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German Pages 189 [192] Year 1977
Deutsche Texte
Herausgegeben von GOTTHART WUNBERG
47
Mittelalterrezeption Texte zur Aufnahme altdeutscher Literatur in der Romantik
Herausgegeben, eingeleitet und mit einer weiterführenden Bibliographie versehen von Gerard Kozielek
Max Niemeyer Verlag Tübingen
CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Mittelalterrezeption : Texte zur Aufnahme altdt. Literatur in d. R o mantik / hrsg., eingel. u. mit e. weiterführenden Bibliogr. vers, von Gerard Kozieiek. - i. A u f l . - Tübingen : Niemeyer, 1977. (Deutsche Texte ; 47) I S B N 3-484-19046-9 N E : Kozieiek, Gérard [Hrsg.]
I S B N 3-484-19046-9 © M a x Niemeyer Verlag Tübingen 1977 Alle Redite vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege zu vervielfältigen. Printed in Germany.
Inhalt
Einleitung
i
1 Ludwig Tieck Die altdeutschen Minnelieder [ 1 8 0 3 ]
44
2 August Wilhelm Schlegel Deutsche Ritter-Mythologie [ 1 8 0 3 ] 1. Das Lied der Nibelungen 2. Das Heldenbuch
62 62 7J
3 Ludwig Achim von Arnim Von Volksliedern. An Herrn Kapellmeister Reichardt [1805]
82
4 Joseph Görres Die teutschen Volksbücher [1807] [Einleitung]
111 m
$ Wilhelm Grimm Ueber die Entstehung der altdeutschen Poesie und ihr Verhältniß zu der nordischen [1808]
124
6 Jacob Grimm Ueber den altdeutschen Meistergesang [ 1 8 1 1 ] Einleitung Uebersicht der Meisterkunst von Anfang bis zu Ende
. .
150 xjo 160
Geschichte der deutschen Dichtkunst im fünfzehnten und sechzehnten Jahrhundert [ 1 8 3 1 ] Einleitung
167 167
7 Ludwig Uhland
Quellennachweise
176
Beiträge zur altdeutschen Literatur
177
Weiterführende Bibliographie
181 V
Einleitung
Die Erforschung des germanischen und altdeutschen Schrifttums hat in Deutschland eine reiche Tradition, die bis auf den Humanismus zurückreicht. Von geringen Ausnahmen abgesehen - wie etwa Melchior Goldast und Martin Opitz handelt es sich hierbei vorzüglich um linguistische, juristische und kulturhistorische Arbeiten. Demgegenüber datiert die eigentliche Wiederentdeckung der frühen deutschen Poesie erst aus der Mitte des 18. Jahrhunderts. Wie in der Literaturgeschichte nimmt der Koryphäe der Aufklärung, Johann Christoph Gottsched, auch auf diesem Gebiet einen wichtigen Platz ein. 1752 gab er den niederdeutschen >Reinke de Vos< neu heraus und übertrug zugleich eine hochdeutsche Fassung aus dem 16. Jahrhundert in Prosa. Auf seine Ausgabe stützte sich Goethes Epos. Außerdem hat ihm die deutsche Literaturwissenschaft »die erste und bereits wissenschaftlich hochstehende Bibliographie des deutschen Dramas« zu verdanken, 1 den »Nötigen Vorrath zur Geschichte der deutschen dramatischen Dichtkunst oder Verzeichnis aller Deutschen Trauer-, Lust- und Singspiele . . . « (Leipzig 1757-1765). Mehrere kleinere Arbeiten, die er vor allem in den >Beyträgen zur Critischen Historie der Deutschen Sprache, Poesie und Beredsamkeit (Leipzig 1 7 3 2 - 1 7 4 4 ) veröffentlichte, enthalten u.a. Hinweise auf Veldekes >Äneide< und die Helden des deutschen Volksepos. Gottscheds rein philologischem Interesse steht das persönliche Engagement und die hohe Einschätzung der alten Werke durch seine beiden Antagonisten, die Schweizer Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger gegenüber. Ihnen gebührt der Ruhm, im 18. Jahrhundert zur Erneuerung der altdeutschen Literatur das Wesentlichste beigetragen zu haben. Auftakt zu einer gemeinsamen fruchtbaren Herausgebertätigkeit ist Bodmers für seine Zeit überaus reifer Aufsatz >Von den vortrefflichen Umständen für die Poesie unter den Kaisern aus dem schwäbischen Hause< (1743). Uberzeugt von 1
Hermann Hettner, Geschichte der deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert. Auf Grund der letzten, vom Verfasser bearbeiteten A u f lage herausgegeben von Georg Witkowski. Leipzig 1929, T . I, S. 227.
