großer Teil des Vermögens und der Betriebe des Zeppelin-Konzerns erhalten und damit für einen großen Teil der Arbeiterschaft die Arbeitsplätze gerettet werden konnten."« 194 Da der Luftschiffbau Zeppelin nach wie vor liquidiert werden sollte, versuchte die Stadt als Stiftungsträgerin, Einfluß auf die Beteiligung am LZ zu gewinnen. Die Absicht, den Friedrichshafener Bürgermeister als Liquidator einzusetzen, scheiterte am französischen Veto.193 Im Dezember 1947 richtete deshalb die Stadt eine »Denkschrift über die Zeppelin-Stiftung der Stadtgemeinde Friedrichshafen« an die Militärregierung in Baden-Baden. Ziel war es nun, den Teil der Liquidationsmasse des Luftschiffbaus käuflich zu erwerben, auf den die Stadt aus kommunalpolitischen Gründen Anspruch erheben konnte. 196 Als Kompromiß bot die Militärregierung nur den Kauf derjenigen Firmen und Grundstücke an, die eine Rekonstruktion des ehemaligen Zeppelin-Konzerns in städtischer Hand unmöglich machen würden. Die verbleibende Liquidationsmasse sollte auf dem freien Markt verkauft werden. 197 Am 7. Juli 1948 wurden deshalb das Kurgarten Hotel, die Zeppelin-Wohlfahrt GmbH, die Holzindustrie Meckenbeuren GmbH, das ehemalige Zeppelin-Museum und die Villa Colsman der Liquidation entzogen und auf die Stadt übertragen. 198 Die Stadt als Stiftungsträgerin versuchte nach diesem Teilerfolg, auch die Übertragung der ZF-Aktien des Luftschiffbaus zu erreichen, was ihm schließlich im August 1950 gelang. Während der Neuordnungsphase der Zeppelin-Stiftung hatte es Hugo Eckener nicht erreicht, ein Mitspracherecht zu erkämpfen. Der langjährige Geschäftsführer des Mutterkonzerns war mit einem Berufsverbot im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens und der erklärten Gegnerschaft der Tettnanger Kreisgouverneure konfrontiert. In einem langwierigen Rechtsverfahren versuchte er, die Nachkriegsentscheidungen hinsichtlich der Stiftung und der Besitzverhältnisse der Zahnradfabrik zu revidieren - allerdings ohne Erfolg. 3.2. Konzeptionen zur Neuordnung der Industriebetriebe: Maybach-Motorenbau, Zahnradfabrik, Luftschiffbau Zeppelin und Dornier-Werke Alle vier Friedrichshafener Industriebetriebe waren von Totaldemontage und Liquidation bedroht, hatten also ursprünglich gleiche Ausgangsbedingungen. Bis 1956 - dem Abschluß der industriellen Reorganisation in Friedrichshafen - schlugen sie dennoch ganz unterschiedliche Wege ein. Die jeweilige Richtung hing von Entscheidungen der französischen und deutschen Bürokratie, aber auch von Betriebs- und Gemeinderäten, den ehemaligen Betriebsleitungen, der öffentlichen Meinung und politischen Großwetterlage ab. Im folgenden werden drei völlig verschiedenartige Wege zur Bewältigung der Nachkriegsprobleme dargestellt: Die Firmen Maybach-Motorenbau und 194

Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 485. Vgl. hierzu StA Sig, WÜ 2, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung sowie Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 177. '"Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 183ff. 197 AdO, c. 2220, p. 2, Bericht über den Stand der Liquidation des Luftschiffbaus von Jean Deudon vom 14.1.1948. 198 Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 187; SZ vom 27.1948 über den Kauf durch die Stadt.

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Zahnradfabrik setzten zur Rettung der Industriebetriebe auf Kooperation mit den französischen Behörden, erzielten damit jedoch ganz unterschiedliche Ergebnisse. Für den Luftschiffbau Zeppelin als Konzemmutter war der Bruch in der Firmentradition am tiefsten; er besteht heute nur noch als Grundstiicksverwaltungs-Gesellschaft. Die Firmenleitung der Dornier-Werke entschied sich, wie nach dem Ersten Weltkrieg, für ein »Überwintern« im Ausland und reorganisierte die Betriebe in Friedrichshafen erst wieder, als die Bundesrepublik Deutschland 1955 die Lufthoheit wiedererlangt hatte. Die Maybach-Motorenbau GmbH Als erste Tochterfirma des Luftschiffbau Zeppelin wurde im März 1909 die »Luftfahrzeug-Motorenbau GmbH« in Bissingen unter der Leitung von Wilhelm Maybach und seinem Sohn Karl gegründet. 199 Eineinhalb Jahre später übernahm der Mutterkonzern alle Gesellschafteranteile, die Firma wurde nach Friedrichshafen verlegt und am 8. Mai 1912 in »Motorenbau GmbH« umbenannt. Karl Maybach kam als Mitgesellschafter und technischer Geschäftsführer mit an den Bodensee. Kurz vor dem Ende des Ersten Weltkrieges erfolgte die Umbenennung in »Maybach-Motorenbau GmbH«. 200 In den Mittelpunkt alliierter und deutscher Diskussionen rückte der Kampf um eine Fortführung des Maybach-Motorenbau. Entscheidenden Einfluß auf die Verhandlungen seitens der Maybach-Gesellschaft nahmen vor allem Direktor Karl Maybach, Jean Raebel (seit 1935 kaufmännischer Direktor) 201 ), Diplomingenieur Markus von Kienlin (stv. Direktor) und Carl Böttner (Betriebsdirektor). Verschiedene französische und deutsche Dienststellen auf allen Ebenen setzten sich für den Erhalt ein, allerdings nicht in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Am Fallbeispiel der Maybach-Werke lassen sich deshalb Veränderungen in der alliierten Wirtschaftspolitik nachzeichnen. Laut alliierter Beschlüsse war das Werk zur Totaldemontage vorgesehen, wenn auch der genaue Zeitpunkt nicht festgelegt worden war. Dennoch begannen mit Erlaubnis der französischen Besatzungsmacht bereits um den 10. Mai 1945 etwa zwanzig Männer mit Aufräumarbeiten. Ende Mai/Anfang Juni folgte die Einrichtung eines Großreparaturbetriebes für Kraftfahrzeuge, und parallel dazu kam man überein, die angefangene Motorenproduktion fertigzustellen. Ende 1945 stellte die Militärregierung die Maybach-Betriebe dem Alliierten Kontrollrat zur Demontage zur Verfügung. Der am 10. Mai 1946 erlassene Stillegungsbefehl für die gesamte Friedrichshafener Industrie erstreckte sich nicht auf den MM, jedoch wurde einen Monat später das Vermögen ge-

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Der Konstrukteur und Unternehmer Wilhelm Maybach wurde am 9.2.1846 in Heilbronn geboren und starb am 29.12.1929 in Stuttgart; sein Sohn Karl wurde am 6.7.1879 in Heilbronn geboren und starb am 6.2.1960 in Friedrichshafen. Zu Maybach siehe Wilhelm Treue/Stefan Zima, Hochleistungsmotoren. Karl Maybach und sein Werk, Düsseldorf 1992. Diese Darstellung, in der die Verehrung fUr Maybach nicht zu kurz kommt, ist in ein biographisches, unternehmensgeschichtliches und technisches Kapitel gegliedert. Die Zeit des Zweiten Weltkrieges wird auf vier von 428 Seiten erwähnt, ausführlich ist jedoch die Besatzungszeit dargestellt. ^ G e n a u e Datierung: 23.3.1909; 26.10.1910; Verlegung nach Friedrichshafen aufgrund des Beschlusses vom 30.1.1911. Bezeichnung Maybach-Motorenbau am 16.5.1918. Seit der Fusion mit derMercedes-Benz-Motorenbau GmbH im Jahre 1966 gehört das Werk zur Gruppe der Motoren und Turbinenunion (MTU). 201 Jean Raebel war »einige Jahre zuvor« als kaufmännischer Mitarbeiter von Görlitz nach Friedrichshafenzur Firma Motorenbau gekommen; nach Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 48.

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sperrt und unter Aufsicht gestellt. 202 Obwohl mit einer endgültigen Schließung im Januar 1947 gerechnet wurde, gab Leutnant Lefevre nach einem Besuch von MaybachMitarbeitern bei der französischen Wirtschaftsabteilung »Production Industrielle« (PI) in Baden-Baden am 10. Februar 1947 bekannt, daß die Schließung wahrscheinlich Anfang April, jedoch spätestens Ende April erfolgen würde. Innerhalb der französischen Dienststellen war man sich über die Vorgehensweise nicht einig. Denn zwischenzeitlich hatte die Direction d'Etudes et de Fabrication d'Armément (DEFA) im Auftrag der französischen Regierung am 12. September 1946 mit Karl Maybach die »Convention« über die Entwicklung eines Panzermotors abgeschlossen. Siebzig Ingenieure und Techniker siedelten als eigene »groupe M« des »Laboratoire des Recherches Ballistiques et Aérodynamiques« (LRBA) nach Vemon über. 203 Im Verein mit den deutschen Eisenbahnen, die Interesse an Ersatzteilen hatten, konnte die Stillegung des Maybach-Motorenbau gegen den Willen der »Direction des Réparations-Restitutions« bis Ende Juli 1948 verhindert werden. Für die westlichen Alliierten rückte parallel dazu ein anderes Problem in den Vordergrund: die Sicherung der Triebwagen-Ersatzteilproduktion. Die Hauptverwaltungen der Eisenbahnen in der amerikanischen und britischen Zone setzten sich aus diesem Grund für den Erhalt der Maybach-Werksanlagen ein. Auch der Kontrollrat hatte zunehmendes Interesse an einer Fortführung der Produktion. Während des Besuchs eines amerikanischen Offiziers versicherte dieser einem Mitarbeiter, daß die Franzosen das Werk nicht schließen dürften, »da ein Sofortauftrag von einer Million RM anstehe, der anläßlich des Besuchs einer Kontrollratskommission besprochen werden solle«. 204 Die Kommission, bestehend aus amerikanischen und englischen Offizieren und Zivilisten, machte dann auch »unmißverständlich« klar, daß die geplante Produktion von Ersatzteilen höchste Priorität für die Reorganisation des Verkehrs und somit für die deutsche Wirtschaft habe. 205 Problematisch war die Erhaltung des Motorenbaus laut Commandant Frédéric im März 1947 insofern, als »Friedrichshafen, Zeppelin und Maybach zu einem Begriff für Rüstung geworden« seien. 206 Im Auftrag der »Production Industrielle« verhandelte Administrateur Gérin über die Gründung einer Ersatzteil-Verkaufsgesellschaft mit französischer Beteiligung zur Sicherung der Produktion. Die sich hinziehenden Verhandlungen wurden jedoch aufgrund der Ereignisse Anfang 1948 eingestellt. 207 Eine Offerte der Amerikaner, Produktion und technisches Know-how der Firma Motorenbau zu MAN nach Augsburg zu transferieren, lehnte die französische Militärverwaltung im September 1947 ab. 208 Ebenso wurden Pläne für die Verlegung der Diesel-Ersatzteilfertigung nach Ludwigshafen verwor-

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Laut einer Verfügung nach dem Gesetz Nr. 52. Karl Maybach versuchte in diesem Zusammenhang, die Arbeitsplätze der zurückgebliebenen Fachkräfte durch die Gründung einer Gesellschaft mit dem Namen »Maschinenbau Buchhorn GmbH« zu sichern, allerdings scheiterte er mit diesen Plänen. Vgl. Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 202ff., und Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. SS, Schreiben von Maybach an PI vom 16.7.1946. Die jeweiligen Quellenangaben, die hier zur besseren Orientierung aufgeführt werden, beziehen sich auf das MTU-Archiv. 204 Nach Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 55, Bericht von Kienle vom 28.5.1947. ^ E b d . , S. 55/56, Besprechungsbericht vom 26.6.1947. ^ E b d . , S. 56, Besprechungsbericht vom 4.3.1947. ^ E b d . , S. 55, besonders die Schreiben vom 9.9. und 15.9.1947. 208 AdO, c. 2220, p. 3, Rendu-Compte der Sitzung vom 24.8.1948 bei der PI vom 1.9.1948 und Schreiben von Bloch an Chabrol vom 30.10.1948.

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fen. 209 Am 18. Juli 1947 wurde der MM rückwirkend ab 1. September 1946 unter Zwangsverwaltung gestellt und Jean Deudon als Liquidator eingesetzt. 210 Innerhalb der französischen Dienststellen kam kein Konsens über die Behandlung dieses Unternehmens zustande. Kreisgouverneur Albert Merglen setzte sich vehement für eine Demontage ein 211 und zog damit am gleichen Strang wie der »Service des RéparationsRestitutions«. Eine gegensätzliche Position nahm die »Production Industrielle« in Baden-Baden ein. Das Wirtschaftsministerium in Paris befürwortete einen Erhalt bis zur Erledigung der aktuellen Auftragslage, während das Ministerium des Auswärtigen erst die Fertigstellung eines Versuchsmotors abwarten wollte. 212 Im September 1947 fand eine Besprechung aller beteiligten französischen Dienststellen in Baden-Baden statt, in der die Freigabe bisher zurückgehaltener Aufträge für Triebwagen-Ersatzteile für das Ausland und die Bizone beschlossen wurde. Diese Entscheidung kann in Zusammenhang mit einem Termin vier Tage später, am 17. September 1947, gestanden haben: An diesem Tag mußte sich Frankreich vor dem Berliner Kontrollrat für seine Wirtschaftspolitik verantworten. 213 Im November 1947 wurden die ersten Demontagelisten für Württemberg-Hohenzollern veröffentlicht, in denen sich auch die Maybach-Werke fanden. 214 Bis zum Februar des folgenden Jahres waren die Beschlüsse zur Demontage noch nicht ausgeführt worden, so daß Kreisgouverneur Merglen nach Baden-Baden schrieb und um Auskunft über die weitere Strategie nachsuchte. 215 Ihm waren Pläne der »Production Industrielle« bekannt geworden, nach denen ein neuerlicher Demontagetermin erst auf Juli 1948 festgesetzt werden sollte. Allerdings vermutete er auch, daß »gewisse Personen oder Dienststellen« auf französischer Seite eine Demontage verhindern wollten. 216 »Le triomphe de cette thèse serait évidemment un succès éclatant à l'actif du Dr. Maybach, dont les efforts faits pour sauver son entreprise de guerre sont suivis avec une attention extrême par toute la ville de Friedrichshafen.« Und zur Haltung von Betriebsangehörigen und Aufsichtsrat bemerkte er: »Lors de la dernière réunion général des ouvriers et employées [...] l'un des membres du Conseil d'entreprise a exprimé ouvertement l'opinion générale en disant: Nous croyons le Dr. Maybach et le suivons parce que, malgré que notre firme soit sur la liste des démontages, elle tourne encore alors que nous sommes en 1948, et elle est assurée de tourner encore.« Ausführlich beschrieb Merglen die Folgen einer nicht durchgeführten Demontage: Irreführung der Bevölkerung, Unglaubwürdigkeit und zu große Nachgiebigkeit der französischen Wirtschaftspolitik, Sieg der ehemaligen »Wehrwirtschaftsführer« und Ver^ E b d . , c. 1181, p. 2, Schreiben des MM-Betriebsrats an Merglen vom 8.5.1947 ohne Angabe der in Betracht kommenden Firmen. 210 Laut Verfügung Nr. 232 von General Koenig, JO, Nr. 89 vom 18.7.1947 und Anordnung Nr. 195, JO, Nr. 90 vom 19.7.1947. Jean Raymond Alphonse Deudon wurde am 1.5.1948 von Emile Knipper abgelöst, welcher dann für alle ehemaligen LZ-Betriebe zum Zwangsverwalter ernannt wurde, vgl. JO Nr. 156/57, Anordnung Nr. 59-61. 211 So z.B. AdO, c. 1181, p. 2, Schreiben vom 20.2. und 25.2.1948. 212 Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 56, Besprechungsbericht vom 9.9.1947. 213 Ebd. und Schreiben von Deudon an den Motorenbau vom 15.9.1947. 214 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1575, datiert auf den 30.10.1947. 215 AdO, c. 1181, p. 2, Schreiben an Cabinet und Economie et Finances vom 20.2.1948. Ebd. die weiteren Ausführungen und Zitate. Am 25.2.1948 folgte ein Brief ähnlicher Tendenz an die Abteilungen der PI und Réparations et Restitutions, in dem Merglen den Hauptakzent seiner Argumentation auf die Rüstungsproduktion im Zweiten Weltkrieg legte, ebd. 216 Hier bezog er sich auf die DEFA und »Production Industrielle«, die für die gute Auftragslage beim Motorenbau verantwortlich zeichneten.

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rat an der Entnazifizierung. Er befürchtete, daß die von DEFA und PI vertretenen Wirtschaftskonzepte die politischen Grundsätze Frankreichs erschüttern oder gar verkehren würden. Grundsätzlich ging es dem Kreisgouverneur nicht darum, die Stadt Friedrichshafen wirtschaftlich zu schädigen, sondern um eine Umwandlung der Konzemstruktur mit unbelasteten Führungskräften und demokratischen Mitwirkungsrechten der Beschäftigten. Nach einer revidierten Demontageliste vom 30. Juli 1948 kam es letztlich doch noch zur Schließung des Werkes.217 Am 1. August 1948 erging vom »Service des Réparations-Restitutions« der Schließungsbefehl an den seit drei Monaten zuständigen Zwangsverwalter Emile Knipper 218 , datiert auf den 7. August. Die Geschäftsleitung erhielt die Hiobsbotschaft, die den Abtransport aller Maschinen bedeutete, am 4. August. In hastig einberufenen Sitzungen 219 wurden verschiedene Möglichkeiten zur Bewältigung der Krise diskutiert. Albert Merglen zeigte sich für den Erhalt der Gebäude und Grundstücke offen, um die 600 Arbeitsplätze anderweitig zu sichern. Geschäftsführung und Betriebsrat vertrauten auf die guten Verbindungen zwischen Maybach und Paris und verzichteten auf eigene Vorschläge. Das Gewerkschaftskartell, meist anderer Meinung als der Betriebsrat, plädierte für die Neugründung eines Unternehmens, das die Reparaturaufträge ausführen sollte. 220 Die Stadt, seit Übernahme der Stiftung mit 80 Prozent am Motorenbau beteiligt 221 , offerierte zusammen mit dem Gewerkschaftskartell ein Hilfsprogramm, das die Gründung einer Auffanggesellschaft in Betracht zog. 222 Demnach sollte die Firma den Namen »Maschinenfabrik Friedrichshafen G.m.b.H.« erhalten. Geschäftsführung und Betriebsrat lehnten diesen Vorschlag jedoch ab; auch die Franzosen waren dafür nicht zu haben. 223 Nach den gescheiterten Gesprächen sah die Zukunft der Maybach-Werke düsterer aus als je zuvor. Auch Zwangsverwalter Knipper sah keinen Ausweg und bemerkte, daß ihm »keine hohe französische Stelle bekannt [sei], die sich für die Erhaltung des MM eingesetzt hätte.« 224 Am 5. August beschloß der Betriebsrat einen Streik und verweigerte Arbeitskräfte zur Durchführung der Demontage, weshalb von den Franzosen 140 Demontagehelfer außerhalb der Maybach-Belegschaft zwangsverpflichtet werden mußten. 225 Am 13. August 1948 wurde der Betrieb »zwecks Volldemontage« still217

Einen Zusammenhang zwischen der revidierten Liste und der Werksschließung bestritt Kreisgouverneur Merglen und verwies auf die entscheidende Liste von 1947, AdO, c. 1181, p. 2, Protokoll der Versammlung am 5.8.1948. 2I8 Ebd., c. 2220, p. 10, »Note sur l'affaire Maybach - Zahnradfabrik«. 219 Vor allem die von Merglen initiierte Zusammenkunft im Friedrichshafener Rathaus, in der sich alle Beteiligten äußern konnten, ebd., c. 1181, p. 2, Protokoll der Versammlung am 5.8.1948. 220 Ebd. 22l Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 210. 222 Rathaus, GRP vom 13.8.1948. Da Geschäftsleitung und Betriebsrat jegliche Erörterung des Hilfsprogramms ablehnten, wurde es einen Tag später mit zwei Maybach-Ingenieuren diskutiert. Einer der Ingenieure wurde daraufhin von der verärgerten Betriebsleitung zunächst degradiert und schließlich entlassen, wogegen Merglen protestierte: AdO, c. 2220, p. 3, Schreiben von Merglen an Knipper vom 20.12.1948 und Schreiben von Miihlhäuser an Innenminister Renner vom 4.11.1948, der von einem »rachsüchtigen Strafgericht über den Obering. Schuck« berichtete; vgl. Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 59. 223 Schreiben von Mauch an Merglen vom 13.8.1948 (AdO, c. 1181, p. 2) und 20.8.1948 (ebd., c. 2220, p. 3); ebd. Sitzungsbericht vom 8.9.1948, in dem die französischen Behörden die Ersatzteilproduktion den Eisenbahnbetrieben selbst Uberlassen wollten. 224 Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 60, Aktennotiz vom 11.8.1948 über eine Besprechung zwischen Knipper und dem Vorstand der Zahnradfabrik, ZF-Archiv. 225 »Südkurier« vom 6.8.1948 und Rhein-Neckar-Zeitung vom 28.8.1948, ebd.

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gelegt. Einen Tag zuvor hatten die Direktoren Jean Raebel und Carl Böttner auch im Namen Karl Maybachs der Belegschaft angeboten, ihre Tätigkeit einzustellen, falls damit der Betrieb gerettet werden könnte. Auf dieses Angebot ging die französische Militärregierung nicht mehr ein. Am Tag der Werksschließung schieden Raebel und Böttner aus dem Maybach-Motorenbau aus.226 Angesichts dieser Eskalation ist die weitere Entwicklung um so erstaunlicher, und sie war für die Zeitgenossen nicht im entferntesten absehbar. Kaum sechs Wochen nach der Betriebsschließung teilte der »Directeur des Réparations-Restitutions« im Auftrag von General Koenig am 23. September 1948 Gouverneur Widmer die Wiedereröffnung mit: »Du fait du changement de position du Gouvernement Français et du maintien en activité à une puissance réduite en vue de l'approvisionnement des pièces de rechange de moteurs d'autorails, il est nécessaire d'autoriser une certaine reprise d'activité à titre définitif de la firme Maybach à Friedrichshafen.«227 Zahlreiche Maschinen wurden von der IARA-Liste gestrichen und am 25. September 1948 die Total- in eine Teildemontage umgewandelt228; außerdem gaben die Amerikaner Maschinen, die sich noch in Blaubeuren befanden, frei.229 Nach einer abschließenden Entnahme von 500 Werkzeugmaschinen wurde die Demontage am 1. März 1949 endgültig eingestellt und Ende 1949 die Zwangsverwaltung aufgehoben.230 Damals wie heute stellt sich die Frage nach einer Erklärung für die überraschende Kursänderung. Es kursieren unterschiedliche Versionen: 1. Die Maybach-Motorenwerke erklärten das Ergebnis mit dem persönlichen Erfolg Karl Maybachs in Zusammenarbeit mit der DEFA, so daß es der Firma schließlich gelungen sei, »mit Hilfe der durch die von Herrn Dr. Maybach mit der französischen Regierung am 12.9.1946 abgeschlossenen Convention an einem Weiterbestehen unserer Firma interessierten maßgebenden französischen Stellen, den Betrieb wieder anlaufen zu lassen.«231 Ein solcher Erklärungsversuch ist mit der Quellenlage nicht vereinbar und entspringt eher der Verehrung und Wertschätzung, der sich Karl Maybach allseits 226

Nach Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 210. AdO, c. 2220, p. 3, Schreiben von Koenig an Widmer vom 23.9.1948. 22í StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. 229 Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 61, Schreiben von Klein an Eckener vom 10.11.1948, Bescheinigung Eckeners an den Maybach-Motorenbau vom 15.11.1948. 230 Ebd., Bericht zur DM-Eröffnungsbilanz vom 18.5.1951: Verfügung Nr. 148 des Hochkommissars der französischen Republik in Deutschland. 231 Ebd. Zu den Vertretern dieser Position gehört u.a. Gustav Burr, der 1911 als Mechaniker in die LZVersuchswerkstätten in Manzell eintrat: »Nach dem 2. Weltkrieg - im Herbst 1946 - konnte Dr. Maybach, um seinen Betrieb in Friedrichshafen vor der vollkommenen Demontage zu retten, mit einem Stab Konstruktions- und Versuchsingenieuren nach Frankreich gehen [...]. Nach Erfüllung dieses Vertrages konnte im Friedrichshafener Werk, das zu 70% zerstört war, wieder frei gearbeitet werden. Es wurde wieder mit dem Bau von Dieselmotoren für Triebwagen, Lokomotiven und Schiffen begonnen, wie schon einmal im Jahre 1919.« Zitiert aus einem Vortrag von Burr am 13.3.1986 »Maybach Luftschiffmotoren von 1903 bis 1928«, 17 S., LZA 06/710 Erinnerungen von Gustav Burr 1975, 1986, hier S. 16. Dieses Erklärungsmuster übernehmen auch Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 210, und Boelcke, Industrieller Aufstieg, S. 486. Vgl. dagegen Gerhard Hetzer, Unternehmer und leitende Angestellte zwischen Rüstungseinsatz und politischer Säuberung, in: Broszat u.a.. Von Stalingrad zur Währungsreform, S. 551-591, hier S. 586. Hetzer geht in seinem Aufsatz kurz auf die Firmen Maybach-Motorenbau und Luftschiffbau Zeppelin ein. Hinsichtlich der Bedeutung der Maybach-Gruppe in Vernon formuliert er - völlig zu Recht - Zweifel, die jedoch nicht näher erläutert werden: »Post festum als frühes Modell deutsch-französischer, ja europäischer Zusammenarbeit interpretiert und in seinen Auswirkungen auf die konkrete Besatzungspolitik aus einer Rechtfertigungshaltung heraus wohl bewußt überbewertet, wurde diesem Auslandseinsatz ein entscheidender Anteil an der Weiterexistenz des Friedrichshafener Werks [...] beigemessen.« 227

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sicher sein konnte. Commandant de Franqueville von der DEFA versicherte in einem Gespräch mit Kreisgouverneur Merglen, daß die DEFA die Wiedereröffnung nicht unterstützt habe und im Gegenteil mit der Schließung einverstanden gewesen sei. 232 Dieser Stellungnahme Schloß sich auch Dr. Mühlhäuser, Rechtsberater der Stadt in Stiftungsfragen, in einem Schreiben an Innenminister Renner an: »Bezüglich der Erleichterung der Demontage bei MM bestätige ich Ihnen, daß der Direktor der DEFA in Paris erklärte, daß die Défense Nationale nicht länger Wert auf eine Tätigkeit der Firma Maybach legt. Diese Erklärung ist mir am 27.10.1948 vorgelesen worden. Der Maybach-Motor, der in Vernon entwickelt wurde, hat nicht entsprochen; keine französische Unternehmung konnte für ihn interessiert werden.« 233 2. Die französischen Dienststellen begründeten die Wiedereröffnung mit der Wichtigkeit der Triebwagen-Ersatzteilproduktion: »[...] il a été jugé opportun d'eviter le transfert dans une autre zone de la technique Maybach et d'autre part il est nécessaire de faire face aux besoins de la Reichsbahn en pièces détachées pour autorail Maybach. C'est pour ces deux raisons que, d'accord avec Monsieur Coignard, il a été décidé non de reouvrir Maybach mais de maintenir en activité un niveau de production réduit au strict indispensable, et comprenant moins de 200 machines-outils.« 234 Kreisgouverneur Merglen, ein Befürworter der Schließung, zweifelte an dieser Version und hielt sie nur für einen Vorwand, da seiner Ansicht nach ebensogut eine andere oder neue Firma die Produktion hätte übernehmen können. 235 Karin Ohlhauser wirft auch die Frage auf, ob ohne den MM tatsächlich die »Außerbetriebsetzung von etwa 70% der [in der Bizone] laufenden Triebwagen« 236 gedroht hätte oder »der gesamte deutsche Triebwagenbau« 237 von dessen Ersatzteilproduktion abhängig war. Sie stellt fest, daß es in allen Zonen noch kaum Diesellokomotiven und Dieseltriebwagen gab, da die »Verdieselung« der deutschen Eisenbahn erst Anfang der fünfziger Jahre begann. Ein großer Teil des Fahrzeugbestands der Deutschen Reichsbahn sei zerstört worden, so daß zum Beispiel in der FBZ im Jahr 1950 nur eine einzige Diesellokomotive ausgewiesen wurde und gerade siebzehn Verbrennungs-Triebwagen im Jahr 1948. 238 Dieselmotoren für Triebwagen, relevant für die Ersatzteilproduktion der Maybach-Werke, wurden jedoch auch von anderen Firmen hergestellt, so zum Beispiel von MAN in Augsburg. 239 Aus diesem Grund kann man sich durchaus Kreisgouverneur Merglen

232

AdO, c. 1181, p. 2, Schreiben von Merglen an den Délégué Supérieur (Economie et Finances) vom 15.10.1948. 233 StadtA FN, Nachlaß Dr. Walter Münch, Schreiben vom 4.11.1948. 234 AdO, c. 2220, p. 3, Schreiben von Bloch an Koenig vom 30.10.1948. 235 Ebd., c. 3568, Fiche de Renseignement von Merglen vom 21.3.1949. 236 So die Androhung auf deutscher Seite in: Niederschrift über die Besprechung im EAW Friedrichshafen am 18.8.1948, von Puls am 19.8.1948; nach Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 62. 237 Nach einem Schreiben der IHK Reutlingen, Rottweil und Ravensburg vom 1.12.1947, ZF-Archiv, nach ebd., S. 62. 238 Ebd., S. 63. Dennoch lagen Aufträge der Eisenbahnen im Wert von DM 2.455.000,- beim MM vor (davon für die Bizone Uber DM 1.750.000,- und für die FBZ über DM 230.000,-). Eine genaue Aufschlüsselung Uber Auftraggeber und Zusammensetzung der Aufträge steht noch aus. Ebd., S. 62, Erklärung zum Auftragsbestand. 239 Ebd., S. 62/63. In diesem Zusammenhang wurde ein Transfer des Motorenbaus zur MAN diskutiert.

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anschließen, den weiterhin eine Frage beschäftigte: »Queis sont les responsables français de ce revirement? Pour quelle grave raison Γ ont-ils provoqué?«240 Eine Antwort könnte der politische Hinteigrund bieten. Sieben Monate vor der Zustimmung General Koenigs zur Wiedereröffnung war die Londoner Außenministerkonferenz gescheitert und der Kalte Krieg offen zutage getreten. Die Blockade Berlins ab Juni 1948 tat ein übriges, um eine Wiederbewaffnung Deutschlands in Betracht zu ziehen. Hinsichtlich der internationalen Entwicklung und der damaligen Furcht vor einem neuerlichen Krieg mit der Sowjetunion stellt sich die Frage, ob die Schließung und Zerstörung eines RUstungsbetriebs, der bei Bedarf jederzeit wieder auf die Produktion von Panzermotoren umgestellt werden konnte, noch für sinnvoll gehalten wurde, dies vor allem von den USA. Dabei mußte das Kalkül der alliierten Politiker und Militärs nicht mit Abriistungsforderungen übereinstimmen, wie sie zum Beispiel in Teilen der französischen und auch westdeutschen Bevölkerung erhoben wurden. So ist es durchaus vorstellbar, daß auf Druck der amerikanischen Politik die Wiedereröffnung gestattet wurde, und mit Rücksicht auf französische Befindlichkeiten als Grund die Triebwagen-Ersatzteilproduktion vorgeschoben wurde.241 Welche Rolle dabei die französische Regierung in Paris und die Besatzungsspitze in Baden-Baden gespielt haben, wäre noch zu untersuchen. Was die Demontagefrage betraf, verlief jedenfalls zeitgleich zur Filmenwiedereröffnung ein Stimmungsumschwung in der französischen Bevölkerung, der sich aus verschiedenen Gründen gegen eine Fortsetzung der Demontagepolitik richtete.242 Insofern hatte die französische Regierung bei einer Einstellung der Demontagemaßnahmen keine allzu großen Widerstände zu befürchten.243 Jedenfalls kam auch die französische Interessenpolitik nicht zu kurz. Erst nach Vereinbarungen mit dem Maybach-Motorenbau, die zur Gründung der »Société Française

240

AdO, c. 1181, p. 2, Schreiben vom 15.10.1948. Merglen beschwerte sich auch in einem Brief an Widmer vom 2.10.1948 Uber das eigenmächtige Handeln einzelner Dienststellen: »II ressort de l'évolution surtout récente de toute l'affaire du „Konzern Zeppelin" que l'action de certains services (Réparations-Restitutions; Finances), et surtout de L'Administrateur-séquestre, rompt entièrement la ligne politique suivi par la Délégation Supérieure depuis 1946, avec une perte de prestige d'autant plus éclatante que sont plus commes les firmes et leurs anciens dirigeants.« Ebd., c. 3568. "'Ebd., c. 2220, p. 1, Schreiben vom 29.9.1948; ebd., p. 10, »Note sur l'affaire Maybach - Zahnradfabrik« und Schreiben vom 21.10.1948. M2 In einem französischen Informationsbericht fUr das deutsche Btlro für Friedensfragen vom 14.9.1948 wurde festgestellt: »Außenpolitisch interessant ist die große Gleichgültigkeit der französischen Öffentlichkeit der Demontagefrage gegenüber. Man scheint bereit zu sein, sich dem Spruche Washingtons zu fügen und, ohne großen Widerstand, auf einen Teil der Demontage in der französischen Zone zu verzichten [...]. Auch die französische Wirtschaft will nicht mehr viel von Demontagen wissen. Es ist bezeichnend, daß keine Wirtschaftszeitung die Demontagepolitik verteidigt hat. Im Gegenteil, das Blatt des Großkapitals und der Hochfinanz, „La Vie Française" hat in überraschend deutlicher Form jede weitere Demontage verurteilt, da erstens die französischen Fabriken meistens mit den deutschen Maschinen nichts anzufangen wissen und da man zweitens durch die Demontagen der deutschen Industrie eine radikale und konkurrenzmäßig gefährliche Modernisierung ermögliche.« (StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1585). Zu ergänzen wäre, daß diese Modernisierung aus ERP-Mitteln erfolgte und mithin Erfahrungen mit dem Marshallplan reflektierte. ^Erinnert sei auch an den oben zitierten Artikel aus »Le Monde« vom 18.8.1948, in dem für eine Beendigung der Demontagen plädiert wurde.

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Maybach« (SFM) führten und ein Lizenzabkommen beinhalteten, 244 erfolgte die Aufhebung der Zwangsverwaltung am 31. Dezember 1949. Parallel dazu liefen Verhandlungen um Beteiligungen anderer Firmen am Motorenbau, der sich in einer finanziellen Krise befand. 245 Nach wie vor war aber offen, ob die Maybach-Motorenbau GmbH auf die Stadt übertragen werden sollte: »Die Gesellschafter des Maybach-Motorenbaus wollten diese Sozialisierung durch die Siegermacht, d.h. die Umwandlung ihres Unternehmens in einen Kommunalbetrieb, nicht einfach hinnehmen«, so Treue/Zima in ihrer Beschreibung der Vorgänge.246 Karl Maybachs und Jean Raebels Ziel war es nun, das gesamte Maybach-Unternehmen loszukaufen und aus der Stiftung herauszulösen. Die Stadt war - anders als bei der Zahnradfabrik - nicht an einer Aktienbeteiligung interessiert. 247 Dies kam der Geschäftsleitung in Person von Karl Maybach und Jean Raebel entgegen, da sie selbst Aktien aus der Stiftung kaufen wollte. Dies zu verhindern, war ein erklärtes Ziel von Gouverneur Merglen, weshalb er sich immer wieder an übergeordnete Dienststellen richtete und vor den Gefahren einer Reorganisation des Konzems warnte. In einem Schreiben an Baden-Badener Behörden beschuldigte er nicht nur Hugo Eckener, über einen guten Freund, Dr. Klugmann, Einfluß im Aufsichtsrat der Stiftungsverwaltung gewinnen zu wollen, sondern ebenso Karl Maybach, seine ehemalige Machtposition im Maybach-Motorenbau wieder anzustreben: »Comme d'autre part le même essai est en cours pour la firme „Maybach", où le Dr. Maybach, ami et disciple fidèle du Dr. Eckener, doit recevoir 51 % des participations financières, on peut prévoir qu'en cas de succès de ces manoeuvres, les usines encore existantes du „Konzern Zeppelin" seraient à nouveau entre les mains des anciens diregeants de ce „Konzern". Ce serait un résultat vraiment remarquable de la politique française en Allemagne.« 248 Die schwierigen Verhandlungen über den Kaufpreis der Aktien und die Zusammensetzung des Vorstands eskalierten, als der Liquidator des Luftschiffbau Zeppelin, Emile Knipper, am 28. Januar 1950 die Initiative ergriff und Aktienanteile der Gruppe Maybach/Raebel und der SFM anbot. 249 Der Zeitpunkt überschnitt sich mit einem Wechsel in der Geschäftsführung. Am 24. Februar 1950 wurde im Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang das Ende derZwangsverwaltung

^"Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 65, Notiz: Darstellung der Vorgänge SFM/DEFA vom 10.4.1953. Vgl. auch StA Sig., WÜ 2, Bd. 1, Bü. 759, wonach der Vertrag von den Geschäftsführern Maybach und Raebel geschlossen wurde. Er sah eine Mehrheitsbeteiligung der Gruppe Maybach vor, die französische Gruppe sollte 15%, die Zeppelin-Stiftung 9% und Hella von Brandenstein-Zeppelin 8% erhalten. ^ ' U m s o verlockender mußte eine Anfrage der türkischen Regierung gewesen sein, für Panzer, die mit Maybach-Motoren ausgestattet waren, Ersatzteile zu liefern. Vertreter des Tübinger Wirtschaftsministeriums sahen hier allerdings Probleme und empfahlen nach einem persönlichen Besuch in Friedrichshafen, die Ersatzteilproduktion als zivile Bestellung in Auftrag zu geben, StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 573/1430, Schreiben vom 20.7.1949. ^Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 228. 247 AdO, c. 3568, Schreiben vom 19.7.1950. Das Stammkapital des Maybach-Motorenbau verteilte sich wie folgt: Karl Maybach 55%, Gräfin Brandenstein-Zeppelin 7%, Hugo Eckener 5%, Luftschiffbau Zeppelin GmbH i.L. 7%, Stadtgemeinde Friedrichshafen 17%, nach StA Sig, WÜ 2, Bü. 760 vom 26.4.1951, Stand vom 19.7.1950, darin enthalten die Positionen im Rechtsstreit zwischen Maybach und der Stadt. Maybach bezweifelte die Rechtmäßigkeit der Stiftungsauflösung und die Übertragung der 17% auf die Stadt. ^Vertrauliches Schreiben von Albert Merglen an Cabinet und Affaires Administratives/ Economie et Finances vom 20.10.1949, ebd. 249 Ausführlich dazu Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 229ff.

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eingetragen. Rückwirkend zum 31. Dezember 1949 wurden wieder Karl Maybach, Jean Raebel und Carl Böttner als Geschäftsführer eingesetzt. 250 Über den von Knipper festgesetzten Kaufpreis und die Zusammensetzung des Vorstands kam es zum erbitterten Streit zwischen der Stadt und Maybach/Eckener, in deren Folge Hugo Eckener, Claude Dornier und Karl Maybach ihre Ehrenbürgerrechte niederlegten. 251 Erst zwei Jahre später, im Juli 1952, kam es zur Einigung, indem für rund 1 Million DM 2 5 2 42 Prozent der Anteile des Luftschiffbau Zeppelin aus dem Konzern herausgelöst wurden. 253 Dieser Verkauf Schloß die Nachkriegsentwicklung der Zeppelin-Stiftung ab. Am 14. August 1952 unterzeichnete Oberbürgermeister Max Grünbeck, Hugo Ekkener, Karl Maybach »und weitere Beteiligte« einen Vertrag, durch den »eine für alle Unterzeichner zufriedenstellende Lösung« gefunden wurde. 254 Die Stadt verzichtete beim Maybach-Motorenbau auf »etwaige Maßnahmen, welche die Stadt auf Grund der Rechtsanordnung hätte treffen können«. Hugo Eckener bekam eine Beraterfunktion in der Stiftungsverwaltung, mit der jedoch keinerlei Stimmrecht verbunden war. Mit der Vereinbarung zog Karl Maybach seine Klage vor dem Staatsgerichtshof in Tübingen und Hugo Eckener seine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht zurück. Auf Wunsch des Gemeinderats nahmen beide ihre Ehrenbürgerrechte wieder an. 255 Infolge der Loslösung von der Stiftung mußte sich die Maybach-Gesellschaft allerdings mit einem großen Unternehmen zusammenschließen, um ihr wirtschaftliches Überleben zu sichern. Unter Vermittlung von Jean Raebel beteiligte sich schließlich die Friedrich Flick KG mit 50 Prozent der Aktien. Raebel selbst fungierte künftig als Treuhänder von Flick und ermöglichte dem Flick-Konzem damit großen Einfluß auf ^Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang, Β Nr. 5 in: Amtsblatt für den Kreis Tettnang, 2. Jg., Nr. 17 vom 3.3.1950. Ebenso bestanden von nun an wieder die Prokuren von Hugo Baumann, Karl Lutz und Alfred Puls aus Friedrichshafen. 251 Hugo Eckener war seit Juli 1925 Ehrenbürger der Stadt Friedrichshafen (wie auch Ehrenbürger der Stadt New York) und legte seine Ehrenbürgerschaft mit einer Briefveröffentlichung im »SUdkurier« Konstanz vom 10.9.1950 nieder. Als Mitbegründer des »Südkurier« Konstanz nutzte er in der Folgezeit die Zeitung »in einer regelrechten Presseschlacht als Sprachrohr«, Sonderdruck des »Südkurier« vom 1.7.1996. Es ging ihm um ein Mitspracherecht in der Zeppelin-Stiftung, die Besitzverhältnisse der Zahnradfabrik und des Motorenbaus und letztlich um die Rechtmäßigkeit der unter französischer Besatzung erfolgten wirtschaftlichen Weichenstellungen, die er vehement bestritt. Claude Dornier, seit Mai 1934 Ehrenbürger, verweigerte die Ehrenrechte im Oktober 1950. Karl Maybach, seit September 1929 Ehrenbürger, entschloß sich mit einem Schreiben vom 30.11.1950 zu dem gleichen Schritt. (Zu den Ehrenbürgern der Stadt, von denen gut die Hälfte aus der heimischen Industrie stammte, siehe die Einwohnerbücher der Stadt Friedrichshafen). Von den zahlreichen Quellen und Darstellungen zu den Auseinandersetzungen sei hier nur eine Auswahl genannt: Pressespiegel vom 16.8.1952 (SZ, »Allgemeine Zeitung« in Stuttgart, »Volksstimme«, »Südkurier«), in AdO, c. 1181, p. 2; außerdem ebd.-, c. 2970, p. 3 und c. 3568. StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 757-764 zur Zeppelin-Stiftung 1946 bis 1952, darunter besonders: Bü. 760, »Strafantrag und Strafanzeige des Hr. Hugo Eckener gegen Vorstand und Betriebsrat der Zahnradfabrik Friedrichshafen AG« vom 11.6.1951; WÜ 2, Bd. 1, Bü. 759, Pressespiegel: Aufsatz auf der Titelseite der Schweizer Zeitung »Die Tat« vom 16.4.1950; Stellungnahme Eckeners im »Südkurier« vom 20.4.1950; Niederschrift Uber eine Aussprache zwischen Eckener und Oberbürgermeister Grünbeck in Konstanz; »Echo der Woche« vom 12.5.1950; »Die Welt« vom 6.10.1950; Sonderdruck der SZ vom 30.9.1950; »Südkurier« vom 23.9.1950; »Stellungnahme der Geschäftsleitung und des Betriebsrats«. 252

Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 229. Der Weg zur Einigung ist in verschiedenen Quellenbeständen dokumentiert, so z.B. StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 759: Schreiben der Stadt Friedrichshafen an Generalinspekteur Noury in Baden-Baden vom 27.11.1950. ^»Südkurier« und SZ vom 16.8.1952, ebd. die weiteren Ausführungen. "'»Südkurier« vom 16.8.1952.

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die weitere Firmenentwicklung. Friedrich Flick selbst, nun praktisch Mehrheitsgesellschafter des Motorenbaus, wollte noch nicht als solcher in der Öffentlichkeit erscheinen. Auf einer Gesellschafterversammlung am 5. November 1952, in der Hugo Eckener als ehemaliger Stiftungsvorstand »traditionsgemäß« den Vorsitz übernahm, wurde die künftige Firmenleitung bestimmt. Der bisherige Geschäftsführer Karl Maybach schied am 19. Dezember 1952 aus Altersgründen aus.256 Seine Nachfolge traten an: Jean Raebel ab 1. Januar 1953 als Vorsitzender der Geschäftsführung; Carl Böttner als ordentlicher Geschäftsführer; der Oberingenieur und bisherige Prokurist Markus von Kienlin als Direktor und stellvertretender Geschäftsführer. 257 Die Zahnradfabrik Friedrichshafen AG Nach Verhandlungen mit den französischen Dienststellen bereits Mitte Mai 1945 bekam die Zahnradfabrik eine Arbeitserlaubnis für etwa fünfzig bis hundert Arbeiter, die für Aufräumtätigkeiten und die Rückführung von ausgelagerten Maschinen zuständig waren. 258 Ab 6. Juni durfte eine beschränkte Produktion für Schleppergetriebe und Ersatzteile aufgenommen werden. Von einer am 10. Mai 1946 beschlossenen Stillegung der Friedrichshafener Betriebe wurde neben dem Maybach-Motorenbau vorerst auch die Zahnradfabrik ausgenommen.259 Die Baden-Badener Militärregierung verpflichtete im Gegenzug die Zahnradfabrik zur mietweisen Abgabe von Werkzeugmaschinen an die Daimler-Benz AG in Gaggenau.260 Kreisgouverneur Ulmer forderte für die Weiterführung des Betriebs einen Austausch der Geschäftsleitung und die schnelle Herauslösung aus dem Zeppelin-Konzern. Beide Bedingungen wurden erfüllt. Bis Mitte 1946 waren jedoch zum Leidwesen seines Nachfolgers, Kreisgouvemeur Merglen, die »Wehrwirtschaftsführer« und Vorstandsmitglieder Hans Cappus (seit 1923) und Hermann Doit (seit 1938) noch immer in der ZF tätig.261 Inzwischen hatte sich aber eine zehnköpfige Führungsgruppe im Direktorium um Robert Pirker, Albert Maier und Konstantin Schmäh gebildet. Alle drei waren bewährte Maybach-Führungskräfte (Abteilungsleiter für Verkauf, Konstruktion und Arbeitsvorbereitung). Sie gehörten der Generation der knapp Vierzigjährigen an, sprachen sich gegen die restriktive Betriebsführung des alten Vorstands aus und arbeiteten harmonisch mit dem

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Die Söhne von Karl Maybach waren früh gestorben: Sohn Walter im Krieg in Afrika 1935, Sohn Günter, der als promovierter Ingenieur 19S9 in die Motorenwerke eingetreten war, starb 1963; vgl. Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 55 und 65. " ' V g l . ebd., S. 66 und 228-231. ""Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 152f. "'Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 51, Schreiben vom 10.5.1946. ^ N a c h einem Besprechungsbericht vom 8.8.1946 hatte der Aufschub das Ziel, »den Bedarf auf dem Automobilsektor in Deutschland solange zu decken, bis Daimler-Benz in Gaggenau in der Lage ist, seinen eigenen Bedarf an Getrieben sowie den Ersatzteilbedarf für die französische und die anderen Zonen zu decken«, ebd., S. 51. 261 Hans Cappus leitete seit 1923 die kaufmännische Abteilung, er war 1937 in die NSDAP eingetreten und im Oktober 1940 zum »Wehrwirtschaftsführer« ernannt worden. Sein Entnazifizierungsverfahren zog sich bis in das Jahr 1949, in dem er schließlich als »Mitläufer« eingestuft wurde. Betriebsdirektor Hermann Dolt war kein NSDAP-Mitglied, sollte aber nach dem Willen der Säuberungsorgane als »Wehrwirtschaftsführer« und aufgrund seiner politischen Einstellung auch nach Kriegsende mit hohen Sanktionen belegt werden. Im Februar 1950 klassifizierte ihn die Spruchkammer Tübingen schließlich als »unbelastet«. Die Angaben basieren auf Martin Ebner, Die Entnazifizierung in Friedrichshafen, Wiss. Arbeit, Universität Konstanz 1996, S. 155ff.

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Betriebsrat zusammen. 2 6 2 Auch mit der wichtigen »Production Industrielle« und Kreisgouverneur Ulmer entwickelte sich ein Vertrauensverhältnis. Am 24. Juli 1946 trat der alte Vorstand im Interesse der Firma zurück und wurde tags darauf durch eine neue Geschäftsleitung ersetzt. 263 Zu neuen Geschäftsführern bestimmte die französische Kreisverwaltung Robert Pirker und Albert Maier, zum Betriebsleiter Konstantin Schmäh. 2 6 4 Der bisherige Geschäftsführer Alfred Graf von Soden-Fraunhofen war im Juni 1944 gestorben. Hugo Eckener als Aufsichtsratsvorsitzender mußte notgedrungen zustimmen und stellte eine Neuwahl des Aufsichtsrats in Aussicht. Zu einer Hauptversammlung kam es allerdings nicht mehr. Commandant Frédéric erarbeitete zusammen mit der neuen Geschäftsleitung Strategien, um den Weiterbestand der Firma zu sichern. 265 Er sah eine Chance darin, daß die Zahnradfabrik eine entscheidende Rolle für den landwirtschaftlichen Sektor in ganz Deutschland nachwies und durch die Produktion von Schleppergetrieben und deren Ersatzteile auch unabhängig von der Automobilindustrie bestehen könne. 266 Daneben gab es auch noch andere französische Pläne 267 , eine Entscheidung fiel aber weder im Kontrollrat noch auf französischer Seite. Erst ab 1. Juni 1947 wurde die Zahnradfabrik unter die Zwangsverwaltung von Jean Deudon gestellt. 268 In den Reparationslisten vom 30. Oktober 1947 wurde der Totaldemontage eine Absage erteilt: »Unter der neuen Geschäftsleitung der ZF glückte es frühzeitig, den Demontagebefehl auf 1/3 des Werks Friedrichshafen zu beschränken«, so in einem Bericht der Stiftung. 2 6 9 Weil der neue, seit Mai 1948 eingesetzte Zwangsverwalter Kommandant Emile Knipper den Verkauf von ZF-Aktien nach französischen Interessen betrieb 270 und um »die Reparationen durch Maschinenvermietung und Zusammenarbeit zugunsten einer in Frankreich neu zu gründenden französischen Zahnradfabrik abzuwenden« 2 7 1 , ging die ZF ein Jahr später auf den »Plan Robin« ein. 2 7 2 Von Anfang an war dieser Vertrag von Unstimmigkeiten und Unregelmäßigkeiten zwischen Leo Robin ^ S o zumindest Albert Merglen rückblickend in AdO, c. 2220, p. 12, Merglen an Délégué Supérieur, Cabinet, vom 13.8.1947. ^'Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 161, folgende Ausführungen ebd., S . 158. m7F: Im Jahrhundert des Wandels, S. 161. ^ ' M e h r e r e Vorschläge von verschiedenen Seiten waren gescheitert, so z.B. der »Vorschlag zur Übernahme der Z F durch die Arbeiter- und Angestelltenschaft auf genossenschaftlicher Grundlage« oder die Idee einer Neugründung mit dem Namen »Schwabenwerk Löwental G m b H « , das der Stiftung unterstellt werden sollte; vgl. Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 51. ^ V e r s c h i e d e n e Wirtschaftsministerien bescheinigten dann auch diese Wichtigkeit, so z.B. das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft vom 26.9.1946, AdO, c. 2220, p. 1. 2 6 7 S o z.B. die Gründung eines Zweigbetriebs im Saargebiet, ebd., c. 1181, p. 1. ^"Verfügung Nr. 231, J O , Nr. 89 vom 18.7.1947 und Anordnung Nr. 194, J O , Nr. 9 0 vom 19.7.1947. ^ ' S t A Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760. Der Grund für eine bevorzugte Behandlung der Zahnradfabrik durch die französische Militärregierung lag hauptsächlich in der guten Kooperation zwischen deutschen und französischen Dienststellen und Verhandlungspartnern und weniger, wie Willi A. Boelcke vermutet, darin, daß »sich offenbar bei der Besatzungsmacht das Empfinden verbreitet hatte, daß es um das Werk schade gewesen wäre«. Denn dann hätte für die anderen Industriebetriebe eine ähnliche Haltung gelten können. Ders., Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S . 486. Sein ohne Anmerkung versehenes Zitat ist zu finden in: ZF, Im Jahrhundert des Wandels, S. 179. 2 7 0 Anordnung Nr. 60 vom 12.4.1948, JO, Nr. 209 vom 15.10.1948; zum Verkauf vgl. Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 187f. 2 7 1 AdO, c. 1181, p. 1, Lagebericht der ZF, S . 21, 2 7 2 Der französische Getriebefachmann L e o Robin wollte ein der Zahnradfabrik nachgebautes Werk in Frankreich errichten. Nach der Gründung der »Société Française d'Engrenages« ( S O F E N ) unterschrieb die Zahnradfabrik am 24.7.1948 einen Mietvertrag, worauf 272 Maschinen und Hilfsgeräte nach Frankreich verbracht wurden; vgl. Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 188ff.

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und der ZF geprägt. 273 Robin scheiterte aus finanziellen und technischen Gründen mit seinen Plänen. Kreisgouverneur Merglen gelang es in Zusammenarbeit mit der Zahnradfabrik, alle Maschinen 1950 wieder nach Friedrichshafen zurückzuführen 274 , nachdem sich der französische Partner als »Glücksritter ohne Geld und ausreichende Vollmacht« erwiesen hatte. 275 Sechs Tage nach der Unterschrift unter den Mietvertrag mit Leo Robin - am 30. Juli 1948 - war die ZF jedoch aus der Demontageliste gestrichen 276 , am 30. September die Zwangsverwaltung aufgehoben worden. 277 Ob hierbei ein Zusammenhang mit dem »Plan Robin« besteht, ist nicht ganz klar. Karin Ohlhauser betont, daß in einem Schreiben des Württembergischen Wirtschaftsministeriums an die ZF »ausdrücklich im Namen der französischen Militärregierung darauf hingewiesen [wurde], daß nach Streichung des Betriebs von der Reparationsliste mit einer Demontage nicht mehr zu rechnen ist« und laut Wirtschaftsministerium »der Abschluß eines Vertrages, wie er Ihnen nahegelegt wird, [...] eine rein private Angelegenheit [wäre]«. 278 Im gleichen Jahr wurde Robert Pirker gerichtlich zum alleinigen Vorstand der Zahnradfabrik bestellt. 279 Ungeklärt blieben weiterhin die Besitzverhältnisse. Neben anderen Interessenten für die ZF-Aktien des Zeppelin-Konzerns 280 bemühte sich die Stadt Friedrichshafen um die Übertragung der Aktien auf die Zeppelin-Stiftung. Vorgesehen war dabei die Beteiligung von Gewerkschaftsvertretern und eines französischen Repräsentanten im Aufsichtsrat. Am 25. April 1949 stellte die Stadt einen diesbezüglichen Antrag an die Militärregierung. Unterstützt wurden die Pläne von der württembergischen Landesregierung 281 und vor allem von Kreisgouverneur Merglen 282 . Auch die Geschäftsführung favorisierte in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat eine solche Lösung. Am 16. August 1950 erteilte die Militärregierung die Genehmigung, tags darauf wurden die Aktien auf die Zeppelin-Stiftung und zu einem kleinen Teil auf private Besitzer übertragen. 283 Die Zahnradfabrik war damit aus dem Konzern herausgelöst worden, weshalb im gleichen Zuge die Vermögenskontrolle aufgehoben wurde. Bis heute bil-

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Ausführlich dazu eine Grundsatzerklärung der Zahnradfabrik vom 31.7.1948 und eine »Note sur la Situation actuelle de la Zahnradfabrik« vom November 1949 in AdO, c. 2220, p. 12. Ebd., c. 2557, p. 12, Schreiben vom 28.9.1949, c. 3568, p. 11, Schreiben vom 22.8.1949, sowie Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 188ff. 275 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. 276 0hlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 53, Schreiben vom 2.8.1948, ZF-Archiv. 277 Verfügung Nr. 84, JO, Nr. 209 vom 15.10.1948. Das Gesetz Nr. 52 Uber die Sperre und Kontrolle des Vermögens blieb in Kraft, AdO, c. 2220, p. 12, Schreiben vom 11.8.1949. 278 0hlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 53, Schreiben vom 2.8.1948, ZF-Archiv. 279 Ein Rad greift ins andere, hrsg. v. der ZF AG, Stuttgart 1965 und Lindenberg 1970, S. 37. ^ S o z.B. die Zellstoff AG Ehingen, vgl. Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 187f., oder die amerikanische Firma Ross Gear and Toll Company, die mit einer Aktienbeteiligung noch ausstehende Schulden der ZF ausgleichen wollte, nach AdO, c. 2557, p. 12, Schreiben vom 3.3.1950. 281 Ebd., c. 3568 und c. 2220, p. 12, Schreiben von Dr. Müller vom 26.7. und 10.11.1949. 282 Ebd., c. 3568, Schreiben vom 22.8.1949 und 19.7.1950; c. 2220, p. 12, Schreiben vom 20.10.1949; c. 1181, p. 1, Dankesschreibendes ZF-Betriebsrates vom 22.8.1950. 283 Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 219. Ausführlich auch in StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. Das Grundkapital verteilte sich mit 89,8% auf die Zeppelin-Stiftung (Stadt Friedrichshafen), mit 6,2% auf die Gräfin von Brandenstein-Zeppelin und mit 4% auf die Maag Zahnräder und Maschinen AG in Zürich. 274

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den die ZF-Anteile einen wichtigen Bestandteil der städtischen Stiftung. 284 Die Geschäftsführung lag weiterhin beim Aufsichtsrat und Vorstand. In das Vorstandsgremium wurden neben dem bisher einzigen Vorstandsmitglied Robert Pirker noch Albert Maier und Konstantin Schmäh (stv.) berufen. Besondere Betonung legte die Stadt als Stiftungsverwalterin auf die Absicht, lediglich dafür Sorge zu tragen, »daß bei der Wahl des Aufsichtsrats die persönliche und fachliche Eignung [...] entscheidet«. 285 Die Aufsichtsratssitze wurden »je zur Hälfte auf die Zeppelin-Stiftung einerseits und das Privatkapital sowie die Arbeiterschaft andererseits« verteilt. Sitze der Stiftung sollten nur mit einem Beamten der Stadtverwaltung und sonst mit kaufmännisch und technisch geeigneten Kräften besetzt werden. Der am 16. September 1950 erstmals gewählte Aufsichtsrat der Zahnradfabrik286 bestand in den Worten der städtischen Vertreter daher »neben dem nach Berufsbildung und -erfahrung fachkundigen Bürgermeister [Max Grünbeck] und dem durch jahrzehntelange Familientradition mit der ZF verbundenen Graf von Brandenstein-Zeppelin aus sechs wirtschaftserfahrenen und in verantwortlichen Entscheidungen geübten Persönlichkeiten, von denen vier aus angesehensten Kreisen der Privatwirtschaft und zwei aus achtbarsten Gewerkschaftskreisen kommen.« 287 Bestrebungen Dr. Eckeners, Einfluß auf die Stiftungsverwaltung zu bekommen und für den ehemaligen ZF-Vorstand Cappus einen Sitz im Aufsichtsrat zu erwirken, scheiterten. In einem firmeninternen historischen Rückblick aus dem Jahre 1970 würdigte man die Aufbauarbeiten aller ZF-Gesellschaften: »1953 erreicht die ZF mit über 5.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von über 100 Millionen DM das Ende der ersten Aufbauphase und leitet eine Zeit der Stabilisierung und der großräumigen Ausweitung

^Oberbürgermeister Bernd Wiedmann schätzt heute den Wert der Zeppelin-Stiftung auf ca. vier Milliarden Mark (nach einem Sonderdruck des »Südkurier« vom 1.7.1996); der aus den Stiftungsbetrieben erwirtschaftete Ertrag beläuft sich im Schnitt auf jährlich rund 14 Millionen Mark, welche vor allem den städtischen Haushalt im Bereich gemeinnütziger Aufgaben entlasten. Als jüngstes Projekt ist das am 2. Juli 1996 eröffnete »Zeppelin Museum Technik und Kunst« entstanden, welches mit rund 70 Millionen Mark zum Großteil aus Stiftungsgeldern finanziert wurde. Das Datum der Museumseröffnung wählten die Organisatoren zum Gedenken an den ersten Aufstieg des Luftschiffes LZ 1 am 2. Juli 1900; vgl. »Schwäbisches Tagblatt« vom 2.7.1996 sowie die lokale Tagespresse und Werbebroschüren zur Eröffnung des Museums. ^ ' S t A Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung, ebd. die weiteren Ausführungen und Zitate. ^ H u g o Eckener hatte zwar schon für einen früheren Zeitpunkt Aufsichtsratswahlen zugesagt, sie fanden aber nicht statt, so daß die Zahnradfabrik zwei Jahre lang ohne aktienrechtliche Organe blieb; vgl. ZF: Im Jahrhundert des Wandels, S. 161. ^ B i s heute stellt der Friedrichshafener Oberbürgermeister den Aufsichtsratsvorsitzenden. Die sechs Mitglieder des Aufsichtsrats neben den schon erwähnten waren: Jean Baldensperger, Bankdirektor in MUhlhausen; Georg Fischer, Fabrikdirektor in Zürich; Otto Reitz, Fabrikdirektor in Nürnberg; Hans Brümmer, Gewerkschaftsvertreter in Frankfurt; Fritz Tarnow, Gewerkschaftsvertreter i.R. in Frankfurt. Ein Betriebsratsmitglied hatte beratende Stimme, siehe dazu auch Kapitel II.2 Uber die Gewerkschaften. ^ ' E i n Rad greift ins andere, S. 38. Bis 1959 hatte sich die Zahl aller ZF-Beschäftigten verdoppelt. 1965 feierte die Zahnradfabrik »nach 50 Jahren wechselvoller Geschichte und stolzer Aufbauarbeit« ihr Jubiläum, nun wieder als größtes europäisches Spezialuntemehmen für Getriebe-, Achsenund Lenkungsbau. Einen kurzen, wenn auch zum Teil mit Pathos versetzten Überblick Uber die Expansionsphase bietet: Volker W. Geiling, »Von der,.Zackenbude" zum Weltkonzern«, in: Leben am See 8 (1990), S. 163-181.

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Die Luftschiffbau Zeppelin GmbH Daß die Luftschiffbau Zeppelin GmbH als Konzernmutter und Inbegriff der Rüstungsindustrie289 nicht so unbehelligt das Nachkriegsgeschehen überstehen würde, war allen Beteiligten klar. Zwar konnte die Arbeit vorerst fortgesetzt und eine breite Produktpalette290 hergestellt werden. Nach der Etablierung einer Zwangsverwaltung ab 1. September unter dem Sequester Commandant Jean Deudon 291 folgte jedoch die Stillegung am 31. Dezember 1946 2 9 2 Bereits seit 1. Juni 1946 bis zur Aufhebung der Zwangsverwaltung ruhten auf Befehl der Militärregierung die Vollmachten und Prokuren der Geschäftsführer Hugo Eckener und Ludwig Dürr, des stellvertretenden Betriebsführers Diplomingenieur Knut Eckener und weiterer acht Prokuristen.293 Die Militärregierung in Baden-Baden hatte mit der Übertragung der Stiftung auf die Stadt noch nicht ihr erklärtes Ziel - die Dekartellisierung - erreicht, weshalb der Contrôleur financier Rohmer erklärte, daß der Luftschiffbau trotzdem restlos liquidiert werden müsse. Im April 1947 unternahm die Stadt einen Versuch, Einfluß auf die weitere Entwicklung zu gewinnen: In einer von ihr einberufenen LZ-Gesellschafterversammlung wurde der Friedrichshafener Bürgermeister zum Liquidator des Unternehmens bestellt. Dagegen legte die Militärregierung ihr Veto ein. 294 Ob Julius Oesterle als offizieller Zwangsverwalter eingesetzt wurde, ist nicht ganz klar, jedenfalls ist in einem Zeitungsartikel aus dem Jahre 1962 zu lesen, daß er »die ungewöhnliche Aufgabe der Liquidation« nach 1945 übernommen habe. 295 Am 5. November 1947 erklärten die Franzosen die Zeppelin-Werke als »Rüstungsunternehmen I. Klasse« für aufgelöst und gaben sie zur Totalliquidation frei. 296 Eckener selbst wurde aufgrund des Entnazifizierungsurteils eine leitende Tätigkeit auf fünf Jahre untersagt, was sich auch auf seine Beteiligung im Verwaltungsrat derLZ-GesellM9

Z u r Rüstungsproduktion vgl. Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 482f. Das Unternehmen war zu 92,5% im Besitz der Zeppelin-Stiftung. Beschreibung der zivilen Güterproduktion bei Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 46. Daß die Gießerei u.a. »Spätzlepressen« herstellte, scheint die Zeitgenossen fasziniert zu haben und wurde in fast jedem Zeitzeugeninterview, das die Verfasserin durchführte, erwähnt. 291 Verfügung Nr. 230, JO, Nr. 89 vom 18.7.1947. 292 Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 117. 293 Namentlich erwähnt sind die Friedrichshafener Prokuristen Direktor Julius Oesterle (Finanzverwaltung innerhalb der kaufmännischen Abteilung), Direktor Michael Schiele (kaufmännische Verwaltung), Wilhelm Siegle (Betriebsleitung der Werft) und der Überlinger Prokurist W.C. DötT (Leitung des Patentbüros), nach AdO, c. 1181, p.2 und LZA 004/024, »Aufbau und Gliederung des Luftschiffbau Zeppelin«, Stand 15.5.1944. In letzterem, sechsseitigem Bestand ist die personelle Ausstattung von neun LZ-Abteilungen mit ihren Unterabteilungen beschrieben: Geschäfts- und Betriebsführung, technische und kaufmännische Leitung, allgemeine Betriebe, Prüfwesen, technische Büros, Betriebsbüros und Werkstätten. 2M Gesellschafterversammlung vom 11.4.1947, vgl. ZF: Im Jahrhundert des Wandels, S. 174 und 177. 295 LZA 04/231, Nachfolgebetriebe des Luftschiffbau Zeppelin. 29i J O , Nr. 125 vom 23.12.1947, ausführlich auch StA Sig, W Ü 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. Zum Liquidator wurde Jean Raymond Alphonse Deudon bestimmt und am 1.5.1948 von Emile Knipper abgelöst, AdO, c. 1181, p.2. Der Luftschiffbau bestand 1947 aus den Abteilungen Werft, Gießerei, Umschmelzerei und Gaswerk. Zu diesen Ereignissen befand die Landesregierung in einem Schreiben vom 17.9.1962: »Alle Objekte, die im Rahmen der - bekanntlich schon lange vor dem 30.10.1947 vorbereiteten sog. „Totaldemontage" entnommen werden sollten, waren beim Luftschiffbau Zeppelin schon vor Veröffentlichung der Liste vom 30.10.1947 abtransportiert worden.« Bei den hier angesprochenen Aktionen, die mit einem »Reçus définitif« vom 19.7.1947 abgeschlossen worden waren, handelte es sich jedoch nur um eine Teildemontage. StA Sig, W Ü 140, Bd. 1, Bü. 573 und 1317. 290

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schaft erstreckte.297 Seine Versuche, wie nach dem Ersten Weltkrieg298 mit amerikanischer Hilfe die komplette Demontage zu verhindern,299 waren gescheitert. Nur drei Hallen wurden verschont, in denen die Südwestdeutschen Eisenbahnen und die französischen Kraftfahrzeugwerkstätten CRAS und ARAA produzierten.300 Als 1948 die Halle ΙΠ, die ehemals der Rüstungsfertigung gedient hatte, gesprengt werden sollte, waren deutsche Stellen und die ansässige Bevölkerung am Ende ihrer Geduld. Es kam eine solche Unruhe auf, daß die Gemeinderäte Braun (SPD) und Beckert (KPD) bei Kreisgouverneur Merglen um die Erlaubnis nachfragten, eine Bürgerversammlung »zum Zwecke der Beruhigung« abhalten zu dürfen.301 Merglen selbst wandte sich gegen eine Sprengung302 und stimmte diesbezüglich mit den höchsten deutschen Stellen Uberein. Nach zwei für die Belegschaft qualvollen Jahren der Unsicherheit, begleitet von Protesten und einer außergewöhnlich umfangreichen Korrespondenz zwischen Behörden aller Ebenen303, kam es unter Mithilfe des Kreisgouverneurs zur Entscheidung: Am 4. September 1950 wurde vom Directeur des Réparations-Restitutions mitgeteilt, daß auf die Sprengung verzichtet und die Halle der deutschen Wirtschaft zur Verfügung gestellt würde.304 Im Januar 1951 hielt die Stiftungsverwaltung zufrieden fest: »Seit dem Ende der alliierten Entmilitarisierungspolitik steht fest, daß sämtliche Hallen des LZ erhalten bleiben [...]. Nach ihrer sozialen Bedeutung sind die Hallen lebenswichtig.«305 Gouverneur Merglens sehr differenzierte und auf soziale Belange konzentrierte Wirtschaftspolitik im Kreisgebiet unterschied durchgehend zwischen Interessen des Mutterkonzerns, der Tochterfirmen und Forderungen in der Bevölkerung. Er wurde - hier zum Beispiel im Oktober 1949 - nicht müde, die »danger de reconstitution du „Konzern Zeppelin"« zu beschwören, »ce trust d'industries de guerre que nous voulons détruire depuis 1945«.306 Ebenso erinnerte er immer wieder an die

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Siehe hierzu Kapitel II.3 zur Entnazifizierung. Nach dem Ersten Weltkrieg war Hugo Eckener mit dem Bau eines Reparationsluftschiffes für die USA nicht nur berühmt geworden, er konnte damit auch die Erlaubnis der Siegermächte für den Bau weiterer Luftschiffe erlangen; vgl. Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 39; Italiaander, Ein Deutscher namens Eckener, S. 182ff; Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 122. 299 Hetzer, Unternehmer und leitende Angestellte, S. 551-591, hier S. 587. 300 AdO, c. 2970, p. 1, Note von Directeur des Réparations-Restitutions an Oustin vom 2.11.1950. '"'Ebd., c. 1181, p. 8, Schreiben vom 30.10.1948: »Durch das Bekanntwerden, daß der ehemalige Luftschiffbau gesprengt werden soll, ist innerhalb der gesamten Bürgerschaft, besonders bei den Arbeitern in den Betrieben, eine grosse Unruhe entstanden. Um die immer weiter um sich greifenden, zum Teil unrichtigen Gerüchte in offener Aussprache richtigzustellen, bitten wir um Genehmigung einer öffentlichen Bürgerversammlung.« 302 In der deutschen Korrespondenz Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre gerieten solche differenzierten Verhaltensweisen auf französischer Seite in Vergessenheit. Vielmehr wurde fast ausschließlich auf das Engagement und die Verdienste der deutschen Behörden hingewiesen. 303 Weil dieses Thema hier nicht ausfuhrlich dargelegt werden soll, seien nur einige Fundstellen genannt: Der Württembergische Staatspräsident an General Koenig vom 15.5.1948 (AdO, c. 2220, p. 2). Der Bundesminister für Verkehr an Bundeskanzler Adenauer vom 13.11.1949 (ebd., c. 1181, p. 2). Die Staatskanzlei, der Betriebsrat und das Eisenbahnausbesserungswerk an General Koenig, der Staatspräsident an Kreisgouverneur Merglen (StA Sig, WÜ 40, Bd. 7, BU. 102). In diesem Bestand auch ausführlich die Position des Wirtschaftsministeriums an die Verwaltung für Wirtschaft für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet in Frankfurt a.M. vom 30.11.1949. Ausführliche Korrespondenz, u.a. von Gebhard Müller und Mosthaf vom Wirtschaftsministerium in StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, BU. 506. 304 AdO, c. 2970, p. 3: »il a été décidé d'abandonner définitivement le projet de destruction du bâtiment à la disposition de l'économie allemande.« ^ ' S t A Sig, WÜ 2, Bd. 1, BU. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. 306 AdO, c. 2220, p. 12, Merglen an Cabinet vom 20.10.1949. 298

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einstige Machtfülle von Hugo Eckener innerhalb des Konzerns 307 , deren Fortsetzung er mit seinem ganzen Einfluß in der Nachkriegszeit verhindern wollte. Mit gleicher Regelmäßigkeit und zum Ärger von Albert Merglen trat die alte Firmenleitung der Einstufung des Unternehmens als Rüstungskonzern entgegen. 308 Im Mai 1948 versuchte Hugo Eckener erneut, Einfluß auf die Liquidation »seines« Konzerns zu gewinnen. Deshalb wandte er sich mit einem Brief an den Staatssekretär für deutsche und österreichische Angelegenheiten in Paris, Pierre Schneider, und machte folgende Vorschläge: Für den LZ-Anteil an der Zeppelin-Wohlfahrt sollte eine neue Stiftung gegründet, die Holzindustrie Meckenbeuren an die Stadt verkauft und die MM- und ZF-Aktien »unter Berücksichtigung französischer Interessen« veräußert werden. Für den Mutterkonzem schlug Eckener eine Umstrukturierung vor, wobei er die verbleibenden Baulichkeiten in Zukunft unter seine Leitung stellen wollte. Auch diesmal vergaß er nicht, seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Stiftungsübertragung zu wiederholen. 309 Eckener konnte sich nur in wenigen Punkten durchsetzen. Die Zeppelin-Wohlfahrt wurde auf die Stadt übertragen und die Holzindustrie unter Beteiligung der Gemeinde Meckenbeuren von ihr käuflich erworben; Sauerstoffwerk und Gießerei gingen in zwei neugegründeten Genossenschaften in Friedrichshafen auf. 310 Die ZF-Aktien blieben bei der Stiftung. Mit der Auflösung des Luftschiffbaus Ende 1947 und der Veräußerung seiner Abteilungen rückte neben der Gießerei vor allem die Zukunft des Sauerstoffwerks, das den gesamten Sauer- und Wasserstoffbedarf für dreizehn Kreise deckte, in den Mittelpunkt des Interesses. 311 Die Franzosen stellten es deshalb auch nicht dem Kontrollrat zur Verfügung. Interesse an einem Kauf hatte neben der Stadt auch eine Eismaschinenfirma in der amerikanischen Zone, mit beiden kam es aber nicht zu Verträgen.312 Bei der Abweisung der Stadt als Käuferin spielte wieder die Furcht mit, daß sich der Konzern mit seiner ganzen wirtschaftlichen Kraft reorganisieren könnte. Colonel Romer von der französischen Finanzdirektion in Baden-Baden vertrat nach einem Besuch in Friedrichshafen die Auffassung, »daß die Stadt nicht die Betriebe übernehmen dürfe, denn „wer gibt uns Gewähr, daß eines Tages nicht wieder ein kommissarischer Bürgermeister in Friedrichshafen eingesetzt wird und das Theater betr. Aufrüstung geht wieder von vorne an". Er ist für Zersplitterung.« 313 Den Wunsch eines Privatmannes aus Friedrichshafen, das Sauerstoffwerk zu kaufen, hatte Kreisgouverneur Merglen gleich im Vorfeld unterbunden: »Obwohl alle Arbeiter des Unternehmens Gesellschafter dieser Firma werden konnten, bestand 307

Hugo Eckener war Vorstand der Zeppelin-Stiftung, Geschäftsführer des Luftschiffbaus, hatte die Majorität in der Aktionärsversammlung des Luftschiffbaus und der Maybach-Motorenwerke und war Vorsitzender im Verwaltungsrat der Zahnradfabrik, ebd. 308 So z.B. in einem Schreiben des Luftschiffbaus an die Landesdirektion der Wirtschaft vom 13.3.1947: »Fertigung für den zivilen Bedarf während des Krieges«; »Rüstungsaufträge erfolgten in bescheidenem Ausmaß erst im Jahre 1940 [...]. Anschließend hatten wir nur indirekte Wehrmachtslieferungen zu erfüllen«; StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 506. 309 Ausführlich in: ZF: Im Jahrhundert des Wandels, S. 184ff. 310 Siehe dazu auch Kapitel II.2 über die Gewerkschaften. 311 AdO, c. 1181, p. 24A, Schreiben vom 2.5.1946: Versorgt wurden die Kreise Friedrichshafen, Biberach, Leutkirch, Lindau, Mengen, Pfullendorf, Ravensburg, Röthenbach, Saulgau, Sigmaringen, Stockach, Wangen und Laupheim. 312 Rathaus, GRP vom 25.1.1947. Die Verhandlungsstrategie der »Linde's Eismaschinen A.G.« aus Hollriegelskreuth bei München werden ausführlich beschrieben in LZA 06/775 Sauerstoffwerk Friedrichshafen 1946-1948, 1958, Bericht von Hr. Schiele zur Entstehung der beiden Genossenschaften Sauerstoffwerk und Metallverarbeitung, S. 2ff. 313 LZA 06/775, Bericht von Hr. Schiele, S. 5.

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e i n e sehr ernste Gefahr, daß ein oder mehrere P e r s o n e n die f i n a n z i e l l e Mehrheit der A n t e i l e in e i n e H a n d bringen können u n d daß sie damit d e n anderen Teilhabern e i n e n M e h r h e i t s w i l l e n auferlegen k ö n n e n . « 3 1 4 D i e B e l e g s c h a f t e n d e s S a u e r s t o f f w e r k s und der Gießerei, Betriebsräte s o w i e e i n z e l n e Vertreter aus der Industrie setzten sich dafür ein, b e i d e Teilbetriebe in G e n o s s e n s c h a f t e n u m z u w a n d e l n . 3 1 5 D i e s e L ö s u n g favorisierte auch die Militärregierung: »Für die Arbeiter, die sich an d i e s e n n e u e n G e s e l l schaften beteiligen, bedeutet e s e i n e g l ü c k l i c h e Spekulation, w e n n sie d i e M ö g l i c h k e i t haben, ihr Geld, das a u g e n b l i c k l i c h fast wertlos ist, in ein Industrieunternehmen mit g e s i c h e r t e m G e w i n n a n l e g e n z u k ö n n e n [...]. D a s S a u e r s t o f f w e r k u n d die Gießerei stellen die 2 besten Objekte dar, die m a n n o c h aus d e m L u f t s c h i f f b a u Z e p p e l i n e l i m i nieren k a n n . « 3 1 6 D i e Gießerei war nach A n s i c h t der »Production Industrielle« in B a d e n - B a d e n die leistungsfähigste innerhalb der f r a n z ö s i s c h e n Z o n e . 3 1 7 D e r

LZ-

Z w a n g s v e r w a l t e r bot nun auf G e h e i ß der Militärregierung die Vermietung der nötigen Grundstücke u n d G e b ä u d e und den Verkauf v o n M a s c h i n e n und Material an. A m 13. Oktober 1 9 4 7 w u r d e die Gießerei als g e n o s s e n s c h a f t l i c h e s U m s c h m e l z w e r k » M e t a l l bearbeitung Friedrichshafen e G m b H « i m Handelsregister e i n g e t r a g e n . 3 1 8

Ebenso

wurde das » S a u e r s t o f f w e r k Friedrichshafen e G m b H « g e g r ü n d e t . 3 1 9 A m 2 2 . Juli 1 9 5 0 gründete außerdem die Stadt als StiftungsVerwalterin d i e »Metallw e r k e Friedrichshafen G m b H « , u m den e h e m a l i g e n L Z - B e t r i e b s a n g e h ö r i g e n »Arbeit zu b e s c h a f f e n und z u ihrer Alters-, Invaliden- u n d H i n t e r b l i e b e n e n v e r s o r g u n g beizut r a g e n « . 3 2 0 M i t 3 5 Arbeitnehmern b e g a n n a m 1. A u g u s t die Produktion auf d e m G e biet der L e i c h t b a u w e i s e , d e s Apparate- u n d Behälterbaus. 3 2 1 1 9 6 2 vereinigten sich die 314

Ebd., Schreiben von Merglen »betreffend die Gründung von zwei Genossenschaften« vom 17.9.1947. Die Ausführungen gingen dem Délégué Supérieur für das württembergische Gouvernement Militaire, dem Cabinet, der Abteilung Economie et Finances, dem LZ-Zwangsverwalter und dem Contrôleur de la Production Industrielle in Ravensburg zu. Zu Merglens wirtschaftlichen und politischen Beweggründen für Genossenschaftsgründungen siehe das Kapitel Uber die Gewerkschaften. 315 AdO, c. 2220, p. 2, Schreiben vom 28.7.1947; ebd., c. 3568, Schreiben vom 17.9.1947. 316 LZA 06/775 Sauerstoffwerk Friedrichshafen 1946-1948, 1958, Schreiben vom 17.9.1947. Bei der Abfassung der Statuten achtete Merglen darauf, daß die Stadt Friedrichshafen als Stiftungsträgerin keinen Schaden durch die Umstrukturierung erlitt. Durch Bestimmungen sollte erreicht werden, daß, falls die Gesellschaften in Konkurs gingen oder von Genossenschaften organisatorisch abwichen, Gebäude und Gelände wieder an die Stadt zurückfielen »und nicht Eigentum von Privatleuten werden.« 317 Dies meinte Commandant Elchardus von der »Production Industrielle« bei einem Besuch in Friedrichshafen am 17.7.1946, ebd. 06/775, Bericht von Hr. Schiele zur Entstehung der beiden Betriebe Sauerstoffwerk Friedrichshafen und Metallbearbeitung Friedrichshafen. Schiele wurde am 1.1.1947 von LZ-Liquidateur Commandant Frédéric mit der Liquidation der Gießerei beauftragt. 318 Ab 1956 GmbH, heute »mb guss«. Auf deutscher Seite war im August 1947 der Vorschlag gemacht worden, Gaswerk und Gießerei unter »Bodenseewerk GmbH« zusammenzufassen. Er wurde von den Franzosen abgelehnt, »da Konzernbildung vermutet wurde.« Ebd., S. 5. 319 Zu den langwierigen und zwischen den deutschen Funktionsträgern aus Wirtschaft und Verwaltung konträr geführten Auseinandersetzungen siehe den Bericht von Hr. Schiele. An der Entscheidungsfindung ab Mai 1946 waren u.a. Prof. Dr. Kickebusch von der Landesdirektion der Wirtschaft und Minister Wildermuth beteiligt, die zwischen Bürgermeister Mauch und den Befürwortern der Genossenschaftsidee zu vermitteln versuchten. 320 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. Die Altersversorgung war in Frage gestellt, weil die Zeppelin-Altersversorgungskasse »im Zuge der Geldneuordnung ihr Vermögen einbüsste.« Seit 1962 firmiert der Betrieb unter »Zeppelin-Metallwerke GmbH«. Quellen zur Betriebsgründung sind zu finden in LZA 009/365 Metallwerke Friedrichshafen GmbH 1951-1954. 321 Ebd. Vier Monate später waren es bereits 72 Beschäftigte: 35 ehemalige LZ-Angehörige, 12 Flüchtlinge, 15 Kriegsbeschädigte und 5 Schwerkriegsbeschädigte.

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Metallwerke mit der 1953 von der Zeppelin-Stiftung übernommenen Fahrzeuginstandsetzung GmbH zu den heutigen »Zeppelin Metallwerken Friedrichshafen GmbH. 322 Die verbliebene Liquidationsmasse der Muttergesellschaft bestand letztlich nur noch aus Grund- und Gebäudebesitz. Deshalb bat die Geschäftsführung 1955 Kreisgouverneur Valicourt, eine Beendigung der Liquidation zu betreiben. Der Luftschiffbau sollte »in Zukunft als eine sogenannte Grundstücksverwaltungs-Gesellschaft weitergeführt werden«. 323 Nach Aufhebung der Liquidation wurde Direktor Julius Oesterle Geschäftsführer des Luftschiffbau Zeppelin und der Nachfolgebetriebe. 324 Bis heute steht der ehemalige Großkonzern als eine Art »Holding« den Tochterfirmen vor und besitzt umfangreiche Gelände und Liegenschaften. Seit einiger Zeit trägt sich die Gesellschaft mit dem Gedanken, wieder Zeppeline für touristische Zwecke zu bauen. Die Dornier-Werke GmbH

325

Für die Dornier-Werke als Flugzeugbauer sah die Zukunft noch hoffnungsloser aus als für den Zeppelin-Konzern, da der Flugzeugbau zunächst auf unbestimmte Zeit, tatsächlich dann bis 1955 verboten war. Ein ranghoher Pariser Beamter bezeichnete die Firma im Herbst 1945 kategorisch als »cent pourcent usine de guerre«. 326 Die Werke wurden völlig demontiert und liquidiert. Im Krieg nur wenig beschädigte Fertigungshallen wurden »in Anwesenheit zahlreicher hoher französischer Offiziere« gesprengt und ein 1,6 Kilometer langer und 16 Meter breiter Luftschutzbunker mitsamt den darin gelagerten Zeichnungen und Firmenakten geflutet. 327 Aber wie bei den anderen Industriebetrieben auch gab es Versuche, einen Neubeginn in Deutschland zu ermöglichen. Nach Kriegsende lagen vorerst die Zuständigkeiten für das Werk in Friedrichshafen-Manzell bei der französischen Marine und für das Werk in Langenargen bei der Luftwaffe. Auf Betreiben von Kreisgouverneur Ulmer wurden die Dornier-Anlagen ab 22. Juni 1946 dem Gouvernement Militaire in Tettnang unterstellt.328 322

Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 221f; Boelcke, Industrieller Aufstieg, S. 487. Die Angabe, daß 19S0 die Liquidation rückgängig gemacht wurde, muß korrigiert werden, Ohlhauser, S. 48. AdO, c. 3568, Schreiben vom 31.1.1955. 324 Oesterle wurde Geschäftsführer im Sauerstoffwerk, in der Zeppelin-Reederei Frankfurt und der Holzindustrie Meckenbeuren, nach LZA 04/231 Nachfolgebetriebe des Luftschiffbau Zeppelin. 323 Wie zu Karl Maybach liegt auch für Claude Dornier nur eine thematisch begrenzte Publikation vor: Joachim Wachtel, Claude Dornier - Ein Leben für die Luftfahrt, Planegg 1989. Wachtel beschreibt vor allem die technologische Entwicklung, was er im Vorwort selbst bedauert: »Ohne den zeitgeschichtlichen Hintergrund kann das Leben dieses Flugzeugbaupioniers und Unternehmers kaum gewürdigt werden. Gerade die Luftfahrtindustrie sah sich ja immer, bis heute, in der Abhängigkeit vom politischen Umfeld. Es wäre reizvoll gewesen, auf diese Umstände näher einzugehen. Doch die Grenzen einer Darstellung wie der vorliegenden [360 Seiten] sind eng gezogen. Geschichte, Zeitgeschichte kann hier nur soweit einfließen, wie sie unmittelbar auf die Untemehmenspolitik und das Schicksal des Unternehmens einwirkte.« 326 Josef König, Erinnerungen an Vorgänge im Domier-Konzern während der alliierten Besetzung bis zur Wiederaufnahme des Flugzeugbaues durch Herrn Professor Dr. Dornier im Jahre 1956, masch.schriftl. Manuskript, StadtA FN, 27 Seiten, hier S. 9. Zeitzeuge König fungierte als Zwangsverwalter (vorgesetzte Dienststelle: Contrôle des Biens in Tübingen) für folgende mit dem DornierBetrieb in Zusammenhang stehende Gesellschaften: Flughafen Friedrichshafen GmbH (Eintrag der Zwangsverwaltung im Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang vom 1.4.1947), Maschinen- und Schiffbau GmbH (2.3.1948) und Doraier-Hilfe GmbH (2.3.1948), ebd., S. 12. 327 Ebd., S. 10. Das Zerstörungswerk dauerte bis 1948, nach AdO, c. 1181, p. 3. 328 AdO, c. 1181, p. 3, Rapport vom 18.5.1946 und Schreiben vom 22.6.1946. 323

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Bis dahin waren verschiedene Ansätze einer Neuordnung gescheitert. 329 Zwischenzeitlich hatte die Firma begonnen, in kleinem Umfang Zivilgüter zu produzieren, was aber auf Befehl der Militärregierung eingestellt werden mußte. Am 1. Oktober 1945 richtete sich Claude Dornier mit einem Rundbrief an alle ehemaligen Werksangehörigen, um ihnen ihre Kündigung mitzuteilen: »Durch den Eintritt der militärischen Ereignisse und die seitens der Besatzungsmacht erfolgte Beschlagnahme und Stillegung der Rüstungsbetriebe ist unser Unternehmen besonders schwer betroffen worden. Mit einer Beschäftigung der Werksangehörigen, die sich bisher zu einer Wiederaufnahme der Arbeit gemeldet haben, wird nach Lage der Dinge leider nur zu einem kleinen Teil zu rechnen sein.« 330 Im Einvernehmen mit der französischen Militärregierung, dem Landesarbeitsamt sowie dem Friedrichshafener Arbeitsamt endeten am 1. Oktober 1945 die Dienstverhältnisse aller Arbeiter und Angestellten, eine »Abgangsentschädigung« gemäß den Richtlinien des Landesarbeitsamtes wurde in Aussicht gestellt. Für den Fall, daß doch noch Arbeitskräfte benötigt würden, verfügte Dornier, daß »diejenigen Gefolgschafter, für die eine Beschäftigungsmöglichkeit im Rahmen der gegebenen Verhältnisse besteht«, neu eingestellt würden. Auf Seiten der Militärregierung bestanden Pläne, die noch verbliebenen Maschinen für eine Ersatzteilproduktion für die Saarminen zu verwenden, deshalb sollten auf Anweisung von Laffon vorerst keine Entnahmen erfolgen. 331 Peter Dornier errichtete im März 1946 ein Ingenieurbüro, das sich mit Windkraftanlagen und Konstruktionen für den Häuserbau beschäftigte. 332 Nachdem das Dornier-Werk in Rickenbach von den Amerikanern freigegeben worden war, übersiedelte das Büro am 2. Februar 1950 dorthin. 333 Versuche des Betriebsrats, die Produktion zu retten, indem er eine Tätigkeit für die Militärregierung in Aussicht stellte, scheiterten ebenfalls. 334 Die Werke wurden am 1. August 1946 unter Zwangsverwaltung gestellt 335 , und »auf Antrag« des Zwangsverwalters Emile Knipper kam es 1947 zur Entlassung der bisherigen Geschäftsführer Claudius und Peter Dornier, Fritz Oesterle und Julius Schneider. 336 Am 5. November 1947 wurde die Gesellschaft per Verfügung des Administrateur Général für aufgelöst erklärt 337 , Gebäude, Grundstücke und das Abbruchmaterial von Liquidator Emile Knipper zum Verkauf angeboten und die Stadtverwaltung mit der Trümmer32,

Josef König beschreibt in seinen Erinnerungen, wie Claude Dornier vergeblich versuchte, Gesprächstermine bei der französischen Militärregierung zu bekommen und auf strikte Ablehnung stieß; König, Erinnerungen, S. 4. 330 Ebd., S. 10/11, Wiedergabe des gesamten Briefes im Wortlaut. 331 AdO, c. 1181, p. 3, Schreiben von Laffon an Widmer vom 23.11.1945. 332 Ein Eintrag ins Handelsregister Tettnang als »Lohntechnische Gesellschaft m.b.H.« erfolgte laut Karin Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 49, erst am 14.3.1947, veröffentlicht im JO, Nr. 74 vom 30.5.1947. Das technische Büro befand sich zuerst in Betriebsräumen in Manzell, dann in der Villa der Familie Dornier. 333 Ebd., S. 49. 334 AdO, c. 1181, p. 3, Schreiben des Betriebsrats an Gouverneur Ulmer vom 7.5.1946. 333 Verfügung Nr. 228, JO, Nr. 89 vom 18.7.1947, Anordnung Nr. 191, JO Nr. 90 vom 19.7.1947. 336 Eintrag im Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang, Abt. B., Bd. I, vom 22.8.1947. Die übergeordnete Dienststelle von Emile Knipper war nach J. König ein in Konstanz stationierter Administrateur-Générale namens Ferrasse, ein ehemaliger Polizeipräfekt aus Lyon, der mehrere Jahre als Kriegsgefangener in Deutschland zubringen mußte, König, Erinnerungen, S. 12. 337 Verfügung Nr. 125, JO, Nr. 125 vom 23.12.1947. Eintrag im Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang am 4.3.1948: »die Gesellschaft Dornier-Werke GmbH mit dem Sitz in Friedrichshafen ist gemäss Verfügung Nr. 251 vom 5. November 1947 des Administrateur Général über die Auflösung von Unternehmen, deren Hauptzweck darin besteht, zum Kriegspotential Deutschlands beizutragen, aufgelöst.«

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beseitigung beauftragt. 338 Dazu die Domier-Geschäftsführung in einem Rückblick: »Während der Zeit der Besatzung und der Dauer der Zwangsverwaltung durch den französischen] Administrateur sind unsere in der französischen Zone gelegenen Werke total demontiert und darüber hinaus unsere Fabrikanlagen in Friedrichshafen (Manzell und Allmannsweiler) durch Einheiten der franz[ösischen] Armee gesprengt worden.« 339 Die Landesregierung faßte 1962 die Ereignisse bei Dornier seit Kriegsende zusammen. Demnach vollzog sich die Totaldemontage in zwei Abschnitten: Von 1945 bis 1947 fanden Einzelentnahmen statt, wofür Liquidateur Emile Knipper kurz vor Beendigung seiner Tätigkeit als Zwangsverwalter Belege ausstellte, die auf den 5. Februar 1947 vordatiert wurden. Der zweite Abschnitt bildete die Totaldemontage nach der Liste vom 30. Oktober 1947. Sie begann, wie die Landesregierung weiter ausführte, 1946 und endete 1949, »lief also z.T. neben den oben erwähnten Einzelentnahmen und ist belegt durch verschiedene Reçus finals, deren Ausstellung zwischen dem 21.1.48 und 22.8.49 liegen.« Das Ende der Demontage konnte im Rückblick nicht mehr fixiert werden: »Ob die Besatzungsmacht je offiziell erklärt hat, daß von einem bestimmten Datum ab alle Entnahmehandlungen abgeschlossen seien, ist hier nicht bekannt«. 340 Zwei Jahre nach Auflösung der Dornier-Gesellschaft, am 31. Dezember 1949, hob die französische Militärregierung die Zwangsverwaltung auf und setzte die ehemaligen Geschäftsführer Claude und Peter Dornier sowie Julius Oesterle wieder in ihre Funktionen ein. Gleichzeitig wurden sie als Liquidateure bestimmt. 341 Im Februar 1950 erhielt Claude Dornier von der französischen Regierung alle Rechte als Firmeneigentümer zurück. 342 Diese erstreckten sich zu diesem Zeitpunkt auch wieder auf die Vermögenswerte der Dornier-Gesellschaft in der amerikanischen und britischen Besatzungszone, weil die Treuhänderschaft dort ebenfalls aufgehoben worden war. Bei Überlegungen der Dornier-Gruppe zu einem Neustart in Friedrichshafen bot die Stadt »jede nur mögliche Hilfe und Unterstützung« an. 343 Claude Domier zog es jedoch 338 Ado,

c. 1181, p. 3. Die Trümmerbeseitigung war am 26.4.1948 beendet; Rathaus, GRP vom 28.4.1948. 339 In diesem Brief vom 6.10.1950 veranschlagte die Dornier-Geschäftsführung auch ihre »Gesamtverluste durch Demontage«, um sie dem Wirtschaftsministerium für Entschädigungszahlungen zu melden. Von der errechneten Schadenshöhe von ca. 28 Mio. RM in Württemberg-Hohenzollera einschließlich des Landkreises Lindau erkannte die Landesregierung 1960 etwas über die Hälfte des Betrages an, nach StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, Bü. 573/462, Schreiben der Dornier-Werke Friedrichshafen an das Wirtschaftsministerium vom 6.10.1950 und Schreiben der Landesregierung vom 22.9.1960. 340 Ebd., Bü. 573/1317, Schreiben der Landesregierung vom 17.9.1962. 341 AdO, c. 1181, p. 3. Eintrag in das Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang vom 2.2.1950: »Die durch Verfügung Nr. 228 des Administrateurs Général vom 1.8.1946 - Journal Officiel Nr. 89 angeordnete Zwangsverwaltung ist durch Arrêté Nr. 146 des Haut-Commissaire de la République Française en Allemagne vom 28.12.1949 mit Wirkung vom 31. Dezember 1949 aufgehoben. Das Amt des Zwangsverwalters, H e n Emile Knipper in Friedrichshafen, ist zum gleichen Zeitpunkt erloschen. Die Löschung der seitherigen Geschäftsführer Claudius Dornier, Fritz Oesterle und Peter Domier ist unwirksam.« 342 Eintrag in das Handelsregister vom 21.3.1950: »Infolge Verfügung Nr. 147 des Hochkommissars der französischen] Republik in Deutschland vom 18.2.1950 ist die Bestellung des Herrn Emile Knipper in Friedrichshafen als Liquidator mit Wirkung vom 31.1.1950 an aufgehoben. Neue Liquidatoren sind auf Grund Gesellschafterversammlung vom 7.2.1950: 1) Dr. Ing. Claude Dornier in Zug, 2.) Peter Domier, Dipl.Ing. in Friedrichshafen, 3) Fritz Oesterle, Direktor in Friedrichshafen. Zur Vertretung der Gesellschaft ist der Liquidator Dr. Claude Domier allein, die beiden anderen Liquidatoren nur gemeinsam berechtigt.« 343 Rathaus, GRP vom 22.2.1950.

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parallel zur Entwicklung nach dem Ersten Weltkrieg - vor, sich im Ausland niederzulassen. Im Februar 1951 gründete er mit einer Gruppe von ehemaligen Mitarbeitern in Madrid die »Oficinas Técnicas Dornier« (OTEDO) 344 , um für die spanische Luftwaffe zu arbeiten. 345 Mit der Konstruktions- und Flugzeugbautätigkeit in Spanien legte Dornier den Grundstein für einen wirtschaftlichen Wiederaufstieg in Deutschland. 346 Als Leiter der Auslandsniederlassung setzte er seinen aus englischer Gefangenschaft heimgekehrten, »bisher mit Sonderaufgaben betrauten Sohn«, Diplomingenieur Claudius Dornier jr., ein. 347 Von diesen unter wirtschaftlichen Aspekten großen Fortschritten war in Friedrichshafen noch nichts zu merken. Außer einigen kaufmännischen Angestellten, die mit der nach wie vor bestehenden Liquidation beauftragt wurden, war in den Dornier-Werken seit Jahren nur noch ein Chauffeur beschäftigt. 348 Verzögert wurde die Aufhebung der Liquidation durch Verhandlungen, die Dornier und seine Mitarbeiter mit ca. 25.000 Gläubigern und einem Bankenkonsortium wegen der Rückzahlung eines »erheblichen Kredites« aus der Kriegszeit führen mußten. 349 Als Voraussetzung für eine Aufhebung forderten die französischen Behörden außerdem eine Änderung des Gesellschaftervertrages bezüglich des »Gegenstands des Unternehmens«. Sie wurde dann auch durchgeführt und am 29. Oktober 1954 in das Handelsregister eingetragen. 350 Erst als der Gesellschaftervertrag geändert und die Liquidation am 15. November 1954 aufgehoben worden war sowie 1955 die Bundesrepublik die Lufthoheit wiedererlangt hatte, kehrte Claude Dornier nach Friedrichshafen zurück. 351 Mit einem Eintrag in das Handelsregister beim Amtsgericht Tettnang endete für die Dornier-Werke ein zehnjähriges - und damit im Vergleich mit den anderen Friedrichshafener Industriebetrieben auch das längste - Kapitel wirtschaftspolitischer Nachkriegsgeschichte: »Durch Beschluß des Botschafters von Frankreich, Hohen Kommissars in Deutschland vom 13.11.1954 [...] sind die Auflösungsmaßnahmen mit Wirkung vom 15. November 1954 aufgehoben. Die Gesellschaft wird fortgesetzt [...]. Die bisherigen Liquidatoren Professor Dr. Ing. Claudius Dornier, Dipl.Ing. in Friedrichshafen-Zug, Peter Dornier, Dipl.Ing. in Lindau und Fritz Oesterle, Direktor in Friedrichshafen, sind Geschäftsführer.« 352 Am 4. November 1955 wurde als weiterer Geschäftsführer noch Claudius Dornier jr. bestellt. 353 1 956/57 setzten die Dornier344

Boelcke, Friedrichshafens industrieller Aufstieg, S. 487f. StadtA, König, Erinnerungen, S. 20, datiert die Gründung auf März 1951. Wachtel, Claude Dornier, S. 302f. 346 Nach J. König wurde das für die spanische Luftwaffe gebaute Flugzeug 1955 vom deutschen Verteidigungsminister nach leichten Änderungen mit einer Stückzahl von 428 als Heeresflugzeug (Do 27) in Auftrag gegeben; StadtA, Erinnerungen, S. 20. 347 Ebd. ^ B r i e f von Dornier und Oesterle an den Commissaire Français à l'office Militaire de Secûrité (und Président du Conseil de Surveillance des Administrateurs Liquidateurs), M. Coignard, vom 7.9.1953, vollständig zitiert in ebd., S. 21f. 349 Ebd. ^Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang, Abt. B, Nr. 15: »Durch Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 29.10.1954 wurde § 3 des Gesellschaftsvertrags (Gegenstand des Unternehmens) geändert. Gegenstand des Unternehmens ist die Herstellung und der Vertrieb von Maschinen und Leichtkonstruktionen.« 331 Wachtel, Claude Dornier, S. 304. 352 In Folge wurden die Zwangsverwaltungen über die Flughafen GmbH, die Maschinen- und Schiffbau GmbH und die Dornier-Hilfe GmbH aufgehoben. Am 1. Oktober 1954 trat Dipl.-Ing. Silvius Dornier in die Firma ein und erhielt Anfang 1955 Prokura. Über die Wiederaufnahme der Arbeiten unter bescheidenen räumlichen Verhältnissen vgl. StadtA, König, Erinnerungen, S. 25. 353 Eintrag im Handelsregister des Amtsgerichts Tettnang vom 4.11.1955. 345

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Werke ihre Arbeit vor allem im Bereich Entwicklung fort, aber noch 1962 war die Produktion nicht wieder aufgenommen. 354 In einer Kreisbeschreibung von 1969 wurde denn auch bedauert, daß die »noch mäßigen Ansätze« für den deutschen Flugzeugbau in der Bundesrepublik mehr in Bayern als im württembergischen Raum zu finden seien. Aber: »Die Dornier-GmbH hält die Tradition in Friedrichshafen wach«, wobei auf die Entwicklungsarbeiten an einem Hubschrauber mit neuartigem Antriebsprinzip verwiesen wurde. 355 Zusammenfassend kann festgehalten werden: 1. Das ursprüngliche Ziel der französischen Besatzungsmacht, die vier Friedrichshafener Industriebetriebe aufzulösen, wurde nicht verwirklicht, alle bestehen heute noch, wenn auch in zum Teil stark veränderten Gesellschaftsformen. Trotz unbestritten schmerzhafter Eingriffe in die Wirtschaft ihrer Besatzungszone zeigt die Untersuchung, daß die These einer reinen französischen »Ausbeutungs- und Destruktionspolitik« nicht haltbar ist. Bei kooperativem Verhalten der Deutschen waren beide Seiten bestrebt, die Wirtschaft rasch wiederzubeleben. Das zeigt die Übertragung der Zeppelin-Stiftung auf die Stadt ebenso wie die Herauslösung der Zahnradfabrik aus dem Gesamtkonzern und die beiden Genossenschaftsgriindungen ehemaliger LZ-Betriebe. Das französische Ziel einer Entflechtung konnte damit realisiert werden. 2. Die Handlungsspielräume auf französischer und deutscher Seite waren vielfältig. Für die französische Seite ist festzustellen, daß von Anfang an deutsche Initiative gefordert und in die Entscheidungen miteinbezogen wurde, dies vor allem von den beiden Kreisgouvemeuren Ulmer und Merglen. Es ließ sich aber auch zeigen, daß die beteiligten französischen Dienststellen keine einheitlichen Ziele verfolgten, was den Handlungsspielraum der Deutschen sowohl erweitern als auch einengen konnte. Auch wird ein Widerspruch offensichtlich: Die Forderung nach Entmilitarisierung und Entnazifizierung ließ sich kaum mit dem französischen Interesse an wirtschaftlichen Gütern und Wissenstransfer vereinbaren. Der Handlungsspielraum der Franzosen wurde mit zunehmender ökonomischer Abhängigkeit von den anderen Westalliierten eingeschränkt. Auf deutscher Seite waren die Handlungsspielräume ebenfalls vielseitig. Der Luftschiffbau Zeppelin als Konzernmutter überlebte zwar nur als Grundstücksverwaltungs-Gesellschaft, konnte aber auf diesem Weg einen großen Teil des ursprünglichen Vermögens retten. Die Geschäftsführung der Dornier-Werke entzog sich nach Kriegsende einer Neuordnung und überbrückte die Zeit in Spanien. Erst als sich die politischen Vorzeichen grundlegend geändert hatten, kehrte sie zurück. Der Maybach-Motorenbau und die Zahnradfabrik waren am ehesten bereit, auf Forderungen der Militärregierung einzugehen und so eine Schließung der Betriebe zu verhindern. Beim Motorenbau, wo die alte Geschäftsführung ihren Rücktritt verweigerte, endeten die Verhandlungen in der Verpflichtung, einen Panzermotor für Frankreich zu entwickeln. Die Firma wurde letztlich unter dem Einfluß einer veränderten weltpolitischen Lage 354

StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, BU. 573/462, Schreiben der Landesregierung vom 17.9.1962. "'Erfreulich war für den Autor auch noch eine andere Entwicklung in der Nachkriegszeit: «Der Einfluß der Industrie der Schweiz und Österreich ist im Gegensatz zu den Verbindungen am Oberrhein oder zu Ravensburg» kaum anzutreffen: »Zeppelin und seine Gefolgsleute haben bis heute das Gesicht der Industrie und der Wirtschaft ohne ausländischen Einsatz geprägt«, zitiert aus: Der Kreis Tettnang und die Stadt Friedrichshafen. Kreisbeschreibung, in: Heimat und Arbeit, hrsg. v. Konrad Theiss und Hermann Baumhauer, Aalen 1969, S. 124.

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und vermutlich wegen der Fürsprache der amerikanischen Militärregierung gerettet. Am engsten kooperierte die Zahnradfabrik mit den französischen Behörden. Ein Austausch der Firmenleitung, die Vermietung von Maschinen an eine französische Firma, das Ausscheiden aus dem Zeppelin-Konzern und die Angliederung an die städtische Zeppelin-Stiftung verhinderten eine Zerstörung und Demontage der Werksanlagen. Mit Wohlwollen der Militärbehörden gelang der Zahnradfabrik am schnellsten von allen Friedrichshafener Firmen der wirtschaftliche Wiederaufbau. 3. Die Übertragung eines Teils des ehemaligen Zeppelin-Konzems auf die Stadt stellt eine tiefe Zäsur in der regionalen Industriegeschichte dar. Die Stiftungsverwaltung bemühte sich, diesen Einschnitt zu relativieren und die Kontinuität von »Unternehmerpersönlichkeiten« zu betonen: »Grundsätzlich steht die Zeppelin-Stiftung auf dem Standpunkt, daß es für den Aufgabenbereich des Unternehmertums und dessen Erfüllung keinen Unterschied macht, ob es sich um Betriebe in Staats- und Kommunaleigentum oder um gemischtwirtschaftliche Betriebe handelt, ob die Arbeitsstätte in Gesellschaftsform oder als Einzelform betrieben wird. Denn im geschichtlichen Werdegang der deutschen Wirtschaft sind alle diese Formen entwickelt worden und sollen sich weiter fortbilden [...]. In gewissenhafter Selbstprüfung kann und muß in allen Formen erreicht werden, daß die menschlich und fachlich geeignete Unternehmerpersönlichkeit das Kernstück der Willensbildung ist und bleibt.« 356 Für eine tiefe Zäsur sprechen auch die Umwandlungen in Genossenschaften, Neugründungen sowie Anund Verkäufe von Aktienanteilen. Weitgehend unbehelligt von einer wirtschaftlichen und unternehmenspolitischen Umstrukturierung blieben die nicht zum Konzern gehörenden Dornier-Werke. Zwar waren sie stärker als zum Beispiel die Zahnradfabrik von Demontage und Zerstörung betroffen, längerfristig verhinderte dies aber nicht ihren Wiederaufbau. 4. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Führungseliten ist sowohl eine personelle Kontinuität als auch Diskontinuität festzustellen. Hugo Eckener, ehemals Vorstand der Stiftung und Geschäftsführer des Luftschiffbau Zeppelin, und Claude Dornier orientierten sich an Verhaltensmustern, die sich nach dem Ersten Weltkrieg bewährt hatten. Eckener, der wieder versuchte, Uber amerikanische und französische Kontakte seine Machtposition zu festigen, scheiterte - gemessen an seinen hohen Erwartungen letztlich an deutschen und französischen NeuordnungsVorstellungen. Er starb 1954 86jährig in Friedrichshafen. Domier konnte - nach einer kurzen Abwanderung nach Spanien - seit der Wiedereinsetzung als Finneninhaber und Geschäftsführer die Firmentradition zusammen mit seinen Söhnen in Deutschland fortführen. Beim Maybach-Motorenbau kann insofern von einer Zäsur gesprochen werden, als Karl Maybach ausschied und Jean Raebel eine steile Karriere als Vorsitzender der Geschäftsführung begann. Mit der Nachkriegstätigkeit von Jean Raebel, Carl Böttner und Markus von Kienlin wurde dagegen Kontinuität in der Firmenpolitik gewahrt; ein mit neuen Programmen und Ideen verbundener Führungswechsel hatte nicht stattgefunden. Am eindrücklichsten ist der Austausch der ZF-Geschäftsleitung. Die alten Vorstände Hans Cappus und Hermann Doit spielten in der Nachkriegszeit keine einflußreiche Rolle mehr. Hugo Eckener, Aufsichtsratsvorsitzender der Zeppelin-Stiftung von 1928 bis Kriegsende, konnte nach 1945 keinen Einfluß auf die neuen Stiftungsgremien ge356

StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bil. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung.

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Winnen. Der bedeutende unternehmerische Einfluß von Alfred Graf von Soden-Fraunhofen, Geschäftsführer (von der Gründung der ZF 1915 bis 1921) und Vorstand (1921 bis zu seinem Tode 1944), konnte von Sohn Ekart, wenn auch in weit geringerem Maße, fortgeführt werden. Er war ab 1948 fast zwei Jahrzehnte stellvertretendes Vorstandsmitglied in der Zahnradfabrik. Der Sohn des Grafen Ferdinand, Alexander Graf von Brandenstein-Zeppelin, war Aufsichtsratsmitglied von 1921 bis 1945. Seine Nachfolge trat sein gleichnamiger Sohn an, der von 1948 bis 1952 im ZF-Aufsichtsrat saß. Nachkommen der Familie Brandenstein-Zeppelin sind bis heute in Firmengremien vertreten, so zum Beispiel im Aufsichtsrat der MTU Friedrichshafen. Entscheidend geprägt wurde die Firmenpolitik nach dem Krieg jedoch durch die neuen Funktionsträger Robert Pirker, Konstantin Schmäh und Albert Maier. Sie verkörperten eine moderne, auf soziale Belange ausgerichtete, kooperative Firmenführung.

4. Aufbau der deutschen Stadt- und Kreisverwaltung »Beim Zusammenbruch der staatlichen Organisation im Frühjahr 1945 blieben von den Trägern öffentlicher Verwaltung im wesentlichen nur die Gemeinden und Kreise arbeitsfähig [...]. An sie wandten sich zunächst auch die Besatzungstruppen und Besatzungsbehörden mit ihren vielfältigen Anforderungen.« Diese durchaus zutreffende Feststellung stammt aus einem Bericht der Staatskanzlei Württemberg-Hohenzollem aus den fünfziger Jahren. 357 Aufgrund der hohen Bedeutung, die der kommunalen Verwaltungsebene zukam, beschäftigten sich die deutschen Landesbehörden schon sehr früh mit einem neuen Gemeinde- und Kreisrecht. Zwar galt die Deutsche Gemeindeordnung zunächst weiter »mit der Maßgabe, daß alle typisch nationalsozialistischen Bestimmungen außer Kraft getreten waren«; über deren Interpretation und Anwendung kam es aber zu häufigen Blockaden im Verwaltungsaufbau. Ein erster Entwurf für eine Neugestaltung lag bereits im Januar 1946 vor, er scheiterte aber am Veto der Besatzungsverwaltung. Die Militärregierung hatte ursprünglich erwogen, von sich aus eine gemeinsame Gemeindeordnung für sämtliche Länder der französischen Zone zu erlassen. Erst nach Aufgabe dieses Vorhabens erhielt das Staatssekretariat Ende des Jahres 1946 die Ermächtigung, »den Entwurf einer Gemeindeordnung selbst auszuarbeiten und der Militärregierung zur Genehmigung vorzulegen.« Diese neue Gemeindeordnung wurde am 14. März 1947 vom Direktorium des Staatssekretariats endgültig verabschiedet und, nach »erneuten langwierigen Verhandlungen« mit der Militärregierung, rechtsgültig am 1. Februar 1948 im Regierungsblatt verkündet. Daran anschließend konnten die deutschen Behörden ein Kommunalwahlrecht schaffen, nach dem im Herbst 1948 die Bürgermeister, Gemeinderäte und Kreistage neu gewählt wurden. Die Staatskanzlei faßte die Vorgänge voller Zufriedenheit zusammen: »Damit besaß Württemberg-Hohenzollem ein in sich geschlossenes, auf demokratischen Grundsätzen aufgebautes Gemeinderecht. Die Gemeindeordnung stellte in Anknüpfung an das bewährte frühere württembergische Recht die Selbstverwaltung der Gemeinden, die im 3. Reich praktisch fast völlig ausgehöhlt worden war, wieder her und führte die Staatsaufsicht auf das frühere Maß der Rechts- und Pflichtaufgaben zu357

StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, BU. 456/22, aus dem Bestand der Staatskanzlei Württemberg-Hohenzollem 1945-1959, o. D.; ebd. die weiteren Ausführungen.

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rück.« Nachdem der erste und wichtigste Schritt getan war, folgten die Kreisordnung (3. Februar 1949) und ein Kommunalbeamtengesetz (8. April 1949). Trotz dieser verhältnismäßig raschen Festigung der kommunalen Strukturen waren die einzelnen Gemeinden bis in die fünfziger Jahre mit vielfältigen Problemen konfrontiert, wobei die ersten drei Nachkriegsjahre am schwierigsten zu meistern waren. Die Staatskanzlei resümierte: »Die den Gemeinden und Kreisen in dieser ersten Zeit der Besatzung gestellten äußerst schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben waren um so schwerer zu bewältigen, als die Militärregierung zahlreiche Bürgermeister und die meisten Landräte aus ihren Ämtern entfernte und kommissarische Bürgermeister und Landräte einsetzte«, ein Umstand, der auch auf den Kreis Tettnang zutraf. 4.1. Die Friedrichshafener Bürgermeister von der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit 358 In einem späteren Abschnitt wird die Frage zu stellen sein, inwiefern bei einem kommunalen Wiederaufbau nach Kriegsende an Traditionen der Weimarer Republik oder der Zeit nach 1933 angeknüpft wurde. Zunächst sollen die Bürgermeister von 1920 bis in die Nachkriegszeit vorgestellt und ihre Amtsführung in den jeweiligen politisch-gesellschaftlichen Rahmen eingebunden werden. Der letzte Weimarer Bürgermeister Hans Schnitzler Der am 7. September 1874 in Erolzheim/Kreis Biberach geborene Hans Schnitzler war von 1920 bis 1933 Bürgermeister von Friedrichshafen. 359 Sein Vorgänger, Stadtschultheiß Adolf Mayer, stellte sich nach zwölf Jahren Amtszeit im August 1920 nicht mehr zur Verfügung. Vermutlich hatte er in Zusammenhang mit den revolutionären Ereignissen in Friedrichshafen die Unterstützung der städtischen Honoratioren, der Unternehmerschaft und Zentrumspartei als auch des Oberamtes verloren. 360 Schnitzler dagegen genoß die Unterstützung des städtischen Bürgertums und der Zentrumspartei, die ihm gegen den Willen von Dr. Alfred Colsman, dem Generaldirektor des Zeppelin-Konzerns, ins Amt verhalfen. 361 Eigentlich hatten sich Colsman und Zentrumsvertreter darüber verständigt, für diese Wahl nur noch Bewerber mit einer aka338

Zu den Bürgermeistern der Landgemeinden siehe Kapitel II.3 zur Entnazifizierung. '"Amtszeit als Bürgermeister vom 26.9.1920 bis 1.12.1933. Schnitzler starb am 3.8.1957 in Friedrichshafen. Am 7.9.1954 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Friedrichshafen erhoben und war damit der erste Bürgermeister der Stadt, der zu diesen Ehren kam; nach dem Amtlichen Einwohnerbuch der Großen Kreisstadt Friedrichshafen von 1975. 360 Als Grund wird in Maier, Heimatbuch II, S. 187/88, des Bürgermeisters »Bedürfnis nach Volkstümlichkeit«, seine Nähe zur Arbeiterschaft sowie seine Bereitschaft, auch mit oppositionellen Gruppierungen zu verhandeln, angegeben. In Friedrichshafen begann die Revolutionsphase sehr früh und intensiv: Große Demonstrationen und Streiks setzten schon am 22.10.1918 ein, und am 5.11.1918 wurde einer der ersten Arbeiter- und Soldatenräte gebildet (nach Leipzig, Berlin, Kiel und Stuttgart); vgl. Raichle u.a.. Die „ausgesperrte" Geschichte, S. 125ff. 361 Schnitzlers Amtsvorgänger waren: Peter Schmid (1885-1907), geb. in Münsingen auf der Alb, vor 1885 in der Tettnanger Verwaltung und danach als Stadtpflege-Buchhalter in Stuttgart tätig. Bei der Suche nach einem Nachfolger im Jahre 1908 forderte der einflußreiche Friedrichshafener »BürgerVerein« erstmals einen »höher geprüften« Verwaltungsfachmann, wogegen man »von Juristen und Niedergeprüften« Abstand nehmen wollte. Andere »maßgebende Vereine« forderten ebenfalls einen Akademiker. Sie fanden ihn in Adolf Mayer (1908-1920), geb. in Horb und vor seiner Wahl als Amtmann im Oberamt Saulgau tätig. Siehe ausführlicher in Maier, Heimatbuch II, S. 113ff.

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demischen Ausbildung zuzulassen. Überraschend schlug jedoch das Zentrum Hans Schnitzler vor, der bei der Wahl von 1908 noch an den Bildungsbarrieren gescheitert war. 362 Vielleicht gereichte ihm zum Vorteil, daß er seit 1897 in der Friedrichshafener Stadtverwaltung tätig gewesen war. 363 Schnitzler wehrte sich gegen eine »Mit- und Nebenregierung« der heimischen Industrie, was ihn in den industriellen Kreisen unbeliebt machte. 364 Auch die Wiederwahl im Jahre 1930 hatte er der Unterstützung durch das Zentrum und mittelständische Geschäftskreise zu verdanken. 365 Im gleichen Jahr wurde der württembergische Titel »Stadtschultheiß« abgeschafft, so daß Schnitzler nach hundert Jahren als erstes Stadtoberhaupt wieder den Titel »Bürgermeister« trug. Hans Schnitzler machte von Anfang an keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen die Nationalsozialisten. Zum »Sinnbild einer Zeitenwende« 366 entwickelte sich die Einweihung des Hafenbahnhofs am 7. März 1933. Die Festlichkeiten standen in direktem Zusammenhang mit dem Sturz der württembergischen Regierung und der Gleichschaltung der Länder. Bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 hatten die Nationalsozialisten in Württemberg mit 42 Prozent der Stimmen zwar ein vergleichsweise schlechtes Ergebnis erreicht, zusammen mit der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und dem Bauern- und Weingärtnerbund gingen sie jedoch mit einer absoluten Mehrheit aus der Wahl hervor. Die folgenden Tage waren durch die sog. »Machtergreifung« der Nationalsozialisten geprägt. Am 6. März, einen Tag nach der Reichstagswahl, reiste der württembergische Finanzminister Dr. Alfred Dehlinger zu den Feierlichkeiten nach Friedrichshafen. Diese günstige Gelegenheit nutzten die Nationalsozialisten und nahmen am 7. März Staatspräsident Bolz in »Schutzhaft«, der ebenfalls nach Friedrichshafen reisen wollte. Während Bolz auf dem Hohenasperg inhaftiert wurde, besetzten die Nationalsozialisten zahlreiche öffentliche Gebäude im ganzen Land. Am 8. März stürzten sie das Stuttgarter Kabinett, »das, längst demissionsbereit, infolge der Abwesenheit des Finanzministers keinen einstimmigen Rücktrittsbeschluß mehr fassen konnte.« 367 Die Reichsregierung übernahm gemäß §2 der »Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat« vom 28. Februar 1933 die vollziehende Gewalt in Württemberg. 368 Sofort wurden Hakenkreuzfahnen auf den öffentlichen Gebäuden des Landes gehißt. Am 15. März folgte nach einer »pseudoparlamentarischen Farce« die Verdrängung von Staatspräsident Bolz durch Gauleiter Wilhelm Murr. 369 Ungeklärt bleibt die Rolle des Finanzministers, der wohl absichtlich seinen Aufenthalt in Friedrichshafen verlängert hatte, bis der Regierungssturz vollzogen war. Am 15. März wurde Dehlinger im Zu-

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Schnitzler zog 1908 als »niedergeprüfter« Verwaltungsmann seine Bewerbung zurück; vgl. ebd., S. 124 und 189. 363 Er arbeitete als Schultheißenamtsassistent und ab 1906 als Ratschreiber. Kurz vor dem Rücktritt seines Vorgängers wurde Schnitzler zum Rechnungsrat ernannt; vgl. ebd., S. 189. 364 Ebd., S. 210. 363 Wiederwahl bei 50% Wahlbeteiligung mit 96% der abgegebenen Stimmen ohne Gegenkandidat und Wahlversammlungen; vgl. ebd. 366 So der Friedrichshafener Heimatforscher Max Messerschmid, in ebd., S. 245. 367 Ebd. 368 Zu den Zusammenhängen siehe Karl Dietrich Bracher u.a. (Hrsg.), Deutschland 1933-1945. Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, 2. ergänz. Aufl., Bonn 1993. 369 Vgl. Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 85f., sowie Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn, S. 160ff.

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sammenhang mit der Wahl des NS-Gauleiters Wilhelm Murr erneut als Finanzminister eingesetzt.370 In Friedrichshafen waren die Ereignisse ebenfalls dramatisch. Die Einweihung des Hafenbahnhofs am 7. März entwickelte sich zum Symbol für einen Machtkampf zwischen den verschiedenen politischen Gruppierungen. Ein Bürger erinnerte sich 25 Jahre später so: »Der Einbruch der Hitlerschen Gewaltherrschaft in unserer Stadt [...] erregte die Gemüter weit mehr als die mit der Einweihung verbundenen Feierlichkeiten. Welche Flagge sollte nun über dem neuen Gebäude wehen? Die damals noch geltenden Reichsfarben Schwarz-rot-gold, die alte Flagge Schwarz-weiß-rot oder das Hakenkreuz?«371 An diesem Tag konnten sich weder die »kleine Schar der Friedrichshafener Nationalsozialisten« noch die »maßgeblichen Leute« durchsetzen, bei denen das Ansinnen auf Widerstände stieß.372 Am 8. März gelang es jedoch den Nationalsozialisten unter dem Schutz von SA, SS und Stahlhelm, Hakenkreuzfahnen auf wichtigen öffentlichen Gebäuden zu hissen. Bürgermeister Schnitzler verließ unter Protest das Rathaus und zog mit seinen Mitarbeitern provisorisch ins Verwaltungsgebäude der Stadtwerke, bis drei Tage später die Fahnen wieder abgenommen wurden.373 Im Zuge der Gleichschaltung des Gemeinderats374 löste sich am 28. Juni die Zentrumspartei auf, Schnitzler fehlte fortan die Basis im Gemeinderat. Zwar wurde er noch am 7. August 1933 als Bürgermeister auf Lebenszeit im Stuttgarter Innenministerium vereidigt, kurz darauf aber von NS-Gemeinderat und Ortsgruppenleiter Rudolf Göttinger in »Sommerurlaub« geschickt. Göttinger selbst erklärte sich zum stellvertretenden Bürgermeister.375 Acht Monate nach der »Machtergreifung« Hitlers, am 30. November 1933, erfolgte auf Initiative der Nationalsozialisten die vorzeitige Zwangspensionie-

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»Der Anschein äußerlicher Kontinuität wurde unterstrichen durch die Belassung des deutschnationalen Finanzministers Dr. Dehlinger, eines typischen Repräsentanten der protestantischen Verwaltungselite des Landes, der sich „immer deutlicher" als „der stille Protektor der Nationalsozialisten in der Regierung" erwiesen hatte.« Nach Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 86. "'Zitiert nach Messerschmid, in: Heimatbuch Π, S. 247. 372 Ebd. 373 Fast parallel dazu (am 15.3.1933) ernannte der Gemeinderat der Kreisgemeinde Ettenkirch Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg zu Ehrenbürgern. Ersterem wurde das Ehrenbürgerrecht im März 1946 wieder aberkannt. 374 Am 15.5.1933 wurde in Friedrichshafen der Gemeinderat entsprechend dem NS-Gesetz vom 12.4.1933 neu gebildet. Dem Gemeinderat gehörten an von der NSDAP: Rudolf Göttinger (Kaufm. Angst.), Karl Weggenmann (Bauing.), Eberhard Kienle (Schlosser), Friedrich Heider (Schiffsobermaschinist), Dr. Karl Hartmann (prakt. Arzt), Rudolf Scherzberg (Kaufmann), Rudolf Riedle (Buchdruckermeister), Julius Schlachter (Kaufmann); von der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot: Dr. Karl Schmid (Syndikus); von der Zentrumspartei: Franz Kugel (Gärtnermeister), Hans Heuschmid (Architekt), Franz Brugger (Glaser), Franz Frik (Gastwirt), Karl Oberle (Oberlokomotivführer), Karl Bosch (Küfermeister), Robert Kutter (Kaufmann), Josef Schuck (Ingenieur) und Karl Mundig (Wagenmeister). Ab 18.9.1933, nach dem Rücktritt aller nichtnationalsozialistischen Gemeinderäte, waren vorübergehend nur noch die acht NSDAP-Gemeinderäte und ein Hospitant vertreten. Mit Beschluß vom 31.8.1935 verliehen sie sich den Titel »Ratsherren«. Die Mitgliederzahl der Ratsherren-Versammlung wurde, allerdings nur kurzfristig, von 21 auf 14 reduziert. Dem dann wieder 20 Mitglieder umfassenden Gremium gehörten 17 selbständige Handwerker und leitende Angestellte, zwei Beamte und ein Bauer an, Arbeiter und Frauen waren nicht vertreten. 1939 wurde das Ratsherrengremium auf Bürgermeister Bärlin und vier Beigeordnete reduziert: Rudolf Göttinger, Rudolf Scherzberg, Max Kühl (geb. am 4.9.1904, Ingenieur bei Dornier) und Josef Ruess. Vgl. hierzu Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich, S. 49f; Maier, Heimatbuch II, S. 262, und KrA FN, Nr. 1230, Besetzung der Bürgermeister- und Beigeordnetenstellen 1939 für alle Gemeinden. 375 »Seeblatt« vom 20.9.1933.

