Mythologie der Griechen und Römer [17., verbes. u. verm. Aufl., Reprint 2021]
 9783112458020, 9783112458013

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Christian Tobias Damm's, ehemalig«« RektorSdeS Köllnischen Gymnasiums j» Berlin,

Mythologie der

Griechen und Römer. Nach der von

Friedrich

Schulz

veranstalteten

Ausgabe

aufs neue bearbeitet von

Konrad Levezow. Siebzehnte verbesserte und vermehrte Auflage. Mit acht und zwanzig neuen, nach Antiken gestochenen Kupfern.

Berlin, 1820,

Zn der Sanderschen Buchhandlung.

I« habe den Lesern dieses BucheS über die gegenwär­

tige neue vierzehnte oder fünfzehnte Ausgabe nur we­

nig zu sagen.

Plan und Einrichtung desselben sind

hinlänglich bekannt, und man hat sie auch jetzt bei­

behalten, da sich

nichts Wesentliches daran ändern

ließ, wenn nicht ein ganz neues Buch geschrieben

werden sollte.

Doch sind sehr viele der wichtigsten

Artikel gänzlich umgcarbeitet worden; und allen hat

man wesentliche Verbesserungen im Styl und Inhalte zu geben gesucht, wie es schon

eine flüchtige Ver­

gleichung mit den früheren Ausgaben zeigen wird. Herr Friedrich Schulz, der nachmals als Pro­

fessor in Mietau starb, besorgte im Jahre 1786 eine neue Ausgabe, und nahm mehrere Stellen aus Seybolds Mythologie darin auf, die er durch Anfüh­

rungszeichen („ “)

von

dem

Uebrigen unterschied»

Diese Stellen sind zum Theil (doch mit manchen Ab­

änderungen im Styl) auch jetzt beibehalten worden,

damit die neueste Ausgabe nichts von dem entbehren

sollte, was die früheren von 1786 bis 1797 enthielten.

IV

Borrede. Die Anzahl der zur Erläuterung nöthigen Kupfer­

tafeln ist um zwölf vermehrt, und alle find nach an­ tiken, zum Theil weltberühmten, Urbildern gestochen

worden.

Man kann wohl dreist behaupten, daß da­

durch dieses Buch einen nicht gewöhnlichen Vorzug bekommen, und daß überhaupt kein anderes mytholo­

gisches Lehr- und Handbuch sich einer so guten Äusstattung von Seiten der Kupfer zu rühmen hat. Der Herausgeber bemühete sich vorzüglich, daß die darzustellenden Gegenstände zweckmäßig gewählt seyn,

und daß die Abbildungen sich auch durch Richtigkeit

der Zeichnung, so wie durch Reinheit und Nettigkeit

des Stichs, auszeichnen sollten. Berlin im April 1803.

Konrad Lebezow. Da Abbildungen und

Erläuterung-- Kupfer bei

einem Lehrbuche dieser Art einen sehr wesentliche«» und unentbehrlichen Theil ausmachen, so hätte man ge­ wünscht, ihre Anzahl noch beträchtlich vergrößern zu

können; der geringe Preis aber, wofür dieses Buch, seinem Zwecke nach, verkauft werden muß, erlaubte nur daS Nothwendigste.

Dieser neue Abdruck, die siebzehnte Auflage, zeich­ net sich von den

vorigen zunächst vorangegangcncn

durch Hinzufügung einiger Paragraphen aus, in wel­

chen, nach HesioduS, die Grundzüge der Theogvnie und

V

Vorrede.

Kosmogonie der Griechen, der Titanvmachie und Gi-

gantomachie angedeutet und der Abhandlung der ein­

zelnen Gottheiten voraufgeschlckt worden sind.

Auch

in den übrigen Abschnitten dieses Buchs ist manches, theils

durch

Fortnahme,

theils

durch

Berichtigung

und' Zusatz verändert, um dieß immer noch sehr ge­ suchte Schul- und Handbuch, mit Beibehaltung seiner

ursprünglichen Anlage, den Bedürfnissen seiner heuti­ gen Leser so gut als möglich anzupassen.

auch dadurch zu

Man hofft

seiner Verbefferunq beigctragen zu

haben.

Berlin, im May 1820.

VI

Erklärung der Kupfertafeln.

Erläuterndes

Verzeichniß der Kupfertafelti. l

v»6ea oder Cybele, auf einem Throne sitzend, mit

der Mauerkrone auf dem Kopfe, und mit Pauken in den Händen; neben dem Throne stehen, zwei Löwen; «ach ei­ nem Relief auf einer antiken Lampe. — Kopf des Kronoö oder Saturn «ö, nach einem alten, geschnittenen Steine. II. Zeus sderJupiter, sitzend, den Blick und den Herrscher­ stab in den Händen haltend; ju seinen Füßen der Adler: nach einer antiken Statue in Rom. — Drei Köpft des Jupiter, nach antiken Gemmen: a) von vorn, als Jupiter Stygius, b) als Jupiter Serapis und Am­ mon, mit dem Modius auf dem Kopfe und den Widder­ hörnern an den Seiten, c) mit Lorber bekränzt. III. Hera oder Juno: nach einer Statue, im Capitol zu Rom. — Kopf der Juno mit dem Diadem nach ei­ nem antiken Kolossalkopfe. IV. Phöbus oder Apollo, in der Stellung und dem Ausdruck, wie er etwa die Schlange Python, oder die Kinder der Niobe mit seinen Pfeilen erlegt, in der lin­ ken Hand das Fragment des Bogens haltend: nach der berühmten Statue, im Belvedere des Vatikans zu Rom, — Kopf des Apollo, nach derselben Statue von der Seite gezeichnet. V. Apollo Musageteö; der Kopf mit Lorber bekränzt, in der linken Hand die Lyra haltend, und in der rechten das Plektrum, mit dem er die Saiten rührt, ganz in der Tracht eines Citharöden: nach einer Statue, in Roifl

Erklärung der Kupfertafeln.

VII

im Pio-Clementinischen Museum. — Muse, nach ei­ nem antiken geschnittenenen Steine.

VL

Artemis oder Diana, als Jägerin in vollem Laufe vorgestellt, in der rechten Hand den Bogen haltend; ne­ ben ihr ein Hund und ein Hirsch: nach einem Relief auf einer antiken Lampe. — Diana zu Ephesus, ebenfalls nach einem Relief auf einer antiken Lampe.

VII.

Poseidon oder Neptun, mit dem Dreizack in der Hand, wie er mit den Hippokampen über das Meer da­ her fährt, vergrößert nach einer Gemme. — Kopf des Aeskulap, zu Tafel XXI gehörig, aus Versehen vom Zeichner hierher verseht.

VIII. Pallas Athene oder Minerva, in der rechten Hand den Spieß, in der linken die Aegide mit dem Kopfe der Medusa haltend; zu ihren Füßen eine Schlange:

mit einer kleinen Veränderung nach einer antike» Sta­ tue im Museum zu Paris gezeichnet. — Das Profil eines M i n e r v e n k o p fe s nach einer antiken Kolossalbüste. IX.

Ares oder Mars, mit einem Helm auf dem Kopfe «nd bärtig, in der Linken den Schild, in der Rechten bas Schwert haltend: nach einer alten Statue im Mu­ seum zu Paris. — Der undärtige Kopf des Mars nach einer andern antiken Statue von der Seite gezeichnet-

X.

Aphrodite oder Venus: nach der antiken Statue, welche unter dem Namen der Venus von Troas in Frankreich berühmt ist, und sich gegenwärtig im Museum zu Paris besindet. —Amor und Psyche, einander um­ armend: nach einem Relief auf einer antiken Lampe.

XI.

Hephästos oder Vulkan, in der Werkstatt; bei ihm Venus und Amor, denen er die Pfeile schmiedet: nach einem geschnittenen Steine vergrößert. — Kopf des Vulkan mit der ihn charakterisirenden spitzen Mütze: nach einem antiken geschnittenen Steine.

XII.

Demeter oder Ceres, mit Kornähren und einem Blumenkranz in den Händest; der Kopf ist gleichfalls mit Aehren geschmückt: mich einer antiken Statut in der

VH!

Erklärung der Kupfertafeln.

Villa Borghese zu Rom. — Kopf der Ceres: nach einem alten geschnittenen Steine. XIII. Pluto, sitzend auf einem Throne, mit dem Modius -r- SerapiS auf dem Kopfe; die rechte Hand hat er auf -en dreiköpfigen Cerberus gelegt, in der linken hält er den langen Herrscherstab: nach einem Relief auf einer antiken Lampe. — Kopf der Proserpina: nach einem geschnittenen Steine, ehemals in der Sammlung des Herzogs von Orleans. XIV. Dionysos oder Bacchus, in der rechten Hand den Thyrsus haltend, nach einem antiken Werke im Museum zu Paris. — Kopf der Ariadne, nach einer Kolos salbüsie. XV. Eilen, trunken hingestreckt liegend; die rechte HanHat er auf einen Weinschlauch gelegt, mit der linken faßt er die umgestürzte Trinkschaale; nach einer alte« Statue in Rom. — Site», von Faunen, SatyrenLiebesgöttern und Bacchantinnen umgeben, «ach einem geschnittenen Steine. XVI. Pan, der den Apoll» a«f der Syrinx unterrichtet! nach der antiken Statue in der Villa Ludovisi zu Rom— Apollo und Marshas; nach einer antiken Gemme.

XVfi. Ein junger Faun, auf der Flöte spielend, aus der Villa Borghese. — Ein kleiner Faun tanzend; als Gegenstück ei» alter Faun, mit dem Thyrsus in der Rechten, und der Trinkschaale in der Linken, trun­ ken vorwärts schreitend; beide «ach antiken Geminen. XVIII. Hermes oder Merkur, mit geflügeltem Kopfe, in der Linken den Caduceus haltend; nach einer Antike im Museum zu Parte. — Kopf des Merkur mit dem Hute bedeckt. XIX. Ein« Parze (Lachesis), auf einer komische» Maske sitzen-, mit der Spindel in der Hand; vor ihr die tragische Maske; nach einer antiken Gemme. Beide Masken deuten wohl auf das gut« und böse Schicksal, welches die Parze spinnt. — Kopf der Medusa, nach

einem berühmte« antike» geschnittenen Steine.

Erklärung der Kupfertafeln.

IX

Die Grazien einander umarmend; nach einem anti­ ken geschnittenen Steine. — Die Horen tanzend; nach einem antiken Vasen-Gemählde. XXI. AeökulapiuS, mit dem Schlangenstabe in der Rechten; nach einer antiken Gemme. — Der Kopf des AeSkulap, gleichfalls nach einer antiken Gemme. XXII. Hygiea; nach einer alten Statue, im Museum zu Paris. — Eine andere Vorstellung derselben, nach einem Relief auf einer antiken Lampe. XXIII. Hebe, wie sie den Adler des Jupiter aus der Nektarschaale tränkt; nach einem geschnittenen Steine. — Ganymed es, wie er dem Adler des Jupiter (vielleicht den Jupiter selbst bedeutend) die Neftarschaale hinreicht, nach einer antiken Gemme. XXIV. Flora, mit einem Blumenkränze in der Hand, nach einem alten Werkel in der Farnesischen Sammlung — Vertumnus, in der einen Hand ein Gärtnermes­ ser, in der andern einen Zweig haltend, vor sich im Schoost des Gewandes Früchte tragend; nach einem Re­ lief auf einer antiken Lamp.. XXV. Isis; nach einer alten Statue bei Montfaucon. — Osiris und Serapis, nach antiken Gemmen bet Stosch. — XXVI. Anubis; nach einer alten Gemme bei Stosch. — HarpokrateS, ebenfalls nach einem antiken Steine. XXVII. Herkules, sich auf seine Keule stützend; nach ei­ ner antiken Statue in dem Pallast Farnese zu Rom. — Der Kopf derselben Statue, etwas größer. XXVill. Fortuna, auf einen. Throne sitzend, mit Füll­ horn und Steuerruder; nach einer antiken Lamve. — Victoria, sich schwebend auf die Erdkugel niederlas­ send; ebenfalls nach einer antiken Lampe. XX

Einleitung-

Gedruckt bei Medericke SV er hä User, Neue Noß - Straße No: 24

Griechische und Römische

Mythologie.

§. 1.

-^Oie Mythologie der Griechen und Rö-

wer enthält eine Sammlung von Vorstekknygen und Sar gen (Mythen) dieser beiden Völker von ihren Gott­ heiten und Heroen, von der Entstehung der Welt und

der Erde, und den sich darin ereignenden großen physi­ schen, moralischen und intellektuellen Erscheinungen, wie

sie, von den frühesten Zeiten an, sich in dem kindischen Gemüthe und durch die btldervoüe Sprache roher Natur­

menschen erzeugten, und in allen folgenden Perioden ihrer

Cultur durch Dichter, Neligionslehrer, Künstler, Philoso­ phen und Geschichtschreiber zu mannichfattigen Absichten

allmählich erweitert und ausgebildet sind.

§. 2.

Won uns geschöpft aus den hinterlassenen Wer­

ken ihrer Dichter, Geschichtschreiber, Philosophen, un­ besonders derer unter ihren Schriftstellern-, die sich vor­ züglich mit der Sammlung dieser alten Vorstellungen und

Sagen beschäftigten, so wie auch aus den Kunstwerken des Alterthums, sind sie für «ns ehrwürdige, wenn gleich

Einleitung.

4

nicht immer ganz zu rnträthselnde,

den Bemühungen der Alten,

Denkmähler von

in die Entstehung und die

Natur der Dinge einzudringen,

den daraus gezogenen

Schlüssen durch sinnliche Sprache und Bilder, Theilunwillkürlich, Theils willkürlich, eine lebendige, bestimmt« Gestalt zu ertheilen,

ja selbst das Andenken an große

Begebenheiten und an verdienstvolle

und

in jeder Art

ausgezeichnete Menschen der Vorzeit zu erhalten und zu

befestigen.

Demnach erblicken wir in diesen Mythen di«

ersten Keime ihrer Religion,

ihrer Philoso-

phie, und die Uranfänge ihrer Geschichte.

Aber

es ist nicht immer möglich. Das, was zufolge anderer Bedürfnisse, und aus andern Absichten, späterhin und an

verschiedenen Orten allmählich damit verbunden wurde,

von dem ursprünglich zuerst Erdachten und Geschehenen abzusondern, und so den Ursprung und dir eigenthümliche

Bedeutung der uralten Mythen rein und unverfälscht zu «rkennen und darzulegen. §. 3.

Wenn aber auch diese Absicht nicht überall er«

reicht werden kann, und wenn also die ganze Mythologie

der Griechen und Römer nicht in allen ihren einzelnen

Theilen für uns das reine Resultat ihres frühesten Nach­

denkens, ihrer ersten Phantasieen und Empfindungen über und bei den wichtigsten sich ihnen darbietenden Erschei­

nungen

der

physischen,

moralischen

und

intellectuellen

Welt, und eben so wenig der rein-historische Stoff ihrer

frühesten Geschichte seyn kann: so wird doch überhaupt die genauere Kenntniß ihrer Mythologie, so wie sie uns

in ihren Schriftstellern und Kunstwerken vermischt und größten Theils willkürlich, doch immer nach den Gesetzen der Schönheit und Anmuth, ausgebildet vor Augen liegt.

Einleitung.

s

zur Verständlichkeit ihrer Schriftsteller und Kunstwerke und selbst alles dessen, was diesen in der neueren Zeit nachgebildet ist, dienen, und uns den mannichfaltigen Gei nuß, den wir aus diesen Werken des Genies schöpfen können, unglaublich erhöhen. §. 4. Ehe wir aber zu der eigentlichen Abhandlung der Mythologie übergehen, wird es nicht unzweckmäßig seyn, uns mit der Art und Weise, wie die sogenannten mythischen Vorstellungen überhaupt in dem Gemüthe deS Menschen während der ersten Perioden seiner Cultur entt standen, vorläufig bekannt zu machen. §. 5. Daß die Menschen auf den Gedanken an gee wisse Gottheiten, oder höhere Wesen, di« mächtiger wären als sie, geriethen, ist sehr natürlich. Der rohe Mensch fühlte seine Schwäche; er sah, daß er von einer Menge äußerlicher Umstände abhing, denen er das Da« seyn nicht gegeben hatte: gewisse schreckliche oder ange« nehme Naturerscheinungen, deren Wesen er sich nicht er« klären konnte, trugen, sich vor seinen Augen zu; entstam den und vergingen. — Die natürlichste Frage war also: Wer bewirkt dies alles? §. 6. Daß es nicht von einem gewöhnlichen Wesen, welches sie mit ihren leiblichen Augen sahen, sondern von einem mächtigern bewirkt wurde, war den ungebildeten Menschen klar. Aber wer ist dies, wo ist dies mächtir gere Wesen? Wenn der Verstand nicht weiter kann, tritt die Einbildungskraft an seine Stelle. Die Men« fchen fingen nun an, dem höheren Wesen gewisse Wohn­ plätze, Vollkommenheiten, Verrichtungen und Eigenschaft teil beizulegen. §. 7. Weil sie aber ihre eigene Natur so beschränkt

Einleitung,

6

und unvollkommen fühlten, und rinsahen, baß Eine Hand nicht alles verrichten könne: so nahmen sie auch an, daß die große Abwechselung von Naturerscheinungen unmöglich von einem einzigen Gott veranlaßt und fortgeführt werden könne.

§. 8.

Sie glaubten also, daß mehrere Götter das

Ganze regierten, doch so, daß jeder einen eigenen Wirr kungskreis hätte.

Daher dachten sie sich die Götter in

der Luft, im Wasser, im Feuer, unter der Erde, rc. Der natürliche H»ng zum Wunderbaren kam dazu, und bald

wimmelte es von Gottheiten in Wäldern, in einzelnen

Bäumen, in Flüssen und in Quellen, auf Bergen, in Thälern, u. s. w.

$. 9.

Je «roher und unausgebildeter der Verstand

eines Volkes ist, desto mehr liebt es das Wunderbare,

desto größer ist das Feld, welches seine Einbildungskraft durchlaufen muß; aber desto leichter wird es auch dieser,

seinen Verstand zu befriedigen.

Die lächerlichsten Dor:

stellungen nimmt er an, und belästigt sich nicht mit tiex

fern Untersuchungen.

Daher muß man es sich erklären,

wie die Alten so viel Ungereimtes und Unmögliches glaur

den konnten. §. 10.

Der rohe Mensch will alles sehen,

und

kann sich keinen Begriff von unsichtbaren Dingen machen.

Deshalb gab er seinen Gottheiten eine Gestalt.

Am

fangs verehrte er geradezu DaS, was ihm Vergnügen

oder Furcht erweckte, von der Sonne an, bis zum schäd­

lichen Insekt herab: erstere aus Liebe und Dankbarkeit; letzteres aus Furcht.

Nach der Zeit aber, als er einser

hen lernte, daß die Sonne eben so wohl von einem hö­ heren Wesen den Ursprung haben müsse, als er selbst.'

Einleitung.

7

betete er nicht geradezu die Geschöpfe an, sondern ihren Erschaffer. §. 11. Diesen maß er nach sich selbst, weil er keir nen andern Maßstab hatte. Er gab ihm menschliche G« statt, menschliche Bedürfnisse, Neigungen, Leidenschaften, Vergnügungen, kurz, er bildete ihn ganz nach sich selbst; doch so, daß er allen seinen Eigenschaften und Wirkune gen einen höheren Grad der Vollkommenheit zulegte, und ihn eben deswegen als seinen Oberhrrrn erkannte und verehrte. §. 12. Diese Begriffe pflanzten sich vom Vater auf den Sohn fort, und wurden am Ende durch ihr Alterthum ehrwürdig, und eben darum u n v e r d r ä n g i i ch. Heller denkende Geschlechter lebten mit der Zeit auf; bildeten ihren Verstand aus; sahen Vieles für ungereimt an, wa- ihre Voreltern in dieser Sach« gefabelt hatten; aber sie wagten es nicht, sich den atlgemeinen, grauen Dorurtheilen zu widersetzen; und selbst di« Weisesten unter ihnen sagten ihre Meinung darüber nicht laut, sondern schienen eS sich, um ihrer Ruh« willen, jur Regel gemacht zu haben, öffentlich von drr Gottheit so zu reden und sie so zu verehren, wie eS an jedem Ort«, wo sie leben wußten, gebräuchlich war. §. 13. ES wäre also ungerecht, zu glauben, daß der weisere Theil der alten Griechen und Römer die Fabeln auS der Göttergeschichte, und überhaupt alle lächer« liche oder abenteuerliche Gebräuche ihrer Religion, s» gewissenhaft geglaubt und beobachtet hätte, wie der PS« bel: eben so ungerecht, als wenn eine gebildetere Nach« weit die Lächerlichkeiten vieler heutigen Religionsbekennft nisse sammein, zusammenstrüev, und daraus nachtheiligr

Einleitung.

8

Schlüsse gegen die Aufklärung unseres Zeitalters ziehen wollte.

Der weise Mann unter allen Religionsbekennt­

nissen weicht den Umständen, und schwimmt in reißenden

Flüssen nickt wider den Strom.

§. 14.

Einiqe Gelehrten, welche die Weisheit der

Griechen und Römer aus ihren ersten Quellen geschöpft

hatten, staunten, wie es möglich sey, daß Leute von ihrem Verstände die Lehren von Göttern und Halbgötr

tern hätten dulden oder wohl, gar billigen können.

