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German Pages 17 [32] Year 1908
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DIE
ZEICHENKUNST METHODISCHE DARSTELLUNG DES
GESAMTEN ZEICHENWESENS UNTER MITWIRKUNG VON
A. ANDEL, LUDWIG HANS FISCHER, M. FÜRST, 0. HUPP, A. KULL, KONRAD LANGE, A. MICHOLITSCH, ADOLF MÖLLER, PAUL NAUMANN, F. REISS, A.v. SAINT-GEORGE, KARL STATSMANN, R. TRUNK, J. VONDERLINN UND HERMANN WIRTH HERAUSGEGEBEN VON
KARL KIMMICH ZWEITE VERBESSERTE UND VERMEHRTE AUFLAGE MIT 1 1 5 7 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 60 TAFELN IN FARBEN- UND LICHTDRUCK 23 LIEFERUNGEN à 1 MARK UND 2 EINBANDDECKEN à 1 MARK KOMPLETT IN 2 ORIGINALLEINENBÄNDEN 25 MARK
LEIPZIG G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG
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Ist das Skizzieren eine Fertigkeit, die von dem am besten ausgeführt wird, der sich bei persönlichem Geschick durch vieles Sehen und Üben eine scharfe Auffassung und gute Darstellung erworben hat, so trifft das gleiche noch mehr zu bei dem Stilisieren von Pflanzen; nur daß hier zu diesen Gaben noch das persönliche Vermögen hinzutreten muß, mit dem in sich aufgenommenen Schatz nicht allein von Pflanzenformen, sondern auch von Effekten und Effektgruppierungen usw. Neues zu schaffen und in Anregung durch die Natur ein für das Auge des Menschen angenehmes Formenspiel hervorzubringen. Die Frage: Wie und wann beginnt die Stilisierung einer Pflanze usw. ? möchte ich dahin beantworten: Sie beginnt mit deren Aufzeichnung, also selbst dann, wenn man glaubt, sie naturalistisch wiederzugeben. Stilisieren von Pflanzen heißt: eine Pflanze so wiedergeben, wie sie sich für den gegebenen Zweck und in dem gewünschten Material eignet. So wird eine Tulpe in Schmiedeeisen ausgeführt anders behandelt werden müssen, als in Bronze oder Gold; in Stickerei verschiedenster Techniken anders, als in Holz eingelegt oder geschnitten, so daß bei Entwürfen für die verschiedenen Techniken das Technische unbedingt bekannt sein muß. Die einzigste wirklich naturalistische Wiedergabe nach der Natur einer Form geschieht zurzeit nur durch die Photographie. Die photographische Aufnahme einer Naturblume von heute und die gleiche, wenn jene nicht vertrocknete, in 50 Jahren gäbe genau das gleiche Bild, während eine heute gezeichnete und eine in 50 Jahren wieder gezeichnete Blume je den Charakter ihrer Zeit, in der Darstellungsweise den Stil ihrer Zeit wiedergeben würde. Ist es wahr, daß die erste Stufe einer Stilisierung bereits mit der Abzeichnung einer Pflanze beginnt, so erhält man auch ein stilisiertes Ornament, wenn man Pflanzenformen in irgendwelchen Flächenraum so zusammenlegt, daß sie diesen Raum füllen. Aber diese Art Ornamentik würde nach jetzigen stilistischen Begriffen nur ein mehr oder weniger glückliches Aneinanderreihen von mehr oder weniger naturalistischen Formen bedeuten, je nachdem der Zeichner, ohne seinen Formen etwas Persönliches, Individuelles geben zu können, K i m m i c h , Die Zeichenkunst.
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P. Naumann, Das Stilisieren von Pflanzen.
im früheren oder späteren Anfangsstadium stände. Diese Ornamentik des Naturalismus, wie sie vielleicht naturgemäß, bewußt oder unbewußt vom Anfänger getrieben wird und wie sie, wenn auch ausgebildeter, im Anfangsstadium unserer modernen Ornamentik getrieben wurde, ist heute bei den Deutschen glücklich überwunden, während die Franzosen über den Naturalismus kaum hinweggekommen, im neuen Ornament unpersönlich und weniger selbständig stilistisch geblieben sind. Auch beim Unterricht im Stilisieren muß, wie überall, vom Leichteren zum Schwierigeren übergegangen werden. Vorauszusetzen ist aber, wie bereits oben des weiteren ausgeführt, eine gewisse Fertigkeit im Zeichnen und ein längeres Studium von Pflanzenformen.