1
derem großen künstlerischen Wert, läßt er nichts unversucht, um die Manessische Liederhandschrift aus Paris nach Zürich kommen zu lassen, was ihm dank der Vermittlung des Straßburger Geschichts- und Altertumsforschers Johann Daniel Schöpflin schließlich auch gelingt. 1748 geben die Freunde die ersten >Proben der alten schwäbischen Poesie des dreyzehnten Jahrhunderts. Aus der Manessischen Sammlung< heraus, denen 1758/1759 ein vollständiger Abdruck folgte. Er trägt den Titel: >Sammlung von Minnesängern aus dem schwäbischen Zeitpuncte C X L Dichter enthaltend; Durch Ruedger Manessen, weiland des Rathes der uralten ZyrichFabeln aus den Zeiten der Minnesinger< erschienen, als deren Verfasser Lessing später Boner ermitteln konnte. Die Tätigkeit der beiden Schweizer wirkte vorbildhaft. Von Bodmer angeregt, forschte der Arzt Jakob Hermann Obereit in der Hohenemser Bibliothek nach Handschriften. Ergebnis war die Entdeckung des >NibelungenliedesFreymüthigen Nachrichten von neuen Büchern und anderen zur Gelehrtheit gehörigen Sachen< (1756). Eine Tat von zunächst noch nicht zu übersehender Tragweite war seine erstmalige Veröffentlichung, allerdings nur des zweiten Teils sowie der >KlageChriemhilden Rache, und die Klage; zwey Heldengedichte aus dem schwäbischen Zeitpuncte. Samt Fragmenten aus dem Gedichte von den Nibelungen und aus dem Josaphat. Darzu koemmt ein Glossarium< (Zürich 1757). Aus dem ersten Teil fanden sich darin nur wenige Auszüge, da Bodmer ihn als überflüssige Einleitung betrachtete, die des Abdrucks nicht wert erscheine. Solch eine Ansicht mag uns heute eigenartig berühren, und zweifellos zeugt sie von Bodmers beschränktem Verständnis des Heldenepos. Um so erstaunlicher aber ist seine Meinung über die Charaktere eines Hagen, eines Volker und eines Dietrich. Sie gipfeln in den anerkennenden Worten: »Das sind Eigenschaften, die sonst dem Homer zugehören. Der Poet hat auch dieses, mehr als so mancher anderer Poet, mit dem Griechen gemeinsam, daß er uns selten an den Poeten denken läßt; er nimmt uns allein mit seiner Handlung ein, und machet uns aus Lesern zu Hörern.« 2 Unbedeutend sind die auf mittelalterlichen Werken basierenden 2
Zit. nach Richard Benz, Die altdeutsche Wendung, Wiederentdeckung und Wiedergeburt. I n : Imprimatur. Ein Jahrbuch f ü r Bücherfreunde 6, 1 9 3 5 , S. 36.
