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German Pages 264 [265] Year 2019
Spätmittelalter, Humanismus, Reformation Studies in the Late Middle Ages, Humanism, and the Reformation herausgegeben von Volker Leppin (Tübingen) in Verbindung mit Amy Nelson Burnett (Lincoln, NE), Johannes Helmrath (Berlin), Matthias Pohlig (Berlin), Eva Schlotheuber (Düsseldorf)
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Märtyrerbücher und ihre Bedeutung für konfessionelle Identität und Spiritualität in der Frühen Neuzeit Interkonfessionelle und interdisziplinäre Beiträge zur Erforschung einer Buchgattung Herausgegeben von
Andrea Strübind und Klaas-Dieter Voß
Mohr Siebeck
Andrea Strübind ist Professorin für Kirchengeschichte und Historische Theologie am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg. Klaas-Dieter Voß ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden und Lehrbeauftragter am Institut für Evangelische Theologie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
ISBN 978-3-16- 156538-0 / eISBN 978-3-16-156539-7 DOI 10.1628/978-3-16- 156539-7 ISSN 1865-2840 / eISSN 2569-4391 (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Inhaltsverzeichnis Klaas-Dieter Voß / Andrea Strübind Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Peter Burschel Cultures of Martyrdom in the Early Modern Age . . . . . . . . . . . . . . . .
13
Martin Ohst Transformationsversuche und ihre Grenzen Der Begriff des Martyriums im lutherischen Protestantismus . . . . . .
27
Martin Treu Märtyrer im Luthertum Ludwig Rabus: Historie der Märtyrer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
Jeremiah Martin Temporal and Spiritual Identity in Jean Crespin’s Livre des martyrs .
61
Klaas-Dieter Voß Adriaen van Haemstede und die Täufer Zum Entstehungskontext und zur Autorschaft der ältesten „Emder“ Märtyrerbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
Gabriele Müller-Oberhäuser „Great Persecutions and Horrible Troubles“ John Foxe, The Book of Martyrs und die englische Reformation . . . . .
99
Susanne Lachenicht Die Bedeutung des Martyriums für Hugenotten in Frankreich und im Refuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Albert de Lange Die Waldenser in Kalabrien Märtyrer zwischen Mythos und Realität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Stephanie S. Dickey Pietism and Pictorial Convention in Jan Luyken’s Illustrations for The Martyrs’ Mirror (1685) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
Nicole Grochowina Gleichheit im Tod, Unterschied in der Erinnerung? Märtyrerinnen im Täufertum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Raingard Esser „als in eenen spiegel …“ Katholische Märtyrerbücher in den Niederlanden im Achtzigjährigen Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Walter Schulz Emdens Märtyrer Die Quäker im 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung „Die Wahrheit ist untödlich …“ – so lautete das Motto von Balthasar Hubmaier (ca. 1480 bis 1528) in seiner Schrift Von ketzern vnd Iren verbrennern, mit der er 1524 gegen den Zwang in Glaubensfragen protestierte.1 Dieser Wahlspruch war auch sonst zentral im Denken und Handeln des wohl bedeutendsten Theologen des frühen schweizerisch-süddeutschen Täufertums, der selbst als Märtyrer auf dem Scheiterhaufen enden sollte. Die als Wahrheit erkannten Glaubensbekenntnisse und -überzeugungen der frühen reformatorischen Gruppen ließen sich nicht mit Feuer und Schwert unterdrücken, sondern brachen sich gerade erst recht durch Verfolgung und Vernichtung Bahn. Martin Luther verfasste angesichts des Todes der ersten protestantischen Märtyrer sein Loblied „Ein neues Lied wir heben an …“2 und deutete damit den Tod der beiden Augustinermönche und Ordensbrüder in Brüssel als ein Zeichen für das Kommen einer neuen Zeit. Luther war überzeugt davon, dass der Versuch, die evangelische Bewegung gewaltsam zum Schweigen zu bringen, genau das Gegenteil bewirke und am Ende der Botschaft Christi zum Sieg über das Böse verhelfe. Die Verfolgung betraf Protestanten und Protestantinnen aller Couleur einschließlich der nonkonformistischen und dissentierenden Gruppierungen. Die Zeugnisse der Opfer – nicht nur inquisitorischer Verfolgung – in Form von letzten Worten, Briefen, Testamenten oder auch Augenzeugenberichten dienten dem Gedächtnis der verfolgten und ermordeten Glaubensschwestern und -brüder, aber auch dem Selbstverständnis der jeweiligen Glaubensgemeinschaft, die in deren Blutzeugenschaft bzw. Leidensbereitschaft einen Beweis für die wahre Nachfolge Christi erblicken konnte. Für eine weite Verbreitung sorgte der Buchdruck, indem zunächst vereinzelte Flugblätter erschienen, dann aber in den 50er und 60er Jahren des 16. Jahrhunderts auch umfangreichere Darstellungen in mehr oder weniger konfessionell ein- und abgegrenzter Betrachtungsweise. Neben der 1554 in Straßburg erschienenen Historien der Heyligen, Auserwölten Gottes Zeugen, Bekennern und Matyrern des Lutheraners Ludwig Rabus (1523– 1592) publizierte John Foxe (1517–1587) nahezu zeitgleich ebenfalls in Straßburg sein erstes Buch über verfolgte Christen mit dem Titel Commentarii rerum in ecclesia gestarum sowie der ebenfalls reformiert gesinnte Jean Crispin (1520–1572) in Genf sein Le livre des martyrs. Das erste niederländische Märtyrerbuch, die Vgl. Balthasar Hubmaier, Von Ketzern und ihren Verbrennern, Quellen zur Geschichte der Täufer Bd. IX, hg. Gunnar Westin / Torsten Bergsten, Gütersloh 1962, 95–100. 2 Vgl. WA 35, 411–415. 1
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Einleitung
Historie der Martelaren von Adriaen van Haemstede (1521/25–1562), wurde 1559 in Emden gedruckt, wo aller Wahrscheinlichkeit nach 1562/63 auch die Sammlung Het Offer des Heeren herausgegeben wurde, die das Schicksal vieler Blutzeugen im täuferischen Kontext überliefert. Von ihr hat es schon im 16. Jahrhundert zumindest elf Auflagen bzw. Druckfassungen unterschiedlicher Offizinen gegeben. Die Ausdifferenzierung des mennonitischen Täufertums und das Entstehen unterschiedlicher Denominationen lassen sich dabei anhand von nach und nach ausgesondertem Textmaterial nachvollziehen. Die friesischen Mennoniten erkannten das Martyrium flämischer Mennoniten nicht mehr an und verbannten sie aus ihrem Gedächtnis.3 Erst der waterländische Mennonit Hans de Ries trug die Texte wieder zusammen und schuf durch Kompilation ein neues Märtyrerbuch,4 das eine europäisierende und entkonfessionalisierende Tendenz aufwies.5 Es war eine der wichtigsten Quellen für das 1660 in Dordrecht erstmals von dem Ältesten der dortigen Mennonitengemeinde Tieleman Jansz van Braght (1625–1664) in Druck gegebene Het bloedig Toneel of Martelaarsspiegel der Doopsgezinde of Weereloose Christenen.6 Posthum erschien 1685 eine zweite Auflage,7 die aufgrund der mehr als hundert Kupferstiche des niederländischen Illustrators Jan Luyken (1649–1712) einen hohen Bekanntheitsgrad erreichte. Im Rahmen des Reformationsgedenkens widmete sich im Sommer 2014 eine Ausstellung in Emden, die in der Johannes a Lasco Bibliothek, dem Ostfriesischen Landesmuseum und der Mennonitenkirche zu sehen war, diesen Zeugnissen und dieser Thematik. In Kooperation mit dem Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg sowie dem Projekt Freiheitsraum Reformation haben Bibliothek und Mennonitengemeinde ein internationales und interdisziplinäres Symposium mit dem Titel „Die Wahrheit ist untödlich. Märtyrerbücher und ihre Bedeutung für konfessionelle Identität und Spiritualität in der Frühen Neuzeit“ veranstaltet, das sich mit den vielen unterschiedlichen Facetten dieses Phänomens im Zeitalter der Reformation und darüber hinaus beschäftigte und dessen Beiträge nun publiziert werden. Ein von Dr. h. c. Walter Schulz in der Emder Mennonitenkirche gehaltener Vortrag über die Situation der Quäker im Emden des 17. Jahrhunderts wurde auf besonderen Wunsch der Herausgeberin ergänzt. 3 Vgl. Brad Gregory, Particuliere martelaarsbundels uit de late zestiende eeuw, DoBi NR 19 (1993), 103 f. 4 [Hans de Ries u. a.], Historie der Martelaren ofte waerachtighe Getuygen Jesu Christi, Haarlem 1615. 5 Vgl. Gregory, Martelaarsbundels, 105. 6 Tieleman Jansz van Braght, Het bloedigh Toneel der doops-gezinde en weereloose Christenen, die om het getuyghenisse Jesu geleden hebben en gedoodt zyn van Christi tyt af, tot dese onse laetste tyden toe, Dordrecht 1660. 7 Ders., Het bloedig tooneel, of Martelaers Spiegel der Doops-Gesinde of Weereloose Christenen, die, om ’t getuygenis van Jesus haren salighmaker, geleden hebben, ende gedood zijn, van Christi tijd af, tot desen tijd toe/ versamelt uyt verscheyde geloofweerdige chronijken, memorien, en getuygenissen, Amsterdam 1685.
Einleitung
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Eröffnet wird der Tagungsband mit einem Beitrag aus kulturanthropologischer Perspektive von Peter Burschel, der sich mit dem Erleben und den Auswirkungen von Gewalt und Tod als Resultat religiöser Verfolgung in der Frühen Neuzeit beschäftigt. Er geht dabei unter anderem der Fragestellung nach, welchen Anteil diese Erfahrungen an der Selbstfindung bzw. -definition religiöser Gemeinschaften im Zeitalter der Konfessionalisierung hatten; kollektives Leiden und Sterben hätten konfessionelle Gemeinschaft und eine identitätsstiftende Bekenntniskultur geschaffen. Er zeigt dies exemplarisch an drei Beispielen auf und benennt damit zugleich drei differierende Lesarten bzw. Deutungen erlittener Gewalt, nämlich „Leidsamkeit“, „contemptus mundi“ und „Passion“. Das Prinzip der „Leidsamkeit“ ist für ihn das zentrale Moment in den Märtyrerzeugnissen aus täuferischer Tradition. Das Lied der Elisabeth Dirks aus dem Liederbuch Außbund von 1570/71 zeige, dass darin kein Zweifel an den erlittenen physischen und emotionalen Schmerzen gelassen werde. Vielmehr werde die bereitwillige Annahme von Verfolgung und Tod als wichtige Voraussetzung für eine Nachfolge Christi gesehen, die sich an der Bergpredigt und der Forderung nach Gewaltlosigkeit orientiere. Die Verachtung einer der Zeitlichkeit unterliegenden Welt werde hingegen greif bar in der von Andreas Gryphius übersetzten Märtyrertragödie Felicitas von Leo Armenius in Straßburg. Mit der Hinrichtung der Catharina von Georgien habe der Barockdichter ein modellhaftes und typisch protestantisches Drama geschaffen, das seine Verankerung im Neostoizismus erkennen lasse. Hier stehe die Bewährung im Glauben angesichts der Ewigkeit im Vordergrund. Die „vanitas mundi“ werde zum Zeichen für Gnade und Erlösung. Schließlich nimmt er die religiösen Dramen des Jesuiten Andreas Brunner (1589–1650) in den Blick, die 1644–46 in der Innsbrucker Jesuitenkirche aufgeführt wurden. Die Darstellung physischer Gewalt stehe in Form katholischen Märtyrertums im Mittelpunkt der Inszenierungen. Die Protagonisten gingen heroisch und ohne Angst in ihr Martyrium, hätten die Welt überwunden und den Tod als Erlösung empfunden. Die erlittene physische Gewalt sei eine Form von Askese bzw. stehe symbolhaft dafür. Anders als bei den protestantischen Beispielen sei nicht allein die Weltverachtung und die Bereitschaft, den Tod auf sich zu nehmen, das Entscheidende, sondern die damit einhergehende Überzeugungskraft, Mitmenschen für den christlichen Glauben zu gewinnen. Was aber ist ein Märtyrer, was ist ein Martyrium aus protestantischer Sicht? Martin Ohst geht in seinem Aufsatz dieser Fragestellung nach. Er selbst wertet dabei seinen Beitrag als ein „sehr theologisches, sehr lutherisches und […] ein sehr deutsches Votum zum Thema Märtyrer und Märtyrerverehrung.“8 Die Leitvorstellung bzw. die Deutung des Begriffes „Martyrium“ entstamme der christlichen Tradition und erweise sich als eine normative Kategorie, 8
Vgl. S. 29.
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Einleitung
die das Martyrium als Handlung Gottes begreife, mit der er Heilsabsichten verfolge. Die Vorstellung vom Leiden um der Wahrheit willen habe dabei von jeher einem Wandlungsprozess unterlegen. Vor allem stelle die Reformation eine große Zäsur dar, die auch eine Neubestimmung des Martyriumsbegriffes evoziert habe. Ohst skizziert darum die Begriffsgeschichte von der christlichen Antike bis in die Zeit der Reformation und darüber hinaus. Der abendländische Kirchenvater Augustin habe in den Märtyrern Glaubensvorbilder gesehen, deren persönlicher Glaube für ihn das höchste Verdienst eines Christen darstellte. Die altkirchlichen Märtyrer seien bis ins Mittelalter verehrt worden. Der Verzicht auf das eigene physische Dasein aus Glaubensgründen habe eine Anwartschaft auf unsichtbare Himmelsgüter verheißen. Am Ende aber sei die Vorbildfunktion der Märtyrer durch den ihnen gegenüber geübten Heiligenkultus übersteigert worden. Die Reformation habe damit gebrochen und sich bewusst von „vor-, außerund gegenreformatorischen Vorstellungen“ distanziert, die eine wie auch immer geartete Werkgerechtigkeit beinhalten konnten. Luther habe dennoch an der Wertschätzung des Martyriums festgehalten, wobei er allerdings den Versuch unternommen habe, den Begriff seinem theologischen Verständnis nach und mit seinen Möglichkeiten zu transformieren. Das Martyrium habe im Luthertum dennoch eine nachgeordnete Rolle gespielt, bis man sich nach dem Ersten Weltkrieg an die Wertschätzung des Martyriums erinnert habe. Die altgläubige Prägung des Begriffes habe aber zu allen Zeiten eine latente Gefahr zum Missverständnis beinhaltet. Am Ende steht für Ohst daher die Frage, ob es nicht sinnvoll wäre, einen aus evangelischer Sicht adäquaten Terminus für das seelische und physische Leiden aus Glaubensgründen zu suchen. Auch der sich daran anschließende Beitrag beschäftigt sich mit dem Märtyrerverständnis des lutherischen Protestantismus. Martin Treu hat sich mit Person und Werk des Straßburger Theologen Ludwig Rabus (1523/24–1592) auseinandergesetzt, der als Erster 1552 ein protestantisches Märtyrerbuch veröffentlichte. Die Idee einer solchen Publikation wertet Treu als Reflex auf die Diskussion über die Heiligenverehrung zur Zeit des Interims in Straßburg. Der erste von insgesamt acht Bänden sei zunächst in lateinischer Sprache erschienen, wenig später aber auch in deutscher Sprache veröffentlicht worden. Die Viten biblischer und frühchristlicher Märtyrer im ersten Band seien in der Regel kurzgefasst, immer aber mit Quellenangaben versehen. Rund 150 Seiten dagegen habe Rabus im zweiten Band dem Schicksal von Jan Hus gewidmet, den er wie auch Hieronymus von Prag im Sinne Luthers als Vorreformator verstanden habe. Er führe viele Männer und auch einige Frauen auf, die für den „neuen“ Glauben gestorben seien. Die Auswahl sei dabei oft zufällig. Die Idee, Luther selbst unter den Märtyrern aufzuführen, habe er wohl der Flugschrift Passio Martini Lutheri von 1521 entnommen. Durchgängig sei der große Einfluss Luthers auf den Verfasser spürbar, insbesondere dessen „Konzept von der Wirkmächtigkeit und Selbstdurchsetzung des Wortes Gottes und das der Theologia crucis.“ Eigene Ansätze ließen sich nicht aufspüren, was ganz
Einleitung
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der Intention des Autors entsprochen haben dürfe. Auch sonst sei zu beklagen, dass es noch viele offene Fragen hinsichtlich der Person von Rabus und seinem Werk gebe. Das reformierte Pendant zum Märtyrerbuch von Rabus war Jean Crespins Le livre des martyrs, das erstmals 1554 in Genf erschien. Dieses Werk war im reformierten Bereich so erfolgreich, dass es schon bald zu den meistgelesenen Büchern neben der Bibel und Calvins Institutio gehörte. Die Folioausgabe, die zehn Jahre später erschien und nicht mehr für den Hausgebrauch gedacht war, sei zu einem Kulturdenkmal hugenottischer Identität avanciert. Jeremiah Martin fragt darum in seinem Aufsatz nach der Art des hier vorliegenden Selbstverständnisses. Crespin habe sein Werk, wie im protestantischen Bereich üblich, chronologisch geordnet, es fänden sich aber Abweichungen, da in besonderen Fällen z. B. eine geografische Ordnung Vorrang habe. Dem Beispiel des Märtyrerbuchs von John Foxe folgend seien auch solche Personen aufgenommen worden, die nicht als Märtyrer endeten, wie z. B. John Wyclif. Während Rabus die Märtyrergeschichte mit Abel beginnen lasse, sei es in den frühen Ausgaben von Crespin der englische Kirchenreformer Wyclif. Für ihn seien die frühen Märtyrer irrelevant, obgleich er zugleich betone, dass die nachreformatorischen Märtyrer in der Sukzession der apostolischen stünden. Dabei denke er weniger an eine historische Kontinuität, sondern vielmehr an eine spirituelle und symbolische Konformität. Zwar gebe es den Hinweis bei Crespin, dass seine Darstellung aus Zeitgründen nicht mit der apostolischen Zeit beginne, aber die Praxis seiner editorischen Arbeit zeige deutlich, dass seine Prioritätensetzung seiner calvinistischen Theologie geschuldet gewesen sei. Er habe eine Aversion gegen jede Art von eschatologischer Spekulation gehabt. Der Akzent sei dabei deutlich auf die Identifikation mit der wahren Kirche und mit der „Braut Christi“ gelegt worden, wobei der letzte Begriff sowohl im kollektiven als auch individuellen Sinne zu fassen sei. Die auf Adriaen van Haemstede zurückgehende niederländische Historie der Martelaren, die im Zusammenhang mit anderen in Emden verlegten Martyrologien von Klaas-Dieter Voss untersucht wird, zeigt eine große Nähe zu Crespins Entwurf, zumindest in Hinblick auf die theologischen Grundzüge. Auch hier finden sich das Motiv von der Sukzession der apostolischen Kirche und das Selbstverständnis, die wahre Kirche zu repräsentieren. Das Buch wurde in Emden verlegt und herausgegeben von der Druckerei Gillis van der Ervens. Dieser war überzeugter Calvinist und gab die für den reformierten Protestantismus wichtigsten Bücher in niederländischer Sprache heraus. Die biografischen Angaben zur Person Adriaen van Haemstedes, seine liberale Haltung, aber auch die von ihm den Mennoniten entgegengebrachte Empathie stehen in Spannung zum Duktus seines reformierten Märtyrerbuchs. Wegen seiner Nähe zu den Täufern in London, die er als „Brüder in der Gemeinschaft Christi“ anzuerkennen bereit war und für die er sich dort öffentlich einsetzte, wurde er 1560 aus der Londoner Gemeinde exkommuniziert und aus England verbannt. Dass seine Historie der Martelaren nach seinem
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Weggang aus Emden im Jahre 1559 noch eine redaktionelle Überarbeitung erfuhr, ist daher nicht völlig auszuschließen. Zu einem späteren Zeitpunkt war sein Name im reformierten Kontext so anrüchig, dass seine Verfasserschaft auf den Titelblättern späterer Ausgaben seines Märtyrerbuchs verschwiegen wurde. Emden sei aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Entstehungsort des ersten Märtyrerbuchs im täuferischen Bereich. Die älteste noch bekannte Ausgabe von Het Offer des Heeren wurde 1562 gedruckt. Der Name des Druckers fehle auf der Titelseite und auch der Bearbeiter bleibe anonym. Aufgrund typografischer Forschung könne bei der Bestimmung von Drucker und Druckort aber inzwischen schon manches Rätsel gelöst werden. Der Verfasser ist daher der Überzeugung, dass zumindest die erste gedruckte Fassung der Offizin des Emder Druckers Willem Gailliard zuzuordnen ist. Ein Großteil der in diesem Buch behandelten Märtyrer lebte und starb in Flandern, insbesondere in Antwerpen, sodass möglicherweise auch die Herkunft des Bearbeiters dort anzusiedeln ist. Es stelle sich daher die Frage, ob nicht auch in diesem Fall die Sammlung dieser Berichte auf Adriaen van Haemstede zurückzuführen sei? Motiv, Ort und Zeitpunkt würden dazu passen. Die Anglistin und Buchwissenschaftlerin Gabriele Müller-Oberhäuser befasst sich mit John Foxe und seinem Märtyrerbuch Acts and Monuments, das er als Neukonzeption der englischen Geschichte, insbesondere aber als nationale Kirchengeschichte verstanden habe. Für den Verlauf der englischen Reformation sei das Werk von größter Bedeutung gewesen, da die Lektüre Einfluss auf das religiöse und nationale Selbstverständnis genommen habe. Sie skizziert die englische Reformationsgeschichte, um Biografie und Werk des Autors besser beleuchten und einordnen zu können, und konzentriert sich in ihrer Darstellung zunächst auf die textlichen und buchhistorischen Aspekte. Nach einer Beschreibung der Genese des Textmaterials in den einzelnen Editionen des Märtyrerbuches und seiner Druckgeschichte wendet sie sich exemplarisch der Verfolgung evangelischer Christen zur Zeit Königin Mary Tudors zu, um veranschaulichen zu können, wie John Foxe seine Eindrücke von Gewalt und Märtyrertum vermittelt. Für die weitere Rezeption der Inhalte sei das Zusammenspiel von Text und Illustration von besonderer Bedeutung gewesen. Sprachliche Gestaltung und Bildwerk seien für breite Bevölkerungsschichten geeignet gewesen und hätten so Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen können. Als Martyrologe habe Foxe sich damit weit über seine Zeit hinaus behauptet. Im 19. Jahrhundert sei das Werk nicht nur sprachlich für das viktorianische England überarbeitet worden, die Bearbeiter hätten auch seine Übersetzungen lateinischer Texte durch andere und bessere ersetzt. Die Intention sei vermutlich apologetischer Art gewesen, um so das Werk von Foxe in einer Zeit theologischer Kontroversen unangreif bar zu machen. Mittlerweile sei eine Online-Version Gegenstand der Forschung, sodass Fragen nach der Entstehung des sehr komplexen Werkes sowie nach den Quellenbezügen mehr in den Mittelpunkt des Interes-
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ses gerückt seien. Verstärkt würden daher nun auch theologische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen an das Werk herangetragen. Susanne Lachenicht knüpft mit ihrem Beitrag über die Bedeutung des Martyriums für die Hugenotten in Frankreich und im Refuge zeitlich an die Ausführungen von Jeremiah Martin an. Sie streift das Märtyrertum des 16. Jahrhunderts nur kurz, um auf die Zeit des Grand Refuge zwischen 1685 und 1750 einzugehen. Neben Crespins Märtyrerbuch benennt sie weitere Quellen hugenottischer Erinnerungskultur, die sie unter den Gattungsbegriffen Mémoires (handschriftliche Briefe, Tagebücher, Familienchroniken, Testamente, aber auch gedruckte Berichte) und Predigten zusammenfasst. Die Mémoires hätten dabei nicht nur der Erinnerung gedient, sondern seien zugleich eine Aufforderung gewesen, den gemeinsamen Glauben und die damit verbundenen Institutionen zu bewahren. Die Predigten stellten zwar keine neue Gattung dar, die Zahl der gedruckten Predigten sei aber gestiegen und auch ihre Verbreitung über gut funktionierende Netzwerke. Neben einer Identifikation mit der wahren, reinen Kirche sei die Vorstellung getreten, die wahren Nachfahren Israels zu verkörpern. Im 17. Jahrhundert sei der sein Leben opfernde Calvinist zunehmend auch als Märtyrer bzw. Patriot der französischen Nation aufgefasst worden. Die Wahrung konfessioneller Identität habe die verstreut lebenden französischen Glaubensflüchtlinge schließlich zu einer „transnationalen Nation bzw. Diaspora“9 werden lassen, die am Ende ihre Akzeptanz im Ausland erschwert habe. Von den Waldensern in Kalabrien, denen Albert de Lange sich aus einer überlieferungsgeschichtlichen Perspektive widmet, seien keine Märtyrer bekannt geworden. Vielmehr seien sie in der Vergangenheit als kollektives Subjekt bzw. als Märtyrervolk definiert worden. Dieser „Mythos“ habe seine Wurzeln im waldensischen Selbstverständnis des Mittelalters. Konkret geworden sei die Vorstellung vom Märtyrervolk erst durch die Beschreibung eines Massakers, das den Waldensern widerfahren sei und das in den zuvor behandelten Märtyrerbüchern von Crespin und Foxe sowie im Catalogus testium veritatis von Matthias Flacius Illyricus Eingang gefunden habe. Der Name „Waldenser“ sei im 12. Jahrhundert entstanden, und zwar als eine von der Kirche gewählte Bezeichnung für die Anhänger von Valdes von Lyon. Als Laienprediger seien die Waldenser schon bald in Konflikt mit der Kirche geraten und von der Inquisition verfolgt worden. Nur in den Cottischen Alpen, im Luberon, in Kalabrien und in Apulien seien sie der Verfolgung entgangen. 1532 hätten sie sich der Schweizer Reformation angeschlossen. De Lange widmet sich nur jenen Waldensern, die sich in Kalabrien angesiedelt haben und aufgrund ihrer Herkunft aus den Cottischen Alpen als „Ultramontani“ bezeichnet worden seien. Als das Königreich Neapel spanische Provinz wurde, habe die blutige Verfolgung Andersgläubiger eingesetzt, die 9
Vgl. S. 136.
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hunderte von Waldensern das Leben gekostet habe. Das Blutbad in Montalto in Kalabrien, bei dem 88 Waldensern die Kehle durchgeschnitten wurde, sei dank eines Augenzeugenberichtes in italienischer Sprache in ganz Europa bekannt geworden. Dieser Bericht, der bald in mehrere Sprachen übersetzt und bearbeitet worden sei, habe einer Mythenbildung gedient. Die Entwicklung dieses Mythos lasse sich genauestens verfolgen. De Lange dokumentiert die Quellenlage und zeigt auf, dass es unterschiedliche Überlieferungsstränge gegeben hat. Im deutschsprachigen Bereich sei die Ausgabe des Augenzeugenberichts in einer Nürnberger Flugschrift von 1561 bestimmend geworden. Der Herausgeber habe in seinem Vorwort das Massaker in seine apokalyptische Weltsicht lutherischer Prägung integriert und darum die Opfer des Massakers in Kalabrien als lutherische und heilige Märtyrer gedeutet. Sie seien so zu Blutzeugen des Evangeliums und zum Zeichen des nahenden Weltendes geworden. Anders ist es in der lateinischen Übersetzung des Berichts von Heinrich Pantaleon, die in dem Märtyrerbuch von John Foxe aufgenommen und verbreitet worden sei und auch in den späteren Ausgaben der Märtyrerbücher von Crespin, Foxe und Adriaen van Haemstede: Sie enthalte den Hinweis, dass es sich bei den Exekutierten um Waldenser gehandelt habe, und habe so wesentlich zur Entwicklung des Mythos der Waldenser als Märtyrervolk beigetragen. Mit der Visualisierung von Gewalt und Leiden im Märtyrerspiegel von Tieleman Jansz van Braght beschäftigt sich der Beitrag der kanadischen Kunsthistorikerin Stephanie S. Dickey. Für sie gehört die zweite Auflage dieses Werkes von 1685 mit den darin enthaltenen 104 Darstellungen des Grafikers Jan Luyken zu den beeindruckendsten Martyrologien der Frühen Neuzeit. Nach einer kurzen Einordnung des Verfassers und des Illustrators in den jeweiligen zeitgeschichtlichen und religiösen Kontext kommt sie auf die Buchedition und schließlich auf das Bildprogramm selbst zu sprechen. Die Form und der Umfang der täuferischen Märtyrerbücher dokumentiere sehr anschaulich die Entwicklung von den ursprünglich religiösen Untergrundgemeinden hin zu den etablierten und in der Mitte der Gesellschaft angekommenen Mennoniten. Das 1562 erschienene Offer des Heeren sei schon vom Umfang her bescheiden gewesen und hätte sich in der Verfolgungssituation leicht verstecken lassen. Bei der zweiten Auflage des Märtyrerbuches von Tieleman van Braght handle es sich dagegen um eine voluminöse Luxusausgabe für gut situierte Leser. Der Märtyrerspiegel gleiche inhaltlich im Grunde allen anderen Büchern dieser Gattung. Die Art der Illustration aber vermittle die Erfahrungswelt der Märtyrer, die größtenteils den einfacheren Schichten angehört hätten. Luykens visuelle Rhetorik habe daher die Absicht des Verfassers unterstützt, nämlich die im 17. Jahrhundert inzwischen wohlhabenden Mennoniten an ihre eigene Herkunft und ihre einstige gesellschaftliche Stellung zu erinnern. Die im Untertitel verwendete Metapher „Martelaers-Spiegel“ verweise auf die als Spiegel aufzufassende Illustrierung, die nicht zuletzt der Selbstreflexion die-
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nen solle. Eine große Nähe zwischen dem konservativen Verfasser und dem eher freidenkenden Illustrator habe es aber dennoch nicht gegeben. Thematisch sei das Buch breiter angelegt; neben Blutzeugenschaft, Nachfolge und Leidsamkeit werde auch der mennonitische Glaube und seine Praxis beleuchtet. Die Verteilung der Kupferstiche in den beiden Bänden des Märtyrerspiegels sei unproportional zum jeweiligen Umfang. Zwanzig Prozent der Illustrationen entfielen allein auf die früheste Zeit des Christentums. Grund sei die reiche Bildtradition zum Märtyrertum und der Passion Christi, durch die Luyken inspiriert worden sei. Dank seiner Technik habe er es ansonsten verstanden, die klassische Eleganz des späten 17. Jahrhunderts zu adaptieren. Er habe sich an der seinerzeit vorherrschenden Genremalerei orientiert. Während er im ersten Teil des Buches vorwiegend Bezug auf den jeweils grausamen Märtyrertod genommen habe, stellten fast die Hälfte der Kupferstiche im zweiten Band gewaltlose Szenen im Leben der Gläubigen dar. In den anderen gebe es ein Nebeneinander von alltäglichen und grausamen Szenen, von leidenden Menschen und ihrer indifferenten Umwelt. Diese Art der Darstellung, die den Bildbetrachter zum Augenzeugen mache, bewirke am Ende ein Gefühl von Empathie. Die Studie von Nicole Grochowina beschäftigt sich mit der Erinnerungskultur im Täufertum, insbesondere aber mit der in der täuferischen Martyrologie Het Offer des Heeren, und zwar aus der Perspektive der Genderforschung. In der Frühen Neuzeit sei die Gesellschaft „geschlechterhierarchisch“ aufgebaut gewesen. Frauen hätten nicht als eigenständige juristische Personen agieren können und unter einer „Geschlechtsvormundschaft“ gestanden. Es sei daher in der Forschung danach gefragt worden, ob im Täufertum diese Ordnung etwa durchbrochen worden sei? Die Antworten fielen jedoch unterschiedlich aus. Aufgrund der Heterogenität des Täufertums und der regionalen Unterschiede lasse sich diese Frage auch nicht einfach und eindeutig beantworten. Der aktuelle Stand allerdings gehe eher von einer der Zeit entsprechenden Verteilung der Rollen von Frau und Mann aus. Vorausgesetzt, dass diese Einschätzung stimme, stelle sich die Frage, warum trotz der herrschenden Verhältnisse das Gedächtnis an das Martyrium von Frauen dennoch praktiziert worden sei? Eine Möglichkeit, dies zu verhindern, sei der auch von Luther angewendete Ausschluss eines wahren Martyriums gewesen. Dies habe in täuferischen Kreisen bei Einzelpersonen durchaus Anwendung gefunden, jedoch nicht pauschal bei Frauen. Gerade im Täufertum seien die Frauen in der Mehrheit gewesen. Es habe dementsprechend auch viele Märtyrerinnen gegeben, die man nicht ohne Weiteres habe aus der Erinnerung verbannen können. Frauen hätten außerdem zum Teil wichtige Funktionen für die Gemeinschaft wahrgenommen. Vor allem aber sei der Argumentation von Brad Gregory zu folgen, dass die grundsätzliche Bereitschaft, den Tod in Kauf zu nehmen, bestehende gesellschaftliche Konventionen zumindest für einige Zeit außer Kraft gesetzt habe. In den Märtyrerbüchern, die in den 1560er Jahren erschienen, sei man jedoch wieder um die Einhaltung einer Hierarchie bemüht gewesen. So wiesen die Zeug-
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nisse der Märtyrerinnen weniger umfangreiche und tiefgehende Texte auf und ordneten sie auf diese Weise den männlichen Märtyrern nach. Bestimmte Themen seien geschlechtsspezifisch aufgefasst worden, wie z. B. die Frage der Eidesverweigerung oder auch die nach der Gewaltlosigkeit. Theologische, historische oder gemeindeorganisatorische Fragen seien von Frauen nicht diskutiert worden. Auch habe man deren körperliche Schwäche immer wieder in den Vordergrund gestellt. Die Verfasserin kommt am Ende zu dem Schluss, dass die Geschlechterhierarchie in der Überlieferung offensichtlich fortgeschrieben werden sollte. Mit katholischen Martyrologien in den Niederlanden zur Zeit des Achtzigjährigen Freiheitskampfes befasst sich die Historikerin Raingard Esser. Ausgehend von der Fragestellung, warum erst spät der Opfer des bewaffneten Kampfes zwischen den niederländischen Freiheitskämpfern im calvinistischen Norden und der spanisch-habsburgischen Krone gedacht worden sei, präsentiert sie in chronologischer Abfolge die von 1587 an veröffentlichten Märtyrerdarstellungen in den Niederlanden. Richard Verstegan habe mit seinem Theatrum Crudelitatum haereticorum nostri temporis als Erster eine Antwort auf das protestantische Märtyrerbuch von John Foxe gefunden, indem er das Leiden der Katholiken in England und die Opfer calvinistischer Gewalt in den Niederlanden thematisiert habe. Anders als in den protestantischen Märtyrerbüchern stünden die Täter im Vordergrund des Geschehens, die nicht als Gefahr für den katholischen Glauben, sondern als Bedrohung für die bestehende Ordnung charakterisiert würden. Die Berichte sollten auch nicht der Meditation oder Erbauung von Gläubigen dienen, sondern seien allein aus Propagandazwecken veröffentlicht worden. Daneben habe sich eine eigene Form der regionalen Hagiografie entwickelt. Henricus Cuyckius habe 1595 eine Sammlung herausgegeben, an deren Anfang ein Kalender mit den niederländischen Heiligen stehe, gefolgt von einer lokalen Bistumsgeschichte sowie einer Chronik der niederländischen Kirchengeschichte. Eine regional verankerte Martyrologie sei auch die von Peter Opmeer, die 1625 posthum in Köln erschienen sei. Mit seiner Historia martyrum Batavicorum habe er einen zeitlichen und geografischen Überblick über zurückliegende Ereignisse gegeben und an Streiter für den rechten Glauben erinnern wollen. Die eingangs gestellte Frage beantwortet die Verfasserin am Ende zum einen mit der Intention der spanischen Machthaber, die gegnerische Front durch völlige Nichtbeachtung bedeutungslos erscheinen zu lassen. Zum anderen sieht sie in den regional verankerten Märtyrerberichten die Schaffung von Leitfiguren, die anders als die in der Kirche verehrten frühen Märtyrer einen Bezug zur aktuellen Situation herzustellen vermochten, indem sie je nach Erfordernis „als missionierende Aktivisten oder als gefasst Leidende“ in Szene gesetzt werden konnten und letztendlich so das Schweigen auf katholischer Seite gebrochen hätten. Einen neuen Blick auf die Stadt Emden und ihre Märtyrer bietet der Beitrag des reformierten Theologen Walter Schulz, der sich mit dem Schicksal der im 17. Jahrhundert in Emden ansässigen Quäker beschäftigt. Eine vor allem durch Andreas Karlstadt und Sebastian Franck geprägte mystisch-spiritualistische und individualisierte Theologie habe von Anfang an die ostfriesische
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Reformation geprägt, so Schulz, als deren geistige Nachfahren sich die Emder Quäker verstanden hätten. Diese Linie sei dann jedoch mit der calvinistischen Konfessionalisierung ab den 1570er Jahren zusammen mit anderen devianten Profilen zunehmend an den Rand gedrängt und bei den Quäkern sogar in gewaltsamen Pogromen ausgeschieden worden. Die Quäker beriefen sich auf die Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung, die ihre gemeinsamen religiösen Emder Vorfahren doch generell für alle Menschen erlangt hätten. Jetzt aber seien aus ehemals Verfolgten neue Verfolger geworden. Die Auseinandersetzungen hätten in diversen Streitschriften ihren Niederschlag gefunden, insbesondere im 1679 in Rotterdam und Amsterdam herausgegebenen Spiegel voor der Stad van Embden, in dem die Leidensgeschichte der Emder Quäker geradezu protokolliert erscheine. Mehrere Quäker seien unter den Bedrückungen gestorben, begleitet von rigorosen Vermögenskonfiskationen und angekündigten Bücherverbrennungen. Der wiederholte Aufenthalt englischer und niederländischer Quäker, darunter auch William Penn und Steven Crisp, stelle die Geschichte der Emder Quäker in einen weiträumigen Kontext. Die unlängst vertretene These, dass gerade in reformierten Städten und Territorien der Umgang mit den Quäkern besonders milde ausgefallen sei, da es nennenswerte Verfolgungen nicht gegeben habe, erscheint mit dieser Studie von Schulz in einem anderen Licht. Mit großer Freude können wir nach den großen Jubiläumsfeierlichkeiten diesen Band vorlegen, der Geschichte, Memoria und Darstellung frühneuzeitlichen Martyriums in konfessionell übergreifender Perspektive zusammenführt. Unser Dank gilt neben den Autoren und Autorinnen sowie den Förderern der Tagung im Jahr 2014 ganz besonders der Gerhard ten Doornkaat Koolmann-Stiftung, die die Satz- und Druckkosten großzügig mitfinanziert hat. Wir schließen uns dem Votum der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen zu 500 Jahren Reformation an, in dem postuliert wird, dass zum Gedenken „die Erinnerung an die zahlreichen Opfer religiös motivierter Gewalt“ unverzichtbar hinzugehört.10 „Wir ehren die vielen Zeuginnen und Zeugen des Glaubens sowie die Märtyrer und Märtyrerinnen aus den Zeiten der Reformation und der Konfessionskriege sowie alle unter religiös motivierten Verfolgungen leidenden Christinnen und Christen und gedenken gemeinsam ihres Glaubensmutes und ihrer Treue zum Evangelium.“11
Klaas-Dieter Voß / Andrea Strübind
http://www.oekumene-ack.de/fileadmin/user_upload/Mitgliederversammlung/Herbst_ 2016/Versoehnt_miteinander_Wort_der_ACK_zu_500_Jahre_Reformation.pdf. 11 Ebd. 10
Cultures of Martyrdom in the Early Modern Age Peter Burschel I. Introduction In May 1521 in Antwerp, Albrecht Dürer heard that Martin Luther had been kidnapped and murdered. Horrified at the news, he interrupted the series of sober work and expense entries in his journal to lament the supposed death of the Reformer as the bloody work of the devil and his Papist accomplices. He swore that this martyrdom demanded the vengeance of God and presaged the end of days. Dürer’s pain and anger peaked in an inflammatory invocation to Erasmus of Rotterdam, who in the face of Roman tyranny was under an obligation as a Knight of Christ to take the place of Luther and to fight for the truth of the Gospel until his own martyrdom.1 Irrespective of Martin Luther’s actual state of health in May 1521 – the manner in which Albrecht Dürer reacted to the rumoured kidnap and murder of the Reformer, the way in which he interpreted the supposed death of the “enlightened” man with the “godly mind” as a martyrdom and eschatological sign, mark the beginning of an epoch. This epoch would test a thousand-fold what had already been established through the mostly virtual martyrdoms of the Late Christian Middle Ages: the willingness to kill and the willingness to die.2 On 11 December 2002 the Director of the Department for Ecumenical Relations and Ministries Abroad of the Evangelical Church in Germany, Rolf Koppe, asked in the Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) “Who is a martyr?” This was in response to a letter published shortly before, also in the FAZ, in which the Grand Sheikh of the Al-Azhar Mosque and University in Cairo, Sayyid Mohammad Tantawi, postulated an Islamic martyrdom ethic. Koppe firmly rejected this postulation, stressing that it was “misleading” to call all those who lost their lives defending themselves, their home country or their faith “martyrs” – in particular if they themselves caused their own death, for example as a living bomb. Christian martyrs do not kill themselves, they do not kill others. It is others who kill them. The Christian martyr dies following Christ.3 Albrecht Dürer, Tagebuch der Reise in die Niederlande. Mit Illustrationen aus seinen Skizzenbüchern. Mit einer Einleitung und Anmerkungen, ed. Fedja Anzelewsky, Zurich 1988, 47 f. 2 For an overview: Brad S. Gregory, Salvation at Stake: Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge, MA / London 1999. 3 Tantawi’s letter: FAZ of 30 November 2002, Koppe’s reply: FAZ of 11 December 2002. 1
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Albrecht Dürer would have concurred. Yet his journal entry makes it clear that martyrdom arises not out of ethics or theology, but instead needs to be understood as a place that reveals the cultural meaning of heroic death, and consequently the significance of physical violence in social communities and their mindsets. Against this backdrop, it is possible to state programmatically that those who seek martyrdom are disclosing concepts of self and concepts of the world – and consequently the normative cultural imaginations that are conventionally known as identities. Moreover, if one reflects that there was a boom in Christian martyrdom during the two belligerent centuries of confessional profiling and state building that followed Dürer’s journal entry, then there is much to suggest that the descriptions, or perhaps rather: the orchestration of violent death in the Early Modern Age must always be understood as a response to collective experiences of grief, fear and chaos. In short, if such orchestration in the following three exemplary analyses is explored at an interdenominational and interdisciplinary level, then this is on account of one – cultural anthropological – perspective which deserves particular consideration in view of the Christian-Islamic controversy concerning the holy and violence. It also promises above all to reveal something about how experiences of powerlessness may not merely be directly manifested, but also made directly comprehensible and explanatory. The paper addresses the martyrdom suffered by the Anabaptists, in a second stage touches upon a tragedy – Gryphius’ Catharina of Georgia – and finally ends in the theatres of the Jesuits.4
II. Suffering as Leidsamkeit: the martyr songs of the Anabaptists A songbook appeared in 1570 or 1571 that certain groups of Anabaptists continue to use to this day. It was probably produced in Cologne, in a handy sexto decimo format. The book encompasses 131 songs, 23 of which are “martyr songs”: songs by Anabaptists concerning biblical, early Christian and contemporary heroes of faith.5 Just like Martin Luther’s A New Song We Begin, which was the prototypical Protestant martyr song composition, the martyr songs of the so-called Ausbund arose directly or at least immediately after the events they dramatize. They, too, adopted the structure of the narrative, historicaldocumentary event and “newspaper song”, which explains their relatively stereotypical structure. After initial verses that mostly contain echoes of popular For a detailed analysis of martyrdom as an exposed place of cultural-anthropological observations: Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, Munich 2004. 5 An overview of the persecution of the Anabaptists in the 16th century: Klaus Peter Clasen, Anapaptism: A Social History, 1525–1618. Switzerland, Austria, Moravia, South and Central Germany, Ithaca / London 1972, 370, 437. 4
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songs, the lyrics then turn to the fate of the martyr. This always traces the same stages: arrest and imprisonment; interrogation and disputation; usually torture; the court hearing; the judgement; the journey to the scaffold; and finally the execution itself.6 In the manner of Lutheran heroes of faith in early Reformation leaflets,7 the Anabaptists do not allow the protagonists of martyr songs – despite the fact that they are all theological autodidacts, without high offices or public profiles – to miss any opportunity to speak out and to preach (or at any rate to attempt this), and not least to profess their faith. Like their predecessors, time and again they theologically unmask the spiritual and temporal characters who are bringing accusations, who are jeering, threatening and would like nothing more than a rejection – whereby the women are second to none in this respect, and even surpass the men. The songs strive to leave no doubt that the “simple voices” are the voices of God’s flock, the voices of meekness, love and truth. Like their predecessors, Anabaptists frequently face death in song, mostly joyfully, often with a smile on their faces, at any rate courageously, strong, resolutely – and in prayer. Like their predecessors, they also forgive their mockers, torturers and judges. And they also find the strength to console their families, friends and even their own tormentors. In short: Like their predecessors, they too know how to act when those who love God suffer and die. Like the world of the martyr leaflets, the world of the martyr songs is an eschatologically interpreted and dramatized world in which the apostolic army confronts the “evil hordes”: a world, that is to say, in which everything is at stake.8 Even more dramatically than the leaflets of the Lutherans, the songs of the Anabaptists demonstrate what it means to be a member of the “flock” in this world, by repeatedly presenting the suffering of their protagonists, not least their physical torment, in particular by repeatedly (and in close detail) describing how prisoners are tortured in order to force them to retract or al6 The Ausbund (Außbund ǀǀ Etlicher schoener ǀǀ Geseng / wie die ǀǀ in der Gefengnuß zu Passaw im ǀǀ Schloss von den Schweitzern / vnd ǀǀ auch von andern rechtglaeubigen ǀǀ Christen hin vnd her ge= ǀǀ dicht worden), whose oldest known surviving transcript dates from the year 1583, appears to have been distributed amongst southern and upper German Anabaptist circles during the Early Modern Age. Its “chances of survival” were low. In Germany, only two copies are known to still exist today: one in the Württemberg State Library in Stuttgart, and the other in the Bavarian State Library in Munich. Hereafter quotes are taken from the Munich copy. – For further information about the Ausbund, with an overview of the martyr songs, see Peter Burschel, “Marterlieder. Eine erfahrungsgeschichtliche Annäherung an die Martyrienkultur der Täufer im 16. Jahrhundert”, Mennonitische Geschichtsblätter 58 (2001), 7–36; cf. furthermore: Ursula Lieseberg, Studien zum Märtyrerlied der Täufer im 16. Jahrhundert, Frankfurt (Main) u. a. 1991. 7 Bernd Moeller, “Inquisition und Martyrium in Flugschriften der frühen Reforma tion in Deutschland”, in: Silvana Seidel Menchi (ed.), Ketzerverfolgung im 16. und frühen 17. Jahrhundert, Wiesbaden 1992, 21–48. 8 Burschel, Marterlieder, 14 f.
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ternatively to reveal the names of their fellow believers. The song about the end of the Dutch Mennonite Elisabeth Dirks, for example, devotes one third of its text to her torture, and does not leave any phase of it unmentioned.9 Having refused to retract, and despite all threats stubbornly rebuffing demands to reveal to the Council of Leeuwarden the names of further Anabaptists living in the city, thumbscrews are applied. When the Mennonite feels she can no longer withstand the torment, she turns to God: “Sie thet es Gott im Himmel klagn / Die pein kann ich nit laenger tragen.”10
Upon hearing this, the councillors think they are close to achieving their goal, and again implore the Anabaptist to acknowledge the error of her ways. Dierks, however, remains deep in prayer and feels herself gaining new strength. The pain of the torture eases. The councillors respond by increasing the level of torture. The tormentors place leg screws on Dierks. She asks not to be disrobed, yet this plea goes unheard. She faints, although quickly regains consciousness. Once more, the councillors endeavour to persuade her to repent. Yet she remains adamant: “Da sprach sie / Jch beger durch Gott Das zu versiegeln mit dem Todt.”11
One may indeed ask why the songs describe physical suffering in such scope and detail. It suggests that these songs need to be understood as a medium of the imagination and consequently the meditative anticipation of pain that ultimately serves its ascetic-spiritual overcoming. At the same time, however, it is noticeable that – notwithstanding their steadfastness – the Anabaptists, who without exception face death joyfully and expectantly, certainly do not bear their physical torment with rapture or obliviousness, unlike many saints of legend. On the contrary, they all clearly doubt whether they will be able to endure what is being inflicted upon them. This implies that the protracted dramatization of physical violence in the songs has another function: Because the songs leave no doubt that the torture affects its victims physically and emotionally, they demonstrate the principle of Leidsamkeit – the lijdzaamheid of the Dutch Anabaptist records – which as a necessary condition for the imitatio Christi shaped the ethics of all Anabaptist groups since the end of the 16th century, and simultaneously established the practice of defencelessness and non-violence amongst congregations.12 Ausbund, 69–75. “To God in Heaven she did declare / The pain no longer can I bear.” 11 “Then she said / Lord God I do beg To seal this day now with my death.” 12 Ethelbert Stauffer, “Märtyrertheologie und Täuferbewegung”, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 52 (1933), 545–598, here 592 f. 9
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Moreover: by leaving no doubt about the sufferings of their protagonists, and consequently making it absolutely clear that the love of God and the Cross are inseparable, the martyr songs warrant, indeed guarantee the truth of the teachings they reveal. The radical demonstration of the ethical imperative of Leidsamkeit reveals to all who learn these songs by heart, who sing them or who listen to them, a fundamental contextual significance that only death can attest. This also means, however, that the community that produces these songs, the community that is “sealed” in baptism and repeatedly reformed in the sacrament as the communio sanctorum, is a community of victims, a community in which each individual, in the words of Max Weber, offers the “sense of a meaning and the consecration of death”.13 It is a community that in this way makes comprehensible the extreme, not least the sustained, repeatedly renewed collective experiences of difference (Differenzerfahrungen) of the Anabaptists – the seemingly successful actions of the devil in the world.14
III. Suffering as contemptus mundi: Gryphius’ Catharina of Georgia Between 1634 and 1644, Andreas Gryphius translated the martyrdom tragedy Felicitas written by the Jesuit Nicolaus Causinus. By 1647 at the latest, he also completed his first tragedy, Leo Armenius, in Strasbourg. He furthermore dramatized, possibly even before his return to Silesia in the same year, a contemporary historical event: the execution of Queen Catharina of Georgia in 1624, and created what one may with some justification call a model Protestant drama.15 Here too, it is possible to say: “A piece of history is moulded into dramatic shape, i. e.: brought into the correct form, corresponding to the true 13 Max Weber, “Die Wirtschaftsethik der Weltreligionen” (1920), in: idem, Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, vol. 1, Tübingen 51963, 237–573, here 548. 14 On the term “experiences of difference”: Lutz Niethammer, „Konjunkturen und Konkurrenzen kollektiver Identität. Ideologie, Infrastruktur und Gedächtnis in der Zeitgeschichte”, in: Matthias Werner (ed.), Identität und Geschichte, Weimar 1997, 175–203, here 195 f. 15 Andreas Gryphius, “Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Bestaendigkeit”, in: idem, Gesamtausgabe der deutschsprachigen Werke, vol. VI/3: Trauerspiele, ed. Hugh Powell / Marian Szyrocki, Tübingen 1966, 132–221. – This edition is cited below, specifying the act (Roman numerals) and verse number (Arabic numerals). For a detailed examination of the Catharina tragedy as a model Protestant drama together with the relevant literature. See Peter Burschel, “Leid und Heil. Gryphiusʼ Catharina von Georgien in frömmigkeitsgeschichtlicher Perspektive”, in: Matthieu Arnold / Rolf Decot (ed.), Frömmigkeit und Spiritualität. Auswirkungen der Reformation im 16. und 17. Jahrhundert / Piété et spiritualité. Lʼimpact de la Réformation aux XVIe et XVIIe siècles, Mainz 2002, 99–119.
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nature of the events, and revealing these. This consequently creates a melange of the historiographic and the poetic … treatment of the material.”16 The treatment that unfolds on the day of the martyrdom can be summed up as follows: the Persian Shah Abas has kept the Georgian Queen Catharina imprisoned at his court for many years. He is passionately in love with the Christian ruler of the subjected neighbouring country, but she refuses his advances. When the Tsar petitions for Catharina’s release, Abas agrees. This is in order to support a peace treaty recently agreed between Russia and Persia. He soon regrets his promise, however, and eventually breaks it. The despot gives the prisoner a choice of either becoming his wife – or of being executed. However, Catharina remains steadfast and chooses death out of loyalty to her murdered husband, out of loyalty to her people, but above all out of loyalty to her faith. She is tortured, and ultimately burnt alive at the stake. Abas begins to have doubts; ultimately, he revokes the death sentence. When he belatedly learns that Catharina is already dead, he begins to lament and sinks into despair. The transfigured Catharina appears before him, and prophecies that God will punish him. That, essentially, is the plot. Its apocalyptic finale also alludes to the beginning of the tragedy, the prologue featuring Eternity, who is obliged to clamber over bodies and other emblematic props to make an admonitory appearance before the audience: “… schaut, was ist diß Threnenthal Ein FolterHauß / da man mit Strang vnd Pfahl Vnd Tode scherzt.”17
Following the evocative demonstration of the vanitas mundi, there is an emphatic appeal to choose between this world and the next, between eternal salvation and eternal damnation. Eternity, who is about to depart the scene of mortality in the direction of heaven, addresses Catharina directly for the first time, unequivocally recommending that her death be emulated: “Last so wie Sie das werthe Blut zu Pfand: Vnd lebt und sterbt getrost fuer Gott vnd Ehr vnd Land.”18
This characterises the prologue, which Hans-Jürgen Schings has called an “allegorical manifestation of Gryphius’ theory of tragedy”. After all, the cosmic topography of heaven and hell clearly suggests that Catharina of Georgia 16 Albrecht Schöne, “Ermordete Majestät. Oder Carolus Stuardus König von Groß Britannien”, in: Gerhard Kaiser (ed.), Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen, Stuttgart 1968, 117–169, here 161. 17 I, 65–67: “ … Look what is this valley of tears A torture house / Where with rope and stake And death the people do jest.” 18 I, 87 f.: “ Thus, like her, let your precious blood as lien: And confident live and die for God and honour and land.”
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needs to be interpreted within the context of the history of salvation, which for its part points to a salvation pedagogy and therefore a consolatory intention.19 In other words: Eternity’s prologue reveals the interpretive categories and lines of meaning that make it possible to understand the interplay of temporal facts as an exemplary act of ultimate salvation – and consequently not least as a drama that can and should convey mental and social orientation. Yet what does this mean in concrete terms? What is being conveyed in the dramatic presence of the tragedy – and how? A cursory glance at the five acts shows that Gryphius repeatedly interrupts the “actual” plot. On three occasions he actually sets this aside entirely, in order to recount at length what took place before Catharina was taken prisoner, above all historically, but also dynastically and politically; and what then occurred during the eight subsequent years.20 While these passages of the story are grotesquely detailed and curiously positioned, with extensive overlaps, Gryphius included them in his drama for a purpose. After all, with the serial pathos of atrocity followed by atrocity, they demonstrate the chaos of the historical world that Eternity had revealed in her vanitas meditations. It comes, therefore, as no great surprise that Catharina begins the story of her life with a catalogue of atrocities. Although Catharina’s torture is not shown on stage, the eyewitness Serena describes the Queen’s agonies in such detail that her report causes all preceding vanitas demonstrations to pale in comparison.21 There is more to come. Following the torture, the executioners lead the broken, yet still breathing – indeed still speaking – victim across the stage, delivering her into the flames. Above all, however, having returned after accompanying Catharina to the pyre, the priest holds up the charred head of the Queen for all to see. This becomes the final and ultimate prop symbolising the transient nature of human existence, the oppressive emblem of a world that is a “torture chamber” and cannot help but produce martyrs, and by this means repeatedly provides glimpses of Eternity.22 Not least, the charred head of the Queen becomes the eschatological “emblem” of an exemplary princely fall as a further demonstrative vanitas principle that brings into view the law of existence.23 While Catharina accepts her martyrdom willingly, resolutely and freely at the end of the tragic drama, in order to follow the call of Eternity, she certainly does not show disdain for the chaos of the historical-political world presented by the passages of narrated history. Quite the contrary: The Catharina who 19 Hans-Jürgen Schings, “Catharina von Georgien. Oder Bewehrete Beständigkeit”, in: Gerhard Kaiser (ed.), Die Dramen des Andreas Gryphius. Eine Sammlung von Einzelinterpretationen, Stuttgart 1968, 35–72, here 36–39. 20 I, 227–296; 409–721; III, 56–380. 21 V, 91–95. 22 V, 210–220. 23 Walter Benjamin, Ursprung des deutschen Trauerspiels (1928), ed. Rolf Tiedemann, Frankfurt (Main) 71996, 192 f.; Schöne, Ermordete Majestät, 130 f.
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appears in the play is depicted as an extremely proficient power politician. Like Shah Abas, the tyrant and persecutor of Christians, the “bloodhound” and radical instance of vanitas mundi, Catharina likewise knows the meaning of prudentia politica. She is familiar with deceit and double-crossing, along with preventative military strikes, treachery and even assassination. When she dreams of her crown being transformed into a crown of thorns, she has a premonition of what this signifies. Yet she is still far removed from the consequences of a radical contemptus mundi. Her thoughts continue to be occupied by the political disputes of the past years, the murderous struggles for power within her own dynasty, and not least the fate of her son Tamaras.24 When she learns shortly thereafter that her son is still alive and has even ascended to the throne, her response is certainly not that of a designated martyr, begging for signs of proximity to God, but instead that of a triumphant sovereign who is so “delighted and enthused” that she is almost unable to speak, thereby demonstrating all too clearly what the anthropology of the time, rooted in neo-Stoicism, localised as the source of all inconstancy: emotion, passion, perturbatio.25 Having erased all doubts about the veracity of the news, Catharina then turns to God: “… O hoechster Fuerst, du schlaegst vnd heilst die Wunde.”26
Catharina interprets the news of political success as a sign of divine grace. The radical shift in her emotional state from deepest fear to the greatest passion culminates in a veritable conversio: “Mir ist als wenn ich Neu gebohren”.27 Although this prayer call cannot be said to depict Catherina as showing contempt for the temporal, scholars have always been inclined to interpret the Queen’s reaction as the beginning of her transformation from a committed – or rather moderately unscrupulous – power politician to a Christian martyr willing to make sacrifices and to overcome mortal travails.28 Following the failure of all attempts to secure deliverance, she accepts the bloody trial as God’s will, as a providential challenge and opportunity to be tested in a doomed world governed by laws other than the laws of God:
I, 324–350. I, 363. Cf. also Schings, Catharina von Georgien, 56 f.; Jean-Louis Raffy, “Leidenschaft und Gnade in Gryphiusʼ Trauerspielen”, in: Jean-Daniel Krebs (ed.), Die Affekte und ihre Repräsentation in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit, Bern u. a. 1996, 189–206. 26 I, 394: “… O Lord above, you strike and heal the wound.” 27 I, 405: “I feel as though I were born again.” 28 Inclusive of those scholars who interpret Gryphius’ tragedies not predominantly or exclusively as “dramas of transcendence” – such as e. g. Lothar Bornscheuer, “Zur Gattungsproblematik, Affektgestaltung und politischen Theologie in Gryphs historisch-politischen Trauerspielen”, in: Krebs (ed.), Affekte, 207–222, here 211. 24 25
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“Die Erden sinkt vns an / wir gehen in Himmel ein.”29
It is only now that the metamorphosis is complete. It is only now that Catharina recognises that the order she created as a sovereign is a delusional order. It is only now that she understands that prudentia politica and ratio status merely create and perpetuate the chaos of the historical world they aim to overcome. It is only now that she is able to unmask the anxieties about the crown and throne, about dominion and family as false anxieties, as anxieties that spring from the human heart and the counsel of human reason. It is only now that she is able to interpret her perception of the vanitas mundi as a sign of mercy and of salvation, and to face death “betrothed to God”.30 While there are many controversies surrounding Catharina, the tragedy of the Georgian queen reads first and foremost as a Lutheran or at least Protestant “vanity declaration addressing current sovereignty theories and their apotheosis, statesmanship”, whereby the dramaturgical vanitas demonstrations need to be understood as eschatological warnings not to overestimate the temporal “playground”.31 This means the tragedy is a remedy against the delusion, grounded in neo-Stoic principles, that the ratio politica is capable of alleviating the suffering of the world, by this means reducing Christian temporal insecurity. The Catharina tragedy debunks the promises of political reason as a product of human presumption. What does this debunking mean for the difficult relationship between divine and human dramaturgy? A comparative glance at contemporary interpretation of ecclesiastical songs and consolatio literature reveals that there can only be one answer to this question, as both genres openly state what the tragedy encrypts: by concretising suffering as a deliberate act of overcoming suffering in the constantia, the divine dramaturgy conveys human actions, rendered meaningful as suffering, to the divine action of salvation exemplified in suffering – and only in suffering. Or – in explicitly Protestant terms – by warning mankind not to overemphasise its cult of reason, the Catharina tragedy simultaneously warns mankind not to jeopardise the criteria for its salvation, for those who are dedicated to the theologia crucis will necessarily be threatened by any restriction of their ability to be tested and to suffer.32 IV, 427: “The Earth sinks beneath our feet / Heaven we enter.” Still the benchmark when it comes to the “imitatio” character of Catharina’s martyrdom: Hans-Jürgen Schings, Die patristische und stoische Tradition bei Andreas Gryphius. Untersuchungen zu den Dissertationes funebres und Trauerspielen, Cologne / Graz 1966, 264 f. 31 Conrad Wiedemann, “Andreas Gryphius”, in: Harald Steinhagen / Benno von Wiese (ed.), Deutsche Dichter des 17. Jahrhunderts. Ihr Leben und Werk, Berlin 1984, 435–472, here 460. – On eschatology in Gryphius: Wilhelm Vosskamp, Untersuchungen zur Zeit- und Geschichtsauffassung im 17. Jahrhundert bei Gryphius und Lohenstein, Bonn 1967, 99 f. 32 Wiedemann, Andreas Gryphius, 460 f. 29
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IV. Suffering as passion: Jesuit stagecraft When the religious plays of the Jesuit Andreas Brunner (1589–1650) appeared in 1684, the publisher left no doubt in his foreword about what readers could expect of the 24 actiones sacrae that had been staged at the Innsbruck Jesuit Church between 1644 and 1645: martyrs, suffering and extreme pain.33 A cursory glance at the Dramata Sacra itself confirms the words of the publisher – and consequently a statement that Jean-Marie Valentin had made on the guiding principle of Jesuit stagecraft in 1985 – that following the transition from the 16th to the 17th century, Jesuit theatre increasingly developed into a theatre of violence.34 Andreas Brunner was no exception. In fact, in comparison to other Catholic, in particular Jesuit dramatists of his time, he was not even particularly skilled or innovative when it came to the depiction of physical violence.35 Despite the fact that Jesuit theatre had no need of martyrs to set the scene for torture practices and execution rituals, it is clear that when the heroic revolution in the Catholic world reached the stages of the Society of Jesus, this also had the effect of transforming them into settings for the depiction of extreme pain. At the same time, there is no shortage of contemporary statements demonstrating that the heroisation or brutalisation of Jesuit stagecraft presented this revolution and its spiritual and ascetic criteria in a special manner, while also having the effect of popularising it. As Jesuit theatre unquestionably dominated the Catholic stage of the 17th century, at least within German-speaking Europe, and also exerted a major influence on Protestant tragedies and the level of violence they depicted, then within the context of the cultural-anthropological analysis of this contribution, the martyrdoms staged by the Jesuits may clearly be viewed as depictions of Catholic suffering. Furthermore, it also seems beyond dispute that Jesuit theatre reached a comparatively broad audience as a performance event and experiment, above all as an acted out sermon.36
33 Andreas Brunner, Dramata Sacra, Salzburg 1684. Sammelband der vierundzwanzig von 1644 bis 1646 in der Innsbrucker Jesuitenkirche in deutscher Sprache aufgeführten religiösen Dramen. Nachdruck, mit einem kritischen Nachwort von Jean-Marie Valentin, Amsterdam 1986, fol. A 2v. 34 Jean-Marie Valentin, “Jesuiten-Literatur als gegenreformatorische Propaganda”, in: Harald Steinhagen (ed.), Zwischen Gegenreformation und Frühaufklärung: Späthumanismus, Barock, Reinbek (Hamburg) 1985, 172–205, here 203. 35 Cf. here merely Reinhart Meyer-Kalkus, Wollust und Grausamkeit. Affektenlehre und Affektdarstellung in Lohensteins Dramatik am Beispiel von Agrippina, Göttingen 1986. 36 Cf. Burschel, Sterben und Unsterblichkeit, 263–283 (chapter 7), whose sources (in addition to published and unpublished Jesuit dramas, above all programme leaflets) also support the following considerations.
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In endeavouring to understand the heroic arming of the Jesuit drama, an obvious approach is to first examine the heroic revolution within the Catholic world after the second half of the 16th century: the rearrangement of the saintly community, its confessionalisation, its militarisation, the revitalisation of the hagiography and euphoria of the cross, and not least the competition exerted by rival martyrs that culminated in the aggressive popularisation of new martyrs, above all missionary ones.37 At the same time, however, it is important to emphasise that the triumph of Catholic martyrdom on stage was also prepared and overseen by dramaturgical and emotional theory. On the one hand, Jesuits made a significant contribution, while carefully distancing themselves from neo-Stoic and neo-Platonic positions, towards the development of the Aristotelian-Thomist doctrine of the affections. This is based upon the notion that there are complex interactions between the arousal and the cleansing of the affections, whereby in particular the cleansing of the tragic emotions misericordia and horror create the necessary space for redeeming virtues to unfold and develop. On the other hand, the Jesuits were always keen to demonstrate that martyr tragedies, in particular, were suitable means of realising this objective. In contrast to the necessarily mediocre Aristotelean heroes, Christian martyrs generate neither compassion nor fear, as they themselves do not feel fear and view death as salvation. Their example nevertheless teaches that all fear can be overcome, and that there is no point in being compassionate if the sufferer can expect salvation.38 While it may certainly be stated that the Jesuit attempt to reconcile Christian stage martyrdom and Aristotelian Poetics was largely a failure, it is safe to assume that this attempt accelerated and intensified not merely the heroisation of Jesuit stagecraft, but also its brutalisation. One thing, at any rate, is clear: After the transition from the 16th to the 17th century, physical suffering featured more frequently and was depicted more openly and more uncompromisingly in Jesuit theatres. Does this adequately encapsulate the meaning of the dramatization of violence on the stages of the Jesuits? If one examines the programme leaflet for the Munich performance of Jakob Bidermann’s no longer extant Adrianus tragedy of 1606, then it seems reasonable to go one step – or to be precise two steps – further. After all, the foreword states: “DJe rechte vnd ware Marter stehet nit allein in Vergiessung deß Bluts / vnnd nit allein die Pein deß Fewers erlangt den palm vnd Sig. Nit allein durch den Todt kompt man zur 37 Idem, “Paradiese der Gewalt. Martyrium, Imagination und die Metamorphosen des nachtridentinischen Heiligenhimmels”, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2001, Munich 2002, 139–181; idem, “Stumme Bücher. Zur katholischen Martyrienkultur in der frühen Neuzeit”, in: Mit Kalkül und Leidenschaft. Inszenierungen des Heiligen in der bayerischen Barockmalerei, vol. 1, Landshut 2003, 106–123. 38 Hans-Jürgen Schings, “Consolatio Tragoediae. Zur Theorie des barocken Trauerspiels”, in: Reinhold Grimm (ed.), Deutsche Dramentheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland, vol. 1, Frankfurt (Main) 1971, 1–44.
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der Cron / sonder auch durch Verachtung vnd Verschehung deß Fleisches Ohn alle Smach vnd Vnbilligkeit der heyligen Martyrer / welche vmb Christi willen verfolgt vnd getoedtet werden / darff man wol sagen / daß deß Fleisch zichtigen / boese Beguerden daemmen / dem Geitz begegnen vnd widerstehen / die Welt vberwinden / ein guter vnd grosser theil der Marter sey.”39
Although the ancient concept of asceticism as permanent internal martyrdom does not feature prominently in the poetics of the 17th century, and although it is also hardly possible – due to the scarcity of sources – to obtain a clear understanding of how this concept was realised in detail on stage, the Adrianus programme leaflet nevertheless suggests that martyrdom was indeed also staged as a means of internalising the martyrdom principle – and could be perceived and interpreted as such. In other words: Whoever seeks the meaning of the violence that was staged in the theatres of the Jesuits, must also always expect to encounter the ascetic symbolism of physical suffering.40 And the second step? If one takes another, closer look at the Adrianus programme leaflet against this backdrop, it opens up a further perspective and suggests there is another answer to the question of what the demonstration of extreme physical violence on the stages of the Jesuits might signify. This could also be the decisive answer. For martyrdom within this context is not least an active enmity expressed towards one’s own body. It is what Erich Auerbach called “counter-suffering”: “passionate suffering in the world and consequently against the world as well”.41 If one approaches the surviving drama 39 Bavarian State Library Munich, 40 Bavar. 2197, I, 15, fol. A iV. – Photomechanical reproduction of the programme leaflet: Elida Maria Szarota, Das Jesuitendrama im deutschen Sprachgebiet. Eine Periochen-Edition. Texte und Kommentare, vol. 3: Konfrontationen 1, Munich 1983, 57–71, here 58. Citation: Jean-Marie Valentin, Le theatre des jésuites dans les pays de langue allemande (1554–1680). Salut des âmes et orde des cités, vol. 1, Bern / Frankfurt (Main) 1978, 64, No. 572. – “The right and true martyr is established not just by the letting of blood / and it is not just through the pain of fire that one achieves the palm and victory. The crown is achieved not just through death / but also by scorning and disdaining flesh, without all the ignominy and inequity of the holy martyrs / who are persecuted and killed for the sake of Christ / one may indeed say / to chastise the flesh / to repress evil desires / to resist miserliness / to overcome the world / doth account for a goodly and sizeable proportion of the martyrs.” 40 A statement, by the way, that also applies to other literary dramatizations of physical violence in the 17th century. Two examples: Friedrich von Spee, “Trutz-Nachtigall”, in: idem, Sämtliche Schriften. Historisch-kritische Ausgabe, vol. 1, ed. Theo G. U. van Oor schot, Bern 1985, 229–234 (“Eine Christliche Seel singet von dem Creutz vnd Wunden Christi”, 1649), here 234 (verse 15); Angelus Silesius (Johannes Scheffler), Cherubinischer Wandersmann (1675). Kritische Ausgabe, ed. Louise Gnädinger, Stuttgart 32001, 36 (book I, 62). 41 Erich Auerbach, “Passio als Leidenschaft”, in: idem, Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, Bern / Munich 1967, 161–175, here 164; Arnd Beise, “Verbrecherische und heilige Gewalt im deutschsprachigen Trauerspiel des 17. Jahrhunderts”, in: Markus Meumann / Dirk Niefanger (ed.), Ein Schauplatz herber Angst. Wahrnehmung und Darstellung von Gewalt im 17. Jahrhundert, Göttingen 1997, 105–124.
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texts and programme leaflets from this perspective, then it quickly becomes clear that the martyrs on the stages of the Jesuits, in comparison with their Protestant counterparts – that is to say with their Stoic counterparts – do not actually suffer, but instead counter-suffer, do not endure, but instead act, do not relinquish, but instead fight, do not overcome, but instead persuade. Their martyrdom becomes an act and only in the act does it become a triumph. For it is the act in which the virtues are revealed. Of course, the martyrs on the stages of the Jesuits also demonstrate the transient nature of the human state. Indeed, they let their audiences know that they despise this world. In dying, they reveal a glimpse of eternity. Unlike Catharina of Georgia and all the other Protestant heroes and heroines of faith, however, their cheerfulness appears to be derived first and foremost not from the prospect of being able to go into death “betrothed to God”, but by the simple fact that they have successfully persuaded bystanders, friends, relatives or former enemies to convert to Christianity. No Jesuit stage martyrdom without conversion. In the Catharina drama of 1576, for example, the saint’s influence is so powerful that not only the soldiers who are tormenting her eventually convert, but also the philosophers who are interrogating her, the priests and ultimately the empress herself.42 In view of such findings, it comes as no great surprise that the demonstration of the defensive principle of constantia is rarely in evidence in the Jesuit drama. There is no room for stoic apathy here. Martyrdom on the stages of the Jesuits means suffering as passion, leading to ecstasy, disputation, provocation, gloriosa passio, mission. Suffering represents the triumph not only over the world, but also in the world.
V. Conclusion Suffering as Leidsamkeit, suffering as contemptus mundi, suffering as passion. Although it is difficult to assess how the dramatization of violent death was apprehended, understood and interpreted individually during the Early Modern Age, the present contribution should at least have demonstrated the following: Whoever approaches them is simultaneously on the trail of the fundamental Early Modern Age process through which Christian religious communities developed into confessional communities and ultimately into confessional cultures. For it is not merely the case that this dramatization provides answers to each specific “crisis” experienced collectively, thereby throwing light on the social logic and cultural significance of suffering. It also reveals how the Christian communities created truth, and how they generated consensus – and Elida Maria Szarota, “Konversionen auf der Jesuitenbühne. Versuch einer Typo logie”, in: Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte. Festschrift für Richard Brinkmann, Tübingen 1981, 63–82. 42
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at least makes it possible to surmise that it is not (as so often claimed) the experience of collective killing that produces culture, but instead the experience of collective dying.
Transformationsversuche und ihre Grenzen Der Begriff des Martyriums im lutherischen Protestantismus1 Martin Ohst Der Ausdruck „Martyrium“ ist eine normative (religiöse) Kategorie. Wer sie einsetzt, erhebt einen steilen Deutungsanspruch angesichts eines Gewaltgeschehens: Er behauptet, dass Gott selbst mit dem Leiden des Glaubens- und Wahrheitszeugen gegen den äußeren Augenschein Heilsabsichten verfolgt bzw. dass er selbst in ihm heilsam handelt. Die Gemeinde, die ein Gewaltopfer als Märtyrer ehrt bzw. verehrt, behauptet, dass sie selbst, im Gegensatz zu den Tätern, die wahren Gründe und die wahren Sinnzusammenhänge des gewaltsamen Geschehens kennt. Sie erklärt den scheinbaren Verlierer zum wahren Gewinner und behauptet, dass ihr selbst der scheinbare Schaden in Wahrheit zum Heil gereicht. Die Denk- und Deutungsmuster, die in dieser Weise die Erfahrung erlittener Gewalt bewältigen, indem sie diese durch Sinnpostulate ins Positive kehren, reichen weit in vorchristliche Zeit zurück – man denke an den platonischen Sokrates oder an die sieben standhaften Brüder und ihre Mutter, von denen das zweite Makkabäerbuch berichtet. Im Christentum sind sie von Anfang an präsent: In seinem Evangelium schildert Lukas den leidenden Jesus als den Märtyrer schlechthin, und seine Apostelgeschichte stellt den Erzmärtyrer Stephanus an das Eingangstor zur Kirchengeschichte.
1 Der folgende Aufsatz dokumentiert mit wenigen Ergänzungen den Abendvortrag, den ich am 25. Juli 2014 in Emden gehalten habe; auch dessen Sprachgestalt ist im wesentlichen erhalten geblieben. – Motive aus meinen folgenden anderen Arbeiten zum Thema sind aufgenommen: Martin Ohst, Beobachtungen zu den Anfängen des christlichen Heiligenkultus, in: Johannes Laudage (Hg.), Frömmigkeitsformen in Mittelalter und Renaissance (Studia Humaniora 37), Düsseldorf 2004, 9–28; ders., Protestantische Hagiographie. Einige Bemerkungen zu John Foxe’s „Acts and Monuments“, in: Berndt Hamm / Klaus Herbers / Heidrun Stein-Kecks (Hg.), Sakralität zwischen Antike und Neuzeit (Beiträge zur Hagiographie 6), Stuttgart 2007, 275–287; ders., Evangelische Märtyrer? (Besprechung von: „Ihr Ende schauet an …“. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, hg. von Harald Schultze und Andreas Kurschat unter Mitarbeit von Claudia Bendick, Leipzig 2006), in: Pastoraltheologie 96/2007, 366–377; ders., Das Martyrium in der deutschen und in der englischen Reformation / Martyrdom in the German and English Reformations, in: Dorothea Wendebourg (Hg.), Sister Reformations/Schwesterreformationen, Tübingen 2010, 235–270.
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Wie alle Leitvorstellungen und Deutebegriffe der christlichen Religion sind auch die Vorstellung und der Begriff des Martyriums, also vom heilsamen Leiden um der Wahrheit des Glaubens an Jesus Christus willen, in einem kaum je unterbrochenen Wandlungsprozess begriffen. Diese Wandlungen sind streckenweise langsam und wachstümlich-organisch, dann wieder punktuell, krisenhaft, epochal. Die tiefste Epochenscheide in der Geschichte der christlichen Religion war die Reformation, in der aus dem Zentrum des rechtgläubigen abendländischen Christentums heraus die Erstgestalt einer ganz und gar neuartigen Spielart christlichen Glaubens, Lebens und Denkens entsprang. Die Reformation des 16. Jahrhunderts markiert den Beginn einer ganz neuen Durchdringung und Bestimmung aller Deutungs-, Denk- und Handlungsmuster der christlichen Religion, also den Beginn eines Prozesses, der bis zum heutigen Tag fortgeht und dessen Ende in keiner erkennbaren Frist absehbar ist. Zu den Leitbegriffen christlichen Glaubens, die in dieser Weise in den Sog der Neudurchdringung und Neubestimmung geraten sind, gehört auch der des Märtyrers bzw. des Martyriums. Und genau davon soll im Folgenden berichtet werden. Ich gebe also zunächst eine ganz knappe Skizze von der Hochschätzung des Martyriums, wie sie in der christlichen Antike entstanden ist und wie sie seitdem in vielen Varianten das vor-, außer- und gegenreformatorische Christentum geprägt hat und weiterhin prägt. Sodann zeige ich, dass und inwiefern das reformatorische Christentumsverständnis diese Spielart der Hochschätzung des Martyriums nicht von irgendwelchen kritischen Rändern her, sondern aus seinem Kern heraus verneinen und auflösen musste. Drittens verfolge ich dann, warum und inwiefern es dennoch zu einer in sich wenig konsistenten und entsprechend halbschlächtigen und instabilen evangelischen Verwendung der Begriffe „Martyrium“ und Märtyrer“ gekommen ist. Und mit alledem verbinde ich auch eine Generalthese: Der vor-, außer- und gegenreformatorische Begriff des Martyriums ist untrennbar verbunden mit den vor-, außer- und gegenreformatorischen Spielarten des Glaubensbegriffs: In ihnen allen wird der Glaube verstanden als Leistung, und zwar als die elementare Basisleistung, mit der der Mensch seinen unabdingbaren Minimalbeitrag zu seiner Erlösung leisten muss.2 Reformatorisch hingegen wird der Glaube verstanden als der subjektive Reflex von Gottes worthaftem Handeln, welches der Mensch passiv in seinem Herzen und Gewissen erduldet: Glaube ist das Gegenteil von Leistung, er ist vielmehr Anfang, Mitte und Ende des schlechterdings souveränen, spontanen, alleinwirksamen göttlichen Heilshandelns am Menschen. Damit sind die Kategorien der Leistung und des Verdienstes als Deutekategorien für das Gottesverhältnis ausgemustert und mit ihnen die herkömmliche Hochschätzung des Martyriums und seiner Heilsbedeutung. Daraus ergibt sich meines Erachtens die Aufgabe, den Martyriumsbegriff Vgl. dazu vorläufig Martin Ohst, Glaube und Wunder, in: Elisabeth Gräb-Schmidt et al. (Hg.), Leibhaftes Personsein. Interdisziplinäre Perspektiven, Festschrift für Eilert Herms (Marburger Theologische Studien 123), Leipzig 2015, 127–142. 2
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aus dem Sprachschatz der Selbstdeutungen evangelischen Christentums auszusondern und ihn durch Begriffsbildungen zu ersetzen, die nicht mit jenen Konnotationen belastet sind. Soweit der thetische Vorblick auf ein in seiner ganzen Machart sehr theologisches, sehr lutherisches und, ich nehme auch den schlimmsten Vorwurf gleich vorweg, ein sehr deutsches Votum zum Thema Märtyrer und Märtyrerverehrung.
I. So, wie ich es fasse, erfordert das Thema „Martyriumsverständnis im Protestantismus“ weit ausgreifende Zuordnungen und Einordnungen. Wir müssen uns also zunächst auf einer Art Feldherrenhügel postieren, einem erhöhten Aussichtspunkt, der vorwärts wie rückwärts weite Überschauen gestattet. Hier bietet sich Augustin an, der die wichtigsten Erträge altkirchlicher Theologie schöpferisch durchreflektierte, sie auf klare Begriffe brachte und solchermaßen dem christlichen Denken im Mittelalter und weit darüber hinaus die Denkaufgaben wie auch Leitlinien zu deren Lösung vorgab. In Augustins nordafrikanischer Heimat, die dann auch sein primäres Wirkungsfeld als Bischof und Kirchenpolitiker wurde, wurden Märtyrer besonders intensiv verehrt, d. h. es wurden an deren Gräbern bzw. bei deren Reliquien Eucharistiefeiern gehalten, und man erlebte die zu Gott Erhöhten intensiv als Nothelfer. Gegen die Vorwürfe eines einstigen Glaubensbruders, des Manichäers Faustus, rechtfertigte Augustin diese Praxis mitsamt den ihr zugrundeliegenden Erwartungen mit den folgenden Worten: „Das christliche Volk feiert an den Gedächtnisstätten der Märtyrer mit frommer Andacht: Um zu ihrer Nachahmung angestachelt zu werden, um an ihren Verdiensten teilzuhaben, und um die Unterstützung ihrer Fürbitte zu erlangen – aber eben so, daß wir keinem Märtyrer, sondern allein dem Gott der Märtyrer Altäre bauen, allerdings zum Gedächtnis der Märtyrer. […]. Wir verehren also die Märtyrer mit der Verehrung der Liebe und der Gemeinschaft, mit der auch in diesem Leben die heiligen Menschen Gottes verehrt werden, von denen wir fühlen, daß ihr Herz bereit ist zu einem solchen Leiden um der evangelischen Wahrheit willen. Aber jene verehren wir desto intensiver, je sicherer wir das tun, nachdem sie alle Kämpfe bestanden haben. Um wieviel vertrauensvoller verkündigen wir ja das Lob derer, die schon als Sieger im seligen Leben sind, als das derer, die noch hier im Kampfe stehen.“3
Zwei Motivreihen in diesem Zitat stechen ins Auge. Erstens: Die Märtyrer sind Glaubensvorbilder. Sie haben Gottes gnädige Verheißung angenommen. Sie haben der mit Gottes Vollmacht ausgerichteten Botschaft Glauben geschenkt, er, Gott, werde um Jesu Christi willen denjenigen Menschen das Contra Faustum XX,21; MPL 42, 384; dt. Übers. M. O. Vgl. zur nordafrikanischen Märtyrerverehrung in Kürze Alfred Schindler, Art. Afrika I, in: TRE 1, 640–700, bes. 675 f. sowie Frits van der Meer, Augustinus der Seelsorger, Köln 1958, 489–515. 3
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ewige Heil gewähren, die durch demütig-dankbare Annahme seiner Gnadenhilfe und mit ihrer eigenen Anstrengung bestimmte Bedingungen erfüllen. Nicht mehr und nicht weniger als die Annahme, das Für-wahr-Halten dieser Botschaft ist nach Augustin Glaube. Und darum liegt nach Augustin ein unerhörter Widersinn in der Behauptung, allein der Glaube könne den Menschen retten, selig machen. Sicher, ohne den Glauben geht nichts. Aber damit der Glaube, die Zustimmung zur Heilsbotschaft auf glaubwürdige Autorität hin, selig machen kann, bedarf er der Ergänzung durch die Liebe, die das Leben gemäß den Erwartungen und den Regeln des Glaubens formt.4 Und Muster dieses für wahr haltenden, vertrauenden und durch die Liebe aktivierten Glaubens sind die Märtyrer.5 Sie haben ihr ganzes Leben rückhaltlos nach dem Glauben ausgerichtet, und zwar bis zur letzten, unüberbietbaren Konsequenz. Sie haben um der im Glauben ihnen verheißenen ewigen Güter willen das letzte und höchste irdische Gut, das physische Leben, in die Schanze geschlagen. An ihnen kann jeder sehen, was bis zur letzten Konsequenz gelebter Glaube ist, und jeder kann sie sich zum Vorbild bei der Pflege und Bildung seines eigenen Glaubens nehmen. Denn der so verstandene Glaube ist eine Tugend, die zwar von Gott aus reiner Gnade ermöglicht und provoziert wird, aber vom Menschen angeeignet, eingeübt, gepflegt und gebildet sein will. Zweitens: Der konsequent als Tugend ins Leben gezogene Glaube erwirkt seinem Subjekt bei Gott Geltung, er erwirbt Verdienst (meritum) – so ein Zentralbegriff des christlichen Latein seit dessen Anfängen. Das höchstmögliche Maß an Verdienst erwirbt der höchstmöglich gesteigerte Glaube, also der Glaube der Märtyrer. Dieses Gut, das ihnen ihre Glaubensleistung erworben hat, ist nicht Privatbesitz der Märtyrer, sondern es kommt all denen zugute, die mit ihnen in der Gemeinschaft des Glaubens stehen, also in der Gemeinschaft der auf Autoritätsglauben auf bauenden Tugendbildung. So sind die Märtyrer durch ihren Glauben Helfer, in erster Linie Glaubenshelfer, aber in zweiter Linie auch Helfer in weltlichen Lebensbereichen, etwa bei Krankheiten. Die Verbindung zwischen der Glaubenshilfe und der Lebenshilfe, die vom Märtyrer erwartet werden, ist unkompliziert: Der Glaube, der Gottes bedingten Heilszusagen und ihnen, den Märtyrern, vertraut, bittet sie um sichtbare Zeichen dafür, dass Gott seine Heilszusagen hält, also um sichtbare, unwiderlegliche Belege dafür, dass jede wirklich fromme Leistung ihren Lohn finden wird. Und genau darum leisten die Märtyrer bei Gott Fürbitte für diejenigen, die sich bittend an sie wenden: An ihrem Martyrium und an den Mirakeln, die sie bei Gott um ihres Martyriums willen zu erwirken vermögen, vermag der durch den Widerspruch andersartiger Alltagserfahrungen angefochtene Vgl. z. B. De Fide et Operibus XIV,21; MPL 40, 211. Das Folgende findet sich frei nach Augustins „Wunderarchiv“, in: De civitate Dei XX,8; MPL 41, 760–771. 4 5
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Glaube an die zuverlässige, unverbrüchliche göttliche Gnaden- und Verdienstordnung sich aufzurichten. Im Mittelalter sind, grob gesprochen, zwei Veränderungsschübe geschehen. Erstens: Dem Märtyrer traten als Heilige die Asketen an die Seite; und das heißt im Vorblick auf die reformatorische Einschätzung und Kritik: Die reformatorische Stellungnahme zur gängigen Wertschätzung des Martyriums ist erst verstanden, wenn klar ist, dass sie exakt der reformatorischen Kritik am Mönchtum entspricht. Wie diese heftet sie sich nicht an Äußerlichkeiten, sondern zielt auf den Kern, nämlich auf das Verständnis des christlichen Glaubenslebens als der von Gott in der Kirche rein gnadenhaft eröffneten Möglichkeit des Erwerbs von heilsrelevanten Verdiensten durch religiöse Leistungen. Zweitens: In der praktizierten Heiligenfrömmigkeit überwucherte die Schätzung der Märtyrer als Lebenshelfer ihre Beanspruchung als Glaubensvorbilder. Der bei Augustin sichtbar werdende Rekurs auf den Verdienstbegriff, die bei ihm sich andernorts abzeichnende Topografie des Jenseits, ein Bild von der Kirche als einer großen Solidargemeinschaft auf der Basis des gnadenhaft ermöglichten Erwerbs von Verdiensten, in der der Einzelne gegen vergleichsweise geringfügige Eigenleistung vom Erwerb der Gesamtheit mitprofitiert – all das wurde im Mittelalter immer weiter ausreflektiert und durchrationalisiert. Der Heiligen-, d. h. der Märtyrerkultus des Spätmittelalters gehört mit dem Messopfer und den Ablässen hinein in die Reihe derjenigen kirchlichen Heilsangebote, die Gläubigen bei minimalem Aufwand maximalen Heilsertrag versprachen. Man mag diese Logik als spezifisch kaufmännisch bezeichnen;6 ich tendiere eher dazu, sie als mittelalterlich-katholisch zu bezeichnen – sie war ja längst vor dem Aufschwung des hoch- und spätmittelalterlichen Stadtbürgertums ausgebildet, und sie gedieh auch außerhalb seiner. Hat also vielleicht gar nicht so einlinig die kaufmännische Rationalität des Stadtbürgertums die rechenhafte Frömmigkeit des Spätmittelalters hervorgebracht, sondern – umgekehrt – in einem Prozess sich steigernder Wechselwirkungen eine durch und durch zweckrational strukturierte Frömmigkeit ihrerseits zur Ausbildung einer spezifisch kaufmännischen Rationalität beigetragen? Aber diese Frage sei nur im Vorbeigehen aufgeworfen. Diese Märtyrerverehrung richtete sich auf die Glaubenszeugen der Alten Kirche, deren Zahl die fromme Fantasie seit der Spätantike in absolut unrealistische Höhen emporgesteigert hatte.7 Aber sie galt auch Gestalten wie Thomas Beckett, dem 1171 aus kirchenpolitischen Motiven ermordeten Erzbischof 6 So bekanntlich Jacques le Goff, Die Geburt des Fegefeuers (frz. 1981), dt. zuerst Stuttgart 1984. 7 Um die Kritik der altkirchlichen Märtyrerlegenden hat sich in Deutschland insbesondere J. S. Semler verdient gemacht; vgl. z. B. ders., Neue Versuche die Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte mehr aufzuklären (1788), hg. von Dirk Fleischer (Religionsgeschichte der frühen Neuzeit 7), Nordhausen 2010, bes. 147–173; s. auch die Angaben bei Marianne Schröter, Aufklärung durch Historisierung. Johann Salomo Semlers Herme-
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von Canterbury, dem völlig fiktiven Kaufmann Homobonus, weil Katharer ihn wegen seiner kirchlichen Rechtgläubigkeit ermordet hatten, und christlichen Kleinkindern, die angeblich jüdischen Ritualmorden zum Opfer gefallen waren. Daneben bzw. dagegen artikulierte sich jedoch in bestimmten Bildungskreisen ein deutliches Unbehagen an einer religiösen Konsum- und Versicherungsmentalität, welche das Bemühen um die Bildung der Glaubenstugend scheinbar oder tatsächlich an den Rand drängte. Und damit stehen wir schon am vielzitierten Vorabend der Reformation.
II. In den theologischen Dokumenten der reformatorischen Bewegung finden sich auch wichtige Zeugnisse, in denen das eben angesprochene Muster humanistischer Kritik an den Auswüchsen des Heiligenkultus fortwirkt. Liest man isoliert den 21. Artikel des Augsburger Bekenntnisses,8 also des Dokuments, durch welches Philipp Melanchthon 1530 die drohende Kirchenspaltung verhindern wollte, faktisch allerdings, ganz im Gegenteil, mittel- und langfristig den werdenden und sich allmählich verfestigenden evangelischen Kirchen tümern den Weg in die Rechtssicherheit geebnet hat, dann stößt man zunächst auf einen Satz, der von jedem maßvollen bibelhumanistischen Kirchenkritiker jener Zeit stammen könnte: „Über die Heiligenverehrung lehren sie, dass die Erinnerung an die Heiligen wachgehalten werden darf, damit wir ihren Glauben und ihre Guten Werke je nach unserer Berufung nachahmen“. Die nächsten Sätze werden dann allerdings deutlich restriktiver: „Aber die Schrift lehrt uns nicht, die Heiligen anzurufen oder von ihnen Hilfe zu erbitten, denn sie stellt uns Christus vor Augen als den einzigen Mittler, Versöhner, Fürbitter und Priester“ (Confessio Augustana (CA) XXI). Das ist einigermaßen scharf. Aber isoliert und nur für sich genommen lässt und ließ sich das doch immer noch als systemimmanente, reformkatholische Kritik an bestimmten volkstümlichen frommen Bräuchen und Vorstellungen verbuchen. Diejenigen papstkirchlichen Experten, die im Auftrag Kaiser Karls V. Melanchthons Positionspapier zu beurteilen und zu beantworten hatten, haben die Möglichkeit der Lektüre in bonam partem nicht ergriffen. Sie haben in der moderat formulierten Absage an besonders populäre Aspekte des Heiligenkultus vielmehr den nur sehr oberflächlich und durchsichtig getarnten sprichwörtlichen groben Klotz gesehen, und dem sind sie mit dem groben Keil zu Leibe gerückt: Sie beißen sich förmlich fest an der Erwartung der neutik des Christentums (Hallische Beiträge zur Europäischen Aufklärung 44), Berlin / Boston 2012, 176–179. 8 Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-lutherischen Kirche (1930), Göttingen 7 1976, 83b (lat. Text in eigener dt. Übers.).
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wirksamen Fürbitte der Heiligen. Dabei argumentieren auch sie von Jesus Christus her: „Sicher, Christus ist unser erstrangiger und größter Fürsprecher (bei Gott). Aber die Heiligen sind Glieder Christi. Sie gleichen ihren Willen dem Willen Christi an, und sie sehen dabei zu, wie Christus, das Haupt, für uns betet: Wer kann daran zweifeln, dass die Heiligen dasselbe tun, was sie Christus tun sehen?“9 Der Glaube hieran werde von der gesamten Kirche seit altersher gelehrt und praktiziert, und indem sie sich hier ablehnend verhalten, decouvrieren sich der Autor und die Unterzeichner der CA als Ketzer, sofern sie längst rechtskräftig verdammte Irrtümer erneut auf bringen. – In seiner Apologie10 hat Melanchthon nochmals geantwortet und damit gleichsam den Frontverlauf für viele folgende Runden im konfessionellen Kampf abgesteckt. Die Verehrung der Heiligen tut der Ehre Christi Abbruch, weil sie seine Einzigartigkeit verdunkelt. Die Heiligenverehrung hat kein festes Schriftzeugnis für sich; damit ist sie zutiefst ungewiss: Wer vermag angesichts dieses Defizits den Heiligenverehrer dessen zu versichern, dass sein Tun Gott wohlgefällig ist? Endlich macht sich Melanchthon auch die Mühe, die von den Confutatoren beigebrachten Zeugnisse für die Heiligenverehrung aus der frühen Kirche kritisch zu zerpflücken. Wirklich überzeugend und durchschlagend ist das alles nicht, und letztlich kann es das auch nicht sein, solange Melanchthon weiterhin davon redet, dass der legitime Heiligenkultus in der Imitation ihrer „Glaubenstugend, sodann ihrer anderen Tugenden“11 bestehe. Denn die Rede von der Glaubenstugend, die durch Imitation genährt und gestärkt werde, signalisiert und praktiziert den Willen zum Anschluss an eine bestimmte Art von Märtyrer- und Heiligenverehrung, die als Erbe des guten, unverdorbenen kirchlichen Altertums bewahrenswert bzw. verpflichtend bleibe. Dieser Anschluss an altkirchliche Anschauungen ist aber nicht einfach naiv. Vielmehr ist er vor allem der Versuch, die Deutungshoheit über das katholischer, aber ebenso auch spezifisch humanistischer Ansicht nach normative Erbe der Alten Kirche zu gewinnen und sie der Papstkirche zu entwinden.12 Neben zweifellos auch vorhandenen reichs- und kirchenpolitischen Motiven war es sicher auch die Einsicht, dass sich hinter Melanchthons „Leisetreterei“13 in der CA sehr viel mehr verbarg als humanistisch-reformkatholische, systemi mmanente Kritik an bestimmten Auswüchsen kirchlicher Praxis, Die Confutatio der Confessio Augustana vom 3. August 1530, hg. von Herbert Immenkötter (CCath 33), Münster 1979, 129–131 (lat. Text in eigener dt. Übers.). 10 Bekenntnisschriften (wie Anm. 8), 316–326. 11 Ebd., 318 f. 12 Genau diese Absicht bezeugt ja der viel diskutierte und kritisierte Schlussabschnitt der 21 Lehrartikel der CA, welcher zum Thema der abgestellten Missbräuche überleitet; Bekenntnisschriften (wie Anm. 8), 83c–d. 13 So bekanntlich Luthers halb ernste, halb scherzhafte Charakteristik des Augsburgischen Bekenntnisses; WA Br 5, 495 f. Luther schreibt mitten im lat. Text die beiden deutschen Worte „leise treten“ – und spezifiziert das auf die Stellungnahmen der CA zum Fegefeuer, zum Heiligendienst und zum Antichrist/Papsttum. 9
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welche die Confutatoren zu ihrer harschen Absage und ihrem Insistieren auf bestimmten Basisannahmen des herkömmlichen Märtyrer- und Heiligenkultus veranlasste.