Fig. 699.
Nicht alle Gattungen von Blumen, auch nicht alle Blumen einer Gattung eignen sich gleich gut zur Verarbeitung in der Ornamentik. Bei der einen sind es die Formen der Blätter, bei der andern die der Blumen, bei der dritten die Bewegung der Stiele, bei wieder anderer die Verteilung und Gruppierung der Blüten oder der rhythmische Wechsel der Blumen oder Kelche zueinander oder auch nur einzelne Teile, wie Staubgefäße usw. usw., die einem die Anregung zur Verwertung geben. Jedenfalls sollte der, der Pflanzen für ein bestimmtes Material stilisieren soll, also für Eisen, Holz, Stickerei, Weberei usw., auch in der technischen Behandlung und Art des Materials selbst gut Bescheid wissen. So dürfte ein Zeichner, der nicht im Schmiedehandwerk praktische Erfahrung besitzt, kaum in Schmiedeeisen stilisieren können, während die a l l g e m e i n e Flächendekoration ihm, im Gegensatz zur plastischen Behandlung, keine besonderen technischen Schwierigkeiten bieten wird. Für Stilisierungen
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P. Naumann: Zierformen für Buchschmuck.
P. Naumann, Das Stilisieren von Pflanzen.
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werden sich zunächst für den Anfänger von Pflanzen eignen die Eiche, Lilie, Nelke, Mimose, wilde Rose u. a. m., also einfache Blumen, während man die komplizierten Pflanzen weniger geeignet finden wird. Stellt man sich als Anfänger zuerst die Aufgabe, einen schmalen fortlaufenden Fries in Handbreite mit Benutzung des Eichenblattes zu zeichnen, so nehme man reichliches Material von großen und kleinen Blättern, von Astwerk mjt und ohne Eicheln zur Hand und versuche in kleinem Maßstab, mehr aus dem Gedächtnis und ohne jedes Eingehen auf Blattzacken die Methode
Fig. 701.
Fig. 702.
Fig. 703.
Fig. 704.
zu finden, nach welcher der Fries fortlaufen, sich wiederholen soll. Man begnüge sich, den gegebenen Raum mit Blättern mit oder ohne Astwerk so zu füllen, daß die Verteilung von Blatt und Grund das Auge angenehm berührt. Auffällige Lücken zwischen Blättern müssen durch Verlegen derselben, durch Vergrößern einiger Zacken, durch Einschieben eines Astteilchens, durch Abwachsenlassen einer Eichel und was der Hilfsmittel sind, gemildert werden. Zwischenräume, die nicht allein durch ihre Größe, sondern auch durch ihre Lage dem Auge sich unangenehm aufdrängen, müssen vermieden werden. Kleine Effekte, wie etwa Eicheln oder Blättchen, die sich am Rande (z. B. oben) des Motives befinden, möchten in der Wiederholung an der entgegengesetzten Seite (etwa unten) wiederkehren, sonst würde leicht das Motiv „Strich machen", d. h. die
Tafel XXXI
P. Naumann: Narzissen nach der Natur.
P. Naumann: Narzissen nach der Natur stilisiert für Malerei oder Stickerei.
Tafel
P. Naumann: Anemonen nach der Natur.
XXXIII
P. Naumann, Das Stilisieren von Pflanzen.
Fig. 70S.