2
eigenen Dichtungen Bodmers, wie >Die Rache der Schwester< und der >ParcivalSammlung deutscher Gedichte aus dem X I I . , X I I I . und X I V . Jahrhundert< zusammenstellte. Im ersten Teil war neben Veldekes >ÄneideParzival< und Hartmanns >Armem Heinrich< >Der Nibelungen Liet, ein Rittergedicht aus dem X I I I . oder X I V . Jahrhundert. Zum ersten male aus der Handschrift ganz abgedruckte Der zweite Teil enthielt Gottfrieds >Tristan< mit der Fortsetzung Heinrichs von Freiberg, Konrad Flecks >Flore und BanscheflurIweinTrojanischem KriegNibelungenlied< widmete Myller - damals Professor am Joachimstaler Gymnasium in Berlin - dem preußischen König. Er erhielt darauf folgende Antwort: »Hochgelahrter, lieber, getreuer, Ihr urtheilt viel zu vortheilhafft, von denen Gedichten aus dem 12., 13. und 14. Seculo, deren Druck ihr befördert habet, und zur Bereicherung der Teutschen Sprache, so brauchbahr haltet. Meiner Einsidit nach, sind solche, nicht einen Schuß Pulver, werth; und verdienten nicht, aus dem Staube der Vergessenheit, gezogen zu werden. In meiner Bücher-Sammlung wenigstens, würde Ich, dergleichen elendes Zeug, nicht dulten; sondern herausschmeissen. Das Mir davon eingesandte Exemplar mag dahero sein Sdiicksaal, in der dortigen großen Bibliothec, abwarten. - Viele Nachfrage verspricht aber solchem nicht; Euer sonst gnädiger König Fr[iedri]ch. Potsdam, d. 22. Februar 1784.« 3 Diese Antwort ist recht symptomatisch. Abgesehen von der genugsam bekannten Nichtachtung der deutschen Literatur durch 8
Zit. nach Rudolf von Raumer, Gesdiidite der Germanischen Philologie vorzugsweise in Deutschland. Mündien 1870, S. 261. 3
Friedrich I I . muß sie gleichzeitig als Ausdruck der damaligen öffentlichen Meinung gewertet werden. Bodmers Klage über seine verfehlten Hoffnungen berührt die Ursache solchen Urteils: »Alle meine Bemühungen haben das Aufsehen und den Beyfall unsrer Dichter nicht erhalten können. Ein ganzer Theil der reichen und schönen manessischen Sammlung liegt in der Verleger Gewölbe, und Chriemhildens Rache beinahe ganz [ . . . ] ich bin zu frühe in die Welt gekommen.« 4 In der T a t war die Zeit für derartige Unternehmungen nicht günstig. Die grundsätzliche Abneigung der Aufklärung gegenüber dem Mittelalter mußten sie von vornherein scheitern lassen. Nicht ohne tiefere Absicht heben denn auch die Herausgeber der Minnelieder die ritterlichen Eigenschaften ihrer Verfasser hervor und betonen, »daß ein großer Theil der nachtheiligen Meinung verschwindet, die man von ihnen, als von Menschen gehabt hatte, die sich kaum aus der Barbarei losgerissen hätten«. 5 Die Anspielung auf die Vorurteile der Epoche kommt einer Rechtfertigung gleich. Ein anderer Grund für den schwachen Widerhall der Myllerschen Sammlung war die sich gerade in den achtziger Jahren vollziehende Hinwendung zur Antike. Sie erklärt, warum das Goethe übersandte Exemplar ungelesen blieb. Der Klassiker war über die Jahre, da er sich zusammen mit Herder und Moser an deutscher Art und Kunst begeisterte, bereits hinaus. Wurde ihm aber die altdeutsche Dichtung dann dennoch interessant genug, um sich mit ihr zu befassen, so nahm Schiller ihr gegenüber immer eine ablehnende Haltung ein. Nicht zuletzt waren auch die in editorischer Hinsicht wenig ansprechenden Texte daran schuld, daß der Leserkreis auf nur wenige Liebhaber beschränkt blieb. Ein sklavischer Abdruck mit allen Schreibfehlern und ohne Stropheneinteilung wie auch veraltete, unverständliche Wörter und Wendungen erschwerten natürlicherweise das Verständnis. Von philologischer Akribie oder Textkritik konnte schon gar nicht die Rede sein, druckte doch Myller - ohne es zu wissen - das >Nibelungenlied< nach zwei verschiedenen Handschriften ab. Die wenigen positiven Stimmen, für die die Besprechung des berühmten Historikers Johannes von Müller in den >Göttingischen 4
Brief J . J . Bodmers an C . G . Casparson, den dieser in der Vorrede zu seiner Ausgabe von Eschenbadis >Willehalm< anführte. Zit. nach R . 5 Benz, a.a.O., S. 37. Ebda, S. 36.