Sie

vergaß:», daß es ihre Ruhe und Glückseligkeit erforderte,

in diesem Punkte mit dem gxoßen Haufen (wenigstens äußerlich)

einerlei Meinung zu

seyn,

und'suchten die

Ehre ihres Verstandes dadurch zu retten, daß sie annahr

men, unter den Erzählungen und Fabeln von Göttern und Göttinnen wären die wahren Begriffe der Weisern

von Gott, der Welt und der Natur des Menschen verr

borgen; dem großen Haufen hätten sie das Bildliche vorqetragen, sie selbst aber wären von den Wahrheiten, welche sie in diese Allegorteen gehüllt, überzeugt gewesen. Man hat sich zermartert, alle Göttergeschichten auf diese

Weise zu erklären und ihre Grundwahrheiten aufzusuchen;

aber der größte Theil der Alterthumsforscher hält diese Mühe für undankbar, und ist überzeugt, daß die alte Welt einen großen Theil ihrer Fabeln wörtlich so verstanden

hat, wie sie erzählt wurden.

Und dies ist auch aus der

Geschichte der Mythologie klar: denn als eben die Weise­

sten unter den Griechen und Römern lebten, waren di« Fabeln schon alt und grau; und wenn man nicht, wider

alle Natur und Erfahrung aus der Geschichte der ältesten

Menschen, annehmen will,

daß schon die ersten Urheber

dieser Fabeln weise Leute gewesen sind (waü sie gewiß

9

Einleitung.

nicht waren), und würdigere Begriffe von Gott hatten, dieselben aber in Erzählungen einkleideren: so fällt die

ganze Behauptung auf einmal weg. Wenn man von den

klügern Griechen und Römern verlangt, das; fie, vermtir telst ihrer aufgeklartern Begriffe, diesen seltsamen Aber*

glauben hätten vertilgen sollen: so kennt man die Welt

nickt; so druckt man die Augen geflissentlich zu, um nicht zu sehen, was diesfalls noch in unsern Zeiten vorgeht,

und um nicht von diesen auf jene zu schließen.

§. 15.

Der erste Gegenstand der Anbetung in der

alten Welt waren also eigentliche, wahre, von den Men*

schen als Gottheiten

anerkannte Wesen;

waren vergötterte Menschen,

der

zweite

Halbgötter oder

Heroen.

§. 16.

Der rohen, aber unverdorbenen Natur ist Ehr*

furcht gegen Größe, und Dankbarkeit gegen Wohl*

thaten sehr natürlich; — und aus diesem Zuge sind in der

alten Welt, die Heroen, oder gewisse Männer, die wirklich lebten, nach ihrem Tode aber vergöttert und angeberet wurden, zunächst entstanden.

Ein großer Krieger, der

seine Feinde demüthigte; ein tapferer Jäger, der wilde Thiere ausrottete; ein weiser Rath geb er, welcher Zwir

stigkeiten durch seine Klugheit beilegte; ein Mann, der das

Mittel erfand, gewisse Krankheiten zu heilen; ein anderer, der gewisse Werkzeuge zuerst brauchte, um das Land be*

quemer zu bestellen; ein dritter, der zuerst den Gebrauch

einer Frucht, einer Wurzel, zur Nahrung einführte; ein vierter, der sich auf ausgehöhlten Bäumen dem Wasser

anrertraute; ein fünfter, der sich, durch Gaukeleien und

unerklärbare Künste,

deS Verstandes der Zuschauer 6t*

rnächtigte: — alle diese Leute ehrte der kindische Ver*

10

Einleitung.

stand unter seinen Zeitgenossen am Meisten; der Sohn

ehrte Den, welchen sein Vater ehrte, schon noch angelegene kicher; der Enkel noch eifriger; und der Urenkel vergöv

teste ihn.

Wenn sich überdies dazu sehr leicht noch die

Betrachtung gesellte,

daß so außerordentliche Menschen

so ungewöhnliche Thaten nicht anders als durch Ein» Wirkung einer höheren Macht verrichten konnten, und eben dies ein Beweis von einer höheren Natur und von

ihrer näheren Verbindung mit den Göttern ward, weil .mott sie sich entweder als von der Gottheit besonders De»

gnadigte, als ihre Lieblinge, oder gar als ihre Erzeugten

backte: so konnte es um so weniger fehlen, daß der alte

Krieger, Jäger, Rathqeber, Arzt und der Er» find er von mancherlei Bequemlichkeiten des Lebens für

einen Götterfohn angesehen, selbst unter die Gitter

gezählt, in Bildsäulen dargestellt wurde, und daß man

ihm Altäre, Opfer und Tempel weihete.

Man kann dm

her annehmen, daß die Legenden, welche die Mythologie

von solchen Vergötterten erzählt, sich größten Theils auf

wahre Facta gründen,

die aber durch den Hang zum

Wunderbaren, durch Tradition, durch den poetischen Cha» ratter der Sprache, durch Priester, spätere Dichter und Künstler so sehr erweitert, überladen, und von der Wahr»

hett entfernt wurden, daß sie die Gestalt der Fabel beka­ men. Je heißer der Himmelsstrich war, der diese Fabel»

erzeugte, desto wunderbarer wurden sie durch eine feurige Einbildungskraft gestaltet.

Theogonie und Kosmogonie. CvaoS.

11

Erster Theil. Von den eigentlichen Gottheiten der Grie­ chen und Römer.

§. 17.

^h- wir die einzelnen Gottheiten der Grier

chen und Römer zu beschreiben anfanqen, wird es nicht undienlich seyn, zuvor anzudeuten, rote sich diese Völker ihre Gottheiten entstanden und zur Weltherrschaft ger

langt dachten. Die Vorstellungen der alten Griechen zunächst von der Entstehung ihrer Gottheiten (Theogonie) scheint schon in sehr früher Zeit mit ihren Vorstellungen von der Entstehung des Weltalls und der Erde (Kosmot gonie) zusammengefallen zu seyn. Nicht von Ewigkeit

her waren sie gewesen; sie waren theils wir der Welt zugleich entstanden, theils hatten sie sich auch selbst in mehreren auf einander folgenden Geschlechtern erzeugt. — Der Grundstoff aller Dinge, aus welchem Well und Götter hervorgingen, war ihnen das Chaos, eine ungei heure finstre, wüste Masse roher Materie und Kräfte. Diese geriethen mit einander in Streit. Eine andere Kraft, Eros (Liebe), kam hinzu, und sonderte theils diese streitenden Elemente, theils vereinigte sie das mit rinane der Verwandte: dadurch entstand das Weltall und die Erde. Diesen Kampf der Elemente und die daraus hervorgehenhe Gestalt und Ordnung der Dinge hüllte« die Alten bildlich in eine Reihe von Mythe« «in, i«

12

Gäa. Uranos. Titanen. Kroniden.

welchen das Chaos gleichsam personificirt erscheint und ihm zu Kindern die Nacht und der Erebus gegeben werden, welche den Tag und den Aether (die heitere, sonnerhellte Luft) erzeugen. Die aus dem Chaos ger sonderte Gäa (Tellus, Erde) erhob aus steh selber den sich über ihr wölbenden Uranos (Coelns, Himmel), und erzeugte mit ihm ein neues Geschlecht von sechs Brüdern, die Titanen, Okeanos, Koos, Krios, Hypes rion, Japeros, Kronos, und hie sechs Schwestern (Tiraniden) Thia, Rhea, Themis, Mnemosyne, Phöbe und Thetis; außerdem die Cyklopen (mit dem großen runden Auge auf der Stirn) und die Hekatom cheiren (hunderthandigen). Haß und Streit entstand zwischen Later und Kindern, und jener verstieß diese bald nach ihrer Geburt in den Erebus. Aber die mitleidige Mutter Gaa ;e:fc-te den jüngsten Sohn Kronos auf zur Empörung gegen den Vater; er stürtzte diesen, und theilte die Herrschaft der Welt mit seinen Brüdern, den Titanen und ihren Kindern. Indessen ward Kronos sek ber bald wieder von seinen eignen Kindern enthront. Aus Furcht vor ihrer künfttgen Macht, und durch Wahrr sagung gewarnt, hatte er sie alle nach ihrer Geburt verr schlungen, bis auf den einzigen Zeus (Jupiter), statt dessen ihm seine Gattin Rhea einen Stein, in die Wim dein gewickelt, zu verschlingen gegeben hatte. ZeuS wuchs in der Stille zum Rächer ferner Brüder heran, die Kronos durch ein Zaubermittel wieder hatte von sich geben müssen. Die Kroniden (Kinder des Kronos) begannen einen zehnjährigen Kampf um die Oberherrr schast der Welt mit dem Kronos und dessen Brüdern, den Titanen (Titanomachie, Titanenkampf). Der Kämpft platz waren die Gebirge Olympus und Othrys in Theft salien. Die Kroniden siegten, und die Titanen wurden in den Tartarus verstoßen.

Kroniden. Giganten. Olympos.

13

§ 18. Zeus (Jupiter) mit seinen Brüdern— Poe

seidon (Neptun), Albes (Pluto)-mit seinen Schwer stern — Here (Juno), die seine Gemahlin war, Demrr ter (Ceres), Hestia (Vesta)— und seinen Kindern—Palr lasrAthene (Minerva), Phöbus-Apollon (Apollo) Artemis (Diana), Hephästos (Vulkan), Aphrodite (Venus), Ares (Mars) und Hermes (Merkurius) —

bildete nunmehr die neu r herrschende Götterfamilie, deren Mitglieder sich unter dem Vorsitze und Oberbefehl des Zeus in die Regierung der Welt theilten, in deren ruhigem Besitz sie noch einige Mal, besonders durch die gegen sie ausstehenden Giganten (schlangenfüßige Söhne der Gäa) gestört wurden, welche aber Zeus, mit jenen vereinigt, durch seine Allmacht glücklich überwand. §. 19. Dcr Schauplatz ihres Kampfes und ihrer Siege, der ewig heitere Gipfel des Olympus in Thessa­ lien, ward von ihnen zum Wohnsitz gewählt. Von hier beherrschen sie, in besonderen Häuser» um den Pal­ last des Vaters und KömgS der Götter und Menschen, des Zeus, wohnend und in Seligkeit lebend, Ambrosia und Nektar schmausend, mit Allmacht die Welt und die Erde. Sie werden dabei von einer Schaar höherer und niederer Wesen, Genien, Dämonen und Untergotthenen genannt, unterstützt, welche die Phantasie der Altkn durch die ganze Natur verbreitete und zu deren Vätern und Erzeugern sie zum Theil die zwölf höheren, olym­ pischen Gottheiten machte. Dafür genießen sie sämmt­ lich, nach Maaßgabe ihrer höheren oder niederen Würde, von den Sterblichen dankbare Verehrung durch Gebete,— Gelübde, — Hymnen (Loblieder) — Opfer — Feste, auf Altären, und in oder bei heiligen Hainen, Ka­ pellen, Tempeln, ihnen geweiht, wo ihre aufgestellten Bild­ nisse, zwar in menschlicher, aber höherer und vollkommr nerer Gestalt, ihre Gegenwart den Menschen versinnli»

Kronos ober SatumuS.

14

chen und sie an ihre heiligste Pflicht gegen die Gitter mahnen, ja ihnen die nicht immer sichtbare» Gottheiten

selbst vertrete».

I. Die höheren Gottheiten.

26.

v^S wäre für unseren Zweck mit vielen Um

-eqnemlichkeiien verknüpft, wenn wir die Gottheiten der Griechen und Römer jede besonders beschreiben wollten, und unvermeidlich wäre es in diesem Fall, oft einerlei zweimal zu sagen; deshalb wollen wir bei jeder Gottheit sogleich anführen, wie sich Griechen und Römer dieselbe dachten, und anzeigen, in wie fern die Begriffe von ihr, und die Art der Verehrung, die sie ihr erwiesen, beiden Nationen gemein waren, oder wie darin eine von der andern abwich. $. 21. Kronos bei den Griechen, undSaturnus bei den Römern, wird unter ihren Göttern billig zuerst

beschrieben, weil er gleichsam der Stamnivater der gam zen Götterfamilie ist. Er, der Sohn des Uranos (deHimmels) ui>d der Gäa (der Erde), verdrängte seinen Vater UranoS vom Throne, und nahm denselben für sich in Besitz. Aber er harte in der Folge dasselbe Schick» sal, und ward von feinen drei Söhnen, den Kroniden, — Jupiter, Neptun us und Pluto — verjagt, die

ihn in den Tartarus verwiesen und feine Herrsch«,t unter sich theilten. Der neueren lateinischen Tradition zufolge, flüchtete er sich nach Latium, ward von dem Lonig Ja» tiu< freundschaftlich ausgenommen, regierte nach ihm dessen

Kronos ober SatumuS.

14

chen und sie an ihre heiligste Pflicht gegen die Gitter mahnen, ja ihnen die nicht immer sichtbare» Gottheiten

selbst vertrete».

I. Die höheren Gottheiten.

26.

v^S wäre für unseren Zweck mit vielen Um

-eqnemlichkeiien verknüpft, wenn wir die Gottheiten der Griechen und Römer jede besonders beschreiben wollten, und unvermeidlich wäre es in diesem Fall, oft einerlei zweimal zu sagen; deshalb wollen wir bei jeder Gottheit sogleich anführen, wie sich Griechen und Römer dieselbe dachten, und anzeigen, in wie fern die Begriffe von ihr, und die Art der Verehrung, die sie ihr erwiesen, beiden Nationen gemein waren, oder wie darin eine von der andern abwich. $. 21. Kronos bei den Griechen, undSaturnus bei den Römern, wird unter ihren Göttern billig zuerst

beschrieben, weil er gleichsam der Stamnivater der gam zen Götterfamilie ist. Er, der Sohn des Uranos (deHimmels) ui>d der Gäa (der Erde), verdrängte seinen Vater UranoS vom Throne, und nahm denselben für sich in Besitz. Aber er harte in der Folge dasselbe Schick» sal, und ward von feinen drei Söhnen, den Kroniden, — Jupiter, Neptun us und Pluto — verjagt, die

ihn in den Tartarus verwiesen und feine Herrsch«,t unter sich theilten. Der neueren lateinischen Tradition zufolge, flüchtete er sich nach Latium, ward von dem Lonig Ja» tiu< freundschaftlich ausgenommen, regierte nach ihm dessen

Zeus oder Jupiter.

15

Land, unterrichtete seine Unterthanen in vielen nützlichen Dinqen, «nd unter seiner Regierung war, wie die Dich« ter sangen, das goldene Zeitalter der Welt. Es sind wenige alte Kunstdenkmähler übrig geblieben, auf denen sich vollständige Abbildungen vom Saturn befinden. Statuen, die man mit Recht auf ihn deute» könnte,

find gar nicht mehr vorhanden. In Düsten, Gemmen und Münzen erscheint er als rin bärtiger bejahrter Mann, oft mit verschleiertem Haupte, dem als Attribut ein krum­ mes Messer, oder eine gezähnte Sichel (Harpe), gegeben ist.

§. 22. Das Fest, welches man ihm zu Ehren feierte, hieß bei den Griechen Peloria, bei den Römern Saturnalia. Diese sind aus den erstern entstanden. An demselben bedienten die Herren ihre.Sklaven, und letztere durften sich verschiedene Freiheiten gegen die erstern Herr ansnehmen. Dies Fest, an welchem Lustbarkeiten mit Lustbarkeiten abwechselten, dauerte zuletzt sieben Tage, und ward von den Römern überhaupt feierlicher began­ gen, als von den Griechen. Saturnus hatte in Grie­ chenland und Rom verschiedene Tempel, wo man ihm Anfangs blutige, und bei einigen Nationen sogar Men­ schenopfer brachte; nachher aber, als die Cultur stieg, brachte man ihm Opfer von Früchten und Thieren, und höchstens Kinder — aus Teig, dar. §. 23. Der Zeus der Griechen ist der Jupiter det Römer. Beide Nationen verehrten in ihm den höch­ sten der Götter und den Herrn des Himmels und der Erde. Oft wird er der Vater der Götter und Menschen genannt. Die alten Künstler legten dem Jupiter in ihren Abbildungen vorzüglich den Charakter der Majestät

«nd Güte bei, den sie durch die Größe und Erhabenheit der Züge, verbunden mit völliger Heiterkeit des Ge­ sichts, anszudrüeken suchten. Die vorn auf der Stirn er» hvbenen, getheilten Haupthaar« fallen in großen Wellen-

16

Zeus oder Jupiter.

Unten an den Seiten des Kopfes herab; in eben solchen Linien fällt das Haar seines ansehnlichen BartS auf die majestätisch gewölbte Drust. Am häufigsten wird er auf einem Throne sitzend abgebildet, indem er entweder ein langes Zepter, «der den flammenden Donnerkeil, oder das Bild der Siegesgöttin in der Hand hält. Der untere Theil seines Körpers ist bis auf die Füße mit einem Ger wände bedeckt. Neben ihm sitzt ein Adler, der Träger seiner Blitze. — Unter dem Namen Jupiter Serapis erscheint er oft mit einem Getreidemaß auf dem Haupte, und mit Strahlen umgeben; unter dem Namen Ammon mit einem Paar an den Schläfen abgebildeten Widder» hörnern. — Zuweilen ist das Haupt des Zeus auch mit

einem Lorberkranz umgeben. Auch stehend, oder in einem Magen fahrend und die Blitze schleudernd, findet er fich

auf alten Kunstwerken. §. 24. Um seine Macht auszudrücken, schrieb man

ihm alle schreckliche Naturerscheinungen zu, als Donner, Blitz und dergleichen. Daher seine Beinamen: Fulminans, f'ulgurans, Ker au n io s, ober der Blitzende;

Tonans, Hypsibremetes, der Donnernde; und Katäbates, der, welcher im Blitz, Hagel oder Regen herab» stürzt. Auch heißt er Aegiochos, der Träger der Aegis (welches Wort ursprünglich ein Ziegenfell bedeutet). Um seine Güte als Vater der Menschen auszudrücken, gaben ihm die Römer den Beinamen: Optimus Mari­ mus, der Größte, Beste. In seinem Pallafte auf dem Olymp hielt Jupiter Berathschtaqunqen mit den übrigen Göttern, die er in sticken Fällen jedes Mal da­ hin versammelte. In der Grieckifchen Stgdt Oivmria hatte er einen großen Tempel, worin ferne berühmte und prächtige Bildsäule von dem großen Künstler Phidias stand. Sie war fünfzig Ellen hoch, aus Elfenbetu und Gold verfertigt. Von diesem Tempel, oder auch von dem Umstande,

Zeus oder Jupiter.

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Umstande, baß man seinen Thron auf den Berg Olym­ pus verlegte, hieß er der Olympische Jupiter. Sonst hatte er noch zu Athen, Elis, Agrigent und Dobona berühmte Tempel. Letzterer war wegen des dorti­ gen Orakels unter allen der berühmteste. §. 25. Zu Rom hatte er seinen Haupttempel auf deck Capitolium, wo auch noch mehrere zu seinem Dienste befindlich waren; daher nannten ihn die Römer Jupi­ ter Capitolinus. Aber er hatte noch eine Menge an­ derer Beinamen unter den Griechen, wie unter den Rö­ mern. So nannten ihn die ersteren: Zeus Xenios, als Gott der Gastfreiheit; Zeus Hikesios, als Gott der Hülföbedürftigen; Zeus Ombrios (Pluvius), als Gott, der wohlthätigen Regen herabträufeln läßt; Zeus Pistios, als Golt, der über die treue Bewahrung der Bündnisse wacht; Zeus Plusios, als Geber der Reichthümer; Zeus Panomphaos, als Gott, dessen Ruhm durch die ganz« Welt erschallt; Zeus Meilichos, der Sanftmüthige, Heihere, u. s. w. Sonst bekam er auch seine Beina­ men von den Ländern und Städten, die ihn eifrig ver­ ehrten. So hieß er der Jdäische, Piktäische, Per iasgische, Larissäische Zeus. Vorzüglich ist Homer reich an dergleichen Beinamen, die fast sämmtlich von seinen Attributen, als Herrscher der Welt, hergenommen

sind.

§. 26.