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immer oberhalb liegenden Eicheln würden in einer dem Auge unangenehmen Linie — Strich — liegen, ausgenommen, wenn der Beschauer nicht das Gefühl bekommt, daß eine solche Verteilung beabsichtigt war. Man gebe sich nicht mit ein oder zwei gefundenen Motiven zufrieden, sondern versuche alles das aufzuskizzieren, was nur irgend aus dem Kopf heraus will oder kann (Fig. 699). Hat man so eine stattliche Reihe aufskizziert, wobei man bemüht gewesen ist, möglichst entgegengesetzte Prinzipien aufzustellen, so wähle man die charakteristischsten und passendsten Beispiele für den bestimmten Zweck zum Aufzeichnen in dem festgesetzten Maßstab aus. Soll diese Borte eine große Fernwirkung haben, so ist sie möglichst einfach zu halten, damit sie klar bleibt. Die Motive gleich in großem Maßstab zu suchen, ist untunlich, besonders wenn man später größere Ornamente entwerfen will; denn die kleinen Formen gestatten viel schnellere Aufzeichnung des schnell durch den Kopf fliegenden Gedankens, ermöglichen einen leichteren Überblick über die Massen und helfen Zeit sparen. Beim Übertragen in den großen Maßstab benutze man zum Zeichnen die Zeichenkohle, weil man mit dieser gezwungen ist, alle kleinlichen Formen wegzulassen. Man erstrebe eine angenehme Abwechslung von größeren und kleineren Formen und Massen, von großen Blättern mit kleinen, von Astwerk mit Eicheln usf. Glaubt man die richtige Verteilung gefunden zu haben und hat unter freier, ganz persönlicher Benutzung des Prinzipes der Auszackungen der für Eichenblätter charakteristischen Hauptform gezeichnet, so lege man die erhaltenen ornamentalen Formen oder den Grund mit Farbe an, um sich der richtigen Verteilung der Massen zu vergewissern. Zackungen, z. B. des Eichenblattes, werden in der Behandlung für Eisen natürlich ganz andere sein, als in Wolle gestickt. Von fortlaufenden Motiven muß man immer mehrere nebeneinandergestellt zusammenhängend zeichnen, um die Wirkung in ihrer Wiederkehr beurteilen zu können. Sind die Motive gegenüberstehend gleich, so kann man sich öfteres Nebeneinandersetzen oder Weiterpausen ersparen, wenn man einen Spiegel auf die Mitte des Motives setzt, so daß sich dasselbe widerspiegelt. An beide Seiten oder Achsen des Motives eine Scheibe gestellt (vorausgesetzt, daß diese nicht zu eng beieinanderstehen), würde eine Abspiegelung ohne Ende ergeben. Viertel einer Quadrat- oder Kreisfüllung lassen sich mit einem Spiegel verdoppeln; vervollständigen mit je zwei an eine Achse rechtwinklig gestellten Scheiben. (Siehe Fig. 710.) Bei Friesstreifen, die eine Ecke bilden
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sollen, findet man als Anfänger einen Anhalt zu einer Ecklösung leichter, wenn man einen Spiegel unter 45 0 auf den Ornamentstreifen setzt (Fig. 709). Ist die Verteilung des Blattwerkes eine richtige und die Übertragung dieses in die Reinzeichnung erfolgt, so versuche man in der Skizze oder in einer flüchtigen Pause über dem Original verschiedene farbige Ausmalungen, etwa dunklen Hintergrund und helles Ornamentwerk; bei mehreren Blättern in einem Motiv können vielleicht gegenüberliegende hell, die andern andersfarbig gehalten werden (Fig. 699), wodurch ein weiterer Reiz geschaffen wird. Hat man seine Stilisierungsversuche, die im Anfang immer naturalistisch ausfallen mögen, mit einfachen Blättern begonnen, so geht man nach und nach zur Verwendung von Blättern mit mehr Hauptteilungen und Zackungen (Fig. 714 sowie Fig. 715), ebenso auch von schmalen, fortlaufenden Flächen zu abgeschlossenen (Fig. 716) über. Sämtliche letztere Figuren sind unter Benutzung des Sellerieblattes (Fig. 717) gezeichnet. Was Blumen usw. an mannigfaltigen Formen bieten, beobachte man z. B. an Margueriteblumen und -blüten in Profil wie Draufsicht; jede Drehung, jede Blattveränderung gibt Anregung zu neuen Formenzusammenstellungen. — Nur durch reiches Studium von Formen von Pflanzen oder anderen Gebilden, nicht bloß durch ein Abzeichnen bzw. geistloses Abschreiben solcher, sondern durch ein inneres geistiges Verarbeiten des Gesehenen zu eigenen, persönlichen Gebilden — letzteres aber auch erst bei einer gewissen geistigen Reife und vor allem Befähigung für das geistige Verarbeiten — wird man zum
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P. Naumann, Das Stilisieren von Pflanzen.