III. Auf den eigentlichen, bis jetzt lediglich abgeschwächt spürbaren Kern der reformatorischen Kritik an der herkömmlichen Heiligen-, insbesondere Märtyrerverehrung ist jetzt einzugehen. Er ist erst dann wirklich erfasst, wenn deutlich ist, warum er mit zwingender innerer Notwendigkeit aus dem reformatorischen Grundverständnis der christlichen Religion hervorgeht bzw. warum diese Kritik in eine Reihe mit der an Messe, Fegefeuer, Papsttum etc. gehört.14 Die Grundlagen von alledem muss ich zunächst auf einer relativ hohen Abstraktionsebene schildern, damit dann auch die Kritik in ihrer Schärfe und in ihrer kulturprägenden Wirksamkeit einigermaßen verständlich wird. Gemäß reformatorischem Verständnis kulminiert das Heilswerk Jesu Christi nicht in der Begründung der Kirche als einem System von Heilsbedingungen und Heilshilfen, sondern es ist in seiner geschichtlichen Einmaligkeit zugleich übergeschichtlich: In Wort und Weg Jesu Christi treffen Gottes Widerspruch, Gottes Anspruch und Gottes Zuspruch über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg fort und fort auf einzelne Menschen, wirken in ihnen die Buße und den Glauben, zerstören ihr naiv-sündhaftes Gottes- und Selbstbewusstsein und gründen sie im Zuspruch der Sündenvergebung neu im Glauben an das Evangelium. Das, was geschah, als Jesus predigend, lehrend und heilend durch seine Heimat zog, geschieht immer und überall, wenn und wo Menschen zum Glauben kommen. Und dieses Zum-Glauben-Kommen ist nicht etwa das freie Sicheinlassen auf eine überzeugend präsentierte Ordnung von Bedingungen und Hilfen, sondern ein durchaus gewaltsames, in und mit vollem Bewusstsein zu erleidendes Ergriffen- und Umgeformtwerden durch das wirksame Gotteswort, das dem einzelnen Menschen von außerhalb seiner selbst her widerfährt. Gott ist nicht (mehr) gedacht als derjenige, der ein zutiefst menschenfreundliches, weil an den unaustilgbar guten Kern des Menschen appellierendes System der Hilfen und Bedingungen setzt und dann geduldig um die Mitwirkung des Menschen in freier Kooperation wirbt. Nein, Gott ist als der gedacht, der geradezu gewaltsam auf Menschen zugreift, die, wenn auch noch so fromm, letztlich doch nur um sich selbst und ihr Ergehen in Zeit und Ewigkeit kreisen. Er reißt sie von ihrer Fixierung auf sich selbst los und richtet sie neu aus – auf sich, Gott selbst, als das alleinige Ziel und den alleingültigen Zweck ihres Lebens hin, und so befreit er sie zum selbstlosen Dienst – nicht mit einem plötzlichen, magischen 14 Vgl. zum folgenden auch Thomas Kaufmann, Reformation der Heiligenverehrung? Zur Frage des Umgangs mit den Heiligen bei Luther und in der frühen Reformation, in: Klaus Herbers / Larissa Düchting (Hg.), Sakralität und Devianz. Konstruktionen – Normen – Praxis (Beiträge zur Hagiographie 16), Stuttgart 2015, 209–230.
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Schlag, sondern in einem lebenslang andauernden, harten, hin und her wogenden Kampf, den der Mensch letztlich passiv erlebt und den Gott selbst als Wort und Geist in Gesetz und Evangelium in ihm führt und ihm deutet. Ich fasse zusammen: Nach vor- und außerreformatorischem Verständnis geht es im Christsein darum, dass Gott dem Menschen – rein gnadenhaft! – bestimmte Möglichkeiten eröffnet und bestimmte Hilfen gewährt, damit er etwas für sich selbst und sein ewiges Heil leisten und bewirken kann. Die Basisleistung hierfür ist der Glaube, das freie Ja zu der von Gott gesetzten gnädigen Bedingungsordnung. Und des Glaubens höchste Steigerungsform ist das Martyrium, der freiwillig erlittene Verlust des sichtbaren physischen Lebens um der Anwartschaft auf die unsichtbaren himmlischen Güter willen. Jesus Christus ist von Bedeutung einmal als Gottmensch, der mit seinem unendlich verdienstlichen unschuldigen Leiden überhaupt erst die Basis geschaffen hat, auf der sich menschliche religiöse Leistung lohnt: Auf Christus und seinem Kreuzestod beruht ja zum einen das ganze System der fein aufeinander abgestimmten Hilfen und Forderungen, die es dem Menschen möglich machen, zum Heil zu kommen. Zum anderen steht er dem Glauben vor Augen als der Märtyrer schlechthin, das erste Glied in der Kette von Leidenszeugen: „da auch Christus gelitten hat für euch und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußtapfen“ – so formuliert 1 Petr 2,21; vielleicht ein uraltes Dokument spezifisch stadtrömischen frühesten Christentums, jedenfalls ein geradezu archetypischer Basistext abendländischer Frömmigkeitsgeschichte.15 Nach reformatorischem Verständnis hingegen besteht das Christsein darin, dass Gott spontan und souverän am Menschen handelt, indem er sich ihm worthaft mitteilt. Alles ist Gottes Werk, auch und gerade der Glaube als der zustimmende Reflex, den Gottes worthaftes Handeln in und an der wachen, vernünftig rechenschaftsfähigen menschlichen Subjektivität erzeugt. Christsein ist nach reformatorischem Verständnis, wie einer der tiefsten christlichen Denker des 20. Jahrhunderts formuliert hat, „bejahtes Gotterleiden“. Das schöpferische Urbild dieses bejahten Gotterleidens ist der gekreuzigte Jesus Christus, der gerade als Unschuldiger alles nur denkbare Leiden unter Gottes zornigem Sichentziehen erduldet hat – nicht etwa, um denjenigen, welchen der Glaube geschenkt wird, dieses Leid abzunehmen, sondern um ihnen das Verstehen ihres je ganz eigenen Leidens als Gottes unter dem Schein des Gegenteils gnädiges, heilendes, Leben schenkendes Handeln zu gewähren. Das Leiden gehört zum Glauben elementar hinzu: „S. Paulus heysst auch aller Christen leyden das leyden Christi. Denn wie der glaub, der nam, das wortt und werck Christi meyn ist, darumb das ich an yhn glewbe, also ist seyn leyden auch meyn, drumb das ich auch umb seynen willen leyde.“16 15 Vgl. Karlmann Beyschlag, Grundriß der Dogmengeschichte II/1, Darmstadt 1991, 101 f. 16 WA 12, 279 (Auslegung des 1. Petrusbriefs [1523]). Vgl. zu diesen Gedanken Ronald K. Rittgers, Embracing the “True Relic” of Christ. Suffering, Penance, and Private
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Und das gilt nicht nur für eine besonders herausgehobene Elite, sondern für jeden Christen: „Darumb sorge nicht, wo du leiden finden wirst, Es hat nicht not, Sey du nur ein fromer Christ, Prediger, Pfarrher, burger, baur, Adel, herr vnd richte dein ampt vleissig vnd trewlich aus, Las den teuffel sorgen, wo er ein holtzlin findet, daraus er dir ein creutz mache, vnd die welt, wo sie ein reißlin finde, daraus sie eine geissel mache vber deine haut, wenn dich gleich, die oberkeit, ynn den schos setzet. Denn so klug vnd mechtig wird keine oberkeit sein, die dich konne fur dem teufel vnd bosen leuten vnd fur allem vbel schutzen vnd behüeten, wenn sie gleich gantz from, vnd vleissig ist, allein sey du ein rechter Christ, der einfeltigen hertzens vmb Gottes willen leide, vnd nicht dir selber vrsach gebist zu leiden, wie die falschen rhümsüchtige Marterer und Munche thun.“17
Luther verwendet viel argumentative Mühe darauf, die Verwechslung dieses Gedankens mit der hergebrachten Logik des Verdienstes abzuwehren. Die Hochschätzung des Leidens mit Christus darf nicht missverstanden werden als Aufruf zum Streben nach selbsterwähltem Leiden und Martyrium um des Verdienstes willen: „Es sind viel leutt, die den hymel wollen stürmen und ja bald hyneyn kommen, drumb legen sie yhn selbs eyn creutz auff auß eygenem gutt duncken. Denn die vernunfft will doch ymer dar nur yhr eygen werck auff werffen, das will Gott nicht haben. Es sollen nicht eygene werck seyn, die wyr erwelen, sondern wyr sollen wartten was uns Gott aufflegt und zuschickt, das wyr gehen und folgen, wie er uns furet.“18
Der Glaube setzt nicht etwa selbsterwähltes und selbstinszeniertes Leiden strategisch ein, um eigene Ziele zu realisieren, sondern er nimmt die ihm auferlegten Leiden an, weil er eben in ihnen Gottes heilsame Absicht am Werk sieht: Er selbst tilgt in seinen Erwählten selbstbezogene und zeitliche Erwartungen aus und richtet alle Hoffnung eben auf Gott und das ewige Leben aus.19 Es ist offenkundig: Rein äußerlich bleibt aus dem vorreformatorischen Christentum die Hochschätzung des Leidens erhalten. Aber deren Motive sind im Einzelnen völlig verändert und insgesamt vollständig neu konfiguriert: Das reformatorische Christentumsverständnis eröffnet ganz neue religiöse Confession in the Thought of Martin Luther, in: Abigail Firey (Hg.), A New History of Penance (Brill’s Companions to the Christian Tradition 14), Leiden, Boston 2008, 377–393 sowie ders., The Reformation of Suffering. Pastoral Theology and Lay Piety in Late Medieval and Early Modern Germany (Oxford Studies in Historical Theology), New York u. a. 2012. 17 WA 51, 412. – Die Einschätzung des Alltagslebens als dem Ort, an welchem wahrhaft christliches Leben Gestalt annimmt, ist ein häufig wiederkehrendes Motiv in Luthers ethischem Denken. Er wendet sich so gegen den hervorgehobenen ethischen Wert, der etwa Klöstern zugemessen wird; vgl. z. B. WA 6, 250–265 (Sermon von den Guten Werken, IV. Gebot). 18 WA 12, 272, s. auch ibd., 364 und WA 51, 400 f. – Offenkundig ist Luthers Ablehnung des selbstgewählten, freiwilligen Martyriums lediglich ein Anwendungsfall seiner Kritik am Asketismus und am Mönchtum. Wer das Martyrium sucht, will durch Werke Verdienste erwerben; sein Handeln ist also zutiefst egoistisch motiviert. 19 Vgl. WA 12, 343.
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Deutungsmöglichkeiten für christliches Leben: In einem jeden christlichen Lebensgang zieht Gott selbst einen individuellen Menschen auf dem ihm und nur ihm gemäßen, ihm und nur ihm verordneten Wege zu sich. Das Verständnis des Lebens im Glauben individualisiert sich radikal,20 die Schematismen und Stereotypen verblassen. An die Stelle der Hagiografie mit ihren vorgestanzten Klischees kann allmählich die Biografie treten. Unter diesem Aspekt ist auch die Tatsache zu betrachten, dass in der Frömmigkeit des lutherischen Protestantismus bis ins 20. Jahrhundert hinein das Martyrium und seine Wertschätzung allenfalls eine extrem randständige Bedeutung hatten. Der vergleichende Seitenblick auf die andere Seite des Grabens zwischen den Konfessionen schärft hier wie auch sonst in vielen Fällen die Wahrnehmung: Der 30-jährige Krieg bescherte der Katholischen Kirche und dem Kaiser beispielsweise den auch als Schlachtenhelfer wundertätigen Märtyrer Fidelis von Sigmaringen,21 einen Franziskanermönch, den die evangelischen Bauern in Graubünden totgeschlagen hatten, als er dort für die sichtbare Einheit der Kirche unter dem Dienst des Nachfolgers Petri und die Hegemonie des Hauses Habsburg eingetreten war. Schicksale, die sich in vergleichbarer Weise hätten deuten und verwerten lassen, gab es im gleichzeitigen deutschen Luthertum zuhauf. Aber die sterblichen Überreste derer, welchen ihre Glaubens- und Berufstreue den Tod gebracht hatte, wurden nicht als Reliquien verehrt, sondern zur Erde bestattet. Wunder wurden ihnen nicht zugeschrieben, und so unterblieb die Legendenbildung; die Hinterbliebenen ließen es bei ein paar schlichten Bibelsprüchen auf ebenso schlichten Epitaphen bewenden.22 Dieses Auseinanderscheren frömmigkeitsgeschichtlicher Entwicklungen signalisiert, dass die Idee des Martyriums im alten Luthertum gleichsam diffundiert ist: Wenn das Leiden zum gelebten Glauben elementar hinzu gehört 23 Ein Einsatzpunkt dürfte in Luthers gleichermaßen fantasie- wie reflexionsgesättigter Auslegung der Patriarchen-Erzählungen in seiner großen Genesis-Vorlesung (WA 42–44) liegen: Ist das nicht der mentale Wurzelboden, auf dem dann das neuartige literarische Genus der Leichenpredigten aufwächst? 21 Vgl. die faszinierende Studie von Matthias Ilg, Der Kult des Kapuzinermärtyrers Fidelis von Sigmaringen als Ausdruck katholischer Kriegserfahrungen im Dreißigjährigen Krieg, in: Matthias Asche / Anton Schindling (Hg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001, 291–439. 22 Vgl. Frank Kleinhagenbrock, „Nun müßt ihr doch alle wieder katholisch werden“. Der Dreißigjährige Krieg als Bedrohung der Konfession in der Grafschaft Hohenlohe, in: Asche / Schindling (wie vorige Anm.), 59–122. 23 Besonders deutlich lässt sich das an der geistlichen Dichtung ablesen. In welchem Maße das „Martyrium“ zum Kennzeichen jeder christlichen Existenz wird, das bezeugt eindrücklich die 9. Strophe von Paul Gerhardts Osterlied: „Er bringt mich an die Pforten / die in den Himmel führt. / Daran mit güldnen Worten / Der Reim gelesen wird: / Wer dort wird mit verhöhnt / Wird hier auch mit gekröhnt; / Wer dort mit sterben geht / Wird hier auch mit erhöht“ (Dorothea Wendebourg / Andreas Stegmann [Hg.], Paul Gerhardt. Geistliche Lieder [RUB 19058], Stuttgart 2013, 142; vgl. auch EG 112,8). 20
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und wenn der Verdienstgedanke ausgeschaltet ist, dann verflacht die Ausnahmestellung des Glaubensheros zwangsläufig.
IV. Aber dieser Befund repräsentiert noch längst nicht die ganze geschichtliche Wirklichkeit. Es gibt auch eine gegenläufige Tendenz, und auch die gründet im Zentrum von Luthers Verständnis von Gottes worthaftem Handeln am je einzelnen Menschen: Der christliche Glaube deutet menschliches Leben als Zugriff Gottes auf den einzelnen Menschen. Dieser Zugriff transformiert den Menschen aus dem Zentrum seines Selbst- und Gottesbewusstseins heraus. Diese Transformation mutet dem Menschen Leiden zu, und gegen diese Zumutung setzt er sich zur Wehr. Es ist deutlich: Der „natürliche“ Mensch empfindet den ihm geltenden Zugriff Gottes als Angriff, und gegen den leistet er Widerstand. Und darum ist es ein notwendiges Indiz für die Authentizität der Verkündigung des Wortes Gottes, dass sie Streit und Unfrieden auslöst. Genau so geschah es zur Zeit Jesu, der Apostel und der Märtyrer, und so geschieht es forthin immer und überall, wo Gott in der irreduziblen Spannungseinheit seines Wortes als Gesetz und Evangelium auf Menschen zugreift: „Es ist ein seliger unfrid, auffruhr und rumor, den gottes wort erweckt, da geht an rechter glaub und streytt widder den falschen glauben, da gehen widder an die leyden unnd verfolgung und das rechte wessen des Christenlichen volcks.“24
Diese Zeilen hat Luther 1521 drucken lassen. Erst im übernächsten Jahr forderte seine Lehre die beiden ersten Todesopfer: In Brüssel wurden zwei Augustinermönche auf dem Scheiterhaufen verbrannt, nachdem sie ein Inquisitionsgericht entsprechend dem Wormser Edikt und dem geltenden kirchlichen und kaiserlichen Ketzerrecht in einem korrekten Verfahren zum Tode verurteilt hatte.25 Luther hat unter dem Eindruck ihres Endes sein erstes erhaltenes Lied gedichtet, und er hat sie in einer Art offenem Brief an die niederländischen Christen gewürdigt. Dieser kurze, gerade mal zwei moderne Druckseiten lange Text ist ein mehrschichtiges Gewebe. Zunächst einmal ist er eine Meisterleistung der agitatorischen Publizistik, man kann auch sagen der Demagogie: Dadurch, dass ihre Schergen die unerschrockenen Verkündiger der Wahrheit zu Blutzeugen 24 WA 7, 281 (Auf des Bocks zu Leipzig Antwort [1521]). Dieser für sein Verständnis des wirksamen Gotteswortes zentrale Gedanke findet sich bei Luther allenthalben; vgl. z. B. prominent De servo arbitrio, WA 18, 626 f. In diesen Zusammenhang gehört auch Luthers geschichtstheologische These, Gottes Wort und Gnade sei „ein farender platz regen / der nicht wider kompt / wo er eyn mal gewesen ist“ (An die Ratsherrn aller Städte deutschen Lands, WA 15, 32). 25 Vgl. in Kürze Heinrich Bornkamm, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, Göttingen 1979, 97–99. 407–409.
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gemacht haben, decouvriert sich die Papstkirche, so Luther, einmal mehr als Antichrist. Aber das ist längst noch nicht alles. Gleich die ersten Sätze der Flugschrift schließen sich im Duktus und in der Wortwahl unverkennbar an den ersten Petrusbrief, den neutestamentlichen „Klassiker“ zum Thema „Glaube und Leiden“, an. Deutlicher kann Luther kaum die Bedeutung dessen herausstreichen, was er zu sagen hat. Er gratuliert den Christen in den Niederlanden: Sie sind dessen gewürdigt worden, dass unter ihnen der wieder zum Vorschein gekommenen Wahrheit der erste Blutzoll entrichtet worden ist. Was unter ihnen geschehen ist, zeigt unmissverständlich an, dass Gott wieder lebendig zugreift und eingreift wie einst. Und dann folgen die einschlägigen Prädikationen der „zwey edle kleynod Christi, Hinricus und Johannes [die] zu Brussel yhr Leben geringe geacht haben auff daß Christus mit seinem wortt gepreyßet wurde. O wie verachtlich sind die zwo Seelen hyngericht. Aber wie herlich und ynn ewiger freuden werden sy mit Christo widder komen und recht richten die ienigen von den sie itzt mit unrecht gericht sind. Ach wie gar ein geringe ding ists, von der welt geschändet und getodtet werden denen, so do wissen, das yhr blut kostlich und yhr todt theur ist fur gottis augen, wie die psalmen singen. Was ist die welt gegen gott? Wilche eyne lust und freud haben alle engel gesehen an diesen zwo seelen.“26
Diese Sätze sind repräsentativ für das Ganze. Beim ersten, oberflächlichen Lesen fühlt man sich zurückversetzt in die Mitte des 3. Jahrhunderts, in die Gedankenwelt des nordafrikanischen Bischofs Cyprian von Karthago, der in Briefen und Traktaten etwas entwickelt hat, was man durchaus als Theorie des Martyriums bezeichnen kann.27 Aber wenn man etwas genauer hinsieht und vergleicht, dann stellt man fest, dass Luther bei allem scheinbaren Überschwang seine Worte ganz genau wählt, und dann wird auch deutlich, dass er zwar bestimmte Bilder und Motive jenes Vorstellungskomplexes aufnimmt, aber andere mit unerbittlicher Folgerichtigkeit ausschließt, sodass mitnichten ein Akt der Repristination vorliegt, sondern vielmehr ein Neubau stattfindet, der in rigoroser Auswahl auf alte Materialien zurückgreift. Zunächst: Bei Cyprian werden die Märtyrer als heldenhafte, siegreiche Kämpfer gelobt. Liest man Luthers Text genau, dann wird klar: Seine beiden Ordensbrüder, ihren Glaubensmut und ihre anderen Tugenden lobt er mit keiner Silbe – alles Lob gilt Gott allein als dem souveränen Herrn des Geschehens, der sich selbst im Leiden seiner Zeugen heilsam zur Sprache bringt. Weiter: Bei Cyprian werden Gott selbst und die Engel als Zuschauer imaginiert, die angespannt das Geschehen verfolgen. Er denkt sich das Geschehen also als eine Art Versuchsanordnung: Gott stellt in der Verfolgungssituation die Christen auf die Probe, und er sieht mit den Engeln dabei zu, wie die einzelnen Probanden sich bewähren oder auch versagen.28 Luther greift das WA 12, 78 (An die Christen in Niederland, 1523). Vgl. v. a. De lapsis, CSEL III/1, 237–264. 28 Vgl. etwa De lapsis 1, 5, 7; ep X,2 f., CSEL III/2, 492 f. Systematisch besonders bezeichnend ist De lapsis 20 mit der konsequenten Fassung des „Evangeliums“ als konsequenter Lohn- und Strafordnung. 26 27
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Motiv auf, aber er verändert es einschneidend. Bei ihm sind allein die Engel (sympathetisches) Publikum; der all- und alleinwirksame Gott als müßig abwartender Zuschauer in der Proszeniumsloge ist für Luther wohl ein absoluter Ungedanke. Ausgeschieden ist weiterhin der gesamte Vorstellungs- und Gedankenkomplex, der aus der Dialektik von Verdienst und Lohn hervorwächst. Und darum bedarf es zuletzt kaum noch der Erwähnung, dass alle Anklänge an geschehene oder zu erwartende Mirakel fehlen. Als Fürbitter und Nothelfer kommen die Märtyrer, zu denen Luther seine beiden der Ketzerinquisition zum Opfer gefallenen Ordensbrüder formt, schlechterdings nicht in Betracht. Was liegt hier also vor? M. E. nimmt Luther in höchst geschickter Weise den seitens seiner präsumtiven Leser positiv konnotierten Begriff des Märtyrers bzw. des Martyriums auf und reklamiert ihn für seine beiden gemäß den gültigen Vorschriften geistlichen und weltlichen Rechts hingerichteten Ordensbrüder und Gesinnungsgenossen, wodurch die Papstkirche und ihre Schergen in eine Reihe gestellt werden mit dem vorchristlichen Römischen Reich und seinen Vollstreckern. In dieser zugleich apologetischen und agitatorisch-polemischen Absicht greift Luther auf die einschlägigen stereotypen Sprach- und Deutungsmuster zurück. Unter denen trifft er eine rigorose Auswahl: Negativ geht er dergestalt vor, dass er alles ausmerzt, was mit dem Verständnis des Martyriums als der Höchststufe eines als Tugend und als verdienstliche Leistung verstandenen Glaubens in Verbindung steht. Positiv verwendbar bleibt für ihn offenbar alles, was sich biblisch legitimieren lässt – die Heiligen, die die Welt richten werden (1 Kor 6,2; Mt 19,28), die Engel als Zuschauer im Welttheater (1 Kor 4,9). Und so entwirft Luther geradezu die Grundzüge einer neuartigen Theologie des Martyriums. Sie folgt dem Grundgedanken, dass der Mensch gerade durch den Glauben im Gottesverhältnis radikal befreit ist von der Herrschaft der Logik des Verdienstes und des Lohnes, und gerade in dieser dem Glauben zugeeigneten Freiheit vermag er seinem Nächsten wirklich selbstlos, das heißt ohne jeden selbstischen Hintergedanken an die Steigerung seiner eigenen Heilswürdigkeit, zu dienen. Und so lässt sich auch das Martyrium verstehen: Die freiwillige Hingabe des eigenen Lebens um des Glaubens willen, welche eben den Zweck hat, im Dienst am göttlichen Wort dem Nächsten den Glauben zu stärken: „Denn da ist nichts mehr nott, denn der glawb, das ich Gott seyn ehere gebe und yhn fur meynen Gott halte, das er gerecht, warhafftig und barmhertzig sey, solcher glawb machet uns frey von sund und allem ubel. Wenn ich nu Gotte solchs geben hab, was ich denn lebe, das lebe ich meynem nehisten, das ich yhm diene und helffe. Das gröst werck, das auss dem glawben folget, ist, das ich Christum mit dem mund bekenne, datzu auch mit meynem blütt betzeuge und das leben dran setze, wo es seyn soll.“29
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WA 12, 288 (Auslegung des 1. Petrusbriefs [1523]).
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Luther war nun auch der Meinung, dass genau dieses Verständnis des Martyriums, das ich kurz als das ethische im Gegensatz zum verdienstlogischen bezeichnen möchte, das für die bewahrenswürdigen Zeugnisse des Märtyrertums und der Märtyrerverehrung in der Alten Kirche eigentlich maßgebliche war. In seinem Vorwort zu Georg Spalatins Sammlung der Worte und Taten der Heiligen hat Luther das ausgeführt. Äußerlich scheinen die Heiligen moralisch untadelig, eben „heilig“ im konventionellen Sprachgebrauch. Aber viel wichtiger ist ihr aufrichtiges Bekenntnis, dass sie verworfene Sünder sind, die in ihrem Glauben gänzlich auf Gottes Barmherzigkeit und Vergebung angewiesen sind. Und es ist allein dieser Glaube, der sie in Wahrheit erinnernswürdig macht: „Wer erkennt nicht, dass die Heiligen mit solchen Worten ihren Christusglauben bezeugen, und zwar ganz allein ihren nackten Glauben, der aber gewiss ist und Tod und Sünde überwindet.“30 Luther hat also nicht einfach mit der hergebrachten Hochschätzung des Martyriums gebrochen. Er hat sie vielmehr aufgenommen und gemäß seinem Verständnis des Handelns Gottes am Menschen in Gesetz und Evangelium umgeformt. Aber das ist noch allzu schwach ausgedrückt: Luther hat mit geradezu brachialer Gewalt aus dem Begriffs- und Vorstellungsgefüge, welches die vor- und außerreformatorische Idee des Martyriums trug und trägt, konstitutive Teile herausgebrochen. Aber weder ihm noch Späteren ist es gelungen, sie durch funktionsäquivalente Ersatzkonstruktionen zu ersetzen. Und sein damit verbundener Anspruch, hiermit nur die alte, zeitweilig jedoch verschüttete Wahrheit wieder ans Licht gebracht zu haben, steht, wie noch zu besprechen sein wird, auf ganz schwachen Füßen, wie ja überhaupt das reformatorische bzw. protestantische Verständnis der christlichen Religion nicht die Restauration oder die Wiederkehr eines vorkatholischen ist, sondern, bei allem Rückbezug auf bestimmte paulinische Impulse, ein neuartiges, wesentlich nachkatholisches.
V. Abschließend möchte ich diese manchem vielleicht etwas steil vorkommende These noch ganz knapp an einem sehr viel jüngeren historischen Phänomenbestand verifizieren. Ich muss zu diesem Behufe einen erheblichen Zeitsprung unternehmen, denn Luthers Theorie des Martyriums ist alsbald nach ihrer Entstehung in eine Art Dornröschenschlaf gefallen; wo im Protestantismus der Begriff angewandt und weitergebildet wurde, hat man ganz andere gedankliche Wege eingeschlagen, worüber die anderen Beiträge dieses Bandes ja in reicher Fülle Aufschluss geben. Erst nach dem Ersten Weltkrieg hat es einen beachtlichen Versuch gegeben, Luthers Verständnis des Martyriums 30 WA 54, 114: „Quis non videt sanctissimos Viros talibus verbis testari fidem in Christum, nudam quidem & solam, sed firmam & victricem mortis & peccati.“
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wieder explizit zur Geltung zu bringen, um bestimmte tragische Geschehnisse theologisch zu bewältigen und zu würdigen. In der ersten russischen Revolution 1905 und dann 1918/19 sind in den russischen Ostseeprovinzen, also auf dem Gebiet der heutigen Staaten Estland und Lettland, viele Pastoren von marodierenden Banden oder den Erschießungskommandos der Roten Armee umgebracht worden.31 Diese Männer, überwiegend Deutsche, aber auch Esten und Letten, hatten die Möglichkeit ausgeschlagen, sich durch Flucht in Sicherheit zu bringen, weil sie ihre Gemeinden nicht im Stich lassen wollten. Der prominenteste unter ihnen war Traugott Hahn d. J., Universitätsprediger und Theologieprofessor in Dorpat.32 Von den frühen 1920er Jahren bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde das Gedächtnis dieser „Baltischen Märtyrer“ publizistisch sorgfältig gepflegt. Maßgeblich hierbei war der Rigaer Pastor Oskar Schabert.33 Seine beiden wirksamsten Bücher zum Thema setzen jeweils mit der Erinnerung an Luther und an seine Publikationen zu den ersten reformatorischen Märtyrern ein.34 Für die im Baltikum Ermordeten reklamiert Schabert hohen kirchengeschichtlichen Rang: Sie seien die Ersten gewesen, welche dem Luthertum die Bedeutung des Martyriums für die wirksame Verkündigung des Evangeliums wieder vor Augen gestellt hätten; durch sie sei der evangelischen Kirche überhaupt erst wieder bewusst geworden worden, dass Luther selbst ihr gleich zu Anfang eine spezifisch evangelische Wertschätzung des Martyriums eingestiftet habe. Diese Rückbesinnung auf das Martyrium und seine besondere religiöse Würde sei auch durch die Leidensgemeinschaft mit den orthodoxen Christen in den Zeiten der Bedrohung durch Bolschewismus und Revolution entstanden und signalisiere neue ökumenische Verbundenheit mit diesen ehemaligen Feinden. Trotzdem: Die an Luther sich orientierende Wertschätzung des Martyriums stehe in ihrer inhaltlichen Profilierung klar für sich – gegen orthodoxen, aber auch gegen römisch-katholischen Märtyrerkultus. Die belastende Unklarheit in dieser theologisch-publizistischen Programmatik ist mit Händen zu greifen: Wertschätzung des Martyriums als des reinen, höchsten Glaubenszeugnisses? Ja, aber bitte ohne Heroenkultus und ohne jede Kontamination mit Leistungs- und Verdienstfrömmigkeit! Wie schwer diese Balance zu bewerk31 Vgl. dazu Siegfried Hermle, Evangelische Märtyrer im Baltikum (1905–1920), in: Harald Schultze / Andreas Kurschat / Claudia Bendick (Hg.), „Ihr Ende schauet an …“. Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig 2006, 127–44 sowie die Biogramme, ibd., 483–531. 32 Vgl. den Artikel von Siegfried Hermle, wie vorige Anm., 501 f. (Lit.). 33 Vgl. die leider nur elektronisch zugängliche biographische Darstellung von Stephan Bitter (http://stephanbitter.de/pdf/CSG%20%5BSchabert,%20Oskar%5D.pdf). 34 Vgl. Oskar Schabert, Märtyrer. Der Leidensweg der baltischen Christen, Hamburg 1920, 1; ders., Baltisches Märtyrer-Buch, Hamburg 1926, 11–21. Auszüge und Ergänzungen bietet das Heftchen Bildnisse und Aussprüche Baltischer Märtyrer, hg. von der Rigaer Stadtmission, Riga o. J. (nach 1926). Eingestandenermaßen gänzlich abhängig von Schaberts Arbeiten ist Otto Freiherr von Taube, Die baltischen Märtyrer, Berlin-Steglitz 1939.
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stelligen war, zeigt ein Seitenblick auf die Traugott-Hahn-Memoria in den 1920er Jahren – man wird mit ja mit aller Vorsicht behaupten können, dass die Erinnerung an ihn im deutschen Protestantismus der Zwischenkriegszeit eine vergleichbare Funktion hatte wie dann seit den 1950er Jahren die an Dietrich Bonhoeffer. Trotz aller Verwahrungen gegen katholische Heiligenverehrung ist in den einschlägigen Publikationen35 die Rückentwicklung von Biografie zu Hagiografie mit ihren Klischees und Stereotypen ganz unverkennbar: Über den gesamten Lebensgang des Mannes, der als innerlich tief einsamer, allein durch hingabebereite Liebe an seine Mitmenschen gebundener Frommer geschildert wird, legt sich eine Stimmung der heiligen Wehmut. Es ist, als würfe der Opfergang des Lebensendes immer schon seine Schatten voraus auf alle früheren Stationen des Lebensgangs – vor dem inneren Auge des Lesers steht ein von Anbeginn an Ausgesonderter, der dann unbeirrbar seinen ihm beschiedenen Leidensweg geht.
VI. Eine ganz ähnliche Problemkonstellation scheint mir nun auf seine Weise ein scheinbar ganz andersartiges Buch zu bezeugen: Hans Frh. v. Campenhausens36 im selben Maße grundgelehrte wie gedankenreiche und geistvolle Monografie Die Idee des Martyriums in der alten Kirche.37 Der Autor (1903– 1989) war Deutsch-Balte und als Heranwachsender zusammen mit seinem Vater, einem Landwirt und Gutsbesitzer, in Riga eingekerkert. Sein Vater wurde von den Bolschewisten, vor zeitweiliger Eroberung durch Freikorps-
Vgl. neben den Arbeiten von Schabert (s. vorige Anm.) v. a. Anny Hahn, D. Traugott Hahn, weiland Professor an der Universität Dorpat. Ein Lebensbild aus der Leidenszeit der baltischen Kirche, hg. von W. Ilgenstein, 26.–28. Tausend, Heilbronn 1935. Es handelt sich um eine Kompilation von Briefen und Predigtauszügen Hahns, die in Erinnerungstexte mehrerer Autoren eingelassen sind. Die anhangsweise abgedruckte Predigt von Hahns Kollegen Adalbert v. Stromberg (vgl. RGG2 Bd. V, Sp. 851) bei dessen Beisetzung am 18. Januar 1919 (225–233) verwendet schon den Märtyrer-Begriff als Deutungsmuster. In diese Traditionslinie gehört auch die weit ausgreifende familiengeschichtlich-erbauliche Darstellung eines Sohnes von Traugott Hahn und zeitweiligen Baden-Württembergischen Kultusministers: Wilhelm Hahn, Der Ruf ist immer neu. Aus 200 Jahren der baltischen Theologenfamilie Hahn, Neuhausen-Stuttgart 21995. 36 Vgl. Adolf Martin Ritter, Hans von Campenhausen und Adolf von Harnack, in: ZThK 87/1990, 323–339; Christoph Markschies (Hg.), Hans Freiherr von Campenhausen. Weg, Werk und Wirkung (Schriften der Philosophisch-Historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 43), Heidelberg 2008. 37 Göttingen 1936; 1964 erschien eine zweite durchgesehene Auflage (s. u.). Vgl. hierzu auch Winrich A. Löhr, Kirchengeschichte zwischen historischer Rekonstruktion und Gegenwartsorientierung – Hans von Campenhausen als Historiker und Theologe, in: Markschies (Hg.), wie vorige Anm., 61–86, bes. 67–71. 35
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kämpfer, aus der Stadt verschleppt und ohne Prozess und Urteil hinterrücks erschossen.38 Campenhausen hat später bezeugt, er habe an diesem Buch „mit echter Leidenschaft“39 gearbeitet, und eine nicht etwa aufdringlich zur Schau gestellte, sondern dezent verhaltene Leidenschaft teilt sich dem Leser des Buches bis heute in der Tat unwiderstehlich mit. Campenhausen versucht nämlich auf einem anderen Feld des geschichtlichen Erkennens und Urteilens etwas ganz Ähnliches wie Schabert: Er spürt mit unverhohlener normativer, legitimatorischer Absicht im Urchristentum einem geschichtlich gegebenen Verständnis des Martyriums nach, welches gänzlich frei ist von allen Kontaminationen mit religiösem Leistungs- und Verdienstdenken und dem von diesem unweigerlich hervorgetriebenen Heroenkult. So dekretiert er zunächst, dass das eigentliche spezifisch urchristliche Martyriumsverständnis völlig unabhängig von scheinbaren paganen und frühjüdischen Präfigurationen entstanden sei.40 Vielmehr habe es seinen Ursprung und seinen Entzündungspunkt allein an Jesu eigenem Verständnis seines Wortes und Weges als Zeugnis für Gottes Willen und Handeln, und dieses Selbstverständnis Jesu habe seinen einzig kongenialen Widerhall in den Begriff des Zeugen (μαρτύς) und des Zeugnisses (μαρτυρία) in bestimmten Schichten der johanneischen Literatur gefunden.41 Hier genau sei der ursprüngliche christologisch-eschatologische Märtyrerbegriff entstanden – gänzlich frei von Heroenkult und Verdienstdenken. Dem so verstandenen Zeugen kommt gegen die Wirklichkeit, welche er bezeugt, keinerlei Eigenstand und Eigenrecht zu; er geht vielmehr gänzlich in ihr auf. Er ist kein Held, der sich selbst einsetzt, denn er ist innerlich derart von dem überwältigt und ermächtigt, was er zu bezeugen hat, dass er gar nicht vor Alternativen steht, die ihn zum Abwägen und zum Kalkulieren einladen könnten. Wie gesagt: Diesen von ihm randvoll mit Normativität aufgeladenen Begriff des Zeugen vermag Campenhausen nur ganz punktuell in der frühchristlichen Literatur dingfest zu machen. Und selbst dort ist er, wie Campenhausen immer wieder einräumt, von Anfang an immer schon umspielt, gefährdet durch die Möglichkeit, dass die Person des Zeugen sich gegenüber dem, welchen sie zu bezeugen hat, verselbstständigt und Eigenbedeutung und Eigenwert gewinnt. Campenhausen kennt den von ihm doch wohl eher postulierten und konstruierten denn aufgefundenen spezifisch urchristlichen Märtyrerbegriff überhaupt nur als in einem Verfallsprozess befindlich:42 Dieser Verfallsprozess ist so alt wie er selbst. Bereits im Polykarp-Martyrium ist er der Sache 38 Vgl. Ruth Slenczka (Hg.), Die „Murren“ des Hans Freiherr von Campenhausen, Norderstedt 2005, 59. 39 Ibd., 136. 40 v. Campenhausen (wie Anm. 36), 1–19. 41 Vgl. ibd., 36–46. 42 „Nur als unausgesetztes Ringen mit einem tiefen Mißverstehen der ursprünglich gesetzten christlichen Idee läßt sich die weitere Entwicklung des Märtyrergedankens verstehen und darstellen“ (ibd., 55).
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nach vollendet, und in den Traktaten und Briefen Cyprians ist der katholische Martyriums-Begriff dann gänzlich ausreflektiert. Erst die Reformation, so der Schlussakkord des ganzen Buches, markiert den Wendepunkt der Verfallskurve hin zur Neuaneignung des zugleich ursprünglichen und bleibend normativen Martyriums-Begriffs: „Erst die reformatorische Theologie des Worts bedeutet in der Geschichte der Märtyreridee einen neuen Einsatz, indem sie den Blick von neuem in die entscheidende Richtung auf das Zeugnis selber lenkt und insofern wieder zu den Anfängen zurückkehrt. Denn wenn das Martyrium ursprünglich nichts anderes war als das in der geschenkten Vollmacht des Geistes bis zuletzt bewahrte Zeugnis Jesu, so liegt die einzige Möglichkeit seiner Fortentwicklung, die nicht zur Verfälschung oder Auflösung des ursprünglichen Gedankens wird, in der immer tieferen Erfassung dessen, was dieses Christus-Zeugnis für die Welt und für den Christen dort bedeutet, wo die relative Einstellung zum Leben ihr unbedingtes Ende erreicht hat: im Bekenntnis und im Tod“.43
Als Campenhausen 28 Jahre nach der Erstauflage seines Buches die zweite erscheinen ließ, hat er sich in wahrhaft freiherrlicher Gelassenheit von der Grundlage seiner hypothetischen Konstruktion distanziert.44 Und damit hat er indirekt einen wichtigen Fingerzeig gegeben: Wäre es nicht ein sinnvolles Unterfangen, den Märtyrerbegriff mit all seinen nun einmal gegebenen Konnotationen ein- für allemal den vor-, außer und gegenreformatorischen Spielarten der christlichen Religion anheimzustellen und sich auf die Suche nach einem spezifisch evangelischen Begriff für Menschen zu begeben, die um ihres christlichen Glaubens willen seelisch und leiblich leiden mussten und müssen – auf die Suche nach einem Begriff, der unbelastet wäre von leistungsorientierten Wertungsschematismen und so einen freieren Blick eröffnete auf die Vielfalt der Lebenswege und Lebensgeschicke?
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Ibd., 175. Wie Anm. 36; vgl. das nicht paginierte „Vorwort zur neuen Auflage“.
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Märtyrer im Luthertum Ludwig Rabus: Historie der Märtyrer Martin Treu 1. Einleitung: Der abwesende Herr Rabus Das Münster in Ulm beherbergt in einem Seitenschiff eine veritable Ahnengalerie des Luthertums, von den meisten Besuchern nicht beachtet, von populären Reiseführern mit Stillschweigen übergangen.1 Die Reihe der überlebensgroßen Sandsteinfiguren an den Pfeilern aus dem späten 19. Jahrhundert beginnt natürlich mit Luther. Melanchthon fehlt, dafür gibt es neben dem schwedischen König Gustav II. Adolf auch Paul Gerhardt und Hermann August Francke. Von Ludwig Rabus findet sich keine Spur. Immerhin war er lange Jahre Superintendent und organisierte in dieser Funktion das städtische Kirchenwesen Ulms in der Reformationszeit. Diese Beobachtung scheint etwas Symptomatisches zu treffen. Zwar findet sich in der Allgemeinen Deutschen Biographie (ADB) sein Name, in der ihr folgenden Neuen Deutschen Biographie (NDB) fehlt er.2 Auch die vierte Auflage der Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG) bietet keinen eigenen Artikel. In Verbindung mit der Konfessionalismusdebatte herrscht seit einigen Jahren an Monografien und Beiträgen zu Theologen der zweiten und dritten Generation nach Luther kein Mangel. Rabus als Theologe und Kirchenorganisator hat jedoch keinen Bearbeiter gefunden. Die große Ausnahme ist eine im Umfang kleine, aber fundamentale Monografie von Robert Kolb aus dem Jahr 1987, die für diesen Beitrag in vielen Einzelheiten wichtig war.3 Deswegen stellt der folgende Artikel an vielen Stellen eher eine Erinnerung an Desiderate der Forschung dar als eine in sich abgeschlossene Analyse. Zuerst wird ein kurzer Abriss der Biografie von Rabus geboten, dem ein Durchgang durch die acht Bände seiner Märtyrerviten folgt. Abschließend wird eine Einordnung von Rabus als Theologe und Historiker versucht, der sich Überlegungen zum (begrenzten) Erfolg seines Werkes anschließen. 1 Vgl. www.reformationskirchen-wuerttemberg.de/kirchen-der-reformation/ulm. Zugriff am 22.3.2016 Hier findet sich lediglich ein kurzer Hinweis auf eine Lutherstatue. 2 Neue Deutsche Biographie, Berlin 1953 ff., bisher 25 Bde. 3 Robert Kolb, For All the Saints: Changing Perception of Martyrdom and Sainthood in the Lutheran Reformation, Mercer University Press, Macon, GA, 1987.
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2. Biografische Umrisse Ludwig Rabus wurde als Sohn eines Memminger Bürgers namens Jacob Rabe, in den Quellen auch Rab oder Günzer genannt, 1523 oder 1524 in Memmingen geboren. Er starb am 22. Juli 1592 in Ulm.4 Der Junge war offensichtlich begabt und kam als Schüler nach Straßburg, wo ihn der Münsterpfarrer Matthias Zell und seine Frau Katharina aufnahmen. 1538 ging er als Student nach Tübingen. Ab 1541 finden wir ihn in Wittenberg, wo er zwei Jahre später den Magistertitel erwarb. Das Studium unter Luther und Melanchthon muss ihn tief geprägt haben. Er selbst äußerte sich dazu nur indirekt, aber die Grundlagen für sein unbeugsames Luthertum sind wohl an der Leucorea gelegt worden. Jedenfalls weist er an verschiedenen Stellen seines Werkes auf diese unmittelbare Schülerschaft hin, ohne im Einzelnen darzulegen, was er denn von Luther und Melanchthon gelernt habe. Bereits mit zwanzig Jahren erhielt Rabus vom Straßburger Rat eine Stelle als Hilfsprediger für Matthias Zell. Nach zeitgenössischen Berichten war er ein sehr erfolgreicher Prediger, besonders bei den Frauen, die ihn „als einen Abgott hielten“.5 Zell starb bereits 1548 und Rabus machte sich Hoffnungen auf die Nachfolge. Allerdings durchkreuzte das Interim seine Pläne. Der Magistrat musste drei der acht Kirchen Straßburgs an die Katholiken zurückgeben. Jedoch konnte Rabus in der Stadt bleiben.6 Er wurde 1552 Prediger an der ehemaligen Dominikanerkirche, Sekretär des Coetus der Straßburger Geistlichkeit und außerdem Lehrer für Theologie am Collegium Wilhelmitanum und am berühmten städtischen Gymnasium. 1553 erhielt er zusammen mit seinem Freund Jacob Andreae, der sich im Verlauf seiner Karriere ebenfalls als Vertreter eines besonders strikten Luthertums erweisen sollte, die Doktorwürde an der Universität Tübingen. Im gleichen Jahr, am 11. September, verlieh Ottheinrich Pfalzgraf bei Rhein den drei Brüdern Rabus, Ludwig, Jakob und Paul, ein Wappen. Ähnlich wie beim Wappenbrief Lucas Cranachs durch den sächsischen Kurfürsten Friedrich III. war damit keine persönliche Nobilitierung verbunden. Die Wappenverleihung dürfte vielmehr Zeichen der Anerkennung durch den Fürsten gewesen sein.7 Allerdings stockte seine Karriere in Straßburg. Nach dem Tod Kaspar Hedios zog der Rat bei der Neubesetzung des Präsesamtes des Straßburger geistlichen Konvents Johannes Marbach vor, mit dem Rabus allerdings sein Leben lang befreundet blieb. Rabus wandte sich nach Ulm, ohne den Straßburger 4 Das Folgende nach: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 27, Leipzig 1888, 87–99 und Kolb, Saints (wie Anm. 3). 5 ADB, 97. 6 Kolb, Saints (wie Anm. 3), S. 48 mit ausgiebiger Auswertung der Straßburger Akten. 7 Vgl. Karl und Bernhard Rabus, Familie Rabus – Stammbuch und Geburtsregister des 16. und 17. Jahrhunderts. Übertragung einer Handschrift, in: Blätter für fränkische Familienkunde 34 (2011) als Edition einer Handschrift aus dem Stadtarchiv Nürnberg, Sign. E 1/1346.
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Rat vorher zu informieren. Das sorgte für eine gewisse Verstimmung. Am 22. November 1556 trat er sein Amt an, um sich dann 34 Jahre lang dem Auf bau einer betont lutherischen Kirche in Ulm zu widmen. Das betraf nicht nur die Stadt selbst, wo bald nach seinem Amtsantritt die letzte katholische Kirche geschlossen wurde, sondern auch das Umland. Bei der Unterzeichnung der Konkordienformel standen 58 Prediger unter seiner Aufsicht. In den ersten Jahren befasste sich Rabus in regelmäßigen Visitationen damit, die Einheit und Reinheit der lutherischen Lehre herzustellen. Zwinglis Schriften wurden verboten, die Prediger auf ihre Orthodoxie hin examiniert. 1560 führte Rabus Kirchenbücher für Getaufte, Verheiratete und Verstorbene ein. Unter dem Aspekt der Sozialdisziplinierung wäre dieser Vorgang einer eigenen Untersuchung wert. 1584 wurde mit dem Brautexamen, bei dem die Heiratswilligen auf ihre Katechismuskenntnisse hin geprüft wurden, eine weitere Kontroll instanz geschaffen. 1586 stellte Rabus die Einzelbeichte, die seit 1531 nicht mehr praktiziert worden war, wieder her. Auch die städtische Schule erfuhr eine umfassende Neugestaltung und Vergrößerung. Zu diesem Zweck entstand 1559–1561 eine spezielle Ausgabe des lutherischen Katechismus. Rabus hatte um 1544 in Straßburg geheiratet. Aus der Ehe gingen fünf Söhne und neun Töchter hervor, von denen die meisten jedoch als Kinder starben. Einen öffentlichen Skandal erregte 1565 die Konversion seines Sohnes Johann Jacob zum Katholizismus. Er gab dann als Jesuit verschiedene Streitschriften gegen die neue Lehre heraus.8 Trotz dieser enormen Arbeitsbelastung fand Rabus Zeit, sich schriftstellerisch zu betätigen. Den Zeitgenossen dürfte er vor allem als Kompilator eines Christlichen Betbüchleins begegnet sein, das erstmals 1563 erschien und bis 1610 in mindestens 27 Drucken nachweisbar ist.9 Weiterhin gab Rabus eine mehrfach aufgelegte antike Quelle zum Ackerbau heraus, sowie verschiedene Predigten.10 Eher unfreiwillig wurde er schließlich zum Autor in einer Streitschrift, die Katharina Zell 1557 veröffentlichte, Ein Brief an die ganze Bürgerschaft der Stadt von Katharina Zellin dessen jetzt seligen Matthäus Zellen, des alten und ersten Predigers der Evangeliums dieser Stadt nachgelassene Ehefrau Betreffend Herrn Ludwig Rabus jetzt ein Prediger der Stadt Ulm samt zweier Briefe, ihrer und seiner, Dabei auch eine sanfte Antwort auf jeden Artikels seines Briefes.11 Was war geschehen? Katharina Zell war eine der wenigen weiblichen öffentlichen Streiter für die neue Lehre dar. An der Seite ihres Mannes verstand sie sich 8 Johann Jacob Rabus (um 1545 – zwischen 1584/87): Nach Studien in Wittenberg und Doktorat in Tübingen trat er am 30. November 1565 zum Katholizismus über und in den Jesuitenorden ein. Seit 1570 war er Stadtpfarrer in Straubing. Vgl. ADB Bd. 27, 95–97. 9 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16) ZV 16305 als Erstausgabe. 10 VD 16 16404 als Erstausgabe. 11 VD 16 Z 342. 117 Seiten, Titel und Zitate werden im Folgenden in behutsamer Modernisierung genannt.
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als Mitpastorin im Amt. Nach seinem Tod verteidigte sie nicht nur ihre undogmatische Sicht auf das Evangelium, sondern auch ihren ehemaligen Hausgenossen, den Spiritualisten Caspar Schwenckfeld. Rabus erfuhr davon und kritisierte ihre Haltung in einem Privatbrief vom 19. April 1557 aufs Schärfste. Der Ton dieses Briefes entspricht ganz dem Grobianismus der Zeit. Allerdings war er einer fast 60-jährigen Frau gegenüber, die sich um den jungen Rabus verdient gemacht hatte, mehr als unangemessen. Diesen Brief also veröffentlichte Katharina. Von besonderem Interesse ist dabei ihr Vorwort, aus dem sich Einzelheiten zur Biografie des jungen Rabus entnehmen lassen, die sonst nirgendwo zu finden sind.12 Das Pamphlet dürfe Rabus’ Ruf in Straßburg weiter geschädigt haben, nachdem sein unangekündigter Weggang nach Ulm schon für Irritationen gesorgt hatte. Von Bedeutung für die Nachwelt ist dabei, dass ein gewisser Eberhard Landolf, wohl ein bis heute nicht aufgelöstes Pseudonym, in einer Verteidigungsschrift für Rabus einen sonst völlig unbekannten Lutherbrief heranzieht, der sich gegen die Veröffentlichung von Privatbriefen ausspricht: „denn ein privat sach wöl mag verschwigen und nydergedruckt werden“.13
3. Die Märtyrerbücher des Ludwig Rabus Mit dem Interim begann in Straßburg auch eine intensive Diskussion über die Rolle der Heiligen und ihrer Verehrung in der neu geschaffenen Situation. Die Substitution der spätmittelalterlichen Heiligenverehrung durch ein Gedenken an die biblischen und frühchristlichen Märtyrer ist ein Konzept, das schon Luther und der patristisch besonders interessierte Philipp Melanchthon in Wittenberg gefördert hatten. Die aktuelle Kontroverse in Straßburg sollte die Lebensarbeit Ludwig Rabus’ bestimmen.14 1552 erschien bei Balthasar Bock eine ausdrücklich als Tomus I bezeichnete lateinische Kompilation von 128 Kurzviten von alt- und neutestamentlichen Märtyrern und Bekennern15 im Quartformat, der noch im selben Jahr eine deutsche Fassung folgte: „Der Heiligen außerwöhlten Gottes Zeugen und Bekennern vnd Maryrern so in anliegender ersten Kirche Alts vnd Newes Testaments zu yeder Zeit gewesen seindt wahrhaftfte Diese Affäre hat im Zeichen der Genderforschung auch in der jüngeren Literatur Aufmerksamkeit gefunden vgl. Helmut Zschoch, Katharina und Matthias Zell, RGG4 Bd. 8, Tübingen 2005, 266 f.; Katharina Schütz Zell, Churchmother. The writings of a Protestant Reformer in Sixteenth-Century Germany, ed. and transl. by Elsie McKee, Chicago /London 2006, 215; Barbara Mahlmann-Bauer, „Gender“ – eine Kategorie bei der Analyse theologischer Streitschriften von Frauen, oder: Sind die vereinzelten Autorinnen der Reformationszeit „subaltern“?, in: Streitkulturen und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter, hg. von Henning P. Jürgens und Thomas Weller, Göttingen 2013, 179–214. 13 WA Br 12, 395 (Nr. 4310). Das Zitat ebd., 396,5. 14 Kolb, Saints (wie Anm. 3), 46. 15 VD 16 ZV 12903. 12
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Historien […] – im Latein nach Ordnung des Alphabets gantz vleissig zusammen getragen vnd yetztund durch ihn selbers […] in Teutsche Sprach verdolmetscht. Der erste Teil.“16
Über den Wechsel der Sprache lässt sich nur spekulieren. Rabus erwartete sich von der deutschen Fassung wohl eine größere Breitenwirkung.17 Die bis 1558 folgenden sieben weiteren Teile sind alle nur auf Deutsch verfasst. Nicht fortgesetzt wurde in den folgenden Bänden die alphabetische Ordnung des Stoffes, die für Rabus zwar den Vorteil bot, mit dem Protomärtyrer Abel anfangen zu können, aber beim Leser Verwirrung auslösen musste. Dafür enthalten die Bände am Ende ein alphabetisches Register der Märtyrer. Gewidmet war der lateinische Band Herzog Christoph von Württemberg, dem Kaspar Hedio, ein Freund von Rabus, in dieser Angelegenheit schon drei Empfehlungsbriefe zugesandt hatte.18 Ort und Zeitraum der Abfassung der Bücher bilden eine unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen des Plans. In Straßburg waren die wichtigsten Gelehrten der Zeit für längere oder kürzere Zeit anwesend. Außerdem gab es eine bedeutende Bibliothek. Seit 1542 lebte der wichtigste Historiker seiner Epoche, Johann Sleidan, in der Stadt. Rabus war mit ihm befreundet und zitierte ausgiebig aus seinen Kommentaren.19 Vom ersten deutschen Band erschien 1557 eine zweite stark veränderte Auflage, nun bei Samuel Emmel, der auch die folgenden Teile herausbringen sollte. Gewidmet ist der Band Philipp Graf von Hanau. Im ausführlichen Vorwort befasst sich Rabus paränetisch mit den beiden für ihn zentralen Stellen aus dem Neuen Testament, Röm 10,10 und Hebr 13,7.20 Die vorgestellte Quellenliste ist lang und beeindruckend, beginnend mit der Bibel selbst und den lateinischen Kirchenvätern Augustin und Ambrosius, dazu kommen von den Griechen Basilius Magnus und Chrysostomos, von den alten Kirchengeschichtsschreibern natürlich Euseb, Socrates scholasticus, Sozomenos, Rufin, Theodoret, Victor von Vita und andere. Von Luthers Schriften erscheint in dieser Liste nur ein Chronicon, wohl die Supputatio annorum mundi von 1541.21 Weiterhin wird natürlich Melanchthons Edition des Chronikon Carionis erwähnt sowie die Vrsberger chronica.22 Die Frage, welche Ausgaben Rabus benutzte, kann hier nicht geklärt werden, müsste aber mit der VD 16 R 31. Im Vorwort zur zweiten Ausgabe des ersten Bands heißt es: „auf bitt und beger vieler Guthertzigen in Teutscher sprach nach meine kleinfüge (!) verdolmetscht“, Bl. 9. 18 Kolb, Saints (wie Anm. 3), 48; Landesarchiv Baden-Württemberg, Abteilung Hauptstaatsarchiv Stuttgart A 63, Religions- und Kirchensachen vom 13. Oktober, 16. Dezember 1551 und 20. Februar 1552. 19 Ebd. 20 VD 16, R 39, Bl. 16. 21 Gedruckt bei Georg Rhau VD 16 L 6716. 22 Gemeint ist die von Burchard von Ursberg 1229/30 verfasste Weltchronik, die 1515 gedruckt in Augsburg erschien. Eine deutsche Übersetzung entstand 1566 in Straßburg, VD 16 B 2429. 16 17
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Hilfe der elektronischen Form des VD 16 zu gewissen Wahrscheinlichkeiten führen.23 Hinweise darauf, dass Rabus die griechischen Quellen im Original gelesen hat, finden sich nicht.24 Für einen seiner Hauptzeugen, nämlich Euseb, dürfte die Ausgabe des Beatus Rhenanus der Autores Historiae ecclesiasticae25 Pate gestanden haben, die dessen Kirchengeschichte in der lateinischen Fassung Rufins und Rufins eigene Schriften enthielt sowie eben auch die Kirchengeschichte Victors, der sich mit der Vandalenherrschaft in Nordafrika befasste.26 Von Sozomenos erschien 1548 eine lateinische Übersetzung durch Kaspar Hedio, die Rabus mit Sicherheit zur Verfügung stand.27 So bezieht dieser erste Band 30 % seines Materials aus Euseb, 15 % aus Sozomenos, 13 % von Victor und 14 Biografien aus Theodoret.28 Die erzählten Geschichten sind durchweg kurz und auf den Punkt gebracht.29 In der Regel nennt Rabus seine Quelle mit Buch- und Kapitelangabe.30 Am Ende jedes Buchstabenkapitels folgt ein längeres Zitat aus der Bibel oder den Kirchenvätern, davon allein neunmal Augustin, das den Begriff des Martyriums erläutert und die Notwendigkeit des Gedenkens unterstreicht. Mit dem zweiten Teil, der laut Vorwort am 1. März 1554 fertiggestellt wurde, findet Rabus zur endgültigen Form der folgenden Teile. Gewidmet ist der Band dem Rat zu Memmingen, „meinem vilgeliebten Vatterlandt“.31 Die Einleitung hat wiederum paränetischen Charakter, der Stoff wird nun chronologisch geboten, bleibt aber disparat: Aus dem Alten Testament die Propheten Jeremia und Amos, aus dem Neuen die angeblichen späteren Schicksale der Apostel Thomas, Bartholomäus, Matthias und Simon Zelotes, sowie die Evangelisten Markus und Lukas. Zum Abschluss dieses Teils folgt ein Zitat aus 1 Petr 4(12–16), um einen Einschnitt zu markieren. Auf den folgenden mehr als hundertfünfzig Seiten widmet sich Rabus ausführlich dem Schicksal von Jan Hus, wobei seine eigenen Texte und die zitierten Dokumente teilweise nur schwer auseinanderzuhalten sind. Es ist in der Forschung diskutiert worden, warum Rabus keine Märtyrer aus der Zeit zwischen dem Ende der Alten Kirche und dem 15. Jahrhundert aufgenommen hat.32 Sicher ist, dass er Hus, ebenso wie Hieronymus von Prag, ganz im Sinne Die Forschung zu diesem Thema insgesamt: „Woher wussten die Autoren, was sie wussten?“, steht noch ganz am Anfang. 24 Nur am Schluss des ersten Bandes steht singulär für das gesamte Werk eine Zeile Griechisch, Bl. 534. 25 Basel: Johann Froben 1544. 26 VD 16 E 4277. 27 VD 16 E 4285. 28 Kolb, Saints (wie Anm. 3), 59. 29 „Short and snappy style“, Kolb, ebd. 30 Die Qualität der Übersetzungen müsste wenigstens stichpunktartig noch überprüft werden. Eine Ausnahme ohne Quellenangabe bilden Bl. 464 sowie ein nicht weiter nachgewiesenes Zitat aus dem Talmud Bl. 518. 31 Hist. 2, Bl. 13 32 Kolb, Saints (wie Anm. 3), 48 f. 23
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Luthers, den er mit dessen Sendbrief zitiert, als Vorläufer der Reformation versteht.33 Es folgen die Protomärtyrer der lutherischen Reformation, Johannes Voss und Heinrich von der Eschen, die 1523 in Brüssel ob ihres Bekenntnisses verbrannt wurden.34 Hier ist die Abhängigkeit von Luther mit Händen zu greifen. Dessen Reaktion auf dieses Martyrium, im Brief an die Christen im Niederland 1523 an die Öffentlichkeit getragen, gehörte zu Luthers großen publizistischen Erfolgen.35 Das darauf folgende Balladenlied von den „Märtyrern zu Brüssel verbrannt“ stellt Luthers erstes geistliches Lied dar und legt zugleich Zeugnis von seiner ungewöhnlichen poetischen Begabung ab.36 Die weiteren Berichte zu Märtyrern dagegen verdanken sich in ihrer Zufälligkeit der Tatsache, ob und welche Druckschriften Rabus zuhanden sind. Wo möglich, lässt er Luther zu Wort kommen. In zumindest einem Fall, bei dem 1525 gehenkten Matthias Weybell, wendet er sich direkt an den Leser mit der Bitte um weitere Informationen.37 Zum Abschluss des Bandes bietet Rabus Informationen zu ausländischen Bekennern. Am ausführlichsten schildert er den Fall des Spaniers Juan Diaz, der 1540 im Auftrag seines eigenen Bruders Alfonso in Neuburg an der Donau wegen seines lutherischen Bekenntnisses ermordet wurde.38 Seine Quelle, die er wie gewöhnlich nennt, ist Claudius Senarclius, ein Pseudonym für Francisco Enzinas, auf den zurückzukommen sein wird. Nur der zweite Band enthält am Schluss Lobgedichte auf Werk und Autor, unter anderen empfehlende Dysticha von Martin Crusius. Der dritte Teil ist Israel Minckell, Bergherrn zu Straßburg, gewidmet. Dies fällt aus dem üblichen Rahmen, da Rabus sich sonst an den Adel oder an Kommunen wandte. Vorgestellt werden 32 Einzelpersonen und eine nicht spezifizierte Gruppe. Dabei fällt auf, dass Rabus hier auch Material aus englischen Quellen verwendet, wenn er beispielsweise das Schicksal der Anne Askew beschreibt, die unter der Königin Mary Tudor 1546 den Märtyrertod fand.39 Wie auch in den anderen Bänden subsummiert Rabus unter dem Begriff Märtyrer im weiteren Sinne Männer und Frauen, letztere seltener, die Zeugnis für den neuen Glauben ablegten. So findet auch die Biografie von Lazarus Spengler Erwähnung, der 1534 friedlich in seinem Bett in Nürnberg starb. Gerechtfertigt wird dies durch seine Aufnahme in die Bannandrohungsbulle gegen Luther von 1520. Allerdings verschweigt Rabus, dass Spengler sich zu diesem Hist, 2, Bl. 189–195. Hist. 2, Bl. 256 ff. 35 WA 12, 73–80, nach Josef Benzing, Lutherbibliographie Nr. 1658–1668, acht deutsche Ausgaben, eine niederdeutsche und eine lateinische Übersetzung. 36 WA 35, 91–97. 37 Hist. 2, Bl. 334. 38 Hist. 2, Bl. 579–642. 39 Hist. 3, Bl. 184–186. Vgl. den Artikel von Ronny Baier im BBKL 21, Sp. 39–42, Nordhausen 2003. 33
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Zeitpunkt ausdrücklich dem Papst unterwarf und so die Tilgung seines Namens erreichte.40 Schließlich sei noch Georg Winkler aus Halle erwähnt, der seit 1524 an der dortigen Stiftskirche als Prediger wirkte, sich aber wegen der Frage des Abendmahls in beiderlei Gestalt mit seinem Dienstherrn, dem Kardinal Albrecht von Brandenburg, überwarf. Der lud ihn darauf zu einem Verhör nach Aschaffenburg vor. Auf der Rückreise von dort wurde Winkler unter ungeklärten Umständen ermordet.41 Luther vermutete den Kardinal als Auftraggeber des Mordes und verfasste einen Trostbrief an die Christen zu Halle.42 Auch an dieser Stelle stützt sich Rabus also direkt auf Material Luthers, ohne es zu überprüfen. Der vierte Band enthält Stoff für eine eigene Untersuchung. Von seinen 618 Seiten befassen sich fast 500 mit der Biografie Luthers, wie immer in einer Mischung aus gedruckten Quellen und auktorialem Text. Die Idee, Luther unter die Märtyrer einzureihen, findet sich schon in einer Flugschrift, die kurz nach dem Wormser Reichstag von 1521 auf Deutsch und Latein erschien: Passio Martini Lutheri.43 Die Hauptquelle für Rabus ist allerdings Melanchthons lateinische Biografie aus dem Vorwort zum zweiten Band der Opera Omnia latine, wobei er die Jenaer Ausgabe benutzt, ein weiterer Hinweis auf seine Orthodoxie 44. Die Auswahl der Dokumente schwankt zwischen Zufall45 und gestaltender Absicht. Rabus geht jahrweise vor, wobei das Gewicht auf der Frühzeit bis 1523 liegt. Am auffälligsten ist sicher das vollständige Fehlen des Augsburger Reichstags von 1530, wohl nur erklärbar mit der Tatsache, dass Luther daran nicht teilnehmen konnte. Melanchthon wird in der Darstellung kaum genannt, explizit nur als wichtiger Mitstreiter Luthers im Kampf gegen die aufständischen Bauern 1525.46 Besonders breit befasst sich Rabus mit der oberdeutschen Konkordie von 1536, die er im Wortlaut bringt, und einer ausführlichen Erzählung der Vorgänge in Wittenberg „aus gewissen Actis“.47 Der Hauptinhalt des Bandes – ganz kurz werden am Ende noch Savonarola, Jacob Vogt und der Schotte Patrick Hamilton behandelt – erklärt auch die Widmung an die drei Söhne des ehemaligen Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Für Hist. 3, Bl. 174–176. Hist. 3, Bl. 124–126. 42 WA 23, 390–434, vgl. auch Martin Brecht, Martin Luther, Bd. 2, Berlin (Ost) 1989, 338. 43 Vgl. grundlegend dazu Johannes Schilling, Passio Martini Lutheri. Texte und Untersuchungen, Gütersloh 1989. 44 Hist. 4. Bl. 30. 45 Hist. 4, Bl. 158 Eine Antwort Luthers an Friedrich III. von Sachsen „… so nicht zuhanden/noch zu bekomen gewesen …“ 46 Hist. 4, Bl. 322. 47 Hist. 4, Bl. 403. Hier müsste geprüft werden, ob der Darstellung ein eigener Quellenwert zukommt, da Rabus offensichtlich ungedrucktes Material heranzieht und außerdem mit einigen der Akteure persönlich bekannt war. 40 41
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Rabus ist er „der theure Held vnd standthaffte Bekenner des gecreutzigten Christus“.48 Da er die jungen Fürsten nicht kennt, beruft er sich auf seine Beziehung zu Johann Aurifaber, ihrem Hofprediger. Wichtiger noch ist ihm die Betonung der Lehrübereinstimmung zwischen Straßburg und dem ernestinischen Sachsen. Zum Beleg nennt er die weiter unten breit ausgeführte Konkordie von 1536 und die Unterzeichnung der Schmalkaldischen Artikel durch Straßburg. Eine besondere Bedeutung besitzen die diesem Band beigefügten Illustrationen. Zwar sind alle acht Teile mit Holzschnitten verziert, die öfter wiederverwendet werden. Aber im Zusammenhang mit Luther entstand hier die erste Bilderserie zu seiner Biografie überhaupt.49 Interessant ist nun zu beobachten, welche Situationen im Leben des Reformators als bildwürdig angesehen werden. Der Thesenanschlag kommt nicht vor. Die erste Station ist die Verbrennung der Bannandrohungsbulle. Luther vor Cajetan wird dargestellt mit einem Holzschnitt, der schon in den ersten Bänden Verwendung fand. Besonders hervorzuheben ist das Verhör vor Kaiser und Reich 1521. Der Kaiser wird als alter Mann dargestellt, obwohl er erst 21 Jahre alt war. Neben Luther im Ordensgewand steht sein Anwalt Hieronymus Schurff. In einer Kursive in den Stock geschnitten steht: „Intitulentur libri“. Gemeint ist Schurffs Forderung, die Titel der Bücher vorzulesen, die man Luther zur Last legte. In derselben Schrift findet sich am Bildrand die Inschrift: „Hie stehe ich / Ich kan nicht anders, Got helffe mir Amen.“ Der Satz findet sich auch in Rabus’ Text durch extremen Großdruck hervorgehoben.50 Durch die bildliche Darstellung dürfte Rabus zur Formation der Lutherlegende ein gewichtiges Stück beigetragen haben. Die übrigen Illustrationen betreffen die Leipziger Disputation, das Treffen in Marburg mit Zwingli und Luthers Beerdigung. Sie alle werden öfter wiederverwendet, die Begräbnisszene zum Beispiel beim Tode Hermann von Wieds im achten Teil. Der Verfertiger der Holzschnitte ist unbekannt. Sie als „ohne viel Aufwand und Kosten erstellte“ und „als schmückende Beigabe“ zu bezeichnen,51 halte ich nicht für gerechtfertigt, wäre aber eine eigene Untersuchung wert.52 Spätestens mit dem fünften Teil wird klar, dass Rabus zu Beginn des Unternehmens keinen Masterplan besaß. Gewidmet ist dieser Band Wilhelm Graf Hist. 4, Bl. 23. Vgl. Joachim Kruse, Luthers Leben in Illustrationen des 18. und 19. Jahrhunderts. Katalog zur Ausstellung der Kunstsammlungen der Veste Coburg 1980, 11–12. Dieses Werk steht am Anfang einer ganzen Reihe von Untersuchungen zum Bild Luthers. Auch hier fehlt eine explizite Beschäftigung mit den Illustrationen bei Rabus. 50 Über die Faktizität des Satzes vgl. zuletzt Heinz Schilling, Martin Luther. Rebell in einer Zeit des Umbruchs, München ³2014, 223. Unstrittig ist, dass Luther diesen Satz in Worms nicht gesagt hat. Ob Georg Rörer ihn als Redakteur in die Wittenberger Ausgabe der Vorgänge eingefügt hat, bleibt letztlich Vermutung. 51 Kolb, Saints (wie Anm. 3), 81. 52 Lediglich das Lutherporträt weist den Einfluss der Cranachschule auf. Trotz Wiederholungen sind vor allem die Martyrien selbst, wie etwa die Hinrichtung von Johann Hus, so detailliert dem Text angepasst, dass sie extra für Rabus angefertigt worden sein müssen. 48 49
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von Nassau-Katzenellnbogen und seinen drei Söhnen aus zweiter Ehe, die Rabus in Straßburg unterrichtet hatte.53 Unter den verwendeten Dokumenten sind die gedruckten Schriften der Argula von Grumbach bedeutsam.54 Indem Rabus Flugschriften der frühen Reformation in Buchform herausbringt, sichert er ihre Rezeption auch in späteren Zeiten. Der sechste Teil, dessen Vorwort Ulm, 3. März 1557, datiert ist, bietet eine Ausweitung des Blicks auf die Habsburger Besitzungen in Österreich, den Niederlanden und Spanien, sowie einige Martyrien aus den Verfolgungen in Frankreich. Für letztere ist vor allem Sleidan die Quelle, den Rabus ausführlich zitiert.55 Band sieben erhält durch die intensive Benutzung der Historia de statu Belgico et religione Hispanica des Francisco Enzinas (1518 in Burgos – 1552 in Straßburg) einen besonderen Wert. Enzinas, der sich selbst Dryander nannte, stammte aus einer vornehmen, auch international gut vernetzten Familie. Nach Studien in Löwen und Paris immatrikulierte er sich 1541 in Wittenberg. Melanchthon nahm ihn in sein Haus auf und unterstützte ihn bei seinem wichtigsten Werk, der Übersetzung des Neuen Testaments ins Spanische.56 Das Buch wurde in Antwerpen gedruckt, er selbst aber in Brüssel inhaftiert. Nach 18 Monaten gelang ihm die Flucht, worauf er Anfang 1545 nach Wittenberg zurückkehrte, um dort auf Bitten Melanchthons über die Religionsverfolgungen in den Niederlanden und Spanien zu schreiben. Dieses Werk wurde zu seinen Lebzeiten nicht gedruckt.57 1558 erschien eine französische Übersetzung mit fingiertem Ort und Drucker. Erhalten sind lediglich zwei zeitgenössische Handschriften, eine heute in Altona, die nicht vollständig ist, und eine zweite heute im Vatikan. Diese Handschrift gelangte über die Heidelberger Biblio theca Palatina dorthin. Ihr ursprünglicher Standort jedoch war Straßburg, wo sie Rabus ausführlich benutzte.58 Die Historia stellt eine besonders wichtige Quelle dar, da Enzinas einen großen Teil der geschilderten Verfolgungen als Augenzeuge miterlebt hat und durch seine familiären Beziehungen die meisten Akteure gut kannte. Darüber hinaus ist das Buch in einem fesselnden und gleichzeitig literarisch anspruchsvollen Latein geschrieben, das Rabus angemessen übersetzt.59 Bereits im zweiten Teil hatte Rabus eine weitere Schrift
53 Vgl. Hist. 5, Bl. 17. Damit umschifft Rabus geschickt das Problem, dass der Erbsohn des Grafen aus der ersten Ehe zum Katholizismus konvertiert war. 54 Zu ihr vgl. zuletzt Peter Matheson, Argula von Grumbach. Eine Biographie, Göttingen 2014. Rabus wird S. 212 erwähnt, aber nicht gewürdigt. Ebenso Kirsi Stjerna, Women oft he Reformation, Malden / Oxford 2009, 78 ff. 55 Hist. 5, Bl. 254–270. 56 Vgl. MBW 11, Stuttgart 1977 ff., 367. 57 Eine erste Edition erschien erst 1862/63 in Belgien als Privatdruck. 58 Ignacio J. García Pinilla / Jonathan L. Nelson, The Textual Tradition of the Historia de statu Belgico et religione Hispanica by Francisco de Enzinas (Dryander), in: Humanistica Lovaniesia. Journal of Neo-Latin Studies 50 (2001), 267–286. 59 https://de.wikipedia.org/wiki/Francisco_de_Enzinas, 6.
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des Enzinas verwertet.60 Ohne seine Arbeiten wären die Kenntnisse dieser Martyrien jedenfalls im deutschsprachigen Raum im 16. Jahrhundert sehr viel geringer gewesen. Der Schwerpunkt des achten Bandes, das Vorwort datiert auf den 24. Februar 1558, liegt auf einer ausführlichen Darstellung des in Köln fehlgeschlagenen Reformationsversuches durch den Erzbischof Hermann von Wied.61 Darauf wird, was in der Serie singulär ist, schon auf dem Titelblatt hingewiesen.62 Einen zweiten umfangreichen Akzent setzt Rabus mit der detaillierten Dokumentation des Konflikts seines Mentors, des Münsterpfarrers Matthias Zell, mit der altgläubigen kirchlichen Obrigkeit. Aus naheliegenden Gründen wird dessen Ehefrau mit keinem Wort erwähnt.
4. Rabus als Theologe und Historiker Seine theologischen Grundüberzeugungen sind am ehesten aus den ausführlichen Vorworten zu erheben. Das Urteil, dass dort jeglicher originelle Gedanke fehlt, hätte Rabus als Kompliment aufgefasst. Ganz stark ist der Einfluss Luthers, besonders sein Konzept von der Wirkmächtigkeit und Selbstdurchsetzung des Wortes Gottes und das der Theologia crucis, was natürlich dem Thema geschuldet ist.63 Ebenfalls im Anschluss an die Wittenberger betont Rabus die Lehrtradition in der Folge der Alten Kirche und die Übereinstimmung mit der Lehre der Kirchenväter, auf der Melanchthon so explizit insistierte. Allerdings fällt auch an dieser Stelle dessen Name nicht. In seinem Vorwort zum dritten Teil bietet Rabus zwölf für ihn objektive Gründe, warum die christliche Lehre, gemeint ist natürlich in der Form Luthers, wahr sein muss. Der erste ist, dass sie von Gott selbst im Paradies gegenüber Adam und Eva gelehrt wurde, der zweite, dass sie über die menschliche Vernunft hinausgeht, wie die Trinitätslehre belegt, schon der dritte aber hebt die Tatsache hervor, dass diese Lehre Märtyrer hervorbrachte und hervorbringt. Das wird im zwölften Grund noch einmal bestätigt durch das Blut der Märtyrer „bis auff den heutigen tag“.64 „Verfolgung ist die Quintessenz der Kirche, zumindest aber ein Indiz für die Wahrheit ihrer Lehre.“65 Historia vera de morte sancti viri Diazi Hispani …, Basel: Johann Oporinus 1546, VD 16 E 1436. 61 Hist. 8, Bl. 471–618. 62 Nach dem stereotypen Haupttitel folgt: „In welchem auch vermeldet würt / was sich mit Durchleuchtigsten / ec. Herren Herman weiland Ertzbischoffen zu Coelln und Churfürsten zugetragen und verloffen hat. 63 Kolb, Saints (wie Anm. 3), 52. 64 Hist. 3, Bl. 14. 65 Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung, Tübingen 2007, S. 357. Die von Pohlig – a. a. O., 258 – behauptete Übergewichtung der Verfallsgeschichte gegen die Kontinuitätsgeschichte der Kirche bei Rabus ist mir nicht evident. 60
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Rabus war zuallererst Sammler und Kompilator. Er nahm sein Material, wo er es fand, und ermutigte seine Leser, ihm weiteres zukommen zu lassen oder, und das spricht für eine gewisse Großmut, es selbst zu veröffentlichen. Quellenkritik von ihm zu verlangen, hieße einen Anachronismus in das 16. Jahrhundert zu tragen. Die Frage, inwieweit er sein Material bearbeitete, ist im 20. Jahrhundert kontrovers beantwortet worden. Gerhard Dedecke betonte schon 1924 den Vorrang des Faktischen bei Rabus.66 Dagegen hat Wolfgang Hieber 1970 die dramatische Fiktionalisierung in Rabus’ Erzählungen herausgestellt.67 Zu einem abgewogenen Urteil wird man erst kommen können, wenn man Rabus’ Vorlagen mit seinen Übersetzungen abgleicht. Im Kontrast jedenfalls zu den altkirchlichen Martyrien gestaltet Rabus die Hinrichtungen von Märtyrern in seiner Zeit betont nüchtern. Einen explizit dargestellten Begriff des Märtyrers gibt es bei Rabus nicht. Natürlich kennt er das Diktum Augustins: „Causa non poena facit martyrem“.68 Aber er kann auch der Tatsache nicht aus dem Wege gehen, dass im Deutschen Reich nur wenige Blutzeugen zu benennen sind, anders als in Frankreich und in den Niederlanden.69 Deswegen fasst er den Zeugenbegriff in seiner ursprünglichen Gestalt möglichst weit. Die ausführliche Darstellung der Biografie Martin Luthers ist ein gutes Beispiel dafür. Wenn allerdings Simon Grynäus als Konfessor erscheint, der auf dem Speyerer Reichstag nur in der Gefahr stand, vom Wiener Bischof verhaftet zu werden, dann ist das Konzept an die Grenze der Tragfähigkeit gebracht.70
5. Der Erfolg der Serie Erst mit Hilfe des VD 16 in elektronischer Form lassen sich einigermaßen gesicherte Aussagen über die Anzahl der Editionen treffen. Danach gibt es für den ersten Teil drei Drucke, für den zweiten vier aus den Jahren 1554 bis 1558, für den dritten Teil zwei und für den vierten Teil drei Nachdrucke, jeweils zweimal wurden die Teile fünf und sechs gedruckt, die Bände sieben und acht liegen nur in einer Edition vor. Zuletzt nachgedruckt wurde der erste Teil 1564. Eine stark bearbeitete Neuauflage in zwei Foliobänden legte Rabus 1571/72 vor. Der erste Band umfasst die ursprünglichen Teile eins und zwei, der zweite die Teile drei bis fünf. Durch die Formatänderung wurden 66 Die protestantischen Märtyrerbücher von Ludwig Rabus, Jean Crespin und Adrian von Haemstede und ihr gegenseitiges Verhältnis, Diss. Halle-Wittenberg 1924 67 Legende, protestantische Bekennerhistorie, Bekennerhistorie. Studien zur literarischen Gestaltung der Heiligenthematik im Zeitalter der Glaubenskämpfe, Diss. Würzburg 1970. 68 Sermones 285,2 und passim, vgl. auch WA 32, 29. 69 Grundsätzlich dazu: Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004. 70 Hist. 7, Bl. 139.
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die Illustrationen nun von Holzschnittgrotesken umrahmt.71 Im Gegensatz zur Quartedition ist der Stil jetzt umständlich und elaboriert. Inhaltlich findet sich eine Erweiterung des Lutherkapitels und völlig neu im fünften Teil eine ausführliche Darstellung zur Geschichte der Augsburger Konfession.72 Das lässt sich wohl nur so erklären, dass die CA im Vorlauf zur Konkordienformel als Lehrmeinung des Luthertums eine immer stärkere Bedeutung gerade auch im süddeutschen Raum erhielt. Gleichzeitig schließt Rabus damit eine spürbare Lücke aus dem vierten Band, der die Lutherbiografie enthält. Diesen Teil der Historien widmete Rabus dem Magistrat seines ersten Wirkungsortes, Straßburg. Nach längerer Diskussion nahm der Rat die Widmung an und verehrte dem Autor 100 Taler.73 Schwierig zu bestimmen ist die Wirkung von Rabus’ monumentalem Werk, das in der ersten Ausgabe immerhin rund 4800 Druckseiten ausmacht. Fest steht jedenfalls, dass sich nach der zweiten Folioausgabe kein Verleger mehr fand, der darin ein Geschäft erblickte. Der Drucker der ersten Ausgabe, Samuel Emmel, war 1568 durch ein weiteres Werk von Rabus, die lateinische Geschichte des Heiligen Abel, Bankrott gegangen, die zweite Ausgabe druckte Josias Rihel.74 Eine indirekte und langfristige Nachwirkung dürfte Rabus’ Arbeit aber durch die Martyrologien von John Foxe und Jean Crespin beschieden gewesen sein. Denn es ist hier ausdrücklich festzuhalten, dass Rabus der Erste war, der eine protestantische Geschichte der Verfolgungen an einzelnen Beispielen verfasste. Foxe kam 1554 nach Straßburg und widmete seinen ersten lateinischen Band ebenso wie Rabus dem Herzog Christoph von Württemberg.75 Crespin korrespondierte zumindest mit Sleidan, dem Freund von Rabus. Deren Werke, besonders das Buch von Foxe, prägten über Generationen das Bild von der frühen Geschichte der Reformation und das englische Selbstverständnis. Einen Impuls aus der Arbeit des Ludwig Rabus wird man an dieser Stelle nicht ausschließen können.
Kolb, Saints (wie Anm. 3), 67, dort auch eine Aufzählung aller Illustrationen. A. a. O., 57. 73 A. a. O., 51. 74 A. a. O., 50. Ein vages Indiz, dass die Edition nicht übermäßig erfolgreich war, ist die Tatsache, dass noch heute Einzelbände antiquarisch zu einem Preis von etwa 800 € zu haben sind. 75 A. a. O., 47. 71
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Temporal and Spiritual Identity in Jean Crespin’s Livre des Martyrs Jeremiah Martin Introduction In 1544, Josse van Ousbergen – a furrier whom Jean Crespin’s martyrology names as Juste Jusberg – was executed in Brussels.1 The night before his martyrdom, Jusberg’s fellow prisoners were permitted to visit him and say their farewells. After hearing his companion’s anguish in the face of death and his resolution to die cheerfully, Gilles Tilleman is said to have encouraged Jusberg, saying: Happy is the soul that now inhabits this bodily home, but which tomorrow will appear washed and cleansed of every stain, decked in the jewels of Christ, its Bridegroom!2
This, Jean Crespin wrote in a marginal note to his 1570 edition, is an “exhortation worthy to be recited to those who suffer,” and the death of Jusberg itself he labeled “a true mirror of constancy.”3 The Genevan martyrologist, perhaps above all else, desired his book to encourage his Protestant readers toward faithfulness in the face of suffering. In the exchange between Jusberg and Tilleman, which is typical of those found in Crespin’s martyrology, the martyrs 1 Jean Crespin, Histoire des martyrs persecutez et mis à mort pour la verité de l’Evangile […] (1619), new edition with an introduction by Daniel Benoit and notes by Matthieu Lelièvre, 3 vols., Toulouse 1885–1889, henceforth Crespin 1889 [1619]. Benoit and Lelièvre’s edition is based on the 1619 text of Crespin’s martyrology, which in turn combines and augments the majority of the material found in Crespin’s original editions, published between 1554 and 1570, as well as those of his successor, Simon Goulart, published from 1582 to 1619. For a complete bibliography of Crespin’s own editions, see Jean-François Gilmont, Jean Crespin: Un éditeur réformé du XVIe siècle, Geneva 1981, 246–260. For simplicity, we will use Crespin’s original title from his first edition, Le Livre des Martyrs, throughout. Where appropriate, specific editions will be indicated in the footnotes by date of publication. See, for example, Crespin 1564, 159–163, for the account of Juste Jusberg, which remains largely, though not entirely, unaltered in Crespin 1570, 98r –99 v. 2 Crespin 1889 [1619], 1:347: “O heureuse l’âme qui habite maintenant au domicile de ce corps, & demain comparoistra nette & lavée de toutes les souilleures d’iceluy, parée des joyaux de Christ son espoux, en la présence du Dieu vivant!” 3 Ebd., 1:344. See also Crespin 1564, 159, as well as Crespin 1570, 98r. The marginal note does not appear until the 1570 edition, 99v: Exhortation & priere digne d’estre recitee à ceux qui souffrent.
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themselves accomplish the task for him. Throughout Le Livre des Martyrs, like many of the sixteenth-century Protestant martyrologies, the author and compiler allows the martyrs themselves to speak and act, while adding his own comments primarily in the margins and introductory notes. When one speaks therefore of the Protestant identity in Crespin’s Livre, it is inevitably a multifaceted, multivocal identity, for it finds its roots in the story and voice of each individual martyr. At the same time, it is a collective identity clearly shaped by Crespin’s editorial and authorial practices, practices which would in turn inform the actions and voices of future martyrs, who would in their turn be inscribed into later editions of the martyrology, the last of which was to be published 65 years after the first edition and 47 years after Crespin’s death. In what way then is the Protestant self-concept both represented and constructed by the successive editions of Le Livre des Martyrs, and how does Crespin’s work help to shape the identity of French Protestantism? The response here proposed will approach these questions with reference to both a diachronic and a synchronic axis. First, it will consider to what extent Crespin’s text places the martyrs within salvation history, both past and future. Secondly, it will examine one of the key means by which the martyrology positions its subjects in relation to contemporary earthly and spiritual realities: the biblical image of the True Church as the Bride of Christ. Let us first, however, summarize briefly Crespin’s life and role in the francophone reformation, as well as the evolution of his martyrology, so as to clearly replace this work in its context.4
Crespin and his book Crespin was one of the most prolific and significant publishers in Calvinist Geneva. Like the other major mid-century martyrologists – Foxe, Rabus, and van Haemstede – he was a well-educated and well-connected humanist. Though he spent his childhood in Spanish-controlled Arras, after studying law in Louvain and then in Paris, during which time he seems to have adopted his evangelical beliefs, he was forced to flee with his wife to Geneva in 1548. Once in Geneva, Crespin set up a print shop and immediately began publishing for, among others, John Calvin and Theodore of Beza, both of whom were at that point personal friends. Beza had initially planned to partner with Crespin in his publishing enterprise before being called away to teach at Lausanne. Among the early publications to come out of Crespin’s publishing house were 4 On the life and work of Crespin, see Jean-François Gilmont, Jean Crespin. For an examination of the differences between Crespin’s editions, see also Pierre Cameron, Le martyrologe de Jean Crespin, étude de ses éditions au XVIe siècle (PhD dissertation, Université de Montréal, 1995), 129–300.
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Calvin’s revisions of the Olivétan Bible as well as Beza’s translations of the Psalms, and what is now considered by many to be the first French humanist tragedy, Beza’s Abraham Sacrifiant. Being part of this humanist network and undertaking this sort of publication put Crespin well within the first rank of publishers in Geneva from 1550 until his death in 1572. As such, what Crespin chose to publish or not publish had a potentially significant impact on the Huguenot community and the developing Protestant self-confidence. Despite his own deeply Calvinist convictions, in addition to publishing the works of his Genevan colleagues, Crespin also produced French translations of Luther, Bullinger, and Rabus, thereby exposing the French speaking world to points of view that were not always strictly in line with Calvinist thinking. Crespin’s most significant influence on the Huguenot community, however, would come through his Livre des Martyrs, the first edition of which appeared in 1554. Many have assumed that Crespin’s inspiration for this project was his presence at the martyrdom of Claude le Peintre, who was burned in 1540 in Paris.5 While this event no doubt impressed the young evangelical, Crespin himself claims a much more recent event as the occasion for beginning work on his 1554 publication: the execution in Lyon of five divinity students who later came to be known as the Cinq Ecoliers de Lyon, and whose trial gained international attention in 1552 and 1553, immediately preceding Crespin’s first edition.6 Crespin’s preoccupation with recent events, as shall become evident, is in fact a recurring theme in the story of the martyrology’s evolution. The five Écoliers of Lyon had been studying theology at Lausanne with Beza before they were imprisoned on their way back to their homes in France.7 They were well known among the reformers in Switzerland and carried with them letters of recommendation from Beza, Calvin, and Viret, the latter two of whom both corresponded with the five during their long imprisonment and trial. Crespin includes parts of that correspondence in his entry on the Écoliers, along with their own personal letters to friends and family, which are written for the good of the entire community, and which constitute one fourth of Crespin’s first edition.8 In this respect, Crespin’s method is almost journalistic in its urgency to report these events to the public. Unsurprisingly then, unlike John Foxe’s edition of the same year, Crespin’s book was published in the common tongue right from the start.9 Although he did produce several Latin translations in the decade that followed the 1554 edition, Crespin primarily continued during this time to revise and expand the original French work, publishing several independent quarto and octavo This view was codified by Daniel Benoit, “Introduction”, in: Crespin 1889 [1619], xvii. Crespin 1564, γ.ii, also discussed in Gilmont, Jean Crespin, 168. 7 Crespin 1570, 197r –236r. 8 Crespin, 1554, 325–496 of 687 pages. 9 On Foxe’s martyrology (1563–1583), see The Unabridged Acts and Monuments, digitized and annotated by the Humanities Research Institute, University of Sheffield (Sheffield: HRI Online Publications, 2011) [available at johnfoxe.org]. 5 6
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volumes of new material, the last of which, the 5e Partie, appeared in 1563. Then, in 1564, Crespin gathered all five parts into a single folio edition, adding still more material and dividing it into seven books covering 1,100 folio pages. Over the next six years, he would revise and augment the 1564 folio into the eight books of the 1570 edition, which contained 1,760 pages and over 1,100,000 words. This was the last edition of the martyrology to be published in Crespin’s lifetime. Simon Goulart would take over the project after Crespin’s death, and by 1619 he had produced four more editions and expanded it to twelve books. Rather importantly for scholarly work on Crespin, it was the 1619 edition that would serve as the basis for the last scholarly edition published in the late nineteenth century by Matthew Lelièvre and Daniel Benoit. As of now, no scholarly edition specific to Crespin’s own versions exists, nor has there yet been an attempt to produce a digitized edition like that of Crespin’s English counterpart, John Foxe.10 Concerning the French martyrology’s reception and influence in the sixteenth and seventeenth centuries, Jules Michelet, the nineteenth-century historian, called it a “marvelous book that puts all other books of its time in the shade.”11 Similarly, also in the nineteenth century, Benoit claimed that the martyrology had been second only to the Bible and the Psalter in its importance to Huguenot families, who often possessed a copy in their homes where they read it in secret.12 Although this is a somewhat difficult claim to substantiate, Philip Benedict has shown that, in the city of Metz in the seventeenth century, one out of eight Protestant households possessed a copy, making it, along with Calvin’s Institutes, the most popular religious book after the Bible and the Psalter.13 It can also be observed that the first edition of Le Livre des Martyrs met with such immediate success that a pirated version appeared on the market only months after Crespin’s own, and the success of subsequent editions led to 15 separate printings of the various pre-folio versions in the space of ten years. The switch to a folio format in 1564 is a testimony to the financial success of the previous editions and to the martyrology’s growing stature within the Huguenot community. The new format made the martyrology less accessible to ordinary Protestant families, being both more expensive and more difficult to conceal, but at the same time more prominent within and without the community, elevating it to the status of cultural monument. Such 10 On the importance and value of such a project, see Mark Greengrass / Thomas Freedman, “The Acts and Monuments and the Protestant Continental Martyrologies”, in: The Unabridged Acts and Monuments Online. 11 Jules Michelet, La Ligue et Henri IV, in Histoire de France au seizième siècle, vol. 10, 463, cited by Benoit, Introduction, Crespin 1889 [1619], xix: merveilleux livre qui met dans l’ombré tous les livres du temps 12 Benoit, Introduction, Crespin 1889 [1619], xviii. 13 Philip Benedict, “Bibliothèques protestantes et catholiques à Metz au XVIIe siècle”, in: Annales Économies, Sociétés, Civilisations 40 (1985), n. 2, p. 354, cited in Cameron, Jean Crespin, 37.
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an elaborate book was clearly intended for communal reading by a community with a growing sense of its own identity. As such, the various folio editions would receive a total of six more printings before the end of the century, and there is indeed some documentary evidence that it was during this time cited in sermons and read publicly in Huguenot church services.14 Early in the following century, Le Livre des Martyrs was immortalized in the great French Renaissance epic poem, Agrippa d’Aubigné’s Les Tragiques.15 Even more significant for the process of establishing a Protestant identity is the fact that several martyrs whose accounts are published in later versions of the martyrology refer back to earlier versions of the work, making it clear that these martyrs went to the stake well aware of the book which would later memorialize them, and at times even lamenting their own insufficiency in the light of earlier heroes, creating a sort of mise en abyme of martyrological self-awareness.16 Jean Rabec was even said to have been reading it at the moment he was arrested.17 And it was not only the Protestants who were aware of the book. Their Catholic opponents were equally conscious of its influence. Already in the 1570 edition, several interrogators accuse François Varlut of remaining steadfast in the face of martyrdom simply in the hope of being one day included in “that beautiful Genevan book of martyrs.”18 Though one may be justified in seeing a case of self-aggrandizement in Crespin’s decision to include such an exchange, there is also no particular reason to believe that it was fabricated. Furthermore, the claim made by Varlut’s interrogators may not have been entirely false. The martyrology certainly appears, over the course of its many editions, to have become a focal point for the Huguenot community’s self-concept. Being written into such a cultural and spiritual monument would no doubt have sealed one’s place in that community.