Bei den Römern hatte er nicht minder man-

nichfaltige Beinamen. Sie nannten ihn, wie wir oben an­ gezeigt haben: Jupiter Capitolinus (dieser Beiname scheint ihnen einer der ehrwürdigsten gewesen zu seyn); ferner: Jupiter Hospitalis, in eben dem Verstand«, wie" bei den Griechen Xenios hieß; ferner: Jupiter Vindex, in so fern er über Recht und Gerechltgkeic wacht; Jupiter Latiaris, als Patron von Latium, und als Aufseher über die Aufrechchaltung des Bundes, der zwischen Damms Mythologie. [2]

18

Zeus oder Jupiter,

den Römern und Lateinern geschlossen war; Jupiter Stator, vom Romulus also genannt, als sein Heer, welches Anfangs vor den Sabinern floh, wieder Stand faßte; Jupiter Victor, seit der Zeit also genannt, als Fabius die Samniter besiegte. Jupiter Imperator hieß er, in so fern er bei dem Römischen Heere war, wenn es zu Felde zog, also gleichsam ihr Feldherr. Als Jupiter Amur oder" Axur (der UN bescher ne, unbärtü, ge) kam er von hen Volskern zu den Römern, und wurde als Jüngling mit strahlenumgebenem Haupte vor«

gestellt. §. 27. Die mythologische Sage erzählt seine Ge­ schichte folgendergestalt: Er war.ein Sohn des Kronos

oder Saturnus, und der Rhea, die ihn auf dem Berge Ida in Creta erzog. Nachdem er erwachsen war, stieß er seinen Vater, den Saturn, von Throne, und theilte sich mit seinen beiden Brüdern, Neptun und Pluto, in die Herrschaft der Welt, so daß er den obern Luftkreis, den Olymp und die Erde, Pluto die Unterwelt und das Innere der Erde, Neptun aber die Herrscbaft der Meere erhielt. Zeus regierte Anfangs in Ruhe und Frieden; aber bald kam das Geschlecht der Titanen und Giganten und der ungeheure Typhöus, die ihn vom Throne zu vertreiben suchten. Doch demüthigte er diese Niesen mit Beihülfe der Centimanen und Cyklopen und der übrigen Götter, als des Apollo, Bakchus, der Minerva u.a., und stellte so die Ruhe der Welt wieder her. Nur einige kleine Verdrießlichkeiten, die ihm seine Gemahlin, Juno oder Hera-, verursachte (von denen Homer in einigen Stellen seiner Jliade Nachricht giebt), störten zuweilen

seinen häuslichen Frieden. §. 28. Diese Verdrießlichkeiten entstanden hauptsäch­ lich daher, daß er seiner GMahlin Einmal über das an-

Hera oder Juno,

19

dere untreu wurde. Die alten Dichter haben die Nar men vieler seiner Nebengemahlinnen aufbehalten, als: Europa, Semcle, Danae, Mnemosyne, Leda, Metis, Ceres, Latona, Alkmene «. a. m., von welchen im zweiten Theile einige Nachrichten vorkommen werden. — Kinder hatte er mehrere erzeugt. Von seiner eigentlichen Gemahlin, Juno, halte er den Vule kan und Mars.; von der Latona den Apoll und Dianen; von der Ceres die Proserpina; von

Mnemosyne'n die neun Musen, u. s. w. Vielen Fürstenkindern des Alterthums schmeickelre man damit, wenn man sagte, sie wären Kinder des Jupiler. — Ue< brigens waren ihm als Attribute seiner Hoheit das Scepter, der Donnerkeil und der Adler beigelegt. Unter den Bäumen war-ihm die Elche heilig. 29. Die Hera der Griechen ist die Juno der Römer. Sie, die Toebter des Saturnus und der Rhea, war die Schwester und rechtmäßige Getnahlin des Jupiter, die Mutter des Vulkan und des Mars, und die erste und höchste Göttin, die Königin des Htmr mels und der Erde. Die untere Region des Himmels, der Dunstkreis, ward ihr bei der 2E eltcheilung zur Herr­ schaft zunächst angewiesen. Ihre Beinamen sind sehr mannichfaltig. Die Griechen nannten sie Zygia, Gamelia, Tcleia; die Römer Pronuba, Juga, Aclulta, welche Beinamen sich sämmtlich auf das Geschäft der Heirath «nd Ehe beziehen, als worüber sieh ihre Macht als Göttin erstreckte. Unter dem Namen Lucina ward sie bei den Römern als Geburtshelferin verehrt und angerufon. Sonst nannten sie dieselbe auch noch: 8aluruia, Regina, Sospita, Albana, Moneta, U. s. w. §. 30. Ihren Charakter schildern die Dichter Haupte sächlich als erhaben, stolz, eife> süchtig und oft rackaierig. Letzteres ist sie, wenn sie die Nebenfrauen ihres Gemahls [2*]

20 verfolgt.

Apoll. Sie widerspricht ihm auch oft mit vieler Heft

tigkeit, so daß er mit seinem Blitz und mit seiner Macht, als der erste der Götter, drohen muß, wenn er Ruhe haben will. — Sie wurde in verschiedenen Städten und Ländern Griechenlands eifrig verehrt, z. B. in Argos, in Elis, auf der Insel Samos, zu Carthago rc. Unter den Römern hatte sie Haupttempel zu. Laciniu m, Ardea, Gabii und Lanuvium, in Rom selbst auf dem Capitol und dem Aventinischen Berge. Das gewöhnlichste Opfer, welches man ihr brachte, war ein Lamm; oft brachte man ihr^aber auch Rinder dar. Um ter den Vögeln war ihr der Pfau

vorzüglich heilig, und nächst diesem der Sperber, die Gänse, der Kuckuk und andere. In den Abbildungen durch die Kunst er» scheint sie in majestätischer Haltung des Körpers, als Kör «igln der Götter uyd Menschen, besonders durch ihre großen Augen und die erhabenen Züge ihres Gesichtund mehrentheils durch ein höheres Diadem ausgezeich­ net; sie trägt, wie alle höhere Gottheiten, einen Herrscher­ stab in der Hand, zuweilen auch die Pater« (Opfer­ schale), als Zeichen einer vorzüglichen Verehrung. Der große griechische Künstler Polyklet hatte ihre Kolossal­ statue in ihrem Haupttempel zu Argos auS Gold und Elfenbein gebildet. Die Göttin saß auf einem Thron, und hielt in der Hand den Herrscherstab, auf welchem ein Kuckuk saß. Auf dem Kopfe trug sie ein Diadem, an oder auf welchem man die Horen und Grazien er­ blickte. In der Linken hielt sie einen Granatapfel, als Sinnbild der Fruchtbarkeit; neben ihr stand Hebe. §. 31. Apollo, Phoebus, Sol, sind drei Namen Eine- Gottes bei den Griechen und Römern. Außer diesen Namen sind die Benennungen Helios, Titan, Cyntliius, Delius, Pythius und Latous von ihm die gebräuchlichsten. Er, der Zwillingsbruder Dianens,

Apoll.

21

war ein Sohn Jupiters, den er mit der Latona

zeugte, die ihn auf der Insel Delos erzog, wohin sie sich vor der Eifersucht der Juno rettete. Dieser Gott war den Alten ursprünglich wohl das Sinnbild der Sonne und ihrer verschiedenen wohlthätigen und verheerenden Wirkungen. Hieran knüpften sie noch eine Menge ander rer Vorstellungen, welche den Mythos vom Apoll zu eir nem der reichsten und mannichfaltigsten gemacht haben. So ward er der Gott, welcher mit seinen Strahlen err leuchtet, der Gott der Musik und Dichtkunst, der Arzr neikunst, der Gott der Weisiagungskunst, das Urbild der ewigen Jugend und männliche» Schönheit, aber auch der Gott des Todes, der mit sanftem Pfeil den von Alter und Schwachheit übermannten Sterblichen entrückt, oder mit verderblichen Pfeilen (durch Pest und Krankt heil) große Verheerungen unter den Menschen anrichket. Von jenen Künsten wurde er zugleich als der Erfinder angesehen. Als Arzt hieß er Päan, O ul Los; als Ton­ künstler und Dichter, Citharoedus und Musagetes, Oberhaupt, Anführer des Musenchors. Alle berühmte Aerzte, Dichter, Tonkünstler, wurden für Söhne des Apoll gehalten; wir z. B. Orpheus, Aesculapius u. a. §. 32. Die alte Kunst machte sein Bild zum höch­ sten Ideal männlicher Jugend und Schönheit, mit dem Charakter der Göttlichkeit gepaart. Er wird von ihr mit lockigem Haupthaar (das oft mit einem Lorbeerkranz, oft nur mit einem Diadem, umwunden ist), im schönsten, schlanken Gtiederbau, nackt, nur die Schulter mit einem kurzen Mantel bedeckt, in der Hand einen Doge«, auf dem Rücken einen Köcher mit Pfeilen, oder mit einer Lyra im Arm, und an den Füßen zierliche Sohlen, dargestellt. Die oben an der Stirn sicherhebenden Locken des Haupt­ haares sind charakteristisch am Apoll. Als Musagetes,

22

Apoll.

oder Citharoedus, erscheint er in einem Ungern Ge­ wände, mit einem förmli Ken, bis ans die Füße herab­

gehenden, gegürteten Unterkleid«, worüber noch ein lan­ ger Mantel geworfen ist; weissagend, die Leier haltend, neben einem Altar und Dreifuü; als Helios, Sonnen­ gott, auf einem Wagen von vier milchigen Pferden ge­ zogen, das Haupt nut Strahlen umaelen. Als Helios wird er bisweilen, zumal von Homer, als eine vom Apoll verschiedene Gottheit angesehn. §. 33. Die Bewohner von Delos, Chrysa, Cilla, Tenedvs und anderen Gegenden verehrten ihn sehr eif­ rig; aber sein prächtigster Tempel war der zu Delphi. Hier war sein Orakel das berühmteste und angesehenste des Alterthums. Die Opfer, welche man ihm brachte, bestanden vorzüglich in Stieren, Ziegen und Schafen; einige Völker opferten ihm auch Wölfe und Esel, wie die Hyperbviäer. Die Griechen feierten sein Hauptfest Anfangs alle sieben, zuletzt aber alle neun Jahre, und nannten es das Pythische, zur Erinnerung des Sieges,

den er über den Drachen P n t h o n davon getragen hatte. An demselben wurden auch die Pythischen Spiele ger feiert, bei welchen Dichter und Sänger wetteiferten, und als Sieger mit Lorberkränzen belohnt wurden. §. 34. Der Tempel zu Delphi stand am Fuße des Parnassns auf einem hohen Felsen, in welchem ein»

Höhle war. Ueber derselben saß die Priesterin des Apoll, Pythia mit Namen, auf einem Stuhle mit drei Füßen. Wer sie befragen wollte, wurde vorher gereinigt und ge­ badet; mußte eine Art von Ohrenbeichte abtegen (durch welche man ihn eben aushorchte, um die Antwort dar­

nach einrichten zu können), dann opfern; und nun ward er in den heiligen Hof geführt, wo die Pythia und

die Priester den Anfang ihrer Ceremonien machten.

Die

Artemis oder Diana. Orakelsprüche waren sehr fein ersonnen,

23 und konnten

immer auf mehrere Arten gedeutet werden. 35. Andere berühmte Tempel dieses Gottes war

ren zu Patara, zu Kolophon, bei der Stadt Actir um, zu Thymbra, zu Grynium und anderwärts. In Rom war sein Hauptsitz auf dem Palatinischen Berge, und die Römer ehrten ihn durch Spiele, unter welchen die Apollinarischen und hundertjährigen die merkwürdigsten sind. — Die Beinamen, welche man ihm gab, sind sehr mannichfaltig, und zum Theil schott oben angeführt; er wurde, wie andere Gottheiten, nach den Tempeln, worin man ihn verehrte, zubenahmt. Au­ ßerdem hieß er: der Hirt, der Erbauer, Smintheus (weil er in dem trojanischen Gebiete die überhäufte Men­ ge von Mäusen getödtet hatte), der Schütze, Ana-:, oder der Herr u. s. w. §. 36. Seiner Liebeshändel wegen ist er in der Mythologie fast eben so berühmt, als Jupiter. Einige endeten sich glücklich, andre traurig. Letztres war der Fall bei der Daphne, die mitten unter seinen Umar­ mungen in einen Lorberbaum verwandelt wurde, und bei der Koronis^ die er im Ausbruche einer heftigen Eifersucht erschoß. Einen glücklichern Ausgang hatten seine Liebesgeschichten mit der Leukythea und mit der Klymene. §. 37. Der Lorberbaum war dem Apoll vorzüg­ lich heilig, und zwar (wie die neuere Fabel erzählt) eben deswegen, weil Daphne in einen Lorberbaum verwan­ delt wurde. Unter den Thieren waren ihm die Wölfe, Schwäne, Raben und Cicaden gewidmet. §. 38. Die Göttin Artemis der Griechen ist die

Diana der Römer. Bei letzter» hieß auch der Mond, als Göttin, Diana, bei den Griechen Selene, Phöb e, Oulia. Sie war die Tochter Jupiters und der La
weihete Haine hatte. Daher hat sie die Beinamen Cypris, Amathusia, Königin von PaphoSrc. Eben so feierlich ward sie auf der Znsel Cythere verehrt;

auch auf Knidos und Kos, wo sich in herrlichen Tenn peln ihre berühmtesten Bildsäulen von der Hand des Praxiteles befanden, und zu Eryx in Sicilien, wo sie den berühmtesten, reichsten und prächtigsten Tempel, nächst dem Paphischen, hatte. In allen diesen Tempeln befand sich eine Menge junger und schöner Dienerinnen der Venus, Hierodulen, welche die heiligen Geschäft« verrichteten und dem Dienste der Göttin geweihet waren. §. 63. Von den vorzüglichsten Oertern, wo VenuS verehrt wurde, bekam sie, wie wir oben gesagt haben, ihre vornehmsten Beinamen; aber sie hatte auch noch eine Menge anderer, die von ihren sanften Eigenschaften und den süßen Empfindungen, welche sie erregt, hergenonu men sind. Die alten Dichter, besonders Homer, sind an solchen unerschöpflich. Letzterer nennt sie unter andern die Süß redende; die Schöne bekränzte; tpiXeu.uni'it, die Lächelnde; die Vtolenbekränzte, u. s. w. Als Venns Victrix deutet ihr Beiname ihren Sieg über den Mars an, dessen Waf­ fen sie daher oft in Abbildungen in den Händen trägt. §. 64. Es war natürlich, daß die Göttin der Liebe auch selbst geliebt haben mußte. Die Mythologie erzählt über diesen Gegenstand manche kleine Geschichte von ihr, und hält sich besonders bei einer auf, welch« die Göttin

Aphrodite oder Venus.

37

Anfangs sehr glücklich, aber nachher über alles unglücklich machte, nämlich ihrem Liebeshandel mit dem Adonis. Dieser war ein reihender Jüngling, in der Blüthe der Jugend, und mit allen den Vollkommenheiten des Geistes und Körpers ausgerüstet, die dazu gehörten, um das Her; der Liebesgöttin selbst zu rühren. Aber er war ein Lieb­ haber der Jagd, und setzte sich auf derselben nicht selten der Gefahr aus, von wilden Thieren zerrissen zu werden. Venns warnte ihn oft: doch fein Hang ließ ihn nicht auf ihre Ermahnungen hören; und so hatte er endlich das Unglück, von einem wilden Eber geködtet zu werden. Venus war trostlos über den Verlust ihres Lieblings, und stiftete zu seinem Andenken ein Fest, welches in ver­ schiedenen Gegenden Griechenlands gefeiert wurde. Doch tröstete sie sich auch bald Ker den Tod des Adonis bet einem andern Liebhaber, dem Trojaner Anchises, wel­ chem sie den Aeneas gebar. — Der Streit der drei Göttinnen Juno, Minerva und V^nus, wegen des Besitzes der höchsten Schönheit, worin Venus, nach des Paris Urtheil, den Preis, den goldnen Apfel der Eris, davon trug, ist in der Mythologie berühmt. §. 65. Unter den verschiedenen Festen, die der Ve­ nus gefeiert wurden,, sind besonders zwei Sicilianische merkwürdig. Sie hießen Anagogia und Katagogia, Fest der Abreise, und Fest der Wiederkunft. Den Namen haben diese Feste von folgendem Umstande: Die Tauben werden in der Mythologie als beständige Beglei­ terinnen der Venus vorgcstellt. Nun pflegten fich das ganze Jahr hindurch viele Tauben um den Berg Eryp in Sieilien und den dortigen Tempel der Venus auf­ zuhalten, und nur zu einer gewissen Zeit waren sie ver­ schwunden; deshalb glaubte man, die Göttin entferne sich einige Zeit nach Lykien, und nehme ihre Tauben mit. Um diese Zeit war dann das Fest der Abreise, wo man

38

HephästoS oder Vulkan.

der Göttin opferte, wahrscheinlich, um sie zur baldigen Wiederkunft zu bewegen. Nach neun Tagen erschienen die Tauben wieder, und die Göttin mit ihnen. Nun war altes voller Freude, und man brachte der Göttin Dankopfer für ihre Rückkehr. Dies war das Fest der

Wiederkunft. §. 66. Uebrigens machten die Griechen einen Unr teil (Heb zwisch en den geistigen und körperlichen Trieben

der Liebe, und hatten für die erstern eine Venus Uras nia (himmlische Venus), für die letzern aber eine Ves

uus Pandemos. Die Thebaner machten noch einen dritten Unteischied, und verehrten eine Venus Apos strophia, welche die Menschen von unerlaubter sinnlü

cher Lust abhielt. §. 67. Die Römer, deren Gemüthsart rauher war, als die der Griechen, verehrten diese Gottheit nicht so eifrig und allaemein. Sie lernten sie erst bei ihren Felds zügen in Stcilien genauer kennen, und verpflanzten ihren Dienst auch nach Rom, wo sie ihr zu Ehren die Lectis sternien und Vinalien feierten, und sie als die Muts ter des Aeneas-, ihres Ahnherrn, verehrten. Doch ers reichten sie die Griechen in ihrem Eifer, diese Göttin nach Verdienst zu ehren, so wenig, das; sie dieselbe viels mehr, unter dem Namen Librtina, als Ööttur der Leis chen verehrten, und bei ihrem Tempel alles, was zu eis nem Leichenzuge nöthig war, feil harren. Erst im spätern Zeiten, als ihre Dichter anstngen, die Griechen zu studir ren und nachzuahmen, bekamen sie bessere und passendere Begriffe von dieser Göttin. §. 68. Hephastos, oder Vulkan, das Symbol des Feuers und der Kunst, war ein Sohn des Jupiter und der Juno, oder, nach einer andern Erzählung, der Sohn der Juno allein, die ihn aber aus Verdruß, daß

er nicht schön war, auf die Erde hinunter warf» Er siel

Hephastos oder Vulkan. auf die Insel Lemnos.

39

Dieser Fall zog ihm eine Lähr

mang der Füße zu. Von der Zeit an kam er ungern und selten aus den Olymp/ besonders als er nachher auch daS Unglück hatte/ von dem erzürnten Zeus bei den Beinen tn's Meer hinab geschleudert zu werden. Er wirb alS der große Künstler des Olymps geschildert, und arbeitete vorzüglich in Metallen. So verfertigte er unter andern dem ZeuS seinen furchtbaren Schild, Aegis genannt, mit wundersamer Kunst, und schmiedete ihm auch mit fei; nen Gehülfen, den Cyklopen, die Donnerkeile, Diesen seinen Verrichtungen gemäß, ward er von den Künstlern gebildet, in dec rechten Hand einen Hammer, und in der

link-n eine Zange haltend, mit einer Mütze auf dem Kopfe, und mit entblößtem rechtem Arm und der rechten Brust. Von seiner Lähmung findet sich auf den Kunst; werken keine Spur. Seinen Wohnplatz wieö man ihm am liebsten auf den Inseln Letnüos, Lipara und Si;

eilten an, besonders in dem Berge Aetna, wo er seine große Werkstatt haben sollte. §. 69. Die alten Dichter sind in dem Lobe seiner Arbeiten, und in der Mannichfaltigkeit derselben uner; schöpflich. Sie erzählen, er habe den übrigen Göttern ihre Palläste erbauet, dem Zeus Donnerkeile und ein überaus prächtiges und kunstreiches Stepter geschmiedet, das nach der Zeit durch viele Hände ging, und endlich an den König Agamemnon kam. Auch die Heroen ber schenkte er mit seinen kunstreichen Arbeiten, unter wel; 9rn»VT»< (d«k W ei­ se, der Kluge), t^x^»x«< der Dreiköpfige, ver­ muthlich daher, weil er oft auf den Drei-Wegen mit drei Köpfen vorgestellt wurde. Als Botschafter der Göt­ ter heißt er der Himmlische, der Bote, auch xoIt^d«, der Diener. Als Gott der Kampfspiele, des Heroldenamts, der Handlung re. heißt er: i»»y»««4, oder ayo^aTo; oder »Xt£ix»x«c Und axa.x^o-1«;. Als der Gvtt, fett die Seelen in den Orkus hinabführt, hat er besonders noch die Beinamen und oder »i*ynr«f»sre» Eumeniden geweihet waren." §. 127. Nicht so schrecklich, als sie, waren ihr« Schwestern, die Miren oder Parken, welche von den Künitlern „als schöne Jungfrauen mit oder ohne Flügel,

14

Fatum,

von den Dichtern aber, als alte häßliche Weiber mit be-

Lenden Gliedern, runzeligem Gesichte, gebeugtem Rücken und strengem Blicke geschildert werden." Auch tdrer war rett drei: Lachesis, Klotho und Atropos, deren Wohnsitz Homer in ein Thal des Parnassus, andre Dich« ter aber in den Orkus verlegen. Sie spinnen für das Leben der Menschen Fäden; und wenn sie diese abschnet« den, Horen jene auf zu leben. Selbst die Götter sind, dem Hesiodus zufolge, ihrer Macht unterworfen. §. 128. Bei dieser Gelegenheit müssen wir auch Ei­ niges von dem sogenannten Fatum oder Schicksal an­ führen, welches hie Alten sich unter dem von Ewigkeit her bestimmten und die Freiheit beschränkenden Gesetze dachten, nach welchem Alles, auf der Erde und im Olymp, bei den Göttern, wie bei den Menschen, geschehen muß. An dieses Gesetz glaubten die Alten, und hielten es für so fest gegründet, daß selbst Zeus nicht das Mindeste daran zu andern vermöchte; daß die Götter nur Erklärer und Vollstrecker, aber nicht Machthaber seines eisernen Zwanges wären. Die Griechen bezeichneten das Fatum der Römer durch die Namen a.V« > nAv4yx>t, — Von dem Zeus sagen die Dichter, daß er die Schick­ sale der Menschen auf der Wage des Schicksals wäge. Homer erzählt, daß er bei den Kämpfen der Grie­ chen die Schicksale beider Partheien gewogen habe. Das Steigen der Wage bedeutete Leben und Glück; das Fal­

len, sterben oder unterliegen. — Eben hierher gehören auch die zwei Fässer, die in dem Vorsaale des Zeus lie­ gen: in einem derselben ist Glück und Gut; in dem am dern Unglück und Böses. Der Mensch ist glücklich (sagt der Dichter, aus dessen Einbildungskraft diese Fiction hervorging), welchem Zeus aus beiden Fässern gleich-viel zutheilt; aber wer aus dem erster« zu viel, und aus dem

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Dämonen oder Genien. andern zu wenig hat, ist sehr ;u bedauern.