wirklichen Schaffen von persönlicher künstlerischer Eigenart ohne Bizarrerie kommen. Schließlich werden bei Selbständigkeit des Künstlers die Naturformen durch die persönliche K r a f t des Zeichners so verarbeitet erscheinen, daß man den Ursprung der Formen ganz vergißt, sie werden eigenartig, aber nicht absonderlich sein, vor allem, wenn der Zeichner nicht selbst als Sonderling erscheinen will. Aber diese Stufe der Kunst kann nicht gelehrt werden (sie liegt im Menschen selbst), am wenigsten aus und in einem Buche. Siehe Tafel X X X I V und Figur 700: Verarbeitungen eines Blattes der Fruchtkapsel vom Akanthus (vorletzte Reihe, linke Figur, in der Naturform) zu abgeschlossenen, beziehentlich aneinanderreihbaren Buchschmuck- usw. Zierformen. Bei der Komposition eines größeren Ornamentes bestimme man zunächst (wie in den Nelkenmotiven, Fig. 7 0 1 — 7 0 4 ) neben der Linienführung des Ornamentes die Massenverteilungen der Blumen sowohl, als auch der Knospen und Blätterbündel und lasse sich keinesfalls auf größere Details sein. Blumen und Knospen schraffiere man dunkler, damit m a n deren Massenwirkung und Lage zuFig. 7 1 1 . einander besser beurteilen kann. Ist man nun mit einem der gefundenen Motive zufrieden, so übertrage man die Idee in einen größeren Maßstab, aber nicht nur durch ungefähres Messen mit dem Auge, sondern Höhe für Höhe und Breite für Breite mit dem Zirkel x mal vergrößert. Eine gut wirkende Skizze in die Reinzeichnung zu übertragen, ist sehr schwer, und oft ist die reizvolle Wirkung der Skizze im Original nicht zu erreichen. Auch hier benützt man statt des Bleistiftes Zeichenkohle, legt bei der ersten Anlage auf das Skizzenpapier behufs weiterer Durchbildung Pauspapier und wiederholt dies so lange, bis die Durcharbeitung befriedigt und nun auf den Zeichenbogen durch Unterlegen von geschwärztem Seidenpapier, Graphitpapier, überpaust wird. Das Auflegen von Pauspapier hat den Vorteil, daß man immer sieht, was man vorher gehabt hat. E s empfiehlt sich, das ganze Ornament oder doch den Grund mit Farbe anzulegen, um die Flächenwirkung zu
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erhalten, selbst wenn das Ornament nicht farbig behandelt oder modelliert werden sollte. Aus den Linien allein läßt sich die Verteilung des Ornamentes nach seiner gewünschten Dichtigkeit, nach seiner regelmäßigen Massenwiederkehr usw. nicht ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^ beurteilen. Tafel X X X I I zeigt die Verwendung der Narzisse zu einer oder vielmehr zu zwei halben Füllungen, deren rechte Seite anders komponiert ist, als die linke. Die darin enthaltenen Formen der Blätter und Fig. 7 1 2 . Stellungen der Blumen zeigen wohl noch stark die Naturformen, aber der Anfänger soll sich erst nach und nach gewöhnen, unter Anregung der Natur mit ihr Neues zu schaffen und darin seinen eigenen Geist wiederzugeben. Im Anfang wird und mag er sich noch viel an die Naturformen anlehnen, bis er später größere Selbständigkeit erlangt. Denn in Anbetracht der großen Unselbständigkeit des Anfängers und der Unmöglichkeit für ihn, ohne tiefes und längeres Studium zu e i g e n e n Formen zu kommen, sind die Motive in naturalistischer Weise behandelt geblieben. Es würde bei eigenartiger, persönlicher Behandlung vielleicht die Gefahr vorliegen, den Anfänger auf die Bahn der Manieriertheit, des Nachäffens zu drängen. Unter Benützung des Spiegels ist mit den auf Fig- 7r3Tafel X X X I I dargestellten zwei Motiven (als abgepaßte Füllung gedacht) eine Reihe von Friesen hergestellt, die in Verkleinerungen in den Figuren 7 1 1 , 7 1 2 und 7 1 3 wiedergegeben sind. Zunächst ist in Figur 7 1 2 durch Aufstellung je eines Spiegels an die linke Grenze und an die Mittellinie eine Frieskomposition geschaffen