4
Anzeigen von gelehrten Sadien< ( 1 7 8 3 - 1 7 8 5 ) stellvertretend ist, konnten weder Ablehnung noch Gleichgültigkeit beeinträchtigen. Auch Myller war zu früh gekommen, und zwar um ein Viertel Jahrhundert. Den großen Wert seiner Ausgabe erkannten nämlich erst die Romantiker. Zusammen mit den >Minnesängern< der Schweizer war sie Anregung und Grundlage für ihre eigenen Studien. Alle anderen Editionen und Arbeiten zur altdeutschen Literatur waren zwar wertvolle Hilfsmittel für spätere Forschungen, hatten aber keinen Einfluß auf die damalige Geschmacksbildung. Einige seien hier noch kurz erwähnt. Zur gleichen Zeit, als Myller seine >Sammlung deutscher Gedichte< herausgab, veröffentlichte der Bibliothekar und Sprachforscher Johann Christoph Adelung ein >Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Spradie< (1782), dessen erstem Band er einen Abriß einer Sprach- und Literaturgeschichte voransetzte. Ergänzt wurde er von einem Chronologischen Verzeichniß der Dichter und Gedichte aus dem Schwäbischen Zeitpuncte«.6 Wie wenig Verständnis der Verfasser aber für kulturhistorische Probleme aufbrachte, beweist seine >Aelteste Geschichte der Deutschen, ihrer Sprache und Litteratur, bis zur Völkerwanderung< (Leipzig 1806), in der die altdeutsche Dichtung als völlig wertlos abgetan wird. Größere Verdienste um deren Erforschung als J . Chr. Adelung hatte sein Neffe Friedrich Adelung mit den >Nachrichten von altdeutschen Gedichten, welche aus der Heidelbergischen Bibliothek in die Vatikanische gekommen sind. Nebst einem Verzeichnis derselben und Auszügen< (Königsberg 1796). 7 Nach einer recht anschaulichen Schilderung der Schwierigkeiten, die er zu überwinden hatte, um an die Vatikanischen Handschriften heranzukommen, folgt das Verzeichnis selbst und danach auf über zweihundert Seiten >Auszüge aus einigen altdeutschen poetischen HandschriftenAltdeutsche Gedichte in Rom, oder fortgesetzte Nachrichten von Heidelbergischen Handschriften in der Vatikanischen Bibliothek. Nebst einer Vorrede von dem Herrn Hofrath [Johann Christoph] Adelung über Handschriften von altdeutschen Gedichten in der diurfürstlichen Bibliothek zu Dresden«. Königsberg 1799. 5
buche. Indem der Verfasser Bodmers Verdienste würdigt, gibt er zugleich dem Bedauern Ausdrude, daß sich seit dessen literarhistorischen Publikationen auf diesem Gebiete nichts geändert hat: »Denn auch jetzt, nach 40 Jahren, ist die Zeit immer noch nicht gekommen, wo die deutschen Gelehrten die Begierde wie eine Sucht angefallen hätte, die witzigen Werke des Schwäbischen Zeitpunktes aus dem Moder zu retten.«8 Ein ähnliches Unternehmen waren Johann Joachim Eschenburgs »Mittheilungen aus altdeutschen Handschriften^ die dann in erweitertem Umfang 1799 als »Denkmäler altdeutscher Dichtkunst in Bremen erschienen. Hinzu kommen andere, mehr oder minder gelungene Ausgaben alter Werke. Eines besonderen Hinweises verdient Friedrich David Gräters Aufsatz >Über die teutschen Volkslieder^ den noch Achim von Arnim im >Wunderhorn< rühmend anführt. Er wurde in der Zeitschrift >Bragur< ( 1 7 9 1 - 1 8 0 2 ) veröffentlicht,9 die Gräter zusammen mit Christian Gottfried Böckh redigierte. Das von ihnen verkündete Programm weist schon darauf hin, daß sich im Hinblick auf die kulturelle Vergangenheit Deutschlands ein Umschwung zu vollziehen begann: »Die Liebe zum einheimischen Altertum«, heißt es darin, »und die Begierde, dem ursprünglichen Nationalgeiste unserer Väter immer weiter in ihren literarischen Denkmalen nachzuforschen und die dadurch erlangte Kenntnis mit unseren Zeitgenossen zu theilen, hat uns zur Anlegung dieses Magazins bewogen.