Identity and Sacred History Let us return then to the question of how the Protestant identity is structured and constructed in this text, beginning with the diachronic axis. The major mid-century Protestant martyrologies share a historiographically linear orientation. That is to say, for the most part, their entries are ordered chronologically. This is a significant departure from medieval martyrologies and See the discussion by Benoit in Crespin 1889 [1619], xviii. For an analysis of the relationship between Le Livre des Martyrs et Les Tragiques, see Katherine S. Maynard, “Writing Martyrdom: Agrippa d’Aubigné’s Reconstruction of Sixteenth-century Martyrology,” in: Renaissance and Reformation 30/3 (2007). 16 For examples of martyrs referring to Le Livre in Le Livre, see Crespin 1889 [1619], 2:364, 3:46, and 3:585, discussed in Matthieu Lelièvre, Portraits et récits Huguenots du XVIe siècle, Toulouse 1885. 17 Crespin 1889 [1619], 2:364. 18 Crespin 1570, 603v: pour estre mis en ce beau livre des Martyrs. 14
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hagiographies such as Voragine’s Golden Legend, with which the Protestant martyrologies are often compared and contrasted, and which Crespin himself scathingly disavowed in his opening letter to his readers.19 Roman and medieval collections of martyr stories were generally organized according to the liturgical calendar without any reference to the historical order of events, thereby producing a cyclical rather than a linear structure. Therefore, while such accounts must locate the martyr’s identity in his or her own specific holiness and miraculous abilities, Protestant martyrologies were inclined to construe the martyr’s identity, at least to some extent, as a function of its relation to historical and future events. In general, Crespin shares this typically Protestant, chronological approach with Foxe and Rabus, although the organization of certain early editions does suffer from the haste with which the editor-publisher sought to add new material in an effort to keep each edition as up to date as possible. In certain cases, this pace of production meant leaving whole sections organized geographically rather than chronologically, with some entries simply tacked on to the end of the new edition. Indeed, one of the primary virtues of the 1564 edition was the opportunity that it afforded to review the order of the entries. Even then, however, this first folio edition maintains Crespin’s interest in recent events, including entries for martyrs executed less than a year before its publication. A second feature of the chronological Protestant approach that Crespin shares but also mitigates is the inclusion of non-martyrological material as a means of establishing the perspective that the martyrs are in fact the backbone of a much larger ecclesiastical or salvation-historical metanarrative. The 1554 edition includes no material on non-martyrs, and even after being inspired by Foxe’s work to include an entry on John Wycliffe, who appears as the first entry in the 1555 Latin edition, throughout his career the Genevan martyrologist remained more restrained in this respect than his counterparts. The most notable difference between Crespin’s historiographical approach and that of the other martyrologies, however, is its limited scope. Wycliffe, who was martyred in 1384, remains the earliest entry for each edition published in Crespin’s lifetime. This is of course in marked contrast to Rabus, who begins with the story of Cain and Abel, and Foxe, who, as early as 1563, includes material on the Medieval Church, and in 1570 extends his timeframe back to the Apostolic Church. Crespin, for his part, does attempt to associate his work with these more universal church histories, referring to the content of his book from the 1564 edition on as a “beautiful church history.”20 However, only in the 1570 version do we find any pre-Wycliffe material pertaining to this On the notion of cyclical time in The Golden Legend, see Jacques Le Goff, À la recherche du temps sacré: Jacques de Voragine et la Légende dorée, Paris 2011, 12. For Crespin’s rejection of The Golden Legend, see Crespin 1570, α.ii.r. Cf. Crespin 1889 [1619], xxvi. 20 Crespin 1564, α.ii.v, Crespin 1570 α.ii.v: la matiere d’une belle histoire Ecclesiastique. Cf. Crespin 1889 [1619], xxvi. 19
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“beautiful Church history,” and that material is limited to a seven-page preface on the conformity of the recent persecutions and martyrs with those of the Early Church. Only after Goulart takes over will a whole book be added with specific entries concerning the individual Roman and the medieval martyrs.21 This is not at all to say, however, that Crespin believes the Early Church martyrs to be irrelevant to his cause. From the 1554 edition onward, he insists on the similarity and the conformity of the Reformed Christians to the Apostolic Church, taking up the claim advanced by many reformers that the True Church has at all times been persecuted.22 However, by not including a detailed account of the Early or the Medieval Church in any of the editions published during his own lifetime, Crespin’s martyrology does far less than either Foxe or Rabus to actually demonstrate the conformity that he is claiming for it. As a result, the Protestant identity as it is presented in the French martyrology, at least before 1582, is considerably less anchored in the salvation-historical metanarrative than that of these other Protestant martyrologies. Thus, while Crespin certainly believes in the historical continuity of the True Church, the identification of Protestant reformers with the Apostolic Church in the French martyrology is not so much a question of historical continuity as of spiritual and symbolic conformity. Early in his career, in the Latin edition of 1556, Crespin claims that it is a lack of time and not a lack of desire that prevents him from extending the framework of his history back to the Apostolic Church.23 However, Crespin’s own editorial practices would suggest that this situation was as much a question of priorities as of time. His attention to recent events, printing frequently updated editions with new entries inserted sometimes even after the print run had begun, simply did not allow Crespin the time to add the historical context that he professed to value. Furthermore, these editorial priorities may also have been a result, at least in part, of Crespin’s Calvinist theology.24 The French martyrology’s lack of historical context is in many ways a natural corollary to the Calvinist aversion to eschatological speculation. From the amillenialist, Calvinist viewpoint, all of church history – both past and future – is, properly speaking, eschatological.25 The defeat of Satan by the death and resurrection of Christ, pictured in chapter 12 of the book of Revelation, had Crespin 1889 [1619], Book 1. See for example the first sentence of the first edition. Crespin, 1554, *.ii, also in Crespin 1889 [1619], xxxiii. 23 Crespin, Acta Martyrum, 1556, * i.v. 24 On Crespin’s adherence to Calvin’s theology, see Gilmont, Jean Crespin, 211–212. 25 See for example Institutes of the Christian Religion, IV.VII.25 on the papacy as the apocalyptic Antichrist, and III.XXV.5 for Calvin’s rejection of a coming millennial kingdom. For a concise summary of eschatological viewpoints in sixteenth-century Europe, see Irena Backus, Les sept visions et la fin des temps: les commentaires genevois de l’Apocalypse entre 1539 et 1584, Cahiers de la Revue de théologie et de philosophie, 19, Geneva 1997, 8–9. 21
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been the beginning of the end. These were therefore already the Last Days and had been for over 1,500 years. As such, refraining from undue speculation about the chronology of the book of Revelation would have implied a lack of speculation about one’s identity relative to the past as much as to the future. Crespin’s martyrology largely avoids both. In this respect, John Foxe provides an especially illuminating counterpoint.26 Foxe and the other English reformers shared the Calvinist notion that the history of the entire Church Age was the subject of John’s Revelation. Unlike Calvin, however, Foxe shows no hesitation whatsoever in attempting to decipher the symbols that reveal the chronological unfolding of that history, past and future. Foxe’s career is bookended, on the front end, by the publication of what he calls an “apocalyptic comedy,” a play that lays out all of church history – past, present, and future – in five acts, placing the return of Christ in the very near future;27 and then, at the end of his life, by an unfinished commentary on Revelation, a task that Calvin famously never undertook.28 In between these two works, the Acts and Monuments itself contains several lengthy discussions about the dates of, for example, the binding and loosing of Satan.29 Crespin’s martyrology, on the other hand demonstrates a much less developed sense of this apocalyptic story, and he is far less concerned than Foxe to place his martyrs concretely in the historical-eschatological metanarrative. Crespin’s own foray into drama – the translation and publication of a play by Thomas Kirchmeyer under the title Le Marchant converti – is telling in this regard.30 The play deals with the conversion and death of the eponymous merchant, after which point the merchant is judged by Jesus Christ quite independently of the great Last Judgment.31 Thus, the play is concerned with an essentially atemporal, personal eschatology, rather than a collective, histor-
26 On Foxe’s eschatology, see especially Palle J. Olsen, “Was John Foxe a Millenarian?”, in: The Journal of Ecclesiastical History 45/4 (1994), 600–624, which corrects several errors in William Lamont’s influential work, Godly Rule, Politics and Religion 1603–1660, London 1969. 27 John Foxe, Christus Triumphans, comoedia apocalyptica, Basel [1556], available in a critical edition and translation by John Hazel Smith, Two Latin Comedies by John Foxe the Martyrologist, Ithaca 1973. 28 John Foxe, Eicasmi; sev Meditationes in Sacram Apocalypsin, London 1587. On the lack of a commentary on Revelation by Calvin, see Irena Backus, Reformation Readings of the Apocalypse: Geneva, Zurich and Wittenberg, Oxford Studies in Historical Theology, Oxford 2000, 69. 29 See especially, Acts and Monuments (1576), TAMO, 124. 30 [Thomas Kirchmeyer], Le Marchant converti, tragedie nouvelle, en laquelle la vraye & fausse religion, au parangon l’une de l’autre, sont au vif representées, pour entendre quelle est leur vertu & effort, au combat de la conscience, & quelle doit estre leur issue au dernier jugment de Dieu, tr. Jean Crespin ([Geneva]: Jean Crespin, 1558). On Crespin as the translator of this work, see Gilmont, Jean Crespin, 156. 31 Kirchmeyer, Marchant, 5.5.
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ical one. It is, in the title given by Crespin, about “the battle of the conscience,” also a recurring theme in the martyrology.32 This is not to say, however, that the French martyrology displays no interest in apocalyptic signs or in the fact that the end of the age appears to be approaching. Several martyrs do speak about “the last days” (les derniers temps) and indeed, the title of the 1564 folio claims to deal with the martyrs “in the last days” (es derniers temps).33 Notably, however, the wording is changed in the 1570 title to “in this past century” (en ce dernier siècle), rather reducing the eschatological connotations. On the other hand, it is in the 1570 edition that Crespin adds a final phrase to his opening letter to the reader, saying that his goal is that the Gospel should be “manifested in the midst of the horrible confusions of this last age of the world.”34 Nowhere else, however, does Crespin elaborate on this thinking. Thus, while not entirely excluding concrete references to the Protestant martyrs’ place in salvation history past and future, in comparison to the English and German martyrologies, at least, the Hueguenot’s participation in the True Church is far less historicized. It is less anchored in earthly history. To be sure, Crespin is more accepting of earthly eschatological references than Calvin, perhaps due to his interest in the works of Heinrich Bullinger, which he himself published, and which bear a certain resemblance to those of John Bale. Still, nothing about Crespin’s work suggests that France or even Geneva might be the future of God’s kingdom on earth in the same way that Foxe’s identification of Elizabeth as a latter day Constantine does. Where Foxe’s vision of history reaches its apotheosis on earth, as the New Jerusalem descends at the end of Act 5 of the apocalyptic comedy, the future to which Crespin points his readers seems to exist primarily on a heavenly, spiritual plane. Whatever the reasons for this orientation, the combined lack of history and eschatology in Crespin’s book means that the Protestant identity as the True Church must be represented primarily in moral, doctrinal, and spiritual terms: hence the importance of the synchronic axis in its construction and of the ways in which Crespin’s martyrology undertakes that construction within the matrix of contemporary spiritual conflict.
Identity and Spiritual Conflict Although Crespin largely avoids eschatological speculation, it would be a mistake to imagine that the Le Livre des Martyrs does not therefore make use of apocalyptic imagery. On the contrary, Crespin’s work exists squarely in the Combat de la conscience. See for example Crespin 1889 [1619], 1:644, 2:343, 3:220. 34 Crespin 1570, α.iii.v: manifestee au milieu des horribles confusions de ce dernier aage du monde. 32 33
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Augustinian tradition, presenting all of history as a struggle between Good and Evil. During the sixteenth century, this struggle comes to be seen by the reformers as a battle between the True Church and the False Church. It is, in other words, a struggle between the Bride of Christ and the Harlot of Babylon as depicted in the book of Revelation.35 Crespin’s martyrs, as well as Crespin himself, make significant use of this imagery to interpret their role and identity in the present situation as a function of their specific relationship to Jesus Christ. To be sure, the dual Bride/Bridegroom image is by no means the only way in which the martyrs depict this identity – martyrs frequently refer to themselves as soldiers and to Christ as their captain or their head, for example – but it is perhaps one of the most revealing and most powerful, in part because it is able to operate on both the collective and individual levels. Although the opposition of the True Bride to the Babylonian Harlot may seem to be a fairly straightforward concept, the Divine Marriage imagery in the martyrology, as throughout the history of biblical interpretation, is in fact far from unambiguous or univocal, particularly as it concerns the identity of the Bride herself. How the martyrology and the martyrs themselves apply this image to their situation reveals a great deal about who they understood themselves to be. In Crespin’s 1570 edition, we find at least 62 references to the Bride of Christ, or to Christ himself as the Bridegroom, which is approximately one such reference every 23 pages. This is very nearly the same rate of occurrence that we find in Foxe’s 1570 edition.36 Perhaps more important than the rate of occurrence is the location and usage of these occurrences. In particular, both of Crespin’s folio editions begin with an address to the Church, and in the first sentence of the first page, the martyrologist addresses his readers as “you oh well-blessed [Bride]” going on to refer to “Jesus Christ your head and Bridegroom.”37 This is again, notably, a characteristic shared by Foxe’s martyrology, at least in the 1570 and 1576 editions, which also address the Church as the Bride in the first sentence of the first page. Unlike the Acts and Monuments, however, the first page of Le Livre des Martyrs is the only occurrence of this imagery in which the author himself speaks in these terms, leaving it to the martyrs – or to other characters in their stories – to identify themselves as the Bride of Christ, and more importantly, leaving it to the martyrs themselves to define what such an identification actually signifies. On the relationship between Augustine’s “two cities” and Reformation eschatology, see Richard Bauckham, The Tudor Apocalypse, Oxford 1978, 54–64. 36 For a complete listing of these references in both Foxe (1570) and Crespin (1570), see Jeremiah Martin, Martyre, mariage divin, et la Providence aveugle: La tragédie et le tragique dans l’œuvre des martyrologistes protestants John Foxe et Jean Crespin (1550–1575) (masters thesis, Université Paris-Sorbonne, 2013), 188–232. 37 Crespin 1564, α.ii.r and Crespin 1570, α.ii.r: vous ô bien-heureuse [Espouse] du SEIGNEUR … vostre chef & espoux. Epouse is only implied in the 1564 and 1570 editions, but added later by Goulart (Crespin 1889 [1619]), xxv. 35
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One can divide the occurrences of the bride image into two broad categories: the collective and the individual. The passage cited above from Crespin’s introduction, for example, is unambiguously operating at a collective level. It is the Church as a whole that is the Blessed True Bride. Just a few sentences further on, Crespin makes it clear which sorts of individuals are excluded from this collective identity: monks, priests and doctors of the Catholic Church, all henchmen of the Antichrist, as well as followers of Servetus, Anabaptists, Epicureans, or Jesuits, all of whom he labels apostates. A similar list in the preface of the first edition also includes libertines and atheists, though mention of the Jesuits first appears in the 1570 edition. We find then that, in its first two pages, the martyrology immediately defines the identity of the True Church on one hand by its identification as the True Bride of Christ and on the other by its differentiation from these other, heretical groups. Approximately 34 of the 62 references to the Divine Marriage in the Crespin’s book operate on a similarly collective plane, speaking of the Bride clearly as the Church itself. John Hus declares for example that it is the “Universal Church” that is the Bride of Christ.38 In Calvin’s response to the Sorbonne theologians, he asserts that the Church is subject to Christ precisely because she is his Bride.39 Likewise, Pierre Navieres, one of the five Écoliers of Lyon, writes to his parents that “the True Church has no other commandments nor laws than those that her Bridegroom Jesus Christ has given to her,”40 which is why he cannot possibly recant. Anne du Bourg, the famous French magistrate, uses the Divine Marriage imagery three times during his interrogation to insist that it is Christ who has formed the Church by his teaching and that this spouse is composed of the entire “congregation of the faithful.”41 Beza declares that Christ’s “holy, oppressed church” has been “deformed by the tyranny and invasion of Satan’s ministers” in order to “abolish from the earth the name of her Bridegroom Jesus Christ.”42 It is thus that the martyrs and their supporters draw the cosmic battle lines – largely along doctrinal lines – and the use of the Divine Marriage imagery implicitly reintroduces an eschatological orientation into the Protestant self-awareness whether it is intended or not. When the martyrs speak of their own martyrdom, however, or of the suffering of those they leave behind, the Crespin 1570, 22r –v: l’Eglise universelle. Cf. Crespin 1889 [1619], 1:153. Crespin 1570, 111r. Cf. Crespin 1889 [1619], 1:375. 40 Crespin 1570, 225r: l’Eglise vraye n’a point d’autres commandemens ne loix que celle que son espous Jesus Christ luy a donnees. Cf. Crespin 1889 [1619], 1:650. 41 Crespin 1570, 526v: l’Eglise est la congregation des fideles, en quelque lieu qu’ils soyent dispersez, & que le chef d’icelle & son vray espoux, est Jesus Christ. Cf. Crespin 1889 [1619], 2:678. 42 Crespin 1570, 586r –587v: sa saincte Eglise opprimee, et presque du tout accablee et difformee par la tyrannie et invasion des ministres de Satan, […], qui ne tendent qu’à la submerger et noyer, et à abolir de dessus la terre le precieux et sainct nom de son Espoux Jesus Christ. Cf. Crespin 1889 [1619], 3:188. 38 39
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register of the discourse tends to shift. The tone becomes more personal and more immediate, for it is very often no longer the Church as a whole that is presented as the Blessed Bride, but the soul of the individual believer. Let us return to the example of Gilles Tilleman and Juste Jusberg. Tilleman’s declaration is noteworthy in part because, in addition to applying the bridal identity to an individual, it does so with reference to a male martyr. Several studies on the French martyrology in recent decades have assumed or implied that the individual appropriation of this spousal identity is an exclusively female phenomenon within French Protestantism.43 This, however, is demonstrably not the case.44 Moreover, this example is noteworthy because Crespin’s comments put a Genevan seal of approval on this individualist application of the Divine Marriage imagery, despite the fact that this interpretation was falling out of favor with biblical commentators and church leaders at the time, not only within the Protestant church, but among Catholics as well. Space does not permit to retrace the full history of the Church’s interpretation of the Divine Marriage, but suffice it to say that much of that history centered around various readings of the Song of Songs, and that during the sixteenth century church leaders were seeking, in the words of Max Engammare, to “contain the spiritual [i. e. individualist] reading … so that none should receive ‘the kisses of his mouth’ on any cheek other than those of a Church.”45 In other words, for both exegetical and political reasons, in the sixteenth century it was the collective, not the individualist reading, that was becoming the dominant church doctrine. Yet, as Engammare also notes, the individualist interpretation of the Bride/ Bridegroom image persisted in both Protestant and Catholic culture, particularly in the arts, of which the poems of Marguerite de Navarre are a particularly interesting example in the French context.46 To these poems, one must certainly add Crespin’s martyrs as examples of its ongoing importance. In reading the French martyrology, many generations of Huguenots would have 43 Marianne Carbonnier-Burkard, in her study of women in Crespin’s martyrology, refers to the bridal imagery as an expression spécifiquement féminine (“La Réforme en langue de femmes”, in: La religion de ma mère. Le rôle des femmes dans la transmission de la foi, ed. Jean Delumeau, Paris 1992, 182.). Nikki Shepardson goes so far as to assert that “though the wedding trope is a common biblical descriptor for both men and women, especially within Catholicism, in Crespin’s Histoire it is reserved only for women for somewhat obvious reasons” (“Gender and the Rhetoric of Martyrdom in Jean Crespin’s ‘Histoire des vrays tesmoins’”, in: The Sixteenth Century Journal 35:1 [April, 2004], 166). 44 For but a few examples in addition to Tilleman’s exhortation to Jusberg, see also Pierre Brully (Crespin 1889 [1619], 1:439), Jeanne Bailly to her husband (Crespin 1889 [1619], 1:519), and Jean des Buissons (Crespin 1889 [1619], 3:100). 45 Max Engammare, Cantique des cantiques, Geneva 1993, 140: Canalisent la lecture spirituelle […] et empêchent qu’on puisse recevoir les baisers de sa bouche sur d’autres joues que celles d’une Église. See also idem, 316. 46 See especially Chansons spirituelles, ed. Georges Dottin, Textes littéraires français 178, (Geneva 1971), p. 25, v. 89–94, cited in Engammare, Cantique des cantiques, 477.
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been exposed to the individualist view of the Divine Marriage and to the intimate, immediate conception of identity and spirituality that such a view implied. On her way to the stake, for example, Anne Audebert declares the ropes that bind her to be a wedding belt given to her by her Bridegroom, and Jean des Buissons, in a letter to his mother, writes that, when they think they are killing him, they will in fact be delivering him to be fully joined to his head and Bridegroom, Jesus Christ.47 Clearly, it is the individuals, both man and woman, who are in view, not the Church as a whole, and the marriage is not the distant, eschatological marriage of the Lamb, but the immediate union with Christ upon their death. Crespin’s martyrs seem therefore to have a very clear sense of who they are, not only as members of the historical and universal True Church, but also as being themselves personally joined to Christ, and often they choose to express that identity in terms of the Divine Marriage. Frequently they make use of this image to encourage those who go to the stake with them, or to comfort those they leave behind. In its individualized, personal form, then, the doctrine of Divine Marriage is transformed from a distant, collective doctrine to a mystical, immediate comfort, and it is applied with great flexibility to men and women, as well as to martyrs and non-martyrs, as needed. Perhaps nowhere is this flexibility more evident than in the cases where a martyr seeks to comfort the wife whom he leaves behind – for it is usually the wives who are left – or to comfort himself in the face of that leaving. Pierre Brully, for example, reassures his wife by saying that his soul cannot reign with Christ his Bridegroom until his body is dissolved.48 Several husbands go even further, applying the identity of Divine Bride not to their own souls, but to the widows they leave. Guy de Bres writes to his mother, “I ask him without ceasing that he should grant me this one thing, that he declare himself husband to my poor wife,” and in a letter to his wife, he assures her that “[Christ] is the husband of all faithful widows.”49 Perhaps the most moving of these passages is in a letter from Claude de la Canesiere to his wife: If you are oppressed with sadness, as I think you are […] it is now that God is nearer to you than ever, and that this word, written in Hosea is addressed to you, when God, speaking to the afflicted soul, says: And in that day, says the Lord, you will call me, my husband, and I will marry you eternally, and I will betroth you to me in justice, in judgment, in mercy, and in compassion […] My sister, my friend, you see there the beautiful jewels that the Lord your Husband promises to you.50 Crespin 1889 [1619], 1:541, 3:100. Cf. Crespin 1570, 179 v, 571v. Crespin 1889 [1619], 1:439. Cf. Crespin 1570, 139 v. 49 Crespin 1570, 691r: Je luy demande sans cesse qu’il me face ce bien, et qu’il se declare mary de ma poure vefue. Crespin 1570, 588r: Il est le mary des vefues fideles. Cf. Crespin 1889 [1619], 3:580, 3:570. 50 Crespin 1570, 393v: Si donc vous estes oppressee de tristesse (comme ie le pense) […] c’est maintenant que Dieu est plus pres de vous que iamais, & que ceste parolle escrite en Osee s’adresse à vous, quand Dieu parlant à l’ame affligee, dit, Et en ce iour-la, dit le 47
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It is noteworthy that the prophecy that Canesiere is citing does not refer in its original context to the individual “afflicted soul,” but rather to the people of Israel as a whole. Whatever the emerging consensus of the biblical commentators in the sixteenth century, Crespin does not seem to care to “contain the spiritual reading” of this imagery by omitting Canesiere’s letter, nor even by suppressing the relevant sentence, as he was known to do from time to time in order to sanitize a martyr’s testimony. On the contrary, the martyrs’ application of this bridal imagery in an immediate, personal way seems to be a natural corollary to Crespin’s overall perspective in which the immediacy and signification of ongoing persecution appears to trump the relevance of a distant past and a potentially distant, collective future.
Conclusion It would of course be far too reductive to suggest because of these examples and other passages like them that Crespin’s martyrology privileges the individual identity of the believer over the collective. Indeed, more than half of the occurrences of the Divine Marriage imagery in Le Livre des Martyrs operate strictly on a collective level; nonetheless, given the tendency away from the individualist reading by commentators at the time, their prominence in the French martyrology is significant, not least because of Crespin’s explicit endorsement of them. Moreover, by placing these martyrs’ stories in a relatively atemporal framework, the French martyrology gives the reader a sense that it is quite natural for a martyr to turn not toward a distant eschatological apotheosis for comfort, but rather to his or her personal union with Christ. While being the apocalyptic True Church and the spiritual heirs of the Apostolic Fathers may be the defining aspects of the collective Protestant identity, in the face of a lonely torture and the dissolution of all earthly relations, for Crespin’s martyrs, it is often the individual’s own immediate identity as the eternally Blessed Bride that wields the greatest power to comfort “those who suffer.”
Seigneur, tu m’appeleras mon mary, & ie t’épouseray eternellement, & te fianceray à moy en iustice, en iugement, en misericorde, & en miserations […] Ma soeur m’amie, vous voyez là de belles bagues que le Seigneur vostre espoux vous promet. Cf. Crespin 1889 [1619], 2:329.
Adriaen van Haemstede und die Täufer Zum Entstehungskontext und zur Autorschaft der ältesten „Emder“ Märtyrerbücher Klaas-Dieter Voß In den südlichen Niederlanden wurden 1523 erstmals evangelisch gesinnte Christen aufgrund ihres Glaubens hingerichtet. Dabei handelte es sich um die beiden Augustinereremiten Johannes van der Esschen und Hendrik Voes, die auf einem Scheiterhaufen in Brüssel endeten. Die Verfolgung von Protestanten ist in den Niederlanden besonders rigoros praktiziert worden. Die Blutzeugenschaft der dort verfolgten und ermordeten Christen fand schon relativ früh ihren Niederschlag in protestantischen Märtyrerbüchern. Die beiden ältesten im niederländischen Sprachbereich sind zum einen die später sogenannte Historie der Martelaren,1 die 1559 erstmals erschien und von Adriaen van Haemstede verfasst bzw. zusammengestellt wurde, sowie zum anderen ein wenige Jahre später anonym publiziertes Buch mit dem Titel Het Offer des Heeren.2 Der Stellenwert beider Bücher wird anhand der Auflagenzahlen eindrucksvoll deutlich: während die „reformierte“ Märtyrergeschichte von 1559 bis 1997 mehr als 30 Auflagen erlebte,3 wurde Het Offer des Heeren, das insbesondere den Glaubenszeugen des niederländischen Täufertums Rechnung trägt, im 16. Jahrhundert zumindest elf Mal in Druck gegeben. Anfang des 17. Jahrhunderts fanden die Texte Eingang in ein von dem Mennonitenprediger Hans de Ries zusammengestelltes Märtyrerbuch,4 das wiederum 1660 Grundlage des von Thieleman Jans van Braght herausgegebenen und kurz als 1 Adriaen van Haemstede, De gheschiedenisse ende den doodt der vromer martelaren, die om het ghetuyghenisse des evangeliums haer bloedt ghestort hebben, van den tijden Christi af, totten jare M.D.LIX. toe, by een vergadert op het korste, s. l. 1559. 2 Dit boeck wort genaemt: Het offer des Heeren …, Emden 1562. 3 Insgesamt 24 Drucke lassen sich für die Zeit zwischen 1559 und 1747 nachweisen. Vgl. Ferdinand van der Haegen et al., Bibliographie des martyrologes protestants néerlandais, Den Haag 1890, Bd. 2, 265–367. Aus der Zeit danach sind zumindest acht weitere Auflagen bekannt, die 1870/71 und 1883 in Doesburg, 1881 u. 1911 in Rotterdam, 1973 u. 1980 in Utrecht sowie 1997 in Benschop publiziert wurden. 4 Hans de Ries, Historie der martelaren, ofte Waerachtighe getuygen Iesu Christi die d’Evangelische waerheyt in veelderley tormenten betuygt ende met haer bloet bevesticht hebben sint het jaer 1524 tot desen tyt toe enz., Haarlem 1615.
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Martelaers Spiegel5 bezeichneten Werkes war. Dieses populäre Buch wurde in viele Sprachen übersetzt und ist bis heute sehr verbreitet. So bedeutend diese Werke bis in die Gegenwart hinein auch sind, über ihr Zustandekommen ist nur wenig bekannt.
1. Adriaen van Haemstede und die Historie der Martelaren 1.1. Herkunft und Werdegang Über den Autor des ersten niederländischen Märtyrerbuches, Adriaen Cornelis van Haemstede, weiß man lediglich, dass er irgendwann zwischen 1521 und 15256 in der heutigen niederländischen Provinz Zeeland7 geboren wurde. Der Nachname selbst könnte darauf hindeuten, dass er aus Haamstede auf der Insel Schouwen-Duiveland in der heutigen Provinz Zeeland stammte.8 Doch muss der Name nicht zwingend auf den Geburtsort seiner Person verweisen.9 Vereinzelte Hinweise bringen ihn auch mit dem Ort Zierikzee in Ver Thieleman Jans van Braght, Het bloedigh tooneel der doops-gesinde en weereloose Christenen, die om het getuyghenisse Jesu geleden hebben en gedoodt zyn van Christi tyt af, tot dese onse laetste tyden toe: mitsgaders een beschrijvinge des H. Doops, ende andere stucken van den godsdienst: zynde een vergrootinge vande voorgaenden Martelaers Spiegel, begrepen in twee boecken, Dordrecht 1660. 6 In einer zeitgenössischen Beschreibung seiner Person heißt es: „vanden ouderdom van omtrent XXXIII oft XXXVII jaeren“. Ordonnantie, Antwerpen, 20 dec. 1558, in: Antwerpsch Archievenblad 2 (1865), 353. 7 Die Herkunft aus Zeeland ist belegt durch den Zusatz „van Selandus“, der sich in der Liste der Londoner Prediger findet. Vgl. Johann van Utrecht Dresselhuis, Adriaan van Haemstede in zijn bedrijf, denkwijze en karakter voorgesteld, in: AKeG 6 (1835), 45; William John Charles Moens, The marriage, baptismal, and burial registers 1571 to 1874 and monumental inscriptions, of the Dutch Reformed Church, Austin Friars, London, Lymington 1884, 208. 8 Zumindest in der bereits erwähnten Ordonantie wird er als „Adriaen geboren van Hamstede“ bezeichnet. Vgl. Ordonantie [wie Anm. 6], 353. In seiner Matrikel in Löwen vom 3. Okt. 1547 wird er als „Nr. 13 Adrianus Cornelius de Hamstede“ aufgelistet, sodass der Name auch hier als Herkunftsort verstanden wird, ebenso wie bei seinen Kommilitonen Cornelius Mathie de Goes; Winandus Kieboom de Breda usf. Vgl. Arnold Hubert Schillings (Hg.), Matricule de I’Université de Louvain 4, Febr. 1528 – Febr. 1569, Brüssel 1961–1966, 356; Der Zusatz „nobilis“ findet sich hingegen nicht. Vgl. Auke Jan Jelsma, Adriaan van Haemstede en zijn Martelaarsboek, Den Haag 1970, 7, 10 f. 9 Ein Beispiel mag der Name von Peter van Horebeke sein, der 1568 als Glaubensflüchtling nach Emden kam und einige Zeit als Diakon der „Fremdlingen Armen“ tätig war. Seine Familie stammte aus Gent, wo sie seit dem Mittelalter beheimatet war. Inwieweit einer seiner Vorfahren tatsächlich aus dem Ort Horebeke in der belgischen Provinz Oost-Vlanderen gekommen ist, ist trotz der relativ gut erforschten Familiengeschichte nicht mehr nachvollziehbar. Ähnliches gilt für den ostfriesischen Familiennamen „van Borssum“: Er steht zum einen für die Häuptlinge der ehemaligen Herrlichkeiten Groß- und Klein-Borssum, die bereits im 16. Jahrhundert in Emden lebten und dort hohe Ämter bekleideten, zum 5
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bindung. In einer Missive an Margareta von Parma vom 23. Dezember 1560 ist nämlich die Rede von einem Schiffbrüchigen, der auch als „Hadrianus Haemstedius“ bzw. als „Hadrianus van Zierixzee“ bezeichnet wurde.10 Außerdem wird in einer Kirchenvisitation im Herzogtum Jülich im Oktober 1559 erwähnt, dass u. a. ein „Adrian Hembstein von Zircksee us Seeland“ Wortführer einer heimlichen Zusammenkunft gewesen sein soll.11 Einen wirklich belastbaren Hinweis auf den eigentlichen Geburtsort gibt es damit aber nicht, zumal es sich um seinen damaligen Herkunftsort gehandelt haben könnte.12 anderen aber auch für viele Emder Bürger, die selbst oder deren Vorfahren vermutlich aus den beiden genannten Dörfern stammten. 10 Vgl. Taeke Sjoerd Jansma, De boeken van Adriaen Cornelisz. van Haemstede, Den Haag 1949, 202. 11 Vgl. Otto R. Redlich, Jülich-Bergische Kirchenpolitik am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit. Visitationsprotokolle und Berichte, Bd. 2,1: Jülich (1533–1589) mit urkundlichen Beilagen von 1424–1559, Bonn 1911, 379. 12 Zierikzee liegt gut 20 km von Haamstede entfernt, sodass sich die Frage stellt, ob diese Angabe nicht der besseren Bestimmung des Herkunftsortes dienen sollte, indem auf den größeren Nachbarort verwiesen wurde. Möglich ist aber auch, dass Zierikzee noch immer als Herkunftsort galt, zumal Adriaen dort eine Vikarie hatte. Der Geburtsort lässt sich somit nicht wirklich eindeutig bestimmen. Es gibt aber auch noch andere Deutungsmöglichkeiten des Namens. Von Johannes van Utrecht Dresselhuis stammt die These, dass Adriaen van Haemstede ein Spross der ursprünglich ebenfalls aus Haamstede stammenden adeligen Familie van Haemstede gewesen sei. Bei ihm scheint jedoch mehr der Wunsch der Vater des Gedankens gewesen zu sein, versuchte er doch damit gleichzeitig zu klären, dass auch der eigene Familienname auf diese Weise zustande gekommen sei. Er selber stehe in einer langen Reihe von Predigern und stamme somit aus einem alten Geschlecht, das seinen Namen, wie dies auch bei van Haemstede geschehen sei, mit „ab Utrecht“ nur schwach latinisiert, und nicht etwa vollständig durch das lateinische Synomym Trajectinus ersetzt habe. Immerhin sei der große Oldenbarnevelt mit seiner Familie verschwägert gewesen, da dieser eine Maria van Utrecht geheiratet habe! Vgl. van Utrecht Dresselhuis, Haemstede (wie Anm. 7), 46. Doch aus welcher Motivation heraus van Utrecht Dresselhuis die Fragestellung auch traktiert haben mag, seit seiner Zeit wird die Frage nach einer adeligen Abstammung van Haemstedes immer wieder neu gestellt. Vgl. Frans Lukas Bos, De vergeten martelaar, Apeldoorn 1960, 3. Adriaen van Haemstede bringt van Utrecht Dresselhuis in Verbindung mit dem 1497 verstorbenen Witte van Haemstede, dessen Enkel zwei Kinder gehabt haben soll, nämlich einen Sohn, Arend, der unverheiratet verstarb, und eine Tochter, Katharina. Die letztgenannten Personen meint er mit dem Prediger und seiner Schwester identifizieren zu können. Die Vornamen Arend und Adrian gehen aber auf keine gemeinsame etymologische Wurzel zurück. Adriaen van Haemstede war außerdem verheiratet. Seine Frau wird in den Emder Kichenratsprotokollen genannt. Vgl. Heinz Schilling (Hg.), Die Kirchenratsprotokolle der reformierten Gemeinde Emden 1557–1620, Teil 1: 1557–1574, Köln / Wien 1989 (StF C 3/1), 124. Das Patronymikum „Cornelis“, das ihn als Sohn eines Cornelius ausweisen würde, bezeichnete van Utrecht Dresselhuis als irrtümlich und dachte an eine Verwechselung mit einem Adriaen Cornelis, der Kanoniker war, aus Brouwershaven stammte und an der Universität in Leiden lehrte, vgl. van Utrecht Dresselhuis, Haemstede (wie Anm. 7), 45. Sowohl sein erstes Buch über kanonisches Recht als auch die erste Ausgabe der Historie der Martelaren überliefert den Namen zusammen mit dem Patronymikum „Cornelis“. Vgl. Haemstedio, Hadriano Cornelio, Tabulae totius
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Sehr wahrscheinlich hatte er schon vor seiner Immatrikulation an der Universität in Leuven den Grad eines Magister Artium erworben. Von etwa 1549/50 an bezog er Einkünfte aus einer Pfründe des St.-Katharinen-Altars der Kirche in Burgh und trug als Subdiakon den Namen Bartholomäus. Sein erstes Werk „Tabulae totius sacrosancti iuris canonici“13 aus dem Jahre 1552 legt die Vermutung nahe, dass er sich in seinem Studium vor allem dem kanonischen Recht widmete.14 Im gleichen Jahr noch erhielt er die Vikarie der Bagijnhofkerk in Zierikzee und wurde am 25. August zum Priester der katholischen Kirche geweiht.15 Er hat dieses Amt jedoch zwischen Ostern 1555 und Ostern 1556 einem anderen Priester überlassen. In dieser Zeit wird er zum evangelischen Glauben gefunden haben.16 Er selber äußert sich an keiner Stelle darüber, wann und auf welche Weise er für die Sache der Reformation sacrosanct iuris canonici. Clariss. utriusque huis licentiato, M. Livino Bloxenio á Burgh dicatae, omnibus utriusque Luris studiosis & utiles & necessariae, Löwen 1552; Haemstede, gheschiedenisse (wie Anm. 1), Titelseite. Seinen Brief an die Emder Gemeinde vom 21. Juni 1557 unterschreibt er ohne einem „van“ mit Adriaen Haemsthede. Vgl. Arch. JALB, Nellner 320 A, Nr. 82, 3. Van Haemstede selbst hat für die Beschäftigung mit dieser Fragestellung nie einen Grund geliefert. Er erwähnte eine adelige Abstammung weder in seiner kurzen Lebensbeschreibung, die er 1559 einem Brief an Friedrich von der Pfalz beifügte, noch taucht ein solcher Hinweis in seiner Matrikel vom 3. Oktober 1547 in Leuven auf. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 5, 7; Wilhelm G. Goeters, Dokumenten van Adriaan van Haemstede, waaronder eene Gereformeerde Geloofsbelijdenis van 1559, Den Haag 1907, 61–64; Schillings, Matricule (wie Anm. 8), 356. Ganz zu schweigen davon, dass er je das Wappen der Familie van Haemstede verwendet hätte. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 6. Dennoch wird eine adelige Herkunft von Adriaen von Haemstede aufgrund der These von Johannes van Utrecht Dresselhuis aus dem Jahre 1835 selbst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts noch vermutet. Vgl. Andrew Pettegree, Art. Adriaan Corneliszoon van Haemstede, in: BLO 1 (1993), 170–172. Wahrscheinlicher ist hingegen die These von Pieter Vos, dass Adriaen van Haemstede ein Sohn von Cornelis Raas Jacobsz. van Haamstede und seiner Frau Durfje Jan Gillisdr. van Zuydlandt aus Zierikzee gewesen sein könnte. Vgl. Pieter Dignus de Vos, De Vroedschap van Zierikzee van de tweede helft der 16de eeuw tot 1795, Middelburg 1931, 322. Trotz des gut passenden Vornamens des mutmaßlichen Vaters und trotz der Erwähnung Zierikzees in Zusammenhang mit seiner Person gibt es keinen wirklich belastbaren Beleg für diese These, sodass sie eine solche bleiben muss. Jelsma verweist darauf, dass er in der Genealogie der adeligen Familie van Haemstede keine Erwähnung findet. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 8; Adriaan Willem Eliza Dek, Genealogie der graven van Holland, Den Haag 1954, 14. 13 Haemstede, Tabulae (wie Anm. 12). 14 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 11. 15 Vgl. a. a. O., 16. 16 Haemstede erwähnt an keiner Stelle, zu welchem Zeitpunkt er die katholische Kirche verlassen hat. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 17. Goeters spricht von einem Aufenthalt in London zur Zeit Edwards VI. und einer anschließenden Flucht nach Emden Ende 1553. Vgl. Wilhelm G. Goeters, Adrian van Haemstede’s Wirksamkeit in Antwerpen und Aachen (TARWPV NS 8), Tübingen 1906, 52. Dies ist aber schon aufgrund der zeitlichen Abfolge eher unwahrscheinlich. Unter den genannten Personen der Londoner Flüchtlings-
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gewonnen wurde.17 Es scheint aber so zu sein, dass dieser Schritt mit der Entstehung einer ersten reformierten Gemeinde in Antwerpen korrespondiert. Keine der beiden später hier existierenden Gemeinden, d. h. weder die französische noch die niederländische, ist vor 1550 entstanden. Einem Brief Gaspar van der Heydens an den Emder Kirchenrat ist zu entnehmen, das um 1555 erste Zusammenkünfte calvinistischer Protestanten in Antwerpen zustande gekommen sind.18 Eine reformatorische Bewegung hatte es in Antwerpen schon lange vorher gegeben. Viele aber hatten ihre Heimat in Flandern und Brabant aus Furcht vor Verfolgung verlassen oder waren verbannt worden – man denke dabei zum Beispiel an flandrische Buchdrucker wie Steven Mierdman aus Antwerpen oder Gillis van der Erven aus Gent, die nach England emigrierten und zu der in London von Johannes a Lasco gegründeten Fremdenkirche gehörten.19 Sicher ist, dass van Haemstede schon Ende 1556 in Antwerpen den Dienst als Prediger in der noch jungen Gemeinde versehen hat.20 Die Emder Gemeinde bildete damals in vielerlei Hinsicht eine wichtige Bezugsgröße für die noch im Auf bau befindlichen reformierten Gemeinden Antwerpens. Van Haemstede kannte die Vertreter des Emder Kirchenrats persönlich, da er selbst einige Zeit vorher in Emden gelebt haben muss.21 1.2. Der Konflikt zwischen Adriaen van Haemstede und der Gemeinde in Antwerpen In Antwerpen kam es immer wieder zum Streit mit der Gemeinde. Im Vordergrund stand dabei stets die Frage nach der Freiheit des Gewissens. Die von seinem Vorgänger22 Gaspar van der Heyden vorgegebene Abgrenzung gemeinde taucht sein Name auch nicht auf. Vgl. Jacob Henri Bekouw, Bannelingen en vluchtelingen uit Ronse, Naarden 1941, 161–164. 17 In seinem Brief an Friedrich III. von der Pfalz schreibt er, dass er von Gott aus der Düsternis der altgläubigen Kirche ins Licht gerufen worden sei: „Quum primum enim me Deus sua benignitate ad lucem e papisticis tenebris vocasset, contuli me ad quasdam civitates, in quibus reformatas esse iuxta verbum Dei ecclesias intellexeram, ut ordinem modumque et viderem coram et abservarem diligentius. Adrianus Haemstedius Friderico Electori Comiti Palatino Rheni:“ Goeters, Dokumenten (wie Anm. 12), 61. 18 Vgl. Arch. JALB, Nellner 320 A, Nr. 84. 19 August A. Den Hollander, De Nederlandse Bijbelvertalingen 1522–1545, Nieuw koop 1997, 121–123. 20 Dies geht aus einem Brief Haemstedes an den Emder Kirchenrat vom 21. Juni 1557 hervor, in dem er auch Bezug nimmt auf ein früheres Schreiben, das er Silvester 1556 an die gleiche Gemeinde richtete, das aber nicht überliefert ist. Vgl. Arch. JALB, Nellner 320 A, Nr. 82, 2. 21 In einem anderen Zusammenhang bittet er nämlich darum, dass der nach Emden gereiste Gaspar van der Heyden ihm seine Kleider und Bücher von dort mit nach Antwerpen zurückbringen möge. Außerdem bedankt er sich dafür, dass seine Schwester 1557 von der Emder Diakonie unterstützt wurde, nachdem ihr Mann verstorben war. Vgl. Arch. JALB, Nellner 320 A, Nr. 82, 3. 22 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 22.
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nach außen konnte van Haemstede nicht akzeptieren.23 Die Gemeinde hingegen duldete es nicht, dass van Haemstede solche als Gemeindeglieder zu akzeptieren bereit war, die der calvinistischen Gemeinde zwar zugetan waren, sich aber aus Angst vor Verfolgung lieber von ihr distanzierten und nach sogenannten Hauspredigten verlangten.24 Dem Emder Kirchenrat teilte er in diesem Zusammenhang mit, dass er sich wohl nicht für das Predigeramt eigne, wenn er sich zu sehr gegen seine eigenen Überzeugungen stellen müsse und dabei Gefahr laufe, den Fehlern der vorreformatorischen Zeit wieder zu verfallen.25 Am Ende spricht aus seinem Schreiben aber auch Angst. Ihm war klar, dass die beständig größer werdende Gemeinde nicht mehr lange geheim bleiben würde. Er schreibt, dass ein Mitglied der frankophonen Gemeinde bereits aufgegriffen worden sei und dass es nicht gut um diesen stehe. Der Glaubensbruder sei aber zuversichtlich und unerschrocken bereit, mit seinem Blut den wahren Glauben zu bezeugen. Nicht zuletzt auch deswegen sei es besser, einen Stärkeren als ihn in die Gemeinde zu entsenden.26 1557 ist van Haemstede nach Emden gereist, um sich dort um seine verwitwete Schwester zu kümmern. Als er der Gemeinde in Antwerpen mitteilte, dass er nicht zurückzukehren gedenke, reagierte diese sehr überrascht und versuchte alles, um ihn zu einer Rückkehr zu bewegen.27 In Emden hingegen sah man sich genötigt, sowohl Adriaen van Haemstede als auch die Antwerpener Gemeinde zu vermahnen: „Den 13. Septembris 1) Is hyr gelesen den breff, den de broderen van Antwerpen hyr gesent hebben an uns, dar se begeren Adrianum [van Haemstede] voer oren dener mit unße raedt und dat he se muchte truwelik denen na Godes Wordt unnd na oren raedt, nicht na syn hoevet und, dat he in der noedt ock by se blive. De broederen hebben besloten, dat men an de broderen und an Adrianum solde schriven und se an beyden zyden vormanen, dat he se raetfrage in swaren stucken und in de regeringe der gemene, und dat de gemene hem ock nicht tho ser vorbinde“28
Ein Jahr später schon keimte der Streit in der Gemeinde erneut auf, als van Haemstede angefangen hatte, auch außerhalb der Gemeinde zu predigen. Der Emder Kirchenrat empfahl daraufhin einen Wechsel für van Haemstede nach Aachen in die noch junge Gemeinde dort. Die einsetzende Verfolgung sollte ihn jedoch ohnehin schon bald zur Flucht nötigen.29
Vgl. a. a. O., 32. Vgl. a. a. O., 36–39. 25 „ick en can teghen myn conscientie niet spreken, en mij dunck dat ick anders een nieun monickerie zoude anrichten“. Arch. Jalb, 320 A, Nr. 82, 2. 26 Vgl. a. a. O., 3. 27 Vgl. Pettegree, Haemstede (wie Anm. 12), 171. 28 Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 9. 29 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 77. 23
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1.3. Adriaen van Haemstedes Märtyrerbuch Im weltoffenen Antwerpen hatte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts zunächst noch eine relativ große Toleranz gegenüber religiös Andersdenkenden geherrscht, schon aus Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Protestanten unterschiedlichster Couleur konnten ihren Glauben unbehelligt im Verborgenen leben.30 Selbst als sich die Situation 1551 aufgrund eines neuen Ediktes Karls V. zu verschärfen drohte, setzte sich das Antwerpener Stadtregiment dagegen noch zur Wehr.31 Eine Toleranz den Anabaptisten gegenüber gab es nicht. Gegen sie wurde in aller Härte vorgegangen. Daher kam es auch zunächst fast ausschließlich in ihrem Kontext zu Märtyrern. Hintergrund war das 1529 vom Reichstag in Speyer ausgegangene Mandat, das grundsätzlich die Praxis der Wiedertaufe unter Todesstrafe stellte, und zwar auf Grundlage einer Gesetzgebung des römischen Kaisers Justinian aus dem 6. Jahrhundert.32 Damit war die Wiederholung des Taufaktes bzw. die Bekenntnistaufe ein strafwürdiges Vergehen und konnte sofort mit dem Vollzug der Todesstrafe geahndet werden. Von den 48 Hinrichtungen zwischen 1524 und 1552 handelte es sich in 38 Fällen eindeutig um Taufgesinnte. Doch auch bei denen, die aufgrund fehlender Hinweise nicht näher eingeordnet werden können, wird vermutlich der überwiegende Teil eher dem Täufertum zuzurechnen gewesen sein.33 In van Haemstedes Märtyrerbuch wird später jedoch nicht ein einziger von diesen Antwerpener Glaubenszeugen erwähnt. Mit Ausnahme der beiden „evangelisch“ gesinnten Augustinermönche, die als erste Blutzeugen hingerichtet wurden, berichtet van Haemstede nur noch von einem weiteren Schicksal aus der Frühphase der Verfolgung, nämlich von Nicolaus van Antwerpen, der 1524 sein Ende fand. Diese Reihe setzt er dann mit dem 1551 hingerichteten Calvinisten Jan van Ostende fort.34 Von den insgesamt 162 Menschen, die danach bis zum Erscheinen des Märtyrerbuches der blutigen Verfolgung in Antwerpen zum Opfer fielen, lassen sich nur elf Personen nicht dem Täufertum zurechnen. Neun davon finden Erwähnung im Märtyrerbuch.35 In der ersten Ausgabe seiner Historie der Martelaren thematisiert van Haemstede in seiner Schlussrede 30 Nicht ganz unähnlich war die Situation Mitte des 16. Jahrhunderts in Emden, einer Stadt, die sich in vielerlei Hinsicht an der damals größten Handelsstadt der Erde orientierte. Es gab vielerlei Kontakte zwischen Antwerpen und Emden. Äußerlich sichtbar wurde dies nicht zuletzt an dem 1574–1576 erbauten neuen Emder Renaissance-Rathaus, das nach dem Vorbild des alten Antwerpener Rathauses gebaut worden war. 31 Vgl. Frederik Lodewyk Rutgers, Calvijns invloed op de reformatie in de Nederlanden, voor zooveel die door hemzelven is uitgeoefend, Leiden 1899, 141, Anm. 58. 32 Fernando Enns / Hans-Jochen Jaschke, Gemeinsam berufen, Friedensstifter zu sein. Zum Dialog zwischen Katholiken und Mennoniten, Schwarzenfeld 2008, 40. 33 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 20. 34 Seine Abendmahlsauffassung und der Kontakt zur Londoner Fremdenkirche sprechen dafür. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 21. 35 Vgl. Antwerpsch Archievenblad 14 (1877), 1–25; Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 19.
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das Verhalten der Täufer, die sich einerseits auf das Evangelium beriefen, andererseits aber durch ihre zum Teil recht rigorose Bannpraxis auffielen. Sie würden mit ihrem Urteil über andere und ihrem Eifer allzu oft den Vertretern der römischen Kirche gleichen, heißt es darin. Diese Bemerkung wurde in der Literatur immer wieder als Hinweis darauf verstanden, dass Haemstede sich in seiner frühen Phase deutlich von der Täuferbewegung distanziert habe. Doch Menno Simons (1496–1560) z. B. hätte eine solche Aussage mit den gleichen Worten formulieren können, da auch er diese Entwicklung innerhalb des Täufertums keineswegs gutgeheißen hat. Somit sind van Haemstedes Ausführungen weniger als grundsätzliche Kritik an den Anabaptisten zu werten, sondern vielmehr als Stellungnahme zu einer bestimmten, sich immer mehr verstärkenden Tendenz des mennonitischen Täufertums, den Bann innerhalb der Gemeinde anzuwenden – allerdings nicht überall, was zu einer Ausdifferenzierung des mennonitischen Täufertums führte. Van Haemstedes eigentliche Haltung zur Frage der Bekenntnistaufe wird in seinem Bericht über das Schicksal von Anthonius Verdikt greifbar. Er lässt den Märtyrer dafür plädieren, dass niemand zu einer Entscheidung für oder gegen eine Bekenntnistaufe gezwungen werden dürfe, auch wenn er selbst lieber an der traditionell praktizierten Säuglingstaufe festhalte. Wenn jemand aufgrund einer solchen Entscheidung verurteilt und getötet werde, sei dies abgrundtief böse und ebenso verurteilenswert.36 Er gibt damit indirekt eine liberale Haltung gegenüber den Täufern zu erkennen und missbilligte offensichtlich das Verhalten ihrer Verfolger. Daher scheint es naheliegender zu sein, dass van Haemstede mit der aufgezeigten Widersprüchlichkeit nicht seine Ablehnung zum Ausdruck bringen wollte, sondern vielmehr mit den seinerzeit aktuellen Kontroversen innerhalb des mennonitischen Täufertums vertraut war und sich auch hier gegen ein intolerantes und engherziges Gemeindeverständnis wandte. Indirekt könnte er damit auch auf die Verhältnisse im reformierten Bereich angespielt haben, wo sich die Gemeindezucht zunehmend strenger gestaltete. Darum stellt sich noch einmal mehr die Frage, warum er die Vielzahl der in Antwerpen hingerichteten Menschen in seinem Märtyrerbuch mit keinem Wort erwähnt. Die Täufer waren ihm mit ihrem Ideal der Nachfolge Christi geistesverwandt. Van Haemstede formuliert, dass nur die dem Märtyrertod anheimfielen, die von Christus dazu ausersehen seien. Die Welt liebe die, die sich ihr unterordneten. Der Märtyrertod sei das Kreuz derjenigen, die in der Nachfolge Christi stünden. Schon zu Zeiten des Alten und Neuen Testamentes seien Menschen aufgrund ihres Glaubens von Heiden hingerichtet worden. Es stelle sich doch die Frage, wer die wahren Ketzer seien, wenn es seitens der weltlichen Machthaber heiße, es würden nur aufrührerische Ketzer und Sektierer verfolgt und bestraft 36
Vgl. Haemstede, Gheschiedenisse (wie Anm. 1), 430.
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werden, die das Volk verführten. Opfer seien doch diejenigen, die die Heilige Schrift studierten und danach strebten, ihr Leben nach ihr auszurichten. Die Verfolgung sei daher nichts anderes als die blutgierige Tyrannei des Teufels. Er warnt vor der Rache Gottes, räumt aber zugleich ein, dass viele aus Unwissenheit gehandelt hätten, wie die Voreltern, die die Propheten und Apostel umgebracht hätten. Er bittet die Verantwortlichen, von ihrem Tun abzulassen und sich zu bekehren. Verfasst hat er dieses Vorwort nach eigenem Vorgeben 1559 in Antwerpen, offensichtlich unter dem Eindruck der blutigen Verfolgung gerade in den südlichen Niederlanden. Oft wurden diese Angaben als Hinweis auf den eigentlichen Druckort der Historie der Martelaren gedeutet. Doch dieser Hinweis auf Entstehungsort und -zeit ist mehr und intendierte anderes. Durch diesen Hinweis adressierte er seine Botschaft an die, für die sie in erster Linie bestimmt war, nämlich an die Obrigkeit in Antwerpen bzw. in Flandern. Nach welchen Kriterien aber nahm van Haemstede Berichte in sein Märtyrerbuch auf und woher bezog er die ihnen zugrunde liegenden Informationen? Schon bei einem ersten Vergleich mit den älteren, ihm schon vorliegenden Märtyrerbüchern fällt auf, dass die Darstellungen aus der Zeit von Wyclif bis Luther in etwa den Darstellungen von Jean Crespins Martyrologium37 entsprechen. Eine Abweichung stellt der Text über Hieronymus Savonarola dar,38 dessen Inhalt den Historien der Heyligen, Auserwölten Gottes Zeugen, Bekennern und Matyrern von Ludwig Rabus aus dem Jahre 155639 entlehnt sein dürfte.40 Zum Teil gab es aber auch kleinere Flugschriften, wie z. B. die des Jean Crespin, Recueil de plusieurs personnes qui ont constamment enduré la mort pour le nom de nostre Seigneur Jesus Christ, depuis Jean Hus jusques à ceste année presente M.D.LIIII, Genf 1554. 38 Savonarola und seine Werke scheinen in reformierten Kreisen durchaus beliebt gewesen zu sein. 1555 erschien in Emden in der Druckerei von Niclaes van den Berghe eine Meditation Savonarolas über den 80. Psalm. Vgl. Martin Tielke, Rätsel des Emder Buchdrucks, Aurich 1986, 52, Nr. 28. 39 Ludwig Rabus, Historien der Heyligen Außerwölten Gottes-Zeugen, Bekennern und Martyrern, so in Angehender ersten Kirchen, Altes und Neuwes Testament, zuo jeder zeyt gewesen seind. Aus H. Göttlicher, und der Alten Lehrer Glaubwürdigen Schrifften, zuo gemeyner Auffbauwung unnd Besserung der Angefochtenen Kirchen Teutscher Nation, warhafftig beschryben, Straßburg 1556. 40 Dedeke sieht einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Märtyrerbüchern von Rabus, Crespin und van Haemstede. Vgl. Gerhard Dedeke, Die protestantischen Märtyrerbücher von Ludwig Rabus, Jean Crespin und Adriaen van Haemstede und ihr gegenseitiges Verhältnis, Düsseldorf 1922, (1). Gilmont konnte nachweisen, dass van Haemstede von Crespin die lateinische Ausgabe von 1556 und die dritte Auflage von 1557 rezipierte. Jean-François Gilmont, La genèse du martyrologe d’Adrien van Haemstede (1559), in: RHE 63 (1968), 404 f. Jelsma kommt wie viele andere schon vor ihm zu dem Schluss, dass van Haemstede primär Gebrauch machte von den Märtyrerbüchern von Jean Crispin und Ludwig Rabus, wobei er Crispin immer deutlich den Vorzug gibt. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 274. 37
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englischen Historikers John Bale,41 die in acht Auflagen erschienene Schrift über den Märtyrertod der beiden Augustinermönche Hendrik Vos und Joannes van den Eschen in Brüssel42 oder auch die Schrift des späteren Erziehers der ostfriesischen Grafensöhne, Wilhelm Gnaphäus, über das Verhör und die Hinrichtung seines ehemaligen Mithäftlings Johannes Pistorius van Woerden, die ebenfalls aufgenommen wurde.43 Naheliegend ist daher, dass van H aemstede die Informationen über viele niederländische und englische Märtyrer den damals verbreiteten Pamphleten entnommen hat.44 Authentische Quellen, wie z. B. Briefe, Glaubensbekenntnisse und sogenannte Testamente, die Märtyrer kurz vor ihrem Tod verfassten und an ihre Angehörigen und Glaubensgenossen adressierten, sowie Auszüge aus Prozessakten und Berichte von Augenzeugen bzw. Zeitgenossen, kursierten hauptsächlich in den Kreisen, für die sie bestimmt waren, und waren somit nicht immer und überall greif bar. Dennoch fand einiges davon auch Eingang in sein Märtyrerbuch.45 Angesichts der kurzen Zeitspanne zwischen seinem ersten Auftreten als Prediger in Antwerpen und der Herausgabe seines Buches hat van Haemstede vermutlich auf bereits vorliegende Quellen zurückgegriffen. Nur wenige Berichte dürften daher wirklich seiner originären Verfasserschaft zuzuschreiben sein.46 Hin und wieder war er selber Augenzeuge gewesen, wie z. B. 1535 bei der Verbrennung eines namentlich nicht bekannten Bauern in Zierikzee.47 Das Fehlen des Namens und die Unmöglichkeit, diesen Märtyrer einer bestimmten protestantischen Konfession zuordnen zu können, sind seinem damaligen jugendlichen Alter geschuldet. Er konnte später nur noch die äußeren Umstände beschreiben. Solche Erlebnisse werden für ihn und seinen späteren Lebensweg prägend gewesen sein.48 Die weiteren neun Abschnitte seines Märtyrerbuches stehen unter dem Eindruck der Vorgänge in Antwerpen bzw. Flandern und geben diesem dadurch erst einen ganz eigenen Stellenwert neben den Ausgaben von Rabus und Crespin. Die Zahl der in dem Buch aufgenommenen Berichte könnte rein theoretisch durch die ihm zur Verfügung stehenden bzw. für ihn zugänglichen Texte begrenzt gewesen sein. Vgl. Pettegree, Haemstede (wie Anm. 12), 171. Vgl. Der actus vnd handlung der degradation vnd verprenung der der Christlichen dreyen Ritter vnd merterer Augustiner ordens geschehen zu Brussel Anno 1523 prima Julij, in: BRN 8 (1911), 13–17. 43 Die Schrift wurde erstmals um 1525/27 in Emden bei Nicolaes van Oldenborch gedruckt. Vgl. Ferdinand van der Haeghen / Thomas James Arnold / R. van den Berghe (Hg.), Bibliographie des martyrologes protestantes néerlandais, Den Haag 1890; Tielke, Rätsel (wie Anm. 31), 46, Nr. 3. 44 Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 274. 45 Vgl. Frederik Pijper, Martelaarsboeken, Den Haag 1924, 55; Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 258. 46 Vgl. a. a. O., 277. 47 Vgl. Haemstede, Gheschiedenisse (wie Anm. 1), 77 v. 48 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 259. 41
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Dies würde aber die Auswahl der bei ihm thematisierten Ereignisse nur zum Teil erklären. Näherliegend ist eine gezielte Begrenzung der darzustellenden Schicksale aus theologisch-dogmatischen Gründen. Eine grobe Sichtung zeigt sehr schnell, dass aufgrund einer redaktionellen Zielsetzung für das Buch nur bestimmte Berichte ausgewählt und für die Veröffentlichung in chronologischer Abfolge bearbeitet wurden, im völligen Gegensatz z. B. zu Rabus, der seine Berichte teils chronologisch, teils alphabetisch und nicht zuletzt auch ohne jeden Zusammenhang in seinem Buch anordnete. Rabus fasst den Begriff „Märtyrer“ auch in einem viel weiteren Sinn auf, indem er damit grundsätzlich Menschen beschreibt, die durch ihr Leben und Werk zu Zeugen Gottes geworden sind, wie z. B. Luther.49 Bei Rabus finden sich hin und wieder auch Aussagen über Märtyrer, die in dem jeweiligen Zusammenhang sehr unpassend erscheinen und Anstoß erregen, wie z. B. die frivole Sprache der Wendelmoet Claesdochter.50 Er nennt, vielleicht irrtümlich, auch Personen aus dem täuferischen Kontext, die in dem Buch van Haemstedes offensichtlich bewusst ausgeklammert wurden. Wie bei Crespin, so wird auch in der Historie der Martelaren alles vermieden, was aus reformierter Perspektive ein negatives Licht auf die jeweils zu behandelnde Person werfen könnte. Auf Crespin geht sicherlich auch der sich verstärkende konfessionalistische Charakter zurück. Jelsma zieht daraus für sich den Schluss, dass van Haemstede in seinem Denken viel reformierter gewesen sei, als man es ihm später noch zugestanden habe.51 Deutlich tritt die Intention in den Vordergrund, die „wahre Kirche“ anhand der Märtyrer, die für den rechten Glauben gestorben sind, greif bar zu machen. Die successio apostolorum wird quasi durch eine successio martyrum ersetzt.52 Das Märtyrerbuch von van Haemstede beginnt mit der Geschichte Jesu Christi und der Verfolgung der ersten Christen. Es wird nur von solchen Blutzeugen berichtet, die in das Bild einer successio aus reformierter Sicht passen. Dazu gehören die Märtyrer der ersten Christenverfolgungen, frühe Lutheraner und vor allem reformierte Blutzeugen. Ganz ähnlich beruft sich auch die reformierte Gemeinde Emdens im 16. Jahrhundert auf die successio apostolica. Sie verteidigt damit ihr Recht, die einzige in apostolischer Tradition stehende Kirche vor Ort zu sein, und grenzt sich genau mit dieser Argumentation deutlich von der täuferischen Bewegung ab, aber auch vom Luthertum, das sich mit der von ihm vertretenen Ubiquitätslehre in den Augen der reformierten Prediger in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts von der Vgl. Dedeke, Märtyrerbücher (wie Anm. 40), (1). Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 254, 257. 51 Vgl. a. a. O., 279. 52 Vgl. Brad S. Gregory, Salvation at Stake, in: Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge 1999 (HHS 134), 142, 152; Wim Francois, Jacob van Liesvelt, Martyr for the Evangelical Belief, in: Johan Leemans (Hg.), More than a Memory. The Discourse of Martyrdom and the Construction of Christian Identity in the History of Christianity, Leuven / Paris / Dudley, MA 2005, 358. 49
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apostolischen Lehre entfernt hat, während der frühe Luther als durchaus noch in dieser Tradition stehend betrachtet wurde.53 Maria van Beckum und Ursula van Werdum, die in dem ihm vorliegenden Märtyrerbuch von Ludwig Rabus Erwähnung finden, wurden aufgrund ihrer mutmaßlichen Nähe zum Täufertum nicht integriert.54 Die Historie der Martelaren ist somit stark konfessionell ausgerichtet. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen all diejenigen, die aus reformierter Sicht für den wahren Glauben gestorben sind und in direkter Nachfolge Christi stehen – ein Moment, das bei jüngeren Auflagen dieses Märtyrerbuches aufgrund redaktioneller Bearbeitungen immer weiter verstärkt wurde, zunehmend allerdings auf Kosten der Objektivität und der Authentizität der ursprünglichen Berichte. Der immer mehr in den Vordergrund rückende Konfessionalismus erreicht in dem späteren von Abraham Melle herausgegebenen t’Groot recht-ghevoelende christen martelaers-boeck55 von 1620 seinen Höhepunkt, wo es heißt, dass die Märtyrer von Anbeginn für den „rechten reformierten Glauben“ gestorben seien!56 Schon darum ist es naheliegend, dass der erste Teil des Buches nicht nur als ein Zitat älterer Literatur verstanden werden sollte, sondern dass diese rezipiert und bewusst neugestaltet wurde. Oft wurde darüber nachgedacht, ob dabei etwa eine protestantische Chronik als Vorlage gedient haben könnte. Gilmont, der davon überzeugt war, konnte jedoch nicht den Nachweis erbringen, dass van Haemstede dabei etwa auf den Catalogus testium veritatis von Matthias Flacius zurückgegriffen hat.57 Jelsma schließt dagegen zu Recht aus, dass er Melanchthons Chronicon Carionis nutzte oder Veluanus’ Der Leken Wechwijser.58 Doch völlig unabhängig von der Fragestellung, ob und aus welchen 53 Vgl. Menso Alting et al., Gründtlicker Warhafftiger Bericht: Van der Euangelischen Reformation / der Christlicken Kercken tho Embden vnn in Ostfrießlandt / Van 1520. beth vp den hüdigen dach: Sampt korter Erinnerung van der Lehre vnd Kerckenordnung / daran sick de Christlicke Gemene gemelter Stadt holdet, Bremen 1594. 54 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 261. 55 Abraham Mellinus, t’Groot recht-ghevoelende christen martelaers-boeck, ghenoechsaem vervattende een kerckelijcke historie van den opgangh, voortgangh, en ondergangh der vervolgingen, Dordrecht 1620. 56 Vgl. Laurentius Knappert, Het ontstaan en de vestiging van het Protestantisme in de Nederlanden, Utrecht 1924, 284. Dedeke führt an, dass der sich immer mehr verstärkende Charakter des Buches damit zu tun habe, dass spätere Bearbeiter immer mehr nur Crespin und Foxe exzerpierten. Vgl. Dedeke, Märtyrerbücher (wie Anm. 40), (3). 57 Vgl. Gilmont, genèse (wie Anm. 40), 411; Matthias Flacius, Catalogus testium veritatis, qui ante nostram aetatem reclamarunt papae, opus uaria rerum, hoc praesertim tempore scitu dignissimarum, cognitione refertum, ac lectu cum primis utile atq. necessarium, Basel 1556. 58 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 274; Johann Carion / Philipp Melanchthon, Chronicon Carionis, latine expositum et auctum multis et veteribus recentibus historiis, in narrationibus rerum Graecarum, Germanicarum et ecclesiasticarum, Wittenberg 1558; Ioanes Anastasius Veluanus, Kort bericht in allen principalen punten des christen
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Quellen er dabei schöpfte – klar dürfte sein, dass er den ersten Teil des Buches nicht als Sammlung von Legenden und alten Märtyrerberichten verstanden wissen wollte, sondern als Teil einer immer noch lebendigen Geschichte der Verfolgung. Nicht nur der Leidensweg der Opfer sollte nachgezeichnet werden, sondern es sollte zugleich der Ursprung allen Übels aufgezeigt werden. Van Haemstede datierte das Auftreten des Antichristen in die Zeit des vierten Laterankonzils, mit dem 1215 u. a. das Papstprimat, die Transsubstantiationslehre und die sogenannte Ketzerverfolgung ihren Anfang genommen hatten.59 Auf diese Weise versuchte er, mit dem ersten Teil seines Märtyrerbuches eine befriedigende Antwort auf die seinerzeit gegenwärtige innerkirchliche Verfolgungssituation zu geben. So wie in zurückliegenden Jahrhunderten die Christen von Heiden verfolgt worden waren, so wurden nun nicht etwa abtrünnige Ketzer, sondern die „wahren“ Christen von dunklen Mächten innerhalb der Kirche drangsaliert. Das bedurfte einer besonderen Erklärung. Insofern ist das Märtyrerbuch von Adriaen van Haemstede mehr als nur eine Geschichte der Verfolgung, es gibt auch Auskunft über das reformierte Selbstverständnis Mitte des 16. Jahrhunderts. Auf die Frage, wo das Märtyrerbuch im Wesentlichen entstanden ist und wo es zum ersten Mal gedruckt wurde, gibt es unterschiedliche Antworten. In der älteren Literatur wird dabei in erster Linie an Antwerpen und Emden gedacht. Dass das Märtyrerbuch van Haemstedes in Antwerpen gedruckt wurde, ist jedoch angesichts der Tatsache, dass reformatorische Drucker schon Jahre zuvor das Land verlassen hatten und der immer noch in Antwerpen tätige und eher unverdächtige Drucker Plantin in der Verfolgungssituation gefährliche Bücher bewusst andernorts drucken ließ, eher unwahrscheinlich.60 Immerhin 21 flandrische Drucker lassen sich zwischen 1533 und 1583 in London nachweisen, die Hälfte davon stammte ursprünglich aus Antwerpen.61 Gegen Antwerpen als Druckort spricht auch, dass unmittelbar vorher, nämlich am 20. Dez. 1558, ein Erlass veröffentlicht wurde, mit dem auf die heimlichen und unzulässigen Versammlungen protestantischer Gruppierungen aufmerksam gemacht wurde. Unter den insgesamt 35 Personen, die darin aufgelistet werden, findet sich der Name von Adriaen van Haemstede, der als Unruhestifter geloues, mit klair ghetuichnis der hilligher Schriffturen, des halve genant der Leken Wechwijser, s. l. 1554. 59 Vgl. Jelsma möchte aufgrund der Haltung van Haemstedes in anderen Zusammenhängen nicht ausschließen, dass er seine Anschauungen über den Ursprung des Bösen nicht zuletzt auch in Hinblick auf seine Wortwahl von einem anderen Verfasser übernommen hat, auch wenn er einen solchen nicht benennen kann. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 277. 60 Vgl. Andrew Pettegree, Emden and the Dutch Revolt. Exile and the Development of Reformed Protestantism, Oxford 1992, 97; Paul Valkema Blouw, Lenaert der Kinderen’s activities, 1562–1567, in: Quaerendo 17 (1987), 103, 111. 61 Vgl. Gustaaf Asaert, 1585: De val van Antwerpen en de uittocht van Vlamingen en Brabanders, Tielt 2004, 62.
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und Häretiker charakterisiert wird und auf den ein relativ hohes Kopfgeld von 300 Gulden ausgesetzt war, das für seine Ergreifung in Aussicht gestellt wurde.62 Er wurde demnach steckbrieflich gesucht. In diesem Zusammenhang erfahren wir auch etwas über sein Äußeres: Adriaen van Haemstede, heißt es, sei ein großer und sehr schlanker Mann mit einem bräunlichen Bart. Er habe viele Sommersprossen und sei etwa zwischen 33 und 37 Jahre alt.63 Unter den genannten Personen finden sich auch Täufer wie der in Emden agierende Mennonitenprediger Leenard Bouwens. Schon Anfang 1559 wurde der Erlass zum wiederholten Mal veröffentlicht. In seinem Buch berichtet van Haemstede von einer Razzia, die in der Nacht vom 20. Januar 1559 erfolgte. Daraufhin scheint er zusammen mit 13 Familien von Antwerpen nach Aachen geflüchtet zu sein.64 Dieser Umstand gab Anlass zu der Spekulation, dass er, bevor er schnellstmöglich die Stadt verließ, sein Werk einem Antwerpener Drucker überlassen habe. In diesem Zusammenhang werden daher Texte von Ereignissen, die sich erst zu einem späteren Zeitpunkt ereigneten, einer fremden Hand zugewiesen. Die Schilderung des Martyriums von Hermann Janssen kann dabei tatsächlich nur auf einen Augenzeugen zurückgehen, der während der Verurteilung am 27. Februar 1559 dabei war. Adriaen van Haemstede dagegen sprach an diesem Tag beim Emder Kirchenrat vor.65 Außerdem ist von ihm im Bericht in der dritten Person die Rede.66 Die Annahme aber, dass das Buch in Antwerpen redigiert und gedruckt wurde, ist völlig abwegig.67 Es ist kaum zu erwarten, dass ein Drucker das große Risiko eingegangen wäre, in der Verfolgungssituation ausgerechnet ein Buch über Märtyrer aus der Feder eines steckbrieflich gesuchten Mannes zu publizieren. Das überzeugendste Argument dagegen dürfte jedoch das Ergebnis einer typografischen Untersuchung in neuerer Zeit sein, die das Buch eindeutig der Druckerei des seinerzeit in Emden lebenden Gillis van der Erven zuweist.68 62 „diversche hereticque, oproerige leringen ende predicatien gedaen …, principalyck by eenen Adriaen, geboren van Hamstede, vuyt welcke heymelycke vergaderingen, quade predicatien ende leeringen, zouden ontwyffelyck geraken te comene, onder het gemeyn volck deser stadt, groote tweedracht, commotie ende oploop, tenderende totte geheele ruyne ende bederffenisse der voirs. stadt …“. Antwerpsch Archievenblad 2 (1865), 353–355. 63 Vgl. ebd. 64 Vgl. Haemstede, Gheschiedenisse (wie Anm. 1), 447; Pijper, Martelaarsboeken (wie Anm. 45). 65 Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12). 66 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 77 f. 67 Jelsma nimmt zwar an, dass der erste Druck in Antwerpen erfolgte, verweist aber auch auf die Möglichkeit einer Entstehung in Emden oder Vianen. Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 80, 281. Herman de La Fontaine Verwey, Hendrik van Brederode en de drukkereijen van Vianen, Den Haag 1949, 13. 68 Vgl. Paul Valkema Blouw, Typographia Batavia: 1541–1600. Repertorium van boeken gedrukt in Nederland tussen 1541 en 1600, Nieuwkoop 1998, Bd. II, 435.
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Van Haemstede hat sich noch im März 1559 vorwiegend in Emden aufgehalten, bis er vom Kirchenrat beauftragt wurde, sich um die kleinen Gemeinden in Groningen, Friesland, Holland und Overijssel zu kümmern. Somit könnte er bis dahin durchaus Zeit gefunden haben, sein Werk weitestgehend abzuschließen. Nicht außer Acht zu lassen ist aber auch die Möglichkeit, dass nach seinem Weggang aus Emden noch einmal redaktionell Hand angelegt wurde. Überarbeitungen des vielleicht doch noch nicht ganz fertigen Manuskriptes könnten in der Offizin von Gillis van der Erven erfolgt sein, die bekanntlich ausschließlich Bücher für den eindeutig calvinistischen Bereich publizierte. Es drängt sich daher die Überlegung auf, ob nicht genau das, was van Haemstede als einen sehr calvinistisch engagierten Verfasser ausweist, am Ende vielleicht sogar auf eine redaktionelle Bearbeitung zurückzuführen ist, die 1559 in Emden erfolgte. 1.4. Adriaen van Haemstede und die Londoner Fremdenkirche Van Haemstede übernahm nicht die ihm von der Emder Kirche angetragene Aufgabe, als Prediger der verstreuten Gemeinden zu dienen, sondern reiste heimlich und ohne Absprache mit dem Kirchenrat nach London.69 Neben Petrus Delenus trat er dort als Prediger der wiederhergestellten Londoner Fremdenkirche in Erscheinung. Im Sommer des darauffolgenden Jahres geriet er aufgrund seiner Haltung den Täufern gegenüber in ernste Schwierigkeiten. Ungeachtet der Tatsache, dass die dortige Obrigkeit die Gründung der reformierten Kirchengemeinde als wichtige Maßnahme gegen die Ausbreitung anabaptistischer Konventikel verstanden hatte, erkannte er „die Täufer als Brüder in der Gemeinschaft Christi an“.70 Mehr noch, er versprach ihnen sogar, sich für sie persönlich gegenüber Bischof und Stadtrat einzusetzen. Das hatte Konsequenzen, er wurde umgehend aus seinem Predigeramt entfernt. Als dann eine Gruppe von wohlmeinenden Gemeindegliedern sich hinter Adriaen van Haemstede stellte, eskalierte die Situation völlig, so dass er mit Zustimmung des Bischofs Edmund Grindal am 17. November 1560 in London exkommuniziert und damit zugleich aus der Stadt verbannt wurde.71 1561 wurden auch die liberal denkenden Mitglieder aus der Gemeinde ausgeschlossen.72 Van Haemstede verließ London noch 1560. Das Schiff, das er bestieg, strandete nach einer stürmischen Überfahrt an der holländischen Küste.73 Versuche, seiner dort habhaft zu werden, misslangen. Er fand Unterschlupf im ostfriesischen Oldersum, einem Dorf zehn Kilometer südlich von Emden gelegen, wo schon lange vor seiner Zeit Andreas Karlstadt, Melchior Hoffman, aber auch Menno Simons Asyl gefunden Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 86. Judith Becker, Gemeindeordnung und Kirchenzucht. Johannes a Lascos Kirchenordnung für London (1555) und die reformierte Konfessionsbildung, Leiden 2007, 269. 71 Vgl. Jelsma, Art. Adriaan Cornelisz. van Haemstede, in: BLGNP 3 (1988), 162. 72 Vgl. Becker, Gemeindeordnung (wie Anm. 70), 269–271. 73 Vgl. Jelsma, Adriaan (wie Anm. 62), 162 f. 69 70
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hatte. In der autonomen Herrlichkeit der Häuptlinge von Oldersum waltete nicht nur anderen reformatorischen Gruppierungen gegenüber Toleranz, hier waren einzelne Vertreter des Täufertums zeitweilig sogar protegiert worden. Van Haemstede ist aber nicht etwa zu den Täufern konvertiert, wie man mutmaßen könnte. 1561 machte sich der Emder Kirchenrat Sorgen um den in Not geratenen Prediger und beschloss, ihn finanziell zu unterstützen.74 Vermutlich lebte er zu dem Zeitpunkt schon wieder in Emden.75 Er wird wenig später als Prediger nach Groningen entsandt worden sein, denn von dort aus richtete er ein Schreiben an den Emder Kirchenrat. Er berichtet darin von dem noch immer gärenden Streit in der Londoner Gemeinde und bietet an, diesen zu schlichten, indem er sich für seine Äußerungen offiziell entschuldige.76 Am 1. Juni 1562 wurde die Emder Kirchengemeinde über die Vorgänge in London und die von Adriaen van Haemstede in diesem Zusammenhang ausgesprochene Entschuldigung unterrichtet. Van Haemstede hatte den Kirchenrat fernerhin um Vermittlung gebeten, um nach London zurückkehren zu können. Seine Verbannung begründete er damit, dass er die dort lebenden Mennoniten nicht wegen ihrer Menschwerdungslehre habe verdammen wollen.77 Der Emder Kirchenrat kam seiner Bitte nach und verfasste ein Schreiben an die Londoner Gemeinde, das jedoch von Bischof Grindal dahingehend beantwortet wurde, dass der Prediger zu Recht verbannt worden sei. Van Haemstede war um seine Versöhnung mit der Londoner Gemeinde sehr bemüht und inzwischen selbst wieder nach London gereist, wurde aber wenig später erneut des Landes verwiesen.78 Im September des gleichen Jahres bat er die Emder Gemeinde noch einmal um Vermittlung. Die Verantwortlichen aber lehnten dieses Ansinnen ab, da sie sich nicht in den Streit einmischen wollten, um so in letzter Konsequenz auch eine Spaltung der Emder Gemeinde zu vermeiden. Van Haemstede wurde aber zugestanden, sein Anliegen einer Universität zur Entscheidung vorzulegen, zumal ausgewiesene Gelehrte sicherlich eine kompetentere Antwort zu 74 Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 127. Schon im Januar hatte seine „husfrowe“ Zuwendungen aus den Mitteln der Fremdlingen-Armen-Diakonie bekommen. Es ist nicht wirklich klar, ob es sich bei der Person um die Ehefrau von Adriaen van Haemstede handelt, oder aber um seine Haushälterin, die er, nachdem sie sich dem reformatorischen Glauben zugewandt hatte, nach Emden brachte, um zu verhindern, dass sie durch eine allzu große Offenheit Glaubensgenossen in Gefahr bringen konnte. Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 124. 75 Der Emder Kirchenrat beschließt, van Haemstede in seiner Not zu unterstützen, ist sich aber noch nicht klar, mit welchen Mitteln dies geschehen soll. Hätte er als Migrant in Oldersum gelebt, wären dafür nur Mittel der Fremdlingen-Armen-Diakonie in Frage gekommen. Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12). 76 Er war sehr genau über die Situation der Londoner Fremdenkirche unterrichtet, zumal seine Schwester von dort zurückgekehrt war und ihn informiert hatte. Vgl. Arch. JALB, Nellner 320 A, Nr. 50. 77 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 193. 78 Vgl. a. a. O., 202–203.
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geben imstande seien.79 In der Zeit danach verliert sich seine Spur. 1562 soll er in Friesland verstorben sein.80 Wie bereits angeklungen ist, werden die vielen brennenden Scheiterhaufen in Flandern und die an den Verurteilten verübten Grausamkeiten einen tiefen Eindruck bei Adriaen van Haemstede hinterlassen haben. Schon aufgrund ihres Glaubensmutes bewunderte er die dort hingerichteten Täufer, auch wenn er bestimmte Aspekte ihrer Lehre offensichtlich als Irrtum abtat. Dennoch begegnete er ihnen mit Verständnis und verteidigte sie gegenüber ihren Verfolgern. Letztendlich habe auch Luther geirrt, so van Haemstede, und man habe ihn dennoch nicht in die Hände der Henker gewünscht. Immerhin beriefen sich die Täufer auf Aussagen in der Heiligen Schrift, setzten sie als Quelle der Offenbarung absolut und erwiesen sich dadurch als Brüder im Geiste. Schon um der Gewissensfreiheit willen wollte er sie nicht der drohenden Gefahr ausgesetzt sehen, dass man sie im Zweifelsfall in das Land der Plakate und Scheiterhaufen zurückschickte.81 Diese liberale Haltung und die den Mennoniten entgegen gebrachte Empathie stehen in einer gewissen Spannung zu der Diktion seines Märtyrerbuches. Auke Jelsma hat dies durchaus erkannt und versuchte sie durch die Verschiedenartigkeit der täuferischen Gruppierungen in Antwerpen und London zu erklären.82 Doch wie bereits dargelegt, hat Adriaen van Haemstede die Täufer auch aus seiner Antwerpener Perspektive keineswegs nur negativ gesehen, sodass dadurch noch einmal besonders deutlich wird, dass sein Märtyrerbuch eine redaktionelle Bearbeitung erfahren haben muss. Van Haemstedes milde Haltung den Anabaptisten gegenüber führte sogar dazu, dass viele Auflagen der Historie der Martelaren nicht mehr unter seinem Namen, der in reformierten Kreisen dadurch anrüchig geworden war,83 veröffentlicht wurden. Der Bericht über Anthonius Verdikt, mit dem er seine liberale Haltung deutlich zu erkennen gegeben hatte, wurde zu einem späteren Zeitpunkt bearbeitet und gekürzt.
2. Het Offer des Heeren Zwei bis drei Jahre nach dem Erscheinen der Historie der Martelaren wurde ein weiteres Märtyrerbuch im „niederländischen“ Sprachbereich publiziert, das nun aber die Blutzeugen aus dem täuferischen Kontext thematisierte. Es trägt den bereits genannten Titel Het Offer des Heeren und wurde 1563 um eine Sammlung von Liedern ergänzt. Über den Autor bzw. den Herausgeber Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 152. Vgl. Moens, marriage (wie Anm. 7), 208. 81 Vgl. Jelsma, Haemstede (wie Anm. 8), 166. 82 Vgl. a. a. O., 127, 129. 83 Vgl. Pijper, Martelaarsboeken (wie Anm. 45), 70 f. 79
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ist zunächst weiter nichts bekannt. Auch was die näheren Umstände der Entstehung anbelangt, gibt es keine konkreten Hinweise. Dennoch spricht vieles dafür, dass der erste Druck auf eine Initiative in Emden zurückzuführen ist. Schon die zeitliche Nähe zur Entstehung der Historie der Martelaren legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Reaktion auf das 1559 erschienene Buch handelt. Nicht zuletzt mag aber mit dem Erscheinen des kleinen Buches auch das Bemühen verbunden gewesen sein, Verständnis für die friedlichen, aber dennoch hartnäckig verfolgten Mennoniten zu wecken, um damit zugleich einen Appell an die Obrigkeit zu richten und auf diese Weise für Toleranz und Duldung zu werben. Letzteres hatte Adriaen van Haemstede veranlasst, sein Vorwort in der Historie der Martelaren an die Obrigkeit in Antwerpen zu adressieren. Dass ein solcher Fingerzeig durchaus Menschen erreichte und Veränderungen herbeiführen konnte, hatte sich wenige Jahre zuvor andernorts gezeigt. Auf dem Gut Fresenburg84 nämlich hatte Graf Bartholomäus von Ahlefeld Menno Simons und seinen Anhängern Schutz vor Verfolgung und ein neues Zuhause geboten. Der Graf hatte seine Jugend in den Niederlanden verbracht und das Martyrium vieler Menschen hautnah erlebt. Geradezu traumatisiert von diesen Eindrücken öffnete er später sein Gut für diejenigen, die in Gefahr standen, verfolgt, gequält und getötet zu werden.85 Zu diesem Schritt hatte ihn kein Gespräch über theologische Sachverhalte geführt, sondern einzig und allein die brutale Realität der Verfolgung und sein Mitgefühl für die leidenden Mitchristen. Mit Graf von Ahlefeld kam es für die Täufer zum ersten Mal zu einer positiven Begegnung mit der Obrigkeit, die am Ende auch Einfluss auf die Theologie Menno Simons nehmen sollte. Rein kommerzielle Gründe für eine Drucklegung dagegen könnten die Druckereien gehabt haben. Emden spielte seit Mitte der 1550er Jahre eine bedeutende Rolle bei der Produktion protestantischer Literatur für den niederländischen Markt. Es gab eine deutliche Konkurrenzsituation zwischen den hier arbeitenden Druckern. 2.1. Die Emder Buchdrucker Jean und Willem Gailliard Neben der bereits erwähnten und eher calvinistisch ausgerichteten Druckerei von Gillis van der Erven, einem ehemaligen Mitarbeiter und Kompagnon von Fresenburg taucht auf einer Karte bei Pettegree nahe der niederländischen Grenze auf, vermutlich um auch diesen Ort mit zu verzeichnen. Fresenburg liegt aber unweit von Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein. Vgl. Andrew Pettegree / Malcolm Walsby (Hg.), Netherlandish books, books published in the Low Countries and Dutch books printed abroad before 1601, Leiden 2011, XXIII. 85 Vgl. Ernst Goverts, Das adelige Gut Fresenburg und die Mennoniten, in: Zeitschrift der Zentralstelle für Nds. Familiengeschichte 7 (1925), 41–103, hier: 78; Karel Vos, Menno Simons 1496–1561. Zijn leven en werken en zijne reformatorische denkbeelden, Leiden 1914, 161–166; Christian Neff, Art. Menno Simons, in: MennLex 3 (1958), 87. 84
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Niclaes van den Berghe, gab es in Emden eine zweite Werkstatt, die auf die Gründung des Antwerpener Druckers Steven Mierdman zurückging. Dieser hatte in Emden schon bald mit dem aus Brügge stammenden Übersetzer und Herausgeber Jean Gailliard zusammengearbeitet. Letzterer hatte mit seinem Sohn Willem kurz nach seiner Ankunft die Übersetzung eines Neues Testamentes herausgegeben, das erstmals 1554 in Lübeck oder Umgebung unter dem pseudonymen Druckernamen Matthias Jacobszoon erschienen und in erster Linie für den Gebrauch in Täufer- bzw. Mennonitengemeinden gedacht war.86 Der Bedarf an volkssprachigen Bibelübersetzungen war sehr groß und die Druckerei Mierdman-Gailliard schaffte es relativ schnell, gut lesbare Übersetzungen herauszugeben, die sich zu Verkaufsschlagern entwickelten. 1556 erschien die von Jean Gailliard bearbeitete und übersetzte Bibel mit dem Titel Den Bijbel in duyts. Er hatte zwar die Lutherbibel von dem Antwerpener Drucker Liesveldt als Grundlage genommen, sich bei der Bearbeitung aber deutlich an der Zürcher Übersetzung orientiert. Offensichtlich war sie für reformierte Käuferkreise gedacht. Ein weiteres Bibelprojekt wurde 1558 verwirklicht, indem die mittelniederdeutsche Lotterbibel aus Magdeburg ins Niederländische übertragen wurde, um damit in erster Linie lutherische und auch mennonitische Bibelleser zu bedienen. Auch das Jacobszoon Testament erfuhr eine Neuauflage. Die beiden zuletzt genannten Bibeln erschienen zeitgleich auch unter dem Druckernamen Niclaes Biestkens. Lange Zeit war in der Forschung die Meinung vorherrschend, dass es sich dabei um ein Pseudonym des Druckers Gailliard handelte.87 Aufgrund typografischer Untersuchungen fand Paul Valkema Blouw heraus, dass ein Claes Biestkens in Groessen im Herzogtum Kleve diese Bücher gedruckt hatte. Seine Werkstatt ging aber bereits 1562 in den Besitz von Willem Gailliard in Emden über, wo die in Groessen verwendeten Drucklettern wieder zum Einsatz kamen. Biestkens wird kaum „Raubkopien“ hergestellt haben, um dann seine Druckerei ausgerechnet an den Mann zu verkaufen, den er zuvor geschädigt hatte. Wahrscheinlicher als diese These Andrew Pettegrees ist, dass Niclaes Biestkens in der Zeit von 1560 bis 1562 an einem anderen Ort, nämlich in Groessen, eine Druckwerkstatt für Gailliard betrieb.88 1562 wagte Gailliard in Emden auch den Druck eines für Mennoniten sehr wichtigen Werkes. Er legte 86 Vgl. Hendrik Frederik Wijnman, Grepen uit de geschiedenis van de Nederlandse Emigrantendrukkerijen te Emden. De raadselachtige bijbeldrukkers Nicolaes Biestkens van Diest en Lenaert der Kinderen, in: Het Boek 3,37 (1965/6), 126; Tielke, Rätsel (wie Anm. 38), 56; Valkema Blouw, Typographia (wie Anm. 68), Bd. I, 412, Nr. 3651.. 87 Vgl. Valkema Blouw, Typographia (wie Anm. 68), Bd. I, 66, Nr. 557; Wijnman, Grepen (wie Anm. 85), 149. 88 Die Erklärung von Andrew Pettegree dafür ist, dass Biestkens ebenso wie Leenaert der Kinderen Raubkopien außerhalb Emdens herstellte, dann aber seinen Betrieb an Gailliard verkaufte. Leenaert der Kinderen war bis 1565 Mitarbeiter in der Emder Druckerei. Vgl. Pettegree, Emden (wie Anm. 60), 97–99. Für seine These beruft Pettegree sich auf die typografischen Untersuchungen von Valkema Blouw. Vgl. Valkema Blouw, Typographia (wie Anm. 68), Bd. I, 413, Nr. 3655.
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nämlich das sogenannte Fundamentboek, das Hauptwerk des ein Jahr zuvor in Wüstenfelde verstorbenen Menno Simons neu auf, das am 19. August 1562 in Emden erschien.89 Offensichtlich produzierte Gailliard zu diesem Zeitpunkt vermehrt Bücher für den täuferischen Bereich, nicht zuletzt weil Gillis van der Erven im reformierten Bereich wesentlich besser vernetzt war. Wenig später hatte Gailliard sich vor dem reformierten Kirchenrat zu verantworten, weil er verdächtigt wurde, Mennonit zu sein. Dies wies er jedoch weit von sich90 und in der Tat ist Gailliard eher dem damals noch gegenwärtigen libertinistisch gesinnten Flügel der Emder Gemeinde zuzurechnen. Die Tatsache aber, dass er Bücher für Mennoniten in und außerhalb Ostfrieslands druckte, war nicht verborgen geblieben. Wenig später wurde unter dem Namen Leenaert der Kinderen die sogenannte Biestkens-Bibel erneut herausgegeben, jedoch in einer veränderten Gestalt. Für den Druck wurden außergewöhnliche Lettern eingesetzt, die sonst nur in Flandern für die Werke von antiken Autoren Verwendung fanden und die als „cursief brevier“ bezeichnet wurden, weil man den Druckort damit zu verschleiern suchte.91 Erstmals taucht hier auch die für Gailliard später so typische Druckermarke mit der Umschrift „Wie eine Lilie unter Dornen auf“ – ein Zitat aus Hohelied 2,2. Sie hatte einen durchaus biografischen Bezug, jedoch nicht zu Leenaert der Kinderen, sondern zu Willem Gailliard persönlich. Bereits 1558 hatte nämlich ein Mitarbeiter seines Konkurrenten, Gillis van der Erven, versucht, ihn beim Emder Kirchenrat anzuschwärzen, um den Druck der Biestkens-Bibel von 1558 zu verhindern. Üble Nachrede und selbst unautorisierte Nachdrucke seiner Bücher gehörten zu den Mitteln, die eingesetzt wurden, um den bis dahin erfolgreicheren Willem Gailliard zu schädigen. Als dieser dann 1563 von der Westerbutfenne in die Lilienstraße zog und unmittelbarer Nachbar seines schärfsten Konkurrenten wurde, dessentwegen er vermutlich seine Produktion von mennonitischer Literatur schließlich wieder auslagern musste, legte er sich eben diese Druckermarke zu, die durch ihre Umschrift sicher ein wenig von seinem damaligen Lebensgefühl offenbart. Dass Gailliard tatsächlich, nachdem der reformierte Kirchenrat in Emden Kenntnis von der täuferischen Literatur aus seiner Presse erlangte, die Produktion erneut auslagerte, so wie er sie von 1560 bis 1562 schon einmal nach Groessen verlegt hatte, ist sehr naheliegend. Leenaert der Kinderen hatte vorher schon im Auftrag von Christopher Plantin protestantische Bibeln in Kampen gedruckt und wurde dann für Gailliard tätig. Er war dabei stets Mitarbeiter eines Buchdruckers und arbeitete nie selbstständig, auch wenn sein Name als der eines Druckers auf Titelseiten Erwähnung findet.92 Vgl. a. a. O., 222; Irvin B. Horst, A Bibliographie of Menno Simons, Nieuwkoop 1962, 59. 90 Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 153 f. 91 Vgl. Wijnman, Grepen (wie Anm. 85), 141. 92 Vgl. Klaas-Dieter Voss: „Wie eine Lilie unter Dornen …“ – theologische, historische und genealogische Aspekte von Wanderbewegungen flandrischer Buchdruckerfami89
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Im Grunde genommen fungierte sein Name nur als Pseudonym für die Drucker, in deren Auftrag er arbeitete. Der Kinderen kehrte mit der von ihm betriebenen Werkstatt 1563 nach Emden zurück und setzte seine Arbeit bei Gailliard als Drucksetzer fort. Die Drucklettern „cursief brevier“ wurden fortan nicht mehr eingesetzt. 1566 verkaufte Jean Gailliard sie an den Antwerpener Drucker Christopher Plantin – Vorgänge, die sich ausnahmsweise auch heute noch belegen lassen.93 Mit dem Namen Niclaes Biestkens bringt Paul Valkema Blouw auch die Erstauflage des täuferischen Märtyrerbuches Het Offer des Heeren von 1561 in Verbindung. Bei diesem Druck kann er aber kaum mit einem typografischen Nachweis aufwarten, da kein einziges Exemplar auf unsere Tage gekommen ist. In seiner Typographia Batavia verzeichnet er nichtsdestotrotz die erste Auflage von Het Offer des Heeren als ein Buch aus der Druckerei von Niclaes Biestkens in Groessen94 und beruft sich dabei auf einen Hinweis, den er in einem Verzeichnis des 18. Jahrhunderts in der Doopsgezinden Bibliothek in Amsterdam aufspürte.95 Die Existenz eines älteren Drucks vor 1562/63, führt er weiter aus, werde außerdem bestätigt durch die Aussage eines Zeitzeugen des 16. Jahrhunderts, der berichtet habe, dass ein Exemplar von Het Offer des Heeren bereits vor April 1562 in Utrecht zum Verkauf angeboten worden sei.96 Dies könnte in Zusammenhang mit den vorangestellten Überlegungen bedeuten, dass Willem Gailliard im Grunde genommen der erste Drucker war, der das täuferische Märtyrerbuch herausgegeben hat. Schon um die vorletzte Jahrhundertwende wurden viele Auflagen dieser Ausgabe mit Gailliard in Verbindung gebracht, so auch die älteste noch erhaltene von 1562/63. Der Buchhistoriker Wijnman hat in Jean Gailliard noch in den 1560er Jahren den Bearbeiter und Herausgeber von Het Offer des Heeren gesehen. Er argumentierte, dass die in diesem frühen täuferischen Märtyrerbuch vorkommenden Bibelzitate allesamt dem Wortlaut des Jacobszoon Testamentes entnommen seien.97 Dies ist aber nicht mehr als ein Indiz. Die einfachen Drucklettern, aber auch die Zierlettern wurden von Ernst Willem Moes mit den von Biestkens verwendeten Drucklettern identifiziert.98 Samuel Cramer lobte die hohe sprachliche und drucktechnische Qualität der lien im 16. Jahrhundert, in: ders., … doch die Welt nicht Heimat mir? Beiträge zu sechs Jahrhunderten Migrationsgeschichte in Ostfriesland und den benachbarten Niederlanden, Norden 2013, 9–50, hier: 28. 93 Vgl. Wijnman, Grepen (wie Anm. 85), 144. 94 Vgl. Valkema Blouw, Typographia (wie Anm. 68), Bd. I, 430, Nr. 3805; Pettegree, Emden (wie Anm. 60), 97. 95 Vgl. Ernst Wilhelm Moes, De Amsterdamsche boekdrukkers en uitgevers in de zestiende eeuw, Amsterdam 1903, 5. 96 Vgl. Samuel Cramer, Het Offer des Heeren naar de uitgaaf van 1570. Inleiding, in: BRN 2 (1904), 1–486, hier: 4 f. 97 Vgl. Wijnman, Grepen (wie Anm. 85), 151. 98 Vgl. Moes, Boekdrukkers (wie Anm. 95), 9.