Nicht leicht

giebt c$ einen Sterblichen/ dem lauter Glück oder lauter Unglück zuqethcilt würde. — Pindar sagt: es befänden sich dret Fässer in dem Vorgemach des Zeus. In dem einen sey Gutes, und in den übrigen beiden Böses; also bekomme jeder Mensch immer zwei Uebel gegen Ein Gut«.

4.

Die Dämonen oder Genien.

§. 129. Man kann leicht denken, daß die Alten, die jedes Fleckchen mit Göttern oder Göttinnen bcvöU kerten, auch dem Menschen unmittelbar gewisse Schutzs geister zugesellten, die ihnen das waren, was die Hamas dtyaden den Daumen. Jeder glaubte, er habe einen Schutzgeist, der mit ihm entstanden sey und vergehe; und diesen nannten die Römer den Genius. Man glaubte, daß er sich bei guten Thaten gütig beweise, über böse aber sich erzürne, und daß er oft vor drohenden Gefah­ ren warne. An dem Geburtstage opferte man ihm Weihp uch und Blumen, aber keine blutigen Opfer. Die Griechen nannten ihn Dämon oder Dämonion; und die Frauen besonders nannten ihn ihre Juno oder Hera. Auch pflegte man ganzen Gesellschaften ihren eigenen Genius beizulegen, und ihn nach den Geschäften und Absichten derselben abzubilden. So hatte die Stadt Rom ihren Genius, der in den Provinzen angebetet wurde. May bildete ihn als eine majestätische Frau, mit einem Hesm auf dem Kopfe, fast in der Gestalt der Minerva. Oft sitzt diese Göttin Roma auf Waffen, und auf dev flachen ausgestreckten Hand trägt sie eine Siegesgöttin. 130. Die Griechen sahen die Genien haupt­ sächlich für Schutzgeister der Menschen an. „Aber die Royrer schrieben ihnen ausgebreitetere Geschäfte zu. Sk

76

Laren. Manen.

nahmen auch einen g roh en Genius an, welchen sie zu

den Düs selectis rechneten, und dem sie größere Opfer brachten. Unter ihm standen Schutzgeister aller Are len: der Häuser, der Städte, jeder Gegend, jedes Lanr des, jeder Pflanze und jeder Person. Auch ehrren sie vorzüglich ihre Hausgötter, die Lares oder Penaten." Ihr Dienst geschah auf einem Herde oder Altare, der mitten im Wohnzimmer stand, und über dem in der Decke des Zimmers eine Oeffnung war, durch welche der Rauch hinauSzog. Auch hatte jede Stadt ihre Per naten, die für das Dohl derselben sorgten. Der Hausgötter gab es gewöhnlich zwei, die unter verschiedenen Stellungen gebildet wurden; die gewöhnlichste war: ein Jüngling mit einem Hut und Reisestabe, und mit auf­ geschürztem Kleide. Neben sich pflegten sie, als Sinn­ bild der Wachsamkeit, einen Hund zu haben. Reiche Leute hielten sich eine eigene Hauskapelle, lanarium ge­ nannt, in welcher sie, außer den Laren, auch noch an­ dere Götter mit Rauch r und Trankopfern verehrten. Die neuere Fabel nennt die Laren als Söhne des Merkur und der Nymphe Lara, einer Tochter des Flusses Almon in Italien. Auf den Schiffen nannten die Römer die Schutzgottheit des Schiffes tntela (Scbu tz). §.. 131. „ Unter den Genien verstanden die Römer auch die Seelen der Verstorbenen, die sonst inanes hei­ ßen. " Dieses Wort bezeichnet eigentlich gute Seelen oder Geister; und weil man von den Verstorbenen im­ mer gern das Beste redet und hofft, so war es gewöhn­ lich ein allgemeines Wort, welches den Zustand der Seele nach dem Tode überhaupt andeutete. Deshalb hieß das Grab ein Heiligthum der Deorum Manium. Um sie zu versöhnen, schlachtete man ihnen schwarze Thiere, und goß ihnen zu Ehren Wein auf das Grab, oder den Scheiterhaufen, auf welchem der Todte ver-

Bose Dämonen.

77

bräunt worden war. — Die Römer glaubten aber auch böse Genien, die sie Lemures nannten, lind von denen sie sich ungefähr eben solche Begriffe machten, wie in neueren Zeiten der gemeine Mann von Gespenstern, in so fern er sie als die zurückkehrenden Seelen versterbener Bösewichter ansieht. §. 132. Auch die Griechen glaubten böse Dämonen, wie aus folgender Geschichte erhellet, welche Pausanias von der Stadt Temessa in Großgriechenland erzählt: „Einer von den Gefährten des Ulysses schändete ein Mädchen dieser Stadt, und ward von den Emwohnern gesteinigt. Ulysses fuhr ab, ohne diese That zu rächen; aber der Dämon des Verstorbenen verfolgte die Einwoh­ ner, und brachte viele derselben nm. Schon waren sie im Begriff, ihre Stadt zu verlassen, als es ihnen etnfiel, das Delphische Orakel zu befragen, wie sie den erzürn­ ten Dämon versöhnen sollten. „Durch die jährliche Aufopferung einer Jungfrau!" erwiederte das Orakel. Die Einwohner, thaten es, und hatten Ruhe. Viele Jahre nachher kam ein gewisser Euthymus in die Stadt, der öfters den Preis in den Olympischen Spie­ len erhalten hatte, gerade zu der Zeit, da wieder eine Jungfrau geopfert werden sollte. Er begab sich in den Tempel, sah und bedauerte sie, fühlte Liebe zu ihr, be­ schloß sie zu retten, erwartete den Dämon, kämpfte mir ihm, und besiegte ihn glücklich. Von der Zeil an bekam die Stadt Ruhe; denn der Plagegeist hatte sich ins Meer gestürzt." Pausanias setzt hinzu, er habe eine alte Nachricht von diesem Dämon gefunden, di« ihn als schwarz, von einer fürchterlichen Miene und mit einer Wolfshaut umgeben, schildere. Ein solcher böser Dämon hieß

ctXzrwg.

78

Harpyien. Sirenen. 6.

Weibliche Unter-Gottheiten.

§. 133. Auf die Männlichen Plagegeister mögen die weiblichen folgen, die in manchen Stücken Aehm lickketr mit jenen haben. Diese sind die Harpyiem Tochter des Tb au was (des Penins Sohn) und der Elektra (einer Tockter des Oceanus). Sie «erden als große Vögel mit D eiberkbpfe.n und mit starken, fiunv Men Klauen besckr«eben. Ihre Anzahl seyen die alten Dichter bald auf zwei, bald auf drei, bäld a.-f niedrere. Die vornehmste darunter hieß Keläno. ,, Anfangs war ren sie dazu bestimmt, den Phineus, einen König in Thrakien, wegen einer an seinen Söhnen begangenen Grausamkeit, zu quälen." Als die Aigonanten auf ihr rem Zuge an seinem Gebiete anlandrien, kam er, und klagte ihnen seine Plage, die darin bestand, daß ihm bi« Harpyien, so oft er essen wollte, die Speisen rauhten oder verunreinigten. Zwei von den Argonamen, ZetrS und Kalais, Söhne des Boreas, mit denen er ver» wandt «ar, baten ihn da» auf zu Tische; und als auch hier die gierigen Vögel erschienen, machten sie sich auf. Und verfolgten sie bis zu den Strophat ischen Inseln, die nicht weit von der westlichen Küste de» heutigen Morea liegen. Hier waren sie noch (wie Virgil sag»), als Aer neaS auf seiner Fahrt nach Italien an einer dieser Am seln landete, und quälten die Trojaner durch ihre Gefrä­ ßigkeit und Unreinlichkeit eben so, wie sie ehemals den PhineuS gequält Hanen. — Die Gorgonen haben viele Aehnlichkeit mit den Furien und Harpyien. Wir werden unten bei den mythologischen Erzählungen Einiges von ihnen erwähnen. §. 134. Die Sirenen waren ebenfalls für die Menschen gefährliche Wesen. Besonder« machten sie den alten Seefahrern die Meerenge zwischen Skilien und

Musen.

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Italien, wo -sie ihren Sitz Auf drei kleinen Klippen. In­ seln hatten, sehr fürchterlich. Sie wußten alles, und be­ sangen es mit angenehmen Melodiken, lockten dadurch dir Türüberreisenden zu sich, und nahmen ihr Herz so sehr ein, daß sie beständig und bis an ihren Tod bei ihnen blieben. Um ihre Wohnung her lagen Gebetne der Reisenden, welche auf diese Art bei ihnen gestorben waren, in Menge. Es gelang ihnen indeß nicht bei al­ len. Die Argonauten schifften vorbei, weil der himm­ lische Gesang des Orpheus ihre verführerischen Melo» dieen übertraf; und Ulysses verstopfte, auf den Rath der Sirte, die Ohren seiner Gefährten, und sich selbst ließ er an den Mastbaum binden, um ihren zauberischen Lochungen zu entgehen. — In alten Abbildungen erschei­ nen sie al« Geschöpfe mit BogelfüßrN und einem befie­ derten Unterleiöe; sie haben auch Flügel. Kopf UndObertheil des Körpers allein sind »oft einer Zungfraft hergenommen. In den Händen halten sie Flöten, auf wel­

chen sie auch blasend vorgestellt werden. Nach Homer gab es ihrer zwei, ngch Andern drei oder fünf. Wenn ihrer nur zwei erwähnt werden, so heißen sie: Aglaopheme und THelliepia; erwähnen die Dichter ihrer drei, so heißen sie: Parthenope, Ligea und Leukosiä. §. 135, Eben so reitzeud, aber Nicht so verführe­

risch, waren die Musen, die Göttinnen deS Gesanges und der Dichtkunst, und dadurch zugleich der ganzen Bildung, welche im Alterthum den Menschen aus diesen Künsten erwuchs. Die älteste Welt kannte ihrer nur drei: Melkte (Nachdenken), Mneme (Gedächtniß),

und Aöde (Gesang), Töchter des Urans«. Nach der Zeit stieg ihre Zahl auf neun: man machte sie zu Töchtern des Zupiter und der MNemofyfte, (welche in den alten Kunstwerken als ganz in den Mantel eingehüllt dargestellt wird.) Ähre Namen sind folgender Hlto, die

Musen. Muse der Geschichte; ihr Attribut ist eine zum Lesen halb geöffnete Duchrolle. Euterpe, die Muse der Mm sik und zunächst des Flötenspiels; sie hält in der Hand zwei Flöten. Thalia, die Muse des Lustspiels, hält

in der linken Hand eine komische Silenus-Maske, und in der andern einen krummen Hirtenstab. Melpomene, die Muse des Trauerspiels, hat in der Einen Hand die ernste tragische Herkules-Maske, und stützt sich mit der andern rechten auf eine Keule, oder hält ein Scbwert; an den Füßen trägt sie Theater «Kothurne. Terpsi­

chore- die Muse des Tanzes, hält eine gehörnte Lyra mit sieben Saiten; oft erscheint sie auch hüpfend. Era­ to, die Muse der durch die Liebe erzeugten (erotischen) Gesänge, spielt mit dem Plektrum auf einem neunsaiti­ gen Instrumente, welches sich durch die Größe von der Lyra unterscheidet. Polyhymnia, die Muse des sinn« volleu Nachdenkens und der Beredsamkeit, erscheint mehr rentheils mit dem Gewände verhüllt, legt den Zeigefin­ ger der rechten Hand auf den Mund, oder trägt auch eine Bücherrvlke in der Hand. Urania, die Muse der Sternkunde, welche den Lauf der himmlischen Gestirne betrachtet und besingt, trägt in der linken Hand eine Kugel, in der andern einen Stab, mit welchem sie auf der Kugel etwas zu bezeichnen scheint. Kalliope, die Muse des epischen oder Helden «Gedichts, hält ein zusammengerolltes Pergament in der Hand. Sie ist die vornehmste, und ein Dichter, der unter ihrem Einfluß arbeitet, bringt Werke der Unsterblichkeit hervor. Dic Musen wurden von den alten Dichtern als reihende, aber züchtige, ganz bekleidete Jungfrauen geschildert, und es sinh von ihnen noch mehrere vortreffliche Dar­ stellungen aus dem Alterthume übrig. §. 136. Die Menschen sind den Musen große Ver­ bindlichkeit schuldig; denn ihr Einfluß erstreckt sich auf alle

Helikon. Pegasus. Grazien. Horen.

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(ffe Künste des gemeinen Lebens, die zur Erheiterung ihrer Seele, und zur Erholung von andern schwere» Geschäften dienen. Ihr Sitz war hauptsächlich auf den Bergen Helikon und Parnaß, auch auf dem Pieri« schen und Aonischen Gebirge, sämmtlich in Thessalien ge« legen, und nicht weit von dem Sitze des Vorstehers der Musen, des Apoll, der eben daher auch Musagetes genannt wird. — An dem Berge Helikon entsprang die berühmte Quelle Hippokrene, welche das eben so berühmte geflügelte Roß, Pegasus, durch Scharren mir seinem Hufe öffnete. Sie hatte die Kraft, dem, der davon trank, poetische Talente mitzutheilen. Eine andre Quelle in dieser Gegend hieß Pimpla, von welcher die Musen den Beinamen Pimpleae, Pimpleides, führ« ten; noch eine andre hieß Kastalia, und eine dritte Aga nippe, nach welchen sie Castalides und Aganjppides benannt wurden. Bei den Römern hießen sie auch Cainoenae. §. 137. Die Grazien oder Charitinnen, nicht minder gefällige Götinnen, waren Aufseherinnen alles Angenehmen und Schönen. Die neuere Dichtkunst setzt ihre Zahl auf drei, und nennt sie: Aglaja, Thalia, und Euphrosyne. Der ältere Dichter schränkt sich auf keine bestimmte Anzahl ein; er spricht von mehreren, und betrachtet sie nicht bloß als Gefährtinnen der Venus, sondern stellt alles, was zum Wohlthun, zur Dankbar« feit, zum Wohlgefallen, zur Kunst und zur Anmuth ge« hört, unter dem Namen Charis vor. Man bildete sie anfänglich bekleidet, späterhin aber als nackende, schön gewachsene Jungfrauen, die einander anfaffen und oft einen anmuthigen Reigentanz halten. §. 138. Eben hierher gehören auch die Horen. Die« se Griechische Benennung bezeichnet überhaupt die Stun­ den, dann die verschiedenen Jahreszeiten; und in sofern Mythologie. L6]

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Horen.

Aeolus.

heißen sie, Töchter der Sonne. Sie werden auch als Dienerinnen oder Gehülfinnen der Zuno und des Zeus vorgestellt, und eins ihrer Hauptämter war, die Thore

des Himmels zu verschließen und zu öffnen. Sonst waren sie auch Dienerinnen der Venus, und gehörten, als Göttinnen der Anmuth, zu ihrem Gefolge. Auch sahe man sie als Symbole der Ordnung in der mora­ lischen Welt an; und darauf beziehen sich die Namen Irene (Friede), Dike (Gerechtigkeit) und Eunomia (Recht und gute Sitten).

6. Einzelne männliche Untergottheiten. §. 139. Aeolus war der Gott der Winde, und hatte seinen Sitz auf den Aeolischen Inseln im mittellän­ dischen Meere. Nach Homer bewohnte er eine Stadt, in welcher er die Winde mit ehernen Mauern einger schlossen hielt; nach Virgil hält er sie in einer Höhle ge­ fangen. Er selbst gebietet über sie, von dem Gipfel des Berges, dessen Inneres sie bewohnen. — Unter seinen Namen scheint Line historische Wahrheit verborgen zu Kegen. Er soll König der Liparischen Inseln bei Sicilien, und ein Sohn des Hippotes gewesen seyn, wes­ halb ihn auch die Dichter Aeolus Hippotides nen­ nen. Er verstand die Kunst des Schiffens, und der Wind- und Wetterprophezeiungen. Auch soll er das Se­ geln zuerst erfunden haben. Sein Sohn hieß Liparus, unh von diesem erhielten jene Inseln ihren Namen. §. 140. Ulysses kam auf seiner Reise auch zu die­ sen Inseln, und fand an Aeolus einen wohlthätigen Beschützer. Er erhielt von ihm einen großen ledernen Schlauch, in welchem alle Winde — derjenige ausge­ nommen, welcher UlyssenS Fahrt begi'mstigte — einge­ sperrt waren. Ulyß segelte ab. Seine neugierigen Ge­ fährten aber, die gern wissen wollten, was für Schätze

Boreas. Zephyrus.

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in diesem geheimnisvollen Schlauch« verborge« wären, öffneten ihn; und plötzlich fuhren die Winde mit großem Geräusch heraus, und erregten einen fürchterlichen Sturm, wodurch Ulysses gezwungen ward, zu den Inseln des Aeolus zurück zu fahren. Aber der erzürnte Gott machte ihm Vorwürfe, und versagte ihm seinen Deistand zur Fortsetzung seiner Reise. — Die Ursache, wa­ rum man den ÄeoluS auf jene Inseln versetzte, war, nach der Vermuthung deS Plinius, der Umstand, daß man au» dem Rauche des feuerspeienden Berges auf der Insel Li para bestimmen konnte, welcher Wind sich nach drei Tagen erheben würde. §. 141. Unter den Winden, die AeoluS beherrsch­ te, waren besonders zwei, welche von den Dichtern personificirt und geschildert wurden. Der erste ist Boreas oder der Nordostwind, dessen Sitz Man nach Thrakien verlegte. Die Bewohner der Länder, die jenseits Thra­ kien lagen, nannte man nach ihm Hyperboreer, (Leu­ te jenseits der Wohnung des Boreas). Die Mytho­ logie erzählt von ihm, er habe sich in die Tochter des Atheniensischen Fürsten Erechtheus verliebt; da der Vater sie ihm verweigert, sey er als ein gewaltiger Sturm­ wind gekommen, habe die schöne Orythia entführt, und mir ihr die Zwillingssöhne Zetes und Kalais erzeugt, deren wir schon oben erwähnten, und weiterhin bei dem Zuge der Argonauten noch einmal erwähnen werden. §. 142. Der zweite Hauptwind ist der Z ephyrus, ein Westwind, oder bei den Alten vielmehr ein Nord­ westwind, und naher Anverwandter des Boreas. Oft ist der Name Zephyrus auch allgemein, und bezeichnet alle Westwinde, deren eS acht gab. Die Dichter erzäh­ len mancherlei von seinem Liebesverständniß mit der Iris. — „Noch ist za merken, daß unsere neueren Dichter in der Schilderung des Boreas und des Ze[6*]

84

Uranus. Atlas.

phyrus von den Alten, namentlich den Griechen, abr gehen. Diese, wenigstens Homer, und mit ihm Ovid, bringen durch den Boreas den heitern Himmel zurück; unsere hingegen brauchen ihn bei Stürmen, und lassen den Zephyr säuseln, der beim Homer gewaltig bläst." —

Der dritte Hauptwind war Eurus, der Ostwind, der vierte, Notus, der Südwind. §. 143. Auch Uranus gehört zu den einzelnen Untergottheiten. Er herrschte vormals im Aether, und ward, durch seine Vermählung mit der Gäa (Erde), der Vater der Centimanen, Cyklopen, Titanen und Giganten. Die Mythologie sagt von ihm, er habe die Gewohnheit gehabt, alle seine Kinder, gleich nach der Geburt, in dem Schooße der Erde zu verbergen. Dies war der Mutter scbmerzlich, und sie selbst stiftete mit ihren Söhnen eine Verschwörung wider den Vater an. Kronos, einer der Titanen, der den meisten Muth hatte, stieß ihn vom Thron, und nahm densel­ ben für sich ein, hatt« aber nach der Zeit das Schicksal feines Vaters. §. 144. Einer der Enkel des Uranus war At­ las, der vom Homer als rin Fürst von Mauritanien, und als ein überaus weiser Mann beschrieben wird. Er kannte bis Tiefe des Meeres, die Höhe des Himmels, und den Lauf der Sterne. Deshalb sagen die Dichter, er habe, vom Zeus dazu angewiesen, mit seinen Schul­ tern den Himmel unterstützt. Von diesem Umstande rüh­ ren in der Architektur die Atlanten, oder die Figuren her, welche an großen Gebäuden gewisse Theile mit ih­ ren Schultern zu tragen pflegen. Das hohe Gebirge in Afrika, der Atlas, hat seinen Namen von ihm, und auch dieses schildern die Dichter als Stütze des Himmels, weil dessen Gipfel bis an die Wolken empor ragen. Wir

Helios. AeökulopiuS.