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rung Schnitzlers. 376 Als Begründung diente der für solche Fälle geschaffene §6 des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933, mit dem Beamte aus politischen oder »rassischen« Gründen ausgeschaltet werden konnten. Treibende Kraft der Entlassung war auch hier NSDAP-Fraktionsführer Rudolf Göttinger.377 Friedrichshafen blieb zunächst ohne Bürgermeister, weil ein Passus des NS-Beamtengesetzes verfügte, daß freigewordene Stellen nicht neu besetzt werden dürften. Schließlich wurde dann doch am 13. Februar 1934 die Ernennung von Walter Bärlin zum Bürgermeister bekanntgegeben. Der NS-Biirgermeister Walter Bärlin Der einzige protestantische Bürgermeister in der Friedrichshafener Verwaltungsgeschichte, Walter Bärlin, wurde am 20. Oktober 1900 in Bietigheim geboren und war zunächst von 1927 bis 1928 als Rechtsanwalt in Esslingen tätig. Ab 1929 bis zu seiner Ernennung in Friedrichshafen sammelte er erste Verwaltungserfahrungen als Bürgermeister von Trossingen. In aller Kürze seine politische Laufbahn: NS-Parteigenosse seit 1933, im Rechtswahrerbund seit 1934, Mitglied der SA (Sturmführer ehrenhalber) seit 1935, des VDA und Kriegerbundes seit 1937. Dienst in der Wehrmacht vom 1. August bis 30. Oktober 1938 und vom 1. März bis 15. Juni 1940 als »Regierungsinspektor des Beurlaubtenstandes«, am 1. Mai 1942 Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes 2. Klasse (ohne Schwerter). 378 Bärlin wurde als NS-Aktivist von einem Trossinger Fabrikanten und SS-Obersturmbannführer protegiert. Für die Stadt Friedrichshafen war Bärlin allerdings das kleinere Übel gegenüber NSDAP-Fraktionsführer Rudolf Göttinger 379 , da er zumindest eine Qualifikation als Verwaltungsfachmann vorweisen konnte. Nach Walter Bärlins eigenen Angaben war der letzte Tag seiner »Dienstleistung« als Bürgermeister der 13. Juli 1945, »eine formelle Suspendierung vom Amt hat nie stattgefunden.« 380 Er gehörte damit auch nicht zu jener Gruppe von Bürgermeistern, welche sofort nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes flohen oder ausgewechselt wurden. 381 Bärlin nahm sogar auf Geheiß der französischen Militärregierung kurzfristig im Juni und Juli den Posten als stellvertretender Landrat des Kreises Friedrichshafen ein. 382 Noch vor dem von Bärlin angegebenem Rücktrittsdatum, dem 28. Juni 1945, setzten die Franzosen Oberstudienrat August Bertsch als kommissarischen Bürgermeister ein. 383 Walter Bärlin wurde ab 15. September 1946 als »Bürgermeister im Wartestand« eingestuft. Zunächst arbeitete er als Rechtsanwalt in Friedrichshafen, ab 1948 als Justitiar in einem Esslinger Unternehmen. Von 1955 bis 1963 setzte er seine

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Zu den Vorgängen zwischen März und November 1933 siehe Maier, Heimatbuch II, S. 245ff.; Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich; Geschichten aus Buchhorn und Friedrichshafen, S. 178184. 377 »Seeblatt« vom 20.9.1933. 378 StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 155. 379 Zur Person Rudolf Göttingers siehe das Kapitel zur Entnazifizierung. 380 StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 155. 381 Solche zahlreich vorkommenden Fälle werden beschrieben in: Lutz Niethammer/Ulrich Borsdorf/ Peter Brandt (Hrsg.), Arbeiterinitiative 1945. Antifaschistische Ausschüsse und Reorganisation der Arbeiterbewegung in Deutschland, Wuppertal 1976, S. 645. 382 Wieland, Amtsträger in Friedrichshafen. 383 StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 155.

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Tätigkeit als Bürgermeister in Freudenstadt fort, dort starb er auch am 26. Februar 1975. 384 Der erste Nachkriegsbürgermeister

August Bertsch

Der erste Nachkriegsbürgermeister, von der französischen Militärregierung kommissarisch eingesetzt, war Dr. August Bertsch. Seine kurze Amtszeit dauerte knapp ein Jahr vom 28. Juni 1945 bis 13. Juni 1946. Er gehörte zu den ersten Bürgermeistern dieser Umbruchszeit, bei denen einige interessante Fragen zu klären sind, so zum Beispiel nach den Auswahlkriterien der französischen Militärregierung, nach dem Verhältnis der Amtsträger zur Bevölkerung, nach ihren Kompetenzen und Handlungsspielräumen und nach den Gründen ihrer meist frühzeitigen Amtsenthebung. Ein Teil dieser Fragen läßt sich anhand der Biographie von August Bertsch beantworten. Er wurde am 21. Januar 1887 im Kreis Balingen (Dormettingen) geboren, beide Eltern waren katholisch, sein Vater von Beruf Bildhauer. Der Sohn besuchte eine Lateinschule in Rottenburg, absolvierte das Gymnasium in Rottweil und studierte katholische Theologie und Germanistik in Tübingen. 385 Nach dem Studium arbeitete er von 1913 bis 1915 als Hauslehrer in einem Institut im Illertal, danach als Präzeptoratsverweser in Horb, Mengen und Munderkingen. Ab Januar 1921 begann seine erste Tätigkeit in Friedrichshafen, zuerst als »Präzeptor«, also als Lehrer, in der Graf-ZeppelinOberschule bis Februar 1923, danach folgte eine Lehrtätigkeit als Studienrat bis zu seiner Berufung zum Bürgermeister. Humanistische und theologische Bildung ergänzte er durch zahlreiche »Reisen zur wissenschaftlichen Weiterbildung«. In der Zeit von 1924 bis 1937 besuchte er mit zum Teil mehrmonatigen Aufenthalten acht Länder West- und Osteuropas, davon führten ihn drei Reisen 1928 (Normandie), 1930 (Provence) und 1931 (Paris) nach Frankreich. 386 Als katholischer Geistlicher war Bertsch in beiden Weltkriegen vom Militärdienst befreit. Er war kein Parteigenosse, aber Mitglied in der NSV von 1934 bis 1944 und im VDA von 1934 bis »etwa 1940«. Er bekleidete keine Ämter innerhalb dieser NS-Gliederungen. Wegen seiner antinazistischen Einstellung wurde Bertsch 1933 der Geschichtsunterricht entzogen, 1934 erging eine Verwarnung durch das Kultusministerium. 387 Diese scheint keine Wirkung gehabt zu haben, denn in der Folgezeit verbot ihm das Ministerium außerdem, in bestimmten Klassenstufen Philosophie, Deutsch und Geschichte zu unterrichten. Ergänzt wurden die Maßregelungen durch eine Streichung aus der »Gehaltsvorrückungsliste auf 5 Jahre«. 388 Diese Disziplinarmaßnahmen galten bis Kriegsende. Aus den biographischen Details wird ersichtlich, weshalb sich die französische Militärregierung für diesen Mann entschieden hatte: Ob er politisch tatsächlich unbela384

Ebd. Im Jahre 1911 erste, 1918 zweite theologische Dienstpriifung; Promotion in Philosophie, ebd., BU. 156 sowie die weiteren Ausführungen zu August Bertsch. 386 Bertsch reiste bevorzugt nach Italien (Rom 1924; Rom und Neapel 1926-1927; Apulien 1929; Mailand 1931; Abruzzen 1932; Venetien 1933; Neapel 1934), außerdem 1931 nach Spanien und Portugal, 1937 nach Jugoslawien. »Mehrere Reisen« wurden nach Österreich, in die Schweiz und Tschechoslowakei unternommen. '''Detailliertere Zusammenhänge z.B. Uber den Grund der Verwarnung sind aus den Quellen nicht zu erschließen. 388 Die Angaben sind einem Fragebogen entnommen, den Bertsch ausfüllen mußte. Der Mangel an weniger subjektiven Quellen konnte nicht behoben werden. 385

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stet war, ist zwar nicht ganz klar, aber er beherrschte die französische Sprache und war katholischer Geistlicher. In Gesprächen mit Zeitzeugen wurde mehrmals erwähnt, daß zahlreiche französische Soldaten beim Einmarsch in die Region ihre goldenen Kreuze, die sie am Hals trugen, der Bevölkerung und vor allem den deutschen Pfarrern zeigten. Hier scheint eine das Freund-Feind-Verhältnis der Kriegsgegner überlagernde Solidarität unter Katholiken geherrscht zu haben. Für August Bertsch sprach auch der Umstand, daß er als Lehrer in dem für die französischen Demokratisierungsbestrebungen so wichtigen Bildungs- und Erziehungsbereich tätig war. Bertsch wurde von der Militärregierung zum kommissarischen Leiter der Oberschule bestimmt »und ungefähr gleichzeitig vom Herrn Militär-Gouverneur Cap. Reine zum kommissarischen Bürgermeister der Stadt Friedrichshafen bestellt.« 389 Seiner neuen Aufgabe widmete er nach eigener Aussage seine ganze Kraft. 390 Das Amt des Bürgermeisters war für die Militärregierung von zentraler Bedeutung einerseits als ausführendes Organ für ihre Befehle und Anordnungen, andererseits als wichtige Quelle für Informationen und Hilfeleistungen beim Aufbau der Verwaltung. 391 Die Wichtigkeit des Amtes stand noch in einem anderen Zusammenhang: »Die Stellung des Bürgermeisters und Landrats war im Frühjahr und Sommer 1945 nicht nur deshalb von Bedeutung, weil die Gemeinden bzw. der Kreis anfangs fast durchweg die einzige Ebene waren, auf der praktische Politik betrieben wurde. Überdies war für die Kräfte, die den gesellschaftlichen Status quo verteidigten [...], die überragende Stellung innerhalb der Auftragsverwaltung bedeutsam, die der Bürgermeister innehatte.« 392 Meist lag die Aufgabe der ersten Bürgermeister darin, Anordnungen der Militärregierung vor allem in den Bereichen Wohnraumbeschaffung, Lebensmittelversorgung, Requisitionen und Aufbau einer deutschen Verwaltung auszuführen. Überwiegend waren es Tätigkeitsfelder, in denen sich die Bürgermeister den Unmut der Bevölkerung zuzogen. Es mußten unpopuläre Entscheidungen besonders im Zusammenhang mit Wohnungsrequisitionen getroffen werden, für die die Bevölkerung kein Verständnis aufbrachte. Dies bekam auch Bürgermeister Bertsch zu spüren. Ein Beschäftigter des Luftschiffbau Zeppelin, der als Mittelsmann zwischen Firma, Besatzung und Stadtverwaltung fungierte und Mitbegründer der Freien Wählervereinigung war, bemerkte in einem Interview 1987, daß Bertsch »wenig durchsetzungsfähig« gewesen sei und »wenig Rückhalt in der Bevölkerung« genossen habe. 393 Ab Januar 1946 stand die Stelle des Bürgermeisters zur Disposition. Dabei spielte aber ein ganz anderer, eher überraschender Grund eine Rolle: »Der politische Säube389

StA Sig, Bd. 19, Bü. 156. »Der 1. Tag meiner Tätigkeit als Bürgermeister war der 28. Juni 1945, und der letzte Tag dieser Tätigkeit war der 13. Juni 1946. In der Zeit vom 28. Juni 1945 bis 30. September 1945 war ich ausschließlich (= 100%) für die Stadt Friedrichshafen in Anspruch genommen. In dieser Zeit war die Graf Zeppelin-Oberschule noch nicht eröffnet. Was an Vorbereitungen flir die Wiedereröffnung im Monat September 1945 zu leisten war, wurde von Studienrat Dr. Breitenbach, welcher seit 1. Sept. 1945 in Friedrichshafen eingetroffen war, ausschließlich übernommen. In der Zeit vom 1. Oktober 1945 bis 13. Juni 1946 war ich zu 4/5 (= 80%) für die Stadt Friedrichshafen und zu 1/5 (= 20%) für den Staat in Anspruch genommen. Ich habe in dieser ganzen Zeit niemals Unterricht in der Schule erteilt«, so Bertsch in einer Beschreibung seiner Tätigkeit. '"Erschwerend für einen Verwaltungsaufbau kam hinzu, daß mit dem Rathaus auch ein Großteil der städtischen Akten wie Grundbuch, Steuerbuch, Personenstandsregister und Jahresabrechnungen verbrannt waren, ebd., WÜ 120, Bd. 1, BU. 239. 392 Niethammer u.a., Arbeiterinitiative 1945, S. 647. 390

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rungsausschuß zur Entnazifizierung der öffentlichen Verwaltungen ist bei der Überprüfung der Stadtverwaltung Friedrichshafen zu der einmütigen Auffassung gelangt, daß der derzeitige komm[issarische] Bürgermeister Dr. August Bertsch nicht die geeignete Persönlichkeit ist, um die Geschäfte eines Amtsvorstandes sowohl in sachlicher Form zu führen, als auch die Interessen der Bevölkerung in der Art und Weise zu vertreten, wie es die heutige demokratische Zeit dringend erfordert.« Dies teilten die in der Gründung begriffenen Parteien SPD, »Christlich-soziale Union« und KPD dem Landrat in einem Schreiben vom 23. Januar 1946 mit. 394 Auf welche Vorwürfe sich die Anschuldigungen stützten, konnte nicht geklärt werden. Die Quellen geben keine Auskunft über eine politische Belastung von Bertsch. Aus dem Entnazifizierungsverfahren von August 1946 ging er ohne Sanktionen hervor.395 Zwei Monate nach dem Vorstoß der Parteien Vertreter, am 26. März 1946, ergriff auch das Landratsamt die Initiative, indem es dem Kreisdelegierten in Tettnang »einen Antrag der in Gründung begriffenen Parteien in der Stadt Friedrichshafen« mit einem »Vorschlag für die Neubesetzung der Bürgermeisterstelle in der Stadt Friedrichshafen« vorlegte. Neuer Bürgermeister sollte der Gewerbeschulrat Josef Mauch werden.396 Er war Vorsitzender der Säuberungskommission für die Verwaltung397 und insofern aktiv an der »Amtsenthebung« von Bertsch beteiligt. Als Stellvertreter sollte nach dem Willen der Parteien der Sozialdemokrat Anton Sommer eingesetzt werden.398 Die noch nicht konstituierten Parteien spielten also schon eine aktive kommunalpolitische Rolle und standen zumindest in diesem Fall - in engem Kontakt mit dem Säuberungsausschuß und den Gewerkschaften. In einem weiteren Schreiben des Landratsamtes an das Staatssekretariat wurde dargelegt, daß der nun favorisierte Nachfolger, Josef Mauch, »von den drei Parteien« vorgeschlagen worden sei. 399 Das Landratsamt drängte auf eine schnelle Entscheidung, weil »die Angelegenheit nun schon zwei Monate lang in der Schwebe« sei. 400 Gewerbeschulrat Josef Mauch wurde dann tatsächlich der zweite Nachkriegsbürgermeister von Friedrichshafen. Als offizielle Begründung für den Rücktritt von Bertsch führte das Landratsamt in einem Schreiben an den Kreisdelegierten vom 26. März 1946 folgendes an: »Die Vereinigung seiner geistigen Würde und seiner Stellung als Schulleiter mit dem Amt des Stadtvorstandes hat eine Kette von Schwie-

Interview mit W. Kaldenbach in: Ute Lemkamp, Der Wiederaufbau der Stadt Friedrichshafen nach dem Zweiten Weltkrieg. Planungen zum Wiederaufbau von 1945-1956, Wiss. Arbeit an der Sozialwiss. Fakultät, Universität Konstanz 1988, S. 59ff. Interviewpartner der Verfasserin haben diese Sichtweise ebenfalls bestätigt. 3 5 4 KrA FN, Nr. 1231, Bürgermeister Mauch. 3 9 3 Amtsblatt des Staatssekretariats, Jg. 1945/46, Nr. 15 vom 19.8.1946, S. 157, mit der Entscheidung »verbleibt im Amt«. 3 9 6 KrA FN, Nr. 1231, Schreiben vom 26.3.1946. Das gleiche Schreiben enthält der Bestand StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 156, allerdings ist es hier auf 4.4.1946 datiert. Insofern wäre es auch möglich, daß das oben zitierte Schreiben umdatiert und erst am 4. April dem Kreisdelegierten übergeben worden ist. 3 9 7 KrA FN, Nr. 1231, Schreiben vom 26.3.1946. 3 9 8 Ebd. Seit Kriegsende gab es einen »ständigen Stellvertreter« des Bürgermeisters in Person von Bürgermeister a.D. Mayr, Uber den keine biographischen Daten vorliegen. 3 9 9 Der Beschluß zum Bürgermeisterwechsel fiel in einer Besprechung zwischen Parteien-, Gewerkschafts- und Entnazifizierungsvertretern, die dem Landrat folgendes mitteilten: »Als Ergebnis dieser Besprechung wird ersucht 1. unverzüglich die Ernennung von Gewerbeschulrat Mauch zum komm. Bürgermeister [...] zu veranlassen« und 2. die Zustimmung zu dem ausgewählten Stellvertreter zu geben, ebd. «»Ebd. 3,3

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rigkeiten herbeigeführt. Ich habe den beiliegenden Antrag vom 25. Januar unverzüglich dem Herrn Militär-Gouverneur, Commandant Poussard vorgelegt und mich dem Antrag angeschlossen. Bürgermeister Bertsch hat von sich aus gegenüber Commandant Poussard und dem Herrn Ortskommandant von Friedrichshafen, Cap. BouillonPerron am 22. Februar seinen Rücktritt erklärt.« Der Landrat drängte Kreisgouverneur Merglen zu einer schnellen Entscheidung, »da die Beseitigung des gegenwärtigen Interims für die Führung der Verwaltungsgeschäfte in der Stadt Friedrichshafen in höchstem Masse vordringlich geworden ist«.401 Einen Monat später, am 26. April 1946, gab Gouverneur Ulmer seine Einwilligung zum Amtswechsel. 402 Dies teilte der Landrat noch am gleichen Tag der Landesdirektion des Innern (Staatssekretariat für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns) in Tübingen mit und bat darum, »die Abberufung und Ernennung in Bälde vorzunehmen«. 403 Nun fehlte noch die Zustimmung der Militärregierung in Tübingen. Mit Schreiben der Landesdirektion vom 27. Mai 1946 wurde um diese gebeten und nochmals betont, daß Dr. Bertsch aus den erwähnten Gründen »von sich aus um Enthebung von seinem Amt nachgesucht« habe. Beigefügt wurde der Bericht des Landratsamtes und die »Zustimmungserklärung« des Kreisdelegierten. Am 8. Juni gab dann auch die Militärregierung in Tübingen grünes Licht für den Amtswechsel 404 , der allerdings schon zuvor vollzogen worden war. Denn die deutschen Behörden hatten Josef Mauch bereits am 28. Mai »durch Beschluß des Direktoriums des Staatssekretariats für das französisch besetzte Gebiet Württembergs und Hohenzollerns« zum Bürgermeister ernannt. 405 Die offizielle Amtszeit von Mauch wird in den Quellen auf den Zeitraum zwischen dem 14. Juni 1946 und 31. Dezember 1948 datiert. 406 Dem nun wieder als Oberstudienrat arbeitenden August Bertsch wurde nachträglich aufgrund einer Novellierung des Beamtengesetzes eine Besoldung zugesprochen. Da er aber von der Militärregierung als ehrenamtlicher Bürgermeister eingesetzt worden war, verweigerte er eine Annahme dieser ihm zustehenden Bezüge. 407 In einer Stellungnahme begründete er seine Haltung: »Deshalb habe ich selbst wiederholt öffentliche Erklärungen abgegeben, daß ich keinerlei Gehalt noch Aufwandsentschädigung beziehe. Diese meine Erklärungen wurden auch in der hiesigen Tageszeitung „Schwä-

""'Ebd. ^ S t A Sig, WÜ 40, Bd. 19, BU. 156, Schreiben vom 26.4.1946. 403 Ebd., Schreiben an die Landesdirektion des Innern. •"^Mit Schreiben der Landesdirektion vom 27.5.1946 an die Militärregierung in Tübingen wurde um Zustimmung gebeten und nochmals betont, daß Dr. Bertsch »von sich aus um Enthebung von seinem Amt nachgesucht« habe. Beigefügt wurde der Bericht des Landratsamtes und die »Zustimmungserklärung« des Kreisdelegierten, ebd. "'"'Das Dokument ist mit dem handschriftlichen Vermerk »Entwurf« versehen und trägt die Unterschrift von Staatsrat Schmid, ebd. 406 Kr A FN, Nr. 1231, »Niederschrift über die Amtsübergabe von Bürgermeister Dr. Bertsch an den ständigen Stellvertreter, Bürgermeister a.D. Mayr und von diesem an den neuernannten komm. Bürgermeister Gewerbeschuldirektor Mauch« am 13., 14. und 15.6.1946. •""Die Verabschiedung einer neuen Gemeindeordnung, für die im Staatssekretariat schon im Januar 1946 ein Entwurf vorlag, scheiterte vor allem an der Frage, ob ein Bürgermeister haupt- oder ehrenamtlich eingesetzt werden sollte. »Da die Militärregierung trotz unablässiger Vorstellungen von deutscher Seite gleichwohl von dem Gedanken des ehrenamtlichen Bürgermeisters nicht abging, wurden die Entwürfe der Gemeindeordnung entsprechend überarbeitet.« Mit der Gemeindeordnung vom 1.2.1948 lehnte die Militärregierung nur noch die Grundsätzlichkeit eines hauptamtlichen Bürgermeisters ab, in einer Novellierung derselben fielen dann die letzten Widerstände zugunsten der Hauptamtlichkeit, vgl. hierzu StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 456/22.

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bische Zeitung" abgedruckt. Es wäre für mich nunmehr kompromittierend, wenn ich entgegen all diesen öffentlichen Erklärungen nachträglich nun doch Gehaltsbezüge und Aufwandsentschädigung annehmen würde.« Unmißverständlich fügte er an, im Falle einer Besoldung »mich wenigstens nicht zu hindern, daß ich die für mich ausgesetzten Bezüge nachher der Stadtverwaltung zur Verwendung für die notleidende Bevölkerung zur Verfügung stellen darf.« 408 Die Landesdirektion des Innern in Tübingen erklärte diesen Verzicht als rechtlich unwirksam. 409 Festzuhalten bleibt: Der Rücktritt von Bertsch wurde in der gesamten vorliegenden Korrespondenz akzeptiert, ein Wort des Bedauerns ist nirgends gefallen. Die Initiative zum Amtswechsel ging hauptsächlich von den in der Gründung begriffenen Parteien, aber auch von den Säuberungsorganen, den Gewerkschaftsvertretern und dem Landratsamt aus. Entscheidungsbehörden waren auf deutscher Seite vor allem das Landratsamt sowie das Staatsministerium in Tübingen, auf französischer Seite der Kreisgouvemeur in Tettnang. Nach deren gemeinsamer Entscheidung für einen Personalwechsel gab die französische Militärregierung für Württemberg ihre nur noch formelle Zustimmung. Die französischen Verwaltungsstellen scheinen sich bei der Entscheidungsfindung weitestgehend zurückgehalten zu haben. Der zweite Nachkriegsbürgermeister

Josef Mauch

Josef Mauch wurde am 22. März 1884 in Dunningen als Sohn des Bauern Anton Mauch geboren und römisch-katholisch getauft. Nach der Mittelschule machte er eine Lehre in einer Maschinenfabrik in Aalen und arbeitete anschließend in verschiedenen Firmen, unter anderem bei der Daimler-Benz AG in Untertürkheim. 1908 legte er die Diplomprüfung als Maschinentechniker ab. 1910 absolvierte er die Dienstprüfung als Gewerbelehrer und arbeitete als solcher bis 1921 in Aalen. Ab 1921 begann seine berufliche Laufbahn in Friedrichshafen, zunächst als Gewerbeschulrat, dann von 1927 bis 1933 als Gewerbeschuldirektor. Es folgte ein Wechsel nach Schwenningen, wo Mauch weiterhin als Schulrat tätig war. Sehr wahrscheinlich handelte es sich hier um eine politisch motivierte und unfreiwillige Versetzung. Am 31. Dezember 1936 wurde er auf Grund des NS-Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 in die Zwangspension geschickt. Mit Beginn des Krieges fand er allerdings wieder als Lehrer an der Gewerbeschule in Friedrichshafen Verwendung und blieb dort bis Kriegsende tätig. Mauch war Unteroffizier im Ersten Weltkrieg, im Zweiten Weltkrieg wurde er nicht eingesetzt. Er gehörte auch keiner Partei oder NS-Gliederung an. 410 Mit Josef Mauch war demnach am 14. Juni 1946 - zunächst noch hauptamtlich 411 - ein Bürgermeister berufen worden, der im Gegensatz zu Bertsch eine gewisse berufliche Nähe zum industriellen Sektor besaß und auch in Verwaltungsgeschäften nicht unerfahren war. Mauch war von 1921 bis 1933 Gemeinderat und zeit-

""'Ebd., WÜ 40, Bd. 19, Bü. 156. 409 Kr A FN, Nr. 1231, Schreiben vom 3.10.1946. Bertsch arbeitete nach seiner Amtszeit als Bürgermeister wieder als Oberstudienrat, allerdings in Rottweil. Seit Frühjahr 1957 war er Lehrbeauftragter für Hebräisch an der Universität Tübingen. 410 Alle Ausführungen nach StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 156. 411 Die hauptamtliche Tätigkeit wurde nach der ersten Bürgermeisterwahl wohl auf Anweisung der Militärregierung in eine ehrenamtliche umgeändert.

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weise Vorsitzender des Zentrums in Friedrichshafen gewesen 412 , und auch nach Kriegsende genoß er die Unterstützung der CDU. Schon drei Monate nach seiner Amtseinsetzung stellten die Christdemokraten Josef Mauch als ihren Kandidaten für die erste Bürgermeisterwahl nach Kriegsende am 15. September 1946 auf. Seitens der Sozialdemokraten wurde kein Gegenkandidat nominiert, sondern der CDU-Kandidat unterstützt. 413 Die Kommunistische Partei schickte den Schlosser Josef Rother in den Wahlkampf. Bei einer Wahlbeteiligung von knapp 84 Prozent erhielt Mauch 86 Prozent der Stimmen, Rother konnte immerhin mit 14 Prozent einen Achtungserfolg erreichen. 414 Nach dieser Wahl fungierte Mauch ab 1. Oktober 1946 als erster gewählter und nun ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt. 415 Mauch war der Überzeugung, daß nur die Errichtung von Klein- und Mittelbetrieben als Ersatz für die bisherige Rüstungsindustrie den wirtschaftlichen Fortbestand Friedrichshafens sichern könnte. 416 Somit vertrat er eine gewerbefreundliche, aber gegen die Großindustrie gerichtete Wirtschaftspolitik, 417 was ihn der Kritik von Gewerkschaften, Parteien und Unternehmern aussetzte. Hier liegt ein Grund für die Reorganisation der Freien Wählervereinigung 1947/48, deren Gründungsmitglieder ein anderes Konzept für die Zukunft der Stadt verfolgten. Die Einschätzung, daß der Bürgermeister nicht die gesamte Bürgerschaft hinter sich hatte, teilte auch die französische Besatzungsverwaltung: »Tous les Maires du Cercle sont en général acceptés par la majorité de la population. C'est le Maire de Friedrichshafen qui a le plus de difficultés à ce point de vue. Il a la charge la plus lourde avec une ville très démolie par les bombardements de la guerre, et très occupée par les Troupes françaises. Les Syndicats et le Parti socialist l'ont souvent attaqué comme étant opposé à installation d'industries à Friedrichshafen. Dans les derniers temps, ces attaques diminuent, étant donné que le Maire a prouvé par ses actes qu'il était favorable à l'industrie, et parce qu'il a réalisé des affaires intéressantes au cours de l'année pour le bien de la municipalité.« 418 Die französischen Dienststellen befürchteten, daß die Bevölkerung die Leistungen des Bürgermeisters nicht honorieren werde. Mit Blick auf die bevorstehenden Bürgermeisterwahlen im Dezember 1948 räumten die Franzosen allen Amtsträgern des Kreises Chancen auf eine Wiederwahl ein, außer Mauch, weil gegen ihn ein auswärtiger Kandidat antreten würde, der ihn durchaus schlagen könne (was dann auch eintrat). Deshalb sollte vor der Wahl eine groß angelegte Kampagne zugunsten von Mauch durchgefühlt werden. Somit genoß er also auch noch zu dieser Zeit das volle Vertrauen der Besatzungsverwaltung. Am 5. Dezember 1948 stellte sich Mauch ein zweites Mal als Bürgermeisterkandidat der CDU zur Verfügung. Die Situation war nun aber eine völlig andere, da die Freien Wähler einen eigenen, der Bürgerschaft bis dahin unbekannten Kandidaten favori412

StadtA FN, Wahl zur Kreisversammlung am 13.10.1946; KrA FN, Nr. 1231, Schreiben der Parteienvertreter an das Landratsamt vom 26.3.1946, in dem betont wurde, daß Mauch durch den Nationalsozialismus »berufliche Nachteile« erlitten hätte. 413 SZ vom 17.9.1946. 414 Zum Thema Parteien und Wahlen siehe Kapitel II. 1. 415 StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Nr. 156. 416 Ebd., WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Bericht der Landesdirektion des Innern vom 29.9.1946. 417 Siehe auch Kapitel 1.3 zur Industrie. 418 AdO, c. 1181, p. 9, o.D.; mit Rücksicht auf den Inhalt des Berichts muß das Schreiben nach der Währungsreform und vor der Biirgermeisterwahl im Dezember 1948 verfaßt worden sein. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist der Autor Kreisgouverneur Merglen. Die weiteren Ausführungen fußen auf ebd.

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sierten. In dieser Wahl erreichte Mauch bei einer Wahlbeteiligung von 70 Prozent nur noch 17 Prozent der Stimmen. Der Kandidat der Freien Wähler, Dr. Max Grünbeck, konnte beachtliche 72 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und begründete damit eine Laufbahn als Bürger- bzw. Oberbürgermeister der Stadt Friedrichshafen, die fast dreißig Jahre währen sollte. 419 Die »Ära Grünbeck« 1948 bis 1977 Max Grünbeck wurde am 18. Februar 1907 in Stuttgart - Bad Cannstatt geboren und katholisch getauft. 420 Sein Vater war Reichsbahnwerkmeister. Nach dem Abitur 1926 Schloß sich ein Studium der Rechtswissenschaften und der Staatswirtschaft in München an, das er 1930 als Diplomvolkswirt und 1934 mit einer Promotion in Staatswissenschaft beendete. Während der Semesterferien arbeitete Grünbeck als Volontär und Redakteur bei verschiedenen Zeitungen, so bei der »Cannstatter Zeitung« (vor 1928), beim »Deutschen Volksblatt« (1928), dem damaligen Landesorgan der Württembergischen Zentrumspartei in Stuttgart, und der Zentrumszeitung »Rheinischer Kurier« in Duisburg (1928/29). Nach dem Studium war Grünbeck nach eigenen Angaben »mehrere Jahre ohne Stellung, weil nicht Angehöriger der NSDAP.« In dieser Zeit sei er als »wirtschaftlicher Fachschriftsteller« tätig gewesen. Die Angaben über seine NSDAP-Mitgliedschaft waren aus verständlichen Gründen geschönt - Grünbeck war seit Mai 1937 Mitglied der NSDAP 4 2 1 - und ohne eine politische Willensbekundung wäre es auch kaum möglich gewesen, eine Karriere im Berliner Auswärtigen Amt zu durchlaufen, wie sie im folgenden beschrieben wird. Am 1. April 1936 trat Grünbeck als Sachbearbeiter für internationales Devisenrecht in den Auswärtigen Dienst bei der Reichsstelle für den Außenhandel in Berlin ein. 422 1938 heiratete er, ein Jahr später wurde eine Tochter geboren. 1939 setzte er seine Karriere fort, indem er dem Leiter der Handelspolitischen Abteilung des Auswärtigen Amts als persönlicher Referent zugeteilt wurde. Dort war Griinbeck »mit dem Aufbau und der straffen, korrekten Leitung eines Verwaltungsapparates vertraut geworden.« 1941 avancierte er zum Referatsleiter in der Handelspolitischen Abteilung 4 2 3 ,1942 zum Regierungsrat, 1944 zum Legationsrat. In Grünbecks Bewerbungsschreiben folgt nach einer kurzen Biographie eine persönliche, stichwortartige Stellungnahme zur eigenen Person. Nach seiner Selbsteinschätzung war er »von Jugend auf mit den sozialen Problemen des arbeitenden Volkes aus eigener Anschauung engstens vertraut. Persönliche Lebenshaltung stets durchdrungen vom überzeugten Bekenntnis zum Katholizismus im Sinne

419

Bei der Wahl von 1948 wurden im Kreis Tettnang 12 Bürgermeister (davon 9 bisherige Bürgermeister und 2 »Fachmänner«) gewählt. 6 gehörten der CDU an, 6 bezeichneten sich als unabhängig, nach KrA FN, Nr. 1231, Meldung des Wahlergebnisses vom 6.12.1948. 420 Die folgenden Ausführungen und Zitate fußen auf: StadtA FN, Bewerbungsschreiben von Dr. Max Grünbeck vom 29.11.1948 für die Wahl des Bürgermeisters am 5.12.1948. 421 BA Potsdam (BDC), Personalakte Max Grünbeck. 422 Grünbeck gab seinen Tätigkeitsbereich folgendermaßen an: »Bearbeiter des von der Reichsstelle herausgegebenen großen Handbuches „Das Devisenrecht der Welt", Auskunftstätigkeit für deutsche und ausländische Außenhandelsfirmen, Erstellung von Marktanalysen, Statistik, amtliche und halbamtliche Wirtschaftsberichterstattung«, ebd. 423 Laut Grünbeck sei er dort u.a. »mit auslandswirtschaftlichen u. wirtschaftswissenschaftlichen Sonderaufträgen des Abteilungsleiters«, »Beobachtung der Wirtschaftsentwicklung des Auslands, Unterrichtung interessierter deutscher Kreise Uber handelspolitische Tätigkeit des Auswärtigen Amts« betraut worden.

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der ethischen Grundforderungen dieser Religion, worunter Toleranz und soziales Verständnis für die Nöte der Mitmenschen als Selbstverständlichkeit eingeschlossen sind.« Und in Blick auf das angestrebte Amt fügte Grünbeck noch hinzu: »Nicht minder davon überzeugt, daß in der öffentlichen] Verwaltung heute der Typus des guten, durch Wissen und Erfahrung gerüsteten Fachbeamten alter Prägung, der gerecht, unparteiisch und unbestechlich stets auf das Wohl des Ganzen bedacht, seines Amtes waltet, eine Notwendigkeit ist. Aus der persönlichen Erkenntnis heraus, daß die entscheidenden Schwierigkeiten unserer Tage auf den wirtschaftlichen Schwierigkeiten beruhen, von dem Wunsch beseelt, in erster Linie diese einer Allgemeinheit zugänglichen Lösung entgegenzuführen.« 424 Mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit von Fachbeamten »alter Prägung« wollte er vermutlich auf seine juristische Ausbildung und erfolgreiche Verwaltungslaufbahn hinweisen. Allerdings war Grünbeck bei Amtsantritt so jung, daß seine Berufserfahrungen als Verwaltungsfachmann ausschließlich in die Zeit des Nationalsozialismus fielen. Die folgenden fast dreißig Jahre seiner Amtszeit prägten nicht nur die Entwicklung der Stadt in der Nachkriegszeit, sondern sie reichten weit in die »neue« Zeit mit ihrer Aufbruchsstimmung und den modernen technischen und gesellschaftlichen Transformationsprozessen hinein. Alle Friedrichshafener Stadtschultheißen bzw. Bürgermeister von 1885 bis 1977 zeichneten sich durch drei Charakteristika aus: Sie stammten nicht aus dem Oberamt bzw. Kreis Tettnang, sie waren katholisch getauft, und sie hatten bei Amtsantritt eine Verwaltungslaufbahn vorzuweisen. Durchbrochen wurde dieses Muster mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten und in der unmittelbaren Nachkriegszeit 425 : Einmal mit NS-Bürgermeister Walter Bärlin, der Protestant war, und ein weiteres Mal mit den Nachkriegsbürgermeistern Bertsch und Mauch, die aus anderen Berufssparten kamen. Hierbei ist die Zäsur nach 1945 mit zwei »Berufsfremden« als Bürgermeister stärker zu weiten als der »konfessionelle Bruch« 1934. Mit Bürgermeister Max Grünbeck als Katholik und Verwaltungsfachmann konnte wieder an eine Tradition angeknüpft werden, die 1933 mit dem Rücktritt von Hans Schnitzler unterbrochen worden war. Allerdings besteht auch eine Parallele zu Walter Bärlin. Wollten die »maßgeblichen Kreise« noch 1908 zwar einen Akademiker, aber keinesfalls einen Juristen als Bürgermeister, so hatten erstmals Bärlin und dann wieder Grünbeck diese akademische Ausbildung absolviert. 426 4.2. Stufen der Demokratisierung: Vom »Komitee« zum Gemeinderat Der Gemeinderat als Organ demokratischer Selbstverwaltung nimmt in einem kommunalen Gefüge eine entscheidende Rolle ein und ist oberstes Organ der Willensbildung innerhalb der Gemeinde. Inwieweit diese heute geltende Definition eine Einschränkung durch den Besatzungsstatus erfuhr, wird noch zu untersuchen sein. Seine weitere Bedeutung liegt darin, daß er sowohl Meinungsbildner, politisches Entscheidungsgremium als auch eine wichtige Instanz zwischen Stadtverwaltung und Ge424

Ebd. Bei der Besetzung der Biirgermeisterstelle 1920 gab es keinen Kontinuitätsbruch. 426 Unter der Fragestellung nach personellen Kontinuitäten untersuchte Michael Ruck die höhere Beamtenschaft auf der Ebene der Allgemeinen und Inneren Verwaltung in den ehemaligen Ländern Baden, Württemberg und Hohenzollern von 1928 bis 1972, ders., Korpsgeist und Staatsbewußtsein. 425

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meinde ist. In der unmittelbaren Nachkriegszeit stellte der Gemeinderat - in Ermangelung zentraler politischer und verwaltungstechnischer Einrichtungen - das entscheidende Gremium als Ansprechpartner sowohl für die Bevölkerung als auch für die Besatzung dar. Interimszeit bis zur ersten Wahl im September 1946 Aufgrund von Militärerlassen und -befehlen war jegliches politisches Engagement und jegliche Formierung einer Gruppe oder Partei in der unmittelbaren Nachkriegszeit verboten. Dennoch bemühte sich gleich der erste Nachkriegsbürgermeister Dr. Bertsch von dem Tag seiner Amtseinsetzung an darum, die sich herausbildenden kommunalpolitischen Kräfte in Form eines Gemeinderatskomitees an allen kommunalpolitischen Aufbauarbeiten zu beteiligen. Dies war aber nur auf offiziellem Wege und mit Zustimmung der Militärregierung möglich. Neben dem Bürgermeister waren noch verschiedene andere Gruppierungen an einer Wiederbelebung kommunalpolitischen Lebens interessiert, wie einem Schreiben von Bertsch an den Landrat vom Dezember 1945 zu entnehmen ist: »Schon im August 1945 haben sich Bestrebungen bemerkbar gemacht, dem Bürgermeister in Friedrichshafen einen Gemeinderat an die Seite zu stellen. Ich habe diese Bestrebungen der französischen Militärregierung gemeldet, worauf am 23.8.1945 die Verbote vom 7.6. und 28.6.1945 über politische Betätigung durch öffentlichen Anschlag erneuert wurden. Die französische Militärregierung erklärte ausdrücklich, daß sie sich den Zeitpunkt, an welchem eine Änderung des bisherigen Zustandes eintrete, selbst bestimmen werde.« 427 Alle Versuche des Bürgermeisters, ein Komitee, einen Arbeiterausschuß oder Beirat zu gründen oder zu berufen, scheiterten am Veto der Franzosen, da der »Bürgermeister bei seiner Entschließung sich einzig und allein an die Weisungen der Militärregierung zu halten habe.« 428 Dennoch erstellten Vertreter von Parteien und Gewerkschaften bereits am 15. November 1945 eine Namensliste zur Bildung eines »Arbeitsausschusses« und adressierten diese an den Bürgermeister und den Landrat. Zur Begründung der Initiative wurde angemerkt: »Wir waren uns schon von Anfang an bewußt, daß der Herr Bürgermeister die an ihn herantretenden Schwierigkeiten unter gar keinen Umständen allein meistern kann. Wir bemühen uns deshalb seit Monaten, den Herrn Bürgermeister in Erfüllung seiner schweren Aufgaben zu unterstützen, - leider bis jetzt ohne Erfolg. Es wird dem Herrn Bürgermeister nie möglich sein, mit den ihm zur Zeit zur Verfügung stehenden beamteten Beratern des Rathauses die schwerwiegenden Probleme, hervorgerufen durch die katastrophale Politik des nationalen Regimes, hemmungslos zu lösen.« 429 Auf der Vorschlagsliste standen elf Männer, davon je drei von der SPD und dem Zentrum, zwei Demokraten, ein Kommunist und zwei Parteilose. 430 Es wur-

427

Kr A FN, Nr. 1006. Rathaus, Niederschrift über die Beratungen mit dem Gemeinderatskomitee vom 22. Februar 1946, Protokollband 1, §1, Tagesordnung: Einsetzung von Gemeinderäten. Da die Gemeinderatsprotokolle bis 3.4.1946 zum Zeitpunkt der Quellenrecherchen versiegelt und nicht einsehbar waren, wurde das Zitat entnommen aus: Hendrik Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau in Friedrichshafen 1945-1948, hrsg. vom DGB Bodenseekreis, Friedrichshafen 1985, S. 122. 429 KrA FN, Nr. 1006, Gemeinderat 1945-1954, Schreiben vom 15.11.1945 an Bürgermeister Dr. Bertsch. 430 Von der SPD: Sommer, Wagner, Braun; Zentrum: Küsters, Brugger, Schmäh; Demokraten: Hofmann, Schradin; KPD: Beckert; Parteilose: Denz, Herter. 42S

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de also darauf geachtet, daß der Parteienproporz berücksichtigt war. Dennoch gab es, etwa zeitgleich, gegen die Liste der »linksgerichteten Kreise« einen Gegenvorschlag, vertreten von einem Arzt namens Dr. Hasslinger und dem Buchdruckereibesitzer und Zeitungsverleger Othmar Gessler. 431 In der folgenden Korrespondenz wurden für die noch zu konstituierende Gruppierung neben »Arbeitsausschuß« noch weitere Bezeichnungen gewählt: »beratendes Organ bei den Gemeinden«, »Gemeinderatskomitee« oder »Gemeinderat«, jedoch nie »Arbeiterausschuß«. Bürgermeister Bertsch reichte vier Tage nach der ersten Liste einen eigenen Vorschlag zur personellen Besetzung beim Landratsamt ein, indem er nach eigenem Bekunden die beiden ersten Listen vereinigte. 432 Dies geschah allerdings deutlich zugunsten der »bürgerlichen Kreise«. Von seinen zwölf Kandidaten stammten nur vier aus der »linken« Liste, von diesen wiederum nur eine Person aus der SPD. Dafür kamen nach der Vorstellung von Bertsch insgesamt sieben Personen vom Zentrum in die engere Auswahl, ergänzt durch einen Demokraten und einen Parteilosen. Ihnen gegenüber standen zwei Sozialdemokraten und ein Kommunist, allerdings nicht derjenige, den der linke Flügel vorgeschlagen hatte. 433 Ganz ohne Begründung wollte der Bürgermeister seinen Vorschlag nicht präsentieren: »Bei der Aufstellung der Liste habe ich darauf geachtet, daß die verschiedenen Berufsgruppen aus der Bevölkerung Friedrichshafens vertreten sind. Auch dürfte es sich empfehlen, die ehemalige Parteizugehörigkeit vor 1933 zu berücksichtigen. [...] Endlich habe ich auch die Konfession in Betracht gezogen.« 434 Entgegen der Geheimhaltungspolitik des Bürgermeisters 435 erfuhren die Initiatoren des Arbeitsausschusses von dieser dritten Liste und erhoben dagegen Protest. 436 Wahrscheinlich liegt hierin der Grund, daß Landrat Stöhr Bürgermeister Bertsch nahelegte, noch einen SPD-Vertreter in die Liste aufzunehmen. Daraufhin erweiterte der Bürgermeister seine Liste um drei weitere Personen, zwei vom Zentrum und einen Parteilosen. 437 Da sich aufgrund eines Erlasses die Anzahl der künftigen Komiteemitglieder auf sechzehn erhöht hatte, schoben die Arbeiterkreise ebenfalls noch fünf Vor-

431

Ebd., Schreiben des Bürgermeisters an den Landrat vom 15.12.1945. Diese Vorschlagsliste liegt nicht vor. Alle drei Listen wurden am 19.11.1945 von Bürgermeister Bertsch beim Landratsamt eingereicht, KrA FN, Nr. 1006, Schreiben vom 15.12.1945. 433 Die Zentrums-Vertreter waren Franz Zinsmaier, Konstantin Schmäh, Josef Mauch, Nikolaus Hasslinger, Karl Frohn, Othmar Gessler und der Buchhändler Willi Küsters; für die SPD wurden Anton Sommer und der Eisendreher Eugen Kirchner, für die KPD Josef Rother benannt; des weiteren der parteilose Reinhold Hofmann und der Demokrat Hugo Schradin, ebd. 434 Zum Vorschlag kamen 1 Bauer, 3 Arbeiter, 2 Angestellte, 2 Beamte, 2 aus den freien Berufen und 2 aus dem »Mittelstand«. Darunter waren 7 Katholiken, drei Protestanten und 2 »Dissidenten«, nach einer Auflistung des Bürgermeisters, ebd., o.D. 435 In der Korrespondenz wird deutlich, daß Bertsch am liebsten die Arbeiterkreise von Informationen ausgeschlossen und gemeinsam mit den »bürgerlichen Kreisen« und dem Landrat die Weichenstellungen vorgenommen hätte. Landrat Stöhr zog es jedoch vor, eine Vermittlerrolle einzunehmen. 436 Ihr Protest richtete sich u.a. gegen den Arzt, »auch sonst scheint in weiten Kreisen gegen Herrn Dr. Hasslinger eine ablehnende Haltung zu bestehen«, wie Bertsch zugeben mußte. Der Arzt wurde wohl erst 1946 in das Internierungslager Balingen eingewiesen, Wahlrecht und Wählbarkeit wurden ihm aberkannt, nach ebd., Verzeichnis der Ärzte der Stadt Friedrichshafen. Für die weitere Nachkriegsentwicklung ist dieser Name nicht mehr in den Quellen zu finden. 437 KrAFN,Nr. 1006. 432

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schlage nach, nun deutlich zugunsten von SPD und KPD.438 Schon tags darauf nahm der Bürgermeister Fühlung mit Vertretern der Parteien auf, um die Bildung einer »Einheitsliste« zu erreichen. Dabei ergab sich folgendes Resultat, das dem Landrat mit Schreiben vom 18. Dezember 1945 mitgeteilt wurde:439 Tabelle 7:

Vorschlag für die Besetzung eines Gemeinderatskomitees Zentrum (ab 6.1.1946: CDU) 1. Mauch, Josef

6. Arnegger, Hermann 7. Zinsmaier, Franz

Gewerbeschulrat, ehemaliger Stadtrat vor 1933 Buchdruckereibesitzer Architekt Ingenieur Glasermeister, ehemaliger Stadtrat bis 9/1933 Metzgermeister Bauer

Demokraten (ab 19.7.1946 8. Lanz, Johann 9. Schradin, Hugo

», ab 1948 FDP) Elektromeister Postinspektor

2. 3. 4. 5.

Gessler, Othmar440 Frohn, Carl Schmäh, Konstantin Brugger, Franz

Parteilos 10. Hofmann, Reinhold SP441

13. Sommer,Jakob Anton 14. 15. Müller, Herter, Fritz

Schmied, ehemaliger Stadtrat vor 1933 Eisendreher, Personalratsvors. beim EAW, vor 1933 SPD Werkmeister, vor 1933 SPD Schmied Werkmeister

KP 16. Rother, Josef

Maschinenschlosser

11. Braun, Jakob 12. Wagner, Matthäus

438

Diplom-Kaufmann

Flir die SPD wurde am 16.12.1945 Jakob Miller und für die KPD wurden Rother, Schnautz und Legier nominiert. Neu kam auch der spätere Bürgermeister Josef Mauch vom Zentrum hinzu, ebd., Schreiben vom 17.12.1945. Die Festsetzung der Mitgliederzahlen beruhte auf einem Erlaß vom 3.12.1945 Uber die Bildung von Gemeinderatskomitees. Infolge des Erlasses begannen auch die anderen Kreisgemeinden, Vorschlagslisten einzureichen. 439 KrA FN, Nr. 1006, Schreiben vom 18.12.1945. ^ O t h m a r Gessler und Carl Frohn gehörten später der FWV an. 441 Die Bezeichnung „SP" und „KP" beruht darauf, daß die französische Militärregierung zonenübergreifende Parteinamen zu diesem Zeitpunkt noch nicht gestattete. In den folgenden Ausführungen wird auf diese kurzfristige und in den zeitgenössischen Quellen nur selten verwendete Titulierung der Parteien verzichtet. Kurzformen in den Quellen werden unverändert übernommen.

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Augenfällig ist auch hier ein starkes Übergewicht der bürgerlichen Kräfte aus Zentrum, Demokraten und dem Parteilosen, die zehn der sechzehn Plätze einnahmen. Es sollte also weiterhin eine Mehrheit von Sozialdemokraten und Kommunisten verhindert werden. Allerdings stellte diese nun offizielle Liste eine Verbesserung für die Arbeiterparteien gegenüber den Vorschlägen von Bürgermeister Bertsch dar. Dennoch erhob die KPD Einspruch und forderte sowohl den Ausschluß des parteilosen Hofmann als auch die Berücksichtigung zweier anderer KPD-Vertreter: Fritz Beckert und Willi Silfang. 442 Daß Josef Rother, der auf der Liste stand, nicht unterstützt wurde, läßt parteiinterne Querelen vermuten. Von den sechzehn Männern kamen fünf aus der Industrie, acht sind der Berufsgruppe der Selbständigen zuzuordnen. Soweit es die Quellen zulassen, sollen noch einige biographische Angaben hinzugefügt werden: Konstantin Schmäh, am 17.3.1902 in Friedrichshafen geboren und katholisch getauft, Lehre als Werkzeugmacher beim Maybach-Motorenbau, 1931 Abschluß als Maschinenbauingenieur, ab 1935 Vorrichtungs-Konstrukteur in der Zahnradfabrik, 10/1945 bis 2/1947 Betriebsrat in der Zahnradfabrik, ab Sommer 1946 Betriebsdirektor in der ZF. 443 Hugo Schradin, evangelisch, war ab 1899 Mitglied der DDP und vor 1933 zeitweise ihr Ortsvorsitzender, seit 1922 gehörte er auch der Friedenspartei und ab 1926 dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold an. 444 Jakob Braun, geboren am 13.12.1877 in Effringen, 1918 Vorsitzender der USPD, danach bis 1928 Vorsitzender der SPD in Friedrichshafen, Mitglied der DAF, litt unter Repressionen und Haft während des Nationalsozialismus. 445 Matthäus Wagner, geboren am 7.3.1883 in Weingarten, DAF 1933-1945, war wegen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus inhaftiert. 446 Anton Sommer, geboren am 17.9.1893 in Waiblingen und katholisch getauft, DAF und NSV, seit 1919 USPD, 1923 bis 1933 SPD, vor 1933 Schriftführer. 447 Jakob Müller, geboren am 2.2.1890 in Gotenheim, war in einer Friedrichshafener Widerstandsgruppe aktiv tätig. Zusammen mit Fridolin Endraß war er Vertrauensmann des im Schweizer Exil lebenden Karl Molt. 448 Josef Rother, geboren am 29.12.1902 in Waldenbuch/Schlesien, vor 1933 »Organisationsleiter« der KPD. 449 Das Durchschnittsalter dürfte relativ hoch gelegen haben. Bei den sieben Personen, von denen das Alter bekannt ist, lag es bei 55 Jahren; die Mehrheit konnte außerdem auf politische Erfahrungen aufbauen, während »Neueinsteiger« wie Konstantin Schmäh eine Ausnahme darstellten. Unter den Kandidaten befand sich nur ein Ge442

Der Bürgermeister von Friedrichshafen an das Landratsamt vom 18.12.1945, nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 122. •"'Konstantin Schmäh wird an anderer Stelle noch ausführlicher vorgestellt; Ausführungen nach StadtA FN, Direktor Konstantin Schmäh zum Gedächtnis, Ansprachen zu seinem Tode am 14.2.1964. 444 AdO, c. 1181, p. 11. " ' E b d . und Maier, Heimatbuch II, S. 222 u. 224. 446 AdO, c. 1181, p. 11 und Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, Anhang. " ' E b d . und StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 615. 448 AdO, c. 1181, p. 11 und c. 3568. Zum Friedrichshafener Widerstand im Nationalsozialismus vgl. auch die Ausführungen in Kapitel II. 1 zu den Parteien. " ' E b d . , c. 1181, p. 11 und Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, Anhang.

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meinderat, der kurzfristig nach April 1933 im NS-Gemeinderat vertreten war. Alle anderen Gemeinderäte bzw. Ratsherren der NS-Zeit übten nach 1945 - zumindest im Gemeinderat - keinen Einfluß mehr auf das politische Leben aus. Dafür knüpfte ein Großteil der nun wieder politisch Aktiven an die Zeit der Weimarer Republik an. Im Februar 1946 erfolgte der schon längst erwartete Kurswechsel der französischen Militärregierung. Im amerikanisch besetzten Teil Badens und Württembergs (im Land Württemberg-Baden) hatten nämlich die ersten Teilwahlen zu den Gemeinderäten bereits am 27. Januar 1946 stattgefunden.450 Wohl eher widerwillig wies nun die Militärregierung in Baden-Baden das Staatssekretariat in Tübingen per Verordnung451 an, die weitere Organisation bezüglich der Einsetzung von Gemeinderäten zu übernehmen. Im Einvernehmen mit Kreisgouvemeur Ulmer bestimmte der kommissarische Landrat Stöhr am 20. Februar 1946 acht neue Gemeinderäte für Friedrichshafen:452 Tabelle 8:

Das Gemeinderatskomitee vom 20. Februar 1946 1. Mauch, Josef 2. Brugger, Franz 3. Amegger, Hermann 4. Zinsmaier, Franz 5. Schradin, Hugo 6. Wagner, Matthäus 7. Sommer, Anton 8. Beckert, Fritz

CDU CDU CDU CDU DVP SP SP KP

Die KPD hatte sich nur teilweise durchsetzen können. So wurde zwar doch Beckert und nicht Rother als Gemeinderat ernannt, die Zahl der Vertreter aber nicht auf zwei erhöht. Der Schlosser Fritz Beckert, geboren am 8. Oktober 1904 in Neckarsulm, saß 1933 vier Wochen in Haft. Ab 1935 war er Mitglied der DAF, ab 1943 der NSV. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war er als städtischer Angestellter bei der Stadtverwaltung tätig. 1951 wurde er zu einem von achtzehn Mitgliedern der KPD-Landesleitung Württemberg-Hohenzollern gewählt 453 Im gesamten Kreis Tettnang war das bürgerliche Lager stärker vertreten als in Friedrichshafen. Von insgesamt 82 Komiteemitgliedern gehörten 65 dem Zentrum, 8 den Sozialdemokraten, 2 den Kommunisten und 4 den Demokraten an. 3 Mitglieder waren parteilos.454 Von den acht ernannten Komiteemitgliedem in Friedrichshafen wurden bei der ersten Nachkriegswahl im September 1946 fünf als Gemeinderäte bestätigt:

450

Vgl. hierzu Wolfgang Benz (Hrsg.), Neuanfang in Bayern 1945 bis 1949. Politik und Gesellschaft in der Nachkriegszeit, München 1988, S. 9ff. Stadt Friedrichshafen, Demokratischer Neubeginn 1945/46, S. 8. 452 Schreiben des Landratsamtes an den Bürgermeister von Friedrichshafen vom 20.2.1946, zitiert nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 126. 453 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 612. 454 KrA FN, Nr. 1006, Schreiben des Landrates an das Gouvernement Militaire vom 26.2.1946. 431

102 Tabelle 9:

I. Vom Krieg zum Frieden

Die Gemeinderatswahlen vom 15. September 1946 Stimmen CDU 1. Brugger, Alfons

Landwirt und Mühlenbesitzer 2. Amegger, Hermann Metzgermeister 3. Birkle, Josef Architekt 4. Lieb, Bernhard Kaufmann 5. Brugger, Franz Glaser 6. Werdich, Georg Bäckermeister 7. Schmäh, Konstantin Betriebsleiter 8. Handel, Theo Kaufmann 9. Sauter, Franz Schreinermeister 10. Burr, Gustav Ingenieur

5.232 4.830 4.810 4.462 4.349 4.269 3.497 3.448 3.254

SP 11. Sommer, Anton

5.614

12. Wagner, Matthäus 13. Müller, Jakob KP 14. Beckert, Fritz

Werkmeister (Gew. Eisen und Metall) Dreher (Gew. der Eisenbahner) Schmied (Gew. Eisen und Metall) Mechaniker (Gew. Eisen und Metall)

5.396

4.316 2.830

2.235

Von 7.972 Wahlberechtigten hatten knapp 84 Prozent abgestimmt. 455 Die CDU bekam 66, die SPD 24 und die KPD 10 Prozent der Stimmen. 456 Von insgesamt 14 Sitzen erhielt die CDU zehn, die Sozialdemokraten drei und die Kommunisten einen. 457 Die meisten Stimmen konnte der Sozialdemokrat Anton Sommer auf sich vereinen, gefolgt von dem Christdemokraten Alfons Brugger. Im Vergleich zu den beiden vorherigen Gremien fand bei der CDU mit sieben neuen Gemeinderäten ein ausgeprägter personeller Wechsel statt. Insgesamt konnten die Christdemokraten den Anteil ihrer Vertreter durch Wegfall der demokratischen und parteilosen Kandidaten erhöhen. Arbeiter waren insgesamt unterrepräsentiert und nur bei der SPD und der KPD vertreten.

455

StadtA FN, Bekanntmachung des Ergebnisses der Gemeinderatswahl am 15. September 1946. Bei der Wahl gaben 6.680 Wahlberechtigte ihren Stimmzettel ab, davon 6.249 gültige und 397 ungültige Stimmen. 456 Die CDU erhielt 4.116, SPD 1.495 und KPD 638 Stimmen. ""Reihenfolge der Sitze nach Stimmen: CDU 1, 2, 4, 5, 6, 8, 10, 12, 13 und 14; SPD 3, 7 und 11; KPD 9.

103

Stadt- und Kreisverwaltung

Tabelle 10: Auswertung der drei Kandidatenlisten bezüglich der prozentualen Verteilung nach Parteien 18.12.1945 (Vorschlag) CDU Demokraten Parteilose SP KP

43,7 12,5 6,3 21,3 6,3

20.2.1946 15.9.1946 (Komitee) (Gemeinderat) 50,0 12,5

71,4

25,0 12,5

21,4 7,1

Bei einem Vergleich der Zahlen fällt auf, daß die erste Vorschlagsliste vom Dezember 1945 am ehesten dem später artikulierten Wählerwillen entsprach. Der Bürgerblock mit zusammen 62,5 Prozent im Dezember 1945 konnte seine Position noch mit zusätzlichen 9 Prozent festigen, das Wahlergebnis von SPD und KPD blieb nahezu identisch mit der Ausgangsposition von 1945. In dem vom Landrat eingesetzten Gemeinderatskomitee vom Februar 1946 verbesserte sich zwar der prozentuale Anteil der Kommunisten, diese Situation mußte aber aufgrund der Wählerentscheidung sieben Monate später wieder revidiert werden. 458 Nachdem Bürgermeister Mauch die im September 1946 gewählten Gemeinderäte durch Abnahme des Diensteides auf ihre neuen Aufgaben verpflichtet hatte, äußerte er sich zu programmatischen Punkten der Kommunalpolitik: »Meine Herren! Ihre Aufgabe ist von der des früheren Gemeinderatskomitees grundverschieden. Jenes hatte nur die Aufgabe, den Bürgermeister zu beraten, Beschlüsse waren nicht rechtswirksam. Sie, mfeine] H[erren], fassen Beschlüsse und übernehmen dafür die volle Verantwortung. Der Bürgermeister hat nur noch die Aufgabe, diese Beschlüsse durchzuführen. [...]. Halten Sie Maß bei Meinungsverschiedenheiten und helfen Sie mit, in der Heimatstadt die größte Not zu lindem, die Interessen der Gemeinde zu fördern und so zu einem allmählichen Aufbau sowohl der Kultur als auch der Wirtschaft beizutragen.« 459 Mit den ersten Gemeinderatswahlen wurde der kommunalpolitische Handlungsspielraum zwar tatsächlich ausgedehnt, aber die französische Besatzungsverwaltung konnte auch in der Folgezeit Beschlüsse des Gemeinderats jederzeit in ihrem Sinne korrigieren. Für viele Entscheidungen, wie im Bereich Wohnraumbewirtschaftung und Lebensmittelkontingentierung, war nach wie vor das Einverständnis der französischen Behörden nötig. Welche Möglichkeiten die Handlungsspielräume je nach Tätigkeitsfeld boten, wird in den folgenden Kapiteln dargestellt.

458

Im Zuge der Kommunalwahlen genehmigte die Militärregierung eine Regierungsumbildung in Württemberg-Hohenzollern, die den politischen Verhältnissen nach der Wahl entsprechen sollte. Nach französischer Sprachregelung entstand so das »Gouvernement Provisoire«, welches die bisherige »Administration Allemande« ablöste. Ein »Landesdirektor« trug fortan den Titel »Staatssekretär«; vgl. hierzu Andrea Kühne, Vom Landeskommissar zum Staatskommissar, in: Mathias Beer (Hrsg.), Integration von Flüchtlingen und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945, Sigmaringen 1994, S. 111-128, hier S. 115. •"'Rathaus, GRP vom 25.11.1948.

104

I. Vom Krieg zum Frieden

Die Gemeinderatswahlen von 1948460 Nach einer Amtsperiode von zwei Jahren wurde am 14. November 1948 ein neuer Gemeinderat gewählt. Neben den drei bisherigen Parteien bewarb sich nun die wiedergegründete Freie Wählervereinigung. 461 Der gewählte Gemeinderat sah in seiner parteipolitischen Zusammensetzung folgendermaßen aus: 462 Tabelle 11: Ergebnis der Gemeinderatswahl vom 14. September 1948 Stimmen CDU (36,5 Prozent der gültigen Stimmen) 1. Brugger, Alfons Mühlenbesitzer 4.227 2. Brugger, Franz Glaser 3.689 3. Schmäh, Konstantin Betriebsdirektor 3.309 4. Heizmann, Otto Bankrat 3.196 5. Eble, Otto Sparkassenangestellter 3.163 6. Handel, Theo Städt. Angestellter 3.095 7. Haussier, Ernst Kaufmann 2.495 FWV (30,3 Prozent) 8. Stütz, Franz 9. Werdich, Georg 10. Frohn, Karl 11. Sohn, Willi 12. Kaldenbach, Willi

Studienrat Bäckermeister Diplom-Architekt Ingenieur Kaufmann

4.589 4.022 3.751 3.331 2.802

SPD (27,5 Prozent) 13. Sommer, Anton 14. Hofmann, Reinhold 15. Dach, Valentin 16. Flösser, Karl 17. Frick, Eugen

Werkmeister Diplom-Kaufmann Metall-Schlosser Prokurist Gew.-Sekretär

5.609 2.859 2.730 2.635 2.512

KPD (5,8 Prozent) 18. Beckert, Fritz

Städt. Angestellter

1.818

Unter diesen gewählten Gemeinderäten waren drei ehemalige NS-Parteigenossen, ein Pg.-Anwärter, zwölf hatten einer oder mehreren NS-Formationen angehört. 463 Nur "'"Zur Konstituierung der politisch-gesellschaftlichen Vertretungsorgane, v.a. der Parteien und Gewerkschaften, welche zum Zeitpunkt der Wahl abgeschlossen war, siehe die folgenden zwei Kapitel. 461 Auf die Wiedergründung der Freien Wählervereinigung wird ausführlicher in Kapitel II. 1 eingegangen. ""Rathaus, GRP vom 25.11.1948. Die Berufsangaben wurden der »Zusammenstellung der gültig abgegebenen Stimmen«, StadtA FN, entnommen. Der prozentuale Stimmenanteil der einzelnen Parteien wurde der »Bekanntmachung des Ergebnisses der Gemeinderatswahl am 14. November 1948«, StadtA FN, entnommen; Zahl der Wahlberechtigten: 10.645; Gesamtsumme der gültigen Stimmen: 122.836; Gesamtsumme der ungültigen Stimmen: 4.878. "''StadtA FN, Sitzverteilung und NSDAP-Zugehörigkeit der Gemeinderatsmitglieder nach der Wahl vom 14.11.1948.

Stadt- und Kreisverwaltung

105

ein gewählter Kandidat war nach 1933 Gemeinderat gewesen. Das Gewerkschaftskartell war mit sieben Repräsentanten vertreten (Otto Eble und die SPD- bzw. KPD-Mitglieder). Etwa die Hälfte der gewählten Personen bestimmte die Kommunalpolitik bis in die sechziger Jahre mit. Mit Valentin Dach kam ein erfahrener SPD-Aktivist in den Gemeinderat. Er war der letzte Ortsvereinsvorsitzende in Friedrichshafen im Mäiz und April 1933 gewesen. 464 Auf Karl Flösser, geboren 1913 in Karlsruhe, bis 1933 ebenfalls aktives SPD-Mitglied und von 1933 bis 1936 aus politischen Gründen inhaftiert, wird an anderer Stelle noch näher eingegangen. Das gleiche gilt für Eugen Frick, Jahrgang 1901, der in der Gewerkschaftsbewegung nach 1945 eine wichtige Rolle spielte. Willi Kaldenbach, Mitbegründer der Freien Wählervereinigung und späterer Direktor der Metallwerke Friedrichshafen, gehörte zu jener jungen Generation der im Ersten Weltkrieg Geborenen, deren politische Laufbahn erst nach 1945 begann. Die Freie Wählervereinigung konnte ihr Vorkriegsergebnis mehr als verdoppeln. Bei den Kommunalwahlen von 1925 bis 1931 hatte sie Stimmenanteile von zwölf bis vierzehn Prozent erzielt. Ab 1931 waren die Freien Wähler eine Fraktionsgemeinschaft mit der NSDAP eingegangen. 465 4.3. Aufbau der Kreisverwaltung Sofort nach Fertigstellung des ersten Entwurfs einer Gemeindeordnung befaßte sich die Landesdirektion des Innern mit der Ausarbeitung einer neuen Kreisordnung. Formell galt zunächst noch die auf dem »Führerprinzip« beruhende württembergische Kreisordnung von 1934. Da die Kompetenzen der württembergischen Kreisverbände mit der organisatorischen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht ausreichend Schritt gehalten hatten, mußten vielfach neue Rechtsformen gefunden werden. Die Grundfragen der Neugestaltung des Kreisrechts wurden mit einer Reihe von Politikern und Fachleuten erörtert. Bereits im Herbst 1946 lag der erste Entwurf einer Kreisordnung vor, der schließlich vom Direktorium des Staatssekretariats gebilligt und der Militärregierung zur Genehmigung eingereicht wurde. Nachdem die Militärregierung mit Verordnung Nr. 61 die unmittelbare Wahl der Kreisversammlung angeordnet und dabei auch deren Aufgaben abweichend bestimmt hatte, war zunächst eine Genehmigung nicht zu erlangen. Ein überarbeiteter Entwurf vom Oktober 1947 wurde nach langwierigen Verhandlungen mit der Militärregierung dem Landtag zugeleitet, von diesem beschlossen und mit Genehmigung der Militärregierung am 3. Februar 1949 im Regierungsblatt verkündet. Die Staatskanzlei versuchte rückblickend, das Verhältnis von Kontinuitäten und neuen Elementen abzuwägen: »Die Kreisordnung stellte, obwohl sie in verschiedener Hinsicht neue Wege ging, keine umstürzende Neuordnung des Kreisrechts dar, nahm vielmehr als Ausgangspunkt eine im Volksbewußtsein sehr lebendige Tradition der Selbstverwaltung der im Kreisverband zusammengeschlossenen Gemeinden. Wie die württ. Bezirksordnung von 1906 erhält sie neben dem Recht der Kreisselbstverwaltung auch die Grundsätze der Organisation ''"Sein Vorgänger, der SPD-Vorsitzende Alois Obermayer, trat Anfang März 1933 unter dem Eindruck der nationalsozialistischen Wahlerfolge in Friedrichshafen und aus Furcht vor Repressalien aus der SPD aus. Valentin Dach wurde sein Nachfolger, allerdings nur bis zur Neubildung des NS-Gemeinderats Ende April 1933; vgl. hierzu StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 612 und Maier, Heimatbuch II, S. 223. ^'Zitiert nach Maier, Heimatbuch II, S. 220, weitergehendes Quellenmaterial konnte hierzu nicht gefunden werden.

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der Staatsverwaltung im Kreis. An bedeutsamen Neuerungen sind besonders zu erwähnen: die Mitwirkung des Kreistags bei der Bestellung des Landrats, Bestimmungen zur Gewährleistung der Einheit der Verwaltung im Kreis, Erschwerung der Errichtung neuer Sonderverwaltungen in der Kreisstufe, gegenseitige Unterstützungspflicht von Landratsamt und Kreisverbandsverwaltung, grundsätzliche Übertragung der Aufgaben der unteren Verwaltungsbehörde (Landratsamt) an die unmittelbaren Kreisstädte.« 466 Die Staatskanzlei bewertete das Werk der Nachkriegszeit insgesamt positiv, kritisierte aber, daß »die überkommene Einteilung des Landesgebiets« im wesentlichen beibehalten wurde. »Diese Frage sollte einer grundsätzlichen Regelung im erwarteten Südweststaat vorbehalten bleiben.« Die Landräte Der erste NS-Landrat im Kreis Tettnang, Erich Springer, gehörte deijenigen Generation an, die Michael Ruck unter der Rubrik »Kriegsjugendliche« beschreibt: Die zwischen 1900 und 1905 geborenen Nachwuchsbeamten, die nicht mehr der »obrigkeitsstaatlichen Sozialisation« ausgesetzt waren, dafür aber ein Jurastudium »im Zeichen eines Rechtspositivismus« absolvierten, der tendenziell gegen eine parlamentarische Demokratie gerichtet war. Aufgrund von Weltwirtschaftskrise und »deflationärer Fiskalpolitik« einer hoffnungsvollen beruflichen Perspektive beraubt, eröffneten sich für diese Jahrgänge dank der NS-Politik mit ihrem Personalrevirement neue Aussichten. Gedankt wurde dies mit einem »hohen Maß an Loyalität« und »aktiver Einsatzbereitschaft«. 467 Springer wurde am 8. September 1903 in Hohenheim geboren und evangelisch getauft. 1926/29 legte er nach einem Jurastudium die höhere Staatsprüfung ab, danach arbeitete er als Regierungsassessor beim Oberamt Kirchheim. Am 7. Mai 1930 folgte die Ernennung zum Regierungsrat beim Oberamt Göppingen. Ab 1. September 1933 wurde er als Hilfsberichterstatter, ab 1. Juni 1935 als Regierungsrat im württembergischen Innenministerium eingesetzt. 468 Vom 30. März bis 15. Oktober 1936 betätigte sich Erich Springer als Amtsverweser des Polizeidirektors in Friedrichshafen 469 , da Polizeidirektor Eduard Quintenz aufgrund seiner Auseinandersetzungen mit Kreisleiter Hans Seibold als Landrat nach Obemdorf versetzt worden war. 470 Gleichzeitig hatte Springer die Leitung der Außenhauptstelle des württembergischen Politischen Landespolizeiamtes (Gestapo) inne. Seine Laufbahn als NS-Landrat begann am 17. Oktober 1936, als er stellvertretend die Dienstgeschäfte des Oberamtsvorstandes in Tettnang übernahm. Zwei Jahre später, am 20. Dezember 1938, wurde er dann als Landrat in sein Amt eingesetzt. Nach fünf Jahren Dienst auf

" " S t A Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 456/22, ebd. die weiteren Ausffihrungen. 447 Grundlegend zu den Landräten im heutigen Baden-Württemberg: Michael Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, hier S. 222. 468 Stadt A FN, Amtsträger der Stadt FN und KrA FN, Nr. 1206.0 sowie Unterlagen von Kreisarchivar Kuhn. «'Ebd. 410 Die Streitigkeiten zwischen dem Kreisleiter und Erich Springer fanden in einem Parteigerichtsverfahren gegen Quintenz ihren Höhepunkt. Auslöser für das Verfahren war das Öffnen eines Privatbriefes, welcher sich unter der Dienstpost befunden hatte. Das Kreisgericht Friedrichshafen verhängte am 1.2.1936 einen Parteiausschluß, der am 27.3.1936 zurückgenommen und durch eine Verwarnung ersetzt wurde. Vgl. hierzu Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 173f.

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der Spitzenebene der Bezirksverwaltung erfolgte im November 1943 die Einberufung zur Wehrmacht. 471 Zwei Monate nach Kriegsende, am 14. Juli 1945, verfügten die Franzosen eine Amtsenthebung. 472 In Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern gab es nach dem 1945/46 durchgeführten Personalaustausch durch die Besatzungsbehörden nur noch einen einzigen Landrat, der im Nationalsozialismus amtiert hatte. 473 Springer war seit 1933 Mitglied der NSDAP und Oberscharführer bei der SA gewesen, so daß der Untersuchungsausschuß Tettnang eine Pensionierung vorschlug. 474 Aus dem Säuberungsverfahren von 1947 ging der Regierungsrat mit erheblichen Sanktionen hervor, u.a. mit einer Entlassung ohne Bezüge. 475 Seinem Revisionsantrag wurde durch die französische Militärregierung stattgegeben. Danach war er in einem Friedrichshafener Industriebetrieb tätig, die Quellen belegen das zumindest für den Februar 1948. 476 Gleichzeitig mit Springer wurde auch sein Vertreter im Landratsamt, der Ministerialrat im Innenministerium Gustav Drautz, amtsenthoben. 477 Drautz hatte Springer nach dessen Einberufung zur Wehrmacht vom 10. Januar 1944 bis 31. Mai 1945 vertreten. Nachdem ihn zunächst am 2. Juni 1945 die französische Militärregierung entlassen hatte, vollzog die Landesverwaltung diesen Schritt am 14. Juli. Drautz, am 13. Februar 1887 in Heilbronn als Sohn eines Weingärtners geboren und evangelisch getauft, war bereits Landrat bis zu seinem Eintritt in das Innenministerium. Wenige Wochen vor der »Machtergreifung« nahm er dort eine Spitzenposition in der Abteilung Arbeitsbeschaffung, Feuerpolizei und Verkehrswesen ein, »eine gerade in den ersten Jahren der NS-Herrschaft politisch ungemein wichtige Position« 478 1938/39 war er außerdem kommissarischer Landrat im Sudetenland. Erst 1941 trat Drautz in die NSDAP ein. »Auf die fällige Beförderung zum Ministerialrat mußte der vergleichsweise liberale Beamte freilich bis 1943 warten, nachdem Reichsstatthalter Murr 1935 abgewinkt hatte«, wie Michael Ruck nach Auswertung der entsprechenden Personalakte feststellte. Ab 10. Januar 1944 arbeitete Drautz dann als stellvertretender Landrat für den Kreis Friedrichshafen. Vor seinem Ruhestand 1950 war er im Arbeitsministerium als Ministerialrat beschäftigt und 1950/51 Vorsitzender der Hilfskammer des Vorsorgungsgerichts für Württemberg-Hohenzollern. Für eine kurze Übergangszeit im Juni und Juli 1945 führte der NS-Bürgermeister Walter Bärlin auf Geheiß der französischen Militärregierung die Geschäfte eines stellvertretenden Landrats. 479 Erst nach der Amtsenthebung von Erich Springer im Juli 1945 wurde Landwirtschaftsrat Dr. Konrad Stöhr als kommissarischer Landrat beru47l

StadtA FN, Amtsträger der Stadt FN, sowie KrA FN, Nr. 1206.0, Streichung aus der Wählerliste wegen Säuberungsmaßnahmen sowie Unterlagen von Kreisarchivar Kuhn. 472 Ebd. 473 Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 255, und S. 229: »Nur eine Handvoll der amtierenden Landräte durfte die Amtsgeschäfte noch einige Monate weiterfuhren, die übrigen mußten gehen, manche wurden von den Siegermächten zeitweise interniert.« 474 KrA FN, Unterlagen von Kreisarchivar Kuhn. 473 Neben der Entlassung wurden Uber ihn Maßnahmen verhängt, die Wahlrecht und Wählbarkeit einschränkten sowie Ehrenämter, öffentliche Ämter und öffentliche Äußerungen in Wort und Schrift verboten (Kennziffern ll-15a auf fünf Jahre), vgl. Entnazifizierungsurteil im Amtsblatt des Staatssekretariats, Nr. 33/1947, S. 845. 476 StA Sig, WÜ 40, Bd. 14, Bü. 29 vom 28.2.1948 sowie Bd. 19, BU. 155. 477 Dieser Abschnitt fußt, soweit nicht anders angegeben, auf ebd., Bü. 29. 478 So Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 103. 479 Wieland, Amtsträger der Stadt Friedrichshafen.

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fen. Der erste neu eingesetzte Landrat der Nachkriegszeit entstammte einer kinderreichen Bauernfamilie in Daugendorf bei Riedlingen. Dort wurde er am 25. November 1893 geboren und katholisch getauft. Nach einem Studium an der landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim und der Universität Bonn sowie einer kurzen Tätigkeit als Landwirtschaftslehrer promovierte er 1920 zum Dr. phil. an der Universität Halle an der Saale. Nach weiteren Jahren der Lehrtätigkeit an Riedlinger und Leonberger Schulen und als Assistent bei der Zentralstelle für Landwirtschaft in Stuttgart, übernahm er 1922 die Leitung der Landwirtschaftsschule Blaubeuren sowie 1927 der neugegründeten Landwirtschaftsschule Tettnang. Daneben übernahm er die Führung des Landwirtschaftsamtes. Der Tettnanger Schule stand er bis zu seiner Pensionierung 1959 vor. 480 Nach Kriegsende übernahm Stöhr für kurze Zeit die Leitung des Kreisernährungsamtes. Am 6. Juli 1945 setzte ihn die französische Militärregierung als kommissarischen Landrat des Kreises Tettnang ein. Dieses Amt bekleidete er bis zu seinem freiwilligen Rücktritt im Januar 1947. Ab dieser Zeit übernahm er bis zu seiner Pensionierung 1959 die Leitung des Landwirtschaftsamtes Tettnang. Politisch gehörte Stöhr zum Zentrum, dessen Bezirksvorsitz er von 1928 bis zur Auflösung des Kreisverbandes 1933 führte. Nachdem unter seiner Mitbeteiligung der CDU-Kreisverband gegründet worden war, stand er diesem erneut ab 1948 vor. 481 Stöhr war von 1934 bis 1945 Mitglied der NSV, jedoch nicht der NSDAP, so daß er im Juni 1946 aus dem Entnazifizierungsverfahren als unbelastet hervorging. 482 Im Januar 1947 erfolgten in der deutschen und französischen Kreisverwaltung zwei wichtige Amtseinsetzungen: Der neue Landrat hieß nun Emil Münch, und der französische Kreisdelegierte Ulmer wurde von Albert Merglen abgelöst. Münch, Jahrgang 1891, war Lehrer und stellvertretender Schulleiter an der Gewerbeschule in Friedrichshafen. 483 Aus dem Entnazifizierungsverfahren ging er 1947 ohne Sanktionen hervor. 484 Von seiner Ernennung am 21. Januar 1947 ab war Münch bis Jahresende 1956 als Landrat tätig. 485 Nach der Einschätzung von Kreisgouverneur Merglen war Münch ein Sympathisant der CDU. 4 8 6 Bis zur Diensteinsetzung Emil Münchs findet sich immer wieder die Unterschrift eines Regierungsrates namens Dr. Adolf Moro. 4 8 7 Er scheint während der Amtsperiode von Landrat Stöhr stellvertretend gezeichnet zu haben. Moro war seit 1. August 1943 als Regierungsrat beim Landrats-

^ " S Z , Ausgabe Tettnang, vom 26.11.1968, Artikel zum 75. Geburtstag von Dr. Konrad Stöhr; Wieland, Amtsträger der Stadt Friedrichshafen. 4 8 1 S Z vom 26.11.1968. Stöhr war auch Geschäftsführer des Kreisbauern- und Hopfenpflanzerverbandes. Für sein vielseitiges Engagement wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. 4 8 2 KrA FN, nach Unterlagen des Kreisarchivars. 4 8 3 Aus dieser Gewerbeschule wurde auch der zweite Nachkriegsbürgermeister Josef Mauch rekrutiert. 4 8 4 Emil Münch (20.5.1891-15.5.1961) übte neben seiner Tätigkeit als Landrat noch verschiedene Funktionen aus: von 1947-1956 Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kreissparkasse, vom 1.2.1950 bis 7.7.1955 Aufsichtsrat der Kreisbaugenossenschaft Tettnang/Friedrichshafen; 19501960 Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins, Sektion Friedrichshafen, ab 1960 Ehrenvorsitzender. Zusammenstellung nach StA Sig, WÜ 40, Bd. 14, Bü. 29; Rathaus, GRP vom 23.12.1947; SZ vom 24.1.1947 u. 17.1.1957; »Südkurier«, Ausg. Überlingen, vom 20.5.1961; zwei Vereinsbroschüren des Alpenvereins Friedrichshafen von 1961 (mit einem Nachruf) und 1986. "'''Trotz der zahlreichen und unterschiedlichen Quellenfunde bleiben alle hier aufgeführten Landräte in ihren Konturen unscharf. Die wenigen biographischen Angaben wiederholen sich in allen eingesehenen Dokumenten und Zeitungsartikeln. 4 8 6 AdO, c. 3568 vom 2.3.1948. 4 8 7 So zum Beispiel in den amtlichen Verlautbarungen durch die Lokalzeitung »Seeblatt« im Jahre 1945 oder in verschiedenen Quellen aus dem Jahre 1946.

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amt Tettnang tätig. Aufgrund des Entnazifizierungsurteils sollte er ohne Bezüge entlassen werden, er blieb jedoch ab April 1947 »mit Zustimmung des Herrn Kreisdelegierten« gegen Tagegeld weiterbeschäftigt. 488 Mit den Landräten Stöhr und Münch trat innerhalb der Bezirksverwaltung in zweifacher Hinsicht eine Zäsur nach 1945 ein: Erstens durch die Einsetzung politisch unbelasteter Landräte, und zweitens durch ihre berufliche Herkunft. Beide hatten kein Jurastudium mit höherer Staatsprüfung absolviert, wie es fast obligatorisch für diese Berufslaufbahn war 489 , und beide gehörten nicht zu der Berufsgruppe der Regierungsräte, welche bevorzugt die Nachkriegsstellen an der Spitze der Landratsämter besetzten. 490 Und wie schon bei den Friedrichshafener Bürgermeistern beobachtet, wurde auch auf dem Landratsamt ein evangelischer NS-Funktionär nach Kriegsende durch einen Nachfolger mit katholischer Konfession ersetzt. Hier wurde die antikatholische Personalpolitik der NS-Institutionen revidiert 4 9 1 Die Wahl zur Kreisversammlung am 13. Oktober 1946 Nach den Gemeinderatswahlen im September 1946 waren die Bürgerinnen und Bürger der französischen Besatzungszone ein weiteres Mal zum Urnengang aufgerufen worden. Der Aufgabenkreis der nun zu wählenden Institution griff allerdings weit über lokale Angelegenheiten hinaus. So gingen aus den Kreisversammlungen die Vertreter für die Verfassunggebende Versammlung hervor. Das persönliche Moment trat im Gegensatz zu Gemeinderatswahlen bei diesem Anlaß hinter das politische Programm der Parteien zurück, Wahlvorschläge konnten auch nur die zugelassenen politischen Parteien einreichen: »Der Wähler verband mit seiner Auswahl der Kandidaten [...] eine Vorentscheidung Uber grundlegende Fragen des Staatslebens, soweit sie nicht durch die Tatsache der bedingungslosen Kapitulation vorweggenommen ist«. Mit den Namen der Parteien verknüpfte der Wähler außerdem »bestimmte Vorstellungen über das Verhältnis von Staat und Kirche, die Schulform, die soziale Ordnung, die Eigentumsverhältnisse und die Bodenreform«. So kommentierte dies die »Schwäbische Zeitung« im Mantelteil in einer Nachlese zur Wahl. Da nach Ansicht des Blattes aber der Einfluß der Parteien auf das politische Geschehen gering war und die deutsche Verwaltung nach den Weisungen der Besatzungsmacht arbeite, hielt sie das Wahlergebnis vor allem für den Ausdruck persönlicher Gesinnung. 492 An der Wahl in Südwürttemberg-Hohenzollern nahmen allerdings nur 68,6 Prozent der Wahlberechtigten teil, über die niedrige Wahlbeteiligung herrschte allgemeine Enttäuschung.

488

StA Sig, WÜ 40, Bd. 14, Bü. 29, Aufstellung der Beschäftigten des Landratsamtes vom 18.2.1948. Mit weniger Einschränkungen durch das Entnazifizierungsurteil konnte Regierungsrat Dr. Walter Münch (nicht zu verwechseln mit Landrat Emil Münch) seine Karriere fortsetzen. Seit 1.12.1942 beim Landratsamt tätig, wurde über ihn eine Zurückstufung verhängt und die Wählbarkeit aberkannt. Er blieb bis 1949 beim Landratsamt Tettnang und war anschließend von 1950-1972 Landrat im Kreis Wangen. Walter Münch wurde am 29.11.1911 in Göppingen geboren und starb am 23.6.1992 in Wangen, ebd. •"'Zur sozialen Zusammensetzung der Beamtenschaft vgl. Ruck, Korpsgeist und Staatsbewußtsein, S. 182ff. 490 Zur Nachkriegssituation vgl. ebd., S. 255f. 491 Kurz vor Kriegsende amtierten in Baden und Württemberg nur noch vier katholische Landräte (von insgesamt 5 5 ) , dagegen waren 1933 von insgesamt 98 Landräten noch 16 bzw. 14 katholisch; vgl. ebd., S. 183 und die Tabelle S. 301. 492 SZ vom 15.10.1946.

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Denn auch die französische Militärregierung wollte Deutschland nicht nach Worten, sondern nach Taten beurteilen, weshalb eine hohe Wahlbeteiligung hätte beweisen können, »daß die Deutschen auf dem Weg zur Demokratie seien«.493 Immerhin lag im Kreis Tettnang die Wahlbeteiligung etwas höher als im Landesdurchschnitt, die CDU ging dabei mit einer deutlichen Mehrheit als Sieger hervor. Tabelle 12: Wahl zur Kreisversammlung am 13. Oktober 1946 (Stimmen in Prozent)494

Stadt Friedrichshafen Stadt Tettnang Kreis Tettnang Südwiirtt.-Hohenz.495

Wahlbeteil.

CDU

SP

DVP

KP

71,2 74,6 71,0 68,6

52,8 56,4 70,3 62,8

26,8 8,3 16,8 19,9

12,1 7,0 7,7 10,4

8,4 2,3 5,2 6,9

Der Kreis Tettnang wählte insgesamt konservativer als der Landesdurchschnitt, in der Stadt Friedrichshafen schlugen sich vermutlich die Stimmen der Industriearbeiterschaft zugunsten der Arbeiterparteien nieder. In die erste Kreisversammlung nach Kriegsende wurden acht Mitglieder mit Wohnsitz in Friedrichshafen gewählt: Bürgermeister Josef Mauch (CDU), die Gemeinderäte Theo Handel, Georg Werdich (beide CDU) und Anton Sommer (SPD), der im ersten Gemeinderatskomitee noch vertretene Hugo Schradin (Demokraten), der Mechaniker Lorenz König (vor 1933 ZentrumsGemeinderat), der KPD-Gewerkschafter Josef Rother und der Arzt Dr. Paul Henn (SPD-Gründungsmitglied 1946)496. Nach Ansicht von Staatsrat Carlo Schmid schuf die Kreisversammlung »zum ersten Mal wieder über den Bereich der Gemeinde hinaus etwas wie eine demokratische Möglichkeit«. Das sei »zwar noch keine Demokratie im vollen Sinne des Wortes« gewesen, doch habe die Kreisversammlung eine Chance geboten, so etwas »wie eine Schule der Demokratie zu eröffnen.« 497 Friedrichshafen wird unmittelbare Kreisstadt Mitte 1949 begann die Stadtverwaltung, über einen Antrag auf Kreisunmittelbarkeit nachzudenken. Andere Städte wie Ravensburg, Lindau oder Konstanz hatten diesen Status längst erreicht, und ab einer Einwohnerzahl von 20.000 bestand die Möglich-

493

In diesem Sinne hätte sich Jean Arnaud, Leiter der französischen Informations-Abteilung, zu der Bedeutung der bevorstehenden Gemeinderats- und Kreistagswahlen geäußert, zitiert nach einem Artikel des Tübinger Kreisarchivars Wolfgang Sannwald im »Schwäbischen Tagblatt«, Ausgabe Tübingen, vom 2.11.1996. 494 SZ vom 15.10.1946. Im Kreis Tettnang waren 23.145 Wählerinnen und Wähler stimmberechtigt, in der Stadt Friedrichshafen 7.960, in Tettnang 2.601. 3,2 Prozent aller abgegebenen Stimmen im Kreis waren ungültig. 495 Durch den Modus der Sitzverteilung verschoben sich die prozentualen Anteile dann noch zugunsten der CDU. Kreistagssitze in Prozent: CDU 68,2, SP 18,4, DVP 8,3, KP 5,1, nach ebd. 496 StadtA FN, Wahl zur Kreisversammlung am 13.10.1946. 497 Zitiert aus »Schwäbisches Tagblatt« vom 2.11.1996.

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keit dazu. Es war aber eine »Kann«-, keine »Muß«-Bestimmung. 498 Am 9. Oktober 1950 stellten Stadtverwaltung und Gemeinderat einen Antrag beim Staatsministerium auf Erhebung der Stadt Friedrichshafen zur unmittelbaren Kreisstadt. Bürgermeister Grünbeck begründete den »klaren Rechtsanspruch« Friedrichshafens auf Kreisunmittelbarkeit mit zahlreichen Argumenten, die er in einem Schreiben an Viktor Renner vom Innenministerium in elf Punkten zusammenfaßte. Die drei wichtigsten Argumente bestanden erstens darin, daß Friedrichshafen 54 Prozent der Kreisverbandsumlagen aufbringe und deshalb mehr Einfluß auf die Kreisverwaltung wünsche. Zweitens wäre es im Zuge einer angestrebten Verwaltungsvereinfachung nicht statthaft, 40 Prozent der in Friedrichshafen ansässigen Kreisbevölkerung wegen jedes Formulars und Antrags zum neun Kilometer entfernten Tettnang zu »zwingen«. Durch die Kreisunmittelbarkeit würde dann auch der Briefwechsel zwischen der Stadt und den Tübinger Ministerien direkt stattfinden, ohne das Landratsamt dazwischen zu schalten und damit Verzögerungen in Kauf zu nehmen. Drittens berief sich Grünbeck auf die wirtschaftliche Kraft der Stadt und ihre Rolle als ökonomischer und industrieller Mittelpunkt Oberschwabens. 499 Der Antrag der Stadtverwaltung stand zunächst unter einem schlechten Stern. Innerhalb des Staatsministeriums, hier vor allem im Innenministerium, waren Bestrebungen im Gange, die Gemeindeordnung so zu ändern, daß eine Erhebung zur Kreisunmittelbarkeit allgemein erschwert würde, indem man zum Beispiel die Bevölkerungszahl auf 25.000 erhöhte; Friedrichshafen hatte zum Zeitpunkt des Antrags im September 1950 genau 20.507 Einwohner. Vor allem sollte gewissen »Auskreisungsbestrebungen« der größeren Städte entgegengetreten werden, denn das hätte geheißen, daß diese keine Kreisverbandsumlagen mehr zu zahlen gehabt hätten. 500 Hier lagen auch hauptsächlich die Bedenken der Staatsregierung in Tübingen. Denn Friedrichshafen wurden genau solche »Auskreisungsbestrebungen« vorgeworfen und in den Zeitungen, vor allem im »Südkurier«, angeprangert. 501 »Unter diesen Umständen stellt sich zwangsläufig die Frage, ob im Falle einer Erhebung der Stadt Friedrichshafen zur unmittelbaren Kreisstadt der Kreis Tettnang in seiner gegenwärtigen Gestalt •""Bürgermeister Grilnbeck berief sich auf § 4 der Gemeindeordnung für Württemberg-Hohenzollem vom 14.3.1947: »Da nach der bisherigen Übung jedenfalls seit Kriegsende alle Städte unseres Landes mit mehr als 20.000 Einwohnern von der Regierung diese Eigenschaft der Kreisunmittelbarkeit verliehen erhielten, gewissermaßen automatisch, so sind dadurch Präzedenzfälle geschaffen und gewissermassen eine Art von Anspruch aus Gewohnheitsrecht erwachsen.« Dieser Auffassung mochte sich das Staatsministerium nicht anschließen; vgl. StA Sig, WÜ 40, Bd. 27, Bü. 7, Schreiben des Bürgermeisteramtes an Abt. IV des Innenministeriums vom 20.1.1950. Darin eine Zusammenfassung der bisherigen Bemühungen seitens der Stadt um eine Kreisunmittelbarkeit. 4M Ebd., Schreiben vom 9.4.1951. In den fünfseitigen Ausführungen ist deutlich zu spüren, daß Bürgermeister GrUnbeck mit seiner Geduld am Ende war und das Staaatsministerium zu einer endgültigen Entscheidung drängen wollte. 500 Als Vorbild galt diesbezüglich die Gemeindeordnung von Württemberg-Baden, einer Änderung der wUrttemberg-hohenzollerischen Gemeindeordnung hatte das Staatsministerium bereits zugestimmt. Grilnbeck berief sich aber auf seinen Antrag vom Oktober 1950 und somit auf die Gesetzeslage aus dieser Zeit. ""Oberbürgermeister Grünbeck sah sich jedoch bei folgenden Ausführungen falsch interpretiert: »Im Falle einer Kreisunmittelbarkeit der Stadt Friedrichshafen dürfte wohl mit Sicherheit anzunehmen sein, dass der dann noch verbleibende kleine Restteil Tettnang anderen Kreisen zugeschlagen würde und dass dann die Stadt Friedrichshafen im Rahmen eines grösseren und leistungsstärkeren Kreisverbandes nur noch eine wesentlich geringere Kreisverbandsumlage aufzubringen hätte. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, ist deshalb das Problem der Kreisunmittelbarkeit für Friedrichshafen von eminenter wirtschaftlicher Bedeutung.« Schreiben des Bürgermeisteramtes vom 20.1.1950.

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auf die Dauer überhaupt aufrecht erhalten werden kann. Mit seinen 12 kreisangehörigen Gemeinden würde er weit hinter den bisher hinsichtlich der Gemeinde- und Einwohnerzahl kleinsten Kreisen rangieren«, gab das Innenministerium zu bedenken. 502 Außerdem hatte es auch noch ganz prinzipielle Bedenken: »Die Erhebung der Stadt Friedrichshafen (und anderer Städte) zur unmittelbaren Kreisstadt hätte eine weitergehende Zentralisierung der Kommunalaufsicht beim Innenministerium zur Folge«, und diese Tendenz war nicht erwünscht. 503 Am 9. April 1951, genau sechs Monate nach Antragsstellung, machte der Bürgermeister wegen »der unerwartet langen Hinauszögerung einer Beschlußfassung des Staatsministeriums« nochmals ausführlich und vehement seine Position deutlich. 504 Überraschend schnell, nämlich vierzehn Tage später, erhob das Staatsministerium Friedrichshafen zur unmittelbaren Kreisstadt: »Minister Renner bittet das Staatsministerium, die Erhebung von Friedrichshafen zur unmittelbaren Kreisstadt zu beschließen. Diesbezügliche Anträge und Bitten seien dem Innenministerium wiederholt unterbreitet worden. Er glaube, daß die Erhebung der Stadt zur unmittelbaren Kreisstadt angesichts ihrer Bedeutung angezeigt erscheine und halte die Eröffnung der zweiten IBO-Messe (Internationale-Bodensee-Messe) für einen gegebenen Anlaß, Friedrichshafen dieses Geschenk zu überreichen. Staatspräsident Dr. Müller weist auf die Aushöhlung des Kreises Tettnang durch diese Maßnahme hin, erklärt aber unter Zurückstellung gewisser Bedenken, welche auch die Organisation der Stadtverwaltung betreffen, sein Einverständnis zu dem Antrag des Innenministeriums«, so in der Niederschrift der Sitzung des Staatsministeriums. 505 Damit trat Friedrichshafen gleichberechtigt in den Kreis der Städte Ravensburg, Reutlingen, Schwenningen und Tübingen. 5 0 6 Eine weitere Gebietsreform nach 1945 Im Jahre 1955 beabsichtigte die Staatsregierung von Baden-Württemberg, den Kreis Tettnang aufzulösen und in den Kreis Ravensburg einzugliedern. Ziel der Regierungsvorlage war es, eine verkehrsmäßig und wirtschaftlich sinnvolle Neuordnung zu schaffen. Diesen Plänen wurde aus dem ganzen Kreis Tettnang massiver Widerstand entgegengesetzt. »Dabei zeigte sich, daß alle Vertreter des Kreises Tettnang und seiner maßgeblichen Organisationen völlig einmütig gegen eine Auflösung Stellung bezogen und ihre ablehnende Haltung vor allem mit der Wirtschaftskraft ihres Kreises

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Ebd., WÜ 40, Bd. 27, Bü. 7, Innenministerium vom 27.2.1951. Ebd. Material zur Prüfung des Antrags der Stadt Friedrichshafen auf Erhebung zur unmittelbaren Kreisstadt, Abt. IV des Innenministeriums vom 27.2.1951. ^ E b d . , Schreiben vom 9.4.1951. 305 Ebd., Niederschrift Uber die 210. Sitzung des Staatsministeriums Tübingen am 23.4.1951; Schreiben des Innenministeriums an das Landratsamt Tettnang vom 7.6.1951, Bekanntmachung im Reg.Bl. vom 11.5.1951. Vgl. auch die Berichterstattung der SZ vom 28.4.1951 (jeweils der Tettnanger und Friedrichshafener Lokalteil). Aufsichtsbehörde für die Stadtverwaltung wurde nun das Innenministerium, weshalb das Landratsamt alle Akten betreffs der bisherigen Gemeindeaufsicht an das Ministerium abzugeben hatte. Dies betraf auch die Stiftungsunterlagen, allerdings wurde die Aktenübergabe »zeitlich begrenzt auf die seit der Währungsreform angefallenen Akten«; vgl. Schreiben des Innenministeriums vom 7.6.1951. 306 Die Erhebung Friedrichshafens (sowie Tuttlingens) zur unmittelbaren Kreisstadt steht in Zusammenhang mit der neuen Kreisordnung, während die anderen vier Städte aufgrund der neuen Gemeindeordnung diesen Status erhielten. 303

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und seiner sich daraus ergebenden, gegenüber anderen in Frage gestellten Kreisen überdurchschnittlichen Lebens- und Leistungsfähigkeit begründeten«, so Oberbürgermeister Grünbeck in einem Rückblick. 507 Auch die IHK Ravensburg ließ das Argument der Landesregierung nicht gelten, daß der Tettnanger Kreis zu klein und leistungsschwach sei: »Es liegen keine Gründe vor, die die Wirtschaftskraft dieses Kreises [...] und ihre zunehmende Bedeutung in Frage stellen können. Seine Leistungsfähigkeit kann sich durchaus messen mit der anderer Kreise. Den Kreis Tettnang wegen eines angeblich geringen Wirtschaftspotentials aufheben zu wollen, erscheint uns ein Versuch am untauglichen Objekt. Die wirtschaftliche Struktur und die wirtschaftliche Bedeutung dieses Kreises, vor allem auch als Grenzbezirk, erfordert zwingend seine Erhaltung.« 508 Oberbürgermeister und Vertreter der Industrie fanden es im Falle einer Reform auch naheliegender, sich mit dem Kreis Überlingen zu vereinigen, da dieser eher im wirtschaftlichen Einzugsbereich der Stadt Friedrichshafen lag als der Kreis Ravensburg. Dieser Vorschlag kann schon als Vorstufe zur Kreisreform in den frühen siebziger Jahren betrachtet werden. Obwohl die Reformwelle des Jahres 1955 - anders als 1938 - »bald verebbt« war, sollte dieses Kapitel kommunaler Entwicklung damit noch nicht abgeschlossen sein. Eine bis heute letztmalige Umgestaltung erfuhr der Kreis Tettnang mit der Gebietsreform von 1971/72, innerhalb welcher ab Januar 1973 der »Bodenseekreis« aus den Altkreisen Überlingen und Tettnang entstanden ist. Der damalige Landrat Dr. Kurt Dietz 509 formulierte einige Gründe, die gegen eine Gebietsreform sprachen: »Die Reformmacher meinen, die gute Bewältigung der Aufgaben in der Vergangenheit durch die Landkreise - in Kriegs- und Notzeiten, unter fremder Besatzungsmacht, bei Demontagen, Abholzung, Entnahme von wichtigen Wirtschaftsgütern, ebenso in Zeiten guter oder schwankender Konjunktursei keine Garantie dafür, daß die „unbekannten enormen Zukunftsaufgaben" ebenso zufriedenstellend durch die Landkreise mit ihrer bestehenden Struktur gelöst werden können.« 510 Hatte es 1955 noch massive Proteste und Demonstrationen gegen eine Reform gegeben, die nach Meinung des Landrats eine angesetzte Kreisauflösung verhinderten, war die Akzeptanz diesmal weitaus höher: »Die Erkenntnis ist nicht neu, daß im Zeitalter der Mobilität Bürger- und Heimatbewußtsein erlahmen und die Marksteine dessen, was man Heimat nennt, weit hinausgeschoben worden sind. Bei der Neueingliederung von Verwaltungsräumen kommt es dem Bürger offensichtlich mehr auf die Zweckmäßigkeit an. [...]. Rationelle Zusammenschlüsse sind in der Wirtschaft und in der Industrie längst vollzogen worden. Viel wichtiger scheint dem Bürger zu sein, daß er rasch, gut und billig von seiner Verwaltung bedient wird«, so der Tettnanger Bürgermeister mit verhaltener Kritik in einer ansonsten überwiegend positiven Stellungnahme. 511 Landrat Dietz war auch nicht grundsätzlich gegen eine Reform, '"'Sonderausgabe der SZ »Bodenseekreis« vom 20.12.1972. 508 IHK Ravensburg an den Innenminister am 9.5.1955, zitiert von Oberbürgermeister Grünbeck in der Sonderausgabe der SZ vom 20.12.1972. 509 Dr. Kurt Diez war vom 1.1.1957 bis 31.1.1972 Landrat des Kreises Tettnang und starb 59jährig im April 1974, vgl. SZ vom 9.4.1974 und Wieland, Amtsträger der Stadt Friedrichshafen. ''"Sonderausgabe der SZ vom 20.12.1972. 51 'Auch einen kleinen Seitenhieb konnte sich der Bürgermeister nicht verwehren: »Menschliche Klüfte und Unterschiede der Mentalität gab es nicht zu Uberwinden. Wie es mit der bei festlichen Anlässen so oft beschworenen heimatlichen Verbundenheit und Tradition bestellt ist, dafür lieferte die Gemeindereform da und dort einen aufschlußreichen Anschauungsunterricht, wo für ein Linsengericht, deutlicher gesagt für das Zugeständnis einer Turn-, Schwimm- oder Festhalle, alte Bindungen von heute auf morgen aufgegeben wurden«, ebd.

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I. Vom Krieg zum Frieden

sondern eher gegen einzelne Faktoren. So hielt er angesichts der Finanzlage im Land den Zeitpunkt für ungünstig und eine Vereinfachung der Verwaltungsstrukturen durch eine bloße Gebietsvergrößerung noch nicht für gewährleistet. Auch hätte er sich eine Volksbefragung vor der Durchführung gewünscht: »Nach dem„Denkmodell", das ein rasches Staatsbegräbnis gefunden hat, war ja der Anschluß an Ravensburg zusammen mit Wangen vorgesehen. Rein gefühlsmäßig, so meine ich, hätte das die Mehrzahl unserer Bevölkerung vorgezogen, weil seit alters her dorthin die engeren Beziehungen laufen. Es hätten auch keine psychologischen Barrieren überwunden werden müssen.« Nach diesem Modell wäre der Kreis Überlingen zu Konstanz und Stockach gekommen, »da hätte es keine psychologischen, historischen oder landsmannschaftlichen Barrieren gegeben«. Von Nachteil wäre aber gewesen, daß die Städte Friedrichshafen und Überlingen durch ihre Randlage an politischer Bedeutung verloren hätten. Deshalb kam der Landrat zu dem Schluß, daß die Lösung namens Bodenseekreis das kleinere Übel und für beide Kreise von Vorteil sei. Der Tettnanger und Überlinger Kreistag stimmten dann auch mit großer Mehrheit für die Zusammenlegung. Sitz des neuen Kreises wurde, wie schon in den Jahren 1938 bis 1945, die Stadt Friedrichshafen. 512

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In der Stadt Friedrichshafen lebten ein Drittel aller Bewohner des neuen Bodenseekreises, und von insgesamt 26.300 Industriebeschäftigten im Kreisgebiet hatten dort nahezu 20.000 ihren Arbeitsplatz, ausführlich dazu ebd. Eine überwiegend positive Beurteilung fand die Kreisreform auch zehn Jahre später; vgl. Sonderbeilage SZ/«Südkurier« zur Festsitzung des Kreistages am 17.1.1983.

Π. Prüfstein Demokratie

Auf der Konferenz von Potsdam im Juli und August 1945 formulierten die Alliierten politische und wirtschaftliche Grundsätze zur Behandlung Deutschlands. Sie waren auch für Frankreich verbindlich, obwohl es nicht an der Konferenz teilgenommen hatte. Politisches Ziel war »die endgültige Umgestaltung des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Grundlage« 1 . Die Mittel dazu sollten die bekannten »vier D's« sein: Neben der Dezentralisierung von Wirtschaft und Verwaltung Demilitarisierung, Denazifizierung sowie Demokratisierung der Gesellschaft. Um die beiden letzten Punkte wird es im folgenden gehen. Da »bis auf weiteres« 2 keine zentrale Regierung eingerichtet werden sollte, kam dem politischen Leben auf Gemeinde-, Kreis- und Landesebene eine große Bedeutung zu. Die Deutschen, bislang nicht zu einer demokratischen Staats- und Gesellschaftsform fähig, sollten zuerst auf lokaler Ebene Demokratie »lernen« und beweisen, daß »eine schließlich friedliche Mitarbeit Deutschlands am internationalen Leben« 3 in der Zukunft möglich sei. In einem »Aufruf zur tatkräftigen Mitarbeit« von Landesdirektor Fritz Ulrich (Württembergische Landesverwaltung des Innern) im Oktober 1945 wurde die Bevölkerung beschworen, am Wiederaufbau eines demokratischen und sozialen Staates mitzuhelfen und »an die alte schwäbische Tradition« anzuknüpfen. 4 Mit Genugtuung hätten besonders die Schwaben aus der Proklamation von Potsdam vernommen, »daß das deutsche Volk sein demokratisches Selbstbestimmungsrecht zurückerhalten soll.« Die Landesdirektion warnte vor den Gefahren des politischen Extremismus und der mehrheitlichen Verweigerung in der Bevölkerung, am politischen Aufbauwerk aktiv teilzunehmen, eine Sorge, die auch von den Franzosen geteilt wurde. Zum Zeitpunkt des Aufrufs hinkte die französische Zone beim Aufbau neuer Institutionen bereits den drei anderen Zonen nach. So gab es in der SBZ Parteien auf Zonenebene und Länderregierungen; Amerikaner und Briten ließen im Spätsommer 1945 Parteien zu 5 , wogegen dies in der FBZ erst im Frühjahr 1946 möglich wurde.

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»Aus der amtlichen Verlautbarung über die Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945, §3, in: Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 5., neu bearb. Aufl., Opladen 1983, S. 460. Siehe auch Wolfgang Benz, Potsdam 1945. Besatzungsherrschaft und Neuaufbau im Vier-Zonen-Deutschland, München 1986. Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik, S. 461, § 9 des Potsdamer Abkommens. Benz, Potsdam 1945, weist auf einen Übersetzungsfehler im offiziellen deutschen Text hin, in dem »eine eventuelle friedliche Mitarbeit« festgehalten wurde. Dieser offiziellen Übersetzung folgt u.a. Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik, S. 460, §3 des Potsdamer Abkommens. »Seeblatt« vom 6.10.1945. Im August 1945 gründete sich z.B. in Karlsruhe ein Ortsverein der SPD, in Stuttgart im September die DVP, und in Mannheim gab es im November bereits drei Parteien. Siehe dazu Wolfrum, Besatzungspolitik, v.a. das Kapitel »Verzögerte Parteienzulassung: Der französische „dritte Weg" zwischen den Siegermächten«, S. 68ff.; ders. u.a., Krisenjahre und Aufbruchszeit, S. 82ff.; Der deutsche Südwesten zur Stunde Null. Zusammenbruch und Neuanfang im Jahr 1945 in Dokumenten und Bildern, hrsg. vom Generallandesarchiv Karlsruhe, bearb. von Hansmartin Schwarzmaier, Karlsruhe 1975, S. 209.

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II. Prüfstein Demokratie

Trotz der vielbeklagten Abschnürung der französischen Zone 6 und der abweichenden französischen Besatzungspolitik7 wird zu zeigen sein, daß es sehr wohl positive und fruchtbare Ansätze für eine breit angelegte Umgestaltung des gesellschaftlichen Lebens gab. Zwar erfolgte die Wiederzulassung politischer Parteien relativ spät, dies läßt aber nicht den Schluß zu, daß auf demokratische Mitwirkungsmöglichkeiten der Bevölkerung zugunsten einer ausbeuterischen Wirtschafts- und Reparationspolitik verzichtet worden wäre. Besonders bei der Konzeption einer umfassenden, individuellen Entnazifizierung, bei der Gründung der Gewerkschaften oder auch im Bildungsund Kulturwesen gab es konstruktive Neuansätze. Eine stark föderativ ausgerichtete französische Besatzungspolitik, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit keine länderübergreifenden politischen Instanzen erlaubte, macht es schwer, allgemeingültige Aussagen über die Entwicklung in der FBZ zu machen. Gerade deshalb ist es wichtig, sich anhand lokaler und regionaler Untersuchungen der Nachkriegsrealität zu nähern. Erst mit der Neueinteilung der Länder und der Einrichtung zentraler Instanzen auf Zonenebene fand diese erste, oft als chaotisch beschriebene Phase französischer Besatzungspolitik ihr Ende.

1. Parteien 1.1. Parteienbildung, Parteienlandschaft Während bei der Untersuchung zum Aufbau der deutschen Stadt- und Kreisverwaltung bereits nach der personellen Besetzung der Ämter und nach Zielen und Aktivitäten der Funktionsträger gefragt sowie die Installierung von demokratischen Gremien beschrieben wurde, blickt dieses Kapitel in die Gründungsphase der Parteien. Darüber hinaus soll ihre Verankerung in der lokalen Gesellschaft und die Entwicklung des Wählerverhaltens bis Ende der sechziger Jahre betrachtet werden. Inwiefern sind Kontinuitäten und Brüche im Parteiensystem feststellbar, wie sah das Demokratieverständnis der Wählergruppen aus, und welche Rolle spielte dabei die französische Besatzungsverwaltung? »In ganz Deutschland sind alle demokratischen politischen Parteien zu erlauben und zu fördern«8, lautet eine der Bestimmungen des Potsdamer Abkommens. Mit der Verordnung Nr. 23 vom 21. Dezember 1945 kam die französische Militärregierung zumindest formal dieser Forderung nach.9 Aber erst mit der Zulassung der Sozialdemokratischen Partei (SP), der Christlich-Demokratischen Union (CDU) 1 0 und der Kommunistischen Partei (KP) durch die Verfügungen Nr. 11, 12 und 13 der Militärregierung in Tübingen vom 18. März 1946 wurde die Verordnung Nr. 23 in die 6 7

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Vgl. Morsey, Die Bundesrepublik Deutschland, S. 13. Abweichungen sind besonders in den Bereichen Demokratisierung, Entnazifizierung, Wirtschaft und Fliìchtlingswesen festzustellen. Potsdamer Abkommen § 9 nach Ellwein, Regierungssystem der Bundesrepublik, S. 460. JO Nr. 9, Verordnung Nr. 23 und Verfügung Nr. 26 vom 21.12.1945. Zur Gründung und regionalen Entwicklung der CDU siehe Winfried Becker, CDU und CSU 19451950. Vorläufer, Gründung und regionale Entwicklung bis zum Entstehen der CDU-Bundespartei, Bergisch-Gladbach 1987. Zur Parteigründung in der F B Z bzw. Baden vgl. Wolfrum u.a., Krisenjahre und Aufbruchszeit, S. 91ff.

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Praxis umgesetzt. Die DVP bekam die Gründungserlaubnis am 19. Juli 1946." Damit vollzog die französische Besatzungsverwaltung als letzte der vier Zonen die Vorgabe von Potsdam. Geeint waren die Alliierten in dem Willen, eine Zersplitterung des Parteiensystems wie in der Weimarer Republik zu verhindern, weshalb zunächst nur vier Parteien zugelassen wurden: neben SP(D), CDU und KP(D) noch eine Partei als Vertretung des liberalen Spektrums 12 . Alle Siegermächte vermieden Experimente und lizenzierten ausschließlich Parteien, deren Wurzeln in die Weimarer Republik zurückreichten. 13 Dieser Rückgriff grenzte antifaschistische Ausschüsse, Bürgerräte oder Arbeitnehmervertretungen aus, die sich eine stärkere Teilhabe am politischen Wiederaufbau erhofft hatten. 14 Wie überall wurden jedoch auch in der FBZ überparteiliche Gruppierungen schon bald nach Kriegsende aufgelöst oder in ihren Organisationsmöglichkeiten eingeschränkt. 15 Die Wieder- oder Neugründung von Parteien unterlag in allen Besatzungszonen einer Genehmigungspflicht durch die Besatzungsbehörden. Eine Lizenzierung kam nach dem Willen der Alliierten zunächst nur auf lokaler und regionaler Ebene in Frage 16 , wobei die Franzosen sich am stärksten gegen nationale Organisationen und Parteien aussprachen. Sie sahen in zentralstaatlich ausgerichteten Gremien eine Gefährdung ihres Dezentralisierungskonzeptes. 17 Voraussetzungen für eine Parteiengründung waren ein demokratisches Programm und nationalsozialistisch unbelastete Vorstände. Diese Bedingungen wurden jedoch in der Praxis - vor allem nach dem Wegfall der Lizenzierungspflicht - oft moderat ausgelegt und durchbrochen. Die erste lizenzierte Partei in Friedrichshafen und im Kreis Tettnang war die »Sozialdemokratische Partei Württembergs«, welche am 7. April 1946 ihre Gründungsversammlung für einen Ortsverein im Gasthof zum »Hecht« abhielt.18 Anton Sommer, sozialdemokratischer Vertreter im Gemeinderatskomitee, hielt vor etwa hundert Gästen die einleitende Rede und begrüßte im besonderen den Vertreter der französischen Militärregierung, Leutnant Bouquet. Die obligatorische Anwesenheit eines Kontrolloffiziers bei politischen und gewerkschaftlichen Veranstaltungen war Ausdruck des Mißtrau11

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Uwe Dietrich Adam, Parteien und Wähler, in: Gögler u.a., Das Land Württemberg-Hohenzollem 1945-1952. Darstellungen und Erinnerungen,Sigmaringen 1982, S. 125-156, hier S. 127ff. Die liberalen Landesverbände mit verschiedenen Parteinamen (DVP, LDP, FDP) schlossen sich im Dezember 1948 in Heppenheim zur FDP zusammen. Siehe dazu u.a. Dieter Hein, Zwischen liberaler Milieupartei und nationaler Sammlungsbewegung. Gründung, Entwicklung und Struktur der Freien Demokratischen Partei 1945-1949, Düsseldorf 1985. Die Landesverbände der CDU schlossen sich erst im Oktober 1950 in Goslar zusammen. Einen Überblick bietet Hans Funke, Deutsche Parteiengeschichte, Paderborn 1994, Kap. IX. Die Wiedereinführung des Verhältniswahlrechts bedeutete ebenfalls eine Anbindung an die Weimarer Republik, allerdings sollten die negativen Auswirkungen behoben werden. Zu diesem Thema liegen für (Süd)baden zahlreiche Untersuchungen vor, für Sudwürttemberg besteht noch Nachholbedarf. Im Kreis Tettnang gab es in der unmittelbaren Nachkriegszeit »Arbeiterkreise«, die am politischen Aufbauwerk teilnehmen wollten, siehe dazu auch Kapitel II.2. Vgl. u.a. Niethammer u.a., Arbeiterinitiative 1945. Als lokales Beispiel siehe die Untersuchung der Verfasserin: Die Demokratische Vereinigung 1945-1946. Eine Studie zur Nachkriegsgeschichte am Beispiel Tübingens (Kleine Tübinger Schriften 20), Tübingen 1997. Alle Besatzungsmächte verfolgten angesichts der deutschen Vergangenheit mißtrauisch die Parteiengründungen, allen voran die Franzosen, weshalb es zu erheblichen Verzögerungen bei überzonalen Zusammenschlüssen kam. Vgl. Eckhard Jesse, Parteien in Deutschland. Ein Abriß der historischen Entwicklung, in: Alf Mintzel/Heinrich Oberreuter (Hrsg.), Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, 2. akt. u. erw. Aufl., Bonn 1992, S. 41-88, hier S. 70. Wolfrum, Französische Besatzungspolitik, S. 70. AdO, c. 1181, p. 11.

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ens und des Wunsches nach umfassender Information. Ernst Höse, der zum Zweiten Vorsitzenden gewählt wurde, referierte über die Ziele der SPD. Nach einer »regen Diskussion über aktuelle Fragen« und einer programmatischen Festlegung bei den Themen »Wiederaufbau Deutschlands« und »Sicherung eines dauerhaften Weltfriedens« wurde der Vorstand einstimmig berufen. Zum ersten Vorsitzenden wählten die Mitglieder den Werkmeister Anton Sommer, Aktivist auch in der Gewerkschaft Eisen und Metall, seit 1919 in der Partei und vor 1933 als Schriftführer im Vorstand. Zweiter Vorsitzender wurde der Konstrukteur Ernst Höse, Jahrgang 1909 und ebenfalls vor 1933 SPD-Mitglied.19 Die Kasse verwaltete Jakob Röll, der schon 1920 Kassierer im Ortsverein gewesen war. Zum Schriftführer wurde Karl Flösser, Gemeinderat ab 1948 und Gründungsmitglied der Nachkriegsgewerkschaften, gewählt. Auch er war bis 1933 aktiv in der Arbeiterbewegung tätig gewesen und hatte wie Höse während der NS-Herrschaft unter Repressionen zu leiden gehabt. Flösser war von 1933 bis 1936 wegen aktiven Widerstandes in Haft.20 Als Beisitzer wurden gewählt: der Schmied bzw. ab 1948 Werkmeister Jakob Müller, ebenfalls Verfolgter in der NS-Zeit und Gründungsmitglied der VVN Friedrichshafen21; Matthäus Wagner, Eisendreher und gleichfalls Verfolgter, wurde bereits biographisch vorgestellt; Jakob Braun, Vorsitzender der Friedrichshafener USPD von 1918 bis 1922 und SPD-Vorsitzender bis 1928, war nach Kriegsende nicht mehr als Gemeinderat tätig;22 Otto Legier, geboren 1905 im Kreis Leipzig, aktives SPD-Mitglied vor 1933 und ehemaliges Mitglied der Revolutionären Sozialisten;23 Dr. Paul Henn, praktischer Arzt in Friedrichshafen.24 Die SPD Friedrichshafen, als sozialdemokratischer Verein 1907 entstanden, hatte trotz hohem Arbeiteranteil in der Bevölkerung zumeist ein kümmerliches Dasein geführt. Ihr bestes Wahlergebnis seit ihrer Gründung bis Ende der sechziger Jahre erreichte sie bei der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919 mit 32 Prozent, das

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Ernst Höse wurde am 14.8.1909 in Arnstadt/Thüringen geboren, war von 1933-1945 in der DAF, von 1942-1945 in der NSV und vor 1933 Mitglied des Deutschen Metallarbeiter-Verbands. Höse war während des Nationalsozialismus zeitweilig inhaftiert, nach ebd. Karl Flösser wurde am 13.11.1913 in Karlsruhe geboren, war Angestellter und bis 1933 aktives Mitglied im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ebenso war er Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend bis zur »freiwilligen Corporation« derselben; vgl. ebd. Karl Flösser wird noch in verschiedenen Kapiteln dieser Untersuchung eine Rolle spielen. Jakob Müller wurde am 2.2.1890 in Gotenheim geboren und arbeitete nach dem Krieg in den Eisenbahn-Betriebswerken. Über ihn wurden vier Jahre Zuchthaus wegen aktiven Widerstandes in der Molt-Endraß-Gruppe verhängt. Vgl. hierzu ebd. und c. 3568 sowie die Festschrift von Gerhard Raichle, SPD 1907-1987, Ortsverein Friedrichshafen, o.O. u. o.J. Jakob Müller war einer von zwanzig Männern und Frauen in Friedrichshafen und im Kreis Tettnang, die 1947 als »bedürftige Anti-Nazisten« finanzielle Unterstützung bekamen. Unter den sieben Frauen und dreizehn Männern befanden sich auch Personen, die als Angehörige von Widerstandskämpfern in Not geraten waren, so z.B. die Witwe von Fridolin Endraß. Drei dieser Personen aus Friedrichshafen nahmen am politischen Wiederaufbau nach 1945 aktiv teil: Neben Jakob Müller noch Karl Kiebler und Otto Weber. Beide waren Vorstandsmitglieder der ersten KPD-Ortsgruppe 1946. Auch Jakob Braun wurde bereits in Zusammenhang mit dem Gemeinderatskomitee vorgestellt. Otto Legier wurde am 19.6.1905 in Groitzsch geboren. Er war Mitglied in der DAF von 1933-1944 gewesen. Nach Einschätzung der französischen Militärregierung galt er als »bekannter Feind der NSDAP«. AdO, c. 1181, p. 11 Dr. Paul Henn, am 1.8.1895 in Surabaja auf Java geboren, war von 1925-1943 Mitglied des DRK und von 1935 bis Juli 1940 Mitglied des »Service de la Défense Passive«. Eine NSDAP-Mitgliedschaft bestand von 1933 bis 1934/35. Er reiste viel und kandidierte 1949 für den Bundestag. Ohne Angabe von Gründen scheint ihm die französische Verwaltung in Tettnang mißtraut zu haben, politisch hielt sie Henn für »unbestimmt« und »zweifelhaft«, ebd und KrA FN, Nr. 1206.