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Ausgabe von 1562,99 was wiederum auf Gailliard verweisen könnte, ebenso wie die im Liedbuch angegebene Melodie von „Nun frewt euch lieben Christen gmeyn“, die später durch eine andere eines in den Niederlanden volksnahen Liedes ersetzt wurde.100 Die älteste noch erhaltene Ausgabe von 1562/63 wird heute mit der Druckerei von einem Jan Hendricksz. in Franeker in Verbindung gebracht,101 der ebenso wie der in Groessen tätige Claes Biestkens Raubkopien der Bücher Gailliards hergestellt haben soll.102 Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob in diesem Fall die typografischen Beobachtungen wirklich zur Klärung und damit zu einer eindeutigen Lösung beitragen können? Dieser Lösungsansatz hat in der Vergangenheit sicherlich viele eindeutige Zuweisungen bei anderen niederländischen Druckern ermöglicht, so auch bei Gillis van der Erven, der seine Buchprojekte in der von der reformierten Gemeinde geprägten Stadt ungehindert umsetzen konnte. Die Situation aber für jemanden wie Willem Gailliard, der verbotenes Schriftgut produzierte, das in Gefahr stand, beschlagnahmt zu werden, war eine gänzlich andere. Vermutlich brachte er die unterschiedlichsten Drucklettern an verschiedenen Orten zum Einsatz, um so bewusst falsche Fährten zu legen, wie das zumindest am Beispiel mit der Druckletter „cursief brevier“ deutlich geworden ist. Doch selbst wenn am Ende Jean Gailliard, der viele reformatorische Werke aus dem reformierten aber auch dem täuferischen Kontext ins Niederländische übersetzte, tatsächlich auch Het Offer des Heeren für den Druck vorbereitet hat, bleibt am Ende die Frage nach der Identität desjenigen, der die Sammlung zusammengetragen hat. Dieser ist kaum greif bar. Es gibt nämlich einen wesentlichen Unterschied zu der Historie der Martelaren, was die Art und Weise der Darstellung anbelangt. Während in van Haemstedes Märtyrerbuch die Einzelschicksale in Form von neu verfassten Berichten wiedergegeben werden, finden sich in Het Offer des Heeren überwiegend Zeugnisse der Märtyrer selbst in Form von Briefen, Testamenten, Verhören, Streitgesprächen und Glaubensbekenntnissen, die wörtlich zitiert werden. Über die persönlichen Umstände der Märtyrer wird nur wenig verraten. Dagegen rücken die wesentlichen Glaubensinhalte in den Vordergrund. Die Abstammung, die Herkunft, die Vorgeschichte spielen eine deutlich untergeordnete Rolle. Als möglichen Grund führt Frederik Pijper an, dass Persönliches bewusst ausgeblendet worden sei, um zu verhindern, dass in der Verfolgungssituation Dritte in Gefahr gebracht wurden. Die Aufmerksamkeit sei daher bewusst auf die inhaltlichen Aspekte gelenkt Vgl. Cramer, Offer (wie Anm. 96), 9. Vgl. a. a. O., 39. 101 Vgl. Pettegree, Books (wie Anm. 84), 1008, Nr. 23083; Valkema Blouw, Typographia (wie Anm. 68), Bd. I, 413, Nr. 3657. 102 Vgl. a. a. O., 66, Nr. 557. 99
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worden.103 Die Kunst der Darstellung bestehe hier nicht in der prosaischen Ausführung, sondern in der Reduktion auf das Wesentliche. Die Auswahl der Zeugnisse sei nicht zufällig, diese ergänzten sich vielmehr und bildeten zusammen ein organisches Ganzes.104 In der Tat werden anhand der dargestellten Handlungen die theologischen Grundprinzipien des mennonitischen Täufertums dargelegt und dem außenstehenden Leser vielleicht dadurch erst bekannt gemacht. Für den mennonitischen Leser selbst mögen die Ausführungen auch erbaulichen Charakter gehabt haben. Ähnlich wie schon im Märtyrerbuch von Adriaen van Haemstede werden die Blutzeugen als in der Nachfolge Christi stehend beurteilt, denn „Alle die Godtsalich willen leuen in Christo Jesu, die moeten vervolginge lyden“.105 Die Verfolgung gehört zum Christsein und darum bedarf es eines Zuspruchs an all diejenigen, die das Kreuz Christi auf sich nehmen. Das Buch ist zum Trost und zur Stärkung der Schlachtlämmer Christi gedacht, die dem Tode geweiht sind, wie es auf dem Titelblatt heißt. Durch die Auswahl der Zeugnisse, die jeweils für sich eine Aussage machen, gelingt es dem Bearbeiter, eine Botschaft zu vermitteln, die nicht explizit zur Darstellung gebracht wird, aber unüberhörbar zwischen den Zeilen mitschwingt. Es ist ein Appell, nicht am Martertod von Mitchristen schuldig zu werden, die sich durch das Kreuz, das sie auf sich zu nehmen bereit sind, als wahre Jünger Christi ausweisen. Sicherlich wird diese Sicht ihre Wirkung nicht verfehlt haben. Es ist sicher kein Zufall, wenn etwas später der Prediger der französisch-reformierten Gemeinde Emdens, Adrian Gorin, formulieren kann, dass die Mennoniten für den wahren Glauben stürben.106 Die Botschaft des Autors war und ist deutlich, seine Identität hat er nicht preisgeben wollen. Dennoch stellt sich die Frage, ob er nicht trotzdem Spuren hinterlassen hat. Die älteste noch bekannte Version der Ausgabe von 1562 umfasst 288 Blätter, auf denen Berichte über das Schicksal von 22 Märtyrern zu finden sind. Angehängt wurde eine 72 Blätter umfassende Sammlung von Märtyrerliedern mit dem Titel Een Liedtboecxken tracterende van den Offer des Heeren, die erst 1563 ergänzt wurde. Der überwiegende Teil der genannten Märtyrer stammt aus dem Bereich der südlichen Niederlande.107 Von den 22 genannten Märtyrern des 16. Jahrhunderts in Het Offer des Heeren wurden immerhin Vgl. Pijper, Martelaarsboeken (wie Anm. 45), 83 f. Vgl. a. a. O., 86. 105 Titelseite von „Het Offer des Heeren“. 106 Vgl. Schilling, Kirchenratsprotokolle (wie Anm. 12), 230. 107 In „Het Offer des Heeren“ erwähnte Orte: Rotenburg (1×), Gent (5×), Antwerpen (7×), Leiden (1×), Kortrijk (1×), Waesten (1×), Haarlem (1×), Amsterdam (1×), Rotterdam (1×), Leeuwarden (3×); im „Liedtboecxken“: Gent (22×), Antwerpen (86×), Ypern (2×), Leiden (9×), Vueren (1×), Haarlem (1×), Lier (4×), Delden (2×), Geervliet (1×), Leeuwarden (2×) und Vreden (1×). Vgl. Pijper, Martelaarsboeken (wie Anm. 45), 77 f. 103
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sieben in Antwerpen und fünf in Gent hingerichtet sowie von den insgesamt 131 genannten Märtyrern im Liedtboecxken 86 in Antwerpen, 22 in Gent und zwei in Ypern. D. h. dass in Het Offer des Heeren rund 54 % sowie im Liedt boecxken 84 % der genannten Personen in Flandern ihr Martyrium erlitten haben, wobei der Anteil gerade in Antwerpen sehr hoch ist. Dies könnte auf die geografische Herkunft desjenigen hindeuten, der diese Sammlung zusammengetragen hat. Und zum anderen wird beim genaueren Hinsehen noch etwas anderes an der Art seiner Darstellung deutlich; der Autor bzw. Sammler kann sich nicht selbst zu der von ihm beschriebenen Gruppe rechnen. Die Tatsache, dass er die eigene Identität völlig ausblendet, will nicht so recht zu der Aussage dieses Märtyrerbuches passen. Er gehört offensichtlich nicht zu den öffentlichen Bekennern, die ihr Kreuz damit auf sich nehmen. Er hält sich bedeckt und macht sich mehr zum Anwalt der Verfolgten, die dem Tode geweiht sind, und gibt all jenen eine Stimme, denen man die Zunge herausschnitt oder sie mit einer Mundschraube fixierte. Der Drucker versucht anonym zu bleiben, der Bearbeiter tut es ihm gleich und agiert mit größter Vorsicht. Dieses Tun erinnert ein wenig an Adriaen van Haemstede und an das, was er dem Emder Kirchenrat 1557 über seine Situation in Antwerpen mitteilte. Ihm fehlte der Bekennermut, nicht zuletzt aus Angst, Dritte dadurch in Gefahr zu bringen. Er fürchtete die Folgen des eigenen Handelns und hatte Angst zu versagen, weil er sich nicht stark genug fühlte, im Angesicht des Todes zu bestehen. Van Haemstede hatte am eigenen Leibe erfahren, dass die Mechanismen der Verfolgung auch im protestantischen Umfeld greifen. Könnte es ihm nicht ein Bedürfnis gewesen sein, gerade aufgrund der eigenen Erfahrungen, endlich auch über das Schicksal der in seiner Heimat in so großer Zahl gefolterten und hingerichteten Täufer zu informieren, um aufzuzeigen, wie die Alternative zu einer Duldung aussieht? Der zeitliche Rahmen zumindest würde dafür sprechen und auch die Annahme, dass die erste Ausgabe von Het Offer des Heeren mit großer Wahrscheinlichkeit in der Druckerei von Willem Gailliard in Emden entstanden ist.
„Great Persecutions and Horrible Troubles“ John Foxe, The Book of Martyrs und die englische Reformation Gabriele Müller-Oberhäuser Einleitung Im Tagebuch der zum niederen Adel zu zählenden Lady Margaret Hoby (geb. 1571) lesen wir in einem Eintrag vom 28. September 1599 im Rückblick auf den vergangenen Tag: „and after that I hard one of the men read of the book of Marters, and so went to bed“.1 Ein Blick auf weitere Tagebucheinträge zu den folgenden Tagen zeigt, dass dies keineswegs eine einmalige Lektüre war, sondern insbesondere (wenn auch nicht ausschließlich) für die Abendstunden ein typisches, fast ritualisiertes Leseverhalten, sei es im Rahmen eines gemeinschaftlichen – und damit lauten – (Vor-)Lesens, sei es in Form des einsamen, stillen Lesens wie am 24. Oktober 1599, als Lady Hoby schreibt: „and then I read of the book of marters and so went to bed“.2 Vergleichbares finden wir in protestantischen Haushalten auch in der Folgezeit bis ins 19. Jahrhundert. Aus Sicht der historischen Leserforschung zeigt sich somit eine weitreichende Rezeption der in elisabethanischer Zeit verfassten Acts and Monuments von John Foxe, besser bekannt als Book of Martyrs. Diese ausgeprägte Sekundärrezeption lässt sich an einer Vielfalt von Leseerinnerungen und Leseerfahrungen mit zum Teil detaillierteren Aussagen als die eher lapidaren der Lady Hoby in Ego-Dokumenten, also in Autobiografien, Tagebüchern und Briefen, nachweisen. In ihnen wird neben der reinen Titelnennung und Kennzeichnung der Lesesituation häufig auch die große emotionale Wirkung dieses Werks auf die Leser betont. Nicht nur Erwachsene wie Lady Hoby hatten diese Lektüre fest in ihr Leben integriert, sondern gerade auch Kindern wurde schon früh im Rahmen ihrer allgemein literarischen wie auch ihrer spezifisch religiösen Sozialisation der Zugang zu diesem Text ermöglicht, nicht zuletzt an Sonntagen als abendliche Lektüre, die von vielen Kindern und Jugendlichen häufig als etwas Besonderes bewertet wurde. So heißt es in der Autobiografie der zur Londoner Mittelschicht zählenden und lesebegeisterten Mary Vivian Hughes 1 Sofern nicht anders gekennzeichnet, sind die hier zitierten Leseerinnerungen in der allgemein zugänglichen Datenbank The Reading Experience Database 1450–1945 (RED) www.open.ac.uk/Arts/RED unter dem Suchbegriff John Foxe, Book of Martyrs, zu finden; hier RED Record Number 24191 (19.08.2015). 2 RED (wie Anm. 1) Record Number 24218, s. auch 24192, 24200, 24205 (19.08.2015).
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(geb. 1866) im Rückblick auf ihre Kindheit im London der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts: „Foxe’s Book of Martyrs was another feast for us.“3 Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die Wirkung dieses Märtyrerbuches mit Blick auf die oft drastischen Schilderungen von Folterungen und Hinrichtungen, wie sie zum Beispiel in einem Brief aus dem Jahr 1806 von der Autorin Dorothy Wordsworth (geb. 1771) als „most affecting and impressive“4 beschrieben werden, nicht nur auf die textliche Ebene bezieht, sondern es gerade mit Blick auf junge Leser nicht zuletzt die zahlreichen Illustrationen mit ihren Darstellungen der von den Märtyrern erlittenen physischen Gewalt waren, die diese Erinnerungen in besonderem Maße geprägt haben. Dies bringt im Rückblick auf ihre Kindheit und Jugend im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Autorin von Mädchenbüchern, Angela Brazil (geb. 1868), zum Ausdruck: „it [Foxe’s Book of Martyrs] contained highly coloured illustrations of the martyrs undergoing nearly every kind of torture […] Oh! The terror of that awful volume!“5 Eine solche Foxe-Rezeption lässt sich auch in den unteren Gesellschaftsschichten nachweisen, wie es an der Autobiografie des Korbmachers Thomas Okey (geb. 1852) aus dem Jahr 1930 deutlich wird. Okey bedauert im Rückblick, dass er als Kind nur wenige Bücher zur Verfügung hatte, nämlich lediglich eine Bibel mit Apokryphen sowie ein altes Exemplar des Book of Martyrs, beides Bücher, die sonntags am Abend nicht zuletzt wegen ihrer Illustrationen für die Kinder hervorgeholt wurden, „to amuse the child with pictures, for both were illustrated“.6 Im Folgenden soll es darum gehen aufzuzeigen, wie dieses Book of Martyrs, dessen Bedeutung und Langzeitwirkung im Lesealltag breiter Schichten der englischen Gesellschaft einleitend leserhistorisch auf der Ebene von individuellen Leseerfahrungen festgemacht wurde, diese wichtige Rolle im religiösen (und im damit seit der Reformation untrennbar verbundenen) nationalen Selbstverständnis Englands gewonnen hat,7 und wie es neben der englischen Bibel und dem Book of Common Prayer zur dritten Säule in der Entwicklung einer spezifisch englischen Reformation werden konnte. Nach einer Skizze der englischen Reformation im 16. Jahrhundert als Rahmen für einige ausgewählte Aspekte der Biografie von John Foxe und seiner Werke (1) sollen die Acts and Monuments nicht nur unter textlichen Aspekten, sondern in buchhistorischer Perspektive auch mit Blick auf die Materialität des Buches im Kontext der Zusammenarbeit mit dem Drucker-Verleger John Day im Mittelpunkt stehen (2). Mary Vivian Hughes, A London Family 1870–1890, London 1946, 123 und RED (wie Anm. 1) Record Number 915 (21.06.2014). 4 RED (wie Anm. 1) Record Number 1209 (19.08.2015). 5 Angela Brazil, My Own Schooldays, London [1925], 164 und RED (wie Anm. 1) Record Number 4749 (19.08.2015). 6 RED (wie Anm. 1) Record Number 12090 (19.08.2015). 7 Richard Helgerson, Forms of Nationhood. The Elizabethan Writing of England, Chicago u. a. 1992, bes. 247–274; zur älteren Forschungsdiskussion vgl. William Haller, Foxe’s Book of Martyrs and the Elect Nation, London 1963. 3
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Vor diesem Hintergrund wird der Kernbereich der Protestantenverfolgung in The Book of Martyrs unter Maria I. (1553–1558) als Beispiel für die Vermittlung der Märtyrerproblematik durch Foxe mit Blick auf die Frage nach den Formen der Gewalt näher betrachtet werden (3). Den Abschluss wird eine kurze Skizze der Primärrezeption sowie der über das 16. Jahrhundert hinausgehenden Rezeptions- und Publikationsgeschichte des Werks bilden (4).
1. John Foxe im Kontext der englischen Reformation Die Besonderheit der Reformation in England im europäischen Vergleich liegt zum einen in ihrem Ursprung, dass sie nämlich direkt vom Monarchen, von Heinrich VIII. (reg. 1509–1547) und seiner Lösung von Rom in den dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts in Verbindung mit der Entwicklung einer Staatskirche ausgeht,8 zum anderen in der wechselhaften Geschichte der Reforma tion im 16. Jahrhundert in England unter vier Tudorherrschern mit unterschiedlichen religiös-politischen Vorstellungen. Ausgelöst vom Nachfolgeproblem angesichts eines fehlenden männlichen Thronerbens versucht Heinrich VIII. seit dem Ende der zwanziger Jahre die Annullierung seiner Ehe mit Katharina von Aragon (1485–1536) zu erreichen, um Anne Boleyn (ca. 1500–1536) zu heiraten. Als alle Versuche scheitern, löst er sich von Rom und erklärt sich mit der Suprematsakte im Jahre 1534 zum Oberhaupt der englischen Kirche. Seine Regierungszeit ist seit 1509 von unterschiedlichen Phasen seiner Religionspolitik gekennzeichnet, zunächst von einer frühen (vor-reformatorischen) Phase mit einer sehr negativen Reaktion auf Luther 9 und den Beginn der Reformation auf dem Kontinent, dann nach 1534 mit einigen ersten Ansätzen zu Reformen, die aber mit den Six Articles ab 1539 wieder weitgehend zurückgenommen werden. So gilt zum Beispiel nach wie vor das traditionelle römisch-katholische Eucharistieverständnis und der Zölibat als Norm. Abweichungen stehen unter Strafandrohung und Ketzerverbrennungen wie die der Protestantin Anne Askew (1521–1546) im Juli 1546 lösen nicht nur in England, sondern auch auf dem Kontinent Empörung aus, so unter anderem bei dem englischen Geistlichen und Dramatiker John Bale (1495–1563), der Anne Askews im Gefängnis verfasste Berichte im Exil auf dem Kontinent 1546 und 1547 herausgibt.10 George W. Bernard, The King’s Reformation. Henry VIII and the Remaking of the English Church, New Haven u. a. 2005; zur älteren Forschung vgl. z. B. Arthur G. Dickens, The English Reformation, New York 1964, 109–196. 9 Pierre Fraenkel (Hg.), Heinrich VIII, Assertio Septem Sacramentorum Adversus Martinum Lutherum, London: R. Pynson, 1521 (STC 13078 und 13079); zur öffentlichen Bücherverbrennung Carl S. Meyer, Henry VIII Burns Luther’s Books, 12 May 1521, in: Journal of Ecclesiastical History 9 (1958), 173–187. 10 Anne Askew, The First Examinacyon, [Marpurg] Wesel 1546 (STC 848); dies., The Lattre Examinacyon, [Marpurg] Wesel 1547 (STC 850). 8
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Der Beginn der Reformation in England wird erst mit Heinrichs Sohn Eduard VI. (reg. 1547–1553) aus seiner dritten Ehe mit Jane Seymour (1508/9–1537) angesetzt.11 Dieser kommt zwar mit neun Jahren noch minderjährig auf den Thron, aber durch seinen Privy Council und seinen Onkel, den Lord Protector Edward Seymour (ca. 1500–1552), vor allem jedoch durch Erzbischof Thomas Cranmer (1489–1556), nimmt er bis 1553 wesentliche Reformen vor, die nicht zuletzt durch Cranmer angesichts der Gewährung von Exil für verfolgte Reformatoren vom Kontinent und seiner Kontakte mit kontinentalen Strömungen auch eine europäisch beeinflusste Gestaltung der Reformation in England erkennen lassen.12 Zu den Reformen zählt in erster Linie eine neu gestaltete Liturgie mit den beiden Ausgaben des Book of Common Prayer (1549/1552). Die alten Ketzergesetze werden aufgehoben; allerdings werden – als Ausnahme – noch zwei Täufer unter Eduard VI. hingerichtet. Nach Eduards frühem Tod im Jahre 1553 mit nur 15 Jahren kommt seine katholische Halbschwester Maria I. (reg. 1553–1558), die Tochter der Katharina von Aragon, auf den englischen Thron.13 Sie sieht es als ihre Aufgabe an, die protestantischen Reformen im Sinne einer Re-Katholisierung Englands weitgehend rückgängig zu machen und eine Versöhnung mit Rom zu erreichen – ein Vorhaben, das sie auch gegen Widerstände durch Kontrolle und Bestrafung durchzusetzen versucht. Die unter Eduard aufgehobenen Ketzergesetze werden wieder in Kraft gesetzt, und in diese Phase sind auch die Aktivitäten Edmund Bonners (gest. 1569), des Bischofs von London, einzuordnen, mit dem sich Maria angesichts der zahlreichen Hinrichtungen von Protestanten die Bezeichnung „bloody“ teilt.14 Sie stirbt 1558 und erst ihre Halbschwester Elizabeth I. (reg. 1558–1603), Tochter der 1536 hingerichteten Anne Boleyn und Protestantin, versucht in ihrer langen Regierungszeit ab 1559 ein Religious Settlement15 zu erreichen und mit einer eher gemäßigten Religionspolitik die Reformation in England im Spannungsfeld von römischem Katholizismus, vor allen Dingen angesichts der Jesuitenmission vom Ende der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts an, und dem sich gegen Ende ihrer Regierungszeit entwickelnden Puritanismus 11 Diarmaid MacCulloch, Tudor Church Militant. Edward VI and the Protestant Reformation, London 1999; Jennifer Loach, Edward VI, New Haven u. a. 1999. 12 Zur neueren kritischen Diskussion über einen Sonderstatus der englischen Reformation vgl. Peter Marshal, (Re)defining the English Reformation, in: Journal of British Studies 48 (2009), 564–586 mit entsprechenden Relativierungen angesichts des bedeutsamen europäischen Kontexts; zu den Einflüssen vom Kontinent vor allem ab 1547 unter Eduard VI. s. auch Diarmaid MacCulloch, Putting the English Reformation on the Map, in: Transactions of the Royal Historical Society 15 (2005), 75–95, bes. 76–77 und 83 zu Zürich, Basel und Straßburg sowie zum späteren Einfluss von Genf bzw. Calvin unter Elisabeth I., hier 92. 13 David Loades, Mary Tudor. A Life, Cambridge Mass. 1989, bes. Kapitel 8: The Historical Mary, 315–345; John Edwards, Mary I. England’s Catholic Queen, New Haven u. a. 2011, bes. Kapitel 9: Battle for England’s Soul 1553–1558, 226–265. 14 Edwards, Mary I (wie Anm. 13), 255, 259–261. 15 Dickens, English Reformation (wie Anm. 8), 294–325.
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und entsprechenden heftigen inner-protestantischen Kontroversen zu stabilisieren.16 Ziel ist es, die anglikanische Kirche als eigenständige nationale Kirche mit protestantischer Lehre und (nach wie vor) bischöflicher Struktur zu festigen und nach den Wirren unter der Herrschaft ihrer Schwester Maria I. die religiöse wie politische Einheit in Kirche und Staat herzustellen. Die Ketzergesetze aus der Regierungszeit ihrer Halbschwester werden wieder außer Kraft gesetzt, was allerdings nicht bedeutet, dass es keine Exekutionen mehr gab. Diese wurden nun im religiösen Feld durchgehend unter politischen Vorzeichen durchgeführt, was nicht zuletzt an der Kontroverse um die Hinrichtung des Jesuiten Edmund Campion (1540–1581) im Dezember 1581 erkennbar ist: Für die einen war er ein Hochverräter, der den Tod durch Erhängen und Vierteilen verdient hatte, für die anderen, die Katholiken, ein Märtyrer, der – unpolitisch in seinen Intentionen im Rahmen der „English Mission“ – wegen seines Glaubens hingerichtet wurde.17 Wesentliche Stationen der Biografie von John Foxe lassen sich in diese Chronologie einordnen, die damit verbundenen Probleme teilt er allerdings mit vielen Zeitgenossen. Aus europäischer Perspektive lässt sich festhalten, dass unter Heinrich VIII. Evangelikale schon früh das Land verlassen, auf dem Kontinent Zuflucht suchen und dort wie John Bale im Exil leben. In der kurzen Regierungszeit von Eduard VI. kommen viele Exilanten voller Hoffnung nach England zurück. Mit der Thronbesteigung von Maria I. ist erneut ein Exodus von Protestanten zu verzeichnen, um so der Verfolgung in England zu entgehen und nicht wie die „Oxford Martyrs“ Thomas Cranmer, Erzbischof von Canterbury, Nicholas Ridley, Bischof von Rochester und Hugh Latimer, Bischof von Worcester sowie viele andere auf dem Scheiterhaufen hingerichtet zu werden. Unter Elisabeth I. kehren sie nach 1558 meist wieder nach England zurück. Auf der anderen Seite suchen viele Protestanten vor allem nach 1547 aufgrund der schwierigen religiös-politischen Lage auf dem Kontinent Zuflucht in England. Manche sind motiviert durch die hohen Erwartungen an das von Eduard VI. repräsentierte Modell einer ernsthaft betriebenen religiösen Reform eines ganzen Landes mit den zugestandenen religiösen Freiheiten für Zuflucht Suchende, deutlich zum Beispiel an der Gründung von Strangers’ Churches unter Beteiligung von Reformatoren vom Kontinent wie Johannes à Lasco (1499–1560), oder auch durch Einladungen von Erzbi Den Auftakt bilden 1588/89 die populären und die kirchliche Hierarchie herausfordernden Marprelate Tracts, vgl. dazu Joseph L. Black (Hg.), The Martin Marprelate Tracts. A Modernized and Annotated Edition, Cambridge 2008. 17 Vgl. z. B. Kardinal William Allen (1532–1554): William Allen, A Briefe Historie of the Glorious Martyrdom of xii Reverend Priests, Rheims 1582 (STC 3695) und A True, Sincere and Modest Defence of English Catholics that Suffer for their Faith (1584); zu Edmund Campion siehe Gerald Kilroy, Edmund Campion. Memory and Transcription, Aldershot 2005; Thomas M. McCoog (Hg.), The Reckoned Expense. Edmund Campion and the Early English Jesuits, Woodbridge 1996. 16
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schof Cranmer18 mit dem Angebot von Lehrstühlen in Oxford wie an Petrus Martyr (1427–1526) für die Jahre 1548 bis 1553 oder in Cambridge an Martin Bucer (1491–1551) in den Jahren 1549 bis zu seinem Tod 1551. In diesem historischen Rahmen muss man die Biografie von John Foxe (1515/16–1587) somit vor allem im Blick auf seine Wanderbewegungen und den Auf bau von protestantischen Netzwerken in ihrer Bedeutung für die Entwicklung der Acts and Monuments betrachten.19 Foxe erhält seine wissenschaftliche Ausbildung in Oxford und wird dort Dozent für Logik. Am Magdalen College trifft er auf eine Gruppe von Evangelikalen wie Robert Crowley (1517/19–1588) und Thomas Cooper (ca. 1517–1594) und verlässt 1545 das College, um nicht zum Priester geweiht werden zu müssen. In dieser Zeit schreibt er eine erste lateinische Komödie, Titus et Gesippus. Er durchlebt ohne feste Anstellung schwierige Jahre und übersetzt einiges, zum Beispiel 1547 eine Predigt von Luther. Unter Eduard VI. wird er zum Reformer, zusammen mit den späteren protestantischen Märtyrern Nicholas Ridley, John Hooper und John Rogers (ca. 1500–1555), auf politischer Ebene unterstützt von William Cecil (1520/21– 1598) und auf kirchlicher Ebene im Kontakt mit Erzbischof Thomas Cranmer. Er trifft John Bale, der ihm später das vom ihm gesammelte Material für eine Martyrologie überlassen wird. Die Zeit in England endet mit der Thronbesteigung von Maria I. 1553, und Foxe geht 1554 ins Exil, zunächst nach Straßburg, wo seine erste Martyrologie in Latein,20 die Commentarii rerum in ecclesia gestarum, in Form eines Oktav-Bands von ca. 200 Seiten gedruckt wird, von ihm präsentiert als Geschichte der wahren englischen Kirche mit den Verfolgungen seit John Wyclif (gest. 1384) und den Lollarden; das Werk wird als Vorläufer seiner Acts and Monuments gesehen. John Bale hat ihn unterstützt und ihm wohl vor allem sein Manuskriptexemplar der Fasciculi Zizaniorum, einer wichtigen Quelle für die Geschichte der Verfolgung der Lollarden, zur Verfügung gestellt. 1554 geht Foxe nach Frankfurt, wo er in die Auseinandersetzungen über den weiteren Weg der religiösen Reformen unter den verschiedenen Gruppierungen der englischen Exilanten, unter anderem John Knox (ca. 1514–1572), gerät, dann 1555 nach Basel. Dort trifft er erneut auf John Bale. Foxe arbeitet in Basel als Korrekturleser für Drucker-Verleger, vor allem für Johannes Oporinus (1507–1566) – und damit befindet er sich inmitten eines wichtigen Netzwerkes von protestantischen, humanistisch gebildeten Gelehrten, mit denen er sich Diarmaid MacCulloch, Thomas Cranmer. A Life, New Haven u. a. 1996, 60–67, 421–423. 19 Thomas S. Freeman, John Foxe. A Biography, in: The Unabridged Acts and Monuments Online or TAMO (HRI Online Publications, Sheffield 2011) http//www.johnfoxe.org (05.06.2013). 20 Commentarii Rerum in Ecclesia Gestarum, Straßburg V. Rihelius 1554; John Stephen Wade, John Foxe’s Latin Writings. Their Intellectual and Social Context, with Special Reference to the Period of his Exile, 1554–1559, 2 Bde., Diss. Universität Sheffield 2008. 18
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vor Ort austauschen kann. Er kommt zudem in seiner Tätigkeit in der Offizin auch in Kontakt mit den dort verlegten Werken, so mit dem Catalogus testium veritatis von Matthias Flacius (1520–1575), der von Oporinus 1556 gedruckt wird. Foxe kann zudem in Basel auch seine eigenen Werke drucken lassen, etwa sein lateinisches Drama Christus triumphans im Jahr 1556 sowie einige kleinere Werke. Seine zweite, angesichts einer intendierten europäischen Leserschaft wiederum lateinische Martyrologie erscheint 1559 ebenfalls bei Oporinus unter dem Titel Rerum in ecclesia gestarum,21 gedruckt im Folio-Format mit ca. 750 Seiten. Der Akzent des in sechs Büchern gegliederten Werkes liegt auf der englischen Geschichte; so behandeln insbesondere die Bücher drei bis sechs die Verfolgungen unter Maria I. bis 1558 und damit die jüngste Geschichte Englands. Im Oktober 1559 kehrt er nach England zurück und beginnt sofort mit der Suche nach neuem Material für die geplante englischsprachige Martyrologie; dies ist im Land erheblich leichter als aus der Ferne im Exil, denn dort war er auf Literatur und Dokumente aus dem Freundeskreis als Vermittler angewiesen und damit ohne unmittelbaren Kontakt zu Zeugen und in England vorhandenen Quellen. Seine Kontakte zu Personen aus höheren kirchlichen wie staatlichen Kreisen eröffnen ihm zudem in England den Zugang zu Archiven wie zu den „Bishops’ Registers“ sowie zu Bibliotheken, vor allem zu der umfangreichen Bibliothek von Matthew Parker (1505–1575), dem Erzbischof von Canterbury, in Lambeth Palace. Mit dem Drucker John Day (1521/22–1584) publiziert Foxe zunächst kleinere Werke. In dieser Zeit wird er 1560 zum Priester geweiht und erhält kleinere kirchliche Ämter, um leben zu können. Seine Hauptaufgabe aber sieht er nun zunehmend darin, Augenzeugen und Informanten ausfindig zu machen, die ihm von den Verfolgungen unter Maria I. besonders authentisch berichten können. Wenn man diesen Lebensweg von Foxe zusammenfassend betrachtet, dann ist sicher die Exilerfahrung mit der daraus resultierenden gesamteuropäischen Perspektive, die über die Ausrichtung auf die Darstellung der spezifisch englischen Reformation hinausführt, als prägend zu nennen, gerade auch in ihrer Auswirkung auf die Acts and Monuments. Kontakte wie die mit John Bale, in England wie auf dem Kontinent, dessen Geschichtsauffassung für Foxe prägend wurde – nämlich Geschichte als Erfüllung der Prophezeiungen aus der Offenbarung zu verstehen – haben sich inhaltlich auf sein Schreiben ausgewirkt, dies auch durchaus aus praktischen Gründen, da er von gleichgesinnten und ebenso forschenden Freunden Bücher und Manuskripte ausleihen konnte. Mit Hilfe des Lateinischen als lingua franca der akademisch Gebildeten war zudem über die volkssprachlichen Werke und die damit gegebenen Sprachbarrieren hinaus ein Austausch zwischen einander beeinflussenden Autoren, die einer gemeinsamen Sache dienen wollten, möglich; so profitierte zum Bei-
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Rerum in Ecclesia Gestarum, Basel N. Brylinger / J. Oporinus 1559.
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spiel Jean Crespin (1520–1575)22 von den lateinischen Commentarii Rerum für seine französische Martyrologie. In diesem Zusammenhang muss man dementsprechend die Rolle von John Foxe als Autor im engeren Sinne von The Acts and Monuments sicherlich relativieren und seine verschiedenen Rollen als Kompilator von Dokumenten und Zeugenberichten, als Herausgeber und auch als Übersetzer von Dokumenten berücksichtigen. Seine eigene Stimme wird aber immer in seinen inhaltlich wie stilistisch vielfältigen Kommentaren, z. B. in polemischer Forn oder im Predigtstil erkennbar, vor allem aber in seinen wichtigen Paratexten, in den Widmungen und Leseransprachen im Vorspann der Acts und Monuments, die ein wichtiges Instrument der gezielten Lesersteuerung darstellen.
2. Text und Druck der Acts and Monuments Nach den beiden lateinischen Vorläufern, Commentarii rerum in ecclesia gestarum von 1554 und Rerum in ecclesia gestarum von 1559, die noch auf dem Kontinent im Exil im Druck veröffentlicht wurden, verfasst Foxe in England – unter den Bedingungen des im Vergleich mit dem Kontinent friedlichen und ruhigen elisabethanischen Englands – seine große englischsprachige Martyrologie, die Acts and Monuments, die er als umfassende Neukonzeption der englischen Geschichte im allgemeinen und der Kirchengeschichte im Besonderen verstand. Damit erhob er unter Gattungsaspekten den Anspruch auf die Rolle des Historikers, die über das Verständnis seines Werks als Martyrologie hinauswies. Im Mittelpunkt der folgenden Darstellung stehen die vier Ausgaben der Acts and Monuments, die John Foxe als autorisiert 1563, 1570, 1576 und 1583 zu seinen Lebzeiten in enger Zusammenarbeit mit dem Drucker-Verleger John Day veröffentlicht hat. Die vier Titelblätter mit ihren variierenden Titelformulierungen kündigen den ganzen zeitlichen Umfang der großen Martyrologie an, vom Beginn aller Verfolgungen hin zu „these latter times of ours, with the bloudy times, horrible troubles, and great persecutions against the true martyrs of Christ.“23 Dieses inhaltliche Programm wird eindrucksvoll unterstützt durch die kontrastive bildliche Gestaltung des Titelblatts in der Gegenüberstellung der wahren und der falschen Kirche, jeweils repräsentiert durch Bibellektüre gegenüber Rosenkranz, durch Märtyrer auf dem Scheiterhaufen gegenüber einer Messfeier, mit den von Christus im Jüngsten Gericht 22 Le Livre des Martyrs, Genf 1554; David Watson, Jean Crespin and the First English Martyrology of the Reformation, in: David Loades (Hg.), John Foxe and the English Reformation, Aldershot 1998, 192–209. 23 Titelblatt der Edition von 1583, STC 11225. Die Titelblätter der vier Editionen sind allgemein zugänglich in der digitalen Variorum Edition The Unabridged Acts and Monuments Online or TAMO (wie Anm. 19); s. auch Early English Books Online (EEBO) http:// eebo.chadwyck.com).
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geretteten Seelen auf der einen und der Darstellung der Verdammten auf der anderen Seite. Auffallend sind der Umfang mit den variierenden Seitenzahlen und die Tatsache, dass alle Fassungen Bilder beinhalten. Alle vier illustrierten Ausgaben sind im Folioformat gedruckt, mit ca. 1700 Seiten 1563, ca. 2300 Seiten 1570, ca. 2000 Seiten 1576 und ca. 2150 Seiten 1583, mit einer variierenden Zahl an Holzschnitten und einigen gefalteten Tafeln.24 Zusammenfassend sind die folgenden textlichen sowie buchhistorisch relevanten Aspekte von besonderer Bedeutung: Zum Text ist festzuhalten, dass in den vier Fassungen eine Ausweitung aufgrund neuen Materials festzustellen ist, da Foxe aktiv und unermüdlich Dokumente zusammenträgt. Schon nach der ersten erfolgreichen Ausgabe von 1563, mit der Foxe sofort Aufmerksamkeit erregt hat, erhält er von den verschiedensten Seiten neues Material, und für die letzte Ausgabe, die noch zu seinen Lebzeiten (er stirbt 1587) im Jahr 1583 erscheint, hat er besonders viel Material durch Kontakte mit Informanten, mündlich wie schriftlich, zum Beispiel von Kindern und Verwandten der Opfer zusammengetragen. Allerdings handelt es sich keineswegs um eine einfache Kumulation des Materials, sondern letztlich um vier verschiedene Textfassungen. So übernimmt Foxe einiges an Material nicht in die zweite Ausgabe von 1570, vor allem solche Passagen, die unter dem Aspekt der fehlenden Korrektheit (nicht nur von katholischer Seite) kritisiert wurden. Die Textfassung von 1570 gilt daher in mancher Hinsicht als die der ersten Fassung von 1563 überlegene. Die Ausgabe von 1576 ist dagegen angesichts nur weniger Änderungen im Prinzip fast ein Reprint der Ausgabe von 1570; sie wird unter Mithilfe von John Days Sohn Richard Day (1552 – ca. 1606) publiziert und gilt insgesamt als fehlerhaft und minderwertig. Die Fassung von 1583 wird wiederum durch neue Textteile verändert, während anderes aus den früheren Ausgaben nicht übernommen wird. Es ist diese textlich wie drucktechnisch gute Ausgabe, die bis ins 19. Jahrhundert als Standard gilt 25 und auch Grundlage der ersten kommentierten Gesamtausgabe des 19. Jahrhunderts werden wird.26
24 Die vier Drucke sind zu finden unter John Foxe, Acts and Monuments, London John Day, 1563 (STC 11222), 1570 (STC 11223), 1576 (STC 11224), 1583 (STC 11225) in: Early English Books Online (EEBO) (wie Anm. 23); 1563: Folio, [24] 1741 [41] Seiten; 1570: Folio, (24] 2302 [26] Seiten; 1576: Folio, [26], 2008 [26] Seiten; 1583: Folio, [32], 2154 [64] Seiten. 25 „The fourth edition was the most physically imposing and complex English book of its era […] Each edition reflects its historical moment both as an ideological construction and as an artefact of the hand-operated press,“ John N. King, Introduction, in: ders. (Hg.), Foxe’s Book of Martyrs. Select Narratives, Oxford 2009, xiii. 26 Stephen Reed Cattley (Hg.), The Acts and Monuments of John Foxe. A New and Complete Edition, with a Preliminary Dissertation by the Rev. George Townsend, 8 Bde., London 1837–1841.
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Von der ersten Ausgabe an ist das Werk Elisabeth I. gewidmet, wenn sich auch die Widmungen in den vier Editionen mit Blick auf Veränderungen in der Einstellung des Autors zu Elisabeths Rolle im Vorantreiben der englischen Reformation unterscheiden. In der Erstausgabe von 1563 ist der Lobpreis und die Würdigung Elisabeths noch ungebrochen, wie es sich u. a. an der großen C-Initiale ablesen lässt: Dort thront die Königin, unter ihren Füßen der gefesselte Papst. Die drei nebeneinander abgebildeten Männer sind im Vergleich mit anderen Porträts der Zeit als John Day, John Foxe und William Cecil identifiziert worden. In seiner Widmung drückt Foxe insbesondere die Dankbarkeit der Engländer für den erreichten religiösen Frieden aus, den Elisabeth als Instrument göttlicher Vorsehung ihrem Volk geschenkt habe, dies alles nach einer Phase grausamer Verfolgung unter ihrer Halbschwester Maria. Er vergleicht Elisabeth durchgehend mit Kaiser Konstantin und präsentiert sich selbst als Geschichtsschreiber in der Nachfolge des Eusebius. Interessanterweise fehlt dieser Vergleich mit Konstantin in den Widmungen an Elisabeth in den drei folgenden Editionen: Man hat dies dahingehend interpretiert, dass Foxe mit dem Tempo und der weiteren Entwicklung des englischen Protestantismus unter Elisabeth nicht zufrieden war.27 Die Qualität der Drucke ist auf John Day (1521/22–1584) zurückzuführen, der ein angesehener Drucker-Verleger und Buchhändler in London, vor allem aber auch ein überzeugter Protestant war und somit für Foxe zum idealen Partner wurde.28 Schon unter Eduard VI. hatte er sich früh um den Druck von Übersetzungen aus dem Bereich des kontinentalen Protestantismus bemüht. Seine Drucke gelten typografisch mit Blick auf Typensätze, Druckerschwärze, Papier, Layout und Illustrationen als qualitativ hochwertig. Day war zudem gut mit Mitgliedern der Regierung und der Kirche vernetzt und erhielt eine ganze Reihe von sicheren Druck-Patenten wie ABC-Bücher und Katechismen, sodass er finanziell abgesichert war. Unter Maria I. geriet er allerdings aus religiösen Gründen in Schwierigkeiten und man geht heute davon aus, dass er in England mit Unterstützung von William Cecil eine geheime Presse unter dem Pseudonym Michael Wood aus Rouen betrieb, auf der er Titel druckte, die der Regierung nicht genehm waren.29 Er war auch kurz im Gefängnis, hielt sich aber danach sehr zurück und blieb unbehelligt. Seine Offizin erlebte einen erneuten Aufschwung unter Elisabeth I.; er setzte da wieder an, wo er unter Eduard aufgehört hatte, nämlich mit dem Drucken von Bibeln, Predigten und Kontroversliteratur, aber auch von Musik. Es handelt sich um das größte und 27 Elizabeth Evenden / Thomas S. Freeman, Print, Profit and Propaganda. The Elizabethan Privy Council and the 1570 Edition of Foxe’s ‚Book of Martyrs‘, in: English Historical Review 119 (2004) 1288–1307, bes. 1294. 28 Elizabeth Evenden, Patents, Pictures and Patronage. John Day and the Tudor Book Trade, Aldershot 2008; dies., Biography of John Day, in: TAMO (wie Anm. 19) (05.06.2013). 29 Elizabeth Evenden, The Michael Wood Mystery: William Cecil and the Lincoln shire Printing of John Day, in: Sixteenth Century Journal 35 (2004), 383–394; dies., Patents (wie Anm. 28), 29–37.
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beste Unternehmen am Platz, das kontinentalen Standards entsprach, auf das Foxe mit seinem großen Vorhaben (und zwar groß in jedem Sinne) nach seiner Rückkehr nach London traf. Day hatte die technischen Möglichkeiten, das materiell umzusetzen, was Foxe gerne wollte: Er besaß viele Typensätze, hatte die Kompetenz für hochkomplexe Layouts, wie in den Acts and Monuments zu sehen ist, mit Marginalien, mit der Unterscheidung von narrativen Textpassagen von Originaldokumenten und Übersetzungen, mit illustrierten Drucken – insgesamt ein Unternehmen, für das es in England bis zu diesem Zeitpunkt keine Vorbilder gab. Eine Reihe von Problemen war allerdings mit einem so anspruchsvollen und aufwendigen Vorhaben verbunden, und sie brachten auch einen routinierten und durchaus wohlhabenden Drucker wie Day an die Grenze seines Leistungsvermögens, und dies nicht nur finanziell. Dazu einige Hinweise: Für die Ausgabe von 1570 wird eine Auflage von ca. 1250 Exemplaren geschätzt, gedruckt wurde auf drei Pressen; die Kosten für Papier für einen Druck von ca. 2300 Seiten (mit großen Bögen im Format 37 × 24 cm) und die erhöhte Zahl von Druckergesellen führten zu einer geschätzten Investitionssumme von ca. 1000 Pfund, bevor nur ein einziges Exemplar verkauft war. Das war auch für Day durchaus ein riskantes Unternehmen. Engpässe werden bei der Ausgabe von 1570, vor allem aber bei der Ausgabe von 1576 deutlich, bei der das Papier offensichtlich ausging und auch nicht mehr in ausreichenden Mengen und zeitnah beschafft werden konnte, sodass am Ende minderwertiges und kleineres Papier benutzt werden musste, ja sogar Bögen zusammengeklebt wurden.30 Man muss diese Probleme natürlich mit dem Textproduktionsprozess von Foxe in Verbindung sehen, der wahrscheinlich zeitweise ganz im Haus von Day lebte, um alles selbst zu überwachen: Laufend kamen neue Berichte und Materialien ins Haus, Foxe schrieb und schrieb, und der Drucker musste zusehen, wie er das materiell angemessen umsetzte. So fing Day z. B. an, die Spalten zu verbreitern und eine kleinere Type zu verwenden. Wir haben es also nicht nur mit einem instabilen Text, sondern auch mit einem recht instabilen technischen Produktionsprozess zu tun. Dennoch haben Foxe und Day zumindest in den Ausgaben von 1563, 1570 und 1583 gründlich Korrektur gelesen, da man die Katholiken schon auf der Lauer liegen sah, um ihnen Fehler nachzuweisen und damit den hohen Wahrheitsanspruch, den sie mit dem Werk verbanden, in Frage zu stellen. Früh kam nach der ersten Ausgabe allerdings die Kritik an dem hohen Preis von Acts and Monuments auf, da viele sich die Bände nicht leisten konnten, wie es der Naturforscher und engagierte Reformer William Turner (1509/10–1568) in einem Brief an Foxe vom November 1563 zum Ausdruck brachte. Dabei sah er weniger im Autor als im Drucker-Verleger John Day den Verantwortlichen für den (zu) hohen Preis, der einer
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Freemann, John Foxe, in: TAMO (wie Anm. 19) (05.06.2013).
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erwünschten weiten Verbreitung des Werks zur Unterstützung der Anliegen der Reformatoren im Wege stand.31 Day erhielt trotz seiner guten Beziehungen zu Regierung und Kirche, die ihm regelmäßig eine Reihe von besonders sicheren und einträglichen Druckerprivilegien einbrachte, keine direkte finanzielle Unterstützung von Staat oder Kirche für diesen Druck, aber hilfreich dürfte mit Blick auf den Absatz insbesondere der zweiten Ausgabe von 1570 die indirekte Unterstützung gewesen sein, die er durch die Regierung,32 vor allem aber durch die Kirche erhielt, indem zum Beispiel das Oberhaus der Convocation von Canterbury schon 1571, also kurz nach dem Erscheinen der zweiten Edition, angeordnet hatte, dass zusammen mit der Bibel (gemeint ist hier die Bishop’s Bible von 1568) jeweils ein Exemplar der Monumenta martyrum in allen Kathedralkirchen öffentlich ausliegen sollte, wie auch in allen Häusern von kirchlichen Amtsträgern dieses Buch in der Halle und den Empfangsräumen für Bedienstete wie Gäste zugänglich gehalten werden sollten; dies kann man angesichts des offenkundigen staatlichen wie kirchlichen Interesses als eine Art offizielle Autorisierung des Werks von Foxe ansehen.33 Man kann also festhalten, dass ohne John Day diese Drucke in England so nicht möglich gewesen wären. Wichtig ist hierbei, dass beide ihre Mission als eine gemeinsame ansahen und auch andere Motive als der Wunsch nach materiellem Profit für Day eine Rolle spielten: „[…] both Foxe and Day were driven men, obsessed with the need to rescue England from the evils of the Roman Church“, wie es Julian Roberts und Elizabeth Evenden ausdrücken.34 Daher ist verständlich, dass Foxe John Day, wie auch allen anderen Druckern und Verlegern, die sich in den Dienst der Reformation stellen, in seinen Paratexten ausdrücklich dankt und sie lobt. Hatte Foxe schon allgemein häufiger die Erfindung des Buchdrucks, „the exellent arte of Printing“, als Geschenk Gottes 31 Elizabeth Evenden / Thomas S. Freeman, Religion and the Book in Early Modern England. The Making of Foxe’s ‚Book of Martyrs‘, Cambridge 2011, 125. 32 Elizabeth Evenden / Thomas S. Freeman, Print, Profit and Propaganda. The Elizabethan Privy Council and the 1570 Edition of Foxe’s ‚Book of Martyrs‘, English Historical Review, 119 (2004), 1288–1307, bes. 1295, 1304: „[…] Day benefited from political patronage that no other sixteenth-century English printer enjoyed.“ 33 Vgl. Gerald Bray (Hg.), Records of Convocation, Bd. 7, Woodbridge 2006, 471 (Session 6, Friday 11 May 1571, Canon 8): „Quivis archiepiscopus et episcopus habebit domi suae Sacra Biblia in amplissimo volumine uti nuperrime Londini excusa sunt, et plenam historiam quae inscribitur Monumenta martyrum et alios similes libros ad religionem appositos. Locentur autem isti libri vel in aula wel in grandi coenaculo ut et ipsorum famulis et advenis usui esse possint.“ Dieses Gebot der frei zugänglichen Auslage eines Exemplars der Ausgabe von 1570 wird zur gleichen Zeit auch an die verschiedenen Gilden der Stadt London wie die Stationers’ Company (Buchgewerbe) geschickt, s. Edward Arber (Hg.), A Transcript of the Registers of the Company of Stationers of London 1554–1640 A. D., Bd. 1, London 1875 (Nachdruck 1950), 232b. 34 Julian Roberts / Elizabeth Evenden, Bibliographical Aspects of the Acts and Monuments, in: TAMO (wie Anm. 19) (05.06.2013).
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an seine wahre Kirche gepriesen, so wird nun speziell John Day als Vertreter des Typus Buchdrucker gelobt, der nicht auf Ruhm oder Profit, „their owne priuate gayne“, aus ist und auch keine überflüssige und minderwertige Literatur, „light trifling pampflets, little seruing to purpose, lesse to necessitie“, auf den Markt bringt.35 Zur Einschätzung der Wirkkraft der Acts and Monuments in der Primärwie in der Sekundärrezeption ist, wie schon einleitend skizziert, das Zusammenspiel von Text und Illustrationen, in Form von Holzschnitten, von besonderer Bedeutung, die in allen vier Editionen zu finden und im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Martyrologien einzigartig sind. So finden sich in der ersten Ausgabe von 1563, zusammen mit der schon genannten großen C-Initiale zu Beginn der Widmung an Elisabeth I. und dem Porträt von John Day am Schluss über dem Kolophon 53 Holzschnitte an 57 Textstellen, in der Mehrzahl narrative Szenen und einige nicht-erzählende mit einzelnen Märtyrern. Alle sind durch eine starke emotionale Komponente in den Leidensszenen gekennzeichnet; qualitativ gelten sie in ihrer Orientierung an kontinentalen Vorbildern als hochwertig und damit auch als Indikator für die Leistungsfähigkeit des englischen Buchdrucks im europäischen Vergleich. Die Ausgabe von 1570 weist mit 105 Holzschnitten an 149 Textstellen erheblich mehr lllustrationen auf und wird zum Modell für die weiteren Ausgaben. Einige Illustrationen bilden Serien; dazu kommen Ausfaltblätter aus mehreren Seiten, zum Beispiel mit Szenen von Folterungen. Die Edition von 1576 hat 107 Holzschnitte an 150 Stellen, die von 1583 100 Holzschnitte an 153 Stellen.36 Zur Rolle der Illustrationen insbesondere mit Blick auf die Text-Bild- Beziehung lässt sich das Folgende hervorheben:37 Erkennbar ist ein durchgehendes Muster von Illustrationen, zum einen in Form von narrativen Szenen, die nicht wiederholt werden, zum anderen in Form meist kleinerer Bilder mit Märtyrern auf dem Scheiterhaufen in Flammen, die unverändert wiederholt verwendet werden. Die narrativen Szenen illustrieren den Text unmittelbar und sind eigens passend zum Text angefertigt worden, während die Märtyrer in Flammen nach Ruth S. Luborsky eher als Typen gesehen werden kön35 So im Vorwort an den Leser von Foxe als Herausgeber von The Whole Works of William Tyndall, John Frith, and Doct. Barnes, London J. Day 1573, sig, A.ii r –A.iiiv, in: EEBO (wie Anm. 23). 36 Ruth Samson Luborsky, The Illustrations: Their Pattern and Plan, in: David Loades (Hg.), John Foxe. An Historical Perspective, Aldershot 1999, 67–84, hier 69. 37 Margaret Aston / Elizabeth Ingram, The Iconography of the Acts and Monuments, in: David Loades (Hg.), John Foxe and the English Reformation, Aldershot 1998, 66–142; Andrew Pettegree, Illustrating the Book. A Protestant Dilemma, in: Christopher Highley / John N. King (Hg.), John Foxe and his World, Aldershot 2002, 133–144, Mark Rankin, The Pattern of Illustration in Foxe’s Book of Martyrs. Problems and Opportunities, in: Thomas P. Anderson / Ryan Netzley (Hg.), Acts of Reading. Interpretation, Reading Practices, and the Idea of the Book in Foxe’s Actes and Monumentes, Newark DE, 87–115.
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nen.38 Die Acts and Monuments gelten daher als ein wirkungsvolles „visual artefact.“39 Die kleinen und häufig auch wiederkehrenden Bilder der Märtyrer werden nicht primär als Zugangsmöglichkeit für nicht oder nur gering Lesefähige verstanden, sondern vor allem als Mittel der Universalisierung des Einzelschicksals, „to universalize the individual martyr“40, ganz im Unterschied zu den eher realistischen Bildern, zum Beispiel den Szenen mit „Bloody Bonner“, in denen die Figuren zum Teil gut erkennbar sind – sogar so gut, dass von Bonner berichtet wird, er habe sich selbst über solche Bilder, die ihn in seiner Grausamkeit gegenüber den von ihm Verhörten darstellen, wegen ihrer deutlichen Ähnlichkeit beklagt: „A vengeance on the fool! How could he get my picture drawn so right.“41 Als Zielgruppe gelten Foxe, nicht zuletzt angesichts der Sprachwahl, aber auch mit Blick auf die Textstruktur und die Illustrationen, eher gebildete Laien und nicht primär Experten und der Klerus, denn er will die öffentliche Meinung in England prägen. Unterstützt durch John Day hat er sich mit den vier Editionen seiner Acts and Monuments als der Martyrologe der englischen Reformation weit über das 16. Jahrhundert hinaus etabliert.
3. Protestantenverfolgung unter Maria I.: „Bloody Mary“ und „Bloody Bonner“ Die Darstellung von Bischof Edmund Bonner durch John Foxe repräsentiert auf besonders deutliche Weise das Ausmaß der Verfolgung der wahren Kirche durch Anwendung einer Vielfalt von Formen der Gewalt bis hin zur Hinrichtung. Als Bischof von London fällt Edmund Bonner die Aufgabe zu, die katholische Restauration ab 1553 in London umzusetzen. Nach der Versöhnung mit Rom im November 1554 zusammen mit der Rückkehr von Reginald Pole (1500–1558), päpstlicher Legat und von 1556 bis 1558 der letzte katholische Erzbischof von Canterbury, werden die alten Ketzergesetze wie vor allem De haeretico comburendo von 1401 aus der Zeit der Verfolgung der Lollarden wieder in Kraft gesetzt;42 damit verschiebt sich die Zuständigkeit in Fragen 38 Ruth Samson Luborsky, Connections and Disconnections Between Images and Texts: the Case of Tudor Secular Books, in: Word & Image 3 (1987) 74–85, 82 zur wiederholten Verwendung von „pictures of martyrs in flames as types of martyrs, as general illustrations“. 39 Warren W. Wooden, John Foxe, Boston 1983, 49. 40 Ebd. 41 Ebd. 42 Zu den außer Kraft gesetzten bzw. neuen Statuten zählen: An act of the repeal of certain statutes made in the time of the reign of King Edward VI (1 Mary Stat 2, c. 2, 1553), An act against unlawfull and rebellious assemblies (1 Mary Stat. 2, c. 12, 1553), An act against seditious words and rumours (1 & 2 Philip & Mary, c.3, 1554), An act repealing all statutes […] against the see apostolic of Rome (1 & 2 Philip & Mary, c. 8, 1554),
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religiöser Kontrolle und Bestrafung von Abweichungen wieder auf die kirchlichen Gerichte. Im Februar 1555 beginnt die Serie von Hinrichtungen mit der des Vikars und Bibelübersetzers John Rogers (ca. 1500–1555) am 4. Februar 1555, dem protestantischen Proto-Märtyrer unter Maria I. Das bedeutet, dass die solchermaßen nun erneut legitimierte Verfolgung der Protestanten sich auf die Zeit von Februar 1555 bis November 1558, als Maria I. stirbt, bezieht, also auf knapp vier Jahre. Die Rolle Bonners ist deshalb hervorzuheben,43 weil London neben Cambridge als Hochburg des Protestantismus galt44 und von den ca. 300 unter Maria I. Hingerichteten 113 aus London stammten. Die meisten, d. h. 90, wurden von Bonner selbst befragt, bei den anderen hat er am Ende das Urteil unterschrieben. Der Blick auf London und Bonner ist dennoch ein begrenzter, denn viele, vor allem auch sehr spektakuläre Hinrichtungen durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen haben an anderen Orten, zum Beispiel in Oxford stattgefunden, wie im Fall des schon erwähnten Thomas Cranmer, Erzbischof von Canterbury, im März 1556 und der Bischöfe Nicholas Ridley und Hugh Latimer im Oktober 1555. Für Foxe ist Edmund Bonner der Inbegriff des grausamen Sadisten. Angesichts seines auffallenden Körperumfangs wird er auch entsprechend negativ beschrieben, „with belly blowen and head so swolne“.45 Er ist der Blut trinkende Kannibale, der Sadist, der sich an den physischen Qualen seiner Opfer erfreut: „This cannibal in three yeares space / three hundred Martirs slew: / They were his food, he loued so bloud, / He spared none he knew.“46 Die heutige historische Forschung sieht seine Rolle etwas differenzierter im Zusammenspiel der anderen Verantwortlichen wie der Königin selbst, aber auch mit Blick auf die Rolle von Stephen Gardiner (ca. 1495/98–1555), Lordkanzler und Bischof von Winchester, und Kardinal Reginald Pole (1500–1558), päpstlicher Legat und Erzbischof of Canterbury. Es ist gerade die Königin, die Bonner in der Anfangszeit der Verfolgungen im März 1554 wegen seines zögerlichen Verhaltens schriftlich (und öffentlich) getadelt und zur Beschleunigung der Verfahren aufgefordert hat.47 Grundlage des Bonnerbildes bei Foxe sind die von ihm gesammelten Zeugenberichte, die accounts von Verfolgten wie John Rogers in der Tradition des Zeugnisses der Anne Askew unter Heinzu den wieder in Kraft gesetzten alten Ketzergesetzen durch 1 & 2 Philip & Mary, c. 6, 1554 zählen insbesondere 2 Richard II, Stat. 2, c. 5 (1382), 2 Henry IV, c. 15 (1400–1) ‚De haeretico comburendo‘ und 2 Henry V, Stat. 1, c. 7 (1414). 43 Gina Alexander, Bonner and the Marian Persecutions, in: History 60 (1975), 374– 391. 44 Susan Brigden, London and the Reformation, Oxford 1989. 45 Foxe, Acts, in: TAMO (wie Anm. 19), Edition 1563, 1770. 46 Ebd. 47 Das Schreiben wurde veröffentlicht, vgl. Mary I, A copie of a letter wyth articles sente from the Queenes Maiestie vnto the Bysshoppe of London […] at her graces commaundement to be putte in spedye execution, gedruckt von John Cawood 1554, in: EEBO (wie Anm. 23) STC 9182.
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rich VIII.,48 denen es gelungen war, ihre Erfahrungen in den Verhören und Folterkammern schriftlich zu fixieren und aus dem Gefängnis zu schmuggeln, um so Zeugnis dafür abzulegen, was ihnen als Unschuldigen und lediglich wegen ihres Glaubens Verurteilten widerfuhr; zugleich wollten sie mit ihren Zeugenberichten andere auf ein ähnliches Schicksal vorbereiten und sie mit ihrem Vorbild ermutigen, standfest zu bleiben. Es geht allerdings im Fall Bonners nicht nur um physische Gewalt im Rahmen der am Ende stehenden brutalen Hinrichtungen auf dem Scheiterhaufen, die er mit seiner Unterschrift zu verantworten hat, sondern auch darum, dass Bonner schon im Vorfeld in seinen Verhören eigenhändig zu sehr drastischen Mitteln, d. h. auch zur physischen Gewalt, gegriffen hat. In seinem Palast in Fulham hatte er laut Berichten von Betroffenen als Anbau ein „coal-house“, das bald berüchtigt war, und in dem er zwischen den Verhören die Gefangenen in den Schandstock setzte, wo er sie über Tage und Nächte festgebunden hielt. Dies bezeugt der Geistliche und spätere Märtyrer John Philpot (1515/16– 1555),49 der nach einem Verhör in dieses Gebäude zurückgebracht wurde und dort auf einen frommen Mann aus Essex mit Namen Thomas Whittle traf, der ihm von Bonners gewalttätigem Verhalten während seiner Befragung berichtet. Da dieser Mann Bonners Überzeugungsversuchen widerstand, sei – so berichtet Philpot – Bonner über ihn hergefallen („[he, d. h. Bonner] fell upon him like a lion“)50 und habe ihn im Gesicht schwarz und blau geschlagen und ihm einen Teil des Barts abgerissen. Ähnliche Übergriffe finden sich in mehreren Berichten. Einen von Bischof Bonner ebenfalls verhörten Mann mit Namen Thomas Tomkins zwingt er, die Hand in eine brennende Kerze zu halten, damit er schon einmal einen Vorgeschmack auf den Tod im Feuer habe.51 Ein anderer junger Mann, Thomas Hinshaw, den er verhört, bringt ihn durch seine standfeste Haltung so in Wut, dass Bonner kaum sprechen kann: Er lässt nach Ruten rufen und peitscht den jungen Mann im Garten aus, so lange, bis „the fat-panched Bonner“52 außer Atem und erschöpft ist. Allerdings ist Bonner bei Anwesenheit Dritter und in halb-öffentlichen Verhören etwas gemäßigter als in Situationen, in denen er alleine und ohne Zeugen mit 48 Joseph Lemuel Chester, John Rogers. The Compiler of the First Authorised English Bible, the Pioneer of the English Reformation, and Its First Martyrs, London 1861, Appendix: Rogers Own Account of his Examinations, 293–337; Elaine V. Beilin (Hg.), The Examinations of Anne Askew, New York / Oxford 1996. 49 Foxe, Acts, in: TAMO (wie Anm. 19) 1585 Buch 11, 1795–1830; King (Hg.), Foxe’s Book (wie Anm. 25), 160–171. 50 Foxe, Acts, in: TAMO (wie Anm. 19), 1585 Buch 11, 1798; King, Foxe’s Book (wie Anm. 25), 161, Abb. 162. 51 Foxe, Acts, in: TAMO (wie Anm. 19), 1585 Buch 11, 1533–1535, Abb. 1534; King (Hg.), Foxe’s Book (wie Anm. 25), 95–101, Abb. 97. 52 Foxe, Acts, in: TAMO (wie Anm. 19), 1585 Buch 12, 2043–2044, hier 2044, Abb. 2043; King (Hg.), Foxe’s Book (wie Anm. 25), The Scourging of Thomas Hinshaw, 240–242, hier 240, Abb. 241.
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dem Befragten interagiert. Die ihm geistig ebenbürtigen (oder gar wie John Philpot theologisch überlegenen) Befragten wehren sich entsprechend und sagen ihm ins Gesicht, dass er dann, wenn ihm die Argumente ausgingen und er nicht mehr weiter wisse, zur Drohung und zur physischen Gewalt, zu „vnrighteous force“ greife („now you goe about to compell us“)53, aber, so der Geistliche Philpot, in Glaubensdingen kann es nicht um Zwang, sondern nur um das Überzeugen gehen – was übrigens auch die Meinung von John Foxe ist, der sich als Protestant 1581 gegen die Hinrichtung des Jesuiten Edmund Campion ausgesprochen hat.54 In der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Foxe im Besonderen wie auch mit Martyrologien im Allgemeinen hat die physische Gewalt wie die Folter, vor allem aber die öffentliche Hinrichtung vor einem größeren Publikum, die auch als „theatre of martyrdom“ bezeichnet worden ist,55 meist im Mittelpunkt des Interesses gestanden. Wenn man aber den Begriff „Gewalt“ etwas weiter fasst und verbale Gewalt (oder auch psychische Gewalt)56 einbezieht, dann bietet Foxe mit den Berichten der Verhöre der der Ketzerei Verdächtigten für solche Untersuchungen eine wichtige Grundlage,57 vor allem, wenn man Kriterien der pragmatischen und linguistischen Dialoganalyse mit Blick auf Beziehungsgefüge, Rollen- und Machtverteilungen und daraus resultierende gegenläufige Redestrategien untersuchen möchte. Dazu nur einige kurze Hinweise:58 In vielen Fällen macht sich Bonner die Mühe, die der Ketzerei Verdächtigten mehrfach zu befragen, sodass sich über eine längere Zeit eine Art Serie von Verhören mit einer bestimmten Entwicklungsrichtung zeigt, an deren Ende unausweichlich das Bekenntnis und das Todesurteil stehen. Dies gilt Foxe, Acts, in: TAMO (wie Anm. 19), 1585 Buch 11, 1817, 1823 zum Vowurf der mangelnden argumentativen Kompetenz Bonners („which haue none other argument to stand by, but violence“). 54 James Frederic Mozley, John Foxe and His Book, London 1940, 88–91. 55 David Nicholls, The Theatre of Martyrdom in the French Reformation, in: Past & Present, 121 (Nov. 1988), 49–73; vgl. auch Rufus Wood, Supplementing the Word: Spiritual Endurance and Bodily Suffering in Foxe’s Acts and Monuments, in: John Blakeley / Mike Pincombe, Writing and Reform in Sixteenth-Century England. Interdisciplinary Essays, Lewiston 2008, 1–24, 2: „The moment of martyrdom is the dramatic site where Foxe needs to demonstrate both the heroic suffering of the martyr for the true faith and the appropriateness of his own text as a record of the truth embodied in their torment.“ 56 Vgl. z. B. Gertrud Nunner-Winkler, Überlegungen zum Gewaltbegriff, in: Wilhelm Heitmeyer / Hans-Georg Soeffner (Hg.), Gewalt. Entwicklungen, Strukturen, Analyseprobleme, Frankfurt am Main 2004, 21–61, bes. 38–43. 57 Sarah Covington, Foxe’s Villainous Tribunals. Reading the Judicial Examinations in the Acts and Monuments, in: Thomas P. Anderson / Ryan Netzley (Hg.), Acts of Reading. Interpretation, Reading Practices, and the Idea of the Book in Foxe’s Actes and Monumentes, Newark DE, 2010, 176–207. 58 Eine Studie der Verfasserin mit dem Titel Physical and Verbal Violence: Persecuted Protestant Communities During the Reign of Mary I (1553–1558) wird erscheinen in Marjo Kaartinen et al. (Hg.), Golden Leaves and Burned Books. Religious Reform and Conflict in the Long European Reformation (Amsterdam University Press). 53
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zum Beispiel für den Geistlichen John Philpot, der insgesamt 13 Befragungen, „private talks“ oder „conferences“ bis zur Verurteilung im Konsistorium von St. Paul’s durchstehen musste. Die verbalen Strategien Bonners gehen von anfänglichem Schmeicheln, offenen Formulierungen, Versprechungen über zu Drohungen und wüsten Beschimpfungen als Verräter und Schurke. Auf der Seite des solchermaßen unter Druck gesetzten Verhörten sehen wir gerade zu Anfang oft Verfahren des Ausweichens, der Unschärfe, der Ambiguität, denn dies ist keine idealtypische, herrschaftsfreie Sprechsituation, sondern eine lebensbedrohliche; sodann aber auch Versuche, mit Gegenfragen zu agieren oder die Aussagen Bonners mutig zu kritisieren. Insgesamt kann man häufig ein Schwanken des Verhörs zwischen theologischer, argument-basierter Disputation im Schlagabtausch von zumindest intellektuell gleichwertigen Kontrahenten und einem plötzlichen Umschlag in ein hitziges Streitgespräch feststellen. Am Ende lässt die Geduld Bonners meist nach; er spitzt alles auf eine einzige Frage zu, die nur noch mit ja oder nein zu beantworten ist, vor allem wenn es um das zentrale Eucharistieverständnis geht, und mit deren Beantwortung wird ein eindeutiges und klares Bekenntnis (mit allen Folgen) eingefordert. Die Verhöre zeigen somit ein breites Spektrum von verbaler und psychischer Gewalt, um den Willen des Befragten zu brechen – und die Botschaft der Berichte aus der Opfersicht, die uns Foxe vermittelt, ist natürlich, die Standfestigkeit, die theologische Kompetenz und Tiefe der religiösen Überzeugung dieser Märtyrer als vorbildhaft zu vermitteln. Bonner eignete sich gerade in der Form des Dialogs, der schon immer ein didaktisch wichtiges Mittel war, in besonderem Maße als Folie, auf der man auch unter den Aspekten der literarischen Vermittlung in einer Martyrologie diese standfesten Zeugen des wahren Glaubens mit den ausgebreiteten Inhalten ihrer Überzeugungen im Kontrast hervorheben konnte. Man sollte aber nicht vergessen, dass wir es sowohl mit dem Erzählbericht als auch mit den dialogischen Formen auf mehreren Ebenen auch mit deutlich literarisierenden Formen zu tun haben – einmal auf der Ebene der ursprünglichen Berichte der Betroffenen, dann aber verstärkt durch Foxe selbst als Vermittler, als Erzähler und Kommentator dieser Berichte. Schließlich hatte Foxe einen Sinn für das Dramatische, wie es seine lateinischen Dramen nahelegen, und konnte darüber hinaus auch auf eine Vielfalt von literarischen Modellen aus verschiedenen Erzählgattungen wie vor allem die Heiligenlegende zurückgreifen.
4. Publikations- und Rezeptionsgeschichte der Acts and Monuments (16.–19. Jahrhundert) Die frühe Rezeption des 16. Jahrhunderts auf der Grundlage der vier Ausgaben zu Lebzeiten von John Foxe ist nicht nur durch ihre erfolgreiche Breitenwirkung und die Unterstützung durch Regierungskreise und die Kirche bestimmt, sondern angesichts der religiösen Kontroversen auch durch Kritik und
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Gegenreaktionen.59 Ein Typus von frühen Reaktionen war es, auf Fehler in der ersten Fassung von 1563 hinzuweisen und die Glaubwürdigkeit von Foxe in Frage zu stellen; Fehler, die Foxe in der zweiten Fassung von 1570 aber weitgehend berücksichtigt und korrigiert, denn gerade an der Korrektheit seiner Darstellung wie an der Authentizität der von ihm gesammelten Dokumente mit Blick auf den historischen Wahrheitsanspruch möchte er keinen Zweifel aufkommen lassen. Viele Zeitzeugen lebten zudem noch und reagierten entsprechend, d. h. entweder zeigten sie sich (je nach der Rolle als Opfer oder Täter) als zufrieden und gaben eine positive Rückmeldung, oder aber sie waren empört (wie Bonner); wieder andere fühlten sich ermutigt, Foxe zu kontaktieren und ihm weiteres Material anzubieten. Davon zu unterscheiden ist die Reaktion von Katholiken. Dazu einige Beispiele: 1565 wird in Antwerpen A Confutation of a Book Entitled An Apology Of the Church of England von Thomas Harding (1516–1572) gedruckt,60 ein Werk, das als Teil der sogenannten Harding-Jewel-Kontroverse gegen John Jewels Apologia Ecclesiae Anglicanae von 1562 gerichtet war und u. a. einen Generalangriff auf den protestantischen Anspruch auf die Märtyrerrolle der unter Maria I. hingerichteten Protestanten beinhaltet. John Jewel (1522–1571), Bischof von Salisbury und auf der Seite der Reformer, hatte in seiner Schrift beklagt, dass die Wahrheit lange verfolgt worden sei und viele Gläubige unschuldig wegen Häresie verbrannt worden seien. Dies wird von Harding vehement verneint; so leugnet er, dass überhaupt so viele hingerichtet wurden, alles sei völlig übertrieben. Da, wo es Hinrichtungen gegeben habe, wäre es eher um „their due punishment of burning“ gegangen, weil sie gegenüber der Wahrheit hartnäckig und verstockt geblieben seien: „[they] shewed their desperat obstinacie against the truth.“61 Und in diesem Zusammenhang wird der Bezug zu der Erstausgabe der Acts and Monuments von 1563 explizit hergestellt, indem dieses Werk insgesamt polemisch als „großer Misthaufen eurer stinkenden Märytrer“ attackiert wird: „And this is the chiefe argumentye ye make in all that huge dongehill of your stinking martyrs, which ye haue intituled Actes and monumentes.“62 Ähnlich fällt aus katholischer Sicht die Reaktion von Nicholas Harpsfield (1519–1575) aus, der als rechte Hand von Kardinal Reginald Pole, Erzbischof von Canterbury, ab 1554 wesentlich an den Protestantenverfolgungen unter Maria I. beteiligt war und daher unter Elisabeth I. im Gefängnis sitzt. Dort konnte er dennoch 1566 ein umfangreiches Buch von ca. 1000 Seiten mit dem Titel Dialogi sex schreiben.63 Der letzte dieser Dialoge, der „Dialogus sex David Loades, The Early Reception, in: TAMO (wie Anm. 19) (05.06.2013). Der Druck ist zu finden in: The Digital Library of the Catholic Reformation, http// solomon.dlcr.alexander.com und in: EEBO (wie Anm. 23), STC 12762. 61 Harding, Confutation, in: EEBO (wie Anm. 23), 13v. 62 Ebd., 14r. 63 STC 999:01, in: EEBO (wie Anm. 23): Nicholas Harpsfield, Dialogi sex contra summi pontificatus, monasticae vitae, sanctorum, sacrarum imaginum oppugnatores, et pseudomartyres, Antwerpen Ch. Plantin 1566. 59
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tus contra pseudomartyres“ ist ganz dem Thema „Pseudo-Märtyrer“ gewidmet und beinhaltet eine heftige Kritik an Foxe. Gedruckt wurde das Buch in Antwerpen auf Latein unter dem Pseudonym Alan Cope, sodass dieses Werk in England unmittelbar keine große Wirkung hatte. Es wurde aber von Foxe durchaus ernstgenommen, und er nahm für die Edition von 1570 entsprechende inhaltliche Änderungen vor. Beide, Harding und Harpsfield, stellen relativ zeitnahe Reaktionen auf die erste Ausgabe von 1563 dar, auf die der Autor selbst reagieren konnte. Eine umfassende Kritik erscheint nach dem Tod von Foxe zu Beginn des 17. Jahrhunderts, nämlich die des Jesuiten Robert Persons (1546–1610) in seinem Buch The Three Conversions of England from Paganisme to Christian Religion von 1603/04.64 Im dritten Teil findet sich u. a. „A note of more than a hvndred and twenty lyes vttered by John Fox, in lesse then three leaues of his Acts and Monuments.“65 Für Parsons wie für viele Katholiken nach ihm ist Foxe the „father of liars.“ Dabei wird letztlich aus katholischer Sicht die Tatsache der Hinrichtungen als historisches Faktum nicht bezweifelt, sondern die Auseinandersetzung richtet sich auf die Deutung mit Blick auf die Motive der Beteiligten, Täter wie Opfer, auf die Frage nach der akzeptablen causa, und damit auf die behauptete bzw. bestrittene Legitimation für die Verfolgung bis hin zur grausamen Hinrichtung der Protestanten als Ketzer im Feuer. Angriffsfläche ist für Persons auf theologischer Ebene insbesondere der neue, von Foxe „reformierte“ Kirchenkalender, in dem außer biblisch fundierten Namen eine durchgehende Ersetzung der nicht-biblischen katholischen Heiligen durch Namen von Protestanten erfolgt, zusammen mit Zuschreibungen wie „confessor“, „preacher“ oder „martyr“. So ist unter dem 18. Februar zum Beispiel Martin Luther mit seinem Todestag zu finden, unter dem 24. Februar John Hooper, Bischof von Gloucester. Vor allem nimmt Persons Anstoß daran, dass sich Foxe mit seinem neuen Kalender eine dem Papst vergleichbare Rolle anmaßt, nämlich Märtyrer zu „ernennen“ und zum Gedenken an sie aufzufordern, und sogar (typografisch gut erkennbar)66 neue, d. h. protestantische „red letter saints“ einfügt. Darunter befinden sich nun auch einfache, normale Menschen (und viele – für Persons eindeutig zu viele – Frauen), die ohne jede theologische Kenntnis und aus nicht nachvollziehbaren religiösen Gründen gehandelt haben; Persons reagiert mit seiner Kritik und Polemik auf Ceri Sullivan, ‚Oppressed by the Force of Truth‘. Robert Persons Edits John Foxe, in: David Loades (Hg.), John Foxe. An Historical Perspective, Aldershot 1999, 154–166. 65 Persons, Three Conversions, in: EEBO (wie Anm. 23), 412. 66 Damian Nussbaum, Reviling the Saints or Reforming the Calendar? John Foxe and his ‚Kalendar‘ of Martyrs, in: Susan Wabuda / Caroline Litzenberger (Hg.), Belief and Practice in Reformation England. A Tribute to Patrick Collinson From His Students, Aldershot 1998, 113–136, zur bedeutsamen typografischen Gestaltung mit der Verwendung der auffallenden roten Druckerfarbe und einem Typenwechsel (so in der Ausgabe von 1583) siehe 115 Anm. 9, 116. 64
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das durch Foxe in Frage gestellte tradierte Heiligenverständnis.67 Polemisch kommt Persons zu dem Schluss, dass das Einzige, was alle diese Personen wohl auszeichnet und ihnen gemeinsam ist, darin besteht, dass sie in irgendeiner Weise gegen Rom und den Papst gewesen seien. Die weitere und hochkomplexe Publikationsgeschichte der Acts and Monuments kann abschließend nur kurz skizziert werden.68 Noch in elisabethanischer Zeit wird eine kürzere Fassung der Acts and Monuments im Jahr 1589 auf den Markt gebracht, herausgegeben von Timothy Bright, im Quartformat, mit ca. 800 Seiten und mit Holzschnitten sowie mit einem Text, der von einer deutlichen Zuspitzung auf die politische Dimension und dem Ziel der Festigung der nationalen Identität in Abgrenzung vom römischen Katholizismus geprägt ist. Mit dieser Ausgabe wird schon kurz nach dem Tod von Foxe der starken Nachfrage nach einer preiswerten (und auch leichter lesbaren) Ausgabe Rechnung getragen, veröffentlicht unter dem Titel An Abridgement of the Booke of Acts and Monuments, „for such as either through want of leysure, or abilitie haue not the vse of so necessary an history,“69 Es gibt danach Ende des 16. Jahrhunderts wie im Verlauf des 17. Jahrhunderts aber auch noch einige Vollausgaben, von denen die meisten mit Holzschnitten versehen werden.70 Die Rezeption im 18. Jahrhundert gestaltet sich etwas anders angesichts eines geringeren Interesses nach der „Glorious Revolution“ am Ende des 17. Jahrhunderts, wenn auch noch genügend Editionen, meist allerdings in gekürzter Form, auf dem Markt erscheinen,71 die in ihrem Gehalt aber die ursprüngliche politisch-religiöse Dimension zunehmend in den Hintergrund treten lassen. Es sind diese erschwinglichen gekürzten und bearbeiteten Ausgaben, die weitere Leserkreise in privaten Haushalten sehr unterschiedlicher Schichten erreichen konnten und dementsprechend auch in den einleitend beschriebenen Leseerinnerungen als Lesestoff vorausgesetzt werden können. Eine Wende kommt allerdings im Verlauf der 19. Jahrhunderts, denn auf dem Hintergrund einer intensiven Auseinandersetzung um den Anglo-Katholizismus, um ein „Catholic Revival“, verbunden mit dem Oxford Move67 Zum komplexen und damit die Gattung Hagiografie überschreitenden Märtyrerverständnis von Foxe s. auch Martin Ohst, Protestantische Hagiographie. Einige Bemerkungen zu John Foxe’s „Acts and Monuments“, in: Berndt Hamm et al. (Hg.), Sakralität zwischen Antike und Neuzeit, Stuttgart 2007, 275–287. 68 Devorah Greenberg, Eighteenth-Century „Foxe“: Historiography, and Historical Consciousness; Peter Nockles, The Nineteenth-Century Reception; Vivienne Westbrook, Mid-Victorian Foxe, in: TAMO (wie Anm. 19) (05.06.2013). 69 Titelblatt der Ausgabe London 1589 von T. Bright, in: EEBO (wie Anm. 23) STC 11229; vgl. auch den Beginn des Paratextes „To the Christian Reader“ mit der Rechtfertigung für eine gekürzte Fassung, nicht zuletzt mit Blick auf den günstigeren Preis des Buches: „[…] and by reason of the largenes of the volume, and the great price, how the most were bereaued of the benefite of so necessarie an historie“ (ohne Sign.). 70 Vgl. die Folio-Edition von 1596, London Peter Short 1596; weitere Vollausgaben im 17. Jahrhundert wurden 1610, 1641 und 1684 veröffentlicht. 71 Greenberg, Eighteenth-Century ‚Foxe‘, in: TAMO (wie Anm. 19) (05.06.2013).
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ment und den Tractarians, gewinnen die Acts and Monuments von John Foxe einen neuen Stellenwert und wird sein Werk zum Gegenstand von erneuten Diskussionen in der Ausdifferenzierung von religiösen Identitäten bzw. theologischen Positionen: Die Neuedition der Acts and Monuments wird vor allem durch Kommentare und die Ausformulierung der Vita des Autors (Life of Foxe) zum Kampfmittel in der Abwehr römisch-katholischer Tendenzen in der anglikanischen Kirche.72 Die achtbändige Ausgabe von 1837–1841 wurde von Stephen Reed Cattley mit einer Biografie von Foxe von George Townsend herausgegeben.73 Diese wurde heftig kritisiert, u. a. auch wegen offenkundiger Fehler.74 Daraufhin folgte eine neue, verbesserte Edition in den Jahren 1843–1849. Angesichts des Streits blieben deren Herausgeber anonym (wahrscheinlich sind es Josiah Pratt und R. R. Menham); 1853–1870 erschien eine dritte Ausgabe, herausgegeben von Pratt mit einigen Ergänzungen. Es ist die zweite, korrigierte Ausgabe von 1843–1849, die 1965 als Reprint erschien und daher in den meisten Bibliotheken vorhanden ist und entsprechend auch benutzt wurde (und wird).75 Die Situation hat sich jedoch angesichts der frei zugänglichen Variorum Edition John Foxe Online erheblich verändert. Das an der Universität Sheffield verankerte Projekt wurde unter der Leitung von David Loades und Thomas Freeman von der British Academy seit 1996 gefördert. Ausgang des Vorhabens war die zunehmende Kritik an den oben genannten Editionen des 19. Jahrhunderts, u. a. an ihren sprachlichen Verfälschungen. So wurde zum Beispiel die teilweise gröbere Sprache von Foxe für den Geschmack eines viktorianischen Publikums bereinigt, indem z. B. „unangemessene“ Wörter wie harlot und strumpet in das wertneutrale woman verändert (und dadurch entschärft) wurden.76 Zudem gab es keinen Vergleich der vier verschiedenen Editionen von 1563 bis 1583, sondern die letzte Edition von 1583 wurde als Basis gewählt und mit einigen Ergänzungen aus der Ausgabe von 1563 versehen. In den Text von Foxe wurde außerdem an einigen Stellen erheblich eingegriffen, wenn zum Beispiel Übersetzungen durch Foxe aus dem Lateinischen durch neue, da angeblich „bessere“ Übersetzungen ersetzt wurden. Aus der Sicht der Herausgeber der Online-Edition waren die Absichten der Herausgeber im 19. Jahrhundert angesichts der theologischen Kontroversen in erster Linie apologetische, um mit ihr zu beweisen, dass die Sicht von John Foxe auf die englische Kirchengeschichte die einzig richtige war. Kritische Fragen wie zum Thomas Freeman, Texts, Lies, and Microfilm: Reading and Misreading Foxe’s „Book of Martyrs“, The Sixteenth-Century Journal 30 (1999), 23–46. 73 George Townsend, Life of John Foxe, in: Cattley (Hg.), Acts and Monuments (wie Anm. 26), Bd. 1, 45–227. 74 Vgl. z. B. Samuel R. Maitland, Notes on the Contributions by the Rev. George Townsend to the Edition of Foxe’s Martyrology, 3 Teile, London 1841–1842, vor allem Teil 3 ‚Historical Authority of Foxe‘. 75 Freeman, Texts, Lies (wie Anm. 19), 23 Anm. 3. 76 Nockles, Nineteenth-Century Reception, in: TAMO (wie Anm. 19). 72
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Beispiel nach den Quellen von Foxe und nach seinem oft selektiven Umgang mit diesen wurden nicht gestellt, sodass aus heutiger Sicht diese Ausgaben nicht als wissenschaftlich gelten können.
Schlussbetrachtung Mit Blick auf die textliche Dimension wird die Auseinandersetzung mit dem Werk von Foxe heute von der Online-Edition dominiert, in der die vier Fassungen der Acts and Monuments jeweils zu ihrem eigenen Recht kommen, sodass die komplexe Genese des Werkes und die vielfachen Quellenbezüge in den Mittelpunkt des Interesses rücken und damit zugleich eine (und darin leicht zitierbare) Endfassung durch Festschreibung der sicherlich drucktechnisch besonders gelungenen Edition aufgegeben wird, die allerdings auch die detaillierte Arbeit am Text bzw. an den Texten entsprechend komplexer und aufwendiger werden lässt. Mit dieser Variorum-Edition ist der Anspruch auf eine kritische Sicht auf die ältere Forschung verbunden, aber auch die Hoffnung, neue Wege für die weitere Forschung zu bahnen, wie es insbesondere die begleitenden Essays und Kommentare von Experten der John-Foxe-Forschung eröffnen. Man kann in diesem Zusammenhang u. a. eine stärkere Ausrichtung auf die theologischen Aspekte im Werk von Foxe zu diesen sich abzeichnenden Akzentverschiebungen zählen, die zur bisher meist dominanten Sicht auf den (Kirchen-)Historiker John Foxe ein gewisses Gegengewicht darstellen können. Ebenso kann man die Sicht der Literaturwissenschaftler stärker einbeziehen, wie es zum Beispiel Alice Dailey im Jahr 2012 in ihrer Studie The English Martyr from Reformation to Revolution versucht. Sie lenkt den Blick wieder gezielt auf die Martyrologie als literarische Gattung mit den ihr eigenen stilistischen Merkmalen, Erzählstrategien und Strukturen: „ martydom is not a death but a story that gets written about a death“ 77 Sie versteht so die Martyrologie als Ausdruck eines Dialogs zwischen Geschichte und literarischer Form: „martyrdom is created through the interplay between blood and narrative, between the action of persecution and an always-mediating literary structure,“ 78 sei es in Form von typischen Szenen und Reden, von Topoi bzw. von bestimmten Formen des Diskurses über Märtyrertum bis hin zur Polemik. Für all diese Untersuchungen bieten die Acts and Monuments von John Foxe für die weitere Forschung vielfältiges Material.
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Die Bedeutung des Martyriums für Hugenotten in Frankreich und im Refuge Susanne Lachenicht Von Jean Vallière, der 1523 der Blasphemie angeklagt und in Paris bei lebendigem Leib verbrannt wurde, über Gaspard de Coligny, französischer Admiral und Führer der Hugenotten, der 1572 gleich „mehrfach“ ermordet wurde, bis hin zu Jean Calas, der 1762 in Toulouse wegen Kindsmord und Häresie verbrannt wurde – die Liste der Märtyrer in den Reihen der Hugenotten ist lang; nicht zu vergessen die zahllosen Opfer der Dragonaden der 1680er Jahre, die Galeerensklaven, die Gefangenen der Tour Constance in Aigues-Mortes, das Resister der Marie Durand (frei gelassen 1768). Die französisch-protestantische Kirche ist eine Kirche der Märtyrer. Daran gemahnt nicht zuletzt eine Erinnerungskultur, die nicht nur aus der Tour Constance, dem Fort de l’Isle Sainte Marguerite, sondern auch aus den Häusern der Anführer des Aufstands der Camisarden wie Roland Laporte oder Abraham Mazel Museen und Erinnerungsorte gemacht hat.1 Spätestens mit der Veröffentlichung des Edikts von Fontainebleau 1685, welches das offizielle Ende des Protestantismus in Frankreich bedeutete, eigentlich aber schon mit den ersten Verfolgungen von Protestanten in Frankreich in den 1530er Jahren entstand eine spezifisch französisch-protestantische oder hugenottische Identität, die jene in Frankreich verbleibenden Protestanten bzw. nach 1685 die Kryptoprotestanten mit den trotz Auswanderungsverbot in protestantische Länder geflohenen französischen Calvinisten verband bzw. zu einer France protestante verbinden sollte. Zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelte sich trotz aller Heterogenität des französischen Protestantismus in Frankreich und im so genannten Refuge eine Diaspora mit spezifischen Narrativen und Textgattungen, in denen das Martyrium elementarer Bestandteil eines Selbstverständnisses als „peuple élu“, als wahrhaft auserwählte Nation wurde.2 Im Folgenden soll kurz auf die Entwick1 Vgl. dazu ausführlich Susanne Lachenicht, Migrations. Entre mémoire(s) et „Erinnerungskultur“. XVIIIe –XIXe siècles: le cas des huguenots, in: Francia 37/2 (2010), 425– 434, und dies., Musées huguenots et lieux de mémoire en Allemagne et dans les Îles britanniques, in: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français 157/4 (2011), 583–596. 2 Emile G. Léonard, Histoire générale du protestantisme, Paris 1961, Bd. II, 346, und Philippe Joutard, The Revocation of the Edict of Nantes: End or Renewal of French Protestantism? in: Menna Prestwich (Hg.), International Calvinism 1541–1715, Oxford 1985, 339.
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lung einer hugenottischen Identität im 16. Jahrhundert eingegangen werden; der Schwerpunkt der Darstellung liegt jedoch auf der Zeit des Grand Refuge, d. h. zwischen ca. 1685 und 1750. Verfolgung und Martyrium der Hugenotten waren bereits seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dokumentiert und kodifiziert wurden, wie die Histoire des martyrs persecutez et mis à mort pour la verité de l’Evangile, depuis le temps des Apostres jusques à l’an 1574 von Jean Crespin zeigt, die allein in Genf in immer neuen und durch weitere Martyrien ergänzten Auflagen, nämlich 1582, 1597, 1608 und 1619, erschien. Ebenso wurden die Märtyrer des französischen Calvinismus von Anfang an in Psalmtexten bzw. religiösen Liedern kommemoriert, ebenso in Predigten. Die Erinnerung an erlittene Verfolgung, Grausamkeiten, die Massakrierung von Glaubensgenossen, also das Martyrium waren von Anfang an Teil einer hugenottischen Erinnerungskultur und der Identität dieser Nation, die durch die Massenverfolgung, die so genannten Dragonaden in den 1680er Jahren, nochmals intensiviert wurde. Neben dem Märtyrer finden sich in frühen Predigten des 16. Jahrhunderts auch Begriffe wie der „Fremde“ in Frankreich, d. h. der Calvinist, aber auch schon sehr früh der „Auserwählte“, der „einzig wahre Christ“.3 Der Märtyrer als Synonym für den Hugenotten und den Auserwählten taucht vor allem nach der Bartholomäusnacht 1572 in calvinistischen Predigten und Pamphleten auf.4 Mit den Dragonaden und der Revokation verließen von den ca. 750.000 in den 1680er Jahren in Frankreich lebenden Calvinisten 150.000 bis 200.000 trotz Auswanderungsverbot das Land, um sich in den Schweizer reformierten Kantonen, den Niederlanden, England, Brandenburg-Preußen, Hessen-Kassel, Württemberg, Brandenburg-Bayreuth, Schweden, Sankt Petersburg, Irland, den britischen Kolonien in Nordamerika und den niederländischen Kolonien, d. h. Südafrika und Surinam, niederzulassen.5 Mit dem Grand Refuge, d. h. der Massenauswanderung nach 1685, ging eine intensive Schreib- und Publikationstätigkeit hugenottischer Pastoren einher, aber auch von Laien. Neben Märtyrerbüchern, Psalm- bzw. Liedtexten und Predigten entstanden neue Textsorten, die eine französisch-protestantische Identität nach innen und nach außen propagierten und zur Herausbildung einer „France protestante à l’étranger [et au désert, S. L.]“ (Etienne François)6 einen entscheidenden Bei Barbara B. Diefendorf, The Huguenot Psalter and the Faith of French Protestants in the Sixteenth Century, in: dies. / Carla Hesse (Hg.), Culture and Identity in Early Modern Europe (1500–1800). Essays in Honor of Natalie Zemon Davis, Ann Arbor 1993, 41–63, hier 42. 4 Lisa Ferraro Parmelee, Printers, patrons, readers and spies: Importation of French propaganda in late Elizabethan England, in: Sixteenth Century Journal XXV (1994), 852–872. 5 Vgl. zu diesen Zahlen den Forschungsstand in Susanne Lachenicht, Hugenotten in Europa und Nordamerika. Migration und Integration in der Frühen Neuzeit, Frankfurt am Main / New York 2010, 38. 6 Etienne François, La mémoire huguenote en Hesse, en Allemagne et dans les autres pays du Refuge, in: Frédéric Hartweg / Stefi Jersch-Wenzel (Hg.), Die Hugenotten 3
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trag leisteten. Aus den témoignages, die in den Kirchen des Refuge ankommende französische Protestanten im Kontext ihrer Aufnahme in die Gemeinde abzulegen hatten und in denen sie Hintergründe ihrer Flucht, mögliche (Zwangs-)Konversionen, Leidensweg, Opfer innerhalb der Familie und der versammelten Gemeinde zu präsentieren hatten, entwickelten sich so genannte Mémoires, Erinnerungsstücke, meist handgeschrieben in Form von Briefen, Tagebüchern, Familienchroniken oder Testamenten, in denen den Nachfahren die Leiden, die ihre Vorfahren für ihren Glauben in Kauf genommen hatten, tradiert werden sollten. In den Nachlässen hugenottischer Familien in London, Den Haag, Rotterdam, Dublin, Berlin und New York finden sich diese Mémoires in großer Zahl. Sie waren über Generationen Motivation, das Erbe der für ihren Glauben verfolgten Ahnen zu bewahren, wie neben vielen anderen Zeugnissen der Briefwechsel des New Yorker Hugenotten John Pintard aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigt. 1830 schreibt Pintard an seine Tochter Eliza: „Comment pourrais-je délaisser l’église de mes ancêtres, érigée par mes pieux ancêtres?“ Und: „Je crois qu’il est mon devoir de maintenir l’église de mes ancêtres, de donner hommage au lieu où ils adoraient notre seigneur.“ 7 Die bekanntesten dieser Mémoires sind sicherlich die von Jacques Fontaine,8 französischer Pastor in England und später in Irland, die Mémoires sur les temps qui ont précédés et suivis la Révocation de l’édit de Nantes von Isaac Dumont de Bostaquet,9 das Journal de Jean Migault oder die Berichte der Marie de la Rochefoucauld, Dame de Champagné.10 Der Hugenottenforschung sind heute mindestens vierzig dieser Narrative bekannt, in denen Verfolgung und Martyrium nicht zuletzt die Rolle zukommt, künftige Generationen davon zu überzeugen, ihren französisch-calvinistischen Glauben und die dazugehörigen Institutionen, d. h. ihre Kirchen und Konsistorien, zu bewahren. Neben diesen handschriftlichen Erinnerungsstücken, in denen das Martyrium eine große Rolle spielte, wurden Erfahrungs- und Leidensberichte in den Niederlanden, England und den protestantischen Territorien des Alten Reiches zuhauf publiziert. Allein in England erschienen 1681 Dutzende von und das Refuge. Deutschland und Europa. Beiträge zu einer Tagung, Berlin 1990, 233–239, hier 238–239. 7 „Wie könnte ich die Kirche meiner Vorväter im Stich lassen, errichtet von meinen frommen Ahnen?“, und: „Ich glaube, dass es meine Aufgabe ist, die Kirche meiner Vorväter zu bewahren, dem Ort Ehre zu erweisen, wo sie unseren Herren anbeteten.“ [John Pintard] Letters from John Pintard to his daughter Eliza Noel Pintard Davidson, 1816−1833, 4 Bde., New York 1940, Bd. I, 3−4. 8 Diane N. Ressinger (Hg.), Memoirs of the Reverend Jacques Fontaine, London 1992. 9 Michel Edmond Richard (Hg.), Mémoires d’Isaac Dumont de Bostaquet, gentilhomme normand sur le temps qui ont précédé et suivi la révocation de l’édit de Nantes, Paris 1968. 10 Carolyn Lougee Chappell, What’s in a name?: self-identification of Huguenot réfugiés in 18th-century England, in: Randolph Vigne / Charles Littleton (Hg.), From Strangers to Citizens. The Integration of Immigrant Communities in Britain, Ireland and Colonial America, 1550–1750, Brighton, Portland 2001, 539–548.
