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German Pages 21 [40] Year 1908
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DIE
ZEICHENKUNST METHODISCHE DARSTELLUNG DES
GESAMTEN ZEICHENWESENS UNTER MITWIRKUNG VON
A. ANDEL, LUDWIG HANS FISCHER, M. FÜRST, 0. HUPP, A. KULL, KONRAD LANGE, A. MICHOLITSCH, ADOLF MÖLLER, PAUL NAUMANN, F. REISS, A. v. SAINT-GEORGE, KARL STATSMANN, R. TRUNK, J. VONDERLINN UND HERMANN WIRTH HERAUSGEGEBEN VON
KARL KIMMICH ZWEITE VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE MIT Ii57 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 60 TAFELN IN FARBEN- UND LICHTDRUCK 23 LIEFERUNGEN à 1 MARK UND 2 EINBANDDECKEN à 1 MARK KOMPLETT IN 2 ORIGINALLEINENBÄNDEN 25 MARK
LEIPZIG G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG
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Die Entstehung der Kunstform.
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auch um die1 Herstellung nicht unnötig zu verteuern, eine möglichste Beschränkung der Farbenanzahl. (Durch Überdruck verschiedener Farben können neue Töne gewonnen werden. Tafel XXXX.) Der Holzbildhauer hat mit der Härte und dem Wuchs des Holzes (Maserung) zu rechnen, und seine Formen werden anders ausfallen, wie die des Steinbildhauers oder wiederum des Ziseleurs. Es sind daher bezüglich der sachgemäßen Berücksichtigung des Stoffs und der Technik einige wichtige Stilgesetze zu beachten: i . Die F o r m s o l l d e n n a t ü r l i c h e n B e d i n g u n g e n d e s M a t e r i a l s nicht widersprechen. In Tuffstein auszuführende Formen können z. B. nicht so ins Zierliche gehen, wie solche, die der Goldschmied in Edelmetall ausführt.
Fig. 783.
Fig. 784.
2. D i e F o r m s o l l i n d e r j e d e s m a l i g e n T e c h n i k s o v o l l e n d e t als m ö g l i c h z u m A u s d r u c k g e l a n g e n und g l e i c h s a m natürlich a u s i h r h e r v o r g e h e n . Eine Schablone z. B. soll die einmal notwendigen Halter zu ihrer vorteilhaften Erscheinung benutzen. 3. E i n S t o f f u n d e i n e T e c h n i k s o l l n i c h t e i n e n a n d e r n S t o f f u n d e i n e a n d e r e T e c h n i k n a c h z u a h m e n s u c h e n , z. B. die Stickerei nicht das Gemälde. Derartige meist mühselige Experimente gehören in das Gebiet technischer Bravourleistungen. 4. J e d e r S t o f f u n d j e d e T e c h n i k s o l l n a t ü r l i c h u n d w a h r b l e i b e n . Beispiel: Der Ziegelstein soll auch in seiner kunstvollen Anwendung zu Mustern (Fig. 784) als einfaches Baumaterial zu erkennen sein. Oder: eine Schablonenarbeit soll den Charakter einer solchen offen zeigen. Ein teilweises Bearbeiten derselben durch ein Verfahren mit anderem Charakter wie Handmalerei würde ihren Stil zerstören. Beachte auch den sachlichen Charakter der Handweberei (Fig. 785) oder der Schmiedearbeit (Fig. 786). Kimmich,
Die Zeichenkunst.
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A. Möller, Das Ornament.
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Ohne die hier angeführten Stilgesetze berücksichtigt zu haben, kann keine, im übrigen noch so kunstvoll ausgeführte Form den Anspruch einer annehmbaren Leistung machen.
Fig. 785.
Fig. 786.
Fig. 788.
Fig. 789.
F
ig- 7 8 7 Fig. 790.
Im übrigen liegen vielfach schon im Material selbst oder in seiner einfachen technischen Bearbeitungsweise so sehr a u s g e s p r o c h e n e
Die Entstehung der Kunstform.