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war fast doppelt so viel wie vor dem Krieg.25 In ihrer wechselvollen Geschichte bis 193326 wurde die SPD-Ortsgruppe bei Wahlen abwechselnd von der KPD (Reichstagswahl 1924) oder dann 1931 bei der Gemeinderatswahl von der NSDAP überrundet.27 In der Stadt Tettnang wurde sozialdemokratische Politik zwischen 1920 und 1933 hauptsächlich von einer kommunalen Wählervereinigung, der »Arbeitsgemeinschaft Tettnang« (AGT)28, vertreten, deren Funktionäre nur zum Teil Mitglieder der SPD waren. Als sich am 25. Mai 1946 ein SPD-Ortsverein konstituierte29, saß kein ehemaliger AGT-Gemeinderat oder AGT-Gemeinderatskandidat im Vorstand.30 Die SPD-Gründung in Tettnang scheint in viel stärkerem Maße ein »Neubeginn« gewesen zu sein als in Friedrichshafen, wo organisatorisch und personell an die Weimarer Republik angeknüpft werden konnte. So wurde der Tettnanger Ortsverein auch nicht von einem Einheimischen gegründet, sondern von Franz Priester, der erst 1945 nach Tettnang gekommen war und in Friedrichshafen in der Zahnradfabrik als Werkmeister arbeitete. Er gehörte dann 32 Jahre dem Gemeinderat an und saß fast die Hälfte der Zeit als einziges Mitglied der SPD im Gremium.31

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Maier, Heimatbuch II, S. 221. Ein weiterer Höhepunkt anderer Art war ihre größte Veranstaltung am 30. August 1925, als die »Sozialistische Bodensee-Internationale« ihr erstes Treffen nach dem Krieg mit ca. 2.000 Teilnehmern in Friedrichshafen feierte, siehe ebd. Zur Geschichte der SPD Friedrichshafen, ihrer Organisationen und Vereine sowie zur personellen Führungsstruktur in der Weimarer Republik vgl. die beiden SPD-Jubiläumsbroschüren von Gerhard Raichle: SPD 1907-1982 und SPD 1907-1987; Maier, Heimathandbuch II, S. 220-224. Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik vgl. in Raichle u.a., Die »ausgesperrte« Geschichte, das Kapitel von Elmar L. Kuhn, S. 125-242. Maier, Heimatbuch II, S. 222: SPD 10,3%, NSDAP 12,9%. Zu Beginn der zwanziger Jahre zerfiel der noch 1919 sehr erfolgreich agitierende Tettnanger SPDOrtsverein. Die wenigen noch verbliebenen Mitglieder gründeten 1920 die AGT, die bis 1933 einen SPD-Ortsverein ersetzen mußte. Die AGT »stellte wegen ihrer Mitgliederzusammensetzung eine Besonderheit nicht nur in der Geschichte der Arbeiterbewegung Tettnangs, sondern auch darüber hinaus dar.« Ihr gehörten folgende Organisationen an: Arbeiterbildungsverein, katholischer Arbeiterverein, christliche Bauhandwerker, christlicher Holzarbeiterverband, freier Holzarbeiterverband, Zentralverband der deutschen Kriegsbeschädigten, Sozialdemokratischer Verein, Ortsgruppe der U.S.P., Arbeiter-Männerchor „Frohsinn". Die Allianz zerbrach 1922, die Rumpf-AGT betrieb danach eine kompromißlosere SPD-Politik. Bei den Gemeinderatswahlen 1931 erhielt die AGT 10,1%. Andreas Fuchs, Die Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung in der Oberamtsstadt Tettnang 1866 bis 1933, hrsg. v. Bürgermeisteramt Tettnang (Veröffentlichungen des Stadtarchivs 5), Tettnang 1992, S. 27f und S. 44; Vgl. auch die Festschrift: 125 Jahre SPD in Tettnang 18701995, hrsg. vom SPD-Ortsverein Tettnang, Tettnang 1995. AdO, c. 1181, p. 11. Der Antrag zur Gründung ist auf den 19.1.1946 datiert, nach der Festschrift: 125 Jahre SPD in Tettnang. Vorstand des SPD-Ortsvereins Tettnang 1946: Wilhelm Beck, Karl Huber, Engelbert Ziegler, Karl Messmer, Pius Riedle (AdO, C 1181, Nr. 11). Zu den Gemeinderatskandidaten der AGT in der Weimarer Republik siehe Fuchs, Die Entwicklung der sozialdemokratischen Bewegung in der Oberamtsstadt Tettnang, S. 44-46. Der Schlosser Franz Priester wurde am 17.6.1909 in Neustadt/Pfalz geboren, war Mitglied der Sozialistischen Arbeiterjugend und befand sich fast fünf Jahre lang in 12 europäischen Ländern auf Wanderschaft. Er war zeitweise auch stellvertretender Bürgermeister in Tettnang und Mitglied im Kreistag, vgl. 125 Jahre SPD in Tettnang.

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Eine Woche nach der Gründung einer SPD-Ortsgruppe Friedrichshafen, am 14. April 1946, konstituierte sich - diesmal zuerst auf Kreisebene - die CDU 32 sowie eine Ortsgruppe der KPD in Friedrichshafen. Das Zentrum als politische Vorgängerin der CDU mußte in Stadt und Kreis zu keiner Zeit um die Gunst der Wählerschaft bangen. Hatte es vor dem Ersten Weltkrieg stets um die sechzig Prozent Stimmenanteil erreicht, sank sein Anteil in der Weimarer Republik allerdings bis auf vierzig Prozent. 33 Bis 1928 war die Hälfte der zwanzig Ratssitze mit Zentrumsmitgliedern besetzt. Rückhalt fand die Partei auch in der einzigen Zeitung am Ort - dem konservativen und zentrumsnahen »Seeblatt« - und in der katholischen Kirche. Josef Mauch, Parteivorsitzender von 1923 bis 1933 und gegen Ende der Weimarer Republik auch Fraktionsvorsitzender, hatte nach 1945 als kommissarischer Bürgermeister großen Einfluß auf das Nachkriegsgeschehen im Kreis Tettnang und war Mitbegründer der CDU. Am 6. Januar 1946 war ein Komitee zur Gründung der Landes-CDU gebildet worden. Dessen Vorsitzender Dr. Weiß aus Sigmaringen warb in einem Rundschreiben vom 25. Januar in allen siebzehn Landkreisen für einen raschen Wiederaufbau der Kreis- und Ortsverbände. Treibende Kraft war nun der ehemalige Zentrumsaktivist Vinzenz Freudenreich. Freudenreich, Werkmeister bei den Stadtwerken in Friedrichshafen und Leiter des Roten Kreuzes, teilte bereits am 3. Februar Dr. Weiß mit, daß er auf einer Sitzung am 10. Februar 1946 die Gründungsphase einleiten und vorantreiben werde. Am 9. März trat dann erstmals ein vorbereitender Ortsausschuß zusammen; am 28. März beschritt Freudenreich mit einem Antrag auf Gründung eines CDU-Ortsverbandes den formalen Instanzenweg über Bürgermeisteramt und Militärregierung. Eine für den 27. April anberaumte Gründungsversammlung mußte verschoben werden, da die Genehmigung der Militärregierung auf sich warten ließ. Am 4. Mai 1946 war es dann soweit. Für den Vorstand wurden neben Freudenreich, der bis 1957 Vorsitzender der Ortsgruppe Friedrichshafen blieb, folgende Mitglieder bestimmt: die Ingenieure Konstantin Schmäh und Gustav Burr, Kaufmann Bernhard Lieb, der ab November 1946 bis 1952 Abgeordneter in der Beratenden Landesversammlung bzw. des württembergischen Landtages war, und der Mühlenbesitzer Alfons Brugger aus Meistershofen. Die Gründung hatte Konsequenzen für das Gemeinderatskomitee. Während alle vier Zentrumsmitglieder in die CDU eintraten, weigerten sich zwei von drei Ersatzleuten, diesen Schritt zu vollziehen. Sie wurden durch ein CDU-Mitglied ersetzt. Bewußt kam hier ein Protestant zum Zuge, um den überkonfessionellen Charakter der neuen Partei zu demonstrieren. Vinzenz Freudenreich war inzwischen auch für den fünfköpfigen Vorstand des Kreisverbandes nominiert worden. Kreisgouverneur Ulmer charakterisierte ihn als ruhig und hilfsbereit, wodurch er großen Einfluß in der Stadt ausüben würde. 34 Der Kreisverband hielt bereits am 15. April 1946 seine Gründungsversamm32

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Bis zum 6.1.1946 »Zentrum«. Die folgenden Ausführungen fußen, soweit nicht anders angegeben, auf einem unveröff. Manuskript von Stadtarchivar Wieland zur Entstehung der CDU-Ortsverbände in Friedrichshafen und Fischbach 1946. Anders als bei der SPD liegen zur lokalen CDU-Geschichte keinerlei Jubiläums- oder sonstige Broschüren vor. Vermutlich befindet sich auch ein Großteil der Quellen zur Parteiengeschichte noch in privatem Besitz, so daß diese einem wissenschaftlichen Zugriff entzogen sind. Im März 1919 vollzog nach Ansicht der Lokalpresse das Zentrum »den Wandel von der Honoratiorenpartei zur Mitgliederpartei«, den das »Seeblatt« vom 20. März als Neuorganisation und »Schaffung einer förmlichen Zentrumspartei in hiesiger Stadt« würdigte. Bis 1918 hatte der Katholische Männerverein unter dem Ehrenpatronat der katholischen Stadtpfarrer die Geschäfte des Zentrums geführt; vgl. Maier, Heimatbuch II, S. 217f. AdO, c. 3568 vom 2.3.1948.

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lung in Tettnang ab. Erster Vorsitzender der K r e i s - C D U war Hans R ö s c h aus Tettnang. Er wurde A n f a n g 1947 v o n Adolf Locher abgelöst, den Gouverneur Merglen w i e folgt charakterisierte: »Locher est le type du membre ou votant C D U du Cercle: paysan solide, travaillant, l u i - m ê m e sa petite propriété d'une douzaine d'hectares, très croyant, ayant une famille de 7 enfants, né dans sa ferme o ù il mourra, très respectueux du curé de village qui est son conseiller en toutes affaires.« 3 5 B i s z u m Herbst 1946 erfolgten weitere Parteiengründungen v o n C D U und S P D in den Kreisgemeinden. 3 6 D i e K P D Friedrichshafen, erst seit 1925 an Gemeinderatswahlen beteiligt, hatte, w i e der Historiker Michael Holzmann treffend formuliert, »ihre größten Erfolge [...] zu einer Zeit, als e s sie n o c h gar nicht gab.« 3 7 D a s war in der Umbruchszeit v o n 1918, als Stuttgarter Spartakisten zu ersten Demonstrationen aufriefen. Extremer noch als bei der S P D , von deren 3 2 Gemeinderatskandidaten A n f a n g der dreißiger Jahre nur einer in Friedrichshafen geboren worden war, hing die Initiative zur Gründung und Führung der K P D v o n zugereisten und lokal nicht verwurzelten Persönlichkeiten ab. Ludw i g Reinhardt, der Gründer (Juni 1919) und erste Vorsitzende der kommunistischen Ortsgruppe in Friedrichshafen, verließ schon nach drei Monaten wieder die Stadt. D i e Gründung der K P D i m Jahre 1946 ging hauptsächlich von d e m Mechaniker und Eisenbahngewerkschafter Fritz Beckert s o w i e d e m Dreher Willi S i l f a n g 3 8 aus. Sie wurden auch z u m ersten und zweiten Vorsitzenden gewählt. 3 9 D i e Gründungsversammlung fand »zunächst i m kleineren Kreis« ehemaliger Mitglieder und Sympathisierenden statt. Vier der A n w e s e n d e n waren während der Zeit des Nationalsozialismus aktiv

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Ebd., Rapport mensuel für Januar 1948 vom 28.1.1948. Ebd., c. 1181, p. 11, CDU: Fischbach 23.6.; Kressbronn 6.7.; Tannau 7.7.; Meckenbeuren 13.7.; Oberteuringen und Kehlen 14.7.; Ailingen 21.7.; Langnau 28.7.; Langenargen 3.8.; Neukirch 21.8.; SPD: Kressbronn (o.D.); Langenargen 10.8.; Die Quellen enthalten Angaben zu den jeweiligen Vorständen (Name, Beruf, Geburtsdatum, Wohnort). Michael Holzmann, in: Maier, Heimatbuch II, S. 224. Silfang wurde am 1.5.1897 in Vöglisheim/Baden geboren und war sowohl in der Gewerkschaftsbewegung als auch im KRUA als Beisitzer aktiv. Zum Zeitpunkt der Parteiengründung arbeitete er in der Zahnradfabrik, vgl. StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 612. Weitere Vorstandmitglieder waren: 1. Kassier Heinrich Schnautz, geb. am 22.2.1903 in Herne, von 1929 bis 1932 Arbeiter bei der Deutschen Reichsbahn, seit 1933 Werkzeugmacher bzw. Werkmeister beim Maybach-Motorenbau. Vor 1933 Gewerkschafts-, jedoch kein KPD-Mitglied, Mitglied in der DAF und in der NSV, 1944-1945 Volkssturm Friedrichshafen. 2. Schriftführer Wilhelm Schumacher, geb. am 18.12.1904 in Friedrichshafen, seit 1932 Dreher bei den Maybach-Werken. Vor 1933 kein KPD-Mitglied, jedoch Mitglied der Freien Gewerkschaften, DAF 1933-1945. Zu Beisitzern wurden gewählt: 1. Otto Weber, geb. am 19.4.1909 in Furtwangen, 1934-1945 Kontrolleur, nach Kriegsende Kraftfahrer beim Maybach-Motorenbau. Vor 1933 KPD-Mitglied, inhaftiert vom 20.11.1933 bis 22.1.1934, danach mehrmals kurze Haftzeiten. Mitglied in der DAF, 1934-1936 Mitglied im DRK. 2. Max Bayer (in den Quellen heißt es z.T. irrtümlich Bader), geb. am 14.7.1914 in Heidenheim, 1929-1933 Lehrling bei der Firma Voith, seit 1933 Kontrolleur in der Zahnradfabrik Friedrichshafen, vor 1933 in keiner Partei Mitglied. 3. Karl Kiebler (z.T. irrtümlich als Kübler zu finden), geb. am 1.9.1897, Gewerkschafts- und KPD-Mitglied vor 1933, vom 11.3.1933 bis 22.8.1934 im KZ Heuberg, Mitglied der DAF. 4. Johann Huber, geb. am 19.12.1911 in Frontenhausen/Nordwürttemberg, von 1936-1939 Baggerführer, 1941-1945 Schweißer beim Luftschiffbau Zeppelin, nach Kriegsende wieder Baggerführer bei der Firma ZUblin. Vor 1933 in keiner Partei vertreten. Nach KrA FN, Nr. 6210, Politische Parteien 1946-1949, Bericht über die Gründungsversammlung der kommunistischen Partei am 14. April 1946 vom 18.4.1946 und ebd., Fragebogen der Vorstandsmitglieder, die an die französische Militärregierung zu senden waren, sowie AdO, c. 1181,p. 11.

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in einer Friedrichshafener Widerstandsgruppe tätig gewesen. 40 Darauf verwies Fritz Beckert in seiner Eröffnungsrede, in der er einen Überblick über die Entwicklung der Partei und über die illegale Arbeit gab: »Es gibt keine Partei, die schlimmer und schwerer durch das Nazi-Regime unterdrückt und verfolgt wurde, als die Kommunistische Partei. Ihr Prozentsatz an Opfern ist der größte unter den Parteien in Friedrichshafen und beläuft sich auf 60 bis 70%. Die ehemaligen Mitglieder der Partei wurden in Konzentrationslager eingekerkert, hingerichtet und sind zum Teil sogar im Spanischen Bürgerkrieg gefallen.« In Anbetracht der Tatsache, »daß sämtliche Redner, Referenten sowie die gesamten Schulungskräfte der Partei durch das Nazi-Regime total ausgerottet wurden, beschloß man zur Heranbildung neuer Kräfte Schulungsabende abzuhalten«, die mindestens einmal wöchentlich stattfinden sollten. Außerdem bestand Einigkeit darüber, daß für die erste öffentliche Sitzung, anberaumt auf den 17. April, genügend Propaganda gemacht werden müßte. 41 Für eine KPD-Gründung in Tettnang liegt eine Quelle vor, wonach die Ortsgruppe Friedrichshafen den Antrag auf einen »Stützpunkt« in Tettnang stellte. Er ist auf den 5. März 1947 datiert. Die Gründungsversammlung sollte am 16. März stattfinden. 42 Während der Weimarer Republik hatte es keine Ortsgruppe der KPD in Tettnang gegeben, sondern nur Einzelmitgliedschaften, die organisatorisch in die Ortsgruppe der »KPD-Hochburg« Meckenbeuren eingebunden waren. 43 Der Grund für diesen schwachen Organisationsgrad lag in einem hohen Facharbeiteranteil der Friedrichshafener Industriebeschäftigten, der ein traditionelles Klientel der SPD war. Auch die bäuerliche Verankerung von ungelernten, zumeist katholischen Arbeitern bzw. Arbeiterbauern begünstigte nicht die Konstituierung kommunistischer Parteien. Aus dem lückenhaften Quellenmaterial ist ferner noch zu erfahren, daß Josef Rother im Januar 1948 zum KPD-Kreisvorsitzenden gewählt wurde. Er hatte es von allen Parteifunktionären am schwersten, weil ihm die Unterstützung der Militärregierung verweigert wurde. Kreisgouverneur Merglen brachte für Rother keinerlei Sympathie auf, was wahrscheinlich damit zusammenhing, daß die Besatzungsverwaltung um jeden Preis »Ruhe und Ordnung« im Kreisgebiet aufrecht erhalten wollte. Merglen charakterisierte den Kommunisten, wo immer es nur ging, als politischen Störfaktor und ohne Rückhalt in der Bevölkerung. Rothers Stellvertreter Otto Nathen bezeichnete er als Abenteurer und wenig aufgeschlossen. Der Kreisgouverneur war davon überzeugt, daß dieses Zweigespann die Arbeiter aufwiegeln und viel Unruhe im Kreis verursachen würde. Daß er aber nicht grundsätzlich eine antikommunistische Ideologie ver-

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In Friedrichshafen gab es nach Aussage eines Gewerkschafters aus der Friedrichshafener Widerstandgruppe noch mindestens acht Kommunisten und zwei weitere Mitglieder, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Friedrichshafen lebten, vgl. AdO, c. 1181, p. 11. Zu den bekanntesten Opfern des Widerstandes in Friedrichshafen zählt Fridolin Endraß, der aufgrund eines Volksgerichtsurteils am 23.2.1940 enthauptet wurde. Zu der Gruppe gehörte auch der Sozialdemokrat Jakob Müller (1946 SP-Gemeinderat in Friedrichshafen). Müller und Endrass fungierten als Vertrauensleute des im Schweizer Exil lebenden Karl Molt. Siehe hierzu: Formen des Widerstandes im SUdwesten 1933-1945. Scheitern und Nachwirken, hrsg. v. d. Landeszentrale f. pol. Bildung BadenWürttemberg durch Th. Schnabel u. Mitarb. v. Angelika Hauser-Hauswirth, Ulm 1994, S. 46ff. KrA FN, Nr. 6210, Bericht Uber die GrUndungsversammlung. Ebd., Antrag vom 5.3.1947. In Kressbronn wurde etwas früher, am 27.1.1947, das Gesuch um eine GrUndungsversammlung eingereicht. In Langenargen gab es im Januar 1946 einen Antrag auf Gründung einer »antifaschistischen Bewegung „Das neue Deutschland"«, Schreiben des Bürgermeisters vom 23.1.1946. Fuchs, Sozialdemokratische Bewegung, S. 37.

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trat, beweist seine Sympathie für Fritz Beckert, den vorherigen KPD-Kreis Vorsitzenden. So bedauerte er besonders seine Ablösung, da dieser ausgeglichen, arbeitsam und überaus vernünftig gewesen sei. Die Ablösung Beckerts war für Merglen ein Zeichen dafür, daß die Kommunistische Partei vor allem im Industriezentrum von Friedrichshafen eine härtere politische Gangart einschlagen wollte. 44 Als vierte und bald starke Kraft auf kommunaler Ebene kam die Freie Wählervereinigung (FWV) zu den drei Parteien hinzu. Gegründet wurde die FWV von einem Kreis von Bürgern, die mit der bisherigen kommunalpolitischen Entwicklung unzufrieden waren und sich nicht von der CDU vertreten sahen. Hier liegt eine deutliche Parallele zu den Gründungsmotiven in der Weimarer Republik. Im Jahr 192545 hatte sich auf Initiative verschiedener Vereine und getragen von einem durch die Inflation im Jahr 1923 gebeutelten Mittelstand eine »Überparteiliche Wählervereinigung« konstituiert, die bei den Gemeinderatswahlen 1925,1928 und 1931 als »Freie Wählervereinigung« kandidierte. Deren Parteisprecher Frey stammte aus dem Lager der USPD, so daß zumindest auf lokaler Ebene von einer ursprünglichen Linksorientierung ausgegangen werden kann. Aber bereits nach der Gemeinderatswahl von 1928 bildete sie mit der »Bürgerpartei« (im Reich DNVP) und 1931 mit den Nationalsozialisten Arbeitsgemeinschaften, »um Fraktionsstatus zu erlangen und in den Ausschüssen vertreten zu sein.« 46 Bei den Kommunalwahlen von 1925 bis 1931 erhielten die Freien Wähler zwischen 12 und 14 Prozent der Stimmen 47 , nur halb soviel wie nach 1945. Ein Gründungsmitglied 48 und damaliger Neubürger der Stadt sieht den Anlaß für die abermalige Konstituierung der FWV nach Kriegsende darin, daß eine allgemeine Unzufriedenheit herrschte und man verstärkt an den Neuaufbau der Stadt gehen wollte. Als vorderstes Ziel sollte der Schutt in der Stadt beseitigt (»Die Straßen lagen ja bis oben voll!«) und als Material für den Wiederaufbau verwendet werden. Wichtiger dürfte aber gewesen sein, daß das Verhältnis zwischen Stadtverwaltung und Industrie über die Frage der Zeppelin-Stiftung zunehmend problematisch geworden war. »Wir [die Gründungsmitglieder] waren also mit der Auffassung von [Bürgermeister] Mauch nicht mehr zufrieden, wir haben gesagt, es muß einfach jetzt auf deutscher Seite vorangetrieben werden. Und dann haben wir gesagt, so geht es nicht weiter, wir wollen einen neuen Bürgermeister und einen neuen Gemeinderat! [...]. Dann haben wir die FWV gegründet und haben das Bürgertum, das nicht in einer Partei zuhause war, erfaßt. Freie Bürger, freie Wähler, nicht als parteigebundene, sondern die sich in der Tat zusammenschlossen. Wir wollten einen neuen Geist, wir wollten eine neue Politik, und wir wollten einen neuen Bürgermeister!« 49 Zu den Gründungsmitgliedern gehörte 44

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Rother beschrieb er mit ansonsten ungewohnt harten Worten: als bösartig und reizbar, von einer brutalen und radikalen Wesensart. Dadurch hätte er viele Arbeiter gegen sich aufgebracht; vgl. zu dem gesamten Abschnitt AdO, c. 3568, Schreiben vom 28.1.1948. Maier, Heimatbuch II, S. 217. Dem widersprechend wird auf S. 196 die »Konstitution« in das Jahr 1929 gelegt. Da Anmerkungen fehlen, können die Zahlen nicht Überprüft werden. Zu den Freien Wählern in der Weimarer Republik vgl. ebd., S. 196. Ganz so erfolgreich war eine weitere Interessen- und Protestpartei des Mittelstandes nicht: Die »Volksrechtspartei« der Inflationsgeschädigten brachte es 1924 auf 3,1928 auf 8 Prozent. Die Splitterparteien Uberrundeten die zerfallenden liberalen Parteien, und zusammen mit der FWV wurden diese neuen Parteien und Gruppierungen »gewissermaßen zu einer Brücke für den Wechsel der mittelständischen Protestwähler von den bürgerlichen Parteien zu den Nationalsozialisten«. Ebd., S. 220. StadtA FN, Zeitzeugeninterview. Ebd.

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Willi Kaldenbach, späterer Direktor der Metallwerke Friedrichshafen bzw. der Zeppelin-Metallwerke 50 , Oberstudiendirektor Dr. Franz Stütz, der auch Fraktionsführer im Gemeinderat wurde; des weiteren Ingenieur Willi Sohn, Diplomarchitekt Carl Frohn, der Bäckermeister Georg Werdich und der Buchdruckereibesitzer Othmar Gessler. Die drei zuletzt Genannten waren zuvor Mitglieder des Zentrums bzw. der CDU. 51 Vorrangiges Ziel war, für die Bürgermeisterwahl im Dezember 1948 einen Kandidaten zu finden. Mit diesem Anliegen wandte sich der Kreis an Kurt Georg Kiesinger, den man von Vorträgen in Friedrichshafen kannte. Kiesinger war seit 1948 Landesgeschäftsführer der CDU Württemberg-Hohenzollern. 52 Rückblickend erinnert sich ein Beteiligter: »Und dann habe ich zu Kiesinger gesagt, Sie, wir wollen einen neuen Bürgermeister. Der Mann kann ruhig CDU sein, wir sind bürgerliches Lager, wir sind die Bürger von Friedrichshafen, wobei man Bürger also nicht versteht als „hier Bürger", sondern von der Einstellung her. Wir haben Arbeiter bei uns drin, wir haben aber auch Angestellte, wir haben alles drin«. 53 Kiesinger empfahl Dr. Max Grünbeck, der ihm während des Nationalsozialismus aus einer Schwierigkeit geholfen hatte und dem er persönlich verbunden war. Wichtig war den Initiatoren, nach eigenem Selbstverständnis, weniger die politische Grundhaltung des zukünftigen Bürgermeisters, sondern vielmehr Kompetenz in Wirtschaftsfragen. Die Betonung eines Pragmatismus jenseits politischer Ideologien und die Konzentration auf Wirtschaftsfragen war das Evangelium dieser Gruppierungen auch schon in der Weimarer Republik gewesen - eine Losung, die sie meist widerstandslos in die Arme der Nazis getrieben hatte. Als letzte Barriere mußte die Entnazifizierung überwunden werden, »das war auch nicht so einfach«. 54 Grünbeck, der - wie sein Förderer Kiesinger - NS-Parteigenosse gewesen war, wurde im Entnazifizierungsverfahren als passives Mitglied eingestuft und entlastet. Bei der dann folgenden Bürgermeisterwahl erreichte er 72 Prozent der gültigen Stimmen. Dr. Grünbeck symbolisierte für die Bürgerschaft einen Bruch mit allem bisher Dagewesenen, ein Mann, der nicht als Repräsentant einer Partei auftrat, sondern für praktische und unabhängige Kommunalarbeit stand. Seine Neutralität nährte auch die Hoffnung, den Zwist zwischen Stadt und Industrie zu beenden. Im Wahlkampf wurde »auf die Pauke gehauen«, es war der erste Wahlkampf, in dem man vielfältige Mobilisierungsmaßnahmen ergriff. 55 Gezielt sollte die junge Wählerschaft angesprochen werden. »Die Jugend, die ist mit uns gegangen!«, so die Erinnerung des 30

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Willi Kaldenbach, am 4.7.1915 in Höngen-Aachen geboren, arbeitete nach dem Krieg zunächst als kaufmännischer Angestellter in Friedrichshafen und wurde später Geschäftsführer/Direktor der Zeppelin-Metallwerke. FWV-Gemeinderat ab November 1948, Fraktionsführer bis 1993, Mitglied im Kreistag; zweiter Vorsitzender des katholischen Gesamtkirchengemeinderats Friedrichshafen; Gründungsmitglied des Sportvereins »Verein für Ballspiele« (VfB) Friedrichshafen und dessen erster Vorsitzender seit 1948; Bundesverdienstkreuz November 1983; Ehrenbrief für Verdienste um den Sport 1.2.1984. Als Zentrums- bzw. CDU-Mitglieder saßen sie im Gemeinderat bzw. Gemeinderatskomitee; vgl. die Ausführungen in Kapitel 1.4. Kurt Georg Kiesinger, geboren am 6.4.1904, war mit Unterbrechungen von 1949-80 MdB, von 1958-66 Ministerpräsident von Baden-Württemberg und von 1966-69 Bundeskanzler der großen Koalition. Als Kanzler geriet er wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP von 1933-45 und seiner Tätigkeit im »Dritten Reich« zunehmend in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik. StadtA FN, Zeitzeugeninterview. Im ersten Gemeinderat drückte sich diese hier betonte breite Fächerung nicht aus, vgl. Kapitel 1.4. Ebd. Ebd. So wurde z.B. in den neugegründeten Sportvereinen geworben, und wenn ein Bürger die Telefonvermittlung anrief, hörte er als erstes ein begeistertes »Wählt Grünbeck!«.

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Zeitzeugen. Das Konzept war erfolgreich, denn bei der Gemeinderatswahl 1951 verwies die FWV erstmals die CDU auf Platz zwei in der Wählergunst. Die Aktivitäten der ersten, nur auf lokaler Ebene zugelassenen Parteien waren in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf die Nöte des Alltags und die wirtschaftliche Zukunft des Kreises konzentriert: »Als der erste Schock über die totale Niederlage vorüber war, und man sich daran machte, aus den Trümmern notdürftig neues Leben zu schaffen, erwuchs der schon schwer getroffenen Industrie Friedrichshafens aus zwei Wörtern eine tödliche Bedrohung: Demilitarisierung und Reparationen.« 56 Diese Einschätzung, festgehalten in einer Jubiläumsschrift des SPD-Ortsvereins von 1982, teilte auch die CDU. In dem Ziel, die Industrie zu erhalten, bestand ein Konsens über Parteigrenzen hinweg. In diesem Sinne verstand auch der SPD-Gemeinderat Anton Sommer die Zeichen der Zeit: »Wir fühlen uns nicht als Partei, [...] sondern als Vertreter einer Schicksalsgemeinschaft, auf deren Schultern die Zeitfragen und Last der ganzen Gemeinde ruhen.« 57 Zwischen den vier Parteien wurden persönliche Kontakte gepflegt, Freundschaften bestanden auch außerhalb der tagespolitischen Arbeit, wovon die Kommunisten nicht ausgeschlossen waren. 58 »Vorherrschend für alle politischen Geschehnisse und die Umsetzung der Handlungserfordernisse im Friedrichshafen jener Zeit waren insbesondere die informellen und persönlichen Kontakte der verschiedenen Akteure untereinander«, hält Ursula Lemkamp in einer Gesprächsnotiz mit Willi Kaldenbach fest. 59 Gemeinsam widmete man sich dem städtebaulichen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau. Politische Ziele wurden im Gemeinderat und in den Gewerkschaften vertreten - unter jeweils unterschiedlich starkem Einfluß der Besatzungsverwaltung. Zu den Bereichen mit weniger ausgeprägten Handlungsspielräumen gehörten die Wohnraumbewirtschaftung, Entnazifizierung, Industriepolitik sowie Lebensmittelversorgung und Rohstoffbeschaffung. Die anfangs strikt verfolgte Linie, nur vier Parteien zuzulassen, gaben alle drei westlichen Besatzungsmächte in den folgenden Jahren auf. Als Folge der modifizierten Lizenzierungspolitik entstand sowohl im rechten als auch linken politischen Spektrum eine Vielzahl neuer Gruppierungen, Bünde, Vereinigungen und Parteien. So konnte sich in der französischen Zone im Frühjahr 1949 die »stark antidemokratisch geprägte« 60 Partei »Sammlung zur Tat/Europäische Volksbewegung Deutschlands« (SzT/ EVD) 61 gründen, die nach Richard Stöss eine Politik des »Neuen Nationalismus« ver-

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Raichle, SPD 1907-1982, S. 43. Rathaus, GRP vom 28.5.1946, Rede zur Amtseinsetzung von Bürgermeister Mauch. So wurde z.B. der Kommunist Karl Flösser zum Ehrenmitglied des Sportvereins VfB ernannt, StadtA FN, Zeitzeugeninterview. Das schloß aber nicht aus, daß politisch unliebsame Kommunalpolitiker oder Gewerkschafter aus ihren Funktionen verdrängt wurden; vgl. die entsprechenden Kapitel. Lemkamp, Der Wiederaufbau der Stadt Friedrichshafen, Anhang. Richard Stöss, Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklung-Ursachen-Gegenmaßnahmen, Opladen 1989, S. 82. Die SzT war im französisch verwalteten Teil Badens und Württembergs lizenziert, mußte aber wegen der bewußten Separierungspolitik der Franzosen in Baden als EVD auftreten; vgl. ParteienHandbuch: Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945-1980, Sonderausgabe in 4 Bde., hrsg. v. Richard Stöss, Opladen 1986, Bd. 2, »SzT«.

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folgte. 62 Damit ist gemeint, daß diese Partei nicht unbedingt an ideologische Traditionen z.B. des Nationalsozialismus anknüpfte, sondern programmatisch Anschluß an die veränderten Bedingungen in der Nachkriegszeit suchte. Bei der Wahl zum ersten Bundestag im August 1949 gaben die Wähler von Friedrichshafen immerhin fast 6% ihrer Stimmen dieser Partei. 63 Während aber z.B. die »Wirtschaftliche WiederaufbauVereinigung« (WAV) den Einzug in den ersten Deutschen Bundestag schaffte, blieb dies der SzT verwehrt.64 Mit der Bundestagswahl von 1949 gaben die Alliierten ihre Lizenzierungspraxis auf, ihr Einverständnis zur Parteiengründung war nicht mehr notwendig. In den folgenden zehn Jahren verstärkte sich der Trend zur Parteienzersplitterung, wobei im Kreis Tettnang die konservativen bis reaktionären Kräfte gegenüber dem linken Parteienspektrum dominant waren. Besonders im Vorfeld der Bundestagswahl am 6. September 1953 meldeten sich alle politisch aktiven Kräfte, die im Kreisgebiet angesiedelt waren, zu Wort. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich schon eine beachtliche Vielfalt an Klein- und Splitterparteien entwickelt. So gab es einen »Dachverband der Nationalen Sammlung« (DNS), welcher nur einmal bei der Gemeinderatswahl 1953 ein Prozent der Wählerstimmen erhielt. Viele andere Parteien und Gruppen traten entweder nicht zu Kommunalwahlen an oder verschwanden mit ihren Wahlergebnissen in der Bedeutungslosigkeit. Eine Versammlung der »Deutschen Gemeinschaft« (DG) im Juni 1952 löste bei den Besuchern sogar Tumulte aus.65 Für die extremen rechten Parteien gab es im Kreisgebiet keine Basis, trotz prominenter Unterstützung bei Wahlkampagnen. So stellte sich »der große Pionier der deutschen Luftfahrt« und ehemalige Direktor der Zeppelin-Betriebe Hugo Eckener in den Dienst der DG und rief in der »Schwäbischen Zeitung« einen Tag vor der Wahl im März 1952 66 zur Stimmabgabe für die Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung auf: »Ich für meine Person stehe nicht an, mich zu den Bestrebungen der Deutschen Gemeinschaft zu bekennen und wünsche ihr Erfolg bei den kommenden Wahlen«. Ein Jahr später hielt die DG - diesmal unter dem

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Ders., Die extreme Rechte, S. 83. In Bayern (ABZ) wurde im Dezember 1945 die »Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung« (WAV) und in der B B Z im März 1946 die »Deutsche Konservative Partei Deutsche Reichspartei« (DKP-DRP) zugelassen, die Stöss dem »Alten Nationalismus« zuordnet. Die »Alte Rechte« orientiert sich an autoritären oder faschistischen Herrschaftsmethoden zurückliegender Epochen. Zur WAV siehe auch Benz, Neuanfang in Bayern, S. 22ff. StadtA FN, Endgültiges Wahlergebnis der Gemeinde Friedrichshafen bei der Wahl zum ersten Bundestag am 14.8.1949. Stöss, Die extreme Rechte, S. 82f. Ausgelöst wurde der Tumult durch den Aufruf des Versammlungsleiters, die erste Strophe des Deutschlandliedes zu singen, »Schwarzwälder Bote« vom 11.6.1952. SZ vom 8.3.1952 und StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 761. Text der Anzeige: »Deutsche! Wählt die Deutsche Gemeinschaft! Nein zum Marxismus, Nein zur Bonner Steuerschraube, Nein zum Ausverkauf der deutschen Jugend. Gegen Preissteigerungen und Schiebertum, Gegen Besatzungswillkür und Fremdherrschaft, Gegen Entnazifizierung und Morgenthauplan. Ja zur Wiederherstellung Deutschlands, Ja zur Arbeitsbeschaffung und Wiederaufbau, Ja zu sozialer Gerechtigkeit und innerer Ordnung. Das deutsche Volk tritt geschlossen hinter die nationale Opposition. Der SUdweststaat muß der starke Pfeiler eines künftigen freien und einigen Deutschlands werden. Darum wählt die Partei der Nationalen Sammlung!« - Hugo Eckener war - nach Ansicht der französischen Besatzungsverwaltung in Tübingen - »assez docile des partis extrémistes de droite comme de gauche.« In einem Gesamtüberblick Uber die KPD in Württemberg wurde Eckener mit der »Deutschen Sammlung« in Verbindung gebracht, die als eine der »satellites d'obédience communiste« klassifiziert wurde. Daß neben der Kommunistin Wermuth auch der ehemalige Kanzler Joseph Wirth an deren Gründung beteiligt gewesen sein soll, ist allerdings eine kaum haltbare Vermutung. AdO, c. 3568, Bericht der französischen Landesverwaltung vom 20.4.1953.

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Namen »Nationale Sammlung« - eine Wahlveranstaltung in einer Friedrichshafener Weinstube ab. Ein Redakteur der »Schwäbischen Zeitung« verhehlte nicht seinen Unmut über diese Veranstaltung und setzte sich in aufklärerischer Absicht ausführlich mit den dort vorgetragenen Thesen des Generalleutnants der Waffen-SS a.D. Brenner auseinander.67 Im Januar 1955 schickte Kreisgouverneur Valicourt einen Bericht nach Tübingen, in dem es wiederum um die DG ging. 68 Wie in den Jahren zuvor hatte Bürgermeister Dr. Grünbeck deutsche Familien aufgerufen, französische Soldaten zum Weihnachtsfest einzuladen. Ein Aktivist der DG aus dem Kreisgebiet, von dem nur der Name bekannt ist, beschwerte sich wegen dieser undeutschen und »unschicklichen Anbiederung« beim Gemeinderat. 69 Dieser Vorfall schlug hohe Wellen und fand Eingang in die vertrauliche Korrespondenz zwischen der Besatzungsregierung in Tübingen und der französischen Botschaft in Bonn-Bad Godesberg. Mit Sorge wurde für Württemberg-Hohenzollern festgestellt, daß sich die Einladungen für französische Soldaten in deutsche Familien von 1953 bis 1954 nahezu halbiert hätten, was aber in umgekehrtem Falle auch für die Einladung Deutscher in französische Familien galt. 70 Aus französischer Sicht wollte man sich bezüglich der Aktivitäten der DG jedoch nicht beunruhigen. Kreisgouverneur Valicourt sprach ihr jegliche politische Bedeutung ab und war sich sicher, daß sie keine Unterstützung in der Bevölkerung fand: »La „Deutsche Gemeinschaft" en effet, aux élections du 15-11-1953 [Kreistagswahl] n'avait recueilli que 89 voix sur un ensemble de 11.580 votants. Cette lettre ne peut que refléter l'opinion d'une infime minorité de la population.« 71 Auch der Gemeinderat stellte sich eindeutig gegen die Positionen der DG. 72 Auf Landesebene konnte die seit Dezember 1949 in Deutschland aktive DG, die ihre Basis in Süddeutschland besaß, jedoch in Koalitionen mit Vertriebenengruppen Wahlerfolge verzeichnen. 73 Zu den politisch unbedeutenden Gruppierungen gehörte auch eine »Vereinigung der Besatzungsopfer«, welche sich im Mai 1953 in Friedrichshafen konstituierte. 74 Als Vorsitzender fungierte ein ortsansässiger Architekt, dessen Schwiegervater ein ein67

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74

SZ vom 18.8.1953; Zitate Brenners: »Wir sind keine Nachfolgeorganisation der NSDAP«; »Einen Fehler muß man Adolf Hitler zugestehen, den, daß er nicht verstanden hat, den Fallstricken anderer zu entgehen.« Er kritisierte unter anderem die Mitwirkung Deutscher an der Entnazifizierung sowie die deutsche Außenpolitik und propagierte mehr Militarismus filr die »verdorbene« und »schwächliche« Jugend. AdO, c. 3568, Schreiben vom 5.1.1955. Bericht in den »Stuttgarter Nachrichten« vom 4.1.1955. AdO, c. 3568, Schreiben vom 15.1.1955, unter anderem mit einer Namensliste der einladenden Friedrichshafener Familien. Das Thema scheint von den Franzosen bewußt hochgespielt worden zu sein und ließ unbeachtet, daß in Friedrichshafen nicht einmal alle einladenden deutschen Familien einen französischen Gast zugeteilt bekamen. Das Interesse an gegenseitigen Besuchen war auf beiden Seiten nicht mehr vorhanden. Ebd., Schreiben vom 5.1.1955. AdO, c. 3568: Bürgermeister Grünbeck nahm am 21.12.1954 vor dem Gemeinderat eindeutig gegen die Vorwürfe der DG Stellung (»une réponse cinglante«), ebs. der »Schwarzwälder Bote« vom 23.12. und die SZ vom 24.12.1954. Stöss, Die extreme Rechte, S. 88. Die Deutsche Gemeinschaft, von dem früheren CSU-Abgeordneten August Haussleiter in München gegründet, wird dem »Neuen Nationalismus« zugeordnet Die Partei nannte sich »Nationale Sammlungsbewegung« und »nationale Opposition«. In einigen Ländern wurde die DG als Nachfolgeorganisation der »Sozialistischen Reichspartei« (SRP) verboten. Die SRP wurde 1952 als Nachfolgeorganisation der NSDAP verboten. AdO, c. 3568. Die Vereinigung firmierte unter dem Namen »Arbeitsgemeinschaft des Landesverbands Württemberg-Hohenzollern und Baden der Interessengemeinschaft der Eigentümer und Mieter beschlagnahmter Wohnungen«.

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flußreiches NSDAP-Mitglied in Friedrichshafen gewesen war. Stellvertretender Vorsitzender war ein Rechtsanwalt und Stadtrat, Schriftführer ein Ingenieur, beide aus Friedrichshafen. Die Aktivitäten beschränkten sich ausschließlich darauf, alle vier bis sechs Monate eine Versammlung einzuberufen, um Dringlichkeitslisten über die Derequisition von Wohnraum zu erstellen und der städtischen Verwaltung vorzulegen. Nicht ohne Humor stellte Kreisgouverneur Valicourt fest, daß durch die zahlreichen Wohnungsrückgaben in den beiden letzten Jahren dieses einzige Betätigungsfeld stark reduziert worden sei. Eine politische Einordnung war den französischen Dienststellen nicht möglich. Die Mitglieder setzten sich aus allen politischen Parteien außer der kommunistischen zusammen, es konnte kein Einfluß auf das lokale politische Leben festgestellt werden. 75 Das linke politische Lager war im Kreisgebiet - abgesehen von der KPD - organisatorisch nicht verwurzelt, allerdings gab es personelle Verbindungslinien von Friedrichshafen zu regionalen Gruppierungen. So kam zum Beispiel ein Vorstandsmitglied der »Freien Demokratischen Jugend« (FDJ) aus Friedrichshafen. 76 Eine der selten stattfindenden Versammlungen hielt die »Friedensgemeinschaft Friedrichshafen«, organisatorisch eingebunden in das »Westdeutsche Friedenskomitee« in Düsseldorf, im November 1954 ab. Auf der gegen die Pariser Verträge gerichteten Veranstaltung sprach der Atomphysiker Dr. Erich Einsporn aus Ostdeutschland und der Präsident des Westdeutschen Friedenskomitees und Mitglied des Weltfriedensrates Erwin Eckert. 77 Anfang 1955 organisierte laut eines französischen Berichtes der militante Flügel der KPD eine Versammlung gegen die Wiederaufrüstung unter der Leitung der »Nationalen Front des Demokratischen Deutschland«. Die Mehrzahl der immerhin 90 Anwesenden stimmte den Redebeiträgen zu, während ein ehemaliger CDU-Gemeinderat »fut sans conteste le meilleur contradicteur.«78 Selbst Vertriebene und Flüchtlinge 79 , denen die Parteiengründung am schwersten gemacht wurde, waren ab 1949 mit eigenen Parteien vertreten, deren Gründung die Alliierten unmittelbar nach Kriegsende verhindert hatten. Motiv hierfür war die Furcht der Besatzungsmächte gewesen, daß Einheimische und Neubürger Fronten gegeneinander bilden könnten und ein Integrationsprozeß verhindert würde. Weil die Alliierten bei den Vertriebenen »ein riesiges antidemokratisches Potential« 80 vermute75 76

77

78 79

80

Ebd. Ebd. Die französische Landesregierung verschickte am 19.4.1950 an alle Kreise Programm, Statuten und eine Liste der Vorstandsmitglieder der FDJ in Württemberg, nach Definition von General Mangoux »un mouvement de jeunesse d'obédience communiste«. Die Mehrheit der Vorstandsmitglieder rekrutierte sich (wie oft bei Gruppierungen in Württemberg, die dem Kommunismus nahestanden), aus Schwenningen. So setzte sich z.B. der Vorstand der »Frei-sozialen Partei« (früher »Radikale Soziale Freiheitspartei«) nur aus Schwenninger Aktivisten zusammen. Deren Parteiinteressen wurden in der Provinz durch den »Freiwirtschaftsbund« vertreten, für beide Organisationen gab es nach Auskunft des Landratsamtes keine Mitglieder in Friedrichshafen. Ebd., Schreiben von Kreisgouverneur Valicourt vom 5.11.1954, Plakat für die Veranstaltung am 4.11. mit dem Titel »Sagt Nein zur Wiederaufrüstung!«. Ebd., Schreiben vom 17.1.1955. Als Vertriebene werden diejenigen Personen bezeichnet, die aus den Ostgebieten des ehemaligen Deutschen Reiches jenseits von Oder und Neiße oder aus den osteuropäischen Staaten vertrieben wurden oder geflohen sind. Mit dem Begriff »Flüchtlinge« sind Personen gemeint, die aus der sowjetischen Besatzungszone bzw. aus der DDR in die Westzonen gekommen sind. Die Amerikaner verfuhren bei der Einschränkung von Flüchtlings- und Vertriebenenparteien gleich; siehe Benz, Neuanfang in Bayern, S. 22. Stöss, Die extreme Rechte, S. 81.

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ten, das den demokratischen Aufbau nachhaltig beeinträchtigen könnte, erließen sie im Frühjahr 1946 ein Koalitionsverbot. Aber auch in diesem Bereich setzte sich eine Liberalisierung durch, so daß die Vertriebenen zumindest auf lokaler und regionaler Ebene Interessengemeinschaften wie den »Verband der Heimatvertriebenen« 81 bilden konnten. Eigene Parteien wurden aber nach wie vor nicht erlaubt. Erst mit Beendigung der direkten Besatzungsherrschaft und der damit verbundenen Aufhebung des Lizenzierungszwangs 1949 wurden Flüchtlings- und Vertriebenenparteien zugelassen. Im Kreis Tettnang bildeten sich im Zuge der Liberalisierung zahlreiche Gruppierungen. Nach Einschätzung der französischen Beobachter war der »Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten« (BHE) 82 »bei weitem die aktivste Partei im Kreis«. 83 Der Friedrichshafener Ortsverband wurde im Juli 1952, also relativ spät gegründet. 84 Auf einer Mitgliederversammlung, abgehalten in Form einer ersten »Arbeitstagung« des »Gesamtdeutschen Block-BHE« (GB/BHE) 85 in einem Friedrichshafener Gasthof, umriß der Kreisvorsitzende Tichy 86 den politischen Standort der Partei und verwahrte sich dabei gegen den Vorwurf neofaschistischer Tendenzen. Zwar seien ehemalige Nationalsozialisten als Mitglieder in der Partei, »nicht aber solche, die es heute noch sind.« 87 Ziel der Partei sei es, alle Geschädigtengruppen und auch die Einheimischen anzusprechen. Tagesordnungspunkte waren auf diesem ersten Treffen die FDP-Novelle zum 131er Gesetz, ein Änderungsantrag zum Lastenausgleichsgesetz und die Schaffung eines staatlichen Jugendwerkes. Zum Schluß wählten die laut Presseartikel zahlreich erschienenen Mitglieder einen Vorstand für den Ortsverband Friedrichshafen. 88 Damit sah der Kreisvorsitzende die Aufbauarbeit innerhalb des Ortsverbandes als abgeschlossen an. Das »bisherige vorläufige Vorstands-Gremium werde sich fortan auf die Organisation des Kreises Tettnang mit Sitz in Friedrichshafen beschränken.« 89 Obwohl der BHE bundesweit zu den erfolgreichen Vertriebenenorganisationen gehörte 90 , spielte er in Friedrichshafen keine politische Rolle, trotz der von den Franzosen mißtrauisch beobachteten Aktivitäten. 91 Nur einmal wurde der BHE bei ei81

82 83 84 85

86

87 88

89 90

91

Diesen Verband stuften die Franzosen nachträglich als den wichtigsten und am besten organisierten in Württemberg-Hohenzollern ein, AdO, c. 3568, »La representation politique des refugies en Wurtemberg-Hohenzollem« vom Februar 1953. Der BHE wurde am 8.1.1950 von dem Vertriebenenpolitiker Waldemar Kraft gegründet. AdO, c. 1181, p. 11. Ebd. und SZ vom 23.7.1952. Den BHE gab es seit 1949. Parteiname seit 1952, Stöss, Die extreme Rechte, S. 88. Nach einem Bericht der französischen Besatzungsverwaltung in Tübingen, Affaires Politiques et Culturelles, mit dem Titel »La représentation politiques des refugies en Wurtemberg-Hohenzollern« vom Februar 1953 wird die konstitutive Sitzung des DG-BHE für Württemberg Hohenzollern auf den 27.1.1951 (in Sigmaringen) datiert. Am 25.11.1950 gründete ein ehemaliges SPD-Mitglied und Präsident des VdH, Böttcher, ein Komitee des DG-BHE in Ravensburg. Böttcher sprach nicht nur Heimatvertriebene, sondern auch Kriegsopfer, Luftkriegsgeschädigte, ehemalige Pg's und Funktionäre an. AdO, c. 3568. Im Oktober 1951 wurde als Kreisvorsitzender ein Hr. G. Heisse aus Tettnang erwähnt, ebd., hier auch die Auflistung der Vorsitzenden des DG/BHE in Württemberg-Hohenzollern auf Landes-, Kreis- und Kommunalebene. SZ vom 22.1.1953. Vorsitzende wurden der Kaufmann Darsow und Oberregierungsrat a.D. Stadelmayer, SZ vom 22.1.1953. Ebd. Der BHE erreichte z.B. bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein (1950) 23,4% der Stimmen; vgl. Stöss, Die extreme Rechte, S. 88. Eine detaillierte Analyse der Entstehungsgeschichte, der politischen Einordnung sowie der personellen Zusammensetzung etc., erstellt von der französischen Militärregierung in Tübingen; siehe AdO, c. 3568.

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ner Gemeinderatswahl im Jahr 1953 mit 3,9 Prozent gewählt. 92 Bei dieser Wahl konkurrierte eine »Wählervereinigung der Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen« (KH) erfolgreich mit 8,6 Prozent der Wählerstimmen. In den folgenden zwei Gemeinderatswahlen traten nur noch eine »Wählervereinigung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge« (HF) 93 und eine »Siedler-Wählervereinigung« (SWV) 94 an. Obwohl alle Splitterparteien auf Dauer keinen politischen Einfluß erringen konnten, bestand am Ende der fünfziger Jahre immerhin noch ein Wählerpotential von knapp 12 Prozent, das seine speziellen Interessen keiner traditionellen Partei anvertrauen wollte. Die integrative Kraft vor allem der bürgerlichen Parteien schlug sich in Friedrichshafen erst 1968 deutlich in Wahlen nieder. Nach den Gemeinderatswahlen am 20. Oktober 1968 waren keine Vertriebenenparteien oder sonstige Splitterparteien mehr vertreten. Auf allen politischen Ebenen bis hinunter zur kleinsten Einheit, dem Gemeinderat, hatte sich am Ende der sechziger Jahre ein Dreiparteiensystem durchgesetzt. Alle drei Parteien standen - wenn auch unterschiedlich stark - in der Kontinuität der deutschen Parteiengeschichte. So gab es wieder eine Partei der Arbeiterbewegung, eine liberale Partei und eine konservativ-christliche Partei. 95 Im Unterschied zur Weimarer Republik entwickelten sich die Parteien nach 1945 zum wichtigsten Träger der parlamentarischen und demokratischen Idee. 96 Gestützt auf einen für die Nachkriegsbevölkerung überraschenden Wirtschaftsaufschwung, unangefochten von einer Phase derEntpolitisierung in den fünfziger Jahren (die allerdings im Kreisgebiet nicht zu beobachten ist) und geprägt durch die Ideologie des Kalten Krieges verdichtete sich das politische Nachkriegssystem und blieb bis Ende der sechziger Jahre, auf lokaler Ebene bis in die siebziger Jahre hinein stabil. Erst die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen in den siebziger Jahren brachten den politischen Konzentrationsprozeß zum Stillstand und boten nun im Gefolge der Umbruchszeit dem Wähler ein breiteres Parteienspektrum. Diese allgemeinen Feststellungen finden auch auf regionaler und lokaler Ebene ihre Bestätigung, wie in dem folgenden Kapitel zu zeigen sein wird.

92 93 94 95

96

Einwohnerbuch Große Kreisstadt Friedrichshafen 1963. Ebd., 1956: 7,1%; 1959: 8%. Ebd., 1959: 3,5%. Für einen Überblick zur Parteiengeschichte stehen zahlreiche Untersuchungen zur Verfügung. Genannt seien hier außer der schon zitierten Literatur Peter Lösche, Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Stuttgart 1993; Mintzel u.a., Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, mit einem kurzen Forschungsüberblick von Eckhard Jesse, S. 42ff.; Zur Geschichte des Liberalismus siehe Dieter Langewiesche, Liberalismus in Deutschland, Frankfurt a.M. 1988. Peter Lösche faßt in sechs Punkten den Unterschied des heutigen Parteiensystems zur Weimarer Republik zusammen: Die Parteien sind seit den sechziger Jahren nicht mehr in bestimmten sozialmoralischen Milieus verwurzelt; alle Parteien erkennen die parlamentarische Demokratie an; alle großen Parteien sind im Prinzip zu Koalitionen bereit; Stabilität des Parteiensystems z.B. durch 5%-Klausel; Integrationskraft v.a. der SPD und CDU nach 1945; Schwäche des Rechtsextremismus. Ders., Kleine Geschichte der deutschen Parteien, S. l l l f . Eine starke Betonung der restaurativen Elemente - u.a. hinsichtlich der Parteiengründungen - findet sich in der Forschungsdiskussion der siebziger Jahre, so z.B. Huster u.a., Determinanten der westdeutschen Restauration, S. 120ff. Die aktuelle Forschungsliteratur berücksichtigt sowohl restaurative als auch innovative Entwicklungsstränge nach 1945.

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1.2. Wahlen und Wählerverhalten In allen Besatzungszonen gab es ab 1946 Wahlen. Bis dahin nahmen die Alliierten für sich das Recht in Anspruch, politische Funktionsträger nach eigenem Gutdünken einzusetzen oder auch wieder abzuberufen. Was den Zeitpunkt der Wahlen betraf, so eilte die amerikanische Zone den drei anderen Zonen voraus. In Württemberg-Baden, Hessen und Bayern, den amerikanisch besetzten Ländern, wurden im Januar 1946 Kommunalwahlen - zunächst nur für Gemeinden mit bis zu 20 000 Einwohnern durchgeführt, im April folgten Kreistagswahlen (FBZ: Oktober) und im Juni 1946 die Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung (FBZ: 1952). Abgeschlossen wurde diese erste Phase der Demokratisierung in der US-Zone im November und Dezember durch eine Volksabstimmung zur Bestätigung der neuen Verfassung und der parallel abgehaltenen ersten Landtagswahl. 97 Die übrigen Zonen begannen erst im September 1946, also acht Monate später, mit den Gemeindewahlen. 98 Schlußlicht in dem allgemein verzögerten Prozeß war die französische Zone, in der erst im Mai 1947 eine Landtagswahl genehmigt wurde. An einzelnen Wahlen soll exemplarisch das Wählerverhalten der Stadt- und Kreisbevölkerung gezeigt werden. Für eine nähere Betrachtung bieten sich die Wahljahre 1948 und 1953 an. 1948 standen die Parteien noch unter Lizenzierungspflicht, so daß der Wähler nur wenige Parteien zur Auswahl hatte, wogegen aufgrund des Wegfalls der Lizenzierung die Wahlergebnisse von 1953 ein genaueres Abbild des politischen Meinungsklimas bieten können. Die CDU-nahe »Schwäbische Zeitung« als dominierende Lokalzeitung in Friedrichshafen räumte dem Wahlkampf für die Gemeinderatswahlen am 14. November 1948 in Württemberg-Hohenzollem viel Platz ein. So konnten sich alle zugelassenen Parteien in ganzseitigen Anzeigen ausführlich darstellen. Dominant war allerdings die Auseinandersetzung zwischen der CDU und den Freien Wählervereinigungen, zwischen denen letztlich auch um die Mehrheit der Wählerschaft gerungen wurde. Kurz vor der Wahl häuften sich die CDU-Anzeigen, die überwiegend gegen die Freien Wähler gerichtet waren. Einzelpersonen erhoben die Stimme gegen diese neue, spät gegründete Konkurrenz, so am 13. November ein Rektor und CDU-Anhänger in einem Artikel »Wider die Splitterparteien«: »Ist es denn der Parteien noch nicht genug?«, so wird gefragt und vor einer Wiederholung der Vergangenheit gewarnt, womit er eine Sorge ausdrückte, die den Wahlkampf auf deutscher und französischer Seite begleitete. Deutlich wird an diesem Artikel aber auch die harte Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten, an deren Polarisierung die katholische Kirche keinen geringen Anteil hatte: »Im öffentlichen Leben des entstehenden Landes Württemberg-Hohenzollem war der Einfluß der katholischen Kirche weitaus größer als der der evangelischen, obwohl nach der Volkszählung von 1946 der Anteil der Katholiken im Lande nur 53,2% betrug. In den acht südlichen Kreisen des Landes war sie aber mit

97 98

Benz, Neuanfang in Bayern, S. lOf. JO Nr. 32 vom 10.8.1946, Verordnung Nr. 53 vom 5.8.1946 über die Gemeindewahlen in Württemberg-Hohenzollem und im Landkreis Lindau; Verordnung Nr. 49 mit allgemeinen Wahlbestimmungen für die FBZ; JO Nr. 37 vom 9.9.1946, Verordnung Nr. 61 vom 2.9.1946 über die Wahlen zu den Kreisversammlungen in Württemberg. Zum Kommunalwahlgesetz vgl. Reg.-Bl. für das Land Württemberg-Hohenzollem, Nr. 25 vom 21.10.1948.

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jeweils über 80% der Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes vorherrschend,« 99 in Süd Württemberg lag auch die Hochburg des Zentrums. Im Kreis Tettnang betrug nach der Volkszählung von 1946 der Anteil der katholischen Bevölkerung 80,1 Prozent 100 , im Stadtgebiet Friedrichshafen 71,3 Prozent. In den folgenden Jahren sanken diese Werte nur leicht: Tabelle 13: Religionszugehörigkeit in der Stadt Friedrichshafen (in Prozent) 101

1946 1950 1956 1961

Kath.

Ev.

Sonst.

71,3 71,1 66,5 65,8

25,3 25,6 29,4 30,1

3,4 3,3 4,1 4,1

Für den bereits zitierten katholischen Rektor bestand eine Überlappung zwischen freien Wählern und evangelischen Wählern: »Merkwürdig ist dabei der Umstand, daß sich unter diesen Eigenbrötlern auffallend viele Leute finden, namentlich auf evangelischer Seite, die ihrer ganzen sonstigen Einstellung nach eigentlich zur CDU gehören müßten.« Daß dies eine Fehleinschätzung war, wird bei der Frage nach Konfessionsschulen oder der Landesverfassung an anderer Stelle noch verdeutlicht. Nach seiner Ansicht war jedenfalls jeder Nicht-CDU-Wähler ein Opfer böswilliger Propaganda. »Da in der CDU die Gegensätze der Konfession, die unser Volk jahrhundertelang zerrissen haben, endlich überwunden wurden und endlich alles, was sich zu Christus bekennt, sich politisch zusammengefunden hat zum einmütigen Kampf wider das anstürmende Antichristentum, sind sie den finsteren Mächten ein besonderes Ärgernis.« 102 Daß die konfessionellen Schranken in der frühen Nachkriegszeit noch nicht überwunden waren, bezeugte aber gerade dieser Leserbrief. 103 Er belegt, mit welcher Härte der erste Wahlkampf nach Kriegsende geführt wurde. Es ging um viel, das war allen Beteiligten klar. Es ging um die Neuaufteilung des Wählerreservoirs, um grundsätzliche politische Weichenstellungen vor allem auf Landesebene und um die politischen Machtpositionen in der Gesellschaft.

99

Ausführlich und mit intensivem Quellenstudium belegt bei Hellmuth Auerbach, Französische Besatzungsmacht, katholische Kirche und CDU in Württemberg-Hohenzollern 1945-1947. Schwierigkeiten mit Bildungsreform und Demokratisierung, in: Joseph Jurt (Hrsg.), Von der Besatzungszeit zur deutsch-französischen Kooperation, Freiburg 1993, S. 140-168, Zitat S. 141. Nach einem Sureté-Bericht lag der katholische Bevölkerungsanteil in den acht Kreisen bei (in Prozent): Hechingen 89,7; Saulgau 89,4; Sigmaringen 89; Wangen 85,5; Biberach 83,8; Ehingen 82,7; Ravensburg 81,3; Tettnang 80,1, ebd. 100 Ebd. 101 Einwohnerbuch Große Kreisstadt Friedrichshafen 1961. Zur Religionszugehörigkeit im Landkreis Tettnang 1858 bis 1970 siehe Leben am See 11 (1994), Anhang S. 191ff. In diesem Zeitraum sank der katholische Bevölkerungsanteil von 94 auf 71%. 102 SZ vom 13.11.1948. 103 Zur Konfessionsstruktur und deren Konfliktlagen im Südwesten siehe Gerd Mielke, Sozialer Wandel und politische Dominanz in Baden-Württemberg. Eine politikwissenschaftlich-statistische Analyse des Zusammenhangs von Sozialstruktur und Wahlverhalten in einer ländlichen Region, Berlin 1987, S. 64ff.

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Aber nicht nur der Wahlkampf, sondern auch der Wahlmodus mit den Möglichkeiten des Kumulierens und Panaschierens hat den zeitgenössischen Wähler in Atem gehalten. 104 Die »Schwäbische Zeitung« versuchte in einer Beilage zur Gemeindewahl die Bürgerschaft zu ermutigen: »Das württembergische Wahlrecht scheint auf den ersten Blick etwas kompliziert. Macht man sich aber seine Bestimmungen klar, dann erkennt man, daß es so demokratisch ist, wie es nur wenige auf der Welt gibt. Es stellt die Persönlichkeit in den Vordergrund und läßt so dem Willen der Wähler einen freien Lauf.« 105 Die Kehrseite der Medaille war allerdings ein ausgeprägter Honoratiorencharakter, wie er für den Süden und Südwesten Deutschlands kennzeichnend war. Über sechzig Prozent der südwürttembergisehen Gemeinden hatten 1948 weniger als tausend, nur dreizehn Städte in Württemberg-Hohenzollern mehr als zehntausend Einwohner. 106 Völlig richtig stellte die Lokalpresse fest, daß »erfahrungsgemäß in den kleinen Gemeinden die ausgesprochene Parteipolitik keine so überragende Rolle [spielt] wie in den Städten.« 107 Von 934 Gemeinden hatten 53 Prozent keinen offiziellen Wahlvorschlag, und nur in 32 Prozent aller Gemeinden gab es genügend Bewerber verschiedener Parteien, um das Verhältniswahlrecht durchführen zu können. Über die Hälfte aller Wahlvorschläge fiel auf freie Listen. 108 »Aus diesen Zahlen sind keine politischen Rückschlüsse möglich, sondern sie beweisen nur die Tatsache, daß Kommunalwahlen in Württemberg zumindest in kleinen Gemeinden nicht nach allgemeinen politischen Spielregeln durchgeführt werden,« meinte ein abschließender Kommentar in der SZ. 109 Dies klingt wie eine vorsorgliche Beruhigung der Franzosen, die den Wahlverlauf mißtrauisch und immer auf der Suche nach antidemokratischen Elementen verfolgten. Friedrichshafen gehörte mit 17 495 Einwohnern 1948 allerdings nicht zu diesen kleinen Gemeinden. 110 Dennoch gab es auch hier seit der Weimarer Zeit eine starke Tendenz zur Persönlichkeitswahl, die sich erst zu Beginn der siebziger Jahre abschwächte. Im folgenden sollen exemplarisch die Wahlen von 1948 und 1953 analysiert werden.

104

Siehe dazu einen Überblick über die Kommunal (-Wahl)gesetzgebung in Thomas Möller, Die kommunalen Wählergemeinschaften in der Bundesrepublik Deutschland, Diss., München 1981, S. 31ff. Auf den engen Zusammenhang zwischen dem Wahlsystem und der Ausprägung der Parteienstruktur verweist u.a. Oscar W. Gabriel (Hrsg.), Kommunalpolitik im Wandel der Gesellschaft, Königstein/Ts. 1979, S. 101. Vom Panaschieren und Kumulieren, das nur in Bayern und BadenWürttemberg möglich ist, profitieren vor allem die Freien Wähler und weniger die großen Parteien. Zu den Gründen siehe ebd., S. 103. '"'Beilage in der SZ vom 13.11.1948. l06 Zur Gemeindestruktur in Baden-Württemberg vgl. Mielke, Sozialer Wandel, S. 87. ""Beilage in der SZ vom 13.11.1948. 108 In Württemberg-Hohenzollern fielen 641 Wahlvorschläge auf freie Listen, 120 auf die CDU, 83 auf die SPD, 51 auf die KPD und 29 auf die DVP, nach SZ vom 13.11.1948. 109 Ebd. 110 Stadt Friedrichshafen (Hrsg.), Leistungsdaten 1949-1977. Tätigkeitsbericht der Stadtverwaltung anläßlich des Ausscheidens von Oberbürgermeister Grünbeck am 31.10.1977, Friedrichshafen 1977, S. 46. Eine Untergliederung nach Alter und Geschlecht ist nicht möglich.

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Tabelle 14: Gemeinderatswahlen in Friedrichshafen 1946 bis 1994 (gerundet in Prozent)111 1946 1948 1951 1953 1956 1959 1962 1965 1968 1971 1994

24

37 30 28

29 34 24

41 26 16

36 34 23







...









14

18

5

4

CDU FWV SPD FDP Grüne

66

Sonst. davon: KPD SWV HF CSV BHE KH DNS/NS

10

Anzahl d.Part. Wahlbeteil.



6 6

10 —

...







...



... ...











...





3 84113

4

37 27 25

35 32 25

38 23 30













7 —



12



8

8

36 27 30 7

38 16 37 3



...

. . .

33 20 24 2 8

6

13:



4 8



7

9



4 9 1













5

7

4

5

4

5

4

5

10

68 114 68

67

74

66

66

60

62

63

64

(SWV Siedler-Wählervereinigung; HF Wählervereinigung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge; CSV Christlich-Soziale Vereinigung; BHE Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten; KH Wählervereinigung der Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen; DNS/NS Deutsche Nationale Sammlung/Nationale Sammlung)

Bei der Gemeinderatswahl 1948 kandidierten vier lizenzierte Parteien, wobei es der erstmals kandidierenden FWV mit großem Erfolg gelang, Wähler der CDU zu gewinnen. 115 Mit 30 Prozent hielt sich die FWV allerdings genau im Landesdurchschnitt. Im Vergleich mit dem Wahlergebnis von Württemberg-Hohenzollem lag der Stimmenanteil der CDU in Friedrichshafen dennoch höher als im Landesdurchschnitt, der der SPD fast doppelt so hoch. Auch die KPD übertraf leicht den Durchschnitt.116 Auf

"'Zahlen nach Rathaus, GRP (1946, 1948); StadtA FN, Einwohnerbuch von 1961 (1951-1959); Stadt FN, Amt für Öffentliche Ordnung (1962-1994). Erschwert wurden die Berechnungen durch z.T. fehlende Zuordnung der Prozentangaben zu Stimmzetteln oder Stimmen. Bei sich widersprechenden Zahlenangaben wurden bevorzugt die amtlichen Angaben der Stadt FN verwendet. Die Stadt FN, Amt für öffentliche Ordnung, hat inzwischen mit der Erarbeitung einer umfassenden Dokumentation der Wahlergebnisse begonnen. ll2 Davon ÖDP 4%. U3 StadtA FN, Bekanntmachung der Ergebnisse der Gemeinderatswahl am 15.9.1946. " 4 S Z vom 16.11.1948, Wahlbeteiligung 67,6%, Stimmberechtigte 10.645, abgegebene Stimmen 7.203, ungültige Stimmen 271. Zahl der Gemeinderatssitze: CDU 7, SPD 5, KPD 1. " ' D i e kommunalen Wählervereinigungen untersuchten Alois Becker/Günther Rüther, Kommunale Wählervereinigungen, Bonn 1976, S. 277-307. '"Ergebnis der Gemeinderatswahlen in Württemberg-Hohenzollem: Partei (Auszählung der Stimmzettel/ Auszählung der Stimmen): CDU (20,0/23,7); SPD (10,5/14,5); KPD (3,4/4,8); DVP (6,1/ 9,1); freie Listen (33,8/30,3); Nichtlistenbewerber (26,2/17,6), SZ vom 16.11.1948.

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Kreisebene lag die CDU etwas höher als in der Stadt (+2,5%), die SPD (-7%) und die KPD (-3%) lagen niedriger.117 Der klare Wahlverlierer im Vergleich zur ersten Wahl 1946 (ohne FWV) war in Stadt und Land die CDU mit einem Verlust von 29 Prozentpunkten! Das gute Nachkriegsergebnis von 1946 konnte bis heute nicht wiederholt werden. 118 Am Ergebnis der einzelnen Kandidaten läßt sich ablesen, wie sehr das württembergische Wahlrecht persönliche Überzeugungskraft honorierte. Der sozialdemokratische Kandidat und Werkmeister Anton Sommer erhielt bei der Personenwahl die meisten Stimmen, trotz parteilicher Dominanz von CDU und FWV. Mit dieser Kommunalwahl von 1948 werden außerdem Trends erkennbar, die bis heute andauern. Außer im Jahr 1951 stellte die CDU die stärkste Ratsfraktion dar und setzte somit als Nachfolgerin des Zentrums die Tradition aus der Weimarer Republik und dem Kaiserreich fort. Die Freien Wähler, deren Erfolge in ganz besonderem Maße auf lokalen Gegebenheiten und Führungspersönlichkeiten beruhen, mußten erst Mitte der sechziger Jahre ihren zweiten Platz an die SPD abgeben. Dies spricht für eine sinkende Bedeutung der Persönlichkeits- oder Honoratiorenwahl in einer expandierenden Industriestadt, in der die wachsende Zahl von Neubürgern zur Verschiebung der Parteienrangfolge beitrug. Der Mitte der sechziger Jahre deutlich werdende Machtverlust der Freien Wählervereinigungen ist für ganz Baden-Württemberg festzustellen. 119 Die Wahlbeteiligung von 1948 hatten viele als enttäuschend empfunden. 120 So gab die »Schwäbische Zeitung« zu bedenken, daß das um Mitternacht bekanntgegebene Wahlergebnis »dramatisch die Lethargie der Bevölkerung« bestätigt hätte. 121 Unrühmlicher Spitzenreiter war die Landeshauptstadt Tübingen mit 52,2 Prozent, das zweitschlechteste Ergebnis (nach Aulendorf) unter den 34 größeren Städten Württembergs. In Friedrichshafen bewegte sich die Wahlbeteiligung für Gemeinderatswahlen bis auf eine Ausnahme im Jahr 1989 nie unter 60 Prozent. 122 Bei der kurz darauf durchgeführten Kreistagswahl am 7. Dezember 1948 profitierte die CDU davon, daß die freien Listen auf Kreisebene nicht so attraktiv für die Wählerschaft waren, da der persönliche Bezug fehlte. Sie erhielt 54 Prozent, die SPD auffallend gute 40 Prozent und die KPD 6 Prozent. 123 Die dreizehn Gemeinden des Kreises (incl. FN) entschie-

" 7 S Z vom 16.11.1948, Ergebnisse der Kreisgemeinden. Im Kreis erlangte die CDU 53 Sitze, die FWV 75, die SPD 17 und die KPD 1 Sitz. Durch die Umrechnung der Stimmen in Sitze erhielt die FWV - trotz fast identischer Anzahl der Stimmen mit der CDU - wesentlich mehr Sitze. 8 " Vor dem Ersten Weltkrieg hatte das Zentrum immer die absolute Mehrheit mit durchschnittlich 60%, nach 1918 sank das Wahlergebnis auf immerhin noch 40%, und nur bei den Wahlen der Jahre 1928 bis 1930 reduzierte sich der Stimmenanteil auf ca. 33%, vgl. Maier, Heimatbuch II, S. 217. 119 Th. Möller, Kommunale Wählergemeinschaften, S. 30, mit einer wegen des komplizierten Wahlrechts aufwendig errechneten Tabelle der »Sitzverteilung bei den Gemeinderatswahlen in BadenWürttemberg 1959 bis 1980«. 120 Im Kreis Tettnang lag die Wahlbeteiligung bei der Gemeinderatswahl 1946 bei 85,4% (Stadt Tettnang: 73,8%), bei der Wahl 1948 bei 73,7% (Stadt Tettnang: 69,4%). Demnach ist auf dem Land eine höhere Wahlbeteiligung festzustellen als in den Kreisstädten Friedrichshafen und Tettnang. 121 SZ vom 16.11.1948. Der Kreisgouverneur beklagte dies schon zu Beginn des Jahres und stellte fest, daß die Bevölkerung zu Versammlungen mit Landespolitikern zahlreich erscheinen würde (200300 Personen), zu den lokalen Veranstaltungen aber nur 30-40 Interessierte kämen, vgl. AdO, c. 3568, Monatsbericht für Januar 1948 vom 28.1.1948. 122 Am 22.10.1989 mit 55,47%. Höchste Wahlbeteiligung 1956 mit 74,26%. Stadt FN, Amt für öffentliche Ordnung, Wahlstatistik. 123 StadtA FN, Kreistagswahl vom 7.12.1948: 10.653 Wahlberechtigte, 7.449 abgegebene Stimmen, 571 ungültige Stimmen, Wahlbeteiligung 69,8%.

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den sich mit einer absoluten Mehrheit für die CDU. 124 Die freien Listen erhielten immerhin 11,9 Prozent. 125 An der Wahlen des Jahres 1948 konnten allerdings nicht alle Bürgerinnen und Bürger teilnehmen. Der Kreisuntersuchungsausschuß in Tettnang mußte im Vorfeld über die Wahlberechtigung von knapp 150 Personen entscheiden. Etwa jedem sechsten zu bearbeitenden Fall wurde die Wahlberechtigung wegen vormaliger Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Organisationen entzogen. 126 Bis zum »Superwahljahr« 1953 mit Gemeinderats-, Kreistags- und Bundestagswahlen hatte sich einiges verändert. Die Franzosen hatten ihre Lizenzierungspraxis aufgegeben, so daß sich diesmal sieben Parteien zur Gemeinderatswahl stellten. Zu diesem Zeitpunkt war für Politiker und Bürger noch nicht absehbar, wie sich das Parteiensystem in der Bundesrepublik entwickeln würde, ob es ähnliche Probleme wie in der Weimarer Zeit geben oder eine Stabilität zugunsten weniger Parteien eintreten würde. Von französischer Seite wurde mit Spannung und Mißtrauen die nun nahezu unkontrollierte Entwicklung in der Zone beobachtet. Ein Erfolg der Demokratisierungspolitik galt noch nicht als gesichert, weshalb die Franzosen nach wie vor Beobachter auf Parteiversammlungen und politische Zusammenkünfte schickten. Der Wahlkampf in der Region wurde diesmal nicht so hart ausgetragen wie im Jahr 1948. Er erreichte auch ein anderes Niveau, weil sich die Parteien aufgrund der Bundestagswahl nicht mehr nur auf lokale Themen konzentrieren konnten und gezwungen waren, Parteiprogramme zu präsentieren und ideologische Unterschiede zwischen den Parteien zu diskutieren. Außerdem hatte bereits die Zeit des Kalten Krieges begonnen, so daß in viel stärkerem Maße als zuvor grundsätzliche Positionen eine Rolle spielten. Dies läßt sich an einigen Wahlveranstaltungen im Kreis Tettnang zeigen. Eine SPD-Versammlung am 21. November 1952 fand unter dem Vorsitz von Handelsminister Erwin Hohlwegler statt. Die etwa 120 Besucher kamen zum Großteil aus dem Gewerbe- und Handelsbereich, und nur wenige Sozialisten »hielten es für nötig zu kommen«, wie ein französischer Beobachter festzustellen meinte. 127 Themen dieses Abends waren die wieder eingeführten Konfessionsschulen und die CDU-Politik auf Landesebene. Überschattet war diese erste, früh angesetzte Wahlkampfveranstaltung durch den Tod des SPD-Ortsvorsitzenden Dr. Paul Henn im Oktober 1952. Er war gleich nach Kriegsende Mitglied im Kreistag und Kreisrat und erster Vorsitzender der Kreisversammlung geworden. Sein überaus großer Einfluß auf die örtliche Nachkriegspolitik fand auch die Anerkennung des Kreisgouverneurs. 128 Eine Versammlung in der Kreisgemeinde Oberteuringen, anberaumt für den 22. April 1953, auf welcher der Landtagsabgeordnete Josef Matt zur Stuttgarter Regierungspolitik sprechen sollte,

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Herbert Kühr stellt in seiner Untersuchung mit dem Titel »Vom Milieu zur Volkspartei. Funktionen und Wandlungen der Parteien im kommunalen und regionalen Bereich«, fest, daß die CDU/CSU immer dann eine absolute Mehrheit von 65% erwarten kann, wenn der Anteil der Katholiken die 80%-Grenze und der Anteil der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung die 15%-Grenze überschreitet; ders. (Hrsg.), Königstein/Ts. 1979, S. 31. 125 SZ vom 7.12.1948, Kreisergebnis ohne FN: 28.721 Stimmberechtigte, 21.471 abgegebene Stimmen, 1.164 ungültige Stimmen, Wahlbeteiligung 74,8%. CDU 60,2%, SPD 24,8%, freie Listen 11,9%, KPD 3,1%. Zur Kreistagswahl 1946 siehe Kapitel 1.4. 126 StadtA FN, Verzeichnis vom 4.9.1948; KrA FN, Nr. 1206.0, Streichung aus der Wählerliste wegen Säuberungsmaßnahmen. 127 AdO, c. 3568. 128 Ebd., Schreiben des Kreisgouverneurs vom 29.10.1952.

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mußte dagegen mangels Besucher abgesagt werden. 129 Tags darauf ging es um so turbulenter in der Kreisgemeinde Meckenbeuren zu. Ein Großteil der Besucher bestand aus zirka 200 Flüchtlingen aus der »Ostzone«, thematisch lag der Schwerpunkt dieses Mal auf einem Vergleich der SPD-Bundes- und Landespolitik. Es ging vor allem um die Wiederaufrüstungsdebatte, in der die Partei die Schaffung einer Europaarmee propagierte. Als zwei Kommunisten »die Versammlung zu stören suchten«, kam es zu Tumulten, an deren Ende »die Unbelehrbaren an die frische Luft gesetzt wurden«. 130 Kurz vor der Bundestagswahl veranstaltete die SPD eine weitere Versammlung in Friedrichshafen mit dem Landtagsabgeordneten Karl Müller, der für den Bezirk Ravensburg - Wangen - Tettnang kandidierte. 131 Während der CDU-Konkurrent Kiesinger zwei Tage zuvor rund 250 Personen aktivieren konnte, wurde die SPD-Versammlung nur von 48 Personen, darunter ein Dutzend Oppositioneller, besucht. Die Themen waren breit gestreut, so ging es um die Saarfrage, die Oder-Neisse-Grenze, eine Europaarmee, die Adenauer-Politik und das Verhältnis zur »Ostzone«. 132 Kurz darauf folgte noch eine SPD-Wahlkundgebung mit dem Bundestagsabgeordneten und späteren Fraktionsvorsitzenden im Bundestag Fritz Erler. 133 Im Mittelpunkt seines Redebeitrags stand die Abgrenzung zum Kommunismus und zur Politik der Sowjetunion 134 sowie das Verhältnis zur Sowjetischen Besatzungszone: »Er betonte mit allem Nachdruck, daß das wichtigste Ereignis der vergangenen Wochen nicht der Tod Stalins, nicht die Washingtoner Beschlüsse und nicht die Bonner Verträge seien, sondern der 17. Juni, der Tag, an dem die Menschen in Ostdeutschland deutlich gezeigt hätten, daß sie sich noch nicht ganz unter das Joch der Russen begeben haben.« 135 Erler sprach sich für Verhandlungen zwischen allen vier Mächten aus, propagierte gesamtdeutsche Wahlen und Kontakte Deutschlands nach Ost und West. Militäraktionen lehnte er strikt ab. Die KPD begann, wie die SPD, relativ früh mit dem Wahlkampf, indem sie im April 1953 eine Versammlung von Landwirten in der kleinen Kreisgemeinde Efritzweiler organisierte. Am 28. April fand noch eine Versammlung in Friedrichshafen zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt durch Luftangriffe statt. Über die Resonanz in der Bevölkerung ist nichts bekannt, wohl aber über die der Behörden. Zum lokalen Gedenktag sollte nämlich eine Sonderausgabe der KPD-Zeitung »Volksstimme« erscheinen. Tags zuvor verfügte jedoch das Amtsgericht Tettnang die Konfiszierung der Postwurfsendung (in einer Auflagenzahl von 5.000) wegen des Verdachts der »Staatsgefährdung«. 136 Als letzte Partei trat die CDU im Mai 1953 in den Wahlkampf ein. Das personelle Aufgebot mit dem Abgeordneten Kiesinger, dem ehemaligen Landtagsabgeordneten Lieb aus Friedrichshafen und dem Kreisvorsitzenden der CDU, Stöhr, motivierte 450 129

Ebd. und SZ vom 24.4.1953. »Südkurier« vom 23.4.1953, siehe auch den »Schwarzwälder Bote« vom 23.4.1953 und SZ vom 24.4.1953. 131 AdO, c. 3568. 132 Ebd. 133 Ebd. und SZ vom 2.9.1953. 134 Erler propagierte des weiteren eine »staatliche Lenkung nur im Bankenwesen, weil »der persönliche Eigennutz« nicht aus dem Wirtschaftsleben ausgeschaltet werden könne, da er nun einmal »eine der stärksten Triebfedern« sei. Außerdem setzte er sich noch für den »Schutz der kleinen Leute« im Steuersystem und für einen Lastenausgleich ein, SZ vom 2.9.1953. 135 Ebd. 136 AdO, c. 3568, Amtsgericht Tettnang, Beschluß vom 27.4.1953. 130

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Gäste zum Besuch der Veranstaltung. Es gelang aber auch ohne lokal verwurzelte Funktionsträger, das Wahlvolk zu aktivieren. Bei einer CDU-Versammlung im Juli war als Gast der MdB und stellvertretende CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß geladen, der immerhin 400 Interessierte anlockte. 137 Der Gastredner agitierte gegen alle nichtchristlichen Parteien, gegen den französischen Staat, gegen die Sowjetunion und die deutschen Führungseliten in der SBZ. 138 Auch eine Wahlversammlung im August kann mit 250 Zuhörern als organisatorischer Erfolg gewertet werden. Die hohe Beteiligung an CDU-Veranstaltungen hielt sich auch in der Folgezeit und unabhängig von Wahlterminen. So sprach zum Beispiel Ministerpräsident Gebhard Müller kurz vor der Verabschiedung der Pariser Verträge durch den Bundestag (am 27.2.1955 mit den Stimmen der CDU, FDP, DP und Β HE) in der Festhalle. Es kamen etwa 1 400 Besucher, nach Angaben französischer Berichte sogar 1 800, wobei »auch die Jugend bemerkenswert gut vertreten [war].« 139 Müller wurde von Bürgermeister Dr. Grünbeck und dem stellvertretenden Landrat Dr. Dietz empfangen, so daß die Besucher an diesem Abend einen breiten bürgerlichen Block präsentiert bekamen. 140 Besonders Veranstaltungen dieser Art mit bundesdeutschen oder außenpolitischen Themen sprechen gegen eine »Entpolitisierung« der Bevölkerung Mitte der fünfziger Jahre. Alle anderen Parteien und Gruppierungen konnten keine vergleichbaren Erfolge vorweisen. Die FDP war mit zwei Versammlungen im Juni und August präsent, bei letzterer kamen immerhin 140 Interessierte. 141 Über einen Wahlkampf der FWV liegen keine Quellen vor. Für die Gemeinderatswahl am 15. November 1953 bewarben sich sieben Parteien und Wählerinitiativen. Das waren mehr als bei Kommunalwahlen in der ersten Republik 142 , aber weniger als bei Reichstags- oder Landtagswahlen vor 1933. Eine gleich hohe Zahl von Bewerbern war erst wieder 1984 zu verzeichnen, und übertroffen wurde die Anzahl der Listen erstmals bei der Gemeinderatswahl 1994 mit zehn Parteien und Wählerinitiativen. Zunächst fällt bei der Auswertung der Wahlergebnisse von 1953 (siehe Tabelle vorne) der mit 18 Prozent hohe Stimmenanteil für Klein- und Splitterparteien auf. Vor allem die »Wählervereinigung der Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen« (KH) konnte einen enormen Erfolg verbuchen. Das Wählerpotential dieser Vereinigung blieb bis 1962 im Gemeinderat vertreten, ab 1956 durch die »Wählervereinigung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge« (HF), nachdem die KH nicht mehr zur Wahl angetreten war. Auf die sozialen Ursachen dieser Wahlerfolge wird an anderer Stelle noch genauer eingegangen. Die CDU erzielte mit 41 Prozent ein Ergebnis, das erst wieder ab Mitte der siebziger Jahre erreicht und dann sogar übertroffen wurde. Die Freien Wähler, abhängig von lokalen Ereignissen und Persönlich137

Ebd., Bericht des Kreisgouverneurs vom 27.7.1953. Valicourt ergänzte die Zahl der Besucher mit der Bemerkung, daß eigentlich für 1.200 Gäste bestuhlt worden sei. 138 SZ vom 28.7.1953. 139 Ebd. vom 1.3.1955; AdO, c. 3568. 140 AdO, c. 3568. Dieser Bestand enthält auch einen Bericht über die Aktivitäten der CDU in Württemberg, erstellt von einem französischen Landesdelegierten in Tübingen. 141 Ebd. 142 Bei den Kommunalwahlen 1919, 1922, 1925, 1928 und 1931 waren in Friedrichshafen immer das Zentrum, die DDP und die »BUrgerpartei« (im Reich DNVP) vertreten; die USPD beteiligte sich nur 1919, die KPD ab 1925, die NSDAP ab 1931. 1925 war ein Wahlbündnis zwischen DDP, BUrgerpartei und NSDAP mit einer gemeinsamen Liste geplant, das aber aus formalen Gründen nicht zustande kam. 1928 gab es eine gemeinsame Liste der Bürgerpartei, FWV und DDP. Maier, Heimatbuch II, S. 196.

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keiten, mußten sich langfristig mit sehr wechselhaften Ergebnissen abfinden. Vor allem von 1968 bis 1980 mußten sie landesweit enorme Verluste hinnehmen. 143 Die SPD erhielt 1953 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1945. Sie scheint dem politischen Klima der frühen fünfziger Jahre zum Opfer gefallen zu sein, denn 1950 arbeiteten immerhin 45 Prozent aller Erwerbstätigen der Stadt Friedrichshafen im produzierenden Gewerbe, so daß also ein sozialdemokratisches Wählerpotential durchaus hätte vorhanden sein können. Bis 1961 stieg der Anteil dieser Erwerbstätigengruppe sogar auf 62 Prozent, darunter 40 Prozent aus der Metallindustrie. 144 In einem stetigen Aufwärtstrend, der 1971 in der deutlichen Überwindung der magischen 30 Prozent kulminierte, erholte sich die SPD von dieser Niederlage. 145 Angesichts der kommunistenfeindlichen Stimmung im Land konnte die KPD mit vier Prozent zufrieden sein. Aber langfristig fehlte ihr - wie schon in der Weimarer Republik - die Basis in der überwiegend katholisch und konservativ geprägten Bevölkerung, woran weder der hohe Anteil an Arbeitern noch die Erfahrungen in der NS-Zeit etwas änderten. XJber einen längeren Zeitraum verfolgt, scheint die SPD eher von der politischen Großwetterlage (Kalter Krieg, Auswirkungen der Umbruchszeit ab 1968) abhängig zu sein als die CDU, die sich auf eine relativ kontinuierliche Bestätigung seitens der Wählerschaft verlassen kann. Die wachsende Integrationskraft von CDU und SPD wird auf lokaler Ebene bei der Gemeinderats wähl von 1962 voll sichtbar. Tendenziell neigte die Stadtbevölkerung nicht zu Experimenten, weshalb auch der rechtsextremen DNS/NS eine klare Absage erteilt wurde. Die Höhe der Wahlbeteiligung weist unabhängig von sozialen und politischen Ereignissen oder Umbrüchen bis heute nur unbedeutende Schwankungen auf. Das erstaunt angesichts des rasanten Wachstums der Einwohnerzahlen 146 , das einen Niederschlag auf die Wahlbeteiligung - sei es in positivem oder negativem Sinne - nahelegen könnte. 147 Ebenfalls am 15. November 1953 fand die Kreistagswahl statt, bei der dieselben sieben Parteien wie bei der Gemeinderatswahl kandidierten, womit sich ein Vergleich der Wahlen auf städtischer und Kreisebene anbietet. Im Wahlverhalten unterschied sich die Friedrichshafener Stadtbevölkerung von der sonstigen Kreisbevölkerung. Stimmberechtigt waren in der Stadt 17 460 Einwohner, im Kreis 19 759. 148 Die Wahlbeteiligung in der Stadt lag mit 65 Prozent unter der der Kreisbevölkerung mit 74 Prozent.

l43

Thomas Möller stellt angesichts der bundesweiten Verluste von 27% in diesem Zeitraum fest, daß sie »sicherlich nur in Zusammenhang mit dem tiefgreifenden Einschnitt der Gebietsreform sinnvoll interpretiert werden können«, ders., Kommunale Wählergemeinschaften, S. 30. '"Raichle u.a., Die »ausgesperrte« Geschichte, S. 353. 145 Die Wahlergebnisse ab 1972 müssen unter dem Aspekt der Gemeindereform in Baden-Württemberg gesehen werden, siehe dazu Mielke, Sozialer Wandel, S. 37, und Hermann Bausinger u.a., Baden-Württemberg. Eine politische Landeskunde, Stuttgart 1981, S. 14Iff. 14í Siehe die Tabelle zur Entwicklung der Einwohnerzahlen in Kapitel 1.1. 147 Tendenziell wurde in den Arbeitervierteln im Norden der Stadt mehrheitlich für die SPD votiert. Im Stadtkern mit seiner alteingesessenen Bürgerschaft, mit Handwerk und Handel lagen CDU und FWV dicht beieinander. In den Stadtteilen Fischbach und Schnetzenhausen wurde dagegen in der Regel deutlich die CDU bevorzugt, vgl. z.B. SZ vom 16.11.1948. 148 SZ vom 2.9.1953, ungültige Stimmen Friedrichshafen 260, im Kreis 346. Friedrichshafen hatte 1953 27.980 Einwohner.

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Tabelle 15: Kreistagswahl vom 15. November 1953 149 (in Prozent) Friedrichshafen

Kreis (ohne FN)

CDU FWV SPD

30,9 38,4 15,7

56,9 30,9

Sonstige davon: KPD KH BHE DNS

15,0

6,8

2,8

7,1 4,1 0,9

5,3

Eine absolute Mehrheit der Stimmen gaben die Gemeinden ohne Friedrichshafen der CDU, 30,95 Prozent der Freien Wählervereinigung. Insgesamt verhielt sich die Landbevölkerung mit zusammen 87,9 Prozent Stimmenanteil für die zwei bürgerlichen Parteien konservativer als die Friedrichshafener Stadtbevölkerung mit 71 Prozent. Von den kleineren Parteien im Kreis erhielt nur der BHE 5,3 Prozent, knapp darüber lag die SPD mit 6,8 Prozent. Die Stadtbevölkerung von Friedrichshafen verwies die CDU auf Platz zwei nach der FWV, obwohl der Anteil der Katholiken in der Bevölkerung bei zirka 70 Prozent lag. 150 Dieses Ergebnis fällt ganz deutlich aus dem sonstigen Raster, so daß die Ursachen für das Wählervotum vermutlich in der lokalen Tagespolitik zu suchen sind. Unabhängig davon setzte sich nach dem Krieg auf der Lokalebene - stärker als auf Kreisebene - ein Trend zu grundsätzlichen Veränderungen im Wahlverhalten durch. Der CDU (und auch der SPD) gelang es nicht mehr, Wähler aus bestimmten Sozialmilieus an die Partei zu binden, wie es noch 1928 dem Zentrum und in geringerem Maße auch der SPD gelungen war. Berücksichtigt werden muß allerdings in Württemberg und Baden die traditionell starke Konkurrenz liberaler Parteien. 151 In einer Analyse zum Wahlverhalten in Baden-Württemberg wird festgestellt: »Nicht nur die CDU, auch die SPD stand in Konkurrenz zur Volkspartei der Liberalen, die immer auch „Kleine-Leute-Partei" war („ebbes Bäck und ebbes Doktor"). Die CDU hat es langfristig besser vermocht, die Liberalen zu beerben, weil sie eher dem Honoratiorencharakter entsprach. Das alles trifft für den badischen Landesteil nicht zu, wo wir eher das „normale" Wahlverhalten vorfinden. Zu diesem Bild paßt die Stärke der Freien Wähler bei Kommunalwahlen: 1994 errangen sie 43,8% der Gemeinderatssitze!« 152 Die so gesehen »badischen Verhältnisse« in Friedrichshafen in der frühen Nachkriegszeit - also ein starker Anteil der FWV - konnten sich langfristig nicht durchsetzen. Honoratiorencharakter, ein großer Anteil an Arbeiterbauern und - für den

149

AdO, c. 3568 und Stadt FN, AfO, Wahlstatistik. Das Zentrum als Vorgängerin der CDU erhielt auch bei der Märzwahl 1933 im Kreis- und Stadtgebiet die meisten Stimmen. Kreis (Stadt): Zentrum 46,3% (38,4%); NSDAP 37,7 (31,7); SPD 6,3 (12,8); KPD 5,1 (9,3), AdO, C 1181, Nr. 11. 131 Zur Rolle des Liberalismus im Südwesten vgl. Mielke, Sozialer Wandel, S. 105ff. 152 Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik, hrsg. von Uwe Andersen u. Wichard Woyke, 2., neu bearb. Aufl., Bonn 1995, S. 264. l50

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Kreis Tettnang - ein hoher Anteil an Katholiken begünstigten die CDU: »Alles in allem: Die CDU paßte besser zur politischen Kultur des Landes.« 153 Die Wahlergebnisse der Kreistags wählen in Baden-Württemberg von 1953 bis 1979154 bestätigen den Trend weg von den Wählervereinigungen hin zur CDU. Ab Mitte der sechziger Jahre trifft diese Entwicklung auch auf den Kreis Tettnang zu. Gerd Mielke verweist auf den »außergewöhnlichen Aspekt des südwestdeutschen Liberalismus«, der in Baden und Württemberg »den Charakter einer breiten Volksbewegung« trug und dessen Spuren noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts »an den erstaunlich hohen Stimmenanteilen der Liberalen in weiten Regionen des Landes« zu erkennen seien. 155 Die SPD schnitt 1953 in Friedrichshafen weitaus besser ab als im übrigen Kreisgebiet. Das verwundert nicht angesichts des hohen Arbeiteranteils in der Stadtbevölkerung, der sich nicht nur aus Arbeiterbauern, sondern auch aus zugezogenen Arbeitern zusammensetzte. 156 Andererseits war gerade unter diesem Aspekt das Ergebnis der SPD bei Wahlen eher enttäuschend. Auch hier ist der Grund in den Besonderheiten der württembergischen politischen Kultur zu finden: »In einem traditionell organisationsfeindlichen Land, in dem persönliche Bindungen mehr zählen als straffe Organisation, zudem mit einem ausgeprägt religiösen Hintergrund, hat es eine eher zentralistische und organisationsgläubige Partei wie die SPD eher schwer. Hinzu kommt eine große Distanz zu allen gesellschaftlichen Umgestaltungsansprüchen.« 157 Die kleinen Parteien des linken und rechten Spektrums konnten Stimmen zwischen 0,84 Prozent (DNS) und maximal 6,59 Prozent (Kriegsgeschädigte und Heimatvertriebene) erringen. Die Stadtbevölkerung entschied sich für die »Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen«, während die Landbevölkerung dem BHE den Vorzug gab. Obwohl der BHE nach Einschätzung der Franzosen die aktivste Partei in der Stadt war 158 , erhielt er nur 3,8 Prozent. 159 Vereinigt war die gesamte Kreisbevölkerung in ihrer Entscheidung zugunsten der bürgerlichen Parteien. Das war in Friedrichshafen auch schon 1932 so gewesen. Obwohl der Arbeiteranteil leicht über dem württembergischen Landesdurchschnitt lag, bekamen die Arbeiterparteien SPD und KPD verhältnismäßig wenig Stimmen. Bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 hatten in Friedrichshafen rund 40 Prozent der Wähler für das Zentrum gestimmt, das war fast doppelt so viel wie im württembergi-

153

Ebd. Th. Möller, Kommunale Wählergemeinschaften, S. 26. " Mielke, Sozialer Wandel, S. 107. "'Hierauf wird in verschiedenen Kapiteln eingegangen. "'Handwörterbuch des politischen Systems, S. 264. 158 AdO, c. 3568. "'Flüchtlinge waren nicht unbedingt auf Parteien als Interessenvertretung angewiesen. So entstand in Friedrichshafen eine Kreiskommission der »Hauptarbeitsgemeinschaft der Organisationen der Heimatvertriebenen« (HÖH). Der HÖH, 1949 in Württemberg-Baden gegründet, umfaßte als Dachverband die Vertriebenenausschüsse der drei großen Parteien, der Wohlfahrtsverbände und der Landsmannschaften. Den Vorsitz in Friedrichshafen führte ein Architekt, nach »Schwarzwälder Bote« vom 24.8.1954. 154 3

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sehen Landesdurchschnitt gewesen. 160 Vermutlich auf Anforderung der französischen Landesverwaltung machte der Kreisdelegierte Valicourt eine Aufstellung der Wahlergebnisse aus dem Jahre 1928 und der Kreistagswahl 1953 und schickte diese nach Tübingen. 161 Man suchte also nach Aufschlüssen über Kontinuitäten und Brüche im politischen Wahlverhalten der Deutschen. Im Vergleich zu 1928 verloren im Jahr 1953 CDU und SPD Wählerpotentiale, das gilt sowohl für die Stadt- als auch für die Landbevölkerung, wobei sich dieser Trend auf dem Land stärker durchsetzte. Die Wählerschaft des Bauern- und Weingärtnerbundes scheint nach dem Krieg eher zur FWV als zur CDU tendiert zu haben. 162 Abschließend soll noch ein kurzer Blick auf das Wahlverhalten der Friedrichshafener Bevölkerung bei Bundestagswahlen geworfen werden. Betrachtet man die Wahlergebnisse aller Ebenen, so zeigt sich, daß die Stadtmehrheit für die CDU votierte. Tabelle 16: Wahl zum ersten Bundestag am 14. August 1949, Stadt Friedrichshafen163 Kiesinger, Kurt Georg Henn, Paul Kübler, Karl Müller, Paul Bennek, Georg

CDU Rechtsanwalt, Rottenburg SPD Prakt. Arzt, Friedrichshafen DVP Postamtmann a.D., Ravensburg SzT Hotelier, Friedrichshafen KPD Redakteur, Ravensburg

57,7% 25,5% 7,3% 5,9% 3,6%

""Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich, S. 3. Die KPD erhielt bei der Novemberwahl 16,6%, die SPD 11,4%, die NSDAP 21,1%. Der Stimmenanteil der NSDAP lag weit unter dem Landesdurchschnitt. Die erste Friedrichshafener NSDAP-Ortsgruppe wurde im August 1923 gegründet, erster Vorsitzender war ein Ingenieur. Nach dem Verbot der NSDAP erfolgte im Juli 1925 die Neugründung, damit war diese Ortsgruppe die Zweitälteste in ganz Württemberg. Bei der Märzwahl 1933 war zwar nach wie vor das Zentrum stärkste Partei geblieben, aber die NSDAP hatte hohe Zuwachsraten (31,7%) auch in der Arbeitersiedlung »Zeppelindorf«, wogegen bei den Bürgern der Altstadt die Zuwachsrate am geringsten war, ebd., S. 2Iff. 161 AdO, c. 3568. Aus der Quelle geht nicht ganz eindeutig hervor, um welche Wahl es sich 1928 handelte, vermutlich jedoch um eine Landtagswahl. Nach eigenen Berechnungen des Stimmenproporzes kommt folgendes Ergebnis zustande, jeweils Stadt Friedrichshafen (Kreis Tettnang) in Prozent: Zentrum 36,7 (65,7); Sozialdemokraten 25,6 (5,5); Volksrechtspartei 8,2 (5,5); DDP 8,1 (3,6); DVP 6,9 (2,8); KPD 4,5 (1,6); Deutsche Volkspartei/Stresemann 3,3 (1,4); NSDAP 3,0 (1,0); Bauemund Weingärtnerbund 2,3 (12,5); Christlicher Volksdienst 1,4 (0,4). Der »Christliche Volksdienst« nahm nur einmal als »Christlich Sozialer Volksdienst« bei den Gemeinderatswahlen 1951 teil und erhielt 9%. Der CSV konnte schließlich in die CDU integriert werden. Zu den Wahlergebnissen der Stadt Friedrichshafen bei den Reichstagswahlen von 1928 siehe Kuhn, Industrialisierung in Oberschwaben, S. 677, ebd. alle Ergebnisse der Reichs- bzw. Bundestagswahlen von 1890-1983. 162 Das Wahlverhalten in Württemberg bis 1933 hat Horst Glück in seiner Dissertation »Parteien, Wahlen und politische Kultur in einer württembergischen Industrieregion. Die Stadt Esslingen und der Mittlere Neckarraum«, Esslingen 1991, S. 43ff., untersucht. 163 Gesamt-Wahlergebnis der Gemeinden des Kreises Tettnang im Amtsblatt für den Kreis Tettnang, 1. Jg., Nr. 65 vom 16.8.1949. Die Wahlbeteiligung lag in Friedrichshafen bei 69%, im gesamten Kreis nur ein halbes Prozent niedriger. Der Kreis Tettnang gehörte zusammen mit den Kreisen Ravensburg und Wangen zum Wahlkreis VI.

Parteien

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Im ersten Bundestag waren neben CDU/CSU, SPD und FDP trotz 5-Prozent-Sperrklausel noch sieben weitere Parteien vertreten. 164 Die Wähler der Stadt Friedrichshafen gaben seit 1949 bei allen Bundestagswahlen bis 1983 mindestens 50 Prozent ihrer Stimmen der CDU. 165 Demnach wählte zumindest ein Teil der Bürger, die lokal zum Lager der FWV gehörten, auf Bundesebene nicht FDP, sondern CDU. Das Wahlverhalten der sozialdemokratischen Wählerschaft differierte hingegen auf lokaler und Bundesebene nur gering. Die Bevölkerung des gesamten Kreises Tettnang hatte mit einem CDU-Anteil von 70 Prozent insgesamt konservativer gewählt als die Stadtbevölkerung von Friedrichshafen. 166 Zusammenfassend kann für die untersuchte Region festgehalten werden, daß das Gründungsmuster der Parteien und das Wählerverhalten in der Region Friedrichshafen-Tettnang überwiegend mit der bundesdeutschen Entwicklung übereinstimmt. So lassen sich im Vergleich zur Weimarer Republik im Parteiensystem nach 1945 folgende Merkmale feststellen, die in der Forschungsliteratur einen breiten Konsens finden: 1. Die in den ersten Nachkriegsjahren entstandene Parteien Vielfalt, die sich zuerst auf kommunaler Ebene, dann auch in der neugegründeten Republik auf Bundesebene fortsetzte, hatte auf Dauer keinen Bestand. Im Zeichen politischer und wirtschaftlicher Stabilität kam es zu einem politischen Konzentrationsprozeß, der sich wiederum zuerst in den Lokal- und Landtagswahlen durchsetzte und dann auf die Bundesebene übergriff. Für rechtsextreme Parteien, welche zunächst durch Lizenzierungszwang und später auch durch Verbote eingeschränkt wurden, gab es in der Gesamtbevölkerung keine Basis. Im Kreis Tettnang fand der Prozeß der Integration rechtsstehender Kreise, überwiegend getragen von der CDU, aber erst relativ spät Ende der fünfziger Jahre seinen Abschluß. 2. Das stabile Dreiparteiensystem, das sich auf Bundesebene zu Beginn der sechziger Jahre herausgebildet hatte 167 , bestand auch auf Kreisebene. Erst 1984 wurde es mit der Wahl der »Grünen« in den Gemeinderat erweitert. Auf Bundesebene kam diese Stabilitätsphase im Parteiensystem 1983 zu einem Ende. 168 164

Bei der zweiten Bundestagswahl 1953 traten nach Wegfall der Lizenzierungspflicht zwar mehr Parteien an, doch die Wähler honorierten die Parteienzersplitterung nicht: die Wahlstimmen konzentrierten sich auf sechs von 17 Parteien. In der Bundesregierung waren bis zur Kabinettsumbildung nun sechs Parteien vertreten. Von 1957 bis heute wurde die Regierung nie mit mehr als drei Parteien gebildet (Ausnahme: 1990/91 DSU), siehe Wichard Woyke, Stichwort: Wahlen. Wähler - Parteien Wahlverfahren, 8. völlig neu bearb. Aufl., Ulm 1994, Tabelle 3, S. 24f. 163 Kuhn, Industrialisierung in Oberschwaben, Bd. 2: Daten und Literatur, Friedrichshafen 1984, S. 678. Ein Höhepunkt ist 1953 mit 64% zu verzeichnen (1949: 58%; 1957: 59%; 1961: 50%; 19651972: 51%; 1976: 55%). Die SPD hatte zwischen 1949 und 1976 ihr bestes Ergebnis mit 40% (1969) und ihr schlechtestes mit 17% (1953). Analog dazu die FDP: 13% (1961) und 5% (1969); 1949: 7%. Die Kommunisten erreichten 1949 4%, bis 1965 zwischen ein und zwei Prozent, danach erscheinen sie nicht mehr in der Wahlstatistik. 166 Kreisergebnis bei der Bundestagswahl von 1949: CDU 70%, SPD 18%, DVP 5,5%, KPD 2,5%, SzT 4%. Das Wahlverhalten differierte je nach Gemeinde stark. Im Vergleich aller Kreisgemeinden erreichten ihr bestes Ergebnis: die CDU in Neukirch mit 91,8%, die SPD in Friedrichshafen, die KPD in Kehlen mit 3,8% und die SzT in Meckenbeuren mit 6,7%; am schlechtesten schnitten ab: die CDU in Friedrichshafen, die SPD mit 4,5% in Tannau, die KPD mit 0,3% ebenfalls in Tannau und die SzT mit 0,7% in Ettenkirch. Vgl. hierzu ausführlicher das Wahlergebnis im Amtsblatt für den Kreis Tettnang vom 16.8.1949. '"Zwischen 1945 und 1949 waren es zusammen mit der KPD zunächst vier Parteien, weshalb in der Literatur bis Mitte der fünfziger Jahre auch von einem »stabilen Vier-Parteien-System« gesprochen wird, vgl. Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik, S. 192 und 203ff. I68 Siehe dazu Mintzel/Oberreuter, Parteien in der Bundesrepublik Deutschland, S. 7.

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II. Prüfstein Demokratie

3. Mit der CDU entstand nach 1945 eine überkonfessionelle Partei neuer Art, der es gelang, Stimmen aus allen sozialen Schichten und aus beiden Konfessionen zu gewinnen. Für Friedrichshafen gilt dies ab 1953, während in der unmittelbaren Nachkriegszeit zunächst »badische Verhältnisse« mit einem hohen Anteil der FWV bestanden hatten. Die Parteien weisen auch auf lokaler und regionaler Ebene Kontinuitätslinien zu den Weimarer Parteien auf, allerdings waren die Gewichte anders als auf Bundesebene verteilt. Setzten hier SPD und KPD am stärksten die Vorkriegstraditionen fort, so zeigte sich im Kreis Tettnang und in Friedrichshafen die CDU am deutlichsten traditionsverbunden. Sie führte fort, was 1933 mit dem Zentrum abgebrochen war. Die bedeutendste politische Tradition in Württemberg, die des politischen Liberalismus, gewann in der untersuchten Region nach 1945 sogar einen stärkeren Rückhalt, als dies in der Weimarer Republik der Fall gewesen war. Allerdings kam dies nur zum Teil der FDP zugute, denn auch die Freien Wählervereinigungen standen in dieser Kontinuität. Trotz der für sie nachteiligen Gebietsreform in den siebziger Jahren sind sie ein wichtiger Faktor in der lokalen Parteienstruktur geblieben. Auf regionaler Ebene gab es keine schroffen Gegensätze zwischen den verschiedenen Parteien; entschiedene gesellschaftliche Umgestaltungsansprüche erhob keine der Parteien. Orientiert an kommunalpolitischen Gegebenheiten und Problemen, kam es selten zu ideologischen Auseinandersetzungen. Fanden diese doch hin und wieder vor allem unmittelbar nach Kriegsende statt, zogen jeweils die Vertreter der linken Position den Kürzeren. Der politischen Entwicklung lag ein breiter Konsens in der Bevölkerung zugrunde. Wahlentscheidungen fielen weniger aufgrund von Parteiprogrammen, sie hingen vielmehr von einzelnen Persönlichkeiten ab. Gefördert wurde dieser für Württemberg typische Honoratiorencharakter durch das Wahlrecht, das es erlaubt, durch Kumulieren und Panaschieren einzelne Bewerber gezielt „nach vorne" zu wählen. Mit Beginn der siebziger Jahre schwächte sich der Trend zu Persönlichkeitswahlen jedoch deutlich ab.

2. Wiederaufbau der Gewerkschaften Im letzten Abschnitt der politischen Grundsätze des Potsdamer Abkommens wurde die »Schaffung Freier Gewerkschaften« vereinbart, allerdings »unter Berücksichtigung der Notwendigkeit der Erhaltung der militärischen Sicherheit.« 169 Diese Einschränkung galt auch für andere Bereiche wie die Freiheit der Presse und der Religion. Am 10. September 1945 erließ die französische Militärregierung in Baden-Baden durch den Commandant en Chef Français en Allemagne Pierre Koenig die Verordnung Nr. 6 zur Wiederherstellung des Gewerkschaftsrechts 170 - drei Monate früher als die Verordnung zur Parteiengründung. Das Gewerkschaftsrecht sollte »für den gesamten Bereich des französischen Besatzungsgebietes« wiederhergestellt werden (Artikel 1). Artikel 4 der Verordnung dämpfte schon im Vorfeld zu große Hoffnungen der ' " R o l f Steininger, Deutsche Geschichte 1945-1961. Darstellungen und Dokumente in 2 Bde., Frankfurt a.M. 1983, hier Bd. 1.S.77. 170 JO, Nr. 2, Verordnung Nr. 6 betreffend Wiederherstellung des Gewerkschaftsrechts im französischen Besatzungsgebiet vom 17.9.1945. In diesen Zusammenhang gehört auch JO Nr. 22 vom 8.5.1946, Verfügung Nr. 54 vom 12.4.1946 betreffend Anwendung der Verordnung Nr. 6 hinsichtlich der Gründung von Zusammenschlüssen örtlicher und provinzialer Gewerkschaften.

Gewerkschaften

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Gewerkschaftsfunktionäre auf umfassende Partizipation am politischen und gesellschaftlichen Wiederaufbau: »Der Zweck der Gewerkschaften besteht in der Wahrnehmung der Berufsinteressen ihrer Mitglieder. Jede sonstige Betätigung ist ihnen untersagt.« Festgeschrieben wurde auch die Entscheidung für das Industrieverbandsprinzip. Erste Grundlage dafür schuf die Verfügung Nr. 6, nach der Gewerkschaften nur Mitglieder organisieren durften, die »Personen des gleichen, eines ähnlichen oder eines mit ihrem Berufe zusammenhängenden Faches« waren. 171 Ein weiteres Merkmal des Gewerkschaftsaufbaus bestand in der Konstituierung parteipolitisch neutraler Einheitsgewerkschaften, welche die bisherigen Richtungsgewerkschaften ablösten. Allerdings wurde dieses Prinzip nicht in allen Berufsgruppen verwirklicht. So konkurrierten im öffentlichen Dienst verschiedene Einzelgewerkschaften miteinander, es entstanden Vertretungen für spezifische soziale Gruppen wie die »Deutsche Angestelltengewerkschaft« oder ständische Organisationen wie der »Deutsche Beamtenbund«. Bestrebungen eines Teils der Gewerkschaftsbewegung, eine Einheitsgewerkschaft aller Arbeiter, Angestellten und Beamten zu gründen, scheiterten am Veto der Besatzungsbehörden. Im Oktober 1949 entstand jedoch als politisch alle Richtungen übergreifende Einheitsgewerkschaft der »Deutsche Gewerkschaftsbund«, der für das gesamte Gebiet der Bundesrepublik zuständig war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es in der ABZ und der FBZ nicht einmal Zonen-, sondern nur Landesverbände gegeben. Es wird in der Forschung zurecht betont, daß zu den offensichtlichsten Kontinuitätsbrüchen zur Republik von Weimar die Gründung von Einheitsgewerkschaften zählt. 172 Die Aufspaltung in weltanschaulich-politische Richtungsgewerkschaften, wie sie bis 1933 bestimmend war, fand keine Fortführung. 173 Andererseits finden sich auch Anknüpfungspunkte an traditionelle Formen der Arbeitnehmervertretung. So wurde die doppelte Interessenvertretung in Gewerkschaften und Betriebsräten fortgeführt. Die in den Nachkriegsjahren zwischen Arbeitnehmerorganisationen und Unternehmern geführte Debatte um Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung weist ebenfalls Kontinuitätslinien bis in die Weimarer Republik zurück auf. Vor allem in bezug auf die Verhandlungsstrategien der Unternehmer und die erreichten Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer ist die These von dem »prinzipiell neuen Verhältnis«, das in den fünfziger Jahren zwischen Unternehmern und Gewerkschaften in Form einer Sozialpartnerschaft entstanden sei, kritisch zu hinterfragen. 174 Für die Arbeiterbewegung im Kreis Tettnang bedeutete die Nachkriegsentwicklung eine tiefere Zäsur als in Regionen mit traditionell starken Arbeiterorganisationen. Im ,71

Ebd., Verfügung Nr. 6 des Administrateur Général betr. Durchführung der Verordnung Nr. 6 vom 10. September 1945 über die Wiederherstellung des Gewerkschaftsrechtes im französischen Besatzungsgebiet, mit dem Zusatz: »Die Vereinigung von Gewerkschaften bleibt einer späteren Regelung vorbehalten.« 172 So z.B. Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 63. l73 Zur Entwicklung der Gewerkschaften seit ihrer Entstehung siehe Klaus Schönhoven, Die deutschen Gewerkschaften, Frankfurt a.M. 1987, für die Zeit nach 1945 ab S. 197ff. Einen Überblick über die umfangreiche Literatur zur Gewerkschaftsentwicklung nach 1945 bietet Alain Lattard, Le syndicalisme dans les zones de l'occupation occidentales, in: Henri Ménudier, L'Allemagne Occupée 19451949, Asnières 1990, S. 101-130. 174 Michael Schneider, Demokratisierungskonsens zwischen Unternehmern und Gewerkschaften? Zur Debatte um Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung, in: Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau, S. 207-222, hier S. 221, mit Verweis auf Knut Borchardt, Die Bundesrepublik in den säkularen Trends der wirtschaftlichen Entwicklung, in: Conze/Lepsius, Sozialgeschichte, S. 20-45.

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II. Prüfstein Demokratie

Kreis Tettnang wie im ganzen südlichen Oberschwaben blieb die Arbeiterbewegung, von kurzen Phasen abgesehen, in Kaiserzeit und Weimarer Republik marginal.175 In Friedrichshafen gab es seit 1882 einen Hirsch-Dunckerschen Gewerkverein. Er »war ins bürgerliche Leben der Stadt integriert, seine Aktivitäten beschränkten sich auf gesellige Veranstaltungen und Unterstützung der Mitglieder bei Arbeitslosigkeit und Krankheit.«176 Ab 1884 entstand eine landesweite Sammlungsbewegung unter katholischen Arbeitern, die in der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) der Diözese Rottenburg-Stuttgart aufging. Die KAB datiert die Anfänge ihrer Verbandsgeschichte auf 1883. In diesem Jahr gründeten Arbeiter und Handwerker einen Arbeiterverein in Deilingen auf dem Heuberg177, nach Reinhard Keinert die erste Gründung eines katholischen Arbeitervereins in Württemberg.178 In den folgenden Jahren entstanden zahlreiche Katholische Arbeitervereine: 1885 in Ravensburg179, 1889 und 1896 in den Tettnanger Oberamtsgemeinden Oberteuringen und Ailingen180, 1897 in Hasenweiler, 1899 in Friedrichshafen und 1903 in Schnetzenhausen. Tettnang, Langenargen und Riedheim-Raderach kamen kurz darauf hinzu. Sie schlossen sich zunächst im »Bodensee-Schussengau« innerhalb des Verbandes Katholischer Arbeitervereine Süddeutschlands (seit 1891) zusammen. 181 1914 entstand eine Friedrichshafener Ortsgruppe des Christlichen Metallarbeiterverbandes (CMV). Bis dahin war für Friedrichshafen die um 1905 gegründete Ravensburger CMV-Geschäftsstelle zuständig. Mitglieder der Katholischen Arbeitervereine (vor allem aus Ailingen) waren an der Gründung beteiligt.182 Die Geschichte der CMV-Ortsgruppe ist bislang noch nicht 175

Die oberschwäbische Kreisleitung der KPD faßte die Problematik so zusammen: »In den Betrieben haben die lebenslänglichen Zuzüge aus den umliegenden kleinbäuerlichen Kreisen die Mehrzahl. Und diese sind zu nichts zu gebrauchen, würden lieber jetzt schon mit längerer Arbeitszeit arbeiten [...]. Sie haben immer noch die Fehler der früheren Vereinsmeierei an sich haften und ihre bürgerlichen Ideen.« Die Betriebe seien zu »Hochburgen der Reaktion« geworden, nachdem der Luftschiffbau Zeppelin 1918/19 Massenentlassungen durchgeführt habe. Bevorzugt wurden in der Folgezeit Arbeiter eingestellt, die »an ihre Scholle gebunden« seien, zitiert nach Glaeser, Metaller am See, S. 110. 176 Ebd., S. 50. 177 Zur Verbandsgeschichte des Deilinger Vereins vgl.: Festschrift zum 100jährigen Bestehen der KAB der Diözese Rottenburg-Stuttgart 1883-1983, hrsg. v. d. KAB der Diözese Rottenburg-Stuttgart, unter Mitarb. v. Reinhard Keinert u.a., Stuttgart 1983. Nach der Auflösung in den vierziger Jahren gründete sich eine KAB-«Werkvolk-Gruppe« erst wieder 1970, ebd. S. 14. 178 Ebd., S. 11. 179 Hierzu liegt eine 55seitige »Festschrift zur 100jährigen Wiederkehr der Gründung des 1. Arbeitervereins in Ravensburg am 7. Juni 1885 und der 25jährigen Gründung des KAB Gau Bodensee« vom 6.10.1985 vor. I80 Im Stadtteil Ailingen konnte kürzlich das hundertjährige Bestehen der KAB-Ortsgruppe gefeiert werden, vgl. SZ vom 23.9.1996. Der Ailinger Verein wurde nach seiner Auflösung 1933 erst 1958 wiedergegrilndet. I81 Zur weiteren Entwicklung siehe die Festschriften sowie Georg Wieland, Die Anfänge des Christlichen Metallarbeiterverbandes in Friedrichshafen (1912/14), in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung 114 (1996), S. 81-99. In der Stadt Friedrichshafen entstanden zwischen 1953 und 1963 vier wiedergegründete KAB-Gruppen. Am 18.12.1960 wurden die seit 1952 bestehenden fünf KAB-Gaue um den »Gau Bodensee« erweitert, er umfaßt das Gebiet zwischen Bad Waldsee und Friedrichshafen bzw. Wilhelmsdorf und Isny. Zum Zeitpunkt der Gründung bestand der Gau aus 21 »Werkvolkgruppen« mit 522 Mitgliedern. Von 1960 bis zum Erscheinen der hier zitierten Festschrift von 1985 übernahmen Stadtpfarrer aus Friedrichshafen die Präsidentschaft. 1985 kamen knapp 40% der 880 Mitglieder des Gaues Bodensee aus Friedrichshafen (340, davon 89 Frauen). Siehe hierzu die Festschrift zur 100jährigen Wiederkehr der Gründung des 1. Arbeitervereins in Ravensburg, S. 42. 182

Wieland, Die Anfänge des Christlichen Metallarbeiterverbandes, S. 88ff.

Gewerkschaften

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erforscht, es kann aber davon ausgegangen werden, daß ihre Rolle eher unbedeutend war.183 Der CMV ging nach 1949 im DGB auf. Allerdings kam es 1955 auf Bundesebene zur Neugründung der »Christlichen Gewerkschaftsbewegung Deutschlands«, seit 1959 »Christlicher Gewerkschaftsbund Deutschlands«. Innerhalb dieses Verbandes mit seinen siebzehn Berufsgewerkschaften besteht in Friedrichshafen seit 1959 eine Ortsgruppe der »Christlichen Gewerkschaft Metall«. Vom damaligen CMV zu dieser Ortsgruppe bestehen jedoch keine Verbindungslinien.184 Im Jahre 1905 versuchte erstmals der der SPD nahestehende Deutsche Metallarbeiterverband (DMV) in der Stadt Fuß zu fassen, allerdings ohne Erfolg, denn noch steckte die Industrialisierung der Region in den Kinderschuhen. Erst 1910 traten Arbeiter als Mitglieder in den DMV ein.185 Im Oberamt Tettnang wurde im gleichen Jahr ein sozialdemokratisches Gewerkschaftskartell mit fünf Einzelgewerkschaften und zirka 100 Mitgliedern gegründet, das sich jedoch bald wieder auflöste. Obwohl es nach dem Ersten Weltkrieg wiedergegründet wurde, blieb nach Elmar L. Kuhn »mit und ohne Kartell ohnehin der Deutsche Metallarbeiterverband, der Vorläufer der heutigen IG Metall«, für die Arbeiterpolitik bestimmend.186 1919 waren im DMV 2.100 Mitglieder aus Friedrichshafen organisiert, was einem Höchststand zwischen 1910 (74 Mitglieder) und 1932 (540 Mitglieder) entsprach.187 Nur in der Revolutionszeit 1918/ 19 trat die Arbeiterbewegung unübersehbar an die Öffentlichkeit, indem mehrere tausend Arbeiter an Demonstrationen teilnahmen.188 Eine wirksame lokale Verankerung der Arbeiterinteressen in städtischen Gremien, örtlichen Gewerkschaftsverbänden oder betrieblichen Ausschüssen kam erst unter französischer Besatzung zustande.189 2.1. Drei Phasen des gewerkschaftlichen Wiederaufbaus Der Gewerkschaftsaufbau nach 1945 läßt sich in drei Phasen gliedern, die nicht chronologisch aufeinander folgten, sondern zum Teil zeitgleich miteinander verliefen: Der l83

Dies stellt Wolfgang Glaeser zumindest für die Zeit bis Ende des Ersten Weltkrieges fest, ders., Metaller am See, S. 53. Mit der »Machtergreifung« verlor der CMV seine Selbständigkeit. In einer Bekanntmachung der örtlichen Gewerkschaftsrepräsentanten ist folgendes zu lesen: »Am 2. Mai Ubernahm die NSBO. die Führung der „Freien Gewerkschaften". Die christlichen Gewerkschaften und die Hirsch-Duncker'schen Gewerkschaften haben sich freiwillig unter die Führung Adolf Hitlers und das von ihm bestellte Aktionskomitee gestellt.« Zitiert nach Wieland, Die Anfänge des Christlichen Metallarbeiterverbandes, S. 99. 184 Dies betont Glaeser, Metaller am See, S. 48; vgl. auch Wieland, Entstehung des Christlichen Metallarbeiterverbandes, S. 99. I85 Glaeser, Metaller am See, S. 50 und 52. 186 Elmar L. Kuhn (Hrsg.), Leben am See im Wandel. Der Bodenseeraum auf dem Weg zur Moderne (Leben am See 16), Friedrichshafen 1981, S. 279. 187 Zur Mitgliederentwicklung des DMV in Württemberg, Ravensburg, Friedrichshafen, Wangen und Leutkirch siehe Glaeser, Metaller am See, Tabelle 3 im Anhang. 188 Zur Geschichte des DMV bis zur Zwangsauflösung 1933 sei auf ebd. verwiesen. 18, Die Beschäftigten in den Friedrichshafener Industriebetrieben setzten sich mindestens zur Hälfte aus »Arbeiterbauern« mit der entsprechenden Verwurzelung in den Landgemeinden zusammen. Sie waren in der Regel nur schwer in Parteien oder Gewerkschaften zu organisieren. Oswald Burger verweist in diesem Zusammenhang auf eine ZF-Festschrift zum 25jährigen Bestehen der Zahnradfabrik aus dem Jahre 1940. In einer Fotoserie werden »eindrucksvoll und sinnfällig« einige Arbeiterbauern vorgestellt und jeweils am Arbeitsplatz und Zuhause gezeigt. Die Bildunterschriften lauten dazu: »Am Tage der Pflicht ergeben - am Abend der Scholle verbunden. Ernst und gewissenhaft in die Arbeit versunken - nach Feierabend heiter und stolz als Imker. An der Schleifmaschine sorgsamer Wächter Uber tausendstel Millimenter - liebevoller Gärtner auf eigenem Grund«, zitiert nach »Südschwäbische Nachrichten« 9/90, S. 10.