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Titeln wie etwa The horrible persecution of the French Protestants in the province of Poitou truly set forth by a gentleman of great quality […] (London 1681), A Letter from Rochel France: to MR. Demeure, one of the French ministers at the French church in the Savoy, shewing the intolerable persecutions that are there exercised against them (London 1681) oder The Great Pressures and Grievances of the Protestants in France and their Apology to the Late Ordinances made against them; both out of the Edict of Nantes, and several other Fundamental Laws of France; and these new Illegalities, and their Miseries are Contrived by the Pop. Bishops Arbitrary Power (London 1681). Im Heiligen Römischen Reich waren 1687 Titel wie die Hertzliche Bekummernis umb den Schaden Josephs: Bezeuget in etlichen Bedencken ueber die grausame bishero unerhoerte Verfolgung Der Evangelisch-Reformirten Kirche in Frankreich oder die Historie von der grausamen Verfolgung- und Tyranneyen/Welche denen Gereformirten in Franckreich/verübet und angethan worden zu haben. Diese sollten einerseits protestantische Fürsten zur Gewährung von Asyl und Aufnahme der Flüchtlinge bewegen, andererseits das protestantische Europa und Europäer in den Kolonien von der Grausamkeit Ludwigs XIV. überzeugen, damit die europäischen Mächte den Sonnenkönig dazu zwangen, das Edikt von Fontainebleau zu widerrufen.11 Als dritte Textgattung, in der das Martyrium zur Beschwörung und Bewahrung des wahren Glaubens eine entscheidende Rolle spielte, sind Predigten zu nennen – keine neue Textgattung, aber eine, die nach 1685 sehr viel mehr in Druck ging als zuvor. Diese Predigten wurden in französischer oder lateinischer Sprache gedruckt und waren sowohl in den Ländern des Refuge als auch in den klandestinen calvinistischen Kirchen in Frankreich mittels der so genannten Pastorennetzwerke verbreitet. Zitieren möchte ich aus einem Text des Pastors Jean-Armand Dubourdieu, tätig in der Savoykirche in London, der 1707 inmitten des Spanischen Erbfolgekrieges, nach der Schlacht bei Ramellies, über den Downfall of Pharao, d. h. Ludwig XIV. predigt. Die in Frankreich verfolgten Hugenotten werden hier nicht nur als „Märtyrer“12, die das protestantische Europa nun rächt, beschrieben, sondern als „Saints“. Ludwig sei der „Oppressor of his People“ und der „Persecutor of his Saints“13. Dort heißt es weiter: „[…] which revenges the Blood of so many Martyrs, who are dead in Dungeons, on Gibets, and upon Wheels; and whose holy Wrath is daily provoked by the Cries and Torments of that Troop of Confessors who glorifie it in the Gallies.“14 Diese Märtyrer des französischen Calvinismus seien für immer aufgenommen in die Annalen der Kirche, seiner, also Gottes Lachenicht, Hugenotten (wie Anm. 5), 59–60. Jean-Armand Dubourdieu, The Triumphs of Providence in the Downfall of Pharao, Renew’d in the Late Battle of Ramellies. Being a sermon on Exodus ix., ver. 16. preacg’d at the Savoy-Church, London 1707, 10. 13 A. a. O, 5. 14 A. a. O., 10. 11
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einzig wahrer Kirche15, und sie seien Inbegriff der „Reinheit dieser Kirche“ und „leuchtendes Beispiel für alle kommenden Generationen“16. In vielen dieser Texte tauchen neben dem Martyrium der Hugenotten symbolische Erinnerungsorte17 auf: Babylon, d. h. Frankreich, aus dem die Hugenotten entkommen seien; Ludwig XIV. ist der Pharao, der die Hugenotten in ägyptischer Gefangenschaft halte, der Nil wird zur Seine, die Wüste wird gleichgesetzt mit den Kirchen der Wüste in Frankreich, d. h. den klandestinen Kirchen, die nach 1700 wiederbelebt wurden. Frankreich wird zu dem Ägypten, das das auserwählte Volk verließ, um durch die Wüste ins gelobte Land zurückzukehren. In etlichen Predigten und historiografischen Texten der Hugenotten, auch in Jacques Basnages de Beauvals Histoire des Juifs18, finden sich immer wieder Parallelen zwischen der Verfolgung und dem Schicksal der Juden und ihrem Martyrium und den französischen Calvinisten – nur, dass in diesen hugenottischen Narrativen nicht die Israeliten das auserwählte Volk sind, sondern die Hugenotten, die dies durch die Anerkennung des einzig wahren Glaubens und durch ihr Martyrium geworden seien.19 Parallel zum Martyriumsdiskurs und mit ihm eng verwoben gibt es diesen antijüdischen Diskurs bereits bei Calvin, Pierre Viret (1511–1571), Philippe Duplessis- Mornay und Theodor Beza: Nicht die Juden seien das auserwählte Volk, das Volk Gottes, da sie den Messias nicht nur leugneten, sondern ihn hingerichtet hätten.20 Die Calvinisten seien die rechtmäßigen Nachfolger der Israeliten, das einzig wahre auserwählte Volk, das Gott durch Prüfungen, durch das Martyrium, immer wieder in seinem Auserwähltsein bestätige. Auch in Petitionen an die Fürsten der protestantischen Aufnahmeländer werden diese Bilder immer wieder beschworen, so in der 1681 in London publizierten Schrift (eines nicht genannten französisch-reformierten Pastors) An Harangue to the King. Dort heißt es: „But it is a holy Colony of French Protestants, driven every day by Storm into Your Ports. They are the true Israelites, crossing the Sea to pass into Canaan. They are the Merchants in the Gospel, who sell all they have to purchase the Pearl of price, and to come into Your Realms in search of the Kingdom of Heaven.“21
1714 anlässlich der Thronbesteigung Georgs I. von England predigt der französisch-reformierte Pastor Jean-Armand Dubourdieu in der Savoykirche: A. a. O., 17. Ebd. 17 Zum Topos des Erinnerungsortes vgl. v. a. Pierre Nora (Hg.), Les lieux de mémoire, 3 Bde., Paris 1997. 18 Jacques Basnage de Beauval, Histoire des Juifs, 6 Bde., Rotterdam 1707. 19 Vgl. Myriam Yardeni, Huguenots et Juifs, Paris 2008, 186–187, und Myriam Yardeni, Repenser l’histoire. Aspects de l’historiographie huguenote des guerres de religion à la Révolution française, Paris 2000, 95–96. 20 Yardeni, Huguenots et Juifs (wie Anm. 19), 41, 47, 54. 21 An Harangue to the King. By a Minister of the French Church in the Savoy. The Nineteenth of October 1681, London 1681. 15 16
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„Mes Frerez Refugiez, vous y etes obligez non seulement, parce que vôtre Devoir vous engage, a y prendre part au Bonheur d’un Royaume, qui vous a receus si charitablement dans son Sein; Vous y étes encore, plus particuliérement obligez, en qualité de Refugiez; puis que ce Roy a declaré, luy même qu’il vouloit étre le Protecteur de Sion captive, & le Père nourricier de vos pauvres.“22
Doch nicht jeder, der für den Calvinismus in Frankreich starb, war ein Märtyrer. Pastoren der Kirchen der Wüste und des Refuge waren gleichermaßen darum bemüht, klar zu fixieren, wer ein Märtyrer war, wer in das Pantheon des französischen Protestantismus aufgenommen werden sollte und damit als Vorbild und Rechtfertigung für die Verteidigung des „wahren Glaubens“ dienen konnte. Dies wird besonders deutlich in der Person Antoine Courts (1695–1760), dem Reorganisator der Kirchen der Wüste in Frankreich, der aus dem Lausanner Exil heraus Pastoren ausbildete, die die klandestinen protestantischen Kirchen in Frankreich führen sollten.23 Für die Frage nach den „wahren Märtyrern“ des Protestantismus ist seine Histoire des troubles des Cévennes, d. h. seine Geschichte über den Aufstand der Camisarden oder Propheten (1702– 1705) ebenso maßgeblich wie seine zum Teil gedruckt vorliegenden Predigten. Für Antoine Court waren die Anführer des Kriegs der Cevennen, Elie Marion, Barham Mazel und Cavalier, falsche Propheten. Diejenigen von ihnen, die während der Camisardenaufstände starben, konnten – so Antoine Court – damit keine Märtyrer des Protestantismus sein.24 Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurde der für seinen Glauben sich opfernde französische Protestant um das Motiv des Märtyrers für die Nation, und zwar die französische Nation, erweitert. Einer der prominentesten und radikalsten Vertreter des Refuge, Pierre Jurieu (1637–1713), schrieb bereits 1680 aus den Niederlanden: „Nous sommes Français autant que nous sommes chrétiens réformés.“25 Der französisch-reformierte Pastor Elie Benoist (1640–1728), ein hugenottischer Immigrant in Delft, legte in seiner Histoire de l’Édit de Nantes dar, dass das Edikt von 1598 Calvinisten in Frankreich die gleichen Rechte zu22 „Meine Refugierten Brüder, ihr seid dazu nicht nur deshalb verpflichtet, weil es eure Pflicht ist, zum Wohle eines Königreiches euren Beitrag zu leisten, das euch so barmherzig in seinen Schoß aufgenommen hat; ihr seid dazu umso mehr verpflichtet, in eurer Eigenschaft als Refugierte, weil dieser König erklärt hat, dass er selbst der Beschützer des gefangenen Zions sein wolle, & der nährende Vater eurer Armen.“ Jean-Armand Dubourdieu, Les Voeux des Protestants, ou sermon sur le I Sam. Ch. X Ver. 24, London, 21714. 23 Zu Antoine Court v. a. Hubert Bost / Claude Lauriol (Hg.), Entre Désert et Europe, le pasteur Antoine Court (1695–1760). Actes du Colloque de Nîmes (3–4 novembre 1995), Paris 1998. 24 Siehe Daniel Vidal, Antoine Court à contretemps. Champ calviniste et horizon prophétique, in: Hubert Bost / Claude Loriol (Hg.), Entre Désert et Europe, le pasteur Antoine Court (1695–1760). Actes du Colloque de Nîmes (3–4 novembre 1995), Paris 1998, 145–170. 25 „Wir sind genauso Franzosen, wie wir reformierte Christen sind.“ Pierre Jurieu, La politique du clergé de France, Amsterdam 1680, 125.
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gesichert habe wie französischen Katholiken. Benoist und Jurieu definierten damit ihre Glaubensbrüder als Untertanen des französischen Königs, die bereit waren, „de verser tout leur sang pour l’intérest de sa grandeur [des Königs von Frankreich] et de son Estat“.26 Und: „Ils [die französischen Calvinisten] ne sont pas étrangers, puisqu’ils sont nez dans le même air que les autres; sous la même autorité, sous les même loix […].“27 Die Hugenotten waren nicht nur für ihren Glauben verfolgte Märtyrer, sondern auch französische Patrioten. Ihre Verfolgung in Frankreich war damit eine Verfolgung der „wahren Gläubigen“ und der „wahren Patrioten“, der besten Untertanen der französischen Krone. Ihr gewaltsamer Tod wurde damit zum Martyrium für Glauben und patria. Aus theologischer Sicht waren französische Calvinisten die „Auserwählten“ im eigenen Land, in politischer Perspektive waren sie die einzig wahren und treuen Untertanen der Krone Frankreichs.28 Martyrium und Auserwähltsein sowie die Notwendigkeit, im Refuge französisch-reformierte Kirchen zu etablieren und zu erhalten, führten immer wieder dazu, dass die Hugenotten bis weit ins 18. Jahrhundert in den Ländern des Refuge kritisch wahrgenommen wurden bzw. xenophobe Ausbrüche an der Tagesordnung waren. 1710 heißt es in einem vermutlich von einem anglikanischen Pastor verfassten Letter to the French Refugees concerning their Behaviour to the Government, die französischen Protestanten seien Republikaner, „who think that they only are the Children of Grace, the particular Favourites of Heaven, and therefore that all the Right of Dominion and Power belongs peculiarly to themselves“.29 Ebenso wurde ihnen vorgeworfen, dass sie sich aufgrund ihres Auserwähltheitsbewusstseins als „separate body in the nation“30 [d. h. in England] gerierten, etwas, das im England des 18. Jahrhunderts als höchst suspekt galt. Hugenotten waren – so scheint es – nach 1685 nicht nur Märtyrer ihres Glaubens, sondern auch Märtyrer insofern, als sie als Untertanen Frankreichs verstoßen worden waren und nun sich zur Wahrung ihrer konfessionellen 26 „[…] die bereit seien, ihr Blut für seine Hoheit [den König von Frankreich] und seinen Staat zu opfern.“ Henri Basnage de Beauval, Tolérance des religions, Rotterdam 1684, 41. 27 „Sie [die französischen Kalvinisten] sind keine Fremden, da sie unter dem gleichen Himmel wie die Anderen geboren worden seien, unter der gleichen Obrigkeit, unter den gleichen Gesetzen […].“ Elie Benoist, Histoire de l’Edit de Nantes: contenant les choses les plus remarquables qui se sont passées en France avant & après sa publication, à l’occasion de la diversité des religions: et principalement les contraventions, inexecutions, chicanes, artifices, violences, & autres injustices, que les reformez se plaignent d’y avoir souffertes, jusques à l’edit de revocation, en Octobre 1685. Avec ce qui a suivi ce nouvel edit jusques à present. 3 Bde., Delft 1693–1695, Bd. I, 321, und Hubert Bost, Ces Messieurs de la R. P. R. Histoires et écritures de huguenots, XVIIe –XVIIIe siècles, Paris 2001, 281. 28 Myriam Yardeni, Enquêtes sur l’Identité de la „Nation France“. De la Renaissance aux Lumières, Seyssel 2004, 20–21. 29 A Letter to the French Refugees concerning their Behaviour to the Government, London 1710, 4. 30 A. a. O., 8–9.
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Identität in den Ländern des Refuge als eigenständige transnationale Nation bzw. Diaspora etablierten,31 was ihre Akzeptanz bis ins späte 18. Jahrhundert bei der Bevölkerung vieler Aufnahmestaaten, in England und den britischen Kolonien auch auf Regierungs- bzw. Parlamentsseite, erschwerte. Verfolgung, Leiden und Martyrium sind bis heute die Elemente, die in der Erinnerungskultur der Hugenotten ihr Erbe weitertragen und in den meisten Ländern des Refuge bis zum heutigen Tage französisch-reformierte Kirchengemeinden und damit in Erinnerung an das Leiden ihrer Vorfahren eine spezifisch konfessionelle und nationale Identität bewahrt haben.
Vgl. dazu ausführlich Susanne Lachenicht, Huguenot Immigrants and the Formation of National Identities, in: The Historical Journal 50/2 (2007), 309–331, und dies., Étude comparée de la création et de la survie d’une identité huguenote en Angleterre et dans le Brandebourg au XVIIIe siècle, in: Philip Benedict / Hugues Daussy / Pierre-Olivier Lechot (Hg.), L’Identité huguenote. Faire mémoire et écrire l’histoire (XVIe –XXIe siècle), Genf 2014, 279–294. 31
Die Waldenser in Kalabrien Märtyrer zwischen Mythos und Realität Albert de Lange Einführung Üblicherweise bezieht sich der Begriff „Märtyrer“ auf Einzelpersonen, die wegen ihres Glaubens umgebracht wurden und so zu „Zeugen der Wahrheit“ geworden sind. Im Falle der Waldenser wurde dagegen nicht an Einzelpersonen,1 sondern an ein ganzes „Volk“ als Märtyrergruppe gedacht. Es herrschte die Vorstellung, sie seien als kollektives Subjekt wegen ihres Glaubens verfolgt, vertrieben oder massakriert worden, und so wurden sie zu einem „Märtyrervolk“ stilisiert. Die Waldenser wurden so zum „Israël der Alpen“.2 Dieser „Mythos“ hat seine Wurzeln im waldensischen Selbstverständnis zur Zeit des Mittelalters.3 Er verdankt seine konkrete Ausgestaltung den drei grundlegenden protestantischen „Märtyrerbüchern“ aus dem 16. Jahrhundert: der Histoire des Martyrs des Genfer Verlegers Jean Crespin,4 dem Catalogus testium veritatis des deutschen Theologen Matthäus Flacius Illyricus5 und 1 Auch wenn es einzelne waldensische Märtyrer gibt, wie z. B. Gianluigi Pascale (siehe unten). 2 So lautet der Titel des vierbändigen Werkes von Alexis Muston, LʼIsraël des Alpes. Première histoire complété des Vaudois du Piémont et de leurs colonies […], 4 Bde., Paris 1851. 3 Siehe u. a. Albert de Lange, Die Ursprungsgeschichten der Waldenser in den Cottischen Alpen vor und nach der Reformation, in: Günter Frank / Friedrich Niewöhner (Hg.), Reformer als Ketzer. Heterodoxe Bewegungen von Vorreformatoren, Stuttgart-Bad Cannstatt 2004 (= Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 8), 293–320. Wolf-Friedrich Schäufele, „Defecit ecclesia“. Studien zur Verfallsidee in der Kirchengeschichtsanschauung des Mittelalters, Mainz 2006. 4 Siehe Jean-François Gilmont, Aux origines de l’historiographie vaudoise du XVIe siècle: Jean Crespin, Étienne Noël et Scipione Lentolo, in: I Valdesi e l’Europa, Torre Pellice 1982 (Collana della Societá di Studi Valdesi 9), 165–202. Vgl. Jamieson Tucker, From fire to iron: Martyrs and massacres victims in Genevan martyrology, in: Elizabeth C. Tingle / Jonathan Willis, Dying, Death, Burial and Commemoration in Reformation Europe, Farnham/Burlington 2015, 156–174, insbes. 169–171. 5 Das Kapitel über die Waldenser in den beiden von Matthias Flacius Illyricus selbst besorgten Editionen des Catalogus testium veritates von Basel 1556 und Straßburg 1562 ist identisch. Zur Orientierung siehe Martina Hartmann, Humanismus und Kirchenkritik. Matthias Flacius Illyricus als Erforscher des Mittelalters, Stuttgart 2001 (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 19), 182–187.
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dem Book of Martyrs des englischen Autors John Foxe.6 Die Abschnitte über die Waldenser in diesen drei Werken wurden von späteren Schriftstellern immer wieder „geplündert“. So lebt der Waldensermythos bis heute weiter. Er ist vergleichbar mit dem Mythos, der sich im Laufe des 17. Jahrhunderts um die Hugenotten bildete bzw. von ihnen selbst konstruiert wurde.7 Mythen sind, wie es auf Neudeutsch heißt, „master narratives“ (Meistererzählungen). Es handelt sich um Erzählungen, die sich auf Ereignisse beziehen, die geschehen sind, und deshalb beanspruchen, historisch wahr zu sein. Zugleich werden diese Ereignisse so rekonstruiert und stilisiert, dass sie auf das (vermeintlich) Wesentliche reduziert werden. Mythen sind einfache, bildhafte, stichwortartige Erzählungen, die – darin sind sie eine Herausforderung für den Historiker – nicht nur Wahrheit für sich beanspruchen, sondern auch Einfluss auf die Vorstellungswelt von Menschen nehmen und somit reale, wirklichkeitsändernde Macht bekommen. Mythen haben ihre eigene Wirkungsgeschichte. Mythenbildung scheint ein tiefes Bedürfnis der Menschheit zu sein. Sie ist eine Form von „Vergangenheitsbezug“, mit der Einzelpersonen und kollektive Subjekte wie Völker, Kirchen und Städte „aus der Vergangenheit identitätsfundierende, handlungsleitende und gegenwartsdeutende Kraft schöpfen“.8 Aus den Mythen lernt man, wer man ist, was man tun soll und wie die Zusammenhänge in der Welt bzw. der Weltgeschichte sind. Mythen begründen oft auch vermeintlich alte, in Wirklichkeit jedoch neue Traditionen.9 In diesem Aufsatz möchte ich an einem konkreten Beispiel, nämlich anhand der Waldenser in Kalabrien, aufzeigen, wie der Mythos der Waldenser als „Volk der Märtyrer“ gebildet wurde. Wie bereits angedeutet, spielten die Märtyrerbücher des 16. Jahrhunderts eine Schlüsselrolle bei der Bildung dieses Mythos. Aber es gab eine Vorgeschichte, an der mehrere Akteure mit unterschiedlichen Interessen beteiligt waren. Realität und Mythos verschränken sich. Ich nehme allein die Vorgeschichte in den Blick; ein anderer Aspekt wäre die Betrachtung der Wirkungsgeschichte des bis heute bekannten Mythos der Waldenser in Kalabrien.
Siehe Albert de Lange, L’eco delle stragi calabresi nella pubblicistica di area anglosassone (1563–1658), in: Renata Ciaccio / Alfonso Tortora (Hg.), Valdismo Mediterraneo. Tra centro e periferia: sulla storia moderna dei Valdesi di Calabria, Nocera Inferiore-Salerno 2013, 279–305. 7 Siehe dazu Ulrich Niggemann, Hugenotten, Köln u. a. 2011, 10–12, 99–110. 8 Jan Assmann, Frühe Formen politischer Mythomotorik. Fundierende, kontrapräsentische und revolutionäre Mythen, in: Dietrich Hartmann / Jan Assmann (Hg.), Revolution und Mythos, Frankfurt am Main 1992, 39–61, hier 41. Auch: http://archiv. ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/2141/1/Assmann_Fruehe_Formen_politischer_Mythomotorik_1992.pdf (konsultiert 11.07.2015). 9 Eric Hobsbawm / Terence Ranger, The Invention of Tradition, Cambridge 1992. 6
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1. Waldensische Diaspora Die Waldenser gehen zurück auf einen reichen Mann aus Lyon, Valdesius oder Waldes, der vermutlich 1173 seinen Besitz an die Armen verschenkte und danach als Wanderprediger auftrat. Er und seine Anhänger bzw. Anhängerinnen gerieten bald in Konflikt mit der Kirche, wurden exkommuniziert und später von der Inquisition verfolgt, da sie „sich selbst die Autorität zu predigen“ zuschrieben.10 Laien durften ihrer Auffassung nach ohne kirchliche Genehmigung predigen, wenn sie so lebten wie die Apostel Christi (vita apostolica). Trotz der Verfolgungen verbreiteten sich die Waldenser (sie wurden nach ihrem Gründer benannt) im Laufe des Mittelalters über ganz Europa. Es bildete sich eine „Diaspora“ im Untergrund. Durch Wanderprediger und familiäre Beziehungen wurden die Verbindungen unter ihnen aufrechterhalten. Viele waldensische Kerngebiete wurden allerdings im Laufe der Zeit durch die Inquisition aufgespürt und vernichtet, ganze Gemeinden gingen in Orden oder in neueren kirchenkritischen Bewegungen wie den Hussiten auf oder starben einfach aus. Als die Waldenser sich im Jahre 1532 der Reformation schweizerischer Prägung anschlossen, gab es noch drei Kerngebiete: in den Cottischen Alpen im Piemont (Herzogtum Savoyen) sowie in der Dauphiné (Königreich Frankreich), im Luberon in der Provence (Königreich Frankreich) und in Kalabrien und Apulien (Königreich Neapel). Die Waldenser in den Cottischen Alpen überlebten als Einzige die Gegenreformation, weil sie sich 1561 für den bewaffneten Widerstand entschieden. Hier bildete sich in den Jahren 1555–1564 eine eigenständige Waldenserkirche. Sie wurde stark von der reformiert-calvinistischen Kirche in Genf und Frankreich geprägt, fühlte sich aber weiterhin ihrer Vorgeschichte verpflichtet und betrachtet sich bis heute als eine „vorreformatorische“ Kirche. Sie existiert noch immer und ist inzwischen in ganz Italien präsent. Schlimmer traf es die Waldenser im Luberon, die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts aus den Cottischen Alpen zugewandert waren. Sie erlitten 1545 ein schweres Massaker. Zwar wurden bald darauf auch reformierte Kirchengemeinden im Luberon errichtet, aber im Unterschied zu den Cottischen Alpen spielte hier die Erinnerung an die waldensische Vorgeschichte nur eine untergeordnete Rolle und wurde erst im 20. Jahrhundert wieder revitalisiert. Ich hätte meine Ausführungen auch allein diesen beiden Kerngebieten widmen können. Sie illustrieren das Thema „Märtyrer zwischen Mythos und Realität“ sehr gut. Ihr Schicksal trug sehr zum Mythos der Waldenser als „Märtyrervolk“ bei. Ich möchte mich aber auf das dritte Kerngebiet konzentrieren, dessen Geschichte in Deutschland kaum bekannt ist. 10 Albert de Lange, Valdes, die ersten Waldenser und die Mystik, in: Mariano Delgado / Gotthard Fuchs (Hg.), Die Kirchenkritik der Mystiker. Prophetie aus Gotteserfahrung. Bd. 1: Mittelalter, Fribourg (CH) / Stuttgart 2004 (Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte 2), 54–67, hier 57.
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2. Die Verfolgung der Waldenser in Kalabrien 1559–1561 Zu der weitverzweigten europäischen Diaspora gehörten auch die Waldenser in Kalabrien und Apulien im Süden Italiens. Es handelte sich um Zuwanderer aus den Cottischen Alpen. Sie wurden von den örtlichen Adeligen angeworben. Die Neusiedler brachten ihre okzitanische (alpenprovenzalische) Sprache und ihre „Ketzerei“ mit. Die ersten kamen möglicherweise schon Ende des 13. Jahrhunderts. Zuwächse ergaben sich dann durch die Verfolgungswellen, denen die Waldenser in den Cottischen Alpen ausgesetzt waren. Manche Familien siedelten sich in bereits bestehenden Dörfern an, andere gründeten neue Siedlungen, wie La Guardia in Kalabrien.11 Seit dem 16. Jahrhundert wurden sie wegen ihrer Herkunft als „ultramontani“ bezeichnet.
Abb. 1: Die Waldensersiedlungen in Kalabrien
Es wird in Italien, insbesondere in Süditalien, in den letzten Jahren wieder viel über die Waldenser in Kalabrien und Apulien geschrieben. Zu erwähnen sind Autoren wie Renata Ciaccio, Marco Fratini, Antonio Perrotta, Pierroberto Scaramella und Alfonso Tortora. Vgl. www.waldenserbibliographie.com. Enzo Stancati, Gli Ultramontani. Storia dei Valdesi di Calabria, Cosenza ²2008, bietet einen guten Überblick über die Geschichte und eine ausführliche „bibliografia ragionata“ (441–495). 11
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Anfänglich wurden diese Fremden geduldet, selbst ihre abweichenden religiösen Überzeugungen riefen keine Feindseligkeit hervor, nicht zuletzt weil die Waldenser ihren Glauben nur im Verborgenen lebten. Die Lage veränderte sich jedoch, als 1504 das Königreich Neapel zu einer Provinz des spanischen Königreiches wurde und fortan von einem Vizekönig, der in Neapel residierte, regiert wurde. Die Spanier verstärkten die Verfolgung aller Nicht-Katholiken und bedienten sich der Inquisition, um Ketzer aufzuspüren und ihre Güter einzuziehen. Dazu kam, dass die Ideen der Reformation auch das ferne Kalabrien erreichten, doch zunächst hielten die Waldenser ihre Sympathien geheim (Nikodemitismus). Im Jahr 1558 sandten sie allerdings eine Delegation zur italienischen protestantischen Exilgemeinde in Genf und baten um die Entsendung von Pfarrern und Lehrern. Entsandt wurde Gian Luigi Pascale, ein gebürtiger Piemonteser, der in Lausanne Theologie studiert hatte. Er erreichte im März oder April 1559 Kalabrien und predigte dort öffentlich in den beiden größten Dörfern, San Sisto und La Guardia. Lange konnte er nicht wirken, denn Anfang Mai, nach nur einem Monat, wurde er in der Burg von Fuscaldo gefangen gesetzt, von wo aus er leidenschaftliche Briefe an seine Brüder in Kalabrien und Genf richtete. Er ermutigte die Waldenser in Kalabrien zum Widerstand und empfahl, eher zu fliehen als abzuschwören. Auch er selbst weigerte sich zu widerrufen. Im Januar 1560 wurde er zunächst nach Cosenza gebracht, im April nach Neapel und schließlich im Mai nach Rom. Wiederum wurden Versuche unternommen, ihn zum Abschwören zu bewegen, doch vergeblich. Er wurde im September 1560 am Tiber vor der Engelsburg verbrannt. Jean Crespin veröffentlichte 1564 in seinen Actes des Martyrs zum ersten Mal die ausführlichen Briefe, die Pascale aus seiner Gefangenschaft schrieb. Es war ihm zu verdanken, dass Pascale (der übrigens selbst durch die erste Edition 1554 des Werkes von Crespin dazu inspiriert worden war, das Martyrium auf sich zu nehmen) zu einem protestantischen Märtyrer wurde.12 Seit 1559 hatte Kardinal Michele Ghislieri, der spätere Papst Pius V. (reg. 1566–1572), ins Auge gefasst, gegen die Waldensergemeinden in Kalabrien sowie im Piemont vorzugehen. Er war seit 1558 Großinquisitor der „Kongregation der heiligen römischen und universellen Inquisition“, die Papst Paul III. 1542 gegründet hatte, um gegen die beginnende Reformation in Italien vorzugehen. Michele Ghislieri konnte auf die Unterstützung von König Philip II. von Spanien und König Heinrich II. von Frankreich rechnen, die sich im Friedensvertrag von Cateau-Cambrésis 1559 verpflichtet hatten, die „lutherische“ Ketzerei in ihren Ländern auszurotten. So sandte Ghislieri im November 1560 den Dominikaner Valerio Malvicino als Inquisitor nach Cosenza, der Haupt12 Zu Pascale siehe Stancati, Ultramontani, 127–169. Zur Veröffentlichung seiner Korrespondenz: Jean-François Gilmont, La rédaction et la circulation des lettres de Gianluigi Pascale (1559–1660), in: Alfonso Tortora (Hg.), Valdesi nel Mediterraneo. Tra medioevo e prima età moderna, Roma 2009 (Studi Storci Carocci 157), 145–161.
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stadt von Nord-Kalabrien. Dessen Auftreten und weitere Zwangsmaßnahmen lösten zuerst passiven Widerstand und die Flucht der Waldenser aus. Im Mai 1561 allerdings ergriffen die Waldenser auch die Waffen – vielleicht aufgrund des Beispiels ihrer Glaubensgeschwister im Piemont. Diese Rebellion führte schließlich zu einem „Kreuzzug“. Der Vizekönig, Pedro Alfan de Rivera, Herzog von Alcalà, ernannte Marino Caracciolo, Markgraf von Bucchianico, zum Kommandanten. Am 29. Mai plünderte und brandschatzte das spanische Heer das unbefestigte Dorf San Sisto. Die flüchtenden Einwohner wurden verfolgt und getötet oder gefangen genommen und nach Montalto gebracht. Am 5. Juni eroberte das Heer auch das befestigte Städtchen La Guardia, das etwa 6000 Einwohner hatte. Hunderte Waldenser wurden gehängt, verbrannt, auf andere Weise getötet oder als Gefangene nach Montalto gebracht. Hier wurde am 11. Juni nach einem kurzen Prozess 88 Waldensern die Kehle durchschnitten. Auch danach gingen die militärischen Aktionen, Prozesse und Hinrichtungen weiter. Das Schicksal der Waldenser in Kalabrien wurde in wenigen Jahren im evangelischen Europa zu einem „Mythos“ stilisiert. Die Entwicklung lässt sich gut nachvollziehen. Ich beschränke mich dabei vor allem auf Deutschland und behandle die Schweiz (Genf), England, Schottland und Italien nur am Rande.13
3. Warhafftiger bericht von 1561 Das Blutbad im Mai/Juni 1561 fand große Aufmerksamkeit in Deutschland. Das war einer kleinen Druckschrift von 10 Seiten (5 Blätter [A1–4, B] in –4°) zu verdanken, die einen Brief vom 11. Juni 1561 aus Montalto enthält. Der Titel lautet: Warhafftiger bericht/|| von dem erschroecklichen Mordt/ an || acht vnd achtzig Christlichen/ vn=||schueldigen personen/ vmb des Euan||gelions willen/ zu Montalto/ im || Koenigreich Naplis begangen.|| Auß Welscher inn die Teudtschen || sprache gebracht.||14
13 Ab hier handelt es sich bei meinem Aufsatz um eine verkürzte Bearbeitung meines Beitrags: Lʼeco delle stragi calabresi nella pubblicistica di area tedesca, in: Tortora (Hg.), Valdesi (wie Anm. 12), 163–188. 14 So lautet der Titel einer Edition von 5 Bl., die 1561 bei Johann vom Berg und Ulrich Neuber in Nürnberg erschien. Alle anderen Editionen enthalten nur 4 Bl. Daher erscheint mir die Edition in 5 Bl. die älteste zu sein. Für die bibliografischen Daten aller Editionen siehe im Internet das Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16) und www.bibliografia-valdese.com. Für die beiden Nürnberger Verleger und alle anderen Drucker siehe Christoph Reske, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007 (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen, vol. 51).
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Abb. 2: Titelseite des Warhafftiger bericht, Nürnberg 1561
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Noch im gleichen Jahr erschienen vier Auflagen, zwei in Nürnberg bei Johann vom Berg und Ulrich Neuber,15 eine in Regensburg bei Heinrich Geisler und eine in Straßburg bei Peter Hug. Später erschienen fünf weitere Ausgaben: drei 1578 (von denen zwei wiederum in Nürnberg und eine in Basel herausgegeben wurden, alle drei ohne Namen des Verlegers), eine 1586 in Basel16 und die letzte 1588 bei Hans Bürger in Regensburg. Es handelt sich dabei um Drucker und Verlagsorte, die seinerzeit lutherisch waren – auch Basel war in der Zeit von 1553 bis 1585, als Simon Sulzer dort Antistes (Hauptpfarrer) war, eher lutherisch als reformiert ausgerichtet. Wenn man die neun Ausgaben vergleicht, findet man kaum inhaltliche, sondern nur typografische und orthografische Unterschiede. Alle zitieren auf dem Titelblatt Psalm 44:23 in der Übersetzung von Luther: „Wir werden ja vmb deinen willen teglich erwuerget / vnd sind geacht wie Schlachtschaffe.“
4. Die Vorrede Das Heft besteht aus zwei Teilen: Der erste Teil, verfasst von einem anonymen Autor, trägt den Titel „Vorrede“ und besteht größtenteils aus Bibelversen, die durch Anführungszeichen als solche gekennzeichnet wurden:17 ES schreibet der heylige Johannes in seiner Offenbarung Cap. 6[:9–11]. Da das Lamb „das fuenffte Siegel auffthet / sahe ich vnter dem Altar die seelen / deren / die erwuerget waren vmb des worts Gottes willen / vnnd vmb des zeugnuß willen / das sie hatten. Vnd sie schryen mit grosser stimme / vnd sprachen: Herr / du heyliger vnd warhafftiger / Wie lang richtest du / vnd rechest nicht vnser Blut / an denen / die auff Erden wonen? Vnd jnen wurde gegeben einem jeglichen ein weyß kleyd / vnd wardt zu jnen gesagt / Das sie rugeten noch eine kleine zeyt / biß das vollend darzu kemen jre Mitknechte vnd Brueder / die auch sollen noch ertoedtet werden / gleich wie sie.“ Dieses schreyen der heyligen Maerterer / hat angefangen mit dem ersten vnschueldigen blut des ersten Maerterers Abel / von welchem der HErr zu Cain spricht / Gene[sis] am 4.Cap[:10]. „Was hastu gethan? Die stimm deines Bruders blut schreyet zu mir von der Erden.“ Es wirdt auch nicht auffhoeren / biß „auff den tag des zorns / vnd der offenbarung des gerechten gerichtes Gottes / welcher geben wirdt einem jeglichen nach seinen wercken“ / Roman. 1 [= Rom. 2:5–6]. Mitler zeit aber / weyl die heyligen Maerterer Gottes in jrer ruge ligen / vnnd mit dem weyssen kleyd / das ist / mit dem zeugnuß jrer gerechtigkeyt vnnd vnschuldt / die sie von dem blut des Lambs empfangen haben / in der rechten waren Christlichen Kirchen geschmucket vnd gezieret werden / so gehet dennoch auch das zeytlich gericht vnnd straff 15 Zwischen der Edition von 5 Bl. und der von 4 Bl. bestehen nur einige typografische und orthografische Unterschiede, keine inhaltlichen. 16 In dieser Edition mit dem Titel Erbermliche Newe zeitung vnd Warhafftiger Bericht hat der anonyme Verleger das Datum des Briefes vom 11. Juni 1561 in „den 27. May / Anno 1586“ geändert und suggerierte so, dass das Massaker gerade stattgefunden hatte. 17 Ich übernehme hier den Text der ersten Edition des Warhafftiger bericht, Nürnberg 1561, Bl. 2v–4r.
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vber den blutduerstigen Cainischen hauffen / das je mehr sie toben vnnd wueten / je mehr sie zu grund gehen / vnd augenscheinlich an jrer vorigen macht / pracht vnnd anhang an allen orten abnemen / Vnd wirt erfuellet an jnen / das Esaias weissaget / Cap. 26[:21]. „Denn sihe / der Herr wirdt außgehen von seinem ort / heimzusuchen die boßheyt der Einwoner des Landes vber sie / das das Landt wirdt offenbarn jr blut /vnd nicht weyter verhelen die drinnen erwuerget sind.“ Des haben sich alle Christliche hertzen / ob solchen grewlichen geschichten / vnd sonderlich die vnter des Bapsts Tyranney hefftig bedranget / on vnterlaß seufftzen nach dem froelichen vnd seligen tag vnser erloesung / zu troesten. Dargegen aber ist es ja ein grewliche / vnd vnmenschliche blindheyt an den Papisten / das sie selbs ein hertzliches entsetzen ob solchem blutuergiessen haben muessen / Als auß folgendem Brieff / den ein Papist an ein Person hohes standts geschrieben hat / zusehen / Da er selbs bekennet (wie es denn bey einem natuerlichen menschen nicht anders sein mag) sein gantzer leyb hab jm ob dem erbermlichen wuergen gezittert / das sie dennoch nit ablassen / noch mit sehenden augen vnd wolbedachtem mut woellen sehen oder verstehen / warumb diese Gottselige leut jre kelen so vnuerzagt darstrecken / als nemlich / das sie nit vmb Mordt / Ehebruch / Gotteslesterung / Rauberey / oder Sodomitische vnzucht / vnd dergleichen leyden / sondern / das sie begeren die greulichen Abgoetterey in anrueffung der geschnitzten Bilder / des Meßopffers / zweyffelung an Gottes gnaden vnd barmhertzigkeyt / falsches vertrawen auff eygene werck vnd verdienst zufliehen / vnnd den einigen warhafftigen Gott vnnd Vatter vnsers Herrn Jesu Christi / in seinem wort vnd heyligen Sacramenten recht zu erkennen / on eynigen zusatz vnd verkerung menschlicher satzung / Ob solcher hertzlicher begird / lassen sie jr leben vnd blut vergiessen / vnd werden wie „die Schlachtschaffe (als dieser Schreyber selbs bekennen muß) geachtet“ [cfr. Ps. 44:23]. Darauß denn nichts anders folgen wil / denn das auff diese oeffentliche mutwillige verstockung vnd blindheit / „das verderben“ die greulichen moerder „schnell vbereylen wird / gleich wie der schmertz ein schwanger weyb / vnd werden nicht empfliehen“ / 1. Thessal. 5[:3]. Denn solches wirdt das geschrey der heyligen Maerterer / vnd aller geengstigt vnnd betruebten hertzen von Gott erbitten vnd erhalten / laut seiner verheissung Luce 18[:7–8]. „Solt aber Gott nicht auch retten seine außerweleten / die zu jm tag vnd nacht rueffen? vnd solte gedult drueber haben? Jch sage euch / er wirdt sie retten in einer kuertz.“ Apocal. 22[:20]. Ja komm Herr Jesu
Bemerkenswert ist, dass der Verfasser die Rolle des Vizekönigs von Neapel verschweigt. Er hat anscheinend kein Interesse daran, gegen Spanien mobil zu machen, auch wenn sich bald danach im lutherischen Deutschland die „schwarze Legende“ verbreitete, Philipp II. wolle mit Hilfe der Inquisition eine „Universalmonarchie“ errichten.18 Der Verfasser kritisiert nur die päpstliche Tyrannei und die Grausamkeit der Papisten. Der Zweck der Vorrede ist religiöser Art. Der Verfasser zitiert zahlreiche Bibelverse, um diejenigen zu trösten und ihnen Hoffnung zu bieten, die wegen ihres Bruchs mit der römisch-katholischen Lehre verfolgt wurden. Er weist darauf hin, dass das Jüngste Gericht naht und dass Gott selbst die Verfolger bestrafen und die unschuldigen Opfer rächen wird. Der Autor vertritt eine apokalyptische Weltsicht, sodass in diesem Zusammenhang die Opfer von Siehe z. B. Johannes Arndt, Das Heilige Römische Reich und die Niederlande 1566 bis 1648. Politisch-konfessionelle Verflechtung und Publizistik im Achtzigjährigen Krieg, Köln u. a. 1998 (Münstersche Historische Forschungen, 13), 254–266. 18
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Montalto zu „heyligen Marterer“ werden. Auch wenn er es nicht explizit sagt, wird der Verfasser sie für Lutheraner gehalten haben. Der Autor selbst war sicherlich ein Lutheraner. Er verwendet nicht nur die Bibelübersetzung Luthers, seine apokalyptische Geschichtsbetrachtung war damals vor allem im Luthertum weit verbreitet und ist in vielen lutherischen Geschichtswerken in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu finden.19 Auch seine Zusammenfassung der protestantischen Lehre ist lutherisch eingefärbt. Der Verfasser scheint aber auch vom Humanismus geprägt gewesen zu sein. Er preist den römisch-katholischen Verfasser des „Briefes“ – also des zweiten Teils des Heftes –, weil dieser sich über die Inhumanität seiner Glaubensbrüder beklagt, die Menschen foltern und ermorden, obgleich diese sich keinerlei Straftaten schuldig gemacht haben, sondern denen nur vorgeworfen werden kann, dass sie „Ketzer“ sind, d. h. dass sie die katholische Lehre ablehnen.
5. Der Brief von 11. Juni 1561 aus Montalto Das zweite Teil des Heftes trägt wiederum den Titel des Vorderblatts: Warhafftiger bericht/ von dem erschroecklichen Mordt/ an acht vnnd achtzig Christlichen vnschuldigen personen/ vmb des Euangelions willen zu Montalto in dem Koenigreich Naplis begangen. Der Text wird im Folgenden zitiert.20 Die Kursive und Klammern wurden nachträglich gesetzt und werden unten erläutert (Abschnitt 6 und 7). GNediger Herr / Jch hab euch verschiener tage / was sich mit diesen Ketzern teglichs zugetragen / geschrieben. Nun kan ich nit vnterlassen / euch anzuzeygen / das heut den eylfften zu guter stundt / angefangen worden ist / erschroeckliche straffen wider dieselbigen Lutherischen fuerzunemen / an welche so ich gedenck / erzittert mir mein gantzer leyb / Vnd kan euch bessere gleichnusse nicht geben / denn wie mit den Schaffen pflegt zu geschehen / also waren sie gefangen in eim hauß / [vnd verschlossen] / vnnd kam der Nachrichter / vnd fueret einen nach dem andern herauß / verbandt jnen jre augen / vnd fueret sie auff einen weyten Platz / nicht fern von gedachtem hauß / daselbsten ließ er sie nider knien / vnd mit einem messer stach er jnen die kelen ab / [ließ sie also verzabeln] / Wenn er aber einen nider geworffen het / nam er die blutigen binden / vnd das blutige messer / vnd fueret einen andern an die stett /vnnd thet dergleichen / biß also jr acht vnd achtzig gericht wurden / Welches Spectakel / wie es erbermlich zusehen / laß ich ein jeden selbs gedencken. Aber ich kan vnter dem schreyben vor weinen mich nicht enthalten / vnnd gewißlichen / wenn einer einen sahe / so mocht er den andern nit sterben sehen / vor jammer / Denn sie giengen gar gedultig in todt / das es vnmueglich zu glauben. Etliche sagten / wie sie sterben solten / Sie glaubten das / das wir glaubten / Vnnd sturben also in jrer vermaledeiten halßstarrigkeyt. Was alt / das war froelich / die gar jungen etwas forchtsamer / Jch zitterte rechts zittern / wenn ich den Nachrichter sahe mit dem blutigen messer / das er dasselbig in mundt name / 19 Siehe Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007 (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe, 37), insbes. 472–493. 20 Text der ersten Edition des Warhafftiger bericht, Nürnberg 1561, Bl. 4v–5v.
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die blutigen binden in seinen henden truge / vnd seine arm / welche [entploest / von menschen blut gesprengt] vnd blutig sein solten. [Letzlich aber / da man auch diese richten solt / welche der Scheffleinfuerer gewesen] / ist befolhen worden / das man sie alle solte vierteylen / die vierteyl in derselbigen gegend / [an stangen auffhencken] / in zeylen nach einander bis auff Calabriam zu. Wenn die Baepstliche heyligkeyt / vnd der Vice-Ro / dem Herren Marggrauen nit andern befelh geben werden / etwas zuzuhalten / [wuerdet man gleicher maß mit den andern gefangenen verfaren vnnd handeln]. Heut hat man befolhen / hundert Weybßpersonen von den eltesten hieher zu fueren / dieselben peinlich zu fragen / vnnd gleicher gestalt zurichten. Auch noch heut vmb die viertzehenden stundt / werden wir vernemen / [was der Redlefuerer einer wuerdet koennen] / gegen denen / die willig zum todt seyen gangen / derselbigen seyen sieben / die wirdt man lebendig verbrennen. Die Ketzer die in Calabria gefangen / der sein in allem sechtzehen hundert / vnnd welche verurtheylet vnnd gericht / derselben seyen acht vnnd achtzig / die andern werden noch gefengklich gehalten. Seyen auch noch vier Flecken von diesen Leuten / wissen aber nicht wo hinauß vnnd wohin / sein einfeltig / vngelehrt / vnnd Bauerßleute / von denselben hoere ich / ehe denn sie haben sterben woellen / das sie zum theyl zu der heyligen Religion / vnd zu der Roemischen Kirchen gehorsam gepracht worden. Geben zu Montalto den eylfften Junij / Anno M. D. Lxj Psalm 79[:11].21 „Laß fuer dich kommen HErr / das seufftzen der gefangenen / Nach deinem grossen arm behalt die kinder des Todes.“
6. Die italienische Vorlage Dieser Brief evoziert drei Fragestellungen: 1. Welche Vorlage gab es? 2. Wer war der Autor des Briefes? 3. Wer hat ihn 1561 ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht? Einen wichtigen Hinweis zur Beantwortung der ersten Frage bietet ein Aufsatz von Francesco Palermo mit dem er 1846 zugleich drei handschriftliche Briefe in italienischer Sprache aus Montalto vom 5., 11. und 12. Juni 1561 veröffentlichte.22 Diese drei Briefe, die Palermo im Archiv der Medici im Florence entdeckte, tragen die Aufschrift „Avvisi di Napoli“. Ein „avviso“ ist eine Nachricht. Die Briefform war damals für derlei Nachrichten Sicherlich vom Verfasser und/oder vom Verleger der Vorrede hinzugefügt. Francesco Palermo, Narrazioni e documenti sulla storia del Regno di Napoli dall’anno 1522 al 1667 raccolti e ordinati con illustrazioni, in: Archivio Storico Italiano ossia Raccolta di opere e documenti finora inediti o divenuti rarissimi risguardanti la storia d’Italia, 9 (1846), 193–195, cfr. XXI. Luigi Amabile veröffentlichte eine kritische Edition in seinem grundlegenden Werk: Il Santo Officio della Inquisizione in Napoli. Narrazione con molti documenti inediti, Bd. I, Città di Castello, 248–249. Ein anastatischer Nachdruck findet sich in Perrotta, Antonio, I valdesi a San Sisto, Guardia, Montalto, San Vincenzo, Vaccarizzo, Argentina e Piano dei Rossi, Cosenza 2005, 108–110 21
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üblich.23 Solche Nachrichten zirkulierten entweder in Form einer Handschrift oder als Druck. Diese drei „Avvisi di Napoli“ sind uns nur in handschriftlicher Form überliefert. Ein Vergleich zeigt allerdings, dass der Brief vom 11. Juni 1561, der 1561 in Nürnberg erschien, nicht mit dem „Avviso di Napoli“ vom 11. Juni identisch ist, sondern dass er eine „fusione“24 von den Avvisi vom 11. und 12 Juni darstellt. Es gibt außerdem Worte und Sätze in der deutschen Übersetzung von 1561, die in den beiden Avvisi fehlen. Diese wurden im Text (Abschnitt 5) kursiv und in eckigen Klammern gesetzt (siehe auch Abschnitt 8). Wie kann man diese Unterschiede erklären? Hat der Übersetzer die Fusion vollzogen und die Ergänzungen eingefügt – oder gab es bereits eine italienische Vorlage, in der der Avviso vom 5. Juni fehlte, die Avvisi vom 11. und 12. Juni zusammengefasst wurden und es einige Ergänzungen gab?
7. Heinrich Pantaleon Bevor ich versuche, Antworten zu formulieren, möchte ich zuerst danach fragen, wer das Vorwort verfasst und/oder die italienische Vorlage übersetzt hat. Als Erster kommt Heinrich Pantaleon in Betracht, weil er 1563 eine lateinische Übersetzung des Briefes vom 11. Juni veröffentlichte, und zwar ebenfalls in der fusionierten Form. Pantaleon war ein Freund des englischen Glaubensflüchtlings John Foxe. Dieser hatte 1554 die erste Ausgabe seines Märtyrerbuchs Rerum in ecclesia gestarum in Straßburg veröffentlicht. Seit 1557 arbeitete Foxe in der berühmten Druckwerkstatt von Oporinus in Basel und veröffentlichte dort 1559, kurz vor seiner Rückkehr nach England, den ersten Teil der zweiten lateinischen Ausgabe dieses Werkes. Auf die Bitte von Foxe hin bereitete Pantaleon nun den zweiten Teil dieser Ausgabe vor, der 1563 unter dem Titel Martyrum Historia25 erschien. Darin veröffentlichte Pantaleon eine lateinische Übersetzung des Briefes von Montalto vom 11. Juni, die dann von Foxe in englischer Übersetzung in die zweite englische Edition seiner Acts and Monuments of Martyrs von 1570 übernommen wurde26 und eine eigene Rezeptionsgeschichte erfuhr.27 Pantaleon, ein gebürtiger Baseler, war ein lutherisch geprägter Humanist, der mehrere historische Werke veröffentlichte. Sein eigentlicher Beruf war 23 Cfr. Tullio Bulgarelli, Gli avvisi a stampa in Roma nel Cinquecento. Bibliografia – Antologia, Roma 1967, 18: „In generale l’avviso a stampa ha forma epistolare.“ 24 Pierroberto Scaramella, L’Inquisizione romana e i Valdesi di Calabria (1554– 1703, Napoli 1999, 3 Anm. 4. 25 Heinrich Pantaleon, Martyrum Historia […], Basilea 1563. 26 John Foxe, Acts and Monuments of Martyrs […], London 1570, 1074. http://www. hrionline.ac.uk/johnfoxe/index.html (konsultiert 12.07.2015). 27 De Lange, Eco (wie Anm. 6).
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Arzt und er lehrte als Professor der Medizin an der Universität Basel.28 Sein Kollege war Guglielmus Gratarolus (Grataroli), ein Arzt aus Bergamo (das damals zu Venedig gehörte), der 1551 in Abwesenheit von der Inquisition als „professore haereticae pravitatis“ verurteilt wurde. Er hatte rechtzeitig die Flucht nach Basel ergriffen.29 Grataroli blieb von Basel aus in Kontakt mit anderen italienischen Protestanten, z. B. mit Simone Florillo (Fiorillo), der aus Caserta aus dem Königreich Neapel stammte und ebenfalls fliehen musste. Er wurde 1559/60 reformierter Pfarrer in Chiavenna, das damals zu Graubünden gehörte.30 Simone Florillo schrieb am 21. August [1561] einen Brief an Grataroli in italienischer Sprache, der wohl eine Transkription des (italienischsprachigen) Briefes von Montalto vom 11. Juni enthielt.31 Grataroli übersetzte den Brief von Florillo ins Lateinische und gab ihn an Pantaleon weiter, der ihn in sein Martyrum Historia einfügte, und zwar in einem Abschnitt mit dem Titel: „In Calabria circiter 88 martyres vno die, fatti 11 Junii 1560“.32 Pantaleon eröffnet diesen Abschnitt mit der Bemerkung, dass Papst Pius IV. (Giovanni Angelo Medici), der 1559 gewählt wurde, gleich nach seiner Berufung begonnen habe, diejenigen zu verfolgen, „qui de Lutheranismo suspecti erant“. Es heißt weiter: Potissimum uero grauis persecutio in regno Neapolitano orta est, ita ut passim plurimi illustres uiri una cum uxoribus magna crudelitate occisi esse dicantur. In Calabria quoque uno die circiter 88 homines, porcorum instar, sanguinolento cultro mactati fuerunt. Id autem ut rectius intelligatur, subiiciam partem epistolae D. Simonis Florilli, Clavennae apud Rhaetos verbi ministri, quam ad clarissimum uirum Vuilhelmum Gratarolum Medicinae Doctorem 21 Augusti Italico idiomate Basileam scripserat. Hanc enim D. Vuilhelmus Latinitate donatam mihi pro sua humanitate communicauit.
Zu Heinrich Pantaleon (1522–1595) und seinem Martyrum Historia siehe Hans Buscher, Heinrich Pantaleon und sein Heldenbuch, Basel 1946 (Basler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 26). 29 Zu Grataroli (Gratorolo) (1516–1568) siehe Salvatore Caponetto, La Riforma protestante nell’italia del Cinquecento, Torino ²1992, 224–225, und John Tedeschi, The Italian Reformation of the Sixteenth Century and the Diffusion of Renaissance Culture: A Bibliography of the Secondary Literature (ca. 1750–1997), Modena 2000, 319–321. 30 Giampaolo Zucchini, Riforma e società nei Grigioni. G. Zanchi, S. Florillo, S. Lentulo e i conflitti dottrinari e socio-politici a Chiavenna (1563–1567), Coira 1978, 10–12 Anm. 3. 31 Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Florillo eine gedruckte Ausgabe des Briefes von Montalto an Grataroli sandte. Jedenfalls befand sich kein Exemplar in der Bibliothek von Grataroli (Leandro Perini, La „biblioteca venalis“ di Guglielmo Grataroli, in: Rinascimento, n. s. 7 (1967), 293–308. 32 Pantaleon, Martyrum Historia (wie Anm. 25), 337–338 (Brief von Florillo), 338 (Brief von Montalto). Pantaleon datiert den Brief von Montalto irrtümlich auf den 11. Juni 1560 anstatt 1561 – ein Fehler, der von Foxe u. a. übernommen wurde. 28
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Dann folgt zuerst der Brief, den Florillo am 21. August [1561] an Grataroli geschrieben hat und aus dem hervorgeht, dass er gut über Kalabrien und die Geschichte der dortigen Waldenser informiert war: QVod superest, quantum ad eos qui de me male loquuntur, parum curo, modo habeam bonam conscientiam coram Deo & bonis ac piis hominibus. Spero enim me summa patientia superaturum omnes linguas, & omnes simul inferorum potentias: detectumque tandem iri hypocrises, fictiones,& omnes malitias, maxime falsorum fratrum,& haereticorum: ita Deum oro cito faciat ob gloriam suam & bonum suae ecclesiae, quae eo valde indiget. De rebus autem nouis non aliud habeo quod scribam, quam quod mitto exemplum literarum impressarum Romae aut Venetijs de martyrio nouiter patrato per Calabriam in duobus oppidis ad octo Italica milliaria Cosentiae uicinis, quorum unum uocatur Sanctus Sixtus, duobus passuum millibus iuxta Montaltum, quod Duci Montalti paret: alterum uocatur Guardia, situm supra mare, ac 12 miliatiaribus uicinum Sancto Sixto, quae duo oppida destructa iam sunt, & interfecti habitatores ad numerum octingentorum, uel eorum fuerunt circiter mille, ut alius scribit ex urbe Roma 21 Junij33: qui vero scripsit erat famulus Ascanii Caraccioli. Gentes illas ego cognoui, ex Valdensium origine, bonae doctrinae, & melioris vitae. Nam antea quam Geneua discederem, misimus ad eorum instantiam duos ministros Verbi, & duos scholae literariae magistros: ministri anno praeterito fuere martyrio affecti, unus Romae, qui vocabatur Joannes Aloisius Pascalis, ex Cunio ciuitate: alter Messinae, Iacobus Bonellus, ambo Pedemontani;34 hoc anno autem residuum piorum illorum hominum martyrio ibi deletum est. Spero futurum hoc bonum semen Italiae, ut producat bonum & copiosum fructum. Sequitur ergo exemplum predictarum literarum scriptarum ex Montalto Calabriae oppido a Cosentia 8 passuum milibus distante, sub xi Iunii 1560 [= 1561]. At qui scripsit (ut uidere est) ex eorum numero est qui se Catholicos uocant, atque Papam sequuntur.
Anschließend folgt der Brief von Montalto vom 11. Juni 1561. Die kursiv markierten Wörter und Sätze sind Ergänzungen in der lateinischen Übersetzung, die nicht in dem deutschen „Bericht“ von 1561 zu finden sind. Permagnifice domine, hactenus scripsi quantum indies peractum est hic circa hos haereticos. Nunc dicere occurrit quemadmodum hodie quae est xi Iunij, summo mane coepta sit fieri horrenda iustitia contra hos Lutheranos; qua in re solum cogitans, horreo ac tremo. Et ita uobis affirmo horum omnium mortem fuisse ueluti ueruecum seu castratorum, ut uocamus: Hi omnes in una domo clausi erant ueluti in caula; atque ibat carnifex, & singulos arripiens ligabat instita seu benda eorum oculos, & deducebat in amplum locum, parum distantem ab ea domo: ibique genua flectere iussos, cultro iugulabat, sicque exanimes relinquebat. Deinde fasciolam illam (bendam italice uocatam) sanguinolentam & sanguinosum cultrum capiens ad alium pergebat, eumque simili ratione mactabat. Postea lanienam talem secutus est usque ad numerum hominum octuagintaocto. quod quidem spectaculum quam miseratione dignum ac lugendum fuerit, uobis cogitandum & considerandum relinquo: nam scribendo uix a lachymis [= lacrimis] tempero mihi: neque aliquis fuit ex spectatoribus, qui uno moriente viso, alium itidem uedere sustinuerit: tam enim humiliter ac patienter ad martyrium & mor Es ist unbekannt, um welchen Brief es sich handelt. Zu Pascale siehe oben, Abschnitt 2. Der Prediger Giacomo Bonelli, der ebenfalls aus dem Piemont stammte, wurde am 16. oder 18. Februar 1560 in Palermo oder Messina verbrannt. Die beiden Schulmeister waren vermutlich die Kalabresen Filippo Ursello (Orsello) und Francesco Tripodi. Siehe Stancati, Ultramontani (wie Anm. 11), 130–132. 33
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tem eunt, ut creditu sit impossibile. Ex illis morientes aliqui asserunt se credere idem quod nos, nihilominus magna ex parte moriuntur cum illa ipsorum maledicta obstinatione. Senes omnes eunt ad mortem alacres: sed iuuenes eunt perterrefacti: horresco uidens carneficem sanguinolentum cultrum in ore tenentem, cum fasciola illa sanguinolenta in manu, cruentatisque omnino brachiis, ac uenientem ad domum illam, & unum aliquem capientem, ita ut lanio uideatur, qui ueruecem interficere uelit. Ordinatum est, & iam hic sunt plaustra, ut omnes illi iugulati scindantur singuli in quator partes, quibus plaustra onusta devehantur usque ad initium prouinciae Calabriae, & statis locis in compitis ponantur & cursoria in uia, usque ad Calabria confines. Nisi Papae sanctitas & Dominus uicerex Neapolis mandauerint Domino Marchioni Buccianici praedictae prouinciae gubernatori, ut manum auserat ac tandem cesset, perget equuleo examinare alios, & numerum augere ut omnes perdat. Hodie quoque decretum ut centum seniores mulieres ueniant, quae tormentis & examine afficiantur, deinde morti subijciantur, ut mixtura fiat perfecta, quo melius sonet in ore uocabulum, fuisse supplicio affectos tot uel tot, partim uiros partim foeminas, hoc sit quantum dicere possum de hac iustitia. Iam sumus in hora huius diei 14 atque mox audiemus de aliquo istorum obstinatorum quid dixerit, cum ad supplicium fuit. sunt aliqui adeo obstinati, seu pertinaces, ut nolint cruxifixum uidere, nec sacrifico confiteri, & hi uiui comburentur. Haeretici qui in Calabria capti sunt, numerum 1600 complerit, qui omnes condemnati sunt. Qui uero hactenus supplicio affecti, fuerunt 88. Gentes istae originem habent ex Valle Agronia prope Sabaudiam: & in Calabria uocantur Vltramontani. In Regno Neapolitano supersunt alia quator loca horum populorum, de quibus tamen ignoratur an male uiuant: nam sunt homines simplices, idiotae, ligonizatores & agricolae: & in morte obeunda, ut audio, se bene religiosos ostendunt. Vale ex Montealto, xi Iunii.
Pantaleon schließt den Abschnitt mit den Worten: Hactenus Romanista ille. Videmus ergo ex literis etiam aduersariorum, inauditam Tyrannidem quam erga sanctos illos homines ijs in locis exercent. fertur autem Marchionem illum Buccianicum filium aut fratrem habere, cui Pontifex Cardinalatum promiserit, si omnes Lutherani ea in Prouincia fuerint extirpati.35 Praeterea cognoscimus piorum miram patientiam, qui spe uitae aeternae omnis generis tormenta & crudelem mortem constantissime perserunt, atque uictoriam gloriosam secum ad agnum immaculatum reportant. Faxit Deus ut tandem omnes populi Iesum Christum mundi saluatorem agnoscant, confiteantur, & innocenti uita celebrent. Amen
8. Nochmals die italienische Vorlage Den Vergleich zwischen der deutschen Übersetzung des Briefes von Montalto vom 11. Juni 1561 in der Nachricht aus der zweiten Jahreshälfte 1561 und der Es ist unklar, woher Pantaleon diese Nachricht hatte. Es gibt keinen Beweis, dass Papst Pius IV. das versprochen hatte. Weder ein Bruder von Marino Caracciolo noch dessen Sohn wurde je Kardinal, und auch sein Schwager Ascanio Caracciolo nicht (siehe Anm. 40). Möglicherweise entstand dieses Gerücht, weil es einen berühmten Kardinal Marino Ascanio Caracciolo aus Neapel gab. Dieser starb allerdings bereits 1538 und war kein Verwandter des Kommandanten Marino Caracciolo. 35
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lateinischen Übersetzung von Grataroli, vermutlich aus derselben Zeit, bietet einige neue Hinweise auf die drei oben gestellten Fragen: 1. Welche Vorlage gab es? 2. Wer war der Autor? 3. Wer war für die deutsche Übersetzung von 1561 verantwortlich? Die erste Frage lässt sich nun mit einiger Sicherheit beantworten. Die deutsche und lateinische Übersetzung sind unabhängig voneinander entstanden. Es gibt trotzdem eine Grundübereinstimmung. Das bedeutet, dass es eine gemeinsame italienische Vorlage gegeben haben muss, in der die Avvisi vom 11. und 12. Juni bereits zusammengefasst waren und die außerdem einige wichtige Ergänzungen zu den von Palermo veröffentlichten Avvisi enthielt. Das gilt insbesondere für die lange Passage, die in der deutschen Fassung mit den kursiv gesetzten Worten beginnt: Aber ich kan vnter dem schreyben vor weinen mich nicht enthalten. In der lateinischen Fassung taucht diese Passage, die mit „nam scribendo vix a lachrymis tempero mihi“ beginnt, fast wörtlich wieder auf. Sie war also bereits in der italienischen Vorlage vorhanden. Es gibt allerdings auch mehrere Unterschiede zwischen der deutschen und der lateinischen Übersetzung, die der Annahme einer gemeinsamen Vorlage zu widersprechen scheinen. Es gibt einerseits einige Worte/Sätze, die es nur in der deutschen Fassung gibt (in Abschnitt 5 kursiv markiert und in eckige Klammern gesetzt), die also sowohl in den Avvisi vom 11. und 12. Juni als auch in der lateinischen Übersetzung fehlen. Es gibt andererseits auch Worte/ Sätze, die zwar in der lateinischen Übersetzung vorkommen (und in einem Fall auch in den Avvisi vom 11. und 12. Juni zu finden sind), die aber in der deutschen Übersetzung fehlen; diese habe ich in der lateinischen Übersetzung (Abschnitt 7) kursiv markiert. Der überwiegende Teil dieser Besonderheiten in der lateinischen Übersetzung scheint jedoch auf Grataroli zurückzugehen, der seinen Lesern Begriffe und Umstände erklären wollte und wohl dazu Ergänzungen einfügte. Es gibt aber zwei auffallende Unterschiede zwischen der deutschen und der lateinischen Übersetzung, die sich nicht auf Grataroli zurückführen lassen. Bei Pantaleon heißt es: „Gentes istae originem habent ex Valle Agronia prope Sabaudiam: & in Calabria uocantur Vltramontani“. Das stand sicherlich auch in der italienischen Vorlage, die er verwendet hat, denn sie kommt auch in dem von Palermo veröffentlichten handschriftlichen Avviso vom 12. Juni vor.36 Der deutsche Übersetzer ließ es vermutlich weg, weil er die Opfer als „Lutheraner“ darstellen wollte. Schwieriger ist es beim zweiten Unterschied. Der Warhafftiger bericht weist auf „Scheffleinfuerer“ und „Redlefuerer“ hin; Pantaleon spricht von „obstinati, seu pertinaces“. In dem handschriftlichen Avviso vom 12. Juni fehlen beide Versionen. Sicherlich ist Pantaleon näher an der italienischen
36 Palermo, Narrazioni (wie Am. 22), 195, zitiert nach Amabile, Santo Officio (wie Anm. 22), 249.
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Fassung, die die Vorlage bildete.37 Es bleibt unklar, warum der Warhafftiger bericht in diesem Punkt so abweicht. Trotzdem spricht vieles dafür, dass der deutsche Übersetzer und Florillo dieselbe italienische Vorlage verwendeten. Wir wissen nicht, ob sie als Manuskript oder als Druck 38 kursierte. Sie scheint inzwischen verloren gegangen zu sein.
9. Der Autor Dank des Briefes von Florillo (Abschnitt 7) scheint es möglich zu sein, die zweite Frage zu beantworten. Ihm zufolge wurde der Brief von einem Diener39 von Ascanio Caracciolo verfasst, dem Schwager des Kommandanten Marino Caracciolo,40 der von 1558 bis 1561 spanischer Gesandter in Rom war und im Mai 1561 vom Vizekönig nach Kalabrien gesandt wurde, und zwar als Sonderkommissar für das Unternehmen gegen die Waldenser. Er war an Ort und Stelle, als das Massaker in Montalto stattfand. Sicherlich hatte er Kontakte zu Druckern in Rom.
10. Der Übersetzer Bleibt schließlich die dritte Frage: Wer hat die Vorrede zum Warhafftiger bericht verfasst und/oder das Heft übersetzt? Einiges spricht, wie ausgeführt, für Pantaleon. Er war lutherisch geprägt41 und nennt die kalabrischen Märtyrer „de Lutheranismo suspecti“ und „Lutherani“. Auch er betrachtete den Papst als den eigentlichen Drahtzieher des Massakers und vertrat ebenfalls ein apokalyptisches Geschichtsbild. Trotzdem ist es höchst unwahrscheinlich, dass Pantaleon eine Rolle in der Drucklegung des Warhafftiger bericht spielte. Die deutsche Fassung erschien bereits 1561 – vermutlich bevor Pantaleon die lateinische Übersetzung von Grataroli bekam – und bietet eine eigene Übersetzung des italienischen Originals, die unabhängig von der lateinischen Übersetzung von Grataroli ist. Pan Samuel Goulart (siehe unten Abschnitt 11), dem ebenfalls das italienische Original vorlag, übersetzt: „Il y en a sept si endurcis, qu’ils ne veulent point voir le crucefix, ni se confesser, lesquels on bruslera vifs.“ 38 Vielleicht erschien der Druck in Rom oder Venedig. So Amabile, Santo Officio, 250 unter Hinweis auf dem Brief von Florillo (siehe Abschnitt 7). 39 Pantaleon, Historia (wie Anm. 25), 337. Vgl. Amabile, Santo Officio, 248, 250–251 Anm. 1. 40 Ascanio Caracciolo war verheiratet mit Aurelia Caracciolo. Zu ihm siehe Tommaso Astarita, The continuity of feudal power. The Caracciolo di Brienza in Spanish Naples, Cambridge 1992 (Cambridge studies in early modern history), 28–29. 41 Buscher, Heinrich Pantaleon (wie Anm. 28), 89. 37
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taleon war, soweit wir wissen, nie im Besitz des italienischen Originals42 und konnte auch kein Italienisch. Wenn sich Pantaleon tatsächlich um das deutsche Heft gekümmert hätte, dann wäre es wohl in Basel und nicht in Nürnberg erschienen. Es sieht also danach aus, dass der Übersetzer des Warhafftiger bericht auf eigenen Wegen ein Exemplar des italienischen Avviso vom 11. Juni bekommen hatte. Nürnberg war damals eine Drehscheibe zwischen Italien und Deutschland, nicht nur des Handels, sondern auch von Kultur und Nachrichten.43 Es ist nicht auszuschließen, dass die beiden Verleger der ersten Edition, Johann vom Berg (Johannes Montanus) und Ulrich Neuber (Ulricus Neuberus), für das Vorwort und die Übersetzung verantwortlich waren. Beide waren überzeugte Lutheraner, die zum Großteil theologische und erbauliche Bücher herausgaben.
11. Das Echo des Warhafftiger bericht im 16. Jahrhundert Der Warhafftiger bericht fand ein breites Echo in Deutschland. Es gab nicht nur die erwähnten acht Neuauflagen, sondern auch mehrfach Nachdrucke in verkürzter Form, zuerst von dem sächsischen Humanisten und Arzt Job Fincel oder Jobus Fincelius.44 Zwischen 1556 und 1562 veröffentlichte er sein dreibändiges Werk Wunderzeichen.45 In dem dritten Band befindet sich am Ende des Kapitels über die „Wunderzeichen“ des Jahres 1561 eine verkürzte und bearbeitete Fassung des Warhafftiger bericht. Auch Fincelius war Lutheraner und Apokalyptiker. Er erwartete das Ende der Welt. Die Wunderzeichen sind für ihn Vorzeichen und sollten zur Warnung dienen, insbesondere für die Lutheraner in Deutschland, die dem Evangelium, das Gott ihnen durch Luther gegeben hatte, untreu geworden waren. Von den „Christen“ in „Mantalo im Königreich Neapolis“ Kalabrien – Fincelius nennt sie nicht „Lutheraner“ – könnten sie die Standfestigkeit lernen, die erforderlich sei, wenn die Verfolgungen kommen würden.46 42 Pantaleon arbeitete beim Auf bau und bei der Katalogisierung der Universitätsbibliothek in Basel mit. Es gibt dort allerdings nur die erste Edition des Warhafftiger bericht in 5 Bl., keine italienische Vorlage. 43 Vgl. Volker Kapp / Frank-Rutger Hausmann (Hg.), Nürnberg und Italien. Begegnungen, Einflüsse und Ideen, Tübingen 1991 (Erlanger Romanistische Dokumente und Arbeiten 6), insbes. 45–46. 44 Zu Fincelius (1526/1530–1582) Heinz Schilling, Job Fincel und die Zeichen der Endzeit, in: Wolfgang Brückner (Hg.), Volkserzählung und Reformation. Ein Handbuch zur Tradierung und Funktion von Erzählstoffen und Erzählliteratur im Protestantismus, Berlin 1974, 326–392. 45 Die vollständigen bibliografischen Angaben bei Schilling, Fincel, 390–391. 46 Jobus Fincelius, Wunderzeichen […], 3 Bde., Frankfurt am Main 1566, Bd. III, (Hf [VI–VII]: „daß Gottes Wort / von wegen vnser greuwlichen vndanckbarkeit vnnd verach-
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Mehrere lutherische Autoren verwendeten die Wunderzeichen als Quelle für ihre eigenen historischen Werke. So übernahm der lutherische Pfarrer Andreas Hondorff den Bericht von Fincel vollständig in seinem Buch Promptuarium exemplorum von 1568 auf,47 das zuerst in deutscher, 1575 auch in lateinischer Sprache erschien.48 Das Buch war sehr populär: Es erlebte 30 Auflagen. Hondorff stellt im Promptuarium exemplorum eine große Zahl von Beispielen vor, mit deren Hilfe er seine Leser zu einem christlichen Leben erziehen wollte. Norm war der Dekalog, also entnahm er seine Beispiele den Zehn Geboten. Der Bericht über das Massaker von Montalto befindet sich in einem Abschnitt, der das erste Gebot behandelt. Hondorff teilt die apokalyptische Weltanschauung seiner lutherischen Kollegen. Es sei der Teufel selbst, der hinter den Verfolgungen und Massaker des 16. Jahrhunderts stecke. Das Werk von Hondorff fand dank der lateinischen Übersetzung auch außerhalb Deutschlands Verbreitung. Das war insbesondere dem Genfer Pfarrer Samuel Goulart (1543–1628) zu verdanken, der 1608 seine zweite Neubearbeitung der Histoire des Martyrs von Crespin veröffentlichte. In Crespins Märtyrerbuch erschien nun zum ersten Mal ein Kapitel über das „Massacre des Vavdois de Calabre“49, das Goulart in der Edition von 1619 noch ausschmückte.50
tung / ja verfolgung Goettliches worts / von vns wandern wirt zu anderen Voelkern / die jetzo noch im finsternis des Bapsthums liegen / vnd das liecht des Euangelij gerne hetten / vnnd hertzlich sich darnach sehnen / wie wir denn solchs mit der that erfahren muessen / uns Lutherischen zu einem Exempel / Daß so viel Christen in Franckreich / Hyspanien / Neapolis / vnd andern Koenigreichen / so bestendig Goettliche warheit bekennen / Daß sie daher alle marter leiden / vnd jaemmerlich getoedtet werden / solche bestendigkeit fuerchte ich / wuerde bei den unsern nicht gefunden werden / so es ad examen publicium, durch die Feinde deß Euangelij / kommen wuerde / darumb ist es ein zeit beten vnnd sich bessern / vnnd Got emsig anruffen vmb bestendigen glauben vnd bekenntnuß / da vns Gott daheimsuchen wuerde.“ Vgl. Schilling, Fincel, 355–363. 47 Zu Hondorff (ca. 1530–1572) siehe Heidemarie Schade, Andreas Hondorffs Promptuarium Exemplorum, in: Brückner, Volkserzählung (wie Anm. 44), 647–703, die eine Liste aller Ausgaben des Promptuarium bietet. 48 Andreas Hondorff, Promptvarivm Exemplorvm. Das ist: Historienn und Exempelbuch …, Frankfurt am Main ³1573, f. 31rv; Theatrum Historicum: Sive Promtuarium Illustrium Exemplorum, Francofurti 1598, 67–68 (www.uni-mannheim.de/mateo/camenaref/ hondorff.html). 49 [Jean Crespin] / [Samuel Goulart], Histoire des martyrs persécutez et mis à mort pour la vérité de l’Evangile depuis le temps des apostres jusques à présent, [Genève] ([Jean Vignon]) 1608, f. 763. 50 [Jean Crespin] / [Samuel Goulart], Histoire des martyrs persécutez et mis à mort pour la vérité de l’Évangile, depuis le temps des apostres jusques à l’an 1597, Genève (Pierre Aubert) 1619, f. 845. Ich zitiere Jean Crespin, Histoire des martyrs persécutez et mis a mort pour la vérité de l’Évangile, depuis le temps des apostres jusques a present (1619). Édition nouvelle précédée d’une introduction par Daniel Benoit et accompagnée de notes par Matthieu Lelièvre, Bd. III, Toulouse 1889, 852–857.
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In dieses Kapitel nahm Goulart drei „Quellen“ auf: zuerst den Bericht von Hondorff über die Waldenser von Montalto, den er allerdings nochmals kürzte, wobei er (wahrscheinlich handelt es sich um einen Druckfehler) die Zahl der Opfer von 88 auf 38 reduzierte;51 dann „la copie d’vne lettre escrite par certain Papiste de Montalto“, also erneut den Brief vom 11. Juni 1561 aus Montalto; und schließlich einige Nachrichten von Colanello Pacca und Tommaso Costo, die 1591 in dem Buch von Pandolfo Collenuccio, Del compendio dell’istoria del regno di Napoli erschienen waren. Goularts französische Übersetzung des Briefes vom 11. Juni 1561 ist im Großen und Ganzen identisch mit der lateinischen Übersetzung von Pantaleon. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass Goulart das Werk von Pantaleon verwendet hat, denn alle Ergänzungen von Grataroli fehlen. Eher hatte Goulart dieselbe italienische Vorlage, die der deutsche Übersetzer 1561 verwendet und Florillo in derselben Zeit transkribiert hatte. Goularts Übersetzung scheint allerdings die getreueste zu sein und bietet einige Details, die in der deutschen und in der lateinischen Fassung fehlen.52 Im Jahre 1606 veröffentlichte der deutsche reformierte Pfarrer Paulus Crocius (1551–1607) in Hanau Das grosse Martyr-Buch / und Kirchen-Historien. Es handelt sich um die Übersetzung von Crespins Histoire des Martyrs, die Goulart 1597 herausgegeben hatte. Deshalb fehlt bei Crocius das Kapitel über die Märtyrer von Montalto und sie wurde auch nicht in die späteren Editionen seines Werkes aufgenommen. Wohl aber erschien es in der Neuauflage des berühmten Märtyrerbuchs De geschiedenis en de doodt der vromer martelaren des niederländischen Pfarrers Adriaen Cornelisz van Haemstede von 1559, das der Johannes Gysius 1657 neu herausgab.53
12. Das Echo von Pantaleon (18.–19. Jahrhundert) Weil das Buch von Pantaleon in Latein abgefasst war, fand es Leser in ganz Europa. Der lateinische Text des Briefes aus Montalto wurde so unter anderen von Autoren wie Daniel Gerdes (1698–1765)54 und Rosius a Porta (1732–1806)55 abgeschrieben, zusammen mit der falschen Datierung vom 11. Juni 1560. Jean Crespin, Histoire, 852. Siehe Lange, Lʼeco (wie Anm. 13), 178–180. 53 Adriaen Cornelisz van Haemstede, Historie der martelaren, Die om het getuygenisse der Euangelischer waerheydt haer bloedt gestort hebben, van de tijden Christi onses Salighmaeckers af tot denjare sesthien hondert vijf-en-vijftigh toe, Dordrecht 1657, f. 361v.–363r. Das Kapitel erschien auch in den nachfolgenden Ausgaben. 54 Daniel Gerdes, Specimen Italiae Reformatae, Lugduni Batavorum 1765, 134–136. http://books.google.de/books 55 Petrus Domenicus Rosius de Porta, Historia reformationis ecclesiaerum raeticarum, tomus primus, Curiae Raetorum et Lindaviae 1772, 311–312. 51
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Wie bereits erwähnt veröffentlichte John Foxe 1570 eine englische Übersetzung des Briefes.56 Besonders einflussreich wurde die neue englische Übersetzung, die der schottische Theologe Thomas M’Crie (1797–1875) (auch bei ihm das falsche Datum) in seinem Werk History of the repression and suppression of the Reformation in Italy in the sixteenth century (1827) veröffentlichte.57 Das Werk war ein großer Erfolg. Es wurde ins Deutsche, Niederländische, Französische und 1835 sogar ins Italienische übersetzt.58 So erschien nun zum ersten Mal der Brief von Montalto in einer italienischen Ausgabe, aber nicht die originale italienische Fassung – die verloren zu sein scheint –, und auch nicht die Fassung der „Avvisi di Napoli“ vom 11./12. Juni 1561, die erst 1846 von Palermo veröffentlicht wurde, sondern eine Rückübersetzung ins Italienische von einer englischen Übersetzung, die auf einer ursprünglich lateinischen Übersetzung des italienischen Originals basierte! Kein Wunder, dass die Übersetzung nicht sonderlich genau ist.59 Der Fund der drei Avvisi durch Palermo entfaltete eine große Wirkung. Mit ihm begann nun eine Wirkungsgeschichte des „Mythos“ vom Massaker in Montalto/Kalabrien, die bis heute anhält. Es spielen mehrere Leitmotive eine Rolle, wie z. B. der antiklerikale Liberalismus, der Protestantismus, der Regionalismus und der geschichtskritische Katholizismus. Es würde zu weit führen, diese Wirkungsgeschichte darzustellen.60
Zum Schluss Wie entstehen und entwickeln sich Mythen? Die Überlieferungsgeschichte der blutigen Hinrichtung von 88 „Lutheranern“ in Montalto im Juni 1561 bietet dafür ein faszinierendes Beispiel. Den Anfang nahm das Ganze in Italien, als ein katholischer „Journalist“ in zwei handschriftlichen Avvisi vom 11. und 12. Juni 1561 ausführlich über die Hinrichtung berichtete. Er war schockiert. Vermutlich war es ein Glaubensbruder – möglicherweise ein Verleger in Rom oder Venedig –, der diese zwei Avvisi zu einem einzelnen fusionierte, dem Brief von 11. Juni 1561. Darin betonte er sein Unbehagen, das er als Humanist bei einem solchen rituell voll Wie Anm. 26. Thomas M’Crie, History of the repression and suppression of the Reformation in Italy in the sixteenth century including a sketch of the history of the Reformation in the Grisons, Edinburgh und London ³1856, 161–162. Für eine Auswertung des Werkes von M’Crie siehe Massimo Firpo, Historiographical introduction, in Tedeschi, Reformation (wie Anm. 29), XXII–XXIII. 58 Thomas M’Crie, Istoria del progresso e dell’estinzione della Riforma in Italia nel secolo sedicesimo, Parigi 1835, Genova ²1858. 59 Vgl. Palermo, Narrazioni (wie Anm. 22), XXI 60 Siehe ausführlich Stancati, Ultramontani (wie Anm. 11), 347–440. Stancati minimalisiert zu Unrecht die Bedeutung der Veröffentlichung von Palermo (452). 56 57
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zogenen, blutigen Massaker empfinden musste – ein erster kleiner Schritt zur Mythisierung. Dieser Brief in italienischer Sprache, der möglicherweise gedruckt wurde, zirkulierte in Italien und erreichte auf diese Weise Nürnberg. Hier wurde er zum ersten Mal in deutscher Sprache gedruckt. Im Text taucht das Wort Waldenser nicht auf, es ist von „Lutheranern“ die Rede, die auf Betreiben des Papstes ermordet wurden, der hier mit dem Antichristen gleichgesetzt wird. Insbesondere in der Vorrede entwickelte sich nun der Mythos. Die Opfer werden zu „Märtyrern“ erklärt, die mit ihrem Blut für die Wahrheit des Evangeliums eingetreten sind. Ihre Ermordung ist ein Zeichen dafür, dass das Ende der Welt naht. In der lutherischen Geschichtsschreibung bekommt dieser Mythos für einige Jahrzehnte seinen festen Platz. Pantaleon war sicherlich besser informiert als die Nürnberger Verleger. Er bekam über Grataroli Informationen aus erster Hand von dem Pfarrer Florillo, der aus Caserta kam. So konnte er richtigstellen, dass es sich um Waldenser handelte. Pantaleons Darstellung setzte sich durch, dank der englischen Übersetzung von Foxe. Auch Goularts französische Übersetzung des Briefes von 1561 stellte klar, dass es sich um Waldenser handelte. Das Blutbad von Montalto begründete so – zusammen mit den Geschichten über die Verfolgung der Waldenser im Luberon und den Cottischen Alpen – den Mythos der Waldenser, der sie zum „Märtyrervolk“ machte, das vor allem im protestantischen Europa und bei den Waldensern selbst als eine „aus der Vergangenheit identitätsfundierende, handlungsleitende und gegenwartsdeutende Kraft“ wirkte. Unabhängig davon entwickelte sich eine eigene Wirkungsgeschichte dieses „Mythos“ in Kalabrien, die bis heute lebendig ist.
Pietism and Pictorial Convention in Jan Luyken’s Illustrations for The Martyrs’ Mirror (1685) Stephanie S. Dickey* The imagery of martyrdom is an essential feature of Christian visual culture, beginning with the passion of Christ himself – one of the most frequently depicted themes in the history of Western art. Yet it was not until the fourthcentury Roman Emperor Constantine legitimized the faith that a powerful visual tradition began to develop. Similarly, among later movements, continuing threat of persecution has often prevented martyrs from being acknowledged by means of printed stories or images as long as publication would be dangerous for those who produce or use such documents. As Brad Gregory has shown, Catholic, Protestant, and Anabaptist confessions in early modern Europe shared an interest in martyrdom as the ultimate witness to faith and imitatio Christi, but disagreed about which historical individuals deserved the title of martyr, how they should be commemorated, and even what beliefs were worth dying for.1 The evolution of Dutch Anabaptist martyrologies from the pocket-sized Sacrifice to the Lord published in 1562 to the massive 1685 edition of The Martyrs Mirror reflects the development of the Mennonite community from a heretical, outlawed sect to a peaceful, mainstream element of Dutch society. This was possible because of the relatively tolerant, multiconfessional climate of the Dutch Republic, but also because of changes in the faith itself, which evolved from the radical, millenarian Anabaptism that sparked a militant attack on the Amsterdam Town Hall in 1535 to a widely accepted component of the complex fabric of Dutch religious practice.2 Within I am grateful to the organizers and my fellow participants in the conference “Die Wahrheit ist untödlich” for helpful comments and discussion in Emden. A preliminary version of this paper was also presented at the annual meeting of the Sixteenth Century Society in San Juan, Puerto Rico, October 26, 2013. Sincere thanks to Helena Schroeder for help in conducting research for this essay. 1 Brad S. Gregory, Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge 1999. 2 See, i. a., Alastair Hamilton et al. (ed.), From Martyr to Muppy. A Historical Introduction to Cultural Assimilation Processes of a Religious Minority in the Netherlands: The Mennonites, Amsterdam 1994; Benjamin J. Kaplan, Divided by Faith. Religious Conflict and the Practice of Toleration in Early Modern Europe, Cambridge 2007; Samme Zijlstra, Anabaptism and Tolerance. Possibilities and Limitations, in R. Po-Chia Hsia / Henk van Nierop (ed.), Calvinist and Religious Toleration in the Dutch Golden Age, Cambridge 2002, 112–131; Simon Schama, The Embarrassment of Riches, New York 1987. *
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the Dutch Mennonite community, doctrinal disputes created factions who frequently debated with each other, yet the memory of forbears who had died for their beliefs remained a collective source of inspiration. In this essay, I will examine pictorial strategies deployed in the illustrations to one of the most impressive martyrologies of the early modern period: the second, enlarged edition (1685) of Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (The Bloody Theater, or Martyrs Mirror of the Baptism-Minded or Defenseless [Non-Resistant] Christians), now universally known as The Martyrs’ Mirror. Written by the Dordrecht Mennonite elder Thieleman Jansz van Braght (1625–1664) and first published in 1660, The Martyrs’ Mirror has drawn much attention from religious historians, particularly those writing from within the Mennonite community, and has been addressed in synthetic studies of martyrdom by authorities such as Brad Gregory and Peter Burschel.3 In the 1685 edition, 104 illustrations by Jan Luyken (1649–1712) animate a selection of the stories recorded by van Braght. Although they remain widely popular among Mennonites, these images have received relatively little scholarly attention.4 The first significant Dutch Mennonite martyrology was the Offer des Heeren, or Sacrifice to the Lord, published in 1562 in Franeker and comprised of letters and eyewitness accounts of the persecution of Dutch Anabaptists. This tiny volume would have been easily concealed and circulated in an era when fear of discovery and persecution was still a serious concern. It describes the suffering of 21 martyrs of the Frisian Anabaptist sect; ten later editions increased the number to 33 and added a songbook. In 1615, Hans de Ries (1553–1638), leader of the liberal Waterlander congregation in Alkmaar, published his Historie der Martelaren ofte waerachtighe Getuygen Jesu Christi (History of the Martyrs or True Witnesses of Christ), which builds on the Offer des Heeren with further accounts collected by agents sent to gather information in Germany, Austria, Moravia, and in Dutch towns from Hoorn to Haarlem. 619 martyrs are commemorated, 398 of them from the Netherlands. Throughout the early seventeenth century, dueling editions of these two books ensured sustained attention to the literary record of dire events preserved in letters, hymns and other testimony.5 These texts (and other sources) provided the foundation on which Van Braght built his compendium of hundreds of anecdotes, supported by an extensive introduction in which he describes and justifies the basic tenets of the Mennonite faith.6 None of the earlier books contained illustrations apart from 3 Gregory, Salvation (as in n. 1), 197–249; Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, Munich 2004, 178–195. 4 An important study is Sarah Covington, Jan Luyken, ‘The Martyrs Mirror’, and the Iconography of Suffering, in: Mennonite Quarterly Review 85 (2011), 441–476. 5 Gregory, Salvation (as in n. 1), 219–245. 6 For accounts of the book and its contents, see Nanne van der Zijpp et al., Martyrs’ Mirror, in: Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, http://gameo.org/index.
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a title page, and van Braght’s first edition (1660) is no different, but it is substantially grander in format. It was possible openly to market such a volume because by the mid-seventeenth century, the social status of Dutch Mennonites had been completely transformed. Although they did not hold office or serve in the military, many were comfortably assimilated into Dutch society and had become prosperous as merchants or prominent figures on the cultural scene. Well-known examples are the renowned poet and playwright Joost van den Vondel (1587–1679), who belonged to the Waterlander congregation before converting to Catholicism in 1641, and the wealthy cloth merchant and Waterlander preacher Cornelis Claesz Anslo (1592–1646), portrayed by Rembrandt van Rijn (1606–1669) in an etching and a monumental double portrait.7 Van Braght himself was also a cloth merchant and an elder of the conservative Flemish Mennonite congregation in Dordrecht. It has been suggested that he hoped his book would shake assimilated Mennonites out of their complacency by reminding them of the heroic sufferings of their forbears. In his preface, van Braght writes that believers are more in danger now, despite or even because of their comfortable lifestyle, than they were in the sixteenth century: not physical danger but something worse, the danger of losing their souls to the temptations of earthly luxury.8 This preface was repeated in the 1685 edition, and the addition of graphic illustrations of suffering and violent death would certainly have heightened the impact of its message by reminding readers how much their ancestors had paid for the freedom of conscience they now enjoyed. Yet, while the book has become a foundational text for Mennonites worldwide, the continuing history of Mennonite assimilation suggests that only the most conservative sects internalized van Braght’s dire pronouncements. Van Braght’s text goes beyond earlier Mennonite martyrologies in situating the Anabaptist experience in the legitimizing context of a tradition stretching back to the time of Christ. He addresses his prefatory remarks not only to fellow believers but also to the general reader. This suggests that the book was intended to reach a broader audience and, as such, to provide a historical justification for Anabaptism that would contribute to its acceptance into the complex stream of Dutch Protestant belief systems.9 Van Braght’s concern is php?title=Martyrs%27_Mirror&oldid=127027, accessed April 11, 2016; Sarah Covington, Paratextual Strategies in Thieleman van Braght’s Martyr’s Mirror, in: Book History 9 (2006), 1–29. 7 Stephanie S. Dickey, Rembrandt. Portraits in Print, Amsterdam 2004, 45–63. 8 Gregory, Salvation (as in n. 1), 246–248; Burschel, Sterben (as in n. 3), 182, 190– 192; Covington, Paratextual (as in n. 6), 4, 13. 9 Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen, Amsterdam 1685, A2r –A4r, ‘Aen Mijne beminde Vrienden en Medegenooten in Christus Jesus onse Saligmaker,’ and A4v–A5v, ‘Aenspraek Tot de Lesers in ’t gemeen.’ For this strategy in Protestant martyrologies, see, i. a., Gregory, Salvation (as in n. 1), 171–173.