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werden unten bei den mythologischen Erzählungen seiner noch einmal gedenken. §. 145. „Helios ist zwar sonst der Gott der Sonne; wir führen ihn aber hier als eine besondere Gottheit an, weil ihn Homer wirklich von dem Phöbus

oder Apoll unterscheidet,

und zwar in der Geschichte

von der Ueberraschung des Mars und der Venus durch die andern Götter. Helios, sagt er, macht« den Kundschafter, und verrieth es dem Vulkan; Apoll kommt mit den andern Göttern herbei, und hält eine

kleine Unterredung mit dem Hermes. — Noch beut# kicher aber stellt Homer den Helios als eine besondere Gottheit dadurch vor, daß er ihm eine eigene Hymne weihet, die ihn ganz als den Sonnengott auszeichnet. „Dich," sagt er, „haben Hyperion und Euryr phaesfa erzeugt — Deine Geschwister sind Eos unb Selene — Du giebst den Sterblichen Licht — Slrah# len gehen von Dir aus — Dein Gewand leuchtet — und Du fährst mit Deinem Wagen an dem Himmel hin, in den Ocean hinab." §. 146. Auch Aeskulapius, Griechisch Askler pios, der Gott der Heilkunde, gehört zu den Untergott# Heiken, iittb zwar zu denen, welche die Römer Indigetes, oder zuweilen- auch Deas adscriptitios nannten. (Zu diesen gehörte der Stifter der Stadt Rom, Ro mulus, der nach seinem Tode unter den Namen Quirinus als Gott verehrt wurde, und von dem wir weiter unten sprechen werden.) — Aeskulap war, nach der mythor logischen Erzählung, ein Sohn des Apollo und der Koronis, der Tochter eines Thessalischen Fürsten. Diese starb während der Schwangerschaft; das Kind aber wurde durch einen Schnitt gerettet, und Chiron (von welchem weiter unten die Rede ist) trug für die Erziehung und Unterweisung desselben die beste Sorge. Chiron war

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Aeskulapius.

selbst Arzt; doch sein Zögling übertraf ihn nach der Zeit in seiner Kunst so sehr, daß man von ihm sagte, er habe Todte erweckt. Die Wundarzeneikunst und dte Wissenr schäft, aus Wurzeln heilsame Arzeneien zu bereiten, war sein Werk. Die neuere Fabel erzählt Folgendes: Pluto verklagte ihn, seiner Wunderknren wegen, beim Jupir ter; und dieser tödtcte ihn mit einem Blitze. Zur Rache dafür erschoß Apoll die Cyklopen, welche dem Zeus die Donnerkeile geschmiedet halten. Dadurch wurde der letztere gegen den Apoll so aufgebracht, daß er ihn zu einjähriger Knechtschaft auf der Erde verdammte. — Von den Söhnen des Aeskulap, Podalirius und Mar chqon, erzählt Homer, daß sie zu der vereinigten Flotte, welche die Griechen nach Troja führte, dreißig Schiffe haben stoßen lassen. Sie waren aber nickt nur tapfere Krieger, sondern verstanden auch die Hcilkunst aus dem Grunde, und heilten die verwundeten Griechischen Helr den. Doch besaß Machaon mehr Geschicklichkeit im Heilen der Wunden und äußerlicher Schäden; Podalir rius aber bet innerlichen Krankheiten. §. 147. Unter den vielen Tempeln, die dem Aes«

kulap geweihet waren, galt der zu Eptdaurus im Peloponnes für einen der berühmtesten, weil man glaubte, daß alle Kranke, dte nur eine Nacht darin zu­ brächten, geheilt würden. In diesem und allen andern ihm geweihten Tempeln hing eine Menge Täfelchen, auf welchen eine Beschreibung der Krankheiten und der Mit­ tel, wodurch sie gehoben worden, verzeichnet stand. Als die Römer einmal jpon der Pest geplagt wurden, gab ih­ nen das Orakel den Rath, den Aeskulap von Epidaur rus nach Rom zu holen. Die Römischen Abgesandten kamen an, und plötzlich wand sich eine große Schlange aus dem Tempel auf ihr Schiff, und ließ sich mit nach Rom führen, wo man ihr ebenfalls ein Heiligthum er«

Momus.

Aurora.

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richtete. — Die bildende Kunst stellt diesen Gott als einen, mit einem Barte schön gezierten und, mit eit nem weiten Gewände bekleideten Mann dar, der einen Stab, um welchen sich eine Schlange windel, in der Hand hält. Oft hat er auch eine Schlange und einen Hahn neben sich. — Kranke thaten Gelübde an den Aeskulap, und, wenn« sie gesund wurden, opferten sie ihm einen Hahn. Gewöhnlich wurden ihm auch Haare geweihet. —, Uebrigens schreibt ihm die Mythologie auch Töchter zu, und nennt sie Hygiea, Jaso, Panaeea und Aegle: sämmtlich Namen, die sich auf Gesundheit,

Krankheit, und Heilung beziehen. Man bildete diese Töchter als junge, gefällige Nymphen, die eine flache Schale in der Hand, und neben sich eine Schlange haben. §. 148. Noch eine Untergottheit ist Momus, oder der Gott des Spottes und des Tadels, dem es erlaubt war, die Thaten und Schwachheiten der Götter selbst zu tadeln, zu belachen und zu verspotten.

7. Einzelne weibliche Untergottheittn. §. 149. Eos, Hemera, Lateinisch Aurora, die Göttin der Morgenröthe, war die Tochter des Hyr

perion und der Theta. Man mahlte sie als eine rein zende junge Frauensperson in einem röthlichen Gewände, die auf einem goldenen Wagen mit zwei stattlichen, laugt sam daher schreitenden Rossen fahrt, und an der Stirn einen großen strahlenden Stern, in der Hand zuweilen eine Fackel hat. — Die Dichter erzählen von ihr, daß sie ein zärtliches Herz gehabt, und oft schöne Manns­ personen entführt habe, besonders Jäger, weil diese bei ihrer Beschäftigung früh auf sind, und oft von der Au­ rora dabei betroffen werden. „Besonders nennen sie vier solche glückliche Jäger, die der Göttin der Morgen-

88

Aurora.

röche gefielen, und zu denen sie Ihren Rosenwagen hinab lenkte, um sie in ihre Wohnung zu entführen."

„Der erste ist Orion, ein überaus schöner junger

Mann, und rin Bruder der Titanen, der ein so gror

fier Liebhaber der Jagd war, daß er selbst noch im Orr kuS wilde Thiere verfolgte und tödtete."

„Der zweite ist Klytus, ein Sohn deS MantiuS, «in Bruder der Titänen."

„Der dritte, Tithon, ist der berühmteste, hauptr sächlich durch die Geschichte, erzählt.

welche Homer weitläuftig

Aurora muß ihn

vorzüglich

geliebt haben;

denn sie bat sich vom Zeus Unsterblichkeit für ihn aus, um ihn nie zu verlieren.

Aber sie vergaß, zu gleicher

Zeit um ewige Jugend und Entfernung des Alters für ihn zu bitten.

Daher wurde er endlich kraftlos, und die

Göttin mußte seiner pflegen, wie eines KindeS.

Zuletzt

blieb nichts weiter von ihm übrig, als die Stimme."

Der vierte war Cephalus, der durch Ovid fast eben so berühmt geworden ist, wie Tithon, sein Vor»

gänger.

Ess, oder Aurora, liebte und entführte ihn.

Et hatte aber schon eine Geliebte, die Prvkris, der er so getreu war, daß die Göttin lange nichts über ihn ver-

mochte, bis sie ihn endlich durch Annahme der Gestalt

der Prokris hinterging.

Sie entläßt ihn wieder; er

kehrt zu seiner Gattin zurück, und hat den Einfall, mit

Hülfe der Gabe sich zu verwandeln, die er von der Göt­ tin erhalten hatte, ihre Treue auf die Probe zu setzen. Lange mißlingen seine Versuche, bis er sie endlich (nach

dem Ovid) durch eine Menge von Geschenken, oder (nach neueren Dichtern) durch die Schönheit, die er angenom­ men hatte, besonders aber durch die Aehnlichkeit, die sie

zwischen ihm und ihrem Manne bemerkt, wankend macht. Und

dadurch

hatte

sich

Eos

gerächt,

Reitzen so lange widerstanden hatte."

daß

er

ihren

Selene. Iris. Nyx.

Die Liren. Are.

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§. 150. So wie Helios als eine von dem Apoll verschiedene Gottheit der Sonne verkommt, so Hiebt es auch eine weibliche Gottheit des Mondes, die, unter dem Namen Selene, von der Diana unterschieden wird. Man stellt sie als Jungfrau vor, die das Zeichen des wach« senden Mondes Mer der Stirn, aber keine Jagdgeräthschäft neben sich hat, und auf einem Wagen, bespannt mit zwei weißen Pferden oder Kühen, stchend fährt. „Ihre Schönheit rührte einst den Zeus so sehr, daß er ihre Liebe sitchte, und die göttliche Pandia mit ihr zeugte." §. 151. Iris war eine Tochter des Thaumas und der Elektra, und die Botschafterin der Götter. Ihr Dienst war zwar hauptsächlich der Juno gewidmet; sie richtete aber auch die Befehle anderer Götter und Göttinnen an Untergbtter und selbst an Menschen aus. Man dachte sich den Regenbogen als die Bahn auf web cher sie beflügelt zur Erde herab schwebte, Ihre Erscheir nung brachte dem Landmanne Freude und seinen Saaten Gedeihen; denn sie gab ,hm Aussichten auf einen wohl­ thätigen Regen. §. 152. Die Göttin N y x, oder die Nacht, war die Tvckter des Chaos, und die Schwester des Erebus. Die Mythologie schreibt ihr, als einer der Grundur­ sachen aller Dinge, eine Menge Kinder zu, von denen wir schon oben einige beiläufig genannt haben, und de­ ren Ursprung an und für sich unbekannt, oder deren Daseyn den Menschen schädlich ist. — Man pflegte ihr einen schwarzen Hahn zu opfern. §. 153. „Die Liken und Ate sind Töchter des Zeus: erstere sind Göttinnen dks Gebets, und letztere die Göttin des Schadens, den die Unbesonnenheit an­ richtet. Die ersteren machen gut, was die letztere ver­ dorben hat. Wir setzen sie hier zusammen, weil sie in der berühmtem Homerischen Stelle (lliad. IX, 497. fg.)

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Themis«

vereinigt sind, wo Phönix seinen Pflegesohn Ach.illes zur Aussöhnung mit dem Agamemnon bereden will. „Laß Dich," sagt er, „erbitten! Du mußt wissen, daß die Gebete Töchter des ZeuS sind. Sie sind krumm geworden durch vieles Knieen: ihr Gesicht ist voller Sor­

gen und Runzeln, und ihre Augen sind beständig gen Himmel gerichtet. Sie sind ein Gefolge der Göttin Ate, und gehen hinter ihr her. Diese Göttin gehet ihren Weg mit einer kühnen und stolzen Miene; und, leicht zu Fuß, wie sie ist, läuft sie durch die ganze Welt, und ängstiget und quälet die Menschenkinder; sie suchet den Gebeten auszuweichen, welche ihr unablässig folgen, um diejenigen Personen, welche jene verwundet, zu heilen. Wer diese Töchter des Zeus ehrt, wenn sie sich ihm nähern, genießt viel Gutes von ihnen; wenn man sie aber verwirft, bitten sie ihren Vater, der Göttin Ate Befehl zu geben, einen solchen, wegen der Härte seines Herzen«, zu strafen." Hier werden nur di« Lite« Töchter des Zeus genannt. Daß- aber auch Ate es ist, beweiset eine andere Stelle des Dichters, wo Agamemnon seinen Völkern sagt: „Allschädlich ist die Tochter des Zeus, Ate; leicht sind ihre Füße: denn, vom Boden erhoben, schreitet sie über die Köpfe der Menschen, und bringt sie in Verlust. Ja selbst dem Zeus pflegt sie oft zu schaden. So groß ist ihre Macht!" — Doch sagt Hesiodus, daß sie die Schritte Desjenigen nicht verfolge, der Ge­ rechtigkeit liebe. §. 154. Themis, bei den Griechen die Göttin der Gerechtigkeit, oder vielmehr das Symbol politischer Klugheit, und der daraus folgenden Ordnung und Bil­ ligkeit, war eine von den Töchtern des Uranus und der Titäa. Sie erzeugte mit dem Jupiter die Ho­ ren, Dike, Eunomia und Irene, so wie auch,

St

Themis. nach Einigen, die Parzen.

Ihre berühmteste Tochter

war indeß Asträa, die sich während des Titanenkriege« auf die Erde begab, wo

sie im goldenen Zritaltep die

Menschen Recht und Billigkeit lehrte, und Krieg unh

Zwistigkeiten vorzubeugen suchte.

Aber b« zunehmender

Verschlimmerung de« Menschengeschlechtes verließ sie mit

-der Aidos (Sbam)

die Erde, und nahm am Himmel

ihren Platz unter den Gestirnen deS Thierkreises,

im

Bilde der Jungfrau, ein. — Die Nemesis der Grie­

chen scheint Theils da« Symbol von der Austheilung der Erdeugüter durch die Hand der Gottheit gewesen zu seyn;

Theils dachte man sie sich als eine Göttin, die das Ber

tragen der Menschen bei ihrem Glücke richtet, den Frr» vel bezähmt und räckt, da« Glück des Unwürdigen Here

abseht, und alle« im Gleichgewicht erhält.

Dies deute»

auck die Attribute an, mit welchen sie in den Abbildun­

gen der Alten erscheint.

Man bildete sie nehmlich alS

eine schöne, bekleidete junge Frau, die, in den Dusen blickend, einen Theil ihres Gewandes so vor btt Brust

hält,

daß

der emporgehobene Elbogen sehr bemerklich

wird, und hier al« Symbol bei Maße« erscheint, wel­

ches von diesem Theil« des Körper« entlehnt ist.

Oder

man ließ sie auch mit einem Fuße auf «in Rad (Bild

von der schnellen Umwandlung des Glückes) treten, gab ihr Flügel (die Schnelligkeit der Rache anzudeuten), ließ

sie in der Hand eine wirkliche Elle halten, auch sitze Geißel,

«inen Zaum,

eine Wage,

«in Füllhorn, ei»

Steuerruder, oder wohl gar «in Schwert.

Sie führt«

auch den Namen Adrastea, von AdrastuS, der ihr zu­

erst einen Tempel erbaute, und Rhamnusia, von ih­ rem Tempel zu Rhamnu« in Attika, wo die berühmte Statue de« Agorakritus stand, die er aus einer Ve­ nus in eine Nemesis verwandelt hatte. — Die Justi­ tia (Gerechtigkeit) der Römer kommt vielleicht mit der

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Hebe. Religion der Römer.

Dike der Griechen überein. Auf Münzen bildete man sie zuweilen mit einer Schale oder einem Scepter in der

Hand, zuweilen auch mit einer Wage oder einem Schwerte. Die Aequitas und FaS der Römer, wa­ ren personificirte Tugenden und Eigenschaften, von de­ nen die letztere mit der Themis der Griechen Aehnlich-

feit hat. §. 155. Hebe, eine Tochter Jupiters und der Juno, war die Göttin der Jugend (woher sie bei den Römern auch Juventas hieß), und die Mundschenkin der Götter. Sie hieß auch Ganympda, welches ihr ältester Name war, unter dem sie seit uralten Zeiten in einem heiligen Cypressenhain, bei der Stadt Phlius in Griechenland, verehrt wurde. Man bildete sie als ein junges reitzendes Mädchen, mit aufgeschürztem Gewände und einer Trinkschale in der Hand.

8. Männliche und weibliche Gotthei­ ten, die bei den Römern national waren, und welche die Griechen nicht kannten. §. 156. Alle bisher beschriebene Götter und Göt­ tinnen hatten die Römer mit den Griechen gemein, ei­ nige kleine Verschiedenheiten abgerechnet, die sich in den Begriffen von ihnen und der Art ihrer Verehrung zeig­ ten. Die Römer hatten aber auch andere Gottheiten, die bei ihnen national waren; und diese wollen wir jetzt beschreiben. Doch vorher sagen wir Einiges von der Religion der Römer überhaupt. §. 157. Die Religion der Römer war eine Mi­ schung von Griechischen und eigenen religiösen Begriffen. Die Griechischen wurden in den ältesten Zeiten durch

Religion der Römer.

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Colonisten aus Griechenland, namentlich aus Elis und

Arkadien, unter -den Voreltern der Römer ausgebreir tct, und dienten auch für die spätern Zeiten zur Grund­ lage der Römischen Religion; nur mit dem Unterst!,iede, daß die Römer in gewissen Begriffen von den Griechen abgingen, und manche Gottheit mehr oder weniger, oder auch wohl gar nicht, verehrten, ob sie gleich dieselbe kannten. §. 158. Die Römer hatten den Glauben an Ora­

kel und Vorbedeutungen mit den Griechen gemein; sie trieben aber ihr Vertrauen auf dieselben noch nm vieles weiter, als jene, besonders seitdem ihre Religion, aus Politik, mit der Staalsverfassung auf das engste verbun­ den wurde. Ihre Vorgesetzten meinten, gewisse Absich­ ten nicht besser durchsetzen zu können, als wenn sie den allgemeinen Glauben des Volkes an Vorzeichen und Vor­ bedeutungen nützten, und nichts unternähmen, was nicht von der Gottheit selbst gut geheißen worden wäre. Da­ her ward unter ihnen der Glaube an Augurien, Auspieien und an die sibyllinischen Bücher so fest, daß er sich selbst in den aufgeklärtesten Zeiten Roms bet seinem Ansehen erhielt. So ungegründet er an sich war, so großen Nutzen hat er den Römern bei allen ihren kriegerischen Unternehmungen gebracht; denn da sie alles auf Geheiß und mit dem Willen der Gottheit zu thun glaubten, und sich ihres Beistandes versichert hielten: so bekamen sie dadurch einen frohen Muth, und ein Ver­ trauen auf ihre Kräfte, durch die zunächst sie jene Thaten verrichteten, wodurch sie Herren des Erdbodens wurden. §. 159. Schon Romulus legte den Grund zu ei­ ner näheren Ausbildung der Religion seines Volkes, und that auch, wie er vorgab, schon manches auf Geheiß oder mit Billigung der Götter, z. B. den Raub der Sa­

binerinnen.

Er opferte,

ließ aus Hetrurien Priester

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Religion der Romer.

kommen, und führte die Verehrung einiger Gottheiten

em (als des Vulkan und der Vesta), die seinem Volke vorher wenig, oder noch gar nicht, bekannt gewe­ sen waren. Sein Nachfolger Numa setzte das, was er zur Aufnahme der Religion gethan hatte, mit großem Eifer fort, und fügte noch eine Menge anderer Anstalten hinzu, so daß man ihn für den eigentlichen Stifter der Römischen Religion und des Götterdienstes halten kann. Er nahm viele Griechische Gottheiten in das Religivns« svstem seines Volkes herüber, erbauete ihnen Altäre und Tempel, stiftete Feste, setzte Priester ein, gab allen got­ tesdienstlichen Verrichtungen mehr Nachdruck und Leben, und erwarb sich dadurch bei seinem Volke große Liebe und allgemeine Ehrfurcht. §. 160. In den ältesten Zeiten hatten die Gotthei­ ten noch keine eigentlichen Tempel, oder prächtige, zu ih­ rem Dienst erbauete Häuser; sondern man begnügte sich damit, ihnen gewisse Plätze oder Haine zu weihen, in deren Bezirk man ihnen Opfer brachte. Die Opfer selbst bestanden damals nur noch in Blumen, Pflanzen, wohl­ riechenden Kräutern, und dergleichen. Nach der Zeit nahm man Thier« dazu, und fing an, aus ihren Eingef weiden Glück oder Unglück zu weissagen. Auch Statuen oder Vorstellungen der Gottheiten hatte man in den frü­ heren Zeiten noch nicht, sondern man dachte sich diese als gegenwärtig auf dem Platze, oder in been Haine, wo man ihnen Opfer brachte. Nachmals fing man an, Abbildungen von ihnm zu machen; sie waren aber so roh, üls sie es in jenen Zeiten, bei gänzlichem Mangel an Kenntnissen in den bildenden Künsten, seyn mußten. Meistentheils waren die Statuen der Götter und Göt­ tinnen unbearbeitete Klötze, Pfähle, Steine u. dergleichen. §. 161. Aber mit der steigenden Macht der Römer wuchs auch ihre Bildung in Religionssachen- und die

Religion der Römer.

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Reichthümer, di« ft« in ihren Mannichfachen Zügen und unaufhörlichen Kriegen erbeuteten, verbunden mit den neuen Kenntnissen, die sie von den überwundenen Völ­ kern erhielten, veranlaßten sie, ihren Göttern eine glän­ zendere Verehrung zu erweisen. Bald entstanden auf den geweiheten Plätzen, die vorher höchstens eine kleine Ka­ pelle enthielten, große Gebäude, die äußerlich mit präch­ tigen Säulen, und im Innern mit schönen Statuen ge­ ziert waren, und auf deren Altären kostbare Opfer brann­ ten. Die Pracht aller dieser zum Gottesdienste gehörigen Sachen erretchle ihren höchsten Grad, als die Römer aus den eroberten Griechischen Städten, namentlich aus Korinth, unermeßliche Schätze an Bildsäulen, Opferge» rächschaften re. mitbrachten. §. 162. Wir haben schon oben erinnert, daß die Römer mehr, als irgend eine andere alte Nation, an Wahrsagerei und Vorbedeutungen glaubten. Wirklich ward dieser Glaube mit der Zeit ein Hauptartikel ihrer Religion, und mußte sich unter ihnen um so stärker be­ festigen, da es das Interesse der Oberhäupter mit sich brachte, dessen Ausbreitung zu begründen, und so, in Verbindung mit dem Oberpriester, der alle Omina und Orakel in seine? Gewalt hatte, ihre Absichten und Plane

desto gewisser durchzusetzen. §. 163. Dergleichen Vorbedeutungen und Anzeichen gab es mancherlei Arten. Die Priester prophezeieteu: 1) „Aus dem Fluge, oder dem Geschrei der Vögel. Um die glückliche oder unglückliche Vorbedeutung derselben bestimmen zu können, zeichnete der Augur ge­ wisse Gegenden am Himmel mit seinem gekrümmten Stabe (lituus) ab; und nun kam es darauf an, in welcher Region die Vögel, oder was für Vögel darin er­ schienen, ob sie rechts oder links vo» derselben flogen, u. s. tv."

96

Religion der Römer.