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d e k o r a t i v e R e i z e , daß ein weiteres Hinzutun besonderer Schmuckformen überflüssig erscheinen muß, oder doch eine möglichste Einschränkung derselben natürlich erscheint. Beachte die natürliche Maserung und Farbe der Hölzer als dekoratives Reizmittel, den eigenartigen Glanz am Porzellan, den stofflichen Reiz an ungeglätteten Metallgegenständen, an denen die handwerkliche Behandlung, das Herausklopfen und Bell ämmern der Fläche noch deutlich sichtbar ist. Ebenso die rauhe und darum stofflich interessant wirkende Oberfläche von Kalk- und Tuffstein im Gegensatz zum ausdruckslosen Gips und Zement; die natürliche Narbung des Leders, die verschiedene Oberfläche mancher Textilstoffe usw. Im Gegersatz zu den Einschränkungen, die einer Form durch Material und Technik auferlegt sind, kann daher eine technische Bearbeitungsweise, z. B. aus dem Bereich der textilen Künste das Riemen und Knoten, zu einer ganzen Reihe von ornamentalen Formen und Typen führen. (Siehe Fig. 787—790.) (Semper, der Stil in den Fig. 791. textilen Künsten.) Auch die bekannte aufgeworfene Randform am Akanthusblatt (Fig. 791) ist entstanden aus der Technik (dem Herausquillen des Tons beim Modellieren).
Die Form, hervorgegangen aus der Persönlichkeit (Individualität) des Künstlers. Jeder Künstler macht seine Arbeit nach seiner Auffassung. Seine Denkart aber steht mit dem Einfluß seiner Zeit, den äußeren Verhältnissen, seiner Erziehung usw. im engsten Zusammenhange. Je stärker als Spiegelbild der jeweiligen Zeitanschauung oder im Kampf mit dieser sein eigenes Empfinden ist, um so mehr tritt dieses auch in seinen Machwerken als seine p e r s ö n l i c h e H a n d s c h r i f t (Stil) hervor. Und wie beim einzelnen Menschen, so reden wir von einem Stil der verschiedenen Völker und Jahrhunderte. Äußere Verhältnisse, wie Lage und Klima des Landes, wirtschaftliche Zustände, hängen mit dem jeweiligen Kulturzustande eng zusammen. Das h a r m o n i s c h e G e s a m t b i l d a l l e r g e i s t i g e n , k ö r p e r l i c h e n u n d k ü n s t l e r i s c h e n E i g e n s c h a f t e n ist aber unabhängig von dem all23*
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gemeinen Fortschreiten der Zivilisation. Beweis dafür ist der hohe künstlerische Kulturzustand von oft ganz unzivilisierten Völkern im Vergleich mit der kunstarmen und kunstfeindlichen Periode des technisch hoch entwickelten 19. Jahrhunderts. ( B a u e r n k u n s t —• S t a d t k u l t u r . ) Ein Kunstwerk kann eigentlich nur im O r i g i n a l und in der r i c h tigen U m g e b u n g , für die es geschaffen war, persönlich zu uns reden. Deshalb ist auch ein Studium an Ort und Stelle erst im eigentlichen Sinne nutzbringend und besser als die beste Kunstgeschichte oder Museumssammlung. Seine Wirkung ist unmittelbar und meist überraschend anders wie die beste Reproduktion.
Ägypten. Der ägyptische Geist entwickelte sich unter dem Einfluß seiner natürlichen und sozialen Verhältnisse frühe zu strenger Ordnung und Gesetzmäßigkeit, zur Pflege gewisser Zweige der Wissenschaften (Mathe-
Fig. 792.
Fig- 793-
Fig. 794-
Fig. 795-
Fig. 796.
matik, Astronomie), zu einer eigenartigen, düstern Naturreligion und einer starren Kunstübüng. Wo es gilt, Geistiges auszudrücken, greift man zu k o n v e n t i o n e l l s y m b o l i s c h e n , r e i n ä u ß e r l i c h e n M i t t e l n (die kolossale Größe ihrer Königsgestalten usw.). In der n a t u r g e t r e u e n W i e d e r g a b e des P f l a n z e n - und T i e r r e i c h s jedoch zeigen die Ägypter eine lebensfrische Auffassung, und diese Formen, naturalistisch naiv aufgefaßt (Fig. 792, 793), genügen ihnen, um symbolisch ihre höheren Ideen auszudrücken.
Die Entstehung der Kunstform.