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not only with martyrdom but also with other elements of Mennonite faith and practice, especially adult baptism.10 Significantly, too, the text emphasizes the patient suffering of those persecuted while glossing over the militant elements of early Anabaptism that did not sit well with later pacifist ideals.11 In Amsterdam and other Dutch cities, the thriving art market included a surprisingly extensive network of artists who were Mennonite believers, most famously the painter-theorist Karel van Mander (1548–1606), also a devotional poet, the landscape painters Salomon van Ruysdael (c. 1602–1670) and his nephew Jacob van Ruisdael (1628–1682), and the cityscape painter Jan van der Heyden (1637–1712), as well as the art dealer Hendrick Uylenburgh (1587–1661) and others in the circle of Rembrandt. By the later seventeenth century, the generation that included Jan Luyken and the painter Michiel van Musscher (1645–1705) numbered over thirty Mennonite artists and art dealers in Amsterdam alone.12 Born in Amsterdam in 1649, Luyken was the son of a schoolmaster who belonged to a circle of Collegiant thinkers led by Galenus Abrahamsz, former preacher of the Flemish Mennonite congregation known as ‘t Lam. Jan trained as a painter and composed secular poetry, including the erotic songbook De Duytse Lier, but at age 26, shortly after his marriage and the death of a close friend, both his art and his writing took a more spiritual turn. In 1673 he was baptized into the Lamist congregation. His devotional writings show the influence of pietist, Collegiant, and Remonstrant as well as Mennonite ideas. In 1678 Luyken gave up painting for printmaking and wrote and illustrated his first devotional emblem book, Jesus en de Ziel. He eventually completed over 3,200 copperplates, some created in partnership with his son Caspar.13 In mid-seventeenth century Amsterdam, perhaps as many as twenty percent of the population called themselves Doopsgezinden, but their community His first chapter is followed by a discussion of baptism in the first century, reinforcing the message of continuity; Van Braght, Bloedigh Toneel (as in n. 9), Beschryvinge van het H. Doopsel der Martelaren in de Eerste Eeuw, fol. 39–44. 11 A. Orley Swartzentruber, The Piety and Theology of the Anabaptist Martyrs in Van Braght’s ‘Martyrs’ Mirror’, in: Mennonite Quarterly Review 28 (1954), 5–17, 128–142; Burschel, Sterben (as in n. 3) 191; Covington, Paratextual (as in n. 6), 6, 12–16, n. 21. 12 Ruud Lambour, Het doopsgezind Milieu van Michiel van Musscher (1645–1705) en van andere Schilders in zeventiende-eeuwse Amsterdam. Een Revisie en Ontdekking, in: Oud Holland 125 (2012), 193–214; also published in Doopsgezinde Bijdragen 38 (2012), 223–258. 13 C. B. Hylkema / Christian Hege, Luiken, Jan (1649–1712), in: Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, http://gameo.org/index.php?title=Luiken,_Jan_(1649– 1712)&oldid=127026, accessed 13 April 2016; Pieter van Eeghen / J. Ph. van der Kellen, Het Werk van Jan en Caspar Luyken (The Martyrs Mirror, Cat. Nr. 93), Amsterdam 1905; Nel Klaversma / Kiki Hannema, Jan en Caspar Luyken te Boek Gesteld. Catalogus van de Boekencollectie Van Eeghen in het Amsterdam Historisch Museum, Hilversum 1999; H. van ’t Veld, Beminde Broeder Die Ik van op ‘s Werelts Pelgrims Wegen. Jan Luyken (1649–1712) als Illustrator en Medereiziger van John Bunyan (1628–1688), Utrecht 2000; Els Stronks, Al kijkend reist de ziel naar God. ‘Nieuwe platen’ voor Luykens erste religieuze embleembundel, in: Nederlandse Letterkunde 10 (2005), 161–175. 10
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was fractured into at least four sects separated by disagreements on points of doctrine and behavior.14 Van Braght’s views were conservative, as reflected in his call for the renunciation of earthly riches. Michael Driedger has suggested that The Martyrs’ Mirror, and particularly its exhortatory preface, was written as a deliberate critique of the liberal ideas promoted by the Lamists and their preacher, Galenus Abrahamsz.15 Significantly, this was the faction to which Luyken belonged, and the artist has been described as a freethinker who sympathized with Abrahamsz’s ideas.16 This, together with the interval of twenty years between van Braght’s death and Luyken’s illustrations, supports the thesis that Luyken took a somewhat independent approach to his visual interpretation of the text. Significantly, too, the impetus for the new publication did not come from within the faith. Piet Visser theorizes that the consortium of publishers who obtained a copyright for the 1685 volume – none of them Mennonites – were motivated purely by commercial interests, hoping to appeal to wealthy Mennonites with a luxury edition of their beloved text.17 As we have seen, the book was aimed at a broader audience as well. So, I would argue, were Luyken’s illustrations. The Martyrs’ Mirror is composed of two volumes (often bound together), the first treating martyrdom from the Crucifixion through the end of the fifteenth century and the second focusing on Anabaptist history from 1521 to the date of the first edition, 1660. Since van Braght had died in 1664, the publishers in 1685 must have engaged an editor, as yet unidentified, to update the text of the new edition.18 A few corrections and additions were made to the text, but a more 14 See, i. a., Nanne van der Zijpp, Geschiedenis der Doopsgezinden in Nederland, Arnhem, 2nd ed., Enkhuizen 1980. 15 Michael D. Driedger, Obedient Heretics. Mennonite Identities in Lutheran Hamburg and Altona during the Confessional Age, Aldershot 2001, 51–60. 16 Hylkema / Hege, Luiken (as in n. 13); Stronks, Al kijkend (as in n. 13). On Luyken’s spirituality, see also van ’t Veld, Beminde Broeder (as in n. 13); Els Stronks, Working the Senses with Words. The Act of Religious Reading in the Dutch Republic, in Brusati / Celeste et al. (ed.), The Authority of the Word. Reflecting on Image and Text in Northern Europe, 1400–1700, Leiden 2012, 667–702; id., Negotiating Differences. Word, Image and Religion in the Dutch Republic, Leiden 2011, 232–241; Karel Porteman / Mieke B. Smits Veld, Een nieuw Vaderland voor de Muzen. Geschiedenis van de Nederlandse Literatuur, 1560–1700, Amsterdam 2008, 856–870. 17 Piet Visser, Mennonites and Doopsgzinden in the Netherlands, 1535–1700, in: John D. Roth / James M. Stayer (ed.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521– 1700, Leiden 2007, 299–344 (342). The title page names six publishers: J. van der Deyster, H. van den Berg, Jan Blom, Wed. S. Swart, S. Wybrands, and A. Ossaan, all of whom had Calvinist ties. According to Klaversma / Hannema, Jan en Caspar (as in n. 13), 116, Cat. Nr. 291, the copyright was granted in 1683 to Hieronymus Sweerts, Jan ten Hoorn, Jan Bouman, and Daniel van den Dalen, with secondary participants Jacobus van den Deyster, Harmen van den Berg, Jan Blom, the widow of Steven Swart, Sander Wybrands and Aart Oossaan. 18 For a summary of amendments to the text, see Van der Zijpp et al., Martyrs Mirror (as in n. 6). Laudatory poems in the 1685 volume are signed by Pieter van Braght
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significant change is the layout of the title page. This now gives far greater prominence to the subtitle, “The Martyrs’ Mirror,” even printing it in a larger typeface than the primary title. As Sarah Covington has suggested, this move may have been intended to enhance the link between van Braght’s text and the earlier Mennonite literature of martyrdom, particularly the 1631 edition of Hans de Ries’s Historie, where the frontispiece (Fig. 1) bears the title Martelaers Spiegel der Werelose Christenen t’ zedert Ao. 1524 (Martyrs’ Mirror of Defenseless Christians …).19 In that book, the title is surrounded by vignettes recording martyrdoms through the ages. In the 1685 publication, the design also highlights the new, pictorial figuration of the narrative provided by Luyken’s il- Fig. 1: Anonymous, Title page to Hans De Ries, Historie der Martelaren ofte waerlustrations. The shift from “theater” achtighe Getuygen Jesu Christi, 1631. Photo: to “mirror” reorients attention from H. Schroeder the imagined acting out of historical events as transmitted through text to their reflection, or mirroring, in visual imagery. Painting as a mirror of the world was a well-known trope, and the mirror as a spiritual metaphor invokes the time-honored role of religious imagery as a speculum humanae salvationis, whereby the actions of saints or exemplary believers model moral virtue and steadfast faith for the reader/viewer to follow. The mirror metaphor also prompts the reader to engage in self-reflection, an important component of van Braght’s message. Luyken would surely have known and studied the title page to the 1660 edition (Fig. 2). Although the print is unsigned, the publisher, Jacob Savery, belonged to a Mennonite family that included several printmakers, and the attribution must lie in that circle.20 Surmounting the central motif, an illusionistic cloth bearing the title, we see the resurrected Christ carrying his cross and somewhat illogically gazing up at himself in Heaven, where he (1632–1688), Thieleman’s brother, and by Cornelis van Braght (1649–1712), later an elder of the Dordrecht congregation, whose family relation is unclear. Might one of them have been engaged to update Thieleman’s text? 19 Covington, Paratextual (as in n. 6), 7–8. 20 See Jasper Hillegers / Lotte Jaeger, Salomon Saverij, een plaatsnijder en zijn vrienden, in: Elmer Kolfin / Jaap van der Veen (ed.), Gedrukt tot Amsterdam. Amsterdamse Prentmakers en – Uitgevers in de Gouden Eeuw, Zwolle 2011, 120–163.
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stands surrounded by worshippers, presumably martyrs. To the left, the stoning of Stephen is prominently featured. To the right, a figure is attacked by a lion (Saint Ignatius or one of the many Christians martyred in the Roman Colosseum?) while in the background another martyr (the apostle Peter?) hangs crucified upside down, observed by a turbaned man on horseback. Five smaller vignettes below the title signify more recent (and presumably Anabaptist) martyrdoms, contrasting violence and suffering with the heavenly welcome above. The most elaborate scene, in the center, presents a chaotic catalogue of persecutions: a preacher exhorts a crowd of listeners while others cluster around a stage to watch a man about to be beheaded; Fig. 2: Anonymous (Jacob Savery III?), Tit- more victims in the background are le page to Thieleman Jansz van Braght, Het burned or hanged. With its emphasis Bloedigh Toneel der Doops-gesinde en Weon Christ and Stephen, this synthetic relose Christenen (first edition), 1660. Photo: design emphasizes the early history H. Schroeder of martyrdom while also linking it with Anabaptist persecution and salvation. In the 1685 edition, Luyken had the luxury of spelling out these connections through a long sequential narrative of images. The first visual image that appears in the 1685 edition is the only one not by Luyken: an elaborate frontispiece designed by the Mennonite painter and printmaker Vincent Laurensz van der Vinne (1629–1702).21 This design was evidently chosen over one by Luyken, preserved in a drawing now in the Amsterdam Museum (Fig. 3, 4).22 Van der Vinne’s complex composition can be 21 On Van der Vinne see Bert Sliggers, intro and ed., Dagelickse Aantekeninge van Vincent Laurensz. Van der Vinne. Journaal van een Haarlems schilder 1652–1655, Haarlem 1979; D. F. Goudriaan / B. C. Sliggers, De Haarlemse kunstenaarsfamilie Van der Vinne, in: Jaaroek van het Centraal Bureau voor Genealogie en het Iconografisch Bureau 41 (1987), 148–208; Lambour, Doopsgezind Milieu (as in n. 12). I have no information on the engraver, D. Penning. 22 Both designs have been neglected in the literature; see brief references in Van Eeghen / Van der Kellen, Het Werk (as in n. 13), Cat. Nr. 93 (the drawing was then in Van Eeghen’s collection); Burschel, Sterben (as in n. 3), 185, fig. 44; Covington, Paratextual (as in n. 6), 10, fig. 2.
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Fig. 3: Jan Luyken, Design for a Title Page, ca. 1685, pen and ink, Amsterdam Museum. Photo: Amsterdam Museum
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Fig. 4: D. Penning after Vincent Laurensz Van der Vinne, Title Page to Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Mennonite Library and Archives, Bethel, Kansas
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partially explained with the help of a poem entitled “Op de Tytel-Prent”.23 A burning brazier and various instruments of torture (rope, sword, hatchet) litter the right foreground in front of a group of three distinctive figures. These are Pagan, Catholic, and Jewish priests. (In his introduction, van Braght reminds the reader that Christians were not the only ones ever to be persecuted.) They kneel in reverence before a seated female figure identified in the poem as a personification of the “Bloody Theater” itself. Gazing heavenward and holding a book and a folding tablet, she is sheltered by a palm tree that represents God’s steadfast care. Pricked by a beam of grace from the Holy Spirit, her bosom streams with blood that nourishes a crop of new martyrs sprouting at her feet. She tramples a musical instrument, moneybag, and globe, symbols of earthly desires. A character in a wig creeping up behind her, wrapped in a fur-trimmed scarf, signifies the world of idle splendor rejected by those whose sights are set on salvation. In the left foreground, a shining figure of Truth gives a history lesson to three putti symbolizing Faith, Hope, and Love. In the background, fire, hanging, beheading, and a row of crosses lining a hillside distill the many time-honored forms of martyrdom. Luyken’s drawing also centers on a female figure. Dressed in a nun-like garb, she weeps over a plaque bearing a large sheet of paper on which rows of small, rectangular, narrative panels recall Luyken’s illustrations in both content and format: they include a crucifixion, a beheading, a figure beset by lions, and other scenes of suffering. Another such sheet is held like a scroll by a figure at left, crowned with a laurel wreath, who looks up toward an angel bearing an empty banner (presumably the title would have been inscribed there). Might this figure be van Braght, or even Luyken himself? The lamb peering up at him from lower left (clearly added as an afterthought) is a canonical figure of Christian sacrifice, but might it also slyly reference the Lamist congregation to which the artist belonged? The two printed sheets of narrative scenes seem to allude directly to Luyken’s method of work. For his first series of Bible illustrations, created a few years before, he etched 24 New Testament subjects on three large copperplates, laying them out in a format of two by four.24 These aspects of the design clearly emphasize the illustrations as an important feature of the new edition. Referring back to the poem, we may guess that the weeping figure here, Signed by L. van de Roer, identified in Aa, A. J., Biographisch Woordenboek der Nederlanden, Haarlem 1874, Vol. 16, 417, as a poet from Dordrecht who composed verses on political and religious topics; Klaversma / Hannema, Jan en Caspar (as in n. 13), 116, under Cat. Nr. 291. This poem carries a separate publication line: “’t Amsterdam, voor Jan Blom, in de Kalver-straat, by den Dam,” suggesting that it might also have been circulated separately. 24 Van Eeghen / Van der Kellen, Het Werk, 25–28, Cat. Nr. 23. Luyken’s images for The Martyrs Mirror were issued several times independently or with abridged text, but not in the collective, vertical format suggested in Luyken’s drawing. See Piet Visser, De pelgrimage van Jan Luyken door de doopsgezinde boekenwereld, in: Doopsgezinde Bijdragen, n. r. 25 (1999), 167–179. 23
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too, signifies “The Bloody Theater,” but she may also personify the Mennonite faith. Like van der Vinne’s protagonist, she is threatened by a sinister tempter. Indeed, the devilish, horned character crouching in the shadows behind her presents an even more ominous figure of idle worldliness. He has caught her by a chain and manacles encircling her wrist and ankle, perhaps a reference to enslavement by earthly desires. She is unaware of the angel who approaches from above, bearing the palm and crown of martyrdom. In the foreground, instead of Faith, Hope, and Love, we see two winged cherubs caught up in animated discussion of the scenes depicted on her plaque. The subtle correlation of motifs in the two images and in the poem suggests that van der Vinne based his design in part on Luyken’s. However, Luyken’s design seems to allude more directly to the inspirational value of the individual accounts assembled by van Braght, and especially of the illustrations that bring them to life. Van de Vinne instead presents an allegory of martyrdom that is more unified and also more affirmative: rather than weeping and enslaved, his central figure seems to triumph serenely over earthly temptation. Allusions to an ancient world of religions and cultures also reinforce the message that Anabaptism, through its legacy of martyrdom, is aligned with a venerable and universal tradition. Both of these images differ from the title pages of earlier martyrologies, including the two just mentioned (Fig. 1, 2), in which a cluster of vignettes must serve to suggest the content of an otherwise unillustrated text. Interestingly, shortly before taking on The Martyrs’ Mirror, Luyken had produced a title page along those lines for a Reformed martyrology in which vignettes surrounding a central image of three martyrs being burned at the stake bring the Crucifixion, the Stoning of Stephen, Lawrence on the rack, and the burning of a figure wearing a bishop’s mitre together with depictions of more recent events.25 The style is strikingly similar to that of the Martyrs’ Mirror illustrations, as is the juxtaposition of ancient and recent martyrdoms. Scholars debate the extent to which the personal beliefs of Dutch artists impacted either their imagery or the commissions they accepted, and there is evidence that artists often pragmatically set aside personal beliefs to serve the requirements of diverse patrons.26 In 1685, Luyken further proved himself willing to work ecumenically with a title page for a Dutch translation of a text by the French Jesuit Louis Maimburg, depicting Reformers as iconoclastic heretics destroying statues of saints.27 S. De Vries, Goudene Spreucken Der Godselige Martelaren En getrouwe Helden Gods … Nevens Bygaende Beright van de voornaemste wreede vervolgingen der Roomschgesinde tegens de Gereformeerde Christenen in alle Gewesten van Europa, tot op ’t Jaer M.DC.LXXXIII …, Amsterdam 1683; Klaversma / Hannema, Jan en Caspar (as in n. 13), 523–524, Cat. Nr. 1475, with illustration of the title page. 26 See, i. a., Volker Manuth, Denomination and Iconography. The Choice of Subject Matter in the Biblical Paintings of the Rembrandt Circle, in: Simiolus 22 (1993/94), 235–252. 27 Louis Maimburg, Historie Van de Kettery der Beeldenstormers, En van d’overbrenging des Keizerrijks op de Franschen … [trans.] G. v. Broekhuizen, Amsterdam 1685; Van 25
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These commissions must have primed Luyken’s imagination for the larger project. They also suggest that for The Martyrs’ Mirror, he would have approached his task with the pragmatic eye of a professional illustrator. He must have looked first of all for stories that would lend themselves to dramatic visualization. That said, the choices he made provide evidence of a considered and spiritually informed response to the text. While 104 plates is an impressive number, they cover only a fraction of the stories recounted by van Braght. It seems likely that the publishers gave Luyken a fair amount of autonomy in deciding which events to depict, and this is significant not only for aesthetic reasons, but because through this process of selection, the events Luyken chose to bring to life are highlighted for any reader browsing through the many pages of text. Luyken produced 49 illustrations for the first part of the book, covering Christian history up to around 1550, and 55 for the second. As a unique record of the persecution of Anabaptists, the latter segment has received the lion’s share of attention. Yet, nearly half of Luyken’s images concern pre-Anabaptist history. This proportion is striking, since it gives far greater weight to historical tradition than does van Braght’s text, in which Book I runs to 450 pages, while Book II, at 840 pages, is nearly twice as long. Statistical analysis reveals that Luyken placed special emphasis on the earliest phase of Christian history. The first chapter of Book I (fol. 1–38), covering the first century, contains no less than 20 illustrations, creating a hectic testament to the significance of martyrdom in the early Church. Preparation for Christ’s Crucifixion appears on the title page, but chronologically the sequence begins with the Beheading of John the Baptist, set in 23 AD. It goes on to depict the deaths of familiar figures such as Stephen, James, Philip, Mark, Peter, Paul, and Andrew. The remaining three chapters dealing with the early Christian world contain a total of 16 illustrations featuring male and female martyrs through the fourth century. The following ten chapters of Book I contain no more than a single illustration each, with one exception: Chapters 12 and 13, covering the twelfth to thirteenth centuries, feature two and four illustrations respectively. Here we find the deaths of medieval Publicans, Albigensians, and Waldensians. These sects, the Waldensian movement in particular, were considered by many Dutch Mennonites as precursors to their own denomination. Indeed, this is something on which van Braght and Galenus Abrahamsz agreed. Although the Waldensians continued to practice infant baptism, their doctrine anticipated important Mennonite principles such as pacifism and rejection of earthly power.28 In this cluster of images, Luyken Eeghen / Van der Kellen, Het Werk (as in n. 13), Cat. Nr. 100; Klaversma /Hannema, Jan en Caspar (as in n. 13), 375–376, Cat. Nr. 1063, with illustration of the title page. 28 Christian Neff et al., Waldenses, in: Global Anabaptist Mennonite Encyclopedia Online, http://gameo.org/index.php?title=Waldenses&oldid=106419, accessed 14 April 2016. See also Peter Biller, Waldenses, 1170–1530. Between a Religious Order and a Church, Aldershot 2001.
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emphasizes mass executions rather than the persecution of individuals, suggesting the collective enormity of suffering endured by nonresistant believers. The final image in Book I depicts the burning of the Wycliffite priest William White in Norwich, England, in 1428. This event had been recorded in John Foxe’s Acts and Monuments, an even more imposing volume and a possible pictorial source for Luyken as well.29 When issued in 1563, Foxe’s martyrology was the most extensively illustrated book yet printed in England. The woodcuts, although relatively crude, were renowned at the time for the realism with which they described specific events, and they had a profound impact on later authors such as John Bunyan, who pored over his copy while in prison. Luyken illustrated the Dutch edition of Bunyan’s Pilgrim’s Progress in 1684 and shared some of the English author’s ideas in his own devotional writing.30 Early modern artists typically developed their imagery through a combination of imagination, observation of life, and reliance on visual antecedents in which conventional tropes were repeated from one context to the next. For the chapter on Christ and his disciples, Luyken was on familiar ground, with a rich pictorial tradition to consult for inspiration. Beyond that, he had to create images for events that had rarely been depicted before. Fortunately, he was already adept at unconventional imagery: from the beginning of his printmaking career he had been called upon to illustrate travelogues and accounts of ancient and contemporary history, and had devised emblematic images to accompany his own poetry.31 Yet, in 1685, his experience with Biblical illustration was still limited, and many of the early Christian scenes were no less new to his repertoire than those set in the sixteenth century. The examples that follow will demonstrate that Luyken built his imagery on an established visual tradition of saintly martyrdom and particularly the passion of Christ. For his first illustration (Fig. 6), Luyken depicts not the Crucifixion per se, but an earlier moment showing Jesus in the process of being nailed to the See Gregory, Salvation (as in n. 1); Paul Arblaster, John Foxe in the Low Countries, 1566–1914, in: David Loades (ed.), John Foxe at Home and Abroad, Burlington 2004, 137–150; Margaret Aston / Elizabeth Ingram, The Iconography of the Acts and Monuments, in: David Loades (ed.), John Foxe and the English Reformation, Aldershot 1997, 66–142; Covington, Jan Luyken (as in n. 4), 444–450. 30 Joannes Bunjan, Eens Christens Reyse Na de Eeuwigheyt… Amsterdam 1684; also id., Den Heylighen Oorlogh …, Amsterdam 1685; Van Eeghen / Van der Kellen, Het Werk (as in n. 13), Cat. Nr. 81, 94; Elizabeth Evenden / Thomas S. Freeman, Religion and the Book in Early Modern England. The Making of John Foxe’s “Book of Martyrs”, Cambridge 2011; Thomas S. Freeman, A Library in Three Volumes. Foxe’s “Book of Martyrs” in the Writings of John Bunyan, Bunyan Studies 5 (1994), 47–57; Van ’t Veld, Beminde Broeder (as in n. 13). 31 See, for instance, his emblem book, Jesus en de Ziel, Amsterdam 1678, and his illustrations to Pieter Bor Christiaensz, Oorsprongk, Begin, en Vervolgh der Nedeerlandsche Oorlogen …, Amsterdam 1679–84, and Hugo de Groot, Nederlandsche Jaarboeken en Historien sedert den Jaer MDLV tot het Jaer MDCIX, Amsterdam 1681; Van Eeghen / Van der Kellen, Het Werk (as in n. 13), Cat. Nr. 6, 9, 38. 29
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Fig. 5: Gerard David, Christ Nailed to the Cross, ca. 1481, London, National Gallery. Photo: National Gallery Picture Library
Fig. 6: Jan Luyken, Crucifixion of Christ, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Mennonite Library and Archives, Bethel, Kansas
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cross before it is raised. This turns an icon into a narrative scene, replete with incidental elements such as the workmanlike persecutor who grasps a nail between his teeth as he bends to fasten Christ’s hand to the cross. Such narrative imagery was favored by Protestant viewers, for whom Biblical stories were inspirational while iconic images smacked of idolatry, but it occurs in Catholic imagery as well.32 An early example is the Flemish painter Gerard David’s painting, Christ Nailed to the Cross (Fig. 5). As a printmaker active in Amsterdam, Luyken must certainly have been familiar with the lineage of history painting in the city that extended from Pieter Lastman (1583–1633), Jacob Pynas (1583–1631) and their circle through Rembrandt (who studied with Lastman and Pynas around 1625) to later generations of artists such as Rembrandt’s friend Gerbrand van den Eeckhout (1622–1674).33 The crumbling, classical architecture and exotically clad bystanders in Luyken’s early Christian scenes recall the figuration of biblical Rome and the Holy Land in the work of Lastman and his followers. As I have argued elsewhere, it is possible that Rembrandt created some of his own images of martyrdom with his Mennonite friends and patrons in mind. If Luyken was aware of this, it would have made Rembrandt’s example all the more appealing.34 Recently, Eeckhout has been identified as the designer of a series of illustrations for the 1657 and 1659 Dordrecht editions of a Reformed martyrology, Historie der Martelaeren, by Adriaen van Haemstede. (Originally entitled Geschiedenisse ende den Doodt der vromer Martelaren [History and Deaths of the Devout Martyrs], the book was first published in Emden in 1559.)35 The printmaker is most likely Jacob Savery III (1617–1666), linking this publication with van Braght’s first edition published a year later, but doctrinally, van Haemstede stands distinctly apart: he valued freedom of conscience above all, disagreed with the strictness of Mennonite doctrine, and deliberately excluded Mennonite martyrs from his account.36 In turning to the illustrations of See, i. a., David Freedberg, The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago 1991; Hans Belting, Likeness and Presence. A History of the Image before the Era of Art, Chicago 1994; Willibald Sauerländer, The Catholic Rubens. Saints and Martyrs, Los Angeles 2014. 33 See recently Eric Jan Sluijter, Rembrandt’s Rivals. History Painting in Amsterdam 1630–1650, Amsterdam 2015. 34 Rembrandt sketched at least two scenes of martyrdom (Lehman Collection, Metropolitan Museum of Art, New York, and British Museum, London) and other subjects of interest to Mennonites; Stephanie S. Dickey, Doop door Water en het Zwaard. Doopsgezing Martelaarschap in de Kunst van Rembrandt en Zijn Tijdgenoten, in: Doopsgezinde Bijdragen n. r. 21 (1995), 39–62; id., Mennonite Martyrdom in Amsterdam and the Art of Rembrandt and his Contemporaries, in: W. Z. Shetter / I. van der Cruysse (ed.), Contemporary Explorations in the Culture of the Low Countries, Lanham 1996, 81–103. 35 Michiel C. Plomp, Gerbrand van den Eeckhout’s Illustrations for Adriaen van Haemstede’s Book of Martyrs of 1657 and 1659, in: Burlington Magazine 148 (2006), 180–186. 36 See Auke Jan Jelsma, Adriaan van Haemstede en zijn martelaersboek, ’s-Gravehage 1970; Covington, Jan Luyken (as in n. 4), 475–476, n. 73. 32
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this book for inspiration, Luyken was thus crossing a confessional divide, but his Calvinist publishers would certainly not have been concerned about this. As Sarah Covington has shown, the van Haemstede illustrations anticipate Luyken’s in the quotidian liveliness and specificity of their imagery.37 Van Haemstede, like van Braght, situates recent events within the legacy of martyrdom dating back to the time of Christ. Canonical instances of early martyrdom are treated by both illustrators in similar ways, for instance, the Stoning of Stephen (Fig. 7). Already featured on van Braght’s 1660 title page (Fig. 2), Stephen offered Mennonites a clear model of inspired preaching, nonresistance, and trust in God, but he was widely celebrated as the first biblical martyr following Christ himself, and his death by stoning was a frequent pictorial theme. It seems clear that both Eeckhout and Luyken were depending
Fig. 7: Jacob Pynas, Stoning of Stephen, 1617, Kingston, Canada, The Bader Collection, Agnes Etherington Art Centre. Photo: Agnes Etherington Art Centre 37
Covington, Jan Luyken (as in n. 4), 445, 449, 453–467.
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on a pictorial tradition extending back through Rembrandt and Pieter Lastman to the German artist Adam Elsheimer, whom Lastman knew in Rome. From Elsheimer’s painting of ca. 1606 (Edinburgh, National Galleries) through examples by Jacob Pynas (1617, Kingston, ON, Agnes Etherington Art Centre, Fig. 8) and Rembrandt (painting, Lyon, Museum of Fine Arts, 1625, and etching, 1635), exotic figures cluster before a setting of imagined classical architecture. Pynas, Eeckhout and Luyken (Fig. 9) all take care to include an observant figure presiding over a pile of cloaks. This is Saul (later the apostle Paul), as identified in Acts 7:58.38 A figural motif that persists through all these images is the tormentor who heaves a rock over his head with both hands. Another is Stephen’s pose, kneeling and glancing prayerfully heavenward, his thoughts already fixed on eternity (Act 7:55, 60). Van Braght’s text is equally careful in paraphrasing the Biblical account.39
Fig. 8: Jacob Savery III after Gerbrand van den Eeckhout, Stoning of Stephen, in Adriaen van Haemstede, Historie der Martelaeren, 1659. Photo: Author 38 Acts 7:58: ‘[…] the witnesses laid their coats at the feet of a young man named Saul.’ Rembrandt’s interpretation is placed in Remonstrant context by S. A. C. Dudok van Heel, De jonge Rembrandt onder Tijdgenoten. Godsdienst en Schilderkunst in Leiden en Amsterdam, Nijmegen 2006. 39 Van Braght, Bloedigh Toneel (as in n. 9), Vol. 1, 5–6.
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Fig. 9: Jan Luyken, Stoning of Stephen, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Bijzondere Collecties, University of Amsterdam
A significant element of Luyken’s prolific talent was his ability to vary his fluent etching style to suit his subject. He could easily adopt the classicizing elegance typical of late seventeenth-century aesthetics, yet he was also attuned to the vogue for scenes of everyday life that is one of the hallmarks of painting in the Dutch Golden Age.40 His own best-known contribution to this genre is a series of one hundred prints of tradesmen at work, published after his death.41 As we have seen, he treats early Christian images with thoughtful attention to detail, but his naturalism is accentuated when he turns to the Anabaptist story. A typological survey of Luyken’s illustrations is illuminating. They include individual, small group, and mass executions by diverse means, but also a range of other inspirational themes. In Book I, nearly all his images (43 of 49) refer directly to the victims’ gruesome deaths, but in Book II nearly half (23 40 For a survey, see Wayne Franits, Dutch Seventeenth-Century Genre Painting. Its Stylistic and Thematic Evolution, New Haven 2004. 41 See Donna R. Barnes, The Butcher, The Baker, The Candlestick Maker. Jan Luyken’s Mirrors of 17th-Century Dutch Daily Life, New York 1995; Stronks, Negotiating (as in n. 16), 239–240.
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of 55) depict related but non-violent incidents such as believers worshipping, disputing doctrine, taking leave of loved ones, arrested, imprisoned, or walking to the place of execution. One group conducts a shipboard service on the Amstel in a scene reminiscent of the placid riverscapes of Ruysdael and Jan van Goyen; significantly, Luyken chooses this part of the narrative over the later execution of the boatman (Fig. 10).42 Such scenes have a quotidian and sometimes deceptively peaceful air: they drop us into the lives of ordinary people moments before the horror of persecution suddenly disturbs the rhythm of everyday life. Van Braght glosses his text with marginal annotations linking the Anabaptist martyrs’ stories with passages from the Gospels and the Acts of the Apostles. I suggest that Luyken takes a similar approach in visual terms. He
Fig. 10: Jan Luyken, Pieter Pietersz Beckjen holding a service on his Boat, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Author The boatman, Pieter Pietersz Beckjen, was burned alive on 26 February 1569; Van Braght, Bloedigh Toneel, Vol. 2, 385. Covington, Jan Luyken (as in n. 4), 472–476; she notes a prevailing theme of children separated from their parents. 42
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does not necessarily follow the scriptural citations proposed by van Braght, but rather invokes an established visual typology that recalls the arrest, interrogation, and suffering of Christ. Viewers familiar with the pervasive imagery of the Passion of Christ and the principal of imitatio Christi would intuitively have recognized meaningful analogies within Luyken’s images. Thus, it is not only the selection of anecdotes but also their construction that affirms the link between Anabaptist suffering and the early Church. Luyken’s scenes of torment feature mundane details that offer a painful reminder of the world’s indifference to suffering.43 In a image depicting a group burned at the stake in Amsterdam in 1549, the bedraggled character nonchalantly warming his hands by the fire Fig. 11: Rembrandt, Beggar warming his Hands at a recalls one of Rembrandt’s Fire, ca. 1630, etching, New York, Morgan Library. Photo: Morgan Library etchings of beggars, based on sketches of people he observed in the streets of Amsterdam (Fig. 11, 12). Here and in other scenes, Luyken includes architectural landmarks to identify urban centers. The building in the background is the old Town Hall of Amsterdam, not the classical building that Luyken would have known (and that still stands today), but the earlier structure destroyed by fire in 1652.44 This was the same building that radical Anabaptists had tried to occupy in 1535, hoping to turn Amsterdam into a new Jerusalem. The town fathers had commemorated their 43 “Ses Broeders en twee Susters, te weren, Pieter Jansz Tobias Questinex, Jan Pennewerts, Gijsbert Jansz., Ellert Jansz., Lucas Michielsz., Barbara Thielemans en Truyken Boens, altemael op eenen dag, tot Amsterdam, levendig aen staken verbrand. Geschied den 20. Martii 1549,” Van Braght, Bloedigh Toneel (as in n. 9), Vol. 2, 82–84. 44 A number of artist recorded the building in ruins. See, e. g., Jan Abrahamsz Beerstraten, “The Ruins of the Old Town Hall of Amsterdam after the Fire of 7 July 1652”, ca. 1652–66, Rijksmuseum, Amsterdam. Pieter Saenredam reconstructed it in a painting of 1657, Rijksmuseum, Amsterdam.
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Fig. 12: Jan Luyken, Group Execution in Amsterdam, 20 March 1549, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en werelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Bijzondere Collecties, University of Amsterdam
punishment with a cycle of paintings by Dirk Barendsz, lost along with the building but known through drawings (Fig. 13). As I have suggested elsewhere, it seems possible that even when later Mennonites visited the Dam Square or looked at placid paintings of the site (a favorite subject of the Mennonite painter Jan van der Heyden), they were reminded of this legacy.45 Luyken’s illustrations bring it explicitly to life for seventeenth-century readers. Another show of worldly indifference is set in a prison in Breda, where the shoemaker Gelyn Cornelisz hangs suspended by a thumb while his jailers cheerfully play cards. Luyken has isolated this scene from a narrative detailing the arrest of seven men at Breda in 1572.46 Van Braght’s marginal citations link it with the flogging of Jesus and imprisonment of his disciples, but 45 Dickey, Mennonite Martyrdom (as in n. 34), 90–94; Covington, Paratextual (as in n. 6), 458. 46 “Seven Broederen tot Breda. Jan Pietersz., Geleyn Cornelisz, Pieter de Gulicker met sijn knecht, Arent Block, Cornelis Gijselaer, en eenen genaemt Michiel. Anno 1572,” Van Braght, Bloedigh Toneel (as in n. 9), Vol. 2, 603–605. For the soldiers casting lots, see Acts 1:26, Matt 27:35, Luke 23:34. Van Braght’s marginal notes cite Matt. 27:26 and Acts 16:23.
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Fig. 13: Anonymous after Dirk Barendsz, Execution of Anabaptists in Amsterdam in 1535, drawing, Amsterdam Museum. Photo: Amsterdam Museum
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Luyken (and his viewers) may have recalled the visual tradition of crucifixion scenes in which soldiers gamble for Christ’s cloak at the foot of the cross. For example, an engraving of 1589 features this motif prominently in the foreground (Fig. 14, 15).47 Hans Knevel, a textile worker from Antwerp, wrote a letter from his prison cell that forms the basis for van Braght’s account of his arrest and interrogation in 1572. His accusers disputed with him for three days over the principles of his faith, and van Braght says that Knevel showed a superior knowledge of scripture in answering their questioning. Luyken shows Knevel facing a richly attired magistrate (Fig. 16). He is not speaking Fig. 14: Adriaen Collaert after Johannes Strad a but standing in a posture of calm nus, Crucifixion of Christ, engraving, ca. 1589, acquiescence, and this recalls nu- London, British Museum. Photo: Museum merous depictions of Christ before Herod, especially the woodcut from the Small Passion of 1509 by Albrecht Dürer (1471–1528), whose work was widely admired and collected in the Netherlands (Fig. 17). Knevel was later burned at the stake.48 Taking us to Dordrecht in 1572, Luyken places the viewer at the back of a crowd of onlookers who watch as a man and woman are prepared for execution. Here, Luyken follows van Braght’s text closely, depicting Jan Woutersz van Kuyk addressing the crowd while Adriaentje Jans, already tied to a stake, is strangled prior to burning (Fig. 19).49 The composition recalls a canoni47 From a series of seventeen plates depicting the life of the Virgin Mary. The French printmaker Jacques Callot made a similar analogy in his etching “The Hanging Tree,” the best-known plate in his series “The Miseries of War” (1633). 48 Van Braght, Bloedigh Toneel (as in n. 9), Vol. 2, 621–623. Van Braght’s glosses, such as 2 Peter 2:12 and 2 Tim 4:7, refer to the Apostles’ testimony and steadfastness. Similarly, “Disputatie Tussen Jacob Keers-gieter en Mr. Broer Cornelis … 9. Mey, Anno 1569,” Vol. 2, 425, may call to mind Jesus disputing with the elders in the Temple or the Old Testament theme of Joseph interpreting the dreams of the butcher and the baker, a favorite in the circle of Rembrandt (e. g., Jan Victors, 1648, Rijksmuseum, Amsterdam). 49 Jan Woutersz van Kuyk en Adriaenken Jans van Moelenaers-graef, beyde, om ’t getuygenisse Jesu Christi, tot Dordrecht verbrant 1572, Van Braght, Bloedigh Toneel (as in n. 9), Vol. 2, 566–568; compare, e. g., “Twaelf Christenen tot Deventer … 1571,”
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Fig. 15: Jan Luyken, Torture of Geleyn Cornelisz, 1572, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en werelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Author
cal moment in Christ’s Passion, the Ecce Homo, when Christ is presented by Pilate to a jeering crowd. Among the best known examples in Dutch printmaking is the engraving by Lucas van Leyden (1494–1533). A model for other artists including Rembrandt, Lucas stages the Ecce Homo before a building resembling the Town Hall in his native city. As in Luyken’s etching, the low vantage point situates the viewer at ground level, among the crowd. This imparts a sense of eyewitness immediacy and prompts us to imagine ourselves as participants complicit in the acts that are taking place (Fig. 18). The typological connection with the Ecce Homo enhances the universal moral implications of such scenes as examples of unjust persecution and loving self-sacrifice. Viewers might also have been prompted to meditate on subtle differences: while Jesus stood silent, van Kuyk, like Knevel, testified to his faith, and while Jesus faced a mob who condemned him, van Kuyk found a few sympathizers in the crowd. At the same time, both van Braght and Luyken emphasize the Christlike willingness of the Anabaptists to suffer torment and death with patience, forgiveness, and even joy. 552–554. Some of the van Haemstede illustrations adopt a similar approach, e. g. “Joost Justbergh of Brussels Beheaded, 1544”; Covington, Jan Luyken (as in n. 4), 449–450.
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Fig. 16: Albrecht Dürer, Christ before Herod, woodcut from the “Small Passion”, 1509. Photo: Amsterdam, Rijksmuseum. RP-P-OB-1649
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Fig. 17: Jan Luyken, Interrogation of Hans Knevel, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Author
Fig. 18: Lucas van Leyden, Ecce Homo, 1510, engraving, Amsterdam, Rijksmuseum, inv. RP-R-OB-1649. Photo: Rijksmuseum
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Fig. 19: Jan Luyken, Execution of Jan Woutersz van Kuyk and Adriaentje Jans at Dordrecht, 1572, in Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedigh Toneel, of Martelaers Spiegel der Doops-gesinde en weerelose Christenen (second edition), 1685. Photo: Author
The Martyr’s Mirror, like all martyrologies, describes terrible events. Martyrs are tortured, burned, beheaded, drowned, and even exploded with gunpowder. Male and female, old and young, they bear their torment with equanimity. The anecdotal, quotidian character of Luyken’s imagery emphasizes humility and communal self-sacrifice as virtues worthy of emulation, appropriately translating the experiences of martyrs who were, for the most part, humble members of the peasant and working classes. Since the initial purchasers of this ample volume would surely have been more prosperous than the simple folk commemorated in it, Luyken’s earthy visual rhetoric supports van Braght’s intention to remind these wealthy, assimilated Mennonites of their origins. Among Mennonite theologians writing from within a pacifist tradition, debate persists about whether the implicit glorification of violent suffering in these images is really such a good idea. (The fact that the volume has come to be known as The Martyrs Mirror, not The Bloody Theater, is telling in itself.) Van Braght’s publication of 1660 and, even more, the lavish edition of 1685 must be understood as a product of the remarkable culture of assimilation that prevailed among Amsterdam Mennonites in the seventeenth century. Although the text remained substantially the same, Luyken’s illustrations create
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a significantly different experience for readers of the 1685 edition. While van Braght fulminated against modern corruption and sought to shock his contemporaries into reform, Luyken paid special attention to the experiences of Jesus and his disciples and balanced the accounts of physical violence with a range of images that give a fuller picture of humble faith in action. Possibly because he is so prolific, Luyken has received little attention from art historians – it is too easy to write him off as a facile illustrator. However, scholars of religion and book history have begun to recognize the importance of his contribution to devotional literature. Els Stronks places his writings, and in particular his emblem book, Jesus en de Ziel, in the context of two trends in Dutch Protestant publishing of the later seventeenth century: after 1650, an increased interest in the Passion of Christ (and personal responses to it by poets such as Jeremias de Decker), and after 1680, a greater appreciation for the value of illustrated texts as an aid to personal devotion. While many Baroque artists strove for a direct and visceral appeal to viewers’ emotions, Stronks sees Luyken’s pictorial approach as essentially an intellectual one, inspired by Galenus Abrahamsz’s view that the senses are not to be trusted: instead, meditation on the biblical word should guide the believer by appealing to “the enlightened eyes of the mind”. Luyken’s own theology increasingly emphasized rejection of earthly concerns.50 This context offers an intriguing perspective on the nature of Luyken’s illustrations for The Martyrs’ Mirror, the cool objectivity of his descriptive attention to often gruesome detail, and the calm, even joyful demeanors of martyrs only too ready to leave an indifferent world behind. As Luyken invites us to participate as eyewitnesses to the events depicted, it is the startling combination of the horrific and the everyday that ultimately moves us to pity and to empathy.
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Stronks, Working (as in n. 16), 692; see also n. 13 above.
Gleichheit im Tod, Unterschied in der Erinnerung? Märtyrerinnen im Täufertum Nicole Grochowina 1. Von der Parität im Tod und Ambivalenzen in der Erinnerung Recht lapidar, aber deswegen nicht weniger wahr beginnt der französische Historiker Philippe Ariès das erste Kapitel seiner Studie über die „Geschichte des Todes“ mit der Überschrift „Wir sterben alle“.1 Und „alle“ meint hier die Heiligen, denen Ariès einen bisweilen außergewöhnlichen Tod attestiert, aber eben auch diejenigen, die nach seiner Beschreibung nicht zu den Heiligen gehören und deren Todesrituale er anschließend durch die Jahrhunderte verfolgt und beschreibt.2 „Wir sterben alle“ – diese Aussage beschreibt eine Parität aller Menschen im Moment des Todes, die alle Unterschiede aufhebt, welche bis dato beispielsweise durch gesellschaftliche Konventionen, ethische Anschauungen oder sozialen Status markiert worden sind. An der Schwelle zwischen Leben und Tod und allerspätestens nach dem Überschreiten dieser Schwelle gelten diese Gesetzmäßigkeiten der Welt nicht mehr – zumindest nicht für die Menschen, die sterben. Anders verhält es sich mit den Menschen, die im diesseitigen Leben zurückbleiben. Ihnen obliegt es nun, die Erinnerungskultur auszugestalten oder die Memorialisierung der Toten zu betreiben, wie es der Historiker Brad Gregory in seinem Band über christliche Märtyrer nennt, durch welche der Verstorbene gewürdigt und weiterhin ins bestehende soziale Gefüge integriert oder explizit von diesem durch Tilgung der Erinnerung ausgeschlossen werden soll.3 Die Geschichten, welche die Nachkommen nun erzählen, werden fortan – unterstützt oder widerlegt von schriftlichen Quellen zum erinnerten Leben – die Sichtweisen all derer prägen, die sich mit dem nunmehr vergangenen Leben befassen; und dies kann mitunter auch heißen, dass die Parität der Toten, die im Satz „Wir sterben alle“ aufleuchtet, über das Vehikel der Philippe Ariès, Geschichte des Todes, München 112005, 11. Vgl. a. a. O., 23–43. 3 Vgl. Brad Gregory, Salvation at Stake. Christian Martyrdom in Early Modern Europe, Cambridge / London 1999, 8–30. Vgl. auch ders., Anabaptist Martyrdom: Imperatives, Experience, and Memoralization, in: John D. Roth / James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism and Spiritualism, 1521–1700, Leiden / Boston 2007, 467–505. 1 2
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Erinnerung, der Narrative und damit auch der Geschichtsschreibung gegebenenfalls in dem Sinne aufgehoben wird, dass das bereits vollendete Leben nun nachträglich wieder in weltliche und damit gesellschaftlich sanktionierte Hierarchien gepresst wird. Auf diese Weise können die Erinnernden nicht nur die vom Tod hergestellte Parität wieder aufheben, sondern zugleich auch an dem von ihnen bevorzugten System mit den darin inhärenten Wertanschauungen und Hierarchien festhalten, wenn sie dieses wollen. Warum gerade dieses Zusammenspiel von Tod und Erinnerung problematisch werden kann, wird deutlich, wenn das benannte Postulat der Parität in das 16. und 17. Jahrhundert und hier direkt auf die täuferischen Märtyrerinnen übertragen wird, denn: Diese starben ebenso wie die Männer einen heroischen Tod für ihren Glauben, wenn den anschließend erstellten Berichten in den Martyrologien geglaubt werden darf. Doch gleichzeitig – und dies markiert die These der folgenden Ausführungen – war ihr Tod ein Problem für die täuferische Erinnerungspolitik, die eben auch und gerade in den Martyrologien zum Ausdruck kam, denn der Märtyrertod der Täuferinnen barg eine bemerkenswerte Ambivalenz in sich, mit der die überlebenden Zeitgenossen umzugehen hatten. Angesichts dieses heroischen Todes der Frauen hatten die Kompilatoren der Martyrologien nämlich nun explizit eine Entscheidung zu fällen, die dann wesentliche Elemente der täuferischen Erinnerungskultur bestimmte, die sich primär in Märtyrerberichten und Liedern konstituierte.4 Kurzum: Ihnen fiel nun die wichtige Aufgabe zu, die erforderliche Heiligen-Memoria unter den Vorzeichen ihrer Zeit zu betreiben.5 Worin aber bestanden nun genau die Ambivalenz und damit auch das Problem, das sich bei der Ausgestaltung der täuferischen Erinnerungskultur auftat? Folgendes fanden die frühneuzeitlichen Zeitgenossen gerade im 16. Jahrhundert vor, wenn die täuferische Bewegung in den Blick kam: Einerseits standen die täuferischen Frauen durch ihre Haft und ihre Ermordung um des Glaubens willen ganz paritätisch nicht nur auf einer Stufe mit allen männlichen Märtyrern des Täufertums, sondern auch mit den Propheten und Heiligen, die ihnen vorangegangen waren.6 Doch andererseits sollte und durfte es diese Parität in 4 Zum Begriff der Erinnerungskultur gibt es inzwischen eine kaum zu übersehende Anzahl an Studien. Vgl. für einen Überblick Mathias Berek, Der Stellenwert der Erinnerungskultur bei der Konstruktion von Wirklichkeit (Diss., Ms.), Leipzig 2008; Astrid Erll, Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Eine Einführung, Stuttgart / Weimar 2005; Alfred Loesdau (Hg.), Erinnerungskultur in unserer Zeit. Zur Verantwortung des Historikers. Beiträge eines Kolloquiums zum 70. Geburtstag von Helmut Meier (Gesellschaft, Geschichte, Gegenwart, 35), Berlin 2005. 5 Vgl. Thomas Fuchs, Protestantische Heiligen-Memoria im 16. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), 587–614, passim. 6 Vgl. hierzu die Setzungen durch Anneken Jansz in ihrem Testament, das Eingang in das täuferische Martyrologium Het Offer des Heeren gefunden hat: Samuel Cramer (Hg.), Het Offer des Heeren (de oudste verzameling doopsgezinde martelaarsbrieven en offerliederen) (Bibliotheca Reformatoria Neerlandica, 2), Den Haag 1904, 70–75, hier 70.
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der größtenteils geschlechterhierarchisch angelegten, frühneuzeitlichen Gesellschaft eigentlich gar nicht geben. Erinnert werden sollten die Täuferinnen also weniger als die Märtyrerin, die aus demselben Kelch mit den Propheten trank, sondern vielmehr – so weitgehend wie eben möglich – als die Frau, welche die eigenen Kinder zum gottgefälligen Leben ermutigte und diese noch vor der Hinrichtung in gute Hände gab, ansonsten Trost empfing, um ihren Glaubensweg bis zu Ende gehen zu können, und dann starb.7 Hier leuchtet also eine Erzählweise vom Leben der Frauen in einzelnen Martyrologien auf, die darauf zielte, dem Parität schaffenden „Wir sterben alle“ eine Erinnerung entgegenzusetzen, die diese Parität auflöste und die – in der Welt gegebene – Geschlechterhierarchie wiederherstellte. Dieser Versuch der Re-Hierarchisierung fand seinen Rückhalt und Widerhall in einer Gesellschaft, die größtenteils als geschlechterhierarchisch strukturiert zu bezeichnen ist, auch wenn es im 16. und 17. Jahrhundert durchaus eine signifikante Anzahl an Regentinnen, Handelsfrauen und Handwerkerinnen gegeben hat, die diese Hierarchie qua Person und Qualifikation durchbrachen. So hat die Forschung etwa darauf verwiesen, dass verheiratete Männer und Frauen nicht nur ein Ehe-, sondern auch ein Arbeitspaar bildeten, gerade in den handwerklichen Berufen also eine spätestens im frühen 19. Jahrhundert geradezu klassisch werdende Unterteilung nach öffentlichem Wirken des Mannes und Dasein der Frau als „Gattin, Hausfrau und Mutter“ noch keineswegs in dieser Schärfe angelegt oder erkennbar war.8 Und doch ist für die frühneuzeitliche Gesellschaft weder in den adeligen oder gebildeten Ständen noch beim gemeinen Volk von einer Einebnung der Geschlechterhierarchie zu sprechen. Zu wirkmächtig war weiterhin etwa die Vorstellung der Erbsünde, welche primär Eva und damit der Frau angelastet wurde; zu schwerwiegend war aber auch das Erbe germanischer und römischer Rechte und Gesetze, nach denen die Frau als „schwaches Geschlecht“ verteidigt und geschützt werden musste, weil sie es aufgrund ihrer fehlenden 7 Vgl. hierzu Nicole Grochowina, Zwischen Gleichheit im Martyrium und Unterordnung in der Ehe. Aktionsräume von Frauen in der täuferischen Bewegung, in: Anne Conrad (Hg.), „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 59), Münster 1999, 95–114; dies., Von Opfern zu Heiligen. Martyrien von Täuferinnen und Täufern im 16. Jahrhundert, in: Peter Burschel / Anne Conrad (Hg.), Vorbild, Inbild, Abbild. Religiöse Lebensmodelle in geschlechtergeschichtlicher Perspektive, Freiburg i. Br. 2003, 121–151; dies., Images of Women in the Anabaptists’ Martyrology „Het Offer des Heeren“, in: Mirjam van Veen / Piet Visser / Gary K. Waite et al. (Hg.), Sisters. Myth and Reality of Anabaptist, Mennonite, and Doopsgezind Women, ca. 1525–1900, Leiden, Boston 2014, 105–121. 8 Vgl. paradigmatisch Heide Wunder, „Er ist die Sonn, sie ist der Mond.“ Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992. Vgl. für einen Überblick über Fragen und Ansätze Anne Conrad, Frauen- und Geschlechtergeschichte, in: Michael Maurer (Hg.), Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft (Aufriß der Historischen Wissenschaften 7), Stuttgart 2003, 230–294.
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Körperkraft nicht vermochte, Waffen zu tragen, und sich deshalb auch nicht verteidigen konnte. Diese Auffassungen mündeten u. a. in die – im Recht verankerte – Geschlechtsvormundschaft, nach welcher es den Frauen untersagt war, als eigenständige juristische Personen zu agieren. Damit waren sie generell auch nicht eigentumsfähig, konnten nur in wenigen Fällen, etwa bei spezifisch weiblichen Gütern wie der Morgengabe nach der ersten Nacht im gemeinsamen Ehebett, frei über mobile Güter verfügen, waren also juristisch keine eigenständige Person.9 Vor dem Hintergrund der frühneuzeitlichen Geschlechterhierarchie und der täuferischen Bewegung im 16. und 17. Jahrhundert stellte sich allerdings schon fast konsequent die Frage, ob die täuferischen Gemeinden diese Geschlechterhierarchie weitertrugen oder durchbrachen. Erste Ansätze der früheren Forschung sprachen von einer geradezu „radikalen Gleichheit“ zwischen Männern und Frauen im Täufertum, die sich eben auch und gerade im Märtyrertod beider Geschlechter zeige. Doch diese Auffassungen wurden in den nachfolgenden Jahren immer wieder in Frage gestellt. So hat zunächst Claus-Peter Clasen eine immer noch gültige Arbeit über die soziale Struktur der Täufer vorgelegt und darin festgehalten, dass die Täufer ganz sicher in einigen Bereichen als revolutionär gelten konnten, aber die Aufhebung der zeitgenössischen Geschlechterhierarchie gehörte nicht dazu, vielmehr hätten sich die Täufer durch einen ausgesprochen traditionellen Blick auf die Rolle der Frauen ausgezeichnet.10 Geradezu folgerichtig stellt sich deshalb auch die Frage, wo in der Forschung denn die Frauen benannt seien, welche die Gemeinden geleitet hätten, predigen konnten und missionierten.11 Diese Frage ist auch anhand von Martyrologien aufgeworfen worden, als die Forschung begann, den Anteil von Frauen etwa im 1660 erschienenen Märtyrerspiegel oder später im ersten täuferischen Martyrologium, in Het Offer des Heeren von 1562, in den Blick zu nehmen.12 Aktuell erscheint in der Forschung hier eine eher ambivalente Sichtweise, sodass konsequenterweise nun beide Positionen Unterstützung oder Kritik erfahren. Dies hängt von der jeweils untersuchten Region und der Zeit ab, die in 9 Vgl. Ute Gerhard (Hg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997; Arne Duncker, Gleichheit und Ungleichheit in der Ehe. Persönliche Stellung von Frau und Mann im Recht der ehelichen Lebensgemeinschaft, 1700–1914, Köln / Weimar / Wien 2003. Vgl. auch Nicole Grochowina, Geschlecht und Eigentum in der Frühen Neuzeit, in: dies. / Henrikje Carius (Hg.), Eigentumskulturen und Geschlecht in der Frühen Neuzeit (Comparativ, 15), Leipzig 2005, 7–21. 10 Vgl. Claus-Peter Clasen, Anabaptism. A Social History, 1525–1618. Switzerland, Austria, Moravia, South and Central Germany, Ithaca / London 1972, 208. 11 Vgl. C. Arnold Snyder / Linda Huebert Hecht, Profiles of Anabaptist Women (Studies in Women and Religion, 3), Waterloo 1996, 9. 12 Vgl. ebd. und Nicole Grochowina, Images (wie Anm. 7), passim. Die meisten Studien beziehen sich jedoch auf Thieleman Jansz van Braght, Het Bloedig Tooneel, of Martelaars-Spiegel der Doops-Gesinde of Weereloose Christenen, Dordrecht 1660.
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den Blick genommen wird. Deutlich wird dadurch nicht zuletzt die Heterogenität der täuferischen Bewegung, die in ihren Details trotz aller Bemühungen sicher noch nicht hinreichend von der Forschung erfasst werden konnte. Das bedeutet, dass viele Ergebnisse – auch zur Parität oder eben zur Hierarchie der Geschlechter – gegenwärtig noch vorläufig bleiben müssen. Dies bedeutet aber gleichermaßen, dass auch noch nicht auf breiterer Basis die These vertreten werden kann, dass eine Gleichheit der Geschlechter – und eine „radikale“ noch dazu – erreicht worden sei. Stattdessen ist für den aktuellen Stand der Forschung mit den Worten von Sigrun Haude festzuhalten, hier bestehe der Konsens, dass die unterschiedlichen täuferischen Gruppen grundsätzlich die Geschlechterhierarchien und Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen umsetzten, welche in der frühneuzeitlichen Gesellschaft Usus waren.13
2. Memorialisierung von täuferischen Märtyrerinnen in der Frühen Neuzeit Sollte also in der Erinnerungskultur die bestehende Geschlechterhierarchie erhalten bleiben, stellte sich umso eindrücklicher die Frage, wie genau diese Form der Memorialisierung von Märtyrerinnen geleistet werden konnte, weil diese schließlich wie jeder andere Märtyrer auch starben, hier also die Parität im Märtyrertod aufleuchtet. Um diese Forderung dennoch einzulösen, ergaben sich für die Täufer zwei Möglichkeiten des Umgangs, die sich gleichermaßen in frühneuzeitlichen Einschätzungen des Martyriums wiederfinden, die über die täuferische Bewegung hinausgingen: die De-Sakralisierung des Martyriums sowie die Einschreibung zeitgenössischer Vorstellungen in die Erinnerungen an die Märtyrer und Märtyrerinnen. 2.1. Ausschluss der Märtyrerinnen De-Sakralisierung des Martyriums und damit auch Ausschluss von einzelnen Märtyrern aus der Erinnerungskultur – hierfür steht in besonderer Weise Martin Luther mit seinen Worten in der Predigt am Sonntag Estomihi aus dem Jahr 1540 Pate. In dieser Predigt berichtet er davon, dass viele Täufer, Sakramentarier, Mönche und andere falsche Geister auftreten und sich ihre Märtyrer machen würden.14 Dabei sei gerade an den Täufern zu erkennen, wie sehr es an Liebe und an wahrem Glauben mangle, sodass diese falschen Geister allein aus Überheblichkeit mehr auf sich nehmen würden als die wahren 13 Vgl. Sigrun Haude, Gender Roles and Perspectives Among Anabaptist and Spritualist Groups, in: John D. Roth / James M. Stayer (Hg.), A Companion to Anabaptism (wie Anm. 3), 425–465, hier: 429. 14 Vgl. Martin Luther, Predigt am Sonntag Estomihi 1540, in: WA 49, 25–29, hier 26.
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Christen. Und mehr noch: In ihren Martyrien, in ihrem Sterben mischten sich Hass und Neid unter die schöne Farbe des Leides, das als solches durchaus erstrebenswert sei. Aus dieser Beobachtung zieht Luther dann die Schlussfolgerung: „Sic Diabolus maximus martyr, sed damit sucht er, ut totum mundum seducat“, kurzum: Auf diese Weise werde die Welt durch den Teufel, den größten Märtyrer, verführt.15 Diese Auffassung hatte Luther jedoch nicht immer vertreten, sondern sie ist vielmehr das Resultat seiner Beobachtung der Täufer, aber auch der Einschätzung seiner eigenen Person innerhalb des reformatorischen Geschehens. Denn nachdem Luther zunächst noch angenommen hatte, dass er selbst der erste Märtyrer seiner Bewegung sein werde, und nachdem er 1523 die zwei Brüsseler Märtyrer sehr gefeiert und anschließend jeweils ein euphorisches Memorial für Heinrich von Zütphen (1524), Georg Winkler und Leonhard Kayser (beide 1527)16 geschrieben hatte, stellte er mit wachsender Unruhe fest, dass er – auch durch den Schutz, der ihm von seinem Landesherrn zu Teil wurde – eben nicht in den ersten Jahren des reformatorischen Geschehens den Märtyrertod gestorben war und sich diese Perspektive auch nicht mehr zu ergeben schien.17 Parallel zu dieser Erkenntnis sah er, dass im Alten Reich eine wachsende Zahl an Täufern verfolgt und auch hingerichtet und dann von ihrer Bewegung als Märtyrer angesehen wurde. Täuferische Martyrologien existierten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wohl aber eine reichhaltige mündliche Tradition der Geschichten – und mehr noch: der Lieder, die von den jeweiligen Martyrien erzählten.18 Luther selbst sah die Täufer zweifelsfrei als Häretiker an, er warnte vor ihren Predigern – und nicht zuletzt die Ereignisse des Täuferkönigreichs in Münster 1534/35 schienen ihm in allen Punkten Recht zu geben, wenn er die Täufer als eine Gefahr für das Seelenheil aller Glaubenden verstand. Und dennoch blieb ihm nicht verborgen, dass diese Bewegung Menschen hervorbrachte, die ihr Leben für ihren Glauben hingaben und sich – übrigens ebenso wie Luther – nicht zu einem Widerruf oder dann auch zur Aufgabe der Stadt bewegen ließen.19 A. a. O., 27. Zu den Quellen zu Leonhard Kayser/Käser vgl. Friedrich Leeb, Leonhard Käser. Ein Beitrag zur bayerischen Reformationsgeschichte (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 52), Münster 1928. 17 Vgl. David Bagchi, Luther and the Problem of Martyrdom, in: Diana Wood (Hg.), Martyrs and Martyrologies, Oxford / Cambridge 1993, 209–219, hier 211. 18 Vgl. etwa den Ausbund als Liedersammlung, der in Europa 14 in Nordamerika 21 Auflagen hatte und auch 51 Lieder aus der Zeit 1535–1540 enthält: Ausbund. Das ist: Etliche schöne Christliche Lieder. Wie sie in dem Gefängniß zu Bassau in dem Schloß von den Schweizer Brüdern und von andern rechtglaubigen Christen hin und her gedichtet worden, Lancaster 1856. 19 Zum Täuferreich in Münster vgl. Willem de Bakker / Michael Driedger / James Stayer: Bernhard Rothmann and the Reformation in Münster, 1530–1535, Kitchener 2009; Günter Vogler, Die Täuferherrschaft in Münster und die Reichsstände. Die politische, 15 16
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Luther kam nun also nicht mehr umhin, sich mit den täuferischen Märtyrern auseinanderzusetzen. Dabei kam er schließlich in seiner Predigt von Estomihi zu dem Schluss, es hier mit „falschen Märtyrern“ zu tun zu haben, die vom Teufel inspiriert seien. Durch das viele Blut, welches fließe, und durch den Anschein von Heiligkeit, welcher mit diesen falschen Martyrien einherginge, versuche der Teufel, die Welt zu verführen und auf seine Seite zu ziehen. Das Martyrium diene also nicht der Verherrlichung Gottes, sondern einzig dem bösartigen Streben des Teufels.20 Mit anderen Worten: Durch die De-Sakralisierung des Martyriums, das Luther wohlgemerkt noch für sich erhofft hatte, schließt er alle täuferischen Märtyrer vom Heil aus und rechnet sie explizit dem Teufel zu, der nun der größte Märtyrer von allen sei. Auch für die Täufer war der Ausschluss von Märtyrern aus ihren Martyrologien im Grunde eine Option, um eine bestimmte inhaltliche Ausrichtung zu sichern. Aber angesichts der zahlreichen Märtyrerberichte aus der Bewegung, die von Männern und eben auch von Frauen erzählen, war klar, dass dieser Ausschluss nur für einzelne Täufer, nicht aber für ein ganzes Geschlecht gelten konnte bzw. dies nicht mehrheitsfähig war, da es in der täuferischen Bewegung zu viele Frauen und damit auch eine signifikante Anzahl an Märtyrerinnen gab.21 Dass aber einzelne Täufer tatsächlich aus Martyrologien ausgeschlossen wurden, zeigen beispielsweise die unterschiedlichen Editionen der Schrift Het Offer des Heeren aus dem Jahr 1562, die heute meist in der Edition von 1570 vorliegt.22 Hier wurden im Zuge der Auseinandersetzung zwischen friesischen und flämischen Mennoniten in den Jahren 1566 und 1567 einzelne flämische Märtyrer aus nachfolgenden Editionen entfernt, denn diese wurden von den Friesen nun als „falsche Brüder“ angesehen, galten also nicht als verehrungswürdig in einer Schrift, die vorwiegend die friesischen Brüder im Nordwesten des Alten Reiches repräsentierte.23 Und auch einzelne Frauen schafften es aus den hier angedeuteten politischen Gründen nicht in ein Martyrologium. So findet sich weder in Het Offer des Heeren noch im Märtyrerspiegel ein Hinweis auf Hille Feicken, die während des Täuferreiches von Münster 1534/35 wie Judith aus der belagerten Stadt auszog, um den Bischof von Münster umzubringen und die Täufer zu religiöse und militärische Dimension eines Konflikts in den Jahren 1534 bis 1536, Gütersloh 2014; Ralf Klötzer, Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung, Münster 1992. 20 Vgl. hierzu auch Bagchi, Luther (wie Anm. 17), 216. 21 Wie viele Frauen genau die täuferische Bewegung trugen, lässt sich nicht endgültig beziffern. Der Frauenanteil in den täuferischen Martyrologien Het Offer des Heeren und dem Märtyrerspiegel legt jedoch eine signifikante Größe nahe. Vgl. hierzu Grochowina, Von Opfern zu Heiligen (wie Anm. 7), 125–128. 22 Vgl. Cramer (Hg.), Het Offer des Heeren (wie Anm. 6). 23 Vgl. zu diesen Auseinandersetzungen Gregory, Anabaptist Martyrdom (wie Anm. 3), 496.
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befreien. Der Versuch misslang, Hille Feicken wurde hingerichtet, wäre also eigentlich eine geradezu spektakuläre Märtyrerin, taucht aber ebenso wenig wie die Münsteraner Täuferführer in den Martyrologien auf.24 Mit ihrem Ausschluss aus der Erinnerungskultur sollte klar gemacht werden, dass die Münsteraner Täufer – übrigens ebenso wenig wie die als militant geltenden Batenburger25 – den erwünschten Märtyrern entsprachen, die das Ideal der lijdsamkeit, also der Gelassenheit angesichts des Todes, lebten, wie die Schlachtschafe ihren Glauben bekannten und schließlich als wahre und aufrechte Brüder – und bisweilen eben auch Schwestern – hingerichtet und somit zum Exempel für ihre Glaubensgeschwister wurden.26 Aus politischen Gründen konnten also einzelne Täufer aus der Erinnerung ausgeschlossen werden, aber alle Frauen aus den Büchern zu tilgen, war nicht möglich. Der erste Grund hierfür ist, dass Frauen in der täuferischen Bewegung eine signifikante Größe darstellten. Auch wenn für das gesamte Alte Reich verlässliche, absolute Zahlen fehlen, hat die Forschung doch in den letzten Jahren Tendenzen angeben können, die sich in ihrer Größenordnung zumindest weitgehend decken. So hat Claus-Peter Clasen für die Zeit zwischen 1525 und 1618 einen Frauenanteil von 35 % an der täuferischen Bewegung ausgemacht.27 Diese Zahl blieb allerdings nicht unumstritten. Gerade die niederländische Forschung geht mit Samme Zijlstra eher davon aus, dass die Zahl der Frauen deutlich höher war, da sie im 17. Jahrhundert in den Gemeinden zumeist die Mehrheit stellten. Aber zu beweisen ist dies noch nicht im Detail. Konkreter lassen sich Zahlen ermitteln, wenn einzelne Martyrologien in den Blick genommen werden – und die Resultate hieraus bewegen sich grundsätzlich in der Nähe von Clasens Zahlen. Für das wohl umfänglichste täuferische Martyrologium, den Märtyrerspiegel hat John Klassen festgestellt, dass 28,6 % der Märtyrergeschichten Frauen zuzuordnen seien.28 Ähnlich verhält es sich beim Prototyp der täuferischen Martyrologien, bei der Schrift Het Offer des Heeren aus dem Jahr 1562. Hier liegt der Frauenanteil im Liederbuch bei fast 32 %, im Text selbst bei knapp 20 %.29 24 Zu Hille Feicken und ihrem Wirken in Münster vgl. Marion Kobelt-Groch, Aufsässige Töchter Gottes. Frauen im Bauernkrieg und in den Täuferbewegungen, Frankfurt am Main / New York 1998, 64–133. 25 Zu den Batenburgern vgl. Samme Zijlstra, Om de ware gemeente en de oude gronden. Geschiedenis van den dopersen in de Nederlanden 1531–1675, Hilversum / Leeuwarden 2000, 148–157. 26 Zum Begriff der „lijdsamkeit“ vgl. immer noch Ethelbert Stauffer, Märtyrertheologie und Täuferbewegung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 52 (1933), 545–598, hier 570–592. 27 Vgl. Claus-Peter Clasen, Anabaptism, 15–29 und 207–209. 28 Vgl. John Klassen, Women and the Family among Dutch Anabaptist Martyrs, in: Mennonite Quarterly Review 60 (1986), 548–572, hier 549. 29 Vgl. Grochowina, Von Opfern zu Heiligen (wie Anm. 7), 126 f.
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Ein zweiter Grund, Frauen nicht einfach aus der Erinnerung ausschließen zu können, liegt darin, dass Frauen offenbar innerhalb der täuferischen Bewegung wichtige Aufgaben erfüllten. Gemeint ist hiermit die informelle Leitung, die Frauen ausübten, die Tatsache, dass sie mit Versammlungsorte und Verstecken viel Infrastruktur für die Bewegung bereitstellten und deshalb durchaus als deren Rückgrat zu verstehen sind, ihr Schreiben von Liedern und damit die Prägung der religiösen Kultur gerade der niederländischen Mennoniten30 – und nicht zuletzt auch die Einführung des Amtes der Diakonin in den Niederlanden; wenn auch erst im Jahr 1632. Quellenmäßig abgesichert ist zudem, dass Frauen in den Anfangsjahren einiger täuferischer Gruppen wie etwa in Straßburg, in denen das Wirken des Heiligen Geistes von großer Bedeutung zu sein schien, durchaus zu Wortführerinnen, weil anerkannten Visionärinnen aufsteigen konnten, die allein Gott und eben nicht den Menschen verpflichtet waren.31 Doch hier ist einschränkend festzuhalten, dass diese Frauen zwar Gottes Geist wehen hören durften, aber das Gehörte war anschließend von Männern zu deuten, wie das Miteinander von Ursula Jost und Barbara Rebstock mit Melchior Hoffman in Straßburg zeigt.32 Und schließlich ist drittens Brad Gregory in seiner Argumentation zu folgen, dass sich die täuferische Bewegung zumindest zwischen 1525 und 1530 durch eine „Märtyrer-Mentalität“ auszeichnete, die darauf zielte, die Nachfolge Jesu in erster Linie durch den Willen Gestalt werden zu lassen, auf diesem Weg sämtliches Leiden und eben auch den Tod billigend in Kauf zu nehmen bzw. bewusst darauf zuzugehen. Diese Mentalität, so behauptet Gregory, sei der Dreh- und Angelpunkt innerhalb der täuferischen Bewegung gewesen und habe andere Debatten zwischen ihnen geradezu eingeebnet – und dazu gehörte demnach auch die Frage nach der Bewahrung der Geschlechterhierarchie –, auch wenn diese Einebnung nicht von anhaltender Dauer war wie ### kritisch und mit Blick auf die täuferischen Martyrologien, die seit den 1560er Jahren entstanden sind, anzufügen ist.33 2.2. Zeitgenössische Geschlechterhierarchien trotz Martyrium Hob der Tod also alle Unterschiede zwischen den Geschlechtern auf, musste die Erinnerung durch Märtyrerberichte dafür sorgen, dass zeitgenössische Geschlechterhierarchien gewahrt blieben, sofern dies beabsichtigt war. Um dies für die täuferische Bewegung in den Blick zu nehmen, soll im Folgenden exemplarisch das bereits benannte Martyrologium Het Offer des Heeren genauer analysiert werden. Damit stellt das erste täuferische Martyrologium Ergebnisse bereit, die durchaus als paradigmatisch für den Umgang mit der Vgl. Haude, Gender Roles (wie Anm. 13), 439. Vgl. a. a. O., 436. Vgl. auch Snyder / Huebert Hecht, Profiles (wie Anm. 11), 9 f. 32 Vgl. Haude, Gender Roles (wie Anm. 13), 434. 33 Vgl. Gregory, Salvation at Stake (wie Anm. 3), 200–249. 30 31
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Geschlechterhierarchie auch in den nachfolgenden Martyrologien verstanden werden können. Um hier genauere Einblicke zu gewinnen, wird zunächst deutlich gemacht, dass einzelne Täuferinnen einforderten, nun durch ihren Tod mit allen anderen Märtyrern und mit den Propheten und Aposteln selbst auf einer Stufe zu stehen. Dieser Vorgriff ist wichtig, weil sich genau an dieser Stelle der Handlungsbedarf für die Kompilatoren der Martyrologien ergab, der darin bestand, in der weiteren Auswahl und der Anordnung der Schriften eine Erinnerungskultur zu etablieren, die dann wieder mehr den Werten, Vorstellungen und damit auch Hierarchien ihrer Herkunftsgesellschaft entsprach. Am Beginn soll dabei ein in der Forschung oft zitiertes Beispiel stehen, nämlich das Testament von Anneken Jansz vom 24. Januar 1539. Darin heißt es: „Höre, mein Sohn, die Unterweisungen Deiner Mutter, öffne Deine Ohren, um die Reden meines Mundes zu hören. Siehe, ich gehe heute den Weg der Propheten, Apostel und Märtyrer, und trinke aus dem Kelch, aus dem sie alle getrunken haben. Ich gehe den Weg, sage ich, den Christus Jesus, das ewige Wort des Vaters, […] auch allein gegangen ist, auch er hat aus diesem Kelch trinken müssen. […] Diesen Weg haben auch die königlichen Priester beschritten, […] auf diesem Weg wanderten auch die Toten, die unter dem Altar liegen, […] auf diesem Weg wandelten auch die Gezeichneten des Herren. […] Sieh, all diese haben den Kelch der Bitterkeit trinken müssen.“34
In diesem Testament ermahnt Anneken Jansz ihren Sohn, ebenso wie sie Leid zu erfahren und sich durch die Übernahme des Kreuzes als wahrer Christ zu beweisen, denn dieser Kreuzesweg sei ein Weg, den alle „Gezeichneten des Herren“ gehen würden.35 Zudem ist an dieser Stelle nicht ihr Tod an sich für sie entscheidend, sondern die von ihr geleistete Einordnung ihrer Person und ihres Todes in die Reihe mit anderen Märtyrern, Aposteln, Propheten und Heiligen; und damit sind auch die des Täufertums benannt. Diese Reihe verfolgt sie bis zu Christus selbst zurück, stellt sich also auch mit ihm auf eine Stufe. Es ist erst das „Trinken aus dem Kelch“, welches die Gemeinsamkeit im Martyrium herstellt – und dies nimmt Anneken Jansz auch für sich in Anspruch. 34 „Hoort mijn Sone die onderwijsinge ws moeders, opent v ooren om te hooren die reden mijns monts. Siet, ic gae huyden den wech der Propheten, Apostelen ende Martelaren ende drincke den kelc, die sy alle gedroncken hebben. Ick gae den wech, segge ic, die Christus Jesus dat eewige Woort des Vaders […] door hem seluen en niet door eenen anderen gewandelt heeft, ende heeft desen kelck moeten drinken. […] Desen wech zijn door gheghaen de Conincklijke Priesteren, […] desen wech hebben getreden de dooden, die daer liggen onder den Altaer, […] desen wech hebben oock ghewandelt die geteyckenden des Heeren. […] Siet, alle dese hebben den kelck der bitterheyt moeten drincken.“ Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 70 f. 35 Vgl. ebd. Ihr Sohn war zu diesem Zeitpunkt erst wenige Jahre alt. Auf dem Weg zu ihrer Exekution soll sie die Zuschauer gebeten haben, ihren Sohn, den sie bei sich trug, zu adoptieren. Ein Bäcker willigte ein und erntete dafür im Laufe seines Lebens mit zwei Brauereien einen reichen Lohn. Vgl. Snyder / Huebert Hecht, Profiles (wie Anm. 11), 341.
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Somit zählte für Anneken Jansz nach den Worten ihres Testaments nur noch, dass auch sie zu einer solchen Märtyrerin geworden war; ihr vorheriges Leben oder gar ihr Geschlecht standen hinter dieser Zuschreibung zurück. Ein ähnliches Testament ist von Mayken Boosers überliefert. Es stammt aus dem Jahr 1564.36 Auch sie stellt sich hier bewusst und explizit auf eine Stufe mit den Märtyrern, die mit ihr im Gefängnis lagen, und mit denen, die vor ihr gestorben waren. Während Jansz auf den Kelch verweist, aus dem sie alle – ungeachtet des Geschlechts – trinken würden, fordert Boosers ihre Kinder auf, fortan mit aller Kraft auf göttlichen Wegen zu wandeln und sich dabei immer bewusst zu sein, dass ihre Mutter eine „heilige Frau“ sei, also ein Ansehen erreicht habe, mit dem die Kinder sich „verzieren“ könnten und sollten.37 Beiden Frauen war also ganz offenbar bewusst, dass sie sich in einer außerordentlichen Position befanden, und benannten dies auch klar. Brad Gregory führt vor diesem Hintergrund weiter aus, dass beide Geschlechter nicht nur gleichermaßen aus dem Gefängnis heraus Briefe und Testamente an Freunde und Familie schrieben, auch in ihren konkreten Todesvorbereitungen sei ein identisches Verhalten und damit eben auch eine Geschlechterparität zu beobachten:38 So beteten sowohl Männer als auch Frauen intensiv um Gottes Gnade, um die Qualen der Folter zu bestehen und sich auf den Tod vorzubereiten. Überdies gingen beide Geschlechter davon aus, von Gott besonders für diesen Weg auserwählt worden zu sein. Mit diesem sehr speziellen Nachfolgeweg gehe zudem viel Leiden einher, das in großer Gelassenheit getragen werden müsse, denn es diene nicht allein der Ehre Gottes, sondern auch der Reinigung dessen, der diesen Weg in dieser Welt gehe – dies erkannten sowohl die Männer als auch die Frauen. Und schließlich beriefen sich beide Geschlechter mit ähnlicher Intensität auf die Heilige Schrift, zeigten hier nicht selten eine Kenntnis, die in Kreisen von Handwerkern und Bauern nicht unbedingt zu vermuten gewesen wäre, und spickten demzufolge auch ihre Briefe und Testamente mit ausführlichen Verweisen auf die Bibel. Dies alles zusammengenommen, kommt Brad Gregory zu dem Schluss, dass beide Geschlechter sich angesichts des Todes ähnlich verhielten, „dieselben Sorgen zum Ausdruck brachten, sich derselben Begrifflichkeit bedienten und auf dieselben Autoritäten beriefen“, das Geschlecht also die Erlebnisse „sehr wenig geprägt zu haben“ scheint.39 Die Parität, die dem Satz von Ariès, „Wir sterben alle“, zugrunde liegt, leuchtet also in derartigen Märtyrerberichten der Täuferinnen und Täufer besonders deutlich auf. Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 415. A. a. O., 70 und 416. 38 Vgl. Brad Gregory, Weisen die Todesvorbereitungen von Täufermärtyrern geschlechtsspezifische Merkmale auf?, in: Mennonitische Geschichtsblätter 54 (1997), passim. 39 A. a. O., 57. 36 37
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Ein genauerer Blick auf die einzelnen Schriftstücke aus Het Offer des Heeren macht allerdings ebenso deutlich, dass dem Tod nicht selten eine geschlechtlich konnotierte Ausgestaltung der täuferischen Erinnerungskultur folgte, im Martyrologium selbst also die eingangs betonte Ambivalenz erkennbar wird. Ein tieferer Blick in die unterschiedlichen Quellengattungen in Het Offer des Heeren – gemeint sind hier etwa Bekenntnisse, Ermahnungen, Testamente, Briefe an die Familie oder an die Obrigkeit und nicht zuletzt die Lieder –, erklärt, dass und wie in allen Bereichen und bei allen Themen, die von Männern und Frauen gemeinsam, besetzt, beschrieben und bisweilen auch miteinander diskutiert wurden, die Täuferinnen mit ihren Ausführungen sowohl in der Länge als auch in der Tiefe hinter denen der Täufer zurückstanden. Auf diese Weise wurde also eine Hierarchie gesetzt und gefestigt. Exemplarisch soll dies am Beispiel der Bekenntnisse vertieft werden, doch die hier zu erkennenden Befunde lassen sich zumindest für Het Offer des Heeren auch auf die anderen Schriftstücke wie Testamente, Briefe oder Ermahnungen übertragen. Die Bekenntnisse wurden in erster Linie vor den Vertretern der jeweiligen Obrigkeit abgegeben und waren für die Täuferinnen und Täufer eine wichtige Möglichkeit, ihren Glauben öffentlich zu machen. Dabei lässt sich in der anschließenden literarischen Verarbeitung im Martyrologium Het Offer des Heeren für die Ausgestaltung der Erinnerungskultur ein grundlegendes Gliederungsschema mit Themen erkennen, die von beiden Geschlechtern besetzt wurden. In einigen Fällen beginnen diese Texte mit einer Invocatio, in der einzig in ihrer Länge eine Differenzierung nach Geschlechtern möglich ist: Während die bereits genannte Mayken Boosers etwa kurz die Gnade Gottes und die Kraft des Heiligen Geistes anruft,40 befiehlt Claes de Praet seine Brüder und Schwestern im Glauben ausführlich der Gnade Jesu und Gottes an, um dann ein Lob Gottes und Christi anzustimmen, das in der Aufforderung an alle anderen Täufer mündet, sein hier gesprochenes Bekenntnis wahrzunehmen, um dann den Teufel durch das Leben der Berufung zu quälen. Ein korrektes Leben, so der Täufer weiter in seiner Invocatio, bedürfe der Unterweisung, die er im Zuge seines Bekenntnisses ebenfalls leisten wolle.41 Meist schließt sich dann eine Debatte um theologische Inhalte der täuferischen Bewegung an. Hierzu zählen Fragen zum Abendmahl oder Fragen zur Glaubenstaufe,42 die durchweg von beiden Geschlechtern besprochen werden. Darüber hinaus spielen noch zwei weitere Aspekte für Frauen und Männer im Täufertum eine Rolle, nämlich: Alle Täufer und Täuferinnen wurden während der Verhöre nach den Umständen ihrer eigenen Taufe gefragt, wobei die Verhörenden sich insbesondere für diejenigen Personen interessierten, die die Vgl. Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 411 f. Vgl. a. a. O., 238. 42 Vgl. Hans-Jürgen Goertz, Die Täufer. Geschichte und Deutung, München 1980, 13–43 und 76–95. 40 41
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Taufe vollzogen hatten. In diesem Zusammenhang richtete sich das Interesse insbesondere auf Leenard Bouwens, Gilis van Aken, David Joris und Adam Pastor, da diese Personen das Täufertum im Nordwesten des Alten Reiches nachhaltig bestimmten.43 Der zweite Aspekt, der bei beiden Geschlechtern Anwendung fand, ist die Folter, die den Täuferinnen und Täufern das Geständnis ihrer Abkehr vom wahren Glauben entlocken sollte. Auf diesem Weg sollten zudem auch noch andere Täufer verraten werden, was jedoch in allen Fällen abgelehnt bzw. nur dann zugegeben wurde, wenn die Namen bereits bekannt waren.44 Doch darin erschöpfen sich die identischen bzw. paritätischen Merkmale bereits; deutlicher trat in den Bekenntnissen die unterschiedliche Rede von Männern und Frauen hervor. Dieser Unterschied liegt meistenteils in der jeweils eigenen inhaltlichen Vertiefung der Themen, die eigentlich von beiden Geschlechtern besetzt werden. Dies lässt sich etwa bei der Debatte um die Kindertaufe beobachten: Während sich die Frauen hier meist mit einem knappen Satz äußern, wird von den Männern insbesondere der Zusammenhang von Kindertaufe und Beschneidung von Jungen ausführlich als Thema aufgenommen. Dabei lehnen die Täufer nicht nur eine Verbindung zwischen beiden ab,45 sie werfen auch die Frage auf, ob wegen dieser Analogie die unbeschnittenen Mädchen nicht geheiligt seien.46 Dies gelte es zu klären – was allerdings in keinem Zeugnis aus Het Offer des Heeren geschieht. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Themen, in denen täuferische Grundpositionen aufleuchten, die aber im Rahmen der Bekenntnisse ausschließlich von Männern besprochen werden. So verhandeln allein die Märtyrer ein Thema, bei dem die Täufer zumindest im Nordwesten eine eigene Position einnahmen, nämlich die Menschwerdung Christi. Ausgehend von Menno Simons In diesen Fragen wird die Unwissenheit der Verhörenden über die Aufspaltungen innerhalb der täuferischen Bewegung deutlich: Adam Pastor wurde 1547 verbannt, Gilis von Aken nach Auseinandersetzungen mit Menno Simons 1553, von David Joris, der am deutlichsten eine spiritualistische Ausrichtung offenbarte, hatte sich Simons seit dessen Auftreten distanziert. Leenard Bouwens diskreditierte sich insbesondere durch sein Wirken in Emden, wo er scharfe Gesetzgebungen gegenüber täuferischen und nicht-täuferischen Ehepartnern durchsetzen wollte. An dem Streitfall um Swaantje Ruthgers in Emden entspann sich in täuferischen Kreisen eine große Debatte um die Durchsetzung des Bannes in Gemeinden. Diese Debatte blieb nicht regional auf Ostfriesland begrenzt. Vgl. zu dieser Debatte Menno Simons, Een lief helijcke Vermaninghe ofte Onderwijsinghe uit Godts Woort / Door Men. Sy. Hoe dat een Christen sal geschickt zijn / enn van dat schouwen ofte afsnijden der valschen Broederen enn Sustern / ofte die meht ketterschen Leeringhen verleyt zijn 7 ofte die een Vleyschelijc schandige Leuen vouren. o. O. o. J. [ca. 1555]. 44 Zur Folter und den entsprechenden Techniken vgl. Richard van Dülmen, Theater des Schreckens. Gerichtspraxis und Strafrituale in der Frühen Neuzeit, München 1995, 30–38. 45 Vgl. das Bekenntnis von Jacques, in: Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 282. 46 Vgl. hierzu die Fragen von Hans de Vette, in: a. a. O., 351. 43
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betonten hierbei alle Täufer in ihren Verhören, dass Christus nicht das Fleisch Marias hätte annehmen können, da dies zu seiner Verunreinigung geführt hätte 47, und erklärten dies bei Bedarf auch ausführlicher. Ebenfalls nur von den Männern wird der Gebrauch des Eides und des Schwertes besprochen.48 Dabei ist die Auseinandersetzung um die Legitimität des Schwertgebrauchs eng mit der Frage verbunden, mit welchem Recht die täuferische Bewegung eigentlich verfolgt und getötet werde. Von den Täufern werden hier Respekt und Toleranz eingefordert: Niemand solle um seines Glaubens Willen verfolgt und getötet werden. Ein solches zu tun, heiße, die Heilige Schrift falsch zu verstehen.49 Auch der die Verfolgung legitimierende Vorwurf der Ketzerei treffe die Täufer nicht, da sie sich einzig auf die Bibel beriefen, so also maximal von der Kirche, nicht aber vom Wort Gottes abwichen. Ein letztes Thema, das in den Verhören allein von den Männern reflektiert wurde, war die Frage nach einem täuferischen Kirchenbegriff. In ihren Antworten banden die Täufer ihre Kirche eng an die Versammlungen der Apostel. Dadurch ist die positive Deutung der Zusammentreffen zu erklären, die „hinter Hecken, hinter Büschen, im Feld, auf Bergen, an Ufern, manchmal auch in Häusern oder da, wo sie einen Platz finden“,50 vorkamen. Die täuferische Kirche hatte demnach also keinen festen Ort. Aus der Not eine Tugend machend, verweist Claes de Praet deshalb in seinem Bekenntnis darauf, dass seine Kirche sich allein dadurch auszeichne, dass sie von Christus selbst erlöst worden sei. Deshalb träfen in ihr auch nur unsträfliche Menschen ohne Fehler zusammen, die in richtiger Weise getauft worden seien und nun ihrem Haupt Christus direkt unterstünden.51 Pointiert schließt Hans van der Maes aus dieser Christozentrik: Die Kirche sei „die Versammlung der Gläubigen in Christus. […] Also sind alle, die sich in Christi Namen versammeln, die rechte Kirche“.52 Einen anderen Ort brauche es nicht. Neben diesen theologischen Debatten ist allein in den Bekenntnissen der Täufer auch eine Reflexion der Geschichte der eigenen Bewegung zu beobachten. Hierbei wird erkennbar, dass nach den Ereignissen im Täuferkönigreich zu Münster oder in Amsterdam53 eine Abgrenzung zu gewalttätigen Tendenzen innerhalb des Täufertums vorgenommen werden musste. Deutlich sagt 47 Zur Debatte um die Menschwerdung, in der explizit auch Menno Simons genannt wird, vgl. a. a. O., 223, 233, 243, 250, 310 f., 353 und 361. 48 Vgl. a. a. O., 224, 243 und 363. 49 Vgl. hierzu die langen Ausführungen von Jacques, in: a. a. O., 303–305, aber auch a. a. O., 213, 221 und 230. 50 „Inde Haghen, inde Bosschen, int Velt, op Bergen, op de Watercanten, somtijts inde huysen, oft daer si de plaetse vonden“, a. a. O., 246. 51 Vgl. a. a. O., 249. 52 „De Vergaderinghe der Gheloouigen in Christus […] Also alle geloouighe, die in Christus Naem vergaderen, zijn de rechte Kercke.“ A. a. O., 359. 53 Vgl. Nanne van der Zijpp, Geschiedenis der Doopsgezinden in Nederland, Arnheim 1952.
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deshalb der Täufer Jacques – oder eben der Kompilator des Martyrologiums durch den Täufer Jacques –, dass es sich bei den Gruppen von Münster und Amsterdam um Sekten und Häretiker handele, mit denen er keine Gemeinschaft habe, „weder mit ihren Werken noch mit ihren Lehren, wir halten sie für teuflische Lehren.“54 Aber auch zu David Joris musste Distanz geschaffen werden, da dessen spiritualistische Anschauungen von Menno Simons beim Erscheinen von Het Offer des Heeren bereits verworfen worden waren. Darüber hinaus war Joris inzwischen auch bei den weltlichen Obrigkeiten in Ungnade gefallen,55 sodass eine auf Abgrenzung orientierte Ausgestaltung der Erinnerungskultur an dieser Stelle als geradezu unerlässlich erschien. All diese zuletzt genannten Elemente sind nicht einmal in Ansätzen in den Bekenntnissen der Frauen enthalten. Dies bedeutet: Die Täuferinnen reflektieren in der Märtyrerschrift eben nicht in allen Einzelheiten theologische, historische oder organisatorische Inhalte der täuferischen Bewegung – bzw. diese Kompetenz sollte ihnen im Rahmen eines Martyrologiums, das in allen, hier: friesischen, Gemeinden verbreitet werden sollte, nicht zugestanden werden. Ihr Beitrag beschränkt sich demzufolge in erster Linie darauf, vehement Gottesfurcht – basierend auf der Lektüre der Heiligen Schrift – einzufordern.56 Darüber hinaus rückt in ihren Bekenntnissen eher die physische und psychische Konstitution der Frauen in den Vordergrund. Dabei geht es nicht darum, die besonderen Stärken der Täuferinnen zu preisen, sondern vielmehr werden hier ihre Schwächen offenbart: So verkündet beispielsweise die Täuferin Elisabeth in ihrem Bekenntnis, dass sie nicht länger unter der Folter und der Befragung leiden wolle, bevor sie sich dann weiteren Fragen durch Ohnmacht entzieht.57 Mayken Boosers reiht sich hier ein, indem sie in ihrem Bekenntnis sagt, dass sie zwar gesund sei „nach dem Fleische, aber nach dem Geiste müsste es besser sein, denn ich befinde Schwachheit in mir.“58 Dies ist bemerkenswert, handelt es sich doch hier um die Frau, die ähnlich wie Anneken Jansz noch in ihrem Testament verfügt hatte, dass sich ihre Kinder mit ihr als einer „heiligen Frau“ verzieren sollten, denn sie stehe auf einer Stufe mit den starken und kraftvollen Aposteln und Propheten. Aus diesem Bild fällt einzig das als Erzählung verfasste Bekenntnis von Wendelmoet Claesdochter, die bereits 1527 verbrannt worden war. Sie erscheint als so stark und standhaft, weil sie offenbar nicht nur das Angebot zum Widerruf ablehnt hatte, das ihr von zwei Mönchen im Verhör gemacht worden 54 „Nochte met haerlieder wercken, nochte met haer leeringhe, mer wi houdense voor duyuelsche leeringe.“ Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 275. 55 Vgl. Gary K. Waite, Dopers anticlericalisme en lekenheiligheid. Doperse heiligen en de status van heiligheid in de Nederlanden, in: Doopsgezinde Bijdragen 25 (1999), 65– 85, hier: 65 f. 56 Vgl. Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 331. 57 Vgl. a. a. O., 93 f. 58 A. a. O., 412.
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war, sondern sie hat nach der Erzählung auch der Versuchung widerstanden, auf Frauen in ihrer Umgebung und Freunde zu hören, die ihr ernsthaft nahegelegt hatten, über ihre Religion zu schweigen und möglichst das zu bekennen, was von ihr gefordert wurde – so sie denn überleben wollte. Doch am Ende hielt sie an ihrem eigenen Bekenntnis fest und ging ohne ein erkennbares – oder aufgeschriebenes – Zeichen von Schwäche in den Tod.59 Ihre Sonderstellung innerhalb des Martyrologiums ist damit zu erklären, dass sie zu den ersten Märtyrern in den nördlichen Niederlanden gehörte. Diesen wurde, gut 40 Jahre vor dem ersten täuferischen Martyrologium, eine besondere Verehrung zu Teil. Ein erster Druck erzählte bereits 1528 von Wendelmoet Claesdochter und wurde unmittelbar danach in die deutsche Sprache übersetzt. Diese Berühmtheit beanspruchten die Täufer ganz klar für sich, auch wenn Claesdochter wohl eher der sakramentarischen Bewegung zuzuordnen ist. Doch das Interesse, hier jemand „Prominentes“ neben die vielen Handwerker, Bauern und Frauen stellen zu können, machte diese Wahl sehr attraktiv. Dies erkannte übrigens auch Ludwig Rabus, der sie ebenfalls in sein Martyrologium integrierte.60 Dass Claesdochter in Het Offer des Heeren erschien, hatte Konsequenzen für die Struktur des Bandes, denn: Diese Geschichte ließ sich nicht auf die Linie einer geschlechtlich konnotierten und damit gleichsam hierarchisierenden Erinnerungskultur bringen, sie sticht also deutlich heraus. Dies erklärt auch, warum sie in Het Offer des Heeren eine Ausnahme blieb und bleiben musste. Dasselbe legt der Platz nahe, der diesem Bekenntnis zugewiesen wurde: Es erscheint in der Ausgabe von 1570 im Anhang der Schrift.61
3. Fazit Insgesamt ist also festzuhalten, dass es Frauen in der täuferischen Bewegung unbenommen war, den Weg des Martyriums auf sich zu nehmen. Als solche erfuhren sie auch Verehrung, insofern schienen bei ihnen weltliche Bande in Form eines weltlichen Frauenbildes aufgehoben zu sein. Doch obwohl durch ihre Aufnahme in Märtyrerschriften der Eindruck erweckt wurde, dass hier beide Geschlechter tatsächlich auf einer Stufe standen, aus einem Kelch tranken und eben durch das Sterben eine Form von Parität zwischen den Geschlechtern etabliert wurde, war dies nicht grundsätzlich der Fall. Vielmehr leuchtet in der Schrift Het Offer des Heeren eine Ambivalenz zwischen Geschlechterparität und -hierarchie auf, weil die Kompilatoren täuferischer Martyrologien nicht in der Lage waren und vermutlich auch nicht in der Lage sein 59 Vgl. hierzu das gesamte – erzählte – Bekenntnis von Weynken Claesdochter, in: a. a. O., 422–427. 60 Vgl. Gregory, Salvation (wie Anm. 3), 142, 185 und 216. 61 Vgl. Cramer (Hg.), Het Offer (wie Anm. 6), 422–429.
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wollten, sich aus ihrem zeitgenössischen Kontext zu lösen, der geschlechterhierarchisch geprägt war. Sie übernahmen deshalb die Vorstellungen in ihre Werke, wie sich Frauen im Rahmen der Gesellschaft, die hier die täuferische Gemeinschaft meinte, verhalten sollten, und integrierten diese in die täuferische Erinnerungskultur, die es nun mit und durch die Märtyrer neu zu schaffen galt. Konkret heißt dies für das erste täuferische Martyrologium Het Offer des Heeren, dass in allen Bereichen, bei allen Themen, die von Männern und Frauen gemeinsam besetzt wurden, die Täuferinnen mit ihren Ausführungen sowohl in der Länge als auch in der Tiefe hinter denen der Täufer zurückstanden. Damit sind die theologischen Auseinandersetzungen im Rahmen der Bekenntnisse gemeint, die genauer angeschaut worden sind, aber dieser Befund lässt sich auch auf die Anweisungen an Familienmitglieder oder Gemeinden, Testamente und Briefe übertragen. Während Frauen hier in erster Linie an die Nächstenliebe appellierten und ihre Mitmenschen dazu aufforderten, die Lektüre der Heiligen Schrift nicht zu vernachlässigen, behandelten die Männer Themen wie die Menschwerdung Christi, die Taufe, das Abendmahl, den Gebrauch des Schwertes oder die Ablehnung des Eides. Diese Ergebnisse aus Het Offer des Heeren deuten somit ein Geschlechterverhältnis an, in dem Frauen generell als aktive Mitglieder der täuferischen Gemeinden erscheinen, doch wurden ihre Aktivitäten kanalisiert und einer Hierarchie unterworfen, die nur in Ausnahmefällen im Alltag, aber keinesfalls in identitätsstiftenden Schriften, durchbrochen werden sollte.62 Dies konnte mitunter auch bedeuten, dass einzelne Täuferinnen gar nicht erst ins Martyrologium aufgenommen wurden, wenn sie zu revolutionär erschienen, weil sie die gegenwärtig geltende Doktrin zu sehr herausforderten. Hille Feicken ist als ein solches Beispiel genannt worden, Wendelmoet Claesdochter ist ein anderes Beispiel, wobei Letztere allerdings nicht aus dem Martyrologium entfernt werden konnte, da ihre Geschichte schon zu bekannt war und publiziert worden war. Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass weitere Untersuchungen von Martyrologien ergeben müssen, wie weit die von Anneken Jansz beschriebene Gleichheit im Martyrium genau reichte oder ob sich das Gesamtbild aus Het Offer des Heeren bestätigt, dass trotz des gemeinsamen „Trinkens aus dem Kelch“ die dezidierte Hierarchie der Geschlechter fortgeschrieben werden sollte, die Ambivalenz zwischen der Parität des „Wir sterben alle“ und der Hierarchie innerhalb der Erinnerungskultur also einen Grundzug täuferischer Martyrologien darstellt.