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worden, bei der allerdings wegen der zu dichten Wiederkehr der Narzisse im untern Teil eine „Strich machende" Fülle eingetreten wäre, wäre nicht durch Abschließung dieses unteren Teiles durch wagrecht laufende Blätter diesem Fehler gesteuert worden. — Eine weitere Verwendung der Originalfüllung zeigt Figur 7 1 1 , die sich aus dem Spiegelbild des rechtsseitigen Teils ergibt. Durch die Benutzung der Gesamtfüllung von Tafel X X X I I (eine Narzisse rechts oben, eine andere links unten) zu einer Borte ist die Wechselbeziehung eine größere und durch die Einfügung der kleinen Maiblumen (als Kontrast zu den breiten Flächen der Narzissen) der Effekt gesteigert (Fig. 713). — Setzt man das Grundmotiv von Tafel X X X I I übereinander, so sind auf diese Weise drei Darstellungsweisen zu finden, die in den Figuren 705, 706, 707 wiedergegeben sind. Ein Teilmotiv von Figur 7 1 1 übereinandergestellt gibt mit kleinen Abweichungen Figur 705; zu den senkrecht stehenden Blättern mußten einige rundgebogene hinzukommen. Eine weitere Verarbeitung: als aufsteigenden Fries, hat Figur 7 1 2 in Figur 706 gefunden; desgleichen Figur 7 1 3 in Figur 707 mit teils mehr, teils weniger Beifügungen. Um in der letzten Figur die Versetzung der Maiblumen bald links, bald rechts zu ermöglichen, mußte auch in den Blättern auf den wechselnden Gang des Ornaments Rücksicht genommen und dieses versetzt werden. Als eine andere Möglichkeit der Anwendung des Grundmotivs ist noch Figur 708 zu bezeichnen; nur laufen hier die Blätter nicht wagrecht, sondern sind ebenfalls stehend angebracht, weil sonst dem Wachsen der Pflanze kein Ausdruck hätte gegeben werden können. Letzterer Fries ist sodann noch mit einem Eckstück (Fig. 709) gezeichnet, eine Aufgabe, die für den Anfänger wieder unter Benutzung des Spiegels im' Winkel von 45 0 leichter ist. Wie man bei einer Bleistiftzeichnung die Blätter nach ihrer Struktur schraffieren würde (bei der Wiedergabe in natürlicher Größe ziemlich eng), so sind hier dieselben gleichfalls durch Linien belebt, nur dem Maßstab angemessen breiter; die Blumen sind leicht modelliert, ohne daß sie dabei ihren Flächencharakter verlieren. Bei irgend einer Verwertung dieser Ornamentideen in irgend einer Technik müßte natürlich die Eigenart dieser Technik ausgesprochen werden, während hier bei den Motiven nur „ein Ornament" ohne einen andern Zweck als dessen Ausnutzung nach verschiedensten Richtungen hin „als Schulbeispiel" vorgeführt werden sollte. Tafel X X X V I zeigt die Stilisierung der Nelke. Alle unausführbaren kleinen Zackungen der Naturblumen sind natürlich, wie alles Unwesentliche, wegzulassen; von den Bewegungen nur die hauptsäch-
P. Naumann: Nelken nach der Natur in die Fläche übertragen.
Tafel
P. Naumann: Nelken nach der Natur stilisiert für Malerei oder Stickerei.
X X m .