« 10 Die wachsende Anzahl von Editionen und Abhandlungen zog folgerichtig das Bestreben nach sich, das vorhandene Material zu ordnen. Neben Johann Adam Nasser und August Küttner zeichnete sich hierbei besonders Erduin Julius Koch aus. Sein zweibändiger »Grundriß einer Geschichte der Sprache und Literatur der Deutschen von den ältesten Zeiten bis auf Lessings Tod< (Berlin 1795/1798) 1 1 8
F . Adelung, Nachrichten v o n altdeutschen Gedichten, Königsberg 1 7 9 6 ,
S. 40. » Bd. I I I , 1 7 9 4 , S. 2 0 7 - 2 8 4 . 10 Zit. nach Josef Dünninger, Geschichte der deutschen Mythologie. I n : Deutsche Philologie im A u f r i ß . . . herausgegeben v o n W o l f g a n g S t a m m ler. Berlin 1 9 6 6 , Bd. I, Sp. 1 3 9 . 11 D e r erste Band erschien erstmals 1 7 9 0 unter dem Titel >Compendium der deutschen Literaturgeschichte von den ältesten Zeiten bis zu Lessings TodDie Christenheit oder Europa< angeschlagen hatte. Solch eine Idealisierung ist Görres vonnöten, um die Wichtigkeit und Tragfähigkeit der mittelalterlichen Literatur zu begründen. Jedoch nicht eine sklavische Nachahmung der damaligen Lebensformen strebt er an; nur Vorbild sollen diese »ernsten Gestalten« sein; »im Vertrauen auf uns selbst sollen wir unsere Eigentümlichkeit ausarbeiten, wie sie die Ihrige ausgearbeitet haben«. Diese Idee, einige gut erfaßte Züge der feudalen Ständeordnung und eine objektive Einschätzung der zeitgenössischen Lage zeugen trotz aller Schönfärberei von einem realistischen Standpunkt des Autors. 57a Dieses und die folgenden Zitate aus: Jfoseph] Görres, Die teutsdien Volksbücher, Heidelberg 1807, S. 270, 2 7 1 , 279, 280, 3 0 J , }Of{.
3°
Das Fazit von Görres* Ausführungen, deren Inhalt vom großen Bilderreichtum oft verschleiert wird, bildet somit einerseits der Nachweis von der lebensspendenden Kraft der Volksliteratur, von ihrer Dauerhaftigkeit und ihrem Ausstrahlungsvermögen, andererseits aber die auch bei den Romantikern immer wieder auftretende Anprangerung der gegenwärtigen Zustände und das damit verbundene Bestreben, Wege zu weisen für eine Wiedergeburt des deutschen Volkes. »In meiner Sdirift über die teutschen Volksbücher«, schreibt Görres ein Jahr nach deren Erscheinen im >EinsiedIerDer gehörnte Siegfried und die NibelungenNibelungenFrischen LiedleinOtmars VolkssagenBragur< II. T. S. 207-284.) ist leider nicht vollendet, viele der dort erwähnten Lieder wünschte ich gerne ganz mittheilen zu können.
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Doch zur Probe einige aus dem Jahre 1802. 1 . Aus einem räthselhaften Quodlibet, oder eine Kaskonade: Potz tausend, schaut fort läuft die Katz, Geh Plasl lauf, halts auf, Ein jeder Mensch hat seinen Schatz, In diesem Lebenslauf. Als d' Jungfer noch ein Jungfer war, Hats keine mehr seyn mögen, Ich wust es alles auf ein Haar, Ihr Pelz der hing voll Regen. 104
Vom Tanze verlassen in der Sommereinsamkeit, zu einfach anderer Kunst singt der Hirte an den Quellen des Rheins dem ewigen Sdinee zu: Ist noch ein Mensch auf Erden, S o mödit ich bey ihm seyn.