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Die ä g y p t i s c h e P f l a n z e n s ä u l e (Fig. 794, 795, 796) ist mit ihren natürlichen Lotus-, Papyrusoder Palmenkapitellen nicht, wie bei den Hellenen, als struktiv-tragendes Element dargestellt (die zarte Lotusknospe konnte unmöglich als Vorbild der stützenden, tragenden Kraft dienen), sondern diente als das S y m b o l des a u s der E r d e a u f wachsenden Pflanzenreichs, über dem der Himmel schwebend getragen wurde. (Der das Dach aufnehmende Abakus Fig. 796 a.) Die M a u e r f l ä c h e n u n d S ä u l e n m ä n t e l erhielten das Aussehen g e s t i c k t e r T e p p i c h e und riefen dadurch einen Fig. 797. dekorativ wirksamen und geheimnisvollen Eindruck hervor (Fig. 797). Ähnlich wie die Kunst der Ägypter bewegt sich die ganze asiatisch-orientalische Kunst in mystisch-dekorativ-symbolischen Formen (siehe Fig. 798, assyrischer Kleiderbesatz).
Griechenland. Als e r s t e r g e w a l t i g e r u n d d u r c h a u s s e l b s t ä n d i g e r Stil des A b e n d l a n d e s entwickelt sich die Kunst der griechischen Völker. W a s die Griechen vor allen Völkern auszeichnete, war ihre hohe, auf das Edle und Erhabene gerichtete Kultur. Aus ihrer mit künstlerischem Geist erfüllten, dem öffentlichen Leben und der Götterverehrung zugewendeten Verfassung erklärt sich die besondere Pflege einer edlen, in abFig. 798.
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Fig. 799.
Die Entstehung der Kunstform.
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strakten Formen sich bewegenden Architektur und die Durchbildung des f o r m a l S c h ö n e n zur höchsten Harmonie (Fig. 799). Jedes Material, das sie zu Architektur- und Gerätformen, zur Kleidung usw. benutzten, ist mit erstaunlicher Feinfühligkeit und Kenntnis der Eigenschaften des Stoffes zur höchsten Kunstform vollendet worden. So ist die s c h a r f g e s c h n i t t e n e F o r m i h r e r A k a n t h u s b l ä t t e r (Fig. 800) auf die Fernwirkung berechnet, ebenso die im Bogen etwas nach oben gerichtete B a s i s l i n i e der G i e b e l f e l d e r (aus der Ferne gesehen, würde eine genaue wagerechte Basis ihrer Länge wegen den Eindruck eines nach unten durchgedrückten Bogens machen). Von dem-
Fig. 803.
Fig. 805 a.
Fig. 805 b.
selben Feingefühl zeugen die s t r u k t i v e L ö s u n g der t r a g e n d e n S ä u l e , die anmutigen und mannigfaltigen F o r m e n i h r e r Gefäße. Diese wurden freihändig von dem einfachen Handwerker hergestellt und zeigten ihrer praktischen Bestimmung nach immer die entsprechenden Formen. Figur 801, ein Wasserkrug, zeigt zwei Seitenhenkel x zum Heben des gefüllten Kruges; der Henkel y diente zum Tragen des leeren Gefäßes. Der Gefäßbauch zeigt die größte Breite in der oberen Partie, um ein aufrechtes Tragen zu erleichtern. Bei Figur 802 diente die Schnauzenform zum leichteren Ausgießen; Figur 803 (Feldflasche) zeigt zwei Henkel zum Befestigen des Riemens. Die O r n a m e n t a t i o n der G e f ä ß e war graziös und niemals begriffswidrig angewendet, entsprechend der struktiven Bestimmung der einzelnen Teile (Fig. 804, 805a, 805b).
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In der A r c h i t e k t u r wurde durch die künstlerische Form jeder unnötige Hinweis auf die Schwere und Trägheit der Steinmassen vermieden, die Form veredelt den Stoff und das nackte Bedürfnis in höchster Vollendung. Und wie die Griechen durch ihr klares, ausgeprägtes Wesen sich von andern Völkern unterschieden, so zeigen auch die Kunstwerke ihrer beiden grundverschiedenen Völkerstämme: der Dorer (Sparta) und Ionier (Athen) den ^ ^ ^ ^ persönlichen Stammescharakter.
Fig. 806.
Fig. 807.
Fig. 808.