2) „Aus dem Fressen der Vögel, besonders der Hühner, die der Staat auf öffentliche Kosten auf dem Capitol unterhielt." 3) „Aus der Erscheinung gewöhnlicher oder ungewöhnlicher Thiere — z. B. eines Hum des, eines Löwen, der Ameisen, der Bienen, einer Schlange u. a. m. Als Sylla auf einem seiner Feldzüge vor den Augen seines Heeres opferte, kroch eine Schlange an dem Fuße des Altars hervor. Der Haruspex Postum mius sagte ihm, er solle die Soldaten sogleich wider den Feind führen. Sylla that es, und erhielt den

Sieg." 4)

„Aus Erscheinungen am Himmel; wenn

es z. B. am heitern Himmel blitzte, oder sich rechts, oder links, ein Donner hören keß." 5) „Aus unerwarteten Stimmen, welche

auf die gegenwärtigen Umstände paßten und welche man so deuten konnte, als ob die Götter ihren Willen dar durch verkündigen.wollten. Sie hießen' Omina, und

waren entweder göttlich, d. i. man hörte sie aus der Luft, ohne zu wissen, woher sie kamen; oder sie kamen aus der Versammlung des gegenwärtigen Volkes. Dar her wurde bei den Opfern, oder bei andern feierlichen Gelegenheiten, dem Volke zugerufen: Favete linguis! (Keiner lasse ein Wort von sich hören, das die Handr lung störe, oder einen unglücklichen Erfolg prophezeie!) — Auch auf die Worte der Personen, die entern bei dem Austritt aus dem Hause am ersten begegneten, war man aufmerksam." 6) „Aus körperlichen Handlun gen und Beschaffenheiten, z. B. dem Niesen, dem Gellen der Ohren, dem Einschlafen eines Gltedes, u. s. w. 7) „Aus unverhofften Zufällen. Fiel z. B. ein Feldherr bei dem Auszuge gegen den Feind, so ward

Religion der Römer.

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das Heer bestürzt. Als daher Cäsar in Afrika an'S Land stieg, und aus dem Schiffe fiel, mar er, damit sein Heer nicht muthlos würde, besonnen genug, seine Arme auszustrecken, die. Erde zu küssen, und laut aus» zurufen: nun habe ich dich, erwünschtes Land!" 8) „Aus den Namen. Bei Opfern und EinWeihungen mußten alle Personen, die etwas dabei ver­ richteten, Namen haben, die kein« schlimme Bedeutung hatten, und es wurde für ein böses Anzeichen gehalten, wenn die Namen der ersten Soldaten, die sich zu einem Feldzuge meldeten, nicht glücklich waren." Dergleichen Anzeichen gab es mehrere, und das un­ bedeutendste konnte die größten und wichtigsten Unternehr mung«n rückgängig riechen. §. 164. Ein anderer religiöser Wahn der Römer bestand darin, „daß sie mit den Schutzgittern ihrer Feinde nicht fechten wollten, und deshalb selbst feindlichen Gottheiten Achtung bezeigten. Wenn sie vor eine Stadt kamen, so war cs daher ihre erste Bemühung, den Na­ men des Schutzgases der Stadt, falls sie ihn nicht wußten, zu erfahren, und ihn alsdann zu bitten: er möchte es sich gefallen lassen, zu ihnen überzugehen; dann wollten sie ihn so gut wie seine bisherigen Anbe­ ter verehren, (Evocatio Deorum.) Daher erhielt Nom mit der Eroberung jeder Stadt oder Provinz neue Göt­ ter, und es wurde ein Sammelplatz, wie von den Schät­ zen, so auch von den Göttern der Welt, die es sämmt­ lich als eigen haben wollte, und mit ihnen die Länder und Städte, welche ihres Schutzes genossen. Eben aus diesem Grunde suchten die Römer den Ilamen ihres Schntzgottcs so sorgfältig zu verbergen, daß selbst ge­ lehrte Römer nicht recht wußten, wer er war, damit er nicht evocirt (weggerufen) werden könnte. In diesem Punkte waren sie eben so geheim, wie mit demAueil»,

D-vnmt Mythologie.

E'7]

98

Religion der Römer,

ihrem Palladium. — Noch ist bei der Evocation und Aufnahme der fremden Götter in Rom zu bemerken, daß die öffentliche Verehrung derselben, und ihre Ein­ führung durch den Feldherrn, der die Stadt oder das Land eingenommen hatte, von dem Senat anerkannt

werden mußte." §. 165. Zm Ganzen waren aber doch die Religionsbegrtffe der Römer nicht völlig so abergläubisch, und besonders nicht so fruchtbar an groben, und zum Theil unanständigen Erdichtungen, wie die Griechische Mytho­ logie. Außerdem waren sie auch menschNcher; denn man hat in ganz Italien kein Deisplet von einer Gottheit, die so verehrt worden wäre, wie Diana in Tauris. Wettn auch nicht ganz zu leugnen ist, daß man Spuren von Menschenopfern bei den Römern findet, so waren sie doch so wenig in Gebrauch, daß der Senat, dem Berichte des Plutarch zufolge, bei dem Einbrüche der Gallier gleichsam genöthigt wurde, einen Griechischen Mantt UNd eine Griechische Frau, nebst einem Gallischen Manne und einer Gallischen Frau, auf dem Ochsen­ markte lebendig zu vergraben. Man brachte aber, bis

in die spätern Zeiten,

den Manen der Begrabenen

einige geheime, unbekannte Opfer, wie es scheint, um sie zu persöhnen.

§. 166. Uebrigens theilten die Römer ihre Gott­ heiten in zwei Klaffen: iN Deos majorlim, und Deos ininorum gentium. Zur ersten rechneten sie: den Jupiter, die JuNo, Vesta, Minerva, Ceres, Diana, den Mars, Mevkur,

Neptun, Vulkan und Apoll. Sie glaubten, daß diese den Rath der Götter ausmachten, und nannten sie daher Consenken. Ihnen fügten sie aus besonderer Verehrung folgende bei: den Saturnus, Janus, Liber, Sol, Luna, Pluto, Tellur, Genius, welche sie Deos selectos

Pi'cuS. Vertumnuö. Terminus, nannten. —Zur zweiten Klasse rechneten sie die, welche durch ihre Verdienste in den Olymp erhoben waren, und bet den Griechen Heroen hießen. Dahin gehören Aer

neas, Nomulus, Casar, u. a. m., welche auch In« digeten genannt wurden. — Wir nennen nun die Gott» Heiken, die in Rom national waren. §. 167. Janus und Bellona waren National» Gottheiten der Römer, gehörten aber zu den Obergott»

Heiken, und deshalb haben wir ihrer schon oben (§§.106. und 108) erwähnt. Nationale Untergottheiten sind

folgende: §. 168. Pieus, ein alter Römischer König, von welchem die Mythologie erzählt, daß ihn Ciree, aus Unwillen, weil er ihre Liebesanträge verschmähete und seiner Gemahlin treu blieb, in einen Specht verwaiv delt habe» Als Specht brachte er, wie die Römischen Geschichtschreiber erzählen, dem Romulus und Remus, als sie ausgesetzt waren, in .seinem Schnabel Futter. Vielleicht liegt unter dieser Erdichtung das historische Dalum verborge«, daß sich PicuS, als Herr der Ger gend, wo man diese Zwillinge fand, ihrer angenommen und ihnen Unterhalt gegeben habe. §. 169. VertumnuS, der Erfinder der Gärten,

war ein alter Italischer Fürst, und wild von den Dich-

kern als Liebhaber der Pomona (von der wir unten reden) vorgestellt. Die Römer verehrten ihn als Gott der Gärten und Baumfrüchte; „auch war er den Kauft Ruten als Gott vorgesetzt, und in der Gegend seines Tempels in Rom wurden die Bücher verkauft." — Als Gartengottheit stellte man ihn mit einem Kranze auf dem Kopfe, mit einem Füllhorn in der einen, und mit ei» nem Gartenmesser in der andern Hand dar. §. 170. „Terminus war der Gott der Gränzen,

und batte, wem» man ihn abbildete, die Gestalt eines [7*]

Portunus. Tiberinus.

los

Marksteins oder einer allen Herme (M.s.oben§.102.),

auf welche in der Folge eimKopf gesetzt wurde. Die Gränzsteene waren von je her heilig, und standen deshalb unter dem Schutze einer Gottheit. Numa erbaute diesem Gotte den ersten Altar. Auf den Gränzen der Aecker brachte man ihn« Opfer, Anfangs aus dem Thierr reiche, nachmals aus dem Pflanzenreiche. §.171. „Aeneas wurde von den Römern als der Stifter ihrer Nation verehrt. Er kam, nach der Erzählung des Dichters, von Troja nach Latium, und legt? den Grund zu der Colonie, aus welcher nach der Zeit die Erbauer der Stadt Rom entsprangen. Die Römer verehrten ihn als Indizes, nannten ihn auch Jupiter Indizes." §. l'"2. Auch Pilumnus war ein uralter latei­ nischer Fürst, ein Ahnherr des Turnus, der nach der Zeit vergöttert wurde. Er hatte die Aufsicht über das Backen, und war, aus dieftrn Umstande zu schließen. Wahrscheinlich der Erfinder dieser Kunst. Wie es scheint, ist er mit dem Picumnus einerlei Gottheit, und hat daher wieder mit dem Pieus gleiche Bedeutung. Unten, in den mythologischen Erzählungen, werden wir seiner mit einigen Worten noch einmal erwähnen. §. 1"3. Portunus war bei den Römern An­ fangs der Gott der Thore, erhielt aber nach der Zeit auch die Aufsicht über die Seehäfen. Wir haben seiner schon oben (§. 115.) gedacht. §.

174.

„Tiberinus war ein Abkömmling des

alten Latinus, der in der ehemaligen Alb«la ertrank, und diesem Flusse dadurch den neuen Namen Tiber gab. Rom verehrte ihn als eine Gottheit, und opferte ihm, besonders, wenn er seinen Strom austreten ließ und ei­ nen Theil der Stadt überschwemmte, welches nicht sel­ ten geschah. — Uebrigens war er ein Freund derer, die

Talafflus. Quirinus. Rom stiften, oder glänzend machen sollten.

101 Als daher

Aeneas (dem Virgil zufolge) in den Fluß fuhr, um

zu dem Könige Evander zu kommen, erschien ihm Tiberinus in einem meergrünen Gewände, mit Schilf bekränzt, sagte ihm seine künftigen Schicksale voraus,

und gab ihm guten Rach, wie er zum sichern Besitze des Landes gelangen könne. Als Cäsar ermordet war, überschwemmte er die Stadt fast stärker als jemals, um sie dafür zu strafen, daß sie seinen Liebling hatte ernten

den lassen." §. 175. Talasius ist der Römische Gott der Ehen. So einig man über seinen Ursprung ist, nehm­ lich, daß er bei Gelegenheit des Raubes der Sabinerinnen entstanden sey, so verschieden sind die Erklärungen seines Namens. Einige leiten ihn davon ab, daß No­ mulus dieses Wort bei dem Raube der Sabinerinnen zur Losung gegeben habe; Andere erzählen seinen Ur­ sprung auf folgende Art. Als eine Sabinische Jungfrau von besonderer Schönheit über die Straße geführt wor­ den sey, hätten mehrere sie verlangt; ihre ältern Be­ sitzer hätten ihnen aber zugerufen: wir bringen sie dem Talassius. Weil nun dieser Mann wegen seiner Tu­ gend in großem Ansehen gestanden, so habe jedermann sie mit Vergnügen zu dessen Hause begleitet, und einer dem andern immer zugerufen: dem Talassius! dem Talassius! (nehmlich gehört sie) Eine dritte Erklär rung leitet das Wort von dem Griechischen ab, weil das Geschäft des Wollespinnens für Ehefrauen ge­ hörte, weshalb die Bräute in spätern Zeiten mit Spinn­ rocken, Spindeln und Garn in das Haus des Bräuti­ gams begleitet wurden, was in manchen Gegenden, 6et sonders auf dem Lande, auch noch jetzt geschieht. §. 176. „Quirinus ist der Name des vergötter­ te» Romulus.• AIS die Senatoren» wie es sehr wahr-

102 Pallor. Asus Locutius. Pomona. Jueurna. scheinlich ist, den Romulus getödtet hatten, wollten sie ihre That dadurch bedecken, daß sie ihn zu einem Gott erhoben. Sie gaben vor, er sey vor ihren Augen verschwunden, und nun aus einem guten Könige ein Gott geworden, der seine Stadt für immer schützen werde« Das Volk glaubte es; und als Nnma zur Regierung kam, ordnete er die gottesdienstliche Verehrung des Quir rtnus an. Er setzte neben den Priestern des Jupiter und des Mars noch einen dritten ein, der dem Quirlt II us opfern sollte, und Flamen Quirinalis hieß." §. 177. Pallor und Pavor (Schrecken und Furcht). Diesen Gottheiten gelobte der Feldherr Tullus H ostir lins, in der zweifelhaften Schlacht mir den Fideya« kern, einen Tempel. §. 178. Ajus Locutius, „Als die Semnoni« schen Gallier gegen Rom anrückten, ließ sich eine Stimme hören, die den Römern die Ankunft derselben verkündtgte; aber man achtete sie nicht. Die Gallier kamen wirklich an, und nun glaubte der Senat, die unbekannte Gottheit, die sich Hütte hören lassen, würde auf sie er­ zürnt seyn. Um sie zu versöhnen, bauete man ihr einen Tempel auf der neuen Straße in Rom, und nannte sie Ajus Loeutius oder Loquens." §, 179. Wir kommen nun zu den weiblichen Gottheiten, die in Rom national waren. Dahin ge­ höret Pomoün, die Göttin der Baumfrüchte und der Gärten überhaupt, über deren Erhaltung sie, nebst dem

Veriumnus, wachte. Man bildete sie als eine junge reitzende Frau, in ländlicher Kleidung, in der Hand ei­ nen Korb mit Baumfrüchten haltend oder Früchte in ih­ rem Schooße tragend. §. 180. Juturna, „Diese alte lateinische Göttin «ar die Schwester des Helden Turnus, die einst dem Jupiter gefallen hatte. Ihren Bruder liebte sie so

Earmenta. Feronia.

103

sehr, daß sie an seinem Schicksale den zärtlichsten Antheil nahm. Sie regierte seine» Streitwagen, und als er von dem Aeneaö verfolgt, und seines Schwertes beraubt wurde, eilte sie in einer angenommenen fremden Gestalt zu ihm, und reichte ihm ein andres. Ueber seinen Tod war sie so untröstlich, daß sie sich in den Fluß stürzt?, des» sen Nymphe sie dann ward; weshalb ihr bei Rom, und in Nom selbst, Quellen und Brunnen geheiligt waren." §. 181. „Carinenta, eine andere weibliche Gott» heit, feil d«e Gattin EvanderS gewesen seyn, und Nir kostrara geheißen haben. Sie fühlte öfters Degeister ningen, und gab Orakelsprüche in Versen; daher ihr Name. Plutarch sagt: er komme entweder von dem Ri« mischen Worten Carmen (Lied, Gedicht) her, w?il sie ihre Orakelsprüche in Versen sagte, oder von carere (mangeln) und mens, (Verstand), «eil sie gleichsam unr sinnig gewesen. Man kann beides zusammen fassen; denn die Personen, welche Apoll begeisterte, waren außer sich, wie man aus den Schilderungen der Dichter weiß." §. 182. Canens war die Gattin des Pieus, best sen wir oben (§. 168.) erwähnt haben. Sie wurde, be­ sonders in Latium, als «ine Nymphe verehrt. §. 183. „Feronia war in den ältesten Zeiten wahrscheinlich di? Göttin der Bäume und Früchte, die sie beschützte, daher, wie Livius erzählt, die Eapenaten ihr die Erstlinge der Früchte opferten; dann war sie auch die Göttin der Freigelassenen. Sie wurde vorzüglich verehrt, und besonders war ihr Tempel am Berge Sorakte so berühmt und heilig, daß selbst HannibalS Soldaten, die ihn geplündert hatten, große Haufen des geraubten Erzes wieder hinlegten. Man glaubte, daß die Lieblinge dieser Göttin über glühende Kohlen gehen könn­ ten, ohne sich zu verbrennen. Auf einigen Münzen, auf

104

Egeria. Fortuna. Flora,

denen man ihren Kopf erkennen will, trägt sie «inen Kranz von Epheublättern und Beeren." §. 184. Egeria, eine Nmnphe, oder eine der al-

len Italischen Camenen (weissagenden Göttinnen), ist die Gottheit, mit welcher Numa nächtliche Zusammen« künfte zu haben, und dadurch in dem Dienste der Götter unterrichtet zu werden, vorgab. Schwangere Frauen pflegten ihr zu opfern, um sich eine leichtere Niederkunft zu bewirken. Bei Aricia waren ihr ein Hain und eine Quelle geweihet. §. 185. Fortuna, die Glücksgöttin, war eine Nömische Gottheit, welche auch die Griechen unter dem Na­ men Tüche ('Vi>y;A) kannten. Aber besonders wurde sie von den Römern verehrt, die ihr mancherlei Namen ga­ ben, und fast jedem Stande, Alter und Geschlecht eine besondere Glücksgöttin zueigneten. Ihre Haupttempel waren zu Antium und Präneste. Man bildete sie als eine Frau, die ein Steuerruder in der Hand hält, um davon bei gutem und bei widrigem Winde Gebrauch zu machen. Man pflegte sie auch wohl auf einem Rade oder einer Kugel stehend, und diese Attribute an der Seite habend, vorzustellen. §. 186. „Flora, die Göttin der Blumen, war einst eine Nymphe, Chloris genannt. Sie sahe und liebte dm Zephyrus, der sie entführte und zu seiner Gattin machte. Dadurch wurde sie die Beherrscherin des ganzen Blumenreiches, und lebt in einem ewigen Früh­ linge. Ihre Bäume haben allezeit Laub, und ihr Boden ist immer grün. In ihre Gärten kommen die Horen und Charitinnen, sich Kränze zu binden. Ihr zu Eh­ ren ward jährlich ein Fest gefeiert, welches man Floralia nannte. Blumenkränze zeichnen diese Göttin in den Abbildungen vorzüglich aus. Vom Könige Tatius

Osiris.

105

ward sie mit andern fabinischen Gottheiten nach Nom gebracht. §. 187. UebrigcnS stellten die Römer noch eine Menge abstrakter Begriffe als pcrsonificirte Wesen vor, deren Namen schon für sich allein andeuten, was man unter ihnen verstand. Solche waren: Concordia, Eintracht, Pap, Friede, Fides, Treue, Virtus, Tapfer­ keit, Honor, Ehre, Gloria, Ruhm, Victoria, Sieg, Pudor, Scham, Juventas, Jugend, Liberias, Freiheit, Pallor und Pavor, Schrecken, FebrtS, Fieber, Paupertas, Armuth, Stupor, Erstaunen u. s. w. Alle diese Begriffe personificirte man, und stellte sie mit ihren Attributen vor, welches hauptsächlich die Maler, Bildhauer und Dichter thaten, ohne daß diese personificirten Wesen darum allgemein von dein Volke als Gottheiten verehrt wurden. Auch die Griechen per­ sonificirten dergleichen allgemeine Begriffe, doch, wie es scheint, nicht so häufig, als di« Römer. §. 188. Endlich hatten die Römer noch Götter, die sie nicht, wie die übrigen, aus Griechenland, sondern aus noch entfernteren Ländern, nach Rom verpflanzt hatten. Solche waren dieAegyptischenGottheiten Osiris, Anu­ bis, die Isis und andre. §. 189. Osiris, bei den Aegvptern Symbol der Sonne, dann auch des Nils, Bbuder und Gatte der Isis, so vereinigt die beiden höchsten Genien Aegyptens. Folglich war Osiris Wohlthäter des Landes, Erfinder des Ackerbaues, der gute Genius Aegyptens. Mit der Vor­ stellung von ihm vermischte sich die Sage von einem ur­ alten Könige Aegyptens, den man als Wohlthäter seines Volks und den Stifter aller Kultur verehrte, und der eben in dieser Hinsicht große Aehnlichkeit mit dem Bakchus der Griechen hat. Mit der Isis erzeugte er den Horns und nach seinem Tode den Harpokrates.

106

Isis. HarpokrateS. Anubis.

Man verehrte ihn unter dem Bilde eines Königs auf einem Throne sitzend, mit einer hohen Königlichen Mütze geziert, über welcher die Sonnenscheibe und die heilige Schlange, Symbol der Unsterblichkeit angebracht sind. In den ägyptisch-griechischen Vorstellungen erscheint er

oft mit dem Gelreidemaaß ans dem Kopf, oder mit einer eigenen Kopfbedeckung Kalanthika, einer Mütze, deren Seitenflügel an den Seiten des Kopfs bis auf die Schul­

tern herabfallen. Unter der Isis, der ersten aller Aegyptischen Gott­ heiten, der Gemahlin des Osiris, dachte man sich di« Natur, als Mutter und Ernährerin aller Dinge, auch den Mond, als Ursache der Fruchtbarkeit bei der Ur­ welt und in so fern einerlei mit der alles Hervorbringenr den Natur. Man bildete sie oft als eine Frau, stehend und sitzend, mit der Lotusblume, dem Symbol der ägyp­ tischen Dämonen, auf dem Haupte. Sie trägt ein knapp anliegendes Unterkleid; ihr Mantel ist auf der Brust auf eine eigenthümliche Weise in einen Knoten zusam­ mengeschlagen und befestigt. In der Hand hält sie oft das Sistrum, ein musikalisches Instrument, dessen man sich bei ihren gottesdienstlichen Verehrungen bediente, — Zuweilen hat sie auf ihrem Schooße ihren Sohn Harr pokrates, Symbol der Sonne im Frühling bei den Aegyptern, den die Griechen zu einem Gott des Still­ schweigens und verborgener Geheimnisse machten, weil die auf den Mund gelegte Hand dies bezeichnen konnte. §. 190. Anubis — das Bild der Sonne in der höchsten Jahreszeit oder gegen den Aufgang des Sirius, der den Aegyptern die Annäherung der Nilüberschwem­ mungen andeutet — war oft Begleiter des Osiris und der Isis. Er wurde als ein junger Mann mit einem Hundskopfe abgebildet.