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lichsten und für das Material geeigneten und darin charakteristisch wiederzugebenden zu verwenden. Tafel X X X V I I zeigt sodann eine Stilisierung des Klees für Kreuzstichstickerei zur Benutzung als Gesamtfries in seiner vollen Breite, wie auch einzeln in seinen drei kleinen Breiten. Wenn man sich vielleicht vorstellen wollte, daß zur Aufzeichnung des auf S. 3 1 2 u. 3 1 3 dargestellten Narzissenstreifens ein kleines Stückchen eines Narzissenbeetes, von vorn gesehen, die Anregung gegeben hätte, so könnte man eine gleiche Anregung zu dem auf Tafel X X X V I I wiedergegebenen Kleestreifen in Kreuzstichstickerei vor einer Kleepflanze erhalten haben. Blätter und Blüten des Klees sind hier natürlich in der Übersetzung der Naturformen in die Form für Stickerei in eckige Formen umgearbeitet. Die untere Begleitborte ist in ihrem Wechsel von nur drei- und vierblättrigen Kleeblättern ohne Blumen gelassen, um das Ganze nach unten schwerer abzuschließen. Eine weitere Fortsetzung der Gesamtborte nach der Längsrichtung ließe sich nahezu durch das Spiegelbild mit der Stellung der Scheibe auf der Mitte der ganz rechts und links stehenden Kleeblätter erzielen. Die damit geschnittene Kleeblume dürfte jedoch nicht wie im Spiegelbild zwei Stiele und zweimal die Kelchblätter, auch nicht die abgeschlossene Form, ähnlich der Mittelblume im Hauptfries, erhalten, sondern würde nach Art der untenstehenden beiden Kleeblumen ergänzt werden. Der von der Mitte des Kleeblattes und der Kleeblumen ausgehende Stiel hätte nicht für jene, sondern für das am Ende im oberen Fries befindliche vierblättrige Kleeblatt zu gelten. Bei einer größeren Ausführung (d. h. bei mehr Karos für eine Form) wäre auch eine weitere Zeichnung mit einem zweiten Rot in den Kleeblumen möglich, wie auch der Grund zwischen den Kleeblumen und Blättern mit irgendwelchem farbigen Ton oder aber auch mit anderen, geschickt eingefügten Blättern ausgefüllt werden könnte. In diesem Falle müßten entweder die neuen Blätter in anderem Grün oder sämtliche Formen mit einer Kontur zur Trennung gestickt werden. Bei der Anlage von Pflanzenornamenten ist die charakteristische Art des Wachstums der Pflanze, wenn sie mehr in naturalischer Weise wiedergegeben wird, einzuhalten. So wird man im allgemeinen dem Geäst der Eichenblätter nicht die weichen Windungen der Winde geben; keinesfalls aber aus einem Stiele Blumen verschiedener Art wachsen lassen. Der Stilisierung von Pflanzen für plastische Ornamente sollte immer unbedingt die für Flächenverzierung voraus-, mindestens aber
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Hand in Hand gehen, denn jene verlangen außer der gewissen Fertigkeit für eine gleichmäßige, richtige Verteilung der Massen noch die Berücksichtigung der Höhenwirkung. Allerdings käme bei der plastischen Anlage in Ton der Vorteil hinzu, daß das Material ein zu großes Eingehen auf Details und Unwesentliches gar nicht zuläßt, während der Bleistift mit seiner feinen Spitze zu solchen geradezu verführen kann. Bei Pflanzenformen, die in mehr als natürlicher Größe im Ornament gezeichnet werden sollen, empfiehlt sich eine Vergrößerung unmittelbar nach der Natur und nicht nach der Zeichnung. Wie man immer bei der Verkleinerung von Formen weniger Details aus der Naturform in die Zeichnung bringen darf, so wird im Gegenteil eine Vergrößerung viel eher charakteristische, der Natur entnommene Details, die man in einer Zeichnung in Naturgröße nicht anbringen dürfte, aufnehmen können. Das photographisch vergrößerte Gipsmodell einer kleinen