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W i e d e r a u f b a u auf lokaler E b e n e , die B i l d u n g v o n Kreiskartellen und der Z u s a m m e n schluß auf L a n d e s e b e n e . 1 9 0 Friedrichshafen gehörte z u den Städten der F B Z , in denen v e r g l e i c h s w e i s e sehr früh mit der g e w e r k s c h a f t l i c h e n R e o r g a n i s a t i o n b e g o n n e n wurd e . 1 9 1 G l e i c h nach K r i e g s e n d e k a m e s i m Kreis Tettnang z u ersten i n f o r m e l l e n T r e f f e n v o n Gewerkschaftsaktivisten: » A l t e G e w e r k s c h a f t e r und aktive n e u e Kräfte fanden sich bald nach der B e s e t z u n g z u s a m m e n , u m die V o r a u s s e t z u n g e n einer n e u e n G e w e r k s c h a f t s b i l d u n g zu diskutieren.« 1 9 2 A n den S i t z u n g e n v o n A u g u s t bis D e z e m b e r 1 9 4 5 n a h m e n f o l g e n d e M ä n n e r r e g e l m ä ß i g teil: 1 9 3 Tabelle

l90

17:

Gründungsmitglieder der G e w e r k s c h a f t e n Name

Partei

Gewerkschaft

Arbeitsstätte

Flösser Denz Müller Oppenländer Silfang Beckert Rother Braun Wagner Seyfried Schmäh Link Kuban Frick Spindler

SP SP SP KP KP KP KP SP SP

Metall Angest. öff. Behörd. Eisenbahn Metall Metall Metall Metall Metall Eisenbahn

ZF Stadtverwaltung Betriebswerk F N LZ ZF Seewerk ZF

.

CDU KP

Metall Metall

-

-

SP

Metall

EAW ZF ZF ZF LZ MM

-

-

-

_ 194

-

Die folgenden Ausführungen fußen hauptsächlich auf Quellen des Besatzungsarchivs in Colmar und des Staatsarchivs in Sigmaringen. Anfragen beim DGB Friedrichshafen und der lokalen IGMetall auf eventuell vorhandene Quellenbestände wurden negativ beschieden. Obwohl die lokalen Verwaltungsstellen autonom sind, verwiesen die Gesprächspartner auf die Vorstandszentralen in Düsseldorf und Frankfurt. Von dort kamen erwartungsgemäß ebenfalls negative Bescheide, da keine Aktenabgaben der lokalen Verwaltungsstellen vorgesehen sind. Im Archiv des DGB-Bundesvorstandes (seit März 1995 im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung) könnten ggf. und mit einem Aufwand, der für dieses Kapitel nicht betrieben werden konnte, im Bestand des ehemaligen Gewerkschaftsbundes Südwürttemberg-Hohenzollern Quellen zum Kreis Tettnang gefunden werden. Wegen der Wichtigkeit des Themas wollte die Verfasserin nicht auf Ausführungen zum Gewerkschaftsaufbau verzichten. Ohne die Untersuchung von Hendrik Riemer, dessen Ausführungen auf Quellenmaterial der lokalen Gewerkschaften fußt, wäre dieses Kapitel jedoch nicht zustande gekommen: ders., Gewerkschaftlicher Wiederaufbau in Friedrichshafen 1945-1948, hrsg. v. DGB Bodenseekreis, Friedrichshafen 1985.

191

Vergleichbar mit Tübingen, Freiburg und Rastatt, vgl. hierzu Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 64, Anm. 4. Als wichtige Quelle erwiesen sich die schriftlichen Ausführungen eines Friedrichshafener Gewerkschafters über die Gründungsphase, siehe StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Ein Situationsbericht vonR. Denz, o.D. [Oktober 1946]. 193 Sitzungsprotokolle des Gründerkreises, vgl. Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 90. Die Angaben von Riemer wurden hier mit verschiedenen Quellen erweitert. Angaben zur Arbeitsstätte entsprechen dem Stand von August bis Dezember 1945. Frauen waren in den gewerkschaftlichen Gründungsgremien nicht vertreten, jedoch ab 1946 (in geringer Zahl) in den Betriebsräten. 194 Nicht bekannt 192

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Gewerkschaften

Unregelmäßig verzeichnet oder erst gegen Ende 1945 aktiv teilgenommen hatten: Name

Partei

Gewerkschaft

Arbeitsstätte

Hänsler Späth Lanz Karg Sommer Weber Otto Streib Bleicher Metzger

Demokraten parteilos SP parteilos -

Metall Metall Metall

MM Eisenbahn MM LZ MM

Arb. öff. Betriebe Angest. öff. Dienste -

Stadtwerke Stadtwerke Stadtverwaltung ZF

Der engere Kreis der Gründungsmitglieder war neben der gewerkschaftlichen Arbeit auch parteipolitisch aktiv, einige Gewerkschafter sind bereits im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit im Gemeinderat vorgestellt worden. Die Mehrheit der Aktivisten war schon vor 1933 in der Arbeiterbewegung verankert gewesen. 195 Zu ihnen gehörte zum Beispiel Jakob Braun, 1919 im Ausschuß und Vorstand der Betriebskrankenkassen und während der revolutionären Phase 1918/19 Vorsitzender des Arbeiterrats. 196 Zu ihnen gehörte ebenso der Dreher Josef Hänsler, 1907 Gründungsmitglied des SPDOrtsvereins und von 1918 bis 1933 Vorstandsmitglied der ZF-Betriebskrankenkasse. 197 Von den in der ersten Namensliste genannten fünfzehn Personen, bis auf eine allesamt nach Friedrichshafen zugezogen, wurden fünf vor der Jahrhundertwende geboren, sechs zwischen 1901 und 1907.198 Das Durchschnittsalter lag mit 46,5 Jahren relativ niedrig. 199 Gerade auch die jüngeren »Neueinsteiger« wie Konstantin Schmäh (geboren 1902) sollten in der Folgezeit die Nachkriegsentwicklung entscheidend mitprägen. Am 3. August 1945 stellte das Gründungsmitglied Karl Flösser wegen der eigentlich verbotenen Gewerkschaftsaktivitäten nur als Einzelperson einen Antrag auf »Reorganisation der freien Gewerkschaften im Kreis Friedrichshafen«, um, wie weiter begründet wurde, »die von Tag zu Tag zunehmende Zahl von Arbeitern im Sinne alliierter Bestimmungen zu organisieren.« 200 Mit der Wahl seiner Person sollte die Chance auf Erfolg erhöht werden: Als SPD-Mitglied vor 1933 war er nicht im radikalen linken Spektrum anzusiedeln, und als Verfolgter des Naziregimes besaß er auch eine unbelastete Vergangenheit. Der Antrag wurde von den Franzosen abgelehnt, weil in ihrer Besatzungszone Gewerkschaftsgründungen noch nicht erlaubt waren. Auf Wunsch des "'Ebenso ist eine starke personelle Kontinuität in den 16 Einzelgewerkschaften des DGB und dem Dachverband selbst festzustellen, so daß diesbezüglich nach 1945 kein Traditionsbruch stattfand, vgl. Klaus Schönhoven, Nach der Ära Böckler. Die Führungskrise im Deutschen Gewerkschaftsbund 1951/52, in: Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat, Festschrift Gerhard A. Ritter, hrsg. v. Jürgen Kocka u.a., München 1994, S. 173-189, hier S. 173. 196 Jakob Braun gehörte bis 1922 der USPD und 1924-1927 der SPD an. Von 1919-1931 war er Gemeinderat, vgl. Elmar L. Kuhn/Manfred Mach/Nikolaus Mayer, »Ein Hort der Hilfe, der Sicherheit und des Vertrauens.« 75 Jahre Betriebskrankenkassen, Friedrichshafen 1992, S. 36. " ' E b d . , S. 19. Josef Hänsler war von 1918-1922 SPD-Gemeinderat und 1925, 1928 und 1931 KPDGemeinderatskandidat. " s D i e Angaben basieren auf verschiedenen Quellen. Zu fünf Personen liegt kein Geburtsdatum vor. 199 Ohne die Gewerkschafter Braun und Wagner lag das Durchschnittsalter sogar nur bei 43 Jahren. ^ R i e m e r , Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 88.

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zuständigen Leutnants Carp vom Gouvernement Militaire sandten die Gewerkschafter am 23. August ein Programm an die Dienststellen in Tettnang, das die zukünftige Tätigkeit beschrieb. Hierbei übernahm der Friedrichshafener Gründungskreis die programmatische und organisatorische Zielsetzung des »Württembergisehen Gewerkschaftsbundes«, der am 31. Mai 1945 von freien und christlichen Gewerkschaftsfunktionären in Stuttgart gegründet worden war 201 und in dem sich Karl Flösser als Mitglied engagierte 202 . Der »Württembergische Gewerkschaftsbund« war zwar aus Kalkül im Streit mit den amerikanischen Ansprüchen auf Stuttgart schon im Juni von den Franzosen anerkannt worden, diese Gründungsgenehmigung galt aber nicht für die übrige Zone, weshalb dem zweiten Antrag von Flösser ebenfalls eine Ablehnung folgte. Auf der Sitzung vom 17. August wählten die fünfzehn Anwesenden dennoch eine provisorische Geschäftsführung der Ortsverwaltung Friedrichshafen: Josef Rother wurde Vorsitzender und Geschäftsführer; Matthäus Wagner zweiter Vorsitzender und stellvertretender Geschäftsführer; Karl Flösser Schriftführer und Kassierer; Konstantin Schmäh und Willi Silfang erster und zweiter Beisitzer. Somit setzte sich das einstimmig gewählte Gremium aus vier »Metallern« und einem »Eisenbahner« zusammen. Parteipolitisch waren zwei Kommunisten, zwei Sozialdemokraten und ein Christdemokrat vertreten, so daß ein relativ ausgewogenes Verhältnis entstanden war. Um eine höhere Effizienz bei den Organisationsaufgaben zu erreichen, wurde am 2. September 1945 ebenfalls einstimmig ein »engerer Ausschuß« gegründet und mit drei Personen (Rother/KPD; Wagner/SPD; Schmäh/CDU) besetzt. Nur dieser Ausschuß war künftig bevollmächtigt, »Besprechungen mit Behörden und anderen Stellen über Gewerkschaftsfragen« 203 durchzuführen, was einer gewissen Abschottung von neu hinzukommenden Aktivisten nahekam. Darüber hinaus wurde ein Gremium von einundzwanzig Mitgliedern bestimmt, das die Reorganisation bewerkstelligen sollte und ausschließlich stimmberechtigt war. In der gewerkschaftlichen Aufbauphase waren Personen unter achtzehn Jahren von der Mitgliedschaft ausgeschlossen, dieses Verbot galt bis März 1947;204 Gründungs- oder Vorstandsmitglieder konnten nur Personen ab einem Alter von dreißig Jahren werden. Überregionale Zusammenschlüsse waren wie bei den Parteien vorerst nicht erlaubt. Im Oktober 1945 stellte das »provisorische Ortskartell Friedrichshafen«, wie die Gewerkschafter ihren Zusammenschluß nannten, einen weiteren Antrag auf Zulassung von Gewerkschafts- und Betriebsvertretungen an das Gouvernement Militaire. Die Tettnanger Militärverwaltung antwortete sieben Tage später mit dem knappen Hinweis, daß die Verordnung Nr. 6 vom 10. September 1945 die Gründungsmodalitäten regele und über den Landrat bereits einige Exemplare der Verordnung dem Bürgermeister ausgehändigt worden seien. 205 Es zeigte sich nicht nur in diesem Falle, daß die Gewerkschafter auf Informationen von der Stadtverwaltung angewiesen und ohne ein gewisses Maß an Kooperation stark behindert waren.

20

'Ebd. Markus Schleicher, der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, datiert die Gründung auf den 8. Mai 1945, vgl. seinen im Radio Stuttgart gesendeten Vortrag über die Gewerkschaftsgründungen, in: Der deutsche Südwesten zur Stunde Null, S. 219ff. 202 Aktenvermerk Uber eine Besprechung vom 11.8.1945, siehe Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, Dokumentenanhang. ^ E b d . , S. 91.

^Ebd. ^Ebd.

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Die Koordination zur Gründung der Einzelgewerkschaften übernahm das entstehende Gewerkschaftskartell.206 Zu einem sehr frühen Zeitpunkt, am 12. und 13. Januar 1946, fanden in Friedrichshafen die konstituierenden Versammlungen der Gewerkschaften »Verkehr und öffentliche Betriebe« sowie »Eisen und Metall« statt.207 Zuvor hatten die Gründungsmitglieder ein »Gesuch um Genehmigung zur Einberufung einer Versammlung zwecks Gründung einer Gewerkschaft« beim Bürgermeisteramt einzureichen.208 Es enthielt Personaldaten der Mitglieder, Entnazifizierungsunterlagen, eine Beschreibung der Gewerkschaft und Angaben zu Ort, Zeit und eventueller Teilnehmerzahl an der Gründungsveranstaltung.209 Zusammen mit einer Stellungnahme des Bürgermeisters mußten die Unterlagen dann innerhalb von drei Tagen bei der Militärregierung vorliegen.210 Erst nach schriftlicher Genehmigung durch die französischen Stellen konnte die Versammlung einberufen werden.211 Nachdem die Gewerkschaft »Eisen und Metall« diesen Weg beschritten hatte, dauerte die offizielle Anerkennung immerhin noch bis August 1946. Zwar genehmigte General Widmer von der Militärregierung in Tübingen bereits mit Schreiben vom 20. Dezember 1945 die Gründungsveranstaltung212, aber nach französischem Genehmigungsrecht mußte im Anschluß an die Versammlung ein umfangreiches Paket verschiedener Dokumente wieder über den gleichen Instanzenweg eingereicht werden.213 Das Verfahren verschleppte sich, weil zwar die entsprechende Verfügung keine französischen Übersetzungen forderte, diese aber in der Praxis von den Antragsteilem verlangt wurden. Fast ein Jahr nach der offiziellen Anerkennung gaben sich die französischen Kreisdienststellen noch nicht zufrieden: »Diese Gewerkschaft ist im Anfang nicht vorschriftsmäßig aufgestellt worden«, weshalb mehrmals verschiedene und zweisprachige Listen und Statuten eingefordert wurden. »Aus den Statuten muß klar hervorgehen, daß der Mit-

^ E b d . , S. 50. ^"Ebd., und StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Situationsbericht von R. Denz: »Der Aufbau der Gewerkschaften vollzog sich in Friedrichshafen vorerst in den Berufsgruppen „Eisen und Metall" und „Verkehr und öffentliche Betriebe"«. Zum Vergleich konstituierte sich z.B. die Einzelgewerkschaft der Metallarbeiter im Kreis Tübingen erst am 7.4.1946; vgl. hierzu: Arbeitertubingen, Zur Geschichte der Arbeiterbewegung in einer Universitätsstadt, hrsg. v. DGB Kreis Tübingen, 2. Aufl., Tübingen 1981, S. 236f. Eine erste vorbereitende Gründungsversammlung für die Gewerkschaft Eisen und Metall in Friedrichshafen fand am 10.11.1945 statt, auf der sieben Gewerkschafter als Wahlvorschlag für den Vorstand nominiert wurden: Erster Vorsitzender Rother (KPD), zweiter Vorsitzender Braun (SPD), Kassierer Frick (SPD), Schriftführer Link (KPD), 1. Beisitzer Häfele (CDU), 2. Beisitzer Oppenländer (KPD), 3. Beisitzer Karg (parteilos). 208 Für die Gewerkschaft »Verkehr, öffentliche Betriebe und Verwaltungen« reichten Matthäus Wagner und Friedrich Otto am 4.11.1945 das Gesuch beim Bürgermeister ein, KrA FN, Nr. 4715, Gewerkschaften 1945-1950. Das Gesuch für die Gewerkschaft »Eisen und Metall« wurde von Josef Rother und Paul Häfele am 29.10.1945 eingereicht, nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, Anhang. ^ E i n ähnlich aufwendiges Zulassungsverfahren galt schon für die Parteiengründungen. 210 Nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 83ff. 211 Nach Gerd Friedrich Nüske bestand Gouverneur Widmer, inzwischen Kommissar für das Land WUrttemberg-Hohenzollern der Hohen Alliierten Kommission, noch im Jahre 1950 auf die Einhaltung der Gründungsformalitäten: ders., Gewerkschaften, in: Gögler u.a., Das Land WUrttembergHohenzollern, S. 189-192, hier S. 190. 212 KrA FN, Nr. 4715, Gewerkschaften 1945-1950. 213 Verfügung Nr. 6, Artikel 9: »Nach Schluß der Versammlung hat der Präsident der Gründungsversammlung beim Bürgermeister einzureichen: 1. fünf Exemplare des Berichtes Uber die GrUndungsversammlung, 2. fünf Exemplare der Statuten, 3. fünf Exemplare der Liste der Mitglieder des vorläufigen Vorstandes der Gewerkschaft, 4. die Fragebogen eines jeden Mitglieds des vorläufigen Vorstandes der Gewerkschaft, nach Nüske, Gewerkschaften, S. 84.

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gliedsbeitrag nicht vom Lohn einbehalten, sondern freiwillig entrichtet wird. In den Statuten ist femer ausdrücklich zu bemerken, daß nur Angestellte und Arbeiter der Eisen- und Metallindustrie Mitglieder der Gewerkschaft sein können.« 214 In diesem Kritikpunkt ging es also weniger um eine Verzögerungstaktik der Militärbehörden, die auf einer grundsätzlichen Ablehnung der Gewerkschaftsentwicklung fußte, als vielmehr um wichtige programmatische und ideologische Festschreibungen. 215 Rudolf Denz vermerkte in seinem »Situationsbericht«: »Die schriftliche Genehmigung der nunmehr gegründeten Gewerkschaften seitens der Militärbehörden steht leider noch aus. Unsere Arbeit ist z.Zt. fundiert auf der mündlichen Genehmigung seitens des Herrn Kreisgouvemeur Ulmer, der unserer Bewegung das nötige Verständnis entgegenbringt. Leider sind die Auffassungen der französischen Dienststellen (gedacht ist hier vor allem an die der Industrieüberwachung) nicht einheitlich, was sich bei der Durchführung von Betriebsversammlungen sehr hemmend auswirkt bzw. ausgewirkt hat.« 216 Die französische Verfahrensweise scheint auch nicht von lokalen Gegebenheiten oder Persönlichkeiten abhängig gewesen zu sein, denn in anderen Städten findet sich ein nahezu identisches Gründungsmuster mit allen seinen Verzögerungen und Erschwernissen. 217 Im Sommer 1946, als die Metaller-Gewerkschaft genehmigt wurde, waren in der Industrie rund 1.600 Personen beschäftigt, im Handwerk 200 und in Baugeschäften 300. Nach der hier zitierten Erhebung des Innenministeriums 218 lag der Handel fast ganz still. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 15.000 litt die Friedrichshafener Bevölkerung zwar nicht unter Arbeitslosigkeit, aber wegen der ungewissen Zukunft der Industrie wurde der Zuzug von Ingenieuren und Facharbeitern, welche während des Krieges in den Rüstungsbetrieben gearbeitet hatten, mit Unmut verfolgt. 219 Diesem »nicht bodenständigen Proletariat, meist aus Norddeutschland stammend« (Landrat Stöhr), hätte man angesichts der Versorgungsengpässe gerne die Gastfreundschaft aufgekündigt, aber auch ein halbes Jahr später drohte noch keine Arbeitslosigkeit. Bis zu den ersten 214

Schreiben von Kreisgouverneur Merglen an das Gewerkschaftskartell vom 3.6.1946, nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 85. Auf die Einhaltung der französischen Verordnungen wies auch in scharfem Ton die Landesdirektion für Arbeit in einem Rundschreiben an alle Landratsämter hin, KrA FN, Nr. 4715, Schreiben vom 9.3.1946. 213 So wurde bei der Gründung der Gewerkschaft Eisen und Metall von der Militärregierung kritisiert, daß nach den Gründungsstatuten die technischen und kaufmännischen Angestellten ebenso mit einbezogen wurden wie »Angestellte und Beamte«. Es wurde befohlen, durch eine Änderung der Statuten »eine klare Abgrenzung der beruflichen Zugehörigkeit« festzuschreiben, KrA FN, Nr. 4715, Schreiben der Gewerkschaft vom 29.8.1946. 216 StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239. 217 In Tübingen konstituierte sich am 7.4.1946 die Einzelgewerkschaft der Metallarbeiter, eine Woche später der »Gesamtverband der öffentlichen Betriebe«, im Mai organisierten sich die Bauarbeiter, Buchdrucker, Holzarbeiter und Eisenbahner. Die offizielle Anerkennung durch die französischen Besatzungsbehörden erfolgte dann im August und September. In Reutlingen begann die Gründungsphase am 1.3.1946. Siehe dazu Häffner, Die Demokratische Vereinigung, S. 82. 218 StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, »Bericht über die Finanz- und Wirtschaftslage der Stadt Friedrichshafen« vom 7.10.1946 aufgrund einer Erhebung vom 9. und 13.9.1946, ebd. die weiteren Ausführungen. 219 Ebd.: »Allein in der Zeit vom August 1945/46 sollen rund 4.000 Einwohner wieder in die Stadt zurückgekehrt sein; dabei ist es als recht unerfreulich zu bezeichnen, daß weniger zahlreich die alteingesessenen Friedrichshafener Einwohner wieder zurückkehrten, als die vielen Ingenieure und Facharbeiter, welche während des Krieges von den Großbetrieben der Kriegsindustrie nach F. aus anderen Gemeinden (vielfach aus Norddeutschland) herangezogen wurden und welche mit F. kein Heimatgefühl verbindet, die also an dem raschen Wiederaufbau von Friedrichshafen kein großes Interesse haben«.

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Betriebsratswahlen Anfang 1947 hatte sich die Zahl der Beschäftigten mehr als verdreifacht. In einem Zeitraum von knapp zwei Jahren kam es zur Gründung von zehn Einzelgewerkschaften. In der folgenden Tabelle ist jeweils das Genehmigungsdatum der französischen Militärregierung aufgeführt: 220 Tabelle 18: Gründung von Einzelgewerkschaften 1946/47 Eisenbahner Eisen und Metall Angestellte der Industrie Bauarbeiter Arbeiter in öff. Betrieben Angestellte in öff. Betrieben Post Nahrung und Genuß Holzverarbeitende Industrie Schuhe (Leder)

14.01.1946 12.08.1946 29.01.1947 29.01.1947 221 22.03.1947 22.03.1947 222 30.09.1947 30.09.1947 21.10.1947

In dieser ersten Phase galt für die Gewerkschaftsfunktionäre noch das Ziel, eine Zersplitterung in politische Lager zu vermeiden, weshalb eine Ausgewogenheit hinsichtlich der Ämtervergabe angestrebt wurde. Daß der anfängliche Wille zu einer gemeinschaftlichen Aufbauarbeit nicht lange hielt, ist von vielen Einzeluntersuchungen bekannt. Ideologische und parteipolitische Interessen setzten sich schnell durch, so auch in Friedrichshafen. Im Juni 1946 gab es erste Risse, als ein christdemokratischer Gewerkschafter der Eisenbahn ein Protestschreiben an den ersten Vorsitzenden Rother richtete: »Besonders auffallend stelle ich fest, daß die Leitung des vorläufigen Ortskartells einseitig besetzt ist, also die demokratischen Grundregeln vollständig außer acht gelassen sind. So wie ich die Entwicklung in Friedrichshafen verfolgt habe, sind ich und viele andere ehemaligen christlichen Gewerkschafter zur Auffassung gekommen, daß hier eine bestimmte Absicht zu Grunde liegt, gegen die wir ganz entschieden im Interesse der Gewerkschaftsbewegung und der Arbeiterschaft selbst Einspruch erheben.« 223 Dieser Vorwurf war nicht ganz gerecht, weil die provisorische Geschäftsführung einstimmig gewählt worden war. Das Problem bestand wahrscheinlich darin, daß die Eisenbahnergewerkschaft als Vorsitzenden einen Kommunisten und als stellvertretende Vorsitzende einen Sozialisten und einen Christdemokraten gewählt hatte. Hier scheinen Konflikte bestanden zu haben, vor allem, wenn die zwei Erstgenannten gleiche Ziele verfolgten. Es mag dem Beschwerdeführer auch mißfallen haben, daß die zweitwichtigste Einzelgewerkschaft vor Ort - die der Metaller - ebenfalls einen kommunistischen Vorsitzenden hatte. Nach Ansicht der französischen Offiziere waren die kommunistischen Vorstände nicht die Folge einer zahlreichen Anhängerschaft innerhalb der Arbeitnehmerschaft oder einer Unterstützung durch die Kommunistische 220

Nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 96. Im Anhang befinden sich zu drei Gewerkschaftsgründungen die schriftlichen Genehmigungen des Kreisgouverneurs. Die »Gewerkschaft für das Bauhandwerk« hatte ihre GrUndungsversammlung am 6.10.1945, KrA FN, Nr. 4715, Schreiben des Bürgermeisteramtes vom 16.11.1946. 222 Die Gründungsversammlung wurde am 21.9.1946 abgehalten, ebd., Schreiben des Bürgermeisteramtes vom 5.11.1 946. 223 Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 95. 221

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Partei, sondern vielmehr durch »une habile tactique électorale« zustande gekommen. 224 Trotz ihrer häufig geäußerten Skepsis gegenüber den Kommunisten übten die Franzosen keinen direkten Einfluß auf die Organisationsstrukturen aus, sondern begnügten sich mit der Rolle des Beobachters. 1948 kam es dann endgültig zum Eklat, als der Beschwerdeführer von 1946 bei der Wahl der Krankenkassenvertreter die Liste der Gewerkschaft mit einer eigenen CDU-Liste boykottierte. 225 Das Kräfteverhältnis hatte sich inzwischen so entwickelt, daß ein daraufhin erfolgtes Ausschlußverfahren auf Druck der Mitglieder zurückgenommen werden mußte 226 . Trotz innergewerkschaftlicher Querelen und organisatorischer Hemmnisse von Seiten der Franzosen bis ins Jahr 1947 hinein begann parallel die zweite Phase des Gewerkschaftsaufbaus: der Zusammenschluß auf Kreisebene. Am 25. Juli 1946 erteilte die Militärregierung in Tübingen allen Kreisgouverneuren die Erlaubnis zur Genehmigung von Kreiskartellen 227 , so daß am 1. Oktober 1946 die Gründungsversammlung des Gewerkschaftskartells Friedrichshafen-Tettnang im Gasthaus Waldhorn stattfinden konnte. 228 Vertreten waren die Delegierten von sechs Gewerkschaften: »Eisen und Metall« (6 Vertreter), »Einheitsgewerkschaft der Eisenbahner« (6), »Technische Angestellte« (4), »Kaufmännische Angestellte« (2), »Arbeiter der öffentlichen Betriebe und Behörden« (2) und »Angestellte und Beamte der öffentlichen Betriebe und Behörden« mit drei Delegierten. 229 Vermutlich war auch die Gewerkschaft der Bauhandwerker vertreten. Alle sieben Gewerkschaften zusammen vertraten zu diesem Zeitpunkt 2.092 Mitglieder, geführt von den Eisenbahnern mit etwa 1.100 Mitgliedern. 230 Als erster Vorsitzender wurde, diesmal mit der knappen Mehrheit von einer Stimme, der Kommunist Josef Rother gewählt und zusätzlich einstimmig zum Geschäftsführer ernannt. 231 Er konnte jedoch seine Ämter nur vier Monate bis zur allgemeinen Vorstands- und Delegiertenwahl ausüben. In den Generalversammlungen vom 23. bis 26. Januar 1947 wählten die Mitglieder 23 Delegierte für sieben Gewerkschaften. 232 Auch unter diesen Vertretern war keiner im Kreis Tettnang geboren, das Durch-

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AdO, c. 3568, Dossier chronologique de février 1947 à novembre 1950. Zur Geschichte und Bedeutung der Betriebskrankenkassen siehe Kapitel III.2. Daß der KPD die Basis innerhalb der Arbeiterschaft fehlte, zeigt das Ergebnis der Betriebsratswahlen von 1947 und 1948, siehe unten. 227 Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 85. 228 Kr A FN, Nr. 4715, und Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 95/96. In Tubingen erfolgte die Gründung am 9.10.1946, so daß die Stadt Friedrichshafen sowohl auf lokaler als auch auf Kreisebene ihre Gewerkschaftsorganisation früher konstituieren konnte als die Landeshauptstadt Tübingen, vgl. Häffner, Die Demokratische Vereinigung, S. 82. 229 Zu diesem Zeitpunkt waren nur die Gewerkschaften der »Metaller« und »Eisenbahner« von der Militärregierung offiziell genehmigt. 230 Zahl der Mitglieder am 1.10.1946: Eisen und Metall (665), Technische Angestellte (150), Kaufmännische Angestellte (75), Arbeiter der öffentlichen Betriebe (30), Angestellte der öffentlichen Betriebe (37), Bauhandwerker (35), nach KrA FN, Nr. 4715, Schreiben des Landratsamtes vom 12.11.1946. Der Organisationsgrad kann aus Mangel an entsprechenden Zahlen zur Gesamtbeschäftigung nicht errechnet werden. 23, Bei der geheimen Abstimmung zur Wahl des Vorsitzenden erhielt Rother 10 und der zweite Kandidat Ernst Höse 9 Stimmen. Vier Delegierte enthielten sich der Stimme. Vgl. hierzu Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 96. 232 Die Namen und biographischen Angaben zu den 23 Delegierten sind in einer Aufstellung des Gewerkschaftskartells vom 7.2.1947 zu finden, KrA FN, Nr. 4715. 225

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schnittsalter lag bei 46 Jahren.233 Im Vorstand gab es aufgrund der Wahlen wichtige Veränderungen. Geschäftsführung und Vorsitz wurden nun personell getrennt und mit dem Kalkulator Eugen Frick sowie dem städtischen Angestellten Rudolf Denz, beide Sozialdemokraten, besetzt. Der Maschinenschlosser Josef Rother war nur noch als zweiter Beisitzer im Vorstand vertreten.234 Dafür wählten die Delegierten den Kommunisten Fritz Beckert, inzwischen ebenfalls städtischer Angestellter, zum zweiten Vorsitzenden des Kreiskartells.235 Das Durchschnittsalter der Vorstandsmitglieder war mit 42 Jahren noch niedriger als das der Delegierten. Fortan verzichtete der Kreisgouverneur auf eine Genehmigungspflicht für Versammlungen der einzelnen Gewerkschaften. Er wollte nur noch drei Tage vor dem Termin eine »einfache Mitteilung« erhalten.236 Am 8. Mai 1947 erhielt das Kreiskartell von der Militärregierung die Gründungsgenehmigung. Die Metall- und Eisenbahngewerkschaften blieben auch in der Folgezeit bestimmend: »L'Union Locale des Syndicats de Cercle, avec 3200 syndiqués, groupe 9 syndicats, dont les plus influents sont: „Fer et Métaux" (1100 adhérents), et „Cheminots" (1200 adhérents)«.237 Die Mitgliederentwicklung des Kreiskartells zwischen 1946 und 1949238 zeigt, daß die »Metaller« stark aufgeholt hatten und nun mit den »Eisenbahnern« in der Anzahl der Mitglieder nahezu gleich stark waren. Der Organisationsgrad bei den Beschäftigten der Bahnbetriebe lag aber mit zirka 65 Prozent Ende 1947 höher als der der »Metaller« mit ungefähr 47 Prozent. Bei den kleineren Gewerkschaften konnten im öffentlichen Dienst und in der Leder- und Schuhindustrie (mit al-

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17 Personen waren zwischen 33 und 50 Jahren alt, 6 waren älter als 50. Unter den 23 Gewählten befanden sich 11 Arbeiter, 2 Handwerker, 6 Angestellte, 1 Ingenieur und 3 Meister. Frauen waren nicht vertreten. Nur im Kreiskartell war eine Frau als Kassiererin bei der Gewerkschaft »Angestellte öffentlicher Betriebe und Behörden« vertreten. Bei der Wahl dürfte es sich mehr um eine Bestätigung der bisherigen inoffiziellen Delegierten als um eine echte Wahl mit Gegenkandidaten gehandelt haben, vgl. ebd. 234 Auf den Generalversammlungen wurden gleichzeitig alle Vorstände der Einzelgewerkschaften gewählt. Josef Rother wurde zum ersten Vorsitzenden der Gewerkschaft Eisen und Metall gewählt. Des weiteren wurden erste Vorsitzende: der Schlosser Karl Schinko (Bauarbeiter), der Ingenieur Otto Schwab (technische Angestellte), der Kaufmann Karl Klee (kaufmännische Angestellte), Franz Magg (Angestellte öffentliche Betriebe und Behörden) und der Maschinist Friedrich Otto (Arbeiter öffentliche Betriebe und Behörden), vgl. ebd., Listen über die Vorstände der Einzelgewerkschaften mit biographischen Angaben. 235 Zu weiteren Vorstandsmitgliedern wurden gewählt: Karl Klee, Kaufmann in der ZF (Kassierer); Franz Magg, Buchhalter bei der Stadtverwaltung (erster Schriftführer); Josef Deiringer, Postfacharbeiter (zweiter Schriftführer); Beisitzer wurden neben Rother der ZF-Ingenieur Otto Schwab und der Vorarbeiter beim Eisenbahn-Ausbesserungswerk Jakob Müller. Die Kassenrevision wurde mit dem ebenfalls beim EAW arbeitenden Wagenmeister Karl Munding und Obermeister Willy Härter, Maybach-Motorenbau, besetzt. Der Arbeiteranteil im Vorstand war demnach sehr niedrig. Nach KrA FN, Nr. 4715, Namensliste mit biographischen Angaben vom 3.2.1947. 236 Ebd. Schreiben des Gewerkschaftskartells vom 24.2.1947. 237 AdO, c. 3568, Dossier chronologique, Schreiben des französischen Kreisdelegierten an das Cabinet Civil vom März 1948. Nach Rudolf Denz waren im Herbst 1946 zwischen 30 und 40% der in der Großindustrie Beschäftigten gewerkschaftlich organisiert, vgl. StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Situationsbericht von R. Denz. 238 Dem Kreisgouverneur in Tettnang mußte jedes Quartal eine Statistik über die Mitgliederentwicklung des Gewerkschaftskartells vorgelegt werden. Die noch erhaltenen Bestände hat Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 107, versucht, in einer Tabelle darzustellen. In den folgenden Ausführungen wurden verschiedene Widersprüche und Schätzwerte, die auf der schmalen Quellenbasis beruhen, berücksichtigt.

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lerdings nur 34 Beschäftigten) ebenfalls knapp 50 Prozent organisiert werden. 239 Von den Friedrichshafener Großbetrieben hatte der Maybach-Motorenbau mit 62 Prozent organisierten Beschäftigten die höchste Mitgliederrate gegenüber der Zahnradfabrik mit 48 Prozent und dem unter französischer Verwaltung stehenden Luftschiffbau Zeppelin mit 32 Prozent. 240 Bei vier kleineren Betrieben mit einer Belegschaft zwischen 20 und 90 Personen lag der Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern zwischen 49 und 71 Prozent. 241 Ende 1947/Anfang 1948 gehörten von 6.305 Beschäftigten etwa die Hälfte einer Gewerkschaft an. Als weitere parallele Entwicklung kam die dritte Stufe des gewerkschaftlichen Organisationsaufbaus hinzu, die den Zusammenschluß der Einzelgewerkschaften zu Landesberufsgewerkschaften bzw. der Kreisgewerkschaftskartelle in den Gewerkschaftsbund Südwürttemberg-Hohenzollern umfaßte. Am 5. Oktober 1946 fand in Tuttlingen die erste Landeskonferenz der Gewerkschaften Südwürttembergs und Hohenzollerns statt. Capitaine Chavoutier als Vertreter der Militärregierung betonte vor den Delegierten, daß sie nun die dritte Etappe der württembergischen Gewerkschaftsbewegung vorbereiten würden. Ausgehend von dieser Landeskonferenz lud der Gewerkschaftsbund Südwürttemberg-Hohenzollern »die uns angeschlossenen Kreiskartelle und Landesberufsgewerkschaften« zur ersten ordentlichen Bundes-Generalversammlung am 15. und 16. Februar 1947 nach Tuttlingen ein. 242 Hier erfolgte dann die endgültige Konstituierung des Gewerkschaftsbundes Südwürttemberg-Hohenzollern. 243 Der Geschäftsführer des Gewerkschaftskartells Friedrichshafen Eugen Frick wurde von den Delegierten als Vorstandsmitglied nominiert. 244 Die Gründung von dreizehn Landesberufsgewerkschaften war bereits Ende 1946 weitgehend abgeschlossen. 245 Mit der Konstituierung von Landesorganisationen war die Gewerkschaftsbil-

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Gewerkschaften, die zu einem späten Zeitpunkt gegründet wurden, hatten 1947/48 einen verhältnismäßig niedrigen Organisationsgrad. Aufgrund des Zahlenmaterials kann eine annähernd genaue Statistik nur für die Zeit Ende 1947/Anfang 1948 ausgearbeitet werden. Eine Statistik über einen längeren Zeitraum scheitert an den fehlenden Belegschaftszahlen. - Organisationsgrad 1947/48 bei: Holzverarbeitende Industrie (260 Beschäftigte) 8%; Post- und Fernmeldewesen (155 Beschäftigte) 12%; Bau, Steine, Erden (1012) 19%; Nahrung und Genuß (102) 20%; Leder- und Schuhindustrie (34) 47%; Arbeiter und Angestellte in öffentlichen Betrieben und Behörden (252) 49%. 240 1947/48 hatte der Maybach-Motorenbau 583 Beschäftigte, die Zahnradfabrik 825 und der Luftschiffbau Zeppelin 875. 241 Bodanwerft Kressbronn (87) 49%; Balluf und Springer (75) 51%; Sachs und Co. Tettnang (24) 63%; Holzwerk Fischbach (46) 71%. Bei einem weiteren Betrieb und der Rubrik »diverse Kleinbetriebe«, die Hendrik Riemer aufgeführt hat, fehlen die Beschäftigtenzahlen, bei einem Betrieb sind mehr Mitglieder als Beschäftigte angegeben. Für Chemie und Kunststoff gab es keine Gewerkschaft vor Ort, weshalb die Beschäftigten von der Metallgewerkschaft betreut wurden. Im Sauerstoffwerk Friedrichshafen waren laut Riemer alle 29 Beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder. ^ N a c h Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 86. 243 Vgl. dazu Christfried Seifert, Entstehung und Entwicklung des Gewerkschaftsbundes Württemberg-Baden bis zur Gründung des DGB 1945 bis 1949, Marburg 1979. Seiferts Studie ist nur für Einzelfragen relevant, inzwischen liegt weitaus bessere Literatur zur Gewerkschaftsentwicklung nach 1945 vor, so zum Beispiel die Publikationen von Alain Lattard. ^"Zum Vorsitzenden wurde Fritz Fleck aus Tuttlingen gewählt, Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 86. ^ ' E b d . , Rundschreiben Nr. 9 des Gewerkschaftsbundes Südwürttemberg-Hohenzollern, Tuttlingen 7.12.1946 und E/M 19, Bericht über die Gründungsversammlung der Landesberufsgewerkschaft »Metallindustrie« am 19.10.1946 in Tuttlingen.

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dung in der FBZ vorerst abgeschlossen, da das Prinzip der Dezentralisierung vorerst keine gesamtdeutschen oder zonalen Zusammenschlüsse erlaubte. 246 2.2. Standortbestimmung, Tätigkeitsfelder und Handlungsspielräume Die gewerkschaftliche Arbeit vor Ort kann für die unmittelbare Nachkriegszeit in zwei Phasen gegliedert werden. Bis Ende 1947 mußte ein Richtungsstreit innerhalb des Kartells ausgetragen werden, der mit dem Ausscheiden des Kommunisten Josef Rother aus allen einflußreichen Funktionen einen Höhepunkt fand. Bestimmend für die weitere Gewerkschaftsentwicklung auf lokaler Ebene wurde Eugen Frick, seit Januar 1947 Geschäftsführer des Gewerkschaftskartells und nach 1949 Erster Bevollmächtigter der IG-Metall-Verwaltungsstelle Friedrichshafen. Der Sozialdemokrat Frick, Jahrgang 1901, hatte sich, wie Rother, schon vor 1933 als Gewerkschaftsfunktionär betätigt. Er besaß die Unterstützung des Kreisgouverneurs, der ihn wohlwollend als »raisonnable, de bon volonté« charakterisierte und der »la véritable cheville ouvrière de l'association« sei.247 In einem anderen Bericht konkretisierte Merglen die Vorzüge von Eugen Frick: »Sous la direction sage et raisonnable du secrétaire Frick de l'Union Locale des Syndicats, l'activité syndicale reste dans une vole de patiente construction, plutôt que de se laisser aller au cours de réclamations incessantes. Frick, socialiste nettement anti-communiste, est à la place qu'il occupe et qu'il conservera certainement cette année encore, une garantie pour la non-immixtion du Parti communiste dans la Direction des Syndicats.« 248 In der französischen Korrespondenz findet sich häufig der Wunsch nach einer ruhigen, kontinuierlichen und von den Parteien unbeeinflußten Gewerkschaftsarbeit, nach Möglichkeit getragen von kompromißbereiten und mit deutschen und französischen Gremien harmonisierenden Funktionären. Im Februar 1948 gehörten von 33 Funktionären des Kreiskartells und der Kreisberufsgewerkschaften zwölf der SPD, acht der CDU und sechs der KPD an. Sieben Funktionäre waren parteilos. 249 Das Kräfteverhältnis hatte sich deutlich zugunsten der Sozial- und Christdemokraten verschoben. Bei der Formulierung einer Satzung des Kreiskartells blieben den Delegierten ideologische Auseinandersetzungen erspart, da politische Grundsätze laut französischer Bestimmungen keinen Eingang finden durften. §2 der Satzung schrieb folgendes fest: »Das Gewerkschaftskartell bezweckt wie die Gewerkschaften die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und geistigen Interessen seiner Mitglieder unter Ausschaltung jeglicher parteipolitischer und konfessioneller Fragen. Seine Aufgaben sind: a) Veranstaltungen von Versammlungen zu Zwecken der Werbung, Belehrung und Unterhaltung. b) Zusammenstellung von Erhebungen, welche von sozialer, wirtschaftlicher oder statistischer Wichtigkeit sind.

^ W i e doch noch ein gewerkschaftlicher Zonenverband »durch die Hintertür« in Form des »comité syndical consultatif« eingeführt wurde, beschreibt Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 65. 247 AdO, c. 3568, Dossier chronologique, Bericht des Kreisgouverneurs an das Cabinet Civil vom März 1948. Im Gegensatz zu Frick wurde der Kartellvorsitzende Rudolf Denz als »plus phraseur qu'efficace« beschrieben. ^ E b d . , Schreiben vom 28.1.1948. "'Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 104.

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c) Vorbereitung von Anträgen, welche den Behörden als Anregung vorgelegt werden sollen, besonders auf den Gebieten der Wirtschaft, Ernährung und Sozialpolitik. d) Bildung von Jugendgruppen und deren Schulung durch Kurse. e) Gewerkschaftliche, wirtschaftliche, soziale und geistige Schulung der Mitglieder in Wort und Schrift. f) Auskünfte Uber alle Fragen des Arbeits-, Sozial- und Steuerrechts. g) Pflege eines freien, geistigen und kulturellen Lebens auf demokratischer Grundlage. h) Pflege des Geistes für Völkerverständigung und Völkerfrieden.« 250 In der praktischen Umsetzung sollte sich aber zeigen, daß Parteipolitik nicht von gewerkschaftlichen Zielen zu trennen war. Vor allem die kommunistischen Funktionäre gerieten in eine Isolation, nachdem ihrer praktischen Arbeit die breite Unterstützung in der Arbeiterschaft, in der Bevölkerung und im Gemeinderat fehlte. Auch die französische Militärverwaltung entschied sich nach anfänglichem Wohlwollen gegenüber den Kommunisten bei Konflikten für diejenigen Gruppierungen, die für »Ruhe und Ordnung« sorgten. Indizien gab es hierfür in der gewerkschaftlichen Tagesarbeit. Die im lokalen Rahmen gebildeten Gewerkschaftsgruppen und Betriebsausschüsse richteten ihre Aktivitäten vor allem auf zwei Bereiche. Wichtigstes Ziel war, die industrielle Produktion wieder in Gang zu setzen und Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer in den Betrieben und Verwaltungen durchzusetzen. Eine breite Allianz zwischen allen Institutionen, Verbänden und Parteien ergab sich aus dem Wunsch, Friedrichshafen als Industriestandort zu erhalten, wenn es auch Uber die Verfahrensweise heftige Auseinandersetzungen gab. Bürgermeister Mauch versicherte seine Solidarität mit der Arbeitnehmerschaft: »Und wie sieht es mit der Industrie aus? Was aus ihr wird, weiß heute noch kein Mensch. Aber eines weiß ich gewiß, im Laufe der vergangenen 2 oder 3 Jahrzehnte wurde so viel an praktischem und technischem] Können der beteiligten Menschen entwickelt, daß dieser Kapitalwert nicht restlos verloren gehen kann. Die Stadtverwaltung wird, wenn es nötig sein sollte, in dieser Frage ihre Unterstützung nicht versagen.« 251 Und ein FWV-Stadtrat, Kaufmann und IHK-Vertreter, betonte angesichts der immer wieder drohenden Demontagen, daß es Handel und Gewerbe nicht gleichgültig sein könne, was mit der Industrie geschehe, denn der Handel sei »auf Gedeih und Verderben« mit ihr verbunden. 252 Im Herbst 1946 verfaßte der Gewerkschafter Rudolf Denz einen »Situationsbericht« über die Stadt Friedrichshafen, dessen Adressat die deutsche Landesverwaltung in Tübingen war, weil der Verfasser meinte, »daß die Verhältnisse der Stadt Friedrichshafen bei den Landesbehörden nicht die rechte Würdigung finden.« 253 Als vorläufige, nicht genauer erörterte Vorgabe für die industrielle Umgestaltung schlug Denz - als »Garantie absoluter Friedensproduktion« - die Sozialisierung »unserer mit dem Begriff „Rüstung" belasteten Industrie« vor. Eine andere Position nahm der Gewerkschafter und SPD-Stadtrat Anton Sommer im Mai 1947 ein. Er versicherte dem Gemeinderat und den bei dieser Sitzung anwesenden Gästen, Staatssekretär Renner und Landrat Münch, daß »gegen alle ten-

^ E b d . , S. 97. "'Rathaus, GRP vom 14.8.1946. ^ E b d . vom 10.5.1948. ^ S t A Sig, WÜ 120, Bd. 1, BU. 239, Situationsbericht.

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denziösen Meinungen über eine beabsichtigte Sozialisierung [der Zeppelin-Stiftung]« die Arbeiterschaft »100%iges Vertrauen« verdiene 254 . Eine enge Zusammenarbeit zwischen Gemeinderat und Gewerkschaften war in Friedrichshafen deshalb erforderlich, weil die Stadt für einen Teil des Zeppelin-Konzerns von den Franzosen als Stiftungsverwalterin eingesetzt worden war. In Industriefragen entwickelten sich Allianzen zwischen Gewerkschaften und Wirtschaftsministerium auf der einen und zwischen Stadtverwaltung und Innenministerium auf der anderen Seite. 255 Zahlreiche Gewerkschafter wirkten von Anfang an im Gemeinderat mit, denn hier bot sich eine wichtige Plattform zur Einflußnahme auch auf die Entwicklung der Industriebetriebe. Mitte 1946 waren sie in zahlreichen Ausschüssen und Kommissionen vertreten 256 . Dies entsprach dem Willen der Gewerkschaften, am demokratischen Gesellschaftsumbau aktiv mitzuwirken, und es entsprach auch den Vorstellungen der Franzosen von einem demokratischen Aufbau »von unten«. 257 Der Vorsitzende des Kreiskartells und SPD-Mitglied Rudolf Denz wurde Anfang 1947 in ein Angestelltenverhältnis bei der Stadt übernommen, ebenso der Kommunist Fritz Becker! Denz arbeitete im Aufbauamt, Beckert bei der Abteilung Brennstoffversorgung der Städtischen Wirtschaftsstelle. 258 Auch der Geschäftsführer des Gewerkschaftskartells Eugen Frick war städtischer Angestellter. Trotz dieser Möglichkeiten einer Einflußnahme auf öffentliche Angelegenheiten ließ die Kooperation zu wünschen übrig: »Die offizielle Zusammenarbeit mit den Behörden ist noch in hohem Maße steigerungsfähig«, wie Denz in seinem »Situationsbericht« anmerkte. 259 Aus der Verquikkung von gewerkschaftlicher und behördlicher Tätigkeit entsprangen in der Folgezeit zahlreiche Konflikte zwischen Stadtverwaltung und dem obersten Dienstherren in Person des Bürgermeisters einerseits und den Gewerkschaftsfunktionären andererseits. Einen ersten Höhepunkt erreichten die Auseinandersetzungen im Dezember 1947. Nun traten alle Konflikte zutage, die schon seit Monaten innerhalb des Gemeinderats und der Stadtverwaltung schwelten. Bürgermeister Mauch forderte kategorisch die Entlassung des Angestellten Denz, weil jegliches Vertrauensverhältnis zerstört sei. Unabhängig von den persönlichen Querelen zwischen den Kontrahenten ging es um grundsätzliche Positionen. Mauch wurde immer wieder vorgeworfen, daß er »für die Gewerkschaften nicht viel übrig habe« und »nicht so ganz gut auf die Gewerkschaften eingestellt« sei 260 . Gemeinderat Beckert argumentierte in die gleiche Stoßrichtung: »Solange keine gedeihliche Zusammenarbeit zwischen dem Herrn Bürgermeister und den Gewerkschaften zustande kommt, wird Denz als Kartellvorsitzender immer im Gegensatz zum Bürgermeister stehen. [...] Es hat den Anschein und ich behaupte das, daß man die Gewerkschaften hier nicht will.« Bürgermeister Mauch sah das anders: »Persönlich habe ich gegen die Gewerkschaften gar nichts, diese haben ihre Daseinsberechtigung. Was ich jedoch im letzten Jahr auf dem Gebiet erlebte, war nicht eine Hilfe, sondern Widerstand von allen Seiten.« Konflikte waren aber zwangsläufig vor-

^ R a t h a u s , GRP vom 1.5.1947. " ' E b d . vom 10.5.1948. " ' S o im Technischen Ausschuß, Finanz-, Wirtschafts-, Fürsorge- und Wohnungsausschuß und im Kulturbeirat, ebd., GRP vom 27.2., 27.9. und 11.12. 1946. 257 Laut Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 112, hatten die Franzosen die Ausschüsse initiiert, um eine breite Beteiligung von gesellschaftlichen Interessengruppen zu gewährleisten. ""Rathaus, GRP vom 15.1.1947. " ' S t A Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239. ^ R a t h a u s , GRP vom 23.12.1947, ebenso die weiteren Zitate und Ausführungen.

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programmiert, weil die politischen Vorstellungen der städtischen Verwaltungs- und der Gewerkschaftsfunktionäre in fast allen Tätigkeitsgebieten stark differierten. Bei Fragen der Wohnungsrequisition, Brennstoffversorgung 261 , Entnazifizierung 262 , Einwohnersteuer 263 oder des gewerkschaftlichen Mitspracherechts in der Zeppelin-Stiftung 264 kam es oft zu Zusammenstößen. Meist warf die Gewerkschaftsseite Bürgermeister Mauch eine industriefeindliche Grundhaltung und zuviel Sympathie für die Idee einer Fremdenverkehrsstadt vor. Mauch und einige CDU-Gemeinderäte konterten wiederum mit dem Vorwurf, daß ein Teil der Gewerkschafter gegenüber der Stadtverwaltung illoyal sei, »heimlich« und »hinterhältig« mit den Franzosen paktiere und unabgesprochene Kontakte zum Wirtschaftsministerium in Tübingen pflegen würde. Als Kompromiß in diesem Streit wurde auf die Kündigung von Denz verzichtet, ihm dafür aber eine Versetzung in ein Amt mit weniger Publikumsverkehr zugemutet. Dr. Mühlhäuser aus Ulm, Rechts- und Wirtschaftsberater der Stadt in Stiftungsfragen, nahm wie auch der Landrat bei Auseinandersetzungen eine Vermittlerrolle ein. So empfahl er Gemeinderat und Bürgermeister, daß für eine gedeihliche Zusammenarbeit »eine politische Einstellung« ausscheiden und »die Funktion der Gewerkschaften im Leben« anerkannt werden müsse. Das Mißtrauen der Gewerkschaften gegenüber der Stadtverwaltung hatte Gründe. Im März 1947 hatte diese die bisherige Vollmacht des Bürgermeisters über die Zeppelin-Stiftung 265 durch eine »gemeinderätliche Abteilung« ergänzt und mit den CDUStadträten Schmäh, Burr und Birkle sowie dem SPD-Stadtrat Sommer besetzt. Für Bürgermeister Mauch als Vorsitzenden sollte Sommer als Stellvertreter fungieren. Die Personalentscheidung war verständlicherweise nicht im Sinne der Gewerkschaftsvertreter: »Stadtrat Beckert wünscht an Stelle einer gemeinderätlichen Abteilung eine Kommission oder einen Ausschuß, der durch Gewerkschaftsvertreter oder sonstige Mitglieder erweitert werden könnte. Auch Stadtrat Sommer erklärt, daß er sich die Sache anders gedacht und zumindest eine Vertretung der bodenständigen, hart um ihr Brot ringenden Arbeiterschaft durch die Gewerkschaften und Betriebsräte gewünscht hätte«. 266 Bürgermeister Mauch wollte jedoch kein »schwerfälliges Gremium« und beharrte auf seiner Position. Zu einem Zugeständnis kam es zwei Monate später im Mai 1947. Weil das Gewerkschaftskartell nach wie vor einen Vertreter »zur Wahrung der Belange der Belegschaften [...] des Zeppelin-Konzerns« entsenden wollte, wurde schließlich Karl Flösser als beratender Vertreter der Gewerkschaften ohne Stimmrecht zugelassen 267 , und ein Jahr später saßen dann doch Arbeitnehmer im Stiftungsvorstand. Zu Beginn des Jahres 1948 meldete Kreisgouverneur Merglen an seine vorgesetzte Dienststelle, daß sich die Uneinigkeit zwischen den deutschen Behörden und

^ ' E b d . vom 5.5.1948. ^ D i e s e s Thema wird in einem gesonderten Kapitel behandelt. ^ R a t h a u s , GRP vom 14.1.1948. ^ E i n e paritätische Beteiligung der Gewerkschaften an der Stiftungsverwaltung sei laut Dr. Mühlhäuser, dem Rechts- und Wirtschaftsberater der Stadt, an den Vorschriften der Gemeindeordnung gescheitert. Vermittelnd schlug er vor, daß »eine politische Einstellung ausscheiden müsse und die Funktion der Gewerkschaften im Leben anerkannt werden.« Ebd. vom 10.5.1948. Dort auch die folgenden Zitate. ^ E b d . vom 3.3.1947. ^ E b d . vom 18.3.1947; In diesem Sinne auch GRP vom 23.4.1947. ^ E b d . vom 14.5.1947.

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dem Kreiskartell, welche immer wieder aufgeflackert sei, inzwischen beruhigt habe. 268 Kurz darauf kam es jedoch in der Gemeinderatssitzung vom 28. April 1948 ein weiteres Mal zu schweren Auseinandersetzungen. Diesmal entzündete sich der Streit an der Frage der Wohnungsbeschlagnahmung, inzwischen »Wohnungsumsetzung« genannt. Bürgermeister Mauch sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, ohne ausdrücklichen Befehl der Militärverwaltung in vorauseilendem Gehorsam siebzehn Wohnungen beschlagnahmt zu haben und dabei auch noch unter politischen Aspekten ungerecht vorgegangen zu sein. Dem Kontra des Bürgermeisters, daß die Gewerkschafter aus persönlichem Antrieb gegen die städtischen Behörden agitieren würden, hielten Frick, Denz und Beckert immer wieder entgegen, daß sie im Auftrag des Kartells handelten. Nach Gesprächen des Kartells mit Gouverneur Merglen hätte dieser geäußert, daß Wohnungsrequisitionen ausschließlich in der Hand der deutschen Behörden lägen. Interessant an diesem weiteren Höhepunkt der Auseinandersetzungen ist das Verhalten der französischen Militärverwaltung. Obwohl sich die Franzosen von beiden Seiten bereitwillig informieren ließen, das gestörte Vertrauensverhältnis der Kontrahenten auch zu ihrem Vorteil nutzten und bei Stellungnahmen zu konkreten Vorwürfen eine oft indifferente Haltung einnahmen, zeigten sie in letzter Konsequenz immer eine loyale Haltung gegenüber den deutschen Verwaltungsstellen und dem Bürgermeister. In diesem Fall erteilte Gouverneur Merglen »zwecks Unterbindung böswilliger Gerüchte« nachträglich einen schriftlichen und »ausdrücklichen Befehl«, in dem »in Friedrichshafen der Umtausch von 17 Wohnungen gegen Wohnungen in Schnetzenhausen und Ailingen« angeordnet wurde. Schon ein Jahr zuvor war es über die Verteilungskriterien von Wohnraum zu einem Skandal gekommen, der mit der Entlassung des Wohnungsamtsleiters geendet hatte. Auslöser war das Wohnungsgesuch eines »SS-Brigadeführers, Blutordensträgers und Sicherheitsdirektors« gewesen, das vom Leiter des Wohnungsamtes, einem »alten Antifaschisten, SPD-Mann und Gewerkschaftler«, abgelehnt worden war. 269 Wohl infolge solcher nicht singulären Geschehnisse auf den Wohnungsämtern des Kreises wurde per Anordnung von Regierungsrat Dr. Münch die Position der Bürgermeister gegenüber den Amtsleitern gestärkt. Durch einen Gemeinderatsbeschluß stand dann dem Bürgermeister in Streitfällen das Recht zu, Entscheidungen des Wohnungsamtes abzuändern oder aufzuheben. 270 Nach einem Jahr Ausschußtätigkeit stellten die Gewerkschaftsvertreter in einem Bericht an die französische Militärverwaltung resigniert fest: »Zusammenfassend kann gesagt werden, daß die Möglichkeiten und Einflußnahme der Gewerkschaften kaum erwähnenswert sind [...]. Eindeutig hat sich noch gezeigt, daß die Verwaltung und Wirtschaftsführung nicht zur demokratischen Zusammenarbeit bereit sind [...]. Der Ablauf des öffentlichen Lebens spielt sich damit ohne jede Verantwortung der Gewerkschaften ab.« 271 Eine solchermaßen negative Einschätzung mag dem aufreibenden und mit vielen Widerständen begleiteten Alltagsgeschäft entsprungen sein. Im Rückblick bleibt aber festzuhalten, daß die Gewerkschaften niemals zuvor in ihrer Ge-

268

Ado, c. 3568, Monatsbericht für Januar 1948 an Cabinet vom 28.1.1948. Rathaus. GRP vom 6.2.1947, darin ein Presseartikel aus »Der neue Tag« Nr. 7 vom 25.1.1947 und die Besprechung eines Artikels aus »Das Volk«. Die KPD-Ortsgruppe Schramberg zeigte sich in einem Schreiben an den Gemeinderat mit dem Entlassenen solidarisch. 270 Ebd. "'Tätigkeitsbericht vom 13.10.1947, zitiert nach Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 112. 269

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schichte so stark am öffentlichen politischen und gesellschaftlichen Leben hatten teilhaben können. An den Arbeitnehmervertretern, die als Gemeinde- und Betriebsräte, als Gewerkschaftsfunktionäre und Parteimitglieder wirkten, führte bei wichtigen Entscheidungen letztlich kein Weg vorbei. Solche Einflußmöglichkeiten bestanden ebenso auf betrieblicher Ebene. 2.3. Die Betriebsräte Vor dem Ersten Weltkrieg gab es im Luftschiffbau Zeppelin einen Arbeiterausschuß, der in einem gewissen Zustand der Rechtlosigkeit agieren mußte. Nachweislich konnten zwar Erfolge bei Lohnverhandlungen erzielt werden, Uber weitergehende Aktivitäten ist jedoch bislang nichts bekannt. Neben dem Arbeiterausschuß fungierte ein Wohlfahrtsausschuß als Kontrollinstanz der Sozialeinrichtungen. 272 Die in der Weimarer Republik existierenden Betriebsratsgremien waren 1933 zerschlagen worden, so daß insgesamt die innerbetrieblichen Arbeiterorganisationen nach 1945 an keine starken Traditionen anknüpfen konnten. 273 Eine der Hauptforderungen der Gewerkschaftsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg bestand in der Demokratisierung der Wirtschaft, die die Demokratisierung des politischen Lebens ergänzen sollte. Anders als in den Programmen der zwanziger Jahre lag nun der Schwerpunkt auf dem Kampf um Mitbestimmung in der Unternehmensleitung. Der erste Vorsitzende des DGB, Hans Böckler, formulierte diesen Anspruch bereits 1946: »Wir müssen in der Wirtschaft selber als völlig gleichberechtigt vertreten sein, nicht nur in einzelnen Organen der Wirtschaft, nicht in den Kammern der Wirtschaft allein, sondern in der gesamten Wirtschaft. Also der Gedanke ist der: Vertretung in den Vorständen und Aufsichtsräten der Gesellschaften.« 274 Im Sommer 1945 begannen die Gewerkschaftsfunktionäre in Friedrichshafen mit der nicht ganz leichten Aufgabe, ihre Ideen in die Betriebe zu tragen und für die Gewerkschaften zu werben. Aus diesem Grund riefen sie zur Durchführung von Vertrauensleuteversammlungen auf, die unter dem Vorsitz von Josef Rother und zunächst als informelle Treffen in Privatwohnungen stattfanden. Es gab drei dieser Versammlungen für die Zahnradfabrik, den Maybach-Motorenbau (dorthin kamen auch Vertreter der Firma Balluf und Springer) und den Luftschiffbau Zeppelin. 275 Am 30. September 1945 wurden auf einer Zusammenkunft der provisorischen Geschäftsführung der gewerkschaftlichen Ortsverwaltung Kandidaten für die »Betriebsvertretungs-Wahlen« bestimmt. Von den zwölf Kandidaten gehörte die Mehrzahl zum gewerkschaftlichen

272

Vgl. Kuhn, Leben am See im Wandel, S. 277f. Quellen oder Untersuchungen über innerbetriebliche Strukturen in der NS-Zeit liegen für die relevanten Betriebe nicht vor. 274 Zitiert nach Michael Schneider, Demokratisierungskonsens zwischen Unternehmern und Gewerkschaften? Zur Debatte um Wirtschaftsdemokratie und Mitbestimmung, in: Axel Schildt/Arnold Sywottek (Hrsg.), Modernisierung im Wiederaufbau. Die westdeutsche Gesellschaft der 50er Jahre, Bonn 1993, S. 213. 275 ZF am 20.9.1945 (mit 11 Vertrauensleuten), MM am 23.9. (7), LZ am 24.9. (11), vgl. Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 91f. 273

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Gründungskreis.276 Für die kleineren oder städtischen Betriebe sollten zunächst Vertrauensleute angeworben werden.277 Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 22 vom 10. April 1946, das die betriebliche Vertretung in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst regelte, wurde die Errichtung und Tätigkeit von Betriebsräten »zur Wahrnehmung der beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeiter und Angestellten in den einzelnen Betrieben« gestattet.278 Um dem nach Meinung des Kartells mangelnden Engagement und fehlenden Klassenbewußtsein vieler Gewerkschafter vor den ersten Wahlen abzuhelfen, organisierte es im März 1947 eine zweitägige Betriebsrätekonferenz für den Kreis Tettnang.279 Im gleichen Jahr konnten dann die ersten Betriebsratswahlen unter der Vorgabe durchgeführt werden, daß die Kandidaten keine ehemaligen Funktionäre der DAF oder NS-Parteimitglieder gewesen waren und die Amtsperiode auf ein Jahr festgesetzt wurde.280

276

ZF: Silfang (KPD), Link (KPD), Häfele (CDU), Schmäh (CDU); MM: Sommer (SPD), Härter (?), Weber (KPD), Scharpf (?); LZ: Legier (SPD), Kuban (?), Oppenländer (KPD), Erhardt (?), ebd., S. 92. 277 Gedacht wurde hierbei an die Baufirma Hecht und Rostan, an die Stadtverwaltung und Post sowie an die städtischen Werke. 278 JO, Nr. 21 vom 26.4.1946, Gesetz Nr. 22 vom 10.4.1946, ging in dreizehn Artikeln ausführlich auf die Bildung von Betriebsräten ein. Zum Kontrollratsgesetz Nr. 22 siehe auch Michael Fichter, Aufbau und Neuordnung: Betriebsräte zwischen Klassensolidarität und Betriebsloyalität, in: Broszat u.a.. Von Stalingrad zur Währungsreform, S. 469-549, hier S. 533ff. Das NS-Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit aus dem Jahre 1934 wurde in der FBZ erst Mitte 1947 offiziell aufgehoben, Kontrollratsgesetz Nr. 56 vom 30.6.1947, für die französische Zone am 13.7.1947. 279 Die Tagung fand am Freitag und Samstag, den 28729. März 1947, statt. Mit der Freistellung der Beschäftigten seitens der Betriebsleitungen scheint es wider Erwarten keine Schwierigkeiten gegeben zu haben. Es nahmen Fr./Sa. 120/115 Betriebsräte und Vertrauensleute teil, darunter 8/3 Frauen. Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 115 und 117. Kulturell begleitet wurde die Tagung von einem Laienschauspiel, das von ca. 600 Personen besucht wurde. 280 JO, Nr. 21 vom 26.4.1946, Gesetz Nr. 22 vom 10.4.1946.

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Tabelle 19: Ergebnisse der Betriebsratswahlen 1947 und 1948281 Anfang 1947

Anfang 1948

Beschäftigte (gesamt) davon: Arbeiter männl. weibl. Angestellte männl. weibl. Jugendliche männl. weibl.

6.443

6.690

3.653 339 1.361 563

3.826 433 1.369 535 394 133

Betriebe (gesamt) davon: über 20 Beschäftigte unter 20 Beschäftigte (gegliedert in:) 10- 19 4- 9 1- 3

459

472

33 (100%) 426 (100%)

46 (100%) 426 (100%)

gewählt wurde in... Betrieben davon: Uber 20 Beschäftigte bis 20 Beschäftigte

281

28 85 313

-

37

43

29 (88%) 8 (2%)

32 (70%) 11 (2,6%)

Wahlberechtigte in den teilnehmenden Betrieben davon: Arbeiter männl. weibl. Angestellte männl. weibl.

4.306 (100%)

4.579

3.056 150 861 239

(100%) (100%) (100%) (100%)

3.168 184 973 254

davon hatten gewählt Arbeiter männl. weibl. Angestellte männl. weibl.

2.859 1.992 94 601 172

(66%) (65%) (63%) (70%) (70%)

3.596 2.461 192 737 206

(78%) (78%) (76%) (76%) (80%)

gewählte Betriebsräte davon männl. weibl.

159 151 8

167 159 8

Parteizugehörigkeit der Betriebsräte DVP KPD CDU SPD Parteilos

1 8 15 16 119

1 7 22 16 121

Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 116, mit leichten Änderungen. Ein exaktes Datum dieser ersten Wahlen konnte leider nicht ermittelt werden.

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Mit der Wahl von Betriebsräten war die herkömmliche Trennung der Arbeitnehmervertretungen in betriebliche, gewerkschaftliche und parteipolitische Gremien vollzogen. Die Wahlbeteiligung von 1948 mit knapp 80 Prozent der Wahlberechtigten bestätigt nicht das häufig beklagte Desinteresse der Arbeitemehmerschaft in der Nachkriegszeit. Hinsichtlich des Wahlergebnisses beider Jahre ist besonders augenfällig, daß sich die Arbeitnehmerschaft bevorzugt für parteilose Betriebsräte entschieden hat. Hier scheint eine deutliche Trennung von gewerkschaftlicher Arbeit und Parteipolitik erwünscht gewesen und vollzogen worden zu sein, was aber wiederum nicht hieß, daß einzelne Exponenten mit starkem parteipolitischem Hintergrund keine bedeutende Rolle spielen konnten. Als Beispiel sei Konstantin Schmäh angeführt, der schon zum gewerkschaftlichen Gründerkreis gehörte. 282 1902 in Friedrichshafen geboren, lernte er Werkzeugmacher beim Maybach-Motorenbau, 1927 legte er die Meisterprüfung ab. Nach dem Besuch der Staatlichen Ingenieurschule in Konstanz trat er 1935 als Konstrukteur in die Zahnradfabrik Friedrichshafen ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg folgte in derselben Firma eine steile Karriere, die 1946 mit der Leitung des Vorrichtungsbüros und der Lehrlingsausbildung begann. Ein halbes Jahr später folgte die Ernennung zum Betriebsdirektor. 1949 erhielt Schmäh Prokura, und im November 1950 wurde er als stellvertretendes Mitglied in den Vorstand berufen. Als Christdemokrat war er von 1946 bis zu seinem Tod im Jahr 1964 im Friedrichshafener Gemeinderat vertreten und zeitweise erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters. Von Oktober 1945 bis Februar 1947 als zweiter Vorsitzender im Betriebsrat tätig, setzte Konstantin Schmäh auf Kooperation statt Konfrontation. In einer Gedenkrede zu seinem Tod wurde seine Zusammenarbeit mit der Firmenleitung gewürdigt: »Es war ein glücklicher Umstand, daß zur damaligen Zeit, in der das Chaos drohte, die Herren des Betriebsrates, zu dem Herr Schmäh gehörte, und die verantwortlichen Herren, die noch einigermaßen die Respektierung der damaligen Besatzungsmacht erfahren durften, sich zusammenschlossen und die Geschäfte der ZF von 1946 bis 1948 geführt haben. Es war eine gute Leistung, daß zur damaligen Zeit die Männer im Betriebsrat [...] diese entscheidenden Gespräche mit dem Gouverneur, mit der Besatzungsmacht, mit den Behörden und mit der Regierung geführt haben, und so Schritt um Schritt zusammen mit der Geschäftsführung die ZF in eine vernünftige, aufbauende Form geführt haben.« 283 Auf dem Gebiet der Mitbestimmung konnten Erfolge verzeichnet werden. Innerhalb der Zeppelin-Stiftung war ein Drittel der Aufsichtsratssitze von der Arbeitervertretung besetzt: »In der Frage der innerbetrieblichen Mitbestimmung hielt sich die Verwaltung der Zeppelin-Stiftung [also die Stadt Friedrichshafen] über die wirtschaftsdemokratische Entwicklung unserer Zeit auf dem Laufenden«, wie man in einem Bericht der Stadtverwaltung betont wissen wollte. Oberbürgermeister Max Grünbeck beschäftigte sich intensiv mit dem Thema Wirtschaftsdemokratie: »Ich halte es für wichtig, daß über Wesen und Ziel dieser neuzeitlichen Forderung der Arbeitnehmerschaft Klarheit besteht«. Ein Buch von Fritz Naphtali über »Wirtschaftsdemokratie, ihr Wesen, Weg und Ziel«, 1928 im Auftrag des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes herausgegeben, lehnte der Bürgermeister ab, da es auf dem Boden des wissenschaftlichen Marxismus stehe. Dagegen begrüßte er es, daß sich das Kreiskartell vor Ort bevorzugt

2S2

Die folgenden Ausführungen fußen auf der Broschüre »Direktor Konstantin Schmäh zum Gedächtnis«, vier Ansprachen zu seinem Tod am 14.2.1964, 16 S., StadtA FN. ^ E b d . , S. 3.

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für das Gewerkschaftsmodell in den USA interessiere. 284 Er selbst bewertete den Versuch der amerikanischen Unternehmer, »den totalen Staat durch soziale Demokratie abzuwehren«, als durchaus positiv. Die Frage nach Gewinnbeteiligung wollte er Uber Wohlfahrtseinrichtungen lösen: »Denn die Betriebsräte sollen in Wohlfahrtsangelegenheiten gleichberechtigt mitbestimmen. Die Belegschaften sind also, was die Verfügungsmacht über die Wohlfahrtseinrichtungen der Betriebe anbelangt, gleichberechtigte Eigentümer. Unter diesen wirtschaftsdemokratischen (nicht patriarchalischen) Verhältnissen bedeutet die Schaffung und Unterhaltung betrieblicher Wohlfahrtseinrichtungen eine echte Gewinnbeteiligung der Belegschaften.« 285 Aus der besonderen Verantwortung eines Stiftungsbetriebes heraus bejahte der Bürgermeister deshalb auch das Recht seiner Betriebsräte, Arbeitervertreter für die Wahl in die Aufsichtsräte zu benennen. »Hierbei überließ sie [die Zeppelin-Stiftung] dem ZF-Betriebsrat die Entscheidung, ob er Betriebsangehörige (wenn aktienrechtlich zulässig) oder wirtschaftserfahrene und unabhängige Gewerkschaftsvertreter zur Wahl benennen will.« 286 Der Betriebsrat entschied sich für letzteres und nach Meinung der städtischen Verwaltung dafür, »nicht übertriebene belegschaftsegoistische Ziele verfolgen zu wollen, sondern sich in den Rahmen der allgemeinen Arbeiterpolitik einzufügen.« 287 Eine Ablehnung der Vertreter aus »wichtigen Gründen« behielt sich die Stiftungsverwaltung gleichwohl vor. Mit der Favorisierung von betriebsfremden Gewerkschaftsfunktionären nahm die Stadt eine andere Haltung ein als die Unternehmerverbände der Nachkriegszeit. Diese wollten gerade das gewerkschaftliche Mitbestimmungsrecht zugunsten von Betriebsangehörigen kanalisieren. 288 Trotz der zugestandenen Mitbestimmungsrechte herrschte innerhalb der Gewerkschaften große Enttäuschung. Das Ziel einer paritätischen Teilhabe an Entscheidungsprozessen war nicht erreicht worden, weshalb immer wieder bei der französischen Verwaltung interveniert wurde. »Eine paritätische Beteiligung der Gewerkschaften an der Stiftungsverwaltung sei an den Vorschriften der Gemeindeordnung gescheitert«, so eine Begründung von Rechtsberater Dr. Mühlhäuser. »Er sei sich darüber klar, daß die Gewerkschaften einen starken Machtfaktor darstellten, aber ohne vertrauensvolle Zusammenarbeit gehe es nicht.« 289 Deshalb verurteilte er auch die Hinwendung der Gewerkschaften zu den französischen Dienststellen. Die 1951 getroffene Entscheidung der Stadtverwaltung für eine Drittelbeteiligung der Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat eilte dem Betriebsverfassungsgesetz vom Oktober 1952 voraus. Eine Übertragung der Montanmitbestimmung auf die gesamte Industrie war gescheitert, ^ D i e s Schloß er aus einer Stellungnahme des Kartells zu einem 16seitigen Aufsatz »Der Arbeiter als industrieller Partner in USA«, der in einem Düsseldorfer Verlag mit dem Namen »Wirtschafts- und Informationsdienst« erschienen war. Grünbeck selbst setzte sich intensiv mit dieser Schrift auseinander. Ausführlich hierzu LZA 06/621 Zeppelin-Stiftung nach dem Zweiten Weltkrieg 1949-1950, Schreiben von Grünbeck an die Industriebetriebe und das Gewerkschaftskartell vom 23.4. und 30.6.1949. ^ ' E b d . , Schreiben vom 23.4.1949. ^ ' S t A Sig, WÜ 2, BU. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung vom Januar 1951. Noch 1970 betonte die ZF-Geschäftsfuhrung, daß sich die Zeppelin-Stiftung als Vollstreckerin des sozialen Vermächtnisses des Grafen Zeppelin sah und deshalb »bereits 1950 als eines der ersten Unternehmen in Deutschland freiwillig auf einen Teil ihres Stimmrechts in der Hauptversammlung zugunsten der Belegschaftsvertretung« verzichtet hätte; vgl. Ein Rad greift ins andere, S. 40, zum Thema »Die Unternehmensidee«. ^ ' S t A Sig, WÜ 2, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. 288 M. Schneider, Demokratisierungskonsens, S. 214. ^'Rathaus, GRP vom 10.5.1948.

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ebenso eine einheitliche Regelung für alle Arbeiter und Angestellten der Privatwirtschaft und des öffentlichen Dienstes. 290 Nicht immer zogen Gewerkschaften und Betriebsräte an einem Strang. Im August 1948 kam es zwischen den jeweiligen Vertretern zu einer Auseinandersetzung im Gemeinderat, die exemplarischen Charakter besitzt. 291 Auslöser war die gerade erfolgte Schließung der Maybach-Werke durch die Franzosen, welche diesen Schritt unter anderem mit der Weigerung der Belegschaften und des Betriebsrates begründeten, sich von der alten Betriebsführung in Person von Karl Maybach, Raebel und Böttner zu trennen. Anton Sommer, Stadtrat, Gewerkschaftsfunktionär und Betriebsrat der Firma Maybach in einer Person, rechtfertigte seine Haltung zugunsten der diskreditierten Direktoren: »Der Betriebsrat, der aus Tradition und Treue mit seiner Direktion gegangen ist, hat es getan in dem Bewußtsein, daß es sich nicht nur um die Gegenwart, sondern vor allen Dingen um die Zukunft handelt. Das Verhältnis bei unserer Firma war schon unter der Voraussetzung, daß wir zum größten Teil langjährige, ja jahrzehntelange Mitarbeiter waren, ein wirklich familiäres, und ich hätte Ihnen gewünscht, daß Sie heute Zeuge gewesen wären, wie diese Arbeiter, die jahrzehntelang in dieser Firma ihr Brot verdienten, ihre Arbeitsstätte verlassen haben. [...] Ist Treue ein Verbrechen?« Diese Frage beantwortete Sommers gewerkschaftlicher Kontrahent und Gegner des alten Direktoriums, Fritz Beckert: »Ja. Diese Treue ist ein Verbrechen, wenn 600 Leute arbeitslos werden. Was hat uns denn die Hitlertreue gekostet? Viel hätten wir verhüten können, wenn wir uns vor 1 Jahr zusammengefunden hätten.« Sommer stellte sich ganz auf die Seite von Dr. Maybach, dem langjährigen Ehrenbürger von Friedrichshafen, und warf der Stadtverwaltung »Verletzung jeglichen Ehrgefühls« und »Gefühllosigkeit« vor. Abschließend bemerkte er resigniert: »Immer sagte ich mir, nur im Interesse einer friedlichen Zusammenarbeit mit Frankreich können wir bestehen. Politisch werden wir nie zusammen kommen, aber mit der Arbeit und auch wirtschaftlich, denn das Los der Menschen ist hier und dort das gleiche. Ob er [der eingeschlagene Weg] nun falsch oder richtig war, gut gemeint war er auf alle Fälle.« Solche Konfliktfelder, hier nur exemplarisch dargestellt, durchzogen die Nachkriegszeit, weil sich viele differierende Programme überlagerten. So standen sich oft unterschiedliche politische Ziele der Parteifunktionäre oder konträre wirtschaftsdemokratische Vorstellungen der Gewerkschaftsvertreter gegenüber, und eine von Anfang an feststellbare Diskrepanz zwischen den Ideologien vor allem der kommunistischen Gewerkschaftsvertreter und den Vorstellungen der Basis in den Fabriken konnte nicht aufgehoben werden. Die Sache wurde nicht leichter in Anbetracht der Tatsache, daß einige wenige Aktivisten zahlreiche Ämter bekleideten und durch die verschiedenen Erwartungen, mit denen sie dabei konfrontiert wurden, einem permanenten Druck ausgesetzt waren. Die Rolle, die die Franzosen auf Kreisebene in diesem Konflikt spielten, ist in doppelter Hinsicht interessant. Zum einen zeigten sie eine unnachgiebige Haltung gegenüber dem alten Direktorium der Maybach-Werke, auch um die Gefahren einer Produktionsunterbrechung und Unruhen innerhalb der Arbeiterschaft wissend. Hier scheinen prinzipielle Erwägungen bezüglich ihrer Demokratisierungsvorstellungen den Aus290

Der Gedanke einer einheitlichen Regelung für alle Arbeitnehmer orientierte sich am Betriebsrätegesetz von 1920 und am französischen Kontrollratsgesetz Nr. 22, vgl. Marie-Luise Recker, Das Personalvertretungsgesetz vom 5. August 1955, in: Kocka u.a.. Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat, S. 446-461. 291 Die folgenden Ausführungen fußen auf Rathaus, GRP vom 13.8.1948.

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schlag gegeben zu haben. Zum anderen zeigten sie sich wieder einmal sehr flexibel in ihren Allianzen mit deutschen Funktionären. Wenn auch eine eindeutige Favorisierung der sozialdemokratischen Gewerkschaftsvertreter festzustellen ist, waren sie in Sachfragen jederzeit bereit, mit der kommunistischen Seite zusammenzuarbeiten. In den Monatsberichten von Gouverneur Merglen an das Cabinet Civil fällt auf, daß nach der »heißen Phase« der innerbetrieblichen Reorganisation keine ausführlichen Berichte mehr nötig waren und nun eher die »schwachen« Aktivitäten der Betriebsräte konstatiert wurden. 292 Dies könnte angesichts der bis in die fünfziger Jahre aktuellen Demontage- und Schließungsabsichten der Franzosen verwundern. Die Auseinandersetzung um die Zukunft der Betriebe wurde jedoch in entscheidendem Maße auf Landesebene geführt, so daß der Betriebsrat nur begrenzte Einflußmöglichkeiten hatte. In einer gesonderten Studie müßte allerdings noch untersucht werden, welche darüber hinausgehenden innerbetrieblichen Handlungsspielräume gegeben waren und von den Betriebsräten wahrgenommen wurden. Erst dann ließe sich deutlich erkennen, inwieweit die innerbetrieblichen Aktivitäten von denen des Kreiskartells zu trennen sind. 293 Das Beispiel der Gewerkschaftsgründungen im Kreis Tettnang zeigt, daß die Rolle der französischen Besatzungsverwaltung in diesem Prozeß weitaus positiver zu bewerten ist, als dies in allgemeinen Darstellungen oft geschieht. 294 Die gewerkschaftliche Reorganisation nahm einen wichtigen Part innerhalb des französischen Demokratisierungskonzeptes ein, weshalb eine vorschnelle Gründung vermieden wurde. Neben unbestreitbaren wirtschaftlichen Interessen der Besatzungsverwaltung sollte ihr Wunsch nach demokratischen Arbeitervertretungen nicht unterschätzt werden. Für dieses Ziel wurden notfalls auch wirtschaftliche Nachteile in Kauf genommen. Trotz offiziellem Verbot politischer Aktivitäten war es mit Zustimmung der französischen Kreisbehörden möglich, direkt nach Kriegsende die gewerkschaftliche Reorganisation einzuleiten. Wie auch innerhalb der Parteien bestand zunächst auf Seiten der Gewerkschafter der Wille, zugunsten gemeinsamer Ziele parteipolitische Neutralität zu bewahren. Dies gelang nicht und endete mit der Ausgrenzung der Kommunisten. Eine ideologische Parteinahme der Franzosen ist dabei als gering einzuschätzen, in interne Querelen mischten sie sich nicht ein. Wenn ihre wirtschaftlichen Interessen tangiert wurden oder die allgemeine Ordnung gefährdet schien, konnten sie zugunsten einer Wiederherstellung der Ruhe sowohl mit den bürgerlichen als auch mit den kommunistischen Kräften kooperieren. Die in der Literatur konstatierte schleppende Bildung der Gewerkschaften vor allem in Südwürttemberg wird auf drei Faktoren zurückgeführt: Das geringe Interesse der Arbeitnehmerschaft 295 , die gewaltigen Alltagssorgen und die Gründung der Gewerkschaften »von oben nach unten« 296 Für den Kreis Tettnang trifft diese allgemeine Aussage nicht zu. Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsvertretungen engagierten sich sehr früh in der Arbeiterpolitik. Richtungskämpfe, unterschiedliche Ziele der Betriebsräte und Gewerkschafter sowie die Durchsetzung von Forderungen zeugen von einem lebhaften politischen Prozeß. Vor allem im Vergleich mit Baden wird eine ver-

292

So z.B. AdO, c. 3568, Dossier chronologique, Bericht vom 27.8.1949. Einen solchen Ansatz verfolgt für den Raum Stuttgart Fichter, Aufbau und Neuordnung. 294 Zu diesem Ergebnis kommt auch Alain Lattard für Rheinland-Pfalz in seiner Untersuchung über Gewerkschaften und Arbeitgeber. 295 So z.B. Nüske, Gewerkschaften, S. 189. 296 Zusammenfassend Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 65f. 293

Gewerkschaften

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zögerte Bildung von Gewerkschaften in Südwürttemberg beklagt. So weist Edgar Wolfrum darauf hin, daß am 1. Januar 1946 nur 3.515 Mitglieder in Südwürttemberg organisiert waren. 297 Dabei muß jedoch berücksichtigt werden, daß - um bei dem Beispiel Friedrichshafen zu bleiben - auch unter guten Voraussetzungen und mit dem Wohlwollen der Franzosen erst Mitte Januar 1946 die Gründungsversammlungen für Einzelgewerkschaften stattfinden konnten, und erst im August des gleichen Jahres erging die endgültige Anerkennung durch die französischen Behörden. Bis zu diesem Zeitpunkt bestand also ein organisatorischer Schwebezustand, der einen Beitritt erschweren konnte. Während der Gründungsphase gingen die Aktivitäten hauptsächlich vom Rreiskartell aus, womit die These von Siegfried Mielke gestützt wird, daß die Gewerkschaften nicht spontan aus den Betrieben heraus, sondern von »oben nach unten« gebildet wurden. 298 Nach Abschluß der Konstituierungsphase bestand laut Kreisgouverneur Merglen durchaus reges Interesse seitens der Arbeiterschaft, das erst im Oktober 1947 »leicht« gesunken sei. Das war allerding stark untertrieben, denn so kamen zum Beispiel zu einer Versammlung der Gewerkschaft »Eisen und Metall« von zirka 1.000 Mitgliedern nur 36. 299 Merglen sah den Grund für das abnehmende Interesse in einer gewissen Erfolglosigkeit der Gewerkschaftsarbeit. 300 Um die Position der Gewerkschaften zu stärken, schlug er dem Cabinet Civil in Tübingen vor, für zwei kleinere Betriebe in Friedrichshafen und einen Betrieb in Langenargen 301 die Konzession zur Produktion zu erteilen. Die Wahl fiel deshalb auf diese Betriebe, weil in ihnen alle Arbeiterinnen und Arbeiter Aktionäre sein würden: »Nous donnerons aux Syndicate la possibilité de montrer aux ouvriers qu'ils ont obtenu un succès important puisqu'ils ont été l'aide et le soutien de ce projet.« Hier sollte den Arbeitnehmern also ein Erfolg vorgetäuscht werden, der letztlich unabhängig von den Gewerkschaftsaktivitäten alleine auf der Initiative der Franzosen beruhen würde. Die Gewerkschaften selbst könnten dann laut Merglen beweisen, daß sie in einer emsthaften Weise arbeiteten »pour améliorer le sort de l'ouvrier.« Die Unterstützung der lokalen Gewerkschaften erfolgte im Sinne der französischen Landesregierung, denn Merglen versicherte dem Délégué Supérieur, daß »une attention particulière est donné d'ailleurs par nos services pour favoriser et aider dans toute la mesure du possible le Mouvement syndical«. Neben wirtschaftlichen Gründen, die bei der Entscheidung für die Produktionsaufnahme in den drei kleinen Betrieben eine Rolle spielten, gab Merglen weitere, »vor allem politische« an. Ziel seiner Arbeiterpolitik im Kreis sei es, »sozialen Fortschritt« und »ein positives Bild der Besatzungsmacht« unter den Arbeitern zu fördern. 302 Die geplante Vergenossenschaftlichung des Sauerstoffwerkes und der Gießerei, beide noch zum Luftschiffbau Zeppelin gehörend, brachte nach Ansicht von Merglen zwei poli297

Ebd„ Anm. 10. Siegfried Mielke, Der Wiederaufbau der Gewerkschaften. Legenden und Wirklichkeit, in: Heinrich August Winkler (Hrsg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, S. 74-87. 299 AdO, c. 3568, Dossier chronologique, Merglen an Cabinet Civil vom 29.10.1947. •^Kreisgouvemeur Merglen erkannte die daraus erwachsenden Folgen: »C'est pourquoi d'ailleurs les dirigeants syndicalistes cherchent avec tant d'acharnement des succès de prestige«, so zum Beispiel bei einer Auseinandersetzung mit der Stadt und den französischen Behörden Uber die Verteilung von Kartoffeln an die Bevölkerung, ebd. Zum »Kartoffelstreit«, der auch in verschiedenen Presseorganen hohe Wellen schlug, vgl. Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 72-75. 301 Hierbei handelte es sich um ein Sauerstoffwerk, ein Hüttenwerk und einen holzverarbeitenden Betrieb, AdO, c.3568, Dossier chronologique, ebd. die folgenden Zitate. ^Ebd. 298

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tische Vorteile: »Ausschaltung der alten großen Wirtschaftsführer, und zwar für immer. Da die Arbeiter einmal Teilhaber eines Werkes geworden sind, werden sie ganz sicherlich jeden Versuch der Einmischung (der alten) energisch abweisen. Bekundung unseres Willens zum sozialen Fortschritt, der die Gründung von produktiven Genossenschaften ermöglicht, wodurch wir anders über den Zeitpunkt des sturen Kapitalismus hinweg kommen. Das ist eine soziale Propaganda zu unseren Gunsten, und sie wird mit größter Genugtuung von den Gewerkschaften, den Betriebsräten und der Arbeiterbevölkerung Friedrichshafens aufgenommen.« Unter wirtschaftlichen Aspekten fand es Merglen ebenfalls richtig, in Friedrichshafen ein Sauerstoffwerk und eine Gießerei bestehen zu lassen: »Die Arbeiter, wenn sie direkt Gesellschafter geworden sind, werden, angereizt durch die Aussicht auf Gewinn für ihr Unternehmen, das beste Ergebnis anstreben. Das ist auch die Lösung, die uns für die zukünftige Wiedererrichtung der deutschen Industrie die Sicherheit gibt.« 303 Dafür, daß die Gewerkschaften für die französische Besatzungspolitik auch ein »Anker der Stabilität« 304 sein sollten, gibt es einige Indizien. Jegliche Konfrontationen der Gewerkschaften mit der städtischen Verwaltung, dem Bürgermeister, dem Landrat oder den Betriebsräten wurden von den Franzosen umgehend mißbilligt und oft mit Scheinkompromissen aus dem Weg geräumt. Bei solchen Auseinandersetzungen, die häufig von kommunistischen Gewerkschaftern mitgetragen wurden, versagten die Franzosen meist ihre Solidarität mit den Gewerkschaften zugunsten ihrer Ordnungsvorstellungen, es sei denn, ihre eigenen Ziele waren in Frage gestellt. Inwieweit Arbeiterbewegung und Unternehmerschaft nach 1945 zu einem neuen Verhältnis zueinander gefunden haben, soll an dieser Stelle noch nicht abschließend beurteilt werden. Festzuhalten bleibt aber, daß sich die Gewerkschaften einen festen Platz in der Nachkriegsordnung sichern konnten. Auf der Grundlage der parlamentarischen Demokratie, die unter dem Schutz der Alliierten von keiner Seite ernsthaft in Frage gestellt wurde, entwickelte sich eine Sozialpartnerschaft, die in deutlichem Kontrast zur bis dahin herrschenden Unternehmerpolitik stand. Nach Gerhard A. Ritter ist vor allem im internationalen Vergleich hervorzuheben, daß die Bundesrepublik bis 1971 das einzige Land war, in dem Arbeitnehmervertreter in den Kontrollorganen privater Kapitalgesellschaften beteiligt waren. 305 Daß aber neben organisations- und verfassungshistorischen Brüchen nach 1945 gleichwohl Kontinuitäten zum Beispiel im mentalitätsgeschichtlichen Bereich feststellbar sind, wie der »Herr-im-Haus«Standpunkt der Unternehmer, Vorstellungen von einer »Betriebsgemeinschaft« und ein paternalistisches Verhältnis zwischen Unternehmer und Belegschaft bis in die sechziger Jahre hinein, wird noch an anderer Stelle zu zeigen sein.

303

LZA 06/775, Schreiben von Merglen an den Délégué Supérieur pour le Gouvernement Militaire Régional von Württemberg und zahlreiche weitere Ubergeordnete Dienststellen vom 17.9.1947. Zu den Genossenschaften siehe auch Kapitel 1.3. ^ W o l f r u m , Besatzungspolitik, S. 68. '"'Vgl. Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat: Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, 2. Aufl., München 1991, S. 164.

Entnazifizierung

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3. Ein brennendes Problem der Zeit: die Entnazifizierung »Die politische Säuberung, im allgemeinen Denazifikation genannt, ist eines der wichtigsten und bösesten Probleme, mit denen wir uns herumzuschlagen haben. Je nachdem, wie wir vorgehen, kann sich das, was auf diesem Gebiet geschieht, zum Segen oder zum Unsegen für unser Volk auswirken.« 306 Als Carlo Schmid, Vorsitzender bzw. Präsident des Staatssekretariats von Wiirttemberg-Hohenzolleni und zugleich Landesdirektor für Justiz, Kultus, Erziehung und Kunst, so seine Rede vor der Beratenden Landesversammlung am 9. Januar 1947 begann, befand sich das im gesamten alliierten Kontrollgebiet singulare württembergische Entnazifizierungsmodell bereits in einer Sackgasse. 307 Dies war für Zeitgenossen wie Schmid umso enttäuschender, als es ursprünglich den Vorstellungen einer »gerechten« politischen Säuberung von allen alliierten Säuberungsmodellen am nähesten kam. Am 19. Oktober 1945 hatte die französische Besatzungsverwaltung zwar eine Direktive für Württemberg und Hohenzollern erlassen, deren Kernbestimmung automatische Entlassungen unter formalen und schematischen Kriterien vorsah, aber schon eine Woche später einigten sich die französischen Stellen mit dem Verhandlungsführer Carlo Schmid auf eine Revision: Der Erlaß vom 31. Oktober sah nun vor, jeden einzelnen Fall einer individuellen Prüfung zu unterziehen. Im Gegensatz zur amerikanischen Militärregierung behielt sich die französische »nur« eine Überwachungsfunktion und letztinstanzliche Entscheidungsgewalt im Säuberungsverfahren vor, die Bürde der Verantwortung lag hauptsächlich auf dem vorgesehenen zweistufigen Säuberungsapparat in Form von »Kreisuntersuchungsausschüssen« (KRUAS) auf der unteren und »Säuberungskommissionen« auf der übergeordneten Ebene. Säuberungskommissionen waren bei jeder Landesdirekton einzurichten. Die KRUAS vor Ort hatten den Säuberungskommissionen Sanktionen vorzuschlagen, die sich von Geldbußen bis hin zu Entlassungen erstrecken konnten. Aus Ermangelung einer »formalen Rechtsgrundlage« 308 fielen die Vorschläge dann entsprechend unterschiedlich aus. Ein neuerlicher Kurswechsel der französischen Militärregierung führte zu einer eklatanten Verschärfung: nun sollten 50 Prozent aller Beamten, die NSDAP-Mitglieder gewesen waren, entlassen, sowie 50-75 Prozent aller ehemaligen nationalsozialistischen Betriebsführer enteignet werden. Im Gegenzug legten daraufhin Schmid und seine Mitarbeiter Gouverneur Guillaume Widmer, dem ranghöchsten Repräsentanten der südwürttembergischen Besatzung, einen Entwurf über eine Rechtsanordnung vor, der am 28. Mai 1946 Rechtskraft erhielt. Seine Bestimmungen riefen ein spezielles, den anderen Zonen und französisch besetzten Ländern nicht vergleichbares »südwürttembergisches Entnazi-

306

Verhandlungen der Beratenden Landesversammlung WUrttemberg-Hohenzollerns am 9.1.1947, S. 9, zitiert nach: Petra Weber, Carlo Schmid 1896-1979. Eine Biographie, München 1996, S. 230. " ' V g l . zu dem gesamten Themenkomplex jüngste Überblicksdarstellungen mit entsprechenden Literaturhinweisen von: Clemens Vollnhals (Hrsg.), Entnazifizierung. Politische Säuberung und Rehabilitierung in den vier Besatzungszonen 1945-1949, München 1991; Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hrsg.), Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991; Hans Woller, Gesellschaft und Politik in der amerikanischen Besatzungszone. Die Region Ansbach und Fürth, München 1986; zentral, wenn auch ebenfalls zur US-Zone, ist die Untersuchung von Lutz Niethammer: Die Mitläuferfabrik. Die Entnazifizierung am Beispiel Bayerns, Berlin/Bonn 1982. Für die Literatur zur FBZ sei auf die weiteren Ausführungen verwiesen. 308 Protokoll der Landrätetagung am 4.5.1946, S. 5, zitiert nach Weber, Carlo Schmid, S. 231.

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fizierungsmodell« ins Leben: Die Landesdirekton sicherte sich in den Säuberungsverfahren, die keinen strafrechtlichen Charakter hatten, ein entscheidendes Mitspracherecht; die Hauptlast der Verantwortung ging auf ein zu installierendes »Staatskommissariat für die politische Säuberung« über, das dem Staatssekretariat unterstellt wurde. Als Säuberungskommissar ernannte das Direktorium Mitte April 1946 den stellvertretenden Oberbürgermeister von Reutlingen Otto Künzel. 309 Die Ausgangslage für eine politische Säuberung in Südwürttemberg, die sich grundsätzlich von dem gerade eingeführten Spruchkammersystem der Amerikaner unterschied, sah im Frühjahr 1946 zusammengefaßt so aus: es gab, anders als in der amerikanischen Zone, keine generelle Erfassung der erwachsenen Bevölkerung; die »autoépuration«, die Säuberung der Deutschen durch Deutsche, sollte den Demokratisierungsprozeß beschleunigen und für eine »gerechte« Bestrafung sorgen; den Kreisuntersuchungsausschüssen fiel die Aufgabe zu, aufgrund ihrer Ortskenntnisse Tatbestände zu erheben, die sie an die Säuberungskommissionen, jetzt »Säuberungsausschüsse« genannt - weiterzuleiten hatten. Für Sanktionsvorschläge waren sie nicht mehr zuständig; das Staatskommissariat war, zumindest offiziell, letztinstanzlich für die Verhängung von Sanktionen zuständig, die als »Künzel-Bescheide« in die Geschichte eingingen; bekanntermaßen erlangten sie jedoch ihre Rechtskraft erst mit der Bestätigung durch die französische Militärregierung. 310 Trotz der, im Gegensatz zum schematischen amerikanischen Modell, günstigen Ausgangslage für eine Entnazifizierung der Gesellschaft, ist heute bekannt, daß auch der Weg Südwürttembergs weder die ursprünglich formulierten Ziele der Alliierten noch die Vorstellungen eines Großteils der deutschen Bevölkerung von einer »gerechten« Entnazifizierung verwirklichen konnte. Versuche, diesen Sachverhalt zu (erklären, gab es in den letzten Jahrzehnten viele. Justus Fürstenau sprach den Franzosen grundsätzlich ein Interesse an der politischen Säuberung zugunsten einer funktionierenden Verwaltung und Wirtschaft ab: »Es ging ihnen in erster Linie darum, aus ihrer Zone das größtmögliche Maß an Subsidien für den Wiederaufbau ihres eigenen Staatswesens herauszuholen, und daneben um die Schwächung des gefährlichen deutschen Nachbarn, ganz gleich, ob er monarchisch, nazistisch oder demokratisch war.«311 Für Klaus-Dietmar Henke waren die französische Entnazifizierung, die er - allerdings nur auf deutscher Quellenbasis beruhend - für Württemberg-Hohenzollern untersuchte, und speziell die französischen Richtlinien zur Entnazifizierung ein »groß angelegtefr] Bluff«. 312 Die Historiker Wolfrum, Grohnert und Möhler vertreten eine weitaus positivere Einschätzung, doch legen sie ein starkes Gewicht auf die Entnazifzierungspolitik. 313 Dagegen hat Cornelia Rauh-Kühne betont, daß die Säuberungspraxis in der französischen Besatzungszone oft im Widerspruch zur offiziellen Politik verlief, weswegen Henkes negatives Resumée den politischen und sozialen Tatsachen oft näher 309

Zur Person Otto Künzels siehe Henke, Politische Säuberung, S. 81. Ebd., S. 84. Justus Fürstenau, Entnazifizierung. Ein Kapitel deutscher Nachkriegspolitik, Neuwied/Berlin 1969, S. 134f. 312 Henke, Politische Säuberung, S. 47. Nach Henkes Ansicht wollten die Franzosen vermeiden, mit dem Erlaß eigener Säuberungsbestimmungen die Partner im Alliierten Kontrollrat zu brüskieren und damit »eigene Interessen in anderen Bereichen der Besatzungspolitik zu gefährden.« 313 Rainer Möhler, Entnazifizierung in Rheinland-Pfalz und im Saarland unter französischer Besatzung von 1945 bis 1952, Mainz 1992; Wolfrum, Besatzungspolitik, sowie Reinhard Grohnert, Die Entnazifizierung in Baden 1945-1949. Konzeption und Praxis der »Epuration« am Beispiel eines Landes der französischen Besatzungszone, Stuttgart 1991.

3l0

3,1

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komme als seine Kritiker.314 Auch ist nach den Gründen gefragt worden, warum die Entnazifizierung selbst bei nicht betroffenen, politisch unbelasteten Zeitgenossen auf bekanntermaßen große Widerstände gestoßen ist. Carlo Schmid sprach sich für die gesellschaftliche Integration der ehemaligen Nationalsozialisten aus, mit Ausnahme der »Hauptschuldigen«, denen man jeglichen Einfluß im öffentlichen Leben entziehen sollte. Vermutlich lag hier schon ein entscheidendes Grundproblem der Entnazifizierung, denn wer war als »Hauptschuldiger« zu bezeichnen? Für Schmid waren das nicht nur Gauleiter oder Reichsleiter von NS-Organisiationen, sondern auch jene, »die ihren Mitbürgern das Leben höllisch schwer gemacht haben«. 315 Aber hatte nicht jeder Einzelne seine eigenen Vorstellungen von »Schuld«? Und wie sollten die Untersuchungsausschüsse Informationen Uber »politische Belastungen« auf ihren Wahrheitsgehalt und ihre Tragweite beurteilen? Vor welchen ungleich schwierigeren Problemen standen dabei die Besatzungsverwaltungen, eine Zusammenbruchsgesellschaft gewissermaßen »von außen« auf ihre Integrität überprüfen zu müssen? Wie sehr die Siegermächte darüber hinaus eine Durchdringung der deutschen Gesellschaft mit der nationalsozialistischen Ideologie unterschätzten, mag an der zeitlichen Vorgabe der Franzosen für eine politische Säuberung deutlich werden: die Säuberung des öffentlichen Dienstes in Südwürttemberg und Hohenzollern sollte am 1. November 1945 beginnen und nach zwei Monaten abgeschlossen sein! 316 Bei Kriegsende hatte die NSDAP etwa sechs Millionen Mitglieder, und in der Allgemeinen und Waffen-SS waren etwa 800.000 Mitglieder organisiert. Neben einer solchermaßen organisatorischen Einbindung der Gesellschaft konnte sich das NS-Regime »zumindest zeitweise« auf »ein hohes Maß an Akzeptanz« innerhalb der Bevölkerung stützen. 317 Um u.a. auch solche Aspekte, die das Ergebnis einer in den letzten Jahren verstärkt betriebenen Sozialgeschichte des Nationalsozialismus sind, zu berücksichtigen, schlägt Cornelia RauhKühne eine veränderte Fragestellung vor. Grundsätzlich sieht sie die Aufgabe der heutigen Forschung zur Entnazifizierung nicht darin, »noch einmal die Perspektive der amerikanischen Säuberungsvorschriften« einzunehmen und Säuberungskonzepte »rein quantifizierend« nach der politischen Belastung des einzelnen und verhängten Sanktionen zu beurteilen. Statt dessen kommt es ihr darauf an, »die Funktionalität der Säuberungskonzepte und ihrer Durchführung daran zu messen, ob sie zum einen den Zielsetzungen alliierter Deutschlandpolitik, zum anderen den Erfordernissen und den Möglichkeiten der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Zusammenbruchsgesellschaft entsprachen.« Dabei soll es um personelle Kontinuitäten gehen, aber auch um

314

Cornelia Rauh-Kühne, Die Entnazifizierung und die deutsche Gesellschaft, in: AfS 35 (1995), S. 35-70, hier S. 35f. '"Verhandlungen der Beratenden Landesversammlung Württemberg-Hohenzollerns am 9.1.1947, S. 10, zitiert nach Weber, Carlo Schmid, S. 232. 316 Henke, Politische Säuberung, S. 49. 317 Rauh-Kiihne, Die Entnazifizierung, S. 41. Zur nationalsozialistischen Durchdringung der deutschen Gesellschaft und deren Schwierigkeiten mit einer »Vergangenheitsbewältigung« siehe die anregende Studie von Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1996, sowie einen Aufsatz von Klaus-Dietmar Henke: Die Grenzen der politischen Säuberung in Deutschland nach 1945, in: Ludolf Herbst (Hrsg.), Westdeutschland 1945-1955. Unterwerfung, Kontrolle, Integration, München 1986, S. 127-133.

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langfristige Folgen der Säuberungspraxis für einen demokratischen Gesellschaftsaufbau. 318 Das folgende Kapitel kann sich nur als Mosaikstein in die aktuelle Forschungsdiskussion einordnen. Trotz der Bedeutung Friedrichshafens als industrielles Zentrum Südwürttemberg-Hohenzollerns und der damit sich aufdrängenden Fragen nach einer französischen Entnazifizierungspolitik galt dieses Thema bislang als nahezu unerforscht. 319 In jüngster Zeit verstärkte sich jedoch das historische Interesse an den Industriellen des Luftschiffbau Zeppelin und flöß in aktuelle Untersuchungen ein. 320 Im folgenden soll versucht werden, an drei Themenbereichen die Durchführung der Entnazifizierung auf Kreisebene und in der Stadt Friedrichshafen - und somit die Entnazifizierungspraxis - darzustellen. Zunächst wird eine Phase beschrieben, in der vor Einrichtung der Entnazifizierungsgremien spontane Säuberungsaktivitäten sowohl von deutscher als auch von französischer Seite ausgingen. Ein zweiter Abschnitt beschreibt die Einrichtung von Kreisuntersuchungsausschüssen und die damit verbundenen Probleme. Im dritten Teil sollen die Entnazifizierungsverfahren einiger exponierter Persönlichkeiten aus Verwaltung, Politik und Wirtschaft dargestellt werden, um zu sehen, wie die Entnazifizierung verlief, inwieweit sich französische und deutsche Institutionen oder Personen engagierten und wie die deutsche lokale Gesellschaft damit umging. Wer waren die treibenden Kräfte vor Ort? Zeigten die französischen Dienststellen bei der Entnazifizierung der Wirtschaft ein anderes Verhaltensmuster als bei der Säuberung der Verwaltung? Gab es bei den Entnazifizierten Kontinuitätsbrüche in ihren öffentlichen Funktionen? Oder, anders gefragt, was hatte sich im Zuge der Entnazifizierung tatsächlich vor Ort verändert? 3.1. Entnazifizierungsmaßnahmen bis zum Oktober 1945 Eine systematische Entnazifizierung setzte in Südwürttemberg-Hohenzollern erst im Spätherbst 1945 mit der Herausgabe erster Richtlinien zur politischen Säuberung 318

Siehe hierzu mit einem entsprechenden Literaturüberblick Kühne, Die Entnazifizierung, S. 35f. In Bezug auf ein Zitat von Eugen Kogon betont Rauh-Kühne, daß der »Sachverhalt einer nahezu bruchlosen Kontinuität der westdeutschen Funktionseliten Uber das Ende der NS-Herrschaft hinaus« unstrittig, »aber in seinen Wirkungen noch alles andere als gründlich erforscht« sei, ebd., S. 35. 319 Klaus-Dietmar Henke, Politische Säuberung unter französischer Besatzung. Die Entnazifizierung in Württemberg-Hohenzollem, Stuttgart 1981, geht S. 36 u. 180 kurz auf die Friedrichshafener Situation ein; die Studie von Hendrik Riemer zum gewerkschaftlichen Wiederaufbau in Friedrichshafen behandelt das Thema ausführlicher, Riemers Ausführungen leiden jedoch unter einer schmalen Quellenbasis, die er durch einen linksorientierten Standpunkt und daraus hervorgehenden Analogieschlüssen auszugleichen versucht. Einige Primärquellen zum Entnazifizierungsverfahren von Hugo Eckener sind bei Italiaander, Ein Deutscher namens Eckener, zu finden. 320 Hetzer, Unternehmer und leitende Angestellte; Cornelia Rauh-Kühne, Die Unternehmer und die Entnazifizierung der Wirtschaft in Württemberg-Hohenzollem, in: dies./Michael Ruck (Hrsg.), Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930-1952, München 1993, S. 305-331. Kurz vor Drucklegung der hier vorliegenden Untersuchung konnte eine jungst fertiggestellte Wiss. Arbeit zur Entnazifizierung in Friedrichshafen eingesehen werden. Deren Ergebnisse wurden, soweit sie für die Fragestellungen relevant waren, eingearbeitet: Martin Ebner, Die Entnazifizierung in Friedrichshafen, Wiss. Arbeit, Universität Konstanz 1996. Ebner erstellte ein Sample aus 150 Personen, die in der Zeit des Nationalsozialismus wichtige Funktionen oder leitende Tätigkeiten in Politik, Verwaltung oder Wirtschaft ausübten. Anhand deren Entnazifizierungsakten beschreibt er die lokalen Säuberungsmaßnahmen und die entsprechenden SUhnemaßnahmen. Ein eigenes Kapitel ist den Inhaftierten im Internierungslager Balingen gewidmet.

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ein. 321 Bis dahin lag das Engagement für eine politische Säuberung auf deutscher Seite hauptsächlich bei lokalen Gruppierungen und »antifaschistischen Ausschüssen«. 322 In Friedrichshafen waren vor allem die Gründungsmitglieder der Parteien und Gewerkschaften, darunter auch einige Opfer des Nationalsozialismus, bestrebt, Einfluß auf die Besetzung von öffentlichen Ämtern, auf die Verteilung von Wohnraum unter politischen Aspekten oder den Arbeitseinsatz von ehemaligen NS-Parteigenossen auszuüben. Ende November 1945 beklagte sich der kommissarische Bürgermeister August Bertsch bei Landrat Münch über eine lokale Gruppierung, die »seit einiger Zeit« begonnen habe, die Säuberung der Verwaltung und Wirtschaft von nationalsozialistischen Einflüssen selbst in die Hand zu nehmen. 323 In Friedrichshafen engagierten sich bald nach Kriegsende vor allem Gewerkschafter im Bereich der politischen Säuberung. So sandten sie zum Beispiel im August 1945 eine Resolution an den Präsidenten des südwestdeutschen Arbeitsamtes in Stuttgart: »Für den Neuaufbau der Gewerkschaften wirkt es außerordentlich störend und hemmend, daß das hiesige Arbeitsamt heute noch immer von den gleichen Herren geleitet wird, wie in den vergangenen zwölf Jahren. Alle männlichen Angestellten des Arbeitsamtes waren Mitglieder der NSDAP. Es werden von dieser Stelle Anordnungen getroffen, die in heutiger Zeit einfach untragbar sind. Arbeiter, die nachweislich mit dem Nazismus niemals etwas zu tun hatten, sondern unter dem Hitlerregime infolge ihrer antinazistischen Einstellung schwer gelitten haben, werden zu schweren Aufräumungsarbeiten herangezogen. Auf der anderen Seite erfahren Mitglieder der NSDAP in jeder Weise eine Besserstellung dadurch, daß sie, vom Arbeitsamt begünstigt, in irgendwelchen Betrieben untergebracht werden.« 324 Die Beschwerdeführer wollten auf Wunsch eine Liste mit »einwandfreien Persönlichkeiten« zur Neubesetzung der Ämter nachreichen. In diesem Beschwerdebrief ging es um ein brennendes Problem der Nachkriegszeit, an dem die Zeitgenossen eine »erfolgreiche« Entnazifizierung maßen: die Besetzung wichtiger öffentlicher Ämter in Verwaltung und Wirtschaft.

321

322

Klaus-Dietmar Henke beschreibt vier Phasen der Entnazifizierung in Südwürttemberg-Hohenzollern: 1. Die Phase bis zur Konsolidierung des französischen Besatzungsgebietes; 2. Die Entnazifizierung nach französischen Richtlinien vom 19. Oktober 1945 bis 28. Mai 1946; 3. Die Neuordnung des Entnazifizierungsverfahrens mit der Rechtsanordnung vom 28. Mai 1946 und Schaffung des »Staatskommissariats für politische Säuberung«. Diese Phase wird als »südwürttembergisches Entnazifizierungsmodell« bezeichnet, welches sich grundlegend vom Spruchkammersystem in der ABZ unterschied; 4. Neuordnung des Verfahrens ab Mai 1947, Ende des südwürttembergischen Modells mit Einführung des Spruchkammergesetzes am 1.7.1947. Vgl. ders., Politische Säuberung. Mitverantwortlich für eine anfängliche Konfusion in der Entnazifizierungspolitik war die »Affaire de Stuttgart«, die anfangs amerikanische und französische Besetzung Stuttgarts, welche zu Irritationen und einem verzögerten Aufbau der Verwaltungsbehörden führte, vgl. hierzu ebd., S. 18f.

Zu Antifa-Ausschüssen vgl. die Untersuchung von Ulrich Borsdorf/Lutz Niethammer (Hrsg.), Zwischen Befreiung und Besatzung. Analysen des US-Geheimdienstes Uber Positionen und Strukturen deutscher Politik 1945, Wuppertal 1977, sowie Niethammer u.a., Arbeiterinitiative 1945. 323 StA Sig, WÜ 13, Bü. 239, Schreiben vom 30.11.1945. Henke nennt diesen Umstand »eigenwillige Entnazifizierungstätigkeiten« eines linksorientierten Komitees, das sich auf den Sicherheitsoffizier des Kreisdétachements stutzen konnte. Das ist für ihn ein Beispiel dafür, daß örtliche deutsch-französische »Kleinkoalitionen« in der Anfangsphase der Besatzungszeit zu beobachten seien. Diese Koalitionen gab es aber nicht nur in der Anfangsphase, und die Rolle vor allem der Gewerkschafter als Entnazifizierungsorgan wünschten nicht nur einzelne französische Offiziere; vgl. Henke, Politik der Widersprüche, S. 57. 324 Das Dokument vom 20.8.1945, aus dem zitiert wurde, ist abgedruckt in: Riemer, Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, Anhang.

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Mit der Leitung eines dieser Ämter, nämlich des Wohnungsamtes, wurde zum Beispiel ein Mitglied aus diesem aktiven Kreis betraut. Seit August 1945 regelte ein Erlaß des Landratsamtes Tettnang die Vergabe von Wohnraum, wonach »Wohnungen und Geschäftslokale von ehemaligen Parteiangehörigen für Opfer des Faschismus« in Anspruch zu nehmen seien. 325 Über die Vergabekriterien kam es häufig zu erbitterten Auseinandersetzungen innerhalb der städtischen Ämter und zwischen den Wohnungsinteressenten, die erst nach einer Stärkung der bürgermeisterlichen Entscheidungsgewalt endeten. 326 Ihre Entnazifizierungsaktivitäten stellten die Gewerkschaften nach einer ersten, weitgehend »autonomen« Phase in den Dienst der ab Oktober 1945 zu bildenden Kreisuntersuchungsausschüsse. Ihnen lieferten sie Informationen über Beschäftigte oder machten eigene Vorschläge über Sühnemaßnahmen. Allerdings war dieses Engagement außerhalb der Säuberungsausschüsse von deutschen Stellen nicht erwünscht, wie die oben zitierten Klagen des Bürgermeisters zeigen. Man wollte neben den offiziellen Säuberungsgremien keine Einmischungen dulden, weshalb sich auch Landesdirektor Roßmann mit einer Beschwerde über »irreguläre Comités« an den Gouverneur in Tübingen wandte: »Da sich die genannte Gruppe jedoch anscheinend auf eine Anweisung des Herrn Sicherheitsoffiziers [der Kreisregierung] berufen kann, ist es mir allein nicht möglich, die Tätigkeit dieses Ausschusses abzustellen.« 327 Hier gab es also vor der Konsolidierung zentraler französischer Behörden auf kommunaler Ebene »informelle Koalitionen auf der Basis gemeinsamer politischer Ansichten«. 328 Die Friedrichshafener Gruppierung genoß zumindest in der Phase der unkoordinierten und spontanen Entnazifizierung die Unterstützung der französischen Kreisregierung. 329 Auch nach der Installierung offizieller Säuberungsorgane bemühte sich der »Arbeiterkreis« weiterhin um politische und wirtschaftliche Konsequenzen für das Handeln ehemaliger Nationalsozialisten. Vor allem über die Gemeinderatsarbeit und städtischen Dienststellen wurde versucht, Einfluß geltend zu machen. So war zum Beispiel Rudolf Denz seit März 1946 Beauftragter für Pg.-Einsätze. 330 Da zu diesem Zeitpunkt aber noch kaum Entnazifizierungsbescheide vorlagen, mußte die Verpflichtung zum Einsatz nach eigenen Kriterien erfolgen. Dem Wiederaufbaudienst widersetzten sich die meisten Betroffenen, weshalb ein Teil der Gemeinderäte Zwangsmaßnahmen einführen wollte. 331 Diese Debatte war eigentlich überflüssig, weil bereits einen Monat zuvor die Militärregierung ihr Veto gegen Zwangseinsätze eingelegt hatte. 332 Bürgermeister Bertsch schlug deshalb vor, den bisherigen Pg.-Einsatz »vorläufig noch wei-

325

Rathaus, GRP vom 31.5.1946. Siehe dazu das Kapitel II.2 zu den Gewerkschaften. Das Problem einer gerechten Wohnungsvergabe fand bis Mitte 1947 in zahlreichen Gemeinderatsprotokollen seinen Niederschlag. 327 StA Sig, Wü 13, Bü. 239. 328 Vgl. Henke, Politische Säuberung, S. 36, der hierfür neben Friedrichshafen noch weitere Beispiele anführt. 329 Die Chancen der Antifa-Ausschiisse hing in einem hohen Maße von der politischen Haltung der lokalen Militärbehörden ab. Trotz starker regionaler Unterschiede war die Zusammenarbeit in der FBZ insgesamt intensiver als in den anderen Westzonen. Vgl. hierzu auch die Arbeit der Verfasserin, Die Demokratische Vereinigung. 330 Rathaus, GRP vom 31.5.1946. 331 Ebd. und GRP vom 27.9.1946. 332 Ebd. und GRP vom 3.4.1946. Im September 1946 sprach sich der Kreisgouverneur dann aber doch für solche Maßnahmen aus, wohl aufgrund des eklatanten Arbeitskräftemangels. 326

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terzuführen, dann aber anstelle des Pg.-Einsatzes einen sogenannten „Bürgereinsatz" für alle einzuführen.« 333 Zu den ersten französischen Eingriffen in das deutsche Gemeindeleben unmittelbar nach Kriegsende gehörten Internierungsmaßnahmen und eine Welle von Entlassungen vor allem aus Verwaltungsämtern. In das Internierungslager Balingen, das die Franzosen gleich nach Kriegsende in der Nähe des Konzentrationslagers Bisingen eingerichtet hatten, wurden zunächst solche Gefangene überführt, die gleich nach Kriegsende verhaftet worden waren. 334 Ab April 1946 kamen dann die aufgrund alliierter Bestimmungen wegen ihres NS-Ranges »automatisch« Verhafteten dazu. In der FBZ wurden in einem Zeitraum bis zum 1. Januar 1947 18.963 Personen in »automatischen Arrest« genommen sowie 42 Prozent wieder entlassen. 335 . Aus dem Kreis Tettnang waren im September 1947 noch etwa 50 Personen in Balingen interniert, davon 29 aus Friedrichshafen.336 Unter den Inhaftierten befanden sich zahlreiche Ortsgruppenleiter und deren Stellvertreter.337 Vom Friedrichshafener Unternehmen Luftschiffbau Zeppelin waren im April 1946 22 Personen inhaftiert, darunter die Ortsgruppenleiter Rudolf Göttinger, Josef Hund und Rudolf Riedl sowie der kaufmännische Geschäftsführer Dr. Karl Schmid. 338 Im Mai 1948 erfolgte dann die erste Entlassungswelle. 339 Ausführlicher soll an dieser Stelle der Austausch von Verwaltungseliten auf der lokalen Ebene behandelt werden. Im Kreis Tettnang wirkten sich diese erste Maßnahmen vor allem auf die bislang amtierenden zwölf Bürgermeister (ohne Friedrichshafen) aus. Das Hauptkriterium war dabei zunächst die alleinige Tatsache, daß eine Person im Nationalsozialismus das Amt des Bürgermeisters bzw. Ortsvorstehers bekleidet hatte. So liegt auch ein Fall vor, in dem ein politisch unbelasteter Amtsträger entlassen wurde. Im allgemeinen waren jedoch die NS-Bürgermeister - zumindest formal - mehrheitlich belastet: in elf von zwölf Fällen bestand neben der NSDAP-Zugehörigkeit eine weitere Mitgliedschaft (bei der SA drei Personen) oder Funktion (so z.B. vier Ortsgruppenleiter und zwei Propagandaleiter). Bei einer Person liegen keine 333

Ebd. Nach einer gemeinderätlichen Exkursion in Städte mit Pg.-Einsatz wurde die Stadt Heilbronn besonders positiv hervorgehoben. Dort sah die Praxis einen »Ehrendienst sämtlicher Bürger« vor. Gemeint war damit der Einsatz aller männlichen Bewohner zwischen 16 und 55 Jahren, die »ohne Unterschied des Standes, Berufes, Arbeitsverhältnisses« in einer zusammenhängenden Folge 12 Arbeitstage Dienst leisten mußten. Ehemalige Mitglieder und Anwärter der NSDAP mußten noch zusätzliche 6 Tage arbeiten. 334 FÜT die ersten Monate der Inbetriebnahme des Internierungslagers Balingen liegen keine Quellen vor. Darauf weist auch Martin Ebner hin, weshalb seine diesbezügliche Untersuchung erst mit dem September 1947 - als die Verwaltung des Lagers auf das württembergische Innenministerium überging - einsetzt. Vgl. ders., Entnazifizierung, S. 14ff. '"Fürstenau, Entnazifizierung, S. 44f., und Stöss, Die extreme Rechte, S. 61. 336 StA Sig, WÜ 15, Bd. 9, Bü. 52, »Namenslisten und Einzelakten von Internierten Kreis Tettnang 1947-49«. Der KRUA teilte die Internierten in Kategorien ein. Für Friedrichshafen: Liste I, Sonderfälle (6 Personen); Liste II, leichte Fälle (11); Liste III, schwere Fälle (12). 337 Zur Internierung von Beschäftigten der Friedrichshafener Industrie liegen Quellenbestände im StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 615, 617 und 621 vor; ebd., Bü 622 »Korrespondenz des Krua Tettnang mit dem Interniertenlager Balingen in Säuberungssachen 1948«. Nach Grohnert waren im Juni 1947 in Württemberg-Hohenzollern noch 159, in Baden 1.554 und in Rheinland-Pfalz 1.102 Personen inhaftiert; vgl. ders., Entnazifizierung in Baden, S. 163. 338 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, BU. 615. 33, Den Entlassungen gingen meist umfangreiche Korrespondenzen zwischen Internierten und deren Angehörigen sowie den Ministerien, Behörden oder dem KRUA voraus; ebd. und Bü. 622. Für die Internierten war in der Regel nicht der örtliche KRUA, sondern die Spruchkammer in Balingen zuständig.