Die Griechen trugen auf ihn die

Apis. Serapis.

107

Idee des Hermes oder Merkurius über und deshalb führt er auch den Caduceus desselben. Apis, Mnevis und Onuphis, Symbole des Nils, in der Gestalt lebendiger Stiere. Der Apis mußte von schwarzer Farbe seyn, und auf der rechten Seile einen weißen Flecken tn Gestalt eines halben Monr des, auch vor der Stirn und auf dem Rücken Flecken von bestimmten Formen haben. Nach seinem Tode wurde er durch einen andern ersetzt. Er diente den Aegyptern auch zum Orakel. Eben so war Serapis (das heißt Nilmesser) auch ein Symbol der Sonne und des Nils und seiner Frucht­ barkeit. Er hatte auf dem Kopfe ein Gelreidemaß oder eine» Fruchtkorb. Die Griechen trugen ihre Idee vom Pluto auf den Serapis über, und nun ward er Gott der Unterwelt; so ward er auch als Gott der Heilkunst angesehen und oft mit Aeskulap verwechselt. 3» Alexan­ dria hatte er einen prächtigen Tempel, das Serapeum, bei welchem sich eine große Bibliothek befand. In Rom hatten Isis und Serapis gemeinschaftliche Tempel.

108

Heroen.

Zweiter Theil.

Von den Heroen, nebst einer Reihe mytho­ logischer Erzählungen. Von §. 191.

den

Heroen.

-Heroen oder Halbgötter waren bei

den Griechen und Römern (f. §. 16.) solche Männer, die sich bei Lebzeiten durch große Thaten, oder durch andere ungewöhnliche, vorzügliche Eigenschaften Ruhm erwarben, und die nach ihrem Tode zu Göttern erhoben, und als solche verehrt wurden. Ihre Abstammung gab man ge­ wöhnlich so an, daß der Vater eine unsterbliche Gott­ heit, die Mutter aber eine sterbliche Frau, oder der Va­ ter ein Mensch und die Mutter eine Göttin gewesen sey. Bisweilen ward ihre göttliche Abkunft auch von dem Großvater oder der Großmutter, oft auch von noch ent­ fernteren Voreltern, abgeleitet. Die Stammtafeln entstan­

den größten Theils daher, daß man ausgezeichnete Men­ schen auf solche 2[rt ehren wollte, oder daß der roh« Ver­ stand wirklich glaubte, ungewöhnliche, große Thaten könn­ ten nur durch Söhne oder Enkel von Göttern verrichtet werden. Zuweilen ersetzte auch diese vorgegebene göttliche Abstammung den Mangel an wahren Nachrichten von dem eigentlichen Ursprünge des Mannes oder der Fami­ lien, die sich bei ihren Zeitgenossen, oder bei der Nach­ welt, Ruhm upb Dank erworben hatten.

Heroen.

109

§. 192. Großen Männern aller Art gab man die­ jenigen Gottheiten, mit deren Amt und Verrichtungen ihre eigenen Neigungen, Beschäftigungen und Thaten Aehnlichkeiten hatten,, zu Vätern oder Müttern. So gab man einem witzigen und beredten Manne den Merkur zum Vater; einem Tonkünstler oder Dichter den Apoll; einem großen Philosophen (wie dem Plato) gleichfalls den Apoll; dem Sttfter oder Beherrscher eines großen Reiches den Jupiter, u. s. w. Ueöerhaupt aber bezeich­ net man durch den Namen Heroen große Helden, be­ sonders solche, die vor, in, oder bald nach dem Trojani­ schen Kriege lebten. Die ersten und ältesten Heroen wa­ ren die Titanen, die Giganten; die Könige Jnachus und Ogyges; ferner Japetus und Prome-theus, Cekrops, Deukalion, Amphiktyon, Hadmus, DanauS, Bellerophon, Perseus, Pelops, Minos mit seinem Enkel gleiches Namens, und endlich Herkules. Auf sie folgen die Heroen zur Zeit des Argonauten-Zuges: Thesens, Chiron, Jason, Kastor und Pollu.r, Meleager, Peleus, Jphiklus, Lynkeus, Telamon, Admct, TjphyS, Or­ pheus; auf diese die Heroen zur Zeit des ersten Thebanischen Krieges, als: Kapaneus, Tydeus, Hippomedon, Parthenopäus, Amphiaraus; dann die Helden des zweiten Thebanischen Krieges: Alkmäon, Polydorus, Thesimenes und Aegialeus; und nach diesen die Helden des Trojanischen Krieges. Ihrer

sind so viele, daß wir sie nicht alle, sondern nur die vor­ nehmsten unter ihnen, namentlich angeben wollen. Sie waren: Priamus, Hektor, Paris, Anchises, Ae-e neas u. s. w. auf Trojanischer, und Agamemnon, Achilles, Menrlaus, Ajax, Ulysses, Dromedes, Nestor, Patroklus, Pyrrhus oder Neoptolemus, u. s. w. auf Griechischer Seite. Man dachte sie

110

Japetus.

sich nach ihrem Tode als Schutzgeister der Menschen,

wies ihnen auch wohl als Dämonen ihren Aufenchalt in den oberen Regionen der Lust an, und verehrte sie, entweder auf ihren wirklichen Grabmählern, oder in Ehrendenkmählern, welche ihr Grabmahl vorstellten (Kenor taphia), oder in einer Art von Tempeln (Heroa), durch besondere Ceremonien und Formeln, die sich von

denen bei der Verehrung der höhertt und übrigen Gott­ heiten unterschieden. §. 193. Wir wollen nun eine Reihe mythologischer Sagen und Geschichten aufstellen, worin die Thaten und Begebenheiten der vornehmsten Heroen, und andrer im Alterthum berühmter Männer und Frauen, vorkommen. — Einer von Saturns Brüdern hieß Japetus; er war einer der Titanen (oder Söhne der Gäa, welche auch Titäa hieß), die den Jupiter von dem Throne, welchen er seinem Vater geraubt hatte, wieder ver­ drängen wollten. Er hatte zryei Söhne, Namens Pro­ metheus und Epimetheus, von welchen jener der be­ rühmteste ist. Die Mythologie erzählt von Prometheus, daß er biedersten Menschen aus Thon gebildet, und zu ihren Bestandtheilen auch etwas von den Thieren, als von dem Löwen den Zorn, von dem Hunde den Neid U. s. w. hinzu gemischt habe. Nach der Zeit bestieg er den Olymp, stahl dem Jupiter das Feuer, welches er in einem hohlen Rohre verbarg, und verpflanzte es auf die Erde. Durch diesen Raub und seinen Trotz gegen Jupiter zog er sich den Zorn des Gottes der Götter, und eine fürchterliche Strafe zu; denn Jupiter ließ ihn an das Gebirge Kaukasus in Asien schmieden, und schickte einen Geier ab, der ihm die Leber aushacktc. Diese schmerzhafte Plage mußte Prometheus alle Tage

erdulden, weil ihm die Leber immer wieder aufs neue wuchs, biS endlich Herkules kam, und ihn befreiete.

Prometheus. Epimetheus. §. 194.

111

Unter der Geschichte des Prometheus

liegen wahrscheinlich alte historische Data verborgen. Er war vermuthlich der Erfinder von mancherlei mechanir schen Künsten, hauptsächlich von solchen, die durch Feuer betrieben werden, vielleicht der Schmiede» Töpfer» oder Koch-Kunst. Daß er das Feuer vom Himmel holte, deu» tet vielleicht auf die erste Benutzung eines durch den Blitzstrahl entzündeten Feuers, und die Verfolgungen von Seiten des Jupiter auf die Nachstellungen des Nei­

des, welche noch jetzt fast jeder Mann von Talenten und Verdiensten zu erdulden hat. §. 195. Vom Epimetheus, dem Brüder des Pro»

metheus, erzählt die Mythologie, daß er der Mensch­ heit eben st sehe schadete, als sein Bruder ihr nützte; denn er heirathete die Pandora, und verbreitete dadurch mancherlei Unheil in der Welt. Die Geschichte der Pan­ dora erzählen die Dichter auf folgende Art: Jupiter

ließ, über den Feuerraub des Prometheus erzürnt, durch die Götter ein reihendes Weib aus Erde und Was­ ser verfertigen, und mit mancherlei Gaben gleichsam aus­ statten. Vulkan vollendete ihre zierliche Gestalt; Mi­ nerva verlieh ihr die Kunst des Webens, des Stickens und der WohlredeNheit; Venus und die Horen gaben ihr das ganze einnehmende Wesen der Liebe, und die Kunst des Putzes; Merkur Schmeichelei und Verstel­

lung. Mit diesen Vollkommenheiten ausgerüstet, ward Pandora durch den Merkur an den Epimetheus abgeschickt. PromethenS wa-rnte seinen Bruder vor diesem reitzenden, aber triegrrffchen Geschenke/ doch ohne Erfolg. Pandora hatte unter andern vom Jupiter auch ein Gefäß erhalten, worin sich vielerlei Uebel be­ fanden. Dieses öffnete sie; und plötzlich fuhr großes Un­ heil heraus, das vorher nicht auf der Erde war: die ein­

zig« Hoffnung blieb in dem Gefäß zurück.

112

Titanen. Giganten.

§. 196. Der Krieg der Titanen (Titanomachie S. §. 17.) mit dem Jupiter ist in der Mythologie sehr berühmt. Diese Titanen, welche die Dichter als unger heure Riesen beschreiben, waren Brüder des Saturnus, und nahmen sich seiner an, als ihm Jupiter, sein Sohn, di« Regierung geraubt hatte. Sie zogen Wider den letzlern aus, und niachten sich ihm und seinen Anhängern sehr furchtbar, wurden aber überwunden, und von dem Jupiter in den Tartarus eingekerkert. §. 197. Um sie zu befreien, verbanden sich die Gi< ganten, gleichfalls Söhne der Gäa, und Riesen wie jene, wider den Jupiter, und erregten einen Krieg (Gir gantomachie S. §. 18.), der noch schrecklicher war, als der erste. Denn sie hatten, nach der Schilderung der Dichter, «ine so gewaltige Stärke, daß sie di« Berge Ossa und Pe lion über einander chürmten, und auf diese Weise den Himmel zu stürmen suchten. Aber Jupiter empfing sie mit seinen Blitzen; die übrigen Götter und Göttinnen standen ihm bet, und die Giganten wurden überwunden, obgleich, wie ein Dichter sagt, das Schrecken der Götter Anfangs so groß war, daß sie nach Aegypten flohen, und sich dort unter Thiergestalten verborgen hiel­ ten. (Vielleicht eine Anspielung auf die Gestalten, unter welchen die Gottheit bei den Aegyptern verehrt wurde.) ■— Zur Strafe für diese Rebellion kerkerte sie Jupiter im Innern der Erde, unter Bergen und Inseln, ein. $. 198. Einer von den Titanen, der es mit den andern nicht hartnäckig gehalten zu haben scheint, war Atlas, dessen schon oben (§. 144.) erwähnt worden ist.

Seine Tochter war die reibende Nymphe Kalypso, welche di« Dichter als Beherrscherin einer Insel im mittelländi­ schen Meere beschreiben. Ulysses, der auf seiner Irr­ fahrt zu ihr kam, hielt sich einige Jahre bei ihr auf. Außer der Kalypso werden dem Atlas

noch

sieben Töchter

Deukalron. Hellen. AeoluS.

113

Töchter zugrschrieben, die am Himmel das sogenannte Siebengestirn ausmachen, und mit einem allgemeinen Namen Plejaden genannt werden. §. 199. Ein Sohn des Prometheus hieß Dem kalion, und war ein Fürst in Thessalien. Er heirathete die Tochter seines Oheims, des Epimetheus, welche Py rrh a hieß. Zu seiner Zeit überschwemmte einen Theil von Thessalien, um Do do na her, eine große Wasserfluth, welche in der Geschichte die Deukalionische Ueber« schwemmung genannt wird. Die Dichter erzählen, daß von allen damals lebenden Menschen niemand übrig ger blieben sey, als Deukalion und Pyrrha. Ihr Fahr­ zeug, auf welches sie sich gerettet hatten, blieb, nachdem das Wasser gefallen war, auf dem Thessalischen Gebirge

Parnassus hangen. Sie sahen sich hier in der ganzen Welt allein, und nahmen nun ihre Zuflucht zu dem Orakel, welches sich daselbst in einem alten Tempel der Themis be» fand. Dieses antwortete auf ihre Frage: was sie nun anfangen sollten? nach Art der Orakel, sehr unbestimmt und zweideutig: sie sollten die Gebeine ihrer Mutter hinter sich rverfen. Sie deuteten dies auf die Steine in der Erde, und fingen an, diese hinter sich zu werfen. Die, welche Deukalion warf, wurden Männer, und die, welche Pyrrha warf, Weibspersonen. Diese verr heiratheten sich, und bevölkerten die Erde aufs neue. §. 200. Ein Sohn des Deukalion hieß Hellen, von welchem die Hellenen, oder'Griechen, ihren Na­ men erhielten. Der Sohn des Hellen war Aeolu-

(wclchen man nicht mit dem Gott der Winde verwechseln muß), der Stifter des AeolischrGriechischen Völkerstamr mes. DesAevlus Sohn warSisyphuS, vondemwir weiter unten reden werden. Diese Stammtafeln finden sich zwar in deu allen Schriftstellern; doch niemand kanss nns dafür stehen, daß sie nicht erdichtet sind. Damms [8]

114

Die Weltalter.

§. 201. Die alten Dichter schildern unS auch den Zustand der ersten Menschen. Ihr Ursprung, er­ zählen einige, war der Schlamm, der auf der Erde lag, welchen die Strahlen der Sonne erwärmten, und dadurch

gewisse darin verborgene Keime entwickelten und ausbil­ deten, aus welchen die Menschen entstanden. Diese leb­ ten Anfangs ohne Zucht und Ordnung, lebten in Höhlen, aßen wilde Früchte und Eicheln, schlachteten und verzehr­ ten sich auch wohl unter einander selbst. Aber nach und nach standen unter ihnen gesittete und kluge Männer auf, die fle zu einer menschlichen Lebensart anführlen und sie in Gesellschaften oder Horden vereinigten. §. 202. Die Ausbildung des ersten Menschengeschlechts und dessen Geschichte theilen die Dichter in drei Epo­ chen oder Zeitalter: in das goldene, silberne und eherne. Das erstere hieß darum das goldenes weil die Menschen während desselben im größten Ueberfluß, in der glücklichsten Ruhe, in völliger Unabhängigkeit, und zugleich sehr tugendhaft und unbescholten, gelebt haben sollten. Diese selige Zeit fiel in di« Regierung des Kro­ nos. Die Seelen der Menschen, welche in diesem Zeit­ alter lebten, sind die Seligen, die Unsichtbar auf der Erde umher wandeln, die Thaten der Menschen beobach­ ten, und den Guten allerlei Gutes zutheilen. §. 203. Auf das goldene folgte das silberne Zeit­ alter, unter der Regierung des Zeus. Es war schon schlechter und verderbter als das erste, aber doch immer noch um vieles besser, als das dritte. Die Menschen waren während desselben schon nicht mehr so groß und

stark von Körper, auch nicht mehr so weise und tugend­ haft, und erwiesen schon den Göttern die gebührende Ver­ ehrung nicht mehr so, wie in der goldenen Zeit. §. 204. Das eherne oder eiserne Zeitalter war

Die Weltalter. Danae. Perseus.

115

die Zeit der Heroen und Helden, deren Namen und Thar ten die alte Geschichte aufbehalten hat, und die vorzüglich

in den zwei Thebanischen Kriegen, und in dem Trojanir scheu, berühmt geworden sind. Hieher gehören die Zeiten des Kadmus und Jason, bis auf den Agamemnon und dessen Mitkrieger. Denn bald nach dem Trojanischen Kriege folgt das eiserne Zeitalter, obec. — was einerlei ist — die Zeit, wo die wahre Geschichte mit einiger Zur verlässigkeit anfängt. Alles Vorhergehende ist entweder Fabel, oder durch Erdichtungen verunstaltete historische Wahrheit. — Uebrigens waren die Menschen zu der eherr nen Zeit schon merklich kleiner und schwächer, als vorher, zngleich aber auch lasterhaft und unglücklich. §. 205. Akrisiu-s war ein Fürst der Argiver im Peloponnesus, welches Fürstenthum Jnachus, ein Sohn des Oceanus, (d. h. ein über das Meer gekommener Mann) fünfhundert Jahre vor der Zeit des AkrisiuS gestiftet hatte. Dem letzteren wurde geweissagt, daß sein Enkel ihn ermorden würde. Um dieses Unglück zu verr meiden, blieb er lange Zeit unverheirathet. Endlich aber vermählte er sich doch, und zeugte eine Tochter, die er zum Andenken seiner langen Enthaltsamkeit Danae nannte. Als diese mannbar wurde, sperrte er sie, der Weissagung immer noch eingedenk, in einen ehernen Thurm, und ließ sie genau bewachen. Aber Zeus, der den bedrängten schönen Mädchen gern zu Hülfe kam, verwandelte sich in einen goldenen Regen, und gelangte auf diese Art, durch die obere Oeffnung des Hauses, zu der Danae. §. 206. Sie gebar einen Sohn,- welchen sie eine Zeit lang vor ihrem Vater verborgen hielt. Aber er entdeckte bald nachher das Geheimniß, und ließ die Mutter mit ihrem Sohn in einen Kasten legen, und in's Meer werr fen. Dieser Kasten trieb bei der kleinen Insel Seri< [8*]

116

Danae. Perseus.

pH ns im Griechischen Meere an's Land.

Die Schönheit der beiden Unglücklichen rührte den Dictys (welcher die Küste beherrschte, und ein Halbbruder des Polydeckt es, des Fürsten der Insel, war), und bewog ihn, sie aufzu­ nehmen, und den Sohn, welcher Perseus genannt wurde, sorgfältig zu erziehen. §. 20". Andere erzählen: der Kasten sey nach Apu­ lien geschwomnien; der dasige Fürst Pilumnus habe die Danae geheirathet, und mit ihr den Daunus ge­ zeugt. Dieser Daunus zeugte mit der Nymphe Benil ia den Turnus, welcher ein Held in Virgils Aenetde ist. Aber die meisten Schriftsteller verlegen die Landung der Danae nach der Insel Seriphus. §. 208. Akrisius Halle einen Bruder, Namens Prv etu s, der ihn bald nachher der Regierung entsetzte. Eü ist nicht unwahrscheinlich, daß dieser Pr-oetuü der vorgegebene Zeus war, und sich vermuthlich durch Be­ stechungen, weiche man füglich einen goldenen Regen nen­ ne« kann, den Weg zu der schönen Danae bahnte» §. 209. AIS Perseus erwachsen war, reiset« er, entweder freiwillig, oder auf ausdrückliches Verlangen sei­ nes PflegevatersPoiydektes, von SeriphuS ab, um die Gorgonen anzugreifen, die sich auf einer Insel des mittelländischen Meeres befanden. Es waren, nach der neueren Fabel, drei Schwestern, Namens Stehno, Eury a le, und Medusa. Die Litere Fabel kennt nur Eine Gorgone, namentlich dieMedusa, gegen welch« P e r se u S auszyg, und welcher er nachmals den Kopf abhieb. Sie war die Tochter eines Fürsten, Namens Phorkus oder Phorkys, der ein Sohn d«s Neptunus war, und in einem Seegefechte mit dem Atlas das Leben ver­ loren hatte. — Medusa war so schön, daß sich Rep. tunuö in sie verliebt«. Als er in einem Tempel der

Perseus«

117

Pallas sie umarmte, twvti jene Göttin über diese EntWeihung ihres Heiligthums zornig,» und da sie ihre Nach« an dem NeptunuS nicht auslassen konnte, so wendete sie dieselbe gegen Medusen, und verwandelte die Haare auf ihrem Kopfe in Schlangen. Wer diesen schrecklichen Kopf ansah, ward in einen Stein verwandelt. §. 210. Perseus suchce Medusen auf, und fand sie in der Gegend des Attas. Er näherte sich ihr vermittelst eines unsichtbar machende» Helms, welchen ihm Pallas geschenkt hatte, hiev ihr, während sie schlief, mit einem sichelförmigen Schwerte (einer Arbeit des Vulkan) den Kopf ab, und nahm ihn mit sich. Der Kopf behielt, wie vorher, die Eigenschaft, Alle, die ihn ansahen, i»

Stein zu verwandeln. Aus dem Blute der Medusa erwuchs ein geflügeltes Pferd, Pegasus, dessen sich Perseus bemächtigte, und auf dem er, über Afrika weg, nach den Phönizischen Küsten, hi« flog. Aus den Blutstropfen, welche während dieser Reise von dem Kopfe der Medusa auf die Erde fielen, wurden lauter Schlangen; und daher kommt es, nach der scherzhaften Bemerkung eines alten Dichters, daß Afrika si> voll Schlange» ist. §. 211. Nachdem Perseus diese That glücklich vollbracht hatte, zog er in der ganzen Welt umher, und kam endlich auch in das Gebiet des Königs Atsas, um da­ selbst auszuruhen. Dieser versagte ihm aber ein Nacht­ lager, und zwar aus folgender Ursache: er hame an der Küste des mittelländischen und Atlantischen Meeres einen schönen Garten, dessen Bäume goldene Zweige und gol­ dene Früchte trugen. Diesen Garren umschloß er mit ei­ ner Mauer, stellte an den Eingang desselben einen großen Drachen, und befahl, daß kein Fremder eingelassen werden sollte; weil ihm ein Orakel gesagt hatte, daß er seine gol­ denen Aepfel durch einen Sohn des Zeus verlieren würde.