So klingen die Quellen des Rheins hinunter, dann immer neuen Quellen und Tönen verbunden, vom lustigen Neckar angerausdit, ein mächtiger Strom, der von Mainz mit dem weinfröhlichen singenden Mayn verbunden, nur geschieden von ihm durch Farbe, doppelstimmig die vergangene Zeit in heutiger Frische umschlingt, eine sinnreiche Erinnerung für uns. Staunend saß ich da unter den lustigen Zechern im vollen Marktschiffe, sah drey wunderlichen Musikern mit immer neuem Liede zu; jeder ihrer Züge eine alte ausgespielte Saite, jeder ihrer Töne ein ausgebissen Trinkglas, ewig hin und zurück geht das Schiff, ihre Wiege, ihr Thron, sie sinds, die diese arme wüste Marktwelt (wie Kraut und Rüben unter einander geworfen) zu einem wechselnden, lauten und stillen Gedanken-Chore verbinden, daß neben ihnen die ruhigen reichern Dörfer wie unerreichbare Sterne und Monden, ohne Sehnsucht, ohne Preis vorüberschwimmen. Das Wunderbare hat immer einen fremden Uebergang, der Zauberstab unterscheidet sich erst von einem gewöhnlichen Stabe nur durdi die Farbe, so mag auch diese Kunst uns nur vorbereiten 2. A u s einer Beschreibung der Neuigkeiten im Prater: Auch ist eine Hütte, w i e ihr w o h l wißt, D a last man sich wägen, wie schwer als man ist, Ich ging auch einmal hin, Z ' wissen, wie schwer ich bin? D e r K e r l w a r ein Flegel, er sprach: H ö r t s der H e r r , Sie sind gewiß ein Schneider und sind gar nicht schwer. W e r damit nicht zufrieden, noch mehr sehen will, Geh grade von da aus zum Ringlspil, D a drehen sich z w e y und z w e y R u n d herum in der Reih, O f t schreien die Medeln, nicht gar so geschwind, Es ist nicht wegen meiner, es ist wegens K i n d . D a s Verhältniß dieser Lieder zu den Nationalopern der dortigen V o r städte, w i r d schon aus diesen Proben fühlbar, die meisten dieser Singespiele sind der A n l a g e nach schön, ungeschickt und leer in der Sprache, gewöhnlich aber nur durch Fortsetzungen unangenehm. 10$
auf jene höhere am Rheine, der endlich ermüdet vom wechselnden Reiz, wie das Gold im Sande sich verliert. Hier zwischen den Bergen beym Ostein leben noch alle die hochherzigen Romanzen, die Herder und Elwert gesammelt,24 viel schönere noch, die eben nur selten gehört werden, weil sie nur selten wahrhaft sich fügen; sie sind in dem Munde der meisten Schiffer und Weinbauern gleich der pastorella gentil, der zingarella und ähnlichen in Italien. Wie die Jacht mit den Reisenden durch das Wasser schäumt, in jeder Uferkrümmung von den Trümmern der Vorzeit einen Wiederhall aufruft, so wechseln die Lieder, und wo sie aussteigen: D e r K u k u k mit seinem Schreyen, M a d i t fröhlich jedermann, Des Abends fröhlich reihen Die Maidlein wohlgethan, Spazieren zu den Brunnen, Bekränzen sie zur Zeit, A l l V o l k sucht Freud und Blumen, M i t Reisen fern und weit.
Kennst du das Land wo die Zitronen blühen? Italien ist entdeckt, wo der Wein reift an allen Orten. Und als ich im mittelländischen Meere schiffte, der Schiffer sein Lied sang auf alles, was uns traf, Windstille und Seekrankheit, bis ihm der Sturm das Lied von der Lippe blies, da floß der Rhein. Ganz besonders ist es aber der Rhein, wenn sich die Winzer zur schönsten aller Ernten im alten Zauberschlosse der Gisella, Nachts versammeln, da flammt der Heerd, die Gesänge schallen, der Boden bebt vom Tanz: 24
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