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biographischen Angaben vor. Bis 1934 hatten die Nationalsozialisten in fast der Hälfte aller Landgemeinden politisch unliebsame Bürgermeister gegen Parteigenossen ausgetauscht. 340 Von zwölf NS-Bürgermeistern wurden neun in den Jahren 1934 bis 1939 in ihr Amt eingesetzt, bei drei Personen konnte das Eintrittsdatum nicht ermittelt werden. Im folgenden werden die Entnazifizierungsmaßnahmen in den elf Landgemeinden sowie der Stadt Tettnang (ohne die Stadt Friedrichshafen, welche bereits in Kapitel 1.4 dargestellt wurde) unter dem Aspekt des kommunalen Elitenaustausches in aller Kürze vorgestellt: 341 1. Ailingen: NS-Bürgermeister Alfred Schraff, am 29.4.1898 in Ailingen geboren, war seit 1931 Gemeinderat und seit 18.1.1934 Bürgermeister. Vom 11.6.1945 datiert ein von Schraff verfaßter Lebenslauf, demzufolge er seit 1.5.1933 Parteigenosse und seit Januar 1935 Ortsgruppenleiter gewesen war. Drei Tage später wurde er von der französischen Polizei verhaftet. 342 Am 26.6.1945 setzten die Franzosen den Bauern Bernhard Rauch als kommissarischen Bürgermeister ein. Rauch, Einheimischer und Jahrgang 1888, war seit 1.5.1934 Mitglied der NSDAP gewesen. 343 Nach der Wahl im Dezember 1948 hieß der neue Bürgermeister Josef Frey, geboren am 25.8.1907 in Bronnen/Kreis Reutlingen und zuletzt Leiter des Steueramtes in Friedrichshafen. Frey ging aus der Entnazifizierung als Mitläufer ohne Maßnahmen hervor und vertrat bei der Wahl 1948 keine Partei. Er löste den Bürgermeister von 1946, den Bauern Josef Heine, ab. 2. Eriskirch: In Eriskirch war Franz Wohlfrom, geboren am 14.9.1904 in Pfahlheim/ Kreis Ellwangen, vom 5.1.1938 bis zu seiner Einberufung zum Militärdienst am 26.1.1942 Bürgermeister. Er war NSDAP-Mitglied seit 1.5.1933 und hatte zeitweise das Amt des Propagandaleiters inne. Bis Kriegsende verwaltete der Langenargener Bürgermeister die Gemeinde Eriskirch mit. Seit dem Tag der französischen Besetzung führte die Amtsgeschäfte als kommissarischer Bürgermeister der seit 1938 als Gemeindepfleger tätige Eugen Schäberle. Er wurde am 4.11.1896 in Friedrichshafen geboren, arbeitete als Mechanikermeister in der Industrie und war seit 1.5.1940 NSDAP-Anwärter sowie »ehrenamtlicher Ortswalter der NSV«. Der

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Ein erster Schritt zu dieser Zäsur wurde bereits im Juli 1933 eingeleitet, als in der Presse verkündet wurde, daß fast die Hälfte der damals 22 Bürgermeister bzw. Ortsvorsteher ihres Amtes enthoben oder in den Ruhestand geschickt worden seien. Es handelte sich um die Gemeinden Ailingen, Flunau, Hirschlatt, Laimnau, Liebenau, Meckenbeuren, Obereisenbach, Oberteuringen, Schomburg und Tannau; (aus: Der »Oberschwabe« vom 22. und 24.7.1933, KrA FN, Nr. 1230, Aufstellung der Ortsvorsteher). Aber erst zwischen Januar und November 1934 traten dann in zehn Gemeinden neue Bürgermeister ihr Amt an. In drei weiteren Gemeinden fand ein Austausch der Bürgermeister 1932 bzw. 1935 statt. Nach der Kreisreform vom April 1937 gab es in den nun 14 Kreisgemeinden nur noch einen Bürgermeister aus der Zeit vor 1933. Dies war der seit 1918 amtierende Tettnanger Bürgermeister Gregor Kuhn. 341 Die Ausführungen fußen, soweit nicht anders angegeben, auf folgenden umfangreichen Quellenbeständen des Kreisarchivs: Nr. 1230, Bürgermeister 1945-1958 sowie Aufstellung der Ortsvorsteher 1932-1972; Nr. 1231.0- 1231.2, Bürgermeisterakten 20er bis 60er Jahre. 342 Schraff wurde im März 1947 von einem amerikanischen Militärgericht in Dachau zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt, weil er an der Erschießung eines notgelandeten amerikanischen Piloten beteiligt war; vgl. die Meldung in der SZ vom 11.3.1947. 343 Entnazifizierungsurteil 8/1946: Entlassung ohne Bezüge, Verlust der Wählbarkeit auf 3 Jahre; vgl. Amtsblatt des Staatskommissariats, Jg. 1946, Nr. 15 vom 19.8.1946, S. 157.

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erste gewählte Nachkriegsbürgermeister wurde Richard Schaugg, der dieses Amt bereits 1923 bis 1935/1936 innehatte. 344 Schaug, geboren am 30.5.1893, kandidierte bei der Wahl 1948 als Parteiloser und wurde in seinem Amt bestätigt. 3. Ettenkirch: Bürgermeister seit 5.4.1934 war Otto Blaschke, geboren am 9.4.1877 in Halle/Saale und Mitglied der NSDAP seit März 1931 sowie Ortsgruppenleiter seit 1932. Als kommissarischer Bürgermeister wurde gleich nach Kriegsende der Bauer Hermann Gessler eingesetzt, geboren am 16.7.1893 in Ettenkirch und Pg. seit 20.5.1933. 345 Erster Nachkriegsbürgermeister wurde der staatlich geprüfte Landwirt Gebhard Sauter. Nach der neuerlichen Wahl von Dezember 1948 blieb der Bürgermeisterstuhl zunächst unbesetzt. 346 4.Kehlen: Zumindest am 25.6.1945 amtierte noch der NS-Bürgermeister Philipp Seubert, geboren am 1.8.1892 in Frankfurt a.M., Berufsbeamter, NSDAP-Mitglied seit 1935, Mitglied des Volkssturms und seit 1937 Bürgermeister in Kehlen. 347 Stellvertretender Bürgermeister war der Oberlehrer Franz Schwarzmann, geboren am 9.3.1879 in Ochsenhausen, NSDAP-Mitglied seit 1933, vorübergehende Leitung der Propagandaabteilung und ab Sommer 1944 Leiter der NSV. Bei der Wahl 1946 blieb die Stelle unbesetzt, dagegen hieß 1948 der neue Bürgermeister Karl Brugger, der von der CDU als Kandidat aufgestellt worden war. 5.Kressbronn: Bürgermeister Egon Grall, geboren am 9.8.1880 in Poppis und Bürgermeister seit 1913, hatte ab 1933 Schwierigkeiten mit dem neuen Regime. Zwar wurde er 1933 noch wegen seiner sieben Kinder im Amt belassen, dann aber im April 1934 auf Betreiben der NSDAP in den Ruhestand versetzt. Grall war kein Parteimitglied und gehörte keiner NS-Gliederung an. Nach eigenen Aussagen hatte er unter Repressionen durch Partei und Gestapo zu leiden. Zu seinem Nachfolger wurde am 23.4.1934 der Verwaltungsfachmann Karl Gotthardt bestimmt. Geboren am 19.10.1903 in Stuttgart, war er von 1923-1927 und von 1930 bis Kriegsende Parteigenosse, »politischer Leiter«, »Kreisamtsleiter der kommunalen Politik« sowie SA-Scharführer. Vermutlich leitete Grall kommissarisch die Geschäfte bis zur ersten Wahl 1946.348 Dabei wählte die Bürgerschaft Egon Grall wieder zu ihrem Bürgermeister, bei der ebenfalls erfolgreichen Wahl von 1948 kandidierte er für die CDU. 6. Langenargen: Bis 9.5.1945 amtierte der NS-Bürgermeister Oskar Heß. Er wurde am 21.8.1906 in Balgheim/Kreis Spaichingen geboren, war seit 1934 Parteigenosse und zeitweilig Ortsgruppenleiter. Ab 10.5.1945 löste ihn der Bauer Alfred Wocher

^Entnazifizierungsurteil 8/1946: Verbleibt im Amt, ebd. 345 Entnazifizierungsurteil 8/1946: Entlassung ohne BezUge, Verlust der Wählbarkeit auf 3 Jahre, ebd., ebenso die weiteren Säuberungsurteile. 346 Noch im Mai 1949 wurden Beschwerden bezüglich der Bürgermeisterstellen in Eriskirch, Ettenkirch und Neukirch geprüft. M7 Entnazifizierungsurteil 8/1946: Entlassung als Bürgermeister, Sanktionen im Falle einer Weiterverwendung in der Verwaltung, Verlust von Wahlrecht und Wählbarkeit auf 3 Jahre. 348 Entnazifizierungsurteil 8/1946: Verbleibt im Amt.

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ab. Er wurde am 4.2.1899 in Langenargen geboren und war kein NSDAP-Mitglied. 349 Wocher, sowohl 1946 als auch 1948 in seinem Amt bestätigt, war Mitglied der CDU. 7. Langnau: Der erste NS-Bürgermeister Leopold Sulzer, am 17.2.1907 in Rottenburg geboren, war Parteigenosse seit 1.5.1933 und Schulungsleiter der NSDAP. Als dieser im April 1943 zur Wehrmacht eingezogen wurde, verwaltete Karl Sihler die Gemeinde. Sihler, Jahrgang 1895 und in Schlatt/Kreis Tettnang geboren, war nach den vorliegenden Quellen kein NSDAP-Mitglied und auch in keiner NS-Gliederung organisiert. Am 22.5.1945 wurde er inhaftiert. 350 Sein Nachfolger wurde tags darauf der Bauer Basil Bentele, geboren am 31.10.1905 in Wellmutsweiler. Bentele war politisch nicht belastet, wurde in beiden Wahlen bestätigt und hatte 1948 als CDU-Mitglied kandidiert. 8.Meckenbeuren: Seit April 1934 verwaltete die Gemeinde Bernhard Sporer, am 12.5.1902 in Ehingen geboren. Sporer war seit 1933 NSDP-Mitglied und von 1933-1939 Propagandaleiter. Am 13. Mai 1945 wurde Heinrich Müller, Jahrgang 1912 und aus der Pfalz stammend, »vom Herrn Ortskommandanten auf Vorschlag durch die Bevölkerung als Bürgermeister eingesetzt.« Ingenieur Müller blieb aufgrund beider Wahlen Bürgermeister, war jedoch politisch umstritten 351 . Müller war ebenfalls Mitglied der CDU. 9.Neukirch: Im Juli 1937 löste Hans Rack, Jahrgang 1890, den ersten NS-Bürgermeister Albert Schweinberger ab. Über beide Amtsträger liegen keine biographischen Daten vor. Noch vor Kriegsende, im März 1945, fand ein Amtswechsel statt. Neuer Bürgermeister wurde Edmund Betzier, Jahrgang 1902 und in Rexingen/Kreis Horb geboren. Vor Amtsantritt war er als Justizinspektor in Aalen tätig, Mitglied der NSDAP wurde er am 1.5.1933. Von 1939 bis zu seiner Verwundung 1944 war er bei der Wehrmacht. Betzier konnte die erste Hürde bei der Wahl 1946 nicht überwinden: Bürgermeister wurde der Bauer und Christdemokrat Franz Stärk. lO.Oberteuringen: Der Oberteuringer NS-Bürgermeister Ludwig Walter war seit Februar 1934 in seinem Amt tätig, zuvor war er Ortsvorsteher in einer Göppinger Gemeinde. Er übte zwar noch bis mindestens Juli 1945 seine Funktion aus und wäre auch gerne Nachkriegsbürgermeister geworden. Aber als Parteigenosse und SA-Mitglied seit 1.5.1934 war er politisch belastet. 352 1946 gewählt und 1948 bestätigt wurde Rudolf Gnädiger. Der Kaufmann kandidierte 1948 als Mitglied der CDU. Gnädiger war von 1955 bis 1975 Bürgermeister von Tettnang und wurde 1950 Vorstandsmitglied der Kreis-CDU.

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Entnazifizierungsurteil 8/1946: Verbleibt im Amt. Nach einem Schreiben vom 5.7.1945 befand er sich zu diesem Zeitpunkt noch in Haft. 'im Entnazifizierungsverfahren retteten ihn vermutlich die zahlreichen Entlastungsaussagen ehemaliger KZ-Häftlinge, der SPD-Ortsgruppe, der Gemeinderäte und des Kreiswahlausschusses. Im August 1946 hatte das Säuberungsurteil noch Entlassung ohne Beztige und Verlust der Wählbarkeit auf 1 Jahr geheißen. 352 Entnazifizierungsurteil 8/1946: Pensionierung und Zurückstufungen. 350 35

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ll.Tannau: Anders lag der Fall bei dem im Mai 1945 eingesetzten kommissarischen Bürgermeister Markus Schmid. Am 17.2.1895 in Tannau geboren und von Beruf Landwirt, galt er als politisch unbelastet. 353 Schmid löste NS-Bürgermeister August Rauch, geboren 1895 im Enztal und von Beruf Revierförster, ab. Rauch wurde als Parteigenosse seit Mai 1933 und als Ortsgruppenleiter am 21.5.1945 »in Schutzhaft genommen«. Markus Schmid wurde 1946 als Bürgermeister gewählt und 1948 als parteiloser Kandidat in seinem Amt bestätigt. 12.1n der Stadt Tettnang wurde als erster Nachkriegsbürgermeister Oberrechnungsrat Julius Bertsche, am 24.7.1890 in Gunningen geboren und katholisch getauft, eingesetzt. Er arbeitete vorher als Stadtpfleger bei der Stadtverwaltung in Friedrichshafen und war aufgrund zweier Dienststrafverfahren 1933 und im Juni 1937 seines Amtes enthoben worden. Die Daten 1933 (Gleichschaltung und Berufsbeamtengesetz) und 1937 (neues NS-Beamtenrecht mit Zwang zum Parteibeitritt) legen die Vermutung nahe, daß es sich um eine politische Disziplinierung handelte. Eine solche bescheinigte ihm auch NS-Bürgermeister Walter Bärlin in der Nachkriegszeit. 1938 mußte auch der amtierende Bürgermeister Kuhn auf Druck der NSDAP den »Krankheitsurlaub« antreten. 354 Am 16.5.1939 wurde Regierungsrat Alfons Langensteiner in sein Amt eingesetzt. Er war seit 1933 Mitglied der SA und seit 1.8.1935 der NSDAP 355 Unter seiner Amtszeit wurde Julius Bertsche wieder als Stadtpfleger eingestellt, und nach der Einberufung des Bürgermeisters zum Militär war er der einzige Beamte, der in der Stadtverwaltung noch arbeitete. 356 Julius Bertsche war kein Mitglied der NSDAP. 357 Sieben Bürgermeister wurden in den ersten vier Wochen nach der Besetzung des Kreises verhaftet oder amtsenthoben, und bis 26. Juni 1945 waren alle NS-Bürgermeister ausgetauscht worden. Zehn von ihnen hatten ihren Geburtsort nicht im Kreis Tettnang. Nach der Wahl von 1946 stammten dagegen - soweit die Quellen über die einzelnen Personen Auskunft geben - neun der zehn gewählten Bürgermeister aus dem Kreisgebiet. Vier kommissarische Bürgermeister der Übergangszeit, die politisch belastet waren, kamen bei den Wahlen 1946 und 1948 nicht mehr in Amt und Würden. Fünf politisch unbelastete kommissarische Bürgermeister konnten ihre Bürgermei353 354 353

Entnazifizierungsurteil 8/1946: Verbleibt im Amt. So nachzulesen in der »Tettnanger Heimatrundschau« vom 19.5.1939, in: StadtA TT, AA 2059. Zur Amtseinsetzung liegt ein ausführlicher zweiseitiger Bericht sowie ein Schreiben vom 17.9.1937 vor, ebd. Langensteiners offizielle Dienstzeit ging von 16.5.1939 bis 7.3.1947, ab 15.9.1946 galt er als in den Wartestand getreten. Geboren wurde er am 30.12.1902 in Heidenheim, vor seinem Amtsantritt in Tettnang war er als Gemeindepolizeiverwalter bei der Stadtverwaltung in Weingarten tätig. Vom 25.5.1938 - »seit Zurruhesetzung des früheren Bürgermeisters - bis zur Eingliederung der Stadt Weingarten in die Stadt Ravensburg am 1.4.1939 führte er auch die Geschäfte des Bürgermeisters. Aufgrund des Entnazifizierungsurteils vom 28.2.1947 wurde der Bürgermeister mit Wirkung vom 7.3.1947 entlassen. Aus der abschließenden Entnazifizierung ging er als »Mitläufer« hervor. 1950 wollte Langensteiner beim Gemeinderat erreichen, als »Härtefall« für die Gewährung eines Wartegeldes anerkannt zu werden. Dies wurde abgelehnt mit der Begründung, daß er »seit längerer Zeit« als Angestellter im Wirtschaftsministerium beschäftigt sei und dort mehr als ein »geringfügiges Gehalt« beziehe; ebd., GRP vom 6.10.1950 sowie weitere Korrespondenz zu Langensteiners beruflichem Status.

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StadtA TT, AA 2059, Schreiben vom 19.7.1945. Nach einem Schreiben vom 6.3.1945 befand sich Langensteiner seit 9.6.1944 in amerikanischer Gefangenschaft, ebd. 357 Nach StA Sig, WÜ 40, Bd. 6, Bü. 15 und StadtA TT, AA 2070.

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stergeschäfte auch nach den beiden Wahlen fortführen. Unter dreizehn Bürgermeistern, die am 15. September 1946 gewählt wurden, befand sich nur einer, der nach 1933 (bis 1935/36) ein solches Amt bekleidet hatte. 358 Auch infolge der neuerlichen Wahl am 5. Dezember 1948, als die Entnazifizierung weitgehend abgeschlossen war, änderte sich an dieser Konstellation wenig: Nur zwei Bürgermeisterstellen (Friedrichshafen und Ailingen) wurden 1948 neu besetzt. Das Eingreifen der französischen Besatzer in die personellen Strukturen der Ortschaftsverwaltungen bewirkte eine noch stärkere Zäsur, als sie in Zusammenhang mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten feststellbar ist. Zwei Monate nach der Besetzung des Kreisgebietes war ein komplettes personelles Revirement durchgeführt worden. Belege für einen Protest der Kreisbevölkerung gegen diese Maßnahmen liegen nicht vor. Vermutlich zog es die Landbevölkerung vor, die Orts vorstände - wie vor 1933 - wieder aus ihren eigenen Reihen wählen zu können. 3.2. Die Einrichtung von Entnazifizierungsausschüssen für den öffentlichen Dienst und die freie Wirtschaft Am 19. Oktober 1945 gab die französische Militärregierung Richtlinien für eine einheitliche politische Säuberung in Südwürttemberg und Hohenzollem heraus, die für den öffentlichen Dienst vorgesehen waren. 359 Danach mußte in jedem Landkreis ein Kreisuntersuchungsausschuß eingerichtet werden, welcher mit fünf ständigen Mitgliedern aus politischen, konfessionellen und gewerkschaftlichen Kreisen zu besetzen war. Außerdem waren jeweils ein bis drei Vertreter aus denjenigen Verwaltungszweigen hinzuzuziehen, deren Beamte und Angestellte überprüft werden sollten. 360 Bevorzugt sollten NS-Opfer und durch den Nationalsozialismus Benachteiligte in den Ausschüssen vertreten sein. 361 Mitte November 1945 hatten mit einer Ausnahme alle siebzehn Landkreise einen Untersuchungsausschuß gebildet. 362 Die Besetzung, die aufgrund von Vorschlagslisten an die Landesdirektion des Innern und danach durch Genehmigung der Besatzungsbehörden zustande kam, fiel sehr unterschiedlich aus. In manchen Landkreisen wurden bevorzugt Verfolgte oder Benachteiligte des NS-Regimes in die Gremien berufen, wie z.B. in Reutlingen, wo die Hälfte der vorgeschlagenen Kandidaten unter KZ-Haft gelitten hatte. Eine Schlüsselrolle bei der Besetzung der Ausschüsse fiel den Landräten zu. Sie stellten nicht nur personelle Vorschlagslisten zusammen, sondern wählten teilweise gleich selbst den Vorsitzenden und die ständigen Mitglieder unter völlig verschiedenen Kriterien aus. Der von den Franzosen eingesetzte Landrat von Tettnang, Dr. Konrad Stöhr, begründete gleich prophylaktisch - wohl Kritik ahnend - seine Auswahl mit dem Argument, daß die politische Zusammensetzung der Ausschußmitglieder den Wahlergebnissen vom 6. November

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Hier wird nicht der Kressbronner Bürgermeister mit einbezogen, der zwar bis 1934 im Amt war, aber bereits 1933 unter Repressalien zu leiden hatte. Mit der frühen Etablierang einer vorläufigen Regierung am 16.10.1945, dem Staatssekretariats in Tübingen unter Carlo Schmid, begannen erste französische Versuche einer Vereinheitlichung der politischen Säuberung, siehe dazu Henke, Politische Säuberung, S. 43ff. 360 Zu ernennen waren erstere fUnf Mitglieder durch die Landesdirektion des Innern, die weiteren Mitglieder durch die zuständigen Landesdirektionen. Vgl. zum Aufbau der Säuberungsgremien ebd., S. 46ff. 361 Nach einem Erlaß der Landesdirektion des Innern vom 31.10.1945, ebd. S. 53. 362 Vgl. ebd., S. 53f.

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1932 und 5. März 1933 »unter Weglassung der NSDAP« entspräche. 363 Hierbei die Märzwahl von 1933 heranzuziehen, entbehrte nicht einer gewissen Unverfrorenheit, da zu dieser Zeit schon massive Verfolgungen eingesetzt hatten. Aufgrund der Vorschlagslisten in den einzelnen Landkreisen gab es dann auch landesweit Proteste von NS-Verfolgten. 364 Von den zwölf von Stöhr für den Landkreis Tettnang vorgeschlagenen KRUA-Mitgliedern wurden bereits einige vorgestellt, so der letzte Weimarer Bürgermeister von Friedrichshafen Johann Schnitzler und der zweite Nachkriegsbürgermeister Josef Mauch, beide ehemalige Zentrumsmitglieder; ebenfalls dem Zentrum gehörten die Landwirte Josef Arnegger und Johann Sauter, der Steuerberater Franz Amegger, der Bauer und Fabrikant Bernhard Locher, der Forstmeister Josef Winkler und der Kressbronner Nachkriegsbürgermeister Egon Grall an. Dem konservativen Lager ist außerdem der katholische Stadtpfarrer Valentin Mohr zuzuordnen. Als einziger Vertreter der Demokraten kam der Buchhändler Willy Küster zum Vorschlag, die Parteien SPD und KPD wurden von den Gewerkschaftern Mathäus Wagner und Josef Rother vertreten. Das Auswahlkriterium von Landrat Stöhr, die politische Zusammensetzung der zwei Wahlen in den Vordergrund zu stellen, bedeutete in seiner Konsequenz, daß drei Viertel der Vorgeschlagenen dem ehemaligen Zentrum, aber nur ein Viertel der SPD, KPD und den Demokraten zuzuordnen waren. Stöhr, selbst ehemaliges Zentrums- bzw. nach 1945 CDU-Mitglied, dürfte sich an diesem Proporz kaum gestört haben. Aus der Vorschlagsliste des Landratsamtes wählte der Tübinger Landesdirektor und Sozialdemokrat Lothar Roßmann fünf ständige Mitglieder und drei Vertreter aus: als Vorsitzenden Bürgermeister a.D. Mauch, als Stellvertreter Pfarrer Mohr, des weiteren die drei vorgeschlagenen Vertreter der Demokraten, der SPD sowie der KPD. Die Aufgabe der Stellvertretung fiel den drei ehemaligen Zentrumsmitgliedern Franz und Josef Arnegger sowie Bernhard Locher zu. Mit dieser Wahl dürften die »Arbeiterkreise« insofern zufrieden gewesen sein, als die konservative KRUA-Spitze durch drei Vertreter aus dem demokratischen und linken Parteienspektrum einen Ausgleich fand. Alle fünf ständigen KRUA-Mitglieder waren durch keinerlei NS-Mitgliedschaften diskreditiert, sondern hatten ganz im Gegenteil mehr oder weniger heftige Konfrontationen mit lokalen NS-Parteifunktionären. 365 Salomonisch mag die Entscheidung Roßmanns anmuten, als Stellvertreter drei ehemalige Zentrums- bzw. spätere CDUMitglieder auszuwählen. So mochte sich vielleicht auch Landrat Stöhr mit der doch eindrücklichen Verschiebung des Parteienproporzes im Fünfer-Gremium abgefunden haben. Die letztlich entscheidenden Besatzungsbehörden verzichteten weitgehend auf Korrekturen und akzeptierten 93 Prozent der in allen Kreisen vorgeschlagenen Mitglieder 366 . Dies hatte nach Klaus-Dietmar Henke zur Folge, daß eine Vorgabe der Landesdirektion, nach der die KRUA-Mitglieder »persönlich, beruflich oder in ihrem Vermögen« durch das nationalsozialistische Regime geschädigt sein mußten, »nicht annähernd erfüllt wurde«. 367 Der Gouverneur des Kreises Tettnang hatte die Vorschlagsliste Roßmanns akzeptiert, womit der KRUA Tettnang zu jenen 93 Prozent 363

StA Sig, WÜ 13, Bü. 154 und Bü. 171. Vgl. ebd. Bei Pfarrer Mohr und Buchhändler Küster stützen sich diese Aussagen auf glaubhafte Zeitzeugenaussagen und Quellen aus privaten Beständen. 366 Henke, Politische Säuberung, S. 55. 367 Ebd. Maximal 27% waren NS-Verfolgte, 31% hatten unter beruflichen Einschränkungen zu leiden gehabt. 364

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zu zählen ist. Dagegen trifft Henkes negative Diagnose hinsichtlich den Vorgaben der Landesdirektion eher auf die Vorschlagsliste des Tettnanger Landrats zu, nicht jedoch auf die letztlich ausschlaggebende Wahl der Mitglieder durch die Tübinger Landesdirektion. Die Entnazifizierung der Wirtschaft kam langsamer als die des öffentlichen Dienstes in Gang. 368 Die KRUAS für die Wirtschaft konstituierten sich erst zu einem Zeitpunkt, als die französische Militärverwaltung schon Ergebnisse der Entnazifizierung des öffentlichen Dienstes erwartete. Ende Oktober 1945 trat eine Entnazifizierungsdirektive für die freie Wirtschaft in Kraft 369 , und Anfang Dezember 1945 ergingen dann Richtlinien aus Baden-Baden 370 , welche die Tübinger Militärregierung allerdings nur zögernd umsetzte. 371 Parallel zum zweistufigen Säuberungsapparat für den öffentlichen Dienst entstanden Anfang 1946 auch für die Wirtschaft Kreisuntersuchungsausschüsse in jedem der 17 Landkreise und »Säuberungsausschüsse« für die 1945 neu gebildeten südwürttembergischen IHK-Bezirke Ravensburg, Reutlingen und Rottweil. Der Instanzenweg bis zur Konstituierung des Ausschusses verlief, wie schon beschrieben, über das Landratsamt, die Landesdirektion (für Wirtschaft) sowie die Militärregierung. Die Kreisuntersuchungsausschüsse für die Wirtschaft waren entsprechend den französischen Richtlinien mit je einem Unternehmer oder leitenden Direktor, einem leitenden Angestellten, einem Vertreter des Werkmeisterpersonals, einem einfachen Angestellten und einem Arbeiter zu besetzen. 372 Auf Vorschlag des Landrats und mit Zustimmung der Landesdirektion der Wirtschaft sowie der französischen Militärregierung sah dann die Besetzung des KRUA Tettnang im Januar 1946 folgendermaßen aus: Zum Vorsitzenden wurde der parteilose Diplomkaufmann Reinhold Hofmann bestimmt. Die Funktion des zweiten Vorsitzenden übernahm der Sozialdemokrat und Metallgewerkschafter Rudolf Denz, weitere ordentliche Mitglieder waren der Ingenieur Konstantin Schmäh von der Zahnradfabrik (CDU, Mitglied der Gewerkschaft Metall), der Schlosser Josef Oppenländer vom Luftschiffbau (KPD, Gewerkschaft Metall) und ein Fabrikant aus Langenargen namens Friedrich Hauth. 373 Des weiteren wurden fünf Ersatzmitglieder und vier Beisitzer der Genossenschaften bestimmt, so daß das Säuberungsgremium von insgesamt vierzehn Personen besetzt war. Die Tätigkeit der Kreisuntersuchungsausschüsse für die Verwaltung und die freie Wirtschaft dauerte bis Juli 1947. Mit der Einführung des Spruchkammerverfahrens lösten sich diese ersten lokalen Entnazifizierungsgremien auf, weil nun auf Befehl der Militärregierung ein gemeinsamer KRUA einzurichten war, der sich vor allem mit den anstehenden Revisionsverfahren vor den Spruchkammern und den bislang unerledigten Fällen beschäftigen mußte. Zum Vorsitzenden des neuen Ausschusses wurde der 368

Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 308, betont, daß die Wirtschaftssäuberung zwar spät einsetzte, aber nicht »ganz so unvermittelt« hereinbrach, wie es Henke beschreibt; vgl. Henke, Politische Säuberung, S. 72. 369 Die Direktive, die zu einem Zeitpunkt erschien, als in der ABZ »die Reihen des Management bereits erheblich gelichtet waren«, sollte sich vor allem auf die Säuberung der Betriebsleiter und Inhaber, Mitglieder der Aufsichtsräte und des Vorstands sowie auf leitendes Personal im technischen und kaufmännischen Bereich erstrecken, nach Rauh-Kiihne, Die Entnazifizierung, S. 45f. 370 Zu den Richtlinien vom 3.12.1945 vgl. Henke, Politische Säuberung, S. 72ff. 371 Vgl. zur Wirtschaftssäuberung in Südwürttemberg Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 308ff, hier S. 308. 372 Vgl. ebd., S. 309. Auf Kammerbezirksebene kam noch ein Beamter der Wirtschaftsverwaltung und ein Gegner oder Opfer des NS-Regimes hinzu. 373 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 617.

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Oberstudiendirektor und parteilose Albert Blank, sowie zu dessen Stellvertreter der Oberpostdirektor Hugo Schradin (DVP) bestimmt. Der Tettnanger Justizoberinspektor und Sozialdemokrat Franz Heine übernahm die Funktion des Geschäftsstellenleiters. Fünf Beisitzer und deren Stellvertreter, jeweils von den Parteien CDU, SPD, DVP und KPD sowie den Gewerkschaften, und weitere 39 Berufsgruppen-Beisitzer und deren Stellvertreter erhöhten die Zahl der KRUA-Mitglieder auf 51. 374 Im Gegensatz zu den ersten Ausschüssen waren nun auch drei Frauen als Berufsgruppen-Beisitzerinnen an der Entnazifizierung beteiligt. Von den insgesamt 39 Berufsgruppen-Beisitzern rekrutierte sich mit einer Ausnahme keiner aus den Gründerkreisen der Gewerkschaften und Parteien. Die meisten der in der Mitgliederliste aufgeführten Namen finden sich außerhalb der KRUA-Arbeit nicht mehr in den Quellen, was den Schluß nahelegt, daß hier Personen bestimmt wurden, die ansonsten weder politisch noch gewerkschaftlich in Erscheinung traten. Von den 22 KRUA-Mitgliedern der ersten Stunde setzten in dem neuen Gremium nur noch fünf ihre Arbeit fort: als politische Beisitzer die Kommunisten Josef Oppenländer und Willi Silfang, als Gewerkschaftsvertreter Rudolf Denz und Alex Stuckenbrock sowie der Bürgermeister und Christdemokrat Egon Grall aus Kressbronn als Vertreter der Gemeinde- und Innenverwaltung. Alle fünf Personen waren zuvor im KRUA für die freie Wirtschaft vertreten gewesen (Grall als Beisitzer für die Genossenschaft); die Mitglieder des Entnazifizierungsausschusses für den öffentlichen Dienst stellten demnach komplett ihre Säuberungsaktivitäten ein. Hierin liegt ein Indiz dafür, daß der Elan für ein Engagement bereits stark nachgelassen hatte. Es liegen zahlreiche Belege vor, daß die neu bestimmten Mitglieder sich mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen eine Ernennung wehrten. Diese Mittel waren allerdings sehr beschränkt und umfaßten hauptsächlich gesundheitliche Gründe. 375 Zum Zeitpunkt der Neuordnung der politischen Säuberung in der französischen Zone zeigte sich bei den KRUA-Mitgliedern bereits Frustration und Enttäuschung über den bisherigen Verlauf der Entnazifizierung. 3.3. Die Praxis der Entnazifizierung auf lokaler Ebene: Beispiele aus dem öffentlichen Dienst Zum Jahresende 1945 forcierte das Gouvernement Militaire die Entnazifizierung in seiner Zone. Zu stark war die Erwartungshaltung vor allem der amerikanischen und sowjetischen Alliierten angewachsen, um eine weitere Verzögerung tragbar erscheinen zu lassen. In diesem Zusammenhang schickte G. H. Müller, gerade ernannter Koordinator der politischen Säuberung der Verwaltung, an alle Landratsämter ein Telegramm: »Auf Befehl der Militärregierung ist die Entnazifizierung der Verwaltung äußerst zu beschleunigen. Arbeit der Untersuchungsausschüsse mit allen Mitteln vorantreiben. Letzte Ergebnisse müssen bis spätestens 25. Januar [1946] hier eintreffen«! 376 Die Zeitvorgabe ist ein Indiz dafür, wie sehr der Zeit- und Arbeitsaufwand 374

Ebd., BU. 612 und 609, sowie AdO, c. 1181, p. 11. Die Namensliste ist auf 13.7.1948 datiert, aufgrund des korrespondierenden Schriftwechsels kann aber davon ausgegangen werden, daß die personelle Besetzung seit 1947 relativ konstant war. 375 Martin Ebner beschreibt solche Versuche, sich der KRUA-Tätigkeit zu entziehen; vgl. Entnazifizierung, S. 54f. 376 Nach Henke, Politische Säuberung, S. 57, Telegramm vom 11.1.1946, sowie StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 655.

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einer umfassenden Entnazifizierung unterschätzt wurde. Tettnang gehörte zu den wenigen Kreisen mit einer entsprechenden Erfolgsbilanz. 377 Zum vorgegebenen Termin meldete das Landratsamt den Abschluß der Säuberung in der öffentlichen Verwaltung. Daß dies allerdings erst der Anfang eines langwierigen Entnazifizierungsprozesses war, mochten die damals Beteiligten noch nicht vorausgesehen haben. Der für den Kreis aufgestellte Säuberungsausschuß erstreckte seine Arbeit laut Bericht auf die Überprüfung der Beamten und Angestellten des Landratsamtes, der Gemeindeämter, des Kreisverbandes, des Gerichtes, des Messungs-, Finanz-, Forst- und Gesundheitsamtes, der Polizei, der Post und des Zollgrenzschutzes. Die Angehörigen der Reichsbahn wurden von einer eigenen Kommission überprüft. 378 Der KRTJA erhob die zu überprüfenden Personendaten, indem er zunächst die nach Berufen gegliederten Arbeitnehmer nach ihrer politischen Vergangenheit schriftlich befragte. Außerdem wurden zum Beispiel alle Vorsteher der Teilgemeinden aufgerufen, dem KRUA ehemalige leitende, führende oder »notorische« Nationalsozialisten zu melden. Von wenigen Gemeinden kam eine Rückmeldung, zum Teil mit dem Vermerk »Fehlanzeige« versehen. 379 Einige der gemeldeten Personen saßen im Intemierungslager in Fischbach. Im Januar 1946 hatte der Ausschuß im Kreis Tettnang insgesamt 922 Verwaltungsangehörige überprüft, etwa hundert Fälle galten als noch unerledigt. Die Betroffenen wurden in sechs Kategorien eingeteilt: »Verbleiben im Dienst« (731), »Versetzung« (14), »Zurückversetzung« (43), »Pensionierung« (27), »Entlassung ohne Pension« (89), »bereits suspendiert« (18). 380 Mit seinen Sanktionsvorschlägen erreichte der Kreisausschuß etwa den Durchschnitt, den Klaus-Dietmar Henke für Württemberg errechnet hat. Zurückversetzungeh sprach der KRUA allerdings um mehr als die Hälfte weniger aus, dafür kamen Entlassungen ohne Bezüge öfter zum Vorschlag. Die Ergebnisse unterschieden sich von Kreis zu Kreis erheblich. So schlug der KRUA Balingen vor, 52 Prozent der überprüften Fälle zu sanktionieren, während es im Kreis Wangen nur 8 Prozent waren. 381 Im Kreis Tettnang sollten nach dem Willen der Ausschußmitglieder etwas über 20 Prozent der Überprüften von Sühnemaßnahmen erfaßt werden. Unabhängig von der Bedeutung solcher Zahlen zeigen sie doch, wie sehr sich die Säuberungstätigkeit der Kreisausschüsse unterschied. Dies mußte jedenfalls das Gerechtigkeitsgefühl der Betroffen und auch der Nicht-Belangten nachhaltig stören. An Einzelfällen soll gezeigt werden, wie schwierig sich die Entnazifizierung auf lokaler Ebene gestaltete und unter welchen Kriterien und Einflüssen sie gehandhabt wurde. Dabei ist besonders hervorzuheben, daß nach keinem allgemeinen Muster verfahren wurde, sondern jeder Fall individuell geprüft werden mußte, was zu ebensolchen individuellen Urteilen führte. Der Grund lag in einer fehlenden Rechtsgrundlage für die Arbeit der Kreisuntersuchungsausschüsse, da deutsche und französische Behörden gleichermaßen eine schematische Säuberung ablehnten. Die KRUAS hatten auch nur empfehlende Kompetenzen, sie mußten ihre Sanktionsvorschläge zur Entscheidungsfindung an die Säuberungskommissionen in Tübingen weiterleiteten.

377

Zum Vergleich siehe die Angaben zu verschiedenen Kreisen ebd., S. 58. StA Sig, WÜ 40, Bd. 1, Bü. 14, Monatlicher Lagebericht des Landratsamtes von Januar 1946. "'Ettenkirch, das als einzige Kreisgemeinde Hitler 1933 zum Ehrenbürger ernannt hatte, gehörte z.B. zu den Gemeinden, die keine Nationalsozialisten meldeten. Ebd., WÜ 15, Bd. 1, BU. 617. 380 Liste des KRUA vom 31.1.1946, zitiert nach Ebner, Entnazifizierung, S. 69. 381 Henke, Politische Säuberung, S. 58. 378

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Letztinstanzlich entschied aber die Militärregierung über die zu fällenden Sanktionen, also auch Uber Entlassungen. NS-Bürgermeister Walter Bärlin, von 1934 bis 1945 Bürgermeister von Friedrichshafen, bietet ein klassisches Beispiel für den Ablauf eines Entnazifizierungsverfahrens. Der Kreisuntersuchungsausschuß Tettnang schlug 1946 eine Entlassung ohne Bezüge und eine Beschneidung der politischen Rechte auf fünf Jahre vor 382 . Dies bedeutete neben Einschränkungen im passiven und aktiven Wahlrecht ein Verbot der Mitgliedschaft in Parteien, Gewerkschaften sowie Berufs- und Standesorganisationen, Verbot von öffentlichen (Ehren)ämtern sowie Äußerungen in der Öffentlichkeit. Begründet wurden die Sanktionen damit, daß Bärlin seit 1933 NSDAP-Mitglied und seit 1937 SA-Sturmführer ehrenhalber gewesen sei. 383 Seine Stelle als Bürgermeister habe er nur als Aktivist bekommen und somit sei er »Nutznießer« des Nationalsozialismus gewesen. Die Entlassung Bärlins war allerdings schon am 13. Juli 1945 auf Befehl der Militärregierung erfolgt. Der Politische Landesbeirat Schloß sich dem Vorschlag des KRUA an, ebenso das Staatskommissariat in Reutlingen nach einer Anfechtung des Urteils durch eine Revisionsklage Bärlins. Bärlin selbst beschrieb sich als ein »durchaus unpolitischer Mensch, Fachbeamter in der 5. Generation, der, wie seine Vorväter, immer nur dem Staat - gleich welcher politischen Form - treu gedient habe«. Er selbst sei vorher nie in einer Partei gewesen, »wie auch seine Vorfahren nicht«. So sei er auch nur aufgrund seiner Fach- und Sachkenntnisse und nicht aus politischen Gründen Bürgermeister geworden. In die Partei sei er 1933 »nicht aus Druck, aber auch nicht aus Begeisterung« eingetreten, sondern auf Initiative des Trossinger NS-Reichstagsabgeordneten Kiehn und um seine Existenz als Trossinger Bürgermeister nicht zu gefährden. Daß er 1937 zum SA-Sturmführer ehrenhalber ernannt wurde, »habe er nicht zu vertreten, da er sich nie darum gekümmert habe. Es sei dieses nur eine der zahlreichen Ehrentitelverleihungen 384 aus Anlaß des 9. November gewesen.« 385 Eine Rede Bärlins von März 1934 anläßlich seiner Amtseinsetzung, die ihm im Entnazifizierungsverfahren angelastet wurde, sei als eine solche anzusehen, »wie sie damals bei solchen Anlässen üblich war, mindestens aber so zu bewerten ist, als man damals noch den Glauben an eine gute Sache haben konnte, da von Gewaltmethoden damals noch nichts zu sehen war«. Ob diese Argumentation für eine Entlastung ausgereicht hätte, ist fraglich. Entscheidend dürften eher die zahlreichen »Persilscheine« Friedrichshafener Bürgerinnen und Bürger gewesen sein, die sich mit Vehemenz für ihren ehemaligen Bürgermeister einsetzten. 386 So wurden Bärlin Korrektheit, Unparteilichkeit, Kirchentreue als Protestant und eine parteifeindliche Haltung bestätigt. Die Spruchkammer, die Bärlins Verfahren letztlich entschied, kam zu der Überzeugung, »daß der Betroffene gegen die Partei, insbesondere den Kreisleiter, ständig Widerstand geleistet und 382

Amtsblatt 1946, S. 157. StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bii. 155, Spruchkammerbescheid des Staatskommissariats für die politische Säuberung in Tübingen, Sitzung vom 26.2.1948. Es bestand darüber hinaus eine Mitgliedschaft im NSV seit 1935, VDA und Kriegerbund seit 1937 und im Rechtswahrerbund seit 1934. 384 Walter Bärlin bekam außerdem am 1.5.1942 das Kriegsverdienstkreuz 2. Klasse (ohne Schwerter) verliehen, ebd. 385 Ebd., ebenso die weiteren Zitate. 386 Ebd. Explizit erwähnt wurden in dem Protokoll: ein SPD- und DVP-Gemeinderat; die Witwe Endrass, die bestätigte, daß nach der Ermordung des Widerstandskämpfers Fridolin Endrass seine Ehefrau gegen den Willen der Gestapo bei der Stadt arbeiten konnte; Landrat Emil Münch, der sich selbst als NS-Gegner bezeichnete, bescheinigte Bärlin ab 1935 eine »passive Haltung«. In »vielen Erklärungen« sei Bärlins Mut bei der Übergabe der Stadt hervorgehoben worden. 383

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dadurch auch Nachteile erlitten hat, insbesondere durch seelische Belastung bei der Androhung des Erschießens und durch den Einsatz seines Lebens bei der Übergabe der Stadt.« Inwieweit Walter Bärlin tatsächlich unter dem NS-System gelitten hat, soll nicht weiter erörtert werden. 387 Es kann aber festgestellt werden, daß ihm seine Tätigkeit als NS-Bürgermeister nach Kriegsende nicht zum Nachteil gereichte. Die Spruchkammer I in Tübingen 3 8 8 revidierte Anfang 1948 nach einer weiteren Revisionsklage das Urteil und stufte den Bürgermeister als »entlastet« ein. 3 8 9 Nach einem kurzen Zwischenspiel als Rechtsanwalt und Syndikus bei einer Firma in Esslingen wurde Walter Bärlin Bürgermeister von Freudenstadt. Die Entnazifizierung des Tettnanger Bürgermeisters verlief etwas anders, endete j e doch auch mit einer Fortsetzung der Verwaltungslaufbahn. Alfons Langensteiner, geboren am 30. Dezember 1902 in Heidenheim und katholisch getauft, war seit 1. Juli 1933 Angehöriger der SA, seit 1. April 1934 im N S B und seit 1. August 1935 NSDAP-Mitglied. 3 9 0 Im Mai 1939 wurde er auf Vorschlag des Beauftragten der NSDAP als Bürgermeister von Tettnang eingesetzt. Sein Amtsvorgänger Kuhn hatte 1938 »auf Anraten der NSDAP« einen »Krankheitsurlaub« angetreten. Nach Bekanntmachung des Staatssekretariats über die Ergebnisse der politischen Säuberung vom 28. Februar 1947 wurde Langensteiner am 29. März 1947 die Entlassungsurkunde ausgehändigt, die Kündigung war auf 7. März datiert. Seine Wählbarkeit wurde ihm bis 1. März 1949 aberkannt, allerdings bekam er die Erlaubnis der Militärregierung, als Stadtinspektor weiterhin verwendet werden zu dürfen. Letztlich ging er aus dem gesamten Entnazifizierungsverfahren als »Mitläufer« hervor. 391 Aus einem Gemeinderatsprotokoll von Oktober 1950 ist noch zu erfahren, daß Alfons Langensteiner zu diesem Zeitpunkt »schon seit längerer Zeit beim Wirtschaftsministerium« als Angestellter beschäftigt gewesen sei. 3 9 2 Entscheidungen der Tübinger Spruchkammer und der Militärregierung, wie sie in diesen Beispielen gefällt wurden, waren für den Tettnanger Untersuchungsausschuß diskreditierend. Auf einer Dienstbesprechung des Staatskommissariats im Mai 1948 klagten Ausschußvertreter über ihre im nachhinein oft konterkarierten Entnazifizie-

3 8 7 Die

vorliegenden Quellen geben keine Auskunft über Schikanen oder Sanktionen. Eine auffallende »Widerständigkeit« Bärlins ist nur in einem ausgedehnten Briefwechsel zwischen ihm und der Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschaftsverwaltung feststellbar, in dem er sich gegen einen Erlaß des Amtes vom 12.2.1940 wehrte, gemäß dessen die Besoldung für Bürgermeister verringert wurde. Nach einem Jahr des Argumentierens (es ging letztlich darum, ob Friedrichshafen zu dieser Zeit laut Amt 24.794 oder laut Bärlin 25.004 Einwohner hatte, was eine höhere Einstufung gerechtfertigt hätte), erfolgte dann doch die verordnete Zurückstufung. Einer von Bärlin energisch betriebenen Erhöhung der Aufwandsentschädigung war zwei Jahre zuvor Erfolg beschieden gewesen, sie konnte verdoppelt werden. StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 156. 3 8 8 Ebd. mit Angabe der personellen Besetzung der Spruchkammer. 3 8 9 Reg.Bl. vom 26.11.1948, Beilage 34, Seite 255. 390 StadtA TT, Fragebogen Langensteiners zur Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.4.1933; Politisches Führungszeugnis der NSDAP, Kreisleitung Ravensburg für Langensteiner. 391 Ausführungen nach StadtA TT, AA 2059. 392 Langensteiner sah sich als »Härtefall«, da er »in Tübingen weit weniger verdient habe, als in Tettnang als Bürgermeister. Hinzu komme noch, daß er von seiner Familie getrennt leben müsse und seine Wohnverhältnisse schlecht seien.« Deshalb wollte er sein Wartegeld statt ab 1.1.1950 bereits ab 1.1.1949 beziehen. Die Stadträte von Tettnang mochten sich dieser Argumentation nicht anschließen und lehnten das Begehren in der Sitzung vom 6.10.1950 ab; vgl. ebd.

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rungsbemühungen und warnten vor der Wirkung dieser Fehlschläge auf Bevölkerung und Betroffenenkreise. 393 Daß der Tettnanger KRUA oft auch mildere Sanktionsmaßnahmen vorschlug, als sie dann von übergeordneten Gremien verhängt wurden, zeigt der Fall des ehemaligen städtischen Musikdirektors von Friedrichshafen, der nach Kriegsende bei der Stadtverwaltung als Angestellter weiterbeschäftigt wurde. In einem Gemeinderatsprotokoll vom Juni 1946 ist zu lesen, daß es dauernd Klagen gäbe, weil der Angestellte »als früherer Pg. noch bei der Stadtverwaltung beschäftigt wird und er ein zu hohes Gehalt beziehe«. Der Bürgermeister erklärte dagegen, daß E. kein Aktivist gewesen sei und der Säuberungsausschuß Belassung im Amt beantragt habe.« 394 In diesem Fall kam der Betroffene einer Auseinandersetzung im Gemeinderat zuvor, indem er am gleichen Tag schriftlich seine eigene Gehaltskürzung von 500 auf 350 Reichsmark, auf die Höhe seines Salärs als ehemaliger Musikdirektor, beantragte. Damit sollte jedoch kein Schuldbekenntnis verbunden werden. Nach einer Abstimmung wurde dem Antrag auf Gehaltskürzung stattgegeben. 395 Aufgrund seiner Recherchen kam der KRUA zu dem Ergebnis, daß der Betroffene zwar NS-Parteigenosse seit 1937 gewesen sei, aber nicht als Aktivist bezeichnet werden könne, weshalb eine minimale Gehaltskürzung ausreichend erscheine. Der Musikdirektor führte zu seiner Verteidigung vor allem den Umstand an, daß er »automatisch« NSDAP-Mitglied geworden sei, nachdem 1937 das Stadtorchester zum »Parteimusikzug« erklärt worden sei. Daneben bestand allerdings noch eine Zugehörigkeit zur SA-Reserve. Das Säuberungsgremium der Landesdirketion schlug deshalb im Januar 1947 eine Rückstufung um zwei Dienstaltersstufen vor, während ein Jahr später das Staatskommissariat für politische Säuberung in Reutlingen eine Gehaltskürzung und den Verlust der politischen Rechte für zwei Jahre verfügte. 396 Die Notwendigkeit einer politischen Säuberung wurde auch innerhalb der Stadtverwaltung nicht grundsätzlich verneint, auch nicht von dem ansonsten sehr auf Rehabilitation bedachten Bürgermeister. Eine gewisse »Kontrollfunktion« neben dem offiziellen Untersuchungsausschuß scheint der Gemeinderat übernommen zu haben. Im Falle eines früheren Stadtinspektors mit »erheblicher politischer Belastung« 397 weigerte sich der Gemeinderat, diesen aufgrund des Entnazifizierungsbescheids weiterzubeschäftigen. In der Bekanntmachung des Staatssekretariats vom Februar 1947 wurde der Beamte mit Versetzung, Zurückstufung um drei Stufen und Aberkennung der Wählbarkeit auf drei Jahre belegt. 398 Am 12. Mai nahm der Inspektor seine ehemalige Tätigkeit bei der Stadtpflege wieder auf. Bürgermeister Mauch wollte die Weiterbeschäftigung, die dem Säuberungsurteil entgegenstand, in einer Gemeinderatssitzung zwei Tage später absegnen lassen, solange bis die Landesdirektion des Innern eine generelle Regelung der Versetzung von Gemeindebeamten erlassen hätte. Die 393

StA Sig, WXJ 15, Bd. 1, BU. 609, Protokoll einer Dienstbesprechung des Staatskommissariats am 21.5.1948. Ebd. vom 21.6.1946. 395 Ebd. 3% Ebner, Entnazifizierung, S. 72. 397 Leider konnte nicht ermittelt werden, welche formalen Belastungen dabei zugrunde gelegen haben. Der Stadtinspektor gehörte jedoch zu der Gruppe von drei Beamten der städtischen Verwaltung, die schon vor Einrichtung des KRUA abgesetzt bzw. entlassen worden waren; vgl. Ebner, Entnazifizierung, S. 41. ^Bekanntmachung des Staatssekretariats über die Ergebnisse der politischen Säuberung im Bereich der Stadt- und Gemeindeverwaltung vom 28.2.1947, Amtsblatt, S. 313. 394

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Gemeindevertreter entschieden sich gegen diesen Vorschlag: »Der Gemeinderat hält diese [Weiterbeschäftigung] jedoch im Hinblick auf die frühere politische Einstellung und das entsprechende Verhalten des Antragstellers nicht für tragbar und beschließt, dessen vorläufige Weiterbeschäftigung abzulehnen.« 399 Dem stellte sich auch der Bürgermeister nicht entgegen. Die Entscheidung des Gemeinderats wurde jedoch von der Landesdirektion des Innern mit einem Hinweis auf die Rechtslage gekippt. Demnach sollte der Beschäftigte so lange in der Friedrichshafener Stadtverwaltung verbleiben, bis eine gleichwertige Stelle bei einer anderen Einrichtung gefunden sei. Der Gemeinderat wollte dennoch den Weggang des Umstrittenen »mit allem Nachdruck« betreiben 400 , womit er sich allerdings nicht durchsetzen konnte. Im veränderten politischen Klima der fünfziger Jahre folgte dann auch bei diesem Beamten eine der vielen - nun unbehinderten - Karrieren der Nachkriegszeit. Das Beispiel zeigt, daß auf kommunaler Ebene neben dem offiziellen KRUA auch andere Gruppierungen ihre Vorstellungen von einer angemessenen Entnazifizierung zu verwirklichen suchten. Ein Verwaltungspraktikant aus Friedrichshafen wurde direkt nach Kriegsende zum Stadtamtmann und Leiter des Wirtschaftsamtes berufen. 401 Der Praktikant bezeichnete sich selbst als Verfolgter des Naziregimes und hatte einen Antrag auf Wiedergutmachung gestellt. Entgegen seiner Selbsteinschätzung erfolgte jedoch aufgrund der formalen Belastung zuerst seine Zurückstufung und schließlich im Dezember 1947 die Entlassung. 402 Das Urteil lautete auf Entlassung ohne Bezüge und Streichung aus der Wählerliste. 403 Nach erheblichen Differenzen mit seinen Vorgesetzten über die Art und Weise seiner Amtsführung, die als querulantisch beschrieben wurde, erfolgte dann auch sofort die Kündigung. Daraufhin klagte der Entlassene gegen Bürgermeister Mauch und Landrat Münch wegen »Menschlichkeitsverbrechen« und »Nötigung« bei der Staatsanwaltschaft Ravensburg. Im Februar 1948 mußte zwar das Verfahren eingestellt werden, weil die Klage nicht in den Zuständigkeitsbereich des Gerichts fiel, in der Begründung wurde aber die Entlassung mißbilligt. Der Kläger sei zwar am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten und habe sich bei einem Vorstellungsgespräch bei der Stadtverwaltung im Juli 1938 als einen »ernsten Anhänger der Hitlerbewegung seit 1923« bezeichnet. Nach Auffassung des Ravensburger Staatsanwalts »war und blieb er aber ein Gegner des Nationalsozialismus«. So hatte ihn das Sondergericht Stuttgart zu einer Haftstrafe verurteilt, femer mußte er unter mehrfacher Verfolgung leiden. Das Gericht sah sich dennoch außerstande, hier ein Verfahren einzuleiten: »Wenn nun auch die gegen den Anz[eigen]Erst[atter] in Anwendung der Grundsätze über die politische Säuberung und des Rechts der Kündigung bei Angestellten im öffentlichen Dienst ergriffenen Maßnahmen als zu weitgehend erscheinen, beruhten sie doch auf der Basis öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Normen, deren richtige oder unrichtige Anwendung nachzuprüfen nicht Aufgabe der Strafjustiz ist.« Dem Kläger wurde empfohlen, durch Rechtsmitteleinlegung im Säuberungsverfahren oder vor dem Arbeitsgericht »eine günstigere Entscheidung herbeizuführen«. Die Entscheidung der Säuberungsgremien beruhte hier auf formalen Kriterien. Mit welcher Vehemenz diese allerdings vor Ort umgesetzt wurden, hing von den lokalen

'"Rathaus, GRP vom 14.5.1947. """Ebd. vom 23.7.1947. 401 Folgende Ausführungen fußen auf StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 156. ^ R a t h a u s , GRP vom 23.7.1947. "° 3 Der Entlassene war ehemaliges Mitglied der NSDAP; KrA FN, Nr. 1206.0.

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Gegebenheiten ab. Die Beurteilung der Ravensburger Staatsanwaltschaft legt zumindest den Verdacht nahe, daß es sich bei dem Sanktionierten um keinen außergewöhnlich belasteten Nationalsozialisten handelte. Ganz im Gegenteil verorten befragte Zeitzeugen den Betroffenen eher im sozialistischen Lager. Hier mag einer der Fälle vorliegen, wie sie Cornelia Rauh-Kühne für die Spruchkammerpraxis in der ABZ dargestellt hat. Die Überforderung der Kammern sowie die Grenzen, an die eine Säuberung der Deutschen durch Deutsche stieß, hätten zur Folge gehabt, »daß mit Verstößen „fanatischer Nationalsozialisten" gegen den gesellschaftlichen Komment oft härter ins Gericht gegangen wurde als mit den politischen Belastungen honoriger Amtsträger des Regimes oder pflichtbewußten Technokraten.« Und, in bezug auf den oben beschriebenen Fall: »Das Verständnis, das man dem Mitläufertum bei den Spruchkammern entgegenbrachte, reichte so weit, daß für diejenigen, die auch unter nationalsozialistischer Herrschaft nicht-angepaßt waren, das nötige Verständnis fehlte, so daß ihnen der Status eines Entlasteten verwehrt wurde.« Auch sei denjenigen die gesellschaftliche Anerkennung verweigert worden, »die sich dem nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch - wenn auch nur partiell - verweigert hatten.« 404 Wie schwierig es in dem gesamten Entnazifizierungsverfahren war, zu angemessenen, auf einen breiten Konsens der Bevölkerung beruhenden Beurteilungen der Betroffenen zu finden, ohne sich ausschließlich an formalen Kriterien zu orientieren, mag der Ausschnitt aus einem Gemeinderatsprotokoll zeigen. Der Gemeinderat wurde des öfteren vom Kreisuntersuchungsausschuß um eine Stellungnahme in Entnazifizierungsfällen gebeten. Im Februar 1948 sollten die Räte einen früheren Kreisamtsleiter sowie einen ehemaligen NS-Gemeinderat und Jungbannführer beurteilten. Die Vorgabe des KRUA war, daß beide in der Bevölkerung als aktive Nationalsozialisten bekannt gewesen seien. Auf die Frage des Bürgermeisters, wer etwas dazu sagen könne, äußerten sich die Gemeinderäte folgendermaßen: Stadtrat M., SPD: »Menschlich ist gegen Sch. nichts zu sagen. Er ist jedoch durch seine Arbeit als Aktivist anzusehen.« Stadtrat L., CDU: »So kenne ich ihn auch.« Stadtrat Sch., FWV: »Man solle die Anfrage so beantworten, daß im Gemeinderat kein Fall bekannt sei, daß er jemand denunziert oder ins KZ gebracht habe.« Und zum Jungbannführer Sp.: Stadtrat B., CDU: »Ich bin seit 1926 mit Sp. befreundet und kann sagen, daß er ein 100%iger Nationalsozialist war. Charakterlich ist jedoch gegen ihn nichts zu sagen. Ich weiß, daß er nichts geglaubt hat, dies jedoch schon von zu Hause aus. Er hat mich aber nie beeinflussen wollen.« Stadtrat B., KPD, bezeichnete ihn als »110%igen Nationalsozialist« und als »gefährlich«. Bürgermeister Mauch erklärte, »daß er Sp. von 1921 bis 1933, als er bei Maybach-Motorenbau war, gekannt habe. Damals sei er absolut unpolitisch gewesen. Wie er sich später entwickelt habe, wisse er nicht.« Zwei CDU- und KPD-Stadträte bezeichneten ihn als »großen Fanatiker«. 405 Damit waren die Stellungnahmen abgeschlossen, das hier zitierte Protokoll wurde dem KRUA zugesandt. Deutlich wird auch hier wieder, daß formale Belastungen in der Beurteilung nicht ausschlaggebend waren. Eher ging es um charakterliche Eigenschaften, um individu^ R a u h - K ü h n e , Die Entnazifizierung, S. 56. ""'Rathaus, GRP vom 25.2.1948.

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eile Verhaltensweisen und das Verhältnis zu Nachbarn oder Kollegen. Genau dieses individuelle Verhalten, das vom gesellschaftlichen Umfeld zwangsläufig subjektiv beurteilt wurde, machte den KRUAS eine »objektive« Beurteilung nahezu unmöglich. In dieser späten Phase der Entnazifizierung waren derlei Tagesordnungspunkte in Gemeinderatssitzungen keinen Streit mehr wert und wurden eher nebenbei erledigt. Ein Jahr vor Auflösung der KRUAS hatte das Thema seine Brisanz verloren. Die einstigen lauten Befürworter einer Säuberung fügten sich in eine für sie unerfreuliche Entwicklung, die anfängliche Schärfe in den Auseinandersetzungen wich Gleichgültigkeit oder Resignation. Zu dieser Haltung trugen auch die ersten veröffentlichten Entnazifizierungsurteile Anfang 1947 im Amtsblatt bei. Hatten die Mitglieder der KRUAS vorausgesetzt, dank ihrer lokalen Kenntnisse einer gerechten Beurteilung der Belasteten noch am nähesten zu kommen, so wurden sie nun durch die Urteile im Amtsblatt »der Lächerlichkeit preisgegeben]«: »Es wurde offensichtlich, daß sich die Reinigungskommissionen selten an ihre Vorschläge gehalten hatten«, wodurch die lokalen Ausschüsse vor der Öffentlichkeit diskreditiert worden seien. 406 »Ein Aufschrei der Empörung« ging durch die französische Zone, Parteien verweigerten die Mitarbeit, und manches Ausschußmitglied trat aus Protest zurück. 407 Im Kreis Tettnang zog so zum Beispiel Reinhold Hofmann die Konsequenz aus Arbeitsüberlastung durch ständig sich ändernde Anweisungen, Verordnungen und Richtlinien sowie aus den ersten Ergebnissen der Säuberung: der Vorsitzende des Wirtschafts-KRUAS reichte im Februar 1947 seinen Rücktritt bei Landrat Münch ein. 408 Die personelle Kontinuität in den deutschen Verwaltungen über das Jahr 1945 hinweg ist hinreichend bekannt. So gab es bei der Beamtenschaft im Tettnanger Landratsamt bei zwanzig untersuchten Fällen im Februar 1948 aufgrund der Spruchkammerurteile zwei Entlassungen, die jedoch im Revisionsverfahren aufgehoben wurden. Die übrigen Beamten gingen aus dem Säuberungsverfahren mit leichteren Sanktionen oder ohne Maßnahmen hervor. 409 Die restaurativen Bestrebungen grenzten aber auch gleichzeitig diejenigen aus, welche unmittelbar nach Kriegsende aufgrund ihrer politischen Integrität ein städtisches Amt besetzen konnten. Eine Gesamtschau aller verfügbaren Quellen zwingt zu dem Schluß, daß in Friedrichshafen ab Mitte 1946 ein Verdrängungsprozeß vor allem der Kommunisten aus öffentlichen Ämtern einsetzte. Bis dahin hatte die Ämtervergabe eher vorsichtig und mit Sensibilität stattgefunden, so daß auch die politische Unbescholtenheit ein Einstellungsgrund hätte sein können. 410 Nach dieser kurzen Phase erstarkten die Beharrungskräfte, eine deutliche personelle Restauration im öffentlichen Dienst begann. Letztlich ging es auch darum, »entlastete« und damit zurückkehrende Stelleninhaber wieder auf ihren angestammten Platz einzusetzen. Im Oktober 1946 wurde der Leiter des Wohnungsamtes, »ein alter Antifaschist, SPD-Mann und Gewerkschafter« 411 , fristlos entlassen, weil er einem "^Grohnert, Entnazifizierung in Baden, S. 146f. Grohnert illustriert mit zahlreichen Fallbeispielen, in welch hohem Maße sich die Entscheidungen der Säuberungskommissionen von denen der KRUAS unterschieden, sei es durch ein verschärftes oder abgemildertes Strafmaß. Siehe hierzu auch RauhKühne, Die Entnazifizierung, S. 48ff. •""Rauh-Kühne, Die Entnazifizierung, S. 49. 408 StA Sig, WÜ 15, BU. 621, vom 19.2.1947. 409 Der überprüfte Personenkreis umfaßte Landräte, Regierungsräte, Regierungs(ober)inspektoren und Regierungs(ober)sekretäre. 18 der 20 Personen hatten ihre Stelle zwischen 1935 und 1943 angetreten; nach ebd., WÜ 40, Bd. 14, Bü. 29, Maßnahmenkatalog vom 18.2.1948. 410 So z.B. bei der Einstellung eines Architekten als technischen Sachbearbeiter, ebd. vom 17.4.1946. 4 " » D e r neue Tag« Nr. 7 vom 25.1.1947, zitiert nach ebd. vom 6.2.1947.

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stark belasteten ehemaligen Nationalsozialisten keine größere Wohnung zuteilen wollte. Der Vorsitzende des Wohnungsausschusses, ein CDU-Mitglied, wies »die jeder Begründung entbehrenden hetzerischen Verleumdung gegen Bürgermeister Mauch« in diesem Zusammenhang zurück, und auch der stellvertretende Bürgermeister solidarisierte sich mit ihm. Als Entlassungsgrund wurde das »eigenmächtige Vorgehen durch die Aufstellung einer Kommission, mit der er beim Militärgouverneur vorstellig werden wollte«, angegeben. »Durch sein ganzes Verhalten habe er bekundet, daß er nicht gewillt ist, seinen Anordnungen Folge zu leisten und dadurch die Gehorsamspflicht, das Ansehen und das Vertrauen in gröblicher Weise verletzt habe.« 412 Elf Gemeinderäte stimmten der Entlassung zu, zwei votierten dagegen, ein Gemeinderat war abwesend. Bei einer abermaligen Abstimmung im November wurde das Ergebnis nochmals bestätigt. 413 Dem Entlassenen wies daraufhin der Tettnanger Kreisgouverneur eine neue Aufgabe zu 414 Im Februar 1947 mußte dieses Thema aufgrund von Presseartikeln, Solidaritätsbekundungen der KPD Schramberg und der Einschaltung eines Rechtsanwaltes durch den Entlassenen nochmals ausführlich behandelt werden. Der Anwalt sah keinen Kündigungsgrund: Die Entlassung sei schon deswegen ungültig, »weil das Anstellungsverhältnis auf Grund der Rechtsanordnung des Staatssekretariats vom 8. August 1946 nur nach vorheriger Zustimmung des Arbeitsamts sein Ende finden könne.« 415 Eine Mißachtung der Anweisungen des Bürgermeisters in der Wohnungsvergabe könne gar nicht vorliegen, weil nach der aktuellen Gesetzeslage nur der Gemeinderat zuständig gewesen sei, weshalb sich der Bürgermeister eines Rechtsvergehens schuldig gemacht hätte. Die Intervention änderte jedoch an der Entscheidung nichts mehr. Zu einer Fortsetzung der personellen Kontinuität, begünstigt durch die - gemessen an den moralischen Ansprüchen - letztlich gescheiterte Entnazifizierung, gehörte eben auch, Personalentscheidungen der unmittelbaren Nachkriegszeit rückgängig zu machen, die eine deutliche personelle Diskontinuität in der deutschen Verwaltung dargestellt hätten. Eine aktive Rolle der lokalen französischen Militärverwaltung bei der Entnazifizierung des öffentlichen Dienstes ist den vorliegenden Quellen nicht zu entnehmen. Der Grund ist vor allem darin zu suchen, daß sich ihr Engagement überaus stark auf die Entnazifizierung der Friedrichshafener Wirtschaftseliten konzentrierte. Die Zukunft des Zeppelin-Konzems und seiner »Wehrwirtschaftsführer« zog das Interesse aller gesellschaftlichen Gruppen vor Ort in starkem Maße auf sich; auf diesem Feld traten auch deutlich Konflikte zwischen französischen und deutschen Beteiligten zutage, wie im folgenden zu zeigen sein wird.

412

Ebd. Ebd. vom 15.11.1946. Ab Februar 1947 waren dann drei CDU-Mitglieder für die einst »linke« Domäne der Wohnungsvergabe zuständig: Der Bürgermeister als Vorsteher aller Wohnungsämter und je ein CDU-Gemeinderat als Vorsitzender des Kreiswohnungsausschusses und des städtischen Wohnungsausschusses. "'"Ebd. vom 6.2.1947. 413 Ebd. 4l3

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3.4. »Neuer Name, neue Männer, neues Programm und Sozialisierung«? 416 Die Entnazifizierung der Wirtschaft Die Entnazifizierungsausschüsse für die freie Wirtschaft auf lokaler und Bezirksebene konnten alle Geschäftsleitungen derjenigen Betriebe überprüfen, die am 1. Januar 1945 mehr als 20 Beschäftigte oder mehr als 500.000 RM Stammkapital hatten. In Südwürttemberg umfaßte die Säuberung etwa 1.500 Betriebe und sollte nach den Vorstellungen der Franzosen innerhalb von zwei Monaten abgeschlossen sein. Die überprüften Personen waren in drei Kategorien einzuteilen. Kategorie „a" umfaßte nicht oder nur nominell belastete Fälle ohne Sanktionen, welche auf Kreisebene zu entscheiden waren. Kategorie „b" umfaßte formal belastete Fälle, wozu die Mitgliedschaft in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen vor 1933, nicht jedoch über formale Kriterien hinausgehende Sachverhalte gehörten. Hier hatte der KRUA der Säuberungskommission Sanktionen vorzuschlagen. Für belastete Personen der Kategorie „c" mußte das Kreisgremium ausschließlich nur Material und Unterlagen zusammentragen und an die Säuberungskommission weiterleiten. Grundsätzlich stellte sich die Landesdirektion, welche den Landratsämtern erste Anweisungen für die Tätigkeit der Kreisausschüsse vorlegte 417 , keine schematische Säuberung vor. Nicht die Parteizugehörigkeit oder auch Nicht-Zugehörigkeit sollte das entscheidende Kriterium sein, sondern eben jene individuelle Prüfung, die für mehr Gerechtigkeit sorgen und letztlich das Entnazifizierungsverfahren vor schier unlösbare Probleme stellen sollte. 418 Am 30. Januar 1946 hielt der Wirtschafts-KRUA für den Landkreis Tettnang seine erste Sitzung ab. Zunächst hatten alle kreisansässigen Firmen Listen über ehemalige NSDAP-Mitglieder und deren Parteiämter beim KRUA vorzulegen. Für die Zuteilung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu den lokalen Ausschüssen war das Dienstverhältnis am 1. Januar 1945 ausschlaggebend. Bereits im Mai 1946 meldete der Tettnanger Ausschuß den Abschluß der Entnazifizierungstätigkeit in den DornierWerken. 139 Personen wurden in die Kategorien „a" bis „c" eingruppiert und die Namensliste der Betroffenen an den Betriebsrat geschickt. 419 Im September 1946 meldete der Kreisuntersuchungsausschuß des weiteren, daß die Überprüfung der Belegschaften im Luftschiffbau Zeppelin abgeschlossen sei. Dem Verfahren waren 87 Personen, alle »Betriebsangehörige in einflußreichen und maßgebenden Stellen, sowie politisch besonders belastete Personen«, unterzogen worden. 420 25 noch zu überprüfende ehemalige Betriebsangehörige konnten aus verschiedenen Gründen wie Aufenthalt in einer anderen Zone, Tätigkeit für die Besatzungsmacht oder Internierungshaft 416

Zitat von Kreisgouverneur Ulmer, siehe Kapitel 1.3 dieser Untersuchung. Nach Klaus-Dietmar Henke wollte sich die Tübinger Militärregierung bei der Entnazifizierung der Wirtschaft weitgehend zurückhalten. So betonte Kabinettschef Oberst de Mangoux in einer Besprechung mit den Landesdirektoren, daß sich die Militärregierung nicht einmischen wolle, »es liege ausschließlich in den Händen des Staatssekretariats.« Und Henke weiter: »Die von den Landesdirektionen vorgeschlagenen Maßnahmen sollten dem Gouverneur nur vorgelegt werden, „um zu vermeiden, daß allzu scharfe Kommissionen das Wirtschaftsleben lahmlegen." Denn das Hauptziel der Wirtschaftsssäuberung sei es, die Unsicherheit bei den Geschäftsleuten zu beseitigen, die ihre „wirtschaftliche Aktivität" lähme.« Zitiert nach ders., Politische Säuberung, S. 72. 418 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 617, Anweisungen der Landesdirektion der Wirtschaft an die Landräte für die Säuberung der Wirtschaft vom Januar 1946. 419 Ebd„ Bü. 617, Namensliste vom 23.5.1946. 420 Ebd., Bü. 610, Schreiben vom 28.9.1946. 417

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nicht erfaßt werden. Im April 1946 waren noch 22 Mitarbeiter des Luftschiffbau Zeppelin und zehn vom Maybach-Motorenbau interniert. 421 Im MM überprüfte der Ausschuß 47, in der Zahnradfabrik 131 Personen. 422 Die Arbeit des Kreisausschusses fand in Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat statt, gemeinsam wurde auch die »Festlegung des Umfangs des zu erfassenden Personenkreises« getätigt. 423 Die Verlautbarung des Ausschusses, daß die »Entnazifizierungstätigkeit« beendet sei, bezog sich vermutlich nur auf die Erfassung des Personenkreises, denn eigentlich ging die Arbeit erst richtig los. Ende 1946 forderten die KRUA-Mitglieder die Friedrichshafener Firmen auf, Namenslisten über alle Personen, die am 1. Januar 1945 zeichnungsberechtigt gewesen waren, zu erstellen. Die seit Mai 1946 unter Sequester stehenden Domier-Werke sandten eine Liste mit 30 Namen von Geschäftsführern, Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten an den KRUA. 424 Der Luftschiffbau Zeppelin führte 33 Personen auf, von denen im Dezember 1946 noch ein Drittel zeichnungsberechtigt war. 425 Der MaybachMotorenbau gab 31 Personen an: Drei Geschäftsführer (Maybach, Raebel, Rommel), wovon einer ausgeschieden war, ein stellvertretender Geschäftsführer (Böttner), sieben Prokuristen, davon zwei ausgeschieden und einer in Haft, und zwanzig Handlungsbevollmächtigte, von denen sieben die Arbeit nicht mehr aufgenommen hatten; einer saß in Haft und zwei waren für Frankreich tätig. Bei Abgabe der Liste am 2. Dezember 1946 waren noch die Geschäftsführung und alle Personen, die ihre Arbeit nach Kriegsende wiederaufgenommen hatten, zeichnungsberechtigt. 426 Außer den Großfirmen mußten entsprechend den vom KRUA für freie Wirtschaft eingeforderten Listen von Anfang 1946 weitere sieben kleinere Unternehmen mit 66 aufgeführten NSDAPMitgliedern entnazifiziert werden. 427 In fünfzehn Monaten, von Ende Januar 1946 bis April 1947, hatte der lokale Säuberungsausschuß in 27 Sitzungen etwa 1.500 Fälle bearbeitet. 428 Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, daß der Vorsitzende Hofmann als Rücktrittsgrund unter anderem eine nicht mehr zu bewältigende Arbeitsüberlastung angab. Von den bearbeiteten Fällen wurden 1.284 der freien Wirtschaft zugeordent, 12 Fälle betrafen die »Wehrwirtschaftsführer«. 429 Der KRUA beurteile aus der ersten Personengruppe der freien Wirtschaft 840 Personen als unbelastet, für 325 Fälle hielt er Sühnemaßnahmen für angebracht, und bei 119 Fällen ging er von einer besonderen Belastung aus 430 Mehr als die Hälfte der Betroffenen war also von

421

Ebd., Bü. 617, »Korrespondenz des KRUA für freie Wirtschaft Tettnang mit Betrieben 1946«, Namenslisten vom 14. und 15.4.1946. Etwa zeitgleich (am 12.9.1946) hatte die DEFA im Auftrag der französischen Regierung mit Karl Maybach eine »convention« Uber die Entwicklung eines Panzermotors abgeschlossen, in deren Folge 70 Ingenieure, Techniker und Facharbeiter nach Vernon Ubersiedelten. Vgl. Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 55, sowie Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 60f und 202f. Ob diese Gruppe schon zuvor im MM beschäftigt und vom Entnazifizierungsverfahren betroffen war, geht aus den Quellen nicht klar hervor. 423 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, BU. 617. 424 Ebd., Bü. 627. Zeichnungsberechtigt waren die Geschäftsführer Claudius und Peter Domier, Fritz Oesterle und Julius Schneider, außerdem 12 Prokuristen und 14 Handlungsbevollmächtigte. 425 Unter den 29 Prokuristen und Handlungsbevollmächtigten waren 17 (Dipl.)Ingenieure und 11 Kaufmänner. Ebd., Bü. 621, Schreiben des Luftschiffbau Zeppelin vom 3.12.1946. 426 Ebd., Schreiben des MM an den KRUA für freie Wirtschaft vom 2.12.1946. 427 Baüuf und Springer (4 Pg's), Bodan-Werft (27), Fuoss (2), Gessler (5), Hecht (15), Holzwerk Bodensee (10), Brielmayer u. Co. (3), ebd., Nr. 617. 428 Zitiert nach Ebner, Entnazifizierung, S. 109. 429 232 Fälle wurden der Sparte »Genossenschaften« zugeordnet, ebd. 430 Ebd. 422

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einer Sanktionierung bedroht, was einen deutlich höheren Anteil als im öffentlichen Dienst darstellt. Während es bei diesem großen Personenkreis nicht mehr nachvollziehbar ist, wie sich die verschiedenen Entnazifizierungsphasen bis zum Abschluß der Säuberung ausgewirkt haben, kann diese Frage für die Firmenleitungen dank ihrer exponierten Stellungen präziser beantwortet werden. Im folgenden soll deshalb die Entnazifizierung der »Wehrwirtschaftsführer« betrachtet werden. Die Bestandsaufnahme des Kreis- und Bezirksausschusses zur Entnazifizierung der Direktoren und Firmeneigentümer fiel in die Phase des »südwürttembergischen Entnazifizierungsmodells«. 431 Aufgrund seiner Untersuchungen betont Klaus-Dietmar Henke eine »defensive Funktion« der Wirtschaftssäuberung in Württemberg-Hohenzollern unter der Ägide von Staatskommissar Künzel: »Ihr eigentliches Ziel ist es nämlich gewesen, alles zu tun, um der französischen Besatzungsmacht keine zusätzlichen Vorwände für ihre exorbitanten Requisitionsmaßnahmen und Maschinenentnahmen zu liefern.« 432 Obwohl eine Übernahme deutscher Industriebetriebe durch die Franzosen aufgrund der Entnazifizierungsurteile praktisch nicht möglich gewesen sei 433 , hätten die deutschen Stellen gerade aus dieser Angst heraus versucht, durch eine Verzögerungstaktik in der Säuberung einen Zugriff auf Industriebetriebe zu verhindern. 434 Als Beleg für die These einer »Schutzfunktion« der Wirtschaftssäuberung werden die Vorgänge in Friedrichshafen angeführt. Henkes These von der »defensiven Wirtschaftssäuberung« erfuhr eine Revision aufgrund der Untersuchung von Cornelia Rauh-Kühne zur Entnazifizierung der Wirtschaft in Südwürttemberg-Hohenzollern. Ihre Argumentation wird in den folgenden Ausführungen aufgegriffen. Die Vorschläge für eine Sanktionierung der Wirtschaftseliten hatten angesichts ihrer Funktion innerhalb der Rüstungswirtschaft nicht durch den KRUA, sondern durch die Säuberungskommission in Ravensburg zu erfolgen. Dennoch fiel dem lokalen KRUA in Friedrichshafen eine wichtige Rolle zu. Nachdem die Unternehmer einen Fragebogen ausgefüllt hatten, sollten diese Unterlagen zunächst an die Landesdirektion der Wirtschaft in Tübingen geschickt werden. Landrat Münch, der dies Hofmann am 25. März 1946 mitteilte, bat aber auch um eine Stellungnahme des KRUA zur Belastung der Industriellen. Zu den bis dahin überprüften neun Fällen lautete die Einschätzung des Ausschusses »politisch nicht belastet«, »nicht Mitglied der Partei« oder, bei Claude Dornier, »Gesamteinstellung war stets stark antinazistisch«. 435 Diese erste Erhebung von Daten ging auch an das Staatskommissariat für politische Säuberung nach Reutlingen. Im September kündigte Künzel dem KRUA die Aufnahme der Verfahren an und bat um weitere Amtshilfe. Die nun vorgeschlagenen Sühnemaßnahmen umfaßten vor allem hohe Geldbußen, mit denen der Wiederaufbau Friedrichshafens finanziert werden sollte. In der Mitverantwortung der Firmenleitungen für die Zerstörung der Stadt sah man die Hauptschuld, weniger in der Funktion als Rüstungsunternehmer, die das NS-Wirtschaftssystem unterstützt hatten. Denn die Unternehmer hätten eher ""'Beginnend mit der Rechtsanordnung zur politischen Säuberung vom 28.5.1946 und endend mit der Anordnung vom 254.1947 (in Kraft getreten am 1.7.1947), also der Einführung eines Spruchkammerverfahrens unter der Leitung von Otto Künzel. Vgl. hierzu ausführlich Henke, Politische Säuberung, S. 80ff., sowie Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 308ff. 432 Henke, Politische Säuberung, S. 111. 433 Ebd.,S. 112. 434 Ebd. und Fürstenau, Entnazifizierung, S. 143. 435 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 617.

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eine Friedensproduktion vorgezogen, und für den Einsatz von Zwangsarbeitem sei hauptsächlich die DAF verantwortlich gewesen. 436 Die Vorschläge des KRUA wurden an die Säuberungskommission in Ravensburg weitergeleitet. Daraufhin ergingen im Februar 1947 die ersten Vorschläge für Sanktionen, die denen des KRUA sehr ähnlich waren. 437 Demnach sollten folgenden Personen Geldstrafen auferlegt werden: Geschäftsführer Dr. Karl Maybach 200.000 Reichmark; Direktor Hugo Eckener, Maybach-Geschäftsführer Karl Rommel und dem kaufmännischen Leiter Fritz Oesterle von Dornier jeweils RM 100.000; Direktor Jean Raebel (MM) RM 25.000; Direktor Julius Schneider (Dornier) RM 15.000; dem kaufmännischen Leiter Wendelin Spiess (Dornier) RM 5.000. Außerdem sollten diese sieben Personen nach den Vorstellungen der Ravensburger Kommission keine leitende Tätigkeit für eine Zeit von fünf bis zehn Jahren ausüben, wobei Rommel mit zehn Jahren an der Spitze stand (Maybach, Hugo Eckener, Oesterle, Raebel und hier auch Knut Eckener fünf Jahre, Schneider und Spiess drei Jahre). Für den gleichen Zeitraum sollten Hugo Eckener und seinem Sohn sowie Rommel die politischen Rechte entzogen werden. Der Gruppe der Unbelasteten (Gruppe „a", »ohne Maßnahmen«) gehörten die Direktoren Ludwig Dürr (LZ) und Carl Böttner (MM), H. E. Jäger (Dornier) sowie die Ingenieure Albert Maier und Konstantin Schmäh von der Zahnradfabrik an. Noch nicht entschieden war der Fall des kaufmännischen Geschäftsführers Dr. Karl Schmid vom Luftschiffbau, der bereits eine Internierungshaft hinter sich hatte. Sein Fragenbogen war verloren gegangen. Bei Michael Schiele (LZ), Dr. P. Müller (Dornier) sowie beim Prokuristen Pirkert (ZF) stand eine Bearbeitung noch aus. Die hier aufgeführten Personen waren also mit sehr unterschiedlichen Sanktionsmaßnahmen belegt, andere wiederum als nicht Belastete eingestuft worden. Auf formale Kriterien konnten sich die Säuberungsausschüsse dabei nicht berufen, da die meisten Unternehmer und leitenden Führungskräfte nur in der NSV, der DAF oder in Verbänden wie NSKK, NSFK, DRK, Reichskolonialbund oder im Verband für das Deutschtum im Ausland organisiert gewesen waren. Karl Maybach erhielt die höchste Geldstrafe, Fritz Rommel mit zehn Jahren das längste Verbot, seine politischen Rechte sowie eine leitende Funktion auszuüben. Entscheidend konnten hier nicht die formalen Belastungen sein, da Rommel ebenso wie Knut Eckener, im Gegensatz zu Maybach, seit 1937 NSDAP-Mitglied war. 438 Hugo Eckener lastete die Säuberungskommission in Ravensburg eine Rundfunkansprache vom 19. August 1934 an, in der er Adolf Hitler unterstützt hätte. 439 Am 25. Februar 1947, wohl infolge des Maßnahmenkatalogs der Ravensburger Säuberungskommission, erstellte Eckener eine vierseitige Rechtfertigungsschrift. Der Tenor seiner Ausführungen umfaßt hauptsächlich zwei

436

Ebner, Entnazifizierung, S. 118. StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 621, KRUA Friedrichshafen an Säuberungskommission Ravensburg vom 19.2.1947. 438 Ebd. 439 Der Text der Rundfunkansprache ist überliefert in: Ebd., WÜ 2, Bd. 1, Bü. 759, Antwort der Zahnradfabrik an Herrn Dr. Eckener, Sonderdruck der SZ vom 30.9.1950, Ausführungen von Stadtrat Karl Flösser. In einer »abschließenden Erklärung« im »Südkurier« vom 3.10.1950 ging Eckener auf die Vorwürfe Flössers ein. So wollte er den Vorwurf bezüglich der Rede nicht hinnehmen und bemerkte, daß »die von mir auf eine Schallplatte gesprochene Rede nie durch Rundfunk verbreitet worden ist. Goebbels wußte, weshalb er das nicht wollte, während Herr Flösser das offenbar heute noch nicht verstanden hat.« Der Wahrheitsgehalt dieser Aussage muß mangels Quellen dahingestellt bleiben, jedenfalls blieb der Vorwurf, eine solche Rede überhaupt verfaßt zu haben; nach ebd. 437

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Bereiche: den Druck, der von der NSDAP auf ihn ausgeübt worden sei, sowie seinen »Widerstand«, den er gegen die Diktatur geleistet habe. 440 Die Vorschläge der Ravensburger Kommission gingen zur Beschlußfassung an das Staatskommissariat für politische Säuberung. Über die Frage der Sanktionierung kam es zur Konfrontation zwischen Militärregierung und Staatskommissariat. Gouverneur Widmer warf Kiinzel vor, in seinen Vorschlägen die Sanktionen der untergeordneten Untersuchungsausschüsse stark abgeschwächt zu haben. Die Vorgaben des Friedrichshafener Ausschusses seien in Ravensburg überwiegend aufgegriffen worden, und Widmer hätte sich diesen angeschlossen. 441 Durch KUnzels Vorlage von Bagatellfällen werde außerdem der Fortgang der Entnazifzierung verzögert. Künzel wiederum argumentierte, daß die von den Franzosen verlangten Maßnahmen gegen die insgesamt 19 Friedrichshafener Wirtschaftsführer ungerecht seien, von seiner bislang eingehaltenen Linie der Säuberung stark abwichen und durch eine Veröffentlichung der Sanktionen »das ganze ehemalige Säuberungsverfahren in solchen Mißkredit geraten würde, daß er von diesem Gesichtspunkt aus die Veröffentlichung unter seinem Namen nicht verantworten könne.« 442 Das Dilemma, in dem sich Künzel befand, beschreibt Cornelia Rauh-Kühne wie folgt: »Auch bei den Friedrichshafener Fällen handelte es sich nämlich um Industrielle, die aufgrund formaler Merkmale minimal belastet waren. Hugo Eckener, dessen Name im Zusammenhang mit dem Zeppelin-Luftschiffbau weltweit bekannt war, war nicht einmal Parteimitglied gewesen. Er wie andere konnten beweisen, daß sie sich zur NSDAP und ihren Organisationen stets auf Distanz gehalten und sich auch als „Betriebsführer" einwandfrei, niemals propagandistisch im Sinne des Nationalsozialismus verhalten hatten.« 443 Hierin sieht Rauh-Kühne das »Kardinalproblem« der Wirtschaftssäuberung: »Wollte man nicht zu einer strukturellen Säuberung greifen, die jener in der SBZ an Radikalität kaum hätte nachstehen dürfen, so blieb die wirtschaftliche Funktionselite von der „Entnazifizierung" fast unberührt«, weil ihr formal nur selten eine Belastung nachgewiesen werden konnte. 444

•""Ebd., WÜ 15, Bd. 1, Bü. 621 vom 25.2.1947. Die Schrift ist in drei Teile gegliedert. Im ersten Teil erläuterte Eckener die Vorgeschichte bis zur Ansprache. Im zweiten Teil ging er auf den Inhalt der Rundfunkansprache ein, die er gezwungenermaßen verfaßt und in der er folgende Gedankengänge »in dem mir vorgeschriebenen Raum« entwickelt habe: 1. Die Wahl Hitlers zum Reichspräsidenten sei »nur die logische Konsequenz aus der vom deutschen Volk erfolgten Wahl desselben zum . f u h rer"« gewesen. 2. Die gegen Hitler erhobenen Vorwürfe brutalen Vorgehens seien berechtigt gewesen, aber wohl »unvermeidlich verknüpft« mit einem diktatorischen Regiment. Es hätte auch die Hoffnung bestanden, daß nach einer anfänglich wirren Phase eine Beruhigung eintrete. 3. Es sei auf Hitlers Ziele und Absichten angekommen, die er in einem Programm zusammengefaßt hätte. Dieses Programm sei aber so gut, »daß jeder es mit Freuden acceptieren muß, zumal Hitler ausdrücklich darin verspricht, es in Frieden mit anderen Völkern durchzuführen«. 4. Hindenburg, »dessen Lauterkeit, Pflichtbewußtsein und Vaterlandsliebe uns ein ewiges Vorbild sein sollte«, habe Hitler zum Kanzler ernannt. Eine Ehrung Hindenburgs sei am Wahltag möglich, »indem wir mit, J a " antworten!«. Auch wenn Eckener den Inhalt dieser Rede anders gedeutet haben wollte, entsprach er doch einer klaren Aussage für den Nationalsozialismus und Hitler. In einem dritten Teil wehrte sich Hugo Eckener gegen »Fälschungen« seiner Rede sowie die »Säuberungsfanatiker« und führte zahlreiche Beispiele an, wie er trotz des auf ihn ausgeübten Druckes »Widerstand« gegen die Diktatur geleistet habe. "'Schreiben Widmer an Staatspräsident Bock vom 29.10.1947; vgl. Ebner, Entnazifizierung, S. 119, und Fürstenau, Entnazifizierung, S. 143. " 2 S t A Sig, WÜ 2, Bü. 8005, zitiert nach Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 328. "'Ebd. " ' E b d . , S. 329.

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Um dieses Dilemma wissend, ging die Argumentation französischer und deutscher Säuberungsstellen in eine andere Richtung. Auf französicher Seite wurde an dem Begriff des »Wehrwirtschaftsfiihrers« festgehalten, der sich allerdings einer exakten Definition entzog. Für Franzosen und Deutsche entwickelte sich außerdem die Frage nach einer Kommunalisierung der Zeppelin-Stiftung zunehmend zum Gradmesser einer demokratischen Haltung. Als Grundlage wurde auch die Einkommensentwicklung der Wirtschaftseliten bis 1945 herangezogen, um den Grad ihrer »Nutznießung« bestimmen zu können. Dem Tettnanger KRUA ging es darüber hinaus um den Einsatz von Zwangsarbeitern, das charakterliche Verhalten gegenüber der Belegschaft und die Intensität, mit der sich ein Unternehmer für das NS-Regime eingesetzt hatte. Denn der KRUA war sich durchaus bewußt, daß die herausgegebenen Richtlinien zur politischen Säuberung »nicht ohne weiteres eine Handhabe« dafür seien, Sanktionen zu verhängen. 445 Nachdem Anfang Dezember noch immer keine Veröffentlichung der Sanktionen ergangen war, drohte Gouverneur Widmer damit, eine in Aussicht gestellte Amnestie für nominelle Nazis nicht eher in Kraft treten zu lassen, »ehe nicht die 19 Friedrichshafener Fälle veröffentlicht seien«. 446 Am 17. Januar 1948 wurde dann schließlich die »Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ergebnisse der politischen Säuberung vom 23.12.1947« veröffentlicht 447 , wodurch die verhängten Sühnemaßnahmen Rechtskraft erlangten. Die Beurteilung der Ravensburger Säuberungskommission und ihre Sühnevorschläge wurden letztlich durch die Staats- und Militärregierung nahezu unverändert übernommen. 448 Alle Direktoren, außer Ludwig Dürr, waren im Sinne der Rechtsanordnungen zur politischen Säuberung von 1946 und 1947 erheblich belastet und mit Sanktionen belegt worden, dies vor allem in ihrer Funktion als »Wehrwirtschaftsführer«. Direktor Ludwig Dürr ging aus dem Entnazifizierungsverfahren straffrei hervor. Dies entsprach dem Wunsch der Säuberungsgremien in Friedrichshafen und Ravensburg. Entlastend hatte vor allem die Aussage des ehemaligen Vorsitzenden der Demokratischen Partei, dem Postangestellten Hugo Schradin, gewirkt. Dürr habe als Vorsitzender des Deutschen Alpenvereins Mitglieder des verbotenen Vereins »Naturfreunde« aufgenommen und auch zu Schradin weiterhin Kontakt gehalten, als dieser schon unter politischen Repressionen zu leiden hatte. Der NS-Judenpolitik habe er kritisch gegenübergestanden und hätte dies auch vor Zeugen kundgetan. 449 Bei Knut Eckener erhöhte sich die Geldstrafe um 12.000 Reichsmark, Direktor Julius Schneider von Dornier durfte auf die Dauer von fünf Jahren (statt der vorgeschlagenen drei Jahre) keine leitende Tätigkeit ausüben. Beim MaybachGeschäftsführer Rommel reduzierte sich dieses Verbot von zehn auf fünf Jahre. Zur " ' S t A Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 617. ^ Z i t i e r t nach Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 313. Rauh-Ktlhne bezieht sich auf eine Besprechung zwischen Staatspräsident Bock und Gouverneur Widmer am 4.12.1947; StA Sig, WÜ 2 acc. 32/69, BU. 8005. Zu ahnlichen Fällen, in denen die Franzosen Druck ausübten, vgl. Henke, Politische Säuberung, S. 177f. •"'Regierungsblatt für das Land Württemberg-Hohenzollern, Beilage lc, Tübingen, 17.1.1948, S. 3. 448 Aus der Liste der Säuberungskommission Ravensburg wurden elf Vorschläge in die Bekanntmachung des Staatskommissariats Übernommen, die Namen sind in der Ravensburger Liste gekennzeichnet. Drei Personen der Gruppe „a" fielen heraus. Der kaufmännische Geschäftsführer Dr. Karl (auch Carl) Schmid vom Luftschiffbau-Zeppelin erhielt eine Geldbuße von 10.000 RM und ein dreijähriges Verbot einer leitenden Tätigkeit. Die Wirtschaftsführer Pirkert, Jäger und Müller wurden nicht mehr erwähnt. " ' E b n e r , Entnazifizierung, S. 134.

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Bemessung der Geldstrafe wurde außer dem Kriterium der politischen Belastung das besteuerte Einkommen von 1942 bis 1944 zugrunde gelegt. Hier lagen dem KRUA Einkommenslisten vom Finanzamt vor. 450 Claude Dornier, der zur Zahlung von 300.000 Reichsmark verurteilt wurde, nahm nach seinem Einkommen eine absolute Spitzenposition unter den Wirtschaftsführern ein. Im allgemeinen dienten jedoch als Handhabe für die Festsetzung der Geldstrafe auch die anderen oben angeführten Kriterien, so daß bei gleichen Einkommen ganz unterschiedlich hohe Sanktionen verhängt wurden. Auf den Verlauf der Entnazifizierung versuchten die Betriebsräte, größtmöglichen Einfluß zu gewinnen. 451 Sie standen vor dem Dilemma, zwischen politischen Ansprüchen und betrieblichen Aspekten entscheiden zu müssen. Beim Luftschiffbau Zeppelin hatten »grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten« zwischen dem Betriebsrat und dem Geschäftsführer und Liquidator des LZ, Knut Eckener, zum Rücktritt Eckeners geführt 452 Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat berief daraufhin der Administrateur-Liquidateur des LZ, Commandant Frédéric, Michael Schiele am 1. Januar 1947 zum Liquidator, zu einem Zeitpunkt also, an dem das Entnazifizierungsurteil zwar noch nicht veröffentlicht, aber den Betroffenen bereits bekannt war. Schieies politische Belastung »war und ist den deutschen und französischen Stellen« zwar bekannt gewesen 453 , aber er konnte das »volle Vertrauen« des Betriebsrats erwerben. »Seine in 25 Jahren im Werk erworbenen Fachkenntnisse, vor allem jedoch seine sachliche Einstellung zu sozialen Fragen und der wiederholt unter Beweis gestellte feste Aufbauwille auf sozialisierter [sie!] Grundlage« rechtfertigten nach Meinung des Betriebsrats eine Einstellung des Säuberungsverfahrens. Von der französischen Luftwaffe war Schiele bereits als kaufmännischer Geschäftsführer berufen worden, womit der Betriebsrat ebenfalls einverstanden war, da er »die Belange der Arbeiter und Angestellten in sozialen Fragen usw. bestens und zur allseitigen Zufriedenheit« vertreten hätte und dadurch eine »solide Grundlage für den Arbeitsfrieden« geschaffen worden sei: »Besonders eifrig ist Herr Schiele gemeinsam mit dem Betriebsrat und dem Gewerkschaftskartell in Aufbaufragen - Gründung sozialisierter Betriebe wie Gaswerk, Gießerei und Behälterbau - tätig, was auch Herrn Rother vom Gewerkschaftskartell Friedrichshafen, der zuständigen Industrie- und Handelskammer in Ravensburg und Herrn Professor Kickebusch von der Landesdirektion der Wirtschaft in Tübingen« bekannt sei. Aus all diesen Gründen würde eine Bestrafung Schieies im Entnazifizierungsverfahren »einen starken Rückschlag der guten Sache und eine Stärkung der reaktionären Kräfte bedeuten.« Die Säuberungsausschüsse wie auch die französischen Stellen scheinen sich der Empfehlung des Betriebsrats angeschlossen zu haben, denn auch in der Bekanntmachung des Staatsministeriums über die Ergebnisse der politischen Säuberung vom 23. Dezember 1947 erschien der Name Schiele nicht mehr. 450

StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, BU. 621, Schreiben vom 22.10.1946. Auskünfte dieser Art mußte das Finanzamt in der Folgezeit nicht mehr leisten, weil seit August 1946 eine neue Regelung galt, nach der die KRUAS zuerst andere Quellen ausschöpfen mußten und die Finanzämter »mit Rücksicht auf die Geschäftsbelastung« nur noch in Zweifelsfällen zuständig sein sollten; ebd. 451 Ebd., Bü. 610, Stellungnahmen der Betriebsräte in zahlreichen Einzelfällen. 452 Ebd., Bü. 621, Schreiben des LZ-Betriebsrats an den KRUA für die Wirtschaft vom 27.1.1947, ebenso die weiteren Ausführungen und Zitate. Zwischen den Säuberungsurteilen der Ravensburger Kommission im Februar 1947 und der Veröffentlichung im Januar 1948 hatten sich nur bei Knut Eckener die Maßnahmen um eine Erhöhung der Geldstrafe um RM 12.000,- verschärft. Ob dabei ein Zusammenhang mit den Vorgängen im LZ bestand, kann nicht belegt werden. 453 Worin diese »Belastung« lag, konnte leider nicht ermittelt werden.

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Zwischen Betriebsrat und Kreisgouvernement herrschte in Personalfragen nur teilweise Übereinstimmung. In mehreren Besprechungen im Oktober 1946 machten alle beteiligten Gruppen ihre Positionen deutlich. Hauptstreitpunkt war die Besetzung des Verwaltungsrats und Vorstands der gerade in Stadteigentum übergehenden ZeppelinStiftung. 454 Die ehemaligen Direktoren bestanden darauf, für die Maybach-Werke Dr. Maybach und für den Luftschiffbau Knut Eckener zu bestimmen. Dr. Hugo Eckener und Dr. Ludwig Dürr sollten Vorstandsmitglieder werden. Mit Verblüffung stellte ein Abgesandter der Landesdirektion für Finanzen fest, »daß die Herren bis zu meinem Kommen der Meinung waren, daß alle von ihnen geäußerten Wünsche von „Tübingen" [womit die südwürttembergische Regierung gemeint war] genehmigt seien«. 455 Der Betriebsrat stimmte zwar mit den Direktoren in den Vorschlägen für die Zahnradfabrik überein (Pirker oder Schmäh) 456 , auch Karl Maybach genoß durchgängig die Unterstützung der Betriebsräte aller drei Großbetriebe. Als der Verwaltungsrat jedoch Knut Eckener für den LZ einsetzen wollte, lehnten die Arbeitnehmervertreter dies kategorisch ab. Ebenso wurden Hugo Eckener und Ludwig Dürr als Vorstand der Stiftung »rundweg abgelehnt«. 457 Ludwig Dürr ging aus dem Entnazifizierungsverfahren - wie schon erwähnt - »ohne Maßnahmen« hervor, obwohl er während des Krieges im Vorstand der Zeppelin-Stiftung vertreten und zusammen mit Hugo und Knut Eckener sowie Carl Schmid Geschäftsführer des LZ gewesen war. Bezüglich der Person Dürrs kam somit der Betriebsrat zu einer ganz anderen, nämlich negativen, Beurteilung als die Säuberungsausschüsse in Friedrichshafen und Ravensburg. Die Position von Kreisgouverneur Ulmer war eindeutig: Er hielt jeden »Wehrwirtschaftsführer« für untragbar und lehnte deshalb Maybach, »der übrigens Mitglied zahlreicher nationalsozialistischer Organisationen, aber nicht Pg. war«, ab. Gegen Konstantin Schmäh von der Zahnradfabrik hatte er nichts einzuwenden, während ihm Knut Eckener als ehemaliges NSDAP-Mitglied untragbar erschien. Eckener und Dürr als Vorstand der Stiftung wurden in Übereinstimmung mit dem Betriebsrat »rundweg« abgelehnt. 458 Das Urteil fiel unmißverständlich aus: »Zusammenfassend hat also Herr Gouverneur Ulmer keinen Zweifel darüber gelassen, daß er die politisch belastete alte Leitung nicht für tragbar hält. Er glaubt, daß es genug tüchtige unbelastete Leute gäbe, die diese Ämter bekleiden könnten.« 459 Der Bitte des Tübinger Verhandlungsführers, diese Ansichten in schriftlicher Form festzuhalten, entzog sich Ulmer, indem er betonte, daß es Aufgabe der Deutschen sei, das Problem der Firmenleitungen zu lösen, und die Militärregierung erst eingreifen würde, wenn die Umgestaltung nicht ihren Wün-

454

Das Vermögen der Zeppelin-Stiftung ging am 1.2.1947 auf die Stadt Friedrichshafen Uber. Vgl. hierzu Kapitel 1,3 dieser Untersuchung. StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 219, Bericht von Dr. Wilhelm Uber eine Besprechung am 15.10.1946. 456 Zwischen Direktorium und Landesregierung bestand Einigkeit darüber, daß Herr Dold, Vorstandsmitglied der ZF, »nicht tragbar sei«, wenn auch die Begründungen ganz unterschiedlicher Natur waren; ebd. 457 Ebd. Die Geschäftsführung des LZ im Februar 1946: Professor Dr. Hugo Eckener, Konstanz, Vorsitzender/ Dr. Ludwig Dürr, FN, technischer Direktor/ Dr. Carl Schmid, FN, kaufmännischer Leiter/ Dipl.-Ing. Knut Eckener, FN, technischer Leiter. Das hier zitierte Schreiben des LZ wird mit dem Satz beendet: »Keiner der genannten Herren war politisch aktiv tätig«. Nach AdO, c. 1181, p. 24, Schreiben vom 6.2.1946. 458 Ebd. 439 Ebd. 455

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sehen entspräche. 460 Ulmer konnte sich der Unterstützung des gewerkschaftlichen Kreiskartells 461 sicher sein, weil es sich ebenfalls kategorisch gegen die einstigen Wirtschaftseliten aussprach. 462 Als im Juli 1946 der alte Vorstand in Person von Hugo Eckener und Ludwig Dürr einen ersten Vorschlag zur Umwandlung der Zeppelin-Stiftung machte, lehnte Gouverneur Ulmer mit dem Hinweis ab, Voraussetzung für eine Erhaltung der Stiftung und Betriebe sei: »Neuer Name, neue Männer, neues Programm und Sozialisierung«. 463 Kreisgouverneur Merglen, der Nachfolger von Ulmer, setzte die Entnazifizierungspolitik seines Vorgängers vor allem gegen die Betriebsleiter der Maybach-Motorenwerke fort. 464 Weil »in deutschen Kreisen« immer wieder der Charakter des MaybachMotorenbau als Rüstungsunternehmen bestritten würde, erstellte der Kreisdelegierte eine Aufstellung der entwickelten oder produzierten Rüstungsgüter, vor allem der Panzer und Panzermotoren. 465 Nach Einschätzung Merglens traf Karl Maybach eine besondere Schuld: »Plus que d'autres industriels allemands, il a, durant les dernières années de lutte du régime nazi, fait le maximum pour lui fournir les armes dont il avait besoin.« Und Merglen fügte noch hinzu, daß Dr. Maybach - weder aus deutscher noch aus französischer Sicht - nicht »le seul constructeur génial des moteur« sei, für den man ihn oft hielte. 466 Wenn das Werk schon nicht demontiert werden sollte - Merglens bevorzugte Lösung entgegen den ökonomischen Interessen Frankreichs -, dann sollte als Grundvoraussetzung für eine Betriebserhaltung wenigstens die Geschäftsführung ausgetauscht werden. Diesbezüglich konnte Merglen mit dem Säuberungsurteil vom Januar 1948 zufrieden sein, weil nun zwangsläufig eine neue Geschäftsleitung eingesetzt werden mußte. In seinem Monatsbericht für Januar 1948 nahm der Kreisgouverneur zum Entnazifizierungsurteil Stellung. Demnach sei erhebliche Unruhe in der Kreisbevölkerung entstanden, während Kommunisten, Sozialisten und Gewerkschafter ihr Ziel erreicht gesehen hätten. Einige Vertreter der Christdemokraten hätten ihre Verwunderung darüber ausgedrückt, daß die Maßnahmen von französischen Behörden ergriffen worden seien. Darin glaubte Merglen in bestimmten Kreisen - vor allem bei Ingenieuren - die Anhänglichkeit an ihre ehemaligen Betriebsleiter erkennen zu müssen. Auf jeden Fall, so Merglen, sei jetzt endlich Klarheit geschaffen, und es sei sicher, daß die »Wehrwirtschaftsführer« schnell ihre Popularität verlieren würden, »lorsque la foule s'apercevra réellement qu'ils ont été éliminés«. Noch einmal drückte er seinen Unwillen darüber aus, daß erst so spät ein Urteil gefällt worden und es den Betriebsleitern

^ S o einfach lagen die Dinge natürlich nicht. Divergierende Interessen zahlreicher französischer und deutscher Ämter und Institutionen boten verschiedene Lösungsmöglichkeiten, wobei die Rolle der Franzosen nicht so passiv war, wie Ulmer es hier zu verstehen gab. 461 Weitere Informationen zum Kreiskartell sind Kapitel II.2 zu entnehmen. ^ R i e m e r , Gewerkschaftlicher Wiederaufbau, S. 157. ^ O h l h a u s e r , Demontage und Neuordnung, S. 44, nach Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 172, und mehreren Quellen im ZF-Archiv. ^ A n d e r s als die Gouverneure Ulmer und Merglen unterstützte deren Kollege in Wangen, Commandant Rousselet, nachhaltig die Interessen von Karl Maybach; siehe Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 200f. ""•'Dabei darf nicht vergessen werden, daß zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr Panzermotoren für Frankreich entwickelt und produziert und so der »Charakter« als Rüstungsfirma ungebrochen fortgesetzt wurde. 466 AdO, c. 1181, p. 2, Brief vom 25.2.1948 an das Cabinet, Economie et Finances (Production Industrielle).

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so lange gelungen sei, sich auf ihren Direktionsposten zu halten. 467 Entgegen Merglens Einschätzung konnten sich die Direktoren eine gewisse Einflußsphäre bewahren. Trotz der offiziellen Entlassung von Karl Maybach und Jean Raebel aus ihren Ämtern erhielten diese auf Betreiben der DEFA Beraterfunktion und eine Zutrittserlaubnis für das Werk. Sie konnten ihre Arbeit unbehindert fortsetzen. 468 Am 25. Mai 1949 hob General Koenig das Urteil von Januar 1948 wieder auf. 469 Am 19. Dezember 1952 schied Maybach »auf eigenen Wunsch« als Geschäftsführer aus. 470 Fünf Monate zuvor war der Maybach-Motorenbau aus dem Zeppelin-Konzern herausgelöst und damit die Reorganisation der Zeppelin-Stiftung abgeschlossen worden. Zwei Jahre nach Veröffentlichung der Entnazifizierungsurteile wurden auch die anderen »Wehrwirtschaftsführer« als »Mitläufer« eingestuft und alle Sanktionen aufgehoben. 471 Die ehemalige Werksführung der Dornier GmbH in Person von Claudius und Peter Dornier sowie Julius Oesterle wurde nach Aufhebung der Zwangsverwaltung am 31. Dezember 1949 wiedereingesetzt und als Liquidator bestimmt. Die Zwangs Verwaltung konnte am 15. November 1954 nach einer Änderung des Gesellschaftsvertrages aufgehoben werden. 472 Ein Jahr später endete die Liquidation des LZ, der heute nur noch als eine Art »Holding« den Tochterfirmen vorsteht. 473 Bei der Zahnradfabrik, deren »neue Männer« in der Betriebsleitung am engsten von allen Friedrichshafener Firmen mit den Franzosen zusammenarbeiteten, endete die Zwangsverwaltung schon im September 1948.474 Im August 1950 wurden die Aktien der ZF auf Betreiben der Landesregierung 475 , des Betriebsrates 476 , der Stadtverwaltung und vor allem des Kreisgouvemeurs Merglen 477 auf die Zeppelin-Stiftung übertragen. 478 Die Entnazifizierung in Friedrichshafen weist im Endergebnis eine weitgehende personelle Kontinuität der lokalen Wirtschaftseliten in der Nachkriegszeit auf. Vor allem aufgrund solcher Resultate wurde die politische Säuberung in der Forschungsliteratur als »äußerst dürftig« 479 bezeichnet. Als Erklärungsgrund dürfte die These von der »defensiven Funktion der Wirtschaftssäuberung« jedoch nicht ausreichen. Im Falle von Friedrichshafen ergibt sich ein anderes Bild. Auf Betreiben der Kreisgouver^ E b d . , c. 3568, Monatsbericht vom 28.1.1948, ebenso die weiteren Ausführungen. 468 Nach Ohlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 58, mit Quellenangaben aus dem MTU-Archiv. Als im Sommer 1948 der MM von einer Schließung bedroht war, erklärten im August Maybach, Raebel und Böttner, offiziell bereits ihrer Ämter enthoben, ihre Bereitschaft, gemeinsam zurückzutreten, falls so eine Weiterbeschäftigung der Belegschaften gesichert werden könne; ebd., S. 60 (Maybach-Archiv). " " Z u den Vorgängen vgl. Treue/Zima, Hochleistungsmotoren, S. 201f. 470 Ebd., S. 66. 471 Regierungsblatt für das Land Württemberg-Hohenzollern, Beilage 19, Tübingen 28.7.1949, S. 151; Beilage 2, Tübingen 28.2.1950, S. 15; Beilage 6, Tübingen 24.8.1950, S. 51. Die Unstimmigkeiten zwischen deutschen und französischen Stellen und die zwangsweise Veröffentlichung der Säuberungsurteile führte zu einer verzögerten Zulassung der Revisionsurteile; nach Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 330, Anm. 135. 472 0hlhauser, Demontage und Neuordnung, S. 50. 473 Vgl. dazu ausführlicher Kapitel 1.3. 474 Verfügung Nr. 84, JO, Nr. 209 vom 15.10.1948. Aber auch nach dem 30.9.1948 blieb das Vermögen gesperrt. D i e Z F war als letzte Firma erst ab dem 1.6.1947 unter Liquidation gestellt worden. •"'Korrespondenz in AdO, c. 3568; c. 2220, p. 12; c. 1181, p. 1. 476 Ebd.,c. 1181, p. 1. 477 Ebd. und c. 3568, sowie c. 2220, p. 12. 478 Genehmigung vom 16.8.1950; vgl. Herzfeldt, Geschäft und Aufgabe, S. 219. 479 Henke, Politische Säuberung, S. 122.

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neure konnte deijenige Betrieb, der den Entnazifizierungsvorstellungen der Franzosen entgegenkam - hier die Zahnradfabrik - am frühesten die Produktion wiederaufnehmen. Ebenso wurde bei diesem Betrieb zuerst die Zwangsverwaltung aufgehoben. Der Maybach-Motorenbau, dessen Betriebsführung sich am stärksten gegen die Franzosen auflehnte, hatte auch mit den größeren Problemen der Zwangsverwaltung bis hin zur Stillegung zu kämpfen. Insofern war die »defensive Wirtschaftssäuberung« ein schlechter Schutz für die Belegschaften und Betriebe. Allerdings ist auch zu fragen, inwieweit diese Entwicklung Anfang 1947 abzusehen war. Immerhin gab es für alle Betriebe französische Interessenten mit Kooperations- oder Kaufangeboten. In welcher Intensität eine tatsächliche Bedrohung der heimischen Industrie bestand, sei es durch Demontage, Requisitionen oder Kooperationsverträge, ist an anderer Stelle thematisiert worden. Cornelia Rauh-Kühne, welche die Wirtschaftssäuberung in Reutlingen untersucht hat, konnte zudem nachweisen, daß - vom Friedrichshafener Beispiel abgesehen durchaus harte Sanktionen verhängt wurden. Wichtiger ist ihr aber ein anderes Argument gegen Henkes These: Die schon im Februar offenkundig gewordene Unzufriedenheit der Tübinger Militärregierung mit dem Fortgang der Wirtschaftssäuberung sei nicht das Ergebnis einer Verzögerungstaktik Künzels gewesen. Die »Verstimmung auf Seiten der Militärregierung« sei vielmehr als »Ergebnis einer Fehleinschätzung der sozialen Wirklichkeit des Nationalsozialismus und der daraus abgeleiteten Erwartungen an die Säuberung der Wirtschaft« zu interpretieren. 480 Das Versagen der Unternehmer habe darin gelegen, daß sie ihren Sachverstand für das NS-Regime mißbrauchen ließen, sowie ihren wirtschaftlichen und technischen Beitrag »für Effizienz, Stabilität und Rechtfertigung des deutschen Faschismus« und dessen Aggressionspolitik leisteten. 481 »Beruflicher Ehrgeiz und das Streben nach beruflicher Erfüllung spielten gerade bei Angehörigen der technischen Funktionselite eine zentrale Rolle dabei, daß sie - selbst bei Distanz zu den politischen Organisationen des Regimes - zu seinen Mittätern wurden.« 482 Dieser gesamte Bereich lag aber außerhalb der formalen Kriterien, welche die Richtlinien für die Wirtschaftssäuberung erfaßten. Mit Einführung des Spruchkammerverfahrens lösten sich die Entnazifizierungsausschüsse für die freie Wirtschaft nach und nach auf. Den Mitgliedern fehlte zunehmend die Motivation zur Weiterarbeit, da die politische Säuberung inzwischen auf eine breite Ablehnung in der Bevölkerung stieß und die Säuberungsausschüsse zwischen den verschiedenen deutschen und französischen Instanzen zerrieben wurden. 483 Der Tettnanger Ausschuß übte seine Tätigkeit bis 8. Juli 1947 aus. Eigentlich wollte der Vorsitzende Hofmann schon fünf Monate zuvor seine Kündigung durchsetzen, da er, wie schon erwähnt, unter starker Arbeitsüberlastung litt und kein rechtes Fortkommen der Entnazifizierungssache zu erkennen vermochte. Ende März 1947 beschlossen die KRUA-Mitglieder einstimmig, geschlossen zurückzutreten. Nur die Ankündigung ei-

^ R a u h - K ü h n e , Unternehmer, S. 314. ^ ' E b d . , S. 329. Rauh-KUhne zitiert nach Alf Lüdtke, Funktionseliten: Täter, Mit-Täter, Opfer? Zu den Bedingungen des deutschen Faschismus, in: ders. (Hrsg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 559-590, hier S. 567. ^Rauh-KUhne, Unternehmer, S. 329. 483 Diese Entwicklung beschreibt Henke für Südwürttemberg-Hohenzollern: Politische Säuberung, S.

113ff.

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nes neuen Gesetzentwurfes, der die Einführung von Spruchkammern vorsah, ließ die Ausschußmitglieder bis zur offiziellen Abberufung auf ihren Posten verharren.484 3.5. Ein »cas scandaleux«: Die Sieger- bzw. Maybachstraße Unter einer Entnazifizierung der deutschen Gesellschaft verstanden die Allierten nicht nur eine personelle Säuberung, obwohl diese damals wie heute im Mittelpunkt des Interesses steht. Vielmehr erstreckten sich die Maßnahmen zur Demokratisierung auch auf Bereiche wie das Presse- und Schulwesen, Theater- und Kinoprogramme u.v.m. Den Kreisgouverneuren waren auf lokaler Ebene vielfaltige Möglichkeiten gegeben, ihren Vorstellungen von einem zukünftigen Deutschland Ausdruck zu verleihen. Das folgende Beispiel handelt von einem Fall, in dem um die Benennung einer Friedrichshafener Straße gerungen wurde. Im September 1947 legte eine siebenköpfige städtische Kommission zur Straßenneu- und -umbenennung ihre Vorschläge vor.485 Der Gemeinderat beschloß daraufhin die Änderung von 48 Straßennamen. CDU-Stadtrat Burr hatte für die bisherige »Siegerstraße« den Namen »Maybach-Straße« vorgeschlagen, »um damit den Mann zu ehren, der, ein Ehrenbürger der Stadt Friedrichshafen, als hervorragender Konstrukteur an dem einstigen Weltruf unserer Heimatstadt einen hohen Anteil hat.« Mit Unterstützung des SPD-Gemeinderats Sommer und gegen die Stimme des KPD-Mitglieds Beckert wurde dem Antrag per Gemeinderatsbeschluß stattgegeben. Hier entstand eine der wenigen Situationen, in denen die französische Verwaltung verärgert intervenierte: »Entgegen dem Beschluß des Gemeinderates der Stadt Friedrichshafen verbiete ich, daß eine Straße dieser Stadt der Name des Dr. Maybach gegeben wird« so die seine gesamte Macht demonstrierende Antwort von Kreisgouverneur Merglen auf den Gemeinderatsbeschluß.486 Als Begründung fügte er in seiner Anweisung an Bürgermeister Mauch hinzu: »Ich finde es nicht angebracht, daß ein Wehrwirtschaftsführer und Kriegsrüstungsindustrieller, der Jahre vor dem Krieg schon für den Krieg gearbeitet hat und während des Krieges dazu beitrug, daß der Nazi-Terror über ganz Europa hinwegbrausen konnte, in dieser Stadt, die ihre Zerstörung diesen Kriegsindustriellen zu verdanken hat, eine Straße bekommt.«487 Diesen Text mußte Mauch dem Gemeinderat mitteilen. Als Sanktion hatte der Gemeinderat künftig binnen 24 Stunden nach jeder Gemeinderatssitzung ein detailliertes Protokoll an den Kreisgouverneur zu liefern. Der Ärger des Kreisgouverneurs richtete sich auch gegen seine vorgesetzten Dienststellen, weil trotz zahlreicher Schreiben Merglens das Entnazifizierungsurteil von Maybach noch nicht im Regierungsblatt veröffentlicht worden war, seiner Ansicht nach ein »cas scandaleux«.488 Die Entscheidung des Gemeinderats beleidigte Merglens Gerechtigkeitsgefühl: »A l'heure où des milliers de petits gens sont sanctionnés, souvent durement, pour leur appartenance au parti nazi, il est inadmissible qu'une municipalité ose penser donner à une rue le nom d'un des responsables et ''"Ebner, Entnazifizierung, S. 52. 485 Im Folgenden: Rathaus, GRP vom 3.9.1947. 486 Ado, c. 3568, Schreiben vom 1.10.1947. 487 Ebd. Ausnahmsweise zutreffend befand Merglen in diesem Falle auch die Kritik des kommunistischen Presseorgans »Unsere Stimme« an der Namensgebung: »Pour une fois, ces critiques sont vraiment juste et fondées.« Ebd., Schreiben vom 26.9.1947. 488 Ebd., Schreiben von Kreisgouverneur Merglen an den Délégué Supérieur für Württemberg und an das Cabinet vom 26.9.1947.

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chefs économiques de la politique d'agression nazis.« 489 Um gegenüber den französischen Dienststellen sein hartes Vorgehen zu rechtfertigen, ging Merglen auf die Rolle von Karl Maybach ein: »II est à rappeler que le Dr. Maybach, „Wehrwirtschaftsführer" depuis 1938 a été l'un des grands industriels de guerre du régime nazi, „père spirituel" de la série de chars qui se sont illustrés en Espagne, en Pologne, en France, dans les Balkans, en Afrique et en Russie. Son entreprise, classée firme de guerre, est sans séquestre, disponible pour les réparations, et doit être entièrement liquidée.« 490 Diese Deutung Merglens, die von einem Primat der Wirtschaft in der Kriegs- und Rüstungspolitik ausgeht, hat die Forschung mittlerweile widerlegt. 491 Trotz der vorläufigen Intervention erreichten die deutschen Behörden doch noch ihr Ziel. Die ehemalige Siegerstraße wurde schließlich in Maybachstraße umbenannt und heißt bis heute so. 492 3.6. Der Abschluß der Entnazifizierung Am 31. März 1949 lösten sich die KRUAS auf, alle Kompetenzen lagen fortan bei den ab 1. April eingerichteten sechs Abwicklungsstellen. Der Kreis Tettnang wurde dem Ausschuß in Ravensburg zugeteilt. 493 Seit der Einführung des Spruchkammerverfahrens in Südwürttemberg-Hohenzollern am 1. Juli 1947494 bis zur Auflösung der Kreisgremien 1949 hatte der KRUA Tettnang im Kreisgebiet 1.745 Fälle behandelt. 495 In wie vielen dieser Fälle noch ein Revisionsverfahren anhängig war, kann nicht gesagt werden. Zumindest im ersten Quartal 1948 hatte der Kreisausschuß 225 Fälle erledigt, während noch 531 Personen auf eine (Revisions)Entscheidung warteten. 496 Hier wirkte sich bereits die »Verordnung Nr. 133 über die Entnazifizierung« aus, die am 17. November 1947 vom Commandement en Chef Français in Baden-Baden erlassen worden war und bald allgemein als »Amnestie-Verordnung« bezeichnet wurde, da sie eine Amnestie aller nominellen Nationalsozialisten, die weder Titel noch Amt innegehabt hatten, vorsah. Dieser Kreis sollte wieder in den Genuß aller politischen und bürgerlichen Rechte kommen. 497 Ab Juli 1948 profitierten schließlich alle nominellen Nationalsozialisten von einer Amnestie nach der Verordnung Nr. 165. Nach einer Weisung des Staatskommissariats für politische Säuberung von Januar 1949 wurden alle noch

""»Ebd. 490 Ebd. 491 Vgl. hierzu Ian Kershaw, Der NS-Staat. Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, vollst. Uberarb. u. erw. Neuausgabe, Reinbek 1994. 492 Leider konnte das Datum der Umbenennung nicht ermittelt werden. Weder eine Anfrage bei der Stadtverwaltung noch Recherchen im Stadtarchiv brachten darüber Aufschluß. 493 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 609. Mit Auflösung der KRUAS (mit Ausnahme des Kreises Lindau) gab es ab 1.4.1949 in Württemberg-Hohenzollern außerdem Abwicklungsstellen in Ehingen, Sigmaringen, Rottweil, Calw und Tübingen. 494 Der Aufbau eines Spruchkammerapparates in Württemberg-Hohenzollern fand zu einem Zeitpunkt statt, als schon in der ABZ deutlich wurde, daß sich dieses System in der Krise befand. Der grundsätzliche Kurswechsel in der württembergischen Säuberungspraxis bedeutete außerdem, daß die gesamte Überprüfung ein weiteres Mal wieder vorgenommen werden mußte. Vgl. hierzu Henke, Politische Säuberung, S. 164ff. 495 StA Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 613, Sitzungskalender des KRUA Tettnang (mit 1.745 behandelten Fällen) 1947-1949. 49i Ebd. 497 Zur Verordnung Nr. 133 siehe Henke, Politische Säuberung, S. 175ff. Das Ziel der Verordnung, einen beschleunigten Abschluß der Entnazifizierung zu erreichen, wurde verfehlt, da alle Fälle nochmals überprüft werden mußten.

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zu entnazifizierenden Personen aufgefordert, ihre Fragebögen bis 1. Februar bei den Kreisuntersuchungsausschüssen abzugeben, um den Abschluß der Entnazifizierung voranzutreiben. Einige Personengruppen unterlagen künftig der Pflicht zur Vorlage eines Fragebogens nicht mehr: alle NSDAP-Mitglieder (auch die vor dem 1.5.1937), sofern sie kein Amt als Blockleiter und darüber hinaus innegehabt hatten; Angehörige der Waffen-SS, die zwangsweise ab Herbst 1943 eingezogen und nicht zum Unterscharführer oder mehr befördert worden waren; Anwärter und fördernde Mitglieder der SS; Mitglieder der SA und SAR bis einschließlich Rottenführer, auch wenn sie vor dem 1.4.1933 beigetreten waren. Die Bestimmungen erstreckten sich über weitere Gliederungen, Verbände und Organisationen der NSDAP. 498 Nach Abschluß der KRUA-Arbeit am 31. März 1949 4 " waren von 1.745 untersuchten Fällen etwa drei Viertel »nicht betroffen«, »entlastet« oder fielen unter die Jugendamnestie. Bei etwa 390 Fällen wurden Sühnemaßnahmen verhängt, die 1947 meist noch in Berufsverboten, Geldstrafen, Bewährungsfristen oder Verbot der Wählbarkeit bestanden. Nach Anwendung des Spruchkammerverfahrens und der Verordnung 133 bzw. 164 schwächten sich die Sanktionen bis 1949 ab und umfaßten meist nur noch die Aberkennung der Wählbarkeit für ein bis drei Jahre. 500 Am 16. Dezember 1949 übertrug die französische Verwaltung das Gnadenrecht auf die deutschen Regierungen, womit das Entnazifizierungsverfahren ausschließlich in deutsche Hände überging. Die Aktivitäten der deutschen Gremien erstreckten sich in der Folgezeit hauptsächlich auf die Ausarbeitung von Abschlußgesetzen. In Württemberg-Hohenzollem erging dieses Gesetz am 9. Januar 1951.501 Klaus-Dietmar Henke betont, daß nicht nur der politische Ertrag der Entnazifizierung »überaus dürftig« gewesen sei, sondern auch die Sanktionen im allgemeinen sehr bescheiden ausfielen. 502 Das muß allerdings differenzierter gesehen werden. Zu Anfang waren - wie gerade die Friedrichshafener Fälle zeigen - die vorgesehenen Sanktionen hart. Im Vergleich zu den anderen westlichen Besatzungszonen konzentrierten sich die Franzosen von Anfang an eher auf die NS-Eliten als auf die »kleinen« Nazis. 503 Aber gerade dieser Zielgruppe wurde mit der Rechtsanordnung vom 25. April 1947 eine Möglichkeit zur Revision gegeben. Die Ungerechtigkeit bestand darin, daß nur der Personenkreis ein - meist erfolgreiches - Revisionsverfahren anstrengen konnte, der mit Freiheitsstrafe, Berufsverbot oder einer hohen Geldstrafe sanktioniert worden war. 504 Die im Rückblick negative Einschätzung der Entnazifizierung beruht auch auf dem Gesamtergebnis für das Land Württemberg-Hohenzollem. Das aufwendige, 498

Weisung des Staatskommissariats (Staatskommissar Mayer) an alle KRUAS vom 11.1.1949. Gliederungen: NSF, der NSDAP angeschlossene Verbände: DAF, NSV, NSKOV; von der NSDAP betreute Organisationen: Reichsbund deutscher Familien; NS-Reichsbund für Leibesübungen; Deutsches Frauenwerk. 4M Vgl. Amtsblatt für den Kreis Tettnang, Nr. 18, vom 25.2.1949. ^ S t A Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 613, nach einer Auswertung der Sitzungsprotokolle. 301 Vgl. Fürstenau, Entnazifizierung, S. 147. Nach dem Zusammenschluß der Länder Baden und Württemberg war wegen der unterschiedlichen Entnazifizierungspraxis in der französischen und amerikanischen Zone ein weiteres Gesetz (erlassen am 13.7.1953) notwendig gewesen; vgl. ebd., S. 158. 502 Henke, Politische Säuberung, S. 122. In diesem Urteil stimmt Henke mit Lutz Niethammer überein, auf dessen Untersuchung aus dem Jahre 1972 der Begriff der »Mitläuferfabrik« zurückgeht; siehe ders., Mitläuferfabrik. ^'Stöss, Die extreme Rechte, S. 63. 504 Amtsblatt Nr. 26 vom 8.5.1947, zitiert nach Rauh-Kühne, Unternehmer, S. 331. Für die Möglichkeit einer Revision mußte die Strafe mindestens ein Jahr Freiheitsentzug (Arbeitslager), ein endgültiges Arbeitsverbot oder eine Geldstrafe von mindestens 15.000 RM umfassen.