Die Tempelbauten der Dorer charakterisiert die s t r e n g e G e b u n d e n h e i t , die g e d r u n g e n e K ü r z e ihres Wesens. Die dichtgedrängte Stellung ihrer Säulen ist hauptsächlich durch das dazu verwendete Material (poröser Tuffkalk) bedingt, der wenig Festigkeit zeigte. Die strenge Gebundenheit der einzelnen Bauglieder durch struktive Bindeformen läßt die ganze Architektur wie unlösbare und massive, w u c h t i g - e r n s t e Kunstwerke erscheinen (Fig. 806, 807). — Ihre für den Tempelbau geschaffenen und ihrem Wesen entsprechenden starren Formen lassen keinerlei Veränderungen zu. Die Anwendung des festeren und edleren Materials ( M a r m o r ) gestattete den von Natur lebhafteren Ioniern anmutigere Proportionen ihrer Bauwerke (Fig. 808) und eine größere Vollendung ihrer plastischen Formen. — Während die Dorer die zierlicheren Kunstformen des Materials wegen meistens durch Malerei andeuten mußten (Fig. 737, 807), führten die Athener die P l a s t i k zur höchsten Vollendung.
Die Entstehung der Kunstform.
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An der S ä u l e n b i l d u n g ist der Gegensatz zwischen dem dorischen und ionischen Wesen am schärfsten ausgeprägt (Fig. 806, 808). Dort das starre Abstützen gegen die drückende Masse, hier der Ausdruck des elastischen Tragens, besonders ausgeprägt in dem eingerollten Volutenkapitell (Fig. 809). Nicht so abgeschlossen und konservativ wie die Dorer nahmen die Athener dort, wo sie ernste Würde zum Ausdruck bringen wollten, die dorische
Hiife xzr Di, Korinther, eine durch SchwungFi e- Scu u J 1 6 häften Handel zu kolossalen Reichtümern gelangte Bürgerschaft, betonen das P r ä c h t i g e in ihrer Bauweise (vgl. Kapitell Fig. 8x0), sowohl an öffentlichen als an privaten Werken. Ihre Kunstwerke, von den Römern geplündert, veranschaulichen den Übergang zur römischen Kunst. es- 8 ° 9 '
Rom. Die Römer, an die Kunst der Griechen sich anlehnend, haben in dem Bedürfnis, ihre Weltherrschaft zu verherrlichen, am meisten Selbständiges in der P r o f a n - A r c h i t e k t u r geschaffen. Während die horizontale Balkendecke der griechischen Steinbauten nur wenige Veränderungen zuließ, gestattete die von den Römern eingeführte B o g e n a r c h i t e k t u r (Tonnen- und Kreuzgewölbe, Kuppel) eine bedeutende Erweiterung (mehrstöckige Bauten, Rundbauten). Um den Druck der Gewölbe aufzunehmen, waren kräftige, massive Mauermassen erforderlich. Diesen wurden der dekorativen Wirkung wegen die griechischen Säulen als Fig. 811. B l e n d w e r k vorgesetzt mit besonderer Vorliebe für die prunkvollere Form der k o r i n t h i s c h e n S ä u l e (Fig. 811). Mitunter wurden alle drei Säulenordnungen an demselben Gebäude
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angewendet, und zwar die dorische Säule für das Erdgeschoß, die ionische für das erste, die korinthische für das zweite Stockwerk (Kolosseum). Außerdem, da die Länge der griechischen Säulen für die Höhe der römischen Bauwerke nicht immer ausreichte, wurden P o s t a m e n t e oder ein H a l b g e s c h o ß ( A t t i k a ) m i t P i l a s t e r n angeordnet. Durch eine solche Architektur, durch Anwendung von Nischen und Blendwerk, reichen, stark vorspringenden Kranzgesimsen, Pilastern usw. wurde eine überaus lebendige, auf Prunk und Effekt berechnete Wirkung erzielt (Fig. 8 1 1 ) . Die Anwendung e d l e n u n d p r a c h t v o l l e n M a t e r i a l s gestattete eine immer größere Geschicklichkeit des Meißels; die Prachtdekoration verbreitete sich über a l l e G e b ä u d e des ö f f e n t l i c h e n u n d p r i v a t e n V e r k e h r s (Thermen, Triumphbogen, Anwendung von Festons und fliegenden Bändern). Für die Privatarchitektur und ihre innere Ausschmückung liefert P o m p e j i fast die einzigen, am besten erhaltenen Beispiele. D i e P l a s t i k u n d M a l e r e i wurde zumeist von griechischen Künstlern ausgeführt, denen die Heimat keine Beschäftigung mehr bieten konnte, und die nun bei den römischen Kunstmäzenen eine Zuflucht fanden. Diese Nachblüte der hellenischen Kunst ließ natürlich wenig Fig. 8 1 2 b. selbständiges Schaffen zu. Dagegen führte der K u l t u s m i t der P e r s ö n l i c h k e i t (die Verherrlichung der Kaiser) zu Porträt- und historischen Darstellungen im Gegensatz zu der griechischen Idealkunst, die, weil der einzelne Mensch im Staate aufging, nur den idealschönen, nicht den charakteristischen Menschen darstellte. Die K l e i n k ü n s t e zeigen dasselbe Charakterbild wie die Architektur: die Anwendung kostbarer Stoffe, üppige, plastische Ornamentformen, die weichere, üppigere Form des römischen Akanthus (Fig. 812 a) im Vergleich zu dem griechischen (Fig. 8 1 2 b ) , eine Hochflut von Luxus- und Schaugeräten usw. Die römische Kunst ist im allgemeinen das Nachbild der griechischen Kunst, nur derber und oft mit Schmuck fast überladen (das Trinkhorn Fig. 755, einem römischen Rhyton nachgebildet). So zeigt sich die Kunst der Griechen und Römer als g a n z b e s t i m m t e Ä u ß e r u n g i h r e s p e r s ö n l i c h e n C h a r a k t e r s : die besondere Pflege des formal Schönen, die alles intim Wesentliche überdeckt durch das. Streben nach harmonischer Vollendung (Fig. 813).
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Die altchristliche, byzantinische und nordische Kunst. Noch während der Glanzperiode der römischen Zeit keimt eine n e u e , der antiken völlig entgegengesetzte W e l t a n s c h a u u n g : der c h r i s t l i c h e G l a u b e . Ganz anders wie der festliche, farbenfreudige Glanz der antiken Tempelbauten tragen die christlichen „ K a t a k o m b e n " in ihrer Schmucklosigkeit einen strengen,
Fig. 814.
Fig. 8 1 5 .
Mit der staatlichen Anerkennung der neuen Lehre konnte auch ein würdiger Raum für die Gottesverehrung geschaffen werden. Willkürlich und ohne viel Verständnis für ihre Formenwelt verwendet man die Antike in Material und Formen, und aus bunt zusammengetragenen antiken Bauresten entsteht die c h r i s t l i c h e B a s i l i k a . Noch weniger findet die P l a s t i k („die antike Götzendienerin") dieser Zeit neue Formen; wo sie als ornamentaler Schmuck angewendet wird, da verflacht sie, indem man hauptsächlich die korrekte Zierlichkeit griechischer Muster nachahmt, zu einem gering profilierten Flächenornament (die gesägten Blattformen am Kapitell Fig. 8x4). Um so mehr konnten die neuen Ideen in der M a l e r e i zur Geltung kommen. Und allmählich, mit dem Eindringen der Fig. 816. hoch entwickelten b y z a n t i n i s c h e n u n d o r i e n t a l i s c h e n K u n s t , deren Hauptzug Prunkliebe und pomphaftes Zeremoniell war, entwickeln die Kirchen und Paläste in malerischdekorativem Stil einen großen Reichtum. Ihre Wandflächen werden mit Goldmosaiken überzogen und, Teppichen gleich, mit bildlichen Darstellungen durchwirkt. Mit s y m b o l i s c h e n Z e i c h e n beginnend, entwickelte sich die bildliche Darstellung zu einer bedeutungsvollen, kon-
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ventionellen Bildersprache. Das M o s a i k war ganz geeignet, die Gestalten des Herrn und der Heiligen in mächtig-einfachen Grundzügen als kraftvoll ausgeprägte Typen zur Erscheinung zu bringen (Fig. 779).
Fig. 8 1 7 .
Fig. 818.