62 Vgl. M. Lucille Marr, Anabaptist Women of the North: Peers in Faith, Subordinates in Marriage, in: Mennonite Quarterly Review 61 (1987), 347–363..
„als in eenen spiegel …“ 1 Katholische Märtyrerbücher in den Niederlanden im Achtzigjährigen Krieg Raingard Esser Warum blieben die niederländischen Katholiken so lange passiv, als beim Ausbruch des Achtzigjährigen Krieges ihr Glaube, ihr Himmel und ihre Heiligen im wahrsten Sinne des Wortes in die Schusslinie der „Geusen“ gerieten? Diese Frage wurde in der Forschung lange durch das Narrativ einer modernisierungstheoretisch orientierten Geschichtsschreibung mit ihren Wurzeln im 19. Jahrhundert beantwortet. Katholische Institutionen versagten angesichts der neuen Herausforderungen: Entweder waren die Katholiken selbst von den Fehlern ihrer Kirche und ihres irdischen wie himmlischen Personals überzeugt oder sie waren nicht gebildet genug, um den intellektuell wohlbegründeten Argumenten ihrer Gegner entgegenzutreten. Erst in den letzten Jahren hat eine Reihe von neueren Studien die Vorstellung von der Durchschlagskraft der calvinistischen, bürgerlichen Ideologie des „Nordens“ gegenüber dem Verharren des „südlichen“ Katholizismus relativiert.2 Zudem hat sich in der Wissenschaftsgeschichte Tom Verschaffels Plädoyer Gehör verschafft, die frühneuzeitliche Geschichtsschreibung nicht durch das Modernisierungsprisma, sondern aus sich selbst heraus ernst zu nehmen.3 In diesen Zusammenhang fallen die folgenden Untersuchungen zu einem katholischen Genre mit mittelalterlichen Traditionen: den Martyrologien – Märtyrerspiegeln und Heiligenkalendern –, deren Wirkungsmächtigkeit im konfessionellen Zeitalter allerdings noch immer sehr viel besser für die protestantischen Adaptionen als für die nach wie vor anhaltenden, wenn auch gründlich revidierten katholischen Publikationen der Zeit erforscht ist.4 Für Joannes Boenrus, Delienatio historica fratrum minorium historicae provinciae Germaniae inferioriae, Antwerpen 1635, n. p. 2 Siehe zuletzt Judith Pollmann, Catholic Identity and the Revolt of the Netherlands, 1520–1635, Cambridge 2013; Geert H. Janssen, The Dutch Revolt and Catholic Exile in Early Modern Europe, Cambridge 2014. 3 Tom Verschaffel, De hoed en de hond. Geschiedschrijving in de Zuidelijke Nederlanden 1715–1794, Hilversum 1998, 20. 4 Vor allem für John Foxes Book of Martyrs existiert eine Fülle von Material, das nicht zuletzt durch das vom AHRC, der British Academy und der University of Sheffield von 1
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die Untersuchung des Genres im lutherischen Kontext hat Thomas Fuchs vorgeschlagen, Martyrologien und Heiligenkalender als zwei verschiedene Textgattungen zu betrachten. Während Martyrologien als Gegengeschichten interpretiert werden sollen, die die Blutzeugenschaft des Widerstands gegen eine als falsch verstandene religiöse Ordnung und deren Institutionen zum Thema hat, schrieben Heiligenkalender eine Eigengeschichte, die die Selbständigkeit und die Tradition der protestantischen Kirche hervorhoben.5 Diese Dichotomie macht allerdings für die katholische Kirche keinen Sinn, da das Genre zwar reformiert, aber nicht grundsätzlich verändert wurde. Für die Katholiken waren ihre Martyrologien und Heiligenkalender alternativlos. In der katholischen Geschichtsschreibung gilt es vielmehr, Märtyrerspiegel von Märtyrergeschichten zu unterscheiden. Erstere entwickelten sich aus der frühchristlichen Tradition der Passionalia (dem Leben der heiligen Märtyrer) mit dem Ziel der Memoria und des Exempels.6 Sie verbanden den Heiligenkalender mit den biografischen Vignetten der Blutzeugen Christi. Im Folgenden werden eine Reihe niederländischer Martyrologien vorgestellt und deren Rolle innerhalb der katholischen Publikationen während des langen Achtzigjährigen Krieges ausgeleuchtet. Das Hauptaugenmerk gilt hierbei der Chronologie und der Ausdifferenzierung des Genres selbst. In einem letzten Schritt wird eine kleine Fallstudie aus dem vielfach umkämpften Grenzgebiet der (konfessionellen) Kriegsparteien präsentiert, die gleichzeitig auch die verschiedenen Textsorten für Märtyrerdarstellungen und deren Wandel noch einmal untersucht. Denkt man an katholische Martyrologien in den Niederlanden, so wird immer wieder zunächst das 1587 in Antwerpen erschienene Theatrum crudelitatum haereticorum nostri temporis des englischen Exulanten Richard Verstegan erwähnt.7 Christopher Highley nennt es selbst, in Anlehnung an Verstegans unmittelbaren Publikationsanlass, ein „Book of Martyrs“ und vermutet in dem Werk eine direkte Antwort des katholischen Publizisten auf John Foxees Acts und Monuments.8 Die Darstellung des mit 95 Quartseiten und insgesamt 30 halbseitigen Bildern im Vergleich zu Foxes Opus relativ kurzen 1992 bis 2009 geförderte Großprojekt, TAMO, Acts and Monuments Online auch in den Blick der Öffentlichkeit geraten ist. Siehe hierzu: http://www.johnfoxe.org. 5 Thomas Fuchs, Protestantische Heiligen-memoria im 16. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), 587–614. 6 Siehe zuletzt Robert Bartlett, Why can the Dead do such Great Things? Saints and Worshippers from the Martyrs to the Reformation, Kapitel 15, The Literature of Sanctity, Princeton 2013. 7 Richard Verstegan, Theatrum crudelitatum haereticorum nostri temporis, Antwerpen 1587 mit einer Simultanausgabe in Latein und Französisch. Sieben weitere internationale Ausgaben unter anderem in Englisch kamen in den folgenden 20 Jahren auf den Markt. 8 Christopher Highley, Richard Verstegan’s Book of Martyrs, in: ders. / John N. King (Hg.), John Foxe and his world, Farnham 2002, Kap. 10, 183–197. Zu Verstegan siehe auch Paul Arblaster, Antwerp and the World: Richard Verstegan and the International Culture of Catholic Reformation, Leuven 2004.
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Werkes fokussiert auf die Leiden der Katholiken in England, und widmet den niederländischen Opfern calvinistischer Gewalt relativ wenig Raum. Doch damit erschöpfen sich beinahe die Vergleiche mit Foxes Book of Martyrs. Jan Marco Sawilla hat das Theatrum zurecht vor kurzem als eine „bessere Flugschrift“ bezeichnet, die zwar die Aufmerksamkeit der Zeitgenossen auf die Grausamkeiten der Ermordung katholischer Glaubensgenossen lenken sollte, aber wenig Raum für eine Beschreibung der Opfer und des Opfers selbst ließ.9 Der für die Märtyrerspiegel charakteristische Heiligenkalender fehlt hier. In den Darstellungen der Folter- und Mordszenen des reich bebilderten Werkes scheinen eher die Täter im Vordergrund zu stehen, die Opfer bleiben beinahe anonym und scheinen beliebig auswechselbar. Sie tragen auch keine Märtyrersymbole wie den Heiligenschein oder den Palmzweig. Dennoch ist die Wirkung des Buches auch auf andere Märtyrergeschichten in den Niederlanden und im katholischen Ausland unumstritten.10 Ebenfalls typisch für die niederländische Verarbeitung der gewaltsamen Ereignisse in der ersten Phase des Aufstandes, also für die Zeit der 1570er und 1580er Jahre, in denen die Martyrien katholischer Geistlicher besonders zahlreich waren, bleibt auch Verstegans Charakterisierung der Gegner nicht nur als „Neugläubige“. Eng verbunden mit dem hier aufgenommenen Kampfbegriff der „Geusen“ ist ihre Assoziation mit dem Umsturz der bestehenden Ordnung. Das größte Vergehen der Calvinisten war nicht etwa ihre Kritik am und ihr Angriff auf den katholischen Glauben sondern vielmehr die damit einhergehende und auch intendierte Auflösung der bestehenden Gesellschaftsordnung. Verstegans Buch, das mit der Exekution Maria Stuarts endet, ist eine anti-calvinistische Propagandaschrift, kein Besinnungsbuch über das Erleiden des Martyriums. Sie ruft auf zur Aktion, nicht zur Kontemplation. So wird in der Forschung zu Recht darauf hingewiesen, dass der Publikationszeitpunkt des Werkes – zwischen der international umstrittenen Hinrichtung der katholischen schottischen Königin und dem Auslaufen der Spanischen Armada – bewusst gewählt wurde, um für Unterstützung der spanischen Englandpolitik zu werben.11 9 Jan Marco Sawilla, Antiquarianismus, Hagiographie und Historie im 17. Jahrhundert. Zum Werk der Bollandisten. Ein wissenschaftshistorischer Versuch (Frühe Neuzeit 131), Tübingen 2009, 83. Damit steht Sawilla im Gegensatz zu Arblaster, der das Theatrum als „a seminal work of hagiology“ bezeichnet (Arblaster, 41). 10 Highley nennt in diesem Zusammenhang Michael ab Isselt, Mercurius Gallo-Belgicus, 1592, Laurence Beyerlinck, Opus Chronographicum, 1611, Augustinus van Teylingen, SJ, Opcomste der Nederlantsche Beroerten, 1642, Jean de la Fosse, Haeresis ac rebellio Hollandorum 1644 und andere Werke. Siehe Highley, Richard Verstegan’s Book of Martyrs (wie Anm. 8), 197. 11 Zu Verstegans engen Verbindungen zur spanischen Krone und der politischen Stoßrichtung seiner Arbeit siehe Arblaster, Antwerp and the World (wie Anm. 8). Siehe auch Anne Dillon, The Construction of Martyrdom in the English Catholic Community, 1535– 1603, Kapitel 5, Theatrum crudelitatum: The theatre of cruelties, Farnham 2002.
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Dennoch passt der Zeitpunkt für das Erscheinen des Theatrum ebenso gut in die Zeit der katholischen Neubestimmung der Hagiografie, die einerseits das Management der Heiligenverehrung stärker kontrollieren und zentralisieren wollte, aber auch ganz praktisch auf die gregorianische Kalenderreform von 1582 reagieren und die Heiligenkalender entsprechend anpassen musste. Bekanntermaßen publizierte Kardinal Cesare Baronio 1583 das tonangebende Werk zur katholischen Hagiografie: eine revidierte Ausgabe des Martyrologium Romanum.12 Skrupulöse Quellenkritik und deutliche Verweise auf die verwendeten Vorlagen machen das Buch in der Tat, wie Simon Ditchfield vor Kurzem betont hat, zu einem Standardwerk nicht nur für eine neue kritische Hagiografie, sondern für wissenschaftliches Arbeiten mit Quellen im allgemeinen.13 Baronios Wirkung auf das Genre ist kaum zu überschätzen. Dennoch sei darauf hingewiesen, dass es auch Vorgängerprojekte zu neuen regional fokussierten Märtyrerkalendern gab. Zu denken ist hier etwa an das von dem niederländischen Jesuiten Petrus Canisius initiierte und 1573 in Dillingen erstmals herausgegebene Martyrologium Germanicum.14 Canisius legt in seiner umfangreichen Einleitung die Zielrichtung der katholischen Heiligenkalender und seine Argumentation für eine Darstellung des Lebens der Heiligen in der gegenreformatorischen Agenda deutlich aus. Seine Überlegungen beziehen sich hierbei nicht nur auf Märtyrer, sondern auf Heilige im Allgemeinen, was wiederum dafür spricht, Martyrologien und Heiligenmemoria im katholischen Kontext als Einheit zu verstehen.15 Anders als Highleys Interpretation des Theatrum als direkte Antwort auf John Foxe vermuten lässt, entwickelte sich in der Tat aus dem Problem der „wahren“ und „falschen“ Märtyrer keine besondere Literaturgattung. Von einigen Ausnahmen, wie etwa John Donnes Pseudo-Martyr (1610) abgesehen, gibt es kaum selbstständige Texte zu diesem Thema.16 Bekanntermaßen gehörte die direkte Auseinandersetzung mit den Neugläubigen im Allgemeinen nicht zum katholischen Diskursrepertoire – dies ist übrigens auch ein Grund für das eingangs diagnostizierte Schweigen der Katholiken in der ersten Phase des Achtzigjährigen Cesare Baronio, Martyrologium Romanum, Rom 1583, erste Ausgabe. Simon Ditchfield, What was Historia Sacra? (Mostly Roman) Catholic uses of the Christian past after Trent, in: Katharina van Liere / Simon Ditchfield / Howard Louthan (Hg.), Sacred Histories. Uses of the Christian past in the Renaissance World, Oxford 2012, 72–97, hier 86. Rosamund Oates weist auf die starke Rezeption von Baronios Werken durch Richard Verstegan hin: Rosamund Oates, Elizabethan Histories of English Christian Origin, in: Van Liere / Ditchfield / Louthan (Hg.), Sacred Histories, 165–185. 14 Peter Canisius, Martyrologium Germanicum, Dillingen 1573. 15 Dabei bleibt die frühmittelalterliche Unterscheidung zwischen Passiones und Leben der Heiligen zu bedenken, die den Märtyrern einen höheren Stellenwert in der Hierarchie der Heiligkeit zusagten als anderen Heiligen. Siehe hierzu Bartlett, The Literature of Sanctity (wie Anm. 6). 16 John Donne, Pseudo-Martyr, Wherein out of certaine Propositions and Gradations this conclusion is evicted. Those those which are of the Romane Religion of this Kingdome may and ought to take the Oath of Allegiance, London 1610. 12 13
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Krieges.17 Typisch ist hier der Ausspruch Jean Bollands im Vorwort des ersten Bandes der Acta Sanctorum. Die Häretiker machen sich lustig über unsere Heiligen, heißt es hier, aber wir schreiben nicht für sie: „Illis non scribimus“.18 Kommentare zu diesen Themen fanden sich demgegenüber in den Paratexten der neuen Martyrologien. Canisius’ umfangreiche Auseinandersetzung, beispielsweise, bemüht das gesamte Argumentationspotenzial gelehrter Diskurse seiner Zeit. Er verwies auf die Heilige Schrift, er zitierte frühchristliche Kommentare der Kirchenväter – Augustinus, Chrysostomos, Eusebius und anderer –, er pochte auf die Tradition der Fürbitten, ja er argumentierte selbst mit den Kommentaren seiner protestantischen Widersacher aus dem Lutherischen und Zwinglianischen Camp. Immer wieder erwähnte er die heilsame Tradition der Fürbitten als Hilfe für die Verzagten in Krisenzeiten. Wie auch Baronio erkannte Canisius den Angriff auf die Heiligen als einen Angriff auf die katholische Herrschaft über die Zeit. Während sich über die Authentizität des ein oder anderen Heiligen streiten ließ, und die katholische Kirche selbst eine allzu leichtfertige Akzeptanz von frommen Legenden zugab, war es neben der Gefährdung des Seelenheils gerade die Attacke auf die (auch) im Kalenderjahr festgelegte traditionelle Ordnung der Welt, die eine enorme Herausforderung durch die Neugläubigen darstellte und der unter anderem durch die Publikation von katholischen Heiligenkalendern begegnet werden sollte. Neben der Einführung neuer „falscher“ Heiliger prangerte Canisius auch das Feiern neuer, weltlicher Feste anstelle der traditionellen Feiertage der Heiligen an. Wie tiefgreifend die Reorganisation des Kalenderjahres für die Zeitgenossen gewesen ist, wissen wir seit David Cressys innovativer Studie Bonfires and Bells über die neue Zeit in Tudor und Stuart England.19 Neben ihrer Rolle im liturgischen Jahr, das aber eben auch den sozialen und ökonomischen Jahreszyklus der Zeitgenossen bestimmte, spielte die Heiligenmemoria sowie die Anrufung der Heiligen um Fürbitte bei Gott natürlich auch eine wichtige Rolle in der Messfeier und anderen katholischen Riten.20 Canisius spricht vom Singen, Lesen und vom Zelebrieren der heiligen Vorbilder. Für die Niederlande gilt wohl weniger der bekanntere Verstegan als vielmehr der Leuvener Professor Johannes Molanus (van der Meulen) als Pionier der regionalen Hagiografie. Der Theologe hatte sich mit einer Reihe von Siehe hierzu Pollmann, Catholic Identity (wie Anm. 2); Monica Stensland, Habsburg Communication in the Dutch Revolt, Amsterdam 2012. 18 Jean Bolland et al. (Hg.) Acta Sanctorum Bd. 1 XXXVIII, Antwerpen 1643 (zitiert in Jan Machielsen, Heretical Saints and Textual Discernment: The Polemical Origins of the Acta Sanctorum, in: Clare Copeland / Jan Machielsen (Hg.), Angels of Light? Sanctity and the Discernment of Spirits in the Early Modern Period, Leiden 2013, 103–141, hier 106. 19 David Cressy, Bonfires and Bells. National Memory and the Protestant Calendar in Elizabethan and Stuart England, London 1989, repr. 2004. 20 Ditchfield argumentiert, dass gerade dieser spirituelle Aspekt bei Baronio im Vordergrund stand. Siehe Ditchfield, What was Historia Sacra (wie Anm. 13), 83. 17
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Schriften, unter anderen zum Gebrauch von Bildern im religiösen Kontext einen Namen gemacht.21 Er hatte sich aber auch mit dem Genre der Martyrologien intensiv auseinandergesetzt.22 Ein erstes Martyrologium mit regionalgeschichtlichem Schwerpunkt erschien unter dem Titel Indiculus Sanctorum Belgie in Leuven 1573. Die hier zusammengestellten Heiligenviten wurden in alphabetischer, nicht kalendarischer Form präsentiert. Eine Zuspitzung auf die Heiligen der Niederlande war nicht auf den ersten Blick auszumachen, denn das Werk beschrieb auch die Märtyrer Roms und andere, vor allem frühchristliche Heilige. Nach einer Bistumsgeschichte der Niederlande folgte erst am Ende des Buches der Heiligenkalender. Molanus’ Natales Sanctorum Belgii, das von Henricus Cuyckius zehn Jahre nach seinem Tod 1595 in Löwen herausgegeben wurde, war eine stark bearbeitete Neuauflage des ersten Werkes, in dem die Reihenfolge der Textteile umgestellt worden war. Das neue Buch begann mit einem Kalender niederländischer Heiliger. Es folgte eine geografische Landesbeschreibung mit einem Schwerpunkt auf der Bistumsgeschichte, danach Vignetten der Heiligen und eine Chronik der Kirchengeschichte der Niederlande. Interessant an diesem bislang wenig untersuchten Werk ist nicht nur die Verbindung von heiliger Zeit mit heiligem Raum, die eine neue Dimension zu dem Genre hinzufügt, sondern auch die Erinnerungsauswahl der vorgestellten Heiligen. Molanus (oder Cuyckius) verzeichnete die zu erwartenden Spitzenheiligen der Niederlande aus der Frühphase der Christianisierung wie Sankt Bonifatius und Sankt Willibrord, den Stifter des Bistums Utrecht.23 Sankt Norbert, der Gründer des Prämonstratenserordens (1126), war 1582 heiliggesprochen worden und avancierte in den folgenden Jahren zum gefeierten und verehrten Stadtpatron Antwerpens.24 Daneben finden wir aber auch Menschen, die zwar der Überlieferung nach im Geruch der Heiligkeit gestorben, aber nicht in den Kanon der Selig- oder Heiliggesprochenen aufgenommen worden waren. Dazu gehört beispielsweise der 1471 verstorbene „Doctor Extaticus“, Dionysius van Ryckel aus der Kartause von Roermond. Man mag hier vermuten, dass sich Molanus bei der Erwähnung van Ryckels an die auch von den Zensoren akzeptierte Referenz auf lokale Traditionen anstelle von allein in Rom kanonisierten Sancti und Beati berief. Er hatte selbst dafür plädiert, lokale Heilige neben den von der universellen Kirche anerkannten zu akzeptieren.25 Es kann allerdings auch sein, dass der ehemalige 21 Johannes Molanus, De Picturis et Imaginibus Sacris, pro vero earum usu contra abusus, Leuven 1570. 22 Johannes Molanus, De Martyrologiis, Leuven 1573. 23 Zur Rolle Sankt Willibrords in der gegenreformatorischen Agenda der südlichen Niederlande siehe zuletzt, Coen Maes, Willibrords wijnfles. Autorisatie en memorisatie van de contrareformatorische boodschap in Richard Verstegens Nederlantsche antiquiteyten (1613), in: De Zeventiende Eeuw 29 (2013), 206–227. 24 Zur Rolle St. Norberts in der gegenreformatorischen Agenda der südlichen Niederlande siehe zuletzt: Pollmann, Catholic Identity (wie Anm. 2), 175–178. 25 Johannes Molanus, Usuardi Martyrologium, Leuven 1568, fols. 246–247.
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Sekretär von Molanus, Henricus Cuyckius, hier seine Hand im Spiel hatte. Der spätere Professor für Ethik, dann Rektor Magnificus in Leuven wurde 1596 zum zweiten Bischof des neugegründeten Bistums Roermond geweiht. In dieser Position setzte er sich aktiv, aber vergebens für die Seligsprechung van Ryckels ein. Ob es in der Tat eine Verehrung des Kartäusers in der Stadt gab, die eine Einfügung van Ryckels in Molanus’ Kalender rechtfertigte, ist (noch) nicht zu rekonstruieren, er spielte jedoch in der späteren Literatur über das Martyrium seiner Glaubensbrüder eine wichtige Rolle. Festzuhalten ist allerdings, dass van Ryckel in Molanus’ erstem Werk, dem Indiculus, noch nicht vorkommt, was die Vermutung einer starken editorischen Hand Cuyckius’ in der überarbeiteten Neuausgabe zulässt. Auffallend an dem späteren Text ist auch, dass innerhalb der chronologischen Vignetten die Erinnerung an andere Ereignisse auftaucht, die nichts mit den im Heiligenkalender genannten Personen zu tun haben. So wurde für den 11. Mai an den anabaptistischen Aufstand in Amsterdam im Jahre 1535 erinnert. Das Gedenken an die Heilige Dreifaltigkeit, die am gleichen Tag gefeiert wurde, sollte sozusagen als Gegenerinnerung die als traumatisch erfahrenen und immer wieder erzählten anabaptistischen Unruhen in der Stadt als Mahnung im Gedächtnis behalten. Antitrinitarische Tendenzen wurden ja auch unter den niederländischen Anabaptisten vermutet. Während in den Paratexten von Molanus und seinem späteren Herausgeber Cuyckius nicht die Rede von „falschen“ Märtyrern ist, kommen sie gleichsam im Text selbst als erinnerungswürdig zurück. Im Hinblick auf die eingangs gestellte Frage nach der Chronologie der Heiligenkalender und ihrer Bedeutung im katholischen Selbstverständnis der Niederlande lässt sich für Molanus’ Werk eine deutlichere Fokussierung auf die regionale Dimension der Heiligenverehrung von der ersten Ausgabe 1573 bis zur zweiten 1595 festhalten. Molanus hätte bereits 1573 die Gelegenheit gehabt, stärker auf die katholischen Opfer während der ersten Phase des Niederländischen Aufstandes hinzuweisen. In das Jahr 1572 fallen die meisten Ereignisse, bei denen katholische Priester und Mönche ermordet wurden. Eine Aufnahme in den Kanon der Märtyrer sah Molanus aber allem Anschein nach noch nicht vor. Das mag zum einen daran gelegen haben, dass die Diskussionen um die Behandlung der Heiligen nach dem Konzil von Trient noch in vollem Gange waren und ein Manual für die neuen Martyrologien noch nicht vorlag. Zum anderen mag Molanus es auch vorgezogen haben, kein Öl ins Feuer des Bürgerkriegs zu gießen. Eine Kritik an den Anabaptisten, die dann 1595 eingefügt wurde, war allerdings auch in calvinistischen Kreisen „salonfähig“ und gehörte insgesamt sehr viel stärker zum Erinnerungsrepertoire in den Niederlanden. So verzeichneten die zahlreichen Amsterdamer Chorografien des 17. Jahrhunderts stets den Versuch der Machtergreifung der Gruppe in der Stadt.26 Auch hier richtete sich die Kritik weniger gegen die religiösen 26 Raingard Esser, The Politics of Memory. The Writing of Partition in the Seventeenth-Century Low Countries, Kapitel 1, Leiden 2012.
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Praktiken und Ideen der Anabaptisten, sondern, wie bei der Auseinandersetzung mit den Calvinisten, gegen ihren Angriff auf die öffentliche Ordnung. Man könnte nun noch andere Protagonisten einer regionalen Martyrologie vorstellen. Der Antwerpener Jesuit Heribert Rosweyde (1569–1629) hatte bereits an einem neuen, regional ausgerichteten Märtyrerspiegel gearbeitet, der zunächst als Manuskript zirkulierte, dann aber als Fasti sanctorum quorum vitae in belgicis bibliothecis manuscriptae 1607 in Antwerpen erschien.27 Dass er damit den Anstoß für das spätere, monumentale Projekt der Acta Sanctorum gab, ist in jüngster Zeit näher erforscht worden.28 Dass die Acta sowohl die Normen für wissenschaftliches Arbeiten im allgemeinen als auch den Umgang mit katholischem Raum und katholischer Zeit festlegten, ist ebenfalls deutlich geworden.29 Die Acta waren und sind ein internationales Großprojekt, das im vorliegenden Zusammenhang nicht weiter berücksichtigt werden soll. Das Augenmerk gilt stattdessen den „local Baronios“, wie Simon Ditchfield die regional orientierten Martyrologen schon vor einigen Jahren treffend bezeichnet hat.30 Ein wichtiger und interessanter Text ist in diesem Zusammenhang das 1625 posthum von seinem Sohn in Köln herausgegebene Historia martyrum Batavicorum, sive defectionis a fide majorum Hollandiae initia duas in decades distributa von Pieter Opmeer, das in niederländischer Ausgabe im Jahr 1700 als Martelaars-Boek, Ofte Historie der Hollandse Materlaren offiziell bei Petrus Pratanus (alias Pieter van der Mersch) in Antwerpen, tatsächlich aber in Leiden erschien.31 Opmeer, ein umfassend gebildeter Autor mit Wohnsitz in Holland, der sich Zeit seines Lebens für die katholische Sache einsetzte, beschrieb hier vor allem Ereignisse aus der ersten Phase des Niederländischen Aufstandes, in der sich, wie bereits angedeutet, die größte Anzahl katholischer Opfer religiös motivierter Gewalt verzeichnen lassen. Dass das Manuskript oder Teile der umfangreichen Historia bereits vor der Publikation zirkulierte, ist zu vermu Heribert Rosweyde, Fasti sanctorum quorum vitae in belgicis bibliothecis manuscriptae, Antwerpen 1607. 28 Sawilla, Antiquarianismus (wie Anm. 9); Machielsen, Heretical Saints and Textual Discernment (wie Anm. 18). 29 Anthony Grafton, Church history in early modern Europe: tradition and innovation, in: Van Liere / Ditchfield / Louthan (Hg.), Sacred History (wie Anm. 13), 3–26; Raingard Esser, The Diamond of the Netherlands. Histories of Antwerp in the Seventeenth Century, in: Christine Goettler / Bart Ramakers / Joanna Woodall (Hg.), Trading Values in Early Modern Antwerp, in: NKJ 64 (2014), 349–369; Stefan Benz, Zwischen Tradition und Kritik. Katholische Geschichtsschreibung im Heiligen Römischen Reich, Husum 2003. 30 Simon Ditchfield verwendete diese vielfach zitierte Bezeichnung erstmals in: Simon Ditchfield, Liturgy, Sanctity and History in Tridentine Italy: Pietro Maria Campi and the preservation of the particular, Cambridge 1995, 13. 31 Pieter Opmeer, Historia martyrum Batavicorum, sive defectionis a fide majorum Hollandiae initia duas in decades distributa, Köln 1625; ders., Martelaars-Boek, Ofte Historie der Hollandse Materlaren, Antwerpen / Leiden 1700. 27
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ten. Opmeers Arbeiten waren jedenfalls in Gelehrtenkreisen bekannt. So berief sich der Franziskanerautor Heinrich Sedulius in seiner 1613 in Antwerpen erschienenen Historia Seraphica für den Teil des Werkes, der sich mit den Märtyrern seines Ordens während der Gewalttaten in Alkmaar und Gorkum 1572 beschäftigt, ausdrücklich auf die Informationen von Opmeer.32 Die Blutzeugenschaft von 51 Märtyrern aus dem Kreis der drei franziskanischen Orden, die hier dokumentiert waren, enthielt explizit als einen besonderen Teil des Buches die Ereignisse in Holland. Sedulius verwendete die Geschichte der Märtyrer auch im Darstellungsprogramm auf der Titelseite und zum Beginn dieses Buchteiles. Auch hier bekam ein wichtiges Forum für Martyrologien, nämlich die Ordensgeschichte, eine besondere geografische Note. Sedulius, selbst aus Kleve, war lange Zeit in Leuven tätig, bevor er für seinen Orden in Tirol eingesetzt wurde, dann aber wieder in die Niederlande zurückkehrte.33 Warum Opmeers Werk erst 1625 auf dem Markt kam, ist nicht deutlich. Die Ausgabe hatte bereits ein Approbatum des Zensors Laurentius Beyerlinck (aus Antwerpen) von 1607. Ob man sich in der Verhandlungsphase des Zwölfjährigen Waffenstillstands dann dafür entschieden hat, die Publikation der katholischen Leiden in der für die nördliche Politik tonangebenden Provinz Holland auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, sei dahingestellt, ist aber durchaus denkbar. Bereits der Waffenstillstand zeigte, wie schwierig, ja letztlich unmöglich es sein würde, beide Seiten wieder miteinander zu versöhnen. 1625 war davon jedenfalls keine Rede mehr. Andererseits macht der Text auch die stark regionale Ausrichtung des Martyrologiums deutlich. In seiner Einleitung spricht Opmeer von Holland als der Provinz, die vielleicht nicht die meisten Märtyrer zu verzeichnen hatte, deren Opfer jedoch am dramatischsten war. In der anti-aufständischen Rhetorik waren die „Holländer“, gleich hinter den „Geusen“ zum Inbegriff der anti-spanischen Front geworden. Diese Verengung der Gegenseite auf eine bestimmte Gruppe erlaubte es, die anderen aufständischen Provinzen als fehlgeleitete Mitläufer zu bezeichnen, deren Rückkehr ins katholische Habsburger Lager durchaus noch möglich schien. Angesichts dieser Sichtweise, die sich mit dem Aufstieg Amsterdams und der anderen maritime Städte der urbanisierten Provinz Holland noch verstärkte, ist Opmeers Betonung der katholischen Blutzeugenschaft in Holland auch als besonders Henricus Sedulius, Historia Seraphica, Antwerpen 1613, S. 678. Dieser Unterabschnitt des Buches hatte zudem ein extra Approbatum von 1611, während das ganze Buch, mit expliziter Erwähnung des niederländischen Märtyrer, ein Approbatum von 1613 trug (von Andreas de Soto und Laurenz Beyerlinck). Verweis in Benz, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 29), 71. 33 Sedulius gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Franziskaner Ordensgeschichtsschreibung, die bewusst darauf setzte, neben den traditionellen Heiligen auch die jüngeren Blutzeugen des Ordens zu propagieren und so eine Brücke zwischen Tradition und Kontinuität herzustellen. Siehe hierzu Benz, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 29), 71: „Die via historica erweist sich so als gangbarer Weg für die Verbindung von Hagiographie und Ordenshistoriographie.“ 32
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wirkungsmächtiges Instrument der Holländischen Mission zu verstehen.34 Ein Instrumentarium zur Verhärtung der bestehenden Gegensätze war auf beiden Seiten auch und gerade der Rekurs auf die erste, dramatische Phase des Aufstandes, die sich ja besonders als Bürgerkrieg an den heutigen Grenzen zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland festgefahren hatte. Nicht zufällig erinnerten deshalb die Parteien gerade an die erste Phase des Krieges, in die eben auch die dramatischsten Übergriffe auf die jeweilige Gegenseite fallen. Gleichzeitig erlaubte diese Phase noch, den Feind zu externalisieren und die Wurzel des calvinistischen Übels bei den Hugenotten in Frankreich zu suchen, deren Regime auf die Niederlande übergeschwappt sei – oder, wie Opmeer es tut, die Geusen, die für die Gewalttaten in Gorkum und Alkmaar verantwortlich waren, als Seeräuber und gottlose Kriminelle mit Verbindungen zum protestantischen Ausland zu diskreditieren.35 Diese Geschichte der Geusen und ihrer Übeltaten, die auch in einer entsprechend deftigen Sprache (in der niederländischen Übersetzung) wiedergegeben wurde, positionierte Opmeer an den Beginn seines Buches. Sie ist eingefügt in einen größeren historisch-topografischen Zusammenhang und mit Referenzen zu einschlägiger Literatur, etwa von Pieter Bor, unterlegt.36 Darauf folgen in einzelnen Vignetten die Geschichten der holländischen Märtyrer. Die Diskussion der Heiligen fällt hierbei in zwei Teile: in einem ersten Teil werden die frühen Heiligen dargestellt, in einem zweiten Teil geht es um die im Niederländischen Aufstand Getöteten. Gemäß den hagiografischen Schreibanlässen, wie sie Baronio und die Autoren der Acta Sanctorum diskutierten, gehörte die Meditation über das nachgezeichnete Leiden auch für Opmeer zu den Aufgaben des Martyrologen: in der niederländischen Anrede an den Leser schreibt er: „Ik heb dit werk in alle opregtigheid / en met lust, maar niet zonder innig medelyden en bittere tranen ten eynde gebracht. Verder, bescheyden leser, zal’t u werk sijn, desen arbeid tot u nut en stigting te gebruyken / en God te bidden / daar yder even als de Byen haar Honing uit de Bloemen suigen sijn gestelijk voordeel hier mede mag doen.“37 (Ich habe dieses Werk mit aller Aufrichtigkeit und Begeisterung begonnen, aber nicht ohne inniges Mitleiden und bittere Tränen zu Ende gebracht. Weiterhin, bescheidener Leser, soll es Eure Aufgabe sein, diese Arbeit zu Eurem Nutzen und zu Eurem Heil zu gebrauchen und Gott zu bitten, weil ein jeder wie die Bienen ihren Honig aus den Blumen saugen, sein geistliches Fortkommen hiermit befördern soll. R. E.) 34 Siehe auch: Henk van Nierop, Treason in the Northern Quarter. War, Terror and the Rule of Law in the Dutch Revolt, Princeton 2009, 246–247. Der Terminus Holland Mission ist allerdings nicht auf die Aktivitäten in der Provinz Holland beschränkt, sondern bezeichnet die von Brüssel aus organisierten katholischen Aktivitäten zur Missionierung der Nördlichen Niederlande im allgemeinen. Siehe Charles H. Parker, Faith on the Margins. Catholics and Catholicism in the Dutch Golden Age, Cambridge/Mass. 2008. 35 Opmeer, Martelaars-Boek, Ofte Historie der Hollandse Materlaren, 9–11. 36 Opmeer, Martelaars-Boek, Inleidinge, 1–11. 37 Opmeer, Martelaars-Boek, Ofte Historie der Hollandse Materlaren, Petrus Opmeer Wenst den Christen Leser Heil en Zaligheid, ohne Seitenzahl.
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Dennoch gibt das Werk mehr Anlass zu Erinnerung und Orientierung in Zeit und Raum als zur Meditation über das Opfer der Blutzeugenschaft. Interessanterweise wird auf diesen Vorbildcharakter der Viten bei einem Teil der Einträge zu den traditionellen Heiligen explizit mit der Überschrift „Voorbeld“ hingewiesen. Ein anderer Teil trägt die neutrale Überschrift „Hoofd stuk“. Beide Buchteile bemühen sich durch Quellenangaben und Referenzen, auch zu Autoren des gegnerischen konfessionellen Lagers, um Autorität. Beide Teile sind chronologisch, aber nicht kalendarisch aufgebaut. Während die Auswahl des zweiten Teiles durch die Ereignisse von 1572 bis 1577 (in der niederländischen Ausgabe mit einem weiteren Beispiel aus dem Jahr 1639) bestimmt wird, sind für den ersten Teil Selektionskriterien gewählt worden, die, wie in Molanus’ früherem Band, die Heiligenverehrung ganz in den Dienst des politischen Programms der niederländischen Gegenreformation stellen. Bei den hier Vorgestellten handelt es sich um Gestalten des Glaubens, die eng mit der Missionierungsgeschichte der Niederlande zu tun haben. Wir begegnen wiederum Sankt Willibrord und seinen Mitstreitern gegen die heidnischen Friesen, Sachsen und Wikinger. Hier werden Männer (und einige wenige Frauen) der Tat vorgestellt, die sich geschickt und entschlossen für den wahren Glauben eingesetzt hatten. Gerade die Figur des Willibrord wurde von beiden konfessionellen Lagern als Gründerfigur beansprucht. Sein Status als Heiliger erlaubt den Katholiken zudem eine größere Bandbreite an medialer Andacht für den Missionar aus dem 8. Jahrhundert und seine Mitstreiter.38 Daneben werden auch eine Reihe von Heiligen genannt, für die sich insbesondere das Erzherzogspaar Albert und Isabella mit ihrem starken Interesse an Reliquien eingesetzt hatte. Zu nennen ist hier die Jungfrau Lijdwijn aus Schiedam, eine lokale Heilige, die nie offiziell kanonisiert wurde, aber vom Herrscherpaar besonders verehrt wurde.39 1615 hatten die Erzherzöge den Raub ihrer Reliquien aus dem nördlichen Dordrecht angeordnet. Die Gebeine der Heiligen wurden dann in der Kathedrale St. Gudula in Brüssel aufbewahrt und verehrt. Lijdwijn steht aber auch für einen Typus Heiliger, der im nachtridentinischen Katholizismus gefördert wurde: sie galt als eine Frau von intensiver, ja dramatischer Spiritualität, die eine besondere Nähe zu Gott (und zur Jungfrau Maria) demonstrierte und darum vielleicht als Pendant zum Kult der frühchristlichen Märtyrer (mit ihrer chronologischen Nähe zu Jesus Christus) darstellten.40 Man könnte selbst vermuten, dass der erste Teil des Buches gerade deshalb mit der heiligen Cunera beginnt, weil die junge Frau 38 Siehe hierzu Esser, The Politics of Memory (wie Anm. 26) bes. Kap. 4. Siehe auch Maes, Willibrords wijnfles (wie Anm. 23). 39 Zu Lijdwijn von Schiedam und andere lokale Heilige siehe Ludo Jongen, Uit het oog uit het hart? Over twee heilige maagden: Lutgart en Liedewij in: Anneke B. Mulder-Bakker / Marijke Carasso-Kok (Hg.), Gouden Legenden. Heiligenlevens en Heiligenvereering in de Nederlanden, Hilversum 1997, 127–137. 40 Siehe hierzu Peter Burschel, Der Himmel und die Disziplin. Die nachtridentinische Heiligengesellschaft und ihre Lebensmodelle in modernisierungstheoretischer Per-
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als frühchristliche Märtyrerin des 3. Jahrhunderts sowohl chronologisch als auch spirituell diese Nähe zu Gott vereinte. Opmeers Beispiel einer regional ausgerichteten Martyrologie erhielt durch den Fokus auf ein Gebiet, das zum Zeitpunkt der Publikation den für den Katholizismus und die Spanischen Niederlande verlorenen Landesteil repräsentierte, eine besondere Note. Das Werk blieb allerdings nicht allein auf dem martyrologischen Buchmarkt. Ein anderes Beispiel, die publizistische Verarbeitung der Morde in der Kartause von Roermond am 23. und 24. Juli 1572, eignet sich ebenfalls ausgezeichnet, um die verschiedenen Motive und Abwandlungen dieses Genres auszuleuchten. In der Roermonder Kartause waren an diesen Tagen im Verlauf der Eroberung und Plünderung der Stadt zwölf Ordensbrüder von Soldaten Wilhelms von Oraniens gefoltert und ermordet worden. Auf der Suche nach Wertgegenständen hatten die Truppen die Gebäude geplündert, die Insassen durch Folter zur Preisgabe von Verstecken gezwungen und auf grausame Weise getötet. Ob die Brüder durch ihre Ermordung das Martyrium erlitten hatte, also um ihres Glaubens willen gestorben waren, oder „einfach“ Opfer von Kriegsgewalt und Raubmord geworden waren, wurde lange diskutiert. Die Bezeichnung als Märtyrer von Roermond wurde allerdings sofort von den Zeitgenossen aufgenommen. Arnoldus Havensius, der wichtigste Chronist der Ereignisse, der den Toten von Roermond in seiner Historica Relatio Duodecim Martyrium Cartusianorum41 ein Denkmal setzte, untersuchte diese Frage en Detail und kam zu dem Schluss, dass die Mönche aus Hass gegen die katholische Kirche ermordet worden waren und dass sie sich selbst durch ihre Haltung auf dieses Martyrium vorbereitet hatten. Anstelle zu fliehen oder sich zu verstecken, hatten sie sich betend in der Kirche aufgehalten, als die Soldaten in der Stadt wüteten – eine Szene, in der Havensius das Wachen und Beten der Apostel auf dem Ölberg vor der Passion Christi evozierte, was passenderweise auch mit der Anzahl der Ermordeten übereinstimmte.42 Interessanterweise war es auch hier wieder der mittlerweile zum Bischof von Roermond avancierte Henricus Cuyckius, der Havensius, selbst Kartäuser und seit 1603 Vorsteher des Ordens in ’s Hertogenbosch, zu seiner Schrift anleitete. Gisbert Masius, Bischof von ’s Hertogenbosch, drängte den Kartäuser ebenfalls, ans Werk zu gehen. Die Historica Relatio erschien 1608 in Köln. Zeitgleich ließ Havensius das Buch zusammen mit Mauritius Chancaeus’ Geschichte der Kartäusermärtyrer von London während der Verfolgungen durch Heinrich VIII. bei Walter Manilius in Gent drucken.43 Wie der Titel vermuten lässt, handelt es sich nicht um ein spektive, in: Hartmut Lehmann / Ann-Charlott Trepp (Hg.), Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1999, 575–596. 41 Arnoldus Havensius, Historica Relatio Duodecim Martyrium Cartusianorum, Köln 1608. 42 Havensius, Historica (wie Anm. 41), 40–41. 43 Arnoldus Havensius, Commentariolus de vitae rationae et martyrio octodecim Cartusianorum etc., Gent 1608.
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Martyrologium im engen Sinne, denn den offiziellen Status der Heiligkeit erhielten die Kartäuser nicht, ein Kanonisierungsprozess wurde zu diesem Zeitpunkt nicht angestrebt. Die Historica ist vielmehr ein wichtiges Beispiel für die „via media zwischen Hagiographie und Ordenshistoriographie“, die Stefan Benz als typisch für die Diversifizierung der Ordensgeschichtsschreibung am Beginn des 17. Jahrhunderts diagnostiziert.44 Als Elemente der hagiografischen Signatur findet sich im zweiten Kapitel der Rekurs auf die bekannten und immer wieder zitierten Kriterien der Blutzeugenschaft Christi, die bereits in den anderen erwähnten Werken vorgestellt wurden. Die Roermonder erhielten schon zwei Jahre nach ihrem Tod im von ihrem Kölner Ordensbruder Laurentius Surius geschriebenen Commentarius, einer Geschichte der Jahre 1500 bis 1574, eine kurze Erwähnung.45 Dass sich gerade der Bischof von Roermond und seine Mitarbeiter um die Verbreitung der Märtyrergeschichte bemühten, überrascht angesichts der prekären Lage der Region nicht. Das Bistum gehörte zu den umstrittenen Neugründungen von 1559, dessen Organisation durch Kardinal Granvelle nicht zuletzt zum Kriegsausbruch mit Spanien geführt hatte. Zudem lag es in einer Kampfzone, in der die Wechselfälle des Krieges besonders dramatisch waren. Roermond und seine Umgebung waren seit dem Mittelalter als Opper Gelre ein Quartier des Herzogtums Geldern. Stadt und Region wechselten in den 1570er Jahren und auch später vielfach die Machthaber (bereits im selben Jahr nach der gewalttätigen Eroberung, 1572, mussten die oranischen Truppen die Stadt wieder verlassen). Im Waffenstillstand von 1609 wurde das Oberquartier nach zähen Verhandlungen der spanischen Seite zugeschrieben, ebenso im Westfälischen Frieden, allerdings mit dem gewichtigen Zusatz „bis auf weiteres“, was die ohnehin von den Kriegserfahrungen schwer gebeutelten Einwohner zusätzlich in einem Unruhezustand beließ.46 Es verwundert deshalb nicht, dass gerade im Anlauf auf den Waffenstillstand im Jahre 1608 die geistlichen Herren in der Region auf die Publikation von Havensius’ Werk drängten, das den Zeitgenossen noch einmal die schrecklichen Ereignisse von vor 36 Jahren vor Augen führen und damit auch vor möglichen Konsequenzen für einen Seitenwechsel während und nach dem Waffenstillstand warnen sollte. Bezeichnenderweise erschien eine niederländischsprachige Ausgabe von Havensius’ Werk aus der Feder des Kartäusers Michael Uwens dann 1649, ein Jahr nach der Unterzeichnung des unsicheren Friedens.47 Benz, Zwischen Tradition und Kritik (wie Anm. 29 ), 71. Laurentius Surius, Commentarius brevis rerum in orbe gestarum, Köln 1574, 609–610. 46 Tractaet van vrede beslooten den 30 january .. binnen de stad Munster enz., Weduwe Jacobsz Hillebrand van Wouw, ’s Graven-hage 1948, 9. 47 Michael Uwens, Historie van de Twelf Martelaers, Roermond 1649. Über das Werk ist wenig bekannt. Das Gemeentearchief Roermond verfügt nur über eine Abschrift aus dem 19. Jahrhundert. 44 45
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Dass der energische Cuyckius sich so für die Märtyrergeschichte einsetzte, hatte sicherlich mit der prekären Lage seines Bistums zu tun. Gleichzeitig forderte er damit die Kartäuser auch auf, ihre Stimme im Chorus der Ordensgeschichten hören zu lassen. Besonders die Jesuiten, deren Gründungsgeschichte ja mit Ignatius von Loyolas Lektüre der Goldenen Legende beginnt und die als junger Orden noch nicht auf eine Tradition von Ordensheiligen zurückblicken konnten, setzten sich aktiv für die Kanonisierung ihrer Mitglieder ein. Um auf der Jagd nach den meisten himmlischen Fürsprechern nicht den Anschluss zu verpassen, sollten auch die ansonsten weniger medienwirksam agierenden Kartäuser sich ihrer eigenen Blutzeugen erinnern und diese ins rechte Licht setzen. Mit der Kombination der Geschichten der englischen und niederländischen Kartäuser konnten die Autoren zumindest ein kleines Gegengewicht gegen die zahlreichen Märtyrer der Missionsorden in die Waagschale der Heiligkeit legen. Dass die Orden mit ihren jeweiligen Märtyrergeschichten nicht nur konkurrierten, sondern sich besonders in den prekären Frontgebieten der Gegenreformation auch gegenseitig unterstützten, macht aber auch die Erwähnung der Roermonder Kartäuser in Otto Zylius’ Ruraemunda Illustrata aus dem Jahr 1613 deutlich. Der Jesuit und Lehrer des 1611 mit Unterstützung von Cuyckius’ aufgerichteten Jesuitenkollegs in der Stadt wollte mit dem ungewöhnlichen Text die Stadtväter ehren und die lateinischen Les- und Rezitierfähigkeiten seiner Schüler zur Schau stellen. Der letzte Abschnitt des Werkes war Dionysius van Ryckel und den Märtyrern gewidmet.48 Neben den umtriebigen Jesuiten waren es vor allem die Franziskaner, die die Heiligkeit ihrer Ordensbrüder der jüngeren Geschichte ins Scheinwerferlicht zu setzen versuchten. Zusammen mit den in der Roermonder Kartause Ermordeten fiel auch ein Franziskaner, Reiner van Linter, dem Wüten der oranischen Truppen zum Opfer. Sein Martyrium wurde in dem kleinen Bändchen des Johannes Bonerus von 1635 in einer besonderen Vignette dargestellt. Bonerus, alias Boener, selbst aus Roermond, widmete seine Delienatio historica fratrum minorium historicae provinciae Germaniae inferioriae seiner Schwester Agnes, der Hausfrau von Peter von Coix aus Daelenbroek, einem Landsitz im Roermonder Hinterland.49 In 20 Vignetten präsentierte er das Martyrium, das seine Ordensbrüder im Achtzigjährigen Krieg durch die Geusen erlitten hatten. Die Texte, die sich auf einer Seite jeweils um einen Druck positionierten, waren sowohl in lateinischer als auch in niederländischer Sprache verfasst und chronologisch nach Jahreszahlen, jedoch nicht kalendarisch angeordnet. Auch wenn Boener als Publikationsabsicht deutlich vom Entwurf eines „Spiegels“ spricht, in dem sich die Leser bei der Lektüre wiederfinden sollen, ist das Bildprogramm doch wie bei Verstegan auf die Grausamkeiten der Täter, nicht das Martyrium der Opfer gerichtet. Das Gedenken der Leiden und weniger die Fürbitte Otto Zylius, Ruraemunda Illustrata, Leuven 1613, 74–77. Boenerus, Delienatio historica (wie Anm. 1).
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der Heiligen für die eigene Seele stand im Vordergrund der Bilder und der Texte. Wie bereits bei Opmeer und Havensius stand auch bei Bonerus die Erinnerung an die jüngsten Ereignisse in seiner Heimat im Mittelpunkt des Buches, nicht die Fürsprache der Heiligen bei Gott. Das war angesichts der Standardisierungsinitiativen aus dem Vatikan, die am 5. Juli 1634 im Erlass Coelestis Hierusalem Cives von Papst Urban VIII. einen vorläufigen Abschluss fanden, auch nicht möglich. Hierin legte der Papst fest, dass eine öffentliche Verehrung (einschließlich der Fürbitte) ohne vorherige Selig- oder Heiligsprechung durch die Kurie ausdrücklich untersagt war.50 Für Bonerus bestand aber auch ein unmittelbar politischer Schreibanlass für sein Buch: von 1632 bis 1637 waren Roermond und Umgebung in der Hand der Nördlichen Niederlande. Die Erinnerung an die Standhaftigkeit der vorigen Generation – auch seine Märtyrer stammen allesamt aus dem vorangegangenen Jahrhundert – diente zur Ermahnung der gegenwärtigen Generation im Angesicht konfessionellen und politischen Drucks von der Gegenseite. Diese Botschaft wird besonders deutlich in der letzten Geschichte des Bändchens, die Bonerus ausdrücklich als einen neuen, wunderbaren Sieg feierte. In dieser Vignette bewährt sich ein Laienbruder, Joachim von Delft, der 1578 aus Amsterdam in seine Heimatstadt Delft zurückgekehrt war, standhaft gegen die Forderungen der Calvinisten, sich ihnen anzuschließen. Auf alle Herausforderungen, einen Eid auf ihr Regime abzulegen, reagiert der alte Mann mit dem Beten des Rosenkranzes und dem Aufsagen des Pater Noster und des Ave Maria.51 Nichts minder als eine Aufforderung, es ihm gleich zu tun, stellt Boeners letzte Botschaft dar. „simpele gehoorsamheyt“ ist das Stichwort, das immer wieder fällt.52 Es ist im Zusammenhang mit den Publikationen im Geist der Gegen reformation an anderer Stelle schon einmal darauf hingewiesen worden, dass mit dem Waffenstillstand in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Stoßrichtung spiritueller Schriften im Geist der Gegenreformation in den Niederlanden nicht mehr unmittelbar auf das eigene Land und die eigenen Lebensumstände gerichtet wurde, sondern sich wieder – so könnte man sagen – der 50 Ein Abdruck dieses Dekrets fand sich dann auch in Uwens’ Buch und Opmeers niederländischer Ausgabe von 1700. Für die Kartäuser in Roermond hatte das zur Folge, dass die Gebeine der Toten, die von ihren ersten, verstreuten Grabstätten in die Kartäuserkirche gebracht worden waren, in die Sakristei umgebettet werden mussten. Ein öffentlicher Kultus um die Reliquien durfte nicht stattfinden, gegen eine private Verehrung in der Sakristei war allerdings nichts einzuwenden. 51 Boenerus, Delienatio (wie Anm. 1), XX, Novum Genus Victoriae, ohne Seitenzahlen. Das Beten des Rosenkranzes wurde insbesondere von den Jesuiten als ein Instrument der Devotion für katholische Minderheiten in protestantischer Umgebung gefördert. Zur Rolle des Rosenkranzes siehe beispielsweise Nathan D. Mitchell, The Mystery of the Rosary: Marian Devotion and the Reinvention of Catholicism, New York 2009. 52 Boenerus, Delienatio (wie Anm. 1), XX, XIII, Martyrium V. P. F. Joannes Scheurmans, ohne Seitenzahlen.
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weiteren, katholischen Welt zuwandte.53 Die spirituelle Mobilisierung gegen die Calvinisten wurde beispielsweise auf die osmanische Expansion am östlichen Rande des Habsburgerreiches verlegt. In Roermond rief 1683 die Geistliche Magd Johanna von Randenraedt, die bereits zu früheren Anlässen überzeugend Prozessionen zum lokalen Marienheiligtum in ’t Zandt initiiert hatte, zu einer Bittprozession für den Entsatz von Wien auf. War sie 1632 von der Jungfrau in ’t Zandt aufgefordert worden, für den Widerstand gegen die niederländische Belagerung zu bitten, bat die Mutter Gottes sie nun in einer Vision um Beistand für die Katholiken in Wien.54 Diese breitere Sichtweise findet sich auch in den Ordensgeschichten. In Cornelius Hazarts Kerckelycke Historie van de gheheele werlt, die in Antwerpen zwischen 1667 und 1671 in vier Teilen gedruckt wurde, ist das europäische Szenario, namentlich die Niederlande und England auf den dritten Teil relegiert, während die ersten beiden Teile den oft exotisch und vielfach dramatisch anmutenden Martyrien der jesuitischen Ordensbrüder in der Mission in Amerika und Asien gewidmet sind.55 Kommen wir zurück auf die eingangs gestellte Frage nach dem Schweigen der niederländischen Katholiken auf die Herausforderungen der Protestanten. Dass der protestantischen Opfer des konfessionellen Zeitalters im allgemeinen sehr viel früher gedacht wurde als ihrer katholischen Pendants, hat bereits Peter Burschel diagnostiziert.56 Diese Beobachtung trifft auch auf die Niederlande zu. Einerseits war es eine Strategie der spanischen Herrscher und ihrer theologischen Berater, durch Nichtbeachtung die Rolle ihrer Gegner als unbedeutend und nicht dialogfähig zu diskreditieren. Mit Aufständischen kam man nicht ins Gespräch.57 Diese Haltung änderte sich erst mit dem Auftreten Alexander Farneses (1585) und den Erzherzögen Albert und Isabella (1599 bis 1621, bzw. 1633). Für letztere, die den südlichen Niederlanden ihren deutlichen Stempel aufdrückten, waren die bevorzugten Medien der Präsentation der eigenen Ansicht nicht Texte. Sie bedienten sich vielmehr stärker performativer und materieller Medien. Bekannt ist das Interesse des frommen Paares insbesondere an Reliquien, die aus ganz Europa (nicht im-
53 Marc Wingens, Over de grens. De bedevaart van Katholieke Nederlanders in de zeventiende en achttiende eeuw, Nijmegen, 1994. 54 Raingard Esser, A „lost quarter“? or the „Four Seasons“ of Guelders. Narratives of belonging in the Eighty Years War, in: Raingard Esser / Steven G. Ellis (Hg.), Frontiers and Border Regions in Early Modern Europe (The Formation of Europe, Bd. 7), Hannover 2013, 175–198. 55 Cornelius Hazart, Kerckelycke Historie van de gheheele werlt, 4 Bände, Antwerpen 1667–1671. 56 Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit (= Ancien Régime. Aufklärung und Revolution, Bd. 35), München 2004, Einleitung. 57 Stensland, Habsburg Communication (wie Anm. 17).
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mer mit legalen Mitteln) in die spanischen Niederlande gebracht wurden.58 Heilige spielten also eine wichtige Rolle bei der Rekatholisierung der Niederlande, ihnen begegneten die Gläubigen allerdings eher visuell als textuell. Andererseits arbeitete die katholische Kirche im langen Konzil von Trient an einer konzertierten Neuorientierung ihres Umgangs mit dem Himmel und dessen Heiligen. Das Konzil begann zwar nach den ersten Auseinandersetzungen mit den Minderheiten der Lutheraner und Mennoniten in den Niederlanden, diese Angriffe auf die katholische Ordnung des Landes behielt man aber durch harte Gegenmaßnahmen im Griff. Dass das Schweigen der Katholiken dann allerdings auch mit dem Beginn des bewaffneten Aufstandes noch anhielt, hat sicherlich mit dem lange Zeit unklaren Charakter der Auseinandersetzungen selbst zu tun. Nicht alle Katholiken waren auf der Seite des spanischen Königs, nicht alle Protestanten hielten zur Seite Wilhelms von Oraniens. Die Geusen der ersten Jahre galten bei den meisten als brutale, fanatisierte und gleichzeitig opportunistische Schlägertruppe, ebenso wie die Truppen des Herzogs von Alba, der es selbst spanientreuen Bürgern schwer machte, ihre Loyalität zur Habsburger Ordnung zu bewahren. Letztlich galt auch für diesen Konflikt zunächst, was Henk van Nierop für das holländische Noorderkwartier herausgearbeitet hat: Den meisten Bürgern ging es nicht um große Ideen, sondern um ein friedliches Zusammenleben in der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, sei sie nun katholisch oder protestantisch.59 Frontlinien blieben vage – geografisch, politisch, religiös. Allianzen wechselten und machten innerhalb weniger Jahre aus calvinistischen Hochburgen Bastionen der Gegenreformation. Judith Pollmann hat vor Kurzem darauf hingewiesen, dass der Waffenstillstand von 1609 bis 1621 weniger als Möglichkeit der Wiederannäherung beider Teile der Niederlande genutzt wurde, sondern vielmehr die Gräben zwischen dem Norden und dem Süden, die sich im Laufe der militärischen und politischen Auseinandersetzungen der vorangegangenen 40 Jahre aufgetan hatten, deutlich sichtbar machte. Der freie Austausch von Menschen und Gütern, den der Waffenstillstand zugestanden hatte, führte zu wechselseitigen Besuchen und auch zur Rezeption von Publikationen der jeweils anderen Partei. Gleichzeitig zeigte sich allerdings auch die Führungselite des jeweiligen konfessionellen Lagers besorgt über den möglichen korrumpierenden Einfluss von der Gegenseite. Aus diesem Grunde sehen wir nun eine Flut von Publikationen, die den konfessionellen Gegensatz verhärten, anstelle die Chance des Friedensschlusses als Suche nach einem Kompromiss zu nutzen. Dahinter lag natürlich die konfessionelle Agenda der jeweiligen Elite. Sie wurde aber, so hat Pollmann deutlich gemacht, auch von weiten Teilen der Bevölkerung geteilt.
Luc Duerloo, Archducal Piety and Habsburg Power, in: Werner Thomas / Luc Duerloo (Hg.), Albert & Isabella 1598–1621, Leuven 1998, 267–284. 59 Van Nierop, Treason in the Northern Quarter (wie Anm. 34). 58
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Für die Grenzregionen in Brabant, Flandern und Geldern, die bis in die 1630er Jahre Kriegsgebiete blieben, blieb auch die Zugehörigkeit zum jeweiligen Lager den Wechselfällen des Kriegsglücks ausgesetzt. Es sind diese Gründe, die auch den Zeitgenossen deutlich waren, die ein stärkeres publizistisches Engagement der Exklusion und Inklusion, wie es die Märtyrerspiegel darstellten, zunächst nicht als adäquates Mittel zum Konfliktmanagement erschienen ließ. Als man sich im Fahrwasser des Martryrologium Romanum dann auch verstärkt mit den Heiligen und Märtyrern der Niederlande auseinandersetzte, begann eine interessante und wichtige Ausfüllung des Genres, in dem heilige Zeit – der Heiligenkalender – mit heiligem Ort – der chorografisch-topografischen Beschreibung des Raumes – in Beziehung gesetzt wurden. Die Regionalisierung des Glaubens mit der Publikation neuer Ordensgeografien, aber auch einer Fülle von regionalen Chorografien aus katholischer Sicht, wurde vom Beginn des 17. Jahrhunderts in den Spanischen Niederlanden sowohl vom Herrscherpaar als auch von den jeweiligen Orden und katholischen Amtsträgern gefördert.60 Das Interesse an lokalen (offiziellen und inoffiziellen) Heiligen hatte eine lange Tradition in den Niederlanden. Zu nennen ist hier etwa das Hagiologium Brabantinorum (1476–1483) des Johannes Gielemans.61 Der Anschluss an diese Literatur signalisiert also sowohl die Kontinuität als auch die Innovationskraft, die die regionalen Träger der Gegenreformation wie etwa Bischof Cuyckius für ihre Agenda zu nutzen wussten. Traditionelle Elemente der von ihnen in Auftrag gegebenen Texte, die auch zur Kennzeichnung des Umfangs und der Grenzen des eigenen Territoriums besonders während des Waffenstillstandes und dann nach dem erneuten Kriegsbeginn dienen sollten, vermischten sich mit den neu konzeptionalisierten Heiligenkalendern und Viten. Die ursprünglich durch das Konzil deutlich konzipierte Rolle der Heiligen vor allem als Fürsprecher bei Gott erhielt durch den Rekurs auf Märtyrer aus der Region und vor allem die Geschichten der nach wie vor verehrten lokalen Heiligen ohne Kanonisation eine sehr viel aktuellere Note. Während nach wie vor die Meditation über die Leiden der Märtyrer und damit deren spirituelle Funktion in der katholischen Glaubenspraxis in den Vorworten und Paratexten dieser Werke betont wurden, dienten sie in größerem Maße, als es etwa die im posttridentinischen Rom zunächst so beliebten Katakombenheiligen und andere frühchristliche Märtyrer konnten, als Vorbilder in einem gegenwärtigen Raum, der unter konfessionellem Druck stand. Autoren der regionalen Martyrologien und Märtyrererzählungen reagierten dabei auf die Esser, The Politics of Memory (wie Anm. 26). Johannes Gielemans, Hagiologium Brabantinorum, Manuscript Wien ÖNB, Ser. 12706. Mit Dank an Anneke Mulder-Bakker, die mich auf diesen Text aufmerksam gemacht hat. Siehe hierzu auch Veronique Souche-Hazebrouck, Patriotic saints or patriotic hagiography in Brabant at the end of the Middle Ages?, in: Dieter R. Bauer / Klaus Herbers / Gabriela Signori (Hg.), Patriotische Heilige. Beiträge zur Konstruktion religiöser und politischer Identitäten in der Vormoderne, Stuttgart 2007, 113–122. 60 61
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jeweilige tagespolitische Situation und selektierten ihr himmlisches Personal dementsprechend: als missionierende Aktivisten oder als gefasst Leidende. Bislang ist wenig über die Wirkung dieser Bücher auf die Leserschaft gesagt worden. Inwieweit sie in der, so kann man wohl sagen, in den südlichen Niederlande erfolgreichen katholischen Reform neben der Reliquienverehrung, den Jesuitendramen, den Wallfahrten und neuen Formen der Devotion, etwa durch den Rosenkranz, eine Rolle spielten, war nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Das eingangs diagnostizierte Schweigen, vielleicht sogar die Ratlosigkeit der Katholiken in den Niederlanden, haben sie jedenfalls gebrochen.
Emdens Märtyrer Die Quäker im 17. Jahrhundert Walter Schulz I. Die Quäker sind religionsphänomenologisch als „die letzte und reinste Organisation des Täufertums“ bezeichnet worden.1 Historisch ist ihr Werden und Wachsen eng mit den englischen Baptisten und den niederländischen und deutschen Täufern (Mennoniten) verbunden. Gleichwohl kommen die Quäker in der Forschungsliteratur zum Täufertum kaum oder allenfalls am Rande vor.2 Ihre Entstehung in England und ihre erste Verbreitung auf dem Kontinent fallen in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Angesichts der Zuspitzung oder auch Radikalisierung ihrer Frömmigkeit und Gottesbeziehung wäre es nicht abwegig, sie als ein Phänomen innerhalb des Pietismus zu begreifen, nämlich als Teil des außerkirchlichen radikalen Pietismus. Aber auch die Pietismusforschung sieht mehrheitlich wie in der 1993 bis 2004 erschienenen vierbändigen Geschichte des Pietismus keine fachliche Zuständigkeit für die Quäker, obschon die Auseinandersetzung mit den Quäkern im 17. Jahrhundert zu einer erheblichen Menge an Kontroversliteratur geführt hat, es vielfache Berührungen gab und insbesondere das für den frühen Pietismus wichtige Frankfurt zu einem Einfallstor quäkerischen Gedankenguts in die entstehende pietistische Welt geworden ist.3 Die weitgehende Nichtbeachtung der Quäker in der Pietismusforschung ist erst unlängst wieder als Monitum benannt und substanziiert worden, auch wenn sie im Einzelfall als Desiderat schon früher erkannt worden und älteren Datums 1 Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, Tübingen 1912, 913. 2 Siehe zuletzt den Band von Anselm Schubert / Astrid von Schlachta et al. (Hg.), Grenzen des Täufertums / Bounderies of Anabaptism. Neue Forschungen, Gütersloh 2009. Auch die jüngste Darstellung der niederländischen Täufer kommt ohne eine Berücksichtigung der Quäker aus, die sich mehrheitlich aus ihren Reihen heraus gebildet haben, siehe Samme Zijlstra, Om de ware gemeente en de oude gronden. Geschiedenis van de dopersen in de Nederlanden 1531–1675, Hilversum 2000. Eine etwas stärkere Berücksichtigung deutet sich an bei Astrid von Schlachta, Gefahr oder Segen. Die Täufer in der politischen Kommunikation, Göttingen 2009, siehe 44 f., 319–323. 3 Martin Brecht / Klaus Deppermann et al. (Hg.), Geschichte des Pietismus, Bd. 1–4, Göttingen 1993–2004; Andreas Deppermann, Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 2002, 322–327.
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ist.4 In der nun schon etliche Jahre andauernden Kontroverse über einen „engen“ (Johannes Wallmann) oder „weiten“ (Hartmut Lehmann) Pietismusbegriff ist die Rückkehr zur älteren Pietismuskonzeption von Martin Schmidt avisiert worden, der „im mystischen Spiritualismus den eigentlichen Wurzelboden des Pietismus“ sah.5 Im mystischen Spiritualismus finden Täufertum, Quäker und Pietismus eine gemeinsame Inspirationsquelle, und nicht zufällig haben alle drei Religionsprofile in Ostfriesland markante Spuren hinterlassen.6 Im „linken Flügel der Reformation“ (Roland Bainton / Heinold Fast) und späteren radikalen Pietismus ist ein mystischer Spiritualismus seit frühester Zeit in Ostfriesland präsent und durchgängig wirksam geblieben, sodass Tileman Dothias Wiarda noch 1796 konstatierte: „Sonderbar ist es, daß sich in Ostfriesland, seit dem Anfang der Reformation so viel Schwärmer aufgehalten haben.“7 Bei den Quäkern verbanden sich ältere bekannte Elemente einer mystisch-spiritualisierten individuellen Frömmigkeit mit neuen Akzentuierungen und teilweise auch Radikalisierungen.8 Die Bewegung entstand in England um 4 Claus Bernet, Das deutsche Quäkertum in der frühen Neuzeit. Ein grundsätzlicher Beitrag zur Pietismusforschung, in: ZRGG 60 (2008), 213–234. Für den Begründer des reformierten Pietismus, Theodor Undereyck (1635–1693), ist die Erforschung seiner Verbindungen zu den Quäkern bereits früher eingefordert worden, siehe mit Verweis auf ältere Literatur Heiner Faulenbach, Die Anfänge des Pietismus bei den Reformierten in Deutschland, PuN 4 (1977/78), 190–234, hier 218. 5 Hans Schneider, Rückblick und Ausblick, in: Wolfgang Breul / Marcus Meier et al. (Hg.), Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, Göttingen 2011, 457, mit Verweis auf Martin Schmidt, Der Pietismus in Nordwestdeutschland, in: Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte 70 (1972), 147–178. 6 Dabei ist die Nähe von Täufertum und Pietismus insgesamt noch wenig erforscht, siehe zuletzt die Übersicht von Astrid von Schlachta, Anabaptists and Pietists. Influences, Contacts, and Relations, in: Douglas H. Shantz (Hg.), A Companion to German Pietism 1660–1800, Leiden 2015, 116–138. 7 Tileman Dothias Wiarda, Geschichte Ostfrieslands, Bd. VI, Aurich 1796, 77. Zur Kategorie der Schwärmer siehe Volker Leppin, Art. Schwärmer in: TRE 30 (1999), 628 f.; Thomas Kaufmann, Nahe Fremde – Aspekte der Wahrnehmung der „Schwärmer“ im frühneuzeitlichen Luthertum, in: Kaspar von Greyerz / Manfred Jakubowski-Tiessen et al. (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003, 179–241, zum reformierten Kontext summarisch 188. 8 Eine informative knappe Übersicht gibt Kaspar von Greyerz, Religion und Kultur. Europa 1500–1800, Göttingen 2000, 259–275. Zur Genese und Verbreitung siehe: Sünne Juterczenka, Über Gott und die Welt. Endzeitvisionen, Reformdebatten und die europäische Quäkermission in der Frühen Neuzeit, Göttingen 2008. Zur sozialen Schichtung siehe: Manfred Henke, „Wir haben nicht einen Bettler unter uns“. Studien zur Sozialgeschichte der frühen Quäkerbewegung, Berlin 2015. Zur allgemeinen Forschungsgeschichte siehe: Der erste zusammenfassende Beitrag zu den Emder Quäkern erschien von Ernst Kochs, Die Quäker in Emden, in: Upstalsboom-Blätter für ostfriesische Geschichte und Heimatkunde, 10. u. 11. Jg. Emden 1922, 60–79. Kochs exzerpiert im wesentlichen Gerardi Croesi historia quakeriana sive de volgo dictis Quakeris ab ortu illorum usque ad recens natum schisma, libri III, 2. Aufl., Amsterdam 1696, und schöpft etwas ergänzend aus Em-
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den Laienprediger George Fox (1624–1691), ihre ersten Anhänger kamen in den revolutionären 1640er Jahren aus dem Kreis jener Baptisten, die sich in den General Baptists radikalisiert und von der anglikanischen Staatskirche separiert hatten. Es entstand eine sich locker formierende Anhängerschaft, nur eine „society of friends“, durchaus in bewusster Abgrenzung von einer institutionalisierten und Heilsmittel verwaltenden Kirche. Ihre theologische Vorstellungswelt ist als eine „radikale Fortschreibung der Lehre von der Universalität göttlicher Gnade“ bestimmt worden, wie sie bereits die General Baptists vertreten hatten.9 Das jedem Menschen innewohnende „innere Licht“ gibt ihm Anteil am Geist Gottes, der somit vom gepredigten Wort und Sakrament weitgehend gelöst wurde und damit von den klerikal monopolisierten Instituten und Sakramenten der verfassten Kirche, was im Deutschen Reich noch immer unter dem Verdammungsurteil der Confessio Augustana von 1530 stand. Nächst Andreas Karlstadt (1486–1541) war es vor allem Sebastian Franck (1499–1543), der schon in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vom „inneren Licht“ gesprochen, diesen Ansatz konsequent weiter gedacht und von jeglicher verfassten Kirche Abstand und Abschied genommen hatte. Was individuell eine frühe Form der „Selbstermächtigung des religiösen Subjektes“ war, zielte sozial auf eine „Entkonturierung der religiösen Landschaft“, nämlich auf eine Pluralisierung der Religion.10 Beides war aus Sicht der Obrigkeiten nicht hinnehmbar. Äußerliche Eigentümlichkeiten kamen hinzu und schienen Ausdruck jener unüberbrückbaren Renitenz und Verweigerungshaltung zu sein, die Obrigkeiten bei den Quäkern als solche konstatierten. Das englische Parlament setzte 1661–1665 diverse Gesetze durch, mit denen Baptisten, Quäker und andere Gruppierungen als Dissenters oder auch Nonkonformisten sozial ausgegrenzt wurden. Hohe Bußen, Gefängnisstrafen oder auch die „transportation“, die zwangsweise Aussiedlung nach Nordamerika, sollten zur Wiederherstellung der Ordnung dienen. Der Quaker Act von 1662 formulierte dazu das erforderliche Diskriminierungsgesetz, wie es ähnlich wenig später auch in den nördlichen niederländischen Provinzen erlassen wurden. In den 1660er Jahren starben hunderte Quäker in englischen Gefängnissen. Bereits wenige Jahre nach ihren Anfängen erreichten Quäker 1654 Amsterdam und Rotterdam und machten diese zu Brückenköpfen ihrer europäischen Mission. Anfängliche Bemühungen der dortigen reformierten Kirchenräte, die städtischen Obrigkeiten zu veranlassen, gegen die Quäker vorzugehen, führten nur für kurze Zeit zu einigen Repressalien, letztlich wurden die Quäder Akten. Sofern neuere Darstellungen zur ostfriesischen Kirchengeschichte die Quäker berücksichtigen, gehen diese auf Kochs zurück. 9 J. F. McGregor, The Baptists: Fount of all Heresy, in: ders. / B. Reay, Radical Religion in English Revolution, Oxford 1984, 60 f., zitiert nach Greyerz, Religion (wie Anm. 8) 267. 10 Winfried Gebhardt, Die Selbstermächtigung des religiösen Subjekts und die Entkonturierung der religiösen Landschaft, in: Peter A. Berger / Klaus Hock et al. (Hg.), Religionshybride. Religion in posttraditionalen Kontexten, Wiesbaden 2013, 89–106.
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ker dort geduldet und unbehelligt gelassen. Hingegen kam es in den nordniederländischen Provinzen Friesland und Groningen bereits ab 1662 zu Verboten und Strafaktionen, woran die dortigen Obrigkeiten auch in den folgenden Jahrzehnten festhielten. Das durchaus rigide Vorgehen gegen Quäker in Friesland und Groningen, in denen die calvinistische Konfession als privilegierte Öffentlichkeitskirche ihren Einfluss stärker zur Geltung bringen konnte, mag die spätere Entwicklung im benachbarten Emden mit beeinflusst haben.
II. Die frühe Reformation in Emden ab spätestens 1520 weist zwar anfängliche lutherische wie zwinglische Einflüsse auf, gleichwohl mündet das erste Reformationsjahrzehnt im Gefolge von Hinne Rode und Andreas Karlstadt in eine deutlich stärker spiritualistisch-schwärmerisch ausgerichtete Theologie, wie sie in den Abendmahlsthesen des Emder Predigers und Erziehers der Grafensöhne, Georg Aportanus, von 1526 und dem Bekenntnis der Ostfriesischen Predikanten von 1528 ihren Niederschlag gefunden hat. Letztere wurden bereits in den konfessionellen Auseinandersetzungen des ausgehenden 16. Jahrhunderts für die reformierte Seite und Sache reklamiert, um die aktuelle reformierte Dominanz in Emden auch historisch unterfüttern und so legitimieren zu können. Im Unterschied dazu ist deren jüngere Einordnung als „ein selbständiges Werk, ganz und gar auf dem linken Flügel der Reformation angesiedelt“, sachlich begründet erfolgt und substanziiert worden,11 während die Aufnahme beider Texte in die neue Ausgabe der reformierten Bekenntnisschriften eher aus konfessionspolitischen Erwägungen erfolgt zu sein scheint.12 Neben die frühe Prägung durch Karlstadt Menno Smid, Ostfriesische Kirchengeschichte, Pewsum 1974, (Ostfriesland im Schutze des Deiches VI). 133; ähnlich Bernd Kappelhoff, Die Reformation in Emden. II: Durchsetzung und Gestaltung der Reformation bis 1552, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden, Bd. 58 (1978), 22–67, hier 29– 32. Zu Aportanus’ Abendmahlsthesen siehe dort 126 f., zum Bekenntnis 131–135; Martin Tielke, Georgius (Jurjen) Aportanus, in: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, allein elektronisch unter http://www.ostfriesischelandschaft.de; Gottfried Seebass, Der „linke Flügel der Reformation“, in: ders., Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, Göttingen 1997, 151–164. 12 Heiner Faulenbach / Eberhard Busch (Hg.), Reformierte Bekenntnisschriften, Bd. 1/1 1523–1534, Neukirchen-Vluyn 2002, 180–196, 211–237, die Edition beider Texte wurde bearbeitet und eingeleitet von Dietrich Meyer. Meyer sieht nicht allein den Einfluss der Theologie Zwinglis, vielmehr in der christologischen Konzentration sogar „eine Nähe“ zu Satz 1 der Barmer Theologischen Erklärung von 1934, dazu 216. In diesem Bekenntnis der Ostfriesischen Predikanten von 1528 erkennt nun James Tanis das erste protestantische Bekenntnisdokument überhaupt, und nicht in Zwinglis Thesen von 1523 zur 1. Zürcher Disputation oder in der Confessio Augustana von 1530, da erst das Ostfriesische Bekenntnis sich in Form und Duktus an alte kirchliche Bekenntnisse anlehne und sich selber dezidiert als „summa und bekenninghe Christliker leer“ präsentiere; James Tanis, East Fries11
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trat in der zweiten Jahrhunderthälfte die literarische Präsenz Sebastian Francks, dessen Schriften in Emden vielfach übersetzt und gedruckt wurden, darunter auch seine bekannten Briefe an Johannes Campanus und van Bekesteyn, mit denen Franck seine Sympathie für Servet und gegen Calvin, für ungebundene Religiosität und gegen die verfassten Kirchen mit ihren Ordnungen formuliert hatte. Der Emder Kirchenrat handelte sich deswegen gar das Monitum der Reformierten in Antwerpen ein, dass sie davor geradezu die Augen verschlössen („quod in Sebastiani Franck monumentis edendis hic connivemus“), zumal dessen Schriften noch schädlicher als die von David Joris seien.13 Wichtiger als konfessionell-dogmatische Anschlussfähigkeiten und eine tatsächliche oder auch nur vermeintliche gedankliche „Nähe“ sind die kirchensoziologischen Auswirkungen und Folgerungen, wie sie zuletzt Volker Leppin herausgestellt hat. Mag für beide, Luther und Karlstadt auch eine gemeinsame, vor allem durch Staupitz vermittelte Verwurzelung in der Mystik gelten, führe diese bei Luther doch in das extra nos einer „äußeren Heilsvermittlung“, während bei Karlstadt der „Weg zum Heil durch das Innere des Menschen, das sich vom Äußeren löst“, verlaufe, mithin von einer „Unmittelbarkeit der Heilszueignung“ gesprochen werden könne, womit Leppin im Anschluss an Ernst Troeltsch den Weg des ersteren in die landeskirchliche, auf „ihre obrigkeitliche Dimension zugespitzte Reformation“ und den des zweiten in die „spiritualistische Devianz“ münden sieht.14 Vergleichbare Impulse wie von Karlstadt sind in der Folgezeit in Ostfriesland durch andere wirksam verstärkt und durchgängig präsent gehalten worden.15 land and the reformed Reformation, in: Calvin Theological Journal 26 (1991), 313–349, 322. Zur Problematik siehe Gottfried Seebass, Die reformatorischen Bekenntnisse vor der Confessio Augustana, in: ders., Die Reformation und ihre Außenseiter. Gesammelte Aufsätze und Vorträge, Göttingen 1997, 11–30. 13 Heinz Schilling (Hg.), Die Kirchenratsprotokolle der Reformierten Gemeinde Emden 1557–1620, Tl. 1, Köln 1989, 268, unter dem 1. Januar 1567. Für den bibliografischen Nachweis der Drucke im 16. Jahrhundert siehe Andrew Pettegree / Malcolm Walsby, Netherlandish Books. Books printed in the Low Countries and Dutch Books Printed Abroad Before 1601, Leiden 2011, Bd. 1, 543 f. Bekanntlich haben die Schriften Francks insgesamt im nordniederländischen Raum eine starke Rezeption erfahren, siehe dazu immer noch Bruno Becker, „Nederlandse vertalingen van Sebastian Francks geschriften“, in: Nederlands Archief voor Kerkgeschiedenis 21 (1928), 149–160; Cornelis Augustijn / Theo Parmentier, Sebastian Franck in den nördlichen Niederlanden 1550 bis 1600, in: Jan-Dirk Müller (Hg.), Sebastian Franck (1499–1542), Wolfenbütteler Forschungen 52, Wiesbaden 1993, 303–318; Guillaume van Gemert, Instrumentalisierung spiritualistischer Gläubigkeit im Kampf gegen obrigkeitskirchliche Orthodoxie, in: Hartmut Laufhütte / Michael Titzmann (Hg.), Heterodoxie in der Frühen Neuzeit, Tübingen 2006, 161–174. 14 Volker Leppin, Mystisches Erbe auf getrennten Wegen: Überlegungen zu Karlstadt und Luther, in: Christoph Bultmann / Volker Leppin et al. (Hg.), Luther und das monastische Erbe, Tübingen 2007, 153–169, hier 168, 153. Zur Wahrnehmung und Einordnung von Andreas Karlstadt siehe jetzt Martin Kessler, Das Karlstadt-Bild in der Forschung (Beiträge zur historischen Theologie 174), Tübingen 2014, zu Leppin 505 f. 15 Nicole Grochowina, Indifferenz und Dissens in der Grafschaft Ostfriesland im 16. und 17. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2003. Bei der Benennung religiös devian-
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Was sich mit den Quäkern in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in der Region neu zu Wort meldete, war die zeitlich versetzte Spiegelung des eigenen ostfriesischen religiösen Profils, wie es sich auch in hiesigen schwärmerischen und spiritualistischen Kreisen entfaltet und dort wie hier an vergleichbaren Literaturprofilen orientiert hatte. Die ersten englischen Quäker nahmen somit Vorstellungen auf, die auch andernorts längst vorgedacht waren, auch in Ostfriesland. Neben Andreas Karlstadt und Sebastian Franck waren es insgesamt die Täufer und darunter nicht zuletzt die „Familiy of Love“, die im 16. Jahrhundert über zwei Jahrzehnte ihr Zentrum in Emden hatte und sich im 17. Jahrhundert vor allem in England etablieren konnte.16 Schon die Familisten lehnten das Mitführen von Waffen und jegliche Eidesleistung ab, dazu ebenfalls die Trinitätslehre und die Kindertaufe, wie sie überhaupt die Sakramente als Heilsmittel deutlich relativierten. Was mit den ersten englischen Quäkern über Amsterdam und Rotterdam auch nach Emden gelangte, war insofern nichts wirklich Neues, vielmehr das neu versprachlichte und glaubwürdig vertretene, gerade in Emden und Ostfriesland aber Altbekannte, wenn auch mit mancherlei Zuspitzung versehen. Dieser Hintergrund muss beachtet werden, denn darin war das deutsche Quäkertum eben nicht allein nur „von außen kommend“, selbst wenn mit neuem Namen ein neues religiöses Etikett eingeführt wurde.17 Die Profilierung späterer konfessioneller Gruppen hat sich im 16. Jahrhundert vielfach am Verständnis von Wort und Sakrament vollzogen. In dieser Hinsicht waren bereits die Positionen des Bekenntnisses ter Phänomene orientiert sich Grochowina offensichtlich an Smid, Kirchengeschichte (wie Anm. 11), wodurch ihr manches entgeht, wie eben die Präsenz von Sebastian Franck, dem Smid allein einen kurzen Satz widmet, oder auch die bei Smid fehlende „christkönigliche Triumphgesellschaft“ des Wiener Juristen Johann Permeier, der um 1630 für einige Jahre Emden als seine Residenzstadt auserkor, von wo er seine kleine Anhängerschaft steuerte und mit Briefen versah. Es wäre mehr zu nennen. Dazu Walter Schulz, Rezension zu Wolfgang Breul (Hg.), Der radikale Pietismus, Stuttgart 2009 und Günter Mühlpfordt, Kryptoradikalität in der Frühneuzeit, Stuttgart 2009, in: Emder Jahrbuch für historische Landeskunde Ostfrieslands 92 (2012), 277–287. Auch erweist sich die insgesamt isolierte Betrachtung religiöser Phänomene als „Sinnsysteme“ als nicht zureichend, wie man gerade am Thema der Emder Quäker sehen kann. 16 Alastair Hamilton, The Family of Love, Cambridge 1981; zum Schrifttum ders., The Family of Love, I: Hendrik Niclaes (Bibliotheca Dissidentium. Répertoire des non-conformistes religieux des seizième et dix-septième siècles Bd. 22), Baden-Baden 2003. Zur Sakramentsfrage bei den Familisten siehe Andreas Pietsch, Messbesuch für Anfänger und Fortgeschrittene. Zur Ambiguität der konfessionellen Zugehörigkeit, in: ders. / Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Konfessionelle Ambiguität. Uneindeutigkeit und Verstellung als religiöse Praxis in der Frühen Neuzeit (SVRG 214), Gütersloh 2013, 238–266; ders., Druckhaus, Kirche, Terra pacis: Räume und Vergesellschaftungs-formen am Beispiel der Familisten des 16. Jahrhunderts, in: Martin Mulsow (Hg.), Kriminelle – Freidenker – Alchemisten. Räume des Untergrunds in der Frühen Neuzeit, Köln 2014, 379–404. 17 Claus Bernet sieht im Quäkertum „die wichtigste Religionsgemeinschaft, die in Deutschland von außen kommend Fuß fassen konnte“, in: ders., Quäkertum (wie Anm. 4) 213 f.
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der ostfriesischen Predikanten von 1528 im Gefolge Karlstadts klar genug, dass keine äußerlichen Dinge, auch keine Sakramente, keine Taufe und kein Abendmahl heilsnotwendig seien; Gott gebe seinen Geist und Glauben als die entscheidende Offenbarung und Erkenntnis Gottes selber direkt in die Herzen der Menschen. Das war und blieb einer der zentralen Vorwürfe an die Quäker, dass sie in der Konsequenz das öffentliche Predigtamt und die Sakramente und damit letztlich die Kirche überhaupt negierten und für verzichtbar hielten und dadurch die öffentliche Ordnung insgesamt infrage stellten18 – ein Vorwurf, den die so Angesprochenen im 16. wie im 17. Jahrhundert häufig bestritten und nicht zuletzt aus Gründen des Selbstschutzes auch bestreiten mussten und der doch mit Blick auf die institutionalisierte Religion so völlig unbegründet nicht war, weil er die individualisiert-spiritualistischen Positionen bis in ihre Folgerungen weiterdachte. Nur wenige sprachen es früh so klar aus wie Sebastian Franck und gelegentlich auch der Quäker William Ames. Und noch weniger sahen in den bestehenden institutionalisierten Religionen einen Ausdruck irdischer Nichtigkeit und Vergeblichkeit, nämlich der Vanitas selber, und formulierten einen religionskritischen Vorbehalt gegen jegliche veräußerlichte Religion überhaupt, wie William Penn (1644–1718), der im Phänomen der veräußerlichten Religion gerade Religionslosigkeit erkannte und daher von der „Irreligiousness of the Religions“ sprach.19 Was William Penn, einer der prominentesten Vertreter der Quäker, am 22. November 1672 in einem langen Brief an den mennonitischen Emder Arzt Dr. Willem Haesbart, den Penn ein Jahr zuvor kennengelernt hatte und der sich nun zu den Quäkern hielt, schrieb, war in Emden eine altbekannte Intonierung: „O, how many profess God and Christ, according to the historical knowledge of both, but never come to the mystical and experimental knowledge of them. No, it is utterly impossible, that any thing should bring to the internal knowledge and experience of the work and will of God, but the Light and Spirit only by an inward revelation and operation.“20 Die Nähe quäkerischen Gedankenguts zu Andreas Karlstadt hat zuerst Roland Bainton aufgezeigt; siehe dazu Claus Bernet, Luther und Fox – Lutherum und Quäkertum. Ein Beitrag zur religionsgeschichtlichen Vergleichsforschung, in: Freikirchenforschung 20, 2011, 40–60. 19 Penns Reisenotizen wurden erstmals 1694 veröffentlicht: An account of William Penns Travails in Holland and Germany anno 1677 for the service of the Gospel of Christ, by way of Journal, London 1694; zuletzt nach dem erhaltenen Manuskript Penns ediert in Mary Maples Dunn / Richard S. Dunn, The Papers of William Penn, Vol. 1–5, Philadelphia 1981, hier Vol. I. 1644–1679, 425–508, der Eintrag zu Emden findet sich 482–484, seine Anmerkung zu den Religionen 476. 20 Der Brief Penns an Haesbart erscheint in diversen älteren Publikationen Penns, zuletzt publiziert in Hugh S. Barbour (Hg.), William Penn on Religion and Ethics. The emergence of Liberal Quakerism, Lewiston 1991 (Studies in American Religion Vol. 53), 127–129; Nachweis auch bei Mary Maples Dunn / Richard S. Dunn, The Papers of William Penn, Vol. 1–5, Philadelphia 1981, hier Vol. I. 1644–1679, 507, 657. Er ist ebenfalls abgedruckt in Walter Schulz, Mythos und Martyrium. Die Quäker in Emden und das Erbe der Reformation, Emder Jahrbuch, Bd. 95, Aurich 2015, 101–232. 18
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Troeltsch nannte die Quäker „die reinen Abkömmlinge des Spiritualismus der Reformationszeit.“21 Gerade weil die kurz nach der Mitte des 17. Jahrhunderts in Emden auftretenden Quäker eigentlich an vor Ort Altbekanntes und im wesentlichen auch bereits lange Geduldetes anknüpften, erstaunt die Härte und Gewalt, die sie in Emden so unversehens traf. Die Quäker ziehen eine in dieser Form in Emden bis dahin nicht gekannte Gewalt gegen eine religiöse Minorität auf sich, die das erfüllt, was man heute als Pogrom bezeichnet. Diese ungehemmte Gewaltausübung scheint allem zu widersprechen, was wir über die Region Ostfriesland als Hort der Toleranz zu wissen glauben, auch wenn davon manches sich als konstruierte Stilisierungen erweist. Die Herrschaftsverhältnisse in dem erst 1464 zur Reichsgrafschaft erhobenen Territorium waren komplexer, nämlich multipolarer und zugleich weitmaschiger als andernorts. Die deswegen faktische Eignung als Rückzugsgebiet für deviante religiöse Profile gibt für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts gleichwohl noch kein „tolerant climate“ oder gar eine „tradition of religious tolerance“ her.22 Emden wuchs im 16. Jahrhundert die Rolle einer Herberge für Glaubensflüchtlinge zu, was nicht zuletzt durch das sandsteinerne Relief des „Schepken Christi“ am Ostportal der ehemaligen Großen Kirche zu einem Emder Selbstverständnis emblematisch verdichtet worden ist. Auch dieser Prozess kann nicht insgesamt als Ausdruck einer Toleranz und Glaubensfreiheit verstanden werden. Die zunächst über Jahrzehnte faktisch offene Religionspolitik der Landesherrschaft mündete im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts in eine reformierte Konfessionalisierung, die zum Ende des Jahrhunderts dem Calvinismus eine politische Alleinstellung in der Stadt verschaffte. Diese meinte zunächst das Gegenteil von Glaubensfreiheit, nämlich die kirchlicherseits betriebene und regelmäßig von der Obrigkeit eingeforderte Verdrängung nicht allein der Lutheraner, Mennoniten und Juden, vielmehr überhaupt aller devianten und freigeistigen Troeltsch, Soziallehren (wie Anm. 1), 912; seine Hinweise sind noch immer erhellend: „Sie sind […] die reinen Verkünder des inneren Lichtes, der persönlichen Wiedergeburt durch den ewigen Christus, der Identität des Geistes im Wiedergeborenen und in der Bibel, der Enthaltenheit des göttlichen Lichtes in dem jeden Menschen innewohnenden Lichtfunken, der in der Berührung mit der Bibel lediglich entbunden wird aus der Gefangenschaft durch Fleisch und Finsternis. Aber es wäre doch falsch, sie von hier aus allein verstehen zu wollen. Sie sind in Wahrheit die Verbindung dieser spiritualistischen Lehre mit der täuferischen Idee der einen und heiligen, auf ernster Bekehrung beruhenden und staatsfreien Freiwilligkeitsgemeinde. Sie haben die natürliche Neigung des Spiritualismus zur Gemeinschaftslosigkeit gebrochen durch den Anschluß an die mennonitische und vor allem collegiantische Gemeindeverfassung“, ebd. 22 Victor Thiessen, Enclaves of Tolerance: Noble Patrons and Anabaptists Subjects to the 1560s, in: Schubert, Grenzen des Täufertums (wie Anm. 2), 346–368, hier 359, 360. Eine für den Prozess der Normierung und Herrschaftsverdichtung noch strukturell defizitäre Durchsetzung ist etwas anderes als eine mental-kulturell gewonnene und reflektierte Einstellung zu abweichenden religiösen Glaubensvorstellungen und Verhaltensprofilen oder gar eine zugestandene Gewissensfreiheit im sozialen Gefüge einer Bevölkerung. 21
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Profile, die sich den calvinistischen Normierungsansprüchen entzogen.23 In den späteren Auseinandersetzungen um die Quäker berichtete der 1715 im benachbarten Leer durchreisende englische Quäker Thomas Story, dass ein reformierter Prediger aus Emden gerade in der Tolerierung der Sekten („tolerating so many bad sects of Religion“), was Story vornehmlich gegen die Mennoniten und Quäker gerichtet verstand, eine geeignete Welterklärungsfigur für die Ursachen von Krieg und anderen Plagen erkannt hatte.24 Die von den Amsterdamer und Rotterdamer Quäkern in diversen Schriften, darunter auch dem zweiteiligen Spiegel voor de Stad van Emden, dokumentierte Gewalt erstreckte sich mit einer vielleicht zweijährigen Unterbrechung über ein gutes Jahrzehnt von 1673 bis etwa 1685.25 1684 wurden beide Teile des zuerst 1679 publizierten Spiegel noch einmal aufgelegt, was auch als Aktualisierung der noch nicht überholten Feststellungen gewertet werden mag. Es handelte sich um keine spontan eruptiven Einzelaktionen, sondern vielmehr um ein gezieltes Vorgehen, das im Laufe der Jahre durch sich wiederholende Vertreibungen, Beschlagnahmungen und Vermögensliquidationen, verschärfte Einkerkerungen und Gewaltanwendungen, die auch Menschenleben gekostet haben, einen inneren konsequenten Rhythmus erhielt. Für die Emder Quäker war es ein einziges Martyrium, das sie auch als ein solches bezeichneten und die darunter Leidenden folglich auch als Märtyrer. Es verzerrt die historischen Realitäten, wenn es heißt, dass „es in reformierten Städten und Territorien trotz Quäkerpräsenz zu keiner nennenswerten Verfolgung und auch zu keinen Polemiken“ gekommen sei, um dann aus jenen in lutherischen Städten eine nur „niedrigschwellige Toleranz der Lutheraner“ ableiten zu wollen.26 Das Gegenteil ist der Fall: Die Verfolgung im reformierten Emden war so kompromisslos und hart wie nirgends sonst. Während man in Hamburg und Danzig wenigstens noch Polemiken als Anti-Quakeriana schrieb und sich damit der Auseinandersetzung auch literarisch stellte, auch wenn es nie ein Gespräch auf Augenhöhe war, verzichtete man in Emden gänzlich auf die Kraft des 23 Siehe dazu die diversen Studien von Heinz Schilling zur reformierten Konfessionalisierung in Emden, hier ders., Die Emder Revolution als europäisches Ereignis, in: Hajo van Lengen (Hg.), Die Emder Revolution von 1595, Aurich 1995, 113–136, hier 122 f. 24 Thomas Story, Journal of the life of Thomas Story, containing an account of his remarkable convincement of and embracing the principles of truth as held by the people called Quakers and also of his travels and labours in the service of the gospel, with many other occurrences and observations, Newcastle 1747, 505: „[…] we went to the house of one of the Elders, by whom we understood we could not have a meeting in their Meeting-house, as some of our friends had the year before: For a Presbyterian (or Calvinist) Minister had come from Embden since we passed that Way, and had preached in that Town, that the Wars and other Plagues were in the countries, because of the tolerating so many bad sects of Religion (smiting more especially at them and us) […].“ 25 Spiegel voor de Stad van Emden. … Uitgegeven door I. R. vander Werf / I. Arentz et al., Rotterdam 1679, 19. Detaillierte Angaben zum Spiegel unten Kap. V; Zitat aus Het tweede Deel van de Spiegel voor de stad Embden, Rotterdam 1679, 412, auch dazu Kap. V.. 26 So von Bernet, Quäkertum (wie Anm. 4) 234.