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oft widersprüchliche und für die deutschen Beteiligten frustrierende Säuberungsverfahren produzierte bis 1952 zirka 93 Prozent »Mitläufer«, »Entlastete« und »Nichtbetroffene«. 505 Hierfür den Grund in der französischen Entnazifizierungspolitik zu suchen, greift jedoch zu kurz, weil das Endergebnis in allen Westzonen nahezu identisch war.506 Zudem sagen diese Zahlen wenig über individuelle Säuberungserfahrungen aus. In Friedrichshafen z.B. hatten vor allem die Funktionäre der NSDAP unter mehrjähriger Internierungshaft gelitten. Der Ortsgruppenleiter und Kaufmann Josef Hund, geboren am 16. Januar 1881, Ortsgruppenleiter in Friedrichshafen und Mitglied der NSDAP seit 1930, saß bis zum 11. Mai 1948 im Internierungslager Balingen. 507 Dort stand er am 30. Januar 1948 vor der Sonderspruchkammer I. In deren Entnazifizierungsurteil wurde er als »minderbelastet« eingestuft. Als Sanktion wurde eine Bewährungsfrist von drei Jahren ausgesprochen, in der die Wählbarkeit, das Wahlrecht, die Mitgliedschaft in einer Partei oder eine politische Betätigung verboten waren. In der Begründung hieß es, daß »mit Rücksicht auf die erlittene Internierungshaft von weiteren Maßnahmen Abstand genommen« werde. 508 Dieses Urteil bedurfte noch der Bestätigung des Staatskommissars für die politische Säuberung 509 und der Militärregierung. Ein anderer Ortsgruppenleiter, Rudolf Göttinger, arbeitete als kaufmännischer Angestellter beim Luftschiffbau Zeppelin. Seit 1. September 1930 war er Parteimitglied, außerdem noch politischer Leiter. 510 Im Juli 1948 noch in Balingen interniert, drängte er in mehreren Bittbriefen die Tübinger Landesregierung auf eine Entscheidung, um seine Entlassung zu beschleunigen. Am 16. April 1948 schlug der KRUA Tettnang Göttinger der Spruchkammer als »belastet« vor. Die Spruchkammer entschied am 26. Juni 1948 anders: Sie klassifizierte den ehemaligen Ortsgruppenleiter als »minderbelastet«. Diesem Urteil Schloß sich der KRUA, der wohl um eine Stellungnahme gebeten worden war, am 15. Juli 1948 an. Zwei Wochen später richtete Rudolf Göttinger ein Gesuch an Ministerialrat Haug im Innenministerium, seine Entlassung aus der Internierung zu forcieren. Im Endergebnis der politischen Säuberung wurden alle ehemaligen Ortsgruppenleiter des Kreisgebietes zwar als »Minderbelastete« eingestuft, viele von ihnen hatten aber bereits eine Internierungshaft verbüßt.511 Sie nahmen, zumindest in Friedrichshafen, im öffentlichen Leben der Nachkriegszeit keine exponierte Stellung mehr ein. Kreisleiter Hans Seibold mußte sich, anders als die Ortsgruppenleiter, vor einem amerikanischen Gericht in Dachau verantworten. Er war im Juli 1944 zusammen mit dem Ailinger Bürgermeister an der Erschießung eines notgelandeten amerikanischen ^Hauptschuldige (8 / 0,005%); Belastete (80 / 0,05%); Minderbelastete (235 / 0,16%); Mitläufer incl. Amnestierte (57.303 / 38%); Entlastete (2.627 / 1,75%); Nichtbetroffene (79.168 / 52,7%); Andere (10.773 / 7,15%), Summe der entnazifizierten Personen: 150.194; vgl. Henke, Politische Säuberung, S. 122. 306 Ergebnis der Entnazifizierung in den Westzonen: 0,55% »Hauptschuldige« und »Belastete«, 95% »Mitläufer«, »Entlastete« oder »Nicht-Betroffene«, von insgesamt 3,6 Millionen Überprüften; nach einer Tabelle in Stöss, Die extreme Rechte, S. 66. 507 Die folgenden Ausführungen fußen auf StA Sig, WÜ 40, Bd. 19, Bü. 52. 308 Ebd„ Schreiben des Innenministeriums an Josef Hund vom 29.7.1948. 509 Ebd. Hund hatte sich bereits am 4.7.1948 mit einem Brief an den Staatskommissar für politische Säuberung gewandt, in dem er ausführlich seine wirtschaftliche Notlage aufgrund seiner Invalidität, des fehlenden Urteils (Ausfall der Rente) und der Währungsreform schilderte. 510 Ebd., Bü. 155. 311 Ebd.,Bü. 152.

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Piloten beteiligt gewesen. Seibold wurde zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Für den SS-Mann aus Ailingen, der den Mord ausgeführt hatte, lautete das Urteil auf Tod durch Erhängen. 512 Seibolds Haftstrafe wurde im weiteren Verlauf auf 28 Jahre reduziert und schließlich 1955 ganz ausgesetzt. 513 Die Tettnanger Kreisgouverneure betrachteten die Entnazifizierung unter anderen Aspekten. Ihr Ziel, den deutschen Nachbarn zur Demokratie zu erziehen, schien ihnen nur schwer erreichbar zu sein. Mißtrauisch beobachteten sie deshalb alle gesellschaftlichen Gruppierungen ihres Kreises, wie zum Beispiel den Gemeinderat. Im gesamten Kreis Tettnang wurden 1948 146 Gemeinderäte gewählt, darunter waren 30 ehemalige NSDAP-Mitglieder vertreten gewesen. 514 Kreisgouverneur Merglen stellte besorgt fest, daß in sechs von dreizehn Kreisgemeinden mindestens ein Viertel aller Gemeinderäte ehemalige NS-Parteigenossen gewesen seien, in einigen Gemeinden lag der Anteil sogar noch höher. 515 Im Friedrichshafener Gemeinderat saßen im November 1948 unter achtzehn Mitgliedern drei ehemalige NS-Parteigenossen, wovon einer nun der FWV, zwei der CDU angehörten. Alle drei Personen waren 1937 in die NSDAP eingetreten. Ein vierter Gemeinderat war Pg.-Anwärter seit 1937 gewesen. Ein Christdemokrat gehörte 1934 nur wenige Monate der SA an, ein weiterer hatte die Funktion eines Blockwarts; ein FWV-Mitglied war nach 1933 im städtischen Rat vertreten. Außer bei fünf Gemeinderäten (1 CDU, 2 SP, 2 FWV) hatte bei allen eine Mitgliedschaft in NS-Organisationen (in DAF und NSV am häufigsten, vereinzelt in NSKK, NSLB, NSFK und HJ) bestanden. Aus dem Entnazifizierungsverfahren von 1948 gingen elf der achtzehn gewählten Mitglieder »ohne Maßnahmen« hervor, zwei waren »nicht betroffen« und einer »unbelastet«. Drei Gemeinderäte wurden als »Mitläufer« eingestuft, und nur einer war noch mit Sanktionen in Form einer Zurückstufung belegt worden. 516 Zum Zeitpunkt der Analyse mochte Merglen noch nicht über die politischen Auswirkungen spekulieren, aber er glaubte, schon jetzt einen gewissen Einfluß der »bedeutenden früheren Mitglieder« feststellen zu müssen, der sich in einer Betonung des Nationalismus, »parfois farouche«, und in einer verstärkten Opposition gegenüber den Besatzungsbehörden bemerkbar mache. 517 Außerdem beobachtete Merglen aufmerksam die Stimmungslage in der Bevölkerung und den »état d'esprit« verschiedener Personengruppen. Er reflektierte immer wieder über die Folgen der Entnazifizierung, über deren gerechte Durchführung und deren Auswirkungen auf die deutsche Bevölkerung. Neben den »Wehrwirtschaftsführern«, Gemeinde- und Betriebsräten, Kommunisten und NSDAP-Mitgliedern behielt er auch die ehemaligen aktiven Wehrmachtsoffiziere im Auge. Über die im Kreisgebiet ansässigen Offiziere mußte das Landratsamt in regelmäßigen Abständen Namenslisten an die französische Kreisver512

Maier, Heimatbuch II, S. 400, sowie SZ vom 11.3.1947. In einer jüngst erschienenen Studie von Christine Arbogast über die württembergischen Kreisleiter behandelt die Autorin in einem Kapitel deren Entnazifizierung: dies., Herrschaftsinstanzen der württembergischen NSDAP. Funktion, Sozialprofil und Lebenswege einer regionalen NS-Elite 1920-1960, München 1998, S. 201ff. 5u A d O , c. 3568, Schreiben des Kreisgouverneurs vom 19.11.1948. 313 Ebd., in bezug auf die Kommunalwahl vom 14.11.1948. Pg.-Anteil in den Gemeinden: Eriskirch 4 Pg.'s von 10 Gemeinderäten; Ettenkirch 5 von 8; Langenargen 4 von 12; Friedrichshafen 4 von 18; Tettnang 3 von 14. Merglen teilte seinen Vorgesetzten noch mit, daß Ettenkirch die einzige Kreisgemeinde gewesen sei, die Hitler 1933 zum Ehrenbürger ernannt hatte. 5l6 KrA FN, Nr. 1206, Gemeinderatswahlen 1946-1971, Schreiben des Bürgermeisteramtes vom 7.3.1949. 517 AdO, c. 3568, Schreiben des Kreisgouverneurs vom 19.11.1948. 5l3

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waltung schicken. Fehlten in einer Folgeliste Namen, hatte das Landratsamt über die Gründe Rechenschaft abzulegen. 518 Ende 1949 schätze Merglen die Unzufriedenheit der ehemaligen Wehrmachtsoffiziere so hoch ein, daß er sogar das Überlaufen einzelner Offiziere zu den Russen nicht mehr ausschloß. Zwar seien sie zu diesem Zeitpunkt noch deutlich antikommunistisch, auch religiöse und familiäre Gründe hielten sie von einem solchen Schritt ab, aber angesichts einer fehlenden Zukunftsperspektive Schloß Merglen diese für die Militärregierung unerwünschte Entwicklung nicht aus. 519 Entgegen Merglens negativen Einschätzungen entstand eine demokratische Gesellschaft auf bundesrepublikanischem Boden. Hier mag, aus heutiger Sicht, das Hauptverdienst der Entnazifizierung liegen. Das Säuberungsverfahren führte nicht dazu, ein Heer von Sanktionierten und Unzufriedenen zu schaffen, deren dann ausbleibende Integration in der gerade entstehenden Nachkriegsgesellschaft eine schwere Hypothek für den Demokratisierungsprozeß hätte darstellen können.

4. Schlaglichter kulturellen Lebens Die Kultur- und Bildungspolitik der Nachkriegszeit, gerne als Domäne der französischen Militärregierung im Umerziehungsprozeß der Deutschen zu mehr Demokratie beschrieben, spielte im Kreis Tettnang zwar eine wichtige Rolle in der Nachkriegszeit, die Initiative vor allem im kulturellen Sektor ging aber, soweit die Quellen solche Rückschlüsse gestatten, nahezu ausschließlich von deutscher Seite aus. Im folgenden kann nur schlaglichtartig auf den weiten Bereich der Friedrichshafener Kulturlandschaft eingegangen werden. Ausgewählt wurden drei Themenbereiche, an denen sich die Frage nach Traditionen und Neuerungen erörtern läßt. 4.1. Pressewesen: Die »Schwäbische Zeitung« Die historischen Wurzeln der »Schwäbischen Zeitung« reichen mit der Gründung des »Württembergischen Seeblatt« bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück, und seit 1880 erfolgt die Herausgabe der Zeitung ausschließlich durch den Familienbetrieb Gessler. Da die »Schwäbische Zeitung« das dominierende Printmedium für die Kreisbevölkerung war und ist, und um die Wiedergründung der Lokalzeitung nach 1945 bewerten zu können, sollen die weiteren Ausführungen mit einem kurzen Rekurs in die Verlagsgeschichte beginnen. 520

518

Ebd., Schreiben an das Landratsamt vom 17.1.1949. In diesem Schreiben der französischen Dienststellen wurden 23 Exoffiziere mit Namen, Rang und Wohnort aufgelistet, welche bei der letzten Zählung keine Erwähnung mehr fanden. Das Landratsamt wurde um eine Begründung innerhalb von zehn Tagen gebeten. 519 Ebd., Schreiben vom 23.10.1949. 520 Landrat Münch mußte 1948 für Kreisgouvemeur Merglen eine Aufstellung Uber alle Zeitungen machen, die im Kreisgebiet erschienen und »lokalen Charakter« hatten. Neben der »Schwäbischen Zeitung« mit je einer Ausgabe für Friedrichshafen und Tettnang (Verlag in Leutkirch) gab es den »Südkurier« (Konstanz), das »Schwäbische Tagblatt« (Tübingen), »Der WUrttemberger« (Reutlingen), »Unsere Stimme« (Schwenningen) und einen »Kirchenanzeiger« (Tettnang); nach KrA FN, Nr. 6163, Beaufsichtigung der Presse 1944-1951, Schreiben vom 15.9.1948.

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Das »Württembergische Seeblatt« Am 8. September 1945 erschien erstmals seit Kriegsende wieder eine Friedrichshafener Lokalzeitung namens »Seeblatt«, zu diesem Zeitpunkt noch lizenziert wie die gesamte Presse in den deutschen Besatzungsgebieten. Mit dem Zeitungstitel knüpfte der Verleger Othmar Gessler an eine Tradition an, die 101 Jahre zuvor begonnen hatte.521 Am 1. Januar 1844 hatte der Buchdrucker Carl Ignaz Schabet mit Konzession der Königlichen Kreisregierung des Donaukreises ein Wochenblatt ins Leben gerufen, das er »Württembergisches Seeblatt« nannte und als Amtsblatt im Oberamt Tettnang verlegte. Elf Jahre später, im Jahre 1855, mußte Schabet, überzeugter Anhänger der Revolution von 1848, seine publizistische Tätigkeit einstellen. Trotz der wiedereingeführten »Preßfreiheit« war er wegen zweier liberaler Artikel, die er aus anderen Zeitungen übernommen hatte, im Oktober 1848 zu über einem Jahr Festungshaft auf dem Hohenasperg verurteilt worden. Das Königliche Oberamt Tettnang entzog dem wegen Majestätsbeleidigung und Hochverrats verurteilten Verleger das Recht, seine Zeitung als Amtsblatt herauszugeben. Nachdem Schabet im Juli 1850 aus der Haft entlassen worden war, gelang ihm langfristig kein neuer Start in Friedrichshafen. Er verkaufte 1855 Verlag und Druckerei. Bis 1880 wechselte der Besitzer viermal522, bevor als letzter in dieser Reihe der Redakteur Robert Gessler (1849-1903) »Seeblatt«-Verleger wurde. Mit dem Familiennamen Gessler verbindet sich eine lange Verlegertradition, die bis heute andauert. Robert Gessler, 31jährig und aus der Schweiz stammend, hatte die Witwe des Vorbesitzers, Anna Lincke, geheiratet und von ihr die Geschäftsleitung übertragen bekommen. Anna Lincke starb ein Jahr später, und Gessler heiratete 1884 Maria Sützenberger (1858-1944) aus Mochental bei Ehingen. Unter Gesslers Regie von 1880 bis zu seinem Tode 1903 mauserte sich das kleine Blatt zur Tageszeitung, seine Frau, die die Geschäfte weiterführte, mußte dann in Anpassung an die Entwicklung 1906/07 das Verlagsgebäude vergrößern. Im Jahr 1916 übernahm der Zweitälteste Sohn unter fünf Kindern, Othmar Gessler (1889-1974), das »Seeblatt«. Nach Kriegsende 1918 war Gessler nicht bereit, mit seinem Presseorgan die Revolution zu fördern und deshalb »ständigen Repressalien des revolutionären Arbeiter- und Soldatenrates« ausgesetzt. Das Lokalblatt hatte sich, mit den Worten des LZ-Generaldirektors Alfred Colsman, bei den Massen unbeliebt gemacht und wurde in der Publikation von Berichten behindert. Gessler, ein »Schützling« Colsmans, widersetzte sich »diesem 521

Titelübersicht zur lokalen Zeitungsausgabe: 1. »Württembergisches Seeblatt« (Jan. 1844 bis nach Juli 1849); 2. »Seeblatt für Stadt und Land« (vor Jan. 1852 bis 19.12.1864); 3. »Seeblatt« (21.12.1864 bis 30.12.1933); 4. »Verbo Seeblatt« (2.1.1934 bis 31.8.1935); 5. »Verbo-Seeblatt / Friedrichshafener Tagblatt« (2.9.1935 bis 30.4.1940); 6. »Verbo Friedrichshafen« (3.5.1940 bis 31.3.1942); 7. »Donau-Bodensee-Zeitung, Kreisausgabe Friedrichshafen« (1.4.1942 bis 21.4.1945); 8. »Seeblatt für Kreis und Stadt Friedrichshafen, für Tettnang und die Landgemeinden« (8.9. bis 15.11.1945); 9. »Schwäbische Zeitung« (seit 4.12.1945). - Die Angaben zum Erscheinungsdatum basieren auf einer Zusammenstellung des StadtA FN. Ein Teil der Ausgaben liegt verfilmt vor, so vor allem das »Seeblatt« des Jahres 1945, Nr. 1, 3 und 4-8. 522 Carl Ignaz Schabet verkaufte 1855 an Heinrich Zimmermann aus HUsingen bei Lörrach; 1860 erwarb die Zeitung der Buchdrucker August Rösch aus Reutlingen, und schon 1862 hieß der neue Verleger Karl August Lincke, Buchhändler mit einem Geschäft in Friedrichshafen seit 1955/56. Er starb 1879. Diese und die folgenden Ausführungen fußen, falls nicht anders angegeben, auf zwei Sonderbeilagen der SZ: »50 Jahre Schwäbische Zeitung« und »50 Jahre Zeitungsgeschichte 19451995« (80 Seiten) vom 4.12.1995, hier eine Zusammenfassung der Beilage »50 Jahre Schwäbische Zeitung«.

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Druck entschlossen«. 523 Eine solchermaßen konservative Grundhaltung des Verlegers blieb auch in der Folgezeit bestimmend. Der »Verband Oberschwäbischer

Zeitungsverleger«

(Verbo)

Krieg, Umbruchszeit und Inflation brachten vor allem die kleinen Lokalzeitungen in existentielle Krisen, weshalb sich sechzehn bislang selbständige Verleger im oberschwäbischen Raum dazu entschlossen, einen Verbund zu gründen.524 Am 1. Juni 1922 hatte der Initiator, der Wangener Verleger Franz Walchner, sein Ziel erreicht: Der »Verband Oberschwäbischer Zeitungsverleger« (Verbo) war als neue Gesellschaft mit Hauptsitz in Friedrichshafen entstanden. Walchner und Gessler übernahmen die Geschäftsführung, zum Chefredakteur wurde Otto Hutter, Verleger und Mitherausgeber des Biberacher »Anzeigers vom Oberland«, bestimmt. Endgültig überstanden war die ökonomische Krise jedoch erst im November 1923, als durch die Währungsneuordnung wieder ein gewisses Maß an Kalkulation möglich war.525 Zur wirtschaftlichen Regeneration trug auch ein anderer Umstand bei: Nach 72 Jahren Pause erlangte die Friedrichshafener Verbo-Ausgabe, die weiterhin »Seeblatt« hieß, 1924 wieder das Recht auf den Amtsblatt-Titel. 1928/29 war dann sogar ein Neubau des Verlags- und Druckereigebäudes möglich, und die Rotationsmaschine aus der Zeit der Verbo-Gründung konnte durch eine modernere ersetzt werden. Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung entzog der Sonderkommissar der Obersten SA-Führung, Kreisleiter Hans Seibold, dem Heimatblatt im Februar 1933 wieder seinen Amtsblatt-Titel.526 Als »Zentrumsblatt« genoß der Verbo nicht die Unterstützung des NS-Regimes. Seit dem 25. April 1933 nannte sich die Friedrichshafener Verbo-Ausgabe deshalb »Mitteilungsorgan für die städtischen Behörden und das Oberamt Tettnang«,527 ab 2. Januar 1934 »Verbo Seeblatt«. Im Herbst 1934 gründeten die Nationalsozialisten das Agitationsorgan »NS-Presse Württemberg«, über welches nun die NS-Parteizeitung »Friedrichshafener Tagblatt« angeboten wurde. Mit 523

Alfred Colsman widmete diesen Zusammenhängen eine ausführliche und subjektive Darstellung, vor allem, wenn der versuchte »Mordanschlag« auf Gessler in Zusammenhang mit einer Rede vor dem Arbeiter- und Soldatenrat zur Sprache kam. Diese Szene, in der er selbst als »Retter« auftritt, wird auch in heutigen Publikationen bevorzugt zitiert; vgl. ders., Luftschiff voraus! Arbeit und Erleben am Werke Zeppelins, Stuttgart/Berlin 1933, v.a. das Kapitel zur »Revolution 1918/19 in Friedrichshafen«, S. 207-227, besonders S. 218f. zum Verhältnis des »Seeblatt« zu den Räten. 524 Hier setzte ein Prozeß der Pressekonzentration ein, welcher sich ab den fünfziger Jahren noch steigerte und zu einer starken Reduzierung der publizistischen Einheiten (das heißt, daß Redaktionen Mantel- und Lokalteil selbst herstellen) führte. Siehe dazu Kurt Koszyk, Presse- und Pressekonzentration in den 50er Jahren, in: Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau, S. 439-457. Thomas Schnabel sieht in dem »fast vollständigen Informationsmonopol der zentrumsnahen Blätter des Verbo« mit einen Grund für die Zentrumserfolge in Oberschwaben während der Weimarer Republik und dem schlechten Abschneiden der NSDAP; vgl. ders., Württemberg zwischen Weimar und Bonn, S. 87. 525 Auswirkung der Inflation auf den monatlichen Bezugspreis des Verbo: Im Jahr 1922: Juli 23 Mark, September 63 Mark, Dezember 680 Mark. Im Jahr 1923: Januar 909 Mark; Juni 9.300 Mark; August 450.000 Mark; September 24 Mio. Mark; November 1,38 Mio. Mark. Auf dem Höhepunkt der Inflation gaben die Friedrichshafener Betriebe und die Stadtverwaltung ein Notgeld heraus, das in der Druckerei Gessler hergestellt wurde. Mit Einführung der Rentenmark am 15. November 1923 normalisierten sich die Verhältnisse. 526 SZ-Sonderbeilage »50 Jahre Schwäbische Zeitung«. Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich, S. 45, datiert den Entzug des Amtsblatt-Titels für die Verbo-Zeitungen auf 28. April 1933. 527 Holzmann, Friedrichshafen im 3. Reich, S. 45.

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120 Abonnements stellte es allerdings keine Konkurrenz dar - die Verbo-Ausgabe erreichte zu dieser Zeit eine Auflage von etwa 2.400 Stück. 528 . 1935 erfolgte dann die Zwangseingliederung des inzwischen 22 Lokalzeitungen umfassenden oberschwäbischen Verbandes in die NS-Presse. In der neugegründeten »Oberschwäbischen Verlagsanstalt« hielt der »NS-Gauverlag« 51 Prozent der Anteile, die Verleger 49 Prozent. Die Druckerei der Verbo-Verleger blieb jedoch in deren Eigentum und wurde in der »Oberschwäbischen Zeitungsdruckerei« zusammengefaßt. »Zeitungdruckerei« und »NS-Presse« schlossen einen zehnjährigen Druckvertrag ab. Jetzt war im Zeitungskopf der Friedrichshafener Ausgabe »Verbo«, »Seeblatt« und »Friedrichshafener Tagblatt« gleichzeitig zu lesen, gewissermaßen eine Kombination aus Uber neunzig Jahren Verlagsgeschichte. Die

»Donau-Bodensee-Zeitung«

Am 1. April 1942 verschwanden auch diese Titel, denn nun wurden alle Verbo-Blätter in der »Donau-Bodensee-Zeitung« zusammengefaßt. Der nach nationalsozialistischer Abkürzungsmanie genannte »DoBoZ« war ein Ableger des »Völkischen Beobachter«. Für den Kreis Tettnang war das nun die einzige Zeitung, nachdem das Tettnanger »Amtsblatt« im Zuge der im NS-Jargon »Vereinfachung des Pressewesens« genannten Ausschaltung seinen Betrieb einstellen mußte. Als Reaktion auf den im Juni 1943 beginnenden Luftkrieg in Friedrichshafen mußten dann Verlag und Druckerei nach Leutkirch ins Allgäu ausgelagert werden. Dort befinden sie sich bis heute, obwohl ein abermaliger Umzug zurück nach Friedrichshafen ursprünglich geplant war. Vermutlich verhinderte der hohe Zerstörungsgrad der Stadt und eine damit verbundene schlechte Logistik diesen Schritt. Am 20. April 1945, neun Tage vor der französischen Besetzung der Stadt, stellte die »Donau-Bodensee-Zeitung« ihr Erscheinen ein. »Seeblatt« und »Schwäbische Zeitung« Das von Othmar Gessler am 8. September 1945 erstmals veröffentlichte und von der französischen Militärregierung genehmigte Mitteilungsblatt knüpfte mit seiner Titulierung an die alte Tradition an und hieß, allerdings nur für wenige Monate, wiederum »Seeblatt«. Auf der ersten Seite der ersten Ausgabe bestimmte der Herausgeber seinen Charakter als »Amts- und Wochenblatt« und betonte gleichzeitig, daß mit dem Erscheinen eines Presseorgans »durch das Entgegenkommen der französischen Militärregierung ein dringender Wunsch der Bevölkerung Erfüllung findet«. Es sollte zweimal wöchentlich, jeweils mittwochs und samstags, erscheinen, tatsächlich war der Ausgabetermin aber unregelmäßig. 529 Ein Ziel der Zeitung, die vorerst unter Zensur stand und somit auch ein Sprachrohr der lokalen Militärregierung war, bestand darin, »in Artikeln die große politische Linie der kommenden Entwicklung darzulegen, das Volk auf dem mühsamen Weg zur eigenverantwortlichen Verpflichtung einer wahren Demokratie entgegenzuführen und gleichzeitig scharfe Abrechnung zu halten mit jenen Persönlichkeiten und geistigen Kräften, die in einem Terror von zwölf Jah-

328 529

Ebd. Erscheinungstage: 8.9. (Nr. 1); 22.9. (Nr. 3); 26.9. (Nr. 4); 29.9. (Nr. 5); 3.10.(Nr. 6); 6.10. (Nr. 7); 20.10.1945 (Nr. 8), jeweils samstags oder mittwochs; Nr. 2 ist nicht erhalten.

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ren ein zertrümmertes und elend verarmtes Deutschland verschuldeten.« 530 Zum Zwecke der Aufklärung und Erziehung der Bevölkerung wollte man sich vor allem auf die Geschichte der schwäbischen Heimat besinnen, weil das »Schwabentum« in seiner blühendsten Zeit »immer demokratisch« gewesen sei: »Ihm galten stets die überzeitlichen Ideale der Menschenrechte und Menschenwürde, arbeitsam abwägend und ausgleichend jagte es nie in blindem Wahn nationalistischen und militaristischen Phantomen nach, die das friedliche Zusammenleben bedrohten und zerstörten. So gilt es, das vergangene System in allen seinen Äußerungen bis in die letzten Winkel der Volksseele hinein endgültig zu liquidieren.« Christliche Lebenshaltung, guter Wille und schwäbischer Fleiß sollten die Wegbegleiter zu einer neuen Gesellschaft sein. In den folgenden Artikeln meldeten sich einige der wichtigen Funktionsträger der Kreisgemeinde - Landrat, Bürgermeister und Pfarrer - zu Wort. Der kommissarische Landrat Dr. Konrad Stöhr verurteilte »Hitler und seine Parteigeneräle« als Kriegstreiber seit 1933, aber auch »den Teil des deutschen Volkes, der 1933 ihm die Macht in die Hand spielte«. Angesichts der vollständigen Niederlage sei der »Vorgang von 1918«, als die Vertreter der Weimarer Republik den Friedensvertrag unterschreiben mußten und dieser Umstand von deren Feinden zum »psychologischen Nährboden für Hitler« benutzt wurde, nicht mehr wiederholbar. Nun sei das Volk eine »Schicksalsgemeinschaft«, zur der auch die Gegner des Nationalsozialismus gehörten, und mit einem Seitenhieb auf diese ermahnte Stöhr: »Es hat keinen Sinn und dient nicht dem Wiederaufbau, wenn Deutsche sich gegenseitig denunzieren und das Leben und die Arbeit erschweren. Für die Bestrafung der Schuldigen und Kriegsverbrecher sorgt allein die alliierte Militärregierung.« Diese Anmerkung ist nicht der Zensur zum Opfer gefallen und scheint demnach für die französische Militärregierung wenig anstößig gewesen zu sein. Auch der Tettnanger Bürgermeister Julius Bertsche (Amtsinhaber bis 1939 und von 1945 bis 1954)531 äußerte sich in diesem Sinne: »Bei dem Neuerscheinen unserer Zeitung richte ich an die ganze Einwohnerschaft der Stadt Tettnang die Bitte, unter Verzicht auf Verleumdung, Hader und Streit in ehrlicher und aufrichtiger Weise an dem Wiederaufbau mitzuhelfen.« Vier Monate nach Kriegsende wird hier eine Intention städtischer Repräsentanten deutlich, die sich gegen eine aktive Teilnahme der Deutschen an der Entnazifizierung richtete. Man wollte dies den Besatzungsbehörden überlassen und selbst den Blick in die Zukunft richten. Eine gewisse »Schlußstrich«-Mentalität ist auch einem weiteren Autor nicht abzusprechen. Der Friedrichshafener kommissarische Bürgermeister August Bertsch wandte sich nach allgemeinen Betrachtungen zum »Hitlerismus«, der nun »wie ein Gespenst« verschwunden sei, den praktischen Dingen des Lebens zu: der Ernährungslage und Beschaffung von Heizmaterial sowie dem Mangel an industriellen Arbeitskräften. In einem abschließenden historischen Rekurs beschwor er die historischen Bande zwischen Deutschland und Frankreich: »Die französische Militärregierung weiß, daß das Volk im Schwabenlande sich von jeher von der norddeutsch-preußischen Mentalität distanziert hat. Die Sympathien Württembergs, insbesonderheit des württembergischen Oberschwaben, für Frankreich sind traditionell.« Detailliert beschrieb er die Entwicklung von den napoleonischen Kriegen bis zur Völkerschlacht von Leipzig, in welcher der württembergische König Friedrich I. stets - soweit es die internationalen Verflechtungen zuließen - die Treue zu Frankreich gehalten hätte. Und 330 53

»SeebIatt« vom 8.9.1945, ebd. die weiteren Ausführungen. 'StadtA Tettnang, AA 2060.

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schließlich trage des Bürgermeisters Stadt den Namen dieses Königs: »Diese Sympathien für Frankreich sind in Oberschwaben stets lebendig geblieben, weshalb sich auch am 29. April 1945 der Einmarsch der französischen Truppen in Friedrichshafen reibungslos vollzog.« Mit dieser etwas weit hergeholten Schlußfolgerung wollte Bertsch »Milde und Schonung« für die Stadt erwirken. Ein weiterer Autor in der ersten Ausgabe der Lokalzeitung, der katholische Stadtpfarrer Mohr, ließ seine Ausführungen bereits im Jahre 496 mit der Gestalt des heiligen Remigius, Bischof von Reims, und König Chlodwig beginnen: »Zwei Weltanschauungen, die christliche und die heidnische, rangen miteinander um den Menschen. [...] Die Entwicklung des christlichen Mittelalters bahnte sich an und ward auf den Schultern zweier Völker, des deutschen und französischen, getragen.« Und auch 1945 erlebten die Menschen wieder eine »gewaltige Zeitenwende«. Die »neue« Presse sah der Stadtpfarrer »im Dienste der Wahrheit, der Wirtschaft, der Ordnung, der Freiheit [...]. Sie ist und bleibt eine Großmacht!«, eben im Gegensatz zum untergegangenen NS-Regime. Die evangelischen Stadtpfarrer von Friedrichshafen und Tettnang, Schmid und Kinzler, widerstanden solchen fast verzweifelten Versuchen, der europäischen Geschichte Gemeinsamkeiten beider Völker zu entlocken, und begrüßten ihre Gemeinde eher prosaisch. Sie freuten sich, daß nun, nach fast eineinhalb Jahren Pause, wieder die Gottesdienstordnung publiziert und neueste Nachrichten auch die entlegenen Gehöfte erreichen würden. Bis zur Zeitungsausgabe Nr. 5 war jeweils die erste Seite allgemeinen Fragen gewidmet, in denen es hauptsächlich um Hintergrundberichte aus der NS-Zeit ging. 532 Eine solche Berichterstattung war im Sinne der französischen Zensurbehörden. Ab dem 3. Oktober endete diese Aufklärungskampagne, das »Seeblatt« widmete sich nun auf der ersten Seite ausschließlich der Versorgungslage und dem Wiederaufbau. Ab 20. Oktober 1945 beschränkte sich die Berichterstattung auf Belange des Kreisgebietes und der Stadt. Die letzte der vier Zeitungsseiten war der leichten Unterhaltung, Bekanntmachungen des Landrats und einem kleinen Anzeigenteil gewidmet. Am 4. Dezember 1945 konnte dann die erste Ausgabe der »Schwäbischen Zeitung« - eine Titulierung ohne historische Vorläufer - mit einer Auflagenzahl von knapp 100.000 erscheinen. Tags zuvor hatte die französische Militärregierung die Lizenz zur Herausgabe einer Tageszeitung in Oberschwaben erteilt. Im November war die »Schwäbischer Verlag KG, Drexler, Gessler« gegründet worden. Lizenzträger wurde neben den zwei Genannten noch Dr. Wendelin Hecht aus Altheim, der letzte Verlagsleiter der 1943 aufgelösten »Frankfurter Rundschau«. In einem Grußwort im überregionalen Teil an die Leserschaft wurde das Blatt als eine Zeitung vorgestellt, die »von Deutschen für Deutsche« geschrieben werde im Gegensatz zum bisherigen, von den Franzosen kontrollierten Mitteilungsblatt. Ziel sei es, im Dienste von Wahrheit und Menschlichkeit zur Vergangenheitsbewältigung des deutschen Volkes beizutragen. In diesem Sinne rückte die Berichterstattung Uber die Nürnberger Prozesse in den Vordergrund. Auch die Friedrichshafener Redaktion mußte sich mit der Vergangenheit, und zwar mit der eigenen, auseinandersetzen. Über den seit 1925 für die Zeitung tätigen Schriftleiter verhängte die Spruchkammer im Sommer 1947 aufgrund seiner NS-Parteimit532

Die Titel der Aufmacher in den Nummern 3-5 lauteten: »Es wird diesmal keine neue Dolchstoßlegende geben«; »Enthüllungen Uber den Tod und das Testament Hindenburgs«; »Die MUnchener Studentenrevolte im Februar 1943«; »Das Ziel: Ein freies und demokratisches Oesterreich«.

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gliedschaft ein fünfjähriges Berufsverbot, gegen das der Betroffene ein Einspruchsverfahren einleitete. Dabei konnte er auf die Unterstützung des Friedrichshafener KRUA für die freie Wirtschaft rechnen, welcher sich von Anfang an gegen Sanktionen ausgesprochen hatte und wenig Verständnis für das Urteil der Spruchkammer aufbrachte. Auf zusätzliche Fürsprache eines Friedrichshafener Arztes hin erlaubte Kreisgouvemeur Merglen schließlich die Weiterbeschäftigung des Schriftleiters bis zum Abschluß des Entnazifizierungsverfahrens, obwohl, wie Merglen betonte, eigentlich die deutschen Gremien für solche Entscheidungen zuständig seien. 533 Dies entsprach wiederum nicht der Realität, weil sich letztinstanzlich immer französische Verwaltungsstellen eine Entscheidung in Entnazifizierungsverfahren vorbehielten. Aus dem Revisionsverfahren ging der Betroffene als nominelles Parteimitglied ohne Sanktionen hervor. In den Redaktionsstuben gab es weitere Anlässe, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Zwischen dem Friedrichshafener SZ-Geschäftsführer Othmar Gessler und der Geschäftsführung der Leutkircher Zeitungsdruckerei entflammte ein heftiger Streit. Gessler auf der einen und Franz Walchner mit Sohn Siegfried auf der anderen Seite beschuldigten sich gegenseitig einer politischen Belastung in der NS-Zeit. Der ehemalige NS-Parteigenosse Siegfried Walchner hatte im Februar 1946 gegen den Willen von Gessler die Nachfolge seines Vaters als Geschäftsführer angetreten. 534 Mit dem Leutkircher Verlag, seiner Personalstruktur und Berichterstattung scheinen auch die französischen Kontrollorgane Probleme gehabt zu haben. Im Herbst 1947 verhafteten sie Emst Trip, ehemaliger Redakteur der »Frankfurter Zeitung« und »intellektueller Kopf der Redaktion«, und verbrachten ihn ins Internierungslager Balingen. Drei weitere Redakteure wurden suspendiert, so daß die Franzosen gezwungen waren, einen Volontär als Chefredakteur einzusetzen. 535 Vergleichbare französische Eingriffe blieben der Friedrichshafener Redaktion erspart. Nach diesen personellen Eingriffen in die Leutkircher Redaktion im Herbst 1947 »verpaßten« die französischen Besatzungsbehörden der »Schwäbischen Zeitung« den Untertitel »Organ der CDU«. Neben der SZ gab es noch die »Bodenseenachrichten« (Lindauer Verlag), die laut Friedrichshafener Gemeinderatsprotokoll ein »Organ der SPD« waren und mit einer Auflage von etwa 2.000 in Friedrichshafen verbreitet wurden. Sie erhielten Ende 1947 das Recht, zusammen mit SZ und »Südkurier« amtliche Bekanntmachungen der Stadt zu publizieren. 536 Nun erhielten also erstmals gleich drei Zeitungen den Status eines Amtsblattes. Im Juli 1948 wollte der Gemeinderat »aus finanziellen Gründen« nur noch eine Zeitung damit beauftragen. Mehrere Gemeinderäte richteten sich daraufhin vehement gegen den Vorschlag, nur die »Schwäbische Zeitung« damit zu betrauen, »weil dadurch die Leser gezwungen seien, diese Parteizeitung zu halten«. Zwei Zeitungen zu beziehen, sei jedoch den meisten Lesern »heute« nicht mehr möglich.« 537 Die SZ-Redaktionsleitung konnte sich jedenfalls 533

AdO, c. 3568, Schreiben vom 2.7.1947. Sechs Jahre später war die Position dieses SZ-Mitarbeiters wieder soweit gestärkt, daß er die Berichterstattung über ein von den Franzosen ausgerichtetes Weihnachtsfest 1953 verweigern konnte. Zu diesem Fest wurden 500 bedürftige Kinder eingeladen und beschenkt, nach ebd. " " S t A Sig, WÜ 15, Bd. 1, Bü. 617. 333 SZ-Sonderbeilage, 50 Jahre Zeitungsgeschichte, mit einem Erinnerungsbericht dieses Volontärs. î36 Rathaus, GRP vom 17.12.1947. 537 Ebd. vom 28.7.1948. Einige Gemeinderäte regten deshalb als Lösung die Herausgabe eines Kreisamtsblattes an, wie es ein solches schon in den Kreisen Ravensburg und Konstanz gab.

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nicht mit dem neuen Untertitel abfinden und pochte auf ihre Unabhängigkeit: »Verlag und Redaktion hatten mit dieser Etikettierung so ihre Probleme. Aber sie mußten damit leben, bis zum Frühjahr 1949, als derlei Vorschriften endlich aufgehoben wurden«, wie einem Rückblick der Zeitung aus dem Jahre 1995 zu entnehmen ist. 538 Danach entschied sich die Redaktion für einen neuen Untertitel, der bis heute gewissermaßen einen Spagat zwischen Unabhängigkeit und CDU-Nähe ausdrückt: er lautet »Unabhängige Zeitung für christliche Kultur und Politik«. Für die katholische Kirche blieb die »Schwäbische Zeitung« das wichtigste Printmedium vor Ort, weshalb man sich an einer Zusammenarbeit interessiert zeigte. Um eine solche seien auch die SZMitarbeiter immer bemüht gewesen, wie in einem Visitationsbericht aus dem Jahre 1961 notiert wurde, allerdings seien Herausgeber und Redakteure zwar katholisch, »aber sehr liberal« 539 . In welchen Themenbereichen sich diese vermutete Liberalität niedergeschlagen haben soll, geht aus der hier zitierten Quelle nicht hervor. Nach der Einführung der SZ im Dezember 1945 erschienen zunächst zwei, ab 1949 anfangs drei, dann vier Ausgaben pro Woche, und erst ab Dezember 1952 war wieder eine sechstägige Berichterstattung möglich. Bis 1966 entwickelte sich die »Schwäbische Zeitung« zur auflagenstärksten Abonnementzeitung Baden-Württembergs. 1971 übertrug Othmar Gessler seinem Sohn Heinz als geschäftsführenden Gesellschafter das Friedrichshafener Familienunternehmen und die Verpflichtungen im »Schwäbischen Verlag«. 4.2. »Pflege unvergänglicher Werte«: Kulturelle Aktivitäten in Friedrichshafen Im folgenden soll es um die Wiederbelebung kultureller Aktivitäten auf lokaler Ebene gehen und dabei nach den Initiatoren sowie den Intentionen gefragt werden, welche ihnen zugrunde lagen. Die Entwicklung der kulturellen Vereinslandschaft soll und kann nicht an dieser Stelle im einzelnen nachgezeichnet werden. Sie bedürfte einer eigenen Untersuchung. Deshalb sei in aller Kürze vermerkt: Das in den zwanziger Jahren äußerst aktive Arbeiter-, Sport- und Kulturkartell war nach 1945 nicht wiedergegründet worden, allerdings entstanden Mitte 1946 wieder einzelne Vereine wie der »Sängerbund« 540 und die sich nun parteineutral präsentierenden »Naturfreunde«. Auch die »Harmonía« und das neugegründete Stadtorchester kamen dazu. Ende 1945 wurde der Sportbetrieb wieder aufgenommen, der Mitte 1946 in die Neugründung der »Sportgemeinde Friedrichshafen« mündete. Die Stadtverwaltung machte sich mit aller Kraft an die Ausarbeitung eines Kulturangebots und zeigte damit ein Engagement, wie es in der Vergangenheit nicht vorhanden gewesen war. 1946 wählten die Gemeinderäte einen »Kulturbeirat«, aus dem 1950 ein Kulturausschuß hervorgehen sollte: »Einer Anregung des Staatssekretariats für Kultur und Erziehung in Tübin538

SZ-Sonderbeilage, 50 Jahre Zeitungsgeschichte, S. 8. DAR, G 1.3, F. 30, Pfarrbeschreibung der StadtpfarTei St. Petrus Canisius Friedrichshafen anläßlich einer Gebietsmission 1963, o.D. Zum Pressewesen ist weiter zu lesen: »Der Südkurier aus Konstanz ist hier auch vertreten, seine Haltung ist etwas besser als die der Schwäbischen Zeitung. An katholischen Zeitungen ist das Volksblatt vertreten, das leider nur sehr selten in wenigen Exemplaren abonniert wird. Von den katholischen Zeitschriften sind am meisten verbreitet: „Katholisches Sonntagsblatt", „Mann in der Zeit", „Die katholische Frau", „Der christliche Sonntag", „Monika" und Missionszeitschriften verschiedener Art.« 540 Anfang 1949 veranstaltete der »Sängerbund« nach zehnjähriger Pause erstmals wieder seinen »von allen ersehnten Elite- und Traditionsball«; vgl. Gerhard Raichle, Trümmerzeit. Neubeginn in Friedrichshafen 1945-1949, in: Leben am See 7 (1989/90), S. 158-165, hier S. 164. 539

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gen entsprechend, soll zur Gestaltung des Kulturlebens im Sinne der Gesamtheit der Bevölkerung der Stadt Friedrichshafen aus Vertretern der entsprechenden Berufsgruppen ein Kulturbeirat gebildet werden, der dem Gemeinderat als beratender Ausschuß in allen kulturellen Fragen zur Seite steht« - so in einem Gemeinderatsprotokoll Ende 1946 niedergeschrieben. Der Gemeinderat bildete ein Gremium von zwölf Mitgliedern, in dem Werkmeister Anton Sommer als einziger Repräsentant der Arbeiterschaft vertreten war. 541 Tabelle 20: Mitglieder des Friedrichshafener Kulturbeirats 1946 1.

Schmäh, Konstantin*

2.

Handel, Theo*

3.

Sommer, Anton

4.

Elflein, Anton*

5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12.

Geßler, Franz Hilsenbeck, Max* Kettnacker, Fritz* März, Franz Rittmann, Fritz* Schmidt, Paul* Schwab, Otto Wetzel, Hermann

Betriebsleiter und Stadtrat Leiter des Emährungsund Wirtschaftsamtes; Stadtrat Werkmeister und Stadtrat Musikdirektor und Städt. Kulturreferent Buchhändler Schriftleiter Studienrat Architekt Chordirektor Chormeister Ingenieur Studienrat

Das erste Projekt bestand in einer Kunstausstellung vom 17. bis 24. April 1948, in der sich oberschwäbische Künstler präsentierten. Oratorien, Lesungen, eine Briefmarkenausstellung und eine Industrieschau ergänzten das breit gefächerte Programm. 542 Trägerin dieser Kulturwoche war die Stadt Friedrichshafen, »die damit beweisen will, daß sie auch in der vielfachen Not, die auf ihr am schwersten im weiten Umkreis lastet, gewillt ist, die unvergänglichen Güter und Werte zu pflegen und zu fördern«. 543 Die Veranstaltung war ein voller Erfolg und bewies einen großes Defizit im Kulturbereich: 90.000 Besucher, darunter fast 22.000 Schweizer Gäste, strömten in die Stadt. Knapp 37.000 Interessierte besuchten die Ausstellungen, weshalb die Kulturwoche bis zum 2. Mai verlängert werden mußte. 544 Die ein Jahr später organisierten »Bodensee-Festwochen«, um die es weiter unten noch gehen wird, waren keine Fortführung der »Kulturwoche«, sondern setzten einen 541

Rathaus, GRP vom 11.12.1946. Die mit einem Stern gekennzeichneten Beiräte wurden in den sich 1950 konstituierenden Kulturausschuß (wieder)gewählt. Zum Programm vgl. SZ vom 16.1., 10.4. und 20.4.1948. ^ R a t h a u s , GRP vom 14.1.1948. 544 SZ vom 4.5.1948. Die SZ vom 20.4.1948 vermerkte wohlwollend, daß die Schweizer Gäste »durch Bettel kaum belästigt« worden seien, wie bei einem anderen Fest am See geschehen. Bei der Zollabfertigung waren die Anordnungen der Besatzungsbehörden zu beachten, die die Einfuhr von 3 kg Lebensmittel, geringen Mengen von Tabakwaren und getragener Kleidung in unbeschränkter Menge zuließen. 542

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neuen Akzent in der lokalen Kulturlandschaft. Aber auch hier trat die städtische Verwaltung als Kulturmanager auf. Sie nahm die größten und bedeutendsten Ereignisse des Jahres nicht nur unter ihre Regie, neu war ebenso ihr Versuch, nahezu alle Bevölkerungsgruppen dabei zusammenzuführen. Ein Einfluß der französischen Behörden auf das Kulturleben der Stadt ist dagegen nur sehr begrenzt feststellbar. Im Juni 1946 entschloß sich der Gemeinderat, einem neugegründeten Städtebund-Theater nicht beizutreten: »Auf Initiative des Obersten Kulturoffiziers der französischen Besatzungsbehörde in Baden-Baden, Leutnant Colonel Pfrimme, soll ein größeres Theaterunternehmen gegründet werden, das die größeren Städte im Bodensee- und Schwarzwaldgebiet mit Oper, Operette und Schauspiel bespielen soll.« 545 Monatlich waren in jeder Stadt drei bis vier Aufführungen geplant. Als Grund für die Ablehnung gab der Gemeinderat Raummangel an, da es nur einen einzigen, anderweitig genutzten Saal gab. 546 In einer Gemeinderatssitzung vom 2. Dezember 1947 wurde weiter beschlossen, »nach den vielen und langwierigen vorausgegangenen Verhandlungen mit den französischen Militärbehörden« das bislang zur Stiftung gehörende Zeppelin-Museum, welches allerdings in Trümmern lag, zu erwerben. 547 Im November 1949 beklagte Kreisgouverneur Merglen dann auch die mangelnden kulturellen Aktivitäten seitens der Franzosen; von der Notwendigkeit eines Kulturengagements war er überzeugt. 348 Den Grund sah er in der nach wie vor zerstörten Stadt, in der nur ein einziger Raum, in dem früher die Druckerei der »Schwäbischen Zeitung« untergebracht war, zur Verfügung stand. Darin befand sich nun ein provisorisches Kino, das abwechselnd für deutsches und französisches Publikum Filme anbot. 549 Merglens Vorstellungen von einer künftigen Präsentation französischer Kultur schlossen Theaterstücke aus, da nach seiner Einschätzung höchstens mit dreißig Personen gerechnet werden könnte, die die französische Sprache beherrschen und gleichzeitig das nötige Interesse aufbringen würden. Dieser Kreis war bereits in einem deutsch-französischen Klub organisiert. 550 Deshalb favorisierte Merglen für ein zukünftiges Kulturprogramm Ausstellungen und Konzerte. Im Januar und Februar 1950 fand eine deutsch-französische Architekturausstellung statt, in der ein der Nachkriegszeit angemessenes Thema M5

Zur Rolle von Erziehung und Bildung in der französischen Besatzungspolitik siehe die Untersuchung von Stefan Zauner, Erziehung und Kulturmission. Frankreichs Bildungspolitik in Deutschland 1945-1949, München 1994; vgl. besonders das Kapitel zu »Theater und Musik in Südwestdeutschland«, S. 270ff. 546 Rathaus, GRP vom 21.6.1946. In der gleichen Sitzung wurde beschlossen, wieder in das Tübinger Studentenwerk einzutreten. Ein KPD-Stadtrat war dagegen, weil »unter den Studenten noch nicht gesäubert sei«. M7 Ebd. vom 2.12.1947 und SZ vom 25.11.1947. Dem Wunsch der Stadt, als Erweiterungsmöglichkeit noch zusätzlich die frühere Villa Colsman mit Geländeflächen zu erwerben, entsprach die Militärregierung nicht. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Korrespondenz zwischen deutschen und französischen Dienststellen (Kreisgouverneur Ulmer, der Hohe Kommissar François-Poncet, der franz. Landesdelegierte P. Bouteille u. Ph. Whitechurch) aus den Jahren 1953 und 1954 verwiesen, in der es um die Rückgabe von Museumsgegenständen ging, die nach Kriegsende von den Franzosen in Saulgau eingelagert worden waren; vgl. AdO, c. 3568. 548 AdO, c. 1181, p. 16, Schreiben vom 14.11.1949 an den Chef du Service des Affaires Culturelles du Commissariat pour le Land Wurtemberg. 349 Wegen der starken Nachfrage des deutschen Publikums versuchte der Kinobesitzer, mehr Termine für deutsche Filme zu erwirken und vor allem den Sonntagstermin, der für französische Filme reserviert war, für Deutsche zu reklamieren. Der Veranstalter verwies dabei auf die Städte Ravensburg und Lindau, in denen sonntags deutsches Kino gezeigt wurde. Merglen lehnte diese Begehrlichkeiten kategorisch ab; vgl. ebd., Schreiben vom 14.11. und 25.11.1949. 330 Zu dieser Einrichtung und deren Aktivitäten konnten keine Quellen ermittelt werden.

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repräsentiert wurde: es ging um deutschen und französischen Städte-, Brücken- und Straßenbau. 551 Diese kulturelle Kooperation muß für die Franzosen sehr erfreulich gewesen sein, da der Kreisdelegierte mehrmals begeistert an verschiedene Dienststellen Bericht erstattete. 552 Für die Folgezeit lassen sich allerdings keine weiteren Quellen über Aktivitäten finden, die direkt von der französischen Militärregierung ausgegangen wären. In der Regel organisierte die deutsche Stadtbevölkerung Feste und Veranstaltungen, wozu dann die französischen Vertreter höflich eingeladen wurden. Eines dieser Feste, die »Bodensee-Festwochen«, veranstaltete die Stadt Friedrichshafen vom 23. Juli bis 4. September 1949 unter dem Protektorat von Kreisgouverneur Merglen. 553 Es sollte nach dem Willen des Kulturbeirats als ein neues Heimatfest konzipiert werden, wobei die Organisatoren von drei Leitgedanken ausgingen: Das Fest sollte zum einen der Beginn einer »Traditionsgebundenheit« sein, »wie sie württembergische Städte schon jahrhundertelang besitzen«, sowie die »Bereitschaft zur Wiederaufnahme alter kultureller Traditionen« demonstrieren; des weiteren war eine eigene Veranstaltung für Kinder geplant, um deren Leid in der zerstörten Stadt und die damit verbundenen seelischen Verstörungen zu mildern. Aus einer Haltung des »unerschütterlichen Lebenswillens« der Bevölkerung heraus wollte das Heimatfest ferner den Willen zum Aufbau symbolisieren und stärken. Hierbei waren auch die Evakuierten der Umgebung angesprochen. Auf dieser Basis entstand ein Kulturprogramm, das sich aus Theaterstücken, Sportveranstaltungen, Gebäudeeinweihungen 554 , Gottesdiensten, internationalen Treffen, einem Kinderfestumzug und einem Treffen des »Vereins Deutscher Ingenieure« (VDI) 555 zusammensetzte. Im Bereich Theater und Musik wurde auf »altbewährte« deutsche Klassiker und Heimatstücke zurückgegriffen, wogegen französische Kultur keinen Eingang in das Festprogramm fand. Neben Sonderveranstaltungen zu Goethes 200jährigem Geburtstag 556 , mehreren Promenadenkonzerten und einem Treffen katholischer Kirchenchöre bestand der kulturelle Höhepunkt in der sechsmaligen Aufführung des Freilichtspiels »Frau Wendeigard« von Justizrat Eduard Eggert 557 . Mit dieser einzigen überlieferten Sage aus derZeit der Reichsstadt Buchhorn (ab 1811 Friedrichshafen) griffen die Organisatoren auf das Jahr 913 zurück, die Thematik besaß allerdings in der unmittelba351

Die Veranstaltung ging vom 28.1.-12.2.1950, Ankündigung im Amtsblatt für den Kreis Tettnang, 2. Jg., Nr. 8 vom 31.1.1950. Nach AdO, c. 3568. Mit Stolz legte er seinen vorgesetzten Dienststellen einen Pressespiegel Uber die deutsche Berichterstattung vor. 553 Nach einer Einladung an Gouverneur Merglen zu den »Bodensee-Festwochen«, AdO, c. 1181, p.8. 554 Die folgenden Ausführungen basieren auf dem Programm der Bodensee-Festwochen in der SZ vom 23.7.1949. Eingeweiht wurde am 23.7.1949 eine neugebaute Turn- und Festhalle durch den württembergischen Staatspräsidenten Gebhard Müller. Deren Eröffnung konnte dann im Februar 1952 festlich mit einem Oratorium von Josef Haydn begangen werden; nach dem Festprogramm in StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1447. Die Festhalle blieb bis Mitte der achtziger Jahre die einzige kulturelle Begegnungsstätte in der Stadt. 555 Der VDI veranstaltete am 21.8.1949 eine Tagung mit anschließender Führung durch die »Wiederaufbauarbeiten der Stadt«. 556 Aufführung des Schauspiels »Iphigenie auf Tauris« und des Oratoriums »Der Messias« von Georg Friedrich Händel durch die Chorgemeinschaft Friedrichshafen. "'Niedergeschrieben wurde die Sage erstmals 1579 von Nikodemus Frischlin, nach StadtA FN, Programm und Inszenierungstext zur Aufführung von 1984. Das Städtische Verkehrsamt Friedrichshafen gab zum Anlaß der Bodensee-Festwochen eine Ausgabe der Sage heraus. Die SZ begleitete die Aufführungen mit mehreren Artikeln. Erinnerungen einer Zeitzeugin, die im Chor mitgewirkt hat, sind nachzulesen in der Broschüre »Erlebte Nachkriegszeit in Friedrichshafen«, VHS Friedrichshafen, S. 6f. 552

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ren Nachkriegszeit durchaus Aktualität. Sie handelt von Wendeigard, Enkeltochter des Kaisers Heinrich I., deren Mann Udalrich V., erster Graf von Buchhorn, aus dem Krieg gegen die in Schwaben eingefallenen Ungarn nicht mehr zurückkehrte. Trotz Todesnachricht und Freiern entschloß sie sich, Klausnerin in St. Gallen zu werden und so ihrem Mann die Treue zu halten. Sechs Jahre später kehrte Udalrich zurück, und auf der Konstanzer Bischofssynode beschloß die Versammlung, Wendeigard von ihrem Klosterschwur zu entbinden, allerdings mit der Einschränkung, daß sie nach dem Tode ihres Mannes wieder dorthin zurückkehre. Der Sage mit ihrer moralischen Intention konnte somit im Jahr 1949 angesichts der Kriegswitwen und noch erwarteten Kriegsheimkehrern ein gewisser Grad an Aktualität zugesprochen werden. Erstmals wurde das Stück 1924 in Friedrichshafen aufgeführt, auch zu diesem Zeitpunkt lag der Krieg erst wenige Jahre zurück. Ein drittes und letztes Mal, nun ohne einen ähnlichen zeitgeschichtlichen Bezug, kam das Spiel 1984 zur Aufführung. 558 Eine neue lokalgeschichtliche Tradition ohne jegliche Anknüpfung an historische Vorgänger559 setzte mit dem »Seehasenfest« für Kinder als Teil des Festprogramms ein. Das bis heute in jährlichem Turnus gefeierte Fest mit einem Umzug aller Schulkinder als zentrale Veranstaltung schien der neu anbrechenden Zeit angemessener zu sein als das Wendelgard-Spiel. Der Begründer und Initiator des Kinderfestes, FWV-Stadtrat Konstantin Schmäh, hatte eine Fortführung des neuen Festes von Anfang an eingeplant, auch wenn der Ursprung dieser Veranstaltung darin lag, den Kindern nach Jahren der Entbehrung und des Lebens in einer zerstörten Stadt eine Freude zu bereiten. 560 Die »Bodensee-Festwochen« des Jahres 1949 waren zwar überaus erfolgreich, aber den rauhen Alltag konnten sie nicht verdrängen: Sieben Tage später organisierte das gewerkschaftliche Kreiskartell eine Protestveranstaltung, bei der sich mit 3.000 Besuchern die »große Erregung in der Bevölkerung« über hohe Lebenshaltungskosten und sinkende Reallöhne manifestierte. 561 4.3. Simultan- oder Bekenntnisschulen? Reformen im Bildungswesen Im dritten Unterkapitel geht es um das deutsche Schulwesen - ein Bereich, der im gesamten 20. Jahrhundert eng mit politischen Entwicklungen und Umbrüchen verknüpft war. Keine andere westliche Besatzungsmacht konzentrierte sich so stark auf die deutsche Bildungspolitik und deren Reformierung, wie die Franzosen. Die Proklamation

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Geschichten aus Buchhorn und Friedrichshafen. Erzählte Geschichte (Schriftenreihe des Stadtarchivs 2), Friedrichshafen 1986, S. 240; StadtA FN, Programm und Inszenierungstext zur Aufführung von 1984. 539 Zwar veranstaltete seit 1868 die Turnerschaft Friedrichshafen ein Waldfest, das seit 1925 Kinder stärker mit einbezog, aber die Veranstaltung blieb weiterhin dem Turnverein vorbehalten; vgl. Karin Gellwitzki, Das Seehasenfest in Friedrichshafen und seine Bedeutung für das Sozialgefüge der Stadt, Wiss. Arbeit an der Päd. Hochschule, Weingarten 1963, S. 9; Ausführungen zur Namengebung des Festes, S. 10. Der Titel der Untersuchung verspricht allerdings mehr, als die Arbeit dann halten kann. 560 Vgl. die Festschrift »25 Jahre Seehasenfest«, hrsg. vom Seehasenfestausschuß Friedrichshafen, Friedrichshafen 1974, StadtA FN. 561 StA Sig, WÜ 140, Bd. 1, BU. 78. Die hier angeführte Quelle ist auf 11. Oktober datiert, wobei es sich aber mit Rücksicht auf den Kontext um September handeln muß.

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Nr. 1 vom 28. Mai 1945 verfügte die Schließung aller Schulen in der FBZ 562 , welche bis 17. September 1945 in Kraft blieb. Innerhalb des französischen Demokratisierungskonzeptes sollten in der Folgezeit vor allem das Lehrpersonal, die Schulbücher sowie Struktur und Inhalt des Unterrichtsprogramms reformiert werden. 563 Zum zentralen Konfliktpunkt innerhalb der Diskussion um eine Reformierung des württembergischen Schulwesens war schon im Sommer 1945 der alte Streit um die Form der Volksschulen geworden: Sollten sie künftig als Simultan- oder Bekenntnisschulen eingerichtet werden? Die französischen Kulturpolitiker hatten jedenfalls ein klares Ziel vor Augen, nämlich die dauerhafte Einrichtung überkonfessioneller Schulen. Der Streit um die »richtige« Schulform, dessen Wurzeln bis ins 19. Jahrhundert zurückreichen, 564 fand 1936 mit der Einführung der »Deutschen Schule« als Gemeinschaftsschule einen ersten Kulminationspunkt (zur Situation in Friedrichshafen siehe unten). Die Tübinger Landesdirektion für Kultus hätte nach Kriegsende die erst kurze Tradition der Simultanschulen, nun mit Religionsunterricht als ordentlichem Lehrfach, dennoch fortgeführt, wären dem nicht große Widerstände von Kirchen, Verbänden und Parteien entgegengesetzt worden. Einen ersten Verfassungsentwurf lehnten die Franzosen im März 1947 unter anderem wegen der darin vorgesehenen Konfessionsschulen rundweg ab. 565 Im April 1947 kam ein Kompromiß zwischen SPD und CDU zustande, dem sich letztlich die Franzosen, wenn auch widerstrebend, beugten: Artikel 114 der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern schrieb fest, daß der Wille der Erziehungsberechtigten nun maßgebend sei und diese in geheimer Wahl, »wenn die Zahl der Schüler es erlaubt«, die jeweilige Schulform bestimmten. Paragraph 1 betonte aber, daß die öffentlichen Volksschulen christliche Schulen seien, als welche nun sowohl die katholischen und evangelischen Bekenntnisschulen als auch die Gemeinschaftsschulen bezeichnet wurden. 566 Am 20. Oktober 1945 meldete das »Seeblatt« die ungeduldig erwartete Wiedereröffnung der Friedrichshafener Schulen. 567 Wegen Raumnot und Lehrermangel konnten vorerst nur die Klassen eins bis vier und acht an der Pestalozzi-Volksschule (vorher Horst-Wessel-Schule) mit 1.100 Schülerinnen und Schülern und 540 an der Graf-Zeppelin-Oberschule eingerichtet werden. Darunter waren etwa 190 »Schulneulinge«. An

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JO, Jg. 1, Nr. 2 vom 22.8.1945, Verfügung Nr. 1 des Administrateur Général. Informativ ist eine Untersuchung von Rolf Winkeler, Schulpolitik in Württemberg-Hohenzollern 1945-1952. Eine Analyse der Auseinandersetzungen um die Schule zwischen Parteien, Verbänden und französischer Besatzungsmacht, Stuttgart 1971. S63 Diese drei Komplexe untersucht Stefan Zauner, Erziehung und Kulturmission, in einem Kapitel zu »Besatzungspolitik, Umerziehung und Schulreform«, S. 78ff. 364 Durch die Erweiterung des evangelischen Altwürttembergs mit vorderösterreichischem und geistlichem Besitz mit katholischer Bevölkerung waren zwei unabhängige, konfessionell getrennte Schulsysteme entstanden. Auch die Lehrerausbildung erfolgte in konfessionell getrennten Seminaren, wogegen sich die Franzosen u.a. vehement auflehnten; vgl. Gerd Friedrich Nüske, Schulen und Schulfrage, in: Gögler u.a., Das Land Württemberg-Hohenzollern, S. 293-304, hier S. 296. 363 Der Verfassungsentwurf war ausschließlich von CDU-Mitgliedern beschlossen worden, nachdem SPD und DVP (letztere verschlossen sich einem Kompromiß in der Schulfrage) die Zustimmung verweigert hatten. ^Regierungsblatt für das Land Württemberg-Hohenzollern, Jg. 1947, Nr. 1 vom 31.5.1947. 367 Der Schulunterricht in der französischen Zone begann Mitte September 1945, in der ABZ am 1. Oktober, allerdings nur in Volksschulen, und in der SBZ ebenfalls am 1.10.1945. Zur Schulpolitik in der FBZ allgemein vgl. neben den bereits erwähnten Untersuchungen von Stefan Zauner und Rolf Winkeler auch Angelika Ruge-Schatz, Umerziehung und Schulpolitik in der französischen Besatzungszone 1945-1949, Frankfurt u.a. 1977.

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der schwierigen Situation hatte sich ein Jahr später noch nichts geändert, so daß in manchen Volksschulklassen mehr als hundert Kinder saßen.568 Hatte die Oberschule 1939 noch 42 Planstellen gehabt, so waren es selbst 1949 nur noch 27 für nahezu gleichviel Schüler.569 Ein »sich selbst konstituierter Ortsschulrat Fischbach« beantragte vergeblich drei neue Lehrerstellen an der katholischen und zwei an der evangelischen Volksschule, weil zur Zeit des Antrags, im Juli 1947, für 287 katholische Schülerinnen und Schüler nur drei Lehrkräfte zur Verfügung standen. Die evangelische Schule hatte 120 Kinder zu unterrichten.570 Dem Drang der Schulleiter nach Bildung von Ortsschulräten wirkte der Gemeinderat entgegen, weil er damit »bis zur Verabschiedung des nach der neuen Verfassung angekündigten Schulgesetzes« warten wollte. Deshalb wurde auch der Wunsch von Hauptlehrer Kramer aus der katholischen Volksschule Schnetzenhausen abgelehnt, der die Wahl zweier Elternvertreter beantragt hatte.571 Er mußte sich noch über zwei Jahre gedulden, bis auf Weisung des Kultusministeriums Ortsschulräte für Volksschulen vom Gemeinderat zu bilden waren. Dabei griff die Behörde auf Bestimmungen des Württembergischen Volksschulgesetzes von 1909, 1910 und 1920 zurück. Neu war allerdings, daß zwei Vertreter der Elternschaft als vollberechtigte Mitglieder zu wählen waren, darunter »mindestens eine Mutter«.572 Im Sommer 1948 lenkte dann die Frage, ob Konfessionsschulen durch Gemeinschaftsschulen abgelöst werden sollten, von dem Problem der allgemeinen Mangelwirtschaft ab. Damit hatten sich die Zeitgenossen und vor allem die Erziehungsberechtigten bereits 1936 beschäftigen müssen. Im Mai diesen Jahres war in Friedrichshafen eine Elternbefragung zur Aufhebung der konfessionellen Volksschulen durchgeführt worden. Nach offizieller Lesart hatten sich hundert Prozent der evangelischen und achtzig Prozent der katholischen Wählerinnen und Wähler für eine Gemeinschaftsschule ausgesprochen.573 Ein Jahr später hatten sich schließlich die klei-

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Rathaus, GRP vom 14.8.1946. Auch noch 1950 beklagten Lehrer- und Elternschaft diesbezügliche Mißstände. Zu den Schillerzahlen in der katholischen Volksschule, Stand 9.1.1950, vgl. ebd. vom 22.2.1950. Von je elf Knaben- und Mädchenklassen hatten vier Klassen mehr als hundert und keine Klasse weniger als 58 Schulerinnen und Schiller. Der Durchschnitt betrug 79 Kinder pro Klasse, bei Mädchen wie Jungen war der Schnitt gleich schlecht. An Hauptschulen, auf die der größte Teil der Schiller entfiel, waren die Mißstände gravierender als an den Oberschulen. Noch 1975 waren bundesweit 50% aller Schüler Hauptschulabgänger, 1990 waren es noch knapp 30%. 569 Ebd. vom 14.10.1949. Anfang 1953 wären noch 59 Klassenräume nötig gewesen, um eine Klassenstärke von 50 Schülerinnen und Schülern zu erreichen; nach StadtA FN, Notizen für den Besuch der Staatsregierung vom 12.3.1953. 570 Ebd. vom 2.7.1947. Noch im August 1949 hatte die katholische Volksschule z.T. 120 Schüler pro Klasse, und für 158 evangelische Schulkinder waren zwei Lehrer zuständig; ebd. vom 22.8.1949. 571 Ebd. vom 2.7.1947. Dafür bekam die Schnetzenhausener Schule eine zusätzliche Lehrkraft genehmigt. Bis dahin unterrichtete ein Lehrer 96 Schüler der Klassen eins bis acht; ebd. vom 23.7.1947. Im Stadtteil Jettenhausen konnten der ersten und zweiten Klasse wegen Lehrermangels überhaupt kein Unterricht erteilt werden; ebd. vom 29.10.1947. 572 Vgl. ebd. vom 16.11.1949 mit einer Namensliste der gewählten Ortsschulräte, die sich hauptsächlich aus Lehrenden, Geistlichen, dem Bürgermeister und Schulärzten zusammensetzten. Im November 1949 gab es in Friedrichshafen 9 ev. und 25 kath. Schulklassen, in Fischbach 3 ev. und 6 kath., in Schnetzenhausen 2 kath. Klassen. In der gleichen Gemeinderatssitzung wurden die Mitglieder des Gewerbeschulverbands gewählt, der am 22.6.1906 gegründet worden war. 573 In der Gemeinde Fischbach wurden die Konfessionsschulen aufgehoben und die »Deutsche Schule« mit drei Klassen in Unter-, Mittel- und Oberklasse eingeführt (mit je 65,70 und 49 Schülerinnen und Schüler); nach StadtA FN, Bestand Schnetzenhausen-Fischbach, Bü. 321, darin GRP vom 3.7.1936.

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nen, als Übergangslösung zugestandenen katholischen Zwergschulen in Tettnang und Friedrichshafen endgültig in die »Deutsche Schule« eingliedern müssen. 574 Die katholische Töchterschule St. Antonius, deren Leitung noch drei Jahre zuvor erklärt hatte, dem Willen des nationalsozialistischen Staates »in allem zu entsprechen«, mußte ihren Lehrbetrieb ganz einstellen. 573 Ab 1935 hatten die Nationalsozialisten den Religionsunterricht sukzessive eingeschränkt, bis er 1939 schließlich ganz verboten worden war. Nur einmal hatte es einen Kanzelaufruf aller katholischen Stadtpfarrämter gegeben, der sich gegen die Abmeldung der Kinder vom Religionsunterricht richtete. Die Debatte um eine neuerliche Einführung von Konfessionsschulen verlief kontrovers. So baten die evangelischen Gemeindemitglieder im Stadtteil Fischbach den Gemeinderat um einen weiteren Schulraum, der »für die durch die Einführung der Konfessionsschule notwendig gewordenen Errichtung einer einklassigen evangelischen Volksschule mit 124 Kindern und nur 1 Lehrkraft« notwendig geworden sei. 576 KPDStadtrat Beckert erhob den Einwand, ob sich die Einführung der Konfessionsschule, wenn man diese schon für notwendig erachte, nicht bis zum Beginn des neuen Schuljahres aufschieben lasse. In einer anschließenden Diskussion wandte sich der sozialdemokratische Stadtrat Anton Sommer gegen Konfessionsschulen, »die zur Entzweiung führe und einen Keil in die heute mehr denn je notwendige Volksgemeinschaft treibe«. Er bedauerte dies umso mehr, als man im Nachbarland Baden bisher ja auch mit der Simultanschule ausgekommen sei. CDU-Stadtrat Bernhard Lieb erklärte dagegen, an dem Grundsatz der Konfessionsschule festzuhalten, da dies allein eine einheitliche Weltanschauung und eine »klare Führung der Jugend« verbürge. Der Vorsitzende des Gemeinderates verwies jedoch darauf, »daß er bis heute noch keine offizielle Mitteilung über die Einführung der Konfessionsschule erhalten habe.« Alle weiteren Beschlüsse wurden deshalb zurückgestellt. Es sollten noch zwei Jahre verstreichen, ehe konkrete Entscheidungen zu diesem Thema fielen. Erst 1948, zwölf Jahre nach der ersten »Elternbefragung«, war es wieder soweit. Das Städtische Wahlamt unterrichtete darüber den Gemeinderat: »Nach dem Gesetz zur Ausführung von Art. 114 der Verfassung (Schulgesetz) vom 26. August 1948 haben die Erziehungsberechtigten aller am Abstimmungstag volksschulpflichtigen und noch schulpflichtig werdenden Kinder durch eine Wahl zu bekunden, welche der drei Schulformen: die katholische Bekenntnisschule oder die evangelische Bekenntnisschule oder die christliche Gemeinschaftsschule begehrt wird.« 577 Damit hatte sich der Kampf um die Schulreform von der parlamentarischen Ebene auf die einzelnen Gemeinden verlagert. 578 Per Erlaß des Kultusministeriums war die Wahl auf den 12. Dezember 1948 anberaumt. Die Aufgabe des Gemeinderates lag laut Schulordnung darin, hierfür einen »Abstimmungsvorsteher« und für jeden Schulbezirk einen Schulwahlausschuß, bestehend aus einem Vorsitzenden und mindestens vier Beisitzern, zu bestellen. In

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Ausführlicher dazu Maier, Heimatbuch II, S. 269. Nach Kuhn, Kreuz und Hakenkreuz, S. 197. Rathaus, GRP vom 16.10.1946, ebd. die weiteren Ausführungen und Zitate. 577 Ebd. vom 3.11.1948, ebd. die weiteren Ausführungen mit Tabelle. 578 Winkeler, Schulpolitik, S. 96ff., beschreibt die vielfältigen propagandistischen Aktivitäten, die nun vor allem von der katholischen Kirche ausgingen. 575 576

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Friedrichshafen mußten somit drei Ausschüsse 579 für die Schulbezirke »Stadt« 580 , »Fischbach« 581 und »Schnetzenhausen« 582 eingerichtet werden. Erwartungsgemäß entschieden sich die katholischen Landkreise Oberschwabens bei der Wahl im Dezember mit deutlichen Mehrheiten für die katholische Konfessionsschule. Am 1. Januar 1949 gab es in Württemberg-Hohenzollern 649 katholische und 319 evangelische Volksschulen und nur 86 christliche Gemeinschaftsschulen. 583 »Die Abstimmung über die Schulform ergab den erwarteten Erfolg für die Bekenntnisschule«, verkündete die »Schwäbische Zeitung« auf der ersten Seite ihrer Ausgabe vom 14. Dezember 1948. In Württemberg-Hohenzollern votierte nur der Kreis Reutlingen mehrheitlich für die Einführung der Gemeinschaftsschule, alle anderen Kreise sprachen sich für die Bekenntnisschule aus. Insgesamt stimmten 55 Prozent für die katholische Variante und 23 Prozent für die evangelische. 22 Prozent wollten eine Gemeinschaftsschule. Wegen des Wahlmodus läßt sich die Wahlbeteiligung nicht exakt errechnen, sie lag jedoch ungefähr zwischen 60 und 65 Prozent. Über die tatsächlich angebotene Schulform auf lokaler Ebene ließen die Wahlergebnisse aufgrund eines durchaus komplizierten Verfahrens noch keine Schlüsse zu. In Gemeinden, in denen die Zahl der schulpflichtigen Kinder weniger als hundert betrug, mußten laut Schulgesetz automatisch christliche Gemeinschaftsschulen eingerichtet werden. In allen anderen Orten, in denen die Zahl des Minderheitenbekenntnisses ein Drittel der Gesamtzahl nicht überstieg, wurde die Schulform eingeführt, für die die meisten Stimmen abgegeben worden waren. Wurden jedoch bei einer Wahl mindestens 150 Stimmen für eine Schulform abgegeben, und meldeten sich innerhalb von vier Wochen mindestens 50 Schülerinnen und Schüler dafür an, so wurde auch diesem Wunsch der Eltern entsprochen. 584 Diese letztere Möglichkeit kam in Friedrichshafen zur Anwendung.

" ' D i e personelle Besetzung der Wahlausschüsse ist überliefert in: Rathaus, GRP vom 3.11.1948. 380 Der Stadtbezirk umfaßte die Teilorte St. Georgen, Löwental, Allmannsweiler, Meistershofen, Jettenhausen, Waggershausen, Windhag, Seemoos. Weil ein Abstimmungsbezirk nicht mehr als ca. 600 Wahlberechtigte umfassen sollte, wurde der Stadtbezirk in sechs Einzelbezirke untergliedert, jeweils mit einem Vorsitzenden und einem Stellvertreter. Unter den sechs Stellvertretern waren zwei Frauen, womit insgesamt drei Frauen in den Gremien saßen. 381 Mit den Teilorten Manzell, Spaltenstein, Grenzhof, Hofen und Riedern. Zu den Mitgliedern des Ausschusses siehe StadtA FN, Bestand Schnetzenhausen-Fischbach, BU. 321. 582 Mit den Teilorten Ruperg, Heiseloch, Sparbruck, ebd. 583 In 944 Orten des Landes gab es nur eine Schulform, in 40 Orten zwei und in vier Orten drei Schulformen, nach NUske, Schulen und Schulfrage, S. 299. 584 SZ vom 14.12.1948.

226

II. Prüfstein Demokratie

Tabelle 21: Ergebnis der Schulwahlen am 12.12.1948, Stadt Friedrichshafen, Ortsteile Fischbach und Schnetzenhausen, Stadt Tettnang und Kreis Tettnang (Zahl der Stimmen) FN 585 Kath. Bekenntnisschule Ev. Bekenntnisschule Christi. Gemeinschaftsschule

2.621 608 667

Fisch- Schnetzenbach 588 hausen 589 632 207 205 8 442 89

-j*p586 Kreis 587 1.714 289 311

12.776 1.878 3.042

Aufgrund des Wahlergebnisses konnten die Eltern in Friedrichshafen-Stadt und Fischbach ihre Kinder für je eine der drei Schularten anmelden, ebenso bestand diese Möglichkeit in Tettnang. 590 Obwohl es in der Folgezeit mehrheitlich Konfessionsschulen gab, waren sie im Unterschied zur Zeit vor 1936 sogenannte »Eltemrechtsschulen«. Über den Eintritt in die jeweilige Bekenntnis- oder Gemeinschaftsschule entschied nicht mehr der Taufschein, sondern das Votum der Erziehungsberechtigten. In den folgenden Jahren blieb das Friedrichshafener Schulsystem mit seinen drei Wahlmöglichkeiten vermutlich relativ konstant. Das Einwohnerbuch von 1961 gibt für Friedrichshafen eine katholische Knabenschule, eine evangelische Mädchenschule und eine gemischte evangelische Volksschule an. In den Bezirken Fischbach, Waggershausen und Schreienösch gab es je eine katholische und evangelische Volksschule, in Schnetzenhausen nur eine katholische Volksschule.591 Die Eltemrechtsschule in Württemberg-Hohenzollern entwickelte sich zur schweren Hypothek im Einigungsprozeß zum Südweststaat und Land Baden-Württemberg. Erst unter Ministerpräsident Filbinger und den Verhandlungen zur Großen Koalition im Dezember 1966 stimmte die CDU einer Vereinheitlichung des öffentlichen Schulsystems zu. Nun war partiell das erreicht, was die französischen Schulreformen schon 1945 angestrebt hatten. Bis zur Bildungsoffensive Ende der sechziger Jahre gilt deshalb der Befund, daß den reformerischen Maßnahmen der Alliierten zum Großteil kein dauerhafter Erfolg beschieden war, »die alten Schulen waren in Form und Inhalt erst einmal erfolgreich verteidigt und gerettet worden«. 592 Mitte der sechziger Jahre kam eine neue Welle der Reformen auf das Schul- und Bildungssystem zu, ausgelöst durch die diagnostizierte

583

StadtA FN, Bestand Schnetzenhausen-Fischbach, Bü. 321, und Amtsblatt für den Kreis Tettnang, Nr. 4 vom 11.1.1949. Ebd. vom 14.12.1948, Ergebnisse der Schulwahlen in Württemberg-Hohenzollern nach Kreisen und Städten. Es waren 1.278 Personen mit 2.631 Stimmen wahlberechtigt; gültige Stimmzettel 2.314. 587 Ebd. An der Wahl konnten 11.611 Personen mit 24.250 Stimmen teilnehmen; gültige Stimmzettel 16.696. 588 Ebd. Wahlberechtigt waren 920 Personen, Zahl der Wahlstimmen 1.761, gültige abgegebene Stimmen 1.279, ungültige Stimmen 5. 589 SZ vom 13.11.1948. Es waren 171 Personen mit 363 Stimmen wahlberechtigt; gültige Stimmzettel 304. 590 Amtsblatt für den Kreis Tettnang, Nr. 8 vom 21.1.1949. Stichtag zur Anmeldung warder 17.1.1949. Bis zum 11.1. hatten sich 93 Schülerinnen und Schüler für die evangelische Bekenntnisschule angemeldet. 591 Einwohnerbuch der Stadt Friedrichshafen von 1961. 592 Einen kurzen Überblick über die reformerischen Ziele der Alliierten bietet Wolfgang Benz, Zwischen Hitler und Adenauer. Studien zur deutschen Nachkriegsgesellschaft, Frankfurt a.M. 1991, S. 184ff., Zitat S. 200. 586

Kultur

227

»Bildungskatastrophe« (Georg Picht) und die Forderungen nach mehr Chancengleichheit (Ralf Dahrendorf: Bildung als »Bürgerrecht«). Noch 1967 griff der Vatikan in die Diskussion über ein Schulgesetz in Baden-Württemberg ein, aber die Gesamtentwicklung hatte sich zugunsten einer konfessionell und weltanschaulich neutralen Form der öffentlichen Schulen entschieden. Im Pflichtschulbereich können auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern allerdings auch heute noch Bekenntnisschulen eingerichtet werden, wie sie zum Beispiel im Saarland nach wie vor der Regelfall sind.

III. Lebens- und Arbeitswelt der Umbruchsgesellschaft

Im dritten Teil dieser Untersuchung wird, mehr als in den ersten zwei Abschnitten, die Perspektive der lokalen deutschen Nachkriegsgesellschaft eingenommen. Mit welchen spezifischen Problemen hatte sie sich auseinanderzusetzen, und welche Wege wurden eingeschlagen, um zu einer ersehnten »Normalität« zurückzufinden? Inwiefern lassen sich Indikatoren erkennen, die - als Folge von nationalsozialistischer Herrschaft, Krieg und Besatzung - bereits auf eine veränderte »moderne« Gesellschaft oder Lebensform hinweisen?

1. Verwaltung der Not: Die Wohnraumbewirtschaftung »Bei allen konstruktiven Ansätzen, vor allem in ihrer Endphase, kann die Wohnungspolitik der Kaiserzeit geradezu als „blind" bezeichnet werden [...]. Es herrschte die Auffassung vor, sämtliche wohnungswirtschaftlichen und städtebaulichen Aufgaben der Privatinitiative und damit einem nahezu völlig liberalisierten Markt zu überlassen«, so Rolf Kornemann zur Wohnungspolitik des Kaiserreiches. 1 Angesichts der sozialen Folgen des Ersten Weltkrieges gab der Staat nach 1918 seine bis dahin praktizierte Zurückhaltung auf, die Wohnungsfrage wurde als eine zentrale soziale Aufgabe verstanden. »Auf keinem Wirtschaftsgebiet haben die Nachwirkungen des Kriegs zu so weitgreifenden Änderungen geführt wie im Wohnungswesen. Früher regelte die reine Privatwirtschaft fast ausschließlich die Aufschließung des Baugeländes, den Bau der Häuser, die Geldbeschaffung [...]. Der Krieg und seine Folgen haben jedoch eine grundsätzliche Änderung gebracht.« 2 Während der Zeit des Nationalsozialismus stagnierte die Bautätigkeit im Wohnungswesen. Entgegen der NS-Propaganda rückte die Wohnungswirtschaft nicht in dem Maße in den Mittelpunkt der Sozialpolitik, wie offiziell verlautbart.3 Nach dem Zusammenbruch 1945 wurden Wohnungs- und Städtebauthemen »zu zentralen Aufgaben schlechthin«. Das war auch ein Erfordernis der Zeit, da sich die Probleme multipliziert hatten: Ein langjähriges Defizit im Wohnungsbau, die Zerstörungen infolge des Luftkrieges, die enormen Bevölkerungswanderungen und die Installierung einer ausgedehnten Besatzungsverwaltung verlangten sowohl schnelle Lösungen der drängendsten Probleme als auch langfristige Entscheidungen und Maßnahmen in der Wohnungspolitik. Neu war die Verbindung von Wohnungs- und Sozialpolitik, »die Rolle des Wohnungsbaus als kon-

1

2 3

Rolf Kornemann, Gesetze, Gesetze, Gesetze ... Die amtliche Wohnungspolitik in der Zeit von 1918 bis 1945 in Gesetzen, Verordnungen und Erlassen, in: Gert Kahler (Hrsg.), Geschichte des Wohnens, Bd. 4, 1918-1945, Reform, Reaktion, Zerstörung, Stuttgart 1996, S. 599-723, hier S. 605. Zitat aus »Die Volkswohnung«, 3. Jg., H. 19/1921, entnommen aus ebd., S. 606. Mit einem Erlaß Hitlers »zur Vorbereitung des deutschen Wohnungsbaus nach dem Krieg« vom 15.11.1940 (RGBL I, S. 1495) wurden Pläne fiir ein Wohnungsbauprogramm festgelegt, die die langjährigen Versäumnisse ausgleichen sollten; vgl. ebd., S. 649ff.

230

ΠΙ. Lebens- und Arbeitswelt

junkturbelebendes Instrument und als gezielte Maßnahme zum Abbau der Arbeitslosigkeit«. Es wurden finanzielle Mittel zur Erreichung der wohnungspolitischen Ziele bereitgestellt; Bund und Länder konzipierten ab 1949 »einen umfangreichen Katalog staatlicher Instrumente; die Rechtsprechung gewann eine den Wohnungsbau stark beeinflussende Bedeutung.« 4 Bereits im März 1946 erließ der Kontrollrat ein Wohnungsgesetz »zwecks Erhaltung, Vermehrung, Sichtung, Zuteilung und Ausnutzung des vorhandenen Wohnraums«. 5 Danach mußten die deutschen Behörden WohnungsausschUsse bilden, denen es oblag, die Wohnungsämter beim Vollzug dieses Wohnungsgesetzes zu beraten. In den Ausschüssen sollte je eine Person mit Erfahrung im Bauwesen oder in der Bewirtschaftung mit Wohnraum, ein Vertreter der »Allgemeinheit«, möglichst mit Ortskenntnissen, und mindestens eine Frau Mitglied sein. Bei der Ernennung der Mitglieder sei außerdem solchen Personen der Vorzug zu geben, »die dem nationalsozialistischen Regime Widerstand geleistet haben oder durch seine Maßnahmen benachteiligt worden sind.« In Friedrichshafen konstituierte der Gemeinderat in seiner Sitzung vom 3. April 19466 infolge der gesetzlichen Vorgaben einen Wohnungsausschuß. KPD-Gemeinderat Fritz Beckert schlug vor, aus jedem Großbetrieb den jeweiligen Wohnungssachbearbeiter hinzuzuziehen. Allerdings gab es bereits einen gemeinderätlichen Wohnungsausschuß, weshalb zunächst aus diesem Gremium drei Mitglieder in den neuen Ausschuß berufen wurden: die CDU-Gemeinderäte Franz Brugger und Franz Zinsmaier sowie SPD-Gemeinderat Matthäus Wagner. Neu berufen wurden Stadtbaumeister Bendeich und der Kommunist bzw. Gewerkschafter Willi Silfang als Vertreter sämtlicher Großbetriebe. »Zwei Frauen, die von der Rechts- und Linkspartei noch zu benennen sind«, komplettierten in einer Sitzung zwei Wochen später den Ausschuß. 7 Mit Wagner und Silfang kamen mindestens zwei Personen aus dem Widerstand. 8 Franz Zinsmaier bat in der Sitzung vom 17. April darum, »einen mit den örtlichen Verhältnissen mehr betrauten Mann in den Wohnungsausschuß hereinzunehmen«. Für ihn wurde der Kaufmann und CDU-Gemeinderat Bernhard Lieb benannt. Lieb übernahm später auch den Vorsitz im Ausschuß. Das alliierte Wohnungsgesetz definierte die Aufgaben der Wohnungsbehörden. Sie mußten Wohnraum erfassen, Baumaßnahmen durchführen und Reparaturen an Häusern in Gemeinden ausführen, in denen der Wohnraumdurchschnitt pro Person unter vier Quadratmetern lag. Bei der Vergabe von Wohnraum hatte das Wohnungsamt verschiedene Kriterien zu berücksichtigen. Bevorzugt werden sollten Personen, die unter dem Nationalsozialismus gelitten oder Widerstand geleistet hatten. Unter gleichberechtigten Personen waren zuerst kinderreiche Familien, dann bejahrte Personen und an dritter Stelle Invalide und Körperbehinderte zu bevorzugen. Ausländer, die sich freiwillig in Deutschland aufhielten, mußten laut Gesetz wie deutsche Staatsangehörige behandelt werden. Für den Fall, daß ein

4 5 6 7

8

Ebd., S. 601f.; vgl. auch S. 639ff. JO, Nr. 18 vom 21.3.1946, Wohnungsgesetz Nr. 18 vom 8.3.1946; ebd. die weiteren Ausführungen. Rathaus, GRP vom 3.4.1946. Ebd. vom 17.4.1946, sowie StadtA. Für die »Rechtspartei« das CDU-Mitglied Johanna Häberle, von Beruf Hausfrau, für die »Linkspartei« Bocena Hänssler. Über letztere liegen keine Informationen vor. Nach Aussage von Eugen Frick existierte in Friedrichshafen eine Widerstandsgruppe, der folgende Mitglieder angehörten: von der Kommunistischen Partei Rother, Bäuerle, Silfang, Weber, Schautz, Beckert, Spindler und Faller, vom Maybach-Motorenbau Schneifel und Schutz; nach AdO, c. 1181, p. 1. Einige dieser Personen wurden bereits in Kapitel 1.4 vorgestellt.

Wohnraumbewirtschaftung

231

Mangel an Facharbeitern entstehen sollte, nahm sich die Militärregierung das Recht, diese bei der Wohnungsvergabe zu begünstigen. In der Praxis kam es zu harten Auseinandersetzungen zwischen Wohnungsamt und Wohnungsausschuß. Ein Beispiel aus dem Jahre 1947 soll dies illustrieren. Zu dieser Zeit leitete ein älterer »Antifaschist, SPD-Mann und Gewerkschafter« das Wohnungsamt. Vorsitzender des Wohnungsausschusses war ein CDU-Gemeinderat. Über die Frage der Wohnraumzuteilung an einen ehemaligen SS-Brigadeführer kam es zum erbitterten Streit. Bürgermeister Mauch erfüllte das Begehren des politisch belasteten Antragstellers und entließ den Wohnungsamtsleiter.9 In anderen Kreisgemeinden scheint es ähnliche Konfrontationen gegeben zu haben, denn in der gleichen Gemeinderatssitzung wurden bereits derartige Vorfälle diskutiert. Anläßlich einer Tagung der Bürgermeister und Ortsobmänner am 4. Februar 1947 in Tettnang ordnete Regierungsrat Dr. Münch an, daß der Bürgermeister in allen Wohnungsfragen letzte entscheidende Instanz sei; an Beschlüsse des Wohnungsamtes war er nun nicht mehr gebunden. Über die Gründung eines Wohnungsausschusses als beratendes Gremium konnte er nach eigenem Gutdünken entscheiden. 10 In der Folgezeit reduzierten sich die Auseinandersetzungen innerhalb der deutschen Gremien. Man versuchte aber, die Anordnungen der französischen Verwaltung zu beeinflussen. Diese überließ in der Regel das Verteilungsproblem ganz den deutschen Behörden und mischte sich nur ein, wenn »Ruhe und Ordnung« gefährdet schienen. Ansonsten konzentrierte sie sich darauf, die eigenen Wohnraumbedürfnisse durchzusetzen, und dabei war sie meist nicht zu Zugeständnissen bereit. Emile Knipper, Administrateur Liquidateur im Kreis Tettnang, wandte sich im Juni 1947 mit einem Schreiben an Kreisgouvemeur Merglen, um ihm von Klagen der Arbeitnehmervertreter über Wohnungsrequisitionen zu berichten. Er versicherte zwar, daß er die Arbeiter darauf aufmerksam gemacht habe, »qu'il était impossible de s'élever contre la mesure de réquisition, celle-ci étant une règle établie dans tous les pays occupés«, dennoch bat er den Kreisgouvemeur, vor allem diejenigen Requisitionen auf ein Minimum zu beschränken, welche Arbeiter betrafen, die für französische Dienststellen arbeiteten.11 Die Wohnraumbewirtschaftung in Friedrichshafen war angesichts des hohen Zerstörungsgrades eine nur schwer durchführbare, undankbare Aufgabe. Im März 1947 waren noch 43 Prozent aller Wohngebäude beschädigt:

9 10 11

Rathaus, GRP vom 6.2.1947. Ebd. AdO, c. 1181, p. 3, Schreiben vom 12.6.1947.

232

III. Lebens- und Arbeitswelt

Tabelle 22: Gebäudeschäden im Stadtgebiet Friedrichshafen und Aufbauleistungen, Stand 3/1947 12

Wohngebäude, Stand 1939 Davon total zerstört schwer beschädigt leicht beschädigt nicht beschädigt Während der letzten 2 Jahre wurden wieder hergestellt Im Rohbau fertiggestellt sind Noch herzustellen sind

Zahl der Gebäude

Prozent

2.877 975 354 1.346

100 34 12 47 7

1.337

46 4 44

202

88

1.250

Im Jahre 1948, nach der Währungsreform, als die staatliche Förderung des sozialen Wohnungsbaus noch nicht angelaufen war, waren in Friedrichshafen in 1.969 vorhandenen Gebäuden 3.700 Wohnungen verfügbar, davon wiederum mehr als 300 von der Besatzung beschlagnahmt, und dies bei einer Einwohnerzahl von 17.000. 13 Da der Wiederaufbau nur zögerlich voranging, sprang die Zeppelin-Stiftung mit erheblichen Darlehensbeträgen an Zeppelin-Wohlfahrt und Stadtverwaltung ein. Im Frühjahr 1949 gewährte sie außerdem 115 Fliegergeschädigten weitere Darlehen. Nach Anlaufen des staatlich geförderten sozialen Wohnungsbaus konzentrierte die Zeppelin-Stiftung ihr Engagement auf den Arbeiterwohnungsbau. So entstanden für Beschäftigte der Zahnradfabrik zwischen Dezember 1949 und November 1950 auf städtischen Grundstükken 48 Wohnungen, deren Verteilung von der ZF-Geschäftsleitung »nach betrieblichen Gesichtspunkten und vom ZF-Betriebsrat nach sozialen Belangen bearbeitet« worden sei. 14 Im Januar 1949 wurde die Bevölkerung im Amtsblatt für den Kreis Tettnang nochmals ermahnt, die Gesetze zur Wohnraumbewirtschaftung einzuhalten: »1. Über freien Wohnraum darf nur im Einverständnis mit der Wohnungsbehörde verfügt werden. 2. Jeder Hauseigentümer, Wohnungsinhaber oder Verfügungsberechtigte muß binnen einer Woche freien Wohnraum melden. 3. Personen, die ohne Genehmigung wohnen, werden gerichtlich belangt.«15 Es machte sich schon seit längerem Unmut gegen Wohnraumbeschlagnahmungen breit. Auch das Gewerkschaftskartell stellte diese 12

13

14

15

Bekanntgabe der Zahlen durch Baurat Scheible vom Stadtplanungsamt, Rathaus, GRP vom 18.3.1947. Auf dem Gebiet der späteren Bundesrepublik waren etwa ein Fünftel des Wohnraums zerstört, wobei zu berücksichtigen ist, daß verbindliche Definitionen über den Zerstörungsgrad (total, schwer, leicht, etc.) bei den Schätzungen nicht zugrunde lagen. Darauf weist Axel Schildt in einem kurzen Kapitel über Wohnungsbau und Mobilität hin; siehe ders., Moderne Zeiten, S. 48-54. Angaben nach einer Wurfsendung des Oberbürgermeisters zur Bürgermeisterwahl im Oktober 1966 (aus der privaten Quellensammlung der Verfasserin). In den vier Reihenhäusern mit ihren 48 Wohnungen (drei 2-Zimmer-Wohnungen, 42 3-ZimmerWohnungen und drei 4-Zimmer-Wohnungen) lebten 1951 »22 in Friedrichshafen Ausgebombte, 9 bisher in Friedrichshafen unzulänglich Untergebrachte und 17 Auswärtige« mit ihren Familien. Die Kinderzahl betrug 96; StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. Amtsblatt für den Kreis Tettnang, Nr. 8, vom 21.1.1949. In dieser Ausgabe wurde auch verkündet, daß künftighin die Sitzungen des Wohnungsausschusses in Tettnang öffentlich stattfänden.

Wohnraumbewirtschaftung

233

grundsätzlich in Frage, selbst wenn es sich bei den Betroffenen um ehemalige NS-Parteigenossen handelte. Inzwischen wurden nur noch auf ausdrücklichen Befehl der Militärregierung Wohnungen beschlagnahmt, selbst dagegen erhoben sich nun Stimmen, die mehr Zivilcourage der deutschen Stellen bei der Ablehnung solcher Befehle forderten. 16 Die Einflußmöglichkeiten der deutschen Verwaltung auf bestimmte Bereiche nahmen in den späten vierziger Jahren kontinuierlich zu. Ab Juni 1949 legte dann die Militärregierung die Entscheidung über Ausnahmeanträge für den Zuzug von Neubürgem in die Hand der deutschen Behörden. Ihnen bot sich nun die Möglichkeit, Zuzüge mit Rücksicht auf die Wohnraumknappheit restriktiver als die französischen Behörden zu handhaben. 17 Der Wohnungsmarkt blieb dennoch angespannt. Mangel und Überbelegung kennzeichneten die Lage, was das Bürgermeisteramt im Mai 1949 mit konkreten Zahlen dokumentierte: »Es sind gegenwärtig insgesamt 4.700 Wohnungen verfügbar, davon sind 191 ausgesprochene Notwohnungen. Diese Wohnungen besitzen zusammen 15.109 Zimmer (ohne Küchen).« Davon standen der einheimischen Bevölkerung aber nur 13.651 Zimmer zur Verfügung, denn etwa zehn Prozent des verfügbaren Bestandes (325 Wohnungen mit 1.458 Zimmern) waren für die Besatzungsmacht beschlagnahmt. 18 Zu dieser Zeit lebten etwa 18.000 Einwohner in der Stadt, 8.000 in ganz Oberschwaben Evakuierte warteten auf eine Rückkehr nach Friedrichshafen, und von 3.500 einpendelnden Beschäftigten lagen 400 Wohnungsgesuche für die Stadt vor. Die Stadtverwaltung errechnete in einem Fünfjahres-Bauprogramm einen jährlichen Finanzbedarf von neun Millionen Mark, um allen Bedürfnissen gerecht zu werden. 19 Zu ihnen gehörten nach wie vor die rigorosen Forderungen der französischen Militärregierung. Im Oktober 1950 verlangte zum Beispiel die Militärregierung von der Stadt Gelände für den Bau von Wohnungen für Besatzungsangehörige. Da der Baugrund in Friedrichshafen knapp war, erklärte sich die Zeppelin-Wohlfahrt dazu bereit, auf eigenem Grund und Boden 64 Wohnungen für »besatzungsverdrängte Familien« zu erstellen, um damit den Franzosen schon vorhandene Wohnungen anbieten zu können. Damit wurde 1951 begonnen, allerdings führte die Bautätigkeit zu einer ganz anderen Situation: »Von den 64 Wohnungen wurden freilich 63 umgehend wieder von den französischen Behörden mit Beschlag belegt, ohne daß dafür, wie vereinbart, im Gegenzug die freigewordenen Franzosen-Wohnungen zurückgegeben worden wären«, berichtete die »Schwäbische Zeitung« anläßlich des 75jährigen Jubiläums der Zeppelin-Wohlfahrt. 20

16

Rathaus, GRP vom 28.4.1948. Eine Zuzugssperre galt nicht: 1. für Ausgewiesene, die vom Staatskommissar für die Umsiedlung zugewiesen wurden; 2. für Personen, die vor dem 1.9.1939 ihren festen Wohnsitz im Land hatten; 3. ftir Studenten; 4. für Personen, die mindestens ein Jahr in einem anderen Land der FBZ gewohnt hatten; 5. für entlassene Kriegsgefangene, die in Württemberg-Hohenzollern geboren wurden und vor dem 1.9.1939 dort gewohnt hatten, verheiratet waren, Kinder oder einen Arbeitsvertrag hatten; Amtsblatt für den Kreis Tettnang, Nr. 48, vom 17.6.1949. 18 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1446, Bericht des Bürgermeisteramts vom 16.5.1949. Angesichts dieser Wohnungssituation stellte die Ortsgruppe des Bundes der Kriegsgeschädigten bei der Staatsregierung einen Antrag auf Soforthilfe. Kein Verständnis konnten die Unterzeichner des Antrags dafür aufbringen, daß die Stadt Friedrichshafen in den Finanzierungskonzepten des Landes Gemeinden mit weitaus geringerem Zerstörungsgrad gleichgestellt wurde; vgl. ebd., WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Schreiben vom 21.6.1949 mit 190 Unterschriften im Anhang. " Ebd., WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1446. 20 »75 Jahre Zeppelin-Wohlfahrt«, Sonderbeilage der SZ vom 7.9.1988. 17

234

III. Lebens- und Arbeitswelt

Aufgrund des Ergebnisses einer Wohnungszählung vom 13. September 1950 stellte der Oberbürgermeister fest, daß die Miete je Raum die weitaus höchste in ganz Württemberg-Hohenzollern sei. 21 Die Mieten waren ohnehin im ganzen Land hoch, wie die 1950 von der Preisaufsichtsstelle des Wirtschaftsministeriums erlassenen Richtlinien für die Berechnung von Mietzins für Wohnräume auf dem Lande zeigen. Darin wurden Richtpreise je nach Lage der Landgemeinden oder Zu- und Abschläge je nach Zustand des Wohnraums akribisch festgelegt. Die Vermieter wurden verpflichtet, auf Verlangen des Mieters eine schriftliche Zusammensetzung der Miete vorzulegen. 22 1953 warteten noch immer etwa 2.000 Evakuierte auf ihre Rückführung nach Friedrichshafen. Es mangelte aber nach wie vor an Wohnraum, weil sich die Evakuierten überwiegend aus älteren Personen und Rentnern zusammensetzten, welche die teuren Mieten für Neubauwohnungen nicht bezahlen konnten, und Altbauten standen durch den hohen Zerstörungsgrad kaum zur Verfügung. 23 Aufgrund der hohen Zuzüge nahm trotz reger Bautätigkeit die Zahl der Wohnungssuchenden ständig zu. So waren Anfang 1952 etwa 1.300 Wohnungssuchende Familien registriert, ein Jahr später 1.640, und dies, obwohl in den vergangenen vier Jahren 2.800 Wohnungen geschaffen worden waren. Die Wohnfläche der einzelnen Wohnungen war allerdings gegenüber früher kleiner geworden. Im Januar 1953 waren immer noch 855 Wohngebäude mit 2.500 Wohneinheiten total oder schwer zerstört. Deshalb stießen Pläne der Tübinger Regierung, die Landesbauförderungsmittel drastisch auf 25 bis 30 Prozent des Voijahres zu reduzieren, auf völliges Unverständnis bei der Stadtverwaltung. 24 Oberbürgermeister Grünbeck schrieb der württembergischen Staatsregierung: »Einen solchen Rückgang könnte die hiesige Bevölkerung niemals verstehen, denn sie hat den Südweststaat unter ganz anderen Erwartungen gewählt, nicht übertriebene Erwartungen, aber doch mindestens der Erwartung, daß es nicht schlechter werde als zuvor in unserem kleinen aber wohlgeordneten Lande Württemberg-Hohenzollern.« 25 Das Verhältnis zwischen der französischen und deutschen Verwaltung schien sich mittlerweile entspannt zu haben, rücksichtsvollere Töne wurden angeschlagen. Im Dezember 1954 gab zum Beispiel Kreisgouverneur Valicourt weitere zwölf beschlagnahmte Wohnungen frei, welche der Oberbürgermeister im Februar als besonders dringend gemeldet hatte. Genehmigt wurde dies vom Provinzialdelegierten für Württemberg-Hohenzollern, »damit die Wohnungsinhaber noch vor Weihnachten in ihr Heim zurückkehren können«, wie Valicourt zufrieden anmerkte. 26 Im September 1956 wurde mit einem Festakt ein neues Rathaus in Friedrichshafen eingeweiht. Die Zeitgenossen verstanden dieses Ereignis als Symbol für den Abschluß der Wiederaufbauphase in Friedrichshafen. Mit der Expansion der Industriebetriebe und dem anhaltenden Zuzug von Arbeitnehmern in die Stadt setzte sich jedoch die rege Bautätigkeit auch weiterhin ungebrochen fort. Jetzt ging es aber nicht mehr darum, Kriegsfolgeschäden zu beheben, sondern den Herausforderungen der neuen Zeit mit ihrem Wirtschaftsboom gerecht zu werden. Auch in den folgenden Jahren nahm 21

22 23 24

25 26

StadtA FN, Notizen des Oberbürgermeisters anläßlich des Besuchs der Staatsregierung BadenWürttemberg am 12. März 1953. Amtsblatt für den Kreis Tettnang, Nr. 2, vom 10.1.1950. StadtA FN, Notizen des Oberbürgermeisters, ebd. die weiteren Ausführungen. In der Konsequenz hätten den Städten Reutlingen, Freudenstadt und Friedrichshafen nur noch DM 1,8 Millionen für den Wiederaufbau zur Verfügung gestanden. Ebd. AdO, c. 3568, Schreiben des Kreisgouvemeurs vom 7.12.1954.

Wohnraumbewirtschaftung

235

die Bevölkerung stark zu, so daß zum Beispiel 1960 im Kreisgebiet eine Bevölkerungsdichte bestand, die doppelt so hoch war wie der Durchschnitt in Südwürttemberg-Hohenzollern. 27 Im Landkreis waren immer noch etwa zwölf Prozent der Bevölkerung als wohnungssuchend gemeldet, darunter 2.635 Familien. 63 Prozent der Wohnungssuchenden waren in Friedrichshafen ansässig. 28 Dieser Entwicklung mußte Rechnung getragen werden. Insgesamt konnte zwischen 1948 und 1966 die Zahl des verfügbaren Wohnraumes um das Vierfache erhöht werden: es wurden 2.731 Wohngebäude mit 9.000 Wohnungen wiederaufgebaut oder neu errichtet, zwei Drittel davon mit öffentlichen Mitteln. 29 Die Stadt selbst hatte ihren Bestand an eigenen Wohnungen durch Auf- und Neubau insgesamt auf 493 erhöht. Davon gehörten 317 Wohnungen der Zeppelin-Wohlfahrt. Beteiligt war die Stadt auch an 16 Einfamilienhäusern für kinderreiche Familien, 622 Mietwohnungen der Kreisbaugenossenschaft sowie 589 Eigenheimen und Eigentumswohnungen der Kreisbaugenossenschaft. Durch Geländeerschließungen förderte sie den Siedlungsbau in Schreienesch, Kitzenwiese, Mühlesch, Allmannsweiler, Hofingerösch, Buchschach und Jettenhausen. Bis 1966 wurden außerdem neu gebaut: sechs Schulen, fünf Turn- und zwei Gymnastikhallen, ein Altersheim, Schwesternhäuser beim Krankenhaus, ein Museum, ein Verwaltungsgebäude, das Verkehrsamt, das Rotkreuz-Dienstgebäude, ein Strandbadgebäude und der Schlachthof. Diese Bauaktivitäten zählte Max Grünbeck in einer Postwurfsendung zur Oberbürgermeisterwahl im Oktober 1966 auf, denn er hatte als einziges Wahlkampfthema den Wiederaufbau der Stadt gewählt. Dabei ging es um Erreichtes und noch zu Leistendes - das Wohnungsthema war vom Nachkriegsproblem zum »Dauerbrenner« geworden, nun aber so positiv besetzt, daß sich das Thema für den Wahlkampf eignete. Die Kommunen konnten sich also nach der Behebung der Kriegsschäden nicht mehr vom Wohnungsbau zurückziehen. Er war zu einer dauerhaften wirtschafts- und sozialpolitischen Aufgabe der staatlichen und kommunalen Verwaltung geworden.

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28

29

KrA FN, Nr. 1056, Besuch der Landesregierung am 2. Juni 1961 in Tettnang, Situationsbericht von Landrat Diez vom 12.5.1961. Es suchten 8.413 Personen eine Wohnung, am meisten betrafen die Gesuche Wohnungen mit 3 Zimmern (1.253), gefolgt von 4 Zimmern (731) und 1-2 Räumen (593). Unter den Wohnungssuchenden Familien befanden sich 820 heimatvertriebene Familien; ebd., Statistische Unterlagen für den Staatsbesuch. Im Kreis lebten zu dieser Zeit etwas über 71.000 Einwohner. Die zwei Drittel umfaßten 6.326 Wohnungen in 1.889 neu erbauten Häusern. Die Landesgelder betrugen bis 1966 DM 75 Millionen; vgl. StadtA FN, Notizen des Oberbürgermeisters, ebd. die weiteren Ausführungen.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

2. Arbeit im Zeichen von Demontagemaßnahmen und »Wirtschaftswunder« In den fünfziger Jahren ließ der wirtschaftliche Aufschwung in Friedrichshafen die Zahl der Beschäftigten im sekundären Sektor stark expandieren (vgl. Tab. 1). In der Stadt stieg der Anteil im produzierenden Gewerbe von 48 auf 62 Prozent. Die Zahl der Industriearbeiter erreichte Anfang der fünfziger Jahre mit 55 Prozent aller Berufstätigen einen Höhepunkt. Dann fiel sie bis Anfang der siebziger Jahre auf einen Anteil, der fast dem des Jahres 1933 entsprach. Das war jedoch nur ein relativer Bedeutungsverlust, denn absolut stieg die Zahl der in der Industrie Beschäftigten, verbunden mit einem Konzentrationsprozeß. Waren 1960 53 Prozent aller Erwerbstätigen (incl. ca. 7.000 Einpendlern) in den Großbetrieben beschäftigt 30 , so erreichten sie 1990 bereits 73 Prozent 31 . Gleichzeitig verringerte sich der Beschäftigtenanteil im primären Sektor um mehr als die Hälfte. Der Weg in eine »Dienstleistungsgesellschaft« hatte mit diesem Strukturwandel seit Anfang der fünfziger Jahre noch kaum eingesetzt. Ein deutlicher Zuwachs der Beamten und Angestellten ist erst mit Beginn der sechziger Jahre festzustellen. Zwischen 1946 und 1970 hat sich der Anteil der Angestellten mehr als verdoppelt. Hierbei dürfte es sich aber mehrheitlich um Industrieangestellte gehandelt haben. Hatte sich ihre Zahl bundesweit zwischen 1950 und 1961 mehr als verdoppelt, so brach das »Zeitalter der Angestellten« in Friedrichshafen zeitlich verzögert an 32 , wenngleich der Anteil der Arbeiter bis 1970 immer über dem der Beamten und Angestellten blieb. In der Firma Zeppelin Metall werke änderte sich dagegen an der Relation Arbeiter - Angestellte fast gar nichts. Ein Jahr nach der Gründung, 1950, wurden 24 Angestellte und 74 Arbeiter (76 Prozent) beschäftigt. 1966 lag der Arbeiteranteil mit 73 Prozent nur geringfügig niedriger, obwohl sich die Belegschaft in den vergangenen sechzehn Jahren verzehnfacht hatte. 33 Kurz nach Kriegsende war von diesen Entwicklungen allerdings noch wenig zu spüren. Der Anteil der Arbeiter lag innerhalb der Industriebetriebe deutlich über dem der Angestellten, und die Belegschaftszahlen fielen noch sehr bescheiden aus. Die Belegschaft des Luftschiffbau Zeppelin zum Beispiel bestand im Mai 1946 zu drei Vierteln aus Arbeitern und wenigen Arbeiterinnen:

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I960 fanden 12.540 Erwerbstätige in der Industrie, 4.620 (19,5%) in Handel und Gewerbe und 6.555 in sonstigen Bereichen eine Tätigkeit; nach dem Einwohnerbuch von 1961. 1990 waren von 28.000 Arbeitsplätzen in Friedrichshafen 20.400 in der Industrie angesiedelt, davon etwa 7.100 bei der Zahnradfabrik, 6.300 bei der Motoren- und Turbinen-Union, 6.000 bei Domier und 1.000 bei den Zeppelin Metallwerken. Hier sind ebenfalls ca. 7.000 Pendler miteinbezogen; nach dem Einwohnerbuch der Stadt Friedrichshafen, 1991/92. Zur Geschichte der Arbeiter und Angestellten siehe Klaus Tenfelde (Hrsg.), Arbeiter im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991; Jürgen Kocka, Die Angestellten in der deutschen Geschichte 1850-1980. Vom Privatbeamten zum angestellten Arbeitnehmer, Göttingen 1981; ders./Michael Prinz, Vom »neuen Mittelstand« zum angestellten Arbeitnehmer. Kontinuität und Wandel der deutschen Angestellten seit der Weimarer Republik, in: Werner Conze/M. Rainer Lepsius, Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Beiträge zum Kontinuitätsproblem, Stuttgart 1983, S. 210-255. Vgl. auch den kurzen Überblick von Josef Mooser, Arbeiter, Angestellte und Frauen in der »nivellierten Mittelstandsgesellschaft« in: Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau, S. 362-376. LZA 09/499, Betriebsrat der Zeppelin Metallwerke Friedrichshafen GmbH, 1950-1962. Die Zahlenangaben datieren vom 30.6.1951 und 20.9.1966. In dem Betrieb waren 1966 278 Angestellte beschäftigt.

237

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Tabelle 23: Belegschaft des Luftschiffbau Zeppelin, Stand 2.5.1946 34 Angestellte

111 hiervon Techniker Meister Kaufleute

Arbeiter

431 (an)gelemte Hilfsarbeiter

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Männer Frauen 39 8 41 23

17

281 128 17

6 16

Auch ein Jahr später waren die Belegschaften, vor allem im Vergleich zur Kriegszeit, noch relativ klein. Der Maybach-Motorenbau beschäftigte im Dezember 1947 415 Arbeiterinnen und Arbeiter und 183 Angestellte. Im französischen Betrieb CRAS waren 637 Personen für die Besatzung tätig. 35 Obwohl viele Fabriken zerstört oder teildemontiert waren, trotz der eingeschränkten Produktion und der Zuwanderung von Flüchtlingen, kam es nicht zu der befürchteten Arbeitslosigkeit. Die Gründe werden im folgenden Kapitel dargestellt. 2.1. Wie schon im Krieg: Arbeitskräftemangel in der unmittelbaren Nachkriegszeit Ein Bericht der Landesdirektion des Innern vom September 1946 beschreibt die Wirtschaftslage der Stadt Friedrichshafen ein Jahr nach Kriegsende. Die Zukunftssorgen waren alarmierend: »Die großen Kriegsbetriebe sind fast ganz zerstört; soweit die Anlagen nicht zerstört sind, sind sie nur ganz wenig für die Besatzung beschäftigt: Dornier liegt still; Zeppelin-Luftschiffbau ist mit Auto-Reparatur beschäftigt; auch die Sauerstoffwerke sind in geringem Umfang tätig. Bei Maybach werden Motorenteile für Frankreich angefertigt; Die Aluminium-Werke liegen still; Bei den Zahnradwerken ist eine Umstellung im Gang. (Es soll die Anfertigung landwirtschaftlicher Maschinen angebahnt werden).« In der Industrie waren rund 1.600 Personen beschäftigt, im Baugewerbe 300, im Handwerk 200, »während der Handel fast ganz still liegt«.36 Ein Jahr später, im August 1947, diagnostizierte eine vom Finanzministerium in Auftrag gegebene Analyse erneut die »Kriegsschäden und Kriegsfolgeschäden der Industrie von Württemberg-Hohenzollern« und prophezeite weiterhin eine schlechte wirtschaftliche Zukunft: »Die durch unmittelbare Kriegshandlungen eingetretenen Schäden konzentrieren sich, soweit es die Industrie betrifft, im wesentlichen auf das Gebiet von Friedrichshafen und das benachbarte Bodenseegebiet mit den Werkstätten von Maybach, Zeppelinbau, der Zahnradfabrik Friedrichshafen und den Domierwerken. Hier bedeuten die Kriegsschäden einen Ausfall von 12.000-15.000 Arbeitsplät-

34 35 36

AdO, c. 1181, p. 24. Ebd., Bericht für Dezember 1947. StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Bericht »auf Grund von Feststellungen an Ort und Stelle v. 9./ 13.9.46 - zusammen mit Verw.Direktor Weinmann von der Landesdirektion des Innern«.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

zen oder rund 80% der Kapazität.« 37 In ganz Südwürttemberg habe der Krieg zu einem Verlust von ca. 63.000 Männern im erwerbsfähigen Alter geführt. Für die arbeitsintensive Industrie «rechnete die Analyse einen Kapazitätsrückgang um mehr als 25 Prozent gegenüber 1936. Und obwohl eine »beträchtliche Anzahl« von Frauen seit 1939 nach Südwürttemberg zugewandert sei - man zählte gegenüber 1939 etwa 80.000 mehr - und diese auch in wichtigen Industriezweigen Arbeit gefunden hätten, bestehe dennoch ein »beträchtlicher Bedarf« an Arbeitskräften. Diese Folge des Krieges zeigte sich im gesamten Kreis Tettnang und vor allem in der Stadt Friedrichshafen. Im Kreisgebiet herrschte Anfang 1946 ein eklatanter Facharbeitermangel. Das Arbeitsamt in Friedrichshafen 38 hatte in erster Linie den Bedarf der französischen Militärregierung zu decken, was bis 1949 ein schier unlösbares Problem und Ursache häufiger Auseinandersetzungen zwischen deutschen und französischen Dienststellen blieb. Auf deutscher Seite wurden viele Wege erprobt, um den französischen Anforderungen gerecht zu werden. So faßte das Arbeitsamt zum Beispiel die Beschäftigten vom Maybach-Motorenbau, Luftschiffbau und von der Zahnradfabrik zu Arbeitsgruppen zusammen, welche in Wocheneinsätzen sämtliche Reparaturen an allen zur französischen Armee gehörenden Fahrzeugen auszuführen hatten. Als dann die französische Militärverwaltung weitere 700 Metallfacharbeiter anforderte, stieß das Arbeitsamt an seine Leistungsgrenzen, »da restlos alle Betriebe, ob groß oder klein, Arbeitskräfte anfordern«. 39 Auch das Landratsamt beklagte in seinen Monatsberichten an das Kreisgouvemement einen Facharbeitermangel, ohne den eine Produktionssteigerung nicht möglich sei. 40 Dabei hoffte man vor allem auf einheimische Kräfte, denn nicht nur die Landesdirektion des Innern beklagte - ungeachtet des Personalmangels - die »unerfreuliche« Tatsache, »daß weniger zahlreich die alteingesessenen Friedrichshafener Einwohner wieder zurückkehrten, als die vielen Ingenieure und Facharbeiter, welche während des Kriegs von den Großbetrieben der Kriegsindustrie nach F[riedrichshafen] aus anderen Gegenden (vielfach aus Norddeutschland) herangezogen wurden«. 41 Trotz dieses Zuzugs gab es im Februar 1946 kreisweit insgesamt 1.995 offene Stellen, darunter 255 für Frauen. Besonders dringlich benötigte Kräfte waren Landarbeiter, Metallarbeiter, Schreiner, Schuhmacher, Bauarbeiter und Hausgehilfinnen. 42 Infolge des allgemeinen Defizits wurde im Juli 1946 ein Kontrollratsgesetz erlassen, das es ermöglichte, Frauen verstärkt einzustellen: »In Anbetracht des großen Mangels an tauglichen männlichen Arbeitskräften in gewissen Teilen Deutschlands, erläßt der Kontrollrat folgendes Gesetz: Artikel I: Die zuständigen Behörden dürfen weibliche Arbeitskräfte bei Bau- und Wiederaufbauarbeiten einschl. Aufräumarbeiten beschäftigen [...]. Die Bestimmungen der Verordnung vom 30.4.1938 über 37

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Ebd., WÜ 140, Bd. 8, Bü. 234, Untersuchung von Dr. Karl Albrecht vom August 1947, ebd. die weiteren Ausführungen. Das Arbeitsamt Friedrichshafen war eine Außenstelle des Arbeitsamtes Ravensburg, zu dem der Kreis Tettnang gehörte. StA Sig, WÜ 40, Bd. 1, Bü. 14, Monatlicher Lagebericht für Januar 1946 an den Kreisgouverneur, darin Bericht des Arbeitsamtes Ravensburg, Nebenstelle Friedrichshafen, vom 23.1.1946. Ebd., Monatlicher Lagebericht für Januar 1946 vom 18.2.1946. Ebd., WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Bericht über die Finanz- und Wirtschaftslage von September 1946. Ebd., WÜ 40, Bd. 8, Bü. 56, Unterlagen für den Arbeitseinsatz der Ostflüchtlinge für alle Kreise vom Landesarbeitsamt Tübingen vom 15.3.1946, Stand vom 20.2.1946. Auch Ende 1946 gab es keine Arbeitslosen, die Kommandantur Friedrichshafen forderte aber 592 Arbeitskräfte vom Arbeitsamt an; vgl. WÜ 40, Bd. 1, Nr. 14, Monatsbericht des Arbeitsamtes Friedrichshafen für Oktober 1946, mit einer detaillierten Liste der angeforderten Arbeitskräfte.