So bildet sich nach und nach unter den strengen Gesetzen der Kirche ein Kanon fest ausgebildeter Formen und Gestalten, und selbst die m e n s c h l i c h e F i g u r muß sich diesen Gesetzen und dem Streben nach Ernst und Würde" unterordnen (die übernatürlich langen Figuren mit dem würdevoll gemessenen Ausdruck und den bunten, reich verzierten Kostümen). Allmählich aber erstarrte die christlich-byzantinische Kunst in Äußerlichkeiten; auch die K l e i n k u n s t (Goldschmiede-, Elfenbeinkunst, Filigranarbeiten) ordnete das Künstlerische vielfach dem kostbaren Material unter. Gegen die Zeit Karls des Großen vermischte sich ein neues Element, das n o r d i s c h Fig. 8 1 9 . g e r m a n i s c h e , als scharfer Gegensatz, mit der antiken Richtung der byzantinischen Kunst und verlieh den Formen nach und nach ein eigenartiges Gepräge (Fig. 815, vgl. die irischen Miniaturen Fig. 816).
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Die Sagen der germanischen Heidenvölker, ihre uralte Technik des Flechtens von Bändern und Riemen, die p e r s ö n l i c h e S t i m m u n g u n d L a u n e d e s N o r d l ä n d e r s schaffen einen neuen dekorativen Stil, kraftvoller als. der hellenische, wärmer in seinen Holzbauten als der kalte Steinstil der italischen Völker (Fig. 817, 818, 819).
Der romanische Stil. W a s in diesem Zeitraum der schroffen Gegensätze (Rittertum, Klöster) allen Völkern ein gemeinschaftliches Ziel setzt, ist die K i r c h e . Mit ihrem Wachsen sind größere Räume erforderlich. Die A r c h i t e k t u r übernimmt die Führung in den Künsten und fordert* von diesen gleich der Kirche v ö l l i g e U n t e r o r d n u n g . Charakteristisch für den Widerspruchsgeist der romanischen Zeit wird die freie Kombination und a u ß e r o r d e n t l i c h e M a n n i g f a l t i g k e i t in der Bildung der Einzelformen.
Fig. 820.
Fig. 821.
Das antike Formenverhältnis ist verblaßt; für die Säule existieren keine bestimmten Maßverhältnisse mehr; derbe und gedrungene, elegante und schlanke Säulen kommen häufig nebeneinander zur Anwendung. Besonders die verschiedenartige Kapitellbildung (Würfel- und Kelchkapitell) läßt in ihrer ornamentalen Ausbildung die Lust an freierem Formenspiel erkennen. Die ruhig ernste Fassade der romanischen Kirche zeigt als charakteristisches Merkmal den R u n d b o g e n f r i e s (Fig. 820); die Rundbogenlinie wiederholt sich im Ornament als Grundlinie, als Blattschnitt usw. (Fig. 821). Über alle Glieder der Kirchen- und Schloßbauten (Wartburg) ergießt sich in kräftiger Plastik eine Fülle freier O r n a m e n t i k . Diese, meist der Pflanzenwelt entlehnt, zeigt nie bestimmte Naturformen, sondern in abgegrenzten Rahmen abstrakte Formen, daneben lineare Ornamente, Verschlingungen von Menschen- und Tierleibern, teils symbolischer Art, teils Gebilde der nordischen Phantasie (Fig. 818). Die Zeit der Kreuzzüge brachte orientalische Bauweise und Kultur als neues Element in die mittelalterliche Formenwelt (Spitz-, Kleeblatt-
Die Entstehung der Kunstform.
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und Hufeisenbogen, Fig. 822); immer mehr zeigt sich das S t r e b e n n a c h s c h l a n k e r e n V e r h ä l t n i s s e n , nach reicherer Gliederung. Schlanke Säulen werden in verschwenderischer Weise angewendet als Stützen der Bogen (Fig. 822); in dem Nebeneinanderordnen von Fenstern verschiedener Größe und Form zeigt sich das Streben nach lebendiger Gruppierung, leichter Wirkung, nach möglichster Durchbrechung der Mauerflächen usw. Die höchste dekorative Wirkung und Pracht entwickelt sich in der Bildung des „Hauptportals" (Fig. 822). Die g e s a m t e K u n s t d i e s e s Z e i t a l t e r s w a r A r c h i t e k t u r . Bildnerei, Malerei und die Kleinkünste ordnen sich ihr als Teile oder als Schmuck willig unter. Ein straffer dekorativer Zug läßt die male| ¡, ^ Q f ^ I l i i i S l P l