US

Perseus.

Als er nun erfuhr, daß Perseus ein Sohn dieses Gotr teS sey, versagte er ihm den Eintritt in sein,Reich. Peri se u S wurde darüber zornig, und verwandelte ihn durch das Mebusenhaupt in einen Stein oder Felsen, der noch

jetzt, nebst andern Bergen, die mit ihm zusammenhangen, den Namen Atlas führt. §. 112. An den Phönizischen Küsten erwartete den Perseus ein neues Abenteuer. In jener Gegend regierte ein Fürst, Namens Kepheus, dessen Gemahlin, Kaft siopea, die Eitelkeit gehabt hatte, zu sagen, sie sey schö­ ner als Juno. Diese Göttin, welche auf den Rang ih­ rer Schönheit sehr eifersüchtig war, nahm diese Behaup­ tung übel, und bewog, um sich dafür zu rächen, den Nep­ tun, daß er ein Meeruogeheuer auf das Land schickte, welches die Felder verderben, und Menschen und Vieh, theils rauben, theils erwürgen mußte. In dieser Noth wendete sich der bedrängte Fürst an das Orakel, und be­ fragte es, wodurch die erzürnte Göttin wieder besänftigt werden könne. Hier erhielt er die traurige Antwort: da­ durch, daß er seine einzige sehr schöne Tochter dem Ungeheuer überliefere. Er entschloß sich zur Erfüllung dieses grausamen Verlangens; und Andro­ meda (so hieß seine Tochter) ward an einen Felsen ge­ schlossen. Schon war das Ungeheuer im Begriff seine Deute zu verschlingen, als Perseus kam, es anfiel, und tödtete. Zur Belohnung für diese That erhielt er die Ge­ rettete zur Gattin; er mußte sich aber erst durch einen neuen Kampf ihres Besitzes völlig versichern: denn Phineus, ein Bruder des Kepheus, der ihm, als einem Fremdlinge, dies Glück mißgönnte, stürmte mit Kriegern in d»S Hochzeitszrmmer, und überfiel den Per u s. Die­ ser hätte wirklich der Uebermacht unterliegen müssen, wenn er nicht sein Medusenhaupt genutzt, und feine Feinde in Stein verwandelt hätte. Auf die Regentschaft des Lan-

119

Petseus.

des, die ihm auch übertragen ward, that er Verzicht, und überließ sie einem Andern aus dem fürstlichen Hause.

§. 213.

Nach allen diesen Thaten kam PerseuS

auf die Insel Seriphus zurück.

Er fand seine Mutter

Danae noch daselbst;, aber Polydektes hatte sich wäh­

rend seiner Abwesenheit feindselig gegen sie betragen, wo­ für Perseus

auch

ihn in einen

Stein verwandelte.

Darauf schiffte er nach Argos, wo er aber seinen hart­

herzigen Großvater, den Akrisius,

nicht mehr fand.

Dieser hatte sich entweder aus Furcht vor der Erfüllung des Orakels, oder vor der Rache seines Enkels dafür, daß

er ihn und seine Mutter den Wellen Preis gegeben, ent­ fernt, oder war von seinem Bruder Proetu s vom Throne verdrängt worden.

Gewiß ist es, daß Perseus dem letz­

teren den Thron wieder abnahm, und dessen rechtmäßigen

Besitzer, Akrisius, der nun zum Vorschein gekommen

war, von neuem darauf setzte.

Diese edle That des En­

kels nahm dem Großvater alle Desorgniß,

daß er durch

ihn sein Leben verlieren würde; aber das Orakel behielt

dennoch Recht:

denn als Perseus sich einst mit

der

Wurfscheibe übte, hatte er daS Unglück, den alten Akri­ sius, der zugegen war, so zu treffen, daß er das Leben

darüber verlor.

Perseus folgte ihm in der Regierung,

verlegte aber den Sitz derselben nach Mycenä. §. 214.

„In der übrigen Geschichte des PerseuS

stimrpen alle Nachrichten noch in folgenden Punkten über­

ein: 1) daß er der Erfinder der Diskobolie gewesen sey, d. i. der Uebung, eine runde linsenförmige Scheibe von Eisen, Blei, Kupfer oder Stein (Diskus), in

die Höhe, oder nach einem gewissen Ziel zu werfen, und dadurch körperliche Stärke und Geschicklichkeit ;u

zeigen;

120

Bellerophon.

2) daß tiefe Kunst, in welcher er alle seine Zeitgenossen übertraf, seinem Großvater Akrisius das Leben kostete; 3) daß er hierauf, weil ihn die Stadt Argos immer an den getödteten Großvater erinnerte, und ihm daher Verhaßt war, mit dem benachbarten Könige Megar penthes tauschte, und daher 4) der Stifter des Mycenifchen Reiches wurde. TirynS war eine Zeit lang die Hauptstadt des Reiches gewesen; Perseus wollte sich aber eine neue bauen. Er ging aus, um den Platz dazu zu suchen, und er­ wartete günstige Anzeichen, wo er sie bauen sollte. Unvermuthet fiel der Knopf seines Schwertes ab, und nun glaubte er, der Wille der Götter sey, daß die Stadt an dieser Stellt erbauet werden solle. Daher erhielt sie auch den Namen Mycenä. — Perseus hinterließ sein Reich seinem Sohne Alcäus, und die­ ser dem Amphitryon, dessen Gattin, Alkmene,die Mutter des Herkules war." §. 215. Zu den Zeiten des Perseus lebte Bellervphon, der in der ältesten Fabelgeschichte nicht minder berühmt ist. Dieser edle Korinthier, ein Enkel des berühmten Sisyphus, eines Fürsten zu Korinth, ver­ band mit außerordentlicher Schönheit einen unerschütter-, lichen Heldenmuth. Er hielt sich einige Zeil an dem Hofe des vorhin erwähnten Proetus auf, und hier verliebte sich Ante«, dessen Gemahlin, in ihn. Da er aber ihre Liebe nicht erwiederte, so verleumdete sie ihn bei ihrem Gemahl, als ob er ihr die Ehre, und ihm das Leben rau­ ben wolle. Proetus glaubte ihr. Doch, da ihm die Pflichten der Gastfreundschaft heilig waren, so wollte er den Bellerophon nicht geradezu tödten, sondern schickte ihn mit einem Schreiben zu seinem Schwiegervater Jo­ bs tes, einem Fürsten in Lycien, und gab diesem den

BeHerophon.

121

Auftrag, ihm auf Irgend eine Weise, nur nicht offenbar, das Leben nehmen zu lassen. Jobates übertrug nun "dem Dellerophon allerlei gefährliche Verrichtungen, unter andern den Kampf gegen die Chimüra, ein Un­ geheuer in Speien, welches den Kopf eines Lüwen, den Schwanz eines Drachen, und den Leib einer Ziege harte. Dellerophon tödtete es, und befreiete dadurch das Land von einer großen Plage. Er besiegte ferner die Solym e r, ein tapferes und furchtbares Volk, tidlete die A m a i zonen, die in das Land eingefallen waren, oder in de­ ren Land Jobates ihm einzufallen befohlen hatte, und rettete sich also durch seine Tapferkeit von dem Tode, zu welchem ihn der treulose Jobates bestimmt hatte. Doch in diesem regte sich endlich auch das Gcfuh' der Mensch­ lichkeit, und er gewann den Mann, der solche Thaten geihan hatte, so lieb, daß er ihm seine zweite Tochter, P-h iloUoe, zur Ehe gab, und ihn zu seinem Nachfolger in der Regierung ernannte. §. 216. Hesiodus undPindarerzählen : Dellerophon habe sich bei der Besiegung der Chimäre, des Pegassts bedient. Auf demselben habe er sich empor geschwungen/ und der C h i m ä r a eine Menge Blei tu den Rachen gnborfen, weiches von ihrem eigenen Feuer sogleich zerschmolzen sey und sie erstickt habe. — Eben diese Schriftsteller setzen hinzu: Dellerophon sey durch diese That übermüthig geworden, und habe sich lebendig zum Himmel schwingen wollen. Aber Zeus schickte eine große Bremse, die den Pegasus durch ihre Stiche wild machte, so daß er den Dellerophon abwarf und ihm dadurch eine Lähmung zuzog. §. 217. Zuletzt wurdeBellerophonschwermüthig, theils aus Beschämung über den vorhin erwähnten Fall, theils durch häusliches Unglück. Sein Sohn I sand er verlor in einem Gefechte mit einem räuberischen nichts-

Ogyges. Amphion. Zethus.

122

würdigen Volke das Leben; feine Tochter, La od amia, gebar zwar vom Jupiter denSarpedon, wurde aber nicht lange nachher von der Diana getidtet.

Unfälle raubten ihm Heiterkeit und Ruhe.

Alle diese

Er lebte auf

seinem einsamen Landhause, von der ganzen Welt abge­ sondert, und ließ keinen Fremden vor sich.

Sein Gram

verzehrte ihn nach und nach, und sein Tochtersohn folgte

ihm in der Regierung. §. 218.

Wir müssen hier noch beS OgygeS

er­

wähnen, der schon lange vordemDeukalion lebte, und

«in Fürst in Griechenland war.

Auch zu seiner Zeit war,

nach der Erzählung der Dichter, eine große Ueberschwem-

mung,

welche ganz Griechenland bedeckte, und die Ein­

wohner vertilgte, so daß das Land einige Jahrhunderte

hindurch fast gänzlich wüst lag.

In diese Zeit fällt di«

Geschichte de« Prometheus, der aus Thon Menschen bildete.

Diese Fabel entstand ohne Zweifel daher, daß

er sich die Bevölkerung des öden Landes sehr angelegen

seyn ließ. — UebrigenS lebte Ogyges in so entfernten Zeiten, daß man in der alten Welt alles Alte und Ver­

jährte, Og»)gisch nannte.

Vermuthlich aus eben diesem

Grunde nennt Homer die Insel der Kalypso:

Ogy-

gia; weil er ihre Lage und Umstände nicht näher bestim­

men konnte. §. 219.

Die frühest« Geschichte der Stadt Theben

in Griechenland durchwebt.

ist

mit vielen fabelhaften Umständen

Di« ersten Stifter dieser Stadt waren die

beiden Brüder Amphion undZethus, Söhn« des Ju­

piter, die er mit der Antiope, einer Tochter des Thedänischen Stroms Asopus, erzeugt hatte.

Die Dichter

sagen vom Amphion, er habe die Lyra so künstlich und so bezaubernd spielen können, daß sich die Steine von selbst

herzu gewälzt und die Erbauung der Mauern erleichtert hätten.

Eigentlich waren Amphion und Zethus wohl

Dirce. LokruS. Kadmus.

123

rin Paar gütige und weife Fürsten, welche dir rohe Ge« müthüart ihrer Unterthanen zu mildern, und durch ge< linde Nachgiebigkeit nach ihren Absichten zu lenken wußt trn; obgleich Zethus ein wenig geneigter zur Strenge gewesen seyn soll, die indeß Amphion oft billigen mußte, wenn Nachgiebigkeit und gelindes Zureden nicht immer helfen wollten. — Der Bach Dtrce oder Dirca bei Theben hatte seinen Namen von der Stiefmutter der erwähnten beiden Brüder, mit der sich ihr Vater, als er die Antiopa verstoßen hatte, vermählte. Nach dem Tode des Fürsten banden Zethus und Amphion die Dir ce einem wilden Stiere an die Hörner, und ließen sie so zu Tode schleifen, um dadurch Rache für die Beleidigungen zu nehmen, welche sie ihrer Mutter zugefugt hatte. Liese Handlung ist in einem der berühmtesten Kunst« werke des Alterthums, der großen marmornen Gruppe vorgestellt, welche, unter dem Namen des Farnesischen Stiere-S, noch heut zu Tage auf einem Platze in Near pel prangt. Von dem Dache hieß es nun, er sey aus dem Blute der Hingerichteten Dirce entstanden, und man brauchte das Beiwort D i r c ä i sch ost anstatt T h e b a n i sch. §. 220. Ein gewisser Lokrus leistete beiden Brü­ dern, als sie ihre Stadt erbaueten, wichtige Dienste. Er war ein Sohn des Jupiter und der schönen Mära (einer Tochter des Proetus und der Antea), die sich Anfangs der Diana widmete, und ewige Keuschheit ge­ lobte, nach der Zeit aber ihr Gelübde brach, und von der erzürnten Göttin getödtet wurde. Ihr Sohn, Lokrus, ist in den ältesten Griechischen Sagen sehr berühmt. §. 221. Als die ersten Erbauer der Stadt Theben gestorben waren, ließ ein benachbarter Fürst der PH le­ gier, Namens Eurymachus, dem diese wohl befestigte Stadt in seinen Räubereien hinderlich war, die Festungs,

124

Agenor. Kadmus. Europa,

werke wieder einreißen- bis späterhin Kadmus kam, und sie ans's neue gründete. §. 222. Dieser Kadmus war der Sohn des Phö-

nicischen Fürsten Agenor, und der Bruder der in der Mythologie so berühmt gewordenen Europa. Jupiter wurde durch ihre Schönheit gereitzt, sich in erntn Stier unter der Heerde des Agenor zu verwandeln. Da eüin seiner Macht stand, der Stiergestalt alle Reitze zu geben, deren sie fähig ist, so fielen sein schöner Dau, seine Farbe und sein stattlicher Kopf der Prinzessin auf. Sie sah ihn oft auf ihren Spaziergängen, vergnügte sich an seinem um schuldigen, zahmen Wese«, gab ihm aus ihrer eigenen

Hand zu fressen, u. s. w. Einmal, als er still am Ufer lag, fiel es ihr ein, sich auf ihn zu setzen: er litt es geduldig, stand behutsam auf, ging langsam an den Rand des Ufers, und sprang plötzlich in das Meer hinunter.

Europa hielt sich, um nicht ins Wasser zu stürzen, an seinen Hörnern fest; und so trug der Stier sie ohne Ge­ fahr und mit großer Geschwindigkeit über das Meer nach der Insel Creta, — Wenn dieser Fabel etwas Wahres zum Grunde liegt, so ist es wohl nichts anderes, als daß ein Cretensischer Fürst die Europa entführte, und zwar auf einem Schiffe, welches einen Ochsen zum Zeichen hatte und vielleicht durch seine schöne Bauart die Prin­ zessin verleitete, an Bord zu kommen. — Von dieser Eu­ ropa hat der Erdtheil, welchen wir bewohnen, seinen

Namen. §. 223. Noch müssen wir vom Agenor, dem Va­ ter der Europa und des Kadmus, sagen, daß er ein Sohn des NeptunuS und der Lybi«, einer Tochter des Epaphus, war; von welchen weiter unten die Rede seyn wird. Seine Gemahlin hieß Kassiopea, und sein Bruder war Belus, gleichfalls Fürst eines Theils von Phönikien und Aegypten.

Europa. Kadinus.

125

§. 224. Sobald Enropa vermißt wurde, bekam Kadmus von seinem Vater Befehl, sie aufzusuchen, und sie entweder mitzubringen, oder selbst nicht wieder zurück zu kommen. — Nachdem er lange Zeit auf dem mittet; ländischen Meere umher geschifft war, und seine Schwester entweder nicht hatte finden, oder sie nicht zur Rückkehr nach Tyrus bewege« können: landete er mit seinem Ge; folge in Griechenland, um sich daselbst niederzulaffen. AIS er das Orakel über diesen Plan befragte, erhielt er zur Antwort: er würde «ine herum schweifende Kuh antreffen; dieser solle er folgen, und die Gegend, wo sie sich nieder­ lege, «erde eine Ruhestätte für ihn und seine Gefährten seyn. Dies traf denn die Gegend der damals wüste Ur; genden Stadt Theben in Böotien. §. 225. Hier lagerte sich Kadmus, und schickte einige seiner Leute aus, um Quellwasser zu suchen. Doch er erwartete ihre Rückkehr vergebens, da ein großer Drache sie ermordet und verzehrt hatte. Kadmus, den ihr Wer; lust betrübte und erbitterte, suchte das Ungeheuer auf, und erlegte eS nach einem gefährlichen Kampfe. Nun er; hielt er von Minerven den Befehl, die Zähne des Dra; chen in die Erbe zu säen und den Erfolg zu erwarten. Sogleich wuchsen bewaffnete Männer aus der Erde her; vor (Sparten genannt); sie geriethen aber in Streit, und tödteten einander, bis auf fünf. §. 226. Diese Fabel läßt sich vielleicht auf folgende Art erklären: Der Drache war ein Räuber; seine Zähne bedeuten die Leute, welche er bei seinen Räubereien brauchte; und diese Zähne in die Erde säen, heißt viel; leicht, sie den Ackerbau lehren und zu Unterthanen machen. Daß sie sich unter einander veruneinigten und erschlugen, bedeutet wohl einen Aufruhr, in welchem sich einige für, und andere wider denKadmus erklären. Die ersteren siegten, obgleich sie selbst bis auf fünf erschlagen wurden.

Harmonia. Aktäon.

126 §. 227.

Die fünf hielten es von nun an getreulich

mit dem Kadmus, der durch ihren und seiner Gefahr«

ten Beistand das verwüstete Theben aufS neue in Stand

fetzte, und es zu einer ansehnlichen Stadt erweiterte. — Zwar weiß der älteste Dichter von den jetzt erzählten De«

gebenheiten des Kadmus nichts; so viel aber erhellet auch aus ihm, daß ein Phönikischer Fürst dieses Namens nach Griechenland gekommen, und der Stifter des The«

dänischen oder Döotischen Staates geworden ist. — Dieser Kadmus soll um eben die Zeit, da unter den Israeliten Josua lebte, nicht nur die Buchstaben, sondern auch mehr

rere wichtige Erfindungen, welche die Kultur befördern konnte», in das damals noch rohe und ganz unwissende Griechenland gebracht haben.

Aegypten und Phöni«

cien, Länder, welche jetzt wieder in Barbarei versunken

sind, waren nehmlich das Vaterland der Künste und Wifi senschaften, welche aus ihnen in andere Länder verpflanzt wurden. §. 228.

Die Gemahlin, welche Kadmus sich erst

tn Griechenland genommen hatte, hieß Harmonia. Sie war eine Tochter deS MarS und der Venus, und durch Schönheit so ausgezeichnet, wie durch Güte des Herzens. Wohin ihr Einfluß sich erstreckte, da waren Ruhe, Einig«

keit und Wohlstand.

Mit ihr lebteKadmus bis indaS

späteste Alter glücklich, und sahe Kinder und KindeSkinder. Doch hatte er

auch Unannehmlichkeiten,

besonders an

seinen Töchtern; und die neuere Fabel sagt: er habe sich in hohem Alter mit seiner geliebten Gattin nach Illyrien

begeben, wo beide in zwei große Schlangen verwandelt worden wären. §. 229. Einer von den Enkeln des Kadmus hieß

Aktäon, den AristäuS mit der Autonoe, des Kad­ mus Tochter, gezeugt hatte.

AristäuS war ein großer

Liebhaber der Jagd, und von ihm erbte sein Sohn diesen

Semele. Hang,

127

der für ihn in der Folge so verderblich wurde.

Einmal nehmlich verlor Aktäon sich von seinen Leuten,

und verirrte sich tief in den Wald.

Hier traf er auf

Dianen, die sich mit ihren Nymphen in einem kühlen und klaren Dache badete.

Die Göttinn der Keuschheit

erschrak, und war aufgebracht darüber, daß ein sterbliches Auge, und noch dazu ein männliches, sie nackend gesehen

haben sollt«; sie nahm daher eine Handvoll Wasser aus dem Dache, und warf sie ihm in's Gesicht, wodurch er

sogleich in einen Hirsch verwandelt wurde.

Seine Jagd«

genossen erblickten ihn bald; nun wurde er angejagk und von seinen eigenen Hunden zerrissen. §. 230. Eine Tochter des Kadmus, Namens Se«

mele,

wurde" von dem Jupiter geliebt und umarmt.

Juno erfuhr die« Verständniß.

Um sich zu rächen, kam

sie in der Gestalt einer alten Fra«, welche Semele kannte, und welche um ihre Liebe wußte, zu dieser, unb

erregte bei ihr den Zweifel, ob ihr Liebhaber der wirkliche oder nur ein ein vorgeblicher Jupiter sey.

„Sie könne

dies," sagte Juno dann, „nicht gewisser erfahren,

als

wenn sie ihn bitte, einmal eben so zu ihr zu kommen, wie

er bei seiner rechtmäßigen Gemahlin Juno erscheine."

Semele bat den Jupiter bei dem ersten Besuche, den er ihr machte, um die Gewährung einer Ditte, und er

schwur bei dem Styp, sie zu erfüllen.

Nun mußte er

Wort halten, ob er gleich die unglücklichen Folgen für

die ungläubige und neugierige Semele vorher sah.

Er

erschien also unter Donner und Blitz.

als

Semele,

Sterbliche, ertrug den Anblick ftiner Majestät nicht, und starb.

Doch rettet« Jupiter das Kind, welches sie um

ter ihrem Herzen trug.

Da es noch nicht ausgebildet

«ar, so macht« er «ine Oeffnung in seiner Lende, und ließ

hr Blut färbt« sich die Frucht de- Maulbeerbam mes schwarz, und diese Farbe behielt sie auf immer. §. 434. Auch das Schicksal der Tro