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die Arbeitszeit (Arbeitszeitordnung, RGBL 19381,447) und alle übrigen Bestimmungen werden aufgehoben.« 43 Dieses Gesetz scheint jedoch nicht gegriffen zu haben. Anfang 1947 hatte das Arbeitsamt auf Befehl der Franzosen 468 offene Stellen für Besatzungszwecke zu besetzen, was nach wie vor unmöglich war 44 , und ein Jahr nach Erlaß des Gesetzes, im Juli 1947, stellte der Leiter des Arbeitsamtes Friedrichshafen frustriert fest: »Inzwischen nahmen die Verhältnisse einen geradezu katastrophalen Charakter an. Die Arbeitgeber zeigen eine Tendenz, jede Arbeitskraft zu halten, auch selbst dann, wenn bei normalen Verhältnissen ein solcher Zustand aus geschäftlichen Erwägungen nicht tragbar wäre.« Ein Grund für diese Personalpolitik lag in Versorgungsengpässen: »Die schlechte Ernährungslage der schaffenden Bevölkerung in den Stadtgebieten hat sich derart zugespitzt, daß die Arbeitnehmer den Betrieben zwecks Beschaffung von Lebensmitteln auf dem Lande des öfteren fast 2-3 Tage in der Woche fernbleiben. Die Arbeitgeber nehmen diese Dinge in Anerkennung der schlechten Ernährungslage ohne Weiteres hin und versuchen, durch fortwährende Anforderungen beim Arbeitsamt einen Ausgleich zu schaffen.« Nicht selten konnte man sich die Lebensmittel nicht einmal besorgen, sondern mußte sie sich erarbeiten: »Die Ausfalltage werden dazu benützt, in der Landwirtschaft bei den Erntearbeiten behilflich zu sein, um damit die Ernährung der Familie zu sichern und sich etwas zusätzliche Lebensmittel zu erarbeiten. Zuerst war es die Heuernte, dann die im Kreis Tettnang bekannte große Kirschernte, und nunmehr ist es die Sommeremte, die den Industriearbeitnehmer der Produktion entzieht zugunsten der Landwirtschaft.« 45 Und einen Monat später klagte das Arbeitsamt: »Das Festhalten von Arbeitskräften durch die Arbeitgeber neigt zu katastrophalen Zuständen hinsichtlich der Arbeitsdisziplin und Arbeitsmoral. Die Arbeitsausfälle haben während der Erntezeit einen noch nie dagewesenen Umfang angenommen«: Der Krankenstand sei von durchschnittlich zwei bis drei Prozent sprunghaft auf zehn gestiegen, im Schnitt fehlten 12,4 Prozent der Belegschaft, und manche Firma hatte einen Personalausfall von über fünfzig Prozent. 46 Aus Sorge um die deutsche Wirtschaft und Moral der Arbeitnehmer sehnte sich der Amtsleiter nach den strengen »Arbeits- und Betriebsordnungen« der NS-Zeit. Ihr Fehlen mache sich zum Schaden der Gesamtwirtschaft außergewöhnlich bemerkbar, zudem würde dadurch die »Arbeitsdisziplinlosigkeit« immer mehr gefördert.« Er hoffte deshalb auf eine baldige Verständigung zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. 47 Bis dahin wollte er von der Rechtsanordnung über den Arbeitseinsatz vom 27. August 1946 Gebrauch machen und notfalls mit der Gewerbepolizei zusammenarbeiten. In einem Mo-

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JO Nr. 29 vom 23.7.1946, Gesetz Nr. 32 zur Beschäftigung von Frauen. StA Sig, WÜ 42, Bd. 22, BU. 1087, Monatsbericht des Landratsamtes über die Ernährung im Kreis Tettnang vom 20.1.1947. AdO, c. 3568, Bericht des Arbeitsamtes für Juli 1947. In dem Berichtsmonat gab es in Friedrichshafen 569 offene Stellen. Ebd., Bericht des Arbeitsamtes für August 1947. Ein Betrieb mit 140 Arbeitnehmern meldete z.B. am 13.8.1947 das Fehlen von 80 Kräften. Zu Krankheitstagen und Krankenstand vgl. die Krankenstatistik der BKK Luftschiffbau Zeppelin und BKK MTU für den Zeitraum von 1915 bis 1988, in: Elmar L. Kuhn/Manfred Mach/Nikolaus Mayer, »Ein Hort der Hilfe, der Sicherheit und des Vertrauens.« 75 Jahre Betriebskrankenkassen Luftschiffbau Zeppelin GmbH Friedrichshafen und Motoren- und Turbinen-Union Friedrichshafen GmbH, hrsg. v. d. Betriebskrankenkassen LZ und MTU FN, Friedrichshafen 1992, S. 77. Bei der BKK Luftschiffbau Zeppelin wurde der Niedrigststand mit 8 Krankheitstagen je Mitglied (Krankenstand 3%) zwischen 1930 und 1939 verzeichnet, der Höchststand mit 17 Krankheitstagen (5,6%) zwischen 1960 und 1979. AdO, c. 3568. Im Berichtsmonat gab es 609 offene Stellen.

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natsbericht Ende 1947 wird dann nur noch resigniert festgehalten: »Die Arbeitsmoral läßt merklich nach. Viele Arbeiter glauben, im demokratischen Staat ihren Arbeitsplatz beliebig verlassen zu können. Der katastrophale Mangel von Arbeitskleidung und Schuhwerk hat in einigen Fällen die Arbeiter veranlaßt, dem Arbeitsamt schriftlich mitzuteilen, daß sie ihre Arbeit niedergelegt haben, bis ihnen Arbeitskleidung und Schuhe zur Verfügung gestellt werden.« 48 Die Unternehmer und Direktoren wiederum versuchten mit eigenen Methoden, Arbeiter anzuwerben. So lockte zum Beispiel die Zahnradfabrik mit einer Prämie »für das Mitbringen eines Arbeitskameraden«. 49 Die Stimmung in den Belegschaften war angesichts der Versorgungsengpässe, der schlechten Wohnverhältnisse und der ungewissen Zukunft der Betriebe denkbar schlecht. Im Januar 1946 wies das Landratsamt daraufhin, daß die Wohnungsnot zwar schon vor dem Kriege groß gewesen sei, sich inzwischen aber noch verschärft habe und daß auch in Zukunft keine Aussicht auf Linderung bestehe: »Die Wohnungsverhältnisse entsprechen nicht den Bedürfnissen der Arbeitskräfte. Ich habe bereits in früheren Berichten mehrfach daraufhingewiesen, daß die Wohnungsnot im Kreise außerordentlich drückend ist.« 50 An dieser Situation änderte sich wegen des nur zögerlich einsetzenden Wiederaufbaus auch in den nächsten Jahren nichts. Als Hugo Eckener am 2. Mai 1946 Kreisgouvemeur Merglen die Arbeitnehmerzahlen des zu dieser Zeit noch bestehenden Luftschiffbau Zeppelin übermittelte, berichtete er, die Stimmung der Belegschaft sei gedrückt, »erstens durch die Verkleinerung der Lebensmittelrationen, insbesondere des Brotes, welche die Arbeitskraft beeinträchtigt, und zweitens durch die Sorge um das Schicksal des Betriebes und damit der Existenz.« Indirekt drohte er dem Franzosen, daß damit zu rechnen sei, »daß die Belegschaft«, welche »vorwiegend sozial-demokratisch und christlich-sozial orientiert« sei, zu einer »wesentlich radikaleren Einstellung« gelangen könnte. 51 Ein Jahr später, im April 1947, befürchteten dann auch die französischen Dienststellen einen Streik infolge der Unruhen im Ruhrgebiet. Von den sechs größeren Betrieben im Kreisgebiet kamen nach einer Einschätzung des Kreisdelegierten Albert Merglen nur der Luftschiffbau, die Maybach-Werke und die Zahnradfabrik für einen Streik in Frage. 52 Deshalb wurde ein Aktionsplan aufgestellt, der mehrere Stufen umfaßte: Informanten aus der Arbeiterschaft sollten vorab die Lage einschätzen, und im Falle eines Streiks hatten zunächst Direktion und Aufsichtsrat die Beschäftigten zur Arbeit zurückzurufen. Die Argumente hierfür wurden von der Militärregierung schon vorab formuliert. Im Falle einer Befehlsverweigerung drohten den Arbeitern Entzug der Lebensmittelkarten, dauerhaftes Arbeitsverbot mit Meldung beim Arbeitsamt, Gerichtsverfahren oder Haft. Die Sûreté sollte dabei von der deutschen Polizei unterstützt werden - man hätte also alle verfügbaren Mittel gegen einen Streik eingesetzt. Drei Wochen später hatte sich aber die Lage beruhigt, es gab keinen Streik, und Merglen konnte zufrieden an seine nachgeordneten Behörden melden: »Etant donné le calme 48 49

30 51 52

Ebd., Bericht des Arbeitsamtes für Dezember 1947. Im Berichtsmonat gab es 714 offene Stellen. Zeitzeugenerinnerungen in: StadtA FN, Der ZF-Ring 1 (1951), S. 26. Zur Neuschöpfung dieses innerbetrieblichen Printmediums siehe unten. StA Sig, WÜ 40, Bd. 1, BU. 14, Monatlicher Lagebericht des Landratsamtes für Januar 1946. AdO, c. 1181, p. 24. Bei den Friedrichshafener Baugeschäften Rostan (250 Arbeiter) und Hecht (120) sowie der Holzindustrie Meckenbeuren (120) hätte es weniger Maschinenentnahmen und Demontagemaßnahmen gegeben, weshalb die Arbeiterschaft dort auch weniger verbittert sei; vgl. ebd., c. 3568, Schreiben von Merglen vom 3.4.1947, ebd. die weiteren Ausführungen.

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régnant dans le Cercle, aucun incident n'est à prévoir.«53 Auch die kurz bevorstehenden Feierlichkeiten zum Ersten Mai waren von den Gewerkschaften ganz im Sinne der französischen Besatzungsverwaltung geplant worden: ein Fest mit Reden und Gesang, ohne Lohnforderungen und politische Kampfansagen. Darüber hinaus hatten sich die Arbeitgeber - zur Überraschung des Kreisgouverneurs - zu einem freien und bezahlten Tag für ihre Arbeitnehmer bereit erklärt, was wiederum die Anerkennung von Merglen fand. Unabhängig von der Tagespolitik setzte sich die Arbeiterschaft bis Ende der vierziger Jahre außer für eine bessere Emährungslage hauptsächlich für mehr Wohnraum und höhere Löhne ein. In Württemberg konnte ein Arbeiter im März 1946 im Baugewerbe am meisten Geld verdienen: Mit durchschnittlich 100,5 Rpf erhielt erden höchsten Stundenlohn. Dieser sank aber bis September um 2,5 Rpf und glich sich damit dem in der Eisenindustrie an. Frauen verdienten am besten im Industriezweig »Kleidung und Schuhe«, bis September rückte auf diesen Rang dann der Stundenlohn in der Eisenindustrie. Dort verdiente eine Arbeiterin im September 1946 durchschnittlich 62,3 Rpf, ihr männlicher Kollege mit 98,6 Rpf ein Drittel mehr. Ein Facharbeiter erhielt 103,5 Rpf Stundenlohn, ein angelernter Arbeiter 95,9, ein Hilfsarbeiter 79,6 Rpf. 54 Ein Hilfsarbeiter in der Friedrichshafener Industrie verdiente ein Jahr später (Juli 1947) laut Tarif einen Stundenlohn von 80 Rpf. Das zahlten auch die Franzosen ihren Arbeitskräften bei Dornier. Zum Ärger des Arbeitsamtes und der Industriebeschäftigten stellten die französischen Betriebe jedoch zum Teil Facharbeiter als Hilfskräfte mit dem entsprechend niedrigeren Lohn ein. Deshalb wehrten sich die Betroffenen, in solche Betriebe abgestellt zu werden - eine Haltung, die laut Arbeitsamt nur mit Polizeigewalt zu brechen sei.55 Mit Schwarzarbeit, welche im nach wie vor zerstörten Friedrichshafen weit verbreitet war, konnte ein Arbeiter im gleichen Zeitraum (Sommer 1947) bis zu drei Reichsmark Stundenlohn verdienen, welche »von Interessenten bezahlt werden, die darauf bedacht sind, ihr flüssiges Kapital wertbeständig anzulegen.« 56 Während der Hochrüstungsphase war in allen Friedrichshafener Großbetrieben in mehreren Schichten rund um die Uhr gearbeitet worden. 57 Bis Ende des Jahres 1945 mangelte es in einzelnen Bereichen an neuen Arbeitsordnungen und Richtlinien, denn erst im Januar 1946 erließ die französische Militärregierung in Baden-Baden eine Direktive zur Regelung der Arbeitszeit. Darin wurden die deutschen Behörden angewiesen, sofort die Einführung des »regelmäßigen Achtstundenarbeitstages oder der regel53 54

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57

Ebd., Schreiben von Merglen vom 28.4.1947, ebd. die weiteren Ausführungen. Nach einer Statistik des Württembergischen Statistischen Landesamtes in Tübingen Uber die »Bewegung der Industriearbeiter-Löhne vom März zum September 1946« in Württemberg-Hohenzollern, StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 854. Im Vergleich war die Lohnsteigerung von März bis September bei Facharbeitern am höchsten (in der Chemieindustrie z.B. 5 Rpf, in der Textilindustrie 18,4 Rpf)· Das größte Minus gab es mit 3,7 Rpf für Hilfsarbeiter in der Chemieindustrie. AdO, c. 3568, Bericht des Arbeitsamtes für Juli 1947. Ebd., Bericht des Arbeitsamtes für August 1947. Im Bericht für Dezember 1947 führte er weiter aus: »Den Gewerbebetriebsinhabern [des Bausektors] wurden im Dritten Reich vom Kriegsschädenamt enorme Beträge ausgezahlt, die schließlich doch einmal verrechnet werden müssen, weshalb es ihnen gleichgültig ist, welchen Stundenlohn sie bei der erneuten Kapitalanlage bezahlen müssen.« StA Sig, WÜ 140, Bd. 8, Bü. 234, Bericht über Kriegsschäden vom 8/1947. Auf die Lage der württembergischen Arbeiterschaft in der Weimarer Republik und NS-Zeit geht an verschiedenen Stellen Thomas Schnabel, Württemberg zwischen Weimar und Bonn, ein, so u.a. S. 213ff.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

mäßigen 48-Stunden-Arbeitswoche für alle Arbeitnehmer in Angriff zu nehmen«. Sich selbst behielt sie allerdings Ausnahmen vor allem in den Bereichen Landwirtschaft und Industrie vor.58 In der Folgezeit hob die Militärregierung arbeitsrechtliche Bestimmungen aus der Zeit des Nationalsozialismus auf. Am 23. April 1946 fand zum Beispiel die Regelung zur Arbeitszeit vom 30. April 1938 ein Ende, und ab 1. Juli 1947 galt das »Gesetz zur Ordnung der Nationalen Arbeit« vom 20. Januar 1934 als aufgehoben. 59 Inwieweit diese Bestimmungen in der Praxis auch umgesetzt wurden oder ob die französische Besatzung bestehende arbeitsrechtliche Grundlagen nach ihren eigenen Bedürfnissen in Produktion und Reparaturwerkstätten auslegte, kann für Friedrichshafen nicht nachgezeichnet werden. Arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen zwischen Militärregierung und Gewerkschaften schlugen sich in den Quellen nur dann nieder, wenn in französischen Firmen wie CRAS deutsche Tarifbestimmungen außer Kraft gesetzt worden waren und die Belegschaften unter schlechteren Konditionen als ihre Kollegen in deutschen Firmen arbeiten mußten. 2.2. Der »Währungsschnitt« und die soziale Lage der Arbeiter In Studien zur Unternehmensgeschichte wird die Währungsreform 1948 häufig als entscheidende Zäsur in der Nachkriegszeit beschrieben, auf die der wirtschaftliche Aufschwung gefolgt sei. Auch in einem Rückblick der Zahnradfabrik heißt es: »Erst nach dem Währungsschnitt trat die entscheidende Wende ein.« 60 Diese Wende fand firmenpolitisch jedoch erst mit der Herauslösung aus dem Zeppelin-Konzern im Jahre 1950 statt und war von der Währungsreform unabhängig. Auch die Arbeiterschaft spürte unmittelbar nach der Währungsreform nichts von einer Wendung zum Positiven: »Allgemeine Unzufriedenheit herrscht über das Mißverhältnis zwischen Löhnen und Preisen. Über das langsame, aber sichere Steigen der Preise herrscht große Erregung, vor allem in den Kreisen der Arbeiterschaft«, teilte das Landratsamt Tettnang in seinem »Lagebericht« für September 1949 dem Innenministerium mit. 61 Der Index der Lebenshaltungskosten in Württemberg-Hohenzollern (1938: 100,0) war seit der Währungsreform im Juni bis Oktober 1948 um über zwanzig Prozent von 122,9 auf 150,0 gestiegen. 62 Im Oktober organisierte deshalb das Gewerkschaftskartell eine Protestveranstaltung, an der über 3.000 Personen teilnahmen. In einer Resolution wurden Maßnahmen »von Regierungsseite« zur Preisbegrenzung gefordert. Der Protest richtete sich aber auch gegen eine neu eingeführte »Einwohnersteuer«, die von der ge58 59 60 61

62

JO Nr. 28 vom 1.7.1946, Direktive Nr. 26 vom 26.1.1946. Vgl. JO Nr. 29 vom 23.7.1946 und JO Nr. 41 vom 12.10.1946, gültig ab 1.1.1947. Ein Rad greift ins andere, S. 51. Von Unternehmerseite wurden die hohen Ausgaben für die Arbeitnehmer betont. Der kaufmännische Direktor Pirker rechnete in einer ZF-Belegschaftsversammlung vor: Von DM 1,- erwirtschaftetem Rohgewinn (nicht genauer definiert) gab die Firma im Jahre 1948/49 aus: 53 Pf. für die Belegschaft in Form von Löhnen und Gehältem; 12,1 Pf. für gesetzliche und freiwillige Sozialleistungen; 4,7 Pf. für sozialen Wohnungsbau; 3 Pf. für Altersversorgung; 10 Pf. staatliche Steuern und Abgaben; 2 Pf. »Aufwendungen verschiedener Art«; 15,2 Pf. für Abschreibungen, Wiederaufbau und Neuanschaffungen. »Sie ersehen daraus, daß insgesamt 72,8 Prozent des Rohgewinns im Interesse unserer Mitarbeiter ausgegeben wurden. 10 Prozent erhielt der Fiskus und 15,2 Prozent dienten dem Ausbau des Werkes, d.h. zur Schaffung besserer Arbeitsbedingungen, der Kapazitätsausweitung und der Rationalisierung zugunsten unserer Arbeitnehmer.« In seinen weiteren Ausführungen griff Pirker jeweils die Gegenargumente der Gewerkschaft und des Betriebsrats auf und versuchte, diese zu entkräften. StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 854, Indices der Lebenshaltungskosten 1938-1949.

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samten Bevölkerung erhoben und besonders von der Arbeiterschaft als unsozial und ungerecht empfunden wurde. 63 Auch noch 1951 war in der Werkzeitschrift der Zahnradfabrik von einer Währungseuphorie nichts zu spüren: »Der Währungsschnitt stellte uns mit seiner Vernichtung aller Ersparnisse vor einen neuen Start. Dabei blieben Rentner und sonstige Unterstützungsbedürftige unter kümmerlichen Lebensverhältnissen weit zurück, der Lohnempfänger leidet unter der Preisschraube steigender Löhne und noch schneller steigender Lebenshaltungskosten, während die Wirtschaftsunternehmen neues Kapital bilden konnten.« Der Autor schätzte zwar dennoch diese Entwicklung insgesamt, auch für die Arbeitnehmerschaft, als positiv ein, allerdings fragte er sich, ob die Reorganisation der Wirtschaft »auf Kosten unzureichender Löhne bewirkt werden darf.« Er plädierte für Sozialpartnerschaft und Verhandlungen auf institutioneller Ebene, Generalstreik oder Klassenkampf lehnte er ab. 64 Ein Gewerkschafter erstellte 1951 einen Sozialbericht für die Mitarbeiter der Zahnradfabrik: »Nachdem vor der Währungsreform besonders das Ernährungs- und Wohnungsproblem sowie die Brennstoffbeschaffung und die Beschaffung von Arbeitsbekleidung, Arbeitsschuhen und Fahrradbereifung dringende Notwendigkeiten waren, verlagerte sich seit der Währungsreform die Sozialbetreuung bis auf die Zuteilung von Wohnungen auf andere Gebiete. Während vor der Währungsreform fast kein Mitarbeiter finanzielle Unterstützung brauchte, stieg die Zahl der Gesuchsteller nach dem Währungsschnitt in erheblichem Maße.« 65 Der Arbeitsmarkt blieb über die Währungsreform hinweg stabil. 1949 gab es entgegen allgemeinen Befürchtungen und trotz Demontagemaßnahmen nur zwischen 40 und 60 unterstützungsbedürftige Arbeitslose. 66 Ein Jahr später waren im Arbeitsamtsbezirk Ravensburg, zu dem der Kreis Tettnang gehörte, zwar schon 2.042 Arbeitslose registriert, was 25 Prozent aller Arbeitslosen in Württemberg-Hohenzollern entsprach. Allerdings war davon nicht die Stadt Friedrichshafen, sondern Ravensburg betroffen, weil »die dortige Arbeiterschaft, die von jeher in großem Umfang in Friedrichshafen beschäftigt war, dort jetzt keine Arbeitsmöglichkeiten mehr hat.« 67 Dennoch wurden erste Klagen über einen Anstieg der Arbeitslosigkeit im November 1949 laut. Als Hauptgrund gab der Landrat das Eintreffen von Umsiedlern an, aber auch die vermehrte Beschäftigung von illegalen Arbeitskräften vor allem im Baugewerbe. 68 Der Leiter des Arbeitsamtes Friedrichshafen, der gezielt arbeitslose Heimatvertriebene seines eigenen Verwaltungsgebietes unterbringen wollte, ärgerte sich über die Einstel63

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68

Ebd., Bü. 1384. Die Preissteigerungen betrafen Grundnahrungsmittel (v.a. Brot und Kartoffeln), Textil- und Lederwaren, Obst und Fleisch. Zum Sinken der Reallöhne trugen auch neue Steuern und Abgaben (z.B. Einwohner- und Feuerwehrsteuer, Krankenkassenbeiträge, Wohnungsbauabgaben für Gas und Wasser) bei. Zur neu eingeführten Einwohnersteuer, die von der gesamten Bevölkerung als ungerecht angesehen wurde, weil »keine Unterschiede hinsichtlich der wirtschaftlichen Stellung und sozialen Lage« gemacht wurde, vgl. ebd., Lagebericht des Landratsamtes für den Monat Oktober 1949. Landrat Münch schlug dem Innenministerium vor, wieder auf die »alte württembergische Einwohnersteuer« oder die »frühere Bürgersteuer« zurückzugreifen, die gerechter gewesen seien und höhere Erträge erbracht hätten. StadtA FN, Der ZF-Ring 1 (1951), S. 20. Ebd., 6 (1951), S. 98. StA Sig, WO 140, Bd. 1, Bü. 506. Ebd., Bü. 515. 37 Prozent der Arbeitslosen im Landkreis Ravensburg bestanden aus Heimatvertriebenen. Der Landkreis Ravensburg stand in Württemberg-Hohenzollern bezüglich der Einwohnerzahl (1939: 77.451; 1949: 89.823) 1939 an erster, 1949 an zweiter Stelle (nach Rottweil), ebenso bezüglich der Flüchtlingszahlen an zweiter Stelle nach Biberach (9/1950: 8.269). Ebd., WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1384, Lagebericht des Landratsamtes für den Monat November 1949.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

lungspolitik in den französischen Betrieben vor allem bei CR AS, und teilte dies erzürnt Gouverneur Merglen mit: »Es fällt auf, daß dieser Betrieb anscheinend Arbeitskräften aus dem Bezirk Überlingen den Vorzug gibt; es wurde diesbezüglich beim dortigen Personalbüro schon mehrfach Einspruch erhoben. Nachdem im eigenen Kreis Hunderte von arbeitslosen Frauen gemeldet sind und dringend auf eine Einstellung in einem Friedrichshafener Betrieb warten, erregt jeder einzelne derartige Fall Unzufriedenheit.« 69 Ende Januar 1950 waren im Kreis Tettnang 479 Männer und 338 Frauen arbeitslos. Von diesen zusammen 817 Arbeitslosen bekamen 383 Männer und 68 Frauen Arbeitslosenunterstützung oder Arbeitslosenfürsorge. Von den 451 Unterstützungsberechtigten im Kreisgebiet wohnten ein Drittel (142, darunter 20 Frauen) im Stadtgebiet Friedrichshafen. Im Kreis Tettnang waren zu diesem Zeitpunkt 13.937 Personen beschäftigt 70 , die Arbeitslosenquote lag bei 5,5 Prozent. Von der gesamten Einwohnerschaft waren 0,76 Prozent Unterstützungsempfänger. 71 Bis Herbst 1950 hatte sich die Situation trotz weiterer Flüchtlingstransporte entspannt: Die Arbeitslosenzahl hatte sich nahezu halbiert. 72 Aus Überlingen und Ravensburg kamen zahlreiche Arbeitssuchende in den Kreis: »Da die einheimischen Arbeitslosen infolge vorgeschrittenem Alter, körperlicher Gebrechen und ihrer Berufsausbildung oft nicht den gestellten Anforderungen entsprechen, haben die auswärtigen Arbeitsuchenden, insbesondere Facharbeiter, oft den Vorzug «. Die »lebhafte Nachfrage« nach guten Metallfacharbeitern hielt durchgängig an, und der Bedarf an industriellen »Spitzenkräften« konnte nicht ausreichend gedeckt werden. Angestellte konnten hingegen kaum vermittelt werden, der Bedarf war gedeckt. Während der Arbeitsmarkt auch nach der Währungsreform kaum Krisen zeigte, kam es bei den Verhandlungen um Löhne zu Auseinandersetzungen. Die Konfrontationslinie verlief allerdings weniger zwischen Unternehmern und Arbeitnehmerschaft, als vielmehr zwischen französischer Militärregierung und deutschen Arbeitervertretern. Hierfür sei ein Beispiel angeführt. Zum Jahreswechsel 1949/50 hielt Landrat Stöhr eine Ansprache. Er schlug vor, die Besatzungskosten zu senken, indem die Löhne der bei französischen Betrieben Beschäftigten reduziert und damit denen bei deutschen Einrichtungen angeglichen werden sollten. Über die Frage, ob die Franzosen tatsächlich höhere Löhne zum Schaden der deutschen Finanzen zahlten, herrschte allerdings Uneinigkeit. Denn zur gleichen Zeit beschwerte sich das Gewerkschaftskartell bei Gouverneur Merglen darüber, daß die Beschäftigten bei CRAS in Friedrichshafen untertariflich bezahlt würden. Die Gehaltsabrechnung eines Schlossers bei CRAS gibt Einblick in die Lohnzusammensetzung eines qualifizierten Facharbeiters Ende 1949: Dieser war seit drei Jahren in der französischen Autoreparaturwerkstatt beschäftigt. Im Abrechnungszeitraum (November und Dezember) arbeitete er durchschnittlich 32 Stunden pro Woche für einen Stundenlohn von DM 1,32, dazu erhielt er noch eine Zulage von DM 2,40. Zusammen kam der Schlosser auf einen Bruttostun69

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AdO, c. 1181, Schreiben vom 10.1.1950. Im Dezember 1947 arbeiteten bei CRAS 637 Beschäftigte, ebd., c. 3568, p. 7, Lagebericht für Dezember 1947. Arbeiter und Angestellte: 9.587 Männer, 3.527 Frauen; öffentl. Dienst: 781 Männer, 42 Frauen. Ebd., c. 1181, p. 18, Arbeitsamt Ravensburg, Nebenstelle Friedrichshafen, vom 6.2.1950. Die durchschnittliche Höhe der ausbezahlten Arbeitslosenunterstützung betrug für Februar 1950 in Friedrichshafen DM 27,60, der Arbeitslosenfürsorge DM 21,37. In Tettnang lagen die Beträge etwas höher, in Langenargen etwas niedriger. Friedrichshafen hatte im Februar 1950 18.658 Einwohnerinnen und Einwohner. Im November 1950: 443 Arbeitslose (237 Männer und 206 Frauen).

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denlohn von DM 1,40. Vom Bruttolohn in Höhe von DM 197,28 kamen dreizehn Prozent zum Abzug: DM 19,11 Sozialversicherung, 5,58 Lohnsteuer und 1,20 Wohnungsbauabgabe, so daß ein Nettobetrag von 171,39 Ubrigblieb.73 Zwar fehlen direkte Vergleichszahlen eines Facharbeiters in einem deutschen Betrieb, aber gemessen am Durchschnittslohn aller Beschäftigten im Maschinenbau im Kreis Tettnang acht Monate später dürfte der Facharbeiter unterbezahlt gewesen sein. Denn im August 1950 verdiente ein Beschäftigter im Maschinenbau immerhin durchschnittlich DM 2,04 Stundenlohn, wobei die Hilfsarbeiterlöhne miteingerechnet sind. 74 Jedenfalls wehrten sich die Gewerkschafter gegen das Argument, daß Arbeiter bei CR AS mehr als andere verdienen würden: »Ein radikaler Lohnabbau der keineswegs überhöhten Löhne bald nach der Währungsreform durch Streichung der bis dahin bezahlten Wohnungszulage sowie die Herabsetzung der Stundenlöhne auf ein unannehmbares Minimum konnte nur durch den einmütigen Protest der gesamten Belegschaft vermieden werden. Die erzielte vorläufige Lohnregelung war jedoch niemals eine durchweg befriedigende.« 75 Vergünstigungen bei CRAS, wie der Bezug steuerreduzierter Konsumgüter, waren inzwischen weggefallen. Das Gewerkschaftskartell beklagte auch, daß kein Weihnachtsgeld, Akkord- oder Leistungszulagen bezahlt und eine monatliche Teuerungszulage, die die Privatwirtschaft noch darüber hinaus zuschieße, den CRAS-Beschäftigten wieder vom Stundenlohn abgezogen würde. Die französische Direktion von CRAS argumentierte, daß gegenüber anderen Betrieben prozentual mehr Beschäftigte in höheren Lohngruppen angesiedelt seien. Das sah das Kartell anders: »Es war nun unser Bemühen, bei der am 1.3.1949 in Kraft getretenen neuen Lohnordnung eine gerechte Lösung zu finden. In langen Verhandlungen [zwischen CRAS, einem Sozialbetreuer als Vertreter der Arbeiter und dem unterzeichnenden Gewerkschafter] und neuer Einstufung der Arbeiter in die Lohngruppen [...] wurde nun versucht, wenigstens die dringlichsten Lohnverbesserungen zu erreichen«. Mit der Begründung, daß sich die gesamte Lohnsumme aufgrund des genau festgelegten Etats nicht erhöhen lasse, sei jedoch die gesamte Neueinstufung rückgängig gemacht worden. In einem Schreiben von Kreisgouverneur Valicourt nach Baden-Baden (Affaires Economiques et Financières) bestätigt sich der Vorwurf der Gewerkschaft hinsichtlich der tariflichen Unterbezahlung. Der Grund lag in den beschränkten finanziellen Mitteln bei CRAS, weshalb Valicourt seine vorgesetzten Dienststellen und den Direktor von CRAS um weitere Anweisungen bat. Direktor und Administrator Bournazel antwortete in einem vertraulichen Schreiben äußerst barsch: Den gewerkschaftlichen Beschwerdeführer bezichtigte er der ungenauen Angaben und Verleumdung gegenüber einer Einrichtung der Besatzungstruppen; außerdem sei dieser nicht 73

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Ebd. Der qualifizierte Facharbeiter (Catégorie VII) bekam seine Lohnabrechnung infolge einer fristlosen Entlassung. Der Grund lag in einer nach den Quellen als belanglos einzustufenden Nachlässigkeit bei der Arbeit, über die sich ein Leutnant so ärgerte, daß er - mit dem Vorwurf der Sabotage - auf Entlassung drängte und damit auch durchkam. Die Arbeitszeit bei CRAS steigerte sich in den folgenden Jahren. Im April 1951 betrug sie durchschnittlich 48 Stunden pro Woche; nach ebd., c. 2970, p. 5, Protokoll einer Versammlung des Sozialausschusses bei CRAS vom 20.2.1951. Im Kreis Tettnang gab es im August 1950 2.329 Beschäftigte im Maschinenbau, davon 1.862 Arbeiter. Sie leisteten 333.000 Arbeitsstunden und verdienten DM 680.000; nach ebd., c. 1181, p. 18, Industrieberichterstattung der Affaires Economiques et Financières in Tübingen für August 1950. Weitere Industriebeschäftigte in den Industriegruppen: Steine und Erden 295 (davon 264 Arbeiter); Schiffbau 127 (111); Holzbe- und -Verarbeitung 395 (346); in weiteren sechs Industriegruppen 1.030 (929). Insgesamt 3.882 Beschäftigte, davon 3.142 Arbeiter. Ebd., c. 1181, p.18, Schreiben vom 21.12.1949, ebd. die weiteren Ausführungen.

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für Tarifverhandlungen zuständig, da CRAS eine öffentliche französische Einrichtung sei. 76 Bei CRAS gab es noch eine weitere Auffälligkeit. Kein anderes Unternehmen hatte eine so hohe Zahl an Arbeitsunfällen, weshalb das deutsche Arbeitsministerium bei den zuständigen französischen Dienststellen in Tübingen um mehr Arbeitsschutz für die deutschen Beschäftigten nachsuchte. 77 Generelle Aussagen über die Lage der Firmen und ihrer Belegschaften nach der Währungsreform verdecken die große Spannweite der Verhältnisse. Nach einem Bericht des Kreisgouverneurs Valicourt an den Tübinger Landesdelegierten vom Februar 1954 ging es der Zahnradfabrik ausgezeichnet, da sie ihre Absatzmärkte vor allem nach Frankreich und Holland ausdehnen konnte. Der Maybach-Motorenbau durchlief eine schwierige Phase, nachdem der Hauptkunde, die Bundesbahn, keine neuen Aufträge erteilt hatte. 78 Die Arbeitslosigkeit bei Männern verdoppelte sich von Oktober 1952 bis Oktober 1953 von 177 auf 352 Betroffene, die Zahl der erwerbslosen Frauen blieb konstant bei etwa 155. Dem standen 43 offene Stellen für Männer und 48 für Frauen gegenüber. »Die Nachfrage nach Arbeitskräften beschränkt sich auf den notwendigsten Bedarf. Die hiesige Industrie ist gesättigt; Einstellungen erfolgen nur in den seltensten Fällen«, wie beim Arbeitsamt Friedrichshafen vermerkt wurde. Dies galt auch für die französischen Finnen CRAS und ARAA. Einzige Ausnahme war die Zahnradfabrik, die eine »geringe Zahl« von Arbeitskräften neu einstellen konnte. 79 Die verschlechterte Arbeitsmarktlage verringerte die Chance von Frauen auf einen Arbeitsplatz. Mit Zufriedenheit würdigte zum Beispiel der Arbeitsamtsleiter im Oktober 1953 die entsprechende Personalpolitik einer Firma: »Daß die Firma Apparate- und Kamerabau G.m.b.H., Friedrichshafen-Seemoos, nicht, wie vorerst geplant, zur Kurzarbeit übergeht, sondern zur Entlassung von 22 Kräften schreitet, ist nur zu begrüßen, und zwar deswegen, weil etwa 90% der zur Entlassung vorgesehenen Betriebsangehörigen verheiratete Frauen sind, die nicht unbedingt auf ein Einkommen angewiesen sind.« 80 Der Verdrängungsprozeß traf aber auch ältere Arbeitnehmer. So wurde befürchtet, daß eine Firma in Tettnang unter fadenscheinigen Gründen die Älteren entlassen wolle, um dann jüngere Arbeitnehmer anzuwerben. 81 Nicht jeder hatte das Glück, aus der gesellschaftlichen Umbruchsphase unversehrt hervorzugehen, mancher mußte sich mit einer beruflichen Deklassifizierung abfinden. Aber auch diejenigen, die im Arbeitsprozeß standen, mußten ihren Standort erst noch suchen. Konfrontiert mit einer schnell fortschreitenden Technisierung und Rationalisierung, neuer Mündigkeit des einzelnen nach Auflösung der nationalsozialistischen »Betriebsgemeinschaft« oder Auseinandersetzungen um das Verhältnis zwischen Unternehmer und Arbeiter, hatte sich der Fabrikalltag in vielen Bereichen gründlich verändert.

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Ebd., Schreiben von Valicourt vom 10.1.1950. Ebd., Schreiben vom 17.3.1950. Zu diesem Zeitpunkt bearbeitete die zuständige Versicherung in Stuttgart gerade 158 Unfälle. Ebd., c. 3568, Schreiben vom 2.2.1954. Ebd., Bericht für Oktober 1953. Ebd. Ebd.

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2.3. Technischer Fortschritt, Entfremdung und »Vermessung« des Arbeiters als Problem der fünfziger Jahre: Die Werkzeitschrift »Der ZF-Ring« Mit Jahresbeginn 1951 wurde für die Beschäftigten der Zahnradfabrik Friedrichshafen und deren Tochterunternehmen eine neue, alle zwei Monate erscheinende Werkzeitschrift mit dem Titel »Der ZF-Ring« ins Leben gerufen. Diese Zeitschrift gewährt einen Blick in innerbetriebliche Planungen, aktuelle Themen der Zeit, Stimmungslagen in der Arbeiterschaft und Einstellungen der Funktionsträger. Sie weist über Themenbereiche, wie sie bisher behandelt wurden, weit hinaus. Das neue Medium, an dem »Angehörige aller Berufsschichten« des Betriebes mitwirken sollten 82 , machte sich laut seiner Initiatoren zum Ziel, Kollegialität und ein positives Betriebsklima zu fördern: »Als Zahnradfabrik sind wir eine scheinbar zufällig zusammengewürfelte Gruppe von Menschen mit zunächst völlig einseitig auf die Erhaltung und die Sicherung unserer Existenz gerichteten Interessen. Bei der Arbeit im Betrieb, dem wir zeitlich meist mehr gehören als unserer Familie, machen wir aber die Erfahrung, daß das Zusammenleben unerträglich wird, sobald das Erwerbsstreben allein und nicht auch der Dienst Triebkraft unseres Handelns bleibt. Es ist die Ursache von Schwierigkeiten zwischen den Mitarbeitern untereinander, zwischen Belegschaft und Betriebsrat, sowie zwischen Belegschaft und Geschäftsführung«. Die Werkzeitschrift sah ihre Aufgabe u.a. darin, neben Werkskunstausstellungen, Betriebsausflügen und Erholungsheimen die Härten der Fabrikarbeit zu erleichtern. 83 Sie wurde aber auch dazu benutzt, brisante politische Themen zu diskutieren. Im ersten Heft verwies zum Beispiel ein Artikel »Gegen den Klassenkampf« auf die Gefahren, die »aus der wachsenden Entfremdung der sozialen Schichten entstehen, vor allem aber aus den Spannungen zwischen den Hauptträgern unserer Wirtschaft, der Arbeiterschaft und dem Unternehmertum«. Im Sinne einer Sozialpartnerschaft plädierte der Autor für eine Annäherung beider Seiten durch Verzicht auf Klassenkampf und Ausbeutung. 84 Viele Artikel sind geprägt von dem Wunsch nach einer »Betriebsfamilie«, nach »Kameradschaft«, oder »treuer Arbeitsgemeinschaft«. 85 An solchen Formulierungen läßt sich die fortdauernde Prägekraft nationalsozialistischer Gemeinschaftsappelle erkennen. Auch andere Begriffe wie »leistungsfähiger Volkskörper« u.ä. wurden unbefangen in die neue Zeit übernommen. In den Heften kamen neben innerbetrieblichen Themen wie Sozialversicherung, Lohndiskussionen, politischen Fragen oder betrieblichen Lei82

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Tatsächlich waren an den Publikationen zahlreiche Autoren beteiligt. Am häufigsten traten jedoch auf: Vorstand und technischer Leiter Albert Maier; Diplomingenieur und erster Schriftleiter Karl Schroeder (geboren in Berlin, nach dem Zweiten Weltkrieg an den Bodensee gezogen, 1881-1954); Gewerkschafter Karl Flösser; Willy Döllinger, Meister und Ausbilder in der Lehrlingswerkstatt; Paul Geiger, Oberingenieur. Vorstand und kaufmännischer Direktor Robert Pirker wurde meist mit Reden zitiert, die er in Feierstunden z.B. zum Jahreswechsel hielt. StadtA FN, Der ZF-Ring 1 (1951), S. 3, Geleitwort. Ebd., S. 19. Daß der Wunsch nach Solidarität keine Floskel war, zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1953. Auf einer Betriebsversammlung wurde einstimmig beschlossen, durch freiwillige Spenden die Familien verstorbener Betriebsangehöriger zu unterstützen. Der Betriebsrat schlug in einer weiteren Versammlung vor, bei einem Todesfall automatisch jedem Beschäftigten (damals ca. 2.000) 0,50 DM als Spende abzuziehen: »Es ist kaum anzunehmen, daß sich jemand von dieser freiwilligen Hilfsgemeinschaft ausschließt. Jeder einzelne Mitarbeiter muß sich die Sache aber jetzt Uberlegen und für „Ja" oder „Nein" schriftlich und endgültig entscheiden.« Die Geschäftsleitung wollte den von der Belegschaft gesammelten Betrag jedesmal um die gleiche Summe erhöhen. Nach: Der ZF-Ring 17 (1951), S. 300.

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stungen auch Bereiche zur Sprache, die als neu gelten können. So reflektierten die Autoren über das Verhältnis von Mensch und Arbeit oder über philosophische Aspekte des menschlichen Lebens. 86 Daneben sind von der ersten Ausgabe an Bestrebungen zu erkennen, die Organisationsstruktur der Firma durchsichtig zu machen, die Funktionsträger in kurzen Biographien vorzustellen und Direktionsentscheidungen zu erläutern. Viel Raum nimmt ein Thema ein, das sich mit Modernisierungsproblemen und dem Verhältnis von technischem Wandel und Mensch beschäftigte. Hierzu gab es eine eigene Artikelserie »Mensch und Technik«, die an einigen Beispielen vorgestellt werden soll. Im Mai 1951 hielt der Vorstand und kaufmännische Direktor Robert Pirker anläßlich der Einweihung einer neuen Halle eine Ansprache an die Belegschaft der Zahnradfabrik, in der er sich zu Problemen der Modernisierung äußerte, die er für die Unzufriedenheit innerhalb der Arbeiterschaft und die sozialen Spannungen verantwortlich machte. Angesichts der zunehmenden Rationalisierung des Arbeitsprozesses sei der Arbeiter nicht mehr in der Lage, Arbeitsrhythmus, Arbeitstempo und überhaupt die Art seiner Arbeit zu bestimmen: »Er ist eingespannt in eine Organisation, in der er genau wie jede Einrichtung mitmachen muß. Es fehlt nun jede Beeinflussung des Arbeitsvorganges. Die Industrialisierung kann aber nicht rückläufig sein, sie muß vielmehr weiterentwickelt werden, wenn wir uns behaupten wollen. Die Tatsache aber, daß der Mensch nicht nur als ein leiblicher Organismus, sondern auch als ein Wesen mit Seele und Geist zu betrachten ist, bleibt bestehen. Der moderne Industriebetrieb läßt für den Einzelnen eine Aufgabenstellung, die ihn innerlich befriedigt, nicht zu. Es bleibt demnach nur der Weg der Gemeinschaftsaufgabe. Diese kann aber nur darin bestehen, daß die Erfüllung des Betriebszweckes als gemeinsame Aufgabe aller Betriebsangehörigen angesehen wird. Hierfür ist Voraussetzung, daß die Angehörigen eines Betriebes eine Leistungsgemeinschaft mit entsprechendem Gemeinschaftsgeist bilden. Sie muß sich zusammensetzen aus gleichgeachteten Mitarbeitern am gemeinsamen Werk, die sich bei aller notwendigen Unter- oder Überordnung einfügen in die Ordnung des Ganzen. Ein solches Ziel, das wir seit fünf Jahren anstreben, setzt eine radikale Umstellung im Denken bei Geschäftsleitung und Belegschaft voraus.« 87 Die Firmenleitung begab sich mit ihrer Argumentation auf eine Gratwanderung zwischen Altem und Modernem: »Das Messen und Werten und Sichäußern, nicht zuletzt auch im Verhältnis zur Betriebsführung, ist im Grund eine Angelegenheit menschlicher Freiheit [...]. Die Voraussetzung für eine freiwillige Einordnung wird geschaffen, denn menschliche Freiheit meint auch unter dem Blickpunkt des Betriebes in erster Linie den geistigen Bereich.« Dann machte Pirker eine schnelle argumentative Wendung: »Damit ergibt sich auch eine selbstverständliche Befolgung der Betriebsordnung.« Die Arbeitgeber betonten, daß ein »gerechter Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit« angestrebt werde, daß aber auch nicht vergessen werden sollte, »was es heißt, täglich arbeiten zu dürfen«. 88

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So wurde gefragt, ob es »überhaupt einen festen Anhaltspunkt oder Ausgangspunkt für eine richtige Weltanschauung gibt«, vgl. DerZF-Ring 1 (1951). DerZF-Ring 3 (1951), S. 35. In weiteren Artikeln zu diesem Thema geht es um die Wertigkeit von gelernter und ungelernter Arbeit, um Rationalisierungsprobleme, um die Ablösung von Handarbeit. Der ZF-Ring 6 (1951), S. 89f.

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Der Wunsch nach einer Betriebsgemeinschaft zeigte sich auch in dem Versuch, zwischen Kopf- und Handarbeit zu vermitteln. 89 Ein Autor brachte es auf einen kurzen Nenner: »Zurückgeblendet auf die Wirklichkeit unseres Betriebes, der Mensch und Maschine umfaßt, muß Würde sich äußern in der gegenseitigen Anerkennung des Aneinen-Platz-gestellt-Seins. Arbeiter sein ist Lebensschicksal. Völlig das gleiche trifft in demselben Maß für die Betriebsführung zu.« 9 0 Ein anderer Autor beschrieb die Gesellschaft der vorindustriellen Zeit, »das alte bäuerliche Europa«, aus einer romantischen und verklärten Perspektive. Mit der Maschine habe das allgemeine Übel begonnen: »Sie machte den Menschen zu einem Teil ihrer eigenen seelenlosen Mechanik. Ihre furchtbarste Wirkung aber war weithin das Auslöschen jedes sozialen Empfindens im Menschen „der Wirtschaft".« Klassenhaß, Weltkriege und der Verlust Europas als Mittelpunkt der Welt seien die Folge. Bei seiner rhetorischen Frage, was heute daraus werden sollte, sah der Autor nur eine Lösung: »Zusammenschluß aller Kulturvölker Europas mit gleichen Rechten und gleichen Pflichten zur Arbeit«. 91 Die »Gefahr der Vermassung«, die dem Menschen in den Industriebetrieben drohe, sollte durch menschliche Werte wie Vertrauen, dienende Nächstenliebe, Partnerschaft und Treue gemildert werden. In einem Artikel über das Verhältnis von »Mensch und Technik« wurden die Vor- und Nachteile des technischen Fortschritts seit der Jahrhundertwende abgewogen. Das Beispiel der Lochkarte sollte zeigen, daß zwar der Mensch zur »Nummer« wird, »aber daraus Schlüsse auf die geistige Verfassung eines Werkes zu ziehen, wäre ganz abwegig«. 92 Mehrmals wurde ein Problem aufgegriffen, das aus der Technisierung entstand: die gerechte Entlohnung von Maschinenarbeiterinnen und arbeitem. Eine traditionelle Entlohnung nach dem Grad der Ausbildung (ungelernte, angelernte, gelernte Arbeiter) wurde problematisch, weil es zunehmend möglich war, Beschäftigte aus diesen drei Gruppen für die gleiche Arbeit einzusetzen: »Die „umfassende Berufskenntnis" bleibt vor wie nach erwünscht, gibt sie doch dem Unternehmer die Möglichkeit, den Beschäftigten universeller einzusetzen. Sie kann aber heute nicht mehr in dem Maße eine Entlohnungsqualifikation sein, wie es im früheren Handwerksbetrieb der Fall war, da die Arbeiten durch Arbeitsteilung mehr und mehr spezialisiert werden.« 93 Während des Zweiten Weltkrieges sei ein »Lohngruppenkatalog Eisen und Metall« entwickelt worden, der die Bezahlung nach Berufsgruppen durch die Bewertung des Arbeitsproduktes ablösen sollte. Der Autor des Artikels plädierte für die Einführung dieses Modells, das im Krieg nur in Ansätzen realisiert worden sei, nun allerdings in Kombination mit einer »analytischen Arbeitsbewertung«, die über

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»Die Aufgaben, die uns der Dienst im Werk stellt, sind unterschiedlich. Der eine entwickelt einen neuen Getriebetyp, ein anderer sieht darauf, daß sein Geld hereinkommt, der dritte fegt den Fabrikhof. Alle drei sind notwendig für den Bestand des Werkes [...]. Jede Arbeit bringt ein Körnchen Freude, sei es auch nur das Bewußtsein, das Notwendige gut und ordentlich getan zu haben«. Bei dem Versuch, eine Harmonie zwischen Hand- und Kopfarbeiter herzustellen und unter der Annahme, daß bei den Arbeitern Neid auf den Denkenden bestand, verstieg sich der Autor zu weiteren Betrachtungen: «Es trifft nicht zu, daß geistige Arbeit immer sehr interessant wäre. [...] Das Glück der vollen Zufriedenheit mit sich und seiner Arbeit, das die Putzfrau erfährt, die einen Fußboden so recht blank und sauber gewichst hat, wird dem Geistesarbeiter nur selten geschenkt.« Vgl. ausführlicher dazu ebd., Der ZF-Ring 5 (1951), S. 80.

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6 (1951), S. 88. 4 (1951), S. 62. 8 (1951), S. 134. 11 (1951), S. 179.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

die acht Lohngruppenklassen hinaus den Schwierigkeitsgrad einer Arbeit und alle Einflüsse am Arbeitsplatz berücksichtigen sollte.94 Aber nicht nur der innerbetriebliche Alltag beschäftigte die Produzenten der Werkszeitschrift. Das Thema »Freizeit« hielt Einzug in die Betrachtungen der Autoren: Weil Freizeit nicht »der Sinn des Lebens« sein könne und die Arbeitszeit dank Technisierung voraussichtlich noch kürzer werden würde, gab der Autor Tips für eine sinnvolle Freizeitgestaltung und warnte vor Veranstaltungen, die nur dem Vergnügen und der Zerstreuung dienten. 95 Im Dezember 1951 wurde z.B. eine Kunstausstellung eröffnet, in der »Lehrlinge, Frauen, Angestellte und Handwerker ihr kunstgewerbliches und künstlerisches Können« zum Ausdruck brachten in Form von Zeichnungen, Aquarellen und Ölbildern, Skulpturen in Holz und Ton, Kunstschmiedearbeiten, Modelle, Hand- und Bastelarbeiten jeder Art. Gezeigt werden sollte, »wie glücklich sich der Feierabend für den gestalten kann, der Freude am Schönen und Edlen im Herzen trägt.« 96 Man war sich bewußt, das zeigen diese wenigen Schlaglichter auf damals diskutierte Themen, daß für den Menschen im industriellen Arbeitsprozeß eine »neue«, zunehmend technisierte Zeit angebrochen war, auch wenn diese in ihren Auswirkungen noch nicht exakt eingeschätzt werden konnte. Unternehmer wie Beschäftigte schwankten zwischen Rezepten aus vergangenen Epochen und neuen Wegen. Unsicherheit ist allenthalben aus den Artikeln herauszulesen, aber auch der Wille der Unternehmer, an Autorität zu retten, was noch zu retten war, und ebenso die Verunsicherung der Beschäftigten angesichts des schnellen technischen Wandels. Um ihrer Interpretation der Modernisierungsprozesse in der Belegschaft Resonanz zu verschaffen, setzte die Firmenleitung das in anderen Unternehmen schon seit Jahrzehnten erprobte Instrument der Werkzeitschrift ein.

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In einem Kriterienkatalog wurden fünf Hauptpunkte aufgeführt: Arbeitskenntnisse und Erfahrungen, Geschicklichkeit, Arbeitsbeanspruchung und Umgebungseinflüsse: »Diese analytische Arbeitsbewertung hebt, wenn sie konsequent durchgeführt wird, die Eingliederung in gelernt, angelernt oder ungelernt praktisch auf. Es ist nach dieser gleichgültig, wer am Arbeitsplatz die Arbeit erfüllt, ob Mann, Frau oder Jugendlicher«; ebd., S. 180. Der ZF-Ring 5 (1951), S. 81. Der ZF-Ring 1 (1951), S. 29.

Wohlfahrt und Sozialversicherung

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3. Betriebliche Wohlfahrt und Sozialversicherung 3.1. Ein Geburtstagsgeschenk an die Arbeiterschaft von Friedrichshafen: Die »Zeppelin-Wohlfahrt GmbH«97 In der Zeit von 1908 bis zum Ersten Weltkrieg hatte sich die Zahl der Beschäftigten in den Friedrichshafener Großbetrieben von 80 auf 800 verzehnfacht, und bereits 1915 war sie explosionsartig auf 7.100 Beschäftigte angewachsen.98 Tourismus und der Umstand, daß Friedrichshafen im Oktober 1913 Garnisonstadt geworden war, verstärkten nicht nur den Mangel an Wohnraum, sondern auch die mit dem Wachstum verbundenen sozialen Mißstände. Friedrichshafen war zur teuersten Stadt Württembergs geworden, und schon 1911 gab es angesichts des Mißverhältnisses von Lohnhöhe und Lebenshaltungskosten die ersten Androhungen von Streiks und Massenkündigungen.99 Als 1912 die wirtschaftliche Zukunft des Luftschiffbau Zeppelin dank Militäraufträgen gesichert schien und weitere Arbeitskräfte angeworben werden mußten, entschloß sich die Finnenleitung, grundlegende Verbesserungen im betrieblichen sozialen Gefüge durchzuführen. Deshalb wurde am 23. September 1913 die Zeppelin-Wohlfahrt als Tochtergesellschaft des Luftschiffbaus gegründet. Entstanden war diese Idee anläßlich des 75. Geburtstages von Ferdinand Graf von Zeppelin, als Initiator trat LZ-Generaldirektor Alfred Colsman hervor.100 »Erklärtes Doppelziel dieser Versorgungs- und Dienstleistungsbetriebe war es, einerseits markt97

Die Einrichtungen der Zeppelin-Wohlfahrt scheinen nicht das Interesse der alliierten und deutschen Administration gefunden zu haben. Weder im Besatzungsarchiv in Colmar noch im Staatsarchiv Sigmaringen konnten Quellen zu diesem Themenbereich gefunden werden. Eine ausführliche Publikation liegt nicht vor. Mit Rücksicht auf die Bedeutung des LZ-Tochterunternehmens für die Stadt Friedrichshafen soll dennoch ein kurzer Überblick über die Entwicklung der Wohlfahrtsbetriebe versucht werden. Die ausführlichste und jüngste Darstellung der Geschichte der ZeppelinWohlfahrt ist zu finden in: Maier, Heimatbuch II, S. 58-70. Als Grundlage diente auch eine Sonderbeilage der SZ zum 75jährigen Jubiläum der Zeppelin-Wohlfahrt vom 7.9.1988. Als zeitgenössisches Dokument werden die Erinnerungen von Betriebsdirektor Alfred Colsman, Luftschiff voraus!, herangezogen. Einen kurzen Überblick über das Thema »Sozialpolitik« in Westdeutschland mit Angaben zur reichlich vorhandenen Literatur bietet Hans Günter Hockerts, Vorsorge und Fürsorge: Kontinuität und Wandel der sozialen Sicherung, in: Schildt/Sywottek, Modernisierung im Wiederaufbau, S. 223-241. Für die französische Zone sei auf die Arbeit von Rainer Hudemann verwiesen: Sozialpolitik im deutschen Südwesten zwischen Tradition und Neuordnung 1945-1953, Mainz 1988. 98 Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 13. In dieser weiter unten vorgestellten Publikation finden sich auf den S. 13 ff. kurze Ausführungen zur Zeppelin-Wohlfahrt. Vgl. auch den Artikel über einen Vortrag von Elmar L. Kuhn in der SZ vom 25.4.1981. Im August 1918 waren in der Friedrichshafener Industrie ca. 11.500 Personen beschäftigt, nach Boelcke, Industrieller Aufstieg, S. 473; nach Kuhn (s.o.) waren es am Ende des Krieges nur ca. 8.000 und zusätzlich 4.000 in den Tochterfirmen bei Berlin. 99 Vgl. ausführlicher zu diesem Konflikt Clausberg, Zeppelin, S. 70ff. und S. 148. Karl Clausberg wertete für seine »Zeppelin-Geschichte« Archivalien des Zeppelin-Archivs aus und konzipierte seine Darstellung bewußt in Kontrast zu »Schriften und Büchern älteren Datums, die absichtlich tendenziöse, national-überhöhte Lebensbilder« des Grafen entwarfen. Insofern ist das Buch aufschlußreicher, als es der Titel verspricht. Die folgenden Ausführungen fußen auf Karl Clausberg sowie Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 14f. 100 Colsman beschreibt die Umstände folgendermaßen: »Als Graf Zeppelin mich [...] beim abendlichen Kommers im Buchhorner Hof fragte, was er den Arbeitern sagen solle [anläßlich des 75. Geburtstages am 8. Juli 1913], schlug ich den Bau der Arbeitersiedlung vor, wobei daran zu denken sei, daß die Häuser später als freies Eigentum von den Arbeitern unter günstigen Bedingungen erworben werden könnten. Aus diesem Vorschlag entstand das Zeppelin-Dorf«; Colsmann, Luftschiff voraus, S. 137, siehe zum gleichen Thema auch S. 72.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

regulierend zu wirken, andererseits rentabel zu arbeiten, mit anderen Worten, den Konzern von den Kosten oder Bewußtseinsfolgen unzureichender Lebensverhältnisse seiner Arbeiter zu entlasten«, so Karl Clausberg in seiner Darstellung Uber den Grafen Zeppelin. 101 In der älteren und jüngeren Literatur werden dagegen eher der patriarchalisch-fürsorgliche Geist des Grafen und das soziale Engagement Colsmans betont. 102 Ferdinand von Zeppelin, Mitglied im »Reichsverband gegen Sozialdemokratie«, und Direktor Colsman hatten allerdings ein »sehr subjektives Verständnis von sozialer Gerechtigkeit und dementsprechender Betriebsführung«. Auf Forderungen der Arbeiterschaft gingen sie prinzipiell nicht ein. 103 Treffender ist es deshalb, hier von »leistungsorientiertem Sozialdenken« zu sprechen. 104 So sah es auch Alfred Colsman: »Es gelang im wesentlichen, diese Betriebe jeden für sich wirtschaftlich auszubauen und aus ihren Überschüssen die Kosten der reinen Wohlfahrtsausgaben zu decken.« 105 Kommerzienrat Colsman, seit 1908 Geschäftsführer des LZ-Konzerns, wurde erster Geschäftsführer der neuen Wohlfahrts-Gesellschaft. 106 Wichtigstes Ziel war die durch den Krieg noch dringlicher gewordene Entspannung des Wohnungsmarktes, weshalb die Zeppelin-Wohlfahrt zwischen 1914 und 1917 eine Arbeitersiedlung mit über hundert Häusern für etwa achthundert Betriebsangehörige und deren Familien erstellte. 107 Dieses bis heute bestehende »Zeppelindorf« wurde in den folgenden Jahren mit einer Infrastruktur ausgestattet, die nahezu jedes Grundbedürfnis und problematische soziale Bereiche abdeckte: 1916 wurde ein Ledigenheim mit hundert Betten erbaut und zwei weitere Heime mit über 300 Schlafplätzen erworben. Mietbäder, eine Wäscherei, eine Frauen- und Mütterberatungsstelle mit Kinder- und Wöchnerinnenheim, drei Gasthöfe und eine Ladenkette für den täglichen Lebensmittelbedarf 108 kamen dazu. 101

Clausberg, Zeppelin, S. 72. Auch der Gewerkschafter Rudolf Denz lobte das Engagement des Gründers, und erst »nach dem Ableben des Grafen verstand es die Geschäftsleitung des Konzerns, aus diesem Wohlfahrtsunternehmen ein Erwerbsunternehmen zu machen. [...] Der Konzern verdiente demnach zweimal an seinen Arbeitern: einmal durch ihre Arbeit, zum anderen an der Deckung ihres Lebensbedarfs.« Nach StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Situationsbericht. 103 Clausberg, Zeppelin, S. 71, beschreibt in diesem Zusammenhang, wie brüskiert die beiden von den »Wünschen« der Arbeiterschaft nach einer zehnprozentigen Lohnerhöhung und einer Neuregelung der Überstunden- und Nachtarbeitsbezahlung waren. 104 Ebd. 105 Colsman, Luftschiff voraus, S. 148. Zur Zeppelin-Wohlfahrt allgemein S. 147ff. 106 Manfred Sauter, Zur Wohlfahrt der Zeppeliner, in: Leben am See 6 (1988), S. 335-341, hier S. 335. 107 Die Kosten hierfür übernahm die Industrie. Das Zeppelindorf sollte sich zu einer der größten Arbeitersiedlungen in Württemberg entwickeln. Erweiterungen fanden zwischen 1919 und 1936 statt. Zu den vier Häusergrundtypen, die das soziale Gefälle zwischen den Arbeiterfamilien widerspiegeln, vgl. ebd., S. 336f. Als vorbildlich galt die Größe der Häuser, die Gärten und deren begünstigte Lage im Grünen; vgl. dazu Michael Satow/Betina Steinhauer, Das Zeppelindorf in Friedrichshafen am Bodensee. Teil 1 u. 2, erarbeitet an der Universität Stuttgart, Institut für Baugeschichte und Bauaufnahme, Stuttgart 1984. Die Planung oblag den Architekten und Städtebauern Prof. Paul Bonatz, der auch den Stuttgarter Bahnhof geplant hatte, und Friedrich Scholen Mit der Bauleitung war der Friedrichshafener Architekt Paul Zeller bis 1957 betraut; vgl. Sonderbeilage der SZ, 75 Jahre Zeppelin-Wohlfahrt, vom 7.9.1988. 10S Dazu gehörte u.a. der »Riedlehof«, der die gesamte Stadtbevölkerung mit Frischmilch versorgte. Aus ihm entstand die 1929 gegründete und bis heute bestehende, auf genossenschaftlicher Basis beruhende Großmolkerei »Oberschwäbische Milchverwertung Ravensburg« (OMIRA); nach Sauter, Zur Wohlfahrt der Zeppeliner, S. 338, sowie Satow/Steinhauer, Das Zeppelindorf, Teil 1, S. 6. Colsman begründete die Expansion und Verlagerung der Milchproduktion damit, daß »der Gedanke, mithelfen zu können, die deutsche Einfuhrmenge [an Butter] merklich herunterzudrükken«, bestechend gewesen sei. Die »OMIRA« fand dann auch das Wohlwollen des württembergischen »Nationalisierungsausschusses«. Vgl. ders., Luftschiff voraus, S. 150f. 102

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Im Saalbau, 1917 als Speiseanstalt für Betriebsangehörige errichtet, dann aber auch für die Allgemeinheit zugänglich gemacht 109 , und in mehreren Kantinen war für günstige Mahlzeiten gesorgt. Die eigens dafür gegründete Holzindustrie Meckenbeuren, eine Tochter des LZ-Konzerns, und die 1917 erworbene Ziegelei Grenzhof 110 deckten den Bedarf an Baumaterialien. Dazu kamen eine Kohlenhandlung, eine Sparbank, eine 1918 eingerichtete Leihbibliothek 111 und das Kulturangebot des Volksbildungsausschusses. Der konzerneigene Riedlehof nutzte ausgedehnte Weideflächen des Luftschiffgeländes; um im Krieg die Ernährungssituation zu verbessern, wurden noch drei Bauernhöfe dazugekauft. 112 Die Zeppelin-Wohlfahrt war mit zwei Dritteln am »Kurgartenhotel«, einer Tochter des Luftschiffbau Zeppelin, beteiligt, wodurch die Versorgungsleistungen ebenso begüterten Kreisen zugute kamen. Auch das heutige Zeppelin-Stadion wurde mit Hilfe der Gesellschaft als Sportanlage in der Nähe der Arbeitersiedlung angelegt. Bis zum Ende des Ersten Weltkrieges war eine so große Anzahl von Einzeleinrichtungen entstanden, daß schon von einem »kleinen Konzern im großen Konzern« gesprochen werden kann. Von dessen Leistungen profitierte letztlich die gesamte Stadtbevölkerung. Das Wohlfahrtsunternehmen und einzelne LZTochterfirmen besaßen in den zwanziger Jahren mit 160 Häusern immerhin mehr als zehn Prozent des Häuserbestandes der Stadt. 113 Teile der Bürgerschaft und des Stadtrates verfolgten die soziale, wirtschaftliche und kulturelle Expansion mißtrauisch. Als der Luftschiffbau und die Zeppelin-Wohlfahrt umfassende Vorschläge zur Stadtplanung und -entwicklung vorlegten, stießen sie auf heftigen Widerstand. Man befürchtete, daß die Stadt in Abhängigkeit des Konzerns geraten könnte. Mit dem verlorenen Krieg endete jedoch die Hochphase des Konzerns und damit auch die Expansionsbestrebungen. Einrichtungen der Zeppelin-Wohlfahrt mußten verkauft und Leistungen eingeschränkt werden. In der Weimarer Republik ging die Lösung des nach wie vor akuten Wohnraumproblems auf die Stadt über, die den Bau von mehr als hundert Wohnungen veranlaßte. Um das fruchtbare Hinterland zur besseren Lebensmittelversorgung der Stadtbevölkerung nutzen zu können und Pendlern eine Transportmöglichkeit zu bieten, baute die Zeppelin-Wohlfahrt ab 1919 eine Bahnverbindung von Friedrichshafen über das Zeppelindorf nach Oberteuringen." 4 Die Einweihung fand 1922 statt. 1919 konnte auch die Bautätigkeit im Zeppelindorf fortgesetzt werden. Zwischen 1937 und 1939 wurde, als vorerst letzte Aktion, das Zeppelindorf durch die Schmitthenner-Siedlung erwei-

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Der Saalbau entwickelte sich zum kulturellen Veranstaltungsort und faßte bis zu 1.200 Besucher. "°Vgl. Maier, Heimatbuch II, S. 62. Sauter, Zur Wohlfahrt der Zeppeline, S. 336, gibt als Erwerbsdatum das Jahr 1918 an. " ' D i e Zeppelin-Bücherei, ausgestattet mit Arbeitsräumen und Lesesälen filr Belegschaften und Bevölkerung, hatte einen Bestand von ca. 10.000 Bänden, von denen ein Großteil 1944 verbrannte. ll2 Ein kurzer Überblick über die Wohlfahrtseinrichtungen mit Gründungsdaten bieten mehrere Aufsätze zu diesem Thema, so Maier, Heimatbuch II, S. 61, oder Sauter, Zur Wohlfahrt der Zeppeliner. 113 Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 25. lu Kommerzienrat Colsman hatte geplant, die Bahn bis Krauchenwies oder Mengen weiter auszubauen, dies scheiterte aber an den wirtschaftlichen Verhältnissen in der Weimarer Republik; vgl. Sauter, Zur Wohlfahrt der Zeppeliner, S. 338.

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tert. 115 Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges mußte der Betrieb jegliche Aktivitäten auf diesem Gebiet einstellen. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten sich von den zahlreichen gemeinnützigen und wohltätigen Einrichtungen einige in die neue Zeit hinüberretten, andere bestanden in veränderter Form oder wurden ganz aufgelöst. Bei den Bombenangriffen im Juni und Oktober 1943 wurden im Zeppelindorf etwa 80 Wohnungen total oder teilweise zerstört. Ein Jahr später, die Wiederaufbauleistungen waren bereits erbracht, kam es zu einer weiteren Bombardierung, die 127 Wohnungen zerstörte. Die Zeppelin-Wohlfahrt verlor außerdem durch Totalschaden ihren Bauhof, den Saalbau, die Bücherei und Lesehalle, das Ledigenheim, das Hotel »Lamm« und Teile der Molkerei Riedlehof. Zahlreiche weitere Einrichtungen wurden teilweise zerstört. Nach dem Einmarsch der Franzosen kam es zu Requisitionen von Wohnungen und Transportfahrzeugen, die Grenzhof-Ziegelei mußte mangels Kohlen ihren Betrieb einstellen. Bäkkerei und Metzgerei produzierten nun auch für die Besatzer. Ein Hofgut in Unterteuringen besetzte ein französischer Fahrzeug-Instandsetzungstrupp. 116 Ab 1951 führte die Zeppelin-Wohlfahrt ihre Bautätigkeit fort. Heute verwaltet die Gesellschaft rund 570 Wohnungen im Stadtgebiet. Das Zeppelindorf selbst bietet zirka 500 Menschen eine Wohnmöglichkeit. 117 Das ursprüngliche Versprechen von Alfred Colsman und Ferdinand Graf von Zeppelin an die Mieter, daß sie die Häuser »später« günstig erwerben könnten, wurde in der Zeit der Weimarer Republik nicht eingelöst. 118 Nach dem Zweiten Weltkrieg übten die lokalen Gewerkschaften scharfe Kritik an der Entwicklung der »Scheinsozialunternehmen« während des Nationalsozialismus. Sie forderten die Überschreibung der Siedlungshäuser auf die Mieter, allerdings ohne Erfolg. 119 Auch ein Zeppelin-Dorfausschuß setzte sich für die Übertragung der Häuser ein. Hierüber zu entscheiden lag bei der Stadt als Stiftungsverwalterin. Auf sie war im Rahmen der wirtschaftlichen Neuordnung am 20. November 1948 das Stammkapital der Zeppelin-Wohlfahrt übertragen worden. 120 In einem Rückblick bezog die Zeppelin-Stiftung Stellung: »Der Sachverhalt wurde gründlich geklärt, weil es sich um eine in Friedrichshafen lange schwelende Unzufriedenheit handelte«. Die Stiftung plädierte gegen eine Übertragung und begründete ihre Haltung mit drei il5

Zur Entwicklung von 1936-1938 siehe auch die überlieferten Monatsberichte der Zeppelin-Wohlfahrt, LZA 06/725. Um eine Vorstellung von der Größenordnung des Betriebes zu geben, sei ein Beispiel aus dem Jahre 1936 gewählt: Im Juli dieses Jahres waren in dem Wohlfahrtsunternehmen 68 Arbeiter, 25 Arbeiterinnen, 3 Lehrlinge, 12 Beamte und 2 Beamtinnen tätig; nach ebd., Monatsbericht für Juli 1936. '"Ausführlich zur Nachkriegsentwicklung berichtet die SZ-Sonderbeilage zum 75jährigen Jubiläum der Zeppelin-Wohlfahrt vom 7.9.1988. U7 Sauter, Zur Wohlfahrt der Zeppeliner, S. 341, sowie Maier, Heimatbuch II, S. 62. " 8 Colsman hielt in seinen Erinnerungen fest: »An das vom Grafen Zeppelin gegebene Versprechen, daß die Häuser des Dorfes Eigentum der Arbeiter werden sollten, bin ich in den stürmischen Nachkriegszeiten von den Führern der Arbeiterschaft oft erinnert worden. Nach den einschneidenden Änderungen, die Krieg, Revolution und Inflation in den Wertverhältnissen hervorriefen, konnte ich mich zur Einlösung des Versprechens aber nicht entschließen«, und, wohl aus Legitimationsschwierigkeiten noch nachgeschoben: »ich fürchtete auch die Einheitlichkeit der Siedlung durch Verkäufe zu stören«; ders., Luftschiff voraus, S. 137. " ' V g l . StA Sig, WÜ 120, Bd. 1, Bü. 239, Situationsbericht. 120 LZA 09/271 Verträge und Korrespondenz Zeppelin-Wohlfahrt 1961-1968. Neufassung des Gesellschaftsvertrages vom 24.11.1948, unterschrieben von Zwangsverwalter Emile Knipper und Bürgermeister Josef Mauch. Auch diejenigen Geschäftsanteile an der Zeppelin-Wohlfahrt, welche der Luftschiffbau durch Vertrag vom 14.8.1952 von der Maybach-Motorenbau GmbH erworben hatte, wurden 1956 auf die Stadt übertragen; nach ebd., 09/280, Vertrag vom 30.11.1956.

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Hauptargumenten: 1. Der Erste Weltkrieg und die Inflation hätten den Bau von Eigenheimen aus Mangel an Eigenkapital unmöglich gemacht. Der Wunsch des Grafen, seinen Mitarbeitern eine Altersversorgung zu bieten, sei deshalb mit der Einrichtung einer Alterskasse 1938 erfüllt worden. 2. Die Dorfbewohner kämen in den Genuß von sozialen Mietpreisen. 3. Eine Bevorzugung der Siedlungsbewohner vor anderen Betriebsangehörigen sei grundsätzlich zu mißbilligen. Diese Verhandlungsstrategie war von Erfolg gekrönt: »Die Beauftragten des Dorfausschusses haben sich diesen Erwägungen angeschlossen.« 121 Die Frage nach den Besitzverhältnissen ist noch heute virulent. Das Zeppelindorf wurde inzwischen vom Landesdenkmalamt als Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung eingestuft. 122 Geschäftsführer blieb auch nach Kriegsende der seit 1929 amtierende Direktor Adam Wurm. Ihn löste Friedrich Bühler 1958 ab. 123 In einer Gesellschafterversammlung im Jahre 1964 wurden Julius Oesterle und Willi Kaldenbach zu Geschäftsführern der Zeppelin-Wohlfahrt bestellt. Drei Jahre zuvor, am 20. November 1961, hatte die Stadt alle Geschäftsanteile der Zeppelin-Wohlfahrt GmbH wieder an den Luftschiffbau Zeppelin abgetreten. 124 Die im Kriegsjahr 1918 gegründete Holzindustrie Meckenbeuren wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von der französischen Militärregierung vorübergehend stillgelegt. Im Rahmen der industriellen Neuordnung war die LZ-Tochter zusammen mit der Stiftung auf die Stadt übergegangen. 1972 mußte der inzwischen unrentable Betrieb eingestellt werden. 125 Die Teuringer Talbahn diente der Stadtbevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zur Währungsreform hauptsächlich als »Hamster-Expreß« in die ländliche Region. 1960 mußte das defizitäre Unternehmen, in der Nachkriegszeit der Bundesbahn einverleibt, seinen Betrieb ebenfalls einstellen. 126 Der Bäckereibetrieb wurde zwei Jahre später geschlossen. Ziegelei, Büchereiwesen und landwirtschaftliche Einrichtungen entwickelten sich ebenfalls zunehmend zu Sorgenkindern des Wohlfahrtsunternehmens. Deshalb kam es 1977 zur Stillegung der Ziegelei. Die Zeppelin-Bücherei, nach 1945 eine der wichtigsten kulturellen Einrichtungen im Stadtgebiet und seit 1961 als öffentliche Leihbibliothek von der Bevölkerung genutzt,

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Zitiert nach StA Sig, WÜ 2, Bü. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. SZ vom 8.12.1990. Für das Landesdenkmalamt waren sechs Kriterien für eine Schutzwürdigkeit ausschlaggebend: die Größe der einzelnen Grundstücke; das darin verwirklichte englische »Cottage-System« in einer für Deutschland nur seltenen Reinheit; die für damalige Verhältnisse ungewöhnliche Tatsache, daß jede Wohnung schon vor dem Ersten Weltkrieg mit einer Badegelegenheit ausgestattet war; architekturgeschichtliche Gründe; Würdigung des Architekten Prof. Paul Bonatz, dessen einzige Arbeitersiedlung das Zeppelindorf war; der künstlerische Wert der Siedlung. Zum Zeitpunkt der Expertise hatte die Siedlung 200 Wohnungen. Vgl. hierzu die Beilage »Wochenblatt« in der SZ vom 17.1.1979, sowie Satow/Steinhauer, Teil II, Anhang. 123 Geschäftsführer der Zeppelin-Wohlfahrt: 1913-1918 und 1920-1929 Kommerzienrat Colsman; 1918-1920 Regierungsrat Max Götte; 1929-1958 Direktor Adam Wurm; 1959-1960 Friedrich Bühler; 1960-1964 Werner Hartmann; 1964-1971 Julius Oesterle und Willi Kaldenbach; 1971-1986 Willi Kaldenbach; nach SZ Sonderbeilage vom 7.9.1988. 124 LZA 09/271, Verträge und Korrespondenz Zeppelin-Wohlfahrt 1961-1968, Schreiben vom 22.12.1961. Die Luftschiffbau Zeppelin GmbH wurde damit alleinige Gesellschafterin. 125 Maier, Heimatbuch II, S. 65. 126 SZ-Sonderbeilage vom 7.9.1988. Nach Maier, Heimatbuch II, S. 63 und 67, wurde 1952 der Personenverkehr, 1960 der Gütertransport eingestellt. In der SZ-Berichterstattung variieren die Jahresangaben leicht. 122

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ging mit ihren stark erweiterten Beständen 1979 auf die Stadt über. Im gleichen Jahr wurde der Grenzhof verpachtet.127 3.2. Die Betriebskrankenkassen des Luftschiffbau Zeppelin, des Maybach-Motorenbau und der Zahnradfabrik128 Ausgangspunkt einer sozialen Absicherung der Fabrikbeschäftigten in Friedrichshafen war eine 1873 gegründete »Unterstützungs-Kasse für Arbeiter, Gesellen und Dienstboten in Krankheitsfällen«. Sie ging 1884 in der Bezirks-Krankenkasse des Oberamtes Tettnang auf, welche seit 1914 den Namen »Allgemeine Ortskrankenkasse« trägt. Zusätzlich errichtete der Luftschiffbau Zeppelin ein Jahr nach seiner Gründung 1908 ein System der Invaliden-, Alters- und Hinterbliebenenfürsorge für Arbeiter und Beamte. 129 Ein Wohfahrtsausschuß, dessen Mitglieder von der Belegschaft gewählt wurden, kontrollierte die Geschäfte. Auf diese innerbetriebliche Sozialabsicherung war das Direktorium im Sinne patriarchalischer Fürsorge sehr stolz, konnte sie aber auch als Druckmittel gegen die Arbeiterschaft einsetzen. Bei den schon oben erwähnten Arbeiterunruhen im Frühjahr 1911 drohte das Direktorium mit der Streichung von Sozialleistungen, so daß zum Beispiel »bei Aufrechterhaltung der Kündigung der Zuschuß des LZ zur Lebensversicherung aufhöre, und daß Arbeiter, welche die Lebensversicherung auf eigene Rechnung nicht fortsetzten, später [...] nicht wieder aufgenommen würden.« 130 Die Arbeiterschaft nahm ihre Kündigungsandrohung zurück, »nicht auf Rücksicht der Direktion« [sie!], sondern »aus tiefster Hochachtung und gänzlichefm] Vertrauen an Sr. Excellenz«, womit Ferdinand Graf von Zeppelin gemeint war. 131 Im Jahre 1913 hatte Alfred Colsman in Verbindung mit der Zeppelin-Wohlfahrt den Plan, eine Betriebskrankenkasse einzurichten 132 , die Arbeiterschaft des LZ-Konzerns 127

Ebd. Zu den »Problemen und Planungen der Zeppelinwohlfahrt GmbH«, Stand 1962, vgl. auch LZA 09/271 Geschäftsberichte und Bilanzen Zeppelin-Wohlfahrt. 12S Zu diesem Thema liegt nur eine einzige, aber vorzüglich recherchierte Publikation vor, in der umfassend die Geschichte des innerbetrieblichen Krankenkassensystems der Friedrichshafener Großfirmen dargestellt wird: Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, mit einem umfangreichen statistischen Anhang. Auf ihr basieren die folgenden Ausführungen. Unter der Leitfrage nach Kontinuitäten in der Nachkriegszeit werden dabei zwei Aspekte in den Mittelpunkt des Interesses gerückt: der organisatorische Aufbau sowie die personelle Besetzung der Betriebskrankenkassen. 129 Für Arbeiter und Beamte gab es getrennte Statuten, die allerdings im Wortlaut sehr ähnlich sind. In den Statuten der »Wohlfahrts-Einrichtungen für die Arbeiter des Luftschiffbau Zeppelin, G.m.b.H.« heißt es einleitend: »Den Wünschen Sr. Exz. des Herrn Grafen von Zeppelin entsprechend führt der Luftschiffbau Zeppelin, G.m.b.H. Wohlfahrts-Einrichtungen und zwar eine Fürsorge-Einrichtung und eine Unterstützungskasse für seine Arbeiter ein, die verpflichtet sind, an ihnen teilzunehmen. Auf die bei Inkrafttreten dieser Satzungen in den Diensten des L.Z. stehenden Arbeiter kann jedoch weder zu diesem Zeitpunkt noch später ein Zwang wegen des Beitritts ausgeübt werden.« Bezüglich der Pflicht zu einer Mitgliedschaft bestand also ein Widerspruch. Die Kosten der Versicherungen trugen Gesellschaft und Arbeiter bzw. Beamte nach § 7 »gemeinsam«, die Versicherungsprämien übernahm die Gesellschaft zu zwei Dritteln. Zu Zweck und Gegenstand der Einrichtungen sowie deren Leistungen vgl. die 43 Paragraphen umfassende Satzung vom 1.7.1909, LZA 05/008 Zeppelin-Wohlfahrt, 1 Fasz. »Wohlfahrtseinrichtungen für die Arbeiter der Luftschiffbau Zeppelin GmbH« 1908-1909 sowie 1 Fasz. zu den Einrichtungen für Beamte. ''"Information des Direktoriums an den Wohlfahrtsausschuß; Zitat entnommen aus Clausberg, Zeppelin voraus, S. 72. 131 Ebd. 132 Die Möglichkeit zur Gründung von Betriebskrankenkassen war bereits 1911 in der Reichsversicherungsordnung verankert worden.

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lehnte dies jedoch ab. Über die Gründe kann nur spekuliert werden. Mit Blick auf die Erfahrungen von 1911 ist jedoch anzunehmen, daß sich die Beschäftigten nicht allzu eng an den Konzern binden und damit erpreßbar machen wollten. 133 Bis zu diesem Zeitpunkt gab es bereits zwei Betriebskrankenkassen im Oberamt: eine für die Arbeiterschaft der Lederfabrik HUni in Friedrichshafen und eine 1893 eingerichtete Kasse des Sägewerks und der Kistenfabrik der Gebrüder Locher in Tettnang. Beide Betriebe beschäftigten etwa hundert Mitarbeiter. 134 Im Oktober 1914 setzte sich Colsman dann doch mit Hilfe einer Genehmigung des Württembergischen Oberversicherungsamtes durch. Ab 1. Januar 1915 konnten die Betriebskrankenkassen der Friedrichshafener Großbetriebe ihre Arbeit aufnehmen, und zwar je eine für den Luftschiffbau und für die May bach-Werke. Sie boten ihren Mitgliedern bei geringeren Beitragszahlungen weitaus bessere Leistungen als die AOK. 135 Ein Teil des nun in Friedrichshafen eingeführten Versorgungssystems fand seine gesetzliche Verankerung erst in der Zeit der Weimarer Republik. 1918 kam noch eine Betriebskrankenkasse der Zahnradfabrik hinzu. Die Beschäftigten der Dornier-Werke sind seit 1917 bis heute bei der BKK des Luftschiffbaus versichert. 136 Obwohl die drei Kassen rechtlich unabhängig voneinander gegründet wurden, hatten sie - entgegen geltenden Bestimmungen - einen gemeinsamen Geschäftsführer und gemeinsame Tagungen, auch nannten sie sich in der Weimarer Republik auf Briefbögen »Vereinigte Zeppelin-Krankenkassen«, was auf scharfe Kritik der Aufsichtsbehörden stieß. Der organisatorische Aufbau war dreistufig gegliedert: Die Versicherten einer Betriebskrankenkasse bestimmten in geheimer Wahl und vieijährigem Turnus vier Vertreter in einen Ausschuß; diese wählten wiederum drei Vorstandsmitglieder; Ausschuß und Vorstand leitete ein Vertreter der Firma oder dessen Stellvertreter, er besaß ein Drittel aller Stimmen gegenüber zwei Dritteln der Arbeitnehmervertretung. Einige gewählte Arbeiter waren noch in anderen politischen Gremien oder Zirkeln und bis in die Zeit nach 1945 aktiv. Als ein Beispiel sei der Dreher und Vorstand der BKK des Luftschiffbau Zeppelin, Josef Hänsler genannt, der SPD-Gründungsmitglied und SPD/KPD-Gemeinderat zwischen 1918 und 1931 gewesen war.137 Die Freien Gewerkschaften konnten aufgrund der personellen Zusammensetzung Einfluß auf die Betriebskrankenkassen geltend machen, und dies in einem stärkeren Maße, als es ihnen bei den AOK-Ausschüssen gelungen war. De facto wählten die Versicherten bis 1933 nur einmal, und zwar im Jahre 1927. Bei allen anderen Wahlterminen, auch beim ersten 1915, war jeweils nur ein Kandidat vorgeschla-

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Bei den Auseinandersetzungen im Jahr 1911 kam es zur Vertrauenskrise zwischen Unternehmern und Arbeitern: »Es fielen harte Worte, und auch das idyllische Wunschbild der großen Firmenfamilie drohte auseinanderzufallen: Aufgefordert, anstelle verbindlicher Regelungen in puncto Leistungsprämien sowie Überstunden- und Nachtarbeitsbemessung doch Vertrauen in die Firmenleitung zu setzen, erwiderten die Arbeiter, „sie wollten sich auf das Vertrauen nicht verlassen"«; zitiert nach Clausberg, Zeppelin voraus, S. 72. 134 Kuhn u.a.. Ein Hort der Hilfe, S. 11. 135 Detaillierte Ausführungen ebd., S. 16. 136 Bis Anfang der zwanziger Jahre waren bei dieser Kasse auch die 4.000 Beschäftigten der Tochterfirmen in Potsdam und Staaken mitversichert. '"Weitere Gremienmitglieder, die in Parteien, Betriebs- und/oder Gemeinderat aktiv waren: Ignaz Huber, Johann Georg Reiß, August Groß, Karl Ensle, Josef Schöb, Jakob Braun, Franz Bertel; nach Kuhn u.a. mit jeweiliger Kurzbiographie S. 19 und S. 36. Immer wieder auffallend ist, wie viele Ämter in Parteien, Gewerkschaften und verschiedenen Ausschüssen einzelne Aktivisten in Personalunion bekleideten.

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gen und damit automatisch in das Gremium aufgenommen worden. 138 Geschäftsführer war von 1915 bis 1921 Eugen Stadtmüller, Leiter der Sparbank der ZeppelinWohlfahrt und Schriftführer der Sanitätskolonne des Roten Kreuzes. Den Vorsitz in beiden Gremien leitete - je nach Sitzungsthemen und Zeitplanung - ein Arbeitgebervertreter: Generaldirektor Colsman, ein Direktor der LZ-Betriebe oder der Geschäftsführer selbst. Von den 12.000 in den Friedrichshafener Betrieben gegen Ende des Ersten Weltkrieges beschäftigten Arbeiterinnen und Arbeitern war ein Großteil für den Kriegseinsatz in der Industrie zwangsverpflichtet worden. Deshalb stammten bereits 1916 nur dreizehn Prozent der BKK-Versicherten (LZ und MM) aus dem Oberamt Tettnang, etwa gleich viele aus den benachbarten Regionen. 139 Das Jahr 1926 bedeutete für die Betriebskrankenkassen fast das Aus, da als Folge der Inflation die finanziellen Reserven fast erschöpft waren. Zeppelin-Konzem und Stadt Friedrichshafen versuchten, neben der AOK für den Oberamtsbezirk Tettnang eine eigene Ortskrankenkasse für die Stadt Friedrichshafen zu gründen. Diese Pläne scheiterten kurz vor der Verwirklichung am Einspruch der AOK Tettnang und des Oberamts. Deren Gegenvorschlag, die Mitglieder der drei Betriebskrankenkassen der Kreis-AOK einzugliedern, lehnten Konzemleitung und Betriebskrankenkassen ab. 140 Die Notverordnungen der Regierung Brüning schränkten die Selbstverwaltung der Kassen stark ein, der nationalsozialistische Staat liquidierte sie endgültig. Ab Mai 1933 bestimmte der »Reichskommissar für die Krankenkassen Württembergs« die Vorstands- und Ausschußmitglieder. In Friedrichshafen legte im Juli 1933 die NS-Betriebszellenorganisation im Luftschiffbau Zeppelin den Kassen Listen vor, auf denen entlassene, neu bestimmte oder verbliebene Gremienmitglieder vermerkt waren. Diese Listen wurden dann vom Reichskommissar bestätigt. Aus der ADGB-Liste von 1927 wurden immerhin zwei Vorstands- und drei Ausschußmitglieder weiterhin übernommen. 1935 wurden beide Gremien aufgelöst und durch zwei - allerdings rechtlose - Beiräte mit je vier Stellvertretern ersetzt. In allen Gremien, auch in dem ab 1936 wieder neu hinzukommenden, aber völlig bedeutungslosen Ausschuß, gab es eine personelle Kontinuität von ADGB-Mitgliedern. Dagegen befand sich Franz Bertel, BKKVorstandsmitglied und ehemaliger KPD-Vorsitzender, bei seiner Amtsenthebung im Mai 1933 bereits im Lager Heuberg in Schutzhaft. Vorsitzender, ab 1935 »Leiter«, einer Betriebskrankenkasse wurde in der Regel der »Betriebsführer«. Im Luftschiffbau war das seit 1929 der stellvertretende Geschäftsführer und Syndikus Dr. Karl Schmid, bis 1933 den Deutschnationalen zuzuordnen, und Stiftungsvorstand Hugo Eckener; Leiter der Maybach-Betriebskrankenkasse wurde Betriebsdirektor Karl Rommel. Die Geschäftsführung der Zeppelin-Kassen übernahm von 1921 bis 1946 ohne Unterbrechung Carl Frey. Die Leistungen der LZ-Betriebskrankenkassen verschlechterten sich mit Beginn der NS-Diktatur nicht gegenüber den letzten Jahren der Weimarer Republik. Eine Verbesserung bestand in der Zahlung eines Kinderzuschlags zum Krankengeld des Arbeit138

Die Versichertenvertreter wurden meist von christlichen oder Freien Gewerkschaften vorgeschlagen. Bei der Wahl von 1927 beteiligten sich ca. 60% der Wahlberechtigten von LZ und MM, 80% entschieden sich für den ADGB-Vorschlag, 20% für die Liste der Christlich-Nationalen Gewerkschaften; nach Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 19 und 36. l39 Zur Mitgliederentwicklung von 1915 bis 1988 siehe ebd., S. 77. l40 Nach einer 4seitigen Festschrift: 75 Jahre Betriebskrankenkassen in Friedrichshafen. Festschrift der Betriebskrankenkassen der MTU Friedrichshafen GmbH und Luftschiffbau Zeppelin GmbH, Friedrichshafen, Juni 1990.

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nehmers. Der Zeppelin-Konzern selbst konnte Ende der dreißiger Jahre und während des Krieges seine innerbetrieblichen Sozialleistungen ausbauen. So gab es ab 1938 eine Altersversorgungskasse, die auch Hinterbliebenen eine Rente gewährte; 141 Kinder von Beschäftigten konnten sich in Ferienheimen erholen; Betriebsärzte und eine »Werksfürsorge« gab es in den LZ-Betrieben und bei Domier. Die Beiträge der Mitglieder sanken auf einen Niedrigststand von 2,5 Prozent und stiegen bis Ende des Krieges wieder auf 4,5 Prozent, einer Beitragshöhe, wie sie schon im Ersten Weltkrieg bestanden hatte. Bei geringen Kassenausgaben - Sparappelle und ein engmaschiges Kontrollsystem durch Vertrauensärzte zeigten hier ihre Wirkung - konnten die Betriebskassen ihre Rücklagen in der Kriegszeit sogar noch aufstocken. Bei Verdoppelung der BKK-Mitgliederzahlen während des Krieges sank die Anzahl der Kassenärzte aufgrund von Einberufungen auf die Hälfte 142 , was Engpässe in der medizinischen Grundversorgung nach sich zog. Die Betriebskrankenkassen setzten ihre Arbeit, wenn auch unter erschwerten Bedingungen und in ausgelagerten Räumlichkeiten, über das Kriegsende hinweg fort. Erst mit der Anordnung Nr. 39 der französischen Militärregierung innerhalb der Sozialversicherungsreform in der FBZ mußten sie sich bis zum 31. Mai 1946 auflösen und mit ihrem Vermögen 143 in die AOK eingliedern. Mit dieser Anordnung setzte die französische Verwaltung alliierte Pläne um, das Sozialversicherungswesen angesichts der Vielzahl bestehender Versicherungsträger wie Betriebs-, Innungs-, Land-, oder berufsspezifischen Krankenkassen zu reformieren. Im Vordergrund stand das Ziel, eine Einheitsversicherung zu schaffen, die breite Kreise der Bevölkerung versorgen und den Gewerkschaften eine Majorität in den Selbstverwaltungsorganen sichern sollte. 144 Bis Ende Juni 1947 war noch eine Abwicklungsstelle unter der Leitung des bisherigen Geschäftsführers Carl Frey tätig. Frey selbst kam, »wie er mit Bitterkeit feststellte, für die „Übernahme in die Dienste der AOK nicht in Betracht"«. 145 1949 hob die Militärregierung das Verbot von Betriebskrankenkassen (und weiteren Kassen) wieder auf. Zu groß waren die Widerstände zahlreicher Interessengruppen gegen eine Reform: Ärzteschaft und Privatversicherungen, Angestellte, Handwerker, Landwirte und auch die Arbeitgeberseite. Sie alle wollten ein System fortführen, das sich durch gewachsene Kassenvielfalt, eine Begrenzung der Versicherungspflicht und unterschiedliche Regelungen für Arbeiter und Angestellte zum Beispiel bei der Rente auszeichnete. Hans Günter Hockerts sieht den Grund für die durch alle Schichten gehende, auch Sozialdemokratie und Gewerkschaftskreise erfassende Opposition gegen alliierte Reformbestrebungen in dem Wunsch der Deutschen, sich positiv der eigenen Geschichte zu vergewissem: »In Anbetracht der deutschen Katastrophe gab es nicht viele Traditionen, an denen das bürgerliche Deutschland auf der Suche nach einem historischen Identitätsbewußtsein anknüpfen konnte. Hier bot sich die Sozialversicherungstradition, die dem Deutschen Reich lange ein hohes internationales Ansehen ein141

Die LZ-Altersversorgungskasse büßte mit der Währungsreform ihr Vermögen ein, weshalb ab diesem Zeitpunkt die Absicherung von 62 Rentnern, 69 Witwen, 68 Waisen und 483 Rentenanwärtern nicht mehr gewährleistet war; vgl. StA Sig, WÜ 2, Bti. 760, Bericht der Zeppelin-Stiftung. l42 Zu Krankenstand, Kassenausgaben, Beitragssätzen und Löhnen der Mitglieder: Kuhn u.a.. Ein Hort der Hilfe, statistischer Anhang für die Jahre 1915-1988. 143 BKK Luftschiffbau Zeppelin: 403.000 RM, BKK Maybach 153.000 RM; nach ebd., S. 52. 144 Vgl. dazu Hockerts, Vorsorge und Fürsorge, S. 227. 143 Zitat entnommen aus Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 52, nach einem Brief von Frey, datiert auf den 23.5.1947.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

getragen hatte, als ein zu hütender Restbestand nationalen Stolzes an.« 146 Ein solches Erklärungsmuster schließt nicht aus, daß gleichzeitig Gruppeninteressen und ökonomische Überlegungen eine Rolle spielten. So war nicht nur in Friedrichshafen der Wechsel von einer Betriebs- zur Allgemeinen Ortskrankenkasse mit einem reduzierten Leistungsniveau verbunden, weshalb auch Teile der Arbeiterschaft das französische Modell ablehnten. 147 Der Betriebsrat des Maybach-Motorenbau ließ die Belegschaft am 22. September 1949 in geheimer Wahl entscheiden, ob sie weiterhin bei der AOK oder in einer wiedergegründeten BKK versichert sein wollte. Das Ergebnis ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: 84 Prozent votierten für eine Betriebskrankenkasse, und nur 8 Prozent für einen Verbleib in der AOK. 148 Neu an der Wiedergründung war jedoch, daß diesmal eine eigenständige, von den Tochterfirmen und der Zeppelin-Stiftung unabhängige Kasse eingerichtet wurde. Der Hauptgrund hierfür lag in dem Ziel Karl Maybachs, seine Firma aus der Zeppelin-Stiftung herauszulösen. Die Abkoppelung vom Konzern brachte auch eine personelle Neubesetzung der Geschäftsführung mit sich. 149 Zum Vorstandsvorsitzenden und Arbeitgebervertreter wurde Direktor Jean Raebel bestimmt. Parallel dazu erfolgte ebenfalls 1949 auch für die Beschäftigten der Zahnradfabrik die Wiedergründung der Betriebskrankenkasse. Ihr Leiter wurde der ehemalige Geschäftsführer der »Vereinigten Zeppelin-Krankenkassen« Carl Frey. Für die Krankenkasse des Luftschiffbau Zeppelin als Konzernmutter gestaltete sich die Wiedergründung weitaus schwieriger, da sich die AOK gegen eine Reorganisation sperrte. Eine erste Etappe auf dem Weg zur Wiedergründung konnte nach einem Urteil des südwürttembergischen Oberversicherungsamtes erreicht werden, wonach einzelne Betriebe der Betriebskrankenkasse beitreten durften. 150 Gegen die Aufnahme von Betrieben, welche inzwischen für die Besatzung arbeiteten, richtete sich die AOK mit dem Argument, daß es sich hier weder um Nachfolge- noch entflochtene LZ-Firmen handele, sondern um Neugründungen mit anderen rechtlichen Rahmenbedingungen. Das Sozialgericht Ulm entschied am 26. Juni 1954 anders, und zwar mit einer erstaunlichen Begründung. Es ging davon aus, »daß der Wiederaufbau der alten LZ-GmbH aus politischen Gründen nur schrittweise und in Form von zunächst nach außen selbständig erscheinenden Einzelbetrieben erfolgen konnte«, aber »Planung, Arbeitsverteilung und die Personalpolitik zentral von der LZ GmbH i.L. [in Liquitation] im Bestreben gelenkt wurde, zum frühestmöglichen Zeitpunkt die rechtliche und wirtschaftliche Einheit der LZ GmbH i.L. im alten Umfang wieder herzustellen«. 151 Wie weiter vorne beschrieben, endete die Liquidation des Luftschiffbaus erst 1955, und eine Reorganisation des Konzems war - entgegen den Erwartungen des Sozialgerichts - nicht 146

Hockerts, Vorsorge und Fürsorge, S. 227. Zur Sozialversicherungsreform in der FBZ vgl. auch Wolfrum, Besatzungspolitik, S. 255ff. l41 Hudemann, Französische Besatzungspolitik, S. 259, stellt für das Land Baden fest, daß dort der Rückhalt für eine Einheitskasse weitaus stärker gewesen sei als in Württemberg. Als Gründe hierfür sieht er den Leiter der Arbeitsverwaltung Clemens Moser (CDU), einem erklärten Gegner der französischen Reformversuche, und eine Orientierung Südwürttembergs am amerikanisch besetzten Nordteil des Landes. 148 Von 661 Werksangehörigen stimmten 579 für eine BKK; nach Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 59. ""Geschäftsführer war von 1949-1954 der Prokurist Gotthold Schmidt; ebd., S. 87. 150 Dabei handelte es sich um die Genossenschaftsbetriebe Metallbearbeitung und Sauerstoffwerk, die Firmen Dornier Rickenbach und Pfronten sowie die Friedrichshafener Einrichtungen des Luftschiffbau i.L. und der Dornier-Werke i.L. 151 Zitiert nach Kuhn u.a., Ein Hort der Hilfe, S. 60.

Wohlfahrt und Sozialversicherung

261

gelungen. Dennoch hatte das Urteil zur Folge, daß die Betriebskrankenkasse Luftschiffbau Zeppelin bis heute »als einziges real bedeutsames Relikt des ehemaligen Konzernzusammenhanges« besteht und eine Vielzahl von Gesellschaften umfaßt. Nach dem Ulmer Entscheid kamen die umstrittenen, für die Besatzung arbeitenden Betriebe hinzu, in der Folgezeit die Domier-Werke Friedrichshafen mit zahlreichen deutschen Tochterfirmen und die Zeppelin-Metallwerke mit ihren heute 23 Niederlassungen. Das letzte, wieder zugunsten der Betriebskrankenkasse ausfallende Urteil zu diesem Problemfeld fällte das Bundessozialgericht 1971. Neu an dem gesamten Entscheidungsverfahren war, daß für öffentlich-rechtliche Auseinandersetzungen dieser Art seit September 1953 eine Sozialgerichtsbarkeit zuständig war und somit eine Trennung von Exekutive und Judikative durchgeführt wurde. Hinsichtlich der personellen Ausstattung und dem Hang zur Vereinigung setzte sich innerhalb des betrieblichen Kassensystems in Friedrichshafen zum letzten Mal eine Kontinuität durch. Von 1953 bis 1961 übernahm der Leiter der BKK Zahnradfabrik, Carl Frey, auch die Geschäftsführung der BKK Luftschiffbau in Personalunion. 152 Danach wurden die Kassen - wie schon in der Weimarer Republik von den Aufsichtsbehörden gefordert - organisatorisch getrennt geführt. Die Selbstverwaltungsorgane der Kassen wurden 1951 per Gesetz wieder eingeführt, allerdings erstmals seit Gründung der Betriebskrankenkassen mit veränderten Vertretungs verhältnissen. Analog zur neuen Beitragsaufteilung erhielten die Arbeitgeber nun statt eines Drittels der Stimmen die Parität in den Kassengremien, weshalb Hans-Ulrich Deppe von einem »Sieg der Unternehmer gegen die Arbeiterbewegung« spricht. 153 Allerdings wurden auch die Pflichtleistungen der Kassen - teilweise unter Kostenbeteiligung der Arbeitgeber ausgedehnt. Einen großen Fortschritt für die Versicherten bedeutete die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die zwischen 1957 und 1970 eingeführt wurde und für die ersten sechs Wochen vom Arbeitgeber zu finanzieren war und ist." 4 Dem Befund, daß sich das innerbetriebliche Versicherungssystem des Luftschiffbau Zeppelin weitgehend reorganisieren und dabei tradierte Formen fortschreiben konnte, ist noch eine abschließende Feststellung anzufügen: Nicht nur die Reformpläne der Alliierten scheiterten. Zuvor war es auch den Nationalsozialisten mißlungen, über die DAF grundlegende Strukturveränderungen im deutschen Sozialversicherungssystem durchzusetzen.

,52

Zur personellen Besetzung von Vorstand (1935-1945 Leiter), Arbeitnehmervertretung (1935-45 Beirat), Ausschuß (bzw. Vertreterversammlung), Arbeitgebervertretung und Geschäftsführung von 1915-1992 vgl. ebd., S. 84ff. l53 Hans-Ulrich Deppe, Betriebliche Sozialpolitik, S. 36. 154 Der Ausgang derzeitiger Bestrebungen auf Arbeitgeberseite, diese Sozialleistung einzuschränken, ist angesichts ausgedehnter Proteste noch ungewiß.

262

III. Lebens- und Arbeitswelt

4. Flüchtlinge, Vertriebene und Ausgewiesene im Kreis Tettnang155 4.1. Anfangs noch freudig erwartet: Die Flüchtlingsaufnahme von April 1946 bis 1950 Bis zum Jahre 1950 kamen im Zuge von Evakuierung, Umsiedlung, Flucht und Vertreibung etwa acht Millionen Deutsche in die Bundesrepublik. Diese riesige Zwangswanderung setzte fort, was bereits im Kriege begonnen hatte. Denn 1944 hatte die gleiche Anzahl von ausländischen Zivilarbeitem und Kriegsgefangenen im Deutschen Reich arbeiten müssen.156 In der französischen Zone setzte die Aufnahme von Flüchtlingen später als in den anderen Zonen ein. Ende 1945 hatte sich die Militärregierung geweigert, überhaupt Flüchtlinge aufzunehmen, und noch am 8. August 1946 erließen die zuständigen Stellen ein totales Zuzugsverbot.157 Aber unter dem zunehmenden Druck der anderen Alliierten wurde bald klar, daß die französische Regierung ihre Verweigerungsstrategie nicht würde durchhalten können. Die Initiative zur Aufnahme von Flüchtlingen ging hauptsächlich von deutschen Verwaltungsinstanzen aus. Für den Kreis Tettnang liegen nur sehr wenige französische Quellen vor: Die Flüchtlinge unterzubringen, scheint man als eine deutsche Angelegenheit behandelt zu haben. Im Frühjahr 1946 begann die deutsche Flüchtlingsverwaltung, erste Überlegungen zur Bewältigung eines dieser zentralen Nachkriegsprobleme zu formulieren. So gab der Landeskommissar für Flüchtlings wesen, Dr. Theodor Eschenburg,158 ein Rundschreiben mit dem Titel »Anweisung und Richtlinien für die Vorbereitung und Durchführung der Aufnahme von Flüchtlingen im französisch besetzten Gebiet Württembergs

155

Die Begriffe Flüchtling, Vertriebener, Ausgewiesener etc. werden im folgenden, entsprechend der zeitgenössischen Sprachpraxis, synonym verwendet. Schon den Behörden in der Nachkriegszeit machte die unbefriedigende begriffliche Abgrenzung Probleme bei der Klassifizierung der Neubürger, und auch in der Statistik schlug sich diese Unsicherheit nieder. Vgl. hierzu Sylvia Schraut, Flüchtlingsaufnahme in Württemberg-Baden 1945-1949. Amerikanische Besatzungsziele und demokratischer Wiederaufbau im Konflikt, München 1995, Einführung, S. 13. "'Mathias Beer, ,3aden-Württemberg ist noch nahezu unbeackert geblieben". Literatur und Quellenlage zur Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen im deutschen Südwesten nach 1945, in: ders. (Hrsg.), Integration von Flüchtlingen, S. 27-47, hier S. 27. Zum aktuellen Forschungsstand verweist Beer darauf, daß der deutsche Südwesten bislang in der wissenschaftlichen Flüchtlingsforschung trotz guter Quellenlage stark vernachlässigt wurde. Erst seit Anfang der neunziger Jahre erscheinen auch Veröffentlichungen aus dem Universitätsbereich. Diese Forschungslücke Schloß jüngst Sylvia Schraut für einen Teil Baden-Württembergs mit ihrer Habilitationsschrift über die Flüchtlingsaufnahme in Württemberg-Baden 1945-1949. Zum Stand der Literatur sei auf diese beiden Untersuchungen verwiesen. '"Kühne, Vom Landeskommissar zum Staatskommissar, S. 113; Schraut, Flüchtlingsaufnahme, S. 43. "'Theodor Eschenburg, seit Oktober 1945 »Flüchtlingsreferent im Staatssekretariat« und seit Januar 1946 »Landeskommissar für Flüchtlingswesen«, wurde am 14.1.1947 von Gouverneur Widmer entlassen. Zu Entstehung, Aufbau und personellen Besetzung der Flüchtlingsverwaltung in Württemberg-Hohenzollern sei auf die Ausführungen von Andrea Kühne verwiesen.

Flüchtlinge und Vertriebene

263

und Hohenzollerns« heraus.159 Eschenburg ging von mindestens 100.000 Flüchtlingen aus, »und zwar ab April 1946, voraussichtlich im wesentlichen aus Oesterreich«160. Nach groben Schätzungen hatten alle Kreise und kreisfreien Städte zunächst mit einer Zuweisung von zehn Prozent ihrer Bevölkerungszahl zu rechnen. Für die Durchführung der Aufgaben war auf Kreisebene hauptsächlich der Landrat zuständig, dem ein Flüchtlingsreferent zur Seite gestellt wurde. Diesen wiederum unterstützte ein Ausschuß, in dem Vertreter des Arbeits-, Wirtschafts-, Wohnungs- und Bauamtes, aus den karitativen Verbänden und - in vorwiegend ländlichen Kreisen - ein Bauemobmann zusammenarbeiteten. Das Landratsamt sollte mit karitativen Organisationen und Hilfswerken oder auch Einzelpersonen auf Kreisebene kooperieren.161 Im Gegensatz zu Bayern (ABZ), wo das staatliche Flüchtlingswesen zentralisiert war162, kam in Südwürttemberg eine dezentrale Regelung zum Tragen. Das bedinge aber auch, wie Eschenburg in seinen Ausführungen zur württembergischen Organisationsstruktur betonte, »daß Kreise und kreisfreie Städte als die Träger dieses dezentralisierten Systems die Lösung dieser Aufgabe weitestgehend aus sich selbst heraus unter Beachtung der allgemeinen Richtlinien und Anweisungen finden«. Die Kosten hatten die Kreise vorzustrecken, bis sie vom Land erstattet wurden. In den weiteren Überlegungen ging es dann um die konkrete Situation vor Ort: Beschaffung von Wohnraum, Bau von Auffanglagern und Hilfskrankenhäusern, Ernährung, Brennstoffversorgung und Arbeitsvermittlung. Dabei sollte sich für den Kreis Tettnang und besonders für die Stadt

159

StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü 1465, Rundschreiben Nr. 20 des Landeskommissars für das Flüchtlingswesen, O.D., jedoch vor April 1946 (Kühne, Vom Landeskommissar zum Staatskommissar, S. 126, datiert zwischen 17.3. und 2.4.1946). Die Ausführungen waren nur für den Dienstgebrauch, nicht zur Veröffentlichung vorgesehen. Die Tübinger Dienststelle bildete vier Ausschüsse zur Beratung der anstehenden Aufgaben: »Ausschuß der Landrätetagung« zur Behandlung der grundsätzlichen Fragen und Anordnungen; »Zentralausschuß« als Vertretung der Landesdirektoren; »Großer Flüchtlingsausschuß« der Flüchtlingsreferenten der Landräte und Oberbürgermeister, Vertreter der Zentralstellen, der karitativen Verbände sowie der Handels- und Handwerkskammern; »Gesundheitsrat beim Landeskommissar für das Flüchtlingswesen«, ein Gremium vor allem von Amts- und Universitätsärzten; vgl. hierzu S. 7f. Als Flüchtlinge wurden Deutsche definiert, die ihren ständigen Wohnsitz östlich der Oder oder Görlitzer Neisse oder im Ausland gehabt hatten und diesen Wohnsitz durch Kriegseinwirkung, auf behördliche Anordnung oder eigenen Entschluß aufgeben mußten bzw. an diesen nicht zurückkehren durften. Es fielen also nicht Evakuierte darunter, die während des Krieges in die angeführten Gebiete zugezogen waren. Unterteilt wurden die Flüchtlinge in »Ostflüchtlinge« (östlich der Oder oder der Görlitzer Neisse, aus Polen, Österreich und der Tschechoslowakei), »Ungarn-, Rumänien-, Schweizer usw. Flüchtlinge«, »Transportflüchtlinge«, die von höheren Instanzen wie Kontrollrat oder Militärregierung zugewiesen wurden, »Einzelflüchtlinge« mit Ausweispapieren, »Wilde Flüchtlinge« ohne Ausweispapiere, »Ambulante Flüchtlinge«, die nicht mehr zu ihrem ursprünglichen Wohnsitz zurückkehrten (auch Evakuierte), »Flüchtlingsfamilien« und »Entlassene Kriegsgefangene«, die ihren Haushaltssitz im Ausland gehabt hatten und ihn nach Südwürttemberg verlegten; vgl. S. 30f. I60 Der französische Oberbefehlshaber General Koenig hatte sich am 15.11.1945 verpflichtet, 150.000 »Reichsdeutsche« aus Österreich in seine Zone aufzunehmen; vgl. hierzu Kühne, Vom Landeskommissar zum Staatskommissar, S. 113. " ' D e r Landeskommissar für Flüchtlingswesen wurde der für das Wohlfahrtswesen zuständigen Abteilung IX der Landesdirektion des Innern zugeordnet. Das bedeutete, daß das Fluchtlingsproblem als Wohlfahrtsaufgabe zu behandeln war und somit den hierfür bestehenden Verwaltungen aufgebürdet wurde. Nach vielen Vorstößen Eschenburgs wurde im Januar 1947 das Flüchtlingswesen ausgegliedert und als »Staatskommissariat fUr die Umsiedlung« direkt dem Innenministerium unterstellt; vgl. ebd., S. 114ff. 162 In Bayern arbeiteten in den Kreisen Flüchtlingskommissare, die nicht dem Landrat, sondern ausschließlich dem Staatskommissar für das Flüchtlingswesen unterstellt waren und von diesem auch ernannt wurden.

264

III. Lebens- und Arbeitswelt

Friedrichshafen vor allem das Wohnraumproblem bis in die fünfziger Jahre hinein als nahezu unlösbar erweisen. »Jeder Kreis und jede kreisfreie Stadt muß eine bestimmte Raumreserve schaffen, da es durchaus möglich ist, daß die Zahl von 100.000 Personen erheblich überschritten werden kann. Besteht diese Raumreserve nicht, so tritt die Gefahr einer unerträglichen Überlastung der Privatquartiere ein, wenn nicht noch ärgere Katastrophen«, warnte Eschenburg. Im Februar 1946 meldete das Landratsamt dem Gouvernement Militaire in Tettnang, daß die Vorarbeiten für die Unterbringung von ausgesiedelten Deutschen größtenteils geleistet worden seien und intensiv weiterbetrieben würden, um für die ersten Flüchtlingstransporte im April gerüstet zu sein. Das Durchgangslager wurde im Kreis Ravensburg (Weingarten) eingerichtet, weil auf eigenem Gebiet keine geeigneten Objekte vorhanden waren. Freute man sich angesichts des Arbeitskräftemangels in allen Wirtschaftssektoren auf die Flüchtlinge, wollte man sich gleichzeitig der weniger gem gesehenen ausländischen Kreisbewohner entledigen: »Die geordnete Unterbringung der Flüchtlinge ist nur möglich, wenn vorher durch den Abtransport der Ausländer, insbesondere der Polen, welche das Hauptkontingent der Ausländer bilden, Platz für die Aufnahme der zuströmenden Flüchtlinge geschaffen wird.« 163 Es kam jedoch anders als geplant: Noch zwei Jahre später, im Dezember 1947, beklagten Industrie, Handwerk, Handel und vor allem das Arbeitsamt das Ausbleiben der Flüchtlinge. 164 Man hatte fest mit ihnen gerechnet, und die Aufnahme in der ortsansässigen Bevölkerung wäre zu dieser Zeit vielleicht herzlicher ausgefallen, als sie es dann später unter veränderten wirtschaftlichen Bedingungen war. Bis Frühjahr 1949 liegen nur sporadisch Quellen über Flüchtlinge im Kreis Tettnang vor. Dieser auffällige Mangel bei sonst guter Quellenlage läßt vermuten, daß die Probleme nicht brennend waren. In einem Schreiben des katholischen Dekanats Tettnang vom Juni 1948 konnte deshalb an das Bischöfliche Ordinariat in Rottenburg folgendes gemeldet werden: »Flüchtlinge sind auch vorhanden, aber lange nicht in dem Maß, wie in Nordwürttemberg. So ist auch das Flüchtlingsproblem nicht allzu groß, wenn auch der einzelne Flüchtling meist noch übel genug daran ist.« 165 Erst im Mai 1949 werden erste Klagen des Oberbürgermeisters von Friedrichshafen über die Zuweisung von Flüchtlingen laut: »Trotz der ungeheuren Verknappung an Wohnraum für die einheimische Bevölkerung leben gegenwärtig über 500 vom Umsiedlungskommissar anerkannte Flüchtlinge im Stadtgebiet von Friedrichshafen. Diese Zahl bedeutet ein volles Drittel aller im Kreis befindlichen Flüchtlinge.« 166 Zu dieser Zeit hatte Friedrichshafen ungefähr 18.000 Einwohner, und rund 2.000 evakuierte Familien mit etwa 7-8.000 Personen erstrebten eine Rückkehr in ihre Heimatstadt. Mit ungefähr 2,8 Prozent Flüchtlingsanteil lag die Stadt allerdings noch unter dem niedrigen Schnitt innerhalb der französischen Zone, jedoch über dem des Kreises. 167 Bis zum Februar 1949

163

StA Sig, WÜ 40, Bd. 1, BU. 14, Lagebericht des Landratsamtes an Kreisgouverneur Ulmer für den Monat Januar vom 18.2.1946. AdO, c. 3568, Monatsbericht des Arbeitsamtes für Dezember vom 18.12.1947. 165 DAR, G 1.8, Bü. 605, 1939-1959, Schreiben vom 9.6.1948 anläßlich von Visitationen, die 1947 im Dekanat durchgeführt wurden. In den Visitationsberichten über die einzelnen Pfarreien werden erst ab 1951 Angaben zur Anzahl der in den Gemeinden lebenden Flüchtlinge gemacht. Dies entspricht dem Untersuchungsergebnis weiter unten, wonach erst ab 1951 die Zahlen anstiegen. 166 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1446, Bericht des Bürgermeisteramtes vom 16.5.1949. 167 Für die Kreisbevölkerung liegen nur Zahlen vom 1.11.1949 (49.800) vor. Zu dieser Zeit hatte der Kreis einen Flüchtlingsanteil von 6%. Nach StA Sig, WÜ 40, Bd. 1, Bü. 14. 164

Flüchtlinge und Vertriebene

265

hatte die Bevölkerung in der französischen Zone durch die Aufnahme von Flüchtlingen nur um vier Prozent zugenommen, während es in der britischen Besatzungszone dreizehn und in der amerikanischen sogar zwanzig Prozent waren. 168 Zum Jahresende 1948 waren 57.000 Ausgewiesene 169 , 33.000 Flüchtlinge und 17.000 DP's (ohne die in geschlossenen Lagern untergebrachten) in Württemberg-Hohenzollern gezählt worden, zusammen mit einer zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau festgestellten Zahl von illegalen Grenzgängern etwa 110.000 Personen. Hinzugerechnet wurden nicht die letzten Transporte Ende Oktober/Anfang November 1948 mit rund 6.000 Ausgewiesenen aus Dänemark. Die Bevölkerungsdichte war seit Mai 1939 von 102 Personen pro Quadratkilometer auf 110 gestiegen. 170 Um eine gerechtere Verteilung auf die Länder zu erreichen, wurden weitere Umsiedlungen eingeleitet. Im Sommer 1949 gab die französische Militärregierung in Tübingen bekannt, künftig auch Heimatvertriebene aus Schleswig-Holstein, Bayern, Niedersachsen und der sowjetisch besetzten Zone aufzunehmen. 171 Diesmal wirkte sich die französische Umsiedlungspolitik auch auf den Kreis Tettnang aus, die Zahl der Flüchtlinge nahm nun zu. Zwar fanden die Flüchtlingstransporte bei der Bevölkerung im allgemeinen eine gute Aufnahme, doch die Heimatvertriebenen waren enttäuscht über die Art ihrer Unterbringung. Vor allem die Flüchtlinge aus Bayern waren so schockiert, daß sie in das benachbarte Land zurückkehren wollten. Eine Gruppe veranstaltete sogar einen achtstündigen Sitzstreik, weil sie zwei Kilometer von der Kreisstadt Tettnang entfernt untergebracht worden war. Dort gab es kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz, und eine Tätigkeit in der Landwirtschaft war wegen der schlechten Bezahlung unbeliebt. Landrat Münch meldete in einem seiner monatlichen Lageberichte an das Innenministerium noch eine weitere Ursache für die vorhandene Unzufriedenheit: »Alle Flüchtlinge berufen sich auf Versprechungen bezüglich Wohnung, Berufsarbeit und finanzielle Hilfe, durch die sie angeblich zum Abzug aus Bayern bestimmt worden seien«. 172 Vor allem hinsichtlich der Arbeitsmöglichkeiten waren die Spielräume eng geworden. Zum Ärger der Kreisbehörden seien auch auffallend wenig landwirtschaftliche Kräfte geschickt worden, so zum Beispiel im Juni und Juli 1949 nur zwölf von 171 Personen, »dafür eine Anzahl Textilarbeiterinnen, für die im Kreis keine Arbeitsmöglichkeit besteht.« 173 Im August 1949 kam ein Flüchtlingstransport mit 150 »Volksdeutschen«, überwiegend aus Ungarn, Jugoslawien und Rumänien, im Kreis Tettnang an. Sie seien, laut Bericht des Landratsamtes, sehr ärmlich gekleidet, jedoch bescheiden in ihren Ansprüchen. Die anfängliche Abneigung der Einheimischen verwandele sich in der Regel schon nach 168

Vgl. Schraut, Flüchtlingsaufnahme, S. 69. Zahl der Ausgewiesenen im September (49.488) und am 25.10.1948 (51.625). Nach StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1464, Die Eingliederung der Ausgewiesenen in den Arbeitsmarkt des Landes Württemberg-Hohenzollern und des bayrischen Kreises Lindau nach dem Stand von Ende Oktober 1948, vom Januar 1949. 170 Am 17.5.1939 zählte die Wohnbevölkerung in Württemberg-Hohenzollern 1.029.359 Personen, am 26.1.1946 1.059.861 (das entspricht 104 Personen/qkm). Nach einer vorübergehenden Abnahme im Jahre 1946 infolge der Rückführung von Evakuierten stieg sie bis zum 31.10.1947 wieder auf 1.081.178 an, was 107 Personen/qkm entspricht; ebd. m E b d . , WÜ 40, Bd. 8, Bü. 56, Tätigkeitsbericht des Landratsamtes Tübingen für Juni 1949 vom 18.7.1949. In diesen drei Ländern machten 1950 die Vertriebenen einen Bevölkerungsanteil von 21 bis 33% aus; vgl. Wolfgang Walle, Ost-West-Wanderung seit dem Zweiten Weltkrieg. Flüchtlinge, Vertriebene und Übersiedler im Spiegel der Statistik, in: Beer, Integration von Flüchtlingen, S. 6175, hier S. 63. 172 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1384, Lagebericht des Landratsamtes für Juni und Juli vom 30.7.1949. '"Ebd. 169

266

III. Lebens- und Arbeitswelt

einigen Tagen in ein »ordentliches Verhältnis«.174 Auch bei den »Volksdeutschen« bestand eine allgemeine Abneigung gegen Landarbeit wegen des geringen Verdienstes. 175 Dann, zwei Monate später, sah es so aus, als ob mit Umsiedlertransport Nr. 36 endlich eine Anzahl von Bauern ins Kreisgebiet käme. Diese entpuppten sich nach ihrer Zuweisung allerdings als Winzer: »Die Enttäuschung ist sowohl auf Seiten der Umsiedler wie auf Seiten der wohnungsgebenden Landwirte sehr groß.« 176 Im Herbst 1949 nahm das Wohnungs- und Arbeitsproblem für Flüchtlinge an Schärfe zu. Auch gab es neue Klagen im Kreis: »Hier zugewiesene Umsiedler lassen in immer größerem Umfange Verwandte und Bekannte nachkommen, die illegal versuchen, in den Kreis einzusickern. Auch der Zustrom von der russischen Zone wird immer größer. Um zu vermeiden, daß sich in der französischen Zone dieselben Zustände wie in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bayern bilden, ist ein schärferes Vorgehen gegen die illegale Zuwanderung notwendig.« 177 Als im November 1949 der letzte Transport dieses Jahres einging, stellte der Landrat nur noch lakonisch fest: »Die Umsiedler konnten bis auf wenige Ausnahmen noch notdürftig untergebracht werden.« 178 Zwar liegen für diese Zeit keine Zahlen vor, aber aus den Quellen ist zu schließen, daß relativ wenige Flüchtlinge im Kreisgebiet lebten. So lagen im Oktober 1949 dem Kreisamt für Soforthilfe nur 150 Anträge von Flüchtlingen vor, neben 800 Anträgen auf Unterhaltshilfe und 1.000 Anträgen auf Hausratshilfe von Nichtflüchtlingen. 179 In den Lageberichten des Landratsamtes wurde immer wieder ein Problem thematisiert, das auch die anderen Landkreise betraf: Den Bürgermeistern und Gemeinderäten fehle es an »Tatkraft«, »Rückgrat« und »Unabhängigkeit« bei der Hinweisung von Flüchtlingen. 180 Besonders problematisch gestaltete sich die Wohnraumbewirtschaftung, der die Bevölkerung größte Widerstände entgegensetzte. »Es wird bei jeder Gelegenheit darauf hingewiesen, daß durch die Durchführung derartiger unpopulärer Maßnahmen die Bürgermeister und die Gemeinderäte sich bei der Bevölkerung unbeliebt machen und daß sich dies nachteilig bei den nächsten Gemeindewahlen auswirken werde.« Deshalb forderten Behörden, Bürgermeister und Gemeinderäte unablässig, vor allem die Wohnungserfassungen und Flüchtlingseinweisungen durch staatliche, nicht lokal angesiedelte Organe durchführen zu lassen. Einen ersten Schritt hatte der Landrat im Sommer 1949 schon vollzogen: Er stellte zwei Wirtschaftsprüfer und einen Kreisprüfer des Emährungsamtes zur Verfügung, welche künftig die Wohnungen erfassen sollten. »Dabei zeigt sich, daß die Bürgermeister sich trotz Anwesenheit bei der Erfassung im Hintergrund halten und die Erfassung des Wohnraums als eine staatliche Aufgabe hinzustellen versuchen, um bei den Einwohnern keinen Anstoß zu erregen.« In den Gemeinden entstanden auch verwaltungstechnische Probleme. So hatte die Administration Schwierigkeiten mit der Zuweisung des Flüchtlingsstatus: »Der große 174

Die Flüchtlinge genossen im allgemeinen den Schutz und die Fürsorge der Behörden. Im Lagebericht des Landratsamtes für September 1949 wird zum Beispiel von Einzelfällen berichtet, in denen Vermieter Flüchtlingen ihre Zimmer entzogen oder überhöhte Mieten verlangt hatten, wogegen die Kreisbehörden rigoros einschritten. 175 Ebd., Lagebericht des Landratsamtes für August vom 8.9.1949. 176 Ebd. für Oktober vom 9.11.1949. 177 Ebd. l78 Ebd. für November vom 9.12.1949. 179 Ebd. für Oktober vom 9.11.1949. 180 Dieser Abschnitt fußt auf ebd., Lageberichte des Landratsamtes für die Monate Juni bis August 1949.