Figur wird immer plump aussehen und bedeutende Fehler aufweisen, ein Naturgebilde hingegen nicht, weil die Natur tausendfach vergrößert immer bis in die kleinsten und allerkleinsten Details durchgearbeitet bleibt. Für Winterstudien ist es ratsam, im Sommer Material einzusammeln: Eichenzweige werden getrocknet, Blätter der Marguerite (vor allem breit geschnittene), Blätter des Löwenzahns in seinen unendlichen Spielarten, Rebenblätter, die verschiedenartigen Blätter des Eisenhutes usw. gepreßt und auf Papier geheftet: für Anfänger. Der Fortgeschrittene wird jedoch bald die weniger alltäglichen Formen der Pflanzenwelt usw. aufsuchen und wird sich sein Material und seine Anregungen aus allen eigenartig und reizvoll geformten Naturerscheinungen zu holen wissen. Wie der Bildhauer aus rohem Ton zu bilden lernt, so wird auch der geübte, geistig regsame und mit Phantasie begabte Zeichner aus irgendwelchen krausen Formen zu schöpfen und zu bilden verstehen, die der andere für nichts achtet. Da heißt es die Augen offen halten und sehen lernen. Achtlos geht der eine an einer interessant verzweigten Baumflechte, an einem vertrockneten Blütenbüschel der spiraea (Spierstrauch), an den herbstlich verkrümpelten Blättern des Eisenhuts, an den fast überreifen und zerfallenden Samenbildungen von Calendula (Ringelblume), an den Samenbüscheln von clematis (Waldrebe), an den Blütenansätzen oder Kletterranken des Kürbisses, an Blüten und Samenkapseln von nigella (Braut im Haar), den jungen Trieben, grünen und vertrockneten Blättern von Strauß- und Königsfarn (onoclea struthiopteris und osmunda regalis), an den unendlich vielen hochinteressanten Frühlingstrieben
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P. Naumann, Das Stilisieren von Pflanzen.
der meisten Gewächse vorüber, die dem andern eine unerschöpfliche Fundgrube für immer neue Anregungen, auch für plastische Formen, bieten und die alle miteinander meist anregender und interessanter sind, als alle fertigen Blumen und Blätter.
Verlag der Q. J . Göschen'schen Verlagshandlung in Leipzig
Geschichte der Malerei
Die Pflanze,
von Dr. Richard Muther. 5 Bände.
Stilkunde von Karl Otto Hartmann. Mit 7 Vollbildern und 195 Textillustr.
ihr Bau und ihr Leben. Von Oberlehrer Dr. E. Dennert. Mit 96 Abbildungen.
Mineralogie von Dr. R. Brauns. Mit 130 Abb.
Die Baukunst des Abendlandes von Dr. Karl Schäfer. Abbildungen.
Mit 22
Die Plastik des Abendlandes von Dr. Hans Stegmann. Mit 23 Tafeln.
Die Plastik seit Beginn des 19. Jahrhunderts von A. Heilmeyer. Mit 41 Vollbildern auf amerikanisch. Kunstdruckpapier.
Die graphischen Künste von Carl Kampmann. Mit zahlreichen Abbildungen u. Beilagen.
Zeichenschule von Karl Kimmich. Mit 17 Tafeln in Ton-, Farben- und Golddruck und 135 Voll- und Textbildern.
Die Photographie von Heinrich Keßler. Mit 3 Tafeln und 52 Textillustrationen.
Der menschliche Körper von E. Rebmann. Mit 47 Abbildungen und 1 Tafel.
Tierkunde von Dr. Franz von Wagner. Mit 78 Abbildungen.
Geologie von Professor Dr. Eberh. Fraas. Mit 16 Abbildungen und 4 Tafeln mit 51 Figuren.
Paläontologie von Dr. Rud. Hoernes. Abbildungen.
Mit 87
Petrographie von Dr. W. Bruhns. Mit 15 Abb.
Kristallographie von Dr. W. Bruhns. Mit 190 Abb.
Burgenkunde von Dr. 0 . Piper. Mit zahlreichen Abbildungen.
Geometrisches Zeichnen von H. Becker. Mit 290 Figuren und 23 Tafeln im Text.
Perspektive von Hans Freyberger. Figuren.
Mit 88
Parallelperspektive von Professor J.Vonderlinn. Mit 121 Figuren.
Schattenkonstruktionen von Professor J. Vonderlinn. Mit 114 Figuren.
Preis eines jeden in Leinwand gebundenen Bändchens 80 Pfennig