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diskursiven Arguments. An seine Stelle trat die Macht rigoroser magistraler Zwangsmaßnahmen und Repressalien. Nach der Darstellung der Quäker im Spiegel zerrissen etliche Magistratsmitglieder demonstrativ die ihnen informationshalber zugestellten Quäkerschriften und ließen die in der Stadt verteilten polizeilich einsammeln, auf dass sie auf dem Markt verbrannt würden. So erklärt sich auch der noch heute auffallend dünne Überlieferungsbefund in hiesigen Bibliotheken und Archiven. Die einst so gerühmte Emder Druckerpresse, die noch hundert Jahre zuvor für die Verbreitung reformatorischer Literatur in den niederländischen Provinzen unverzichtbar gewesen war, wurde nur noch bedient, um die magistralen Erlasse als Einblattdrucke herausgehen zu lassen.27 Diese stellten sich aber keinem Diskurs mehr, sondern allein das Ende aller Gespräche fest und avisierten die kompromisslose Verschärfung der einzuleitenden Maßnahmen. Im Rückblick auf seine beiden Aufenthalte im reformierten Emden hielt William Penn in seinen Reisenotizen über seine Anreise im Juli 1677 fest: „We arrived at Embden about the 11th hour. This is that city, where friends have been so bitterly & barbarously used, the like hath scarcely been known in any place, where truth hath broke forth in our day; they having here been banish’d some 30 & some 40 times & above.“28
III. Für 1657 ist ein erster Aufenthalt des englischen Quäkers William Ames für Emden belegt, ohne dass wir über Ergebnisse dieses Besuches Näheres erfahren.29 In Emder Unterlagen sind die Quäker zum ersten Mal in 1669 greif bar, aber die englische quäkerische Überlieferung hält für Emden fest, dass es dort schon deutlich früher Erfolge ihrer Mission gegeben habe, da „a considerable number of people who from about the year 1662 had professed quakerism“.30 Als eine englische Quäkerin am 25. Februar 1669 die Aufmerksamkeit des Kirchenrates auf sich zog, war das Phänomen selber offenbar dort bekannt. 27 Der Ausweisungserlass vom 15. Mai 1675 hat sich als Einblattdruck in der Staatsbibliothek Berlin erhalten unter: 35 an Gq 10933: Herren Bürgermeister und Raht der Stadt Embden / weilen Sie täglich vernehmen müssen / dasz einige wiederspännige Irregeister / welche man gemeinlich Quäker nennet / so vieler vorhergegangenen guten und freundtlichen Ermahnungen / Poenal-Mandaten, und offters geschehenen bannissementen ohngeachtet / sich halstarrig unterstehen / wieder die Lehre der reinen und wahren Religion vorsetzlich auffzulehnen …: Signatum Embdae in Curia den 15. May, Anno 1675. Das Mandat ist auch wiedergegeben bei Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 77 f. 28 William Penns Travails (wie Anm. 19) 482. 29 Juterczenka, Über Gott, (wie Anm. 8), 91. 30 Charlotte Fell Smith, Steven Crisp and his correspondents 1657–1692, being a synopsis of the letters in the „Colchester Collection“, London 1892, xxxii.
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„Eerw[aardige] consistorium in ervaringe gekomen zynde, dat seker vrouw in de hofstraet alhier uyt Engeland met de wooninge gekomen, verscheidene boekens uytgestroyt heeft, dewelke strekken tot lasteringe van de ware gereformeerde religie ende tot voorstellinge van de schadelyke quaekers gesintheyd, soo is besloten, dat D. Swart nader daerna sal verneemen, om sulx geschied voorts gedisponeert te werden na behooren.“31
Die Benennung einer „quakers gesintheyd“ hat für den Kirchenrat bereits einen ersichtlich zureichenden Bestimmungsgrad, der nach keiner weiteren Erläuterung verlangte, zumal die Infragestellung der einen wahren, nämlich reformierten Religion ausreichte, um gegen das so bezeichnete Phänomen vorzugehen. Nur wenige Monate später, im Mai 1669, wurde der Leeraner Amtmann Ulrich Wiarda durch entsprechende Hinweise und Klagen von „Pastoren und Älteste“ auf zwei „Frauwenspersonen“ aufmerksam gemacht, die, vor geraumer Zeit dort angekommen, sich mit Kleinhandel durchschlugen („mit einigen wahren handtierung treiben“), und von denen es nun hieß, „daß dieselbe der Quackerey anhangen solten“. Der Amtman ließ diese Frauen zu sich bringen, die ihm bestätigten, „daß sie solche leute wehren“ und weiterhin, aus Emden vom dortigen Magistrat ausgewiesen worden zu sein, „weil sie ein versamlung zue Embden gehabt“, sie also an als solche erkenntlichen quäkerischen Versammlungen teilgenommen hätten.32 Hier werden also bereits für das Frühjahr 1669 quäkerische Versammlungen in Emden bezeugt. Jener Amtmann Wiarda nahm den Frauen einige zur Weitergabe bestimmte quäkerische Schriften ab, „nebengehende bücher, welche sie jedweden mittheilen“. Der Akte sind heute noch drei quäkerische Schriften beigebunden, von denen zwei mit William Ames und Steven Crisp Autoren aufweisen, deren persönlicher Aufenthalt für Emden belegt ist.33 Aus dem Sommer 1670 haben wir den Bericht des englischen Quäkers Steven Crisp vorliegen, der einige sehr sprechende Eindrücke vermittelt. Dieser kam erstmals im Juli 1670 auf seiner Rückreise aus Schleswig-Holstein JALB Emden, Archiv Nr. 329, Protokolle des Emder Kirchenrates, zitiert nach Ernst Kochs, Emder Protokolle, Manuskript o. J. [ca. 1938/39], als Xerox-Kopie in 15. Ex. Vervielfältigt, zitiert als KPR mit Datum, hier der 25. Febr. 1669. 32 Brief des Leeraner Amtmann Ulrich Wiarda an seinen Vater Bucho Wiarda in StA Aurich, Rep. 4, B IV h, Nr. 31. 33 1. Johann Joachim Zentgraff, ein Antwort Auf ein Buch, …, genant Der Unflat der Quäcker, Abgemahlten nach ihren Aufkommen, Fortgang und greulichen Lehren, o. O. 1668; 2. Stephen Crisp, Ein Wort der Vertröstung und ein Geläut der frölichen Botschaft zu denen die da trawern in Teutschland und den umliegenden Gräntzen, …, Amsterdam 1668; 3. William Ames, Den Antichrist Ontdeckt Ende bloot gemaekt ofte een Antwoort tot 3 Pasquillen …, o. O., 1657. Grochowina erwähnt allein zwei Schriften, von denen sie „Ein Wort der Vertröstung“ irrtümlicherweise George Fox zuschreibt; von Fox ist allein ein zweiseitiger angefügter „Sendbrief an alle, die da glauben in das Licht Jesum Christum“. Übersetzer der ursprünglich englisch verfassten Schrift von Crisp ist der mit dem Emder Arzt Dr. Haesbart verschwägerte Amsterdamer Quäker und Goldschmied Jan Claus. Nicole Grochowina, Indifferenz und Dissens in der Grafschaft Ostfriesland im 16. und 17. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2003, 293–295. 31
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über Emden. In seinen Notizen stehen der Besuch des mennonitischen Gottesdienstes neben der Erwähnung weiterer privater Versammlungen in verschiedenen Häusern ganz versöhnlich nebeneinander. Wie andernorts auch waren es die Mennoniten, die sich für die Quäker als erste Anlaufstation anboten und wo diese offenkundig bereitwillig Aufnahme und auch Resonanz fanden. Im mennonitischen Gottesdienst erhielt der englische Quäker Steven Crisp nach Predigt und Gebet, das in kniender und schweigender Andacht vollzogen wurde, die Gelegenheit zur quäkerischen Verkündigung in niederländischer Sprache. Es war dann der mennonitische Prediger selber, der anschließend die Aussagen des Quäkers mit Bibelstellen verteidigte und unterstützte und letztlich seine Gemeindemitglieder aufforderte, die Ermahnungen des Quäkers anzunehmen. Der Bericht vermittelt den Eindruck, dass die anschließenden privaten Begegnungen durch jenen Auftritt im Gottesdienst initiiert und vermittelt wurden und nicht losgelöst vom mennonitischen Milieu zu sehen sind. Die Begegnung mit einer körperlich missgebildeten Frau namens Remelkie, die weder Hände noch Füße hatte, aber von der Suche nach Gott beseelt war, hat Crisp sichtlich beeindruckt. Man traf sich im privaten Rahmen, wo Crisp wiederum eine geistliche Ansprache hielt und man sich freundschaftlich über das Gesagte austauschte.34 Trotz der erfolgten Ausweisung jener in Leer angetroffenen Frauen aus der Stadt ist Emden der Ort, an dem quäkerisches Leben sich neben ersten eigenständigen Versammlungen offenbar auch noch weiterhin im Schutz der mennonitischen Gemeinde entfalten konnte und zu festigen begonnen hatte, während im niederländischen Friesland bereits die gesetzlichen Grundlagen gelegt waren, Quäker auf Jahre hin einzukerkern. Bei dem von Steven Crisp für Emden genannten Prediger Hert Jansen dürfte es sich um Reynier Jansen aus dem friesischen Harlingen handeln, der als Buchdrucker für Antoinette Bourignon tätig war, sich wenig später zu Mennoniten und dann zu den Quäkern hielt und später in Emden zusammen mit anderen Quäkern auch eingekerkert wurde. Jansen emigrierte später nach Philadelphia und wurde dort einer der frühen amerikanisch-quäkerischen Buchdrucker.35
34 Steven Crisp, A Memorable Account of the Christian Experiences, Gospel Labours, Travels and Sufferings Of that Ancient Servant of Christ Stephen Crisp, London T. Sowle 1694, 34 f. Den entsprechenden Auszug habe ich wiedergegeben in Schulz, Mythos (wie Anm. 20). Steven Crisp (1628–1692) war ein englischer, literarisch sehr produktiver Quäker, der an der Mission in den Niederlanden und Deutschland beteiligt war. Er selbst hatte auch niederländische familiäre Verbindungen, siehe Claus Bernet, Art. Steven Crisp, in: Traugott Bautz, BBKL 26, Nordhausen 2006, Sp. 248–264. 35 Jakobus Gerhardus Riewald, Reynier Jansen of Philadelphia. Early American Printer. A Chapter in Seventeenth-Century Nonconformity, Groningen 1970, 47. Zu Antoinette Bourignon und Reynier Jansen siehe Mirjam de Baar, Ik moet spreken. Het spiritueel leiderschap van Antoinette Bourignon (1616–1680), Groningen 2004, 297–299, 360–367, 380–388 u. ö.
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Die Bereitwilligkeit und offene Resonanz, die Steven Crisp 1670 bei den Emder Mennoniten entgegengebracht wurde, verweisen auf die innere Nähe und Vertrautheit der Mennoniten mit quäkerischem Gedankengut. Zu diesem Zeitpunkt erscheint dieses nicht als konkurrierende Religiosität, vielmehr allenfalls als eine konsequentere und vertiefende Form mennonitischen Glaubens, die sichtlich auch die Zustimmung des dortigen Predigers fand. Nicht eindeutig zu beantworten ist die Frage, ab wann und wodurch genau die Quäker sich als von den Mennoniten differierende soziale Gruppe verstanden und verhielten und nicht nur als Phänomen innerhalb des bestehenden Gefüges. Möglicherweise erfolgen aus Gründen des Selbstschutzes Distanzierungen seitens der Mehrheit der Mennoniten erst später. Man möge doch den Obrigkeiten begegnen wie eine junge Frau einem bissigen Hund, empfahl der mennonitische Prediger den Quäkern, nämlich in die Knie gehen und sagen: „Guten Tag, Herr Hund“; dieser würde die Frau dann sicher unbehelligt lassen.36 Mit Blick auf das weitere Schicksal der Haesbarts erwies sich dieser Rat keineswegs als lebensfremd. Aber eine solche nur spöttisch gemeinte, in rational-pragmatischer Distanz begründete und allein vorgespielte Unterwürfigkeit war nicht die Sache der Quäker. Selbst den Hut vor den Obrigkeiten abzunehmen, verweigerten sie und machten daraus einen persönlichen Bekenntnisakt. Eine weitere Anmerkung von William Penn aus seinem Reisebericht von 1677, aber im Rückblick auf seinen ersten Aufenthalt in 1671, verdeutlicht den Differenzierungsprozess, der im weiteren Verlauf die Quäker von den Mennoniten unterscheidbar machte. „They were with me at a meeting 6 years agoe in {this} city; & I remember, the power had that sweet operation upon them, that I sayd {to B[enjamin] Furly & Thom. Rudiard then wth me} It will not be long, before they will [illegible deletion] publiquely own, & bear {a} testimony in this place. And in about three month after he came forth; & she about a year after him: & from their fidelity & integrity, notwithstanding all the sore & bitter tempests of persecution, a fine meeting sprang. But at this day they are scattered, being still sent away, as fast as they return.“37
Es ist jener Punkt des öffentlichen Zeugnisses, („publiquely own, & bear {a} testimony in this place“), mit dem Haesbart den in der Stadt Emden geltenden religionspolitischen Konsens verließ und Angriffsfläche bot. Die im ausgehenden 16. Jahrhundert erreichte politische Emanzipierung der Stadt Emden von der lutherischen Landesherrschaft hatte für die Stadt Emden in religionspolitischer Hinsicht in den Landesgesetzes und Verträgen erreicht, das öffentliche exercitium religionis auf der Grundlage der 1555 erfolgten reichsrechtlichen Anerkennung der Confessio Augustana nunmehr jener Form vorzubehalten, die zum damaligen Zeitpunkt in den beiden Emder Kirchen geübt wurde („die 36 Spiegel voor de Stad van Emden. … Uitgegeven door I. R. vander Werf / I. Arentz et al. (wie Anm. 25), 19. 37 William Penn, Travails, nach der Edition Mary Maples Dunn (siehe Anm. 19), 483.
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tegenwoordich in die Grote end Gasthuyskercke gepredict wort“).38 Da reichsrechtlich ein eigener reformierter Bekenntnisstand noch nicht eindeutig normiert war, bedurfte es dieser verklausulierten Sprachregelung, um einerseits reformierte Predigt und Bekenntnis als für Emden geltende Norm benennen zu können, andererseits aber ihre Stellung auf der reichsrechtlichen Grundlage der Confessio Augustana vertraglich behauptet und abgesichert zu haben. Den lutherischen Bekenntnisstand nach den Landesverträgen aus der Stadt herauszuhalten, war im Ergebnis das gemeinsame Anliegen von Magistrat und Kirchenrat, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen. Eine solche Interessensallianz bestand hinsichtlich der täuferisch-schwärmerischen Gruppierungen oder auch Einzelpersonen ebenso wenig, wie sie hinsichtlich der Emder Juden zustande kam. Das ganze 17. Jahrhundert hindurch wurde im reformierten Kirchenrat das Problem religiöser Devianz in Emden thematisiert, was in der Regel zu dem Beschluss führte, beim Magistrat mit einer entsprechenden Beschwerde vorstellig zu werden und das Einhalten der landesvertraglichen Regelungen hinsichtlich der Alleinstellung der reformierten Konfession einzufordern. Der Magistrat behandelte diese sich wiederholenden Eingaben deutlich dilatorisch, denn die Juden brauchte er für die Organisation und Abwicklung des städtischen Geldverkehrs, während die Mennoniten längst eine zu starke Gruppierung und damit einen nicht zu unterschätzenden ökonomischen Faktor einschließlich beträchtlicher Schutzgeldzahlungen darstellten. Nachdem die reformierte Religion als Vehikel für die Durchsetzung städtisch-politischer Interessen der Landesherrschaft gegenüber ihre Funktion erfüllt hatte, stellte der reformierte Stadtsydikus Johannes Althusius selber schon 1617 die Weichen, um den Kirchenrat „auf rigide Weise“ kaltzustellen,39 da nunmehr dem Magistrat eher an einer pragmatisch denn dogmatisch orientierten Politik gelegen war. Die Mennoniten hielten sich an diesen Modus vivendi, wenngleich nach Kriegsende 1648 etliche in das Umland abwanderten. Im Unterschied zu den Quäkern stellten die Mennoniten diesen Modus grundsätzlich nicht infrage, sie fügten sich als ein (religiöses) „Aliud“ ein, zahlten ihre nicht geringen Schutzgelder und versagten der reformierten Ob Harm Wiemann, Die Grundlagen der landständischen Verfassung Ostfrieslands. Die Verträge von 1595 bis 1611, Aurich 1974, 116; Bernd Kappelhoff, Notgedrungen geduldet oder stillschweigend respektiert? Konfessionelle Minderheiten in Emden vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, in: Herman J. Selderhuis / J. Marius Lange van Ravenswaay (Hg.), Reformed Majorities in Early Modern Europe, Göttingen 2015, 146. Ob die Anerkennung einer reformierten Konfession in Ostfriesland Ende des 16. Jahrhunderts der Regelung im Reich eindeutig entgegen stand und damit als regionale Ausnahme und Besonderheit leistete, was insgesamt im Reich erst 1648 erreicht wurde, ist weniger eindeutig, als es die hiesige Forschung in der Regel bewertet. Die reichsrechtliche Problematik diskutiert instruktiv zuletzt Matthias Pohlig, Wahrheit als Lüge – oder: Schloß der Augsburger Religionsfrieden den Calvinismus aus?, in: Andreas Pietsch / Barbara Stollberg-Rilinger (Hg.), Konfessionelle Ambiguität (wie Anm. 16), 142–169. 39 Bernd Kappelhoff, Emden als quasiautonome Stadtrepublik 1611 bis 1749, Geschichte der Stadt Emden Band II, Leer 1994 (Ostfriesland im Schutze des Deiches XI), 97. 38
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rigkeit und Kirche die äußerlich-formale Anerkennung ihrer Dominanz nicht. Gesellschaftlich wurden die Mennoniten von einer kulturellen Assimilation erfasst, während sie in religiöser Hinsicht ihren Nonkonformismus pflegten, was andernorts als „confirming non-conformity“ beschrieben worden ist.40 Die Größe ihrer Gemeinde und die wirtschaftliche Potenz ihrer Mitglieder haben sich dabei schützend ausgewirkt.41 Dagegen stellten die Quäker eine deutlich kleinere und insgesamt schwächere Minorität als die Mennoniten dar. Nicht zufällig erfolgte im Magistrat der Stimmungsumschwung zu der Zeit, als in der Mitte der 1680er Jahre mit einigen englischen Quäkern erhebliche ökonomische Potenz Emder Boden betrat. Die Grundsätze der Quäker liefen insofern auf ein Gegenmodell von Religionsausübung hinaus, als sie sich der Dominanz durch eine Leitkonfession nicht allein faktisch entzogen, sondern vielmehr deren für Kleriker reklamiertes sakramentales Handlungsmonopol ebenso wie deren theologische Deutungsmonopol öffentlich bestritten und einen öffentlichen religiösen Raum innerhalb städtischer Herrschaftsausübung für sich beanspruchten. Die öffentliche Religion allein auf die Reformierten der damaligen Zeit und auf ihre Nachkommen zu beziehen, die genau deren Auffassung vertreten („alleen applicábel is op de gereformeerde van dien tyd en háre nákómelingen, die juyst van haar opinie zyn“), mochten die Quäker nicht akzeptieren. Es müsse gelten „generályk voor alle menschen“, die ein gutes Gewissen vor Gott und den Menschen zu bewahren trachteten.42 Michael Driedger, Obedient heretics: Mennonite Identities in Lutheran Hamburg and Altona during the confessional age, Aldershot 2002, 4 f.; siehe auch Hans-Jürgen Goertz, Die Radikalität reformatorischer Bewegungen. Plädoyer für ein kulturgeschichtliches Konzept, in: ders. / James M. Stayer (Hg.), Radikalität und Dissent im 16. Jahrhundert (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 27), Berlin 2002, 29–41, hier 41. 41 Es entsprach auch der Situation der Mennoniten in den Niederlanden, sie waren inzwischen gesellschaftlich arriviert und wirtschaftlich erfolgreich. Zu den Auswirkungen des wirtschaftlichen Aufstiegs siehe auch Piet Visser / Alastair Hamilton et al. (Hg.), From martyr to muppy (mennonite urban professionals). A historical introduction to cultural assimilation of a religious minority in the Netherlands, the Mennonites, Amsterdam 1994. 42 Spiegel (wie Anm. 25), 70. Der Gebrauch des Gewissensbegriffs bei den Quäkern bedürfte näherer Untersuchung. Es ist hier nicht mehr nur das konfessionell determinierte Gewissen, vielmehr das konfessionell bereits entgrenzte Gewissen, dessen Träger der Mensch an sich ist, siehe Heinz D. Kittsteiner, Die Entstehung des modernen Gewissens, Darmstadt 1992, 229–254. Zur gleichen Zeit der 1670er Jahre formieren sich die „Gewissener“ um den Atheisten Matthias Knutzen. Auch dieser Zusammenhang bedarf näherer Einordnung. Nicht zufällig steht auch der Theologiestudent Knutzen in der Tradition täuferischer Strömungen, insbesondere von David Joris, der Bibelkritik und eines Naturalismus. Ob dieser Gewissensbegriff noch religiös gefüllt oder vielmehr entleert wird, ist nicht mehr der entscheidende Punkt. In beiden Fällen ist das Gewissen der Ort und Anker des selbstbestimmten Subjekts, dessen gutes Gewissen vor Gott und den Menschen, wie es im Spiegel heißt, gerade darin besteht, über die Frage nach Gott eben selbst und autonom befinden zu können. Zu Knutzen Kittsteiner, 101–134; Matthias Knutzen, Schriften, Dokumente. Mit einer Einleitung hg. von Winfried Schröder (Philosophische Clandes tina der deutschen Aufklärung Abt. I, Bd. 5), Stuttgart-Bad Cannstatt 2010; jüngst Her40
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IV. Nach den momenthaften Einblicken, die uns Steven Crisp und William Penn aus ihren Reiseberichten für 1670 und 1671 gewähren, und der durch den Brief Penns an Haesbart indizierten Vertiefung quäkerischen Glaubens im November 1672, haben wir als nächsten Zeitzeugen wiederum Steven Crisp. Trotz anfänglicher Erfolge und der mit Dr. Haesbart erreichten Verstärkung wird Emden zu dem Zeitpunkt noch eher als Missionsstandort betrachtet mit zarten und schwachen Pflanzen, „weak and tender plants“. Crisp erwähnt zehn Personen, die sich als Quäker versammelten. Nach Crisp begannen feindselige Aktionen und Übergriffe aus der Bürgerschaft und sofortige Strafaktionen der Obrigkeit mit Gefängnis, Ausweisungen, bei denen man die Quäker nahezu nackt durch die Straßen trieb, bereits im Frühjahr 1673, von Crisp als Reaktion auf die geistlichen Versammlungen beschrieben, als Berichte über diese Versammlungen in der Stadt kursierten, „when this was noised about the city“. Für Crisp, der durch eigene Reisen und Besuche mit den Verhältnissen der niederländischen und deutschen Gemeinschaften und Orte vertraut war, fielen bereits diese ersten Reaktionen und Maßnahmen völlig aus dem Rahmen des anderweitig Bekannten, die Emder Vorgänge waren ihm „in almost an unheard of manner“. Eine derartige, geradezu pogromhafte Stimmung entsteht nicht spontan, sie braucht einen Vorlauf, wird zuvor aufgebaut. Auch der reformierte Kirchenhistoriker Kochs hatte den Akten entnommen und konzediert, dass die Einstellung der Bevölkerung „zweifellos durch das Mißtrauen der reformierten Prediger geschürt“ war, wie auch der Spiegel wiederholt festgestellt hatte, dass sie „door háre Praedicanten zijn, en worden gestift en aangedréven“.43 Es heben sich hier zwei unterschiedliche Veranstaltungsformen und damit Versammlungen voneinander ab, wie sie auch aus anderen Orten berichtet werden. Es gibt offene Versammlungen („public meetings“) mit „many people of divers persuasions“, aus der sich dann einzelne überzeugen und gewinnen lassen, die sich zu einer weiteren, dann sehr geistlich ausgerichteten Versammlung zusammenfinden, „ten persons, in Haesbert’s house, to wait upon the Lord“, was die Bereitschaft meint, offen für Gottes Offenbarung zu sein. „I found it upon me from the Lord, again, to pass over the sea, and to visit divers places, where truth had been little or not at all sounded, and in particular, that hardhearted city of Embden, in East Friesland, where one John William Hasbert, a Doctor of Physick, received me with great cheerfulness, and I had a meeting in his house upon the 1st day of the week, in the 1st month, 1673; where many people of divers persuasions heard the Truth declared, in great plainness and simplicity; and after some time, those that were convinced were drawn in love to God to assemble together, to worship God in spirit and in truth, and in the silence bert Jaumann, „Wilder Libertinismus?“ Der Fall Matthias Knutzen, in: Martin Mulsow (Hg.), Kriminelle – Freidenker – Alchimisten. Räume des Untergrunds in der Frühen Neuzeit, Köln 2014, 457–478. 43 Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 61; Spiegel (wie Anm. 25), Vorwort A2.
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of that fleshly wisdom that can speak when it listeth, and say what it listeth. At the first, they sat down, about ten persons, in Haesbert’s house, to wait upon the Lord, and when this was noised about the city, the wicked one stirred up the priests and rulers against them; and they stirred up the rude and ignorant people to assault them, mock, reproach, and revile them; and the rulers fell quickly to fining, imprisoning, threatening, and banishing those weak and tender plants, in almost an unheard of manner. They banished some sixteen or twenty times, spoiling all they had, save their clothes, and at last fell upon them also, taking away their coats, boots, gloves, aprons, &c.&c.; and driving them through the streets almost naked, aboard the ships that were to carry them away; all which and much more, by the mighty power of the Lord, did these innocent, harmless lambs bear with great patience and quietness, and were not dismayed at all at these cruelties; for the Lord had regard to his name, and to their innocent cry, and supported them, and doth support them; and they have found it true, and those who wait upon the Lord renew their strength. Blessed by the Lord for ever.“44
Diese Verhältnisse müssen das Jahr 1673 über angedauert und im Frühjahr 1674 eine Zuspitzung erfahren haben. Am 5. Juli 1674 erfolgt durch die Engländerin Elisabeth Scullon, inzwischen in Emden ansässig und dort verheiratet mit dem Emder Mennoniten Cornelis van Ravenstein, der sich später mit seiner Frau auch den Quäkern anschloss, eine schriftliche Eingabe an den Emder Rat.45 Ihre Aussage, dass sie als Quäker in Emden lebten wie Schafe unter den Wölfen und dass die einfachen Leute sich ihnen gegenüber verhielten wie Löwen und Bären, kann schlechterdings nicht zur Kennzeichnung eines einmaligen Vorganges dienen. Er skizziert eine sich über einen längeren Zeitraum auf bauende Feindseligkeit, die seitens eines Teils der Bevölkerung auch ausgelebt wurde. Scullon bestätigt mit ihrer Anmerkung, was Crisp bereits für das Frühjahr 1673 berichtet hatte. Die Schritte auf dem Weg zur generellen Ausweisung der Quäker sind kurz und präzise und lassen bereits die Entschlossenheit zum Durchgreifen auf Seiten des Magistrats erahnen. Private, der geistlichen Ausrichtung dienende Versammlungen im Hause jenes Dr. Haesbart geben den Anlass zur Vorladung vor den Magistrat. Aus den noch vorhandenen Unterlagen und Streitschriften ist nicht wirklich ersichtlich, was genau den unvermittelten Wechsel von einer zwar disziplinierenden aber insgesamt noch moderaten Vorgehensweise des Magistrats zu drakonischen Strafmaßnahmen ausmachte. Unversehens bildeten Magistrat und Kirchenrat für die Jahre der Verfolgung eine in dieser Übereinstimmung jahrzehntelang nicht mehr gekannte Allianz. Danach kehrte der Magistrat wieder zu seiner zuvor geübten moderaten Linie zurück und ging auch zum Kirchenrat wieder auf Distanz. Es ist keine einzelne Aktion der Quäker überliefert, die jenen Einstieg in eine konsequente Vertreibung aus Emden plausibel machen könnte. Dass die politische Linie des Magistrats nicht unabhängig von anderen aktuellen politischen Koordinaten war, zeigen die Jahre 1677/78, als es zu einer deutlichen Entspannung kam und Crisp, A Memorable Account (wie Anm. 34), 40 f. Stadtarchiv Emden, I. Reg. 416; Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 61.
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selbst quäkerische Versammlungen auf einmal ungeahndet blieben. William Penn hielt sich 1677 wieder in Emden auf und nutzte die Gelegenheit, nach Haesberts Mutter und Familie auch den präsidierenden Bürgermeister André zu besuchen, der ihm als treibende Kraft („Author“) für die harten Verfolgungen benannt worden war. Aber Penn erreichte mit seinen grundsätzlichen Anmerkungen, dass er, der Bürgermeister „being a Common-wealth’s-man & a Protestant“ doch nicht für Verfolgungen stehen könne, dass solches Vorgehen doch nur unnatürlich, unchristlich und letztlich auch unklug sei, allein eine gesprächst aktische Konzilianz. Penn blieb von der Gewandtheit des Bürgermeisters nicht unbeeindruckt und meinte bereits zu dieser Zeit auf einen Stimmungswandel im Emder Magistrat hoffen zu können.46 Die Amsterdamer und Rotterdamer Quäker urteilten im Rückblick von 1679 in ihrem Spiegel klarer, diese Erleichterung sei allein der Präsenz münsterscher Truppen im Land geschuldet gewesen. Jedenfalls kehrte nach deren Abzug der Magistrat unter André zur kompromisslosen Linie gegen die Quäker zurück. Kurz zuvor, nämlich 1676, war die englische Missionarin Elisabeth Cox von Amsterdam nach Emden gereist, um sich über das harte Vorgehen gegen die Quäker zu beschweren, ergebnislos. Und unmittelbar vor Antritt seiner zweiten großen Reise am 1. Juni 1677 traf William Penn in Amsterdam zunächst auch Freunde aus Emden, sodass er aktuell informiert war.47 Eine genauere Kenntnis der innerstädtischen politischen Verhältnisse resultierte daraus offenkundig nicht. Ein anderer Faktor scheint die Politik des Magistrats mit bestimmt zu haben, den man – gemessen am wirtschaftlichen Aufschwung der vorausgegangenen 46 „We visited his mother’s family, where we found three of his sisters in the love of truth, his fourth sister being also a friend, and is the Wife of John Claus living at Amsterdam. We had a little sweet comfortable meeting with them. After it, returning to my lodging, as I was writing to Doctor Andreas, president of the Counsel of State (who is reported to have been the Author of this cruelty to our Friends) a burden came upon me, my writing would not serve turn, but I must go myself, & in the fear & name of the Lord to plead the innocent & suffering cause of our Friends with him: So away we went to his house. He was at first astonished to see what manner of Men we were; but after a little time he comported himself with more kindnes, than we expected at his hand. I askt him if He & the Senate had not received a Letter in Latine from an englishman about two years since concerning their severity towards the People called Quakers? He told me he had: I replyed, I was the Man, & I was constrain’d in conscience to visit him on their behalf. & I could not see how he, being a Common-wealth’s-man & a Protestant could persecute. I pleaded with him the unnaturalness, the Inchristianity and imprudence of such proceedings, & pressed our reasons earnestly, but tenderly upon him. He assaulted us with several objections, but blessed be the Lord, they were mostly fictious, & therefore easily removed & answered. He also promised me, That if I would write to the Senate a remonstrance of the Case of our Friends, & express my request to them, & inclose it to him, he would both present it & get it to be read, & make it appear, that he was not so much our enemy as we lookd upon him to be. I promised to send him some books containing a defence of our principles, which were accordingly put into the hands of Elizab. Haesbert to deliver him in my name“, William Penns Travails (wie Anm. 19), 484. 47 William Penns Travails (wie Anm. 19), 431.
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hundert Jahre – als „kleine fiskalische Eiszeit“ bezeichnen könnte.48 Wie etliche andere Städte war auch Emden nur hoch verschuldet aus dem Krieg herausgekommen. Spätestens zu Beginn des Jahres 1670 war den Verantwortlichen klar, dass der öffentliche Haushalt kaum mehr zu beherrschen war. Die Stadt war „hoffnungslos überschuldet“, wenngleich privates Vermögen in nicht unbeträchtlichem Maße vorhanden war und Teile der politischen Elite durch Zeichnung von Obligationen zugleich Gläubiger ihrer eigenen Stadt waren.49 Die öffentliche Kreditaufnahme war nach dem Krieg kontinuierlich gestiegen und erreichte 1671 den höchsten Stand. Bis dahin blieb der städtische Haushalt einigermaßen konstant, allerdings um den Preis ständig steigender Schulden, da die jeweilige Neuverschuldung die verkraftbare Tilgung deutlich überstieg. In jenem Jahr 1671, also rein zufällig in der Frühphase quäkerischer Aktivitäten, erreichte der Schuldendienst mit Zinslast ebenfalls seinen Höhepunkt, sodass 79,6 % der Einnahmen dafür eingesetzt werden mussten. Die Kreditaufnahme wurde drastisch zurückgefahren und in der zweiten Hälfte der 1670er Jahre eingestellt. 1673, dem Jahr erster Verfolgungen, blieben etliche Zinsverpflichtungen offen und wurden vorübergehend nicht ausgezahlt oder Zinssätze einseitig reduziert, womit auch die von bürgerlichen Eliten bei der Stadt gezeichneten Obligationen keinerlei Rendite mehr abwarfen. Der bereits am 6. Juli 1670 von Magistrat und Vierziger verabschiedete Maßnahmenkatalog war beides zugleich – der beherzte Versuch, mit konkreten und weit reichenden Entscheidungen wirklich gegenzusteuern, und doch auch Reflex einer gewachsenen Ausweglosigkeit, die zunächst noch vornehmlich haushälterisch bestand, aber auch unversehens in eine politische umschlagen konnte. Wegen der Erhöhung der Torfakzise, die vor allem untere soziale Schichten traf, war es bereits im März 1658 zu gewalttätigen sozialen Unruhen gekommen, in deren Verlauf eine Gruppe von deutlich über 100 Personen aus dem verarmten Teil der Bevölkerung das Haus des präsidierenden Bürgermeisters Fewen regelrecht gestürmt und geplündert und möglicherweise gar dessen Ermordung intendiert hatte.50 Es handelte sich dabei um eine planmäßig vorbereitete Aktion, die alle Züge einer politischen Verschwörung mit gegenseitigen Verschwiegenheitsverpflichtungen trug und bei der sich die Handelnden des solidarischen Schweigens weiterer Bevölkerungsteile wenigstens aus Kleinfaldern sicher sein konnten, sodass die folgenden polizeilichen Ermittlungen ins Leere Hartmut Lehmann hat aufgezeigt, in welchem Maße außer-religiöse Faktoren Einstellungen zu religiösen Fragen beeinflussen können. Dazu hat er die Auswirkungen der gravierenden klimatischen Veränderung in den Jahrzehnten nach 1570/80, die sogenannte „Kleine Eiszeit“, auf religiöse Einstellungsprofile untersucht, siehe ders., Frömmigkeitsgeschichtliche Auswirkungen der „Kleinen Eiszeit“, in: Wolfgang Schieder (Hg.), Volksreligiosität in der modernen Sozialgeschichte, Göttingen 1986, 31–50; siehe auch ders., Grenzen der Erklärungskraft der Konfessionalisierungsthese, in: Kaspar von Greyerz / Manfred Jakubowski-Tiessen et al. (Hg.), Interkonfessionalität (wie Anm. 7), 242–249. 49 Schulz, Mythos (wie Anm. 20), 190–195. 50 Wiarda (wie Anm. 7), hier Bd. V, Aurich 1795, 134 f.; Kappelhoff, Emden (wie Anm. 39), 99 f., für die wirtschaftlichen Daten vornehmlich 318–348. 48
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liefen. Dass eine größere, unbestimmt bleibende prekäre Bevölkerungsgruppe eines ganzen Stadtteils diese Aktion faktisch deckte, musste der politischen Elite ein Indikator für erhebliche schwelende soziale Unruhepotenziale sein, die man nicht ignorieren konnte. Oppositionelle Kräfte, die erneut zur Eskalation bereit waren, meldeten sich auch zur Zeit der Quäker wieder unmissverständlich zu Wort, dass man sich nicht beugen werde, wie es die Quäker tun, „wy willen uns vor u luden so niet bugen als de quakers doen.“51 Nun war der städtische Haushalt dergestalt blockiert, dass 1673 nicht einmal mehr die Zinsen auf die früher ausgegebenen städtischen Obligationen ausgekehrt werden konnten, die vornehmlich in den Händen der politischen Eliten lagen, weshalb die fehlende städtische Solvenz nun sogar sie selber unmittelbar traf. In dieser Situation boten die Bußen, Strafgelder und Vermögensliquidationen gegen die Quäker eine willkommene Gelegenheit, dem städtischen Haushalt neue Einnahmen und Liquidität zuzuführen, sofern es gelang, dadurch nicht selber ungewollt ein Signal für erneute unkontrollierte soziale Unruhen zu setzen. Dazu war es ratsam, den Kirchenrat einzubinden, um diesen für allgemeine Akzeptanz und Legitimation eintreten zu lassen. Dem Kirchenrat gegenüber konnte sich der Magistrat damit endlich wieder einmal als christliche Obrigkeit präsentieren, die sich schützend und bewahrend vor die „Lehre der reinen und wahren Religion“ (Mandat vom 15. Mai 1675) stellte, worauf der Kirchenrat solange und in vielen Fällen vergeblich hatte warten müssen. Offenbar war es gelungen, die Quäker als Urheber mancher Unruhe hinzustellen, sodass Steven Crisp dieses zum Thema machte, ob man das den Quäker vorhalten könne: „Hebben syl. yemandt bedrogen? Hebbense eenige muyteryen of tumulten aengerecht in uwe stadt, dat ghy dus furieuslijck op haer aenvalt, haer goederen opschrijvende om te verkopen […]?“52 Die Not der öffentlichen Hand nutzten die Eliten zugleich, um durch erhöhte Einstiegszahlungen an die Stadtkasse den Zugang zu politischen Ämtern zu begrenzen und deren Oligarchisierung zu betreiben. Nachdem die ersten Ausweisungserlasse nicht allein den gewünschten Erfolg zeigten, wurde vom Magistrat per 15. Mai 1675 das bereits bestehende Beherbergungsverbot für einen Quäker noch einmal verschärft, die jeden Bürger mit 50 Goldgulden Strafe belegte, der einen Quäker bei sich aufnehmen würde.53 51 Kappelhoff hat aus diversen Klageschriften und Prozessakten den wahrscheinlich spektakulärsten Fall rekonstruiert, er geht aber davon aus, dass es in Emden eine „sicher längere Reihe von derartigen Protesten“ gegeben hat; ders., Emden (wie Anm. 39), 99. Dass dieses Unruhepotenzial auch zur Zeit der Quäker noch oder wieder bestand, geht aus einer schriftlichen Eingabe einiger Bürger an den Rat mit unverhohlener Drohgebärde hervor: „Wy warschuwen u, seet wel toe, what ghy doet; wy willen uns vor u luden so niet bugen als de quakers doen“, Stadtarchiv Emden I. Reg. Nr. 416; siehe dazu im einzelnen Schulz, Mythos (wie Anm. 20), 195–199. 52 Steven Crisp, Noch een Ernstige Vermaeninge Aen de Burgermeesteren en Raedt der Stadt Embden, Amsterdam 1678, 6. 53 Steven Crisp hatte schon die erste Strafverhängung von nur 25 Gulden zum Anlass genommen, beim Magistrat mit einer Schrift zu intervenieren, angesichts dieser Strafver-
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Der Spiegel intoniert die Gesamtlage zutreffend, wenn er von den Bürgermeistern André und Salé anmerkt, dass ihnen an der Person des Dr. Haesbart und seiner Religion eigentlich gar nicht gelegen sei, sie es vielmehr auf dessen Vermögen abgesehen hätten. Allein über Haesbart wurden Bußen von insgesamt 2200 Reichstalern verhängt.54 Um ein Bußgeld von nur 25 Reichstalern einzutreiben, wurde ein Schmied beauftragt, die Kasse von Haesbart aufzubrechen, woraufhin man eine „spaardoos“ mit 40 Reichstalern entnahm; sein Hausrat wurde inventarisiert, das Haus bald darauf vernagelt.55 Auch Haesbarts Mutter und seine Schwestern wurden wiederholt zu Zahlungen herangezogen. Überhaupt wurde die Verhängung von Bußgeldern exzessiv betrieben. Die reformierte Ehefrau des Quäkers und Goldschmieds Marten Wilhelm Oldemans, der ausweislich der Zahl seiner Gesellen eine ansehnliche Werkstatt betrieben haben muss, hatte jene 50 Goldgulden zu zahlen, da sie ihren eigenen quäkerischen Mann trotz des Verbots bei sich, also in seinem eigenen Haus beherbergt hatte. Der magistralen Empfehlung, sich „niet wederom te vergrypen“ wurde mit der sogleich verdoppelten Strafandrohung von 100 Goldgulden Nachdruck verliehen.56 Auch Oldemans Hausrat wurde inventarisiert. Silbersachen und Uhren wurden diversen Quäkern abgenommen, selbst den auswärtigen Freunden aus Amsterdam. Bei allem Ringen um die Frage einer obrigkeitlichen Normierung der Religion oder deren im individuellen Gewissen verankerten Freiheit, wie es die Quäker einforderten, schienen die magistralen Maßnahmen gegen die Quäker mehr noch die fiskalischen Möglichkeiten der Einnahmengenerierung im Blick zu haben als die Wiederherstellung des religiösen Friedens. In der fiskalischen Notlage der Stadt und seiner durch getätigte Anleihen auch persönlich betroffenen Eliten war die Gunst der Stunde monetär und nicht primär religiös unterlegt. Der mennonitische Vater des Arztes Dr. Haesbart hatte sich selber aus Amsterdam kommend, erst 1640 in Emden als Kaufmann niedergelassen und bereits 1642 eines der repräsentativsten Bürgerhäuser der Stadt erworben. Es mutet an wie die Erfüllung und Dokumentation jener Vorgänge, dass nach den Vermögensliquidationen schärfung offenbar vergebens: „And hearing of a Law they had published of Twenty Five Pound Fine for every one that should harbour a Friend in his or their house; I desired to see it, and took it and wrote a Book to the hard-hearted Rulers and Priests and answered their wicked Mandate with sharp and sound Judgment and caused it to be delivered among them“, Crisp, A Memorable Account (wie Anm. 34), 43. Das Mandat von 1675 abgedruckt bei Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 78. 54 „… en aan hem schenen zy haar niet gelegen te laten wesen, maar wel aan zijne goederen: nademaal zy zoo veel moety hebben gedaen om twee-en-twintig-hondert Rijksdaler als boete van hem te krijgen …“, Spiegel (wie Anm. 15), 6. Selbst von den Nachlassverwaltern seines verstorbenen Vaters erzwangen sie die Herausgabe der an Haesbart gefallenen Erbteile, um gegebenenfalls auch darauf zugreifen zu können. 55 Spiegel (wie Anm. 25), 13, 14, 30. 56 A. a. O., 34. Johannes Stracke, Goldschmiede in Emden von 1440 bis 1860, in: Jahrbuch der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zu Emden 61 (1981), 9–90, hier 40 f.
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bei den Haesbarts und den Quäkern dieser „witte Olifant“ (weiße Elefant), wie das Haus hieß, sich im Besitz des wohlhabenden Tabakfabrikanten Payne befand, dessen Familie zu den prominenteren der Stadt zählte und in den Gremien und Organen der Stadt mehrfach vertreten und vernetzt war.57 Auf die Befindlichkeiten im Kirchenrat hatte man seit Jahrzehnten kaum Rücksicht genommen, wie man es auch schon ein Jahrzehnt später nicht mehr tat, als man 1686 ein Duldungspatent für die Quäker erließ und ab 1689 auch gegen den Einspruch der Reformierten den Lutheranern Gottesdienste zugestand. Neben der Liquiditätsbeschaffung als vorherrschendes Motiv stand die Aussicht, durch geschicktes Agieren und Lancieren die schwelenden sozialen Unruhepotenziale kanalisiert und fakultativ zu bedienen und insgesamt kontrolliert zu halten. Beides ließ sich leicht in die bestehenden apokalyptisch aufgeladenen religiösen Kategorien einflechten, zu deren Aktivierung der Kirchenrat ebenso leicht zu stimulieren war. Denn der unverhofft erneuerte Schulterschluss mit dem Magistrat schien dem Kirchenrat eine neue politische Bedeutsamkeit innerhalb der Stadt zu verheißen, wie sie vor längerer Zeit unter Menso Alting um 1600 bestanden hatte.58 Die unteren Schichten waren von den haushalterischen Sparmaßnahmen des Magistrats noch direkter betroffen als die Eliten, die nur ihren ausbleibenden Obligationsrenditen nachsahen. Die Zinsaussetzung bei städtischen Obligationen hatte für die Ärmeren keinerlei Relevanz, aber die neuerliche Anhebung der Akzisen brachte gerade für sie besondere Härten. 1658 lag nicht weit zurück und war nicht vergessen. Angesichts der neuerlichen unverhohlenen Drohgebärde anonymer oppositioneller Kreise mussten Rat und Bürgermeister durchaus befürchten, dass sich eine gewaltsame Aktion wie die von 1658 gegen Bürgermeister Fewen nun gegen sie wiederholen konnte. In dieser politisch höchst angespannten Gesamtlage konnten die Quäker dazu dienen, die politische Handlungsfähigkeit in der Wahrnehmung der Bevölkerung wieder straffer zu bündeln, wobei die drakonischen Strafen gegen die Quäker diese Handlungswilligkeit auf nachdrückliche Weise demonstrierten und jedermann vor Augen stellten, was geschehen würde, wenn sich der Un Kappelhoff, Emden (wie Anm. 39), 23. Aber diese Hoffnung trog. Bereits ab Mitte der 1680er Jahre musste der Kirchenrat widerstrebend akzeptieren, dass der Magistrat hinsichtlich der Quäker und selbst den mit Eintritt der Brandenburger in die Emder Welt zahlreicher gewordenen Lutheranern gegenüber eine offenere Linie favorisierte als der Kirchenrat. Die religionspolitischen Verweise und Begründungen des Magistrats scheinen daher auch eher vordergründiger Natur zu sein und aus seiner Sicht nicht dessen Kern und Seele. Schon bei der sogenannten Emder Revolution von 1595 und der politischen Emanzipierung der Stadt von der Landesherrschaft stellt sich die Frage nach Funktion und Stellenwert religiös-konfessioneller Kategorien; siehe dazu den Beitrag von Matthias Pohlig, „Weder calvinisch noch christlich“? Repräsentationen von Religion in Ubbo Emmius’ Darstellungen der ‚Emder Revolution‘, in: Vera Isaiasz / Ute Lotz-Heumann et al. (Hg.), Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnungen und ihre Repräsentationen, Frankfurt (Main) 2007, 217–244. 57
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mut verarmter Schichten gegen die städtische Elite richtete. Zu den unteren sozialen Schichten gehörten gerade auch jene einfachen Schiffer, die bei jener Aktion von 1658 den Kern der Akteure stellten. Auch sie wurden nun bedient und konnten bei den Quäkern auf ihre Kosten kommen. Das jeweilige Fährgeld für die zahllosen Überfahrten über den Dollart beschafften sie sich, indem sie den Quäkern immer wieder ihre Kleidung oder sonstiges Reisegepäck abnahmen, und sei es nur ein zinnernes Butterfass. Und wo im Einzelfall allein ein Fährgeld von einem Reichstaler angestanden hätte, wie der Spiegel berichtet, verlangt der Schiffer nun 10 Reichstaler.59 Auch Kapteyn Scholte als Vertreter der städtischen Polizeigewalt durfte sich bedienen. Ihm stand ein „Sluyt-geld“ von vier Gulden zu, das ihm der Magistrat zugebilligt hatte. Zwei Quäkerinnen aus Amsterdam nahm er dafür Kleidung ab, deren Wert der Spiegel selber mit 16 und 8 Gulden beziffert.60 Aber wo kein Kläger, da kein Richter. Der größere Ertrag durch Strafen und Beschlagnahmungen wird eher bei der Stadt und der Stadtkasse verblieben sein. Mal wurde der „huysrat“ eines der verbannten Freunde öffentlich vor dem Rathaus verkauft, mal wurden einzelne Personen, wie die alte Mutter von Haesbart und seine Schwestern, von städtischen Bediensteten geradezu „geplundert“, die Kleidung nutzten sie, indem sie „gingen zitten verdrinken“. Diverses Silberzeug, eine Uhr des Schwagers Jan Claus, Geldbörsen etc. wurden abgenommen. Furcht vor dem Magistrat ließ sie am nächsten Tag das, was „zy geplundert hadden“, dem Kapteyn Scholte übergeben, der es dem Rat übergab, sicherlich nicht, damit es wieder den rechtmäßigen Eigentümern zugeführt würde. Nur die Mutter von Haesbart hatte zunächst ihr Silber zurückerhalten, alles übrige behielt der Rat.61 Mit dem Arzt Dr. Haesbart und dem Goldschmied Marten Willem Oldemans waren zudem Repräsentanten der sozialen Oberschicht betroffen, aber nicht der politischen Elite selber. Der schon bei der Plünderung des Bürgermeisterhauses Fewen in 1658 sich entladende Sozialneid, verbunden mit konkreter Not, konnte bei wohlhabenden Quäkern wieder sein Ziel finden. Der Mob wurde bedient und bekam seine Beute vor die Füße gelegt, was für die Eliten die Wahrscheinlichkeit erhöhte, selber verschont zu werden. Dazu hatte das scharfe Einschreiten gegen die Quäker für jene zur Gewalt bereiten Kreise einen warnend-prohibitiven Charakter, die aus der Not erwachsene Aggression nicht gegen die politischen Eliten selber zu kehren, während sie sich mit gelegentlichen eigenmächtigen Übergriffen bei den Quäkern in Übereinstimmung mit der Politik des Magistrats sehen konnten. Die willkommene theologische Legitimierung für das alles lieferten die reformierten Prediger. Das Selbstverständnis Emdens als Herberge für Glaubensflüchtlinge hatten die Reformierten in ihrer Verarbeitung der Reformations geschichte auf die Reformierten Glaubensbrüder reduziert, während zugleich Spiegel (wie Anm. 25), 34. A. a. O., 27. 61 A. a. O., 18, 41. 59
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die zahlreichen Nonkonformisten und religiös devianten oder indifferenten Strömungen im Sinne der Komplexitätsreduzierung durch den Mythos des „Schepken Christi“ ausgeschieden wurden; allein die Reformierten hatten als „Gods kerck“ in Emden „Trost“ gefunden, wie das „Schepken Christi“ anschaulich darstellt, und für sie wurde Emdens Kirche zur „Moederkerk“, zur Mutterkirche. Dieser in den politischen Emanzipierungsprozess Emdens hinein verwobene Vorgang war Anfang des 17. Jahrhunderts in ein apokalyptisches Szenario gestellt, fand auf einem Höhepunkt sozialer Unruhen 1658/60 eine mythische Verdichtung und Darstellung im „Schepken Christi“ und wurde später durch den reformierten Prediger Alberthoma anlässlich des Jubiläums der Vierziger 1689 allein medial variierend verpackt und neu beseelt; ein Beispiel für die über Jahrzehnte sich aufbauende und durchgehaltene Permanenzaktualisierung des Mythos: In Emden scheitern alle widergöttlichen Mächte und dort wird der „Afgodt“ in den Abgrund gestürzt.62 In der großen Politik waren die widergöttlichen Mächte die katholischen, aber in der theologisch-kirchlichen Auseinandersetzung waren es darüber hinaus alle Schwärmer, die „dwaalgeesten“, Irrgeister, wie sie genannt wurden und neben etlichen individuellen Freigeistern vornehmlich in Mennoniten und Quäkern präsent waren, also der später sogenannte linke Flügel der Reformation. Mochten sich auch die Mennoniten mit ihrer ökonomischen Potenz geschickter verhalten und vom Magistrat auf der Grundlage von Schutzgeldzahlungen geduldet werden, so war im reformierten Kirchenrat die theologische Ablehnung auch der Mennoniten permanent präsent, „weiln unter dem nahmen der Mennoniten offt socinianische und andere abscheuliche lehrstücken getrieben und gestreuet werden“, was im Kirchenrat die Erinnerung einschloss, dass nicht zuletzt aus dem Kreis der Mennoniten die quäkerische Gemeinschaft ihre Anhänger rekrutierte.63 So kommen die Emder Reformierten auch nicht aus ihrer bereits angeführten theologisch-apokalyptischen Welterklärungsfigur heraus, dass alle Kriege und sonstige Menschheitsplagen in der Duldung religiöser Sekten ihren eigentlichen Grund fänden. Für die reformierte Kirche war es ein apokalyptischer Kampf gegen widergöttliche Mächte und für ihre Alleinstellung als allein wahre Religion. Für den Magistrat waren es letztlich nicht-religiöse Faktoren, nämlich die aus einer „kleinen fiskalischen Eiszeit“ resultierenden politischen und sozialen Verwerfungen, die sich auf die religiösen Einstellungen der städtischen Eliten wie der einfachen Bevölkerung auswirkten und die ohnehin schon vorhandene theologische Ausrichtung der kirchlichen Eliten noch verstärkten. Schon der erste Ausweisungserlass gegen die Quäker vom 21. Juli 1674 enthielt alle klassischen Vorhaltungen: Sie wollten eine „nieuwe Secte“ in die Stadt einführen, würden zu diesem Zweck Bücher unter die Leute bringen und hielten trotz des Verbotes ihre „Conventiculen“ (Zusammenkünfte), womit sie Die Verarbeitung der Emder Reformationsgeschichte zum Mythos des „Schepken Christi“ habe ich ausführlicher analysiert in Schulz, Mythos (wie Anm. 20). 63 JALB Emden, KPR (wie Anm. 31) 5. Dez. 1692; 1. März 1697 62
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bereits „eenen gevaarlijken Aanhang gemaakt“ (einen gefährlichen Zulauf gefunden) hätten. Mit ihrer „gevaarlijke meeningen“ würden sie alle Ordnung zwischen „Magistraat en Onderdanen“ aufheben, alle öffentliche Polizei, aber auch das „Ministerium Ecclesiasticum“, also der Dienst der Kirche insgesamt, würden völlig zerstört. Dazu die vom Herrn Christus selbst eingesetzten Sakramente und alle Kirchenordnung, alle Kirchenzucht würden verachtet, wodurch allein Unordnung und alle halsstarrigen verdammten Ketzereien gegen Gottes Wort eingeführt würden. Aber bereits nach einigen Tagen kehren die verbannten Quäker zurück „gantz frevelmutiger weise und zu Veracht der obrigkeit am hellen Tage mit wagen und pferden“.64 Das war nicht allein eine Rückkehr, das war ein sichtbarer Einzug. Das war ein demonstrativer Akt und roch nach subversiver Missachtung der magistralen Autorität. Hatten sie doch Sympathisanten, die sich noch nicht als solche gezeigt hatten und sie damit zu mobilisieren trachteten? Sollte hier gar die Machtfrage vorbereitet werden? Alle Quäker wurden verhaftet und in Zellen im Rathaus bei Wasser und Brot unter Bedingungen von Isolations- und Dunkelhaft eingekerkert. Das schloss das Verbot ein, Freunde zu empfangen oder auch nur von anderen mit Lebensmitteln versorgt zu werden. Die Verhafteten blieben standhaft. Insbesondere die Prediger würden von den Kanzeln unverhohlen gegen sie hetzen, machten die Quäker geltend. Die Saat der Prediger ging nicht bei allen auf. Es gab eine anonyme Eingabe aus der Bürgerschaft und auch einer der Prediger stellte sich gegen die Linie seiner Amtsbrüder. Der Spiegel berichtet durchgängig von einer rüden Vorgehensweise, von Schlägen und bewusst verursachten derben Stürzen.65 Selbst der Tod eines dreijährigen Kindes wurde in Kauf genommen. Für die Obrigkeiten gab es kein Zurück mehr. Am 31. April 1675 wandte sich der inzwischen verwitwete Dr. Haesbart von Delfzijl aus noch einmal schriftlich an den Emder Magistrat. Seine Vorhaltungen waren unmissverständlich und klar begründet, und er reichte dennoch die Hand: „Aber was würde für ein Friede über Euch kommen, wenn Ihr Euch entschlösset, ein wenig Nachsicht zu haben und uns in dieser Stadt die Wohnung zu gönnen. Dann würde schnell Friede werden und das Vergangene vergessen sein.“66 Aber dieser Appell lief wie jedes andere theologische und religionspolitische Argument von Haesbart und den Emder Quäkern ins Leere. Denn Haesbart und die Seinen waren nur das zufällig sich anbietende Mittel, die eigentlichen politischen Adressaten waren jene zur Aktion bereiten prekären sozialen Schichten, und der Zweck bestand in der Schaffung neuer städtischer Liquidität und der kontrollierten Steuerung sozialen Konfliktpotenzials. Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 63. Spiegel (wie Anm. 25), 21 f., 26: Cornelis Andriesz wurde „… door den Scholt zeer geweldig met de vuyst in’t aangesicht geslagen“ und „over hals en hooft in’ schip gewurpen, zulks dat hy op sijn hooft in’t schip quam te staan“ oder auch „met zijn stok wreedelijk geslagen en zoo qualijk getracteert“. 66 Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 67. 64 65
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Fast schon reflexhaft antwortete der Magistrat mit jenem bereits genannten Edikt vom 15. Mai 1675, das die verhängten Strafzahlungen noch einmal verdoppelte und um die Androhung „anderer arbitralen auch LeibesStraffe“ deutlich verschärfte. Am 4. September 1675 erfolgte das Verbot des Barclay’schen Katechismus der Quäker. Alle Spuren sollten getilgt, alle Nahrungswege, auch die geistigen, abgeschnitten werden, alle erfolgten fiskalischen Maßnahmen und Vermögensliquidationen sollten abgesichert werden. Dr. Haesbart starb ein Jahr später in Amsterdam, seine drei Schwestern wurden in Emden verhaftet und nur gegen Ablieferung des Bargelds, ihrer Silbersachen und einer wertvollen Uhr wieder freigelassen. Magistrat und Kirchenrat hatten sich gemeinsam durchgesetzt, wenn auch aus unterschiedlichen Beweggründen.
V. Was sich ab Sommer 1674 bis 1679 hinsichtlich der Quäker in Emden ereignete, fand seinen Niederschlag in Streitschriften der Amsterdamer und Rotterdamer Quäker, mit denen sie die Emder Vorgänge öffentlich machten. Emden war als „hartherzige“, „harthearted“ Stadt längst im Fokus der Amsterdamer Gruppe, zu der es zudem familiäre Verbindungen gab. Die Distribution über Amsterdam sicherte beste Verbreitung und allgemeine Kenntnisnahme. Das allein war für die Quäker nicht neu. Auch über andere Städte und ihren Umgang mit den Quäkern wurde mit Publikationen öffentlich berichtet, und öffentliche Briefe wurden an dortige Magistrate verschickt. Aber in Emden ist es die durchgängige Härte in der Vorgehensweise, die in den Folgejahren bis 1678 zu sieben scharfen Streitschriften aus Amsterdam und Rotterdam führte, in denen die Emder Verhältnisse angeprangert werden. 1679 erschien eine weitere, nunmehr 82 Seiten zählende Schrift, in der die Vorgänge der letzten fünf Jahre detailliert aufgezeichnet und diverse Eingaben und Briefe aus den Vorjahren nochmals abgedruckt wurden. Die Autoren wollten der Stadt Emden einen Spiegel vorhalten und dieses Spiegelbild den Emdern und zugleich einer breiten Öffentlichkeit auch außerhalb Ostfrieslands und vor allem in den Niederlanden, vor Augen stellen. Deshalb nennen sie ihre Schrift auch so: Spiegel Voor de Stad van Embden. Auf der Grundlage der bereits zuvor ergangenen Schriften ist es eine fundamentale Abrechnung mit Stadt und Kirche in Emden. Weder von den anderen sieben Drucken noch von diesem Spiegel hat sich überhaupt ein Exemplar in ostfriesischen Bibliotheken erhalten, auch nicht in der damals längst bestehenden öffentlichen Emder Stadt- und Kirchenbibliothek in der Großen Kirche. Allein Penns eher allgemein gehaltener Essay von 1674 ist mit seiner handschriftlichen Fassung und einigen anderen Briefen in das städtische Archiv gelangt und war damit erst einmal unerbetener Kenntnisnahme entzogen. Aber auch jene anderen Schriften, die Quäker nach den Berichten über sie informationshalber an den Magistrat gesandt hatten, haben sich nicht erhalten. Andererseits sind auch keine Gegendarstellungen von Stadt oder Kirche aus Emden
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bekannt, mit denen man den sachlichen und argumentativen Darlegungen der Quäker hätte entgegentreten oder sie auch nur hätte abschwächen wollen. Dieser heute negative Bestandsbefund der Überlieferung mag signalisieren, dass die Streitschriften zusammen mit dem Spiegel in Emden als das angekommen und verstanden worden sind, als was sie gemeint waren, nämlich als grundsätzliche Abrechnung, die ins Mark des Emder Selbstverständnisses als Stadt der Reformation und Herberge der Flüchtlinge zielte. Bereits William Penn hatte sich dieser Argumentationsfigur bedient, dass die Emder sich mit ihrem Verhalten von grundlegenden Einsichten und Positionen der Reformation und des Protestantismus verabschiedet hätten. Und das würde andernorts sehr wohl mit Erstaunen und Mitleid zur Kenntnis genommen. Sie, die Emder, seien Nachfolger berühmter Vorfahren, die mit Recht und guten Gründen die Gewissensfreiheit gegen Papsttum und Inquisition verteidigt hätten. Schrift und Ton von William Penn waren 1674 noch vergleichsweise moderat und werbend, eher grundsätzlich gehalten, ohne die Vorgänge in Emden im Einzelnen zu konkretisieren, ein politischer Essay eben, der einen Raum öffnete, sich auf diese besseren Traditionen wieder zu besinnen. Der Spiegel von 1679 war ungleich schärfer. Er zog die Summe aus fünf Jahren Verfolgung und Vertreibung in Emden, die er minutiös substanziierte, ja geradezu protokollierte. Mögen im Einzelfall auch gewachsene Stilisierungen der „sufferings“, der Leidenserfahrungen, mit eingeflossen sein, erscheint die Darstellung der Handlungsabläufe glaubhaft und ist von der Gegenseite auch an keiner Stelle und in keiner Hinsicht bestritten oder abgewehrt worden. Bereits in der Titelei bringt er unmissverständlich und provokant auf den Punkt, dass über Emden nunmehr ein Urteil gefällt und öffentlich gemacht werde. Aus der früheren Herberge der Verfolgten sei nun selber eine Verfolgerin geworden. Wie die erste Schrift mit der Autorität eines William Penn daherkam, so schließt dieser Spiegel mit derjenigen des Begründers der Quäkerbewegung, George Fox. Die Titelei insgesamt ist bereits Programm. In seinem Vorwort verweist der Spiegel auf bereits zuvor erschienene Schriften, die allesamt noch erhältlich seien. Der Streit um die Emder Quäker hat in folgenden Drucken seinen Niederschlag gefunden: 1. C opye van Een Missive Uyt London, Geschreven door William Penn. Aen Burgermeesteren en Radt der Stad Embden, Rotterdam o. J. [nach 1674] 1.a Epistola Consulibus nec non Senatui Civitatis Embdensis, a Gulfelmo Penn Londino, nuper conscripta, atque hisce è Regionibus, Latine ac belgice … missa, Rotterodami 1675. 2. K ort antwoordt op het antichristisch mandaat van de regeerders van Embden. Dat van haer lieden tegens het onnosele volck Gods (gemeenlijk Quakers genaemt) is gemaekt en gepubliceert / Geschreven uyt Amsterdam door Thomas Green, en John Crook / ’t Amsterdam: s. n., gedruckt in’t jaer 1675. 3. S teven Crisp, Een Send-brief Aen de Vrienden in Holland, Friesland, Embden, Holsteyn, Hamborg, Dantzick, de Paltz, en elders, [o. O. o. J., nach 1674] 4. S teven Crisp, Een nauwkeurig onderzoek En Ernstige berispinge van de proceduren van de Burgermeesteren en Raad der Stad Embden, 1675.
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5. N och een goede, getrouwe, en ernstige vermaninge … aan burgermeesteren … der stadt Embden / door Pieter Hendricksz. – Amsterdam: Gedrukt voor Jacob Claus, Boek-verkooper in de vergulde Drie-hoek, op de achter Burg-wal, tot Amsterdam, 1676. 6. S teven Crisp, Noch een Ernstige Vermaeninge Aen de burgermeesteren en raedt der Stad Embden, Amsterdam: gedruckt voor Jacob Claus, Boekverkooper, anno 1678. 7. S piegel Voor de Stad van Embden. Die voormals, in den tijd der reformatie, in dése landen vermaart geweest is als een herberge der verdrévene, en der gevluchte om der Consciëntie, Maar Die nun getoont wordt, dat zy, dése háre kroone verlóren hebbende, tégenwoordig geworden is een wreede, en onbarmhertige Vervolgster van d’onschádelijke, en weerloose Christenen, die men gemeenlijk noemt Quakers. Bestaande In een oprecht verhaal hoe de Magistraat van die Stad, ‚tzédent den Járe 1674, tot dees tijd toe, met dat Volk om der Conscientie-wille, gehandelt hebben, en als nog handelen. Uitgegéven door I. R. Vander Werff, I. Arentsz, B. v. Tongeren, en P. Henrixsz. Met Een Antwoort op het Antichristise– Mandaat by die van Embden. Tégens de voorseyde Christenen gepubliceert. Door G. Fox. Het recht is agterwaarts gewéken, en de gerechtigheyt staat van verre: want de struykelt op de stráten, en dat recht is en kander niet ingaan. Ja de waarheyt ontbreckt ‚er, en wie van het booft wijkt, stelt sig tot eenen roof. Jes. 59;14.15. De roof des elendigen is in, um en huysen. Wat is u l., dat ghy mijn volk verbreselt en de aangesigten der elendige vermaalt? Spreckt de Heere Heere der Heyrscháren. Jes. 3;14,15. Gedrukt by Ian Pietersz Groenwout, Boekverkooper: wónende op het Speuy, tot Rotterdam. En zijn méde te bekomen tot Amsterdam, by Jacob Claus, Boekverkooper: woonende in de nieuwe Lely-straat, óver de drie gekroonde Kas-rieten: die ook bevraagt kan worden in de Heere-straat, in de vergulde Vijf-hoek. 1679. 8. Het tweede deel van de spiegel vor de stad Embden: zijnde een aanhang van het verhael van het onschuldige lyden dergene aldaar die men gemeenlijk noemt Quaker: met de copye van een brief, die door S[teven].C[risp]. Op den 16. September 1678 rakende de vervolginge on der conscientie, aan Burgermeester Andrei is gesonden, waar in de onreidelijkheyt van de proceduren van de Embder magistraat tegen de voorsz lieden, krachtelijk wort aangewesen / door J. R. vander Werf, J. Aerentsz, B. van Tongeren, en P. Hendrix, Roelofsz, John, [Rotterdam, s. n., o. J., nach 1678].67 9. Beide Teile des Spiegel wurden 1684 noch einmal gedruckt.
Unter Aspekten der öffentlichen identitätsrelevanten Publizität und Wahrnehmung waren die lokalen Vorgänge um die Quäker in Emden für die Reformierten wie für die Stadt insgesamt ein Desaster, denn der Radius ihrer Publizität blieb nicht auf Emden und die Region beschränkt, sondern fand vielmehr über Amsterdam, Rotterdam und London weiteste Verbreitung. Mit J. R. vander Werff war einer der Herausgeber mit einer Haesbart verheiratet, mit dem Drucker und Verleger Jacob Claus ein weiterer mit einer Schwester des Emder Quäkerführers Dr. Haesbart verschwägert, was deren Entschiedenheit, für die Verbreitung und Kenntnis der Emder Vorgänge Sorge zu tragen, befördert haben mag. Lagerhaltung und Distributionswege ihrer Schriften waren gut 67 Von dieser Schrift gibt es unterschiedliche Ausgaben. Die im Netz verfügbare aus der LoF London ist offenbar ein Nachdruck in einer Sammelausgabe, beginnend mit den Bogensignaturen Bbb2, die Ausgabe aus der Marienbibliothek Jever beginnt mit Bogen A1-4 bis C1-4, auch ist die Titelei im Londoner Ex. leicht verändert.
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organisiert und wiederholt Gegenstand strategischer Überlegungen auf ihren „meetings“. Am Ende stand eine negative Publizität, die nicht mehr einzufangen oder zu kontrollieren war und das Ansehen der Emder Moederkerk in der nordwesteuropäischen Städte- und Handelswelt insgesamt betraf und eben nicht allein in der kirchlichen. Dass gerade dem Emder Kirchenrat seine Reputation nicht gleichgültig war, zeigte er schon 1650, als in einer Sitzung berichtet wurde, „dat binnen Amsterdam opentlick gesongen ein schendelike lögen, so tho Embden sol gescheen syn, met vole lasterworden. Is besloten an h. Burgermeister und rhat darover tho klagen“.68 Dieses inhaltlich nicht weiter überlieferte Spottlied, das man in Amsterdam auf Emden sang, verteilte deutlich auch Seitenhiebe auf die kirchlichen Verhältnisse in Emden. Mit ihrem Spiegel zielten die Amsterdamer und Rotterdamer Quäker auf den Kern Emder Identitätsbildung, die Krone einer Reformationsstadt und Herberge für Glaubensflüchtlinge habe sie verloren und diese Vergangenheit eingetauscht gegen ihre aktuelle Rolle als eine „onbarmhertige Vervolgster“.
VI. Mit dem Arzt Dr. Haesbart starb 1676 die Führungsgestalt der Emder Quäkergruppe in Amsterdam.69 Das macht ihn nicht ungeeignet für den Status des Märtyrers. Im Gegenteil: in der Lesart der Quäker bestätigt Haesbarts Tod fern seiner Heimatstadt geradezu die Umkehrung der Emder Geschichte JALB Emden, KPR (wie Anm. 31) vom 8. April 1650. Zu Haesbart siehe die genealogischen Anmerkungen von Friedrich Ritter, W. Penn’s Emder Freund, Dr. J. W. Haesbaert, in: Kochs, Quäker (wie Anm. 8), 70–72. Menno Smid, Art. Johann Wilhelm Haesbaert, in: BLO III, Aurich 2001, 188–189; Else Kannegieter, Die Emder Bürgerbücher 1512–1919, Bd. I, Aurich 2013, 566; Martin Bauer, Das Geschlecht Haesbaert aus Flandern, Neustadt / Aisch 1957; mit einigen Korrekturen an Bauer zuletzt J. Z. Kannegieter, Geschiedenis van de vroegere Quakergemeenschap te Amsterdam, Amsterdam 1971, 140 f., 147–150 u. ö.; Jürgen Huck, Neuss, der Fernhandel und die Hanse, Bd. II, Neuss 1991, 195. Danach waren die Haesbarts eine flandrische Familie adligen Ursprungs, seit Ende des 16. Jahrhunderts Mennoniten und nach Neuss emigriert, damals Herzogtum Jülich. Dort hinterließ Hans Haesbart einen früh verwaisten Sohn Heinrich, der dann bei einem Vetter seines Vaters, dem Kaufmann Jakob Haesbart (gest. 1653), in Amsterdam aufwuchs und 1640 als Kaufmann nach Emden zog. Heinrich Haesbart erwarb 1642 das bekannte Emder Haus „De witte Olifant“, 1644 das Bürgerrecht und war dreimal verheiratet. Unser Dr. Johann Willem Haesbart (um 1645–1676), Sohn von Heinrich, studierte in Leiden und Franeker Medizin. Er hatte vier Schwestern, von denen drei mit führenden niederländischen Quäkern verheiratet waren, eine mit dem Amsterdamer Quäker Jan Claus, eine andere mit dem erstgenannten Autoren des Spiegel, Jan Roelofs vander Werff, eine dritte mit Benjamin Furly. Das Haus „De witte Olifant“ gehörte im frühen 18. Jahrhundert dem sehr wohlhabenden Tabakfabrikanten Thomas Payne, was als Indikator dafür gewertet werden mag, dass bereits die Haesbarts nicht unvermögend gewesen sein können. Auch J. Z. Kannegieter rechnet „het gezin Haesbaert-Van Laer, daarna Foeldrix-Van Laer“ zu den begüterten, „gegoede burgerij der stad Emden“, ders., Geschiedenis (s. o.), 141. 68 69
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und Rolle, denn der Emder Haesbart hat nun selber in der Verbannung („in ballingschap“) und damit im Angesicht Gottes („in het gezichte Gods“) des Zeugnisses für Jesus und der Reinheit seines Gewissens wegen („voor het getuygenisse Jesu, en om een goede Conscientie te behouden“) sein Leben hingegeben. Es ist nicht mehr nur allein das Sterben unter der Tortur oder im Akt der Hinrichtung als Blutzeuge, vielmehr jegliche durch ihre religiöse Gewissensbindung entstandene Unterdrückung und Leiderfahrung, die auch in der Summe physischer Auszehrung zum Tod und damit ins Martyrium führen kann, und sei es durch Inhaftierung, Hunger, Kälte, Demütigungen, Schläge, Schikanen und fortgesetzte Vertreibungen. Diese weitere Fassung des Märtyrerverständnisses ist nun keineswegs erst neueren Datums oder gar erst durch die Quäker eingeführt. Sie entspricht der altkirchlichen Auffassung, wie sie bereits der Kirchenvater Augustinus formuliert hat, dass nicht erst die Härte oder Grausamkeit der Strafe, sondern vielmehr der Grund den Märtyrer ausmacht, „non poena, sed causa facit martyrem“.70 Auch unter kleinen Kindern der Quäker hatten die fortgesetzten Verfolgungen und Vertreibungen zu Todesfällen geführt und sie aus Sicht der Quäker damit zu Märtyrern gemacht. Der dreijährige Sohn von Hester Jans hatte mitansehen müssen, wie seine Eltern behandelt worden waren, und war selber darüber so verstört, dass er unmittelbar heftigsten Ausschlag bekam und binnen 24 Stunden verstarb, womit er sein Leben als „een Martelaartje“ beschloss.71 Der Spiegel voor de Stad van Embden konnotiert Haesbarts Tod mit der sein Leben krönenden „lijdzaamheyd“, jenem aus den niederländischen Täuferakten so zentralen Prinzip täuferischer Märtyrertheologie.72 Weder ist Haesbart nach dem Tod seiner Frau und nach vielerlei Drangsal nunmehr innerlich zermürbt aus Emden gewichen, noch hat er selber den Märtyrertod gewählt, sondern vielmehr
70 Nach Matthias Pohlig, Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung: Lutherische Kirchen- und Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007, 344, dort weiterer Nachweis. Bereits seit dem zweiten Jahrhundert n. Chr. wurden zunehmend auch Glaubenszeugen in die Martyrologien aufgenommen, die keines gewaltsamen Todes gestorben waren, a. a. O., 345. Insofern ist der „Blutzeuge“ keineswegs die Regel für ein als solches anerkanntes Martyrium. 71 Spiegel (wie Anm. 25), 30. 72 Siehe dazu Ethelbert Stauffer, „Märtyrertheologie und Täuferbewegung“, in: ZKG 52 (1933), 545–598, hier 592 f.; Peter Burschel, „Marterlieder“. Eine erfahrungsgeschichtliche Annäherung an die Martyrienkultur der Täufer im 16. Jahrhundert, in: Mennonitische Geschichtsblätter 58 (2001), 7–36; ders., Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit, München 2004; ders., Leiden und Leidenschaft. Zur Inszenierung christlicher Martyrien in der frühen Neuzeit, in: Friederike Pannewick (Hg.), Martyrdom in Literature. Visions of Death and Meaningful Suffering in Europe and the Middle East from Antiquity to Modernity, 91–104, hier 94; ders., „Schöne Passionen“. Zur Konfessionalisierung des Leidens in der Frühen Neuzeit, in: Kaspar von Greyerz / Kim Siebenhüner (Hg.), Religion und Gewalt. Konflikte, Rituale, Deutungen, Göttingen, 2006, 249–264.
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haben seine „vervolgers“ ihn „gemartiryzeert“.73 Deswegen stirbt Haesbart in Amsterdam auch nicht zufällig auf einer Reise oder während eines Verwandtenbesuchs, sondern im Exil, was noch einmal mehr die bereits angesprochene Umkehrung der Emder Geschichte verstärkt. Emden nimmt jetzt keine Exulierten mehr auf, wie in der Reformationszeit, es treibt jetzt selber Menschen um ihres Glaubens willen in die Verbannung. Die Quäker in Rotterdam und Amsterdam hatten deswegen mit ihrem Spiegel voor de Stad van Embden die Losung ausgegeben, dass Emden die Auszeichnung und „Krone“ einer Herberge für Verfolgte verloren habe und im Gegenteil mit seinem Namen selber zum Inbegriff neuer Verfolgung und Vertreibung geworden sei. Damit sprachen sie den Emdern überhaupt die Berechtigung zum Rekurs auf ihren Mythos Stadt der Reformation und Herberge der Verfolgten ab. Das traf mit dem Mythos die kollektive Identitätsbildung Emdens im Kern, nämlich in der Seele. Die zentralen Leitwörter des „Schepken Christi“, nämlich „vervolgt, verdreven, trost gegeven“ wurden durch die Amsterdamer Quäker vom Emder Mythos gleichsam abgezogen und im Widerspruch zu diesem nunmehr auf Haesbart und seine Frau Imke Dirks übertragen. Dort, bei diesen beiden Märtyrern, erfüllte und vollzog sich aus Sicht der Quäker nunmehr Gottes Tun. Haesbart war „zwarlijk vervolgt, verdrukt en verdréven“, worüber der Allerhöchste seine Frau noch „vertrooste“, bevor sie dann starb.74 Aus Sicht der Quäker pervertierten die Emder nicht allein ihre eigene Reformationsgeschichte, sie ignorierten zudem ihre gemeinsame Märtyrergeschichte, dass ihrer beider gemeinsame Vorfahren für die Emder und die Quäker Gewissensfreiheit und freie Religionsausübung erlangt hätten, „dat uwe en onse voorvaderen door veele swaere oorlogen en disputatien, en boven alles door so veel stromen bloedts der Martelaeren voor u. l. ende voor ons verkreegen hebben vrijheit van conscientie als ook een vrije oeffeninge desselfs“.75 Dass die Religion und das Gewissen eher allein die kommunikative Oberfläche für noch Spiegel (wie Anm. 25), 36. Menno Smid, Art. Haesbaert in Biographisches Lexikon für Ostfriesland III, Aurich 2001, 188–189, lässt ihn Emden verlassen und zu Freunden nach Amsterdam ziehen, „wohl weil er zermürbt war“, a. a. O., 189. Das ist eine durch nichts begründete Annahme, die augenscheinlich nichts weiter leisten soll, als Haesbart den Status oder das Selbstverständnis eines Märtyrers nicht zuerkennen zu müssen, ein Wort, das Smid tunlichst vermeidet. Der Spiegel, auf den auch Smid sich bezieht, beschreibt über viele Seiten gerade die Beharrlichkeit und Standfestigkeit des J. W. Haesbart und gibt zur Annahme einer Zermürbung nicht den geringsten Hinweis. Dass Haesbart nunmehr endgültig Emden Richtung Amsterdam verlassen habe, gibt der Bericht des Spiegel ebenfalls überhaupt nicht her. Sollte mit diesem historiografischen Kunstgriff Emden ein wenig schmeichelhafter Fleck erspart bleiben? Die Quäker selber sehen in ihm und in den anderen verstorbenen Emder Quäkern einschließlich der kleinen Kinder ganz entschieden Märtyrer, bezeichnen sie als solche und nehmen in ihren Schriften auf die Märtyrertradition vielfach Bezug. 74 Spiegel (wie Anm. 25), 12. 75 Steven Crisp, Noch een Ernstige Vermaeninge Aen de Burgermeesteren en Raedt der Stadt Embden, Amsterdam 1678, 7. 73
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andere, aber nicht offengelegte politische und monetäre Interessen abgaben, realisierte Crisp hier noch nicht. Erst im Spiegel von 1679 klingt an, wenn auch nicht als klare Erkenntnis, so doch als böse Ahnung, dass es dem Magistrat eigentlich um anderes und dabei vornehmlich auch um das Vermögen der Haesbarts gegangen sei.
VII. Die Quäker in Emden wurden mitsamt ihren Leiden zunächst einmal dem Vergessen anheim gegeben. Aus Sicht der damaligen reformierten Kirche waren sie nicht Teil der Emder Kirchengeschichte. Es brauchte fast 250 Jahre, bevor der Emder reformierte Pastor und Kirchenhistoriker Ernst Kochs eine erste kleine Miniatur zeichnete. Andernorts hat man umfangreiche Materialsammlungen, und sei es aus der Perspektive der Feindbeobachtung angelegt, wie der Pietisten-Gegner Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) in Gotha oder die Jesuiten in ihren Bibliotheken, in denen umfänglich reformatorisches Schrifttum gesammelt, dokumentiert und ausgewertet wurde. In Emden hingegen hat man gänzlich darauf verzichtet, selbst die gegen Emden gerichteten Streitschriften und überhaupt quäkerisches Schrifttum in den Repositorien der Kirche oder der Stadt, bis auf jene erste, eher allgemein als Essay gehaltene Schrift Penns, abzulegen und zu dokumentieren. Nicht einmal diejenigen, die William Penn anlässlich seines Besuches beim Bürgermeister André im September 1677 zum Zwecke der Information diesem avisiert und an Elisa beth Haesbart zwecks Weitergabe auch übergeben hatte. Oder jenes Buch, mit dem Crisp gegen das Beherbergungsverbot protestiert und dessen Übergabe an den Magistrat sichergestellt hatte. Wo Quäker in Emder oder ostfriesischen Akten greif bar werden, ist es zugleich auch die Verteilung von Schriften, die aktenkundig wird und mit zu den Ausweisungsgründen gehörte. Angesichts der Heftigkeit und Dramatik jener Vorgänge verweist der negative Überlieferungsbefund eher auf den Grad der Erschütterung des kollektiven Identitätsrepertoires von Stadt und Kirche in Emden. Zu dem bei dem Emder Arzt und Quäkerführer Dr. Haesbart durch den Magistrat konfiszierten Inventar gehörte auch dessen Bibliothek, die eigens Erwähnung findet und über deren Schicksal man sich keine Illusionen zu machen braucht. Nicht eine einzige Spur hat sich davon erhalten. Das Bemühen, mit diversen an Magistrat, die Prediger und die Bevölkerung breit gestreuten quäkerischen Schriften zur sachlichen Information über die Quäker beizutragen, darunter auch der Spiegel, blieb nicht nur erfolglos, es sei völlig verkehrt aufgenommen worden, gestehen die Quäker ernüchtert ein. Diese Schriften seien von einigen Magistratsmitgliedern in der Vorhalle ostentativ zerrissen worden.76 76
Spiegel (wie Anm. 25), 18 f.
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Es habe geheißen, man solle denjenigen, der diese Bücher ausgibt, steinigen oder an den Schandpfahl binden und die Drucker gehörten ins Gefängnis. Kapteyn Scholte als Repräsentant städtischer Polizeigewalt habe beklagt, wie mühsam es sei, alle Schriften wieder einzusammeln, auf dass diese auf dem Marktplatz verbrannt würden.77 Die Stadt, in die gut einhundert Jahre zuvor mit den Exulanten auch bedeutende Buchdrucker gekommen waren, um hier zu publizieren, was andernorts nicht gedruckt werden durfte, nämlich Schrifttum zur Beförderung der Reformation, diese Stadt wurde nun öffentlich präsentiert als Ort einer Bücherverbrennung. Sprechender wurde ihr Wandel in Identität und Selbstverständnis kaum zum Ausdruck kommen. Der Emder reformierte Prediger Eduard Meiners, der noch 1738/39 eine materialreiche zweibändige ostfriesische Kirchengeschichte bei besonderer Berücksichtigung der Emder Vorkommnisse herausgab und gleichwohl die Quäker völlig überging, konnte nicht wissen, dass seine Bemühungen um eine Revitalisierung des Emder Mythos zur Zeit der Herausgabe seiner Kirchengeschichte bereits ein reformierter Schwanengesang waren.78 Nur wenige Jahre später, 1744, war mit dem durch das Aussterben des ostfriesischen Fürstenhauses der Cirksenas begründeten Anfall Ostfrieslands an Preußen das Ende jener Alleinstellung und Dominanz der reformierten Religion in Emden eingeläutet und kurz danach Geschichte geworden. Längst Geschichte geworden sind auch die Quäker in Emden, jedenfalls nach ihrer wahrnehmbaren sozialen Gestalt als religiöse Gemeinschaft. Als konkretes historisches Phänomen haben sich die Quäker unter diesem ihnen später angehefteten Etikett erst in der Mitte des 17. Jahrhunderts in England formiert und sind über Amsterdam und Rotterdam auch nach Emden gelangt. In ihrer Gedankenwelt ist etliches enthalten, was seit der Frühzeit der Reformation in Deutschland als individualisierte und freie Religiosität sich immer wieder Raum verschaffte und zugleich an den Rand gedrängt und mit Verdikten belegt wurde, auch in Ostfriesland. Es war mithin keine Originalität ihrer religiösen Vorstellungswelt, es war vielmehr in einem erheblichen Maße die persönliche Authentizität und Glaubwürdigkeit und teilweise auch Originalität ihrer Vertreter, der Quäker und Quäkerinnen selber, die dieser Bewegung Resonanz verschaffte, selbst wenn und wo sich allein wenige gänzlich anschlossen und sich damit öffentlich bekannten wie jener Dr. Haesbart und die wenigen anderen in Emden, und andere im schützenden Raum der Anonymität und Innerlichkeit blieben. Es war die besondere Ästhetik ihrer Religion, die Menschen berührte und für sich einnahm und damit etwas bot, was die Tweede Deel Spiegel (wie Anm. 25), 18. Eduard Meiners, Oostvrieslandts kerkelyke Geschiedenisse of een historisch en ordeelkundig verhaal Van hetgene nopens het Kerkelyke in Oostvrieslandt en bysonder te Emden, is voorgevallen, zedert den tydt der Hervorminge, of de jaren 1519. en 1520. tot op den huidigen dag. Door Eduard Meiners Predikant te Emden, 2 Bde, Groningen 1738/39. Zur historiografischen Verarbeitung der Quäker in Emden siehe Schulz, Mythos (wie Anm. 20). 77 78
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obrigkeitsnahe Form reformierter Konfessionalität in ihrem durch die Alleinstellung begründeten autoritären Auftritt etlichen Emder Bürgern nicht mehr anzubieten vermochte.79 Im Grad der sozialen Vergemeinschaftung eher zurückhaltend und gerade keine Kirche um Amt und Sakrament, vielmehr allein eine „Society of Friends“ bildend, suchten sie eine Vertiefung ihrer Frömmigkeit und religiösen Erfahrungen, die sie im Laufe der Jahre selbst von den ihnen zumeist vertrauten und verwandten Mennoniten unterscheidbar machte. Sie erwarteten den Herrn und seine Kraft. Diese Kraft wird man ihnen in ihrer Leidensbereitschaft und -fähigkeit konzedieren müssen, dass sie trotz aller harten Strafen und Gefährdungen doch immer wieder in ihr Emden zurückkehrten und erst dadurch die zigfachen Vertreibungen auch selber herbeiführten, geradezu provozierten. Mit ungebrochenem Glaubensmut nahmen sie sich ihr Stück göttlicher Herberge in Emden, das ihnen Magistrat und Kirchenrat verweigerten. Als historisch wahrnehmbare Gemeinschaft haben die Quäker in Emden das 17. Jahrhundert nur knapp überstanden. Aber ihre individualisierte und kirchenferne Gedanken- und Glaubenswelt ist geblieben, hat sich auch unabhängig von den bekannten Quäkern erhalten und weiter verbreitet. Da ihre Gedankenwelt weniger auf institutionalisierte Vergemeinschaftung abzielte, sondern vielmehr den individuellen Menschen in seinem Gottes- und Weltbezug ansprach und dem gegenüber der Vergemeinschaftungsimpuls nachrangig blieb, war die soziale Gestalt eines Quäkertums keine unabdingbare Voraussetzung für die Weitergabe und Traditionsentwicklung ihrer Vorstellungen. Eine feste quäkerische Kirchen- und Organisationsbildung hat es lange nicht gegeben und sich selbst später nur in Teilen herausgebildet. Da sich etliche kleine Gemeinden in den nördlichen Niederlanden wie auch in Emden bereits im frühen 18. Jahrhundert schon wieder auflösten, mithin überhaupt nur einige Jahrzehnte Bestand hatten, könnte man im Fehlen einer klaren sozialen Form eine strukturelle Schwäche des Quäkertums sehen, aber langfristig begründete gerade diese zugleich eine besondere Stärke und Überlebensfähigkeit der quäkerischen Vorstellungswelten. Auch darin waren die Quäker einem Vordenker wie Sebastian Franck in seiner kirchenfernen und freireligiösen Welt nicht unähnlich, der neben seinen Schriften keine Institution zur Verbreitung seiner Gedanken brauchte, wie diese auch durch keine „Religionen haben ihre Ästhetik. Sie sind nicht Ansammlungen schlüssig begründeter Normen, Wertvorstellungen, Grundsätze und Lehren, sondern sprechen in Mythen und damit in Bildern, kaum in abstrakten Begriffen, binden ihre Anhänger weniger durch die Logik ihrer Argumente, als die Ausstrahlung ihrer Träger, die Poesie ihrer Texte, die Anziehung ihrer Klänge, Formen, Rituale, ja ihrer Räume, Farben, Gerüche. Die Erkenntnisse, auf die sie gehen, werden durch sinnliche Erfahrungen mehr als durch gedankliche Überlegung hervorgerufen, sind ästhetischer eher denn diskursiver Art. Die Vorgänge, die ihre Praxis ausmachen, sind keine Lehrveranstaltungen, vielmehr Ereignisse, die den Gläubigen physisch nicht weniger als geistig bewegen. Dies ist in allen Religionen so, und es ist nichts Neues.“ Navid Kermani, Gott ist schön. Das ästhetische Erleben des Koran, München 32007, 9. 79
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unterdrückt werden konnten, selbst wenn es an diesbezüglichen Bemühungen gewiss nicht fehlte, auch in Ostfriesland. So gab es immer auch Träger und Beförderer dieser Gedanken, die selber nicht unmittelbar dem quäkerischen Milieu zuzurechnen waren, ihm aber nahe standen, wie die Kollegianten oder Labadisten im 17. Jahrhundert, die sich auch in Emden bemerkbar machten und in den Fokus des reformierten Kirchenrats gelangten, als das Kapitel der Quäker doch überwunden schien, und nicht zuletzt die Mennoniten selber sowie etliche individualisierte Freireligiöse. Nicht zufällig bemühte sich im September 1715 der mennonitische Kaufmann Hendrik Swart darum, den durchreisenden englischen Quäker Thomas Story zum abendlichen Essen zu empfangen, während die verwitwete Mutter eines anderen mennonitischen Kaufmanns, Simon Dock, dessen großen Kornspeicher für eine quäkerische Versammlung herrichten ließ. Diese sei gut besucht gewesen, hielt Story in seinen Reiseerinnerungen fest, wenngleich er die Anwesenden als „greatly ignorant in spiritual Things“ erinnerte, was nicht ausschloss, dass „some of them, reached by the Truth, were tender“.80 Die frühere situativ konfessorische und soziale Differenzierung zwischen Mennoniten und Quäkern war also offensichtlich nicht so tief und keineswegs endgültig und bleibend, sodass einige Mennoniten deutlich wieder Anschluss suchten.81 Die quäkerische Form individualisierter Religiosität hat sich schnell von den herkömmlichen konfessionellen Schemata gelöst und nicht weniger in lutherischen Kreisen Anhänger gefunden. Die Quäker in Emden waren schon in den Hintergrund getreten, als zur Jahrhundertwende in benachbarten lutherischen Gemeinden wie Marienhafe, Dornum und Esens gegen einzelne Pastoren und einen Kantor der Vorwurf erhoben wurde, der „Quäkerei“ anzuhängen. Aus den konsistorialen Akten ergibt sich, dass auch hier noch mehr als das lutherische Hamburg das religionspluralistische Amsterdam eine bevorzugte Bezugsquelle für entsprechende Literatur war. Der lutherische Esenser Pastor Husius habe sie „sackweise“ aus Amsterdam bezogen, darunter Autoren, wie sie auch unter den Amsterdamer Quäkern gerne gelesen wurden, wie Jakob Böhme und Christian Hoburg, Valentin Weigel und weitere, deren Autoren oder Titel nicht herauszubekommen waren, da Pastor Husius deren Geheimhaltung den von ihm damit bedachten Lesern als Pflicht auferlegt hatte.82 Die „Quäkerei“ Thomas Story, Journal (wie Anm. 24), 506; siehe auch Schulz, Mythos (wie Anm. 20), 228 f. 81 Im Jahr 1714 hatten auch die Mennoniten in Leer ihre Kirche für eine quäkerische Versammlung zur Verfügung gestellt, was ihnen aber Ärger mit der reformierten Obrigkeit eintrug und eine Anklage vor Gericht. Auch in Leer kam es deshalb zu quäkerisch-mennonitischen Begegnungen in Privathäusern einiger Mennoniten; siehe Thomas Story, Journal (wie Anm. 24), 506 f.; siehe auch Schulz, Mythos (wie Anm. 20), 118 f., 228 f. 82 August de Boer, Der Pietismus in Ostfriesland am Ende des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts während der Regierungszeit der letzten drei ostfriesischen Fürsten Christian Eberhard, Georg Albrecht und Karl Edzard, Aurich 1938, 47–81, zum Literaturbezug 47. Die genannten Autoren entsprechen dem Lektüreprofil, das auch der mit 80
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wurde ähnlich wie der Sozianismus zu einer allgemeinen Verdächtigungskategorie zur Kennzeichnung nonkonformistischer oder separatistischer religiöser Neigungen, die sich obrigkeitlicher oder konsistorialer Normierung und Steuerung entzogen, Frühformen jener individuellen „Selbstermächtigung des religiösen Subjekts“, die den Herrschenden nicht geheuer war. Über den lutherischen Pastor Achilles in Dornum heißt es: „Zusammenfassend wurde gegen ihn die Anklage der Pietisterei, Schleicherei, Quäkerei, Enthusiasterei, des Weigelianismus, Socianismus und Arianismus erhoben“ – um auch ja keine erdenkliche Nuance verwerflicher religiöser Normabweichung zu übersehen.83 Das Gedankengut und geistige Erbe der Quäker ist durch die Generationen und Jahrhunderte weitergereicht und heute zum großen Teil längst religiöses Allgemeingut geworden, innerhalb wie außerhalb der großen und kleineren Kirchen und Religionsgemeinschaften, wenn es auch unter variierenden Etikettierungen firmiert. Was Wilhelm Dilthey, der große Kulturphilosoph des ausgehenden 19. Jahrhunderts, einmal mit Blick auf Sebastian Franck, einen der geistigen Vordenker der Quäker formuliert hat, mag auch von diesen gesagt werden können: „In hundert Rinnsalen fließen die Ideen Francks“ – und der Quäker – „der modernen Zeit entgegen“.84 Gerade auch in Ostfriesland.
Haesbart verschwägerte Amsterdamer Jan Claus an den Engländer Steven Crisp benennt, dazu Tauler, Sebastian Franck „and other German Mystics of the 16 and 17 centuries“, Smith, Steven Crisp and his correspondents (wie Anm. 30), 27. 83 Boer, Pietismus (wie Anm. 82), 81. 84 Wilhelm Dilthey, Auffassung und Analyse des Menschen im 15. und 16. Jahrhundert, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Leipzig 1929, 85.