Flüchtlinge und Vertriebene

267

Kreis von Personen, die aus den russisch besetzten Gebieten hart westlich der OderNeiße-Linie geflohen sind, können nach den Bestimmungen nicht wie Ausgewiesene betreut werden, obwohl ihre gesamte Situation genau dieselbe ist. Dieser Unterschied erhält wachsende Bedeutung, da sie auch vom Lastenausgleich in keiner Weise berücksichtigt werden, weil auch dort dieselbe Begriffsbestimmung des Ausgewiesenen bzw. Flüchtlings maßgebend ist.« Landrat Münch bat deshalb das Innenministerium um Klärung dieser Frage, »da eine Rückkehr nicht nur unzumutbar, sondern auch tatsächlich unmöglich ist.« 181 Daß der Kreis Tettnang trotz aller Versorgungsengpässe und Schwierigkeiten nach wie vor unterbelegt war, blieb auch den Landesbehörden nicht verborgen. Im Februar 1950 hatte das Innenministerium Berechnungen für die Verteilung der noch zu erwartenden Flüchtlinge auf die Kreise in Württemberg-Hohenzollern und den Kreis Lindau angestellt. Kurzfristig rechnete das Ministerium mit 18.000, langfristig mit 50.000 Flüchtlingen. Mit zunehmend komplizierten Berechnungsschlüsseln wollte man das Problem angemessen lösen. Erweiterte Kriterien sollten für mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung, aber auch für eine erhöhte Aufnahmezahl von Flüchtlingen in den Kreisen sorgen. Drei Punkte wurden besonders betont: 182 1. »Die Menschen sind nach den Erwerbsmöglichkeiten, nicht nach den zufällig gegebenen Wohngelegenheiten zu verteilen.« Diese »an sich selbstverständlichen Grundsätze« hätten nach Ansicht des Innenministeriums allmählich in der deutschen Verwaltung, vor allem in Württemberg-Hohenzollern, ihre Anerkennung gefunden, »besonders unter dem Eindruck der bitteren Erfahrungen aus den letzten 5 Jahren«. 2. Eine Verteilung nach Erwerbsmöglichkeiten sollte sich aber nicht nach den sich rasch ändernden und kurzfristigen Konjunktureinflüssen richten, sondern die Tragfähigkeit eines Gebietes müßte unter langfristigen Aspekten ins Auge gefaßt werden. Unter »Tragfähigkeit« verstand das Ministerium die Zahl der Menschen, die dort aufgrund der »natürlichen Gegebenheiten«, der »technischen Ausstattung« und eines »bestimmten Lebensstandards und Gesellschaftsaufbaus« auf lange Sicht Existenzmöglichkeiten fänden. Die Berechnungen müßten neben dem primären unbedingt auch den sekundären Erwerbssektor erfassen, dies vor allem bei Kreisen mit Fremdenverkehr (wozu Tettnang, Freudenstadt, Calw und Lindau gezählt wurden) oder großem, Uber die Kreisgrenze hinausgehenden Einflußbereich (Landeshauptstadt Tübingen, Geschäftszentrale Reutlingen sowie Ravensburg als Zentrale für das Oberland). 3. Neben einer rein statistischen Berechnung der Verteilungsschlüssel müßten auch die nicht faßbaren Imponderabilien wie Bereitwilligkeit der Bevölkerung und Krisenfestigkeit der Industrie miteinbezogen werden. Aufgrund seiner Berechnungen kam das Ministerium zu dem Schluß, »daß infolge günstiger Erwerbsmöglichkeiten, auf längere Sicht gesehen, stärker, d.h. überdurchschnittlich (Flüchtlingsanteil über 12,7%) zu belegen [sind] die Kreise: Balingen,

lsl

Ebd. für Dezember vom 10.1.1949. Gleichzeitig erstrebte laut Bericht noch eine andere Gruppeden Status als Flüchtling: »Personen, die bisher noch als DP behandelt werden, bemühen sich teilweise um ihre Anerkennung als Ausgewiesene. Es hat den Anschein, daß sie dadurch einem gewissen Druck zum Auswandern oder zur Rückkehr entgehen wollen.« l82 Ebd., WÜ 40, Bd. 8, BU. 56, Ausführungen des Innenministeriums vom 15.3.1950.

268

III. Lebens- und Arbeitswelt

Reutlingen, Tettnang, Tübingen.« 183 Konkret hieß das für den Kreis Tettnang, daß dort für Ende 1949 ein Defizit an Flüchtlingen von fünf Prozent der Ist-Bevölkerung (knapp 50.000 Einwohner) festgestellt wurde. Über diese Berechnungen hinaus sollte Tettnang weitere 4.800 Flüchtlinge aufnehmen und damit seinen prozentualen Flüchtlingsanteil an der Bevölkerung von sechs Prozent im November 1949 auf 14,2 Prozent mehr als verdoppeln. In einer ersten Zuweisung waren für den Kreis zunächst 1.680 Flüchtlinge geplant. 184 Alle Kreise Württemberg-Hohenzollerns wurden mit höheren FlUchtlingsquoten bedacht, aber mit dieser Entscheidung ging der Kreis Tettnang sowohl kurz- als auch langfristig mit Abstand als am stärksten belasteter von allen achtzehn Landkreisen hervor.185 Wider Erwarten blieb jedoch in den folgenden Monaten eine massive Zuweisung aus. Ein halbes Jahr nach der ministeriellen Neuberechnung hatte der Kreis Tettnang seine Flüchtlingsquote nur um ein Prozent von sechs auf sieben erhöht. Tabelle 24: Flüchtlinge im Kreis Tettnang, Stand 15. August 1950 186 Gemeinde

Bevölkerung davon Flüchtlinge insgesamt Flüchtlinge in Prozent

Ailingen Eriskirch Ettenkirch Friedrichshafen Kehlen Kressbronn Langenargen Langnau Meckenbeuren Neukirch Oberteuringen Tannau Tettnang

2.293 1.400 1.006 19.290 2.134 3.954 3.518 1.838 4.336 2.005 1.556 1.532 5.314

290 110 135 971 190 358 174 208 222 234 197 201 311

12,6 7,8 13,4 5,0 8,8 9,1 4,9 11,3 6,0 11,6 12,6 13,1 5,8

insgesamt

50.176

3.601

7,0

Friedrichshafen mußte nach wie vor rund ein Drittel aller Flüchtlinge im Kreisgebiet versorgen, lag aber dennoch unter der Belegungszahl des übrigen Kreisgebietes (ohne Stadt Friedrichshafen) von 8,5 Prozent. Der Bürgermeister von Friedrichshafen verwies deshalb immer wieder auf den hohen Zerstörungsgrad innerhalb der Stadt und auf die nach wie vor angespannte Wohnungssituation, die eine Erhöhung der Flücht183

Dem Landesdurchschnitt entsprechend (11,7%, Flüchtlingsanteil zwischen 10,8 und 12,6%) sollten die Kreise Biberach, Ehingen, Hechingen, Saulgau, Sigmaringen, Tuttlingen, Wangen und, außerhalb des Landes, Lindau belegt werden. Infolge ungünstiger Erwerbsmöglichkeiten waren für die Kreise Calw, Freudenstadt, Horb, Münsingen, Ravensburg und Rottweil eine Flüchtlingsrate unter 11,7% vorgesehen. In den weiteren Ausführungen wurden die 21 Faktoren erläutert, aus deren Kombination sich die aktuelle »Tragfähigkeit« der Kreise errechnete. 184 Am 1.11.1949 hatte der Kreis Tettnang 49.800 Einwohner und ca. 3.000 Flüchtlinge. 185 Von den insgesamt 18.000 zunächst zu verteilenden Flüchtlingen wurden Reutlingen mit 3.000 die meisten und Münsingen mit 40 die wenigsten Personen zugewiesen. 186 AdO, c. 3568, Bericht der französischen Kreisregierung vom 22.8.1950.

Flüchtlinge und Vertriebene

269

lingsrate nicht ermöglichen würde. Die Volkszählung von 1950 ergab, daß die Gesamtbevölkerung in den Grenzen des später entstehenden Baden-Württembergs einen Anteil von 13,5 Prozent oder 862.000 Heimatvertriebenen hatte. Allerdings lebten von ihnen drei Viertel im amerikanisch besetzten Württemberg-Baden. 187 Die größte Gruppe der im Jahr 1950 im Kreisgebiet Tettnang lebenden Flüchtlinge kam aus Schlesien (954), gefolgt von denen aus der Tschechoslowakei (513) und Ostpreußen (463). 188 Auf der Beliebtheitsskala der einheimischen Bevölkerung standen die »Volksdeutschen« aus Jugoslawien ganz oben, sie fanden laut Umsiedlungsamt eine bessere Aufnahme »als die sonstigen Flüchtlinge«. 189 Auf welchen Kriterien eine solche Beurteilung beruhte, geht aus den Quellen nicht hervor. 4.2. Zuspitzung der Flüchtlingsproblematik und soziale Lage der Neubürger Der Stand von 1950 bedeutete nur die Ruhe vor dem Sturm. Wohnten in Friedrichshafen im August 1950 noch 971 Flüchtlinge und Heimatvertriebene, so waren es im April 1951 bereits 1.589. Bis zum Dezember 1952 sollte sich die Zahl dann nochmals auf 3.187 verdoppeln und nun einen Anteil von vierzehn Prozent der einheimischen Bevölkerung betragen. Zum Leidwesen der städtischen Administration wirkte das Stadtgebiet wie ein Magnet auf alle neu ankommenden Flüchtlinge im Kreisgebiet. 190 Pai : "'el zu diesem enormen Anstieg verschärften sich auch die Abwehrstrategien. So wandte sich Bürgermeister Max Grünbeck gegen ein Vorhaben von Ausgewiesenen, sich in Friedrichshafen niederzulassen. 191 Als Grund nannte er den Behörden in Tübingen die Gefahr von »Krisen für die Arbeitslosen«. Er sah auch keine Möglichkeit, Gelände für die überwiegend Ungamdeutschen zur Verfügung zu stellen. In einer internen Stellungnahme der Ortsbauplanberatungsstelle in Tübingen wurde hierfür keinerlei Verständnis gezeigt und ein Enteignungsgesetz für dringend erforderlich

187

Dort kamen auf 100 Einheimische 20 Vertriebene, in Südwürttemberg auf 100 nur neun, vgl. Walle, Ost-West-Wanderung, S. 64. 188 Das entsprach in der Reihenfolge der Herkunftsgebiete der bundesdeutschen Zusammensetzung der Flüchtlinge. Für Baden-Württemberg trifft sie nicht zu. Dort führten zahlenmäßig die Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei, gefolgt von Schlesiern und Ostpreußen, ebd., S. 66. Im Kreis Tettnang kamen des weiteren Flüchtlinge aus Jugoslawien (352), Pommem (243), Österreich (237), Polen (219), Ungarn (210), Rumänien (155), Brandenburg (56), Rußland (20) und »sonstigen Ländern« (179); nach AdO, c. 3568, Bericht vom 22.8.1950. 189 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1384, Lagebericht des Landratsamtes für Mai vom 10.6.1949. 190 StadtA FN, Notizen für den Besuch der Staatsregierung Baden-Württemberg am 12. März 1953 von Oberbürgermeister Grünbeck. Von 516 Vertriebenen und Flüchtlingen, die zwischen April und September 1952 in den Kreis kamen, gingen 81 Prozent nach Friedrichshafen, die restlichen 19 Prozent verteilten sich auf das Kreisgebiet. Der Anteil der Heimatvertriebenen im Kreis lag am 31.8.1952 bei 10,3 Prozent, der der Stadt bei 10,6 Prozent. Nach KrA FN, Nr. 1056, Besuch der Staatsregierung am 8.10.1952, Bericht der Umsiedlungsabteilung des Landratsamtes vom 24.9.1952. " ' S t A Sig, WÜ 42, Bd. 22, Bü. 148, Vermerk der Ortsbauplanberatungstelle in Tübingen zu einem Siedlungsvorhaben von Ausgewiesenen in Friedrichshafen vom 1.4.1950.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

erachtet, da ohne dieses nicht an Bauland zu kommen sei. 192 Der Landrat von Tettnang sah in Anbetracht der unbewältigten Probleme nur noch zwei, allerdings abstruse Möglichkeiten: Entweder sollten die Flüchtlinge »millionenweise« auf afrikanisches Gebiet »umgelenkt« werden, wie es, seiner Interpretation zufolge, der Schuman-Plan vorsehe, oder aber man müßte damit rechnen, daß sich die Flüchtlinge in großer Zahl dem Kommunismus zuwendeten. 193 Der Jahreswechsel 1949/50 brachte den Flüchtlingen und Ausgewiesenen zwar formaljuristisch die rechtliche, soziale und politische Gleichberechtigung mit den deutschen Staatsbürgern. Dadurch hatte sich aber ihre soziale Situation vor Ort nicht unbedingt zum Besseren gewendet. Nur ein Teil der Flüchtlinge im Kreis Tettnang war zufriedenstellend untergebracht. In der Gemeinde Ailingen mußten sie zum Beispiel in einer Turnhalle und in Baracken unter schlechten Bedingungen leben. 194 Kreisgouverneur Merglen betonte die hohe Bereitschaft der Flüchtlinge, durch Selbsthilfe ihre Situation zu verbessern. Dank ihres Arbeitseinsatzes in hohen Stundenzahlen hätte, wie er betonte, die Wohnungsbaugesellschaft »Heimstätte AG Stuttgart« vierzig Wohnungen erbauen können. Das Verhältnis zwischen Bevölkerung und Behörden auf der einen und den Flüchtlingen auf der anderen Seite blieb trotz dieser Leistungen angespannt. Letztere hätten gegenüber den Behörden zahlreiche Forderungen, Hilfe betrachteten sie - nach Ansicht des Kreisgouvemeurs - als selbstverständlich, um ihr unverdientes Unglück zu mildem. Die Behörden wiederum konnten die Anliegen oft nicht erfüllen, was Reibungen unvermeidlich machte. In der Bevölkerung stieg mit zunehmenden Flüchtlingszahlen auch die Abneigung gegen die Neubürger: »Nombreux sont les autochtones essayant, par tous moyens (réclamations écrites, résolutions des conseils municipaux etc.), de ne pas accepter de réfugiés.« Im Gegensatz zu den aus Bayern zugewiesenen Flüchtlingen seien die aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen weitergeleiteten besonders verbittert und sehr viel schwieriger. Zum Zeitpunkt der Berichtsabfassung sah Merglen keine Anzeichen dafür, daß sich das Flüchtlingsproblem im Kreis Tettnang zuspitzte, was sich aber ändern könne, sobald die Quote verdoppelt würde - dies vor allem deshalb, weil die Flüchtlinge überaus aktiv seien und einen hohen Organisationsgrad hätten. Etwa achthundert Mitglieder waren im »Verband der Heimatvertriebenen« organisiert, mit ihren Familienmitgliedern zusammen 2400 Personen, also etwa zwei Drittel aller Flüchtlinge im Kreisgebiet. Es gab keine vergleichbare Organisation mit so ausgedehnten Aktivitäten im Kreis, und jede Versammlung des Verbandes war stark frequentiert. Merglen stellte fest, daß »les réfugiés, de toutes classes ou fonctions, ont une cohésion remarquable«.

192

Die Planungsbehörde sah nur drei Möglichkeiten für einen Grunderwerb: Die Hofkammer, welche am ehesten zum Verkauf bereit sei; die Zeppelin-Stiftung, »die gar nichts abgebe, obwohl sie zahlreiche Baulücken im Stadtgebiet besäße«, sowie die Lederfabrik Htini. Die Stadt selbst sei »wild zerstreut und völlig systemlos entwickelt«, weshalb eine Überprüfung der Gesamtplanung im Stadtgebiet erforderlich sei. Außerdem wurde die Frage aufgeworfen, ob Friedrichshafen zum Wohnsiedlungsgebiet erklärt werden müsse. In mehreren handschriftlichen Vermerken wird die allgemeine Konfusion deutlich, die das Flüchtlingsproblem mit sich brachte: »Was geschieht denn nun? Solche Vermerke haben m.E. wenig Wert, wenn nicht geklärt ist, wer was zu tun hat oder tun wird«. Ein weiterer Leser des Schreibens fragte in einer Aktennotiz, ob Friedrichshafen nicht schon Wohnsiedlungsgebiet sei. 193 AdO, c. 3568, Bericht des Kreisgouvemeurs vom 22.8.1950. 194 Ebd., hier auch die folgenden Zitate von Kreisgouverneur Merglen.

Flüchtlinge und Vertriebene

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Während Einheimische und Behörden wiederholt darauf hinwiesen, daß die Probleme nur auf Bundesebene gelöst werden könnten, klammerten sich die Flüchtlinge an die Hoffnung, wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Die zunehmende Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit der Heimatvertriebenen machte eine Lösung dringlich: »Mais il est grand temps de donner un but, un espoir aux réfugiés, car la patience et l'hébétude des vieux diminue tandis que l'amertume, la violence des jeunes s'accroît«, urteilte Merglen abschließend in seinem Bericht. Das Arbeitsamt in Friedrichshafen gab dagegen für November 1950 Entwarnung: »Die Umsiedlung der Heimatvertriebenen ist weiter hinsichtlich des Umfangs zurückgegangen. Größere Transporte werden wohl erst wieder im Frühjahr 1951 zu erwarten sein, wenn die erforderlichen Wohnungen und Arbeitsplätze einigermaßen verfügbar sind.« Zwar waren inzwischen Heimatvertriebene in Neubauwohnungen untergebracht worden, dadurch wurde aber kein Wohnraum für Neuzugänge frei, »weil die bisher untergebrachten Heimatvertriebenen größtenteils in menschenunwürdigen Räumen hausen, welche nicht wieder bewohnbar sein sollen.« 195 Weil sich die Heimatvertriebenen von den Behörden oft im Stich gelassen fühlten, griffen sie im September 1950 zur Selbsthilfe. Im Stadtteil Allmannsweiler bei Friedrichshafen erhielten sie die Zustimmung und finanzielle Unterstützung der Tübinger Behörden, eine Siedlung zu errichten. 196 Bauträger war die »Württembergische Heimstätte GmbH« in Stuttgart, und Siedlungsleiter Carstens sowie Ingenieur Neumahr, beide selbst Flüchtlinge, kooperierten auf fruchtbare Weise mit der Stadtverwaltung. Gefördert wurde das Projekt vom Landratsamt, Kreisfürsorgeamt und Amt für Umsiedlung. Die »Schwäbische Zeitung« lobte das Bauvorhaben und berichtete mit Begeisterung. 197 Besonders wurde der Fleiß und ungebrochene Glaube der Siedler hervorgehoben: »Interessant ist, wie gründlich diese Männer aus Jugoslawien, Rumänien, Ungarn, Ostpreußen, Schlesien in schönster Eintracht das Problem ihres zukünftigen Heimes in der Nähe der Arbeitsstätte Friedrichshafen angepackt haben.« Auch die Frauen fanden Erwähnung, deren Stolz darin läge, an einem Tag die Wände eines Doppelwohnhauses hochzuziehen. »Die Siedlungsgemeinschaft wird«, so die zwar positive, aber etwas merkwürdig begründete Einschätzung des Journalisten, »der Stadt Friedrichshafen ohne Zweifel tüchtige Bürger zuführen. Das Selbsthilfesystem trifft automatisch eine Auswahl fleißiger und zuverlässiger Leute, denn nur solche sind den Anforderungen, die der Bau an sie stellt, gewachsen.« Der ausführliche Bericht hatte offensichtlich verschiedene Intentionen. Eindringlich beschwor er alles Positive, das die Neubürgerinnen und -bürger für die Stadt bringen würden und versuchte über die Beschreibung einzelner Personen, Nähe herzustellen. Des weiteren durchziehen den Artikel Hinweise auf die Eigeninitiative der Siedler, so daß der städtischen Gemeinde keine Last entstehen würde. Und schließlich können die Ausführungen als eine Ermahnung für die Friedrichshafener Bevölkerung interpretiert werden, selbst auch Hand anzulegen und die eigene Wohnsituation zu verbessern, ohne auf Hilfe von Ämtern und Behörden zu warten. Voll des Lobes war ein Jahr später auch der " 5 E b d „ c. 1181, p. 18, Arbeitsmarktbericht für November vom 24.11.1950. ' " S t A Sig, WÜ 42, Bd. 22, Bü. 148, Schreiben der Tübinger Behörde für Landesplanung vom 23.5.1951. Der Baubeginn hatte unerlaubt stattgefunden, weshalb das Innenministerium im September 1950 eine vorläufige Baugenehmigung erteilte; nach ebd., Bü. 1087, Schreiben des Innenministeriums vom 19.9.1950 an das Bürgermeisteramt. Das Land unterstützte das Siedlungsprojekt mit DM 476.000, geplant waren 48 Doppelhaushälften; nach SZ vom 21.10.1950. " ' D e r folgende Abschnitt fußt auf SZ vom 21.10.1950.

272

III. Lebens- und Arbeitswelt

»Schwarzwälder Bote«: »Die in Allmannsweiler bei Friedrichshafen untergebrachten Heimatvertriebenen haben im vergangenen Jahr in einer Selbsthilfeaktion 48 neue Wohnungen erbaut. Alle Arbeiten, von der Ausschachtung der Baugrube bis zum Dachdecken und der Herstellung der Bausteine, wurden von den Bauherren selbst ausgeführt.« 198 Im Rahmen eines Sonderbauprogrammes wurden 1951 und 1952 insgesamt 160 Wohnungen für Neuumsiedler und 85 Wohnungen für Altumsiedler (Pendler) erstellt. 199 Ihre miserable soziale Lage spornte die Flüchtlinge zu diesen großen Anstrengungen an. Die Ursachen ihres Elends änderten sich jedoch im Laufe der Jahre. Ende 1948 zum Beispiel konnten die Textilbons für Ausgewiesene zum großen Teil mangels Ware nicht eingelöst werden. Durch die allgemeine Preissteigerung waren die Heimatvertriebenen auch nicht in der Lage, die für sie vorgesehenen und vom Aussiedlungsamt organisierten Möbel zu bezahlen. 200 Um solche Versorgungsengpässe besser bewältigen zu können und den Vertriebenen ein eigenes Sprachrohr zur Verfügung zu stellen, wurden in Gemeinden, in denen eine größere Anzahl von Flüchtlingen eingewiesen worden war, für die Übergangszeit ein Flüchtlingsobmann oder -ausschuß eingerichtet. Diese sollten sowohl zur Beratung des Bürgermeisters und der Hilfsdienste als auch als Vermittlungsinstanz zwischen Einheimischen und Flüchtlingen dienen. Obmann oder Ausschuß konnten entweder bestimmt oder von den Flüchtlingen selbst gewählt werden. 201 Im Januar 1949 wurde ein Vertrauensausschuß der Ausgewiesenen beim Umsiedlungsamt gebildet, der sich laut Bericht des Landratsamtes bewährte. 202 In der Stadt Tettnang rief ein Jahr später das Umsiedlungsamt die Ausgewiesenen auf, einen Vertrauensobmann zu wählen. Das Amt strebte auch an, regelmäßige Treffen der Ausgewiesenen stattfinden zu lassen. 203 Zu einem Hauptproblem entwickelte sich der Anfang der fünfziger Jahre zunehmend enger werdende Arbeitsmarkt. Das Landesarbeitsamt in Tübingen erstellte im Januar 1949 eine umfangreiche, zu diesem Zeitpunkt noch positive Analyse über den Stand der Eingliederung der Ausgewiesenen in den Arbeitsmarkt. 204 Die Situation dieser Gruppe wurde zwar als problematisch angesehen, »nur treten in unserem Land die typischen Flüchtlingsprobleme infolge der geringeren Zahl der eingeströmten Ausgewiesenen und der niedrigeren Bevölkerungsdichte - zur Zeit etwa 110 Personen auf den qkm. - bis jetzt bei weitem nicht so krass in Erscheinung wie in anderen Ländern.« Da seit der Währungsreform die Finanzkraft der öffentlichen Hand geschwächt und großzügige Hilfe unmöglich sei, entwickle sich die Ausgewiesenenfrage in Württemberg-Hohenzollern allerdings zu ei-

1,8

»Schwarzwälder Bote« vom 17.5.1951. KrA FN, Nr. 1056, Bericht des Umsiedlungsamtes vom 24.9.1952. ^ S t A Sig, WÜ 2, Bd. 1, BU. 1384, Lagebericht des Landratsamtes an das Innenministerium für Oktober vom 18.11.1948 und Dezember 1948 vom 10.1.1949. 201 So hatte es Theodor Eschenburg in seinem Rundschreiben Nr. 20 vom März 1946 geplant. 202 Ebd., Lagebericht des Landratsamtes an das Innenministerium für Dezember vom 10.1.1949. ^ A m t s b l a t t für den Kreis Tettnang, 2. Jg., Nr. 6 vom 24.1.1950. ^ S t A Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 1464, »Die Eingliederung der Ausgewiesenen in den Arbeitsmarkt des Landes Württemberg-Hohenzollern und des bayrischen Kreises Lindau nach dem Stand von Ende Oktober 1948«, von Januar 1949. Auf S. 2f. wird der Versuch einer Definition des Begriffs »Ausgewiesene« unternommen, was zeigt, daß auch zu diesem Zeitpunkt noch keine allgemeingültige Begrifflichkeit zur Verfügung stand. Der Bericht enthält eine detaillierte Analyse nach Altersstruktur, Herkunftsländern, Erwerbstätigkeit nach Wirtschaftsgruppen, Arbeitslosigkeit etc., die jeweils in Relation zur einheimischen Bevölkerung gesetzt wurde. Der folgende Abschnitt fußt auf diesem 18seitigen Bericht. 199

Flüchtlinge und Vertriebene

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nem ernsten Problem. Insgesamt aber lobte der Bericht die gelungene Integration der Ausgewiesenen in den Arbeitsmarkt und hob die Vorteile hervor, die der Allgemeinheit dadurch entstünden: »An der Zunahme der Beschäftigten in Württemberg-Hohenzollern seit Kriegsende sind die Ausgewiesenen maßgeblich beteiligt. Ohne sie wäre es unmöglich gewesen, den dringlichsten Arbeiterbedarf zu decken, wenn man bedenkt, daß durch die Ausgewiesenen den einzelnen Wirtschaftszweigen zusätzlich etwa 11.300 Männer und 8.100 Frauen, zusammen also annähernd 19.500 Erwerbstätige zugeführt wurden, die 6,1% der Erwerbstätigen überhaupt ausmachen. Es wäre daher völlig ungerecht, in den Ausgewiesenen nur eine Belastung zu sehen und den wertvollen Gewinn, den sie für die einheimische Wirtschaft bedeuten, zu unterschätzen.« Besonders vorteilhaft sei, daß Ausgewiesene vor allem in den »Dauermangelberufen« der Landwirtschaft und »Häusliche Dienste« arbeiteten. Eineinhalb Jahre später sah die Situation jedoch ganz anders aus. Von allen Arbeitslosen im Kreis waren im August 1950 51 Prozent der Männer und 29 Prozent der Frauen Flüchtlinge - bei einem Flüchtlingsanteil von sieben Prozent der Gesamtbevölkerung. 205 Kreisgouverneur Merglen sah hierfür drei Gründe: Die zahlreichen Flüchtlinge, die erst kurz zuvor eingetroffen waren, die Arbeitsunfähigkeit einiger Flüchtlinge und der Umstand, daß viele Flüchtlinge in ländlichen Gemeinden zu weit entfernt von den Industriebetrieben wohnten. Bezüglich der Frauen sprach der Kreisgouverneur von »freiwilliger Arbeitslosigkeit«, da sie sich weigern würden, für fünfzig oder sechzig Mark pro Monat in einem Hotel zu arbeiten. Die Mehrheit der erwerbstätigen Flüchtlinge arbeitete in der Industrie und im Baugewerbe. Sie wurden überwiegend als Hilfsarbeiter angestellt und erfüllten nach Merglens Einschätzung die Erwartungen ihrer Arbeitgeber zur vollsten Zufriedenheit. Nur wenige Flüchtlinge arbeiteten in der Landwirtschaft, »car les conditions y sont trop défavorables«. Die verstärkte Aufnahme von Heimatvertriebenen trieb die Zahl der Arbeitslosen in die Höhe. Im Oktober 1953 meldete das Arbeitsamt kreisweit 342 Männer und 160 Frauen als arbeitslos, darunter befanden sich 176 männliche und 55 weibliche Heimatvertriebene. Ihr Anteil blieb also unverändert hoch, und dies, obwohl sich der Arbeitsamtsleiter »den erteilten Weisungen entsprechend« bei der Stellenvermittlung engagierte »und bei jeder sich bietenden Gelegenheit« für die Flüchtlinge einsetzte. 206 Vor allem ältere Arbeitssuchende, ob Flüchtling oder Einheimischer, hatten mit zunehmender Verschlechterung des Arbeitsmarktes kaum mehr Chancen auf eine Festanstellung. Damit reagierte der Arbeitsmarkt auf die seit 1951 zunehmende Zahl von Flüchtlingen. Nach einer Statistik des Staatskommissariats für die Umsiedlung, in welcher zwischen Flüchtlingen aus den vier Besatzungszonen, der »Ostzone« und Berlin sowie Ausgewiesenen unterschieden wurde, machten diese im April 1952 knapp 15 Prozent der Kreisbevölkerung aus. 207 Es wurden 1.276 Flüchtlinge aus den vier Besatzungszonen 208 , 5.403 Ausgewiesene 209 und 724 Flüchtlinge aus der SBZ und Berlin gezählt. Zu den Ausgewiesenen, die den größten Teil der heimatlosen Bevölkerung ausmachten, wurden nähere Angaben gemacht. So waren 52 Prozent evan205

Ado, c. 3568, Bericht der französischen Kreisregierung vom 22.8.1950. ^ E b d . , Bericht des Arbeitsamtes für Oktober vom 28.10.1953. M7 StA Sig, WÜ 2, Bd. 1, Bü. 2015, Statistik für die 17 Kreise Württemberg-Hohenzollerns (ohne Lindau) vom 1.4.1952. Die Prozentangabe beruht auf einer Schätzung, da für 1952 keine Einwohnerzahlen für den Kreis Tettnang vorliegen. ^ ' D i e Flüchtlinge kamen aus der ABZ (136), BBZ (120), SBZ (96), FBZ (748), Berlin (176), »Ostzone« und (wohl Ost)Berlin (308/416).

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III. Lebens- und Arbeitswelt

gelisch und 45,5 Prozent katholisch getauft. Im gesamten Württemberg-Hohenzollem lag der Anteil bei 61 bzw. 36,6 Prozent.210 Wie in allen anderen Kreisen des Landes auch bestand nach der Altersstruktur die größte Gruppe aus den 18- bis 35jährigen, dies galt für beide Geschlechter.211 In insgesamt 1.371 Haushalten lebten im Durchschnitt vier Personen pro Wohneinheit. Der Höhepunkt in der Flüchtlingsaufnahme scheint, zumindest was die problematische Versorgung der unregelmäßig eintreffenden Transporte von Menschen betraf, 1952 erreicht gewesen zu sein. Über die nachfolgende Ansiedlung, Arbeitseingliederung und gesellschaftliche Integration dieses Bevölkerungsteils ist aus den nun wieder abnehmenden Quellenbeständen wenig zu erfahren. Am ehesten erlauben noch die Visitationsberichte der katholischen Pfarrämter einen Einblick in die weitere Entwicklung. Deren Auswertung ergibt, daß in den ländlichen Gebieten die Zahl der Flüchtlinge bereits 1953 wieder abnahm.212 Dies gilt zum Beispiel für die Pfarreien Neukirch, Tannau, Wildpoltsweiler, Obereisenbach oder Gattnau.213 Dagegen fand ein Konzentrationsprozeß in der Stadt Friedrichshafen und den der Industrie nahegelegenen Gemeinden statt. Zu den Stadtpfarreien St. Nikolaus und St. Canisius gehörten zum Beispiel 1953 etwa 500 katholische Flüchtlinge, 1958 bereits 2.700. Die Pfarrei des Stadtteils Jettenhausen hatte 1953 nur 20 katholische Flüchtlinge, 1958 bereits 350 und 1963 750. Die Landgemeinde Oberteuringen hatte dagegen 1953 128 katholische Flüchtlinge, 1958 nur noch 100 und 1963 weitere zehn weniger. Wie in anderen Regionen auch wirkten Städte mit ihren Arbeitsmöglichkeiten auf Flüchtlinge wie ein Magnet. Da Friedrichshafen einen hohen Zerstörungsgrad aufwies, entstanden zahlreiche neue Siedlungen. Im nördlichen Teil der Stadtpfarrgemeinde St. Petrus Canisius zum Beispiel entstanden die »Rostansiedlung«, »Löwen209

Sie kamen aus folgenden Herkunftsländern und -gebieten: Schlesien (1.362), Tschechoslowakei (796), Ostpreußen (715), Jugoslawien (563), Ost-Pommern (426), Polen (380), Österreich (207), Rußland (87), Ungarn (250), Rumänien (265), Ost-Brandenburg (72), Bulgarien (-), »übriges Ausland« (280). 2l0 Die Angabe bezieht sich auf insgesamt 139.269 Ausgewiesene. Über eine detaillierte konfessionelle Zusammensetzung in den einzelnen Gemeinden des Kreises Tettnang geben Visitationsberichte nur bedingt Auskunft. Einige Pfarrer beantworteten die Frage nach der Zahl der Flüchtlinge getrennt nach Katholiken und Protestanten, die Mehrheit zählte wahrscheinlich nur die zur Pfarrei gehörenden Katholiken. Genaue Angaben machte 1952 der Pfarrer von Ailingen (von 210 Flüchtlingen waren 94 Katholiken) und für 1952 die Pfarrer von Tannau (von 73 Flüchtlingen waren 28 Katholiken), Obereisenbach (32 Katholiken, 29 Protestanten) und Krumbach (26 Katholiken, 28 Protestanten). Für 1951 gaben die Pfarrer folgende Flüchtlingszahlen an: Mariabrunn 40, Laimnau 90, Hiltensweiler 90, Gattnau 800 , Eriskirch 45; 1952: Berg 96, Ettenkirch 150, Fischbach 250, Wildpoltsweiler 29; 1953: Friedrichshafener Stadtpfarrei St. Petrus Canisius 500, Jettenhausen 20, Schnetzenhausen 24, Neukirch 35, Oberteuringen 128, Tettnang 298; nach DAR, G 1.8, BU. 605. 21

'Eine Auswertung der Statistik ergab folgende prozentuale Verteilung: 30% der Männer und 27% der Frauen gehörten zu der Gruppe der 18-35jährigen. 61% der Männer waren 35 Jahre oder jünger, 4% über 65. 57% der Frauen waren 35 oder jünger, 5% Uber 65. 212 Die Feststellung basiert auf einer Auswertung der Visitationsberichte von 27 Pfarreien des Dekanats Tettnang in einem Zeitraum von 1951 (erst ab diesem Jahr wurden Angaben zu Flüchtlingen gemacht) bis 1965, DAR, G 1.8, Bü. 605. 213 Gattnau hatte 1951 ca. 800 Flüchtlinge, 1956 ca. 200. Tannau hatte 1951 73 Flüchtlinge, 1956 noch 34. Wildpoltsweiler hatte 1952 ca. 65 Flüchtlinge, 1957 noch 16. Die Ausarbeitung einer Statistik ist schwierig, weil ein Pfarrbezirk nicht mit der politischen Gemeinde identisch ist. So können die Zahlenangaben der Kommunen mit denen der Kirche nicht direkt aufeinander bezogen werden. In den Visitationsberichten werden zum Teil auch nur katholische Flüchtlinge angegeben. Hier kann aber jeweils von mindestens doppelt so vielen Flüchtlingen ausgegangen werden, weil in der Regel die Hälfte der Flüchtlinge und mehr Protestanten waren.

Flüchtlinge und Vertriebene

275

talsiedlung« sowie Siedlungen in den Wohnplätzen Allmannsweiler und Trautenmühle. »Durch die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg, durch die Weiterentwicklung der Industrie und den Zustrom von Flüchtlingen verlangte das Raumproblem dringend eine Lösung«, um es in den Worten des Pfarrers der CanisiusGemeinde auszudrücken, weshalb es zum Neubau der Kirche vom »Guten Hirten« kam, welche 1962 zur selbständigen Pfarrei erhoben wurde. 214 In der Pfarrei St. Canisius herrschte der Beruf des »Industrie-Beschäftigten« vor, die Arbeitsmarktlage war laut Visitationsbericht von 1958 gut, ebenso die allgemeine soziale Lage, da es kaum Arbeitslose gab. »Sozialamt und Zeppelinstiftung haben viele Mängel gehoben, von eigentlicher Not kann man nicht reden«, wie der Stadtpfarrer in seinem Bericht resümierte. Fast alle Pfarrer sorgten sich jedoch um das christliche Gemeinschaftsleben: »Die Industrie hat früher schon viele norddeutsche Elemente angezogen, deren Einfluß der Stadt ein Gepräge aufdrückt, aber das Katholische überwiegt noch [...]. [Die] St. Canisiusgemeinde fühlt sich als Gemeinde, wenn auch viele Kirchenfremdlinge da sind.« 215 In einer weiteren Pfarrbeschreibung anläßlich einer Gebietsmission im Jahr 1963 machte der Berichterstatter Angaben zur »sozialen Schichtung« der inzwischen auf 12.000 Seelen (1946: 4.644) angewachsenen Gemeinde. Demnach gab es überwiegend nur noch Arbeitnehmer, insgesamt waren drei »bäuerliche Familien« übriggeblieben. Und weiter ist zu erfahren: »Der Prozentsatz der Zonenflüchtlinge ist verhältnismäßig hoch. Diese sind zum großen Teil evangelisch und beeinflussen mit ihrer sozialen Einstellung das Klima in den Großbetrieben. Flüchtlingslager sind nicht vorhanden. Der allergrößte Teil der Vertriebenen wie der Flüchtlinge kann als wirtschaftlich eingegliedert gelten. Die Mitarbeit dieser Personenkreise in den Organisationen der Vertriebenen wie der Flüchtlinge ist gering.« Frauenarbeit sei in der gesamten Gemeinde »weit verbreitet« und durch »wirtschaftliche Notfälle« begründet. 216 Im Zuge der rechtlichen Gleichstellung der Neubürger mit den Altbürgern manifestierten sich die Heimatvertriebenen in den meisten Quellen nicht mehr als gesonderte Kategorie. In welchen Stufen ihre Integration weiterverlief, müßte deshalb anhand weiterer und ausgedehnter Quellenstudien beantwortet werden. Die Untersuchung des Wahlverhaltens hat gezeigt, daß zumindest auf politischer Ebene Ende der fünfziger Jahre ein Integrationsprozeß in die großen Volksparteien stattgefunden hatte. 217 Der Flüchtlingsstrom riß aber auch in den folgenden Jahren nicht ab. Im Dezember 1960 lebten 16.481 Flüchtlinge im Kreisgebiet, was einem Anteil an der Kreisbevölkerung von Uber 22 Prozent entspricht und damit um ein Dreifaches höher lag als noch zehn Jahre zuvor. 218 Nach Angaben des Friedrichshafener Oberbürgermeisters hatten dann bis 1966 etwa 10.000 Vertriebene und Sowjetzonenzuwanderer dauerhaft ihre zweite Heimat in Friedrichshafen gefunden. 219

214

DAR, G 1.3, F. 30, Friedrichshafen - St. Petrus Canisius, Visitationsbericht vom 24.1.1964. Ebd., Visitationsbericht vom 3.12.1958. Ebd., Pfarrbeschreibung der Stadtpfarrei St. Petrus Canisius Friedrichshafen anläßlich der Gebietsmission 1963, o.D. [März/April 1963]. 217 Vgl. hierzu Kapitel II. 1 zu Parteien und Wahlverhalten. 218 Im Kreis lebten etwas mehr als 70.000 Einwohner. Von den Flüchtlingen kamen rund ein Viertel (4.852) aus der Sowjetischen Besatzungszone; nach KrA FN, Nr. 1056, Statistische Unterlagen für den Staatsbesuch, Stand der Zählung vom 31.12.1960. 219 Postwurfsendung des Oberbürgermeisters zur Bürgermeisterwahl im Oktober 1966 (aus privater Quellensammlung der Verfasserin). 215

216

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III. Lebens- und Arbeitswelt

5. Dorfgesellschaft im Wandel: »Zeitgeist« und Flüchtlingszustrom im Spiegel katholischer Visitationsberichte In der Kriegs- und Nachkriegszeit erlebten die ländlichen Regionen einen Umbruch, der durch Mobilität, soziokulturelle Veränderungen und einen Wandel in der Gewerbestruktur geprägt war. Auf den zuerst genannten Faktor, nämlich die bereits im Krieg einsetzenden Mobilisierungsströme und deren Auswirkungen auf die dörfliche Gesellschaft, soll im folgenden näher eingegangen werden. 220 Während die Stadtbevölkerung schon seit dem 19. Jahrhundert mit der Anwesenheit und dem Zuzug von »Fremden« - Touristen, Arbeitern, Gamisonsoldaten und schließlich mit Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen - in großem Ausmaß konfrontiert war, begann dieser Prozeß auf dem Lande später. Erst mit den in der Landwirtschaft eingesetzten Fremdarbeitern veränderte sich - und dies in geringerem Maße als in der Stadt - die traditionelle Bevölkerungsstruktur. Krisenhaft empfunden wurde aber erst der Zustrom von Evakuierten, der im Kreis Tettnang im April 1944 unvermittelt einsetzte und zwei Drittel der Stadtbevölkerung (etwa 16.000 Menschen) auf das Land trieb. Hinzu kamen Industriearbeiter, die den zahlreichen Auslagerungsorten im Kreisgebiet nachzogen. Überlagert und verstärkt wurde dieser erste Ansturm dann bei Kriegsende vorübergehend durch Besatzungssoldaten 221 und befreite Zwangsarbeiter, dauerhaft jedoch mit dem Zustrom von Flüchtlingen. Bezüglich der Flüchtlinge verhielt es sich genauso wie in der Stadt: sie wurden sehnlichst erwartet, um die landwirtschaftliche Produktion wieder in Gang zu bringen. Das Landwirtschaftsamt des Kreises Tettnang hielt in seinem Monatsbericht für Januar 1946 besorgt fest: »Der Mangel an landwirtschaftlichen] Arbeitskräften hat sich nicht gebessert; es fehlt vor allem an wirklich guten, fachlichen landwirtschaftlichen] Arbeitern. Wenn die in Kriegsgefangenschaft befindlichen Bauernsöhne und landwirtschaftlichen] Arbeiter auf das Frühjahr nicht entlassen werden, können manche Höfe nicht mehr ordnungsmässig bewirtschaftet werden.« 222 Und das Arbeitsamt Friedrichshafen meldete für Januar 1946: »Die Verhältnisse in der Landwirtschaft sind durch Abzug der Berufsfremden nicht verbessert worden. Hier kann eine Klärung nur dadurch herbeigeführt werden, daß bei dem in Kürze beginnenden Flüchtlingsstrom in erster Linie die Landwirtschaft berücksichtigt wird. Sollten bis im Monat März die Flüchtlinge noch nicht eingetroffen sein, so müßte aus der Industrie ein Teil Leute genommen werden, um wenigstens die Ernährung

220

Paul Erker beschrieb für den bayerischen Raum facettenreich die Umbruchsphase in Kriegs- und Nachkriegszeit: ders., Revolution des Dorfes? Ländliche Bevölkerung zwischen Flüchtlingszustrom und landwirtschaftlichem Strukturwandel, in: Broszat u.a., Von Stalingrad zur Währungsreform, S. 367-425. 221 Über die genauen Zahlen in den einzelnen Gemeinden geben die Quellen meist keine Auskunft. Nur über drei Gemeinden können Angaben gemacht werden. Ailingen hatte 1945 300-500 französische Soldaten; Langenargen 200 Soldaten und »ca. 50 katholische Wachleute und Chauffeure«; Berg ca. 120 »Militärpersonen (Ungarn)«; DAR, G 1.8, BU. 605, Visitationsbericht für das Pfarramt Ailingen vom 22.10.1945, aktualisiert am 28.11.1947 (eine für mehrere Gemeinden 1945 anberaumte Visitation fiel aus und wurde 1947 nachgeholt, weshalb die bereits verfaßten Pfarrberichte aktualisiert wurden); zu Langenargen und Berg: Schreiben des Dekanats an das Bischöfliche Ordinariat vom 9.6.1948. 222 StA Sig, WÜ 40, Bd. 1, Bü. 14, Monatsbericht für Januar von Landwirtschaftsrat Dr. Stöhr vom 12.2.1946.

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zu garantieren.« 223 Im Sommer 1947 war dann genau diese Situation eingetreten: Nur mit Freiwilligen aus den Friedrichshafener Industriebetrieben war es möglich, die Emte einzubringen. Damit war aber das Problem der fehlenden landwirtschaftlichen Kräfte nicht dauerhaft gelöst: »Die Landwirte selbst sind sich darüber im Klaren, daß es mit den Aushilfskräften, die sich freiwillig aus der Industrie kommend auf den Höfen melden, unmöglich ist, eine fortgesetzte reale Landwirtschaftsarbeit durchzuhalten.« 224 Flüchtlinge, auf die alle Hoffnungen gesetzt wurden, waren bis dahin noch nicht beim Arbeitsamt gemeldet worden. 225 Am Ende des Jahres 1947 blickte der Arbeitsamtsleiter pessimistisch dem kommenden Frühjahr entgegen. Er rechnete mit mehreren hundert fehlenden Arbeitskräften. Dabei bestand nicht nur ein ganz allgemeiner personeller Mangel, sondern es fehlte, in den Worten des Amtsleiters, vor allem an qualifizierten und »kräftigen« Landarbeitern, die nicht nur als »Kostgänger« von der Stadt auf das Land kamen. 226 Wenige Jahre später trat genau das Gegenteil ein: Es entstand ein Überangebot an Arbeitskräften, für das zum Teil eben jene 1947 noch ersehnten Flüchtlinge verantwortlich gemacht wurden. 227 Zu Beginn der fünfziger Jahre (nachweislich ab 1953) scheint der landwirtschaftliche Sektor unter wirtschaftlichen Kriterien nicht mehr problematisch gewesen zu sein, er fand in den Monatsberichten des Arbeitsamtes keine Erwähnung mehr. Nationalsozialismus und Nachkriegszeit bedeuteten für die Landbevölkerung eine bis dahin unbekannte Konfrontation mit neuen Einflüssen. Diese scheinen auch ihren Niederschlag in der dörflichen Gesellschaft gefunden zu haben, denn unter den Pfarrern des Dekanats Tettnang wurden Klagen darüber laut. Zur Erforschung des ländlichen Raumes im Kreis Tettnang stehen weitaus weniger Quellen zur Verfügung als für die Stadt Friedrichshafen. Dank der von den katholischen Pfarrern erstellten Visitationsberichten ist es jedoch möglich, zumindest einen Einblick in diesen Bereich zu gewinnen. 228 Die katholischen Pfarrer hatten aus ihrer Sicht mit drei Hauptübeln zu kämpfen: 1. Die säkularisierenden Einflüsse des Nationalsozialismus auf die Religiosität der Gemeindemitglieder zeigten ihre Folgewirkungen in der Nachkriegszeit. Um den Besuch der Christenlehre oder Predigt, in den Visitationsberichten unter der Rubrik »Religiös-sittlicher Stand der Pfarrei« aufgeführt, stand es schlecht. Nicht nur die Erwachsenen ließen es an Besuchen der Gottesdienste mangeln, so daß zum Beispiel in der

223

Ebd., Lagebericht des Arbeitsamtes Friedrichshafen für den Monat Januar an den Kreisgouverneur vom 25.1.1946. Im Oktober waren dann wiederum so viele Berufsfremde in der Landwirtschaft eingesetzt, daß das Arbeitsamt eine andere Strategie ergriff: »Die Herausnahme von Facharbeitern, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind, wie Schlosser, Schmiede, Elektriker usw., ist auf Befehl des Herrn Gouverneur Ulmer in die Wege geleitet. Es muß versucht werden, durch innerörtlichen Ausgleich diese Kräfte der Metallindustrie wieder zuzuführen«. Ebd. vom 19.10.1946. 224 AdO, c. 3568, Monatsbericht des Arbeitsamtes Friedrichshafen für August vom 22.8.1947. 225 Ebd.: »Das Amt ist bis jetzt mit Ausgewiesenen nicht beschäftigt worden«. 226 Ebd., Monatsbericht des Arbeitsamtes für Dezember vom 18.12.1947. 227 Ebd., Monatsbericht des Arbeitsamtes für Oktober vom 28.10.1953.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

Pfarrgemeinde Tettnang nur fünfzig Prozent erreichbar waren229, sondern vor allem um die Jugend mußten sich die Geistlichen sorgen. So mieden in manchen Gemeinden ganze Jahrgänge von männlichen Jugendlichen die Christenlehre.230 Der Tettnanger Dekan meldete deshalb im Juni 1948 besorgt dem Bischöflichen Ordinariat in Rottenburg, daß zwar die Kriegsschäden an Pfarrgebäuden und Kirchen zum Großteil behoben seien, aber »die Schäden an den Seelen dagegen [...] sich ganz deutlich im mangelnden Besuch der Sonntagsmesse und vor allem auch des Nachmittagsgottesdienstes« zeigen würden.231 »Im Kirchenbesuch merkt man freilich einen ziemlichen Rückgang, und das ist eine betrübliche und verheerende Erscheinung« - so im Jahre 1954 eine Einschätzung des Dekanats an das Ordinariat in Rottenburg bezüglich der allgemeinen Entwicklung im Kreisgebiet.232 Der Pfarrer von Oberteuringen sah den Grund darin, daß »ein krasser Materialismus, der immer weiter und tiefer um sich greift«, kein Pfarrgemeinschaftsbewußtsein aufkommen ließe und der Nationalsozialismus bereits zersetzend gewirkt hätte. Schon 1940 war in seinen Berichten im gleichen Wortlaut dieser Mißstand angeprangert worden.233 Während des Krieges wurden die Klagen der Pfarrer über den Einfluß von Parteiorganisationen und NS-Ideologie 228

Gesichtet und ausgewertet wurden die Protokolle der Pfarr- und Dekanatsvisitationen für das Dekanat Tettnang von 1940 bis 1965 im Diözesanarchiv Rottenburg, G 1.8, 7 Faszikel, Bü. 605. Das Dekanat Tettnang mit Sitz in Langenargen bestand in der frühen Nachkriegszeit aus folgenden Pfarreien: Ailingen, Berg, Brochenzell, Eriskirch, Ettenkirch, Fischbach, Gattnau, Hiltensweiler, Jettenhausen, Kehlen, Krumbach, Laimnau, Mariabrunn, Meckenbeuren, Neukirch, Oberdorf, Obereisenbach, Oberteuringen, Schnetzenhausen, Tannau, Tettnang, Wilpoldsweiler, dazu kamen die zwei Stadtpfarrgemeinden St. Nikolaus und St. Petrus Canisius in Friedrichshafen Die Pfarrgemeinden entsprechen zum Teil nicht den politischen Gemeinden. Daran übten die betroffenen Seelsorger Kritik, weil ihrer Meinung nach dieser Umstand das Gemeinschaftsgefühl der kirchlichen Gemeinde beeinträchtigte. So gehörte zum Beispiel die Pfarrgemeinde Krumbach drei politischen Gemeinden an. Durch Zusammenlegungen oder Neugründungen von Pfarreien veränderte sich geringfügig der Bestand der oben aufgeführten Pfarrgemeinden. Darüber hinaus werden Quellen aus den DAR-Beständen G 1.3, Faszikel 30 für den Zeitraum 1958-1965 herangezogen mit dem Titel: »Allgmeine Akten der Pfarreien: Visitationsberichte, Seelsorgerliche Verhältnisse, Pfarrbeschreibungen zu Volksmissionen u.a.« Pfarrchroniken sind leider nicht ins DAR abgegeben worden. Auf die Auswertung von Quellen evangelischer Provenienz wurde verzichtet. Dies schien der Verfasserin vertretbar zu sein, da in der unmittelbaren Nachkriegszeit 86 Prozent der Bevölkerung (ohne Stadt Friedrichshafen) katholisch waren und somit in der folgenden Beschreibung zumindest ein Großteil der Bevölkerung erfaßt wird. 229 Die folgenden Ausführungen fußen, soweit nicht anders angegeben, auf einer Auswertung der Bestände DAR, G 1.8, Bü. 605, hier Visitationsbericht für das Pfarramt Tettnang vom 28.8.1948. Für Tettnang liegen zwar keine Vergleichszahlen aus der Kriegszeit vor (1940 fand der Tettnanger Pfarrer den Kirchenbesuch der Erwachsenen »befriedigend«, den der Jugend »unbefriedigend«), aber im Verhältnis zu anderen Pfarrgemeinden fiel die Zunahme der Kirchenbesuche nach Kriegsende gering aus. In der nahe der Stadt gelegenen Gemeinde Ailingen besuchten 1947 60-80% der katholischen Gemeindemitglieder den Gottesdienst, 1940 dagegen nur 20-30% der Erwachsenen, 10-15% der Jugendlichen und 30-50% der Schulkinder. In Oberteuringen waren es im Oktober 1945 sogar 80-90%, wogegen 1941 nur 5-10% der männlichen, 10-20% der weiblichen Erwachsenen, noch weniger Jugendliche und 30-40% der Schulkinder den Gottesdienst besuchten. Der Pfarrer von Brochenzell erreichte 1950 regelmäßig 75% der Katholiken in seinen Gottesdiensten, während im Kriegsjahr 1941 4-5% der Männer, 15-20% der Frauen, 5-10% der Jugend und 30-40% der Schulkinder die Kirche aufgesucht hatten. 230 In der Friedrichshafener Pfarrgemeinde St. Petrus Canisius wurde Anfang der sechziger Jahre die Einrichtung der »Christenlehre« abgeschafft, »da die Jugendlichen in der Berufs- und Handelsschule regelmäßig Religionsunterricht erhalten«; ebd., G 1.3, Friedrichshafen - St. Petrus Canisius vom 24.1.1964. 231 Schreiben des Dekanats vom 9.6.1948. 232 Katholisches Dekanatsamt Tettnang in Langenargen an Ordinariat vom 7.6.1954. 233 Visitationsbericht für das Pfarramt Oberteuringen vom 16.12.1940 und 11.10.1945.

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zwar immer häufiger, man tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß es sich um ein zeitlich begrenztes Phänomen handeln würde. So z.B. in Wildpoltsweiler: »Bei manchen braucht es nicht viel, sie wären bei einem etwaigen Massenabfall sogleich dabei, aber vorerst warten sie noch den Lauf der Dinge ab!« 234 In Langenargen nehme der »Abfall vom Glauben« stark zu, »eine ganze Reihe von Familien besuchen kaum oder nicht mehr die Kirche, treten aber aus gewisssen Rücksichten (Geschäft!) nicht förmlich aus der Kirche aus.« 235 In Fischbach war nach Auffassung des Pfarrers der Einfluß der »neuen Weltauffassung« sehr stark und hatte bis 1940 schon etwa die Hälfte der männlichen Gemeindemitglieder erfaßt. 236 Als sich in der Nachkriegszeit diese Tendenzen ungebrochen fortsetzten, machte sich bei den Geistlichen Enttäuschung breit. Es gab aber auch erfreuliche Trends. So sank in einigen Gemeinden wieder die Zahl der Zivilehen 237 , und die Kirchenaustritte aus politischen Gründen fanden ein Ende. 238 Familien oder Einzelpersonen, die unter dem Eindruck der NS-Ideologie aus der Kirche ausgetreten waren, kamen zum Teil wieder zurück. 239 Die Geburtenstatistik zeigte in allen Gemeinden nach deutlichen kriegsbedingten Einbrüchen in den Jahren 1944 und 1945 ab 1946 wieder einen Aufwärtstrend. 2. Zu den Erschütterungen des religiösen Lebens durch den Nationalsozialismus 240 gesellte sich Ende der vierziger Jahre ein »neuer Zeitgeist«. Eine ergänzende Frage in den standardisierten Visitationsprotokollen trug dieser Entwicklung Rechnung. 1950 wurde erstmals unter der Rubrik »besondere Mißstände« innerhalb des christlichen Gemeinschaftslebens, zu denen bislang »Trunksucht«, »Feindschaften« und »Konkubinate« gezählt worden waren, nach »Tanzwut« und »Gefahren durch das Kino« gefragt. In nahezu allen Landgemeinden befürchteten die Pfarrer durch diese modernen Kultureinflüsse eine Gefährdung des religiös-sittlichen Standes der Gemeindemitglieder, allerdings mit unterschiedlicher Intensität. Warnte die Mehrheit der Ortsgeistlichen vor der »Ansteckung« mit dem neuen Zeitgeist, Vergnügungs- und Genußsucht sowie Sittenlosigkeit, sahen es andere wie zum Beispiel der Jettenhausener Stadtpfar-

234

Wildpoltsweiler vom 20.5.1943. Langenargen von Dezember 1940. Fischbach vom 18.12.1940. 237 So zum Beispiel in der Friedrichshafener Pfarrgemeinde St. Petrus Canisius. Pfarrer Valentin Mohr bemerkte, daß diese »Verleugnung des Glaubens«, wie eine Kategorie in den Visitationsberichten heißt, in der NS-Zeit häufig vorgekommen sei; vgl. Visitationsbericht vom 16.11.1947. 238 Kirchenaustritte wegen NS-Parteimitgliedschaften, sonstigen »politischen Gründen« und »NSWeltanschauung« gab es zum Beispiel in den Pfarreien Ailingen, Eriskirch, Jettenhausen, Friedrichshafen, Schnetzenhausen, Gattnau, Goppertsweiler, Tettnang, Oberteuringen, Meckenbeuren, Kehlen und Langenargen. Tendenziell kann gesagt werden, daß, je näher eine Landgemeinde bei der Stadt lag, desto höher die Austrittszahlen waren. Der Stadtpfarrer von St. Nikolaus beklagte 1941 eine starke Verbreitung von »Unglaube« und Kirchenaustritte, die durch die »Kirchenaustrittsbewegung« und starke Beeinflussung in den Betrieben herrühre (Austritte: 1935: 8, 1936: 19, 1937: 28, 1938: 40, 1939: 17, 1948: 0, 1949: 1, 1950: 22, 1951: 13, 1952: 30. Angegebene Gründe für die Austritte nach 1945: »Kirchensteuer, KPD-Mitglieder, Sekten, evangelische Mischehen). Keine Kirchenaustritte gab es (bis 1941 bzw. 1942) in den kleineren Landgemeinden Mariabronn, Laimnau, Haslach, Obereisenbach, Wildpoltsweiler, Krumbach, Ettenkirch und Primisweiler. 233 236

23

®So z.B. in Oberteuringen ein Vater mit drei Kindern, der 1943 ausgetreten und 1945 wieder eingetreten war; Oberteuringen vom 11.10.1945. ^ H i e r ü b e r geben die Visitationsberichte aus der Kriegszeit ein anschauliches Bild. Die Klagen der Pfarrer über die Auswirkungen der nationalsozialistischen Ideologie erstreckten sich aber überwiegend auf die männliche Bevölkerung. Frauen scheinen ungeachtet der politischen Strömungen und Propaganda kontinuierlicher ihren religiösen Praktiken nachgegangen zu sein.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

rer gelassener und akzeptierten die »allgemeine Zeiterscheinung« 241 . Der Stadtpfarrer in Schnetzenhausen mußte sich nicht um ein Kino sorgen, da am Ort nur die Bischöfliche Diözesanfilmstelle Filme vorführte. 242 In Neukirch war das Kino, das einmal wöchentlich einen Film zeigte, nur schwach frequentiert. Vom kirchlichen Filmdienst abgelehnte Filme wurden vom dortigen Kinobesitzer nicht angenommen. 243 In Wildpoltsweiler besuchten das Kino zwar »fast nur Flüchtlinge«, dafür klagte der Pfarrer über gestiegenen Nikotinverbrauch und über die »Jugend beiderlei Geschlecht auf Motorrädern«. 244 In Gattnau, wo »Tanzveranstaltungen im Übermaß« stattfanden, bot wenigstens der Besitzer des Kinos »eine gewisse Garantie für Zucht und Ordnung«. 245 In Oberteuringen kam es 1958 zu einem Vertrag zwischen Kirche und Lichtspielhaus zur Förderung des guten Films. 246 Im selben Jahr lobte das Bischöfliche Ordinariat das Pfarramt in Krumbach: »Wir begrüßen es, daß bis jetzt noch der Samstagabend von Vergnügungsveranstaltungen freigehalten werden konnte«. 247 Die Pfarrer reagierten mit ihrer Kritik insgesamt auf eine Entwicklung, die mit Erziehungsnormen und -Programmen der HJ und des BDM sowie anderer NS-Organisationen begonnen hatte und durch Nachkriegseinflüsse, wie dem Zuzug von oft aus der Stadt kommenden Ortsfremden, Besatzungssoldaten, neuen Medien und einer sich ändernden Berufsstruktur als Folge der Landwirtschaftskrise, ihren Fortgang nahm. Säkularisierende Tendenzen in NS- und Nachkriegszeit hatten unwiderruflich die Einheit aus Elternhaus, Schule und Kirche zerstört. So klagten in der Umbruchszeit der fünfziger Jahre fast alle Ortsgeistlichen, daß zwar die Kirchenbesuche wieder zugenommen hätten, dafür jedoch häufig keine innerfamiliäre Religiosität mehr feststellbar sei. In diesem Zusammenhang ist auch verständlich, daß sich die Pfarrer vehement gegen eine Einführung der Gemeinschaftsschule wandten, da diese Schulform langfristig auch in diesem Bereich den kirchlichen Einfluß schmälerte. Zu Beginn der sechziger Jahre verlagerte sich das Interesse der Pfarrer auf andere Themen. In den Pfarrberichten wurden jetzt verstärkt Einschätzungen über Organisiationen wie Gewerkschaften und Vereine, über »soziale Schichtung« und »soziale Lage« oder über die nach wie vor zunehmende Ausbreitung des »Materialismus« und »Indifferentismus« innerhalb der Kirchengemeinde niedergeschrieben. 3. Ein weiteres Problemfeld bestand für die Ortsgeistlichen in dem Zuzug von Fremden, welcher nach Kriegsende zu ihrem Leidwesen noch zunahm. Deshalb beschäftigten sich die Gemeindepfarrer intensiv mit diesem Teil der Bevölkerung. Ab 1951 gaben sie die Zahlen der in den Pfarrgemeinden anwesenden katholischen Flüchtlinge in den Visitationsberichten an, und nur in den Jahren 1955 und 1956 wurden sie in ihrer Gesamtheit gezählt und als »Katholiken« und »Andersgläubige« registriert. 248 Auf241 Jettenhausen vom 16.8.1953. ^Schnetzenhausen vom 6.9.1953. 243 Neukirch vom 10.9.1953. ^Wildpoltsweiler vom 1.11.1952. ^ G a t t n a u vom 7.11.1951. ^Bischöfliches Ordinariat an katholisches Dekanat vom 29.9.1959. Das Kino spielte mit wachsender Bedeutung des Fernsehens in den Pfarrberichten keine Rolle mehr. So stellte der Pfarrer von Wildpoltsweiler 1965 fest, daß der Einfluß des Kinos selbst auf die Jugendlichen nicht groß sei, »das Femsehen übt offenbar auch hier auf dem Land einen weit größeren Einfluß aus«; G 1.3, F. 30, Wildpoltsweiler vom 20.2.1965. ^Bischöfliches Ordinariat an das katholische Dekanat Tettnang vom 13.2.1958. ^ W ä h r e n d des gesamten Untersuchungszeitraums (also bis 1965) wurden die (katholischen) Flüchtlinge bzw. Vertriebenen als gesonderte Kategorie aufgeführt.

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grand der Zahlen wird klar, warum die katholischen Geistlichen irritiert waren, denn in den meisten Kreisgemeinden gab es weitaus mehr »andersgläubige« als katholische Flüchtlinge, was eine zumindest vorübergehende Verschiebung der Konfessionsstruktur mit sich brachte. 249 Ein breiter Konsens scheint darüber bestanden zu haben, daß die Fremden eine Belastung für die christliche Gemeinschaft darstellten. Zwar gab es vielfältige Versuche, die Flüchtlinge in die Kirchengemeinde zu integrieren, allgemein wurde aber die soziale, kulturelle und konfessionelle Durchmischung der Landbevölkerung als Bedrohung empfunden. Aus den Protokollen geht nicht immer klar hervor, um welche »fremden« Einflüsse es sich genau handelte. Der Tettnanger Dekan sah eine »gewisse Abbröckelung« in sittlicher Beziehung wegen des Zuzugs »fremder und meist nicht gerade guter und religiöser Menschen« vor allem in der Industriestadt Friedrichshafen. Wegen der Nähe der Landgemeinden zur Stadt spürten auch diese deren negativen Auswirkungen. Hinzu kam noch die ebensowenig akzeptieren französischen Besatzungssoldaten: »Der Einmarsch der Franzosen brachte manche unsittliche Gewalttat und große sittliche Gefährdung. Letztere besteht auch jetzt noch fort, aber der gute und gesunde Kern der Gemeinden hält doch stand.« 250 Als größtes Hindernis für ein intaktes christliches Gemeinschaftsleben sah der Pfarrer von Ailingen im Oktober 1945 eine »starke Durchmischung der einheimischen Bevölkerung mit stammesfremden Elementen aus den verschiedenen Gegenden des Reiches«, wobei nicht ganz klar ist, welche Gruppe er damit meinte. Flüchtlinge gab es zu diesem Zeitpunkt nur wenige, und Evakuierte kamen zum Großteil aus dem eigenen oder den benachbarten Kreisen. Eine »starke Durchsetzung« mit »stammesfremden Elementen« beklagte er in allen Visitationsberichten zwischen 1940 und 1952, so daß von einer gewissen Gleichsetzung von Fremdarbeitern und Kriegsgefangenen, auswärtigen Arbeitskräften der Rüstungsindustrie, Evakuierten, Besatzungssoldaten und Flüchtlingen ausgegangen werden kann. 251 Ulrich Herbert bemerkt zu diesem Verhalten: »Für die ländliche Bevölkerung [...] war der Unterschied zwischen einem polnischen Zwangsarbeiter aus Lodz und einem Vertriebenen aus Masuren nicht so groß«, und dies vor allem in jenen Regionen, wo Vertriebene auf ein relativ homogenes soziales und kulturelles Milieu stießen. 252 Es gab aber auch Geistliche, die der Situation gelassener gegenüber standen. So stellte der Fischbacher Pfarrer wertfrei eine »rasche Zunahme der Bevölkerung aus allen Provinzen« fest. 253 Vor allem in der Stadt, aber auch in den Landgemeinden stieg die Zahl der konfessionellen Mischehen. Der Dekan beklagte, daß in der Pfarrgemeinde Fischbach 1947 nur die Hälfte der Ehen katholisch geschlossen worden sei, in der Stadtpfarrgemeinde St. Nikolaus sogar nicht einmal die Hälfte: »Es mag dies zumeist von den Zugezogenen herkommen, ist aber doch auch für die Einheimischen eine Gefahrenzone«, wie er besorgt anmerkte. 254 In den Stadtpfarreien wurde mißbilligt, daß »viele Söhne«, die als Soldaten im Krieg gewesen waren, mit protestantischen Frauen aus dem Norden des ehemaligen Reiches heimkehrten. M9

Siehe hierzu die Ausführungen in Kapitel III.4. ^ S c h r e i b e n des Dekanats an das Bischöfliche Ordinariat Rottenburg vom 9.6.1948. 251 Visitationsbericht des Pfarramtes Ailingen vom 10.12.1940,22.10.1945, 31.8.1952. 232 Ulrich Herbert, Ausländer und andere Deutsche, in: ders. (Hrsg.), Arbeit, Volkstum, Weltanschauung. Über Fremde und Deutsche im 20. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1995, S. 213-229, hier S. 219. 233 Visitationsbericht des Pfarramtes Fischbach vom 9.11.1945, z.T. für die Visitation 1947 aktualisiert am 29.10.1947. "••Dekan an Ordinariat vom 9.6.1948.

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III. Lebens- und Arbeitswelt

Nicht nur der Pfarrer von Schnetzenhausen war davon Uberzeugt, daß ein wahres Pfarrgemeinschaftsbewußtsein nur bei Einheimischen zu finden sei. 255 Zu diesen gehörten zum Beispiel nicht Arbeiter, die durch Evakuierungen, Flucht oder Zuzug aus beruflichen Gründen vorerst in der Provinz untergekommen waren. Der Anteil der katholischen Arbeiter betrug in den ersten Nachkriegsjahren in den Landgemeinden bis zu einem Viertel der katholischen Bevölkerung. 256 Gern gesehen waren die Arbeiter gleichgültig, ob freiwillig oder zwangsweise im Kreisgebiet angesiedelt - auch schon während des Krieges nicht. Der Dekan beschrieb 1942 die Zustände in der Pfarrgemeinde Eriskirch: »Eriskirch ist sehr nahe bei Friedrichshafen, ist durch Einquartierungen von sehr vielen Arbeitern aus allen Nationen und durch ansässige Arbeiter eine Arbeiterwohngemeinde geworden und zeigt schon in etwa den gefährlichen Einfluß der Industrialisierung.« 257 Der Pfarrer von Meckenbeuren beklagte 1941 den starken Zuzug von Fremden, die wegen der Friedrichshafener Betriebe kämen und sich entweder in einer Siedlung niederließen oder nur kurz blieben. Zwischen Einheimischen und Fremden sah er wachsende Spannungen. 258 Viele Gemeinden klagten über die hohe Fluktuation der Industriearbeiter, die eine wirkungsvolle kirchliche Gemeindearbeit erschwerte. Ab 1951 wurden die Pfarrer in den Visitationsberichten nicht mehr nach der Zahl der Fabrikarbeiter gefragt, die Kategorie verschwand aus den Vordrukken. Klagen über diese Bevölkerungsgruppe hielten aber bis Mitte der fünfziger Jahre an. Der Jettenhausener Pfarrer sah in den Klassengegensätzen zwischen Bauern und Arbeitern und der »verschiedenartigen sozialen Schichtung« seine Seelsorge behindert. 259 Der Oberteuringer Pfarrer bezeichnete die »hinzugezogene Arbeiterschaft« insgesamt als irreligiös, und noch 1953 klagte er über den Gegensatz zwischen Arbeitern und Bauern, den er als Hindernis für seine Tätigkeit empfand. 260 Ende der fünfziger Jahre scheint dieses Thema keiner Beurteilung mehr Wert gewesen zu sein. Die Geistlichen gaben nur noch das grob geschätzte Verhältnis zwischen Landwirten, Handwerkern, Arbeitern und Angestellten an. Ab Mitte der sechziger Jahre gingen dann die Pfarrer dazu über, sehr differenzierte statistische Angaben zu den Erwerbstätigen nach Stellung im Beruf sowie zu Auspendlern zu machen, ohne diese Ausführungen subjektiv zu kommentieren. 261 Langfristig mußten sie sich auch mit dem Zuzug von »Fremden« abfinden, da - nach Ausbleiben des Flüchtlingszustroms 1961 bereits eine neue Phase eingeläutet wurde: die Anwerbung von Gastarbeitern als unentbehrliches Arbeitskräftereservoir für die dynamisch wachsende Wirtschaft.

255

Visitationsbericht des Pfarramtes Schnetzenhausen vom 25.11.1947. Zahl der Fabrikarbeiter, jeweils aus einem der Jahre zwischen 1947 und 1950: Ailingen (211), Berg (80), Brochenzell (150), Jettenhausen (120), Kehlen (300), Meckenbeuren (450), Schnetzenhausen (30), Tettnang (500). Es ist anzunehmen, daß es sich bei den Angaben um den katholischen Anteil der Arbeiterschaft handelte. 257 Schreiben des Dekanatamtes vom 11.12.1942. "'Visitationsbericht Meckenbeuren vom 19.4.1941. D e t t e n h a u s e n vom 4.11.1945, aktualisiert am 10.12.1947, und 16.8.1953. ^Oberteuringen vom 11.10.1945, aktualisiert 1947, und Bericht vom 10.9.1953. In Oberteuringen lebten während des Krieges ca. 130 Fabrikarbeiter, außerdem 125 Polen, 120 Ungarn sowie 50 Russen und Ukrainer. Eine Angabe zur Zahl der Arbeiter nach dem Krieg machte der Pfarrer nicht. 261 Ebd., G 1.3, F. 30, Allgemeine Akten der PfarTeien. 256

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Zwar versuchten die Geistlichen, sich der Nachkriegsentwicklung anzupassen, so zum Beispiel durch Reformen in der Gottesdienstordnung 262 , eine gewisse Akzeptanz gegenüber Mischehen oder Wiederverheiratungen 263 oder eigenen kulturellen Initiativen, aber die Entwicklung hin zu einer veränderten Religiosität war nicht mehr aufzuhalten. Das sah auch der Dekan so, allerdings unter Hervorhebung seiner Wertevorstellungen: »Es ist natürlich, daß religiöse Lauheit und Kälte bei dem heutigen Zeitgeist auch in katholischen Gemeinden sich einnistet, daß die Mischehen bei der Durchsetzung mit Andersgläubigen sich mehren, daß Ehemoral und Familiensinn Schaden leiden«. 264 Und das Bischöfliche Ordinariat bemerkte 1959 mit Bedauern: »Schwinden der katholischen Substanz zumal in Friedrichshafen, aber auch in den Landgemeinden«, sei festzustellen, »das weithin durch die Zeitverhältnisse verursacht ist.« 265 Mit den bis Ende der fünfziger Jahre beklagten gesellschaftlichen Umbrüchen tat sich, zumindest nach Auswertung der Visitationsberichte, eine neue Pfarrergeneration leichter. Der Generationen Wechsel setzte im Kreis Tettnang langsam 1949 ein, und bis Ende der fünfziger Jahre hatte fast jede Kirchengemeinde einen neuen Ortsgeistlichen. An Inhalt und Stil der Visitationsberichte erkennt man zu Beginn der sechziger Jahre eine zunehmende Akzeptanz gesellschaftlicher Modernisierungserscheinungen. Jetzt erst ist innerhalb des Untersuchungszeitraums ein deutlicher Bruch zu erkennen, der signalisiert, daß Veränderungen in der dörflichen Gesellschaft nicht mehr nur als vorübergehendes, sondern vielmehr als dauerhaftes und somit zu integrierendes Phänomen angesehen wurden.

M2

In Tettnang wurden 1953 neue Regelungen eingeführt, die der Dekan begrüßte. Besorgt wegen des Rückganges der Kirchenbesucher, »sollte im Gottesdienst weniger lateinisch gesungen werden, die jungen Eheleute wollen nicht getrennt sitzen, [...] nicht nur Betsingmessen, ruhig auch mal stille hl. Messe«; Katholisches Dekanatsamt an Bischöfliches Ordinariat vom 7.6.1954 betreffs der Pfarrvisitationen 1953. ^ M i s c h e h e n und die Heirat mit Geschiedenen, was früher kaum vorgekommen wäre, nehme zwar leider auch zu, »gewiß ist der Kampf dagegen sehr schwer«, so der Dekan resigniert angesichts der Nachkriegsentwicklung, ebd. ^Katholisches Dekanatsamt Tettnang zur Pfarrvisitation 1952 vom 3.6.1953. Die Geistlichen konzentrierten sich zunehmend auf einen »Grundstock der Gläubigen«, der sich »gehalten und bewährt« hatte »trotz der ungünstigen Zeitverhältnisse mit all ihrer Unruhe und Verwirrung, mit dem Einströmen von vielen fremden und vielfach andersgläubigen Menschen, mit den Schrecken und Untaten der Besatzung usw.«, so der Dekan an das Bischöfliche Ordinariat vom 26.5.1952. ^Bischöfliches Ordinariat an katholisches Dekanatamt vom 29.9.1959.

Schlußbetrachtung

Die krisenhaften Jahre im Kreis Tettnang und in der Stadt Friedrichshafen begannen für die deutsche Bevölkerung mit dem Inferno der alliierten Luftangriffe im Jahr 1944. Sie trafen hauptsächlich die damalige Kreisstadt Friedrichshafen mit ihrer Altstadt, ihren Arbeitervierteln und Industrieanlagen des Luftschiffbau Zeppelin und der Dornier-Werke. Die durch starke Zerstörungen hervorgerufene Evakuierungs- und Betriebsverlagerungswelle bewirkte einen Wanderungsprozeß bislang unbekannten Ausmaßes. Betroffen waren davon vor allem die Landgemeinden mit ihrer nahezu unzerstörten Infrastruktur. Mit dem Einmarsch der französischen Truppen am 29. April 1945 endete zwar der Krieg in Friedrichshafen - und dies auf friedlichem Wege, da die Stadt von den Deutschen kampflos übergeben worden war. Doch die Hoffnungen auf eine amerikanische Besatzung, der man den Vorzug gegeben hätte, erfüllten sich nicht. Für Frankreich bedeutete das Ende des Zweiten Weltkrieges eine völlig andere Situation als 1918/19. Konnten nach dem Ersten Weltkrieg noch alle besatzungspolitischen Eingriffe von außen durchgeführt werden, war die französische Militärverwaltung 1945 gezwungen, die gesamte innere Verwaltung in ihrer Zone zu organisieren. »Eine reine Sicherheitspolitik im traditionellen militärpolitischen Sinne konnte [...] im deutschen Zusammenbruch nicht ausreichen«, weshalb die französische Nachkriegskonzeption auch eine innere Reformpolitik anstrebte, welche die »vermuteten gesellschaftlichen Hintergründe des deutschen „Militarismus"« entschärfen sollte.1 In Friedrichshafen und in der nun wieder als Amtssitz des Kreises fungierenden Stadt Tettnang installierte die französische Militärverwaltung zunächst einen ausgedehnten Besatzungsapparat. Der Grund lag vor allem in der Bedeutung der Zeppelin-Betriebe für den Süden der französischen Besatzungszone Württemberg-Hohenzollern. Deren Zukunft rückte in den folgenden Jahren sowohl auf französischer als auch auf deutscher Seite in den Mittelpunkt des Interesses. Mit den Tettnanger Kreisgouvemeuren Pierre Ulmer und Albert Merglen, die beide aus dem sozialistischen Widerstand kamen, agierten zwei Vertreter der französischen Besatzungsverwaltung vor Ort, die ihren Kreis weder als »Ausbeutungskolonie« betrachteten, noch eine tyrannische Besatzungspolitik betrieben. Vielmehr konnte gezeigt werden, daß deren industrielles Dezentralisierungskonzept von dem Willen geleitet war, eine demokratische Wirtschaftsordnung - notfalls auch unter Druck - einzuführen. Dabei räumten sie deutschen Wirtschafts-, Verwaltungs- und Gewerkschaftsfunktionären große Handlungsspielräume ein. Soweit diese zu einem kooperativen Verhalten bereit waren, entstand eine durchaus fruchtbare deutsch-französische Zusammenarbeit bei der Reorganisation der ehemaligen Rüstungsunternehmen. Als erster der vier untersuchten Betriebe konnte die Zahnradfabrik Friedrichshafen ihre Produktion wieder aufneh1

Rainer Hudemann, Weichenstellungen in der französischen Deutschlandpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Jürgen Weber (Hrsg.), Die Republik der fünfziger Jahre, München 1989, S. 130-138, Zitate S. 132 und 134. Hudemann untersuchte die deutschlandpolitischen Konzepte auf der Pariser Ebene und kam zu dem Ergebnis, daß Sicherheits- und Verständigungspolitik - zumindest auf der Spitzenebene - keinen Gegensatz bildeten, sondern zwei Seiten der gleichen Medaille waren.

286

Schlußbetrachtung

men. Ausgestattet mit einer neuen Führungsriege und als Teil der Zeppelin-Stiftung kommunalisiert und auf die Stadt Friedrichshafen übertragen, litt diese ehemalige Tochter des Luftschiffbau Zeppelin am wenigsten unter Demontagen und Stillegungsbefehlen der Besatzungsmacht. Demgegenüber stand die erklärte Feindschaft Ulmers und Merglens zu Hugo Eckener und Karl Maybach. Diese beiden Männer galten den Kreisgouverneuren als die Verkörperung einer Wirtschaftselite, welche durch ihre Kooperation mit dem NS-Regime diskreditiert sei und keinesfalls zu neuem Einfluß gelangen sollte. Um diese Repräsentanten der Rüstungswirtschaft auszuschalten, nahm die französische Kreisverwaltung auch ökonomische Nachteile, Unruhen in der Arbeiterschaft und Widerstände in Paris und Baden-Baden in Kauf. Mit der Übertragung der Zeppelin-Stiftung auf die Stadt und der Umwandlung dreier ehemaliger Stiftungsbetriebe in Genossenschaften konnte Albert Merglen einen Teil seiner Vorstellungen von einer demokratischen Wirtschaftsstruktur dauerhaft verwirklichen. Das Ergebnis der industriellen Neuordnung bedeutete für die Region eine Zäsur - ungeachtet dessen, daß sich alle ehemaligen Zeppelin-Betriebe in veränderten Gesellschaftsformen reorganisieren konnten. Der Ertrag der kommunalen Stiftungsbetriebe kommt bis heute ausschließlich sozialen und kulturellen Belangen der Stadt zugute. So hatte es Ferdinand Graf von Zeppelin in seiner Stiftungsurkunde aus dem Jahre 1908 für den Fall verfügt, daß der ursprüngliche Stiftungszweck, der Bau von Luftschiffen, nicht mehr erfüllt werden könne. Bruchloser als die Industriebetriebe konnten die deutschen Gemeinde- und Kreisverwaltungen ihre Arbeit unmittelbar nach Einmarsch der französischen Truppen fortsetzen. Dies war zur Bewältigung der Alltagsnöte unumgänglich, ein umfassender Austausch von belasteten Beamten und Angestellten war nicht praktikabel und von der französischen Kreisdelegation auch nie angestrebt. Doch auf der unteren Verwaltungsebene - so konnte für den Kreis Tettnang gezeigt werden - kam es zu einschneidenden Veränderungen durch die Internierung oder Absetzung aller ehemaligen NSBürgermeister bzw. Ortsvorsteher. Die Verwaltungsinstitutionen als solche, der Behördenaufbau, das Berufsbeamtentum oder die Unterscheidung zwischen Beamten, Angestellten und Arbeitern blieben über das Kriegsende hinaus bestehen. Eine personelle Besetzung städtischer Ämter mit Aktivisten aus der Arbeiterbewegung unmittelbar nach Kriegsende wurde wieder revidiert, als die entnazifizierten und entlasteten Amtsinhaber auf ihre angestammten Plätze zurückdrängten. Aber trotz aller »Kontinuität des deutschen Verwaltungsstaates«2 gab es auch hier in den ersten Nachkriegsjahren grundlegende Änderungen: Die Gemeinden waren nun unwiderruflich in den demokratischen Staatsaufbau integriert, und sie waren fortan mit einem hohen Maß an Selbstverwaltung ausgestattet. Vor allem in SUddeutschland drückt sich dies bis heute durch die Volkswahl des Bürgermeisters aus, der stimmberechtigtes Mitglied im Gemeinderat ist. Eine zunehmende »bürokratische Professionalität« wurde durch die Vergrößerung der Gemeindeverwaltungen im Zuge der Gebietsreform Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre erreicht, was das Verhältnis zwischen Staat und Gemeinden neu bestimmte. 3

2

3

Vgl. hierzu unter dem Aspekt der Zäsursetzung die Ausführungen von Thomas Ellwein, Verfassung und Verwaltung, in: Broszat (Hrsg.), Zäsuren nach 1945, S. 47-61. Zu den Zusammenhängen von Föderalismus, Verselbständigung der Gemeinden und einem damit verbundenen Modernisierungsschub vgl. ebd., S. 52ff.

Schlußbetrachtung

287

Die Reorganisation von Parteien und Gewerkschaften nahm einen wichtigen Stellenwert innerhalb der französischen Demokratisierungsbestrebungen ein. Im Kreis Tettnang fanden die deutschen Vertreter überwiegend breite Unterstützung beim Wiederaufbau der Gremien, allerdings mit Einschränkungen. Schien Gouverneur Merglen die allgemeine Ruhe und Ordnung in seinem Verwaltungsbezirk bedroht zu sein, intervenierte er mit einer ansonsten bei ihm seltenen Härte. Meist trafen die Interventionen kommunistische Repräsentanten in gewerkschaftlichen und politischen Funktionen, weil diese eine radikalere Kehrtwende bei der Entnazifizierung der Bürokratie wünschten. Französische Unterstützung erhielten besonders die lokalen Gewerkschaften. Hier griff Albert Merglen sogar zu »Tricks«, um deren Prestige und Einfluß innerhalb der Arbeiterschaft zu stärken: Die Umwandlung einzelner ehemaliger ZeppelinBetriebe in Genossenschaften, eigentlich auf seine Initiative hin betrieben, stellte er als Verdienst des Friedrichshafener Gewerkschaftskartells dar. Merglens Motivation lag einerseits darin, in den Genossenschaften und in der Gewerkschaftsbewegung Unterstützung für sein Ziel - die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft - zu finden, zum anderen war er darauf bedacht, das Ansehen der Besatzungsmacht unter den Deutschen zu heben. Eine personelle Kontinuität seit der Weimarer Republik bis in die Nachkriegszeit ist auch bei Parteien und Gewerkschaften nach 1945 festzustellen, wenngleich der Altersdurchschnitt der Aktivisten bemerkenswert niedrig lag. Die personelle Kontinuität verband sich bei den Gewerkschaften mit einer bedeutsamen Veränderung: Sowohl ihre Verankerung in der lokalen Gesellschaft und im Betriebsalltag als auch ihr Einfluß auf Entscheidungen in Wirtschaftsfragen nahm zu. Dieser langfristig wirksame Prozeß war weniger spektakulär als in den Revolutionsjahren 1918/19, und er wurde von der französischen Kreisverwaltung tatkräftig unterstützt. Durchzusetzen war er nur - wie gezeigt wurde - in heftigen Auseinandersetzungen, bis schließlich Bürgermeister, Gemeinderat und Betriebsleitungen die Vertretungsorgane der Arbeitnehmerschaft akzeptierten. Wie sich das Parteiensystem in Deutschland entwickeln würde, konnten die Zeitgenossen 1945/46 noch nicht absehen. Unter dem Diktat der jeweiligen Besatzung in Form von »Lizenzparteien« entstanden, hatten die Parteien historische Altlasten wie konfessionelle und ideologische Konflikte zu überwinden. Das »Weimarer Trauma«, die Angst vor einer Parteienvielfalt, die den Staat regierungsunfähig machen würde, war präsent. Überhaupt mußte die deutsche Bevölkerung ein pluralistisches Parteiensystem, wie es heute nicht mehr wegzudenken ist, erst noch erproben und als positiv erfahren. Einen Höhepunkt in der Auffächerung des Parteiensystems auf kommunaler Ebene erreichte die Stadt Friedrichshafen bei den Gemeinderatswahlen 1953 mit sieben gewählten Parteien. Danach trat eine Phase der Konzentration ein, in der sich die Integrationskraft der großen Volksparteien CDU und SPD sowie der lokal tief verankerten Freien Wählervereinigung gegenüber Splittergruppen innerhalb der Wählerschaft zeigte. Anfang der sechziger Jahre (in Friedrichshafen 1962) war dieser Konzentrationsprozeß abgeschlossen, der demokratiefeindliche Parteien auf Dauer zurückdrängte. Auf lokaler Ebene bestimmte fortan ein stabiles Vier-Parteien-System aus CDU, SPD, FDP und Freien Wählergruppen die Gemeindepolitik. Spektakulärer und problematischer als die Reorganisation der Parteien und Gewerkschaften verlief in Friedrichshafen die Entnazifizierung. Dabei verdrängte das deutsche und französische Interesse an den zum Teil weltberühmten »Wehrwirtschaftsfüh-

288

Schlußbetrachtung

renn« der Zeppelin-Betriebe anderweitige Säuberungsmaßnahmen wie z.B. die im öffentlichen Dienst. Kreisgouverneur Merglens erklärtes und mit aller Vehemenz betriebenes Ziel war die Entmachtung jener für ihn untragbar erscheinenden Direktoren und Geschäftsführer des Zeppelin-Konzerns. Während er sich dabei der Unterstützung des Gewerkschaftskartells sicher sein konnte, schwankten die Betriebsräte zwischen politischen Ansprüchen und der Sorge um die Zukunft der industriellen Arbeitsplätze. So lehnte der Betriebsrat zum Beispiel Hugo Eckener und Ludwig Dürr als Verstand der Zeppelin-Stiftung »rundweg« ab, wogegen Karl Maybach die ungebrochene Verehrung und Wertschätzung auch weiterhin genießen konnte. Als Ergebnis einer Analyse der Säuberungsaktivitäten des Kreisuntersuchungsausschusses, der übergeordneten Säuberungskommission in Ravensburg sowie des Säuberungskommissariats in Reutlingen unter Otto Künzel zeigte sich, daß die »Schuld« der Wirtschaftselite nicht faßbar war, da sie unter formalen Kriterien als unbelastet gelten mußte. Diskreditiert waren die Wirtschaftsführer dadurch, daß sie sich - selbst bei einer distanzierten Haltung gegenüber dem NS-Staat - in den Dienst eines verbrecherischen Regimes gestellt hatten. Genau jener Umstand entzog sich aber den Richtlinien für die Entnazifizierung der Wirtschaft. Um das Dilemma wissend, griff der Tettnanger KRUA zu Beurteilungskriterien wie charakterliche Eigenschaften, dem Verhältnis zur Belegschaft oder der Kooperationsbereitschaft der Direktoren bei einer Kommunalisierung der Stiftungsbetriebe. Säuberungskommissar Otto Künzel wiederum verweigerte die Veröffentlichung der hierauf basierenden Sanktionsmaßnahmen, da diese seiner Meinung nach nicht mit den Grundsätzen einer politischen Säuberung übereinstimmten. In diesem Zusammenhang kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit der Militärregierung. Im Endergebnis verlief die Entnazifizierung sowohl in der Wirtschaft als auch in der Verwaltung zur Unzufriedenheit aller Beteiligten und galt damals wie heute als gescheitert, obwohl gerade das »südwürttembergische Entnazifizierungsmodell« - im Vergleich mit dem schematischen Modell der Amerikaner - durchaus konstruktive Elemente wie das der »auto-épuration« beinhaltete. Als Beleg für eine mißlungene Entnazifizierung ist vor allem die personelle Kontinuität - in Friedrichshafen besonders augenfällig die der Wirtschaftsfunktionäre - anzuführen. Die Gründe hierfür in einer ausbeuterischen Wirtschaftspolitik der Franzosen (J. Fürstenau) oder in einer »defensiven Wirtschaftssäuberung« der deutschen Dienststellen zur Verhinderung weiterer Demontagen (K.-D. Henke) zu suchen, greift zu kurz. Die Ursachen sind vielmehr in der gesellschaftlichen Realität verankert, welche eine Entnazifizierung vor nahezu unlösbare Probleme stellte. Denn sowohl französische als auch deutsche Beteiligte hatten das große Ausmaß der organisatorischen und ideologischen Durchdringung der deutschen Gesellschaft im Nationalsozialismus unterschätzt. Hierfür spricht die anfangs bestehende zeitliche Vorgabe der Franzosen, die Entnazifizierung innerhalb von zwei Monaten durchzuführen. Auch das viel versprechende System der »auto-épuration« mußte unter Berücksichtigung dieses Aspektes scheitern. Eine erfolgreichere Entwicklung durchlief die bundesrepublikanische Sozialpolitik, deren Wurzeln in der Kriegszeit und den damit verbundenen Folgeerscheinungen lagen: »Die Sozialpolitik ist aus einer Randlage in das Zentrum des Wirtschafts- und Gesellschaftsprozesses gerückt. Was unter Bismarck als bescheiden dimensionierte „Arbeiterversicherung" begann, wirkt heute massiv auf die Lebenslage nahezu der ge-

Schlußbetrachtung

289

samten Bevölkerung«. 4 Der Ursprung dieser »größte[n] Expansionsperiode des Wohlfahrtsstaates in der deutschen Geschichte« lag in der Herausforderung, die sozialen Kriegsfolgen bewältigen zu müssen: Vertriebene, Flüchtlinge, Witwen und Waisen, Spätheimkehrer, Ausgebombte und Evakuierte, die insgesamt unter einer katastrophalen Wohnungsnot litten, machten staatliche Sozialmaßnahmen notwendig. Der Umstand, daß nur wenige notleidenden Randgruppen am Ende der fünfziger Jahre zurückblieben, läßt erkennen, wie erfolgreich diese Politik war. In Friedrichshafen waren traditionell die Stiftungsbetriebe des Grafen von Zeppelin im Wohlfahrtswesen engagiert. Deren Aktivitäten reichten neben innerbetrieblichen Versorgungsleistungen auch weit über die firmenintemen Grenzen hinaus. Ob Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit oder kriegsbedingte Mangelwirtschaft in Gesundheit und Ernährung, meist kam - in Absprache mit den Gemeinderäten - die Initiative zur Behebung von Mißständen von den Firmenleitungen. Nach 1945 war dieses Engagement zwar ungebrochen, und dies vor allem auf dem Wohnungsbausektor, die Regie übernahm nun aber in viel stärkerem Maße die Stadtverwaltung. In Friedrichshafen konnten mit umfangreichen Wiederaufbauhilfen aus städtischen und Landesfinanzen die Spannungen zwischen Flüchtlingen und Einheimischen abgebaut werden. Eine gezielte Arbeitsmarktpolitik versuchte, Neubürgern gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu geben. Das innerbetriebliche Krankenkassensystem der Großfirmen fand aufgrund einer Anordnung der französischen Militärregierung zunächst ein Ende. Mit dem Ziel einer Einheitsversicherung wurden die »Vereinigten Zeppelin-Kassen« zunächst aufgelöst und deren Mitglieder der AOK zugeführt. 1949 konnte, ganz im Sinne der Beschäftigten, das »alte« System wieder eingeführt werden. Diese deutliche Kontinuität wurde erst 1961 unterbrochen. Seit diesem Jahr wurden die Betriebskrankenkassen organisatorisch getrennt geführt, eine gesetzgeberische Forderung, wie sie schon die Behörden in der Weimarer Republik ohne Erfolg erhoben hatten. Betrachtet man das französische und deutsche Aufbauwerk im Kreis Tettnang ab 1945 in seiner Gesamtheit, bleibt festzustellen, daß die Handlungsspielräume der deutschen Institutionen und Funktionäre überaus groß waren. Ob es um die Ab- oder Einsetzung der Friedrichshafener Bürgermeister, die Reorganisation von Parteien und Gewerkschaften, die Übertragung der Zeppelin-Stiftung auf die Stadt oder kulturelle Aktivitäten ging, meist hielt sich die Tettnanger Militärverwaltung bei Entscheidungsfindungen zurück und intervenierte nur dann, wenn Auseinandersetzungen zwischen deutschen Gremien oder Einzelpersonen zuviel Unruhe in die Verwaltung der Region trugen. Kreisgouverneur Merglen konnte auch dann zu einer unnachgiebigen Haltung neigen, wenn sein tief verwurzeltes Demokratieverständnis verletzt wurde, so vor allem bei der Entnazifizierung, wenn er die Ausschaltung ehemaliger Wirtschaftsfunktionäre nicht energisch genug betrieben sah. Auch wenn es um die Organisation der Besatzungsverwaltung ging, zeigte Merglen großen Durchsetzungswillen. Bei der Requisition von Wohnraum zugunsten französischer Belange konnte er - oft zum Leidwesen der ansässigen Bevölkerung - alle Register seiner ihm zur Verfügung stehenden Macht ziehen. Dagegen oblagen einige gesellschaftliche Bereiche ausschließlich den deutschen Dienststellen. So waren die deutschen Institutionen bei der Bewältigung der Flüchtlingsnot auf sich selbst gestellt. Im Kultursektor zeigten die Franzosen, entgegen ihren sonstigen kulturpolitischen Aktivitäten in der FBZ, eine auffallende Zurück4

Hans Günter Hockerts, Metamorphosen des Wohlfahrtsstaats, in: Broszat (Hrsg.), Zäsuren nach 1945, S. 35-45, hier S. 35.

290

Schlußbetrachtung

haltung. Dies mag daran gelegen haben, daß die Frage nach der Zukunft der Industriebetriebe alle anderen gesellschaftlichen Probleme in den Hintergrund drängte. Welche Veränderungen sind bis zum Ende der Nachkriegsära, das in der Stadt Friedrichshafen symbolisch mit der Einweihung des neuen Rathauses auf das Jahr 1956 datiert wird, in der lokalen Gesellschaft und Wirtschaft feststellbar? Erst bei der Betrachtung langfristiger Entwicklungen wird deutlich, daß trotz unbestrittener Kontinuität eine »moderne« Gesellschaft entstanden war. Sie zeichnete sich durch Demokratie und Pluralismus aus, und sie war in einen Prozeß schneller technischer Entwicklung involviert. Daß dabei das »Wirtschaftswunder« der fünfziger Jahre eine nicht zu unterschätzende Rolle gespielt hat und durch materiellen Wohlstand und wirtschaftliche Prosperität eine zunächst zerklüftete Gesellschaft befriedet worden war, ist bekannt. Dennoch befanden sich die Menschen - dem Klischee der fünfziger Jahre als Jahrzehnt der Restauration widersprechend - in einem »Spannungsverhältnis von rascher Rekonstruktion vormals erreichter Standards und neuen, darüber hinausweisenden Elementen«. Es gab ein »Nebeneinander von atemberaubend schneller Veränderung der städtischen und ländlichen Gesellschaft und den individuellen menschlichen Bedürfnissen nach „Ruhe" und „Normalität"«. 5 Ein beredtes Zeugnis legen hierfür die Visitationsberichte der Ortsgeistlichen des Kreises Tettnang ab, die genau jene Veränderungen klar erkannten und als Bedrohung für ein harmonisches Gemeindeleben empfanden. Aus diesem Spannungsverhältnis heraus brach mit den sechziger Jahren eine zweite formative Phase in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte an 6 , die für die Zeitgenossen in der Studenten-Rebellion und einem Wechsel zur sozialliberalen Koalition zunächst ihren deutlichsten Ausdruck fand. Diese Ereignisse können jedoch genausowenig ausschließlich als Zäsur beschrieben werden wie die des Jahres 1945. Denn nun vollzogen sich Entwicklungen, für die bereits in der ersten Nachkriegsphase die Weichen gestellt wurden. 7 Eine erst jüngst einsetzende sozialgeschichtliche Erforschung der fünfziger und sechziger Jahre wird noch detailliert herausarbeiten müssen, welche langfristigen Kontinuitäten und Diskontinuitäten die bundesrepublikanische Gesellschaft prägten. Schon jetzt zeichnet sich aber ab, daß unter dem Aspekt sozialer, ökonomischer und technischer Modernisierung der innere Zusammenhang der ersten Nachkriegsjahrzehnte stärker als bisher betrachtet werden muß.

5 6

7

Schildt, Moderne Zeiten, S. 9. Vgl. hierzu Löwenthal/Schwarz (Hrsg.), Die zweite Republik; Karl Dietrich Bracher/Wolfgang Jäger/Werner Link, Republik im Wandel 1969-1974. Die Ära Brandt, Stuttgart/Wiesbaden 1986; Hermann Körte, Eine Gesellschaft im Aufbruch. Die Bundesrepublik in den sechziger Jahren, Frankfurt a.M. 1987; Ellwein, Krisen und Reformen; Dietrich Thränhardt, Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Frankfurt a.M. 1996. Axel Schildt und Arnold Sywottek bringen dies mit ihrem Buchtitel »Modernisierung im Wiederaufbau« zum Ausdruck.

Anhang

Abkürzungen

ABZ ADGB AdO AEF AfS AGT AOK Apuz ARAA BA BDC BDM BHE BKK Bü. c. CCFA CDU CMV CRAS CSV DAF DAR DDP DEFA DG DGB DNS DNVP DP DRK DVP EAC EAW ERP FBZ FDJ FDP FN FWV Gestapo GG

Amerikanische Besatzungszone Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund Archives de l'Occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar Affaires économiques et financières Archiv für Sozialgeschichte Arbeitsgemeinschaft Tettnang Allgemeine Ortskrankenkasse Aus Politik und Zeitgeschichte Atelier de Réparation Automobile 4ème Dégrée l'Armée de l'Air Bundesarchiv Berlin Document Center Bund Deutscher Mädel Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten Betriebskrankenkasse Büschel caisse Commandement en Chef Français en Allemagne Christlich-Demokratische Union Christlicher Metallarbeiterverband Centre de Réparation Automobiles Sud Christlich-Soziale Vereinigung Deutsche Arbeitsfront Diözesanarchiv Rottenburg Deutsche Demokratische Partei Direction d'Etudes et de Fabrication d'Armément Deutsche Gemeinschaft Deutscher Gewerkschaftsbund Dachverband der Nationalen Sammlung Deutschnationale Volkspartei Displaced Person Deutsches Rotes Kreuz Deutsche Volkspartei European Advisory Commission Eisenbahn-Ausbesserungswerk European Recovery Program Französische Besatzungszone Freie Demokratische Jugend Freie Demokratische Partei Friedrichshafen Freie Wählervereinigung Geheime Staatspolizei Geschichte und Gesellschaft

292 GM GMZFO GRP GWU HF HJ IARA IHK IRO JO KAB KH KPD KrA FN KRUA KZ Ldl LRBA LZ LZA MdB MM MTU NSDAP NSFK NSKK NSV o.D. O.J. o.O. OB OMGUS OTEDO p. PDR Pg. PI RAF Reg.-Bl. RGBL SA SBZ SFM SOFEN SPD SS StA Sig StadtA FN StadtA TT SWV SZ SzT/EVD TAJB TT UNRRA

Anhang

Gouvernement Militaire Gouvernement Militaire de la Zone Française d'Occupation Gemeinderatsprotokoll Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Wählervereinigung der Heimatvertriebenen und Flüchtlinge Hitler-Jugend Inter Allied Reparation Agency Industrie- und Handelskammer International Refugee Organization Journal Officiel Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Wählervereinigung der Kriegsgeschädigten und Heimatvertriebenen Kommunistische Partei Deutschlands Kreisarchiv des Bodenseekreises Kreisuntersuchungsausschuß Konzentrationslager Landesdirektion des Innern Laboratoire des Recherches Ballistiques et Aérodynamiques Luftschiffbau Zeppelin GmbH Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH Mitglied des Bundestages Maybach-Motorenbau GmbH Motoren- und Turbinen-Union Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Fliegerkorp Nationalsozialistisches Kraftfahrerkorp Nationalsozialistische Volkswohlfahrt ohne Datum ohne Jahr ohne Ort Oberbürgermeister Office of Military Government, United States Oficinas Técnicas Dornier paquet Personnes Déplacées et Réfugiés Parteigenosse Production Industrielle Royal Air Force (Königlich-Britische Luftwaffe) Regierungsblatt Reichsgesetzblatt Sturmabteilung Sowjetische Besatzungszone Société Française Maybach Société Française d'Engrenages Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Staatsarchiv Sigmaringen Stadtarchiv Friedrichshafen Stadtarchiv Tettnang Siedler-Wählervereinigung Schwäbische Zeitung Sammlung zur Tat/Europäische Volksbewegung Deutschlands Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte Tettnang United Nations Relief and Rehabilitation Administration

Anhang

USAAF USPD VDA Verbo VfB VfZ VHS Vol. VVN WAV WÜ ZF ZWLG

United States of America Air Force (Amerikanische Luftwaffe) Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Verein der Auslandsdeutschen Verband oberschwäbischer Zeitungsverleger Verein für Ballspiele Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte Volkshochschule Volume Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Wirtschaftliche Wiederaufbau-Vereinigung Württemberg (Südwürttembergische Bestände im StA Sig) Zahnradfabrik (Friedrichshafen AG) Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte

293

294

Anhang

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:

Erwerbsstruktur in Friedrichshafen 1895-1970 (in Prozent)

Tabelle 2:

Erwerbstätige in Friedrichshafen

28

nach Stellung im Beruf, 1933-1970

28

Tabelle 3:

Die Einwohnerzahlen von Friedrichshafen 1900 bis 1945

29

Tabelle 4:

Zahl der Beschäftigten in den vier größten Industriebetrieben

35

Tabelle 5:

Ausländer in der Stadt Friedrichshafen 1939 bis 1945

38

Tabelle 6:

Die Einwohnerzahlen von Friedrichshafen 1945 bis 1969

50

Tabelle 7:

Vorschlag für die Besetzung eines Gemeinderatskomitees

99

Tabelle 8:

Das Gemeinderatskomitee vom 20. Februar 1946

101

Tabelle 9:

Die Gemeinderatswahlen vom 15. September 1946

102

Tabelle 10: Auswertung der drei Kandidatenlisten bezüglich der prozentualen Verteilung nach Parteien

103

Tabelle 11: Ergebnis der Gemeinderatswahl vom 14. September 1948

104

Tabelle 12: Wahl zur Kreisversammlung am 13. Oktober 1946

110

Tabelle 13: Religionszugehörigkeit in der Stadt Friedrichshafen

132

Tabelle 14: Gemeinderatswahlen in Friedrichshafen 1946 bis 1994

134

Tabelle 15: Kreistagswahl vom 15. November 1953

140

Tabelle 16: Wahl zum ersten Bundestag am 14. August 1949, Stadt Friedrichshafen

142

Tabelle 17: Gründungsmitglieder der Gewerkschaften

148

Tabelle 18: Gründung von Einzelgewerkschaften 1946/47

153

Tabelle 19: Ergebnisse der Betriebsratswahlen 1947 und 1948

164

Tabelle 20: Mitglieder des Friedrichshafener Kulturbeirats 1946

218

Anhang Tabelle 21: Ergebnis der Schulwahlen am 12.12.1948, Stadt Friedrichshafen, Ortsteile Fischbach und Schnetzenhausen, Stadt Tettnang und Kreis Tettnang

295

226

Tabelle 22: Gebäudeschäden im Stadtgebiet Friedrichshafen und Aufbauleistungen

232

Tabelle 23: Belegschaft des Luftschiffbau Zeppelin

237

Tabelle 24: Flüchtlinge im Kreis Tettnang

268

Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen Stadtarchiv Friedrichshafen (StA FN) nicht katalogisiert1 Archiv der Luftschiffbau Zeppelin GmbH (LZA) Repertorien LZA 004 bis 009 Hauptamt Friedrichshafen (Rathaus) Niederschriften Uber Gemeinderatssitzungen, Bd. 89 und Bd. I-X (1944-1953) Stadt Friedrichshafen, Amt für öffentliche Ordnung Statistisches Quellenmaterial Stadtarchiv Tettnang (StadtA TT) Kreisarchiv des Bodenseekreises (KrA FN) 0139.2 Flüchtlingswesen 1946-1956 1053.2 Landtagswahl am 18.5.1947 1056.0-1057 Besuch der Staatsregierung im Bodenseegebiet 8.10.1952 1185.0 Ehrenbürgerrecht und sonstige Ehrungen 1945-1957 1206.0 Streichung aus der Wählerliste wegen Säuberungsmaßnahmen 1206.0 Gemeinderatswahlen 1946-1971 1206.2 Gemeinderatswahlen 1946-1948 1231.0-1231.2 Bürgermeisterakten 20er bis 60er Jahre 1490.0 Tag der nationalen Arbeit 1947-1954 4200.0 Landwirt. Betriebe, die unter das Gesetz Nr. 52 fallen 1946-1948 4550.0 Landwirtschaftliche Mißstände 4715.0 Gewerkschaften 1945-1950 6163 Beaufsichtigung der Presse 1944-1951 6180.0 Vereinslisten 1948, genehmigte Veranstaltungen Kreis TT 6181.0 Konfessionelle Verbände und Vereine 6210.0 Verbot der KPD 1956-1957 6210.4 Politische Parteien 1946-1949 6211.0 Politische Verbände und Vereinigungen 1951-1956 1

Zur Orientierung für den Archivbenutzer liegt eine vierteilige »Friedrichshafener Biographie« vor: Literatur und Quellen zur Geschichte der Stadt sowie zu den Nachbargemeinden Eriskirch, Mekkenbeuren, Oberteuringen, Immenstaad, bearb. von Georg Wieland, Stadtarchiv Friedrichshafen, Stand: 3.4.1996. Interessant ist hier vor allem Teil 4 über »Personen und Familien in Friedrichshafen und den Randgemeinden«.

Quellen- und Literaturverzeichnis

7095.42 9144.0 9880.0

297

Flüchtlingswesen, Unterstützung und Unterbringung Einwohnerzahlen Ehemalige Zwangsarbeiterlager im Landkreis TT

Archives de l'Occupation Française en Allemagne et en Autriche, Colmar (AdO) Vol. 16 Commissariat pour le Land Wurtemberg-Hohenzollern: WU 1 : »Délégation Provinciale du Wurtemberg-Hohenzollern et Lindau« a) Cabinet: c. 2555; c. 2557; c. 3598; 3603/1; c. 4332; b) Affaires économiques et financières: c. 2186; c. 2220, p. 1-12; 2220/1-3; c. 2963; c. 2970, p. 1-5; c. 3560; c. 3588; c. 3598; e) Santé publique: c. 1196 WU 2: »Délégations de Districts et de Cercles« Cercle de Tettnang: c. 1181, p. 1-28 Dossier chronologique 1947-1950: c. 3568 Service Historique de l'Armée terre, Verteidigungsministerium, Paris Militärgeschichtliche Quellen Staatsarchiv Sigmaringen (StA Sig) WÜ 2, Bd. 1 Staatskanzlei Württemberg-Hohenzollern 1945-1959 WÜ 6, Bd. 1 Staatskanzlei, Referat für Besatzungsfragen WÜ 13 Staatskommissariat für die politische Säuberung WÜ 15, Bd. 1 KRUAS WÜ 40, Bd. 1-27 Innenministerium Württemberg-Hohenzollern WÜ 42 Regierungspräsidium Tübingen WÜ 65/35, Bd. 1 Oberamt Tettnang WÜ 91 Realschulen WÜ 92 Grund- und Hauptschulen WÜ 120 Finanzministerium Württemberg-Hohenzollern WÜ 126/5 Finanzamt Friedrichshafen 1939-1955 WÜ 140, Bd. 1-3 Wirtschaftsministerium Württemberg-Hohenzollern R 31/4 Arbeitsamt Ravensburg 1922-1969 Diözesanarchiv Rottenburg (DAR) G 1.8 Landkapitels- und Dekanatsakten Nr. 605, 7 Faszikel (Pfarr- und Dekanatsvisitationen 1939-1959) G 1.3 Ortsakten Faszikel 30 (Allgemeine Akten der Pfarreien: Visitationsberichte 1958-1965, Seelsorgerliche Verhältnisse, Pfarrbeschreibungen zu Volksmissionen u.a.) M 141 (General- und Ortsakten Dekanatsamt Friedrichshafen bzw. Tettnang) M, Deposita M 186 (Berg), M 198 (Brochenzell), M 213 (Gattnau), M 128 (Krumbach), M 227 (Langenargen), M 228 (Oberdorf), M 124 (Obereisenbach), M 82 (Tannau), M 83 (Wildpoltsweiler).

298

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Heimatblätter

Werkzeitschrift der Zeppelin-Betriebe (LZ, MM, ZF) Zeitschrift für

Unternehmensgeschichte

Journal Officiel du CCFA (Amtsblatt des franz. Oberkommandos in Deutschland) Le Monde

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Personenregister

Adenauer, Konrad 11,137 Arnegger, Franz 183 Arnegger, Hermann 99, lOlf. Arnegger, Josef 183 Bärlin, Walter 36,38,43-45,88,96,107, 181, 187f. Beckert, Fritz 75, 100-102, 104, 121123,148,155,159-161,167,205,224, 230 Bennek, Georg 142 Bentele, Basil 180 Beitel, Franz 258 Bertsch, August 29, 88-93, 96-98, 100, 175f„ 214f. Bertsche, Julius 181, 214 Betzier, Edmund 180 Binder 57 Birkle, Josef 102,160 Bismarck, Otto von 288 Blank, Albert 185 Blaschke, Otto 179 Bleicher 149 Böckler, Hans 162 Bolz, Eugen 86 Böttner, Carl 61, 65, 69f„ 83, 167, 195, 197 Bouillon-Perron 92 Bouquet 117 Boumazel 245 Brandenstein-Zeppelin, Alexander Graf von 73, 84 Braun, Jakob 75, 99f„ 118,148f. Brenner 127 Broszat, Martin 14f. Brugger, Alfons 102,104,120 Brugger, Franz 99, lOlf., 104, 230 Brugger, Karl 179 Brüning, Heinrich 258 Büchele 44

Bühler, Friedrich 255 Burr, Gustav 102, 120,160, 205 Cappus, Hans 70, 73, 83 Carp 150 Carstens 271 Chavoutier 156 Clausberg, Karl 252 Clément, Alain 56 Coignard 66 Colsman, Alfred 60, 85,211,251f., 254, 256-258 Conze, Werner 12,14 Dach, Valentin 104f. Dahrendorf, Ralf 12, 227 Dehlinger, Alfred 86 Denz, Rudolf 23, 28, 45, 148, 152, 155, 158f., 160f„ 176,184f. Deudon, Jean 63, 71,74 Diemer, Zeno 44 Dietz, Kurt 113,138 Doit, Hermann 70, 83 Dornier, Claude 69,79-81, 83,196, 200 Dornier, Claudius 81 Dornier, Peter 79-81, 203 Dostel 44 Drautz, Gustav 107 Dürr, Ludwig 58, 74, 197, 199, 201f., 288 Eble, Otto 104f. Eckener, Hugo 58, 60, 68-71, 73f„ 76, 83,126,197f„ 200-202,240,258,286, 288 Eckener, Knut 74, 197, 19-201 Eckert, Erwin 128 Eggert, Eduart 220 Einsporn, Erich 128 Elflein, Anton 218 Erler, Fritz 137 Eschenburg, Theodor 15, 262-264

Personenregister

Filbinger, Hans 226 Filippi, Jean 54 Flick, Friedrich 70 Flittiger, Karl 51, 52 Flösser, Karl 104f., 118,148-150,160 Franqueville 66 Frédéric 6 2 , 7 1 , 200 Freudenreich, Vinzenz 120 Frey, Carl 258-261 Frey, Josef 123,178 Frick, Eugen 104f„ 148, 155-157, 159, 161 Frohn, Carl (Karl) 9 9 , 1 0 4 , 1 2 4 Fürstenau, Justus 172, 288 Gauthier 44f. Gelbrich, Albert 43-45 Gérin 62 Geßler, Franz 218 Gessler, Heinz 217 Gessler, Hermann 179 Gessler, Othmar 98f., 124, 210-213, 216f. Gessler, Robert 211 Glück 44 Gmelin, Walter 44 Gnädiger, Rudolf 180 Gotthardt, Karl 179 Göttinger, Rudolf 87f., 177, 208 Grall, Egon 1 7 9 , 1 8 3 , 1 8 5 Grohnert 172 Grünbeck, Max 1 7 , 4 8 , 6 9 , 7 3 , 9 5 f . , 111, 113, 1 2 4 , 1 2 7 , 1 3 8 , 1 6 5 , 234f„ 269 Handel, Theo 102, 104,110, 218 Hänsler, Josef 149, 257 Hasslinger 98 Haug 208 Häussler, Emst 104 Hauth, Friedrich 184 Hecht, Wendelin 215 Heine, Franz 185 Heine, Josef 178 Heizmann, Otto 104 Henke, Klaus-Dietmar 172, 183f., 186, 196, 204, 207, 288 Henn, Paul 110, 118, 136, 142 Herbert, Ulrich 281 Herter, Fritz 99

319

Heß, Oskar 179 Hilsenbeck, Max 218 Hitler, Adolf 32-34, 87, 197, 214 Hofmann, Reinhold 99f„ 104, 184, 192, 195f„ 204 Hohlwegler, Erwin 136 Höse, Emst 118 Hund, Josef 177, 208 Hüni, Otto P.W. 44 Hutter, Otto 212 Jäger, H.E. 197 Kaldenbach, Willi 104f„ 124f„ 255 Karg 149 Keinert, Reinhard 146 Kettnacker, Fritz 218 Kiehn 187 Kienlin, Markus von 61, 70, 83 Kiesinger, Kurt Georg 1 2 4 , 1 3 7 , 1 4 2 Klugmann 68 Knipper, Emile 64, 68f„ 7 1 , 7 9 f „ 231 Knoch 4 3 , 4 5 Koenig, Pierre 65, 67, 144, 203 König, Lorenz 110 Komemann, Rolf 229 Kramer 223 Kuban 148 KUbler, Karl 142 Kuhn 181,188 Kuhn, Elmar L. 20, 147 KUnzel, Otto 1 7 2 , 1 9 6 , 1 9 8 , 2 0 4 , 2 8 8 Küster, Willy 183 Laffon, Emile 79 Langensteiner, Alfons 181,188 Lanz, Johann 99, 149 Le Portz 57 Lefevre 62 Legier, Otto 118 Lieb, Bernhard 102, 120,137, 224, 230 Lincke, Anna 211 Link 148 Locher, Adolf 121 Locher, Bernhard 183 Löwenthal, Richard 11 Maier, Albert 70f„ 73, 8 4 , 1 9 7 Mangoux, Corbin de 59 März, Franz 218 Matt, Josef 136

320

Personenregister

Mauch, Anton 93 Mauch, Josef 51, 91-96, 99, 101, 103, 110,120, 123,158-161, 183, 189-191, 193,205, 231 Maybach, Karl 61-63, 65, 68-70, 83, 167,195,197, 201-206, 260, 286, 288 Maybach, Wilhelm 61 Mayer, Adolf 85 Mayer, Josef 24 Mayer, Robert 32, 33 Merglen, Albert 46, 50, 63f„ 66, 68, 70, 72, 75f., 82, 92, 108, 121-123, 157, 160f„ 168-170, 202f„ 205f., 209f., 216,219f„ 231,240f„ 244,270f„ 273, 285-289 Mielke, Gerd 141 Mielke, Siegfried 169 Möhler, Rainer 172 Mohr, Valentin 183, 215 Mooser, Josef 13 Moro, Adolf 108 Morsey, Rudolf 13, 16 Mugler, Edmund 44 Mühlhäuser 66,160, 166 Müller, Gebhard 112,138, 185 Müller, Heinrich 180 Müller, Jakob 99,100, 102, 118 Müller, Karl 137 Müller, Paul 142,148,197 Münch, Emil 108f„ 158, 161, 175, 190, 192,196, 231,265, 267 Murr, Wilhelm 24f„ 43, 86, 87, 107 Naphtali, Fritz 165 Nathen, Otto 122 Neumahr 271 Oesterle, Julius 74, 78, 80, 203, 255 Oesterle, Fritz 79, 81,197 Oppenländer, Josef 148,184f. Ott, Leo 44 Otto 149 Pfrimme 219 Picht, Georg 227 Pirker, Robert 70-73, 84,197, 201, 248 Poussard 92 Priester, Franz 119 Prinz, Michael 13 Quintenz, Eduard 106

Rack, Hans 180 Raebel, Jean 61,65,68-70, 83,167,195, 197, 203, 260 Rauch, August 181 Rauch, Bernhard 178 Rauh-Kühne, Cornelia 9, 172, 191, 196, 198, 204 Reine 90 Reinhardt, Ludwig 121 Renner, Viktor 66, l l l f . , 158 Riedl, Rudolf 177 Ritter, Gerhard A. 170 Rittmann, Fritz 218 Robin, Leo 71f. Rohmer 74 Röll, Jakob 118 Roller 44 Rommel, Karl 195, 197, 199, 258 Rommel, Fritz 197 Rösch, Hans 121 Roßmann 176 Roßmann, Lothar 183 Rother, Josef 94, 99-101, 110, 122, 148, 150, 153-155, 157, 162,183, 200 Sauter, Franz 102 Sauter, Gebhard 179 Sauter, Johann 183 Schäberle, Eugen 178 Schabet, Carl Ignaz 211 Schaugg, Richard 179 Schiele, Michael 197, 200 Schildt, Axel 14 Schmäh, Konstantin 70f., 73, 84, 99f., 102,104,120,148-150,160,165,184, 197,201,218, 221 Schmid, Carlo 59,110,171, 173 Schmid, Karl 177, 197,201, 215, 258 Schmid, Markus 181 Schmidt, Paul 218 Schneider, Julius 79, 197, 199 Schneider, Pierre 76 Schnitzler, Hans 85-88,96 Schnitzler, Johann 183 Schradin, Hugo 99-101, 110, 185,199 Schraff, Alfred 178 Schwab, Otto 218 Schwarzmann, Franz 179

Personenregister

Schweinberger, Albert 180 Seibold, Hans 24f„ 33, 44, 106, 208, 209, 212 Seubert, Philipp 179 Seyfried 148 Sihler, Karl 180 Silfang, Willi 100, 121, 148, 150, 185, 230 Soden-Fraunhofen, Alfred Graf von 71, 84 Soden-Fraunhofen, Ekart Graf von 84 Sohn, Willi 104,124 Sommer, Anton 91, 99-102, 104, 110, 117f„ 125, 135, 149, 158, 160, 167, 205, 218, 224 Späth 149 Speer, Albert 34 Spiess, Wendelin 197 Spindler 148 Sporer, Bernhard 180 Springer, Erich 106f., 162 Stadtmüller, Eugen 258 Stalin, Josef 137 Stärk, Franz 180 Steininger, Rudolf 16 Stöhr, Konrad 98, 101, 107-109, 137, 152,182f., 214, 244 Stöss, Richard 125 Strauß, Franz Josef 138 Streib 149 Stuckenbrock, Alex 185 Stütz, Franz 104, 124

321

Sulzer, Leopold 180 Sützenberger, Maria 211 Sywottek, Arnold 14 Tholander, Christa 39 Tichy 129 Treue, Wilhelm 68 Trip, Ernst 216 Ulmer, Pierre Paul 37, 46, 50, 58, 70f., 78, 82, 92, 101, 108, 120, 152, 201f„ 261, 285f. Ulrich, Fritz 115 Valicourt 78, 127f„ 142, 234, 245f. Wagner, Mat(t)häus 99-102, 118, 148, 150, 183, 230 Walchner, Franz 212, 216 Walchner, Siegfried 216 Walter, Ludwig 180 Weber 149 Weiß 120 Werdich, Georg 102,104,110,124 Wetzel, Hermann 218 Widmer, Guillaume 46, 55,65,151,171, 198f. Willis, F. Roy 56 Winkler, Josef 183 Wocher, Alfred 179, 180 Wohlfrom, Franz 178 Wurm, Adam 255 Zeppelin, Ferdinand Graf von 20,23,56, 84, 25 lf., 254, 256, 286, 289 Zinsmaier, Franz 99, 101, 230

Ortsregister

Aalen 93,180 Ailingen 24f., 36f„ 146, 161, 178, 182, 209, 268, 270, 281 Allmannsweiler 24f„ 37, 80, 235, 271, 272, 275 Altheim 215 Augsburg 62, 66 Aulendorf 135 Bad Cannstatt 95 Baden-Baden 21, 60, 62f„ 67f„ 70, 74, 76f„ 101, 144, 184, 206, 219, 241, 245, 286 Balgheim 179 Balingen 89, 177, 186, 208, 216, 267 Berlin 63, 67,95, 273 Biberach 48, 85, 212 Bietigheim 88 Bisingen 177 Bissingen 61 Blaubeuren 65, 108 Bronnen 178 Buchschach 235 Calw 267 Colmar 21 Dachau 37, 39, 208 Daugendorf 108 Deilingen 146 Dijon 46 Dormettingen 89 Dresden 32 Duisburg 95 Dunningen 93 Effringen 100 Efritzweiler 137 Ehingen 180, 211 Ellwangen 178 Enztal 181 Eriskirch 25, 36,178, 268, 282 Erolzheim 85

Esslingen 88, 188 Ettenkirch 25,179, 268 Fischbach 24, 43f„ 186, 223-226, 279, 281 Frankfurt 179, 215f. Freudenstadt 34,48, 89,188, 267 Friedrichshafen Gaggenau 70 Gattnau 274, 280 Göppingen 106 Gotenheim 100 Gunningen 181 Halle 108,179 Hechingen 48 Heidenheim 188 Heilbronn 107 Hofingerösch 235 Hohenheim 106,108 Höllriegelskreuth 34 Horb 89,180 Jettenhausen 24, 235, 274, 279, 282 Kehlen 25, 37, 179, 268 Kirchheim 106 Kitzenwiese 235 Kluftern 36 Konstanz 110,114,165,221 Kressbronn 25, 37, 179,183,185, 268 Krumbach 280 Langenargen 25, 43, 45, 78, 146, 169, 178-180,184, 268, 279 Langnau 25,180, 268 Leipzig 118,214 Lindau 43, 81, 110,267 Löwental 24 Ludwigshafen 62 Madrid 81 Manzell 24, 33, 36f., 41,78, 80 Markdorf 43

Ortsregister

Meckenbeuren 25, 36, 43, 58, 60, 76, 122, 137,180, 253, 255, 268, 282 Meistershofen 24, 120 Mengen 89 Mochental 211 Mühlesch 235 München 95 Munderkingen 89 Münsingen 48 Neckarsulm 101 Neukirch 25, 180, 268, 274, 280 Obereisenbach 274 Oberndorf 17,106 Oberraderach 34 Oberteuringen 25,37,43,136,146,180, 253, 268, 274, 278, 280 Paris 21, 54, 63f„ 66f„ 76, 89, 128, 138, 286 Peenemünde 34 Pfahlheim 178 Pforzheim 32 Poltawa 40 Poppis 179 Potsdam 115-117, 144 Raderach 34, 37, 39, 146 Radolfzell 43 Ravensburg 27, 37, 46, 110, 112-114, 137, 142, 146, 184, 190f., 196-201, 206, 243f„ 264, 267, 288 Reutlingen 112,172,178,182,184,187, 189,196, 204, 225, 267f„ 288 Rexingen 180 Rickenbach 79 Riedheim 146 Riedlingen 108 Rottenburg 22, 39, 89, 142, 146, 180, 264, 278 Rottweil 47, 89,184 Saulgau 37 Schlatt 180 Schnetzenhausen 24f„ 146, 161, 223, 225f„ 280, 282

323

Schramberg 193 Schreienesch 235 Schreienösch 226 Schwenningen 93,112 Seemoos 24,44, 246 Sigmaringen 21,120 Spaichingen 179 Spaltenstein 24 Stalingrad 13,48 Stockach 114 Stuttgart 32,86f„ 95,108,121,136,146, 150, 175,179,190, 270, 271 Tannau 25, 181,268,274 Tettnang 17-31, 37, 42, 46, 48, 60, 68, 78, 81, 85, 91, 93, 96, 101, 106-114, 117, 119-122, 126, 129, 132, 136f., 141,143-148,150,154,163,168,176178,180-189,192-194,199,204, 206, 208-215, 224, 226, 231f„ 238f„ 242246, 256-258, 262-270, 272, 276-278, 281, 283, 285, 286-290 Trautenmühle 36, 275 Trossingen 88 Tübingen 17, 46-48, 50, 57, 59, 69, 89, 92f„ 101, l l l f . , 116, 127, 135, 142, 151,154,158,160,169,176,186,188, 196, 200f., 217, 246, 265, 267-269, 272 Überlingen 26, 37, 39, 113f„ 244 Ulm 160,260 Untertürkheim 93 Vernon 62, 66 Waggershausen 24, 226 Waiblingen 100 Waldenbuch/Schlesien 100 Wangen 114,137,186,212 Weimar 145 Weingarten 100, 264 Wellmutsweiler 180 Wildpoltsweiler 274, 279f. Windhag 24,44